Wie Wissenschaft Wissen schafft
Wissenschaftstheorie und -ethik für die Sozial- und Wirtschaftswissenschaften
0927
2021
978-3-8385-5726-7
978-3-8252-5726-2
UTB
Rolf Brühl
Wissen schafft die Wissenschaft durch ihre (empirischen) Methoden. Dieses Buch zeigt für die Sozial- und Wirtschaftswissenschaften, wie ihre Methoden wissenschaftstheoretisch fundiert werden. Mittels eines pluralistischen Konzepts werden zentrale Themen diskutiert und gezeigt, wie im Wettbewerb um Ideen wissenschaftliche Forschungsstandards auf ihre Begründungsansprüche zu prüfen sind.
Die 3., überarbeitete und erweiterte Auflage geht nun konkret auf die Wechselwirkungen zwischen Wissenschaft und Politik sowie Wirtschaft ein. Das Buch richtet sich gleichermaßen an Studierende, Lehrende und Forschende aus den Sozial- und Wirtschaftswissenschaften.
<?page no="0"?> Rolf Brühl Wie Wissenschaft Wissen schafft Wissenschaftstheorie und -ethik für die Sozial- und Wirtschaftswissenschaften 3. Auflage <?page no="1"?> utb 4200 Eine Arbeitsgemeinschaft der Verlage Brill | Schöningh - Fink · Paderborn Brill | Vandenhoeck & Ruprecht · Göttingen - Böhlau Verlag · Wien · Köln Verlag Barbara Budrich · Opladen · Toronto facultas · Wien Haupt Verlag · Bern Verlag Julius Klinkhardt · Bad Heilbrunn Mohr Siebeck · Tübingen Narr Francke Attempto Verlag - expert verlag · Tübingen Ernst Reinhardt Verlag · München transcript Verlag · Bielefeld Verlag Eugen Ulmer · Stuttgart UVK Verlag · München Waxmann · Münster · New York wbv Publikation · Bielefeld Wochenschau Verlag · Frankfurt am Main <?page no="2"?> Prof. Dr. Rolf Brühl ist Inhaber des Lehrstuhls für Unternehmensethik und Controlling an der ESCP Wirtschaftshochschule Berlin. Er forscht und lehrt in den folgenden Gebieten: Controlling, Unternehmensethik, Corporate Social Responsibility sowie Wissenschaftstheorie. <?page no="3"?> Rolf Brühl Wie Wissenschaft Wissen schafft Wissenschaftstheorie und -ethik für die Sozial- und Wirtschaftswissenschaften 3., überarbeitete und erweiterte Auflage UVK Verlag · München <?page no="4"?> Umschlagabbildung: © blackred · iStock Autorenbild: © Prof. Dr. Frank Osterwald Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: / / dnb.dnb.de abrufbar. 3., überarbeitete und erweiterte Auflage 2021 2., überarbeitete und erweiterte Auflage 2017 1. Auflage 2014 © UVK Verlag 2021 - ein Unternehmen der Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Internet: www.narr.de eMail: info@narr.de Einbandgestaltung: Atelier Reichert, Stuttgart Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck utb-Nr. 4200 ISBN 978-3-8252-5726-2 (Print) ISBN 978-3-8385-5726-7 (ePDF) <?page no="5"?> „Irrtum verläßt uns nie; doch ziehet ein höher Bedürfnis Immer den strebenden Geist leise zur Wahrheit hinan.“ (Goethe, 1797/ 1979, 261) „Die Wahrheit ist … nicht deshalb wichtig, weil sie besonders wertvoll oder nützlich wäre …, sondern sie ist deshalb wichtig, weil wir ohne den Wahrheitsbegriff weder denkende Wesen wären noch verstünden, was es heißt, daß jemand anders ein denkendes Wesen ist.“ (Davidson, 2008c, 46) Vorwort „Anarchismus heißt also nicht: überhaupt keine Methode, sondern alle Methoden, nur unter verschiedenen Umständen verschiedene Methoden …“. Paul Feyerabend, dessen Freude zu provozieren sicher zur Selbst-Titulierung als erkenntnistheoretischer Anarchist beitrug, bekennt sich in diesem Zitat zum (methodischen) Pluralismus in der Wissenschaft. Assoziationen des Pluralismus in der Wissenschaft mit dem Anarchismus sind allerdings eher selten; meist wird der Pluralismus als eine relativistische Position angeprangert, die dann im nächsten Schritt mit Irrationalismus und Schlimmerem abgekanzelt wird. Meine Überzeugung ist es hingegen, dass Pluralismus in der Wissenschaftstheorie der Sozial- und Wirtschaftswissenschaften fruchtbar ist, weil sich aus ihr Ideenkonkurrenz und Kooperation in der Wissenschaft ergeben können. Das zwanzigste Jahrhundert hat den Sozial- und Wirtschaftswissenschaften zwar einen ungeheuren Fundus an wissenschaftlicher Erkenntnis gebracht. Allerdings wird am Zustand dieser Disziplinen bemängelt, dass so viele verschiedene Forschungsprogramme gleichzeitig betrieben werden. Während in der politischen Arena Pluralismus als positiv gewertet wird, da der Wettbewerb von Ideen zu besseren politischen Lösungen führen kann, scheint Pluralismus in der Wissenschaft etwas Fragwürdiges, merkwürdig Unfertiges anzuhängen, das nach der höheren Stufe der Einheitlichkeit zu streben habe. Gegen eine solche Einheitlichkeit spricht eine weitere philosophische Erkenntnis des zwanzigsten Jahrhunderts: Es gibt keine absolute Wahrheit. Dies hält zwar das menschliche Streben nach Wissen nicht auf, es wird aber unter den Generalverdacht des Irrtums gestellt. Wissenschaftliche Erkenntnis ist hiervon nicht ausgenommen und daher wurden in der Wissenschaft Mechanismen etabliert, mit denen versucht wird, anerkanntes Wissen zu Fall zu bringen. Dass Wettbewerb von Ideen ein solcher Mechanismus sein kann, zeigt die Geschichte der Wissenschaften eindrucksvoll. <?page no="6"?> VI Vorwort Ein Zweck dieses Buches ist es, verschiedenen Strömungen der Wissenschaftstheorie der Sozial- und Wirtschaftswissenschaften gerecht zu werden, ohne doch einer den Vorzug zu geben. Pluralismus - im politischen Leben als überlegene Form bereits bewährt - ist auch für wissenschaftliche Disziplinen und ihre methodologische Absicherung zu diskutieren. Zu zeigen, dass dies nicht in einen schrankenlosen Relativismus führt, ist auch ein Anliegen des Buches. Diese dritte Auflage ist eine komplett überarbeitete und erweiterte Auflage und bringt folgende Änderungen. Neben der obligatorischen Fehlerbeseitigung, den notwendigen Klarstellungen, der Einarbeitung und Aktualisierung relevanter Literatur habe ich an vielen Stellen die Argumentation gestrafft. Viele Beispiele wurden überarbeitet oder durch neue Beispiele ersetzt. Ein neues abschließendes Kapitel 10 ersetzt das Nachwort der zweiten Auflage und weitet den Blick auf die Wechselwirkung des Systems Wissenschaft mit der Politik und der Wirtschaft. Einige Teile dieses Kapitels wurden aus Kapitel 9 übernommen. Bei den Doktorandinnen und Doktoranden der ESCP und des VHB-ProDok bedanke ich mich dafür, dass sie meine Veranstaltungen zur Wissenschaftstheorie mit ihren Diskussionen stets kritisch begleiten. Ein besonderer Dank gilt: Jörn Basel (Zürich), Houdou Basse Mama (Berlin), Bernhard Hirsch (München), Robert Wilken (Berlin) sowie Thomas Wrona (Hamburg). Sie haben sich der ersten Fassung dieses Buchs angenommen und mir mit ihren kritischen Anmerkungen und konstruktiven Hinweisen sehr geholfen. Für hilfreiche Hinweise insbesondere zum Kapitel 5 danke ich dem Kollegen Oliver Scholz (Münster). Meiner Frau danke ich für ihre nimmermüde Unterstützung und Hilfe bei den Endkorrekturen. Für die angenehme Zusammenarbeit danke ich wiederum Herrn Dipl.-oec. Rainer Berger vom UVK Verlag. Anregungen und Kritik von Leserinnen und Lesern sind in diese dritte Auflage geflossen und auch weiterhin willkommen. Bitte richten Sie diese an meine Emailadresse (rb@rolf-bruehl.de). Auf meiner Webseite (www.rolf-bruehl.de) finden sich einige Downloads zum Buch; Dozentinnen und Dozenten können zur Unterstützung der Lehre einen Foliensatz bei mir anfordern (rb@rolfbruehl.de). Rolf Brühl Berlin, 2021 <?page no="7"?> Inhaltsübersicht 1 Einleitung ...........................................................................1 1.1 Warum Wissenschaftstheorie? (1) - 1.2 Pluralismus und wissenschaftliche Toleranz (3) - 1.3 Ziele des Buches (9) - 1.4 Aufbau des Buches (13) 2 Wissenschaftstheorie und Forschungsprozess .................... 18 2.1 Was ist Wissenschaftstheorie? (18) - 2.2 Kognitive Ziele der Wissenschaft (20) - 2.3 Dimensionen von Forschungsprogrammen (22) - 2.4 Wissen, Wahrheit und Validität (30) 3 Ontologische Festlegungen für die Sozialwissenschaft........ 44 3.1 Sachverhalte in einer Ontologie des Sozialen (44) - 3.2 Eine Mehrebenen- Analyse der Ontologie (46) - 3.3 Realismus und Anti-Realismus (59) 4 Forschungsprozess und Forschungsmethoden .................... 69 4.1 Argumentation in der Wissenschaft (69) - 4.2 Aussagen und deduktive Folgerungen (71) - 4.3 Induktion und Abduktion (75) 4.4 Typen von sozialwissenschaftlichen Methoden (83) 5 Verstehen ......................................................................... 90 5.1 Verstehen als Konzept der Hermeneutik (90) - 5.2 Grundlegung einer hermeneutischen Methode (93) - 5.3 Methodologie sozialwissenschaftlicher Hermeneutik (106) - 5.4 Validität von Interpretationen (121) 6 Beschreibung .................................................................. 129 6.1 Wesentliche Ziele beschreibender Untersuchungen (129) - 6.2 Begriffsbestimmung (131) - 6.3 Messung von Variablen (143) - 6.4 Von der Begriffszur Typenbildung (148) - 6.5 Beschreibung von Zusammenhängen (153) 7 Erklärung........................................................................ 172 7.1 Von der DN-Erklärung zur intentionalen Erklärung (172) - 7.2 Kausalität und Erklärung in den Sozialwissenschaften (180) - 7.3 Theorien in den Sozialwissenschaften (191) - 7.4 Bewährung und Hypothesenprüfung (200) - 7.5 Bewährung und Validität (212) - 7.6 Erklären versus Verstehen (215) 8 Gestaltung und Prognose ................................................ 225 8.1 Merkmale von Gestaltung und Prognose (225) - 8.2 Prognose (226) - 8.3 Gestaltung (241) <?page no="8"?> VIII Inhaltsübersicht 9 Ethische Grundlagen der Wissenschaft............................. 264 9.1 Ethik für die Wissenschaft (264) - 9.2 Ethik im Forschungsprozess (271) 10 Wissenschaft in der Gesellschaft ................................... 284 10.1 Wissenschaft und die Produktion von Wahrheit (284) - 10.2 Wissenschaft und Pseudo-Wissenschaft (286) - 10.3 Wissenschaft, Politik und Wirtschaft (291) <?page no="9"?> Inhaltsverzeichnis Vorwort..........................................................................................................................V 1 Einleitung................................................................................. 1 1.1 Warum Wissenschaftstheorie? .....................................................................1 1.2 Pluralismus und wissenschaftliche Toleranz..............................................3 1.3 Ziele des Buches ............................................................................................9 1.4 Aufbau des Buches ......................................................................................13 2 Wissenschaftstheorie und Forschungsprozess ............... 18 2.1 Was ist Wissenschaftstheorie? ....................................................................18 2.2 Kognitive Ziele der Wissenschaft..............................................................20 2.3 Dimensionen von Forschungsprogrammen ............................................22 2.4 Wissen, Wahrheit und Validität .................................................................30 2.4.1 Wahrheitstheorien .......................................................................................31 2.4.2 Wahrheit und Rechtfertigung.....................................................................36 2.4.3 Validität und Zuverlässigkeit als Gütekriterien von Forschung ............37 3 Ontologische Festlegungen für die Sozialwissenschaft . 44 3.1 Sachverhalte in einer Ontologie des Sozialen ..........................................44 3.2 Eine Mehrebenen-Analyse der Ontologie ................................................46 3.2.1 Handlungsmodell der Sozialwissenschaft.................................................48 3.2.2 Vom Handlungsmodell zu kollektiven, sozialen Sachverhalten............55 3.3 Realismus und Anti-Realismus ..................................................................59 4 Forschungsprozess und Forschungsmethoden ............... 69 4.1 Argumentation in der Wissenschaft ..........................................................69 4.1.1 Argument und Argumentation ..................................................................69 4.1.2 Logik und Forschungsprozess ...................................................................70 4.2 Aussagen und deduktive Folgerungen ......................................................71 4.3 Induktion und Abduktion ..........................................................................75 <?page no="10"?> X Inhaltsverzeichnis 4.3.1 Induktion als Erkenntnis- und Schlussverfahren ....................................75 4.3.2 Abduktion als Erkenntnis- und Schlussverfahren...................................76 4.3.3 Schluss auf die beste Erklärung .................................................................78 4.3.4 Abduktion, Induktion und Deduktion .....................................................79 4.3.5 Eine allgemeine Argumentform ................................................................80 4.4 Typen von sozialwissenschaftlichen Methoden ......................................83 5 Verstehen............................................................................... 90 5.1 Verstehen als Konzept der Hermeneutik .................................................90 5.2 Grundlegung einer hermeneutischen Methode .......................................93 5.2.1 Geist-theoretische Aspekte der Hermeneutik..........................................93 5.2.2 Die Stufen des Verstehens .........................................................................95 5.2.3 Eine naturalistische Hermeneutik..............................................................97 5.2.4 Sozialwissenschaftliche Hermeneutik .....................................................101 5.3 Methodologie sozialwissenschaftlicher Hermeneutik...........................106 5.3.1 Zur Bedeutung des Vorwissens ...............................................................107 5.3.2 Begriffs- und Hypothesenbildung in der Grounded Theory ...............109 5.3.3 Fallauswahl, Theorieentwicklung und Generalisierung ........................113 5.3.4 Intentionen als Grundlage hermeneutischer Regeln.............................115 5.3.5 Prinzip der hermeneutischen Billigkeit und Rationalität ......................118 5.4 Validität von Interpretationen..................................................................121 6 Beschreibung ...................................................................... 129 6.1 Wesentliche Ziele beschreibender Untersuchungen .............................129 6.2 Begriffsbestimmung ..................................................................................131 6.2.1 Begriffe als Bausteine von wissenschaftlichen Aussagen .....................131 6.2.2 Theoretische und empirische Begriffe ....................................................134 6.2.3 Operationale Definition durch einen Reduktionssatz ..........................136 6.2.4 Das Drei-Ebenen-Modell von Begriffen................................................137 6.2.5 Wahrheit von Definitionen ......................................................................139 6.2.6 Anforderungen an Definitionen ..............................................................140 6.3 Messung von Variablen.............................................................................143 <?page no="11"?> Inhaltsverzeichnis XI 6.3.1 Zusammenhang zwischen Begriffen und Variablen .............................143 6.3.2 Von Variablen zu den Messmodellen .....................................................144 6.3.3 Anforderung an Messungen .....................................................................146 6.4 Von der Begriffszur Typenbildung .......................................................148 6.4.1 Typen und Typologien in den Sozialwissenschaften ............................148 6.4.2 Phasen der Typologie-Konstruktion.......................................................150 6.4.3 Anforderung an Typologien.....................................................................152 6.5 Beschreibung von Zusammenhängen.....................................................153 6.5.1 Aussagenarten ............................................................................................153 6.5.2 Generalisierung in den Sozialwissenschaften.........................................155 6.5.3 Zusammenhangsaussagen und Fallauswahl ...........................................160 6.5.4 Von Zusammenhangszu Kausalhypothesen .......................................164 7 Erklärung ............................................................................. 172 7.1 Von der DN-Erklärung zur intentionalen Erklärung ...........................172 7.1.1 Deduktiv-nomologische Erklärung .........................................................173 7.1.2 Induktiv-statistische Erklärung ................................................................177 7.1.3 Intentionale Erklärung ..............................................................................178 7.2 Kausalität und Erklärung in den Sozialwissenschaften ........................180 7.2.1 Kausalität und Kausalitätsauffassungen..................................................180 7.2.2 Regularitätsansatz der Kausalität .............................................................182 7.2.3 Kontrafaktischer Ansatz ...........................................................................184 7.2.4 Interventionsansatz ...................................................................................184 7.2.5 Mechanismusansatz ...................................................................................185 7.2.6 Kausalität in der sozialen Realität............................................................188 7.3 Theorien in den Sozialwissenschaften ....................................................191 7.3.1 Theorien als System von Aussagen .........................................................191 7.3.2 Drei-Ebenen-Modell: Reduktion und Emergenz ..................................195 7.3.3 Mikrofundierung und Mehr-Ebenen-Untersuchung ............................198 7.4 Bewährung und Hypothesenprüfung......................................................200 7.4.1 Theorie und Praxis der Bewährung.........................................................200 <?page no="12"?> XII Inhaltsverzeichnis 7.4.2 Duhem-Quine-These über Holismus und Unterbestimmtheit ...........201 7.4.3 Von der inhaltlichen zur statistischen Hypothese .................................202 7.4.4 Grundmodell der statistischen Prüfung..................................................204 7.4.5 Signifikanztests und ihre Verbesserung ..................................................205 7.4.6 Statistische Validität...................................................................................207 7.4.7 Feststellen des Bewährungsgrads.............................................................208 7.5 Bewährung und Validität ..........................................................................212 7.6 Erklären versus Verstehen........................................................................215 7.6.1 Plädoyer für Methodenkombinationen...................................................215 7.6.2 Qualität von Studien mit Methodenkombinationen .............................218 8 Gestaltung und Prognose ................................................. 225 8.1 Merkmale von Gestaltung und Prognose...............................................225 8.2 Prognose .....................................................................................................226 8.2.1 Strukturgleichheit von Erklärung und Prognose ...................................226 8.2.2 Prognosefähigkeit von Theorien (Instrumentalismus) .........................230 8.2.3 Prognosen in den Sozialwissenschaften .................................................233 8.2.4 Güte von Prognosen .................................................................................237 8.3 Gestaltung...................................................................................................241 8.3.1 Strukturgleichheit von Erklärung und Gestaltung ................................241 8.3.2 Das Primat der Gestaltung .......................................................................244 8.3.3 Theorie und Praxis: ein normatives Spannungsverhältnis ...................249 8.3.4 Gestaltungsziel und Sozialtechnologie....................................................252 8.3.5 Aufklärung und Emanzipation als Gestaltungsziele .............................254 8.3.6 Intervention in soziale Systeme: von der Aktionsforschung zum Sozialexperiment .................................................................................256 8.3.7 Qualitätsaspekte in der Gestaltung..........................................................258 9 Ethische Grundlagen der Wissenschaft.......................... 264 9.1 Ethik für die Wissenschaft .......................................................................264 9.1.1 Werte und Normen der Wissenschaft ....................................................264 9.1.2 Ethische Theorien und Wissenschaftsethik ...........................................266 <?page no="13"?> Inhaltsverzeichnis XIII 9.2 Ethik im Forschungsprozess....................................................................271 9.2.1 Verantwortung von wissenschaftlichen Akteuren.................................271 9.2.2 Verantwortung gegenüber Studienteilnehmern .....................................272 9.2.3 Fehlverhalten und Praxis guter wissenschaftlicher Forschung............273 9.2.4 Fragwürdige Forschungspraktiken ..........................................................276 10 Wissenschaft in der Gesellschaft .................................... 284 10.1 Wissenschaft und die Produktion von Wahrheit...................................284 10.2 Wissenschaft und Pseudo-Wissenschaft.................................................286 10.2.1 Abgrenzung der Wissenschaft .................................................................286 10.2.2 Institutionalisierte Kritik...........................................................................289 10.3 Wissenschaft, Politik und Wirtschaft ......................................................291 10.3.1 Externe Verantwortung der Wissenschaft .............................................291 10.3.2 Interessenkonflikt und Unwissenheit......................................................293 Glossar ........................................................................................................................299 Literaturverzeichnis ...................................................................................................313 Namensregister ..........................................................................................................357 Sachregister.................................................................................................................359 Verzeichnis der Philosophieboxen Philosophiebox 1: Fallibilismus...............................................................................11 Philosophiebox 2: Paradigma, Normalwissenschaft und Inkommensurabilität...........................................................................................28 Philosophiebox 3: Rationale Handlungstheorien in den Sozialwissenschaften ......................................................................................54 Philosophiebox 4: Individualismus versus Kollektivismus..................................57 Philosophiebox 5: Sozialer Konstruktivismus.......................................................64 Philosophiebox 6: Modell und Theorie..................................................................86 Philosophiebox 7: Hermeneutik als Methode des Verstehens............................91 Philosophiebox 8: Naturalismus ...........................................................................100 <?page no="14"?> XIV Inhaltsverzeichnis Philosophiebox 9: Eliminative Methoden der Induktion von Mill ..................163 Philosophiebox 10: Kritischer Rationalismus und Bewährung...........................175 Philosophiebox 11: Methoden und Kausalität ......................................................187 Philosophiebox 12: Wissenschaftliche Forschungsprogramme nach Lakatos ..194 Philosophiebox 13: Pragmatismus ..........................................................................247 Philosophiebox 14: Kritische Theorie in den Sozialwissenschaften ..................255 Philosophiebox 15: Kant’sche Deontologie ..........................................................270 Philosophiebox 16: Agnotologie .............................................................................294 <?page no="15"?> 1 Einleitung 1.1 Warum Wissenschaftstheorie? Sozialwissenschaftler und Sozialwissenschaftlerinnen, die sich mit methodologischen Problemen ihrer Disziplin beschäftigen, haben unterschiedliche Motive, warum sie sich über wissenschaftstheoretische Positionen informieren und eine eigene Meinung zu den verschiedenen Positionen bilden wollen. Die folgenden drei Aspekte, warum es sich lohnen kann, fundierte Kenntnisse der Wissenschaftstheorie zu besitzen, gehören aber wohl meistens dazu: Kenntnisse über die Bausteine wissenschaftlicher Arbeit Kritische Analyse wissenschaftlicher Aussagen Eine eigene wissenschaftstheoretische Position Wer wissenschaftlich arbeitet, trägt seine Ergebnisse in der Regel in die Öffentlichkeit: Sie erscheinen in wissenschaftlichen Publikationen, in denen wissenschaftliche Standards und methodologische Regeln einzuhalten sind. Um wissenschaftlichen Standards zu genügen, sind daher Kenntnisse notwendig, wie Begriffe zu definieren sind oder wie Hypothesen formuliert werden u.v.m. Solche Bausteine von wissenschaftlichen Arbeiten lernen Studierende während ihrer Ausbildung kennen. Häufig beschränkt sich die Ausbildung jedoch auf die Beschreibung der Methoden der jeweiligen Wissenschaftsdisziplin. Es fehlt hingegen an einer grundlegenderen Diskussion ihrer Erkenntnismethoden. Erst diese Kenntnisse versetzen in die Lage, sachgerechte Entscheidungen über zu definierende Begriffe oder zu entwickelnde Theorien zu treffen. Wissenschaftstheorie vermittelt daher Kenntnisse, mit denen sozialwissenschaftlich Forschende kritisch über ihr Handeln und das von Anderen reflektieren können. Sie ermöglicht eine kritische Analyse von wissenschaftlichen Aussagen, denn Kritik gilt als wesentlicher Faktor für den wissenschaftlichen Fortschritt. Der Aspekt der Kritik ist eng mit dem dritten Grund verbunden: Kritik dient auch der Festigung und Entwicklung der eigenen wissenschaftstheoretischen Position. Auch für die Wissenschaft gilt: Jedes praktische Handeln der Forschenden beruht implizit auf Theorien. Wissenschaftstheorie kann dazu verhelfen, über methodische Entscheidungen in der Forschung angemessen zu reflektieren. Wer die Ergebnisse seiner Forschung für endgültig bewiesen hält, ist vielleicht verblüfft, warum die wissenschaftliche Gemeinschaft trotzdem seine Ergebnisse kritisiert und diskutiert. Wen das tatsächlich wundert, der sollte vielleicht doch mehr über Begründungsansprüche und ihre Geltung erfahren. <?page no="16"?> 2 1 Einleitung Dies ist eine Einführung in die Wissenschaftstheorie für die Sozial- und Wirtschaftswissenschaften. Ein Grund, eine wissenschaftstheoretische Fundierung für diese Disziplinen gemeinsam zu behandeln, liegt darin, dass sie sich mit den Ursachen und Wirkungen des Handelns individueller und kollektiver sozialer Akteure (fortan vereinfacht: Akteure) 1 beschäftigen. Forschende dieser Disziplinen setzen zwar unterschiedliche Akzente, allerdings zeigt die Entwicklung dieser Disziplinen, dass Grenzüberschreitungen zu gegenseitiger Befruchtung und zu neuen Einsichten führen. Gemeinsam beziehen sie sich auf den Menschen als soziales Wesen und seine Handlungen in der Gesellschaft. Exemplarisch sind Disziplinen wie die Soziologie, die Politikwissenschaft, die Ethnographie sowie die Volks- und Betriebswirtschaftslehre zu nennen. Die Psychologie wird zwar zu den Verhaltens- oder Humanwissenschaften gezählt, die in diesem Buch diskutierten wissenschaftstheoretischen Probleme gelten aber auch für sie. Ohnehin gilt, dass Durchlässigkeit einer starren Abgrenzung vorzuziehen ist, denn nach Karl Popper sind diese Grenzen ohnehin unwichtig: „Wir studieren ja nicht Fächer, sondern Probleme. Und Probleme können weit über die Grenzen eines bestimmten Gegenstandsbereichs oder einer Disziplin herausgreifen.“ (Popper, 1963/ 2009, 102). Im Folgenden werden diese Disziplinen unter der Rubrik der Sozialwissenschaften zusammengefasst. Sozialwissenschaften haben die Aufgabe, für die Gesellschaft, der sie Wissen bereitstellen, dieses Wissen nutzbringend aufzubereiten. Um Gestaltungsaussagen aus theoretischen Kenntnissen abzuleiten, bedürfen die Sozialwissenschaften grundlegender Vorgehensweisen. Daher sind ihre wesentlichen kognitiven Ziele die Beschreibung, das Verstehen und die Erklärung von sozialen und wirtschaftlichen Phänomenen. Wenn es der Wissenschaft gelingt, diese Ziele zu erreichen, dann liegt wissenschaftliches Wissen in Form von Theorien vor (Tetens, 2010, 3018). Theorien in den Sozialwissenschaften sind komplexe Systeme von Begriffen, die mit Hilfe von Aussagen in einem Zusammenhang gebracht werden, um Phänomene der sozialen Realität zu beschreiben, zu verstehen und zu erklären. Diese theoretischen Ziele sind um die praktischen Ziele zu ergänzen: Theorien dienen dazu, Phänomene der sozialen Realität zu prognostizieren und zu gestalten. Alle, die Sozialwissenschaft betreiben wollen, werden sich daher mit ihren kognitiven Zielen und ihrer Theoriebildung auseinandersetzen müssen. 1 Der Begriff des ‚Akteurs‘ wird als geschlechtsneutrale Kategorie verwendet. <?page no="17"?> 1.2 Pluralismus und wissenschaftliche Toleranz 3 1.2 Pluralismus und wissenschaftliche Toleranz Wer seinen Blick über die Sozialwissenschaften schweifen lässt, erkennt Entwicklungen, die je nach Disziplin zwar unterschiedlich ausgeprägt, aber in ihnen gegenwärtig sind. Besonders hervorzuheben ist, dass eine weitgehende Öffnung zwischen den Sozial-, Verhaltens- und Wirtschaftswissenschaften stattgefunden hat. Diese Öffnung hat sich auf mehreren Ebenen der Wissenschaft ausgewirkt. Ein offensichtlicher Aspekt ist es, dass in allen Disziplinen vermehrt Theorien aus anderen Disziplinen verwendet werden. Auch wenn einige Disziplinen größere Theoriespender sind, finden sich in allen Disziplinen Untersuchungen, in denen eine große Bandbreite an sozial- und verhaltenswissenschaftliche Theorien eingesetzt wird. Mit dem vermehrten Einsatz von sozial- und verhaltenswissenschaftlichen Theorien sind damit verbundene, alternative wissenschaftstheoretische Positionen in den Sozialwissenschaften diskutiert und aufgenommen worden. Während in den sechziger und siebziger Jahren des 20sten Jahrhunderts analytische Ansätze und in Deutschland besonders der kritische Rationalismus dominierten, boten sich zunehmend Ansätze wie interpretative und sozial-konstruktivistische Positionen an. Ein Aspekt, der hiermit verbunden ist, ist der zunehmende und breitere Einsatz von Methoden der empirischen Sozialforschung. Neben quantitativen empirischen Methoden werden auch zunehmend qualitative empirische Methoden zur Erforschung sozialwissenschaftlicher Phänomene eingesetzt. Wird der Pluralismus nicht nur - häufig mit Bedauern - konstatiert, sondern für ihn argumentiert, dann tritt er in Konkurrenz zu monistischen Vorstellungen. Schließt man sich der Auffassung von Paul Feyerabend an, dann zeichnet den Pluralismus eine Meinungs- und Überzeugungsvielfalt aus, „wie es für objektive Erkenntnis notwendig ist“ (Feyerabend, 1965/ 2002, 72). Pluralismus als eine theoretische Konzeption, die in der politischen Philosophie beheimatet ist, wird daher zu einer Doktrin, mit der in der Wissenschaftstheorie für Vielfalt von Theorien und Methoden plädiert wird. Eine erkenntnispluralistische Methodologie unterscheidet sich von einer monistischen Methodologie durch einige Charakteristika (Kellert, Longino und Waters, 2006a, XIff). 2 Mit dieser Position sind insbesondere drei Annahmen verbunden. 2 Meist wird der Pluralismus negativ gekennzeichnet: als Anti-Monismus oder Anti-Dogmatismus. Die folgenden Aspekte sind z. T. entnommen aus Kellert, Longino und Waters (2006a, Xf), die den Monismus charakterisieren. <?page no="18"?> 4 1 Einleitung 1. Die Komplexität der sozialen Realität und unsere menschliche perspektivische Sicht verhindern, dass wir diese Realität durch eine vereinheitlichende Theorie vollständig beschreiben, verstehen oder erklären können (Giere, 2006b, 13, Kellert, 2006, 217, Kellert, Longino und Waters, 2006a, Xf). Wesentliche Aspekte der Komplexität sind die kulturelle Differenziertheit und Dynamik sozialer Systeme, d.h., die soziale Realität zeichnet sich durch eine Vielzahl heterogener sozio-kultureller Systeme aus, die sich im Zeitablauf ändern können. Dies führt dazu, dass sozialwissenschaftliche Theorien zeitlich und räumlich eingeschränkt sind. Aufgrund der Komplexität und der perspektivischen Sicht auf die Realität sind den Sozialwissenschaften einige Grenzen gesetzt (Hayek, 1952, 1972). Eine wesentliche Grenze ist die Unvollständigkeit ihrer Theorien. Sie besagt, dass nicht sämtliche Faktoren, die erklärt werden könnten, in ihre Theorien aufgenommen werden können. Denn es ist kaum möglich, geschlossene Kausalketten zu bilden, mit denen hinreichende Bedingungen für das Eintreten von Ereignissen spezifiziert werden können (Gadenne, 1984, 49). Es werden daher in sozialwissenschaftlichen Theorien nicht sämtliche psychologische, soziologische und ökonomische Faktoren einbezogen, sondern einige von ihnen werden bewusst ausgeschlossen und angenommen, dass sie keine Wirkung auf die untersuchten Phänomene haben (Earman, Glymour und Mitchell, 2002). Zweck der Forschung ist es daher nicht, vollständige Handlungserklärungen zu erzeugen, vielmehr sollen die wichtigsten Faktoren gefunden werden, die zu den untersuchten Handlungen geführt haben (Gadenne, 1984, 40ff). Zurzeit stehen daher die Sozialwissenschaften vor dem Problem, dass sie nicht über eine umfassende einheitliche Theorie verfügen, die es ihnen ermöglicht, die soziale Realität zu verstehen und zu erklären. Mit der menschlichen Perspektive ist außerdem verbunden, dass wir nicht über endgültiges Wissen verfügen (Leinfellner, 1967, 96f) und unser Wissen unter dem Vorbehalt steht, sich als falsch auszuweisen (s. zum Fallibilismus Philosophiebox 1, S. 11). Eine Konsequenz aus dieser Situation ist „die methodische Einstellung des Theorienpluralismus“ (Schurz, 1998, 6), welche von Philosophen wie Albert, Feyerabend, Popper, Lakatos und Spinner vertreten wird (Albert, 1991, Feyerabend, 1970/ 1995, 33ff, Lakatos, 1982, 150, Popper, 1944/ 2003, 138, Spinner, 1974, 87ff). Die erste Annahme gibt eine Begründung für den Theorienpluralismus. Die folgende zweite, dazu analoge Annahme soll helfen, einen Methodenpluralismus zu begründen: 2. Die Komplexität der sozialen Realität und unsere menschliche perspektivische Sicht auf diese Realität verhindern, dass wir diese Realität mithilfe einer Methode vollständig beschreiben, verstehen oder erklären können (Giere, 2006b, 13, Kellert, 2006, 217, Kellert, Longino und Waters, 2006a, Xf). <?page no="19"?> 1.2 Pluralismus und wissenschaftliche Toleranz 5 Die Existenz einer Vielzahl von wissenschaftlichen Erhebungs- und Auswertungsmethoden folgt einer analogen Begründung wie die der Theorien. Methoden erzeugen jeweils spezifische perspektivische Sichtweisen auf die soziale Realität (Plümacher, 2010, 1930), und da es keine Forschungsmethode gibt, die eine vollständige Beschreibung und Erklärung der sozialen Realität erreicht, bietet es sich an, unterschiedliche Forschungsmethoden, die wissenschaftlichen Standards entsprechen, einzusetzen. Unsere durch Methoden erzeugten Perspektiven sind begrenzt, kontextspezifisch, forscher- und damit zweckabhängig (Giere, 2006a, Plümacher, 2010). Daher ist es plausibel, unterschiedliche Zugangsmöglichkeiten mithilfe von Forschungsmethoden zu dieser komplexen Realität zuzulassen. Ein (epistemischer) Perspektivismus ist jedoch nicht verpflichtet anzunehmen, dass jede Perspektive eine nur ihr eigene Realität schafft. Sie ist eine methodologische Position und keine ontologische These über die Beschaffenheit der sozialen Realität (Massimi, 2018b, 164). Mit ihr ist es daher vereinbar, dass es nur eine soziale Realität gibt, die allerdings in ihrer Totalität nicht beschreibbar ist (Giere, 2006a, 35ff). Ein Theorienpluralist muss nicht auch ein Methodenpluralist sein, von den oben genannten Protagonisten neigen Albert und Popper eher zu einem Methodenmonismus, weil sie für methodische Einheit (Albert, 1978, 11f) und eine ausschließlich deduktiv-nomologische Vorgehensweise plädieren (Popper, 1935/ 2005, 8ff), Feyerabend und Spinner hingegen favorisieren einen Methodenpluralismus, in dem sie sich für kontextspezifische Regeln aussprechen (Feyerabend, 1980, 103, Spinner, 1974, 90, 180ff). Verschiedene Perspektiven, die durch unterschiedliche Methoden und Methodologien erzeugt werden, befruchten wissenschaftliche Diskussionen und führen zu verbesserten Theorien. Beide Pluralismen sind empirisch motiviert: Mit ihnen wird die Konsequenz aus der derzeitigen Lage der Sozialwissenschaften gezogen, die durch eine Vielzahl von Methodologien, Forschungsprogrammen, Theorien und Methoden geprägt ist. Weder implizieren sie eine Wertung, z.B. indem der derzeitige Zustand der großen Heterogenität innerhalb der Sozialwissenschaften bedauert oder begrüßt wird, noch eine Prognose oder Ziel, dass dieser Zustand für immer so bleibt oder nur als vorübergehendes Stadium zu betrachten ist, der in einer fernen Zukunft zur Einheitlichkeit führt oder führen soll. Die in diesem Buch zugrunde gelegte pluralistische Konzeption steht beispielsweise im Gegensatz zu Egon Guba und Yvonna Lincoln, die zwei unversöhnliche Paradigmen verkünden (zum Paradigma-Begriff: Philosophiebox 2, S. 28): ein positivistisches und ein konstruktivistisches, kritisches Paradigma (Guba und Lin- <?page no="20"?> 6 1 Einleitung coln, 1994, 109ff). 3 Udo Kelle (2007, 40ff) hat darauf hingewiesen, dass ihr zugrunde gelegtes Paradigma-Modell nicht die von ihnen postulierte Wirkung hat, vielmehr „lässt sich [weder] 4 sinnvoll zeigen, dass bestimmte Methoden ein bestimmtes Paradigma als Begründung erfordern, noch, dass ein bestimmtes Paradigma die Verwendung bestimmter Methoden notwendig macht“ (Kelle, 2007, 42). Es erscheint vielmehr plausibel, dass Erkenntnismethoden eine Reihe von gemeinsamen Annahmen teilen müssen, um überhaupt den Anspruch zu erheben, zur Wissensmehrung beizutragen. Daher wird in den nächsten Kapiteln ein pluralistisches Erkenntnisprogramm diskutiert, dass sich einer Kooperation verschiedener Paradigmen verpflichtet und daher nicht das Trennende zwischen ihnen betont, sondern das Gemeinsame und Komplementäre zwischen ihnen sucht. Da die Sozialwissenschaft als eine Wissenschaft vom Handeln sozialer Akteure aufgefasst wird, ist diese Besonderheit als dritte Annahme herauszustellen: 3. Die soziale Realität ist geprägt durch Akteure, die in sozio-kulturellen Systemen auf Basis von Normen und Werten handeln. Sozialwissenschaftliche Methoden sollen es daher ermöglichen, die Intentionen und die Rationalität der Akteure zu verstehen und zu erklären. Da sich Akteure überwiegend intentional verhalten, d.h., dass sie mit ihren Handlungen Absichten verbinden, unterscheidet sich die soziale von der natürlichen Realität (Ryan, 1973, 28). 5 Somit lässt sich die dritte Annahme als eine Forderung auffassen, dass die eingesetzten Methoden die besonderen Gegebenheiten der sozialen Realität berücksichtigen. Für die Sozialwissenschaft wird ein Pluralismus favorisiert, da einseitige Theoriebildung und einseitiger Methodeneinsatz eben nur einseitige Perspektiven auf die sozialwissenschaftlichen Phänomene erzeugen können (Lehner, 2011, 412ff). Wo Pluralismus der Anschauungen, Ideen und Werte herrscht, wird meist Toleranz eingefordert. Ist daher, wenn Pluralismus in einer Wissenschaftsgemeinschaft etabliert werden soll, eine wesentliche Voraussetzung, dass Toleranz zwischen unterschiedlichen Ansichten herrscht? Mit anderen Worten: Ist Toleranz auch in der Wissenschaft eine Tugend? Auf den ersten Blick ist die Duldung anderer Ansichten innerhalb der Wissenschaft dann kein erstrebenswertes Ziel, wenn Widersprüche auftreten, denn sie sollten geklärt und nicht geduldet werden. So konstatiert Popper: „daß … jeder 3 Eine Paradigmen-Unverträglichkeit behaupten auch Burrell und Morgan (1979, 25). 4 Worte in eckigen Klammern in direkten Zitaten habe ich zur besseren Lesbarkeit oder Klarstellung hinzugefügt oder auf Basis des Originalzitats umgestellt. 5 Im Folgenden werden die Begriffe „Intention“ und „Absicht“ synonym verwendet. <?page no="21"?> 1.2 Pluralismus und wissenschaftliche Toleranz 7 intellektuelle Fortschritt zum Stillstand kommen muß, falls wir bereit sind, Widersprüche zu dulden“ (Popper, 1963/ 2009, 486). Trotzdem soll der Toleranzbegriff aus der praktischen Philosophie, der insbesondere für die Konfliktbewältigung in politischen und religiösen Auseinandersetzungen diskutiert wird, für die Pluralismus-Debatte in den Sozialwissenschaften fruchtbar gemacht werden. Erinnert sei an die regelmäßig auftretenden Grundsatzdebatten - manchmal etwas martialisch auch als Paradigmen-Kriege (paradigm war) bezeichnet -, die über den Methodenstreit schnell ins Grundsätzliche führen und in denen häufig vermeintlich unüberbrückbare Unterschiede ausgerufen werden (Bryman, 2008). Toleranz ist eine Einstellung von Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen gegenüber Anderen und ihre Überzeugungen. Pluralismus wird nicht als deskriptiver Begriff eingeführt, sondern normativ gewendet. Dies ist verbunden mit der Forderung einer aktiven Auseinandersetzung mit anderen Ansichten, denn Kritik ist die Essenz wissenschaftlicher Diskurse (Albert, 1991, 35ff). Toleranz als eine Haltung, die sich nicht für andere Theorie-Entwürfe interessiert und daher aus Desinteresse duldet, führt zu einem „Pseudo-Pluralismus“ (Klima, 1971, 202), den es zu vermeiden gilt. 6 Eingefordert wird eine aktive Toleranz mithin eine „Leidenschaft für die Wahrheit“ (Sternberger, 1947/ 1988). Mit Bernard Williams lässt sich Wahrhaftigkeit als Achtung vor der Wahrheit verstehen (Williams, 2003, 26) und der Toleranz hinzufügen. Letztere lässt sich wiederum in einer ersten Annäherung durch mehrere Merkmale beschreiben (Forst, 2000, 120ff, 2003, 30ff), in der auch Wahrheit eine wesentliche Rolle spielt. In einer ersten groben Umschreibung wird Toleranz so aufgefasst, dass zuerst etwas abgelehnt werden muss, bevor es toleriert werden kann. Es muss somit eine Ablehnungskomponente geben, d.h., Paul Feyerabend muss die Überzeugungen von Karl Popper als falsch ansehen, dass es eine einheitliche Methode der Wissenschaft gibt. Erst eine negative Beurteilung erfordert Toleranz. Ist Feyerabend indifferent - d.h., er beurteilt sie weder positiv noch negativ - oder befürwortet er sie, ist Toleranz nicht notwendig (Forst, 2003, 32). Es muss sich jedoch um eine gut begründete Ablehnung handeln. So fallen Vorurteile, wie sie durch unzureichende Kenntnis entstehen und meist auf Desinteresse beruhen, nicht unter diese Kategorie. Ein typisches Beispiel hierfür ist, wenn behauptet wird, dass die sozialwissenschaftliche Hermeneutik von einer Einfühlung in den sozialen Akteur ausgeht, sie als Gefühlsduselei bezeichnet und ihr deswegen die Wissenschaftlichkeit abspricht. Dieses Nachklingen einer romantischen Fassung von hermeneutischer Vorgehensweise wird wohl kaum noch in der sozialwis- 6 Trotz einiger großangelegter Anläufe zum Vergleich von Theorien oder Forschungsprogrammen sind Symptome dieses „Pseudo-Pluralismus“ in den Sozialwissenschaften nicht unüblich; für die Soziologie zeichnet diese Entwicklung Greshoff (2010) nach. <?page no="22"?> 8 1 Einleitung senschaftlichen Forschungspraxis zu finden sein. Wer auf diesem argumentativen Niveau qualitative Methoden ablehnt, erfüllt nicht das Ablehnungsmerkmal. Es müssen jedoch auch positive Gründe für die Tolerierung sprechen, die bei einer Abwägung mit den negativen Gründen zu einer Akzeptanz des Toleranzobjekts führen. So hat schon Max Weber verlangt, dass auch die für die eigene Lehrmeinung unbequemen Tatsachen gelehrt werden, somit eine positive Auseinandersetzung zu erfolgen habe (Weber, 1919/ 1992, 98f). Aufbauend auf dem Prinzip der wohlwollenden Interpretation fordert Heiner Hastedt daher: „Abgelehnte Meinungen und welterschließende Perspektiven sind in ihrer am ehesten überzeugenden Form zu widerlegen“ (Hastedt, 2012, 93). Warum wird ein Widerspruch als nicht akzeptabel angesehen? In der Logik ist das Prinzip vom ausgeschlossenen Widerspruch grundlegend: 7 Ein Überzeugungssystem kann nicht gleichzeitig die Aussagen „Es gilt p“ und „Es gilt nicht p“ enthalten (Lohmar, 2010, 17ff). Wenn eine Wissenschaftlerin von der Wahrheit ihrer Überzeugungen ausgeht, wie kann sie dann die Wahrheit einer gegenteiligen Überzeugung, die sie für falsch hält, als wahr anerkennen (Relativismus- Paradoxon)? 8 So überzeugend dies Argument auf den ersten Blick zu sein scheint, so wenig trifft es doch die Situationen, vor denen Forschende stehen. Meist wird nicht über einzelne Aussagen entschieden, sondern es geht beispielsweise um die Frage, wie unterschiedliche Theorien oder gar Forschungsprogramme zu beurteilen sind. In diesen Fällen ist jedoch eine Vielzahl von Aussagen zu beurteilen, die erst einzeln und dann in ihrer Gewichtung zum endgültigen Urteil zusammengefasst werden (Kuhn, 1978c, 422ff). Theorien sind komplexe Systeme von Aussagen und ihre Beurteilung lässt sich nicht auf den Widerspruch einzelner Aussagen reduzieren. In der Diskussion über diese Beurteilung spielen insbesondere die Maßstäbe, wie Urteile zustande kommen, eine wesentliche Rolle. Hierzu etabliert die Wissenschaft Standards des Argumentierens, d.h., es werden Anforderungen an Begründungen verlangt, die von allen am wissenschaftlichen Diskurs Beteiligten einzuhalten sind. Wirksam werden diese Standards vor allem 7 So hat insbesondere Popper über die Dialektik als Methode geurteilt und aufgezeigt, dass aus einem Überzeugungssystem, dass sich widersprechende Aussagen (Prämissen) zulässt, jede beliebige Aussage abgeleitet werden kann (Popper, 1963/ 2009, 486ff). 8 Unter Paradoxie versteht man in der Logik eine „scheinbar unannehmbare Schlußfolgerung, die durch einen scheinbar annehmbaren Gedankengang aus scheinbar annehmbaren Prämissen abgeleitet ist“ (Sainsbury, 1993, 7f). <?page no="23"?> 1.3 Ziele des Buches 9 durch die Reziprozität: 9 Sie besagt, dass alle, die in den Diskurs eintreten, diese Standards des Argumentierens einsetzen sollen. Eine solch ausschließlich formale Strategie mit der Paradigmen-Konkurrenz umzugehen, ist jedoch nicht ausreichend, weil sie nicht in der Lage ist, normative Grenzen der Toleranz zu ziehen. So wie für politische Systeme die Toleranz als wesentliche normative Begründung der Gerechtigkeit bedarf, d.h., dass die Toleranz abhängig von höherwertigen Normen ist und daher auf sie zurückgreifen muss, benötigt die Toleranz in wissenschaftlichen Systemen höherliegende Werte. Eine mögliche Kandidatin ist die Wahrheit, denn „Wissenschaft ist Wahrheitssuche“ (Popper, 1994, 116). Dabei ist nicht an eine spezielle Wahrheitsdefinition oder Wahrheitstheorie zu denken, vielmehr funktioniert die Wahrheit als regulative Idee im Wissenschaftssystem (Popper, 1973, 42). Der wissenschaftliche Diskurs ist in dieser Interpretation geprägt von Argumentationsstandards, die auf das Feststellen von Wahrheit und Falschheit gerichtet sind ( ► Kap. 2.4). Die regulative Idee der Wahrheit richtet sich zwar auf den ersten Blick auf das Ergebnis - Hypothesen und Theorien -, genauso wichtig ist es jedoch, den Prozess der Forschung einzubeziehen. Kooperation und Konkurrenz sind in einer pluralistischen Konzeption keine sich ausschließende sondern komplementäre Strategien des Umgangs mit verschiedenen Theorien und Paradigmen. Es wird daher in diesem Buch dafür argumentiert, dass mithilfe einer pluralistischen Konzeption Wahrheit und insbesondere Validität als Kooperationsfelder zwischen den Forschungsprogrammen erschlossen werden können, ohne doch zu verneinen, dass Konkurrenz eine wichtige Funktion bei der Entwicklung von Forschungsprogrammen hat. 1.3 Ziele des Buches Grundidee dieses Buches ist es, dass Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen während des Forschungsprozesses eine Reihe von Entscheidungen treffen, die einer Rechtfertigung bedürfen. Diese Entscheidungen, die im Forschungsalltag häufig routiniert gefällt werden, betreffen z.B. bestimmte Erhebungsmethoden, den Einsatz von statistischen Auswertungsverfahren oder den Schluss auf einen Kausalzusammenhang. In jeder Wissenschaft haben sich Standards entwickelt, die von sozialwissenschaftlich Forschenden im Rahmen ihrer Ausbildung gelernt, internalisiert und oft nicht mehr hinterfragt werden. Ziel dieses Buches ist 9 Forst entwickelt in seiner Toleranzkonzeption die Reziprozität als eine Kriterium, dass Akteure nicht Normen für sich in Anspruch nehmen können, die sie andern verweigern (Forst, 2003, 594). <?page no="24"?> 10 1 Einleitung es, diese Entscheidungen nach den kognitiven Wissenschaftszielen Beschreibung, Verstehen, Erklärung, Prognose und Gestaltung zu gruppieren. Die Darstellung folgt somit dem praktischen Ablauf sozialwissenschaftlicher Forschung. Erschwert wird eine einfache Darstellung möglicher Rechtfertigungen zwar durch die Vielfalt der zweieinhalbtausendjährigen Geschichte der Philosophie. Es hat sich jedoch im Zuge der Entwicklung der Wissenschaften ein Zweig der Philosophie etabliert, der ausdrücklich als Theorie der Wissenschaft, eben die Wissenschaftstheorie, bezeichnet wird. Wie in vielen anderen Wissenschaften gibt es einen regen Diskurs über innerfachliche (philosophische) Probleme und seltener einmütige Standpunkte zu wichtigen Fragen. Daher müssen sich sozialwissenschaftliche Forschende mit den wesentlichen Argumenten vertraut machen, wollen sie nicht blind auf Standards zurückgreifen. In diesem Buch werden wichtige Argumente für einzelne Standards aufgegriffen und diskutiert. Angesichts der Fülle der Probleme im Ablauf wissenschaftlicher Untersuchungen sowie der damit zusammenhängenden philosophischen Diskussionen ist eine vollständige Behandlung nicht beabsichtigt; vielmehr soll versucht werden, wichtige Wegweiser für die wissenschaftstheoretische Orientierung zu liefern. Eine Leerstelle in diesem Buch bezieht sich auf Ansichten, die wesentliche Eigenschaften von Wissenschaft, wie ich sie in diesem Buch voraussetze, in Frage stellen. Einige Wissenschaftssoziologen und -philosophen verneinen die Suche nach Wahrheit, bezweifeln Rechtfertigungsstrategien oder halten Wissenschaft für eine eher irrationale Veranstaltung. Meine pluralistische Auffassung berücksichtigt zwar auch tatsächlich ablaufende Forschung, hält Wissenschaft aber eher für ein rationales Vorhaben. Irrationalität wird dadurch nicht ausgeschlossen. Aus einer solchen Perspektive werden jedoch Beschreibungen, die auf einer überwiegenden Irrationalität von Wissenschaft beruhen, weitgehend unplausibel. Ich nehme daher an, dass in der sozialwissenschaftlichen Forschungspraxis intendiert beschränkte Rationalität (bounded rationality) der Akteure, wie sie so prominent von Herbert Simon diskutiert wird, eine angemessene Beschreibung ist. Wichtige Zielgruppen dieses Buches sind daher Studierende in Bachelor- und Mastersowie Promotionsstudiengängen, Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen in den Sozialwissenschaften insbesondere aus den Bereichen Volks- und Betriebswirtschaftslehre, Soziologie oder Politikwissenschaft sowie der Ethnographie und der Psychologie. Auf Basis der in dieser Einleitung skizzierten pluralistischen Auffassung wird gezeigt, wie sie sich auf die verschiedenen Bereiche des Forschens auswirkt. Pluralismus wird häufig mit einem „anything goes“ nach Feyerabend identifiziert, der dies jedoch als Quintessenz seiner wissenschaftsgeschichtlichen Betrachtungen <?page no="25"?> 1.3 Ziele des Buches 11 ansah, die zeigte, dass es nicht die eine Methodologie gibt, nach der sich Wissenschaftler richten sollten (Feyerabend, 1978). 10 Eine pluralistische Position muss nicht auf einer relativistischen Auffassung beruhen. Mit dem Relativismus wird z.B. behauptet, dass die Wahrheit einer Aussage von einem Bezugsrahmen abhängig ist, und dies kann sein: ein Paradigma, ein Forschungsprogramm, eine Weltanschauung u.v.m. (Irlenborn, 2016, 8ff). Weder Anhänger des Theorienpluralismus noch Verfechterinnen des Methodenpluralismus müssen relativen Positionen zustimmen (Rescher, 1993, 100f). Sie können vielmehr darauf verweisen, dass u.a. ihr (epistemischer) Perspektivismus, mit dem auch keine relativistische Position verbunden sein muss, sie zu ihrer pluralistischen Haltung veranlasst. 11 Eine pluralistische Auffassung ist nicht zuletzt von der Einsicht geprägt, dass unsere menschlichen Fähigkeiten begrenzt sind und daher unsere Wissensbehauptungen unter dem Vorbehalt stehen, falsch zu sein. Auch ein Fallibilismus muss jedoch nicht zu einer relativistischen oder skeptischen Auffassung führen. Philosophiebox 1: Fallibilismus Mit dem Fallibilismus ist eine erkenntnistheoretische Position verbunden, dass menschliches Wissen immer nur vorläufigen Bestand hat, mithin unter dem Vorbehalt steht, falsch zu sein. Auch wenn ich im Folgenden oft verkürzend davon schreibe, dass Aussagen, Überzeugungen oder Methoden fallibel sind, bezieht sich die Fallibilismus-These auf uns Menschen. Wir sind fallible Wesen, weil wir Fehler machen und uns irren können. Daher können sich weder Aussagen noch Methoden irren und somit ist Fallibilität eine Eigenschaft von Menschen. Wissenschaftliche Aussagen und Theorien sowie wissenschaftliche Methoden können genauso fehlbar sein wie Alltagswissen. Fallibilismus ist eine erkenntnistheoretische Hypothese und unterliegt ebenso dem Vorbehalt der Falschheit. Aus dieser Aussage leitet sich allerdings nicht ab, dass 10 Feyerabend schlägt „anything goes“ (mach was du willst) nicht als eine Regel vor, mithin beschreibt sie auch nicht seinen erkenntnistheoretischen Anarchismus (Feyerabend, 1980, 97, so aber z.B. Schnädelbach, 2002, 151, Chalmers, 2007, 122). Vielmehr ist es seine ironische Antwort auf Insistierende, die von ihm eine strikte, immer einzuhaltende Regel für ihre Forschung verlangen: Aufgrund der Inhaltsleere von „anything goes“ wird zwar nicht gegen diese Regel verstoßen, gleichzeitig ist sie allerdings praktisch nutzlos (Feyerabend, 1980, 101, Hoyningen-Huene, 2007, 158). 11 Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt Michela Massimi, die auch die Verbindungen zu realistischen Positionen diskutiert (Massimi, 2018a, 344ff); anders hingegen Silja Freudenberger, weil sie Pluralismus und Relativismus weitgehend gleichsetzt (Freudenberger, 2000, 26ff). <?page no="26"?> 12 1 Einleitung alles Wissen tatsächlich falsch ist; es ist nur prinzipiell möglich, dass unsere Wissensbehauptungen falsch sind. Mit dem Fallibilismus ist somit verbunden, dass niemand über wahrheitsgarantierende Methoden verfügt. Diese Ansicht sollte nicht mit Skeptizismus verwechselt werden; im Gegenteil, Fallibilisten versuchen, auf die skeptische Herausforderung zu antworten. Im Wesentlichen liegt der Unterschied darin, dass Skeptiker einen wahrheitsgarantierenden Wissensbegriff haben, während Fallibilisten weniger anspruchsvolle Ansprüche an den Wissensbegriff haben. Nach Ansicht von Fallibilisten kann Wissen erlangt werden, auch wenn keine wahrheitsgarantierenden Begründungen vorliegen. Charles Sanders Peirce gilt zwar als Namensbegründer des Fallibilismus. Prominent wurde der Fallibilismus insbesondere durch Popper, der ihn zur Grundlage seines kritischen Rationalismus machte, indem er methodologische Regeln für die Falsifikation von Hypothesen aufstellte. Unter Falsifikation ist eine empirische Widerlegung einer allgemeinen Aussage zu verstehen. Sie ist für ihn die notwendige Konsequenz aus der Einsicht, dass es keine Rechtfertigung geben kann. Berühmt geworden ist die Metapher des Barons von Münchhausen (Münchhausen-Trilemma), die Albert eingeführt hat, um Argumente für die kritische Methode zu liefern. Er greift das Modell der Möglichkeit einer absoluten Begründbarkeit an, um zu zeigen, dass eine solche Rechtfertigung nicht möglich ist. Drei Strategien zur Lösung des Problems stehen nach Albert zur Verfügung (Albert, 1991, 15ff): 1. Die Argumentation bewegt sich im Kreis (logischer Zirkel), d.h., eine Aussage, die begründet werden soll, ist bereits in den Prämissen enthalten. 2. Ein infiniter Regress entsteht dadurch, dass für jede Begründung, die angeführt wird, wiederum ein Grund angegeben werden muss. Dieser Prozess ist prinzipiell unendlich. 3. Es liegt daher nahe, den prinzipiell unendlichen Prozess abzubrechen. Dies bezeichnet Albert als Rekurs auf ein Dogma, weil der Begründungsprozess abgebrochen werden muss. Das Abbruchkriterium entzieht sich damit einer weiteren Begründung und wird somit dogmatisch festgelegt. Nach Albert liegt es nahe, das Problem anders zu betrachten und nicht sichere Erkenntnis anzustreben, sondern Wissen kritisch zu hinterfragen. Alle Aussagen sollen daher an der Wirklichkeit scheitern können, einen privilegierten Status einer Aussagenkategorie gibt es nicht. Gewissheit als erkenntnistheoretisches Ideal ist aufzugeben. <?page no="27"?> 1.4 Aufbau des Buches 13 Eine Gleichsetzung von Fallibilismus und Falsifikationismus ist allerdings nicht zwingend, d.h., Fallibilität muss nicht mit dem Falsifikationismus einhergehen. Mit dem Fallibilismus ist jedoch ein Rechtfertigungsbegriff zu explizieren, der der These genügt, dass unser Wissen fallibel ist. Eine einfache Ausprägung einer solchen Auffassung ist daher: All unser Wissen ist nur und bestenfalls fallibel gerechtfertigt (Hetherington, 2005). Wenn somit in einer Studie behauptet wird, dass die Aussagen empirisch bestätigt wurden, dann wird dies im Lichte eines Fallibilismus so interpretiert, dass sie sich nicht als falsch herausgestellt haben. Für die Suche nach Wahrheit kommt es somit darauf an, dass Hypothesen als wahr oder falsch ausgezeichnet werden: Wissenschaftliche Methoden sollen daher Ergebnisse der Forschung als positiv und negativ auszeichnen. Quellen: Albert, 1991, Brown, 2018, Fantl und McGrath, 2009, Hetherington, 2005, Keil, 2019, Popper, 1963/ 2009, Reed, 2002 1.4 Aufbau des Buches Das Buch besteht neben dieser Einleitung aus neun weiteren Kapiteln. Im zweiten Kapitel werden die kognitiven Ziele des Forschungsprozesses skizziert und es werden Wahrheit und Validität im Hinblick darauf diskutiert, ob sich aus ihnen Kriterien für Entscheidungen im Forschungsprozess ableiten lassen. Im dritten Kapitel wird eine Sozialontologie skizziert, auf deren Basis sich ein Mehrebenen-Modell, das ein Handlungsmodell beinhaltet, begründen lässt. Während in Kapitel 4 allgemeine Fragen des Forschungsprozesses in den Sozialwissenschaften und seiner Logik geklärt werden, sind die Kapitel 5 bis 8 den kognitiven Zielen Verstehen, Beschreibung, Erklärung, Prognose und Gestaltung gewidmet. In ihnen wird ausgehend von den wichtigen Bausteinen wissenschaftlicher Theorien das Ergebnis von Forschungsprozessen betrachtet. In den abschließenden Kapiteln 9 und 10 rücken die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in den Fokus, in dem ihr Verhalten unter ethischen Blickwinkeln diskutiert (Kapitel 9) sowie gesellschaftliche Einflüsse auf das System Wissenschaft adressiert wird (Kapitel 10. Die Kapitel bauen aufeinander auf. Eine kapitelweise Lektüre ist daher die zum Aufbau des Buches angemessene Vorgehensweise. Dies gilt besonders für Kapitel 2 und 3 sowie Kapitel 4. Die Kapitel 5 bis 10 können auch getrennt durchgearbeitet werden, insbesondere Kapitel 5 (Verstehen) sollte allerdings wenigstens überflogen werden, bevor zu den folgenden Kapiteln übergegangen <?page no="28"?> 14 1 Einleitung wird. Um die Orientierung im Buch zu erleichtern, sind Verweise zu relevanten Stellen eingefügt (Beispiel: ► Kap 1.4). Alle, die überprüfen wollen, ob sie wesentliche Inhalte eines Kapitels erfasst haben, für die ist die erste Anlaufstelle eine Zusammenfassung am Ende des Kapitels. Sie sollen in Form von Kernsätzen die Inhalte reduzieren und ersetzen natürlich die Lektüre des Kapitels nicht. Da ein wesentlicher Schritt in jeder Disziplin das Lernen der Grundbegriffe ist, sind sie in einer Liste von Schlüsselwörtern aufgeführt (mit einer Seitenzahl für ihren Fundort). Alle Schlüsselwörter finden sich in einem Glossar am Ende des Buches wieder, das somit als begleitendes wissenschaftstheoretisches Lexikon verwendet werden kann. Sie sind auch fettgedruckt im Sachregister enthalten, um weitere Fundorte anzuzeigen. Als weiteres Hilfsmittel dient eine Rubrik Lernkontrolle, die zur Wiederholung des Stoffs eingesetzt werden kann. Kommentierte Literaturempfehlungen beschließen jedes Kapitel. Sie sind eine subjektive Auswahl der unerschöpflichen Literatur zu den in diesem Buch behandelten Themen. Im Anschluss zu dieser Einleitung gebe ich generelle Literaturhinweise zu Werken der Wissenschaftstheorie, zu Wörter- und Handbüchern sowie Enzyklopädien der Wissenschaftstheorie und Philosophie. Zusammenfassung Wissenschaft schafft Wissen, das sich in Theorien ausdrückt. Mit ihrer Hilfe sollen soziale Phänomene verstanden, beschrieben und erklärt werden, um auf ihrer Basis die soziale Welt zu gestalten. Sozialwissenschaften sind durch pluralistische Tendenzen geprägt; insbesondere gibt es eine Öffnung der Teildisziplinen, die zu einem vermehrten Austausch von Theorien, wissenschaftstheoretischen Positionen und Methoden führt. Für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ist es sinnvoll, die Bausteine wissenschaftlichen Arbeiten zu kennen, wissenschaftliche Aussagen kritisch analysieren zu können und eine wissenschaftstheoretische Position zu entwickeln. All dies sollten gute Gründe sein, sich mit Wissenschaftstheorie zu beschäftigen. Wesentliche Annahmen des Pluralismus sind die Komplexität der sozialen Realität und unsere perspektivische Sicht auf die sozialen Sachverhalte. Aufgrund dieser begrenzten, kontextspezifischen, forscherabhängigen Perspektiven scheint es erfolgversprechend, einen Theorien- und Methodenpluralismus zu praktizieren. <?page no="29"?> 1.4 Aufbau des Buches 15 Pluralismus geht mit der Forderung nach Toleranz einher, die letztlich auf der regulativen Idee der Wahrheit und der Reziprozität von Argumentationsstandards gründet. Schlüsselwörter Fallibilismus (11) Falsifikation (12) Methodenpluralismus (4) Perspektivismus (5) Pluralismus (3) Theorienpluralismus (4) Toleranz (7) Wissenschaftsziele, kognitive (2) Lernkontrolle 1. Welche kognitiven Ziele der Wissenschaft kennen Sie und welche Funktion haben Theorien in diesem Zusammenhang? 2. „Die Beschäftigung mit der Wissenschaftstheorie meines Faches kostet mich nur unnütz Zeit und bringt mir für meine praktische wissenschaftliche Tätigkeit gar nichts.“ Nehmen Sie zu dieser Aussage Stellung, indem Sie auf wichtige Aspekte eingehen, warum es auch für Sozialwissenschaftler und Sozialwissenschaftlerinnen nützlich ist, sich mit Wissenschaftstheorie zu beschäftigen. 3. Welche Gründe sprechen für einen Theorienpluralismus? 4. „Es gibt nur eine sachgemäße Methode für die Sozialwissenschaften.“ Nehmen Sie ausführlich zu dieser These Stellung und diskutieren Sie aus dem Blickwinkel eines Methodenpluralismus. 5. Welche Besonderheit der Sozialwissenschaft ist in einer pluralistischen Methodologie zu beachten? 6. Grenzen Sie den Fallibilismus vom Falsifikationismus ab. Kommentierte Literaturhinweise Generelle Hinweise Lehrbücher zur Wissenschaftstheorie der Sozialwissenschaft gibt es reichhaltig. Deutschsprachige Monographien zur Philosophie der Sozialwissenschaften sind das mehrfach aufgelegte Buch von Opp (2014), mit starker Betonung des kritischen Rationalismus, die breiter angelegte Studie von Meidl (2009) und die älteren Werke von Acham (1983) und Konegen und Sondergeld (1985). Als englischsprachige Alternativen bieten sich Rosenberg (2016) sowie Bishop (2007) und Baert (2005) an, in denen viele zum kritischen Rationalismus alternative Strömungen vorgestellt werden. Für die Wissenschaftstheorie der Betriebswirtschaftslehre gibt es neben den älteren Werken von Schanz (1988b) oder Chmielewicz (1979) eine Einführung von Kornmeier (2007), die ausführlichere Monographie von Kirsch, <?page no="30"?> 16 1 Einleitung Seidl und Aaken (2007) sowie das jüngst erschienene Buch von Eisend und Kuß (2017). Für die Volkswirtschaftslehre sind klassische Monographien von Blaug (1992) und Boland (2003) verfasst, sie werden ergänzt durch zwei jüngere Monographien von Boumans (2010) und Reiss (2013). Aus dem Blickwinkel der Wissenschaftstheorie der Psychologie habe ich neben den kurzen Einführungen von Hecht und Desnizza (2012) und Herzog (2012) insbesondere die Monographie von Kempf (2006) verwendet. Drei Werke decken ein breites Spektrum an Themen speziell für die Philosophie der Sozialwissenschaften ab: Der „Routledge companion to the philosophy of social science“, der von McIntyre und Rosenberg (2017) herausgegeben wird, ein von Jarvie und Zamora-Bonilla (2011) herausgegebenes Handbuch „The Sage handbook of the philosophy of social sciendes“ und die „Encyclopedia of philosophy and the social sciences“ herausgegeben von Byron Kaldis (2013). Zur Einführung in die allgemeine Wissenschaftstheorie sind die prägnanten Werke von Kornmesser und Büttemeyer (2020) sowie Tetens (2013) zu empfehlen. Als historischer und systematischer Einstieg ist die konzise Monographie von Poser (2012) besonders geeignet, da er alle wesentlichen Strömungen der Wissenschaftstheorie behandelt. Wer mit Posers Werk arbeitet, dem ist das Buch von Schurz (2014) zu empfehlen, das zur vertiefenden Lektüre der wissenschaftstheoretischen Grundlagen anregt. Insbesondere in der allgemeinen Wissenschaftstheorie sind die Beispiele häufig aus den Naturwissenschaften gewählt, die Werke von Ladyman (2002) und Staley (2014) oder die sehr anschauliche Monographie von Lauth und Sareither (2005) sind allerdings trotzdem zu empfehlen. Alle, die sich mit Hilfe von Lexika und Enzyklopädien philosophische Konzepte näher bringen wollen, haben eine reichhaltige Auswahl. Drei umfangreiche Werke in deutscher Sprache seien genannt: Die achtbändige „Enzyklopädie Philosophie und Wissenschaftstheorie“, hrsg. v. Mittelstraß (1995/ 2005-2018) und die „Enzyklopädie Philosophie“ herausgegeben von Sandkühler (2010). Die historische Entwicklung philosophischer Konzepte wird in einem umfangreichen Werk hrsg. v. Ritter, Gründer und Gabriel (1971/ 2007) aufgezeigt: „Historisches Wörterbuch der Philosophie“. Die zehnbändige „Routledge Encyclopedia of Philosophy“, hrsg. v. Craig (1998) ist die einschlägige englischsprachige Enzyklopädie (sie wird online aktualisiert: www.rep.routledge.com); erschwinglich ist die einbändige Kurzfassung, ebenfalls hrsg. v. Craig (2005). Ein deutsches einbändiges Werk ist von Prechtl und Burkard (2008): „Metzler Lexikon Philosophie“. Im Internet gibt es zwei englischsprachige Enzyklopädien zur Philosophie: „Stanford Encyclopedia of Philosophy“, hrsg. v. Zalta (http: / / plato.stan- <?page no="31"?> 1.4 Aufbau des Buches 17 ford.edu/ ) und „The Internet Encyclopedia of Philosophy“, hrsg. v. Fieser und Dowden (http: / / www. utm.edu/ research/ iep/ ). Hinweise zur Einleitung Ein guter Überblick zu den verschiedenen Strömungen der Wissenschaftstheorie findet sich in Poser (2012). Pluralismus wird aus verschiedenen Blickwinkeln diskutiert in dem Sammelband „Scientific Pluralism“, hrsg. v. Kellert, Longino und Waters (2006b). Das vorgestellte pluralistische Erkenntnisprogramm habe ich zuerst in einem Aufsatz entwickelt und hier übernommen (Brühl, 2010); es wird ergänzt um das Konzept der Toleranz von Forst (2001, 2003). Paul Feyerabend‘s pluralistische Auffassung findet sich gut dargestellt in Oberheim (2006). <?page no="32"?> 2 Wissenschaftstheorie und Forschungsprozess 2.1 Was ist Wissenschaftstheorie? Wissenschaft wird in sehr unterschiedlicher Weise beschrieben. Sie lässt sich als ein System des Wissens auffassen, „d. i. ein nach Prinzipien geordnetes Ganze der Erkenntnis“ (Kant, 1786/ 1983b, 11), was sich auch mit Systematizität beschreiben lässt und mit der Behauptung verbunden ist, dass wissenschaftliches Wissen systematischer ist als andere Wissensformen wie z.B. Alltagwissen (Hoyningen-Huene, 2013, 25ff). Wissenschaft will auf die Praxis wirken, kann aber auch als Praxis beschrieben werden: „Der Wissenschaftler ist vor allem Praktiker und ständig damit beschäftigt, praktische Urteile zu fällen“ (Dewey, 1938/ 2002, 195). Mit dieser Deutung wird erreicht, dass Wissenschaft auch als Prozess verstanden werden kann, der in einen geschichtlichen und sozialen Kontext eingebettet ist (Ott, 1997, 102). In ihrem Handeln werden Standards entwickelt, die sich als Systeme auszeichnen, in denen über Theorien ausgesagt wird, ob sie gültig und wahr sind (Wohlrapp, 2009, 111). Ähnlich sieht dies der Soziologe Niklas Luhmann, wenn er die Wissenschaft als ein funktionales System der Gesellschaft beschreibt, in dem vorwiegend darüber kommuniziert wird, ob etwas wahr oder unwahr ist (Luhmann, 1991, 9, 75f). Bereits diese kurze Skizze klärt darüber auf, dass der Begriff „Wissenschaft“ zu den komplexen Begriffen gehört, die sich einer einfachen Beschreibung entziehen. Wie gleich zu zeigen ist, beruhen die vielen unterschiedlichen Beschreibungen darauf, dass mit ihnen vielfältige Analysezwecke verbunden sind. Da im Folgenden die Handlungen sowie ihre Ergebnisse im Vordergrund stehen, wird unter Wissenschaft ein System verstanden, in dem Akteure systematisch und mit dem Einsatz von Methoden versuchen, überwiegend überprüfbare Aussagen für die kognitiven Ziele (Verstehen, Beschreiben, Erklären, Prognose, Gestaltung und Wertung) nutzbar zu machen (weitere Beschreibungen finden sich z.B. in Hoyningen-Huene, 2013, 35ff, Schurz, 2014, 26ff). Diese nur vorläufige Beschreibung wird in den folgenden Kapiteln systematisch erweitert. Beispielsweise wird versucht, Aussagen in einen systematischen Zusammenhang - eine Theorie - zu bringen. Wissenschaftstheoretiker und Wissenschaftstheoretikerinnen beschäftigen sich mit Fragen, die sich auf wissenschaftliche Prozesse und ihre Ergebnisse beziehen. Sie sind gegeneinander und von weiteren Disziplinen abzugrenzen, die sich mit dem Objekt Wissenschaft beschäftigen (Poser, 2012, 15ff): Wissenschaftsphilosophie <?page no="33"?> 2.1 Was ist Wissenschaftstheorie? 19 Wissenschaftsgeschichte Wissenschaftssoziologie Wissenschaftstheorie Häufig wird die Wissenschaftstheorie als spezielle Variante der Erkenntnistheorie eingeordnet; Wissenschaftsphilosophie hingegen umfasst weitere Teilgebiete der Philosophie, wie z.B. die Handlungstheorie oder die Ethik (Dellantonio, 2010, 3038). Auch wenn der Begriff Wissenschaftsphilosophie für die heute praktizierte Teildisziplin angemessener ist - im englischsprachigen Raum wird daher von „Philosophy of Science“ und „Philosophy of Social Science“ gesprochen, ist in Deutschland der Begriff Wissenschaftstheorie häufiger anzutreffen. Wissenschaftsgeschichte ist eine Teildisziplin der Geschichtswissenschaft, die sich mit der Entwicklung von Wissenschaften in der Menschheitsgeschichte beschäftigt. Sie ist Teil des Selbstverständnisses einer jeden Disziplin, was auch für die Sozialwissenschaften gilt. Wichtig aus Sicht einer Disziplin ist es, zu erfahren, wie sich die fachlichen Grenzen der Disziplin, die eingesetzten Methoden sowie Theorien über ihre wissenschaftlichen Gegenstände entwickelt haben (Porter und Ross, 2003, für die Sozialwissenschaften). In der Wissenschaftssoziologie als Teil der umfassenderen Wissenssoziologie wird das System Wissenschaft aus verschiedenen Perspektiven analysiert. Nachfolger einer institutionalistischen Sicht auf die Wissenschaft untersuchen soziale Einflüsse auf das wissenschaftliche Wissen. Aus diesen wissenssoziologischen Studien entstanden sozial-konstruktivistische Positionen, die häufig mit relativistischen Positionen verbunden sind (Schützeichel, 2007, 306ff): Wissenschaftliches Wissen gilt ihnen als relativ zu einem sozialen Kontext. Da sozial-konstruktivistische Positionen Erkenntnisse der Wissenschaftstheorie herausfordern, werden sie in diesem Buch diskutiert. Die Bezeichnung Wissenschaftstheorie geht auf Eugen Dühring zurück, der sie 1878 einführte (Pulte, 2004, 976). Nach heutigem Verständnis ist die Wissenschaftstheorie die Teildisziplin der Philosophie, welche sich mit allen grundlegenden Fragen der Wissenschaften beschäftigt. Dies sind insbesondere logische und ontologische, methodologische und erkenntnistheoretische sowie handlungstheoretische, normative und ethische Fragen der Wissenschaft (Dellantonio, 2010, 3038). Seit der Antike wird in der Philosophie über die Erkenntnis von Wissenschaftlern reflektiert, typischerweise erfolgt dies in der Erkenntnistheorie (Epistemologie). In der Erkenntnistheorie werden Fragen behandelt wie beispielsweise, was menschliches Wissen ist, wie wir zu Wissen kommen und wie es begründet <?page no="34"?> 20 2 Wissenschaftstheorie und Forschungsprozess werden kann (Ernst, 2010). Solche Fragen beschäftigt auch die Wissenschaftstheorie, die sich auf wissenschaftliche Erkenntnisse konzentriert und hierbei insbesondere, wie diese Erkenntnisse erzeugt und wie sie gerechtfertigt werden können. 2.2 Kognitive Ziele der Wissenschaft Da Wissenschaft eine soziale Veranstaltung ist, fließen viele verschiedene Motive in den Wissenschaftsprozess, die von persönlichen Machtmotiven, Streben nach hohem Ansehen oder Einkommen einzelner Wissenschaftler bis zu dem Wunsch von Wissenschaftsorganisationen nach Differenzierung und Clusterbildung reichen. Im Folgenden werden jedoch die mit den Sozialwissenschaften direkt verbundenen kognitiven Ziele kurz skizziert, denn sie sollen dazu anleiten, wissenschaftliches Wissen in Form von Theorien zu erzeugen und für die Gesellschaft nutzbringend einzusetzen: 1. Verstehen 2. Beschreibung 3. Erklärung 4. Prognose 5. Gestaltung 6. Wertung Als erstes ist das Verstehen zu nennen, weil es die Voraussetzung für die weiteren Ziele der Wissenschaft ist. Verstehen ist eng mit der Sprache und mit Symbolen verknüpft. Wenn wir einen Text lesen, sind verschiedene Tätigkeiten des Verstehens notwendig, um ein Verständnis des Textes zu erzeugen. So müssen wir beispielsweise der Sprache mächtig sein, in der der Text verfasst wurde. Mithilfe von syntaktischen Regeln wird eine Bedeutung von einzelnen Sätzen erzeugt, die sich nur den Interpretierenden mitteilt, die über solches Regelwissen verfügen. ( ► Kap. 5) Diese erste Art des Sprach- und Symbolverstehens ist jedoch zu ergänzen um das Verstehen von Handlungen von Akteuren. Verstehen richtet sich beim Handlungsverstehen auf den Sinn, den die Akteure mit ihrem Handeln verbinden. Beide Arten des Verstehens stehen nicht unverbunden nebeneinander, sondern Sprach- und Symbolverstehen und Handlungsverstehen bedingen sich gegenseitig. Um diese verschiedenen Arten des Verstehens für die sozialwissenschaftliche Forschung nutzbar zu machen, ist eine Analyse des Verstehens notwendig. Im Zuge dieser Analyse werden verschiedene Stufen des Verstehens unterscheidbar, die wiederum enge Verbindung zu den Zielen der Beschreibung und Erklärung aufweisen. <?page no="35"?> 2.2 Kognitive Ziele der Wissenschaft 21 Mit Beschreibungen werden soziale Sachverhalte erfasst und systematisch dargestellt ( ► Kap. 6). Sie ist nur möglich, wenn ein bestimmtes Untersuchungsziel gegeben ist, denn die Realität in der Gesellschaft ist zu komplex, um alles beschreiben zu können. In der Sprache der Systemtheorie sind Gesellschaften und das Wirken ihrer Akteure äußerst komplexe Systeme, die sich einer vollständigen Beschreibung entziehen. Wissenschaftliche Begriffe dienen dazu, die Realität einzufangen, denn mit ihnen bezeichnen (beschreiben) wir Gegenstände in der sozialen Welt. Daher bedienen sich wissenschaftliche Disziplinen einer fachlichen Terminologie, die mittels Definitionen für die Mitglieder der wissenschaftlichen Gemeinschaft festgelegt werden. Wenn die soziale Realität sehr vielgestaltig ist, dann bietet es sich an, sie einzuteilen. Mithilfe von Typen können komplexe Phänomene unterschieden werden. So teilen Hall und Soskice (2001) Länder nach den Kapitalismustypen liberale und koordinierende Marktwirtschaften ein. Zur Typenbildung werden meist verschiedene Kriterien mit verschiedenen Ausprägungen herangezogen, so dass eine eindeutige Abgrenzung nicht immer möglich ist. In der Klassenbildung wird hingegen eine solche ausschließliche Zuordnung gefordert. Ein weiteres Ziel von Beschreibungen ist es, Zusammenhänge in der sozialen Realität zu erfassen und darzustellen. Als drittes Ziel einer wissenschaftlichen Untersuchung ist die Erklärung von Sachverhalten zu nennen. Erklärungen geben Antworten auf Warum-Fragen. Erklärungen gehen über Beschreibungen hinaus, weil sie Ursachen benennen, die zu den erklärenden Phänomenen geführt haben. Das Aufdecken von Ursache-Wirkungs-Zusammenhängen (Kausalbeziehungen) gilt daher als die wichtigste Aufgabe von Wissenschaften. Wenn es möglich ist, diese Zusammenhänge als regelmäßige Zusammenhänge zu fassen, dann liegen gesetzesartige Aussagen vor. Im Kapitel zur Erklärung wird gezeigt, dass es verschiedene Erklärungstypen gibt ( ► Kap. 7). In den Sozialwissenschaften gibt es eine Diskussion, ob gesetzesartige Aussagen überhaupt möglich sind, ober ob nur einzelfallbezogene Aussagen sinnvoll sind. Wenn ein regelmäßiger Zusammenhang aufgestellt werden kann, dann sollte es möglich sein, diesen Zusammenhang für die Vergangenheit und für die Zukunft zu postulieren. Erklärungen dienen somit der Information über die Vergangenheit und der Prognose zukünftiger Ereignisse ( ► Kap. 8). Eine wichtige gesellschaftliche Funktion von Wissenschaft ist es, Verbesserungen für die Menschen in dieser Gesellschaft zu erreichen. Neben Beschreibung und Erklärung von sozialen Sachverhalten muss die Gestaltung treten, die Empfehlungen enthält, welche Handlungen ergriffen werden müssen, wenn bestimmte Ziele erreicht werden sollen. Was wird benötigt, wenn Handlungsempfehlungen ausgesprochen werden sollen? Für die Empfehlung ist insbesondere die Kenntnis der Ziele notwendig, weil nur so klar ist, was mit der Gestaltung <?page no="36"?> 22 2 Wissenschaftstheorie und Forschungsprozess erreicht werden soll. Eine weitere wichtige Frage, die von der Wissenschaftstheorie behandelt werden muss, ist es, ob Gestaltungsempfehlungen ausschließlich auf Basis von gesetzesartigen Aussagen erfolgen oder ob sie auf weitere Wissensformen zurückgreift, die sich auch nach dem praktischen Gestaltungsproblem richtet ( ► Kap. 8). Eine Sonderstellung nehmen normative Diskussionen in den Wissenschaften ein. Max Weber vertrat ein Werturteilsverbot für Aussagen über Tatsachen, weil er Werturteile für nicht im gleichen Sinne wie Tatsachenaussagen für wahrheitsfähig hielt (Weber, 1917/ 2018, 462). Werturteile sind als normative Aussagen von Aussagen über Tatsachen zu trennen, da sie nicht durch die Beobachtung von Tatsachen gerechtfertigt werden können (Hume, 1739/ 1978, 211f). Gegen diese Argumentation gibt es allerdings auch Widerspruch (in Schurz und Carrier, 2013 finden sich beide Sichtweisen). Wissenschaft ist danach von Normen durchsetzt und eine normfreie, d.h. nicht-normative, Wissenschaft ist nicht möglich. Weber war der Ansicht, dass Normen in der Wissenschaft eine Rolle spielen (Weber, 1917/ 2018, 458ff), allerdings sollten in den Sozialwissenschaften keine Wertungen bezüglich ihrer untersuchten Phänomene vorgenommen werden. Lange Zeit galt die Werturteilsfreiheit als unabdingbarer Garant von Wissenschaftlichkeit. Es gibt jedoch auch gute Gründe, gegenüber einer umfassenden Werturteilsfreiheit skeptisch zu sein. Normative Diskussionen über eine gerechte Gesellschaft, eine legitime Herrschaft oder über das Primat der Nachhaltigkeit als Ziel von Unternehmen zeigen, dass es sozialwissenschaftliche Fragen gibt, die eine normative und ethische Diskussion auch in der Wissenschaft nahe legen. Daher sind hier Wertungen in die kognitiven Ziele von Wissenschaft aufgenommen worden. 2.3 Dimensionen von Forschungsprogrammen Wird Wissenschaft als Prozess betrachtet, dann richtet sich der Blick auf die wissenschaftliche Tätigkeit mit ihren Methoden. Als wissenschaftliche Methoden werden - mehr oder weniger - systematische Verfahren bezeichnet, die aus einer Folge von Handlungsanweisungen zur Erreichung eines Ziels bestehen (Kamitz, 1980, 429, Lorenz, 1995, 876). Da der Prozess der Wissenschaft von psychologischen, politischen und ökonomischen Faktoren beeinflusst wird, gibt es immer wieder Versuche, mit einem griffigen Konzept diese Faktoren zusammenzufassen. Prominent in der Literatur ist der Begriff des Paradigmas, der von Thomas S. Kuhn in die Literatur eingeführt wurde (s. Philosophiebox 2, S. 28). Er geht auf eine Arbeit von Ludwik Fleck (1935/ 1980) zurück, der mit den <?page no="37"?> 2.3 Dimensionen von Forschungsprogrammen 23 Konzepten des Denkstils und der -kollektive bereits 1935 auf den sozialen Charakter von Forschungsprozessen aufmerksam machte. 1 Kuhns Analyse orientiert sich an Prozessen der Wissenschaftsgeschichte und hat daher einen deskriptiven Charakter. Er richtet sich damit gegen eine Methodologie wie von Popper, der Regeln aufstellt und somit Wissenschaftler anleiten will. Als alternatives Konzept hat Imre Lakatos das wissenschaftliche Forschungsprogramm entwickelt, das deskriptive und normative Elemente vereint (Lakatos, 1974, 128f, Schurz, 1998, 10f). Er versucht mit diesem Konzept, eine rationale Rekonstruktion von Wissenschaftsprozessen nachzuzeichnen. Wie die Geschichte der Wissenschaften zeigt, werden einzelne Forschungsprogramme trotz immanenter Schwierigkeiten und auch Fehlleistungen sehr lange beibehalten. Wer nur auf die Ergebnisse der Forschung schaut, wird dies häufig nicht plausibel erklären können. Werden hingegen die verschiedenen Dimensionen der Forschung in die Analyse einbezogen, lässt sich angemessen erklären, warum Forschungsprogramme über längere Zeit parallel betrieben werden. Daher wird im Folgenden auf die Regeln und Grundannahmen von Forschungsprogrammen eingegangen. Wissenschaft lässt sich als Institution beschreiben: Sie ist ein komplexes Gefüge von Regeln zur Erzeugung von Wissen. Abbildung 1 zeigt wichtige Dimensionen von Forschungsprogrammen; Vollständigkeit ist nicht bezweckt (Kuhn, 1962/ 1976, 194-199, Nola und Sankey, 2007, 81ff, Poser, 2012, 195ff). Regeln sind Handlungsanweisungen (Iorio, 2010, 47ff), die mit Modalitäten versehen sind und die sich auf Akteure in spezifischen Situationen richten (Iorio, 2011, 69f). Je nach Art der Regel sind sie geboten, erlaubt, verboten, empfohlen u.v.m. Regeln lassen sich durch die Implikation ausdrücken, bei der in der Wenn-Komponente die Adressaten der Regel und die Situationsbeschreibung enthalten ist und in der Dann-Komponente die auszuführende Handlung sowie den Modaloperator (Siegwart, 2011, 1866). Regeln werden häufig abgekürzt wiedergegeben, indem nur die Handlungsanweisung mitgeteilt wird. 1 Fleck sieht die geschichtliche Betrachtung als unabdingbar an: „Genauso bleibt jede Erkenntnistheorie ohne geschichtliche und vergleichende Untersuchungen ein leeres Wortspiel“ (Fleck, 1935/ 1980, 31). Daher nimmt sein zentraler Begriff des Denkkollektivs diesen Aspekt auf, denn sie ist eine „Gemeinschaft der Menschen, die im Gedankenaustausch oder in gedanklicher Wechselwirkung stehen, so besitzen wir in ihm den Träger geschichtlicher Entwicklung eines Denkgebietes, eines bestimmten Wissensbestandes und Kulturbestandes, also eines besonderen Denkstiles“ (Fleck, 1935/ 1980, 54f). <?page no="38"?> 24 2 Wissenschaftstheorie und Forschungsprozess (Quelle: verändert entnommen aus Brühl, 2006b, 595) Abbildung 1: Dimensionen von Forschungsprogrammen Über die Verbindlichkeit von Regeln im Wissenschaftsbetrieb gibt es unterschiedliche Ansichten. Hans Albert und Volker Gadenne sprechen sich dagegen aus, methodologische Regeln als kategorische Imperative zu bezeichnen, die unbedingt gültig sind (Albert, 1978, 46, Gadenne, 2006, 98). Gadenne betont ihren hypothetischen Charakter (Gadenne, 2006, 98), d.h., er interpretiert sie als Regeln, die bestimmte Zwecke erreichen sollen. Er schließt sich damit einer Ansicht von Laudan an, der diese Interpretation von Regeln zur Grundlage seines normativen Naturalismus macht (Laudan, 1984, 33ff). Hans Albert bezeichnet die Methodologie als „Technologie des kognitiven Problemlösungsverhaltens“ (Albert, 1978, 46). Ihre Anweisungen stellen keine kategorischen Imperative dar; sie haben vielmehr den Charakter einer „rationalen Heuristik“, d.h., sie bestimmen die Handlungen nicht eindeutig und lassen Wissenschaftlern einen Spielraum (Albert, 1978, 50). Es ist jedoch zu bedenken, dass einige methodologische Regeln kategorische Imperative sein können. So führt David Resnik als Beispiel an, dass Theorien, die logisch inkonsistent sind, unbedingt zu eliminieren sind (Resnik, 1992, 500) und spricht damit die Logik und Mathematik als Theorien an, aus denen sich kategorische Imperative speisen können (Keuth, 2004, 50f). <?page no="39"?> 2.3 Dimensionen von Forschungsprogrammen 25 Karl Popper bezeichnet seine methodologischen Regeln als Festsetzungen oder auch als Spielregeln und drückt ihre Verbindlichkeit z.B. dadurch aus, dass ein Forscher, der seine Hypothesen als endgültig verifiziert ansieht, aus dem Spiel austritt (Popper, 1935/ 2005, 30). Eine Überprüfung von Hypothesen durch die wissenschaftliche Gemeinschaft sieht er als konstitutiv für die Wissenschaft an, auf die daher nicht verzichtet werden kann (Ott, 1997, 343). Daher ist seine Meta-Regel, dass Wissenschaftler nicht die Falsifikation verhindern sollen, eine Grundregel seiner Auffassung von Wissenschaft. Diese soziale Dimension von Poppers methodologischen Regeln betont Ian Jarvie und weist darauf hin, dass sich dadurch der institutionelle Charakter von Wissenschaft zeigt (Jarvie, 2001, 40ff). Max Albert hebt hervor, dass methodologische Regeln den Wettbewerbscharakter innerhalb der Institution Wissenschaft ausdrücken. Er sieht methodologische Regeln als Bewertungsregeln, mit denen Wissenschaftler ihre Handlungen auf Auswirkungen auf ihren Status oder ihre Reputation beurteilen (Albert, 2004, 140). Soziale Regeln als Handlungsanweisungen dienen der Koordination von Handlungen vieler Akteure und somit der sozialen Ordnung. Wenn sie gültig sind und angewendet werden, schaffen sie Erwartungen bei anderen sozialen Akteuren. Ihre Lenkungsfunktion und ihre Bewertungsfunktion gehen damit Hand in Hand und damit spricht viel für die Vermutung, dass methodologische Regeln die Institution Wissenschaft prägen (Albert, 2019, 333ff). Ohne hier die Frage zu beantworten, welche der skizzierten Funktionen der Methodologie überwiegt, zeigt eine Analyse der sozialen Institution „Wissenschaft“, dass sie sich Regeln auferlegt und dass sie sich zu ihrer Begründung wissenschaftstheoretischer Argumente bedient. Festzuhalten ist, dass mit Hilfe von Regeln bestimmte Zwecke erreicht werden sollen. Wer Handlungsanweisungen gibt, hat mithin die Erwartung, dass bestimmte Zwecke auch tatsächlich erreicht werden. Wenn es Aufgabe dieser Regeln ist, die Tätigkeiten von Wissenschaftlern in der Institution „Wissenschaft“ zu steuern, dann lohnt sich offensichtlich ein Blick auf Vorschläge, die sich dieser Aufgabe widmen. Drei Typen von Regeln sollen unterschieden werden (Hübner, 1978, 86f): 1. Methodologische Regeln legen einerseits den Umgang mit Ergebnissen fest, wirken andererseits auf methodische Regeln ein. Eine methodologische Regel ist z.B. die Forderung, dass Hypothesen nachprüfbar sein müssen, d.h., dass es möglich sein muss, sie an der Erfahrung scheitern zu lassen. Aus dieser allgemeinen Regel lassen sich verschiedene Möglichkeiten von empirischen Prüfverfahren entwickeln, die z.B. durch Methoden des statistischen Hypothesentestens realisiert werden. Dies deutet darauf hin, dass methodische und methodologische Regeln in keinem deduktionslogischen, sondern eher in einem erfahrungsgetränkten Verhältnis zueinander stehen und somit Erfahrungen mit methodischen Regeln auf die methodologischen Regeln zurückwirken. Ein me- <?page no="40"?