Wunder
Theorie – Auslegung – Didaktik
1122
2021
978-3-8385-5657-4
978-3-8252-5657-9
UTB
Kurt Erlemann
Dieses Standardwerk führt in den wissenschaftlichen Umgang mit biblischen Wundererzählungen des Neuen Testaments ein. Während Thesen und Begriffsklärungen den Einstieg ins Thema erleichtern, sorgt der Überblick über die Wunderforschung seit der Antike für einen umfassenden Problemhorizont und führt zu weiterführenden Fragestellungen. Weitere Schwerpunkte sind die Theologie der Wundererzählungen, die Auslegungsmethodik sowie die Wunderhermeneutik. Musterexegesen und exemplarische Unterrichtsskizzen runden das Konzept ab. Textboxen, Tabellen, Grafiken und ein ergiebiger Serviceteil unterstützen den didaktischen Zugang.
<?page no="0"?> ,! 7ID8C5-cfgfhj! ISBN 978-3-8252-5657-9 Kurt Erlemann Wunder Theorie - Auslegung - Didaktik Dieses Standardwerk führt in den wissenschaftlichen Umgang mit biblischen Wundererzählungen des Neuen Testaments ein. Während Thesen und Begriffsklärungen den Einstieg ins Thema erleichtern, sorgt der Überblick über die Wunderforschung seit der Antike für einen umfassenden Problemhorizont und führt zu weiterführenden Fragestellungen. Weitere Schwerpunkte sind die Theologie der Wundererzählungen, die Auslegungsmethodik sowie die Wunderhermeneutik. Musterexegesen und exemplarische Unterrichtsskizzen runden das Konzept ab. Textboxen, Tabellen, Grafiken und ein ergiebiger Serviceteil unterstützen den didaktischen Zugang. Theologie | Religionswissenschaft Wunder Erlemann Dies ist ein utb-Band aus dem Narr Francke Attempto Verlag. utb ist eine Kooperation von Verlagen mit einem gemeinsamen Ziel: Lehr- und Lernmedien für das erfolgreiche Studium zu veröffentlichen. utb.de QR-Code für mehr Infos und Bewertungen zu diesem Titel 5657 Erlemann.indd 1 5657 Erlemann.indd 1 01.10.21 11: 54 01.10.21 11: 54 <?page no="1"?> utb 5657 Eine Arbeitsgemeinschaft der Verlage Brill | Schöningh - Fink · Paderborn Brill | Vandenhoeck & Ruprecht · Göttingen - Böhlau Verlag · Wien · Köln Verlag Barbara Budrich · Opladen · Toronto facultas · Wien Haupt Verlag · Bern Verlag Julius Klinkhardt · Bad Heilbrunn Mohr Siebeck · Tübingen Narr Francke Attempto Verlag - expert verlag · Tübingen Ernst Reinhardt Verlag · München transcript Verlag · Bielefeld Verlag Eugen Ulmer · Stuttgart UVK Verlag · München Waxmann · Münster · New York wbv Publikation · Bielefeld Wochenschau Verlag · Frankfurt am Main <?page no="2"?> Prof. Dr. Kurt Erlemann ist Inhaber des Lehrstuhls für Neues Testament und Geschichte der Alten Kirche an der Bergischen Universität Wuppertal. <?page no="3"?> Kurt Erlemann Wunder Theorie - Auslegung - Didaktik Narr Francke Attempto Verlag · Tübingen <?page no="4"?> © 2021 · Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Internet: www.narr.de eMail: info@narr.de Einbandgestaltung: Atelier Reichert, Stuttgart Satz: pagina GmbH, Tübingen CPI books GmbH, Leck utb-Nr. 5657 ISBN 978-3-8252-5657-9 (Print) ISBN 978-3-8385-5657-4 (ePDF) ISBN 978-3-8463-5657-9 (ePub) www.fsc.org MIX Papier aus verantwortungsvollen Quellen FSC ® C083411 ® Umschlagabbildung: © Josef Rapek - stock.adobe.com Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: / / dnb.dnb.de abrufbar. <?page no="5"?> 1 15 1.1 15 1.2 16 1.2.1 16 1.2.2 16 1.2.3 16 1.2.4 17 1.2.5 17 1.3 18 1.4 18 1.5 22 1.5.1 23 1.5.2 24 1.5.3 26 1.5.4 26 1.5.5 27 1.5.6 29 1.5.7 31 1.6 32 1.6.1 32 1.6.2 33 1.6.3 34 1.6.4 35 1.6.5 35 1.6.6 36 1.6.7 37 1.6.8 38 1.6.9 40 Inhalt Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Intention des Buches . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Erste Fragen und Antworten . . . . . . . . . . . . . . . Hat Jesus Wunder getan? . . . . . . . . . . . . . . . . . . Was ist die ‚Wahrheit‘ der Wundertexte? . . . . . Kann man noch an Wunder glauben? . . . . . . . . Wozu sind Wundertexte gut? . . . . . . . . . . . . . . . Welche Themen sind mitzudenken? . . . . . . . . . Vorgehensweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Einführende Thesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Was sind eigentlich Wunder? . . . . . . . . . . . . . . . Biblische Wunderterminologie . . . . . . . . . . . . . . ‚Weiche Fakten‘ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Profan-ästhetischer Wunderbegriff . . . . . . . . . . Kontingent-liberativer Wunderbegriff . . . . . . . Biblisch-konfessorischer Wunderbegriff . . . . . . Fazit: Provokation der menschlichen ratio . . . . Exkurs: Naturgesetze und Quantenphysik . . . . Antike Wundergattungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . Heilungswunder / Therapien . . . . . . . . . . . . . . . . Exorzismen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Totenerweckungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Geschenkwunder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Natur- und Rettungswunder . . . . . . . . . . . . . . . . Normenwunder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Strafwunder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Epiphanien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Weitere Wunderformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . <?page no="6"?> 1.6.10 43 1.6.11 44 1.7 50 1.7.1 50 1.7.2 51 1.7.3 52 1.7.4 53 1.7.5 54 1.7.6 56 1.7.7 56 1.7.8 58 1.7.9 59 1.7.10 60 2 65 2.1 65 2.1.1 65 2.1.2 65 2.1.3 66 2.1.4 68 2.2 68 2.2.1 68 2.2.2 69 2.2.3 69 2.2.4 70 2.2.5 71 2.3 72 2.3.1 72 2.3.2 74 2.3.3 75 2.3.4 77 2.3.5 79 2.4 79 2.4.1 79 2.4.2 81 Wundersummarien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wunder im Neuen Testament - Textgrundlage Wunderspezifische Termini . . . . . . . . . . . . . . . . Charisma . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dämonen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Magie und Zauberei . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Schamanismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Mythos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rationalismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Spiritualität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Mystik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Weiche Fakten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Faktualität / Fiktionalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Historische Fragestellungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Welt- und Menschenbild . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sichtbare und unsichtbare Wirklichkeit . . . . . . Monotomisches Menschenbild . . . . . . . . . . . . . . Wunderglaube und Wunderkritik . . . . . . . . . . . Nebeneinander von Mythos und ratio . . . . . . . . Antike Heilkunst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Asklepios: Tempelmedizin . . . . . . . . . . . . . . . . . Hippokrates: ‚Schulmedizin‘ . . . . . . . . . . . . . . . . Wunderheiler u. a.: Volksmedizin . . . . . . . . . . . . Krankheit und Sünde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Exkurs: Krankheitsbilder im Neuen Testament Jesus und andere Wundertäter . . . . . . . . . . . . . . Alttestamentliche Wunderpropheten . . . . . . . . Frühjüdische Wundertäter . . . . . . . . . . . . . . . . . Wundertäter im hellenistischen Raum . . . . . . . Magier, Zauberer und Schamanen . . . . . . . . . . . Fazit: Die Außenwahrnehmung Jesu . . . . . . . . . Genese des Christusglaubens . . . . . . . . . . . . . . . Das Charisma des erinnerten Jesus . . . . . . . . . . Begegnungen mit dem Auferstandenen . . . . . . 6 Inhalt <?page no="7"?> 2.4.3 82 2.4.4 83 2.5 83 2.5.1 84 2.5.2 85 2.5.3 86 2.5.4 87 2.5.5 88 2.6 88 3 91 3.1 91 3.1.1 91 3.1.2 93 3.1.3 93 3.2 94 3.2.1 94 3.2.2 96 3.2.3 97 3.2.4 97 3.3 98 3.3.1 99 3.3.2 100 3.3.3 101 3.3.4 102 3.3.5 104 3.3.6 104 3.3.7 106 3.4 107 3.4.1 107 3.4.2 109 3.4.3 109 3.4.4 110 3.4.5 112 Konsequenzen für den Wunderglauben . . . . . . Fazit: Von Begegnungen zum Glauben . . . . . . . Zwischen Glauben und Ablehnung . . . . . . . . . . Die polarisierende Wirkung der Wunder . . . . . Vollmachtsfrage und Zeichenforderungen . . . . Das Problem der Schweigegebote . . . . . . . . . . . Kult- und sozialkritischer Sprengstoff . . . . . . . . Fazit: Eschatologisch-kritische Funktion . . . . . Ergebnis: Die historische Plausibilität der Wunder Jesu . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Grundlinien der Wunderforschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wunderdeutung bis zur Neuzeit . . . . . . . . . . . . Biblische und altkirchliche Deutung . . . . . . . . . Wunder in der Reformationszeit . . . . . . . . . . . . Fazit: Allegorisch-spirituelle Deutung . . . . . . . . Wunderdeutung in der Neuzeit . . . . . . . . . . . . . Ausgangspunkt / Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . Rationalistische Wunderdeutung . . . . . . . . . . . . Mythische Wunderdeutung . . . . . . . . . . . . . . . . Albert Schweitzers Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wunderforschung im 20. Jahrhundert . . . . . . . . Religions- und formgeschichtliche Deutung . . Existenziale Wunderdeutung . . . . . . . . . . . . . . . Tiefenpsychologische Deutung . . . . . . . . . . . . . Psychosoziale Deutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sozial- und kultkritische Deutung . . . . . . . . . . . Weitere Deutungsmuster . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fazit: Der lange Schatten des Rationalismus . . Neueste Trends . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Revision des Wahrheitsbegriffs . . . . . . . . . . . . . Human- und kulturwissenschaftliche Ansätze . Die Frage bleibender Relevanz . . . . . . . . . . . . . . Der unerklärbare Rest . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fazit: Grenzen des Verstehens . . . . . . . . . . . . . . 7 Inhalt <?page no="8"?> 3.5 114 3.5.1 114 3.5.2 115 3.5.3 115 3.5.4 116 3.5.5 116 3.5.6 117 3.5.7 118 3.5.8 118 3.5.9 119 3.5.10 119 3.6 119 3.6.1 120 3.6.2 123 3.6.3 137 3.6.4 141 3.6.5 142 3.6.6 149 3.6.7 152 3.6.8 154 4 157 4.1 157 4.1.1 157 4.1.2 160 4.1.3 161 4.1.4 163 4.1.5 166 4.1.6 169 4.1.7 181 4.1.8 184 4.1.9 184 Auswertung und Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Harte Fakten vs. fromme Fiktion . . . . . . . . . . . . Historische vs. unhistorische Wunder . . . . . . . . Rationale vs. supranaturale Erklärung . . . . . . . Wörtliches vs. übertragenes Verstehen . . . . . . . Form vs. Inhalt? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wundergeschehen vs. Wundererzählung . . . . . . Rationale Verstehbarkeit vs. provokative Unverständlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Frage nach Jesus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fazit: Der Output der Wunderforschung . . . . . Exkurs: Die historische Wunderfrage im Wandel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Weiterführende Überlegungen . . . . . . . . . . . . . . Die Frage theologischer Relevanz . . . . . . . . . . . Der Wahrheitsbegriff der Wundertexte . . . . . . . Die Logik der Wunder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sinnebenen und theologische Aspekte . . . . . . . Grundfunktionen und Textgruppen . . . . . . . . . . Definition Wunder und Wundererzählung . . . . Fazit: Plädoyer für eine emanzipierte Wunderforschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Exkurs: Wundertexte und Gleichnisse . . . . . . . Inhaltliche Aspekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sinnebenen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Physisch-leibliche Sinnebene . . . . . . . . . . . . . . . Spirituelle Sinnebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (Tiefen-)Psychische Sinnebene . . . . . . . . . . . . . . Sozial-und kultkritische Sinnebene . . . . . . . . . . Mythisch-kosmische Sinnebene . . . . . . . . . . . . . Kommunikative Sinnebene . . . . . . . . . . . . . . . . . Diakonisch-missionarische Sinnebene . . . . . . . Theologische Sinnebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fazit: Vielschichtige Befreiungstexte . . . . . . . . . 8 Inhalt <?page no="9"?> 4.2 185 4.2.1 185 4.2.2 187 4.2.3 189 4.2.4 189 4.2.5 190 4.2.6 191 4.2.7 193 4.2.8 197 4.2.9 198 4.2.10 199 4.3 199 4.3.1 199 4.3.2 201 4.3.3 203 4.3.4 203 4.3.5 203 4.4 206 4.4.1 206 4.4.2 208 4.4.3 209 4.4.4 211 4.4.5 212 4.4.6 212 4.5 213 5 215 5.1 215 5.1.1 215 5.1.2 221 5.2 226 5.2.1 226 5.2.2 231 Klassische Themenfelder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Theo-logische Aspekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Christologische Aspekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Pneumatologische Aspekte . . . . . . . . . . . . . . . . . Kosmologische Aspekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anthropologische Aspekte . . . . . . . . . . . . . . . . . Ekklesiologische Aspekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ethische Aspekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Soteriologische Aspekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Eschatologische Aspekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fazit: Heilvolle Wirkungen der Zuwendung Gottes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Weitere Themen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wunder und Glaube . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wunder und Sündenvergebung . . . . . . . . . . . . . Wunder und Nachfolge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wunder und Reich Gottes . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wunder und Theodizee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Einzelne Wunderprofile . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Markusevangelium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Matthäusevangelium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Lukanisches Doppelwerk . . . . . . . . . . . . . . . . . . Johannesevangelium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Corpus Paulinum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Weitere Schriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Exegetische Musterbeispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fürsorge-Wundertexte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Speisungswunder (Mk 6,30-44parr.) . . . . . . . . . Bewahrung des Jesuskindes (Mt 2,13-23) . . . . . Erkenntnis-Wundertexte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Sturmstillung (Mk 4,35-41parr.) . . . . . . . . . Der Jüngling zu Nain (Lk 7,11-17) . . . . . . . . . . . 9 Inhalt <?page no="10"?> 5.3 236 5.3.1 237 5.3.2 242 5.4 248 5.4.1 248 5.4.2 253 6 259 6.1 259 6.1.1 259 6.1.2 262 6.1.3 266 6.1.4 266 6.2 268 6.2.1 268 6.2.2 270 6.3 272 6.4 276 6.4.1 276 6.4.2 277 6.5 278 6.5.1 278 6.5.2 280 6.6 281 6.6.1 282 6.6.2 289 6.6.3 295 6.6.4 300 6.6.5 306 6.6.6 312 Missions-Wundertexte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der blinde Bartimäus (Mk 10,46-52parr.) . . . . . Strafwunder an Barjesus (Apg 13,6-12) . . . . . . Konflikt-Wundertexte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Beelzebulfrage (Mt 12,22-30parr.) . . . . . . . . . . . Der Wassersüchtige (Lk 14,1-6) . . . . . . . . . . . . . Didaktische Impulse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hermeneutische Vorbemerkungen . . . . . . . . . . Voraussetzungen des Wunderverstehens . . . . . Lebensweltliche Brücken zum Wunderbaren . . Sinnebenen und theologische Themenfelder . . Unverzichtbare Befreiungsgeschichten . . . . . . . Pädagogische Überlegungen . . . . . . . . . . . . . . . . Die Debatte um Wunder im Unterricht . . . . . . . Entwicklungspsychologische Aspekte . . . . . . . . Von der Exegese zum Unterricht . . . . . . . . . . . . Wunder-Textauswahl und Curricula . . . . . . . . . Vorgaben der Kerncurricula . . . . . . . . . . . . . . . . Einordnung der Mustertexte . . . . . . . . . . . . . . . . Didaktische Möglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . Wundertheorie und Methoden . . . . . . . . . . . . . . Textunabhängige Methoden . . . . . . . . . . . . . . . . Musterbeispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . GS (1./ 2. Klasse): Bewahrung des Jesuskindes (Mt 2,13-23) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . GS (3./ 4. Klasse): Heilung des blinden Bartimäus (Mk 10,46-52) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sek I (5.+6. Klasse): Speisung der Fünftausend (Mk 6,30-44) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sek I (7.-10. Klasse): Sturmstillung (Mk 4,35-41) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sek II (10./ 11. Klasse): Jüngling zu Nain (Lk 7,11-17) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sek II (GK, LK): Exorzismus und Beelzebulfrage (Mt 12,22-30) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10 Inhalt <?page no="11"?> 6.6.7 318 6.6.8 326 7 333 S 1 333 S 2 335 S 3 338 S 4 345 S 5 354 S 5.1 354 S 5.2 355 S 5.3 356 S 5.4 358 S 6 360 371 372 BK I: Heilung des Wassersüchtigen am Sabbat (Lk 14,1-6) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . BK II: Strafwunder an Barjesus-Elymas (Apg 13,6-12) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Serviceteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abkürzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Glossar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Schlagwörter (in Auswahl) . . . . . . . . . . . . . . . . . Textstellen (in Auswahl) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Übersicht: Ntl. Wundertexte . . . . . . . . . . . . . . . . Fürsorge-Wundertexte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Erkenntnis-Wundertexte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Missions-Wundertexte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Konflikt-Wundertexte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literaturangaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abbildungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tabellenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 Inhalt <?page no="13"?> Vorwort Wunder und Wundertexte gehören zu den umstrittensten und zugleich faszinie‐ rendsten Genres der Bibel. In ihnen wird der Glaube an den Schöpfergott Israels sichtbar und spürbar. Ohne Wundertexte wäre dieser Glaube seiner Spitze beraubt. Die Evangelisten zeichnen Jesus als charismatischen Wundertäter. Schon seit den Anfängen der Kirche waren seine Wunder und die der Apostel Gegenstand intel‐ lektueller Kritik. Seit dem Zeitalter des Rationalismus wird die Glaubwürdigkeit der Bibel vorzugsweise an der Wunderfrage festgemacht. Bis heute dauert die Kontroverse um ein sachgemäßes Verständnis der biblischen Wundertexte an. Trotz aller Umstrittenheit sind sie noch immer ein fester Bestandteil der Lehrpläne für den Evangelischen Religionsunterricht. Der UTB-Band ist das Ergebnis langjähriger Beschäftigung mit den biblischen Wundertexten und dem Phänomen des Wunderbaren in Forschung und Lehre. Das Buch vereinigt Impulse der Wunderforschung, exegetische Fragestellungen sowie Aspekte der Wunderhermeneutik und -didaktik. Das Buch ist Fach- und Lehrbuch zugleich: Erstens, es bietet einen leichten Einstieg in Grundbegrifflichkeiten. Zwei‐ tens, es beleuchtet eingehend historische Aspekte der Wunderfrage. Drittens, es bietet einen Überblick über Wunderdeutung und -forschung seit den Anfängen bis heute und spinnt die Fäden weiter. Viertens, es erschließt zahlreiche theologische Aspekte der Wundertexte. Fünftens, es setzt die Wundertheorie in Musterexegesen praktisch um und sechstens, es bietet Impulse für eine moderne Wunderdidaktik anhand praktischer Unterrichtsskizzen. Grafiken, Tabellen, Beispieltexte und ein Serviceteil runden das Konzept des Buches ab. Mein ausdrücklicher Dank gilt den Menschen, welche die Entstehung des Buches begleiteten und bereicherten: Gunther vom Stein und Simon Dietz trugen wertvolle didaktisch-methodische Impulse bei. Sophia Diddens leistete akribische Korrektur‐ arbeit. Daniel Schmitz und Thomas Wagner hielten mir einmal mehr den Rücken frei. Gunter Narr und seinem Team danke ich für die Realisierung des Buches auf Verlagsseite. Vor allem aber danke ich meiner Frau Steffi Springer für ihre große Geduld und liebevolle Unterstützung zu jeder Zeit! Gewidmet ist das Buch meiner langjährigen Mitarbeiterin Astrid Padberg als Dankeschön für die jederzeit wunderbare und professionelle Zusammenarbeit über die Jahrzehnte! Kurt Erlemann, Neviges, Pfingsten 2021 <?page no="15"?> 1 Einführung Wunder und Wundertexte sind faszinierende, aber auch umstrittene Genres der Bibel. Zu fragen ist nach ihrer historischen Wahrheit, ihrer Relevanz und ihrer Vermittelbarkeit: Ist von wunderhaften Ereignissen zur Zeit Jesu und der Apostel auszugehen? Wie lassen sich Wundertexte adäquat verstehen? Hat der Wunderglaube noch theologische Relevanz oder ist er Teil eines überholten Weltbildes? Das Buch wendet die Ergebnisse der Wunderfor‐ schung auf exegetische, hermeneutische und didaktische Fragestellungen an. 1.1 Die Intention des Buches Das Buch lehnt sich in Format und Zuschnitt an den 2020 erschienenen UTB-Band Gleichnisse. Theorie - Auslegung - Didaktik (utb 5494) an. Die inhaltliche Vorlage ist mein populärwissenschaftlich angelegter Band Kaum zu glauben. Wunder im Neuen Testament (2016). Das vorliegende Buch spinnt den dort entwickelten Faden weiter, diskutiert ihn mit anderen wundertheoretischen Ansätzen und baut ihn im Sinne eines Lehrbuches aus. Besonderes Augenmerk gilt dem Verhältnis zwischen Wundertaten und Wundertexten, deren Bedeutung und Funktion, der historischen Wun‐ derfrage und dem Wahrheitsanspruch der Texte. Dieser wird mit dem naturwissenschaftlich-rationalen Wahrheitsbegriff der Aufklärung ins Ver‐ hältnis gesetzt. Leitend ist die Grundüberzeugung, dass der Wunderglaube theologisch unverzichtbar ist. Der Glaube an den Schöpfergott, der selbst aus dem Tod neues Leben schaffen kann und den Menschen Erlösung von Leiden und Vergänglichkeit zugesagt hat, ist ohne den Gedanken an seine Wunderkraft stumpf. <?page no="16"?> 1 Albert Einstein, in: Momente der Ruhe, Germering 2013, 113. 1.2 Erste Fragen und Antworten 1.2.1 Hat Jesus Wunder getan? Das historische Geschehen hinter den Wundertexten liegt im Dunkeln. Die Evangelien sind keine Tatsachenberichte, sondern Glaubenszeugnisse. Gleichwohl ist die Annahme einer Wundertätigkeit Jesu plausibel: Sie er‐ klärt stimmig die daraus entstandene Wirkungsgeschichte inklusive Chris‐ tus- und Wunderglauben, Jüngerschaft und Kirche. Welche Wunder Jesus im Einzelnen getan hat, lässt sich nicht rekonstruieren. Die Reduktion historisch ‚wahrscheinlicher‘ Wundertaten auf rational erklärbare Heilun‐ gen und Exorzismen ist kein Lösungsweg für diese Frage und wird dem Wahrheitsanspruch der Texte nicht gerecht (→ 2.4; 3.6.2). 1.2.2 Was ist die ‚Wahrheit‘ der Wundertexte? Die Wundertexte sind weder Tatsachenberichte noch fromme Märchen oder Mythen; ihr Wahrheitsgehalt liegt dazwischen. Er erschließt sich aus der heilvollen Wirkung der Wunder und aus der Vielzahl an Sinnebenen, welche die Texte transportieren. Ein Wunder, so lässt sich vorab sagen, ist ein umfassendes, die physische, psychische, soziale und religiös-mora‐ lische Dimension des Menschseins betreffendes, Geschehen, welches auf übernatürliche, göttliche Weise menschliche Not heilvoll verändert. In der Symphonie der Sinnebenen und der theologischen Aspekte liegt die bleibende Wahrheit und Relevanz der Wundertexte. 1.2.3 Kann man noch an Wunder glauben? „Es gibt zwei Arten, sein Leben zu leben: entweder so, als wäre nichts ein Wunder, oder so, als wäre alles ein Wunder. Ich glaube an Letzteres.“ 1 Intensive Wundererfahrungen sind der Anfangszeit des Christentums vor‐ behalten. Die Zeit seither ist wunderarm. Berichten über heutige wunder‐ hafte Vorgänge begegnen wir verständlicherweise mit großem Vorbehalt. Das liegt nicht nur an unserer naturwissenschaftlich-rationalen Prägung, sondern auch daran, dass sich wunderhafte Ereignisse ‚wunderbar‘ ver‐ 16 1 Einführung <?page no="17"?> markten lassen und der Begriff Wunder inflationär und in profanisierter Weise verwendet wird. Gleichwohl lassen sich sporadisch wunderhafte Ereignisse konstatieren oder zumindest als Wunder deuten (Lourdes, Wun‐ der von Lengede u. a.). - Wundererfahrungen setzen eine Offenheit für wunderhaftes Geschehen voraus. Das ist nur jenseits nüchtern-analytischer Weltdeutung, etwa in einer religiös-mystischen Optik auf die Wirklichkeit, möglich. Die in den Wundertexten angelegte Wunderlogik zeigt konkret, was Wundererfahrungen möglich macht: ein intensives Zusammenspiel bzw. Einswerden von Hoffnung, Glauben und Gebet einerseits und lie‐ bend-barmherziger Zuwendung des göttlichen Wundertäters andererseits (→ 1.5; 3.6.2 f.). 1.2.4 Wozu sind Wundertexte gut? Wunder und Wundertexte sind aus mehreren Gründen theologisch un‐ verzichtbar: Erstens, sie transportieren den Glauben an den allmächtigen Schöpfergott, der sich fürsorglich um die Welt und das Leben darin kümmert und selbst aus dem Tod heraus neues Leben schaffen kann. Zweitens, an den Wundern macht sich die eschatologische Hoffnung auf umfassende Erlösung von Leiden, Angst und Vergänglichkeit fest. Drittens, die Wunder‐ texte wirken bis heute als Hoffnungs-, Ermutigungs- und Befreiungstexte. Sie zeigen, dass natürliche, soziale und religiös-moralische Grenzen durch Gottes heilvolle Schöpfermacht aufgebrochen werden können. Sie weiten damit den Horizont dessen, was möglich erscheint, und setzen Handlungs‐ impulse frei, um die Welt schon jetzt heilvoll zu verändern. 1.2.5 Welche Themen sind mitzudenken? Tangiert ist mit der Wunderthematik die Frage des Verhältnisses von Theologie und Glauben einerseits und Naturwissenschaft und Vernunft andererseits. Mithin geht es um die Frage des ntl. Weltbilds im Vergleich zum heutigen. Zu betrachten sind weiterhin das antike Medizinwesen, die Außenwahrnehmung Jesu, sein Verhältnis zu anderen Wundertätern sowie die Wunderforschung mit ihren Leitfragen und Ansätzen. Die Frage der Vermittlung von Wundertexten, sprich: Wunderhermeneutik und Wunder‐ didaktik, runden das Fragetableau ab. 17 1.2 Erste Fragen und Antworten <?page no="18"?> 1.3 Vorgehensweise Das Buch startet mit einführenden Thesen, einer ersten Annäherung an das Phänomen Wunder, einem Überblick über Wundergattungen und der Klärung wichtiger Begriffe (Kapitel 1). Kapitel 2 behandelt historische Fra‐ gestellungen (Welt- und Menschenbild, antike Heilkunst, Außenwahrneh‐ mung Jesu, Genese des Wunderglaubens, Wirkung der Wunder Jesu). Kapitel 3 führt in die Wunderforschung von den Anfängen bis heute ein, stellt weiterführende Überlegungen an und bietet eine daraus resultierende Wunderdefinition. Kapitel 4 entfaltet den Inhalt der Wundertexte (Sinnebe‐ nen, theologische Aspekte) und entwickelt einzelne Wunderprofile. Kapi‐ tel 5 konkretisiert die wundertheoretischen Überlegungen dieses Buches anhand von acht Musterexegesen. Kapitel 6 enthält Überlegungen zur Wun‐ derhermeneutik und -didaktik sowie acht zu den Musterexegesen passende Unterrichtsentwürfe. - Der Serviceteil bietet ein Abkürzungsverzeichnis, ein Glossar, ein Schlagwort- und Textstellenregister, eine Übersicht über die ntl. Wundertexte sowie Literaturangaben. 1.4 Einführende Thesen Kurze Thesen bündeln vorab die wichtigsten Erkenntnisse des Buches; das eigentliche Wunderkonzept wird in → 3.6 und → Kapitel 4 entfaltet. These 1: Wundererzählungen bieten authentische Jesuserinne‐ rung Die Wundertexte sind weder Tatsachenberichte noch reine Mythen oder Märchen. Sie erheben den Anspruch, historisches Geschehen wiederzuge‐ ben und Jesu Bedeutung zutreffend zu umschreiben. Sie sind authentische Wiedergabe historischer Begegnungen und Erfahrungen mit Jesus von Nazareth (→ 2.4; 3.5.6). 18 1 Einführung <?page no="19"?> 2 ‚Irrational‘ bezeichnet im Folgenden nicht das Widervernünftige, sondern das, was die Grenzen der Vernunft übersteigt (vgl. Beckmann 1997, 168). These 2: Jesu Wunder begründen plausibel den Christusglauben Historisch plausible Ursache für den ntl. Christusglauben sind wunderhafte Erfahrungen von Bewahrung und Befreiung aus aussichtslosen Situationen. Vor- und nachösterliche Begegnungen erzeugten bei vielen Menschen die Gewissheit, Jesus sei der Messias Israels, der in göttlicher Vollmacht die alten prophetischen Verheißungen erfüllt. Ihm waren alle denkbaren Wunderta‐ ten zuzutrauen! Welche Wunder Jesus im Einzelnen getan hat, lässt sich nicht sagen (→ 2.4). These 3: Wunder sind nicht Relikte eines überholten Weltbildes Im mythisch geprägten Weltbild der ntl. Zeit hatten göttliche Eingriffe ins Weltgeschehen einen festen Platz. Im modernen Weltbild gelten sie als rational nicht erklärbar und damit als unglaubwürdig. Doch gab es rationale Wunderkritik von Anfang an, mythisches Denken gibt es auch heute noch. Damals wie heute gibt es unterschiedliche, einander ergänzende Optiken auf dieselbe Wirklichkeit, die einen Wunderglauben entweder zulassen oder nicht (→ 3.6.2d). These 4: Wunder folgen einer eigenen, rationalen Wunderlogik Wunder sind rational nicht erklärbar, sie sind aber nicht irrational 2 . Sie folgen vielmehr eigenen, rational beschreibbaren Gesetzmäßigkeiten. Die Wunderlogik lautet: Wunder sind das Ergebnis intensiven Einswerdens von Glauben, Hoffnung und Gebet einerseits und barmherzig-liebevoller Zuwendung des Wundertäters andererseits. Wo dies zustande kommt, werden Wunder möglich (→ 3.6.3). 19 1.4 Einführende Thesen <?page no="20"?> These 5: Wunder sind spirituell erfahrbare, weiche Fakten Wunder sind weiche Fakten, die sich wissenschaftlich-rationaler Beweisbar‐ keit entziehen. Im Bereich spiritueller Erfahrung haben Wunder eine eigene Evidenz. Die Bewertung von Ereignissen als Wunder ist dementsprechend eine Frage subjektiver Deutung und Überzeugung (→ 1.7.9; 3.6.2c). These 6: Wundertexte provozieren bewusst menschliche ratio Die Wundererzählungen provozieren den Konflikt mit menschlicher ratio. Sie konfrontieren mit dem (angeblich) Unmöglichen, weiten das Spektrum des Möglichen aus und zeigen, wie das Unmögliche möglich werden kann. Wissenschaftlich-rationale Erklärungen nehmen den Wundern das Wun‐ derhafte. Nur der Verzicht darauf lässt das Faszinierende des Wunders bestehen (→ 1.5.4; 3.6.2). These 7: Wundertexte führen ins Zentrum des biblischen Gottes‐ glaubens Die Konfrontation mit dem Unmöglichen ist zugleich die Konfrontation mit dem biblischen Gottesglauben. Dieser manifestiert sich quer durch die Bibel in göttlichen Wundertaten. Gott sprengt weltliche Grenzen, um seinen heilvollen Plan durchzusetzen. Der Glaube an Gottes Allmacht zieht den Wunderglauben nach sich. Biblische Theologie ist ohne Wunder und Wun‐ dertexte unvollständig. - Jesus ist Träger der göttlichen Schöpfermacht; die Wundertexte setzen diese christologische Überzeugung narrativ in Szene. Ohne die Wundertexte verlöre die Botschaft Jesu ihre leiblich-physische Dimension (→ 3.6.1). 20 1 Einführung <?page no="21"?> These 8: Wundererzählungen enthalten mehrere Sinnebenen Wundertexte enthalten mehrere Sinnebenen, welche die umfassende Zuwendung Gottes zu den Notleidenden markieren. Zu ihnen zählen die physisch-leibliche, spirituelle, (tiefen-)psychische, sozialkritische, my‐ thisch-kosmische, diakonisch-missionarische, kommunikative und die theologische Ebene. Die Sinnebenen ergänzen einander zu einem umfassenden Textverständnis. Eine Reduktion auf einzelne Sinnebenen wird den Texten nicht gerecht (→ 4.1). These 9: Wundererzählungen sind theologisch vielschichtig Wundertexte sind auch theologisch vielschichtig. Sie berühren Themenfel‐ der wie Theo-logie, Christologie, Pneumatologie, Kosmologie, Anthropolo‐ gie, Ekklesiologie, Ethik, Soteriologie, Eschatologie sowie Einzelthemen wie Glaube, Nachfolge, Vergebung, Reich Gottes und die Theodizeefrage (→ 4.2; 4.3). These 10: Wundertexte lassen sich textpragmatisch gruppieren Die Wundertexte lassen vier Reaktionstypen und Grundeinsichten erken‐ nen: Staunen (Der Wundertäter hilft! ), Erkenntnis (Der Wundertäter hat göttliche Vollmacht! ), Glaube und Nachfolge (Der Wundertäter verändert das Leben! ) sowie Widerstand und Ablehnung (Der Wundertäter darf das! ). Diesen Reaktionen und Grundeinsichten lassen sich vier Grundfunktionen zuordnen: Inszenierung göttlicher Fürsorge, Klärung göttlicher Identität, Konstitution von Gemeinschaft und Polarisierung im Sinne endzeitlicher krísis. Dies lässt eine heuristische Einteilung in Fürsorge-, Erkenntnis-, Missions- und Konfliktwundertexte zu (→ 3.6.5). 21 1.4 Einführende Thesen <?page no="22"?> These 11: Wundererzählungen führen zu den basics gelingenden Lebens Wunder befreien von dem, was das Leben einengt, und stellen die Grund‐ lagen des Lebens wieder her. Die Texte zeigen, was menschliche Not beendet: spontanes, beherztes Eingreifen, gegebenenfalls unter Durchbre‐ chung etablierter Ordnungen, kurz: engagiertes, tatkräftiges Erbarmen. Wo Gleichgültigkeit, Trägheit und Eigensinn überwunden werden, wird neues Leben möglich (→ 3.6.3). These 12: Wundererzählungen sind wirkkräftige Befreiungsge‐ schichten Die Durchbrechung natürlicher, sozialer und religiös-moralischer Ordnun‐ gen befreit von den Grenzen des Alltags. Die Wundertexte weisen auf Gott hin, der das Weltgeschehen heilvoll unterbrechen und aufsprengen kann. Die Wundertaten Jesu signalisieren die globale Befreiung aus Leid und Vergänglichkeit. Die Wundertexte setzen Hoffnung auf umfassende Erlösung in die Welt und ermutigen dazu, die Grenzen des Faktischen zu sprengen und die Welt heilvoll zu verändern. Die Wundertexte inspirieren dazu, die Erwartungen an das Leben maximal nach oben hin zu korrigieren. In alledem liegt ihre dauerhafte Relevanz (→ 3.6.1). 1.5 Was sind eigentlich Wunder? Der Abschnitt liefert eine erste Annäherung an den Wunderbegriff. Die Wunderdefinition dieses Buches wird unter → 3.6.6 vorgestellt. Wunder erregen Staunen, denn sie zeigen, was alles möglich ist, und sie wirken heilvoll. Wunder sind wissenschaftlich-rational nicht beweis‐ bare, unverfügbare weiche Fakten. Die Feststellung von Wundern ist Sa‐ che subjektiver Deutung. Zu unterscheiden sind ein profan-ästhetischer, ein kontingent-liberativer und ein biblisch-konfessorischer Wunderbegriff. 22 1 Einführung <?page no="23"?> 3 Nanko 2000, 386. 4 Apg 2,19.43; 4,30; 5,12; 6,8; 7,36; 14,3; 15,12; vgl. Röm 15,19. So auch die Septua‐ ginta(LXX)-Version der Exoduswunder Ex 7,3; 11,9 und der Prophetenwunder Jes 20,3. Die semantisch orientierte Definition des Religionswissenschaftlers Ulrich Nanko fängt die Bandbreite des Begriffs ein: „Das dt. Wort ‚Wunder‘ bezeichnet allgemein ein Ereignis, das aus dem Bereich des Gewohnten herausfällt; das semantische Feld reicht von einem ‚Unerwarte‐ ten‘ bis zu der ‚Norm-Überschreitung‘. Die Reaktion auf dieses Ereignis kann einerseits zu Staunen und Bewunderung, andererseits zu Schrecken, Furcht und Angst führen.“ 3 1.5.1 Biblische Wunderterminologie Die gr. Sprache kennt unterschiedliche Termini für wunderhafte Vorgänge: a) Thauma: Der Terminus bezeichnet eine staunenswerte Sehenswürdigkeit oder eine spektakuläre Wundertat. Der Begriff findet im NT keine Verwen‐ dung. b) Areté meint ursprünglich Tugend, kann aber auch besondere Tüchtig‐ keit oder eine Heldentat umschreiben. Auch dieser Begriff fehlt im NT. c) Thaumásion beschreibt etwas Staunenswertes oder Wunderbares. Der Terminus ist ein ntl. Hapaxlegomenon (Mt 21,15). d) Parádoxon: Etymologisch zielt der Begriff auf etwas, das gegen die Erfahrung steht, und benennt ein unerwartetes, unglaublich scheinendes Ereignis. Auch dieses Nomen ist ein ntl. Hapaxlegomenon (Lk 5,26). e) Dýnamis: Das Nomen dýnamis bezeichnet eine besondere Kraft- oder Machttat, genauer die göttliche Kraft, die ein Wunder bewirkt (vgl. Mk 6,2; Mt 11,20 f.). f) Semeíon: Der Terminus kennzeichnet vorzugsweise im JohEv Wunder‐ taten als Zeichen, die auf Gottes Handeln hinweisen (vgl. Mk 8,12; Joh 2,11; 20,30). g) Téras: Das Nomen umschreibt eine außergewöhnliche Erscheinung bzw. ein göttliches (Vor-)Zeichen. Es umschreibt besonders in der Apg in Kombination mit semeíon die Vielfalt wunderhafter Taten und Ereignisse. 4 h) Érgon: Das Nomen gehört mit téras und semeíon zu den ntl. Hauptbe‐ griffen der Wundertaten und deutet diese als göttliche Werke (vgl. Mt 11,2; Joh 9,3). 23 1.5 Was sind eigentlich Wunder? <?page no="24"?> 5 Mit Zimmermann 2013, 18-21. 6 Mk 10,27; vgl. Sach 8,6. 7 von Hirschhausen 2016, 45. Fazit: Es gibt keine einheitliche ntl. Wunderterminologie; Wunder sind nicht Gegenstand eines theoretischen Diskurses, sondern von Erzählungen. 5 Eine Durchbrechung von Naturgesetzen ist mit keinem Begriff impliziert. Das Wort adýnaton ist kein ntl. Wunderterminus; für Gott gibt es aus biblischer Sicht nichts Unmögliches. 6 1.5.2 ‚Weiche Fakten‘ Die rationalistische Wunderdeutung deutete im 18. und 19. Jh. die Wunder Jesu als erklärbare harte Fakten und nahm ihnen damit das Wunderhafte; der wissenschaftlich-rationale Wahrheitsbegriff wird ihnen jedoch nicht gerecht. Als weiche Fakten folgen die Wunder einer eigenen, rational beschreibbaren Logik. Sie erschließen sich am ehesten einer religiös-mysti‐ schen Weltsicht (→ 1.7.9; 3.2.2; 3.6.2 f.). a) Wissenschaftlich unerklärbare Vorgänge Für die wissenschaftliche Vernunft sind Wunder eine unmögliche Möglich‐ keit und daher als Falschbehauptung, Märchen, Mythos, Sinnestäuschung oder Unwahrheit zu werten. Die rationale Erklärung macht die Wundertexte zwar glaubwürdig, nimmt ihnen aber das Wunderhafte bzw. führt zu ihrer Ent-Wunderung. Beispiele: Die unerklärliche Gesundung von eigentlich unheilbarer Krankheit gilt als ‚Spontanheilung‘. 7 Die Etikettierung macht deutlich, dass der Vorgang medizinisch nicht erklärbar ist. - Krankheitsbilder, für die es (bislang noch) keine erklärbare Ursache gibt, gelten als ‚idiopathisch‘ (wörtlich: ohne erkennbare Ursache, selbstständig), was ebenfalls Rätselhaftigkeit andeutet. 24 1 Einführung <?page no="25"?> 8 von Hirschhausen 2016, 91. b) Ereignisse mit eigener Kausalität Wunder sprengen mit ihrer unverfügbaren Kontingenz die Logik naturwis‐ senschaftlich-rationaler Kausalität. Die religiös-mystische Logik und Kau‐ salität der Wunder besagt, dass nachhaltiger Glaube, intensives Gebet und konzentrierte Hoffnung im Zusammenspiel mit göttlicher, liebend-barm‐ herziger Zuwendung Wunder bewirken können. Mystisch daran ist, dass menschliche Verfasstheit und Gestimmtheit mit göttlicher Verfasstheit und Gestimmtheit eins werden. Beispiele: Blutflüssige Frau (Mk 5,25-34parr.), blinder Bartimäus (Mk 10,46-52parr.) und Lazarus ( Joh 11) sind Beispiele für die beschriebene Wunderlogik. Laut Mk 2,5; 5,34; 10,52 u. a. ist der Glaube die wun‐ derwirkende Kraft. - Mt 17,20 spricht selbst unscheinbarem Glauben Wunderkraft zu. - Ein modernes Beispiel ist das ‚Wunder von Lengede‘ 1963: Die Rettung von elf Kumpels aus einem überfluteten Stollen lässt sich als Zusammenwirken intensiver Gebete, nachhaltiger Rettungsbe‐ mühungen und einem göttlichen Wunder werten. Wunder können aber auch spontan geschehen. Voraussetzung für die Wahrnehmung von Wundern ist die Offenheit für eine religiös-mystische Weltsicht; dem nüchtern-analytischen Blick bleiben Wunder verborgen (→ 3.6.2d). c) Wunder oder doch eher Zufall? „Wenn alle Lose einer Lotterie verkauft sind, wird ein Hauptgewinner dabei sein. Für denjenigen, den es trifft, wird es ein Leben lang ein Wunder bleiben […]. Aber die Tatsache, dass es einen Gewinner gibt, ist bei einer fairen Lotterie kein Wunder.“ 8 Die Feststellung eines Wunders hängt von der persönlichen Wahrnehmung ab. Was in nüchtern-analytischer Optik eine Verkettung glücklicher Um‐ stände, ein Zufall, ist, ist in religiös-mystischer Optik eine heilvolle, wun‐ derhafte Fügung. 25 1.5 Was sind eigentlich Wunder? <?page no="26"?> 9 Die Bewertung der Natur als staunenswerte ‚Schöpfung‘ schließt den Gedanken an Gott als Urheber des ‚Wunders‘ ein. Die sieben Weltwunder wurden in der Antike auch religiös-mythisch gedeutet. Die Mondlandung ist staunenswert, provoziert aber keine religiöse Deutung. 10 Auch paranormale Phänomene lassen sich als solche Wunder deuten (→ 6.1.2). Beispiel: Das zitierte ‚Wunder von Lengede‘ ist als Wunder und als glücklicher Zufall zugleich bewertbar. Ob man ein göttliches, rettendes Eingreifen annimmt oder einen Riesenzufall: In beiden Fällen kommt die Unverfügbarkeit des Geschehens zum Ausdruck. Wie es letztlich zu deuten ist, ist objektiv nicht zu entscheiden; für die Betroffenen ist es jedoch ein Fakt - so oder so. 1.5.3 Profan-ästhetischer Wunderbegriff Dieser weite Wunderbegriff bezieht sich auf staunenswerte Phänomene im nicht-religiösen, allgemein kulturellen Kontext. Ungewöhnlich beeindru‐ ckende Naturphänomene, Kunstwerke und technische Errungenschaften, aber auch ‚Wunderkinder‘, die ‚sieben Weltwunder‘ oder die Mondlandung erregen Staunen. Auch rational erklärbare, wiederkehrende Ereignisse, wie z. B. die Geburt eines Kindes, die ‚große Liebe‘, das neu aufblühende Leben im Frühjahr oder eine reiche Ernte, lassen sich als ‚Wunder‘ deuten. Der gr. Terminus thaumásion (Staunenswertes) trifft diesen Wunderbegriff. Die Wirkung profan-ästhetischer Wunder besteht in Staunen, Verwunderung und in der Bereicherung des Weltbildes. Eine religiöse Deutung kann, muss aber nicht erfolgen. 9 1.5.4 Kontingent-liberativer Wunderbegriff Dieser Wunderbegriff betrifft einmalige, überraschende, unverfügbare Ereignisse, die das Leben heilvoll und nachhaltig verändern (Befreiung, Erlösung, lat. liberatio). Wunder im kontingent-liberativen Sinne sind nicht gegen Naturgesetze gerichtet, sondern sprengen den Rahmen des Normalen, Gewöhnlichen, allgemeiner Lebenserfahrung oder statistischer Wahrscheinlichkeit. 10 Auf sie passt der gr. Terminus parádoxon. Solche Ereignisse lassen sich als göttliche Fügung oder als Zufall deuten, das heißt, 26 1 Einführung <?page no="27"?> 11 Zugrunde liegt hier der anthropologische Begriff von ‚kontingent‘ im Sinne von unverfügbar, aber auch der soziologische im Sinne nicht-eindeutiger, deutungsoffener Phänomene. 12 Im Gegensatz zum Weltbild der Magie → 1.7.3; 1.7.4; 2.3.4. sie sind kontingent. 11 Typische Reaktionen sind Staunen, Verwunderung, Dankbarkeit, Freude, Erleichterung und Hoffnung. Beispiele: Wer aus schwerer Krankheit glücklich heraus und wieder ins Leben findet, kann das als Wunder ansehen. Wer unbeschadet an einem Verkehrsunfall vorbeikommt, vielleicht wegen einer ungewollten Verzögerung bei der Abfahrt, kann das Geschehen ebenfalls als glück‐ liche Fügung deuten. Dass ein verloren geglaubter Sohn nach Jahren wieder auftaucht und Kontakt sucht, ist für jemanden, der nicht mehr damit gerechnet hat, erstaunlich und erfreulich zugleich; die glücklichen Eltern deuten es möglicherweise als Wunder. Kontingent-liberative Wunder sind unverfügbare Heilsereignisse. 12 Sie sind weder planbar noch machbar. Sie haben Geschenkcharakter, sind in der Regel einmalig und lassen sich nicht im Reagenzglas reproduzieren. Damit sind sie im wissenschaftlich-technischen Sinne nicht beweisbar. 1.5.5 Biblisch-konfessorischer Wunderbegriff Der biblisch-konfessorische Wunderbegriff setzt eine religiös-mystische Weltwahrnehmung voraus. Sie erkennt in allem, was geschieht, einen hö‐ heren Sinn, ein Ziel und eine glückliche, gottgewirkte Fügung. Wer so denkt, glaubt nicht an Zufälle und hat prinzipiell Hoffnung, dass selbst aussichts‐ lose Situationen eine wunderbare Wendung zum Guten nehmen könnten. Selbst Naturgesetze erscheinen überwindbar. - Der biblisch-konfessorische Wunderbegriff hat fünf Merkmale: Erstens, er weist auf ein göttliches Eingreifen ins Weltgeschehen hin; zweitens, er impliziert die Durchbrechung vielfältiger Ordnungen; drittens, er führt zu religiös-mystischer Erkenntnis; viertens, er setzt nachhaltige Hoffnung frei; fünftens, er kollidiert mit dem naturwissenschaftlich-rationalen Weltbild. ad 1) Hinweis auf ein göttliches Eingreifen: Biblische Wunder sind Zeichen der heilvollen Zuwendung des Schöpfergottes zur Welt. Als solche sind sie 27 1.5 Was sind eigentlich Wunder? <?page no="28"?> 13 Kollmann 2002, 9, spricht hier von ‚Wundern im eigentlichen Sinne‘. gleichsam die Spitze des biblischen Gottesglaubens und damit theologisch unverzichtbar. Beispiel: Das JohEv nennt die Wunder Jesu wiederholt Zeichen (gr. semeía). Was Jesus tut, hat Hinweischarakter. Seine Wundertaten offen‐ baren die ‚Werke Gottes‘ und seine Schöpfermacht. Für den glaubenden Menschen gibt es allenfalls einen graduellen Unterschied zwischen subtilen Fügungen und spektakulären Wundern. Entscheidend ist, dass überhaupt mit göttlichen, wunderhaften Wendungen zum Guten ge‐ rechnet werden kann. ad 2) Durchbrechung vielfältiger Ordnungen: Der biblische Wunderbegriff impliziert die Sprengung festgefügter Grenzen. 13 Die Durchbrechung von Naturgesetzen ist dabei nur ein Aspekt; gleichgewichtig ist die Durchbre‐ chung sozialer und religiös-moralischer Regeln. In deren heilvoller Durch‐ brechung zeigen sich Gottes Schöpferkraft und seine kompromisslose, liebende Zuwendung zum Menschen. In ihrer Gesamtheit weisen die Regel‐ verstöße auf einen ganzheitlichen, den Menschen in all seinen Bezügen einbeziehenden, Wundervorgang hin. Beispiele: ‚Normenwunder‘ durchbrechen soziale Regeln und reli‐ giös-moralische Werthaltungen. Naturwunder, Geschenkwunder und Totenerweckungen sprengen Naturgesetze: Ein Sturm lässt sich nicht durch Bedrohung stillen, fünftausend Menschen werden nicht von fünf Broten und zwei Fischen satt, ein Toter kommt nicht zurück ins Leben. An solchen Wundertexten macht sich die wissenschaftliche Grundsatzkritik am biblischen Weltbild fest (→ 3.2.1). ad 3) Provokation religiös-mystischer Erkenntnis: Biblisch-konfessorische Wunder provozieren eine göttliche Erkenntnis bzw. ein Bekenntnis (lat. confessio). Typische Reaktionen sind, neben Staunen und Verwunderung, Bewunderung, Dank und Bekenntnis oder Furcht und Entsetzen angesichts der beklemmenden Präsenz Gottes. Darüber hinaus provozieren diese 28 1 Einführung <?page no="29"?> 14 Erlemann 2017, 10. 15 Mit Zimmermann 2014a, 42 („Wundererzählungen berichten von Unvernünftigem, Unmöglichem und Unnachahmlichem“). Wunder oftmals eine Kontroverse über die Vollmacht des Wundertäters (eschatologisch-kritische Funktion → 3.6.5g). ad 4) Wirkung nachhaltiger Hoffnung: Die heilvolle, wunderbare Durch‐ brechung des ‚Normalen‘ führt zu einer nachhaltig veränderten Weltsicht: Der Blick weitet sich; was zuvor unmöglich schien, scheint auf einmal möglich. Wunder begründen die Hoffnung auf Erlösung von Leid, Vergäng‐ lichkeit und Tod. Wunder „sind der letzte Ankerpunkt der Hoffnung da, wo es, nüchtern-rational betrachtet, nichts mehr zu hoffen gibt“ 14 (‚da hilft nur noch ein Wunder! ‘). Wer an Wunder glaubt, für den gibt es keine Grenzen des Möglichen. Gottes Fürsorglichkeit, die sich oft in subtiler Führung im Alltag zeigt (kontingent-liberativer Wunderbegriff), und Gottes Schöpferkraft, die in biblischen Erzählungen aufscheint, sind nicht voneinander zu trennen. Derselbe Gott, der mich durch den Alltag führt, kann mich auch in aussichts‐ losen Situationen bewahren und zu neuem Leben führen - selbst dann, wenn andere mich auf Grundlage empirischer Statistik oder Lebenserfahrung schon aufgegeben haben. ad 5) Konflikt mit dem naturwissenschaftlich-rationalen Weltbild: Die bibli‐ schen Wunder durchkreuzen die Lebenserfahrung und sprengen festgefügte Grenzen. Während soziale und religiös-moralische Grenzüberschreitungen rational ‚unverdächtig‘ sind, stellt die Durchbrechung natürlicher Ordnun‐ gen, wissenschaftlich-rational betrachtet, eine unmögliche Möglichkeit (gr. adýnaton) dar. Doch die Wundertexte lassen keinen Zweifel daran, dass auch Naturgesetze durchbrochen werden; sie konfrontieren die menschliche ratio mit der Wirklichkeit des naturhaft Unmöglichen, mit der Befreiung aus festgefügten sozialen Strukturen und mit der Durchbrechung religiös-mo‐ ralischer Werthaltungen. 15 1.5.6 Fazit: Provokation der menschlichen ratio Biblisch-konfessorische Wunder provozieren Staunen, Entsetzen, Lobpreis und göttliche Erkenntnis, denn sie überschreiten die Grenzen des mit menschlicher ratio Erwartbaren und Erklärbaren. Sie legen gleichsam den Finger in die Wunde eines sich selbst absolut setzenden, naturwis‐ 29 1.5 Was sind eigentlich Wunder? <?page no="30"?> 16 Alkier 2014, 543. senschaftlich-rationalen Wahrheitsbegriffs. Der Wunderglaube impliziert eine unsichtbare Wirklichkeit jenseits empirisch beschreibbarer, naturwis‐ senschaftlich erforschbarer und mathematisch berechenbarer Wirklichkeit. Wunder verweisen auf Geschehnisse zwischen Himmel und Erde, die mit nüchtern-analytischem Blick nicht zu erfassen sind. „Die neutestamentlichen Wundergeschichten sind nicht irrational, paranormal oder schamanisch, sondern friktional zu verstehen. Sie sind Ausdruck einer alternativen Wirklichkeitserschließung, die sich ihren Blick nicht durch die Sachzwänge von Normierungen und Normalisierungen verstellen lässt.“ 16 Es ist eine Aufgabe dieses Buches, die Wundertaten und Wundertexte von der Messlatte aufgeklärter Vernunft zu befreien und ihnen den Stellenwert in Wirklichkeit und Theologie zurückzugeben, der ihnen angemessen ist. Wunderbegriffe profan-ästhet. Wunderbegriff kontingent-liberati‐ ver W.-begriff bibl.-konfessori‐ scher W.-Begriff gr. Terminus thaumásion parádoxon adýnaton Messlatte das Gewöhnliche das Wahrscheinliche das Mögliche / feste Ordnungen Gegenstand ästhetische Ob‐ jekte (Natur, Kul‐ tur, Technik) heilvolle, kontin‐ gente Ereignisse heilvolles, Normen sprengendes Eingrei‐ fen Gottes Ursache / Wertung rational erklär‐ bar; ‚kein Wun‐ der‘ göttliche Fügung oder Zufall? göttliche Wundertä‐ ter, rational nicht er‐ klärbar Reaktionen Staunen, Verwun‐ derung, Erweite‐ rung des Weltbil‐ des Dankbarkeit, Glück, Freude, Erleichte‐ rung, Hoffnung Furcht, Entsetzen, Lobpreis, Bekennt‐ nis, Glaube, Nach‐ folge, Hoffnung, Wi‐ derstand Differenzierung der Wunderbegriffe 30 1 Einführung <?page no="31"?> 17 Jordan 1972, 194-202; Haudel 2021, 257. Unter dieser Prämisse versteht sich Bultmanns Diktum vom Widerspruch zwischen Wunderglauben und naturwissenschaftlichem Weltbild (→ 3.3.2). 18 Haudel 2021, 257, verweist auf den Theologen Karl Heim (1874-1958), den theore‐ tischen Physiker Pascual Jordan (1902-1980) und auf den Teilchenphysiker John Polkinghorne (* 1930). 16 che/ Wertung ‘kein Wunder’ Zufall? tional nicht erklärbar Reaktionen Staunen, Verwunderung, Erweiterung des Weltbildes Dankbarkeit, Glück, Freude, Erleichterung, Hoffnung Furcht, Entsetzen, Lobpreis, Bekenntnis, Glaube, Nachfolge, Hoffnung, Widerstand Grafik: Abstufungen des Begriffs ‘Wunder’: Exkurs: Naturgesetze und Quantenphysik Die bahnbrechenden Entdeckungen Albert Einsteins (1900), Max Plancks (1905), Werner Heisenbergs (1925/ 27) und anderer Quantenphysiker waren eine grundsätzliche Anfrage an das bis dato herrschende Verständnis der Naturgesetze als heilvolle, göttliche Durchbrechung natürlicher, sozialer und religiös-moral. Normen bibl.-konf. W.-begriff Durchbrechung statistischer Wahrscheinlichkeit; Durchbrechung allgemeiner Lebenserfahrung (z.B. Lourdes, Spontanheilungen) Deutung einmaliger, heilvoller historischer Ereignisse als (von Gott gewirkter? ) 'Wunder' oder als Zufall (Wunder von Lengede, Mauerfall, Bewahrung im Straßenverkehr, Friedensschluss, Versöhnung u.ä.) kontingent-liberativer W.-begriff Staunen über ungewöhnlich Beeindruckendes (z.B. Naturphänomene, Kunstwerke, Technik, 'Wunderkinder', 'Weltwunder', 'Wunder von Bern', Mondlandung); Deutung rational erklärbarer, wiederkehrender Ereignisse als 'Wunder' (Geburt, Frühling, Liebe, Schöpfung u.ä.). profan-ästhetischer Wunderbegriff Abstufungen des Begriffs ‚Wunder‘ 1.5.7 Exkurs: Naturgesetze und Quantenphysik Die bahnbrechenden Entdeckungen Albert Einsteins (1900), Max Plancks (1905), Werner Heisenbergs (1925 / 27) und anderer Quantenphysiker wa‐ ren eine grundsätzliche Anfrage an das bis dato herrschende Verständnis der Naturgesetze als unveränderliche Elemente eines deterministischen Weltbildes. 17 Die veränderte Einschätzung erweckt den Eindruck, als seien naturwissenschaftliche ratio und Wunderglaube doch vereinbar. 18 Wunder‐ hermeneutisch ändern die Erkenntnisse allerdings nichts, da die Texte den unmöglichen Charakter des wunderhaften Geschehens ausdrücklich betonen und die ratio gezielt provozieren. Eine wissenschaftlich-rationale 31 1.5 Was sind eigentlich Wunder? <?page no="32"?> 19 Theißen 1998, 90-128; vgl. Kollmann 2002, 68-101. 20 Berakhot (bBer) 34b (Ende 1. Jh. n. Chr.? ). Text bei Berger / Colpe 1987, 158 f. (zu Joh 4,46-54). Wunderdeutung wird auch unter verändertem Vorzeichen dem Wahrheits‐ anspruch der Texte nicht gerecht (→ 3.4.4; 3.5.7). 1.6 Antike Wundergattungen Auf Grundlage der von Gerd Theißen formkritisch entwickelten Wunderty‐ pen zeigt der Abschnitt das Spektrum antiker und biblischer Wundertexte auf. 19 Eine Einteilung in textpragmatisch begründete Textgruppen erfolgt unter → 3.6.5. 1.6.1 Heilungswunder / Therapien Die verbreitetste Form antiker und biblischer Wunderberichte sind Hei‐ lungswunder (Therapien). Sie beschreiben die Heilung eines physischen Gebrechens, einer Behinderung oder psychogenen Störung. Regelmäßige Bestandteile solcher Wundertexte sind die Beschreibung der Not (ohne me‐ dizinische Präzisierung), die Begegnung des Kranken mit dem Wundertäter, der Wundervollzug und Reaktionen darauf. Die Krankheitsursache spielt nur eine marginale Rolle. - Der Babylonische Talmud bietet als Beispiel für eine Therapie ein Wunder Chanina ben Dosas: „Einst erkrankte der Sohn Rabbi Gamaliels, und er sandte zwei Schriftgelehrte zu Rabbi Hanina ben Dosa, daß er für ihn um Erbarmen flehe. Als dieser sie sah, stieg er auf den Söller und flehte für ihn um Erbarmen. Beim Herabsteigen sprach er zu ihnen: Geht, das Fieber hat ihn verlassen. Da sprachen sie zu ihm: Bist du denn ein Prophet? Er erwiderte: weder bin ich ein Prophet noch der Sohn eines Propheten; allein so ist es mir überliefert: ist mir das Gebet im Munde geläufig, so weiß ich, daß es angenommen, wenn nicht, so weiß ich, daß es gewirrt wurde. Hierauf ließen sie sich nieder und schrieben die Stunde genau auf, und als sie zu Rabbi Gamaliel kamen, sprach er zu ihnen: Beim Kult, weder habt ihr vermindert noch vermehrt; genau dann geschah es, in jener Stunde verließ ihn das Fieber, und er bat uns um Wasser zum Trinken.“ 20 32 1 Einführung <?page no="33"?> 21 Von Heilungen werden Exorzismen z. B. in Mk 1,32 f.; Lk 6,18 f.; 13,32 unterschieden. 22 Poplutz 2013a, 101. 23 Ausführlich zitiert bei Poplutz, a. a. O., 103 f. Hier findet sich auch ein ausführliches Motivinventar. - Kollmann 2013b, 129 f., beschreibt die exorzistische Tätigkeit des jüdischen Magiers Eleazar. Der jüdische Magier Barjesus wird in Apg 13,6-12 von Paulus bezwungen (→ 5.3.2). Das Krankheitsspektrum reicht von Lähmungen (Mk 2,1-12 u. a.) über Leiden der Sinnesorgane (Blindheit, Taubheit, Taubstummheit) bis hin zu psychogenen Erkrankungen wie Blutfluss und Besessenheit. Die Wunder‐ initiative geht meistens vom Patienten aus (anders Joh 5,1-9; 9,1-7). Die einzelnen Erzählteile können unterschiedlich lang und pluriform ausfallen. Manche Heilungen dienen als Anlass für einen Normenkonflikt (z. B. Sab‐ batheilungen; ‚Normenwunder‘), bei Fernheilungen kommt es zu einer kontaktlosen Heilung über Distanz. 1.6.2 Exorzismen Dämonenaustreibungen gelten in den Evangelien und im religionsge‐ schichtlichen Umfeld als eigenständige Wunderform. 21 Das gr. Wort exhor‐ kízein bezeichnet den Vorgang der Beschwörung. 22 Magische Papyri bieten Exorzismus-Formulare (2.-6. Jh. n. Chr.), was die Nähe zwischen Exorzismus und Magie belegt. 23 Ntl. Exorzismen sind Teil eines kosmischen Kampfes gegen satanische Mächte und der Etablierung der basileía Gottes auf Erden (expressis verbis in Mt 12,28). Typisch sind die dramatische Schilderung der Not und der eigentlichen Austreibung. Heftige Dialoge zwischen Dämon(en) und Wundertäter unterstreichen den kosmischen Charakter: Die Dämonen wehren sich, schreien Jesu Identität heraus, weisen auf den unpassenden Zeitpunkt hin. Jesus spricht eine Bannformel (Mk 1,25; 9,25 u. a.) und vertreibt den Dämon, der ein neues Zuhause sucht (Mt 12,43-45; Mk 5,1-20). Auch die Sturmstillung (Mk 4,35-41parr.) trägt exorzistische Züge. - Ein Beispiel exorzistischer Technik eines hell. Magiers bietet PGM IV,1239 ff.: „‚Ich beschwöre dich, Dämon, wer du auch immer seist, bei diesem Gott (Zauber‐ worte): komm heraus, Dämon, wer du auch immer seist, und verlasse den N. N. jetzt, jetzt, sofort, sofort. Komm heraus, Dämon, da ich dich fessele mit stähler‐ nen, unlöslichen Fesseln und dich ausliefere in das schwarze Chaos der Hölle.‘ Handlung: Nimm 7 Ölzweige und binde 6 an Ende und Spitze [des Besessenen], jeden für sich, mit dem einen übrigen aber schlage unter Beschwörung. Halt es 33 1.6 Antike Wundergattungen <?page no="34"?> 24 Preisendanz / Henrichs, 115. - Weitere Textbeispiele zitieren Poplutz 2013a, 101 (Flavius Josephus, Ant 8,45-49), und Berger / Colpe 1987, 62 f. (Philostrat, VitApoll 3,38). 25 Mk 5parr.: Tochter des Jairus; Lk 7: Jüngling zu Nain; Joh 11: Lazarus; Apg 9,36-43: Tabita. 26 Berger / Colpe 1987, 132 (zu Lk 7,11-17). - Weiteres Beispiel: Paralipomena Jeremiae (ParalipJer) 7,12b-20 (1. Jh. n. Chr.? ; Text bei Berger / Colpe 1987, 62 f.). geheim; es ist schon erprobt. Nach dem Austreiben hänge dem N. N. als Amulett, das der Leidende also nach dem Austreiben des Dämons umzieht, auf einem Zinnblättchen mit folgenden Worten um: ‚(Zauberworte), schütze den N. N.‘“ 24 1.6.3 Totenerweckungen Totenerweckungen sind gesteigerte Therapien; der Patient wird vom Wun‐ dertäter ins Leben zurückgeholt. Totenerweckungen finden sich im AT (1 Kön 17,9-24; 2 Kön 4,8-37), in den Evangelien und in der Apg. 25 Die Erzählungen sind seit jeher ein Stein des Anstoßes (vgl. 1 Kor 15,12-19! ). - Philostrat, VitApoll 4,45, äußert Skepsis gegenüber einer angeblichen To‐ tenerweckung des Apollonius: „Auch jenes war ein Wunder des Apollonius: Ein Mädchen schien in der Stunde der Hochzeit gestorben zu sein, und der Bräutigam folgte der Bahre und rief aus, was man bei einer unerfüllten Hochzeit erwartet. Und mit ihm trauerte auch Rom, denn das Mädchen gehörte zu einer konsularischen Familie. Apollonius begegnete ihrer Trauer (sc. dem Trauerzug) und sagte: ‚Setzt die Bahre nieder! Denn ich werde eure Tränen über das Mädchen aufhören lassen.‘ Und zugleich fragte er, welches ihr Name sei. Die meisten glaubten nun, daß er eine Rede halten werde nach der Art, wie sie zu den Trostreden gehören und die Trauer aufrichten. Er aber tat nichts, als sie zu berühren und heimlich etwas zu ihr zu sagen, und er weckte das Mädchen von ihrem scheinbaren Tod auf. Und das Kind äußerte ein Wort und ging in das Haus des Vaters wie Alkestis, als sie von Herakles ins Leben zurückgebracht wurde. Und die Verwandten des Mädchens gaben ihm 150 000 Sesterzen, er aber sagte, sie sollen diese dem Mädchen als Mitgift mitgeben. - Und ob er in ihr einen Funken der Seele gefunden, der denen, die sie pflegten, verborgen geblieben war - denn man sagt, daß, obwohl es regnete, ein Dampf von ihrem Gesicht gegangen sei - oder ob das Leben erloschen war und er es durch die Wärme seiner Berührung wiederherstellte, das ist ein geheimnisvolles Problem, das weder ich noch die, die dabei waren, entscheiden konnten.“ 26 34 1 Einführung <?page no="35"?> 27 2 Kön 4,42-44: Speisung der Hundert; Ex 16,4; Num 11,31 f.: Manna und Wachteln. 28 bTaanith 24bf.; Text bei Theißen 1998, 112. Typisch sind die Darstellung der Trauer - zum Teil auch als Klage gegen den vermeintlich zu spät agierenden Wundertäter ( Joh 11,21.32) -, die Deutung des Geschehens durch den Wundertäter (Mk 5,39; Joh 11,11) und die Schilderung des Erweckungsvorgangs. Zum Teil wird die Möglichkeit physischer Totenerweckungen diskutiert (Mk 5,40; Joh 11,23 f.37; 1 Kor 15,12-19; VitApoll 4,45). 1.6.4 Geschenkwunder Geschenkwunder stellen die lebensspendende Gabe in den Mittelpunkt. Das AT kennt einige Geschenkwunder. 27 Populär sind die Speisung der Fünfbzw. Viertausend (Mk 6,30-44parr.; Mk 8,1-9par.) und das Weinwunder von Kana ( Joh 2,1-11). Die Beschreibung der Notlage, die Bitte um die Beseitigung der Not, die Anweisungen für den Wundervollzug und die Bestätigung des wunderhaften Vorgangs sind feste Motive. - Textbeispiel ist ein Geschenkwunder Chanina ben Dosas: „Es pflegte seine (Hanina b. Dosas) Frau, den Ofen zu heizen an jedem Vorabend des Sabbats und pflegte Rauchwerk hinein zu werfen wegen der Beschämung (d. h., weil sie sich vor den Leuten schämte). Sie hatte jene böse Nachbarin. Sie (diese Nachbarin) sagte: dies ist doch merkwürdig, da ich doch weiß, daß sie nichts haben, und zwar gar nichts. Was soll all dies? Sie (die Nachbarin) ging hin und klopfte an die Tür (des Hauses des Hanina). Da schämte sie (die Frau des Hanina) sich und ging hinein in das Zimmer. Da geschah ihr (der Frau des Hanina) ein Wunder; denn sie sah den Ofen voll von Brot und die Mulde voll von Teig. Da sagte sie (die Nachbarin) zu ihr: (Du) N. N. bringe eine Schaufel; denn deine Brote brennen an. Da sagte sie (die Frau des Hanina) zu ihr: auch ich ging zu diesem Zweck hinein.“ 28 1.6.5 Natur- und Rettungswunder Im Fokus steht hier die unerwartete Rettung aus einer aussichtslos scheinenden Situation. Natur- und Rettungswunder durchbrechen in der Regel Naturgesetze. Die Beschreibung der aussichtlosen Ausgangssituation, der Hilferuf an den göttlichen Retter, ein spektakulärer Wundervollzug, Angst 35 1.6 Antike Wundergattungen <?page no="36"?> 29 Prominent sind die Sturmstillung Mk 4,35-41parr., der Seewandel Mk 6,45-52parr. und Rettungswunder wie Apg 12,1-11 und Apg 16,23-34. 30 33. Homerischer Hymnus, 7.-4. Jh. v. Chr., Z.6 ff. Übersetzung von A. Weiher, in: Berger / Colpe 1987, 45 (zu Mk 4,35-41parr.). - Weitere Beispiele: Lukian, Das Schiff [Die Wünsche] § 9; 2. Jh. n. Chr. (Text bei Berger / Colpe 1987, 45); Hesiod (um 700 v. Chr.), Frgm.182 (Erastothenes; Text bei Berger / Colpe 1987, 54); Aelios Aristides, Sarapishym‐ nus 33 (Text bei Theißen 1998, 109). 31 Sabbatheilungen finden sich in Mk 3,1-6 (verdorrte Hand), Lk 13,10-17 (verkrümmte Frau), Joh 5,1-18 (Gelähmter am Teich Bethesda) und in Joh 9,1-7 (Blindgeborener). und ungläubiges Staunen als Reaktion der Geretteten bzw. der Augenzeugen sind regelmäßige Erzählelemente. Die Evangelien und die Apg enthalten mehrere Natur- und Rettungswunder. 29 - Als gr. Textbeispiel dient ein Seenot-Rettungswunder von Homer: „Sie (sc. die Dioskuren) wurden Retter der Menschen auf Erden und Retter der sausenden Schiffe. Wenn Orkane sich türmen im unerbittlichen Meere, ruft die Söhne des großen Zeus mit Gebeten das Schiffsvolk, schreitet zum Bug des Decks, um weiße Lämmer zu opfern. Schon ist das Schiff vom mächtigen Wind, von den Wogen des Meeres tief ins Wasser gedrückt. Da! - welche Erscheinung! - sie stürmen hoch vom Äther auf fahlen Schwingen plötzlich hernieder, bannen sofort den Wirbel der furchtbaren Winde und breiten Glätte über die See im Geflute des leuchtenden Salzschaums: gute Zeichen den Schiffern, daß nicht ihre Mühe vergebens. Freude gibt ihnen der Anblick, zu Ende sind Jammer und Müh.“ 30 1.6.6 Normenwunder Diese Wundergattung thematisiert eine umstrittene Norm, deren Geltung bzw. Nicht-Geltung durch das Wundergeschehen festgestellt wird. Klassi‐ sches Beispiel sind Jesu Sabbatheilungen, die einen Normenkonflikt aus‐ lösen. Sie bezeugen Jesu Vollmacht, die Tora auszulegen, und markieren einen Paradigmenwechsel: Anstelle eines restriktiven gilt bei Jesus ein an der menschlichen Not orientiertes Toraverständnis. 31 - Der Legitimierung liberaler Auslegung von Reinheitsgeboten dient folgender Text aus dem Jerusalemer Talmud: „Sie wollten den über R. Eliezer ausgesprochenen Bann mitteilen. Sie sagten: ‚Wer soll gehen und ihn mitteilen? ‘ R. Akiba sagte: ‚Ich werde gehen und ihn mitteilen‘. Er ging zu ihm und sagte: ‚Meister, deine Genossen exkommunizieren dich.‘ Er (R. Eliezer) nahm ihn nach draußen und sagte: ‚Johannisbrotbaum, o 36 1 Einführung <?page no="37"?> 32 jMoed 3,1 (Text bei Theißen 1998, 114). - Weitere Beispiele: Porphyrius, VitPyth 25 (Theißen 1998, 115); Babylonischer Talmud, bBer 33a (vgl. Apg 28,3-6; Theißen 1998, 116). 33 Beispiele sind die Sintflut, der Turmbau zu Babel, Sodom und Gomorra, die Vernichtung der Ägypter im Roten Meer sowie die Tötung des Falschpropheten Chananja ( Jer 28). 34 Apg 5,1-11 (Ananias und Saphira); 13,6-12 (Erblindung Barjesu → 5.3.2); 19,13-17 (Dämonisierung der Skeuassöhne). 35 Die Verfluchung des Feigenbaums (Mk 11,12-14.20 ff.parr.) ist kein Strafwunder, son‐ dern eine prophetische Zeichenhandlung. - Anders Dormeyer 2013c, 362 (‚Naturwun‐ der‘). 36 Berger / Colpe 1987, 322 (zu Apk 11,8-11). Johannisbrotbaum, wenn die Halacha so ist, wie sie sagen, so sei entwurzelt.‘ Und er wurde nicht entwurzelt. (Darauf) sagte er: ‚Wenn die Halacha so ist, wie ich sage, so sei entwurzelt.‘ Und er wurde entwurzelt. (Er sagte): ‚Wenn die Halacha so ist, wie sie sagen, so soll der Baum zurückkehren.‘ Er kehrte nicht zurück. (Da sagte er: ) ‚Wenn die Halacha so ist, wie ich sage, soll er zurückkehren.‘ Und er kehrte zurück.“ 32 1.6.7 Strafwunder Im AT sind Strafwunder breit bezeugt. Sie markieren den Willen Gottes, das Heil seines Volkes Israel durchzusetzen bzw. Verstöße gegen seine (Schöpfungs-)Ordnung zu sanktionieren. 33 Auch die Apg und die Apk nennen mehrere Strafwunder. 34 In den Evangelien fehlen Strafwunder; Jesus tut ausschließlich Wunder, um Menschen in Not zu helfen. 35 - Ein hell. Textbeispiel bietet Plutarch (1. Jh. n. Chr.), Über den späteren Vollzug der göttlichen Strafe § 22: (Thespesios v. Soli führt einen schimpflichen Lebenswandel und fragt das Orakel von Amphilochos) „… ob er den Rest des Lebens besser leben könne. Er aber erhielt zur Antwort, daß er besser leben werde, wenn er gestorben sei. Und auf eine besondere Weise ereignete sich dieses kurze Zeit später für ihn. Denn er fiel von einer Höhe herunter auf das Genick, erlitt keine Verwundung, sondern nur den Schlag und war wie tot. Und nach drei Tagen, als man sich schon um sein Begräbnis (kümmerte), lebte er wieder auf. Schnell gekräftigt und zu sich gekommen, ließ er eine unglaubliche Veränderung der Lebensführung erkennen.“ 36 37 1.6 Antike Wundergattungen <?page no="38"?> 1.6.8 Epiphanien Epiphanien sind plötzliche Auftritte einer Gottheit unter Menschen in direkter Begegnung, in Ekstase oder Traumvisionen. Die Gottheit bleibt unverfügbar, entzieht sich menschlichem Zugriff. Sie präsentiert sich mit Formeln wie „Ich bin XY“ und baut durch Ansagen wie „Fürchte dich nicht! “ Vertrauen auf. Am Ende steht oft sprachloses Staunen. Epiphanien werden mitunter von wunderhaften Ereignissen begleitet (Erdbeben, Öffnung des Himmels bei Jesu Taufe, Ohnmacht der Grabwächter am Ostermorgen u. a.). - Unterscheiden lassen sich Gottes- (Theophanien), Engel- (Angelo‐ phanien), Christus- (Christophanien) und Geisterscheinungen (Pneumato‐ phanien). a) Theophanien Göttliche Erscheinungen sind ein verbreitetes Phänomen der antiken Reli‐ gionsgeschichte. In den Mythen erscheint die Gottheit oftmals in Maskerade; der Auftritt zieht wunderhafte Folgen nach sich. Atl. Beispiele sind die Theophanie in Gestalt dreier Männer vor Abraham (Gen 18,2), der Kampf Jakobs mit dem Fremden am Jabboq (Gen 32,23-33) und die Erscheinung Gottes im brennenden Dornbusch vor Mose (Ex 3,2). Die Besuchten erhalten Kenntnis über ein bevorstehendes Ereignis (Abraham), Gottes persönlichen Segen ( Jakob) oder einen besonderen Auftrag (Mose). Im NT dominieren Angelo- und Christophanien. - Als Beispiel einer hell. Theophanie sei Hippokratesbrief 15 (1. Jh. v. Chr.) zitiert: „In jener Nacht … hatte ich einen Traum, aus dem, wie ich glaubte, nichts Gefährliches entstehen würde. Erschreckt aber wachte ich auf. Denn ich meinte, Asklepios selbst zu sehen, und er erschien nahe bei mir … Asklepios aber erschien nicht so anzusehen, wie er auf den Bildern gewöhnlich ist: leicht und sanft, sondern bewegt in seinen Gebärden und ziemlich schrecklich anzusehen. Es folgten ihm Drachen … der Gott aber reichte mir die Hand, und ich nahm sie freudig und bat ihn, mir beim Heilen zu helfen und mich nicht zu verlassen. Er aber (sagte): ‚Im Augenblick bedarfst du meiner nicht, sondern diese Göttin … wird dich führen …‘ Ich aber wandte mich um und sah eine schöne große Frau, mit einfachem Haarschmuck, glänzend gekleidet. Ihre Augäpfel strahlten reines Licht aus, sie glichen Blitzen von Sternen. Und der Gott entfernte sich, jene Frau aber ergriff meine Hand … als sie sich schon umwandte, sagte ich: ‚Ich bitte dich, 38 1 Einführung <?page no="39"?> 37 Text bei Berger / Colpe 1987, 193 (zu Apg 9,1-9). - Weiteres Beispiel: Plutarch (1. Jh. n. Chr.), Vitae parallelae, Vita des Theseus § 35 (Text bei Berger / Colpe 1987, 126). 38 Im Traum: Josef, Mt 1,20-23; 2,13-23; drei Magier, Mt 2,12. Direkt: Hirten, Lk 2,9-14; Frauen am Grab, Mk 16,1-8parr. 39 Zunächst unerkannt als Gärtner Joh 20,15 bzw. als fremder Wegbegleiter Lk 24,13-35; klar erkennbar ist Jesus im Missionsbefehl Mt 28,18-20 und vor den Jüngern Joh 20,24-21,25. wer bist du und wie soll ich dich nennen? ‘ Sie aber sagte: ‚Wahrheit‘ … die du aber hinzukommen siehst: ‚Schein‘ …‘“ 37 b) Angelophanien Engel treten vornehmlich zu Beginn und am Ende des Lebens Jesu auf. Sie erscheinen in Traumvisionen oder direkt. 38 Sie überbringen wichtige Botschaften Gottes und schützen den neugeborenen Messias vor dem Zugriff des Herodes (Mt 2,12.13-23). In der Apg befreien Engel die Apostel aus Lebensgefahr (Apg 5,17-25; 12,3-19; 27). In apkl. Kontexten übersetzen Engel göttliche Offenbarungen (angelus interpres; Sach 1-6; Dan 7-12; Apk 19,9 f.; 22,8 f.). c) Christophanien Christophanien offenbaren die transzendent-göttliche Identität Jesu. Bei‐ spiele sind der Seewandel (Wahrnehmung Jesu als ‚Gespenst‘, gr. phántasma, Mk 6,45-52), die Verklärung ( Jesus im Dialog mit Mose und Elia; Mk 9,2-13parr.), die Ostervisionen 39 sowie die Himmelfahrt (Lk 24,50-53par. Apg 1,9-11). Dreimal erzählt die Apg die Christophanie des Paulus (Apg 9,1-9; 22,3-21; 26,4-23). d) Pneumatophanien Der Heilige Geist erscheint bei der Taufe Jesu und beim Pfingstwunder (Mk 1,9-11parr.; Apg 2,1-4). Hier manifestiert er sich sichtbar als Taube (Taufe Jesu) bzw. als Feuerzungen (Pfingstwunder). Die Pneumatophanien stehen am Anfang des öffentlichen Wirkens Jesu bzw. der Apostel. Im weiteren Verlauf der Apg wird der Heilige Geist nicht mehr öffentlich sichtbar, sondern in vielen Wirkungen wie etwa in besonderen Gaben und Fähigkeiten (Charismen) erfahrbar. 39 1.6 Antike Wundergattungen <?page no="40"?> 40 Übers. und kompletter Text bei August Rode; online verfügbar unter http: / / www.sym bolon.de/ downtxt/ esel.htm; zuletzt aufgerufen 22. 3. 2021. 1.6.9 Weitere Wunderformen Weitere Wunderformen sind Metamorphosen, Entrückungen, kos‐ misch-apkl. Zeichen, Schadenzauber, Führungswunder und prophetische Zeichenhandlungen. a) Metamorphosen Verwandlungen von Göttern und Menschen sind in der antiken Religions‐ geschichte verbreitet. Göttervater Zeus verwandelt sich meisterhaft, um inkognito seine Pläne zu verwirklichen, etwa als Schwan bei Leda oder als Stier bei Europa. Ovid und Apuleius bieten Metamorphosen-Sammlungen. Paulus spricht in 1 Kor 15,51 von der Metamorphose des psychischen in den pneumatischen Körper. Mk 9,2 nennt die Verklärung Jesu eine Meta‐ morphose. - Ein hell. Textbeispiel findet sich bei Apuleius (2. Jh. n. Chr.), Metamorphosen (Der goldene Esel), Buch 3: „Allererst zieht sich Pamphile fasernackt aus. Nachher schließt sie eine Lade auf, woraus sie verschiedene Büchschen nimmt. Eines von diesen Büchschen öffnet sie und holt daraus eine Salbe, die sie so lange zwischen beiden Händen reibt, bis sie völlig zergangen ist, alsdann beschmiert sie sich damit von der Ferse bis zum Scheitel. […] In einem Augenblick sind auch starke Schwungfedern gewachsen, hornicht und krumm ist die Nase; die Füße sind in Krallen zusammengezogen. Da steht Pamphile als Uhu! Sie erhebt ein gräßliches Gekrächze und hüpft zum Versuche am Boden hin. Endlich hebt sie sich auf ihren Flügeln in die Höhe und in vollem Fluge hinaus zum Erker! Also ward Pamphile vorsätzlicherweise durch ihre magische Wissenschaft verwandelt […].“ 40 b) Führungswunder Führungswunder versetzen Menschen urplötzlich an von der Gottheit vorbestimmte Orte und auf Wege. Klassisches Beispiel ist Odysseus, der über lange, göttlich gesteuerte Irrfahrten an sein vorbestimmtes Ziel gelangt. Auch der Exodus Israels aus Ägypten, die anschließende Wüstenwanderung und die Landnahme-Erzählung lesen sich als fortgesetzes Führungswun‐ 40 1 Einführung <?page no="41"?> 41 Ex 12-34; göttliche Leitung durch Wolke und Feuersäule (Ex 13,21; 40,36-38 u. a.). 42 2 Kor 12,1-4: Paulus im dritten Himmel; Apk 4 ff.: Thronvision des Sehers Johannes. 43 Diodorus Siculus, Bibliotheca Historica 4,38,3-5; Text bei Berger / Colpe 1987, 89 (zu Mk 16,1-8parr.). - Weiteres Beispiel: Die Entrückung des Augustus bei Cassius Dio, Hist Rom 56,46 (2./ 3. Jh. n. Chr.; Text bei Berger / Colpe 1987, 186 f.). der. 41 Der Heilige Geist erweist sich durch überraschende ‚Umleitungen‘ der Apostel als Lenker der Weltmission (Apg 8,26-29.39 f.; 10; 16,6-10 u. a.). c) Entrückungen Entrückungen an ferne oder himmlische Orte sind eine Möglichkeit göttli‐ cher, wunderhafter Führung. Jesu Himmelfahrt ist eine Entrückung in der Tradition Elias (Lk 24,50-53par. Apg 1,9-11; vgl. 2 Kön 2); Henoch wird in den Himmel entrückt (Gen 5,24), ähnlich, wie Herakles im gr. Mythos unter die Götter versetzt wird. Der Heilige Geist entrückt Philippus zum nächsten Einsatzort (Apg 8,39 f.). Entrückungen in den Himmel dienen in apkl. Texten der Kundgabe göttlichen Wissens. 42 Dieses ist nach der Rückkehr des Visionärs den Menschen kundzutun. - Über die Entrückung des Herakles schreibt Diodorus Siculus (1. Jh. v. Chr.): (Herakles ist dem Sterben nahe) „Der Gott aber gab das Orakel, Herakles solle mit der Kriegsrüstung auf den Öta gebracht werden und man solle in seiner Nähe einen großen Scheiterhaufen errichten; um die übrigen Dinge aber, sagte er, werde sich Zeus kümmern. Als die Leute um Jolaos das Angeordnete getan hatten und als sie aus einer Entfernung das, was geschehen würde, erwartungsvoll beobachteten, gab Herakles die Hoffnung für sich auf, bestieg den Scheiterhaufen und ermahnte jeden, der hinzukam, den Scheiterhaufen anzuzünden. Da aber keiner zu folgen wagte, ließ sich allein Philoktet überreden. Er empfing als Dank für den Dienst die Pfeile als Geschenk und zündete den Scheiterhaufen an. Sogleich fielen Blitze vom Himmel herab, und der ganze Scheiterhaufen loderte auf. Danach kamen aber die Leute um Jolaos zur Sammlung der Gebeine. Und sie fanden überhaupt keinen einzigen Knochen und nahmen daher an, daß Herakles den Orakeln gemäß aus den Menschen zu den Göttern versetzt worden sei.“ 43 41 1.6 Antike Wundergattungen <?page no="42"?> 44 äthHen 80,2; Mk 13,24-27parr. und 4 Esr 5,4: kosmisches Chaos; Mt 27,45-28,2: Sonnenfinsternis, Zerreißen des Tempelvorhangs, Erdbeben, Gräberöffnung; 1 Kor 15,52; 1 Thess 4,16; Apk 20,11-15: himmlische Posaune; 2 Petr 3,10-13; vgl. Apk 11,15-19: Vernichtung der alten Welt. 45 Text bei Berger / Colpe 1987, 327 (zu Apk 19-21). 46 Vgl. auch Ex 22,17; Dtn 18,9-12; 1 Sam 15,23; 2 Kön 9,22; Mi 5,11; Nah 3,4; Gal 5,20 u. a. d) Kosmisch-apokalyptische Zeichen Kosmisch-apkl. Zeichen kündigen endzeitliche Großereignisse, wie die allgemeine Totenauferstehung und die Parusie Christi, an. 44 - Jesus selbst verweigert kosmische Zeichen als Beweis seiner Vollmacht (Mk 8,11; Mt 12,38-40). - Der jüdische Targum Pseudo-Jonathan (1.-3. Jh. n. Chr.) zu Num 11,26 schildert kosmische Zeichen im Kontext des apkl. Endzeitdramas: „Siehe, ein König wird ausgehen vom Land Magog am Ende der Tage. Er wird versammeln Könige, die Kronen tragen, und Befehlshaber, die Rüstung tragen, und alle Völker werden ihm gehorchen. Sie werden eine Schlacht anzetteln im Lande Israel gegen die Kinder der Zerstreuung, aber der Herr wird bereit sein, für sie auszubrennen den Atem des Lebens aus ihnen mit der Feuerflamme, die hervorkommt neben dem Thron der Herrlichkeit. Ihre toten Leiber fallen auf die Berge des Landes Israel, und die wilden Tiere des Feldes und die Vögel des Himmels werden kommen und sie vertilgen. Danach werden alle Toten Israels auferweckt werden und werden genießen die guten Dinge, die geheim für sie bereitgehalten worden sind seit Anbeginn, und sie werden empfangen die Vergeltung ihrer Arbeit / Mühe.“ 45 e) Schadenzauber Fluchformeln und Gebete der ‚schwarzen Magie‘ sollten die Götter dazu bewegen, bestimmten Menschen Schaden zuzufügen. Wunderhaft ist die unerwartete und unabwendbar scheinende Wirkung dieser Praktiken. 1 Sam 28 lehnt Schadenzauber strikt ab und stellt ihn unter göttliche Strafe (Totenbeschwörung der ‚Hexe‘ von Endor → 1.7.4). 46 - Plinius der Ältere (1. Jh. n. Chr.), nat. 28,29, berichtet über die Wirkmacht von Schadenzauber: Plinius behauptet, „dass es niemanden gäbe, der sich nicht fürchte, durch irgend‐ welche schaurigen Beschwörungen […] verflucht zu werden […]. Wo besteht die Gefahr? Überall. Es drohen gesundheitliche Schäden, mangelnde Konzentrations‐ 42 1 Einführung <?page no="43"?> 47 Text bei Kahl 2005, 102. 48 Text bei Brodersen / Kropp 2004, 35. - Weiteres Beispiel: Mainzer Fluchtafel 201 B 36 (Text bei Brodersen / Kropp 2004, 54). 49 Hos 1; vgl. Jes 8,1-4.18; Ez 4,4-8; 5,1-4; 12,1-20; 24,15-27. 50 Mt 4,23-25; 8,16 f.; 9,35; 12,15-21; 14,14.34-36; 15,29-31; 19,1 f.; 21,14; Mk 1,32-34.39; 3,7-12; 6,5. 13. 53-56; Lk 4,40 f.; 6,17-19; 7,21 f.; 8,2; 13,32; 24,19; Joh 2,23; 3,2; 7,31; 11,47; 20,30 f.; 21,25; Apg 2,22; 2,41; 4,30; 5.12-16; 6,8; 14,3; 15,12. fähigkeit in intellektuellen Berufen […], wirtschaftlicher Misserfolg, Liebeszwang zu einer Person hin, Frigidität gegenüber anderen […].“ 47 Eine Fluchtafel mit einem Rachegebet aus Groß-Gerau beinhaltet die Bitte um Verfluchung der Verräterin Priscilla: „Größter aller Götter, Atthis, Herr, Gesamtheit der zwölf Götter (des Pantheons)! Ich überantworte den Göttinnen mein ungerechtes Schicksal, auf daß ihr mich an Priscilla, Tochter des Carantus, rächt, die den großen Fehler beging zu heiraten. Bei Eurer Großen Göttermutter, rächt die altererbten Geheimnisse (oder: die Geheimnisse des Paternus). Priscilla soll zugrunde gehen! Bei der großen Göttermutter, rächt Eure große Göttlichkeit bald, innerhalb von hundert(? ) Tagen, an Priscilla, die meine Geheimnisse verrät! Priscilla erachte ich als absolut null und nichtig. Sie hat einen Nichtsnutz(? ) geheiratet, weil Priscilla (ebenso) geil wie irre ist.“ 48 f) Prophetische Zeichenhandlungen Staunenswerte Zeichenhandlungen sind das Markenzeichen von Hosea und Ezechiel. Sie bilden das kommende Unglück Israels ab. 49 Auch Jes 20,3 und Jer 28 bieten Zeichenhandlungen. Die Verfluchung des Feigenbaums (Mk 11,12-14.20parr.) ist kein Strafwunder, sondern ein Hinweis auf die Macht des Gebets. Das Fischwunder Lk 5,1-11 läuft auf das Menschenfi‐ scher-Wort V. 10 f. zu und ist damit auch als Zeichenhandlung verstehbar. 1.6.10 Wundersummarien Wundersummarien fassen die Heilungs- und Exorzismustätigkeit Jesu oder der Apostel zusammen. 50 Die Frage des Täufers nach Jesu Identität beant‐ wortet dieser mit dem Hinweis auf zahlreiche Wundertaten als Erfüllung prophetischer Verheißung (Mt 11,5par. Lk 7,21 f.; vgl. Lk 4,18-21). 43 1.6 Antike Wundergattungen <?page no="44"?> 51 Vgl. Alkiers (2014) Kritik an einer formkritischen Verengung des Wunderbegriffs. 52 Mk 5,2-24.35-43parr. Mt 9,18 f.23-26; Lk 8,40-42.49-56; EpAp 5,4-7; EvNik 7. 1.6.11 Wunder im Neuen Testament - Textgrundlage Grundlage der weiteren Ausführungen sind nicht nur Wundertexte im formkritischen Sinne, sondern auch Wunder an Jesus und den Aposteln, kurze Erwähnungen von Wundern, Wunder anderer Wundertäter sowie wunderhafte Geschehnisse wie Epiphanien, Metamorphosen und kosmische Zeichen. 51 a) Wunder Jesu Die Evangelien bieten ca. 35 Wundererzählungen Jesu (ohne Parallelüber‐ lieferungen). Hinzu kommen Wundersummarien. Abgesehen von Strafwun‐ dern und Schadenzauber, sind alle Wundergattungen vertreten. 1. Heilungswunder / Therapien: Abgesehen von Exorzismen und Normen‐ wundern, enthält das MkEv sieben Therapien: (1) Mk 1,29-31parr. Mt 8,14 f.; Lk 4,38 f. (Schwiegermutter des Petrus; in Lk 4,38 f. als Exorzismus stilisiert); (2) Mk 1,40-45parr. Mt 8,2-4; Lk 5,12-16 (Aussätziger); (3) Mk 2,1-12parr. Mt 9,1-8; Lk 5,17-26; EvNik 6 (Gelähmter); (4) Mk 5,25-34parr. Mt 9,20-22; Lk 8,42-48 (Blutflüssige); (5) Mk 7,31-37 (Tauber); (6) Mk 8,22-26 (Blinder); (7) Mk 10,46-52parr. Mt 20,29-34; Lk 18,35-43 (Bartimäus). - Matthäus und Lukas kennen darüber hinaus folgende Therapien: Mt 8,5-13parr. Lk 7,1-10; Joh 4,46-54 (Hauptmann von Kapernaum); Mt 9,27-31 (zwei Blinde); Lk 17,11-19 (zehn Aussät‐ zige); Lk 22,50 f. (Ohr des Soldaten). 2. Exorzismen fehlen im JohEv. Markus bietet vier Texte: Mk 1,23-28par. Lk 4,33-36 (Kapernaum); Mk 5,1-20parr. Mt 8,28-34; Lk 8,26-39 (Ge‐ rasener); Mk 7,24-30par. Mt 15,21-28 (Frau aus Syrophönizien); Mk 9,14-29parr. Mt 17,14-20; Lk 9,37-43a (Mondsüchtiger bzw. taubstum‐ mer Junge). Auch die Sturmstillung (Mk 4,35-41parr.) hat exorzistische Züge (Mk 4,29parr.). - Über Markus hinaus enthalten das MtEv und das LkEv folgende Texte: Mt 9,32-34parr. Mt 12,22-24; Lk 11,14 f. (Blinder bzw. Stummer); Lk 4,38 f. (Schwiegermutter des Petrus) und Lk 8,2 (Maria Magdalena). 3. Totenerweckungen finden sich in allen Evangelien (Tochter des Jairus 52 , Jüngling zu Nain [Lk 7,11-17] und Lazarus [ Joh 11,1-45]). Die Evan‐ 44 1 Einführung <?page no="45"?> 53 Mk 6,30-44parr. 8,1-9; Mt 14,13-21; 15,32-39; Lk 9,10-17; Joh 6,1-15; ActJoh 93. 54 Geschenkwunder umrahmen das JohEv. Dazu vgl. Labahn 2014. 55 Mk 4,35-41parr. Mt 8,23-27; Lk 8,22-25. 56 Mk 6,45-52parr. Mt 14,22-33; Joh 6,16-21. 57 Nathanael glaubt auf Jesu Prophetie hin ( Jesus erkennt ihn, ohne ihn zu kennen, Joh 1,47). gelisten gehen sparsam mit solchen Berichten um; nur Lk nennt zwei Erweckungen. 4. Geschenkwunder: Die Speisung der Fünfbzw. Viertausend 53 , das Staterwunder (Mt 17,24-27), das Fischwunder (Lk 5,1-11par. Joh 21,1-14) und das Weinwunder zu Kana ( Joh 2,1-11) repräsentieren diese Wun‐ dergattung. 54 5. Normenwunder begegnen in Mk 3,1-6parr. Mt 12,9-14; Lk 6,6-11 (verdorrte Hand), Lk 13,10-17 (verkrümmte Frau), Lk 14,1-6 (Wasser‐ süchtiger), Joh 5,1-18 (Gelähmter, vgl. V. 16) und Joh 9,1-7 (Blindgebo‐ rener, vgl. V. 14). Auch die Therapie Mk 2,1-12parr. (Gelähmter) ist als Normenwunder zu sehen (Frage der Sündenvergebung). Wunder Jesu, in denen ‚Unreine‘ und Nichtjuden geheilt werden, lassen sich ebenfalls dieser Kategorie zuordnen. 6. Natur- und Rettungswunder: Markus kolportiert die Sturmstillung 55 und den Seewandel. 56 Letzteren ergänzt Matthäus um den Seewandel des Petrus (Mt 14,28-31) und Johannes um eine Entrückung ( Joh 6,21). 7. Christophanien: Ostervisionen klären die Identität des Auferstandenen und dienen der Jüngerbelehrung. Osterwunder bieten Mt 28,9-20parr. und Joh 20,11-21,25. Paulus hat vor Damaskus eine Christophanie (Apg 9,1-9parr.). Die Parusie ist die letzte Christophanie (Mk 13,24-27parr. u. a.). 8. Prophetische Zeichenhandlungen: Das Fischwunder Lk 5,1-11 ist auch als prophetische Zeichenhandlung zu deuten (vgl. die Prophetie V. 10 f.). 57 Die Verfluchung des Feigenbaums (Mk 11,12-14.20-25par. Mt 21,18-22) weist auf die Kraft von Gebet und Fluch hin. Das Staterwunder (Mt 17,24-27) ist einerseits ein Geschenkwunder, andererseits eine prophe‐ tische Zeichenhandlung, denn der Text weist auf Gottes Fürsorge um die Mittellosen hin. 45 1.6 Antike Wundergattungen <?page no="46"?> 58 Merz 2013, 115. b) Wunder anderer Wundertäter 1. Jünger und Apostel: Jesus überträgt den Jüngern Wundervollmacht (Mt 10,8; vgl. Mt 16,17 f.). Lk 10,17-20 stellt ihre Wunderkraft ausdrücklich fest. Sie scheitern nur an Dämonen (Mk 9,18.28 f.). - Solange der Glaube trägt, kann Petrus über das Wasser gehen (Mt 14,28-31). Überhaupt kann der Glaube bei allen Menschen Wunder wirken (Mk 9,23; 11,23 f.; Lk 17,5 f.). - Die Apostel vollziehen laut der Apg Therapien, Erweckun‐ gen und Strafwunder; Naturwunder fehlen. - In Röm 15,18 f. nennt sich Paulus ein charismatisches Medium der Wunderkraft Christi. Heilkraft, Wunderkraft und prophetische Rede gehören nach 1 Kor 12,9 f. zu den Charismen (vgl. Jak 5,14-16). 2. Fremde Wundertäter: Das Wirken des fremden Exorzisten wird in Mk 9,38-40 gutgeheißen, da er im Namen Jesu handle. Kritischer liest sich Mt 7,22: Wer im Namen Jesu Wunder tut, aber Gottes Willen missachtet, wird nicht ins Himmelreich kommen. Die Söhne der Pharisäer können laut Mt 12,27par. Lk 11,19 wie Jesus exorzieren und tun es wie er in göttlicher Vollmacht. 58 An einem Exorzismus scheitern dagegen die sie‐ ben magisch begabten Skeuassöhne und werden mit einem Strafwunder belegt (Apg 19,13-17). 3. Von Satan und satanischen Mächten werden Wunder kolportiert, die denen Jesu und der Apostel zum Verwechseln ähnlich sehen. Zu diesen Mächten gehören Pseudochristusse und -messiasse (Mk 13,6.22parr.), der röm. Kaiser und der Statthalter von Kleinasien (2 Thess 2,9; Apk 13,4.12-14). c) Wunder an Jesus und den Aposteln Das NT berichtet auch von Wundern, die an Jesus und den Aposteln vollzogen werden. Die Berichte stellen ihre besondere Bedeutung heraus oder verdeutlichen, unter wessen Schutz sie stehen. Die Wunderformen sind Angelophanien, Metamorphosen, Führungs- und Rettungswunder sowie Totenerweckungen. 1. Epiphanien finden sich insbesondere zu Beginn und am Ende des Lebens Jesu. Engel kündigen die Geburt Jesu und des Täufers an (Mt 46 1 Einführung <?page no="47"?> 59 Zacharias, der Vater des Täufers, wird zur Strafe für seinen Unglauben stumm (Lk 1,20-22.64). 60 Die Bezeichnung ‚Selbsthilfewunder‘ ist irreführend (gegen Dormeyer 2013a, 77). 61 Mt 27,45: Sonnenfinsternis; 27,51: Zerreißen des Tempelvorhangs; 27,52: Erdbeben und Totenauferstehung; 28,2-8: Erdbeben, Engelerscheinungen und Ohnmacht der röm. Grabwachen. 62 Zum Folgenden Hartenstein 2013a. 1,19-25par. Lk 1,11-17.26-38; Lk 2,8-20) 59 , schützen Jesus und seine Familie vor dem Zugriff des Herodes (Mt 2,13-23). Eine Theo- und Pneumatophanie offenbart bei der Taufe Jesu dessen Gottessohnschaft (Mk 1,9-11parr.). Engel erscheinen den Frauen und Jüngern an Jesu Grab (Mk 16,1-8parr.). - Joh 1,1-18 kennzeichnet das gesamte Wirken Jesu, des Schöpfungs-Logos, als Epiphanie Gottes. 2. Mk 9,2-13 schildert die Verklärung als Metamorphose (V. 2: metemor‐ phóthe). Sie ist eine halböffentliche Offenbarung Jesu als Gottessohn (V. 7). Die Verklärung bereitet die nachösterlichen Christophanien vor. 3. Mehrere Führungswunder bietet Mt 2,1-23 (Magier aus dem Orient; Bewahrung des Jesuskindes). Auch die Reise der Familie Jesu nach Bethlehem lässt sich als stille göttliche Führung verstehen (Lk 2,1-7). 4. Entrückungen begegnen in Joh 6,21b (Entrückung am Ende des Seewan‐ dels), in Apg 8,39 f. (Philippus), in 2 Kor 12,1-4 (Paulus) und in Apk 4 ff. (Thronvision des Sehers Johannes). Bei Lk beschließt eine Entrückung (Himmelfahrt Jesu) die Ostervisionen (Lk 24,50-53; Apg 1,9-11; vgl. Mk 16,19). 5. Natur- und Rettungswunder: Das Osterwunder lässt sich als Befreiung aus dem Grab interpretieren (Mk 16,1-8parr.). Mt 28,2 erwähnt ein Erd‐ beben als begleitendes kosmisches Zeichen. Apg 5,17-25, 12,3-17 und 16,23-40 berichten von der Befreiung der Apostel aus Gefängnissen, zum Teil in Kombination mit kosmisch-apokalyptischen Zeichen (Apg 16,26). 60 6. Kosmisch-apokalyptische Zeichen begleiten Tod und Auferstehung Jesu (Mt 27,45-28,2) 61 und werden für die Parusie angekündigt (Mk 13,24-27parr.). d) Wunder in den Apokryphen Apokryphe Wundertexte sind oftmals fragmentarisch und haben legenda‐ rischen oder erbaulichen Charakter. 62 Berichtet wird vom Jesuskind, das in kindlicher Unreife Therapien und Strafwunder wirkt; magisch muten 47 1.6 Antike Wundergattungen <?page no="48"?> 63 Arabisches Kindheitsevangelium (arabK, 6./ 7. Jh.) 11 f. bzw. arabK 17 f.27 f. 64 Pseudo-MtEv (PsMt, 6./ 7. Jh. n. Chr.) 18 f. bzw. arabK 10. 65 KThom 9 (ca. 2. Hälfte 2. Jh. n. Chr.); Text und Übersetzung Erlemann 2013, 843. Überlieferungen an, denen zufolge selbst Jesu Windeln und sein Badewasser Heilkraft hatten. 63 Das Jesuskind wird von Tieren und Götterbildern angebe‐ tet. 64 Wundertaten des erwachsenen Jesus fehlen jedoch weitestgehend. Man spürt den Texten eine Freude am unterhaltsamen, illustrierenden Erzählen ab; historische Glaubwürdigkeit oder theologische Reflexion sind nicht von Interesse. - Ein Textbeispiel ist die Erweckung eines verunglückten Spielkameraden ( Junge auf dem Dach): (1) Wiederum spielte Jesus nach vielen Tagen auch mit anderen Kindern auf dem Söller eines Hauses. Eins der Kinder jedoch stürzte hinab und starb. Als das die anderen Kinder sahen, gingen sie nach Hause. Sie ließen Jesus als einzigen zurück. (2) Und die Eltern des Toten kamen, machten Jesus Vorwürfe und sprachen: „Du hast unser Kind hinabgeworfen! “ Jesus aber antwortete: „Ich habe das Kind nicht hinabgeworfen! “ (3) Während jene tobten und schrieen, stieg Jesus vom Dach hinunter, stellte sich zum Leichnam und rief mit lauter Stimme: „Zenon, Zenon (denn so hieß er), stehe auf und sage, ob ich dich hinabgeworfen habe! “ Und der stand auf und sprach: „Nein, Herr! “ Und als sie es sahen, staunten sie. Und Jesus sprach abermals zu ihm: „Lege dich wieder zur Ruhe! “ Und die Eltern priesen Gott und beteten das Jesuskind an. 65 Das Petrusevangelium (EvPetr 9,35-11,45; ca. 1. Hälfte 2. Jh. n. Chr.) schil‐ dert, anders als die ntl. Evangelien, den eigentlichen Wundervorgang: (9,35) In der Nacht, in der der Herrentag anbrach, als die Soldaten jeweils zu zweit Wache hielten, erscholl eine laute Stimme im Himmel. (36) Und sie sahen, wie die Himmel geöffnet wurden und zwei strahlend leuchtende Männer von dort herabkamen und sich dem Grab näherten. (37) Jener Stein aber, der vor der Tür lag, zog sich von selbst rollend teilweise zurück und das Grab öffnete sich und beide jungen Männer gingen hinein. (10,38) Als jene Soldaten nun (dies) sahen, weckten sie den Zenturio und die Ältesten, denn auch sie waren geblieben, um Wache zu halten. (39) Und als sie berichteten, was sie gesehen hatten, sahen sie wiederum, wie drei Männer aus dem Grab herauskamen, wobei zwei den einen unterstützten und ein Kreuz ihnen folgte. (40) Und der Kopf der zwei reichte bis zum Himmel, der des von ihnen Geführten überragte die Himmel. (41) Und sie hörten eine Stimme von den Himmeln, die fragte: „Hast du den Gestorbenen gepredigt? “ (42) Und eine Antwort wurde gehört vom Kreuz: „Ja.