> 26 2 Wissenschaftstheorie und Forschungsprozess thodologisches Programm als zusammenfassendes Regelwerk hat ähnlich einer einzelnen Regel mindestens zwei Bestandteile (Danneberg, 1989, 138ff): (1) Es werden die Ziele und (2) die Mittel benannt, mit deren Hilfe die Ziele erreicht werden sollen. So bestimmt Popper für die Forderung, dass Hypothesen nachprüfbar sein müssen, das übergeordnete Ziel, dass sich unser Wissen über die Welt vermehrt. Eine wichtige Quelle für methodologische Regeln ist somit eine Methodologie, die als Lehre von den Methoden bezeichnet wird. Sie hat als eine Aufgabe, Methoden daraufhin zu beurteilen, ob und wie sie ihre Aufgaben erfüllen (Kamitz, 1980, 432). 2 Wird sie normativ aufgefasst, wie z.B. bei Popper, dann wird ein spezifisches methodologisches Programm vorgeschlagen. 2. Methodische Regeln schreiben vor, wie beim Einsatz von spezifischen Methoden vorgegangen werden soll. So werden beispielsweise bei einem Experteninterview Hinweise gegeben, wie Fragen offen formuliert werden sollten, oder bei der Auswertung mit Hilfe einer multiplen Regression wird angewiesen, dass die unabhängigen Variablen auf Multikollinearität geprüft werden sollen. Methodische Regeln beruhen auf den Zwecken, also auf dem, was mit der Methode erreicht werden soll. Im ersten Beispiel ist der Zweck, Informationen von einem sozialen Akteur zu erhalten, der über spezielles Wissen des zu untersuchenden Bereiches verfügt; im zweiten Beispiel wollen Forscher herausfinden, wie hoch der Einfluss mehrerer unabhängiger Variablen auf eine abhängige Variable ist. Hierzu ist es notwendig sich abzusichern, dass die unabhängigen Variablen nicht oder nur gering miteinander korrelieren, weil sonst der Aussagewert eher gering ist. 3. Ethische Regeln lassen sich in zwei Gruppen teilen. Erstens haben Sozialwissenschaftler und Sozialwissenschaftlerinnen Verantwortung gegenüber der Gesellschaft, weil sich ihre Ergebnisse auf Akteure auswirken (Maring, 2011, 166f). Wenn Politik beraten wird, und somit maßgeblich Einfluss auf eine Renten- oder Steuerreform haben, wird dieser Einfluss offensichtlich. Zweitens besteht eine Verantwortung innerhalb des Systems der Wissenschaft (Lenk und Maring, 1998, 295f), die sich in Regeln niederschlagen, wie sie in vielen Disziplinen als ethische Regelwerke niedergelegt sind. In diesen Ethik-Richtlinien wird meist beschrieben, wie nicht gehandelt werden sollen. Schlagwortartig beispielsweise mit den drei Buchstaben FFP: Fabrizieren, Fälschen und Plagiieren. Ethische Regeln wirken sich somit auf die (nicht) zu wählenden Handlungen im System Wissenschaft aus. ( ► Kap. 9.2.1) 2 Methodologie kann auch deskriptiv verwendet werden, so weist ihr Kaplan die Aufgaben der Beschreibung, Erklärung und Rechtfertigung zu (Kaplan, 1964, 23f). <?page no="41"?> 2.3 Dimensionen von Forschungsprogrammen 27 Die skizzierten Regeln lassen sich zwar getrennt beschreiben, hängen allerdings häufig dadurch zusammen, dass bestimmte Grundannahmen bei ihrem Aufstellen eine Rolle spielen. Häufig sind solche Grundannahmen Teil der Vorstellungen, die innerhalb eines Paradigmas oder Forschungsprogramms geteilt werden. 1. Ontologische Grundannahmen: Es werden Vorstellungen entwickelt, wie die soziale Realität beschaffen ist und welche sozialen Sachverhalte Gegenstand der Sozialwissenschaften sein sollen. Es bietet sich an, Erfahrungsobjekte und Erkenntnisobjekte zu unterscheiden (Amonn, 1911/ 1927, 21ff): 1. Die Erfahrungsobjekte beschreiben die Ausschnitte in der sozialen Realität (z.B. Institutionen), die für die Sozialwissenschaften von Relevanz sein sollen. Da nicht alles gleichzeitig untersucht werden kann, hat jede Wissenschaft ein Erkenntnisobjekt (oder einen Erkenntnisgegenstand). Mithilfe des Erkenntnisobjekts werden die sozialen Sachverhalte ausgewählt, welche die Wissenschaft untersuchen will. (Zelewski, 2008, 6). Erkenntnisobjekte beruhen auf Entscheidungen, die sich ändern können und die selbst innerhalb einer Wissenschaftlergemeinschaft unterschiedlich weit ausgelegt werden. Ein Beispiel aus der jüngsten Zeit ist sicherlich die Neurowissenschaft und ihre Einflüsse auf Disziplinen in den Sozialwissenschaften. Untersuchungen sozialwissenschaftlicher Sachverhalte auf Basis neurowissenschaftlicher Methoden verändern sicherlich das Erkenntnisobjekt, weil ihre kleinsten Einheiten der Betrachtung neurologische Sachverhalte und nicht z.B. Intentionen von Akteuren sind. In der Regel fließen in die Betrachtung von Erfahrungs- und Erkenntnisobjekt weitere ontologische Annahmen über die Beschaffenheit der sozialen Realität wie z.B. Annahmen über das Verhältnis von individuellen und kollektiven Sachverhalten oder Annahmen über die grundsätzliche Beschaffenheit der sozialen Realität. ( ► Kap. 3.1) 2. Epistemologische Grundannahmen: Dies sind die Vorstellungen, wie die soziale Realität erfahren werden kann. Die Erfahrung als die Quelle unserer Erkenntnis hat im Laufe der Entwicklung der Wissenschaft die der Vernunft zunehmend verdrängt (Poser, 2012, 200, Empirismus versus Idealismus). Damit rücken dann Fragen nach den Quellen der Erfahrung und wie sie sich auf den Wissenserwerb auswirken ins Blickfeld. Beispielsweise sind viele soziale Sachverhalte wie z.B. die Kultur einer Organisation der direkten menschlichen Wahrnehmung entzogen, trotzdem sollen sie durch empirische Untersuchungen erfahrbar gemacht werden. Wenn als mögliches Vorgehen die Befragung von Mitgliedern der Organisation gewählt wird, dann wird sich der Erfahrung anderer sozialer Akteure bedient. Mithin wird angenommen, dass soziale Sachverhalte zumindest indirekt erfahrbar (beobachtbar) sind (Schurz, 2014, 27 bezeichnet dies als minimalen Empirismus). Auf Basis solcher Annahmen entfalten sich <?page no="42"?> 28 2 Wissenschaftstheorie und Forschungsprozess die verschiedenen Methoden der empirischen Sozialforschung, mit denen soziale Realität untersucht wird. 3. Normative Grundannahmen: Sie speisen sich aus den unterschiedlichen ethischen Ansätzen, wie z.B. deontologische oder teleologische Theorien oder Tugendtheorien. So beruft man sich in einer kontinental-europäischen Tradition beispielsweise auf Immanuel Kant und seinen kategorischen Imperativ, während in angelsächsischen Ländern häufig eine utilitaristische Variante der Ethik anzutreffen ist, wie sie z.B. von Jeremy Bentham oder John Stuart Mill formuliert wurden. Während deontologische Ansätze Maximen oder allgemeiner - Pflichten - in den Vordergrund ihrer ethischen Diskussion rücken, betrachten teleologische Ansätze die Folgen von Handlungen (Ott, 2005 ). Tugendtheorien gehen auf Aristoteles zurück und rücken den Charakter von sozialen Akteuren in den Mittelpunkt. So leitet Williams (2003) aus der Tugend der Wahrhaftigkeit ab, dass Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler genau und aufrichtig sein sollen: Datenfälschungen und Manipulation von Methoden, um die liebgewonnene Hypothese zu bestätigen, sind daher zu unterlassen. Neben diesen ethischen Ansätzen wird auf unterschiedliche Werte verwiesen, die in der Wissenschaft zu beachten sind, wie dies besonders prominent für die Wahrheit als Wert gefordert wird ( ► Kap. 2.4). Die vorgestellten Regeln und Grundannahmen decken sicher nicht alle Phänomene des wissenschaftlichen Prozesses ab. Allerdings weisen sie auf wesentliche Hebel hin, an denen sich Veränderungen in der wissenschaftlichen Vorgehensweise zeigen lassen. Die hier vorgenommene Betrachtung des Wissenschaftsprozesses ist daher nützlich, wenn wissenschaftlicher Fortschritts betrachtet wird. Dann ist nicht nur auf die Veränderung von Aussagen - Ergebnis der Forschung -, sondern auch auf den Prozess und die Veränderungen der Regeln und Grundannahmen zu schauen. Die Dynamik in der Forschung, insbesondere gravierende Änderungen, sind häufig auf einen Wechsel im Prozess der Forschung bei den Regeln und Grundannahmen zurückzuführen (Poser, 2012, 208). Philosophiebox 2: Paradigma, Normalwissenschaft und Inkommensurabilität Zentraler Begriff der Kuhnschen Konzeption der Entwicklung der Wissenschaft ist das Paradigma. Dessen Verständnis wird jedoch dadurch erschwert, dass er diesen Begriff in verschiedenen Varianten verwendet. In seiner engen Verwendung sind mit Paradigmen die verschiedenen Problemlösungen innerhalb einer Wissenschaftsgemeinschaft gemeint (oberste Ebene in Abbildung 1), die ihnen als Vorbilder für die eigene Forschung dienen. Solche konkreten Problemlösungen findet man in den Lehrbüchern einer Wissenschaft, mit denen der wissenschaftliche Nachwuchs <?page no="43"?> 2.3 Dimensionen von Forschungsprogrammen 29 ausgebildet wird. Zukünftige Forschung soll in Analogie zu diesen Problemlösungen betrieben werden. Eng verbunden mit dem Paradigma ist die Normalwissenschaft, „die fest auf einer oder mehreren Leistungen der Vergangenheit beruht, Leistungen, die von einer bestimmten wissenschaftlichen Gemeinschaft eine Zeit lang als Grundlagen für ihre weitere Arbeit anerkannt werden.“ (Kuhn, 1962/ 1976, 25) Er charakterisiert die Tätigkeit in einer Normalwissenschaft als Rätsellösen. Diese Analogie besteht darin, dass wissenschaftlichen Tätigkeiten an bestimmte Regeln gebunden sind. Kuhn unterscheidet vier Bindungen: 1. Begriffe, Theorien und Gesetze, 2. Bindungen durch die Instrumente und den typischen Gebrauch dieser Instrumente, 3. Bindungen durch metaphysische Ansichten, 4. Bindungen durch das Selbstverständnis einer Wissenschaftsgemeinschaft. Forscher und Forscherinnen innerhalb einer Normalwissenschaft halten sich an die vier Bindungen und verhindern dadurch fundamentale Innovationen. Treten allerdings vermehrt Anomalien auf, die durch die Normalwissenschaft nicht geklärt werden können, so besteht eine Tendenz zur Ablösung des herrschenden Paradigmas. Neue Paradigmen lösen sich von den vier genannten Bindungen, schaffen neue Bindungen und damit eine neue Weltsicht. Kuhn spitzt die Unterschiede zwischen Paradigmen dadurch zu, dass er das Konzept der Inkommensurabilität einführt, das die prinzipielle Unüberbrückbarkeit der interparadigmatischen Unterschiede ausdrücken soll. Das Konzept der Inkommensurabilität wird verwendet, um nachzuweisen, dass zwischen Paradigmen kein rationaler Vergleich stattfinden kann. Wenn Begriffe, Methoden oder Erklärungen zwischen verschiedenen Theorien nicht vergleichbar sind, dann lässt sich wissenschaftlicher Fortschritt nicht rational erklären. Der Eintritt in ein neues Paradigma ähnelt dem Beitritt einer religiösen Gemeinschaft: Wissenschaft als Bekehrungsveranstaltung. Kuhn hat in seinen späten Schriften versucht, gegen die aus seiner Sicht unangemessenen Folgerungen anzuschreiben. Als erstes ersetzte er den Begriff des Paradigmas durch die disziplinäre Matrix, was allerdings praktisch folgenlos blieb. Aus einer generellen Unübersetzbarkeit zwischen Paradigmen, die ohnehin eine semantische Unmöglichkeit darstellt, wird eine lokale Inkommensurabilität, die sich auf einzelne Bestandteile (Begriffe und Aussagen) von Paradigmen bezieht. Die wichtigste Folgerung hieraus <?page no="44"?> 30 2 Wissenschaftstheorie und Forschungsprozess ist, dass von einer generellen Unübersetzbarkeit zwischen Paradigmen keine Rede sein kann. So wie auch unterschiedliche Sprachen und Kulturen erlernbar sind, ist dies auch für Theorien möglich. Und damit ist eine wichtige Voraussetzung für Kooperation gegeben: die Kommunikation über die Inhalte, Methoden zwischen Paradigmen. Darüber hinaus spricht viel dafür, dass Theorien auf Basis ihrer Leistungsfähigkeit verglichen werden. Denn wenn eine Theorie mehr (und relevantere) soziale Sachverhalte erklären kann, ist dies ein Maßstab der Vorzugswürdigkeit. Aus Sicht der Sozialwissenschaften ergeben sich weitere Einschränkungen seiner Analysen. In den Sozialwissenschaften gibt es meist mehrere koexistierende Paradigmen, die untereinander rivalisieren, und lokale Inkommensurabilität kann gleichzeitig auftreten und somit den Theorienvergleich erschweren. Darüber hinaus treten Super-Paradigmen auf, die sich über andere Paradigmen legen und weitere Rivalitäten begründen können, wie dies z.B. für die kontroversen Diskussionen über den Einsatz von qualitativen und quantitativen Methoden gut dokumentiert wird. Quellen: Hoyningen-Huene, 1989, Kornmesser und Schurz, 2014, Kuhn, 1962/ 1976, 1978a, 1983/ 2000, Stegmüller, 1980, Zammito, 2004 2.4 Wissen, Wahrheit und Validität Wird die Bezeichnung Wissenschaft wörtlich genommen, dann wird im Rahmen von wissenschaftlichen Forschungsprozessen Wissen geschaffen. Wodurch zeichnet sich Wissen und insbesondere wissenschaftliches Wissen aus? In der Erkenntnistheorie werden verschiedene Konzeptionen von Wissen diskutiert, hier soll die traditionelle Konzeption des Wissens verwendet werden: Wissen liegt dann vor, wenn eine Aussage wahr und gerechtfertigt ist (Baumann, 2015, 39). <?page no="45"?> 2.4 Wissen, Wahrheit und Validität 31 Wissen in Form von Theorien liegt demnach vor, wenn die Aussagen als Elemente von Theorien wahr und gerechtfertigt sind. 3 Damit ist keineswegs absolut sichere Wahrheit gefordert oder dass infallible Rechtfertigung vorliegt. Wissenschaft kann falsche Behauptungen über ihr Wissen aufstellen (Brendel, 2013, 33) und Rechtfertigungen sich als falsch herausstellen. Grundsätzlich ist unser Wissen somit fallibel. Sowohl die Wahrheit als auch die Rechtfertigung stellen daher zentrale Konzepte dar, um zu klären, ob die kognitiven Ziele der Wissenschaft erreicht werden. 2.4.1 Wahrheitstheorien Wenn die Suche nach Wahrheit als regulative Idee für die Wissenschaft gilt (Popper, 1963/ 2009, 355), dann sollen Aussagen, die auf Basis von Forschungsprozessen abgeleitet werden, wahr sein. Es werden drei Positionen herangezogen, die sich dem Projekt einer Wahrheitsdefinition aus unterschiedlichen Sichtweisen nähern und die für Forschungsprozesse und ihre Ergebnisse leitend sein können: Korrespondenztheorie der Wahrheit Kohärenztheorie der Wahrheit Konsenstheorie der Wahrheit Die drei Wahrheitstheorien sprechen verschiedene Facetten des Subjekt-Objekt Verhältnisses an (s. Abbildung 2). Die Korrespondenz bezieht sich auf das Verhältnis von Tatsachen in der sozialen Realität und den Aussagen, die wir Menschen darüber formulieren. Die Kohärenz bezieht sich auf das Verhältnis verschiedener Aussagen untereinander und die Konsenstheorie auf das Verhältnis der Subjekte zu den Aussagen. Wahrheit als regulative Idee für die theoretischen Ziele von Wissenschaft wie Beschreibung, Erklärung und Verstehen lässt sich an diesen drei Betrachtungen orientieren (Ott, 1997, 331). Da in Diskussionen um Wahrheitstheorien auch häufig das Verhältnis von erkennendem Subjekt zu erkennendem Objekt ins Spiel gebracht wird, werden 3 Edmund Gettier (1963) hat mit einer Reihe von Beispielen diese Definition in Frage gestellt und damit eine Debatte entfacht, aus der eine Fülle von Wissenstheorien entstanden sind (Matthiessen und Willaschek, 2010, 3013ff). Ich bevorzuge den traditionellen Wissensbegriff, weil in ihm Ideale der Wissenschaft wie Wahrheit und Rechtfertigung (Begründung) enthalten sind (Tetens, 2013, 17ff), und weil Wissenschaft durch ihre systematisch-methodische Vorgehensweise die Zufälligkeit des Wissenserwerbs, die die Gettier- Beispiele prägt (Brendel, 2013, 51), zu verhindern sucht. M.E. führt dies daher zu einem ähnlichen Ergebnis, wie das Prinzip der epistemischen Methodensicherheit von Elke Brendel (2013, 65ff). <?page no="46"?> 32 2 Wissenschaftstheorie und Forschungsprozess Wahrheitstheorien auf Basis ontologischer Annahmen analysiert. Obwohl ontologische Theorien nicht zwingend mit Wahrheitstheorien verbunden sind, werden sie meist in Kombinationen angeboten. Wird vom Realismus ausgegangen, wird eine vom menschlichen Subjekt unabhängige Realität vorausgesetzt, die erkannt wird; insbesondere ist es unerheblich, welche Vorstellungen Menschen von der Realität haben. Der Anti-Realismus, z.B. Idealismus, Konstruktivismus oder einige Positionen im Pragmatismus, setzt hingegen den Primat beim menschlichen Subjekt und bestreitet die Unabhängigkeit der Realität vom Subjekt. Diese Position geht vielmehr davon aus, dass der Mensch durch seine kognitiven Systeme die Realität strukturiert oder - in überspitzten Fassungen - die Realität erst durch die Vorstellungen, die sich der Mensch von ihr macht, erzeugt. Anhänger des Realismus tendieren eher zur Korrespondenz - typische Vertreter sind Hans Albert, John Austin, Karl Popper, John Searle, anti-realistische Positionen neigen eher zur Kohärenz oder zum Konsens als Kriterium der Wahrheit - typische Vertreter sind Karl-Otto Apel, Jürgen Habermas, Charles Peirce, Nicholas Rescher. Abbildung 2: Drei Ebenen von Wahrheitstheorien Wahrheit aus Sicht der Korrespondenztheorie wird durch ein Verhältnis der Realität und der Aussagen einer Theorie bestimmt. Es wird eine Korrespondenz der Aussagen mit den Tatsachen, die in den Aussagen behauptet werden, ange- <?page no="47"?> 2.4 Wissen, Wahrheit und Validität 33 nommen (Popper, 1973, 59). Sie liegt vor, wenn z.B. behauptet wird, dass Schnee weiß ist und dies auch in der Realität so ist (Searle, 1997, 209). Somit wird deutlich, was damit gemeint ist, dass die Korrespondenztheorie von einer subjektunabhängigen Realität ausgeht. Denn es muss eine unabhängige Prüfung der Realität stattfinden, um diese Korrespondenz festzustellen. Für Popper ist daher eine erfolgreiche Falsifikation einer Aussage ein wichtiges Argument für den Realismus (Popper, 1973, 219f). Gegen die Korrespondenztheorie wird eingewendet, dass es sich beim Vergleich von Aussagen und Tatsachen um den Vergleich zwischen verschiedenen ontologischen Entitäten handelt (Kirkham, 1995, 134ff). Unklar ist dann, wie dieser Vergleich vorgenommen werden soll und damit, was Korrespondenz bedeutet. Da die Tatsachen, ebenso wie die Aussagen der Theorie, in sprachlicher Form vorliegen, werden sprachliche Aussagen verglichen (Austin, 1950/ 1986, 161): Wir haben keinen sprachunabhängigen Zugang zu den Tatsachen (Lafont, 1994, 1009). Somit ist die Beziehung zwischen sprachlichen Aussagen und den zu ihnen korrespondierenden Tatsachen unklar. Wer an der Intuition der Korrespondenz festhält, dem bleibt nur die Annahme, Tatsachen als Wahrmacher anzuerkennen, die durch geeignete Methoden in sprachliche Form gebracht werden. So auch die Formulierung von Albert: „Sie kann als die Idee der zutreffenden Darstellung von Sachverhalten aufgefasst werden, auf die man sich mit sprachlichen Mitteln beziehen kann“ (Albert, 1982, 16). Sie sind dann als Beobachtungsaussagen qualifiziert, die mit den Aussagen der Theorie verglichen werden. Offensichtlich hängt bei diesem Schritt viel davon ab, ob geeignete Methoden zur Verfügung stehen, die verständlich machen, was eine zutreffende Darstellung ist. Vertreter von epistemischen Wahrheitstheorien sehen das Primat im menschlichen Subjekt. Sie rücken nicht die Tatsachen oder das Verhältnis von Aussagen mit den Tatsachen in das Blickfeld, sondern die Aussagen werden zum Gegenstand der Wahrheitskonzeption. So steht in einer Kohärenztheorie eine konsistente Eingliederung der Aussage in ein bestehendes Aussagensystem im Vordergrund (Gloy, 2004, 168). Kohärenz wird mit zwei Eigenschaften beschrieben: Konsistenz und Verbundenheit (Rescher, 1980, 371f). Eine minimale Anforderung an Konsistenz ist die Widerspruchsfreiheit. Fügt sich die Aussage ohne Widerspruch ein, dann gilt sie als kohärent und damit wahr (Davidson, 2003c, 235). Das gelingende Einfügen beruht auf der Verbundenheit der Aussage mit anderen Aussagen. Kohärenz ist daher für die Wahrheit von Theorien, die als ein System von Aussagen aufgefasst werden, eine wichtige Eigenschaft. Ein Vorzug der Kohärenz ist es, dass bei einem Vergleich von Aussagen keine metaphysischen Annahmen über die Realität gemacht werden müssen. Allerdings wird dies mit dem Nachteil erkauft, <?page no="48"?> 34 2 Wissenschaftstheorie und Forschungsprozess dass nicht klar ist, welche Entität als Wahrmacher wirkt (Rescher, 1980, 366f). Wenn die Eigenschaft der Kohärenz als Wahrmacher angesehen wird, dann wird gezeigt, was ohnehin vorausgesetzt ist. Bertrand Russell formuliert dies so: „Die Gesetze der Logik bilden … den Rahmen, innerhalb dessen wir Sätze auf Kohärenz testen können, sie selber können nicht mehr durch einen solchen Test geprüft werden“ (Russell, 1912/ 1967, 109). Ein weiteres Problem ist die Möglichkeit, dass es mehrere kohärente Systeme von Aussagen geben kann, mit deren Hilfe soziale Sachverhalte erklärt werden können (Künne, 2003a, 391f). Willard Van Orman Quine bezeichnet dies als Unterbestimmtheit von Interpretationen, die besagt, dass es verschiedene, nicht miteinander vereinbare Interpretationen geben kann, die als möglich angesehen werden (Quine, 1995, 142). Eine Konsenstheorie rückt hingegen eine idealtypische Gemeinschaft in den Mittelpunkt. In seiner frühesten Form hat Charles Peirce eine Variante ins Spiel gebracht, die auf die Gemeinschaft der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler abstellt. Eine Konsenstheorie der Wahrheit lässt sich mit der folgenden Aussage charakterisieren (Peirce, 1878/ 1967, 349f): Eine Aussage x ist genau dann wahr, wenn gilt: wenn eine idealtypische Forschergemeinschaft immer weiter (unendlich) und gründlich forscht, werden „schließlich alle Forscher x akzeptieren“ (Künne, 2003b, 166). Jürgen Habermas hat dieses Konzept in seiner Theorie des kommunikativen Handelns weiterentwickelt, indem er die Bedingungen, die zum Konsens führen sollen, beschrieben hat. Er hat hierfür das Konstrukt der idealen Sprechsituation geschaffen, die sich insbesondere durch die Chancengleichheit der Diskursteilnehmenden auszeichnet, ihre Aussagen im Diskurs zur Geltung zu bringen (Habermas, 1973, 252ff). 4 Die pragmatische Auffassung geht von einem rational geführten Diskurs aus: Alle, die am Diskurs teilnehmen, stimmen zu, dass sie für die Behauptung der Wahrheit einer Aussage gute Gründe anführen müssen. Das in der Beschreibung angeführte Adjektiv „gründlich“ deutet darauf hin, dass es gewisse Anforderungen an den Prozess und insbesondere die Methoden gibt, die als gute Gründe gelten. Karl-Otto Apel beschreibt sie als ideale kommunikative und epistemische Bedingungen des potentiell unendlichen Prozesses (Apel, 2003, 196). 4 Er hat sie später als idealisierte Rechtfertigungsbedingungen charakterisiert, das sind Öffentlichkeit und Inklusion, gleichberechtigte Partizipation, Ausschluss von Illusion und Täuschung sowie Abschirmung gegen interne und externe Zwänge (Habermas, 2009, 26). <?page no="49"?> 2.4 Wissen, Wahrheit und Validität 35 Während es in der Kohärenztheorie um die Beziehung zwischen Aussagen geht, wird in der Konsenstheorie ein idealtypischer Prozess beschrieben, wie sich Menschen auf eine Aussage als wahr einigen. Beide Konzeptionen sind jedoch still, wenn es um die Frage geht, wie der Bezug der Aussage zu ihren Gegenständen beschaffen ist (Gloy, 2004, 221). Sie müssen daher voraussetzen, dass die Überzeugungen, die sie betrachten, bereits wahr sind. Damit zeigt sich, dass sie beide ohne die Intuition, die mit der Korrespondenz verbunden ist, nicht auskommen (Ott, 1997, 331, Rescher, 1980, 367). 5 Auch wenn sich keine Wahrheitstheorie den anderen gegenüber als überlegen ausweist, mithin der Eindruck entsteht, dass es vielleicht fruchtlos ist, eine Definition von Wahrheit anzustreben, verdanken wir der Diskussion eine Reihe von Einsichten. Sie können auch dann verwendet werden, wenn Wahrheit als grundlegender Begriff der Philosophie angesehen wird, der sich einer expliziten Definition entzieht (Davidson, 2003c, 237). Die Korrespondenz entspricht einer intuitiv von vielen Akteuren geteilten Auffassung von Wahrheit. Von wissenschaftlichen Aussagen, die sich auf die soziale Realität beziehen, wird erwartet, dass sie dieser sozialen Realität entsprechen, mithin „was tatsächlich der Fall ist“ (Rescher, 1980, 367). So soll eine Aussage wie „Privatwirtschaftliche Banken streben nach Gewinn“ der Tatsache entsprechen, dass alle privatwirtschaftlichen Banken nach Gewinn streben. 6 Korrespondenz „hält … den Gedanken fest, daß die Wahrheit vom So-Sein der Welt abhängt“ (Davidson, 2008c, 46). Da wissenschaftliche Aussagen hypothetischen Charakter haben, kann diese Aussage auch nicht wahr - fallibel - sein. Ferner ist es mit der Prüfung auf Kohärenz möglich, Aussagen einer Theorie als wahr oder falsch auszuzeichnen. In einer Theorie von privaten Unternehmen in einer marktwirtschaftlich organisierten Gesellschaft gibt es die Aussage, dass nach Gewinn gestrebt wird. Eine Aussage, die dem widerspricht, ist inkonsistent, d.h., eine Aussage „Privatwirtschaftliche Banken streben nicht nach Gewinn“ ist als falsch auszuweisen. Angemerkt sei, dass 5 Habermas hat sich dieser Auffassung von Wahrheit inzwischen angeschlossen (Habermas, 1999, 52ff). 6 Dieser Satz ist eine typische Formulierung einer deflationistischen Wahrheitstheorie, bei der - wie in meinem Satz - die Zitatstriche weggelassen werden: „Wahrheit ist Zitattilgung“ (Quine, 1995, 113). Gemeinsam ist den Varianten deflationärer Theorien (Brendel, 2017), dass sich ihnen nicht entnehmen lässt, was Merkmale eines allgemeinen Wahrheitsbegriffs sein könnten (Brendel, 2017, 349, Davidson, 2005, 163); daher habe ich sie nicht berücksichtigt. <?page no="50"?> 36 2 Wissenschaftstheorie und Forschungsprozess dies auch dazu genutzt werden kann, falsifizierende Aussagen aufzustellen, um geeignete Prüfungen für die Aussagen einer Theorie zu konstruieren. Weiterhin ist ein Konsens immer wieder notwendig, um sich über wichtige Fragen des Forschungsprozesses, der Voraussetzungen und Ergebnisse der Forschung zu verständigen. Im wissenschaftlichen Diskurs wird erwartet, dass Aussagen auf ihren Wahrheitsgehalt geprüft werden. Dieser Gehalt soll mit überzeugenden Gründen eingelöst werden und andere Teilnehmer sind bereit, „sich durch gute Gründe überzeugen zu lassen“ (Ott, 1997, 335). Dies betrifft die Ergebnisse aber auch die Festlegung von Protokollsätzen, Konventionen für statistische Tests von Aussagen wie Signifikanzniveaus und Effektgrößen oder Kriterien für Qualität der Forschungsergebnisse. Konventionen werden in Wissenschaftsgemeinschaften wie z.B. dem Verein für Socialpolitik oder der APA (American Psychological Association) festgelegt oder durch Konsens erreicht. Veränderungen von Konventionen werden durch Diskussionen innerhalb der Gemeinschaft angestoßen, in denen ein Konsens erreicht wird (Laudan, 1984, 73). Der Konsens bezieht sich somit nicht nur auf Ergebnisse der Forschung, vielmehr werden die Regeln und Festlegungen der Forschung ausdrücklich einbezogen. 2.4.2 Wahrheit und Rechtfertigung Ein prominenter Kritiker der vielen aus seiner Sicht erfolglosen Versuche, die Wahrheit zu definieren, zieht die Konsequenz, auf den Wahrheitsbegriff ganz zu verzichten: Richard Rorty bringt daher die Rechtfertigung ins Spiel und argumentiert: „Bewertung der Wahrheit und Bewertung der Begründung sind dann, wenn es um die Frage geht, was ich jetzt glauben soll, ein und dieselbe Tätigkeit“ (Rorty, 2000, 27). Die Wahrheit als regulative Idee ist jedoch nicht mit der Rechtfertigung gleichzusetzen, sie ist ihr vielmehr übergeordnet. Als ein Ideal von Wissenschaft, denn „Wissenschaft steht und fällt mit ihrem Wahrheitsanspruch“ (Tetens, 2013, 18), zeichnet sie sich durch eine Besonderheit aus: Wenn eine Aussage als wahr ausgezeichnet wird, dann ist dies eine absolute Eigenschaft (Grundmann, 2017, 29). Die Wahrheit der Aussage ändert sich weder mit der Zeit noch mit der Person, sie gilt „als eine »unverlierbare« Eigenschaft von Aussagen“ (Habermas, 1999, 247). Um zu Wissen zu gelangen, müssen Aussagen gerechtfertigt werden, d.h., es gibt gute Gründe, warum sie als wahr angesehen werden. Rechtfertigungen sollen es uns ermöglichen, dass wir uns der Wahrheit nähern. Welche Eigenschaf- <?page no="51"?> 2.4 Wissen, Wahrheit und Validität 37 ten hat eine Rechtfertigung, die das leistet? Eine (epistemisch) 7 gerechtfertigte Aussage liegt dann vor, wenn 1. überhaupt Gründe vorliegen, 2. die Gründe die Aussage stützen und 3. die Gründe adäquat sind (Grundmann, 2017, 171). Bei der Beurteilung von Forschung ist daher auf die Gründe zu achten, die für die Rechtfertigung angeführt werden. In der Wissenschaft ist eine Möglichkeit, Aussagen zu rechtfertigen, aufzuzeigen, dass zur Erlangung des Wissens adäquate Methoden eingesetzt werden. An diesen Gedanken knüpft eine neuere Theorie des Wissens an: der Reliabilismus. Im Kern wird angenommen, dass wenn ein Prozess sehr häufig zu wahren Aussagen führt, er als besonders zuverlässig im Sinne des Reliabilismus gilt (Baumann, 2015, 64ff, Goldman und Beddor, 2016). Diese Idee ist in der Praxis der Sozialwissenschaft verankert und die Reliabilität wird neben der Validität als guter Grund angeführt, um Aussagen einer Theorie zu rechtfertigen. 2.4.3 Validität und Zuverlässigkeit als Gütekriterien von Forschung Zur Validität gibt es im Wesentlichen zwei Auffassungen: 1. Validität ist eine Eigenschaft von Messungen (Tests) (Borsboom, Mellenbergh und Heerden, 2004, 1061), 2. Validität ist eine Eigenschaft von Schlüssen, die auf Basis von Messungen (Tests) gezogen werden (Messick, 1989, 13). Da sich beide Konzeptionen nicht gegenseitig ausschließen, können sie miteinander verbunden werden (Hood, 2009, 457). Die zweite Konzeption hat jedoch den Vorteil, dass sie sich prinzipiell auf jede Form von Schlussfolgerung beziehen kann. Sie soll daher im Folgenden zugrunde gelegt werden. Der Verengung auf Messen oder Testen, wie sie sich in beiden Konzeptionen widerspiegelt, wird nicht gefolgt. Unter Validität wird daher eine Eigenschaft von Schlussfolgerungen verstanden, die auf Basis von Methoden und ihren Ergebnissen gezogen werden. Wenn in diesem Buch von einer validen Untersuchung, einer validen Methode oder von validen Ergebnissen gesprochen wird, ist damit immer 7 Rechtfertigungen werden in verschiedenen Kontexten diskutiert; neben den epistemischen Rechtfertigungen, die zur Rechtfertigung von Wissen dienen, sind ethische Rechtfertigungen zu nennen, in denen ethische Gründe eine prominente Rolle spielen (Grundmann, 2017, 169). Im Folgenden wird aus dem Kontext ersichtlich, welche Rechtfertigungsart gemeint ist. <?page no="52"?> 38 2 Wissenschaftstheorie und Forschungsprozess verkürzend von den Schlussfolgerungen die Rede, die auf ihrer Basis gezogen werden. Um eine Validierung vorzunehmen, sind daher zunächst die Interpretations- und Verwendungsargumente aufzustellen, welche z.B. eine Beziehung zwischen dem beobachteten Verhalten und einem Testwert oder die Generalisierung auf einen größeren Kontext herstellt (Kane, 2013, 10). Da die Ergebnisse zur Entscheidung verwendet werden, sind auch diese Schlüsse in die Betrachtung einzubeziehen. Alle aufgezählten Schlüsse setzen sich aus verschiedenen Aussagen wie den Annahmen, Messtheorien etc. zusammen. Ihr jeweiliger Zusammenhang ist abhängig von der Art der Validität (Beispiel ► Kap. 6.3.3). Mit Validitätsargumenten werden Interpretations- und Verwendungsargumente bewertet und ein Urteil über ihre Validität abgeschätzt (Kane, 2013, 14). Beispiel 1: Validität In einer empirischen Untersuchung wird versucht, herauszufinden, wie nach einem vertrauenszerstörenden Ereignis der Vertrauensnehmer mit Hilfe von Rechenschaftsabgabe (social accounts) Vertrauen zurückgewinnen kann. Die Rechenschaftstypen werden durch Interpretation der Briefe von Bankvorständen erhoben. Die Zuordnung von Äußerungen in einem Text zu einem Typ lässt sich als Argument darstellen, mit der Zuordnung als Behauptung, die durch theoretische Vorüberlegungen gestützt wird. Ebenso zentral für die Untersuchung ist die Operationalisierung von Vertrauen. Wer über ein valides Instrument (! ) zum Messen von Vertrauen verfügt, d.h., das Instrument misst wirklich Vertrauen und nicht etwas anderes, der hat zumindest eine Gruppe von Validitätsbedrohungen adressiert. Um das Untersuchungsziel zu erreichen, sind jedoch noch weitere Validitätsbedrohungen zu erkennen und mit entsprechenden Maßnahmen zu begegnen. Validitätsbedrohungen sind Stör- oder Fehlergrößen, die in empirischen Untersuchungen auftreten und die die Ergebnisse erheblich beeinflussen können. Um aussagefähige Ergebnisse zu erhalten, ist es notwendig, die möglichen Störvariablen zu kennen, um ihnen entgegenwirken zu können. Je besser dies in einer Untersuchung gelingt, desto zuverlässiger sind die Ergebnisse einzuschätzen. Reliabilität bezeichnet somit die Zuverlässigkeit von Aussagen, die auf Basis einer Methode abgeleitet werden (Kane, 2013, 3). Validität und Reliabilität sind Eigenschaften, die durch Methoden oder Untersuchungsdesigns erzeugt werden. Sie hängen dadurch zusammen, dass eine Methode, welche die Stör- und Fehlergrößen nicht beseitigen kann, bei jedem Einsatz ein anderes Ergebnis erzeugt. Mit sinkender Reliabilität geht auch die Validität zurück: Somit ist die Reliabilität eine notwendige Voraussetzung der Validität (Hood, 2009, 462). <?page no="53"?> 2.4 Wissen, Wahrheit und Validität 39 Validität ist eine Eigenschaft von Schlussfolgerungen. Soll die Eigenschaft konkretisiert werden, dann müssen die Methode und ihre Ergebnisse angegeben werden. Meist wird dann der Begriff Validität mit Zusätzen spezifiziert, wie bei den folgenden Unterscheidungen: 1. Validität für Untersuchungsdesigns: interne und externe Validität (Taylor, 2013, 11ff). 2. Validität für Methoden und Messinstrumente: Konstruktvalidität (Taylor, 2013, 19f). Validität ist somit das zentrale Konzept einer Validitätstheorie, die verschiedene Validitätskategorien und Strategien der Validierung untersucht. Unterschiedliche Kategorien oder Unterbegriffe der Validität entstehen durch die vielen Schlüsse, die während einer wissenschaftlichen Untersuchung notwendig sind und die sich beispielsweise auf die Auswahl der Untersuchungsobjekte, die Messung von Variablen, die statistische Auswertung von Daten oder die Interpretation von Interviewdaten beziehen. Somit gibt es ausgehend vom Allgemeinbegriff der Validität eine Reihe von Unterbegriffen. Als Zwischenfazit lässt sich daher zur Validität konstatieren: Mit ihrer Hilfe wird die Qualität von wissenschaftlicher Forschung beurteilt; sie wirkt wie ein Standard der Forschung. Validität ist eine graduelle und nicht wie die Wahrheit eine zweiwertige Eigenschaft (wahr, falsch). Die Gütebeurteilung bezieht sich auf den Zusammenhang von Empirie und Theorie: Es soll Auskunft gegeben werden, wie gut die empirischen Befunde einer Untersuchung die Theorie stützen. Sie wird daher in hypothesengenerierenden und hypothesentestenden Untersuchungen eingesetzt. Sie ist eine Eigenschaft der Schlussfolgerungen oder der Urteile, die auf Basis von empirischen Evidenzen gefällt werden (Messick, 1995, 741, Shadish, Cook und Campbell, 2002, 34, Zumbo, 2009, 68). Als ein wesentlicher Bestandteil der Argumente gehen methodische Regeln als Prämissen ein, d.h., die Validität bezieht den Status von Hilfs- und Messtheorien in die Beurteilung ein. Validität gibt damit gute Gründe, die im Rahmen der Rechtfertigung verwendet werden und zu ihrer Funktion beitragen, wahrheitsfördernd zu sein. Von daher wird die Konzeption von William Shadish, Thomas Cook und Donald Campbell verständlich, Validität ausdrücklich mit der Wahrheitsnähe zu verknüpfen: „We use the term validity to refer to the approximate truth of an inference” (Shadish, Cook und Campbell, 2002, 34). Mit Wahrheitsannäherung ist eine qualitative Einschätzung verbunden, dass es keine absolute Wahrheit gibt und dass wir trotz gewis- <?page no="54"?> 40 2 Wissenschaftstheorie und Forschungsprozess senhafter Prüfung unseres Wissens nie sicher sein können, über die Wahrheit zu verfügen. Validität ist daher ein Konzept, mit dem eine zusammenfassende Einschätzung über die Annäherung zur Wahrheit der Aussagen einer wissenschaftlichen Untersuchung gegeben werden soll. Dazu ist es notwendig, alle Schlüsse, die auf Basis von wissenschaftlichen Untersuchungen gezogen werden, in einen kohärenten Zusammenhang zu bringen (Kane, 2006, 23ff). Zusammenfassung Wissenschaftstheorie beschäftigt sich mit den ontologischen, logischen, methodologischen, handlungstheoretischen und ethischen Fragen von Wissenschaft. Sie normativ zu verstehen, ist eine Möglichkeit, sie von Wissenschaftssoziologie und -geschichte abzugrenzen. Die wesentlichen kognitiven Ziele von Wissenschaft sind Verstehen, Beschreibung, Erklärung, Prognose (Vorhersage) und Gestaltung. Kurzgefasst zielt Verstehen auf das Symbol- und Sprachverstehen, wie sie häufig in Textprotokollen vorliegen. Mittels Beschreibung sozialer Sachverhalte werden Begriffe erfasst und in einen Zusammenhang gebracht. Erklärung baut auf Regelmäßigkeiten (Gesetzen) auf und versucht, auf dieser Basis soziale Sachverhalte einer Ursache- Wirkungs-Analyse zu unterziehen. Wenn die Erklärung erfolgreich ist, wird erhofft, auf dieser Basis Prognosen zu erstellen. Mit der gleichen Begründung wird vermutet, dass Ursache-Wirkungs-Analysen zu Ziel- Mittel-Analysen umgeformt werden und somit Gestaltungsempfehlungen gegeben werden können. Mithilfe verschiedener Dimensionen werden wissenschaftliche Forschungsprogramme beschrieben. Im Zentrum der Wissenschaftstheorie stehen die methodischen, methodologischen und ethischen Regeln, die für die Entscheidungen während des Wissenschaftsprozesses und für die Beurteilung ihrer Ergebnisse eingesetzt werden. Methodologische Regeln sind Handlungsanweisungen, wie mit Methoden und Ergebnissen umzugehen ist. Sie wirken damit auch direkt auf methodische Regeln ein. Wenn Hypothesen zu Fall gebracht werden sollen, wie es eine Methodologie der Falsifikation fordert, sind Hypothesentests entsprechend auszugestalten. Ethische Regeln dienen im Forschungsprozess dazu, wichtige Werte in der Wissenschaft zu verankern. Wahrheit wird als regulative Idee vorgestellt. Auch wenn es keine Theorie der Wahrheit gibt, die sich durchgesetzt hat, können ihnen <?page no="55"?> 2.4 Wissen, Wahrheit und Validität 41 jedoch Einsichten entnommen werden, die zur Beurteilung in der Wissenschaft hilfreich sind. Korrespondenz gibt den Gedanken wieder, dass soziale Sachverhalte, wie sie in einer Theorie formuliert sind, mit dem So-Sein der sozialen Welt übereinstimmt. Mit der Kohärenz ist ein Vergleichstest einer Aussage und einem bestehenden Aussagesystem verbunden, um sie als wahr oder falsch auszuzeichnen. Konsens dient der Verständigung über Aussagen im Rahmen von wissenschaftlichen Diskursen. Validität wird als eine Eigenschaft von Schlussfolgerungen verstanden, die auf Basis von Methoden und ihren Ergebnissen gezogen werden. Validität wird in Graden festgestellt. Sie ist eine Möglichkeit, über die Wahrheitsnähe von Aussagen zu informieren und über die Qualität von Forschung Auskunft zu geben. Reliabilität ist die Zuverlässigkeit von Methoden. Wenn Stör- und Fehlergrößen auftreten, gefährdet dies die Validität; Reliabilität ist somit eine notwendige Voraussetzung von Validität. Schlüsselwörter Beschreibung (21) Erklärung (21) Erfahrungsobjekt (27) Erkenntnisobjekt (27) Forschungsprogramm (23) Gestaltung (21) Idealismus (32) Inkommensurabilität (29) Kohärenztheorie (33) Konsenstheorie (34) Korrespondenztheorie (32) Methode (22) Methodologie (26) Paradigma (28) Prognose (21) Rechtfertigung (37) Regel (23) Regel, methodologische (25) Reliabilität (38) Validität (37) Verstehen (20) Wahrheit (31) Werturteil (22) Wissen (30) Wissenschaft (18) Wissenschaftstheorie (19) Lernkontrolle 1. Grenzen Sie die Wissenschaftstheorie von der Wissenschaftsphilosophie ab. Gehen Sie auch auf die Unterschiede zur Wissenschaftsgeschichte und -soziologie ein. 2. Definieren Sie die Wissenschaftstheorie. 3. Nennen Sie die kognitiven Wissenschaftsziele. 4. Beschreiben Sie kurz die wesentlichen Aufgaben, die mit den Ihnen bekannten Wissenschaftszielen verbunden sind. <?page no="56"?> 42 2 Wissenschaftstheorie und Forschungsprozess 5. Beschreiben Sie die Dimensionen von Forschungsprogrammen. 6. Was sind wissenschaftliche Regeln? 7. Diskutieren Sie die Bedeutung von methodologischen Regeln für die Wissenschaft. 8. Erläutern Sie eine methodologische Regel des kritischen Rationalismus. 9. Worin unterscheiden sich methodische und methodologische Regeln? 10. Was sind die Grundannahmen eines wissenschaftlichen Forschungsprogramms und welche kennen Sie? 11. Wie ist Wissen definiert und welche Theorie der Rechtfertigung bietet sich für das Wissen in der Wissenschaft an? 12. Erläutern Sie den korrespondenztheoretischen Wahrheitsbegriff und gehen Sie auf seine Nachteile ein. 13. Welche Einsichten entnehmen Sie, trotz der Kritik an beiden Theorien, der Kohärenztheorie und der Konsenstheorie der Wahrheit? 14. Diskutieren Sie, warum es trotz der Uneinigkeit über den Wahrheitsbegriff sinnvoll ist, an ihm festzuhalten. 15. Erläutern Sie den Unterschied von Validität und Wahrheit. 16. Diskutieren Sie die beiden Auffassungen zur Validität. 17. Erklären Sie, warum es neben der Validität noch der Reliabilität bedarf, um die Qualität von wissenschaftlichen Methoden zu beurteilen. Kommentierte Literaturempfehlungen Zur Pflichtlektüre gehört sicherlich das Werk von Thomas Kuhn, das ihn berühmt gemacht hat: Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen (1962/ 1976); weitere Aufsätze finden sich in Kuhn (1978a). Eine umfassende Monographie zu Kuhn stammt von Hoyningen-Huene (1989). Wer sich für Weiterentwicklungen der Gedanken von Kuhn interessiert, findet viele Hinweise in Conant und Haugeland (2000). In der von Kornmesser und Schurz (2014) herausgegebenen Monographie findet sich eine ausführliche Auseinandersetzung mit dem Paradigma-Begriff in den Sozialwissenschaften. Die meistdiskutierte Alternative zu Kuhn ist sicherlich die von Lakatos: Seine wissenschaftlichen Forschungsprogramme hat er in Lakatos (1974) beschrieben, ein kritischer Vergleich beider Konzeptionen mit den Ideen von Popper liefert Andersson (1988) und nicht so ausgewogen Agassi (2014). Ich habe einige Passagen dieses Kapitels aus meinem Aufsatz Brühl (2006b) entnommen. Es gibt zwei Monographien zu den methodischen Regeln des kritischen Rationalismus, deren Lektüre sich lohnt, eine frühe von Johansson (1975) und eine ausführlichere von Jarvie (2001); aktuelle Diskussionen finden sich in Nola und Sankey (2007) und Gadenne (2006). <?page no="57"?> 2.4 Wissen, Wahrheit und Validität 43 Die Literatur zum Konzept der Wahrheit ist sehr umfangreich. Einen ersten fundierten Überblick vermittelt der Aufsatz von Künne (2003b) und das Kapitel über Wahrheit in Grundmann (2017). Einen konzisen Überblick über die aktuellen Diskussionen verschafft die Monographie von Wrenn (2015); empfehlenswert sind auch die Werke von Kirkham (1995) und Gloy (2004). Die Diskussionen über den Wissensbegriff sind ausführlich dargestellt in Brendel (2013); in den Bänden zur Erkenntnistheorie von Baumann (2015) und Grundmann (2017) finden sich darüber hinaus die Diskussionen um den Begriff der Rechtfertigung. Im „Handbuch Erkenntnistheorie“ hrsg. v. Grajner und Melchior (2019) finden sich viele Artikel zu den hier angesprochenen Themen. Validität wird intensiv in der Methodenliteratur der Psychologie und Pädagogik diskutiert. Zentral für meine Ausführungen sind die beiden Handbuchartikel von Messick (1989), Kane (2006) sowie ein weiterentwickelter Entwurf in Kane (2013). Ein Gegenentwurf ist dokumentiert in einer Kurzform in Borsboom et al. (2004) sowie in der Monographie von Markus und Borsboom (2013), eine gute Diskussion beider Ansätze findet sich in Hood (2009). <?page no="58"?> 3 Ontologische Festlegungen für die Sozialwissenschaft 3.1 Sachverhalte in einer Ontologie des Sozialen Stößt man auf Äußerungen, in denen Worte wie ontologisch oder Ontologie auftauchen, so wird es häufig grundsätzlich. Was aber ist Ontologie? „Interessant am Problem der Ontologie ist seine Einfachheit. Es kann mit drei deutschen Worten beschrieben werden: »Was gibt es? « Mehr noch, es kann mit einem einzigen Wort beantwortet werden: »alles« - und jeder würde diese Antwort als wahr akzeptieren“ (Quine, 1951/ 1979a, 9). Die allgemeine Ontologie beschäftigt sich daher mit dem Seienden und seinen Gegenständen (Entitäten) sowie den „Grundstrukturen des Wirklichen und Nichtwirklichen auf einer ganz allgemeinen Ebene“ (Meixner, 2004, 9). Diese Grundstrukturen werden beschrieben, d.h., in der allgemeinen Ontologie wird deskriptiv gearbeitet. Ontologische Aussagen können aber über die tatsächlichen (phänomenalen) Gegebenheiten in der Welt hinausgehen, wenn Alternativen zu den Grundstrukturen diskutiert werden (Liske, 2004, 18ff). Die Grundstrukturen alles Seienden schließt dann alles Reale, aber auch alles Mögliche und Unmögliche ein, also nicht nur Esstische, sondern auch James Bond oder Einhörner. In jeder Wissenschaftsdisziplin stellt sich daher die Frage, welche grundlegenden Gegenstände sie betrachten will. Eine Sozialontologie, als Lehre von den sozialen Kategorien (Scholz, 2008, 1229), beschreibt daher, aus welchen Gegenständen die soziale Welt besteht und wie die allgemeinen Zusammenhänge zwischen diesen Gegenständen strukturiert sind. Ontologische Festlegungen beziehen sich daher zuerst auf die Frage, was überhaupt als soziale Realität angesehen werden soll. Dies wird erreicht über die Festlegungen, welche Kategorien die soziale Realität ausmachen. Anhand einer spezifischen Variante der Kategorienbildung - einer Sachverhaltsontologie (Armstrong, 2005, 13ff, Tegtmeier, 1992, 37ff, 2011, 1905ff) - können Fragen der Sozialontologie diskutiert werden. In ihr werden soziale Entitäten als Sachverhalte interpretiert (Puntel, 2005, Tegtmeier, 2005). Als Kategorien einer allgemeinen Ontologie gelten Sachen und Sachverhalte, wobei Sachverhalte Verbindungen zwischen Sachen ausdrücken (Wittgenstein, 1921, 201). Mit der Kategorie Sache sind Dinge, Eigenschaften und Beziehungen gemeint (Tegtmeier, 1992, 39). <?page no="59"?> 3.1 Sachverhalte in einer Ontologie des Sozialen 45 Dinge können z.B. Hämmer, Filme und - auch wenn die Redeweise nicht besonders schön anmutet - Menschen, Fußballvereine oder politische Systems sein. Eigenschaften charakterisieren Dinge wie z.B. die Eigenschaft eines Hammers, einen Holzgriff zu haben, oder die Eigenschaft eines Menschen, eine Frau zu sein. Auch Beziehungen können in Sachverhalten auftreten, so wenn eine Frau Mitglied im Vorstand eines Unternehmens ist. Mit einer Sachverhaltsontologie wird angenommen, dass die Welt aus Sachverhalten besteht (Armstrong, 2005, 13, Tegtmeier, 1992, 161) und „daß wir Dinge, Eigenschaften und Beziehungen nie abgesondert und für sich wahrnehmen, sondern immer nur im Zusammenhang von Sachverhalten“ (Tegtmeier, 1992, 144). Diese Aussage passt sehr gut zu unserer Standardauffassung über die Forschung in den Sozialwissenschaften, die soziale Sachverhalte untersuchen, die Verhalten und Zusammenleben von Menschen hinsichtlich ihrer Merkmale beschreiben und festgestellte Merkmalsunterschiede erklären (Döring und Bortz, 2016, 4f). Beispiel 2: Weibliche Vorstände So werden z.B. Vorstände deutscher Unternehmen hinsichtlich des Merkmals Anteil der weiblichen Personen (Sachverhalt) beschrieben. Der Anteil bei den 200 größten Unternehmen stieg im Zeitraum 2006 bis 2018 von 1,2% auf 9,0% (Holst und Wrohlich, 2019, 21). Es bietet sich daher zu fragen an, warum der Anteil gewachsen ist und warum er in diesem niedrigen einstelligen Bereich liegt. Um solche Warum-Fragen zu klären, werden kausale Beziehungen zwischen Sachverhalten beschrieben, und dies macht es notwendig, dass sich Sachverhalte zeitlich unterscheiden lassen: Sachverhalte können Zustände oder Ereignisse sein, letztere lassen sich durch eine Zeitbestimmung näher beschreiben (Vossenkuhl, 2003, 233f). 1 So ist der Sachverhalt, dass sich der Frauen-Anteil an Mitgliedern in einem Vorstand erhöht, durch zwei zeitlich folgende Sachverhalte beschreibbar. Durch diese zeitliche Unterscheidung können Sachverhalte in einem Ursache-Wirkungs-Verhältnis stehen (Kausalität) (Albert, 2008, 33). Beispiels- 1 Bei der Beschreibung der Kausalität wird meist die Kategorie der Ereignisse herangezogen. Da in der Sozialwissenschaft der Begriff Sachverhalt gebräuchlich ist, wird sich im Folgenden diesem Sprachgebrauch angeschlossen (zu den verschiedenen Funktionen von Sachverhalten, Tatsachen und Ereignisssen vgl. Rami, 2020). <?page no="60"?> 46 3 Ontologische Festlegungen für die Sozialwissenschaft weise prüfen Forscher, ob der Sachverhalt von ausreichender Kinderbetreuung in einem Land einen positiven Einfluss auf den Sachverhalt Anteil der weiblichen Führungskräfte hat. Dies zeigt, dass in den Sozialwissenschaften mithilfe von empirischen Methoden versucht wird, die tatsächliche Beschaffenheit der sozialen Welt zu erforschen. Tatsachen, als bestehende Sachverhalte, wirken als „Wahrmacher“ von Aussagen (Armstrong, 2005, 164ff, Runggaldier und Kanzian, 1998, 204ff). Eine Einsicht, die bereits von Ludwig Wittgenstein mit bewundernswerter Klarheit formuliert wird: „Was der Fall ist, die Tatsache, ist das Bestehen von Sachverhalten“ (Wittgenstein, 1921, 199). Als Erkenntnisobjekte der Sozialwissenschaften gelten nach diesen Ausführungen alle Handlungen, die zweck- oder normenorientiert sind, d.h., die mit einer bestimmten Absicht (Intention) oder mit einer Normbeachtung verbunden sind, einschließlich der mit diesen Handlungen verbundenen Ergebnisse, als intendierte oder nicht-intendierte Ergebnisse, wie sie sich in Form von Institutionen den sozialen Akteuren zeigen. Wie lässt sich das Verhältnis von (Sozial-)Ontologie und Sozialwissenschaft beschreiben? Auch für die Ontologie gilt der Vorbehalt des Fallibilismus, d.h., Aussagen der Ontologie sind Hypothesen und damit prinzipiell revidierbar (Weissman, 2000, 2ff). Ein a-priori-Status kommt ihnen nicht zu. Somit besteht zwischen Ontologie und Sozialwissenschaft ein Spannungsverhältnis, das durch gegenseitige Kritik und Korrektur der jeweilig hypothetischen Aussagen geprägt ist und für Revision in beiden Bereichen sorgen kann (Trapp, 1976). 2 3.2 Eine Mehrebenen-Analyse der Ontologie „Wir müssen den Einzelnen und sein Handeln betrachten, um das Kollektivgebilde zu erkennen“ (Mises, 1940, 33). So konstatiert Ludwig von Mises, einer der Väter der österreichischen Schule der Volkswirtschaftslehre, zur Frage, wie der Gegenstand der Volkswirtschaftslehre erkannt wird. Damit klingt auch schon eine wichtige Unterscheidung an, die beachtet werden muss, wenn Beiträge zur Individualismus-Kollektivismus-Debatte beurteilt werden. Mises proklamiert in der Nachfolge von Carl Menger (1883) und Joseph Schumpeter (1908) den methodologischen Individualismus, d.h., er fordert den methodologischen Vorrang für 2 Trettin formuliert hierzu das Prinzip der phänomenologischen Adäquatheit, das dem ständigen Abgleich mit der Erfahrungswelt dient, und das Prinzip der Anschlussfähigkeit an domänenspezifische Wissenschaften, das dem Abgleich mit wissenschaftlichen Theorien dient (Trettin, 2000, 149). <?page no="61"?> 3.2 Eine Mehrebenen-Analyse der Ontologie 47 individuelle Handlungen vor den kollektiven Sachverhalten. 3 Dies impliziert jedoch keinen ontologischen Vorrang von individuellen Sachverhalten oder gar die Annahme einer Nicht-Existenz kollektiver Sachverhalte: „Es fällt uns nicht ein, zu bestreiten, dass es gesellschaftliche Gebilde … gibt“ (Mises, 1940, 32). Um diese Debatte um die Ontologie individueller und kollektiver Sachverhalte aufzuhellen, ist es nützlich, beide Sachverhalte und ihre Eigenschaften vorzustellen (s. auch Philosophiebox 4, S. 57). Zur Vereinfachung wird im Folgenden von drei Ebenen ausgegangen (s. Abbildung 3): 4 1. Mikro-Ebene: Auf der Mikro-Ebene wird von den individuellen Handlungen von Akteuren ausgegangen. Es wird untersucht, wie sie zu ihren Zielen und Überzeugungen gelangen und wie sie auf dieser Basis ihre Entscheidungen treffen, um zu handeln. 2. Meso-Ebene: Wenn sich eine Anzahl von Individuen zu einem Kollektiv zusammenschließen, kann dies beispielsweise eine Gruppe sein, um gemeinsame ideelle Ziele zu erreichen, oder eine Organisation, um materielle Ziele zu verfolgen. Wenn es gemeinsame Ziele und Überzeugungen gibt, wird von kollektiver Intentionalität gesprochen. Kooperation ist als weiteres Merkmal in die Abbildung aufgenommen, weil ein gemeinsames Ziel erreicht werden soll; damit ist jedoch Konkurrenz oder Wettbewerb nicht ausgeschlossen. 3. Makro-Ebene: Alle sozialen Sachverhalte, die hierarchisch oberhalb der Meso-Ebene liegen, werden der Makro-Ebene zugeordnet. In ihr werden insbesondere Einflüsse der Gesellschaft auf Organisationen beschrieben, wobei Organisationen in Märkte eingebettet sind oder als wirtschaftliche Betriebe mit anderen Betrieben in einem Netzwerk kooperieren. Die Ordnungen, in denen Organisationen eingebettet sind, reichen von spontanen Ordnungen, wie sie sich in manchen Märkten realisieren, ohne dass sich diese Ordnungen auf die Intentionen einzelner Akteure zurückführen lassen, bis zu stark strukturierten Ordnungen, die auf den Intentionen der Beteiligten beruhen. 3 Wenn auch die Idee von Menger (1883, 87ff) bereits entwickelt wurde, gilt Schumpeter (1908) als der Namensgeber des methodologischen Individualismus (Schumpeter, 1908, 88ff). Vor Menger hat allerdings bereits John Stuart Mill den wesentlichen Gedanken 1843 formuliert: „The laws of the phenomena of society are, and can be, nothing but the laws of the actions and passions of human beings united together in the social state” (Mill, 1843/ 1974a, 879). 4 Es finden sich auch sparsamere Ebenen-Modelle, die nur Mikro- und Makroebene unterscheiden (Esser, 1993, 91ff) oder Modelle, die sich direkt auf Untersuchungseinheiten beziehen: Individuum, Gruppen, Organisationseinheiten, Organisation, Interorganisationale Netzwerke und Umwelt (Hitt et al., 2007, 1387). <?page no="62"?> 48 3 Ontologische Festlegungen für die Sozialwissenschaft Abbildung 3: Drei Ebenen der Betrachtung in der Sozialontologie Vereinfacht ist diese Abbildung, weil im Folgenden die drei Betrachtungsebenen und ihr Verhältnis analysiert werden; es ist hier hingegen keine vollständige Analyse aller möglichen hierarchischen Beziehungen innerhalb und zwischen diesen Ebenen möglich. 3.2.1 Handlungsmodell der Sozialwissenschaft In diesem Abschnitt wird ein Handlungsmodell skizziert, das so konzipiert ist, dass es für sozial-, wirtschaftssowie verhaltenswissenschaftliche Analysen geeignet ist. Das Modell soll weder auf eine spezielle Sozialwissenschaft zugeschnitten sein, noch soll es ein spezielles Forschungsprogramm innerhalb der Sozialwissenschaften präjudizieren. Es soll vielmehr dazu dienen, wesentliche Eigenschaften von Akteuren zu modellieren, auf die in den weiteren Teilen dieses Buches zurückgegriffen werden kann. Somit stellt es einen theoretischen Bezugsrahmen dar, in dem sich die Erörterungen wissenschaftstheoretischer Probleme bewegen werden, hingegen stellt es kein Forschungsmodell dar. <?page no="63"?> 3.2 Eine Mehrebenen-Analyse der Ontologie 49 Abbildung 4: Das Handlungsmodell und seine Elemente Auszugehen ist von einem Handlungsmodell aus dem Blickwinkel eines Individuums (s. Abbildung 4), d.h., im Zentrum steht der Akteur als handelndes Subjekt. Wenn in diesem Buch von Akteuren gesprochen wird, ist in der Regel von Individuen auszugehen, da allerdings auch Institutionen (Organisationen) als kollektive Akteure benannt werden, soll dies im jeweiligen Kontext verdeutlicht werden. Handlungen von Menschen werden als absichtsvolles (= intentionales) Verhalten aufgefasst (Esser, 1993, 4), d.h., Akteure vollziehen Handlungen, um ein Ziel zu erreichen, und sie setzen dafür Mittel ein. Diese Kennzeichnung von Handlungen sollte jedoch nicht zu eng ausgelegt werden. Psychologen grenzen ihr Erkenntnisobjekt so ab, dass sie das Verhalten von Menschen betrachten. Verhalten ist der weitere Begriff und umfasst auch nicht-intentionales Tun von Menschen (Zimbardo, 1995, 2). Auch unbewusstes Tun ist daher Gegenstand der Sozialwissenschaft und damit auch Teil eines <?page no="64"?> 50 3 Ontologische Festlegungen für die Sozialwissenschaft Handlungsmodells. Es würden sonst viele Handlungen, insbesondere Routinehandlungen, aus dem Gegenstandsbereich der Sozialwissenschaften ausgeschlossen. Abbildung 4 führt die für die angestrebte, grobe Skizze wesentlichen Elemente eines Handlungsmodells auf; daher ist sie sicherlich nicht vollständig. Das kognitive System des Akteurs enthält zwei Typen von kognitiven Prozessen: die intuitiven und die reflektiven Entscheidungsprozesse; das Model beschreibt damit eine duale Prozesstheorie (Evans, 2008, 2010). Beiden Prozessen ist die Definition der Situation durch die Akteure gemein, mit der sie sich beispielsweise über die Möglichkeiten und Restriktionen informieren. Der Akteur bildet in beiden Entscheidungsprozessen mit seinen kognitiven Möglichkeiten Intentionen, welche die Grundlage seines Handelns sind. Während sich reflektive Entscheidungsprozesse durch ein bewusstes, kontrolliertes, analytisches und systematisches Vorgehen beschreiben lassen, folgen intuitive Prozesse eher einem unbewussten, automatischen, holistischen und heuristischen Vorgehen. Wenn Handeln als intentional charakterisiert wird, ist damit angedeutet, dass ein zielgerichtetes Verhalten vorliegt (Audi, 2001, 62f). Was in Abbildung 4 als kognitives System des Akteurs bezeichnet ist, wird in der Philosophie als Geist oder das Mentale bezeichnet; es umfasst alle bewussten und unbewussten mentalen Zustände (Beckermann, 2008, 5ff). Aufbauend auf Vorläufern wie z.B. Wilhelm Dilthey haben die Klassiker Max Weber und Alfred Schütz das Konzept des Sinnverstehens in den Sozialwissenschaften entwickelt: Wichtig ist daher auch heute noch Webers Festlegung, dass der subjektiv gemeinte Sinn, verstanden als die Interpretationen der mit Handlungen verbundenen Zwecke, Absichten und weiteren relevanten Werten und Normen, Gegenstand der sozialwissenschaftlichen Analyse sein soll (Weber, 1922/ 2013, 149), und das Konzept der Lebenswelt von Schütz, dass die Alltagswelt der Akteure in die Analyse einzugehen habe (Münch, 2007, 191ff, Schütz und Luckmann, 2017, 29ff). Sie haben beide das Konzept des Verstehens in den Sozialwissenschaften etabliert, für das die mentalen Akte der Akteure eine große Rolle spielen. Die damit notwendige Trennung von mentalen und natürlichen Sachverhalten wird seit Franz Brentano (1874/ 1955) mit der Intentionalität begründet, die auch im Rahmen einer intentionalistischen Sozialontologie aufgegriffen und weiterentwickelt wird (Schmid und Schweikard, 2009a). <?page no="65"?> 3.2 Eine Mehrebenen-Analyse der Ontologie 51 Nach dieser Interpretation unterscheiden sich soziale Sachverhalte von natürlichen Sachverhalten durch die Intentionalität. 5 Sie ist die Fähigkeit von Menschen, ihre mentalen Gehalte (Aussagen) auf etwas zu richten (Brentano, 1874/ 1955, 124f, Searle, 1987, 15ff). So hat z.B. Peter die Absicht (Intention), eine gemeinnützige Organisation zu unterstützen. Beachte: Die Intentionen eines Akteurs sind von der Eigenschaft der Intentionalität zu unterscheiden: Intentionen, im Sinne von Absichten oder Zielen, sind ein möglicher Modus der Intentionalität (Searle, 1987, 21f). In der Philosophie des Geistes wird die Eigenschaft der Gerichtetheit als Intentionalität bezeichnet (Teichert, 2006, 102f). 6 Vereinfacht lässt sie sich mit einem Dass-Satz kennzeichnen (Searle, 1987, 16). So richtet sich das Ziel des Akteurs auf den zukünftig angestrebten Zustand: Peter hat das Ziel, dass Kinder in Afrika die gleichen Bildungschancen erhalten, wie er sie hatte. Neben dem Inhalt des Ziels sind Präferenzen relevant. Mit Präferenzen lässt sich z.B. beschreiben, wie der Akteur seine Ziele gewichtet oder welches Ausmaß er anstrebt. Peter ist Hilfe für andere wichtiger als der eigene Konsum und er ist daher bereit, auf eigene teure Fernreisen zu verzichten. Er gewichtet die Hilfe für andere höher als Fernreisen. Es gibt weitere geistige Zustände von Akteuren (Searle, 1987, 18f); für Handlungen sind insbesondere die Überzeugungen der Akteure von Bedeutung, in denen sich ihr Wissen von der Welt widerspiegelt. Die Akteure müssen überzeugt sein zu wissen, welche Mittel es ihnen ermöglichen, ihre Ziele zu erreichen (Hornsby, 2004, 2). Auch hier lässt sich ein entsprechender Dass-Satz bilden: Peter ist überzeugt, dass er, wenn er jährlich auf eine Fernreise verzichtet, einen Geldbetrag zur Verfügung stellen kann, der einem Bildungsstipendium für ein Kind entspricht. Peter sieht sich einer Reihe von situativen Gegebenheiten gegenüber, die er in seinem kognitiven System verarbeitet (Esser, 1999, 29ff). Auf Basis dieser situativen Gegebenheiten, seiner eigenen Ziele sowie seiner Überzeugungen werden die entsprechenden Informationen mittels eines Entschei- 5 Zwar ist das Konzept der Intentionalität von Brentano in die neuzeitliche Diskussion der Abgrenzung von Psychologie und Naturwissenschaften eingeführt worden (Jacquette, 2004, 98ff), jedoch hat er Vorläufer insbesondere in der mittelalterlichen Philosophie (Knudsen, 1982). 6 Zu beachten ist, dass im Deutschen für die Begriffe Intention und Intentionalität das gleiche Adjektiv „intentional“ gebräuchlich ist. <?page no="66"?> 52 3 Ontologische Festlegungen für die Sozialwissenschaft dungsprozesses zu Zielen gewandelt, die als Triebfeder für sein Handeln gelten (Gäfgen, 1968, 95ff). 7 Die in Abbildung 4 gekennzeichneten reflektiven Entscheidungsprozesse zeichnen sich dadurch aus, dass auf Basis einer Situationsdefinition systematisch vorgegangen wird. Dies ist jedoch nicht so zu verstehen, dass nicht Vereinfachungsstrategien eingesetzt werden. Ganz im Gegenteil verwenden Akteure häufig Heuristiken, um unmittelbar zur Handlungswahl und damit zur Handlung zu gelangen. Als Heuristiken werden kognitive Vereinfachungsstrategien bezeichnet, die sich auf unterschiedliche Komponenten beziehen können, z.B. werden weniger Informationen verarbeitet, die Präferenzen werden vereinfacht oder es werden weniger Alternativen betrachtet (Shah und Oppenheimer, 2008, 209). Mithilfe von Heuristiken als vereinfachte Regeln für typische Handlungsmuster lassen sich auch Routinehandlungen begründen, die ebenfalls der kognitiven Entlastung dienen. Viele sich wiederholende Alltagshandlungen müssen nicht immer wieder neu entschieden werden. Sobald die entsprechenden Signale für eine bestimmte Situation vom kognitiven System des Akteurs aufgenommen werden, läuft die Handlung routinemäßig ab. Rationalität wird in den Sozialwissenschaften in sehr unterschiedlicher Weise beschrieben, meist jedoch mit einem Handlungsmodel verbunden. Allgemein bezeichnen wir Menschen als rational, wenn sie ihre Handlungen begründen können (Gosepath, 2010, 2205). Als primäre Gründe für Handlungen gelten Ziele und Überzeugungen und aus diesem Blickwinkel gelten Handlungen von Akteuren als rational, wenn sie mit ihren Handlungen ihre Ziele erreichen und dies so geschieht, dass die Mittel entsprechend der Präferenzen bestmöglich eingesetzt werden. Beide Betrachtungen sind wichtig, d.h., es ist nicht nur von Belang, ob das Ziel überhaupt erreicht wird, sondern auch wie es erreicht wird. Beispiel 3: Marias Reise Wenn Maria von Berlin nach Mailand reist, dann kann sie dies auf sehr unterschiedliche Weise tun. Ohne die Kenntnis ihrer Ziele, die sie verfolgt, ist es nicht möglich, die Rationalität ihrer Handlungen zu beurteilen. Wenn sie es sehr eilig hat, also die Reisezeit für sie ein wichtiges Ziel ist, dann wird sie es in Erwägung ziehen, eine Flugreise zu buchen. Wenn sie allerdings sehr umweltbewusst handelt und Flugreisen möglichst vermeiden will, dann zieht sie vielleicht eine Bahnfahrt vor. Es hängt daher unter anderem von ihren persönlichen Präferenzen ab, ob ihre Handlungen als rational zu beurteilen sind. 7 Gäfgen spricht hier, wie in der betriebswirtschaftlichen Entscheidungstheorie üblich, anstatt von der Situation von der Umwelt (Eisenführ und Weber, 1999, 16ff). <?page no="67"?> 3.2 Eine Mehrebenen-Analyse der Ontologie 53 Wenn sich Maria für die Bahnreise entschieden hat, dann hat sie jedoch viele Möglichkeiten von Berlin nach Mailand zu fahren. Das Rational-Prinzip legt an ihre Handlung den Maßstab, dass sie mit geringstmöglichen Mitteln handelt. Es ist daher wichtig zu erkennen, ob ein deskriptiver oder präskriptiver Begriff von Rationalität verwendet wird. 8 Insbesondere in der normativen Entscheidungs- und Spieltheorie wird ein präskriptiver Begriff verwendet, der an bestimmte Eigenschaften des Prozesses anknüpft und daher häufig als formale Rationalität bezeichnet wird. Dieses Konzept schreibt z.B. vor, dass die Präferenzen eines sozialen Akteurs bestimmten Eigenschaften entsprechen müssen. 9 Wird tatsächliches Verhalten beobachtet, dann handelt es sich um deskriptive Rationalität. Aus der Einsicht, dass Menschen keine Computer sind und nur über eingeschränkte kognitive Ressourcen verfügen, folgert Herbert Simon, dass Menschen nur begrenzt rational (bounded rationality) handeln (Simon, 2000, 25ff, Wheeler, 2020). Um Entscheidungsprozessen die Eigenschaft der Rationalität zu- oder auch abzusprechen, wird sich meist eines präskriptiven Modells bedient, mit dem Abweichungen als fehlerhaft und damit als nicht rational festgestellt werden. 10 In jüngster Zeit propagiert Gerd Gigerenzer mit einem Forschungsprogramm zu intuitiven Entscheidungsprozessen ein alternatives Vorgehen: Insbesondere in Situationen, in denen aufgrund der Ungewissheit eine Berechnung von Risiken nicht möglich ist, sind Heuristiken, die von Menschen eingesetzt werden, zu untersuchen (Gigerenzer und Brighton, 2009, Gigerenzer, Hertwig und Pachur, 2011). Es wird vermutet, dass sie in bestimmten Situationen effektiver und effizienter als Optimierungsmodelle sind. Da ihre Herkunft nicht präskriptive Modelle sind, sondern sie aus Beschreibung von tatsächlichen Entscheidungsprozessen von 8 Ein kurzer Überblick zu verschiedenen Konzepten der Rationalität findet sich in Basel und Brühl (2013). 9 Rationalität wird in den Wirtschaftswissenschaften überwiegend so verwendet, dass sich die Anforderungen auf die Präferenzen der Akteure beziehen; wie z.B. dass der Akteur den Handlungsmöglichkeiten Präferenzen zuordnen kann, ein konsistentes Präferenzsystem hat und die Präferenzen zeitstabil sind (Fishburn, 1981). Auch in den Wirtschaftswissenschaften wird jedoch zunehmend die begrenzte Rationalität verwendet (Kirchgässner, 2008, 27ff). 10 Ein umfangreiches Forschungsprogramm hat hierzu viel über menschliche Schwächen bei Entscheidungsprozessen zusammengetragen; eine Quintessenz der Forschung aus der Sicht eines führenden Vertreters dieser Richtung findet sich in Kahneman (2012). <?page no="68"?> 54 3 Ontologische Festlegungen für die Sozialwissenschaft Akteuren abgeleitet sind, wird dieses Rationalitätskonzept als angepasste oder ökologische Rationalität (ecological rationality) bezeichnet (Basel und Brühl, 2013, 749f). Über die Modellierung der Ziele und Präferenzen sowie ihrer Überzeugungen besteht die Möglichkeit, sehr unterschiedliche Modelle von Akteuren zu erzeugen. Sie können von dem optimierenden, selbstinteresse-geleiteten Akteur bis zum altruistisch, moralisch handelnden Akteur reichen. Rationalität bezieht sich nicht nur auf Ziele - als Zweckrationalität -, sondern es können auch Normen und Werte betrachtet werden. 11 Philosophiebox 3: Rationale Handlungstheorien in den Sozialwissenschaften Schon bei den Klassikern finden sich, wenn auch nicht immer systematisch aufbereitet, Annahmen über die Rationalität von Akteuren. Allerdings hat erst das 20. Jahrhundert eine axiomatische Darstellung von Rationalität gesehen. Besonders prominent war in diesem Zusammenhang die Theorie des rationalen Verhaltens von John von Neumann und Oskar Morgenstern (1953), die mit ihrem Konzept des Erwartungsnutzens eine spezifische Form von Rationalität beschrieben und sie zur Modellierung von Interaktionen im Rahmen der Spieltheorie eingesetzt haben. Deren Axiome wurden vielfach verändert und an die Entwicklung der ökonomischen Theorie angepasst. Die Axiome beziehen sich auf die Präferenzen der Akteure und verlangen von ihnen beispielsweise, dass sie die Alternativen in eine Reihenfolge bringen können, dass ihre Präferenzen konsistent sind und dass sie neutral in Bezug auf die Alternativen sind. Allen rationalen Handlungstheorien ist somit gemeinsam, dass sie Vorstellungen der Rationalität formulieren. Dies kann von sehr allgemeinen Formulierungen wie „Akteure streben eine Erreichung ihrer Ziele an“ bis zu etwas konkreteren Formen wie „Akteure maximieren ihren Erwartungsnutzen“ gehen, die auf mathematisch formulierten Axiomen beruhen. Methodologisch interessant ist, wie diese Vorstellungen von ihren Entwicklern eingeordnet werden. Hierzu einige Beispiele: Ein prominenter Entwurf für eine rationale Handlungstheorie in der Volkswirtschaftslehre wurde von von Mises vorgelegt. Er beansprucht für seine als Praxeologie bezeichnete Handlungstheorie einen apriorischen 11 Handlungen auf Basis der Wertrationalität, eingeführt von Max Weber, lassen sich im Sinne einer Betrachtung der obersten Maximen interpretieren, auf deren Basis die eigentliche Zweck-Mittelauswahl erfolgen soll (Stachura, 2006). <?page no="69"?> 3.2 Eine Mehrebenen-Analyse der Ontologie 55 Status, der universell gültig sei. Eine solche Immunisierungsstrategie wird aus methodologischer Sicht zwar nicht mehr prinzipiell ausgeschlossen, wie die Debatte um den harten Kern von Forschungsprogrammen nach Lakatos zeigt (s. Philosophiebox 12, S. 194); sie wird allerdings auf Dauer wohl für keine Theorie aufrechtzuerhalten sein. Solche Wissensansprüche werden daher von Methodologen in der Ökonomie vielfach kritisiert, z.B. lehnt Mark Blaug einen solchen kategorischen Anspruch rundweg ab, eine etwas differenziertere Argumentation bietet hingegen Bruce Caldwell, der darauf hinweist, dass von Mises sich bewusst gegen den Positivismus wendet und eine nomothetische Wissenschaft vom Handeln ablehnt. Zu bedenken ist jedoch, dass in der Volkswirtschaftslehre eine Reihe von Idealisierungen wie das Marktgleichgewicht oder effiziente Märkte ebenfalls meist vor der Falsifikation geschützt werden. Rationale Handlungstheorien spielen auch in der Soziologie und Politikwissenschaft eine gewichtige Rolle, weil auch in diesen Disziplinen Annahmen über das Verhalten von sozialen Akteuren getroffen werden. So greifen ihre Vertreter auf bestimmte Theorien der Rationalität zurück. James Coleman hat sich z.B. eindringlich für die Übernahme ökonomischer Rationalitätsmodelle der Nutzenmaximierung ausgesprochen und damit argumentiert, dass sie einfach und konkret, mithin für eine soziologische Theorie, die Makro-Phänomene erklären will, gut geeignet seien. Auch Hartmut Esser stützt sich auf eine Theorie der Rationalität (Erwartungswert-Theorie) und formuliert allerdings: „Das „rationale“ Handeln nach den Regeln der WE-Theorie [Wert-Erwartungs-Theorie] ist daher nur ein bestimmter Modus der Entscheidungsfindung, manchmal sogar geleitet durch ein kulturelles Modell der Zweckrationalität als Norm“ (1999, 358). Da Esser eine empirische Theorie anstrebt, reichert er sie systematisch mit empirischen Erkenntnissen der Sozialwissenschaften an. Quellen: Blaug, 1992, Caldwell, 1994, Coleman, 1990, Diefenbach, 2009, Esser, 1999, Hastie und Dawes, 2010, Mises, 1966, Sugden, 1991, Udehn, 2003 3.2.2 Vom Handlungsmodell zu kollektiven, sozialen Sachverhalten Mit der Unterscheidung in Sachverhalte vor und nach der Handlung wird angedeutet, dass sich Sachverhalte nach der Handlung ändern und dies durch die intendierten und nicht-intendierten Ergebnisse (einschließlich unerwünschter Nebenwirkungen) bewirkt wird (Pfeil 2, Abbildung 4, S. 49). Eine mögliche Wirkung von Handlungen ist somit die Schaffung und Stabilisierung von Institutionen (Coleman, 1990, 5). Der Begriff der Institution wird in den (neueren) <?page no="70"?> 56 3 Ontologische Festlegungen für die Sozialwissenschaft Institutionenauffassungen der verschiedenen Sozialwissenschaften weit gefasst, d.h., er umfasst nicht nur Organisationen als zweckorientierte und dauerhaft angelegte Zusammenschlüsse von Individuen, sondern z.B. in der neuen Institutionenökonomie jede Form von Regelung, die Anreizwirkungen entfaltet und entsprechende Durchsetzungsmechanismen beinhaltet (Erlei, 2019, 460ff). Noch weiter ist eine Auffassung im Neoinstitutionalismus, in der „Institutionen als verfestigte soziale Erwartungsstrukturen verstanden werden“ (Walgenbach und Meyer, 2008, 55; zu weiteren Varianten Weik, 2020). Wenn Elisabeth ihren Nachbarn Karl freundlich grüßt, dann intendiert sie damit vielleicht, zu einem angenehmen Umgang in ihrem Mietshaus beizutragen. Sie trägt allerdings gleichzeitig dazu bei, dass Begrüßungsroutinen in der Gesellschaft stabilisiert werden. Wie durch diese beispielhaften Wirkungen beschrieben, ist es in einem weiteren Schritt möglich, von der individuellen Ebene des Handlungsmodells zur Berücksichtigung von sozialen Entitäten zu kommen, denn soziales Handeln findet in der Gesellschaft statt. Soziales Handeln ist ein Handeln, das sich an anderen Interaktionspartnern ausrichtet und in denen die Handelnden Sinn konstituieren (Weber, 1922/ 2013, 149). Handeln (Aktion) ist daher in der Regel Interaktion, welche von anderen Individuen und von Gruppen sowie Organisationen geprägt sind (Strauss, 1993, 24ff). Bei Interaktionen kommen somit weitere Akteure ins Spiel. Wenn Karl die freundliche Begrüßung genauso freundlich erwidert, dann hat er eventuell die gleiche Intention, für eine freundliche Atmosphäre im Haus zu sorgen. Daraus ergibt sich die Frage, wie die Intentionen der beiden miteinander verknüpft sind. Kollektive Intentionalität wird als Konzept eingeführt, um vom individuellen Handeln zu einer Beschreibung des kollektiven Handelns zu gelangen. Mit seiner Hilfe soll gemeinsames Handeln erklärt werden, das sich vom individuellen grundsätzlich dadurch unterscheidet, dass es nicht alleine ausgeführt werden kann (Schweikard, 2008, 103). Es reicht nicht, dass Elisabeth und Karl als Einzige freundlich sind. Nur wenn möglichst viele Mieter auch freundlich sind, kann die freundliche Atmosphäre im Haus entstehen. Soziale Sachverhalte zeichnen sich nach John Searle dadurch aus, dass sie sich generell auf kollektive Intentionalität stützen (Searle, 1997, 37). Analog zur individuellen Intentionalität lassen sich verschiedene Seinsweisen von kollektiver Intentionalität unterscheiden (Schmid und Schweikard, 2009a, 41ff): So werden beispielsweise Wir-Ziele und Wir-Überzeugungen zur Deutung von kollektivem Handeln herangezogen (Beispiel 4, S. 62 wird weitere Möglichkeiten der Bildung kollektiver Intentionalität zeigen). Karl und Elisabeth haben das Wir-Ziel „Wir haben das Ziel, dass eine freundliche Atmosphäre in unserem Mietshaus geschaffen werden soll“. Gemeinsames Handeln kommt dadurch zustande, dass sie auch noch gemeinsame Überzeugungen haben, wie sie dieses Ziel erreichen <?page no="71"?> 3.2 Eine Mehrebenen-Analyse der Ontologie 57 können, wie z.B. „Wir haben die Wir-Überzeugung, dass wir uns bei jeder Begegnung im Treppenhaus freundlich grüßen“. Eine weitere Überzeugung muss hinzukommen: Karl muss überzeugt sein, dass Elisabeth die gleiche Überzeugung hat, und Elisabeth muss die gleiche Überzeugung haben wie Karl (Johansson, 1989, 270ff, Tuomela, 2007, 92ff). Wir-Überzeugungen unterscheiden sich von individuellen Überzeugungen somit dadurch, dass ein Individuum die Überzeugung anderen Mitgliedern zuschreibt (Gilbert, 1992, 254ff), d.h., ein Merkmal für die kollektive Intentionalität ist es, dass mindestens zwei Personen sich wechselseitig die Ziele und Überzeugungen zuschreiben (Detel, 2007c, 75 ff). Diese gegenseitigen Zuschreibungen von Zielen und Überzeugungen sind nicht voraussetzungslos: Soziale Interaktionen sind dadurch geprägt, dass die Akteure sich Intentionalität zuschreiben und sich damit gegenseitig als interpretierbare und rationale Akteure anerkennen (Detel, 2007c, 73). Kollektive Intentionalität ist nicht auf individuelle Intentionalität reduzierbar (Jansen, 2017, 29ff). Elisabeth setzt voraus, dass es ein gemeinsames Projekt „Wir schaffen eine angenehme, freundliche Atmosphäre in unserem Haus“ gibt (Schmid, 2007, 468). Ansonsten hängt ihre individuelle Absicht, zu dieser freundlichen Atmosphäre beizutragen, in der Luft, d.h., Individuen verfügen neben der individuellen auch über kollektive Intentionalität (Searle, 2012, 46f). Dies wird durch empirische Forschung zu den Kognitionsstrukturen von Team- Mitgliedern bestätigt. Langfristige Kognitionsstrukturen, wie mentale Modelle von Teammitgliedern, enthalten neben den aufgabenbezogenen Elementen des Teams weitere Elemente. Mit diesen Elementen, die sich z.B. auf die Aufgaben und Eigenschaften der anderen Teammitglieder beziehen, ist es den einzelnen Mitgliedern möglich, miteinander zu kooperieren (Brühl und Buch, 2008, Klimoski und Mohammed, 1994). Wenn angenommen wird, dass sich alle sozialen Institutionen mit kollektiver Intentionalität erklären lassen, dann deckt sich dies mit einem methodologischen Individualismus (Tollefsen, 2018); über diese Auffassung und ihre wichtigste Alternative informiert die Philosophiebox 4. Philosophiebox 4: Individualismus versus Kollektivismus Die Diskussion Individualismus versus Kollektivismus wird in den Sozialwissenschaften seit vielen Jahrzehnten geführt, ohne dass eine Einigung erzielt wurde. Vereinfacht besagt die Doktrin des Individualismus, dass, wenn soziale Sachverhalte erklärt werden sollen, von Individuen und ihren Handlungen auszugehen ist. Der Begriff „Erklären“ deutet an, dass es sich um eine methodologische Annahme handelt. Dies hat Schumpeter veranlasst, diese Auffassung als methodologischen Individualismus zu bezeichnen. Sie ist allerdings mit unterschiedlichen ontologischen Annahmen über das Verhältnis von Individuen und kollektiver Entitäten wie <?page no="72"?> 58 3 Ontologische Festlegungen für die Sozialwissenschaft Gruppen, Organisationen und weiterer gesellschaftlicher Institutionen vereinbar. Eine erste Annahme lässt sich so formulieren: 1. Alle kollektiven Entitäten sind aus Individuen zusammengesetzt. Wesentlich bleibt mit dieser Annahme, dass jeder soziale Sachverhalt ausschließlich mithilfe individueller Handlungen erklärt werden kann. Da es jedoch soziale Sachverhalte gibt, die nicht auf die Intentionen einzelner Akteure zurückgeführt werden können, ist es für die Annahme zentral, dass Handlungen von Akteuren nicht intendierte Wirkungen haben können. In gemäßigten Varianten des methodologischen Individualismus wird daher davon ausgegangen, dass kollektive Entitäten existieren. Allerdings heißt dies nicht, dass sie ein Eigenleben erhalten. Mithin gilt: 2. Nur Individuen handeln, kollektive Entitäten handeln nicht. Wenn noch einen Schritt weiter gegangen wird, wird angenommen, dass kollektive Entitäten Fiktionen oder Phantasiegebilde sind: 3. Soziale Entitäten existieren nicht. Eine solch starke Annahme bringt sich jedoch in Schwierigkeiten mit unseren Intuitionen über gesellschaftliche Institutionen. Es fällt schwer Aussagen wie „die römisch-katholische Kirche existiert nicht“ oder „der Fußballverein Borussia Dortmund existiert nicht“ zu akzeptieren. Wir leben in einer sozialen Welt, in der soziale Institutionen, insbesondere Organisationen, ein überragende Rolle spielen. Eine Ontologie, die ihre Existenz negiert, wirkt unglaubwürdig. Auch die moderaten Formen sind allerdings mit Problemen behaftet. Lässt sich eine Gruppe aus zwei Individuen nur durch diese beiden Individuen beschreiben? Oder gibt es Eigenschaften, die nicht durch die Individuen, sondern nur durch ihre Gemeinsamkeiten auftreten? Wissenschaftler, welche die letzte Frage mit ja beantworten, favorisieren eine kollektivistische oder holistische Auffassung für soziale Sachverhalte. Ein starker Kollektivismus nimmt an, dass soziale Institutionen wie Unternehmen, Kirchen oder Fußballvereine tatsächlich existieren, handeln und dadurch kausal auf andere individuelle oder kollektive Akteure wirken. Für die Erklärung von individuellen Handlungen ist es daher von Interesse, von welchen sozialen Entitäten kausale Wirkungen auf dieses Handeln ausgehen. Während der methodologische Individualismus - insbesondere in seinen starken Varianten - eine kausale Wirkung von Makrophänomenen verneint, nähern sich moderate Fassungen des Individualismus und Kollektivismus an, wenn sie solche Wirkungen betrachten und die sogenannte Abwärtskausalität zulassen. <?page no="73"?> 3.3 Realismus und Anti-Realismus 59 Wer nicht einem starken Individualismus huldigt, nimmt an, dass eine Emergenz zwischen einzelnen Ebenen auftritt, die eine vollständige Reduktion einer höheren Ebene durch eine niedrigere Ebene verhindert. 12 Von Emergenz wird dann gesprochen, wenn Eigenschaften auf einer höheren Ebene - hier: kollektive Akteure - auftreten, die sich nicht durch Eigenschaften einer niedrigeren Ebene - hier: individuelle Akteure - erklären lassen. Dies lässt allerdings auch Interpretationen zu, bei denen individuelles Handeln als wesentlicher Faktor in der Erklärung sozialer Sachverhalte zu berücksichtigen ist und in denen von wechselseitigen Einflüssen beider Ebenen auszugehen ist. Ob das Verhältnis zwischen individueller und kollektiver Intentionalität durch starke oder schwache Emergenz geprägt ist, kann zwar auch in der Sozialontologie diskutiert werden, muss jedoch vor allem im Rahmen von inhaltlichen Theorien innerhalb der empirischen Sozialwissenschaften geklärt werden. Quellen: Albert, 2005, Bhaskar, 1979, Gellner, 1959, Giddens, 1997, Heintz, 2004, Kincaid, 1986, Lohse, 2019, Schumpeter, 1908, Tollefsen, 2018, Udehn, 2001, 2002, Wagner, 2012, Watkins, 1952, Zahle, 2007, Zahle und Kincaid, 2019 3.3 Realismus und Anti-Realismus „Ich bin kein Konstruktivist“ konstatierte Thomas Luckmann, um dann noch hinzuzufügen, dass er sich als einen „an einer realistischen Ontologie und Epistemologie festhaltenden Nicht-Konstruktivisten“ (Luckmann, 1999, 17) sieht. Und dies wird von einem Koautor des Buches „Die soziale Konstruktion der Wirklichkeit“ geäußert (Berger und Luckmann, 1969), das aus Sicht vieler Interpreten das Tor für den sozialen Konstruktivismus weit aufgestoßen hat und mit einer Widerlegung des Realismus einhergeht. Sein Bekenntnis ist allerdings nur auf den ersten Blick verblüffend, denn unter Realismus lässt sich zum einen Vielerlei verstehen, zum anderen ist der naive - und dies ist nicht abwertend gemeint - Realismus auch unter Sozialwissenschaftlern weit verbreitet. Realistische Positionen entsprechen unserer üblichen Alltagsintuition: Wir gehen davon aus, dass sich die Sachverhalte, die wir wahrnehmen, nicht nur in unserem Geist befinden, sondern dass sie tatsächlich existieren. Diese Grund- 12 Eine schwache Emergenz ist hingegen mit einer reduktionistischen Position durchaus vereinbar (Hoyningen-Huene, 1994, 182, 2006b, Stephan, 2006, 147ff). In der Sozialontologie gehört Searle zu der Gruppe der Realisten/ Naturalisten, die ein streng reduktionistisches Programm vertreten (Searle, 1997, 159ff); für eine entgegen gesetzte Auffassung argumentiert Saaristo (2006, 50ff). <?page no="74"?> 60 3 Ontologische Festlegungen für die Sozialwissenschaft annahme wird vom wissenschaftlichen Realisten geteilt, der jedoch darüber hinausgeht, indem er auch Entitäten, die wir nicht direkt wahrnehmen können, wie z.B. Atome, Moleküle oder die Unternehmenskultur, als real existierend annimmt (Popper, 1973, 49ff). Realistische Positionen gibt es in vielen Varianten (Niiniluoto, 2004), in der Regel sind sie mit zwei Annahmen verbunden (Devitt, 1991, 14ff, 2008, 224): 1 Es existieren Entitäten in der Realität. 2a Diese Entitäten der Realität existieren objektiv und unabhängig von unserem Geist. Annahme (1) weist darauf hin, dass der Realismus zuerst eine ontologische Theorie ist. Zwar ist diese ontologische eng mit einer epistemologischen Position verbunden, die sich darauf bezieht, dass wir grundsätzlich Kenntnis von der Realität erlangen können und diese Beschreibung mit den Tatsachen der Realität übereinstimmen (Demmerling, 2004, 29). Auch wenn der Realismus häufig im Verbund mit der Korrespondenztheorie auftritt, ist dies nicht zwingend. Wie in Annahme (2a) festgehalten, wird davon ausgegangen, dass es eine Realität gibt, die unabhängig von unserem Erkenntnisvermögen ist. Insbesondere bei natürlichen Tatsachen deckt sich dies mit unseren Alltagstheorien: Dass der Berg der Zugspitze mit Schnee bedeckt ist, gilt als eine natürliche Tatsache, die auch dann besteht, wenn sie von keinem Menschen erkannt oder gedacht wird. Im Gegensatz zum Realismus gibt es Anti-Realisten insbesondere Idealisten und (soziale) Konstruktivisten, die zwar der ersten Annahme des Realismus mit unterschiedlichen Interpretationen durchaus zustimmen können, allerdings der zweiten Annahme widersprechen und als Gegenthese formulieren (Demmerling, 2004, 30ff, Kutschera, 2006, 65ff): 2b Diese Entitäten existieren nicht unabhängig von unserem Geist. Anti-realistische Erkenntnistheorien des Sozialen gehen davon aus, dass sich die Tatsachen nach unseren Ideen und Konstruktionen von den Tatsachen richten. Als besonders prominent gilt in diesem Zusammenhang der soziale Konstruktivismus (s. Philosophiebox 5, S. 64). In zu (2b) abgewandelter Form wird die Annahme (2c) vertreten (Collin, 2008, 23ff): 2c Soziale Sachverhalte existieren nicht unabhängig von unserem Geist. Abbildung 5 zeigt vereinfacht in sechs Schritten, wie eine realistische Position Erkenntnis von sozialen Sachverhalten beschreibt. 13 Auszugehen ist davon, dass 13 Ein Vertreter einer naturalistischen Erkenntnistheorie wie z.B. Quine diskutiert ausführlich die in Abbildung 5 aufgeführten Schritte (Quine, 1995, 1ff); eine kritische Auseinandersetzung mit Quine bietet Keil (2011, 17ff). <?page no="75"?