“ (11,43) Sie 48 1 Einführung <?page no="49"?> 66 Text und Übersetzung Hartenstein 2013b, 894. 67 Vgl. Hartenstein 2013a und die Sammlung apokrypher Texte in Zimmermann 2013, 781-903. überlegten nun miteinander, wegzugehen und dies dem Pilatus zu sagen. (44) Und als sie noch berieten, erschienen die Himmel wieder geöffnet und ein Mensch kam herab und ging ins Grab. (45) Als sie dies sahen, eilten die um den Zenturio nachts zu Pilatus und verließen das Grab, das sie bewachten. Und sie berichteten alles, was sie gesehen hatten, und sagten voll großer Angst: „Er war wirklich Gottes Sohn.“ 66 Die apokryphen Wundertexte bieten tendenziell eine fiktionale Anpassung Jesu an bekannte Wundertäter und Heroen der religionsgeschichtlichen Umwelt. Die Zeichenfunktion der Wunder auf das Wirken Gottes spielt keine Rolle. 67 Form Vorkommen Akteure Besonderheiten Heilungswun‐ der / Therapien Evangelien, Apg Jesus, Kranke, z. T. Jün‐ ger und Helfer Betonung des physischen As‐ pekts (gilt für alle Gattungen) Exorzismen synEvv., Apg Jesus, Kranke, Dämon Wunder als Machtkampf Totenerwe‐ ckungen Evangelien, Apg Jesus, Toter, Angehö‐ rige sparsamer Gebrauch; Skepsis der Augenzeugen (außer Lk 7) Geschenk‐ wunder Evangelien Jesus, Jünger, andere Zeichen messianischer Fülle Normenwun‐ der Evangelien Jesus, Kranke, Gegner Vollmachtsfrage; Motive der Ablehnung Jesu Natur- und Rettungswun‐ der Evangelien, Apg Jesus, Jünger / Apostel Furchtmotiv Strafwunder Apg 5; 13; 19 Apostel, Gegner, Au‐ genzeugen Strafwunder fehlen in den Evangelien Epiphanien Evangelien, Apg Gott, Engel, Christus, Geist, Adressaten Klären die Bedeutung Jesu Christi Metamorpho‐ sen synEvv., 1 Kor 15 Gott, Jesus, Jünger physisch-leiblicher Aspekt Führungswun‐ der / Entrü‐ ckungen Himmelfahrt; Mt 2,1-23; Apg 8 Gott, Geist, Jesus, Jün‐ ger; Apostel u. a. Klären die Bedeutung Jesu; lenken die Mission 49 1.6 Antike Wundergattungen <?page no="50"?> 68 Weitere Aspekte sind die Gabe der Toraauslegung, die Kunst der Gleichnisrede, der souveräne Umgang mit Gegnern, die visionäre Botschaft, die Zuwendung zu den ‚Verlorenen‘ und der unbestechliche Gottesgehorsam (vgl. Erlemann 2010, 40-42, und ders. 2011, Kapitel 3). Form Vorkommen Akteure Besonderheiten Kosmischapkl. Zeichen Mk 13parr.; Mt 27 f.; Apg; 2 Petr 3; Apk Jesus, Augenzeugen; Apostel (Apg); satani‐ sche Mächte beschränkt auf Tod und Auf‐ erstehung Jesu, Parusie und Weltende Prophet. Zei‐ chenhandlun‐ gen Feigenbaum, Fisch-Wunder, Sta‐ ter-W. Jesus, Jünger Prophetische Ansage steht im Fokus Vergleich traditioneller Wundergattungen 1.7 Wunderspezifische Termini Der Abschnitt klärt zentrale Fachtermini, welche die religionsgeschichtli‐ che Einbettung der Wunder Jesu betreffen (Charisma, Dämonen, Magie, Zauberei, Schamanismus), solche, die mit der Wundererfahrung zu tun haben (Mythos, Spiritualität, Mystik) und solche, welche die historische Wahrheitsfrage betreffen (Rationalismus, weiche Fakten sowie Faktualität und Fiktionalität). 1.7.1 Charisma Charisma meint umgangssprachlich die Ausstrahlungs- und Überzeugungs‐ kraft eines Menschen. Der biblische, maßgeblich von Paulus geprägte Begriff bezeichnet eine besondere Gabe der Gnade (gr. cháris) bzw. des Heiligen Geistes (gr. pneumatikón, Röm 12,3-8; 1 Kor 12,1-11). Jesus gilt als der Geistträger schlechthin: Er ist vom Geist gezeugt (Lk 1,35; Mt 1,18.20), erhält ihn bei der Taufe (Mk 1,9-11parr.), er ist immun gegen satanische Übergriffe (Mt 4,1-11parr.), entwickelt Überzeugungskraft und mehr, was zum Gelin‐ gen seines Auftrags beiträgt. 68 Deutlich wird an Jesus die polarisierende Wirkung von Charisma (→ 2.4.1). 50 1 Einführung <?page no="51"?> 69 Platon, Apologia 27d; 28e; Plutarch, Brutus 36; 48 (Angaben Dormeyer 2013a, 69). 70 Zum Folgenden vgl. Poplutz 2013a sowie Kahl 2005. Kahl zählt auch posthum vergött‐ lichte, mythische Heroen (→ 2.3.3) zu den daímones. 71 Neben daimónia finden sich die Termini theíoi (Göttliche) und pneúmata (Geister). 72 Cicero (106-43 v. Chr.) leugnete die Existenz von Dämonen (De divinatione; Dormeyer 2013a, 72). 73 Text bei Poplutz 2013a, 97 (kursiv im Original). 74 Vgl. 1 Sam 16,14 f. (‚ein böser Geist vom Herrn‘); Hi 1 f. (Satan als Gott unterstellter Engel). 75 5 Mos 32,17; 2 Chron 11,15 und Ps 106,37. Im NT vgl. 1 Kor 10,20 f.; Apk 9,20; 18,23 u. a. 1.7.2 Dämonen Dämonen (gr. daimónia) sind, etymologisch betrachtet, Wesen, welche den Menschen das göttlich bestimmte Schicksal zuteilen (gr. daíomai, zuteilen). 69 Sie sind demnach Mittlerwesen zwischen der göttlichen und der mensch‐ lichen Sphäre, Engeln und Geistern vergleichbar. 70 Die terminologische Vielfalt 71 signalisiert die umstrittene Personhaftigkeit der Mittlerwesen. 72 - Im Textbeispiel rettet ein Dämon Apollonius von Tyana das Leben (Philostrat, VitApoll 4,44,5-16): „Man hatte sich gegen ihn einen Ankläger verschafft, der schon vielen zum Ver‐ derben geworden war und zahlreiche Olympische Siege dieser Art vorzuweisen hatte. Dieser Mann hielt eine Anklageschrift in der Hand, die er wie ein Schwert gegen Apollonius schwang, mit den Worten, sie sei ganz scharf gewetzt und werde ihn dem Verderben preisgeben. Als nun Tigellinus dieses Schriftstück auseinanderrollte, fand er darin nicht die geringste Spur einer Schrift vor, sondern sah nur ein unbeschriebenes Buch vor sich. Er kam deshalb auf den Gedanken, dass hier ein Dämon im Spiel sei. Ein ganz gleicher Vorgang soll sich auch später unter Domitian ereignet haben.“ 73 Das AT hält Dämonen für Gott unterstellte Boten. 74 Dämonenglaube wird weithin abgelehnt. 75 Engel und Dämonen werden unterschieden (Dan 8 f.; vgl. Gen 6,1-4 als Dämonen-Ätiologie). Für Philo von Alexandria sind Dämonen unkontrollierbare Mächte, die Gutes und Schlechtes bewirken (Gig 16-18; Somn 1,141). Josephus sieht in ihnen gequälte Totengeister sündiger Menschen bzw. Rachegeister Ermordeter (Bell 7,185; Ant 13,317). Die frühjüdische Apokalyptik verortet sie im kosmischen Dualismus von Licht und Finsternis (1 QS 3,25; 4,9 ff.). Im NT gelten Dämonen als Handlanger Satans, die für Krankheiten, Verführung, Irrlehre und die Lügenpropaganda des röm. Imperiums verant‐ 51 1.7 Wunderspezifische Termini <?page no="52"?> 76 Poplutz 2013a, 99, nennt konkret dissoziative Störungen und Epilepsie. 77 Erfolgreiche Exorzismen setzen Satans Entmachtung voraus (Mk 3,27; Lk 10,18; Apk 12,7-10). Der in Exorzismen begegnende gr. Terminus ekbállein (hinauswerfen) be‐ zeichnet in Ex 33,30 und Dtn 33,27 f. die militärische Vertreibung von Feinden (Poplutz 2013a, 94). 78 von Hirschhausen 2016, 487. 79 Koskenniemi 2014, 175. 80 Dormeyer 2014, 140, zitiert den Philosophen Apuleius von Madaura (2. Jh. n. Chr.), der Liebeszauber auf das Wirken von Dämonen zurückführt. 81 Zum Folgenden Aubin 2001, Busch 2005 und Kollmann 2013b. 82 Busch 2005, 134. wortlich sind. 76 Die Unterscheidung der Geister ist daher eine existenzielle Aufgabe im frühen Christentum (1 Kor 12,10; 1 Joh 4,1). Jesu Exorzismen sind das Fanal des kosmischen Endkampfes zwischen Gott und Satan nach dessen Entmachtung im Himmel; der Heilige Geist überwindet die Dämonen in Exorzismen (Mt 12,28). 77 1.7.3 Magie und Zauberei „Ich träume davon, dass die Magie wieder Einzug in die Medizin hält und diese sich mehr auf ihre Wurzeln besinnt. Der Placeboeffekt ist keine Täuschung, sondern eine Bestärkung des Patienten […]. Wenn Menschen etwas Zauber brauchen, um sich zu motivieren, warum geben wir ihnen den nicht? “ 78 Antike Magie ist eine schriftbasierte, aus Persien stammende Wissenschaft. 79 Ihr Spektrum reicht von Astrologie, Pharmakologie und Volksmedizin bis hin zu Liebes- und Schadenzauber (→ 1.6.9e). Die Magie hatte eigene, von der antiken Medizin nicht anerkannte Heilmethoden, wie Medizincocktails, magische Formeln, Handauflegung, Berührung und performatives Wort. Magie stößt in der Antike nicht nur auf Akzeptanz. Sie gilt vielerorts aufgrund undurchsichtiger Praktiken und fragwürdiger Wirkungen als dä‐ monische Zauberei; 80 mágos (Magier) und goétes (Gaukler, Zauberer, Schar‐ latan) werden mitunter synonym verwendet. 81 Das röm. Zwölftafelgesetz (5. Jh. v. Chr.) stellt Schadenzauber unter Strafe. 82 Apollonius von Tyana und andere Wundertäter stehen unter Magieverdacht (VitApoll 8,7.2 f.; Josephus Bell 2,262 f.; Ant 20,92.167 f.). Die Unterscheidung zwischen Magie und religiös anerkannten Wunder‐ praktiken fällt schwer. Merkmale der Magie sind das Gottesbild (Gott ist manipulierbar; synkretistisches Denken) und die Erfüllung fragwürdiger 52 1 Einführung <?page no="53"?> 83 Kollmann 2013b, 125. 84 Vgl. Apg 8,4-25 (Simon Magus); 13,6-12 (Barjesus); 16,16-22 (Wahrsagegeist); 19,13-17 (Skeuassöhne). Magier gelten in der Apg als satanische Konkurrenten der Apostel und als Saboteure ihrer Missionsarbeit. - Vgl. die Magierpolemik in Gal 5,20; Apk 9,20 f.; 18,23; 21,8; 22,5. 85 Zum Folgenden Gordon 2002, 697-700. Komplett erhalten ist ein Rezeptbuch für Liebesmagie. 86 Die bekannteste Sammlung magischer Handbücher sind die Papyri Graecae Magicae (PGM) aus Ägypten (Hgg. Preisendanz / Henrichs 1973 / 74 u. a.). Magische Texte sind auch aus Qumran bekannt (11 Q 5; 11 Q 11 u. a.; Belege bei Kollmann 2013b, 129). 87 DUDEN Fremdwörterbuch, 3. Auflage 1974. - Zum Folgenden Kollmann 2014a, 18-20. 88 Kollmann 2013b, 125; von Hirschhausen 2016, 64-69. Wünsche wie Schadenzauber 83 auf Bestellung (weiter → 2.3.4). - Dtn 18,9-12 verbietet Zauberei, Wahrsagerei, Totenbeschwörung und Ähnliches mehr. Die Apg bietet intensive Magierpolemik. Die Apostel überwinden die Magier mithilfe des Heiligen Geistes und demonstrieren damit ihren Wahrheitsanspruch. 84 Schriftliche, meist fragmentarisch erhaltene Zeugen antiker Magie sind Zau‐ berbücher, Zauberpapyri, Zaubersprüche, Amulette, ‚Voodoo‘-Püppchen und Fluchtäfelchen (lat. defixiones) aus dem 1. Jh. v. Chr. bis zum 4. Jh. n. Chr. 85 Ägyptische Priester verfassten im Rahmen des ägyptischen Tempel‐ kults (‚Haus des Lebens‘) Rezepturen für magische Anwendungen. 86 Sie ar‐ beiteten in hell.-röm. Zeit im gesamten Römischen Reich als Magie-Dienst‐ leister. Das methodische Spektrum umfasst Schaden- und Beziehungszauber, Nekromantie, das Herbeirufen jenseitiger Mächte (Invokation), Dämonen‐ beschwörung, medizinische Maßnahmen (etwa gegen Fieber), die Herstel‐ lung von Amuletten, Kleinwunder (Unsichtbarmachen, verriegelte Türen öffnen, Spielglück u. ä.) und (Traum-)Visionen. Apg 19,19 berichtet von der demonstrativen Verbrennung wertvoller Zauberbücher. 1.7.4 Schamanismus Ein Schamane ist ein „Zauberpriester, bes. bei asiat. u. indones. Völkern, der mit Geistern u. den Seelen Verstorbener Verbindung aufnimmt.“ 87 Reli‐ gionsgeschichtlich betrachtet, sind Schamanen bzw. Medizinmänner Mittler zwischen Menschen und Gottheiten in ‚primitiven‘ Stammesgesellschaf‐ ten. 88 Sie stellen Kontakt mit jenseitigen Mächten her, um deren Kräfte für menschliche Belange zu nutzen. Die Kontaktaufnahme erfolgt mittels (Opfer-)Riten, Musiktherapie, Jenseitsreisen in Trance und Totengeleit. Ziel 53 1.7 Wunderspezifische Termini <?page no="54"?> 89 Vgl. auch die Polemik gegen Engelverehrung in Kol 2,18. 90 DUDEN Fremdwörterbuch, 3. Auflage 1974. - Zum Folgenden vgl. Hübner 1994. Weiter Armstrong 2007 und Geyer 1996. ist es, von Dämonen geraubte Seelen zurück in die zugehörigen Körper zu holen, um eine innere Harmonie im Menschen zu erreichen und dadurch Heilung zu bewirken. 1 Sam 28 verurteilt Jenseitskontakte als Verstoß gegen das Erste Gebot. Die schamanische Praxis der ‚Hexe‘ von Endor hat zwar Erfolg - der Geist des verstorbenen Propheten Samuel kommt zurück -, König Saul als Auftraggeber wird jedoch bestraft. 89 Antike Heiler und Visionäre wie Epi‐ menides (7. Jh. v. Chr.), Pythagoras (6. Jh. v. Chr.), Empedokles (5. Jh. v. Chr.), Apollonius von Tyana (1. Jh. n. Chr.) und Alexander von Abonuteichos (2. Jh. n. Chr.) gelten in der Forschung als Schamanen. - Zur schamanischen Deutung Jesu → 3.3.3. 1.7.5 Mythos a) Klassische Definition Der Duden definiert Mythos als „Sage und Dichtung von Göttern, Helden und Geistern [der Urzeit] eines Volkes“ bzw. als „legendär gewordene Gestalt od. Begebenheit, der man große Verehrung entgegenbringt.“ 90 Im Fokus stehen hier die gr. Götter- und Heldensagen. Ihre Merkmale sind die Personifizierung abstrakter, unbegreiflicher oder bedrohlicher Natur‐ mächte, die Durchlässigkeit zwischen menschlicher und göttlicher Sphäre und die posthume Deifizierung wichtiger Gestalten der geschichtlichen Frühzeit. Mythen sind historisch nicht verifizierbar, transportieren aber das Selbstverständnis antiker Kulturen. - Auch biblische Wundertexte werden zum Teil als supranaturale Mythen gewertet; ihr Wahrheitsgehalt wird daher auf einer übertragenen Sinnebene gesucht (→ 3.2.3). b) Moderner Mythosbegriff Den poetischen Charakter des Mythos arbeitet Kurt Hübner heraus: 54 1 Einführung <?page no="55"?> 91 Hübner 1994, 599. 92 Berger 1999, 190-206. Das erkläre die joh. Bezeichnung der Wunder als semeía (→ 1.5.1). 93 Ebd. und ders. 1996, 61-91. „Der Mythos ist ein weitgehend kohärentes Erfahrungssystem; es beruht auf Grundvorstellungen, mit denen das Seiende und Wirkliche im allgemeinen aufgenommen, geordnet und gedeutet wird.“ 91 Als poetische Wirklichkeitsdeutung verweise er auf metaphysische oder tiefenpsychologische Wahrheiten und arbeite menschlichen Urängsten ent‐ gegen. Für Klaus Berger sind Mythen Reminiszenzen an göttliche Epipha‐ nien und Hinweise auf verborgene göttliche Zeichen in der Welt. 92 Mythen sind nicht irrational, sondern folgen, so Berger, einer eigenen Logik, die um die Erfahrung verdichteter Wirklichkeit und göttlicher Macht kreist. Von hier aus ergebe sich eine neue Perspektive auf die Alltagswirklichkeit. 93 c) Mythos als Gattungsbegriff Konstante Formelemente einer literarischen Gattung ‚Mythos‘ fehlen. My‐ thische Elemente begegnen in unterschiedlichen Literaturgattungen und darüber hinaus in nicht-literarischen Bereichen. Sie thematisieren jenseits des historisch Beweisbaren den Grenzübertritt zwischen göttlicher und menschlicher Sphäre. Ihr Zweck ist es, soziokulturelle Gegebenheiten äti‐ ologisch zu erklären bzw. die Bedeutung bestimmter Menschen für eine bestimmte Gesellschaft und Kultur hervorzuheben. Ein historischer Wahr‐ heitskern des Erzählten bleibt davon unberührt. d) Fazit: Ankerpunkte des kollektiven Gedächtnisses Mythische Texte erklären ätiologisch, unter Verweis auf vorgeschichtliches, göttliches Wirken, politische, religiöse und gesellschaftliche Gegebenheiten. Die wissenschaftlich-rationale Weltsicht sieht in Mythen Relikte eines überholten Weltbildes. Doch leben Mythen und mythische Erfahrungen bis heute weiter. Charakteristisch ist dabei der Eindruck sich verdichtender, konzentrierter Wirklichkeit; die Grenzen von Raum und Zeit scheinen durchlässig. Mythische Ereignisse haben eine eigene Qualität: Sie werden als 55 1.7 Wunderspezifische Termini <?page no="56"?> 94 Beispiele aus der jüngeren Vergangenheit sind das ‚Wunder von Bern‘ 1954, die Ermordung John F. Kennedys 1963, die erste Mondlandung und das Woodstock-Festival 1969 sowie der Mauerfall bzw. das ‚Wunder von Leipzig‘ 1989 als Ankerpunkte des kollektiven Gedächtnisses. 95 Zum Folgenden vgl. Beckmann 1997; dort auch Ausführungen zu den Verästelungen und zur Wirkungsgeschichte des Rationalismus. 96 Zimmerling 2003, 25. - Zum Folgenden vgl. Wiggermann 2000. eminent bedeutsam erfahren und werden zu Ankerpunkten des kollektiven Gedächtnisses. 94 1.7.6 Rationalismus Rationalismus (von lat. ratio: Vernunft, Verstand) bezeichnet eine wissen‐ schaftliche Grundhaltung, eine metaphysische Theorie, ein erkenntnisthe‐ oretisches Prinzip und eine Epoche der europäischen Aufklärung, welche die ratio des Menschen zum alleinigen Ausgangspunkt philosophischer Welterklärung machte. 95 René Descartes (1596-1650) erklärte die Vernunft zur Erkenntnisquelle schlechthin. Dies führte zur Loslösung der Philosophie sowie der Natur- und Humanwissenschaften von Theologie und Kirche mit ihrem bis dato normativen Welterklärungsmodell. - Als wahr gilt rationalistisch nur das, was rationale Logik, naturwissenschaftliches Expe‐ riment, empirische Untersuchung oder historische Forschung erklären bzw. beweisen können. Wissenschaftlich nicht erklärbare Phänomene wie die Wunder Jesu unterliegen einer Grundsatzkritik und werden als Relikte einer vorwissenschaftlichen Weltbetrachtung bzw. als unwahr etikettiert. - Der Rationalismus führte auf Seiten aufgeklärter Theologen zum breit angelegten Versuch, biblische Wundertexte rational zu erklären (→ 3.2.2). 1.7.7 Spiritualität Der lat. Begriff spiritualis (gr. pneumatikós, geistlich) bezeichnet eine persön‐ lich-religiöse, auf Gottesbeziehung und Ethik ausgerichtete Lebenshaltung jenseits des regulierten kirchlichen Lebens bzw. den emotionalen Bereich des Glaubens. 96 Der Theologe Hans Urs von Balthasar (1905-1988) definiert Spiritualität als „praktische und existentielle Grundhaltung eines Menschen, die Folge und Ausdruck seines religiösen - oder allgemeiner: ethisch-engagierten Daseinsverständnisses ist: eine akthafte und zuständliche (habituelle) Durchstimmtheit 56 1 Einführung <?page no="57"?> 97 Von Balthasar 1965, 715 (abgedruckt bei Wiggermann 2000, 709). 98 Büssing 2006, 23. 99 So Sponsel, Spiritualität. seines Lebens von seinen objektiven Letzteinsichten und Letztentscheidungen her.“ 97 Spiritualität enthält einen religionssoziologischen (individuelle Frömmig‐ keit, überkonfessionelle Gemeinschaftserlebnisse, unkirchliches Interesse an einem göttlichen Mysterium), einen religionspsychologischen (Spiri‐ tualität als besondere Form der Wirklichkeitswahrnehmung) und einen religionsgeschichtlichen Aspekt (Gnostizismus, Esoterik). Gemeinsam ist die Abgrenzung von intellektuell-theologischer und dogmatisch-liturgisch festgelegter, religiöser Praxis. Der Begriff Spiritualität bleibt jedoch schil‐ lernd; eine übergreifende Definition versucht der Mediziner Arndt Büssing (* 1962): „Mit dem Begriff Spiritualität wird eine nach Sinn und Bedeutung suchende Lebenseinstellung bezeichnet, bei der sich der / die Suchende seines / ihres ‚gött‐ lichen‘ Ursprungs bewusst ist (wobei sowohl ein transzendentes als auch ein immanentes göttliches Sein gemeint sein kann, z. B. Gott, Allah, JHWH, Tao, Brahman, Prajna, All-Eines u. a.) und eine Verbundenheit mit anderen, mit der Natur, mit dem Göttlichen usw. spürt. Aus diesem Bewusstsein heraus bemüht er / sie sich um die konkrete Verwirklichung der Lehren, Erfahrungen oder Einsichten im Sinne einer individuell gelebten Spiritualität, die durchaus auch nicht-konfessionell sein kann. Dies hat unmittelbare Auswirkungen auf die Lebensführung und die ethischen Vorstellungen.“ 98 Spiritualität gibt es in jeder Religion. Spirituelle Praktiken sind Meditation, Kontemplation, Askese, mystische Versenkung, Exerzitien, Wallfahrten, Heiligenverehrung, Kirchenmusik und Glaubenskurse. Ein profaner Begriff von Spiritualität hebt dagegen auf allgemeine Sinn- und Wertfragen ab. 99 a) Religionssoziologischer Aspekt: Das frühe Christentum kennt eine indivi‐ duelle Spiritualität. Von der spirituell-mystischen Gottesreich-Vorstellung aus (Lk 17,20 f.; EvThom Log 113) entwickelte sie sich in verschiedenen Ausprägungen bis in die Gegenwart. Spiritualität ist tendenziell überkon‐ fessionell. Im Gefolge der Postmoderne hat unkirchliche Spiritualität Hoch‐ konjunktur (Meditation, Mystik, Pilgerfahrten). Das weist auf eine neue Sehnsucht nach religiöser Erfahrung und auf eine sich etablierende religiöse 57 1.7 Wunderspezifische Termini <?page no="58"?> 100 Hempelmann 2005, 5; Zimmerling 2003, 126.285. 101 Süßmeier 2021, 156. 102 Mit Berger 1999, 199. Berger verweist zur Veranschaulichung auf den Begriff ‚Geistes‐ gegenwart‘. 103 Zimmerling 2003, 22. 104 DUDEN Fremdwörterbuch, 3. Auflage 1974. - Vgl. auch Röhser 2005. Alternativkultur hin. 100 Diese ist von der Grundtendenz her monistisch-syn‐ kretistisch ausgerichtet. 101 b) Religionspsychologischer Aspekt: Spirituelle Wirklichkeitserfahrung folgt nicht den Regeln wissenschaftlich-rationalen Denkens, sondern einer eigenen Logik. Ähnlich wie bei mythischen Erfahrungen ist die Konzentra‐ tion bzw. Verdichtung von Wirklichkeit, Macht und Zeit charakteristisch. 102 c) Religionsgeschichtlicher Aspekt: Im antiken und modern-esoterischen Gnostizismus zielt Spiritualität auf die innere Harmonie des göttlichen Wesenskerns im Menschen mit der das All durchwaltenden Weltseele sowie auf innere Erleuchtung und erlösendes Wissen (gr. gnósis). Letzteres bezieht Elemente verschiedener Kulte und Religionen mit ein (esoterischer Synkretismus). Typisch ist der Rekurs auf keltische und germanische Kulte, auf Schamanismus und Magie sowie auf fernöstliche Religionen (z. B. Zen, Yoga → 1.7.3 f.). 1.7.8 Mystik Mystik ist ein Begriff mit unklaren Konturen. 103 Laut DUDEN ist Mystik eine „besondere Form der Religiosität, bei der der Mensch durch Hingabe u. Ver‐ senkung zu persönlicher Vereinigung mit Gott zu gelangen sucht; vgl. Unio mystica.“ 104 Mystisch sind Erfahrungen unmittelbarer Gottesbegegnung und klarster Erkenntnis. Mystik ist, so betrachtet, eine intensive Form der Spiritualität. Mystische Erfahrungen sind wie Wunder unverfügbar, nicht reproduzier‐ bar und setzen eine religiös-mystische Optik auf die Wirklichkeit voraus. Auch Wunder haben eine mystische Dimension: das Einswerden zwischen menschlichem Gebet, Glauben und Hoffnung mit der erbarmenden, lieben‐ den Zuwendung des göttlichen Wundertäters. Das Einswerden mit Gott setzt die Aufhebung der Grenze zwischen sichtbarer und unsichtbarer 58 1 Einführung <?page no="59"?> 105 Formeln wie ‚in-Christus-Sein‘ (Röm 12,5; 2 Kor 5,17), die Rede vom Einwohnen des Geistes und der Sünde (Röm 7 f.) oder von der gegenseitigen Immanenz von Christus und Glaubenden ( Joh 15,4.10 f. u. a.) sind Aussagen über den religiösen Status eines Menschen oder einer Gemeinschaft und als solche nicht mystisch zu verstehen. Welt voraus. (Traum-)Vision und Audition, Ekstase, Glossolalie, Prophetie, Inspiration, Gebete und Askese sind Wege dorthin. Okkulte Kontaktaufnahme mit jenseitigen Mächten wie Engeln, Dämo‐ nen oder den Geistern Verstorbener gehört nicht zur Mystik. Der mystische Kontakt beschränkt sich im NT auf Gott oder den erhöhten Christus, der als Einziger autorisierte Auskünfte über Gott machen kann ( Joh 1,18). 105 - Mystik ist auch eine Facette apokalyptischen Denkens. Entrückungen und Himmelsreisen sorgen für mystische Erfahrungen (Paulus: 2 Kor 12,1-4; Johannes: Apk 4 ff.). Entrückt in die göttliche Sphäre, bekommen die Vi‐ sionäre Einsicht in jenseitige oder zukünftige Vorgänge. Das Gesehene muss zum Teil von Deuteengeln entschlüsselt werden und unterliegt der Geheimhaltung; nur zu bestimmten Zeiten und an ausgewählte Adressaten darf es veröffentlicht werden. 1.7.9 Weiche Fakten Weiche Fakten sind solche, die sich, wie etwa Wunder, naturwissenschaft‐ lich-empirisch weder erklären noch beweisen lassen. Ihre Wahrheit er‐ schließt sich Wahrnehmungsarten jenseits der nüchtern-analytischen Optik auf die Wirklichkeit. Beispiele: Wer atl. Weisheit zustimmt, für den sind Sprichwörter wie ‚Lügen haben kurze Beine‘ wahr. Für Esoteriker steht der Einfluss des Mondes auf Alltagsphänomene außer Zweifel. Musikliebhaber sehen in manchen Kompositionen regelrechte Offenbarungen. Kunstbeflissenen Menschen ergeht es mit Exponaten moderner Kunst ähnlich. Begegnun‐ gen mit dem Göttlichen sind für religiös-mystisch gestimmte Menschen real erlebbar. Liebende sehen in ihrem Gegenüber einen ganz besonders liebenswerten Menschen. - Nichts von alledem ist beweisbar, steht aber für Menschen mit entsprechendem Sensus außer Frage. 59 1.7 Wunderspezifische Termini <?page no="60"?> 106 Mit Berger 1996, 120 f. - Heilungen etwa haben eine sichtbare Wirkung, Visionen nicht. 107 Zum Folgenden vgl. Schmid 2014. Bestimmte weiche Fakten sind nur für Einzelne wahrnehmbar (Visionen, Träume), andere für Gruppen von Menschen, die dieselbe Wahrnehmung teilen (z. B. Therapien, Speisungen). Voraussetzung ist die Offenheit für die religiös-mystische Dimension der Wirklichkeit und die intensive Bezie‐ hung zu einem gleichgestimmten Gegenüber. Wunder sind das Ergebnis eines Einswerdens von Gott und Mensch oder gleichgestimmter Menschen untereinander (→ 3.6.3). Dieses Einswerden führt zu intensiven, mitunter umstürzenden und befreienden Erfahrungen, die für die Betroffenen und Augenzeugen durchaus real sind. Weiche Fakten haben für sie eine Wer‐ tigkeit, die harten Fakten vergleichbar ist, selbst wenn sie rational nicht beweisbar sind. Die Wahrheit weicher Fakten ist zum Teil intersubjektiv vermittelbar, ‚objektiv‘ überprüfbar und an ihrer Wirkung erkennbar, aber nicht im Sinne rationaler Kausalität beweisbar. 106 1.7.10 Faktualität / Fiktionalität Diese literaturwissenschaftlichen bzw. erzähltheoretischen Kategorien um‐ schreiben den Wahrheitsanspruch eines Textes. 107 Vor dem Hintergrund des wissenschaftlich-rationalen Wahrheitsbegriffs bilden Faktualität und Fikti‐ onalität ein Gegensatzpaar - tertium non datur. Faktual sind demnach Texte, die sich auf ein konkretes historisches Geschehen beziehen. Faktualität ist semantisch, textpragmatisch oder durch Kontextbezug ausweisbar und ist nicht gleichbedeutend mit Faktizität. Faktizität meint die minutiös korrekte Wiedergabe des historischen Ereignisses (Zeitungsmeldung, Nachrichten‐ sendung), Faktualität lediglich den grundsätzlichen Verweis auf eine histo‐ rische Grundlage. Geschichtsschreibung, Reportagen, Zeugenberichten und Ähnlichem kommt insofern keine Faktizität zu, als sie das real Geschehene subjektiv deuten und darstellen. Fiktional sind dagegen Texte, die sich als Phantasieprodukt zu erkennen geben (Märchen, Gleichnis, Fabel, Mythos, Roman, Lyrik, Traumvision). Fiktionalität ergibt sich aus der Semantik (z. B. die Märchen-Einleitung ‚es war einmal‘, die Überschrift ‚Gleichnis‘ u. ä.) oder aus dem unrealistisch-fik‐ tiven Sujet (Fiktivität: Tiere als Handlungsträger, sprechende Pflanzen, Su‐ perhelden u. a.). Die ‚Wahrheit‘ fiktionaler Texte ist jenseits der wörtlichen Sinnebene zu suchen. 60 1 Einführung <?page no="61"?> Ein fiktionaler Text kann durchaus reale Erzählelemente enthalten, ein faktualer Text kann auch fiktive Erzählzüge tragen. Gleichnisse erzeugen den Eindruck von Pseudo-Realistik; die alltäglich, realistisch anmutende Erzählwelt wird durch extravagante, die Realistik sprengende, Erzählzüge durchbrochen. Solche Extravaganzen fungieren als Hinweis (Transfersignal) auf eine weitere Sinnebene. Da faktuale Erzählungen immer auch fiktive, der subjektiven Deutung geschuldete, Elemente und fiktionale Texte durchaus realistische Züge beinhalten, verlaufen die Grenzen zwischen Faktualität und Fiktionalität fließend. - Aus dem Gesagten ergeben sich vier grundsätz‐ liche Erzählmodi: fiktionaler Texte ist jenseits der wörtlichen Sinnebene zu suchen. Ein fiktionaler Text kann durchaus reale Erzählelemente enthalten, ein faktualer Text kann auch fiktive Erzählzüge tragen. Gleichnisse erzeugen den Eindruck von (Pseudo-)Realistik; die alltäglich, realistisch anmutende Erzählwelt wird durch extravagante, die Realistik sprengende, Erzählzüge durchbrochen. Solche Extravaganzen fungieren als Hinweis (Transfersignal) auf eine weitere Sinnebene. Da faktuale Erzählungen immer auch fiktive, der subjektiven Deutung geschuldete, Elemente und fiktionale Texte durchaus realistische Züge beinhalten, verlaufen die Grenzen zwischen Faktualität und Fiktionalität fließend. - Aus dem Gesagten ergeben sich vier grundsätzliche Erzählmodi: faktuale Erzählungen mit Faktizitätsanspruch (Nachrichten, Tagebuch, Protokoll, Alltagsgespräch, Tatsachenbericht) faktuale Erzählungen mit fiktivunrealistischen Anteilen (Lüge, Propaganda) fiktionale Erzählungen mit fiktiv-unrealistischem Inhalt (Fantasy, Märchen, Roman, Mythos, Lyrik, Traumvision) fiktionale Erzählungen mit realistischen Elementen (poetischer Bericht, Gleichnis, Fabel, Historienroman) Faktuale und fiktionale Erzählungen 61 1.7 Wunderspezifische Termini <?page no="62"?> 108 Münch 2014, 513 (kursiv im Original). 109 Drewermann 2014, 592. 110 Dormeyer 2020, 53. - Weiter zum Thema → 3.4.4 und 3.6.2a. Anhand dieser Kategorien wird über das Verhältnis zwischen Erzähltem und Erzählung in Wundertexten nachgedacht. Konzediert wird ihnen ein faktualer Anspruch: Sie weisen auf historisches Geschehen hin (vgl. Mt 11,5; Lk 1,1-4; 4,18-21 u. a.). Dieses Geschehen (Wundertaten Jesu) wird indes kontrovers beurteilt. Seine Faktizität (genau so ist es geschehen! ) wird gemeinhin bestritten. Das historische Geschehen sei allenfalls in Grundzügen real ( Jesus hat erstaunliche, aber rational erklärbare Dinge getan) und hermeneutisch sei es irrelevant. Damit wird die historische Wunderfrage relativiert. Das führt zu Aussagen wie: „Unbeschadet möglicher historischer Wurzeln ist der faktuale Anspruch aller‐ dings ein erzählerisches Mittel im Dienst der Aussage über die Person.“ 108 Oder: „Die Wahrheit solcher Geschichten liegt nicht in historischen Tatsachen vor 2000 Jahren, sie liegt darin, dass, wer sie liest, selber sie wahrmacht in der eigenen Person, durch Taten im eigenen Leben.“ 109 Oder: „Die Wundergeschichten erzeugen mit ihren faktualen Anteilen ein Porträt des Wundertäters Jesus, das in der damaligen Alltagswelt eine plausible Realität besaß. Alle faktual berichteten Heilungen und Naturwunder waren real möglich, mussten aber nicht auf historisch verifizierenden Fakten beruhen.“ 110 Kritik: Wundertexte verweisen auf weiche Fakten, das heißt: Der faktuale Anspruch der Wundertexte bezieht sich auf ein historisches Geschehen, das nur subjektiv von einem Menschen (Vision, Traum, Epiphanie) oder intersubjektiv von einer Gruppe von Menschen als reales Geschehen wahr‐ genommen werden kann (z. B. Therapie, Rettung, Sättigung). Was für diese Menschen Realität ist, ist für andere Menschen phantastische Fiktion. Die Entscheidung über Faktualität und Fiktionalität fällt nicht in der Semantik des Wundertextes, sondern in der Optik auf die Wirklichkeit. Die historische Wunderfrage ist nicht nüchtern-analytisch, sondern religiös-mystisch zu klären und hängt von der Bereitschaft ab, die Phantastik des Erzählten als reale Erfahrung zu verstehen bzw. das ‚Unmögliche‘ des Wunderhaften für real erfahrene und real erfahrbare Wirklichkeit zu halten. 62 1 Einführung <?page no="63"?> Grafik: Harte Fakten, weiche Fakten und Fiktion W A H R N E H M U N G S M O D U S W I R K L I C H K E I T nüchtern-analytische Optik / wiss.-rationale Logik / historische Analyse, Deutung - Tatsachenberichte, Zeitungsmeldungen … enges Wahrnehmungsspektrum HF HF WF WF religiös-mystische Optik / Wunderlogik u.a. / Erfahrung und Deutung - Wundertexte, Gleichnisse … mittleres Wahrnehmungsspektrum WF HF WF kindlich-vorrationale Optik / Offenheit für Phantastisches Nicht-Unterscheidbarkeit von fact und fiction - Märchen, Fabeln, Superhelden …. weites Wahrnehmungsspektrum Fi Fi Die Grafik verdeutlicht den Zusammenhang zwischen unterschiedlichen Wahrnehmungsarten bzw. Optiken auf die Wirklichkeit ( 3.6.2d) und der Wahrnehmbarkeit von harten Fakten (HF), weichen Fakten (WF) und Fiktion (Fi). Die Grafik zeigt, dass die kindlich-vorrationale Optik das weiteste und die nüchtern-analytischen Optik das engste Wahrheitsbzw. Wahrnehmungsspektrum aufweist. Die religiös-mystische Optik bewegt sich dazwischen und erfasst auch religiöse oder mythische Dimensionen harter Fakten, was der nüchtern-analytischen Optik nicht möglich ist. Was für diese Optik irrational und fiktiv erscheint (WF, Fi), ist aus religiös-mystischer bzw. kindlich-vorrationaler Optik durchaus wahrnehmbar real. Die Entscheidung, was faktual, faktisch und fiktiv ist, wird je nach Wahrnehmungsart unterschiedlich bewertet. Dazu kommt, dass auch die nüchtern-analytische Optik nie frei von Deutung der Wirklichkeit ist. Eine Fiktion ist daher die Rede von Objektivität im Sinne unverfälschter, von subjektiven Einflüssen freier Beschreibung eines Vorgangs. Harte Fakten, weiche Fakten und Fiktion Die Grafik verdeutlicht den Zusammenhang zwischen unterschiedlichen Wahrnehmungsarten bzw. Optiken auf die Wirklichkeit (→ 3.6.2d) und der Wahrnehmbarkeit von harten Fakten (HF), weichen Fakten (WF) und Fiktion (Fi). Die Grafik zeigt, dass die kindlich-vorrationale Optik das weiteste und die nüchtern-analytische Optik das engste Wahrheitsbzw. Wahrnehmungsspektrum aufweist. Die religiös-mystische Optik bewegt sich dazwischen und erfasst auch religiöse oder mythische Dimensionen harter Fakten, was der nüchtern-analytischen Optik nicht möglich ist. Was für diese Optik irrational und fiktiv erscheint (WF, Fi), ist aus reli‐ giös-mystischer bzw. kindlich-vorrationaler Optik durchaus wahrnehmbar real. Die Entscheidung, was faktual, faktisch und fiktiv ist, wird je nach Wahrnehmungsart unterschiedlich bewertet. Dazu kommt, dass auch die nüchtern-analytische Optik nie frei von Deutung der Wirklichkeit ist. Eine 63 1.7 Wunderspezifische Termini <?page no="64"?> Fiktion ist daher die Rede von Objektivität im Sinne unverfälschter, von subjektiven Einflüssen freier Beschreibung eines Vorgangs. 64 1 Einführung <?page no="65"?> 1 Mit Berger 1999, 194. 2 Platon, Von der Unsterblichkeit der Seele, und Phaidros 245c-e. - Für Aristoteles ist der Geist im Unterschied zu Körper und Seele leidensunfähig (Aristoteles, Über die Seele 5). 2 Historische Fragestellungen Das Kapitel beleuchtet das Welt- und Menschenbild der Wundertexte (2.1), ihr medizin- und religionsgeschichtliches Umfeld (2.2) sowie Jesu historische Außenwahrnehmung (2.3). Überlegungen zur Genese des ntl. Wunderglaubens (2.4) und zur polarisierenden Wirkung der Wunder Jesu (2.5) runden das Kapitel ab. 2.1 Welt- und Menschenbild Eine Kontrastierung von antik-biblischem und neuzeitlich-modernem Welt- und Menschenbild ist nicht möglich, da beides in sich uneinheitlich ist. 2.1.1 Sichtbare und unsichtbare Wirklichkeit Das ntl. Weltbild lässt sich modellhaft als Haus mit drei Etagen (Himmel, sichtbare Welt, Unterwelt) beschreiben. Die Grenzen zwischen den Etagen sind durchlässig. Natürliche Kausalitäten können von göttlichen Kräften unterbrochen werden. Spürbare Wirkungen göttlichen Eingreifens sind z. B. Krankheiten, Wunder und Segen. Spirituell-mystische Erfahrungen mit der göttlichen Sphäre durchziehen die Bibel (z. B. Gebete, Epiphanien, Wunder, heilige Orte und Zeiten). 1 2.1.2 Monotomisches Menschenbild Die gr.-hell. Anthropologie ist dichotomisch (Körper / Seele) oder tricho‐ tomisch (Körper / Seele / Geist). Der Körper (gr. sóma) ist sterblich, Seele und Geist (gr. psyché bzw. nous) sind unsterblich. 2 Laut AT und frühem Judentum ist der Mensch eine monotomische Einheit aus Körper und <?page no="66"?> 3 Leib und Seele sind unterscheidbar, aber nicht trennbar. Nicht psyché macht den Menschen lebendig, ‚beseelt‘ ihn, sondern Gottes Atem (hebr. neschamá bzw. rúach; Gen 2,7; Ps 104,29 f.). 4 Berger 1999, 198. 5 Röm 7,14-21; 1 Kor 2,14-3,3; 15,35-49; 2 Kor 4,16. 6 Frenschkowski 2014, 283 ff. Frenschkowski differenziert mehrere Haltungen zu Wun‐ dern, von naivem Wunderglauben bis zu systemhafter, aggressiver Wunderskepsis. - Der Ruf nach Beweisen wurde schon früh laut (a. a. O., 299). 7 Homer, ca. 8./ 7. Jh. v. Chr.; Pausanias, ca. 115-180 n. Chr., u. a. 8 Aelios Aristides, Sarapishymnus 33; zitiert nach Theißen 1998, 109 (zu Mk 4,35-41parr.). Seele. 3 Körperliche Leiden weisen auf seelische Probleme (Sünde, Schuld) hin. An Leib und Gliedern (gr. méle) als Kontaktorganen zur Wirklichkeit vollzieht sich der kosmische Kampf zwischen Gott und widergöttlichen Mächten. Körperliche Heilung hat eine kosmische Dimension: Sie ordnet das Verhältnis des Menschen zu seiner Außenwelt heilvoll neu. 4 Platonisch beeinflusst ist die paulinische Abwertung von vergänglichem Körper und Seele (äußerer Mensch) gegenüber dem unvergänglichen Geist (gr. pneúma, innerer Mensch). 5 - Wunderhafte Heilungen wirken umfassend (Mk 2,1-12; Joh 5,14). Jesus ersteht auch körperlich auf (1 Kor 15,12-19). 2.1.3 Wunderglaube und Wunderkritik Anstelle pauschaler Wundergläubigkeit oder gar Wundersucht herrschte im ntl. Zeitalter eine Mischung aus Wunderglauben und Skepsis. 6 Der Glaube an Wundertaten der olympischen Götter ist Gegenstand gr. Mythendich‐ tung. 7 Als Mythen haben sie unhistorischen Charakter. Pausanias (Desc Graec 8,8,3) deutet sie symbolisch. - Ein mythisches Seenotrettungswunder dient als Beispiel: „Damals, als das Meer heranbrauste und sich von allen Seiten auftürmte, und nichts mehr zu sehen war als das drohende Verhängnis, und schon fast der Untergang besiegelt schien: da hast Du Deine Hand dagegen erhoben, hast den verhüllten Himmel aufgehellt und hast uns das Land schauen lassen und Landung ermöglicht, so wider alles Erwarten, daß wir selbst es nicht glauben wollten, als wir auf festen Boden traten.“ 8 Antike Geschichtsschreiber sehen die Götter am Anfang der Weltordnung und unterscheiden zwischen unmöglichen, zu bezweifelnden Wundertaten (gr. adýnata, Totenerweckungen, Naturwunder) und möglichen, wenn auch überraschenden Wundertaten (gr. parádoxa, Heilungen u. ä.). Dieser Ein‐ 66 2 Historische Fragestellungen <?page no="67"?> 9 Zum Thema vgl. Frenschkowski 2014 und Dormeyer 2014. 10 VitApoll 1,16. Vgl. 1 Tim 4,7 (‚ungeistliche Altweiberfabeln‘, gr. graódeis mýthoi). 11 In ‚Wahre Lehre‘ (gr. alethés lógos, 178 n. Chr.), bezeugt bei Origenes, Contra Celsum. 12 Origenes, Contra Celsum I 68 (Übers. Lona 2005). 13 Ausführlich zur antiken Wunderkritik vgl. Plümacher 2004, 38-44, und Herzer 2008, 239-242. schätzung folgt der jüdische Geschichtsschreiber Flavius Josephus: Parádoxa des AT ordnet er göttlicher Vorsehung zu, die Glaubwürdigkeit von adýnata lässt er offen. Die Philosophie übt am Götter- und Wunderglauben Grundsatzkritik. 9 Götter seien weltabgewandte Figuren oder abstrakte Prinzipien. Die Pe‐ ripatetiker und Plinius der Jüngere (ca. 61-114 n. Chr.) deuten Wunder rational, für Lukrez (ca. 99-55 v. Chr.) und Plutarch (ca. 45-125 n. Chr.) sind sie unglaubwürdige adýnata. Lukian von Samosata (120-vor 180 n. Chr.) deutet Wundertexte allegorisch. Rational-kritisch äußert sich Philostrat (ca. 164-244 n. Chr.): Mythische Wunderberichte seien Ammenmärchen. 10 Der Mittelplatoniker Kelsos (2. Jh. n. Chr.) übt massive Polemik gegen biblische Wundertexte. 11 Für ihn ist Jesus ein trickreicher Magier und die Christen sind ungebildete Naivlinge. „Was über Heilungen oder eine Auferstehung aufgeschrieben wurde, oder über wenige Brote, die viele ernährt haben, von denen viele Reste übrig geblieben sind, oder all dies, was die Jünger phantasierend erzählt haben: Wohlan, wir wollen glauben, dass du all dies gewirkt hast. Sie sind aber mit den Werken der Zauberer gleichzusetzen, die noch wunderbarere Dinge versprechen, und mit dem, was die Schüler der Ägypter vollbringen, wenn sie mitten auf den Märkten für wenig Geld ihr ehrwürdiges Wissen abgeben: Sie treiben die Dämonen von den Menschen aus, blasen Krankheiten weg, rufen die Seelen der Heroen auf, zeigen kostbare Mahlzeiten und Tische und Näschereien und Leckerbissen, die es gar nicht gibt; sie setzen Dinge in Bewegung, als wären sie Lebewesen, die aber wirklich keine Lebewesen sind, sondern nur in der Einbildung als solche erscheinen. Da jene Leute solche Dinge tun können, müssen wir sie dann für Söhne Gottes halten? Oder müssen wir sagen, dass dies die Betätigungen von schlechten und von einem bösen Geist besessenen Menschen sind? “ 12 In der Volksfrömmigkeit bleibt Götter- und Wunderglaube fest verankert; das erklärt die teils massive Polemik gegen Wunder(-glauben). Selbst man‐ che Gebildete glauben an Wunder; darüber macht sich der Satiriker Lukian lustig. 13 67 2.1 Welt- und Menschenbild <?page no="68"?> 14 Zum Folgenden vgl. Popkes 2013, 79-86. 15 Zu Asklepios lässt sich historisch nichts sagen. Die Mythen sehen in ihm einen Sohn des Apollon, einen Wunderheiler und Halbgott (Popkes 2013, 79-81, ausweislich Homer, Ilias 4,194). 16 Dormeyer 2013a, 71. 2.1.4 Nebeneinander von Mythos und ratio Mythisches Denken gilt heutzutage als überholt und rational denkenden Menschen unzumutbar. Doch, wie antike Texte zeigen, bestanden Mythos und ratio immer schon nebeneinander. Auch sind mythische Erklärungs‐ muster längst nicht passé. Das provoziert ein Nachdenken über verschiedene Weltsichten (→ 3.6.2d). 2.2 Antike Heilkunst 14 2.2.1 Asklepios: Tempelmedizin Medizinische Versorgung war in über vierhundert Asklepios- und Apollon‐ heiligtümern organisiert 15 ; Epidauros, Athen, Pergamon und Kos waren begehrte Zielorte vieler chronisch Kranker. Asklepiospriester bewirkten mit einem Mix aus medizinischen Therapien, Diätplänen, Reinigungsritualen, religiösen Opferriten, Inkubationsschlaf und Weihegeschenken Heilung. 16 Auch die Epiphanie der Gottheit konnte Heilung bewirken. Die Grenzen zwischen Tempelmedizin und Wunderheilung waren fließend. - Aelios Aristides (2. Jh. n. Chr.) berichtet: (Über die heilende Kraft der Asklepiosquelle): „Aber auch sonst gebraucht der Gott (sc. Asklepios) den Brunnen wie einen anderen Helfer, und vielen Menschen hat schon oft dieser Brunnen geholfen, um das zu erlangen, was sie von dem Gott erbeten hatten. Denn wie die Angestellten (wörtl.: Sklaven) der Ärzte und Wundertäter geübt sind zu den Dienstbarkeiten und durch ihre Mithilfe die in Erstaunen versetzen, die zuschauen und (die Hilfe) in Anspruch nehmen, so ist (der Brunnen) Erfindung und Besitz des großen Wundertäters (und) dessen, der alles zum Heil der Menschen tut. Er wirkt zusammen für alles mit ihm und wird für viele zum Heilmittel. Denn viele haben sich darin gebadet und (ihre) Augen (gesund) empfangen, viele aber haben ihn getrunken und wurden an der Brust geheilt und erhielten die notwendige Luft, anderen hat er die Füße gerichtet, anderen anderes. Es hat sogar einer getrunken und aus (vorangehender) 68 2 Historische Fragestellungen <?page no="69"?> 17 Aelius Aristides, Rede 39,14-15; Text bei Berger / Colpe 1987, 159 f. (zu Joh 5,1-15). 18 Hippokrates, De Morbo Sacro 1,2 f.; Text bei Poplutz 2013a, 99. Stimmlosigkeit heraus ließ er seine Stimme ertönen, so wie die, die aus den geheimen (verbotenen) Wassern trinken, seherisch werden. Anderen aber hat er an Stelle anderer (sc. Dinge das als) Rettung gewährt, daß sie eben das Wasser selbst ziehen konnten. Und so ist er für die, die krank sind, auf diese Weise Gegenmittel und heilsam, und denen, die gesund dahinleben, macht er den Gebrauch jedes anderen Wassers zu einer Sache minderen Werts.“ 17 2.2.2 Hippokrates: ‚Schulmedizin‘ Die Schule des Hippokrates von Kos (ca. 460-375 v. Chr.) baute auf Erfah‐ rung, Naturheilkunde, Diagnostik und ‚Viersäftelehre‘. Von Diät bis zu chirurgischen Operationen reichte das Spektrum an Therapiemöglichkeiten. Religiöse oder magische Krankheitsvorstellungen lehnte Hippokrates ab; Epilepsie, die ‚heilige Krankheit‘, deutete er nicht dämonologisch, sondern wissenschaftlich: „Hinsichtlich der so genannten heiligen Krankheit verhält es sich folgenderma‐ ßen: Kein bisschen scheint sie mir göttlicher zu sein als die anderen Krankheiten, noch heiliger, sondern die anderen Krankheiten haben eine Natur, woher sie entstehen, eine Natur und Ursache hat auch diese. Dass sie ein göttliches Werk sei, glauben die Menschen infolge ihrer Ratlosigkeit und weil es sehr verwunderlich ist, dass sie den anderen Krankheiten überhaupt nicht gleicht.“ 18 Lucius Columella (1. Jh. n. Chr.) berichtet von Valetudinarien (Kliniken), in denen die Arbeitskraft kranker Sklaven wiederhergestellt werden sollte. - Die hippokratische Schule fächerte sich mit der Zeit in Einzeldisziplinen wie Anatomie, Physiologie und Pathologie auf. Das gesammelte medizinische Wissen findet sich im Corpus Hippocraticum (ediert durch den Arzt Galen von Pergamon, 2. Jh. n. Chr.). 2.2.3 Wunderheiler u. a.: Volksmedizin Neben der ‚Schulmedizin‘ sind ab dem 8. Jh. v. Chr. unabhängige Wander‐ ärzte, Hebammen, Organspezialisten, Pharmahändler, Einreiber, Zauberer 69 2.2 Antike Heilkunst <?page no="70"?> 19 Dormeyer 2013a, 70 f. Für Dormeyer stellt die Zauberkunst eine Sonderform der magischen Volksmedizin dar. - Weiter dazu → 1.7.3; 1.7.4. 20 Popkes 2013, 84, ausweislich Seneca, Martial und Columella. - Weiter vgl. Mk 5,26; Hippokrates, De Morbo Sacro 1,32 u. a.). 21 Vgl. Lev 13,45 f.; 21,16-21 zu Aussatz, Blindheit, Lähmung u. a.; Jer 31,8; Hi 29,12-16 zu Schwangeren, Stillenden, Armen und Waisen. 22 Mk 10,46; Apg 3,2. - Vgl. NazEv zu Mk 3,1-6: „Ich war ein Maurer; mit meiner Hände Arbeit verdiente ich meinen Lebensunterhalt. Ich bitte Dich, Jesus, mir meine Gesundheit wiederzugeben, damit ich nicht schändlich Lebensmittel erbetteln muß“ (Text bei Hieronymus, Kommentar zu Mt 12,13; übersetzt und abgedruckt bei Peisker 1976, 51). 23 Lev 29,14; Dtn 27,18; Spr 31,8 u. a. und Wunderheiler bezeugt. 19 Besonders Letztere waren (wie heute) mass‐ iver Polemik seitens etablierter Ärzte ausgesetzt. Die Grenzen zwischen ‚Schulmedizin‘ und Wunderheilung waren fließend. Zur Zeit Jesu war schulmedizinische Versorgung der sozialen Oberschicht vorbehalten; das Gros der Bevölkerung war auf Volksmedizin und Wunderheiler angewiesen, die ihre Dienste zu Wucherpreisen anboten. 20 2.2.4 Krankheit und Sünde Krankheit galt im frühen Judentum als Folge von Sünde; der Umgang mit Krankheit und Behinderung war kultisch geregelt. Als einzig wirkkräftiger Arzt galt Gott selbst (Ex 15,26; Philo, sacr. 70); Hoffnungen auf einen mes‐ sianischen Heiler waren groß (Mt 11,5; Lk 4,21). Etablierte Ärzte genossen keinen guten Ruf. Im NT wird die Arzt-Metapher auf Jesus übertragen (Lk 4,23; vgl. IgnEph 7,2). Krankheit und Behinderung führten zu erheblichen sozialen und kulti‐ schen Konsequenzen. Das hatte mit einem abschreckenden Äußeren, mit Ansteckungsgefahr und religiösen Konzepten (Tun-Ergehen-Zusammen‐ hang, kultische Reinheit) zu tun. 21 Kultische Unreinheit bedeutete soziale Stigmatisierung bis hin zum Bettlertum. 22 Das alles galt trotz des biblisch angemahnten Schutzes Behinderter. 23 Auch jenseits des Judentums galt Krankheit als Folge von Sünde: „Niemals ferner erschien er (sc. Demonax) schreiend oder in Zorn geratend oder unwillig, selbst dann nicht, wenn er jemenden tadeln mußte. Doch die Fehler (Sünden) griff er an, den Fehlenden (Sündern) aber verzieh er. Und er hielt es für richtig, das Vorbild von den Ärzten zu nehmen, die die Krankheiten heilen, gegenüber den Kranken aber keinen Zorn anwenden. Denn er dachte, daß das 70 2 Historische Fragestellungen <?page no="71"?> 24 Lukian (2. Jh. n. Chr.), Demonax 7; Text bei Berger / Colpe 1987, 34 f. (zu Mk 2,1-12parr.). 25 Herodot (5. Jh. v. Chr.), Historien I 138; Text bei Berger / Colpe 1987, 33 (zu Mk 1,40-45parr.). 26 Zimmermann 2014a, von Bendemann / Neumann 2005 und Kollmann 2013a. 27 Mk 1,29-31; Lk 4,38 f.; Joh 4,47.52; vgl. Apg 28,8. Jesus selbst wird für besessen gehalten (Mk 3,21 f.parr.; Joh 7,20; 8,48 f.52; 10,20 f.). - Hippokrates deutet Besessenheit rational, Theißen 2014, 76, deutet sie als dissoziative Störung infolge psychischer Traumata. 28 Kollmann 2013a, 89, ausweislich Lev 13 und Hippokrates von Kos sowie in Abgrenzung von Num 12,10-12 (Mirjams Aussatz als lebensbedrohliche Krankheit). 29 Hierfür spricht, dass die Frau soziale und kultische Grenzen sprengt, sich durch die Menge zu Jesus vorarbeitet und ihn absichtlich berührt (gegen von Bendemann / Neu‐ mann 2005, 66). 30 Taubstummheit: Mk 7,31-37; Mt 15,30 f.; Blindheit: Mk 8,22-26; Joh 9,1-7. Kollmann unterscheidet organische und psychogene Blindheit (2013a, 88); die Bibel reflektiert die Ursachen nicht. Fehlen (Sündigen) Merkmal des Menschen sei, Merkmal eines Gottes aber oder eines gottgleichen Menschen, Verstöße wieder in Ordnung zu bringen.“ 24 Und: „Wer von den Bürgern Lepra oder Aussatz hat, dieser geht nicht in die Stadt hinein, auch mischt er sich nicht unter die anderen Priester. Denn man sagt, daß gegen die Sonne gesündigt hat, der dieses hätte.“ 25 2.2.5 Exkurs: Krankheitsbilder im Neuen Testament Das NT zeigt wenig Interesse an medizinischer Diagnostik; moderne Zuord‐ nungen sind spekulativ. 26 Fieber und Epilepsie gelten als Dämonenbefall. 27 ‚Aussatz‘ (gr. lépra; Mk 1,40-45; Lk 17,11-19) könnte auf die Hansen-Krank‐ heit, aber auch auf Schuppenflechte hindeuten. 28 Eine ‚verdorrte Hand‘ (Mk 3,1, gr. exerraméne cheír) deutet auf Auszehrung, ‚Verkrümmung‘ (Lk 13,11, gr. gyné synkýptousa) auf einen Wirbelsäulendefekt. ‚Blutfluss‘ (Mk 5,25, gr. rhýsis haímatos) weist in Richtung chronischen Blutverlustes oder übermäßiger Menstruation. 29 Die Symptomatik des ‚Mondsüchtigen‘ (Mt 17,15, gr. seleniázesthai) spricht für Epilepsie. Jesus ist den Texten zufolge in der Wahl der Heilmethoden nicht wäh‐ lerisch. Dämonisch erklärbare Krankheiten werden exorziert, psychogene Krankheiten mit vollmächtigem Wort kuriert, Augen- und Ohrenkrankhei‐ ten mit volksmedizinischen und magischen Mitteln wie Berührung und Speichel therapiert. 30 71 2.2 Antike Heilkunst <?page no="72"?> 31 Zum Folgenden vgl. ausführlich Erlemann 2016, 55-61. 32 Die Entrückung nährte die Vorstellung der endzeitlichen Wiederkunft Elias (Elia redivivus, Mal 3,23; Mk 9,11-13; 10,27-30 u. a.). 33 Geschenkwunder: 2 Kön 3,19-22; 4,1-7; 4,38-44; Krankenheilung: 2 Kön 5; Totener‐ weckung: 2 Kön 4,8-37; militärische Wunder: 2 Kön 3; 6,8-23; Strafwunder: 2 Kön 2,23 f.; 5,19-27; spektakuläre Naturwunder: 2 Kön 2,14 f.; vgl. Jos 3; 2 Kön 6,1-7. 2.3 Jesus und andere Wundertäter Im Fokus steht hier nicht Jesu Einzigartigkeit oder seine religionsgeschicht‐ liche Ableitbarkeit, sondern seine vermutliche historische Außenwirkung. 2.3.1 Alttestamentliche Wunderpropheten Die Wunderberichte über Elia, Elisa und andere Propheten gehören zu den prominenten Prätexten der ntl. Wundererzählungen. 31 a) Samuel und Nathan Die Geburt Samuels zeigt Analogien zur Geburt Jesu: Sie ist unerwartet und göttlich bedingt (1 Sam 1 f.). Samuel prophezeit verlässlich (1 Sam 3,21; 10,2-9) und wirkt ein Strafwunder (1 Sam 12). - Wunderhaft ist auch die Gabe des Propheten Nathan, der die geheimen Gedanken und Taten Davids erkennt (2 Sam 12). b) Elia und Elisa Der Elia-Elisa-Zyklus (1 Kön 17-2 Kön 13) zeigt ein breites Wunderspektrum: Elia bewahrt die Witwe von Sarepta vor großer Not, ihren Sohn erweckt er vom Tod (1 Kön 17,9-24). Er selbst wird wunderbar von Gott am Leben erhalten (1 Kön 17,1-8; Theophanie 1 Kön 19). - Das Gottesurteil auf dem Karmel und das anschließende Regenwunder (1 Kön 18) erweisen Gottes Allmacht. Ein Strafwunder (2 Kön 1,1-12) und die Himmelfahrt run‐ den die Wundervita Elias ab (2 Kön 2,1-18). 32 - Bei Elisa dominieren Hilfe- und Rettungswunder. 33 Selbst postmortal wirkt er noch Wunder (2 Kön 13,20 f.). Elisa ist der Prototyp des biblischen Wundertäters, der Menschen aus vielerlei Not hilft. - Ausschlaggebend ist das Vertrauen der Notleidenden in die Wunderkraft der Propheten. Wundermittel sind unter anderem das prophetische Wort, magisch anmutende Riten und Fernheilungen. 72 2 Historische Fragestellungen <?page no="73"?> 34 In nach-atl. Zeit werden auch Abraham und Mose zu Wundertätern und Exorzisten stilisiert (1 QapGen 20,28 f.; Philo, Artapanus, Jub, Josephus, Ps.-Philo). Josua hat kosmische Kraft (Sir 46,1-8; vgl. LibAnt 20,2 f.; 32,9 f.), David und Salomo können exorzieren (SapSal; 11 Q 11; LibAnt 60 u. a.; ausweislich 1 Sam 16,14-23). Auch von Jesaja, Jeremia, Ezechiel und Daniel werden Wundertaten kolportiert (VitProph 1-4). Die Übermalungen spiegeln die Sehnsucht des frühen Judentums nach charismatischen Führungsfiguren wider (Koskenniemi 2005 und ders. 2014, 177). 35 Jes 45,1-4: Kyros; Esr 3; Hag 2; Sach 3-6: Serubbabel; unbestimmt: Jes 9,5 f.; 11,1 f.; Mi 5,1. 36 Dan 7,13; 4 Esr 7,26 ff.; ApkEl 43,11 ff.; Apk 20,1-6. 37 Joel 3,1-5; 4 Esr 3,31b-4,25; 2 Petr 3,10-12; Apk 21; vgl. die Ankündigung kosmischer Unordnung in äthHen 80,2 und Mk 13,24 f. c) Schriftpropheten Ez 37,1-14 bietet die Vision der wunderhaften Auferstehung Israels. Populär ist die Seenotrettung des Jona ( Jon 1 f.), verbunden mit der wunderbaren Umkehr Ninives ( Jon 3 f.). Die drei Tage Jonas im Fischbauch ( Jon 2,1) gelten in Mt 12,39-41par. Lk 11,32 als Vorabbildung des Schicksals Jesu (‚Zeichen des Jona‘). 34 d) Hoffnung auf messianische Wunder Das Babylonische Exil nährte die Sehnsucht nach wunderbarer, endgültiger und globaler Erlösung. Tritojesaja verheißt die globale Umkehrung der herrschenden Verhältnisse ( Jes 60-65). Der erwartete, davidische Messias wird teilweise mit historischen Figuren identifiziert. 35 Er verkörpert das Idealbild des weltlichen Königs ( Jes 9, Jes 11: geistbegabt, gerecht usw.). Die Apokalyptik erhofft das globale, endzeitliche Friedensreich unter dem Messias bzw. Menschensohn 36 , die Auferstehung der Toten (Ez 37; Dan 12,1-3) und die Neuschöpfung des Kosmos. 37 e) Fazit: Manifestationen der Wunderkraft Gottes Im Wunderwirken der atl. Propheten manifestiert sich Gottes Allmacht. Wunder dienen der Abwendung akuter Not, Zeichenhandlungen der Ab‐ wendung drohenden Unheils. Der Elia-Elisa-Zyklus bietet Prätexte der Wunder Jesu. - Nachexilische Visionen spiegeln die Sehnsucht nach einem globalen Eingreifen Gottes zugunsten Israels. Mit ihnen schließt sich der Kreis vom Wunder der Weltschöpfung über die Wunder von Exodus und 73 2.3 Jesus und andere Wundertäter <?page no="74"?> 38 Vgl. Mk 6,4; Lk 4,23-27; 13,31-33; 24,19; Joh 4,44. Josephus nennt Jesus ‚Täter außeror‐ dentlicher Wundertaten‘, Elisa vergleichbar (Ant 18,63; 9,182). - Jesus verweigerte indes Zeichenforderungen und verzichtete unter Hinweis auf das Endgericht auf Strafwunder (vgl. Mt 10,14 f.). 39 Weitere Beispiele nennt Dormeyer 2014, 148. 40 bBer 34b; vgl. Mk 7,29 f.; bPes 112b; vgl. Mk 1,29 f. (Textangaben bei Busch 2005, 135). 41 Merz 2013, 114; vgl. Kollmann 2013b, 128. Landnahme hin zur Neuschöpfung der Welt. - Jesus erhält in den Evangelien prophetische, aber auch andere Züge. 38 2.3.2 Frühjüdische Wundertäter Flavius Josephus (37-100 n. Chr.) erwähnt Wunder- und Zeichenpropheten der ntl. Zeit: Theudas und ein anonymer Ägypter versprachen in den 40er Jahren, Israel mit Exodus-Wundern von den Römern zu befreien (Ant 20,97 f.; vgl. Apg 5,36). 39 Beide wurden von den Römern liquidiert. - Unpolitisch agierten Choni der Kreiszieher, Chanina ben Dosa, Onias und der Magier Eleazar. Chanina war gegen Schlangengift immun (vgl. Apg 28,6) und konnte Fernwunder und Exorzismen vollziehen. 40 Er und Choni wurden der Magie verdächtigt. 41 Mk 9,38-41 nennt einen jüdischen Exorzisten, der im Namen Jesu agierte. Choni wirkte ein magisches Regenwunder, das auf geteiltes Echo stieß (ca. 65 n. Chr.): „Einst verstrich die größere Hälfte des Adar ohne Regen. Da sprach man zu Honi dem Kreiszeichner: Bete, daß Regen herniederfalle. Er betete, es kam jedoch kein Regen. Da zeichnete er einen Kreis und stellte sich hinein, wie einst der Prophet Habakuk es tat, wie es heißt: Ich will mich auf meine Warte stellen und auf den Wall treten, und sprach: Herr der Welt, deine Kinder wandten sich an mich, weil ich wie ein Sohn des Hauses bei dir bin; ich schwöre nun bei deinem großen Namen, daß ich mich von hier nicht rühre, als bis du dich deiner Kinder erbarmt haben wirst. Da begannen Regentropfen zu triefen. Darauf sprachen seine Schüler: Meister! Wir sehen dich, damit wir nicht sterben; es scheint, daß der Regen nur deswegen herniederfällt, um deinen Schwur zu lösen. Alsdann sprach er: Nicht um so etwas bat ich, sondern um Regen für Brunnen, Gruben und Höhlen. Da brachten sie ihm einen Farren zum Danksegen, und er stützte beide Hände auf ihn, indem er sprach: Herr der Welt, dein Volk Israel, das du aus Ägypten geführt hast, kann weder die übermäßige Güte noch die übermäßige Strafe ertragen; du zürntest ihnen, und sie konnten es nicht ertragen; möge es doch dein Wille sein, daß der Regen aufhöre und die Erleichterung in die Welt 74 2 Historische Fragestellungen <?page no="75"?> 42 bTaanith 23a; Text bei Berger / Colpe 1987, 48 f. (zu Mk 5,21-43parr.); vgl. Jos Ant 14,22-24. 43 Prophetische Zeichenhandlung Lk 13,6-9; Ansage der Tempelzerstörung Mk 13,1 f.; Joh 2,19. 44 Einen politischen Selbstanspruch Jesu schließen Mk 12,13-17.35-37 und andere Texte aus. 45 Zum Folgenden vgl. Merz 2013, 108-123. 46 Koskenniemi 2014, 173 f. 47 Zum Folgenden vgl. Kahl 2005. eintrete! Sofort erhob sich ein Wind, zerstreute die Wolken, und die Sonne trat hervor. Das Volk ging ins Feld hinaus und holte sich Schwämme und Morcheln. Darauf ließ ihm Simon ben Satah sagen: Wärest du nicht Honi, so würde ich dich in den Bann getan haben; würde nicht der Name Gottes entweiht worden sein, selbst wenn es Jahre gleich den (Hungers)jahren Elijahus wären, wo der Schlüssel des Regens in der Hand Elijahus war! ? Was aber kann ich gegen dich tun, wo du dich gegen Gott vergehst und er dir dennoch deinen Wunsch erfüllt, wie sich ein Kind gegen seinen Vater vergeht und er ihm dennoch seinen Wunsch erfüllt […].“ 42 Mit diesen unpolitischen Charismatikern verbindet Jesus die Verknüpfung von Wundertätigkeit mit Prophetie sowie die umstrittene Wundervoll‐ macht. 43 Allerdings wurde Jesus als politischer Rädelsführer und Zelot durch die Römer hingerichtet. 44 Das Spezifikum Jesu liegt in der Verknüpfung von Wundern und basileía-Botschaft (Mt 12,28par.). 2.3.3 Wundertäter im hellenistischen Raum Wunderkraft wurde in der Antike olympischen Göttern, Heroen, Halbgöt‐ tern, Philosophen und weltlichen Herrschern zugeschrieben. Zeitlich und inhaltlich enge Analogien zu Jesus bieten die Wunderberichte über Apollo‐ nius von Tyana (ca. 40-120 n. Chr.). 45 Andere Wunderberichte datieren ab dem 2. Jh. n. Chr. 46 a) Götter, Halbgötter und Heroen Homers Epen, Äsops Fabeln und andere Mythen berichten von großer Wunderkraft und -aktivität olympischer Götter, Heroen und Halbgötter. 47 So schwängert Göttervater Zeus in Verkleidung Frauen, Apollon greift in die Schlacht um Troja ein und Götter lenken die Irrfahrt des Odysseus. 75 2.3 Jesus und andere Wundertäter <?page no="76"?> 48 Schneider 2004. 49 Sueton, Vesp 7; Tacitus, Historiae 4,81,1-3; Cassius Dio 66,8. Weitere Beispiele bei Dormeyer 2014, 147. - Apk 13,13 f.; 2 Thess 2,9 nennen Kaiser und Statthalter als satanische Wundertäter. Halbgötter wie Herakles, Achill und Theseus vollziehen zuweilen phantas‐ tisch anmutende Wunder: Der Säugling Herakles erwürgt zwei Schlangen und bezwingt den Höllenhund Kerberos. Heroen von Troja wie Achill und Hektor haben übermenschliche Kräfte, sind aber von den Launen der Götter abhängig. - Die Götterwelt spiegelt menschliche Grundkonflikte, die Mythen begründen gesellschaftlich-religiöse Strukturen. Antiker Tem‐ pelkult und privater Kultus regulieren das Verhältnis zu den Göttern und strukturieren das tägliche Leben. 48 b) Menschliche Wundertäter Auch historische Führungsfiguren gelten als Wundertäter. So konnte Alexander der Große wie Mose das Meer zurückdrängen (Plutarch, Alexandros 17). Aristides konnte wie Jesus einen Sturm stillen (ders., Aristides 2,11 f.). Pythagoras wirkte angeblich Wunder unter Tieren (Iamblichus, VitPyth 8,36; 13,60-62), Vespasian wies sich durch Wunder als legitimer Kaiser aus: 49 „Über die Monate hin, in denen Vespasian in Alexandrien auf die an bestimmten Tagen einsetzenden Sommerwinde und (damit) auf sichere Seefahrt wartete, ereigneten sich viele Wunder, durch die, so meinte man, eine Gunst des Himmels und eine gewisse Zuneigung der Götter zu Vespasian gezeigt würde. Aus der alexandrinischen Plebs warf sich einer, der durch das Siechtum der Augen bekannt war, vor seine Knie und erbat mit Seufzen Heilung der Blindheit […] Und er bat den Fürsten, daß er Wangen und Augenlider bestreichen wolle mit dem Speichel des Mundes. - Ein anderer, krank an der Hand, bat […], daß sie durch Fuß und Fußsohle des Kaisers berührt würde. Vespasian lachte zuerst und lehnte ab. […] Schließlich befahl er, von Ärzten solle untersucht werden, ob solche Blindheit und Schwäche durch menschliche Kraft überwindbar seien. Die Ärzte stellten in verschiedener Richtung Erörterungen an: Bei den einen sei die Kraft des Augenlichtes nicht erloschen und könne zurückkehren, wenn Hindernisse beseitigt würden; bei einem anderen seien die Glieder wie verrenkt und könnten, wenn heilsame Gewalt angewendet würde, wiederhergestellt werden. […] Mit heiterer Miene vollbrachte er (Vespasian), während die Menge gespannt dastand, das Gewünschte. Sogleich wurde die Hand wieder gebrauchsfähig, und dem 76 2 Historische Fragestellungen <?page no="77"?> 50 Tacitus, Historiae 4,81; Text bei Berger / Colpe 1987, 37 f. (zu Mk 3,1-6parr.). 51 Dazu Busch 2005, 135 f. 52 Merz 2013, 113 (hier auch Quellenangaben). 53 Koskenniemi 2014, 181. 54 Zur Diskussion um den untauglichen Terminus ‚göttlicher Mensch‘ (gr. theíos anér) vgl. Kahl 2005, 108 f., Koskenniemi 2014, Dormeyer 2014, 146-150. 55 Zum Folgenden vgl. Kollmann 2013b, 132-135. - Zur Magie → 1.7.3. Blinden leuchtete der Tag von neuem. Beides erzählen auch jetzt noch Leute, die dabei waren, wo doch eine Lüge kein Gewinn mehr wäre.“ 50 Bekannte Wundertäter waren Apollonius von Tyana, Apuleius von Madaura und Alexander von Abonuteichos. 51 Philostrat (3. Jh. n. Chr.) beschreibt Heilungswunder und Totenerweckungen des Apollonius (VitApoll 4,45). Apollonius habe sich ähnlich wie Jesus mit einen Jüngerkreis umgeben und sich mit seinen Wundern zeitgenössischer Polemik ausgesetzt. 52 Laut Erkki Koskenniemi (* 1956) geben die Berichte eher Auskunft über den Wun‐ derglauben zur Zeit Philostrats als über den historischen Apollonius. 53 - Berichte über menschliche Wundertäter wirken ähnlich fiktiv wie Legenden über Halbgötter und Heroen. In diesem Kontext konnte Jesus von Nazareth als charismatischer, in göttlicher Vollmacht handelnder Wundertäter wahr‐ genommen werden. 54 2.3.4 Magier, Zauberer und Schamanen a) Magische Züge im Wunderwirken Jesu Einige ntl. Wundertexte Jesu haben magischen Anstrich, insbesondere Exor‐ zismen, Kontaktwunder und (Speichel-)Riten. 55 In der Beelzebul-Perikope wird Jesus satanischer Magie bezichtigt (Mk 3,22parr.). Beispiele: Die blutflüssige Frau wird durch Kontakt zur Kleidung Jesu ge‐ heilt (Mk 5,25-34). - Indirekte Kontakte zu den Aposteln lösen Wunder aus (Apg 5,15: Schatten; Apg 19,11 f.: abgelegte Kleidung). - Magische Formeln wirken Wunder (Mk 5,41: talita kum; Mk 7,34: hefata), ebenso wie Speichelbrei (Mk 8,22-26; Joh 9,6). - Das Christusbekenntnis von Dämonen (Mk 1,24; 5,7) diskreditiert Jesus als satanischen Magier (Mk 3,22-27; vgl. Euseb von Cäsarea, DemEv 3,103-134). - Jesus und Magier 77 2.3 Jesus und andere Wundertäter <?page no="78"?> 56 Lukian, Philopseudes 16; Jos Bell 7,6,3; Jos Ant 8,2,5 (Belege bei Theißen 1998, 94-98). 57 Kollmann 2014a, 24; ders. 2013b, 127. Kollmann weist auf die erstaunliche Aufnahme Jesu in die ägyptischen Zauberpapyri hin (2013b, 135, ausweislich PGM 4,1232 f.3019 f.). 58 Unter anderem Smith 1971; Kollmann 2013b, 137 ( Jesus sei ein ‚Magier der besonderen Art‘). - Forschungsüberblick bei Kollmann 2013b, 130-132. 59 Apk 13,13 f.; 2 Thess 2,9; vgl. Mt 24,5: Pseudopropheten und Pseudochristusse. 60 Vgl. die Magierpolemik in Apg 13,6-12; 16,16-18; 19,13-20. Abgrenzung gegen Magie findet sich weiter in Gal 5,20; Apk 9,20 f.; 18,23; 21,8; 22,5. 61 Aubin 2001; Busch 2001; ders. 2005. - Dormeyer 2014, 149, hält Jesus ausweislich des antiken Arztes Galen für einen schamanischen Wanderheiler (vgl. Drewermann 1985, 43-309). exorzieren gleichermaßen. 56 - Schweigegebote nach Heilungen ähneln Verstummungsbefehlen in Zauberpapyri. Jesu Erfolg belegt für die Evangelisten seine göttliche Vollmacht. Die Wahl der Wundermittel ist nicht entscheidend. Magisch anmutende Praktiken bringen Jesus und anderen Wundertätern wie Pythagoras, Empedokles und Apollonius von Tyana den Vorwurf der Magie ein. 57 Selbst manche Wun‐ derforscher etikettieren Jesus als Magier. 58 - Magie und göttlich gewirkte Wundertaten sind schwer unterscheidbar; satanische Mächte konnten gött‐ liche Wunder imitieren und führten Menschen damit in die Irre. 59 Matthäus reduziert daher magisch wirkende Praktiken Jesu. Apg 8 distanziert die Apostel scharf von (gewinnsüchtigen) Magiern. 60 - Gegen die Identifizie‐ rung Jesu als Magier sprechen das Fehlen magischer Fachliteratur und von Schadenzaubern sowie das Argument, dass Jesu Wundertaten nicht seinem Broterwerb dienen (→ 1.7.3). 61 b) Schamanische Deutung Jesu Empedokles, Epimenides und Pythagoras gelten in der Forschung als Scha‐ manen. Charakteristisch seien die Kontaktaufnahme mit Göttern und mit Geistern Verstorbener sowie Jenseitsreisen. Für Eugen Drewermann löste der Schamane Jesus psychische Probleme dadurch, dass er mit Gottes Hilfe die psychosomatische Harmonie wiederherstellte. Dieses Deutungsmuster erlaubt es, manche Wundertaten Jesu psychologisch-rational zu erklären. Allerdings lassen die Wundertexte selbst keine schamanischen Praktiken erkennen (→ 1.7.4). 78 2 Historische Fragestellungen <?page no="79"?> 62 Theißen 2014, 69-74, spricht von der Wirkungsplausibilität der Wunderüberlieferung, die aber nur Grundzüge einer Heil- und Exorzismustätigkeit Jesu betreffe. - Ähnlich Labahn 2014, 372. 63 Vgl. Erlemann 2011, 13-36. Ähnlich Münch 2013a, 144; Dunn 2003, 126; ders. 2007, 58. 2.3.5 Fazit: Die Außenwahrnehmung Jesu Der Durchgang zeigt die Bandbreite der möglichen Außenwahrnehmungen Jesu. Sie bewegt sich zwischen atl.-frühjüdischer Wunderprophetie und hell.-röm. Wunderphänomenen, Magie und Zauberei. Keine dieser ‚Schub‐ laden‘ ist passgenau. Historisch am plausibelsten ist Jesu Verortung bei den frühjüdischen Wunderpropheten. Von ihnen unterscheidet sich Jesus nur durch die Einbindung der Wunder in seine basileía-Botschaft. - Anders als die kanonischen rücken apokryphe Wundertexte Jesus in die Nähe antiker Halbgötter und Heroen. 2.4 Genese des Christusglaubens Die Wunder Jesu sind historisch nicht beweisbar. Die Evangelien sind keine Tatsachenberichte, sondern stellen die Bedeutung Jesu mithilfe authenti‐ scher Erinnerungen und passender sprachlicher Mittel heraus. Fakt und Fiktion sind nicht zu trennen. Klar erkennbar ist lediglich der Christusglaube der Evangelisten. Als dessen historisch plausible Grundlage sind freilich reale Erfahrungen und Begegnungen mit Jesus anzunehmen. Diese setzten nicht nur den den Christusglauben, sondern auch die Bildung christlicher Gemeinschaft und die Verschriftlichung der Jesuserinnerung in Gang. 62 Anders gesagt: Der Wunderglaube ist die kausale Folge historisch plausibler Ursachen, die im Folgenden entfaltet werden. 63 2.4.1 Das Charisma des erinnerten Jesus Der Weg in die Jüngerschaft mit allen sozialen Konsequenzen setzt eine Er‐ fahrung voraus, die so überzeugend, einschneidend und nachhaltig war, dass der neue Glaube selbst mit Jesu Tod nicht abriss, sondern weiterlebte und zu einer Weltreligion wurde. Diese Erfahrung hat mit dem überwältigenden Charisma Jesu zu tun. 79 2.4 Genese des Christusglaubens <?page no="80"?> 64 Mk 4,35; 6,30.46; 7,24; 9,30; 14,32; Lk 5,15 f. a) Überzeugende Erstbegegnungen Jesus, so die Texte, begeistert viele Menschen mit seiner basileía-Botschaft. Er transportiert eine essenzielle Hoffnung, ist authentisch, deckt seine Botschaft durch seine Persönlichkeit und seinen Lebensstil ab. Mitrei‐ ßende Überzeugungskraft, überzeugende Vision, persönliche Integrität, wertschätzender, aber auch autoritativer Führungsstil, Konfliktbereitschaft, Durchsetzungskraft und konsequente Parteinahme für die ‚Verlorenen‘ zeichnen sein Charisma aus. b) Eine faszinierende Vision Jesu Vision gründet im Glauben an den Gott Israels, der sogar unumstößlich scheinende natürliche, soziale und religiös-moralische Ordnungen auf den Kopf stellen kann (Magnificat, Lk 1,46-55). Er wird in Kürze eine Herrschaft des Friedens und umfassender Gerechtigkeit aufrichten, so die Botschaft. Diese Ansage deckt Jesus durch seinen integren, authentischen Lebensstil und durch wunderhafte Zeichen ab. Jesus, so die Texte, ist absolut unbe‐ stechlich. Gesellschaftliches Renommée und politische Macht bedeuten ihm nichts. Stattdessen orientiert er sich konsequent am Ersten Gebot (vgl. Mt 4,1-11parr.: Versuchung Jesu). c) Konsequente Lebenshingabe Jesus verzichtet auf äußeren Ruhm und vitale Interessen wie finanzielle Sicherheit, ein Dach über dem Kopf und Partnerschaft. Er stellt sein Leben in den Dienst der Notleidenden und Randständigen, deren Not sein Erbar‐ men auslöst. Mit seinen Taten setzt Jesus Zeichen der eschatologischen Zuwendung Gottes. Vorbehalte gegenüber Sündern oder Nichtjuden sind ihm fremd, ebenso Berührungsängste gegenüber Kranken und Unreinen. Toragebote deutet er im Sinne des umfassenden Liebesgebots um. Für diese Haltung scheut Jesus keinen Konflikt (Streitgespräche Mk 2 f. u. a.). Lediglich zum Krafttanken im Gebet zieht er sich zurück. 64 Jesu Lebenshingabe findet ihren konsequenten Abschluss im Kreuzestod. Den Texten zufolge verzich‐ tet er auf äußeren Widerstand, widersteht selbst der letzten Versuchung (Mt 27,39-44parr.) und bleibt bis zuletzt barmherzig und vergebungsbereit (Lk 80 2 Historische Fragestellungen <?page no="81"?> 65 Dazu ausführlich Erlemann 2017 und 2020. 22,51; 23,34.42 f.). Selbst für den röm. Hauptmann unter dem Kreuz wird er dadurch glaubwürdig (Mk 15,39parr.). d) Faszinierende, befreiende Lehre Jesus transportiert seine Botschaft ansprechend, begeisternd, überzeugend und provokant. Seine Gleichnisse öffnen Fenster zur heilvoll-befreienden Wirklichkeit Gottes und stellen traditionelle Gottesbilder, Moralvorstellun‐ gen, Verhaltensmuster und soziale Zustände auf den Kopf. 65 Damit werden Jesu Vision und Gottes befreiende Nähe schlaglichtartig konkret. Dazu passt Jesu Toraauslegung. Deren Fluchtpunkt ist das Wohl des Menschen, nicht die penible Einhaltung einzelner Paragraphen. Jesus agiert in Synagogen und im Tempel. Er zeigt sich im Schlagabtausch mit seinen Gegnern als bibelfester Schriftgelehrter. Die Gegner müssen sich ein ums andere Mal geschlagen geben (vgl. Mk 12,34b). e) Staunen erregende (Wunder-)Taten Staunenswerte Wundertaten sind eine weitere, historisch plausible Facette des Charismas Jesu. Die Texte stellen ihn als exklusiven Träger des Le‐ ben schaffenden Geistes Gottes (Mk 1,9-11parr.) bzw. als inkarnierten Schöpfungs-Logos Gottes dar ( Joh 1,1-18), der Menschen heilt und sogar wiedererweckt, ihnen Überfluss schenkt und Naturmächte überwindet. Man durfte von Jesus Wunder erwarten und konnte sie, in welchem Umfang auch immer, auch real erleben. 2.4.2 Begegnungen mit dem Auferstandenen Jesu Tod stürzte den Jüngerkreis in eine Krise. Der Kreuzestod passte weder zur messianischen Erwartung noch zur vorösterlichen Glaubensüberzeugung. Die Diskrepanz wurde erst durch den Osterglauben überwun‐ den. Wissenschaftlich-rationale Erklärungen wie Beweis oder Widerlegung des leeren Grabes, Grabraub-Hypothese und projektive Massenhysterie können das Ostergeschehen nicht hinreichend erklären. Dessen Wahrheit liegt auf einer anderen Ebene, ist aber historisch plausibel erklärbar. Die entscheidende Erfahrung der Osterzeugen lautet: ‚Er ist wieder da! ‘ Die Emmausgeschichte Lk 24,13-35 gestaltet sie narrativ aus. Die Trauer des 81 2.4 Genese des Christusglaubens <?page no="82"?> Jüngerkreises wandelt sich in Freude: Jesus ist wieder da - mitten in der Trauergemeinschaft! Im Vollzug des Brotbrechens erfahren die Versam‐ melten Jesu österliche Präsenz geradezu körperlich. Sie erkennen: Der Gekreuzigte ist auferstanden und: Der Auferstandene hat eine verwandelte Leiblichkeit, die ihn physikalische Grenzen überschreiten lässt. Für den Jüngerkreis ist Jesus ‚leibhaftig‘ erlebbar und dennoch unverfügbar (Lk 24,30 f.; vgl. das noli me tangere von Joh 20,17). Der ungläubige Thomas darf sich von der physischen Identität des Auferstandenen überzeugen. Ein Glaube, der ohne solches Sehen auskommt, gilt als ungleich schwieriger und wird seliggepriesen ( Joh 20,24-29). Diese intensive Ostererfahrung zieht folgerichtig den Glauben an Jesu leibliche Auferstehung nach sich. Jesus ist zurück im Leben; deshalb muss sein Grab leer sein! Diese Argumentation stellt die rationale Beweisführung auf den Kopf: Nicht entscheidet das leere Grab über die Wahrheit des Oster‐ glaubens, sondern umgekehrt begründet die historisch plausible Erfahrung der Osterzeugen den Osterglauben und die Rede vom leeren Grab! 2.4.3 Konsequenzen für den Wunderglauben Die beschriebenen Begegnungen begründen den nachösterlichen Christus- und Wunderglauben. Dieser besteht im Kern aus folgenden Erkenntnissen: a) Jesus war der Gottessohn! Jesus erfüllte durch sein charismatisches Auftreten die messianischen Hoff‐ nungen seiner Zeit, daher musste er der angekündigte davidische Messias sein! Jesus war, so die Erinnerung der Evangelien, Gott nah wie kein anderer, hatte göttliche Vollmacht, verkündigte authentisch den Gott Israels und dessen nahe basileía, brachte umfassende Hoffnung und starb einen für die Menschen heilbringenden Tod. Aus diesem wurde er von Gott erweckt und zu seiner Rechten erhöht. b) Jesus hatte Schöpfervollmacht! Als Gottes Sohn hatte Jesus göttliche Schöpfervollmacht. Seine Verkündi‐ gung war inspiriert und autorisiert; er war der einzig legitime Exeget Gottes (so Joh 1,18). Seine Toraauslegung und sein Umgang mit Menschen waren autoritativ und richtungsweisend. Die Schöpfervollmacht befähigte Jesus zu machtvollen Wunderzeichen. Sie zeigten punktuell Gottes Willen und 82 2 Historische Fragestellungen <?page no="83"?> 66 Mit Berger 1991, 109: Die Erfahrung des Charismas Jesu war die Erfahrung göttlicher Macht. 67 Claußen 2007, 13, wertet die Veränderungen nicht als Verfälschungen, sondern als rezeptionsästhetisch notwendige Variationen; vgl. Dunn 2007, 58. Herrschaft, in ihnen manifestierte sich die Vision eines Lebens in Fülle. Die Historizität der Wundertaten kann nicht, muss aber auch nicht bewiesen werden. An ihnen hängt nicht die Glaubwürdigkeit des Ganzen, sondern umgekehrt gilt: Wer die Glaubenserfahrungen der ersten Jüngerinnen und Jünger teilen kann, der hält auch Wunder für möglich! 2.4.4 Fazit: Von Begegnungen zum Glauben Der plausible historische Haftgrund für den nachösterlichen Christus- und Wunderglauben liegt in Begegnungen und Erfahrungen der Menschen mit dem umfassenden Charisma Jesu und mit seiner selbst nach Ostern noch leibhaftig spürbaren Präsenz. 66 Die Erinnerungen der Evangelien vermitteln ein historisch kohärentes und glaubwürdiges Bild, auch wenn manche Details nachösterlicher Stilisierung geschuldet sein mögen. 67 Ohne die Begegnungen mit Jesus und seinem Charisma, ohne die Erfahrung der Emmausjünger ist die christliche Glaubensgeschichte nicht schlüssig zu erklären. Ob man das in den Wundertexten Erzählte für historisch möglich hält oder nicht, entscheidet sich einzig und allein daran, ob man sich die Ersterfahrungen der Jüngerinnen und Jünger zueigen macht oder nicht. Welche Wunder historisch sind und welche nicht, ist letztlich unerheblich. 2.5 Zwischen Glauben und Ablehnung Die Wundertexte verweisen auf ein historisches Geschehen (faktualer Charakter → 1. 7. 10). Selbst Gegner und Skeptiker Jesu und der Apostel konzedieren das wunderhafte Geschehen. Umstritten ist die Frage der Kraftquelle, der Vollmacht. In ihr sehen die Evangelien den Grund für die Ablehnung und Tötung Jesu. 83 2.5 Zwischen Glauben und Ablehnung <?page no="84"?> 68 Beispiele für positive Reaktionen sind: Die Schwiegermutter des Petrus dient Jesus (Mk 1,31), der Gerasener macht Werbung für ihn (Mk 5,20), die verkrümmte Frau und einer von zehn geheilten Aussätzigen preisen Gott (Lk 13,13; 17,15), der königliche Beamte glaubt ( Joh 4,53). 69 Das gr. Wort exhistánai bedeutet auch ‚außer sich geraten‘ bzw. ‚in Ekstase geraten‘ (Textbelege: Mt 8,27; Mk 1,27; 5,42; 6,50 f.; 7,37; Lk 8,56; 9,43). Das Entsetzen kann auch mit Lobpreis einhergehen (Mt 15,31; Mk 2,12; Lk 7,16). 70 So Mk 5,34; 6,44; 7,30; 8,8.26; 9,27; Lk 7,10; Joh 2,10; 5,9; 11,44. 2.5.1 Die polarisierende Wirkung der Wunder Die in den Wundertexten geschilderten Reaktionen sind gegensätzlich: Die einen wundern sich, kommen zum Staunen, preisen Gott und folgen Jesus nach 68 , die anderen sind erschrocken oder entsetzt 69 , sprechen Jesus die Vollmacht ab und beschließen seinen Tod. Einige Erzählungen enden ohne erkennbare Reaktion. 70 Beispiele: Augenzeugen wollen nach dem Speisungswunder Jesus zum König küren ( Joh 6,15). Die Sturmstillung löst bei den Jüngern (Got‐ tes-)Furcht aus (Mk 4,35-42parr.). Beim Seewandel halten sie Jesus für ein Gespenst und verstehen nichts (Mk 6,45-52). Aus Furcht vor der Präsenz des Göttlichen bitten die Gerasener Jesus, ihr Land zu verlassen (Mk 5,16 f.; vgl. Petrus in Lk 5,8). Bartimäus folgt Jesus nach (Mk 10,46-52). Die Heilung der verdorrten Hand (Mk 3,1-6parr.) führt zum Tötungsbeschluss gegen Jesus. Mitunter prallen positive und negative Reaktionen auf die Wunder Jesu auch direkt aufeinander. Hier wird die polarisierende Wirkung besonders deutlich. Beispiele: Der geheilte Blindgeborene kommt zum Glauben, die Pharisäer lehnen Jesus ab ( Joh 9). Die Erweckung des Lazarus weckt Glauben und provoziert zugleich den Tötungsbeschluss gegen Jesus ( Joh 11 f.). Ein Exorzismus führt zur Christuserkenntnis und zur Vollmachtsfrage (Mt 12,22-30parr.) Wunder führen die einen zum Glauben, für andere ist Jesu Vollmacht suspekt (Mt 9,34; Mk 3,22.30); Die Pharisäer unterdrücken offene Bekenntnisse des 84 2 Historische Fragestellungen <?page no="85"?> 71 Joh 9,22; vgl. Joh 7,50-53: Nikodemus. - Eine Ausnahme ist der Gesinnungswandel der Skeptiker in Lk 13,10-17. 72 Vgl. weiter Mt 16,1-4parr.; Mk 8,11 f.; Joh 6,30 sowie Lk 23,8; Joh 4,48 und 1 Kor 1,22. 73 Vgl. Mk 13,24-27parr.; Joh 16,25 f.; Röm 8,19 und 1 Kor 13,12. - Zur eschatologisch-kri‐ tischen Funktion der Gleichnisse vgl. Erlemann 2008. Volkes. 71 Wunder provozieren, sich für oder gegen Jesus zu positionieren. Die Evangelien geben regelmäßig niedrige Beweggründe als Grund der Ablehnung Jesu an. 2.5.2 Vollmachtsfrage und Zeichenforderungen Paradigmatisch wird die Vollmachtsfrage im Anschluss an den Exorzismus eines Taubstummen gestellt (Mt 12,22-30parr.). Den aufkeimenden Glauben der Augenzeugen torpedieren die Pharisäer mit der Behauptung, Jesus treibe Dämonen „durch Beelzebul, den Obersten der Dämonen“ aus (V. 24). Im anschließenden Streitgespräch widerlegt Jesus die Pharisäer mit einem Weisheitsgleichnis, entlarvt ihren Selbstwiderspruch (V. 25-29) und nennt den Geist Gottes als seine Kraftquelle. Jesu göttliche Vollmacht zeigt sich im Exorzismus und in seiner autoritativen Argumentation. - Die Gegner fordern daraufhin ein legitimierendes Zeichen (gr. semeíon, Mt 12,38), sprich: die sichtbare Legitimierung seiner Vollmacht. Jesus lehnt dies ab. 72 Einzig das ‚Zeichen des Jona‘, das heißt seine Auferstehung nach drei Tagen, gesteht er zu (Mt 12,39-41). - Die Perikope unterstreicht: Bei den Wundern Jesu geht es nicht um Beweiskraft, sondern um Glauben. Schon in der Begegnung mit Satan in der Wüste (Mt 4,1-11parr.) entschei‐ det sich Jesus gegen Allmachtsdemonstrationen. Damit wird von vornherein deutlich gemacht: Jesus geht den Weg des Machtverzichts; er folgt nicht der Strategie des Bösen, sondern dem Ersten Gebot. Wer ihn von diesem Weg abzubringen versucht wie Petrus, wird als Satan gegeißelt (Mk 8,32 f.). Jesus verzichtet, so die Texte, bis zum Schluss auf Machtdemonstrationen (Mk 15,30-32parr.). Das bringt den röm. Soldaten unter dem Kreuz zum Christusbekenntnis (Mk 15,39parr.). Mit den Zeichenforderungen verarbeiten die Evangelien das Problem der Verwechselbarkeit Jesu und seiner Wundertaten. Ihre Lösung lautet: Wun‐ der sind Provokationen zum Glauben und Wegmarken, an denen sich die Spreu vom Weizen trennt. Die Wunder haben eine eschatologisch-kritische Funktion. Allgemein sichtbar wird ihre Wahrheit erst bei der Parusie Christi, so die Überzeugung. 73 85 2.5 Zwischen Glauben und Ablehnung <?page no="86"?> 74 Mk 1,25.44; 3,12; 5,43; 8,26; 9,9. 75 Zur synoptischen ‚Parabeltheorie‘ vgl. Erlemann 2008 sowie ders. 2020, 104. 76 Esoterisch nicht im Sinne modern-esoterischer Praktiken, sondern im apkl. Sinne einer endzeitlichen, von Jesus forcierten Scheidung zwischen wissenden Insidern und nichtwissenden Outsidern. 77 Wrede 1901; Gnilka 1978, 224 f.; Dormeyer 2013b, 196 ff. 78 Vgl. die Blinden in Mt 9,30 f., den Gelähmten in Mk 1,44 f. und die Augenzeugen in Mk 7,36. 2.5.3 Das Problem der Schweigegebote Die Schweigegebote vornehmlich am Ende mk. Wundertexte 74 dienen ebenfalls dem Zweck eschatologischer Scheidung zwischen glaubenden Insidern und nicht-glaubenden Outsidern. Vergleichbar der ‚Parabeltheorie‘ Mk 4,10-13parr., bleibt die Erkenntnis über Jesus und die basileía Gottes so lange wie möglich den Jüngern (vgl. Mk 8,27-30parr.! ) und Geheilten vor‐ behalten. 75 Das deutet auf einen esoterischen Grundzug der mk. Christologie hin. 76 Auch das erklärt die Ablehnung Jesu und ist zugleich ein Appell an die Leserschaft, sich auf die Seite der Insider zu schlagen, um Zugang zu Gottes Heil zu bekommen (symbuleutische Funktion). Die Gegner Jesu fungieren in den Wundertexten als Negativvorbilder. Exkurs: Die mk. Schweigegebote werden, davon abweichend, tradi‐ tionell dem sogenannten Messiasgeheimnis zugeordnet. Diesem Kon‐ zept zufolge sollen sie einem Missverständnis der Wundertaten als Beweisen der Messianität Jesu vorbeugen und den Blick auf das Ostergeschehen als Schlüssel zum Wunderverständnis lenken (Mk 9,9). Implizit kritisierten sie einen oberflächlichen Mirakelglauben. 77 Die Schweigegebote und deren sporadische Durchbrechung 78 erklären auch das Schicksal Jesu bis ans Kreuz, so das Konzept (→ 4.4.1). Hintergrund der Überlegungen ist eine Zweistufenchristologie: Jesus wirkte auf Erden weithin unerkannt und wird bei seiner Parusie von allen erkannt werden. Das erklärt historisch Jesu Schicksal und passt theologisch zur Beobachtung, dass sein Wirken (wie überhaupt das Wirken Gottes in der Welt) Glauben provozieren sollte. Jesu Unverwechselbarkeit bei der Parusie 86 2 Historische Fragestellungen <?page no="87"?> 79 Dazu vgl. Mt 12,15-21 (Schweigegebote weisen Jesus als den verwechselbaren Gottes‐ knecht aus, vgl. Jes 42,1-4) und Apk 22,11 (Aufruf, bei der eingenommenen Position zu bleiben). ‚Lauheit‘ gilt in der apkl. Endphase als Kardinalsünde (Apk 3,15 f.). 80 Guijarro 2002, 74, sieht in den Exorzismen einen Grund für die Ablehnung Jesu: Mit seinem Handeln, so Guijarro, schloss Jesus „Besessenheit als Fluchtmöglichkeit aus sozialen Spannungen aus und störte gerade damit die bestehende Ordnung.“ Exorzismen sind damit als deviantes Verhalten bzw. als Durchbrechung sozialer Regeln gemarkert. 81 Gott allein konnte Sünden vergeben, vgl. die Jom-Kippur-Ordnung Lev 16. 82 Mt 3,1-10parr.; 7,15-23; 12,41 f.parr.; 23,1-36; Lk 13,28-30; vgl. Joh 8,37-45. 83 PsSal 17,32; 18,5-7; 1 QS 9,11.7; Mk 12,13-17parr.; Mk 12,35-37parr.; Joh 6,15. markiert das Ende der Möglichkeit, sich glaubend oder nicht-glaubend zu positionieren. 79 2.5.4 Kult- und sozialkritischer Sprengstoff Die Heilung nicht kultfähiger, ‚unreiner‘ Menschen, die Zuwendung zu Sündern und Zöllnern und erst recht die Reintegration jener Personen in Kult und Gemeinschaft rührte an die sozialen und religiösen Grundlagen der Zeit und provozierte energischen Widerstand seitens der jüdischen Führungsschicht. 80 Beispiele: Dem geheilten Aussätzigen befiehlt Jesus zu schweigen und schickt ihn zu den Priestern, um seine Kultfähigkeit zu zeigen (Mk 1,40-44; vgl. Lk 17,14). Die Durchbrechung des Schweigegebots zwingt Jesus zum Rückzug an einsame Orte (Mk 1,45). - Die Sabbatheilung des Blindgeborenen provoziert eine heftige Debatte, die mit dem Rauswurf des Geheilten aus der Synagoge endet ( Joh 9,34; vgl. Mk 3,1-6). - Jesu Zuspruch der Sündenvergebung gilt als gotteslästerliche Kompetenz‐ überschreitung (Mk 2,5 f.). 81 Jesus transportiert mit seinem Wirken auch ein provokantes Bild von Gott, der sich den ‚Verlorenen‘ in Israel und Nichtjuden zuwendet. Ansagen Johannes des Täufers und Jesu, wonach am Ende möglicherweise andere in den Genuss der Verheißungen kommen als die angestammten Verheißungs‐ träger, sind ein Affront. 82 Auch passt das (un-)politische Verhalten Jesu nicht zur Erwartung eines politischen Messias. 83 Die Ablehnung Jesu entzündet sich demnach am Konflikt um politische, religiöse und gesellschaftliche Macht und Deutungshoheit. 87 2.5 Zwischen Glauben und Ablehnung <?page no="88"?> 2.5.5 Fazit: Eschatologisch-kritische Funktion Die Evangelien arbeiten die polarisierende Wirkung der Wunder Jesu heraus. Die Wunder an sich stehen demnach außer Frage; Streitpunkt ist die Wundervollmacht. Die Wunder sind, was ihre Wirkursache angeht, uneindeutig und verwechselbar. Wer Jesus Glauben schenkt, sieht in den Wundern Gott am Werk, wer ihn ablehnt, stuft sie als satanisch gewirkte Magie ein. Wunder zielen auf glaubende Zustimmung und auf Lobpreis des Schöpfergottes. Die Geheilten und Augenzeugen, die zum Glauben finden, fungieren in den Wundertexten als Vorbilder. Die Wunder Jesu befördern den Trennungsprozess zwischen glaubenden Insidern und nicht-glaubenden Outsidern. Schweigegebote sollen diese Trennlinie zementieren. Zeichenforderungen lehnt Jesus ab; das unter‐ streicht die Funktion der Wunder. Die polarisierende Wirkung erklärt, weshalb Jesus trotz seines göttlichen Charismas abgelehnt und hingerichtet wurde; niedrige Beweggründe wie kultisch-politischer Machterhalt und religiöse Deutungshoheit spielen dabei eine zentrale Rolle. Die Wundertexte appellieren mit dieser Darstellung an die Leserschaft, zu Insidern zu werden bzw. in die Nachfolge zu treten. 2.6 Ergebnis: Die historische Plausibilität der Wunder Jesu Jesus von Nazareth war eine schillernde Figur. Seine Außenwahrnehmung oszillierte, er ließ sich nicht eindeutig einer bestimmten Gruppe zuordnen. Einige Wunder hatten magische Züge. Teilweise erinnerte Jesus an atl. und frühjüdische Wunderpropheten, teilweise war er als Halbgott oder menschlicher Wundertäer hell. Couleur wahrzunehmen. Sein Eigenprofil besteht in der Verbindung von Wundertaten und Reich-Gottes-Botschaft. In den Wundertaten wird punktuell und anfanghaft sichtbar und spürbar, was von Gottes Herrschaft zu erwarten ist: das Ende von Unrecht, Ausgrenzung, Krankheit, Leid, existenzieller Not und Tod. Die Wundertaten und -texte machen Gott in seiner Schöpfermacht, aber auch in seiner umfassenden Gerechtigkeit und Güte publik. Diese Botschaft provoziert und polarisiert. Gesellschaftlich Etablierte in Machtpositionen fühlen sich angegriffen und reagieren mit Widerstand, die Marginalisierten begegnen Jesus mit Hoffnung und Glauben. Mit ihrer polarisierenden Wirkung befördern die Wunder die eschatologische Schei‐ 88 2 Historische Fragestellungen <?page no="89"?> dung (gr. krísis) zwischen Glaubenden und Unglaubenden. Der esoterische Zug im Wirken Jesu (vgl. die mk. Schweigegebote und die ‚Parabeltheorie‘ Mk 4,10-13parr.) unterstreicht das apokalytisch gefärbte Geschichtsbild, in welches das Wirken des erinnerten Jesus eingezeichnet wird. In diesem Rahmen appellieren die Wundertexte an die Leserschaft, Jesu Vollmacht anzuerkennen und zu Insidern zu werden. Die Historizität der Wunder ist nicht beweisbar. Wunder als Facette des Charismas Jesu gehören jedoch zu den plausiblen Wirkursachen für den sich entwickelnden Christusglauben. Reale Erfahrungen und Begegnungen der Menschen mit dem Charisma Jesu und mit der Präsenz des Auferstandenen erklären, wie sich der Christusglaube trotz des Traumas von Karfreitag fortsetzen und durchsetzen konnte. Nicht verbürgt die historische Wahrheit der Wunder die Glaubwürdigkeit des Evangeliums, sondern umgekehrt ver‐ bürgen historisch plausible Begegnungen und Erfahrungen die Wahrheit des Christusglaubens und der Wunder. Nicht verbürgt die historische Wahrheit des leeren Grabes die Glaubwürdigkeit der Auferstehung Jesu, sondern umgekehrt verbürgen historisch plausible Erfahrungen des Jüngerkreises die Wahrheit des Osterglaubens. 89 2.6 Ergebnis: Die historische Plausibilität der Wunder Jesu <?page no="90"?> Grafik: Zur Genese des christlichen Wunderglaubens Begegnungen und Erfahrungen mit dem Charisma Jesu inkl. Wunder christologische Erkenntnis: Jesus ist Messias und Gottes Sohn! (Wunder-)Glaube polarisierende Wirkung Nachfolge der Wunder Jesu Tod und Auferstehung Jesu leeres Grab Osterbegegnungen und -erfahrungen (‚Er ist wieder da! ‘) Osterglaube Gemeinde Jesusüberlieferung inkl. Wundererzählungen als authentische Erinnerung Zur Genese des christlichen Wunderglaubens 90 2 Historische Fragestellungen <?page no="91"?> 1 Kollmann 2002, 10. 3 Grundlinien der Wunderforschung Die Abschnitte 3.1-3.4 skizzieren den Verlauf der Wunderdeutung bzw. -forschung von den Anfängen bis heute. Abschnitt 3.5 bündelt kritisch die Forschungsergebnisse anhand leitender Forschungsalternativen. Weiter‐ führende Überlegungen zur Wundertheorie und -definition (Abschnitt 3.6) schließen das Kapitel ab. 3.1 Wunderdeutung bis zur Neuzeit Das antike Deutungsspektrum zu Wundern und Wundertexten reicht von naiver Volksfrömmigkeit über rationale, mythische, allegorische Deutung, bis hin zu grundsätzlicher Skepsis, Spott, Unterscheidung zwischen adýnata und parádoxa sowie intellektueller Polemik. Die intellektuelle Wunderkritik spricht gegen die Annahme einer allgemeinen Wundergläubigkeit. Bernd Kollmann resümiert: „Jenseits gezielter Reflexion über eine bestimmte naturgesetzliche Ordnung und deren Durchbrechung stellt ein Wunder im antiken Denken ein Aufsehen erre‐ gendes Geschehen dar, das außerhalb des Gewohnten liegt und Hinweischarakter auf eine höhere Macht hat.“ 1 3.1.1 Biblische und altkirchliche Deutung Das biblische Wunderzeugnis setzt Gottes Allmacht und die seines Soh‐ nes glaubend voraus; grundsätzliche Wunderkritik findet sich nicht. Die Reaktion der Betroffenen reicht von Erstaunen und Entsetzen bis hin zu ekstatischer Begeisterung und Lobpreis. Selbst Jesu Gegner stellen seine Wunderkraft nicht in Zweifel (Mk 3,22-27; vgl. Apg 4,7); stattdessen fragen sie nach der (göttlichen oder satanischen? ) Herkunft seiner Wundervoll‐ macht (Mt 12,22-30parr.). Biblischer Wunderglaube und antike Wunderkritik hinterlassen ihre Spu‐ ren in der christlichen Wunderdeutung bis zur europäischen Aufklärung. <?page no="92"?