> 3.3 Realismus und Anti-Realismus 61 Alice einen Geldschein beobachtet (Pfeil 1). Mit einem Realismus ist verbunden, dass der Sachverhalt, den Alice beobachtet, unabhängig von ihrer mentalen Repräsentation ist: Der Geldschein ist auch dann da, wenn Alice ihn nicht beobachtet. Wenn der Geldschein ins Blickfeld gelangt, Alice ihn also beobachtet (Pfeil 2), dann treffen Reize auf die Sinne von Alice und sie nimmt den Geldschein wahr. Der Wahrnehmungsprozess löst neuronale Prozesse aus (Pfeil 4), die wiederum zu Überzeugungen führen (Pfeil 5). Überzeugungen sind intentionale Zustände, die einen propositionalen Gehalt haben, mithin Aussagen wie z.B. „Da ist ein Geldschein.“ Sie können mit einer Beobachtungsaussage verglichen werden (Pfeil 6), um festzustellen, dass die Überzeugung wahr ist. Alle Dinge, die in Abbildung 5 aufgeführt sind, sind Dinge einer materiellen Welt. Wer sich die Kästen mit ihren Pfeilen anschaut - und dies ist nur ein Bruchteil der möglichen Kästen und Pfeile -, der wird an jedem Pfeil und Kasten mögliche Einfallstore für Entgegnungen und andere Interpretationen erkennen. Konstruktivistische Interpretationen drehen einige Pfeile in ihrer Richtung: So ist z.B. Beziehung 2 genau andersherum auszurichten, da unsere Begriffe den Sachverhalt konstruieren. Generell ist damit angesprochen, dass in der Beschreibung von Abbildung 5 die wesentliche Funktion von Geld in einer modernen Gesellschaft nicht angemessen vorkommt. Abbildung 5: Realismus und Anti-Realismus <?page no="76"?> 62 3 Ontologische Festlegungen für die Sozialwissenschaft Beispiel 4: Geld und kollektive Intentionalität Geld erfüllt in einer Volkswirtschaft insbesondere die Funktion als Zahlungsmittel (Suntum, 2001, 85). Diese Funktion lässt sich anhand einer einfachen Formel darstellen (Searle, 1997, 38): X hat die Funktion als Y im Kontext C Für unser Beispiel lautet eine verkürzte Interpretation dieser Formel: Papierscheine (X) mit einem bestimmten Aufdruck (z.B. Euro-Zeichen und weiterer Bestandteile) hat die Funktion von Geld (Y) in der Europäischen Währungsunion (C). Zwar materialisiert sich Geld in Form von Münzen aus Metall und Scheinen aus Papier, seine Funktion als Zahlungsmittel ist davon jedoch weitgehend losgelöst: Sie wird in unserer Gesellschaft auch durch Plastikkarten als Kredit- oder Geldkarten oder wurde in der Vergangenheit durch Muscheln erfüllt; mithin können die physischen Eigenschaften unterschiedlich sein (Hayek, 1952, 84). Wer per Versand gelieferte Ware mit einer Überweisung von seinem Online-Konto bezahlt, hat nie materiell Geld bewegt (abgesehen sei davon, dass es Kontenbewegungen in Form von Veränderungen in den Speichermedien der Bank gibt). Die Funktionszuweisung von Geld zeichnet sich nach Searle dadurch aus, dass es sich um eine konstitutive Funktion handelt. Konstitutiv ist sie, als sie erst dadurch entsteht, dass ihr durch die kollektive Intentionalität genau diese Funktion als Tauschmittel zugewiesen wird (Searle, 2008, 453ff, Wilson, 2007, 141ff). Auch hier gilt wieder, dass es nur gemeinsam funktioniert: Einzelne Individuen können nicht für sich ein Tauschmittel als allgemeinverbindlich deklarieren. Der soziale Status von Geld hängt daher von der allgemeinen Funktionszuweisung ab, der auch den Aspekt der Akzeptanz beinhaltet (Searle, 2017, 1457). Der Begriff Geld für bestimmte Artefakte wie Papierscheine referiert daher erst mittels der zugewiesenen Statusfunktion auf einen sozialen Sachverhalt. In ihrem täglichen Umgang mit Geld verwenden Akteure nicht unbedingt mehr bewusst die verschiedenen notwendigen Modi der kollektiven Intentionalität, da die dazu notwendigen Handlungen in soziale Praxis übergegangen sind und routiniert ablaufen. Da die soziale Praxis des Geldumgangs normativ geprägt ist, führt das Ausrichten der wirtschaftlichen Akteure auf die Normen zu Regelmäßigkeiten in eben dieser sozialen Praxis (Stüber, 2005, 316). Allerdings ist darauf hinzuweisen, dass es in unseren Gesellschaften auf die Intentionalität einzelner Akteure nicht ankommt. Auch wenn einzelne Akteure keinerlei Wir-Ziele oder Wir-Überzeugungen haben, müssen sie die <?page no="77"?> 3.3 Realismus und Anti-Realismus 63 Funktion von Geld anerkennen, wenn sie z.B. mit anderen Akteuren Waren austauschen wollen. Institutionen etablieren daher Verfahren, um zu kollektiven Intentionen zu gelangen. In Deutschland regeln Gesetze, was als gesetzliches Zahlungsmittel gilt, und mit ihnen wird Euroscheinen diese Funktion zugewiesen, mit der Folge, dass eine Annahmepflicht für Euroscheine gilt. Geld ist somit ein Beispiel einer sozialen Institution, die durch Intentionalität geprägt ist. Es fällt daher für soziale Sachverhalte schwer, mit dem Realismus eine Geistesunabhängigkeit sozialer Tatsachen anzunehmen (Mäki, 2012, 19). D.h. nicht, dass diese sozialen Entitäten nicht in einer sozialen Realität existieren, sondern diese soziale Realität eben nicht vollständig unabhängig von unserem Geist existiert: Geld ist ein prägnantes Beispiel für geistesabhängige soziale Sachverhalte (Boghossian, 2013, 20). Es gibt allerdings auch soziale Sachverhalte, die nur indirekt mit der kollektiven Intentionalität von Akteuren verbunden zu sein scheinen. Trotzdem sie von keinem einzelnen Teilnehmer an dieser Realität bewusst erkannt oder beabsichtigt werden, sind sie Teil einer sozialen Realität. Ein Beispiel sind nicht intendierte Wirkungen von Handlungen (Agassi, 1975, 153f). So wird beispielsweise das Auftreten einer Rezession in einer Marktwirtschaft von niemandem gewünscht, trotzdem treten Rezessionen immer wieder auf. Für diesen Sachverhalt ist zwar vordergründig eine Geistesunabhängigkeit gegeben, weil keiner der Akteure die Intention hat, eine Rezession herbeizuführen. Allerdings gilt auch in diesem Beispiel, dass sich Rezessionen auf viele soziale Sachverhalte stützen müssen, die wiederum intentionalistisch sind (Searle, 2012, 196ff): Die Akteure richten ihre Handlungen auf einen von ihnen prognostizierten wirtschaftlichen Abschwung, indem z.B. die privaten Verbraucher ihren Konsum einschränken oder die Unternehmen ihre Investitionspläne herunterfahren. Das Beispiel des gesetzlichen Zahlungsmittels stützt zwar die These vom Primat der Sprache, die von Anhängern eines sozialen Konstruktivismus vorgetragen werden, die besagt, dass Sprache die Realität formt (Kutschera, 2003, 50ff). Diese Überlegungen sind jedoch für viele andere soziale Sachverhalte nicht plausibel, wie es das Beispiel der Rezension in einer Volkswirtschaft illustriert. Es bietet sich daher an, soziale Sachverhalte in konstruierte und generierte Sachverhalte zu unterteilen (Thomasson, 2003, 278), wobei auch die generierten Sachverhalte von intentionalistischen Zuständen von Akteuren abhängen. Gesetzliche Zahlungsmittel wie z.B. Euroscheine sind konstruierte soziale Sachverhalte, weil sie durch ein Verfahren kollektiver Intentionsbildung eine Funktion zugewiesen bekommen. Diese Funktionszuweisung erfolgt durch Sprache in der Form gesetzlicher Regelungen. Rezessionen sind hingegen generierte Sachverhalte, weil <?page no="78"?> 64 3 Ontologische Festlegungen für die Sozialwissenschaft sie als indirekte Wirkungen wirtschaftlichen Handelns entstehen, ohne dass sie von den sozialen Akteuren beabsichtigt werden. Wenn die Intentionalität ein wesentliches, mentales Merkmal ist, mit der eine Abgrenzung zur natürlichen (materiellen) Realität erfolgt, dann stellt sich die Frage des Zusammenspiels beider Phänomene. Monistische Auffassungen wie der Materialismus und Naturalismus sowie der Idealismus versuchen eine Vereinheitlichung mit dem Primat entweder der Materie oder des Geistes. Allerdings hat die Besonderheit der mentalen Eigenschaften in der Geschichte der Philosophie auch zur Entwicklung von dualistischen Positionen geführt. Seit Descartes werden daher verschiedene Varianten diskutiert, die eine gleichzeitige Existenz von materiellen und mentalen Substanzen oder Eigenschaften in der Realität annehmen (Robinson, 2008, Rosenthal, 2005a). Wer sich einer solchen Auffassung anschließt, tut sich allerdings schwer, die Verbindungen, die hergestellt werden müssen, plausibel zu beschreiben. Über den Zusammenhang von Gehirn und Geist wird insbesondere in der Philosophie des Geistes heftig gerungen, ohne dass sich eine Ansicht durchgesetzt hat (Beckermann, 2008). Philosophiebox 5: Sozialer Konstruktivismus Im Titel der 1966 in den USA veröffentlichten Schrift „Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit“ von Peter Berger und Thomas Luckmann schwingt bereits eine Grundthese dieser Strömung mit: Die soziale Realität wird maßgeblich durch die sozialen Verhältnisse insbesondere das gesellschaftliche Wissen bestimmt. Sie selbst haben ihr Werk mit dem Untertitel „Eine Theorie der Wissenssoziologie“ versehen und der Bezug zum Begriff „Wissen“ deutet an, dass es sich um einen erkenntnistheoretischen und weniger um einen ontologischen Beitrag handelt. In ihrer Nachfolge wurden hingegen auch ontologische Thesen aufgestellt. Der soziale Konstruktivismus tritt daher in verschiedenen Varianten auf, die sich mit der Frage beschäftigen, wie Akteure die soziale Realität wahrnehmen. Berger und Luckmann entwickeln den Ansatz von Schütz weiter, der das Konzept der Lebenswelt (Alltagswelt) entwickelt hat, um die soziale Welt aus Sicht der Akteure begrifflich einzufangen. Die Lebenswelt wird insbesondere durch die Wissensrepräsentationen der Akteure konstruiert. Von der These, dass soziale Realität durch die Akteure konstruiert wird, ist es nicht weit zu der These, dass die soziale Realität durch die Akteure konstituiert wird. Dies ist eine anti-realistische These, welche die Subjekt- Objekt-Dichotomie durchbrechen will, indem sie dem Subjekt Autonomie über das Objekt gibt. Akteure stehen damit nicht einer unabhängigen, ob- <?page no="79"?> 3.3 Realismus und Anti-Realismus 65 jektiven Realität gegenüber, sondern diese soziale Realität wird durch sie erst geschaffen. Häufig wird diese These noch um weitere Elemente ergänzt, die eine Subjektivierung der sozialen Realität weiter vorantreiben. Zum einen wird die Sprache als wichtiges Medium der Lebenswelt hervorgehoben, mit dem subjektive Wirklichkeiten geschaffen werden, zum anderen - und nicht unabhängig davon - ist die Kultur ein Faktor, der Lebenswelten entscheidend prägt. Wenn dieser erste Schritt einmal getan ist, können weitere Folgen: Denn wenn begründet werden kann, dass sich die eine soziale Welt in verschiedene Welten auflöst, die sich durch unterschiedliche Sprachen oder Kulturen konstituieren, dann lässt sich dies bis zum einzelnen Akteur fortführen und die soziale Welt in so viele Welten aufteilen, wie es Akteure gibt. Historisch ist diese letzte Position als Solipsismus bekannt und gilt als extreme Form eines Skeptizismus und Relativismus. Es ist jedoch nicht zwingend, ausgehend von der These, dass Akteure in ihren mentalen Systemen Wissensrepräsentationen von der sozialen Realität schaffen und dass sich diese Repräsentationen zwischen ihnen unterscheiden, darauf zu schließen, dass diese Akteure unterschiedliche soziale Welten erschaffen. Plausibler erscheint eher die Annahme, dass sie aufgrund ihrer unterschiedlichen Erfahrungen und Wahrnehmungen dieser sozialen Realität zu unterschiedlichen Repräsentationen kommen, die sich aber nicht auf jeweils eigene soziale Realitäten beziehen. Wer der letzten Vermutung folgt, für den erscheint die Trennung in eine objektiv gegebene soziale Realität und die vom jeweiligen sozialen Akteur konstruierte Lebenswelt durchaus sinnvoll. Während die soziale Realität auch dann existiert, wenn sie nicht von einzelnen Akteuren gewollt wird, bildet die Lebenswelt den subjektiven Raum, in dem Akteure handeln. Quellen: Ameln, 2004, Berger und Luckmann, 1969, Collin, 2008, Detel, 2015, Knorr-Cetina, 1989, Kukla, 2000, Sveinsdóttir, 2015 Zusammenfassung Ontologische Festlegungen sind für die Sozialwissenschaft zunächst Festlegungen ihres Erkenntnisgegenstands. Ontologie versucht eine möglichst sparsame Beschreibung der Grundstruktur des Wirklichen und Nichtwirklichen, eine Sozialontologie versucht dementsprechend, mit möglichst wenig sozialen Kategorien auszukommen. In einer Sachverhaltsontologie wird von Sachverhalten ausgegangen, die als Verbindungen zwischen Sachen aufzufassen sind; wobei Sachen - etwas unschön formuliert - auch Menschen als Akteure umfassen. Tatsachen wirken als Wahrmacher von Sachverhalten. Für so- <?page no="80"?> 66 3 Ontologische Festlegungen für die Sozialwissenschaft ziale Sachverhalte spielen Intentionen eine herausragende Rolle, da sie dazu dienen, Ziele und Überzeugungen von Individuen ins Spiel zu bringen. Es wird eine Betrachtung sozialer Sachverhalte mit mehreren Ebenen vorgenommen. Auf der Mikro-Ebene sind individuelle Handlungen und die Untersuchung ihrer Intentionen angesiedelt. Die Meso-Ebene ist den Organisationen vorbehalten, die als kollektive Akteure auch über kollektive Intentionalität verfügen. Die dritte Ebene ist die Makro-Ebene, die als Umfeld von Organisationen in Form von Märkten (Wettbewerb) und Netzwerken (Kooperation) oder als Gesellschaft auftreten. Rationalität ist mit dem Handlungsmodell verbunden und beschreibt, dass Akteure ihre Ziele anstreben (erreichen) und dies mit einem effizienten Mitteleinsatz erreichen. In vielen Modellen der Sozialwissenschaften wird Rationalität unterstellt und an dieser Annahme wird festgehalten, obwohl Abweichungen vom Rational-Modell durch die Forschung zahlreich dokumentiert sind. Kollektive Akteure verfügen über kollektive Intentionalität, die sich - idealtypisch - alle individuellen Akteure gegenseitig zuschreiben. Mit diesem Schritt besteht noch die Möglichkeit, kollektive Intentionalität im kognitiven System von individuellen sozialen Akteuren zu verankern. Realistische Positionen gehen von einer Geistesunabhängigkeit der sozialen Realität aus. In den Sozialwissenschaften ist eine vollständige Geistesunabhängigkeit nicht gegeben, da die meisten sozialen Sachverhalte von den mentalen Systemen der Akteure abhängen. Schlüsselwörter Akteur, sozialer (49) Dualismus (64) Emergenz (59) Handlung (49) Handlung, soziale (56) Individualismus, methodologischer (57) Institution (55) Intention (50) Intentionalität (51) Intentionalität, kollektive (56) Konstruktivismus, sozialer (64) Rationalität (52) Realismus (59) Reduktion (59) Sinn (50) Sozialontologie (44) Sozialwissenschaft, Erkenntnisobjekt der (46) Tatsache (46) Überzeugung (51) Ziel (51) <?page no="81"?> 3.3 Realismus und Anti-Realismus 67 Lernkontrolle 1. Was unterscheidet das Erfahrungsobjekt vom Erkenntnisobjekt? 2. Vergleichen Sie anhand von vier Lehrbüchern in Ihrer Disziplin, wie das Erkenntnisobjekt abgegrenzt wird. 3. Womit beschäftigt sich die allgemeine Ontologie? 4. Was ist ein Sachverhalt? 5. Was ist der Unterschied zwischen einem Sachverhalt und einer Tatsache? 6. Definieren Sie die Intentionalität. Grenzen Sie sie auch gegen Intentionen ab. 7. Zeigen Sie anhand eines selbstgewählten Beispiels aus Ihrer sozialwissenschaftlichen Disziplin die drei Ebenen (Mikro-, Meso- und Makro-Ebene) auf. 8. Mit welchen Merkmalen lassen sich soziale Handlungen beschreiben? Erläutern Sie diese kurz. 9. Was ist der Unterschied zwischen Zielen und Präferenzen? 10. Welche beiden Entscheidungsprozesse lassen sich unterscheiden? 11. Was ist Rationalität? Zeigen Sie an Beispielen, was als rationales Handeln gelten kann. 12. Warum ist es wichtig, zwischen deskriptiver und präskriptiver Rationalität zu unterscheiden? 13. Erläutern Sie, wie soziale Interaktion zu kollektiven sozialen Sachverhalten führt. 14. Was ist kollektive Intentionalität? 15. Wodurch zeichnet sich der methodologische Individualismus aus? Diskutieren Sie seine wesentlichen Annahmen. 16. „Wer glaubt, dass Akteure, z.B. Verantwortliche in Unternehmen, Spielraum in ihren Handlungen haben, der unterliegt einer unglaublichen Illusion.“ Nehmen Sie zu dieser These Stellung. 17. Was ist Emergenz? 18. Welche Annahmen werden durch Realisten in der Sozialontologie vertreten? 19. Welche Positionen vertreten hingegen Anhänger des Sozialkonstruktivismus? 20. Erläutern Sie am Beispiel von Geld, wie soziale Sachverhalte entstehen. 21. Erklären Sie den Unterschied zwischen konstruierten und generierten Sachverhalten. Kommentierte Literaturempfehlungen Einen Einstieg zur Ontologie vermittelt Rapp (2016). Allgemeine Einführungen in die Ontologie sind von Meixner (2004) und Runggaldier und Kanzian (1998); zur Sachverhaltsontologie sind die Werke von Tegtmeier (1992) und Armstrong (2005) zu empfehlen. In den Handbüchern zur Metaphysik von Schrenk (2017) und zur Ontologie von Urbich und Zimmer (2020) finden sich zu allen in diesem Kapitel angesprochenen Themen weiterführende Artikel. <?page no="82"?> 68 3 Ontologische Festlegungen für die Sozialwissenschaft Der methodologische Individualismus wird umfassend im Werk von Lohse (2019) gewürdigt und verteidigt. Eine kritischere Haltung nehmen jüngst Zahle und Kincaid (2019) ein und ein Plädoyer für einen moderaten Kollektivismus findet sich in Albert (2008). Eine konzise Einführung in die philosophische Handlungstheorie ist von Quante (2020), die sehr gut ergänzt wird vom Handbuch hrsg. v. Kühler und Rüther (2016). Wer sich für die verschiedenen sozialwissenschaftlichen Handlungstheorien interessiert, findet umfassende Überblicke in Etzrodt (2003) und Miebach (2006). Eine gute Einführung zur Rationalität findet sich in Stanovich (2010), der eine sehr abgewogene Darstellung bietet. Kurze einführende Überblicke zur Sozialontologie vermitteln Jansen (2020) und Scholz (2008). Einen aktuellen Entwurf zur Sozialontologie hat Jansen (2017) vorgelegt. Die in diesem Kapitel vorgestellte intentionalistische Interpretation einer Sozialontologie beruht auf einer Reihe von Veröffentlichungen. Ein wesentlicher Anstoß kommt von Searle „Die Konstruktion der gesellschaftlichen Wirklichkeit“ (1997), die in seiner jüngsten Veröffentlichung auf Basis der vielen Diskussionen aktualisiert vorliegt (2012) und die eine Reihe wichtiger Vorläufer hat wie z.B. Ruben (1985) und Gilbert (1992). Einen umfassenden Überblick über die aktuellen Diskussionen zur kollektiven Intentionalität findet sich im Sammelband hrsg. v. Jankovic und Kirk (2018). Weitere wichtige Aufsätze finden sich auch im Sammelband hrsg. v. Schmid und Schweikard (2009b); ihre Einleitung zu diesem Sammelband bietet einen instruktiven Überblick und ist als Einstieg gut geeignet (Schmid und Schweikard, 2009a). Die Debatte um den Realismus wird sehr ausführlich von Niiniluoto (2004) dokumentiert, der ein Anhänger des wissenschaftlichen Realismus ist. Der wissenschaftliche Realismus wird umfassend im Sammelband hrsg. v. Saatsi (2018) diskutiert. Zur aktuellen Diskussion in den Sozialwissenschaften Harp und Khalifa (2017) und Kivinen und Piiroinen (2004) und in der Ökonomie Hausman (1998, 2000) und Mäki (2012). <?page no="83"?> 4 Forschungsprozess und Forschungsmethoden 4.1 Argumentation in der Wissenschaft 4.1.1 Argument und Argumentation In der Wissenschaft wird sprachlich kommuniziert, um sich über die Ergebnisse von Forschung, den Ablauf von Forschungsprozessen, Gütekriterien der Forschung u.v.m. auszutauschen. Wissenschaftliche Diskussionen oder Diskurse zeichnen sich dadurch aus, dass in ihnen argumentiert wird. Idealtypisch zeichnen sich Argumentationen 1 durch einen Verlauf aus, in dem zu Beginn etwas behauptet wird, was dann zu begründen ist und in einer Gegenrede in Frage gestellt (kritisiert) wird (Wohlrapp, 2009, 188ff). In Argumentationen wechseln sich Rede und Gegenrede fortlaufend ab, indem Argumente ausgetauscht werden. Wer etwas behauptet, der stellt eine These - oder Hypothese - auf, die mit einem Geltungsanspruch versehen ist (Wohlrapp, 2009, 192f). Je nachdem worauf sich der Geltungsanspruch bezieht, wird die Begründung unterschiedlich ausfallen. Für sozialwissenschaftliche Argumentationen sind die theoretischen Argumentationen, in denen die Wahrheit von Aussagen und die Wirksamkeit von Handlungen geltend gemacht werden, und die praktischen Argumentationen, in denen die Richtigkeit von Handlungsnormen geltend gemacht wird, von besonderer Relevanz (Habermas, 1981, 45, dort weitere Argumentationstypen). Als Gründe für eine Hypothese gelten z.B. Beobachtungsdaten und ihre zweckentsprechende Auswertung. Darstellung der Ergebnisse und der Nachweis über die Qualität der Ergebnisse sind wichtige Gründe, die die Behauptung stützen ( ► Kap. 2.4.3). Wissenschaftliche Argumentationen lassen sich somit als eine häufig komplexe Abfolge von Argumenten beschreiben, in denen neben den Ergebnissen die Regeln und Grundannahmen des Forschungsprogramms herangezogen werden, um über die Ergebnisse der Forschung zu diskutieren. Kern jeder Argumentation ist das Argument. „Ein Argument ist eine Folge von Aussagessätzen, mit der der Anspruch verbunden ist, dass ein Teil dieser Sätze (die Prämissen) einen Satz der Folge (die Konklusion) in dem Sinne stützen, dass es rational ist, die Konklusion für wahr zu halten, falls die Prämissen wahr sind“ (Beckermann, 2014, 4). 1 Im Folgenden verwende ich die Begriffe Diskurs, Diskussion und Argumentation synonym; eine ausführliche Darstellung der Begriffe findet sich in Lumer (1990, 22ff). <?page no="84"?> 70 4 Forschungsprozess und Forschungsmethoden Wie kommt die Gegenrede, mithin die Kritik, ins Spiel? Hier gibt es viele Möglichkeiten. Eine Opponentin kann beispielsweise aufzeigen, dass in der Begründung ein Widerspruch enthalten ist, d.h., dass sich Sätze in den Prämissen widersprechen. Sie kann aber auch darauf hinweisen, dass die Gründe, die genannt werden, die Konklusion gar nicht stützen. Insbesondere bei nicht-deduktiven Schlüssen besteht keine zwingende logische Beziehung und die Art der Beziehung kann daher Anlass sein, sich kritisch mit dem Argument zu beschäftigen. Da für die Wissenschaft Argumente zentral sind, werden im Folgenden wesentliche Argumenttypen beschrieben: Neben den deduktiven Schlüssen sind dies nicht-deduktive Schlüsse (Induktion und Abduktion). Beachten Sie, dass viele Logikbücher von Logik oder formaler Logik im ausschließlichen Sinne einer deduktiven Logik handeln (s. die Literaturhinweise zu diesem Kapitel). Diese Einschränkung wird in diesem Kapitel nicht vorgenommen, weil wissenschaftliche Argumente nicht ausschließlich deduktiv sind. 4.1.2 Logik und Forschungsprozess Wird der Forschungsprozess betrachtet, so hat Hans Reichenbach vorgeschlagen, in einen Entdeckungszusammenhang (context of discovery) und einen Begründungszusammenhang (context of justification) zu trennen (Reichenbach, 1938, 6f, 382ff). Im Entdeckungszusammenhang geht es um die Fragen, wie Hypothesen gefunden und entwickelt werden, die Aussagen über die soziale Realität machen. Im Begründungszusammenhang, der manchmal auch als Rechtfertigungszusammenhang bezeichnet wird, werden diese Hypothesen (Theorien) einer Prüfung unterzogen, indem durch geeignete Methoden gezeigt werden soll, ob der in der Hypothese behauptete Zusammenhang tatsächlich besteht. Die als vorläufig bestätigten Aussagen werden im Gestaltungszusammenhang eingesetzt, um sozialwissenschaftliche Sachverhalte zielgerichtet zu gestalten (Zelewski, 2008, 32). Kritisch wird diese Einteilung befragt, ob denn zwischen Entdeckungs- und Begründungszusammenhang eindeutig getrennt werden kann. So verweist z.B. Kuhn darauf, dass die Unterscheidung nicht a-priori Gültigkeit beanspruchen kann, sondern Teil einer Theorie und daher empirisch zu prüfen ist (Kuhn, 1962/ 1976, 23f). Auch wenn es nicht einfach ist, die verschiedenen Zusammenhänge eindeutig abzugrenzen, weisen die drei Zusammenhänge methodologische und methodische Schwerpunkte auf, ihre Trennung beruht somit nicht auf zeitlichen, sondern auf sachlichen Kriterien (Kelle, 1994, 134f, Nickles, 1980, 8ff). Werden verschiedene Perspektiven gewählt, dann lassen sich Fragen nach der Beschreibung von Tatsachen von der Beurteilung dieser Beschreibung trennen: Während im Entdeckungszusammenhang Behauptungen über Tatsachen aufgestellt werden, werden im Rechtfertigungszusammenhang diese Behauptungen bewertet und beurteilt (Hoyningen-Huene, 2006a, 128 f.). <?page no="85"?> 4.2 Aussagen und deduktive Folgerungen 71 In der analytischen Wissenschaftstheorie galt lange das Verdikt von Reichenbach und Popper, dass Aussagen darüber, wie Theorien gefunden werden, in den Bereich der Psychologie gehören, die Wissenschaftstheorie sich hingegen auf die Probleme der Begründung von Aussagen zu konzentrieren habe (Popper, 1935/ 2005, 6ff, Reichenbach, 1951, 231). Allerdings gibt es in der Wissenschaftstheorie inzwischen eine Vielzahl von Veröffentlichungen zu einer „Logik“ der Entdeckung (Ippoliti, 2020, Nickles, 2013). Für viele Wissenschaftstheoretiker ist eine Logik der Entdeckung jedoch ein widersprüchliches Vorhaben: Während die deduktive Logik logische Folgerungen festlegt und somit regelhaft vorgeht, zeichnet sich die Entdeckung von neuem Wissen durch ihre Regellosigkeit und Kreativität aus (Popper, 1935/ 2005, 7). Als Kern einer „Logik“ der Entdeckung wird in der Wissenschaftstheorie die Abduktion diskutiert (Niiniluoto, 2018). Anstoß zur Beschäftigung mit ihr liefert auch die qualitative Sozialforschung, deren Verfahren sich zunehmend in den verschiedenen Sozialwissenschaften etablieren (Reichertz, 2013). Bei der folgenden Diskussion von Abduktion, Induktion und Deduktion ist es hilfreich, zwischen zwei Ebenen zu unterscheiden: einer logischen sowie einer erkenntnistheoretischen und wissenschaftstheoretischen Analyse. In der Logik werden Argumente daraufhin untersucht, ob sie logisch korrekt oder inkorrekt sind. Während im allgemeinen Verständnis Argumente als gut begründet gelten, wenn die Gründe als überzeugend angesehen werden, beschäftigt sich die Logik nicht mit der Frage, ob diese Gründe - Prämissen - wahr sind, sondern sie untersucht, ob die Schlussfolgerung zwischen den Gründen (Prämissen) und der Behauptung (Konklusion) logisch korrekt ist (Salmon, 1983, 12). Beispielsweise wird mit einer Deduktion von einer allgemeinen Aussage (1. Prämisse: Alle Menschen sind sterblich) und einer beobachteten Tatsache (2. Prämisse: Sokrates ist ein Mensch) auf das Vorliegen der in der allgemeinen Aussage behaupteten Eigenschaft geschlossen (Konklusion: Sokrates ist sterblich). Dass es sich um einen korrekten Schluss handelt, wird im Folgenden erläutert. 4.2 Aussagen und deduktive Folgerungen Aussagen sind Sätze, die wahr oder falsch sind, d.h., es kann ihnen ein Wahrheitswert zugewiesen werden. Aussagen sind zwar sprachlich gebunden, es ist allerdings nicht diese sprachliche Bindung, sondern der Bezug zum Sachverhalt, der sie zu einer Aussage macht. So ist die Aussage in den beiden Sätzen „Es schneit“ und „It snows“ die gleiche, nämlich dass Schnee fällt, d.h., es kommt mithin nicht darauf an, in welcher Sprache die Aussage formuliert ist. So kann gefolgert werden, wenn Hans tatsächlich singt und tanzt, dass dann die Aussage „Hans singt und tanzt“ wahr ist, oder wenn Hans nur singt und nicht tanzt, dass <?page no="86"?> 72 4 Forschungsprozess und Forschungsmethoden die Aussage falsch ist. 2 In der Logik steht die logische Schlussfolgerung von Argumenten im Mittelpunkt, denn mit ihrer Hilfe wird versucht, aus einzelnen Aussagen mithilfe von logischen Regeln Aussagen abzuleiten, die ebenfalls (Konklusion) wahr sind, wenn die Ausgangsaussagen (Prämissen) wahr sind. Zwei wichtige Gebiete der Logik sind die Aussagen- und die Prädikatenlogik. In der Aussagenlogik werden die Aussagen nicht weiter analysiert, in der Prädikatenlogik wird hingegen die Struktur der Aussagen näher analysiert (Zoglauer, 2016, 72). Im Beispiel werden zwei Sachverhalte und die sich darauf beziehenden Aussagen - Hans singt, Hans tanzt - durch ein logisches „und“ miteinander verbunden und gefragt, welchen Wahrheitswert diese Verbindung hat. Mithilfe der Aussagenlogik wird gezeigt, dass wenn zwei Aussagen wahr sind und mit einem „und“ verknüpft sind, diese Verbindung wiederum wahr ist. Da in diesem Kapitel keine Einführung in die Logik beabsichtigt ist, verweise ich am Ende des Kapitels auf die einschlägige Literatur. Eine Aussage als wahr zu bezeichnen, kann daher zwei verschiedene Bedeutungen haben, die von der Aussagenart abhängig sind. Wenn wir die klassische Einteilung in analytische und synthetische Aussagen zugrunde legen, 3 dann erhalten wir zwei Arten von Wahrheitsprädikaten: 1. Wahrheit von analytischen Aussagen ist durch die Regeln der Logik und durch definitorische Festsetzungen begründbar. Sie wird unabhängig von der empirischen Realität untersucht. 2 Im Buch werden an vielen Stellen Sätze der Objektsprachebene in Anführungszeichen gesetzt, um anzuzeigen, dass über sie gesprochen wird. Wir unterscheiden zwischen der Objektsprachebene einer Wissenschaftssprache, das ist der Teil, der Aussagen über die untersuchte Realität macht. Wenn wir über diese Objektsprachebene befinden wollen, setzen wir die Metasprachebene ein. In der Regel geht es aus dem Kontext hervor auf welcher sprachlichen Ebene man sich befindet. Im vorliegenden Buch werden an einigen Stellen objektsprachliche Aussagen gekennzeichnet. 3 Die Unterscheidung in synthetische und analytische Aussagen geht auf Kant zurück, der sie ausführlich analysiert hat (Kant, 1787/ 1983, 52ff). Quine (1951/ 1979b) hat darauf aufmerksam gemacht, dass diese Unterteilung zu voraussetzungsreich ist und daher besser aufzugeben ist. Insbesondere kritisiert er, dass Fragen der Bedeutung und der Synonymität in natürlichen Sprachen nicht so eindeutig geregelt werden können, wie es für die Unterscheidung in analytische und synthetische Aussagen notwendig wäre. Allerdings gibt es gute Gründe diese Unterscheidung nicht aufzugeben: Sozialwissenschaftler haben kenntlich zu machen, ob sie eine Aussage über die soziale Realität machen wollen oder ob sie festlegen, auf welcher Basis sie diese Aussagen machen wollen. Diese letzte Ebene betrifft analytische Aussagen, die z.B. Sprachkonventionen unter Wissenschaftlern festlegt, auf deren Basis empirische Forschung erst möglich wird (ähnlich Schurz, 2014, 106). <?page no="87"?> 4.2 Aussagen und deduktive Folgerungen 73 2. Die Wahrheit von synthetischen Aussagen muss hingegen empirisch überprüft werden, da diese Aussagen etwas über die soziale Realität behaupten. Zur sprachlichen Vereinfachung wird in diesem Buch unter dem Prädikat wahr das Letztere verstanden und wenn vom Ersteren die Rede ist, von analytischer Wahrheit gesprochen. Wenn Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ihre Ergebnisse zu begründen versuchen, dann verwenden sie - in der Terminologie der Logik - Argumente. Argumente sind demnach eine oder mehrere miteinander verbundene Aussagen. Mindestens eine Aussage ist die Konklusion und eine oder mehrere Aussagen sind die Prämissen, die Gründe enthalten, die zur Konklusion führen (vgl. Salmon, 1983, 10). Beispiel 5 enthält einen korrekten, deduktiven Schluss und ist damit ein logisch korrektes Argument. Beispiel 5: Deduktiver Schluss Wenn in Unternehmen die Lobbyausgaben steigen, dann werden die Staatsaufträge der Unternehmen steigen. (Prämisse A) Die Lobbyausgaben der Unternehmen steigen. (Prämisse B) Also: Die Staatsaufträge der Unternehmen steigen. (Konklusion) Um zu erkennen, ob eine logische Folgerung korrekt oder nicht korrekt ist, müssen alle Aussagen betrachtet werden. Ein korrekter Schluss zeichnet sich dadurch aus, dass, wenn die Prämissen wahr sind, dann auch die Konklusion wahr sein muss (Sinnott-Armstrong und Fogelin, 2005, 57). Daher ist eine wichtige Eigenschaft von deduktiven Schlüssen, dass sie wahrheitserhaltend sind (Hintikka und Sandu, 2007, 13). Ob die Aussagen über dem Strich (Prämissen) tatsächlich wahr sind, wird allerdings nicht durch die Logik geprüft, sondern dies festzustellen ist Aufgabe der Einzelwissenschaften. In wissenschaftlichen Aufsätzen werden Hypothesen häufig ähnlich zur im Beispiel 5 enthaltenen Wenn-dann-Aussage formuliert. Mithilfe der Prädikatenlogik lässt sich diese Aussage präzisieren, um ihren Anwendungsbereich festzulegen. ∀x ∈ M (Lx → Ax) Für alle (∀) Unternehmen (x), die Elemente der Menge M sind, gilt, wenn in ihnen die Lobbyausgaben (L) steigen, dann werden ihre Staatsaufträge (A) steigen. Es kann somit der Anwendungsbereich der Hypothese konkretisiert werden, dadurch dass unter die Menge M beispielsweise alle großen Unternehmen in Europa oder börsennotierte Unternehmen in den USA fallen. Die Logik hilft den sozialwissenschaftlichen Forschenden in ihrer einzelwissenschaftlichen Argumentation. Mit ihrer einzelwissenschaftlichen Forschung erar- <?page no="88"?> 74 4 Forschungsprozess und Forschungsmethoden beiten sie gute Gründe (Prämissen). Mit der deduktiven Logik können sie zeigen, dass ihre Ergebnisse (zwingend) aus ihren Gründen folgen. Wer für seine Argumente Zustimmung haben will, der will überzeugen. Um überzeugend zu argumentieren, müssen daher zwei Voraussetzungen vorliegen: 1. wahre Prämissen und ein 2. korrekter Schluss. Ob die Prämissen im Beispiel 5 wahr sind, ist durch entsprechende Forschungen zu klären. Beispielsweise zeigt sich durch eine empirische Untersuchung, dass tatsächlich alle großen europäischen Unternehmen mit steigenden Lobbyausgaben mehr Staatsaufträge erhalten. Die Frage, ob die Prämissen wahr sind, ist jedoch strikt davon zu trennen, ob eine korrekte Beziehung zwischen Gründen (Prämissen) und Ergebnissen hergestellt wird. Daher ist Kenntnis der Logik notwendiges Rüstzeug, um logisch korrekte Folgerungen aus Forschungsergebnissen zu ziehen. Genauso wichtig ist es zu erkennen, wann ein Fehlschluss vorliegt. Fehlschlüsse sind logisch inkorrekte Argumente. Bei ihnen stimmt die Beziehungen zwischen Prämissen und Konklusion nicht, d.h., es ist nicht gewährleistet, dass, wenn alle Prämissen wahr sind, auch eine wahre Konklusion gefolgert wird. Tatsächlich können in Fehlschlüssen wahre Konklusionen auftreten, die nicht durch die Prämissen gestützt werden. Beispiel 6: Ein Fehlschluss Wenn in Unternehmen die Lobbyausgaben steigen, dann werden die Staatsaufträge der Unternehmen steigen. (Prämisse A) Die Lobbyausgaben der Unternehmen steigen nicht. (Prämisse B) Also: Die Staatsaufträge der Unternehmen steigen nicht. (Konklusion) Prämisse A ist eine Wenn-Dann-Aussage (Konditional) und die Verneinung der Wenn-Aussage reicht nicht aus, um einen gültigen Schluss zu erzeugen (Rosenkranz, 2006, 185ff). Mit der Wenn-Dann-Aussage wird etwas behauptet unter der Bedingung, dass die Lobbyausgaben steigen. Die zweite Prämisse bestreitet jedoch das Vorliegen dieser Bedingung. Es könnte aber sein, dass die Staatsaufträge der Unternehmen steigen, weil der Staat über mehr Finanzmittel verfügt und dies unabhängig von den Lobbyausgaben ist. <?page no="89"?> 4.3 Induktion und Abduktion 75 4.3 Induktion und Abduktion 4.3.1 Induktion als Erkenntnis- und Schlussverfahren Während deduktive Folgerungen wahrheitserhaltend sind, trifft dies auf die Induktion und Abduktion nicht zu. Mit ihnen sind riskante Schlüsse verbunden, d.h., dass sie trotz wahrer Prämissen nicht garantieren, dass auch die Konklusion wahr ist. Daher ist es von Interesse, ob es mit ihnen trotzdem möglich ist, der Wahrheit näher zu kommen. Beispiel 7: Induktiver Schluss Beim beobachteten Unternehmen A mit Fehlverhalten liegt der Gewinn deutlich unter den Gewinnerwartungen. (Prämisse A) …Beim beobachteten Unternehmen N mit Fehlverhalten liegt der Gewinn deutlich unter den Gewinnerwartungen. (Prämisse N) Bei allen Unternehmen mit Fehlverhalten liegt der Gewinn deutlich unter den Gewinnerwartungen. (Konklusion) Mit der Induktion wird von einer Beobachtung einzelner Fälle (Prämissen A bis N) auf alle Fälle geschlossen (Konklusion). Der induktive Schluss in der Form der generalisierenden Induktion gilt als gehaltserweiternd, da in den Prämissen nicht alle Fälle enthalten sind. Werden nicht alle Fälle untersucht, bleibt bei einem induktiven Schluss die Unsicherheit, auf einen Fall zu stoßen, der die allgemeine Aussage nicht bestätigt. Beispielsweise wird in einer weiteren Untersuchung ein Unternehmen mit Fehlverhalten gefunden, das seine Gewinnerwartungen erfüllt. Dies unterscheidet den induktiven Schluss vom deduktiven Schluss: obwohl alle Prämissen wahr sind - wir haben tatsächlich nur Unternehmen mit Gewinnen deutlich unter ihren Gewinnerwartungen gefunden -, ist die Konklusion falsch (Rescher, 1987, 23f). Damit ist das klassische Induktionsproblem angesprochen, das David Hume formuliert hat. Es handelt von der Unmöglichkeit der Rechtfertigung dieser Schlüsse und gilt bis heute als nicht gelöst (Poser, 2012, 115ff). 4 Wenn nicht alle Unternehmen auf der Erde untersucht werden, kann die Konklusion nicht verifiziert werden. Da es die Sozialwissenschaften meist mit sehr großen Grundgesamtheiten (Populationen) zu tun haben, kann es eine solche endgültige Verifikation nicht geben (Popper, 1935/ 2005, 16f). Damit ist ein Grundproblem der menschlichen Erkenntnis angesprochen: 4 Für den kritischen Rationalisten Popper ist diese Erkenntnis Ausgangspunkt seiner falsifikationistischen Methodologie, die ihn soweit führte, die Induktion völlig abzulehnen (Popper, 1973). <?page no="90"?> 76 4 Forschungsprozess und Forschungsmethoden Jedes gehaltserweiternde Erkenntnisverfahren birgt die Gefahr in sich, dass trotz wahrer Prämissen auf eine falsche Konklusion geschlossen wird. Im Beispiel 7 gehen Forschende mit Vorwissen in die Untersuchung, d.h., sie gehen von einem Zusammenhang zwischen dem Fehlverhalten von Unternehmen und der Differenz von Gewinn und Gewinnerwartungen aus. Dieses Wissen wird jedoch nicht durch einen generalisierenden Induktionsschluss erlangt, weil es mit der generalisierenden Induktion nicht möglich ist, Hypothesen zu bilden, die über den Gehalt der Prämissen hinausgehen. Hypothesen werden mittels der Abduktion eingeführt. 4.3.2 Abduktion als Erkenntnis- und Schlussverfahren Die Abduktion ist ein Schlussverfahren, das verwendet wird, um zu Hypothesen zu gelangen. Sie wird daher herangezogen, wenn eine Logik der Entdeckung entwickelt wird. Die Abduktion ist von Charles Sandes Peirce in die Logik als drittes Schlussverfahren neben Induktion und Deduktion eingeführt worden. Die Rezeption der Abduktion setzte allerdings sehr viel später im zwanzigsten Jahrhundert ein, sie wurde dadurch erschwert, dass Peirce sein Konzept mehrfach überarbeitete (Fann, 1970, Richter, 1995). Dabei verschob sich seine Interpretation der drei Verfahren als Schlussverfahren (Logik) zu einer Betrachtung der Erkenntnisverfahren (Aliseda, 2006, 32f, Anderson, 1987, 19f, 22f). Mithilfe der Abduktion werden neue Hypothesen und somit nach Peirce neues Wissen eingeführt. Beispiel 8 zeigt einen solchen Schluss (Niiniluoto, 2018, 78). Beispiel 8: Der abduktive Schluss Die überraschende Tatsache B wird beobachtet. (Prämisse A) Es gibt Grund zu der Annahme, dass eine Hypothese der Art K die Tatsache B erklärt. (Prämisse B) Daher gibt es Grund zu vermuten, dass eine Hypothese der Art K wahr ist. (Konklusion) Es wurde nicht damit gerechnet, dass Unternehmen, deren Gewinn deutlich über ihren Gewinnerwartungen liegen, zu Fehlverhalten neigen (überraschende Tatsache B). Mithilfe der Induktion kann aus den untersuchten Unternehmen nicht abgeleitet werden, warum dies so ist. Mittels einer Abduktion wird vermutet, dass sich das Fehlverhalten durch eine Variable erklären lässt: die Lücke zwischen Gewinnerwartung und tatsächlichen Gewinnen. Es ließen sich aus dieser Vermutung eine Hypothese H formulieren: 1. Wenn es eine große absolute Lücke zwischen der Gewinnerwartung und den tatsächlichen Gewinnen gibt, dann tritt ein Fehlverhalten des Unternehmens auf. Die Hy- <?page no="91"?> 4.3 Induktion und Abduktion 77 pothese erklärt die Tatsache B und kann im Abduktionsschluss verwendet werden. Der Schluss in Beispiel 8 ist höchst unsicher; denn es können tatsächlich viele weitere Ursachen - hier: Hypothesen - die Tatsache B erklären. Die Abduktion ist daher - ähnlich wie die Induktion - gehaltserweiternd, und ihre Rechtfertigung ist wie die der Induktion problematisch (Hintikka, 1998, 504f). Dies veranlasst eine Reihe von Autoren, in der Abduktion mehr ein Erkenntnisals ein Schlussverfahren zu sehen (Hintikka, 1998). Eine Hypothese hat die Aufgabe, mithilfe der Ursachen und ihrer Zusammenhänge das Fehlverhalten zu erklären. Aus einer Aufzählung von Daten lässt sich schwerlich eine Hypothese dazu ableiten. Die Forschenden verfügen jedoch in aller Regel über Hintergrundwissen, das es ihnen ermöglicht, Hypothesen aufzustellen. Hintergrundwissen als Wissen zeichnet sich durch zwei Eigenschaften aus: (1) Es enthält mehrere Komponenten wie das theoretische Wissen und das Alltagswissen (Meinefeld, 1995, 91, 2005, 273, Schurz, 1988, 238f) und (2) es wird häufig als unproblematisch angesehen (Popper, 1963/ 2009, 369). 5 Es ist allerdings wichtig zu erkennen, dass dieses Hintergrundwissen nicht in den Prämissen eines Induktionsschlusses steckt, weil es nicht Teil der beobachteten Daten ist. Ein Induktionsschluss kann daher streng genommen nicht zu einer Hypothese führen. Im Beispiel führt das Hintergrundwissen, dass Fehlverhalten häufig mit der absoluten Lücke von Gewinnerwartung und den tatsächlichen Gewinnen einhergeht, zu einer Gruppierung der Beobachtung, die einen sinnvollen induktiven Schluss zulassen. Wie kommt es zu einer Abduktion? Nach Peirce führt die Abduktion neues Wissen in den Forschungsprozess ein. Sie ist daher die eigentliche kreative Phase einer Untersuchung. Peirce betont jedoch, dass sie regelgeleitet ist, was er u. a. dadurch ausdrückt, dass er die Abduktion als Schlussverfahren bezeichnet, um die Nähe zur Logik anzudeuten. Konkrete Regeln und Schritte werden jedoch von ihm nicht entwickelt. Peirce hat auf die Tatsache hingewiesen, dass Forscher nicht erst unzählige mögliche Hypothesen ausprobieren, sondern häufig in drei bis vier Schritten eine vielversprechende Hypothese finden. Er hat insbesondere den Instinkt des Menschen hervorgehoben, der durch die Evolution zu dieser Leistung in der Lage ist (Peirce, 1934, 1935/ 1960, 106f). Psychologische Studien haben diese Vermutung insofern bestätigt und erweitert, als sie festgestellt haben, dass unsere kognitiven Strukturen unser Schlussvermögen beeinflussen. Wichtige 5 In der Literatur zur qualitativen empirischen Sozialforschung wird anstatt von Hintergrundwissen häufig von Vorwissen oder von Vorverständnis gesprochen. <?page no="92"?> 78 4 Forschungsprozess und Forschungsmethoden Funktion hat dabei unser Hintergrundwissen, da es die Möglichkeit beeinflusst, Hypothesen zu entwickeln (Westermann und Gerjets, 1994, 450ff). Im Beispiel zeigen sich die beiden Quellen, aus denen sich die Abduktion speist: Daten und Hintergrundwissen wie z.B. das Wissen der Forschenden über typische Merkmalsverteilungen der beobachteten Unternehmen. Hintergrundwissen ist aber auch prozedural, d.h., neben dem theoretischen Wissen und Faktenwissen bedient sich die Wissenschaft verschiedener Methoden, um zu neuen Erkenntnissen zu gelangen: 1. theoriebasierte Exploration, 2. methodenbasierte Exploration, 3. empirisch-quantitative Exploration und 4. empirisch-qualitative Exploration (Döring und Bortz, 2016, 173). Wenn Forscher nicht große Mengen an Hypothesen untersuchen, sondern schnell zu ihren Hypothesen gelangen, ist zu vermuten, dass sie bei der Abduktion Heuristiken einsetzen, um die verschiedenen Hypothesen beurteilen (Niiniluoto, 1999, S441). Bei der Bewertung von Hypothesen in der Abduktion ist es daher von Interesse, welche Kriterien zur Beurteilung eingesetzt werden. Es ist zu fragen: Wie kommen Wissenschaftler zu einem Schluss auf die beste Erklärung (Abduktion)? 4.3.3 Schluss auf die beste Erklärung Die Diskussion um den Schluss auf die beste Erklärung (inference to the best explanation) wurde von Gilbert Harman (1965) in Gang gesetzt (Lipton, 2004). Im Alltag machen wir ständig von ihm Gebrauch. Wenn Sie nach Feierabend ungeplant einen Freund besuchen und er nicht da ist, dann werden Sie annehmen, dass er vielleicht noch länger arbeitet oder einkaufen ist. Sie werden sehr wahrscheinlich nicht annehmen, dass er ausgewandert ist oder, noch weniger plausibel, von Marsmenschen entführt wurde. Die ersten beiden Gründe werden Sie für die besseren Erklärungen halten. Und wenn Sie Ihren Freund kennen und wissen, dass er noch nie länger gearbeitet hat, denken Sie, dass er noch einkaufen ist. Ohne weiteres Wissen werden Sie diese Alternative für die plausibelste Erklärung halten. Sie können sich allerdings irren. Denn der Schluss auf die beste Erklärung ist wie die Abduktion gehaltserweiternd und daher kann bei fehlenden Informationen (fehlenden Prämissen) die Konklusion zu einer falschen Einsicht führen. In den Wissenschaften wird ähnlich wie im Alltagsleben der Schluss auf die beste Erklärung eingesetzt. Die erwähnte Plausibilität ist aber noch näher zu erläutern. Im bereits eingeführten Beispiel wird mit der Lücke zwischen Gewinnerwartung und tatsächlichem Gewinn das Fehlverhalten von Unternehmen erklärt. Dies wird mit dem Hintergrundwissen begründet, denn in ihm sind verschiedene Theorien verankert. Es ist zu vermuten, dass Hypothesen im Hinblick auf die vorhandenen Daten und die bereits existierenden Theorien beurteilt <?page no="93"?> 4.3 Induktion und Abduktion 79 werden. Rivalisierende Hypothesen sollen nicht nur die Daten erklären, sie sollen sich auch in vorhandene Theorien einfügen. Ein wichtiges Kriterium ist dann die Vereinheitlichung: die betrachteten Hypothesen sollen sich in bereits vorhandene Theorien einfügen und mit ihnen zusammen eine größere Erklärungskraft entfalten. In der Regel beinhaltet dies, dass die dann entstehende Theorie eine größere empirische Bewährung hat (Schurz, 1996, 98). Für das Beispiel bietet sich die Behavioral Theory of the Firm als Theorie an, weil sie die Lücke zwischen der Aspiration und der tatsächlichen Leistung adressiert (Cyert und March, 1963), ohne bisher Fehlverhalten als Reaktion von Unternehmen systematisch untersucht zu haben (Gavetti et al., 2012). Allerdings können empirische Untersuchungen auch dazu führen, dass bestehende Theorien verändert oder in Frage gestellt werden müssen. Das vereinfachte Beispiel beruht auf Untersuchungen, die zeigen, dass Unternehmen, deren tatsächliche Gewinne über den Gewinnerwartungen lagen, zu Fehlverhalten neigen (z.B. Mishina et al., 2010). Während die Theorie vor diesen Untersuchungen davon ausging, dass Unternehmen, deren Gewinn über den Gewinnerwartungen liegt, weniger riskante Maßnahmen ergreifen, kann dies durch die Untersuchungen zum Fehlverhalten bezweifelt werden. 4.3.4 Abduktion, Induktion und Deduktion Eine idealtypische Abfolge von wissenschaftlichen Untersuchungen beginnt nach Peirce mit der Abduktion, gefolgt von Deduktion und wird mit der Induktion abgeschlossen (Peirce, 1934, 1935/ 1960, 320ff). Allerdings ist das Wechselspiel zwischen Abduktion, Deduktion und Induktion viel komplexer, als dies in solch vereinfachenden Schemata zum Ausdruck kommt. So wird zwar im Begründungszusammenhang der Königsweg in der Deduktion gesehen, wobei ein wichtiges Argument ihr wahrheitserhaltender Charakter ist. Da Induktionen als nicht verifizierbar gelten, ist ihre Begründungsfähigkeit gegenüber der Deduktion schwächer. Karl Popper lehnt die Induktionslogik ab und hält induktive Schlüsse gegenüber einer deduktiven Überprüfung für unnötig (Popper, 1935/ 2005, 9ff, Schurz, 2002). Es lässt sich jedoch zeigen, dass dies der Praxis sozialwissenschaftlicher Forschung nicht entspricht. Durch die Deduktion werden auf Basis von Hypothesen und empirischen Anfangsbedingungen Prognosen aufgestellt, die einer empirischen Prüfung unterzogen werden können (Hempel, 1965/ 1977, 5ff). So könnte auf Basis des Beispiels folgender Deduktionsschluss aufgestellt werden: Beispiel 9: Deduktiver Schluss Wenn bei Unternehmen der Gewinn deutlich unter den Gewinnerwartungen liegt, dann tritt Fehlverhalten auf. (Prämisse A) <?page no="94"?> 80 4 Forschungsprozess und Forschungsmethoden In Unternehmen treten Gewinne deutlich unter den Gewinnerwartungen auf. (Prämisse B) Also: Es tritt Fehlverhalten bei diesen Unternehmen auf. (Konklusion) Induktive Schlüsse werden angewendet, wenn von einer Stichprobe auf eine Grundgesamtheit geschlossen wird (Gadenne, 1976, 27ff). Da es meist nicht möglich ist, die gesamte Population z.B. alle Unternehmen in Deutschland zu untersuchen, wird eine für die Grundgesamtheit möglichst repräsentative Stichprobe festgelegt. Eine solche statistische Induktion entspricht der einführend dargestellten generalisierenden Induktion. Beide Varianten unterscheiden sich dadurch, dass die statistische Induktion darauf schließt, dass bestimmte Eigenschaften mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit in der Grundgesamtheit zu finden sind. Erreicht wird dies mit der Inferenzstatistik, wie sie in vielen Lehrbüchern zur schließenden Statistik dargestellt ist (Eid, Gollwitzer und Schmitt, 2015, Bortz und Schuster, 2010). 4.3.5 Eine allgemeine Argumentform Wer wissenschaftliche Texte liest, bemerkt, dass aus ihnen nicht immer klar hervorgeht, was die Prämissen sind, was die Konklusion ist und warum sich das Eine aus dem Anderen ergibt. Um sich der Praxis des Argumentierens zu nähern, hat Stephen Toulmin ein Schema entwickelt, dass der Grundform jeglicher Art von Argumentation nahe kommen soll (s. Abbildung 6). Seine Argumentform hat sechs Bestandteile, die zwar nicht immer alle auftreten, jedoch in vielen Argumenten zu finden sind (Toulmin, 1958/ 1996, 88ff, Toulmin, Rieke und Janik, 1984, 24ff). Er geht damit über die weit verbreitete Zweiteilung von Argumenten in Prämissen und Konklusion hinaus. 1. Konklusion (claim) ist die Behauptung, die im Argument aufgestellt wird. Sie ist meist die zentrale These, Proposition oder Idee in einer Veröffentlichung. 2. (Empirische) Gründe (grounds, data) sind Aussagen, die sich auf Ergebnisse von empirischen Untersuchungen oder generell - auf Fakten - beziehen. Sie werden in die Argumentation eingebracht, um die Behauptung zu stärken. 3. Unter Fundierung 6 (warrants) werden Aussagen verstanden, die je nach Gebiet, in dem argumentiert wird, als allgemeine Handlungsregel, Gesetz 6 Toulmin verwendet den Terminus „warrant“, den ich hier mit Fundierung anstatt Rechtfertigung übersetze, um Verwechslungen zu vermeiden. <?page no="95"?> 4.3 Induktion und Abduktion 81 oder moralische Regel aufgefasst wird und mit deren Hilfe aus den Gründen auf die Konklusion geschlossen werden kann. 4. Stützungen (backing) sind Aussagen, die Auskunft darüber geben, ob es angemessen ist, in der Argumentation eine bestimmte Fundierung zu verwenden. Wenn beispielsweise in einer sozialwissenschaftlichen Diskussion Aussagen einer Theorie zur Fundierung eingebracht wird, kann nach ihrer Relevanz für die Behauptung gefragt werden. Neben diesen inhaltlichen Fragen sind auch methodische Fragen häufig in Diskussionen aufzufinden. Beispielsweise wird gefragt, ob Ergebnisse von Laborexperimenten auf die tatsächliche Situation in Organisationen übertragen werden können. 5. Operatoren (modal qualifier) dienen dazu, anzuzeigen, wie die Gründe die Konklusion stützen. Häufig sind in den Sozialwissenschaften probabilistische Aussagen notwendig, da bestimmte Phänomene nicht auf alle Akteure zutreffen, d.h., die Konklusion wird mit einem „Es ist wahrscheinlich, dass ...“ versehen. Es ist zu beachten, dass eine solche Qualifizierung nicht Bestandteil der Konklusion ist (Salmon, 1983, 180), weil sie eine Beschreibung der Beziehung zwischen den Gründen und der Konklusion ist. 6. Ausnahmebedingungen (A) sind Gründe, die gegen die Konklusion sprechen und beispielsweise auf Bedingungen hinweisen, unten denen die Konklusion nicht gilt. (Quelle: in Anlehnung an Toulmin, Rieke und Janik, 1984, S. 98) Abbildung 6: Argumentform nach Toulmin Die Argumentform nach Toulmin gilt als das einflussreichste Schema der sich neben der formalen Logik entwickelnden informalen Logik und ist daher in vielfältiger Weise interpretiert und kritisiert worden (van Eemeren et al., 2014). Verkürzend lassen sich die drei Bestandteile - Gründe, Fundierung und Stützung - als Prämissen auffassen, welche die Konklusion stützen. Operator und Aus- <?page no="96"?> 82 4 Forschungsprozess und Forschungsmethoden nahmebedingung geben hingegen Auskunft über die Art der Beziehung zwischen den Gründen und der Konklusion. Beispiel 10 illustriert das Schema an einem ausführlichen Fall. Beispiel 10: Finanzkrise und das Argumentschema nach Toulmin Die Finanz- und Wirtschaftskrise, die sich im Jahre 2007/ 2008 von den USA in die Weltwirtschaft ausbreitete, hat sicherlich viele Ursachen. Je nach wissenschaftlicher Disziplin und nach bestimmten Hintergrundannahmen werden sie sehr unterschiedlich gewichtet und als die wahren Auslöser der Krise benannt. Da es im Beispiel aber nicht darum geht, eine Theorie der Krise zu entwickeln, werden ausgewählte Aussagen zusammengestellt, an denen das Argumentationsschema von Toulmin erläutert werden kann. Die Argumentstruktur ist bei dieser rivalisierenden Erklärung in ihrem Kern vorgegeben, weil die Behauptung (Konklusion) unstrittig ist: Die Krise mit ihren vielfältigen Wirkungen ist eingetreten. Rivalität besteht insbesondere darin, dass die Ursachen, die zur Krise geführt haben, umstritten sind. Da die ersten Schockwellen aus dem Bankensektor kamen, ist sie ein bevorzugtes Gebiet für die Krisenanalyse. So schreibt Hans-Werner Sinn (2009) in seinem Buch Kasino-Kapitalismus: „Das Problem liegt aber nicht in erster Linie in der fehlenden Moral der Akteure, sondern in den falschen Anreizen, die das Rechtsinstitut der Haftungsbeschränkung in Verbindung mit einer allzu laschen Regulierung liefert“ (S. 12). Dies ist seine bevorzugte Ursache, warum es zur Krise gekommen ist, der er dann in seinem Buch im Einzelnen nachgeht. Ursachen sind als Gründe im Sinne des Argumentationsschemas von Toulmin zu verstehen. Die Haftungsbeschränkung ist allerdings ein „Erfolgsgeheimnis des Kapitalismus“ (S. 84), weil „sie ... die gewaltige Akkumulation von Kapitalien ermöglicht [hat], die die Voraussetzung der Industrialisierung und des wirtschaftlichen Wohlstands der westlichen Welt war und weiterhin ist“ (S. 87). Daher ist es notwendig, die Aussage zu quantifizieren, um anzuzeigen, dass Haftungsbeschränkung erst ab einem gewissen Niveau als Problem angesehen werden kann: „Man sieht, dass diese Quoten [Eigenkapitalquoten] im Bereich von nur 3 bis etwa 4,5% lagen“ (S. 88). Er präzisiert damit seine Aussage, so dass beispielsweise Banken, die eine Eigenkapitalquote von 25% haben, nicht als Problem angesehen werden. Sinn betrachtet dann ausgewählte Beispiele zur Regulierung und stellt ihre Laschheit fest. Da es nicht darum geht, seine ausgefeilte Argumentation nachzuzeichnen, kann sein Argument vereinfacht dargestellt werden. Er stellt auf Basis seiner Untersuchung fest, dass, bevor die Krise ausbrach, Banken Eigenkapitalquoten von unter 5% hatten und dass die Regulierung lasch war. Daraus schließt er, dass dies das Auftreten der Krise wahrscheinlich machte. Die Formulie- <?page no="97"?> 4.4 Typen von sozialwissenschaftlichen Methoden 83 rung „mit hoher Wahrscheinlichkeit“ zeigt an, dass zwischen diesen Gründen und der Konklusion keine notwendige Beziehung besteht. Eine Fundierung des Schlusses beruht auf einer Theorie, wie Krisen im Bankensektor entstehen. Verkürzend lautet die entsprechende Aussage: Wenn Banken mit nur wenig (z.B. kleiner als 5%) Eigenkapital ausgestattet sind und wenn ihre Regulierung lasch ist und weitere Gründe existieren, dann kommt es zu einer Finanzkrise. Da im Zuge der Finanzkrise auch die Entlohnung als Krisenauslöser genannt wird, stellt sie eine potentielle Ausnahmebedingung dar, die als Gegenargument verwendet wird. Sinn argumentiert dafür, dass letztlich die Haftungsbeschränkung der Aktionäre für die Gestaltung der Entlohnungssysteme ursächlich ist (S. 97) und daher seine Argumentation ohne Berücksichtigung dieser Tatsachen auskommt. 4.4 Typen von sozialwissenschaftlichen Methoden Mithilfe der Logik können Wissensbehauptungen im Forschungsprozess beurteilt werden und daher spielt sie für die Rechtfertigung von Wissen eine bedeutende Rolle. In der einzelwissenschaftlichen Forschung lässt sich eine Vielzahl von Methoden beobachten. Sie sollen kurz skizziert werden. Mithilfe empirischer wissenschaftlicher Methoden werden Daten systematisch aus der sozialen Realität aufgenommen und verarbeitet, um daraus Information entsprechend der Zielsetzung der Forschenden zu erzeugen. Neben diesen empirischen Methoden werden in den Wissenschaften auch Methoden eingesetzt, die als analytisch bezeichnet werden. Die Charakterisierung „analytisch“ bezieht sich darauf, dass diese Aussagen aus Annahmen mit Hilfe von Mathematik und Logik oder begrifflichen Festlegungen abgeleitet werden. Sie sind als deduktiv zu bezeichnen, da sie den Wahrheitswert ihrer Annahmen erhalten (Schurz, 2014, 79f). Analytisch-deduktive Methoden werden für rationale Handlungstheorien eingesetzt (Wild, 1975, 2661ff). In der analytisch-deduktiven Methodengruppe werden formal-analytische Methoden, wie sie paradigmatisch in der präskriptiven Entscheidungs- und Spieltheorie praktiziert werden, und verbalanalytische Methoden unterschieden. Innerhalb der empirischen Handlungstheorien werden quantitative und qualitative Methoden unterschieden. Methoden, die mittels ihrer Auswertungsverfahren überwiegend interpretierend vorgehen, werden als qualitativ bezeichnet, dementsprechend wird im Falle von Methoden, die überwiegend Messwerte statistisch analysieren, von quantitativen Methoden gesprochen (Döring und Bortz, 2016, 184f). <?page no="98"?> 84 4 Forschungsprozess und Forschungsmethoden In den Sozialwissenschaften werden die analytisch-deduktiven Methoden insbesondere im Entdeckungszusammenhang des Forschungsprozesses eingesetzt. Bestehen noch recht vage Vorstellungen über die ökonomischen Zusammenhänge, werden sie eher verbal formuliert (verbal-analytisch) und in einem fortgeschrittenen Stadium werden Formalmodelle (formal-analytisch) aufgestellt (Williamson, 1993, 38ff). Unter verbal-analytischen (konzeptionellen) Methoden sollen solche Methoden verstanden werden, die auf einer verbalen argumentativen Vorgehensweise beruhen und in der Regel nicht sofort nach einer empirischen Prüfung ihrer Ergebnisse streben. Vielmehr wollen sie häufig zunächst ein plausibles Forschungsmodell aufstellen, d.h., sie formulieren als Ergebnisse verschiedene Hypothesen. Beispiel 11: Attributionstheorie und Vertrauen Tomlinson und Mayer (2009) formulieren ein Forschungsmodell für den Aufbau und Wiederaufbau von Vertrauen nach einem negativen Ereignis, für das ein sozialer Akteur verantwortlich gemacht wird. Für die Ableitung ihrer Hypothesen verwenden Sie verschiedene Theorien, in deren Zentrum die Attributionstheorie steht (Weiner, 1986). Mit deren Hilfe versuchen sie zu begründen, welche Prozesse bei sozialen Akteuren ablaufen, wenn ein negatives Ereignis eingetreten ist. Sie zeigen auf, wie mit Hilfe der Abgabe von Rechenschaft, Vertrauen wieder aufgebaut werden kann. Eine weitere Art von Untersuchungen ist eine Zusammenstellung vorhandener Literatur unter einem bestimmten, manchmal neuen Aspekt, manchmal auch Vorschläge zu neuen Begriffsdefinitionen. In wissenschaftlichen Zeitschriften finden sich auch häufig Überblicke über die empirische Forschung. Solche Überblicke analysieren und synthetisieren Studien zu einer Forschungsfrage, um Schlussfolgerungen darüber zu ziehen, inwieweit es gelungen ist, die Theorie mit der Evidenz zu verbinden (Siddaway, Wood und Hedges, 2019). Sie sollen daher die Literatur kategorisieren und Probleme aufzeigen, indem sie z.B. auf widersprüchliche Aussagen aufmerksam machen und damit Hinweise für zukünftige Forschung aufzeigen (Siddaway, Wood und Hedges, 2019, 766ff). Es lassen sich narrative Literatur-Überblicke von Meta-Synthesen oder qualitative Meta-Analysen (Hoon, 2013) und quantitative Meta-Analysen (Cooper, 2016) unterscheiden. Beispiel 12: Systematische Literatur-Überblicke So zeigen Simpson und Willer (2015) in einem narrativen Überblick zum kooperativen und prosozialen Verhalten von Individuen die Wirkung von verschiedenen gesellschaftlichen Mechanismen. Ihr soziologischer Blick schärft <?page no="99"?> 4.4 Typen von sozialwissenschaftlichen Methoden 85 die Sichtweise, dass neben individuellen Faktoren soziale Normen, Reputation und soziale Netzwerke dieses Verhalten positiv beeinflussen können. Habersang, Küberling-Jost, Reihlen und Seckler (2019) analysieren und synthetisieren 43 veröffentlichte qualitative Fallstudien zum organisatorischen Versagen auf Basis eines theoretisch fundierten Auswertungsschemas (Kodierschema) und entwickeln auf dieser Basis vier Prozess-Typen des Versagens in Organisationen. Auf Basis von 135 Studien aus 20 Ländern untersuchen Neville, Byron, Post und Ward (2019) mit einer Meta-Analyse die Beziehung zwischen der Governance und dem Fehlverhalten in Unternehmen. Sie finden, dass vom Unternehmen unabhängige Mitglieder in Aufsichtsgremien generell negativ auf das Fehlverhalten wirken und dass dies insbesondere in Ländern mit weniger Korruption stärker negativ ist. Darüber hinaus weisende Literaturüberblicke verknüpfen ihre Ergebnisse mit Metaphern und Analogien sowie Theorien anderer Forschungsgebiete, um neue Entwicklungen der Theorie anzuregen (Breslin und Gatrell, 2020). Manchmal bahnen verbal-analytische (konzeptionelle) Arbeiten neuen Ideen den Weg, denn unser Blick auf die soziale Realität ist durch unser theoretisches Vorwissen geprägt. Ein spekulativer Wechsel des Blickwinkels kann Forschung in neue Bahnen lenken, ohne dass dies durch eine systematische Analyse der empirischen Forschung untermauert sein muss. Trotzdem lassen sich auch in konzeptionellen Arbeiten auf Basis der theoretischen Vorstellungen Aussagen ableiten, die in Artikeln internationaler Zeitschriften meist als Propositionen (propositions) bezeichnet werden. Beispiel 13: Rechenschaft Scott und Lyman (1968) haben in ihrem Artikel viele Anstöße gegeben, sich mit den verbalen Äußerungen nach Verfehlungen sozialer Akteure zu beschäftigen. Auf Basis von Austins (1956/ 1986) Unterscheidung in Ausreden und Rechtfertigungen diskutieren sie verschiedene weitere Möglichkeiten und Faktoren, die sowohl die Abgabe solcher Rechenschaften als auch die Beurteilung durch die Adressaten beeinflussen können. Formal-analytische Methoden verwenden in ihrer Argumentation Modelle. Modelle sind vereinfachte Abbilder der Realität und sind Problemrepräsentationen, die je nach dem untersuchten Wissenschaftsziel z.B. als Interpretationsmodelle (Verstehen) oder Kausalmodelle (Erklärung) aufzufassen sind (Zelewski, 2008, 44). Modelle stellen damit insbesondere heuristische Hilfsmittel der Theorieentwicklung und -prüfung dar, d.h., die analytisch-deduktiven Methoden unterstützen beide Erkenntnisziele: Verstehen und Erklären. <?page no="100"?> 86 4 Forschungsprozess und Forschungsmethoden Empirische Methoden haben zum Zweck, Wissen über die Realität zu sammeln (Erhebungsmethoden) und zu analysieren (Auswertungsmethoden). Angestrebt wird mit dem theoretischen Wissenschaftsziel der Erklärung kausale Aussagen zu erhalten. Es sollen die Beziehungen zwischen Phänomenen in der Wirklichkeit erklärt werden. In einem ersten Schritt ist dazu die Beschreibung notwendig. Für die Beschreibung spielen Begriffe, deren Definitionen und Operationalisierung in Form von Variablen, ihre Klassifikation sowie Zusammenhangsanalysen eine herausragende Rolle. Eine wesentliche Behauptung in der Wissenschaftstheorie ist es, dass erst, wenn die Stufen der Beschreibung, des Verstehens und der Erklärung erklommen sind, es möglich ist, Aussagen über die Gestaltung der Wirklichkeit abzuleiten. Um kausale Erklärungen zu ermöglichen, werden bevorzugt experimentelle Methoden eingesetzt, bei denen die interessierenden Erklärungsvariablen manipuliert werden. Philosophiebox 6: Modell und Theorie Modelle werden als vereinfachte Abbilder der Realität bezeichnet, die dazu dienen, einen sozialen Sachverhalt in angemessener Weise wiederzugeben, so dass es möglich ist, mit ihrer Hilfe die kognitiven Wissenschaftsziele - Beschreibung, Verstehen, Erklärung, Prognose und Gestaltung - zu erreichen. Da soziale Sachverhalte als komplex einzuschätzen sind, werden meist eine Strukturähnlichkeit und keine Strukturgleichheit mit der Realität angestrebt. Es zeigt sich, dass die kognitiven Ziele von Modellen und Theorien gleich sind, und damit geht die Frage einher, wie beide voneinander abzugrenzen sind. Hierzu gibt es eine Vielzahl von Auffassungen, die sich nach ihrer hierarchischen Beziehung ordnen lassen. 1. Modelle gelten als Theorien untergeordnet, weil das vornehmste Ziel der Wissenschaft das Aufstellen von Theorien ist. Modelle sind somit Hilfsmittel oder, wie in diesem Kapitel dargestellt, Bestandteile von einzelnen Methoden, um mit der Komplexität der sozialen Realität umgehen zu können. 2. Wenn eine größere Eigenständigkeit von Modellen proklamiert wird, ist meist die Praxis der Wissenschaft der Ausgangspunkt. Besonders prominent werden Simulationen - insbesondere Computer-Simulationen - diskutiert, die aus Sicht ihrer Protagonisten grundsätzlich neue Fragen an die Wissenschaftstheorie stellen. Simulation ist als Weiterentwicklung von formal-analytischen Methoden zu verstehen. Zum einen gibt es Varianten, welche gezielt eingesetzt werden, wenn eine formal-analytische Lösung nicht sinnvoll oder nicht möglich ist. Zum zweiten gibt es Varianten, die reale Prozesse oder Teile dieser <?page no="101"?> 4.4 Typen von sozialwissenschaftlichen Methoden 87 Prozesse nachahmen, um beispielsweise aufgrund einfacher Regeln komplexe Phänomene entstehen zu lassen. Sogenannte agentenbasierte Modelle sind eine Variante, die es ermöglichen, emergente Phänomene zu erzeugen, mithin Auswirken individueller Phänomene auf der Makro-Ebene zu analysieren. Stoßen Simulationen neue wissenschaftstheoretische Debatten an? Wenn sie gleichungsbasiert sind, dann ist ihre Nähe zu den formal-analytischen Methoden so groß, dass deren Beurteilung auch für Simulationen gültig ist. Agentenbasierte Simulationen sind jedoch nicht (immer) gleichungsbasiert, so dass es praktisch nicht möglich ist, den Mechanismus, der zu ihrem Ergebnis führt, zu beschreiben. Liegt in diesem Fall eine Erklärung, so wie sie im 7. Kapitel beschrieben wird, vor? Eine Erklärung nach dem Muster von Hempel und Oppenheim erfordert in der Regel eine gesetzesartige Aussage, aus der unter Einbeziehung von Anfangsbedingungen die Ergebnisse deduktiv abgeleitet werden. Simulationen sind hingegen angemessener als induktiv zu beschreiben. Die Korrektheit der Ergebnisse ist somit abhängig vom Status des Schlusses. Wichtig ist jedoch zu erkennen, dass zur Beantwortung derartiger Fragen nicht etwa neue wissenschaftstheoretische Kenntnisse benötigt werden. Simulationen lassen sich je nach Ausgestaltung als Kombinationen verschiedener Methoden beschreiben. Ihre Beurteilung beruht daher auf Kriterien, wie sie auch sonst für wissenschaftliche Methoden angewendet werden. Quellen: Bailer-Jones, 2009, Boumans, 2005, Frigg und Reiss, 2009, Grüne- Yanoff, 2011, Grüne-Yanoff und Weirich, 2010, Hartmann, 2010, Morgan und Knuuttila, 2012 Zusammenfassung Wissenschaft soll Wissen schaffen. Als Wissen werden insbesondere Aussagen bezeichnet, die wahr und gerechtfertigt sind. Herausragendes Merkmal für die Rechtfertigung von Wissen ist in den Wissenschaften der Einsatz von Methoden. Mit Hilfe der Logik sollen wissenschaftliche Argumente überzeugend vorgebracht werden. Die Logik befasst sich allerdings nur mit einem Aspekt von Argumenten: ihrer Struktur. Korrekte Argumente zeichnen sich dadurch aus, dass sie die Wahrheit ihrer Prämissen erhalten. In der Wissenschaft wird sich der Abduktion, Induktion und Deduktion bedient, um auf verschiedene Art zu schlussfolgern. Mit der Abduktion ist das Aufstellen von Hypothesen verbunden, was insbesondere durch den Schluss auf die beste Erklärung erreicht wird. Die In- <?page no="102"?> 88 4 Forschungsprozess und Forschungsmethoden duktion, die in der Form der generalisierenden und der statistischen Induktion eingesetzt wird, ist ein gehaltserweiternder Schluss. Mithin besteht die Gefahr, dass trotz wahrer Prämissen die Konklusion falsch ist. Dies steht im Gegensatz zur Deduktion, die, wenn ein korrekter Schluss vorliegt, die Wahrheit ihrer Prämissen erhält. Neben den analytisch-deduktiven Methoden werden empirische Methoden eingesetzt. Während die verbal-analytischen und formalanalytischen Methoden zur Theoriebildung beitragen, wird mit den empirischen Methoden (qualitativ und quantitativ) versucht, Theorien auf Basis der sozialen Realität zu konstruieren und zu testen. Schlüsselwörter Abduktion (76) Argument (69) Aussage (71) Aussage, analytische (72) Aussage, synthetische (73) Begründungszusammenhang (70) Deduktion (71) Entdeckungszusammenhang (70) Gestaltungszusammenhang (70) Hintergrundwissen (77) Induktion (75) Induktion, statistische (80) Methode, analytisch-deduktive (83) Methode, empirisch (83) Modell (86) Lernkontrolle 1. Was ist ein Argument und was macht ein gültiges Argument aus? 2. Grenzen Sie den Entdeckungsvom Begründungszusammenhang ab. 3. Warum ist es auch für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nützlich, sich grundlegendes Wissen über Logik anzueignen? 4. Welche zwei unterschiedlichen Wahrheitsprädikate kennen Sie? 5. Erläutern Sie, warum es möglich ist, dass sie bei der generalisierenden Induktion trotz wahrer Prämissen eine falsche Konklusion erhalten können. 6. Warum ist die Abduktion gehaltserweiternd? 7. Beschreiben Sie an einem selbst gewählten Beispiel den Schluss auf die beste Erklärung. 8. Nennen Sie Kriterien, mit denen Sie Hypothesen beurteilen, um einen Schluss auf die beste Erklärung durchzuführen. 9. Suchen Sie nach Artikeln in Ihrer Disziplin, die verschiedene Methoden einsetzen, und stellen Sie die Argumente zusammen, die für ihren Einsatz angebracht werden. <?page no="103"?> 4.4 Typen von sozialwissenschaftlichen Methoden 89 Kommentierte Literaturempfehlungen Kenntnisse in induktiver und deduktiver Logik sind für jeden sozialwissenschaftlich Forschenden von Nutzen. Es gibt jedoch eine unüberschaubare Fülle von Einführungen in die Logik, mit sehr unterschiedlichem Anspruch, insbesondere wie formal die Darstellung ist. Eine sehr anschauliche, allerdings überwiegend verbale Einführung hat Salmon (1983) vorgelegt, eine etwas mehr formal orientierte Einführung ist von Rosenkranz (2006). Für den anspruchsvolleren Leser sind die Monographien von Hoyningen-Huene (1998), Kutschera (2000) und Beckermann (Beckermann, 2014), die in die Aussagen- und Prädikatenlogik einführen. Eine einführende Betrachtung der allgemeinen Argumentationstheorie findet man in Tetens (2004), umfassender wird sie in Sinnott-Armstrong und Fogelin (2005) abgehandelt. Zugeschnitten auf die „Textanalyse in den Wissenschaften“ behandeln Brun und Hirsch Hadorn (2018) auch die Analyse von Argumenten. Einige Teile des Kapitels zur Abduktion, Induktion und Deduktion finden sich in meinem Aufsatz: Brühl (2006a). Einen systematischen Überblick zur Abduktion findet sich in Schurz (2017), eine umfassende Diskussion der Abduktion bieten Aliseda (2006) und Niiniluoto (2018) und ihr Einsatz in der qualitativen Forschung wird dargestellt von Reichertz (2003). Die empirischen Methoden werden in Büchern zur empirischen Sozialforschung behandelt. Stärker quantitativ ausgerichtet sind Döring und Bortz (2016), stärker qualitativ ausgerichtet sind Lamnek und Krell (2016) oder Flick (2007), der auch ein Handbuch zu den qualitativen Methoden herausgibt (Flick, 2014). Umfassenden Überblick zu den quantitiven Methoden vermitteln die beiden Handbuchbände hrsg. v. Little (2013a, b). Hussy, Schreier und Echterhoff (2013) bieten einen einführenden Text für beide Methodengruppen sowie Kombinationen an; den konzeptionellen Hintergrund von Methodenkombinationen analysieren Teddlie und Tashakkori (2009) und für die Betriebswirtschaftslehre Brühl (2010). Teddlie und Tashakkori (2010) geben auch ein Handbuch zu den Methodenkombinationen heraus. <?page no="104"?> 5 Verstehen 5.1 Verstehen als Konzept der Hermeneutik Verstehen ist wie Erklärung ein schillernder Begriff und eng mit der Entwicklung der philosophischen Hermeneutik, der Hermeneutik als Methode sowie der qualitativen Sozialforschung verwoben. Die Einschätzung über den wissenschaftlichen Stellenwert des Verstehens im Kanon der anderen kognitiven Ziele wie Erklärung oder Beschreibung fällt jedoch sehr unterschiedlich aus. So weist beispielsweise Karl-Dieter Opp in seiner weitverbreiteten Monographie zur Methodologie der Sozialwissenschaften auf eine Art Hilfsfunktion des Verstehens für Erklärungen hin (Opp, 2014, 83f) und deshalb unterlässt er in seinem Buch eine systematische Betrachtung des Verstehens. Hingegen steht das Konzept des Verstehens im Zentrum der Diskussion um die Grundlagen der qualitativen Sozialforschung und so konstatieren Siegfried Lamnek und Claudia Krell: „In den Sozialwissenschaften ist das Verstehen zentral“ (Lamnek und Krell, 2016, 70). Es ist daher insbesondere der verstärkte Einsatz von qualitativen Methoden in den Sozialwissenschaften, der zu einer (Rück-)Besinnung geführt hat. Eine Rückbesinnung ist dies insoweit, als Dilthey, der eine Grundlegung der Geisteswissenschaften, die auch die Sozialwissenschaften umfasst, und ihrer Methoden anstrebte, das Verstehen in ihr Zentrum rückte: „Das Verstehen und Deuten ist die Methode, welche die Geisteswissenschaften erfüllt“ (Dilthey, 1927/ 1958, 205). Er richtet seinen Entwurf damit ausdrücklich gegen die Konzeptionen von Auguste Comte und John Stuart Mill (1843/ 1974b), die eine starke Anlehnung der Sozialwissenschaften an die Naturwissenschaften befürworteten. Hermeneutik wird auch in der Philosophie ein wachsender Stellenwert attestiert: „Hermeneutics, once a rather specialist area within textual interpretation …, is now center stage in the wider province of cultural and philosophical studies“ (Keane und Lawn, 2016b, 7). Hermeneutik ist die Lehre vom Auslegen und von der Interpretation (Bleicher, 1980, 1, Grondin, 2001, 13, Ineichen, 1991, 17). Ihre Wurzeln reichen bis in die Antike zurück und im Verlaufe des zwanzigsten Jahrhunderts nahm sie zunehmend Einfluss auf verschiedene Sozialwissenschaften (s. Philosophiebox 7, S. 91). Im Zuge dieser Entwicklung ist das Konzept des Verstehens entstanden, mit dem zu Beginn überwiegend das Erfassen und Begreifen von sprachlichen Äußerungen gemeint war (Haussmann, 1991, 137). Es ist jedoch auf weitere Objekte ausgeweitet worden und bezieht sich dann beispielsweise auf Handlungen, Erlebnisse, Ereignisse u.v.m. (Dilthey, 1983, 286ff, Habermas, 1968, 206ff, Hauss- <?page no="105"?> 5.1 Verstehen als Konzept der Hermeneutik 91 mann, 1991, 135, Scholz, 2020, 26f). Somit richtet sich Verstehen im sozialwissenschaftlichen Kontext auf das Erkennen von Bedeutung, insbesondere sprachlicher Äußerungen, und Sinn, insbesondere von Handlungen. Die Verwendung des Terminus philosophische Hermeneutik geht auf Hans- Georg Gadamer zurück, der klarstellt, dass es ihm nicht um die Methode der Hermeneutik geht, sondern um eine philosophische Grundlegung der Hermeneutik. Er sieht im Anschluss an Martin Heidegger das „Verstehen [als] nicht eine unter den Verhaltensweisen des Subjekts, sondern die Seinsweise des Daseins selber“ (Gadamer, 1965, XVI). Daher ist zu beachten, dass er seine philosophische Hermeneutik nicht auf eine Methodik der Geisteswissenschaften verkürzt sehen will. Er stellt dies im Vorwort zur zweiten Auflage seines Hauptwerks „Wahrheit und Methode“ klar: „Insofern ist von den Methoden der Geisteswissenschaften hier überhaupt nicht die Rede“ (Gadamer, 1965, XIV). Es ist daher üblich, zwischen der philosophischen Hermeneutik, wie sie Gadamer maßgeblich entwickelt hat, und der Hermeneutik als Methode zu trennen. Auch wenn ich in diesem Kapitel dieser Trennung im Wesentlichen folge, ist entgegen Gadamers Diktum anzubringen, dass eine philosophische Hermeneutik für die Analyse und Rechtfertigung hermeneutischer Methoden nutzbar gemacht werden sollte (Hösle, 2018, 35). Wenn sie als eine Strömung der Wissenschaftstheorie aufgefasst wird, dann sind auch Aussagen über das Verstehen und die dafür eingesetzten Methoden sowie ihr Verhältnis zur Erklärung einzubeziehen (Scholz, 2010, 2906). Methodische Regeln sind in ein System aus methodologischen und normativen Regeln eingebettet und werden von epistemologischen, ontologischen und normativen Grundannahmen beeinflusst (s. Abbildung 1. S. 24). Eine Hermeneutik als Methode hat ihren Schwerpunkt in den Verfahrensregeln der Methoden des Verstehens, eine philosophische Hermeneutik sollte hingegen diese Verfahrensregeln absichern und klären, inwieweit das auf diesen Methoden erworbene Wissen als wahr und gerechtfertigt gelten kann (Scholz, 2015, 778). Philosophiebox 7: Hermeneutik als Methode des Verstehens Die Hermeneutik wurde über Jahrhunderte als eine Lehre des Auslegens menschlicher - sprachlicher oder symbolischer - Artefakte beschrieben. Textwissenschaften wie die Bibelexegese bedienten sich der Hermeneutik, um die im Text vermuteten Bedeutungen auszulegen und deren Relevanz auszudrücken. So beschrieb Friedrich Schleiermacher den Gegenstand der Hermeneutik als „die Kunst, die Rede eines andern, vornehmlich die schriftliche, richtig zu verstehen“ (Schleiermacher, 1838/ 1977, 71). Während die lange Zeit vorherrschende Einschätzung, dass er der erste war, der eine allgemeine Hermeneutik begründete, heute als überholt gilt, wird seine <?page no="106"?> 92 5 Verstehen Unterscheidung in ein grammatikalisches und ein psychologisches Verstehen seit vielen Jahren lebhaft diskutiert. Denn das psychologische Verstehen wirkt wie ein Einfall eines subjektiven Moments, so dass Verstehen als ein Einfühlen in die Gedanken eines zu Interpretierenden aufgefasst wird. Diese Interpretation von Verstehen als einem subjektiven Vorgehen, das nicht frei von Willkür ist und das einem objektiven Vorgehen, wie es Wissenschaft auszeichnen sollte, widerspricht, wird als Standardvorwurf von Philosophen artikuliert, die der Hermeneutik und dem Konzept des Verstehens skeptisch gegenüberstehen. Hatte Schleiermacher den Blick auf die Hermeneutik als Methode gerichtet, so ist der Stellenwert, den Dilthey ihr gibt, in eine allgemeine Grundlegung der Geisteswissenschaften eingebettet, die auch die Sozialwissenschaften umfasst. Sein Anliegen ist auch die Hermeneutik als die Methode des Verstehens zu verteidigen, denn „sie soll gegenüber dem beständigen Einbruch romantischer Willkür und skeptischer Subjektivität … die Allgemeingültigkeit der Interpretation theoretisch begründen“ (Dilthey, 1900/ 1959, 331). Zwei wichtige Denker der Hermeneutik als Philosophie im 20. Jahrhundert sind Heidegger und Gadamer. Beide heben die Bedeutung des Verstehens als für den Menschen existentiell hervor und interessieren sich wenig für die methodischen Fragen der Hermeneutik. Während vor und nach Heidegger Hermeneutik mit ihren methodischen und methodologischen Regeln diskutiert wird, vollziehen Heidegger und in seiner Nachfolge Gadamer für die Hermeneutik eine ontologische Wende. Verstehen wird zu einer grundlegenden menschlichen Kategorie, die sich der Diskussion um den methodischen Unterschied zwischen Natur- und Geisteswissenschaften entzieht. Aus Sicht von Gadamer ist Verstehen die wesentliche Seinsweise des Menschen, sie geht „dem methodischen der verstehenden Wissenschaften, ihren Normen und Regeln, schon voraus“ (Gadamer, 1965, XVf). In zeitlicher Parallelität zu den kurz skizzierten Philosophen hat sich insbesondere im 20. Jahrhundert eine sozialwissenschaftliche Hermeneutik entwickelt. Als maßgebliche Vordenker werden Weber und Schütz angesehen. Weber, der als Begründer einer verstehenden Soziologie gilt, hat das Verstehen von sozialen Handlungen als ein Verstehen des Sinnzusammenhangs aufgefasst. Soziologie soll „soziales Handeln deutend verstehen und dadurch in seinem Ablauf und seinen Wirkungen ursächlich erklären“ (Weber, 1922/ 2013, 149). Klingt bei Weber noch eine Ausgewogenheit von Sinnadäquanz (Verstehen) und Kausaladäquanz (Erklärung) an, so wendet sich Schütz stärker der Sinnadäquanz zu. Besonders betonte er, dass wissenschaftliches Verstehen als Konstruktionen zweiter Ordnung sich auf <?page no="107"?> 5.2 Grundlegung einer hermeneutischen Methode 93 das Alltagsverstehen als Konstruktionen erster Ordnung bezieht (s. Philosophiebox 5, S. 64). Quellen: Bühler, 2003, Detel, 2011, Grondin, 2001, Ineichen, 1991, Joisten, 2009, Kurt, 2004, Scholz, 2015, 2016 5.2 Grundlegung einer hermeneutischen Methode 5.2.1 Geist-theoretische Aspekte der Hermeneutik In jüngster Zeit hat Wolfgang Detel einen umfassenden Versuch einer Rekonstruktion der Hermeneutik vorgelegt, indem er einen geist-theoretisch inspirierten Entwurf einer Hermeneutik entwickelt (Detel, 2011). Ziel seines Entwurfs ist es, die Theorie des Geistes für eine allgemeine Theorie des Verstehens fruchtbar zu machen. Detel wendet das Vokabular dieser Disziplin auf das Verstehen an, um die Anbindung der Hermeneutik an die aktuellen Entwicklungen einer wichtigen Teildisziplin der Philosophie zu gewährleisten. Was wird in der Philosophie des Geistes unter dem menschlichen Geist verstanden? Der menschliche Geist wird als die Gesamtheit seiner mentalen Zustände bezeichnet (Detel, 2011, 31). Zwei wichtige Typen mentaler Zustände sind Empfindungen und intentionale Zustände (Beckermann, 2008, 13). Intentionale Zustände zeichnen sich dadurch aus, dass sie auf etwas gerichtet sind; dies können Überzeugungen, Wünsche oder Glaube u.v.m. sein. So ist beispielsweise ein Akteur überzeugt, dass es morgen schneit; d.h., sein Geist befindet sich im intentionalen Zustand einer Überzeugung. Diese Überzeugung ist auf die Aussage gerichtet, dass morgen Schnee fällt. Intentionalität, wie das Beispiel der Überzeugung, wird durch „dass-Sätze“ beschrieben. Diese „dass-Sätze“ beschreiben den semantischen Gehalt der Überzeugungen und können auch als Repräsentationen bezeichnet werden. Repräsentationen haben neben dem semantischen Gehalt eine Reihe weiterer Eigenschaften wie die Referenz und die Korrektheitsbedingungen (Detel, 2011, 35). Verstehen, im Sinne von Fremdverstehen, lässt sich als Meta-Repräsentation (Detel, 2011, 36), d.h. als Repräsentation einer Repräsentation auffassen (s. Abbildung 7). Hierzu ist eine spezifische, kognitive Fähigkeit notwendig, die als Theorie des Geistes bezeichnet wird. Menschen verfügen in der Regel ab einem Alter von 4 bis 5 Jahren über eine Theorie des Geistes (Böckler-Raettig, 2019, 41ff): 1 Sie versetzt sie in die Lage zu erkennen, dass andere Menschen mentale 1 Einer der ersten empirischen Untersuchungen geht auf Perner und Wimmer (1985) zurück, eine kritische Bestandsaufnahme der Theorie und seine empirische Fundierung findet sich in Apperly (2012). <?page no="108"?> 94 5 Verstehen Zustände, wie z.B. Überzeugungen, haben können, die mit ihren Überzeugungen übereinstimmen oder von ihnen abweichen können und daher sind sie in der Lage, sich eine Repräsentation der Repräsentation ihres Gegenübers zu bilden (Böckler-Raettig, 2019, 11ff, Detel, 2014, 56). Im Beispiel wird dies dadurch angestoßen, dass die Andere äußert, dass es morgen schneit (der erste Schritt in Abbildung 7). Auf der Basis dieser sprachlich ausgedrückten Überzeugung kann sich die Überzeugung bilden, dass die Andere eine Überzeugung hat (der zweite Schritt in Abbildung 7). Abbildung 7: Verstehen als Meta-Repräsentation Am Beispiel der Überzeugungen, dass es morgen schneit, lassen sich weitere Eigenschaften, die für Verstehen relevant sind, beschreiben. Überzeugungen beziehen sich auf Aussagen wie z.B. die Aussage, dass es morgen schneit. Aussagen werden auch als Propositionen bezeichnet, weil sie sich auf etwas beziehen; im Beispiel ist dies der Sachverhalt, dass es morgen schneit. Auch wenn es morgen nicht schneit, der Sachverhalt nicht eintritt, handelt es sich um eine mentale Repräsentation, nur ist sie eben falsch. Somit unterliegen Überzeugen Wahrheitsbedingungen, d.h., sie können wahr oder falsch sein ( ► Kap. 2.4). Wir können am nächsten Tag feststellen, ob es wirklich schneit. Da es noch andere intentionale Zustände wie z.B. Ziele oder Wünsche gibt, bei denen die Frage nach der Wahrheit nicht weiterführt, aber wir trotzdem wissen wollen, ob sich die Propositionen erfüllen, sprechen wir allgemein von Erfüllungsbedingungen (Teichert, 2006, 118). Wenn Marion den Wunsch hat, Ski zu fahren, dann sind die Erfüllungsbedingungen von Interesse, unter denen der Wunsch in Erfüllung geht: Ihr Skifahren am nächsten Tag erfüllt ihren Wunsch. Mentale Repräsentationen sind nicht etwa willkürlich verbunden, sondern zwischen ihnen bestehen rationale Beziehungen (Detel, 2011, 332). Aus dem Wunsch von Marion, Ski zu fahren, und ihrer Überzeugung, dass es morgen <?page no="109"?> 5.2 Grundlegung einer hermeneutischen Methode 95 schneit, leitet sie den Wunsch ab, dass sie am nächsten Morgen möglichst früh an ihrer Lieblingspiste ankommen will. Marion wird noch viele weitere mentale Überzeugungen und Wünsche haben, die ihr Handeln leiten werden. Es wird davon ausgegangen, dass dieses Geflecht aus Überzeugungen und Wünschen durch Rationalität geprägt ist. 5.2.2 Die Stufen des Verstehens Sprachliche Äußerungen sind für das Verstehen von intentionalen Zuständen wie z.B. Überzeugungen und Meinungen von herausragender Bedeutung, weil sie sich auf einen propositionalen Gehalt beziehen (Teichert, 2006, 19). Der propositionale Gehalt entspricht der Bedeutung von Sätzen und Gedanken, die sprachlich ausgedrückt werden (Detel, 2007b, 71). Dadurch wird es den Forschenden überhaupt erst möglich, die Repräsentationen von Akteuren zu verstehen. Denn Verstehen bezieht sich auf die Bedeutung, die mit einer sprachlichen Äußerung - wie z.B. einem Text - verbunden ist. Interpreten haben etwas verstanden, wenn sie die Bedeutung der sprachlichen Äußerung erfasst haben (Ineichen, 1991, 28ff, Wellmer, 2007, 96ff). Damit Verstehen gelingt, müssen Interpreten der Sprache (oder der Symbole) mächtig sein. Verstehen wird daher als Erkennen der Bedeutung von sprachlichen Äußerungen und des Sinns von Handlungen festgelegt. Sprachliche Äußerungen werden in Kommunikationssituationen getätigt. Sie lassen sich als Sprechakte und damit als spezifische Formen von Handlungen auffassen (Savigny, 1980, 127ff). Nach Austin verbinden sich drei Handlungen mit einer sprachlichen Äußerung (Austin, 1962/ 2002, 112ff): 1. Der Akteur sagt etwas; 2. indem der Akteur etwas sagt, handelt er; 3. dadurch dass der Akteur etwas sagt, erzeugt er eine Wirkung. Kurz gesagt: Wer spricht, handelt. Wenn Akteure die Bedeutung von sprachlichen Äußerungen erfassen wollen, ist es notwendig, dass sie die jeweiligen Intentionen, die mit diesen Äußerungen verbunden sind, erkennen und deuten können. Interpreten müssen daher der Sprache mächtig sein und die Lebenswelt kennen, in der die sprachlichen Äußerungen getätigt werden. Um den Prozess des Verstehens zu analysieren, bietet es sich an, verschiedene Stufen des Verstehens zu unterscheiden (Künne, 1981, 4ff, Scholz, 2016, 294ff, Strube, 1985, 318ff). 