> 2 Frenschkowski 2014, 305. 3 Augustin, De Civitate Dei XXI, 8. 4 Luz 1990, 69-73. 5 Thomas von Aquin, STh I 105-110. 6 A. a. O., I 105; III 43. 7 Ohst 2004, 404, weist auf damit verbundene Ablassversprechen hin. 8 Johannes Gerson, Tractatus contra Sectam Flagellantium, 664 A-B (Hinweis bei Ohst, ebd.). Zur Verteidigung der christlichen Wahrheit und der biblischen Wundertexte verweist Justin der Märtyrer (ca. 100-165 n. Chr.) auf religionsgeschichtli‐ che Analogien zwischen den Wundern Jesu und denen des Asklepios ( Justin, Apologia I 22): „Sagen wir endlich, er habe Lahme, Gichtbrüchige und von Geburt an Sieche gesund gemacht und Tote erweckt, so wird das dem gleich gehalten werden können, was von Asklepios erzählt wird.“ Johannes Chrysostomos (ca. 349-407 n. Chr.) äußert sich zu angeblichen Wundern seiner Epoche skeptisch; Wunder seien ausschließlich eine Er‐ scheinung der christlichen Anfangszeit. 2 Gregor von Nyssa (ca. 338-nach 394 n. Chr.) ist noch skeptischer: Wunderglaube sei ein Produkt mangelnder Kenntnis der Naturgesetze. Augustin von Hippo (354-430) sieht in den Wundern nicht notwendige Zeichen der Botschaft Gottes. 3 Im Mittelalter gelten Wunder weithin als Beweise für Gottes Wirken in der Welt. 4 Thomas von Aquin (1225-1275) argumentiert: Da Gott alleinige Wirkursache der Naturgesetze sei, könne er allein auch Wunder tun. 5 Diese dienten der Bekräftigung der Wahrheit der Botschaft Christi; Gott als Wirkursache habe die Wunder an der Naturordnung vorbei gewirkt. 6 Im Hochmittelalter lösen zahllose Wunderberichte im Kontext von Hei‐ ligen- und Reliquienverehrung Massenhysterien aus, die sich zu Wallfahrten verstetigen. 7 Angesichts dieses Wildwuchses verstärkt sich die Wunderkri‐ tik. Johannes Gerson (1363-1429) plädiert für ein spirituelles Wunderver‐ ständnis; die biblischen Wunder seien in den kirchlichen Sakramenten bleibend aufgehoben. Gegenwärtigen Wunderphänomenen sei prinzipiell zu misstrauen; sie könnten auch satanischer Herkunft sein. 8 Die rationale Wunderskepsis schlägt sich unterdessen in allegorischer Auslegung nieder. So steht etwa der blinde Bartimäus (Mk 10,46-52) sinn‐ bildlich für das mit Blindheit geschlagene, unerlöste, heidnische Menschen‐ 92 3 Grundlinien der Wunderforschung <?page no="93"?> 9 Luz 1997, 171, ausweislich Gregor d. Gr. und Erasmus. Vgl. Gnilka 1979, 112. 10 Luz 1997, 171; Gnilka 1979, 112. - Weiterhin wird Jericho als Typus der Erde, Jerusalem als Metapher für die himmlische Welt gedeutet. Die Menschen um Jesus seien diejeni‐ gen, die den Blinden zur heidnischen Philosophie oder zum jüdischen Gesetz verführen wollen. 11 Ohst 2004, ausweislich Luther, Vorrede zum Septembertestament 1522 (WA. DB 6,10). 12 Ausführlich dazu Ohst 2015: Während die Katholische Kirche die Kontinuität wunder‐ hafter Ereignisse von den Anfängen bis in die Gegenwart als Beweis für die Legitimität des Papsttums wertete, beschränkte sich der Protestantismus auf die Deutung der biblischen Wundertexte und auf das eine Wunder der Versöhnung des Menschen mit Gott sola gratia bzw. sola fide. 13 Mit Gnilka 1979, 112, unter Rekurs auf Beda, Theophylakt und Erasmus von Rotterdam. geschlecht, das von Jesus zur Erkenntnis geführt wird (vgl. Mt 20,29-34). 9 Grundlage allegorischer Deutung ist das metaphorische Verständnis von ‚Blindheit‘ im Sinne innerer Blindheit bzw. des Unglaubens. Die Blindenhei‐ lung steht für die Erleuchtung, die zum ‚Sehen‘, das heißt zum Glauben, führt. 10 3.1.2 Wunder in der Reformationszeit Martin Luther (1483-1546) wertet die Wunder als Wirkursache des Glau‐ bens ab. 11 Das größte Wunder sei Jesu rettendes Wort (WA 14,312). Wunder seien, in Weiterführung von Johannes Chrysostomos, ein frühchristliches Phänomen. Wunderhafte Heiligenlegenden stellt Luther nicht in Abrede, macht ihre Relevanz jedoch davon abhängig, ob sie den rechtfertigenden Glauben fördern oder nicht (WA 10 / 3,81; 14,379). Wunder, die gute Werke provozieren wollen, lehnt Luther als Blendwerke des Antichristen ab (WA 34 / 2,441; 45,262). - In nachreformatorischer Zeit ist die Wunderfrage ein kontroverstheologisches Thema. 12 3.1.3 Fazit: Allegorisch-spirituelle Deutung 1600 Jahre Wunderauslegung zeigen ein ambivalentes Bild: Eine teils aus‐ ufernde Wunderfrömmigkeit steht einer großen Skepsis führender Theolo‐ gen, was die historische Wahrheit der Wundertexte anbelangt, gegenüber. Die Skepsis zeigt sich an der allegorischen und spirituellen Auslegungs‐ tendenz 13 ; die supranaturale Wunderdeutung erfuhr demnach reichlich skeptisch-rationalen Widerspruch. 93 3.1 Wunderdeutung bis zur Neuzeit <?page no="94"?> 14 De Spinoza 1994, Kapitel 6. 15 De Spinoza 1994, 106, gegen Thomas von Aquin (→ 3.1.1). 16 Reimarus 1775. 3.2 Wunderdeutung in der Neuzeit Die im 17. Jahrhundert aufkommende, europäische Aufklärung erhebt den naturwissenschaftlich-rationalen Wahrheitsbegriff zur erkenntnistheoreti‐ schen Norm und stellt den (Wunder-)glauben grundsätzlich infrage. 3.2.1 Ausgangspunkt / Grundlagen Mit der menschlichen ratio als Messlatte dessen, was wahr sein kann, wird die Kongruenz mit den deterministisch gedachten Naturgesetzen das entscheidende Beurteilungskriterium auch für biblische Wundertexte. An diesem Kriterium müssen sie scheitern; Wunder gelten fortan als Märchen oder Mythen bzw. als Ereignisse, die mangels Kenntnis der Naturgesetze lediglich für Wunder gehalten wurden. Mit der Wunderfrage steht die Wahrheit der Bibel und des Glaubens insgesamt auf dem Prüfstand. Baruch de Spinoza (1632-1677) argumentiert, „daß alle wirklichen Geschehnisse, von denen die Schrift berichtet, sich wie überhaupt alles notwendig nach den Naturgesetzen zugetragen“ 14 haben müssten. Da Gott nicht die von ihm selbst geschaffenen Naturgesetze habe durchbre‐ chen können (Selbstwiderspruch Gottes! ), seien Wundertexte bildhaft-me‐ taphorisch, als wissentliche Irreführung oder als Berichte über rational erklärbare Vorgänge zu interpretieren. 15 In der Folge wird Wunderglaube als ungebildeter Aberglaube oder als Phantasieprodukt zur Stillung menschli‐ cher Sehnsüchte angesehen. Hermann Samuel Reimarus (1694-1768) sieht in der Inszenierung von Wundern eine vorsätzliche Irreführung leichtgläubiger, wundersüchtiger und unwissender Menschen durch Jesus und die Apostel. 16 Die Grabraub‐ these (die Jünger hätten Jesu Leichnam entwendet, um seine Auferstehung behaupten zu können) wird zum Ausgangspunkt der weiteren Wunderdis‐ kussion. - Auch David Hume (1711-1776) äußert sich wunderkritisch: Dem subjektiven Zeugnis angeblicher Augenzeugen sei weniger zu trauen als 94 3 Grundlinien der Wunderforschung <?page no="95"?> 17 Kollmann 2014a, 5. 18 Hume 1993, 134; vgl. Alkier 2001, 4. 19 Weder 1986, 55. 20 Berger 1999, 70.192. 21 Weder 1986, 59, ausweislich C. F. von Weizsäckers Feststellung, die mathematische Naturwissenschaft sei der ‚harte Kern der Kultur des neuzeitlichen Europas‘ (von Weizsäcker 1977, 93). 22 Bultmann 1960, 15: „Das Weltbild des Neuen Testaments ist ein mythisches“. 23 Weder 1986, 49; Bultmann 1954, 15. - Von hier aus stellt sich die Aufgabe einer (Neu-)Interpretation der mythischen Sprachform → 3.3.2. der Evidenz einer vernunftgemäßen Erklärung des Geschehens. 17 Wunder gehörten zum Aberglauben von Ungebildeten: „Ein Wunder ist eine Verletzung der Naturgesetze, und da eine feststehende und unveränderliche Erfahrung diese Gesetze gegeben hat, so ist der Beweis gegen ein Wunder aus der Natur der Sache selbst so vollgültig, wie sich eine Begründung durch Erfahrung nur irgend denken läßt.“ 18 Für Ludwig Feuerbach (1804-1872) sind Wundertexte Projektionen kind‐ lich-menschlicher Sehnsüchte. Der rational denkende Erwachsene sei auf solche Projektionen nicht mehr angewiesen. Das rationalistische Weltverständnis orientiert sich an den Naturwissen‐ schaften: Die Welt ist aus sich selbst, nicht aus Gott heraus zu begreifen. Was noch rätselhaft ist, wird peu à peu wissenschaftlich erklärt werden. 19 Wahr ist nur das, was rational erklärbar ist oder der Vernunft zumindest nicht widerspricht; hierin spiegelt sich der rationalistische Universalismus der Moderne. 20 Die Auskunft von Hans Weder (* 1946) bestätigt und bekräftigt das: „Vor dem zunehmenden Hang, die naturwissenschaftliche Verfaßtheit unseres Denkens bezweifeln zu wollen, kann nicht genug gewarnt werden.“ 21 Im Gefolge gerät die Theologie in die Defensive und sieht ihre Aufgabe oftmals nur noch in der Deutung noch bestehender Welträtsel. Das moderne wird mit dem ntl. Weltbild kontrastiert. 22 Leitend sei hier die Einteilung der (scheibenartig vorgestellten) Welt in drei Stockwerke (Himmel, sichtbare Welt, Unterwelt) und der Beeinflussung der sichtbaren Welt durch die anderen Sphären; der Mensch sei Ort des kosmischen Kampfes zwischen Gott und Dämonen. Dementsprechend werde das biblische Heilsgeschehen in mythischer Sprache verkündigt. 23 Dieses Weltbild sei modernen, rational denkenden Menschen nicht mehr zumutbar; wer es dennoch tut, begehe 95 3.2 Wunderdeutung in der Neuzeit <?page no="96"?> 24 Bultmann 1954, 17. 25 Vgl. Wagner 1997, 173. 26 Zum Gegenüber von theologischen Rationalisten und Supranaturalisten vgl. Wagner 1997, 174 f. 27 Das rationalistische Erklärungsmuster ist bis in die Gegenwart erkennbar, vgl. etwa den Bestseller Und die Bibel hat doch Recht von Werner Keller (1955). ein sacrificium intellectus. 24 Von hier aus ergibt sich die Vermittlung beider Weltbilder als hermeneutische Kernaufgabe der Theologie. 3.2.2 Rationalistische Wunderdeutung Die folgenden Ausführungen gründen auf Albert Schweitzers kritischer Bi‐ lanz über zwei Jahrhunderte rationalistischer Leben-Jesu-Forschung (1906). Die Reaktion von Theologie und Kirche auf den Rationalismus ist unter‐ schiedlich. Johann Salomo Semler (1725-1791) vertritt die Akkomodations‐ theorie, wonach Jesus und die Evangelisten sich an die primitive Wahrneh‐ mungsweise der Menschen anpassten, um ihre Botschaft zu vermitteln; der Täuschungsvorwurf von Reimarus wird damit zurückgewiesen. 25 - Viele Bibelausleger des 18. und 19. Jahrhunderts wie Carl Friedrich Bahrdt (1741-1792), Heinrich Eberhard Gottlob Paulus (1761-1851), Carl Heinrich Venturini (1768-1849) und Karl August von Hase (1800-1890) arrangieren sich mit dem Rationalismus und versuchen, in Abgrenzung von supranatu‐ ralistischer Wunderdeutung 26 die Wahrheit der Wundertexte (und damit der Bibel überhaupt) durch rationale Erklärung zu retten. 27 Wunder werden als naturwissenschaftlich erklärbare, ‚vernünftige‘ Naturphänomene und damit als historische Fakten dargestellt. Die aus heutiger Sicht naiven Deutungen verweisen auf damals unerklär‐ liche Praktiken Jesu ( Jesus als wandernder Heilpraktiker und Homöopath, der den Placebo-Effekt ausnutzte), die Scheintodhypothese (Tote waren nicht wirklich tot), besondere Ortskenntnis (Vorratshöhlen in der Wüste, Mk 6,30-44), bekannte Naturphänomene (plötzlich abbrechende Fallwinde am See Genezareth, Mk 4,35-41) oder auf Halluzinationen der Jünger (Seewandel, Mk 6,45-52). In alledem sei Jesus mit seinen naturwissenschaft‐ lichen Kenntnissen seinen Zeitgenossen voraus gewesen, woraus sich die Wahrnehmung von ‚Wundern‘ ergab. Offen bleibt das Urteil darüber, ob Jesus vorsätzliche Täuschung betrieb oder lediglich seine Botschaft im Rahmen des damaligen Weltverständnisses zu etablieren versuchte. 96 3 Grundlinien der Wunderforschung <?page no="97"?> 28 Strauß 1835, 75. - Allerdings sieht Strauß in den Exorzismen einen historischen Haftpunkt des Wunderglaubens (Alkier 2001, 10, ausweislich Strauß 1836, 49 f.). 29 Schweitzer 1984, 620. Der Charme rationalistischer Wunderdeutung liegt in ihrer Kongruenz zu naturwissenschaftlichen Prämissen. Die Wunder können auf historische Begebenheiten zurückgeführt werden, ihr Wahrheitsgehalt scheint gerettet. Das Problem ist, dass rational erklärte Wunder keine Wunder mehr sind. Das nüchterne Fazit der rationalistischen Wunderexegese lautet: Jesus hat zwar Menschen geheilt und vielleicht auch andere wunderhafte Dinge getan, aber eben keine Wunder! 3.2.3 Mythische Wunderdeutung Mitte des 19. Jahrhunderts eröffnet die Wiederentdeckung des Mythos eine neue Möglichkeit der Wunderdeutung, ohne die ratio zu verleugnen. Der be‐ kannteste Vertreter dieser Richtung ist David Friedrich Strauß (1808-1874). Sein Buch Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet (1835 / 1836) erklärt die bibli‐ schen Berichte als Mythen, die nicht den Anspruch von Faktizität erheben, sondern die Welt religiös-mythisch erklären und ihre Ordnung göttlich legitimieren wollen. Das Motiv, Wundertaten Jesu zu erzählen, sieht Strauß im Wunsch, Jesus von atl. Wundertätern abzuheben. Von der zeitbedingten, mythischen Form des Wunders sei die dahinterstehende, zeitlose messiani‐ sche Idee zu unterscheiden, die es beizubehalten gelte. 28 - Die mythische Betrachtungsweise nimmt die Wundertexte aus der Schusslinie rationalen Denkens, gibt aber den historischen Wahrheitsanspruch der Texte preis. Der Deutungsansatz wird im 20. Jahrhundert von Rudolf Bultmann aufgegriffen und weitergeführt (→ 1.7.5; 3.3.2). 3.2.4 Albert Schweitzers Fazit Die rationalistische Wunderforschung wird von Albert Schweitzer in der epochalen Monographie Geschichte der Leben-Jesu-Forschung (1. Auflage 1906) dargestellt und kritisch bewertet. Schweitzer konstatiert: „Diejenigen, welche gern von negativer Theologie reden, haben es im Hinblick auf den Ertrag der Leben-Jesu-Forschung nicht schwer. Er ist negativ.“ 29 97 3.2 Wunderdeutung in der Neuzeit <?page no="98"?> 30 A. a. O., 621. 31 A. a. O., 623 f. 32 Vgl. Zimmermann 2014a, 43: „Ferner steht innerhalb der universitären Wissenschaft der empirisch-rationalistische Erkenntnisweg in nahezu dogmatischer Geltung.“ Sämtliche Jesusbilder, welche die Theologie bis dato entworfen hat, seien mangels historischen Faktenwissens obsolet; Jesus Christus bleibe fremd und rätselhaft, trotz aller Versuche, ihn zu erklären und in die Gegenwart zu holen. Letztlich, so Schweitzer, sind alle Jesusbilder Projektionen moderner Vorstellungen und Wünsche. Entscheidend sei aber nicht das historische Wissen um Jesus, sondern dessen zeitloser Wille und seine Wirkungsge‐ schichte, „eine gewaltige geistige Strömung von ihm […, die] auch unsere Zeit durchflutet.“ 30 Insbesondere kritisiert Schweitzer den Versuch, zwischen vergänglichen Vorstellungen und bleibenden Ideen Jesu zu unterscheiden, und fordert stattdessen, den ‚Urgedanken‘ der antiken Weltanschauung (den ethisch-eschatologischen Willen Jesu) in moderne Begriffe zu übertragen und dadurch wirkkräftig zu machen, anstatt ihn ständig mit dem naturwis‐ senschaftlichen Weltbild auszugleichen und dadurch zu verwässern. 31 Auf die Wunderfrage bezogen heißt das: Jesu Wundertaten können his‐ torisch nicht erfasst werden, ihre Fremdheit und ihre Rätselhaftigkeit sind zu akzeptieren. Die Wunder sind in den Kontext der ethisch-eschatologischen basileía-Botschaft Jesu einzuzeichnen. Die Unterscheidung zwischen einer mythischen, zeitbedingten Form und einer Kernbotschaft, so ist zu folgern, ist nicht möglich und führt in die Irre. Die Wirkkraft Jesu und seiner Bot‐ schaft ist ohne ihren weltanschaulichen, jüdisch-eschatologischen Kontext nicht zu verstehen. Mit dieser Einschätzung war Albert Schweitzer seiner Zeit weit voraus (→ 3.5.5). 3.3 Wunderforschung im 20. Jahrhundert Das rationalistische Denken bestimmt auch die Wunderforschung des 20. Jahrhunderts. Wundertexte werden als Mythen mit bleibendem Wahr‐ heitskern gedeutet, ihre Historizität wird nach rationalen Kriterien beurteilt oder ihre Wahrheit wird jenseits der wörtlich Sinnebene gesucht. Suprana‐ turale Deutungsmuster finden sich nur außerhalb des wissenschaftlichen Diskurses. 32 98 3 Grundlinien der Wunderforschung <?page no="99"?> 33 Schneider / Urban 2013. 34 Hierzu passt das Diktum des früheren Bundeskanzlers Helmut Schmidt (1918-2015): „Wer Visionen hat, soll zum Arzt gehen“ (2009). 35 Zur ‚Religionsgeschichtlichen Schule‘ zählen unter anderem Wilhelm Bousset (1865-1920), William Wrede (1859-1906), Ernst Troeltsch (1865-1923) und Hugo Greßmann (1877-1927). 36 Dibelius 1933, 265-287; Kollmann 2002, 16. 37 Kollmann 2014b, 311. Als Beispiel für die fortwährende Diskussion sei ein Wortwechsel des Wissenschaftspublizisten Martin Urban mit dem ehemaligen Präses der Rheinischen Landeskirche, Nikolaus Schneider, zitiert. 33 Urban fordert die Kirche auf, auf die Verkündigung nicht erklärbarer Phänomene zu verzichten. Selbst wenn Jesus Wunder als Verkündigungsmittel benötigt haben mag, sei das aufgeklärten Menschen von heute nicht mehr zumutbar. Kirchliche Verkündigung müsse sich im Rahmen von Vernunft und Naturwissenschaft bewegen; die Rede von göttlichen Offenbarungen sei eine neurologische Fiktion. 34 3.3.1 Religions- und formgeschichtliche Deutung Die ‚Religionsgeschichtliche Schule‘ (ca. 1890-1918) fördert viele Analogien aus dem gr.-hell. und röm. Bereich zu den ntl. Wundertexten zutage. Diese erscheinen nun als Teil eines breiten Traditionsstroms. Das bestätigt die Annahme eines weit verbreiteten, mythischen Weltbilds und weckt den Verdacht, die ntl. Erzählungen seien Adaptionen paganer Wundertexte, erdichtet zum Zweck, Jesus interkulturell anschlussfähig zu machen. 35 - Nach dem Ersten Weltkrieg lenkt die ältere ‚Formgeschichtliche Schule‘ den Fokus auf die literarische Form der Wundertexte und auf ihren Sitz im Leben in den frühchristlichen Gemeinden. Martin Dibelius (1883-1947) sieht diesen in der Verkündigung, Rudolf Bultmann (1884-1976) in der kerygmatischen Rede Jesu. Für Dibelius sind die Wundertexte bzw. einzelne volkstümliche Motive darin Adaptionen hell. Texte. 36 Bultmann deutet sie als „zeitbedingte, aus dem mythischen Weltbild der Antike erwachsene Entfaltungen der Christusbotschaft, die im Horizont neuzeitlich-aufgeklärten Denkens kein Glaubensgegenstand sein könnten.“ 37 99 3.3 Wunderforschung im 20. Jahrhundert <?page no="100"?> 38 Bultmann 1933, 227. In dieselbe Richtung weist das Diktum von Ernst Käsemann (1906-1998): „Der traditionelle kirchliche Wunderbegriff wurde […] zerschlagen“ (ders. 1970, 224). 39 Mit Alkier 2001, 7. - In der Tradition der religionsgeschichtlichen und der formkriti‐ schen Wunderdeutung stehen unter anderem Gerd Theißen (→ 3.3.4) und Werner Kahl (2005). Die historische Wunderfrage wird auch hier rationalistisch gelöst. 40 Bultmann 1960, 18. Bultmann zeigt, dass die ntl. Wundertexte einem antiken Gattungsmuster entsprechen, was ihre historische Glaubwürdigkeit zusätzlich schmälere. Er resümiert: „Die ‚Wunder Jesu‘, sofern sie Ereignisse der Vergangenheit sind, [sind] restlos der Kritik preiszugeben, und es ist mit aller Schärfe zu betonen, daß schlechter‐ dings kein Interesse für den christlichen Glauben besteht, die Möglichkeit oder Wirklichkeit der Wunder Jesu als Ereignisse der Vergangenheit nachzuweisen, daß im Gegenteil dies nur eine Verirrung wäre.“ 38 Dieses Verdikt bringt die historische Wunderfrage für lange Zeit zum Ver‐ stummen. Der dem Verdikt zugrunde liegende Schluss von formkritischen Analogien auf die Ungeschichtlichkeit der Wunder Jesu ist jedoch nicht zwingend. 39 3.3.2 Existenziale Wunderdeutung Mit der mythischen Wunderdeutung stellt sich die Wahrheitsfrage neu: Welchen Wahrheitskern transportieren die biblischen Wundertexte? Bult‐ mann konstatiert die grundsätzliche Unvereinbarkeit von mythischem und modernem Weltbild: „Man kann nicht elektrisches Licht und Radioapparat benutzen, in Krankheits‐ fällen moderne medizinische und klinische Mittel in Anspruch nehmen und gleichzeitig an die Geister- und Wunderwelt des Neuen Testaments glauben. Und wer meint, es für seine Person tun zu können, muss sich klar machen, dass er, wenn er das für die Haltung des christlichen Glaubens erklärt, damit die christliche Verkündigung in der Gegenwart unverständlich und unmöglich macht.“ 40 Bultmann unterscheidet zwischen mythisch-zeitbedingter Form und zeit‐ los-existenzialem Inhalt (gr. kérygma), der allein theologisch relevant sei. Das Kerygma Jesu bestehe in einem bestimmten, mythisch vermittelten 100 3 Grundlinien der Wunderforschung <?page no="101"?> 41 So Weder 1986, 67. 42 Bultmann 1960. 43 Programmatisch in der redaktionskritischen Wunderauslegung (Schmithals, Linde‐ mann, Wengst). - Die Unterscheidbarkeit von Form und Inhalt wird heutzutage zurückgewiesen (Weder 1986, 54; Erlemann 2020, 68 ff., u. a.) 44 Kollmann 2019, 88. 45 Ähnlich Craffert 2008, 307 (kritisch dazu Kollmann 2014a, 19). - Zum Schamanismus → 1.7.4. 46 Drewermann 1985. Existenzverständnis auf Grundlage der am Kreuz Christi geoffenbarten Liebe Gottes. Das Angebot einer neuen Existenzmöglichkeit stelle den Menschen vor die Wahl, sein bisheriges Selbstverständnis beizubehalten oder die von Gott geschenkte, von Liebe getragene Existenzmöglichkeit zu ergreifen. 41 Entmythologisierung und existenziale Interpretation sind demnach zwei Seiten einer Medaille. 42 Im Gefolge dieses Deutungsansatzes verschiebt sich die Fragerichtung: Anstelle der historischen Wunderfrage tritt die Frage nach der Funktion der Wundertexte in ihrem literarischen und historischen Kontext in den Vordergrund. 43 3.3.3 Tiefenpsychologische Deutung Eine andere Möglichkeit, den Wahrheitskern der Wundertexte zu formulie‐ ren, bietet die psychologische bzw. tiefenpsychologische Deutung. Sie ent‐ deckt zwischen den Textzeilen viele Hinweise auf eine (tiefen-)psychologi‐ sche Sinnebene (→ 4.1.3). Der Ansatz liest die Wundertexte als Zeugnisse für eine ganzheitliche Religiosität, die Wege aus Angst und innerer Zerrissen‐ heit aufzeigt. 44 Für Eugen Drewermann (* 1940) ist Jesus ein Schamane, der die Disharmonie zwischen Körper und Unterbewusstsein bzw. den Mächten der jenseitigen Welt erkennt und heilt. 45 Anstatt mit schamanischen Riten heile Jesus mit der Macht des Vertrauens. Drewermann kritisiert mit seinem Ansatz die Ausblendung der Körperlichkeit und die Selbstentfremdung des Menschen in der Bultmann’schen Wunderhermeneutik. 46 Biblische Wundertexte werden als Reflexe von Verdrängungsprozessen und ihrer psychotherapeutischen bzw. psychosomatischen Heilung gelesen. ‚Wunder‘, so Drewermann, setzen auf der Ebene des Unbewussten, der Gefühle und Affekte rational unerklärliche, physische Prozesse in Gang und bewirken eine Harmonie des Menschen mit sich selbst und der natürlichen 101 3.3 Wunderforschung im 20. Jahrhundert <?page no="102"?> 47 Kollmann 2019, 88 f. 48 Mit Kollmann, a. a. O., 89. 49 Drewermann 1989, 408. 50 Drewermann 2014, 602. 51 Mit Zimmermann 2013, 63. 52 Theißen 1998, 239 ff., sowie ders. 2014. 53 Theißen 2014, 78-81; ähnlich Dormeyer 1993, 170. Ordnung. Die Tiefendimension der Wundertexte stoße Selbsterfahrung, Identitätsfindung und Krisenbewältigung in der vertrauensvollen Begeg‐ nung mit Jesus an. 47 Damit gewönnen die Wundertexte ihre somatische bzw. psychosomatische Dimension zurück und seien nicht länger Gegenstand einer rein intellektuellen Betrachtung. 48 Die tiefenpsychologische bzw. psy‐ chosomatische Erklärbarkeit spricht nach Drewermann für die Historizität des Erzählten; ‚Wunder‘ seien sie dann aber nicht mehr zu nennen, da eine göttliche Wirkursache ausgeschlossen wird. Drewermann beantwortet die historische Wunderfrage in neo-rationalistischer Manier: „Ein Gott, der Wunder wirken kann und dies vor 2000 Jahren zur Beglaubigung des von ihm gesandten Messias auch getan hat, sich dann aber hinter die Wolken zurückzieht und die Menschen jammern und leiden läßt, ist nicht mehr glaubhaft.“ 49 Und: „Manche ‚Wundererzählungen‘ […] erscheinen überhaupt nur einer verdinglichenden Betrachtungsweise als ‚Wunder‘, während sie in Wirk‐ lichkeit eine symbolische Beschreibung seelischer Erfahrungen, Wandlungen und Veränderungen darbieten.“ 50 Kritik: Problematisch sind die pauschale Deutung des wunderhaften Ge‐ schehens als eines psychotherapeutischen Vorgangs, die Annahme zeit‐ übergreifender anthropologischer Kategorien sowie die individualisierende Auslegungstendenz, die das Spektrum möglicher Sinnebenen reduziert. 51 3.3.4 Psychosoziale Deutung Für Gerd Theißen (* 1943) sind Wunder symbolisch-rituelle Handlungen. 52 Historische Ereignisse sind sie, sofern sie medizinisch, psychosomatisch oder tiefenpsychologisch erklärbar sind (Exorzismen, Therapien). Therapien seien medizinisch-homöopathisch, als Stimulierung von Selbstheilungskräf‐ ten, zu erklären. Das Label Besessenheit stehe für dissoziative Störungen als Folge traumatischer Erfahrungen; der Hinweis auf Dämonen sei weltbild‐ bedingt. Die Bewertung als ‚Wunder‘ entspreche antiker Wahrnehmung. 53 - 102 3 Grundlinien der Wunderforschung <?page no="103"?> 54 Theißen 1998, 274, bzw. Theißen / Merz 1996, 268. - Zu einer ähnlichen Einschätzung kommen Merz 2013, 112, und Kollmann 2002, 7. Weitere Vertreter nennt Zimmermann 2013, 33 f. 55 Theißen 1978, 14; → 6.1.2. 56 Theißen 1998, 279, sowie Theißen / Merz 1996, 494. 57 Ähnlich Labahn 2014, 393: „Wunder verändern die Welt, indem sie erzählt werden.“ Totenerweckungen, Geschenk- und Naturwunder seien psychosozial zu er‐ klärende Legenden ohne historischen Kern. Unterm Strich kommt Theißen zur (neo-rationalistischen) Einschätzung: „Zweifellos hat Jesus Wunder getan, Kranke geheilt und Dämonen ausgetrieben. Die Wundergeschichten geben diese historischen Ereignisse jedoch in einer gesteigerten Gestalt wieder. Diese Steigerung des Historischen und Faktischen beginnt jedoch bei Jesus selbst. Auch bei Jesus selbst waren die Wundertaten keine normalen Vorgänge, sondern Momente eines mythischen Dramas: In ihnen realisierte sich die wunderbare Verwandlung der ganzen Welt zur basileía theoú.“ Und: „Für Exorzismen, Therapien und Normenwunder können wir einen Ursprung beim historischen Jesus annehmen. Jesus selbst hat diese Formen von Wundern getan.“ 54 Theißen erklärt die Speisung der Fünftausend (Mk 6,30-44parr.) so: Jesu Predigt weckte in den Menschen, die nur spärliche Vorräte dabei hatten, den Glauben, die Vorräte reichten für alle aus. Die Menschen teilten daraufhin angstfrei ihren Proviant aus (1993, 168). Für Totenerweckun‐ gen macht Theißen die Scheintodhypothese namhaft (1998, 98). - Auch Bernd Kollmann erklärt die Naturwunder als Erfindungen des frühen Christentums (2013, 23). Jesus war demnach ein wundertätiger Wanderheiler mit weitreichenden paranormalen Fähigkeiten 55 sowie medizinischen und psychologischen Kenntnissen. Er habe die auch in der heutigen Medizin bekannte Heilkraft des Glaubens erkannt und genutzt. Die Wundergeschichten seien vom rational erklärbaren Wirken Jesu provozierte, maßlos übersteigerte Symbol‐ handlungen mit sozialer, religiöser und existenzieller Funktion. 56 In diesen Texten und in ihrer Wirkung zeige sich die besondere energetische Kraft von Sprache (‚Sprachereignisse‘). 57 103 3.3 Wunderforschung im 20. Jahrhundert <?page no="104"?> 58 Theißen 1998, 229-261; ders. 2014, 84-86; vgl. Kollmann 2014a, 11. 59 Theißen 1998, 104 f. 60 Metternich 2014, 624. 61 Metternich 2014; vgl. Kollmann 2014a, 11 f. 3.3.5 Sozial- und kultkritische Deutung Der Ansatz ergänzt die Reihe rationaler Erklärungsmuster. Gerd Theißen sieht in den Wundertexten Protest- und Hoffnungsgeschichten der ‚kleinen Leute‘. Ihre Funktion bestehe in ihrer Symbolkraft, die der Not entgegen‐ wirkt und zu neuem, befreienden Handeln motiviert. Sie entfalten, so Theißen, eine alternative, utopistische Lebenswelt, die auf Verwirklichung drängt. 58 Die weltverändernde Kraft der Texte verbürge ihre dauerhafte Relevanz und Wahrheit. - Epiphanien (→ 1.6.8) begründen laut Theißen 59 kultische Ordnungen. Die Heiligtümer von Beth-El (Gen 28,16-22; 35,1-15) und Beer-Sheba (Gen 26) seien auf Epiphanien zurückzuführen. Die Epi‐ phanie bei der Taufe Jesu begründe die Wassertaufe (Mk 1,9-11parr.), die Ostererscheinung vor den Jüngern von Emmaus die Feier des Abendmahls (Lk 24,13-35). Die Verklärungsperikope mit dem Verbot, Hütten zu bauen (Mk 9,5 f.parr.) erklärt laut Theißen, dass die Ostervisionen keine Kultstätten provozierten. Den Beitrag sozialgeschichtlicher Wunderdeutung bringt Ulrike Metter‐ nich (* 1957) folgendermaßen auf den Punkt: „Die sozialgeschichtliche Perspektive bereichert die Auslegung der Heilungsge‐ schichten, indem sie die Wahrnehmung dafür schärft, dass Krankheit nicht nur als ein individuelles Schicksal verstanden werden kann, sondern als ein Symptom von politischer und ökonomischer Ausbeutung, von Hunger, Gewalt und Krieg.“ 60 3.3.6 Weitere Deutungsmuster a) Feministische Deutung Im Fokus feministischer Wunderdeutung steht das emanzipatorische Poten‐ zial der Wundertexte. Offengelegt werden innertextliche, genderbedingte Differenzierungen und Machtstrukturen, um soziale und kulturelle Ge‐ schlechterkonstrukte zu zerschlagen. 61 Die häufige Zuwendung Jesu zu hilfsbedürftigen Frauen zeige seine kritische Haltung gegenüber der sozialen Rollenverteilung. Emanzipiert wirkende Frauenfiguren wie die blutflüssige 104 3 Grundlinien der Wunderforschung <?page no="105"?> 62 Metternich 2014, 608 f.612, unter Hinweis auf Luise Schottroff, Lydias ungeduldige Schwestern. Feministische Sozialgeschichte des frühen Christentums, Gütersloh 1994, 80. Weiter → 4.1.6. 63 A. a. O., 609, unter Hinweis auf Elisabeth Moltmann-Wendel, Wenn Gott und Körper sich begegnen. Feministische Perspektiven zur Leiblichkeit, Gütersloh 1989, bzw. dies., Mein Körper bin Ich. Neue Wege zur Leiblichkeit, Gütersloh 1994, und auf andere Autorinnen. 64 Metternich 2014, 624. 65 Wilhelm 1998. Darauf bezugnehmend vgl. Kollmann 2014a, 14 f. 66 Bach 1997 bzw. Wilhelm 1998, 10 f. 67 Ebd. 68 Trible 1984. Frau (Mk 5,25-34), die Frau aus Syrophönizien (Mk 7,24-30) und die verkrümmte Frau (Lk 13,10-17) gelten als weibliche Glaubensvorbilder, die zur Selbst- und Mitbestimmung der Frauen ermutigen. Betont wird der ganzheitliche Heilungsvorgang, wobei der Körperlichkeit und der per‐ sonalen Beziehung zwischen dem Wundertäter und seinem Gegenüber ein besonderes Augenmerk zukommt. 62 Am heilungsbedürftigen weiblichen Körper realisiere sich die Präsenz Gottes. 63 An die Stelle christologischer Wunderdeutung tritt eine feministisch-theologisch reflektierte ‚Christolo‐ gie der Beziehung‘. 64 Kritik: Problematisch wird der Deutungsansatz, wenn er die Deutungsaspekte auf die Genderfrage reduziert und dadurch die Erzählintention aus dem Blick verliert. b) Deutung aus der Disability-Perspektive Grundsatzkritik an den Wundertexten wird von Seiten der ‚Gestörten Lek‐ türe‘ bzw. ‚Disability-Perspektive‘ laut. 65 Demnach transportieren die Texte ein behindertenfeindliches Gesundheitsideal, fördern ein ‚Apartheidsden‐ ken in Kirche und Gesellschaft‘ und stilisieren den geheilten Körper zum Zeichen des Gottesreiches. 66 Die Heilungen implizierten eine Abwertung von Menschen, die nicht der Norm entsprechen; metaphorische Deutungen, die das Aufgerichtetwerden oder Sehenkönnen als eigentliches Wunder verkaufen, seien inklusions- und behindertenfeindlich. 67 Der Leidensdruck der Behinderten stamme nicht so sehr von Krankheitssymptomen, sondern von der ablehnenden, stigmatisierenden Haltung der ‚Gesunden‘. Wunder‐ texte seien daher texts of terror zu nennen. 68 Kritik: Die Disability-Perspektive radikalisiert den sozialkritischen An‐ satz, freilich ohne ein Interesse an antiker Sozialgeschichte. Der Ansatz 105 3.3 Wunderforschung im 20. Jahrhundert <?page no="106"?> 69 Zum Folgenden Alkier 2001, 23-54. 70 Zimmermann 2013, 8, ausweislich Bultmann 1986, 83. 71 Beispiele bei Zimmermann 2013, 9 f. schärft den Blick dafür, dass keine Sinnebene allein (auch nicht die phy‐ sisch-leibliche) Verständnisschlüssel der Wundertexte sein kann. 3.3.7 Fazit: Der lange Schatten des Rationalismus Wunderexegese findet bis heute weitestgehend im Rahmen des wissen‐ schaftlich-rationalen Wahrheitsbegriffs statt. Drei Erklärungsmuster domi‐ nieren 69 : a) Wundererzählungen sind eine Konzession der Evangelisten an das antike Weltbild (religionsgeschichtliche Adaption, Mythos). Dieses Muster nährt Zweifel an der Historizität der Wunder. Verwiesen wird unter anderem auf antike Wunderkritik und auf typische Motive hell. Wundererzählungen. 70 b) Wunder sind keine Wunder, sondern lassen sich rational erklären. Das Erklärungsmuster bietet moderne Diagnosen antiker Krankheitsbilder 71 und differenziert zwischen historisch wahrscheinlichen und unwahrschein‐ lichen Berichten. Das moderne Weltbild wird unkritisch auf die biblischen Texte projiziert. c) Die Wahrheit der Wundertexte liegt jenseits der wörtlichen Ebene. Dieses Muster reduziert die Texte auf ihren inhaltlichen Kern (Wunder als Mythen; existenziale Interpretation; Reich-Gottes-Botschaft) oder sieht in ihnen Transportmittel (tiefen-)psychologischer oder psychosozialer Vor‐ gänge. Die leiblich-physische Ebene wird weitgehend aus der Diskussion ausgeklammert. Allerdings entwickeln sich gegen Ende des 20. Jahrhunderts Ansätze, die das naturwissenschaftlich-rationale Denken als Messlatte für die Wunderexegese infrage stellen. Insgesamt wird die historische Wunderfrage zugunsten der inhaltlichen Frage und der Funktion der Wundererzählungen abgewertet; sie sei the‐ ologisch und hermeneutisch irrelevant (existenziale bzw. kerygmatische Auslegung), ein Nebenaspekt (humanwissenschaftliche Ansätze) oder rati‐ onalistisch zu beantworten. 106 3 Grundlinien der Wunderforschung <?page no="107"?> 72 Kollmann 2014a, 13. 73 Berger 1999, 70-72. 74 A. a. O., 71. 75 Berger 1996 und 1999 sowie Wink 1984. - Zum Mythosbegriff → 1.7.5. 76 Berger 2010, 251. 77 ‚Hermeneutik der Fremdheit‘ (Berger 1999, 72). - Berger spricht von ‚mythischen Fak‐ ten‘, das heißt von Begegnungen mit der Wirklichkeit Gottes, die sich dem Regelsystem der Vernunft entziehen (a. a. O., 198). 3.4 Neueste Trends Die neuesten Forschungsbeiträge beschreiten einen ‚dritten Weg‘ zwischen der Reduktion auf übertragene Sinnebenen (Metaphorisierung) und der Reduktion auf die historische Wunderfrage (Rehistorisierung). Als Schlüssel für ein neues Wunderverständnis gilt das den Texten zugrunde liegende, per se fremde Wahrheits- und Wirklichkeitsverständnis. Unterschieden werden verschiedene Sinnebenen, die in ihrer Gesamtheit zum Verständnis der Wundererzählungen beitragen. Die historische Wunderfrage wird tenden‐ ziell in der Schwebe gehalten. 72 3.4.1 Revision des Wahrheitsbegriffs Mit der Postmoderne werden Zweifel am Universalanspruch der ratio zur Welterklärung laut. 73 Anstelle des Postulats rationaler Verstehbarkeit von Texten tritt der Hinweis auf die Möglichkeit prinzipieller Fremdheit und des Missverstehens. 74 Erfahrung und Ästhetik werden mit den ihren eigenen Wahrheitskriterien als ergänzende Zugangsweisen zur Wirklichkeit stark gemacht. Die Impulse wirken seit den 1980er Jahren auf die Wunderfor‐ schung ein. a) Klaus Berger: ‚Modell der vier Türen‘ Mit dem ‚Modell der vier Türen‘ fächert Klaus Berger (1940-2020) mehrere Zugänge zur Wirklichkeit auf. Ausgangspunkt des Modells sind Lebensbe‐ reiche, die sich nicht in die gängigen Kategorien richtig vs. falsch, wahr vs. unwahr oder rational vs. irrational einordnen lassen: Weisheit, Dichtung, Kunst, Musik und Mythos. 75 In diesen Bereichen herrschen, so Berger, eigene Regeln und Evidenzen. 76 Der Wahrheitsanspruch biblischer Wundertexte sei nicht am modernen, sondern an einem uns heute fremden, mythisch-an‐ tiken Wirklichkeits- und Wahrheitsbegriff zu messen. 77 Auch sei das Phä‐ 107 3.4 Neueste Trends <?page no="108"?> 78 Berger 1984, 305 (→ 3.6.5a). 79 Berger 1999, 72; gegen Eugen Drewermann u. a. 80 Berger 1999, 191. 81 Wunder gehören für Berger in den Bereich ‚mystischer Wirklichkeit‘, einer Wirklich‐ keit „quer zur kausal erklärbaren und gewohnten Alltäglichkeit“ (Berger 2010, 251.257). 82 Berger 1996, 11: „Der Verzicht darauf würde das Christentum verwechselbar machen.“ 83 Semiotischer Ansatz; vgl. Alkier 2001, besonders 307; ders. 2014, 526-538. 84 Alkier 2014, 543 (→ 1.5.5). nomen des Wunderhaften nicht auf das Genre der Wundererzählung zu beschränken. 78 Ebenso sei die Annahme überzeitlicher anthropologischer oder (tiefen-)psychologischer Konstanten zu hinterfragen. 79 Der Anspruch von Vernunft und Naturgesetzen als letztgültiger Maßstab für Sachkritik an biblischen Aussagen wird zurückgewiesen. 80 Der Wahrheitsbegriff der Bibel schließt laut Berger ein Eingreifen Gottes in der Welt nicht aus, sondern ein. Die Wundertexte betonten die körperliche Sinnebene und erinnerten an heilvolle Gotteserfahrungen. 81 Die Erzähler seien von der Historizität und Authentizität des Berichteten überzeugt; eine Verengung auf übertragene Deutungsmuster gehe am Wahrheitsanspruch der Texte vorbei. Mehr noch: Wunder sind laut Berger ein unverzichtbarer Bestandteil der ntl. Botschaft, versehen mit einem einzigartigen, therapeu‐ tisch-seelsorgerlichen Potenzial. 82 b) Stefan Alkier: ‚Fremde Textwelten‘ Stefan Alkier (* 1961) stellt die Wundertexte in ihren literarischen und kulturellen Kontext, versteht ihre Zeichenwelt als Artefakt eines Diskursuniversums und untersucht das Wirklichkeitsverständnis der Zeitgenos‐ sen Jesu. 83 Alkier sieht in den Wundern den plausiblen Bestandteil eines fremden, mythischen Weltbildes. Auch wenn die historische Wunderfrage offenbleiben müsse, seien die Wunder theologisch unverzichtbar. Ihr theolo‐ gisches Vorzeichen sei der Glaube an die Umkehrung der Verhältnisse durch Gott (Lk 1,53). Von dort aus seien alle staunenswerten, göttlich gewirkten Vorgänge zu bewerten. Alkier löst damit die Antithese von Faktum vs. Fiktion auf: Wunder seien weder das eine noch das andere, sondern eine Unterbrechung (Friktion) des modernen Wirklichkeitsverständnisses. 84 Die Wundertexte, so Alkier und Bernhard Dressler (* 1947), sind fremde (Text-)Welten, die in ihrer Fremdheit wahrgenommen werden müssten. 108 3 Grundlinien der Wunderforschung <?page no="109"?> 85 Alkier / Dressler 1998, 183. 86 Vgl. die Unterscheidung zwischen dem kontingent-liberativen und dem biblisch-kon‐ fessorischen Wunderbegriff → 1.5.4 f. 87 Kollmann 2002, 10. Vgl. Kollmanns zusammenfassende Definition unter → 3.6.6a. 88 Kollmann 1996, 265; ders. 2018, 214: „Im Lichte der modernen psychosomatischen Medizin sind sie [scil. die Krankenheilungen] weniger befremdlich, als es auf den ersten Blick den Anschein hat.“ - Weiter Theißen 1998, 98, sowie → 3.3.4; 3.3.5. „Wir dürfen in die biblischen Geschichten nicht unser kulturelles Wissen, nicht unsere Rationalismen und auch nicht unsere Empfindungen eintragen, wenn die biblischen Erzählungen wirklich biblische Erzählungen bleiben sollen und wir sie nicht unnötigerweise erzählen lassen, was wir eh schon wissen und immer schon gedacht haben.“ 85 3.4.2 Human- und kulturwissenschaftliche Ansätze Seit der Mitte des 20. Jahrhunderts öffnet sich die Wunderexegese benach‐ barten Human- und Kulturwissenschaften. Der Impetus ist dabei, wie bei Berger, Wink und Alkier, die antiken Verstehensmöglichkeiten der Wun‐ dertexte zu rekonstruieren. Ethnologie, Kulturanthropologie, Judaistik und andere entwerfen ein differenziertes Bild numinoser Mächte, Wundertäter und Krankheitsdeutungen. Die Heilung körperlicher Symptome gilt als Teil einer umfassenden Heilung des Menschen. Jesus erscheint entweder als Volksheiler (Wolfgang Stegemann), als ‚Magier der besonderen Art‘ (Bernd Kollmann), als jüdisch-charismatischer Wanderprophet (David Flusser) oder als zelotischer Zeichenprophet (Ed P. Sanders). 3.4.3 Die Frage bleibender Relevanz Bernd Kollmann (* 1959) unterscheidet einen engen und einen weiten Wunderbegriff. Während der enge Begriff rationalem Denken widerspreche und von daher problematisch sei, ließen sich Wunder im weiten Sinne je nach Weltanschauung als Wunder oder als Zufall deuten. 86 Im NT bleibe das Verhältnis zwischen Wunder und Naturkausalitäten unreflektiert. 87 Die historische Wunderfrage beantwortet Kollmann neo-rationalistisch: Historisch seien allenfalls (rational erklärbare) Therapien und Exorzismen; Totenerweckungen erklärt Kollmann mit der Scheintodhypothese. 88 Die bleibende Relevanz der Wundererzählungen liege in ihrem Hoffnungspoten‐ zial. Wundergeschichten seien existenzielle Dokumente, 109 3.4 Neueste Trends <?page no="110"?> 89 Kollmann 2018a, 219. 90 Kollmann 2002, 214; ähnlich Lachmann u. a. 1999, 387. 91 Ebd.; weiter dazu → 6.2. 92 A. a. O., 213 f. 93 Berger 1999, 203. 94 Zimmermann 2014a. 95 Zimmermann 2013, 12. 96 A. a. O., 30 f. „die völlig unabhängig von ihrem historischen Wert Wahrheit in sich bergen, indem sie neue Lebensmöglichkeiten erschließen, Begrenzungen überwinden helfen und Hoffnungen keimen lassen.“ 89 Mit Blick auf die religionsdidaktische Vermittlung resümiert Kollmann, dass sich Wundererzählungen vorzugsweise als „Glaubensgeschichten, Hand‐ lungsanweisungen oder Hoffnungserzählungen vermitteln“ lassen. 90 Als solche böten sie „den intensivsten existenziellen Zugang zur biblischen Tradition“ bei „geringsten Risiken“. Sie könnten „Kinder davor bewahren, in Resignation oder Verzweiflung zu verfallen, und setzen Kräfte frei, sich aufzurichten und das Leben in die Hand zu nehmen.“ 91 Das entspreche der frühchristlichen Funktion der Texte und sichere ihre bleibende Relevanz bei der Suche nach einem gelingenden Leben. 92 3.4.4 Der unerklärbare Rest Schon Berger äußerte Skepsis an der Erklärbarkeit der Wunder, da Begeg‐ nungen mit Gott grundsätzlich nicht erklärbar seien. 93 Ähnlich skeptisch ist Ruben Zimmermann (* 1968). 94 Er bringt das Manko der früheren Wun‐ derforschung auf den Begriff ‚Ent-Wunderung‘ durch Erklärenwollen des Unerklärbaren: „Die Wunderexegese der letzten zwei Jahrhunderte kann somit über weite Strecken als Versuch gesehen werden, wesentliche Aspekte und Elemente der Wundertexte zu missachten. Ist es das Ziel der Wundertextexegese, Ent-Wunde‐ rung voranzutreiben? “ 95 Inspiriert von der modernen Literaturwissenschaft, modifiziert Zimmer‐ mann die Entgegensetzung von faktisch und fiktional (→ 1. 7. 10). Konstitu‐ tiv seien die Bezugnahme der Texte auf historisches Geschehen (faktualer Charakter) 96 und das provokative Sprechen von etwas (eigentlich) Unmög‐ lichem. Die Wundertexte überschritten die Grenze zwischen der gewohnten 110 3 Grundlinien der Wunderforschung <?page no="111"?> 97 A. a. O., 31. 98 A. a. O., 38, bzw. 2014c, 469. Zimmermann greift hierfür auf die narratologische Wende in der Geschichtswissenschaft und auf das literaturwissenschaftliche Konzept des ‚begrenzt Wunderbaren‘ bzw. des ‚magischen Realismus‘ (Durst 2008) sowie auf die Kategorie der ‚Wirklichkeitserzählung‘ zurück (Klein / Martínez 2009). 99 Ähnlich Labahn 2014, 392, der im historischen Geschehen lediglich einen Sinnimpuls für die Gegenwart erkennt, welcher der Veränderung der Wirklichkeit und der Zu‐ kunftsbewältigung dient. 100 Zimmermann 2013, 40. 101 A. a. O., 12 f. - Zur Wunderdefinition Zimmermanns → 3.6.6b. Weltordnung und dem Irrealen und „inszeniert[en] gerade das Gegenratio‐ nale und Unmögliche.“ 97 „Wundergeschichten erzählen von unmöglichen Handlungen als geschichtlichen Ereignissen, sie präsentieren realitätswidrige Inhalte im faktualen Redemodus. Wundererzählungen partizipieren insofern an Merkmalen des Tatsachenberichts ebenso wie der Phantasiegeschichte, oder zugespitzt formuliert: Wundererzähun‐ gen sind phantastische Tatsachenberichte! “ Und: „Das Kontrafaktische wird als Faktum präsentiert.“ 98 Diese Spannung gelte es aufrecht zu erhalten. Die historische Wunderfrage sei, dem Gepräge der Erzählungen entsprechend, nicht zu klären und hermeneutisch irrelevant. 99 Entscheidend sei es, die vom Autor intendierte Gegenwartsrelevanz des Erzählten und seine pragmatischen Impulse he‐ rauszuarbeiten. 100 Das Ziel der Texte sei Verwunderung, Irritation und Provokation zum Handeln. „Der Text möchte, so die These, als Wundertext insofern verstanden werden, als er eine Handlung bzw. ein Ereignis als sinnlich wahrnehmbar und konkret darstellt und dabei das Durchbrechen der Normalität und des Erwartbaren betont. Das Wundern soll gerade den Leser bzw. die Rezipientin des Textes erreichen und erfassen. Ziel dieser Texte ist es, dass sich die Rezipienten gleichsam mit den Augenzeugen und Handlungsfiguren auf der Erzählebene wundern.“ 101 Theologisch betrachtet, verweisen die Wundertexte auf den Kern des biblischen Gottesglaubens (der mit Schöpferkraft ausgestattete Gott, der aktiv und konkret in der Welt wirkt), so Zimmermann. Wunderauslegung münde daher nicht in einer erschöpfenden Klärung aller Fragen, sondern im Lobpreis des Schöpfergottes. Das durch die Texte provozierte Unverständnis spiegele die Komplexität des Lebens wider und mache eine umfassende, alles klärende Interpretation unmöglich. 111 3.4 Neueste Trends <?page no="112"?> 102 Zimmermann 2013, 49. 103 Zimmermann 2014a, 45. 104 Frenschkowski 2020, 202. „Wundererzählungen lösen Verstehensprozesse aus. Sie erfüllen spezifische Funktionen, die streng an ihre narrative Form gebunden sind. Mit jedem Versuch, diesen Prozess des Verstehens besser, tiefer verstehen zu wollen, arbeitet man […] gegen die Wundererzählung selbst an. Wunder sind gerade als unverstehbare, irritierende Ereignisse inszeniert und erzählt […]. Sie gebieten Einhalt gegenüber der ‚Wut des Verstehens‘ […] Alle Verstehensversuche der Funktionsweise des Unverständlichen nehmen den Wundererzählungen […] das Wunderhafte und machen es zum Erklärlichen.“ 102 So bleibe am Ende der Verstehensbemühungen das Staunen über ein unauf‐ lösbares Mysterium (enigmatischer Charakter der Wundertexte). 103 3.4.5 Fazit: Grenzen des Verstehens Die Wunderforschung ist dabei, sich vom Korsett des wissenschaftlich-ra‐ tionalen Wahrheitsbegriffs zu befreien. Mit Zimmermann ist festzuhalten, dass die Wundertexte in provokativer Art und Weise die Grenzen des rati‐ onalen Verstehens übersteigen. Wundertexte sind Reflexe fremder Lebens‐ welten. 104 Die Rückgewinnung der körperlichen Dimension, die Frage nach den ursprünglichen Verstehensbedingungen und nach dem maßgeblichen Wahrheitsbegriff sowie die Erkenntnis mehrerer Sinnebenen markieren die neueste Phase der Wunderforschung und sind zugleich der Ausgangspunkt weiterführender Überlegungen. erkenntnis‐ leitendes Interesse methodi‐ sche Grund‐ ausrichtung Wahrheits‐ begriff, Sprachverständnis Bewer‐ tung der Historizi‐ tät Glaubens‐ relevanter Anteil der Wunder Rationa‐ listische Wunder‐ deutung (Bahrdt, Paulus, Hase) Vernünftig‐ keit des Wortlauts; Erhebung des biogra‐ phischen Materials Naturwis‐ senschaftli‐ che (Hase: und supra‐ naturale) Erklärung des Wort‐ lauts W = was historisch erweisbar ist; S = Abbil‐ dung von Wirklich‐ keit Wunder sind histo‐ risch, aber nicht (Hase: mglw.) als ‚Wunder‘ Wortlaut des Erzähl‐ ten 112 3 Grundlinien der Wunderforschung <?page no="113"?> erkenntnis‐ leitendes Interesse methodi‐ sche Grund‐ ausrichtung Wahrheits‐ begriff, Sprachverständnis Bewer‐ tung der Historizi‐ tät Glaubens‐ relevanter Anteil der Wunder Mytholo‐ gische Wunder‐ deutung (Strauß) Erweis des mythenhaf‐ ten Charak‐ ters der Je‐ susstoffe Radikale histo‐ risch-litera‐ rische Kri‐ tik; Form vs. Inhalt W = was historisch erweisbar ist. Und: Wirklich‐ keit religiö‐ ser Ideen Wunder sind un‐ histor. Mythen mit gerin‐ gem his‐ tor. Kern Die religi‐ öse ‚Idee‘ Religions‐ geschicht‐ liche Schule Religions‐ geschichtl. Umfeld, Ein‐ zigartigkeit der Wunder Jesu Herausar‐ beitung von Textanalo‐ gien W = was historisch erweisbar ist. Und: Wirklich‐ keit religiö‐ ser Ideen Wunder sind un‐ historisch, wie die Analogien zeigen Die religi‐ öse ‚Idee‘ Ältere Formge‐ schichte (Dibelius, Bult‐ mann) Frage nach ‚Sitz im Le‐ ben‘, nach antiken Gat‐ tungen Formkriti‐ sche-sozial‐ historische Analyse; Entmytho‐ logisierung; Form / In‐ halt W = was historisch erweisbar ist. Daneben: Wirkl. reli‐ giöser Ideen Wunder‐ texte sind zumeist nachös‐ terliche Bildungen Das ‚Ke‐ rygma‘, = neue Exis‐ tenzmög‐ lichkeit Psychol., sozialkrit. Deutung (Theißen, Drewer‐ mann) Sozialgesch. Funktion der Texte bzw. Spiegel psych. Kon‐ flikte Form‐ krit.-sozial‐ histor., so‐ zial-psycholog., tiefen‐ psych. Ana‐ lyse S = Deutung von Wirk‐ lichkeit; tie‐ fenpsych. Symbolge‐ halt manche Wunder sind histo‐ risch, da rational erklärbar Neue Exis‐ tenzsicht; Lösung in‐ nerpsychi‐ scher Kon‐ flikte Neue Wunder‐ frage; (Berger, Koll‐ mann) Berger: Fremdheit der Texte; Rückgewin‐ nung der mythischmystischen Dimension Berger: his‐ torisch-psy‐ chologische Analyse Kollmann: didaktische Frage Berger: Mo‐ dell der vier Türen Kollmann: wissen‐ schaft‐ lich-ratio‐ ner W.-Begriff Wunder sind histo‐ risch bzw. haben his‐ torischen Kern (Heilun‐ gen) Berger: Das Wunder an sich Kollmann: Wunder als Glaubens‐ geschichten Neueste Tenden‐ zen (Al‐ Alkier: kor‐ rigierende Fremder‐ fahrung; Alkier: semi‐ otische Analyse; Alkier: S.: Deutungs‐ funktion, konstituiert bleibt in der Schwebe Alkier: Fremdheit der Texte. 113 3.4 Neueste Trends <?page no="114"?> erkenntnis‐ leitendes Interesse methodi‐ sche Grund‐ ausrichtung Wahrheits‐ begriff, Sprachverständnis Bewer‐ tung der Historizi‐ tät Glaubens‐ relevanter Anteil der Wunder kier, Zim‐ mermann) Zimmer‐ mann: uner‐ klärlicher Rest! Zimmer‐ mann: lite‐ raturwis‐ senschaftliche Ana‐ lyse Wirklich‐ keit; Zim‐ merm.: S.: Fakt vs. Fik‐ tion Zimmer‐ mann: Pro‐ vokation zum Han‐ deln Überblick über die Aspekte der Wunderforschung 3.5 Auswertung und Kritik Im Folgenden wird die Wunderforschung auf leitende Fragestellungen und Alternativen hin betrachtet und kritisch ausgewertet. 3.5.1 Harte Fakten vs. fromme Fiktion Für das naturwissenschaftlich-rationale Denken ist nur historisch oder experimentell Beweisbares wahr. Wunder gelten als fromme Fiktion, Sinnes‐ täuschung oder sogar Betrug. Wunderforschung im Rahmen dieses Denkens erklärt das wunderhafte Geschehen rational weg und sucht die bleibende Wahrheit und Relevanz der Wundertexte jenseits der physisch-leiblichen Sinnebene. Kritik: Von ihrem faktualen Selbstverständnis her erzählen die Texte keine Märchen, keine fromme Fiktion, sondern historisches Geschehen. Dieses ist nicht nüchtern-analytisch zu erfassen, sondern folgt einer eigenen Logik. Wunder sind keine beweisbaren harten Fakten, sondern weiche Fakten, die sich einer eigenen, religiös-mystischen Optik auf die Wirklichkeit erschlie‐ ßen. Für den religiös-mystisch gestimmten Betrachter ist klar: Gott kann Wunder wirken und Jesus als sein Sohn konnte es ebenfalls! Wunderglaube ist nicht die Voraussetzung des Gottesbzw. Christusglaubens, sondern seine folgerichtige Konsequenz. 114 3 Grundlinien der Wunderforschung <?page no="115"?> 3.5.2 Historische vs. unhistorische Wunder Die Wunderforschung unterscheidet zwischen möglichen und unmöglichen Wundern. Kriterium ist die Vereinbarkeit mit rationalen Erklärungsmus‐ tern. Historisch wahrscheinlich ist das, was sich mit modernen Kenntnissen über Krankheit, Heilung etc. rational erklären lässt. Die Etikettierung des Berichteten als ‚Wunder‘ im Sinne harter Fakten wird als Missverständnis bzw. Unwissen der damaligen Zeit gewertet. Medizinisch und psychologisch gebildete Ausleger erklären die körperlichen Heilungen als psychosoma‐ tische, homöopathische oder (tiefen-)psychische Vorgänge, für die kein Wunder notwendig war. - Als unhistorisch gelten hingegen Natur- und Geschenkwunder, die Naturgesetze durchbrechen. Sie werden als fromme Fiktion nachösterlicher Gemeinden gewertet, die Jesus interkulturell an‐ schlussfähig machen oder als Überbieter atl. Wundertäter darstellen wollten. Kritik: Die Alternative historisch vs. unhistorisch ist problematisch und irreführend. Weiterführend sind folgende Überlegungen: Erstens, Jesu Wundertätigkeit gehört zu den historisch plausiblen Voraussetzungen des Christusglaubens und der Gemeindebildung. Zweitens, die Bibel selbst unterscheidet nicht zwischen parádoxa und adýnata; für sie ist die gesamte Weltgeschichte vom wunderhaften Schöpfungswirken Gottes durchzogen. Adýnata gibt es hier keine, denn bei Gott ist nichts unmöglich, im Gegenteil. Drittens, die Wundertexte provozieren mit der Möglichkeit des Unmöglichen gezielt den Verstand. Damit lenken sie den Blick auf die Grenzen mensch‐ licher ratio bzw. auf die Fragilität bestehender Ordnungen und setzen die Hoffnung auf umfassende Erlösung in die Welt. 3.5.3 Rationale vs. supranaturale Erklärung Rationalistische Wunderkritik und Wunderdeutung sind die Gegenbewe‐ gung zur supranaturalen Wunderdeutung. Göttliche Eingriffe sind, rationa‐ ler Logik folgend, nicht erklärbar und daher unglaubwürdig. Die Frontstel‐ lung gegen einen voraufgeklärten Supranaturalismus bestimmt bis heute die akademische Wunderforschung. Kritik: Wunder sind weder rational beweisbar noch Gegenstand eines irrationalen Glaubens. Wunder sind weiche Fakten, sie folgen einer eigenen, rational beschreibbaren Logik. Und sie sind Sache subjektiver Deutung. Man mag die Geburt eines Kindes als ‚größtes Wunder‘ bezeichnen oder als alltäglichen, biologisch erklärbaren Vorgang; beides ist möglich, sogar 115 3.5 Auswertung und Kritik <?page no="116"?> 105 Labahn 2014, 374. zeitgleich. Und so kann man Gott für die geglückte Geburt danken und zugleich den Ärzten und Hebammen. Beide Deutungen sind rational, folgen jedoch unterschiedlichen Logiken. 3.5.4 Wörtliches vs. übertragenes Verstehen Ein wörtliches Verständnis der Wundertexte kollidiert mit rationalem Denken. Mit einem übertragenen Verständnis lässt sich die Wahrheit des Wundertextes konfliktfrei formulieren. Das Erzählte wird als Hinweis auf einen anderen staunenswerten Vorgang gedeutet. Beispielhaft formuliert Michael Labahn: „Das Wunder liegt nicht im vergangenen außergewöhnlichen Geschehen, son‐ dern in der Erzeugung von Hoffnung, neuen Lebenswelten und Handlungsräu‐ men, die die Grenzen der bisherigen Lebenswirklichkeit überschreiten. 105 Dieser andere Vorgang ist kein Wunder, sondern rational bzw. psychosozial, tiefenpsychologisch oder sozialgeschichtlich erklärbar. Kritik: Die Wundertexte betonen die physisch-leibliche Sinnebene - angefangen vom physisch spürbaren Erbarmen des Wundertäters über die physische Not der Hilfesuchenden bis hin zur körperlichen Heilung bzw. Rettung. Neben dieser Ebene gibt es andere Sinnebenen, die im Sinne des ganzheitlichen biblischen Menschenbildes mit angesprochen werden. Alle Ebenen zusammen ergeben ein umfassendes Bild des Wundervorgangs. Die Reduktion auf einzelne Sinnebenen wird dem Wundertext nicht gerecht (→ 4.1; 6.1.3). 3.5.5 Form vs. Inhalt? Die ältere Formgeschichte unterschied zwischen der sprachlichen, zeitge‐ schichtlich bedingten Form eines Textes und dem überzeitlich gedachten Inhalt. Zur äußeren Form zählen der Wortlaut und die Bewertung des Erzählten als Wunder. Zum Inhalt gehören die weiteren Sinnebenen; nur sie gelten als theologisch und existenziell relevant. Die zeitbedingte, mythische Form sei bei der Wunderdeutung abzustreifen und auf das ihr eigene Wirklichkeits- oder Existenzverständnis zu befragen (Rudolf Bultmann, Programm der Entmythologisierung). 116 3 Grundlinien der Wunderforschung <?page no="117"?> 106 Berger 1984. - Vgl. die analoge Diskussion in der Gleichnis- und Metaphernforschung (Erlemann 2020, 68 ff.133). 107 Diese Auffassung entspricht der auf Gleichnisse bezogenen Missverständnisbzw. Verfälschungstheorie Adolf Jülichers; vgl. dazu Erlemann 2020, 59. 108 So schon die Kritik Albert Schweitzers an der aufgeklärten Jesusforschung. Die ratio‐ nalistischen Unterscheidungskriterien führen nicht weiter (→ 3.2.4; 3.3.4). Kritik: Eine Trennung von Form und Inhalt ist nicht möglich; wird die Form verändert, ändert sich auch der Inhalt. 106 Weiterhin ist die Zuordnung der literarischen Form zu einem überholten, mythischen Weltbild unsachge‐ mäß, da das mythische Denken im modernen Weltbild weiterlebt. Außerdem spiegeln die Wundertexte reale Wundervorgänge wider; sie bieten kein zeitloses anthropologisches Kerygma, sondern ein konzentriertes, historisch erlebbares, theologisches Kerygma: Gottes Schöpferkraft führt die Welt zur Erlösung, auch physisch-leiblich! Das Verständnis der wörtlichen Sinnebene ist durch das Konzept komplementärer Wahrnehmungsarten zurückzuge‐ winnen (→ 3.6.2d). 3.5.6 Wundergeschehen vs. Wundererzählung Diese Alternative besagt, dass viele Texte über das angebliche Wunderwir‐ ken Jesu der nachösterlichen Reflexion des Christusgeschehens zuzurech‐ nen sind. Das Motiv wird im Bedürfnis frühchristlicher Gemeinden gesehen, Jesus anderen antiken Wundertätern anzugleichen (Akkomodation) und ihn zugleich von ihnen positiv abzuheben. Konjunktur erhielt diese Sicht in der ‚Religionsgeschichtlichen Schule‘. Sie ordnete die Wundertexte der from‐ men, aber irreführenden Wirkungsgeschichte eines rational erklärbaren, historischen Geschehens zu (→ 3.3.1). 107 Kritik: Es ist von hermeneutisch notwendigen, aber sachgemäßen Anpas‐ sungen und Erweiterungen der Jesuserinnerung nach Ostern auszugehen. Insgesamt sind die Wundertexte ein authentischer Spiegel frühchristlicher Erinnerung an ihre Gründerfigur(en). Viele Taten Jesu wurden als göttlich autorisierte Wunder wahrgenommen; sie führten, zusammen mit anderen Facetten des Wirkens Jesu, zum christologischen Bekenntnis. Da dem Sohn Gottes alle Wunder der Welt zuzutrauen sind, ist eine Erweiterung der Wundertradition durchaus plausibel. Die Entscheidung über historisches Geschehen und nachösterliche (sachgemäße! ) Fiktion ist exegetisch nicht leistbar und letztlich vom Gusto des Auslegers abhängig. 108 117 3.5 Auswertung und Kritik <?page no="118"?> 109 Zimmermann 2014a (→ 3.4.4). 110 Bultmann 1933, 227 (→ 3.3.1). 3.5.7 Rationale Verstehbarkeit vs. provokative Unverständlichkeit Ruben Zimmermann fragt, ob Wundertexte rational erklärbar seien oder ob sie das rationale Denken gezielt provoziert; zumindest mit einem unver‐ ständlichen Rest sei zu rechnen. 109 Dieser grundsätzliche Einwand befreit die Wunderauslegung aus der Umklammerung rationaler Exegese und eröffnet einen Zugang zu den Wundertexten, der das Mysterienhafte des Erzählten stehen lässt. Kritik: Wunder sind zwar wissenschaftlich-rational nicht zu erfassen, doch sie sind auch kein unerklärliches Mysterium. Sie folgen vielmehr einer eigenen Wunderlogik und erschließen sich religiös-mystischer Wirk‐ lichkeitswahrnehmung als historisch erlebbares und kommunizierbares Geschehen. 3.5.8 Die Frage nach Jesus Wunderforschung ist seit jeher auch Jesusforschung. Auf der Suche nach dem historischen Geschehen rund um Jesus von Nazareth sind die Wun‐ der bis heute ein wichtiger Parameter. Eng verknüpft sind damit dogma‐ tisch-christologische Fragestellungen nach Jesu Göttlichkeit und Mensch‐ lichkeit. Das Bemühen, den Menschen Jesus von späterer dogmatischer Überlagerung zu befreien, um so den verständlichen Kern des christlichen Glaubens wiederzugewinnen, war vor allem ein Anliegen der liberalen Theologie des 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts. Die Jesusfrage begleitet die Wunderforschung auch weiterhin. Sofern die historische Jesus- und Wunderfrage nicht a priori von der theologischen Agenda gestrichen wird 110 , stehen beide in einer Wechselwirkung: Die Frage nach den Wundern ist zugleich die nach der historisch plausiblen Grundlage für die Wundertexte und für die weitere Wirkungsgeschichte Jesu. Umgekehrt kommt die Frage nach Jesus nicht um die historische Wunderfrage herum. 118 3 Grundlinien der Wunderforschung <?page no="119"?> 3.5.9 Fazit: Der Output der Wunderforschung Von der rationalistischen Wunderdeutung über ihre Bewertung als Mythen bzw. als religionsgeschichtliche Adaptionen bis hin zur Differenzierung mehrerer Sinnebenen und zur Frage rationaler Verstehbarkeit nahm die Wunderforschung eine enorme Wendung und förderte viel Wertvolles zutage: unterschiedliche Wundertypen, kontextuelle Textfunktionen, das religionsgeschichtliche Setting sowie Rezeptionsmechanismen der Wun‐ der(texte). Sie profilierte den Wunderbegriff und diskutierte den Wahr‐ heitsgehalt der Texte. Zugleich erweisen sich diskussionsleitende, dem wissenschaftlich-rationalen Wahrheitsbegriff geschuldete Alternativen als problematisch. Die neueste Forschung stellt diesen Wahrheitsbegriff als Messlatte der Wunderdeutung infrage. Sie überdenkt ihre erkenntnistheore‐ tischen Grundlagen, um dem faktualen Selbstanspruch der Texte gerecht zu werden und ihren unersetzlichen theologischen Mehrwert für den Glauben zurückzugewinnen. Damit ist das Thema weiterführender Überlegungen umrissen (→ 3.6). 3.5.10 Exkurs: Die historische Wunderfrage im Wandel Schon in der Alten Kirche war der Wunderglaube nicht unumstritten. Die allegorische bzw. spirituelle Deutung zeigt, dass sich die Menschen seit jeher mit Wundertexten schwertun. Die bleibende Wahrheit der Wunder(texte) wurde schon früh jenseits des wörtlichen Sinns gesucht. Mit dem Siegeszug der aufgeklärten Vernunft verschärfte sich die Frage. Ent-Wunderung, Entmythologisierung und kerygmatische Deutung der Wundertexte doku‐ mentieren den langen Schatten rationaler Wunderkritik. Erst in jüngster Zeit kommt die historische Wunderfrage, sprich: die Frage nach dem Wun‐ derhaften in den Wundertexten, wieder in den Blick, wird die theologische Relevanz der historischen Frage betont und wird das den Wundertexten eigene Wirklichkeitsverständnis als Schlüssel zum Verständnis und zur Lösung der Wunderfrage angesehen. 3.6 Weiterführende Überlegungen Kern eines weiterführenden, integrativen Ansatzes ist die Erschließung von Sinnebenen und theologischen Aspekten (3.6.4; Kapitel 4). Mit diesem 119 3.6 Weiterführende Überlegungen <?page no="120"?> 111 Mit Alkier 2014, 529. Ansatz bleibt auf der einen Seite das wunderhafte Geschehen im Fokus (physisch-leibliche und weitere Ebenen), auf der anderen Seite wird die theo‐ logische Reichhaltigkeit der Wundertexte sichtbar gemacht. Ausgangspunkt ist die Frage der theologischen Relevanz der Texte (3.6.1). Eine kritische Reflexion des Wahrheitsbegriffs schließt sich an (3.6.2) und führt zur Frage der Wunderlogik über (3.6.3). Ein weiterer Punkt ist die Entwicklung von Sinnebenen und theologischen Aspekten (3.6.4). Überlegungen zur Einteilung der Wundertexte in Textgruppen (3.6.5) sowie der Versuch einer integrativen Wunderdefinition (3.6.6) beenden den Abschnitt. 3.6.1 Die Frage theologischer Relevanz Ist christliche Theologie ohne das Wunderthema überhaupt denkbar? Die Frage betrifft das jüdisch-christliche Gottesbild, den Osterglauben, die jü‐ disch-christliche Zukunftshoffnung auf umfassende Erlösung sowie weitere Themenfelder. a) Der biblische Gottesglaube Laut Bibel griff Gott von Anfang an immer wieder heilvoll oder strafend in die Weltgeschichte ein. Wunderhaft ist bereits die Erschaffung der Welt (z. B. Gen 1 f.; Ps 104). Wundertaten dienen der Demonstration göttlicher Allmacht und sind Schlaglichter für Gottes Heilswillen. Strafwunder lassen Gottes ‚Schmerzgrenze‘ und seinen Gerechtigkeitswillen erkennen. Gottes Eingriffe erfolgen selten spektakulär, sondern eher subtil, durch heilvolle Führungen und glückliche Fügungen. Spektakuläre Wunder geschehen nicht flächendeckend und permanent, sondern punktuell und auf bestimmte Phasen (z. B. Exodus, Elia und Elisa, Wirken Jesu, Apostel, Endzeit) konzent‐ riert. Mit dem Wunderwirken Jesu, des Schöpfungs-Logos Gottes, begann die Neuschöpfung ( Joh 1,1-18). Seine Parusie kündigt sich durch kosmische Umwälzungen an (Mk 13,24-27; 1 Thess 4,13-17 u. a.). Apk 20-22 schildert den letzten, universalen Schöpfungsakt Gottes: Das Böse und der Tod werden vernichtet, die Welt wird neu erschaffen und das Paradies wieder‐ hergestellt werden. - Der Durchgang zeigt, dass der biblische Gottesglaube den Glauben an die Möglichkeit von Wundern unmittelbar impliziert. Ohne Wunderglauben wäre der Gottesglaube seiner Spitze beraubt. 111 120 3 Grundlinien der Wunderforschung <?page no="121"?> 112 Erlemann 2014b, 187-191. b) Ostern als Nagelprobe des Glaubens Paulus bindet in 1 Kor 15,13 f. den Gottesglauben an den Osterglauben: „Gibt es keine Auferstehung der Toten, so ist auch Christus nicht auferstanden. Ist aber Christus nicht auferstanden, so ist unsre Predigt vergeblich, so ist auch euer Glaube vergeblich.“ Die körperliche Dimension des Ostergeschehens ist für Paulus der entschei‐ dende Punkt. Nur wer glauben kann, dass Gott aus dem Tod neues Leben schafft, dessen Hoffnung ist tragfähig. Mehr noch: Nur wer an die leibliche Auferstehung Christi glaubt, glaubt wirklich an Gott! Denn sie signalisiert Gottes Sieg über Unrecht, Leid und Vergänglichkeit. - Der Osterglaube weist auf die Wundertaten Jesu zurück. In ihnen spiegeln sich Gottes Schöpferkraft und sein Heilswille, der sich in liebevoller Hinwendung zu den Menschen durchsetzt. c) Hoffnung auf leibliche Erlösung „[…] auch die Schöpfung ist ja unterworfen der Vergänglichkeit […], doch […] auch die Schöpfung wird frei werden von der Knechtschaft der Vergänglichkeit zu der herrlichen Freiheit der Kinder Gottes. Denn wir wissen, dass die ganze Schöpfung bis zu diesem Augenblick seufzt und in Wehen liegt“ (Röm 8,21 f.). Die Erlösung von Vergänglichkeit ist, neben der Sichtbarwerdung der bereits vollzogenen Heilswende, der maßgebliche eschatologische Vorbehalt des NT. 112 Die Hoffnung auf physische Erlösung ist in Jesu Wundertaten, seiner Auferstehung und im Wunderwirken des Heiligen Geistes verankert. Jesu Wunder sind Zeichen messianischer Fülle (vgl. Jes 61,1 f.; Lk 4,18-21) und das Fanal der basileía Gottes (Mt 12,28par. Lk 11,20). Damit hat die Durchsetzung der Gottesherrschaft irreversibel begonnen (vgl. die Wachs‐ tumsgleichnisse Mk 4parr.). d) Weitere theologische Aspekte Weitere mit dem Wunderglauben verknüpfte, theologische Aspekte sind: a) Pneumatologischer Aspekt: Der Heilige Geist wirkt wunderhaft, schöpfe‐ risch und kreativ. Er ist die Leben schaffende Kraft Gottes bei der Schöpfung 121 3.6 Weiterführende Überlegungen <?page no="122"?> 113 Röm 10,12; Gal 3,28; vgl. Apg 10,44-48. 114 Erlemann 2020, 249-253. - Vgl. die paulinische Unterscheidung zwischen dem tötenden ‚Gesetz des Buchstabens‘ und dem Leben schaffenden ‚Gesetz des Geistes‘ (2 Kor 3). (Gen 1,2), bei der Zeugung Jesu (Mt 1,18par. Lk 1,35) und bei seiner Auferstehung (Röm 1,3 f.; 8,11). Der Geist verleiht Jesus Immunität gegen das Böse (Mk 1,12 f.parr.) und stattet ihn mit Charisma und Wunderkraft aus (Mt 12,28). b) anthropologischer Aspekt: Wunder bewirken die Wiederherstellung der Leidenden und Marginalisierten. Verlorengeglaubte finden zurück in die Gesellschaft, selbst physisch Tote kommen zu neuem Leben (z. B. Joh 11: Lazarus). Paulus zufolge hilft der Heilige Geist dem Menschen, die ‚Taten des Leibes‘ zu töten und zur Gotteskindschaft zu kommen (Röm 8,13-17). c) ekklesiologischer Aspekt: Das geistgewirkte Sprachenwunder führt zur Bildung christlicher Gemeinschaft (Pfingstbericht, Apg 2). Den Aposteln verleiht der Geist das Charisma mutiger Rede (gr. parrhesía; Apg 4,13 u. a.). Wunderhafte Fügungen lenken den Weg der Weltmission (Apg 8,39 f.; 10; 16,6-10). - Der Geist nivelliert soziale, biologische und ethnische Unter‐ schiede in der Gemeinde 113 , stattet diese mit Charismen aus (1 Kor 12,1-11) und sorgt für ihre innere Einheit (1 Kor 12,12 f.). d) ethischer Aspekt: Worin heilvolles Verhalten besteht, lässt sich am geistgewirkten Wunderwirken Jesu ablesen: Es besteht in Vergebungsbe‐ reitschaft, Bereitschaft zum Teilen, in Barmherzigkeit usw. Diese Ethik führt auf die Grundlagen gelingenden Lebens zurück und ist tendenziell moralkritisch. 114 e) soteriologischer Aspekt: Jesu heilendes Wunderwirken verweist auf die Erlösung der Welt hin zu einem guten, unvergänglichen Leben. Hilfesu‐ chende finden Erhörung (Lk 11,9). Wer Glauben und Hoffnung auf Jesu göttliche Wundervollmacht konzentriert, findet Heilung. Glaube kann sogar Berge versetzen - gegen alle Naturgesetze (Mt 17,20; 1 Kor 13,2). e) Fazit: Wunder berühren den Kern des Glaubens Der biblische Gottesglaube ist ohne das Wunderthema unvollständig. Die Bibel bezeugt Gottes Wunderwirken von der Schöpfung bis zur Neuschöp‐ fung der Welt. Dies zu negieren, trifft den jüdisch-christlichen Glauben im Kern. Daher ist es theologisch unumgänglich, das Wunderhafte der Wundererzählungen zu seinem (eigenen) Recht kommen zu lassen. Das gilt auch für die physisch-leibliche Dimension, da gerade sie dem Glauben an 122 3 Grundlinien der Wunderforschung <?page no="123"?> 115 Mit Zimmermann 2013, 33. 116 Das LkEv unterstellt laut Lk 1,1-4 alle Berichte diesem Anspruch. 117 Durst 2020, 73-75. - Ähnlich Slenzka 2020, 152. einen allmächtigen Schöpfergott Rechnung tragen: Gott kann selbst aus dem Tod heraus neues Leben schaffen! Das ist der Spitzensatz der biblischen Wundertheologie. 3.6.2 Der Wahrheitsbegriff der Wundertexte Die Wahrheit der Wundertexte erschöpft sich nicht in Aspekten histo‐ risch-kritischer Exegese. Ihrer Selbstauskunft nach schildern sie staunens‐ werte, Hoffnung spendende, wunderhafte, göttliche Ereignisse der Vergan‐ genheit und Zukunft. Zu fragen ist erstens: Bieten sie eine sachgemäße Erinnerung an Jesu Wirken? Und zweitens: Welcher Wahrheitsbegriff bzw. welche Zugangsweise zur Wirklichkeit wird ihrem Wahrheitsanspruch gerecht? a) Faktualität und Fiktionalität Die Wundererzählungen erheben nicht den Anspruch, historische Fakten im Sinne von Faktizität exakt wiederzugeben. 115 Aber sie beanspruchen historische Glaubwürdigkeit, sie wollen als faktuale narrationes, als authen‐ tische Wiedergabe historischer Erfahrungen und Begegnungen mit Jesus von Nazareth gelesen und verstanden werden; das ist semantisch und kontextuell ausweisbar. 116 Jesus wurde von vielen Augenzeugen als der göttliche Messias wahr-genommen, der auch Wunder tun konnte; das ist aus Sicht der Evangelisten entscheidend. Für die Faktualität der Wundertexte spricht weiter, dass nur faktuale, nicht aber fiktional wahrgenommene Texte einen missionarischen Zweck erfüllen konnten. Wundertexte konnten faktual wahrgenommen werden, da Wundertaten zwar staunenswerte Ausnahmephänomene, nicht aber Unmöglichkeiten darstellten. 117 Schließlich spricht auch das Argument der Wirkungsplausibilität für den faktualen Charakter: Das historische, wunderhaft wahrgenommene Geschehen begründet plausibel den nachfolgenden Wunderglauben und die Bildung christlicher Gemeinschaft. - Der faktuale Charakter unterstreicht, dass sich der Wahrheitsanspruch der Wundertexte nicht auf einen sym‐ 123 3.6 Weiterführende Überlegungen <?page no="124"?> 118 Dazu Haudel 2021, 160: „Theologie und Naturwissenschaft betrachten […] die eine Welt aus unterschiedlicher Zielsetzung, so dass sie ungestört nebeneinander existieren können.“ 119 von Hirschhausen 2016, 129 (autobiographische Notiz). 120 Weder 1986, 109 f. 121 Wischmeyer 2004, 133. bolischen, übertragenen Sinn beschränkt, sondern die leiblich-physische Dimension miteinbezieht (→ 2.4). b) Wunder und Vernunft Die biblischen Wundertexte lassen keinen Zweifel daran, dass das erzählte Geschehen ein Wunder ist - staunenswert, unerklärlich, unverfügbar sowie natürliche, soziale und religiös-moralische Grenzen sprengend. Damit pro‐ vozieren sie die menschliche ratio. Dieses Dilemma löst sich auf, wenn Wunder als weiche Fakten eingestuft werden, deren Wahrheitsanspruch anders zu bewerten ist als der so genannter harter Fakten. Das impliziert das Nebeneinander mehrerer Wahrheitsbegriffe bzw. verschiedener Optiken auf die Wirklichkeit. 118 c) Wahrheit: Eine Frage der Perspektive „Jeder Mensch hat zwei Seiten - mindestens. Tagsüber im Labor als Doktorand. Abends auf der Bühne als Magical Entertainer.“ 119 Der wissenschaftlich-rationale Wahrheitsbegriff beansprucht weithin die Deutungshoheit über die Welt, ihre Phänomene und Entwicklungen. Seine Methode ist analytisches Denken, das auf den Nachweis von Kausalitäten aus ist. Die Ergebnisse sind intersubjektiv vermittelbar, transparent und experimentell wiederholbar. 120 Ziele sind Verifikation und Falsifikation von Aussagen und Theorien. 121 Wie schon der Unterschied zwischen wissenschaftlichem und alltäg‐ lichem Denken und Wahrnehmen zeigt, ist Wahrheit eine Frage der Perspek‐ tive; so variiert die Schilderung eines Unfallhergangs je nach Blickwinkel. Die Konstruktion von Wahrheit ist von mehreren Faktoren abhängig: Lebenserfahrung, vitale Interessen, emotionaler Bezug und mehr lassen ein und dasselbe Phänomen unterschiedlich wahr-nehmen. In der Regel gibt es mehr als die eine Wahrheit. 124 3 Grundlinien der Wunderforschung <?page no="125"?> 122 Berger 1996, 65-70; ders. 1999, 190-206. 123 Zum Folgenden Erlemann 2016, 165-170. Das gilt besonders für Bereiche, die technisch-rationaler Messbarkeit und Beweisbarkeit entzogen sind: für Mode, Kunst und Musik, wo die Geschmäcker bekanntlich verschieden sind, aber auch für emotional aufge‐ ladene Bereiche wie Fußball, Haustiere und Hobbies aller Art. Was für die einen ein banales Wettlaufen um einen Lederball ist, ist für den anderen eine Lebensphilosophie. Was für den einen ein ärgerlicher Köter ist, ist für den anderen ein Beitrag zur Lebensqualität. Was für die eine wildes Gekritzel ist, ist für die andere der Inbegriff moderner Kunst. Hier lässt sich nicht festlegen, wo die ‚Wahrheit‘ liegt; im besten Fall ergänzen sich die unterschiedlichen Perspektiven auf dasselbe Phänomen. d) Komplementäre Wahrnehmungsarten Klaus Bergers Modell der vier Türen ist ein Versuch, den Wahr‐ heitsbegriff von solchen Überlegungen her zu differenzieren. 122 Natur‐ wissenschaftlich-rationaler, künstlerisch-ästhetischer, weisheitlicher und mythisch-mystischer Zugang zur Wirklichkeit stehen demnach gleichbe‐ rechtigt nebeneinander, die Zugänge unterscheiden sich lediglich in der Perspektive auf die Wirklichkeit. Die Reduktion auf einen einzigen Zugang blende bestimmte Aspekte der Wirklichkeit aus und bewirke damit gleich‐ sam einen Tunnelblick. Wundererfahrungen, so Berger, sind nur durch die mythisch-mystische Tür zur Wirklichkeit wahrnehmbar. Diese Wahrnehmungsart rechne mit unsichtbaren, aber physisch erlebbaren Eingriffen unsichtbarer Kräfte in den sichtbaren Alltag; die Grenze zwischen den Sphären sei durchlässig. Mythisch-mystische Erfahrungen wie die Osternachtliturgie mit ihrer Licht‐ symbolik seien technisch-rational weder messbar noch beweisbar und dennoch wahrnehmbar und erlebbar. Sie seien weiche Fakten, die nicht irrational sind, sondern einer eigenen Logik folgen. In Erweiterung des Modells der vier Türen wird im Folgenden von mehreren, einander ergänzenden Möglichkeiten, die Wirklichkeit wahrzunehmen und zu deuten, gesprochen. 123 Die Annahme mehrerer Wahrnehmungsarten ist unabdingbar, um Wundererfahrungen verstehen und vermitteln zu können. 125 3.6 Weiterführende Überlegungen <?page no="126"?> 124 Slenzka 2020, 155. „Ein applizierender Umgang mit den Wundererzählungen setzt […] voraus, dass nicht nur die Pluriformität von Weltsichten ausgewiesen wird, die nebeneinander existieren, sondern auch die Pluriformität der je eigenen Weltsicht. Und das ist mitnichten aussichtslos.“ 124 Ausgangspunkt ist die Beobachtung, dass wir ständig, bewusst oder unbe‐ wusst, unsere Optik auf die Wirklichkeit ändern. Das hängt mit Stimmungen und Befindlichkeiten, aber auch mit den Räumen, in denen wir uns bewegen, zusammen. Das spricht nicht für eine dissoziative Störung, sondern ist völlig normal und bereichert unsere Wirklichkeitssicht. Mögliche Wahrneh‐ mungsmodi sind: nüchtern-analytisch, liebend-empathisch, ästhetisch-po‐ etisch, weisheitlich-esoterisch, virtuell-vernetzend, mythisch-personifizie‐ rend oder religiös-mystisch. 1. Die nüchtern-analytische Wahrnehmungsart: Dieser dem wissenschaftlich-rationalen Wahrheitsbegriff verpflichtete Wahrnehmungsmodus betrachtet die Welt als empirisch beschreibbaren, von Kausalitäten durchzogenen und Naturgesetzen folgenden Raum. Lei‐ tend ist logisches Denken, gedacht wird in Kategorien wie beweisbar vs. falsifizierbar, erklärbar vs. nicht erklärbar, richtig vs. falsch, wahrscheinlich vs. unwahrscheinlich und harte Fakten vs. Fiktion. Die Bewertung und Beurteilung einzelner Phänomene richtet sich tendenziell an ihrer Funktion für das gesamte System aus. Beispiel: Die Bedeutung bzw. Relevanz einzelner Pflanzen und Tiere bemisst sich an ihrer Funktion innerhalb einer Nahrungskette oder eines Ökosystems sowie am Nährwert für den menschlichen Organismus und die Ökonomie. Dieses Denkmuster wird häufig auf die Beurteilung von Menschen übertragen. Charakteristisch ist eine möglichst ‚objektive‘ Beschreibung der Wirklich‐ keit ohne Emotion und Pathos. Ziel ist die rationale Durchdringung und Erklärung der Welt und ihrer Phänomene. Grundsätzlich gilt: Wahr ist, was beweisbar bzw. was erklärbar ist. Was nicht beweisbar bzw. historisch oder experimentell erklärbar ist, ist zumindest suspekt. 126 3 Grundlinien der Wunderforschung <?page no="127"?> 125 Dasselbe gilt natürlich umgekehrt auch für die Optik des Hasses, des Neides usw. Beispiel 1: Unerklärliche Krankheitsbilder werden in der Schulmedizin ‚idiopathisch‘, nicht erklärbare Heilungsprozesse ‚Spontanheilungen‘ genannt. Das Leben endet mit dem physisch-neurologisch feststellbaren Hirntod; eine postmortale Existenz ist allenfalls Sache des persönlichen Glaubens. Beispiel 2: Zeit gilt als chronometrisch messbares, weltweit immer gleich schnell ablaufendes Medium; das subjektive Zeitempfinden ist allenfalls Gegenstand psychologischer Forschung. Beispiel 3: Sprache ist zuallererst ein Kommunikationsmedium; Dich‐ tung ist, wie Kunst und Musik, insofern von Interesse, als sie messbare Auswirkungen auf das gesellschaftliche Gefüge hat und / oder sich vermarkten lässt. Beispiel 4: Fußball ist Objekt empirischer, soziologischer oder kulturwis‐ senschaftlicher Forschung und lässt sich nüchtern als Massensport, bei dem zwei Mannschaften 90 Minuten einem Lederball hinterher rennen, umschreiben. Der nüchtern-analytische Wahrnehmungsmodus kennt auch moderne My‐ then, wie die Rede von American Dream oder vom Wirtschaftswunder. Die Rede vom Wirtschaftswachstum dient bis an die Grenze des Irrationalen der Sinnstiftung einer kapitalistisch ausgerichteten Industriegesellschaft und wirkt damit systemstabilisierend. Die Musikindustrie erhebt quotenträchtige Künstler zu Mythen bzw. Kultlegenden, um ihre Vermarktung zu maximieren. Dasselbe gilt für die Filmbranche und andere Wirtschafts‐ zweige. 2. Der liebend-empathische Wahrnehmungsmodus: Dieser Modus betrachtet die Welt mit dem Herzen, leidenschaftlich und Partei ergreifend. Die Optik des Herzens und der Liebe erkennt Eigenschaf‐ ten an der Welt und am Menschen, die dem nüchtern-analytischen Blick verborgen bleiben. 125 Beispiel 1: Verliebte sehen ihre Partner mit anderen Augen als Außen‐ stehende. Sie sehen bevorzugt das Gute im Anderen und gewichten sein 127 3.6 Weiterführende Überlegungen <?page no="128"?> positives Potenzial höher als seine Macken, die er oder sie sicherlich auch hat. Die Liebe arbeitet auf die Realisierung dieses Potenzials hin. Liebenden erscheint die Wirklichkeit verklärter: Sie sehen sie durch die ‚rosarote Brille‘, der Himmel hängt ‚voller Geigen‘, wer verliebt ist, hat ‚Schmetterlinge im Bauch‘. Beispiel 2: Empathie und Liebe glauben an die Machbarkeit des Guten und entwickeln Kraft und Phantasie, die Wirklichkeit zum Besseren zu verändern. Empathie und Barmherzigkeit beurteilen fremde Schicksale nicht nüchtern-analytisch, sondern lassen sich bewegen und arbeiten solidarisch auf die Beseitigung der Not hin. Für die Liebe ist selbst der Tod keine unüberwindliche Grenze. Beispiel 3: Fußball ist für Fans kein banales Gekicke, sondern etwas, wofür sie Herzblut vergießen. Fans fiebern und leiden gegebenenfalls mit ihrem Verein mit und jubeln über jeden Erfolg, auch wenn eine nüchtern-analytische Betrachtung solche Emotionen nicht rechtfertigt. Für die liebend-empathische Weltsicht ist Engagement eine Herzensangele‐ genheit. Diese Wahrnehmungsart ist der religiös-mystischen eng verwandt. Mythen unserer Zeit und Kultur in diesem Bereich sind die große Liebe, die Liebe auf den ersten Blick sowie lebenslange, innige Verbundenheit in Liebe und Treue. 3. Die ästhetisch-poetische Wahrnehmungsart: Dichtung, Kunst und Musik lassen die Wirklichkeit oft in neuem, überra‐ schendem Licht erscheinen und führen zu Weltdeutungen, die mit nüch‐ tern-analytischer Sprache und Betrachtung nicht zu erzielen wären. Beispiel 1: Metaphern und Gleichnisse haben eine po(i)etische Funktion: Sie bringen hervor, wovon sie sprechen, oder weisen auf versteckte Verbindungen zwischen einzelnen Sinnbezirken hin. Damit sprechen sie das Herz und die Emotionen an, verstärken oder regulieren diese. Dichtung ‚verdichtet‘ die Wirklichkeit, bringt sie auf den (vom Dichter erfassten) Punkt. Beispiel 2: Die Wirkung von Musik und Kunst ist zwar rational-empi‐ risch beschreibbar, aber nicht ersetzbar. Auch entzieht sie sich den Kategorien nüchterner Analyse; es gibt kein Richtig oder Falsch, kein 128 3 Grundlinien der Wunderforschung <?page no="129"?> Wahr oder Unwahr, sondern nur die Erfahrung, dass Musik und Kunst das Herz ansprechen (oder eben nicht). Ob es dazu kommt, hängt an höchst individuellen und situativen Faktoren - und am persönlichen Geschmack. Beispiel 3: Auch der Fußball hat eine ästhetisch-poetische Ebene: Fangesänge und Stadionhymnen vereinen die Fangemeinschaft mit ihrer Mannschaft. Inhaltlich halten die Gesänge einer nüchtern-analytischen Betrachtung nicht stand; sie wirken übertrieben, pathetisch und ver‐ klärend. Aber die Gesänge sind deshalb nicht ‚falsch‘; sie fangen die besondere Beziehung der Fans zu ihrem Verein ein und wirken gemein‐ schaftsbildend. Darin sind sie biblischen Hymnen und dem Glaubens‐ bekenntnis verwandt. Kunst ist nicht irrational, lässt sich aber auch nicht in rationale Denkka‐ tegorien wie richtig oder falsch pressen. Ihr Sitz im Leben liegt nicht in nüchtern-analytischer Betrachtung, sondern in Kontemplation, Bewunde‐ rung und genießerischer Muße. Kunst kann die Seele ansprechen; sie rüttelt auf, appelliert, provoziert, entspannt, schafft Identifikation mit dem eigenen Ich oder mit der Gemeinschaft oder sie schafft ganz einfach Freude und sorgt für Glücksmomente. 4. Die weisheitlich-esoterische Wahrnehmungsart: Kausale Zusammenhänge spielen hier, wie im nüchtern-analytischen, eine wichtige Rolle. Allerdings gründen weisheitliche Kausalitäten nicht auf rationaler Beweisführung, sondern auf kollektiver Lebenserfahrung (Weis‐ heit) vieler Generationen. Oder es wird uraltes Spezialwissen postuliert, das nur einem umgrenzten Kreis besonders Erleuchteter oder Eingeweihter zugänglich ist (Esoterik). Beispiel 1: Alternative Heilverfahren, Magie und Schamanismus können auf eine mitunter über Jahrtausende gewachsene, teilweise esoterische Tradition verweisen; trotzdem sind sie wissenschaftlich nicht aner‐ kannt, weil kausale Zusammenhänge zwischen Verfahren und Heilung nicht bewiesen werden können. Zum Teil berühren die Verfahren den Bereich der Esoterik. 129 3.6 Weiterführende Überlegungen <?page no="130"?> 126 Das esoterische Wissen wurde und wird zum Teil der nicht-esoterischen Öffentlichkeit bewusst vorenthalten. Die esoterische Sprache der Apokalyptik arbeitet z. B. bevorzugt mit Symbolen und Chiffren, die nur Insidern verständlich sind (Erlemann 2020, 98-100). Beispiel 2: Die biblische Weisheitsliteratur bietet einen großen Fundus an Sprichwörtern, über deren Wahrheit es einen breiten gesellschaftlichen Konsens gibt. Beweisbar sind postulierte Kausalzusammenhänge wie ‚Wer andern eine Grube gräbt, fällt selbst hinein‘ nicht. Dennoch fungie‐ ren sie seit jeher als bewährte Anleitung zu einem klugen, erfolgreichen Lebensstil. Beispiel 3: Esoterik rechnet mit besonderen Zeiten und Orten mit magischer Qualität. Sie zu kennen, kann genutzt werden, um ein Leben in kosmischer Harmonie zu führen. Prominent ist die Nutzung von Mondkalendern, um bestimmte Tätigkeiten in günstigen Mondphasen durchführen zu können. Beispiel 4: Es gehört zu den Fußball-Weisheiten, dass ‚der Ball rund‘ bzw. ein Spiel erst nach dem Abpfiff wirklich gewonnen oder verloren ist; diese Weisheit zielt auf volle Konzentration bis zur letzten Spielmi‐ nute. Eine andere Fußball-Weisheit lautet, dass in Pokalrunden andere Gesetze herrschen als in Ligaspielen. Grundlage dieser Weisheiten ist nicht rationale Logik, sondern Generationen übergreifende Fußball-Er‐ fahrung. Weisheitliches Wissen ergänzt die wissenschaftlich-rationale Welterschlie‐ ßung. Sein Wahrheitsanspruch stützt sich auf kollektive Erfahrung und auf den gesunden Menschenverstand, auf das, was schon immer funktioniert hat oder eben nicht. - Die Esoterik führt ihrem Selbstverständnis nach uraltes weisheitliches, philosophisches und religiöses Wissen zusammen; dessen Wahrheit steht freilich nur für Esoteriker außer Frage. 126 5. Die virtuell-vernetzende Wahrnehmungsart: Die Digitalisierung der modernen Welt erweitert das Spektrum der Wahr‐ nehmungsmodi. Die rasante Verbreitung und globale Nutzung von Internet und sozialen Medien eröffnen für viele Userinnen und User virtuelle Paral‐ lelwelten, die teilweise attraktiver scheinen als die reale Welt mit ihren viel‐ fältigen Problemen und ihrer hohen Komplexität. Wer sich in den digitalen Medien bewegt, hat einen Zugriff auf Wirklichkeit, der virtuell-vernetzend genannt werden kann. 130 3 Grundlinien der Wunderforschung <?page no="131"?> Beispiel 1: Vernetzung ist ein Zauberwort der sozialen Medien wie Instagram, Facebook, Xing, TikTok & Co. Nur wer vernetzt ist, wird wahrgenommen. Der Wert des Menschen bemisst sich an der Anzahl von Followern, an likes und dislikes. Doch bleibt die Vernetzung zu einem hohen Grad virtuell; reale, physische Kontakte haben nicht oberste Priorität. Beispiel 2: Wissenserwerb und Informationsbeschaffung finden je län‐ ger, desto weniger im realen Bildungsbetrieb statt. Google und Wikipe‐ dia gelten als Enzyklopädien des digitalen Zeitalters. Die Bereitstellung des Wissens erfolgt in der ‚Community‘, und zwar weitgehend anonym. Ein kritisch-reflektierender Diskurs über das präsentierte Wissen findet kaum statt. Beispiel 3: Das moderne Geschäfts- und Wirtschaftsleben verläuft mehr und mehr digital. Einkäufe, Vertragsabschlüsse, Kredit- und Bildungs‐ wesen laufen über digitale Medien, mit allen Vor- und Nachteilen im Einzelnen. Wer nicht vernetzt ist, ist offline, vom ‚wahren‘, digitalen Leben abgeschnitten. Beispiel 4: Die Corona-Pandemie lehrt, dass selbst Fußballspiele digital funktionieren - wenn auch nicht so attraktiv wie mit Menschenbad im Stadion. Fangruppen organisieren sich über die sozialen Medien, der Fußballstammtisch findet ebenfalls digital statt. In den sozialen Medien ist die Vernetzung mit den Fußballprofis sogar noch leichter zu bewerkstelligen. Die virtuell-vernetzende Wahrnehmungsart geht mit einem hohen Grad an (vermeintlicher) Anonymität und Unverbindlichkeit einher. Physische Prä‐ senz spielt nur eine untergeordnete Rolle. Zur Anonymität kommen social distancing, cybermobbing, Datenklau und andere Formen der Cyber-Krimi‐ nalität als Begleitphänomene mit unabsehbaren Langzeitfolgen für Psyche und Gesellschaft. 6. Die mythisch-personifizierende Wahrnehmungsart: Diese Wahrnehmungsart gehört zu den ältesten der Menschheit. Für den antiken Mythos typisch ist die Personifizierung bzw. Deifizierung uner‐ gründlicher und übermächtiger Naturgewalten wie Gewitter und Sturm sowie der elementaren Lebensgrundlagen wie Gestirne, Erde, Wasser und Natur. Die Menschen fühlten sich in ihrem Alltag ständig durch eine Vielzahl 131 3.6 Weiterführende Überlegungen <?page no="132"?> von Göttern und Zwischenwesen (Dämonen, Engel, Götterboten, Halbgöt‐ ter) beeinflusst. Kultische Verehrung und Opfergaben sollten die Götter gnädig stimmen. Zwar kam es schon in der Antike zur Entmythisierung des Weltbilds, doch leben Mythos und Mythen auch im 21. Jahrhundert weiter und ergänzen die Optiken auf Wirklichkeit. Beispiel 1: Jede Gesellschaft produziert ihre eigenen Mythen, auch in der Moderne. In der Phase zwischen den beiden Weltkriegen war z. B. in Deutschland die Dolchstoßlegende populär. Zu Corona-Zeiten kursieren Verschwörungstheorien aller Art, die einzelne Akteure wie Bill Gates oder Lothar Wieler zu wahren Göttern oder Halbgöttern mit zumeist bösen Absichten stilisieren. Beispiel 2: Selbst aufgeklärte, durchaus rational denkende Menschen reden ab und an vom Wettergott oder vom Fußballgott, von Göttinnen auf der Leinwand und vom ‚Halbgott in Weiß‘. Natürlich ist das nicht wörtlich gemeint, oder doch? Ein Funken Ernsthaftigkeit und Wahr‐ heitsanspruch ist immer dabei. Beispiel 3: Die Filmindustrie produziert beständig moderne Mythen wie Herr der Ringe, James Bond oder Harry Potter. Die Musikindustrie lebt von Mythen wie Mozart, van Beethoven, den Beatles oder den Rolling Stones. Literaturgeschichte und Theater warten mit mythisch zu nennenden Dauerbrennern wie Shakespeares Dramen oder Goethes Faust auf. Die Opern von Wagner verdanken ihre Popularität den mythischen Stoffen, die sie behandeln. Der Erfolg all dieser Genres belegt die Begeisterung der Menschen für Mythen. Beispiel 4: Die mythische Facette des Fußballs betrifft nicht nur den Fußball-Gott, der scheinbar willkürlich den Ausgang von Spielen und Weltmeisterschaften bestimmt, sondern auch einzelne Persönlichkeiten wie Franz Beckenbauer, Pelé und Maradona (die ‚Hand Gottes‘), die in den Medien und in der Fan-Wahrnehmung eine Mythifizierung bzw. Deifizierung erfahren. Beispiel 5: Royale Dynastien haben seit jeher etwas Mythisches; die Verkaufszahlen entsprechender Gazetten belegt dies. Auch um Industriemarken wie Apple, Microsoft und Tesla ranken sich Mythen. Dass das Internet ‚sauber‘, ethisch unbedenklich sei, ist ebenfalls ein Mythos, genau wie globale Chancengleichheit via Google, Facebook, YouTube etc. Und am Ende deifiziert sich der Internet-User durch hochgeladene, 132 3 Grundlinien der Wunderforschung <?page no="133"?> 127 https: / / www.frischezwischentoene.de/ 2020/ 07/ 28/ ewiges-leben-2-0-2015/ (zuletzt 12. 4. 2021). 128 Der katholische Theologe Pierre Teilhard de Chardin (1881-1955) sah in der Mystik einen ganzheitlichen Erfahrungsakt, der eine Synthese von Naturwissenschaft und Glauben ermögliche (Hinweis bei Haudel 2021, 256 f.). persönliche Daten, die im Netz bekanntlich unsterblich sind, und er‐ schafft sich so sein ‚Ewiges Leben 2.0‘. 127 Der mythisch-personifizierende Wahrnehmungsmodus sollte eigentlich durch das technisch-rationale Denken der Moderne überwunden sein - so dessen Anspruch. Gleichwohl scheint es, dass die Menschen sich in mythisches (und esoterisches) Denken flüchten, je komplexer die wissen‐ schaftlichen Welterklärungen werden und je nüchtern-analytischer der allgemeine Zugriff auf Wirklichkeit erfolgt. 7. Die religiös-mystische Wahrnehmungsart: Wie der mythisch-personifizierende nimmt auch der religiös-mystische Wahrnehmungsmodus einen Bereich jenseits der sichtbaren, technisch-ra‐ tional erfassbaren Welt an. 128 Anders als der mythisch-personifizierende und der esoterische Modus geht diese Wahrnehmungsart jedoch von einem göttlich gestifteten Sinn und Ziel des Weltgeschehens (Teleologie) aus (→ 1.7.8). Beispiel 1: Statt von Urknall und Evolution spricht die Religion von göttlicher Schöpfung. Anstatt die Menschen und die Phänomene dieser Welt an ihrer Funktion und ihrem Nutzen für das Allgemeine zu messen, lehrt die Religion die Ehrfurcht vor der Schöpfung und ihren Kreaturen. An die Stelle der Vernunft treten in den Religionen göttliche Bestim‐ mung und Verantwortung als Motive ethischen Verhaltens. Endet laut nüchtern-analytischer Weltbetrachtung das Leben mit dem Ende der Hirnfunktionen, ist der Tod, religiös betrachtet, die Durchgangsstation hin zu einer neuen, anderen Existenzform. Beispiel 2: Besondere Zeiten, Orte und Symbole ermöglichen, ähnlich wie im esoterischen und mythischen Modus, intensive religiöse Erfah‐ rungen. Religionen kennen heilige Festzeiten, markante Berge und Wüsten als Orte konzentrierter Gotteserfahrung. Fasten, Askese, Gebet, 133 3.6 Weiterführende Überlegungen <?page no="134"?> 129 Süßmeier 2021, 112. 130 Mit Berger 1999, 55. Meditation und Kontemplation sind Wege zu religiös-mystischer Got‐ tesbegegnung. Anders als in der Esoterik gilt die Gottheit dabei als letztlich unverfügbar; göttliche Kräfte lassen sich nicht für menschliche Zwecke instrumentalisieren. Beispiel 3: Im Gegensatz zur Esoterik erfolgt die Erlösung des Menschen im jüdisch-christlichen Denken nicht mittels Exklusivwissens, sondern von Gott her. Anstelle mannigfaltiger kosmischer Kräfte und Wesen sind in den monotheistischen Religionen alle Kräfte auf den einen Schöpfergott konzentriert. Beispiel 4: Neben diversen Fußball-Göttern und Idolen erinnern die Fangesänge im Stadion, ähnlich wie große Popkonzerte, an religiöse Veranstaltungen mit fester Liturgie. Mystische Sehnsucht nach Vereini‐ gung mit den Idolen ist seit der Beatlemania in den 1960er Jahren ein bekanntes Phänomen. 129 Die religiös-mystische Weltwahrnehmung steht der nüchtern-analytischen diametral gegenüber. Die Annahme jenseitiger Sphären, göttlicher Mächte und postmortaler Existenz ist dem rationalen Denken ebenso wenig zugäng‐ lich wie die Rede von göttlichen Offenbarungen, göttlicher Erlösung oder von heiligen Zeiten, Orten, Symbolen und Texten. Gleichwohl sind diese re‐ ligiösen Annahmen nicht irrational und ‚unwahr‘; sie folgen vielmehr einer eigenen Logik. Die biblische Rede von Heilsgeschichte, Erwählung, Versto‐ ckung und Erlösung etc. ist das Ergebnis langer theologischer Reflexionsprozesse über geschichtliche Erfahrungen, die allesamt durch die heilvolle Zuwendung eines personhaften Gottes schlüssig erklärt werden. Der Glaube an den allmächtigen, gerechten und treuen Gott Israels, der mit seinem Volk mitlebt und mitzieht, prägt den biblischen Wahrheitsbegriff: Wahr ist, was sich als beständig und treu erweist, worauf man sich unbedingt verlassen kann, was sich schon immer als heilvoll erwiesen hat und immer wieder neu erweist. 130 Diese religiöse Weltwahrnehmung ist auch der Maßstab biblischer Wundertexte: Sie schildern erlebte Begegnungen mit diesem Schöpfergott! Der religiös-mystische Wahrnehmungsmodus ergänzt den nüchtern-ana‐ lytischen; er gibt auf die Frage nach dem Sinn des Weltgeschehens eine 134 3 Grundlinien der Wunderforschung <?page no="135"?> 131 A. a. O., 56.68. 132 Gegen das Diktum von Bultmann 1960, 18 (→ 3.3.2). Antwort, die sich nicht auf die Feststellung von Zufällen und evolutionärer Prozesse beschränkt. Und er findet auf die Frage nach der menschlichen Würde und dem Wert der Schöpfung andere Antworten als Wissenschaft und Technik. - Anstelle wissenschaftlicher Überprüfbarkeit gilt die heil‐ volle, Leben schaffende Wirkung als Wahrheitskriterium. Auskünfte wie „Ich bin die Wahrheit“ ( Joh 14,6) werden nicht ontologisch gedeutet, sondern als Umschreibung der absoluten Verlässlichkeit des Gottessohnes verstan‐ den. Joh 8,32 („ihr werdet die Wahrheit erkennen, und die Wahrheit wird euch frei machen“) spielt nicht auf philosophische Lehrinhalte an, sondern auf die befreiende Begegnung mit Jesus, dem Repräsentanten des treuen, Leben ermöglichenden Gottes. 131 Fazit: Eine Wirklichkeit und viele Wahrnehmungsarten Die Wirklichkeit lässt sich auf unterschiedliche Art und Weise wahrnehmen. Die Wahrnehmungsarten konkurrieren nicht, sondern ergänzen einander zu einer umfassenden Weltsicht. Sie antworten auf unterschiedliche Fragen, stillen unterschiedliche menschliche Bedürfnisse, bilden unterschiedliche menschliche Facetten ab. Die Reduktion auf eine einzige Optik übersieht wichtige Aspekte der Gesamtwirklichkeit und führt zu dogmatischer In‐ toleranz. Die Aufspaltung der Weltsichten in rational vs. irrational ist unsachgemäß; vielmehr ist von unterschiedlichen Logiken auszugehen, die auf ihre Weise rational sind. Der Mensch wechselt ständig bewusst oder unbewusst zwischen ver‐ schiedenen Wahrnehmungsweisen hin und her. Wir verwenden Elektrizität und können trotzdem an Wunder oder den Einfluss des Mondes glauben. 132 Wir können ein und dasselbe Ereignis nüchtern-analytisch, empathisch, po‐ etisch und religiös deuten, wie z. B. die Geburt eines Kindes, den überlebten Unfalltod oder die überraschende Genesung von schwerer Krankheit. Wir können am Morgen einen nüchtern-analytischen Artikel über ein Fußball‐ spiel schreiben und am Abend in Fangesängen schwelgen und den Fußball‐ gott beschwören. Wir können zu einer Stunde die Bibel historisch-kritisch erforschen und sie zur anderen meditativ betrachten. Dabei bleiben wir stets wir selbst. All diese Facetten und Wahrnehmungsweisen gehören zur menschlichen Natur, auch wenn nicht jeder Mensch Antennen für alle Wahrnehmungsarten hat. Die Verknüpfung mehrerer Modi kann durchaus 135 3.6 Weiterführende Überlegungen <?page no="136"?> 133 Ähnlich Slenzka 2020, 155. bereichernd sein. Nicht kombinieren lassen sich lediglich die Deutung von Ereignissen als Fügung und als Zufall oder die Beschwörung von Geistern und das Bekenntnis zum biblischen Gott. 133 - Wunder erschließen sich vorzugsweise der religiös-mystischen Wahrnehmungsweise. Sie verweisen auf die heilvolle Zuwendung des biblischen Schöpfergottes. Welche Logik Wundern inhärent ist, ist in → 3.6.3 zu klären. e) Wunderglaube und Wirklichkeitssicht Wer offen ist für Wunder, entwickelt folgende Einstellung zur Wirklichkeit: 1. Vertrauen in die Treue Gottes: Wunderglaube setzt eine Offenheit für unerwartete, heilvolle Wendungen voraus; das lässt sich an biblischen Wundertexten studieren. In ihnen ist Gottes Präsenz spürbar. Wer den Gedanken an die Möglichkeit wunderhafter Wendungen zulässt, gewinnt eine neue Lebensperspektive, die durch tiefes Vertrauen in die Treue und Fürsorglichkeit Gottes geprägt ist. nüchternanalytisch rationaler Wahrheitsbegriff, Kausalität, Naturgesetze, Beweisführung Naturwissenschaft, Schulmedizin Evolution, Zufall Experiment, Analyse Kausalität, Naturgesetze, Beweisführung Naturwissenschaft, Schulmedizin Evolution, Zufall Experiment, Analyse liebendempathisch Sympathie, Empathie, Antipathie, Parteilichkeit, Engagement, Herzblut, Begeisterung Augen der Liebe Engagement, Herzblut, Engagement, Herzblut, Begeisterung Begeisterung Augen der Liebe ästhetischpoetisch Dichtung, Kunst, Musik, Metaphern, Literatur Kontemplation, Genießen, Verzauberung Ver-Dichtung der Wirklichkeit ästhetisch poetisch poetisch Dichtung, Kunst, Musik, Metaphern, Literatur Kontemplation, Genießen, Verzauberung Ver-Dichtung der Wirklichkeit weisheitlich / esoterisch Tun-Ergehen-Kausalität kollektive Erfahrung / esoterisches Wissen (Mythen) gesunder Menschenverstand alternat. Medizin weisheitlich / weisheitlich / esoterisch esoterisch Tun-Ergehen Ergehenkollektive Erfahrung / kollektive Erfahrung / esoterisches Wissen (Mythen) esoterisches Wissen (Mythen) gesunder Menschenverstand gesunder Menschenverstand virtuellvernetzend digitale Welt, Internet, Wikipedia, soziale Medien, social distancing, Anonymität, Abwertung der realen Welt, Künstliche Intelligenz virtuellvernetzend vernetzend mythischpersonifizierend Deifizierung von Naturmächten; Dämonen, Engel; mediale Mythen, Verschwörungstheorien Opferkult mythischpersonifizierend Deifizierung von Naturmächten; Dämonen, Engel; mediale Mythen, Verschwörungstheorien Mythen, Verschwörungstheorien Mythen, Verschwörungstheorien religiösmystisch bibl. Wahrheitsbegriff, eigene Logik, Gott, Schöpfung, Sinnfrage, Wunder Spiritualität: Meditation, Kontemplation, Anbetung Gebet, Staunen Komplementäre Wahrnehmungsarten 136 3 Grundlinien der Wunderforschung <?page no="137"?> e) Wunderglaube und Wirklichkeitssicht Wer offen ist für Wunder, entwickelt folgende Einstellung zur Wirklichkeit: 1. Vertrauen in die Treue Gottes: Der Wunderglaube setzt eine Offenheit für unerwartete, heilvolle Wendungen voraus; das lässt sich an biblischen Wundertexten studieren. In ihnen ist Gottes Präsenz spürbar. Wer den Gedanken an die Möglichkeit wunderhafter Wendungen zulässt, gewinnt eine neue Lebensperspektive, die durch tiefes Vertrauen in die Treue und Fürsorglichkeit Gottes geprägt ist. 2. Gelassene und verantwortungsvolle Einstellung: Wer mit wunderhaften Wendungen rechnet, sieht das eigene Leben und die Welt mit anderen Augen: Nichts erscheint zufällig, nichts ist gleich-gültig, alles hat seinen tieferen Sinn und ein Ziel, jeder und jede hat eine unverwechselbare Würde, nicht alles ist technisch machbar und muss es auch nicht sein. Was Menschen verzweifeln lässt, verliert an Bedrohlichkeit. Statistiken und Zukunftsszenarien lässt sich mit mehr Gelassenheit begegnen, Hoffnung tritt an die Stelle von desillusioniertem Zynismus. Kurz: Die Wirklichkeit lässt sich besser ertragen und die Motivation wächst, die Welt heilvoll zu verändern. Wer an Wunder glaubt, ist in der Lage, anderen Menschen Hoffnung zu geben und so die Welt zu einem lebenswerten Ort zu machen. 3. Triebfeder zu heilvoller Veränderung: Die Grenzen des ‚Realistischen‘ weiten sich. Soziale Strukturen, politische und klimatische Entwicklungen, Gewaltspiralen und Machtkonzentrationen erscheinen veränderbar. Wer für Wunder offen ist, hält mehr für möglich, als man sehen kann. So wird die Offenheit für Wunder zu einer gewaltigen Triebfeder für heilvolle Veränderungen. Für Wundergläubige gibt es nichts, was immer so bleiben müsste, wie es ist; wer an Wunder glauben kann, lässt sich auf seinem Weg vom Realismus der Anderen nicht entmutigen. Wer sich energisch für seine Visionen einsetzt, wird das angeblich Unmögliche in greifbare Nähe rücken und schließlich in Realität umsetzen können. 3.6.3 Die Logik der Wunder Die biblischen Wundertexte lassen eine eigene Wunderlogik erkennen. Gebet, Glaube und Hoffnung sind Türöffner für Wunder. Treffen sie auf die liebend-barmherzige Zuwendung des Wundertäters, wird ein Wunder möglich. 137 3.6 Weiterführende Überlegungen <?page no="138"?> 134 Mt 18,19; Joh 15,7; Apg 2,43; 4,23-31; 5,12-16 (die Apg nennt Einmütigkeit wunderwir‐ kend). 135 Zu Gottes Treue als Schlüssel der Hermeneutik vgl. Berger 1999, 55 f. 136 Laut Lk 5,15 f. weist Jesus Notleidende zurück, um in der Einsamkeit zu beten. 137 Erlemann 2016, 119. 138 Berger 1999, 194. a) Die Logik intensiven Gebets Laut Bibel ist das intensive Gebet ein Türöffner zu den Wundern. Wer inständig betet, erhält Anteil an Gottes Kraft und wird immun gegen Zweifel (Lk 22,46). Wer betet, stärkt seinen Glauben, erneuert die Energie, gegen die Macht des Faktischen das Unmögliche zu erreichen. Wer Gott bittet, wird erhört (Mt 7,7; Mk 11,24; Lk 18,1-8). Das Einssein im Gebet und mit Christus wirkt Wunder. 134 Diese Kausalität ist nicht rational beweisbar; sie steht und fällt mit Gottes Treue zu seinen Zusagen und Verheißungen. 135 Jesus ist das Paradigma des Menschen, der mit seinen Gebeten - oft alleine, an einsamen Orten - eine intensive Gottesbeziehung pflegt, die ihn die Grenzen des Menschen Möglichen übersteigen lässt. 136 b) Die Logik nachhaltigen Glaubens „Dein Glaube hat dir geholfen“ heißt es in mehreren Wundertexten (z. B. Mk 5,34; 10,52; vgl. Mk 2,5). Nicht allein die Kraft des Wundertäters ist entscheidend, sondern auch der Glaube der Hilfesuchenden. Glaube meint hier kein Fürwahrhalten bestimmter Glaubensinhalte im Sinne einer sub‐ jektiven Haltung, sondern aktives Tun, gepaart mit Nachhaltigkeit, energi‐ schem Durchsetzungswillen und erfolgreichem Widerstand gegen Wunder blockierende Kräfte. Biblischer Glaube ist Glaube gegen alle statistische Wahrscheinlichkeit und menschliche Lebenserfahrung. Abrahams Glaube ist vorbildhaft; wer wie er glaubt, wird von Gott gerecht gesprochen (Gen 15,6; Röm 3,28; 4,3-5). Wer sich durch äußere Widerstände vom Glauben abbringen lässt, geht unter (Mt 14,30: Seewandel des Petrus). Wer hingegen alle Kräfte auf ein mögliches Wunder konzentriert, hat Aussicht auf Erfolg. Es gilt der Satz „alle Dinge sind möglich dem, der glaubt“ (Mk 9,23), aber auch sein Pendant ‚alles ist möglich dem, dem es zugetraut wird.‘ 137 Selbst der kleinste Glaube kann Berge versetzen (Mt 17,20); wer glaubt, erhält Anteil an Gottes Schöpfermacht. 138 Ein kleiner Anfang genügt, um den Glauben wachsen zu lassen. Erfolgserlebnisse stärken und festigen ihn. Er richtet sich auf die göttliche Schöpferkraft und die barmherzig-liebende 138 3 Grundlinien der Wunderforschung <?page no="139"?> 139 Apg 2,42-44: Gemeinschaft (gr. koinonía) bzw. Apg 4,24; 5,12: einträchtig bzw. einmütig (gr. homothymadós) sein wirkt Wunder. Zuwendung des Wundertäters. Glaube ist laut Hebr 11,1 sogar selbst schon Teil der Erlösung (→ 4.3.1). c) Die Logik kontrafaktischer Hoffnung Hoffnung gegen alle Erwartung, statistische Wahrscheinlichkeit und Ver‐ nunft ist der dritte Faktor der Wunderlogik. Hoffnung ist eine Brücke zu Gottes zukünftiger Wirklichkeit, welche die jetzigen, realen Verhältnisse vorläufig erscheinen lässt. Hoffnung ist entscheidend, um das scheinbar Unmögliche in den Bereich des Möglichen zu rücken und es schließlich zu realisieren. Ohne Hoffnung, wissen Ärzte zu berichten, haben Patienten eine deutlich geringere Heilungschance, als wenn sie von Hoffnung beseelt sind. Die Hoffnung stirbt zuletzt; das gehört zur (nicht beweisbaren und dennoch nicht irrationalen) Logik der Wunder dazu. In den Wundertexten treibt die Hoffnung Menschen zur Begegnung mit Jesus. Wer alles auf die Karte Jesus setzt, hat Erfolg - gegen alle Lebenserfahrung (vgl. auch Röm 5,5). Die Verschränkung von Glauben und Hoffnung zeigt sich bei Abraham: Er „glaubte auf Hoffnung, wo nichts zu hoffen war“ (Röm 4,18). d) Die Logik einträchtiger Liebe Die liebende Zuwendung Jesu zu den Notleidenden seiner Zeit und die Liebe der Menschen untereinander sind ein letzter, wichtiger Faktor der Wunderlogik. Wo sich Jesus liebend-empathisch Menschen in Not zuwendet und auf Glauben und Hoffnung stößt, geschieht das Wunder. Liebe ist mehr als ein diffuses Gefühl, liebende Empathie mehr als ein sich Einfühlen in die Situation des Anderen. Erbarmen verursacht physischen Schmerz, wie das gr. Wort splangchnízesthai erkennen lässt: Jesus kann gar nicht anders, als zu helfen; er liebt so intensiv, dass es ihm weh tut. Spontaneität statt Kalkül bestimmt sein helfendes Handeln. Wo Menschen untereinander einträchtig sind, Nächstenliebe üben und sich erbarmen, werden ebenfalls Dinge jenseits des menschlich Erwartbaren möglich. 139 Insbesondere wenn Menschen in dieser Art und Weise ihre Feinde lieben, werden Gewaltspiralen und Vorurteile durchbrochen und es wird Versöhnung möglich - ein seltener, wunderbarer Vorgang, gegen alle 139 3.6 Weiterführende Überlegungen <?page no="140"?> 140 Berger 1996, 117-119; ders. 1999, 202. 141 Berger 1999, 195: „Dieselben wunderbaren Taten können Menschen aber auch vollbrin‐ gen, wenn sie miteinander eins sind oder untereinander Frieden schließen. Dann wird ihr Gebet erhört, dann können sie Berge versetzen.“ - Vgl. die dazu oben genannten Apg-Texte → 3.6.3d. Erwartung und Wahrscheinlichkeit. Die Kraft der Liebe führt zu helfender Aktivität und zu unerwarteten Ergebnissen. Liebe kalkuliert nicht, Liebe folgt keiner ökonomischen Logik. Liebe ist vielmehr verschwenderisch; liebende Zuwendung übertrifft die Erwartung des Gegenübers. Sie ist bei Jesus Zeichen des messianischen Überflusses (gr. perisseía). 140 e) Fazit: Die Schöpferkraft des Einswerdens „Wenn zwei unter euch eins werden auf Erden, worum sie bitten wollen, so soll es ihnen widerfahren von meinem Vater im Himmel“ (Mt 18,19; vgl. EvThom 106). Das Gebet schafft eine innere Verbindung zu Gott und seiner Schöpferkraft. Glaube, Hoffnung und Liebe sind laut 1 Kor 13,13 die wichtigsten Charismen. Sie sind ein Geschenk der Gnade Gottes, Zeichen inniger Verbundenheit Gottes mit den Menschen. Mit Hilfe des Gebets und dieser Gnadengaben wird es dem Menschen möglich, sein Vertrauen auf Gott und seine Schöp‐ ferkraft zu signalisieren und sie in rettende Zuwendung zu überführen. Wo Jesus Menschen begegnet, die von Glauben, Hoffnung und Liebe angetrieben sind, wird er in barmherzig-liebender Zuwendung eins mit ihnen. Dieser Prozess setzt die Welt des Faktischen und der Naturgesetze außer Kraft; es werden schier unmögliche Dinge möglich. Die Wunder sind zwar nicht beweisbar oder experimentell wiederhol‐ bar; sie bleiben ein unverfügbares Geschenk. Gleichwohl sind sie nicht irrational, sondern Ergebnis eines heilvollen Zusammenspiels zwischen den Hilfesuchenden und dem Wundertäter. Diese Logik gilt weit darüber hinaus: Wo immer Menschen mit ihren Mitmenschen eins werden, sich liebend-erbarmend einander zuwenden, vergeben und Versöhnung suchen, werden Unrecht, Leid und Gewalt überwunden, werden Neuanfänge mit geradezu schöpferischer Qualität möglich. 141 Dieses Einswerden mit der Schöpferkraft Gottes und mit der Not des Mitmenschen ist eine Form von Mystik, die sich nicht auf ein inneres Erleben richtet, sondern eine äußerlich feststellbare, heilvolle Veränderung bewirkt (vgl. Joh 15,7 → 1.7.8). 140 3 Grundlinien der Wunderforschung <?page no="141"?> 3.6.4 Sinnebenen und theologische Aspekte Die in → Kapitel 3 dargestellten wundertheoretischen Ansätze ergänzen sich, indem sie den Blick auf verschiedene Sinnebenen der Wundertexte freigeben. So fokussiert die supranaturale Auslegung die physisch-leibliche Sinnebene, die psychosoziale, sozialgeschichtliche und feministische Ausle‐ gung die sozial- und kultkritische Ebene, die tiefenpsychologische Deutung die tiefenpsychische Ebene, die mythische Deutung die mythisch-kosmi‐ sche Ebene, die kulturanthropologische Auslegung die kommunikative Sinnebene und die kerygmatische Deutung die spirituelle, diakonisch-mis‐ sionarische und theologische Sinnebene. Letztere enthält zahlreiche Einzel‐ aspekte, die separat zu besprechen sind (→ 4.2; 4.3). Diese Sinnebenen lassen sich unterscheiden, aber nicht voneinander trennen; zwischen den Ebenen gibt es fließende Übergänge. Nicht jede Sinnebene ist in jeder Wundererzählung gleichermaßen repräsentiert. Kon‐ stant sind die physisch-leibliche, kommunikative und theologische Ebene. Die Sinnebenen ergänzen einander. Um das inhaltliche Potenzial der Texte ausschöpfen zu können, verbietet sich die Absolutsetzung einer einzigen Sinnebene als ‚hermeneutischer Schlüssel‘. Sinnebenen Haupt‐ aspekte Historische W.-frage, Prämissen Themen und Grenzen / Kritik Theolog. Aspekte, Jesusbild physisch-leib‐ liche Ebene physische Not und ihre Beseitigung (Heilung, Rettung) Es gab und gibt Wunder! Gott greift helfend ein! physische Erlö‐ sung; Problem: Konflikt mit rati‐ onalem Denken Theologie (Gottesbild), Eschatologie; Jesus: göttli‐ cher W.-täter spirituelle Ebene geistliche Not und ihre Be‐ seitigung (Vergebung, Glaube, Nachfolge u. a.) Die Frage ist irrelevant. Die eigentli‐ che Botschaft ist spirituell! Verhältnis Sünde / Krank‐ heit; Wun‐ der / Glaube / Nachfolge / Reich Gottes Pneumatolo‐ gie; Jesus: Seelsorger, Erlöser von geistlicher Not tiefenpsychi‐ sche Ebene seelische Not und ihre Be‐ seitigung (Stärkung des Ich gegen‐ über dem Über-Ich, rationale W.-Erklä‐ rung. An‐ nahme von Archetypen. Jede Krank‐ heit ist psy‐ Verhältnis Kör‐ per / Seele. Kritik: ahistorische Sicht, einseitiges Krankheitsver‐ ständnis Anthropolo‐ gie; Jesus: Schamane, Psychothera‐ peut 141 3.6 Weiterführende Überlegungen <?page no="142"?> Sinnebenen Haupt‐ aspekte Historische W.-frage, Prämissen Themen und Grenzen / Kritik Theolog. Aspekte, Jesusbild Selbstfin‐ dung) chosoma‐ tisch! sozial-/ kult‐ kritische Ebene soziale Not und ihre Be‐ seitigung; Genderfragen rationale W.-deutung. Wunder = symbo‐ lisch-rituelle Handlungen Verhältnis Indivi‐ duum / Gesell‐ schaft; Krank‐ heit / Gesell‐ schaft / Kult Sozialethik, Anthropolo‐ gie; Jesus: Wunderhei‐ ler, Revoluti‐ onär mythischkosmische Ebene Not als Teil eines kosmi‐ schen Dra‐ mas Es gab keine Wunder! (Wunder‐ texte sind Mythen) Verhältnis Wun‐ der / Apokalyp‐ tik / Reich Gottes Kosmologie, Eschatologie; Jesus: Exor‐ zist kommunika‐ tive Ebene Wendung der Not, persona‐ les Verhältnis W.-täter-Pati‐ enten irrelevant Das Wie? Des Wundervollzugs, Beziehungsebene Christologie, Soteriologie; Jesus: diverse Rollen diako‐ nisch-missio‐ narische Ebene W.-Wirkun‐ gen wie Glaube, Nachfolge, diakonía irrelevant Entstehung von Kirche, Funktio‐ nieren von Mis‐ sion Ethik, Ekkle‐ siologie; Jesus: Religi‐ onsgründer theologische Ebene theolo‐ gisch-keryg‐ matische Bot‐ schaft z. T. irrele‐ vant / z. T. re‐ levant theolog. Refle‐ xion des Erzähl‐ ten / des Wunder‐ haften verschiedene Themen (loci); Jesus: Ver‐ kündiger des Wortes Sinnebenen der Wundererzählungen 3.6.5 Grundfunktionen und Textgruppen Die ntl. Wundertexte lassen sich nicht nur formkritisch, sondern auch nach textlinguistischen und textpragmatischen Kriterien gruppieren. Diese Einteilung fußt nicht auf antiken Kategorien, hat aber heuristische Funktion und ermöglicht ein vertieftes Verständnis der Texte und des Wunderkon‐ zepts der Evangelisten. Die Ergebnisse fließen in die Wunderprofile einzel‐ 142 3 Grundlinien der Wunderforschung <?page no="143"?> 142 Mit Alkier 2001, 8. 143 Berger 1984, 305 - Einen Überblick über die Diskussion bietet Zimmermann 2014b, 311-313. 144 Zimmermann 2013, 24.; ders. 2014b, 322. 145 Zimmermann 2013, 27-29; hier findet sich auch Referat verschiedener gängiger Klas‐ sifizierungen. Zimmermann selbst versucht eine literaturwissenschaftlich begründete Gattungsbeschreibung (2014b, 322-343), wendet sich aber gegen ‚klassifikatorische Gattungspoetik‘ . ner ntl. Autoren ein (→ 4.4). Eine Übersicht über die Textgruppen und einzelner Unterkategorien bietet → S 5. a) Zum Forschungsstand Die formkritische Einteilung der Wundertexte prägt die Wunderauslegung bis heute (→ 1.6), auch wenn ihre Sinnhaftigkeit wiederholt bezweifelt wurde. Einwände sind: Sie orientiere sich statt an semantischen an in‐ haltlichen Aspekten. 142 Klaus Berger negiert die Existenz einer Gattung Wundererzählung grundsätzlich und betont zugleich die Fremdheit des antiken Wirklichkeitsverständnisses: „Wunder / Wundererzählung ist kein Gattungsbegriff, sondern die moderne Be‐ schreibung eines antiken Wirklichkeitsverständnisses.“ 143 Ruben Zimmermann weist auf die Künstlichkeit literarischer Gattungen hin; Mischgattungen seien der Normalfall. Die Gattung ‚Wundergeschichte‘ existiere jedoch insofern, weil über sie diskutiert wird. 144 Klassifizierungen in Wundertypen hätten allenfalls heuristischen Wert. 145 - Die folgende Ein‐ teilung in funktionale Textgruppen ist textlinguistisch bzw. textpragmatisch orientiert. b) Der Vorteil funktionaler Textgruppen Der Blick auf erzählerische Schwerpunkte, Textpragmatik und kompositi‐ onskritische Einbindung führt zu einem vertieften Verständnis der Wunder‐ texte und des redaktionellen Wunderkonzepts: Wie deutet der Autor das his‐ torische Geschehen? Welche Verbindung sieht er zwischen Wunderwirken und Lebensweg Jesu bzw. der Apostel? Worin sieht er die hermeneutische Relevanz der Wunder? Wohin möchte er seine Adressatenschaft lenken? Diese Fragen führen zum Ausgangspunkt frühchristlicher Jesuserinnerung und Theologiebildung. 143 3.6 Weiterführende Überlegungen <?page no="144"?> c) Grundfunktionen und -einsichten Die Texte zeigen vier Grundfunktionen, Grundeinsichten und Reaktionsty‐ pen: a) Funktion: Inszenierung göttlicher Fürsorge. Grundeinsicht: Der Wunder‐ täter kann das und hilft! Reaktion (nur implizit): Staunen. b) Funktion: Klärung göttlicher Identität. Grundeinsicht: Der Wundertäter ist göttlich! Reaktion (explizit): Staunen und Erkenntnis. c) Funktion: Konstitution von Gemeinschaft. Grundeinsicht: Der Wun‐ dertäter verändert das Leben! Reaktion (explizit): Glaube, Verkündigung, Nachfolge. d) Funktion: Polarisierung im Sinne endzeitlicher krísis. Grundeinsicht: Der Wundertäter darf das! Reaktion (explizit): Widerstand, Ablehnung. Auf dieser Grundlage lassen sich vier Textgruppen ausmachen: Fürsorge-, Erkenntnis-, Missions- und Konflikt-Wundertexte. Ein und derselbe Wun‐ dertext kann mehrere Funktionen zugleich bedienen; die Zuordnung folgt dem jeweils dominierenden Aspekt, der sich aus dem erzählerischen Schwerpunkt, der textpragmatischen Ausrichtung und der kontextuellen Einbindung ergibt (→ S 5). Die unterschiedliche Schwerpunktsetzung lässt sich graphisch so darstellen: b) Der Vorteil funktionaler Textgruppen Der Blick auf erzählerische Schwerpunkte, Textpragmatik und kompositionskritische Einbindung führt zu einem vertieften Verständnis der Wundertexte und des redaktionellen Wunderkonzepts: Wie deutet der Autor das historische Geschehen? Welche Verbindung sieht er zwischen Wunderwirken und Lebensweg Jesu bzw. der Apostel? Worin sieht er die hermeneutische Relevanz der Wunder? Wohin möchte er seine Adressatenschaft lenken? Diese Fragen führen zum Ausgangspunkt frühchristlicher Jesuserinnerung und Theologiebildung. c) Grundfunktionen und -einsichten Die Texte zeigen vier Grundfunktionen, Grundeinsichten und Reaktionstypen: a) Funktion: Inszenierung göttlicher Fürsorge. Grundeinsicht: Der Wundertäter kann das und hilft! Reaktion (nur implizit): Staunen. b) Funktion: Klärung göttlicher Identität. Grundeinsicht: Der Wundertäter ist göttlich! Reaktion (explizit): Staunen und Erkenntnis. c) Funktion: Konstitution von Gemeinschaft. Grundeinsicht: Der Wundertäter verändert das Leben! Reaktion (explizit): Glaube, Verkündigung, Nachfolge. d) Funktion: Polarisierung im Sinne endzeitlicher krísis. Grundeinsicht: Der Wundertäter darf das! Reaktion (explizit): Widerstand, Ablehnung. Auf dieser Grundlage lassen sich vier Textgruppen ausmachen: Fürsorge-, Erkenntnis-, Missions- und Konflikt-Wundertexte. Ein und derselbe Wundertext kann mehrere Funktionen zugleich bedienen; die Zuordnung folgt dem jeweils dominierenden Aspekt, der sich aus dem erzählerischen Schwerpunkt, der textpragmatischen Ausrichtung und der kontextuellen Einbindung ergibt ( S 5). Die unterschiedliche Schwerpunktsetzung lässt sich graphisch so darstellen: FW: Notlage Wunder EW: Notlage Wunder Erkenntnis MW: Glaube Wunder Erkenntnis, Nachfolge, Mission KW: Skepsis Wunder Konflikt, Widerstand, Apologie 1 Zimmermann 2013, 27-29; hier auch Referat verschiedener gängiger Klassifizierungen. Zimmermann selbst versucht eine literaturwissenschaftlich begründete Gattungsbeschreibung (2014b, 322-343), wendet sich aber gegen eine ‘klassifikatorische Gattungspoetik’. d) Fürsorge-Wundertexte Im Vordergrund steht hier das Wunder an sich als Hinweis auf die für‐ sorgliche Zuwendung Gottes und des Wundertäters. Es geht um Heilung, Beschenkung, Bewahrung und Rettung in Notsituationen. Das Wunder wird lediglich konstatiert; es zeigt: Der Wundertäter kann so etwas und hilft! (Grundeinsicht). Eine explizite Reaktion der Augenzeugen fehlt; das Staunen bleibt der Leserschaft überlassen. Diese im AT reich bezeugte Textgruppe findet sich im NT nur sporadisch. Einzelne Kategorien sind die 144 3 Grundlinien der Wunderforschung <?page no="145"?> 146 Eine Notiz über fehlenden Erkenntnisgewinn bringt die nachfolgende Seewandel-Er‐ zählung Mk 6,51 f.: Die Jünger haben nichts verstanden, sie sind verstockt (gr. kardía peporoméne). 147 Eine Auflistung der Texte und einzelner Textgruppen → S 5.1. Bewahrung vor drohender Gefahr, die Rettung aus akuter Gefahr, überreiche Beschenkung sowie Heilungen (summarisch). Beispiele: Die Speisungswunder (Mk 6,30-44parr.; 8,1-8par.) stellen den Wundervollzug in den Mittelpunkt (Sättigung der Menschenmenge in unwirtlicher Einöde). Eine positive oder negative Reaktion fehlt. 146 - Weitere Beispiele sind teils durch Engel vermittelte Führungswunder wie die Traumvision bzw. Angelophanie an Joseph (Mt 2,13) oder das Rettungswunder Apg 27,13-44. 147 Abgrenzungen: Das Speisungswunder Joh 6,1-15 endet in einem latenten Konflikt um Jesu Identität (V. 14 f.), was es zu einem Konflikt-Wundertext macht. Das Rettungswunder Apg 12,1-11 endet in einer vertieften Erkennt‐ nis des Petrus (V. 11) und gehört damit zu den Erkenntnis-Wundertexten. Die wunderhafte Befreiung der Apostel Paulus und Silas (Apg 16,23-34) führt zur Bekehrung des Kerkermeisters (V. 30-34) und ist daher den Missions-Wundertexten zuzuordnen. e) Erkenntnis-Wundertexte Einzelne Kategorien dieser Textgruppe sind vertiefte oder neu gewonnene religiöse Erkenntnis. Diese wird von Gott selbst gestiftet, von den Augen‐ zeugen formuliert oder vom Textautor eingebracht. Das Staunen über das Wunderereignis liegt auf Seiten der Geretteten bzw. Geheilten oder der Augenzeugen und ist mit der Erkenntnis: Jesus kann das! verknüpft. Diese Grundeinsicht wird entweder als Frage angedeutet (Wer ist dieser? ) oder bekenntnishaft artikuliert (Der Wundertäter hat göttliche Vollmacht! ). Er‐ schrecken und Furcht angesichts der Präsenz Gottes sowie Verwunderung, Lobpreis, Anbetung und die Verbalisierung des Gesehenen ergänzen das Repertoire der Reaktionen. 145 3.6 Weiterführende Überlegungen <?page no="146"?> 148 Eine Auflistung der Texte und einzelner Textgruppen → S 5.2. Beispiele: Taufe, Verklärung und Himmelfahrt klären die göttliche Iden‐ tität Jesu. - Die Sturmstillung (Mk 4,35-41) endet mit der impliziten Erkenntnis der Göttlichkeit Jesu (Furchtmotiv) und der offenen Frage nach Jesu Identität (V. 41). - Das Weinwunder zu Kana ( Joh 2,1-11) wird vom Autor als Offenbarung der Herrlichkeit (gr. dóxa) Jesu gedeutet (V. 11). - Das joh. Fischwunder ( Joh 21,1-14) bringt den Jüngern öster‐ liche Erkenntnis (V. 7.12). 148 Abgrenzungen: Die Fischwunder-Variante Lk 5,1-11 ist kein Erkenntnis-, sondern ein Missions-Wundertext: Sie endet mit einem Missionsauftrag und einer Nachfolgenotiz (V. 10 f.). - Die Vision des Stephanus (Apg 7,54-60) vermittelt dem Visionär zwar christologische Erkenntnis (V. 55), beschwört aber einen tödlichen Konflikt herauf (V. 56-60). So gehört der Text zu den Konflikt-Wundertexten. - Die kontextuelle Einbindung macht aus dem Erkenntnis-Wunder der Damaskusvision Apg 9,1-9 einen Missions-Wun‐ dertext (Apg 9,18: Taufe des Paulus). f) Missions-Wundertexte Missions-Wundertexte laufen auf die Bildung christlicher Gemeinschaft hinaus oder illustrieren den Weg der Mission. Charakteristisch sind Notizen über Glauben, Verkündigung, Nachfolge und Missionserfolge (Grundein‐ sicht: Der Wundertäter verändert das Leben! ). Typisch sind die Präsentation von Glaubensvorbildern (oft ‚die Anderen‘, von denen man es nicht vermutet hätte), die Überbietung der Ausgangserwartung, das Staunen Jesu oder im‐ plizite Handlungsanweisungen. Manche Texte begründen die Mission unter Nichtjuden. Kategorien sind: Gewinnung neuer Glaubender, vorbildlicher Glaube der Anderen, Schilderung praktischer Wunderkonsequenzen und Wunder mit Verkündigungsauftrag. Beispiele: Die Heilung der Schwiegermutter des Petrus (Mk 1,29-31) läuft auf die diakonía der Geheilten hinaus (V. 31). Das ist ein Beispiel für das Wachsen der Gemeinde. - Der geheilte Gerasener erfüllt seinen Missionsauftrag (Mk 5,18-20). - Der Hauptmann von Kapernaum wird 146 3 Grundlinien der Wunderforschung <?page no="147"?> 149 Eine Auflistung der Texte und einzelner Textgruppen → S 5.3. 150 Mt 12,15-21 begründet das Schweigegebot mit Jes 42,1-4 (der verwechselbare Gottes‐ knecht). zum Glaubensvorbild (Mt 8,10.13). - Die Heilung eines Gelähmten endet im Lobpreis des Geheilten (Apg 3,9) und neugieriger Verwunderung der Augenzeugen (V. 10 f.). Abgrenzungen: Lk 7,11-17 ( Jüngling zu Nain) notiert zwar am Ende die Breitenwirkung des Wunders (V. 17), unterstreicht aber die christologische Erkenntnis der Zeugen (V. 16). Damit liegt ein Erkenntnis-Wundertext vor. - Joh 9 (Heilung des Blindgeborenen) hat missionarische Elemente (V. 27-38: Jüngerschaft, Bekenntnisrede, Anbetung), Leitthema ist jedoch die Frage des Umgangs mit Sünde (V. 1-3; 24 f.31-34.39-41). Das macht dem Text zu einem Konflikt-Wundertext. 149 g) Konflikt-Wundertexte Diese Textgruppe demonstriert die polarisierende Wirkung der Wunder Jesu und begründet das Verhalten Jesu apologetisch. Einzelne Kategorien bein‐ halten Konflikte um die Toraauslegung, um Jesu Vollmacht (Grundeinsicht: Der Wundertäter darf das! , ‚Normenwunder‘) sowie latente und endzeitliche Konflikte. Typisch ist das Auftreten von Gegnern oder skeptischen Augen‐ zeugen. Schweigegebote signalisieren einen latenten Konflikt und dienen der eschatologischen krísis zwischen Insidern und Outsidern. 150 Auch Texte über satanische Wunder gehören hierher (kosmischer Konflikt, Verführung, endzeitliche Abgrenzung). Beispiele: In Mk 2,1-12 (Heilung des Gelähmten) dominiert der Konflikt um die Vergebungsvollmacht (V. 5-9); die physische Heilung hat apo‐ logetische Funktion (V. 10-12). - Mk 3,1-6 (verdorrte Hand) mündet in einen Tötungsbeschluss. Thema ist die kontroverse Auslegung des Sabbatgebots (V. 4); die Heilung unterstreicht Jesu göttliche Vollmacht. - Die Exorzismen in Mt 9,32-34 und Mt 12,22-30 provozieren die Voll‐ machtsfrage und eine Apologie Jesu. 147 3.6 Weiterführende Überlegungen <?page no="148"?> 151 Anders die Variante Mt 17,24-30! - Eine Auflistung der Texte und Textgruppen → S 5.4. Abgrenzungen: Beim ‚Hauptmann von Kapernaum‘ (Mt 8,5-13) spricht Jesus eine bedingte Unheilsansage gegen Israel aus (V. 11 f.). Der Schwerpunkt liegt aber auf dem vorbildlichen Glauben des Hauptmanns (V. 10.13); ein Konflikt wird nicht geschildert. - Die Heilung des mondsüchtigen Jungen (Mk 9,14-29) enthält Schelte bzw. Jüngerschelte (V. 19), der Akzent liegt jedoch auf der Glaubensauskunft des Vaters des Jungen (V. 24, Erkennt‐ nis-Wundertext). 151 h) Tabellarische Übersicht Fürsorge-W. Erkenntnis-W. Missions-W. Konflikt-W. erzählerischer Schwer‐ punkt Wundervoll‐ zug christologische Erkenntnis Glaube als W.-Ursache; pragmatische Konsequenzen Konflikt, Wi‐ derstand, Apo‐ logie Wer staunt? nur die Leser‐ schaft Augenzeugen, Gerettete / Ge‐ heilte Augenzeugen, Geheilter oder Wundertäter Kritiker, Geg‐ ner, Skeptiker überra‐ schende Erfah‐ rung / Grundeinsicht Wundervoll‐ zug: Der Wun‐ dertäter kann das und hilft! Wundervoll‐ zug: Der Wun‐ dertäter hat göttliche Voll‐ macht! W. und Glaube; Der Wunder‐ täter verän‐ dert das Le‐ ben! Überbietung der Erwartung Der Wunder‐ täter darf das! Wertehierar‐ chie wird außer Kraft gesetzt Reaktion fehlt (bleibt der Leserschaft überlassen) positiv (Lob‐ preis, Furcht); Frage nach Jesu Identität, Credo positiv (z. B. Lobpreis, Dank‐ barkeit, Nach‐ folge) ambiva‐ lent / negativ (z. B. Ableh‐ nung, Verstum‐ men) beson‐ dere Ele‐ mente Glaubensvor‐ bilder; implizite Handlungsan‐ weisungen neue Lehre; Schweigegebot; Verführung (sa‐ tan. Wunder) kontex‐ tuelle Funktion Staunen über Fürsorge Got‐ tes Klärung der Identität des Wundertäters; Ätiologie und Illustration des Missionswegs; Polarisierung; Apologie, Voll‐ machtsfrage; 148 3 Grundlinien der Wunderforschung <?page no="149"?> 152 Kollmann 2002, 9 bzw. 12 (Kursivsetzung von mir). 153 Labahn 2014, 372. Fürsorge-W. Erkenntnis-W. Missions-W. Konflikt-W. der Er‐ zählung Vorbereitung des Bekenntnis‐ ses Appell zur Be‐ kehrung und zur Nachfolge Motive der Ab‐ lehnung Jesu, Abgrenzung 3.6.6 Definition Wunder und Wundererzählung Die Wunderforschung bietet Definitionen des Wunderbaren und der Wun‐ dertexte. Beide Aspekte zusammenzuführen, ist Teil der folgenden Überle‐ gungen. a) Was ist ein Wunder? Bernd Kollmanns Definition sieht den Konflikt der Wunder mit den Natur‐ gesetzen erst in der Moderne und betont zugleich die Fremdheit des ntl. Weltbildes: „Ein Wunder im eigentlichen Sinne liegt dann vor, wenn etwas gegen die uns bekannte Naturordnung geschieht und damit wissenschaftlich nicht erklärbar erscheint.“ Aber: „Das neuzeitliche Axiom, dass es sich bei einem eigentlichen Wunder um ein der kritischen Vernunft zuwiderlaufendes, die […] Naturkausali‐ tät durchbrechendes Ereignis handelt, ist dem Wirklichkeitsverständnis der Antike fremd. Wunder sind außerordentliche Geschehnisse mit Hinweischarakter auf das Wirken höherer Mächte.“ 152 Wunder durchbrechen laut Michael Labahn (* 1964) keine Naturgesetze, sondern sind ein Interpretationsvorgang, dessen historische Grundlage offenbleibt: „Ein Wunder ist nicht ein objektives Geschehen, das als Durchbrechung physi‐ kalischer oder anderer gedachter Grenzen zu verstehen ist, sondern ein Interpre‐ tationsvorgang und eine Sinnbildungsleistung, die durch vergangenes Geschehen ausgelöst werden.“ 153 Beide Definitionen versuchen, den Konflikt zwischen Wunder und ratio zu entschärfen. Die Wunderhaftigkeit des historischen Geschehens bleibt offen. 149 3.6 Weiterführende Überlegungen <?page no="150"?> 154 Kahl 1994, 238. 155 Zimmermann 2013, 32 (kursiv im Original). 156 Zimmermann 2013, 39. b) Was ist eine Wundererzählung? Eine knappe, auf den Handlungsverlauf konzentrierte und sozialkritisch orientierte Definition bietet Werner Kahl (* 1962): „Die Morphologie dieses Erzähltyps ist bestimmt durch eine Bewegung von einem Mangel zu seiner Überwindung durch eine (mirakulöse) Handlung eines aktiven Subjekts, das für diese Aufgabe besonders vorbereitet ist.“ 154 Ruben Zimmermann kombiniert formkritische und textpragmatische As‐ pekte: „Eine frühchristliche Wundergeschichte ist eine faktuale mehrgliedrige Erzählung (1) von der Handlung Jesu oder eines Jesusanhängers an Menschen, Sachen oder Natur (2), die eine sinnlich wahrnehmbare, aber zunächst unerklärbare Verände‐ rung auslöst (3), textimmanent (4a) und / oder kontextuell (4b) auf das Einwirken göttlicher Kraft zurückgeführt wird und die Absicht verfolgt, den Rezipienten / die Rezipientin in Staunen und Irritation zu versetzen (5a), um ihn / sie damit zu einer Erkenntnis über Gottes Wirklichkeit zu führen (5b) und / oder zum Glauben bzw. zu einer Verhaltensänderung zu bewegen (5c).“ 155 Hier gilt das Auftreten eines Wundertäters als konstitutiv. Epiphanien, Entrückungen, Visionen und Ähnliches fallen damit aus der Betrachtung heraus. - Die historische Wunderfrage wird von Zimmermann letztlich offengehalten: „Wundergeschichten sind im Redemodus grundsätzlich faktuale Erzählungen, die gleichwohl fiktionalisierende Erzählverfahren in unterschiedlichem Maße einschließen. Im Blick auf die erzählten Inhalte bewegen sie sich bewusst auf der Grenze zwischen Realitätsbezug (Realistik) und Realitätsdurchbrechung (Phan‐ tastik).“ 156 c) Integrative Definitionen Wunderhafte Ereignisse als Vorlage und Gegenstand von Wundererzählun‐ gen kommen in Stefan Alkiers Definition in den Blick: 150 3 Grundlinien der Wunderforschung <?page no="151"?> 157 Alkier 2014, 527 (Kursivsetzung von mir). „Wunder sind […] Ereignisse, die mit göttlicher oder dämonischer Kraft gesche‐ hen, die menschliche Möglichkeiten übersteigt. Wundertexte beziehen sich auf Wunder, die sie einspielen, erzählen, preisen, interpretieren, diskutieren.“ 157 Alkier sieht eine enge Verbindung zwischen historischem Wundergesche‐ hen (das nicht negiert wird) und Wundertexten. Seine Definition schließt auch Texte jenseits der klassischen Gattung Wundererzählung ein. - Leitend für die folgende Definition ist der biblisch-konfessorische Wunderbegriff (→ 1.5.5): Definition: Wunder sind staunenswerte, menschliche ratio überstei‐ gende, unverfügbare, göttliche Ereignisse, welche den Gang der Dinge überraschend unterbrechen und heilvoll verändern. Als weiche Fakten folgen Wunder einer eigenen Logik. Wundererzählungen inszenieren die schöpferische, Leben schaffende Kraft des Einswerdens mit Gott und Mitmenschen und ermutigen dazu, unüberwindlich scheinende, das Leben einengende Grenzen aufzusprengen. Folgende Faktoren und Überlegungen fließen in die Definition ein: 1. Wunder sind Ausnahmephänomene, zum Staunen anregende Begeben‐ heiten, Unterbrechungen des Alltags mit zumeist heilvoller Wirkung. 2. Wunder sind mit den Mitteln wissenschaftlich-rationaler Vernunft nicht zu erklären. Sie sind weiche Fakten mit eigener Kausalität und Logik. 3. Wunder sind unverfügbar, sie sind weder planbar noch (experimentell) wiederholbar. Wunder haben Geschenkcharakter. 4. Wunder durchbrechen natürliche, soziale und religiös-moralische Ord‐ nungen. 5. Wunder verweisen auf Gottes heilvolle Zuwendung zur Welt und auf seine Schöpferkraft, die selbst aus dem Tod neues Leben schaffen kann. Als solche sind sie ein unaufgebbarer Bestandteil des Glaubens. 6. Wunder sind Ergebnis eines heilvollen Einswerdens zwischen Men‐ schen sowie zwischen göttlicher Liebe und konzentriertem Gebet, Glauben und Hoffnung. 151 3.6 Weiterführende Überlegungen <?page no="152"?> 158 Vergleichbar ist die Vorbildfunktion von Spitzensportlern, Nobelpreisträgern, Super‐ stars der Musikszene etc.: An ihnen richten sich Jugendliche aus und erhalten von dort die Motivation, eigene Grenzen zu überschreiten. Dabei bleibt im Blick, dass manche Ziele unerreichbar bleiben. 7. Die Bewertung eines Ereignisses als Wunder setzt eine für göttliche Eingriffe offene, religiös-mystische Wahrnehmungsweise der Welt vo‐ raus. 8. Wundertexte dokumentieren die Hoffnung auf Erlösung von Leiden, Vergänglichkeit und Tod. Wunder sind Hoffnungsanker, wo es eigent‐ lich nichts zu hoffen gibt (‚da hilft nur noch ein Wunder‘). Wunder‐ glaube impliziert Hoffnung gegen alle menschliche Vernunft bis zuletzt (lat. dum spiramus speramus). 9. Wundertexte fokussieren das Unmögliche, an dem man sich ausrichten kann und soll, um die Grenzen des Möglichen, Erlaubten und Vernünf‐ tigen zu erweitern (Appellfunktion). 158 Das Motiv des Unmöglichen und Unerklärlichen ist für biblische Wundertexte charakteristisch und hermeneutisch unverzichtbar. 3.6.7 Fazit: Plädoyer für eine emanzipierte Wunderforschung Die Wunderforschung bewegt sich weithin im Rahmen des aufgeklärten Wirklichkeitsverständnisses und spiegelt das Ringen um die Vereinbarkeit des biblischen Wunderglaubens mit der menschlichen ratio wider. Die his‐ torische Wunderfrage tritt dabei in den Hintergrund, die Wunderauslegung und -vermittlung konzentriert sich auf nicht-wörtliche Sinnebenen. Der faktuale Charakter der Wundertexte und die theologische Unverzichtbar‐ keit des Wunderthemas führen zur Grundsatzfrage nach dem adäquaten Wahrheitsbegriff: Nicht die rationale Vernunft, sondern nur der Wahrheits‐ anspruch der Texte selbst und das sie tragende Wirklichkeitsverständnis können die Wunderfrage beantworten. Das Modell komplementärer Zu‐ gangsweisen zur Wirklichkeit eröffnet einen Weg, die Rationalität wun‐ derhafter Vorgänge zu verstehen. Dieser Weg vermeidet ein rationales Wegerklären des Wunderhaften ebenso wie die Bewertung der Wundertexte als Tatsachenberichte oder als Mythen, Märchen und Legenden. 152 3 Grundlinien der Wunderforschung <?page no="153"?> Grafik: Geschichte der Wunderforschung Alte Kirche supranaturalist. Deutung antike Wunderkritik > Wunder sind historisch (Kelsos u.a.) altkirchl. Wunderskepsis (allegorische Auslegung) > Symbolgehalt der W.! Reformationszeit Das Wort vom Kreuz ist das eigentliche Wunder Aufklärung / Wunderpolemik Rationalismus (Spinoza, Reimarus) rationalistische Deutung 18. Jh. (Bahrdt, Paulus, Venturini, Hase) > Wunder historisch, aber mglw. keine Wunder 19. Jh. mythologische Deutung (Strauß) > Form vs. Inhalt > W. unhistor. Mythen 20. Jh. Religionsgeschichtliche Fazit der Leben-Jesu-Forschung Schule (Bultmann u.a.) (Schweitzer, 1906) > Anpassung an Umwelt bis 1918 > Wunder unhistorisch ab 1918 ältere Formkritik (Bultmann, Dibelius) > Sitz im Leben der Texte > radikale Wunderkritik > Entmythologisierung, existenziale Interpretation ab ca. 1960 Neo-Rationalismus psychosoziale Deutung tiefenpsychol. Deutung (Theißen) (Drewermann) > W. = Symbolhandlung > W. als psychischer Vorgang > W. teilw. historisch > W. grundsätzlich historisch Postmoderne ab 1990 neue Wunderfrage Remythisierung semiotischer Zugang (Berger) (Alkier) > Fremdheit d. Texte > fremde Textwelten > Modell der 4 Türen > Wunder mglw. historisch > Wunder historisch ca. 2010 integrativer Ansatz Zimmermann (2013) > Wunder mglw. historisch > unerklärbarer Rest Geschichte der Wunderforschung 153 3.6 Weiterführende Überlegungen <?page no="154"?> 3.6.8 Exkurs: Wundertexte und Gleichnisse Wundererzählungen und Gleichnisse unterscheiden sich formkritisch und inhaltlich deutlich voneinander. Gleichwohl gibt es eine Reihe struktureller Gemeinsamkeiten, welche die funktionale Nähe zwischen beiden Textsorten anzeigen: 1. Beide Textsorten entfalten narrativ die basileía-Botschaft Jesu bzw. das göttliche Heilshandeln an den ‚Letzten‘ und Notleidenden. Gleichnisse und Wundererzählungen öffnen Fenster zur Wirklichkeit Gottes. 2. Beide Textsorten mischen realistische und extravagante bzw. phantas‐ tisch anmutende Erzählzüge. So werden Analogien und Differenzen zwischen der Alltagswirklichkeit und Gottes Wirklichkeit markiert. Gott wird punktuell erkennbar, entzieht sich aber begrifflich-definie‐ rendem Zugriff. 3. Beide Textsorten rekurrieren auf historisches Geschehen - die Gleichnis‐ botschaft im Munde Jesu bzw. auf sein Wunderwirken. Das Verhältnis zwischen Vorlage und verschriftlichter Form wird in beiden Fällen kontrovers beurteilt. Auszugehen ist hier wie dort von authentischer Wiedergabe bzw. sachgemäßer Applikation der historischen Vorlage auf die aktuelle Situation. 4. Beide Textsorten führen auf die basics gelingenden Lebens zurück. Sie hebeln einengende Moral durch Hinweis auf vormoralische Grunderfahrungen aus und definieren damit die geltende Wertehierarchie heilvoll um. 5. Den Wundern und der Gleichnisbotschaft wird von den Evangelisten eine polarisierende Wirkung zugesprochen. Sie entfalten ambivalente Wirkung, provozieren Glauben und Widerstand und forcieren damit den eschatologisch-kritischen Scheidungsprozess zwischen Insidern und Outsidern, zwischen Glaubenden und Nicht-Glaubenden (vgl. Mk 4,10-13parr.; Joh 11 u. a.). 6. Beiden Textsorten wohnt ein appellatives und ein performatives Element inne: Sie erzeugen Hoffnung auf das befreiende Handeln Gottes, zei‐ gen auf, dass natürliche, soziale und religiös-moralische Grenzen an Gottes Heilswillen ihre Grenze finden, und ermutigen zu befreiendem ethischen Handeln. 7. Beide Textsorten werden in Teilen der Forschung als Sprachereignisse mit einzigartiger Sprachkraft gehandelt (→ 3.3.4). 154 3 Grundlinien der Wunderforschung <?page no="155"?> Gleichnisse und Wundertexte ergänzen einander. Sie kommentieren auf unterschiedliche Weise Jesu Botschaft, entfalten sie narrativ, zeigen ihre Bedeutung fürs Leben, setzen Signale für ein von Hoffnung getragenes Ver‐ halten und provozieren die Stellungnahme für oder gegen Gottes heilvolle Wirklichkeit. 155 3.6 Weiterführende Überlegungen <?page no="157"?> 1 Zum Unterschied zwischen Sinn und Bedeutung vgl. Wischmeyer 2004, 134-136. 4 Inhaltliche Aspekte Die Wundertexte enthalten keine in sich abgerundete Theologie, aber unterschiedliche Sinnebenen (4.1) und eine Reihe theologischer Aspekte (4.2; 4.3). Wunderprofile einzelner ntl. Autoren werden in 4.4 entwickelt. 4.1 Sinnebenen Wunder sind multidimensional; sie verändern den Menschen mitsamt der sozialen Welt, in der er bzw. sie lebt. Das spiegelt sich in unterschiedlichen Sinnebenen der Wundertexte und damit verbundenen Deutungsansätzen wider. 1 Zwischen den Sinnebenen gibt es fließende Übergänge, sie sind nicht voneinander zu trennen. Ihre Unterscheidung dient einem möglichst umfassenden Textverständnis. 4.1.1 Physisch-leibliche Sinnebene Zuallererst erschließt sich beim Hören bzw. Lesen der Wundertexte die wörtliche, physisch-leibliche Sinnebene. Das geschilderte Geschehen pro‐ voziert das moderne Weltbild mit seinem wissenschaftlich-rationalen Wahr‐ heitsbegriff. a) Hoffnung auf umfassende Erlösung Die Schöpfung leidet an physischer Vergänglichkeit (z. B. Gen 3,19; Ps 90; Röm 8,18-23). Krankheit und Tod markieren die unerlöste Existenz des Menschen und aller Kreatur. Der Tod ist unausweichlich (Ps 90,12). Das Ende der Vergänglichkeit wird von Gott erhofft - er ist Herr über Leben und Tod (Ps 90,3-11; 104,30; Apk 1,8.17 f.). In Jesu Wundertaten gewinnt diese Hoffnung Gestalt. Die wörtliche Ebene der Wundertexte ist, rational betrachtet, die schwie‐ rigste. Die Wunderwirkung ist äußerlich sichtbar und körperlich spürbar, so <?page no="158"?> 2 Mit Zimmermann 2013a, 16, ist die Dimension des Körperlichen fest in die Wundertexte eingeschrieben (vgl. auch die Wundersummarien). 3 Lediglich Lk 5,15 f. spricht davon, dass sich Jesus den Anliegen der Notleidenden entzieht. Er tut es, um in der Einsamkeit zu beten. die ausdrückliche Auskunft der Texte. 2 Körperliche Heilung und Rettung ist ein leibhaftiges Geschehen. Dieses tritt überraschend ein und durchbricht mitunter die natürliche Ordnung. Das passt nicht zum physikalischen Weltbild. Gleichwohl ist diese Sinnebene faszinierend, weil sie die Sehnsucht nach körperlicher Erlösung stillt. Diese Sehnsucht zieht sich wie ein roter Faden durch die Bibel, wie auch die Verheißung unvergänglichen Lebens in Fülle. b) Grundlage für gesellschaftliche Teilhabe Das biblische Menschenbild sieht im Körper das Kontaktorgan des Men‐ schen zur Welt und die Projektionsfläche für kosmische Konflikte. Für gesellschaftliche Teilhabe ist körperliche Gesundheit bis heute eine wichtige Voraussetzung. Die physische Heilung hat, so gesehen, auch soziale Rele‐ vanz: Sie führt aus Isolation und Stigmatisierung heraus (→ 2.1.2; 4.1.4). Beispiele: Der geheilte Aussätzige soll zum Priester gehen, um sich seine Kultfähigkeit bescheinigen zu lassen (Mk 1,44; vgl. Lev 14,2-32). - Besessene hausen außerhalb der Siedlungen (Mk 5,3). - Die blutflüssige Frau hätte von Jesus Abstand halten müssen (Mk 5,30-33). - Der blinde Bartimäus ist bis zu seiner Heilung zum Betteln gezwungen (Mk 10,46). - Aussätzige müssen strenge Abstandsgebote einhalten (Lk 17,12; vgl. Lev 13,45 f.). c) Physische Affiziertheit des Wundertäters Physisch-leiblich ist auch die oft zu beobachtende Reaktion Jesu angesichts der Not seiner Mitmenschen (Erbarmen, spontane Zuwendung). 3 Beispiele: Das Heilungsgesuch von Kranken (Mt 20,34; Mk 1,41) führt ebenso zu Erbarmen wie der Anblick des orientierungslosen Volkes in 158 4 Inhaltliche Aspekte <?page no="159"?> 4 Das Motiv begegnet auch in Gleichnissen, vgl. Mt 18,27; Lk 10,33 u. a. 5 Vgl. Metternich 2013, 572: „Das Ergriffensein Jesu kann kaum intensiver in Sprache ge‐ fasst werden“ (ausweislich des hebr. Äquivalents rhm / raehaem, wörtlich: Mutterschoß). 6 Mt 14,36; Mk 3,10; 5,25-34; 6,56. Manche Berührungen sind geradezu magisch (→ 2.3.4). der Einöde (Mk 6,34par.; 8,2par.; Mt 9,36) und der Anblick der trauernden Witwe (Lk 7,13). 4 Der gr. Ausdruck für Erbarmen meint eine krampfartige Kontraktion der Eingeweide (gr. ta splángchna). Die Zuwendung zu den Notleidenden ist daher als spontane, physische Reaktion des Wundertäters zu werten. Jesus ist im eigentlichen Sinn des Wortes empathisch, er leidet mit, macht sich das Leiden der Anderen zu Eigen. Das Motiv zu helfen ist keine anerzogene, moralische Haltung, sondern ein zutiefst authentisches Mitfühlen, welches das Helfen nicht von irgendeinem Kalkül abhängig macht, sondern es geradezu erzwingt (→ 3.6.3d). 5 d) Heilkräftiger körperlicher Kontakt Der Wundervollzug ist zumeist mit körperlicher Kontaktaufnahme ver‐ knüpft. Eine einfache Berührung reicht oft aus. 6 Wer wen zuerst berührt, ist zweitrangig. Ärztliche Praktiken Jesu erfordern einen intensiveren Körper‐ kontakt. Beispiele: Eine Berührung Jesu heilt den Aussätzigen (Mt 8,3par. Lk 5,13), ebenso zwei Blinde (Mt 9,29 f.; 20,34). - Auch eine Handauflegung wirkt heilend (Mk 6,5: Nazarener; Lk 13,13: verkrümmte Frau). - Eine Berührung und ein Befehl Jesu erwecken die Tochter des Jairus zum Leben (Mk 5,41). - Jesus legt dem Taubstummen die Finger in die Ohren, benetzt seine Zunge mit Speichel und spricht eine Wunderformel (Mk 7,33 f.). - Dem Blinden von Betsaida reibt Jesus gleich zweimal Speichel auf die Augen, damit er wieder richtig sehen kann (Mk 8,23-25). - Dem Blindgeborenen helfen ein Brei aus Speichel und Erde und ein Bad im Teich Siloah ( Joh 9,6 f.). Die Beispiele unterstreichen den Stellenwert der Körperlichkeit beim Wun‐ dervollzug. Berührungen sind kein Relikt eines magischen Weltbildes, son‐ 159 4.1 Sinnebenen <?page no="160"?> 7 Mit Zimmermann 2013a, 16. 8 Erlemann 2016, 140. 9 von Hirschhausen 2016, 84 (zu Mk 2,1-12). dern markieren eine tiefe personale Beziehung zwischen Kranken und Wundertäter. 7 Die Wundertexte legen auf diesen Gesichtspunkt großen Wert (→ 4.1.6). e) Fazit: Sichtbare und spürbare Zuwendung Gottes In der Körperlichkeit der Wunder und in der entsprechenden Sinnebene der Wundertexte manifestiert sich die göttliche Schöpferkraft. Die Zuwendung Jesu bewirkt eine körperlich spürbare Veränderung und zeigt seine Affiziert‐ heit mit den Notleidenden. Er macht sich ihre Not zu Eigen und beendet sie durch seine Wundervollmacht. Damit wird die physische Vergänglicheit der Welt zeichenhaft überwunden; die Wundertexte markieren den Beginn der eschatologischen, physischen Erlösung. Das macht ihre wörtliche Sinnebene unverzichtbar. Sie enthält außerdem wichtige Impulse für Ekklesiologie und Ethik (→ 4.2.6; 4.2.7). Die physische Sinnebene provoziert die menschliche ratio, die so etwas Unmögliches oder zumindest äußerst Unwahrscheinliches nicht für wahr halten kann. Die Denkrichtung der Wundertexte lautet jedoch nicht ‚es kann nicht sein, was nicht sein darf ‘, sondern ‚es ist möglich, weil bei Gott alles möglich ist‘. 8 4.1.2 Spirituelle Sinnebene „Mit Worten die Seele des Kranken zu berühren, war Jesus offenbar wichtiger, als sich auf die Symptome zu stürzen. Die Lähmung zu heilen, ist die Zugabe.“ 9 Diese Sinnebene wird häufig irreführend symbolische, metaphorische oder übertragene Ebene genannt. Sie bezieht sich auf eine innere religiöse Erfah‐ rung und auf die Überwindung innerer, geistlicher Not. In ihr artikulieren sich spirituelle Gottesbegegnungen, verdichtete Glaubenserfahrungen und die Erfahrung der Überwindung von Schuld. Zu unterscheiden ist sie von der (tiefen-)psychischen Sinnebene, die das wunderhafte Geschehen auf den Bereich der menschlichen Seele oder tiefenpsychischer Zusammenhänge verschiebt. 160 4 Inhaltliche Aspekte <?page no="161"?> 10 Mk 2,1-12parr.; Joh 5,1-18; 9,1-7. Die spirituelle Ebene trägt dem biblischen Menschenbild und dem weis‐ heitlichen Tun-Ergehen-Zusammenhang Rechnung, der Krankheit als Folge von Sünde qualifiziert. Körperliche Heilung impliziert demnach Sündenver‐ gebung und Sündenvergebung zieht körperliche Heilung nach sich (→ 4.3.2). 10 4.1.3 (Tiefen-)Psychische Sinnebene Diese Sinnebene erfreut sich in der Wunderdeutung großer Beliebtheit, denn sie hilft, das wunderhafte Geschehen rational zu erklären: Jesus hat nicht den Körper geheilt, sondern die Seele! Jesus hat keine Naturgewalten besiegt, sondern menschliche Urängste überwunden! Die Sinnebene ist in vielen Wundertexten zu entdecken. Trotzdem ist sie mit Zurückhaltung zu beurteilen; ob sie sich für die Interpretation anbietet und sie bereichert, ist von Fall zu Fall zu prüfen. Das Kriterium ist, ob die Konzentration auf den (tiefen-)psychischen Sinn die erzählerischen und theologischen Schwerpunkte ergänzt oder von ihnen wegführt. a) Krankheit als Beziehungsproblem Die Bibel betont die innere Einheit des Menschen. Physische Gebrechen signalisieren eine Störung des Verhältnisses zu Gott, den Mitmenschen und zu sich selbst. Das erklärt den engen Konnex zwischen körperlicher Heilung und Sündenvergebung, Glauben und Nachfolge. Auf der (tiefen-)psychi‐ schen Sinnebene erscheint das Wunder als Befreiung des Menschen von Ängsten, Zerrissenheiten und psychischen Störungen. Ansatzpunkt sind Texthinweise auf die Krankheitsdauer, die Symptomatik, die Therapieform und Ähnliches. Beispiele: Die beiden Wundertexte in Mk 5 (blutflüssige Frau, Tochter des Jairus) werden durch die Zahl Zwölf zusammengehalten. Eugen Dre‐ wermann wertet sie als Hinweis auf einen Konflikt um das Frausein; das Krankheitsbild der blutflüssigen Frau wird als ‚Menorrhagie‘ in Folge eines traumatischen sexuellen Erlebnisses, verbunden mit langzeitigen sexuellen Schuldgefühlen und sozialer Stigmatisierung, bestimmt. Das 161 4.1 Sinnebenen <?page no="162"?> 11 Drewermann 1985, 277-309. 12 Drewermann 1985, 185. 13 Der Weg zur Heilung besteht laut Drewermann im Prozess heilsamer Selbstfindung (vgl. Kollmann 2014a, 12). Das ist freilich nicht per se auf die biblischen Wundertexte zu applizieren. eigentliche ‚Wunder‘ bestehe im Glauben der Frau, in ihrem Mut, im entscheidenden Moment zu ihrem Frausein zu stehen. - Auch der Tod der zwölfjährigen Jairus-Tochter hänge mit dem Problem des Frauwer‐ dens zusammen. Er stehe symbolisch für ihre Verweigerung, Frau zu werden, ihre ‚Auferweckung‘ für ihre Befreiung zum Frausein. 11 - Die Heilung des Gelähmten am Teich Betesda ( Joh 5,1-9) wertet Drewer‐ mann als Befreiung von der permanenten Angst, ohne die Hilfe anderer Menschen keinen Schritt im Leben wagen zu können. 12 b) Aufrichten als Ziel der Heilung Das Motiv des Aufrichtens der geheilten Person lässt sich ebenfalls tiefen‐ psychisch deuten. Die Feststellung, dass der Geheilte sich aufrichtet und in Bewegung kommt, unterstreicht die Dynamik im Inneren der Geheilten. Beispiele: Jesus richtet die fiebernde Schwiegermutter des Petrus auf und heilt sie (Mk 1,31). - Nach vollzogener Wunderheilung fordert Jesus den ehemals Gelähmten auf „Steh auf, nimm dein Bett und geh hin“, was auch passiert (Mk 2,11 f.; Joh 5,8 f.). - Ähnlich befiehlt Jesus die von den Toten Erweckten aufzustehen (Mk 5,41; Lk 7,14; vgl. Apg 9,40). - Der zuvor am Wegrand sitzende, blinde Bartimäus folgt nach vollzogener Heilung Jesus nach (Mk 10,52). - Die ehemals verkrümmte Frau richtet sich auf und preist Gott (Lk 13,13). Wer von Jesus aufgerichtet wird, erhält neues Ich- und Selbstbewusstsein. Wer aufrecht steht, entdeckt neue Lebensmöglichkeiten und kann anderen Menschen auf Augenhöhe begegnen. Die damit markierte Stabilisierung der Persönlichkeit ist auch Ziel moderner Psychotherapie. 13 162 4 Inhaltliche Aspekte <?page no="163"?> 14 So Drewermann im Anschluss an C. G. Jung. 15 Der röm. Hauptmann Mt 8,5-13par. Lk 7,1-10 und der königliche Beamte Joh 4,46-54. 16 Krankheit zog seit jeher soziale Nachteile nach sich, vgl. Hi 29,12-16; Jer 31,8; Mk 5,26; 10,46-52; Apg 3,2 u. a. - trotz des in der Tora vorgeschriebenen Schutzes von Kranken und Behinderten (Lev 19,14; Dtn 27,18; Spr 31,8; vgl. Hi 29,15). c) Würdigung Die (tiefen-)psychologische Deutung versteht Heilung als ganzheitlichen Vorgang und fragt nach den tieferen Ursachen körperlicher Symptome. Sie lässt erkennen, dass der Heilungsvorgang auch die Tiefenschichten des Menschen berührt. Eine rein körperliche Heilung wäre unvollständig. Die Reduktion des wunderhaften Geschehens auf innerpsychische Vorgänge wird dem biblischen Menschenbild aber nicht gerecht; von der Seele (gr. psyché) sprechen die Texte nicht. Auch ist die Tendenz, in den Texten psychische Krankheitsbilder im modernen Sinne zu vermuten, kritisch zu sehen. Das Postulat ahistorischer seelischer Grundbefindlichkeiten 14 wird durch die Annahme grundsätzlicher Fremdheit antiker Krankheitsbilder infrage gestellt. Zurückhaltung ist auch bei der Annahme geboten, alle phy‐ sischen Symptome seien Hinweise auf psychische Störungen. Gleichwohl ergänzt der Ansatz, mit Augenmaß betrieben, andere Deutungsmuster in sinnvoller Weise. Die Sinnebene erschließt das therapeutische Potenzial der Erzählungen. 4.1.4 Sozial-und kultkritische Sinnebene Der sozialbzw. kultkritische Ansatz deutet die Wunder als symbolische Hinweise auf heilvolle soziale und religiöse Veränderungen. Gesellschaft und Religion bilden zur Zeit Jesu eine unauflösliche Einheit, weshalb sie hier als eine einzige Sinnebene präsentiert werden. Die Sinnebene hat unter an‐ derem einen historischen, einen feministischen und einen Inklusionsaspekt (→ 3.3.6). a) Sozialer Statuswechsel Von Ausnahmen abgesehen 15 , therapiert Jesus die ‚Verlorenen‘ der Gesell‐ schaft: Bettler, Besessene, Sünder, Zöllner, körperlich Behinderte und ‚Un‐ reine‘ (Mk 2,17; Lk 19,10). Sie alle leiden unter den sozialen Folgen ihres Handicaps. 16 163 4.1 Sinnebenen <?page no="164"?> 17 Vgl. dazu die apokryphe Variante zu Mk 3,1-6 in EvNaz fr.2: „Ich war Maurer und habe mit meiner Hände Arbeit für meinen Lebensunterhalt gesorgt. Ich bitte dich, Jesus, stelle meine Gesundheit wieder her, damit ich mir nicht ehrlos mein Essen erbetteln muss“ (Text ursprünglich bei Hieronymus, Kommentar zu Mt 12,13; übersetzt bei Neumann 2005, 70). 18 Vgl. weiter Lev 21,16-21; 2 Sam 5,8; Josephus, Apologie 1,281; ders., Bell 5,227. 19 Mk 1,29-31.40-45; 10,46-52. 20 Metaphorisch spendiert Jesus ‚Wasser des Lebens‘ statt normalen Wassers sowie ‚Brot des Lebens‘ in Überbietung ‚normalen‘ Brotes ( Joh 4,1-26; 6,22-51). Beispiele: Krankheit führte selbst Wohlhabende in die Armut (Mk 5,26). - Lk 6,6 hebt auf die sozialen Folgen der Behinderung ab. 17 - Bartimäus musste betteln (Mk 10,46; vgl. Joh 9,8). - Bettler, Arme und Behinderte bevölkerten den Straßenrand und den Tempeleingang (Lk 14,21; Apg 3,2). - Der Gelähmte am Teich Siloah war sozial isoliert ( Joh 5,7; anders der Gelähmte in Mk 2,1-12). - Hautausschlag und Besessenheit führten zu Ausgrenzung (Mk 5,5; Lk 17,12b; Lev 13,45 f.). 18 Mit der Heilung werden die Kranken wieder kult- und gesellschaftsfähig. 19 Die Heilung der ‚Randständigen‘ bezeugt den Stellenwert, den sie in Jesu Augen bei Gott genießen. Ihre Reintegration ist aber auch ein Affront ersten Ranges gegenüber den Frommen und traditionellen Erwählungsträgern der Zeit Jesu. b) Überwindung materieller Not Geschenkwunder sind durch das Motiv messianischer Fülle (gr. perisseía) ausgezeichnet. Sie beenden den Mangel und bieten eine Perspektive darauf, was bei Gott möglich ist. 20 Das lässt auf ein Ende des alltäglichen Überle‐ benskampfes hoffen. Beispiele: Die Speisung der Fünftausend Mk 6,30-44parr. und das Fisch‐ fangwunder Lk 5,1-11 beenden akute materielle Not. Viele Menschen werden reichlich satt, am Ende bleibt jede Menge übrig (Mk 6,43parr.). Der üppige Fischzug beendet die Not der Fischer und bringt sie in die Nachfolge Jesu (Lk 5,6-11; vgl. Joh 21,5 f.). - Der logistische Engpass auf der Hochzeit zu Kana wird durch ein auch qualitativ überraschendes Wunder Jesu aufgelöst ( Joh 2,1-11). 164 4 Inhaltliche Aspekte <?page no="165"?> 21 Mit Theißen 1998, 104 f. 22 Vgl. auch die kultkritische Ausrichtung der nicht wunderhaften Zeichenhandlung der Tempelreinigung Mk 11,17parr. (vgl. Jes 56,7) sowie das Tempelwort Mk 13,1 f.parr.; 14,58parr. c) Kultische Reintegration Der geheilte Aussätzige erhält den Auftrag, sich vom Priester die Kultfä‐ higkeit bescheinigen zu lassen. Ein Dankopfer für die Heilung markiert seinen Statuswechsel (Mk 1,40-45; vgl. Lev 14,2-32); das Verhältnis des ehemals ‚Unreinen‘ zu Gott und zu den Menschen gilt mit dieser Prozedur als bereinigt. d) Ablösung alter durch neue Kultformen Manche Epiphanien haben eine kultätiologische Funktion. 21 Die Taufe Jesu begründet die Wassertaufe (Mk 1,9-11parr.), die Emmausgeschichte das Herrenmahl (Lk 24,13-35), das Speisungswunder die Austeilung des Brotes (Mk 6,30-44parr.). Die Schaffung neuer geht mit der Ablösung alter Kultformen einher. Beispiele: Mit der Gabe lebendigen Wassers kündigt Jesus die ‚Anbetung Gottes im Geist und in der Wahrheit‘ als Ersatz für den äußerlichen Tempelkult an ( Joh 4,19-26). - Mit seinem performativen Wort „Mein Sohn, deine Sünden sind dir vergeben“ (Mk 2,5) bricht Jesus das Monopol der Sündenvergebung auf. Die Schriftgelehrten werten das als gottes‐ lästerlichen Affront: Nur Gott selbst dürfe Sünden vergeben (V. 7, vgl. Ps 130,4; Jes 43,25). Der kultische Rahmen der Sündenvergebung war in der Tora geregelt (Ordnung des Jom Kippur, Lev 16). Der Zuspruch der Sündenvergebung hat demnach kultische Sprengkraft: Jesus hebelt das göttlich legitimierte, hohepriesterliche Monopol und damit die Legitimationsgrundlage des Jeru‐ salemer Tempels aus. 22 e) Würdigung Die Sinnebene erfasst wichtige Aspekte der Wundertexte. Die Wirkung der Wunder Jesu auf das kultisch-soziale Leben macht das provokative Potenzial 165 4.1 Sinnebenen <?page no="166"?> 23 Vgl. Jes 35,5 f.; 61,1; Lk 4,18-21; Mt 11,5. der Texte samt ihrer polarisierenden Wirkung verständlich. Und sie konkre‐ tisiert die Hoffnung auf Überwindung des alltäglichen Überlebenskampfes und kultisch-sozialer Machtmechanismen. Die Sinnebene zeigt: Nicht nur die Physis, sondern auch die sozialen Bezüge werden in Ordnung gebracht; die messianischen Hoffnungen erfüllen sich individuell und sozial. 23 Das alles wirft ein Schlaglicht auf die anbrechende basileía Gottes, für die Überfluss - auch materieller! - charakteristisch ist. Auch die kultischen Schranken zwischen Gott und Menschen sind beseitigt. Sündenvergebung findet hinfort ohne zeitliche und räumliche Festlegung statt. Taufe und Abendmahl symbolisieren den opferfreien Zugang zu Gott (vgl. Hebr 10). Priester als Vermittler zwischen Gott und Menschen werden überflüssig. Einschränkend ist zu sagen, dass auch diese Sinnebene nur im Verbund mit anderen Ebenen zu einem angemessenen Gesamtbild beiträgt. Auch bietet nicht jede Wundererzählung sozialbzw. kultkritische Aspekte. Eine Reduktion auf diese Sinnebene wird den Wundertexten nicht gerecht. 4.1.5 Mythisch-kosmische Sinnebene Exorzismen, Naturwunder, Epiphanien, Entrückungen und Geschenkwun‐ der haben eine mythisch-kosmische Sinnebene. Sie handelt vom endzeitli‐ chen, kosmischen Kampf gegen die widergöttlichen Mächte (Satan, Dämo‐ nen u. a.). a) Epochale Grenzüberschreitungen Das mythische Weltbild lässt Grenzöffnungen zwischen göttlicher und menschlicher Sphäre zu. Das geschieht etwa bei Epiphanien (→ 1.6.8; 1.7.5). Beispiele: Bei der Taufe Jesu öffnet sich der Himmel (Mk 1,9-11parr.), ebenso bei seiner Verklärung (Mk 9,2-13parr.). Beide Texte klären über die göttliche Identität und Vollmacht Jesu auf. - Auch Jesu Him‐ melfahrt ist eine himmlische Grenzöffnung (Mk 16,19 f.; Lk 24,50-53; Apg 1,9-11). - Wunderhaft ist die Epiphanie des Heiligen Geistes an 166 4 Inhaltliche Aspekte <?page no="167"?> 24 Vgl. die Vision des Stephanus Apg 7,55 und die Thronvision des Sehers Johannes Apk 4 ff. 25 Gr. archaì und enestóta als übermenschliche ktíseis, Röm 8,38 f.; vgl. Eph 6,12; Kol 2,15 (dort auch exousíai und dynámeis). Auch Satan, Tod und Dämonen gehören in die Riege gottfeindlicher Mächte (vgl. 1 Kor 15,23-28). Pfingsten (Apg 2,1-11). - Mythisch-mystisch ist die Entrückung des Paulus in den dritten Himmel (2 Kor 12,1-4). 24 Taufe Jesu, Verklärung, Himmelfahrt und Pfingsten markieren heilsge‐ schichtliche Zäsuren; die Anwesenden erleben eine einzigartige Verdich‐ tung der Wirklichkeit und werden zu Augenzeugen epochaler Ereignisse. Die Himmelsreisen von Paulus und Johannes sind mythisch-mystische Intensiverfahrungen, bei denen die Visionäre himmlische Kenntnisse mit kosmischer Relevanz erhalten. b) Sieg über lebensfeindliche Mächte Die Antike und das NT stellen die Naturmächte personifiziert dar; laut Röm 8,38 f. u. a. bezwingt Jesus ‚Mächte‘, ‚Gewalten‘ und feindliche ‚Kreaturen‘. 25 Offenkundig wird die mythisch-kosmische Sinnebene in Naturwundertex‐ ten: Die Zähmung von Naturmächten offenbart Jesu göttliche Macht über den Kosmos. Beispiele: Bei Sturmstillung, Seewandel und Speisungswunder (Mk 4,35-41parr.; 6,30-44.45-52parr.) überwindet Jesus Meer, Sturm, Einöde und Hunger und signalisiert damit einen kosmischen Machtwechsel. - Die kosmischen Wunderzeichen bei der Kreuzigung und Auferstehung Jesu (Mt 27,51-28,2) markieren die verborgene Dimension des Gesche‐ hens. Die mythisch-kosmische Sinnebene lenkt den Blick auf menschliche Grenz‐ erfahrungen und zugleich auf physische Lebensgrundlagen. Die Wunder‐ texte transportieren damit die Hoffnung auf Erlösung von menschlichen Urängsten und befreien dazu, zuvor unüberwindlich scheinende Grenzen zu überschreiten. Hier zeigt sich eine Affinität zur (tiefen-)psychischen Sinnebene (→ 4.1.3). 167 4.1 Sinnebenen <?page no="168"?> 26 Expressis verbis in Joh 1,1-14: Jesus ist der Schöpfungs-Logos Gottes. Joh 9,3; vgl. 11,4: Jesus tut die (Schöpfungs-)Werke Gottes. 27 Kosmische Unordnung ist ein Zeichen der Endzeit, vgl. äthHen 80,2; Mk 13,24-27 u. a. Beispiele: Petrus überwindet beim Seewandel seine Urangst vor dem Ertrinken (Mt 14,22-33). Diese Grenzerfahrung mündet im kollektiven Glaubensbekenntnis der Jünger (V. 33). - Auch der Gefängnisaufseher kommt durch ein Wunder zum Glauben (Apg 16,30-34). - Die Immuni‐ tät des Paulus gegen Schlangengift führt zu seiner spontanen, göttlichen Verehrung (Apg 28,6). c) Befreiung von inneren Fesseln Exorzismen dokumentieren den Machtkampf zwischen göttlichen und wi‐ dergöttlichen Mächten. Mit der Überwindung Satans (Mt 4,1-11parr.) ist den Evangelien zufolge das Böse grundsätzlich überwunden. Unter diesem Vorzeichen erscheinen die Exorzismen als kosmische Nachhutgefechte, in denen die ‚Besessenen‘ von ihren inneren Fesseln freikommen und den Weg zurück in die Gesellschaft finden. Jeder Exorzismus ist ein Etappensieg der basileía Gottes (Mt 12,28par.). d) Akte der Neuschöpfung Die jüdisch-christliche Zukunftshoffnung läuft auf die Überwindung der Vergänglichkeit und auf die Neuschöpfung der Welt zu (2 Petr 3,10-13; Apk 21). Gott sandte Jesus zur Erlösung in die Welt; seine Wunder sind Hinweise auf Gottes Schöpfermacht und markieren den Beginn der Neuschöpfung, so die Texte. 26 Insbesondere Naturwunder und Erweckungen markieren die einsetzende Neuordnung der Welt. 27 Das vergängliche Leben wird durch das unvergängliche ersetzt, Ordnungen, die das Leben einengen, werden gesprengt. e) Würdigung Die mythisch-kosmische Sinnebene lenkt den Blick auf menschliche Grenz‐ erfahrungen und Lebensgrundlagen. Die Exorzismen verlagern den kos‐ mischen Endkampf ins Innere des Menschen; der Siegeszug der basileía vollzieht sich nicht mit Brachialgewalt, sondern subtil, in der Befreiung 168 4 Inhaltliche Aspekte <?page no="169"?> 28 Theißen 1998, 57-81, im Rahmen einer Auflistung von Motiven des Genres Wunder‐ erzählung. 29 Strecker 2002; Stegemann 2004 (→ 3.4.2). 30 Metternich 2014, 613. 31 Die einzelnen Erzählemente dienen nicht der Begründung einer Gattungsbestim‐ mung im Sinne eines formgeschichtlichen Motivarsenals (anders Zimmermann 2014b, 328-343). von inneren Zwängen und Fesseln. Mit seinen Natur-, Rettungs- und Ge‐ schenkwundern überwindet Jesus menschliche Urängste und eröffnet neue Lebensmöglichkeiten. Vormals unmöglich Scheinendes erscheint möglich, ehemals unüberwindliche Grenzen öffnen sich, Existenzangst und bedroh‐ licher Mangel finden ihr Ende. Das vermittelt Hoffnung gegen das Gefühl kosmischer Ohnmacht. - Auch diese Sinnebene ergänzt im Ensemble der anderen Sinnebenen das Verständnis der Wundertexte. 4.1.6 Kommunikative Sinnebene In bisherigen Deutungsansätzen findet diese Sinnebene wenig Berücksich‐ tigung. Ansatzweise berührt sie Gerd Theißen. 28 Wolfgang Stegemann und Georg Strecker deuten Exorzismen kulturanthropologisch als symbolische Transformance, die durch performative Sprache Besessenheit beseitigt und durch eine neue Identität ersetzt. 29 Auch die feministische Wunderdeutung hebt auf die personale Beziehung zwischen dem Wundertäter und seinem Gegenüber ab (→ 3.3.6a). „Die Hermeneutik der Beziehung bringt in die Auslegung der Heilungsgeschich‐ ten eine feministisch-theologisch reflektierte Christologie ein, die auf hierarchi‐ sche Konzepte verzichtet und stattdessen von einer gegenseitigen und geschwis‐ terlichen Beziehung zwischen Jesus und seiner Nachfolgegemeinschaft spricht. 30 Bei näherer Betrachtung entpuppt sich die Sinnebene als Fundgrube für viele Entdeckungen auf der Beziehungsebene und auf der der Christologie. Sie erschließt sich durch die Analyse innertextlicher Kommunikation des Wundertäters mit den anderen Akteuren der Erzählung. Dabei ist eine enorme Bandbreite erkennbar. Die folgende Besprechung folgt dem typi‐ schen Verlauf eines Wundertextes. 31 169 4.1 Sinnebenen <?page no="170"?> 32 Der davidische Messias wird den Elenden Gerechtigkeit verschaffen ( Jes 11,4 f.; vgl. 9,6). - Lk 9,37-42 lässt die Bitte um Erbarmen aus. Mk 9,14-29 schiebt die Bitte um Erbarmen nach (V. 22). 33 Ausnahme: Lk 5,15 f. Hier zieht sich Jesus zum Gebet zurück, wohl um Kraft zu tanken. a) Formen der Kontaktaufnahme Spontanes Erbarmen Jesu, ausgesprochenes Hilfegesuch oder auch Er‐ schleichung des Wunders durch die Notleidenden sind Möglichkeiten der Kontaktaufnahme zwischen Wundertäter und Hilfesuchenden. Nur ausnahmsweise hilft Jesus ohne emotionales Motiv und ohne Initiative der Hilfesuchenden. 1. Spontanes Erbarmen Der schiere Anblick der Not löst bei Jesus heftiges körperliches Erbarmen aus, das ihn zu spontaner Hilfe treibt (Textbeispiele → 4.1.1c). 2. Bittgesuche In der Regel lösen Bittgesuche ein Wunder aus. Sie signalisieren Vertrauen in Jesu Wunderkraft. Manchmal bitten die Notleidenden ausdrücklich um Erbarmen. Beispiele: Bartimäus schreit um Hilfe und appelliert an das Erbarmen Jesu, des Davidsohns (Mk 10,47 f.; vgl. Mt 9,27), ebenso der Vater des mondsüchtigen Sohnes (Mt 17,15par.). 32 Hier folgen die Schilderung der Krankheitssymptome und der Hinweis auf die Inkompetenz der Jünger. - Der Bittruf der zehn Aussätzigen „Jesus, lieber Meister, erbarme dich unser! “ (Lk 17,13) signalisiert entweder Wertschätzung oder stellt eine captatio benevolentiae dar. Die Bitten sind jederzeit von Erfolg gekrönt, auch die nonverbale, durch ihre Hilfsaktion symbolisierte Bitte der Freunde des Gelähmten (Mk 2,1-12: V. 3 f.). 33 170 4 Inhaltliche Aspekte <?page no="171"?> 3. Erschleichung des Wunders Die blutflüssige Frau (Mk 5,25-34) erschleicht sich ihre Heilung: Sie berührt heimlich Jesu Gewand in der magischen Vorstellung, dass dies helfen werde (V. 27 f.). Sie hat Erfolg, muss sich anschließend aber vor Jesus outen (V. 29-33). 4. Hilfe ‚einfach so‘ Vor der Heilungsaktion fragt Jesus den Gelähmten am Teich Betesda, ob er gesund werden wolle ( Joh 5,6). Erst daraufhin schildert der Gelähmte seine Not (V. 7). Ähnlich stellt Joh 9 die Souveränität Jesu heraus: Weder Erbarmen noch Bittgesuch motivieren die Heilung des Blindgeborenen, sondern Jesu Hinweis auf die Werke Gottes, die an diesem ‚Fall‘ publik gemacht werden sollen (V. 3). b) Kommunikationsformen vor dem Wundervollzug Zwischen Kontaktaufnahme und Wundervollzug finden sich oft erste Reak‐ tionen Jesu und die Vorbereitung des Wunders. Typische Kommunikations‐ muster sind die anfängliche Weigerung Jesu, oft gepaart mit einer Schelte, sodann vertrauensbildende Gespräche, die Entkräftung von Widerständen, die Deutung des bevorstehenden Wunders und die Diskussion von Lehrfra‐ gen mit Gegnern. 1. Äußerung von Vorbehalten Manche Texte schildern eine anfängliche Reserve Jesu den Bittstellern gegenüber; dies erhöht die Spannung und den Stellenwert des eigentlichen Wunders. Beispiele: Das Bittgesuch der Syrophönizierin, Jesus möge ihre Tochter exorzieren (Mk 7,26), provoziert zunächst einen polemischen Einwand Jesu (Mk 7,27). Erst die schlagfertige Antwort der Frau führt zum Wundervollzug (V. 29 f.). Beides, Jesu Reserviertheit und der couragierte Glaube der Frau, rechtfertigen das Wunderwirken an Nichtjuden. - Re‐ serviert reagiert Jesus auf die Bitte seiner Mutter, er möge die Hochzeit zu Kana retten ( Joh 2,3 f.). Das unterstreicht die Unabhängigkeit Jesu in seinen Entscheidungen. 171 4.1 Sinnebenen <?page no="172"?> 34 Weitere Beispiele: Mt 14,27; 17,7; 28,5; Mk 5,36; Lk 2,10; 5,10; 12,32; Joh 14,27; Apk 1,17. Eine Schelte impliziert entweder Kritik an der Wunderforderung der Men‐ schen oder eine Kritik an der Unfähigkeit der Jünger, ein Wunder zu vollbringen: Beispiele: Eine Schelte kassiert der königliche Beamte, der Jesus um Ret‐ tung seines todkranken Jungen bittet ( Joh 4,47 f.). Erst als er nachsetzt, geht Jesus auf die Bitte ein (V. 48-50). Die Schelte bezieht sich auf einen Glauben, der ohne Wunder nicht auskommt (vgl. Joh 21,29a). - Das Bittgesuch eines Vaters, Jesus möge seinen Sohn von Dämonen befreien (Mk 9,17-19parr.), provoziert zuerst eine Jüngerschelte; erst danach heilt Jesus den Jungen (V. 20-27). 2. Ausräumen von Angst und Skepsis Formeln wie „Seid getrost, ich bin’s; fürchtet euch nicht! “ (Mk 6,50) nehmen den Bittstellern und Augenzeugen die Angst. 34 Im Vorfeld von Wunder‐ handlungen muss Jesus hin und wieder Vertrauen schaffen und Skepsis ausräumen. Beispiele: Jesus muss Jairus’ trauernde Familie beruhigen und auf Ab‐ stand bringen, bevor er die Tochter erwecken kann (Mk 5,38-40). - Er muss die Sorge der Jünger auräumen, bevor er die Menschen sättigen kann (Mk 6,35-40). - Jesus muss die Fischer überzeugen, zu einer un‐ sinnig scheinenden Tageszeit auf Fischfang zu gehen (Lk 5,4 f.); erst dann kann das Wunder eintreten. - Vor der Erweckung des Lazarus muss sich Jesus für sein spätes Eingreifen und wegen seiner vermeintlichen Unfähigkeit rechtfertigen ( Joh 11,28-40). Mit vertrauensbildenden Maßnahmen wird allererst ein Klima geschaffen, das eine Wunderhandlung ermöglicht. Das entspricht der Wunderlogik (→ 3.6.3). 172 4 Inhaltliche Aspekte <?page no="173"?> 3. Überwindung von Widerständen Regelrechten Widerstand muss Jesus laut den Evangelien nur selten über‐ winden. Beispiele: Gegen den Willen seiner Begleiter befiehlt Jesus, Bartimäus zu ihm durchzulassen (Mk 10,48 f.). - Jesu Angebot, das erbetene Wunder in seinem Haus zu vollziehen, lehnt der Hauptmann von Kapernaum ab und signalisiert damit Wertschätzung (Mt 8,7-9); Jesus wertet das als vorbildlichen Glauben und vollzieht eine Fernheilung (V. 10.13). - Gegen den Widerstand der ungläubigen Nazarener ist Jesus weitgehend machtlos (Mk 6,1-6). 4. Deutung des bevorstehenden Ereignisses Jesus klärt zuerst die Jünger über seine Motive auf, dann heilt er den Blindgeborenen ( Joh 9,1-3). - Vor der Erweckung des Lazarus macht Jesus das physisch-leibliche Wunder transparent für die Gabe des ewigen Lebens ( Joh 11,25 f.). 5. Rechtfertigung des Wunders Wo Skeptiker und Gegner Jesu Wunderwirken beobachten, kommt es regelmäßig zum Konflikt um das Recht und die Vollmacht, Wunder zu tun. Beispiele: Jesus rechtfertigt den Zuspruch der Sündenvergebung (Mk 2,6-9) und heilt den Gelähmten zur Klärung der Vollmachtsfrage dann auch physisch-leiblich (V. 10-12). - Das Recht, am Sabbat wunderwir‐ kend tätig zu werden, verteidigt Jesus in Mk 3,1-6 mit einer rhetorischen Frage (V. 4; vgl. Lk 14,3). Erst danach heilt Jesus die verdorrte Hand (Mk 3,5). In Normenwundern steht nicht die Wunderhandlung im Vordergrund, sondern der Konflikt um religiöse Normen wie das Sabbatgebot. 173 4.1 Sinnebenen <?page no="174"?> 6. Konflikt mit Dämonen Bei Exorzismen trifft die göttliche Vollmacht Jesu auf die satanische Macht der Dämonen. Der Exorzismus wird von teils heftigen Wortgefechten begleitet. Beispiele: Ein Dämon versucht Jesus zu entwaffnen, indem er ihn ent‐ tarnt (Mk 1,24; vgl. 3,11); erst auf eine Drohung Jesu im Befehlston fährt er aus (V. 25 f.). - Der Dämon von Gerasa erkennt Jesu göttliche Identität und beschwört ihn, ihn nicht zu quälen (Mk 5,6 f.parr.). Auf die Bitte der versammelten Dämonen lässt Jesus sie in eine Schweineherde fahren, die im See Genezareth ersäuft (Mk 5,9-13parr.). - Den Dämon des mondsüchtigen Jungen muss Jesus massiv bedrohen, damit er ausfährt (Mk 9,25 f.; vgl. Apg 16,18). Die Texte betonen die mythisch-kosmische Dramatik des Geschehens. Der Machtkampf zwischen Jesus und den Dämonen geht immer zugunsten Jesu aus. 7. Autoritative Anweisungen Zum Wunderarrangement gehören klare Anweisungen an die Hilfesuchen‐ den und ihre Angehörigen. Sie unterstreichen Jesu Autorität und Wunder‐ vollmacht. Beispiele: Der Mann mit der verdorrten Hand muss in der Synagoge nach vorne bzw. in die Mitte treten; so rückt das Geschehen in den Fokus der Anwesenden (Mk 3,3). - „Fürchte dich nicht, glaube nur! “ (Mk 5,36) ist mehr als eine vertrauensbildende Aufforderung an den trauernden Jairus (Mk 5,36); die skeptischen Augenzeugen werden aus dem Raum vertrieben (V. 40). 174 4 Inhaltliche Aspekte <?page no="175"?> 35 von Hirschhausen 2016, 395 (kursiv im Original). 36 Z. B. hat Mk 8,22-26 keine synoptischen Parallelen. 37 Summarisch in Mt 14,36par. Mk 6,56 und Mk 3,10par. Lk 6,19; blutflüssige Frau Mk 5,25-34. Vgl. Apg 5,15: Schatten des Petrus sowie Apg 19,11 f.: Kontakt zu abgelegter Kleidung als wunderwirkende Medien (→ 3.1.4a). Vgl. auch Metternich 2013, 573; Le Roux 2013, 629. c) Formen des Wundervollzugs Beim Wundervollzug ist von ärztlichen Therapien und einfachen Berührun‐ gen bis zu Heilungen per Gebet, Befehl oder performativem Wort (fast) alles möglich. „Das Wort ‚Behandlung‘ wird oft durch ‚Therapie‘ ersetzt, was schade ist, denn mit dem Wort ging auch die Bedeutung verloren: Menschen wollen berührt werden, und nichts lässt so schnell einen Draht entstehen wie respektvoller körperlicher Kontakt.“ 35 1. Heilung nach den Regeln ärztlicher Kunst Ausführliche Beschreibungen des Wundervollzugs spiegeln antike Heil‐ kunst wider, erinnern zum Teil aber auch an magische Praktiken. Beispiele: Jesus steckt einem Taubstummen die Finger in die Ohren und benetzt seine Zunge mit Speichel (Mk 7,33). Der anschließende Befehl Hefata (tu dich auf! ) zeigt unmittelbar Wirkung (V. 34). - Die Behandlung des Blinden von Betsaida mit Speichel auf den Augen erfolgt zweistufig (Mk 8,23-25). - Ein Heilbrei aus Speichel und Erde heilt den Blindgeborenen ( Joh 9,6 f.). Dem Speichel Jesu kommt eine Schlüsselrolle bei der Therapie kranker Sinnesorgane zu. Matthäus und Lukas sind zurückhaltender als Markus, was die Beschreibung anbelangt; damit wird Jesus von magischen Praktiken abgegrenzt. 36 2. Heilung durch Berührung Magisch wirken Berührungen von Kleidungsstücken des Wundertäters. 37 Berührung und Handauflegung seitens Jesu gelten als wunderwirkende Gesten. 175 4.1 Sinnebenen <?page no="176"?> 38 Zimmermann 2013a, 16. 39 Textkritische Varianten ergänzen ‚und durch Fasten‘. Beispiele: Mit einer Berührung und einem performativen Wort heilt Jesus einen Aussätzigen (Mt 8,3parr.). - Eine Berührung wirkt auch bei den beiden Blinden das Wunder (Mt 9,29 f.; 20,34parr.). Eine Berührung der Hand und der anschließende Befehl Talita kum (steh auf! ) bringen die Tochter des Jairus ins Leben zurück (Mk 5,41). Bei heilenden Handauf‐ legungen wird der Kopf berührt (summarisch in Mk 6,5; verkrümmte Frau in Lk 13,13). Berührungen durchbrechen den kultisch vorgeschriebenen Abstand zu ‚Unreinen‘. Außerdem markieren sie eine personale Beziehung zwischen Wundertäter und Hilfesuchenden, die für den Wundervollzug essenziell ist. 38 3. Heilung durch Gebet Gebete spielen besonders in mk. und joh. Wundererzählungen eine Rolle. Beispiele: Das Dankgebet ist ein wichtiges Element beim Speisungswun‐ der (Mk 6,41parr.; Mk 8,6parr.). Der Gestus erinnert an die Feier des Abendmahls; selbst Joh 6,11 übernimmt das Motiv. - Angedeutet ist ein Gebet Jesu bei der Heilung eines Taubstummen (Mk 7,34). - Dämonen, so Mk 9,29, fahren nur durch Gebet aus. 39 Eine exponierte Rolle spielt das Gebet bei der Auferweckung des Lazarus ( Joh 11,41 f.). Es vereindeutigt die göttliche Vollmacht Jesu. Das Gebet stellt nicht nur klar, aus wessen Vollmacht heraus Jesus handelt, sondern hat auch die Funktion eines Sprachrohrs für die oft sprachunfähigen Kranken. 4. Heilung und Rettung durch Befehl Wunderwirkende Befehle unterstreichen Jesu Autorität und Wundervoll‐ macht. 176 4 Inhaltliche Aspekte <?page no="177"?> 40 Mk 3,5; Lk 17,14; Joh 9,7; Apg 14,10. 41 Mk 5,41; Lk 7,14; Joh 11,43; Apg 9,40. 42 Stillung des Seesturms Mk 4,39: „Schweig und verstumme! “; vgl. Mt 8,26. 43 Im anderen Rettungswunder (Apg 16,23-34) kommt die Befreiung durch ein Erdbeben zustande. 44 Vgl. die performative Trauformel ‚Hiermit erkläre ich euch zu rechtmäßigen Eheleuten‘ bzw. ‚zu Mann und Frau‘. Auch Scheidungen werden durch performative Formeln vollzogen. Beispiele: „Steh auf, nimm dein Bett und geh heim! “, lautet der wunder‐ wirkende Befehl bei der Heilung des Gelähmten (Mk 2,11; vgl. Joh 5,8; Apg 3,6). Ähnliche Befehle finden sich bei anderen Krankenheilungen 40 , Totenerweckungen 41 , Natur- 42 und Geschenkwundern (Mk 6,37.39; Joh 2,1-11). Auf den Befehl von Engeln öffnen sich Gefängnismauern und -tore (Apg 12,1-11). 43 Die Hilfesuchenden und Augenzeugen reagieren auf den Befehl Jesu mit Gehorsam; beides zusammen ermöglicht den Wundervollzug. 5. Heilung und Vergebung durch performative Rede Ein performatives Wort, das Wirklichkeit setzt, indem man es ausspricht, ist eine weitere, Vollmacht demonstrierende Möglichkeit des Wundervoll‐ zugs. 44 Beispiele: Mit der Formel „Mein Sohn, deine Sünden sind dir vergeben“ (Mk 2,5) gilt die Vergebung als vollzogen; die Empörung der Gegner bestätigt das (V. 6 f.). - Der Satz „Geh hin in Frieden und sei gesund von deiner Plage“ (Mk 5,34) bestätigt die Heilung der blutflüssigen Frau (V. 27-29). - „Geh hin, dein Glaube hat dir geholfen“ markiert die Heilung des Bartimäus (Mk 10,52). - Die Formel „Geh hin; dir geschehe, wie du geglaubt hast“ verweist den Hauptmann auf die Fernheilung (Mt 8,13; vgl. Joh 4,50). - Der Satz „Frau, sei frei von deiner Krankheit! “ heilt die verkrümmte Frau (Lk 13,12 f.; vgl. 5,13). Umgekehrt hat auch eine Fluchformel wie: „Du sollst blind sein und die Sonne eine Zeit lang nicht sehen“ umgehend Erfolg: Barjesus erblindet (Apg 13,11 f.). 177 4.1 Sinnebenen <?page no="178"?> 6. Heilung ohne Worte Um eine Fernheilung auszulösen, sind weder Worte noch Gesten nötig. Beispiele: Mit einer Fernheilung übertrifft Jesus die Erwartungen des Hauptmanns von Kapernaum (Mt 8,13). - Auch die Tochter der Syrophö‐ nizierin wird kontaktlos aus der Ferne geheilt (Mk 7,29 f.). - Ohne Befehl oder andere Gesten kommt die Sturmstillung nach dem Seewandel Jesu zustande (Mk 6,51). Fernheilungen sind eindrückliche Beispiele für Jesu Wunderkraft und überbrücken das Abstandsgebot zwischen jüdischen und nichtjüdischen Menschen. d) Kommunikationsformen nach dem Wundervollzug Nach dem Wundervollzug finden sich Schweigegebote, Verkündigungsauf‐ träge, Anweisungen für die Rückkehr in den Alltag, Aufrufe zur Verhal‐ tensänderung, weitere Diskussionen mit Gegnern sowie Jüngerschelte und -belehrung. 1. Schweigegebot Insbesondere mk. Wundertexte enden wiederholt mit einem Schweigegebot. Beispiele: Schweigegebote ergehen an den geheilten Aussätzigen (Mk 1,44a), an die Familie des Jairus (Mk 5,43) und an den ehemals Taubstum‐ men (Mk 7,36). - In eine ähnliche Richtung geht die Anweisung an den geheilten Blinden, er soll nach Hause, aber nicht ins Dorf zurückkehren (Mk 8,26). Die Schweigegebote werden hin und wieder durchbrochen, was Jesu weite‐ res Wirken in der Öffentlichkeit deutlich erschwert (Mk 1,45; vgl. Mt 9,31). 2. Veröffentlichungsgebot Auch Aufforderungen zur Publikation des Wunders sind bezeugt. 178 4 Inhaltliche Aspekte <?page no="179"?> Beispiele: Der exorzierte Gerasener soll seine Heilung öffentlich machen und befolgt Jesu Auftrag (Mk 5,19 f.). - Der geheilte Aussätzige wird angewiesen, sich den Priestern zu zeigen (Mk 1,44b). Ziel ist unter anderem die offizielle Kenntnis der Priester über das Wunderwirken Jesu. 3. Anweisungen für die Rückkehr in den Alltag Anweisungen für das weitere Alltagsleben dokumentieren den Wundervoll‐ zug und schaffen den Übergang zur nächsten Perikope. Beispiele: „Steh auf, nimm dein Bett und geh heim! “ ist ein wunderwir‐ kendes Wort und zugleich die Entlassung des Geheilten in seinen Alltag (Mk 2,11; Joh 5,8). - Die Aufforderung, der erweckten Tochter zu essen zu geben, dokumentiert die Rückkehr zur Normalität im Hause Jairus (Mk 5,43b). - Die Lazarus-Perikope endet mit der Anweisung, Lazarus gehen zu lassen ( Joh 11,44). Das bestätigt den Erfolg des Wunders und führt in die Normalität zurück. 4. Aufruf zur Verhaltensänderung ‚Zurück zur Normalität‘ ist nur die halbe Wahrheit. Die Nachhaltigkeit eines Wunderereignisses zeigt sich gerade in der Veränderung des Alltagsverhal‐ tens. Beispiele: Jesus befiehlt dem ehemals Gelähmten „sündige nicht mehr, dass dir nicht etwas Schlimmeres widerfahre“ ( Joh 5,14; vgl. 8,11). - Exorzismen ohne vorbeugende Maßnahmen für die Zukunft sind nicht nachhaltig, im Gegenteil - so die implizite Anweisung Jesu an die Pharisäer (Mt 12,43-45). Umkehr vom bisherigen Lebenswandel ist die Voraussetzung dafür, dass das Wunder nachhaltig wirken kann und es nicht bei äußerer Genesung bleibt. 179 4.1 Sinnebenen <?page no="180"?> 5. Diskussion mit Kritikern Diskussionen um Wunder haben apologetische Funktion: Jesus rechtfertigt sein Handeln unter Hinweis auf seine Vollmacht und eine heilvolle Toraaus‐ legung. Beispiele: Den Magieverdacht der Pharisäer kontert Jesus mithilfe gleich‐ nishafter Argumentation (Mk 3,22-30). - Die Sabbatheilung der ver‐ krümmten Frau rechtfertigt er unter Hinweis auf die ursprüngliche Be‐ stimmung des Sabbats (Lk 13,16). - Jesus rechtfertigt die Sabbatheilung am Blindgeborenen und hält den Pharisäern einen falschen Umgang mit Sünde vor ( Joh 9,39-41). Die einen lassen sich durch Jesu Einwürfe beschämen (Lk 17,17), die anderen bleiben bei ihrer Meinung (Mk 3,30). Zeichenforderungen weist Jesus zurück (Mk 8,10-13par. Mt 12,38-42; 16,1-4). Eine implizite Glaubenskritik bietet Joh 4,48: Der Glaube sollte von Zeichen und Wundern unabhängig sein (vgl. Joh 20,29). 