1. Erstens ist die korrekte Wahrnehmung der sprachlichen Äußerung zu nennen, die es dem Interpreten ermöglicht, die Äußerung buchstabengetreu wiederzugeben (Künne, 1981, 4). Nicht immer gelingt es, sprachliche Äußerungen korrekt wahrzunehmen: - Wenn z.B. ein Telefongespräch geführt wird und eine Teilnehmerin dieser Gesprächssituation durch laute Geräusche gestört wird, dann werden von <?page no="110"?> 96 5 Verstehen ihr vielleicht nur Gesprächsfetzen verstanden und wichtige Informationen könnten verloren gehen. - Wahrnehmung von Sprache ist an die Muttersprache gebunden, als kategoriale Wahrnehmung extrahiert sie nur die linguistisch relevanten Merkmale und ist durch diese Reduktion sehr effizient (Klatte und Schick, 2006, 102f). Die Wahrnehmungsfähigkeit ist in einer fremden Sprache und in Dialekten einer Muttersprache, die sich in ihren linguistisch relevanten Merkmalen zur Muttersprache unterscheiden, erheblich eingeschränkt. 2. Kompetente Sprecher einer Sprache verstehen die buchstäbliche Bedeutung einer Aussage, wenn sie in der Lage sind, die Äußerung zu paraphrasieren (bedeutungsgemäß wiederzugeben) oder sie angemessen zu übersetzen (Künne, 1981, 5, Strube, 1985, 319). Ein Sonderfall liegt sicherlich vor, wenn die Äußerung mehrdeutig ist (Künne, 1981). 3. Als nächste Stufe gilt es, den propositionalen Gehalt einer Äußerung zu erfassen. Der Unterschied zur Stufe davor ist es, dass Sprechakte in bestimmten Situationen geäußert werden. Häufig ist der propositionale Gehalt erst durch die konkrete Sprechsituation erfassbar (Künne, 1981, 5), d.h., um den propositionalen Gehalt zu verstehen, ist häufig der Kontext relevant, in der die Aussage geäußert wird. Eine Äußerung wie „Ich fühle mich schlecht“ kann daher bedeuten, dass sich die Person körperlich unwohl fühlt, da sie zu viel gegessen hat. Vielleicht hat sie sich aber unmoralisch verhalten und ihre Äußerung drückt ihr schlechtes Gewissen aus. 4. Auch wenn Interpreten den propositionalen Gehalt verstanden haben, können sie die Äußerung trotzdem missverstehen. Wenn nicht erkannt wird, wie sie in der Situation verwendet wird, ist ein Missverstehen der Äußerung wahrscheinlich (Searle, 1987, 21f). Äußert der Vertriebsleiter zu einem Mitarbeiter: „Das war ja eine tolle Leistung“, nachdem eine Kundin ihren Auftrag storniert hat, ist das Gegenteil von dem gemeint, was gesagt wird. Der propositionale Gehalt ist zum Verständnis nicht ausreichend. 5. Verstehen kann manchmal nur dadurch gelingen, dass ein Zusammenhang mit anderen Aussagen hergestellt wird. Hierzu gehört zum einen, dass überhaupt verstanden wird, und zum anderen, dass erst durch den Zusammenhang ein tieferes Verständnis möglich wird (Strube, 1985, 322f). Beispielsweise wird in einem Interview folgende Äußerung protokolliert: „Ich spüre bei all meinen Bemühungen, voran zu kommen, eine gläserne Decke.“ Wer den Ausdruck „gläserne Decke“ nicht kennt, wird die Äußerung nicht verstehen. Verständnis wird nur ein Interpret haben, der über ausreichendes Kontextwissen verfügt und weiß, dass mit dem Konzept der gläsernen Decke eine Form von unsichtbarer Barriere postuliert wird, die insbesondere <?page no="111"?> 5.2 Grundlegung einer hermeneutischen Methode 97 Frauen daran hindert, in hohe Führungspositionen zu gelangen (Purcell, Mac- Arthur und Samblanet, 2010). 6. Als letzte Stufe trifft das Verstehen auf die Handlungserklärung: Interpretierende streben eine intentionale Erklärung an, d.h., wenn sie die Wünsche und Überzeugungen des Akteurs - seine Informationsgrundlage - kennen, dann können sie die Handlung rational nachvollziehen und damit verstehend erklären. Es zeigt sich somit der enge Zusammenhang des Verstehens von sprachlichen Äußerungen und der Erklärung von Handlungen (Künne, 1981, 7, Scholz, 2016, 311, Strube, 1985, 333). Diese letzte Stufe des Verstehens deutet eine grundlegende Schwierigkeit in der Abgrenzung von Verstehen und Erklären an, denn die Rede von einer verstehenden Erklärung zeigt eine Überlappung beider Konzepte an. Diese bewusst nicht abgrenzende Verbindung von „Erklären“ und „Verstehen“ soll darauf hinwirken, die Überschneidung zwischen beiden Vorgehensweisen anzuzeigen. Alle, die Erklären nicht nur als Subsumption unter ein Gesetz verstehen, sondern auch andere Formen der Erklärung - wie die noch zu erläuternde intentionale Erklärung - zulassen (Stegmüller, 1983, 481), werden diese Formulierung akzeptieren. In den einzelnen Stufen werden somit Interpretationshypothesen aufgestellt, die sich auf die Bedeutung von sprachlichen Äußerungen und auf den Sinn von Handlungen beziehen. Spätestens mit der Stufe des Verstehens, die ausdrücklich das Verstehen von Handlungen ins Visier nimmt, wird die Brücke zu einer sozialwissenschaftlichen Hermeneutik geschlagen ( ► Kap. 5.2.4). 5.2.3 Eine naturalistische Hermeneutik Als markante Besonderheit einer naturalistischen Hermeneutik fällt das Adjektiv „naturalistisch“ auf. Naturalistische Positionen für die Sozialwissenschaften lassen sich grob in ontologische und epistemologische (methodologische) Varianten unterteilen (s. Philosophiebox 8, S. 100). Wenn sozialwissenschaftliche Tatsachen in irgendeiner Form durch naturwissenschaftliche Tatsachen ersetzt werden, ist eine ontologische These ausgesprochen. Ein methodologischer Naturalismus ist verbunden mit der These, dass die Methoden der Naturwissenschaften maßgeblich für die Sozialwissenschaften sein sollten. Überwiegend wird darunter die Forderung einer einheitlichen Methode verstanden; so schreibt Chrysostomos Mantzavinos, dass „sich alle Wissenschaften … der gleichen Methode bedienen“ (Böhm und Bühler, 2012, 592, Mantzavinos, 2006, 14). Während Geert Keil in seiner Analyse verschiedener naturalistischer Positionen feststellt, dass diese sich nicht zur Frage äußern, welche Methode das denn ist, die so ausgezeichnet für alle Wissenschaften verbindlich deklariert wird, ist Mantzavinos als ein Vertreter der naturalistischen Hermeneutik der Auffassung, dass <?page no="112"?> 98 5 Verstehen dies insbesondere die hypothetisch-deduktive Methode sein sollte (Mantzavinos, 2019, 235ff). Die Zurückhaltung, eine Methode als ausgezeichnet zu benennen, rührt daher, dass es unmöglich sei, zu wissen, welche Methode oder welche methodologischen Standards in der Zukunft erfolgversprechend sein werden. Denn die Wissenschaftsgeschichte lehrt uns, dass sich Standards ändern können (Keil, 2008, 271). Im Programm der naturalistischen Hermeneutik wird die Hermeneutik zu einer „Technologie auf nomologischer Grundlage“ (Albert, 1994, 99). Sie ist als eine Methodologie zu entwickeln, die auf Basis empirischer Forschung das Verstehen untersucht. Ziel der Analyse tatsächlich stattfindender (empirischer) Verstehensakte ist es, Regeln aufzustellen, die Interpretationen erfolgreich machen. Eine Methodologie der naturalistischen Hermeneutik arbeitet zwar auch empirisch oder verwendet empirische Ergebnisse, sie zielt jedoch darauf ab, eine Menge an Normen, d.h. Regeln, des guten Interpretierens aufzustellen (Bühler, 2003, 6). Daher wird die Einheitsthese auch so formuliert, dass die Wissenschaften „im wesentlichen nach denselben methodologischen Grundsätzen verfahren“ (Böhm und Bühler, 2012, 592). Wie erwähnt, besteht eine enge Verbindung zwischen naturalistischer Hermeneutik und hypothetisch-deduktiver Methode (Mantzavinos, 2006, 14). Die hypothetisch-deduktive Methode ist insbesondere mit den wissenschaftstheoretischen Vorstellungen von Popper verbunden. So wird beispielsweise betont, dass ihre methodologischen Grundsätze fallibel und daher in der Zukunft revidierbar sind (Böhm, 2002, 224, Mantzavinos, 2006, 77) und somit auf einen Fallibilismus hingewiesen. Es bietet sich daher an, einige methodologische Regeln der naturalistischen Hermeneutik unter diesem Blickwinkel zu beschreiben. Eine erste methodologische Regel lässt sich aus der Grundidee des Falsifikationismus ableiten, dass wissenschaftliche Aussagen und somit auch Interpretationshypothesen „kritisch zu überprüfen“ (Mantzavinos, 2006, 14) sind und somit „dem Objektivitätskriterium der intersubjektiven Nachprüfbarkeit“ (Böhm, 2002, 225) zu entsprechen haben. Mit einer Interpretationshypothese, die sich auf einen Text bezieht, wird eine Behauptung darüber aufgestellt, was die Bedeutung oder der Bedeutungszusammenhang eines Textes ist (Mantzavinos, 2006, 118f). Daher lautet eine dementsprechende methodologische Regel: Formuliere Interpretationshypothesen, die nachprüfbar sind. Die Art der Nachprüfung kann ein logischer Vergleich sein, in dem z.B. die verschiedenen Interpretationshypothesen, die ein System von Aussagen oder eine Theorie darstellen, auf ihre logische Konsistenz geprüft werden (Popper, 1935/ 2005, 8). Aussagen sollen auch empirisch geprüft werden: Es sind singuläre Aussagen abzuleiten, die Sachverhalte prognostizieren, und, es ist zu prüfen, ob diese Sachverhalte tatsächlich eintreten. <?page no="113"?> 5.2 Grundlegung einer hermeneutischen Methode 99 Es ist zu „versuchen, für die Interpretationshypothese empirische Belege zu erhalten“ (Bühler, 1999, 131). Solche Belege dienen in erster Linie dazu, eine Interpretationshypothese und damit die Theorie zu stützen. Allerdings ist nicht immer zwingend davon auszugehen, dass die Belege nur zu einer Interpretationshypothese passen. Vielmehr besagt die Unterbestimmtheitsthese, dass sich empirische Befunde von unterschiedlichen Theorien gleich gut erklären lassen oder mit anderen Worten, dass „es stets mehr als nur eine angemessene Möglichkeit gibt, sich die Welt zu denken“ (Quine, 1995, 142). Formuliert man dies nicht nur als Frage (Føllesdal, 1979/ 2004, 162), sondern als methodologische Regel, so ist nach unterschiedlichen Interpretationshypothesen zu suchen, die mit den gefundenen Belegen genauso gut übereinstimmen. Bei der Prüfung, ob ein Sachverhalt eintritt, ist die Asymmetrie von Verifikation und Falsifikation zu beachten. Während eine Hypothese nicht endgültig verifiziert werden kann, reicht ein negativer Beleg aus, um die Hypothese zu Fall zu bringen. Daher sollte nicht ausschließlich nach verifizierenden, sondern auch nach falsifizierenden Belegen gesucht werden. Mit dem negativen Beleg, welcher dem prognostizierten Sachverhalt widerspricht, ist das sogenannte Problem von Protokollsätzen (Basissätzen) verbunden. Ein Protokollsatz hält die jeweiligen Beobachtungen wie in einem Protokoll fest. Ein konsequenter Fallibilismus stellt auch negative Belege als Falsifikationen in Frage. Da es nach dieser Auffassung keine (absolut) gesicherte Basis des Wissens geben kann, sind daher auch Falsifikationen als fallibel anzusehen. Wir können uns nie sicher sein, dass unsere Falsifikation erfolgreich ist. Negative Belege werden als Teil eines komplexen Protokollsatzes ausgedrückt. Um zur Falsifikation von allgemeinen Interpretationshypothesen zu führen, sollten die negativen Belege in Form einer negativen Prognose formuliert sein (Andersson, 1998, 152ff). Ein falsifizierender Protokollsatz enthält dann neben dieser Negation der Prognose die Anfangsbedingung (Popper, 1935/ 2005, 105). Ausgehend von Beispiel 9 (S. 79) zeigt das folgende Beispiel den prinzipiellen Aufbau des Schlusses (Andersson, 1998, 154). Beispiel 14: Falsifikationsschluss In Unternehmen treten Gewinne deutlich unter den Gewinnerwartungen auf. (Anfangsbedingung) Es ist nicht der Fall, dass Fehlverhalten bei diesen Unternehmen auftritt. (Negation der Prognose) Es ist nicht der Fall, dass, wenn bei Unternehmen Gewinne deutlich unter den Gewinnerwartungen auftreten, bei ihnen Fehlverhalten auftritt. (Negation der Hypothese) <?page no="114"?> 100 5 Verstehen Da es somit weder eine endgültige Verifikation noch eine endgültige Falsifikation geben kann, tritt ein rationales Verfahren in Kraft, das einzelne Protokollsätze als anerkannt auszeichnet. Während der Interpretation müssen sich die Beteiligten durch Diskussion auf diese Protokollsätze einigen. Kritisch anzumerken ist, dass die hypothetisch-deduktive Methode überwiegend dazu verwendet wird, Interpretationshypothesen zu prüfen. Es gibt hingegen so gut wie keine Hinweise, wie denn Hypothesen methodengeleitet zu entwickeln sind. Somit laufen Hinweise, dass Hypothesen aus Theorien abzuleiten sind, solange ins Leere, bis eine Theorie vorhanden ist. Philosophiebox 8: Naturalismus Naturalistische Positionen finden sich in den Sozialwissenschaften in verschiedenen Varianten. Sie vereinigt eine gemeinsame Idee: Soziale und natürliche Sachverhalte sind so miteinander verbunden, dass eine sachgerechte Beschreibung und Erklärung sozialer Sachverhalte ohne Berücksichtigung dieser Verbindung nicht möglich ist. Viele naturalistische Positionen gehen von einer Verbindung als hierarchische Beziehung aus, indem die Natur die übergeordneten Phänomene innehat. Wenn dies als ontologische These formuliert wird, dann liegt ein metaphysischer Naturalismus vor: 1. Es gibt nur natürliche Sachverhalte. Alle sozialen Sachverhalte lassen sich auf natürliche Sachverhalte zurückführen. Weiter verbreitet scheinen jedoch naturalistische Ansichten, die sich explizit auf ein Modell der Naturwissenschaften ausrichten, an dem sich die Sozialwissenschaften zu orientieren haben. Historisch wird dies dadurch verständlich, dass die Naturwissenschaften als Erfolgsmodell der Wissenschaftsgeschichte eine Vorreiterrolle innehaben und aus diesen positiven Erfahrungen Nutzen gezogen werden soll. Eine starke Form des Naturalismus wurde im Wiener Kreis vertreten. Namhafte Vertreter - wie z.B. Otto Neurath und Rudolf Carnap - verlangten nach einer Einheitswissenschaft, die auf Basis der Naturwissenschaften insbesondere der Physik zu entwickeln sei. Da insbesondere Carnap der Ansicht war, dass sich dieses Projekt am besten durch die Schaffung einer gemeinsamen Sprache realisieren lässt, hoffte er, zeigen zu können, dass sich z.B. die Sprachen der Physik und der Philosophie ineinander überführen lassen. Mithin lässt sich diese Variante des Naturalismus mit folgender Annahme verbinden: 2. Alle sozialen Sachverhalte lassen sich mithilfe der Theorien der Naturwissenschaften beschreiben und erklären. <?page no="115"?> 5.2 Grundlegung einer hermeneutischen Methode 101 Wie steht es um dieses Projekt? Lassen sich die Sprachen der Naturwissenschaften in die der Sozialwissenschaften überführen? Viele neigen zu der Ansicht, dass dies nicht gelungen ist und auch nicht gelingen kann. Stellvertretend für die Philosophie kann Donald Davidson angeführt werden, der sinngemäß sagt, dass sich die Begriffe nicht ineinander überführen lassen, da die Begriffe der Sozialwissenschaften normativ geprägt sind. So erkennen sich beispielsweise Akteure gegenseitig als rationale Wesen an, ein Umstand, der sich nicht in die Sprache der Physik übersetzen lässt. Als dritte Position verbleibt ein methodologischer Naturalismus, der auf die Methoden der Naturwissenschaft zurückgreift und eine Einheit in den allgemeinen Methoden postuliert: 3. Sozial- und Naturwissenschaften verwenden die gleichen allgemeinen Methodologien. Es wird mit dieser Variante postuliert, dass die allgemeinen methodologischen Kriterien in beiden Wissenschaftsgruppen gleich sind. Häufig findet sich in dieser Position eine Betonung der hypothetisch-deduktiven Methode, eine solche Beschränkung ist jedoch nicht zwingend. Quellen: Davidson, 2008b, Detel, 2007a, Henderson, 2013, Keil, 2008, Keil und Schnädelbach, 2000, Koppelberg, 2010, Ritchie, 2008, Smith, 2017, Sukopp, 2007 5.2.4 Sozialwissenschaftliche Hermeneutik Eine sozialwissenschaftliche Hermeneutik ist mit dem Wissenschaftsprogramm der verstehenden Soziologie verbunden. Als deren Ahnherr gilt Weber, der in seinen Schriften Gegenstand und Methode einer verstehenden Soziologie beschrieben hat. Als Gegenstand gilt ihm das soziale Handeln als ein Handeln, das sich an Anderen ausrichtet und in denen die Handelnden Sinn konstituieren. Weber betont daher, dass Sozialwissenschaften sich um das Verständnis des subjektiven Sinns der Akteure zu bemühen haben (Weber, 1922/ 2013, 149). Die Stufen des Verstehens müssen nicht nur von jedem sozialen Akteur bewältigt werden, wenn er die Handlungen anderer Akteure verstehen will, auch Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen müssen diese Stufen erfolgreich durchlaufen. Während sich Akteure jedoch ihres Verstehens nicht bewusst sein müssen, da es häufig routiniert abläuft, konstatiert Hans-Georg Soeffner: „Verstehende Soziologie als Wirklichkeitswissenschaft zielt auf das Verstehen und Erklären aller gesellschaftlicher Konstruktionen“ (Soeffner, 1999, 39). Sozialwissenschaftliche Hermeneutik lässt sich daher als Bereichshermeneutik kennzeichnen, die als spezifischen Gegenstand vollzogene Handlungen von Akteuren hat. Sie betont den sozialen Charakter dieser Handlungen als ein auf <?page no="116"?> 102 5 Verstehen andere Akteure bezogenes Handeln, so dass Interaktionen als die kleinste zu betrachtende Untersuchungseinheit angesehen werden können (Oevermann et al., 1979, 379). Die Stufen des Verstehens weisen darauf hin, dass für das Verstehen von Handlungen sprachliche Äußerungen herangezogen werden müssen. Sozialwissenschaftliche Hermeneutik hat daher Kenntnisse einer allgemeinen Hermeneutik zu beachten. Es zeigt sich, dass eine sozialwissenschaftliche Hermeneutik weitgehend eine Text- und Sprachwissenschaft ist, weil sie sich auf das wichtigste Symbolsystem in Gesellschaften stützt: Sprache (Soeffner, 2005, 164). Verstehen findet auf der Basis von Texten (Protokollen) statt, welche die Handlungen repräsentieren (Oevermann et al., 1979, 378). Text ist in der Sozialwissenschaft ein geschriebener und damit fixierter Diskurs (Ricœur, 1981, 145), der sich beispielsweise in einem Interview-Transkript manifestiert. Er dokumentiert Handlungen von Akteuren, die vollzogen und daher nicht mehr revidierbar sind. Wissenschaftliches Verstehen setzt an diesen vollzogenen Handlungen an und setzt voraus, dass der Text ohne Handlungsdruck ausgelegt werden kann. Daher wird in aller Regel verlangt, dass der Text dokumentiert und damit in schriftlicher Form vorliegt (Soeffner und Hitzler, 1994b, 116). Aus Sicht einer intentionalen Sozialontologie erzeugen die Akteure soziale Wirklichkeit durch ihre mentalen Konstruktionen, die sie in gesellschaftliche Praxis umsetzen. Die wechselseitige Zuschreibung von Intentionalität, die der in der Soziologie üblichen Sprechweise von Sinn und Sinnstrukturen weitgehend entspricht, ist ein wesentliches Element sozialer Praxis ( ► Kap. 3.2.2). So werden die Interaktionen während einer Vorstandssitzung in einer Aktiengesellschaft nach bestimmten Regeln ablaufen. Die Normativität, die einzelnen Handlungen zugrunde liegt, steuert weitgehend den Ablauf und die Handlungen der einzelnen Akteure und sie macht die Handlungen für alle Beteiligten berechenbar. Die mentalen Modelle, die sich die Beteiligten von einer solchen Vorstandssitzung bilden, entsprechen den von Schütz sogenannten Konstruktionen erster Ordnung (Schütz, 1953/ 1971, 6f). Gegenstand einer verstehenden Soziologie ist daher eine bereits interpretierte Welt. Wie die Stufen des Verstehens zeigen, ist es zum Verstehen notwendig, dass Akteure auf das vorhandene Wissen in der Gesellschaft zurückgreifen können. Ein sozialer Akteur, der nicht über dieses Wissen verfügt, ist daher nicht in der Lage, Handlungen anderer Akteure zu verstehen; dies trifft auch auf Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen zu. Sie schaffen keine neue Welt, sondern versuchen die Konstruktionen erster Ordnung zu verstehen und schaffen eine neue Konstruktion: die Konstruktion zweiter Ordnung (Schütz, 1953/ 1971, 6f). Einer sich auf die Intentionen von Akteuren konzentrierenden sozialen Hermeneutik wird vorgeworfen, dass sie die sozialen Sachverhalte, die über das Indivi- <?page no="117"?> 5.2 Grundlegung einer hermeneutischen Methode 103 duum und seine Intentionen hinausgehen, vernachlässigt oder gar nicht erst in den Blick bekommt. Die Analyse sozialen Handelns müsse vielmehr wie z.B. bei Mead von einem gesellschaftlichen Ganzen ausgehen (Mead, 1934/ 1973, 45). Gegenstand der Analyse sollen dann nicht die subjektiven Intentionen von Akteuren sein, sondern latente Sinnzusammenhänge, welche als reale, objektive Gegebenheiten den subjektiven Intentionen vorangehen (Oevermann et al., 1979, 380f). Nützlich ist diese Sichtweise, um zu zeigen, dass Akteure handeln, ohne dass sie sich jedes Einflusses, der auf sie wirkt, bewusst sind. Es sind allerdings zwei Aspekte zu beachten: Erstens laufen viele soziale Handlungen zwar tatsächlich unbewusst und routinemäßig ab, d.h. jedoch nicht, dass sie ohne Intentionen sind. Nur wurden diese Intentionen in der Vergangenheit gebildet und die darauf beruhenden Handlungen werden unbewusst abgerufen, ohne dass es einer erneuten Intentionsbildung bedarf (Aarts und Dijksterhuis, 2000). Zweitens sind alle überindividuellen sozialen Entitäten soziale Konstruktionen der sozialen Akteure: Ohne die individuelle Perspektive - Konstruktionen erster Ordnung - ist eine Konstruktion zweiter Ordnung nicht möglich (anderer Ansicht ist Oevermann, 2013, 79f). Bevor an einer bekannten Methode der sozialwissenschaftlichen Hermeneutik gezeigt wird, welche methodischen und methodologischen Regeln diskutiert werden, sollen wesentliche Merkmale sozialwissenschaftlicher Hermeneutik beschrieben werden, die Gemeinsamkeiten aber auch das Besondere gegenüber einer allgemeinen Hermeneutik kennzeichnen. Vorinterpretierte Daten Überprüfbarkeit Handlungstypen Regularitäten Handlungsorientierung Sequentialität Rationalität Gütekriterien Daten, die in Textform vorliegen, sind vorinterpretierte Daten (Soeffner und Hitzler, 1994a, 33). Sie sind die Konstruktionen erster Ordnung; es gibt in der sozialwissenschaftlichen Hermeneutik keine „nackten“ Tatsachen. Um sie zu verstehen, sind spezifische Kompetenzen erforderlich. Oevermann führt z.B. drei Kompetenzen an (Oevermann et al., 1979, 387f): 1. sprachliche Kompetenz, 2. kommunikative Kompetenz, 3. kognitive und moralische Kompetenz. Aus der Tatsache, dass soziale Tatsachen interpretierte Tatsachen sind, wird häufig ge- <?page no="118"?> 104 5 Verstehen schlossen, dass sich der Gegenstand von Natur- und Sozialwissenschaften unterscheidet. Schütz hat dies mit folgenden Worten umschrieben: „Die Tatsachen, Daten und Ereignisse, mit denen der Naturwissenschaftler umgehen muß, sind lediglich Tatsachen, Daten und Ereignisse innerhalb eines Beobachtungsfeldes; jedoch „bedeutet“ dieses Feld den darin befindlichen Molekülen, Atomen und Elektronen gar nichts“ (Schütz, 1953/ 1971, 6). Die in der sozialen Welt vorzufindende Sinnstruktur erschließt sich daher nur dem, der über die entsprechenden Kompetenzen verfügt. Eine sozialwissenschaftlich fundierte Hermeneutik erzeugt Rekonstruktionen sozialer Handlungen und den mit ihnen verbundenen Konstruktionen erster Ordnung. Um den Anspruch der Wissenschaftlichkeit zu erfüllen, hat eine solche Rekonstruktion überprüfbar zu sein (Soeffner, 2005, 167). Für diese sozialwissenschaftliche Konzeption des Verstehens sind qualitative Methoden der Sozialforschung als Möglichkeit anzusehen, ein kontrolliertes, methodenorientiertes und damit überprüfbares Vorgehen zu gewährleisten. 2 Ein solchermaßen wissenschaftliches Verstehen ist daher auch nicht mit Einfühlung der Forschenden in ihren Gegenstand zu verwechseln; ein Vorwurf, der zwar immer wieder vorgebracht wird, der jedoch mit dem Stand der Diskussion sozialwissenschaftlicher Hermeneutik offensichtlich nicht Schritt halten kann (Seipel und Rieker, 2003, 63, Soeffner und Hitzler, 1994a, 34). 3 Um auf Basis von interpretierten Daten Handlungen zu rekonstruieren, werden typische Handlungen (Handlungsmuster, Handlungstypen) verwendet. Handlungstypen sind Handlungen als Interaktionsprozesse, die gleichbleibend und häufig routiniert ablaufen und bei denen die Akteure auf gemeinsame Wissensbestände zurückgreifen (Soeffner, 1983, 18f). Auf Basis solcher normalen, durchschnittlichen Handlungen werden Typen von Handlungen gebildet. 2 Da in diesem Buch der Fokus auf den Methoden liegt, wurde diese verkürzte Sichtweise gewählt. Die Wissenschaft ist allerdings ein viel zu komplexes Phänomen, um es nur auf eine Methodenorientierung und ihre Überprüfbarkeit zu verengen (Schurz, 2014, 26ff, Detel, 2003, 172ff). 3 Insbesondere in den ökonomischen Disziplinen hat das Verstehen einen geringen Stellenwert. Sowohl in der älteren als auch der neueren methodenorientierten betriebswirtschaftlichen Literatur gibt es viele skeptische Einschätzungen zur Erkenntnisweise des Verstehens und der Hermeneutik, die meist auf dieser Charakterisierung als Einfühlung beruhen und ihr bestenfalls eine heuristische Funktion im Entdeckungszusammenhang zubilligen (Raffée, 1993, 14f, Schanz, 1975, 31f, Schweitzer, 2004, 74, Wild, 1975, 2658f). In Beiträgen zur interpretativen Organisationsforschung finden sich hingegen auch andere Sichtweisen (Walter-Busch, 2004, Wollnik, 1992, 1995). <?page no="119"?> 5.2 Grundlegung einer hermeneutischen Methode 105 Typische Handlungen sind ein erster Schritt zur Erfassung von Regularitäten, die von sozialen Akteuren auch so gedeutet werden. Es gibt dann ein gemeinsames Wissen über diese Handlungen, die Akteure wissen, wie sie zu handeln haben - was von ihnen erwartet wird - und wie andere Akteure reagieren werden. Mit der Typenbildung geht eine Generalisierung einher, da sich die untersuchten Fälle auf bestimmte Weise auf die gebildeten Typen beziehen. Häufig findet sich eine Form der Typenbildung, bei der eine an der Fallstruktur orientierte Typologie entwickelt wird, die auf Basis von als wesentlich angesehenen Merkmalen erfolgt ( ► Kap. 6.4). Um die von den sozialen Akteuren geschaffene soziale Realität zu verstehen, ist deren Interpretation Ausgangspunkt der Analyse. Sozialwissenschaftliche Hermeneutik konzentriert sich auf die Handlungen von Akteuren in ihrem Kontext und sie hilft zu verstehen, warum einzelne Akteure in einer bestimmten Situation so und nicht anders handeln (Soeffner, 1979, 328). Interpretation von Handlungen folgt häufig dem Prinzip der Sequentialität (Oevermann, 2013, 89ff, Soeffner und Hitzler, 1994a, 43f). Handlungen werden in Sinneinheiten (Sequenzen) unterteilt, um die Handlungen zu rekonstruieren (Kurt und Herbrik, 2019, 553). Es wird davon ausgegangen, dass jegliches Handeln auch anders hätte erfolgen können. Mithin wird davon ausgegangen, dass sich Akteure bewusst oder unbewusst für das Handeln entscheiden. Akteure richten sich in ihrem Handeln an sozialen Normen und Regeln aus. Einer Regel folgen, kann dabei genauso eine Handlung sein, wie eine Regel zu brechen und nicht regelkonform zu handeln. Regelfolgen und bewusste Regelverstöße setzen jedoch wieder die Regelbeherrschung mithin die verschiedenen Kompetenzen voraus. Bei der Sequenzanalyse werden daher die einzelnen Schritte einer Handlung analysiert, indem sie in ihrem Ablauf rekonstruiert werden (Soeffner und Hitzler, 1994b, 117ff). Verstehen von Handlungen wird dadurch erreicht, dass individuelle Eigenschaften von Akteuren an typisch Handelnden gespiegelt werden. Letztlich werden damit eine Reihe von Eigenschaften unterstellt, mithin eine Modellvorstellung von sozialen Akteuren verwendet. Eine wesentliche Unterstellung ist die Rationalität von Akteuren ( ► Kap. 5.3.5). Dies ist nur eine Konsequenz der bereits angeführten drei Kompetenzen, die Akteure innehaben müssen, um verstehen zu können. Verstehen ohne die gegenseitige Unterstellung von Rationalität ist kaum möglich (Davidson, 2003b, 349). Dies gilt für jegliche Interaktion, denn sie beruht auf Erwartungen, die ich gegenüber dem Anderen hege. Würden sie systematisch enttäuscht, wäre soziales Handeln unmöglich. Um die Schlüsse, die auf Basis von Methoden im Prozess des Verstehens gezogen werden, abzusichern, sind demzufolge - ähnlich wie für die quantitativen Methoden - Gütekriterien zu entwickeln (Steinke, 1999). Da in diesem Buch die <?page no="120"?> 106 5 Verstehen Kooperation oder Ergänzung von Erkenntnismethoden diskutiert wird, sind Gütekriterien eine Möglichkeit, gemeinsame Standards für die Kooperation zu setzen ( ► Kap. 5.4). 5.3 Methodologie sozialwissenschaftlicher Hermeneutik In der qualitativen Forschung werden verschiedene Verfahren eingesetzt, um Texte auszulegen und zu interpretieren, die auf Handlungen beruhen. Besonders prominent ist die Grounded Theory, die ursprünglich von Glaser und Strauss konzipiert und später von Strauss und Corbin weiterentwickelt wurde. 4 Ein wesentlicher Grund, die Grounded Theory für die folgende Analyse heranzuziehen, ist, dass sie als gut dokumentiertes Verfahren gilt, zu dem es eine große Anzahl an Veröffentlichungen zu den verschiedenen Aspekten des Verfahrens gibt. Außerdem ist sie in der empirischen Forschung sowohl international als auch in vielen sozialwissenschaftlichen Disziplinen weit verbreitet. Eine umfassende Beschreibung dieser Methode ist nicht intendiert, vielmehr sollen ausschließlich die methodologischen Aspekte im Hinblick auf die sozialwissenschaftliche Hermeneutik erörtert werden (Rennie, 2000). Während es bei einigen Vertretern der qualitativen Sozialforschung wie z.B. Mayring einen expliziten Hinweis auf die Hermeneutik gibt (Mayring, 2015, 29ff), wird sie weder bei Glaser, noch bei Strauss und Corbin erwähnt. In den Stichwortverzeichnissen ihrer wichtigen Monographien finden sich keine Hinweise zur Hermeneutik. Zwar stehen methodische Regeln nicht im Vordergrund der folgenden Analyse der Grounded Theory, sie sind jedoch oft so eng mit methodologischen Regeln verbunden, dass sie - wenn auch unsystematisch - mitbetrachtet werden. Vornehmlich sollen jedoch methodologische Regeln einer sozialen Hermeneutik betrachtet und hinterfragt werden, welche Annahmen mit ihnen verbunden sind. Vier Fragen sollen analysiert und diskutiert werden, die zur Grundlegung von Methodologien sozialwissenschaftlicher Hermeneutik beitragen: 1. Sie muss Aussagen über das Vorverständnis treffen. Wird z.B. von einem theoretischen Vorverständnis ausgegangen, was meist zutrifft, stellt sich die Frage, wie dies bei der Interpretation berücksichtigt wird. 2. Gibt es methodologische Regeln, die für den Entdeckungszusammenhang entwickelt werden und die Begriffs- und Hypothesenbildung unterstützen? Gibt es eine Logik der Entdeckung? 4 Grundlegend ist Glaser und Strauss (1967), dem Folgenden liegt Strauss und Corbin (1998) zugrunde; die von Corbin (2015) verfasste Nachfolgauflage wird nur ergänzend herangezogen. <?page no="121"?> 5.3 Methodologie sozialwissenschaftlicher Hermeneutik 107 3. Welche methodologischen Regeln werden für die Fallauswahl aufgestellt, um die Begriffs- und Hypothesenbildung abzusichern? Es ist davon auszugehen, dass methodologische Regeln der Fallauswahl sich direkt auf die Möglichkeit der Generalisierbarkeit der Ergebnisse auswirken. 4. Lassen sich grundlegende hermeneutische Prinzipien identifizieren, die zur Rechtfertigung von Interpretationen verwendet werden? Gibt es methodologische Regeln, welche die Ergebnisse validieren? Gibt es eine Wahrheitskonzeption der sozialwissenschaftlichen Hermeneutik und lassen sich diese Vorstellungen in ein Konzept der Validität überführen? Da es in der Diskussion zu den vier Fragekomplexen weitere Vorschläge gibt, die nicht durch die Vertreter der Grounded Theory beantwortet werden, sind sie zusätzlich zu berücksichtigen. 5.3.1 Zur Bedeutung des Vorwissens Seit Heidegger wird in der Hermeneutik der hermeneutische Zirkel als Metapher verwendet, um die Besonderheit des Verstehens herauszustellen (Heidegger, 1927/ 1967, 152f). Kurz gefasst, wird davon ausgegangen, dass für jedes Verstehen ein Vorwissen oder Vorverständnis 5 der Akteure vorhanden sein muss, um einen Text zu verstehen. Gadamer prägt in diesem Zusammenhang den Begriff des Vorurteils neu, dadurch dass er ihn im Sinne von Vorwissen, welches in einem Überlieferungszusammenhang steht, und damit als Vorbedingung des Verstehens positioniert (Gadamer, 1965, 255ff). Abbildung 8 illustriert, dass Verstehen ein Prozess ist, der sich wie eine Spirale entwickelt, indem schrittweise ein verbessertes Textverständnis erzeugt wird (Stegmüller, 1972, 27). Wenn davon ausgegangen wird, dass, um zu verstehen, Interpretationshypothesen aufgestellt, verifiziert oder falsifiziert werden, dann lässt sich weiterhin annehmen, dass ohne Vorwissen das Aufstellen von Interpretationshypothesen nicht möglich ist. In einer sozialwissenschaftlichen Hermeneutik geht es dann um die Frage, wie Vorwissen zum Gelingen des Verstehens beiträgt; d.h., zu klären ist, ob sich dieser Beitrag methodisch unterstützen lässt und inwieweit verhindert werden kann, dass dieses Vorwissen nicht zu verzerrten Interpretationen führt. Während Glaser und Strauss in ihrem frühen gemeinsamen Werk für eine möglichst vorurteilsfreie, voraussetzungslose Herangehensweise plädieren (Glaser und Strauss, 1967, 37), haben Strauss und Corbin die Rolle des Vorwisssens später eingehender behandelt und diese Ansicht korrigiert (Strauss, 1987, 12ff, Strauss und Corbin, 1998, 42ff). Sie stellen vielmehr die Erfahrung heraus, die sich in der Sensibilität ausdrückt. Sensibilität ermöglicht die Einsicht in die Ereignisse und 5 Die Begriffe „Vorwissen“ und „Vorverständnis“ verwende ich synonym zu dem im 4. Kapitel eingeführten Begriff „Hintergrundwissen“ (s. S. 86). <?page no="122"?> 108 5 Verstehen Prozesse, um den Daten Bedeutung und Sinn verleihen zu können (Glaser, 1992, 27ff, Strauss und Corbin, 1998, 46). Strauss und Corbin stehen somit im Einklang mit philosophischen Einsichten, wie sie z.B. Gadamer diskutiert. Er analysiert Vorwissen, das er Vorurteil nennt, ausführlich und im Zusammenhang mit dem hermeneutischen Zirkel und weist ihm einen zentralen Stellenwert beim Verstehen zu (Gadamer, 1965, 250ff, Tietz, 1999, 37ff). Hieraus lässt sich schlussfolgern, dass es theorieloses Beobachten oder Interpretieren nicht geben kann (Schurz, 2014, 57ff). Wir alle haben in der Regel ein durch die jeweilige historische Situation geprägtes Hintergrundwissen und greifen auf die Wissensbestände aus der Gesellschaft zurück, in der wir leben. Wir gehen daher bei jeder Interpretation mit Vorwissen an die Auslegung von Texten heran. (Quelle: leicht verändert übernommen aus Danner, 1979, 53) Abbildung 8: Hermeneutische Spirale Hintergrundwissen setzt sich aus mehreren Komponenten zusammen. Sozialwissenschaftliche Hermeneutiker stützen sich insbesondere auf das Konzept der Lebenswelt, um auf das Alltagswissen hinzuweisen, welches sozialen Akteuren als handlungsleitende Orientierung dient (Schütze, 1973, 16ff). Auf diese Wissensbestände greifen dementsprechend sozialwissenschaftlich Forschende zurück (Hitzler, 1993, 230). Oevermann hat dieses Wissen als Regelwissen expliziert und darauf hingewiesen, dass Verstehen auf dessen Basis erst möglich ist (Oevermann et al., 1979, 387f). Wenn hingegen eine solche „Heuristik des Alltagwissens“ (Kelle, 2007, 103) fehlt, ist es schwer, Interpretationen zu formulieren. Allerdings ist zu beachten, dass wir zwar, um überhaupt etwas zu verstehen, unser Hintergrundwissen als unproblematisch ansehen (Popper, 1963/ 2009, 368f), auch dieses Wis- <?page no="123"?> 5.3 Methodologie sozialwissenschaftlicher Hermeneutik 109 sen ist jedoch grundsätzlich fallibel und damit revidierbar. Im Gegensatz argumentiert Oevermann, dass universalgrammatikalische Regeln der linguistischen Kompetenz einen a-priori Anspruch innehaben (Oevermann, 1986, 25ff). Auch die Hypothesen einer Theorie der Universalgrammatik sind jedoch fallibel und ihre Bewährung ist nicht unumstritten (Evans und Levinson, 2009). Inwieweit ist auch wissenschaftliches Wissen, z.B. Theorien, für Verstehen von Handlungen notwendig? Für ihren expliziten Einsatz plädieren Vertreter einer naturalistischen Hermeneutik, die ihre Forderung auf den Begründungszusammenhang beziehen (Mantzavinos, 2006, 18). Welche Rolle sollen Theorien im Entdeckungszusammenhang spielen? Vordergründig kollidiert ihr Einsatz mit der Forderung nach Offenheit von Wissenschaftlern gegenüber den zu untersuchenden Phänomenen (Rosenthal, 2005b, 48ff). In einer qualitativen Untersuchung im Entdeckungszusammenhang ist es nicht zu vermeiden, dass theoretisches Wissen den Forschungsprozess beeinflusst (Wrona und Gunnesch, 2016, 729): Es gibt in der sozialen Welt keine rohen Daten, sondern es liegen interpretierte Daten vor (Soeffner und Hitzler, 1994b, 104). Daher ist Verstehen auf ein Vorverständnis angewiesen. Die Vorstellung eines tabula rasa ist in der Erkenntnistheorie der Einsicht gewichen, dass es eine theoriefreie Beobachtung nicht gibt, vielmehr von einer theoriebeladenen Beobachtung auszugehen ist (Hanson, 1958, 19, Popper, 1973, 85f). Anstatt theoretisches Vorwissen als Bedrohung zu betrachten, bietet es sich an, theoretisches Wissen als kreative Quelle für Entscheidungen während des Forschungsprozesses zu nutzen (Wrona und Gunnesch, 2016, 730). Daher wird bei der folgenden Beschreibung der Grounded Theory auf dieses Potential hingewiesen. 5.3.2 Begriffs- und Hypothesenbildung in der Grounded Theory Wie soll die Grounded Theory im Entdeckungszusammenhang eingesetzt werden? Zur Klärung dieser Frage ist es hilfreich, sich die wichtigsten Bestandteile von Theorien zu vergegenwärtigen: Begriffe und Aussagen (Strauss und Corbin, 1998, 22). Um Theorien zu entwickeln, ist es notwendig, zuerst die Begriffe (Konstrukte) zu entwickeln und danach Beziehungen zwischen diesen Konstrukten herzustellen und entsprechende Hypothesen zu formulieren. Kernstück der Methode der Grounded Theory ist die Textinterpretation als dreistufige Kodierung von Texteinheiten (Strauss und Corbin, 1998, 101ff). 6 6 Die dreistufige Kodierung wird in späteren Auflagen nicht mehr dargestellt (Corbin und Strauss, 2015). <?page no="124"?> 110 5 Verstehen (Quelle: leicht verändert übernommen aus Osann, 2010, 77) Abbildung 9: Ablauf der Grounded Theory Mithilfe der offenen Textkodierung werden Texteinheiten einem bestimmten Code (= Begriff und Begriffskombinationen) zugeordnet. Strauss und Corbin verwenden die Begriffe Code und Kategorien. Im Folgenden wird jedoch anstatt Kategorie von Konstrukten gesprochen, da dies konsistent zur Begrifflichkeit in diesem Buch ist. Nach der Zuordnung werden Konstrukte gebildet, um sie als Bausteine zur Theorie- und Hypothesenentwicklung zu verwenden (Dey, 1999, 48f, 57). Konstrukte gehen als abstrakte Begriffe aus Interpretationen von Codes hervor. Während der Phase des axialen Kodierens wird untersucht, ob es sich um Ursachen der Phänomene, ihren Kontext, intervenierende Bedingungen, auf die Phänomene bezogene Handlungsstrategien oder deren Konsequenzen handelt (Dey, 1999, 106f, Strauss und Corbin, 1998, 127f). In der dritten Phase der Kodierung (selektives Kodieren) ist das wichtigste Ziel, die theoretischen Begriffe (Konstrukte) mithilfe von Hypothesen zu integrieren, um zu einer gegenstandsbezogenen Theorie zu gelangen. <?page no="125"?> 5.3 Methodologie sozialwissenschaftlicher Hermeneutik 111 Konstrukte sind spezielle Sinneinheiten eines Textes, sie gehen über den Sinn einzelner Worte des Textes hinaus. Beispielsweise werden in einer Reihe von Interviewtexten bestimmte Kombinationen von Instrumenten und Tätigkeiten durch die Interviewten genannt. Dieser Kombination wird eine gemeinsame Bezeichnung geben, um ihre Verbindung zu verdeutlichen. Eventuell ist es auf diese Weise möglich, ein Konstrukt aus dem Interviewmaterial zu bilden; ein solches Konstrukt könnte z.B. Integrationsfähigkeit genannt werden. Sie ist eine bestimmte Fähigkeit des Managements, Instrumente und Tätigkeiten zu kombinieren. Sie ergibt sich bei der Interpretation, indem „theoretisch und logisch mögliche Merkmalskombinationen der untersuchten Phänomene“ (Kelle, 1996, 37) bestimmt werden. Interpretationsleistungen sind bei der Konstruktbildung in mindestens zweifacher Weise notwendig: Erstens sind die Aussagen der Interviewten in ihrem Zusammenhang zu verstehen. Häufig sind die Aussagen nicht alle in einem Kontext gemacht worden, sondern im Verlaufe eines Interviews an verschiedenen Stellen geäußert worden. Zweitens ist eine Aufgabe, Ursache-Wirkungsbeziehungen in den Texten aufzuspüren (Brühl, Horch und Orth, 2008, 311). Ohne Sachkenntnis über den Gegenstand des Interviews ist dies kaum erreichbar, denn sie ist eine notwendige Voraussetzung der Interpretation, die nicht mit dem Einfühlungsvermögen zu verwechseln ist (Haussmann, 1991, 179ff). Welche methodischen Hinweise werden in der Grounded Theory gegeben, die diese Interpretationsleistungen unterstützen? Für die Konstrukt- und Hypothesenbildung werden verschiedene Kodierparadigmen angeboten, mit deren Hilfe eine Zuordnung vorgenommen werden kann. Kodieren ist Zuordnung von Texteinheiten zu Codes. Nur im Falle von In-vivo-Codes - das sind unveränderte Texteinheiten aus dem Fallmaterial - kann darauf verzichten werden, abstrakte Begriffe zu bilden. Häufig werden sie jedoch aus dem Fallmaterial Texteinheiten bestimmten abstrakten Begriffen zuordnen müssen. Glasers Hinweis, zu warten, bis das Problem aus den Daten emergiert, ist wenig hilfreich (Glaser, 1992, 21ff). An dieser Stelle spielt das theoretische Vorwissen der Interpretierenden eine entscheidende Rolle, da im Abstraktionsprozess nicht nur die Daten einfließen werden (Strübing, 2014, 70f). Zur Hypothesenbildung wird ein Kodierparadigma vorgeschlagen, das wie ein handlungstheoretisches Modell wirkt (s. Abbildung 10). Es besteht aus verschiedenen Elementen (Strauss und Corbin, 1998, 130ff): 1. das zu untersuchende Phänomen, <?page no="126"?> 112 5 Verstehen 2. Bedingungen, die zum Entstehen von Phänomenen führen; sie werden unterteilt in 2.a kausale Bedingungen, 2.b intervenierende Bedingungen, 2.c kontextuelle Bedingungen, 3. Aktionen/ Interaktionen sowie 4. Konsequenzen. (Quelle: verändert übernommen aus Strübing, 2014, 25) Abbildung 10: Kodierparadigma von Strauss (1987) Mit diesem Kodierparadigma zeigt sich die Herkunft von Strauss aus der Chicago School of Sociology, in der maßgeblich der Symbolische Interaktionismus entwickelt wurde (Corbin und Strauss, 1990, 5, Strauss und Corbin, 1998, 9). Wie aufgezeigt, ist es in der Grounded Theory von Interesse, Zusammenhänge - auch kausale Zusammenhänge - zwischen den Konstrukten herzustellen (Urquhart, 2019, 91). Es ist zu beachten, dass die damit angesprochenen Hypothesen nicht mit Interpretationshypothesen verwechselt werden dürfen. Interpretationshypothesen beziehen sich auf die Auswertung des Textmaterials, sie dienen seiner Auslegung und beziehen sich auf die Aussagen von sozialen Akteuren. Mithilfe gegenstandsbezogener Hypothesen soll über den einzelnen Fall hinausgegangen werden und es sollen Zusammenhänge zwischen sozialen Sachverhalten festgestellt werden. <?page no="127"?> 5.3 Methodologie sozialwissenschaftlicher Hermeneutik 113 Zwar ist das Kodierparadigma eine Interpretationshilfe, es lässt sich allerdings nicht ohne Vorwissen einsetzen. Auch bei der Entwicklung von Hypothesen zeigt sich, dass weder Codes noch Konstrukte und Hypothesen ohne theoretische Zusatzannahmen aus den verbalen Daten emergieren, dem Vor- und Hintergrundwissen von Wissenschaftlern kommt daher eine entscheidende Bedeutung zu (Strübing, 2014, 59ff). 5.3.3 Fallauswahl, Theorieentwicklung und Generalisierung Die theoretische Fallauswahl in der Grounded Theory unterscheidet sich grundsätzlich von der statistischen Fallauswahl in der quantitativen Forschung. Die theoretische Fallauswahl wird während der Untersuchung durch den Entwicklungsstand der Theorie geleitet. Bei der Wahl der ersten Fälle wird sich an den Forschungsfragen orientiert, die Wahl der weiteren Fälle wird auf Basis der drei Kodierungsphasen bestimmt sowie auf Basis des jeweils erreichten Theoriestandes entschieden und somit bestimmt sich das Ende der Datenerhebung nach dem Stand der entwickelten Theorie. Ziel ist es, durch iterative Abläufe zwischen Datenerhebung und -auswertung zu einer durch die Daten erzeugten Theorie zu kommen und theoretische Sättigung zu erreichen (Morse und Clark, 2019, 145ff). Strauss und Corbin appellieren an die Sensibilität, die theoretische Relevanz der einzelnen erhobenen Daten zu hinterfragen. Nach dem Prinzip der hermeneutischen Spirale bedeutet dies, dass während der Kodierung immer wieder zu „alten“ Daten zurückzukommen ist, um sie auf Basis neu gewonnener Erkenntnisse noch einmal zu kodieren. Strauss und Corbin beschreiben, wie die theoretische Fallauswahl mit den Kodierphasen verbunden sind (Strauss und Corbin, 1998, 101ff). In der ersten Phase des offenen Kodierens wird die Fallauswahl nach der Forschungsfrage ausgerichtet. Eventuell bestehen bereits vage Vorstellungen über den zu untersuchenden Sachverhalt, wie sie Blumer mit dem Begriff der „sensiticing concepts“ bezeichnet hat (Blumer, 1954/ 1969, 147). Dieses Wissen dient als Ausgangspunkt für die Suche nach ersten Fällen. Ziel ist es, möglichst viele relevante Daten zu den Phänomenen, ihren Eigenschaften und Beziehungen zwischen ihnen zu erheben. Beim axialen Kodieren wird die Fallauswahl ebenfalls auf Basis theoretisch relevanter Begriffe durchgeführt, jedoch mit einem anderen Fokus: dem Weiterentwickeln von Konstrukten und deren Beziehungen sowie der Validierung dieser Beziehungen. Es sollte versucht werden, die Fallauswahl auf die verschiedenen Dimensionen der Phänomene zu beziehen und ihre Charakteristika aufzudecken. Dabei sollte ein deduktives Vorgehen unter Ausrichtung auf der Basis der theoretisch entwickelten Konstrukte gewählt wer- <?page no="128"?> 114 5 Verstehen den, indem Daten zu erstellten Ergebnissen gezielt gesammelt und analysiert werden (Strauss und Corbin, 1998, 209f). Die Integration zu einem relevanten Konstrukt soll während des selektiven Kodierens erfolgen. Fälle werden dann so ausgewählt, dass die Grundlagen der Theorie und die Beziehungen zwischen Konstrukten weiter intensiviert werden und eventuell unvollständige Konstrukte mit Inhalt ausgefüllt werden können. Die ständige Überprüfung und das Einbauen von neuen Variationen der entwickelten Theorie sollen durch die Fallauswahl ermöglicht werden (Kelle, 1994, 331f). Beendet wird die Untersuchung, wenn im Prozess des ständigen Vergleichs zwischen bereits entwickelter Theorie und neuen Daten keine neuen Erkenntnisse erzielt werden. In der Grounded Theory wird dies als theoretische Sättigung bezeichnet (Glaser und Strauss, 1967, 61). Ab wann keine neuen Fälle mehr untersucht werden, entscheidet das Forschungsteam auf Basis des Stands der Theorieentwicklung. Ein Standardvorwurf gegenüber der fallbasierten Forschung ist die fehlende Generalisierbarkeit ( ► Kap. 6.5.2). Es wird bemängelt, dass die Auswahl der Fälle nicht repräsentativ ist, weil sie nicht zufällig ist. Daher sei es nicht möglich, auf eine größere Anzahl von Fällen zu schließen. Diese Argumentation verkennt, dass die Entwicklung von Theorien im Vordergrund steht. Wie ist Generalisierung im Hinblick auf theorieentwickelnde Untersuchungen zu beurteilen? Wenn alle bekannten Fälle in einer Untersuchung homogen wären, dann gäbe es kein Problem der Generalisierung (Gomm, Hammersley und Foster, 2000, 104). Da in der sozialen Realität von heterogenen Fällen auszugehen ist, stellt sich die Frage, ob es möglich ist, dieses Problem in einer qualitativen Untersuchung adäquat zu adressieren. Dies ist dann möglich, wenn theoretisches Wissen über dieses Gebiet vorliegt (Wrona und Gunnesch, 2016, 734f) und somit Informationen über die Heterogenität erhoben werden können. Zunächst ist zu klären, welche heterogenen Eigenschaften für die Untersuchung von Relevanz sind. Wenn Eigenschaften keine Auswirkungen auf die Ergebnisse haben, können sie vernachlässigt werden. Wird ein Einfluss vermutet und sind die niedrigste und höchste Ausprägung der Konstrukteigenschaften bekannt, dann ist es möglich, den Merkmalsraum abzubilden, in dem sich alle potentiellen Fälle bewegen werden (Gerring, 2008, 650f). Wenn diese Extremfälle auf systematische Unterschiede in den einzelnen Komponenten des Kodierparadigmas untersucht werden, lassen sich eventuell Unterschiede in den Bedingungen finden, die zu diesen Ausprägungen führen (Glaser und Strauss, 1967, 55ff). <?page no="129"?> 5.3 Methodologie sozialwissenschaftlicher Hermeneutik 115 Dieses Vorgehen sichert nicht statistisch den Schluss auf die Grundgesamtheit ab, das ist auch gar nicht bezweckt. Mit diesem Verfahren wird abgesichert, dass die Fälle möglichst die wesentlichen Faktoren von Heterogenität innerhalb der untersuchten Population abdecken. Wenn es sich um eine theoretisch gesättigte Theorie handelt, besteht eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass sie auch in Zukunft weiteren Überprüfungen standhält. Auch eine hohe Wahrscheinlichkeit garantiert keine Wahrheit und daher handelt es sich um einen riskanten abduktiven Schluss ( ► Kap. 4.3.2), der zu falschen Aussagen führen kann (Reichertz, 2019, 267). Mithin gibt es zwar keinen Algorithmus für Theorieentwicklung, es lassen sich hingegen methodologische Regeln formulieren, die Theorieentwicklung wahrscheinlich einen größeren Schritt voranbringt als Überlegungen, die sich Forscher zuhause in ihrem Lehnstuhl einfallen lassen. 5.3.4 Intentionen als Grundlage hermeneutischer Regeln In der Literatur zur Hermeneutik finden sich Prinzipien der Hermeneutik, welche die Interpretation leiten sollen. Es sind jedoch auch weitere Begriffe wie Maxime oder Kanon (Betti, 1962, 14) zu finden. Da in diesem Buch der Begriff der Regel vorgezogen wird, soll er auch hier verwendet werden. Eine erste Regel bezieht sich auf die Frage, ob ein subjektiver oder objektiver (intersubjektiver) Sinn Gegenstand der Interpretation sein soll. Wird sich für den subjektiven Sinn entschieden, dann ist die maßgebliche Quelle der einzelne Akteur; hingegen weist die Suche nach dem objektiven Sinn über den einzelnen Akteur hinaus. Die erste Variante versucht mit Hilfe von Interpretationshypothesen, den Sinn von Handlungen eines sozialen Akteurs zu rekonstruieren, indem die wesentlichen Elemente seiner Handlungssituation - Ziele, Überzeugungen und Situationsbedingungen - beschrieben und in einen Zusammenhang gebracht werden (Mantzavinos, 2006, 119). In ihrem Zentrum steht der subjektive Sinn eines einzelnen sozialen Akteurs. Er ist der erste Ansprechpartner, um die Frage zu klären, ob die Interpretationshypothese zutrifft oder nicht. Somit werden Handlungen (Texte) auf Basis der Intentionen des individuellen Akteurs (Autors) interpretiert. Wie lässt sich feststellen, ob die Bedeutung eines Textes richtig verstanden wurde? Was ist die Instanz, die über die Richtigkeit der Interpretation entscheidet? Im Laufe der Geschichte der Hermeneutik und insbesondere der Literaturwissenschaft hat es hierzu zwei wesentliche Antworten gegeben, für oder gegen die Autorenintention. Beispielsweise hat Eric Hirsch über die Interpretation von literarischen Texten geäußert, dass die Intentionen des Autors als der Maßstab der Richtigkeit von Interpretationen gelten sollten (Hirsch, 1972, 34). <?page no="130"?> 116 5 Verstehen Auch Emilio Betti, der einen Kanon von Interpretationsregeln aufstellt, betont die Autorenintention (Betti, 1962, 14f). 7 Maßgeblichen Einfluss auf die zweite Gruppe hatte ein Aufsatz von William Wimsatt und Beardsley (1946), in dem sie die Doktrin der Autorenintention angriffen und dies als intentionalen Trugschluss bezeichnen. Nach ihnen hat bei der Interpretation der Text als literarisches Werk Vorrang, eine besondere Betrachtung der Intentionen des Autors ist somit überflüssig. Auch wenn es möglich wäre, die Autorenintention zu erfassen, wäre es gar nicht wünschenswert, sie zu ermitteln (Wimsatt und Beardsley, 1946, 468). Da sich die Bedeutung im Werk objektiviert habe, kann sich die Interpretation auf das Werk konzentrieren und die Intentionen des Autors vernachlässigen. Es gibt in dieser Diskussion insbesondere ein Argument, das auch für die soziale Hermeneutik von Relevanz ist. Autoren müssen sich nicht bewusst für bestimmte Textpassagen entschieden haben, daher lässt sich die Beziehung zwischen Text und Autorenintentionen bestenfalls indirekt ermitteln. Obwohl es auch unbewusste Intentionen geben kann, zielt dieser Einwand auf den Kontext, in dem sich der Autor befindet und der sich im Text manifestieren wird. Es wird somit angenommen, dass sich im Text eine objektive Bedeutung befindet, die auf tiefer liegenden Faktoren beruht (Ricœur, 1978, 88f). In seiner kognitiven Hermeneutik hat Peter Tepe dieser Argumentation dadurch Rechnung getragen, dass er zwar die Autorenintention berücksichtigt, allerdings den Interpretationsrahmen erweitert. Er unterscheidet drei sogenannte textprägende Instanzen (des Autors): (1) das Textkonzept, (2) das Literaturprogramm und (3) das Überzeugungssystem, wobei letzteres insbesondere das Hintergrundwissen des Autors enthält (Tepe, 2007, 62ff). 8 Der Autor muss sich dieser textprägenden Instanzen nicht im Einzelnen bewusst sein. Welche Lehren lassen sich aus den Diskussionen um den Intentionalismus in der Literaturwissenschaft ziehen? Es gibt zwar eine gewisse Analogie zwischen der Literaturwissenschaft und einer sich als Textwissenschaft verstehenden So- 7 Der Kanon von Betti bezieht sich auf wichtige Vorläufer, wie z.B. Schleiermacher: (1) Die Eigenständigkeit des Objekts bezieht sich auf die innere Logik des Textes und beruht auf der Autorenintention bei Entstehung des Textes. (2) Die Interpretation hat ganzheitlich und auf mehreren Ebenen zu erfolgen: Text, verwendete Sprache, Werk des Autors und Kultur. (3) Es ist aktuelle Situation des Interpreten und sein Vorwissen einzubeziehen. (4) Der Interpret soll eine harmonische Entsprechung zwischen sich und dem zu interpretierenden Objekt herstellen (Betti, 1967, 216ff, Seebohm, 1972). 8 Textkonzept ist „eine bestimmte künstlerische Ausgestaltung oder Zielsetzung, eine bestimmte Gestaltungsidee“ (Tepe, 2007, 63), Literaturprogramm ist „eine bestimmte werthaft-normative Auffassung davon, wie Literatur aussehen sollte (Tepe, 2007, 65). <?page no="131"?> 5.3 Methodologie sozialwissenschaftlicher Hermeneutik 117 zialwissenschaft, da in beiden Texten eine Welt beschrieben wird - sie ließen sich als Textwelt und soziale Welt unterscheiden -, allerdings verfügt die soziale Welt nicht über einen Autor, der sie geschaffen hat und dessen Intentionen für die Frage relevant sein kann, warum sie so ist, wie sie im Text beschrieben ist. Die Parallele besteht vielmehr darin, dass nach der intentionalistischen Auffassung der Akteur und der Autor Handlungen vollziehen, die auf ihren Absichten beruhen. Daher geht diese Position davon aus, dass es möglich ist, am Ergebnis der Handlung (Tepe, 2007, 73) zu erkennen, welche Absichten damit verbunden sind. In der sozialen Hermeneutik sind daher Akteure als die Autoritäten anzusehen, die befragt werden können, warum bestimmte Handlungen von ihnen vollzogen werden. Bereits Dilthey brachte eine Welt des objektiven Geistes ins Spiel, in der sich das Individuum orientiert und in dem es „eintaucht in das Medium von Gemeinsamkeiten“ (Dilthey, 1927/ 1958, 208f). Da Intentionen mentale Zustände sind, die unter sozialen Bedingungen entstehen, lässt sich annehmen, dass die Gesellschaft diese Intentionen beeinflusst. Hieraus leiten sich zwei wesentliche Erkenntnisse ab: 1. Es gibt einen objektiven Sinnzusammenhang, der sich in der Handlung manifestiert, und 2. dem sozialen Akteur muss dieser objektive Sinnzusammenhang nicht bewusst sein. Anstatt von einem objektiven Sinnzusammenhang wird auch von einem latenten Sinnzusammenhang gesprochen, für den zwar die individuellen Intentionen eine wesentliche Bedingung darstellen, deren sich die Akteure jedoch nicht bewusst sein müssen (Oevermann, 2013, 81). Fraglich ist jedoch, wie methodisch vorzugehen ist, um latente Sinnstrukturen zu ermitteln. Als Problem kann angesehen werden, dass sich die Akteure bestimmter Sinnstrukturen nicht bewusst sein müssen. Wenn ihre subjektiven Sinnstrukturen erfasst werden, indem sie beobachtet oder befragt werden, lässt sich nicht direkt auf latente Sinnstrukturen schließen. Eine Analyse hat zwar den subjektiven Sinn als Bezugspunkt für die Analyse von latenten Sinnstrukturen (Wernet, 2009, 18), sucht jedoch nach Differenzen und Inkonsistenzen der Akteure mit weiteren möglichen Bedeutungen der Handlungssituation (Soeffner und Hitzler, 1994a, 121f). Wie lassen sich latente Sinnstrukturen konstruieren? Mit dem Konzept von Schütz ist ein erster Zugang möglich, in dem auf Basis der Konstruktionen erster Ordnung Konstruktionen zweiter Ordnung gebildet werden. D.h., es werden die von den Akteuren unterstellten Typisierungen der Handlungen und der Situation und der mit ihnen latent verbundene Sinn konstruiert (Soeffner und Hitzler, 1994a, 125). Latente Sinnzusammenhänge lassen sich <?page no="132"?> 118 5 Verstehen dann durch theoretische Begriffe und ihre Zusammenhänge in Theorien beschreiben (Heckmann, 1992, 143 f), denn wie soeben gezeigt, ist es nur möglich, diese Zusammenhänge auf Basis der Texte abduktiv zu ermitteln. 5.3.5 Prinzip der hermeneutischen Billigkeit und Rationalität Eine - in der Regel kritisch gemeinte - Charakterisierung der Methoden des Verstehens ist, dass sie keine Verifikationsmethode ist und dass sie die üblichen wissenschaftlichen Standards von Wissenschaften nicht erfüllt (Abel, 1964, 185). Damit verbunden ist der Vorwurf, dass sie nur subjektiv gültige Ergebnisse bietet, objektiven Maßstäben hingegen nicht gerecht wird. Wie ist dies mit dem Anspruch einer sozialwissenschaftlichen Hermeneutik in Einklang zu bringen, die für ihre Ergebnisse durchaus Objektivität beansprucht? So führt die Methode der objektiven Hermeneutik diesen Anspruch schon im Titel (Oevermann et al., 1979), aber auch eine sozialwissenschaftliche Hermeneutik reklamiert intersubjektive Gültigkeit (Reichertz, 1999, 2016). Wenn von Akteuren und deren Intentionen als Interpretationsgrundlage ausgegangen wird (Prinzip der Akteursintention), ist ein weiteres Prinzip aus der hermeneutischen Tradition zu betrachten: das Prinzip der hermeneutischen Billigkeit. „Die hermeneutische Billigkeit (aequitas hermeneutica) ist die Neigung eines Auslegers, diejenigen Bedeutungen für hermeneutisch wahr zu halten, welche, mit den Vollkommenheiten des Urhebers der Zeichen, am besten übereinstimmen, bis das Gegentheil erwiesen wird“ (Meier, 1757, 20). Wer dieses Prinzip zur Grundlage von Interpretationen macht, der unterstellt, dass der Autor des Textes vollkommen ist. Mit dieser Unterstellung von Vollkommenheit wird angenommen, dass ein Autor über wahre Erkenntnis verfügt. Das Prinzip „enthält also nicht nur …, daß ein Text seine Meinung vollkommen aussprechen soll, sondern auch, daß das, was er sagt, die vollkommene Wahrheit ist“; Gadamer bezeichnet dies als den „Vorgriff der Vollkommenheit, der all unser Verstehen leitet“ (Gadamer, 1965, 278, Hervorhebung durch mich). Neben dieser Bezeichnung von Gadamer findet sich eine weitere Variante. Es ist das Prinzip der wohlwollenden Interpretation von Donald Davidson. 9 9 Eine Analyse dieser Varianten findet sich in Scholz (2016, 51ff, 88ff), eine prägnante Diskussion der drei Autoren bietet Künne (1990), einen weitergehenden Vergleich von Davidson und Gadamer liefert Stüber (1994). <?page no="133"?> 5.3 Methodologie sozialwissenschaftlicher Hermeneutik 119 Davidson hat ein Gedankenexperiment von Quine, die radikale Übersetzung, 10 für eine umfassende Theorie des sprachlichen Verstehens aufgegriffen und zur radikalen Interpretation entwickelt. Im Kern geht es um die Möglichkeiten, eine Sprache zu verstehen und sprachlichen Äußerungen Bedeutungen zuzuordnen. Das Prinzip der wohlwollenden Interpretation ist Teil dieses umfassenden Programms von Davidson, das den Versuch enthält, eine Theorie der Bedeutung als allgemeine Theorie des Verstehens zu etablieren. Im Zentrum der Interpretation steht nach Davidson das Prinzip der wohlwollenden Interpretation („principle of charity“) 11 oder der Nachsichtigkeit, welches dem Akteur ein wahres und weitgehend kohärentes Überzeugungssystem unterstellt. Davidson ist der Meinung, dass dieses Prinzip eine Annahme für jede Theorie des Verstehens sein muss, denn erst wenn wir den Sätzen, die jemand äußert, zuschreiben, dass sie wahr sind, verstehen wir (die Bedeutung) der Äußerung: „wenn wir andere verstehen wollen, müssen wir ihnen in den meisten Dingen recht geben, ob wir das mögen oder nicht“ (Davidson, 1986, 280). Das Prinzip der wohlwollenden Interpretation lässt sich daher mit zwei Prinzipien konkretisieren: Ein eher formales Prinzip (Kohärenzprinzip), das den Interviewten mit einem Grundgerüst an logischen Fähigkeiten ausstattet, und zum zweiten ein Prinzip, das dem Interviewten einen gewissen Grad an wahren Überzeugungen über die Welt zuschreibt (Wahrheitsprinzip) ( ► Kap. 2.4). Jeder Interpret ordnet den Äußerungen Bedeutungen zu und schreibt dem Anderen Einstellungen (wie z.B. Ziele und Überzeugungen) zu. Beide Zuweisungen werden durch das Prinzip der wohlwollenden Interpretation geregelt (Davidson, 2003b, 349f). Mit diesen Prinzipien wird dem sozialen Akteur Rationalität unterstellt, die ähnlich wie bei Herbert Simon’s begrenzter Rationalität (bounded rationality) eine zwar intendierte, jedoch aufgrund der begrenzten kognitiven Fähigkeiten eingeschränkte Rationalität ist (Scholz, 2016, 230f). Weder ein Irrtum noch das Auftreten einzelner irrationaler Verhaltensweisen werden dadurch ausgeschlossen, beide lassen sich vielmehr „nur vor einem Hintergrund der Rationalität erklären und verstehen“ (Davidson, 2008a, 265). Rationalität und Irrationalität sind asymmetrische Begriffe: Irrationalität kann nur in einer Welt, in der weitgehend Rationalität herrscht, als Konzept verwendet werden. Umgekehrt ist es jedoch nicht möglich. Wenn wir einem sozialen Akteur nur falsche Überzeugungen über Sachverhalte zuschreiben, dann ist es fraglich, ob er überhaupt Ge- 10 Quine beschreibt, wie ein Sprachforscher ein weißes Kaninchen sieht und in der ihm unbekannten Sprache eines unberührten Volkes „Gavagai“ äußert (Quine, 1980, 63ff). 11 Der Begriff wurde von Quine verwendet, um sein Konzept der radikalen Übersetzung abzusichern; er griff auf eine Bezeichnung von Wilson zurück (Quine, 1960, 59, 69, Wilson, 1959, 532). <?page no="134"?> 120 5 Verstehen danken über diesen Sachverhalt hat (Davidson, 1984/ 2006, 80). D.h., das Prinzip der wohlwollenden Interpretation sichert uns genügend Übereinstimmung, damit unser Dissens überhaupt interpretierbar ist (Davidson, 1999, 342). Beispiel 15: Verschwörungsmythen Verschwörungsmythen bestehen meist aus einer Reihe von Aussagen, die in einem kohärenten Zusammenhang stehen und ähneln daher Theorien (zum Begriff Verschwörungstheorie Butter, 2018, 21ff). Zentrale Aussagen lassen sich jedoch nicht mit der Realität in Einklang bringen und daher ist der Begriff Mythos angebracht, denn der Mythos wird durch seinen Erzählcharakter, insbesonder über das Wirken eines Weltenlenkers, und weniger seine Realitätstreue geprägt (Hepfer, 2015, 119ff). Wer zu Beginn der Coronapandemie behauptete, dass die von SARS-CoV-2 ähnlich zur Grippe ist, konnte dies noch als eine wissenschaftliche Hypothese formulieren. Es gab aufgrund der Neuheit des Virus keine Untersuchungen über dieses Phänomen. Mit zunehmender Dauer und der Millionen an Erkrankten zeigte eine Reihe von Untersuchungen jedoch, dass SARS-CoV-2 eine deutlich höhere Infektionssterblichkeit aufweist (z.B. Xie et al., 2020). Wer die Erzählung aufrecht erhalten will, dass sich die Gesellschaft in einer Corona-Diktatur befindet, wird daran festhalten, dass SARS-CoV-2 wie eine Grippe wirkt, und behaupten, dass die Wissenschaft mit den politischen Eliten in der Gesellschaft konspiriert und manipulierte Ergebnisse liefert. Wer Davidson’s Interpretationstheorie folgt, wird zwar die Kohärenz der Erzählung akzeptieren, allerdings den Dissens an der fehlenden Realitätstreue festmachen. Dies weist darauf hin, dass eine Kohärenztheorie der Wahrheit nicht ausreichend ist, um zu wahren Aussagen zu gelangen. Mit dem methodologischen Status des Prinzips der wohlwollenden Interpretation geht die Frage einher, ob es ein notwendiges Prinzip bei der Interpretation ist (Davidson, 1984/ 2006, 76f), das a-priori Gültigkeit beanspruchen kann. Eine Folgerung aus dem Prinzip ist es ja, dass ohne die Annahme der Rationalität ein Verstehen von Akteuren nicht möglich ist (Stüber, 1993). Doch bereits Georg Meier hat für sein Prinzip der hermeneutischen Billigkeit darauf hingewiesen, dass es eben nur gilt, solange nicht das Gegenteil erwiesen ist (Meier, 1757, 109), mithin auch jede Interpretationshypothese revidierbar ist. Tatsächlich betrifft dies allerdings nicht die Gültigkeit des Prinzips, sondern nur die Gültigkeit der auf ihrer Basis abgeleiteten Interpretationshypothese. Wenn bestimmte Interpretationshypothesen sich als falsch erweisen, greift dies das Prinzip zwar an. Aber erst wenn auf Basis dieses Prinzips ausschließlich Interpretationshypothesen entstehen, die sich im Nachhinein als falsch herausstellen, würde wohl dieses Prinzip grundsätzlich in Frage gestellt werden. Sowohl die Eigenschaft der <?page no="135"?> 5.4 Validität von Interpretationen 121 Asymmetrie von Rationalität und Irrationalität, auf deren Basis ein Gedankenexperiment zur Überlegenheit dieses Prinzips führt, als auch die empirische Bewährung durch die tägliche Praxis spricht allerdings dagegen, dass das Prinzip der wohlwollenden Interpretation in der nahen Zukunft aufzugeben ist (Mantzavinos, 2014, 49). Während des Prozesses des Verstehens unterstellen wir Rationalität, allerdings können die darauf beruhenden Interpretationshypothesen an der Erfahrung scheitern und damit auch ihre Unterstellung der Rationalität (Scholz, 2016, 239). Die Praxis des Verstehens zeugt jedoch von der hohen Bewährtheit dieses Prinzips, die es als eine gesetzesartige, empirische Aussage qualifiziert (Glüer, 2006, 356). Rationalität als Unterstellung im Handeln von sozialen Akteuren ist auch in der sozialwissenschaftlichen Hermeneutik weit verbreitet. Schon Weber hatte beim Verstehen von Handlungen auf Rationalität zurückgegriffen und von Zweckrationalität gesprochen (Weber, 1922/ 2013, 150ff). Es lässt sich in Analogie zum Prinzip der wohlwollenden Interpretation behaupten: Wenn dem Handelnden nicht rationales Handeln unterstellt wird, ist der Interpret nicht in der Lage, die Handlungen zu verstehen (Soeffner, 1999, 47f, Soeffner und Hitzler, 1994b, 112). Auf die sozialwissenschaftliche Hermeneutik übertragen, bedeutet das Prinzip, dass der Akteur absichtsvoll gehandelt hat und eine Interpretation annimmt, dass seine Handlungen mit seinen Zielen und Überzeugungen im Einklang stehen und ihm ein kohärentes Ziel- und Überzeugungssystem zugeschrieben werden kann. Mithilfe der beiden vorgestellten Prinzipien werden Interpretationen möglich gemacht, da ihr methodologischer Status sie als notwendige Bedingungen für erfolgreiches Interpretieren auszeichnet. Es bleibt die Frage, wie als wahr angesehene Interpretationen validiert werden können, denn die Unterstellung von Rationalität gewährt nicht automatisch einen Status als valides Wissen. Vielmehr sind Bedrohungen der Validität von Interpretationen zu erkennen und ihnen ist mit entsprechenden Maßnahmen zu begegnen. 5.4 Validität von Interpretationen Die Wahrheit gehört zu den zentralen Begriffen der Erkenntnis- und damit der Wissenschaftstheorie. Im Folgenden soll kurz die Frage der Wahrheit im Rahmen der Hermeneutik als Methode diskutiert werden. Hierfür ist es zentral, sich die bisher getroffene Unterscheidung der Hypothesen vor Augen zu halten: Interpretationshypothesen für Texte (sprachliche Äußerungen) oder Handlungen sowie gegenstandsbezogene Hypothesen. Wenn es um die Frage der Wahrheit geht, dann sind natürlich beide Hypothesenarten auf dem Prüfstand. Während es jedoch bei letzterer Hypothesenart ein <?page no="136"?> 122 5 Verstehen zumindest in der sozialwissenschaftlichen Forschung ausgefeiltes Konzept der Hypothesenprüfung gibt, mit dem der Wahrheitsanspruch überprüft werden soll, wird der Wahrheitsanspruch von Interpretationen seltener behandelt. Welche Wahrheitskonzeption wird für Interpretationen zugrunde gelegt? Von einigen Autoren wird darauf hingewiesen, dass Interpretation nicht als wahr sondern besser als korrekt oder richtig ausgezeichnet werden sollten (Bühler, 2008, 343ff, Ineichen, 1991, 40). Für das weitere Vorgehen ist es jedoch sinnvoll am Prädikat „wahr“ festzuhalten. Auszugehen ist von der Annahme der sozialwissenschaftlichen Hermeneutik, dass der Akteur der Ausgangspunkt ist, um festzustellen, ob die Hypothese wahr ist. Eine Interpretation gilt dann als vorläufig wahr, wenn sie vom sozialen Akteur bestätigt wird. Interpretation von Handlungen ist eingebettet in ein System von Überzeugungen. Mittels der Kohärenztheorie der Wahrheit ist durch die Interpretation zu klären, ob sich die Interpretation in das Überzeugungssystems einfügt. Da es Zweck von Interpretationen ist, den Sinn und Sinnzusammenhang zu erfassen, ist eine auf dem Realismus beruhende Korrespondenztheorie für Interpretationen einzelner Handlungen nicht angebracht. Die Zuschreibung von Bedeutungen sowie Meinungen und Überzeugungen findet sich nicht in einer von unserem Bewusstsein unabhängigen Realität. Sie ist vielmehr Ausdruck unserer subjektiv vorgenommenen Zuschreibungen. Davidson hat für Interpretationen die Kohärenztheorie vorgeschlagen: „Eine Kohärenztheorie kann nichts weiter behaupten, als daß die meisten Überzeugungen in einer kohärenten Gesamtmenge von Überzeugungen wahr sind“ (Davidson, 2003c, 235). Kohärenz zielt in einem ersten Schritt auf die Wahrheit eines Überzeugungssystems einer einzelnen Person. Eine Kohärenztheorie ist eine epistemische Wahrheitstheorie, da Wahrheit vom Fürwahrhalten einzelner Menschen abhängt (Künne, 2003b, 122) ( ► Kap. 2.4). Ihr Vorteil ist es, eine erkenntnistheoretische Begründung zu liefern, warum zur Interpretation das Prinzip der wohlwollenden Interpretation herangezogen werden sollte. Denn das Prinzip unterstellt ein im Wesentlichen kohärentes Überzeugungssystem des Akteurs. Akteure sind nicht zu verstehen, wenn sie sich über die meisten Sachverhalte der sozialen Welt irren. In den empirischen Sozialwissenschaften haben sich für Interpretationen Standards etabliert, die dazu beitragen sollen, dass sich die regulative Idee der Wahrheit in der praktischen Tätigkeit von Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen wiederfindet. Wenn, wie vorgeschlagen, Validität als eine Eigenschaft von Schlüssen bezeichnet wird, dann lässt sich dies auch auf Methoden der Interpretation ausweiten. Eine interpretative Validität bezieht sich somit auf Schlüsse, die auf Basis von Methoden der Interpretation und ihren Ergebnissen gezogen werden (Flyvbjerg, 2001, 130, Maxwell, 1992, 288ff). Interpretative Validität zu erlangen, muss mit verschiedenen Validierungsstrategien verbunden <?page no="137"?> 5.4 Validität von Interpretationen 123 sein, so dass wissenschaftliche Standards für das Verstehen als Erkenntnismethode entwickelt werden. Bei interpretativen Verfahren steht an erster Stelle die Gültigkeit der Inhalte und damit der Interpretationshypothesen auf dem Prüfstand. Wie kann beispielsweise gewährleistet werden, dass der Interpret die Bedeutung der sprachlichen Äußerungen der Interviewten nicht falsch versteht? Das Prinzip der wohlwollenden Interpretation ermöglicht die Interpretation und das Aufstellen von Interpretationshypothesen. Es gibt allerdings keine Rechtfertigung der Richtigkeit der Interpretation, weil es nur als Vorannahme dient, die notwendig ist, um überhaupt eine Interpretation zu erreichen. In der qualitativen Forschung sind daher Strategien zur Erreichung von Validität als Standards zu etablieren (s. Tabelle 1). Hierzu zählen z.B. Maßnahmen, welche individuelle Vorurteile aufdecken und als solche erkennen lassen. Geeignete Maßnahmen wären für diesen Fall, Kodieren und Kategorienbildung in Teams vorzunehmen. Die Kodierung sollte unabhängig voneinander durchgeführt werden und es sollten Standards für die Übereinstimmung eingehalten werden. Wenn während der Prozesse sogenannte Memos (Notizen) erstellt werden, die dokumentieren, welche Gründe die Interpretation geleitet haben, kann dieser Prozess transparent gemacht werden. Es werden so die Vorurteile bewusst gemacht. Tabelle 1 zeigt, dass für Interpretationen Validierungsstrategien eingesetzt werden können, um systematisch verzerrte Interpretationen zu verhindern. Sie ist in Anlehnung an die Stufen des Verstehens aufgebaut ( ► Kap. 5.2.2). Eine interpretative Validität bezieht sich auf Interpretationshypothesen von Handlungen, die häufig dokumentiert in Textform, z.B. als Transkript eines Interviews, vorliegen. Als wichtiges Vorgehen zur Sicherung der Validität hat sich die Konsensbildung zwischen den verschiedenen am Forschungsprozess Beteiligten entwickelt (Wrona, 2006, 205f): 1. Es werden die Interviewten erneut befragt (member-check) (Seale, 1999, 61ff); 2. es werden Experten oder Expertinnen hinzugezogen, die mit den untersuchten Phänomenen vertraut sind; 3. es wird ein Konsens innerhalb des Forschungsteams hergestellt. Neben dieser konsensuellen Validierung wird häufig ein „Grundsatz der Ganzheit“ (Betti, 1962, 15) angewandt, indem die Interpretationen in einen größeren Zusammenhang von Aussagen gebracht werden. Verhält sich die Interpretation kohärent zu diesen Aussagen, wird auf ihre Validität geschlossen. <?page no="138"?> 124 5 Verstehen Tabelle 1: Beispiele für Validitätsbedrohungen und Validierungsstrategien Beziehungen zur Validität Verstehensstufen Mögliche Verzerrungen des Verstehens (Validitätsbedrohung) Mögliche Maßnahmen (Validierungsstrategien) Korrekte Wahrnehmung fehlerhafte Aufzeichnung wegen schlechter Bandqualität - Transkript vom Interviewer auf Basis des Bandes prüfen - Prüfung durch Interviewten Satzverstehen (Sprachkompetenz) - Missverständliche Formulierungen - Klärung durch Interviewten (member check) Sprachverstehen (Kulturkompetenz) - Verwendungsweise der Wörter unbekannt - Wörter unbekannt - Klärung durch Interviewten (member check) - Expertenbefragung Verstehen des proportionalen Gehalts - Bedeutung von Aussagen unklar - Klärung durch Interviewten (member check) - Expertenbefragung Verstehen des Kontexts - Zusammenhang der Aussagen nicht herstellbar - Klärung durch Interviewten (member check) - Expertenbefragung Allerdings ist die hier vertretene Auffassung nicht unumstritten: Nach dem sozialen Konstruktivismus ist die Realität eine soziale Konstruktion von Individuen. Eine Konsequenz aus dieser Sichtweise ist, dass es nicht eine, sondern viele Wahrheiten gibt, die alle ihre Berechtigung haben. Ein Kriterium wie die Validität wird daher von Anhängern des sozialen Konstruktivismus abgelehnt, da sie als unangemessener Maßstab einer anderen Wissenschaftsvorstellung entspringt. So setzen Lincoln und Guba in ihrer Konzeption der „naturalistic inquiry“ der Validität die Glaubwürdigkeit entgegen: Sie soll anzeigen, inwieweit der Forscher die multiplen Realitäten eingefangen hat (Lincoln und Guba, 1985, 294ff). Wird ihr Kriterium jedoch genauer betrachtet, fällt auf, dass die Maßnahmen, die zur Sicherung der Glaubwürdigkeit beschrieben werden, sehr ähnlich zu den in diesem Kapitel beschriebenen sind. Dies zeigt, dass ihnen die regulative Idee von Wahrheit nicht völlig fremd ist. Zusammenfassung Hermeneutik ist die Lehre vom Auslegen und Interpretieren. In diesem Kapitel wird zwischen der Hermeneutik als Methode und der philosophischen Hermeneutik unterschieden, wobei letztere wichtige Impulse für erstere gibt. Hermeneutik wird als Methode des Verstehens angesehen. <?page no="139"?> 5.4 Validität von Interpretationen 125 Für die geist-theoretische Auffassung der Hermeneutik sind intentionale Zustände von sozialen Akteuren zentral. Sie werden durch ihren semantischen Gehalt beschrieben (Repräsentationen). Fremdverstehen ist dann Meta-Repräsentation - mithin: Repräsentation von der Repräsentation eines Anderen. Da der semantische oder propositionale Gehalt wahr oder falsch sein kann, unterliegen Repräsentationen den Wahrheitsbedingungen. Um einen Text (Protokoll etc.) zu verstehen, sind mehrere Stufen des Verstehens zu durchlaufen. Voraussetzung jeden Sprachverstehens ist die korrekte Wahrnehmung. Danach muss die buchstäbliche Bedeutung einer Aussage verstanden werden. Auf der dritten Stufe ist der propositionale Gehalt zu erfassen. Viertens muss der psychische Modus erkannt werden. Fünftens ist es häufig notwendig, Kontextwissen zu haben, um zu verstehen. Zum Handlungsverstehen wird die Kenntnis von Ziel und Überzeugungen von Akteuren benötigt. Eine naturalistische Hermeneutik verschreibt sich dem naturalistischen Einheitsprogramm der Wissenschaft. Es wird eine einheitliche Methode - die hypothetisch-deduktive Methode - vorgeschlagen. Methodologische Regeln lassen sich in Analogie zu den Regeln entwickeln, die Popper in seiner Methodologie aufgestellt hat. Wichtige Kriterien sind die Nachprüfbarkeit durch andere Interpreten, die Suche nach alternativen Interpretationen oder die Festlegung falsifizierender Belege. Die Regeln sind jedoch nicht geeignet, Theorien zu bilden, sie richten sich ausschließlich auf das Testen. Zentral ist in einer sozialwissenschaftlichen Hermeneutik der Text, denn mit seiner Hilfe sollen Handlungen rekonstruiert werden. Auf Basis der Konstruktionen erster Ordnung der Akteure schaffen Wissenschaftler Konstruktionen zweiter Ordnung. Auch latente Sinnstrukturen bedürfen einer subjektiven Perspektive. Wie bereits durch die Stufen des Verstehens erläutert, ist zum Verstehen Kompetenz auf verschiedenen Gebieten notwendig (Sprache, Lebenswelt). Für Methoden der Interpretation, deren Ziel das Aufstellen von Hypothesen ist, wird Vorwissen (Hintergrundwissen) benötigt. Die Hermeneutische Spirale weist darauf hin, dass mit zunehmendem Wissen über den Gegenstand sich auch das Verständnis entwickelt. Kodierparadigmen, die auf einem handlungstheoretischen Modell beruhen, und die das zu untersuchende Phänomen, seine kausalen Bedingungen, Konsequenzen sowie intervenierende und kontextuelle Bedingungen beinhalten, dienen als allgemeiner theoretischer Bezugsrahmen zur Hypothesenentwicklung. <?page no="140"?> 126 5 Verstehen Intentionen der Akteure (Autoren) gelten als wesentlicher Ausgangspunkt jeder Interpretation. Daran ändert sich auch nichts durch das Vorhandensein von latenten (objektiven) Sinnzusammenhängen. Interpretationen werden durch das Prinzip der wohlwollenden Interpretation geleitet. Es unterstellt demjenigen, der Überzeugungen äußert, dass er überwiegend wahre Überzeugungen und ein kohärentes Überzeugungssystem hat. Wahrheit von Interpretationen wird meist mit dem Kohärenzprinzip begründet, das auch Teil des Prinzips der Nachsicht ist. Eine interpretative Validität bezieht sich auf Schlüsse, die auf Basis von Methoden der Interpretation und ihren Ergebnissen gezogen werden. Schlüsselwörter Autorenintention (115) Gehalt, propositionaler (95) Hermeneutik (90) Hermeneutik, Methode (91) Hermeneutik, naturalistische (98) Hermeneutik, Philosophie (91) Hermeneutik, sozialwissenschaftliche (101) Interpretationshypothese (97) Kodierparadigma (111) Konstruktion, erster/ zweiter Ordnung (102) Meta-Repräsentation (93) Naturalismus (97) Prinzip der wohlwollenden Interpretation (119) Protokollsatz (99) Sinnzusammenhang, latenter (117) Spirale, hermeneutische (107) Validität, interpretative (122) Lernkontrolle 1. Definieren Sie den Begriff Hermeneutik. 2. Grenzen Sie die philosophische Hermeneutik von der Hermeneutik als Methode ab. Nennen Sie die wichtigsten Vertreter beider Richtungen. 3. Erläutern Sie das Verstehen als Meta-Repräsentation in einer geist-theoretischen Hermeneutik. 4. Zeigen Sie anhand der sechs Stufen des Verstehens, wie von der Wahrnehmung sprachlicher Symbole bis zum Handlungsverstehen vorgegangen wird. 5. Was ist das naturalistische an der naturalistischen Hermeneutik? 6. Erläutern Sie die methodologischen Regeln der naturalistischen Hermeneutik. 7. Wie kann in Verfahren der Interpretation falsifiziert werden? 8. Was unterscheidet Konstruktionen erster Ordnung von denen zweiter Ordnung? 9. Warum sind latente Sinnstrukturen eine Herausforderung für eine intentionalistische Sichtweise der Hermeneutik? 10. Über welche Kompetenzen sollten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler verfügen, die Verstehen wissenschaftlich betreiben wollen? <?page no="141"?> 5.4 Validität von Interpretationen 127 11. Warum ist sozialwissenschaftliche Hermeneutik nicht auf Einfühlung angewiesen? 12. Was bedeutet das Konzept der Sequentialität beim Verstehen von Handlungen? 13. Warum ist bei Interpretationen Vorwissen notwendig? 14. Erläutern Sie die hermeneutische Spirale. 15. Welche Gefahren sind mit dem Vorwissen von Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen verbunden, wenn sie interpretieren? 16. Welche Funktionen hat Theorie im Prozess des Verstehens? 17. Welche Funktionen haben die verschiedenen Phasen der Kodierung in der Grounded Theory für die Konstrukt- und Hypothesenbildung? 18. Welche Methode der Fallauswahl kennen Sie, um eine theoretische Generalisierbarkeit zu erzeugen? 19. Warum sind die Intentionen von sozialen Akteuren (Autoren) maßgeblich für das Verstehen von Handlungen? 20. Was ist das Prinzip der hermeneutischen Billigkeit? 21. Erläutern Sie das Prinzip der wohlwollenden Interpretation. Gehen Sie auf die beiden Kriterien ein, die zu seiner Erfüllung diskutiert werden. 22. Warum ist die Annahme der Rationalität für die Interpretation von Handlungen von zentraler Bedeutung? 23. Beschreiben Sie die interpretative Validität. 24. Zeigen Sie an ausgewählten Beispielen, welche Validitätsbedrohungen bei Interpretationen auftreten können und wie ihnen begegnet werden kann. Kommentierte Literaturempfehlungen Ein aktueller, prägnanter Überblick zur philosophischen Hermeneutik findet sich in Joisten (2009); zwar älter, aber keineswegs überholt ist Ineichen (1991). Detel (2014, 2011) entwickelt in zwei Monographien seine eigene geist-theoretisch inspirierte Variante der Hermeneutik, bietet im ersten Band zusätzlich einen sehr umfassenden historischen Teil. Dies gilt gleichfalls für Scholz (2016), dessen Schwerpunkt allerdings bei Interpretationsprinzipien liegt. Umfassende Überblicke zum Begriff des Verstehens finden sich in Apel (1955, 2001). Kritische Analysen zur Frage des hermeneutischen Zirkels finden sich bei z.B. in Stegmüller (1979) und Mantzavinos (2008). Wer sich einen breiten Zugang zu der Vielfalt der Hermeneutik verschaffen will, der schaue in die beiden umfangreichen Aufsatzsammlungen herausgegeben von Keane und Lawn (2016a) sowie von Malpas und Gander (2015). Zur naturalistischen Hermeneutik sollte die Monographie von Mantzavinos (2006) herangezogen werden; eine kritische Analyse dieser Konzeption liefert Detel (2011). Ein kurzer Überblick zur sozialwissenschaftlichen Hermeneutik ist von Soeffner (2005). Seine Aufsatzsammlung vereint ein breite- <?page no="142"?> 128 5 Verstehen res Spektrum und behandelt auch die von mir nur kurz erwähnte Sequenzanalyse: Soeffner (2004). Eine umfassende Abhandlung der vielen Theorie- und Forschungsperspektiven, die eine sozialwissenschaftlichen Hermeneutik, ist von Keller (2012). Die Grounded Theory wird kanonisch in Strauss und Corbin (1998) dargestellt; empfehlenswert auch die Sammelbände von Mey und Mruck (2007), Charmaz und Bryant (2007) und Bryant und Charmaz (2019). Die Diskussion um Autorenintention findet sich in Danneberg und Müller (1983) und Dickie und Wilson (1995). Interpretationsregeln, von Betti als Kanon bezeichnet, finden sich ausführlich in Betti (1967) und zusammengefasst in Betti (1962). Auf seiner Basis entwickelt Heckmann (1992) Interpretationsregeln für die sozialwissenschaftliche Hermeneutik. Eine kurze Einführung zum Prinzip der wohlwollenden Interpretation findet sich in Künne (1990), sehr viel ausführlicher dargestellt in Glüer (2011). Ausführlich werden die Grenzen des Prinzips der wohlwollenden Interpretation von Böhm (2006) diskutiert. Einführend zur interpretativen Validität ist Maxwell (1992) zu empfehlen. <?page no="143"?> 6 Beschreibung 6.1 Wesentliche Ziele beschreibender Untersuchungen Jede Untersuchung eines sozialen Sachverhalts ist auf eine verlässliche Beschreibung dieses Sachverhalts angewiesen, d.h., zunächst ist festzuhalten, was der Fall ist (Stegmüller, 1983, 114). Wie lassen sich Beschreibungen von Erklärungen unterscheiden? Im Eingangssatz wird Beschreibung mit der Frage identifiziert, was der Fall ist. Soziale Sachverhalte zu beschreiben, ist jedoch mehr, als soziale Tatsachen zu sammeln und aufzulisten. Wie das letzte Kapitel zum Verstehen gezeigt hat, sind soziale Sachverhalte mit den Bedeutungen verbunden, die ihnen von den sozialen Akteuren gegeben werden: Ihre „Analyse ist also das Herausarbeiten von Bedeutungsstrukturen“ (Geertz, 1983, 15). Geertz schilderte die Untersuchung der Kultur als interpretierende Untersuchung, „die nach Bedeutungen sucht“ (Geertz, 1983, 9). Besonders prominent ist die „dichte Beschreibung“, die Gilbert Ryle vorschlug. Beispiel 16: Dichte Beschreibung Eine dünne Beschreibung ist die physiologische Beschreibung eines zuckenden Auges eines Jungen. Die Beobachtung des zuckenden Auges wird zu einer Interpretation, wenn die Intentionen ins Spiel kommen und es nicht als Zucken, sondern als Zwinkern angesehen wird. Beispielsweise kann es sich um ein vorher verabredetes Zeichen zwischen zwei Freunden handeln, eine Party zu verlassen. Vielleicht ist dieses vorher verabredete Zeichen einem dritten Jungen bekannt und er macht sich über diese Art der Kommunikation lustig und parodiert das Zwinkern und schneidet noch eine Grimasse dazu. Eine dichte Beschreibung hat diese verschiedenen Interpretationsebenen zu betrachten: “but its thick description is a many-layered sandwich, of which only the bottom slice is catered for by that thinnest description” (Ryle, 1968/ 2009, 497). 1 Beschreibung ist daher ein unabdingbarer erster Schritt zur Theoriebildung (Dubin, 1978, 218ff): In ihr kommt der Begriffsbestimmung und der Beschreibung von Zusammenhängen eine entscheidende Rolle für die Theorie-Kon- 1 Eine kritische Analyse des Konzepts der dichten Beschreibung findet sich in Hammersley (2008, 52ff). <?page no="144"?> 130 6 Beschreibung struktion zu. Bei der Betrachtung der Zusammenhänge zwischen Begriffen wird die Nähe zur Erklärung besonders deutlich, weil konzeptionelle Überlegungen ohne einen theoretischen Rahmen nur schwer vorstellbar sind. Die Übergänge zwischen beiden kognitiven Zielen der Wissenschaft sind daher nicht in Stein gemeißelt. Dieses Kapitel widmet sich der Beschreibung von Zusammenhängen, um Hypothesen zu generieren, im nächsten Kapitel steht dann die hypothesentestende Betrachtung im Fokus. Im Zentrum beider Untersuchungstypen stehen Aussagen. Aussagen bestehen aus Begriffen, die miteinander in Beziehung gesetzt werden (Zetterberg, 1965, 64). Daher ist ein erstes Ziel: 1. Begriffsbestimmung Begriffe geben die zu untersuchenden Phänomene sprachlich wieder. Erreicht wird dies durch Nominaldefinitionen, welche die sprachliche Bedeutung festlegen. Operationale Definitionen reichern die Bedeutung dadurch an, dass durch sie Indikatoren hinzugefügt werden. Wenn eine quantitative Untersuchung angestrebt wird, führt der letztgenannte Schritt bereits zum zweiten Ziel von Beschreibungen: 2. Messung der Variablen Da wir es in den Sozialwissenschaften überwiegend mit Begriffen zu tun haben, die wir nicht direkt beobachten können, ist es notwendig, sie mit empirisch beobachtbaren Sachverhalten zu verbinden. Die nicht beobachtbaren Begriffe, die in der Sprache von quantitativen Untersuchungen als latente Variable oder Konstrukte bezeichnet werden, werden durch die Messung von beobachtbaren (manifesten) Variablen empirisch angereichert. Messung ist eine Zuordnungsrelation, bei der Zahlen anderen Objekten, insbesondere empirischen Phänomenen, zugeordnet werden (Trout, 1998, 48f). Wenn das zu untersuchende Phänomen zu komplex für eine einfache Begriffsbestimmung ist, dann lassen sich eventuell Typen bilden. 