6. Jüngerschelte und -belehrung Angst, Skepsis und Unverständnis sind typische Reaktionen der Jünger auf Jesu Wundertaten. Das provoziert Jüngerschelte bzw. Jüngerbelehrung. Beispiele: Im Kontext der Sturmstillung tadelt Jesus den Unbzw. Klein‐ glauben der Jünger (Mt 8,25; Mk 4,40; vgl. Mk 8,14-21); damit spielt er den anfänglichen Vorwurf der Jünger zurück (Mk 4,38). - Auch der Unglaube des Petrus beim Seewandel provoziert Tadel (Mt 14,30 f.). - Die Inkompetenz in Sachen Exorzismus zieht Jüngerschelte und -belehrung nach sich (Mt 17,19 f.). - Der Unglaube der Nazarener löst Tadel und Verwunderung aus (Mk 6,4 f.). e) Würdigung Die kommunikative Sinnebene lenkt den Blick auf wichtige Aspekte des Wundergeschehens. Sie macht eine facettenreiche personale Beziehung 180 4 Inhaltliche Aspekte <?page no="181"?> zwischen Jesus, Bittstellern, Augenzeugen und zu bezwingenden Mächten sichtbar. Alle Texte zeichnen Jesus als souveränen Wundertäter, der das Geschehen steuert. Die Faustregel lautet: Je größer die Not, je mächtiger der Gegner, desto machtvoller der Auftritt Jesu. Gegen Naturmächte und Dämonen helfen Drohungen und klare Befehle, gegen Krankheiten die Mit‐ tel der ärztlichen Kunst, Berührungen, performative Worte und Gebete. Dass Jesus auch ohne derlei Mittel auskommt, demonstrieren die Fernwunder. Der persönliche Kontakt beschränkt sich hier auf den stellvertretenden Bittsteller und den Wundertäter. Die erste Kontaktaufnahme besteht in vielen Texten aus der Schilderung der Not und dem Bittgesuch. Beides hilft, die krankheitsbedingte Sprachlo‐ sigkeit zu überwinden. Zum Teil müssen die Bittsteller gegen die Einwände Jesu ihre Bitten intensivieren. Das signalisiert einen nachhaltigen Glauben, der zum Wunder führt (→ 3.6.3b). Vor und nach dem Wundervollzug bieten die Texte diverse Anweisungen, vertrauensbildende Maßnahmen, Diskussi‐ onen, Deutungen, Kritik und Schelte. Die Passagen vor dem Wundervollzug schaffen ein Klima im Sinne der Wunderlogik. Das Zusammenspiel aus Glauben, Hoffnung, Gebet und Liebe muss oft erst arrangiert werden. Die Anweisungen und Diskussionen nach dem Wundervollzug stellen die Nachhaltigkeit des wunderbaren Geschehens sicher oder rechtfertigen es im Nachhinein. Außerdem schaffen sie den Übergang zum Alltag der Geheilten und ihrer Angehörigen. Die Reaktionen der Augenzeugen zeigen die polarisierende Wirkung der Wunder. Die kommunikative Sinnebene ist in allen Wundertexten vorhanden und gehört zu einer umfassenden Auslegung dazu. Sie ist jedoch nur im Ensemble mit den anderen Sinnebenen sachgemäß einzubringen. 4.1.7 Diakonisch-missionarische Sinnebene Auch diese Ebene ist Ausgangspunkt eines Auslegungsmodells. Als eigent‐ liches Wunder gilt hier die nicht selbstverständliche, praktisch-diakonische Konsequenz aus dem Wunder (diakonía, Glaube, Nachfolge → 4.3.1; 4.3.3). a) Impuls zum diakonischen Handeln Urbild christlicher diakónia ist Jesu Lebenshingabe. Er verzichtete auf die Annehmlichkeiten des Lebens und stellte sein Leben konsequent in den Dienst der Menschen (vgl. Mk 10,45; Joh 10,11 u. a.). Wundererfahrungen 181 4.1 Sinnebenen <?page no="182"?> 45 Zur Zusage der Gebetserhörung vgl. Mt 7,7-11; Mk 11,24; Joh 11,22; 16,24. können den spontanen Impuls wecken, durch Dienen (gr. diakoneín) Dank‐ barkeit zu zeigen. Beispiele: Die Schwiegermutter des Petrus nimmt, vom Fieber befreit, ihren Dienst an Jesus und den Jüngern auf (Mk 1,31parr., gr. diekónei autoís). - Geheilte Frauen unterstützen Jesus finanziell (Lk 8,3, gr. diekónoun autoís). b) Impuls zum Teilen und Beten Das Speisungswunder beinhaltet den Impuls, Brot und Fische unter den ver‐ sammelten Menschen zu verteilen (Mk 6,41parr.). Unter der Hand geschieht das Wunder: Alle Menschen werden satt (V. 42). Der Wundervollzug ist mehrstufig: Zuerst erbarmt sich Jesus über die spirituelle Not der Menschen (V. 4), dann folgt die Vorbereitung der Speisung (V. 35-40). Nach Dankgebet und Brotbrechen (V. 41a) delegiert Jesus die Verteilung an die Jünger. Am Schluss wird das Wunder festgestellt (V. 41b-44). Das Wunder vollzieht sich demnach im Zusammenspiel von Wundertäter ( Jesus), Vollmachtgeber (Gott) und Jüngern. - Der Wundertext lässt sich als Impuls lesen, das Wunder des Teilens zu praktizieren und dabei auf die Kraft des Gebets zu vertrauen. 45 Damit erhält auch die Praxis des Abendmahls mit dem Gestus des Brotbrechens eine diakonische Note. c) Impuls zur Nachfolge Auch der Impuls zur Nachfolge ist ein Aspekt der Sinnebene. Wunder können Menschen regelrecht in Bewegung setzen und ihren Weg heilvoll verändern. Beispiele: Die Heilung des Bartimäus läuft auf den Glauben als Wirkursa‐ che (Mk 10,52a) und auf die Nachfolge als praktische Konsequenz hinaus (V. 52b). - Zur Umkehr gelangt der vom Aussatz geheilte Samaritaner (gr. hypéstrepsen, Lk 17,15.18). Sein Lobpreis zeigt seine Neuausrichtung 182 4 Inhaltliche Aspekte <?page no="183"?> 46 Mit Metternich 2014, 617 (dort weitere Hinweise und Literaturhinweise zu diesem Thema). 47 Vgl. Mk 2,12; 7,37; Lk 2,20; Apg 3,8.12; 4,21; 5,38 f. Der Wundertäter wird nicht gepriesen. 48 Zum Folgenden vgl. Erlemann 2012a, 124-135. und den neu gewonnenen Gottesglauben (V. 15b). - Der geheilte Blind‐ geborene outet sich als Jünger Jesu und bekennt seinen Glauben ( Joh 9,17.27-38). Die Nachfolge-Erzählungen zeigen: Gelungene Mission und physisch-leib‐ liche Befreiung von Krankheit und Behinderung gehören zusammen. 46 d) Impuls zur Missionsarbeit Die Wunder Jesu sollen nach joh. Auffassung die ‚Werke Gottes‘ (gr. érga theoú, Joh 9,3 f.) publik machen und Gott die Ehre geben (gr. doxasthénai, Joh 11,4). Dem entspricht der Lobpreis Gottes als Reaktion auf die Wunder‐ taten. 47 Der Heilige Geist steuert die Weltmission. 48 Im Pfingstwunder befähigt er die Apostel zur Verkündigung in fremden Sprachen (Apg 2,4-13) und schenkt ihnen das Charisma freier, mutiger Missionsrede (gr. parrhesía, Apg 4,13. 29. 31 u. a.). Durch wunderhafte Fügungen, Entrückungen und Rettungsaktionen treibt der Geist die Weltmission vorwärts. Auch die paulinischen Charismen lassen sich als Impulse zur Verkündigung deuten (Röm 12,3-21; 1 Kor 12,1-11; 14). e) Würdigung Die diakonisch-missionarische Sinnebene erschließt die pragmatische Di‐ mension der Wundertexte. Demut, Nachfolge, Teilen und Verkündigung zeigen eine heilvolle Veränderung an, sind aber nicht selbstverständlich. Nur einer von zehn geheilten Aussätzigen ‚kehrt um‘ (Lk 17,11-19). Aber ohne Umkehr ist das Wunder weder nachhaltig noch effizient (V. 19; vgl. Joh 5,14). Die Sinnebene deutet das Wunder als Befreiung von Ich-Bezogenheit hin zu neuen Lebensaufgaben im Sinne der Gottesherrschaft. Urbild der diakonía ist Jesu freiwillige Selbstzurücknahme und Lebenshingabe. - Auch für diese Sinnebene gilt: Im Verbund mit den anderen trägt sie zu einem textgemäßen 183 4.1 Sinnebenen <?page no="184"?> 49 Es lassen sich noch andere, hier nicht zu besprechende Sinnebenen ausmachen, wie z. B. eine seelsorgerliche (Schwerpunkt: Befreiung aus Mutlosigkeit) oder eine mystische (Schwerpunkte: Befreiung aus Gottferne; mystisches Erleben der Gottesnähe). Gesamtverständnis der Wunder(texte) bei. Absolut gesetzt, zwingt sie den Texten ein unpassendes Korsett auf. 4.1.8 Theologische Sinnebene Nicht zuletzt haben biblische Wundertexte eine reichhaltige theologische Sinnebene. Diese bezieht sich auf klassische Themenfelder und weitere Aspekte, die in den folgenden Abschnitten betrachtet werden (→ 4.2; 4.3). 4.1.9 Fazit: Vielschichtige Befreiungstexte Die Wundertexte bringen Gottes umfassende Zuwendung zu den Notleidenden zum Ausdruck. Die Not betrifft alle Ebenen des Menschseins - die physisch-leibliche Ebene genauso wie die psychische, die soziale, die religiöse und die handlungsbezogene. Jesus wirkt in göttlicher Vollmacht (die Apostel davon abgeleitet in Jesu Vollmacht) und illustriert damit seine Heilsbotschaft: Gott wendet sich den Menschen erbarmend, vergebend und liebevoll zu und zeigt, was in seiner basileía alles möglich ist und welche Maßstäbe in ihr gelten. Mit Jesu Wunderwirken setzt die endzeitliche Neuordnung des Kosmos ein. Die Signatur der neuen Zeit ist ein Leben in Fülle ohne Begrenzungen. Die Verwandlung der alten Welt betrifft alle Bereiche, vom Inneren des Menschen bis hin zu kosmischen Ordnungen. Die Texte machen Hoffnung auf die Erlösung von Vergänglichkeit, ver‐ mitteln neue Lebensperspektiven und zeigen, dass das, was jetzt noch unmöglich oder unüberwindlich scheint, bei Gott möglich ist. Damit wer‐ den sie zu Appellen, auf die Veränderung der Welt und ihrer unguten Verhältnisse hinzuarbeiten. Die Sinnebenen erweisen die Wundertexte als Befreiungstexte, die bis heute ihr Hoffnungs-, Ermutigungs- und Veränder‐ ungspotenzial entfalten. - Da nicht jeder Text alle Sinnebenen bedient, kann keine Sinnebene allein der Verständnisschlüssel sein. Es ist sorgfältig abzu‐ wägen, welche Sinnebenen ein Text bietet und welche nicht. Konstant sind lediglich die physisch-leibliche, die kommunikative und die theologische Ebene. Ihnen gilt in der Auslegung daher ein besonderes Augenmerk. 49 184 4 Inhaltliche Aspekte <?page no="185"?> 50 Mit Reiß 2014, 676. 51 Zitat Jes 61,1 f. - Vgl. Mt 11,1-6 als Ausweis der Legitimität Jesu. 4.2 Klassische Themenfelder Klassische theologische Themenfelder (lat. loci) geben den Orientierungs‐ rahmen für die Analyse der theologischen Sinnebene ab. Das vermeidet einseitige Festlegungen und eröffnet den Blick auf die theologische Viel‐ schichtigkeit der Texte. Der Reichtum der Themenfelder ist auch wunder‐ didaktisch relevant. 50 4.2.1 Theo-logische Aspekte Ein erstes Themenfeld betrifft die Gottesfrage: Was sagen die Texte über Gott aus, was wird zwischen den Zeilen von ihm erkennbar? Das Gottesbild bietet die theologische Erkenntnis schlechthin. Greifbar wird Gott im Wirken Jesu - er ist der ‚Sohn‘ und der einzig autorisierte Ausleger Gottes ( Joh 1,18). a) Verheißungstreue Jesu (Wunder-)Wirken zeigt die Treue Gottes zu seinen Verheißungen ( Jes 35,5 f.; 42,5-7; Jes 61,1 f.). Lk 4,18-21 bringt sein Wunderprogramm auf den Punkt: „Der Geist des Herrn ist auf mir, weil er mich gesalbt hat und gesandt, zu verkündigen das Evangelium den Armen, zu predigen den Gefangenen, dass sie frei sein sollen, und den Blinden, dass sie sehen sollen, und die Zerschlagenen zu entlassen in die Freiheit und zu verkündigen das Gnadenjahr des Herrn. […] Heute ist dieses Wort der Schrift erfüllt vor euren Ohren.“ 51 In Jesu Wundermacht manifestiert sich physisch-leiblich die Nähe Gottes. Gott ist kein machtloser, deistischer ‚unbewegter Beweger‘, sondern er ist geschichtsmächtig und zeigt sich immer wieder überraschend anders (vgl. den Gottesnamen Jahweh, Ex 3,14). Die Wunder Jesu sind der Startschuss der globalen, physischen Erlösung. b) Keine Allmachtsbeweise Die Lebenshingabe, Selbstzurücknahme und das Erbarmen Jesu markieren Gottes Weg mit den Menschen und wie er im Innersten ‚tickt‘. Jesus wirbt 185 4.2 Klassische Themenfelder <?page no="186"?> 52 Vgl. das Winzergleichnis Mk 12,1-12parr., den Christushymnus Phil 2,6-11 oder 2 Petr 3,8 f. 53 Lk 15,11-32; Joh 5,21.24; Eph 2,1; Apk 3,1. um Glauben und Zustimmung zu diesem Weg; Zeichenforderungen weist er zurück (Mk 8,11 f.parr.), satanische Versuchungen prallen an ihm ab (Mt 4,1-11parr.). Bis zuletzt verzichtet er, den Texten zufolge, auf Gegenwehr und erliegt auch nicht der letzten Versuchung, machtvoll vom Kreuz zu stei‐ gen (Mt 27,39-44parr.). Denn angesichts von Allmachtsbeweisen hätte der Mensch keine Möglichkeit mehr, zu glauben und freiwillig umzukehren, um so Gottes Gericht zu entkommen. Das Allmachtsmoratorium ist Ausdruck der Liebe und Geduld Gottes mit den Menschen. 52 c) Gottes Schöpfermacht Die Wunder zeigen, womit bei Gott, trotz des Allmachtsmoratoriums, zu rechnen ist: Er kann die Vergänglichkeit überwinden und überraschend Leben schenken, wo es nicht (mehr) möglich scheint, denn er ist Herr über Leben und Tod. Beispiele: Abraham und Sara werden in hohem Alter unerwartet Eltern von Isaak (Gen 18,1-15; 21,1-7). - Die Prophetin Hanna wird aufgrund ihrer Frömmigkeit und ihres Gaubens unerwartet Mutter des Propheten Samuel (1 Sam 1). - Elisabeth, die Frau des Zacharias, darf sich in fort‐ geschrittenem Alter über Johannes den Täufer als Nachwuchs freuen (Lk 1,5-25). Selbst der physische Tod ist für Gott kein unüberwindliches Naturgesetz (vgl. Lazarus Joh 11 u. a.). Im Glauben an die leibliche Auferstehung Jesu kul‐ miniert der Gottesglaube, so Paulus (1 Kor 15,12-19). Auch im übertragenen Sinne ‚tote‘ Menschen kann Gott zu neuem Leben führen. 53 Umgekehrt kann er auch Leben entziehen (Ps 104,29; Apg 5,1-11) oder Krankheit verhängen (Apg 9,8: Paulus; Apg 13,11: Barjesus). Am Ende wird Gott seine Allmacht universal durchsetzen. Bis dahin dauert die Phase seiner geduldigen, liebe‐ vollen Zuwendung. Die Wundertexte appellieren, das befreiende Angebot Gottes anzunehmen. 186 4 Inhaltliche Aspekte <?page no="187"?> d) Fazit: Zuwendung Gottes zu den ‚Verlorenen‘ Der Gott der Wundertexte ist ein Gott der Extreme: Er ist souverän und allmächtig, aber auch fürsorglich, erbarmend, geduldig und liebevoll. Er ver‐ zichtet auf die Durchsetzung seiner Allmacht; stattdessen setzt er Hoffnung machende Zeichen und wirbt um die Herzen der Menschen. Mit diesem Weg wendet sich Gott besonders den verloren Geglaubten in der Gesellschaft zu und demonstriert damit seinen Willen, jedem einzelnen Menschen Gerech‐ tigkeit zukommen zu lassen. Gottes basileía ist eine Herrschaft unteilbarer, umfassender Gerechtigkeit und Güte. 4.2.2 Christologische Aspekte Jesus Christus ist als der ‚Sohn‘ der exklusive Offenbarer des Vater-Gottes und inszeniert in seinem Wirken die Neuschöpfung der Welt ( Joh 1,1-18). a) Erbarmender Helfer und Retter Jesus reagiert auf menschliche Not mit Erbarmen, intensiver Empathie und spontaner Hilfe. Damit verkörpert er den ersehnten Heilsbringer, der die prophetischen Verheißungen erfüllt, den ‚Verlorenen‘ Recht schafft und die Not der Welt wendet. Jesus macht sich zum Sprachrohr der Sprachlosen, geht auf die Ausgegrenzten zu, nimmt sie als Personen ernst, baut eine personale Beziehung zu ihnen auf und sorgt für ein Klima, in dem Wunder möglich werden. Im physisch-leiblichen Affekt des Erbarmens liegt das Hauptmotiv seines Wunderwirkens. b) Vollmächtiger, göttlicher Wundertäter Jesus ist nicht nur liebevoll-empathisch, sondern hat auch Macht, Notsitu‐ ationen zu wenden, Menschen die Angst zu nehmen und Naturgewalten Einhalt zu gebieten. Selbst der Tod ist vor ihm machtlos. Mit Gott pflegt er eine äußerst enge Beziehung, wie seine Gebete zeigen. Er erfüllt messiani‐ sche Verheißungen, übertrifft Wundertäter wie Elia und Elisa und markiert damit das Kommen der basileía Gottes bzw. (so Joh 1,1-18) bzw. den Beginn der Neuschöpfung. 187 4.2 Klassische Themenfelder <?page no="188"?> 54 Hierzu ausführlich Erlemann 2014b, 36 ff. c) Bringer messianischer Fülle Mit seinen Wundern übertrifft Jesus die Erwartungen der Bittsteller zum Teil bei Weitem. Messianische Überfülle (gr. perisseía) ist sein Markenzeichen. Beispiele: Wundertexte wie Joh 2,1-11 (Hochzeit zu Kana), Mk 6,30-44parr.; Mk 8,1-9par. (Speisung der Fünfbzw. Viertausend) oder Lk 5,1-11 (reicher Fischfang) betonen die quantitative und qualitative Fülle der messianischen Zeit. Jesu Wunder signalisieren das Ende der Existenznöte. Naturgewalten ver‐ lieren ihren Schrecken, der tägliche Kampf ums physische Überleben wird beendet. Das alles macht die Texte zu ermutigenden, Veränderung provo‐ zierenden Befreiungserzählungen. Die Menschen werden von normalen Alltagssorgen befreit, dürfen sich freuen und in ihrem Leben neue Priori‐ täten setzen. Die Texte zeigen auch, dass unsoziale Verhältnisse heilvoll aufgebrochen werden können (→ 4.1.4). d) Polarisierer und Promoter der Gottesherrschaft Jesu Wunder spalten die Gemüter: Die einen finden zum Glauben und preisen Gott, die anderen sind entsetzt und fühlen sich provoziert. Um den Notleidenden zu helfen, durchbricht Jesus geltende Regeln und setzt sich dem Magieverdacht aus. Die polarisierende Wirkung seines Tuns markiert das endzeitliche Gericht (gr. krísis, Joh 5,21-30). Positiv gesagt: Mit seinen Wundern ist Jesus der Promoter der Gottesherrschaft; die Wunder sollen Appetit auf Gottes basileía machen. Sie sind Teil einer Werbekampagne für den erbarmenden, liebenden Gott und seine kommende Herrschaft (→ 4.2.9b). 54 e) Fazit: Hoffnungsträger der ‚Verlorenen‘ Lebenshingabe und Wunder sind Eckpunkte des Weges Jesu. In göttlicher Vollmacht rettet er Menschen aus aussichtslosen Situationen. Weltliche Ordnungen können ihn nicht aufhalten. Damit wird er zum Hoffnungsträger für alle ‚Verlorenen‘. Sein Engagement bringt ihm freilich nicht nur Freunde 188 4 Inhaltliche Aspekte <?page no="189"?> 55 Zu den christologischen und trinitätstheologischen Implikationen des Wunderwirkens Jesu vgl. Erlemann 2012b, 32-41. 56 Die Parallele Lk 11,20 spricht nicht vom Geist, sondern vom ‚Finger Gottes‘. ein, sondern auch erbitterte Feinde. - Anarchie ist ein Grundzug des Wirkens Jesu: Er durchbricht gesellschaftliche Regeln und Hierarchien, er führt die ‚Letzten‘ zu neuem Selbstbewusstsein und zu einem neuen sozialen Status. Die ‚Ersten‘ bangen um ihre Privilegien und räumen Jesus aus dem Weg. Mit alledem bringt Jesus Gottes Herrschaft nahe. Das Osterwunder bestätigt diesen Weg eindrücklich. 55 4.2.3 Pneumatologische Aspekte Jesu Wunderwirken steht unter dem Vorzeichen exklusiver Geistbegabung (Mk 1,9-11parr.; Mt 1,18par. Lk 1,35). Ausdrücklich formuliert das Mt 12,28: „Wenn ich aber die Dämonen durch den Geist Gottes austreibe, so ist ja das Reich Gottes zu euch gekommen.“ 56 Mittels wunderhafter Entrückungen und Fügungen steuert der Geist laut der Apg den Gang der Weltmission. Die Apostel stattet er für erfolgreiche Missionsarbeit mit Charismen wie Fremdsprachenkenntnissen und der Fä‐ higkeit zu couragierter Rede aus (gr. parrhesía; Apg 2; 4,13.29). Wunderhafte Charismen bezeugen die Geistwirkungen in den paulinischen Gemeinden (Röm 12,3-8; 1 Kor 12,1-11; 14). 4.2.4 Kosmologische Aspekte Wundererzählungen machen die Welt (gr. kósmos) nicht ausdrücklich zum Thema, sagen aber viel über das zugrunde liegende Weltbild (→ 2.1.1). a) Schöpfung und Neuschöpfung Gottes Der Kosmos ist zuallererst Gottes Schöpfung. Die Erschaffung der Welt ist an sich schon ein Wunder (z. B. Gen 1 f.; Ps 104). Die Rede von Gottes Schöpfung impliziert ein mythisches Weltbild: Gott setzt natürliche Ordnungen ein und auch wieder aus. Er steht der Welt nicht teilnahmslos gegenüber, sondern er liebt sie ( Joh 3,16) und greift ins Weltgeschehen ein. Die Heilsgeschichte läuft auf die Erlösung der Kreatur von Vergänglichkeit hinaus; darauf weisen Jesu Wunder hin. 189 4.2 Klassische Themenfelder <?page no="190"?> 57 Mk 4,35-41parr.; 6,45-52parr.: Sturm und Meer; Mk 6,30-44parr.: Einöde, Mangel; Lk 5,1-11par.; Joh 2,1-11: Mangel. 58 Mk 2,1-12parr.; vgl. Joh 5,1-14; 8,1-11. b) Natürliche Ordnungen Das Leben auf der Welt findet im Rahmen natürlicher, von Gott gesetzter Ordnungen statt. Sie betreffen das physische, das soziale und das religiöse Leben. Sie prägen den Alltag, geben vor, was möglich und was unmöglich, was ‚gut‘ und was ‚böse‘ ist, was von der Zukunft zu erwarten ist und was nicht. Die Ordnungen sind verlässlich, aber nicht unumstößlich im Sinne determinierter Naturgesetze. Wunder können sie durchbrechen und den Horizont des Möglichen erweitern. c) Kosmisches Drama Natur-, Geschenk- und Rettungswundertexte handeln von der Rettung vor lebensfeindlichen Naturgewalten. Sie werden von Jesus bedroht, zum Schweigen gebracht und besiegt. 57 Der Kampf gegen die widergöttlichen Mächte findet in Exorzismen seinen mythisch-wunderhaften Ausdruck. Die ‚Besessenen‘ werden dabei nicht getötet, sondern aus den Fesseln des Bösen befreit und Gottes basileía zugeführt. Die apokalyptischen Zeichen bei Tod und Auferstehung Jesu weisen auf das kosmische Drama hin (Mt 27,51-54; 28,1-4). Kosmisches Chaos kündigt die Parusie Christi an (Mk 13,24-27). Das Endzeitdrama führt schließlich zur Vernichtung des Bösen und zur Neuschöpfung der Welt (Apk 20-22). 4.2.5 Anthropologische Aspekte Die Wundererzählungen der Evangelien bieten keine ausgeführte Anthro‐ pologie, zeichnen aber ein facettenreiches Bild vom Menschen (→ 2.1.2). a) Unter Vergänglichkeit leidende Kreatur Der Mensch ist, wie alle Kreatur, der Vergänglichkeit unterworfen. Die Ordnungen der Welt sind zugleich Leben ermöglichender Rahmen und einengendes Korsett. Sie geben Halt, zementieren aber auch Unrecht, Existenzsorgen und mehr. Gen 3 führt all das auf den Sündenfall zurück. Physische Heilung und Sündenvergebung sind daher zwei Seiten einer Medaille. 58 190 4 Inhaltliche Aspekte <?page no="191"?> b) Objekt der Zuwendung Gottes Um den Leidenden, Kranken und ‚Verlorenen‘ zu helfen, durchbricht Jesus festgefügte Ordnungen. Das besagt: Gott macht sogar das Unmögliche möglich, um den Menschen zu einem Leben in Fülle zu führen. Die Befreiung von äußeren und inneren Fesseln ist, neben der Werbung für den liebenden Gott, das höchste Ziel des Wunderhandelns Jesu. Um es zu erreichen, tut Jesus nicht nur Wunder, sondern übt Lebenshingabe bis zur letzten Konsequenz. c) Zwischen Vertrauen und Skepsis Viele tun sich schwer, der Wundermacht Jesu zu vertrauen. Das erklärt ihr Schwanken zwischen Glauben und Unglauben: „Alle Dinge sind möglich dem, der da glaubt. Sogleich schrie der Vater des Kindes: Ich glaube; hilf meinem Unglauben! “ (Mk 9,23 f.). Wundertexte wollen Glauben wecken. Sie sind jedoch so phantastisch, dass sich viele Menschen überfordert zeigen; die Jünger fallen immer wieder in Kleinglauben zurück (z. B. Sturmstillung, Seewandel). Wer in alte Muster zurückfällt und sein Leben nicht ändert, hat vom Wunder letztlich nichts (Mt 12,43-45; Joh 5,14). Die polarisierende Wunderwirkung bestätigt das: Menschen, die viel zu verlieren haben, lehnen die in den Wundern aufbrechenden Möglichkeiten ab (→ 2.5). 4.2.6 Ekklesiologische Aspekte Wundertexte haben eine soziale bzw. sozialkritische Sinnebene (→ 4.1.4). Sie impliziert Themen, die die christliche Gemeinschaft betreffen. a) Solidargemeinschaft Einige Wundertexte weisen darauf hin, dass Solidarität und Einmütigkeit zwischen Menschen in der christlichen Gemeinschaft Wunder wirken kön‐ nen. Wo es an Solidarität mangelt, übernimmt Jesus die Initiative ( Joh 5,1-14; 9,1-7). 191 4.2 Klassische Themenfelder <?page no="192"?> 59 Mt 7,7; 9,38; 21,22; Mk 9,29; Joh 11,22; 14,13; 16,24. 60 Mt 18,19; Joh 15,7; vgl. Apg 1,14; 2,42 (→ 2.6.4d). Beispiele: Die nachhaltige Solidarität der vier Freunde des Gelähmten führt zum Erfolg (Mk 2,1-12: V. 5). - Jesus fordert seine Wegbegleiter auf, den blinden Bartimäus zu ihm zu rufen (Mk 10,46-52: V. 49). Sie leisten dem Folge und öffnen damit den Weg für den anschließenden Wundervollzug. b) Schicksalsgemeinschaft In Notsituationen bilden Menschen eine Schicksalsgemeinschaft, deren gemeinsames Handeln Wunder möglich macht. Beispiele: Bei der Sturmstillung sitzen die Jünger wortwörtlich in einem Boot; in Todesangst wecken sie gemeinschaftlich Jesus auf und werden gerettet (Mk 4,38 f.; vgl. Mk 6,45-52). - In der Einöde bilden Jünger und Volk eine Schicksalsgemeinschaft. Die diakonische Austeilung der Vorräte durch die Jünger ermöglicht die wunderhafte Speisung des Volkes (Mk 6,41 f.). Die Wundertexte betonen, dass Jesus ‚mit im Boot‘ sitzt, also Teil der Schicksalsgemeinschaft ist. Er steht der Gemeinschaft in Notsituationen bei, ist in jeder Lage ansprechbar und hilft auch in aussichtslos scheinenden Situationen. c) Gebetsgemeinschaft Gebete und Glauben können Wunder wirken. 59 Entscheidend ist das Eins‐ werden im Gebet und mit Christus. 60 Jesus selbst ist Vorbild im wunderwirkenden Gebet (Mk 6,41parr.; Joh 11,41). 192 4 Inhaltliche Aspekte <?page no="193"?> d) Nachfolgegemeinschaft Einige Wundertexte laufen auf Nachfolge und Mission hinaus. Die Geheilten werden hier zu Identifikatoren der verkündigenden christlichen Gemein‐ schaft. Beispiele: Der geheilte Gerasener missioniert unter Nichtjuden (Mk 5,20). - Bartimäus folgt Jesus nach (Mk 10,52). - Einer der zehn Aussätzigen kehrt um und kommt zum Glauben (Lk 17,15 f.). - Der Blindgeborene wird zum Verkündiger und Bekenner des Christusglau‐ bens ( Joh 9,17. 25. 31-33.38). Auch nimmt er die Konsequenzen der Jüngerschaft auf sich (V. 27 f.34). - Die Osterzeuginnen verbreiten als Erste das Auferstehungswunder (Mt 28,8parr.). - Das Pfingstwunder führt die Apostel in die Missionsarbeit (Apg 2 ff.). Die Texte zeigen, wie Nachfolge und Mission gelingen können. So kann die Gemeinde neue Menschen zu Jesus führen (Mk 10,46-52). Gelungene Nachfolge ist ein Glücksfall (Lk 17,11-19: einer von zehn). Mangelnde Glaubwürdigkeit ist eine hohe Hürde, das zeigt das Beispiel der mk. Oster‐ zeuginnen (Mk 16,8). Auf die sozialen Konsequenzen der Nachfolge weisen Joh 9; Apg 4,21 und andere hin. 4.2.7 Ethische Aspekte Wundertexte enthalten keine ausgeführte Ethik, aber implizite Handlungs‐ empfehlungen, die sich textpragmatisch erheben lassen. Wichtige Aspekte sind: a) Widerstände überwinden Die Texte arbeiten Mutlosigkeit, Furcht und Resignation entgegen. Sie zeigen, dass es sich lohnt, das Unmögliche zu wagen. Und sie zeigen, was Glaube heißt: am Ball bleiben, beherzt den einen Strohhalm ergreifen, sich nicht beirren lassen, niemals aufgeben, Gott alles zutrauen, hoffen gegen angebliche Fakten, das Unmögliche für möglich halten, Widerstände über‐ winden und, falls nötig, moralische Grenzen überschreiten. Nachhaltiger Glaube wirkt Wunder (Mk 2,5; 5,34; 10,52; vgl. 7,29). Die Hilfesuchenden werden zum Vorbild für die Leserschaft. 193 4.2 Klassische Themenfelder <?page no="194"?> 61 Mk 1,23-28; 3,11 f.; 5,1-20; 9,14-29 u. a. 62 Maria Magdalena wird zur Jüngerin (Lk 8,1-3). Reintegriert werden auch der Aussätzige in Mk 1,44; Bartimäus in Mk 10,52; der Blindgeborene in Joh 9 u. a. 63 Mk 2,13-17; Lk 14,15-24; 15,11-32 u. a. Beispiele: Die Freunde schaffen den Gelähmten mit Phantasie und Energie vor Jesus (Mk 2,1-12). - Die blutflüssige Frau bricht religiöse Tabus (Mk 5,25-34). - Die Syrophönizierin und der königliche Beamte lassen sich nicht entmutigen (Mk 7,24-30; Joh 4,46-53). - Bartimäus schreit, bis er Erfolg hat (Mk 10,46-52). b) Barmherzigkeit üben Der Anblick von Not verbietet Nachdenken und Kalkül; Not erfordert spontanes, beherztes und leidenschaftliches Eingreifen, ohne Rücksicht auf Ordnungen und Regeln. Erbarmen wird in der Bergpredigt ausdrücklich seliggepriesen (Mt 5,7). Barmherziges Handeln ist im besten Sinne imitatio Dei (Lk 6,36). c) Ausgegrenzte eingliedern Dass das Leben und das Wohlergehen der Menschen bei Jesus höchste Priorität haben, zeigt sich in seinem Umgang mit den Ausgegrenzten der Gesellschaft. Beispiele: Jesus berührt und heilt einen Aussätzigen (Mk 1,40-44parr.). - Jesus zeigt keine Berührungsängste ‚Besessenen‘ gegenüber. 61 - Jesus lobt den Glauben der blutflüssigen Frau (Mk 5,25-34). - Auch Nichtju‐ den in Not heilt Jesus (Mk 7,24-30; 31-37). - Die Geheilten werden sozial reintegriert. 62 Jesus nagelt Sünder nicht auf ihre Schuld fest, sondern führt sie zurück in die Gesellschaft. Auch jenseits der Wunder ist das ein Grundzug seines Wirkens. 63 Das führt regelmäßig zu Konflikten mit den religiösen Führern des Volkes. Das Verhalten Jesu ist für die Leserschaft vorbildlich. 194 4 Inhaltliche Aspekte <?page no="195"?> 64 Mt 6,12; 18,15-35; Lk 15,11-32; 23,34; Joh 8,1-11 u. a. 65 Vgl. Metternich 2013, 573. d) Sünden vergeben Jesus heilt, so die Texte, den Menschen äußerlich und innerlich zugleich. Vergebungsbereitschaft ist ein Grundzug des Wirkens Jesu und seiner Ethik. 64 Beispiele: Der Gelähmte erfährt Vergebung und Heilung (Mk 2,1-12parr.). - Dem geheilten Gelähmten am Teich Betesda legt Jesus die Veränderung seines sündigen Lebensstils nahe ( Joh 5,1-14; vgl. 8.11). - Anstatt nach den schuldhaften Ursachen zu fragen, heilt Jesus den Blindgeborenen ( Joh 9,1-7). e) Einander aufrichten Die Aufforderung Jesu an Kranke und Tote, aufzustehen, ist in vielen Texten Teil des Wundervollzugs oder anschließender Anweisungen (→ 4.1.6d). Beispiele: Jesus nimmt die Hand der Schwiegermutter des Petrus und richtet sie auf (Mk 1,31). - Der Tochter des Jairus und dem Sohn der Witwe zu Nain befiehlt Jesus aufzustehen (Mk 5,41; Lk 7,14; vgl. Apg 9,40). - Wortwörtlich aufgerichtet wird die verkrümmte Frau (Lk 13,13). - Der geheilte Gelähmte steht am Ende auf und geht (Mk 2,12; vgl. Joh 5,9). Das Aufrichten signalisiert körperliche Heilung und einen neuen sozialen Status. Das lässt sich als Handlungsanweisung lesen, einander aufzurich‐ ten, Menschen neues Selbstbewusstsein zu schenken, auf dass sie in ein selbstbestimmtes Leben aufbrechen und anderen Menschen auf Augenhöhe begegnen können. 65 195 4.2 Klassische Themenfelder <?page no="196"?> 66 Das Motiv des Überflusses begegnet auch in anderen Wundertexten (Mt 17,24-27: Tempelsteuer; Lk 5,1-11par. Joh 21,2-13: Fischzug; Joh 2,1-11: Hochzeit zu Kana). 67 Aus: Komm Herr, segne uns, EG Nr. 170. Text und Musik: Dieter Trautwein 1978. f) Miteinander teilen Das ist die ethische Konsequenz aus dem Speisungswunder Mk 6,30-44parr. Das wunderwirkende Teilen geschieht durch die Hände derer, die das Vorhandene im Vertrauen auf Gottes Fürsorge weiterreichen. 66 Menschliche Kleinlichkeit passt nicht dazu; das besagt die Textzeile von Dieter Trautwein: „Keiner kann allein Segen sich bewahren. Weil du reichlich gibst, müssen wir nicht sparen.“ 67 g) Moral Moral sein lassen Jesu Toraauslegung begründet, rechtfertigt und bestärkt christliches Verhal‐ ten. Beispiele: Mk 3,1-6 legitimiert eine neue, heilvolle Deutung des Sabbat‐ gebots. - Bei der Heilung der verkrümmten Frau am Sabbat hält Jesus den Kritikern den Spiegel vor (Lk 13,15-17). - Jesus weist die Kritik der Pharisäer an der Sabbatheilung des Blindgeborenen zurück ( Joh 9,41). Mk 2,27 f. bringt die innovative und provokative Haltung Jesu auf den Punkt: „Der Sabbat ist um den Menschen willen gemacht und nicht der Mensch um des Sabbats willen. So ist der Menschensohn Herr auch über den Sabbat.“ Das Wohlergehen des Menschen steht an oberster Stelle der Werteskala Jesu; das zeigen nicht nur die Wundertexte. Das impliziert eine Ethik, die sich im Zweifel am Menschen und nicht am Buchstaben des Gesetzes orientiert. h) Das Leben neu ausrichten Jesu Aufruf, das Leben neu auszurichten, umzukehren und nicht mehr zu sündigen, soll den geschenkten Neuanfang sichern ( Joh 5,14; vgl. Mt 12,43-45; Joh 8,11). Manche Geheilte brauchen diese Aufforderung nicht; sie ziehen von sich aus die richtige Konsequenz. Diese Menschen fungieren, 196 4 Inhaltliche Aspekte <?page no="197"?> textpragmatisch gesehen, als Vorbilder für die geforderte Neuausrichtung des Lebens. Beispiele: Die Schwiegermutter des Petrus steht auf und dient Jesus und den Jüngern (Mk 1,31). - Bartimäus folgt Jesus nach (Mk 10,52). - Ge‐ heilte Frauen unterstützen Jesus und die Jünger tatkräftig (Lk 8,1-3). - Der eine samaritanische Aussätzige kehrt um, bedankt sich und preist Gott (Lk 17,15 f.). i) Fazit: Einsatz für das Wohl des Menschen Im Mittelpunkt der Wunderethik steht die Befreiung des (Mit-)Menschen zu einem Leben ohne äußere und innere Fesseln, zu einem Leben in Selbst‐ achtung, Selbstbestimmtheit und Fülle. Diese imitatio-Ethik orientiert sich am Vorbild Jesu, der seinerseits den Willen Gottes abbildet. Im Zweifelsfall wird der Gesetzesbuchstabe ignoriert oder von der Werteskala Gottes her neu interpretiert. Die Texte bieten Konkretionen des geforderten Tuns und jede Menge Vorbilder: neben Jesus die Geheilten selbst und zum Teil auch die Augenzeugen des Wunders. Ausgerechnet die Jünger fungieren, besonders im MkEv, als Anti-Vor‐ bilder: Sie begegnen Jesu Wundermacht skeptisch (Mk 6,35-37; Joh 11,28-33). Sie sind zu Wundertaten unfähig, weil ihnen das Hand‐ werkszeug fehlt (Mk 9,14-29). Sie sind, trotz spektakulärer Wunder‐ taten Jesu, kleingläubig und lernunfähig (Mk 4,40; 6,51 f.). Sie halten Bittsteller von Jesus ab (Mk 10,48; vgl. Mk 10,13: Kindersegnung). Mit ihrem Verhalten bilden die Jünger die Befindlichkeit aller Glaubenden ab; sie sollen an ihrem Anti-Vorbild lernen. 4.2.8 Soteriologische Aspekte Die Erlösung des Menschen hat, den Texten zufolge, drei Aspekte: 1. Von Gottes bzw. Jesu Erbarmen geht die Initiative aus. Gott bzw. Jesus macht sich die Not der Menschen zueigen und beendet sie mit Schöpfer‐ macht. 197 4.2 Klassische Themenfelder <?page no="198"?> 68 Joh 4 und 6: Wasser bzw. Brot des Lebens; Mt 22,1-14par. Lk 14,15-24; Mt 25,1-13; Mk 2,18 f.: Hochzeitsmetapher; Mt 11,19: Bezeichnung Jesu als ‚Fresser und Weinsäufer‘. 69 Mk 6,30-44parr.: Auf Jesu Predigt als Akt der Barmherzigkeit folgt die physische Sättigung. 2. Einmütigkeit, Gebet, Glaube und Hoffnung bereiten die Erlösung von Seiten der Menschen vor. Ohne Offenheit für Jesu Wunderwirken gelingt die Erlösung nicht (vgl. Mk 6,1-6). Wo Gottes liebende Zuwendung auf Hoffnung und Vertrauen stößt, kann Erlösung gelingen (→ 3.6.3). 3. Das Erlösungswerk beginnt im Wirken Jesu und gipfelt in seinem Heilstod. Die physische Erlösung ist Gegenstand der Zukunftshoffnung (Röm 8,18-23). 4.2.9 Eschatologische Aspekte Jesu (Wunder-)Wirken steht unter dem Vorzeichen der endzeitlichen Erfül‐ lung prophetischer Verheißung (Lk 4,18-21; Mt 11,5 f.). Einzelne Aspekte sind: a) Wunder als messianische Zeichen Überfluss (gr. perisseía) ist das Markenzeichen der messianischen Heilszeit. Die Geschenkwunder signalisieren das Ende materieller Existenznot (→ 4.1.3b; dort auch Textbeispiele). Auch andere Texte artikulieren die peri‐ sseía. 68 Der physisch-leibliche Überfluss ergänzt die geistliche Versorgung mit froher Botschaft. 69 b) Appetithappen auf die Erlösung Die Wunder machen, ähnlich wie die Gleichnisse, Appetit auf die umfas‐ sende Erlösung. Jesus fungiert als Promoter der Gottesherrschaft: Er macht Werbung für Gottes heilvolle Zuwendung, appelliert, sich Gott zu öffnen, und schenkt Hoffnung auf das Ende aller einengenden Ordnungen dieser Welt (→ 4.2.2d). c) Zeichen der Neuschöpfung Insbesondere die joh. Wunder gelten als Taten des göttlichen Schöp‐ fungs-Logos ( Joh 1,1-18). Jesus inszeniert mit seinem Wirken das Endge‐ richt und die Neuschöpfung der Welt. Eigentliches Ziel des joh. Endgerichts 198 4 Inhaltliche Aspekte <?page no="199"?> ist die Rettung des Kosmos ( Joh 5,19-30). Ziel der Neuschöpfung ist die Überwindung von Krankheit, Leid und Tod; dafür stehen die Wunder Jesu als Zeichen (gr. semeía, Joh 2,11; 4,54; 20,30) bzw. als ‚Werke‘ Gottes (érga, Joh 9,3 f.; vgl. 5,17; 11,4). Totenauferstehung wird von Paulus körperlich gedacht (1 Kor 15,50-54). Nicht nur die Seele, sondern der ganze Mensch wird verwandelt und zu neuer Leiblichkeit auferweckt werden. Die vergängliche Seele wird dann durch unvergänglichen Geist ersetzt. Schon jetzt erkennt Paulus dessen verwandelnde Kraft in in der täglichen Erneuerung des ‚inneren Menschen‘ bei gleichzeitigem Verfall des äußeren (2 Kor 4,16) und in der Kraft des Leben schaffenden Geistes in den Schwachen (2 Kor 5,1-10; 12,9). So wird nicht nur der Kosmos, sondern auch der Mensch ‚neue Schöpfung‘ (gr. kainè ktísis, 2 Kor 5,17). Der kosmische Horizont der Neuschöpfung wandelt sich hier zu einem anthropologischen. 4.2.10 Fazit: Heilvolle Wirkungen der Zuwendung Gottes Die Wundertexte bieten keine abgerundete Theologie. Aber sie bieten viele theologische Aspekte, die zu entdecken sich lohnt. Ihr roter Faden ist Gottes barmherzige Zuwendung zu den ‚Verlorenen‘ als Kern der Heilsbotschaft Jesu. Die Texte zeigen Gottes Schöpfermacht und seinen Willen, die Welt von Vergänglichkeit zu befreien. Hierfür macht Jesus Werbung. Er gibt Beispiele für die basileía Gottes und für ihren spirit. Dieser besteht in einem von Liebe geprägten Miteinander, das darauf aus ist, sich gegenseitig zu einem befreiten Leben ‚aufzurichten‘. 4.3 Weitere Themen Die Wundertexte implizieren weitere theologische Aspekte wie Glauben, Sündenvergebung, Nachfolge, Reich Gottes und die Theodizeefrage. 4.3.1 Wunder und Glaube Der Glaube ist ein Element der Wunderlogik (→ 3.6.3b). In den Wundertex‐ ten gilt er als Voraussetzung oder als Wirkung des Wundergeschehens. 199 4.3 Weitere Themen <?page no="200"?> 70 Ähnlich urteilt Merz 2013, 122: Der Erfolg Jesu gründet in der Hoffnung der Elenden „und in ihrer Bereitschaft, einem halbwegs überzeugenden Charismatiker das Unmög‐ liche zuzutrauen.“ 71 Mit Merz 2013, 122. a) Voraussetzung des Wunders Laut einigen Wundertexten bewirkt der Glaube des Patienten die Heilung. Beispiele: Der Glaube heilt die blutflüssige Frau, den blinden Bartimäus, den Hauptmann von Kapernaum und die Syrophönizierin (Mk 5,34; 10,52; Mt 8,13; 15,28). Auch ein stellvertretender Glaube kann das Wunder wirken (Mk 2,5). Die Beispiele zeigen: Glaube ist kein angelerntes Fürwahrhalten von Glau‐ benssätzen, sondern nachhaltiges Tun, gepaart mit dem unbedingten Willen, das Unmögliche zu erreichen, und mit dem unbedingten Vertrauen auf Jesus (Mk 9,23! ). 70 Im Anschluss an die Verfluchung des Feigenbaums formuliert Mt 21,21 f.: „Wahrlich, ich sage euch: Wenn ihr Glauben habt und nicht zweifelt, so werdet ihr solches nicht allein mit dem Feigenbaum tun, sondern, wenn ihr zu diesem Berge sagt: Heb dich und wirf dich ins Meer! , so wird’s geschehen. Und alles, was ihr bittet im Gebet: so ihr glaubt, werdet ihr’s empfangen.“ Das JohEv sieht im Glauben die entscheidende Voraussetzung für die Auf‐ erstehung ( Joh 5,24; 11,25). Die Gegenprobe liefert Mk 6,1-6: Der Unglaube der Nazarener blockiert das Wunderwirken Jesu. Ohne den Glauben der Hilfesuchenden kommt kein Wunder zustande; das ist Teil der Wunderlo‐ gik. 71 b) Wirkung des Wunders Andere Wundertexte sehen im Glauben eine Wirkung des Wunders. Symptome des neu gewonnenen Glaubens sind Dankbarkeit und Lobpreis Gottes. 200 4 Inhaltliche Aspekte <?page no="201"?> 72 Vgl. Mt 15,31; Mk 2,12; Lk 7,16; 18,43. 73 Vgl. zur Sache auch Mt 7,1-5 und Röm 3,9-20. Beispiele: Die Dankbarkeit des geheilten Samaritaners indiziert seinen Glauben (Lk 17,19). - Andere Geheilte drücken mit dem Lobpreis Gottes ihren Glauben aus (Lk 5,25 f.; 18,43). Auch Augenzeugen finden zum Lobpreis. 72 - Der Blindgeborene bezeugt öffentlich seinen Glauben ( Joh 9,17.25-38). Der Glaube ist nicht Wunderbedingung oder Wunderwirkung. Ein initialer Glaube wird durch ein Wunder tendenziell verstärkt (z. B. Mk 5,25-34; 10,46-52). 4.3.2 Wunder und Sündenvergebung Äußere und innere Heilung sind im NT aufeinander bezogen. Im Hinter‐ grund steht der weisheitliche Zusammenhang von Tun und Ergehen. Ver‐ gänglichkeit gilt als Folge des Sündenfalls (Gen 3,19). Jesus durchbricht die Tun-Ergehen-Logik, indem er heilt und vergibt (Mk 2,1-12; Joh 9,1-7; vgl. Ps 103,3) oder indem er sie derart verallgemeinert, dass fremdes Unglück die Dringlichkeit der eigenen Umkehr vor Augen führt (Lk 13,1-5, Untergang der Galiläer und Turm von Siloah). 73 a) Voraussetzung physischer Heilung Statt den Gelähmten physisch zu heilen, vergibt ihm Jesus zuerst die Sünden (Mk 2,5). Der Vorgang ist Aufhänger einer Diskussion um Jesu Vollmacht (V. 6-10). Die anschließende, physische Heilung hat apologeti‐ sche Funktion: Jesus hat Vergebungsvollmacht, denn er kann auch physisch heilen (V. 10-12)! Während die Gegner in der physischen Heilung das Schwerere und in der Vergebung das Leichtere sehen, ist für Jesus beides zumindest gleichgewichtig. Jesus heilt die Symptomebene, betreibt aber auch Ursachenbekämpfung. b) Aufruf zur Umkehr Umkehr ist der Schlüssel für eine nachhaltige Wirkung physischer Heilung. 201 4.3 Weitere Themen <?page no="202"?> 74 Lev 20,10 stellt Ehebruch unter Todesstrafe. Insofern lässt Joh 8,1-11 als Norm brechendes Rettungswunder interpretieren. 75 Mt 10,28 (Verfolgung und Martyrium sind weniger schlimm als Verderben von Leib und Seele in der Hölle); 2 Kor 4,17 f. (zeitliche Bedrängnis wiegt nichts im Vergleich zur ewigen Herrlichkeit); 1 Petr 4,12-19 (Leiden und Verfolgung jetzt sind besser als Verdammnis im Endgericht); vgl. Hebr 12,4-11 (physische Leiden dienen der Erziehung). Beispiele: Joh 5,14 impliziert, dass dem Gelähmten im Zuge seiner Heilung auch die Sünden vergeben wurden und sein Sündenkonto ‚auf Null‘ gesetzt ist. - Die Ehebrecherin wird von Jesus vor der drohenden Steinigung gerettet; auch sie wird aufgefordert, in Zukunft sündlos zu leben ( Joh 8,1-11: V. 8). 74 c) Außen und Innen Physische Qualen gelten in der ntl. Leidensparänese als vergleichsweise harmlos. 75 Auf die Wunder gewendet, heißt das: Die äußere Heilung weist auf etwas anderes, Entscheidenderes hin, und zwar auf die zugrunde lie‐ gende und für den Menschen viel gefährlichere Bedrohung durch die eigene Sündhaftigkeit. Beispiele: Im Anschluss an die erschlichene Heilung bekennt die blut‐ flüssige Frau ihre Schuld (Mk 5,33). Das wird ihr als Glaube angerechnet (V. 34); ihre Sünde ist vergeben. - In Mt 12,41-45 weist Jesus die Pharisäer darauf hin, dass ein Exorzismus ohne Umkehr nichts hilft, im Gegenteil: Es ist mit Verschlimmerung zu rechnen. - Den Pharisäern, welche die Heilung des Blindgeborenen kritisieren, nützt ihre äußere Gesundheit wenig: Mangels Sündeneinsicht kommen sie von ihrer Sünde nicht los ( Joh 9,41; vgl. 15,22 f.; Lk 18,9-14). Körperliche Heilungen zeigen, was Gott möglich ist; sie befreien zu einem neuen Leben. Das schafft die Gelegenheit, das Leben neu zu ordnen, Priori‐ täten zu ändern, umzukehren oder, anders gesagt: hinfort nicht mehr zu sündigen. 202 4 Inhaltliche Aspekte <?page no="203"?> 76 Ausweislich Jes 35; 61,1 f. 4.3.3 Wunder und Nachfolge Nachfolge ist der intensivste Ausdruck für den Glauben und für nachhaltige Konsequenzen aus dem Wundergeschehen. Nachfolgewunder bieten Iden‐ tifikationsfiguren und zeigen, wie der Ruf in die Nachfolge gelingt: durch helfende bzw. rettende Zuwendung zu den Notleidenden. 4.3.4 Wunder und Reich Gottes Mt 12,28par. Lk 11,20 verknüpft Exorzismen und Reich-Gottes-Botschaft. Mt 10,7 f. stellt die basileía-Botschaft und Jesu Wundertätigkeit nebeneinander: „Wenn ich aber die Dämonen durch den Geist (Lk: Finger) Gottes austreibe, so ist ja das Reich Gottes zu euch gekommen.“ (Mt 12,28). „Geht aber und predigt und sprecht: Das Himmelreich ist nahe herbeigekommen. Macht Kranke gesund, weckt Tote auf, macht Aussätzige rein, treibt Dämonen aus“ (Mt 10,7 f.). Wo Dämonen dem Heiligen Geist weichen, gewinnt die basileía Gottes an Boden (→ 4.2.4c). Weiterhin gelten die Wunder als Erfüllung messianischer Verheißung (Mt 11,5 f.; Lk 4,18-21). 76 Die neue Freiheit der ‚Zerschlagenen‘ signalisiert das große Erlassjahr Gottes (Lk 4,19, ausweislich Lev 25,10). Auch der Überfluss der Geschenkwunder ist ein messianisches Zeichen. In der eschatologischen Qualität liegt das Alleinstellungsmerkmal des Wun‐ derwirkens Jesu (→ 4.2.2d; 4.2.9). 4.3.5 Wunder und Theodizee Weshalb heilte Jesus nicht alle Menschen? , lautet hier die Frage. Das punktuelle Vorgehen Jesu (selbst unter Einbezug der Wundersummarien) steht in Spannung zu den messianischen Erwartungen jener Zeit, zur postulierten Allmacht Gottes und zur Verheißung globaler Erlösung. Die Bilanz des (Wunder-)Wirkens ist, gemessen daran, ernüchternd: Jesus heilte nur wenige Menschen oder erweckte sie aus dem Tod. Sie alle starben später, die Welt hat sich nicht sehr verändert seither; die Ordnungen der Welt begrenzen nach wie vor den Alltag. 203 4.3 Weitere Themen <?page no="204"?> 77 Vgl. Mt 5,57; Joh 4,44. 78 So deuten es auch das Winzergleichnis Mk 12,1-12parr. und der Joh-Prolog ( Joh 1,11). 79 Zimmermann 2013a, 45, verweist auf das personale Verhältnis zu den Menschen, das für das Wunderwirken Jesu charakteristisch sei und pauschales Wunderwirken verbiete (→ 4.1.7e). a) Kein neues Problem! Schon Lk 4,22-30 reflektiert die gestellte Frage. Im Anschluss an seine Antrittspredigt in Nazareth nimmt Jesus sein künftiges Scheitern vorweg (V. 23) und ordnet es in die Tradition der Ablehnung der Propheten in Israel ein (V. 24). 77 Der Grund für Jesu äußerliches Scheitern liegt demnach bei denen, die ihn ablehnten. 78 Das ist die erste Antwort. - Weiter erinnert Jesus an die ebenfalls selektive Wundertätigkeit Elias und Elisas (Lk 4,25-27) und dämpft so die überzogenen Erwartungen seiner Zuhörer. Prompt werfen sie Jesus aus der Stadt; doch er entkommt auf wunderbare Weise dem Tö‐ tungsversuch (V. 29 f.). - Die Diskrepanzerfahrung zwischen messianischer Erwartung und selektivem Wunderwirken führte, neben anderen Faktoren, zur Ablehnung Jesu. Eine Erklärung, weshalb sich Jesus im entscheidenden Punkt nicht von Elia und Elisa abhebt, geben die Texte freilich nicht. 79 b) Das Argument der Wunderlogik Die Wunderlogik (→ 3.6.3) besagt, dass Wunder das Ergebnis eines Zu‐ sammenspiels von Gebet, Glaube und Hoffnung auf der einen und von liebendem Erbarmen auf der anderen Seite sind. Der Unglaube der Nazare‐ ner verunmöglicht Wunder (Mk 6,1-6parr.). Das ist die zweite Antwort auf die Theodizeefrage. c) Der ‚untere Weg‘ Gottes Die Wunderlogik spiegelt den göttlichen Heilsweg: Gott setzt nicht auf bra‐ chiale Machtdurchsetzung, sondern auf Gewaltverzicht. Dieser Weg schenkt den Menschen Freiraum, zum Glauben zu finden oder eben nicht. Gottes Weg geht nicht über Zwang, sondern über die Zustimmung der Herzen. Alles andere wäre das Ende menschlicher Entscheidungsmöglichkeit. Das heißt, mit dem Weg göttlicher Machtdemonstrationen würde Gott seinen Ebenbildern nicht gerecht werden. Gott behandelt sie nicht wie Marionetten, sondern lässt sie ihr Leben frei gestalten und eigene Entscheidungen treffen, selbst wenn sie in die Irre führen. 204 4 Inhaltliche Aspekte <?page no="205"?> 80 Zu den Strategien des Bösen vgl. Erlemann 2012a, 82-85. 81 Vgl. die Logik der Wachstumsgleichnisse Mk 4parr.: Jesu Verkündigung ist ein (un‐ scheinbarer) Anfang, der zur vollständigen Durchsetzung der basileía Gottes führen wird; dieser Prozess braucht, wie jeder natürliche Reifeprozess, seine festgelegte Zeit. 82 Mk 13,26; 14,62; Joh 16,23-26; Röm 8,24; 1 Kor 13,12; 2 Kor 5,7; Apk 1,7. 83 Dies entspricht dem atl. Denken, wonach Gottesbegegnungen höchst gefährlich sind (Gen 28,16 f.; Ex 3,4-6; 19,16-25; 20,18-21 u. a.). Dieses Denken erklärt z. B. die Furcht Zugleich durchbricht Gott mit dieser Zurückhaltung die Strategie des Bösen, die auf Selbstdurchsetzung mit Mitteln subtiler oder offener Gewalt setzt (vgl. die Versuchung Jesu, Mt 4,1-11parr.). 80 - Dem entspricht der Weg der Lebenshingabe Jesu. Dieser ‚untere Weg‘ ist im Christushymnus Phil 2,6-11 klassisch formuliert: Christus verzichtete freiwillig auf seinen göttlichen Status, wurde Mensch, erniedrigte sich und ging gehorsam in den Tod (V. 6-8). Dieser Weg wurde durch die Erhöhung zu neuer, unübertreff‐ licher göttlicher Würde bestätigt (V. 9-11). Das ist die dritte Antwort auf die Theodizeefrage. d) Eine Frage des Zeitpunkts Dem ‚unteren Weg‘ Gottes entspricht Jesu punktuelles, verwechselbares Vorgehen: Die Wunder, so die Texte, sind Hinweise auf Gottes liebende Zuwendung, Anfänge der sich realisierenden Gottesherrschaft und Zeichen der beginnenden Neuordnung der Welt. Mit einem Bild aus der Medienwelt ausgedrückt: Die Wunder sind kleine Trailer, Filmclips, die auf den baldigen Start des neuen Films hinweisen und für ihn Werbung machen. Jesus ist der Promoter dieses Films, der göttlichen basileía. Sein (Wunder-)Wirken ist nicht der Hauptfilm selbst, sondern Werbung für ihn. 81 Die Menschen sollen ihren Kurs korrigieren (gr. metanoeín, Mk 1,15parr.), um auf Gottes Ankunft vorbereitet zu sein. Für diese Aufgabe genügen punktuelle Zeichen, welche die endzeitliche Hoffnung in die Welt setzen und befeuern. Erst bei der Parusie Christi wird sich Gott global durchsetzen, wird es keine Fragen mehr geben, wird aus dem Glauben das Schauen. 82 Dann gibt es aber auch keine Möglichkeit mehr, sich glaubend Gott zuzuwenden. So gesehen, ist Gottes Selbstzurücknahme Ausdruck seiner Geduld, um das Gericht möglichst zu verhindern (2 Petr 3,9). - Dieser Hinweis ist die vierte Antwort auf die Theodizeefrage. Der freiwillige Verzicht auf Machtdurchsetzung gehört zum Programm der übergroßen Geduld Gottes mit seinen Ebenbildern, ist Ausdruck seiner Liebe, die den Menschen das Schlimmste ersparen möchte. 83 205 4.3 Weitere Themen <?page no="206"?> der Jünger nach der Sturmstillung: Sie realisieren, dass in Jesus Gott selbst seine Allmacht gezeigt hat (Mk 4,41). 84 Zum Folgenden vgl. Dormeyer 2013b. - Zu den textpragmatischen Textgruppen → S 5. e) Fazit: Wundermangel als Chance Die Frage, weshalb Jesus nicht alle Menschen geheilt und den Kosmos erlöst hat, entpuppt sich als von Gott gesetzte, heilvolle Chance. Gott verzichtet auf die spektakuläre Durchsetzung seiner Allmacht, um dem Menschen den Freiraum zu lassen, sich im Glauben für oder gegen sein Angebot zu entscheiden. Die Wundertexte sind Befreiungsgeschichten, die auf die heilvolle Umgestaltung der Welt hinweisen. Sie appellieren an die Herzen, dieses Angebot anzunehmen und im eigenen Leben umzusetzen. So gesehen, sind die Texte auch Hoffnungs- und Ermutigungsgeschichten: Sie machen Mut, das Leben unter dem Vorzeichen und mit den Möglichkeiten der nahen Gottesherrschaft heilvoll zu verändern. 4.4 Einzelne Wunderprofile Den Abschluss des Kapitels bildet die Präsentation einzelner Wunderprofile. Hier fließen die textpragmatischen Überlegungen von → 3.6.5 und → S 5 ein. 4.4.1 Markusevangelium 24 Wundererzählungen - neun Heilungen, vier Exorzismen, fünf Geschenk- und Naturwunder sowie sechs Wundersummarien - unterstreichen den Stellenwert der Wunder für das MkEv. 84 Die neun Missions-Wundertexte (darunter 1x MkS) stellen den vorbildlichen Glauben von Außenseitern in den Vordergrund. Die acht Erkenntnis-Wundertexte (davon 3x MkS) fokussieren eine initiale, nicht ausformulierte Christuserkenntnis. Bei den acht Konflikt-Wundertexten (davon 3x MkS) dominieren latente Konflikte, markiert durch das Schweigegebot und seine Durchbrechung. Konflikte um Sabbat und den Umgang mit Sünde sind je einmal thematisiert. Markus hat neben dem doppelt überlieferten Speisungswunder die Notiz Mk 13,20 sowie drei Summarien der Kategorie Fürsorge-Wundertexte. 206 4 Inhaltliche Aspekte <?page no="207"?> 85 Jesus stellt kultische Reinheit her; die Priester haben das zu bestätigen (Mk 1,40-44; 5,1-20; 7). Er vergibt Sünden (Mk 2,1-12) und wirkt unter ‚Unreinen‘ Wunder (Mk 7,24-30.31-37; 8,1-9). 86 Vgl. die ‚Parabeltheorie‘ Mk 4,10-13 sowie Mk 8,27-30. Hierzu passt auch die strikte Ablehnung von Zeichenforderungen (Mk 8,11 f.; 15,30-32). 87 Gegen Kollmann 2018a, 214 (das Messiasgeheimnis als implizite Wunderkritik). 88 Zum religionsgeschichtlichen Hintergrund der Zweistufenchristologie vgl. Berger 1995, 75-78. Basileía-Botschaft und Wundertätigkeit sind die beiden Pole in Mk 1-8. Die Wunder sind Merkmal des Charismas Jesu (Mk 1,9-11: Taufe Jesu), sie sind Übertragungen göttlicher Kraft (gr. dýnamis; Mk 6,2). Mit seinen Wundern setzt Jesus die Tradition der Propheten fort und steigert sie. Den Rahmen der Wundertexte bilden zwei Nachfolgegeschichten: die Heilung der Schwiegermutter des Petrus (Mk 1,29-31) und des blinden Bartimäus (Mk 10,46-52). - Der Glaube der Hilfesuchenden ist wesentliche Voraus‐ setzung des Wundergeschehens (Mk 5,21-43; 6,5), tätige Nachfolge seine Wirkung (Mk 1,31; 5,19; 10,52). Die mk. Wunder zeigen eine ausgeprägte kultisch-kultkritische Sinnebene. 85 Die Übersicht zeigt eine stark polarisierende Wirkung der Wundertätig‐ keit Jesu. Charakteristisch sind die Schweigegebote am Ende vieler Texte. Mk unterstreicht damit, dass Jesu (Wunder-)Wirken auf die endzeitliche Trennung von verstehenden Insidern und unverständigen, verstockten Out‐ sidern hinausläuft. 86 Die Wundertaten lassen die göttliche Vollmacht Jesu nur für Insider erkennen; für die anderen, ‚Verstockten‘, sind sie magische, satanische Zeichen (Mk 3,22-30). 87 Selbst die Jünger tun sich schwer, Jesu Wundertaten richtig einzuordnen und seinen Leidensweg zu akzeptieren (Mk 8,32 f. nach 8,29). Diesem Konzept entspricht die mk. Zweistufenchristologie: 88 In seinem irdischen Wirken agiert der Messias-Menschensohn Jesus inkognito, ver‐ wechselbar, dienend und leidend (Mk 10,45). Bei seiner Wiederkunft wird er unverwechselbar, als machtvoller Weltenrichter auftreten (Mk 13,24-27; 14,62). Das Motiv des vorbildlichen Glaubens Anderer (Nichtjuden, Sünder, Frauen) bereitet die Ausweitung der basileía-Verkündigung über die Gren‐ zen Israels vor. Fazit: Markus sieht in den Wundern machtvolle, aber verwechselbare Zeichen der Fürsorge Gottes und seiner anbrechenden Herrschaft, die insbesondere bei Randständigen auf Glauben stoßen, bei anderen jedoch 207 4.4 Einzelne Wunderprofile <?page no="208"?> 89 Zum Folgenden vgl. Münch 2013b, 379-389, und Lohse 2015, 126 ff. 90 Blindenheilung Mt 9,27-31; mondsüchtiger Junge Mt 17,14-20. 91 Mt 9,32-34; 12,22-30 (mit breiter Apologie Jesu) sowie Zeichenforderungen (Mt 12,38; 16,1-4). 92 Mt 2,12-23; 17,24-27 plus beide mk. Speisungswundertexte und fünf Summarien. 93 Mt 15,21-28: Syrophönizierin, Mt 8,5-13 und 27,54: röm. Offiziere. 94 Mk 1,23-28 und 8,22-26 haben kein Pendant im MtEv. Eine generelle Abwertung der Wunder gegenüber der Lehre kann ich jedoch nicht erkennen (gegen Kollmann 2013b, 136). 95 Vgl. Mt 17,14-20 gegenüber Mk 9,14-19; vgl. weiter Mt 8,26; 14,31. 96 Mt 8,10.13; 15,28; 27,54. Widerstand auslösen. Die Jünger symbolisieren den schwierigen Erkennt‐ nis- und Glaubensprozess. 4.4.2 Matthäusevangelium Neben 15 Wundererzählungen und einigen Summarien aus dem MkEv bietet Mt die Heilung zweier Blinder und eines Stummen (Mt 9,27-34) sowie das Staterwunder (Mt 17,24-27). 89 Das Bartimäus-Wunder wird durch die Heilung zweier Blinder ersetzt (Mt 20,29-34). Textpragmatisch promi‐ nent sind Texte, die auf einen latenten Konflikt hinauslaufen (insgesamt zwölf, davon 5x MtS), wobei zwei mk. Missionszu Konflikt-Wundertexten umgestaltet werden. 90 Konflikte um Jesu Wundervollmacht stehen stärker im Fokus als im MkEv. 91 Vier mk. Erkenntnis-Wundertexte werden um drei Sondergut-Texte und zwei Summarien ergänzt. Einen eigenen Akzent setzt das MtEv auf Fürsorge-Wundertexte. 92 Dagegen übernimmt Matthäus nur drei Missions-Wundertexte aus dem MkEv und steuert lediglich einen eigenen Text bei (Mt 28,5-10). Die Übersicht zeigt einen klaren Fokus auf der polarisierenden Wirkung der Wunder Jesu, daneben auf göttliche Fürsorge und auf Christuserkennt‐ nis von Nichtjuden. 93 Auch für Mt ist der Glaube für das Wundergeschehen konstitutiv (Mt 17,20). Kommt der Glaube mit der erbarmend-liebenden Zuwendung Jesu zusammen, genügt eine Berührung, und das Wunder geschieht (Mt 9,18-31; 14,34-36). Magische Wunderzüge werden unter‐ drückt. 94 In der Aussendungsrede erhalten die Jünger Wundervollmacht (Mt 10,1.8). Doch sie fungieren, wie bei Mk, als kleingläubige Anti-Vorbilder, die Wunder verhindern. 95 Daher wird ihnen der Glaube anderer Menschen, etwa von Nichtjuden, vor Augen geführt. 96 Dies und der Missionsbefehl 208 4 Inhaltliche Aspekte <?page no="209"?> 97 Mt 9,36; 14,14; 15,32. Erbarmen ist wichtiger als Opfer (Mt 9,13; 12,7, ausweislich Hos 6,6). 98 Mt 12,15-21: Schweigegebote als Erfüllung von Jes 42,1-4. 99 Zum Folgenden vgl. Zimmermann 2013b. - Lk. Sondergut: Fischfang Lk 5,1-11, Jüngling zu Nain Lk 7,11-17, verkrümmte Frau Lk 13,10-17, Wassersüchtiger Lk 14,1-6, zehn Aussätzige Lk 17,11-19 und das Ohr des Soldaten Lk 22,50 f. - Lk 7,1-10 (Hauptmann von Kapernaum) und Lk 11,14-16 (Exorzismus) finden sich als die beiden einzigen Wundertexte der Logienquelle Q auch bei Matthäus. Die Wundertexte in Mk 6,45-8,26 werden ausgelassen (große Auslassung). 100 Mit Kollmann 2018a, 214 f. ( Jesus als endzeitlicher Wunderprophet). (Mt 28,18-20) legitimieren die spätere Mission unter Nichtjuden. - Die mt. Immanuel-Christologie (Mt 1,24; 28,20) schlägt sich in der Betonung des Erbarmens Jesu nieder. 97 Damit und mit den Exorzismen nimmt Gottes basileía Gestalt an (Mt 12,28; vgl. 10,7 f.). Fazit: Für die mt. Wunderkonzeption charakteristisch sind der Konflikt um Jesu Wunder- und Toravollmacht, die Darstellung göttlicher Fürsorge und göttlich geschenkter Erkenntnis, der vorbildliche Glaube von Nichtju‐ den als Ätiologie der Weltmission, das Zusammenspiel von Glauben und Erbarmen sowie Exorzismen als Form der Durchsetzung der Herrschaft Gottes. Leitend sind, wie im MkEv, das Motiv der Verwechselbarkeit Jesu und die Zweistufenchristologie. 98 4.4.3 Lukanisches Doppelwerk Bei Lukas finden sich zwölf mk. Wundertexte, dazu acht Sondergut-Wun‐ der. 99 Textpragmatisch dominieren Erkenntnis-Wundertexte (fünf aus dem MkEv, 5x LkS, zwei Summarien) vor sieben Missions-Wundertexten (4x LkS plus drei aus dem MkEv). Lukas bietet zwei eigene Fürsorge-Wundertexte (Lk 4,28-30; 22,50 f.), aber nur eines der beiden mk. Speisungswunder (Lk 9,10-17) und ein Summarium (Lk 6,17-19). Konflikt-Wundertexte treten auffällig zurück (außer fünf mk. Texten nur Lk 14,1-6). - Der Trend zu Mis‐ sions-Wundertexten setzt sich in der Apostelgeschichte fort (neun Texte plus zwei Summarien). Konflikt-Wundertexte sind hier wieder stärker vertreten (vier Texte plus drei Summarien). Fürsorge- und Erkenntnis-Wundertexte sind in der Apg je zweimal zu finden. Wunder haben im lk. Doppelwerk einen hohen Stellenwert. Sie umrah‐ men das Wirken Jesu (Lk 4,16-30; 22,50 f.); in ihnen erfüllt sich atl. Prophetie (Lk 4,18-21; 7,22; vgl. Jes 61,1 f.). Lk betont Jesu Charisma; Gottes Geist und Kraft sind die Wirkursachen seiner Wundertaten (Lk 7,16; 24,19). 100 209 4.4 Einzelne Wunderprofile <?page no="210"?> 101 Lk 5,25 f.; 7,16; 8,39; 9,43; 13,13; 17,15.18; 18,43 (Markus erwähnt dagegen nur in Mk 2,12 Gotteslob); vgl. Kahl 2005, 94. 102 Zum Folgenden Pesch 1986, 141-148. 103 Sprachbegabung: Apg 2,4-13; 10,46; 19,6; parrhesía: Apg 2; 4,13.29; Prophetie: Apg 19,6. 104 Heilungen und Exorzismen: Apg 5,12-16; 8,7; 16,16-22; 19,12; 28,8; Totenerweckung: Apg 9,36-43; Summarien: Apg 2,43; 5,12-16; 6,8; 8,6 f.13; 14,3; 19,11; 28,9. Als Wunder‐ täter gelten Petrus, Stephanus, Hananias, Philippus, Paulus und Barnabas. 105 Gebetserhörung: Apg 4,30; 9,40; 28,8; im Namen Jesu: Apg 3,6; 4,10; 16,18; vgl. 9,17.34. 106 Apg 8,4-25: Simon Magus; Apg 13,6-12: Barjesus / Elymas; Apg 16,16-22: Wahrsagerin von Philippi; 19,13-18: Skeuassöhne. 107 Apg 5,1-11: Strafwunder; 5,15: Schatten des Petrus als wunderwirkendes Fluidum; 13,6-12: Verfluchung; 19,12: Kleidungsstücke als Wundermedien. Jesus übertrifft die atl. Propheten quantitativ und qualitativ. Das Gebet unterstreicht Jesu göttliche Sendung und Vollmacht (Lk 3,21; 9,29). Viele Wundertexte laufen auf den Lobpreis Gottes hinaus. 101 Die lk. Wundertexte betonen die sozialkritische Sinnebene: Minderprivilegierte sind bevorzugte Wunderempfänger (Lk 4,18-21). In der Apg erfüllen sich Jesu Verheißungen sukzessive. 102 Leitthema ist die Weltmission. Die Apostel erhalten beim Pfingstwunder wichtige Charismen. 103 Der Heilige Geist lenkt durch Epiphanien, Entrückungen und Rettungswunder den Gang der Mission. Die Apostel selbst können im Namen Jesu heilen, exorzieren und Tote erwecken. 104 Wirkursache ist, neben der Bevollmächtigung durch Jesus, das Gebet. 105 Deutlicher als im MkEv werden die Wundertäter von Magie abgegrenzt 106 , obgleich auch die Apostelwunder magische Züge erkennen lassen. 107 Die Texte zeigen insgesamt, dass der Heilige Geist magische Praktiken überflüssig macht und sie sogar an Wirkung übertrifft (→ 1.7.3; 2.3.4). Fazit: Die lk. Wunderkonzeption ist charismatisch bzw. pneumatisch akzentuiert. Jesus gilt als der Charismatiker schlechthin, der mit seinen Wundertaten die Zuwendung Gottes zu den ‚Verlorenen‘ dieser Welt signalisiert (Lk 19,10). Wundertexte stehen im lk. Doppelwerk primär im Kontext von Mission und Verkündigung. Die polarisierende Wirkung der Wunder‐ tätigkeit Jesu wird nicht negiert, aber auch nicht ausgebaut; der einzige LkS Konflikt-Wundertext Lk 14,1-6 zeigt Jesus als Gast der Pharisäer, die generell differenzierter dargestellt werden als in den anderen Evangelien (vgl. Lk 13,32). 210 4 Inhaltliche Aspekte <?page no="211"?> 108 Joh 2,11; 12,37; 20,30 f. - Zum Folgenden vgl. Poplutz 2013b. 109 Für Exorzismen fehlt der Rahmen der basileía-Botschaft. Dennoch ist Besessenheit ein Thema ( Joh 7,20; 8,48 f.52; 10,20 f.; 13,27). Der Sieg über Satan erfolgt am Kreuz ( Joh 12,31; 19,30). 110 ‚Werke‘: Joh 5,20.36; 6,28; 7,3; 9,3 f.; 10,25.32 f.37 f.; 14,10-12 und 15,24. 111 Joh 2,11.23; 4,48; 6,2.14.26.30; 9,3; 11,4; vgl. 1,14. 112 Auch die Offenbarungsdialoge irritieren und spalten ( Joh 6,60-66; 7,43). 113 Geschenkwunder in Joh 2,1-11; 6,1-15 und 21,1-14. 4.4.4 Johannesevangelium Wundertexte bilden auch den Rahmen des JohEv. 108 Abgesehen von Joh 21, sind sieben Wundertexte zu finden. Auffällig ist das Fehlen von Exorzismen. 109 Der joh. Wunderterminus ist ‚Zeichen‘ (gr. semeíon). Jesus selbst nennt sie ‚Werke Gottes‘ (gr. érga theoú). 110 Textpragmatisch sind Erkenntnis-Wundertexte (sechs plus zwei Summarien) und Konflikt-Wunder‐ texte (vier plus zwei Summarien) prominent. An Fürsorge-Wundertexten ist nur die kurze Entrückungs-Notiz am Ende der Seewandelerzählung zu erkennen ( Joh 6,21b), Missions-Wundertexte sind Joh 4,46-54 (königlicher Beamter) und die Ostervision der Maria Magdalena ( Joh 20,11-18). - Kompositionskritisch ist eine Entwicklung von Erkenntnis- ( Joh 2-6) zu Konflikt-Wundertexten ( Joh 5-11) und zurück ( Joh 20 f.) erkennbar. Die Konflikte entzünden sich an formalen Regelverstößen ( Joh 5+9: Sabbat) und offenbaren im weiteren Verlauf ihre Tiefendimension (Vollmachtsfrage, Umgang mit Sünde und Tod, Deutungshoheit, Macht). Theologisch markieren die joh. Wunder die anbrechende Neuschöpfung ( Joh 1,1-18). Als Menschensohn ist Jesus der endzeitliche Richter, der das Endgericht im Sinne der Errettung des Kosmos herbeiführt ( Joh 3,16 f.; 5,27). Dem entspricht die polarisierende Wirkung der Wunder: Wunder sind Teil der endzeitlichen Unterscheidung (gr. krísis) zwischen Glaubenden und Nichtglaubenden, zwischen der Sphäre des Lichts und der Finsternis ( Joh 1,4 f.; 3,19). Sie sind Zeichen der Herrlichkeit (gr. dóxa) Gottes 111 und sollen Glauben wecken ( Joh 20,30 f.), was aber zum großen Teil misslingt ( Joh 7,21; 9,39-41; 11 f.). Hierin erfüllt sich die Verstockungsansage aus Jes 6,9 und Jes 53,1. 112 Die Wunder unterstreichen Jesu messianische Vollmacht: Er bringt Leben in (Über-)Fülle 113 und überbietet die physischen Gaben durch transzendente Gaben wie Wasser und Brot des Lebens und die Gabe seiner eigenen Person ( Joh 4,14; 6,63). Fazit: Die joh. Wunder weisen auf Gottes Herrlichkeit und Jesu Gottes‐ sohnschaft hin. Sie sind Akte der Neuschöpfung und des Endgerichts. Sie 211 4.4 Einzelne Wunderprofile <?page no="212"?> 114 Paulus nennt ‚Zeichen und Wunder und Taten‘ und die in ihm wirkende Kraft des Geistes (Röm 15,19; 1 Kor 2,4; 2 Kor 12,11-13; 1 Thess 1,5). Nicht klar ist, an welche Wunder Paulus denkt. fördern die christologische Erkenntnis ( Jünger als positive Glaubensvorbil‐ der) und sind Aufhänger für die Entfaltung des Grundkonflikts zwischen Schöpfungs-Logos und Kosmos. Das äußerliche Scheitern Jesu am Kreuz markiert paradoxerweise seinen Sieg über das Böse ( Joh 19,30). 4.4.5 Corpus Paulinum Paulus betont statt spektakulärer Wunder das Kreuz als paradoxes Heils‐ symbol (1 Kor 1,22). Gleichwohl gibt es Hinweise auf Wundererfahrungen des Apostels. Gal 1,11-24 nimmt Bezug auf die Christophanie vor Damaskus (vgl. Apg 9,1-9). 2 Kor 12,1-4 berichtet von der Entrückung des Paulus in den dritten Himmel samt Audition. Eigene Wundertätigkeit betont Paulus nicht, sie unterstreicht lediglich seine apostolische Legitimität. 114 Gott wirke eher subtile Wunder in den Schwachen (2 Kor 12,9 f.), wie er am eigenen Leib erfährt (2 Kor 4,16; vgl. Eph 3,16). Wunderkraft ist laut 1 Kor 12,9 f.28 und Gal 3,5 ein Charisma. - Paulus metaphorisiert den Gedanken der Neuschöpfung: Der Mensch ist in Christus eine ‚neue Schöpfung‘ (gr. kainé ktísis, 2 Kor 5,17). Die innere Metamorphose setzt sich bei der Auferstehung äußerlich fort, so 1 Kor 15,35-55. Sie und die Entrückung in den Himmel flankieren die Parusie Christi (1 Kor 15; 1 Thess 4,13-18). Fazit: Wunder haben für Paulus keine soteriologische Bedeutung. Die Paradoxie des Kreuzes ist das eigentliche Wunder. Dem entspricht zum einen die subtile Wundertätigkeit Gottes in den Schwachen und in den Gemeinden und zum anderen die innere Neuwerdung des Menschen. Lediglich aus apo‐ logetischen Gründen verweist Paulus auf persönliche Wundererfahrungen. 4.4.6 Weitere Schriften Von Wundererfahrungen berichten auch die anderen ntl. Schriften: ‚Zei‐ chen, Wunder und mancherlei mächtige Taten‘ begleiten laut Hebr 2,4 die Verkündigungsarbeit. Jak 5,13-18 nennt Gebet und Krankensalbung als wunderwirkende Mittel; Christus heilt, richtet auf und vergibt die Sünden (V. 15). Die beiden Zeugen in Apk 11,3-6 sind zu Prophetie und 212 4 Inhaltliche Aspekte <?page no="213"?> 115 1 Joh 2,18-29; 4,1-3; vgl. 1 Kor 12,10. 116 Mk 13,20; vgl. 1 Kor 10,13; Apk 10,6. Strafwundern befähigt. Sie selbst erfahren Erweckung aus dem Tod und Entrückung in den Himmel (Apk 11,11-13). Daneben erscheinen Satan und satanische Mächte als perfide Wundertä‐ ter, welche die Wunder Jesu und der Apostel imitieren: Mit seiner Fähigkeit zu ‚großer Kraft und lügenhaften Zeichen und Wundern‘ verführt der Böse (wohl der röm. Kaiser) die Glaubenden, was den Prozess des göttlichen Endgerichts forciert (2 Thess 2,9-12). Vor satanischen Verführungswundern warnen auch die Ölbergrede Jesu (Mk 13,5 f.21 f.) und Apk 13,12-15. Gegen die endzeitliche Verführung helfen die Unterscheidung der Geister 115 , die Versiegelung der Glaubenden (Apk 7) und die wunderbare Verkürzung bzw. Amputation der (Verführungs-)Zeit. 116 Am Ende der Zeit wird Satan mitsamt seinen Helfershelfern durch machtvolles Eingreifen Gottes vernichtet (Apk 12,7-9; 20,7-15; 21,8). Daraufhin kommt es unter kosmischen Zeichen zur Neuschöpfung der Welt (2 Petr 3,10-13; Apk 21 f.). Fazit: Neben weiteren Zeichen und Wundern kennen die späteren Schrif‐ ten des NT auch apkl. Wunderszenarien. Satanische Mächte verführen mit imitierenden Wundern die Glaubenden. Am Ende wird Gott den Kosmos neu schaffen. 4.5 Ergebnis Die ntl. Wundertexte beinhalten unterschiedliche Sinnebenen und theolo‐ gische Aspekte. Sie bieten authentische Erinnerung an das Wirken Jesu. In ihnen manifestiert sich der Glaube an den Schöpfergott. Die körperliche Wunderdimension weist auf die anstehende Erlösung von Vergänglichkeit, Unrecht, Leid und Tod hin. Gott wendet sich liebend-erbarmend den Not‐ leidenden zu, befreit sie äußerlich und innerlich zu neuem Leben. Hierfür setzt er festgefügte weltliche Ordnungen außer Kraft. Das zeigt, dass die engen Grenzen des Alltags nicht unüberwindlich sind, Unmögliches möglich werden kann und dass der Tod nicht das letzte Wort hat. - Theologisch zeigen die Texte, dass Gottes basileía in einem heilvollen Miteinander schon jetzt Gestalt gewinnen kann. Die unterschiedlichen Sinnebenen setzen bis heute gestalterische und therapeutische Impulse. 213 4.5 Ergebnis <?page no="214"?> Die Bezeichnung der Wunder als ‚Zeichen‘ hilft, die Theodizeefrage zu klären: Die Zeit Jesu und der Apostel war eine Periode intensiver Wun‐ dererfahrungen, die bis heute Hoffnung machen können und sollen. Der Verzicht Gottes bzw. Jesu auf flächendeckende Heilung und Rettung ent‐ spricht Gottes Weg der Sanftmut und des Gewaltverzichts. Die Wundertexte zielen auf gläubige Annahme des göttlichen Angebots. Sie dokumentieren Jesu polarisierende Wirkung und liefern damit einen wichtigen Grund für sein äußerliches Scheitern. Erst am Ende, so die Texte, wird die Welt flächendeckend umgestaltet werden; dann wird Gott seine Allmacht gegen das Böse ausspielen. - Über diese Grundlinien hinaus bieten die ntl. Autoren unterschiedliche Wunderprofile, die in Spannung zueinander stehen, sich aber zu einem Kaleidoskop des göttlichen Wunderwirkens ergänzen. 214 4 Inhaltliche Aspekte <?page no="215"?> 1 Zur historisch-kritischen Methodik vgl. Erlemann / Wagner 2013. 5 Exegetische Musterbeispiele Das Kapitel konkretisiert Wundertheorie und -auslegung anhand von Mus‐ terexegesen. Die Textauswahl ergibt sich aus den klassischen Wundergat‐ tungen und aus der textpragmatischen Einteilung in Textgruppen (→ 1.6; 3.6.5). Abgebildet wird ein möglichst breites Spektrum an Wundertexten. Grundlage ist die historisch-kritische Methode, konzentriert auf einige, für diesen Zweck zielführende Methodenschritte (Textlinguistik, Formkritik, Textpragmatik, synoptischer Vergleich, Kompositionskritik, Redaktionskri‐ tik). Traditions- und religionsgeschichtliche Aspekte ergänzen die Analyse bei Bedarf. Die Schritte werden nicht schematisch abgearbeitet, sondern integrativ behandelt. Die Analyse relevanter Sinnebenen und theologischer Themenfelder ergänzt den historisch-kritischen Durchgang. 1 5.1 Fürsorge-Wundertexte Diese Gruppe wird durch das Geschenkwunder Mk 6,30-44 und die Traum‐ vision des Joseph (Mt 2,13-23, Führungswunder) repräsentiert. 5.1.1 Speisungswunder (Mk 6,30 - 44parr.) a) Textlinguistische Beobachtungen Der Text lässt sich in drei Teile gliedern: Teil 1 (V. 30-34, Exposition) schildert die Ausgangslage: Eine Menschenmenge versammelt sich in der Einöde (gr. éremos tópos, V. 31.35), um Jesu Jünger zuzuhören. Jesus erbarmt sich über die Orientierungslosigkeit der Menschen und hält eine lange Predigt (gr. esplangchnísthe, V. 34). - Teil 2 (V. 35-38) beschreibt die Notlage: Die Nacht steht bevor (V. 35), Lebensmittel lassen sich nicht beschaffen (V. 36); der vorhandene Vorrat ist äußerst knapp (V. 38). - Teil 3 (V. 39-44) schildert die Wundervorbereitung (V. 39-41a); der Wundervollzug selbst <?page no="216"?> 2 Zu den Realien und zum sozialgeschichtlichen Hintergrund vgl. Kollmann 2013c, 296 f. 3 Die anderen Handlungsanweisungen (V. 31. 39. 41) sind textintern ausgerichtet. geschieht unter der Hand (V. 41bf.). Die Konstatierung des Wunders beendet die Perikope (V. 43 f.). Die Basisopposition besteht in Jesu Aufforderung, die Jünger mögen sich erholen und sättigen, was nicht gelingt (V. 31-33, Zustand A), sowie in der Aufforderung, ihre Vorräte an die Menschen zu verteilen, wodurch alle satt werden (V. 41bf., Zustand B). Die Erzählung zeigt, wie aus den knappen Vorräten Einzelner viele Menschen satt werden. Semantische Begriffspaare unterstützen das: Der Jüngervorschlag, die Menschen sollen einkaufen (V. 36), steht in Opposition zu Jesu Aufforderung „Gebt ihr ihnen zu essen! “ (V. 37). Dem Vorrat von fünf Broten und zwei Fischen stehen zwölf Körbe Brotplus Fischreste (V. 43) gegenüber. Der Text kreist demnach um die Paradoxie, dass die Austeilung des bescheidenen Eigenbedarfs der Jünger zur Sättigung einer großen Menschenmenge führt. 2 Erzählerische Schwerpunkte sind die detaillierte Schilderung der Aus‐ gangslage (V. 31-34), der Dialog mit den Jüngern (Beschreibung der Notlage in direkter Rede, V. 35-38) und die minutiöse Wundervorberei‐ tung (V. 39-41). Der wiederholte Hinweis auf die unwirtliche Umgebung (V. 31.35) und auf das Problem des Caterings (V. 31b.36-38) lenkt die Span‐ nung auf die Problemlösung durch Jesus. Höhepunkt der Erzählung ist der Wundervollzug (V. 39-42). Mit der Feststellung des Wunders flaut der Spannungsbogen ab (V. 43 f.). Die fehlenden Reaktionen lenken den Blick auf den eigentlichen Wundervorgang. Er unterstreicht, dass Jesus selbst solch eine prekäre Lage entschärfen kann. Somit ist die Perikope den Geschenkwundern und der Gruppe der Fürsorge-Wundertexte zuzuordnen. b) Aussagerichtung und Leserlenkung Im Mittelpunkt steht die wunderhafte Sättigung der Hungernden (epideik‐ tisch). Symbuleutisch ist die pluralisch formulierte Aufforderung „Gebt ihr ihnen zu essen! “ (V. 37), die als implizite Handlungsanweisung zu lesen ist. 3 Die Konstatierung des Wunders in V. 43 f. unterstreicht die epideiktische Grundausrichtung; im Fokus stehen Jesu Wunderkraft und das Geheimnis des Teilens. Dem entspricht ein kognitives Hauptlernziel: Die Austeilung der knappen Vorräte wendet kollektive Not ab; für die Jünger bleibt am Ende sogar mehr übrig, als anfangs zur Verfügung stand (V. 43). Das impliziert 216 5 Exegetische Musterbeispiele <?page no="217"?> 4 Die mt. Version endet abweichend mit einem Christusbekenntnis der Jünger (Mt 14,33). 5 Mit Kollmann 2013c, 295. ein affektives Lernziel: Die Sorge um das eigene Sattwerden ist unbegründet; wer teilt, wird selbst zum Gewinner (win-win-Situation). Die Aufforderung zum Teilen impliziert ein praktisches Lernziel. Die ausgefeilte Exposition dient der Leserlenkung; sie betont die drama‐ tische Notlage. Jesus hat als Erbarmer und Wundertäter die Sympathien der Leserschaft auf seiner Seite. Die Jünger fungieren als Identifikatoren für alle, die mit solchen Situationen überfordert sind. Ihr vertrauensvoller Gehorsam und der der Menschen vereint sich mit der liebend-erbarmenden Zuwendung Jesu; das macht das Wunder möglich. Die knappe Schlussnotiz und das Fehlen jedwelcher Reaktionen lassen für die Leserschaft eine Leerstelle offen, die zum Staunen und zum Nachdenken über die eigene Bereitschaft zu teilen einlädt. c) Kontextuelle Einbindung und Funktion Die Erzählung steht bei Markus und Matthäus nach der Perikope von Jesus und Herodes Antipas (Mk 6,14-16par. Mt 14,1 f.) und nach der Rückblende auf die Enthauptung des Täufers (Mk 6,17-29par. Mt 14,3-12). Der Text führt den thematischen Faden weiter: Jesus übertrifft mit seiner Wunderkraft Elisa (Mk 6,15; vgl. 2 Kön 4,42-44), das Speisungswunder kontrastiert Jesus mit Herodes Antipas (Festmahl mit Tötung des Täufers, Mk 6,14-29). - Der Erzählfaden läuft mit der Seewandel-Erzählung weiter (Mk 6,45-52par. Mt 14,22-33). Letztere nimmt auf das Speisungswunder Bezug und kritisiert den Unverstand der Jünger (Verstocktheit, Mk 6,52; vgl. 8,14-21). 4 Das Thema Nahrung wird in Mk 7 par. Mt 15 wieder aufgegriffen und auf das Thema Reinheitsgebote appliziert. Die Funktion des Wundertextes im Kontext lässt sich so bestimmen: Jesus unterstreicht als positives Gegenbild zu Herodes Antipas 5 seinen königlich-messianischen Anspruch. Jesu Wunderkraft kommt durch die Bereitschaft zum Teilen und den vertrauensvollen Gehorsam der Menschen zum Ziel (Gegentext zu Mk 6,1-6). Daher lehnt Jesus Zeichenforderungen ab (Mk 8,10-13, im Anschluss an die Speisung der Viertausend). Die Subtilität des Wundervorgangs beinhaltet das Risiko des Missbzw. Unverständnisses (Mk 6,52; 8,14-21). 217 5.1 Fürsorge-Wundertexte <?page no="218"?> 6 Drewermann 1988a, 437 (kursiv im Original). 7 A. a. O., 439 f. 8 Theißen 1998, 114. d) Sinnebenen Der Speisungswundertext spricht folgende Sinnebenen an: 1. physisch-leibliche Ebene: Jesu Fürsorge um das geistliche und leibliche Wohl der Menschen hängen untrennbar zusammen (V. 31-34.35-44). Der Texte betont die physische Seite (Substanzvermehrung, V. 43 f.). Die Spei‐ sung symbolisiert die messianische (Über-)Fülle und die Erlösung aus physischer Not. 2. spirituelle Ebene: Der Text stellt die Überwindung seelsorgerlich-geistli‐ cher Orientierungslosigkeit und die Erfahrung wunderwirkenden Teilens heraus. 3. (tiefen-)psychische Ebene: Durch das Wunder in der Einöde überwindet Jesus die Existenzangst vor dem Verhungern. Er unterstreicht damit, dass „alle Menschen im Glauben als Mitglieder einer Menschheitsfamilie zu betrachten sind und daß es folglich keine Grenzen der Gemeinsamkeit des Teilens geben darf.“ 6 Das Wunder, so Drewermann, besteht in der Verwandlung der eigenen Armut in den Reichtum Gottes, in den Segen des Himmels und des Herzens. Die Eucharistie sei das archetypische Symbol dieser immer neu stattfindenden Verwandlung. 7 4. sozialkritische Ebene: Kritisiert wird eine Haltung, die aus Sorge um den ‚Eigenbedarf ‘ die Verantwortung für die Notleidenden auf die Notleidenden selbst wegschiebt (V. 36). Der Hinweis auf knappe Ressourcen taugt nicht als Entschuldigung für die Verweigerung sozialen Engagements. - Der Text drückt die Sehnsucht nach Sättigung aller Menschen aus und setzt damit Hoffnung gegen die Verzweiflung sowie den Appell zur Bekämpfung des Hungers in die Welt. 8 5. Die kosmisch-mythische Ebene ist mit dem Szenario des éremos tópos angesprochen: Jesus überwindet die Bedrohung, die von der unwirtlichen Gegend ausgeht. Der lebensfeindliche Raum steht im Kontrast zur Fülle der Sättigung. 6. kommunikative Ebene: Ablesen lässt sich erstens, Jesus sorgt sich um das Wohl seiner Jünger und schenkt ihnen Erholung (V. 31). Zweitens, Jesus reagiert auf die Not mit Erbarmen und hilft umfassend (V. 34). Drittens, Jesus bewährt sich als Krisenmanager, der Wesentliches an die Jünger delegiert 218 5 Exegetische Musterbeispiele <?page no="219"?> (V. 37-39.41). Viertens, Jesus bezieht Gott ins Geschehen ein. - Der Text betont insgesamt Jesu Präsenz und Souveränität; er lindert die Not und setzt auf tätige Mithilfe der Jünger. 7. diakonisch-missionarische Ebene: Die Aufforderung „Gebt ihr ihnen zu essen! “ (V. 37) und das nachfolgende Verteilungswunder provozieren diako‐ nisches Handeln. Der Text zeigt, dass diakonisch-missionarisches Handeln die physische und die geistliche Zuwendung zu den Notleidenden umfasst. Im Vordergrund stehen die physische, spirituelle, diakonisch-missionarische und kommunikative Sinnebene. Der Text transportiert die Hoffnung auf umfassende Erlösung, die Aufforderung zum ethischen Handeln nach Jesu Vorbild und die Zusage, dass auch das Teilen knapper Ressourcen Wunder wirken kann. e) Theologische Schwerpunktthemen Die theologische Sinnebene des Wundertextes beinhaltet folgende Aspekte: 1. theo-logischer Aspekt: Gott ist Adressat des Dankgebetes und damit indirekt Urheber der messianischen (Über-)Fülle. Die Verbindung des Wun‐ dertäters zu Gott bewirkt, neben anderen Faktoren, das Wunder. 2. christologischer Aspekt: Jesus kümmert sich um das leibliche und das geistliche Wohl der Menschen. Er ist der Magnet ihrer Hoffnung und Neugier. Jesus gibt als ‚Hirte‘ den richtungslosen ‚Schafen‘ Orientierung. 3. pneumatologischer Aspekt: Jesus ist exklusiver Geistträger. Dieser Aspekt wird freilich in den Wundertexten nicht in Erinnerung gerufen. Souveränität und ‚Geistesgegenwart‘ weisen auf Jesu einzigartiges Charisma hin. 4. kosmologischer Aspekt: Die Welt ist Ort der Orientierungslosigkeit und der Existenzangst. Durch Jesu Handeln verliert sie ihren Schrecken. Das signalisiert die endzeitliche Überwindung lebensbedrohender Zustände. 5. anthropologischer Aspekt: Der Mensch erscheint als orientierungsloses Geschöpf, das göttliche Hilfe benötigt. Und er ist Ansprechpartner und ‚Mitarbeiter‘ Gottes; ohne seine Mithilfe kommt kein Wunder zustande. 6. ekklesiologischer Aspekt: Christliche Gemeinschaft hat einen klaren dia‐ konischen Auftrag. Sie orientiert sich an Jesu Praxis des Brotbrechens und des Dankgebets und trägt durch ihr Verhalten dazu bei, die Not in der Welt zu lindern. 219 5.1 Fürsorge-Wundertexte <?page no="220"?> 7. ethischer Aspekt: Der Text appelliert, die Sorge um den ‚Eigenbedarf ‘ zu überwinden und die vorhandenen Ressourcen zu teilen. Ein solches Verhal‐ ten sättigt die Hungernden und bereichert auch die Geber in überraschender Weise. 8. soteriologischer Aspekt: Gott bzw. Jesus initiiert die Erlösung, die Menschen tragen durch Vertrauen und diakonisches Handeln ihren Teil dazu bei. 9. eschatologischer Aspekt: Der Text zeigt: Der Bogen der Prophetie schließt sich, die Zeit der messianischen Fülle ist da, die Hoffnung auf umfassende Erlösung trügt nicht. Die Gegenwart ist Zeit diakonisch-missionarischer Tätigkeit und des wunderhaftes Eingreifens Gottes, das lebensfeindliche Grenzen sprengen kann. 10. weitere theologische Aspekte: Der Glaube äußert sich im Vertrauen der Menschen auf Jesus; Nachfolge wird im diakonischen Dienst der Jünger konkret. f) Weitere Deutungsaspekte Der Text hat einen traditionsgeschichtlichen Prätext in 2 Kön 4,42-44, die Speisung von 100 Menschen mithilfe von 20 Gerstenbroten durch Elisa. Der Befehl „Gib den Leuten, dass sie essen! Denn so spricht der Herr: Man wird essen und es wird noch übrig bleiben“ (V. 43) wird von Mk fast wörtlich aufgegriffen. Jesus erscheint als der neue Elisa, der die messianische Fülle bringt. Synoptischer Vergleich: Die nachfolgende Speisung der Viertausend (Mk 8,1-8par. Mt 15,32-39) spielt auf nichtjüdischem Gebiet (Dekapolis, Mk 7,31; anders Mt 15,29! ). Das Erbarmen Jesu bezieht sich hier auf die physische Not (V. 2 f.). Die Jünger überlegen, wer die Menschen sättigen könnte (V. 4). - Die joh. Variante Joh 6,1-15 hat ein eigenes Profil: Nicht der Vorrat der Jünger, sondern der eines Jungen steht als ‚Wundermasse‘ zur Verfügung (V. 9). Vergleichbar ist der Kontrast zwischen der geringen Vorratsmenge und der Sättigung der großen Menschenmenge (V. 9b-13). Die Variante endet in der christologischen Erkenntnis: „Das ist wahrlich der Prophet, der in die Welt kommen soll“ (V. 14) und im Versuch, Jesus zum König zu machen. Das bestätigt den religionsgeschichtlichen Befund: Mit der Überfülle, die Jesus 220 5 Exegetische Musterbeispiele <?page no="221"?> 9 Zur apokryphen Variante ActJoh 93 und zur Auslegungsgeschichte von Mk 6,30-44parr. vgl. Kollmann 2013c, 301-303. - Wunder zur Legitimation des Herrschers sind unter anderem von Vespasian bekannt (Sueton, Vespasian 7; Tacitus, Historiae 4,81,1-3; Cassius Dio 66,8; Beispieltext unter → 2.3.3b). zu verteilen hat; ist er in den Augen der Menschen zum messianischen König qualifiziert. 9 g) Zusammenfassung Der Wundertext bringt die umfassende Fürsorge Gottes und Jesu zur Geltung; sie ist das Motiv für die Verkündigung und die Wundertat, die na‐ türliche und soziale Grenzen aufsprengt. Das Wunder bleibt ohne Reaktion; das konzentriert den Blick auf den Wundervollzug (Fürsorge-Wundertext). Das Arrangement betont das Zusammenwirken von Wundertäter, Gott und Menschen im Sinne der Wunderlogik. Die fehlende Reaktion und die Notiz vom Unverstand der Jünger (V. 52) unterstreichen, dass Jesu Wunder keine Beweiskraft beanspruchen, sondern auf Glauben aus sind. Sinnebenen und theologische Aspekte umschreiben das Alleinstellungsmerkmal der Perikope: Sie bündelt narrativ die umfassende Fürsorge Jesu, die Hoffnung auf Überwindung existenzieller Not, den Aufruf zu ethischem Handeln und die Verheißung der wunderbaren Wirkung des Teilens. 5.1.2 Bewahrung des Jesuskindes (Mt 2,13 - 23) Der nur von Matthäus überlieferte Text bietet einen Fürsorge-Wunderzyk‐ lus, der Traumvisionen und Angelophanien beinhaltet (→ 1.6.8b). a) Textlinguistische Beobachtungen Gliederung: Teil 1 (Mt 2,13-15) bringt die Notiz einer nächtlichen Traum‐ vision Josephs mit dem Befehl des Engels, nach Ägypten zu fliehen. Die Familie Josephs befolgt den Befehl. Ein Erfüllungszitat beendet den Teil (Hos 11,1; V. 15b). Teil 2 schildert die Gefahr, vor der Jesus bewahrt wurde (V. 16-18, Kindermord in Bethlehem). Teil 3 (V. 19-21) bringt eine weitere Angelophanie mit dem Befehl, zurückzukehren. Auch dem kommt die Familie nach. Eine dritte Angelophanie lenkt in Teil 4 die Reiseroute der Familie Jesu nach Nazareth um (V. 22 f.). 221 5.1 Fürsorge-Wundertexte <?page no="222"?> Basisopposition: Der Aufenthaltsort der Familie verlagert sich von Beth‐ lehem (V. 13, Zustand A) über Ägypten nach Nazareth (V. 23, Zustand B). Das erklärt den Wohnsitz der Familie und Jesu Beinamen ‚Nazoräer‘. Zugleich inszeniert Matthäus die wunderhafte Bewahrung Jesu vor den Nachstel‐ lungen der Herodianer. Drei Erfüllungszitate begründen die Reiseroute (V. 15b.17 f.23b). Erzählerische Schwerpunkte sind, neben der Metaebene der Erfüllungszitate, die in wörtlicher Rede gehaltenen Engelsbotschaften (V. 13.20), die Gefährdung durch die Herodianer (V. 13c.15.16-18. 19. 22) sowie der Gehorsam Josephs (V. 14-15a.21.22cf.). Akteure sind Gottes Engel, Joseph und Herodes. Joseph als Familienoberhaupt trägt die Verantwor‐ tung für seine Familie, die durch göttliche Führung und vertrauensvollen Gehorsam den Nachstellungen der Herodianer entrinnt. (→ 3.6.3). Das unterstreicht die besondere Bedeutung Jesu und den geheim wirkenden, göttlichen Plan. Josephs Vertrauen wird geschildert, aber nicht reflektiert; im Mittelpunkt stehen die wunderhaften, Staunen bewirkenden Fügungen und Führungen. Der Wunderzyklus ist daher den Fürsorge-Wundertexten zuzuordnen. b) Aussagerichtung und Leserlenkung Formkritische Ausrichtung: Der Textabschnitt ist leserbezogen epideiktisch ausgerichtet und zeigt dikanische Elemente (Erfüllungszitate). Symbuleuti‐ sche Akzente sind rein textintern (Aufträge an Joseph). Der Hauptakzent liegt auf der Darstellung der wunderhaften Bewahrung Jesu. Am Ende des Wunderzyklus ist Jesus in seinem Heimatort Nazareth angekommen; die äußere Gefährdung ist erst einmal abgewehrt. - Lernziele: Der göttliche Personenschutz ist Indiz für die besondere Bedeutung Jesu (kognitiv). Gott schaltet sich durch wunderhafte Eingriffe ins Weltgeschehen ein, um seine Menschen zu schützen und ans vorgesehene Ziel zu bringen (affektiv). Ein praktisches Lernziel ist nicht erkennbar. Leserlenkung: Durch die schon im Vorfeld geschilderte Gefahrenlage (Mt 2,3-12) ist die Leserschaft ab dem Beginn emotional engagiert und fiebert der Entschärfung der Situation entgegen. Das Machtgefälle zwischen Gefährder (König) und Gefährdeten (Familie Jesu) sowie der Kindermord unterstreichen die bedrohliche Situation. Gott macht sich selbst zum Gegen‐ spieler des Herodes; dessen Ränkespiele werden durch nächtliche Angelo‐ phanien zunichte gemacht; am Ende ist der Weg frei für Jesu Wirken. - 222 5 Exegetische Musterbeispiele <?page no="223"?> 10 Vgl. Mose, Joseph, Herakles u. a. - Drewermann (1992) verzichtet auf eine Deutung. Die Erfüllungszitate geben Einblick in den geheimen Plan Gottes und begründen, weshalb Jesus in Nazareth aufwachsen musste. c) Kontextuelle Einbindung und Funktion Die Geburtsgeschichte Jesu (Mt 1,18-25) und die nachfolgende Perikope von den drei Magiern (Mt 2,1-12) streichen Jesu königliche Würde heraus. Zeitgleich eröffnet seine Gefährdung durch Herodes den Spannungsbogen. In diesem Kontext wirkt der kleine Wunderzyklus als Peripetie: Göttliche Eingriffe bringen das Jesuskind aus der Gefahrenlage; am Ende steht Jesus am Startpunkt seines Wirkens. Die nachfolgende Täuferpredigt (Mt 3,1-12) lenkt den Blick auf das theologische Vermächtnis des Täufers; im Raum stehen die Frage der Erwählung Israels und die Umkehrforderung (Mt 3,8-10). Nach weltlichen Widersachern betreten mit den Pharisäern und Sadduzäern religiöse Gegner Jesu die Bühne (Mt 3,7). Der Täufer umschreibt die religiöse Bedeutung Jesu metaphorisch (Mt 3,11 f.), die Erfüllungszitate werden fortgeführt ( Jes 40,3 in Mt 3,3). In der Taufe (Mt 3,13-17) wird die göttliche Identität Jesu erstmals öffentlich; mit seiner erfolgreich bestande‐ nen Versuchung (Mt 4,1-11) ist auch die satanische Gefährdung passé. - Für Mt ist die Bewahrung des Jesuskindes der Auftakt einer lebenslangen, von den Propheten vorhergesagten, Gefährdungs- und Bewahrungsbiographie. d) Sinnebenen Der Fürsorge-Wunderzyklus enthält folgende Sinnebenen: 1. Physisch-leibliche Ebene: Es geht um Leib und Leben, um Ränkespiele und eine göttliche Gegenstrategie, welche die Übergriffe der Herodianer ins Leere laufen lässt. Die körperliche Unversehrtheit ermöglicht das spätere Wirken Jesu. 2. Spirituelle Ebene: Anknüpfungspunkt sind die Engelvisionen; sie zeigen die spirituelle Gottesnähe Josephs. Mit dem Stichwort ‚Ägypten‘ als Sinnbild der Versklavung des Gottesvolkes Israel ist ein zweiter Anknüpfungspunkt genannt. 3. (Tiefen-)psychische Ebene: Erzählungen von der übernatürlichen Bewah‐ rung eines Helden schon im Kleinkindalter sind gegen Existenzängste und das Gefühl von Ohnmacht angesichts übermächtiger Gegner gerichtet. 10 223 5.1 Fürsorge-Wundertexte <?page no="224"?> 4. Sozialkritische Ebene: Der Text übt implizit Kritik an brutaler, rücksichtslo‐ ser Machtsicherung weltlicher Despoten. Und er zeigt, dass solche Despoten gegen göttliche Eingriffe letztlich machtlos sind. 5. Die kosmisch-mythische Ebene: Die Herodianer repräsentieren den feind‐ lichen Kosmos, in den Jesus hineingeboren wird. Jesus wird, analog zu atl. und gr.-hell. Helden, auf wunderhafte Weise bewahrt. 6. Kommunikative Ebene: Der Engel befiehlt, was zu tun ist (V. 13. 20. 22); gegen das autoritative Wort gibt es keine Einspruchsmöglichkeit. Von einem Widerstand Josephs ist nicht die Rede; er führt vertrauensvoll aus, was ihm befohlen wird. 7. Diakonisch-missionarische Ebene: Diese Ebene entfällt. Die physisch-leibliche Bewahrung steht im Vordergrund. Engel und Ägyp‐ ten sind Anknüpfungspunkte für eine spirituelle Lesart. Übermächtige Gegner und Traumvisionen transportieren eine (tiefen-)psychische Ebene. Implizit rückt die Erzählung auch die soziale Hierarchie zurecht: Unrecht und Gewaltanwendung gegen Machtlose kann (und wird) durch Gottes Wunderhandeln beendet werden. e) Theologische Schwerpunktthemen Folgende theologische Themen finden sich im Fürsorge-Wunderzyklus: 1. theo-logischer Aspekt: Gott ist der Bewahrer der Schutzlosen. Er greift rettend und regulierend in die Geschichte ein. Er beendet soziales Unrecht, allerdings nicht mit Brachialgewalt, sondern durch subtile Führung, in diesem Falle durch Traumvisionen, die nur Joseph und seiner Familie zugänglich sind. 2. christologischer Aspekt: Die wunderhafte Bewahrung streicht Jesu göttli‐ che Bedeutung heraus. In ihm erfüllen sich von Geburt an prophetische Vorhersagen; Jesu Lebensweg erscheint bis ins Detail vorgezeichnet. Der Gang seiner Biographie, an denen sich die Geister scheiden (vgl. Joh 7,40-43 u. a.), erscheint durch die mt. Erfüllungszitate transparent und zwingend. 3. pneumatologischer Aspekt: Der Aspekt entfällt. Anstelle des Geistes agie‐ ren Engel. Erst bei der Taufe und der Versuchung Jesu wird der Geist aktiv. 4. kosmologischer Aspekt: Die Welt erscheint in Mt 2,13-23 als feindlicher, lebensbedrohlicher Ort, der aber von Gott beherrscht wird. 224 5 Exegetische Musterbeispiele <?page no="225"?> 5. anthropologischer Aspekt: Der Mensch ist von Gott abhängig - Mächtige genauso wie Machtlose. Der Text zeigt, dass die Mächtigen, wenn sie sich bedroht fühlen, um des Machterhalts willen auch zu brutalen Mitteln greifen. 6. ekklesiologischer Aspekt: Dieser Aspekt entfällt. 7. ethischer Aspekt: Heilvoll ist es, auf Gott zu vertrauen und seiner Weisung zu folgen. Zu lernen ist auch, dass Unrecht und Gewalt keinen Bestand haben. 