3. Typenbildung Wenn mehrere Begriffsbestandteile mit unterschiedlichen Ausprägungen vorliegen, dann können Typen gebildet werden, die jeweils bestimmte Ausprägungen in sich vereinigen. Zweck der Typenbildung sind Typen, die in sich möglichst homogen und zu anderen Typen möglichst heterogen sind. Bei Typen sind die Grenzen zwischen den einzelnen Typen nicht eindeutig, bei Klassen sehr wohl. Daher wird Klassifikation als Sonderform der Typenbildung betrachtet. Für eine Beschreibung werden Begriffe oder Typen benötigt. Darüber hinaus sollen Zusammenhänge im untersuchten Kontext aufgezeigt werden. <?page no="145"?> 6.2 Begriffsbestimmung 131 4. Zusammenhänge ermitteln Wer für wissenschaftliche Untersuchungen Aussagen formuliert, setzt Begriffe in Beziehung. Die einfachste Beziehung, die in einer Aussage zwischen Begriffen formuliert werden kann, ist ein Zusammenhang zwischen beiden Begriffen. Beispielsweise wird angenommen, dass es zwischen der wahrgenommenen Vertrauenswürdigkeit in eine gemeinnützige Organisation und dem darauf beruhenden Vertrauen in die Integrität der Organisation eine positive Beziehung zur Spendenbereitschaft gibt. Zentrales Anliegen von Wissenschaft ist es, Theorien aufzustellen, zu überprüfen und weiterzuentwickeln. Theorien sind dazu da, die soziale Realität zu beschreiben, zu erklären und Prognosen aufzustellen, wie sich bestimmte Phänomene entwickeln werden. Sie bestehen aus Aussagen, in denen Begriffe in Beziehung gesetzt werden (Popper, 1935/ 2005, 3f). Diese Begriffsfassung von Theorien ist die in den Sozialwissenschaften geläufigste und wird als aussagenorientierte Konzeption oder als Satzmodell von Theorien bezeichnet (Lembeck, 2011, 2187f). Da es in Theorien um Zusammenhänge von Phänomenen geht, werden durch Aussagen diese Phänomene in Relation zueinander gebracht. Begriffe und Aussagen stellen daher die wichtigsten Bausteine für Theorien dar. 6.2 Begriffsbestimmung 6.2.1 Begriffe als Bausteine von wissenschaftlichen Aussagen Mithilfe von Begriffen werden soziale Sachverhalte sprachlich ausgedrückt, indem sie Eigenschaften benennen, welche auf diese sozialen Sachverhalte zutreffen. Wer einen Begriff beherrscht, kennt die Bedeutung des Begriffs und ist in der Lage, die Dinge in der sozialen Realität zu bezeichnen, die unter den Begriff fallen (Davidson, 2003a, 212ff, Kornmesser und Büttemeyer, 2020, 104). Es gibt eine Reihe von Begriffsarten, die in wissenschaftlichen Sprachen unterschieden werden können (Schurz, 2014, 66ff); zwei Begriffsarten sind besonders prominent: Deskriptive Begriffe (theoretische und empirische Begriffe) Logische Begriffe Deskriptive Begriffe dienen unserer Welterkenntnis; sie bezeichnen Dinge, Eigenschaften von Dingen und vieles mehr. Sie beziehen sich entweder auf nichtbeobachtbare Sachverhalte, dann bezeichnet man sie als theoretische Begriffe. Wenn der Sachverhalt hingegen beobachtbar ist, handelt es sich um empirische Begriffe. Mithilfe von logischen Begriffen lassen sich deskriptive Begriffe zu <?page no="146"?> 132 6 Beschreibung Aussagen kombinieren. So wird aus „Das Bruttosozialprodukt sinkt im dritten Quartal um 2%“ und „Die Arbeitslosigkeit steigt im dritten Quartal um 1,8%“ durch die aussagenlogische Verbindung „und“ eine neue Aussage „Das Bruttosozialprodukt sinkt im dritten Quartal um 2% und die Arbeitslosigkeit steigt im dritten Quartal um 1,8%“, bei der ihr Wahrheitswert von den Wahrheitswerten der Einzelaussagen abhängt: Sie ist nur dann wahr, wenn beide Aussagen wahr sind. Zentral für die sozialwissenschaftliche Theorieentwicklung ist die (deskriptive) Begriffsbestimmung. In explorativen Studien ist sie häufig das wichtigste Ergebnis, das in späteren Phasen der Theorieentwicklung präzisiert wird. Wenn Begriffe in sozialwissenschaftlichen Studien mit der Realität konfrontiert werden, müssen sie operationalisiert werden. Je unpräziser sie entwickelt wurden, desto schwieriger ist es, auf ihrer Basis empirisch zu forschen: „A prerequisite to measurement is the precise conceptual definition of the phenomena being measured“ (Hughes, 1976, 36). Im Folgenden werden zwei Ebenen der Theorieentwicklung unterschieden, die mit zwei Begriffspaaren verbunden sind: theoretische und empirische Begriffe sowie latente und manifeste Variable (Abbildung 11). Während letzteres Begriffspaar in der Methodenliteratur für sozialwissenschaftliche Forschung häufiger zu finden ist, wird ersteres überwiegend in der wissenschaftstheoretischen Literatur verwendet. Aus einer gemeinsamen Betrachtung ergeben sich zwei Vorteile: Erstens werden die Unterschiede und die Gemeinsamkeiten der beiden Ebenen in der Theorieentwicklung erkennbar; insbesondere wird klar, dass in der begrifflichen Ebene Bedeutungsanalysen und in der messtheoretischen Ebene Fragen der Messbarkeit überwiegen. Zweitens weist sie auf das Wechselspiel zwischen beiden Ebenen hin. Die begriffliche Ebene hat zwar vermeintlich den Vorrang, allerdings wird gezeigt, dass sich aus der messtheoretischen Ebene Rückwirkungen auf die begriffliche Ebene ergeben. Mit Hilfe von wissenschaftlichen Theorien werden reale Phänomene beschrieben und erklärt. Für diese zwei Funktionen werden Aussagen formuliert, die in wissenschaftlichen Untersuchungen in Form von Hypothesen auftreten. Hypothesen beinhalten die realen Phänomene in Form von Begriffen, die sie - je nach Art der Hypothese - in einen Zusammenhang bringt. Begriffe sind demnach die wesentlichen Bausteine von Aussagen. Empiristische Philosophen bemühten sich aufzuzeigen, dass alle Begriffe auf beobachtbare Phänomene zurückgeführt werden können. Eine wichtige Einsicht der Wissenschaftstheorie des zwanzigsten Jahrhunderts ist es jedoch, dass dies nicht möglich ist, weil Beobachtung theoriegeladen ist (Musgrave, 2002, 56ff). Wie so häufig in der Philosophie wurden allerdings unterschiedliche Antworten darauf gegeben, wie mit <?page no="147"?> 6.2 Begriffsbestimmung 133 diesem Problem umzugehen ist. Ein Vorschlag ist die Zwei-Ebenen-Konzeption wissenschaftlicher Sprachen, die maßgeblich durch Rudolf Carnap entwickelt wurde. Ihr wichtigstes Merkmal ist es, dass es zwei Sprachebenen in der Wissenschaft gibt (Carnap, 1966/ 1986, 225ff): 1. die theoretische Sprachebene, 2. die Ebene der Beobachtungssprache. (Quelle: Brühl, 2008, 363) Abbildung 11: Ebenen der Theorieentwicklung Ein wesentlicher Zweck dieses Kapitels ist es, die Verbindung zwischen der begrifflichen und messtheoretischen Ebene zu betonen. Die Wahrscheinlichkeit, valide Schlüsse aus einer empirischen Untersuchung ziehen zu können, steigt sicherlich, wenn auf der begrifflichen Ebene ausreichend theoretische Vorarbeit geleistet wird. Diese Vorarbeit kann sich wiederum aus vielen Quellen speisen, wie z.B. konzeptionelle Beiträge, qualitative oder quantitative Untersuchungen, eigene systematische Zusammenstellungen („literature review“) der bisherigen Kenntnisse auf dem untersuchten Gebiet (Podsakoff, MacKenzie und Podsakoff, 2016, 170ff). Ohne diese systematische theoretische Vorarbeit entstehen oft Adhoc-Konstrukte, deren wissenschaftlicher Wert äußerst fraglich ist (Diller, 2006, 612). Auf Basis dieser theoretischen Vorarbeit wird ein theoretischer Bezugsrahmen entworfen, der als erster Theorieentwurf zu interpretieren ist, in dem die entwickelten Begriffe eingebettet sind (Kirsch, Seidl und Aaken, 2007, 22ff). <?page no="148"?> 134 6 Beschreibung 6.2.2 Theoretische und empirische Begriffe Ein idealtypischer Forschungsprozess beginnt mit der Festlegung wesentlicher Begriffe, die in der wissenschaftlichen Untersuchung verwendet werden sollen. Eine solche Nominaldefinition ist häufig der Ausgangspunkt für wissenschaftliche Projekte. Nominaldefinitionen weisen einem Begriff (Definiendum) eine meist größere Anzahl anderer Begriffe (Definiens) zu und postulieren Bedeutungsgleichheit. Sie sind sprachliche Festlegungen, die nichts über die Realität behaupten (Opp, 2014, 120). Für eine empirische Wissenschaft sollten allerdings auch nominale Definitionen empirisch adäquat sein, denn es werden empirische Phänomene begrifflich erfasst (Pawlowski, 1980, 82ff). Beispiel 17: Vertrauen So wird z.B. in der sozialwissenschaftlichen Forschung als Begriff das Vertrauen in Akteure verwendet. Vertrauen ist immer dann notwendig, wenn Akteure unsicher über die Handlungen anderer Akteure sind. Wer vertraut, weil er nicht genau weiß, wie der Andere handeln wird, akzeptiert somit seine Verwundbarkeit. In einer ersten Umschreibung wird daher Vertrauen als ein psychologischer Zustand beschrieben, in dem soziale Akteure, weil sie positive Erwartungen gegenüber den Handlungen anderer von Akteuren haben, ihre Verwundbarkeit akzeptieren (Rousseau et al., 1998, 395). Es wird daher definiert: Vertrauen : = Akteure akzeptieren in einer Situation der Unsicherheit ihre Verwundbarkeit und haben positive Erwartungen an das Verhalten anderer. Das Zeichen „: =“ bedeutet „definitionsgemäß gleich“, d.h., wir können in jedem Text das Definiendum „Vertrauen“ durch sein Definiens ersetzen. Mit diesem Prinzip der Eliminierbarkeit lassen sich wissenschaftliche Texte erheblich vereinfachen (Essler, 1982, 76ff). Das Beispiel zeigt auch, dass die vorläufige Definition noch zu verfeinern und zu präzisieren ist, wenn eine empirische Untersuchung angestrebt wird: Zum einen können noch weitere Nominaldefinitionen erfolgen oder es sind auf Basis der theoretischen Begriffe empirische Begriffe zu entwickeln. Die Unterscheidung von theoretischen und empirischen Begriffen (= Beobachtungsbegriffen) wird auf Basis des Kriteriums der Beobachtbarkeit getroffen. Es ist allerdings nicht eindeutig geregelt, was genau als beobachtbar oder als nicht beobachtbar gilt (Kaplan, 1964, 57ff). In der Erkenntnisphilosophie wird Beobachtung häufig mit sinnlicher Wahrnehmung gleichgesetzt, so dass z.B. die Wahrnehmung eines Kerzenhalters auf einem Tisch als direkt beobachtbar gilt. Gegen diese Auffassung wird jedoch eingewendet, dass auch solche Wahrnehmungsprozesse von vielen Faktoren beeinflusst werden, die sich nicht direkt aus dem zu beobachtenden Phänomen ergeben: Es wird von einer theoriebelade- <?page no="149"?> 6.2 Begriffsbestimmung 135 nen oder theoriegetränkten Beobachtung gesprochen (Hanson, 1958, 19, Popper, 1973, 85f). Popper lehnt daher konsequenterweise die Zwei-Ebenen-Konzeption der Wissenschaftssprache ab. Wie ist mit diesem Einwand umzugehen? Wenn mit theoriebeladener Beobachtung gemeint ist, dass dadurch eine empirische Prüfung von Theorien nicht möglich ist, geht dies sicherlich zu weit. In diesem Kapitel wird zu zeigen versucht, dass die Sozialwissenschaften sich mit Sachverhalten beschäftigen, die nicht offensichtlich sind und sich einer einfachen Beobachtbarkeit durch uns Menschen entziehen. Phänomene wie Organisationskultur, Politikverdrossenheit, Legitimität oder Vertrauen lassen sich nicht beobachten. Wissenschaft fängt sie mit theoretischen Begriffen ein und zielt darauf, sie durch geeignete Methoden zum Vorschein zu bringen (Godfrey-Smith, 2003, 161). Theorien spielen zwar auf all diesen Ebenen eine Rolle, es sind jedoch viele unterschiedliche Theorien und Hintergrundwissen, die verwendet werden, so dass eine zirkuläre Argumentation verhindert werden kann. In jeder Wissenschaft werden Theorien entwickelt, in denen theoretische Begriffe auftreten wie im obigen Beispiel das Vertrauen. Da sie nicht beobachtbar sind, wird durch geeignete Regeln versucht, empirische Begriffe zu entwickeln, die sich in der Realität feststellen lassen. Es soll so eine Beziehung zu den theoretischen Begriffen hergestellt werden, die ihre - zumindest teilweise - empirische Interpretation zulässt. Wenn z.B. ein Fragebogen eingesetzt wird, dann wird das Beantworten der Fragen beobachtet. Eine einzelne Frage auf dem Fragebogen gilt als empirischer Begriff, der beobachtet werden kann. Für die Sozialwissenschaften sind empirische Begriffe unentbehrlich, da sie sich auf Phänomene der Realität beziehen, die intersubjektiv feststellbar sein sollen. Es ist jedoch zu beachten, dass Beobachten häufig Messen voraussetzt. Um empirische Begriffe messen zu können, sind jedoch Hilfshypothesen notwendig, die sich auf die Messoperationen beziehen. In den empirischen Sozialwissenschaften wird trotzdem diese Art von Messung unter dem Begriff der Beobachtung subsumiert. Empirische Begriffe sind daher in den Sozialwissenschaften Begriffe, die auf Basis der zu diesem Zeitpunkt gültigen Theorien - Hilfs- und Hintergrundtheorien - als beobachtbar eingestuft werden (Gadenne, 1984, 36, Tuomela, 1973, 16ff). Es wird daher mit einer These gearbeitet, die nicht absolute, sondern relative Theorieneutralität der Beobachtung beinhaltet: Es gibt Beobachtungen, die keine der Theorien voraussetzen, die getestet und zur Beurteilung dieser Theorien herangezogen werden sollen (Sober, 2013, 162f). Theoretische Begriffe in den Sozialwissenschaften sind häufig sogenannte Dispositionen. Dies sind Eigenschaften von zu untersuchenden Objekten, die zwar vorhanden, allerdings nur unter bestimmten Bedingungen beobachtbar sind. Dispositionsbegriffe zeichnen sich daher dadurch aus, dass sie immer dann beobachtet werden können, wenn diese bestimmten Bedingungen vorlie- <?page no="150"?> 136 6 Beschreibung gen oder herbeigeführt werden (Opp, 2014, 129). So ist das Vertrauen in andere Akteure nicht direkt beobachtbar. Vielmehr stellt sie eine Eigenschaft von sozialen Akteuren dar, die zwar potenziell vorhanden ist, jedoch erst unter gewissen Untersuchungsbedingungen sichtbar gemacht werden kann. 6.2.3 Operationale Definition durch einen Reduktionssatz Mithilfe einer Verbindung von theoretischen und empirischen Begriffen wird versucht, den unbeobachtbaren theoretischen Begriffen Bedeutung durch empirische Begriffe zuzuordnen. Beispielsweise startet ein Forschungsinstitut eine Fragebogen-Untersuchung, um zu ermitteln, inwieweit die Nachfrage von Frauen nach Bankdienstleistungen von ihrer Einschätzung der Vertrauenswürdigkeit ihrer Bank abhängt. Es sind daher die einzelnen Fragen mit dem theoretischen Begriff Vertrauen zu verbinden. Diese Verbindung zwischen theoretischen und empirischen Begriffen folgt gewissen Regeln. Carnap bezeichnet sie als Korrespondenz- oder Zuordnungsregeln (Carnap, 1960, 218ff), Carl G. Hempel als interpretative Sätze oder als interpretatives System (Hempel, 1958/ 1965, 184, 206ff). Ihr Zweck ist es, theoretischen Begriffen einen teilweise empirischen Gehalt zuzuordnen. Um dies zu erreichen, stellen sie einen funktionalen Zusammenhang zwischen beiden Begriffsebenen her. Im Beispiel könnte er folgendermaßen aussehen (Carnap, 1936/ 1937, 440f, Trapp, 1975, 356): ∀x �Tx → (Dx ↔ Rx)� (1) Beispiel 18: Bilateraler Reduktionssatz Die logische Notation sei kurz am Beispiel erläutert: Für alle Kundinnen (x) gilt (∀): Wenn einer Kundin einer Bank die Frage nach der Vertrauenswürdigkeit gestellt wird (T = Testbedingung), dann gilt: Die Kundin antwortet nur dann mit ja (R = Reaktion, Testergebnis), wenn sie ihrer Bank tatsächlich für vertrauenswürdig beurteilt (D = Dispositionseigenschaft). Die Zuordnungsregel wird auch als bilateraler Reduktionssatz bezeichnet, da sie die Eigenschaft „eine Bank als vertrauenswürdig beurteilen“ auf die Frage in einem Fragebogen und die Antwort einer Kundin reduziert und die Dispositionseigenschaft mit einer bestimmten Reaktion gleichsetzt. D.h., wenn die Kundin mit ja antwortet, liegt die Dispositionseigenschaft „Vertrauenswürdigkeit der Bank“ vor, und wenn sie mit nein antwortet, liegt sie nicht vor. Die in (1) wiedergegebene Beziehung wird auch als operationale Definition bezeichnet (Schnell, Hill und Esser, 2011, 71), die sich von expliziten Nominaldefinitionen unterscheidet: <?page no="151"?> 6.2 Begriffsbestimmung 137 Es handelt sich um eine bedingte Definition; denn es muss die in der Zuordnungsregel festgelegte Testbedingung erfüllt werden, bevor eine Zuordnung erfolgen kann. Über Kundinnen, die nicht befragt werden, sagt der bilaterale Reduktionssatz nichts aus. Während in Nominaldefinitionen der definierte Begriff in jedem Text durch sein Definiens ersetzt werden kann, ist dies für (1) nicht ohne weiteres möglich (Essler, 1982, 164). Im Beispiel kann die Dispositionseigenschaft, Vertrauen in eine Bank zu haben, nur mit Hilfe des bilateralen Reduktionssatzes eliminiert werden, wenn die Voraussetzungen des Testes vorliegen. Für sozialwissenschaftliche Untersuchungen ist die Zuordnungsregel (1) allerdings in vielen Fällen zu erweitern. Häufig will man eine Disposition nicht schon dann zuordnen, wenn nur eine positive Testbedingung vorliegt. Eine Testbedingung im Beispiel ist gleichzusetzen mit dem Beantworten einer Frage in einem Fragebogen. Es werden dann einem theoretischen Begriff weitere empirische Begriffe zugeordnet (Schnell, Hill und Esser, 2011, 73). In der Zuordnungsregel (1) müssen dann alle Terme um die zusätzlichen Testbedingungen (Fragen) und jeweiligen Testergebnisse erweitert werden. Trapp (1975, 360ff) zeigt, wie ein einziger Reduktionssatz beschaffen sein muss, der alle Testbedingungen enthält. Zuordnungsregel (1) bezieht sich auf klassifikatorische (qualitative) Konzepte. Um sie an quantitative Konzepte anzupassen, ist ein weiteres Prädikat Dxw hinzufügen (x hat die Disposition der Vertrauenswürdigkeit D zum Grad w) und dementsprechend die Reaktion des Objekts Rxz, d. h. der Wert der Reaktion R von x ist z für w = f(z) (Essler und Trapp, 1977, 389ff). Die bilateralen Reduktionssätze ermöglichen eine logische Absicherung der Theorieentwicklung auf der begrifflichen Ebene. Es ist jedoch für Forschende, die sich mit ihren Begriffen an der Realität orientieren, sinnvoll, ihre Begriffe und Zuordnungsregeln empirisch zu überprüfen. Dies führt uns zur messtheoretischen Ebene der Theorieentwicklung. Zunächst ist jedoch auf die Möglichkeit hinzuweisen, dass die theoretischen Konstrukte so komplex sind, dass sie aufgeteilt werden müssen. 6.2.4 Das Drei-Ebenen-Modell von Begriffen Ein Drei-Ebenen-Modell von Begriffen wird als Ausgangspunkt gewählt, um das Konzept der mehrdimensionalen Begriffsbildung zu erläutern (Goertz, 2006, 6ff). Komplexere soziale Sachverhalte sind häufig als mehrdimensionale Konstrukte aufzufassen, d.h., sie können aufgrund ihrer Komplexität nur in verschiedenen Dimensionen wiedergegeben werden (s. Abbildung 12). <?page no="152"?> 138 6 Beschreibung Abbildung 12: Drei-Ebenen-Modell von Begriffen Abbildung 13: Beispiel für einen mehrdimensionalen theoretischen Begriff Beispiel 19: Dimensionen der Vertrauenswürdigkeit Wenn die Analyse der Vertrauenswürdigkeit von Banken ergibt, dass Kundinnen ihrer Bank im Hinblick auf zwei verschiedenen Dimensionen ver- <?page no="153"?> 6.2 Begriffsbestimmung 139 trauen, ist es angebracht, einen mehrdimensionalen theoretischen Begriff zu konstruieren. Bezieht sich die Vertrauenswürdigkeit auf die Integrität von Banken, dann vertrauen Kundinnen darauf, dass ihre Bank nach moralischen Prinzipien handelt, die sie teilen. Außerdem erhoffen sie sich in der komplizierten Welt der Finanzprodukte eine kompetente Beratung und daher vertrauen sie auch der Kompetenz der Bank, sie umfassend, ihren Wünschen entsprechend zu beraten. Abbildung 13 zeigt die beiden Dimensionen von Vertrauenswürdigkeit: Fähigkeit und Integrität. Abbildung 13 enthält Annahmen darüber, wie die verschiedenen Ebenen für Vertrauenswürdigkeit in Banken miteinander verbunden sind. Tabelle 2 stellt zusammenfassend die wichtigsten Beziehungen zwischen den Begriffsebenen dar, die in diesem Kapitel zu den Begriffen und zu den Typen besprochen werden. Tabelle 2: Beziehungen zwischen den Begriffsebenen Beziehungen zwischen Beziehungsarten theoretischen Begriffen 1. und 2. Ordnung theoretischen Begriffen 1. Ordnung und empirischen Begriffen Logische Beziehungen (inkl. definitorischer Art) a) definitorisch, UND-Beziehung (Konjunktion) c) Bilateraler Reduktionssatz Empirische Beziehungen b) korrelativ, kausal d) korrelativ, kausal Die Nominaldefinition der Zelle a) stellt eine definitorische Beziehung dar, die auf sprachliche Bedeutungskonventionen und der Konjunktion der Aussagenlogik beruht. Eine Nominaldefinition ist nur dann analytisch wahr, wenn alle Eigenschaften vorliegen, d.h., jede Eigenschaft ist eine notwendige Bedingung für die Wahrheit der Definition. In Zelle b) sind die bereits im Vertrauensbeispiel angesprochenen empirischen Beziehungen zwischen den Begriffsebenen aufgeführt. Es sind insbesondere Korrelationen und kausale Beziehungen zu nennen. Zelle c) enthält den bilateralen Reduktionssatz, der die operationale Definition logisch absichert. Sie wird ergänzt um die Zelle d), mit der auf den empirischen Charakter hingewiesen wird. 6.2.5 Wahrheit von Definitionen Auf die Frage, ob Definitionen wahr sein müssen, gibt Opp in seinem Methodologie-Buch eine klare Antwort: „Ein Nominaldefinition kann weder wahr noch falsch sein.“ (Opp, 2014, 120). Um über die Wahrheit von Definitionen und Aussagen zu urteilen, ist die Einteilung in analytische oder synthetische Aussagen nützlich. <?page no="154"?> 140 6 Beschreibung Da synthetische Aussagen etwas über die soziale Realität behaupten, sind sie empirisch zu prüfen (Gadenne, 1984, 23). Bei analytischen Aussagen ist dies hingegen nicht zweckmäßig, weil ihre Wahrheit entweder durch die Regeln der Logik überprüft oder durch definitorische Festlegungen bestimmt wird (Schurz, 2014, 86). Nominaldefinitionen gehören zu den analytischen Aussagen, ihr Wahrheitswert wird allerdings nicht durch Regeln der Logik, sondern durch die Bedeutungskonventionen der Sprache festgelegt (Opp, 2014, 120f). Eine Nominaldefinition legt daher mittels Konventionen der Sprache die Bedeutung fest wie z.B.: „Ein Junggeselle ist ein unverheirateter Mann“. Diese Nominaldefinition ist analytisch wahr, d.h., ihre Wahrheit wird nicht empirisch geprüft. Wer nach einem verheirateten Junggesellen sucht, ist verdächtig, dass er die Sprachkonventionen nicht beherrscht (Schurz, 2014, 86). D.h., die Wahrheit der Nominaldefinition lässt sich anhand der Bedeutungskonventionen der Sprache überprüfen. Die Aussage von Opp lässt sich somit dahingehend interpretieren, dass Nominaldefinitionen keine Aussagen über die Realität machen und daher ihre Wahrheit nicht empirisch überprüft werden kann. Allerdings trifft auf sie das Prädikat analytisch wahr oder falsch zu und es kann anhand der sprachlichen Bedeutungskonventionen geprüft werden, ob eine Nominaldefinition analytisch wahr oder analytisch falsch ist. Auf operationale Definitionen trifft diese Charakterisierung jedoch nicht zu, weil ihre Zuordnungsregel keine analytische, sondern eine synthetische Aussage ist. Sie ist hypothetisch und ist empirisch zu überprüfen (Gadenne, 1984, 23). Die Zuordnungsregel schafft einen Zusammenhang zwischen theoretischen und empirischen Begriffen. Empirische Begriffe werden als beobachtbar gekennzeichnet und zwar auf Basis der derzeit gültigen Hilfs- und Hintergrundtheorien, die als vorläufig bewährt und damit von hypothetischem Charakter sind. Eine Verknüpfung von theoretischen und empirischen Begriffen hat daher folgerichtig ebenfalls hypothetischen Charakter. 2 6.2.6 Anforderungen an Definitionen Da bei der Definition sprachliche Bedeutungen im Vordergrund stehen, gibt es keine spezifischen Kriterien, wie sie für Messungen diskutiert werden. Trotzdem lassen sich auch für Definitionen Ratschläge aus wissenschaftstheoretischer Sicht erteilen, die insbesondere auf vier Kriterien von Carnaps Verfahren der Ex- 2 Opp und Schurz diskutieren, ob bei nur einem Reduktionssatz noch analytischer Charakter vorliegt, kommen aber im Ergebnis zum gleichen Resultat wie hier (Opp, 2014, 127f, Schurz, 2014, 167f). <?page no="155"?> 6.2 Begriffsbestimmung 141 plikation zurückgehen. Für die Begriffsbildung als wesentlicher Schritt der Theorieentwicklung ist die Explikation aus zwei praktischen Gründen hilfreich. 1. Wer eine Definition prüfen will, die in der wissenschaftlichen Literatur ihres Forschungsbereichs verwendet wird, erhält Anregungen, worauf bei der Prüfung zu achten ist. 2. Wird hingegen eine eigene Definition zur Theorieentwicklung vorgeschlagen, kann sie mit diesen Kriterien geprüft werden. Die Explikation dient dazu, aus einem umgangssprachlichen Begriff (Explikandum) einen exakteren Begriff (Explikat) zu entwickeln. Um das Ergebnis zu beurteilen, formuliert Carnap vier Adäquatheitsbedingungen, die Ausgangspunkt für die folgenden Überlegungen sind (Carnap, 1962, 5ff). Adäquatheitsbedingungen werden formuliert, um sicherzustellen, dass es sich beim Ergebnis tatsächlich um einen exakteren Begriff handelt. 1. Ähnlichkeit Das Explikat soll sich nicht völlig von der Bedeutung des Explikandums lösen. D.h., die sozialen Sachverhalte, die bisher unter der Bedeutung des Explikandums fielen, sollen zum überwiegenden Teil auch zukünftig darunter fallen. Die Idee der Explikation ist die Schärfung von bereits bekannten Begriffen (Poser, 2012, 42ff), weil es für viele soziale Sachverhalte bereits Begriffe gibt, welche die sozialen Akteure verwenden. Es ist daher vorzuziehen, mit einem bereits bekannten Begriff zu arbeiten und ihn mit Hilfe der Explikation für die eigenen Zwecke zu verändern, bevor neue, ungewöhnliche Begriffe entwickelt werden. 2. Exaktheit der Bedeutungszuweisung Dem Explikat wird eine Bedeutung mit exakten Regeln zugewiesen, so dass jeder Akteur den sozialen Sachverhalt diesem Explikat zuweisen kann. Ein Problem ist allerdings häufig gar nicht, dass die Regeln nicht exakt sind, sondern dass die Beschreibung des sozialen Sachverhalts nicht vollständig ist (Opp, 2014, 143). Bei nicht vollständigen Beschreibungen kann aufgrund der schlechten Informationslage nicht präzise zugeordnet werden. Bei der Begriffsbestimmung werden zwei Dimensionen unterschieden (Esser, Klenovits und Zehnpfennig, 1977, 62ff): Intension: Sie legt die Eigenschaften und damit die Bedeutung des Begriffs fest. So ist eine Eigenschaft einer Führungskraft, dass sie Weisungsbefugnis gegenüber anderen Führungskräften oder Mitarbeitern sowie Mitarbeiterinnen hat, und als weitere Eigenschaften kommen z.B. die Entscheidungskompetenz, Verantwortung oder Vertretungsbefugnis außerhalb des Unternehmens in Betracht. Es ist daher ratsam, sich eine Liste mit Eigenschaften des Begriffs „Führungkraft“ anzulegen (Jaccard und Jacoby, 2010, 80). <?page no="156"?> 142 6 Beschreibung Es hängt von der Untersuchung und der Theorie ab, welche Eigenschaften von Führungskräften gewählt werden und wie präzise sie beschrieben sind, damit dem Begriff die sozialen Sachverhalte richtig zugeordnet werden können. Es ist zu bestimmen, welche Eigenschaften als notwendig und hinreichend erachtet werden, um den Begriff zu definieren (Podsakoff, MacKenzie und Podsakoff, 2016, 181ff). Extension: Mit der Extension eines Begriffs sind die sozialen Sachverhalte in der Realität gemeint, die mit der Intension beschrieben werden. Ob eine Führungskraft unter den Begriff fällt, hängt davon ab, ob sie die Eigenschaften (seine Intension) aufweist. Eine möglichst präzise Definition führt daher auch zur Anforderung, keine negativen Definitionen zu verwenden (Copi, 1998, 69). In negativen Definitionen werden die Eigenschaften nicht im obigen Sinne festgelegt, vielmehr wird gesagt, welche Eigenschaften nicht gemeint sind. Beispiel 20: Immaterielle Werte Immaterielle Werte : = nicht-monetäre (nicht-finanzielle) Werte ohne körperliche Substanz (Arbeitskreis „Immaterielle Werte im Rechnungswesen“, 2001, 990) Als erstes ist zu konstatieren, dass der Begriff „Wert“ auf beiden Seiten der Definitionsgleichung auftaucht und damit auf beiden Seiten das gleiche Wort steht und somit nicht definiert wird. Die Definition verstößt damit teilweise gegen die Zirkelfreiheit, bei der das „Definiendum weder direkt noch indirekt im Definiens vorkommen [darf]“ (Brun und Hirsch Hadorn, 2014, 173). Immateriell wird dann mit zwei Eigenschaften festgelegt: 1. „nicht-monetär“ und 2. „ohne körperliche Substanz“. Ein Nachteil dieser Vorgehensweise ist es, dass keine Eigenschaft explizit festgelegt wird. Wenn der Akteur aber nicht weiß, welche Eigenschaften einen sozialen Sachverhalt auszeichnen, wird es große Schwierigkeiten geben, die richtigen Sachverhalte in der sozialen Realität zu benennen. Dies hat daher in der Literatur zu immateriellen Vermögensgütern zur Konsequenz geführt, dass eine Vielzahl von enumerativen Definitionen diskutiert wird. Sie zeichnen sich dadurch aus, dass sie die sozialen Sachverhalte aufzählen, die unter den Begriff subsumiert werden (Extension). So zählt der Arbeitskreis sieben Kapitalkategorien auf, z.B. Innovationskapital oder Kundenkapital und listet unter jede Kategorie als wichtig erachtete immaterielle Werte, wie z.B. Patente oder Kundendaten (Arbeitskreis „Immaterielle Werte im Rechnungswesen“, 2001, 990f). <?page no="157"?> 6.3 Messung von Variablen 143 3. Theoretische Fruchtbarkeit Theoretische Fruchtbarkeit zeigt sich darin, dass es mit dem Begriff möglich ist, viele Hypothesen zu bilden, die eine hohe Erklärungskraft für ein einzelnes Wissensgebiet besitzen. Ihre Fruchtbarkeit zeigt sich aber insbesondere darin, dass sie in verschiedener Weise operationalisiert und messbar gemacht werden können. Dies trifft insbesondere auf theoretische Begriffe zu, die einen hohen Bedeutungsüberschuss haben. So lässt sich auch der im Beispiel verwendete Begriff „Vertrauenswürdigkeit“ in verschiedener Form operationalisieren. Theoretische Begriffe sind daher prinzipiell offen für neue Anwendungen und tragen so zur Weiterentwicklung von Theorien bei (Carnap, 1966/ 1986, 238). Dieses dritte Kriterium spiegelt den Zweck der Begriffsbestimmung wider, da sie nicht Selbstzweck ist, sondern der Theoriebildung und -entwicklung dient. Es wird damit auch klar, dass Begriffs- und Theoriebildung parallel vonstattengehen. 4. Einfachheit Sie gilt nach Carnap als nachgeordnetes Kriterium, das entscheiden soll, wenn mehrere Alternativen zur Verfügung stehen (Carnap, 1962, 7): Es ist dann die einfachste Variante zu wählen. Dieses Kriterium kann jedoch auch als Hinweis gelten, Definitionen nicht zu überfrachten, indem versucht wird, vollständige Definitionen zu erzeugen. Dies lässt sich mit dem Kriterium der Knappheit begründen, das vorschreibt, nur Bestandteile ins Definiens aufzunehmen, die für die Bedeutung des Definiendum wesentlich sind (Brun und Hirsch Hadorn, 2014, 173). Vollständige Definitionen versuchen, komplexe soziale Sachverhalte mit allen ihren Eigenschaften wiederzugeben. Bei komplexen sozialen Sachverhalten stößt jedoch das Konzept der notwendigen und hinreichenden Bedingungen, wie es unausgesprochen diesem Kapitel zugrunde liegt, an seine Grenzen. Es besagt, dass alle Eigenschaften vorliegen müssen - sie sind notwendiger Bestandteil - und wenn sie alle vorliegen, dann ist dies auch hinreichend, dass der Begriff vorliegt. Dieses Prinzip trifft insbesondere auf die explizite (unbedingte) Definition zu; die Diskussionen zu den impliziten (bedingten) Definitionen zeigen, dass es nicht unbeschränkt für alle Begriffsbestimmungen gilt. 6.3 Messung von Variablen 6.3.1 Zusammenhang zwischen Begriffen und Variablen Abbildung 11 weist idealtypisch darauf hin, dass nach der Begriffsbestimmung in quantitativen Studien ein Messmodell entwickelt wird. Beide Ebenen unterscheiden sich durch ihre Terminologie. Theoretische Begriffe auf der begriffli- <?page no="158"?> 144 6 Beschreibung chen Ebene entsprechen latenten Variablen, Konstrukten oder hypothetischen Konstrukten auf der messtheoretischen Ebene, empirische Begriffe entsprechen manifesten Variablen, Indikatoren oder Items. Variable sind Symbole, die stellvertretend für die Merkmalsausprägungen der jeweiligen untersuchten Eigenschaft stehen (Kerlinger, 1986, 27). Tabelle 3 listet die wichtigste Gemeinsamkeit auf, die sich daraus ergibt, dass theoretischer Begriff oder latente Variable nicht-beobachtbar und empirischer Begriff und manifeste Variable beobachtbar sind (Lazarsfeld, 1936/ 1972, 48). Tabelle 3: Begriffe und Variable Beobachtbarkeit Ebenen der Theorieentwicklung Nicht-beobachtbar Beobachtbar Begriffliche Ebene Theoretischer Begriff Empirischer Begriff Messtheoretische Ebene Latente Variable Manifeste Variable Variable sind die messtheoretischen Entsprechungen von Begriffen. Sobald Begriffe in einer empirischen Untersuchung getestet werden sollen, sind die entsprechenden Variablen zu entwickeln. Wie die bisherigen Ausführungen gezeigt haben, benötigen begriffliche Überlegungen bereits Aussagen der Theorie: Zuordnungsregeln werden auf Basis einer Theorie entwickelt. Beide Ebenen stehen daher nicht unverbunden nebeneinander, die messtheoretische setzt vielmehr die begriffliche (theoretische) Ebene voraus (Blalock, 1982, 11). Empirische Untersuchungen können andererseits neue Kenntnisse auch für die begriffliche Ebene liefern und theoretische Kenntnisse erweitern. So ergibt sich im Verlauf der Entwicklung von Theorien ein ständiger Austausch zwischen beiden Ebenen. 6.3.2 Von Variablen zu den Messmodellen Auf der begriffstheoretischen Ebene wird die Operationalisierung als Zuordnung von theoretischen und empirischen Begriffen bezeichnet. Wenn diese Vorarbeit geleistet ist, werden auf der messtheoretischen Ebene die Variablen entwickelt. So wird z.B. im Beispiel der Begriff Vertrauenswürdigkeit als latente Variable aufgefasst, die im Rahmen einer Befragung in einzelne Fragen (Items, Indikatoren) aufgelöst wird. Kundinnen von Banken werden diese Fragen vorgelegt, um ihre subjektive Einschätzung zu ermitteln. Ein wesentlicher Schritt in der Untersuchung ist daher die Spezifikation eines Messmodels, das latente und manifeste Variablen miteinander verbindet (Steyer und Eid, 1993, 3). Wenn Kausalität angenommen wird, dann sind verschiedene <?page no="159"?> 6.3 Messung von Variablen 145 kausale Mess-Modelle möglich. Tabelle 4 zeigt verschiedene Grundmodelle, die sich zum einen hinsichtlich der Richtung der Ursache-Wirkungsbeziehung zwischen latenter und manifester Variablen (LV, MV) unterscheiden - reflektive oder formative Kausalmodelle -, und zum anderen danach differenziert werden können, ob die latente Variable mehrere Dimensionen hat. In einem reflektiven Kausalmodell sind die latenten Variablen die Ursache, die auf die manifesten Variablen wirken (Edwards, 2001, 146). Reflektive Modelle sind die am meisten eingesetzten Modelle bei kausalanalytischen Betrachtungen, da häufig davon ausgegangen wird, dass Dispositionen die Ursachen von manifesten Variablen sind. Sie galten lange Zeit als die Standardauffassung in der Methodenliteratur der Sozialwissenschaften, weil sie sich auf die bereits geschilderte Auffassung stützen, dass das Phänomen, auf dem der theoretische Begriff beruht, die Ursache für die Phänomene sind, die wir empirisch erfassen können (Borsboom, Mellenbergh und Heerden, 2003, 211f). Tabelle 4: Kausalmodelle im Drei-Ebenen-Modell zwischen 1. und 2. Ebene zwischen 2. und 3. Ebene Reflektiv (LV → MV) Formativ (MV → LV) Reflektiv (LV → MV) rein reflektives Kausalmodell gemischt reflektives Kausalmodell Formativ (MV → LV) gemischt formatives Kausalmodell rein formatives Kausalmodell (Quellen: Albers und Götz, 2006, Edwards, 2001) Abbildung 13 zeigt ein solch rein reflektives Modell der Vertrauenswürdigkeit. Es wird davon ausgegangen, dass die Vertrauenswürdigkeit einer Bank sich in den beiden Dimensionen Fähigkeit und Integrität widerspiegelt. Für beide Dimensionen werden vier manifeste Variable (Items, Indikatoren) entwickelt, mit denen sich diese Dimensionen messen lassen. Beispielsweise könnte das Vertrauen in die Integrität einer Bank sich durch folgende Indikatoren messen lassen: „Meine Bank besitzt ein hohes Maß an Integrität.“ und „Meine Bank behandelt ihre Kundinnen mit Respekt“. Die Fähigkeit könnte z.B. mit folgenden Indikatoren erhoben werden: „Meine Bank hat gute Kenntnisse über die Arbeit, die getan werden muss.“ und „ Meine Bank ist sehr gut in dem, was sie macht.“ Die Kundinnen sollen diese Aussagen auf einer fünfstufigen Likert-Skala von „Stimme überhaupt nicht zu“ bis „Stimme vollständig zu“ beurteilen. <?page no="160"?> 146 6 Beschreibung In rein formativen Modellen sind (manifeste) Variable Ursachen von Dimensionen und die Dimensionen Ursachen der latenten Variablen, formative Modelle kehren daher die Ursache-Wirkungsbeziehung um (Bollen und Diamantopoulos, 2017, 583f). So könnte beispielsweise die Reputation (latente Variable) eines Unternehmens durch die Reputation bei verschiedenen Stakeholdern verursacht sein, die auf einer Skala die Reputation (manifeste Variable) beurteilen. Formative Variablen wirken im Beispiel wie die einzelnen Bestandteile eines Reputations-Index (Diamantopoulos und Winklhofer, 2001). In gemischten Modellen wechselt zwischen den Ebenen die Richtung der Ursache-Wirkungsbeziehung. 6.3.3 Anforderung an Messungen Validität ist als eine Eigenschaft von Schlüssen eingeführt worden. Da sie dazu dient, Wahrheitsnähe anzuzeigen, wird sie mithilfe von Aussagen beurteilt, die ein komplexes Netz von Argumenten bilden, um sie zu rechtfertigen. Einem Gesamturteil über die Validität einer Untersuchung liegt somit eine Reihe von Validitätsargumenten zugrunde (Kane, 1992). Zur Beschreibung dieses Ansatzes bietet sich das Argumentationsschema von Toulmin an ( ► Kap. 4.3.5). Für die Argumentation, die zur Messung eines Konstrukts mithilfe von manifesten Variablen notwendig ist, schlägt Michael Kane fünf Schlüsse vor (Kane, 1992, 529f, 2006, 43): 1. Beobachtung: Dieses Argument dient dazu, die Beobachtung abzusichern, d.h., ob die Messung eines einzelnen Indikators durch die für den Messprozess festgelegte Prozedur erfolgt. 2. Generalisierung: Bei der Generalisierung wird vom einzelnen Messwert auf alle möglichen Messwerte geschlossen. Es wird von den spezifischen Bedingungen während des Messens abgesehen und somit z.B. angenommen, dass es keine Rolle spielt, ob die Messung morgens oder abends vorgenommen wird. 3. Theoriebasierte Interpretation: Auf Basis der Theorie wird ein Schluss von den Indikatoren auf das Konstrukt gezogen, um zu gewährleisten, dass erkannt wird, welche Annahmen damit verbunden sind und ob sie erfüllt sind. 4. Extrapolation: Wenn vom Konstrukt auf andere Konstrukte geschlossen werden soll, ist dieses Argument erforderlich. 5. Implikationen: Dieses Argument wird gebildet, wenn Entscheidungen auf Basis des Konstrukts getroffen werden sollen. Für die Etablierung eines messtheoretisch abgesicherten Konstrukts ist es notwendig, die fünf Argumentationsschritte zu durchlaufen. Um die Güte dieses Schlusses zu beurteilen, sind die Annahmen für die Schlüsse, die Schlussregel <?page no="161"?> 6.3 Messung von Variablen 147 und ihre Stützung sowie Ausnahmebedingungen zu analysieren. Abbildung 14 zeigt anhand des Argumentationsschemas von Toulmin den dritten Schritt der theoriebasierten Interpretation. Da dies ein Schluss von den Messwerten für einzelne Indikatoren auf ein Konstrukt ist, werden Theorien eingesetzt, die eine inhaltliche Zuordnung der Messwerte auf das Konstrukt rechtfertigen, und des Weiteren werden Messtheorien verwendet, um das angenommene Messmodell zu überprüfen. Sie werden z.B. durch die in diesem Kapitel als bewährt geltenden Zuordnungsregeln operationaler Definitionen gestützt, die in der Praxis empirischer Forschung einer ständigen Prüfung unterzogen werden. Der Operator wird z.B. mit einer normischen Qualifizierung versehen sein - „Es ist normalerweise davon auszugehen, dass …“ -, die mit Ausnahmebedingungen konfrontiert wird. Beispielsweise können bei einem Test außergewöhnliche Bedingungen vorliegen, wie Störungen durch Bauarbeiten während der Testbearbeitung durch die Teilnehmer und Teilnehmerinnen der Studie. Abbildung 14: Theoriebasierte Interpretation mit dem Argumentationsschema von Toulmin Da es in Abbildung 14 um die Konstruktbildung geht, ist Konstruktvalidität anzustreben. Sie ist als Ergebnis eines Arguments ein Indiz dafür, ob die Messungen das Konstrukt hinreichend widerspiegelt (Shadish, Cook und Campbell, 2002, 65). Wenn bereits gut gesicherte Hypothesen vorliegen, lassen sich anhand der Messergebnisse Rückschlüsse auf die Konstruktvalidität ziehen. So ist beispielsweise anzunehmen, dass, wenn gut gesicherte Hypothesen mit der Messung bestätigt werden, die Konstruktvalidität des Tests hoch ist. Liegen noch keine gut gesicherten Hypothesen vor, kann es als ein Indiz auf Vorlage von Konstruktvalidität gedeutet werden, wenn die aus dem Zielkonstrukt abgeleiteten Hypothesen anhand der Messwerte bestätigt werden können (Cronbach und Meehl, 1955, 282). Diese Vorgehensweise trägt dann wiederum zur Formulierung von Hypothesen bei. Es wird deutlich, dass die Ermittlung einer Maßzahl für den Grad der Validität schwierig ist (Cronbach und Meehl, 1955, 300, Lienert und <?page no="162"?> 148 6 Beschreibung Raatz, 1998, 11), und somit das zusammenfassende Urteil über die Validität qualitativ ist. 6.4 Von der Begriffszur Typenbildung 6.4.1 Typen und Typologien in den Sozialwissenschaften Als drittes Ziel wird in diesem Kapitel die Typenbildung behandelt, die in einer wissenschaftlichen Untersuchung dazu dient, die soziale Realität im Hinblick auf die Untersuchungsziele zu ordnen. Da diese Aufgabe auch von Begriffen erfüllt wird, stellt sich die Frage, warum Begriffe und Typen unterschieden werden. Begriffe wurden eingangs dieses Kapitels so definiert, dass sie soziale Sachverhalte sprachlich ausdrücken, indem sie Eigenschaften benennen, welche auf sie zutreffen. Legen wir dieses Verständnis zugrunde, dann lassen sich auch Typen als eine Form von Begriffen auffassen. Dies ist eine Auffassung, wie sie auch Hempel und Oppenheim formulierten: “…, werden die eigentlichen Typenbegriffe praktisch stets in mehreren Richtungen abstufbar gewählt und stellen daher mehrdimensionale Ordnungsbegriffe dar“ (Hempel und Oppenheim, 1936, 66). Im Folgenden wird allerdings die heute übliche verkürzende Schreibweise beibehalten und nur von Typen gesprochen. Mit einer Typologie ist bezweckt, soziale Sachverhalte zu beschreiben, so dass den einzelnen Typen verschiedene Eigenschaftskombinationen zugeordnet werden. Sie ist ein System von Typen (Collier, LaPorte und Seawright, 2008, 152). Ein Typus stellt nach dieser Auffassung eine bestimmte Eigenschaftskombination dar, die innerhalb der möglichen Eigenschaftsausprägungen von den Forschenden festgelegt wird. Seine Mehrdimensionalität bezieht sich darauf, dass nicht eine Eigenschaft, sondern mehrere Eigenschaften zur Typenbildung herangezogen werden. Beispiel 21: Varianten des Kapitalismus In einer vieldiskutierten Typologie unterscheiden Hall und Soskice (2001) zwei Typen des Kapitalismus: eine liberale Marktwirtschaft und eine koordinierte Marktwirtschaft (S. 8). Ihre Zuordnung beruht auf fünf Sphären, in denen Unternehmen in einer Wirtschaft ihre Koordinationsprobleme lösen: industrielle Beziehungen, berufliche Aus- und Weiterbildung, Finanzsystem und Unternehmensverfassung, Beziehung zwischen Unternehmen und Beziehungen zu Arbeitnehmern (Hall und Soskice, 2001, 6f). Den beiden Typen - liberale Marktwirtschaft und koordinierte Marktwirtschaft - werden spezifische Ausprägungen zugewiesen. <?page no="163"?> 6.4 Von der Begriffszur Typenbildung 149 Wenn bedacht wird, dass fünf Eigenschaften vorliegen, dann ist die geringe Anzahl an Typen auf den ersten Blick verblüffend. Angenommen sei, dass jede Eigenschaft nur zwei Ausprägungen hat. Dann ergeben sich 2 5 = 32 Merkmalskombinationen. Es ist daher von Interesse, welche von den anderen 30 Kombinationen noch als relevant zu betrachten sind. Ein Unterschied zur Begriffsbestimmung, wie sie zu Beginn dieses Kapitels beschrieben wird, ist, dass die Typenbildung an eben diese Begriffsbestimmung anknüpft und mehrere Begriffe als Ausgangspunkt der Typenbildung gewählt werden. So wird Mehrdimensionalität erreicht. Zwar zeigt das Beispiel für ein latentes Konstrukt zur Vertrauenswürdigkeit (Abbildung 13, S. 138) ebenfalls einen theoretischen Begriff mit mehreren Dimensionen, allerdings ist der entscheidende Unterschied, dass innerhalb des Eigenschaftsraums der Typus festgelegt wird: er „erhält … einen Ort im typologischen Merkmalsraum [Eigenschaftsraum] individuell zugewiesen“ (Hempel und Oppenheim, 1936, 67). Während somit ein mehrdimensionaler Begriff, wenn er als mehrdimensionale latente Variable gemessen wird, Variation im Rahmen seiner Skalierung und Messung zulässt, wird ein Typus als eine bestimmte Kombination von Eigenschaften fixiert. Sobald er die durch die Typologie festgelegten Grenzen überschreitet, wird ein anderer Typus zugewiesen. Meistens werden für die einzelnen Eigenschaftskombinationen Namen vergeben wie in der Typologie von Hall und Soskice die Typen „liberale Marktwirtschaft“ und „koordinierte Marktwirtschaft“. Hall und Soskice (2001) weisen beispielsweise den liberalen Marktwirtschaften in der Sphäre des Finanzsystems und der Unternehmensverfassung die Eigenschaft zu, dass sie sich ihr Eigenkapital hauptsächlich über den organisierten, öffentlich zugänglichen Kapitalmarkt beschaffen (S. 27ff). Hingegen beschaffen sich die koordinierten Marktwirtschaften ihr Kapital stärker über Quellen, die durch eine nicht-öffentliche Informationslage geprägt sind (S. 22 f.). Da koordinierte Marktwirtschaften unternehmens- und branchenspezifische Arbeitnehmerfähigkeiten favorisieren, wird das berufliche Aus- und Weiterbildungssystem darauf ausgerichtet und durch ein öffentlich subventioniertes System unterstützt (S. 25). In liberalen Marktwirtschaften wird eine allgemeine berufliche Aus- und Weiterbildung favorisiert, die mit einem stärkeren Training innerhalb von Unternehmen verbunden ist (S. 30). Obwohl Hall und Soskice (2001, 8) konstatieren, dass sie Idealtypen untersuchen, beruht ihre Zuweisung von Eigenschaften auf Analysen von Deutschland als koordinierte und den USA als liberale Marktwirtschaft und sind daher als Realtypen aufzufassen. Idealtypen sind gedankliche Gebilde, denen die Eigenschaften mit ihren maximalen Ausprägungen zugeordnet werden (Weber, 1904/ 2018, 202ff). Der Vorteil von Idealtypen ist, dass auch Ausprägungen, die nicht in rea- <?page no="164"?> 150 6 Beschreibung len Fällen zu finden sind, in die Typologie aufgenommen werden können (Doty und Glick, 1994, 245). Realtypen beruhen hingegen auf den empirisch nachweisbaren Eigenschaftsausprägungen. Im Prozess der Typenbildung werden beide Typologie-Kategorien eingesetzt, um sie zu vergleichen und um aus diesem Vergleich Schlüsse über Zusammenhänge zu ziehen. Fraglich ist es noch, ob die Typologie vollständig (exhaustiv) sein soll. Eine vollständige Typologie deckt den gesamten möglichen Eigenschaftsraum ab (Reynolds, 1971, 5), d.h., jedem sozialen Sachverhalt wird ein bestimmter Typus zugeordnet. In der Typologie von Hall und Soskice ist dann jede real existierende Marktwirtschaft einem Typus - liberale Marktwirtschaft oder koordinierte Marktwirtschaft - zuzuordnen. 6.4.2 Phasen der Typologie-Konstruktion Ziel der empirischen Typenbildung ist einen wichtigen Baustein für die Theoriebildung zu liefern. Die Typenbildung lässt sich in vier Phasen beschreiben (Kluge, 1999, 260ff): 1. Auswahl der Eigenschaften für die Typenbildung; 2. Analyse der zu untersuchenden Fälle im Hinblick auf diese Eigenschaften; 3. Analyse der inhaltlichen Zusammenhänge zwischen Eigenschaftskombinationen innerhalb und zwischen den gebildeten Typen; 4. Charakterisierung der Typen im Hinblick auf die Theorie, die entwickelt werden soll. Die Auswahl der Eigenschaften richtet sich nach der Fragestellung der Untersuchung und den theoretischen Vorkenntnissen. Typen werden so gegeneinander abgegrenzt, dass die sozialen Sachverhalte, die verschiedenen Typen zugeordnet sind, sich deutlich unterscheiden. Innerhalb eines Typus sollen sie sich hingegen möglichst ähnlich sein (Everitt et al., 2011, 7). Die Eigenschaften müssen so beschaffen sein, dass sie nicht nur mehrere Ausprägungen theoretisch besitzen, sondern sie auch in der Realität bei den untersuchten Fällen vorhanden sind. Allerdings können mithilfe theoretisch möglicher Ausprägungen Idealtypen konstruiert werden, an denen die empirisch vorgefundenen Realtypen gespiegelt werden (Doty und Glick, 1994, 237f). Somit werden in einer zweiten Phase die zu untersuchenden Fälle im Hinblick auf die Eigenschaften analysiert, um in sich homogene Typen zu bilden. Sinnvoll ist es dabei, einen idealtypischen Eigenschaftsraum zu konstruieren, in den jede untersuchte Einheit eingeordnet werden kann. Es ist damit möglich, eventuell nicht notwendige Eigenschaften zu erkennen und sie eventuell zu eliminieren oder mehrere Eigenschaften zu kombinieren, um den Eigenschaftsraum und damit Komplexität zu reduzieren (Lazarsfeld, 1937/ 2007, 353ff). <?page no="165"?> 6.4 Von der Begriffszur Typenbildung 151 Die dritte Phase zeigt deutlich, wie sehr die ordnende Aufgabe der Beschreibung mit theoretischem Vorwissen verknüpft ist, denn die Analyse der inhaltlichen Zusammenhänge zwischen Eigenschaftskombinationen ist Teil einer Theoriebildung. Es wird bei dieser Analyse davon ausgegangen, dass die in der Realität auffindbaren Eigenschaftskombinationen kein Zufall, sondern das Ergebnis von empirischen Zusammenhängen sind. Ähnlich wie bei der Begriffsbestimmung stellt sich auch bei der Typenbildung die Frage nach der Einbettung in eine Theorie. Sie kann an dieser Stelle im Hinblick auf zwei Fragen konkretisiert werden: 1. Welche Faktoren führen zur Variation einzelner Eigenschaftsausprägungen? 2. Welche Zusammenhänge gibt es zwischen den einzelnen Dimensionen und ihren Ausprägungen? Treten mehrdimensionale Eigenschaftskombinationen nicht zufällig auf, dann ist von einem empirischen Zusammenhang auszugehen. Empirische Zusammenhänge werden eingeteilt in korrelative Zusammenhänge, d.h., zwei soziale Sachverhalte hängen miteinander zusammen, wobei die Richtung des Zusammenhangs noch spezifiziert werden muss, und kausale Zusammenhänge, d.h., zwei soziale Sachverhalte stehen in einer Ursache-Wirkungs-Beziehung. In der Regel wird man von Eigenschaften, die zu einer Typenbildung herangezogen werden, verlangen, dass sie miteinander zusammenhängen (Bailey, 1994, 4). Zur Begründung wird der bereits geäußerte Gedanke angeführt, dass das Auftreten von Kombinationen von Eigenschaften kein Zufall, sondern vielmehr auf bestimmte Regelmäßigkeiten der sozialen Realität zurückzuführen sein soll. Hempel und Oppenheim formulieren daher: „Aus dem Bestehen von Gesetzen … folgt insbesondere, daß nicht beliebige Ausprägungen der verknüpften Merkmale [Eigenschaften] zusammen auftreten können“ (Hempel und Oppenheim, 1936, 105). Dies führt zur vierten Phase, welche die Typenbildung in die Theoriebildung einbettet. Da Theorien als Aussagensysteme bezeichnet werden, sind Typen in eben dieses Aussagensystem einzuordnen und es ist zu klären, welche Aufgabe Typologien bei der Theorienentwicklung einnehmen. Nach Susann Kluge haben sie eine wichtige Funktion, denn „sie stellen einen Zwischenschritt dar, der zur Hypothesenbildung anregt“ (Kluge, 1999, 51). Auch an dieser Stelle zeigt sich, dass die ordnende Aufgabe der Begriffs- und Typenbildung direkt mit der Analyse von Zusammenhängen verbunden ist. Hall und Soskice (2001) verwenden ihre Typologie zur Erklärung von Unterschieden in den spezifischen Wettbewerbsvorteilen von Unternehmen. Beide Typen von Marktwirtschaften unterscheiden sich durch die Art der Innovation, die durch die spezifische Konfiguration der Institutionen ihres Typus gefördert wird. Die Autoren vermuten, dass in liberalen Marktwirtschaften <?page no="166"?> 152 6 Beschreibung radikale Innovationen und in koordinierten Marktwirtschaften inkrementelle Innovationen bevorzugt werden (S. 38ff). Sie erwarten außerdem, dass sich die verschiedenen Sphären gegenseitig verstärken, und daher gehen sie davon aus, dass die Typen nicht zufällig auftreten (S. 18). 6.4.3 Anforderung an Typologien Typologien stützen sich auf Begriffe und ihre Eigenschaften. Somit sind Typologien darauf angewiesen, dass die Begriffe, auf denen sie aufbauen, die Anforderungen an Begriffe erfüllen. Da Typologien komplexe Begriffsbildungen sind, orientieren sich die Anforderungen an Typen und Typologien an den Anforderungen an Begriffe. Die Besonderheit der festen Zuordnung von Eigenschaftskombinationen zu bestimmten Typen führt jedoch zu einigen weiteren Anforderungen. Wie bereits erwähnt, ist es sinnvoll zu fordern, dass die Typologie vollständig ist und somit jeder in der sozialen Realität auffindbare Fall einem Typus zugeordnet werden kann. Häufig wird auch gefordert, dass ein Fall genau einem Typus zugeordnet wird, d.h., die Typen schließen sich gegenseitig aus. Eine deterministische Zuordnung zu verlangen, wird von einigen Autoren jedoch abgelehnt, die eine probabilistische Zuordnung favorisieren. Besonders prominent ist der Ansatz von Charles Ragin, der sich für eine Zuordnung auf Basis von unscharfen Mengen (fuzzy sets) ausspricht (Ragin, 2000). Unscharfe Mengen zeichnen sich dadurch aus, dass ihre Elemente in Graden zugeordnet werden. Einem Element kann - bei Graden von 0 = nicht zugehörig und 1 = vollständig zugehörig - ein Zugehörigkeitsgrad von 0,4 zugewiesen werden, um anzudeuten, dass er eher nicht der Menge zugehört als dass er ihr zugehört. Damit ist es möglich, graduelle Aussagen mengentheoretisch abzusichern. Dies hat den Vorteil, dass beispielsweise bei der Einteilung in koordinierte und liberale Marktwirtschaften die Zuordnung zu einzelnen Eigenschaften auch teilweise zugesprochen werden kann. Die Boolesche Algebra beruht hingegen auf einer strikten Zuordnung von Elementen. Real auftretende Fälle können mit dieser Methode mehreren Typen in verschiedenen Graden zugeordnet werden, was der sozialen Realität mehr entspricht als die einfache Ja-oder-Nein-Entscheidung (Schneider und Wagemann, 2009, 392). Witt und Jackson (2016) verwenden diese Methode, um die Aussagen von Hall und Soskice zu prüfen und können zwar einige Hinweise darauf finden, dass koordinierte Marktwirtschaften einen institutionellen komparativen Vorteil in Branchen mit inkrementeller Innovation haben, können allerdings nicht bestätigen, dass liberale Marktwirtschaften einen institutionellen komparativen Vorteil in Branchen mit radikaler Innovation haben. <?page no="167"?> 6.5 Beschreibung von Zusammenhängen 153 Typologien sollen Bestandteil einer Theorie sein, die sich in weiteren Untersuchungen bewährt und damit auch die Typologie bestätigt. Ad-hoc-Typologien, die auf Basis von einmaligen Datenerhebungen gebildet werden, und dann nicht in weiteren Untersuchungen, z.B. mit unterschiedlichen Kontexten, validiert werden, sind häufig ein Artefakt dieser Untersuchung. Ihr Nutzen für die Theoriebildung ist daher zweifelhaft. Auch wenn die von Hall und Soskice eingeführte Unterscheidung in koordinierte und liberale Marktwirtschaften als zu grob angesehen wird, hat sie zu weiterer Forschung angeregt und die Theoriebildung vorangetrieben (Schneider und Paunescu, 2012, Schröder, 2013, Witt et al., 2018). Validität von Typen bezieht sich wiederum auf die Schlüsse, die auf Basis der Methoden und ihrer Ergebnisse gezogen werden ( ► Kap. 2.4.3). Ein zentrales Stützungsargument ist die Theorie, auf deren Basis die Typologie entwickelt ist, weil sie beispielsweise die Argumentation der Auswahl der Variablen, die Festlegung von Skalenniveaus, der Kombinationen und ihrer Auswirkung auf weitere Variable plausibel macht. Wenn die theoretische Ableitung gelingt und sich hieraus Hypothesen ableiten lassen, welche die Wirkung von Typen auf weitere Variable erklären, und wenn auf dieser Basis erfolgreiche empirische Tests unternommen werden, dann ist dies ein Indiz für die Validität der Typologie (Bailey, 1994, 60f). Eine generelle Empfehlung für die Validierung ist daher die Prüfung der Typen mit Variablen, die nicht zur Konstruktion der Typologie verwendet werden (Aldenderfer und Blashfield, 1984, 66). Daneben wird häufig als ein erster Schritt der Validierung vorgeschlagen, innerhalb einer Untersuchung zwei Zufallsstichproben zu ziehen und zu prüfen, ob die gleichen Typen in beiden Stichproben auftauchen (Aldenderfer und Blashfield, 1984, 65). Zwar kann dieses Vorgehen zur Falsifikation der Typologie verwendet werden, es ist hingegen für die Beurteilung der Validität der erst genannten Validierung unterlegen. Denn sie gibt nur einen schwachen Hinweis, dass die gefundenen Strukturen nicht zufällig sind. Schwach ist sie deshalb, weil meist nur sehr wenige Stichproben gezogen werden und daher ein Test, ob es sich um eine zufällig gefundene Struktur handelt, nur unzureichend ist. Der wesentliche Vorteil einer Validierung mit einer weiteren Variablen ist die Prüfung der theoretischen Fruchtbarkeit der Typologie, was mit Hilfe dieses Quasi-Stichprobentests nicht möglich ist. 6.5 Beschreibung von Zusammenhängen 6.5.1 Aussagenarten Begriffe sind elementare Bausteine von Aussagen. Mit der Beschreibung eines Zusammenhangs wird eine Beziehung zwischen Begriffen hergestellt, die als regelmäßig zu findender sozialer Sachverhalt angenommen wird. Sie treten in <?page no="168"?> 154 6 Beschreibung wissenschaftlichen Untersuchungen in Form von Hypothesen auf. Hypothesen sind Aussagen, die über empirische Sachverhalte informieren und deren Wahrheit nicht sicher ist. Da sie über vermutete Zusammenhänge der Realität Auskunft geben, sollten sie empirisch prüfbar sein. Nach einem erfolgreich bestandenen Test können sie als vorläufig bewährt angesehen werden. Tabelle 5: Aussagen nach der Art der Beziehung Art der Beziehung Beschreibung Beispiel Zusammenhang ungerichtet (korrelativ) Es wird ein Zusammenhang konstatiert, der jedoch nicht spezifiziert wird. Vertrauen in die Fähigkeit einer Bank hängt mit der Bereitschaft einen Kredit zu beantragen zusammen. gerichtet, allgemein (korrelativ oder kausal) Es wird ein positiver oder negativer Zusammenhang konstatiert. Je höher das Vertrauen in die Fähigkeit einer Bank ist, umso mehr Aufträge eines Kunden erhält sie. gerichtet, funktional (korrelativ oder kausal) Es wird ein funktionaler Zusammenhang aufgezeigt, der z.B. linear oder exponentiell sein kann. Mit der steigenden Reputation einer gemeinnützigen Organisation steigt das Spendenaufkommen proportional. gerichtet, funktional und spezifiziert (korrelativ oder kausal) Es wird auf Basis des funktionalen Zusammenhangs eine konkrete quantitative Beziehung angenommen. Wenn der Reputationsindex einer gemeinnützigen Organisation um 10% steigt, dann steigt ihr Spendenaufkommen um 20%. Veränderung sequentiell (ein Sachverhalt) Es wird die Entwicklung eines Sachverhaltes in der Zeit untersucht, ohne dass weitere Sachverhalte betrachtet werden. Menschen in Deutschland haben im Jahr 2021 gleich viel Vertrauen in Gesetze wie im Jahr 2020. sequentiell (mehrere Sachverhalte) Es wird eine sequentielle Anordnung von unterschiedlichen Sachverhalten betrachtet. Mit der steigenden Reputation in Periode 1 erhöht sich das Spendenaufkommen einer gemeinnützigen Organisation in Periode 2. Unterschied Wenn zwischen zwei oder mehreren empirischen Sachverhalten Abweichungen festgestellt werden, stellt sich die Frage, ob es systematische Unterschiede zwischen ihnen gibt. In Banken ist der Frauenanteil in Führungspositionen niedriger als in Dienstleistungsunternehmen. Quelle: Döring und Bortz, 2016, 146f <?page no="169"?> 6.5 Beschreibung von Zusammenhängen 155 Aussagen lassen sich in verschiedene Arten einteilen. Tabelle 5 unterscheidet Aussagen nach der Art der Beziehung und zeigt die in den Sozialwissenschaften oft anzutreffenden Arten an. Zur Tabelle noch einige Hinweise: Sie enthält die wichtigsten Arten von Aussagen, eine vollständige Aufzählung ist nicht ihr Zweck. In der Tabelle wird zwischen korrelativen und kausalen Zusammenhängen unterschieden. Wenn zwischen zwei oder mehreren sozialen Sachverhalten ein systematischer Zusammenhang festgestellt wird, dann liegt eine Korrelation vor. Ein kausaler Zusammenhang liegt vor, wenn ein Sachverhalt als Ursache und ein anderer als Wirkung beschrieben wird. ( ► Kap. 7.2) Aussagen über Veränderungen beschreiben zeitliche Entwicklungen, auch sie können kausal formuliert werden. Die Präzision der Zusammenhänge steigt von den ungerichteten zu den gerichteten Aussagen schrittweise an. Wenn sie in empirischen Untersuchungen als Hypothesen formuliert werden, hat dies mindestens zwei Konsequenzen: 1. Höhere Präzision führt zu einem Mehr an Möglichkeiten der Falsifikation. 2. Mit dem zunehmenden Grad an Präzision steigen die Anforderungen an die Daten und die statistischen Verfahren, die eingesetzt werden. 6.5.2 Generalisierung in den Sozialwissenschaften Seit dem 19. Jahrhundert wird in den Sozialwissenschaften über die Frage debattiert, ob soziale Phänomene als regelhaft beschrieben werden können, oder ob jedes soziale Vorkommnis einzigartig und nicht wiederholbar ist. Denker wie Comte oder Mill befürworteten eine Orientierung an die Naturwissenschaften (Heilbron, 2003) und daher ist im Zentrum der Debatte bis heute der Begriff „Gesetz“, der die Regelhaftigkeit von Phänomenen ausdrückt. Als Gesetz wird in der Wissenschaftstheorie der Naturwissenschaften eine Aussage bezeichnet, die räumlich und zeitlich unbeschränkte Gültigkeit beansprucht und sich empirisch bewährt hat, d.h., bisherige Falsifikationsversuche erfolgreich bestanden hat (Opp, 2014, 41). Wie diese Eigenschaften zu verstehen sind, lässt sich an drei Beispielen kurz erläutern: 1. Alle Menschen sind sterblich. 2. Alle Einwohner in Berlin sind sterblich. 3. Alle Menschen werden durch den Kapitalismus egoistisch. Die erste Aussage lässt sich als Gesetz bezeichnen, da ihre raum-zeitliche Unbeschränktheit kaum bestritten wird. Wie sieht es aber mit der zweiten Aussage aus? Sie ist zwar auch eine All-Aussage, allerdings ist sie räumlich und auch zeitlich eingeschränkt, weil auch vor der Gründung Berlins Menschen gelebt haben. Auch das dritte Beispiel wartet mit einer historischen Einschränkung auf, denn <?page no="170"?> 156 6 Beschreibung der Kapitalismus tritt in der Menschheitsgeschichte erst vor einigen hundert Jahren auf und es gibt in unserer heutigen Zeit eine Reihe von Ländern, die nicht als kapitalistisch angesehen werden. Daraus folgt, dass in den Sozialwissenschaften Gesetze besser als graduelle Aussagen aufzufassen sind, weil eine zu enge Festlegung als räumlich und zeitlich unbeschränkte All-Aussage der sozialen Realität nicht gerecht wird (Schurz, 2014, 94). Daher werden die beiden Begriffe „Gesetz“ und „gesetzesartige Aussage“ in diesem Buch synonym verwendet und es wird davon ausgegangen, dass es unterschiedliche Grade dieser Aussagen gibt. Welche Unterscheidungen hier sinnvoll sind, ist Gegenstand dieses Kapitels. Es gibt eine lang währende Debatte um die Frage, ob die Sozialwissenschaften diesen Gesetzesbegriff übernehmen sollen und, wenn diese Frage negativ beantwortet wird, ob sie überhaupt eines Konzeptes gesetzesartiger Aussagen bedürfen oder ob sie ausschließlich Einzelfallanalyse betreiben sollen. Solange es sich bei der Frage der Existenz von sozialwissenschaftlichen Gesetzen nicht um eine logische Unmöglichkeit handelt, über die a priori entschieden werden kann, sondern es sich vielmehr um eine empirische Frage handelt (McIntyre, 1996, 166), ist es ratsam, keine Forschungsverbote auszusprechen. McIntyre weist ausführlich darauf hin, dass häufig eine überzogene Vorstellung von naturwissenschaftlicher Forschung als Gradmesser für die Sozialwissenschaften diskutiert wird (McIntyre, 1996, 103ff). Daher konzentriert sich das Folgende auf die Frage, wie Gesetze oder gesetzesartige Aussagen in den Sozialwissenschaften beschaffen sein können. Wer die soziale Realität betrachtet, wird nicht umhin kommen, Abstufungen verschiedener Formen von Regelmäßigkeiten vorzuschlagen. Eine solche Ansicht muss berücksichtigen, dass soziale Akteure über Willensfreiheit verfügen und dass trotzdem nicht vollständige Kontingenz herrscht. Eine erste Intuition ist es, dass Akteure sich einem dichten Netz von Regeln und Normen gegenüber sehen und dieses Netz mit ihren Absichten und ihrem Selbstinteresse abstimmen. Zwar sind auch ihre Absichten und Selbstinteressen sozial geformt, jedoch liegt kein Determinismus vor, der Akteure zu roboterhaften Normenbefolgern macht (Elder-Vass, 2010, 175f). Vielmehr ist es im Konzept von sozialen Akteuren auch vorgesehen, dass sie Intentionen bilden können, mit dem Ziel Normen zu verletzen und Regeln zu brechen. Zwar wird von ihnen erwartet, dass sie Normen einhalten, doch durch ihre Normenverletzung tragen sie zur sozialen Dynamik bei. Dies ist ein Ausdruck ihrer Willensfreiheit. Eine philosophische Konsequenz ist dann sicherlich, dass es keinen Determinismus im umfassenden Sinne geben kann: Denn in einer deterministischen <?page no="171"?> 6.5 Beschreibung von Zusammenhängen 157 Welt gibt es keine Wahlmöglichkeiten (Keil, 2013, 217). Aus diesen Überlegungen lassen sich verschiedene Einsichten für gesetzesartige Aussagen gewinnen: Regeln in der sozialen Realität stellen Erwartungen an Handlungen von sozialen Akteuren dar. Wenn viele Akteure diese Erwartungen erfüllen, tragen sie zur Regelhaftigkeit, die über eine einzelne Handlung hinausgeht, in der sozialen Realität bei (Popitz, 1980, 24ff). Es finden sich daher Regularitäten in der sozialen Realität, mit denen Handeln erklärt und vorhergesagt werden kann (Mantzavinos, 2012, 232). Einzelne Akteure enttäuschen diese Erwartungen und befolgen die Regel nicht, d.h., Handlungsmuster lassen sich nicht bei allen vergleichbaren Handlungssituationen finden. Es gibt Kontingenzfaktoren und Eigenschaften von Akteuren, die verhindern, dass die Handlungsmuster wirksam werden. Aus beiden Einsichten lassen sich verschiedene Schlussfolgerungen ziehen. Zum einen lassen sich Aussagen über Handlungsmuster formulieren, die zur Erklärung der Handlungen von Akteuren beitragen, und zum anderen gelten die Erklärungen in Sozialwissenschaften aus den genannten Gründen als nicht deterministisch. Dabei muss dieser Sachverhalt nicht ontologisch gedeutet werden. Es muss nicht vorausgesetzt werden, dass die soziale Realität und die darin zu beobachtenden Handlungen nicht-deterministisch in einem umfassenden Sinne sind. Es mag auch Situationen geben, in denen es deterministisch zugeht. Selbst wenn sie jedoch deterministisch sein sollten, bleibt unser Erkenntnisvermögen beschränkt (Schurz, 2014, 96). In der Einleitung zu diesem Buch habe ich für den Pluralismus plädiert, weil Theorien in den Sozialwissenschaften unvollständig sind. Nur der Dämon von Laplace ist in der Lage, die soziale Realität vollständig zu beschreiben und vorherzusagen (Hempel, 1965b, 88f, Laplace, 1814/ 1932, 1f). Sozialwissenschaftliche Theorien sind hingegen dadurch unvollständig, dass in ihnen Faktoren fehlen, von denen davon auszugehen ist, dass sie sich auf die untersuchten Phänomene auswirken. So ist beispielsweise die empirische Entscheidungsforschung überwiegend kognitiv geprägt; sie untersucht, wie Entscheidungen von der Wahrnehmung, dem Gedächtnis oder der Aufmerksamkeit beeinflusst werden. Bis weit in die neunziger Jahre des letzten Jahrhunderts spielten Gefühle (Emotionen) keine große Rolle in diesen Untersuchungen, obwohl sich Emotionen auf Entscheidungen auswirken (Pfister, Jungermann und Fischer, 2017, 300ff). Bei Unvollständigkeit müssen allerdings zwei Aspekte auseinandergehalten werden: Eine Theorie ist unvollständig, weil die Faktoren, die sich auf das untersuchte Phänomen beziehen, unbekannt sind. <?page no="172"?> 158 6 Beschreibung Obwohl die Faktoren bekannt sind, werden sie aus Einfachheitsgründen nicht - oder genauer: nicht spezifiziert - in der Theorie berücksichtigt. Insbesondere der letzte Aspekt kann wiederum aus verschiedenen Teilaspekten bestehen. So ist es immer möglich, dass unvorhersehbare oder sehr unwahrscheinliche Ereignisse die Kausalkette, die in der Theorie angenommen wird, unterbrechen. So verzögert sich ein vorhergesagter Aufschwung nach einer Konjunkturkrise, weil eine Jahrhundertflut wichtige Ressourcen, die für den Aufschwung benötigt werden, vorübergehend unzugänglich macht. Oder ein Akteur wird in dem Moment, wenn er eine vorhergesagte Handlung vollziehen will, vom Blitz getroffen und ins Krankenhaus gebracht. Sozialwissenschaftliche Theorien gehen meist vom Normalfall aus, d.h., mit ihnen wird angenommen, dass nicht besondere aus dem üblichen Rahmen fallende Ereignisse auftreten. Treten sie dann allerdings doch auf, treffen unsere Erklärungen oder Vorhersagen nicht zu. In der wissenschaftstheoretischen Diskussion haben allerdings nicht diese unvorhergesehenen oder unwahrscheinlichen Fälle die Diskussion in Gang gehalten; es sind vielmehr die bewussten Entscheidungen, bestimmte Einflussfaktoren konstant zu halten, die kontrovers diskutiert werden. Hypothesen oder Theorien, in denen Faktoren konstant gehalten werden, sollten vor allem eine ceteris paribus Annahme enthalten. Eine Ceteris-paribus-Aussage, die wörtlich „unter sonst gleichen Bedingungen“ bedeutet, legt fest, welche Faktoren konstant zu halten sind (Gadenne, 1984, 73f). Warum ist es wichtig, die konstant gehaltenen Faktoren zu explizieren? Ein wesentlicher Grund ist sicherlich, dass für die Weiterentwicklung der Wissenschaft Kenntnis darüber bestehen sollte, warum z.B. bestimmte Vorhersagen auf Basis einer Theorie nicht eingetreten sind. Nur bei Kenntnis dieser Faktoren besteht die Möglichkeit der Verbesserung der Theorie und damit die Hoffnung auf verbesserte Prognosen. Was ist mit den unbekannten Faktoren? Da sie unbekannt sind, können sie vor der Untersuchung nicht festgelegt werden, sondern es kann nur nach der Untersuchung über sie spekuliert werden. Mit abduktiven Schlüssen auf Basis des Hintergrundwissens ist es eventuell möglich, geeignete Faktoren zu benennen und in weiteren Untersuchungen einzubeziehen (Kincaid, 1996, 68f). Zusammenfassend lassen sich die wichtigsten Aussagen nach der Art der Generalisierung angeben (Hussy, Schreier und Echterhoff, 2013, 32f, Schurz, 2014, 90ff, ). 1. Universelle Aussagen (deterministisch) gelten zeitlich und räumlich sowie für alle Akteure unbeschränkt und sind in den Sozialwissenschaften praktisch nicht anzutreffen. Dies liegt daran, dass für soziale Systeme keine zeitliche Konstanz anzunehmen ist. <?page no="173"?> 6.5 Beschreibung von Zusammenhängen 159 2. Beschränkt universelle Aussagen (deterministisch) werden zwar in Bezug auf die Kriterien Zeit, Raum oder Akteur eingeschränkt, es wird jedoch angenommen, dass die Aussagen innerhalb der Beschränkung ohne Ausnahme gelten. Beispiele: In den Politikwissenschaften sind einige gesetzesartige Aussagen mit Demokratien verbunden; beispielsweise führen Demokratien keine Kriege miteinander oder in Demokratien treten keine Hungerkatastrophen auf (Goertz, 2012, 89). 3. Probabilistische Aussagen: Es wird eine statistische Aussage über einen sozialen Sachverhalt gemacht. Sie wird in Form einer bedingten Wahrscheinlichkeit ausgedrückt, weil der Zusammenhang nicht immer gilt (Herzog, 2012, 102): Wenn ein Unternehmen mehrere Jahre die Gewinnerwartungen seiner Aktionäre erheblich unterschreitet, erhöht sich die Wahrscheinlichkeit um x %, dass es die Bilanzen fälscht. 4. Normische Aussagen ähneln den probabilistischen Aussagen. Sie werden allerdings nicht mit statistischen Wahrscheinlichkeiten versehen, weil keine Häufigkeiten festgestellt werden können. Ein Beispiel: Wenn ein Akteur ein Ziel hat und überzeugt ist, mit der Handlung H sein Ziel zu erreichen, dann wird er meistens die Handlung ausführen (Schurz, 2014, 90f.). 5. Ceteris-Paribus-Aussagen: In ihnen ist eine Annahme enthalten - die ceteris-paribus-Annahme -, die besagt, dass bekannte oder unbekannte Faktoren sich nicht auf den behaupteten Zusammenhang auswirken (Gadenne, 1984, 43). In den Sozialwissenschaften wird auf diese Annahme meist nicht ausdrücklich hingewiesen. Beachte In der Veröffentlichungspraxis der Sozialwissenschaften, insbesondere in wissenschaftlichen Zeitschriften, wird häufig unausgesprochen von einer Reihe von Beschränkungen ausgegangen, die bei der Formulierung der Hypothesen meist nicht erwähnt werden. Eine Analyse des Methodenteils, in dem die Stichprobe beschrieben wird, kann allerdings Auskunft über die Beschränkung geben. Erstens ist eine zeitliche Einschränkung notwendig und solange nicht historische Untersuchungen angestrebt sind, wird eine Beschränkung auf die Gegenwart als selbstverständlich angenommen. Zweitens wird eine räumliche Einschränkung häufig nicht in die Hypothesenformulierung aufgenommen, obwohl dies für viele Phänomene angebracht erscheint. In den Sozialwissenschaften kommen für die räumliche <?page no="174"?> 160 6 Beschreibung Dimension vornehmlich Kulturräume in Frage, weil anzunehmen ist, dass sich eine Reihe von sozialen Sachverhalten zwischen Kulturräumen unterscheiden. 6.5.3 Zusammenhangsaussagen und Fallauswahl Wie lassen sich die betrachteten Zusammenhänge in der sozialen Realität finden? Wie lassen sich Aussagen entwickeln, die für den abduktiven Schluss notwendig sind? Sicherlich ist es möglich, dass Forschende auf Basis von Analogieschlüssen oder auf Basis purer Spekulation Aussagen entwickeln. Im Folgenden soll hingegen analysiert werden, wie diese Entwicklung auf Basis von systematischer Fallauswahl unterstützt wird. Als Fall wird ein Element einer Population mit ähnlichen Elementen betrachtet (Rohlfing, 2012, 24), z.B. Menschen, Führungskräfte, Organisationen oder Staaten sein. Wenn davon ausgegangen wird, dass in einer Untersuchung Fälle auf Zusammenhänge geprüft werden, stellt sich die Frage, wie über diese Einzelfälle hinaus Zusammenhänge erkannt werden können. Beispiel 22: Lieferkette In einer Untersuchung über das Informationsverhalten von Unternehmenspartnern in einer Lieferkette zeigt sich in den ersten Fällen, dass Austausch von strategischen Informationen in vier Fällen vorliegt und in allen Fällen mit einem Konzept gemeinsam auftritt, dass die Forschenden als „Langfristorientierung“ bezeichnen, d.h., die Unternehmenspartner sind in einer längeren gemeinsamen Beziehung oder streben sie an. Abbildung (Beispiel 23) verwendet ein Schaubild von W. S. Robinson (1951), um zu zeigen, dass sich die analytische Induktion an den eliminativen Methoden der Induktion von John Stuart Mill messen lassen muss (s. Philosophiebox 9). Die analytische Induktion geht auf Florian Znaniecki (1934/ 1968) zurück und hat seitdem verschiedene Bedeutungen angenommen. Während der Begriff einen induktiven Schluss suggeriert, ist seine Bedeutung eher als Forschungsmethode zu verstehen, die als Ziel hat, zwischen auftretenden Effekten und vermuteten Ursachen kausale Zusammenhänge zu finden (Katz, 2001, 480). Zur Vereinfachung geht das Beispiel davon aus, dass die Konzepte entweder vorhanden sind oder nicht. <?page no="175"?> 6.5 Beschreibung von Zusammenhängen 161 Beispiel 23: Analytische Induktion (I) Mit einer hypothesengenerierenden Untersuchung verfolgen wir den Zweck, Ursachen für uns bekannte Wirkungen zu finden. Im Beispiel bemerken die Forschenden, dass die Unternehmenspartner in der Lieferkette auch strategische Informationen austauschen, und fragen sich, was die Ursachen dafür sind. Aus den Interviews mit Führungskräften der Organisationen erfahren sie, dass alle Unternehmenspartner in einer langfristigen Beziehung sind. Wer die Tabelle betrachtet und mit Philosophiebox 9 vergleicht, der erkennt, dass bisher nur notwendige Bedingungen für den Zusammenhang untersucht werden (Mills Methode der Übereinstimmung). Wenn eine Ursache eine notwendige Bedingung ist, dann muss sie vorliegen, um den Effekt zu bewirken, und damit der Effekt zwingend auftritt, muss die Ursache nicht nur notwendig sein, sie muss auch hinreichend sein (Dion, 2003, 96). Wie muss sich die rechte Spalte füllen, damit wir eine idealtypische Konstellation bekommen, aus der wir schließen können, dass die Langfristorientierung eine notwendige und hinreichende Bedingung für das Auftreten des Informationsaustauschs ist? Im oberen Kasten muss auch eine Null stehen (Robinson, 1951, 815), d.h., wir dürfen keine Fälle finden, in denen Langfristorientierung vorhanden ist, aber gleichzeitig kein Austausch von strategischen Informationen stattfindet. Wenn ein Zusammenhang zwischen Langfristorientierung und Informationsaustausch postuliert wird, ist es angebracht, nach Fällen zu suchen, in denen kein Informationstausch vorliegt (Mills Methode des Unterschieds). Daher lässt sich eine Regel formulieren, um Verzerrungen bei der Fallauswahl zu begegnen. Fälle sind so auszuwählen, dass die Begriffe, die in einen Zusammenhang gebracht werden sollen, möglichst variieren (King, Keohane und Verba, 1994, 129). Für das Beispiel bedeutet dies, dass die zweite Spalte untersucht werden muss, um festzustellen, ob im Fall von Partnern einer Wertschöpfungskette, welche keinen Informationsaustausch praktizieren, auch keine Langfristorientierung vorliegt. Angenommen sei, dass zwanzig Unternehmen untersucht werden. Die Ergebnisse sind in der Tabelle eingetragen und zeigen ein differenziertes Bild über den Zusammenhang zwischen Langfristorientierung und Informationsaustausch. <?page no="176"?> 162 6 Beschreibung Beispiel 24: Analytische Induktion (II) Bei der Betrachtung von Beispiel 24 fühlen sich unsere Forschenden deutlich wohler, da in 75% der Fälle der Zusammenhang vorliegt, dagegen in 25% der Fälle nicht. Sie halten daher an der Hypothese fest, dass ein Zusammenhang zwischen Langfristorientierung und Informationsaustausch besteht. Wie lässt sich eine solche induktive Vorgehensweise beurteilen? Ein induktiver Schluss ist riskant, weil er von einigen Fällen auf alle Fälle schließt. Es sei an seine Eigenschaft erinnert, trotz wahrer Prämissen auf eine falsche Konklusion zu schließen. Auch wenn die Theoriekonstruktion im Vordergrund steht, ist diese Eigenschaft zu bedenken. Wie die Fälle ausgewählt werden, bestimmt daher, wie wahrscheinlich die Konklusion ist. Wenn die Stichprobe nicht auf einer Zufallsauswahl beruht, sind die prozentualen Werte nicht als Wahrscheinlichkeiten zu interpretieren. Aus dem gleichen Grund ist von einer Anwendung inferenzstatistischer Methoden abzuraten. Es ist auch zu betonen, dass die Untersuchung zusätzlicher Fälle nichts daran ändert, dass es sich nicht um eine Zufallsstichprobe handelt: Die Eigenschaft „Zufallsstichprobe“ ist eine qualitative Eigenschaft und keine Frage von Quantität. Kathleen Eisenhardt schlägt in Anlehnung an Robert Yin eine Replikationslogik (replication logic) als Basis der Fallauswahl vor, die sie von der Experimentforschung entlehnt (Eisenhardt, 1989, 542, Yin, 2018, 54ff). Die Replikationslogik steuert Entscheidungen über die zu untersuchenden Fälle. Wenn Fälle auftreten, die die aufgestellten Konstrukte und Hypothesen nicht bestätigen, dann soll die Theorie angepasst oder ausgeweitet werden. Es wird somit auf den höheren Erkenntniswert von nicht bestätigenden Fällen gesetzt, um weitere Informationen über die Zusammenhänge und die Kontextfaktoren zu erhalten (Hak und Dul, 2009, 805). Wenn davon ausgegangen wird, dass Zusammenhänge in der sozialen Realität nicht deterministisch, sondern probabilistisch auftreten, dann ist weder eine Verifikation noch eine Falsifikation an einzelnen Fällen möglich. Denn liegt in einem Fall kein Zusammenhang vor, dann ist der Zusammenhang nicht falsifi- <?page no="177"?> 6.5 Beschreibung von Zusammenhängen 163 ziert, da nur behauptet wird, dass der Zusammenhang mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit vorliegt. Auf der anderen Seite kann eine endgültige Verifikation nicht festgestellt werden, solange nicht alle Fälle untersucht sind. Zwar lässt sich auf Basis der Tabelle der Zusammenhang induktiv schließen, allerdings sollten die Fälle, in denen der Zusammenhang nicht auftritt, eingehend untersucht werden. Besonders wichtig ist es, den Kontext zu untersuchen, um relevante Kontextfaktoren zu erfassen. Da eine wesentliche Eigenschaft der sozialen Realität ihre Komplexität ist, kann nicht erwartet werden, dass einfache Zusammenhänge (zwischen zwei Begriffen) unter verschiedenen Kontexten auftreten werden. Die im Beispiel angenommene Korrelation lässt noch Raum für eine kausale Interpretation. Wenn eine Korrelation festgestellt wird, ist dies der erste Schritt, um zu prüfen, ob ein kausaler Zusammenhang vorliegt. Bereits Mill hat allerdings darauf hingewiesen, dass strenggenommen nur mit Experimenten eine Kausalität nachgewiesen werden kann. Es besteht allerdings auch die Möglichkeit, dass es sich um eine Scheinkorrelation handelt. Eine Scheinkorrelation liegt vor, wenn ein dritter nicht erkannter Faktor auf beide bisher untersuchten Phänomene wirkt. Philosophiebox 9: Eliminative Methoden der Induktion von Mill John Stuart Mill legte in seinem Werk „System der deduktiven und induktiven Logik“ eliminative Methoden der induktiven Logik dar, deren Kenntnis auch heute noch für Forschende von Nutzen sein kann. Wichtigster Zweck seiner induktiven Logik ist es, die Kausalgesetze und damit verbunden die Ursachen der beobachteten Wirkungen festzustellen. Mill diskutiert vier Methoden, wobei insbesondere die ersten beiden häufig eingesetzt werden: 1. Methode der Übereinstimmung Wenn zwei oder mehrere Fälle untersucht werden, bei denen jeweils der untersuchte Effekt vorliegt, dann ist ein Faktor eine notwendige Ursache, wenn er immer gemeinsam mit dem Effekt auftritt. 2. Methode des Unterschieds Wenn Fälle, bei denen der untersuchte Effekt vorliegt, mit Fällen verglichen werden, bei denen der Effekt nicht vorliegt, und wenn dann ein Faktor bei den ersten Fällen immer vorliegt und bei den letzten Fällen nicht, dann handelt es sich um eine hinreichende Ursache. Bei der Methode der Übereinstimmung suchen die Forschenden in allen Vorkommnissen des Effekts nach einer übereinstimmenden Ursache. Ei- <?page no="178"?> 164 6 Beschreibung ne wichtige Voraussetzung ist es, dass die Ursache und der Effekt isoliert auftreten und mithin kein komplexes Kausalmodel vorliegt. Da sie nur die notwendige Ursache ermitteln kann, ist sie um die Methode des Unterschieds zu ergänzen. 3. Methode der Residuen Wenn bei gemeinsam auftretenden Effekten für einige bereits ihre jeweiligen Ursachen bekannt sind, so sind für die bisher noch nicht erklärten Effekte die verbleibenden Ursachen verantwortlich. Die Methode der Residuen ergänzt die Methode der Differenz und lenkt die Aufmerksamkeit auf noch unbekannte Teile der Ursache-Wirkungs-Beziehung. 4. Methode der veränderten Begleitumstände Wenn zwei Effekte gemeinsam variieren, dann kann ein kausaler Zusammenhang zwischen ihnen vorliegen, der allerdings durch die ersten beiden Methoden verifiziert werden muss. Mill war sich bewusst, dass das Finden der Ursache nur unter bestimmten Annahmen möglich ist, und dass zur gezielten Variation ein experimentelles Vorgehen dem der Beobachtung vorzuziehen ist. Er diskutiert auch, dass mehrere Ursachen für einen Effekt in Frage kommen, und er benennt das Problem, dass eine unbekannte Drittvariable die eigentliche Ursache sein kann (Problem der Scheinkorrelation). Ein großes Problem ist allerdings seine implizite Annahme von deterministischen Beziehungen, weil in sozialwissenschaftlichen Untersuchungen häufig von probabilistischen Beziehungen auszugehen ist. Quellen: Ducheyne, 2008, Mill, 1843/ 1974b, Scarre, 1998, Schumacher, 1994, Skorupski, 1989 6.5.4 Von Zusammenhangszu Kausalhypothesen Korrelationen und Kausalzusammenhänge zwischen zwei Sachverhalten können, müssen aber nicht einen identischen Mechanismus wiedergeben. Erst, wenn eine Korrelation vorliegt, kann auch darüber nachgedacht werden, ob kausale Zusammenhänge zwischen Sachverhalten bestehen. Allerdings kann der Einsatz von statistischen Verfahren keine Kausalität begründen, weil die meisten Methoden, die auf dem linearen Modell basieren, auf Korrelationen beruhen. Anwender müssen sich bewusst sein, dass mit diesen Modellen keine Kausalität begründet werden kann. Denn aus Korrelationen kann nur geschlossen werden, dass, wenn keine Korrelation vorliegt, auch keine Kausalität vorhanden ist. Hohe Korrelationen sind aber noch kein Beweis für Kausalität: Korrelationen sind <?page no="179"?> 6.5 Beschreibung von Zusammenhängen 165 nur eine notwendige, aber nicht hinreichende Bedingung für eine kausale Beziehung (Bortz und Schuster, 2010, 160). Ein Beispiel soll dies illustrieren. Beispiel 25: Scheinkorrelation Geprüft wird eine Aussage „Wenn Unternehmenspartner in einer Wertschöpfungskette sich langfristig orientieren, dann wird es ein hohes Maß an Austausch von strategischen Informationen zwischen ihnen geben.“ Es wird eine positive Korrelation zwischen den Langfristorientierung und Informationsaustausch behauptet, die mit einer empirischen Untersuchung getestet wird. Nach Abschluss der Untersuchung z.B. einer Fragebogenerhebung werden die Daten in ein Regressionsmodell aufgenommen, und der Pfadkoeffizient zwischen beiden Größen beträgt ß = 0,29 (Signifikanzniveau = 0,01). Zwar liegt eine positive Beziehung vor, es fragt sich allerdings, ob sie auch kausal ist. Zwei Probleme sind bei der Interpretation zu nennen. Erstens kann eine positive Korrelation zwischen A und B bedeuten, dass (1) A die Ursache von B ist, (2) B die Ursache von A ist, oder dass (3) C, eine in der Untersuchung nicht berücksichtigte Variable, A und B verursacht. Zweitens ist für den Fall, dass in der Untersuchung die Variablen nur zu einem Zeitpunkt gemessen werden, ein wichtiges Merkmal der Kausalität nicht gegeben: Die Ursache tritt zeitlich vor der Wirkung auf. Kausale Beziehungen sind nicht direkt beobachtbar, sie werden auf Basis von Messmodellen aus den Daten einer Untersuchung geschlossen. Es ist daher wichtig, die Güte dieser Schlüsse zu beurteilen. Wie bereits erwähnt, soll die interne Validität zeigen, ob tatsächlich die Wirkungen durch die angenommene Ursache erzeugt wird (Shadish, Cook und Campbell, 2002, 53). Abbildung 15: Korrelation und Kausalzusammenhang <?page no="180"?