8. soteriologischer Aspekt: Die Rettung der Bedrohten geht von Gott aus; das Wunder glückt, wenn sich die Menschen auf die Rettungsaktion einlassen. 9. eschatologischer Aspekt: Die Sendung Jesu ist der eschatologische Heilsakt schlechthin. Die Bewahrung des wehrlosen Gottessohnes zeigt, dass die Mächte der Welt gegen Gottes heilvolles Eingreifen keine Chance haben. 10. weitere theologische Aspekte: Der Glaube äußert sich im vertrauensvollen Gehorsam der göttlichen Order gegenüber. Andere Aspekte fehlen. f) Weitere Deutungsaspekte Die Exilierung der Jesusfamilie nach Ägypten erinnert an den dortigen Aufenthalt des Volkes Israel. Matthäus stellt damit Jesu Wirken in den Kontext des Exodus: Jesus vollzieht vor seinem öffentlichen Wirken den Weg Israels in die Sklaverei Ägyptens nach; er lässt Ägypten hinter sich, um wie einstmals Mose sein Volk zu neuer Freiheit zu führen. - Die göttliche Bewahrung Josephs und seiner Familie erinnert auch an den atl. Joseph, der durch wunderhafte Führung seinen Platz in Ägypten fand. Wie dieser, so übt auch Jesus, der Sohn des anderen Joseph, Gewaltverzicht und Vergebungsbereitschaft, vgl. Gen 50,20: „Ihr gedachtet es böse mit mir zu machen, aber Gott gedachte es gut zu machen, um zu tun, was jetzt am Tage ist, nämlich am Leben zu erhalten ein großes Volk.“ Der Text zeigt auch die Funktion und Bedeutung von Engeln in ntl. Zeit: Sie sind Übermittler göttlicher Weisungen und treten mit autoritativer Vollmacht auf. 225 5.1 Fürsorge-Wundertexte <?page no="226"?> g) Zusammenfassung Der Fürsorge-Wunderzyklus zur Bewahrung des Jesuskindes (Mt 2,13-23) streicht Jesu göttliche Bedeutung heraus und zeigt, wie Gott mit stiller Führung und Fügung die Ränkespiele weltlicher Machthaber durchkreuzt. Gott wählt nicht die direkte Konfrontation, sondern unterläuft die perfiden Ränkespiele auf unauffällige, subtile Weise. Das zeichnet Gottes ‚unteren Weg‘ aus, der auch der Weg Jesu ist. Der Leserschaft wird die Hoffnung vermittelt, dass Gott selbst größtes Unrecht und das Gefühl von schutzlosem Ausgeliefertsein überwinden kann. 5.2 Erkenntnis-Wundertexte Mustertexte sind hier die Sturmstillung (Mk 4,35-41, Natur- und Rettungs‐ wunder) und die Auferweckung des Jünglings zu Nain (Lk 7,11-17, Toten‐ erweckung). 5.2.1 Die Sturmstillung (Mk 4,35 - 41parr.) a) Textlinguistische Beobachtungen Basisopposition: Zu Beginn fahren die Jünger mit Jesus auf den See (V. 35 f., Zustand A), am Ende fragen sie sich, wer Jesus eigentlich ist (V. 41, Zustand B). Die beiden Eckpunkte markieren das Thema: Der anfänglich vertraute Jesus wird im Verlauf fremd und löst Furcht aus. Der Spannungsbogen er‐ streckt sich von der beginnenden Seenot (V. 37) über das rettende Eingreifen Jesu (V. 39a, Peripetie) zur plötzlichen Windstille (V. 39b). Als semantische Begriffspaare stehen Windwirbel, Sturm und Meer der großen Windstille gegenüber (V. 37. 39. 41 vs. V. 40). Die Todesangst der Jünger steht in Kontrast zur Seelenruhe Jesu (V. 38). Die Todesangst weicht der Gottesfurcht (V. 38.40 vs. V. 41). - Erzählerische Schwerpunkte sind die Schilderung der Seenot (V. 37), die Dialoge vor (Vorwurf an Jesus, V. 38b) und nach dem Wunder ( Jüngerschelte, V. 40) sowie das Furchtmotiv (V. 38.40 f.). Die Erzählung endet mit der offenen Frage der Jünger nach Jesu Identität. Ihre anfängliche Erkenntnis ( Jesus als Gleichniserzähler, V. 33 f.) wird korrigiert und erwei‐ tert; die neue Christuserkenntnis drängt sich auf, wird aber noch nicht formuliert (erst in Mk 8,29). Die Erzählung ist ein Erkenntnis-Wundertext. 226 5 Exegetische Musterbeispiele <?page no="227"?> 11 Zu den Realien und zum sozialgeschichtlichen Hintergrund vgl. Gradl 2013, 259. b) Aussagerichtung und Leserlenkung Der Text ist intern epideiktisch mit dikanischem Unterton ( Jüngerschelte, V. 40b). Es dominiert die Frage nach Jesu Identität (V. 41). Handlungsauf‐ forderungen sind rein textintern (V. 38b: indirekter Hilferuf; V. 39: Befehl Jesu). Leserbezogen ist der Text epideiktisch (allgemein formulierte Frage, V. 41) mit symbuleutischem Unterton; die pluralisch formulierte Frage Jesu in V. 40b ruft implizit dazu auf, den eigenen Glauben zu reflektieren. - Leserlenkung: Die Jünger fungieren in Sachen Glauben und Vertrauen als Anti-Vorbilder. Ihre offene Frage am Ende ist eine Leerstelle, die von der Leserschaft zu füllen ist. Die geschilderte Notlage lädt zur Reflexion des eigenen Glaubens ein (V. 40). Das kognitive Lernziel besteht in der christolo‐ gischen Erkenntnis: Jesus ist mehr als ein Gleichniserzähler - er ist Herr über die Naturmächte! Das bereitet das affektiv-emotive Lernziel vor: Furcht und Existenzangst verlieren ihren Schrecken! Das praktische Lernziel besteht im Appell, die eigene Glaubensstärke zu reflektieren. - Der Erreichung der Lernziele dient das bedrohliche Alltags-Szenario: Fallwinde über dem See Genezareth waren bekannt und gefürchtet. 11 Seenot und Todesangst sind vertraut und machen die Jünger zu Sympathieträgern, die sich von Jesus im Stich gelassen fühlen (anfängliche Antipathie gegen Jesus). Die Sympathielage dreht sich mit dem wundermächtigen Eingreifen Jesu und der anschließenden Jüngerschelte. Den Vorwurf der Jünger (V. 38) erwidert Jesus mit einem Gegenvorwurf (V. 40). Die Jünger überkommt neue Furcht und sie bleiben ratlos zurück (V. 41). c) Kontextuelle Einbindung und Funktion Die Perikope steht nach der Gleichnisrede Mk 4,1-34. Die semantischen Begriffsfelder um Verkündigung, Herrschaft Gottes und Landwirtschaft werden nicht weitergeführt; formkritisch erfolgt ein abrupter Wechsel von Gleichnisrede zu Wundertext. Verbindende Elemente sind die Akte‐ ure ( Jesus und die Jünger) und das Thema Erkenntnis (‚Parabeltheorie‘ Mk 4,10-13; Frage der christologischen Erkenntnis V. 41). Eine weitere Verbindungslinie bietet Mk 4,17: Der Samen, der auf Felsen fällt, steht für Menschen, welche die Botschaft euphorisch aufnehmen, aber unter Bedrängnis ‚wetterwendisch‘ (gr. proskairós) sind und zu Fall kommen (gr. skandalízesthai). Die Angst der Jünger entlarvt sie als wurzellose Menschen, 227 5.2 Erkenntnis-Wundertexte <?page no="228"?> 12 Eine ausführliche Deutung bietet Drewermann 1988a, 355-358. - Weiter dazu Gradl 2013, 262 f. deren Glauben noch nicht ‚wetterfest‘ ist. Der Text entfaltet demnach Mk 4,17 narrativ. Die Jünger stehen in Gefahr, in Unglauben zurückzufallen bzw. zu Außenstehenden zu werden, die sie eigentlich nicht sind (Mk 4,10-13). Der nachfolgende Exorzismus des besessenen Geraseners (Mk 5,1-20) ist das Gegenstück zur Sturmstillung: Im Gegensatz zu den ungläubigen Jüngern erkennt ein Nichtjude die Identität Jesu und macht sie publik (Mk 5,18-20). Die blutflüssige Frau wird zum Glaubensvorbild der Jünger bzw. der Leserschaft (Mk 5,25-34). Das Unverständnis der Jünger setzt sich fort (Mk 6,51 f.; 8,14-21). Die kontextuelle Funktion des Textes ergibt sich aus der sukzessiven Kontrastierung des Unglaubens der Jünger mit dem vorbildhaften Glauben anderer Menschen; die Perikope zeigt, wie weit die Jünger noch von wahrer Christuserkenntnis entfernt sind. d) Sinnebenen Der Erkenntnis-Wundertext weist folgende Sinnebenen auf: 1. physisch-leibliche Ebene: Der Text kreist um Gefahr für Leib und Leben. Jesus rettet die Jünger, doch die körperliche Not wird transparent für man‐ gelnden Glauben. Gefestigtes Vertrauen auf den bewahrenden Gott vertreibt die Sorge ums physische Überleben; Jesu Schlaf bringt das symbolisch zum Ausdruck. 2. spirituelle Ebene: Die Erfahrung besonderer Gottesnähe flößt den Jüngern Furcht ein und schenkt Jesus, im Gegensatz dazu, große Gelassenheit. Auch die christologische Frage der Jünger fällt in den Bereich spiritueller Erfahrung. 3. (tiefen-)psychische Ebene: Die Sturmstillung steht für die Überwindung der Urängste und für die Stiftung neuen Urvertrauens. Der Sturm weist auf psychisches Chaos hin; die Sturmstillung nimmt die Angst und stabilisiert die Psyche. 12 4. sozialkritische Ebene: Diese Ebene fehlt in Mk 4,35-41. 5. Die kosmisch-mythische Ebene besteht in der Überwindung lebensbedroh‐ licher, mythischer Chaosmächte (Meer, Sturm) durch den Gottessohn. 6. kommunikative Ebene: Ein autoritativer, kurzer Befehl bewirkt das Wun‐ der (V. 39). Jesus ist jederzeit souveräner Herr der Lage; sein Schlafen ist 228 5 Exegetische Musterbeispiele <?page no="229"?> Ausdruck unbedingten Gottvertrauens. Mit der Jüngerschelte spielt er den Vorwurf der Jünger zurück. Jesus hat unhinterfragbare Autorität. 7. diakonisch-missionarische Ebene: Ein missionarischer Aspekt liegt in der offenen Frage nach Jesu Identität. Die Erzählung zeigt, wie wichtig ein ge‐ festigter Glaube ist. Die Jünger sind in ihrer menschlich allzu verständlichen Angst Identifikatoren für Menschen, die um den Glauben ringen. Körperliche, spirituelle, tiefenpsychische und kosmisch-mythische Sinn‐ ebene dominieren den Erkenntnis-Wundertext. Er führt an die Abgründe menschlicher Existenz, verbalisiert Urängste und zeigt, dass ein gefestigter Glaube Gottvertrauen und Gelassenheit selbst im größten Chaos ermöglicht. Die Ruhe Jesu überwindet den tobenden Sturm; seine Souveränität zeigt sich in seiner Ruhe ebenso wie in seinem kurzen, aber wirkungsvollen Befehl. e) Theologische Schwerpunktthemen Die Erzählung bietet ein breites Spektrum theologischer Themen: 1. theo-logischer Aspekt: Der Glaube richtet sich implizit auf Gott, der die Chaosmächte im Griff hat, und auf den fürsorglichen Bewahrer und Herrn der Schöpfung, für den es keine aussichtslosen Situationen gibt. 2. christologischer Aspekt: Jesu eigentliche Identität wird im Wundertext nur angedeutet, aber nicht ausgesprochen. Seine Macht über Sturm und Meer weist ihn als göttlich bevollmächtigten Wundertäter, ja als unmittelbaren Repräsentanten Gottes aus. Das erklärt die Furcht der Jünger am Ende der Erzählung. 3. pneumatologischer Aspekt: Dieser Aspekt fehlt im Wundertext. 4. kosmologischer Aspekt: Der Kosmos wird von lebensbedrohlichen, lebens‐ feindlichen Chaosmächten beherrscht, die (nicht nur) die Menschen bedro‐ hen und ängstigen. Das markiert die Erlösungsbedürftigkeit des Kosmos. 5. anthropologischer Aspekt: Die Menschen scheinen schutzlos den Chaos‐ mächten ausgeliefert, von Urängsten geplagt, zerbrechlich und vergäng‐ lich - ebenso erlösungsbedürftig wie die Welt, in der sie leben. 6. ekklesiologischer Aspekt: Die Glaubenden sitzen ‚in einem Boot‘ und sind mitunter heftigen ‚Stürmen‘ ausgesetzt. Sie dürfen sich Gottes rettender Gegenwart sicher sein und ihm ihre Sorgen vortragen. Die Glaubenden sind aufeinander angewiesen und haben dasselbe Ziel. Im Vertrauen auf Gott 229 5.2 Erkenntnis-Wundertexte <?page no="230"?> 13 Zur ekklesiologischen Sinnebene vgl. auch Gradl 2013, 262. 14 Ex 3,1-6: Mose am Dornbusch; Ex 19,16-25; 20,18-21: das Volk Israel am Berg Sinai. - Zu weiteren traditions- und religionsgeschichtlichen Bezügen vgl. Gradl 2013, 260. bzw. Christus überdauert die christliche Gemeinschaft auch die heftigsten ‚Stürme‘. 13 7. ethischer Aspekt: Der Text ermutigt dazu, sich in die Nachfolge zu begeben, auch wenn Christus nicht wahrnehmbar erscheint. Dieser Weg steht unter der Zusage der Gebetserhörung und führt zu Gelassenheit auch in Notsituationen. 8. soteriologischer Aspekt: Wenn göttliche Wunderkraft auf Glauben trifft, können selbst die größten Wunder gelingen. Die Jüngerschelte weist indi‐ rekt darauf hin, dass Unglaube den Wundertäter behindert (vgl. Mk 6,1-6). 9. eschatologischer Aspekt: Die Überwindung der Chaosmächte gehört zum ‚eschatologischen Vorbehalt‘ des NT (Röm 8,18-23; 2 Petr 3,12 f.; Apk 20-22). Naturwunder markieren den Anfang der heilvollen Neuordnung der Welt. 10. weitere theologische Aspekte: Unglaube verhindert einen gelassenen Um‐ gang mit Gefahren; der Text appelliert, die rettende Kraft des Glaubens zu entdecken. Wer kein Gottvertrauen hat, ist Urängsten schutzlos ausgeliefert. f) Weitere Deutungsaspekte Die Furcht vor einer tödlichen Gottesbegegnung ist ein uraltes biblisches Mo‐ tiv. 14 Die Jünger rutschen gewissermaßen von einer Urangst in die nächste und könnten dabei die paradoxe Erfahrung machen, dass Gottes Präsenz nicht lebensbedrohlich, sondern heilvoll ist. Der Glaube überwindet die Angstgrenze zwischen Mensch und Gott, anders gesagt: Wer glaubt, für den ist Gottes Gegenwart kein Grund zur Furcht, im Gegenteil! Diese Erkenntnis ist der Leserschaft vorbehalten; die Jünger verharren im Wundertext bis zuletzt in ihrer Furcht. Synoptischer Vergleich: Mt 8,18.23-27 zieht die Jüngerschelte vor den Wundervollzug; das Wunder erscheint als Demonstration der göttlichen Vollmacht Jesu und entlarvt den Kleinglauben der Jünger als grundlos. Die Frage nach Jesu Identität wird nicht von den Jüngern gestellt, sondern von Menschen, die sich über das Wunder wundern (V. 27). - Lk 8,22-25 geht weitgehend mit der Mk-Vorlage konform, formuliert aber die Jüngerschelte 230 5 Exegetische Musterbeispiele <?page no="231"?> 15 Zur Auslegungsgeschichte vgl. Gradl 2013, 264 f. 16 Im Gr. findet beide Male das Verb egeírein (aufrichten, medial: aufstehen) Verwendung. um: „Wo ist euer Glaube? “ (V. 25). Die Formulierung setzt voraus, dass die Jünger zuvor schon Glauben hatten. Die Jünger fürchten sich am Ende nicht nur, sondern staunen auch. 15 g) Zusammenfassung Der Erkenntnis-Wundertext zeigt Jesu kosmische Macht und seine göttliche Identität, auch wenn sie unausgesprochen bleibt. Die Sturmstillung signalisiert das Ende der Chaosmächte. Die Erzählung bietet Ankerpunkte für Glauben und Hoffnung gegen menschliche Urängste und für die Sehnsucht nach körperlicher Erlösung. Die Jünger fungieren als Anti-Vorbilder; sie tun sich schwer, einen gefestigten Glauben zu entwickeln. Jesu Gottvertrauen zeigt indes, dass ein gefestigter Glaube tiefe Gelassenheit selbst in Extrem‐ situationen ermöglicht. Hinter Jesu Handeln wird Gott sichtbar, der sogar natürliche Ordnungen außer Kraft setzt, um seine Menschen zu retten. Ihn ‚im Boot‘ zu haben, ist überaus tröstlich; wer glaubt, für den ist Gottes Nähe nicht Angst einflößend - im Gegenteil. 5.2.2 Der Jüngling zu Nain (Lk 7,11 - 17) a) Textlinguistische Beobachtungen Die Basisopposition (Zustand A in V. 11: Jesus zieht in Nain ein; Zustand B in V. 17: Jesu Ruhm verbreitet sich überregional) markiert das Thema: die Erkenntniswirkung der Wunder. Semantische Oppositionen sind: Jesus kommt nach Nain vs. der Tote wird herausgetragen (V. 11 f.) vs. er wird erweckt und steht auf (V. 12.15 f.), Trauer vs. Lobpreis (V. 12 f.16), Furcht vs. Lobpreis (V. 16), Aufstehen des Toten vs. Aufstehen des Propheten (V. 15 f.), 16 Besuch Jesu in Nain vs. Besuch Gottes bei seinem Volk (V. 11 f.16; vgl. Lk 1,68.78). Der Grundtenor der Erzählung lautet: Die Begegnung mit Jesus dreht den Gang des Schicksals um, der Besuch Jesu markiert den Besuch Gottes bei seinem Volk. Zur Gliederung: Teil 1 ist die Exposition (Ankunft in Nain, Schilderung der Not, V. 11 f.), Teil 2 besteht aus Wundervorbereitung und -vollzug (V. 13-15), Teil 3 bietet die Reaktion der Menschen (V. 16 f.). Der Spannungsbogen wird 231 5.2 Erkenntnis-Wundertexte <?page no="232"?> 17 Die Augenzeugen werden nicht zu Glaubens- oder Missionsvorbildern stilisiert; es bleibt bei der unpersönlichen Formulierung ‚das Wort ging hinaus‘ (gr. exélthen ho lógos, V. 17). 18 Zu den Realien und zum sozialgeschichtlichen Hintergrund vgl. Metternich 2013, 575-577, sowie Urban 2005. durch die Begegnung der beiden Menschenzüge eröffnet (V. 11 f.), findet im Wundervollzug seinen Höhepunkt (V. 14 f.), wird durch die Reaktion der Augenzeugen verlängert (V. 16) und klingt mit der Schlussnotiz V. 17 aus. - Erzählerische Schwerpunkte sind die Schilderung der Notlage (sozialer Aspekt, V. 12), die Reaktion Jesu (Erbarmen und Wundervollzug, V. 13-15) und die Reaktion der Augenzeugen (Furcht, Lobpreis, Erkenntnis, V. 16). Die Reaktionen werden durch direkte Rede hervorgehoben (Ansprache Jesu V. 13 f.; Formulierung der Christuserkenntnis V. 16). Der Hauptakzent liegt auf der Schilderung der Wundertat und der Erkenntnis-Reaktion der Augenzeugen, was die Totenerweckung als Erkenntnis-Wundertext ausweist. Die Schlussnotiz setzt noch einen missionarischen Akzent, der aber hinter der Formulierung der christologischen Erkenntnis zurückbleibt. 17 b) Aussagerichtung und Leserlenkung Aussagerichtung: Der Wundertext ist in seinem Leserbezug epideiktisch. Symbuleutische Akzente gibt es lediglich textintern (Aufforderung Jesu an die Witwe V. 13, an den Toten V. 14, beides Imperative im Singular). Im Vordergrund steht die christologische Erkenntnis; sie bildet das kogni‐ tive Hauptlernziel. Als affektive und praktische Lernziele sind impliziert: Trost entwickeln auch in schlimmsten Situationen und einstimmen in den Lobpreis der Augenzeugen. - Die Lernziele erreicht Lukas durch textlinguistisches Arrangement und textpragmatische Leserlenkung. Die Formulierung „der der einzige Sohn seiner Mutter war, und sie war eine Witwe“ (V. 12) betont die soziale Katastrophe, den der Tod des Ernährers und Versorgers bedeutet. 18 Sympathieträger sind die trauernde Witwe und Jesus, der sich ihrer Not erbarmt (V. 13). Sein autoritatives Auftreten und das Wunder begründen die Reaktion: Die Augenzeugen schwanken zwischen (Gottes-)Furcht und Lobpreis und formulieren ihre Christuserkenntnis. c) Kontextuelle Einbindung und Funktion Der Wundertext ist der zweite nach der lk. Feldrede (Lk 6,17-49). Er entfaltet narrativ den Makarismus Lk 6,21b („Selig seid ihr, die ihr jetzt weint; denn ihr 232 5 Exegetische Musterbeispiele <?page no="233"?> 19 Der gr. Ausdruck skandalízesthai ist apkl. terminus technicus (Mt 18,6 f.; Mk 4,17 u. a.). 20 Die Erweckung der Tochter des Jairus folgt in Lk 8,40-42.49-56. werdet lachen“) und Lk 6,36 („Seid barmherzig, wie euer Vater barmherzig ist“). Gegenüber Lk 7,1-10 (Hauptmann von Kapernaum) ist der Wundertext in zweifacher Hinsicht eine Steigerung: Die christologische Erkenntnis wird ausformuliert (V. 16), die Totenerweckung übertrifft die Fernheilung. Beide Texte spielen auf nichtjüdischem Boden, der sich als fruchtbar für die Verkündigung erweist (V. 9.17b). Beide Texte setzen Lk 4,18-21 in die Tat um. Insbesondere die in Jes 61,2 verheißene Verwandlung der Trauer in Freude wird erfüllt. Jesu Antwort auf die nachfolgende Täuferfrage (Lk 7,18-23) verweist erneut auf Jesaja ( Jes 26,19: Totenauferstehung) und unterstreicht die escha‐ tologisch-kritische Funktion des Wirkens Jesu (Mt 11,6par. Lk 7,23). 19 Der Erzählfaden hebt auf den wachsenden Bekanntheitsgrad Jesu ab (Lk 4,14.42; 5,11.15; 6,17); der erreicht in Lk 7,17 einen vorläufigen Endpunkt (‚ganz Judäa und alle umliegenden Länder‘). Die christologische Erkenntnis von V. 16 wird in V. 26 überboten: Schon der Täufer war mehr als ein Prophet! Die Jünger stellen sich die Frage nach Jesu Identität (Lk 8,25), die Dämonen sprechen sie aus (Lk 4,34.41; 8,28), doch erst später formulieren die Jünger das entscheidende Christusbekenntnis (Lk 9,20). Im umrissenen Kontext markiert Lk 7,11-17 eine wichtige Etappe der Christuserkenntnis: Jesus ist großer Prophet und Repräsentant Gottes! Außerdem bezeugt er seine überregional wachsende Popularität. Auch qualitativ stellt der Wundertext einen Höhepunkt dar. Erstmals erweckt Jesus einen Toten auf. 20 d) Sinnebenen Die Erweckung des Sohnes der Witwe zu Nain enthält mehrere Sinnebenen: 1. physisch-leibliche Ebene: Die Erzählung legt mit ihren körperlichen Akzen‐ ten (Erbarmen, Berührung des Sarges, Rückgabe des Sohnes an die Mutter, V. 13-15) großen Wert auf diese Ebene. Sie signalisiert die Überwindung von Vergänglichkeit und unterstreicht den Glauben an Gottes umfassende Schöpfermacht. 2. spirituelle Ebene: Die Begegnung mit Jesus führt zum Ende der Trauer und zur Überwindung des Todes. Am Ende stehen die Furcht einflößende 233 5.2 Erkenntnis-Wundertexte <?page no="234"?> 21 Drewermann 2009a, 479-494. 22 Dazu vgl. Faßbeck 2005, 230-232, sowie Volp / Zangenberg 2005. Erfahrung der Gottesbegegnung sowie eine spirituelle Christuserkenntnis (V. 16). 3. (tiefen-)psychische Ebene: Drewermann 21 deutet den Text als Heilung einer destruktiven Mutter-Sohn-Beziehung. Jesus lasse den Sohn zu neuem Selbstbewusstsein erwachen; er werde erwachsen, so dass er seiner Mutter neu und aufrecht begegnen kann. - Kritik: Die Deutung versucht, den Wahr‐ heitsgehalt des Erzählten für den rationalen Wahrheitsbegriff zu retten. Aber sie ist spekulativ und geht am erzählerischen Schwerpunkt, der vertieften Christuserkenntnis, vorbei. 4. sozial- und kultkritische Ebene: Der Sohn ist der Ernährer und Beschützer der Witwe. Sein Tod stürzt sie in eine soziale Katastrophe, die Jesus in letz‐ ter Minute verhindert. - Unter Durchbrechung kultischer Reinheitsregeln berührt Jesus den Sarg. 22 Dieser Tabubruch ermöglicht neues Leben; damit ist er gerechtfertigt. 5. Die kosmisch-mythische Ebene ist mit der Überwindung des Todes gege‐ ben. 6. kommunikative Ebene: Jesus überwindet den Tod durch eine kurze Be‐ rührung und einen kurzen Befehl. Das zeigt seine autoritative, göttliche Vollmacht. Das Erbarmen beim Anblick der Not, die spontane Hilfe und die Familienzusammenführung nach dem Wundervollzug zeigen die andere Seite Jesu. 7. diakonisch-missionarische Ebene: In der Formulierung, dass Jesus den Sohn seiner Mutter zurückgibt, schwingt ein diakonischer Aspekt mit: Der zu neuem Leben Erweckte kann und soll seiner diakonischen Verpflichtung der Mutter gegenüber nachkommen. - Einen missionarischen Nebenton bringt der letzte Vers ein; er zeigt, wie sich das Evangelium verbreiten kann. Ausschlaggebend für die am Ende stehende Christuserkenntnis ist die Grenzen sprengende Wunderkraft Jesu. Sie und damit die physisch-leibliche sowie die spirituelle und die sozialbzw. kultkritische Sinnebene stehen im Mittelpunkt. e) Theologische Schwerpunktthemen Theologisch prominent sind in Lk 7,11-17 folgende Aspekte: 234 5 Exegetische Musterbeispiele <?page no="235"?> 1. theo-logischer Aspekt: Die Augenzeugen preisen Gott, der sein Volk besucht hat (vgl. Lk 1,68), und bringen damit den Glauben an Gottes rettende Fürsorglichkeit zum Ausdruck. Der Gott Israels ist kein fernes, transzenden‐ tes Wesen, sondern wird in den Wundertaten Jesu real erfahrbar. 2. christologischer Aspekt: Jesus repräsentiert den Gott Israels bei seinem Volk; er ist ein Heil bringender, großer Prophet (V. 16), der sogar den Tod besiegt. 3. pneumatologischer Aspekt: Dieser Aspekt fehlt im Wundertext. 4. kosmologischer Aspekt: Die Welt erscheint zwischen den Zeilen als erlö‐ sungsbedürftiger Ort der Vergänglichkeit und großer sozialer Not. 5. anthropologischer Aspekt: Im Fokus steht die Vergänglichkeit des Men‐ schen, welche die Lebensmöglichkeiten auch von Hinterbliebenen Verstor‐ bener abschneidet. Gott kann das Leben wiederherstellen. 6. ekklesiologischer Aspekt: Die gottesfürchtigen und lobpreisenden Augen‐ zeugen sind in ihrer Christuserkenntnis Identifikatoren christlicher Ge‐ meinschaft. 7. ethischer Aspekt: Es gehört zu den ethischen Grundlinien der Wunderer‐ zählungen, sich im übertragenen Sinne gegenseitig aufzurichten (→ 4.2.7e). 8. soteriologischer Aspekt: Rettung aus Vergänglichkeit und lebensbehindern‐ den Sozialverhältnissen kann nur von Gott kommen. Wo göttliches Erbar‐ men auf unbedingtes Gottvertrauen trifft, werden sogar Totenerweckungen möglich. 9. eschatologischer Aspekt: Die Erweckung Toter ist nach Jes 26,19; 61,1 f. Kennzeichen der eschatologischen Heilszeit. Zwischen dem Wunderwirken Jesu und der noch ausstehenden, generellen Überwindung des Todes (vgl. 1 Kor 15,26) besteht ein organischer Zusammenhang. Jesu Wundertaten sind Anfänge, die die umfassende Totenerweckung am Ende der Zeit verbürgen. 10. weitere theologische Aspekte: Der neu gewonnene Christusglaube ist ein Kernaspekt des Textes. Der Wundertext zeigt, wie Glaube entsteht. Wie er Verbreitung findet, lässt die Formulierung ‚das Wort ging hinaus‘ (V. 17) freilich offen. 235 5.2 Erkenntnis-Wundertexte <?page no="236"?> 23 Zu weiteren traditions- und religionsgeschichtlichen Bezügen sowie zur Auslegungs‐ geschichte vgl. Metternich 2013, 577 f.581 f. - Siehe auch → 1.6.3 (Philostrat, VitApoll 4,45). f) Weitere Deutungsaspekte Ein Prätext ist 1 Kön 17,17-24: Elia erweckt den toten Sohn der Witwe von Sarepta, seiner Wirtin, zu neuem Leben. Die Erweckung geht mit massivem körperlichem Einsatz und einem Stoßgebet einher (V. 21). Das kennzeichnet das Wunder als Gebetserhörung (V. 22). Im Anschluss gibt Elia das Kind seiner Wirtin zurück (V. 23). Die Erzählung mündet in die Erkenntnis der vormals skeptischen Witwe, Elia sei ein Prophet Gottes, der die Wahrheit spricht (V. 24; anders V. 18). - Ein zweiter Prätext ist 2 Kön 4,29-37, die Erweckung des toten Kindes einer Schunemiterin durch Elisa. Nach einer komplexen Vorgeschichte (V. 8-31) erweckt der Prophet das Kind so auf, wie Elia das tote Kind der Witwe erweckte: mit Gebet und Körperkontakt. - Mit den motivischen Übereinstimmungen bis ins Detail stellt Lukas Jesus als ‚großen Propheten‘ (V. 16) in der Tradition Elias und Elisas dar. - Der Text bietet sich auch für eine feministische Deutung an, welche die soziale Situation der Witwe und Jesu Umgang mit ihr in den Mittelpunkt stellt. 23 g) Zusammenfassung Der Erkenntnis-Wundertext bildet den vorläufigen Höhepunkt der Wun‐ dertätigkeit des lk. Jesus. Das Wunder bewirkt nicht nur, dass Menschen zu christologischer Erkenntnis kommen und Jesu Bekanntheitsgrad schlagartig ansteigt, sondern auch, dass eine soziale Katastrophe verhindert wird. Jesus repräsentiert Gott, der sein Volk besucht (V. 16; vgl. Lk 1,68) und sich in Erbarmen den Notleidenden zuwendet. Um das Leben des jungen Mannes wiederherzustellen, bricht Jesus religiös-moralische Normen, soziale Regeln und natürliche Ordnungen. 5.3 Missions-Wundertexte Diese Textgruppe wird durch die Heilung des Bartimäus (Mk 10,46-52parr., Therapie) und das Strafwunder am Magier Barjesus (Apg 13,6-12) repräsen‐ tiert. 236 5 Exegetische Musterbeispiele <?page no="237"?> 24 Auf den konzentrischen Erzählaufbau weist Dormeyer 2013c, 359 f., hin. 5.3.1 Der blinde Bartimäus (Mk 10,46 - 52parr.) a) Textlinguistische Beobachtungen Basisopposition: Zu Beginn sitzt der Blinde am Wegrand (V. 46, Zustand A), am Ende folgt er geheilt Jesus nach (V. 52, Zustand B). 24 Thema ist demnach der Weg des Bartimäus in die Nachfolge. Weitere semantische Oppositionen sind: schreien vs. schweigen (V. 47 f.), anfahren vs. herbeirufen (V. 48 f.), sitzen vs. aufspringen (V. 46.49 f.) sowie hinausgehen vs. stehen bleiben (V. 46.49). Sie zeigen die Dynamik des Geschehens und eine Gliederung an: Teil 1 beinhaltet Exposition und Hilferuf (V. 46 f.); hier ist der Zug Jesu noch in Bewegung. Teil 2 schildert die Reaktionen auf den Hilferuf (V. 48-50). Bartimäus wird abgeblockt, der Zug kommt ins Halten, Bartimäus kommt in Bewegung. Teil 3 enthält den Dialog zwischen Jesus und Bartimäus, den Wundervollzug und die Nachfolgenotiz (V. 51 f.). Der Zug setzt sich mit dem Geheilten zusammen wieder in Bewegung. - Die Peripetie ist mit Jesu Intervention erreicht (V. 49); mit der Festellung des Wunders ebbt die Spannung ab (V. 52a); die Nachfolgenotiz V. 52b bildet einen Cliffhanger. - Erzählerische Schwerpunkte sind Bartimäus’ Weg zu Jesus (zweimaliger Hilferuf, wörtliche Rede, Intervention Jesu und Kontaktaufnahme) und der Dialog zwischen beiden (V. 51-52a). Der eigentliche Wundervollzug fehlt; die Heilung wird lediglich konstatiert (V. 52a). - Vom Ende her erscheint der ‚Hindernislauf ‘ des Bartimäus als Ausdruck seines Glaubens. Dieser ist der eigentlich wunderwirkende Faktor (V. 52a); er führt zur Heilung und schließlich in die Nachfolge. Diese Schwerpunkte kennzeichnen die Erzählung als Missions-Wundertext. b) Aussagerichtung und Leserlenkung Aussagerichtung: Der Text ist leserbezogen epideiktisch, bekommt jedoch vom Ende her eine symbuleutische Grundausrichtung. „Geh hin, dein Glaube hat dir geholfen“ liest sich als implizite Handlungsanweisung: Wenn Glaube rettet, dann empfiehlt es sich, Glauben wie Bartimäus zu entwickeln. Barti‐ mäus fungiert als Glaubensvorbild. Symbuleutisch ist auch die Aufforderung „Ruft ihn her! “ (V. 49a). Die Formulierung im Imperativ Plural ist ebenfalls 237 5.3 Missions-Wundertexte <?page no="238"?> 25 Mk 8,31-33; 9,33-37; 10,28-31.35-45. leserbezogen. - Weitere Imperative (V. 47b) und Fragen (V. 51) sind rein textintern zu verstehen. Der symbuleutischen Grundausrichtung entspricht ein praktisches Hauptlernziel: Nachhaltiges, gläubiges und unbeirrbares Bestehen auf Kon‐ takt zum Wundertäter lohnt sich! Nachfolge ist die Konsequenz der Wun‐ dererfahrung. Vertrauen in das göttliche Erbarmen zu entwickeln, ist das affektiv-emotive Lernziel; kein Widerstand kann den Ruf nach göttlicher Hilfe ersticken! Jesus nimmt sich der Notleidenden an, lautet das informative Lernziel. Die Gemeinschaft wächst, wenn Hilfesuchende Jesus zugeführt werden; diese Erkenntnis ist zugleich praktisches Lernziel. - Leserlenkung: Um die Lernziele zu erreichen, schafft der Autor Sympathie für den Bettler; er ruft mit dem Mut der Verzweiflung um Hilfe. Die Menschen, die ihn abblocken, sind Antipathieträger. Allerdings lassen sie auf Jesu Aufforde‐ rung hin den Bettler durch; das mildert den negativen Eindruck ab (V. 49). Die rhetorische Frage Jesu in V. 51 ist ein retardierendes Element, das die personale Beziehung des Wundertäters zum Bittsteller aufbaut. c) Kontextuelle Einbindung und Funktion Die Perikope bildet das erfolgreiche Ende der mk. Wundertätigkeit Jesu. Da‐ mit schafft Markus ein Gegengewicht zur gescheiterten Nachfolgeerzählung vom reichen Mann (Mk 10,17-27). Bartimäus wird zum Glaubensvorbild für die Jünger, die sich mit der Nachfolge schwertun, sich in Rangstrei‐ tigkeiten und Lohnfragen verzetteln 25 und auch bei anderer Gelegenheit Hilfesuchende abblocken (Kindersegnung, Mk 10,13-16). Der ethische Tenor des Gesamtabschnitts Mk 8,31-10,46 liegt auf der Mahnung, sich zugunsten der Kleinen, Kinder, Armen und Randständigen zurückzunehmen, denn ihnen gehört Gottes basileía. Jesus ist das Urbild der geforderten Haltung (Mk 10,45: Demut und Lebenshingabe). Die Perikope ist der Auftakt zum Einzug in Jerusalem (Mk 11,1-11) und zur Passion Jesu. Die Titulierung ‚Sohn Davids‘ (V. 47 f.) drückt eine politisch-messianische Erwartung aus; diese wird im Folgenden sukzessive korrigiert: Auf den Hosianna-Ruf „Gelobt sei das Reich unseres Vaters David, das da kommt! “ (Mk 11,10) geht Jesus in den Tempel statt in den Palast des Statthalters (V. 11). Das Winzergleichnis Mk 12,1-12 stellt Jesu unpolitische Mission heraus, die Steuerfrage beantwortet Jesus religiös statt politisch 238 5 Exegetische Musterbeispiele <?page no="239"?> 26 Zu den Realien und zum sozialgeschichtlichen Hintergrund vgl. Dormeyer 2013c, 362 f. 27 Drewermann 1988b, 148-163. 28 A. a. O., 152 f. - Vgl. Kollmann 2013a, 88. 29 Drewermann 1988b, 161-163. (Mk 12,13-17) und schließlich wird Jesus nicht als Sohn, sondern als Herr Davids präsentiert (Mk 12,35-37). Bartimäus kommt nach dem Ende des Missions-Wundertextes nicht mehr vor. d) Sinnebenen Sinnebenen der Bartimäus-Erzählung sind: 1. physisch-leibliche Ebene: Die physische Heilung krönt die Glaubensanstrengungen des Blinden. Die Blindheit, die Bartimäus zum Bettler degra‐ dierte, wird geheilt, wodurch Bartimäus sein Leben neu ausrichten kann. 26 2. spirituelle Ebene: Die Begriffe ‚blind‘ und ‚sehend‘ bieten sich für eine spirituelle Deutung an (Mt 15,14 und Joh 9,39-41): Bartimäus erkämpft sich den Weg aus der Orientierungslosigkeit, gewinnt durch die Begegnung mit Jesus vertiefte Erkenntnis und eine neue Lebensperspektive (Nachfolge). Der physische Heilungsvorgang wird dagegen nur en passant erwähnt. 3. (tiefen-)psychische Ebene: Drewermann 27 diagnostiziert eine psychogene Sehstörung als Reaktion auf die Erfahrung permanenter Zurückweisung. 28 Das eigentliche Wunder bestehe darin, Bartimäus zu sich selbst zurückzu‐ führen. Dieser, so Drewermann, geht hinfort den Weg als Jünger, nicht mehr als abhängiger Sklave. Aus dem ehemals Unansehnlichen, Entehrten, sei wieder Bartimäus (‚Sohn des Geehrten‘) geworden. 29 - Kritik: Der biblische Text reflektiert nicht das Innenleben des Bartimäus, die Psychoanalyse ist daher spekulativ. Die Bewertung der Blindheit als psychogene Störung wertet zudem den körperlichen Aspekt ab. 4. sozialkritische Ebene: Um zu helfen, reißt Jesus gesellschaftliche Grenzen ein. Der ehemalige Bettler wird in die Jesusgruppe integriert; die bisherige Gefolgschaft ruft Bartimäus auf Betreiben Jesu herein. Das macht Hoffnung auf das Ende sozialer Ungerechtigkeit und Ausgrenzung. 5. Die kosmisch-mythische Ebene entfällt bei dieser Erzählung. 6. kommunikative Ebene: Bartimäus kommt durch sein Schreien in Kontakt mit Jesus, sein Insistieren bewirkt das Wunder. Jesu rhetorische Frage kon‐ stituiert die wunderwirkende, personale Beziehung. Das direktive Auftreten gegenüber der eigenen Gefolgschaft und deren Gehorsam (V. 49) zeigen Jesu 239 5.3 Missions-Wundertexte <?page no="240"?> unhinterfragbare Führungsposition. „Geh hin, dein Glaube hat dir geholfen“ (V. 52a) ist ein performatives Machtwort, das durch Jesu Vollmacht sofortige Wirkung entfaltet. 7. diakonisch-missionarische Ebene: Instruktiv für die Missionsarbeit ist die Aufforderung Jesu: „Ruft ihn her! “ (V. 49). Erfolgreiche Mission ist nicht ohne physisch-leibliche Zuwendung denkbar, sondern setzt sie voraus. Physisch-leibliche und spirituelle Sinnebene gehen in Mk 10,46-52 ineinan‐ der über. Das Wunder betrifft beide Ebenen; beide sind wichtig, damit es zur Nachfolge kommen kann. Nebenbei ist die Bartimäus-Erzählung auch eine Geschichte über gelungene soziale Integration und eine Lehrstunde über gelingende Nachfolge. Der christlichen Gemeinschaft kommt eine vermittelnde Rolle zu: Sie soll die Notleidenden nicht abblocken, sondern zu Jesus hinführen. e) Theologische Schwerpunktthemen Wichtige Aspekte der theologischen Sinnebene sind folgende: 1. theo-logischer Aspekt: Dieser Aspekt spielt keine ausdrückliche Rolle. 2. christologischer Aspekt: Jesus legitimiert sich durch die Heilung als messia‐ nischer Sohn Davids und lässt durch sein performatives Machtwort erahnen, dass er noch mehr ist als das: Er ist der vollmächtige Sohn Gottes. 3. pneumatologischer Aspekt: Dieser Aspekt fehlt im Wundertext. 4. kosmologischer Aspekt: Die Erzählwelt ist eine Welt sozialer Gegensätze und Ungerechtigkeiten, eine unerlöste Welt voller Krankheiten und Be‐ hinderungen. In der Erzählung werden diese lebensfeindlichen Faktoren aufgehoben. 5. anthropologischer Aspekt: Die Menschen sind, wie der gesamte Kosmos, erlösungsbedürftig. Die einen leiden unter massiven Beeinträchtigungen, die anderen weigern sich, ihre privilegierte Position mit den anderen zu teilen. Privilegierte und Notleidende werden in der Erzählung zueinander geführt. 6. ekklesiologischer Aspekt: Die Erzählung ist ein Lehrstück, wie Gemeinde wachsen kann: durch vorbehaltlose und barmherzige Aufnahme neuer Menschen, auch von solchen, die durch ihr lautes Schreien die Harmonie 240 5 Exegetische Musterbeispiele <?page no="241"?> 30 Hierdurch ergibt sich eine Parallele mit dem nachfolgenden Einzug in Jerusalem (Lk 19,28-40). stören. Eine Gemeinde muss hin und wieder Stopps einlegen, um neue Menschen mitnehmen zu können. 7. ethischer Aspekt: Die ethische Handlungsanweisung von V. 49 lautet: „Ruft ihn her! “ Wird dies befolgt, erfüllt die christliche Gemeinschaft den Willen Jesu. Für die Hilfesuchenden lautet der Appell: Entwickelt Vertrauen, macht euch bemerkbar, insistiert auf Aufnahme, so wird euch geholfen! 8. soteriologischer Aspekt: Die Initiative geht hier vom Hilfesuchenden aus. Die Heilung verdankt sich seinem Insistieren auf Kontakt mit Jesus. Jesus erhört das Bittgesuch und heilt Bartimäus durch ein performatives Wort. 9. eschatologischer Aspekt: Mit den Blindenheilungen Jesu erfüllen sich atl.-messianische Verheißungen ( Jes 61,1 f.; vgl. Mt 11,5 f.; Lk 4,18-21). Die punktuellen Therapien Jesu sind der Anfang umfassender Erlösung. 10. weitere theologische Aspekte: Prominent ist der Glaube als wunderwir‐ kende Kraft. Glaube ist aktives Tun, nachhaltiger Kampf um Gehör, mutiges Überwinden sozialer oder anderer Hindernisse sowie volles Vertrauen in Gottes Schöpfermacht. Nachfolge ist laut V. 52 die natürliche Konsequenz aus der Wundererfahrung. Anstelle der basileía Gottes klingt die Erwartung eines endzeitlichen, messianischen Königs aus dem Hause David an (vgl. Jes 9,5 f.; 11,1-10). Sie wird im weiteren Verlauf des MkEv korrigiert. f) Weitere Deutungsaspekte Synoptischer Vergleich: Laut Mt 20,29-34 heilt Jesus zwei anonyme Blinde. Die Szene ist auf den Dialog mit Jesus zugespitzt; die Bitte der Blinden, ihre Augen mögen geöffnet werden (V. 33), lässt sich auch im Sinne neuer Erkenntnis verstehen. Die Heilung durch Berührung und die Nuance, dass die Blinden wieder sehen konnten (gr. anéblepsan, V. 34; vgl. Lk 18,41), sprechen jedoch für die physische Heilung zweier Menschen, die nicht von Geburt an blind waren. - Lk 18,35-43 verlegt die Erzählung vor den Einzug nach Jericho. 30 Wie bei Mk genügt ein performatives Wort, um das Wunder zu bewerkstelligen (V. 42: „Werde wieder sehend“, gr. anáblepson). Zur Nachfolgenotiz kommt der Lobpreis des Geheilten und der Augenzeugen (V. 43). - Der in Mk 10 fehlende Wundervollzug findet sich im Parallelwun‐ 241 5.3 Missions-Wundertexte <?page no="242"?> 31 Zu traditions- und religionsgeschichtlichen Bezügen sowie zur Auslegungsgeschichte vgl. Dormeyer 2013c, 363-369. 32 Zu den Realien und zum sozialgeschichtlichen Hintergrund vgl. Förster 2017, 219-221. der Mk 8,22-26: Jesus therapiert den Blinden von Betsaida nach den Regeln ärztlicher Kunst (V. 23-25). Das Glaubensmotiv fehlt, am Ende ergeht ein implizites Schweigegebot (V. 26). - Die Heilung des Blindgeborenen ( Joh 9,1-7) ist synoptisch nicht vergleichbar. Im Mittelpunkt steht hier die Frage des Umgangs mit Sünde. ‚Blindheit‘ wird mit mangelnder Sündenerkenntnis und verweigerter Vergebung verknüpft (V. 39-41). 31 g) Zusammenfassung Der Missions-Wundertext schlägt den Bogen vom aktiven Glauben des Bartimäus über die Wunderheilung hin zur Nachfolge. Der Blinde hat nichts zu verlieren, setzt alles auf eine Karte, findet bei Jesus Gehör und Heilung und richtet sein Leben neu aus. Mit dieser Episode endet das Wirken Jesu außerhalb Jerusalems, so die Konzeption des MkEv. Ein Außenseiter wird zum Vorbild des Glaubens; den ersten Jüngern wird ein neuer Jünger präsentiert, der das Wesentliche erkennt und spontan nachfolgt. Diese Selbstverständlichkeit ist den ersten Jüngern auf ihrem langen Weg mit Jesus abhandengekommen, wie die vorgeschalteten Perikopen zeigen. Mit den Stichwörtern Davidssohn und Nachfolge schlägt die Bartimäus-Erzählung die Brücke zu den nachfolgenden Ereignissen in Jerusalem. 5.3.2 Strafwunder an Barjesus (Apg 13,6 - 12) a) Textlinguistische Beobachtungen Die Erzählung spielt im zyprischen Paphos. 32 Der jüdische Magier (Elymas) und Falschprophet Barjesus versucht, den Statthalter Sergius Paulus vom Glauben abzuhalten. Paulus schlägt Barjesus mit Blindheit, was den Statt‐ halter zum Glauben bringt. Der Versuch des Magiers bewirkt also parado‐ xerweise das Gegenteil. Das Strafwunder überzeugt den Statthalter von der Wahrheit der für ihn verwunderlichen, überwältigenden apostolischen Lehre (gr. didaché, V. 12). Gliederung: Teil 1 (V. 6 f.) führt in die Situation (der Statthalter möchte Gottes Wort hören, V. 7b) ein und nennt die Protagonisten (Paulus, Barnabas, 242 5 Exegetische Musterbeispiele <?page no="243"?> Johannes, Barjesus und der Statthalter, ein ‚verständiger Mann‘, gr. anér synetés, V. 7a). Teil 2 (V. 8-11) behandelt den Konflikt zwischen Barjesus und Paulus und das Strafwunder (Barjesus wird blind). Teil 3 enthält die Notiz vom Glauben des Statthalters und von der Wirkung der Apostellehre auf ihn (V. 12, gr. ekplessómenos). Der Spannungsbogen hebt sich ab der Nennung des ‚Zauberers und Falschpropheten‘ V. 6, steigert sich mit dem Widerstand Barjesu gegen die Apostel (V. 8), findet in der Ansprache des Paulus und dem Strafwunder seinen Höhepunkt (V. 9-11) und flacht mit der Notiz über den Glauben des Statthalters wieder ab (V. 12). Erzählerische Schwerpunkte sind der Konflikt zwischen Paulus und Barje‐ sus (V. 10 f.) sowie der Glaube des Statthalters (V. 12, Achtergewicht). Die Erzählung ist daher als Missions-Wundertext einzustufen. b) Aussagerichtung und Leserlenkung Aussagerichtung: Leserbezogen ist der Wundertext durchgehend epideik‐ tisch ausgerichtet. Dikanische Zwischentöne bietet die Strafpredigt des Paulus (begründete Unheilsansage, V. 10 f.). Symbuleutische Aspekte fehlen, auch auf textinterner Ebene. Dem entspricht ein kognitives Hauptlernziel: Niemand, auch kein magisch versierter Falschprophet, kann die Weltmission aufhalten! Und: Paulus hat göttliche Wunderkraft; sie bestätigt die Wahrheit seiner Botschaft eindrucksvoll. Ein affektiv-emotives Lernziel transportiert die Rede des Paulus: Wer so agiert wie Barjesus, gehört auf die Seite des Bösen und muss die Konsequenzen tragen; das wirkt abschreckend. Die praktische Konsequenz besteht in Abgrenzung von solchen Menschen und ihren Handlungsmustern. - Lukas erreicht seine Lernziele durch ge‐ schickte Leserlenkung: Das Label ‚Magier‘ bzw. ‚Falschprophet‘ sorgt für eine Antifixierung gegen Barjesus, die sich durch die Strafpredigt noch steigert. Sergius Paulus ist mit seinem Interesse an der Botschaft der Apostel Sympathieträger. Paulus ist der souveräne, wirkmächtige, ‚richtige‘ Prophet; er weiß über Barjesu Vorleben Bescheid (V. 10b) und verfügt auch über Wunderkraft, die den Magier ausschaltet. Paradox ist, dass ein magisches Strafwunder an einem Magier vollzogen wird (→ 1.6.7; 1.7.3). Der Magier, auf dessen Hilfe der Statthalter gesetzt hatte, ist plötzlich selbst auf Hilfe angewiesen (V. 11b). 243 5.3 Missions-Wundertexte <?page no="244"?> 33 Mit Förster 2017, 224 f., unter Verweis auf Apg 26,28 (Missionserfolg bei Herodes Agrippa) und auf die antike Debatte um das Christentum als neuen Aberglauben (lat. nova superstitio). 34 Drewermann 2011, 592. 35 A. a. O., 594 f. c) Kontextuelle Einbindung und Funktion Der Missions-Wundertext eröffnet den Bericht über die erste Missionsreise des Paulus (Apg 13,1-14,28). Der Weg führt von jüdischen Synagogen (z. B. Apg 13,5.14; 14,1) zu Nichtjuden (programmatisch Apg 13,46 f.). Ab Apg 13,13 setzt sich der Weg von Paulus und Barnabas fort. Die Missionsreise ist von polarisierenden Missionspredigten und Wundertaten geprägt (Apg 14,8-13: Heilung des Gelähmten in Lystra; 14,3: ‚Zeichen und Wunder‘). In diesem Kontext demonstriert Apg 13,6-12 erste Wirkungen des Geistes, der den Weg der Mission ebnet, lenkt und leitet (z. B. Apg 8,39 f.; 13,2.4.9; 16,16-20). Mit dem Paukenschlag auf Paphos klären sich die Machtverhält‐ nisse: Falschpropheten und Magier haben gegen das Charisma des Apostels keine Chance; die Verkündigung setzt sich gegen alle Widerstände durch, Paulus wird an prominenter Stelle von Magie abgegrenzt. 33 d) Sinnebenen Mehrere Sinnebenen sind in der Barjesus-Erzählung auszumachen: 1. physisch-leibliche Ebene: Barjesus wird mit Blindheit geschlagen (V. 11b). Die Strafe ist Folge physischen und geistlichen Widerstands (V. 8). Mit Blindheit geschlagen, ist Barjesus als Magier und Falschprophet entlarvt und ausgeschaltet. 2. spirituelle Ebene: Blindheit kann zusätzlich für fehlende geistliche Er‐ kenntnis stehen: Barjesus leistet Widerstand, weil er die Wahrheit der Apostellehre im Ansatz erkennt. Mit der Erblindung verliert er seine Er‐ kenntnisfähigkeit; das lässt sich als ‚Verstockung‘ wegen des Widerstands gegen die Wahrheit deuten (V. 10b). 3. (tiefen-)psychische Ebene: Sehen und Blindsein sind laut Drewermann the‐ ologische Chiffren. 34 Barjesus zeige sich blind gegenüber der notwendigen Kehrtwende in den politischen Strukturen Zyperns und fürchtet um seine Position als Hofmagier. Seine Blendung (‚Seelenumdüsterung‘) bereite die richtige Erkenntnis vor (vgl. Paulus, Apg 9,1-9), während der Statthalter direkt zur Erkenntnis der erschütternden Botschaft Jesu kommt. 35 244 5 Exegetische Musterbeispiele <?page no="245"?> 36 Zur Diskussion um die Deutung des Wortes als Fluch vgl. Förster 2017, 218.223. Förster sieht in dem Vorgang den Ausdruck einer besonderen, performativen Sehkraft des Apostels (vgl. V. 9! ). Sie und die Erkenntnis des Statthalters stehen im Kontrast zur Blindheit Barjesu. 4. sozial- und kultkritische Ebene: Vergleichbar dem Gottesurteil auf dem Karmel (1 Kön 18) und dem Strafwunder an Hananja ( Jer 28), vollzieht Paulus eine eindrucksvolle, geistgewirkte Klärung der Wahrheitsfrage. - Sozialhis‐ torisch hat die Bekehrung des Statthalters Signalfunktion für alle Zyprer. Apg 13,6-12 demonstriert den Erfolg der Mission in der ‚verständigen‘ politischen Elite (V. 7a). Das wiederum zeigt, dass das Charisma der Apostel dem intellektuellen Anspruch gebildeter Menschen jener Zeit genügt (V. 12). 5. Die kosmisch-mythische Ebene kommt durch die Erwähnung des Teufels und kosmischer Mächte (Sonne, Dunkelheit und Finsternis, V. 10 f.) zum Tragen. Letztere helfen der Mission: Auf Barjesus fallen Dunkelheit und Finsternis (V. 11). 6. kommunikative Ebene: Das Charisma befähigt Paulus zu seiner über‐ deutlichen Strafpredigt. Seine Wortwahl duldet keinen Widerspruch. Pro‐ phetisch begabt, erkennt Paulus die Geisteshaltung seines Gegenspielers und spricht sie aus (V. 10). Das Strafwunder wird direktiv angekündigt (Fluchformel V. 11a) 36 und unter Hinweis auf ‚Gottes Hand‘ vollzogen. - Paulus wird damit als souveräner, vom Heiligen Geist befähigter Herr der Lage geschildert. 7. diakonisch-missionarische Ebene: Die Erzählung zeigt, wie sich die Ver‐ kündigung gegen Widerstände durchsetzt. Der Missionserfolg ist ein Werk des Geistes (V. 2.4.9) und das Ergebnis klarer Worte und konsequenter Abgrenzungen. Lukas unterstreicht die physische Ebene durch die sozialen Folgen des Strafwunders: Der blinde Barjesus ist von der Hilfe anderer abhängig. Spirituell bedeutet die Strafe den Entzug der Erkenntnisfähigkeit als Folge ihres Missbrauchs. Kosmische Mächte und die ‚Hand Gottes‘ wirken beim Wunder mit (V. 11a). Die Bekehrung des Statthalters ist sozialkritisch be‐ deutsam. Der Missionserfolg ist das Werk des Heiligen Geistes und seines charismatischen Wundertäters Paulus. e) Theologische Schwerpunktthemen Die theologische Sinnebene fächert sich in folgende Einzelaspekte auf: 245 5.3 Missions-Wundertexte <?page no="246"?> 1. theo-logischer Aspekt: Gottes Hand wirkt letztlich das Wunder (V. 11a; vgl. 1 Sam 7,13). Gott räumt damit den Widerstand gegen die Verkündigung des von ihm initiierten Heilsgeschehens aus dem Weg. 2. christologischer Aspekt: Die ‚Lehre des Herrn‘ ist Inhalt des Wortes Gottes (V. 12b). An ihr entzündet sich der Konflikt; die Botschaft des Apostels hat ähnlich polarisierende Wirkung wie die Botschaft und das (Wunder-)Wir‐ ken Jesu. 3. pneumatologischer Aspekt: Der Heilige Geist ist laut Apg der Mentor der Weltmission. Er befähigt Paulus zur Prophetie und zur vollmächtigen, wirkungsvollen Strafpredigt. Diese ist ein Paradebeispiel für ‚Geistesgegen‐ wart‘. 4. kosmologischer Aspekt: Der Kosmos ist das Wirkungsgebiet der apostoli‐ schen Verkündigung und der Raum, in dem sich der Konflikt um Gottes Wort abspielt. Kosmische Mächte werden für die Bestrafung Barjesu eingespannt. 5. anthropologischer Aspekt: Barjesus steht für die Menschen, die aus Angst vor Machtverlust zu List, Bosheit, Unrecht und Intrige greifen. Der Statt‐ halter steht für diejenigen, die für das Evangelium offen sind. Die Anrede ‚Sohn des Teufels‘ indiziert ein dualistisch-apkl. Menschenbild (z. B. Joh 8,44; 1 Thess 5,4 f.). 6. ekklesiologischer Aspekt: Christliche Gemeinschaft wächst durch das Wirken des Heiligen Geistes. Ihre Botschaft findet dank überzeugender Verkündigungsarbeit Akzeptanz auch in gebildeten Schichten. 7. ethischer Aspekt: Gefordert ist die konsequente Abgrenzung von falscher Lehre und magischen Praktiken; das ist der ethische Aspekt der Erzählung. 8. soteriologischer Aspekt: Der Heilige Geist steuert die Weltmission. Damit sie zum Erfolg kommt, bedarf es des energischen Engagements der Verkün‐ diger. 9. eschatologischer Aspekt: Da Weltmission ein eschatologisches Unterneh‐ men ist (so Apg 2,17-21), gehört die Durchsetzung des Evangeliums gegen Falschpropheten und Magier zur allgemeinen Durchsetzung der basileía Gottes. 10. weitere theologische Aspekte: Der Glaube des Statthalters ist Ergebnis des autoritativ-charismatischen Wirkens des Paulus. Offenheit, Neugier und In‐ 246 5 Exegetische Musterbeispiele <?page no="247"?> 37 Gr. thlípsis megále, Dan 12,1; Mk 13,19; Apk 2,10. - Vgl. dazu Erlemann 1995, 131-143. 38 Weitere traditions- und religionsgeschichtliche Bezüge liefert Förster 2017, 221-223. 39 Aspekte der Auslegungsgeschichte bespricht Förster 2017, 223-226. teresse am Evangelium ermöglichen den Missionserfolg. Die Glaubensnotiz in V. 12 markiert die Intensivierung eines Prozesses, der beim Statthalter schon vorher begann. f) Weitere Deutungsaspekte Das Strafwunder steht in der Tradition der atl. Gottesurteile auf dem Karmel (1 Kön 18), gegenüber dem Falschpropheten Hananja ( Jer 28) und dem falschen Priester Schemaja ( Jer 29,24-32). Die Klärung der göttlichen Macht- und Wahrheitsfrage erfolgt mithilfe wunderhafter Zeichen. - Simon Magus kommt im Konflikt mit Petrus mit einem blauen Auge davon (Apg 8,4-25). - Falschpropheten, Pseudochristusse und Irrlehrer gehören zum Inventar der apkl. ‚großen Bedrängnis‘. 37 Die Abwehr solcher Personen und Gruppen ist eine Hauptaufgabe frühchristlicher Gemeinschaften. Ziel all dieser Texte ist die Abgrenzung von konkurrierenden, die Gemeinschaft bedrohenden Gruppen und Personen. 38 g) Zusammenfassung Das Strafwunder am Magier Barjesus ist ein Missions-Wundertext, der auf den Glauben des zyprischen Statthalters Sergius Paulus hinausläuft. Die Erzählung zeigt, wie der Apostel mithilfe des Geistes und in göttlicher Vollmacht Widerstände gegen die Verkündigung überwindet und gebildete, ‚verständige‘ Menschen wie den zyprischen Statthalter für den Glauben gewinnt. Dank seines Charismas hält Paulus eine prophetisch-autoritative Strafpredigt und wirkt ein Wunder, das den Magier unschädlich macht. Zu Beginn der ersten Missionsrede signalisiert der Wundertext, dass sich der Gang der Weltmission nicht aufhalten lässt, auch nicht durch die Ränkespiele eines einflussreichen Hofmagiers. 39 247 5.3 Missions-Wundertexte <?page no="248"?> 40 Ausführlich zur Deutung des Weisheitsgleichnisses vgl. Erlemann 2017, 100. 41 Vgl. dazu auch Guijarro 2002. 5.4 Konflikt-Wundertexte Die Musterexegesen zu dieser Textgruppe behandeln die Heilung des Blin‐ den und Stummen (Mt 12,22-30parr., Exorzismus) und die Heilung des Wassersüchtigen am Sabbat (Lk 14,1-6, Normenwunder). 5.4.1 Beelzebulfrage (Mt 12,22 - 30parr.) a) Textlinguistische Beobachtungen Gliederung: Teil 1 beinhaltet den Exorzismus an einem stummen und blin‐ den Menschen samt ambivalenter Reaktion (V. 22-24). Teil 2 besteht in einer Apologie Jesu (V. 25-29). Am Ende steht die Abgrenzung gegenüber Menschen, die Jesus nicht unterstützen (Teil 3, V. 30). - Erzählerischer Schwerpunkt: Die Betonung liegt auf Teil 2. Der Exorzismus wird knapp skizziert, ohne Dialoge und Wundervollzug; das Wunder wird lediglich festgestellt (V. 22b). Die polarisierende Wirkung des Wunders ist detailliert geschildert: Die Augenzeugen vermuten in Jesus den Sohn Davids (V. 23), die Pharisäer verleumden ihn als Handlanger Beelzebuls (V. 24). Das provoziert die nachfolgende Apologie Jesu (V. 25-29). Diese führt die Verleumdung mithilfe eines Weisheitsgleichnisses ad absurdum: 40 Erstens, das Weisheitsgleichnis V. 25 macht plausibel, dass Jesus nicht in satanischer Vollmacht handeln kann (V. 26). Zweitens: Der Angriff der Pharisäer ist ein Eigentor, da ihre Söhne ebenfalls exorzieren (V. 27). Drittens: Jesus stellt heraus, dass er in der Kraft des Geistes Dämonen austreibt und damit Gottes Reich herbeiführt (conclusio, V. 28). Viertens: Ein zweites Weisheitsgleichnis macht plausibel, dass Satan bereits gebändigt ist (V. 29); das lässt sich als Anspielung auf die missglückte Versuchung Jesu deuten (Mt 4,1-11). - Das Abschluss-Logion V. 30 lenkt den Text auf die geforderte Abgrenzung von denen, die gegen Jesus arbeiten. - Die Konfliktsituation dreht sich um die Frage der umstrittenen Vollmacht Jesu; das kennzeichnet die Perikope als Konflikt-Wundertext. 41 248 5 Exegetische Musterbeispiele <?page no="249"?> b) Aussagerichtung und Leserlenkung Aussagerichtung: Der Wundertext ist überwiegend dikanisch; er macht die göttliche Vollmacht Jesu plausibel und stellt den Gegensatz zwischen Jesusjüngern und Jesusgegnern heraus. Dikanisch ist auch die Anklage der Pharisäer (V. 24). Lediglich der Exorzismus selbst und die Reaktion der Augenzeugen sind epideiktisch (V. 22 f.). - Auf der leserbezogenen Ebene bekommt die Apologie Jesu einen symbuleutischen Unterton: Sie forciert eine Entscheidung für oder gegen Jesus. Leserlenkung: Dem dikanischen Grundton des Wundertextes entspricht ein affektiv-emotives bzw. praktisches Hauptlernziel: Die Hörerinnen und Leser werden angehalten, sich zu positionieren (vgl. V. 30! ). Das manipula‐ tive Vorgehen der Pharisäer gegen die Wunderzeugen bringt ihnen Antipa‐ thie ein. Jesus als dem Angegriffenen gelten die Sympathien. Seine Art, mit plausiblen Bildern und rhetorischen Fragen die Argumente der Gegner zu zerschlagen, heischt Anerkennung und Zustimmung. Die Antipathie gegen sie wird durch die Suggestivfrage in V. 27 verstärkt („durch wen treiben eure Söhne sie aus? “). Sie impliziert den Vorwurf der Heuchelei. Das apodiktisch formulierte Abschlusslogion V. 30 ist eine indirekte Handlungsanweisung, sich von den Pharisäern abzugrenzen. c) Kontextuelle Einbindung und Funktion Der Konflikt-Wundertext ist Teil eines längeren Disputs um Sabbat- und andere Toragebote und um Jesu Vollmacht. Ausgangspunkte sind die Ansage kommender Verfolgungen (Mt 10,16-26), der Aufruf zum öffentlichen Be‐ kenntnis (Mt 10,26-33) und die polarisierende Wirkung Jesu (Mt 10,34-39). Vor der Wunderwird die Auslegungsvollmacht diskutiert (Mt 12,1-8.9-14: Sabbatfrage). Es folgt die Zeichenforderung der Pharisäer (Mt 12,38-45). Roter Faden ist das Thema soziale Spaltung; es setzt sich im Schwertwort Mt 10,34-39, in der Täuferfrage Mt 11,1-6 und im Text ‚Jesu Verwandte‘ Mt 12,46-50 fort. Der Aufruf, sich von Pharisäern abzugrenzen, wird in Mt 16,5-12 (‚Sauerteig der Pharisäer‘) wiederholt. Inmitten dieser Konflikttexte kommt Mt 12,22-30 die grundsätzliche Klärung der göttlichen (Wunder-)Vollmacht Jesu und die Feststellung zweier klar zu unterscheidender Lager zu. Die Kompromisslosigkeit der Argumen‐ tation zeigt, dass es in der Begegnung mit Jesus ums Ganze geht, um die 249 5.4 Konflikt-Wundertexte <?page no="250"?> 42 Weitere Differenzmerkmale bietet die Perikope vom Gottesknecht (Mt 12,15-21: Geist‐ begabung, Gerechtigkeit, Barmherzigkeit, Sanftmut), vom Baum und den Früchten (Mt 12,33-37: Kongruenz von Reden und Handeln) und von Jesu wahren Verwandten (Mt 12,46-50: Willen Gottes tun). 43 Drewermann 1988b, 152 f. (zu Mk 10,46-52). 44 Ausführlich zu den politischen Implikationen der Exorzismen Guijarro 2002. religiöse Deutungshoheit und letztlich um die Frage der Vollmacht, das Volk zu führen. 42 d) Sinnebenen Erkennbare Sinnebenen des Konflikt-Wundertextes sind: 1. physisch-leibliche Ebene: Die physische Heilung des Besessenen provoziert eine Glaubenserkenntnis der Augenzeugen und den energischen Wider‐ stand der Pharisäer, die sich in ihrer religiösen Meinungshoheit bedroht sehen. 2. spirituelle Ebene: Die Heilung eines Blinden und Stummen verweist spiri‐ tuell auf das Thema Erkenntnis und Verständigung bzw. Wahrnehmung. Die Augenzeugen kommen über das Wunder ansatzweise zur Erkenntnis: Jesus ist Sohn Davids! Die Pharisäer verweigern sich innerlich dieser Erkenntnis. 3. (tiefen-)psychische Ebene: ‚Besessenheit‘ lässt auf psychosomatische Stö‐ rungen schließen, die Jesus durch psychotherapeutische Maßnahmen be‐ hebt. Blindheit und Stummheit sprechen für eine Person, die daran leidet, von anderen nicht wahrgenommen zu werden. 43 Das Wunder löst den psychischen Konflikt auf. 4. sozial- und kultkritische Ebene: Die Pharisäer sehen ihre Machtposition durch Jesu Anspruch bedroht 44 und verleumden ihn daher öffentlich (V. 23). Die Exorzismen unterlaufen die gängigen sozialen und religiös-moralischen Standards und bringen Jesus in Konkurrenz zu den Pharisäersöhnen (V. 27). 5. Die kosmisch-mythische Ebene ist durch die Erwähnung von Satans basileía aktiviert. Jesus drängt Satan, Beelzebul und die Dämonen durch seine Exorzismen zurück und dehnt die basileía Gottes im Gegenzug aus. 6. kommunikative Ebene: Jesus rechtfertigt sein Handeln überzeugend, lässt keinen Widerspruch zu und fordert eine klare Positionierung. Mit seiner Argumentation schlägt Jesus die Gegner mit ihren eigenen Waffen und stellt damit ihre Aufrichtigkeit und ihre Legitimität, das Volk zu führen, infrage. 7. diakonisch-missionarische Ebene: Der Text fordert dazu auf, mit Jesus zu ‚sammeln‘, sprich: zu verkündigen und zu exorzieren (V. 30; vgl. Mt 250 5 Exegetische Musterbeispiele <?page no="251"?> 45 Das bedeutet aber nicht, aktiv den Kampf gegen das Böse aufzunehmen; dieser Kampf übersteigt menschliche Möglichkeiten (vgl. Mt 13,24-30, Gleichnis vom Unkraut unter dem Weizen). 10,1.5-8a). Mission bedeutet nicht nur Verbreitung des Evangeliums und Werbung um die Herzen der Menschen, sondern nötigenfalls auch konse‐ quente Abgrenzung. Die physisch-leibliche Heilung des Besessenen ist der Ausgangspunkt der folgenden Auseinandersetzung. Die spirituelle, die kosmisch-mythische und die sozialbzw. kultkritische Sinnebene dominieren den Text. e) Theologische Schwerpunktthemen Mehrere theologische Themen sind in Mt 12,22-30 angesprochen: 1. theo-logischer Aspekt: Die basileía Gottes (V. 28) steht in Opposition zum Reich Satans, das gegen die geistgewirkte Wunderkraft Jesu keine Chance hat. 2. christologischer Aspekt: Jesus bringt als vollmächtiger Exorzist Gottes basileía voran. Sein Charisma polarisiert und provoziert eine klare Positio‐ nierung. 3. pneumatologischer Aspekt: Der Heilige Geist ist direkter Gegenspieler Satans und der Dämonen und klärt durch Jesu Wunder die kosmische Machtfrage. 4. kosmologischer Aspekt: In der Welt herrscht ein kosmischer Dualismus zwischen Gottes basileía und dem Reich Satans. Der Kosmos ist erlösungs‐ bedürftig; die Exorzismen sind Zeichen des kosmischen Machtkampfes. 5. anthropologischer Aspekt: Der Mensch ist Austragungsort des kosmischen Machtkampfes. Dämonen versuchen, Menschen zu ‚besetzen‘, um damit den Einflussbereich des Bösen zu vergrößern. Die Exorzismen befreien die Menschen aus dieser Sphäre. - Die Pharisäer stehen für Menschen, die zur Sicherung ihrer Macht zu den Mitteln der Verleumdung, Manipulation und Heuchelei greifen. 6. ekklesiologischer Aspekt: Christliche Gemeinschaft steht im Spannungsfeld zwischen göttlicher und widergöttlicher Sphäre. Sie ist gehalten, sich klar zu positionieren und das Wirken Jesu fortzuführen (V. 30). 45 251 5.4 Konflikt-Wundertexte <?page no="252"?> 46 Dies spielt auf Ex 8,15 (Mose als ‚Finger Gottes‘) an und deutet auf eine metaphorische Lesart hin ( Jesus exorziert mithilfe Moses bzw. der Tora). - Hinweis bei Merz 2013, 116. 7. ethischer Aspekt: Ein ethischer Impuls ist in V. 30 impliziert (siehe oben). 8. soteriologischer Aspekt: Erlösung aus der Sphäre des Bösen kommt von Gott und göttlichen Kräften ( Jesus, Heiliger Geist). Der menschliche Anteil besteht darin, mit Jesus zu ‚sammeln‘, sprich z. B.: zu verkündigen (vgl. Mt 10,1.5-8a). 9. eschatologischer Aspekt: Die Gegenwart ist die Zeit der Befreiung vom Bösen, der klaren Positionierung und der Fortsetzung der Wirksamkeit Jesu. 10. weitere theologische Aspekte: Jesus ist der Promoter der Gottesherrschaft; er bereitet sie durch sein (Wunder-)Wirken vor und macht Werbung für sie. Die basileía Gottes befreit von äußeren und inneren Fesseln und sie verträgt keine faulen Kompromisse zwischen Gut und Böse. - Die Themen Glaube, Nachfolge und Sündenvergebung spielen im Text keine ausdrückliche Rolle. f) Weitere Deutungsaspekte Die Exorzismen, der Widerstand der Gegner und der Hinweis auf den kosmischen Machtkampf sprechen für ein apkl. Welt- und Geschichtsbild. Jesu Wirken erscheint in diesem Rahmen als Vorbereitung des endzeitlichen Gerichtshandelns Gottes und der Etablierung seiner Herrschaft im bald anbrechenden, neuen Äon. Die Gegenwart der Gemeinde ist von der end‐ zeitlichen ‚großen Bedrängnis‘ (gr. thlípsis megále, z. B. Dan 12,1; Mk 13,19; Apk 2,10) geprägt; diese geht mit Übergriffen des Bösen in offener und subtiler Form (Verführung, Irrlehre, Verfolgung etc.) einher. Abgrenzung, weltweite Missionsarbeit und das Aushalten des Dualismus in der Welt gehören zur apkl. Überlebensstrategie (Mt 13,24-30; 28,18-20). Synoptischer Vergleich: Die Variante Mk 3,22-27 spart den Seitenhieb gegen die Söhne der Pharisäer und das mt. Schlusslogion aus, die Stoßrich‐ tung ist aber identisch. Lk 11,14-23 spricht von anonymen Verleumdern (V. 15), die sogleich ein Zeichen fordern (V. 16). Jesu Apologie ersetzt den Geist durch den ‚Finger Gottes‘ als Kraftquelle (V. 20). 46 Das zweite Weis‐ heitsgleichnis ist anders akzentuiert, hat aber dieselbe Pointe (V. 21 f.). Das Schlusslogion ist identisch. 252 5 Exegetische Musterbeispiele <?page no="253"?> 47 Der gr. Ausdruck hydropikós meint unter anderem einen durch Wassereinlagerungen aufgedunsenen Menschen oder einen, der wie ein Diabetiker an unstillbarem Durst leidet (Le Roux 2013, 630-632; hier weitere Details zu den Realien und zum sozialge‐ schichtlichen Hintergrund). 48 Le Roux 2013, 628-633, weist auf die Vieldeutigkeit des gr. Begriffs apolýein (freilassen, gehen lassen, loslassen, retten, V. 4b) hin. g) Zusammenfassung Exorzismus-Texte machen Hoffnung auf die endgültige Befreiung des Kos‐ mos vom Bösen. Die Pharisäer erscheinen als Handlanger Satans und der Dämonen; der Vorwurf an Jesus fällt auf sie selbst zurück. Das macht Jesus in seiner Apologie deutlich und untermauert zugleich seine eigene, göttliche Vollmacht. 5.4.2 Der Wassersüchtige (Lk 14,1 - 6) a) Textlinguistische Beobachtungen Basisopposition: Die Pharisäer beobachten Jesus argwöhnisch (Zustand A, V. 1, gr. parateroúmenoi autón) und können ihm nicht antworten (Zu‐ stand B. V. 6). Der Konflikt um das Sabbatgebot findet im Haus eines führenden Pharisäers statt (V. 1). Ein Wassersüchtiger 47 ist just am Sabbat zu heilen (V. 2). Noch bevor die Gastgeber (V. 3, gr. nomikoí) einen Vorwurf äußern können, rechtfertigt Jesus sein Verhalten in einer Tischrede und heilt den Mann (V. 4). 48 Dem Wunder folgt eine zweite Apologie (V. 5), welche die Kritiker ratlos zurücklässt (V. 6). Der Text ist in drei Abschnitte zu gliedern: Teil 1 beinhaltet die Exposition (V. 1 f.), Teil 2 die Heilung samt Apologie (V. 3-5), Teil 3 die Reaktion der Kritiker (V. 6). - Der erzähleri‐ sche Schwerpunkt liegt auf der doppelten Apologie (V. 3.5) und auf der doppelt-ratlosen Reaktion der Kritiker (V. 4a.6). Der Wundervollzug wird nur knapp erzählt (V. 4). Die erste Apologie besteht in der rhetorischen Frage: „Ist’s erlaubt, am Sabbat zu heilen oder nicht? “ Eine Antwort erübrigt sich (vgl. Mt 12,10par. Lk 6,9). Die zweite Apologie besteht aus einem Weisheitsgleichnis (V. 5; vgl. Mt 12,11), das betretenes Schweigen auslöst (V. 6). - Apologie und (Nicht-)Reaktion der Kritiker kennzeichnen den Text als Konflikt-Wundertext. 253 5.4 Konflikt-Wundertexte <?page no="254"?> 49 Zur Deutung des Sabbatgebots im frühen Judentum vgl. Le Roux 2013, 630 f. 50 Lk 13,1-5: Untergang der Galiläer, Turm von Siloah; Lk 13,6-9: Gleichnis vom Feigen‐ baum. 51 Lk 13,22-30: enge Pforte und verschlossene Tür; Lk 13,34 f.: Klage über Jerusalem; Lk 14,7-14: Gleichnis von der Rangordnung; Lk 14,15-24: Gleichnis vom großen Abendmahl. b) Aussagerichtung und Leserlenkung Aussagerichtung: Der Text hat auf der leserbezogenen Ebene epideiktische, symbuleutische und dikanische Elemente. Epideiktisch sind der Rahmen und der Wundervollzug (V. 1 f.4.6). Symbuleutisch sind die rhetorischen Fragen; sie haben Signalwirkung auf die Leserschaft (V. 3: generalisierender Inhalt; V. 5: Formulierung in 2. Person Plural). Insgesamt ist der Text jedoch dikanisch, auf die Apologie des Handelns Jesu ausgerichtet. Die Heilung des Wassersüchtigen ist ein Paradigma für den neuen, von Jesus legitimierten Umgang mit dem Sabbatgebot. 49 Das Hauptlernziel ist affektiv-praktisch: Jesu vorbildliche Praxis (kogni‐ tives Lernziel) verhilft zu einer neuen, emanzipierten Haltung dem Sab‐ batgebot gegenüber und provoziert dazu, die Leitkriterien der religiösen Praxis zu überdenken. - Leserlenkung: Lukas erreicht die Lernziele mithilfe der rhetorischen Fragen, die das Handeln Jesu plausibilisieren und keinen Widerspruch zulassen. Jesus handelt souverän; seine Gegner haben nichts zu sagen. Der unbedingte Wille, den Kranken zu heilen, macht Jesus zum Sympathieträger. Seine Gegner sind Antipathieträger. Ihr Schweigen unterstreicht die Schlüssigkeit der Argumentation Jesu und erleichtert deren Übernahme durch die Leserschaft. c) Kontextuelle Einbindung und Funktion Der Konflikt-Wundertext berührt die Sabbatfrage und löst sie mithilfe rhetorischer Fragen. Aus Lk 13,10-17 (Heilung der verkrümmten Frau) sind etwaige Vorwürfe der Kritiker bereits bekannt (vgl. Lk 13,14). Der weitere Kontext thematisiert das Wachstum der basileía (Lk 13,18-20: Senfkorn und Sauerteig), die dringende Umkehr 50 und die Erwählungsfrage im Sinne der (drohenden) Umkehrung der Verhältnisse. 51 Gesprächspartner Jesu sind anonyme Fragesteller (Lk 13,1. 6. 23), ein Synagogenvorsteher (Lk 13,14) sowie die Pharisäer und deren Gäste (Lk 13,31; 14,1. 7. 12.15). Im Gegensatz zu den anderen Evangelien zeichnet Lukas ein engeres soziales Verhältnis zwischen Pharisäern und Jesus (Lk 13,31-33; Lk 14). 254 5 Exegetische Musterbeispiele <?page no="255"?> 52 Lk 13,10-17; 14,1-6: Kranke; Lk 14,7-14: unangesehene Gäste; Lk 14,15-24: Arme und Behinderte; Lk 15: Verlorene. 53 Le Roux 2013, 633. 54 Drewermann 2009b, 176. Die Wahl der Gesprächspartner stellt das Ringen Jesu um Menschen außerhalb seines Jüngerkreises heraus. Diese werden für ihre kritische Haltung nicht verurteilt, sondern mit Argumenten überzeugt und auf den drohenden Verlust ihres Erwählungsvorzugs hingewiesen. Damit ist der thematische rote Faden zwischen dem Konflikt-Wundertext und seinen Nachbartexten benannt. Innerhalb dieser Textfolge schildert Lk 14,1-6 den direkten Konflikt mit den Gegnern. Deren Erwählungsvorzug hängt am ethischen Verhalten gegenüber Außenseitern 52 bzw. an ihrer Toraauslegung. Die Tür zur göttlichen Heilsveranstaltung ist für sie nicht zugeschlagen, aber sie sind dabei, sich selbst auszuschließen (Lk 14 f.). d) Sinnebenen Sinnebenen in diesem Konflikt-Wundertext sind: 1. physisch-leibliche Ebene: Jesu Sabbatheilung birgt Konfliktpotenzial, denn er leistet verbotene körperliche Arbeit. Dem entspricht das physische Wunder. Auch die zweite Apologie Jesu hebt auf körperliche Arbeit und Rettung ab (V. 5). 2. spirituelle Ebene: Mit der Krankenheilung führt Jesus den Sabbat seiner ursprünglichen Bedeutung, das Leben von Mensch und Tier zu erhalten, zu. 3. (tiefen-)psychische Ebene: ‚Heilen‘ (gr. therapeúein, V. 3) lässt sich physisch oder psychisch deuten. Eine Innenseite der körperlichen Heilung ist im Text aber nicht erkennbar. - Elritia Le Roux sieht in der Wassersymbolik den unstillbaren Durst des Menschen nach Gott (vgl. Ps 42,2 f.) und nach eschatologischem Heil. 53 Drewermann schließt von der Symptomatik (Herz‐ neurose) und dem Setting (Sabbat) auf Schuldgefühle und Ängste wegen der Gesetzesstarre einer verqueren Frömmigkeit (Über-Ich). 54 Jesus mache dem Mann Mut, sich zu einer selbstbewussten Religiosität (Ich) freizuma‐ chen. - Kritik: Der Text legt nicht Wert auf die Symptomatik, sondern auf die Klärung der Vollmacht Jesu. Das uneindeutige Krankheitsbild erweist tiefenpsychische Mutmaßungen als spekulativ. 4. sozial- und kultkritische Ebene: Jesus übertritt religiös-moralische Stan‐ dards, um einen Kranken zu heilen, und stellt damit die geltende Wertehie‐ 255 5.4 Konflikt-Wundertexte <?page no="256"?> 55 Mit Le Roux 2013, 634. rarchie auf den Kopf. Mit seinem vollmächtigen Auftritt untergräbt er die Autorität seiner Gegner und führt ihre Toraauslegung ad absurdum. 5. Die kosmisch-mythische Ebene ist in diesem Text nicht angesprochen. 6. kommunikative Ebene: Jesus eröffnet einen Dialog, besser: einen Monolog; seine Gesprächspartner haben nichts zu sagen. Lukas zeichnet Jesus als Meister der Rhetorik, dessen Argumente keinen Einspruch zulassen. 55 7. diakonisch-missionarische Ebene: Die Zuwendung Jesu zum Kranken ist therapeutisch bzw. diakonisch zu nennen und hat Vorbildcharakter. In diesem Wundertext dominieren spirituelle sowie sozial- und kultkritische Aspekte. Mit wenigen Sätzen stellt Jesus die pharisäische Werteskala auf den Kopf und bricht die religiös-soziale Hierarchie auf. Das körperliche Wohl der Menschen ist wichtiger als die wörtliche, minutiöse Erfüllung der Toragebote. e) Theologische Schwerpunktthemen Aus Lk 14,1-6 lassen sich folgende theologische Aspekte gewinnen: 1. theo-logischer Aspekt: Dieser Aspekt entfällt. 2. christologischer Aspekt: Jesus ist vollmächtiger Wundertäter und Geset‐ zesausleger. Seine Argumente zielen auf weisheitliche Plausibilität, auf selbstverständliches alltägliches Verhalten und auf das Wohlergehen der Menschen. 3. pneumatologischer Aspekt: Dieser Aspekt entfällt ebenfalls. 4. kosmologischer Aspekt: Auch zu diesem Aspekt bietet der Text nichts. 5. anthropologischer Aspekt: Der Mensch steht in Gottes Werteskala ganz oben. Jesus wendet sich den ‚Verlorenen‘ zu und heilt bzw. rettet sie (Lk 19,10). 6. ekklesiologischer Aspekt: Dieser Aspekt entfällt. 7. ethischer Aspekt: Jesu Verhalten ist vorbildhaft. Leitkriterium ist das Wohlergehen des Menschen. Das impliziert einen souveränen Umgang mit dem Gesetz. Und: Man soll nicht mehr von anderen als von sich selbst 256 5 Exegetische Musterbeispiele <?page no="257"?> 56 Vgl. die Klärung der Sabbatfrage in Mk 3,1-6parr. (verdorrte Hand) und Lk 13,10-17 (verkrümmte Frau). - Zu den Weisheitsgleichnissen und ihrer Funktion vgl. Erlemann 2020, 110-113. 57 Traditions-, religions- und wirkungsgeschichtliche Aspekte bietet Le Roux 2013. verlangen; das ist der ethische Impuls aus der zweiten rhetorischen Frage (V. 5). 8. soteriologischer Aspekt: Jesus bringt den Kranken Heilung und Befreiung (gr. apolýein, V. 4). Die Texte signalisieren die von Gott kommende, durch Jesus vermittelte Erlösung. Der Mensch ist aufgefordert, Gottes Erlösungs‐ programm nicht durch kleingeistige Moral zu torpedieren. 9. eschatologischer Aspekt: Jesu Wundertaten, auch die Heilung des Was‐ sersüchtigen, setzen das eschatologische Programm von Lk 4,18-21 bzw. Jes 61,1 f. um. Die Wundertaten markieren den Anfang der umfassenden Erlösung; die Gegenwart ist die Zeit des Wachstums der basileía Gottes (Lk 13,18-21). 10. weitere theologische Aspekte sind in der Erzählung nicht angesprochen. f) Weitere Deutungsaspekte Die Apologie mithilfe rhetorischer Fragen und Weisheitsgleichnissen ist ein typisches Argumentationsmuster in den synoptischen Evangelien. 56 Im Gegensatz dazu wendet das JohEv bei derselben Frage den Blick auf das Verhältnis von Heilung und Sündenerkenntnis ( Joh 9,39-41). Gemeinsam ist allen Texten der Hinweis auf die latente Heuchelei der Kritiker; die Kritik fällt auf die Kritiker zurück. g) Zusammenfassung Die Heilung des Wassersüchtigen ist ein Aufhänger für die grundsätzliche Begründung des Verhaltens Jesu. Weisheitsgleichnisse in Form rhetorischer Fragen stellen Jesu Haltung so pointiert und plausibel dar, dass sich Ein‐ wände erübrigen. Leitkriterium des Handelns Jesu ist das Wohlergehen des Menschen, das unabhängig von angeblich passenden Räumen und Zeiten herzustellen und zu sichern ist. Jesus bricht mit seiner Wundertat natürliche, soziale und religiös-moralische Ordnungen in provokanter Art und Weise und setzt damit die Hoffnung auf ein Ende von Ordnungen, die das Leben zu ersticken drohen, in die Welt. 57 257 5.4 Konflikt-Wundertexte <?page no="259"?> 1 von Hirschhausen 2016, 69 (kursiv im Original). 6 Didaktische Impulse Nach pädagogischen und hermeneutischen Überlegungen (6.1-6.3) und der Verortung der Wunderthematik in den Lehrplänen verschiedener Schulstu‐ fen in Nordrhein-Westfalen (6.4) lotet das Kapitel didaktische Möglichkeiten aus (6.5) und bietet Unterrichtsskizzen für verschiedene Schulstufen (6.6). 6.1 Hermeneutische Vorbemerkungen Thema ist die Frage, wie sich biblische Wundererfahrungen und -texte in die heutige Zeit vermitteln lassen. Die ersten beiden Unterpunkte benennen die Voraussetzungen, um Wunderphänomene verstehen zu können, die beiden anderen beschreiben die Ausgangspunkte der Wundervermittlung. 6.1.1 Voraussetzungen des Wunderverstehens „Uns fehlt die Ekstase, das Ent-rückt-Sein, die Pausen vom Um-zu, Vernunft und Messbarkeit.“ 1 Im Folgenden geht es nicht darum, die Wundererfahrungen der Augenzeu‐ gen Jesu zu aktualisieren, so als könnte man sie je und je neu machen. Vielmehr ist das biblische Wunderphänomen in der ihm eigenen Wunder‐ logik und aus der Optik der ntl. Zeit verstehbar zu machen. Mithin ist zu analysieren, welche Faktoren es den Menschen zur Zeit Jesu ermöglichten, Wunder zu erleben. 1. profan-ästhetischer und kontingent-liberativer Wunderbegriff: Der profan-ästhetische Sprachgebrauch nennt viele Vorgänge Wunder (z. B. Weltwunder, Geburt eines Kindes → 1.5.3). Diese Vorgänge sind keine Wun‐ der im biblisch-konfessorischen Sinne, da sie weder auf einen göttlichen Eingriff hindeuten noch eine heilvolle, überraschende Wende zum Guten bringen. Persönliche Erfahrungen einer überraschenden Wende zum Guten können als Zufall oder als göttliche Fügung gedeutet werden. Das Gesche‐ hen durchbricht, im Unterschied zu biblischen Wundern, keine natürlichen <?page no="260"?> Ordnungen, eher statistische Wahrscheinlichkeiten (kontingent-liberativer Wunderbegriff → 1.5.4). Als lebensweltliche Brücken zu biblischen Wun‐ dererfahrungen erfüllen profan-ästhetische und kontingent-liberative Wun‐ dererfahrungen eine wichtige Funktion. 2. eine Frage des Wahrnehmungsmodus: Die Wahrheit von Wunder(texte)n lässt sich nur im Modus religiös-mysti‐ scher Wirklichkeitswahrnehmung vermitteln und verständlich machen (→ 3.6.2d). 3. Offenheit für heilvolle Unterbrechungen: Wunder sind nichts für ‚Couch-Potatoes‘. Nur wer neugierig auf Verände‐ rung und begeisterungsfähig ist, wer sich auf Neues, Unbekanntes einlässt und bereit ist, dafür aus seiner Wellness-Ecke herauszukommen, bringt die Offenheit, seinen Alltag heilvoll unterbrechen zu lassen, sprich: für Wundererfahrungen, mit. Beispiele: Wer sich Mühe macht, einen optimalen Sitz- oder Stehplatz für ein Konzert zu ergattern, darf auf ein unvergessliches Musikerlebnis hoffen. Wer auf eigene Faust in ein fernes Land, in eine ferne Kultur aufbricht, darf auf unvergessliche Eindrücke hoffen. Wer einen Sensus für ‚magische‘ Orte und Zeiten hat und z. B. eine Osternachtsfeier besucht, darf auf ein intensives spirituelles Erlebnis hoffen. Solche Erlebnisse und Eindrücke haben eine nachhaltige Wirkung und lassen die Wirklichkeit in neuem Licht erscheinen. Diese Offenheit zeichnet die Jünger Jesu aus: Sie lassen sich von Jesus stante pede in die Nachfolge rufen, verlassen ihr soziales Netz und folgen ihm, weil er sie mit seiner Botschaft und seinem Charisma begeistert (Mt 1,16-20parr.). 4. Staunenkönnen und Staunenwollen: Staunenkönnen setzt voraus, nicht alles für selbstverständlich oder machbar zu halten und die Grenzen der Erkenntnisfähigkeit zu akzeptieren. Wer staunt, lässt das, was ihm begegnet, auf sich wirken, nimmt es, wie es ist, ohne es zu zerreden und nüchtern-analytisch zu entzaubern. Wer staunt, gibt zu erkennen, dass er in dem, was er erlebt, etwas Besonderes, grundsätzlich Unverfügbares, sieht. Wer staunt, lässt sich von dem, was er erlebt, beeindrucken und verändern. 260 6 Didaktische Impulse <?page no="261"?> 2 Erlemann 2016, 177. 3 Für den reformatorischen Wunderbegriff ist das passive Ergriffenwerden zentral (Ohst 2015, 129). Dieser Wunderbegriff taugt nicht dazu, ntl. Wundererfahrungen nachzuvollziehen. Beispiel: Ein Gemälde, ein Foto oder eine eindrucksvolle Landschaft können, wenn der Anblick überwältigend ist, die Seele berühren und das Bewusstsein erweitern, beim Betrachter Staunen auslösen. Dasselbe gilt für Musik, Architektur u. a., aber auch für staunenswerte, wunderhafte Vorgänge. Es hat etwas von self fulfilling prophecy: „Wer staunen kann und will, wird viel Staunenswertes und Wunderbares in seinem Leben finden! “ 2 5. Leidensdruck und Sehnsucht nach einer positiven Wendung: Nur wer einen hohen Leidensdruck hat, ist offen für wunderhafte Wendun‐ gen in seinem Leben. Das erklärt, weshalb die ‚Verlorenen‘ der Gesellschaft für die Botschaft Jesu empfänglicher waren als die Etablierten und Reichen; auf diese wirkte die Ankündigung heilvoller Veränderung eher bedrohlich. Beispiel: Je größer die gesundheitliche Not, desto größer ist die Empfäng‐ lichkeit für so genannte Wunderheiler. Für austherapierte Schwerst‐ kranke sind sie oft der letzte Strohhalm; für sie geben sie buchstäblich ihr letztes Hemd - meistens ohne den erwünschten Erfolg. Für die blutflüssige Frau war Jesus die letzte Hoffnung; sie setzte alles auf eine Karte und gewann (Mk 5,25-34). 6. Nachhaltiger Glaube und feste Hoffnung: Gemäß der Wunderlogik müssen nachhaltiger Glaube und feste Hoffnung mit dem liebenden Erbarmen des Wundertäters zusammenkommen, damit ein Wunder geschehen kann (→ 3.6.3). Zu erzwingen ist ein Wunder nicht; es bleibt ein unverfügbares, göttliches Geschenk. 3 Seelsorgerlich fatal und theologisch falsch ist daher die Auskunft: ‚Du hast offensichtlich zu wenig geglaubt‘. Weshalb in einem Fall ein Wunder wahr wird und im anderen nicht, ist nicht erklärbar. Das Vertrauen kann sich letztlich nur darauf 261 6.1 Hermeneutische Vorbemerkungen <?page no="262"?> 4 Erlemann 2019, 46.120. - Vgl. von Hirschhausen 2016, 86. 5 Als anerkanntes Wunder gilt z. B. die Spontanheilung des Franzosen Pierre Bely, der 1985 während einer Krankensalbung in Lourdes von Multipler Sklerose geheilt wurde. richten, dass Gott, auf welchem Weg auch immer, am Ende alles gut werden lässt (vgl. Röm 11,29-33). 4 7. Fazit: Vielschichtige Wunder-Prädisposition: Für das Verständnis und den Nachvollzug wunderhafter Phänomene braucht es eine bestimmte Prädisposition physischer, psychischer und sozialer Art. Wesentlich sind Leidensdruck, Offenheit für Wunderbares und grenzenloses Vertrauen. Die biblischen Wundertaten und -texte fanden zu ihrer Zeit hohe Akzeptanz bei Menschen, die sich nach einer heilvollen Wendung ihres Lebens oder ihrer sozialen Lage sehnten. Eine solche Disposition lässt sich nicht künstlich erzeugen; wo sie allerdings vorliegt, werden Wundererfah‐ rungen möglich. Menschen mit einer Antenne für den religiös-mystischen Aspekt der Wirklichkeit werden jedoch weniger auf spektakuläre Wunder warten, als vielmehr auf Gottes stille, subtile Führung vertrauen, die das Leben zu einem guten Ende führen wird. 6.1.2 Lebensweltliche Brücken zum Wunderbaren Moderne Wunderberichte, paranormale Phänomene und spirituelle Erfah‐ rungen können lebensweltliche Brücken zu den ntl. Wundererfahrungen sein. 1. Lourdes - Paradigma moderner Wundererfahrungen: Der Ortsname Lourdes steht für moderne Wunderberichte. Der südfranzö‐ sische Wallfahrtsort schafft es immer wieder mit Wunderberichten in die Schlagzeilen und ist für Millionen Heilungssuchender ein Zielpunkt ihrer Hoffnung. 1858 erschien dem Mädchen Bernadette Soubirous in der Grotte von Lourdes die Gottesmutter Maria. Seither kamen im Wasser der Grotte, den Berichten zufolge, ca. 7000 unerklärliche Heilungen zustande. Davon wurden bis heute rund 70 vom Vatikan als Wunder anerkannt. 5 Um die sechs Millionen Menschen pilgern jährlich nach Lourdes, um sich heilen zu lassen. 262 6 Didaktische Impulse <?page no="263"?> 6 Theiß untersucht als Mitglied des kirchenunabhängigen Internationalen Medizinischen Komitees von Lourdes seit langem angebliche Wunderheilungen von hartnäckigen Schmerzen, Lähmungen und Krebs. Über die Einstufung als Wunder entscheiden nach eingehender Analyse die Kommission und der Vatikan. Entscheidungskriterien sind medizinische Unerklärbarkeit, Ausschluss von Betrug und Nachhaltigkeit. - Ausführlich dazu http: / / downffile690.weebly.com/ blog/ das-wunder-von-lourdes-anse hen-auf-in-2k-169 (letzter Zugriff 8. 2. 2021). 7 Laut Referat von Berger 1996, 14 (dort übernommen aus Otto Michel, Anpassung und Widerstand. Eine Autobiographie. Wuppertal / Zürich 1989, 50-52). 8 https: / / de.wikipedia.org/ wiki/ Spontanheilung (letzter Zugriff 10. 4. 2021). - Weiter von Hirschhausen 2016, 45, sowie (zu Lourdes, Tschenstochau und ntl. Wundertexte) a. a. O., 80-83. 9 Durst 2020, 74, ausweislich des PSI-Reports 2003; Slenczka 2020, 154, spricht von verstärktem ‚transrationalem Interesse‘ in westlichen Gesellschaften. - Der Parapsy‐ chologe Hans Bender (1907-1991) gründete 1950 das Institut für Grenzgebiete der Psychologie und Psychohygiene e. V. (IGPP) in Freiburg / Br. Das Institut gehört zu den bekanntesten weltweit. - Parapsychologische Beratungsstellen dokumentieren den Bedarf an psychologischer Aufarbeitung paranormaler Erlebnisse (https: / / www.parap sychologische-beratungsstelle.de/ ; letzter Aufruf 5. 2. 2021). Um Lourdes ranken sich allerlei Mythen; kein anderer Wunderort steht so sehr im Fokus medizinischer Analysen. Der Mediziner Rolf Theiß (* 1951) verweist auf den wunderhaften Charakter einer jeden Krankenheilung, ganz gleich, ob sie in der Arztpraxis oder in Lourdes geschieht. Die Wunder von Lourdes sind für Theiß nur der Extremfall dessen, was tagtäglich im Gesundheitswesen passiert. 6 Auch Berichte über Spontanheilungen haben Wunderpotenzial. Von der Spontanheilung einer Frau aus Eisleben berichtet der Neutestamentler Otto Michel (1903-1993): Bei ihr sei es nach intensivem Gebet zur Spontanhei‐ lung von Krebs im Endstadium gekommen. 7 - Die Schulmedizin wider‐ spricht solchen Berichten und erklärt die Vorgänge rational, unter Hinweis auf psychoneuroimmunologische Mechanismen, Immunreaktionen oder hormonelle Veränderungen. 8 2. Hellsehen, Telepathie & Co.: Telepathie, Telekinese, Hellsehen und ähnliche Phänomene sind wissen‐ schaftlich unerklärbar, paranormal (wörtl. gegen das Normale gerichtet). Gleichwohl sind sie in der Erfahrungswelt der bundesdeutschen Bevölke‐ rung weit verbreitet und sogar Gegenstand wissenschaftlicher Forschung. 9 263 6.1 Hermeneutische Vorbemerkungen <?page no="264"?> Beispiele: Meine Mutter erzählte, dass ihre Mutter sie eines Tages unver‐ mittelt vom Spielen in die Wohnung rief. Es war wohl hellseherische Intuition, denn im nächsten Augenblick stürzte ein Schornstein dorthin, wo meine Mutter eben noch gespielt hatte. - Anfang November 1944 weigerte sich meine damals neunjährige Mutter gegen alle Gewohnheit, morgens in den Hort zu gehen. Mit Mühe konnte ihre Mutter sie überzeugen, doch zu gehen. An jenem Tag starben meine Großmutter und fünf ihrer Kinder bei einem Bombenabwurf - ein weiterer Fall von unerklärlichem Hellsehen. Meine Mutter deutete dies zeitlebens als göttliche Fügung. - Ebenfalls unerklärlich ist dieser Bericht: Eine Mutter wachte eines Nachts auf und wurde von heftiger Unruhe geplagt. Am nächsten Morgen erfuhr sie, dass just zu jener Stunde ihre Tochter am anderen Ende der Welt bei einem Autounfall ihr Leben verloren hatte. Es ist, wie bei kontingent-liberativen Wundern, eine Sache subjektiver Deutung, ob man solche Phänomene als paranormal, zufällig oder als Wunder deutet. Zu beweisen gibt es hier nichts; für die Betroffenen sind solche Erlebnisse jedoch höchst real. Bei meiner Mutter förderten sie das Vertrauen in Gottes gute Führung. 3. Liebe und andere spirituelle Erlebnisse: Das Bedürfnis nach Spiritualität ist in unserer technisierten Zeit ungebro‐ chen. Der Markt wird von kirchlich-spirituellen Gruppierungen, Klöstern, Yogagruppen und esoterischen Anbietern bedient (→ 1.7.7). Beispiele: Die Gemeinschaft von Taizé in Burgund ist ein interkonfessi‐ onelles spirituelles Zentrum. Freikirchen und pfingstlerische Gruppen boomen mit Lobpreisgottesdiensten. Die Esoterikszene bietet Entspan‐ nungsmusik, Meditationsübungen, Räucherkerzen und Ähnliches an. Sinn und Zweck spirituellen Erlebens ist es, innere Harmonie, einen Zustand anhaltenden Glücks oder ein Gemeinschaftsgefühl zu erzeugen. Dem dienen z. B. Kirchen- und Weltjugendtage sowie spirituelle Gottesdienste zu Ostern und Weihnachten. - Auch profane Events bieten sich für spirituelle Erfah‐ rungen an. 264 6 Didaktische Impulse <?page no="265"?> 10 Wörtlich so bei der Taufe (Mk 1,9-11), bei der Verklärung (Mk 9,2-13) und bei der Himmelfahrt Jesu (Lk 24,50-53; Apg 1,9-11). - Zum spirituellen Charakter der Wunder vgl. Berger 1999,199. Beispiele: Fußballfeste, Olympische Spiele, zum Teil mit mystischer Qualität (Konzerte zeitgenössischer Popidole, Weltmeisterschafts-End‐ spiele) erzeugen ‚Gänsehaut-Feeling‘. Historische Ereignisse wie der Mauerfall und (negativ) die Anschläge auf das World Trade Center 2001 unterbrechen den Alltag und vermitteln den Eindruck, an einem Knotenpunkt der Geschichte zu stehen. Extremsportarten wie Klettern, Marathon oder Ironman führen die Sportler zu äußerst intensiven Grenzerfahrungen. Manche Ereignisse werden mythisch verklärt, wie das ‚Wunder von Bern‘ 1954 und das Woodstock-Festival 1969. - Ein intensives spirituelles Erlebnis ist das Verliebtsein: Die Weltwahrnehmung verändert sich; vom ‚rosaroten Himmel‘ und ‚Schmetterlingen im Bauch‘ bis hin zur mystischen Erfahrung des Einswerdens ist alles möglich. Der Himmel öffnet sich; es wird trans‐ parent, was im Leben wichtig ist. Alles andere wird ausgeblendet. Derlei Erlebnisse können Brücken zum Verstehen der biblischen Wundererfahrun‐ gen und Wundertexte sein. 4. Fazit: Erfahrungen jenseits des wissenschaftlich-rational Verstehbaren Spirituell sind Erfahrungen verdichteter, intensiver Wirklichkeit, in der die Grenzen von Raum und Zeit zerfließen. Bei spirituellen Erlebnissen kommt es zu einer konzentrierten Wahrnehmung des Außergewöhnlichen, Faszinierenden und Wesentlichen im Leben, öffnet sich der Himmel. 10 Reli‐ giös-mystisch gesprochen: Es kommt zur Erfahrung intensiver Gottesnähe. Zu ntl. Zeit erfuhren Menschen in der Begegnung mit Jesus intensive spiri‐ tuelle, ja mystische Momente; ihr Glaube und ihre Hoffnung verschmolzen mit der liebend-barmherzigen Zuwendung Jesu, sodass ein Wunder möglich wurde. - Solche spirituellen Erfahrungen sind wissenschaftlich-rational nicht beweisbar; sie sind weiche Fakten, die sich der religiös-mystischen Optik auf Wirklichkeit erschließen. Wer diese Optik einnimmt, erkennt, dass es zwischen Himmel und Erde mehr zu entdecken gibt, als die menschliche Vernunft wahrnehmen und erklären kann (→ 1.7.9). 265 6.1 Hermeneutische Vorbemerkungen <?page no="266"?> 11 Der Begriff stellt auf das Veränderungspotenzial der Texte ab. Der Begriff ‚Hoffnungs‐ geschichten‘ (so Kollmann 2002, 14 → 3.4.3) fokussiert dagegen ihre affektiv-emotive Wirkung. 6.1.3 Sinnebenen und theologische Themenfelder Die Wundertexte sind weder rein wörtlich noch ausschließlich im über‐ tragenen Sinn zu verstehen. Ihre Wahrheit erschließt sich in der Zusam‐ menschau der Sinnebenen und theologischen Aspekte (→ Kapitel 4). Die historische Wunderfrage (gab es wunderhafte Vorgänge im Wirken Jesu und der Apostel? ) ist unabhängig davon vorsichtig mit Ja zu beantworten. Hierfür sprechen der faktuale Anspruch der Texte und ihre Einschätzung als authentische Wiedergabe eines in sich plausiblen, historischen Geschehens (→ 1. 7. 10). Welche Wunder historisch sind und welche nicht, ist nicht entscheidbar; das ist für die Frage der bleibenden theologischen Relevanz und der Wahrheit der Texte aber nicht entscheidend. 6.1.4 Unverzichtbare Befreiungsgeschichten Die hermeneutische Vermittlung von Wundertexten muss einem mehrfa‐ chen Dilemma begegnen: Erstens, werden sie als sachgemäße Wiedergabe eines wunderhaften historischen Geschehens vermittelt, stellt sich die Theodizeefrage. Zweitens, werden die Wunder rational erklärt, sind sie keine Wunder mehr. Drittens, werden die Wunder als Mythen oder fromme Legenden tituliert, erscheinen sie theologisch irrelevant. Ein sachgemäßer und theologisch verantwortbarer Weg ist, sie als Befreiungsgeschichten zu verstehen. 11 1. Problemanzeige: Verdrängung des Wunderglaubens heute: Säkularisierte Gesellschaften verdrängen religiöse Erfahrungen, Wunder‐ glauben und Spiritualität in den Bereich des Privaten. Die Wirklichkeit wird vorwiegend nüchtern-analytisch wahrgenommen; dem entspricht der wissenschaftlich-rationale Wahrheitsbegriff als Messlatte für das, was glaubwürdig und wahr ist. Wundererleben wird heutzutage skeptisch bis ablehnend beurteilt. Die nüchtern-analytische Wahrnehmungsweise lässt ein solches Erleben auch nicht zu. 2. Betonung der physisch-leiblichen Sinnebene: Die Wundertexte betonen unisono, dass Menschen tatsächlich und körper‐ lich feststellbar geheilt, gerettet oder vom Tod erweckt wurden. Das heißt, 266 6 Didaktische Impulse <?page no="267"?> 12 Mit Berger 1999, 198. sie wollen erst einmal nicht übertragen verstanden werden. Sie provozieren gezielt die ratio und die Lebenserfahrung. Das physisch-leibliche Verständ‐ nis hat auch eine soziale und kosmische Dimension: Mit der physischen Heilung wird das Verhältnis des menschlichen Kontaktorgans zur Wirklich‐ keit neu geordnet. 12 3. Hoffnung auf Erlösung von Vergänglichkeit und Tod: Die Wundertexte sind theologisch und hermeneutisch unverzichtbar: Die körperlichen Heilungen signalisieren die Erlösung der Schöpfung von physischer Vergänglichkeit und Tod. Erlösung ist umfassend zu denken: Physische Heilung ist nicht vollständig ohne inneres Gesundwerden und umgekehrt. Die physische Dimension ist die letzte Dimension eschatologi‐ scher Erlösung (vgl. 1 Kor 15,26; Apk 20,14; 21,4). Die Wundertexte sind einzigartige Medien der Hoffnung auf Befreiung von Unrecht, Leiden und Tod. Über bloße Hoffnung hinaus ermutigen sie zum heilvollen Umbau der Wirklichkeit schon hier und heute. 4. Der biblische Gott als Bürge umfassender Erlösungshoffnung: Der Wunderglaube folgt aus dem Glauben an den biblischen Schöpfergott, der selbst aus dem Tod heraus neues Leben schaffen kann (vgl. 1 Kor 15,12-19). In der Hoffnung auf Befreiung aus aussichtlosen Situationen, ja selbst aus dem physischen Tod, findet der biblische Gottesglaube seine letzte Zuspitzung. Die apkl.-eschatologischen Texte der Bibel umschreiben in mythischer Form das endzeitliche Szenario des ‚letzten Sieges‘ über das Böse und den Tod. In den Wundern Jesu und der Apostel wird die neue Welt schon sichtbar und spürbar. 5. Fazit: Leuchttürme der Hoffnung Die Wundertexte sind Leuchttürme der Hoffnung, die auf den geschichts‐ mächtigen Schöpfergott hinweisen. Diese Hinweise waren zu ntl. Zeit intensiv, spektakulär, staunenswert, erschreckend und verstörend zugleich. Heute sind die Hinweise eher subtiler Art; glückliche Fügungen im Leben lassen sich als Fingerzeige darauf deuten, dass uns Gott durch alle Niede‐ rungen des Alltags hindurch begleitet. Die Wundertexte erinnern bleibend daran, dass bei Gott alles möglich ist, auch das nach menschlich-rationalem Ermessen Unmögliche. Und so machen die Wundertexte Hoffnung, und zwar unabhängig von der historischen Wunderfrage. Jesus, der Sohn Gottes, 267 6.1 Hermeneutische Vorbemerkungen <?page no="268"?> 13 Ritter 2014, 46. - Bultmann forderte eine entsprechende Deutungskompetenz der Kinder als conditio sine qua non für die Thematisierung im Unterricht (Kollmann 2019, 86 f.96). 14 Kollmann 2018b, 110. 15 A. a. O., 111. 16 Vgl. Büttner 2002, 60, unter Verweis auf empirische Studien. Weitere Argumente liefern Sievers 1979, 71, und Reiß 2014, 671 f. konnte Wunder tun und sogar körperlich heilen! Diese Erfahrung ist der historische Kern der Texte und sie hat Appellfunktion: Sie ermutigt dazu, im Sinne Jesu hier und heute gegen Unrecht, Not und Tod anzugehen. 6.2 Pädagogische Überlegungen Wundertexte gehören zum Kernbestand der Curricula für den Evangeli‐ schen Religionsunterricht aller Schulstufen. Der Abschnitt beleuchtet die Kontroverse über die Vermittelbarkeit von Wundererzählungen im Unter‐ richtsgeschehen. 6.2.1 Die Debatte um Wunder im Unterricht Rudolf Bultmanns vernichtendes Diktum über den historischen und theolo‐ gischen Wert der Wunder führte lange Zeit zur Verdrängung des Wunder‐ themas aus dem Religionsunterricht der Grundschule. 13 In der Grundschule gilt die Vermittlung von Wundertexten bis heute als problematisch, da, dem entwicklungspsychologischen Stand der Kinder gemäß, ein falsches bzw. irreführendes Bild von Jesus als großem Zauberer oder Superhelden etabliert werden könnte. 14 Seit den 1980er Jahren erleben die Wundertexte eine pädagogische Renaissance. Die Argumente sind: Erstens, die Wundertexte seien integrativer Bestandteil der Jesusüberlieferung; zweitens, den Kindern müssten Verstehenshilfen gegeben werden, da sie auch außerhalb der Schule mit Wunderberichten in Berührung kommen; drittens, Grundschulkinder orientierten sich an Helden wie Harry Potter und anderen, um kindliche Phantasien auszuleben. Besser sollte diese Funktion Jesus übernehmen, zumindest zeitweise. 15 Viertens, Wundertexte begeisterten und hätten mit Blick auf Jesus und das Gottesbild eine positiv prägende Wirkung. 16 268 6 Didaktische Impulse <?page no="269"?> 17 Kollmann 2018a, 217. 18 Bee-Schroedter 2001, 2233. 19 Dressler 2017, 102 f. 20 Kollmann 2019, 87 f. 21 Englert 2005, 184; Kollmann 2014a, 4. „Theologisch bedeutet es […] eine unzulässige Verkürzung, wenn die Wunder unterschlagen werden. Sie sind wesentlicher Bestandteil des Wirkens Jesu, spiegeln eine ganzheitliche Anthropologie wider und können Hoffnung stiften.“ 17 Die historische Wunderfrage erscheint dabei hermeneutisch irrelevant; übertragene Sinnebenen gelten zumindest für die Grundschule als nicht vermittelbar. 18 Das führt zu einer Fokussierung auf redaktionskritische und semantisch-semiotische Aspekte (Eintauchen in fremde Erzählwelten; Schaffung von Lebensweltbezügen) 19 oder auf sozialgeschichtliche Aspekte, um die Texte als Hoffungsgeschichten verstehen zu können (→ 3.4.1b; 4.1.4). 20 In höheren Schulstufen steht die Vermittlung ‚unverdächtiger‘ Sinnebenen jenseits des Wörtlichen im Vordergrund. Damit lassen sich den Texten lebensrelevante Aspekte abgewinnen, ohne sich dem Konflikt mit wissen‐ schaftlicher ratio stellen zu müssen. Dieser Konflikt sei pädagogisch kontraproduktiv; außerdem bestünden Unsicherheiten auf Seiten der Lehrkräfte (sachkundliches Vorwissen, hermeneutische Problematik, altersgemäße di‐ daktische Erschließung). Aufgrund solcher Überlegungen gibt es nach wie vor Reserven und divergierende Konzepte zur religionspädagogischen Verwendung von Wundertexten. 21 Für die Vermittlung der physischen Sinnebene sind in der Tat weitge‐ hende hermeneutische und erkenntnistheoretische Vorüberlegungen notwendig. Der Gewinn einer solchen Anstrengung liegt freilich darin, dass das theologische Potenzial der Texte voll ausgeschöpft und eine fruchtbare Diskussion um die Frage der Weltwahrnehmung inklusive der Vermittlung der Wunderlogik in Gang gesetzt wird. Diese Diskus‐ sion ist intellektuell anspruchsvoll und lässt sich nur in höheren Schul‐ stufen leisten. Wo sie stattfindet, kann es zu einer Gewinn bringenden Synthese aus einem rein wörtlichen und einem rein ‚symbolischen‘ Verständnis der Wundertexte kommen (→ 3.6.2; 3.6.3). 269 6.2 Pädagogische Überlegungen <?page no="270"?> 22 Vgl. den Überblick bei Kollmann 2002, 178-183. Neuere Modelle referiert Höger 2016, 2-5. - Empirische Studien zum Wunderverständnis der Kinder bieten Arnold u. a. 1997, Bee-Schroedter 1998, Büttner 2002 sowie Schäfer u. a 2008. 23 Münch 2013a, 144 f., ausweislich der Stufentheorie von Oser / Gmünder 1988. 24 Höger 2016, unter Rekurs auf Roose 2006. 25 Vgl. Fowler 1991, 151 f. 26 Mit Höger 2016, 10; Sievers 1979, 72; Lachmann u. a. 1999, 387 f. (mit didaktischen Hinweisen). 6.2.2 Entwicklungspsychologische Aspekte Die gängigen entwicklungspsychologischen Theorien werden als bekannt vorausgesetzt. 22 Sie zeigen, dass sich die kognitiven Fähigkeiten schrittweise entwickeln. Die Theorie zum religiösen Urteil von Fritz Oser (1937-2020) und Paul Gmünder (* 1951) gibt Hinweise, was in den Entwicklungsstufen zu erwarten ist: „Ist der Mensch von Gott und seinem Willen ganz abhängig (Stufe 1)? Dann kann er nur glaubend hoffen und warten. Kann er das Handeln Gottes im Sinne von ‚tu ich dir, dann tust du mir‘ beeinflussen (Stufe 2)? Dann kann Heilung als Belohnung für den richtigen oder besonders starken Glauben gedeutet werden. Versteht sich ein Mensch in seinem Tun als unabhängig und frei gegenüber transzendenten Mächten (Stufe 3)? Dann erscheint es unsinnig Heilung durch ein Eingreifen Gottes zu erwarten.“ 23 Daraus resultiert, dass Grundschulkinder nur die wörtliche Sinnebene erfas‐ sen können. Das Konzept der Kindertheologie eröffnet jedoch die Möglich‐ keit, die Kinder eigene Deutungen entwickeln zu lassen. 24 Außerdem eignen sich Wundertexte gerade in dieser Altersstufe als Ermutigungsgeschichten. Wundertexte sind daher für die Grundschule mit den oben erwähnten Vorbehalten einzusetzen; der Gefahr eines irreführenden Bildes von Jesus als Magier, Zauberer oder Superheld ist entgegenzuwirken. 25 Übertragene Sinnebenen sind von der Lehrkraft behutsam vorzubereiten bzw. einzufüh‐ ren. 26 Kollmann gibt zu bedenken: „Eine durch frühzeitige Metaphorisierung und Entmythologisierung geprägte Wunderdidaktik, die zu stark am theologischen Denkniveau der Erwachsenen orientiert ist, läuft […] Gefahr, Kinder ihrer Kindheit zu berauben […]. Naiver Realismus, Magie und Artifizialismus [sind] wichtige Denkformen im kindlichen 270 6 Didaktische Impulse <?page no="271"?> 27 Kollmann 2018a, 217. 28 Sievers 1979, 73: „Das Lernziel für die Grundschüler besteht also im wesentlichen aus der Freude über eine wunderschöne, wundersame, wunderbare Geschichte aus der Bibel.“ 29 Münch 2013a, 141; Kollmann 2018a, 217. 30 Zum Folgenden vgl. Bosold 2018, 696. 31 Lachmann u. a. 1999, 388 f. Die Empfehlung lautet hier, die Jugendlichen „vom reali‐ stischen Protest zum existentiellen ‚Profit‘ einer hintersinnig verstandenen Neuerzäh‐ lung“ zu führen. 32 A. a. O., 215 (kursiv im Original). Wirklichkeitsverständnis […], die zur Vermeidung späterer Fehlentwicklungen ausgelebt werden müssen.“ 27 Gleichwohl bietet die Behandlung von Wunderthemen in der Grundschule eine große Chance, da mit viel Wissbegierde, Freude an Geschichten und der einsetzenden Unterscheidung zwischen Realität und Fiktion zu rechnen ist. 28 Darauf aufbauend, können verschiedene Aspekte der Wundertexte fokussiert werden, wie z. B. Gemeinschaft und Freundschaft oder das Leben Jesu und seine Botschaft. In weiterführenden Klassen ist mit kritischen Fragen, etwa nach der Theodizee und dem Verhältnis von Glauben und Naturwissenschaften, zu rechnen. 29 Es lohnt hier, mithilfe der Fremdheit und des provokativen Potenzials der Texte neue Deutungshorizonte zu eröffnen. 30 Textgemäßes Ziel der Wunderdidaktik wäre es hier, Hoffnung, Ermutigung und konkrete Handlungsimpulse zu vermitteln. Ansatzpunkte liefern die unterschiedli‐ chen Sinnebenen und die Bildsprache der Texte. 31 Damit kann kritischen Wahrheitsfragen begegnet werden. Allerdings sind auch hier Einseitigkeiten zu vermeiden. Alkier und Dressler kritisieren, dass gerade in weiterführen‐ den Schulklassen Wundertexte nur „als Symbolgeschichten oder gar ‚Gleichnisse‘ ausgegeben und behandelt wer‐ den […]. Die Wundergeschichten werden zum Vehikel, sie werden instrumenta‐ lisiert für ethische, (sozial- oder tiefen)psychologische und häufig auch schlicht dogmatische Botschaften, deren gemeinsamer Nenner darin besteht, den Schü‐ lerinnen und Schülern zu vermitteln, daß die Lehrenden mit dem Wunder […] nichts anzufangen wissen […]. Es stellt sich die berechtigte Schülerfrage: Warum müssen wir dann diese Wundergeschichten behandeln und reden nicht gleich darüber, wie wir so die Welt sehen.“ 32 271 6.2 Pädagogische Überlegungen <?page no="272"?> 33 A. a. O., 219, unter Rekurs auf den Hermeneutischen Religionsunterricht, der die Wundertexte als ‚symbolische Träger theologischer Aussagen‘ ansieht und sie keryg‐ matisch-existenzial deutet. 34 Ebd., unter Rekurs auf Baldermann 1993, 33-51. 35 Kollmann 2002, 187. Als hermeneutischen Schlüssel empfiehlt Kollmann, die Wundertexte in der Sekundarstufe I als Glaubensgeschichten, Handlungsanweisungen, Hoff‐ nungserzählungen bzw. als bildhafte Rede vom Handeln Gottes zu vermit‐ teln. 33 Auf diesem Wege sei eine Horizonterweiterung möglich, könne solidarisches Verhalten evoziert und eine Tür aus dem ‚Gefängnis der Ver‐ zweiflung‘ geöffnet werden. 34 Für die Sekundarstufe II und das Berufskolleg empfehlen sich historisch-kritische Zugänge, um die Fremdheit des bibli‐ schen Wirklichkeitsverständnisses, die Theodizeefrage, das Verhältnis von (Wunder-)Glauben und Naturwissenschaft und das Veränderungspotenzial der Texte zu reflektieren. Die didaktische Vermittlung der Wundertexte versieht Kollmann mit dem Vorbehalt: „Grundsätzlich haben Heilungswunder als Reflexe des irdischen Wirkens Jesu den Vorteil, dass dort die für die Wunderdidaktik so problematische Kluft zwischen Glaubensbotschaft und Wahrheitsgehalt des Erzählten bei weitem nicht so tief wie bei den Totenerweckungen oder Naturwundern ist.“ 35 Dieser Vorbehalt zeigt einen gewissen Pragmatismus, der die historische Wunderfrage umschifft, aber nicht das letzte Wort haben muss. Immerhin fokussiert das Kerncurriculum für die Grundschule auch ausdrücklich Na‐ turwunder. 6.3 Von der Exegese zum Unterricht Für die Vermittlung biblischer (Wunder-)Texte ist aufgrund des historischen und kulturellen ‚garstigen Grabens‘ ein hermeneutischer Brückenschlag notwendig. Am Anfang steht die historisch-kritische Erschließung der frem‐ den biblischen Textwelt samt den vermutlichen Verstehensbedingungen (Lebensweltbezügen) der Erstleserschaft. Danach erfolgt eine kritische Aus‐ wahl der gewonnenen Erkenntnisse für die Vermittlung (hermeneutische bzw. didaktische Entscheidung). Sodann sind die Lebensweltbezüge der Zielgruppe zu erschließen. Weiterhin sind Lernziele bzw. didaktische und methodische Grundentscheidungen zu formulieren. Am Ende steht eine 272 6 Didaktische Impulse <?page no="273"?> 36 Grethlein 2005, 321-329. 37 Erlemann / Wagner 2013, 7-12. Auswahl von passenden, zielführenden Medien und Aktionsformen. - Der Brückenschlag ist, leicht modifiziert, an das Schema zur Unterrichtsvorbe‐ reitung von Christian Grethlein (* 1954) angelehnt. 36 Grethlein verfolgt eine ‚lernzielorientierte Didaktik‘ und versteht Religionsunterricht als ‚kommu‐ nikatives Geschehen‘ bzw. als ‚zirkulären Prozess‘ zwischen spontanen Assoziationen zum Thema und einer systematischen Unterrichtsplanung. Daraus ergibt sich folgendes Vorgehen: Schritt 1: Persönliche Begegnung. Zu Beginn jeder Exegese und jeder Unter‐ richtsplanung ist das persönliche Vorverständnis eines Textes oder Themas zu klären, um erkenntnisleitende bzw. die Erkenntnis behindernde Klischees aufzuarbeiten und persönliche Leitfragen formulieren zu können. 37 Schritt 2: Analyse des didaktischen Bedingungsfeldes. Hierzu ist erstens die Schulsituation (Schulform, soziales Umfeld, Schulprofil) und, falls gegeben, die Vernetzung des Unterrichts mit Kirchengemeinden und diakonischen Einrichtungen, zweitens die Situation der Zielklasse (Klassenraum, Genderaspekte, religiöse Zusammensetzung, Migrationshintergründe, Stellenwert des Religionsunterrichts an der Schule) und drittens das entwicklungspsychologische Profil der Zielklasse (Verhaltensauffälligkeiten, Vorwissen, kognitiver Status) zu analysieren. Damit sind die Verstehensmöglichkeiten der Zielgruppe umrissen. Dieser Schritt ist früh in den Blick zu nehmen; nur so ist eine optimale Vermittlungsarbeit möglich. Schritt 3: Verortung von Text und Thema im Lehrplan (Curriculum). In Ergänzung zu Grethlein ist nach der Verortung des Textes bzw. Themas im Lehrplan zu fragen. Das ermöglicht den Blick auf den weiteren inhaltli‐ chen Zusammenhang und auf Querverbindungen zu Nachbarthemen. Die nachfolgenden didaktischen Impulse führen Lernziel- und Kompetenzori‐ entierung zusammen. Schritt 4: Exegetische und theologische Orientierung. Exegetische Arbeit am biblischen Text bzw. Thema sorgt für den nötigen historischen und theolo‐ gischen Problemhorizont. Die Verstehensbedingungen der Erstadressaten und die Funktion des Themas bzw. Textes im literarischen und historischen Kontext lassen die Intention des Autors, den Wahrheitsanspruch des Textes und sein innovativ-provokatives Potenzial erkennen. Die Kenntnis der 273 6.3 Von der Exegese zum Unterricht <?page no="274"?> 38 Grethlein nennt diesen Schritt ‚Didaktische Orientierung‘ und richtet ihn auf Lernmög‐ lichkeiten aus (Grethlein 2005, 326). Der Begriff ‚Hermeneutische Überlegungen‘ betont den Brückenschlag zwischen theologisch-exegetischer und didaktisch-methodischer Arbeit. Wirkungsgeschichte bewahrt davor, das Rad der Erkenntnis immer wieder neu zu erfinden. Die exegetische Arbeit ist in → Kapitel 5 exemplarisch dargestellt. Sie ist an den Verstehensbedingungen der Zielgruppe auszurichten. Um das Vor‐ wissen der Lehrkraft zu sichern, sind Realien und leitende Begrifflichkeiten sowie textlinguistische und textpragmatische Zusammenhänge zu klären. Der Blick auf Sinnebenen und theologische Aspekte erweitert das Spekt‐ rum der Vermittlungsmöglichkeiten. Religionsgeschichtlicher Vergleich, Kompositions- und Redaktionskritik können in der gymnasialen Oberstufe bereichernd sein. Die exegetische Sorgfalt schlägt sich in einem fundier‐ ten Fachwissen der Lehrkraft und in einem aspektreichen, interessanten Unterricht nieder. Außerdem bietet sie der Lehrkraft die Sicherheit, auch auf unvorhergesehene Fragen der Schülerinnen und Schüler kompetent eingehen zu können. Schritt 5: Hermeneutische Überlegungen. 38 Aus den exegetisch gewonnenen Erkenntnissen sind diejenigen herauszufiltern, die vermittelnswert und rele‐ vant erscheinen. Eine hermeneutische Reduktion der Aspekte ist notwendig, um die Inhalte konzentriert und zielführend vermitteln zu können. Schritt 6: Suche nach Lebensweltbezügen. Ergänzend zu Grethlein sind die Lebensweltbezüge der Zielgruppe zu recherchieren. Zu fragen ist, wo das Erzählte oder das Thema in der Biographie und Lebenswelt der Schülerinnen und Schüler auftaucht. Lebensweltbezüge sind z. B. umgangssprachliche Wendungen, Werbeslogans, Songtexte, YouTube-Clips, soziale Medien, Zei‐ tungen, Zeitschriften, Literatur und bildende Kunst. Was immer Kindern und Jugendlichen an Medien zur Verfügung steht, ist nach ‚Spurenelemen‐ ten‘ oder offenen Bezugnahmen auf Text und Thema zu befragen. Je gründ‐ licher die Recherche erfolgt, desto präziser und reichhaltiger werden die Anknüpfungspunkte für den Vermittlungsprozess. Damit werden vielfältige Applikationsmöglichkeiten gewonnen. Schritt 7: Formulierung von Lernzielen (Didaktische Entscheidungen). Die Lernzielformulierung steht bei der Unterrichtsvorbereitung ganz obenan. Lernziele und Kompetenzen geben die Richtung der didaktisch-methodi‐ 274 6 Didaktische Impulse <?page no="275"?> 39 A. a. O., 328. schen Entscheidungen vor. Sie hängen von den zu vermittelnden Inhalten, den Verstehensbedingungen der Zielgruppe und von der Operationalisier‐ barkeit (was lässt sich realistischerweise erreichen? ) ab. Sie sind nach dem Muster ‚Kopf, Hand und Herz‘ zu differenzieren. Das kognitive Lernziel (‚Kopf ‘) betrifft kontextuelles Faktenwissen, das expressiv-emotive Lernziel (‚Herz‘) die Entwicklung einer bestimmten inneren Haltung, das prakti‐ sche Lernziel (‚Hand‘) konkretes ethisches Verhalten. Die Lernziele sind außerdem nach globalen Lernzielen für die gesamte Unterrichtseinheit, nach solchen für konkrete Einzelstunden und nach Teilzielen innerhalb der Einzelstunden zu unterteilen. Leitkriterium ist auch hier die Zielführigkeit, so dass die Bestimmung globaler Leitziele zuerst und die Bestimmung von Teilzielen zuletzt erfolgen sollte. Schritt 8: Methodische Entscheidungen. Im Anschluss folgt die methodisch-di‐ daktische Konzeption der Unterrichtsreihe und der einzelnen Unterrichts‐ stunden. An Medien und Methoden ist das auszuwählen und einsetzbar, was Lernziele und Kompetenzen befördert, was altersgemäß ist und was zum didaktischen Bedingungsfeld passt. Unterrichtsmaterialien, Medien, Schulbücher und Materialsammlungen sind in Medienstellen und online abrufbar. Zur Vielseitigkeit des Unterrichts tragen eigene Textübersetzun‐ gen, Impulsfragen und Arbeitsblätter bei. Abwechslung sollte auch bei Lern- und Sozialformen herrschen. Schritt 9: Verlaufsplanung. Eine möglichst kleinschrittige Planung des Un‐ terrichtsverlaufs bildet den Abschluss des Brückenschlags. Hilfreich ist eine Tabellenform in sieben Spalten (Zeit, Ziele, Inhalte, Methoden, Medien, Sozialformen, Kommentar). 39 Sie zeigt, ob die einzelnen Unterrichtsschritte und -komponenten aufeinander abgestimmt und zielführend sind. Beim Zeitmanagement empfiehlt es sich, immer etwas Puffer für unvorhergese‐ hene Einwürfe, spontane Ideen oder auch für disziplinarische Maßnahmen zu lassen. Grethleins Leitfaden bewährt sich gerade dann, wenn es noch an Routine fehlt. Insbesondere das Leitkriterium der Zielführigkeit kommt zur Gel‐ tung. Mit diesem Schema und den genannten Modifikationen werden die exegetisch-theologische und die methodisch-didaktische Seite vorbildlich miteinander verschränkt. 275 6.3 Von der Exegese zum Unterricht <?page no="276"?> 40 Voraussichtlich ab Herbst 2021 gelten in NRW neue Lehrpläne für alle Schulstufen (vgl. www.schulentwicklung.nrw.de). Inhalte und konkrete Textvorschläge sind noch nicht bekannt. Herzlichen Dank an Gunther vom Stein für diesen Hinweis! 41 https: / / www.schulentwicklung.nrw.de/ lehrplaene/ upload/ klp_gs/ LP_GS_2008.pdf (zuletzt aufgerufen 15. 3. 2021). 42 Hauptschule: https: / / www.schulentwicklung.nrw.de/ lehrplaene/ upload/ klp_SI/ HS/ E R/ 3208_ KLP_HS_Ev_Religionslehre_Endfassung_2012-12-14.pdf (zuletzt aufgeru‐ fen 15. 3. 2021). - Realschule: https: / / www.schulentwicklung.nrw.de/ lehrplaene/ u pload/ klp_SI/ GE/ ER/ 3109_KLP_ GE_Ev_Religionslehre_Endfassung_2012-12-14.pdf (zuletzt aufgerufen 15. 3. 2021). - Gesamtschule: https: / / www.schulentwicklung. nrw.de/ lehrplaene/ upload/ klp_SI/ GE/ ER/ 3109_KLP_ GE_Ev_Religionslehre_Endfas‐ sung_2012-12-14.pdf (zuletzt aufgerufen 15. 3. 2021). - Die Beschreibung lautet für die Gesamtschule (S. 14 f.): „In diesem Inhaltsfeld geht es um die Aufgabe des Menschen, sich in seinem Leben zu orientieren und tragfähige Gründe für die eigene Lebensge‐ staltung zu finden. Ich habe Wurzeln in der Welt. Ausgehend von der Bibel sind 6.4 Wunder-Textauswahl und Curricula Die Kerncurricula für den Evangelischen Religionsunterricht in Nord‐ rhein-Westfalen stecken den inhaltlichen Rahmen der Wundervermittlung ab. 40 6.4.1 Vorgaben der Kerncurricula Die Lehrpläne beziehen Inhaltsfelder, Schwerpunktthemen und Kompe‐ tenzbereiche aufeinander. Das Wunderthema wird in allen Schulstufen berücksichtigt. In der Grundschule ist es dem Lernbereich 6 ( Jesus Christus begegnen) zugeordnet. 41 Vorgeschlagen werden für die Klassen 3 und 4 folgende Heilungs-, Natur-, Rettungs- und Geschenkwunder: Mk 2,1-12 (Heilung des Gelähmten), Mk 4,35-41 (Sturmstillung), Mk 6,30-44 (Speisung der Fünftausend), Joh 9,1-7 (Heilung des Blindgeborenen), Apg 9,1-9 (Christophanie des Paulus) sowie das Osterwunder ( Joh 20,11-18 bzw. Mt 28,1-8). Die Wundertexte rangieren unter den Labels ‚Sehend werden‘ ( Joh 9; Apg 9), ‚Leben aus der Fülle‘ (Mk 6), ‚Aufgerichtet werden‘ (Mk 2) und ‚Getröstet werden‘ (Mk 4). Das Kerncurriculum für die Sekundarstufe I (Klassen 7-10) berücksich‐ tigt Wundertexte und Gleichnisse im Inhaltsfeld 2 (Christlicher Glaube als Lebensorientierung; Schwerpunkt: Leben, Handeln und Botschaft Jesu Christi [Hauptschule] bzw. Die Botschaft Jesu vom Reich Gottes [Real‐ schule, Gesamtschule]) unter dem Label ‚Wundertaten als Hoffnungsbot‐ schaft‘. 42 Konkrete Textvorschläge macht das Kerncurriculum nicht. - Für 276 6 Didaktische Impulse <?page no="277"?> christliche Antworten auf Fragen nach den Möglichkeiten gelingenden Lebens für dieses Inhaltsfeld leitend. Jesus von Nazareth steht im Mittelpunkt, seine Person und Botschaft sind zentrale Gegenstände, die in der Perspektive jüdischer Tradition und des Bekenntnisses zu ihm als dem Christus in den Blick kommen.“ 43 https: / / www.schulentwicklung.nrw.de/ lehrplaene/ upload/ klp_SII/ er/ KLP_GOSt_Reli gionslehre_ev.pdf (zuletzt aufgerufen 15. 3. 2021). 44 Bildungspläne zur Erprobung, Teil III: Fachlehrplan Evangelische Religionslehre (Fach‐ bereich Erziehung und Soziales), Düsseldorf 2008, 7 f. (online verfügbar unter http s: / / www.berufsbildung.nrw.de/ cms/ upload/ _lehrplaene/ d/ erziehung_und_soziales/ teil 3/ lp_ev_religion_grundkurs.pdf; zuletzt aufgerufen 15. 3. 2021). 45 A. a. O., 16. die gymnasiale Oberstufe (LK) sieht Inhaltsfeld 3 (Das Evangelium von Jesus Christus; Schwerpunkt: Reich-Gottes-Verkündigung Jesu in Tat und Wort) die Behandlung des Wunderthemas vor, allerdings ohne konkrete Textvorschläge. 43 - Im Berufskolleg passt die Wunderthematik zur Fachrich‐ tung Erziehung und Soziales; Kursthema: Evangelium von Jesus Christus (Teilthema Botschaft Jesu; Klassenstufe 12.2). 44 Die Fokussierung auf den synoptischen Vergleich 45 halte ich für eine problematische Engführung. Fazit: Die Wunderthematik zieht sich durch die gesamte Schulvita und lässt genügend Spielraum, um unterschiedliche Wundertexte einzusetzen. 6.4.2 Einordnung der Mustertexte Sturmstillung (Mk 4,35-41), Speisung der Fünftausend (Mk 6,30-44) und Heilung des Blindgeborenen ( Joh 9,1-7) sind im Kerncurriculum der Grund‐ schule (3./ 4. Klasse) verankert. Die anderen Mustertexte aus → Kapitel 5 finden keine Erwähnung. Wundertexte können im Laufe der Schulvita auch mehrmals besprochen werden, mit jeweils anderen Zielsetzungen und Optionen. Beispiel: Das Speisungswunder Mk 6,30-44parr. kann in der Grundschule die Erfahrung von Hunger und Ängsten fokussieren (physisch-leibliche Sinnebene). Die Kinder lernen, auf Gott zu vertrauen, für den es keine ausweglosen Sitationen gibt und der die Menschen reich beschenkt. - In der Sekundarstufe I kann der Fokus auf der Person und Botschaft sowie auf dem Wunder des Teilens liegen (diakonische und sozialkritische Sinnebene). Der Wundertext macht Hoffnung, dass Gott durch die Hände von Menschen auch heute existenzielle Not abwenden kann. - 277 6.4 Wunder-Textauswahl und Curricula <?page no="278"?> 46 Mit Höger 2016, 10. - Zu den Voraussetzungen einer Vermittlung von Wundererfah‐ rungen und Wundererzählungen → 6.1.1. Der LK der gymnasialen Oberstufe stellt die Reich-Gottes-Botschaft Jesu in ihrem frühjüdischen Kontext und in ihrer Relevanz für heute in den Fokus (theologischer, christologischer und eschatologischer Aspekt). Außerdem ist die Funktion im literarischen Kontext thematisierbar; das könnte Querverbindungen zu anderen Themen der Botschaft Jesu aufzeigen. - Im Berufskolleg kann das Motiv diakonischen Handelns herausgearbeitet werden (diakonische und sozialkritische Sinnebene); der Wundertext hat das Potenzial, gegen aufkeimende Frustration Mut zu machen: Im Engagement für Notleidende lassen sich wunderhafte Erfahrungen machen! Die Zuordnung der Mustertexte unter → 6.6 erfolgt unter Berücksichtigung von entwicklungspsychologischen Kriterien und möglichen Lernzielen. 6.5 Didaktische Möglichkeiten Der Abschnitt nimmt auf didaktisch relevante Ergebnisse der Wundertheo‐ rie Bezug und zeigt textunabhängig mögliche didaktische Vorgehensweisen auf. 6.5.1 Wundertheorie und Methoden Ntl. Wundertexte sind vielschichte Befreiungstexte mit einem hohen provo‐ kativen Potenzial. Daher sind sie auch aus der Vermittlung im Religionsun‐ terricht nicht wegzudenken. 46 Die Wunderdidaktik nimmt den integrativen Ansatz der Wundertheorie auf. Grundlegendes Vermittlungsziel ist es, das Hoffnung, Ermutigung und Veränderung provozierende Potenzial der Texte sichtbar zu machen und die daraus folgenden Handlungsimpulse zum Tragen zu bringen. „Gottes Wirklichkeit hält realistische Möglichkeiten der Veränderung in aus‐ weglosen Situationen bereit. Im Erzählen kontrafaktischer Wirklichkeit wird 278 6 Didaktische Impulse <?page no="279"?> 47 Zimmermann 2013a, 48. 48 Mit Zimmermann, ebd. 49 A. a. O., 49; ders. 2014a, 44. 50 Mit Münch 2013a, 143. 51 A. a. O., 144. 52 Gegen Münch 2013a, 151 f., der allerdings auch das Defizit rationaler Erklärung benennt. somit ein Protest gegenüber der kausal und rationalistisch verengten Weltsicht ausgesprochen.“ 47 Mit diesem Potenzial ermutigen die Texte dazu, den einengenden Alltag mit seinen unumstößlich scheinenden Regeln zu verändern. Den Wunder‐ texten adäquate Vermittlungsformate sind Neu-, Nach- und Weitererzählen sowie Hören und Singen. 48 Ein vollständiges Verstehen der Texte ist kein Vermittlungsziel; das wunderhafte Geschehen wirkt gerade dadurch in die Welt, indem es sich dem rationalen Zugriff entzieht. 49 - Sinnebenen und theologische Aspekte bieten unterschiedliche Vermittlungsoptionen. Die Aspektauswahl erfolgt nach erkennbaren Lebensweltbezügen und Relevanz. Die Relevanz der Texte wird plausibel, wenn es gelingt, ihr Hoffnungspoten‐ zial zu entfalten, und wenn es gelingt, die Balance zwischen der wörtlichen und den anderen Sinnebenen bzw. theologischen Aspekten zu halten. 50 Christian Münch (* 1968) schreibt dazu: „Wundergeschichten sind Erzählungen, diese Einsicht ist auch für die Bibeldi‐ daktik von elementarer Bedeutung. Narratologisch betrachtet legen sie nahe, die Wunder als Teil des Wirkens Jesu zu betrachten und in diesem Rahmen zu verstehen. Daneben gibt es auch Indizien für andere Sinnbildungsprozesse: sie metaphorisch zu deuten, sie als Ausdruck des Glaubens der Erzähler und ihrer Adressaten zu verstehen, ihnen im Kontext der Bibel oder des kirchlichen Glaubens einen tieferen Sinn zu geben. Diese Sinnbildungsprozesse basieren aber jeweils auf dem Verständnis der Wundergeschichten als Teil des Wirkens Jesu, das grundlegend ist.“ 51 Die historische Wunderfrage kann aus theologischen Gründen nicht aus‐ geklammert werden. Eine rationale Erklärung der Wunder widerspricht dem vorliegenden Ansatz. 52 Für die Wunderdidaktik heißt das: Erstens, die Wundertexte sind weder als historische Tatsachenberichte noch als Märchen einer vergangenen Zeit zu vermitteln, sondern als Texte, die vor dem Hintergrund konkreter historischer Erfahrungen mit Jesus von Nazareth Hoffnung auf umfassende Erlösung und Befreiung machen. Zwei‐ 279 6.5 Didaktische Möglichkeiten <?page no="280"?> 53 A. a. O., 142. 54 Die folgenden Empfehlungen korrelieren mit denen zur Gleichnisdidaktik, vgl. Erle‐ mann 2020, 277 f. - Alternative Anregungen bieten Sievers 1979, 73-75, und Münch 2013a, 153-155. tens, neben einer realienkundlichen und sozialgeschichtlichen Klärung sind Sinnebenen und theologische Aspekte altersgemäß und lernzielorientiert einzubringen. Drittens, die Wunderdidaktik recherchiert Lebensweltbezüge der Zielgruppe zum Wunderphänomen und verknüpft sie mit dem Welt- und Menschenbild der biblischen Wundertexte. Viertens, eine hermeneu‐ tisch adäquate Vermittlung der Wundererzählungen beinhaltet dynamische, narrative Elemente. 53 Fünftens, die Wunderdidaktik lässt sich im Sinne einer Kinder- und Jugendtheologie auf eigenständige und gegebenenfalls widerständige Deutungen der Kinder und Jugendlichen ein und mündet in einen respektvollen Dialog. Sechstens, die Wunderdidaktik zielt auf Kopf, Herz und Hand, der umfassenden Zuwendung Jesu zu den Hilfesuchenden entsprechend. 6.5.2 Textunabhängige Methoden Im Einzelnen empfehlen sich folgende, textunabhängige Methoden‐ schritte: 54 a. Annäherung an den Text mittels altersgerechter Übersetzungen bzw. Übertragungen (z. B. Kinderbibel, Gute Nachricht Bibel) bzw. mittels freier Wiedergabe. Der Erzählschluss oder andere Details können aus‐ gespart werden (Lückentexte), um zu eigenständigen Ergänzungen zu motivieren. b. Erschließung von Realien, tragender Begriffe und der sozialen Entste‐ hungswelt des Textes (z. B. Internet-, Literatur-Recherche) samt Präsen‐ tation in Kurzreferaten oder als Gruppenarbeitsergebnis. c. Klärung des Vorwissens und der Lebensweltbezüge der Zielgruppe (z. B. durch Brainstorming zu Einzelbegriffen, Standbilder, Wortwolken). d. Erschließung der vorreligiösen Grunderfahrung des Wundertextes und seiner Leitbegriffe durch Handlungsprodukte wie Bibliodrama, Rollen‐ spiel, Standbild, Kurzgedicht, short story, Songtext, Wortwolke, Poster, Fotocollage, Videoclip, Grafik u. a. Diese Methoden elementarisieren die Textbotschaft und aktualisieren sie im Sinne des hermeneutischen Brückenschlags. 280 6 Didaktische Impulse <?page no="281"?> 55 Z. B. Höger 2016, 12; Kollmann 2018a, 219 f.; Plieth 2019; Häußler / Rieder 2019. e. Schaffung von Identifikation / Antifixierung mittels perspektivischer Darstellung (Rollenspiel, Schreiben einer side-story, Drehen eines Videoclips etc.). f. Kontextualisierung durch Abrufen des Vorwissens über Jesus und sein Wirken (basileía-Botschaft, Zuwendung Jesu zu Hilfesuchenden, Gleichnisbotschaft, Bergpredigt). In der gymnasialen Oberstufe und im Berufskolleg kann auch kompositionskritisch gearbeitet werden. g. Ergebnissicherung, etwa mithilfe einer ergänzten Wortwolke, eines neuen Standbilds, einer Mindmap zu Sinnebenen und theologischen Aspekten. h. Vertiefung und Anwendung, etwa durch ein diakonisches Projekt oder durch eine Diskussion um den Wahrheitsbegriff. Die skizzierten Schritte sind auf jeweilige Wundertexte, Lerngruppen und Lernziele hin zu modifizieren. Didaktische Konkretionen über die in → 6.6 gebotenen Musterbeispiele hinaus sprengen den Rahmen dieses Buches, daher sei auf einschlägige Literatur zur Wunderdidaktik hingewiesen. 55 6.6 Musterbeispiele Paradigmen für den Religionsunterricht an Grundschulen sind der Für‐ sorge-Wundertext Mt 2,13-23 (Bewahrung Jesu; Führungswunder, Angelo‐ phanie) und der Missions-Wundertext Mk 10,46-52 (Heilung des Bartimäus; Therapie). - Der Fürsorge-Wundertext Mk 6,30-44 (Speisung der Fünf‐ tausend; Geschenkwunder) und der Erkenntnis-Wundertext Mk 6,35-41 (Sturmstillung; Naturwunder) stehen paradigmatisch für die Verwendung in der Sekundarstufe I. - Der Erkenntnis-Wundertext Lk 7,11-17 ( Jüngling zu Nain; Totenerweckung) sowie der Konflikt-Wundertext Mt 12,22-30 (Heilung des Blinden und Stummen; Exorzismus) werden für die gymnasiale Oberstufe umgesetzt. - Der Konflikt-Wundertext Lk 14,1-6 (Heilung des Wassersüchtigen; Normenwunder) sowie der Missions-Wundertext Apg 13,6-12 (Erblindung Barjesu; Strafwunder) werden für den Unterricht am Berufskolleg aufbereitet. Die Auswahl und die Zuordnung bilden ein mög‐ lichst breites Spektrum an Wundertypen und Textgruppen ab. Die theologische Orientierung wird ausgespart; sie ist in → Kapitel 5 nachzulesen. 281 6.6 Musterbeispiele <?page no="282"?> 56 Richtlinien und Lehrpläne für die Grundschule in Nordrhein-Westfalen, Lehrplan Evangelische Religionslehre, 159 (online unter https: / / www.schulentwicklung.nrw.de/ lehrplaene/ upload/ klp_ gs / LP_GS_2008.pdf; zuletzt aufgerufen 15. 3. 2021). 57 A. a. O., 153. 58 Ebd. 59 Ebd. Das didaktische Bedingungsfeld wird, da es rein fiktiv wäre, ebenfalls aus‐ gespart. Die Musterbeispiele widmen sich den Verstehensmöglichkeiten der Lerngruppen, dem hermeneutischen Brückenschlag sowie didaktisch-me‐ thodischen Impulsen. 6.6.1 GS (1./ 2. Klasse): Bewahrung des Jesuskindes (Mt 2,13 - 23) a) Verortung im Lehrplan Das Kerncurriculum benennt zum Lernbereich 4: Gott sucht den Menschen, Menschen suchen Gott, Schwerpunkt Weihnachten: Gott kommt zu den Menschen (Klassen 1+2), Lk 2,1-20 ( Jesu Geburt) und Mt 2,1-12 (Besuch der Weisen) als Referenztexte. 56 Der Wunderzyklus Mt 2,13-23 führt das Thema der Fürsorge Gottes nahtlos weiter. - Der Schwerpunkt tangiert vier Erfahrungsräume der Kinder: Erfahrungen des Kindes in seiner Beziehung zu sich selbst, zu Gott, zu anderen Menschen und zur Schöpfung. 57 Die entsprechenden Lernperspektiven heißen: ■ Identität entwickeln anhand des biblischen Menschenbildes als einzig‐ artiges Geschöpf. ■ Gemeinschaft leben. ■ Verantwortung übernehmen vor dem Hintergund eines umfassenden Schöpfungsverständnisses. ■ Hoffnung schöpfen anhand biblischer und kirchengeschichtlicher Bei‐ spiele. 58 Das sind verbindliche Vorgaben des Kerncurriculums. Globales Unterrichts‐ ziel ist eine vernetzte Sicht der Erfahrungsräume und Lernperspektiven als „grundlegendes und unverzichtbares Unterrichtsprinzip […]. Deshalb gehen die Religionslehrerinnen und Religionslehrer von den Fragen der Kinder aus und nehmen eigenverantwortlich die theologisch und religionspädagogisch begrün‐ dete Vernetzung vor.“ 59 282 6 Didaktische Impulse <?page no="283"?> 60 A. a. O., 154 bzw. 159. 61 A. a. O., 159 f. Zum Lernbereich 4 setzt der Kernlehrplan folgende Fragen der Kinder voraus: „Gott, wer ist das? Gibt es Gott wirklich? Wo ist Gott? Warum kann ich Gott nicht sehen? Ist Gott gut zu mir? Warum lässt Gott Böses zu? […] Für Grundschulkinder sind Fragen nach Gott in konkreter Weise mit Fragen nach ihrer Person und ihrer Einbindung in die Welt gekoppelt. Ihre Fragen sind situationsbezogen und fordern Antworten […].“ Und: „Die Schülerinnen und Schüler finden Antworten auf ihre Fragen nach der Ansprechbarkeit Gottes, nach seiner Gerechtigkeit und nach seiner Nähe zu den Menschen.“ 60 Zielvorgabe des Schwerpunkts sind folgende Kompetenzerwartungen zum Lernbereich 4 bis zum Ende von Klasse 2: Die Schülerinnen und Schüler ■ leiten aus eigenen Erfahrungen Kriterien gelingender Freundschaft ab. ■ unterscheiden Gebetsanlässe. ■ deuten Gebete als Ausdruck einer auf Gott vertrauenden Kommunika‐ tion mit ihm. ■ deuten die Weihnachtsgeschichten aus dem NT unter dem Gesichts‐ punkt der Menschwerdung Gottes. ■ kennen aus atl. Überlieferung Glaubensaussagen vom fürsorglichen Handeln Gottes. 61 Erfahrungsräume, Lernperspektiven und Kompetenzerwartungen beschrei‐ ben die pädagogischen Rahmenbedingungen für den Einsatz des Wunder‐ zyklus im genannten Schwerpunkt. Insbesondere die letzen drei Kompe‐ tenzerwartungen werden im Zusammenhang mit den Weihnachtstexten aufgerufen. Die didaktisch-methodischen Überlegungen orientieren sich da‐ ran. Das heißt konkret: ■ Der Wundertext zeigt, wie Gott Jesus von Nazareth an den Startpunkt seines irdischen Wirkens führt. ■ Der Wundertext macht die göttliche Bedeutung Jesu deutlich. ■ Der Text schreibt das aus dem AT vertraute, fürsorgliche Handeln Gottes fort. 283 6.6 Musterbeispiele <?page no="284"?> ■ Der Text ist ein Beispiel für die Kommunikation Gottes mit den Menschen. ■ Lebensweltbezüge zu den Erfahrungsräumen der Kinder sind herzustel‐ len. b) Hermeneutische Überlegungen Als vermittelnswerte und vermittelbare Ergebnisse der theologischen Ori‐ entierung (→ 5.1.2) ergeben sich, auch in Hinsicht auf die curricularen Vorgaben, folgende Punkte, die mit Blick auf das Unterrichtsgeschehen zu reduzieren sind: ■ Jesus wird mit seiner Familie von Gott vor Gefahr bewahrt. ■ Der Engel Gottes ist der Überbringer der rettenden göttlichen Botschaft. ■ Der Wunderzyklus betont die Göttlichkeit Jesu. ■ Der Text zeigt, wie sich prophetische Verheißung in Jesus erfüllt. ■ Der Text zeigt, wie durch den Gehorsam Josephs die Rettung gelingt. ■ Der Text erinnert an die Rettung des Volkes Israel aus Ägypten. ■ Der Text zeigt, dass Gott uns vor übermächtigen Gegnern schützt. ■ Der Wundertext macht Hoffnung auf Gottes Fürsorge. Anmerkung: Entwicklungspsychologisch betrachtet, können Grundschul‐ kinder noch nicht mehrere Sinnebenen unterscheiden. Sinnebenen jenseits der wörtlichen sind im Dialog mit den Kindern zu entwickeln und von der Lehrkraft behutsam, im Sinne hermeneutischer Mäeutik, in den Unterricht einzubringen. c) Suche nach Lebensweltbezügen Leitfragen für die Suche nach Lebensweltbezügen der Kinder können sein: ■ Welchen übermächtigen Gegnern und Mächten könnten sich Grund‐ schulkinder ausgesetzt fühlen? ■ Woran zeigt sich, dass Vertrauen aus schwierigen Situationen hilft? ■ Gibt es schon Erfahrungen, dass es manchmal besser ist, einer Gefah‐ rensituation auszuweichen? ■ Welche Informationen zu gewaltsamen Übergriffen auf wehrlose Men‐ schen könnten Kinder aufgeschnappt haben? ■ Kennen Kinder schon Beispiele für Menschen, die zu Gewalt greifen, um ihre Macht zu sichern? ■ Wo begegnen den Kindern im Alltag ‚Engel‘? 284 6 Didaktische Impulse <?page no="285"?> 62 Als didaktische Leitfrage formulieren Bussmann / Karsch 2012, 10: „Was kann man von einem Menschen erwarten, der solch eine Reise nach Ägypten kurz nach seiner Geburt macht, den Gott auf diese Reise schickt und ihn dabei begleitet? “ - A. a. O. finden sich reichhaltige Medien und Skizzen für die Klassen 3 bis 6 zu Mt 1 f. - Mein Dank gilt Simon Dietz für diesen Hinweis! Die analogen und digitalen Medien könnten als Anknüpfungspunkte ent‐ halten: ■ Die Mehrheit der Kinder hat (hoffentlich) ein Urvertrauen zu den Eltern und wissen, dass sie bei ihnen Schutz finden. ■ Gesellschaftsspiele wie ‚Mensch ärgere dich nicht‘ oder Computerspiele können Erfahrungen fördern, dem Egoismus Anderer hilflos ausgesetzt zu sein. ■ Kinder hatten sicher schon einmal Albträume von Verfolgung und Gefahr. ■ Schulhof und Klassenzimmer sind konfliktträchtige soziale Räume. Das Programm der Streitschlichtung lehrt als wichtige Strategie, vom Kontrahenten Abstand zu halten, bis sich die negativen Emotionen gelegt haben. ■ ‚Engel‘ können Eltern, Verwandte, Freunde sein, die zum richtigen Zeitpunkt da sind und einem aus der Patsche oder aus Verzweiflung helfen können. ■ Pressemeldungen über Kindesentführungen, nicht nur in Deutschland, sondern auch anderswo in der Welt (z. B. in Nigeria, Boko Haram). ■ Pressemeldungen über Krieg, Bürgerkrieg, Verfolgung, Vertreibung und Genozid, etwa in Syrien oder im Jemen. ■ Pressemeldungen über Despoten, die ihre Gegner kaltstellen. d) Formulierung von Lernzielen Der Schwerpunkt Weihnachten: Gott kommt zu den Menschen ist im Muster‐ beispiel auf sechs Unterrichtsstunden à 45 Minuten angelegt. Die globalen Lernziele für den gesamten Schwerpunkt werden wie folgt festgelegt: a) kognitiv: In Jesus kam Gott selbst zur Welt. Jesus kam, um den Menschen zu helfen, ihnen Hoffnung zu machen und ihnen ein gutes Leben zu bringen. 62 b) expressiv-emotiv: Gott ist verlässlich und fürsorglich; wir können ihm vertrauen und zu ihm beten. 285 6.6 Musterbeispiele <?page no="286"?> 63 Text und Musik: Kurt Erlemann. Online verfügbar unter https: / / neue-kirchenlieder.co m/ songs-zu-biblischen-geschichten/ #Einer-K%C3%B6nig (letzter Zugriff 7. 4. 2021). c) praktisch: Die Kinder üben ein Gebet ein (z. B. das Vaterunser). Die Ziele werden sukzessive in sechs Unterrichtsstunden erreicht: 1. Stunde: Hinführung - Die Ankündigung von Jesu Geburt (Mt 1,18-25). Lernziele: a) kognitiv: Jesus steht von Anfang an Gott ganz nahe und hat eine göttliche Bestimmung (Immanuel); b) expressiv-emotiv: Gott geht wunderbare Wege und macht sich klein, um uns Menschen zu helfen (Hoffnung, Vertrauen); c) praktisch: Die Kinder finden in der Bibel die Verheißungen Jesajas. 2. Stunde: Weiterführung - Das Weihnachtsevangelium I (Lk 2,1-20). Lernziele: a) kognitiv: Jesus wurde in armen Verhältnissen geboren; b) expres‐ siv-emotiv: Die Weihnachtsbotschaft bedeutet Freude und Hoffnung; c) praktisch: Einübung eines Hirtenspiels (1). 3. Stunde: Weiterführung - Das Weihnachtsevangelium II (Lk 2,1-20). Lernziele: a) kognitiv: Jesus wurde in der Stadt Davids geboren (Verheißung - Erfüllung); b) expressiv-emotiv: Die Weihnachtsbotschaft bedeutet Freude und Hoffnung; c) praktisch: Einübung eines Hirtenspiels (2). 4. Stunde: Erweiterung I - Die Weisen aus dem Morgenland (Mt 2,1-12). Lernziele: a) kognitiv: Die Anbetung durch drei Weise zeichnet Jesus als großen König aus; b) expressiv-emotiv: Nicht jeder kann sich über das Jesuskind mitfreuen (Herodes; Angst und Intrige); c) praktisch: Formulierung eines Gebets zum Schutz des Jesuskindes und seiner Familie; Einübung des Liedes Einer nur kann König sein 63 . 5. Stunde: Erweiterung II - Die Bewahrung des Jesuskindes (Mt 2,13-23). Lernziele: a) kognitiv: Die Angst vor Machtverlust macht skrupellos (Herodes); Engel sind die Überbringer göttlicher Botschaft; b) expressiv-emotiv: Das Ver‐ trauen in Gott bewahrt vor großer Gefahr; c) praktisch: Die Kinder können den Weg von Bethlehem über Ägypten nach Nazareth an der Karte nachzeichnen und können das Lied Einer nur kann König sein nachsingen. 286 6 Didaktische Impulse <?page no="287"?> 64 Ein empfehlenswertes Heft zur Vermittung von Gleichnissen und Wundergeschichten samt reichhaltigen Materialien ist der Sammelband Grundschule religion: Von Jesus erzählen: Gleichnisse und Wunder, Seelze 2006. - Herzlichen Dank an Gunther vom Stein für diesen Hinweis! 6. Stunde: Anwendung / Ergebnissicherung - Gott liebt die Menschen und führt sie sicher ans Ziel. Lernziele: a) kognitiv: Jesu Lebensweg ist von Gott und den Propheten vorge‐ zeichnet; b) expressiv-emotiv: Wir dürfen Gott jederzeit vertrauen; c) praktisch: Die Kinder üben das Vaterunser ein und inszenieren es künstlerisch. Die anvisierte Unterrichtsstunde ist die fünfte von sechs in der Unterrichts‐ reihe. Sie spinnt den Erzählfaden der Weihnachtsgeschichte weiter und vermittelt, wie fürsorglich Gott ist und dass es sich lohnt, ihm zu vertrauen. e) Methodische Entscheidungen Die Kinder kennen bereits die Vorgeschichte Jesu, seine Geburt in Bethlehem und den Besuch der drei Weisen (Stunden 1 bis 4). Sie wissen, dass Jesus Gott von Anfang an ganz nahestand und dass die atl. Propheten sein Kommen vorhergesagt hatten. Sie wissen auch, dass Jesus in ärmlichen Verhältnissen zur Welt kam und gerade deshalb den Armen große Hoffnung brachte. Sie kennen das Vaterunser und wissen, was Engel sind. Weiterhin wissen sie, dass Jesus von den Weisen als König verehrt und König Herodes deswegen eifersüchtig wurde. Nach einem kurzen Rückblick auf die Stunde zuvor tragen die Kinder ihre selbst formulierten Gebete vor. Nach deren Besprechung wird der Wunderzyklus in kindgerechter Übertragung dargeboten bzw. von der Lehrkraft eigenständig nacherzählt. Auf der Landkarte sind Bethlehem, Ägypten und Nazareth zu suchen. Informationen zu Herodes d. Gr. werden eingestreut (Realien). Im Fokus stehen dann die Engelsvision und Josephs vertrauensvoller Gehorsam als wesentliche Faktoren, welche die wunder‐ hafte Bewahrung Jesu ermöglichten. Die atl. Zitate werden nachgeschlagen und in einen Kontext gesetzt. Abschließend wird die Wunderhaftigkeit des Geschehens zusammengefasst. 64 287 6.6 Musterbeispiele <?page no="288"?> f) Verlaufsplanung ZEIT ZIELE INHALT METHODEN / MEDIEN SOZIAL- FORMEN KOMMENTAR 6 min. Einstim‐ mung, Anam‐ nese Begrüßung; Rückblick auf Mt 2,1-12 Lied Einer nur kann König sein (Gitarre, Lied‐ blatt) Kreis Lied ist be‐ kannt; Lied / Text‐ blatt wird ausgeteilt 8 min. Gebets‐ vorstel‐ lung vorbereitete Kinderge‐ bete zu Mt 2,1-12; Va‐ terunser Für aufgezeich‐ nete Gebete: Soundquelle freiwillige Präsentatio‐ nen mit kurzem Lehrkraft- Feedback Respekt vor den Gebeten ist ggf. einzu‐ fordern; Va‐ terunser aus‐ wendig 7 min. Lebens‐ weltbe‐ züge Ängste wer‐ den benannt Lehrerfrage: Habt ihr schon mal richtig Angst gehabt? Rundge‐ spräch; Ta‐ felanschrieb gegenseitiger Respekt ist ggf. einzufor‐ dern 5 min. Textein‐ führung Mt 2,13-23 eigener Text / Kinderbi‐ bel, ggf. mit Bil‐ dern Kreis altersgemäße Wiedergabe des Inhalts 7 min. histori‐ scher Kontext wird ge‐ klärt Reiseroute wird nach‐ gezeichnet, Realien werden ge‐ klärt Arbeits‐ blatt / OHP: Landkarte; kur‐ zes Portrait von Herodes (Bild? ) Gruppenar‐ beit und Präsenta‐ tion Freiwillige zeigen die Reisepunkte und verbin‐ den sie mit Li‐ nien 6 min. Ergeb‐ nissi‐ cherung Wie wurde Jesus geret‐ tet? Tafelgraphik Kreis Ergebnisse werden ge‐ sammelt 3 min. Ab‐ schluss Lied zum Text Singen: Einer nur kann König sein Kreis 288 6 Didaktische Impulse <?page no="289"?> 65 Vgl. Hanisch / Bucher 2002, 27, und die empirische Studie von Bee-Schroedter 1998, 269 ff. 66 Richtlinien und Lehrpläne für die Grundschule in Nordrhein-Westfalen, Lehrplan Evangelische Religionslehre, 153 (online unter https: / / www.schulentwicklung.nrw.d e/ lehrplaene/ upload/ klp_gs/ LP_GS_2008.pdf; zuletzt aufgerufen 15. 3. 2021). Vgl. → 6.6.1a. 67 A. a. O., 155. 68 A. a. O., 161. 6.6.2 GS (3./ 4. Klasse): Heilung des blinden Bartimäus (Mk 10,46 - 52) Die Heilung des blinden Bartimäus ist die bekannteste Wundererzählung bei Grundschulkindern. 65 a) Verortung im Lehrplan Text und Thema passen in den Lernbereich 6: Jesus Christus begegnen, mit dem Schwerpunkt Sehend werden (Klassen 3+4). Für den Schwerpunkt bietet der Lehrplan die Heilung des Blindgeborenen ( Joh 9,1-7) und die Christo‐ phanie des Paulus (Apg 9,1-19) an. Da Joh 9 zu komplex erscheint, fällt die Wahl auf Mk 10. Die Heilung des Bartimäus ist eine anschauliche, kindge‐ rechte und vom theologischen Gehalt weniger komplexe Textvariante. - Der Schwerpunkt tangiert die in → 6.6.1a erwähnten vier Erfahrungsräume und Lernperspektiven und steht unter dem dort zitierten, globalen Unterrichts‐ ziel. 66 - Zum Lernbereich 6 lauten die im Kernlehrplan vorausgesetzten Fragen der Kinder: „Warum müssen Menschen sterben? Ist mit dem Tod alles aus? Was kommt nach dem Tod? Neues Leben - ist das möglich? […] Auf diese Fragen nach einer Überwindung menschlicher Lebensbegrenzungen und menschlicher Unheilser‐ fahrungen antwortet das NT mit der im Osterglauben begründeten Hoffnung. […] Den Schülerinnen und Schülern eröffnen sich Lernchancen, positive wie negative Lebenserfahrungen im Sinne des Osterglaubens zu deuten und menschliche Not‐ situationen nicht als ausweglos zu bewerten, sondern Perspektiven des Trostes, der Stärkung und der Lebenszuversicht zu finden.“ 67 Und: „Die Schülerinnen und Schüler finden Antworten auf ihre Fragen im Spannungsfeld zwischen der Sehnsucht nach erfülltem Leben und der Endlichkeit menschlichen Lebens.“ 68 Das Kerncurriculum formuliert als Kompetenzerwartungen zum Ende von Klasse 4 für den Lernbereich 6: Die Schülerinnen und Schüler 289 6.6 Musterbeispiele <?page no="290"?> 69 Ebd. ■ entfalten die Glaubensdimension des Bildwortes von Jesus als Licht der Welt. ■ deuten die Rolle von Frauen als erste Zeuginnen der Auferstehung Jesu unter Genderaspekten. ■ lesen ausgewählte Texte als erzählte Glaubenserfahrung, die Menschen mit dem verkündeten Christus machen. 69 Die erste und die dritte Kompetenzerwartung lassen sich mit dem oben genannten Schwerpunkt verbinden. - Erfahrungsräume, Lernperspektiven und Kompetenzerwartungen umreißen den pädagogischen Rahmen für den Einsatz des Wundertextes. Daraus folgen als didaktisch-methodische Überlegungen: ■ Der Wundertext bietet eine Glaubenserfahrung mit dem erinnerten Jesus. ■ Der Wundertext berichtet davon, wie ein Mensch durch seinen nach‐ haltigen Glauben wunderhafte Hilfe erlangt. ■ Der Text zeigt, wie aus einem Bettler ein akzeptierter Jünger Jesu wird. ■ Der Text zeigt, wie sich das Leben des Blinden durch die Begegnung mit Jesus als dem ‚Licht der Welt‘ bzw. dem ‚Sohn Davids‘ zum Guten verändert. b) Hermeneutische Überlegungen Als vermittelnswerte und vermittelbare, gegebenenfalls noch zu reduzie‐ rende Ergebnisse der theologischen Orientierung sind festzuhalten (→ 5.3.1): ■ Jesus wendet sich den Kranken, Behinderten und Armen zu und heilt sie. ■ Rettend und wunderwirkend ist der nachhaltige Glaube des Blinden. ■ Bartimäus wird physisch geheilt und macht eine wichtige Glaubenser‐ fahrung. ■ Für Bartimäus ändert sich durch die Heilung das ganze Leben. ■ Jesus erweist sich in der Heilung des Blinden als der verheißene ‚Sohn Davids‘ bzw. als der Messias seines Volkes. ■ Jesu Wunder machen Hoffnung auf ein Ende von Leiden und Unrecht. ■ Im Sinne Jesu sind Außenseiter in die Gemeinschaft aufzunehmen. 290 6 Didaktische Impulse <?page no="291"?> Anmerkung: Entwicklungspsychologisch gesehen, können Grundschulkin‐ der den Transfer auf übertragene Sinnebenen noch nicht leisten. Daraus erwächst die Aufgabe, im Sinne behutsamer Mäeutik weitere ausgewählte Sinnebenen einzubringen bzw. mit den Kindern zusammen zu entwickeln. c) Suche nach Lebensweltbezügen Folgende Fragen können bei der Recherche helfen: ■ Wo fühlten sich die Kinder schon einmal an den Rand gedrängt? ■ Wo wurden sie aufgefordert, den Mund zu halten? ■ Kennen die Kinder Menschen, zu denen sie gerne Kontakt hätten, die aber für sie unerreichbar scheinen? ■ Weiß jemand, wie es ist, nichts sehen zu können? ■ Kennen die Kinder schon die Erfahrung, dass jemand gegen alle Hoffnung wieder gesund wurde und wie sich dessen Leben dadurch verändert hat? Die den Kindern (unabhängig von der Altersstufe) zur Verfügung stehenden, analogen und digitalen Medien könnten Folgendes zutage fördern: ■ Das Spiel Blinde Kuh gibt eine Vorstellung davon, wie es ist, blind und auf andere angewiesen zu sein. ■ Die Redensweise Liebe macht blind weist auf ein metaphorisches Be‐ griffsverständnis hin. ■ Pressenotizen über Wunderheilungen in Lourdes. ■ Die Filmserie Tonis Welt (Vox 2021) gibt Einblick in das Leben Behin‐ derter. ■ Der Film Mein Blind Date für das Leben zeigt, wie nachhaltiger Glaube hilft, das gesteckte Lebensziel trotz Handicaps zu erreichen. ■ Die TV-Filmserie Die Heiland zeigt eine blinde Anwältin, die gerade wegen ihrer Blindheit ein besonderes Gespür für unsichtbare Zusam‐ menhänge hat. ■ Blinde Sängerinnen und Sänger wie Stevie Wonder, Ray Charles und Andrea Bocelli zeigen, wie man trotz Blindheit seinen Traum leben kann. 291 6.6 Musterbeispiele <?page no="292"?> 70 https: / / www.youtube.com/ watch? v=xBD2ZFDFXto (letzter Zugriff 27. 3. 2021). ■ Viele Popsongs widmen sich dem Phänomen Blindheit und Wunder, wie z. B. das Lied Wunder von Marteria 70 oder Wir haben Gottes Spuren festgestellt. d) Formulierung von Lernzielen Der Schwerpunkt Sehend werden ist im Musterbeispiel auf sechs Unterrichts‐ stunden à 45 Minuten ausgelegt. Als globale Lernziele werden festgelegt: a) kognitiv: Die Begegnung mit Jesus Christus bringt den Menschen Heilung und Erkenntnis, was in ihrem Leben wichtig ist. b) expressiv-emotiv: Gott kann unsere Einschränkungen überwinden und macht uns Hoffnung auf ein gutes, erfülltes Leben. c) praktisch: Wenn wir uns für Benachteiligte und Ausgeschlossene einset‐ zen, tragen wir die christliche Hoffnung auf ein Leben in Fülle für alle weiter. Die Lernziele werden in sechs Unterrichtsstunden erreicht: 1. Stunde: Hinführung - Die Heilung des blinden Bartimäus (Mk 10,46-52). Lernziele: a) kognitiv: Jesus wendet sich den Kranken zu und heilt sie; b) expres‐ siv-emotiv: Wer blind ist, ist auf andere Menschen angewiesen (Hilflosigkeit, Vertrauen); c) praktisch: Die Kinder üben einen angemessenen, respektvollen Umgang mit Kranken, Behinderten und Armen ein. 2. Stunde: Erweiterung I - Die Erkenntnis des alten Simeon (Lk 2,25-32). Lernziele: a) kognitiv: Der Seher Simeon erkennt die Bedeutung des Jesuskindes und erreicht damit sein Lebensziel; b) expressiv-emotiv: Für Simeon erfüllt sich ein Lebenstraum; wer sein Lebensziel erreicht hat, kann getrost loslassen (Geduld, Hoffnung, Vertrauen); c) praktisch: Die Kinder reflektieren ihre eigenen Lebensziele. 3. Stunde: Erweiterung II - Der Lobpreis der Prophetin Hanna (Lk 2,36-38). Lernziele: a) kognitiv: Die Prophetin Hanna erreicht ihr Lebensziel und preist Gott dafür; b) expressiv-emotiv: Wer seine Lebensziele nicht aus den Augen verliert, wird sie am Ende erreichen (Geduld, Standhaftigkeit, Dankbarkeit); c) praktisch: Die Kinder reflektieren, wofür sie dankbar sein können. 292 6 Didaktische Impulse <?page no="293"?> 71 https: / / www.mikula-kurt.net/ 2015-1/ ein-wunder/ (letzter Zugriff 16. 3. 2021). - Alter‐ nativ kann das Kindermusical Bartimäus. Ein wunderbarer Augenblick von Frank Kampmann ausschnittsweise eingesetzt werden (erhältlich auf CD). 4. Stunde: Vertiefung I - Die Heilung des Blindgeborenen ( Joh 9 in Auszü‐ gen). Lernziele: a) kognitiv: Jesus heilt und fragt nicht nach Schuld; Blindsein ist auch übertragen zu verstehen; b) expressiv-emotiv: Wer seine Schuld erkennt und zugibt, wird frei davon (Entlastung, Dankbarkeit); c) praktisch: Die Kinder reflektieren, wo ihre Schwächen und ihre Stärken liegen. 5. Stunde: Vertiefung II - Die Bekehrung des Paulus (Apg 9,1-19). Lernziele: a) kognitiv: Aus dem Christenverfolger Saulus wird der Apostel Paulus; b) expressiv-emotiv: Veränderungen im Leben sind manchmal sehr schmerzvoll, können aber weiterbringen (Schmerz, Hoffnung); c) praktisch: Die Kinder reflek‐ tieren Erlebnisse, die sie im Leben weitergebracht haben. 6. Stunde: Anwendung / Ergebnissicherung - Interview mit einem Blinden. Lernziele: a) kognitiv: Wer blind ist, kann trotzdem klar denken, hat Lebensmut, Träume und Pläne; b) expressiv-emotiv: Bei Gott ist niemand ausgeschlossen oder ein Loser; jeder erhält Chancen im Leben (Vertrauen, Hoffnung); c) praktisch: Die Kinder reflektieren ihren Umgang mit Krankheit und Behinderung. Die hier vorgestellte Unterrichtsstunde ist die Einführungsstunde in die Unterrichtsreihe Sehend werden. Sie zeigt, wie der nachhaltige Glaube den Blinden zur Heilung bzw. Rettung führt, dass Jesus sich heilend den Ausgeschlossenen der Gesellschaft zuwendet und dass für Bartimäus ein neues Leben beginnt. e) Methodische Entscheidungen Nach der obligatorischen Begrüßung stellt die Lehrkraft ein neues Lied vor: Ein Wunder von Kurt Mikula 71 . Das Lied wird einmal vorgespielt und dann mit den Kindern eingeübt. Danach erzählt die Lehrkraft den Wundertext frei nach und lässt ihn auf einem Arbeitsblatt mit Leitfragen bearbeiten und vertiefen (etwa: Wie heißt der Blinde? Was bedeutet sein Name? Warum schreit er so? Was will er von Jesus? Wieso halten ihn die Menschen von Jesus ab? Wie nennt er Jesus? Wie wird er geheilt? Wie verändert sich sein Leben? ). Alternativ können die Kinder eine Bildergeschichte in die richtige 293 6.6 Musterbeispiele <?page no="294"?> 72 Alternative didaktische Konzepte und anregende Unterrichtsmaterialien bieten z. B. Sievers 1979, 91-97, Pusch 2006, 52 f., Lemaire u. a. 2009, 45-50, Autschbach 2016, 31-35, Häußler / Rieder 2019, 25-33, sowie vom Stein / Effert 2019, 47-49. Erzählreihenfolge bringen und jedem Teilbild eine Überschrift geben. Nach der Auswertung der Ergebnisse lassen sich ein, zwei Freiwillige die Augen verbinden und von anderen durch den Raum führen (Vertrauensspiel mit Reflexion). Danach wird das Lied von Mikula noch einmal gehört und die Frage gestellt, worin das Wunder besteht. 72 f) Verlaufsplanung ZEIT ZIELE INHALT METHODEN / MEDIEN SOZIAL- FORMEN KOMMENTAR 6 min. Begrü‐ ßung, Ein‐ stimmung Hinfüh‐ rung auf Bartimäus Lied Das Wun‐ der von Kurt Mikula Kreis Lied ist neu, wird erst vor‐ gespielt 8 min. neues Lied ist be‐ kannt Hinfüh‐ rung auf Bartimäus Lied- / Text‐ blatt, Gitarre Kreis Begleitung mit Gitarre 3 min. Wunder‐ text ken‐ nenlernen Mk 10,46-52 freie Nacher‐ zählung; eige‐ ner Text / Kin‐ derbibel Kreis 14 min. Vertie‐ fung des Textes Mk 10,46-52 Arbeitsblatt mit Leitfragen Partnerar‐ beit und Präsenta‐ tion arbeitsteilige Beantwor‐ tung der Fra‐ gen 6 min. Lebens‐ weltbezug Erfahrun‐ gen mit Blindheit Rollenspiel mit Freiwilligen und Reflexion Kreis 5 min. Ergebnis‐ sicherung Thema Wunder Hören des Lie‐ des; Leitfrage Kreis Tafelan‐ schrieb 294 6 Didaktische Impulse <?page no="295"?> 73 Kernlehrplan für die Gesamtschule in Nordrhein-Westfalen Evangelische Religions‐ lehre (2013), S. 19, online abrufbar unter https: / / www.schulentwicklung.nrw.de/ lehrpla ene/ upload/ klp_SI/ GE/ ER/ 3109_KLP_GE_Ev_Religionslehre_Endfassung_2012-12-14. pdf (zuletzt aufgerufen 16. 3. 2021). - Identisch formuliert in den Lehrplänen für Haupt- und Realschule. 74 A. a. O., 15 (kursiv im Original). 75 A. a. O., 21. 6.6.3 Sek I (5.+6. Klasse): Speisung der Fünftausend (Mk 6,30 - 44) a) Verortung im Lehrplan Der Fürsorge-Wundertext wird nur im Lehrplan der Grundschule erwähnt. Nicht auf Wunder, sondern auf die biblischen Schöpfungsberichte Gen 1 f. rekurriert Inhaltsfeld 3 Einsatz für Gerechtigkeit und Menschenwürde, Schwerpunkt Gemeinschaft und Verantwortung in Schule und Gesellschaft (Gesamtschule Klassen 5+6). 73 Der Bezug auf gelingendes Gemeinschafts‐ leben und auf die ‚Prinzipien des Teilens, der Rücksichtnahme und des Vertrauens‘ (Sachkompetenz) lässt Mk 6,30-44 inhaltlich passend und ziel‐ führend erscheinen. In diesem Schwerpunkt „geht es um die Mitwirkung des Menschen an der Weltgestaltung, die sich aus seinem Weltbezug ergibt: Ich handle in der Welt. Gegenstände dieses In‐ haltsfeldes sind Motive, Aufgaben, Chancen und Grenzen von Weltgestaltung aus biblisch-christlicher Perspektive. In ihr wird der Mensch als Mitgestalter des andauernden Schöpfungshandelns Gottes verstanden, das wesentlich auf Gerechtigkeit, Menschenwürde und Freiheit sowie die Bewahrung der Schöpfung zielt. 74 An das Inhaltsfeld knüpfen sich folgende Kompetenzerwartungen (in Aus‐ zügen): 75 ■ Sachkompetenz / Wahrnehmungskompetenz: „Die Schülerinnen und Schüler können die Prinzipien des Teilens, der Rücksichtnahme und des Vertrauens als Voraussetzung gemeinschaftsstiftenden Verhaltens beschreiben.“ Und sie „können die biblisch motivierte Schöpfungsver‐ antwortung als eine mögliche Begründung für bewussten Umgang mit der Schöpfung im eigenen Lebensumfeld beschreiben.“ ■ Deutungskompetenz: „Die Schülerinnen und Schüler können die Grund‐ lagen des Zusammenlebens in ihrer Lebenswirklichkeit, insbesondere unter den Aspekten Freiheit und Verantwortung […] beschreiben.“ Und 295 6.6 Musterbeispiele <?page no="296"?> sie „können an Beispielen die Übernahme von Verantwortung für Leben und Umwelt mithilfe des Schöpfungsgedankens erläutern.“ ■ Urteilskompetenz: „Die Schülerinnen und Schüler können konkretes Handeln in ihrer näheren Umgebung als gemeinschaftsstiftend oder gemeinschaftsschädlich unterscheiden und bewerten.“ Und sie „können sich mit Alltagsverhalten auseinandersetzen und es im Kontext von Schöpfungsverantwortung bewerten.“ Die didaktisch-methodischen Überlegungen orientieren sich an den Rahmen‐ vorgaben des Kerncurriculums. Konkret heißt das: ■ Der Wundertext zeigt, wie durch die Teilungsaktion einiger Menschen mit begrenzten Ressourcen viele Menschen satt werden können. ■ Der Text demonstriert einen verantwortlichen Umgang mit vorhande‐ nen Ressourcen (selbst die Brot- und Fischreste werden aufgesammelt! ). ■ Der Text zeigt, wie der christliche Umgang mit Schöpfung sowie der Einsatz für Gerechtigkeit und Menschenwürde aussehen können. ■ Die Fragen der Jugendlichen sind aufzugreifen und mit dem Inhalt des Wundertextes ins Gespräch zu bringen. ■ Die Jugendlichen erkennen im Wundertext eine alternative Lebensge‐ staltung und eine im Glauben gründende Verantwortung für soziale Veränderung. b) Hermeneutische Überlegungen Folgende Erkenntnisse der Exegese (→ 5.1.1) werden für den unterrichtli‐ chen Rahmen als vermittelnswert und (eventuell reduziert) vermittelbar eingestuft: ■ Jesus sorgt sich umfassend um das Wohl der Menschen. ■ Jesus bindet die Jünger mit ein und delegiert den Wundervollzug an sie. ■ Der Wundervollzug kommt durch die Wundervollmacht Jesu und das Mittun der Menschen zustande (Wunderlogik → 3.6.3). ■ Das Teilen geringer Vorräte wendet große Not (paradoxe Erfahrung). ■ Hinter dem Text wird Gott erkennbar, der schon im AT sein Volk fürsorglich durch die Einöde begleitete. ■ Der Text macht Hoffnung auf Erlösung von existenzieller Not. ■ Der Text impliziert eine Ethik des Teilens als Ausdruck gelebter Nach‐ folge. ■ Teilen ist ein essenzieller Beitrag zur Gerechtigkeit. 296 6 Didaktische Impulse <?page no="297"?> 76 https: / / www.bing.com/ videos/ search? q=song+share&docid=608024673901547326&mi d= AF69B6BD2F088 375ABB0AF69B6BD2F088 375ABB0&view=detail&FORM=VIRE (zuletzt aufgerufen 16. 3. 2021). Anmerkung: Entwicklungspsychologisch betrachtet, können die Kinder der 5. und 6. Klasse andere Sinnebenen neben der wörtlichen erschließen. Allerdings ist mit divergierenden kognitiven Fähigkeiten zu rechnen. Die Frage nach einer eigenständigen Identität stellt sich mit Beginn der Pubertät und ist ebenfalls ein wichtiger Faktor bei der Einschätzung der Lernmög‐ lichkeiten der Zielgruppe. c) Suche nach Lebensweltbezügen Folgende Fragen können helfen, die Lebensweltbezüge zu erkennen: ■ Haben die Jugendlichen schon einmal physische Not erlebt? ■ Kennen die Jugendlichen das Phänomen des Futterneids? ■ Haben die Jugendlichen schon einmal das Wunder des Teilens erlebt? ■ Kennen die Jugendlichen das Ritual des Brotbrechens und des Dankge‐ bets aus Alltag oder Liturgie? Analoge und digitale Medien, die den Jugendlichen (altersunabhängig) zugänglich sind und das Thema des Wundertextes ansprechen, könnten sein: ■ Der Song Sharing Is Caring bringt die Erfahrung des Teilens zur Spra‐ che 76 . ■ Das Teilen von Nachrichten, Fotos etc. in den sozialen Medien. ■ Redensarten wie ‚geteiltes Leid ist halbes Leid‘, ‚geteiltes Glück ist dop‐ peltes Glück‘ oder ‚Freud’ und Leid teilen‘. ■ Werbekampagnen zum Car-Sharing. ■ Viele Popsongs widmen sich dem Phänomen Wunder, z. B. Nena, Wun‐ der gescheh’n oder Shawn Mendes, Wonder. d) Formulierung von Lernzielen Der inhaltliche Schwerpunkt Gemeinschaft und Verantwortung in Schule und Gesellschaft ist im Musterbeispiel auf sechs Unterrichtsstunden à 45 Minuten zugeschnitten. Globale Lernziele für die gesamte Unterrichtsreihe könnten sein: 297 6.6 Musterbeispiele <?page no="298"?> a) kognitiv: Die Jugendlichen lernen, dass sich Jesus den Menschen umfas‐ send zuwandte und ihnen damit Hoffnung auf ein Leben in Fülle brachte. Er hielt Menschen dazu an, ihre Ressourcen miteinander zu teilen, um Not zu lindern. Das Teilen stellte er unter die Verheißung wunderhaften Erfolgs. b) expressiv-emotiv: Das Wissen um die Fürsorglichkeit Gottes und Jesu kann von Existenzängsten befreien und die Empathie mit Notleidenden fördern. c) praktisch: Die Jugendlichen entwickeln Vorschläge, was man teilen kann, um einen Beitrag zu einer besseren, gerechteren Welt zu leisten. Die Lernziele werden in sechs Unterrichtsstunden erreicht: 1.+2. Stunde: Hinführung - Die biblischen Schöpfungserzählungen (Gen 1 f.). Lernziele: a) kognitiv: Gott schuf eine gute Welt mit idealen Lebensbedingungen für alle Geschöpfe; b) expressiv-emotiv: Die Jugendlichen lernen, über die Schöp‐ fung zu staunen und dankbar zu sein; c) praktisch: Die Jugendlichen entwickeln Ideen für einen achtsamen Umgang mit der Schöpfung. 3. Stunde: Vertiefung I - Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg (Mt 20,1-16). Lernziele: a) kognitiv: Gottes Gerechtigkeit wird auch den Letzten noch gerecht; b) expressiv-emotiv: Missgunst und Neid passen nicht zur Güte Gottes; c) praktisch: Die Jugendlichen entwickeln Ideen, wie man Missgunst und Neid überwinden kann. 4. Stunde: Vertiefung II - Die Speisung der Fünftausend (Mk 6,30-44). Lernziele: a) kognitiv: Jesus zeigt, wie durch Teilen alle satt werden können; b) expressiv-emotiv: Entwicklung von Offenheit für das Wunder des Teilens; c) praktisch: Die Jugendlichen entwickeln Ideen, was man alles teilen könnte. 5. und 6. Stunde: Praxisprojekt (Anwendung) - Besuch im Seniorenheim. Lernziele: a) kognitiv: Es gibt viele Menschen in unserer Stadt, die am Leben kaum teilhaben können; b) expressiv-emotiv: Es bringt beiden Seiten große Freude, Zeit zu schenken, sie mit den Alten zu teilen; c) praktisch: Die Jugendlichen üben Verantwortung für hilfsbedürftige Menschen ein (und schreiben einen Zeitungsartikel darüber). 298 6 Didaktische Impulse <?page no="299"?> 77 Weiteres Unterrichtsmaterial bieten Autschbach 2016, 43-49, vom Stein 2017, 133-135.144-146, und Häußler / Rieder 2019, 34-36. e) Methodische Entscheidungen Die anvisierte Stunde ist die vierte von insgesamt sechs in der Unterrichts‐ reihe. Die Jugendlichen sind bereits mit den Schöpfungserzählungen und dem Schöpfungsauftrag vertraut. Sie kennen das Gleichnis von den Arbei‐ tern im Weinberg und den Zusammenhang von Gerechtigkeit und Güte. Die vierte Unterrichtsstunde macht deutlich, dass Gott in seiner Fürsorglichkeit allen Menschen genügend Ressourcen zum Leben zukommen lässt, aber nicht ‚einfach so‘, sondern verbunden mit dem Auftrag, das Vorhandene mit den Notleidenden zu teilen. Der Unterricht beginnt mit einer kurzen Anamnese der dritten Unter‐ richtsstunde (Mt 20,1-16). Danach wird der Wundertext bis V. 38 in kindge‐ rechter Übertragung bzw. als freie Nacherzählung vorgetragen. Die Jugend‐ lichen haben die Aufgabe, sich für den Text einen Schluss auszudenken und niederzuschreiben. Die Ergebnisse werden besprochen und mit dem originalen Textende verglichen. Zum Abschluss findet ein Brainstorming darüber statt, was man alles teilen könnte. 77 f) Verlaufsplanung ZEIT ZIELE INHALT METHODE / MEDIEN SOZIAL- FORMEN KOMMENTAR 6 min. Anam‐ nese Mt 20,1-16 Stoff der 3. Stunde (Mt 20) Rundgespräch, Tafelanschrieb Kreis 4 min. Text‐ kenntnis Mk 6,30-38 Speisung der 5000 ohne Textende Kindgerechte Textvorlage oder Übertra‐ gung Kreis kindgerechte Vorlage ist zu erstellen 10 min. Vertieftes Textver‐ ständnis Mk 6,30-44 Eigenständige Entwicklung ei‐ nes Erzählendes Partnerar‐ beit Textblatt Mk 6,30-38 ist vorzubereiten 10 min. Austausch im Ple‐ num (Mk 6,39-44) Schülervortrag, Diskussion Gruppenti‐ sche Lehrkraft mo‐ deriert den Austausch 299 6.6 Musterbeispiele <?page no="300"?> 78 Kernlehrplan für das Fach Evangelische Religionslehre (2013), 15. Online verfügbar unter https: / / www.schulentwicklung.nrw.de/ lehrplaene/ upload/ klp_SI/ ev_religionsle hre/ KLP_GY_ER.pdf (zuletzt aufgerufen 16. 3. 2021). 79 Kernlehrplan Realschule, 29 f. Online verfügbar unter https: / / www.schulentwicklu ng.nrw.de/ lehrplaene/ lehrplan/ 68/ KLP_RS_Ev_Religionslehre.pdf (zuletzt aufgerufen 16. 3. 2021). Für Sekundarstufe I (GYM) sind die Kompetenzerwartungen ähnlich for‐ muliert. ZEIT ZIELE INHALT METHODE / MEDIEN SOZIAL- FORMEN KOMMENTAR 3 min. originales Ende O-Ton Mk 6,39-44 Lehrervortrag Gruppenti‐ sche 10 min. Anwen‐ dung auf ethische Praxis Brainstorming zum Thema Tei‐ len; Ergebnissi‐ cherung Kreis Lehrkraft bündelt die Ergebnisse; Tafelan‐ schrieb 6.6.4 Sek I (7. - 10. Klasse): Sturmstillung (Mk 4,35 - 41) a) Verortung im Lehrplan Textvorschläge zur Ausgestaltung von Inhaltsfeld 2 der Realschule bzw. Sekundarstufe I (GYM), Klassen 7-9(+10): Christlicher Glaube als Lebensori‐ entierung, Schwerpunkt: Die Botschaft Jesu vom Reich Gottes fehlen. Die Sturmstillungsperikope wird als inhaltlich passend und zielführend einge‐ stuft. Das Inhaltsfeld 2 soll den Jugendlichen Lebensorientierung „in einer sich wandelnden pluralen Gesellschaft“ sowie aus dem christlichen Glauben heraus „tragfähige Gründe für die eigene Lebensgestaltung“ bieten. 78 Im Fokus stehen Person und Botschaft Jesu. Damit verknüpft sind folgende Kompetenzerwartungen (in Auszügen): 79 ■ Sachkompetenz / Wahrnehmungskompetenz: „Die Schülerinnen und Schüler können Wundererzählungen, Gleichnisse und Passagen der Bergpredigt als Möglichkeiten vom Reich Gottes zu sprechen identi‐ fizieren und deren Bedeutung als mögliches Orientierungsangebot beschreiben.“ 300 6 Didaktische Impulse <?page no="301"?> ■ Deutungskompetenz: „Die Schülerinnen und Schüler können den Gehalt der Wundertaten und Gleichnisse Jesu als Hoffnungsbotschaft beschrei‐ ben.“ ■ Urteilskompetenz: „Die Schülerinnen und Schüler können die Wunder‐ taten und Gleichnisse als Hoffnungsbotschaft Jesu beurteilen.“ ■ Handlungskompetenz / Dialogkompetenz: „Die Schülerinnen und Schüler können in interreligiösen Gesprächen Auskunft bezüglich der Bedeu‐ tung von Person und Botschaft Jesu für evangelische Christen unter Berücksichtigung der Perspektive des Gesprächspartners oder der Ge‐ sprächspartnerin geben.“ ■ Gestaltungskompetenz: „Die Schülerinnen und Schüler können zu ak‐ tuellen gesellschaftlichen Themen Ideen zur Bewältigung dieser Le‐ benswirklichkeit anhand von Deutungen zentraler biblischer Texte entfalten.“ Und sie „können Handlungen und Verhaltensweisen zur Wahrnehmung von eigener Verantwortung aus christlicher Motivation prüfen und erproben.“ Zu den Rahmenbedingungen passen als didaktisch-methodische Überlegun‐ gen: ■ Der Wundertext nimmt nicht ausdrücklich auf das Reich Gottes Bezug, zeigt aber die Hoheit Gottes über die Naturgewalten an. ■ Der Wundertext thematisiert existenzielle Ängste und schafft Vertrauen in Gottes rettende Zuwendung. ■ Der Text macht Hoffnung auf ein Leben ohne Bedrohungen. ■ Der Text konfrontiert mit dem wissenschaftlich-rationalen Wahrheits‐ begriff. ■ Der Wundertext kann eine Grundlage für das interreligiöse Gespräch über die Bedeutung Jesu Christi sein. b) Hermeneutische Überlegungen Im skizzierten Rahmen sind folgende Erkenntnisse der theologischen Ori‐ entierung (→ 5.2.1) vermittelnswert und (in reduzierter Form) vermittelbar: ■ Der Wundertext transportiert die Hoffnung auf die Überwindung le‐ bensbedrohlicher, übermenschlicher Kräfte und Mächte (Naturgewal‐ ten) und damit einen wesentlichen Aspekt der basileía Gottes. 301 6.6 Musterbeispiele <?page no="302"?> ■ Der Text zeigt den Kontrast zwischen mangelndem Gottvertrauen ( Jünger) und intensivem Gottvertrauen ( Jesus). Gottvertrauen verhilft zu Gelassenheit auch in kritischen Situationen. ■ Das Gottvertrauen richtet sich auf den Schöpfergott, der Menschen aus jeder denkbaren Gefahrenlage retten kann. ■ Das Beispiel der Jünger zeigt, dass Gottvertrauen ein Prozess ist, bei dem es immer wieder Rückschritte geben kann (Skepsis, Zweifel, Angst). ■ Der Wundertext drückt symbolisch aus, dass die christliche Gemeinde in lebensfeindlicher Umgebung unterwegs ist, dass alle Gläubigen ‚in einem Boot‘ sitzen und in der Gestalt Jesu Gott selbst mit ihnen unterwegs ist. ■ Der Text zeigt, dass Jesus auch Herr über die Naturmächte ist. Anmerkung: Aus Sicht der Entwicklungspsychologie können die Jugendli‐ chen der 7.-9.(+10.) Klasse mehrere Sinnebenen unterscheiden. Zu rechnen ist mit uneinheitlichen kognitiven Entwicklungsständen. Die virulente Frage der Jugendlichen nach einer eigenständigen Identität ist bei der Vorbereitung mitzudenken. c) Suche nach Lebensweltbezügen Folgende Fragen sind bei der Erschließung der Lebensweltbezüge hilfreich: ■ Wo begegnet den Jugendlichen existenzielle Angst? ■ Wovon sehen sich Jugendliche besonders bedroht? ■ Wie wird das Problem des Scheiterns erlebt? ■ In welchen Situationen sind Jugendliche cool und weshalb? ■ Was gibt Sicherheit und Halt im Leben? ■ Was bringt Jugendliche von ihren Überzeugungen ab und verunsichert sie? ■ Haben Jugendliche die Erfahrung, mit anderen ‚in einem Boot‘ zu sitzen und gemeinsam auch schwierige Zeiten durchzustehen, schon gemacht? ■ Der Blick in die Medienlandschaft ergibt folgende Anknüpfungspunkte: ■ Katastrophenfilme wie Twister sprechen menschliche Urängste an. ■ Der Film Das Boot ist so ein Film und steht dem Sujet der Sturmstillung besonders nah; dasselbe gilt für den Filmklassiker Titanic. ■ Der Song You’ll Never Walk Alone besingt die Kraft, die von der Gemeinschaft ausgeht. 302 6 Didaktische Impulse <?page no="303"?> ■ Fußballmannschaften sind ein passendes Beispiel dafür, wie Spieler, Trainer und andere Faktoren zusammenwirken müssen, um Erfolg zu haben. ■ Zu Corona-Zeiten können Jugendliche lernen, was es heißt, in der Gesellschaft zusammenzustehen, Verantwortung zu übernehmen und sich nicht von Horrornachrichten und fake news in Panik versetzen zu lassen. d) Formulierung von Lernzielen Der inhaltliche Schwerpunkt Die Botschaft Jesu vom Reich Gottes ist hier auf sechs Unterrichtsstunden à 45 Minuten Dauer beschränkt. Die globalen Lernziele für die gesamte Unterrichtsreihe werden folgendermaßen festge‐ legt: a) kognitiv: Jesus brachte mit seinem (Wunder-)Wirken und seiner basi‐ leía-Botschaft Hoffnung auf ein Ende bedrohlicher Szenarien und auf ein Leben in Fülle. b) expressiv-emotiv: Jesu Wirken macht bis heute vielen Menschen Hoff‐ nung, dass es im Leben immer weitergeht, auch wenn die Wogen des Schicksals über einem zusammenschlagen. Wer glaubt, kann Gelassenheit zeigen, weil er bzw. sie sich im tiefsten Innern behütet und geborgen weiß. c) praktisch: Die Jugendlichen lernen, sich nicht von Panikmache anstecken zu lassen, und übernehmen soziale Verantwortung. Umgesetzt werden die Ziele in sechs Unterrichtsstunden: 1. Stunde: Hinführung - Gleichnis vom großen Abendmahl (Lk 14,15-24). Lernziele: a) kognitiv: Das Reich Gottes wird in den Gleichnissen metaphorisch unter anderem als großes Fest umschrieben; b) expressiv-emotiv: Die Aussicht auf Gottes basileía ist der Inbegriff christlicher Zukunfts- und Erlösungshoffnung; c) praktisch: Die Jugendlichen reflektieren ihre persönliche Werteskala. 2. Stunde: Vertiefung I - Das Gleichnis von Schatz und Perle (Mt 13,44-46). Lernziele: a) kognitiv: Das Reich Gottes ist etwas ganz Besonderes, für das manche Menschen alles andere hergeben; das Reich Gottes beinhaltet einen tieferen Sinn des Lebens, als materieller Besitz ihn geben kann; b) expressiv-emotiv: Es lohnt sich, im Leben nach höheren Zielen zu streben; c) praktisch: Die Jugendlichen entwickeln Perspektiven, was ‚Schätze‘ und ‚Perlen‘ in ihrem Leben sein könnten. 303 6.6 Musterbeispiele <?page no="304"?> 3. Stunde: Vertiefung II - Das Weinwunder von Kana ( Joh 2,1-11). Lernziele: a) kognitiv: Jesus rettet die Hochzeitsparty und übertrifft mit seinem Wunder sogar die Erwartungen der Gäste; b) expressiv-emotiv: Bei Gott ist immer noch ‚mehr drin‘, als es die Alltagserfahrung vermuten lässt (Freude, Hoffnung); c) praktisch: Die Jugendlichen entwickeln Ideen, wie sie den Menschen, denen sie nahestehen, eine überraschende, große Freude machen können. 4. Stunde: Vertiefung III - Das Gleichnis von Vögeln und Lilien (Mt 6,25-32). Lernziele: a) kognitiv: Die Natur zeigt, dass Gott für seine Schöpfung und für die Menschen sorgt; b) expressiv-emotiv: Für uns ist gesorgt; wir müssen und können das Leben nicht gegen alles absichern (Hoffnung, Gottvertrauen); c) praktisch: Die Jugendlichen entwickeln Ideen für einen nachhaltigen Umgang mit der Schöpfung. 5. Stunde: Vertiefung IV: Die Sturmstillung (Mk 4,35-41). Lernziele: a) kognitiv: Jesus ist mächtiger als Naturgewalten. Er führt die Jünger sicher durch die Stürme des Lebens; b) expressiv-emotiv: Eine gute Gemeinschaft und eine gute Führung helfen, Ängste zu überwinden und Krisen zu meistern (Trost, Hoffnung); c) praktisch: Die Jugendlichen reflektieren, was ihnen im Leben Halt gibt. 6. Stunde: Aktualisierung und Abschluss: Werte und Sinnangebote in den Medien (Werbung, YouTube etc.). Lernziele: a) kognitiv: Die Medien transportieren ein Bild von einer schönen Welt, die man kaufen kann, und Werte, die den Konsum stimulieren; b) expressiv-emo‐ tiv: Nicht alles, was die Werbung suggeriert, ist wirklich gut! (Abgrenzung, Gelassenheit); c) praktisch: Die Jugendlichen hinterfragen kritisch die Werbein‐ dustrie und die Werte der Medienwelt und entwickeln alternative Werbespots. Die anvisierte Unterrichtsstunde ist die fünfte von sechs Stunden im Schwer‐ punkt Die Botschaft Jesu vom Reich Gottes. Sie erweitert das Spektrum der Lebensangebote Jesu und zeigt, dass Glaube und Gemeinschaft einen Halt im Leben geben können, der auch aus aussichtslos scheinenden Situationen heraushilft. 304 6 Didaktische Impulse <?page no="305"?> e) Methodische Entscheidungen Die Jugendlichen kennen Grundzüge der basileía-Botschaft Jesu und wissen, dass sie die christliche Zukunftshoffnung bündelt. Die Frage der persön‐ lichen Lebensziele und Werteskala wurde aufgeworfen und in Ansätzen reflektiert. In der fünften Unterrichtsstunde kommen die Jugendlichen mit einem Naturwundertext in Berührung, der das Spektrum dessen, was auf Grundlage des biblischen Gottesglaubens möglich erscheint, noch einmal erweitert. Sie lernen, dass die Sturmstillung eine spirituelle Sinnebene mit Relevanz für ihr eigenes Leben hat. Die Unterrichtsstunde beginnt mit einer kurzen Rückschau auf die vor‐ herige Unterrichtsstunde (Mt 6,25-32). In Stillarbeit wird die Frage, was den Jugendlichen Halt im Leben gibt, abgefragt und schriftlich festgehalten. Im Anschluss erhalten sie ein Arbeitsblatt mit dem Text samt Leitfragen (etwa: Weshalb schläft Jesus im Sturm? Ist die Geschichte glaubwürdig? Was könnte sie symbolisch bedeuten? Wie lautet die Antwort auf die Frage der Jünger? ). Die Fragen werden anhand der think-pair-share-Methode in Stillbzw. Partnerarbeit beantwortet. Das Ergebnis wird im Plenum ausge‐ tauscht. Eine Diskussion um das mögliche Verständnis des Wundertextes (gegebenenfalls ergänzt um die historische Frage → 2.4) schließt sich an. Die Stunde endet mit einer Ergebnissicherung. f) Verlaufsplanung ZEIT ZIELE INHALT METHODE / MEDIEN SOZIAL- FORMEN KOMMENTAR 6 min. Anam‐ nese Mt 6,25-32 Rundgespräch Frontalun‐ terricht 6 min. Reflexion persönli‐ cher Kri‐ senerfah‐ rung Lebens‐ weltbe‐ züge zu ‚Halt in Krisen‘ Arbeitsblatt mit der Frage: „Wo suchst du in Krisen Halt? “ Stillarbeit Textblatt ist vorzuberei‐ ten; Antwor‐ ten verbleiben bei den SuS 15 min. Textan‐ eignung Mk 6,35-41 mit Leit‐ fragen Arbeitsblatt mit Leitfragen; think-pair-share Still- und Partnerar‐ beit; Ple‐ num 12 min. Diskus‐ sion um Mk 6,35-41, Diskussion um Relevanz (und Kreis Lehrkraft mo‐ deriert und 305 6.6 Musterbeispiele <?page no="306"?> 80 Kernlehrplan Evangelische Religionslehre für die Sekundarstufe II, Gymnasium / Ge‐ samtschule in Nordrhein-Westfalen (2014), S. 19. Online verfügbar unter https: / / www. schulentwicklung.nrw.de/ lehrplaene/ upload/ klp_SII; / er/ KLP_GOSt_Religionslehre_ev .pdf (zuletzt aufgerufen 17. 3. 2021). 81 A. a. O., 24. ZEIT ZIELE INHALT METHODE / MEDIEN SOZIAL- FORMEN KOMMENTAR Textrele‐ vanz Sinnebenen ggf. um histori‐ sche Frage) strukturiert nur 4 min. Ergebnis‐ sicherung Stundenthema Tafelanschrieb Tafel Lehrkraft bündelt Re‐ sultat 6.6.5 Sek II (10./ 11. Klasse): Jüngling zu Nain (Lk 7,11 - 17) a) Verortung im Lehrplan Die gymnasiale Oberstufe (LK) sieht Wundertexte ausdrücklich vor, nicht aber in der Einführungsphase (Klasse 10 / 11). Gleichwohl wird der Erkennt‐ nis-Wundertext als thematisch passend und zielführend für das Inhalts‐ feld 6: Die christliche Hoffnung auf Vollendung, Schwerpunkt Christliche Lebensentwürfe und Zukunftsvorstellungen, erachtet. Der Lehrplan führt das Inhaltsfeld so ein: „Das Inhaltsfeld beschäftigt sich mit der Beständigkeit der Welt angesichts der Erfahrung der menschlichen Endlichkeit und der Vergänglichkeit des Lebens und greift die Frage auf, worauf Menschen hoffen können. Bis in die Gegenwart hinein haben Christinnen und Christen durch die Gestaltung ihres Lebens Antworten und Beispiele gegeben und so ihre Erwartungen an die Zukunft ausgedrückt. In der Auseinandersetzung mit endzeitlichen Szenarien und der Spannung von Angst und Hoffnung haben sie sich von der Verheißung auf die Vollendung des Reiches Gottes leiten lassen.“ 80 Mit dem Schwerpunkt verknüpfte Kompetenzerwartungen sind (in Auszü‐ gen): 81 ■ Sachkompetenz / Wahrnehmungskompetenz: „Die Schülerinnen und Schüler unterscheiden verschiedene Weisen, von Zukunft zu sprechen.“ 306 6 Didaktische Impulse <?page no="307"?> Und sie „grenzen die Eigenart christlicher Zukunftshoffnung von säku‐ laren Zukunftsvorstellungen ab.“ ■ Deutungskompetenz: „Die Schülerinnen und Schüler beschreiben mög‐ liche Beiträge christlicher Hoffnung zur Bewältigung von Gegenwarts- und Zukunftsaufgaben.“ Und sie „unterscheiden zwischen Zukunft als futurum und als adventus.“ ■ Urteilskompetenz: „Die Schülerinnen und Schüler erörtern auf der Grundlage einer gründlichen Auseinandersetzung säkulare Zukunfts‐ vorstellungen und Vorstellungen christlicher Hoffnung.“ Und sie „er‐ örtern Auswirkungen der verschiedenen Zukunftsvisionen auf die Lebenshaltung und -gestaltung des einzelnen Menschen.“ Und sie „be‐ werten die Tragfähigkeit der Hoffnung, die sich aus unterschiedlichen Sinnangeboten ergibt.“ Im skizzierten Rahmen sind für die Verwendung des Textes folgende didak‐ tisch-methodische Überlegungen leitend: ■ Der Wundertext berührt eine zentrale Frage biblisch-christlicher Zu‐ kunftshoffnung (Überwindung des physischen Todes). ■ Der Wundertext macht Hoffnung auf endzeitliche Erlösung bis heute. ■ Die Hoffnung auf allgemeine Totenauferstehung gehört zum Kernbe‐ stand christlicher Glaubenslehre (3. Glaubensartikel). ■ Der Text provoziert den Konflikt mit dem wissenschaftlich-rationalen Wahrheitsbegriff und fördert die Erschließung mehrerer Sinnebenen. ■ Der Text befreit aus Resignation angesichts von Terror, Tod und Un‐ recht. Anmerkung: Die Fähigkeit der Jugendlichen der gymnasialen Oberstufe zu abstraktem und analytischem Denken ist vorauszusetzen. Somit erscheint eine differenzierte methodische Vorgehensweise, auch eine historisch-kri‐ tische Erschließung des Textes in seinem Kontext, grundsätzlich möglich. b) Hermeneutische Überlegungen Folgende Erkenntnisse der theologischen Orientierung (→ 5.2.2) bieten sich für das Setting als vermittelnswert und (eventuell reduziert) vermittelbar an: ■ Die Totenerweckung weist auf die göttliche Vollmacht Jesu hin (V. 16! ). 307 6.6 Musterbeispiele <?page no="308"?> 82 https: / / www.youtube.com/ results? search_query=ressurection (letzter Zugriff 17. 3. 2021). ■ Die Erweckung zeigt Gottes Schöpfervollmacht an und signalisiert die physisch-leibliche Erlösung der Welt. ■ Die Erweckung hat einen sozialen Aspekt: Die Witwe erhält ihren Ernährer und Beschützer zurück; Jesus wendet eine soziale Katastrophe ab. ■ Um zu helfen, setzt sich Jesus über festgefügte natürliche, kultische und moralisch-religiöse Ordnungen hinweg. ■ Das Wunder ist unmittelbare Folge der Empathie Jesu. c) Suche nach Lebensweltbezügen Die Suche nach Lebensweltbezügen wird durch folgende Fragen struktu‐ riert: ■ Haben die Jugendlichen schon Erfahrungen mit dem Tod naher Ange‐ höriger oder Freunde gemacht? Kennen sie die sozialen Folgen des Todes? ■ Kennen sie das Problem, wenn der Hauptverdiener der Familie ausfällt? ■ Haben sie sich schon Gedanken über ein Leben nach dem Tod gemacht? ■ Haben sie schon aktive oder passive Empathie-Erfahrungen gesam‐ melt? ■ Ist den Jugendlichen das Apostolikum bekannt? Lebensweltbezüge ergeben sich aus dem Blick in analoge und digitale Medien: ■ Das Ostereignis mit der Auferstehung Jesu darf zur Allgemeinbildung der Jugendlichen gezählt werden. ■ Unter dem Titel Resurrection gibt es unterschiedliche Songs und Filme. 82 ■ Die Filmserie Club der roten Bänder (Vox) bearbeitet auf altersgerechte Weise das Thema Krankheit und Tod. ■ Die Diskussion um eine Schattenexistenz von ‚Untoten‘ und ‚Zombies‘ ist medial weit verbreitet (etwa: The Living Dead oder The Walking Dead). ■ Songs wie Tears in Heaven von Eric Clapton oder Candle In The Wind von Elton John verarbeiten Trauer und transportieren Jenseitshoffnung. 308 6 Didaktische Impulse <?page no="309"?> 83 https: / / genius.com/ Nate57-was-kommt-danach-lyrics (zuletzt aufgerufen 17. 3. 2021). 84 https: / / www.genios.de/ presse-archiv/ artikel/ WEST/ 20210317/ wenn-angehoerige-ancovid-19-sterbe/ 101638293.html (letzter Zugriff 24. 5. 2021). ■ Der Song Was kommt danach? von Nate57 stellt die gleichnamige Frage. 83 ■ Redewendungen wie ‚Für mich bist du gestorben‘ indizieren eine metaphorische Bedeutung des Begriffs und eine nicht-physische Art des Todes. ■ In den sozialen Medien werden manche Menschen für tot erklärt, obwohl sie es, biologisch gesehen, gar nicht sind. ■ Türöffner können auch Nahtoderfahrungen oder Bücher wie Mein zweites Leben von Christiane F. sein. ■ Die Vorstellung, dass Verstorbene weiterhin präsent sind und in unse‐ rer Erinnerung weiterleben, ist ebenfalls ein möglicher Anknüpfungs‐ punkt. d) Formulierung von Lernzielen Der inhaltliche Schwerpunkt Christliche Lebensentwürfe und Zukunftsvor‐ stellungen wird als Unterrichtsreihe über zehn Unterrichtsstunden à 45 Mi‐ nuten Dauer konzipiert. Die globalen Lernziele lauten: a) kognitiv: Christliche Zukunftshoffnung schließt die Vorstellung eines ewi‐ gen Lebens nach dem Tod ein. Die ntl. Erzählungen über Totenerweckungen und über Jesu Auferstehung sind bis heute Grundlage dieser Hoffnung. b) expressiv-emotiv: Die Jugendlichen erfahren, dass der christliche Glaube Trost und Hoffnung über den Tod hinaus gibt. Der Glaube an den Gott, der sogar aus dem Tod heraus neues Leben schaffen kann, ist unglaublich und tröstlich zugleich. c) praktisch: Die Jugendlichen reflektieren ihren persönlichen Umgang mit Tod und Sterben und sind in der Lage, die christliche Auferstehungshoff‐ nung gegenüber Menschen mit anderer Religion zu kommunizieren. Umgesetzt werden die Ziele in zehn Unterrichtsstunden: 1. Stunde: Hinführung - Bericht über das anonyme Sterben eines Corona-To‐ ten (z. B. WZ am 17. 3. 2021). 84 Lernziele: a) kognitiv: Der Tod ist ein natürlicher Vorgang, aber er bedeutet für die Betroffenen und die Angehörigen einen endgültigen Schnitt und hat zum Teil 309 6.6 Musterbeispiele <?page no="310"?> massive soziale und psychologische Folgen; b) expressiv-emotiv: Sterben und Tod setzen starke Emotionen wie Trauer, Angst, Wut, Ratlosigkeit, Depression und Verzweiflung frei; c) praktisch: Die Jugendlichen formulieren eine Todesanzeige. 2. Stunde: Thema Nahtoderfahrungen. Lernziele: a) kognitiv: Nahtoderfahrungen sind wissenschaftlich umstritten; es gibt konträre Theorien dazu; b) emotiv-expressiv: Für viele Menschen sind Nahtoderfahrungen ein Anknüpfungspunkt für postmortale Hoffnungen; c) prak‐ tisch: Die Jugendlichen reflektieren ihre eigenen Gedanken zum Thema Sterben und Tod. 3. Stunde: Biblische Grundlegung I - Gleichnis vom verlorenen Sohn Lk 15. Lernziele: a) kognitiv: Die Metaphern ‚tot‘ und ‚lebendig‘ markieren eine be‐ stimmte Form des sozialen (Un-)Verhältnisses; b) expressiv-emotiv: Die Erfah‐ rung, von anderen für tot erklärt zu sein, erweckt Ängste und Wut; c) praktisch: Die Jugendlichen reflektieren den Sprachgebrauch in sozialen Medien. 4. und 5. Stunde: Anwendung I - Tod und postmortale Existenz in Musik und Literatur. Lernziele: a) kognitiv: Das Thema Tod und die Frage nach einer postmortalen Existenz werden äußerst unterschiedlich bearbeitet; b) expressiv-emotiv: Trauer, Hoffnungslosigkeit, Hoffnung und Sehnsucht liegen eng beieinander; c) prak‐ tisch: Die Jugendlichen reflektieren die Lösungsangebote in Songs und Literatur. 6. Stunde: Biblische Grundlegung II: Die Auferstehungshoffnung in 1 Thess 4. Lernziele: a) kognitiv: Die Hoffnung auf (leibliche) Auferstehung gehört zum Urbestand christlicher Zukunftshoffnung; b) expressiv-emotiv: Die christliche Auferstehungshoffnung motiviert eine positive Lebenseinstellung (Zuversicht, Hoffnung); c) praktisch: Die Jugendlichen können die christliche Auferste‐ hungshoffnung in den gesamtbiblischen Kontext einordnen. 7. Stunde: Anwendung II - Analyse von Todesanzeigen. Lernziele: a) kognitiv: Trauerarbeit ist höchst individuell; Bezugnahmen auf den Glauben spielen eine marginale Rolle; b) expressiv-emotiv: Es gibt viele hoff‐ nungsvolle und viele trostlose Formulierungen; c) praktisch: Die Jugendlichen lernen, Todesanzeigen ‚zwischen den Zeilen‘ zu lesen und in kulturelle Kontexte einzuordnen. 310 6 Didaktische Impulse <?page no="311"?> 8. Stunde: Biblische Grundlegung III - Der Jüngling zu Nain (Lk 7,11-17). Lernziele: a) kognitiv: Der Wundertext transportiert mehrere Sinnebenen, die ineinandergreifen. Außerdem hat der Text gewichtige theo-logische, christologi‐ sche und eschatologische Implikationen; b) expressiv-emotiv: Das Erbarmen Jesu führt als physische Affiziertheit zu unmittelbarer Zuwendung und zum Wunder; c) praktisch: Die Jugendlichen reflektieren Pressemeldungen über Leid und Tod anderer Menschen. 9. Stunde: Biblische Grundlegung IV - Die Auferstehung Jesu (Mk 16,1-8parr.). Lernziele: a) kognitiv: Der Osterglaube ist das Urdatum des christlichen Glau‐ bens und gilt als Antwort Gottes auf den Weg der Lebenshingabe Jesu; b) expressiv-emotiv: Der Osterglaube setzt bis heute bei Christinnen und Christen Hoffnung für ein neues, ewiges Leben in Fülle frei; c) praktisch: Die Jugendlichen diskutieren die Möglichkeit einer physischen Auferstehung bzw. einer Wieder‐ geburt. 