> 166 6 Beschreibung Abbildung 15 zeigt eine Scheinkorrelation. Sie besagt, dass Langfristorientierung und Informationsaustausch deswegen gleichzeitig auftreten, weil sie eine gemeinsame Ursache - Vertrauen zwischen den Partnern - haben. Die gestrichelte Linie symbolisiert den symmetrischen Zusammenhang zwischen zwei Sachverhalten, der Pfeil symbolisiert einen Kausalzusammenhang, bei der die Ursache (Vertrauen) eine Wirkung auf die Effekte (Langfristorientierung und Informationsaustausch) hat. Wenn somit ein dritter Sachverhalt in die Untersuchung aufgenommen wird, ändert sich die theoretische Fallauswahl. Es ist zu berücksichtigen, dass herausgefunden werden muss, wie sich das Vertrauen auf die anderen beiden Sacherhalte auswirkt. Ausgangspunkt der Überlegung ist wiederum Mill, dessen kombinierte Methode der Übereinstimmung und Methode der Differenz verwendet wird, um die Korrelation zwischen den Sachverhalten festzustellen. In der folgenden Tabelle sind die möglichen Fälle aufgeführt. Beispiel 26: Theoretische Fallauswahl Es wird von dichotomen Sachverhalten ausgegangen. Wiederum ist es sinnvoll, dass gezielt nach Fällen gesucht wird, in denen bestimmte Sachverhalte auftreten und nicht auftreten. Wenn beispielsweise von Abbildung 15 ausgegangen wird, werden Fälle gesucht, in denen die Effekte nur einzeln auftreten oder keiner der Effekte auftritt, um festzustellen, ob trotzdem die Ursache vorhanden ist. Es ist eher unwahrscheinlich, dass in einer empirischen Untersuchung nur die theoretisch vermuteten Fälle 1 und 8 auftreten. Bisher wird angenommen, dass neben dem Vor- und Hintergrundwissen das empirische Datenmaterial die theoretische Fallauswahl und damit auch die Hy- <?page no="181"?> 6.5 Beschreibung von Zusammenhängen 167 pothesengenerierung steuert. Die Hinweise zur Fallauswahl sollten klar machen, dass das Auffinden von Zusammenhängen nur schwer ohne theoretisches Vorwissen möglich ist. Die Abduktion mit dem Schluss auf die beste Erklärung wird als eine Vorgehensweise zur Hypothesengenerierung beschrieben, mit dem Wissenschaftler recht schnell einleuchtende Hypothesen aufstellen. Eine der Hauptquellen ist dabei das theoretische Hintergrundwissen von Wissenschaftlern und dies trifft auch auf das Auffinden von kausalen Zusammenhängen zu. Zusammenfassung Beschreibungen zeigen auf, was in der sozialen Realität der Fall ist. Dichte Beschreibungen spüren den Intentionen der Akteure nach und machen Zusammenhänge dadurch verständlich, dass sie den sozialen Kontext, in dem Akteure handeln, aufhellen. Wer beschreiben will, der hat Begriffe zu definieren, Variablen zu ihrer Messung zu operationalisieren und Zusammenhängen zwischen ihnen darzustellen. Bei komplexen Phänomenen kann es notwendig sein, sie in Form von Typen zu beschreiben. Begriffsbestimmung ist ein zentraler Baustein jeglicher wissenschaftlicher Tätigkeit. Es werden Bedeutungsanalysen, die zu Definitionen führen, und Analysen für die Messung dieser Definitionen unterschieden. In der Zwei-Ebenen-Konzeption trennen wir theoretische Begriffe von empirischen Begriffen. Erstere werden durch Nominaldefinitionen, letztere durch einen bilateralen Reduktionssatz festgelegt. Alle Beobachtung ist theoriebeladen. In den Sozialwissenschaften sind insbesondere Messtheorien notwendig, um theoretische durch empirische Begriffe interpretieren zu können. Meist sind theoretische Begriffe Dispositionsbegriffe, die nur beobachtet werden können, wenn bestimmte Bedingungen vorliegen. Komplexe Phänomene lassen sich mit dem Drei-Ebenen-Modell darstellen, das neben der Konstrukt-Ebene die Dimensionsebene und die empirischen Begriffe enthält. Latente Variable sind nicht-beobachtbar und werden durch manifeste Variable, die beobachtbar sind, empirisch interpretiert. Wenn sie als kausale Mess-Modelle konstruiert werden, sind sie reflektiv oder formativ darstellbar. Als reflektiv werden sie bezeichnet, wenn die latente Variable die manifesten Variablen kausal beeinflusst; im formativen Fall ist es umgekehrt. <?page no="182"?> 168 6 Beschreibung Während bei Nominaldefinitionen Wahrheit als analytische Wahrheit betrachtet wird, ist bei operationalen Definitionen eine empirische Überprüfung notwendig. Wesentliche Anforderungen an Definitionen sind die Ähnlichkeit, die Exaktheit der Bedeutungszuweisung, die theoretische Fruchtbarkeit und die Einfachheit. Mit der Intension von Begriffen werden die Eigenschaften des Begriffs festgelegt; mit Extension sind die Gegenstände gemeint, auf die der Begriff zutrifft. Mit der argumentbasierten Validität lassen sich die Anforderungen an die Messungen explizieren. Es werden für die Konstruktvalidität fünf Argumente aufgeführt (Beobachtung, Generalisierung, theoriebasierte Interpretation, Extrapolation und Implikationen). Sie zeigt, dass zwar die statistische Analyse ein Teil der Validierung von Konstrukten ist, sie im Wesentlichen jedoch argumentbasiert ist. Typen sind mehrdimensionale Begriffe. Sie werden festgelegt, indem für die verschiedenen Begriffe Merkmalskombinationen bestimmt werden. Jeder Typ ist dann eine Merkmalskombination. Eine Typologie ist somit ein System von Typen. Typen sollen möglichst untereinander homogen und gegeneinander heterogen sein. Idealtypen werden aus Theorien abgeleitet, Realtypen empirisch ermittelt. Aus beiden Vorgehen sollten Typen nicht zufällig auftreten, wobei das Primat der Theorie gilt. Validierung von Typen wird daher durch Theorien gestützt, indem Typen auf ihre Wirkungen auf weiteren Variablen untersucht werden. Zusammenhänge sind korrelativ, kausal und zeitlich. Sie lassen sich induktiv durch Fallauswahl entwickeln. Zwei Methoden von Mill (Methode der Übereinstimmung, Methode des Unterschieds) werden in ihre Kombination eingesetzt, um kausale Beziehungen festzustellen. Sie sind jedoch an einige Voraussetzungen gekoppelt (einfache kausale Beziehungen, keine Drittvariablen etc.). Korrelation ist eine notwendige, aber keine hinreichende Bedingung für Kausalität. Kausalität wird aus theoretischen Modellen geschlossen und durch empirische Studien bestätigt. Statistische Untersuchungen können nur Indizien für Kausalität liefern, sie jedoch nicht beweisen. <?page no="183"?> 6.5 Beschreibung von Zusammenhängen 169 Schlüsselwörter Adäquatheitsbedingungen (141) Begriff (131) Begriff, empirischer (131) Begriff, theoretischer (131) Ceteris-paribus Aussage (159) Definition, operationale (136) Disposition (135) Explikation (141) Gesetz (155) Hypothese (154) Induktion, analytische (160) Konstruktvalidität (147) Korrelation (155) Messung (130) Nominaldefinition (134) Typologie (148) Typus (148) Variable (144) Variable, latente (144) Variable, manifeste (144) Zusammenhang (153) Lernkontrolle 1. Was ist eine Beschreibung und wie grenzt sie sich von einer Erklärung ab? 2. Kennzeichnen Sie eine dichte Beschreibung. 3. Was ist eine Aussage? 4. Nennen Sie die vier Ziele der Beschreibung. 5. Welche Bausteine beschreibender Untersuchungen kennen Sie? 6. Was ist der Unterschied zwischen logischen und deskriptiven Begriffen? 7. Erläutern Sie die Zwei-Ebenen-Konzeption wissenschaftlicher Sprachen und diskutieren Sie ihre Vor- und Nachteile. 8. Was ist eine Nominaldefinition und wodurch zeichnet sie sich aus? 9. Erklären Sie den Zusammenhang zwischen theoretischen Begriffen und Dispositionen. 10. Zeigen Sie anhand des bilateralen Reduktionssatzes, wie operationale Definitionen logisch abgesichert werden. 11. Inwiefern handelt es sich bei einer operationalen Definition um eine bedingte Definition? 12. Beschreiben Sie das Drei-Ebenen-Modell von Begriffen. 13. „Natürlich gibt es wahre und falsche Definitionen! “ Nehmen Sie zu dieser These ausführlich Stellung. 14. Was ist eine Explikation? Leiten Sie aus den Adäquatheitsbedingungen Anforderungen für Definitionen ab. 15. Erklären Sie den Unterschied zwischen manifesten und latenten Variablen. 16. Welche Messmodelle kennen Sie, um manifeste und latente Variable zu verbinden? 17. Zeigen Sie ein Argumentationsschema, mit dessen Hilfe Sie die Konstruktvalidität absichern können. 18. Was ist ein Typus und eine Typologie? 19. Was ist der Unterschied zwischen einem mehrdimensionalen Konstrukt und einem Typus? <?page no="184"?> 170 6 Beschreibung 20. Erläutern Sie anhand der vier Phasen der Typenbildung, wie eine Typologie konstruiert werden kann. 21. Warum sollten Typologien auf Basis von Theorien entwickelt werden? 22. Welche Strategien, Typologien zu validieren, kennen Sie? 23. Erläutern Sie anhand von selbstgewählten Beispielen die verschiedenen Möglichkeiten, Zusammenhänge zwischen Begriffen zu bilden. 24. Klassifizieren Sie Aussagen nach der Art der Beziehung und nach der Art der Generalisierung. 25. Was ist eine analytische Induktion? 26. Was ist eine notwendige und was eine hinreichende Bedingung? 27. Erläutern Sie Mills Methode der Übereinstimmung und des Unterschieds. 28. Was ist eine Scheinkorrelation? 29. Erläutern Sie die interne Validität. Inwiefern ist sie bei Querschnittsuntersuchungen gegeben, wenn kausale Beziehungen getestet werden sollen? Kommentierte Literaturempfehlungen Die klassischen Texte zur Begriffsbestimmung von Carnap sind die Aufsätze (1936/ 1937), sein deutscher Beitrag ist Carnap (1960). Eine historische Aufarbeitung der Zwei-Ebenen-Konzeption wissenschaftlicher Sprachen findet sich in Malzkorn (2001), der spezielle Beitrag von Carnap wird von Demopoulos (2007) gekennzeichnet und die Explikation wird ausführlich von Brun (2016) analysiert. Teile des Kapitels sind Brühl (2008) entnommen. Die Konstruktvalidität wird in Shadish, Cook und Campbell (2002) besprochen. Zwei ausführliche Beispiele, welche die argumentbasierte Konstruktvalidität illustrieren, finden interessierte Leser in Kane, Crooks und Cohen (1999) und in Chapelle, Enright und Jamieson (2010). Auch heute noch lesenswert für Typologien ist die Monographie von Hempel und Oppenheim (1936); sie wird ergänzt durch den kurzen Kommentar von Lazarsfeld (1937/ 2007). Kluge (1999) bietet einen sehr guten allgemeinen Überblick zu Typen und Typologien. Zur Einführung ist auch der Handbuchartikel von Collier, LaPorte und Seawright (2008) geeignet. Wer sich für die statistischen Methoden, wie z.B. die Clusteranalyse, interessiert, sei auf die kurze Monographie von Bailey (1994) verwiesen; umfangreicher ist Everitt et al. (2011) und die deutsche Monographie von Bacher, Pöge und Wenzig (2010). Umfassende Diskussionen des Gesetzesbegriffs finden sich in Psillos (2002), Kuipers (2007b) speziell für die Sozialwissenschaften McIntyre (1996) und Kincaid (1996). <?page no="185"?> 6.5 Beschreibung von Zusammenhängen 171 Eine gelungene Monographie zu Begriffen in den Sozialwissenschaften ist Goertz (2006); dort auch sowie in Dul und Hak (2008) Hinweise, wie mit den unterschiedlichen Zusammenhängen in der Fallauswahl umzugehen ist. Ein Vergleich von korrelativen und mengentheoretisch orientierten Studien findet sich in Rohlfing (2012). Für die damit verbundene Theorieentwicklung greife man zu Shoemaker, Tankard und Lasorsa (2004) oder Dubin (1978). <?page no="186"?> 7 Erklärung 7.1 Von der DN-Erklärung zur intentionalen Erklärung Wenn Sie bei der Lektüre einer überregionalen Tageszeitung folgende Schlagzeile lesen: Beispiel 27: Herkunft und Studium „Herkunft entscheidet über Studium“, werden Sie im Artikel nach weiteren Informationen suchen. Sie werden erfahren, dass von 100 Kindern 71 Kinder aus akademischen und 29 aus nichtakademischen Familien studieren. Treten solche Unterschiede auf, ist bei Forschenden meist die Neugier geweckt. Sie werden sich daher die Frage nach den Gründen stellen, mit denen sich diese Tatsache erklären lässt. Mit Erklärungen werden in der Regel Antworten auf Warum-Fragen assoziiert (Salmon, 1989, 6f). Alltagserklärungen und wissenschaftliche Erklärungen liegen gar nicht so weit auseinander: Beide suchen nach Gründen für das Auftreten sozialer Phänomene. Im Artikel wird der soziale Sachverhalt noch weiter beschrieben, zu den Gründen findet sich jedoch nur ein globaler Hinweis auf grundlegende soziale Ungleichheiten. Der Begriff „Erklärung“ wird in der Alltagssprache in weiteren Sprachsituationen benutzt; so wird z.B. der Gebrauch eines Gerätes erklärt oder eine Grundsatzerklärung über politische Ansichten abgegeben. Im wissenschaftlichen Kontext wird Erklärung im Sinne des Beispiels zur sozialen Herkunft der Studierenden verwendet, die sich auf die Frage nach dem Warum konzentriert. Es sollen Gründe oder Ursachen angegeben werden, von denen vermutet wird, dass sie das Entstehen der sozialen Tatsachen bewirken. Ein Grundschema der wissenschaftlichen Erklärung wurde von Hempel und Oppenheim in den vierziger Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts vorgestellt und wirkt bis in die Gegenwart (Hempel und Oppenheim, 1948). Auch wenn heute unter Wissenschaftsphilosophen kein einheitliches Modell der Erklärung bevorzugt wird, viele das Schema von Hempel und Oppenheimer für nicht mehr sinnvoll, gar für widerlegt halten, leistet es als Diskussionsgrundlage in diesem Kapitel nützliche Dienste (so auch Woodward, 2013). Das Schema enthält die Ursachen in zwei grundsätzlich zu unterscheidende Kategorien (Hempel und Oppenheim, 1948, 139): 1. Es muss ein Gesetz vorliegen. Im Beispiel könnte dies ein empirisches Gesetz sein, das z.B. lautet: Wenn in einer Gesellschaft soziale Ungleichheit herrscht, dann studieren mehr Kinder aus Akademikerfamilien als aus Nicht- Akademikerfamilien. <?page no="187"?> 7.1 Von der DN-Erklärung zur intentionalen Erklärung 173 2. Es sind die Anfangsbedingungen, Randbedingungen (Popper, 1935/ 2005, 36f) oder Antezedens-Bedingungen (Poser, 2012, 48f) in der untersuchten Gesellschaft gegeben: In Deutschland liegt soziale Ungleichheit vor. Anfangsbedingungen sind somit die Sachverhalte, die festgestellt werden und die in der Wenn-Komponente des Gesetzes enthalten sind. Beide Ursachen sind die Prämissen in einem deduktiven Schema, aus denen die Konklusion - die zu erklärenden Tatsachen - abgeleitet wird. Da eine logische Ableitung deterministische Zusammenhänge erfordert, hat Hempel auch ein Schema für induktive Erklärungen vorgelegt. Zunächst wird das deduktive Schema vorgestellt und dessen zentrale Elemente diskutiert. 7.1.1 Deduktiv-nomologische Erklärung Im Zentrum der Diskussion zur Erklärung steht zunächst die DN-Erklärung (deduktiv-nomologische Erklärung), wie das Schema von Hempel und Oppenheim auch genannt wird. Voraussetzung der deduktiven Ableitung ist ein sozialwissenschaftliches Gesetz, aus dem mit Hilfe der Anfangsbedingungen die Handlung logisch abgeleitet wird. Die Handlung ist das Explanandum, d.h., was erklärt wird; Gesetz und Anfangsbedingungen bilden das Explanans, d.h. die Aussagen, die die Erklärung leisten (Hempel, 1965/ 1977, 5ff, Popper, 1935/ 2005, 36ff). (Quelle: verändert und ergänzt aus Esser, 1999, 206) Abbildung 16: Handlungserklärung mit Hilfe der DN-Erklärung <?page no="188"?> 174 7 Erklärung Das Gesetz (G) in einer Handlungserklärung muss die Ziele (Z) der Akteure und ihre Überzeugungen, mit welchen Mitteln sie diese erreichen können (Z → H), enthalten, und es muss behaupten, dass daraus die Handlung (H) zwingend folgt. Es handelt sich um eine deduktionslogische Beziehung zwischen dem Explanans und dem Explanandum: Wenn die Prämissen wahr sind, muss auch die Konsequenz wahr sein. Nur wenn davon auszugehen ist, dass sich Akteure mit ihren Intentionen verhalten, wie im Gesetz angenommen, kommt eine Erklärung zustande (Hempel, 1965a, 450f): Das Gesetz ist im Idealfall eine Grundannahme einer Verhaltenstheorie und besitzt als Aussage „eine gewisse empirische Bestätigung“ (Gadenne, 1994, 304). Wann gilt die Erklärung als gelungen oder adäquat? Es gelten vier Adäquatheitsbedingungen (Hempel und Oppenheim, 1948, 137ff, Poser, 2012, 51ff): 1. Folgerungsbedingung 2. Gesetzesbedingung 3. Bedingung des empirischen Gehalts 4. Bedingung der Wahrheit Folgerungsbedingung: Der Schluss vom Explanans auf das Explanandum muss korrekt sein. Im Beispiel wird ein deduktiver Schluss verwendet, dessen wahrheitserhaltender Charakter bekannt ist. Im Gegensatz zur Doktrin, dass nur deduktive Schlüsse für die Wissenschaft von Relevanz sind (s. Philosophiebox 10 zum kritischen Rationalismus), müssen Folgerungsbegriffe für die verschiedenen Schlüsse entwickelt werden und Fragen ihrer Korrektheit aufgestellt werden (Stegmüller, 1983, 125): Es sind abduktive, induktive und deduktive Schlüsse zu analysieren. Eine Besonderheit von Erklärungen aus sozialwissenschaftlicher Perspektive ist der Charakter der Gesetzesaussagen. Da in einer DN-Erklärung nur deterministische Aussagen vorgesehen, in diesen Disziplinen Gesetze jedoch überwiegend als probabilistisch angesehen werden, müssen die Folgerungen sich auf Wahrscheinlichkeiten beziehen lassen. Aus diesem Grund hat Hempel eine Erweiterung des DN-Schemas um induktive Schlüsse vorgenommen; sie werden als ebenso adäquat wie deduktive Schlüsse für eine Erklärung angesehen. ( ► Kap. 4.3) Gesetzesbedingung: Im Explanans muss ein Gesetz aufgeführt sein. In den Naturwissenschaften wird davon ausgegangen, dass es sich dabei um eine Allaussage handelt, d.h., der postulierte Zusammenhang gilt räumlich und zeitlich unbeschränkt. Für die Sozialwissenschaften werden Gesetze als bewährte Aussagen aufgefasst, die räumlich und zeitlich beschränkt sind ( ► Kap. 6.5.2). Einige Autoren haben dies durch unterschiedliche Begriffe verdeutlicht: z.B. die Theorien mittlerer Reichweite nach Robert Merton (1968) oder die Quasi-Gesetze nach Helmer und Rescher (1959) sowie Albert (1973) oder in jüngster Zeit Kelle, der darauf <?page no="189"?> 7.1 Von der DN-Erklärung zur intentionalen Erklärung 175 hinweist, dass kulturabhängige, i. S. lebensweltlicher Faktoren zu berücksichtigen sind, die er als Strukturen begrenzter Reichweite bezeichnet (Kelle, 2008, 318ff). Bedingung des empirischen Gehalts: Die Aussagen im Explanans müssen empirischen Gehalt haben. In Sozialwissenschaften wird von Aussagen erwartet, dass sie an der Erfahrung scheitern können, sie sollen falsifizierbar sein. Dies ist auf den ersten Blick unstrittig, denn von wissenschaftlichen Erklärungen wird Wissen über die soziale Realität erwartet. D.h. allerdings nicht, dass in den Aussagen des Explanans nur empirische (beobachtbare) Begriffe enthalten sein müssen, vielmehr wird nur eine prinzipielle Möglichkeit der Prüfung an der Realität gefordert. Bedingung der Wahrheit: Die Aussagen im Explanans müssen wahr sein. Da der deduktive Schluss wahrheitserhaltend ist, ist das Explikandum wahr, wenn alle Aussagen - auch die gesetzartigen Aussagen - im Explanans wahr sind ( ► Kap. 2.4). Diese Anforderung ist grundsätzlich nicht zu erfüllen, soweit es sich bei Gesetzen um All-Aussagen handelt. Da eine endgültige Verifikation von All- Aussagen nicht möglich ist, müssen sich Wissenschaftler mit bestätigten Aussagen zufrieden geben. Diese Anforderung wird auf alle Aussagen im Explanans ausgedehnt, so dass davon ausgegangen wird, dass es sich bei den Aussagen im Explanans um vorläufig bestätigte Aussagen handelt. Hinzu kommt, dass auch singuläre Aussagen - die Anfangsbedingungen - grundsätzlich fehlbar sind, d.h., auch Anfangsbedingungen müssen als bestätigt gelten. Wir ersetzen daher die Wahrheitsbedingung durch die Bedingung der Bewährung (s. hierzu Philosophiebox 10). Aussagen und Theorien gelten als bewährt, wenn sie bestimmte - in der Regel harte - Prüfungen überstanden haben (Popper, 1973, 30). Wird eine Theorie als bewährt bezeichnet, ist dies eine Aussage über die Vergangenheit, die nicht garantiert, dass sich aus der Theorie auch in Zukunft wahre Erklärungen ableiten lassen. ( ► Kap. 7.4) Philosophiebox 10: Kritischer Rationalismus und Bewährung Falsifikationismus ist die Lehre, dass Wissen nicht verifiziert werden kann, sondern Wissenschaftler versuchen, es zu widerlegen (falsifizieren). Die zugrunde liegende Position des Fallibilismus geht davon aus, das unser Wissen über die Welt grundsätzlich fehlbar ist. Da Popper zu der Überzeugung kam, dass es nicht möglich ist, All-Aussagen zu verifizieren, plädiert er dafür, sie zu falsifizieren. Er stellt die Asymmetrie von Verifikation und Falsifikation fest. Sie besagt, dass es nicht möglich ist, durch noch so viele Versuche eine deterministische All-Aussage zu verifizieren, jedoch reicht ein Fehlversuch, sie zu falsifizieren. Daher ist es eine Aufgabe von Wissenschaftlern, kritisch gegenüber ihren Theorien zu sein, und d.h., sie sollten versuchen, ihre Theorien zu falsifizieren. Es verbleibt dann aller- <?page no="190"?> 176 7 Erklärung dings das Problem, wie Erkenntnis auch positiv ausgezeichnet werden kann. Popper sieht zwei Konzepte als zentral an: der Gehalt und die Bewährung einer Theorie. Der Gehalt einer Theorie bezieht sich auf die Aussagen, die Bestandteil der Theorie sind. Der Informationsgehalt einer Theorie ist die Menge aller Aussagen (Basis- oder Protokollsätze), die nicht mit ihr vereinbar sind. Diese negative Umschreibung hängt mit dem Falsifikationismus zusammen. Von zwei Aussagen „Alle Banken sind gewinnorientiert“ und „Alle Unternehmen sind gewinnorientiert“ hat die letztere einen höheren Informationsgehalt, weil sie mehr Fälle umfasst und daher mehr potentielle Falsifikatoren hat. Da es mehr Unternehmen als Banken gibt, ist diese Aussage leichter zu Fall zu bringen. Eine Theorie gilt als bewährt, wenn sie geprüft wird und diese Prüfversuche besteht. Allerdings ist nicht jeder Prüfversuch von gleicher Wichtigkeit; bewährte Theorien zeichnen sich dadurch aus, dass sie besonders strenge Prüfungen schadlos überstehen. Strenge Prüfungen beziehen sich auf die Aussagen, die aus einer Theorie abgeleitet werden. Die Aussage, die geprüft werden soll, 1. soll nicht aus dem allgemeinen Hintergrundwissen ableitbar sein, 2. soll nicht aus einer konkurrierenden Theorie ableitbar sein, 3. soll möglichst Aussagen einer konkurrierenden Theorie widersprechen. Eine Theorie, die dem bereits vorhandenen Wissen widerspricht, ist bei ihrer empirischen Prüfung einem hohen Risiko ausgesetzt. Auf gehaltvolle Theorien trifft dies zu, da sie sich dadurch auszeichnen, dass viele mögliche empirisch prüfbare Aussagen nicht mit den Voraussagen der Theorie übereinstimmen. Überstehen Theorien diesen Test, dann können sie als bewährt angesehen werden. Wenn eine Theorie mehrfach solche Tests besteht, könnte man auf die Idee kommen, dass sie sich immer mehr der Wahrheit nähert. Daher hat Popper den Begriff der Wahrheitsähnlichkeit geprägt, der ihm dazu dient, Fortschritt anzuzeigen. Er verbindet ihn mit einer Reihe von Kriterien und ein besonders starkes Kriterium ist das der Bewährung. Wenn man sich zwischen zwei Theorien entscheiden muss, wird man diejenige wählen, die mehr strenge Prüfungen überstanden hat. Popper war überzeugt, dass die Konzepte empirischer Gehalt und Bewährung besonders wichtige Werkzeuge sind, um Erkenntnisfortschritte methodologisch abzusichern. Quellen: Albert, 2000, Gadenne, 2004, 2019, Keuth, 2000, Niemann, 2004, Popper, 1935/ 2005, 1963/ 2009, Wendel, 2019 <?page no="191"?> 7.1 Von der DN-Erklärung zur intentionalen Erklärung 177 7.1.2 Induktiv-statistische Erklärung Im Falle deterministischer Aussagen im Explanans ist es mit dem DN-Schema möglich, deduktiv auf die Handlung zu schließen. Wenn im Explanans jedoch keine deterministischen, sondern nicht-deterministische Aussagen enthalten sind, dann ist der Schluss nicht mehr wahrheitserhaltend. Drei Fälle nicht-deterministischer Aussagen sind zu unterscheiden: probabilistische, normische und ceteris-paribus Aussagen. Abbildung 17 zeigt die induktiv-statistische Erklärung (IS-Erklärung), in der das Gesetz in Form einer bedingten Wahrscheinlichkeit formuliert ist: Das probabilistische Gesetz (G) in einer Handlungserklärung muss also die Ziele (Z) der Akteure und ihre Überzeugungen, mit welchen Mitteln sie diese erreichen können (Z → H), verknüpfen, und es behauptet, dass daraus die Handlung (H) mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit folgt. Die Wahrscheinlichkeit sollte möglichst hoch sein - z.B. 95% -, damit die Wahrscheinlichkeit, dass die Handlung vom Akteur vollzogen wird, ebenfalls hoch ist. Die verdoppelte Linie zwischen Explanans und Explanandum zeigt an, dass es sich um einen induktiven Schluss handelt, für den eine gewisse, möglichst hohe Wahrscheinlichkeit gilt (Hempel, 1965/ 1977, 60ff, Psillos, 2002, 242ff). Mit einer IS-Erklärung ist es somit nicht mehr zwingend, dass ein Phänomen auftritt, sondern es ist nur wahrscheinlich (Kempf, 2006, 183). Aus dieser Überlegung entstand eine Diskussion um die IS- Erklärung, in der vorgeschlagen wurde, dass es nicht auf die hohe Wahrscheinlichkeit ankommt, vielmehr nur statistische Relevanz wesentlich ist (Salmon, 1989, 62ff). Dies schlägt die Brücke zum Kapitel über Kausalität, weil viele Sozialwissenschaftler in ihren Erklärungen statistische Relevanz mit kausalen Prozessen oder Mechanismen verbinden (Mantzavinos, 2015, 305), mithin relevante Ursachen für soziale Sachverhalte in die Erklärung aufnehmen. Abbildung 17: IS-Erklärungen von Handlungen <?page no="192"?> 178 7 Erklärung Dieser Abschnitt konzentriert sich zwar auf die IS-Erklärung und damit auf probabilistische Aussagen, doch sind auch die anderen nicht-deterministischen Aussagen Kandidaten, gegen eine oder mehrere der formulierten Adäquatheitsbedingungen zu verstoßen. Eine Konsequenz einer IS-Erklärung ist verbunden mit der Frage, wie mit dem Nicht-Auftreten der Handlung umzugehen ist. So wird mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit gerechnet, dass die Handlung auftritt, wenn Ziele und Überzeugungen, wie im probabilistischen Gesetz verlangt, miteinander verbunden sind. Tritt die Handlung jedoch nicht auf, dann hat dies nicht die Konsequenz, dass die Theorie falsifiziert ist. Sie behauptet ja nicht, dass die Handlung immer auftreten muss, wenn die Anfangsbedingungen gegeben sind. Es ist daher wichtig, sich über die unterschiedlichen Reichweiten von Aussagen und ihre Einschränkungen zu informieren. Wir stehen damit vor dem Dilemma, dass wir weder endgültig verifizieren noch endgültig falsifizieren können. Daher hat sich in den Wissenschaften ein System etabliert, mit Hilfe von statistischen Methoden zu überprüfen, ob die zu untersuchenden Phänomene nur zufällig auftreten oder die Prämissen des Explanans das Auftreten der Phänomene plausibel machen. 7.1.3 Intentionale Erklärung Um Handlungen zu erklären, muss man nach von Wright den Erklärungsbegriff anders auffassen als Hempel mit seiner DN-Erklärung, weil Handlungen als intentionales Verhalten interpretiert werden. Intentionales Verhalten von Akteuren ist damit verbunden, dass die Akteure ihrem Handeln einen Sinn geben, indem sie ein Ziel oder weitere Absichten verfolgen. Zu besonderer Prominenz gelangte daher ein Vorschlag von von Wright, der für Handlungserklärung einen praktischen Schluss als Alternative zur DN-Erklärung vorschlug (Wright, 1971, 27). Dieser Schluss geht auf Aristoteles zurück und wurde von Anscombe in die Diskussion zur Erklärung von Handlungen eingeführt (Anscombe, 1957/ 1986, 91ff, Hügli, 1992). Abbildung 18 gibt ein einfaches Schema einer intentionalen Erklärung wieder (Wright, 1971, 96), zu dem Erweiterungen denkbar sind, die sich auf das Wissen des Akteurs beziehen. Beispielsweise hat der Akteur i die Überzeugung, dass es kein besseres Mittel als H i gibt, Z i zu erreichen (Detel, 2007c, 21f, Rosenberg, 2016, 41). Die Erweiterungen ändern allerdings an dem entscheidenden Unterschied zur DN-Erklärung nichts: Es fehlt ein Gesetz oder eine gesetzesartige Aussage. <?page no="193"?> 7.1 Von der DN-Erklärung zur intentionalen Erklärung 179 Abbildung 18: Intentionale Handlungserklärung nach dem praktischen Schluss Dies hat zur Konsequenz, dass keine Subsumtion unter einen gesetzesartigen Zusammenhang erfolgt. Daher wird die Folgerung im praktischen Schluss eher unter dem Blickwinkel der Rationalität gesehen (Rosenberg, 2016, 43): Wenn der Akteur das Ziel Z i hat und um die Notwendigkeit des Mittels H i weiß, dann ist es vernünftig (rational), H i zu vollziehen. Die Prämissen sind für den Akteur zwar gute Gründe, die Handlung zu vollziehen, es ist jedoch nicht zwingend. Aus dieser Interpretation des praktischen Schlusses hat Hempel die Schlussfolgerung gezogen, dass der praktische Schluss eine nicht-vollständige DN-Erklärung ist, in der als weitere Bedingung die Annahme der Rationalität mit Gesetzescharakter fehlt (Hempel, 1965/ 1977, 201). Wird diese Annahme als Prämisse in den praktischen Schluss aufgenommen, dann ist eine Subsumtion wie in der DN- Erklärung (Abbildung 16, S. 179) möglich: Jeder (rationale) Akteur i mit dem Ziel Z i und der Überzeugung, dass die Handlung H i zur Erreichung des Ziels Z i notwendig ist, führt die Handlung H i aus. Der praktische Schluss entspricht dann der DN-Erklärung (Hempel, 1965/ 1977, 201). Damit das Gesetz nicht tautologisch oder trivial formuliert wird, ist darauf zu achten, dass spezifische Ziele, Mittel und Handlungen in den Aussagen aufgenommen werden, die empirisch geprüft werden können. Ein Gesetz, das die Rationalität von Handelnden nur allgemein formuliert, birgt die Gefahr, tautologisch und damit analytisch wahr zu sein. Eine empirische Prüfung ist in diesem allgemeinen Fall problematisch, wenn die vorhergesagte Handlung nicht ergriffen wird, da die Rationalität unabhängig von den Intentionen/ Überzeugungen des Handelnden geprüft werden muss (Stegmüller, 1983, 463ff). Bisher sind Ziele und Überzeugungen als Ursachen bezeichnet worden; eine Interpretation, die von einigen Philosophen kritisiert wird. Sie sprechen eher von Gründen und lehnen den Begriff der Ursache in diesem Zusammenhang ab, weil er zu eng mit dem Konzept des Naturgesetzes und von Regelmäßigkeit <?page no="194"?> 180 7 Erklärung verbunden sei (Taylor, 1975a, 65ff, Winch, 1974, 98ff). So konstatiert z.B. Theodor Mischel, „daß wir verläßliche, empirische Erklärungen intentionaler Handlungen unter Bezugnahme auf die Gründe des Handelnden geben können, ohne irgendwelchen Verallgemeinerungen oder Theorien über menschliches Verhalten in unserer Erklärung zu verwenden“ (Mischel, 1963/ 1981, 21). Wilhelm Vossenkuhl hat darauf hingewiesen, dass sich Ereignisse wie Blitze und Donner von Handlungen dadurch unterscheiden, dass wir letztere als rational oder irrational auszeichnen. Sie sind aus diesem Grund anders zu charakterisieren als Ursachen, wie sie aus der Naturwissenschaft bekannt sind (Vossenkuhl, 2003, 242). Das intentionale Erklärungsmodell hat jedoch den Vorzug, klar aufzuzeigen, dass Voraussetzungen einer Handlung Ziele und Überzeugungen sind, die sich als besondere Handlungsursachen qualifizieren. Sie sind Ausdruck menschlicher Selbstbestimmung und können daher auch als rationale Ursachen bezeichnet werden (Vossenkuhl, 2003, 253). 7.2 Kausalität und Erklärung in den Sozialwissenschaften 7.2.1 Kausalität und Kausalitätsauffassungen Boni-Banker: Dieser Terminus steht stellvertretend für die These, dass die Finanzmarktkrise, die sich im Jahre 2007 ausgehend von den USA im gesamten Finanzmarktsystem ausbreitete, maßgeblich durch die Art der Vergütung, die bei Banken üblich ist, verursacht wurde. Im Kern steckt in dieser Aussage somit eine Hypothese über einen kausalen Zusammenhang, der sich vereinfacht so ausdrücken lässt: „Wenn Mitarbeiter in Banken eine Vergütung in Form von X erhalten, dann werden sie zu einem Verhalten veranlasst, dass zur Gefährdung der Bank führt.“ Schon in dieser noch sehr unpräzisen Aussage steckt eine Menge an voraussetzungsreichen Annahmen, die zu prüfen wären. Die Wenn- Dann-Aussage soll hier ausschließlich als Beispiel für eine Hypothese über einen kausalen Zusammenhang betrachtet werden. Unter Kausalität wird die zeitliche Beziehung zwischen Ursache und Wirkung verstanden, wobei Ursache und Wirkung Ereignisse sind und die Ursache der Wirkung zeitlich vorangeht (Shadish, Cook und Campbell, 2002, 3ff). Unsere - intuitive - alltägliche Redeweise unterscheidet bereits zwischen verschiedenen Interpretationen der Kausalität: Wir sprechen davon, dass überzogene Bonusregeln in Banken die Finanzmarktkrise verursacht haben; d.h., wir vermuten, dass es ohne die überzogenen Bonusregeln keine Finanzmarktkrise gegeben hätte (kontrafaktische Kausalitätsinterpretation). Oder wir vermuten, dass der vermehrte Einsatz von Kreditverbriefungen, insbesondere für die Hypothekenkredite in den USA, die Wahrscheinlichkeit für eine globale Finanzkrise erhöht hat, <?page no="195"?> 7.2 Kausalität und Erklärung in den Sozialwissenschaften 181 weil sich durch den weltweiten Handel die Risiken im gesamten System der Finanzmärkte ausbreiten konnten (probabilistische Kausalitätsinterpretation). Was brauchen wir für eine Aussage über einen kausalen Zusammenhang? 1. Ein Ereignis, das wir als Ursache qualifizieren können: Im Boni-Banker- Beispiel ist dies eine spezifische Form von Vergütungssystem, das zu einem bestimmten Zeitpunkt eingeführt wird. 2. Die Ursache geht der Wirkung voran. Wirkungen treten daher erst nach ihrer Ursache auf: Das Verhalten von Mitarbeitern in Banken ändert sich aufgrund der Einführung spezifischer Vergütungssysteme. Wir gehen davon aus, dass die Ursache und Wirkung als Ereignisse beschrieben werden, mithin sind sie als Sachverhalte mit einer bestimmten zeitlichen Dauer aufzufassen. Zusätzlich sind wir daran interessiert, wie die Ursache die Wirkung hervorbringt. Allgemein wird danach gefragt, ob die Ursache für die Wirkung notwendig (und hinreichend) ist, oder ob sie sie nur möglich oder wahrscheinlicher macht. 3. Angaben über die Beziehung zwischen Ursache und Wirkung sind seit Anbeginn der Philosophie ein zentrales Thema, das, obwohl es eine Zeitlang als Übergangsphänomen bezeichnet wurde, auch heute noch diskutiert wird. Einer der wichtigsten Protagonisten in der Geschichte dieses Konzepts war David Hume, der Kausalität als Gewohnheit unserer Sinne beschrieb und darauf aufmerksam machte, dass wir zwar sehen, wie eine Billardkugel angestoßen wird und die wiederum bei einem geschickten Stoß die andere Kugel anstößt, wir jedoch nicht Kausalität sehen können (Hume, 1777/ 1984, 76ff). Es ist somit insbesondere die Art der Beziehungen, die zu unterschiedlichen Auffassungen über Kausalität geführt haben. Es werden im Folgenden vier Auffassungen zur Kausalität beschrieben und diskutiert. 1. Regularitätsansatz 2. Kontrafaktischer Ansatz 3. Interventions-(Manipulierbarkeits-)ansatz 4. Mechanismusansatz Die vier Ansätze sind deswegen von Interesse, weil sie in unterschiedlicher Weise dazu beitragen, Kausalitätsbeziehungen zu beschreiben. Sie lassen sich damit je nach wissenschaftlicher Zielsetzung kombinieren (Illari und Russo, 2014, 249ff). <?page no="196"?> 182 7 Erklärung 7.2.2 Regularitätsansatz der Kausalität Wer in einer Gesellschaft aufwächst, lernt soziale Verhaltensweisen und ist damit in der Lage, sich in der menschlichen Gesellschaft zu orientieren. Soziales Lernen ist somit häufig Wiedererkennen sozialer Regelmäßigkeiten, denn „es wäre überhaupt kein soziales Leben möglich, wenn wir nicht erwarten könnten, daß die Menschen in ihrem Handeln gewisse Regelmäßigkeiten befolgten“ (Ryan, 1973, 132f). Der Regularitätsansatz geht maßgeblich auf David Hume zurück und entspricht der bereits erwähnten Alltagsintuition von sozialen Akteuren. Sie liegt vor, wenn Folgendes gegeben ist (Psillos, 2002, 19): 1. Ursache und Wirkung hängen räumlich und zeitlich eng zusammen. 2. Die Wirkung (W) folgt zeitlich der Ursache (U). 3. Die eigentliche Annahme der Regularität: Jedem Ereignis (U) folgt regelmäßig das Ereignis (W). Strittig ist in den Sozialwissenschaften insbesondere, was als regelmäßig gilt: Wie kann in sozialwissenschaftlichen Erklärungen gewährleistet werden, dass es sich bei dem Schluss von den Prämissen auf die Konklusion tatsächlich um einen kausalen Schluss handelt? In DN-Erklärungen wird von einem Gesetz oder einer gesetzesartigen Aussage und entsprechenden Anfangsbedingungen auf das zu erklärende Phänomen geschlossen. Die gesetzesartige Aussage wird zwar als All-Aussage formuliert, wird aber in den Sozialwissenschaften nicht als deterministisch aufzufassen sein, sondern als nicht-deterministische Aussage formuliert. Im Rahmen von empirischen Untersuchungen ist damit zu rechnen, dass es Störfaktoren gibt, die auf das zu erklärende Verhalten einwirken und dafür sorgen, dass in bestimmten Fällen die Verhaltenstendenz nicht auftritt (Döring und Bortz, 2016, 196f). Eine zweite Überlegung hängt mit der Komplexität von sozialen Systemen zusammen. In unserem Beispiel zur Vergütung in Banken ist bereits angeklungen, dass sie sicherlich nicht alleine den Konkurs einer Bank verursacht. Anzunehmen ist, dass es weitere Ursachen geben muss, die den Konkurs einer Bank erklären. Wenn diese Überlegungen auf Handlungserklärungen zutreffen, dann müssen kausale Erklärungen berücksichtigen, dass Ursachen - unabhängige Variablen - meist als Teil eines Ursachenkomplexes auftreten. John Mackie hat hierzu die sogenannte INUS-Bedingung geschaffen: “it is an insufficient but nonredundant part of an unnecessary but sufficient condition“ (1974/ 1980, 62). Eine beispielhafte Konstellation in formaler Notation lautet (Kelle, 2007, 174): (U 1 ∧ U 2 ) ∨ (U 3 ∧ U 4 ) ⇒ W (2) Eine einzelne Ursache (U) aus einem Ursachenkomplex ist weder notwendig noch hinreichend, um den Effekt (W) zu erzeugen, sie ist allerdings unabdingba- <?page no="197"?> 7.2 Kausalität und Erklärung in den Sozialwissenschaften 183 rer Bestandteil eines Ursachenkomplexes (Stegmüller, 1983, 592). Ein Ursachenkomplex (z.B. U 1 ∧ U 2 ) ist eine nicht notwendige, aber hinreichende Bedingung, d.h., der Ursachenkomplex kann den Effekt erzeugen, es gibt jedoch auch andere Bedingungen (z.B. U 2 ∧ U 3 ), die den Effekt ebenso herbeiführen können (Baumgartner, 2011, 1269). Neben dem Vergütungssystem (U 2 ) muss z.B. noch ein zu hohes Verhältnis zwischen Fremd- und Eigenkapital (U 1 ) durch die Aufsichtsbehörden erlaubt sein, d.h., es muss der Bank überhaupt erst ermöglicht werden, viele Risiken in ihrem Vermögen anzuhäufen, damit das riskante Verhalten der Mitarbeiter wirken kann. Die Beziehung in (2) weist noch auf einen weiteren für die Sozialwissenschaften wichtigen Punkt hin: Es kann andere Kombinationen von Ursachen ergeben, die die Wirkung ebenso erklären. So kann die Vergütung der Bankmitarbeiter verbunden mit einer Möglichkeit der Verbriefung von Krediten (U 3 ) zum Sturz von Banken geführt haben. Generell gilt für sozialwissenschaftliche Erklärungen, dass alternative Erklärungen betrachtet und getestet werden sollten, um sie ausschließen zu können. Wenn ein soziales Phänomen noch wenig theoretisch durchdrungen ist, besteht die Gefahr, dass zentrale Einflussgrößen nicht im Fokus der Erklärung sind und somit die Korrelationen zwischen den Variablen Scheinkorrelationen sein können. Sie lassen sich mit der Beziehung (2) nicht erkennen, weil eine weitere Variable (Ursache) im Spiel ist, welche die Ursachen in der Beziehung beeinflusst (Baumgartner, 2008, 338ff). So kann im Beispiel eine zu laxe Bankenaufsicht Ursache für viele Faktoren im Modell sein, weil sie ein zu hohes Verhältnis von Fremd- und Eigenkapital zulässt. Daher ist beim Aufstellen eines Kausalmodells darauf zu achten, dass alle relevanten Einflussgrößen im Modell enthalten sind. Unvollständige Erklärungsmodelle führen beispielsweise in der Regressionsanalyse dazu, dass Regressionskoeffizienten verzerrt ermittelt werden (Woodward, 2007, 165ff), d.h., ihr Einfluss auf das Ergebnis wird systematisch über- oder unterschätzt. Folgt man der INUS-Bedingung, dann sind in DN-Erklärungen alle im Explanans enthaltenen Bedingungen (Anfangsbedingungen und Gesetzesaussagen) INUS-Bedingungen (Westermann, 2000, 166f). Da in den Sozialwissenschaften gesetzesartige Aussagen meist nicht-deterministisch formuliert sind, erhalten wir in der Regel IS-Erklärungen. Mit dieser Auffassung von Kausalität können daher sozialwissenschaftliche Handlungserklärungen untermauert werden (Kelle, 2007, 264ff). Lassen sich mit dieser Betrachtungsweise zufällige von kausalen Beziehungen unterscheiden? Hempel fordert generell dazu auf, dass in DN-Erklärungen oder IS-Erklärungen Gesetze verwendet werden; kausale Erklärungen stimmen dann mit dem DN-Erklärungsmodell überein (Hempel, 1965/ 1977, 20). Bedenkenswert an dieser Aufforderung ist, dass Kausalitätsaussagen in einer Theorie einge- <?page no="198"?> 184 7 Erklärung bettet sein sollten. Erst aus theoretischen Überlegungen ergibt sich die Plausibilität von kausalen Zusammenhängen. 7.2.3 Kontrafaktischer Ansatz Bereits Hume hat eine kontrafaktische Interpretation der Kausalität geliefert, indem er darauf hinwies, dass „wenn der erste Gegenstand nicht bestanden hätte, der zweite nie ins Dasein getreten wäre“ (Hume, 1777/ 1984, 93). Bei unseren intuitiven Überlegungen zur Kausalität spielt diese kontrafaktische Auffassung eine wesentliche Rolle. So führen wir bei der Beobachtung eines Autounfalls ein Gedankenexperiment durch, das die aus unserer Sicht wichtigste Ursache weglässt: Der Fahrer des Autos war stark alkoholisiert. Sein zu schnelles Fahren war nach unserem Gedankenexperiment nicht die wesentliche Ursache. Wir stellen uns das Geschehen vor, ohne dass der Fahrer getrunken hat, und vermuten, dass er, wenn er nicht getrunken hätte, nicht zu schnell gefahren wäre und es daher keinen Autounfall gegeben hätte. Die häufige Verwendung des Konjunktivs zeigt an, dass es ein wesentliches Charakteristikum des kontrafaktischen Ansatzes ist, zu beschreiben, wie eine mögliche Welt aussieht, in der die Ursache (der betrunkene Autofahrer) nicht auftritt und daher die Wirkung (der Unfall) nicht existiert. Mögliche Welten sind somit Kopfgeburten (Heckman, 2005b, 26). Um sie zu konstruieren, bedarf es theoretischer Vorstellungen. Wir verwenden den kontrafaktischen Ansatz beispielsweise bei der Fallauswahl für wissenschaftliche Untersuchungen, um Fälle zu untersuchen, bei denen die Wirkung nicht vorliegt und wir daher vermuten, dass auch die Ursache nicht vorhanden ist. Kontrafaktische Argumente werden ebenfalls bei der experimentellen Methode eingesetzt, um Kontrollgruppen festzulegen, die nicht der Ursache ausgesetzt werden und daher vermutet wird, dass die Wirkung bei ihnen nicht auftreten wird (Brady, 2008, 237). Es wird davon ausgegangen, dass das Auftreten der Ursache den entscheidenden Unterschied macht, der die Wirkung herbeiführt. Wer davon überzeugt ist, dass die Vergütungssysteme in Banken eine wesentliche Ursache der Schieflagen von Banken ist, kann auch kontrafaktisch argumentierten: ohne diese Vergütungssysteme keine Bankenkrise. Ein erstes Indiz für diese Argumentation kann die Beobachtung sein, dass Banken mit anderen Vergütungssystemen nicht in entsprechende Schwierigkeiten kamen. 7.2.4 Interventionsansatz Im Interventionsansatz wird angenommen, dass die Ursache durch eine Intervention (Manipulation) herbeigeführt wird, die dann die Wirkung hervorruft, (Cook und Campbell, 1979, 36). Ein wesentlicher Unterschied zu den anderen <?page no="199"?> 7.2 Kausalität und Erklärung in den Sozialwissenschaften 185 Kausalitätsauffassungen ist allerdings, dass die Kausalbeziehung um ein Ereignis - die Intervention (I) - erweitert werden muss, welches wiederum gewissen Anforderungen genügen muss (Hüttemann, 2013, 146, Woodward, 2003, 98f): 1. So soll die Intervention (I) die einzige Ursache für die Ursache (U) der zu untersuchenden Kausalitätsbeziehung sein. 2. Ferner sollte die Intervention I nicht direkt die Wirkung (W) erzeugen, sondern nur über die Ursache (U). 3. Des Weiteren sollte die Intervention (I) nicht von einer anderen Ursache beeinflusst werden, deren Wirkung auf W nicht durch U verursacht wird. 4. Letztlich sollte die Intervention unabhängig von anderen Ursachen sein, die sich auf (W) auswirken. Für diesen Ansatz sind daher Experimente oder Quasi-Experimente die herausragenden Methoden, da sie sich dadurch auszeichnen, dass neben der Manipulation und damit der Variation der eigentlich interessierenden Ursache (unabhängige Variable) weitere Ursachen (Störvariable) als Kontrollvariablen in das Untersuchungsdesign einbezogen werden (Campbell, 2007, 58ff). Voraussetzung einer systematischen Variation ist es, dass auf Basis des theoretischen Vorwissens diese Variablen bekannt sind, weil nur bekannte Variablen systematisch variiert werden können. Anhänger der These von den Krisenwirkungen der Vergütungssysteme können versuchen, diese experimentell zu bestätigen, indem sie alternative Vergütungssysteme vergleichen. Ziel einer solchen Untersuchung ist es, durch die systematische Variation einzelner Bestandteile von Vergütungssystemen, die aus theoretischer Sicht Ursache für das Entscheidungsverhalten sein könnten, die Ursache-Wirkungs-Beziehung aufzuzeigen. Der Interventionsansatz hat den Vorteil, dass er Wege aufzeigt, wie mit dem Problem der gemeinsamen Ursache umzugehen ist. Denn durch die Intervention soll durch geschickte Variation der Ursache die daraus resultierenden Wirkungen festgestellt werden. Dies gelingt allerdings nur, wenn weitere mögliche Ursachen - Störfaktoren oder Störvariablen - kontrolliert werden, was als ein wesentliches Merkmal von Experimenten gilt (Hussy und Jain, 2002, 27). Wichtige weitere Faktoren, die sich auf das Entscheidungsverhalten von Bankmitarbeitern auswirken können, müssen daher in einem Experiment kontrolliert werden; hierzu zählen beispielsweise die Risikobereitschaft und weitere Persönlichkeitsfaktoren und die kognitiven Fähigkeiten der Manager, komplexe Sachverhalte zu erfassen. 7.2.5 Mechanismusansatz Während die bisher diskutierten Ansätze der Kausalität sich auf die Ursachen oder die Wirkungen konzentrierten, stellt der Mechanismusansatz ausdrücklich <?page no="200"?> 186 7 Erklärung die Kausalität als Beziehung in den Mittelpunkt. So kennzeichnet John Elster kausale Mechanismen als „frequently occurring and easily recognizable causal patterns that are triggered under general unknown conditions or with indeterminate consequence” (Elster, 2007, 36). Ein wesentlicher Grund für diesen Ansatz ist der Wunsch, die Prozesse, die zwischen den Ereignissen Ursache und Wirkung stattfinden, zu erklären. Der mit dem Substantiv vordergründig vermittelte Wortsinn „mechanistisch“ ist hingegen nicht gemeint, d.h., über den Charakter des Prozesses, der als kausal angesehen wird, gibt es keine vordefinierten Bedeutungen. Es gibt eine Reihe von Gemeinsamkeiten der unterschiedlichen Auffassungen zum Mechanismusansatz (Hedström und Ylikoski, 2010, 50ff): Ein kausaler Mechanismus wird über den Effekt, den er erzeugt, beschrieben. So lassen sich beispielsweise Marktpreise durch einen Prozess beschreiben, der auf Tauschprozessen zwischen Anbietern und Nachfragern basiert. Mechanismen zeichnen sich zwar durch Kausalität aus, ohne dass jedoch einer der bisher diskutierten Auffassungen präferiert wird. In der sozialwissenschaftlichen Praxis wird sich meist mehrerer Auffassungen bedient, weil z.B. die Regularitätsauffassung erste Hinweise auf kausale Zusammenhänge gibt und mit einer Intervention versucht wird, den Mechanismus zu überprüfen. Durch Mechanismen wird auf den Prozess- und Strukturcharakter der Kausalität hingewiesen, weil erst die Öffnung der Blackbox, die zwischen Ursache und Wirkung liegt, ein Verständnis für die verschiedenen Faktoren fördert, die Kausalität erst erzeugt (Illari und Russo, 2014, 121ff). Viele Mechanismusansätze sehen mehrere Ebenen vor und lassen sich daher als hierarchisch bezeichnen. So werden soziale Mechanismen in Mikro-, Meso- und Makro-Ebenen unterschieden, ohne dass eine vollständige Reduktion einer hierarchisch übergeordneten Ebene durch eine niedrigere Ebene angenommen wird (Hedström und Swedberg, 1998, 21ff). Wie diese kurze Übersicht zeigt, verbergen sich unter diesem Ansatz sehr verschiedene Varianten, denen hier auch nicht im Einzelnen nachgegangen wird. Vielmehr ist auf einen Punkt aufmerksam zu machen, der in den meisten Ansätzen zu finden ist. Anhänger eines Mechanismusansatzes greifen häufig auf andere Kausalitätsauffassungen zurück. So z.B. auf die Regularitätsauffassung, die mit Gesetzen oder gesetzesartigen Aussagen verbunden ist. Zwar wird damit argumentiert, dass sozialwissenschaftliche Gesetze, wenn es sie denn gibt, einen grundsätzlich anderen Charakter als Naturgesetze hätten (Little, 1998, 210), allerdings wird den Gesetzen wenn auch nur in schwacher Form ein gewisser Erklärungsgehalt zugestanden (Elster, 2007, 35ff). Damit wird allerdings der Stellenwert von gesetzesartigen Aussagen insbesondere in ihrem Verhältnis zu Mecha- <?page no="201"?> 7.2 Kausalität und Erklärung in den Sozialwissenschaften 187 nismen zu gering veranschlagt, denn es ist plausibel anzunehmen, dass Mechanismen ein Mindestmaß an Regularität benötigen (Risjord, 2014, 228). Philosophiebox 11: Methoden und Kausalität Um Kausalität festzustellen, werden bevorzugt Experimente eingesetzt. Als herausragendes Merkmal der Experimentalmethode gilt die Randomisierung, mit der die zufällige Variation gemeint ist. Alle Teilnehmende des Experiments werden zufällig den unterschiedlichen Graden der Störvariablen ausgesetzt, so dass sich für alle Versuchsgruppen eine Vergleichbarkeit ergibt. Außerdem gibt es eine Reihe von Kontrolltechniken für Störfaktoren, über die die Literatur zur Experimentalmethode Auskunft gibt. Wenn es für Ursachen und Wirkungen Messungen zu verschiedenen Zeitpunkten gibt, dann ist eine Voraussetzung für das Feststellen von Kausalität gegeben. Daher werden zunehmend nicht-experimentelle Methoden herangezogen, die Daten zu unterschiedlichen Zeitpunkten erheben (Paneldaten), um sie dann z.B. mittels Regressionsanalysen auszuwerten. Wenn es zusätzlich möglich ist, verschiedene Gruppen zu bilden, die den unabhängigen Variablen entweder ausgesetzt oder nicht ausgesetzt sind, führt dies zu quasi-experimentellen Studien. Wie im Text bereits angesprochen, sind fehlende Variable ein Problem für eine gute Schätzung in einer Regression. Mit der Auswertung wird das Analyse-Modell, das auf der Theorie beruht, mit der Realität konfrontiert. Wenn in der Realität relevante Faktoren auftreten, diese aber im Analyse- Modell nicht berücksichtigt werden, dann finden sich diese Wirkungen in der Fehlervariable des Analyse-Modells wieder. Fehler sollten aber zufällig auftreten und daher auch nicht mit den erklärenden Variablen im Modell korrelieren. Wenn dies der Fall ist, wird die Schätzung verzerrt. Das damit angesprochene Endogenitätsproblem wird mit verschiedenen Methodenvarianten wie z.B. der Instrumentalvariablenschätzung oder der Regressions-Diskontinuitäts-Analyse adressiert, die in Lehrbüchern zur Regression und Ökonometrie beschrieben werden. Einen ganz anderen Weg Kausalitäten methodisch zu erschließen, hat Charles Ragin vorgeschlagen. Sein Ansatz beruht auf der Boolschen Algebra und ist in der Lage, mit der in der INUS-Bedingung (2) angedeuteten Möglichkeit der Äquifinalität umzugehen. Während in der Regressionsanalyse ein bestes Modell geprüft wird und alternative Modelle separat getestet werden, zeigt die „Qualitative Comparative Method (QCA)“ alternative Konfigurationen von Ursachen auf. <?page no="202"?> 188 7 Erklärung Für die Suche nach notwendigen, nicht-hinreichenden Ursachen hat Jan Dul die „Necessary Condition Analysis“ entwickelt. Zur Erinnerung: Eine notwendige Ursache muss vorhanden sein, um die Wirkung hervorzurufen, aber ihr Vorhandensein reicht nicht aus, um diese Wirkung zu erzielen. Diese Analyse hat hohe Praxisrelevanz, denn wird die Ursache als Mittel aufgefasst, dann muss dieses Mittel eingesetzt (vorhanden) sein, denn sonst gibt es einen garantierten Misserfolg (verfehlten Zweck), der nicht durch andere Mittel (Ursachen) kompensiert werden kann. Es zeigt sich somit, dass in den Sozialwissenschaften eine Vielfalt an Auswertungsmethoden angeboten wird, um auf Kausalität zu schließen. Quellen: Angrist und Pischke, 2015, Döring und Bortz, 2016, Dul, 2016, Hussy und Jain, 2002, Ragin, 2000, 2008, Schneider und Wagemann, 2012, Wooldridge, 2020 7.2.6 Kausalität in der sozialen Realität In der Diskussion der verschiedenen Auffassungen zur Kausalität hat sich bereits gezeigt, dass sie unterschiedliche Aspekte von Kausalität betonen. Daher stellt sich die Frage, ob sie zu einem Konzept vereint werden können, das den Anforderungen an wissenschaftliche Definitionen genügt. Auch wenn das Ergebnis negativ ausfällt, lohnt sich ein resümierender Blick auf die Ansätze. Der Regularitätsansatz mit seiner Weiterentwicklung durch die INUS-Bedingungen von Mackie stellt einen wesentlichen Beitrag für sozialwissenschaftliche Forschung dar, denn er macht auf zwei zentrale Punkte aufmerksam: 1. In den Sozialwissenschaften haben wir es meist mit Ursachenkomplexen zu tun, d.h., es ist in der Regel davon auszugehen, dass zur Erklärung sozialwissenschaftlicher Phänomene verschiedene Ursachen beitragen können. 2. Kausalität wird erst entdeckt, wenn Ursache und Wirkung regelmäßig zusammen auftreten. Auch wenn über die Eigenschaften dieser Regelmäßigkeit immer wieder gestritten wird, stimmen doch die meisten Diskutierenden darin überein, dass es solche Regelmäßigkeiten gibt. So lassen sich Regelmäßigkeiten in einer gesetzesartigen Aussage formulieren, entweder als deterministische oder nicht-deterministische (probabilistisch, normisch, ceteris-paribus). Es lassen sich so verschiedene Grade von Allgemeinverbindlichkeit formulieren, die wie z.B. Quasi-Gesetze als zeitlich und räumlich eingeschränkte Aussagen gelten. Die Beobachtung von Regularitäten ist zwar ein wichtiger erster Schritt, um Kausalitäten zu untersuchen. Festzuhalten bleibt aber, dass die wesentlichen In- <?page no="203"?> 7.2 Kausalität und Erklärung in den Sozialwissenschaften 189 formationen über kausale Beziehungen auf Theorien beruhen. Sie enthalten (gesetzesartige) Aussagen, aus denen sich kausale Schlüsse ziehen lassen. Wer kausal argumentiert, geht am besten von einer fundierten theoretischen Basis aus. Wenn davon gesprochen wird, dass Kausalität entdeckt wird, dann ist auf die unterschiedlichen Schlussarten hinzuweisen: Kausalität emergiert nicht aus den Daten einer empirischen Untersuchung, sondern auf sie wird durch ein komplexes Zusammenspiel von Abduktion, Induktion und Deduktion geschlossen. Die Entdeckung von Kausalität lässt sich daher sehr gut mit dem kontrafaktischen Ansatz verbinden, bei dem die Analyse der möglichen Welten mit und ohne die untersuchten Ursachen im Vordergrund steht. Sie lässt sich als kreative Fähigkeit beschreiben, die insbesondere Menschen entwickelt haben, um sich ihre Welt verständlich zu machen, indem sie die einfache Frage stellen: „Was wäre wenn …? “ (Pearl und Mackenzie, 2018, 36). Der Interventionsansatz ist dadurch relevant, dass er die aktive Rolle der Wissenschaft einbezieht, Ursachen kontrolliert zu verändern, um gezielt Effekte zu untersuchen. Dies machen sich Sozialwissenschaftlerinnen und Sozialwissenschaftler zunutze, indem sie für das Entdecken und Prüfen von Kausalität Ursachen kontrolliert herbeiführen, um Wirkungen zu entdecken oder vorherzusagen. Wie in der Philosophiebox 11 erläutert, gibt es neben Experimenten quasiexperimentelle Untersuchungsdesigns, die auf Beobachtungsdaten beruhen und die ebenfalls auf Kausalität schließen können. Zu beachten ist jedoch die Einschränkung, dass es Ursachen gibt, die nicht manipuliert werden können oder die aus ethischen Gründen nicht manipuliert werden sollen (Eisend und Kuß, 2017, 186, Russo, 2011, 97ff). Mit dem Mechanismusansatz wird der Prozesscharakter von Kausalbeziehungen betont. Wenn die Ursache mit der Wirkung in Verbindung gebracht wird, dann eignen sich Prozesse als ein wesentliches Instrument zu beschreiben, wie Ursachen die Wirkung hervorbringen (Reiss, 2013, 104ff). Dies ist allerdings nicht eine vollständig neue Sichtweise, da die Untersuchung von kausalen Ketten - zwischen Ursache und Wirkung wird eine weitere Ursache platziert - eine gängige Forschungspraxis ist (Blalock, 1964, 65ff, 1969, 16ff). Wird ein solches Modell als Kausalmodell aufgestellt, wird in die Erklärung der Wirkung eine weitere Variable als intervenierende Variable oder Mediatorvariable eingefügt (Baron und Kenny, 1986, MacKinnon, Fairchild und Fritz, 2007, Opp, 2005, 166). Sie vermittelt zwischen der abhängigen und unabhängigen Variablen und im Falle der vollständigen Mediation geht die Wirkung der unabhängigen Variablen vollständig über die Mediatorvariable; in einem solchen Fall wird in Abbildung 19 der 3. Pfad als Regressionskoeffizient nahe Null sein. Wie bereits mehrfach betont, ist es sinnvoll, auf Basis einer Theorie Mechanismen zu untersuchen. Denn die Suche nach intervenierenden Variablen oder Mediatorvariablen ist <?page no="204"?> 190 7 Erklärung dann nicht willkürlich, sondern richtet sich nach den gesetzesartigen Aussagen von Theorien (Opp, 2005, 176). Abbildung 19: Mechanismusansatz und Mediator Abschließend stellt sich die Frage: Kann es ein einheitliches Kausalitätskonzept geben? Wie im Kapitel zur Begriffsbestimmung erläutert, werden Begriffe definiert, indem die notwendigen Bestandteile des Begriffs festgelegt werden. Zwar gibt es immer wieder Versuche, eine solche - häufig minimalistische - Definition für Kausalität vorzulegen (Gerring, 2005, 167); es ist bisher allerdings nicht gelungen, allgemeingültig notwendige Bedingungen für das Vorliegen von Kausalität zu formulieren, die nicht, wie z.B. der Versuch von Federica Russo, in dünnen Definitionen der Art „Kausalität ist Betrachtung von Veränderung“ münden (Russo, 2006, 106). Eine mögliche Konsequenz aus dieser Situation ist es, Kausalität als einen undefinierten Begriff zu verwenden, was allerdings unbefriedigend ist. Eine alternative Konsequenz ist es, Kausalität als komplexes Phänomen zu betrachten, das mit einer Typologie am besten erfasst wird. Zwischen Kausalitätstypen - das sind die verschiedenen von uns betrachteten Ansätze der Kausalität - sind dann Ähnlichkeiten zu konstatieren, wie sie Wittgenstein im Begriff der Familienähnlichkeit beschrieben hat (Psillos, 2009, 144ff, Wittgenstein, 1953/ 2003, 57), d.h. vor allem, die unterschiedlichen Kausalitätsauffassungen müssen nicht über die gleichen Begriffsbestandteile verfügen. Je nach Untersuchungsziel kann sich somit unterschiedlicher Kausalitätsbegriffe bedient werden (Reiss, 2009, 34ff). Dass dies einer Variante einer pluralistischen Auffassung von Kausalität entspricht, sei zwar nur am Rande erwähnt, ist aber im Konzept eines in diesem Buch vertretenen pluralistischen methodologischen Konzepts auch folgerichtig (Psillos, 2009). Kausalität wird nicht empirisch bewiesen (Heckman, 2005a, 138), weil Kausalität eine hypothetische Beziehung zwischen der Ursache und der Wirkung ist. Sie kann zwar ähnlich wie theoretische Begriffe durch empirische Untersuchungen gestützt werden, bleibt allerdings eine Vermutung unter den Bedingungen, die durch die jeweilige Theorie formuliert sind. Der theoretische und somit hypothetische Charakter von Kausalität wird verschiedentlich als Argument gegen die Existenz von Kausalität angeführt. In den Sozialwissenschaften sind es insbesondere Vertreter von hermeneutischen und sozial-hermeneutischen Positionen, <?page no="205"?> 7.3 Theorien in den Sozialwissenschaften 191 die Kausalität als Konzept ablehnen, da Akteure u.a. durch ihren freien Willen keinerlei Regelhaftigkeit unterliegen (s. ausführliche Darstellung der Diskussionen in Benton und Craib, 2001, Bishop, 2007, Kelle, 2007). Für die Frage, ob Kausalität in einer sozialen Realität als ontologische Kategorie existiert, wäre eine entsprechende soziale Ontologie zu entwickeln und zu verteidigen. Ohne diese Aufgabe abzuwerten, ist jedoch festzuhalten, dass für die Praxis der Sozialwissenschaft die Frage der Regelhaftigkeit - im Sinne einer zumindest schwachen Kausalität - eine epistemologische Frage darstellt. Ob sie von einer Theorie korrekt erfasst wird, ist somit nicht eine primäre Frage des Soseins der sozialen Realität, sondern unter den spezifischen Bedingungen der Sozialwissenschaften eine empirische Frage. 7.3 Theorien in den Sozialwissenschaften 7.3.1 Theorien als System von Aussagen Nach einer weit verbreiteten Konzeption, der sogenannten Aussagen-Konzeption (statement-view), sind Theorien Systeme von Aussagen, wobei die Aussagen untereinander in einem inhaltlichen Zusammenhang stehen und weitere Ansprüche an sie gestellt werden wie z.B., dass sie gesetzesartig oder überprüfbar sind (Rudner, 1966, 10). Auch wenn die Aussagen-Konzeption von Theorien unter Wissenschaftstheoretikern nicht mehr einhellig als Standard angesehen wird, ist sie unter Sozialwissenschaftlern als gängige Praxis zu beobachten. Mit Theorien sollen die Ziele des Forschens - Verstehen, Beschreibung, Erklärung, Prognose und Gestaltung - erreicht werden. Angestrebt wird ein kohärentes System von Aussagen, mit dessen Hilfe sich Vorhersagen für einen Ausschnitt der sozialen Realität ableiten lassen. Theorien sind meist komplexe Gebilde, die sich durch eine Reihe von Eigenschaften beschreiben lassen. Als wesentliche Komponenten von Theorien werden Begriffe und Aussagen angesehen, die mit weiteren Differenzierungen versehen sind (Schurz, 2014, 184ff, Westermann, 2000, 215ff): 1. Begriffe und Interpretationsregeln 1.1 Theoretische Begriffe 1.2 Empirische Begriffe 1.3 Interpretationsregeln 2. Aussagen 2.1 Grundsätzliche Aussagen (Axiome) 2.2 (Empirische) Folgerungen aus den Axiomen <?page no="206"?> 192 7 Erklärung Eine wichtige Erkenntnis für die Sozialwissenschaften ist es, dass Begriffe und Aussagen dadurch miteinander verknüpft sind, dass theoretische Begriffe nicht explizit definiert werden können, vielmehr Interpretationsregeln eingeführt werden müssen, um den theoretischen Begriffen empirischen Gehalt zuzuordnen. Solche Interpretationsregeln sind keine analytischen Aussagen, vielmehr sind sie im Rahmen der Theorieprüfung empirisch zu validieren. Weitere Differenzierungen von Aussagen sind möglich. So geht die Aussagenkonzeption von Theorien von einem axiomatischen Aufbau der Theorie aus: Aus grundlegenden Aussagen (Axiomen) werden deduktionslogisch Konsequenzen abgeleitet. Reife Theorien lassen sich hierarchisch interpretieren, da sie eine interne Struktur aufweisen (Schurz, 2014, 30ff, Kuipers, 2007a, 2ff, Nagel, 1961, 79ff); was am Beispiel der Attributionstheorie aus der Psychologie illustriert wird: 1. Wissenschaftliche Theorie: Theorien haben insbesondere die Funktion, theoretische Begriffe einzuführen und miteinander zu verbinden. In der Attributionstheorie werden Attributionen als kognitive Prozesse festgelegt, auf deren Basis Menschen über die Kausalität von Ereignissen schlussfolgern (Weiner, 1986). Es werden vor allem drei Dimensionen postuliert, die sich auf diese Schlüsse beziehen. Beispielsweise wird Kausalität auf Personen bezogen - interne Attribution - oder mit der Situation - externe Attribution - in Verbindung gebracht. 2. Empirische Gesetze: Sie werden aus Theorien abgeleitet und als gesetzesartige Aussagen formuliert. Auf der Basis der Attributionstheorie wird abgeleitet, dass Menschen für negative Ereignisse die kausalen Ursachen in der Situation und nicht in ihrer Person sehen, hingegen bei positiven Ereignissen sich selbst dafür verantwortlich machen, die Situation aber vernachlässigen. 3. Beobachtungsaussagen: In einer Untersuchung wird beobachtet, dass Vorstände von Banken für die hohen Verluste die Finanzmarktkrise verantwortlich machen und sie nicht auf das mangelnde Risikomanagement-System, für dessen Funktionsfähigkeit sie verantwortlich sind, ihrer Bank zurückführen (Brühl und Kury, 2019). Für die Entwicklung von Theorien findet ein Austausch zwischen den drei Ebenen statt. Idealtypisch ist die Richtung bereits deduktionslogisch beschrieben, jedoch sind aus Beobachtungsaussagen auch Erkenntnisse für die empirischen Gesetzesaussagen und Theorien ableitbar. Ein weiterer Vorteil der Einteilung ist es, dass wissenschaftliche Untersuchungen, die der Theorieüberprüfung dienen sollen, nicht die Theorie, sondern die empirischen Gesetze und Beobachtungsaussagen prüfen. <?page no="207"?> 7.3 Theorien in den Sozialwissenschaften 193 Werden Theorien axiomatisch formuliert? In den Sozialwissenschaften ist es selten, dass Theorien in axiomatische Form gebracht werden. Ein vordergründiges Hindernis könnte sein, dass Aussagen- und Prädikatenlogik als Methoden der Formalwissenschaften angesehen werden. Zwar sind Aussagen- und Prädikatenlogik für formale - und d.h. nicht-natürliche - Sprachen entwickelt worden, sie lassen sich aber auch nutzbringend auf Theorien anwenden, die in natürlichen Sprachen formuliert sind. Standardbeispiele für die Axiomatisierung in den Sozialwissenschaften sind die neoklassische mikroökonomische Theorie und die Theorie der rationalen Wahl (Mantzavinos, 2015, 304f, Reiss, 2013, 29ff), deren Annahmen zur Rationalität zwar immer wieder Anlass zur Kritik sind, ohne dass dies ihre weite Verbreitung verhindert hat. Für die Theorieentwicklung ist ihr heuristischer Wert nicht zu unterschätzen. Rationale Handlungserklärungen richten sich darauf, Handlungen auf Basis von Rationalität und idealisierten Situationsgegebenheiten abzuleiten. Die Theorie der rationalen Wahl (Rational-Choice-Theorie) hat deduktiven Charakter (Udehn, 2003, 157), d. h., es werden auf Basis von Prämissen (Axiomen) ideale Modelle menschlichen Handelns konstruiert. Sie sind ein erster Schritt, um zu gehaltvollen Aussagen über tatsächliches menschliches Verhalten zu gelangen. Weitere Schritte sind zum einen, dass die aus den idealisierten Modellen gewonnenen Aussagen empirisch zu testen sind, und zum anderen - meist parallel dazu -, dass die Vereinfachungen schrittweise aufgehoben und durch realistische (empirisch belastbare) Konzepte und Aussagen ersetzt werden. Lindenberg (1991) hat hierfür das Verfahren der abnehmenden Abstraktion vorgeschlagen. Theorien hängen häufig mit anderen Theorien zusammen. Da mit ihrer Hilfe nur ein Ausschnitt oder ein bestimmter Aspekt der sozialen Realität untersucht wird, besteht häufig eine Verbindung zu anderen Theorien, die diese ausgeschlossenen Phänomene zum Gegenstand haben. Es ist daher auch in den Sozialwissenschaften sinnvoll, von größeren Einheiten zu sprechen. So hat Lakatos den Begriff wissenschaftliches Forschungsprogramm geprägt (s. Philosophiebox 12, S. 194) und die Abfolge von Theorien als Theorienreihen bezeichnet. In einem solchen Forschungsprogramm können Axiome in einer Theorie auf dem Stand von anderen Theorien formuliert sein. Wenn sich deren Forschungsstand ändert, kann eine Revision der Axiome notwendig werden. <?page no="208"?> 194 7 Erklärung Philosophiebox 12: Wissenschaftliche Forschungsprogramme nach Lakatos Im bewussten Gegensatz zu den Vorstellungen von Kuhn hat Imre Lakatos seine Methodologie der Forschungsprogramme entwickelt. Sein Anliegen ist es, die aus seiner Sicht berechtigte Kritik an Poppers Vorgehensweise aufzugreifen und sie durch einige Modifikationen zu verbessern. Zentraler Begriff ist das Forschungsprogramm, das aus Theoriereihen und methodologischen Regeln besteht. Aus seiner Sicht arbeitet die Wissenschaft nicht an einzelnen Theorien, sondern es werden Theoriereihen untersucht, die einem Forschungsprogramm die Kontinuität geben. Theorien bestehen aus einem harten Kern und Hilfshypothesen. Während Hypothesen des harten Kerns ausdrücklich von der Falsifikation ausgenommen werden, sind Hilfshypothesen der Falsifikation ausgesetzt. Sie bilden einen Schutzgürtel um den harten Kern: Werden sie falsifiziert, sind sie durch neue Hilfshypothesen zu ersetzen. Lakatos beschreibt methodologische Regeln für ein Forschungsprogramm im Lichte dieser Einteilung. Die negative Heuristik verbietet es, den harten Kern in Frage zu stellen. Die positive Heuristik fordert, Hypothesen zu konstruieren und anzupassen, um den Schutzgürtel und den harten Kern so zu gestalten, dass die Aufgaben des Forschungsprogramms erfüllt werden. Wann liegt nach Lakatos wissenschaftlicher Fortschritt vor? Die Hypothesen müssen gehaltsvermehrend sein, also z.B. eine neue Tatsache vorhersagen. Solange diese nicht empirisch getestet ist, liegt erst eine „progressive theoretische Verschiebung“ vor. Allerdings soll „gelegentlich“ auch eine empirische Prüfung dieser Hypothese erfolgen, um im Falle der Bewährung eine progressive empirische Problemverschiebung zu erzeugen. Eine solchermaßen verifizierte Hypothese wird im Forschungsprogramm akzeptiert. Eine Theorie gilt erst dann als falsifiziert, wenn eine neue Theorie entwickelt ist, die einen höheren empirischen Gehalt hat. Aus diesem Grund gibt es keine Falsifikation einer Theorie, solange nicht eine neue Theorie vorhanden ist. Wissenschaftlicher Fortschritt von Forschungsprogrammen ist direkt mit der Falsifikation verbunden. Da sich die Regeln für das Annehmen und Ablehnen von Theorien von der ursprünglichen Vorgehensweise von Popper unterscheidet, dessen Vorschlag er als naiven Falsifikationismus bezeichnet, nennt Lakatos seinen Vorschlag raffinierten Falsifikationismus. Lakatos vermittelt ein pluralistisches Bild der Wissenschaft, indem er darauf hinweist, dass es in der Geschichte selten ein einzelnes Forschungsprogramm (Paradigma) in einer Wissenschaftsdisziplin gibt, das eine Monopolstellung hat. Er verweist vielmehr darauf, dass es konkurrierende Forschungsprogramme gibt, und begrüßt diesen Wettbewerb ausdrück- <?page no="209"?> 7.3 Theorien in den Sozialwissenschaften 195 lich. Ein konkurrierendes Forschungsprogramm kann ein anderes Forschungsprogramm jedoch nur ersetzen, wenn es dessen theoretischen und empirischen Gehalt erhält und zusätzlich Potential aufweist, theoretisch neuartige Tatsachen zu erklären. Allerdings gibt Lakatos keine einfach zu befolgende Regel, ab wann ein Forschungsprogramm endgültig aufzugeben ist. Dies liegt sicherlich auch an seiner Überzeugung, dass die Rationalität, die er in der wissenschaftlichen Entwicklung sieht, sich nicht in kurzen Zeiträumen entfaltet. Er gesteht daher Forscherinnen und Forschern eine gewisse dogmatische Grundhaltung beim Festhalten ihres Forschungsprogramms zu. Während Popper das Aufstellen von methodologischen Regeln als eine normative Aufgabe verstand, setzte Kuhn dem die Analyse der tatsächlichen Wissenschaftspraxis entgegen. Lakatos neigt zwar mehr zur Popperschen Auffassung - Aufstellen von Normen - seine rationale Rekonstruktion von tatsächlichen Wissenschaftsprozessen stellt jedoch auch ein deskriptives Element in seiner Konzeption dar, was zur Stärke seiner Konzeption beiträgt. Dies ist sicherlich ein Grund, warum seine Konzeption ein Kristallisationspunkt für nachfolgende Ansätze ist. Quellen: Agassi, 2014, Andersson, 1988, Lakatos, 1974, Laudan, 1977, Musgrave, 1976, Stegmüller, 1980, Worrall, 1980 7.3.2 Drei-Ebenen-Modell: Reduktion und Emergenz Im dritten Kapitel wird eine Mehrebenen-Analyse für die soziale Realität vorgelegt, dem die in diesem Kapitel vorgestellte Konzeption eines Drei-Ebenen- Modells von Theorien an die Seite gestellt wird. Damit ist nicht ein normatives Modell angedacht, das zwingend aus diesen drei Ebenen bestehen muss. Das Drei-Ebenen-Modell dient in diesem Kapitel ausschließlich dazu, einige Probleme anzusprechen, die mit dem Übergang zwischen den Ebenen verbunden sind. Um einem weiteren Missverständnis vorzubeugen, ist klarzustellen, dass mit dieser Einteilung keine ontologische Festlegung verbunden sein muss. Es muss also nicht die Existenz von Meso- oder Makro-Entitäten angenommen werden, um diese Einteilung zu verwenden. Sie ist mit den verschiedenen Varianten eines Individualismus und eines Kollektivismus verträglich, d.h., auch Protagonisten eines Individualismus können methodologisch mit einem Mehrebenen-Modell arbeiten, ohne sich mit holistischem Gedankengut zu infizieren. Sie werden allerdings je nach Variante des Individualismus die Mikro-Ebene in unterschied- <?page no="210"?> 196 7 Erklärung licher Weise ins Spiel bringen und eine Determinierung durch die Makro- oder Meso-Ebenen ablehnen. Was macht den Individualismus attraktiv? Seine Stärke liegt sicherlich in seinem Bezug zum menschlichen Individuum, der über Willensfreiheit verfügt und durch seine Kreativität, Veränderungen in sozialen Institutionen auslösen und maßgeblich prägen kann. Aus diesem Grund wird verlangt, dass die Analyse von Meso- und Makro-Phänomenen mit einer Fundierung individuellen Handelns einhergehen muss (Little, 2016, 75ff, Little, 2009, 165f). Abbildung 20 ist ursprünglich von Coleman vorgestellt worden (Coleman, 1990, 8) und zeigt ein entsprechendes Vorgehen schematisch an der Makro-Mikro-Makro-Erklärung nach Esser auf. Zur Erklärung von Makro-Phänomenen wird auf der Mikro-Ebene das Entscheidungsverhalten von sozialen Akteuren modelliert und deren Handlungen durch Aggregation zur Erklärung des Makrophänomens herangezogen (Logik der Aggregation). Wenn z.B. festgestellt wird, dass Unternehmen bestimmte institutionelle Regelungen in gleicher Weise implementieren (zu erklärendes kollektives Explanandum), dann wird versucht, die Entscheidungen der Individuen im Unternehmen zu erklären (Logik der Selektion). Hierzu ist es notwendig, dass die Situation, in der sich die Akteure im Unternehmen befinden, analysiert wird (Logik der Situation). (Quelle: Esser, 1993, 98) Abbildung 20: Makro-Mikro-Makro-Erklärung Mithilfe der Abbildung lassen sich bestimmte Annahmen zum Verhältnis zwischen den Ebenen erläutern, die in der Debatte um Individualismus und Kollektivismus eine Rolle spielen und die verallgemeinert auch für andere Mehrebenen-Modelle diskutiert werden: Das kollektive Explanandum lässt sich durch die Aggregation der Handlungen individueller Akteure vollständig erklären (Logik der Aggregation). Diese <?page no="211"?> 7.3 Theorien in den Sozialwissenschaften 197 These wird als Reduktionsthese bezeichnet, da mit ihr behauptet wird, dass Phänomene einer höheren Ebene vollständig auf Phänomene einer unteren Ebene reduziert werden können (Zahle, 2007, 323). Reduktionsthesen sind generell sehr gehaltvoll, denn sie behaupten eine vollständige Erklärung. Wenn man bedenkt, dass in den Sozialwissenschaften überwiegend mit unvollständigen Erklärungen gearbeitet wird, zeigt sich deutlich die Last einer solchen These. Gegen die Reduktionsthese ist die Emergenzthese gerichtet. Mit ihr wird behauptet, dass sich aus der Komplexität sozialer Handlungen unvorhergesehene soziale Sachverhalte ergeben, die nicht auf einzelne Handlungen zurückgeführt werden können (Zahle, 2017, 123). D.h., dem sozialen Sachverhalt auf der höheren Ebene kommen Eigenschaften zu, welche die einzelnen Handlungen der niedrigeren Ebene nicht haben. Eng mit der Emergenzthese ist verbunden, Makro-Sachverhalten eine eigene ontologische Bedeutung zu verleihen, sie insbesondere mit kausalen Kräften zu versehen, die unabhängig von Individuen wirken können (Sawyer, 2005, 63ff). Gegen diese These spricht jedoch, dass meist nicht klar wird, was genau die Kausalität von sozialen Sachverhalten ist und wie sie kausale Wirkungen erzeugt, ohne einen Bezug zu individuellen Akteuren herzustellen. Plausibler ist es vielmehr anzunehmen, dass kausale Wirkungen sich erst im kognitiven System von Akteuren entfalten können; aber auch hier gilt: „For agents, there are always choices - however restricted they may be“ (Manicas, 2006, 83). Diese Einsicht führt zur Forderung, dass in sozialwissenschaftlichen Untersuchungen eine Mikrofundierung zu erfolgen hat. Neben diesen beiden Thesen wird häufig die in der Philosophie des Geistes entwickelte These der Supervenienz vorgebracht. Auch die Supervenienzthese tritt in verschiedenen Spielarten auf und wird hier auf zwei soziale Ebenen angewendet: eine kollektive und eine individuelle Ebene. Mit der Supervenienz wird Abbildung 20 in einer strengen Form ausgelegt. Supervenienzthese: Die kollektive Ebene superveniert auf der individuellen Ebene als sich beliebige Sachverhalte, die in allen individuellen Eigenschaften gleich sind, hinsichtlich ihrer kollektiven Eigenschaften nicht unterscheiden können. Daraus folgt: Die individuelle Ununterscheidbarkeit muss einer kollektiven Ununterscheidbarkeit entsprechen (Zahle, 2007, 327). Zwar wird dies durch Abbildung 20 entsprechend illustriert, allerdings sagen die Pfeile nichts über den Charakter der Relation aus. Bisher ist nämlich nur gesagt, <?page no="212"?> 198 7 Erklärung dass es keine Unterschiede in den kollektiven Phänomenen geben kann, wenn es nicht auch Unterschiede in den entsprechenden individuellen Phänomenen gibt. Dies ist jedoch keine Abhängigkeitsbeziehung zwischen beiden Ebenen, vielmehr legt die Supervenienzthese nur eine Kovariation fest: Kollektive Phänomene variieren mit individuellen Phänomenen. Wenn eine kausale Abhängigkeit postuliert werden soll, muss noch ein Schritt weiter gegangen werden: Kollektiv-Individualismus-Abhängigkeit: Die kollektiven Eigenschaften werden vollständig durch individuelle Eigenschaften festgelegt (Epstein, 2015, 109). Diese Abhängigkeit drückt die Einstellung eines starken Individualismus aus, dass zur Erklärung kollektiver Phänomene ausschließlich individuelle Phänomen benötigt werden (Little, 2016, 78). Es ist zu vermuten, dass dieser starke Individualismus mehr propagiert als praktiziert wird (Kincaid, 2017, 116ff). Auch wenn das Primat des Individuums auf den ersten Blick plausibel sein mag, ist eine plausiblere Intuition, dass komplexe soziale Systeme eigenständige Eigenschaften besitzen. Denn soziale Akteure sehen sich oft Institutionen gegenüber, in denen individuelle Einflüsse weder erkennbar noch identifizierbar sind. Im folgenden Abschnitt wird daher eine Konzeption skizziert, die dieser Intuition entspricht. 7.3.3 Mikrofundierung und Mehr-Ebenen-Untersuchung Eine Mikrofundierung, wie sie insbesondere von Daniel Little (2016, 2007, 1998) eingefordert wird, erscheint für die Sozialwissenschaften von hoher Relevanz. Sie stellt gewissermaßen eine nicht zu strenge Auslegung der Abbildung 20 dar, in dem sie verlangt, dass Phänomene der höheren Ebenen durch theoretische Erkenntnisse der Mikro-Ebene abgesichert werden sollen. Nach Little müssen diese Absicherungen keine Gesetze sein, er verlangt vielmehr, dass die kausalen Mechanismen auf der Mikro-Ebene beschrieben werden. Er bezeichnet seine Konzeption als methodologischen Lokalismus (Little, 2007, 363). Dieser Ansatz zeichnet sich durch seine Mikrofundierung, zeitlich vorübergehenden sozialen Strukturen und Institutionen sowie seine Lokalität aus. Des Weiteren lehnt Little den Reduktionismus ab und geht von einem wechselseitigen Einfluss der Ebenen aus (Little, 2007, 346). Damit geht einher, dass er die Mikrofundierung als eine heuristische Strategie begreift, die andere Strategien nicht ausschließt (Little, 2017, 231). <?page no="213"?> 7.3 Theorien in den Sozialwissenschaften 199 Ein ähnliches Konzept hat Kelle vorgeschlagen, das er auf Strukturen begrenzter Reichweite zurückführt. Er geht von der Kontingenz sozialer Strukturen aus (Kelle, 2007, 63), die an zwei Merkmalen beschrieben werden: Soziale Strukturen sind situationsübergreifend und über längere Zeit relativ stabil. Allerdings können sie sich kurzfristig stark verändern. Soziale Strukturen weisen eine begrenzte Heterogenität auf. Strukturen begrenzter Reichweite liegen nach Ansicht von Kelle zwischen den extremen Polen der raumzeitlichen Universalität und einer ausschließlich situationsabhängigen Struktur, in denen Handlungen stattfinden. Da die handelnden Akteure durch kreative, innovative Handlungen neue Handlungsmuster entstehen lassen, entzieht sich seine Konzeption einer strengen Determiniertheit der Akteure von Strukturen (Kelle, 2007, 76). Andererseits werden jedoch durch das Handeln der Akteure Strukturen geschaffen, die eine gewisse zeitliche Stabilität aufweisen und somit den Raum für übergreifende sozialwissenschaftliche Erklärungen und Vorhersagen ermöglichen. Aus beiden Konzepten lässt sich vor allem folgende Konsequenz ziehen: Es ist äußerst schwierig, verbindliche Voraussetzungen zu sozialwissenschaftlichen Gesetzen auf Basis von Dichotomien zu artikulieren. Die Diskussionen um die Gegensatzpaare individuell/ kollektiv (Mikro/ Makro) und deterministisch (raum-zeitlich-unbeschränkt)/ probabilistisch (normisch/ kontingent) haben vielmehr gezeigt, dass Extrempositionen die sozialwissenschaftliche Forschung wenig voranbringen. Wissenschaftler, die sich nicht die Frage stellen, wie individuelle Akteure ins Spiel kommen, müssen sich jedoch die Frage gefallen lassen, ob sie die These einer vollständigen Determiniertheit individueller Akteure durch Makro-Phänomene verteidigen können. Forscher, die sich auf die Meso- und Makro-Ebene fokussieren, sind gehalten, sich Vorstellungen über die individuelle Ebene zu bilden. Da Empirie nicht theorielos betrieben werden sollte, ist dies eine Aufforderung an eine theoretische Berücksichtigung. Beispielhaft sei der Neo-Institutionalismus erwähnt, der lange Zeit eine ausschließliche Determiniertheit organisationaler Strukturen, ganz in der Tradition des kontingenztheoretischen Ansatzes, durch organisatorische Felder postulierte. Diese Begrenztheit wird aber seit einer Reihe von Jahren aufgegeben und durch mikro-individuelle Sichtweisen ergänzt (Krücken, 2020, 255ff, Meyer und Hammerschmidt, 2006, 160ff, Powell und Rerup, 2017, 311ff, Walgenbach und Meyer, 2008, 115ff). Ein Forschungsproblem stellt sich, wenn mehrere Ebenen in einer Untersuchung berücksichtigt werden. Wenn Forschung von einer Ebene zur nächst höheren Ebene übergeht, dann ist es nicht einfach möglich, die Ergebnisse zu aggregieren. Ein Untersuchungsergebnis, dass Teammitglieder besser abschneiden, <?page no="214"?> 200 7 Erklärung wenn sie von einer charismatischen Teamführung geleitet werden, kann nicht einfach auf die Team-Ebene übertragen werden (Klein und Kozlowski, 2000, 213). Es ist durchaus möglich, dass diese Abhängigkeit innerhalb von Teams festgestellt wird, zwischen Teams aber überhaupt keine Unterschiede bestehen und daher keine Vorhersage auf die Teamleistung zulassen. Bisher ist es noch überwiegende sozialwissenschaftliche Praxis, dass für die zu untersuchenden Sachverhalte auf jeder Ebene eigenständige Theorien entwickelt werden, bei denen die jeweils höhere oder niedrigere Ebene meist als Kontrollvariable auftritt. Wünschenswert ist es für die Zukunft, dass vermehrt Theorien entwickelt werden, die für die jeweiligen Ebenen gehaltvolle Aussagen treffen. 7.4 Bewährung und Hypothesenprüfung 7.4.1 Theorie und Praxis der Bewährung Wissen wird als wahre, gerechtfertigte Überzeugung gekennzeichnet. Trotz unterschiedlicher Auffassungen über das Konzept der Wahrheit ist es sinnvoll, an einer regulativen Idee der Wahrheit festzuhalten. Es verbleibt das Dilemma, dass wir gesetzesartige Aussagen, die nicht-deterministisch sind, weder verifizieren noch endgültig falsifizieren können. Wie können wir dann unser Wissen rechtfertigen? Eine Theorie der Bewährung versucht hierauf eine Antwort zu geben. Einen wesentlichen Beitrag zu einer Theorie der Bewährung hat Popper vorgeschlagen. Theorien, die vielen Falsifikationsversuchen ausgesetzt waren und sie bestanden haben, sind als empirisch bewährt zu betrachten; ihr Bewährungsgrad hängt von der Strenge der Prüfung ab (s. Philosophiebox 10, S. 175). Popper ist ein erklärter Gegner der Rechtfertigung: „Ich erkannte, daß die Suche nach Rechtfertigung aufgegeben werden muß, nach Rechtfertigung des Wahrheitsanspruchs einer Theorie“ (Popper, 1973, 42). Auch wer seinen Gedanken einer Falsifikation akzeptiert, wird nach Möglichkeiten suchen, Wissen in Form unserer Theorien positiv auszuzeichnen. Wie wird in den Sozialwissenschaften festgestellt, ob sich Theorien bewährt haben? Meist findet dies in Form von qualitativen Literaturüberblicken statt, die mit der Idee der Bewährung von Popper im Einklang stehen können, denn sie sind ein „Bericht über die Art und Weise, in der eine Theorie ihre Prüfungen bestanden hat oder nicht bestanden hat; einschließlich einer Beurteilung der Strenge dieser Prüfungen“ (Popper, 1984, 144). Wenn es eine ausreichende Anzahl an quantitativen Untersuchungen im jeweiligen Gebiet gegeben hat, sind auch sogenannte Meta-Analysen möglich. Letztere haben den Vorteil, dass sie es gestatten, die Größe ihrer Effekte und damit ihre praktische Relevanz zu ermitteln. Wer den Stand der Forschung anhand der veröffentlichten Studien analysieren will, sieht sich zwei Problemen gegenüber: <?page no="215"?> 7.4 Bewährung und Hypothesenprüfung 201 Es gibt eine Verzerrung im Hinblick auf positive Ergebnisse, weil viele wissenschaftliche Zeitschriften nur signifikante Ergebnisse veröffentlichen. Zwar muss für eine Veröffentlichung nicht jede Hypothese bestätigt sein, es werden allerdings kaum Studien veröffentlicht, die überwiegend nicht bestätigte Ergebnisse enthalten. Replikationsstudien erfreuen sich nicht besonderer Beliebtheit bei Herausgebern wissenschaftlicher Zeitschriften, weil ihr Innovationsgehalt als zu gering erachtet wird. Während viel dafür spricht, reife, d.h. vielfach getestete und bewährte Theorien nicht immer wieder zu testen, gilt dies nicht für Theorien, die noch in wenigen unterschiedlichen Kontexten geprüft wurden. 7.4.2 Duhem-Quine-These über Holismus und Unterbestimmtheit Wenn über die Bewährung von Theorien berichtet wird, dann stellt sich die Frage, wie mit Falsifikationen in einzelnen Untersuchungen umzugehen ist. Ausgehend von einer deduktiv-nomologischen Erklärung lässt sich folgende Frage formulieren: Welchen Schluss können wir ziehen, wenn eine Vorhersage (Konklusion) eines deduktiven Schlusses sich als falsch herausstellt? Dabei ist zu beachten, dass zwar häufig von Theorietesten oder Theorieüberprüfung gesprochen wird, allerdings nur einzelne Hypothesen (Aussagen) überprüft werden. Aus einer reichhaltigen Theorie lassen sich zwar viele Hypothesen mit hohen empirischem Gehalt ableiten, sie werden jedoch nur als Einzelhypothesen getestet. Pierre Duhem hat in einer Übersetzung seiner Schrift von 1906 bereits festgestellt, dass Theorien komplexe Gebilde sind, die nur als Ganzes unter Einschluss weiterer Theorien getestet werden können (Holismus): „Das Auftreten oder Nichtauftreten der Erscheinung … ergibt sich nicht aus dem strittigen Lehrsatz allein, sondern aus der Verbindung desselben mit dieser ganzen Gruppe von Theorien.“ (Duhem, 1906/ 1908, 245) So werden z.B. auch Messtheorien und Theorien über statistische Verteilungen beim Hypothesentesten eingesetzt, die sich als fehlerhaft erweisen können. Duhem hat auch bereits auf das praktische Problem hingewiesen, dass bei einer falschen Vorhersage entsteht: „Das Experiment lehrt uns bloß, daß unter allen Lehrsätzen, die dazu gedient haben, die Erscheinung vorauszusagen und zu konstatieren, daß sie nicht auftritt, mindestens einer ein Irrtum sei.“ (Duhem, 1906/ 1908, 245). Dies zeigt folgendes Deduktionsschema. Aussagen der Theorie Prämisse Wahr oder falsch? Hintergrundtheorien Prämisse Wahr oder falsch? Messtheorien Prämisse Wahr oder falsch? Vorhersage Konklusion falsch <?page no="216"?> 202 7 Erklärung Es ergibt sich das praktische Problem, dass alle Prämissen des Schlusses falsch sein können, allerdings mindestens eine falsch sein muss und dass nicht mittels der Erfahrung oder Logik festgestellt werden kann, welche Aussage falsch ist (Carrier, 2006, 50). Da eine fehlerhafte Messung oder eine nicht beachtete Anwendungsvoraussetzung der Analysemethode zu einem Scheitern des Hypothesentests führen kann, wird häufig mit ihrer Überprüfung begonnen, bevor die Theorie hinterfragt wird. Quine hat die Unbestimmtheit verschärft und aus ihr eine generelle Unterbestimmtheit abgeleitet (Quine, 1975, 313ff): Mit empirischen Daten sind verschiedene unverträgliche Theorien vereinbar. Auch wenn an dieser These der Unterbestimmtheit von Quine Kritik geübt wird (Norton, 2008), ist zu bedenken, dass es für sozialwissenschaftliche Phänomene häufig unterschiedliche Erklärungsmöglichkeiten und meist auch eine Reihe von Theorieangeboten gibt. 7.4.3 Von der inhaltlichen zur statistischen Hypothese Wenn Theorien geprüft werden, sind aus den gesetzesartigen Aussagen und den Anfangsbedingungen empirische Aussagen abzuleiten, die geprüft werden können. Diese empirisch gehaltvollen Aussagen werden als Hypothesen bezeichnet. Wenn nach erfolgreicher Deduktion dieser Hypothesen ein Determinismus angenommen wird, führt jede Falsifikation dieser Hypothese zur Falsifikation der Theorie. In den Sozialwissenschaften gehen wir allerdings in der Regel nicht von einem solchen Determinismus aus, sondern nehmen vielmehr an, dass soziale Sachverhalte mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit auftreten. Damit ist eine Falsifikation nicht mehr möglich, und es müssen Alternativen zur Hypothesenprüfung entwickelt werden. Im Folgenden wird davon ausgegangen, dass eine sozialwissenschaftliche Hypothese formuliert wird, in der Unterschiede oder ein Zusammenhang (Kausalität) zwischen sozialen Sachverhalten postuliert wird. Typische Beispiele sind: 1. Chinesische Manager unterscheiden sich hinsichtlich der Machtdistanz zu ihren Mitarbeitern von deutschen Managern. 2. Je höher ein Akteur die Dissonanz zwischen kognitiven Ereignissen einschätzt und je besser er eine Handlung einschätzt, die Dissonanz zu reduzieren, desto wahrscheinlicher ist es, dass er die Handlung ergreift. 3. Wenn Führungskräfte in einem Unternehmen einen höheren Legitimitätsdruck durch die Stakeholder wahrnehmen, sind sie eher bereit, freiwillig über Sachverhalte des Unternehmens zu berichten. Die drei beispielhaften Hypothesen sagen etwas über die soziale Realität aus und haben daher empirischen Gehalt. Der empirische Gehalt bestimmt sich nach Popper durch seine potentiellen Falsifikatoren (Popper, 1935/ 2005, 98), d.h., jede <?page no="217"?> 7.4 Bewährung und Hypothesenprüfung 203 soziale Tatsache, die der Hypothese widerspricht, wird als eine Falsifikationsmöglichkeit bezeichnet. Auszugehen ist von folgender Beziehung: Je größer der empirische Gehalt, desto größer seine Falsifikationsmöglichkeiten. Wenn ein hoher empirischer Gehalt angestrebt wird, dann gibt es mehrere Möglichkeiten, die Hypothesen entsprechend zu formulieren (Opp, 2014, 161f): Es ist ein möglichst hoher Allgemeinheitsgrad zu wählen, denn je mehr soziale Sachverhalte in die Hypothese aufgenommen werden, umso mehr Tatsachen der Realität können der Hypothese potentiell widersprechen. Es sollen präzise Zusammenhänge zwischen den Phänomenen angenommen werden. Gerichtete sind ungerichteten Hypothesen vorzuziehen, da der empirische Informationsgehalt der letzteren geringer ist. Bei ungerichteten Hypothesen muss nur überhaupt ein Zusammenhang gefunden werden, gerichtete Hypothesen fordern hingegen, dass ein positiver oder ein negativer Zusammenhang vorliegen muss. Die - allgemein formulierten - inhaltlichen Hypothesen können grundsätzlich nicht getestet werden, weil sie in der Regel zu unbestimmt sind. Um sie zu überprüfen, sind eine Reihe von Schritten notwendig, die inhaltlichen Hypothesen schrittweise in statistische Hypothesen zu überführen. 1. Die in der Aussage enthaltenen Begriffe sind zu operationalisieren, d.h., die theoretischen Begriffe sind schrittweise in empirische Begriffe zu überführen und bei einer quantitativen Untersuchung die latenten Variablen (Konstrukte) mit ihren manifesten Variablen zu verbinden. 2. Es sind die Beziehungen so zu präzisieren, dass sie statistisch getestet werden können. D.h., es muss festgelegt werden, mit welcher Größe der Zusammenhang gemessen werden soll. Beispiel 28: Machtdistanz So könnten die Forscher für die (ungerichtete) Hypothese 1 den theoretischen Begriff „Machtdistanz“, ein Konstrukt aus der GLOBE-Studie, verwenden (House et al., 2004), um ihn messbar zu machen. Um den Unterschied zwischen den chinesischen und deutschen Managern zu messen, werden die Mittelwerte aus den Beurteilungen der Machtdistanz verwendet: D C µ ≠ µ (3) Wenn im Fall der (gerichteten) Hypothese 3 von einer Kausalität ausgegangen wird, dann ist z.B. mit Hilfe eines Kausalmodells (Strukturgleichungsmodell) die Annahme, dass der kausale Pfad zwischen dem Legitimitätsdruck (L) und der freiwilligen Veröffentlichung (fV) positiv ist: β L,fV > 0 (4) <?page no="218"?> 204 7 Erklärung Die statistischen Hypothesen (3) und (4) sind mit Hilfe von statistischen Methoden überprüfbar. 7.4.4 Grundmodell der statistischen Prüfung Relativ unabhängig von den Diskussionen in der Wissenschaftstheorie hat sich in den Sozialwissenschaften eine spezielle Form des Hypothesentestens entwickelt. Das heutige von einigen auch so genannte Ritual des Signifikanztests geht im Wesentlichen auf drei Wissenschaftler zurück. In den zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts legte Ronald Fisher (1925/ 1954) die Grundlagen, die dann von Jerzy Neyman und Egon Pearson (1928) erweitert wurden. Beide Modelle werden heute zu einem sogenannten Hybridmodell vereinigt, das die Praxis der Veröffentlichung von empirischen quantitativen Studien in den Sozialwissenschaften bestimmt. Da dies kein Buch über statistische Methoden ist, wird hier nicht die Methodik der Signifikanztests vorgestellt. Vielmehr wird geklärt, inwieweit die Inferenzstatistik zur Erklärung von sozialen Sachverhalten beitragen kann. Warum wird aber überhaupt mit statistischen Methoden gearbeitet? Es gibt viele Gründe für den Einsatz von statistischen Methoden innerhalb von wissenschaftlichen Untersuchungen, ein wesentlicher ist allerdings, dass Hypothesen sich auf eine große Anzahl von sozialen Akteuren beziehen (z.B. alle Unternehmen in Europa oder alle NGOs weltweit): Eine Prüfung, ob sie auf alle in den Hypothesen genannten Akteure zutreffen, ist jedoch viel zu aufwendig und manchmal auch prinzipiell nicht möglich. Daher ist es wichtig zu wissen, wie eine Untersuchung aufzubauen ist, damit von einer kleineren Anzahl von Akteuren (Stichprobe) auf alle in der Hypothese genannten Akteure (Population) geschlossen werden kann; daher stammt auch die Bezeichnung Inferenzstatistik. Eine Reihe von statistischen Verfahren setzt voraus, dass die Stichprobenkennwerte normalverteilt sind, d.h., es ist auf Basis dieser Annahme möglich, darüber zu entscheiden, ob die statistische Hypothese beibehalten oder verworfen werden kann. Mithilfe des zentralen Grenzwertsatzes lässt sich zeigen, dass sich die Kennwertverteilung von Stichprobenmittelwerten mit zunehmender Größe der Normalverteilung annähern (Eid, Gollwitzer und Schmitt, 2015, 235f). Mit Hilfe von Signifikanztests wird angestrebt, eine wesentliche Fehlerquelle bei der Entscheidung über die Annahme oder Ablehnung der Hypothese zu beherrschen: In der Stichprobe ergeben sich zufällig andere Zusammenhänge (statistische Kennwerte) als in der Population. Signifikanztests dienen dazu, für diese Fehlerquelle, die nie ganz ausgeschlossen werden kann, Fehlerwahrscheinlichkeiten zu berechnen und damit Entscheidungen zu fundieren. <?page no="219"?> 7.4 Bewährung und Hypothesenprüfung 205 7.4.5 Signifikanztests und ihre Verbesserung Eine Besonderheit von Signifikanztests ist es, dass nicht die inhaltliche Hypothese und auch nicht die aus ihr abgeleitete statistische Hypothese (H 1 ) getestet wird, sondern eine Hypothese, die der inhaltlichen Hypothese entgegengesetzt ist. Sie wird als Nullhypothese (H 0 ) bezeichnet. So wird im ersten Hypothesenbeispiel ein Unterschied zwischen chinesischen und deutschen Managern angenommen; dies ist die eigentlich interessierende inhaltliche Hypothese. In der Nullhypothese wird hingegen behauptet, dass kein Unterschied besteht: μ C = μ D (5) Wenn die inhaltliche Aussage des Unterschieds überprüft werden soll, dann wird von der Annahme ausgegangen, dass keine Unterschiede bestehen; eine auf den ersten Blick verwirrende Annahme. Sie dient jedoch der Berechnung der wesentlichen Prüfgrößen. Prüfgrößen werden berechnet, um Entscheidungen über die Annahme oder Ablehnung von H 1 zu unterstützen. Im Zentrum steht eine bedingte Wahrscheinlichkeit (Eid, Gollwitzer und Schmitt, 2015, 221): p(Ergebnis |H 0 gilt) (6) Sie gibt an, wie hoch die Wahrscheinlichkeit für die Ergebnisse (Daten) der Untersuchung ist, wenn angenommen wird, dass die Hypothese H 0 gilt. Je nach Signifikanztest unterscheidet sich die Berechnung dieser Wahrscheinlichkeit, ihre Interpretation ändert sich dadurch nicht. Um eine Entscheidung zu treffen, wird eine zweite Größe benötigt, mit der die Wahrscheinlichkeit verglichen wird. Diese Größe wird als Signifikanzniveau α (oder Fehler erster Art) bezeichnet und mittels Konvention festgelegt, üblich sind die Werte 1% und 5%. Wenn die Wahrscheinlichkeit unter diesen Werten liegt, wird von einem signifikanten (5%) oder hoch signifikanten Ergebnis (1%) gesprochen. Ein statistisch signifikantes Ergebnis bedeutet demnach, dass die in der Stichprobe vorgefundenen Ergebnisse unter der Annahme, dass die Hypothese H 0 gilt, eine sehr kleine Wahrscheinlichkeit hat und daher davon ausgegangen wird, dass somit die inhaltliche Hypothese H 1 nicht verworfen werden kann. Dieses Vorgehen und insbesondere seine Verabsolutierung sind seit vielen Jahren einer manchmal sehr vehementen Kritik ausgesetzt, die zu einer Reihe von Verbesserung geführt hat. Einige typische Kritikpunkte sollen hier aufgelistet werden (Cohen, 1994, 998ff, Kline, 2013, 69ff, Wang et al., 2013, 732ff). Statistische Signifikanz ist nicht mit Relevanz der Beziehung zu verwechseln und damit ist auch eine ausschließliche Betrachtung der statistischen Signifikanz nicht ausreichend. <?page no="220"?> 206 7 Erklärung Die dichotome Aufteilung in signifikant und nicht signifikant wird als ungenügend angesehen, denn es ist sicherlich ein Unterschied, ob ein nicht signifikantes Ergebnis eine Wahrscheinlichkeit von 6% oder 85% hat. Das einseitige Setzen auf die statistische Signifikanz - insbesondere durch die Publikationspolitik wissenschaftlicher Zeitschriften - führt tendenziell zu einem Überschätzen der Größe des Einflusses. Seit einigen Jahren kommt Bewegung in die Diskussion, wie und mit welchen statistischen Informationen Entscheidungen über Hypothesen unterstützt werden sollen. Sie werden kurz skizziert, um zu zeigen, wie sie zu einer Verbesserung der Entscheidungen führen können. Als erstes ist die Effektgröße zu nennen. Sie soll zeigen, ob der untersuchte Zusammenhang bedeutsam ist, daher wird auch oft von praktischer Signifikanz oder Relevanz gesprochen (Ellis, 2010, 3f). Ihre Berechnung ist abhängig vom Test, der zur Hypothesenprüfung eingesetzt wird. Jacob Cohen hat sie populär gemacht und auch Konventionen für kleine, mittlere und große Effekte vorgeschlagen (Cohen, 1988). Beispielhaft sei die Effektgröße (f 2 ) für ein Kausalmodell gezeigt (Partial least squares) (Götz, Liehr-Gobbers und Krafft, 2010, 702): f 2 = R incl 2 −R excl 2 1−R incl 2 (7) Sie beruht auf der erklärten Varianz (R 2 ) und wird berechnet, indem die erklärte Varianz der abhängigen Variable einmal mit dem Pfad (R incl ) und einmal ohne den Pfad (R excl ) bestimmt wird. Im Zähler wird die erklärte Varianz der betrachteten Variable berechnet, im Nenner dient der nicht erklärte Varianzanteil dazu, eine standardisierte Effektgröße zu berechnen. Durch die Standardisierung wirkt sich die Messeinheit der Variablen nicht auf die Effektgröße aus und es lassen sich Effektgrößen zwischen Studien vergleichen. Effektgrößen sind daher in der Regel relativiert und keine absoluten Größen (Ellis, 2010, 7ff). In den letzten Jahren werden zunehmend neben der statistischen Signifikanz Effektgrößen veröffentlicht und somit eine bessere Einschätzung der Relevanz der Ergebnisse ermöglicht. Wenn sie vor der Untersuchung in die Hypothesenformulierung mit aufgenommen wird, erfüllt sie auch eine Anforderung für gehaltvolle Theorien. Der empirische Gehalt einer Hypothese bestimmt sich nach der Anzahl der möglichen Falsifikatoren (Popper, 1935/ 2005, 98): Er steigt daher, wenn eine Hypothese nicht nur einen Unterschied vorhergesagt, sondern wenn sie eine Aussage über die Größe des Unterschieds enthält. Eine Möglichkeit, die dichotome Aufteilung in signifikant und nicht signifikant zu verbessern, ist die Einführung von Konfidenzintervallen (Cumming, 2012, 53ff). Beim Einsatz von Konfidenzintervallen werden keine Punktschätzungen der Parameter vorgenommen, sondern es werden Intervalle geschätzt, in denen <?page no="221"?> 7.4 Bewährung und Hypothesenprüfung 207 mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit der wahre Wert liegt. Konfidenzintervalle werden ähnlich wie bei Effektgrößen in Abhängigkeit der jeweiligen Tests gebildet. Als dritte Verbesserung sind Teststärken anzusehen, die sich aus dem β -Fehler ableiten. Der β-Fehler tritt dann auf, wenn die Nullhypothese (H 0 ) beibehalten wird, obwohl die inhaltliche Hypothese (H 1 ) in der Population gilt. Es ist allerdings zu beachten, dass bei einer unspezifischen Hypothese der β-Fehler nicht berechnet werden kann. Mit der Teststärke (power) wird eine bedingte Wahrscheinlichkeit berechnet, die anzeigt, dass eine Entscheidung zugunsten H 1 gefällt wird und H 1 auch tatsächlich gilt (Eid, Gollwitzer und Schmitt, 2015, 225f): p(Entscheidung fü r H 1 |H 1 gilt) = 1 − β (8) Bei der Planung von Untersuchungen ist es dann möglich, auf Basis eines angestrebten α -Niveau, eines angestrebten β -Fehlers und einer durch die theoretischen Annahmen vorgegebenen Effektgröße die notwendigen Stichprobenumfänge zu berechnen (Döring und Bortz, 2016, 840ff). 7.4.6 Statistische Validität Mit der vorgestellten Logik von Inferenztests und der auf ihr beruhenden Entscheidung ist die Frage der statistischen Validität verbunden. Sie ist eine Bewertung der Schlüsse, die auf der Basis der eingesetzten statistischen Methoden gezogen werden (Cook und Campbell, 1979, 37). Mit der zusätzlichen Berücksichtigung von Effektgröße und Teststärke soll die Validität der Schlüsse erhöht werden, da die ausschließliche Betrachtung von signifikanten Ergebnissen als nicht ausreichend erachtet wird. Hiermit sind Bedrohungen der statistischen Validität angesprochen, die dazu führen können, dass die Nullhypothese verworfen wird, obwohl sie wahr ist (Fehler erster Art oder α -Fehler) oder die Nullhypothese beibehalten wird, obwohl sie tatsächlich falsch ist (Fehler zweiter Art oder β -Fehler). Tabelle 6: Entscheidungen beim statistischen Testen Realität statistische Entscheidung H 0 ist wahr H 1 ist falsch H 0 ist falsch H 1 ist wahr H 0 wird verworfen H 1 wird beibehalten Fehler erster Art (α) richtige Entscheidung (1 β) H 0 wird beibehalten H 1 wird verworfen richtige Entscheidung (1 α) Fehler zweiter Art (β) (Quelle: Eid, Gollwitzer und Schmitt, 2015, 222) <?page no="222"?> 208 7 Erklärung Typische Bedrohungen, die auftreten, wenn statistische Methoden eingesetzt werden, sind (Cook und Campbell, 1979, 41ff, Shadish, Cook und Campbell, 2002, 45ff): Wenn die Teststärke zu niedrig ist, werden die Effekte, die tatsächlich vorhanden sind, nicht entdeckt. Ein häufig auftretendes Problem sind zu kleine Stichproben, weil sie kleine Effektgrößen nicht (signifikant) aufzeigen können. Werden die Voraussetzungen von statistischen Tests nicht beachtet, so sind die Ergebnisse von Tests systematisch verzerrt. D.h., es werden beispielsweise Größen systematisch über- oder unterschätzt und eventuell die Signifikanz der Ergebnisse falsch angezeigt. Die Güte der Messung der Variablen - ihre Konstruktvalidität - beeinflusst die Validität ebenfalls. Ein hoher Messfehleranteil in der Messung führt häufig dazu, dass die Beziehungen zwischen Variablen nicht korrekt ermittelt werden kann. Die drei Beispiele sind nur ein kleiner Ausschnitt von möglichen Gefahren, die, wenn sie nicht beachtet werden, zu Fehlentscheidungen über die Annahme oder Ablehnung oder zu Fehleinschätzungen der Effektgrößen führen können. In der einschlägigen Literatur zur Anwendung von statistischen Methoden finden sich daher viele Prinzipien und Regeln, mit deren Hilfe den Gefährdungen der statistischen Validität begegnet werden soll. 7.4.7 Feststellen des Bewährungsgrads Mit den vorgestellten Erweiterungen wird das Ziel verfolgt, für die Frage der Bewährung von Theorien weitere Kriterien zur Verfügung zu stellen, um die dichotome Betrachtung von signifikanten und nicht-signifikanten Ergebnissen zu durchbrechen. Zum Abschluss dieses Kapitels ist die Praxis des Hypothesentests zu diskutieren und es wird zur Sprache kommen, welche Kriterien angewendet werden, um eine Theorie (Hypothese) als nicht-bewährt auszuzeichnen. Da unser Wissen als fallibel gilt, trifft dies auch auf unsere wissenschaftlichen Untersuchungen zu: „Die Abgrenzung zwischen den weichen, unbewiesenen ‚Theorien‘ und der harten bewiesenen ‚empirischen Basis‘ existiert nicht: alle Sätze der Wissenschaft sind theoretisch unheilbar fallibel“ (Lakatos, 1974, 98). Wenn auch die Daten, die wir empirisch ermitteln, um unsere Hypothesen zu prüfen, fehlerhaft sein können, dann müssen wir in unseren Entscheidungen auf diese Unsicherheit Rücksicht nehmen. Die in den vorigen Kapiteln beschriebene Vorgehensweise stellt ein Verfahren dar, um regelgeleitete Entscheidungen über die Bewährung von Theorien treffen zu können. Es stellen sich bei dieser Vorgehensweise zwei Fragen: <?page no="223"?> 7.4 Bewährung und Hypothesenprüfung 209 1. Wenn eine Untersuchung ein signifikantes Ergebnis erbringt, kann die Hypothese dann als bewährt ausgezeichnet werden? 2. Wenn eine Untersuchung ein nicht-signifikantes Ergebnis erbringt, kann die Hypothese dann als nicht-bewährt ausgezeichnet werden? Wie zu Beginn ausgeführt, sind Bewährungen Berichte über erfolgreich überstandene Prüfungen einer Theorie, die möglichst streng sein sollen. Welche inhaltlichen Ansprüche an die Strenge von Prüfungen gestellt werden, ist in Philosophiebox 10 (S. 175) beschrieben. Darüber hinaus können Anforderungen an die Inferenzstatistik formuliert werden. Die Entscheidungen von statistischen Tests hängen nach der vorgestellten Logik des Testens von den Größen α (Signifikanzniveau), β oder der Teststärke 1β , der Effektgröße und der Stichprobengröße ab. Mittels dieser Größen lässt sich die Strenge der Prüfung von Untersuchung beurteilen. So ist beispielsweise die Annahme, dass es in einer Population bezüglich eines Merkmals überhaupt keine Unterschiede gibt, was die Gültigkeit der Null-Hypothese zeigen würde, in vielen Fällen sicherlich keine sehr strenge Annahme (Bakan, 1966, 425f). Je spezifischer die Hypothese formuliert wird, desto strenger wird jedoch der Test. Ansatzpunkte, um Tests strenger zu machen, sind die vier Größen: 1. Es wird das Signifikanzniveau z.B. von 5% auf 1% erhöht (Westermann, 2000, 295). 2. Es wird der β -Fehler nicht als Residualgröße behandelt, sondern es wird ein ähnliches strenges Maß wie für das Signifikanzniveau - z.B. 5% - festgelegt. 3. Um den β-Fehler festlegen zu können, ist es notwendig, dass vor der Untersuchung die Effektgröße abgeschätzt wird. Die Theorie, aus der die Hypothese abgeleitet wird, muss die untersuchten Variablen quantitativ in Beziehung setzen. Wie bereits angemerkt, erhöht dies den empirischen Gehalt der Hypothese und führt daher zu ihrer strengeren Prüfung. 4. Im Falle, dass die ersten drei Schritte vor der Untersuchung vollzogen werden, ergibt sich der Stichprobenumfang aus diesen Festlegungen. Bei der Beurteilung, ob eine Untersuchung streng oder nicht streng vorgeht, helfen die inhaltlichen und statistischen Anforderungen. Lautet das Urteil „bewährt“, dann ist jedoch zu bedenken, dass dies nur die geprüften Hypothesen in einer einzelnen Untersuchung auszeichnet. Wenn bedacht wird, dass auch die empirische Basis fallibel ist, wird klar, dass eine Theorie in ihrem Bewährungsgrad steigt, wenn sie unter vielen verschiedenen Bedingungen getestet wird. Der Bewährungsgrad wird hier als ordinales Konzept verstanden, d.h., es ist möglich, einen höheren Bewährungsgrad zu konstatieren, ohne diesen Unterschied quan- <?page no="224"?> 210 7 Erklärung tifizieren zu können. Um dies feststellen zu können, müssen Untersuchungen repliziert werden. Wie bereits erwähnt, sind Replikationsstudien in den Sozialwissenschaften nicht sehr beliebt, da sie insbesondere von Herausgebern wissenschaftlicher Zeitschriften nicht favorisiert werden (Colquitt und Zapata-Phelan, 2007, 1292, Rosnow und Rosenthal, 1989, 1280). Replikationen sind entgegen einem weitverbreiteten Missverständnis keine exakten Wiederholungen der Ursprungsstudie, vielmehr liegt die Strenge der Prüfung in der Variation einzelner Parameter einer Replikation. Ohnehin ist es in den Sozialwissenschaften praktisch kaum möglich, eine Untersuchung exakt zu wiederholen. Selten werden dieselben Versuchspersonen zur Verfügung stehen und wenn dies doch der Fall ist, dann können sie eventuell ihre Erfahrungen in den erneuten Versuch einbringen, so dass Lerneffekte eine exakte Replikation verhindern. So werden Veränderungen gegenüber dem ursprünglichen Untersuchungsdesign z.B. durch unterschiedliche Stichproben andere Kontexte wie verschiedene Kulturen gezielt eingesetzt (Schmidt, 2009). Abbildung 21 informiert in grober Form, wie sich die Ergebnisse von Replikationsstudien auf die Beurteilung von Theorien auswirken. (Quelle: stark verändert übernommen von Rosenthal, 1990, 5) Abbildung 21: Auswirkungen der Ergebnisse von Replikationen Sind die Replikationen erfolgreich, dann steigt der Bewährungsgrad im Falle geringer Variation und im Falle, dass Veränderungen vorgenommen werden, nimmt der Bewährungsgrad und der Grad der Generalisierung zu. <?page no="225"?> 7.4 Bewährung und Hypothesenprüfung 211 Beispiel 29: Attributionstheorie Wenn die Attributionstheorie bisher nur in Ländern der westlichen Hemisphäre erfolgreich getestet wurde und in einem späteren Versucht auch erfolgreich in verschiedenen asiatischen Ländern, dann steigt ihr Bewährungsgrad, und ihr Generalisierungsgrad nimmt zu. Die Forschung zeigt jedoch Unterschiede zwischen kulturellen Regionen (z.B. Choi, Nisbett und Norenzayan, 1999) und daher wird generell über die Wahl der Teilnehmerinnen und Teilnehmer an einer Studie diskutiert (Henrich, Heine und Norenzayan, 2010). Wenn eine Replikation nicht erfolgreich ist, nimmt der Bewährungsgrad ab, und wenn die Veränderungen gegenüber der Originalstudie größer sind, sinkt auch ihr Generalisierungsgrad. Tritt der Fall ein, dass eine Theorie als falsifiziert oder gar als endgültig falsifiziert gilt? Gerne wird Popper als naiver oder dogmatischer Falsifikationist tituliert (Kuhn, 1978b, 372f; Lakatos, 1974, 174). Gegen diesen Eindruck hat er zwar immer wieder angeschrieben und konstatiert, dass es keine endgültige empirische Falsifikation einer Theorie geben kann (Popper, 1935/ 2005, 27, 506ff). Dem steht jedoch die folgende Formulierung entgegen: „Wir betrachten also im allgemeinen eine (methodisch entsprechend gesicherte) intersubjektiv nachprüfbare Falsifikation als endgültig; darin eben drückt sich die Asymmetrie zwischen Verifikation und Falsifikation der Theorien aus“ (Popper, 1935, 199, 1935/ 2005, 255). Was lässt sich aus einer einzelnen Untersuchung für eine nicht erfolgreiche Replikation ableiten? Wenn ein nicht-signifikantes Ergebnis vorliegt, wird die Hypothese H 0 nicht abgelehnt und somit die inhaltliche Hypothese H 1 nicht bestätigt. Es bedeutet hingegen nicht, dass z.B. im Falle eines Tests auf Mittelwertunterschiede bewiesen ist, dass es keine Mittelwertunterschiede gibt: „Absence of evidence is not evidence of absence“ (Altman und Bland, 1995, 485). Der Grund ist einfach der, dass die statistische Entscheidung sich verändert. Ein Blick in Tabelle 6 zeigt, dass dann der Fehler zweiter Art (ß) relevant wird (H 0 wird beibehalten, H 1 wird verworfen), d.h., die Kontrolle des Fehlers erster Art ist nicht ausreichend. Ein nicht-signifikantes Ergebnis senkt den Bewährungsgrad. Sicherlich wird eine Theorie nicht bei einem einmaligen Fehlversuch ausgeschieden. Erst wenn es überwiegend Schwierigkeiten gibt, die Ergebnisse zu replizieren, wird dies die Theorie schwächen. Um sie zu retten, wird nach Lakatos von der degenerativen Problemverschiebung Gebrauch gemacht, in dem der Anwendungsbereich der Theorie eingeschränkt wird. Dies hat zur Folge, dass auch der Generalisierungsgrad der Theorie sinkt. <?page no="226"?> 212 7 Erklärung Problematisch ist ein signifikantes Ergebnis, das nicht den erwarteten Ergebnissen entspricht. Beispielsweise wird anstatt eines positiven ein negatives Ergebnis ermittelt. Dies zieht in der Regel eine umfangreiche Analyse der Mess- und Hintergrundtheorien sowie der betrachteten inhaltlichen Theorie nach sich. Nicht erfolgreiche Replikationen führen jedoch nicht automatisch zu einem Verzicht auf die Theorie. Ein klar und eindeutig definiertes Kriterium, ab wann eine Theorie als endgültig falsifiziert gilt, gibt es nicht. Das größte Hindernis für das endgültige Ausscheiden einer Theorie stellt eine mangelnde Alternative dar, d.h., wenn es keine weitere Theorie gibt, welche über einen vergleichbaren empirischen Gehalt verfügt, ist ein Verzicht auf die Theorie nicht sinnvoll (Lakatos, 1974, 117). Daher ist es folgerichtig, unter der Annahme des Fallibilismus einen Theorienpluralismus zu betreiben, „denn wenn es niemals sicher ist, daß eine bestimmte Problemlösung wahr ist, dann lohnt es sich, nach Alternativen zu suchen“ (Albert, 2000, 15). Letztlich muss die Gemeinschaft der Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen darüber entscheiden, wann eine Theorie nicht weiter verfolgt und dafür eine alternative Theorie bevorzugt wird. Jede Theorie, deren Status durch sinkende Bewährung abnimmt, muss sich in einem Wettbewerb der Ideen behaupten, um auf Dauer Forschende an sich zu binden. 7.5 Bewährung und Validität Da Bewährungen Berichte über erfolgreich überstandene Prüfungen einer Theorie sind, die möglichst streng sein sollen, ist eine Beurteilung der Validität dieser Prüfungen notwendig. Sie ist die Voraussetzung, um ein Urteil über die Bewährung abzugeben. Neben der bereits angesprochenen statistischen Validität werden weitere Validitätsarten unterschieden, die in Beziehung zum Untersuchungsdesign diskutiert werden; d.h., bei der Auswahl eines Untersuchungsdesigns - Felduntersuchung oder Laboruntersuchung - ist in Abhängigkeit der Untersuchungsart - experimentelle Untersuchung, Untersuchung mit randomisierten Stichproben, quasiexperimentelle Untersuchung, Untersuchung mit natürlichen oder bereits bestehenden Stichproben - die Validität der Ergebnisse der Untersuchung zu beurteilen. In der Diskussion ragen vor allem zwei Konzepte heraus: die interne und die externe Validität (Campbell und Stanley, 1966, 5). Interne Validität einer Untersuchung liegt dann vor, wenn sich die empirischen Ergebnisse mit der untersuchten Hypothese erklären lassen und keine alternativen Hypothesen vorliegen, die zu der gleichen oder gar besseren Erklärung herangezogen werden können (Shadish, Cook und Campbell, 2002, 53). Wenn sie sehr hoch ist, dann zeigt sie an, dass die Veränderung der abhängigen Variablen ausschließlich durch die Variation der unabhängigen Variablen aufgetreten ist. <?page no="227"?> 7.5 Bewährung und Validität 213 Wenn jedoch vermehrt Störvariable auf die abhängige Variable wirken, erklärt die unabhängige Variable immer weniger die Veränderungen der abhängigen Variablen. Es gibt dann eine Reihe von Alternativhypothesen, die die Veränderungen der abhängigen Variable ebenfalls erklären. Tendenziell wird eine hohe interne Validität vermutet, wenn eine umfassende Kontrolle der Störvariablen möglich ist. Daher wird unter Laborbedingungen eine hohe interne Validität vermutet, in der Feldforschung ist hingegen mit einer niedrigeren internen Validität zu rechnen (Döring und Bortz, 2016, 205ff). ( ► Kap. 2.4.3) Der Einfluss der Untersuchungsart (experimentell vs. quasiexperimentell) auf die interne Validität besteht im Vorhandensein oder Nichtvorhandenseins des Prinzips des statistischen Fehlerausgleichs. Durch die Randomisierung wird die Äquivalenz zweier Gruppen statistisch hergestellt. Das bedeutet, dass die Zuordnung von Personen zu verschiedenen Gruppen dem Zufall überlassen wird und sich so relevante Variablen, die ein Ergebnis beeinflussen können (wie z.B. Intelligenz, Alter etc.), in beiden Gruppen annähernd gleich verteilen (Hussy und Jain, 2002, 106). Dadurch können Ergebnisse relativ eindeutig auf die unabhängige Variable (und nicht auf vorab bestehende Gruppenunterschiede) zurückgeführt und interpretiert werden (Döring und Bortz, 2016, 196f). Ist eine Randomisierung aufgrund bereits bestehender oder natürlicher Gruppen nicht möglich, kann eine statistische Äquivalenz nicht hergestellt werden. Das Zustandekommen der Ergebnisse kann demnach nicht eindeutig auf die unabhängige Variable zurückgeführt werden, da die Gefahr besteht, dass sich die Gruppen in Bezug auf die relevanten Merkmale systematisch unterscheiden. Daher ist zu erwarten, dass die interne Validität quasiexperimenteller Untersuchungen niedriger als die experimenteller Untersuchungen ist. Die externe Validität gibt Auskunft, inwieweit die Ergebnisse der Untersuchung auf Personen, Situationen etc. außerhalb der untersuchten Stichprobe übertragen werden können (Shadish, Cook und Campbell, 2002, 83). Eine hohe externe Validität wird Felduntersuchungen unterstellt, weil diese Untersuchungen den Alltagsbedingungen nahe kommen (Döring und Bortz, 2016, 206). Das heißt, die Ergebnisse lassen sich z.B. auch auf andere Personen in dieser Situation oder auf andere Situationen dieser Person übertragen. Die externe Validität wird bei Laboruntersuchungen als geringer eingestuft, weil in Laboruntersuchungen Störeinflüsse weitestgehend kontrolliert werden, was die Untersuchungsbedingungen als unnatürlich erscheinen lässt. Es ist allerdings fraglich, ob das Konzept der externen Validität sinnvoll für eine einzelne Untersuchung angewendet werden sollte. Als sinnvoll wird hingegen dieses Konzept für die Beurteilung von Forschungsprogrammen angesehen (Bröder, 2004, 51). Wie Gadenne (1976) gezeigt hat, lassen sich die Konzepte der internen und externen Validität, wie sie insbesondere von Campbell und Stanley entwickelt wurden, <?page no="228"?> 214 7 Erklärung als induktiv charakterisieren. Da die externe Validität Auskunft über die Generalisierbarkeit der Ergebnisse gibt (Gadenne, 1976, 37ff), ist dies unmittelbar einleuchtend (Campbell und Stanley, 1966, 17). Auch in der Kausalinterpretation - Schluss auf die interne Validität - verbirgt sich ein induktiver Schluss, weil es nicht gelingen kann, sämtliche Störvariablen zu kennen und zu kontrollieren (Gadenne, 1976, 29ff). Induktive Schlüsse sind gehaltserweiternd und daher im Gegensatz zu deduktiven Schlüssen nicht wahrheitserhaltend. Relevant wird diese Charakterisierung des induktiven Schließens wegen der Probleme, die mit ihnen verbunden sind. Es ist nämlich nicht möglich, mit Sicherheit von den beobachteten Fällen auf alle Fälle zu schließen (Rescher, 1987, 23f). Dass sich Cook und Campbell (1979) auch in einer späteren Veröffentlichung auf den kritischen Rationalismus von Popper berufen, mag ihre Verwendung in einer deduktiven Methodologie widersprüchlich erscheinen. Auch in einer deduktiven Methodologie ist allerdings das Konzept der externen Validität sinnvoll (Bröder, 2004, 49). Um beispielhaft den Zusammenhang zwischen der Reliabilität und verschiedenen Validitätsarten aufzuzeigen, stellt Abbildung 22 einfache Zusammenhänge heraus. Abbildung 22: Zusammenhang zwischen Reliabilität und Validität Wenn Konstrukte wie Vertrauen in einer Untersuchung gemessen werden, wirkt sich ihre Konstruktvalidität auf die interne Validität aus. Abbildung 22 zeigt daher, dass ein Zusammenhang zwischen der Konstruktvalidität eines Messinstruments - Items in einem Fragebogen - und der internen Validität besteht. Die interne Validität drückt aus, wie gut die unabhängige Variable die Veränderung der abhängigen Variablen erklärt. D.h., jeder nicht kontrollierte Störeinfluss führt zur Verminderung der internen Validität. Reliabilität bezieht sich ebenfalls auf diese Beherrschung der Störeinflüsse: je besser Störeinflüsse kontrolliert werden, desto höher ist die Reliabilität, weil der Fehleranteil sinkt. Ein reliables Messinstrument ist allerdings nur eine Voraussetzung für eine hohe interne Validität, es sind weitere Effekte zu berücksichtigen, die die interne Validität beeinflussen. <?page no="229"?> 7.6 Erklären versus Verstehen 215 So enthält Abbildung 22 noch die statistische Validität, welche die Schlüsse beurteilt, die auf Basis der statistischen Methoden getroffen werden. 7.6 Erklären versus Verstehen 7.6.1 Plädoyer für Methodenkombinationen Seit dem Verdikt von Dilthey - „Die Natur erklären wir, das Seelenleben verstehen wir“ (Dilthey, 1894/ 1964, 144) - ist ein Methodendualismus damit verbunden, dass „Verstehen“ und „Erklären“ als sich gegenseitig ausschließende Alternativen angesehen werden (Winch, 1974, 93ff). In Opposition zu dieser Auffassung steht ein Methodenmonismus für eine einheitliche Methode, wobei das Erklären dem Verstehen als überlegen gilt und das Verstehen als eine verkürzte und unvollkommene Form des Erklärens angesehen wird (Opp, 2014, 83f.). Im Gegensatz zu diesen Ansichten wird zunehmend eine dritte Ansicht formuliert, welche die Eigenständigkeit und damit die Gleichberechtigung von „Erklären“ und „Verstehen“ betont (Detel, 2007c, Patzig, 1973/ 1996). In den Sozialwissenschaften spiegelt sich die Kontroverse zwischen Erklären und Verstehen insbesondere in der Diskussion um den Einsatz von qualitativen und quantitativen Methoden wider. Im Wesentlichen gibt es zu dieser Diskussion drei Positionen: Sozialwissenschaftlerinnen und Sozialwissenschaftler, die eine interpretative Sozialwissenschaft annehmen und die beispielsweise Erklärungen nach dem DN-Schema ablehnen. Sozialwissenschaftlerinnen und Sozialwissenschaftler, die eher auf der Grundlage der analytischen Philosophie (inkl. des Kritischen Rationalismus) stehen und die das Konzept des Verstehens ablehnen; sie halten Erklärungen für ausreichend. Sozialwissenschaftlerinnen und Sozialwissenschaftler, die Verstehen und Erklären als sich gegenseitig bedingende Konzepte anerkennen und die entsprechende Methoden in verschiedenen Phasen der Forschung einsetzen (Haussmann, 1991, 233). Auch wer dem zweiten Standpunkt zustimmt, sollte sich darüber klar sein, dass Verstehen nicht nur im Entdeckungszusammenhang notwendig ist. Verstehen ist grundsätzlich auch im Begründungszusammenhang erforderlich, da Erklären immer um Verstehen zu ergänzen ist: Beide wissenschaftlichen Tätigkeiten verhalten sich komplementär zueinander (Haussmann, 1991, 233f, Künne, 1981, 7, Patzig, 1973/ 1996). Da Handlungen als zentrales Objekt von Sozialwissenschaften gelten, bietet es sich an, „Erklären“ und „Verstehen“ zu kombinieren. Ver- <?page no="230"?> 216 7 Erklärung stehen und Erklären sind Erkenntnisziele, die den intentionalen Charakter von Handlungen berücksichtigen. Mithilfe des Verstehens werden z.B. Ziele und Überzeugungen als Gründe für Handlungen identifiziert, die dann in Form von Hypothesen in Erklärungen eingehen können ( ► Kap. 5). Mit individualistischem Blick untersucht sozialwissenschaftliche Forschung menschliche Handlungen in spezifischen Situationen. Wird das Drei-Ebenen- Modell zugrunde gelegt, dann sind auf allen Ebenen Einzelfallstudien oder generalisierende Studien möglich. Aus den Eigenschaften der Individualität und der spezifischen Bedingungen ist daher nicht der Schluss zu ziehen, dass die Sozialwissenschaften ausschließlich idiographisch vorgehen und in denen Regularitäten oder gesetzesartige Aussagen keine Rolle spielen. Nomothetische Aussagen über die Handlungen Einzelner sowie von Gruppen oder Organisationen, d.h. von Aggregaten der Individuen, erweitern individuelle Handlungserklärungen und entsprechen einem wesentlichen Wissenschaftsziel: Wissen zu schaffen, das verallgemeinerbar ist. Beide Betrachtungsweisen - idiographische Fallanalyse und nomothetische Vorgehensweise (Windelband, 1924, 142ff) - können sich gegenseitig befruchten. Diese Position lässt sich durch eine Charakterisierung der Sozialwissenschaftslehre als Handlungswissenschaft verdeutlichen (Lehner, 2011, 43ff, Rosenberg, 2016, 11ff, Weber, 1922/ 2013, 155ff): Sozialwissenschaftliche Forschung versucht, das Handeln von sozialwissenschaftlichen Akteuren deutend zu verstehen. Sie überträgt Erklärungen des Handelns einzelner Individuen auf viele Individuen, um zu prüfen, ob die Erklärungen sich verallgemeinern lassen. Um generelle Aussagen ableiten zu können, sucht sie daher nach Regularitäten in sozialwissenschaftlichen Handlungen (Braybrooke, 1987, 110ff). Kern der generellen Aussagen sind Ursache-Wirkungsbeziehungen, die es ermöglichen sollen, Prognosen und Gestaltungshinweise abzuleiten. Ein solcher erkenntnistheoretischer Pluralismus akzeptiert „Erklären“ und „Verstehen“ als jeweils eigenständig (Little, 1991, 237) und adressiert daher einen Methodenpluralismus, der sich neben dem Methodenmonismus mit dem Ideal der Naturwissenschaft und einem Methodendualismus mit seiner strikten Ablehnung jeglichen Anspruchs auf Erklären für die Sozialwissenschaft als dritte Variante anbietet (Kirsch, Seidl und Aaken, 2007). Feyerabend spricht von einer „pluralistische(n) Methodologie“ (Feyerabend, 1970/ 1995, 34), d.h. einer ausdrücklich mehrere Erkenntnisweisen zulassende Sichtweise (Hoyningen-Huene und Oberheim, 2006, 22, Oberheim, 2006, 270ff). Ein Methodenpluralismus fördert mithin auch die Kombination von Methoden („Mixed Methods“) in den Sozialwissenschaften. ( ► Kap. 1.2) <?page no="231"?> 7.6 Erklären versus Verstehen 217 Im Fokus der Methodenkombinationen stehen besonders quantitative und qualitative empirische Methoden. Zwar werden qualitative Methoden vorwiegend eingesetzt, wenn Hypothesen generiert werden sollen, quantitative Methoden werden hingegen zur Prüfung von Hypothesen herangezogen, dies ist jedoch als Schwerpunktsetzung zu verstehen. Beide Methodengruppen können in verschiedenen Phasen der Forschung eingesetzt werden, um Handlungen sozialwissenschaftlicher Akteure zu verstehen und zu erklären. Abschließend wird beispielhaft skizziert, wie beide Methodengruppen kombiniert werden. Hierzu werden zwei Gründe für ihre Kombination nach Art der Handlungserklärung angeführt: vertiefte und erweiterte Handlungserklärungen. 1. Eine Vertiefung von Handlungserklärungen bezieht sich insbesondere auf die Möglichkeit, auf unklare oder überraschende Befunde in einer Untersuchung zu reagieren oder auch neue Befunde durch eine qualitative Untersuchung zu ermitteln. Bestehen noch nicht ausreichende Kenntnisse über ein zu untersuchendes Phänomen, dann sind häufig sowohl die Konstrukte als auch die damit zusammenhängenden Hypothesen unklar. In diesem Fall bieten sich qualitative Methoden an, erste Klarheit durch eine Untersuchung im Feld zu schaffen. So gibt Eugene Soltes (2016) als wesentlichen Grund seiner qualitativen Studie an, dass es wenig direkte Befragungen von verurteilten Führungskräften gibt. Nachwievor ist es unklar, warum sie die hohen Risiken eingegangen sind und wirtschaftskriminelle Handlungen begangen haben. In der Untersuchung von Sutton und Rafaeli (1988) dient eine Methodenkombination dazu, überraschende Befunde aus einer quantitativen Untersuchung, z.B. eine genau entgegengesetzte Richtung des Einflusses zwischen abhängiger und unabhängiger Variable, anhand der untersuchten Einheiten zu ergründen, um damit die tatsächliche Abhängigkeit besser zu erkennen (Kelle, 2007, 233ff). 2. Eine Erweiterung von Handlungserklärungen dient vornehmlich der Überprüfung, inwieweit die in einer qualitativen Untersuchung gefundenen Handlungserklärungen auch für andere Untersuchungseinheiten Gültigkeit haben. Da qualitative Untersuchungen häufig auf einer eingeschränkten Fallauswahl beruhen, wird mit einer anschließenden quantitativen Untersuchung versucht, eine höhere Generalisierbarkeit der Befunde zu erreichen. Es sind jedoch zwei Aspekte besonders zu beachten: 1. Es muss sichergestellt werden, dass die entwickelten Konstrukte sich auf die gleichen Phänomene beziehen. 2. Werden die Zusammenhänge aus der qualitativen Untersuchung in <?page no="232"?> 218 7 Erklärung der quantitativen Untersuchung nicht bestätigt, muss dies nicht an einer fehlerhaften qualitativen Untersuchung liegen, sondern es kann schlicht daran liegen, dass innerhalb der Geltungsweite der qualitativen Untersuchung der Zusammenhang zwar gilt, außerhalb aber nicht (Kelle, 2007, 244ff). 7.6.2 Qualität von Studien mit Methodenkombinationen Wenn in einer Studie quantitative und qualitative Methoden kombiniert werden, nach welchen Maßstäben wird dann die Güte gemessen? Drei Antworten werden vorgeschlagen: 1. Es sollten die Gütekriterien der quantitativen Methodologie Vorrang haben (Miller, 2003, 441). 2. Da Gütekriterien der quantitativen Methodologie nicht adäquat für qualitative Methoden sind, sollten beide Methodengruppen mit unterschiedlichen Gütekriterien beurteilt werden. Zur Stützung dieser Antwort wird die Abhängigkeit der Kriterien von unterschiedlichen Paradigmen behauptet (Sale und Brazil, 2004, 352f). 3. Methodenkombinationen stellen die Qualitätsbeurteilung vor neue Herausforderungen, daher müssen neue (weitere) Kriterien entwickelt werden (Onwuegbuzie und Johnson, 2006). Welche Antwort ist überzeugend? Es besteht nicht nur keine Notwendigkeit, für Methodenkombinationen neue Kriterien zu entwickeln, ich befürworte vielmehr, dass mit Konzepten, wie der Validität und der Reliabilität, die Qualität von qualitativen Studien und von Methodenkombinationen beurteilt werden kann. Die Diskussionen um die Gütekriterien der qualitativen Methoden haben gezeigt, dass es nicht von Vorteil ist, wenn neue Kriterien entwickelt werden, ohne sie an die bereits bestehenden Standards anzubinden. Es ist z.B. nicht ersichtlich, welchen Vorteil es haben soll, wenn in quantitativen Studien die externe Validität zur Beurteilung herangezogen wird, in qualitativen Studien von Übertragbarkeit („transferability“ Lincoln und Guba, 1985, 297f) gesprochen wird und für die Methodenkombinationen ein weiteres Kriterium - „inference transferability“ (Teddlie und Tashakkori, 2009, 287) vorgeschlagen wird. Denn in all diesen Konzepten geht es um die gleiche Frage: Lassen sich die gefundenen Ergebnisse der Studie auf soziale Sachverhalte (Akteure, Kulturräume etc.) außerhalb der Stichprobe übertragen? Auch für die Validität werden zwei weitere Termini vorgeschlagen: Glaubwürdigkeit und Legitimation (Onwuegbuzie und Johnson, 2006, 55). Wenn Validität als Güte der Schlüsse, die auf Basis von Untersuchungen gezogen werden, aufgefasst wird, dann lässt sich dieses Konzept auch auf Methodenkombinationen übertragen. Dies haben Tashakkori und Teddlie (2009, 286ff) zwar vorgeschlagen, <?page no="233"?> 7.6 Erklären versus Verstehen 219 allerdings knüpfen sie weder an das Argumentschema von Toulmin noch an die von Messick und Kane entwickelten Konzepte an. Insbesondere das Argumentschema von Toulmin hat den Vorteil für komplexe Argumente, wie es die Beurteilung der Validität von Studien mit Methodenkombination zweifelsohne ist, in einzelne Bestandteile zu zerlegen und damit die einzelnen Schritte offenzulegen. ( ► Kap. 4.3.5) Wird die vorgetragene Argumentation zur Validität verallgemeinert, hat dies für einen Methodenpluralismus folgende angestrebte Konsequenzen: Gemeinsame Gütekriterien auf Basis verschiedener wissenschaftlicher Forschungsprogramme fördern die Kooperation zwischen ihnen und erleichtern die Kommunikation (Collins, 2015, 245). Gemeinsame Gütekriterien erleichtern Diskussionen über die Methodenkombinationen. Daher ist der Vorschlag von Onwuegbuzie und Johnson (2006), neben der Terminologie für die quantitativen und qualitativen Methoden eine neue Terminologie für die Methodenkombination hinzuzufügen, zur Kommunikation zwischen Forschenden eher ungeeignet. Die Entwicklung gemeinsamer Standards für Methoden und Untersuchungsdesigns ist eine Möglichkeit, die Kommunikation als Vorbedingung der Kooperation zwischen verschiedenen wissenschaftlichen Forschungsprogrammen zu fördern. Wird in diesem Feld Einverständnis durch kommunikatives Handeln erzielt (Habermas, 1981, 385ff), ist eine Voraussetzung vernünftiger Kommunikation gegeben. Zusammenfassung Wissenschaftliche Erklärungen sind Warum-Fragen, d.h., sie geben Gründe oder Ursachen an, warum bestimmte soziale Sachverhalte zu beobachten sind. Eine deduktiv-nomologische Erklärung (DN-Erklärung) besteht aus mindestens einem Gesetz und mindestens einer Anfangsbedingung, aus denen sich Konsequenzen folgern lassen. Für die Erklärung von Handlungen sind die Anfangsbedingungen die Ziele und Überzeugungen von sozialen Akteuren, die in allgemeiner Form auch dem Gesetz zugrunde liegen. Wenn das Gesetz probabilistisch formuliert ist, dann wird von einer induktiv-statistischen Erklärung gesprochen. Es ist dann nicht mehr zwingend, dass der Sachverhalt, der als Konsequenz formuliert ist, auftritt: Es ist nur wahrscheinlich. Eine intentionale Erklärung erklärt die Handlung ausschließlich auf Basis einer Ziel-Überzeugungs-Kombination; ein Gesetz wird nicht für dieses Schluss-Schema benötigt. <?page no="234"?> 220 7 Erklärung Mit Kausalität wird die Beziehung zwischen Ursache und Wirkung bezeichnet. Dieses Konzept entzieht sich einer einfachen Definition. Es haben sich vier verschiedene Ansichten über Kausalität entwickelt. Mit dem Regularitätsansatz verbindet sich die Idee, dass der Ursache regelmäßig die Wirkung folgt. In den Sozialwissenschaften ist davon auszugehen, dass es keinen deterministischen Zusammenhang gibt, sondern häufig probabilistische Beziehungen. Die Komplexität führt zum Aufstellen von INUS-Bedingungen für kausale Erklärungen. Sie weisen darauf hin, dass es in den Sozialwissenschaften häufig alternative Bündel von Erklärungen gibt. Beim kontrafaktischen Ansatz wird gedanklich ein alternatives Szenario geschaffen, in dem die Ursache fehlt, in ihr sollte dann auch nicht die Wirkung auftreten. Im Interventionsansatz wird eine Manipulation (Intervention) eingesetzt, um die Ursache so zu manipulieren, dass sie die Wirkung hervorbringt. Mechanismusansätze wollen die Prozesse erklären, mit deren Hilfe die Wirkung erzielt wird. Sie setzen die Verbindung zwischen Ursache und Wirkung in den Mittelpunkt der Analyse Die verschiedenen Ansätze schließen sich nicht gegenseitig aus, vielmehr ergänzen sie sich in einigen Punkten. Daher bietet sich eine pluralistische Fassung der Kausalität an, die nicht nach den begriffsnotwendigen Bestandteilen von Kausalität sucht. Theorien sind komplexe Systeme von Aussagen (sogenannter statement-view). Sie bestehen aus einem komplexen Geflecht von theoretischen, empirischen Begriffen und dementsprechenden Interpretationsregeln, die Bestandteile von grundsätzlichen Aussagen (Axiomen) und daraus abgeleiteten Folgerungen sind. Meist werden Theorien nicht isoliert diskutiert, sondern zu wissenschaftlichen Forschungsprogrammen verbunden. In den Sozialwissenschaften ist das Drei-Ebenen-Modell häufig anzutreffen. Eine typische Einteilung der drei Ebenen ist die in (1) Mikro- Ebene für Individuen, (2) Meso-Ebene für Gruppen oder Organisationen und (3) Makro-Ebene für Märkte oder Netzwerke. Wenn Phänomene einer hierarchisch unteren Ebene Phänomene einer höheren Ebene vollständig erklären, wird von Reduktion gesprochen. Dem entgegen steht die Emergenzthese, mit der behauptet wird, dass es Phänomene der oberen Ebene gibt, die nicht durch Phänomene der unteren Ebene erklärt werden können. Weit verbreitet ist das Konzept der Mikrofundierung. Es besagt, dass Phänomene der überge- <?page no="235"?> 7.6 Erklären versus Verstehen 221 ordneten Ebene durch theoretische Erkenntnisse der individuellen Ebene abgesichert werden. Gerechtfertigte Überzeugungen sollen durch die Bewährung von Theorien hergestellt werden. In den Sozialwissenschaften hat sich eine Logik des Prüfens von Hypothesen etabliert, das auf der Inferenzstatistik beruht und insbesondere Signifikanztests vorsieht. Neben der Signifikanz wird heute durch Effektgrößen, der Vorgabe von β- Fehlern und Konfidenzintervallen eine Verbesserung der Aussagekraft erhofft. Bewährung ist ein Bericht über die überstandenen Tests, die möglichst streng sein sollen. Die Strenge der Tests kann sich inhaltlich z.B. auf Vorhersagen richten, die etablierten Theorien widersprechen, oder sie beziehen sich auf die statistischen Tests, indem z.B. Signifikanzniveaus verschärft werden (Schwellenwerte für α-Fehler und / oder β-Fehler). Erklärung versus Verstehen wird von einem Methodenpluralismus in eine konstruktive Richtung gewendet und als komplementäres Vorgehen gedeutet. In Studien mit Methodenkombinationen wird dies in der empirischen Forschung praktiziert und somit Pluralismus für die Theorie-Entwicklung fruchtbar gemacht. Für Methodenkombinationen sollte auf Standards der Gütebeurteilung wie der Validität zurückgegriffen werden. Dies fördert die Kommunikation von Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen, die verschiedene Forschungsprogramme betreiben. Schlüsselwörter Anfangsbedingung (173) Bewährung (175) Ceteris-paribus-Aussage (159) DN-Erklärung (173) Erklärung, intentionale (178) Holismus (201) Gehalt, empirischer (202) Interventionsansatz (184 IS-Erklärung (177) Kausalität (180) Kausalität, kontrafaktische (184) Mechanismen, kausale (186) Methodendualismus (215) Methodenmonismus (215) Regularitätsansatz (182) Supervenienz (197) Theorie (191) Lernkontrolle 1. Was ist eine DN-Erklärung? 2. Geben Sie Beispiele für Gesetze in den Sozialwissenschaften. <?page no="236"?> 222 7 Erklärung 3. Erläutern Sie die vier Adäquatheitsbedingungen für Erklärungen. Zeigen Sie auf, wie sie zu interpretieren sind. 4. Was ist eine strenge Prüfung? 5. Wodurch unterscheiden sich IS-Erklärungen von DN-Erklärungen? 6. Was ist eine intentionale Erklärung? 7. Kennzeichnen Sie Kausalität. 8. Welche vier Auffassungen der Kausalität kennen Sie? 9. Beschreiben Sie die INUS-Bedingung und erläutern Sie eine Konsequenz für die sozialwissenschaftliche Forschungspraxis. 10. Erläutern Sie an Beispielen kontrafaktisches kausales Denken. 11. Zeigen Sie die Relevanz des Interventionsansatzes für die sozialwissenschaftliche Forschungspraxis. 12. Erläutern Sie, wie sich die vier Auffassungen zur Kausalität in der sozialwissenschaftlichen Forschungspraxis niederschlagen. 13. Was ist eine Theorie? 14. Beschreiben Sie eine mögliche Struktur von Theorien. 15. Beschreiben Sie ein Drei-Ebenen-Modell von Theorien. Gehen Sie in diesem Zusammenhang auch auf die Begriffe Reduktion und Emergenz ein. 16. Was ist Supervenienz? 17. Welche Annahmen sind mit der Mikrofundierung verbunden? 18. Kennzeichnen Sie die Duhem-Quine-These über den Holismus von Theorien. 19. Was unterscheiden Methodenmonismus, Methodendualismus und Methodenpluralismus? 20. Erläutern Sie an Beispielen, wie sich unterschiedliche Methoden in einer Studie kombinieren lassen. Geben Sie auch Gründe an, warum dieses Vorgehen vorteilhaft sein kann. 21. Begründen Sie, warum es sinnvoll ist, zur Beurteilung der Qualität von Studien mit Methodenkombinationen auf die etablierten Standards wie Validität und Reliabilität zurückzugreifen. Kommentierte Literaturempfehlungen Umfassende Analysen zum Erklärungsbegriff finden sich in Salmon (1989), Stegmüller (1983) und Psillos (2007). Stegmüller kommt aufgrund seiner Analysen zur Ansicht, dass die Erklärungsbegriffe dem Familienbegriff von Wittgenstein entsprechen, d.h., sie sind miteinander verwandt, aber sie haben nicht alle die gleichen Grundbestandteile (Stegmüller, 1983, 113). Die Aufsätze von Hempel finden sich in seinem Band „Aspects of scientific explanation“ (Hempel, 1965a). Hempels ursprünglicher Aufsatz beschäftigte sich insbesondere mit der Erklärung geschichtlicher Ereignisse, worauf Dray aus Sicht eines Historikers das Modell einer rationalen Erklärung vorschlug (Dray, 1957, 124ff). <?page no="237"?> 7.6 Erklären versus Verstehen 223 Die umfangreichste Monographie über das Konzept der Erklärung ist von Stegmüller (1983), eine sehr konzise Einführung in das Gebiet ist von Bartelborth (2007), der auch auf die verschiedenen Kausalitätsauffassungen eingeht. Psillos (2002) und die verschiedenen Autoren im „Oxford Handbook of Causation“ (Beebee, Hitchcock und Menzies, 2009) diskutieren diese Ansätze ebenfalls ausführlich. Ein umfangreicher Band über Kausalität in den verschiedenen Wissenschaften ist von Illari, Russo und Willliamson (2009) herausgegeben worden; von Illari und Russo (2014) stammt auch ein exzellentes Überblicksbuch zur Kausalität. Der Interventionsansatz wird umfassend von Woodward (2003) dargestellt; eine kritische Diskussion findet sich bei Hoover (2009, 339ff), der auch eine alternative Interpretation für kausale Strukturmodelle analysiert. Hedström und Ylikoski (2010) führen in den Mechanismusansatz ein, der von Opp (2005) kritisch analysiert wird. Kanonisch für intentionale Erklärungen ist von Wright (1971). Eine Überblick zu verschiedenen Positionen, ob in intentionalen Erklärungen Gründe oder Ursachen die angemessenere Redeweise ist, bieten Vossenkuhl (2003) und ausführlich Beckermann (1977). Davidson hat seine Argumentation in einer Reihe von Aufsätzen entwickelt, z.B. (Davidson, 1985, 2006), eine ausführliche Analyse seiner Argumentation findet sich bei Glüer (2011). Umfassend zu dieser sehr tiefgehenden Diskussion Keil (2000). Die vorgestellte Theorienkonzeption beruht vorwiegend auf folgenden Werken: Esser (1993), Kelle (2007), Little (1998) und Zahle (2007), um nur die wichtigsten zu nennen. Zum methodischen Vorgehen in der Mehr- Ebenen-Forschung finden sich viele Hinweise in dem von Kozlowski und Klein (2004) herausgegebenen Band. Eine kurze Einführung zum Konzept der Bewährung gibt Gadenne (1998). In Lehrbüchern zur schließenden Statistik (Inferenzstatistik) finden sich Beschreibungen der grundsätzlichen Vorgehensweise, wie Bewährung festgestellt werden kann; wie z.B. in Eid, Gollwitzer und Schmitt (2015). Eine ausführliche Analyse der Konzeption von Cook und Campbell findet sich in Gadenne (1984). Lesenswert zur Replikation sind die Artikel von Rosenthal (1990) und Schmidt (2009). Die Kontroverse zwischen Erklärung und Verstehen hat verschiedene Stadien durchlaufen, die von Apel (1979) beschrieben und kommentiert werden. Häufig wird Verstehen als eine noch nicht vollendete, verkürzte Form der Erklärung diskutiert (Abel, 1964, Bleicher, 1980, Leat, 1972/ 1978). Methodenkombinationen werden umfassend in den Handbüchern von Tashakkori und Teddlie (2010) sowie von Nagy Hesse-Biber und Johnson <?page no="238"?> 224 7 Erklärung (2015) behandelt, grundlegend ist die Monographie von Teddlie und Tashakkori (2009). Als Einstieg zur Beurteilung der Güte von Studien mit Methodenkombinationen dient O’Cathain (2010). Einen umfassenden Überblick über die wesentlichen methodologischen Fragen liefert Kelle (2007). Einige Teile dieses Kapitels sind meinem Aufsatz (Brühl, 2010) entnommen. <?page no="239"?> 8 Gestaltung und Prognose 8.1 Merkmale von Gestaltung und Prognose Wesentliche Ziele der Sozialwissenschaften sind neben den theoretischen Zielen der Beschreibung, des Verstehens und der Erklärung die praktischen Ziele der Prognose und der Gestaltung. Für Prognosen und Gestaltung ist ihre Zukunftsorientierung kennzeichnend. Dies ist bei der Prognose - im Folgenden synonym zu Vorhersage und Voraussage - unmittelbar evident, wenn einschlägige Definitionen betrachtet werden: So etwa für die Wirtschaftsprognose Oskar Morgenstern: „Prognose ist ein Urteil über künftige Wirtschaftslagen“ (Morgenstern, 1928, 1). Opp definiert Prognose (Vorhersage): „es ist gefragt, ob ein bestimmtes Ereignis in der Zukunft auftreten wird“ (Opp, 2014, 51). Schurz betont die Neuheit von Ereignissen: „während bei einer Voraussage der vorausgesagte Sachverhalt neu und noch unbekannt ist“ (Schurz, 2014, 30). Mit Prognosen wird in den Sozialwissenschaften ein wichtiger praktischer Zweck erfüllt: Es soll aufgezeigt werden, wie sich die untersuchten Phänomene in der Zukunft entwickeln. Dies reicht von Prognosen auf der Makro-Ebene wie die Entwicklung der Bevölkerung, um z.B. das Rentensystem in einer Gesellschaft auf demographische Veränderungen einstellen zu können, bis zu Prognosen auf der Mikro-Ebene wie Entscheidungen individueller Akteure, um ihr Entscheidungsverhalten zu verbessern. Da sich Prognosen auf die Zukunft beziehen, wird davon ausgegangen, dass es prinzipiell möglich ist, eventuell auftretende Fehlentwicklungen zu verhindern. Bei Betrachtung des Schemas der DN-Erklärung zeigt sich, dass sich das Explanans auf vergangene (Erklärung) oder zukünftige (Prognose) Handlungen beziehen kann. Dies führt dann dazu, dass eine strukturelle Gleichheit von Erklärung und Prognose behauptet wird. Daher baut dieses Kapitel auf dem vorigen Kapitel zu Erklärungen auf, allerdings werden weitere Fragen behandelt, die sich auf die Diskussion der Strukturgleichheitsthese beziehen. Die Standpunkte lassen sich pointiert zuspitzen: Es ist für eine Prognose nicht wesentlich, ob sie auf Erklärungen von bewährten Theorien beruhen: Solange sie erfolgreich in ihrer Vorhersage sind, ist dies ein ausreichendes Kriterium. Dieses Argument wird häufig mit dem Instrumentalismus in Verbindung gebracht, der Theorien als Instrumente ansieht und sich entschieden gegen realistische Positionen wendet. <?page no="240"?> 226 8 Gestaltung und Prognose Gegenstand der Sozialwissenschaften sind soziale Akteure, die über freien Willen und Kreativität verfügen. Voraussagen mittels deterministischer Kausalbeziehungen über das zukünftige Verhalten sind aus diesem Grund nicht möglich. Prognosen können sich in sozialen Systemen selbst zerstören oder selbst erfüllen, weil Akteure auf kommunizierte Sachverhalte reagieren, sich untereinander beeinflussen und somit die vorausgesagten Sachverhalte eintreffen lassen oder ihr Eintreten verhindern. Während bei der Prognose zwar ein praktisches Ziel verfolgt wird, ohne aktiv in soziale Prozesse einzugreifen, setzt das Gestalten explizit an der aktiven Veränderung von sozialen Prozessen an. Da Veränderungen nur in der Zukunft realisiert werden können, ist das Gestalten wie die Prognose in die Zukunft gerichtet. In den Sozialwissenschaften geht es jedoch vornehmlich um die Theorie des Gestaltens und nicht um das tatsächliche Gestalten. Mit dem kognitiven Ziel der Gestaltung sollen Möglichkeiten für veränderte soziale Prozesse erzeugt werden; einige typische Definitionen und Zwecksetzungen des Gestaltens sind z.B.: Es werden die Mittel gesucht und aufgezeigt, um bestimmte Zwecke zu erreichen (König, 2006, 84). Nach Hans Ulrich sollen „Gestaltungsmodelle für die Veränderung der sozialen Wirklichkeit“ entworfen werden (Ulrich, 1981, 11). Mario Bunge definiert Technologie als technologisches Wissen (Gestaltungswissen): „it can be employed to control, transform or create things or processes, natural or social, to some practical end deemed to be valuable” (Bunge, 1976, 154). Der Begriff umfasst somit auch Theorien, die für die Gestaltung eingesetzt werden. Es sind in der anwendungsorientierten Forschung weitere Abstufungen möglich, die vom empfehlenden Charakter schrittweise zur konkreten Handlung führen. Die mit letzterer verbundene Aktionsforschung stellt die Intervention während des Forschungsprozesses in den Mittelpunkt und wird zum Abschluss dieses Kapitels behandelt. 8.2 Prognose 8.2.1 Strukturgleichheit von Erklärung und Prognose Welche Eigenschaften sollte eine Prognose haben, damit sie sich als wissenschaftlich klassifiziert? Denn nicht jede Aussage über die Zukunft ist als wissenschaftliche Prognose zu bezeichnen: „Die Welt wird im Jahre 2025 untergehen, <?page no="241"?> 8.2 Prognose 227 weil ich ein Erleuchteter bin! “ gehört in die Kategorie der unwissenschaftlichen Prognose. Popper und Hempel haben mit dem Hinweis, dass Prognose und Erklärung strukturgleich sind, eine These aufgestellt, welche die Eingangsfrage so beantwortet, dass eine Prognose aus einem Gesetz und den Anfangsbedingungen deduktiv abgeleitet wird ( ► Kap. 7.1.1): „Thus, the logical structure of a scientific prediction is the same as that of a scientific explanation“ (Hempel, 1942, 38). „Wir sehen also, daß, vom logischen Standpunkt betrachtet, die Prognosendeduktion und die technische Anwendung lediglich eine Art Umkehrung des fundamentalen Erklärungsschemas darstellen“ (Popper, 1949/ 1972, 52). Wie ist diese These der Strukturgleichheit zu erklären? Beide mögliche Lesarten dieser These werden im vorherigen Kapitel bereits implizit erwähnt (Keuth, 2000, 70). Sie sollen hier auf die DN-Erklärung bezogen werden, weil sie in diesem Zusammenhang diskutiert werden (Hempel, 1965/ 1977, 44): 1. Jede DN-Erklärung ist eine potentielle DN-Prognose. 2. Jede DN-Prognose ist eine potentielle DN-Erklärung. Einige Autoren geben diesen Teilthesen eine zeitliche Komponente, d.h. beispielsweise für die erste Teilthese, dass, wenn sie vor dem Ereignis abgegeben wird, aus der Erklärung eine Prognose wird. Neben dieser zeitlichen Betrachtung (Hempel, 1965/ 1977, 43, Stegmüller, 1983, 192) kann jedoch auch eine pragmatische Betrachtung der Strukturgleichheit erfolgen (Küttner, 1979, 85), die sich am DN-Schema erläutern lässt (s. Abbildung 23). Wenn das DN-Schema auf die Prognose angewendet wird, zeigt sich, dass beide Schemata übereinstimmen, das Explanandum ist dann keine Erklärung, sondern eine Prognose. Ein prognostisches Argument besteht aus einem Gesetz und den Anfangsbedingungen als Prämissen und der prognostischen Aussage als Konklusion. Der Unterschied zwischen Erklärung und Prognose ist somit pragmatischer Natur: Während bei Erklärungen das Explanandum - also die Konklusion - bekannt ist und die Voraussetzungen - das Explanans (Gesetz und Anfangsbedingungen) - gesucht werden, wird bei der Prognose das Prädikandum - die Prognose - gesucht und das Prädikans (Gesetz und Anfangsbedingungen) ist gegeben (Küttner, 1981, 59, 1989, 276). <?page no="242"?> 228 8 Gestaltung und Prognose Abbildung 23: Prognose mit Hilfe des DN-Schemas Eine Prognose - im Sinne einer DN-Prognose - ist somit eine begründete Aussage über zukünftige Ereignisse (Knapp, 1978). Im Prognoseargument nach dem DN-Schema liefern das Gesetz und die Anfangsbedingungen die Gründe für die Prognose. Wenn der Behauptung zugestimmt wird, dass wissenschaftliche Prognosen strukturgleich zu Erklärungen auszuzeichnen sind, dann ergeben sich daraus entsprechende Anforderung an Prognosen. Beispielsweise werden ähnliche Adäquatheitsforderungen an Prognosen gestellt, wie sie bei Erklärungen diskutiert werden. Es gibt allerdings einige Zweifel an der Strukturgleichheit und damit auch daran, dass die Adäquatheitsbedingungen für Erklärungen herangezogen werden können. Von Erklärungen wird verlangt, dass sie Ursachen benennen, mithin sollen Kausalerklärungen gegeben werden. Für Prognosen wird diese Anforderung als zu restriktiv angesehen, d.h., es werden auch Indikatoren, die nicht als Ursachen angesehen werden, für eine Prognose akzeptiert und somit weitere „Erkenntnis- oder Vernunftgründe“ zugelassen (Stegmüller, 1983, 236). Nach den Diskussionen um den Erklärungsbegriff, die zu einer sehr weiten Auffassung von Erklärungen geführt hat, ist es nicht adäquat, in der Diskussion der Prognose wieder zum Ausgangspunkt der Diskussion zurückzukehren. Wie im vorigen Kapitel diskutiert, verzichten intentionale Erklärungen nach dem praktischen Schluss auf die Deduktion aus einem Gesetz. Daher <?page no="243"?> 8.2 Prognose 229 sollte auch bei Prognosen diese weite Begriffsauffassung vorgenommen werden. Aus diesem Grund wird im vorliegenden Buch von gesetzesartigen Aussagen gesprochen, die in den Sozialwissenschaften auf Regelmäßigkeiten beruhen, die probabilistisch oder normisch sein können. Es gibt bedingte Prognosen, die sich dadurch auszeichnen, dass in ihnen alternative Anfangsbedingungen mit unterschiedlichen Wahrscheinlichkeiten auftreten, die voneinander abweichende Prognosen erzeugen. Die Prognose hängt dann davon ab, welche der Anfangsbedingungen in Zukunft tatsächlich zutreffen (Toulmin, 1961/ 1981, 37f). Als eine erste Konsequenz aus diesen Überlegungen werden hier in Anlehnung an Küttner’s pragmatischer Interpretation Prognosen so umrissen, dass bei ihnen das Prädikandum gesucht ist und ein Gesetz - entsprechend der sozialwissenschaftlichen Interpretation - sowie die Anfangsbedingungen - auch in der Form von alternativen Ereignissen - gegeben sind (Küttner, 1989, 279). Eine erfolgreiche Prognose sagt das Ereignis korrekt voraus und liefert auf Basis der bekannten, unterschiedlich wahrscheinlichen Anfangsbedingungen und der Regelmäßigkeiten eine Begründung. Mithin gelten nur prima facie ähnliche Adäquatheitsforderungen wie bei Erklärungen: Wir lassen zu, dass in prognostischen Argumenten die Anfangsbedingungen mit weiteren Prämissen verbunden werden und dass ein weiter Begriff von Regelmäßigkeiten zur Anwendung kommt. Eine solche Interpretation deckt sich mit verschiedenen Varianten der wissenschaftlichen Prognose, wie sie exemplarisch in den Wirtschaftswissenschaften mit Konjunkturprognosen oder in der Demographie bei der Vorhersage von Bevölkerungsentwicklungen betrieben wird. In diesen Wissenschaften beruhen Prognosen häufig aus einem Mix an Theorien, Modellen und Daten, wobei auf Basis von Theorien Modelle entworfen und mit deren Hilfe Prognosen abgeleitet werden. In Abhängigkeit von den bereits vorhandenen Kenntnissen wird der Mix zwischen den entgegengesetzten Polen Theorie und Daten mehr theoriegetrieben oder mehr datengetrieben ausfallen. Letztere Variante liegt dann vor, wenn auf Basis von statistischen Trendextrapolationen vorhergesagt wird. Insbesondere in der Ökonomie wird häufig argumentiert, dass Vorhersage wichtiger als Erklärung ist, und es wird sich dafür auf einen prominenten Vertreter berufen: Milton Friedman (1953) hat mit seiner Methodologie der positiven Ökonomie die Prognosefähigkeit der ökonomischen Theorie als ausschließlichen Zweck proklamiert und damit einer prominenten Position - dem Instrumentalismus - viel Aufmerksamkeit beschert. <?page no="244"?> 230 8 Gestaltung und Prognose 8.2.2 Prognosefähigkeit von Theorien (Instrumentalismus) Wenn über die These, dass Prognosen auch ohne Theorien als wissenschaftlich ausgezeichnet werden können, hinaus gefolgert wird, dass für die Wissenschaftlichkeit ohnehin nur der Erfolg von Prognosen notwendig ist, liegt eine Interpretation instrumentalistischer Auffassungen vor, wie sie manchmal Friedman zugeordnet wird (Mäki, 2003). Wichtiger Zweck dieses Unterkapitels ist es, Friedman’s Position in den weiteren Kontext der Instrumentalismus-Realismus- Debatte zu stellen, um damit wichtige Argumente für die Begründung von Prognosen aufzuführen. „The ultimate goal of a positive science is the development of a “theory” or “hypothesis” that yields valid and meaningful (i.e., not truistic) predictions about phenomena not yet observed.” (Friedman, 1953, 7) Friedman vertritt in diesem Zitat und in dem Artikel nicht etwa die Ansicht, dass Erklärung kein kognitives Ziel für die Wirtschaftswissenschaften ist. Er will jedoch die Güte von Theorien vorwiegend am Erfolg ihrer Prognosen messen. Dies begründet allerdings noch keinen Instrumentalismus, er muss vielmehr bei der Charakterisierung des Stellenwerts der Theorie eine fundamentale Aussage machen: “Truly important and significant hypotheses will be found to have “assumptions” that are wildly inaccurate descriptive representations of reality, and, in general, the more significant the theory, the more unrealistic the assumptions (in this sense).” (Friedman, 1953, 14) Er weist nicht nur darauf hin, dass Annahmen unrealistisch sein können, vielmehr fordert er dies sogar für die Theoriebildung. Damit wendet er sich gegen die Ansicht vieler Philosophen und Wissenschaftler, welche fordern, dass Theorien mit der Realität übereinstimmen sollten. Stellvertretend für verschiedene realistische Positionen soll Popper zu Wort kommen: „Dieses regulative Ideal, Theorien zu finden, die den Tatsachen entsprechen, macht die wissenschaftliche Tradition zu einer realistischen: sie unterscheidet zwischen der Welt unserer Theorien und der Welt der Tatsachen, zu denen diese Tatsachen gehören.“ (Popper, 1973, 317f) <?page no="245"?> 8.2 Prognose 231 Ist damit allerdings auch verbunden, dass jede Prämisse in einer Erklärung (Prognose, z.B. in einem DN-Schema, realistisch und damit wahr sein muss? Insbesondere letztere Bedingung wird zwar unter dem Fallibilismus von Popper umgedeutet, indem es durch das Prädikat „bewährt“ ersetzt wird; auf sie lässt sich aber in einer realistischen Auffassung nicht verzichten. Es ist daher von zentraler Bedeutung im Rahmen einer instrumentalistischen Auffassung von Theorien, dass weder ihre einzelnen Aussagen noch ihre daraus abgeleiteten Aussagen alle wahr im Sinne einer Korrespondenztheorie sein müssen. Wie fassen dann Instrumentalisten Theorien auf? In einer instrumentalistischen Auffassung sind Theorien symbolische Konstruktionen von Menschen, die sie für ihre verschiedenen Zwecke (instrumentell) einsetzen. Im Gegensatz zu den Tatsachen stehen sie nicht für sich, sie haben eine Funktion, die über sie als Symbol hinausweist (Kaplan, 1964, 296). Im Zentrum dieser Debatte steht die Frage, ob die Sachverhalte, welche die Theorie beschreibt und erklärt, tatsächlich existieren und damit ob diese Tatsachen mit den Aussagen der Theorie korrespondieren (Realismus) oder nicht (Instrumentalismus). Eine instrumentalistische Sicht bestreitet nicht, dass wir Theorien über die Realität in gewisser Weise aufstellen können, sie bestreitet hingegen, dass alle Begriffe unserer Theorien zu Tatsachen in der Realität korrespondieren. Insbesondere den theoretischen Begriffen entsprechen aus instrumentalistischer Sicht keine realen Sachverhalte. Aus der ontologischen Annahme, dass die Sachverhalte, auf die sich unsere Theorien beziehen, nicht realistisch aufzufassen sind, wird gefolgert, dass ein korrespondenztheoretischer Wahrheitsbegriff nicht begründet werden kann ( ► Kap. 2.4). Je nach Strömung werden dann verschiedene Alternativen wie Kohärenz- oder Konsensbegriffe der Wahrheit angeboten. Mit dem Instrumentalismus sind verschiedene Wahrheitsbegriffe vereinbar, in Tabelle 7 sind allerdings nur die sogenannten epistemischen Wahrheitskonzeptionen aufgelistet. Sie zeichnen sich dadurch aus, dass sie die Wahrheit vom menschlichen Erkenntnisvermögen und daher unserem Fürwahrhalten abhängig machen. Es ist jedoch darauf hinzuweisen, dass zwischen ontologischen und epistemologischen Positionen wie Realismus und Anti-Realismus nicht zwangsläufig konfliktäre Beziehungen auf der methodologischen Ebene bestehen müssen. Wer einem ontologischen Realismus anhängt, wird auch einen epistemologischen Realismus befürworten ( ► Kap. 3.3). Realistische Positionen werden aber nicht zu wesentlich anderen Ergebnissen kommen als ein methodologischer Instrumentalismus (Lauth und Sareiter, 2005, 190f). Bas van Fraassen (1980) nennt dies in seiner Konzeption des konstruktiven Empirismus die empirische Adäquatheit von Theorien. Denn wie soll die Korrespondenz anders als durch den Vergleich mit der Empirie festgestellt werden? Welchen Wert haben denn dann die Wahrheitskonzeptionen für die Wissenschaft? Im Gegensatz zu Kaplan, der eine sehr <?page no="246"?> 232 8 Gestaltung und Prognose negative Antwort gibt: 1 „Truth itself is plainly useless as a criterion for the acceptability of a theory” (Kaplan, 1964, 312), schlage ich vor, die regulative Idee der Wahrheit beizubehalten. Theorien sollen sich bewähren und diese Beurteilung wird durch verschiedene Konzepte der Validität gestützt. So lässt sich empirische Adäquatheit erreichen. Dem sollten auch Vertreter eines Anti-Realismus zustimmen können. Unabhängig von dieser methodologischen Festlegung trägt die Instrumentalismus-Realismus-Debatte zur Klärung von weiteren wichtigen Fragen wissenschaftlicher Praxis und ihrer Motivation bei. Sie sind in Tabelle 7 aufgeführt und beziehen sich auf Argumente, die mit der Bewertung von Theorien und der Theoriedynamik zu tun haben. Hinzuweisen ist insbesondere auf das Wunderargument, das besagt, dass der Erfolg der Wissenschaften nicht erklärbar wäre, wenn die Sachverhalte, auf die sich die Theorien beziehen, nicht real wären. Instrumentalisten führen dagegen an, dass sich im Laufe der Wissenschaftsgeschichte Theorien immer wieder als falsch herausgestellt haben und daher sich nicht auf die Realität bezogen haben können. Dabei ist zu beachten, dass in der Debatte häufig die Naturwissenschaften als Betrachtungsobjekte vorausgesetzt werden. Sozialwissenschaften unterscheiden sich dadurch, dass ihre Aussagen einen zeitlichen Bezug und aufgrund der Dynamik von Gesellschaften eine begrenzte Lebensdauer haben. Eine realistische Position, wie die von Poppers kritischem Rationalismus, argumentiert auf Basis einer fallibilistischen Philosophie, in der die Wahrheit ausschließlich in Form einer regulativen Idee postuliert wird. Es ist ein mutmaßender Realismus, der meint, aufzeigen zu können, dass sich als falsch erweisende Hypothesen für eine Referenz sprechen (Chalmers, 2007, 191): Denn wie könnte sonst von Falschheit gesprochen werden? Aus dieser Sicht sind Wissenschaftler motiviert, nach Wahrheit zu suchen, und ihre Theorien sind zwar Instrumente dieses übergeordneten Zwecks, lassen sich allerdings nicht auf diesen instrumentellen Aspekt reduzieren. Hendry (2001) hat darauf aufmerksam gemacht, dass die Überzeugungen von Wissenschaftlern einen Unterschied zwischen beiden Positionen machen und sei es auch nur ein motivationaler Unterschied. Oder in den Worten von Popper: „Alle diese Dinge sind keineswegs bloß Instrumente: Sie sind Zeugen der geistigen Eroberung unserer Welt durch unseren Verstand“ (Popper, 1963/ 2009, 157). 1 Allerdings diskutiert er im Anschluss an diese Aussage die korrespondenztheoretische, die kohärenztheoretische und die pragmatische Auffassung von Wahrheit und verbindet alle drei zu einem Konzept der Validierung von Theorien. Er schließt seine Diskussion mit einem Bekenntnis zur Wahrheit ab, die er als eine Frage der Abstufung betrachtet und die er als Leitidee nicht aufgeben will, und kommt damit der Auffassung von Popper sehr nahe. Fast vierzig Jahre nach diesen Ausführungen kommen Shadish, Cook und Campbell (2002) zu einer identischen Auffassung für ihre Validitätskonzeption. <?page no="247"?> 8.2 Prognose 233 Tabelle 7: Instrumentalismus versus Realismus in der Wissenschaftstheorie Instrumentalismus Realismus Eigenschaft von Theorien Theorien sind Konstruktionen des menschlichen Geistes; sie sind Instrumente von Wissenschaftlern. Theorien ermöglichen den Zugang zur Realität, indem sie Aussagen über reale Phänomene beinhalten. Wahrheit 1) Kohärenz 2) Konsens 3) Theorien sind nützlich Korrespondenz - Übereinstimmung der Aussagen mit den Tatsachen. Ontologische Annahme Ontologische Annahmen von Theorien unterliegen historischem Wandel, und zwar durch die jeweiligen Theorien. Die Sachverhalte, auf die sich unsere Theorien beziehen - auch theoretische Terme - existieren wirklich. Erfolg von Theorien s.u. Fortschritt der Wissenschaft „Wunder-Argument“: Der Erfolg der Wissenschaften ist ohne die Annahme des Realismus nicht zu erklären. Unterbestimmtheit Die gleichen Tatsachen lassen sich durch unverträgliche und unterschiedliche Theorien erklären. Menschliches Wissen ist fehlbar und dies trifft auch auf Theorien zu (Fallibilismus). Fortschritt in der Wissenschaft Alle Theorien der Vergangenheit haben sich ab einem bestimmten Zeitpunkt als falsch erwiesen, sie können sich daher unmöglich auf eine reale Welt beziehen. Wahrheit ist eine regulative Idee. Auch wenn nur eine Wahrheitsannäherung möglich ist, ist sie nicht aufzugeben. Es ist von einer kumulativen Entwicklung der Wissenschaft auszugehen. 8.2.3 Prognosen in den Sozialwissenschaften Robert Merton (1936, 1948) hat in zwei Aufsätzen auf Besonderheiten sozialwissenschaftlicher Prognosen aufmerksam gemacht, die darauf beruhen, dass Akteure soziale Phänomene interpretieren und die damit erzeugte subjektive Wirklichkeit als real empfinden. 2 Er bezog sich auf das Thomas-Theorem von 2 Popper hat bei der Erstveröffentlichung seiner Schrift „Elend des Historizismus“ in der Zeitschrift Economica 1944 ebenfalls auf diesen Umstand hingewiesen (Popper, 1944, 89) und dies später nach der griechischen Sage als „Ödipus-Effekt“ bezeichnet (Popper, 1944/ 2003, 11). Wie Honolka jedoch zurecht anmerkt, fehlt zwischen dem Aussetzen des prophezeiten Vatermörders und dem Mord jeder Zusammenhang, der der Systematik der sich selbst erfüllenden Prophezeiung entspricht (Honolka, 1976, 9). <?page no="248"?> 234 8 Gestaltung und Prognose Dorothy S. Thomas und William I. Thomas, die 1928 konstatierten: „If men define situations as real, they are real in their consequences.“ (Thomas und Thomas, 1928, 572). Merton hat diesen Gedanken auf die Prognose übertragen und argumentiert, dass soziale Akteure, die sich gemäß der Prognose verhalten, diese wahrmachen, obwohl die Ausgangssituation auf deren Basis die Prognose gemacht wurde, falsch interpretiert wurde. 3 Er hat dies am Beispiel eines Ansturms auf eine Bank illustriert (Merton, 1948, 194f). Beispiel 30: Bankenrun Ausgangspunkt ist die Überzeugung von Kunden und Kundinnen der Bank, dass die Bank, bei der sie ein Konto haben, in finanziellen Schwierigkeiten ist. Tatsächlich ist die Lage der Bank zu diesem Zeitpunkt normal. Wenn viele der Bankkunden der Bank zur Überzeugung kommen, dass ihre Bank in eine Schieflage geraten ist, und zur Bank gehen, um ihre Guthaben von ihren Konten in Bargeld wandeln wollen, kommt die Bank tatsächlich in Schwierigkeiten, da sie in der Regel nur einen kleinen Teil der Guthaben in Form von Bargeld vorhalten. Schlangen vor den Türen einer Bank, die in der Presse oder im Fernsehen zu sehen sind, führen dazu, dass alle Kundinnen und Kunden um ihr Geld fürchten und sich zur Bank aufmachen, um ihre Konten aufzulösen. Dies kann zum endgültigen Aus der Bank führen. So konstatiert der dritte Herausgeber von “The Economist”, Walter Bagehot: „Every banker knows that if he has to prove that he is worthy of credit, however good may be his arguments, in fact his credit is gone“ (Bagehot, 1873, 69). Wichtig ist an diesem Beispiel der Unterschied zwischen privaten und öffentlichen Überzeugungen, die jeweils zu individuellen und kollektiven Definitionen der Situation der Bank führen. Wenn erst einmal die kollektive Definition der Situation so ist, dass die Bank als konkursreif angesehen wird, dann ist es unerheblich, ob diese Situationsbeschreibung korrekt oder nicht ist und ob es einige individuelle Situationsbeschreibungen gibt, die davon positiv abweichen. Wenn sich die Mehrheit nach der Situationsbeschreibung richtet, werden die negativen Folgen eintreten. Eine sich selbsterfüllende Prognose lässt sich daher auf Basis dieses Beispiels kurz charakterisieren (Biggs, 2009, 294f): 1. Akteure haben eine Überzeugung, dass ein sozialer Sachverhalt eine bestimme Eigenschaft hat. Aufgrund dieser Überzeugung ergreifen sie eine Handlung, deren Ergebnis ist, dass der soziale Sachverhalt die Eigenschaft bekommt. 3 Merton spricht von Prophezeiungen (prophecies), die jedoch im Deutschen die Konnotation von unwissenschaftlichen Voraussagen haben. Daher wird in diesem Buch von Prognosen gesprochen. <?page no="249"?> 8.2 Prognose 235 2. Sie unterliegen allerdings in der kausalen Kette, wie sie unter 1. gekennzeichnet ist, einem Irrtum, da sie die Eigenschaft nicht korrekt wahrnehmen und daher eine Handlung wählen, die maßgeblich dazu beiträgt, die Eigenschaft hervorzubringen. Neben der selbsterfüllenden Prognose gibt es auch den entgegengesetzten Typ in Form der selbstzerstörenden Prognose. In diesem Typ ist die Einschätzung der Eigenschaften durch Akteure korrekt, allerdings treten aufgrund ihrer Handlungen die vorhergesagten Eigenschaften überhaupt nicht, zu einem anderen Zeitpunkt oder in anderer Intensität ein (Grunberg, 1986, 476). Beispiel 31: Selbstzerstörende Prognosen Wird bei einer parlamentarischen Wahl einer Partei ein überwältigender Erfolg vorausgesagt, so fassen dies die potentiellen Wähler und Wählerinnen dieser Partei so auf, dass ihre Stimme nicht mehr nötig ist und sie deshalb der Wahl fernbleiben können. Teilen diese Überzeugung sehr Viele, dann kann der Fall eintreten, dass diese Partei die Wahlen verliert und sich damit die Prognose selbst zerstört (Berg-Schlosser, 2006, 61). Morgenstern hat in seiner Monographie zur Wirtschaftsprognose eine sich selbstzerstörende Prognose für den Fall von erwarteten Preissteigerungen beschrieben (Morgenstern, 1928, 94f). Sie führen bei einer Reihe von Akteuren zu Handlungen, mit denen sie versuchen, diesen Entwicklungen auszuweichen; z.B. ziehen viele Akteure ihre Käufe vor und treiben so die Preise nach oben. Im Ergebnis kann dies allerdings dazu führen, dass die Preissteigerungen früher eintreten und höher ausfallen als ursprünglich angenommen. Dieses zweite Beispiel zeigt daher nicht, dass das prognostizierte Ereignis gar nicht eintritt, sondern nur, dass es zu einem anderen Zeitpunkt und in anderer Ausprägung auftritt. Zentral für diese Phänomene der Eigendynamik sind die Erwartungen der Akteure, auf deren Basis sie ihre Handlungen wählen. Sie bilden diese Erwartungen auf Basis von in der Vergangenheit gemachten Erfahrungen und legen diese ihrer Voraussage zugrunde. Für das Phänomen der sich selbstverändernden Prognose sind somit zunächst die individuellen Erwartungen wesentlich (Henshel und Kennedy, 1973, 119). Sie lassen sich für eine Reihe von Phänomenen und in sehr unterschiedlichen Gebieten nachweisen. Beispiel 32: Sich selbstverändernde Prognosen Aus der Medizin ist der Placebo-Effekt bekannt, der einen Mechanismus bezeichnet, bei dem die zu Behandelnden einer scheinbaren medizinischen Intervention ausgesetzt sind, und trotzdem eine Wirkung auftritt (Jones, 1977, 204ff). <?page no="250"?> 236 8 Gestaltung und Prognose Sozialpsychologische Forschungen zeigen, dass Stereotypen, also Erwartungen, die wir an soziale Akteure herantragen, diese wiederum mit entsprechendem Verhalten bestätigen (Snyder, Tanke und Berscheid, 1977). Lehrerinnen und Lehrer richten ihre Handlungen an den Erwartungen aus, die sie sich über ihre Schüler gebildet haben. Durch ihre Handlungen, z.B. Fördern der vermeintlich leistungsfähigeren Kinder, erzeugen sie tatsächlich leistungsfähigere Schüler (Jussim, 1986, 430ff). Ähnliche Ergebnisse finden sich in der Forschung zur Interaktion zwischen Führungskräften und Mitarbeitern (Eden, 2003). Allen diesen Beispielen ist gemeinsam, dass Akteure Erwartungen bilden und auf deren Basis handeln. Es zeigt sich an dieser Stelle besonders anschaulich, dass Akteure und daher auch Sozialwissenschaftler Teil der sozialen Realität sind, die sie durch ihre Handlungen verändern (Jones, 1986, 42). Das besondere an der selbst erfüllenden Prognose ist, dass Lehrkräfte eine falsche Überzeugung haben - die von ihnen als ausgezeichnet angesehenen Schülerinnen und Schüler sind nicht besser als die Anderen -, die jedoch durch ihre Handlungen wahr werden - sie schaffen meist unbewusst die Bedingungen, so dass die von ihnen als ausgezeichnet angesehenen Schüler und Schülerinnen tatsächlich besser werden. Gemeinsam ist den vielen Beispielen dieses Kapitels, dass die Prognose allen individuellen Akteuren bekannt ist. So führt z.B. die öffentliche Bekanntmachung des zu erwartenden Wahlerfolgs zu einer Änderung der geplanten Handlungen vieler Wählerinnen und Wähler. Welche wissenschaftstheoretischen Schlussfolgerungen lassen sich aus diesen Befunden über sich selbstverändernde Prognosen ziehen? Morgenstern kam aufgrund seiner Überlegungen zu dem Schluss, dass Prognosen auf Basis von Theorien und Statistik unmöglich sind (Morgenstern, 1928, 108). Er argumentiert, dass die Erwartungen der Akteure auf Erwartungen anderen Akteure beruhen, die wiederum darauf ihre Erwartungen bilden, und somit ein unendlicher Regress entsteht. Zwar hat die Wirtschaftswissenschaft mit der Theorie der rationalen Erwartungen einen Vorschlag unterbreitet, wie dieser Prozess abgebrochen werden kann (Betz, 2004, 181), doch lässt sich prinzipieller argumentieren: Sozialwissenschaftliche Prognosen bedürfen einer theoretischen Fundierung hinsichtlich der möglichen Handlungen von Akteuren, die sich auf die Prognosen auswirken können, z.B. dadurch, dass das Wissen, welches die Akteure über die zu prognostizierenden Sachverhalte haben, explizit in die Theorie aufgenommen wird (Nagel, 1961, 471). In das Prädikans sind entsprechende Regelmäßigkeiten aufzunehmen und die Anfangsbedingungen anzupassen (Opp, 2014, 92f). <?page no="251"?> 8.2 Prognose 237 Die Eigendynamik, die sozialen Prozessen inhärent sein kann, aber nicht muss, führt somit zwar zu verminderter Prognosequalität, macht aber Voraussagen nur schwieriger, jedoch nicht unmöglich (Henshel, 1982, 516ff). 8.2.4 Güte von Prognosen Die wirtschaftswissenschaftlichen Forschungsinstitute sind häufig in der Diskussion, wenn es schwere Wirtschaftskrisen gibt, welche wie in den Jahren 2008/ 2009 von ihnen nicht vorhergesagt wurden. Regelmäßig betonen ihre Vertreter dann, dass es an nicht vorhersehbaren Faktoren - z.B. Strukturbrüche - gelegen habe, so dass ihre Prognosen nicht erfolgreich waren. Ein Strukturbruch liegt vor, wenn wir zwar das gleiche Vorhersagemodell verwenden können, sich wesentliche Parameter aber verändern und somit einige Regressionskoeffizienten für den Zeitraum nach dem Strukturbruch neu geschätzt werden müssen (Hackl, 2013, 156). Dieses Phänomen ist aber nicht auf Wirtschaftsprognosen beschränkt. In den Jahren 2010/ 2011 fanden in vielen arabischen Ländern Massenproteste statt, die in einigen Staaten wie z.B. Tunesien, Ägypten oder Libyen zum Sturz der Regierungen führten. Ein solcher flächendeckender revolutionärer Ausbruch ist von keinem Wissenschaftler vorausgesagt worden: Sicherlich sind diese auftretenden Phänomene wiederum auf Basis von Strukturbrüchen zu erklären. Bei der Diskussion über Misserfolge wissenschaftlicher Prognosen sind allerdings aus wissenschaftstheoretischer Sicht zwei Fragen voneinander zu trennen: 1. Wie gut ist die Prognose begründet? 2. Wie nah lag die Prognose an der Realität? Bei der Beurteilung von Prognosen überwiegt in der öffentlichen Diskussion die zweite Frage. Es ist jedoch ebenso relevant zu beurteilen, wie gut begründet eine Prognose ist. Zur Beantwortung beider Fragen soll der Bogen etwas weiter gespannt werden, um die grundsätzlichen Beschränkungen, denen wissenschaftliche Prognosen unterliegen, zu analysieren. Eingangs des Kapitels wird die Prognose oder genauer das Prognoseargument als eine Aussage festgelegt, in der erwartete Ereignisse beschrieben werden und in der diese Erwartung begründet wird. Ähnlich wie bei der Analyse der Erklärung führt die Diskussion zu einem weiten Prognosebegriff, der nicht nur auf das DN-Schema beschränkt werden soll. Zentral für die Frage der Güte der Begründung ist daher, welche Aussagen oder Argumente für die Prognose angeführt werden und vor allem, mit welchen Methoden diese Prognosen ermittelt werden. Gibt es für ein zu prognostizierendes Ereignis keine bewährte Theorie, dann wird versucht, auf Basis von regelmäßigen Mustern der Vergangenheit auf die Zukunft zu schließen. So werden z.B. viele Prognosen auf Basis von Trend- <?page no="252"?