10. Stunde: Abschluss und Ergebnissicherung. Lernziele: a) kognitiv: Die Hoffnung auf physische Auferstehung ist der stärkste Ausdruck des biblischen Gottesglaubens und trägt die Kirche bis heute; b) expressiv-emotiv: Der Glaube an Gott, der selbst aus dem Tod heraus neues Leben schaffen kann, ist Ankerpunkt eines diesseitigen Lebens in Hoffnung, Vertrauen und Gelassenheit; c) praktisch: Die Jugendlichen können die biblische Auferstehungshoffnung gegenüber Menschen mit anderer Religion erklären und diskutieren. e) Methodische Entscheidungen Die skizzierte Unterrichtsstunde ist die achte von zehn der Unterrichtsreihe. Die Jugendlichen haben schon thematisches und biblisches Wissen zum Thema Tod und Zukunftshoffnungen und können Lebensweltbezüge dazu herstellen. Die Unterrichtsstunde beginnt mit einer Anamnese der Analyse von Todesanzeigen. Diese weisen zum Teil christliche Bezüge auf, welche die Hoffnung auf Totenauferstehung implizieren. Lk 7,11-17 wird eingeführt und, mit Leitfragen versehen, arbeitsteilig zur Bearbeitung ausgeteilt (etwa: Was ist das Motiv Jesu einzugreifen? Welche sozialen Folgen des Geschehens 311 6.6 Musterbeispiele <?page no="312"?> 85 Alternative Konzepte und Materialien bieten Häußler / Rieder 2019, 40-42. sind erkennbar? Wie ist die Furcht der Augenzeugen zu erklären? ). Die Ergebnisse werden vorgestellt und mögliche (physische, soziale, spirituelle) Sinnebenen diskutiert. Zuletzt wird das Erbarmen Jesu mit Presseartikeln über Leid und Tod kontrastiert. 85 f) Verlaufsplanung ZEIT ZIELE INHALT MEDIEN SOZIAL- FORMEN KOMMENTAR 5 min. Anam‐ nese von Traueran‐ zeigen Traueranzei‐ gen der 7. Un‐ terrichts‐ stunde Rundge‐ spräch, Ta‐ felanschrieb Frontalun‐ terricht 12 min. Kennen‐ lernen von Lk 7,11 ff. Totenerwe‐ ckungstext Gruppenar‐ beit, Ar‐ beitsblatt mehrere ar‐ beitsteilige Gruppen Text- und Ar‐ beitsblatt sind zu erstellen 5 min. Realien zu Lk 7 Schülervor‐ trag (schon vorbereitet) Frontalun‐ terricht, ggf. Powerpoint Referat wurde im Vorfeld er‐ stellt 10 min. Vertie‐ fung zu Lk 7,11 ff. Fragen zum Wundertext Gruppen‐ vor‐ träge / Leit‐ fragen Frontalun‐ terricht Medientech‐ nik muss vor‐ handen sein 10 min. Vertie‐ fung zu Lk 7,11 ff. Sinnebenen zu Lk 7,11-17 Diskussion und Ergeb‐ nissiche‐ rung Plenum Tafelan‐ schrieb / Whiteboard 6.6.6 Sek II (GK, LK): Exorzismus und Beelzebulfrage (Mt 12,22 - 30) a) Verortung im Lehrplan Der Konflikt-Wundertext ist im Kernlehrplan der Sekundarstufe II (LK) in Inhaltsfeld 3: Das Evangelium von Jesus Christus mit dem Schwerpunkt 312 6 Didaktische Impulse <?page no="313"?> 86 Der Kernlehrplan verweist für ein Umsetzungsbeispiel, für einen schulinternen Lehr‐ plan sowie für weitere Unterstützungsmaterialien auf www.lehrplannavigator.nrw.de. 87 Kernlehrplan Evangelische Religionslehre für die Sekundarstufe II, Gymnasium / Ge‐ samtschule in Nordrhein-Westfalen (2014), S. 18. Online verfügbar unter https: / / www .schulentwicklung.nrw.de/ lehrplaene/ upload/ klp_SII/ er/ KLP_GOSt_Religionslehre_ev .pdf (zuletzt aufgerufen 17. 3. 2021). 88 A. a. O., 42-44. Reich-Gottes-Verkündigung Jesu in Wort und Tat zu verorten. Der Kernlehr‐ plan selbst macht keine Textvorschläge. 86 Mt 12,22-30 passt zu den vorge‐ gebenen Inhalten und Kompetenzerwartungen. Das Thema des Inhaltsfeldes wird so umschrieben: „Dieses Inhaltsfeld beschäftigt sich mit der Frage, wer oder was Menschen Orientierung für ein gelingendes Leben angesichts der Widersprüchlichkeiten des Lebens und der Welt bietet. Der christliche Glaube an Jesus von Nazareth, den Christus, gewinnt aus der Botschaft Jesu vom Reich Gottes, dem Zeugnis von seiner Passion und dem Glauben an seine Auferstehung Leitlinien für die Gestaltung eines gelingenden Lebens.“ 87 In Auszügen lauten die Kompetenzerwartungen an den Schwerpunkt: 88 ■ Sachkompetenz / Wahrnehmungskompetenz: „Die Schülerinnen und Schüler stellen Jesu Botschaft vom Reich Gottes anhand der Gleichnisse, der Bergpredigt und der Wundererzählungen dar.“ Und sie „beschreiben die christliche Akzentuierung des Gottesverständnisses durch die Per‐ son, die Botschaft und das Leben Jesu Christi.“ Und sie „identifizieren Stellen in den synoptischen Evangelien, die für judenfeindliche Vorur‐ teile missbraucht werden könnten.“ ■ Deutungskompetenz: „Die Schülerinnen und Schüler stellen das christli‐ che Verständnis des Auftretens Jesu als Anbruch des Reiches Gottes dar.“ Und sie „erläutern Lebensorientierungen und Hoffnungsperspektiven, die sich aus der Reich-Gottes-Verkündigung Jesu und aus dem Glauben an Jesu Auferweckung für Christinnen und Christen ergeben.“ Und sie „vergleichen kriterienorientiert verschiedene theologische Jesus-Deu‐ tungen.“ Und sie „erläutern die Verkündigung Jesu vom Reich Gottes als die für die Kirche grundlegende Orientierung für ihre Lebens- und Zukunftsgestaltung.“ ■ Urteilskompetenz: „Die Schülerinnen und Schüler erörtern Fragen nach Verantwortung und Schuld im Kontext der christlichen Rede von der Kreuzigung Jesu.“ Und sie „beurteilen begründet die individuellen 313 6.6 Musterbeispiele <?page no="314"?> und sozialen lebenspraktischen Folgen der Reich-Gottes-Botschaft in Geschichte und Gegenwart.“ Dieser Rahmen führt zu folgenden methodisch-didaktischen Überlegungen: ■ Mt 12,22-30 verknüpft Wunder und basileía-Botschaft miteinander. ■ Der Konflikt-Wundertext stellt die Pharisäer als Feinde Jesu dar und könnte durch eine antijüdische Auslegung missbraucht werden. ■ Die Rede vom Reich Gottes erhält einen kosmisch-mythischen Anstrich. ■ Die Problematik heutiger Exorzismen ist berührt. ■ Zu diskutieren ist die Möglichkeit, V. 30 als Handlungsanweisung für Kirche und christliche Gemeinschaften heute zu verstehen. ■ zu klären sind das apkl.-dualistische Weltbild und die Satansvorstellung. ■ Der Text ist im Kontext der polarisierenden Wirkung Jesu zu interpre‐ tieren. Anmerkung: Die Jugendlichen der gymnasialen Oberstufe sind zu abstrak‐ tem und analytischem Denken fähig. Dies ermöglicht eine differenzierte methodische Vorgehensweise und eine historisch-theologische Vernetzung des Wundertextes. b) Hermeneutische Überlegungen Der skizzierte Rahmen erweist folgende Erkenntnisse der theologischen Orientierung (→ 5.4.1) als vermittelnswert und (gegebenenfalls reduziert) vermittelbar: ■ Im kosmisch-apkl. Dualismus stehen sich Gott, Jesus und der Heilige Geist einerseits und Satan mit den Dämonen andererseits gegenüber. ■ Der Wundertext umschreibt die Exorzismen als Gefechte des Reiches Gottes gegen das Reich Satans und der Dämonen. ■ Phänomen und Praxis der Exorzismen mitsamt den assoziierten Krank‐ heitsbildern markieren eine bestimmte Anthropologie. ■ Jesus zeigt seine Vollmacht nicht nur in Exorzismen, sondern auch in schlagender, plausibler Argumentation. ■ Die Wundererzählung ist ein Schlüsseltext für den Konflikt um Jesu Vollmacht. ■ Dieser Konflikt hat weitere Aspekte (Sündenvergebung, Toraauslegung, Umgang mit sozialen Randgruppen). 314 6 Didaktische Impulse <?page no="315"?> 89 Vgl. nur https: / / www.youtube.com/ results? search_query=devil (letzter Zugriff 17. 3. 2021). 90 https: / / www.youtube.com/ results? search_query=harmageddon (letzter Zugriff 17. 3. 2021). 91 https: / / www.youtube.com/ results? search_query=werbung+teufel (letzter Zugriff 17. 3. 2021). ■ Der Schlussvers impliziert eine klare Abgrenzung gegenüber Gegnern, die Jesu Vollmacht infrage stellen und ihn bzw. die Gemeinde verun‐ glimpfen. c) Suche nach Lebensweltbezügen Lebensweltbezüge lassen sich durch folgende Fragen ermitteln: ■ Welches Vorwissen haben die Jugendlichen über das Leben Jesu und den Prozess gegen ihn? ■ Haben die Jugendlichen irgendwelches Vorwissen zu Exorzismen? ■ Welches Bild vom Bösen bzw. Satan haben die Jugendlichen? ■ Gibt es Berührungspunkte mit charismatischen Gemeinden? ■ Welche Vorstellungen zum Reich Gottes kursieren? ■ In welchen Lebensbereichen gibt es Streit um Deutungshoheiten? ■ Was sind Kriterien für legitimes Handeln und für Wahrheit? Folgende Medien bieten Lebensweltbezüge zum Thema an: ■ Die Chiffre 666 dürfte hinlänglich bekannt sein. ■ Filme und Videospiele zum Thema Satanismus / Exorzismen gibt es viele. 89 ■ Dasselbe gilt für den kosmischen Endkampf bei Harmageddon. 90 ■ Songs mit Satan-Bezug sind z. B. Sympathy for the Devil von den Rolling Stones, (You’re The) Devil in Disguise von Elvis Presley oder El Diablo von Elena Tsagrinou (Zypern, Platz 16 beim European Song Contest 2021). ■ Die Werbebranche arbeitet ebenfalls intensiv mit dem Sujet. 91 d) Formulierung von Lernzielen Das Musterbeispiel behandelt den inhaltlichen Schwerpunkt Reich-Got‐ tes-Verkündigung Jesu in Wort und Tat über zehn Unterrichtsstunden à 60 Minuten Dauer. Als globale Lernziele könnten festgelegt werden: 315 6.6 Musterbeispiele <?page no="316"?> a) kognitiv: Die basileía-Botschaft wird als roter Faden im Wirken Jesu wahrgenommen. Die Exorzismen Jesu werden als Teil des kosmischen Endkampfes zwischen Reich Gottes und satanischem Reich gedeutet. Die Pharisäer sprechen Jesus die göttliche Legitimation ab, Menschen zu lehren und zu heilen. b) expressiv-emotiv: Jesu Parteinahme für die ‚Letzten‘ der Gesellschaft wird plausibel und in ihrer sozialen Sprengkraft sichtbar. Die Jugendlichen erkennen, wie niedere Beweggründe (Machterhalt u. a.) zur Beseitigung von Wohltätern wie Jesus führen. Sie erkennen, wie Jesus seine Gegner mit ihren eigenen Waffen schlägt. c) praktisch: Die Jugendlichen sind befähigt, den Anspruch Jesu im interreli‐ giösen Dialog fundiert und mit Respekt vor den Dialogpartnern darzustellen und zu Fragen christlicher Hoffnung und Lebensführung Stellung zu bezie‐ hen. Umgesetzt werden die Ziele in zehn Unterrichtsstunden: 1. Stunde: Hinführung - Grundlagen der Biographie und Verkündigung Jesu. Lernziele: a) kognitiv: Anamnese des bekannten Wissens als Grundlage für die Unterrichtseinheit (Stichwörter: basileía-Botschaft, Gleichnisse, Wunder, Toraauslegung, Vollmachtsfrage, Passion, Auferstehung); b) expressiv-emotiv: Verbalisierung der Spannung zwischen historischem (Fakten-)Wissen und Chris‐ tusglauben; c) praktisch: Die Jugendlichen können die Eckdaten der Biographie und Botschaft Jesu darstellen. 2. und 3. Stunde: Thema Entstehung des Glaubens an Jesus den Christus anhand ausgewählter Textaussagen (etwa Jüngerberufungen; Wunder- und Ostertexte). Lernziele: a) kognitiv: Die Erfahrungsgrundlage für das christologische Bekennt‐ nis wird erfasst; b) expressiv-emotiv: Jesus wird als mitreißender Charismatiker entdeckt; c) praktisch: Historisch plausible Erfahrungen werden von doxologi‐ schen Auskünften unterschieden. 4. bis 6. Stunde: Thema Weitere Aspekte der Reich-Gottes-Verkündigung Jesu anhand ausgewählter Gleichnisse wie Mk 4,31-33 (Senfkorn), Mt 20,1-16 (Arbeiter im Weinberg) und Lk 14,15-24 (großes Abendmahl). Lernziele: a) kognitiv: Das Reich Gottes wird in seiner prozessualen Entwicklung und sozialen Bedeutung deutlich; b) expressiv-emotiv: Jesu Zuwendung zu 316 6 Didaktische Impulse <?page no="317"?> den ‚Letzten‘ wird plausibel; das Gerechtigkeitsdenken und der Egozentrismus der ‚Ersten‘ wird problematisiert; c) praktisch: Die Jugendlichen können die Reich-Gottes-Botschaft in Grundzügen darstellen und als verbindenden roten Faden im Wirken Jesu verstehen. 7. bis 9. Stunde: Thema Motive für die Ablehnung Jesu anhand ausgewählter Texte wie Mk 12,1-12parr. (Winzergleichnis), Mt 12,22-30 (Beelzebulfrage) und Joh 10,1-18 (Hirtenrede). Lernziele: a) kognitiv: Die polarisierende Wirkung Jesu wird erkannt, die Motiv‐ lage seiner Gegner wahrgenommen, die Vollmachtsfrage als zentrale Frage des (innerjüdischen) Konflikts entdeckt; b) expressiv-emotiv: Verständnis für beide Konfliktparteien wird entwickelt (Empathie); c) praktisch: Befähigung, die innere Logik zwischen Anspruch und Ablehnung Jesu argumentativ darzulegen. 10. Stunde: Zusammenfassung und Ergebnissicherung im Sinne der oben skizzierten, globalen Lernziele der Unterrichtseinheit. e) Methodische Entscheidungen Die Unterrichtsstunde der Wahl ist die achte von insgesamt zehn im Schwerpunkt Reich-Gottes-Verkündigung Jesu in Wort und Tat sowie die zweite von drei Sitzungen zum Thema Motive für die Ablehnung Jesu. Die Motive der Tötung Jesu wurden anhand des Winzergleichnisses erarbeitet. Mit der Beelzebulfrage kommt ein weiterer wesentlicher Aspekt hinzu: die Frage der Wundervollmacht Jesu. Die Stunde beginnt mit einer Anamnese der vorhergehenden Stunde (Mk 12,1-12parr.). Es folgt ein Brainstorming über legitimen politischen Führungsanspruch heute: Woran bemisst sich politische Legitimität? Mit welchen Mitteln werden politische Gegner (oder Visionäre) bekämpft? As‐ pekte wie Verfassungstreue, Wohl des Volkes, Charisma und Sachargumente dürften hier genannt werden. Mithilfe von Leitfragen wird Mt 12,22-30 arbeitsteilig erschlossen (etwa: Was ist der Anlass für die Intervention der Pharisäer? Welche Meinungen stehen einander gegenüber? Was könnten die Pharisäer gegen die Argumente Jesu einwenden? Wo finden sich weitere Exorzismen im MtEv? ; Konkordanzarbeit). Die Ergebnisse der Gruppenar‐ beit werden in einem weiteren Arbeitsschritt präsentiert und diskutiert. Zuletzt wird das Ergebnis gebündelt und gesichert. 317 6.6 Musterbeispiele <?page no="318"?> f) Verlaufsplanung ZEIT ZIELE INHALT METHODE / MEDIEN SOZIAL- FORMEN KOMMENTAR 6 min. Anam‐ nese Mk 12,1-12 Motive der Ableh‐ nung Jesu Rundgespräch, Tafelanschrieb Frontalun‐ terricht 10 min. Lebens‐ weltbezug politische Legitimi‐ tät heute Rundgespräch, Tafelan‐ schrieb / Whiteboard Frontalun‐ terricht Fragen sind vorab anzu‐ schreiben 15 min. Erschlie‐ ßung von Mt 12,22-30 Exorzis‐ mus und Beelzebul‐ frage Text- und Ar‐ beitsblatt mit Leitfragen Gruppenar‐ beit (ar‐ beitsteilig) Text- und Ar‐ beitsblatt ist zu erstellen 20 min. Vertie‐ fung zu Mt 12,22-30 Leitfragen zum Text Präsentation durch Arbeits‐ gruppen und Diskussion Rundge‐ spräch, Schülervor‐ trag Technische Vorausset‐ zungen sind zu prüfen 5 min. Ergebnis‐ sicherung Konflikt um Jesu Vollmacht Bündelung Rundge‐ spräch Tafelan‐ schrieb / Whiteboard 6.6.7 BK I: Heilung des Wassersüchtigen am Sabbat (Lk 14,1 - 6) a) Verortung im Lehrplan Der Konflikt-Wundertext wird für den Religionsunterricht am Berufskolleg (Fachrichtung Erziehung und Soziales), Kursthema Das Evangelium von Jesus Christus (Kurshalbjahr 12.2) eingesetzt. Für das Teilthema Die Botschaft Jesu werden Reich-Gottes-Gleichnisse, Wundertexte und die Bergpredigt ausdrücklich als Textgrundlage erwähnt. - Der Religionsunterricht am Berufskolleg „erhält sein spezifisches Gepräge durch das Zusammenwirken von vier Dimensionen: ■ Als Unterricht in evangelischer Religionslehre stellt er die Grundlagen und die Lehre der evangelischen Kirche dar, vermittelt Einsichten in Sinn- und Wertfragen des Lebens, ermöglicht die Auseinandersetzung 318 6 Didaktische Impulse <?page no="319"?> 92 Bildungspläne zur Erprobung, Teil III: Fachlehrplan Evangelische Religionslehre (Fach‐ bereich Erziehung und Soziales), Düsseldorf 2008, 7 f. (online verfügbar unter http s: / / www.berufsbildung.nrw.de/ cms/ upload/ _lehrplaene/ d/ erziehung_und_soziales/ teil 3/ lp_ev_religion_grundkurs.pdf; zuletzt aufgerufen 18. 3. 2021). 93 A. a. O., 8. mit Ideologien, Weltanschauungen und Religionen und motiviert zu verantwortlichem Handeln in der Gesellschaft. ■ Als Unterricht im Fachbereich ‚Erziehung und Soziales‘ […] entwickelt er ein besonderes religionspädagogisches Profil und bringt spezifisch christliche Aspekte zu den anthropologischen Grundlagen pädagogi‐ scher Arbeitsfelder in die jeweiligen Bildungsgänge ein. ■ Als Unterricht im Dialog mit jungen Menschen hat der evangelische Religionsunterricht deren Lebensalltag im Blick und stellt sich deren Fragen nach Werten und Lebenssinn. Dabei werden junge Menschen nicht nur als Suchende, sondern auch als religiös produktive Personen wahrgenommen, die eigene Perspektiven in das unterrichtliche Gesche‐ hen einbringen. Der Religionsunterricht bringt sein biblisches und protestantisches Profil als Hilfe zur Orientierung ein und wird damit zu einem Ort, an dem die Dialogfähigkeit des christlichen Glaubens überprüft und weiterentwickelt wird. ■ Als Unterricht, der zur allgemeinen Hochschulreife führt, hat er wis‐ senschaftspropädeutische Ausrichtung und führt exemplarisch in wis‐ senschaftliche Denk- und Arbeitsformen ein. […] Dies schließt die Einübung von wissenschaftlicher Reflexivität ein, die einen aufgeklär‐ ten Glauben fördert. So leistet er einen Beitrag dazu, dass Glaubens-, Sinn- und Wertfragen kommunizierbar, diskutierbar und kritisierbar werden […].“ 92 Im inhaltlichen Fokus des Unterrichts stehen die religiöse Entwicklung des Menschen, die Reflexion der eigenen religiösen Biographie sowie die christliche Anthropologie und Ethik sowie, laut Lehrplan: „Über den messbaren fachlichen Kompetenzzuwachs hinaus unterstützt der Unterricht in evangelischer Religionslehre die Entwicklung von Mitempfinden und Barmherzigkeit.“ 93 Das alles soll die Kompetenz künftiger Erzieherinnnen und Erzieher, Sozi‐ alpädagoginnen und -pädagogen unter anderem in Hinsicht auf religiöse 319 6.6 Musterbeispiele <?page no="320"?> 94 A. a. O., 10-12. Fragen der Kinder und Jugendlichen steigern. - Die Kompetenzerwartungen lauten (gekürzt): 94 Wahrnehmungs- und Darstellungsfähigkeit: Die Schülerinnen und Schüler können „religiös bedeutsame Phänomene wahrnehmen und beschreiben; Situationen erfassen, auch aus dem beruflichen Kontext, in denen letzte Fragen nach Grund, Sinn, Ziel und Verantwortung des Lebens aufbrechen; religiöse Spuren und Dimensionen in der Lebenswelt und in beruflichen Handlungsfeldern aufdecken […]; ethische Herausforderungen in der indi‐ viduellen Lebensgeschichte, im angestrebten Beruf sowie in unterschiedli‐ chen gesellschaftlichen Handlungsfeldern als religiös bedeutsame Entschei‐ dungssituationen erkennen.“ Deutungsfähigkeit: Die Schülerinnen und Schüler können „religiös be‐ deutsame Sprache und Zeugnisse verstehen und deuten; religiöse Sprach‐ formen analysieren und als Ausdruck existentieller Erfahrungen verstehen (Beispiele: Gebet, Lied, Segen, Bekenntnis, Mythos, Symbol) […]; biblische Texte, die für den christlichen Glauben grundlegend sind, methodisch reflek‐ tiert auslegen; theologische und religionspädagogische Texte sachgemäß erschließen […].“ Urteilsfähigkeit: Die Schülerinnen und Schüler können „in religiösen und ethischen Fragen begründet urteilen; deskriptive und normative Aussagen unterscheiden; Modelle ethischer Urteilsbildung kritisch beurteilen und beispielhaft anwenden; Gemeinsamkeiten von Konfessionen und Religionen sowie deren Unterschiede erklären und kriteriengeleitet bewerten […]; im Kontext der Pluralität einen eigenen Standpunkt zu religiösen und ethischen Fragen einnehmen und argumentativ vertreten.“ Dialogfähigkeit: Die Schülerinnen und Schüler können „am religiösen Dialog argumentierend teilnehmen; […] Gemeinsamkeiten von religiösen und weltanschaulichen Überzeugungen sowie Unterschiede benennen und im Blick auf mögliche Dialogpartner kommunizieren, sich aus der Perspek‐ tive des christlichen Glaubens mit anderen religiösen und weltanschauli‐ chen Überzeugungen argumentativ auseinandersetzen […].“ Gestaltungsfähigkeit: Die Schülerinnen und Schüler können „religiös bedeutsame Ausdrucks- und Gestaltungsformen reflektiert verwenden; ty‐ pische Sprachformen der Bibel adressatengerecht transformieren […].“ 320 6 Didaktische Impulse <?page no="321"?> Didaktisch und methodisch werden, mit Blick auf die genannten Dimensio‐ nen und Kompetenzerwartungen, folgende Aspekte für zielführend erach‐ tet: ■ Der Wundertext bildet den Auftakt zu einer Reihe von Streitgesprächen im Hause eines Pharisäers. ■ Lk 14-16 ist ein zentraler Textzyklus zur lk. Sozialethik. ■ Am Verhältnis zu den ‚Verlorenen‘ entscheidet sich laut Lukas der Zugang zu Gottes Heilsveranstaltung. ■ Die im Wundertext angesprochene Werthaltung (das Wohl des Men‐ schen und der Tiere steht über dem Buchstaben der Tora) ist herauszu‐ arbeiten. ■ Der Wundertext ist in den Kontext des sonstigen Wirkens Jesu zu stellen. ■ Der Lebensweltbezug der Schülerinnen und Schüler ist zu eruieren. ■ Der Wundertext ist unter anderem exegetisch zu behandeln. Anmerkung: Die Fähigkeit der jungen Erwachsenen zur Erschließung ver‐ schiedener Sinnebenen ist vorausgesetzt. b) Hermeneutische Überlegungen Im skizzierten Rahmen gelten folgende Erkenntnisse der theologischen Orientierung (→ 5.4.2) für vermittelnswert und (eventuell reduziert) ver‐ mittelbar: ■ Jesus sprengt natürliche, soziale und religiös-moralische Regeln, um das Wohlergehen der Menschen zu sichern oder herzustellen. ■ Mit seinem Verhalten stellt Jesus die geltende Wertehierarchie auf den Kopf. ■ Die Apologie Jesu zielt auf plausible basics des menschlichen Lebens. ■ Jesu Zuwendung zu den Notleidenden signalisiert Gottes eschatologi‐ sche Zuwendung zur Welt. ■ Der Text zeigt Jesu Vollmacht, Wunder zu tun und die Tora auszulegen. ■ Mit seinem Verhalten untergräbt Jesus die Lehrautorität seiner Gegner. ■ Die Ethik des Textes zielt, neben der helfenden Zuwendung zu den Notleidenden, darauf, von anderen nicht mehr zu verlangen als von sich selbst. 321 6.6 Musterbeispiele <?page no="322"?> 95 https: / / www.youtube.com/ watch? v=KA0fiBBC8X4 (zuletzt aufgerufen 18. 3. 2021). - Der Text ist kritisch gegen Klischees zu lesen! 96 Beispiele: https: / / www.nordkurier.de/ uckermark/ verkaufsoffene-sonntage-haben-auc h-befuerworter-1742797103.html; https: / / www.tt.com/ artikel/ 10734034/ papst-draengt -auf-einhaltung-der-sonntagsruhe (letzte Aufrufe 18. 3. 2021). 97 Beispiel: https: / / www.cicero.de/ innenpolitik/ misere-sozialdemokraten-hoffen-angelamerkel-abgang-spd/ plus (letzter Aufruf 18. 3. 2021). 98 https: / / www.katholisch.de/ artikel/ 27148-wenn-wir-reformen-ausschliessen-sind-wirnicht-mehr-kirche (zuletzt aufgerufen 18. 3. 2021). c) Suche nach Lebensweltbezügen Lebensweltbezüge der Zielgruppe sind z. B. durch folgende Fragen zu ermit‐ teln: ■ Kamen Sie schon einmal mit dem Buchstaben des Gesetzes in Konflikt? ■ Sahen Sie schon einmal durch gesetzliche Regelungen, etwa während der Corona-Pandemie, ihre vitalen Interessen (Bewegungsfreiheit, Kon‐ taktbedarf u. a.) eingeschränkt? ■ Was ist Ihr Verständnis von Sonntagsruhe? ■ Welche Werte und Werthaltungen sind Ihnen besonders wichtig? ■ Was ist Ihre Hauptkritik an Kirche und Politik? Analoge und digitale Medien bieten Anknüpfungspunkte für die Thematik: ■ Songs zum Thema Wunder gibt es reichlich (→ 6.6.3c). ■ Der Gospel-Song God Hopes People Do Not Become Pharisees kann in die Thematik einführen. 95 ■ Diskussionen um die Einhaltung der Sonntagsruhe bzw. um verkaufs‐ offene Sonntage finden sich vielfach im Netz. 96 ■ Dasselbe gilt für modernes Pharisäertum. 97 ■ Der ‚Pharisäer‘, ein nordfriesisches Kaffee-Getränk, könnte neugierig auf den Ursprung seiner Bezeichnung machen. ■ Das kirchenkritische Buch von Martin Werlen, Raus aus dem Schnecken‐ haus! warnt auf dem Cover ‚Von Pharisäern mit Vorsicht zu genießen‘ und könnte ein Einstieg in die Rezeption des Pharisäer-Motivs und in Kirchenkritik sein. 98 322 6 Didaktische Impulse <?page no="323"?> d) Formulierung von Lernzielen Das Teilthema Die Botschaft Jesu aus dem Kursthema Das Evangelium von Jesus Christus ist im Folgenden auf zehn Unterrichtsstunden à 60 Minuten konzipiert. Als globale Lernziele werden formuliert: a) kognitiv: Die jungen Erwachsenen können die Wundertaten Jesu als integrativen Bestandteil seines Wirkens deuten und erkennen in den Wun‐ dertaten einen Grund dafür, dass Jesus von seinen Gegnern abgelehnt wurde. b) expressiv-emotiv: Die jungen Erwachsenen erfahren, dass Lehre und Handeln Jesu untrennbar miteinander verbunden sind, dass die basileía-Bot‐ schaft auf praktische Umsetzung im Sinne barmherziger Zuwendung und Liebe ausgelegt ist und dass Menschen von der Empathie Gottes und ihrer Mitmenschen leben. c) praktisch: Die jungen Erwachsenen können auf Grundlage der Lehre Jesu ethische Grundentscheidungen treffen und begründen. Sie können außer‐ dem im Umgang mit den ihnen anvertrauten Menschen den christlichen Glauben Gestalt werden lassen und durch ihr eigenes Handeln glaubwürdig vertreten. Die einzelnen Lernschritte gestalten sich folgendermaßen: 1. Stunde: Hinführung - Was wir über Jesus von Nazareth wissen (Brain‐ storming; biblische Impulstexte). Lernziele: a) kognitiv: Anamnese des bekannten Wissens; b) expressiv-emotiv: Nachvollzug der erstaunlichen Wirkungsgeschichte Jesu; c) praktisch: Befähi‐ gung der jungen Erwachsenen, Grundlinien des Lebens und der Lehre Jesu darzustellen. 2. und 3. Stunde: Thema Reich-Gottes-Botschaft Jesu anhand ausgewählter Gleichnisse (Sämann Mk 4,3-9parr.; Arbeiter im Weinberg Mt 20,1-16). Lernziele: a) kognitiv: Verstehen des Begriffs Reich Gottes, Erkennen inhaltlicher Grundlinien der Gottesherrschaft im Sinne einer frohen Botschaft für Menschen damals und heute; b) expressiv-emotiv: Nachvollzug der Hoffnung, welche die Botschaft Jesu den Menschen brachte und bringt (sozialer und religiöser Aspekt); c) praktisch: Befähigung zum respektvollen Dialog mit Nichtchristinnen und Nichtchristen über Jesu Botschaft. 4. bis 6. Stunde: Thema Die Wunder Jesu als Befreiungsgeschichten anhand ausgewählter Wundertexte wie Mk 2,1-12 (Heilung des Gelähmten), Mk 323 6.6 Musterbeispiele <?page no="324"?> 10,46-52 (Heilung des Bartimäus) und Lk 14,1-6 (Heilung des Wassersüch‐ tigen). Lernziele: a) kognitiv: Verstehen der Wundertexte als Kommentar zur Reich-Got‐ tes-Botschaft Jesu; Einschätzung ihres Wahrheitsanspruchs; Kenntnis von Deu‐ tungsansätzen; b) expressiv-emotiv: Nachvollzug der polarisierenden Wirkung der Wunder Jesu; c) praktisch: Reflexion des persönlichen Wahrheitsverständ‐ nisses sowie Befähigung, das Thema Wunder argumentativ zu vertreten (Wirk‐ lichkeitsverständnis). 7. und 8. Stunde: Thema Jesu Lehre nach der Bergpredigt bzw. Feldrede anhand ausgewählter Texte wie Seligpreisungen (Mt 5,3-10), Salz und Licht (Mt 5,13-16), Antithesen (Mt 5,21-48), Vaterunser (Mt 6,9-13) sowie Splitter und Balken (Mt 7,1-5). Lernziele: a) kognitiv: Inhalte der Bergpredigt kennen und kontextuell einordnen können; Deutungsmodelle erschließen können; b) expressiv-emotiv: Das provo‐ kative Potenzial der halachá Jesu nachvollziehen können; c) praktisch: Auskunft zur Frage der Realisierbarkeit der Bergpredigt geben und ein eigenständiges Modell des Umgangs mit der Bergpredigt entwickeln können. 9. Stunde: Thema Konsequenzen aus der Bergpredigt bzw. Feldrede anhand des Gleichnisses von Salz und Licht (Mt 5,13-16) und vom Hausbau (Mt 7,24-27par.). Lernziele: a) kognitiv: Den inneren Zusammenhang von Hören und Handeln als charakteristisch für die Ethik Jesu und des christlichen Glaubens erkennen; b) expressiv-emotiv: Das Problem der Glaubwürdigkeit von Religion und Kirche nachvollziehen können; c) praktisch: In der Lage sein, auf der Grundlage des Themas einen interreligiösen Dialog über das Thema ‚was wirklich zählt‘ zu führen. 10. Stunde: Zusammenfassung und Ergebnissicherung im Sinne der skizzier‐ ten Globalziele anhand der Lessingschen Nathanparabel. e) Methodische Entscheidungen Die gewählte Stunde ist die sechste von zehn der Unterrichtsreihe und beschließt die dreistündige Untereinheit zum Thema Wunder Jesu als Befreiungsgeschichten. Die jungen Erwachsenen haben Grundkenntnisse über das Leben und Wirken Jesu, können sein Wunderwirken mit der 324 6 Didaktische Impulse <?page no="325"?> Reich-Gottes-Botschaft in Beziehung setzen, kennen die Geschichte der Kirchen in Grundzügen und haben sich mit dem Wahrheitsanspruch von Wundertexten befasst. Die gewählte Stunde führt in die polarisierende Wir‐ kung des (Wunder-)Wirkens Jesu ein und arbeitet Motive für die Ablehnung Jesu heraus. Zugleich vertieft die Stunde die Frage der Werteskala Jesu und korrigiert Klischees gegenüber ‚den Pharisäern‘ in den Evangelien. Am Anfang steht eine Anamnese der bereits besprochenen Wundertexte, ihre sozialen und religiösen Implikationen sowie ihren Wahrheitsanspruch als faktuale Texte. Es folgen ein Brainstorming zum Thema Pharisäer und ein vorbereitetes Schüler-Kurzreferat dazu. Sodann wird die Zielgruppe mithilfe eines (arbeitsteilig zu bearbeitenden) Arbeitsblatts und mittels Leitfragen mit Lk 14,1-6 bekannt gemacht (etwa: Was lässt der Text über die Haltung der Pharisäer Jesus gegenüber erkennen? Was ist das Problem bei der Heilung des Kranken? Auf welcher Ebene argumentiert Jesus, um sein Verhalten zu rechtfertigen? Weshalb können die Pharisäer nichts antworten? ). Die Ergebnisse der Gruppenarbeit werden vorgestellt und die Frage der Werteskala und der Ablehnung Jesu diskutiert. Das Gespräch kann in eine Diskussion um die Sonntagsruhe bzw. um verkaufsoffene Sonntage übergehen. Am Ende steht eine Ergebnissicherung. f) Verlaufsplanung ZEIT ZIELE INHALT METHODE / MEDIEN SOZIAL- FORMEN KOMMENTAR 5 min. Anam‐ nese von Wunder‐ texten Grundli‐ nien der Wunder‐ frage Rundgespräch, Tafelan‐ schrieb / Whiteboard Frontalun‐ terricht 7 min. Kenntnis der Phari‐ säerbewe‐ gung Pharisäer: Begriff und Be‐ wegung Brainstrorming und Schülerre‐ ferat (schon vorbereitet) Rundge‐ spräch / Re‐ ferat / Powerpoint? Funktionie‐ ren der Tech‐ nik ist zu prü‐ fen 12 min. Kenntnis von Lk 14,1-6 Heilung d. Wasser‐ süchtigen Textblatt mit Leitfragen Gruppenar‐ beit (ar‐ beitsteilig) Textblatt mit Leitfragen ist zu erstellen 15 min. Vertie‐ fung und Austausch siehe oben Präsentation der Gruppener‐ gebnisse und Diskussion Kurzreferate und Diskussion ggf. techni‐ sche Voraus‐ setzungen prüfen 325 6.6 Musterbeispiele <?page no="326"?> 99 Bildungspläne zur Erprobung. Teil III: Fachlehrplan Evangelische Religionslehre Fach‐ bereich Erziehung und Soziales (2008), 16. Online verfügbar unter https: / / www.berufsb ildung.nrw.de/ cms/ upload/ _lehrplaene/ d/ erziehung_und_soziales/ teil3/ lp_ev_religion _grundkurs.pdf (zuletzt aufgerufen 18. 3. 2021). ZEIT ZIELE INHALT METHODE / MEDIEN SOZIAL- FORMEN KOMMENTAR 15 min. Anwen‐ dung / Ak‐ tualisie‐ rung Sonntags‐ ruhe, ver‐ kaufsoff. Sonntage Diskussion Kreis informative Inputs sind vorzuhalten 3 min. Abschluss Bünde‐ lung Ergebnissiche‐ rung Tafel / White‐ board 6.6.8 BK II: Strafwunder an Barjesus-Elymas (Apg 13,6 - 12) a) Verortung im Lehrplan Der Missions-Wundertext wird für den Unterricht am Berufskolleg (Fach‐ richtung Erziehung und Soziales), genauer: für das Kursthema Das Evange‐ lium von Jesus Christus (Kurshalbjahr 12.2) vorgeschlagen. Zu den curricu‐ laren Rahmenbedingungen → 6.6.7a. - Inhalte des Teilthemas Historischer Jesus, kerygmatischer Christus sind erstens Zeit, Umwelt und Biographie Jesu, zweitens Passion und Auferstehung und drittens Biblische Texte als Zeugnis des nachösterlichen Christusglaubens definiert. 99 Der Berufsbezug besteht im Verständnis Jesu in jüdischer oder islamischer Sicht. Apg 13,6-12 hat Bezüge zum Judentum (Barjesus), ist ein Zeugnis des nachösterlichen Christusglaubens und gehört in die Zeit und Umwelt Jesu. Didaktisch und methodisch werden, mit Blick auf die genannten Dimensio‐ nen und Kompetenzerwartungen, folgende Aspekte als zielführend erachtet: ■ Der Wundertext markiert den Erfolg der paulinischen Missionsarbeit auf nichtjüdischem Gebiet. ■ Apg 13,6-12 berührt das Konkurrenzverhältnis von Judentum und Christentum im Kontext der paulinischen Mission unter Nichtjuden. ■ Der Wundertext ist nicht antijüdisch auszulegen. ■ Die Barjesus-Erzählung ist Teil der Wirkungsgeschichte Jesu und ein Zeugnis der Verbreitung des nachösterlichen Christusglaubens. 326 6 Didaktische Impulse <?page no="327"?> ■ Der Text bietet sich für einen Vergleich mit den Wundertexten Jesu an. ■ Der Text ist ein Beispiel für die frühe Inkulturation des Christentums unter gebildeten Nichtjuden und in der politischen Führungsschicht. ■ Der Lebensweltbezug der Schülerinnen und Schüler ist zu eruieren. ■ Der Wundertext ist unter anderem exegetisch zu behandeln. Anmerkung: Die Fähigkeit der jungen Erwachsenen zur Erschließung unter‐ schiedlicher Sinnebenen ist vorausgesetzt. b) Hermeneutische Überlegungen Im skizzierten Rahmen gelten folgende Erkenntnisse der theologischen Orientierung (→ 5.3.2) für vermittelnswert und (eventuell reduziert) ver‐ mittelbar: ■ Paulus kann dank seiner geistgewirkten Wunderkraft das Evangelium auch gegen Widerstände verbreiten. ■ Das Strafwunder setzt ein Zeichen zur Abgrenzung gegenüber Magie. ■ Der Vorgang der Erblindung ist physisch und spirituell, als Folge der Weigerung, die sich aufdrängende Christuserkenntnis zuzulassen, zu verstehen. ■ Das Strafwunder steht in Tradition atl. Gottesurteile. ■ Die Bekehrung des Statthalters steht für die Bekehrung ganz Zyperns. ■ Mit Sergius Paulus und anderen politischen Würdenträgern dringt das Christentum in einflussreiche gesellschaftliche Schichten vor. ■ Der Text dokumentiert die Entwicklung von Neugier hin zum Glauben. c) Suche nach Lebensweltbezügen Folgende Fragestellungen helfen bei der Erkundung der Lebensweltbezüge: ■ Hat schon einmal jemand versucht, Sie zu manipulieren? ■ Haben Sie schon einmal Momente besonderer ‚Geistesgegenwart‘ er‐ lebt? ■ Haben Sie schon einmal das Gegenteil dessen erreicht, was Sie wollten? ■ Haben Sie Vorkenntnisse zum Thema Magie? ■ Kennen Sie das Problem sich widersprechender Prognosen, etwa aus der Corona-Pandemie? ■ Kennen Sie die Wirkung von Flüchen? 327 6.6 Musterbeispiele <?page no="328"?> 100 Beispiel: https: / / www.youtube.com/ watch? v=I0BRlf1K3aw (zuletzt aufgerufen 18. 3. 2021). 101 Vgl. auch https: / / www.youtube.com/ results? search_query=curse (zuletzt aufgerufen 18. 3. 2021). 102 Z. B. https: / / www.liebeszauberin.com/ was-ist-magie/ oder https: / / magieausbildung.de / moderne-magie/ (beides zuletzt aufgerufen 18. 3. 2021). Mögliche Anknüpfungspunkte aus der Welt analoger und digitaler Medien sind: ■ Songs zum Phänomen des Fluchs finden sich bei YouTube und anderen Plattformen (Beispiel: AZET - Fluch). 100 Dasselbe gilt für Filme und Videos. 101 ■ Sprichwörtlich und ein beliebter Buchtitel ist der Fluch der Pharaonen. ■ Der Film Paulus, der Apostel Christi von Andrew Hyatt (2018). ■ Zu Magie und Zauberei gibt es unzählige Medien aus der Esoterik‐ szene. 102 ■ Sodom und Gomorrha sind Stereotype für göttliche Strafwunder. ■ Den metaphorischen Gebrauch des Begriffs ‚blind‘ dokumentieren Redewendungen wie Liebe macht blind oder blind vor Wut. d) Formulierung von Lernzielen Das Teilthema Historischer Jesus, kerygmatischer Christus aus dem Kurs‐ thema Das Evangelium von Jesus Christus umfasst im vorliegenden Entwurf zehn Unterrichtsstunden à 60 Minuten. Die globalen Lernziele sind: a) kognitiv: Die jungen Erwachsenen erfassen den in der Apg dokumentier‐ ten Weg der Weltmission und erkennen im Wirken des Geistes die Ursache des Erfolgs. b) expressiv-emotiv: Die jungen Erwachsenen können nachvollziehen, dass die Missionsarbeit auf energischen und zum Teil gefährlichen Widerstand stieß, der laut Lukas nur durch göttliches Eingreifen überwunden werden konnte. c) praktisch: Die jungen Erwachsenen sind befähigt, den Weg der Weltmis‐ sion auf der Grundlage der Apg und paulinischer Notizen nachzuzeichnen und das Verhältnis zwischen Judentum und Christentum differenziert zu bewerten. Die Globalziele sind in folgenden Einzelschritten zu erreichen: 328 6 Didaktische Impulse <?page no="329"?> 1. Stunde: Hinführung - Was wir über den Apostel Paulus, seine Überzeu‐ gungen und sein Wirken wissen (Brainstorming; biblische Impulstexte). Lernziele: a) kognitiv: Anamnese des bekannten Wissens; b) expressiv-emotiv: Nachvollzug des paulinischen Lebensweges; c) praktisch: Befähigung der Schü‐ lerinnen und Schüler, Grundlinien des Lebens und der Lehre des Paulus darzu‐ stellen. 2. bis 4. Stunde: Thema Evangelium von Jesus Christus anhand ausgewählter Bibeltexte (etwa Pfingstpredigt des Petrus, Apg 2,14-36; Seligpreisungen, Mt 5,3-12; Areopagrede des Paulus, Apg 17,16-34). Lernziele: a) kognitiv: Erfassen des Inhalts der apostolischen Missionspredigt und ihrer sozialen und religiösen Implikationen; b) expressiv-emotiv: Nachvollzug der Begeisterung, welche die Botschaft der Apostel bei vielen Menschen auslöste; c) praktisch: Befähigung zum respektvollen Dialog mit Andersgläubigen und Atheisten über die Christusbotschaft der Apostel. 5. und 6. Stunde: Thema Die Missionsreisen des Apostels Paulus. Lernziele: a) kognitiv: Kenntnis des Weges der paulinischen Mission unter Nicht‐ juden im Rahmen der lk. Konzeption; b) expressiv-emotiv: Nachvollzug der Konflikte des Paulus mit den Vertretern des Judentums; c) praktisch: Fähigkeit, das Alleinstellungsmerkmal der paulinischen Missionsarbeit zu benennen und das Verhältnis zum Judentum kritisch und differenziert darzustellen. 7. bis 9. Stunde: Thema Wunder der Apostel anhand ausgewählter Texte wie Apg 3,1-9 (Heilung des Gelähmten), Apg 13,6-12 (Strafwunder an Barjesus) und Apg 16,16-22 (Die Magd mit dem Wahrsagegeist). Lernziele: a) kognitiv: Kenntnis von der Wundertätigkeit der Apostel im Vergleich mit der Wundertätigkeit Jesu; Erschließung von Sinnebenen der Wundertexte; b) expressiv-emotiv: Nachvollzug des provokativen Potenzials der apostolischen Wundertaten; c) praktisch: Befähigung, die Funktion der Wundertexte im Rah‐ men der Apg mitsamt ihrer pneumatologischen Implikationen darzustellen. 10. Stunde: Zusammenfassung und Ergebnissicherung. e) Methodische Entscheidungen Die Unterrichtsstunde dieses Entwurfs ist die achte von zehn und steht in der Mitte der dreistündigen Untereinheit zum Thema Wunder der Apostel. 329 6.6 Musterbeispiele <?page no="330"?> Die jungen Erwachsenen haben Grundkenntnisse über das Leben und Wirken des Paulus, wissen über seine Christusbotschaft Bescheid, können den Weg seiner Missionsreisen nachzeichnen und hatten eine erste Berüh‐ rung mit apostolischer Wundertätigkeit. Die zweite Stunde führt in den jüdisch-christlichen Konflikt um die Missionierung von Nichtjuden ein und zeigt paradigmatisch das Wirken des Heiligen Geistes auf dem Weg der Weltmission. Zugleich dokumentiert der Wundertext die Abgrenzung des frühen Christentums von Magie und wirft ein eigenes Licht auf das biblische Gottesbild (Stichwort Gottesurteile, Strafwunder, Verstockung). Nach einer kurzen Abfrage zu Lebensweltbezügen bzw. Vorkenntnissen zu Fluch und Strafwundern wird der Text der Lutherbibel vorgetragen mit der Bitte an die Zielgruppe, Stichwörter zur ersten Nachfrage und Diskussion zu notieren. Dies hat im nächsten Schritt Platz, bevor ein vorbe‐ reitetes Kurzreferat über das Phänomen antiker Magie aufklärt. Es folgt eine Vertiefung mittels eines Arbeitsblatts und arbeitsteilig zu beantwortender Leitfragen (etwa: Wie passt dieses Wunder zu den bekannten Wundern Jesu? Was ist das Motiv Barjesu, gegen Paulus Widerstand zu leisten? Wie beurteilen Sie die Rolle des Statthalters im Text? Welche Rolle spielen Gott und der Heilige Geist? ). Die Gruppenergebnisse werden ausgetauscht und in den Kontext des schon bekannten Wissens gestellt (Verhältnis zum Judentum, Verhältnis zur Magie, soziale Implikationen, der Weg zum Glauben). Das Ergebnis wird abschließend gesichert. f) Verlaufsplanung ZEIT ZIELE INHALT METHODE / MEDIEN SOZIAL- FORMEN KOMMENTAR 8 min. Erhebung von LWB und Vor‐ wissen Fluch und Strafwun‐ der Brainstorming Tafelan‐ schrieb / Whiteboard Rundge‐ spräch 3 min. Kenntnis von Apg 13,6-12 Erblin‐ dung Bar‐ jesu Lehrervortrag, Lutherbibel Frontalun‐ terricht 10 min. Vertie‐ fung Klärung v. Fragen Schülerinputs Rundge‐ spräch Tafel / White‐ board 330 6 Didaktische Impulse <?page no="331"?> ZEIT ZIELE INHALT METHODE / MEDIEN SOZIAL- FORMEN KOMMENTAR 8 min. Kenntnis von Rea‐ lien antike Magie Schüler-Referat (vorbereitet), ggf. Powerpoint Frontalun‐ terricht ggf. Technik prüfen 12 min. Leitfragen zur Vertie‐ fung Apg 13,6-12 Arbeitsblatt mit Leitfragen Gruppenar‐ beit (ar‐ beitsteilig) Arbeitsblatt ist vorzubereiten 12 min. Austausch der Ergeb‐ nisse Thema der Leit‐ fragen Gruppenvor‐ träge, Handouts Gruppen‐ vorträge Tafelan‐ schrieb / Whiteboard 5 min. Ergebnis‐ sicherung Wunder im Kon‐ text der Apg Rundge‐ spräch Tafelan‐ schrieb / Whiteboard 331 6.6 Musterbeispiele <?page no="333"?> 7 Serviceteil S 1 Abkürzungen Die Abkürzungen der biblischen Bücher und der Apokryphen richten sich nach den Loccumer Richtlinien (S CHWE R TN E R , Siegfried M. [1992]: Inter‐ nationales Abkürzungsverzeichnis für Theologie und Grenzgebiete [IATG]). 2. Auflage Berlin). Weitere Abkürzungen des Buches sind: 1 QapGen: Qumran, 1. Höhle, Genesis-Apokryphon 1 QS: Qumran, 1. Höhle, Gemeinderegel 4 Esr: 4. Esrabuch 11 Q: Qumran, 11. Höhle, Apokryphe Psalmen Ap: Flavius Josephus, Apologie ApkEl: Elia-Apokalypse apkl.: apokalyptisch AT: Altes Testament atl.: alttestamentlich äthHen: äthiopisches Henochbuch Ant: Flavius Josephus, Biblische Altertümer bBer: bab. Talmud, Mischna-Traktat Berachot (Segenssprüche) bPes: bab. Talmud, Mischna-Traktat Pessachim (über das Passah) bTaan: bab. Talmud, Mischna-Traktat Taanith (über das Fasten) Bell: Flavius Josephus, Jüdischer Krieg DemEv: Euseb v. Cäsarea, Demonstratio Evangelica DescGraec: Pausanias, Beschreibung Griechenlands EvThom: Thomasevangelium <?page no="334"?> f./ ff.: plus ein / mehrere weiter(e) Vers(e) gr.: griechisch hebr.: hebräisch hell.: hellenistisch Hg./ Hgg.: Herausgeber (einer oder mehrere) Hist Rom: Cassius Dio, Römische Geschichte jMoed: jerus. Talmud, Ordnung Moed (Festzeiten) joh.: johanneisch JohEv: Johannesevangelium lat.: lateinisch LibAnt: Pseudo-Philo, Buch der Biblischen Altertümer lk.: lukanisch LkEv: Lukasevangelium LkS: lukanisches Sondergut mk.: markinisch MkEv: Markusevangelium MkS: markinisches Sondergut mt.: matthäisch MtEv: Matthäusevangelium MtS: matthäisches Sondergut NT: Neues Testament ntl.: neutestamentlich par(r.): plus eine / mehrere Parallelüberlieferungen ParalipJer: Auslassungen des Buches Jeremia (Paralipomena Jeremiae) PGM: Papyri Graecae Magicae PsSal: Psalmen Salomos röm. römisch 334 7 Serviceteil <?page no="335"?> SapSal: Weisheit Salomos synEvv: synoptische Evangelien (Matthäus, Markus und Lukas) Targum PsJon: Targum Pseudo-Jonathan VitApoll: Philostrat, Leben des Apollonius v. Tyana VitProph: Prophetenleben (Vitae Prophetarum) VitPyth: Iamblichus bzw. Porphyrius, Leben des Pythagoras vs.: versus (lat.: gegen) S 2 Glossar Im Glossar gelistet sind nur Begriffe, die zur (theologischen) Fachsprache zählen, sowie fremdsprachliche Ausdrücke. Querverweise (→) zeigen an, wo sich eine nähere Beschreibung oder Definition des Begriffs findet. a priori (lat.): von vornherein; ohne weitere Beweise ad absurdum (lat.) führen: die Unsinnigkeit (etwa eines Arguments) nachweisen Ätiologie (ätiologisch): Gründungslegende für einen Ritus oder für soziale, religi‐ öse und politische Gegebenheiten Allegorese: Auslegungsverfahren, das einen Text als Allegorie liest und deutet Allegorie (allegorisch): Ein Text, der etwas anderes meint, als er sagt angelus interpres (lat.): Deuteengel Anthropologie: die Lehre vom Menschen → 4.2.5 anthropomorph (gr.): menschengestaltig Apokalyptik (apokalyptisch) (gr.): Antike Weltanschauung, rechnet mit dem baldigen Weltende und der Rettung der Frommen durch Gott. Oft mit Visionen zu Endzeit und Jenseits verbunden Apokryphen (apokryph) (gr.): ‚geheime‘ Schriften am Rande der Bibel → 1.6.11d Apologie, Apologetik, (apologetisch) (gr.): Verteidigung, Rechtfertigung basileía (tou theoú) (gr.): Gottesreich, Gottes Herrschaft Basisopposition: Anfangs- und Endpunkt einer Erzählung captatio benevolentiae (lat.): Schmeichelei, Haschen nach Wohlwollen Charisma (charismatisch) (gr.): wörtl. Gnadengabe; Geistesgabe → 1.7.1 Chiffre (chiffrieren): rätselhaftes Sprach- und Stilmittel; verschweigt den Bild‐ empfänger 335 S 2 Glossar <?page no="336"?> Christologie (christologisch): Lehre von Jesus Christus → 4.2.2 conclusio (lat): Schlussfolgerung conditio sine qua non (lat.): unabdingbare Voraussetzung contra facta visibilia (lat.): gegen die sichtbaren Fakten Credo (lat.): wörtl. ‚ich glaube‘; Glaubensbekenntnis Deismus: Theologische Richtung, die in Gott ausschließlich den Ursprung alles Seienden ansieht deskriptiv (lat.): bildlos beschreibend diakonía (gr.): Dienst, Dienstleistung, Auftrag dikanisch (gr.): beurteilender Charakter eines Textes doúlos (pl. doúloi) (gr.): Knecht, Sklave, Diener Dualismus (dualistisch): Gegeneinander zweier Prinzipien wie Gut und Böse, Gott und Satan dum spiramus speramus (lat.): solange wir leben, hoffen wir Ekklesiologie (ekklesiologisch): Lehre von der Gemeinde bzw. Kirche → 4.2.6 epideiktisch (gr.): darstellender Charakter eines Textes Eschatologie (eschatologisch): Lehre von der Endzeit → 4.2.9 Esoterik (esoterisch) (gr.): exklusive Geheimlehre, Insiderwissen Etymologie (etymologisch): Ursprung einer Wortbedeutung existenziale Interpretation: Interpretation, die nach dem textinternen Existenz‐ verständnis fragt → 3.3.2 Exorzismus: Dämonenaustreibung → 1.6.2 expressis verbis (lat.): ausdrücklich Extravaganz (extravagant): Auffälligkeit, Überzogenheit fiktional: erfunden, erdichtet → 1. 7. 10 Formkritik: Methode der Erschließung literarischer Formen und Gattungen sowie der Bestimmung der Aussagerichtung eines Textes Glossar (glossarisch): Auflistung bzw. Erklärung von Fachwörtern halachá (pl. halachót) (hebr.): mündliche, nach-atl. Auslegung der Mosetora Hapaxlegomenon (gr.): Begriff, der in einem Text nur einmal verwendet wird Hellenismus (hellenistisch): vom gr. Denken beeinflusste Kulturepoche, ca. 3. Jh. v. Chr. - 3. Jh. n. Chr. Hermeneutik (hermeneutisch): Lehre von der Übersetzung, Anwendung oder Aktualisierung von Texten → 6.1 heuristisch: auf die Findung von Erkenntnissen bezogene, methodische Suche imitatio Dei (lat.): Nachahmung Gottes Kausalität (kausal): Abfolge von Ursache und Wirkung 336 7 Serviceteil <?page no="337"?> Kohärenz (kohärent): literarische, thematische oder semantische Einheitlichkeit eines Textes Kontext: der situative, historische, aber auch sprachliche Zusammenhang eines Textes (engerer Begriff: Kotext) Kontingenz: Unverfügbarkeit, Widerfahrnis; auch: Zufälligkeit → 1.5.4 Kosmologie (kosmologisch): Lehre von der Welt; Weltbild → 4.2.4 Kotext: der sprachliche Kontext eines Textes (weiterer Begriff: Kontext) krísis (gr.): Unterscheidung, Entscheidung, (End-)Gericht kýrios (gr.): Herr, Herrscher Leidensparänese: tröstend-mahnende Deutung von Leiden locus (pl. loci) (lat.): Ort, theologisch: Themenfeld; Hauptstück des Glaubens Mäeutik (gr.): wörtl. Hebammenkunst, sokratische Argumentationsweise Morphologie: die Lehre von der äußeren Gestalt bzw. Form narratio (pl. narrationes) (lat.): szenisch gegliederte Erzählung Nekromantie: Totenbeschwörung → 1.7.4 noli me tangere (lat.): Berühre mich nicht! ( Joh 20,17) pagan: nichtjüdisch, heidnisch, polytheistisch Paradigma (paradigmatisch): Beispiel / beispielhaft Paränese → Leidensparänese parrhesía (gr.): Freimut; Mut zur freien (Verkündigungs-)Rede Parusie(-verzögerung): Wiederkunft (Christi); lat. adventus per se (lat.): aus sich heraus, für sich allein performativ: ein Spruch, der im Redevollzug bewirkt, was er sagt (z. B. „ich verzeihe dir“) Perikope: abgrenzbarer Sinnabschnitt der Bibel Pneumatologie: Lehre vom Heiligen Geist → 4.2.3 Pointe: Zielgedanke eines Textes Prätext: Textvorgabe; zugrunde liegender Vor-)Text Redaktionskritik: Auslegungsmethode, die nach der theologischen Intention eines Autors fragt Rezeptionsästhetik: methodische Betrachtung eines Textes aus der Verstehensop‐ tik der Leser sowie Frage nach Verstehenssignalen im Text Rezipient: Empfänger, Adressat, Bearbeiter sacrificium intellectus (lat.): Opferung des Verstands Schöpfungs-Logos (gr.): Schöpfungs-Wort (Gottes) Semantik: Lehre von den Wortbedeutungen sola fide / sola gratia (lat.): Allein aus Glauben / allein aus Gnade Soteriologie (soteriologisch): Lehre von der Erlösung → 4.2.8 337 S 2 Glossar <?page no="338"?> stante pede (lat.): stehenden Fußes; auf der Stelle sui generis (lat.): eigener Art supranatural: übernatürlich, göttlich → 3.5.3 symbuleutisch: beratende Funktion eines Textes synoptische Evangelien (Synoptiker): Mk-, Mt- und LkEv tertium non datur (lat): Ein Drittes gibt es nicht! Textlinguistik: Methode, um einen Text in seiner semantischen Struktur und damit seine Einheitlichkeit (Kohärenz) und Gliederung zu erfassen Textpragmatik: Auslegungmethode, die nach Lernzielen und Strategien der Leser‐ lenkung fragt → 3.6.5 Theodizeefrage: Frage nach Gottes Gerechtigkeit und Allmacht angesichts von Leid → 4.3.5 Theo-Logie: Lehre von Gott, Gottesbild → 4.2.1 Traditionsgeschichte: Methode der Erschließung atl. Textvorgaben und Motive Transfersignal: erzählinternes Textsignal, das auf eine externe Deutungsebene hinweist(auch: Verweiselement; ‚allegorisches‘ Element) Transzendenz (transzendent): Jenseitigkeit; Gegenbegriff: Immanenz S 3 Schlagwörter (in Auswahl) Anmerkung: Schlagwort- und Textstellenregister verweisen nicht auf Sei‐ tenzahlen, sondern auf Textabschnitte. Zentrale Abschnitte für den betreffenden Begriff und die betreffende Textstelle sind fett hervorgehoben. ‚T‘ weist auf eine These (→ 1.4), ‚E‘ auf einen Exkurs hin; der Buchstabe ‚S‘ steht für ‚Serviceteil‘. Ästhetik: 3.4.1; 3.6.2 Ätiologie: 1.7.5; 3.6.5; 4.1.4 Akkomodationstheorie: 3.2.2; 3.5.6 Allegorese: 3.1.1; 3.1.3 Allmacht: T7; 2.3.1; 2.5.2; 3.1.1; 3.6.1; 4.2.1; 4.3.5; 4.5 Angelophanie: 1.6.8; 1. 6. 11; 3.6.5; 5.1.2 angelus interpres: 1.6.8; 1.7.8 Anthropologie → Menschenbild Apokalyptik: 1.6.9; 2.3.1; 2.6; 3.6.2; 4.2.4; 5.4.1; 6.6.6 Apokryphen: 1. 6. 11; 2.3.5 Apologie: 3.6.5; 4.1.6; 4.3.2; 4.4.5; 5.4.1 f. Asklepioskult: 2.2.1 Auferstehung (allg.): 2.3.1; 4.2.9; 4.3.4; 4.4.5; 5.2.2; 6.6.5 Auferstehung Jesu → Osterwunder Außenwahrnehmung Jesu: 2.3.5; 2.6; 3.4.2 338 7 Serviceteil <?page no="339"?> Barmherzigkeit → Erbarmen basileía → Reich Gottes Befreiung: T12; 4.1.3; 4.1.7; 4.1.9; 4.2.2; 4.2.5; 4.3.2; 4.3.5; 4.4.3; 4.5; 5.1.2; 5.4.1; 6.1.4; 6.5.1; 6.6.7 Behinderung: 2.2.4; 3.3.6; 4.1.4; 6.6.2 Bekehrung → Umkehr Bekenntnis: 2.5.1 f.; 3.6.2; 4.1.5; 4.2.6; 4.3.1; 5.1.1 Besessenheit: 2.2.4; 3.3.4; 4.1.1; 4.1.4; 4.4.4; 5.4.1 Charisma: 1.6.8; 1. 6. 11; 1.7.1; 2.3.2 f.; 2.4.1; 2.4.3 f.; 2.5.5; 2.6; 3.6.1; 3.6.3; 4.1.7; 4.2.3; 4.4.3; 4.4.5 f.; 5.1.1; 5.3.2; 5.4.1; 6.6.6 Christologie: T7; 2.5.3; 3.3.6; 3.5.6; 3.5.8; 3.6.1; 4.1.6; 4.2.2; 4.4.2 Christophanie: 1.6.8; 1. 6. 11; 4.4.5 Christuserkenntnis: 2.5.1; 3.6.5; 5.1.1; 5.2.1 f.; 5.3.2; 5.4.1 Christusglaube: T2; 2.4; 2.6; 3.5.1; 6.6.6; 6.6.8 Dämonen: 1.6.2; 1. 6. 11; 1.7.2; 1.7.3-1.7.5; 1.7.8; 2.2.4E; 3.6.2; 4.1.5; 4.1.6; 4.3.4; 5.4.1; 6.6.6 Dämonenaustreibung → Exorzismus Determinismus: 1.5.9E; 3.2.1; 4.2.4 diakonisches Handeln: 3.6.5; 4.1.7; 4.2.6 f.; 6.6.3 Disability → Behinderung Ekklesiologie: 3.6.1; 4.1.1; 4.2.6 Ekstase: 1.6.8; 1.7.8; 2.5.1; 3.1.1 Empathie: 3.6.2 f.; 4.1.1; 4.2.2; 6.6.5; 6.6.7 Empirie: 1.7.6; 1.7.9; 3.6.2 Endgericht: 3.6.5; 3.6.7E; 4.2.1 f.; 4.2.9; 4.3.5; 4.4.1; 4.4.4; 4.4.6 Endzeit → Eschatologie Engel: 1. 6. 11; 1.7.2; 1.7.5; 1.7.8; 3.6.2; 3.6.5; 5.1.2; 6.6.1 Entmythologisierung: 3.3.2; 3.5.5; 3.5.9E; 3.6.2 Entrückung: 1.6.9; 1. 6. 11; 1.7.8; 2.3.1; 3.6.6; 4.1.7; 4.2.3; 4.4.3; 4.4.5 f. Entwicklungspsychologie: 6.2.1; 6.2.2 Ent-Wunderung: 1.5.2; 3.4.4; 3.5.9E Epiphanie: 1.6.8; 1. 6. 11; 1.7.5; 1. 7. 10; 2.2.1; 3.3.5; 3.6.6; 4.1.4 f.; 4.4.3 Erbarmen: 1.7.8; 2.4.1; 3.6.3; 4.1.1; 4.1.6; 4.1.9; 4.2.1 f.; 4.2.7; 4.2.9 f.; 4.3.5; 4.4.2; 4.5; 5.1.1; 6.1.2; 6.6.7 Erkenntnis-Wundertexte: 3.6.5; 5.2; 6.6.4 f.; S 5.2 Erlösung: 3.5.5; 3.6.1; 3.6.2; 3.6.6; 4.1.1; 4.1.5; 4.1.9; 4.2.1; 4.2.4; 4.2.8; 4.3.5; 4.4.1; 4.5; 5.4.2; 6.1.4; 6.5.1; 6.6.3; 6.6.5 Ermutigung: T12; 6.1.4; 6.5.1 Erschrecken → Gottesfurcht Erzähltechnik → Erzählstrategie Eschatologie: 1.2.4; 2.3.5; 2.4.1; 2.5.3; 2.6; 3.2.4; 3.6.1; 4.1.9; 4.2.9; 6.1.4 Esoterik: 1.7.7; 2.5.3; 2.6; 3.6.2; 6.1.2 Ethik: 1.7.7; 3.6.1; 4.1.1; 4.2.7 existenziale Interpretation: 3.3.2; 3.3.4; 3.3.7; 3.5.5 Exodus: 1.6.9; 2.3.1; 3.6.1; 5.1.2; 6.6.1 Exorzismus: 1.6.2; 1. 6. 10; 1. 6. 11; 1.7.2; 2.2.4E; 2.5.1 f.; 3.3.4; 3.4.3; 4.1.5 f.; 4.2.3; 4.4.1; 4.4.3 f.; 5.4.1; 6.6.6 Faktualität: 1. 7. 10; 2.4 f.; 3.4.1; 3.4.4; 3.5.1; 3.5.9; 3.6.2; 3.6.7; 6.1.3 Faktizität: 1. 7. 10; 3.2.3; 3.5.1; 3.6.2 Fernwunder: 2.3.1 f.; 4.1.6 Fiktionalität: 1. 7. 10; 2.4; 3.4.1; 3.4.4; 3.5.1 f.; 3.5.6; 3.6.2; 6.2.2 339 S 3 Schlagwörter (in Auswahl) <?page no="340"?> Fluch: 1.6.9; 1. 6. 11; 4.1.6 Führungswunder: 1.6.9; 1. 6. 11; 3.6.1; 4.2.3; 5.1.2 Fürsorge-Wundertexte: 3.6.5; 5.1; 6.6.1; 6.6.3; S 5.1 Gebet: 1.6.9; 1. 6. 11; 1.7.8; 3.6.2 f.; 3.6.6; 4.1.6 f.; 4.2.2; 4.2.6; 4.2.8; 4.3.5; 4.4.3 Geist (anthr.): 2.1.2; 4.2.9 Geist → Heiliger Geist Gemeinschaft: T10; 1.7.7; 2.4; 2.5.4; 3.6.1 f.; 3.6.5; 4.2.6; 5.2.1; 5.3.1; 6.6.4 Geschenkwunder: 1.6.4; 1. 6. 11; 1.7.9; 2.3.1; 3.3.4; 3.5.2; 3.6.5; 4.1.4-6; 4.2.4; 4.3.4; 4.4.1; 5.1.1; 6.4.1; S 5.1 Glaube: 1. 6. 11; 1.7.8; 2.4.2; 2.5.1 f.; 2.6; 3.1.2; 3.6.1; 3.6.3; 3.6.6; 4.1.3; 4.1.6 f.; 4.2.5-8; 4.3.1; 4.3.5; 4.4.1 f.; 4.4.4; 5.2.1; 5.3.1 f.; 6.1.1; 6.6.2; 6.6.8; S 5.2 f. Gleichnis: 1. 7. 10; 2.4.1; 3.6.7E; 4.2.9; 5.4.1; 6.5.2; 6.6.6 f. Gottesbild: T7; 2.5.4; 2.6; 3.4.4; 3.5.1 f.; 3.6.1; 4.1.1; 4.2.1; 6.1.4; 6.2.1; 6.6.3; 6.6.5 Gottesfurcht: 2.5.1; 3.6.5; 4.3.5; 5.2.1; S 5.2 Gottesherrschaft → Reich Gottes Gottesreich → Reich Gottes halachá → Toraauslegung Halbgott: 1.7.2; 2.3.3; 2.3.5; 2.6; 3.6.2 harte Fakten: 1.7.9; 3.5.1 f.; 3.6.2 Heiliger Geist: 1.6.8 f.; 1.7.1; 1.7.3; 2.4.1; 3.6.1; 4.1.5; 4.1.7; 4.2.3; 4.2.9; 4.4.3; 4.4.5; 5.3.2; 5.4.1; 6.6.6; 6.6.8 Heilkunst → Medizin (antik) Heilungswunder: 1.6.1; 1. 6. 11; 1.7.9 f.; 2.1.3; 2.3.3; 3.3.4; 3.4.3; 3.5.2; 4.1.4; 4.1.6; 4.4.1 f.; 4.4.5; 6.4.1 Hermeneutik → Wundervermittlung Himmelfahrt: 1.6.8 f.; 1. 6. 11; 1.7.5; 2.3.1; 3.6.5; 4.1.5; 6.1.2; S 5.2 Himmelreich → Reich Gottes Hippokrates-Schule: 2.2.2 Historizität → Wunderfrage Hoffnung: T12; 1.7.8; 2.4.3; 2.6; 3.4.3; 3.6.1; 3.6.3; 3.6.6; 4.1.5; 4.1.9; 4.2.2; 4.2.8; 4.3.5; 6.1.1; 6.1.4; 6.2.2; 6.4.1; 6.5.1; 6.6.2; 6.6.4 f.; 6.6.7 Jesus (historisch, erinnert): T1; 2.4; 2.6; 3.3.4; 3.5.6; 3.5.8; 4.5 Jüngerschelte: 3.6.5; 4.1.6; 4.2.7; 5.2.1; S 5.4 Kausalität(en): 2.1; 2.6; 3.3.3; 3.4.3; 3.6.2 f.; 3.6.6; 4.1.1; 4.4.3 Kerygma: 3.3.1 f.; 3.3.7; 3.5.5; 3.5.9E Körperlichkeit: 2.1; 2.4.2; 3.3.3; 3.3.6 f.; 3.4.1; 3.4.5; 3.5.4; 3.6.1-3; 4.1.1; 4.1.5; 4.2.1; 4.2.9; 4.5; 5.1.1; 6.1.4 Konflikt-Wundertexte: 3.6.5; 5.4; 6.6.6 f.; S 5.4 kosmische Zeichen: 1.6.9; 1. 6. 11; 3.6.1; 4.1.5 f.; 4.2.4; 4.3.4; S 5.2 kosmischer (End-)Kampf: 1.6.2; 2.1; 3.2.1; 3.6.5; 4.1.1; 4.1.5 f.; 4.2.4; 5.4.1; 6.1.4 Kosmologie: 3.6.4; 4.2.4 Krankheit u. Sünde → Vergebung Krankheitsbilder (NT): 2.2.4E; 3.3.7; 3.6.2; 4.1.3; 6.6.6 krísis → Endgericht Kultkritik: 2.5.4; 3.3.5; 4.1.4; 4.4.1 Leben in Fülle: 2.4.3; 3.6.1; 4.1.1; 4.1.5; 4.1.9; 4.2.5; 4.4.4 Lebensweltbezüge: 6.1.2; 6.2.1; 6.3; 6.5.1 340 7 Serviceteil <?page no="341"?> Liebe: 1.2.3; T4; 1.5.2; 1.5.5; 1.7.8; 3.3.2; 3.6.1 f.; 3.6.3; 4.1.9; 4.2.2; 4.2.8; 4. 2. 10; 4.3.5; 4.4.2; 4.5; 5.1.1; 6.1.2; 6.6.7 Liebeszauber: 1.7.3 Lobpreis: 2.5.1; 2.5.5; 3.1.1; 3.4.4; 3.6.2; 3.6.5; 4.1.7; 4.2.2; 4.3.1; 4.4.3; 5.2.2; S 5.2 Magie: 1. 6. 11; 1.7.3; 1.7.7; 2.2.4E; 2.3.1 f.; 2.3.4 f.; 2.5.5; 3.6.2; 4.1.6; 4.2.2; 4.4.1-4.4.3; 6.2.2; 6.6.8 Magier: 1.6.2; 1. 6. 11; 2.3.4; 3.4.2; 5.3.2 Medizin (antik): 1.7.3; 2.2; 3.3.4 Medizin (modern): 3.5.2; 3.6.2 Menschenbild: 2.1.2; 3.3.3; 3.4.1; 3.5.4; 3.6.1; 4.1.1-3; 4.1.5; 4.2.5; 4.2.9; 4.3.2; 4.3.5 messianische Fülle: 3.6.1; 3.6.3; 4.1.4; 4.2.2; 4.2.7; 4.2.9; 4.3.4; 4.4.4; 5.1.1 Messiaserwartung: 2.2.4; 2.3.1; 2.5.4; 4.1.4; 4.1.6; 4.2.2; 4.3.4 f.; 5.3.1; 6.6.2 Messiasgeheimnis: 2.5.3; 4.4.1 Metamorphose: 1.6.9; 1. 6. 11; 2.4.2; 4.2.9; 4.4.5 Mission: 1.6.9; 3.6.1 f.; 3.6.5; 4.1.7; 4.2.3; 4.2.6; 4.4.2 f.; 5.3.1 f.; 6.6.8 Missions-Wundertexte: 3.6.5; 5.3; 6.6.2; 6.6.8; S 5.3 Moralvorstellung: 2.4.1; 3.6.1; 3.6.7E; 4.2.7 Mystik: 1.5.5; 1.7.7; 1.7.8; 2.1; 3.5.1; 3.5.7; 3.6.2 f.; 3.6.6; 4.1.5; 6.1.1 f. Mythos: T3; 1.7.5; 1. 7. 10; 2.1.3; 2.1.4; 2.3.3; 3.2.1; 3.2.3 f.; 3.3.1 f.; 3.3.7; 3.4.1; 3.5.5; 3.6.2; 4.1.5; 4.2.4; 6.1.2; 6.1.4; 6.6.6 Nachfolge: 2.5.1; 2.5.5; 3.6.5; 4.1.3; 4.1.7; 4.2.6; 4.3.3; 4.4.1; 5.3.1; S 5.3 Naturgesetze: 1.5.5; 1.5.6E; 3.1.1; 3.2.1; 3.4.1; 3.4.3; 3.5.2; 3.6.1-3; 3.6.6; 3.6.7E; 4.1.1; 4.2.1; 4.2.4 Naturgewalten: 1.7.5; 3.6.2; 4.1.3; 4.1.5 f.; 4.2.1 f.; 4.2.4; 5.2.1; 6.6.4 Naturwissenschaft: 1.5.5 f.; 1.7.6; 1.7.9; 3.2.1 f.; 3.4.5; 3.5.9; 3.6.2; 6.2.2 Naturwunder: 1.6.5; 1. 6. 11; 2.1.3; 2.3.2; 3.3.4; 3.5.2; 4.1.5; 4.2.4; 4.4.1; 5.2.1; 6.4.1 Neo-Rationalismus: 3.3.3-3.3.5; 3.4.3 Neuschöpfung: 2.3.1; 3.6.1; 4.1.5; 4.1.9; 4.2.2; 4.2.4; 4.2.9 f.; 4.3.5; 4.4.4 f. Normenwunder: 1.6.6; 1. 6. 11; 2.3.1; 3.3.4; 3.6.5; 4.1.6; 5.4.2 Okkultismus: 1.7.8 Ordnungen: 3.5.2; 4.2.5; 4.3.5 - Durchbrechung: 3.4.1; 3.5.2; 3.6.6; 4.1.5; 4.2.1-7; 4.5; 5.1.1; 5.2.2; 5.4.2; 6.6.5; 6.6.7 - natürliche → Naturgesetze - religiös-moralische: 3.6.2; 3.6.6; 3.6.7E; 4.2.4; 4.2.7 - soziale: 3.6.2; 3.6.6; 3.6.7E; 4.2.4 Osterglaube: 2.4.2; 2.6; 3.6.1; 4.2.1 Ostervisionen: 1.6.8; 1. 6. 11; 2.4.2; 3.3.5; S 5.2 f. Osterwunder: 1. 6. 11; 2.4.2; 4.2.2; 4.2.6; 4.3.4; 6.6.5 Parabeltheorie (Mk 4): 2.5.3; 2.6; 4.4.1; 5.2.1 Paranormales: 6.1.2 Parusie: 1.6.9; 1. 6. 11; 2.5.2 f.; 3.6.1; 4.2.4; 4.3.5; 4.4.1; 4.4.5 performatives Wort: 1.7.3; 2.3.1; 3.6.7E; 4.1.4; 4.1.6; 4.3.2; 5.3.1 Pfingsten: 1.6.8; 3.6.1; 4.1.5; 4.1.7; 4.4.3; 6.6.8 341 S 3 Schlagwörter (in Auswahl) <?page no="342"?> Phantastik: 1. 7. 10; 2.3.3; 3.4.4; 3.6.6; 3.6.7E; 4.2.5 Philosophie: 2.1.3; 2.3.3; 3.1.1; 3.6.2 Pneumatologie: 3.6.1; 4.2.3 Pneumatophanie: 1.6.8; 1. 6. 11 Polarisierung: 1.7.1; 2.5.1; 2.5.3; 2.5.5; 2.6; 3.6.5; 3.6.7E; 4.1.4; 4.1.6; 4.2.2; 4.2.5; 4.4.1; 4.4.4; 4.5; 5.3.2; 5.4.1; 6.6.6 f.; S 5.4 Präsenz Gottes: 1.5.5; 2.4.2; 2.4.4; 2.5.1; 2.6; 3.3.6; 3.6.5; 5.2.1; 6.1.2; S 5.4 Propheten / Prophetie: 1.6.9-11; 1.7.8; 2.3.1 f.; 3.5.2; 3.6.1; 4.2.1 f.; 4.2.9; 4.3.5; 4.4.1; 4.4.3; 4.4.6; 5.2.2; 5.3.2; 6.6.1 Pseudomessiasse: 1. 6. 11; 2.3.4 Pseudorealistik: 1. 7. 10; 3.6.7E; Psychologie: 2.3.4; 3.3.3 f.; 3.3.7; 3.4.1; 3.5.2; 3.5.4 Psychosomatik: 2.3.4; 3.3.3; 3.5.2 Psychotherapie: 3.3.3; 4.1.3 Quantenphysik: 1.5.6E ratio → Vernunft Rationalismus: 1.7.6; 3.2.2; 3.3 f.; 3.5.3; 3.5.9 Rationalität: 1.7.5; 3.1.3; 3.2.2; 3.4.1; 3.4.5; 3.5.2 f.; 3.5.7; 3.5.9; 3.6.2 Realistik → Pseudorealistik Regeln → Ordnungen Reich Gottes: 1.7.7; 2.3.2; 2.3.5; 2.4.1; 2.4.3; 2.6; 3.2.4; 3.3.7; 3.6.1; 3.6.7E; 4.1.4 f.; 4.1.7; 4.1.9; 4.2.1 f.; 4.2.4; 4.2.9; 4.3.4 f.; 4.4.1; 4.4.4; 4.5; 5.3.1; 5.4.1 f.; 6.4.1; 6.5.2; 6.6.4; 6.6.6 f. Reinheit (kultisch): 2.2.4; 4.1.6 Religionsdidaktik: 3.4.3; Kap. 6. Religionsgeschichte: 1. 6. 11; 3.3.1; 3.3.7; 3.5.6; 3.5.9 Rettungswunder: 1.6.5; 1. 6. 11; 1.7.9; 2.3.1; 3.6.5; 4.1.6 f.; 4.2.4; 4.4.3; 5.2.1; 6.4.1 Satan: 1. 6. 11; 1.7.1; 2.3.3 f.; 2.5.2; 3.1.1; 3.6.5; 4.1.5 f.; 4.4.1; 4.4.4; 4.4.6; 5.1.2; 5.4.1; 6.6.6; S 5.4 Schadenzauber: 1.6.9; 1.7.3; 2.3.4 Schamanismus: 1.7.4; 1.7.7; 2.3.4; 3.3.3; 3.6.2 Scheidung (endzeitlich) → Polarisie‐ rung Scheintodhypothese: 3.2.2; 3.3.4; 3.4.3 Schöpfermacht: 1.2.4; T7; 1.5.5; 2.6; 3.4.4; 3.5.5; 3.6.1; 3.6.3; 3.6.6; 4.1.1; 4.1.5; 4.2.1; 4.2.8; 4. 2. 10 Schöpfungs-Logos: 2.4.1; 2.4.3; 3.6.1; 4.1.5; 4.2.9; 4.3.4 Schweigegebot: 2.5.3-2.6; 3.6.5; 4.1.6; 4.4.1; 5.3.1; S 5.4 Seele: 2.1.2; 3.3.3; 4.1.2 f.; 4.2.9; 4.3.2 Sinnebenen: T8; 3.3.3; 3.3.6 f.; 3.4; 3.5.4 f.; 3.5.9E; 3.6.4; 4.1; 4.5; 6.1.3; 6.2.1 f.; 6.5.1 - diakonisch-missionarisch: 3.6.4; 4.1.7 - kommunikativ: 3.6.4; 4.1.6; 4.1.9 - mythisch-kosmisch: 3.6.4; 4.1.5; 4.1.6 - physisch-leiblich: 3.3.6; 3.5.1; 3.5.4 f.; 3.6.1; 3.6.4; 4.1.1; 4.1.6 f.; 4.1.9; 4.2.1 f.; 4.2.9; 6.1.4 - sozial- / kultkritisch: 2.5.4; 3.3.6; 3.6.4; 4.1.4; 4.2.6 - spirituell: 3.1.1; 3.1.3; 4.1.2 - theologisch: 3.6.4; 4.1.8 - (tiefen-)psychisch: 3.3.3; 4.1.2; 4.1.3; 4.1.5 Soteriologie: 3.6.1; 4.2.8 Sozialkritik: 2.4.1; 2.5.4; 3.3.4-3.3.6; 3.6.2; 4.1.4; 4.2.2; 4.2.6; 4.4.3; 6.6.5 f. 342 7 Serviceteil <?page no="343"?> Spiritualität: T5; 1.7.7; 1.7.8; 2.1; 3.1.1; 3.1.3; 4.1.2; 6.1.2; 6.1.4 Spontanheilung: 1.5.2; 1.5.6; 6.1.2 Sprachereignis: 3.3.4; 3.6.7E Strafwunder: 1.6.7; 1. 6. 11; 2.3.1; 3.6.1; 4.4.3; 4.4.6; 5.3.2; 6.6.8 Summar: 1.6.10 f.; 4.1.1; 4.3.5; 4.4.1; 4.4.3 Sündenvergebung → Vergebung Supranaturalismus: 1.7.5; 3.1.3; 3.2.2; 3.3; 3.4.5; 3.5.3; 3.5.9E; 3.6.4; 3.6.7 Textpragmatik: T10; 1. 7. 10; 3.4.4; 3.6.5 f.; 4.2.7; 6.3 Textgruppen: T10; 3.5.9; 3.6.5; S 5 theologische Aspekte: T9; 3.6.4; 4.2 f.; 4.5; 6.1.3; 6.5.1 Theo-logie → Gottesbild Theodizee: T9; 4.3; 4.3.5; 4.5; 6.1.4; 6.2.2 Theophanie: 1.6.8; 1. 6. 11; 2.3.1 Therapie → Heilungswunder Thronvision: 1.6.9; 1.7.8; 4.1.5 Tiefenpsychologie → Psychologie Tod Jesu: 1. 6. 11; 2.4.1-3; 4.2.4; 4.2.8; 4.3.5 Tora / Toraauslegung: 2.4.1; 2.4.3; 3.6.5; 4.1.6; 4.2.7; 5.4.2; 6.6.6 f. Totenbeschwörung: 1.7.3; 1.7.8; 2.3.4; 3.6.2 Totenerweckungen: 1.6.3; 1. 6. 11; 2.1.3; 2.3.1; 2.3.3; 3.3.4; 3.6.1; 4.1.5 f.; 4.2.1; 4.4.3; 5.2.1 f.; 6.6.5 Traumvision → Vision Tun-Ergehen-Zusammenhang → Ver‐ gebung Umkehr: 3.6.5; 4.2.7; 4.3.2; 4.3.5 Unreinheit (kultisch): 2.2.4; 2.4.1; 4.1.4; 4.1.6; 4.4.1; 5.2.2 Unverfügbarkeit Gottes: 1.5.4; 1.6.8; 2.4.2; 3.6.2 f.; 3.6.6; 6.1.1 Urängste: 1.7.5; 4.1.3; 4.1.5; 5.2.1; 6.6.4 Vergebung: 2.2.4; 2.4.1; 2.5.4; 4.1.2 f.; 4.1.4; 4.1.6; 4.1.9; 4.2.5; 4.2.7; 4.3.2; 4.4.1; 4.4.6; 5.3.1; 6.6.6 Verheißung: 1. 6. 10; 2.5.4; 3.6.3; 4.1.1; 4.2.1 f.; 4.2.9; 4.3.4; 4.4.3; 6.6.1 Verklärung: 1.6.8; 1. 6. 11; 1.7.5; 3.3.5; 3.6.5; 4.1.5; 6.1.2; S 5.2 Verkündigung → Mission Vermittlung → Wunderhermeneutik Vernunft (ratio): T6; 1.5.9E; 1.7.6; 2.1.4; 3.2 f.; 3.4.1; 3.5.2; 3.5.9; 3.6.2 f.; 3.6.6 f.; 6.1.4 Verwandlung → Metamorphose Vision: 1.6.8; 1.7.3; 1.7.5; 1.7.8-10; 2.3.1; 3.6.5 f.; 5.1.2 Vollmacht Jesu: 1.6.9; 2.4.3; 2.5; 3.6.5; 4.1.5; 4.2.2; 4.4.1; 4.4.3 f.; 5.4.1; 6.6.6; S 5.4 Wahrheitsbegriff: 1.5.5; 1. 7. 10; 3.2 f.; 3.4.1; 3.4.5; 3.5.1; 3.5.9; 3.6.2; 3.6.7; 4.1.1; 6.5.2; 6.6.4 f.; 6.6.7 Wahrheitsfrage: 1.2.2; T2; 1.5.9E; 1.7.9 f.; 2.4.2; 2.6; 3.1.1; 3.1.3; 3.2.1 f.; 3.3.1; 3.3.7; 3.5.9; 6.1.3; 6.6.7 Wahrnehmungsart → Wirklichkeitssicht weiche Fakten: T5; 1.5.2; 1.7.9 f.; 3.5.1; 3.5.3; 3.6.2; 3.6.6; 6.1.2 Weisheit: 1.7.9; 2.5.2; 3.4.1; 3.6.2; 4.1.2; 4.3.2; 5.4.1 f. Weltbild: T3; 1.5.5; 1.7.5; 2.1; 3.2.1; 3.3.1 f.; 3.3.7; 3.5.5; 3.6.6; 4.1.1; 4.1.5; 4.2.4; 6.2.2; 6.6.6 Weltmission → Mission Weltsicht → Wirklichkeitssicht 343 S 3 Schlagwörter (in Auswahl) <?page no="344"?> Wertehierarchie: 3.6.5; 3.6.7E; 4.2.7; 5.4.2; 6.6.7 Wirklichkeitssicht(en): 1.7.5; 1.7.8-10; 3.4; 3.5.1; 3.5.5; 3.6.2; 3.6.6 f.; 6.1.1; 6.1.4 Wirkursache → Kausalität Wunder: - Personalität: 3.3.6; 4.1.1; 4.1.6; 4.2.2 - Relevanz: 3.4.3; 3.5.1; 3.6.1; 3.6.5; 6.1.3 W.-auslegung → W.-deutung Wunderbegriff: 1.5; 3.5.9; 3.6.6 - biblisch-konfessorisch: 1.5.5; 3.6.6 - kontingent-liberativ: 1.5.4; 6.1.1 f. - profan-ästhetisch: 1.5.3; 6.1.1 W.-definition: 1.5; 3.6.6 Wunderdeutung: 3.6.7 - allegorisch: 2.1.3; 3.1.1; 3.1.3; 3.5.9E; 3.6.7 - feministisch: 3.3.6; 3.6.4; 4.1.4; 4.1.6; 5.2.2 - kulturanthropologisch: 3.4.2; 3.6.4; 4.1.6 - mythisch: 2.1.4; 3.1; 3.2.3 f.; 3.3.2; 3.6.4; 6.1.4 - rational: 1.2.1; T6; 1.5.2; 1.5.6E; 1.7.6; 2.1.3; 2.3.4; 2.4.2; 3.1.3; 3.2.1 f.; 3.2.4; 3.3.3-7; 3.4.1; 3.4.3; 3.4.5; 3.5.2; 3.5.3 f.; 3.5.7; 3.5.9(E); 3.6.4; 3.6.6 f.; 4.1.3 f.; 6.1.4 - sozialkritisch: T8; 2.5.4; 3.3.5 f.; 3.4.5; 3.6.4; 3.6.6 - spirituell: T8; 3.1.1; 3.1.3; 3.5.9E; 3.6.4; 4.1.2 - supranatural: 1.7.5; 3.1.3; 3.2.2; 3.3; 3.4.5; 3.5.3 f.; 3.5.9E; 3.6.4; 3.6.7; 4.1.1 - (tiefen)psychologisch): T8; 2.3.4; 3.3.3 f.; 3.3.7; 3.4.5; 3.5.2; 3.5.4; 3.6.4; 3.6.7; 4.1.2 f.; 4.1.5 W.-erzählung → W.-text W.-frage (historisch): 1.2.1; T1; 1. 7. 10; 2.4.3; 2.6; 3.3.1; 3.3.3 f.; 3.4; 3.5.2; 3.5.6; 3.5.8 f.E; 3.6.2; 3.6.6 f.; 6.1.3; 6.2.1; 6.5.1 W.-glaube (antik): 2.1.3; 2.4.3; 3.1.1; 3.6.1 W.-glaube (modern): 1.2.3; 1.5.2; 3.6.1 f.; 3.6.7; 6.1.2; 6.1.4 W.-hermeneutik → Wundervermitt‐ lung W.-kritik: 2.1.3; 3.1.1; 3.1.3; 3.2.1; 3.3.7; 3.5.3; 3.5.9E; 6.1.4 W.-logik: T4; 1.5.2; 1.7.9; 3.5.1; 3.5.3; 3.5.7; 3.6.2 f.; 3.6.6; 4.1.6; 4.2.8; 4.3.1; 4.3.5; 5.1.1; 6.1.1; 6.2.1; 6.6.3 W.-phänomen: 1.5; 3.4.1; 6.1.1 W.-polemik: 2.1.3; 2.3.3; 3.2.1 W.-propheten: 2.3.1; 2.3.5; 2.6 W.-summar → Summar W.-täter: 1. 6. 11; 2.2.3; 2.3.2 f.; 2.3.5; 3.5.2; 4.2.2 W.-terminologie: 1.5.1 Wundertexte: - Definition: 3.6.6 - Fremdheit: 3.2.4; 3.4.1; 3.4.4 f.; 3.5.7; 3.5.9; 3.6.6; 6.2.2; 6.3 - Funktion: 2.5.2; 2.5.5; 3.3.1 f.; 3.3.7; 3.6.5-7E; 4.1.9; 6.1.4 - Gattung(en): 1.6; 3.3.1; 3.6.5 - Unverzichtbarkeit: 1.2.4; 3.4.1; 3.5.9; 3.6.1; 3.6.6; 4.1.1; 6.1.4 W.-vermittlung: 1.2.5; 3.2.2; 3.4.3; 3.6.2; 3.6.7; 6.1-6.3 W.-vollmacht: 1. 6. 11; 2.3.2; 3.1.1; 3.6.1; 4.1.1; 4.1.6; 4.4.2; 6.6.7 W.-vollzug: 4.1.6 W.-wahrnehmung: 3.2.2; 3.3.4; 3.5.3; 3.5.6; 3.6.2; 3.6.6; 6.1.1 344 7 Serviceteil <?page no="345"?> Zauberei: 1.7.3; 2.2.3; 2.3.4 f.; 4.1.6; 5.3.2; 6.2.2 Zeichen des Jona: 2.3.1; 2.5.2 Zeichenforderung: 2.5.2; 2.5.5; 4.2.1; 4.4.1; 4.4.5; 5.4.1 Zeichenhandlung, prophetische: 1.6.9; 1. 6. 11; 2.3.1; 4.1.4 Zufall: 1.5.2; 3.4.3; 3.6.2; 6.1.1 f. Zweistufenchristologie: 2.5.3; 4.4.1 S 4 Textstellen (in Auswahl) Bei Dreifachüberlieferungen (‚parr.‘) wird vorzugsweise auf die mk. Variante referenziert. Altes Testament 1. Mose (Gen) 1 f.: 2.1.2; 3.6.1; 4.2.4; 6.6.3 3: 4.2.5; 4.3.2 5,24: 1.6.9 6,1-4: 1.7.2 15,6: 3.6.3 18,1-15: 1.6.8; 4.2.1 21,1-7: 4.2.1 28,16 f.: 4.3.5 32,23-33: 1.6.8 50,20: 5.1.2 2. Mose (Ex) 3,1-6: 1.6.8; 4.3.5; 5.2.1 3,14: 4.2.1 8,15: 5.4.1 12-40: 1.6.9; 3.6.1 15 f.: 1.6.4; 2.2.4 19 f.: 4.3.5; 5.2.1 33,30: 1.7.2 3. Mose (Lev) 13 f.: 2.2.4; 4.1.1; 4.1.4 16-20: 2.5.4; 4.1.4; 4.3.2 21-29: 2.2.4; 4.1.4; 4.3.4 Num 11 f.: 1.6.4; 2.2.4 345 S 4 Textstellen (in Auswahl) <?page no="346"?> 5. Mose (Dtn) 18,9-12: 1.6.9; 1.7.3 27,18: 2.2.4; 4.1.4 32 f.: 1.7.2 Jos 3: 2.3.1 1./ 2. Samuel (1 / 2 Sam) 1 Sam 1-3: 2.3.1; 4.2.1 1 Sam 7,13: 5.3.2 1 Sam 10,2-9: 2.3.1 1 Sam 15,23: 1.6.9 1 Sam 16,14-23: 1.7.2; 2.3.1 1 Sam 28: 1.7.4 2 Sam 5,8: 4.1.4 2 Sam 12: 2.3.1 1./ 2. Könige (1 / 2 Kön) 1 Kön 17-2 Kön 13: 1.6.9; 2.3.1; 3.6.1 1 Kön 17: 1.6.3; 2.3.1; 5.2.2 1 Kön 18: 2.3.1; 5.3.2 2 Kön 4,8-37: 1.6.3; 2.3.1; 5.2.2 2 Kön 4,38-44: 1.6.4; 2.3.1; 5.1.1 2 Chron 11,15: 1.7.2 Hiob (Hi) 1 f.: 1.7.2 29,12-16: 2.2.4; 4.1.4 Esr 3: 2.3.1 Psalter (Ps) 42,2 f.: 5.4.2 90: 4.1.1 103,3: 4.3.2 104: 2.1.2; 3.6.1; 4.1.1; 4.2.1; 4.2.4 106,37: 1.7.2 130,4: 4.1.4 Spr 31,8: 2.2.4; 4.1.4 Jesaja (Jes) 6,9: 4.4.4 8,1-4.18: 1.6.9 9 + 11: 2.3.1; 4.1.6; 5.3.1 20,3: 1.6.9 26,19: 5.2.2 35,5 f.: 4.1.4; 4.3.4 40-45: 2.3.1; 2.5.3; 3.6.5; 4.1.4; 4.2.1; 5.1.2 53-56: 4.1.4; 4.4.4 346 7 Serviceteil <?page no="347"?> 60-65: 2.3.1; 3.6.1; 4.1.4; 4.2.1; 4.3.4; 4.4.3; 5.2.2; 5.3.1; 5.4.2 Jeremia (Jer) 28 f.: 1.6.7; 1.6.9; 5.3.2 31,8: 2.2.4; 4.1.4 Ezechiel (Ez) 4-24: 1.6.9 37,1-14: 2.3.1 Dan 7-12: 1.6.8; 1.7.2; 2.3.1; 5.3.2; 5.4.1 Hos: 1.6.9; 4.4.2; 5.1.2 Joel 3,1-5: 2.3.1 Hag 2: 2.3.1 Sach 1-6: 1.6.8; 2.3.1 Jon 1-4: 2.3.1 Mi 5: 1.6.9; 2.3.1 Nah 3,4: 1.6.9 Mal 3,23: 2.3.1 Atl. Apokryphen Jesus Sirach (Sir) 46,1-8: 2.3.1 Psalmen Salomos (PsSal): 2.5.4 Weisheit Salomos (SapSal): 2.3.1 Frühjüd. Schriften 1 QapGen: 2.3.1 1 QS: 1.7.2; 2.5.4 11 Q: 1.7.3; 2.3.1 4. Esra (4 Esr): 1.6.9; 2.3.1 äth.Henoch: 1.6.9; 2.3.1; 4.1.5 Apokalypse Elias (ApkEl): 2.3.1 bBer: 1.6.2; 1.6.6; 2.3.2 bPes 112b: 2.3.2 bTaan: 1.6.4; 2.3.2 Flavius Josephus: 2.1.3 - Ant: 1.7.2 f.; 2.3.1 f.; 2.3.4 - Ap: 4.1.4 - Bell: 1.7.2 f.; 2.3.4; 4.1.4 jMoed 3,1: 1.6.6 ParalipJer: 1.6.3 Philo v. Alexandria: 1.7.2; 2.2.4 Pseudo-Philo, LibAnt: 2.3.1 Targum PsJon: 1.6.9 VitProph: 2.3.1 347 S 4 Textstellen (in Auswahl) <?page no="348"?> Neues Testament Matthäus (MtEv): 4.4.2 1,16-20: 1.7.1; 3.6.1; 4.2.3; 5.1.2; 6.1.1 1,19-25: 1.6.8; 1. 6. 11; 4.4.2; 5.1.2; S 5.2 2,1-12: 1.6.8; 1. 6. 11; 4.4.2; 5.1.2; 6.6.1 2,13-23: 1.6.8; 1. 6. 11; 3.6.5; 5.1.2; 6.6.1; S 5.1 3,1-17: 2.5.4; 5.1.2; S 5.2 4,1-11: 1.7.1; 2.4.1; 4.1.5; 4.2.1; 4.3.5; 5.1.2; 5.4.1 4,23-25: 1. 6. 10; S 5.1 5,3-48.57: 4.3.5; 6.6.7 f. 6,9-13.25-32: 4.2.7; 6.6.4; 6.6.7 7,1-5.24-27: 4.3.2; 6.6.7 7,7-11: 3.6.3; 4.1.7; 4.2.6 7,15-23: 1. 6. 11; 2.5.4 8,2-4: 1. 6. 11; 4.1.1; 4.1.6 8,5-13: 1. 6. 11; 3.6.5; 4.1.4; 4.1.6; 4.3.1; 4.4.2; S 5.3 8,14-34: 1.6.10 f.; 2.5.1; 4.1.6; 4.4.2; 5.2.1; S 5.2 f. 9,1-8: 1. 6. 11; S 5.4 9,13-26: 1. 6. 11; 4.4.2; S 5.1.4 9,27-34: 1. 6. 11; 2.5.1; 2.5.3; 4.1.1; 4.1.6; 4.3.1; 4.4.2; S 5.4 9,35-38: 1. 6. 10; 4.1.1; 4.2.6; 4.4.2; S 5.1 10: 1. 6. 11; 2.3.1; 4.3.2; 4.3.4; 4.4.2; 5.4.1; S 5.3 11: 1. 6. 10; 1. 7. 10; 2.2.4; 4.1.4; 4.2.1; 4.2.9; 4.3.4; 5.2.2; 5.3.1; 5.4.1 12,1-8: 4.4.2; 5.4.1 12,9-14: 1. 6. 11; 5.4.1 f.; S 5.4 12,(15-)22-30: 1.6.10 f.; 2.5.1-3; 3.1.1; 3.6.5; 4.4.2; 5.4.1; 6.6.6; S 5.4 12,28: 1.6.2; 1.7.2; 2.3.2; 3.6.1; 4.1.5; 4.2.3; 4.3.4; 4.4.2 12,33-42: 1.6.9; 2.3.1; 2.5.2; 2.5.4; 4.1.6; 4.4.2; 5.4.1 12,43-45(-50): 1.6.2; 4.2.5; 4.2.7; 4.3.2; 5.4.1 13: 5.4.1; 6.6.4 14,1-12: 5.1.1 14,13-33: 1.6.10 f.; 3.6.3; 4.1.5 f.; 4.4.2; 5.1.1; S 5.1 f. 14,34-36: 1-6-10; 4.1.1; 4.1.6; 4.3.1; 4.4.2; S 5.1 15,14: 5.3.1 15,21-28: 1. 6. 11; 4.4.2; S 5.3 15,29-31: 1. 6. 10; 2.2.4; 2.5.1; 4.3.1; 5.1.1; S 5.2 15,32-39: 1. 6. 11; 4.4.2; 5.1.1 16: 1. 6. 11; 2.5.2; 4.1.6; 4.4.2; 5.4.1 17: 4.1.6; S 5.1 f. 17,14-20: 1. 6. 11; 2.2.4E; 3.6.1; 3.6.3; 4.1.6; 4.4.2; S 5.4 17,24-27: 1. 6. 11; 4.2.7; S 5.1 18: 3.6.3; 4.1.1; 4.2.6 f.; 4.4.2; 5.2.2 19,1 f.: 1. 6. 10; S 5.1 20,1-16: 6.6.3; 6.6.6 f. 20,29-34: 1. 6. 11; 3.1.1; 4.1.1; 4.1.6; 4.4.2; 5.3.1 21,12: S 5.1 21,14: 1. 6. 10; S 5.4 21,18-22: 1. 6. 11; 4.2.6; 4.3.1 22-25: 2.3.4; 2.5.4; 4.2.9 24,24.29-31: S 5.2.4 27,39-44: 2.4.1; 4.2.1 27,45-28,2: 1.6.9; 1. 6. 11; 4.1.5; 4.2.4; 4.3.4; 4.4.2; 6.4.1; S 5.2 348 7 Serviceteil <?page no="349"?> 28,3-20: 1.6.8; 1. 6. 11; 4.1.6; 4.2.6; 4.4.2; 5.4.1; 6.4.1; S 5.3 f. Markus (MkEv): 4.4.1 1,9-11: 1.6.8; 1. 6. 11; 1.7.1; 2.4.1; 4.1.4 f.; 4.2.3; 4.4.1; 6.1.2; S 5.2 1,12-20: 3.6.1; 4.3.5 1,23-28: 1.6.2; 1. 6. 11; 2.3.4; 2.5.1; 2.5.3; 4.1.6; 4.2.7; 4.4.2; S 5.2 1,29-31: 1. 6. 11; 2.2.4; 2.3.2; 2.5.1; 3.6.5; 4.1.3 f.; 4.1.7; 4.2.7; 4.4.1; S 5.3 1,32-34: 1.6.2; 1. 6. 10; S 5.4 1,39: 1. 6. 10; S 5.1 1,40-45: 1. 6. 11; 2.2.4E; 2.5.3 f.; 4.1.1; 4.1.4; 4.1.6; 4.2.7; 4.4.1; S 5.4 2,1-12: 1.6.1; 1. 6. 11; 2.1.2; 2.2.4; 2.5.1; 2.5.4; 3.6.3; 3.6.5; 4.1.2-4; 4.1.6 f.; 4.2.5-7; 4.3.1 f.; 4.4.1; 4.4.3; 6.4.1; 6.6.7; S 5.4 2,13-28: 4.1.4; 4.2.7; 4.2.9 3,1-6: 1. 6. 11; 2.2.4E; 2.3.3; 2.5.1; 2.5.4; 3.6.5; 4.1.4; 4.1.6; 4.2.7; 5.4.2; S 5.4 3,7-12: 1. 6. 10; 2.5.3; 4.1.1; 4.1.6; 4.2.7; S 5.4 3,22-30: 1.7.2; 2.2.4; 2.3.4; 2.5.1; 3.1.1; 4.1.6; 4.4.1; 5.4.1; S 5.4 4: 3.6.1; 4.3.5; 5.2.1; 6.6.6 f. 4,10-13: 2.5.3; 2.6; 4.4.1; 5.2.1 4,17.29: 1. 6. 11; 5.2.1; 5.2.2 4,35-41: 1.6.2; 1.6.5; 1. 6. 11; 2.1.3; 2.5.1; 3.6.5; 4.1.5 f.; 4.2.4; 4.2.6 f.; 4.3.5; 5.2.1; 6.4.1 f.; 6.6.4; S 5.2 5,1-20: 1.6.2; 1. 6. 11; 2.3.4; 2.5.1; 3.6.5; 4.1.1; 4.1.4; 4.1.6; 4.2.6 f.; 4.4.1; 5.2.1; S 5.3 5,21-43: 1.6.3; 1. 6. 11; 2.2.3 f.E; 2.3.2; 2.3.4; 2.5.1; 2.5.3; 3.3.6; 3.6.3; 4.1.1; 4.1.3 f.; 4.1.6; 4.2.7; 4.3.1 f.; 4.4.1; 5.2.1; 6.1.1; S 5.3 f. 6,1-6.13-29: 1. 6. 10; 2.3.1; 4.1.1; 4.1.6; 4.3.1; 4.3.5; 4.4.1; 5.1.1; S 5.1; S 5.3 6,30-44: 1.6.4; 1. 6. 11; 2.5.1; 3.3.4; 3.6.5; 4.1.1; 4.1.4-7; 4.2.2; 4.2.4; 4.2.6 f.; 4.2.9; 5.1.1; 6.4.1 f.; 6.6.3; S 5.1 6,45-52: 1.6.5; 1.6.8; 1. 6. 11; 2.5.1; 4.1.5 f.; 4.2.4; 4.2.6 f.; 5.1.1; 5.2.1 6,53-56: 1. 6. 10; 3.6.5; 4.1.1; 4.1.6; S 5.1 7,1-10: 1. 6. 11 7,24-30: 1. 6. 11; 2.3.2; 2.5.1; 3.3.6; 4.1.6; 4.2.7; 4.4.1; S 5.3 7,31-37: 1. 6. 11; 2.2.4; 2.3.4; 2.5.1; 2.5.3; 4.1.1; 4.1.6 f.; 4.2.7; 4.4.1; 5.1.1; S 5.2 8,1-9: 1.6.4; 1.6.10 f.; 2.5.1; 3.6.5; 4.1.1; 4.1.6; 4.4.1; S 5.1.3 f. 8,10-21: 1.6.9; 2.5.2; 4.1.6; 4.2.1; 4.4.1; 5.1.1; 5.2.1 8,22-26: 1. 6. 11; 2.2.4; 2.3.4; 2.5.1; 2.5.3; 4.1.1; 4.1.6; 4.4.2; 5.3.1; S 5.4 8,27-33: 2.5.2 f.; 4.4.1; 5.3.1 9,2-13: 1.6.8 f.; 1. 6. 11; 2.3.1; 2.5.3; 4.1.5; 6.1.2; S 5.2 9,14-29: 1.6.2; 1. 6. 11; 2.2.4; 2.5.1; 3.6.3; 3.6.5; 4.1.6; 4.2.5-7; 4.3.1; S 5.3 f. 9,33-41: 1. 6. 11; 2.3.2; 5.3.1 10,13-44: 2.3.1; 4.2.7; 5.3.1 10,45: 4.1.7; 4.4.1; 5.3.1 349 S 4 Textstellen (in Auswahl) <?page no="350"?> 10,46-52: 1. 6. 11; 2.2.4; 2.5.1; 3.1.1; 4.1.3 f.; 4.1.6 f.; 4.2.6 f.; 4.3.1; 4.4.1; 5.3.1; 6.6.2; 6.6.7; S 5.3 11,1-25: 1.6.7; 1.6.9; 1. 6. 11; 3.6.3; 4.1.1; 4.1.4; 4.1.7; 5.3.1 12,1-12: 4.2.1; 4.3.5; 5.3.1; 6.6.6 12,13-17.35-37: 2.3.2; 2.5.4; 5.3.1 13,1-22: 1. 6. 11; 2.3.2; 4.1.4; 4.4.1; 4.4.6; 5.3.2; 5.4.1; S 5.1+4 13,24-27: 1.6.9; 1. 6. 11; 2.3.1; 2.5.2; 3.6.1; 4.1.5; 4.2.4; 4.3.5; 4.4.1; S 5.2 14,58.62: 4.1.4; 4.3.5; 4.4.1 15,30-32.39: 2.4.1; 2.5.2; 4.4.1 16,1-8: 1.6.8 f.; 1. 6. 11; 4.2.6; 6.6.5; S 5.1-3. 16,19 f.: 1. 6. 11; 4.1.5 Lukas (LkEv): 4.4.3 1: 1. 6. 11; 1.7.1; 1. 7. 10; 2.4.1; 3.6.1 f.; 4.2.1; 4.2.3; 5.2.2; S 5.2 2: 1.6.8; 1. 6. 11; 4.1.6 f.; 6.6.1 f.; S 5.2 3,21 f.: 4.4.3; S 5.2 4,18-21: 1. 6. 10; 1. 7. 10; 3.6.1; 4.1.5; 4.2.1; 4.3.4; 4.4.3; 5.2.2; 5.3.1; 5.4.2 4,22-30: 2.2.4; 2.3.1; 4.3.5; 4.4.3; S 5.1 4,33-39: 1. 6. 11; 2.2.4; S 5.2 f. 4,40 f.: 1. 6. 10; S 5.4 5,1-11: 1.6.9; 1. 6. 11; 2.5.1; 3.6.5; 4.1.4; 4.1.6; 4.2.2; 4.2.4; 4.2.7; 4.4.3; S 5.3 5,12-16: 1. 6. 11; 2.4.1; 3.6.3; 4.1.1; 4.1.6; S 5.4 5,17-26: 1. 6. 11; 4.3.1; 4.4.3; S 5.4 5,36: 2.3.2 6,6-11: 1. 6. 11; 4.1.4; 5.4.2; S 5.4 6,17-19(-49): 1.6.2; 1. 6. 10; 4.1.6; 4.2.7; 4.4.3; 5.2.2; S 5.1 7,1-10: 2.5.1; 4.1.4; 4.4.3; 5.2.2; S 5.3 7,11-17: 1. 6. 11; 2.5.1; 3.6.5; 4.1.1; 4.1.3; 4.1.6; 4.2.6 f.; 4.3.1; 4.4.3; 4.4.3; 5.2.2; 6.6.5; S 5.2 7,18-26: 1. 6. 10; 4.4.3; 5.2.2; S 5.2 8,1-3: 1. 6. 11; 4.1.7; 4.2.7; S 5.3 8,22-25.26-39: 1. 6. 11; 4.4.3; 5.2.1; S 5.3 8,40-42.49-56: 1. 6. 11; 2.5.1; 4.4.3; 5.2.2; S 5.4 8,42-48; 9,10-17: 1. 6. 11; S 5.1.3 9,28-36: 4.4.3; S 5.2 9,37-43a: 1. 6. 11; 2.5.1; 4.1.6; 4.4.3; S 5.2 10,17-20.33: 1. 6. 11; 1.7.2; 4.1.1 11,9: 3.6.1 11,14-16(-23): 1. 6. 11; 4.4.3; 5.4.1; S 5.4 11,19 f.: 1. 6. 11; 3.6.1; 4.2.3; 4.3.4 11,32: 2.3.1 12,32: 4.1.6 13,1-5.6-9: 2.3.2; 5.4.2 13,10-17: 1. 6. 11; 2.2.4E; 2.5.1; 3.3.6; 4.1.1; 4.1.3; 4.1.6; 4.2.7; 4.4.3; 5.4.2 13,18-35: 1.6.2; 1. 6. 10; 2.3.1; 2.5.4; 5.4.2; S 5.2 14,1-6: 1. 6. 11; 4.1.6; 4.3.2; 4.4.3; 5.4.2; 6.6.7; S 5.4 14,7-14.15-24: 4.1.4; 4.2.7; 4.2.9; 5.4.2; 5.4.2; 6.6.4; 6.6.6 15,11-32: 4.2.1; 4.2.7; 5.4.2; 6.6.5 17,(5 f.)11-19: 1. 6. 11; 2.2.4E; 2.5.1; 2.5.4; 4.1.1; 4.1.4; 4.1.6 f.; 4.2.7; 4.3.1; 4.4.3; S 5.3 17,20: 1.7.7 350 7 Serviceteil <?page no="351"?> 18,1-8.9-14: 3.6.3; 4.3.2 18,35-43: 1. 6. 11; 4.3.1; 4.4.3; 5.3.1; S 5.3 19,10: 4.1.4; 4.4.3; 5.4.2 19,28-40: 5.3.1 21,25-28: S 5.2 22,46: 3.6.3 22,50 f.: 1. 6. 11; 2.4.1; 4.4.3; S 5.1 23: 2.4.1; 2.5.2; 4.2.7 24: 1.6.8-11; 2.3.1; 2.4.2; 4.1.4 f.; 4.4.3; 6.1.2; S 5.2 f. Johannes (JohEv): 4.4.4 1,1-18: 1. 6. 11; 1.7.8; 2.4.1; 2.4.3; 4.1.5; 4.2.1 f.; 4.2.9; 4.3.5; 4.4.4 1,32-34.47: 1. 6. 11; 3.6.1; S 5.2 2,1-11: 1.6.4; 1. 6. 11; 2.5.1; 3.6.5; 4.1.4; 4.1.6; 4.2.2; 4.2.4; 4.2.7; 4.2.9; 4.4.4; 6.6.4; S 5.2 2,19.23: 1. 6. 10; 2.3.2; 4.4.4; S 5.4 3,2: 1. 6. 10; S 5.2 3,16-19: 4.2.4; 4.4.4 4,1-45: 2.3.1; 4.1.4; 4.2.9; 4.3.5 4,46-54: 1.6.2; 1. 6. 11; 2.2.4; 2.5.1 f.; 4.1.4; 4.1.6; 4.2.7; 4.2.9; 4.4.4; S 5.3 5,1-18: 1. 6. 11; 2.2.1; 2.5.1; 4.1.3 f.; 4.1.6 f.; 4.2.5-4.2.7; 4.2.9; 4.3.2; S 5.4 5,19-36: 4.2.1 f.; 4.2.9; 4.3.1; 4.4.4 6,1-15(-21): 1. 6. 11; 2.5.1; 2.5.4; 3.6.5; 4.1.6; 4.4.4; 5.1.1; S 5.1 f.4 6,22-71: 2.5.2; 3.6.5; 4.1.4; 4.2.9; 4.4.4 7: 1. 6. 10; 2.2.4; 2.5.1; 4.4.4; 5.1.2; S 5.4 8,1-11: 4.1.6; 4.2.5; 4.2.7; 4.3.2 8,32.37-45: 2.5.4; 3.6.2; 5.3.2 8,48 f.52: 2.2.4; 4.4.4 9,1-7(-41): 1. 6. 11; 2.2.4; 2.3.4; 2.5.1; 2.5.4; 3.6.5; 4.1.1 f.; 4.1.4-7; 4.2.6 f.; 4.2.9; 4.3.1 f.; 4.4.4; 5.3.1; 5.4.2; 6.4.1 f.; 6.6.2; S 5.4 10: 2.2.4; 4.1.7; 4.4.4; 6.6.6 11,1-45: 1.6.3; 2.5.1; 3.6.1; 4.1.5-7; 4.2.1; 4.2.6; 4.2.9; 4.3.1; 4.4.4; S 5.4 11,47-54: 1. 6. 10; S 5.4 12-14: 3.6.2; 4.1.6; 4.2.6; 4.4.4 15: 1.7.8; 3.6.3; 4.2.6; 4.3.2; 4.4.4 16: 2.5.2; 4.1.7; 4.2.6; 4.3.5 19,30: 4.4.4 20 f.: 1.6.8; 1.6.10 f.; 2.4.2; 4.1.6; 4.2.9; 4.4.4; 6.4.1; S 5.2 f. 21,1-14: 1. 6. 11; 3.6.5; 4.1.4; 4.2.7; 4.4.4; S 5.2 Ap.-geschichte (Apg): 4.4.3 1: 1.6.8 f.; 1. 6. 11; 4.1.5; 4.2.6; 6.1.2 2: 1.6.8; 1. 6. 10; 3.6.1; 3.6.3; 4.1.5; 4.1.7; 4.2.3; 4.2.6; 4.4.3; 5.3.2; 6.6.8; S 5.2 f. 3,1-12: 2.2.4; 3.6.5; 4.1.4; 4.1.6 f.; 4.4.3; 6.6.8; S 5.3 4: 1. 6. 10; 3.1.1; 3.6.1; 3.6.3; 4.1.7; 4.2.3; 4.2.6; 4.4.3; S 5.3 5,1-11: 1.6.7; 4.2.1; 4.4.3; S 5.2 5,12-16: 1. 6. 10; 2.3.4; 3.6.3; 4.1.6; 4.4.3; S 5.4 5,17-25: 1.6.8; 1. 6. 11; S 5.3 5,38 f.: 4.1.7 6,8: 1. 6. 10; 4.4.3; S 5.4 7,54-60: 3.6.5; 4.1.5; S 5.4 351 S 4 Textstellen (in Auswahl) <?page no="352"?> 8,4-25: 1.7.3; 2.3.4; 4.4.3; 5.3.2 8,26-29.39 f.: 1.6.9; 1. 6. 11; 3.6.1; 5.3.2; S 5.3 9,1-9(-19): 1.6.8; 1. 6. 11; 4.2.1; 5.3.2; 6.4.1; 6.6.2; S 5.3 9,17.34: 4.4.3 9,36-43: 4.1.3; 4.1.6; 4.2.7; 4.4.3 10: 1.6.9; 3.6.1; 4.4.3; S 5.3 12,1-11(-19): 1.6.5; 1.6.8; 3.6.5; 4.1.6; S 5.2 13,6-12: 1.6.2; 1.6.7; 1.7.4; 2.3.4; 4.1.6; 4.2.1; 4.4.3; 5.3.2; 6.6.8; S 5.3 14,3: 1. 6. 10; 4.4.3; S 5.4 14,8-13: 4.1.6; 5.3.2; S 5.4 14,19 f.: S 5.1 15,12: 1. 6. 10; S 5.2 16,6-10: 1.6.9; 3.6.1 16,16-22: 1. 6. 11; 1.7.4; 2.3.4; 4.1.6; 4.4.3; 5.3.2; 6.6.8; S 5.4 16,23-34: 1.6.5; 3.6.5; 4.1.5 f.; S 5.3 17,16-34: 6.6.8 19,6.11 f.: 2.3.4; 4.1.6; 4.4.3 19,13-20: 1.6.7; 1. 6. 11; 1.7.3 f.; 2.3.4; 4.4.3; S 5.3 22-26: 1.6.8; 5.3.2; S 5.3 27,13-44: 3.6.5; S 5.1 28,3-6: 1.6.6; 2.3.2; 4.1.5; S 5.4 28,7-10: 2.2.4; 4.4.3; S 5.3 Römerbrief (Röm): 4.4.5 1-5: 3.6.1; 3.6.3; 4.3.2 7 f.: 1.7.8; 2.1.2; 2.5.2; 3.6.1; 4.1.5; 4.2.8; 4.3.5; 5.2.1 11,29-33: 6.1.1 12,3-21: 1.7.1; 1.7.8; 4.1.7; 4.2.3 15,18 f.: 1. 6. 11; 4.4.5 1. Korintherbrief (1 Kor): 4.4.5 1 f.: 2.1.2; 2.5.2; 4.4.5 10-14: 1. 6. 11; 1.7.1 f.; 3.6.1; 3.6.3; 4.1.7; 4.2.3; 4.3.5; 4.4.5 f. 15,12-19: 1.6.3; 2.1.2; 3.6.1; 4.2.1; 6.1.4 15,20.23-28: 4.1.5; 6.1.4 15,35-55: 2.1.2; 4.4.5 2. Korintherbrief (2 Kor): 4.4.5 4 f.: 1.7.8; 2.1.2; 4.2.9; 4.3.2; 4.3.5; 4.4.5 12: 1.6.9; 1. 6. 11; 1.7.8; 4.1.5; 4.2.9; 4.4.5; S 5.2 Gal: 1.6.9; 1.7.3; 2.3.4; 4.4.5 Eph: 4.1.5; 4.2.1; 4.4.5 Phil 2,6-11: 4.2.1; 4.3.5 Kol: 1.7.4; 4.1.5 1 Thess: 1.6.9; 3.6.1; 4.4.5; 5.3.2; 6.6.5 2 Thess 2: 1. 6. 11; 2.3.3 f.; 4.4.6; S 5.4 1 Tim 4,7: 2.1.3 1 Petr 4: 4.3.2 2 Petr 3: 1.6.9; 2.3.1; 4.1.5; 4.2.1; 4.4.6; 5.2.1 1 Joh: 1.7.2; 4.4.6 Hebr: 3.6.3; 4.1.4; 4.3.2; 4.4.6; S 5.3 352 7 Serviceteil <?page no="353"?> Jak 5,13-18: 1. 6. 11; 4.4.6; S 5.3 Joh.-offenbarung (Apk): 4.4.6 1: 4.1.1; 4.1.6; 4.3.5 2,10: 5.3.2; 5.4.1 3,1.15 f.: 2.5.3; 4.2.1 4-7: 1.6.9; 1. 6. 11; 1.7.8; 4.1.5; 4.4.6; S 5.2 9,20 f.: 1.7.2 f.; 2.3.4 10-12: 1.6.7; 1.6.9; 1.7.2; 4.4.6; S 5.4 13,4.12-15: 1. 6. 11; 2.3.3 f.; 4.4.6; S 5.4 18,23: 1.7.2 f.; 2.3.4 19-22: 1.6.7-9; 1.7.3; 2.3.1; 2.3.4; 2.5.3; 3.6.1; 4.1.5; 4.2.4; 4.4.6; 5.2.1; 6.1.4 Ntl. Apokryphen: Arab. Kindheits-Evangelium (arabK): 1. 6. 11 Ignatius-Brief (IgnEph): 2.2.4 Johannes-Akten (ActJoh): 93: 1. 6. 11; 5.1.1 Epistula Apostolorum (EpAp): 5,4-7: 1. 6. 11 Nazaräer-Evangelium (EvNaz): 2.2.4; 4.1.4 Nikodemus-Evangelium (EvNik): 6 f.: 1. 6. 11 Petrus-Evangelium (EvPetr): 1. 6. 11 Pseudo-Matthäusevangelium (PsMtEv): 1. 6. 11 Thomasevangelium (EvThom): 1.7.7; 3.6.3 Sonstige Autoren: Aelios Aristides: 1.6.5; 2.1.3; 2.2.1 Äsop: 2.3.3 Apuleius: 1.6.9 Cassius Dio: 1.6.9; 2.3.3; 5.1.1 Cicero: 1.7.2 Diodorus Siculus: 1.6.9 Euseb v. Cäsarea: 2.3.4 Herodot: 2.2.4 Hesiod: 1.6.5 Hieronymus: 2.2.4 Hippokrates v. Kos: 2.2.2; 2.2.4 Homer: 1.6.5; 2.1.3; 2.2.1; 2.3.3 Iamblichus: 2.3.3 Johannes Gerson: 3.1.1 Justin d. Märtyrer: 3.1.1 Kelsos: 2.1.3 Lucius Columella: 2.2.2 Lukian v. Samosata: 1.6.5; 2.1.3; 2.2.4; 2.3.4 Lukrez: 2.1.3 Origenes: 2.1.3 Pausanias: 2.1.3 Philostrat, VitApoll: 1.6.3; 1.7.2 f.; 2.1.3; 2.3.3; 5.3.1 353 S 4 Textstellen (in Auswahl) <?page no="354"?> 1 Diese Perikope ist zugleich eine Beschenkung und eine prophetische Zeichenhandlung. 2 Das Osterwunder gehört als zentrales Wunder allen vier Kategorien an. Platon: 1.7.2; 2.1.2 Plinius d. Ä.: 1.6.9 Plinius d. J.: 2.1.3 Plutarch: 1.6.7 f.; 1.7.2; 2.1.3; 2.3.3 Porphyrius: 1.6.6 Sueton: 2.3.3; 5.1.1 Tacitus: 2.3.3; 5.1 S 5 Übersicht: Ntl. Wundertexte S 5.1 Fürsorge-Wundertexte Kategorie 1: Bewahrung vor drohender Gefahr □ Bewahrung des Jesuskindes (Mt 2,12.13-23: Traumvisionen und Ange‐ lophanien, V. 12 f.19.22) □ Stater-Wunder (Mt 17,24-27: Schenkung der Steuermünze, V. 27) 1 Kategorie 2: Rettung aus akuter Gefahr □ Auferweckung Jesu aus dem Grab (Mk 16,1 f.) 2 □ Rettung des Petrus vor dem Ertrinken (Mt 14,28-31) □ Rettung Jesu aus Lynchjustiz (Lk 4,28-30) □ Heilung des römischen Soldaten (Lk 22,50 f.) □ Entrückung ans sichere Ufer ( Joh 6,21b) □ Rettung des Paulus aus Lynchjustiz (Apg 14,19 f.) □ Rettung aus Seenot (Apg 27,13-44) □ Verkürzung der endzeitlichen Bedrängniszeit (Mk 13,20; Mt 24,22) Kategorie 3: überreiche Beschenkung □ Speisung der Fünftausend (Mk 6,30-44; Mt 14,13-21; Lk 9,10-17: alle werden satt; vieles bleibt übrig) □ Speisung der Viertausend (Mk 8,1-9; Mt 15,32-39: siehe oben) 354 7 Serviceteil <?page no="355"?> 3 Die Durchbrechung des Schweigegebots (V. 36) wird durch V. 37 überlagert. 4 Das Osterwunder gehört als zentrales Wunder allen vier Kategorien an. Kategorie 4: Heilungen und Exorzismen (summarisch) □ Summarien (Mk 1,39; 6,13; 6,53-56; Mt 4,23-25; 9,35; 14,14; 14,34-36; 19,1 f.; Lk 6,17-19) S 5.2 Erkenntnis-Wundertexte Kategorie 1: initiale Erkenntnis (Entsetzen, Verwunderung, Gottesfurcht, Identitätsfrage, Verbalisierung des Gesehenen und Ähnliches) □ Exorzismus in Kapernaum (Mk 1,23-28; Lk 4,33-37: Verwunderung über vollmächtige Lehre und Gewalt über Dämonen) □ Sturmstillung (Mk 4,35-41; Mt 8,23-27; Lk 8,22-25: Gottesfurcht und Identitätsfrage) □ Seewandel (Mk 6,45-52: offene Frage, V. 52) □ Heilung des Tauben (Mk 7,31-37: Verbalisierung, V. 37) 3 □ Angelophanie am Ostermorgen (Mk 16,1-8: Furcht, V. 8) 4 □ Exorzismus der Gadarener (Mt 8,28-34: Bitte um Verlassen, V. 34) □ Heilung des besessenen Jungen (Lk 9,37-43: Entsetzen, V. 43) □ Ananias und Saphira (Apg 5,1-11: Furcht der Augenzeugen, V. 11) Kategorie 2: ausformulierte Erkenntnis (Lobpreis, Bekenntnis, Anbetung und Ähnliches) □ Seewandel (Mt 14,22-33: Bekenntnis, V. 33) □ Summarium (Mt 15,29-31: Lobpreis, V. 31) □ Kosmische Zeichen bei Jesu Tod (Mt 27,45-54: Bekenntnis, V. 54) □ Jüngling zu Nain (Lk 7,11-17: Lobpreis und Verbalisierung, V. 16) □ Summarium (Lk 24,19: ausformulierte Christuserkenntnis) □ Himmelfahrt Jesu (Lk 24,50-53: Anbetung und Lobpreis, V. 52 f.) □ Summarium ( Joh 3,2: Zeichen als Ausweis göttlicher Vollmacht) □ Summarium ( Joh 20,30 f.: ausformuliertes Bekenntnis) 355 S 5 Übersicht: Ntl. Wundertexte <?page no="356"?> 5 Das Schweigegebot in Mk 9,9 deutet einen bevorstehenden Konflikt an. 6 V. 20 notiert den Lobpreis der Hirten, der sich aber nicht auf die Vision bezieht. Kategorie 3: vertiefte, bestätigte Erkenntnis □ Hochzeit zu Kana ( Joh 2,1-11: Glaube der Jünger, V. 11) □ Seewandel ( Joh 6,16-21: Jünger holen Jesus ins Boot, V. 21a) □ Jünger: innen am Grab ( Joh 20,1-10: Glaube des Lieblingsjüngers, V. 8) □ ungläubiger Thomas ( Joh 20,24-29: Bekenntnis, V. 28) □ Fischwunder ( Joh 21,1-14: Erkenntnis, V. 12) □ Befreiung des Petrus aus dem Gefängnis (Apg 12,1-11: Erkenntnis, V. 11) □ Summarium (Apg 15,12: vertiefte Erkenntnis des Jakobus, V. 19-21) Kategorie 4: Von Gott oder dem Autor vermittelte Erkenntnis □ Theophanie / Pneumatophanie bei der Taufe Jesu (Mk 1,9-11; Mt 3,13 f.; Lk 3,21 f.; Joh 1,32-34) □ Verklärung Jesu (Mk 9,2-13parr.; Mt 17,1-13; Lk 9,28-36) 5 □ Kosmische Parusiezeichen (Mk 13,24-27; Mt 24,29-31; Lk 21,25-28) □ Traumvisionen an Maria und Elisabeth (Mt 1,19-25; Lk 1,5-25.26-38) □ Summarium Mt 8,16 f. (Bestätigung Jesu als Gottesknecht; Zitat Jes 53,4) □ Angelophanie vor Bethlehem (Lk 2,8-20: Heiland geboren, V. 11) 6 □ Summarium (Lk 13,32: Jesu eigene Deutung seines Geschicks, V. 32 f.) □ Summarium (Apg 2,22: göttliche, wunderhafte Legitimation Jesu) □ Entrückung des Paulus (2 Kor 12,1-4) □ Thronvisionen des Johannes (Apk 4 ff.) S 5.3 Missions-Wundertexte Kategorie 1: Gewinnung neuer Gemeindeglieder (neue Jünger: innen, Bekehrung Einzelner oder ganzer Gruppen) □ Königlicher Beamter ( Joh 4,46-54: Glaube des ganzen Hauses, V. 53) □ Summarium (Apg 2,43: viele neue Glaubende, V. 47) □ Heilung des Gelähmten (Apg 3,1-11: Lobpreis V. 8; Neugier vieler, V. 11) □ Epiphanien und Entrückung des Philippus (Apg 8: Taufe des Kämme- 356 7 Serviceteil <?page no="357"?> 7 Diese Perikope ist zugleich eine prophetische Zeichenhandlung (V. 10! ). rers, V. 38; nächste Missionsstation Aschdod, V. 40) □ Christophanie des Paulus (Apg 9,1-9; 22,3-21; 26,4-23: Taufe) □ Erweckung der Tabita (Apg 9,36-43: Glauber vieler Menschen, V. 42) □ Strafwunder an Barjesus (Apg 13,6-12: Glaube des Statthalters, V. 12) □ Befreiung aus dem Gefängnis (Apg 16,23-34: Taufe und Dienst des Kerkermeisters, V. 33 f.) □ Strafwunder an den Skeuassöhnen (Apg 19,13-20: Lobpreis V. 17, Be‐ kenntnis und Verkündigung, V. 18; Breitenwirkung, V. 20) □ Gebet und Glaube haben Wunderwirkung ( Jak 5,13-18) Kategorie 2: vorbildlicher Glaube der Anderen (Nichtjuden, Sünder; zum Teil: Ätiologie der Mission unter Nichtjuden) □ Heilung der butflüssigen Frau (Mk 5,25-34; Mt 9,20-22; Lk 8,43-48: rettender Glaube) □ Summarium (Mk 6,5: Verwunderung über den Nichtglauben der Naza‐ rener) □ Die Syrophönizierin (Mk 7,24-30; Mt 15,21-28: rettender Glaube) □ Heilung des mondsüchtigen Jungen (Mk 9,14-29: vorbildlicher Glaube, V. 24) □ Der Hauptmann von Kapernaum (Mt 8,5-13; Lk 7,1-10: großer Glaube) □ Heilung der zehn Aussätzigen (Lk 17,11-19: Lobpreis V. 15; Glaube, V. 19) Kategorie 3: praktische Wunderkonsequenzen (Diakonie, Nachfolge, Verkündigung und Ähnliches) □ Schwiegermutter des Petrus (Mk 1,29-31; Mt 8,14 f.; Lk 4,38 f.: Dienst) □ Heilung des blinden Bartimäus (Mk 10,46-52; Mt 20,29-34; Lk 18,35-43: Nachfolge) □ Der Fischzug des Petrus (Lk 5,1-11: Nachfolge, V. 11) 7 □ Heilung der Maria Magdalena (Lk 8,2: Nachfolge nach Exorzismus) □ Heilung des Vaters von Publius (Apg 28,7-10: Verpflegung, V. 10) 357 S 5 Übersicht: Ntl. Wundertexte <?page no="358"?> 8 Das Osterwunder gehört als zentrales Wunder allen vier Kategorien an. 9 Der nachfolgende Text nimmt das Wunder zum Anlass für einen Konflikt. 10 In Joh 5 und Joh 9 ist die Sabbatfrage der Aufhänger für andere Konflikte. Kategorie 4: Verkündigungsauftrag □ Exorzismus des Geraseners (Mk 5,1-20; Lk 8,26-39: Verkündigung) □ Frauen am Grab (Mt 28,5-10: Engel V. 7; Jesus, V. 10) □ Ostervision (Mk 16,1-8; Mt 28,9-20: Missionsbefehl, V. 18-20) 8 □ Emmausvision (Lk 24,13-49: Verkündigung und Zeugenschaft, V. 47 f.) □ Jesus und Maria Magdalena ( Joh 20,11-18: Verkündigungsgebot, V. 17 f.) □ Summarium (Apg 4,30 f.: Rede in parrhesía, V. 29.31) □ Befreiung aus dem Gefängnis (Apg 5,17-21: Verkündigungsgebot, V. 20) 9 □ Christophanie des Paulus (Gal 1,11-24) □ Zeichen, Wunder und Taten zur Unterstützung der Verkündigung (Hebr 2,3 f.) S 5.4 Konflikt-Wundertexte Kategorie 1: Konflikte um den Sabbat □ Heilung der verdorrten Hand (Mk 3,1-6; Mt 12,9-14; Lk 6,6-11: Tö‐ tungsbeschluss gegen Jesus) □ Heilung des Wassersüchtigen (Lk 14,1-6: Deklassierung der Pharisäer) 10 Kategorie 2: Konflikte um den Umgang mit Sünde(rn) □ Heilung des Gelähmten (Mk 2,1-12; Mt 9,1-8; Lk 5,17-26: Sündenver‐ gebung) □ Heilung des Blindgeborenen ( Joh 9: Umgang mit Sünde als Leitthema) Kategorie 3: Konflikt um göttliche Vollmacht □ Heilung des Stummen (Mt 9,32-34: Polemik der Pharisäer, V. 34) □ Heilung des Blind-Stummen / Beelzebulfrage (Mt 12,22-30; Lk 11,14-23; vgl. Mk 3,22-27: Polemik der Pharisäer, Apologie Jesu) □ Summarium (Mt 21,14: Streit über Jesu Vollmacht, V. 15-17) 358 7 Serviceteil <?page no="359"?> 11 Das Osterwunder gehört als zentrales Wunder allen vier Kategorien an. □ Heilung des Gelähmten ( Joh 5,1-18: Vorwurf der Gotteslästerung, V. 17 f.) □ Summarium ( Joh 7,31: Konflikt um Jesu Vollmacht, V. 14-53) □ Erweckung des Lazarus ( Joh 11,1-45: Tötungsbeschluss, V. 46-53) □ Summarium (Apg 5,12-16: Apostel; Inhaftierung, V. 17) □ Summarium (Apg 6,8: Stephanus; Streitgespräch und Inhaftierung, V. 9-15) □ Vision des Stephanus (Apg 7,54-60: Vorwurf der Gotteslästerung, V. 57 f.) □ Summarium (Apg 14,3: Spaltung der Ikonier, Tötungsversuch, V. 4-6) □ Die Magd mit dem Wahrsagegeist (Apg 16,16-22: Inhaftierung, V. 22-24) Kategorie 4: latente und endzeitliche Konflikte (Schweigegebote und ihre Durchbrechung, Jüngerschelte, falsche Erkennt‐ nis, satanische Wunder und Ähnliches) □ Summarium (Mk 1,32-34; Lk 4,40 f.: Schweigegebot an Dämonen) □ Heilung des Aussätzigen (Mk 1,40-45; Mt 8,2-4; Lk 5,12-14: Schweige‐ gebot und Durchbrechung) □ Summarium (Mk 3,7-12: Schweigegebot an Dämonen) □ Erweckung der Tochter des Jairus (Mk 5,22-24.35-43; Mt 9,18 f.23-26; Lk 8,40-42.49-56: Schweigegebot bzw. Konflikt um Deutungshoheit, Mt 9,24) □ Heilung des Blinden (Mk 8,22-26: Verbot ins Dorf zu gehen V. 26) □ Wunderzeichen der Pseudomessiasse (Mk 13,21 f.; Mt 24,24) □ Heilung zweier Blinder (Mt 9,27-31: Durchbrechung V. 31) □ Summarium (Mt 12,15-21: Schweigegebot an Geheilte) □ Heilung des mondsüchtigen Jungen (Mt 17,14-20: Schelte V. 17.20) □ Erweckung Jesu aus dem Grab (Mt 28,1-15: Grabraubverdacht, V. 11-15) 11 □ Summarium ( Joh 2,23: Andeutung kommender Ablehnung, V. 24 f.) □ Speisung der Fünftausend ( Joh 6,1-15: falsche Erkenntnis, V. 14 f.) □ Heilung eines Gelähmten in Lystra (Apg 14,8-13: falsche Erkenntnis, V. 11.13) □ Immunität gegen Schlangengift (Apg 28,3-6: falsche Erkenntnis, V. 6) 359 S 5 Übersicht: Ntl. Wundertexte <?page no="360"?> □ Wunder des endzeitlichen Widersachers (2 Thess 2,8-12; Apk 13,11-14) □ Strafwunder der beiden apokalyptischen Zeugen (Apk 11,11-13) S 6 Literaturangaben 1. 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ISBN 978-3-8252-5657-9 Kurt Erlemann Wunder Theorie - Auslegung - Didaktik Dieses Standardwerk führt in den wissenschaftlichen Umgang mit biblischen Wundererzählungen des Neuen Testaments ein. Während Thesen und Begriffsklärungen den Einstieg ins Thema erleichtern, sorgt der Überblick über die Wunderforschung seit der Antike für einen umfassenden Problemhorizont und führt zu weiterführenden Fragestellungen. Weitere Schwerpunkte sind die Theologie der Wundererzählungen, die Auslegungsmethodik sowie die Wunderhermeneutik. Musterexegesen und exemplarische Unterrichtsskizzen runden das Konzept ab. Textboxen, Tabellen, Grafiken und ein ergiebiger Serviceteil unterstützen den didaktischen Zugang. Theologie | Religionswissenschaft Wunder Erlemann Dies ist ein utb-Band aus dem Narr Francke Attempto Verlag. utb ist eine Kooperation von Verlagen mit einem gemeinsamen Ziel: Lehr- und Lernmedien für das erfolgreiche Studium zu veröffentlichen. utb.de QR-Code für mehr Infos und Bewertungen zu diesem Titel 5657 Erlemann.indd 1 5657 Erlemann.indd 1 24.09.21 13: 09 24.09.21 13: 09