> 238 8 Gestaltung und Prognose extrapolationen vorgenommen, die keine Ursache-Wirkungs-Mechanismen enthalten, sondern auf Vergangenheitswerten beruhen. Mit dem Reliabilismus ist eine Begründungsstrategie gegeben, der auf erfolgreiche Prozesse und Methoden abstellt und damit der Beantwortung der Frage 1 ausweicht und auf Frage 2 verweist. Es wird argumentiert, dass in der Vergangenheit erfolgreiche Erkenntnismethoden eine gute Begründung geben. Weiterhin wird in der Diskussion der Begründung der Prognose eine Reihe von Fragen angesprochen, in der auch das Ziel der Prognose im Fokus steht. Unter dem Ziel der Prognose kann eine Anpassung an vorhandene Daten oder eine Vorhersage von neuen, unbekannten Daten verstanden werden. Nochmal zur Erinnerung: Wir haben einleitend die Unterscheidung zwischen Erklärung und Prognose pragmatisch getroffen, bei der die zeitliche Komponente nicht von Relevanz ist. In der Diskussion zwischen Anpassung und Vorhersage wird diese Diskussion grundsätzlich ähnlich geführt; in der Literatur wird das mit den Schlagworten „prediction versus accomodation“ beschrieben. Unter Akkommodation wird verstanden, dass Hypothesen einer Theorie bereits vorhandene und damit bekannte Daten erklären können (Hitchcock und Sober, 2004, 2). Vorhersage (prediction) richtet sich auf neue unbekannte Daten. Was sind genau neue Daten oder neue Phänomene? Alan Musgrave hat auf Basis verschiedener Beiträge hierzu eine Unterscheidung vorgeschlagen, die sich um die Frage dreht, mit welchen Daten eine Hypothese unabhängig bestätigt werden kann. Nach der temporalen Sicht zeichnen sich neue Phänomene (Daten) dadurch aus, dass sie zum Zeitpunkt des Aufstellens der Theorie und ihrer Hypothesen unbekannt sind (Musgrave, 1974, 8). Wird diese Definition abgemildert, entsteht eine heuristische Sicht, bei der von neuen Daten in Bezug auf die Theorie gesprochen wird, d.h., die neuen Phänomene sind neu für die Theorie zum Zeitpunkt ihrer Entwicklung. Es handelt sich also nicht um gänzlich unbekannte Phänomene, sondern die Hypothesen sollen nur nicht zur Ad-hoc-Erklärung der Phänomene verwendet werden. Lakatos hat eine dritte Sicht hinzugefügt, die sich auf den Vergleich mit anderen Theorien bezieht. Neu heißt ein Phänomen aus dieser Sicht, wenn es nicht schon von anderen Theorien vorhergesagt wird (Lakatos, 1968/ 1978, 170). Ein Streit dieser Positionen geht vor allem um die Güte von Theorien. Aus der einen Sicht sind Theorien vorzuziehen, wenn sie neue unbekannte Phänomene vorhersagen, aus einer anderen Sicht sind Theorien nicht schlechter, weil sie ausschließlich bekannte Phänomene erklären. Aus Sicht sozialwissenschaftlicher Praxis lässt sich eine Reihe von Lehren aus dieser Diskussion ziehen, die für die Hypothesenentwicklung und -prüfung von Relevanz sind: Anpassung von Hypothesen <?page no="253"?> 8.2 Prognose 239 Probabilistische Hypothesen Präzisionsgrad Selbstverändernde Prognosen Prognosefehler Gegen eine Anpassung von Hypothesen an Daten gibt es zwar methodologische Einwände, die sich jedoch insbesondere auf die Phase der Rechtfertigung beziehen. Hingegen ist bei der Entwicklung von Hypothesen eine Anpassung der Hypothesen an die Daten durchaus notwendig. Es ist jedoch das Problem einer zu großen Anpassung zu beachten (overfitting), bei dem insbesondere bei quantitativen Modellen die Modellstruktur den Daten so exakt wie möglich angepasst wird. Wegen der Mess- und Datenfehler ist jedoch eine zu genaue Abbildung der Daten im Modell nicht sinnvoll (Hitchcock und Sober, 2004, 11ff). Denn nach der Anpassung von Hypothesen an die Daten muss zwingend eine Prüfung der Hypothesen folgen, wenn eine durch die Empirie bestätigte Theorie aufgestellt werden soll. Eine wesentliche Anforderung an sozialwissenschaftliche Untersuchungen, die als hypothesenprüfend ausgezeichnet werden sollen, ist daher, dass Hypothesen vor der Untersuchung aufgestellt werden. Ein theorieloses Herumsuchen in Daten (data mining) ist bestenfalls in der Phase der Hypothesenbildung zulässig. In den Sozialwissenschaften stellt sich allerdings das Problem, dass häufig keine deterministischen Gesetze zur Verfügung stehen. Daraus folgt jedoch nicht, dass Vorhersagen grundsätzlich nicht möglich sind. Wie bereits erwähnt, lässt die logische Unmöglichkeit der Verifikation von Allsätzen und die Annahme von probabilistischen Hypothesen, die weder verifiziert noch falsifiziert werden können, immer noch genügend Raum für methodisch fundierte Begründungen. Allerdings muss sich von einem Ideal der absoluten Vorhersagbarkeit verabschiedet werden. Hierzu trägt beispielsweise das - im letzten Kapitel bereits besprochene - Konzept der Konfidenzintervalle bei, mit dem Intervallschätzungen von Modellparametern möglich sind. Prognosen sind Aussagen über die Zukunft, z.B. wird das Wirtschaftswachstum eines Landes innerhalb eines Zeitraums vorausgesagt. Wichtig sind daher neben der Höhe des Wachstums - z.B. gemessen durch eine relative Veränderung des Bruttosozialprodukts gegenüber dem Vorjahreszeitraum - die Angabe des Zeitraums. Hypothesen gelten als präziser, wenn sie gerichtet, funktional und spezifiziert formuliert werden. Sie haben dadurch einen hohen Präzisionsgrad und laufen damit Gefahr leichter falsifiziert zu werden. Das andere Extrem ist eine Hypothese, die besser als Krisengerede (oder in Anlehnung an Dieter Schneider als Krisengefasel bezeichnet wird (Schneider, 1995, 212), weil sie eine Krise der Wirt- <?page no="254"?> 240 8 Gestaltung und Prognose schaft vorhersagt, ohne jedoch zu präzisieren, wann sie eintritt und welche wirtschaftlichen Indikatoren sich wie entwickeln werden. Ebenso liefern in der Regel jene post-hoc Erklärungen keinen Beitrag, die im Nachhinein ohne theoretische Begründung geliefert werden und daher selten zum Erkenntnisfortschritt beitragen. Beispiel 33: Wirtschaftskrise Unbestreitbar hat die jüngste Wirtschaftskrise die Glaubwürdigkeit der Konjunkturprognosen der Forschungsinstitute schwer erschüttert. Sie sagten für das Jahr 2009 ein durchschnittliches Wachstum von 1,6 Prozent voraus, tatsächlich schrumpfte die Wirtschaft um 4,7 Prozent. Dies hat dann auch den ehemaligen Direktor des Wirtschaftsforschungsinstituts DIW darüber nachdenken lassen, ob in Zeiten von schweren Krisen nicht auf Konjunkturprognosen vorübergehend verzichtet werden sollte. Eine Begründung hierfür ist das Problem der selbstverändernden Prognose: Akteure orientieren sich an veröffentlichten Prognosen und passen ihre Entscheidungen entsprechend an. Und so konstatiert er: „Wahrscheinlich hat der Prognoseabwärtswettlauf die Schwere und Länge der Wirtschaftskrise verschärft.“ (Zimmermann, 2009, 90). Der Berechnung von Prognosefehlern ist mit größter Vorsicht zu begegnen (Tietzel, 1989, 557). Wenn sich die Prognosen auf soziale Systeme beziehen, die sich durch Komplexität und vor allem Dynamik auszeichnen, dann setzt insbesondere die Dynamik und die mit ihr verbundene Möglichkeit, dass die Akteure innovativ im sozialen System agieren, deutliche Grenzen der Prognosegenauigkeit. Ein Fehlermaß, das die Güte von Prognosen beurteilen soll, ist dann unangemessen, wenn sich wesentliche Variablen der Theorie verändert haben. D.h., jedoch nicht, dass solche Maße nicht verwendet werden sollten, nur sollte ihr Gebrauch mit Augenmaß erfolgen, welches darin besteht, die eingangs gestellten zwei Fragen gemeinsam zu betrachten. Sind denn exakte Prognosen in den Sozialwissenschaften überhaupt möglich? Die Analyse zeigte, dass sozialwissenschaftlichen Prognosen aufgrund der Besonderheiten sozialer Systeme Grenzen gesetzt sind, die sie nicht überschreiten können. Insofern sollte von ihrer Exaktheit nicht allzu viel erwartet werden, wenn sich wesentliche Parameter in der Realität ändern, die üblicherweise als konstant angesehen werden. Popper hat dies am Beispiel des Wachstums des Wissens erläutert, indem er darauf hinwies, dass sich Akteure dadurch auszeichnen, dass ihr Wissen wächst und es ihnen grundsätzlich unmöglich ist, schon heute zu erkennen, wie dieses Wissen in der Zukunft beschaffen sein wird. Er zieht daraus die folgenden Konsequenz: „Wenn gezeigt werden kann, dass vollständige Selbstvoraussage unmöglich ist, ... , dann muß auch für jede »Gesell- <?page no="255"?> 8.3 Gestaltung 241 schaft« von sich gegenseitig beeinflussenden Voraussagen gelten; folglich kann keine »Gesellschaft« von sich beeinflussenden Voraussagen ihre eignen zukünftigen Wissensstände voraussagen“ (Popper, 1982/ 2001, 68f). Aus der bisherigen Analyse lässt sich jedoch nicht entnehmen, dass Prognosen unmöglich sind, sondern nur, dass ihre Grenzen beachtet werden müssen. 8.3 Gestaltung 8.3.1 Strukturgleichheit von Erklärung und Gestaltung Mit dem Gestaltungsziel betreten wir endgültig das Reich der menschlichen Praxis, in der Menschen versuchen, mit Hilfe von Mitteln unter gegebenen Restriktionen Ziele zu erreichen. Wissenschaftliche Gestaltung heißt, dass theoretisches Wissen angewendet wird, so dass Akteure ihre Ziele erreichen können. Theoretisches Wissen setzt sich zusammen aus gesetzesartigen Aussagen und somit wird die These vertreten, dass Erklärung und Gestaltung strukturell miteinander verwandt sind. Es wird lediglich konzediert, dass Ziele als Prämissen für ein Gestaltungsargument notwendig sind. Bedenken gegen diese Ansicht beruhen darauf, dass theoretisches Wissen nicht über alles Relevante Auskunft geben kann, was in der sozialen Realität für die Gestaltung nötig ist. So will beispielsweise das Präsidium der Europäischen Zentralbank die Inflation in der Eurozone nahe bei 2,0% zu halten und benötigt daher wirtschaftswissenschaftliche Theorien, wie z.B. Geldtheorien der Volkswirtschaftlehre. Zur Erreichung des Inflationsziels ist es zusätzlich notwendig, regelgeleitetes Wissen zu den institutionellen Bedingungen in den einzelnen Währungsregionen zu haben. Oft gibt es für dieses „Handwerks“-Wissen keine allgemein gültigen Theorien, weil es an Voraussetzung hierfür fehlt. Somit ist angedeutet, dass es noch eine weitere Wissenskategorie gibt, die für die Gestaltung von Relevanz ist: das Gestaltungswissen. Unter dem Gestaltungswissen (Technologie) versteht Zelewski einen: „Aussagenzusammenhang, der inhaltlich ausreicht, um daraus glaubwürdige Empfehlungen für Entscheidungen über betriebliche Gestaltungsalternativen abzuleiten“ (Zelewski, 1995, 93). Damit ist einerseits angedeutet, dass Gestaltungswissen über Theorien hinausgehen kann, andererseits, dass Gestaltungswissen wie Theorien als Aussagensysteme aufgefasst werden (Bunge, 1985, 220, Kirsch, Seidl und Aaken, 2007, 175). In den Sozialwissenschaften wird von Sozialtechnologie, d.h. Gestaltungswissen für soziale Institutionen, gesprochen (Bunge, 1998, 297, Popper, 1944/ 2003, 39). <?page no="256"?> 242 8 Gestaltung und Prognose Es werden unterschiedliche Auffassungen zum Verhältnis von Theorien und Gestaltungswissen vorgetragen. Zum Einen wird eine strikte Verbindung von Theorien und Gestaltungswissen postuliert, die häufig eine tautologische Umformung von Erklärungsargumenten einschließt. Zum Anderen wird von einer Loslösung des Gestaltungswissens von den Theorien ausgegangen. Zunächst ist zu zeigen, inwieweit es möglich ist, aus einer Erklärung durch tautologisches Umformen ein Gestaltungsargument zu erhalten. Abbildung 24 zeigt ein Gestaltungsargument mittels des DN-Schemas ( ► Kap. 7.1.1). Es ist ein deduktiver Schluss, der im Explanans das Gesetz in Form einer Handlungsregel enthält und der in den Anfangsbedingungen die Ziele des sozialen Akteurs enthält: Handlungsregel: Soziale Akteure, die das Ziel Z anstreben und die sich den weiteren Anfangsbedingungen R, wie z.B. einer bestimmten Ressourcenausstattung, gegenüber sehen, sollen die Handlung H ergreifen. Anfangsbedingungen: Sie enthalten das Ziel Z und die in der Handlungsregel genauer spezifizierten weiteren Anfangsbedingungen. Abbildung 24: Gestaltungsmöglichkeiten mit Hilfe des DN-Schemas Das Explanandum drückt aus, dass auf Basis der Prämissen empfohlen wird, die Handlung zu vollziehen, um das Ziel zu erreichen. Wie kommt man von einem <?page no="257"?> 8.3 Gestaltung 243 erklärenden DN-Schema zu einem Gestaltungsargument nach dem DN- Schema? Nach Ansicht von Popper (1949/ 1972, 52) und Albert (1971, 192f) handelt es sich um eine tautologische Umformung. Insbesondere letzterer betont, dass der Informationsgehalt durch die Umformung nicht größer wird. Ein Vergleich der DN-Schemata für die Gestaltung und die Erklärung zeigt jedoch, dass keine Umformung der logischen Variablen vorliegt, sondern eine sprachpragmatische Neuinterpretation einzelner Bestandteile. Ausgangspunkt ist eine gesetzesartige Aussage (Zelewski, 1995, 99ff): (H ∧ R) → K (9) Wenn eine Handlung H und Anfangsbedingungen R auftreten, führt dies zur Konsequenz K. Die folgende Handlungsregel deutet die Bestandteile H und K um. (M H ∧ R) → Z (10) Die Handlung H wird zum Mittel M H und die Konsequenz K wird zum Ziel Z. Dies führt zu einer weit verbreiteten Interpretation des Verhältnisses von Erklärung und Gestaltung: Die Ursache wird als Mittel und die Wirkung wird als Zweck interpretiert. Wenn der Akteur in der Lage ist, die Ursache herbeizuführen, mithin das Mittel M H auszuführen, dann stellt sich die Wirkung nämlich das Ziel ein. Diese Interpretation deutet zwar die Ursache-Wirkungsbeziehung in eine Mittel-Zweckbeziehung um, entspricht allerdings noch nicht der Handlungsregel in Abbildung 24. Sie zeigt nur auf, dass die Handlung H als ein Mittel verwendet werden kann, allerdings kann es auch andere Handlungen geben, die das Ziel erreichen: H ist eine hinreichende, aber keine notwendige Bedingung (Zelewski, 1995, 101). Diese Aussage gilt allgemein für die Aussagen im Vorsatz (Antezedens) eines Konditionals, d.h., wahre Aussagen im Vorsatz sind hinreichende Bedingung für die Wahrheit des Nachsatzes (Konsequenz) eines Konditionals (Rosenkranz, 2006, 68). Wir benötigen aber eine Handlungsregel, die eine Handlungsempfehlung ist. Um von Formel (10) zur nächsten Formel zu kommen, ist ein Vertauschen des Ziels Z und der Handlung H (M H ) notwendig. (Z ∧ R) → H (11) Wir müssen damit den Vorsatz mit dem Nachsatz eines Konditionals vertauschen, was nicht wahrheitserhaltend möglich ist; d.h., im Rahmen der deduktiven Logik lässt sich diese Umformung nicht vornehmen. Wird von dem Problem abgesehen, dass die Handlung als Mittel in Formel (10) mit den Anfangsbedingungen konjunktiv verknüpft ist, lässt sich mit einem Gegenbeispiel der Fehlschluss aufzeigen. <?page no="258"?> 244 8 Gestaltung und Prognose Beispiel 34: Fehlschluss von der Konsequenz Wenn die Preise erhöht (H) werden, dann wird das Ziel (Z) Umsatzsteigerung erreicht. (Prämisse A) Das Ziel (Z) der Umsatzsteigerung wird erreicht. (Prämisse B) Die Preise sollen erhöht (H) werden. (Konklusion) Das Beispiel macht klar, dass aus einer hinreichenden Bedingung eine notwendige Bedingung gemacht wird. Diese Aussage gilt allgemein für die Aussagen im Nachsatz eines Konditionals, d.h., wahre Aussagen im Nachsatz sind notwendige, aber nicht hinreichende Bedingung für die Wahrheit des Vorsatzes eines Konditionals (Rosenkranz, 2006, 68). Während Formel (10) noch Platz für weitere Handlungsmöglichkeiten lässt, führt Formel (11) dazu, dass die Handlung als notwendig angesehen wird. Außer der Preiserhöhung gibt es sicherlich noch andere Maßnahmen, den Umsatz zu steigern. Eine Handlungsempfehlung auszusprechen, impliziert daher in der Regel einen abduktiven Schluss (Zelewski, 1995, 102), der gehaltserweiternd ist, d.h., über den in den Prämissen enthaltenen Gehalt hinausgeht ( ► Kap. 4.3.2). 8.3.2 Das Primat der Gestaltung Während bisher das Primat der Theorie für das Gestaltungswissen behandelt wird, ist als nächstes das Primat des Gestaltungswissens zu diskutieren. Es beruht zum Teil auf den Schwierigkeiten, die mit der tautologischen Umformung von Erklärungsargumenten in Gestaltungsargumenten verbunden sind. Allerdings wird auch historisch argumentiert und an Beispielen gezeigt, dass Gestaltung erfolgte, ohne dass eine Theorie zugrunde lag. Das Primat der Gestaltung wird somit als Primat der Praxis ausgedrückt. Es gibt wohl keine philosophische Strömung, die dieses Primat so klar vorgibt wie der Pragmatismus (s. Philosophiebox 13). Welche Gründe sprechen für den Primat der Praxis? Dewey nennt folgende Gründe: „Praktische Tätigkeit hat es mit individuellen und einzigartigen Situationen zu tun, die niemals exakt wiederholbar sind und hinsichtlich deren dementsprechend keine vollständige Sicherheit möglich ist. Obendrein führt alle Tätigkeit Veränderung mit sich“ (Dewey, 1929/ 1998, 10). Aus diesem Zitat ergeben sich insbesondere drei Merkmale von Praxis: 1. Praxis hat es mit Einzigartigkeit von Situationen zu tun, denen das Moment der Wiederholbarkeit fehlt. 2. Praktische Probleme zeichnen sich durch Unsicherheit aus. 3. Von menschlicher Praxis geht Dynamik aus. <?page no="259"?> 8.3 Gestaltung 245 Diese Aspekte werden auch angeführt, wenn argumentiert wird, dass das Finden von Gesetzen in den Sozialwissenschaften schwierig, wenn nicht gar unmöglich ist. Meist wird noch ein weiterer Aspekt betont. 4. Als vierter Aspekt ist die Komplexität der betrachteten Phänomene zu nennen (Bunge, 1966, 335). Es ist besonders der Aspekt der Komplexität, der mit einem originären Gestaltungsverständnis verbunden ist. Ulrich als ein wichtiger Vertreter dieser Auffassung in der Betriebswirtschaftslehre hat sich der Systemtheorie und ihrer Kategorien bedient, um seine Auffassung zu verdeutlichen, dass sich eine angewandte Wissenschaft grundsätzlich von einer theoretischen Wissenschaft unterscheidet: „Äußerst komplexe Systeme haben nun die Eigenschaft, daß sie nicht vollständig beschreibbar sind, daß sie sich der vollständigen geistigen Beherrschbarkeit entziehen und daß Voraussagen über einen konkreten zukünftigen Systemzustand nicht möglich sind“ (Ulrich, 1981, 8). Dies kann als Absage an die Wissenschaftsziele Erklärung und Prognose gedeutet werden, um sich anderen Zielen zu verschreiben; zwei sollen hervorgehoben werden (Ulrich, 1981, 11): Entwurf von Modellen zur Gestaltung und damit Veränderung sozialer Realität und Gestaltungsregeln, die es der Praxis ermöglichen, diese Modelle zu entwickeln. Im zweiten Ziel sehen Anhänger des originären Gestaltungsverständnisses eine Kernaufgabe der angewandten Wissenschaften: Es soll Gestaltungswissen geschaffen werden, das der Handlungsanleitung der Praxis dient (Gaycken, 2010, 241). Die Kernfragen an dieses Gestaltungswissen und daraus abgeleiteter Gestaltungs-(Handlungs-)regeln sind dann: Ist Gestaltungswissen und wissenschaftliches Wissen unverbunden und leiten sich Gestaltungsregeln nicht aus Gesetzen oder gesetzesartigen Aussagen ab? Diejenigen, die diese Fragen verneinen, stellen daher die folgende Hypothese auf: Gestaltungswissen ist nicht ohne Theoriewissen möglich. Abbildung 25 zeigt die Logik eines Gestaltungsschlusses nach dem praktischen Schluss, in dem im Gegensatz zum DN-Schema ein Gesetz fehlt (Hughes, 2009, 386ff). Da der praktische Schluss im Rahmen der Diskussion der intentionalen Erklärung (von Wright) bereits erläutert wird, muss auf seine Vorzüge und Nachteile nicht noch einmal eingegangen werden. Es zeigt sich, dass ein Teil der Überzeugungen durch das Gestaltungswissen abgedeckt wird. So dass auf Basis der Ziele des Akteurs und seiner Überzeugungen - in denen die Gestaltungsregel enthalten sein muss -, die Handlung vollzogen werden sollte (Poser, 2008, 22f). <?page no="260"?> 246 8 Gestaltung und Prognose Wenn hingegen die Hypothese, dass Gestaltungswissen nicht ohne Theoriewissen möglich ist, bejaht wird, dann spricht viel dafür, dass ein sehr weit gefasster Theoriebegriff verwendet wird. Ansatzpunkt sind wiederum die Ergebnisse des Kapitels zur Erklärung, in dem zum einen darauf hingewiesen wird, dass wir häufig auf Regularitäten zurückgreifen. Ähnlich wird mit modelltheoretischen Überlegungen argumentiert, wenn darauf hingewiesen wird, dass auf Basis von Modellen Gestaltungshinweise formuliert werden (Küttner, 1987, 267ff, Zelewski, 1995, 105ff). Wie Abbildung 25 zeigt, ist dabei ein wesentliches Element die Zielsetzung der sozialen Akteure, die zu berücksichtigen ist. ( ► Kap. 7.1.3) Abbildung 25: Praktischer Schluss zur Gestaltung Dies heißt aber auch, dass letztendlich auch diejenigen, die nur Gestaltungsregeln aufstellen wollen, sich nach dem DN-Schema richten. Da dort die Gestaltungsregel in der Funktion einer allgemeinen Regel zu begreifen ist, lässt sie sich ähnlich interpretieren. In der Gestaltungsregel werden auf Basis von Zielen Mittel als Handlungsmöglichkeiten aufgeführt, wobei Rand- oder Anfangsbedingungen einzeln aufgeführt werden: „A rule is an instruction to perform a finite number of acts in a given order and with a given aim.“ (Bunge, 1966, 338). Wenn Akteure über Regelwissen verfügen, müssen sie in der Lage sein, zu erkennen, ob die Anfangsbedingungen vorliegen und wenn sie dann die Gestaltungsregel anwenden, sollte das gewünschte Ziel erreicht werden. Das heißt, die Ableitung der zu vollziehenden Handlung (Gestaltung) erfolgt nach dem gleichen Prinzip wie bei Vorliegen eines Gesetzes (Zelewski, 1995, 97f). Ähnlich wie bei der Prognose ist auch bei der Gestaltung auseinanderzuhalten, ob sie erfolgreich ist und wie sie begründet wird. Bei der Begründung lassen sich mehrere Stufen unterscheiden: Gesetzesartige Aussagen, Aussagen auf Basis von Modellen, <?page no="261"?> 8.3 Gestaltung 247 Gestaltungsregeln. Mit jedem Schritt wird die Aussage konkreter und ist daher in der Lage, Gestaltungen zu unterstützen. Weder das originäre Gestaltungsverständnis noch die Auffassung vom Primat der Theorie werden der Vielfalt an Gestaltungsschlüssen gerecht. Vertreter des originären Gestaltungsverständnisses bringen sich in Schwierigkeiten, weil sie häufig behaupten, dass eine Begründung durch Gesetze nicht möglich ist. Da es sich aber nicht um eine logische Unmöglichkeit handelt, sondern eine empirische Behauptung aufgestellt wird, fällt es schwer, ihre Berechtigung zu erkennen. Die Besonderheiten, denen sich ein Gestalter gegenüber sieht, sind eben nur besondere Gründe für Schwierigkeiten Gestaltungsschlüsse zu ziehen. Aus ihnen lässt sich nicht zwingend nachweisen, dass Schlüsse immer ohne gesetzesartige Aussagen auszukommen haben. Der menschliche Erfindungsgeist und seine Kreativität geben eher Anlass zur Zuversicht, dass neben Gestaltungsregeln und Aussagen auf Basis von Modellen auch gesetzesartige Aussagen eingesetzt werden können. Philosophiebox 13: Pragmatismus Der Pragmatismus gilt als eine der originären Philosophien der Vereinigten Staaten von Amerika. Er wurde im Wesentlichen von drei amerikanischen Denkern entwickelt: 1) Charles Sanders Peirce (1839-1914), 2) William James (1842-1910), 3) John Dewey (1859-1952). Sein größter Einfluss auf das amerikanische Denken war zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts, er hat jedoch außerhalb der USA nie diesen großen Stellenwert erreicht. James überragte Peirce hauptsächlich durch seine Popularität. Sein Werk „Der Pragmatismus“, erstmals 1907 erschienen, gilt vielen als der kanonische Text zum Pragmatismus. Berühmt geworden ist auch sein Disput mit Bertrand Russell, der in mehreren Schriften die von James vertretene Wahrheitskonzeption angriff. In gewisser Weise zeigt sich an dieser Diskussion, die aus Sicht vieler Beobachter nicht zugunsten von James ausging, die bevorstehende Wachablösung des Pragmatismus durch die sich formierende analytische Philosophie. Sie verdrängte in den dreißiger Jahren, auch durch die Emigration vieler Wissenschaftler aus Europa, zunehmend den Pragmatismus und etablierte sich als die führende Strömung insbesondere der akademischen Philosophie, wie sie an den Hochschulen betrieben wird. Mit den wachsenden Schwierigkeiten der analytischen Philosophie, auf philosophische Fragen befriedigende Antworten auf Basis sprachphilosophischer Erkenntnisse zu geben, wurde der Raum wieder frei für alternative Sichtweisen. Als zentral kann ein Aufsatz von Quine (1951/ 1979b) gel- <?page no="262"?> 248 8 Gestaltung und Prognose ten, der sich gegen die zwei Dogmen des Empirismus richtete. Zum Einen griff er die Unterscheidung in analytische und synthetische Aussagen als nicht trennscharf an ( ► Kap. 4.2), zum Anderen kritisierte er die Vorstellung, dass sich alle Aussagen auf Sinneserfahrungen zurückführen lassen müssen ( ► Kap. 6.2.2). Neben ihm gelten insbesondere Hilary Putnam und Donald Davidson als Denker, die zentrale Aspekte der analytischen Tradition in Frage stellen und zu einer erneuerten Philosophie beitragen wollen. Alle drei Philosophen werden einer neuen pragmatischen Philosophie zugerechnet, die als rationale Alternative zur analytischen Philosophie bezeichnet werden kann. Neben dem erwähnten Aufsatz von Quine ist es insbesondere ein Buch von Richard Rorty, das in den folgenden Jahren für Diskussionen sorgte: Der Spiegel der Natur (1981). Ähnlich wie bereits Peirce will Rorty zeigen, dass das Fundament, auf dem wir seit Descartes stehen, deswegen nicht trägt, weil eine zentrale Annahme, dass es so etwas wie die Repräsentation von Tatsachen in unserer Sprache gibt, sich nicht halten lässt. Pragmatismus wird von Rorty als Anti-Repräsentationalismus ausgerufen, der sich jenseits einer Einteilung in Realismus oder Anti-Realismus befindet. Rortys manchmal etwas eigenwillige Interpretation der Klassiker des Pragmatismus ist nicht unwidersprochen geblieben. So reflektiert er hauptsächlich über Dewey, während er Peirce konsequent ignoriert und wird dafür von der Pragmatistin Susan Haack kritisiert. Was zeichnet den Pragmatismus aus? Es ist nicht ganz leicht, diese Frage zu beantworten, weil der klassische Pragmatismus nie eine einheitliche Philosophie war und auch der heutige Neo-Pragmatismus kein einheitliches Charakteristikum hat. Für dieses Kapitel ist jedoch eine Charakterisierung von großer Bedeutung: Pragmatisten sehen den Primat in der Praxis des wissenschaftlichen und alltäglichen Handelns und nicht in der philosophischen Tradition. Im Vordergrund stehen daher Überlegungen, wie die Vorgehensweise der aus Sicht der Pragmatisten erfolgreichen Wissenschaften (insbesondere der Naturwissenschaft) auf die Philosophie übertragen werden kann, und dies möglichst zum Nutzen des menschlichen Handelns. Konsequenterweise bezieht sich der Wahrheitsbegriff auf die Praxis und in einer sehr einfachen Fassung wird von einer wahren Aussage gesprochen, wenn sie nützlich ist; wahr ist „what works“. Quellen: Almeder, 2008, Haack, 2004, James, 1907/ 2001, Massing und Moskopp, 2018, Maxcy, 2003, Murphy, 1990, Peirce, 1905/ 1970, Rescher, 1977, Rorty, 1994, Thayer, 1981 <?page no="263"?> 8.3 Gestaltung 249 8.3.3 Theorie und Praxis: ein normatives Spannungsverhältnis Im vorigen Kapitel wird bewusst das Problem ausgeklammert, inwieweit normative Komponenten in Gestaltungsschlüssen eine Rolle spielen. Es geht dabei um die Frage, ob Gestaltungsschlüsse normativ sind und damit werturteilsbeladen oder ob sie frei von Werturteilen sind. Aus einer Reihe von Gründen ist es sinnvoll, sich diese Frage zu stellen: Wenn Gestaltung sich als Prozess beschreiben lässt, dann sind während dessen Ablauf viele Entscheidungen zu treffen, die nicht ohne normative Beurteilungen auskommen. Es ist von Bedeutung, wie das Explanandum aufzufassen ist. Ist es eine Gestaltungsmöglichkeit, eine Gestaltungsempfehlung oder eine Gestaltungsanweisung? Oft steht im Vordergrund der Debatte, dass Sozialwissenschaftler und Sozialwissenschaftlerinnen die Norm der Werturteilsfreiheit befolgen sollten. Zwar wird kein generelles Verbot von Werturteilen gefordert, aber es werden je nach wissenschaftstheoretischer Position verschiedene Aussage-Ebenen angesprochen. Um sich klar zu machen, wo überhaupt Werturteile eine Rolle spielen, ist zunächst zu klären, welche Aussageebenen in den Sozialwissenschaften unterschieden werden. Albert hat zu diesem Zweck eine Dreiteilung vorgeschlagen (Albert, 2000, 47ff): 1. Wertungen im Basisbereich der Sozialwissenschaft sind aus seiner Sicht unproblematisch, da Entscheidungen über die Auswahl der Forschungsobjekte oder die auszuwählenden Methoden getroffen werden müssen. 2. Wertungen im Objektbereich der Sozialwissenschaft betreffen Wertungen, die Akteure treffen, und sind ebenfalls unproblematisch, weil sie Gegenstand der Sozialwissenschaft sind. 3. Wertungen im Aussagebereich der Sozialwissenschaften sind nach Albert das eigentliche Werturteilsproblem und stellen eine überflüssige Form wissenschaftlicher Aussagen dar, die nicht mit technologischen Aussagen verwechselt werden dürfen: „Technologische Systeme haben also keinen normativen Charakter … und enthalten keine Vorschriften, sondern nur Informationen über menschliche Handlungs- und Wirkungsmöglichkeiten“ (Albert, 2000, 52). Wenn die Werturteilsdiskussion auf den Aussagenbereich konzentriert und Fehlleitungen normativer Ausdrücke angeprangert werden, dann wirkt der Metaphysikvorwurf von Carnap in der analytischen Philosophie nach, der wertende Ausdrücke ins Reich der Metaphysik verbannen wollte (Carnap, 1932/ 2004, <?page no="264"?> 250 8 Gestaltung und Prognose 105). Ähnlich wirkt Webers Wertfreiheitspostulat als Begründung für die Verbannung wertender Aussagen aus dem Aussagebereich von Sozialwissenschaften: „denn wir sind der Meinung, daß es niemals Aufgabe einer Erfahrungswissenschaft sein kann, bindende Normen und Ideale zu ermitteln, um daraus für die Praxis Rezepte ableiten zu können“ (Weber, 1904/ 2018, 146). Was sind Werturteile? Werturteile sind Aussagen, die normative Begriffe enthalten. Nach Kutschera lassen sich normative Begriffe in deontische Begriffe und Wertbegriffe unterteilen. Deontische Begriffe sind Gebote, Verbote und Erlaubnisse und beziehen sich auf Handlungen (Kutschera, 1982, 1). Wertbegriffe werden in klassifikatorische, komparative und quantitative Begriffe unterteilt (Kutschera, 1982, 10). Werte als normative Phänomene gehören zu den sozialen Tatsachen, die genauso erkennbar sind wie andere soziale Tatsachen, die nicht normativen Charakter haben (Weber, 1917/ 2018, 460). Die Eigenschaft der Normativität zeigt sich an ihrem Sollens-Charakter, wie z.B. dem Gebot „Es ist geboten, dass Unternehmen keine Gewinnmaximierung betreiben“, das der Aussage entspricht: Unternehmen sollen keine Gewinnmaximierung betreiben. Dass eine Tatsache normativen Charakter hat, ändert nichts an ihrer kognitiven Erkennbarkeit. Dies wird auch allgemein akzeptiert, d.h., Werte als Objekte in Sozialwissenschaften sind unproblematisch. So lassen sich beispielsweise die Wertvorstellungen von Sozialpolitikern in konservativen Parteien untersuchen, ohne Werturteile zu benötigen. Eine wichtige Frage ist, ob Werte objektiv oder subjektiv sind. Befürworter der Werturteilsfreiheit begründen ihre Forderung mit der Subjektivität von Werten und zeigen auf, dass sie zwar deskriptive Bestandteile enthalten können, ihr normatives Element jedoch als präskriptiv bezeichnet werden muss. Dieser Ansicht nach ist die Welt - zumindest analytisch - in die Welt der Tatsachen und die der Werte zu trennen. Für die Wissenschaft hat dies die wichtige Konsequenz, dass Aussagen über Tatsachen wahrheitsfähig sind, Aussagen über Werte hingegen nicht (Albert, 2000, 46). Während in dieser Interpretation die Aussage „Unternehmen betreiben keine Gewinnmaximierung“ als wahrheitsfähig gilt, trifft dies für die Aussage „Unternehmen sollen kein Gewinnmaximierung betreiben“ nicht zu. Wenn sie Werturteilsfreiheit befürwortet wird, dann sollte diese letzte Aussage unterlassen oder der Vorschlag von Opp beherzigt werden, beide Aussagearten kenntlich zu machen (Opp, 2014, 242). Oft wird dies mit dem Humeschen Gesetz begründet, dass besagt, dass es nicht möglich ist, aus dem Sein, beispielsweise beobachteten Verhalten wie der Gewinnmaximierung von Unternehmen, auf das Sollen zu schließen (Hume, 1739/ 1978, 211f). Es ist zu beachten, dies nicht mit dem naturalistischen Fehl- <?page no="265"?> 8.3 Gestaltung 251 schluss zu verwechseln, der sich auf das Gleichsetzen von normativen und deskriptiven Eigenschaften bezieht (Fenner, 2020, 120ff). Es gibt jedoch gewichtige Einwände gegen die Tatsachen-Werte-Dichotomie und damit auch gegen die Konsequenzen, die daraus gezogen werden. So vertritt Thomas Nagel einen Werterealismus und reklamiert hierfür einen Wahrheitsbegriff, der sich darauf bezieht, „was wir und andere tun und wollen sollen“ (Nagel, 1992, 240). Es wird damit ein objektiver Anspruch vertreten, denn Wahrheit oder Objektivität wird üblicherweise so verstanden, dass sie über subjektive Erfahrungen hinausgehen. Ein Objektivitätsanspruch für Wertaussagen lässt sich daher auch damit begründen, dass er nicht auf das Erleben von einzelnen sozialen Akteuren angewiesen ist, vielmehr zeigt bereits der Sprachgebrauch die gemeinsame Verwendung von Wertprädikaten und deren Bedeutung (Kutschera, 1982, 241). Unabhängig davon, ob dieser Ansicht gefolgt wird, zeigt sie, dass Werte mit rationalen Methoden begründungsfähig sind. Ob sich Nagel angeschlossen wird, der sie sogar als wahrheitsfähig betrachtet, ist davon ebenfalls unabhängig. Diese Begründungen sind nicht von subjektiven Meinungen oder gar Empfindungen abhängig und sie können daher sicherlich nicht als unwissenschaftlich qualifiziert werden. Wenn Werturteilsfreiheit gefordert ist, sollen keine Werturteile in Beratung von Akteuren einfließen. Es sind Gestaltungsmöglichkeiten aufzuzeigen und keine Gestaltungsempfehlungen zu geben oder gar Gestaltungsanweisungen zu erteilen (Schanz, 1988a, 43). Opp hat dafür argumentiert, dass Entscheidungen nicht identisch mit Werturteilen sind (Opp, 2014, 239f), wobei er unter Werturteile Aussagen versteht, dass etwas der Fall sein oder nicht sein soll. Dies ist jedoch das Ergebnis von Entscheidungen: Denn es wird auf Basis von Präferenzen eine Handlungsalternative ausgewählt, die dann ergriffen werden soll. Die Logik von normativen und subjektiven Präferenzen ist mithin dieselbe, der Unterschied besteht allerdings darin, dass subjektive Präferenzen sich auf individuelle Akteure beziehen und dass sie keine moralischen Bewertungen enthalten (Kutschera, 1982, 24). Es wird zwischen der Zweckrationalität und einer - an ethischen Normen orientierten - Wertrationalität getrennt. Gestaltungsmöglichkeiten und -empfehlungen beziehen sich auf die Zweckrationalität, auf ihrer Basis wählen Akteure die Handlung (Mittel), mit der der Zweck erfüllt wird. Es wird davon ausgegangen, dass sie sich unter mehreren möglichen für die beste Handlung entscheiden (Gosepath, 1992, 219f, Schulte, 2010, 18). Wenn Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zweckrationales Handeln unterstützen sollen, lassen sich zwei Fälle unterscheiden: 1. Gestaltungsempfehlungen sollen für konkrete Probleme eines einzelnen sozialen Akteurs abgegeben werden. <?page no="266"?> 252 8 Gestaltung und Prognose 2. Es sind Modelle für Gestaltungsempfehlungen vorzuschlagen, die für idealtypische soziale Akteure, die sich in der der Gestaltungsempfehlung zugrundeliegenden Situation befinden, entwickelt werden. Zwar spielt in beiden Fällen normatives Vokabular eine große Rolle (Braun, 1982, 8ff), allerdings sind weder bei Einzelempfehlungen noch bei Gesamtbetrachtungen von Gestaltungen Wertungen notwendig. So ist im ersten Fall eine Wertung immer dann notwendig, wenn Mittel ausgewählt werden müssen. Bei der konkreten Beratung wird sozialen Akteuren z.B. mit Hilfe einer Entscheidungstechnik gezeigt, wie sie ihre optimale Handlung auswählen können. Alle mit den Entscheidungen notwendigen Präferenzen müssen allerdings von den Akteuren festgelegt werden. Welche konkreten Ziele und Zielgewichte verwendet werden, sind die subjektiven Präferenzen einzelner Akteure. Wertungen durch einen Wissenschaftler sind daher in beiden Fällen nicht notwendig. In diesem Kapitel wird die Frage diskutiert, ob für das wissenschaftliche Ziel der Gestaltung Wertungen im Aussagenbereich notwendig sind. Dies wird zwar abschließend verneint, allerdings ist dies von der Frage zu trennen, ob Gestaltungsempfehlungen immer wertfrei sein müssen. Vertreter, die vom Gegenteil überzeugt sind, halten den ausschließlichen Blick auf die Mittel auf Basis der Zweckrationalität für „einen positivistisch halbierten Rationalismus“ 4 und stellen sie in Frage. Im nächsten Unterkapitel soll gezeigt werden, dass eine angewandte Wissenschaft wie die Betriebswirtschaftslehre in ihrer Geschichte immer wieder die Werturteilsfreiheit durchbrochen hat. 8.3.4 Gestaltungsziel und Sozialtechnologie R. Edward Freeman, einer der maßgeblichen Entwickler der Stakeholder-Theorie, berichtet in einem Buchartikel über das Missfallen von Forschern an einer typischen US-amerikanischen Business School, zu Aspekten einer normativen Stakeholder-Theorie Stellung zu nehmen und konstatiert einen Widerwillen „of any of these management thinkers to talk about issues of values, ethics, or justice“ (Freeman, 2005, 419). Diese Einstellung ist nicht auf betriebswirtschaftlich Forschende begrenzt, sondern sie wird von vielen sozialwissenschaftlich Forschenden geteilt. Das Postulat der Wertfreiheit für die Sozialwissenschaften, im deutschsprachigen Raum vor allem durch Weber initiiert, ist auch im angelsächsischen Sprachraum lebendig (Nagel, 1961, 485ff). Es wird aber von verschiedenen Positionen attackiert, die Wertfreiheit nicht als wissenschaftliches Ziel anerkennen. So argumentierte Charles Taylor, dass Tatsachen nicht wertneutral sein 4 So der Titel eines Aufsatzes von Habermas (1964), der im Verlaufe der Diskussion, die als Positivismusstreit in der Soziologie bezeichnet wird, erschien. <?page no="267"?> 8.3 Gestaltung 253 können, sondern immer wertgeladen sind (Taylor, 1975b, 40f). Er kritisiert ähnlich, wie Habermas dies in Deutschland getan hat, dass die fundamentalen Werte und Ziele aus dem Blickwinkel der Sozialwissenschaft verschwinden (Taylor, 1975b, 17). Er plädiert allerdings nicht ganz unähnlich zu Opp für die Trennung von empirischen und normativen Aussagen. Wer die Entwicklung in der Betriebswirtschaftslehre der letzten Jahrzehnte betrachtet, sieht sich einer zunehmenden Wertediskussion gegenüber. Neben dem bereits genannten normativen Zweig der Stakeholder-Theorie sind insbesondere Diskussionen um normative Ausrichtung einzelner Disziplinen (Fülbier, 2008, für das Rechnungswesen), die Nachhaltigkeit unternehmerischer Tätigkeit sowie die Entwicklung einer Unternehmensethik zu nennen (Aaken und Schreck, 2015). Somit weitet die Zweckrationalität ihren Blick auch auf die Auswahl der Zwecke und wird somit zu einer umfassenden Rationalität. Der Begriff der instrumentellen Rationalität, der in der Literatur häufig gebraucht wird, geht letztlich auf Webers Begriff der Zweckrationalität zurück. Bereits Weber hat zwar der Zweckrationalität eine Wertrationalität gegenübergestellt, sie jedoch nicht auf eine Analyse der Zweck-Mittel-Beziehung beschränkt, sondern auch die Analyse der Zwecke mit eingeschlossen: „Zweckrational handelt, wer … die verschiedenen möglichen Zwecke gegeneinander rational abwägt“ (Weber, 1922/ 2013, 176). Ähnlich weit wird die instrumentelle Rationalität auch bei Schulte gefasst (Schulte, 2010, 18). Hat in der Betriebswirtschaftslehre ein grundsätzliches Umdenken eingesetzt, so dass normative Aussagen nicht mehr als unwissenschaftlich angesehen werden und daher möglichst vermieden werden sollten? Wird der Ansicht von Kuhn gefolgt, dass in Lehrbüchern eines Faches wesentliche Elemente eines Paradigmas zu finden sind (Kuhn, 1962/ 1976, 25), dann zeigt ein Blick in einschlägige Lehrbücher der Betriebswirtschaftslehre, dass die Werturteilsfreiheit nach wie vor als grundlegender Bestandteil des Paradigmas angesehen wird. So konstatieren Wöhe und Döring in einem weit verbreiteten Lehrbuch der Betriebswirtschaftslehre (BWL): „Die wirtschaftstheoretisch fundierte BWL verzichtet auf eine (ethische) Bewertung unternehmerischer Ziele. Als praktisch-normative BWL beschränkt sie sich auf die Prüfung und Bewertung einzelner Instrumente, die zum Zweck der Zielerreichung eingesetzt werden“ (Wöhe und Döring, 2010, 11). Dieses beispielhafte Zitat wird auch nach Meinung von Zelewski von der Mehrzahl betriebswirtschaftlich Forschender geteilt (Zelewski, 2008, 5). Hingegen wird in einem neueren Lehrbuch zur Wissen- <?page no="268"?> 254 8 Gestaltung und Prognose schaftstheorie der Betriebswirtschaftslehre von Kirsch, Seidl und van Aaken die gegenteilige Meinung vertreten, dass wissenschaftliche Aussagen wertbeladen sind und daher Wertungen im Aussagenbereich nicht zu vermeiden sind (Kirsch, Seidl und Aaken, 2007, 54f). 8.3.5 Aufklärung und Emanzipation als Gestaltungsziele Diese kurz skizzierten Auffassungen aus der Betriebswirtschaftslehre finden sich auch in anderen Sozialwissenschaften und sollen zur Vereinfachung auf drei Grundpositionen reduziert werden: 1. Werturteile sind als spezielle Aussageform unwissenschaftlich, da nicht objektiv begründbar, und daher grundsätzlich unzulässig. 2. Werturteile sind als spezielle Aussageform strikt von deskriptiven Aussagen zu trennen. 3. Werturteile gehören zu einer „kritischen“ Wissenschaft. Wissenschaften dienen nicht nur der Aufklärung, sondern auch der Emanzipation. In den Sozialwissenschaften findet sich der letztgenannte Standpunkt insbesondere in der „Kritischen Theorie“ (s. Philosophiebox 14, S. 255). Einer ihrer Protagonisten, Jürgen Habermas, postuliert ein emanzipatorisches Interesse, das er folgend charakterisiert: „In der Selbstreflexion gelangt eine Erkenntnis um der Erkenntnis willen mit dem Interesse an Mündigkeit zur Deckung; denn der Vollzug der Reflexion weiß sich als Bewegung der Emanzipation. Vernunft steht zugleich als Bewegung der Emanzipation“ (Habermas, 1968, 244). Mit dem Begriff der Emanzipation verbindet sich eine zentrale Kategorie sozialwissenschaftlicher Gestaltung. Sie zielt auf eine Gesellschaft, in der sich Akteure frei von Zwängen und Autorität einbringen können. Und er beruft sich auf den aufklärerischen Impetus eines Kant, der mit seiner Sentenz - „Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit“ (Kant, 1784/ 1983, 53) - der Vernunft eine bedeutende Rolle bei der Aufklärung zuwies. Während jedoch die Aufklärung in unserer bisherigen Diktion als Erkennen der Tatsachen in der sozialen Welt charakterisiert werden kann, zielt Emanzipation auf Veränderung gesellschaftlicher Verhältnisse. Allerdings sind beide Ziele nicht etwa ein Privileg der Kritischen Theorie, vielmehr hat auch Albert als Vertreter des kritischen Rationalismus auf die Aufklärung hingewiesen, die soziale Mechanismen und bestehende Herrschaftsstrukturen in der gegenwärtigen Gesellschaft erkennbar machen soll und damit auf Befreiung (Emanzipation) zielt (Albert, 1976, 21ff). Während jedoch Albert nach wie vor auch bei der Frage der Gestaltung ohne Werturteile auskommen will - erinnert sei an seine tautologische Umformung von nomologischen Aussagen - scheuen sich Vertreter der Kritischen Theorien <?page no="269"?> 8.3 Gestaltung 255 nicht, Werturteile auszusprechen. Im nächsten Unterkapitel sollen die Probleme einer solchen Vorgehensweise insbesondere am Beispiel der Aktionsforschung diskutiert werden. Philosophiebox 14: Kritische Theorie in den Sozialwissenschaften Ausgangspunkte der Kritischen Theorie sind das Werk von Karl Marx, der eine kritische Analyse der kapitalistischen Gesellschaft seiner Zeit vorgelegt hat, die Psychoanalyse von Sigmund Freud sowie die Philosophie der Aufklärung und des Idealismus (insbesondere Hegel). Auf diesen Grundlagen sollte eine umfassende Analyse der ökonomischen und politischen Verhältnisse sowie der sozialen Strukturen moderner Industriegesellschaften erarbeitet werden, die sich insbesondere gegen den Positivismus richtete. Wobei der Begriff Positivismus häufig eher als Kampfbegriff gedeutet werden kann, denn Popper hat sich z.B. ebenfalls eindeutig vom Positivismus abgegrenzt. Zur Gründergeneration gehörten Max Horkheimer, Theodor W. Adorno und Herbert Marcuse, die im Institut für Sozialforschung in Frankfurt zusammen kamen; daher der Name der Gruppe: Frankfurter Schule. Eine zentrale Forderung dieser Gruppe ist das Aufheben der Werturteilsfreiheit. Ihre Forderung hat insbesondere im sogenannten Positivismusstreit zu einer scharfen Kontroverse zwischen ihren Vertretern und den Protagonisten des kritischen Rationalismus Popper und Albert geführt. In Nachfolge der Gründergeneration ist Jürgen Habermas die zentrale Figur der kritischen Theorie und gilt sicherlich als einer der herausragenden Philosophen unserer Zeit, der auch zu aktuellen politischen Fragen Stellung bezieht. Dies lässt sich dadurch verstehen, dass für ihn Theorie und Praxis, Sein und Sollen eben nicht als getrennte Sphären behandelt werden können. Denn ähnlich wie die Gründerväter der kritischen Theorie lehnt er die strikte Trennung von Tatsachen und Werten ab. Insbesondere mit seiner Theorie der kommunikativen Handlungen hat Habermas den Sozialwissenschaften Impulse gegeben. Zentrales Element seiner Theorie ist der Begriff des herrschaftsfreien Diskurses, der auf vier Bedingungen idealer Sprechsituationen basiert. Mit ihnen wird betont, dass Teilnehmende solcher Diskurse gleiche Chancen haben müssen, sich angemessen an dem Diskurs zu beteiligen. Regiert werden Diskurse durch die Vernünftigkeit, d.h., letztlich müssen die Teilnehmenden eines Diskurses bestimmte Rationalitätsanforderungen erfüllen. Sie ist damit auch die Basis für seine Konsenstheorie der Wahrheit, welche die Beschreibung eines Verfahrens benötigt, wie der Konsens hergestellt wird, aus dem sich <?page no="270"?> 256 8 Gestaltung und Prognose der Anspruch einer interpersonalen Wahrheit erst ergeben kann. Dass es sich dabei um eine idealtypische Beschreibung des Prozesses handelt, ist zwar Anlass für Kritik, gleichzeitig aber auch ein Vorteil, weil sich so die Voraussetzungen einer epistemischen Wahrheitstheorie erkennen lassen. Kritisch wird oft angemerkt, dass nicht immer ganz klar wird, wie denn ein eigenständiges Programm inklusive der empirischen Validierung einer kritischen Sozialwissenschaft aussehen könnte. Als Besonderheiten einer solchen Wissenschaft gelten insbesondere: (1) Ideologiekritik und (2) Emanzipation, welche beide durch eine kritische Analyse der Verhältnisse in der Gesellschaft erreicht werden sollen. Nun führt auch der kritische Rationalismus das Adjektiv „kritisch“ in seinem Namen, was Anlass gibt, über grundlegende Unterschiede nachzudenken. Sicherlich ist ein wesentlicher Unterschied, dass Habermas zwar auch die Empirie des Tatsächlichen berücksichtigt, allerdings auch Zukunftsvorstellungen einer herrschaftsfreien Gesellschaft als Ziel wissenschaftlicher Untersuchungen aufnimmt. Quellen: Alvesson und Deetz, 2000, Alvesson und Sköldberg, 2000, Benton und Craib, 2001, Bishop, 2007, Bohman, 2003, Habermas, 1981, Horster, 2010 8.3.6 Intervention in soziale Systeme: von der Aktionsforschung zum Sozialexperiment Einer der einflussreichsten Vordenker des Pragmatismus war John Dewey, der in seiner Philosophie das experimentelle Vorgehen pries, weil er davon ausging, dass sich Erkenntnis nur im Handeln und damit in der Praxis bewährt. 5 Der amerikanische Pragmatismus und Dewey durch seine Lehr- und Forschungstätigkeit haben sicherlich das Terrain für die Aktionsforschung bereitet, als ihr eigentlicher Begründer gilt allerdings Kurt Lewin, der den Begriff eingeführt hat. Seine Kennzeichnung beschreibt sie als eine Forschung, die im Dienste der Sozialtechnologie vergleichend „Bedingungen und Wirkungen verschiedener Formen des sozialen Handelns“ untersucht. Sie ist „eine zu sozialem Handeln führende Forschung“ (Lewin, 1946/ 1968, 280). Es ist aber nicht nur die Verbindung 5 D EWEY hat dies in vielen seinen Schriften betont (Tiles, 2010): “It is not true that to insist that scientific propositions fall within the domain of practice is to depreciate them. On its face, the insistence means simply that all knowledge involves experimentation, with whatever appliances are suited to the problem in hand, of an active and physical type. Instead of this doctrine leading to a low estimate of knowledge, the contrary is the case. This art of experimental thinking turns out to give the key to the control and development of other modes of practice“ (Dewey, 1916, 439). <?page no="271"?> 8.3 Gestaltung 257 von Theorie und Praxis, die als Besonderheit der Aktionsforschung gilt, als weitere wesentliche Merkmale werden vor allem die aktive Teilnahme der Forscher und die Partizipation der Teilnehmer angesehen. Unter dem Einfluss der kritischen Theorie wird die Aktionsforschung zu einem Instrument der Emanzipation entwickelt, bei der die Teilnehmenden der Studie, die in empirischer Forschung üblicherweise als Objekt betrachtet werden, zu aktiven, teilnehmenden Subjekten erklärt werden. Da nach der kritischen Theorie ein Schleier über den gesellschaftlichen Verhältnissen liegt, ist es ein Ziel der Aktionsforschung, diese Verhältnisse transparent zu machen, um Macht- und Herrschaftsverhältnisse offenzulegen. Emanzipation der Teilnehmenden zielt damit durch ihre kritische Analyse auf die Befreiung von Macht- und Herrschaftsverhältnissen. Die Aktionsforschung hat sich allerdings auch unabhängig von einer kritischen Theorie weiterentwickelt und gilt heute neben anderen einschlägigen Forschungsdesigns als eine weitere Forschungsmöglichkeit, um Gestaltungsziele zu verwirklichen. Kritische Rationalisten argumentieren dafür, dass im Gestaltungszusammenhang Gestaltungsmöglichkeiten aufgezeigt werden, allerdings sollte nach ihrer Ansicht von einer aktiven Einmischung abgesehen werden. In den letzten Jahrzehnten wird jedoch zunehmend über diese aktivere Rolle gestritten und zunehmend für Interventionen, wie sie in der Aktionsforschung vorgesehen sind, plädiert. In jüngster Zeit argumentiert Ian Hacking (1983/ 1996) für einen Experimentalismus, welcher den Vorrang der Theorie vor dem Experiment bestreitet: „Die Experimentiertätigkeit führt ein Eigenleben“ (Hacking, 1983/ 1996, 250). Hacking vertritt zwar nicht die Ansicht, dass Experimente völlig unabhängig von Theorien sind, er bezweifelt jedoch, dass Experimente ausschließlich den Zweck haben, Theorien zu testen. Aus der Geschichte lassen sich vielmehr Beispiele heranziehen, die zeigen, dass Experimente hypothesen- und theoriebildend eingesetzt werden. In die gleiche Richtung zielen Sozialexperimente, die in den letzten Jahrzehnten zunehmend eingesetzt werden, um soziale Programme wissenschaftlich zu begleiten (Greenberg und Shroder, 2004). Sozialexperimente zeichnen sich nach Greenberg und Shroder durch folgende Merkmale aus (Greenberg und Shroder, 2004, 4): Zufallsstichprobe: Es werden zwei Gruppen von Akteuren ausgewählt, die nach dem Zufallsprinzip ausgewählt werden. Intervention: Die Gruppen werden in ihrem täglichen Umfeld (Lebenswelt) unterschiedlichen Maßnahmen ausgesetzt. Nachträgliche Datenaufnahme: Es werden die Konsequenzen für jedes Mitglied einer Gruppe gemessen. <?page no="272"?> 258 8 Gestaltung und Prognose Evaluation: Durch geeignete Messverfahren werden Unterschiede der Konsequenzen auf die Mitglieder erfasst und beurteilt, inwieweit die Maßnahmen sie verursacht haben. Diese Merkmale sind stark an der Konzeption angelehnt, wie sie von Donald Campbell (1969) vorgeschlagen wird. Von ihm wird insbesondere die von Laborexperimenten propagierte Objektivität übernommen, die sich auf die Rollen auswirkt, welche Forschende und Teilnehmende der Studie zugewiesen bekommen. Um Validitätsbedrohungen abzuwenden, wird Forschenden eine passive Rolle nahegelegt, damit sich ihr Einfluss nicht verzerrend auf die Ergebnisse auswirkt. Ebenso werden Teilnehmende an Sozialexperimenten passive Rollen zugewiesen, die sie weiterhin zu Objekten macht. Campbell handelt sich damit den Vorwurf ein, wie ein Sozialingenieur zu operieren, der sein Herrschaftswissen nutzt, um im Sinne der gesellschaftlichen Machtverhältnisse zu agieren. Neuere Konzeptionen der Sozialexperimente sehen die stärkere Partizipation der Akteure vor, wie sie sich traditionell bereits in der Aktionsforschung durchgesetzt hat (Groß und Krohn, 2005, 78). Da gesellschaftliche Veränderungen nicht an den sozialen Akteuren vorbei durchgeführt werden können, ist deren Partizipation vorgesehen. Projekte, in denen dies nicht verankert wird, haben es schwer, da ihre Akzeptanz bei sozialen Akteuren gering ausfällt. Dies ist aber gleichbedeutend damit, dass eine wesentliche Komponente dieser Projekte die aktive Beeinflussung der Ziele durch die Teilnehmenden ist. Eine quasi-neutrale Intervention, die ohne das Wissen der Teilnehmenden erfolgt, ist somit nicht mehr möglich. Damit stellen sich jedoch Fragen der Qualität solcher Projekte, die abschließend diskutiert werden. 8.3.7 Qualitätsaspekte in der Gestaltung Während bei der Beurteilung der theoretischen Wissenschaftsziele kognitive Produkte - Begriffe, Aussagen und Theorien - dominieren, sind die praktischen Wissenschaftsziele der Prognose und Gestaltung auf Verwendung von Wissen gerichtet. Es ist daher sinnvoll, praktische Wissenschaftsziele mit eben dieser praktischen Dimension zu beurteilen. Auf den ersten Blick scheint daher die Effektivität der Ergebnisse ausreichend für die Qualitätsmessung zu sein (Kornwachs, 2012, 52). Eine solche Qualitätsmessung greift allerdings aus mehreren Gründen zu kurz: Auch im Gestaltungszusammenhang ist es sinnvoll, die Begründung, welche für die praktische Lösung gegeben wird, in der Beurteilung zu berücksichtigen. Es sollen damit zufällig effektive Lösungen daraufhin untersucht werden, ob sie zu verbesserten Begründungen führen könnten. <?page no="273"?> 8.3 Gestaltung 259 Eine ausschließliche Ausrichtung an sozialtechnischer Effektivität ist nicht im Sinne der Partizipation der Beteiligten. Es ist auch wesentlich, wie die Lösung zustande gekommen ist und wie die Teilnehmenden der Studie beteiligt werden. Die Grundidee des experimentellen Lernens ist damit verbunden, dass am Ende des Projekts nicht nur Ergebnisse zu verzeichnen sind, sondern auch Fähigkeiten entwickelt werden, mit denen die Teilnehmenden in Zukunft ihre Belange selbst regeln können. Neben der Effektivität wird häufig noch die Effizienz genannt, weil sie darüber entscheidet, wie ein Projekt durchgeführt werden kann. Effektivität betrifft die Möglichkeit der Durchführung, Effizienz bezieht sich auf die Wirtschaftlichkeit der Durchführung. Es sind wie bei der Prognose zwei Ebenen der Beurteilung zu unterscheiden: 1. Wie gut ist die Gestaltung begründet? 2. Wie nah liegt die Gestaltung an den Zielen der sozialen Akteure? Eine Beurteilung von Gestaltungsurteilen kann mit Hilfe der Validität erfolgen. Validität wird im Sinne von Messick charakterisiert als eine Eigenschaft der Schlüsse, die auf Basis von empirischen Evidenzen gefällt werden (Messick, 1995, 741). Sie kann sich auf verschiedene Aspekte von wissenschaftlichen Untersuchungen beziehen und hat daher verschiedene Dimensionen ( ► Kap. 2.4.3). Als zentral gelten die Konstruktvalidität, die interne und externe Validität und die statistische Validität. Inwieweit sind sie auch für Gestaltungsprojekte von Relevanz? Da sich die Konstruktvalidität auf die Bedeutung der wichtigen Begriffe und Variablen bezieht, ist sie für Gestaltungsprojekte ebenfalls von Relevanz. Es muss auch in Gestaltungsprojekten Übereinstimmung in der Bedeutung der wesentlichen Begriffe hergestellt werden. Interne Validität bezieht sich darauf, ob die Begriffe und Variablen in dem vermuteten Zusammenhang stehen und daher die ergriffenen Maßnahmen (Interventionen) den von den sozialen Akteuren gewünschten Erfolg haben. Sie ist mit der Konstruktvalidität für die Akteure die wichtigste Validität, weil sie aufzeigt, ob auch in Zukunft unter den gleichen Bedingungen mit zumindest ähnlichen Ergebnissen zu rechnen ist. Externe Validität ist aus Sicht der Beteiligten, die ihre Lebenswelt als ausschlaggebend betrachten, nicht wichtig. Für diejenigen, die das Projekt aus übergeordneter Perspektive betrachten und deswegen vielleicht auch initialisiert haben, ist dies jedoch durchaus von Bedeutung. Für sie ist von Relevanz, ob sich die Ergebnisse aus der Untersuchung auch auf andere Bereiche der Gesellschaft übertragen lassen. <?page no="274"?> 260 8 Gestaltung und Prognose Statistische Validität ist immer dann von Belang, wenn das Projekt auch statistisch ausgewertet wird. Mit ihrer Hilfe soll die Güte der Ergebnisse hinsichtlich der Anwendung der statistischen Methoden und der wesentlichen Kennwerte (statistischer Fehler, Teststärke und Effektgröße) beurteilt werden. ( ► Kap. Statistische Validität) Weitere Qualitätskriterien müssen sich allerdings auf das Gestaltungsergebnis beziehen. Und es fragt sich, ob neben der Effektivität und Effizienz von Gestaltungsergebnissen auch weitere Fragen an die Validität gerichtet werden. Eine positive Antwort hierauf geben Herr und Anderson, die insgesamt fünf Validitätskriterien vorschlagen (Herr und Anderson, 2005, 55ff). Hier sollen zwei dieser fünf Aspekte betrachtet werden: Mit der katalytischen Validität werden Aspekte der Wissensmehrung erfasst. Wissensmehrung meint hier das bessere Verständnis der dem Projekt zugrundeliegenden Fragen, ihrer Annahmen über die soziale Realität (Lebenswelt) und der durch die Intervention verfolgten Zwecke und Wirkungen sowie die situativen Faktoren, die eine Rolle spielen. Ein wichtiges Beurteilungskriterium ist die demokratische Validität. Sie soll Informationen darüber liefern, ob und wie die Partizipation während der Untersuchung stattgefunden hat. Insbesondere ist zu prüfen, ob der Prozess genügend institutionelle Voraussetzungen für eine Teilnahme vorsieht und ob das Gestaltungsergebnis von den Betroffenen als effektiv angesehen wird. Mit diesen Anmerkungen zur Validität der Gestaltung zeigt sich, dass Validität ein Konzept ist, das flexibel genug und damit erweiterbar ist. Validität wird in diesem Buch als ein genereller Beurteilungsmaßstab entwickelt, der Hinweise gibt, ob die Schlüsse, die auf Basis von wissenschaftlichen Untersuchungen sowie deren Methoden gezogen werden, auf Basis des jeweiligen Konzepts als angemessen gelten können. Zusammenfassung Prognose und Gestaltung sind kognitive Ziele der Wissenschaft, die sich der Zukunft widmen. Mit Prognosen wollen Wissenschaftler Handlungen von Akteuren vorhersagen. Bei der Gestaltung steht hingegen das aktive Eingreifen in und die Veränderung von sozialen Systeme im Vordergrund. Für Prognosen wird eine Strukturgleichheit mit der Erklärung behauptet. Eine pragmatische Betrachtung zeigt, dass bei der Prognose das Prädikandum gesucht wird und das Prädikans (Gesetz- und Anfangsbedingung) gegeben ist. <?page no="275"?> 8.3 Gestaltung 261 Wenn die Prognosefähigkeiten von Theorien als wichtigstes Ziel gedeutet werden und hingenommen wird, dass Annahmen unrealistisch sind, liegt eine Variante einer instrumentalistischen Deutung von Theorien vor. Wichtiges Argument gegen eine realistische Deutung von Theorien ist die Annahme, dass theoretische Begriffe keine realen Sachverhalte darstellen. Mit dem Kriterium der empirischen Adäquatheit lässt sich aber ein für die Sozialwissenschaften wichtiger Kompromiss für die Diskussion anbieten. Prognosen in den Sozialwissenschaften können sich verändern, wenn Akteure in den prognostizierten Sachverhalt eingreifen. So wird bei einer selbsterfüllenden Prognose das Ergebnis durch die Handlungen der Akteure erst herbeigeführt; wie dies im Beispiel des Ansturms auf eine Bank erläutert wird. Daher ist in Prognosen die Möglichkeit zu berücksichtigen, dass Akteure auf die prognostizierten Sachverhalte einwirken können. Bei der Beurteilung von Prognosen geht es nicht nur darum, wie nah die Prognose am tatsächlichen Sachverhalt lag, vielmehr muss auch die Begründung der Prognose betrachtet werden. Eine Analyse eines Gestaltungsarguments, dass die Strukturgleichheit von Erklärung und Gestaltung nicht gegeben ist, vielmehr wird abduktiv auf Gestaltungsmöglichkeiten geschlossen. Befürworter eines originären Gestaltungsverständnisses begründen dies mit der Einzigartigkeit, Unsicherheit, Dynamik und Komplexität der sozialen Phänomene. Sie argumentieren für einen Primat der Gestaltung vor der Erklärung. Es zeigt sich aber, dass auch gesetzesartige Aussagen für Gestaltungsentscheidungen sinnvoll eingesetzt werden können. Werturteile in Gestaltungsentscheidungen sind nicht notwendig, da sie in Form von Gestaltungsmöglichkeiten gegeben werden können. Da Wissenschaft als ein System angesehen wird, dass Aussagen als wahr oder falsch auszeichnet, und Werturteile als nicht (empirisch) wahrheitsfähig gelten, wird ein Werturteilsverbot vertreten. Ob Sozialwissenschaftlerinnen und Sozialwissenschaftler Werturteile formulieren sollen, ist umstritten. Normative Fragen sollten allerdings getrennt von Tatsachenbehauptungen diskutiert werden, da ihre Schlüssigkeit und ihre Wahrheit sich nicht empirisch rechtfertigen lassen. Emanzipation und kritische Aufklärung scheinen als kognitive Ziele von Sozialwissenschaft nah beieinander zu liegen. Jede Sozialwissen- <?page no="276"?> 262 8 Gestaltung und Prognose schaft sollte über wichtige Phänomene der Gesellschaft informieren, mithin aufklären. Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen, die es nicht bei der Theorie belassen wollen, können in Form der Aktionsforschung an der Gestaltung in der Gesellschaft teilnehmen. Eine stärkere Einbindung der Akteure in die Forschung findet bei Sozialexperimenten statt. Neben der Effektivität und Effizienz der Gestaltung sind die verschiedenen Validitätsdimensionen zur Beurteilung der Güte von Gestaltungen heranzuziehen. Schlüsselwörter Argument, prognostisches (227) Emanzipation (254) Experimentalismus (257) Gestaltungsargument (242) Gestaltungwissen (241) Instrumentalismus (231) Prognose, bedingte (229) Prognose, selbsterfüllende (234) Prognose, selbstzerstörende (235) Sozialexperiment (257) Sozialtechnologie (241) Lernkontrolle 1. Beschreiben Sie den Unterschied zwischen Prognose und Gestaltung. 2. Welche Gründe sprechen gegen die Strukturgleichheit von Erklärung und Prognose? 3. Wie lässt sich Gestaltung kennzeichnen? 4. Erläutern Sie die These von der Strukturgleichheit der Prognose und der Erklärung und zeigen Sie deren Konsequenzen auf. 5. Welche Thesen vertritt Milton Friedman mit seinem Instrumentalismus? 6. Zeigen Sie an verschiedenen Kriterien, die wesentlichen Unterschiede zwischen einer instrumentalistischen und einer realistischen Auffassung von Wissenschaft. 7. Beschreiben Sie an einem Beispiel, wie sich eine Prognose selbst erfüllen kann. 8. Kennen Sie auch die Möglichkeit, dass eine Prognose sich selbst zerstören kann? 9. Welche Schlussfolgerungen sind daraus zu ziehen, dass selbsterfüllende oder selbstzerstörende Prognosen auftreten können? 10. Welche zwei Fragen sollten bei der Beurteilung der Güte von Prognosen auseinandergehalten werden? 11. Was ist eine Akkommodation? 12. Wann besteht die Gefahr des Overfitting? 13. Was ist eine Technologie? 14. Beschreiben Sie ein Gestaltungsargument nach dem DN-Schema und erläutern Sie die These von der Strukturgleichheit von Gestaltung und Erklärung. 15. Wie begründen Vertreter eines originären Gestaltungsverständnisses das Primat der Gestaltung? <?page no="277"?> 8.3 Gestaltung 263 16. Erläutern Sie, welche Wertungen Albert unterscheidet und lokalisieren Sie den Bereich, der insbesondere die Werturteilsdebatte betrifft. 17. Unterscheiden Sie die Zweckrationalität von der Wertrationalität. 18. Was ist Emanzipation und warum ist dieses Ziel umstritten? 19. Diskutieren Sie die Position des Experimentalismus. 20. Welche Validitätskriterien für die Gestaltung kennen Sie? Kommentierte Literaturempfehlungen Eine kurze und prägnante Einführung zur Prognose ist Betz (2011). Selbstverändernde Prognosen sind dargestellt in Biggs (2009) und Henshel (1982). Eine Diskussion von Friedman’s Position findet sich in Boland (1979), Mäki (2003) und Schröder (2004). Wichtige Argumente für den wissenschaftlichen Realismus findet man in Popper (1963/ 2009) und Niiniluoto (2004), ein guter Überblick über beide Positionen in Leplin (2000); eine Diskussion des Realismus und Instrumentalismus in den Wirtschaftswissenschaften findet sich beispielsweise in Hausman (1998) und Mäki (2000). Eine umfassende Monographie zur Diskussion der Besonderheiten von technologischem Wissen ist Kornwachs (2012). Eine Diskussion der verschiedenen Auffassungen zum Verhältnis von Theorie und Praxis findet sich in Zelewski (1995). Zur Diskussion um die Werturteile gibt es eine umfangreiche Literatur, empfehlenswert sind neben den Artikeln von Weber (2018) die Herausgeberbände von Nau (1996), der die Diskussionsbeiträge aus dem Jahre 1913 enthält, Albert und Topitsch (1979) und Schurz und Carrier (2013), die eine Reihe von Stellungnahmen enthalten. <?page no="278"?> 9 Ethische Grundlagen der Wissenschaft 9.1 Ethik für die Wissenschaft 9.1.1 Werte und Normen der Wissenschaft Wenn Wissenschaftler der Wahrheit verpflichtet sind, hat dies auch Folgen für eine Ethik der Wissenschaft? Die Frage lässt sich präzisieren: Wenn Wissenschaftlerinnen das Ziel verfolgen, zu wahren Aussagen zu gelangen, ist dann jedes Mittel recht? Oder gibt es weitere Werte, aus denen Normen entwickelt werden und die Wissenschaftler angehalten sind zu befolgen? Wer sich mit herausragenden Ereignissen von wissenschaftlichen Fehlverhalten beschäftigt, wird weitere Werte ins Spiel bringen. Beispiel 35: Fehlverhalten Im Jahre 2011 musste ein Minister in Deutschland zurücktreten, weil er sich in seiner Doktorarbeit umfangreich aus anderen Arbeiten bedient hat, ohne die Quellen kenntlich zu machen. Er hat somit vorgetäuscht, Autor seiner Doktorarbeit zu sein, zu großen Teilen war er dies jedoch nicht. In diesem Fall geht es nicht darum, ob die Aussagen, die in seiner Doktorarbeit enthalten sind, wahr sind, sondern es geht darum, dass sie von anderen Autorinnen stammen. Dies wird als Plagiat bezeichnet. Im selben Jahr geriet ein niederländischer Sozialpsychologe ins Zwielicht, weil er über viele Jahre seine Forschungen in verschiedenen Zeitschriften veröffentlichte, in denen er Ergebnisse manipulierte und erfand. In diesem Fall geht es sehr wohl um die Frage, ob die Aussagen in diesen Veröffentlichungen wahr sind. Vielleicht sind einige zufällig wahr, andere hingegen nicht. Beide Fälle zeigen, dass Wahrheit ein zweifelsohne wichtiger, aber nicht der einzige Wert ist, der in der Wissenschaft zu beachten ist. Welche weiteren Werte dies sind und wie sie begründet werden, ist Gegenstand der nächsten Seiten. Ein Motiv für dieses Kapitel ist es, die ethischen Grundlagen der Wissenschaft zu diskutieren, um zu erkennen, auf welcher Basis Wissenschaftler für ihr Handeln verantwortlich gemacht werden. Einschränkend ist darauf hinzuweisen, dass dies in diesem Kapitel nur grob angerissen wird. Daher wird auf ausgewählte, ethische Aspekte hingewiesen, die für Wissenschaftlerinnen in ihren Forschungsprozessen von Bedeutung sein können. Ausgangspunkt ist die Frage: <?page no="279"?> 9.1 Ethik für die Wissenschaft 265 Wie wird beurteilt, ob ein wissenschaftliches Vorgehen moralisch als gut zu bewerten ist oder als moralisch fragwürdig zu gelten hat? Um diese Frage zu beurteilen, ist es nützlich, die Verantwortung von Wissenschaftlern in zwei Kategorien zu teilen (Lenk und Maring, 1998, 295): 1. Verantwortung innerhalb des Systems der Wissenschaft 2. Verantwortung im Verhältnis von Wissenschaft und Gesellschaft Im Folgenden wird die erste Kategorie, bezeichnet als interne Verantwortung, im Vordergrund stehen. Sie wird häufig in Form von Regeln guter wissenschaftlicher Praxis festgelegt, die innerhalb der Wissenschaft dazu dient, angemessenes Forschungshandeln zu beschreiben und unangemessenes Forschungshandeln als nicht konform zu wissenschaftlichen Werten und Normen auszuzeichnen (Lenk und Maring, 2017, 722). Die zweite Kategorie, die als externe Verantwortung benannt wird, ist Gegenstand im Kapitel 10 ( ► 10.3.1). Somit befasst sich die Wissenschaftsethik mit den spezifischen ethischen Verantwortungen von Forschenden und Forschergemeinschaften in modernen Gesellschaften (Schweidler, 2006, 307). Werte im Sinne von gewünschten Zuständen und Leitbildern dienen der Orientierung in sozialen Systemen, weil es als zuträglich gilt, sie zur Handlungsanleitung zu verwenden (Ott, 2005, 38ff, Wildfeuer, 2011, 2497.). Sie werden meist als Substantive ausgedrückt und für die Wissenschaft sind Werte wie Wahrheit, Unparteilichkeit oder Kritik von hoher Relevanz, an denen sich Wissenschaftler orientieren. Werte unterliegen einem Wandel und passen sich an die jeweiligen Bedingungen und kulturellen Kontexte ihrer Zeit an. Woher stammen Werte für die Wissenschaft? Beispiel 36: Milgram Experiment Der Psychologe Stanley Milgram führte im Jahre 1961 ein Experiment durch, das heute von keiner Ethik-Kommission genehmigt würde. Die Probanden wurden veranlasst, bei Fehlern, die eine Person bei der Bewältigung einer einfachen Aufgabe machte, diese Person mit sich steigernden, elektrischen Schlägen zu bestrafen. Die Probanden wussten nicht, dass diese Person ein Schauspieler war und die vermeintlichen Schmerzen nur simulierte. Der Versuchsleiter trat als Autoritätsperson auf und veranlasste den Probanden, die Bestrafung durchzuführen. Das Experiment sollte die Bereitschaft zufällig ausgewählter Probanden feststellen, gegen ihr Gewissen zu handeln, wenn sie dazu von einer Autorität gedrängt werden. Das Experiment verstößt gegen eine Reihe von Werten und Normen. So beruht es auf einer Täuschung der Probanden und erschleicht sich ihr Einverständnis, am Experiment teilzunehmen. Des Weiteren verletzt es den Wert <?page no="280"?> 266 9 Ethische Grundlagen der Wissenschaft der Unversehrtheit der Probanden, weil es nicht auszuschließen ist, dass sich aus der sehr belastenden Situation im Experiment, seelische Schäden ergeben. Wer nur die Wahrheit als Wert im Auge hat, wird an dem Experiment nichts auszusetzen haben. Wer allerdings weitere Werte auch für die Wissenschaft als maßgeblich erachtet, wird dieses Experiment anders beurteilen. Ehrlichkeit im Umgang mit Probanden und deren Unversehrtheit wären potentielle Kandidaten, die für quantitative und qualitative Forschungsmethoden von Relevanz sind (Hopf, 2000/ 2016, 197ff). Inzwischen haben sich - nicht nur im Lichte der Erfahrungen des Milgram-Experiments - viele Wissenschaftsorganisationen Richtlinien und Ethik-Kodizes gegeben, mit deren Hilfe ein fairer Umgang mit Probanden und viele weitere Fragen geregelt werden (Israel, 2015, 24ff zeichnet die Entwicklung seit 1945 nach). In den Richtlinien von Wissenschaftsorganisationen finden sich daher Normen als Verbots- oder Gebotsnormen. Damit schließt sich die Frage nach der Begründbarkeit ethischer Normen an. 9.1.2 Ethische Theorien und Wissenschaftsethik Die Ethik als Teildisziplin der Philosophie hat eine lange Tradition mit einer großen Anzahl von Ansichten. In diesem Kapitel konzentriere ich mich auf drei Theoriegruppen, die als zentral für die allgemeine und angewandte Ethik und somit auch für die Wissenschaftsethik angesehen werden (Hübner, 2014, 88ff). 1 1. Deontologische Theorien, 2. teleologische Theorien und 3. Tugendethiken. Abbildung 26 geht von einer einfachen Handlungssituation aus, in der Wissenschaftler auf Grund ihrer Intention (Motivation) forschen und idealtypisch zwei Arten von Ergebnissen erzielen: (1) theoretisches Wissen und (2) Wirkungen, die in der Gesellschaft auftreten, weil Theorien angewendet werden. Die Abbildung zeigt, dass die drei Theoriegruppen ihren Schwerpunkt auf unterschiedliche Elemente der Handlungssituation legen. Tugendethiken legen das Gewicht auf die stabilen Charaktereigenschaften, aus denen sich Intention oder Motivation der Wissenschaftler bilden, deontologische Theorien entwickeln Vorstellungen über Pflichten und Normen, wie zu forschen ist, und teleologische Theorien stellen die Ergebnisse von Forschung in den Vordergrund. 1 Die ethischen Theorien, die in diesem Kapitel vorgestellt werden, sind wesentlich normativ und geben begründete Antworten auf die Frage „Wie sollen wir handeln? “ (zu den Aufgaben und verschiedenen Disziplinen der Ethik Fenner, 2020, 18ff). <?page no="281"?> 9.1 Ethik für die Wissenschaft 267 Abbildung 26: Ethische Theorien und Handlung Deontologische Theorien sind Pflichtenethiken. Mit ihrer Hilfe werden Normen als Sollens-Aussagen formuliert, die einzuhalten sind. Sie weisen zum Handeln an, legen fest, wie Handlungen auszuführen (Gebotsnormen) und welche zu unterlassen sind (Verbotsnormen) (Hübner, 2014, 90f). So legt die American Psychological Association (APA) in ihren Richtlinien folgendes fest: „Psychologists do not present portions of another’s work or data as their own, even if the other work or data source is cited occasionally“. Wissenschaftlerinnen sollen in ihren Schriften kein Plagiat begehen. Normen, die Plagiate betreffen, sind ausschließlich Verbotsnormen. D.h., sie sind unter keinen Umständen zulässig und daher ist es nicht von Relevanz, ob es vielleicht auch günstige Folgen dieser Handlung geben könnte. Problematisch an Regeln ist ihre Abstraktheit. Es ist nicht unmittelbar möglich, für jede in der Realität vorkommende Handlung festzustellen, ob sie unter die Regel fällt oder nicht. Plagiatsvorwürfe werden daher eingehend von wissenschaftlichen Kommissionen geprüft, bevor eine wissenschaftliche Arbeit als Plagiat gilt. Teleologische Theorien wiederum rücken die Ergebnisse von Handlungen ins Blickfeld (Hübner, 2014, 91), wobei auch nicht-intendierte Nebenwirkungen zu beachten sind (Hübner, 2010, 30). Eine moralisch gute Handlung erweist sich somit aufgrund ihrer moralisch guten Ergebnisse. Wird sich nicht an einer einzelnen Handlung, sondern an einer allgemeinen Regel orientiert, so wird geprüft, ob sich auf Basis dieser Regel überwiegend Handlungen ergeben, die moralisch Gutes bewirken und Schlechtes vermeiden (Frankena, 1963/ 2017, 36f). Teleologische Theorien stehen aufgrund der Komplexität von sozialen Systemen allerdings vor dem Problem, dass es nicht ganz einfach ist, die Konsequenzen einzelner Handlungen zu isolieren und das Gute und Schlechte, das mit der Handlung verbunden ist, zu berechnen. <?page no="282"?> 268 9 Ethische Grundlagen der Wissenschaft Tugendethiken beschreiben, welche Tugenden - im Sinne von stabilen Charaktereigenschaften (Halbig, 2013, 96f) - Wissenschaftler haben sollten, um als moralisch gute Wissenschaftler und daher als anerkennenswert zu gelten (Charpa, 2001, 68). Wie im ersten Kapitel bereits erwähnt, ist es für das Ziel, wahre Aussagen und Theorien aufzustellen, förderlich, wenn Wissenschaftlerinnen wahrhaftig sind. Wahrhaftigkeit umfasst Genauigkeit und Aufrichtigkeit (Williams, 2003, 26), die z.B. dazu führen, dass Wissenschaftler ihre Ergebnisse auf ihre Korrektheit prüfen und über sie auch dann berichten, wenn sie nicht ihren ursprünglichen Erwartungen entsprechen. Wer sich in den einschlägigen ethischen Richtlinien von Wissenschaftsorganisationen umschaut, wird eine Reihe von Tugenden erwähnt finden. Hierzu zwei Beispiele: In einer Denkschrift zur Sicherung guter wissenschaftlicher Praxis formuliert die Deutsche Forschungsgemeinschaft: „Wissenschaft gründet auf Redlichkeit. Diese ist eines der wesentlichen Prinzipien guter wissenschaftlicher Praxis und damit jeder wissenschaftlichen Arbeit.“ (Deutsche Forschungsgemeinschaft, 2013, 8) Es soll nicht analysiert werden, ob Redlichkeit als Kardinaltugend für Wissenschaftlerinnen geeignet ist. Wie im Verlaufe dieses Kapitels noch diskutiert wird, ist eine Pluralität von Tugenden vorzuziehen. Ohnehin erscheint mir die Redlichkeit durch die Tugenden Aufrichtigkeit und Genauigkeit gut vertreten zu sein. Der Verein für Socialpolitik nennt in der Präambel seines Ethikkodex „Objektivität und Unabhängigkeit in der Analyse und bei wirtschaftspolitischen Empfehlungen“ (Verein für Socialpolitik, 2012). Abbildung 26 und die Einteilung in die drei ethischen Theorien sind nicht so zu verstehen, dass sich die einzelnen Theorien ausschließlich mit nur der Intention oder Motivation, der Handlung oder dem Ergebnis beschäftigen. Vielmehr sind sie als Schwerpunkte zu verstehen, ethische Fragen zu analysieren und zu diskutieren. Darüber hinaus gibt es sicherlich Verbindungen zwischen den drei Theorietypen. Beispielsweise erwarten wir von wahrhaftigen Wissenschaftlern, dass sie aufrichtig mit ihrer Forschung umgehen. Wir würden uns doch sehr wundern, wenn Wissenschaftlerinnen als wahrhaftig bezeichnet würden und, bei genauerem Lesen ihrer Veröffentlichungen, Schlampigkeit in der Zitation und kleinere Tricksereien in der statistischen Auswertung zu finden wären. Die Tugend der Wahrhaftigkeit lässt vielmehr bestimmte Handlungen erwarten oder wie im Beispiel der wahrhaftigen Wissenschaftler bestimmte Handlungen als nicht passend ansehen. Aus dieser Sicht ergänzen sich deontologische und tugendethische Theorien dadurch, dass sich auf Basis stabiler Charaktereigenschaften (Dispositionen) Intentionen für Forschungshandeln auswirken und Regeln guter wissenschaftlicher Praxis nicht seelenlos befolgt werden (Frankena, <?page no="283"?> 9.1 Ethik für die Wissenschaft 269 1963/ 2017, 63f), sondern ihre Praxis gelebt und beispielsweise dem wissenschaftlichen Nachwuchs vorgelebt wird: „Prinzipien ohne Eigenschaften sind unvermögend, Eigenschaften ohne Prinzipien blind“ (Frankena, 1963/ 2017, 64). Dass ethische Theorien den Schwerpunkt auf verschiedene Aspekte einer Situation legen, kann jedoch zu Konflikten führen. Denn Wissenschaftler stehen häufig vor konkreten ethischen Problemen, für welche die ethischen Theorien unterschiedliche Empfehlungen abgeben. Eine Forscherin fragt sich beispielsweise, ob sie in einer wirtschaftlichen Depression ihre Prognose veröffentlichen soll, die ein noch düsteres Bild der Zukunft zeichnet. Sie befürchtet, dass aufgrund ihrer Prognose die sozialen Akteure ihre wirtschaftlichen Aktivitäten noch mehr einschränken und im Ergebnis die depressive Phase in der Wirtschaft ihres Landes noch länger anhält ( ► Beispiel 33). Aus teleologischer Sicht denkt sie an die Konsequenzen ihrer Veröffentlichung und dies lässt sie zweifeln, ob eine Veröffentlichung moralisch gut ist. In einer Diskussion mit einem Kollegen wird sie jedoch mit der Tugend der Wahrhaftigkeit konfrontiert, denn der Kollege weist sie darauf hin, dass sie als Wissenschaftlerin der Wahrheit verpflichtet ist, mithin ihre Forschung nicht einfach in der Schublade verschwinden lassen darf. Es ist damit ein grundlegendes Problem angesprochen. Ethische Theorien geben zwar Orientierungswissen, liefern aber keinen Automatismus, der die richtigen ethischen Entscheidungen generiert. Insbesondere gibt es keine Meta-Theorie, die dabei hilft, wie mit konfliktären Empfehlungen umzugehen ist. Auf den ersten Blick mag dieses Ergebnis ernüchternd wirken. Deswegen ethische Theorien für das Handeln von Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen als unbedeutend abzutun, wäre jedoch voreilig. Dagegen sprechen mehrere Gründe. Wie das Beispiel der Prognose in der Depression gezeigt hat, können zur Beurteilung von Handlungen mehrere Perspektiven angeführt werden. Eine Reihe von Missverständnissen wird daher ausgeräumt, wenn sich die Diskutanten über ethische Fragen der unterschiedlichen Perspektiven bewusst sind (Hübner, 2014, 92f). Ethische Theorien liefern mit ihren allgemeinen Ausführungen Orientierung (Reydon, 2013, 18). Der Stellenwert von Orientierungswissen ist auch für die Ethik nicht zu unterschätzen. Mehr sollte von ihr aber nicht verlangt werden. Es überfordert die Ethik, wenn von ihr Handlungsregeln erwartet werden, die ohne weitere Reflexion angewendet werden können. Mit letzterem kann die Gefahr von moralischem Rigorismus verbunden sein. Ottfried Höffe hat ihn mit dem moralischen Fehlschluss gekennzeichnet, der mit der Annahme verbunden ist, „aus moralischen Voraussetzungen allein ließen sich spezifische oder gar konkrete Verbindlichkeiten ableiten“ (Höffe, 2009, 38). <?page no="284"?> 270 9 Ethische Grundlagen der Wissenschaft Zur Lösung von ethischen Problemen sind neben der Kenntnis von ethischen Prinzipien, empirisches Wissen über die Handlungssituation sowie Erfahrung und Urteilskraft notwendig (Höffe, 2009, 378). Für eine Wissenschaftsethik gilt mithin, dass sie es mit einer komplexen Wirklichkeit zu tun hat, in der sich durch die hohe soziale Dynamik Handlungssituationen schnell wandeln können. Wissenschaftsethik als angewandte Ethik ist ein Versuch, die ethischen Reflexionen mit den empirischen Wirklichkeiten zu konfrontieren und nachvollziehbare Maßstäbe des Handelns vorzuschlagen (Bayertz, 1991, 41). Philosophiebox 15: Kant’sche Deontologie Herausragender Vertreter einer deontologischen Theorie ist Kant, der in mehreren Schriften eine deontologische Ethik entwickelt hat. Im Folgenden werden hierfür nur kurze Hinweise gegeben, wie dies für die Wissenschaftsethik am Beispiel der Datenfälschung nutzbar gemacht werden kann. Zentral ist sein kategorischer Imperativ, der verlangt, dass Prinzipien und Maximen als Gesetz formulierbar sein sollen: „Handle nach der Maxime, die sich selbst zugleich zum allgemeinen Gesetz machen kann“ (Kant, 1786/ 1983a, 81). Kant fordert auf, uns zu befragen, ob wir unser Handeln als allgemeines Gesetz denken und wollen können. Wer Daten fälscht, wird in der Wissenschaft nicht damit rechnen können, dass Datenfälschung als allgemeines Prinzip anerkannt wird. Als allgemeines Gesetz gedacht, tritt ein Widerspruch auf. Ein moralisches Gesetz zur Datenfälschung würde von Forschenden verlangen, dass sie der Maxime folgen: „Du sollst die Daten deiner Studie fälschen“. Da dann alle Forschenden wüssten, dass die Daten aller Studien gefälscht sind, wäre Fälschen sinnlos geworden. Fälschen erfüllt seinen Zweck nur in einem Meer von wahren Studien. Es ist am wirksamsten, wenn es unentdeckt bleibt. Dann darf es aber nicht als allgemeines Gesetz formuliert werden. Da die Maxime ihren Gedanken-Test der Verallgemeinerung nicht besteht, kann sie auch nicht von den Forschenden gewollt sein. Kant diskutiert seinen kategorischen Imperativ in einer weiteren Interpretation: „Handle so, daß du die Menschheit, sowohl in deiner Person, als in der Person eines jeden anderen, jederzeit zugleich als Zweck, niemals bloß als Mittel brauchest“ (Kant, 1786/ 1983a, 61). Menschen sind als Subjekte anzusehen, die sich ihre Zwecke setzen können. Für Kant sind beide Interpretationen gleichwertig und er diskutiert dies an mehreren Beispielen. <?page no="285"?> 9.2 Ethik im Forschungsprozess 271 Seine Argumentation lässt sich mit Hilfe der Lüge aufzeigen, die vergleichbar mit der Datenfälschung eines Forschenden ist. Wer Daten fälscht, der tut dies in der Regel zu seinem eigenen Vorteil, um z.B. mit einer Veröffentlichung seine Reputation zu steigern und damit eine höhere Vergütung, bessere Ausstattung oder eine Position an einer renommierten Hochschule zu erreichen. Alle, die die Fälschung lesen und eine Leistung beurteilen wollen, werden mithin als Mittel genutzt, um diese Zwecke zu erreichen. Wissenschaftler, die über ihre Studien wahrheitsgemäß berichten, können dieser Handlung nicht zustimmen. Wir kommen somit zum gleichen Ergebnis wie in der Gesetzesformulierung. Auch mit ihr ergibt sich, dass wir uns keine Gesellschaft vorstellen können, in der Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen generell Daten fälschen. Quellen: Fenner, 2020, Hübner, 2014, Ott, 2005, Quante, 2011, Schönecker und Wood, 2011 9.2 Ethik im Forschungsprozess 9.2.1 Verantwortung von wissenschaftlichen Akteuren Aus einer Norm, die Fälschung von Daten verbietet, lässt sich eine moralische Pflicht für Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen ableiten, dass Datenfälschung zu unterlassen ist. Wenn es trotzdem zu Datenfälschung kommt, dann werden diejenigen zur Verantwortung gezogen, die sich nicht an die Norm halten. Verantwortung ist ein mehrstelliger Relationsbegriff, d.h., es sind verschiedene Konzeptualisierungen möglich. Im Folgenden wird von einer vierstelligen Relation ausgegangen, der auf einer sozialen Interaktion zwischen zwei Akteuren beruht (Werner, 2006, 543); soziale Akteure können auch kollektive Akteure, wie Wissenschaftsorganisationen, Universitäten oder Nichtregierungsorganisationen sein: (1) wissenschaftliche Akteure werden für ein (2) Ereignis (Handlungsergebnis, -folge) auf Basis einer (3) Norm von einem anderen (4) sozialen Akteur (Instanz) verantwortlich gemacht (Bayertz, 1995, 5ff). Es gibt somit vier Elemente, die miteinander in Beziehung stehen: 1. Wissenschaftliche Akteure als Individuen oder als Wissenschaftlergemeinschaften, 2. ein oder mehrere soziale Akteure als Instanz, welche die Verantwortung zuschreiben, 3. das Ereignis, welches als Folge der Handlung angesehen wird, und 4. mindestens eine Norm, die der Verantwortungszuschreibung zugrunde liegt. <?page no="286"?> 272 9 Ethische Grundlagen der Wissenschaft Um Akteuren Verantwortung zuzuschreiben, unterstellen wir verschiedene Voraussetzungen. Zunächst gehen wir von intentionalen Handlungen aus, d.h., wenn Ergebnisse von Handlungen beurteilt werden, vermuten wir, dass wissenschaftliche Akteure mit Absicht gehandelt haben. Wissenschaftler sollten daher in der Lage sein, möglichst gute Gründe zu nennen, um ihr Handeln zu rechtfertigen (Wimmer, 2012, 2310). Im Falle eines Fremdplagiats werden sich daher die Ertappten oft darauf berufen, dass sie ohne Absicht gehandelt haben. Meist verweisen sie darauf, dass ihnen unabsichtlich Fehler unterlaufen sind. Wer dies beurteilen will, sollte über empirisches Wissen für diese Handlungssituationen sowie Erfahrung und Urteilskraft verfügen. Nicht jeder fehlende Beleg in einem wissenschaftlichen Text führt unmittelbar zur Feststellung, dass ein Plagiat vorliegt. Verantwortung ist kein wertgeladener Begriff, vielmehr greifen soziale Akteure auf Normen zurück, um Verantwortung zuzuschreiben. Wenn eine Wissenschaftlerin des Plagiats bezichtigt wird, dann werden meist die Normen herangezogen, die in der Wissenschaftsgemeinschaft gelten. Fast alle Wissenschaftsdisziplinen verfügen über Ethik-Richtlinien, in denen Plagiate verboten sind. Normen können aber auch aus anderen Bereichen der Gesellschaft herangezogen werden; es kommen grundsätzlich alle sozialen Normen, die in einer Gesellschaft gelten, in Frage. Auf Basis von Normen erfolgt die Beurteilung der Situation, d.h., ob das Ereignis im Licht der Normen als negativ und damit als normabweichend zu bewerten ist. Verantwortung ist somit ein Zuschreibungsbegriff (Hart, 1948), d.h., er dient dazu, dass ein sozialer Akteur auf Basis eines sozial-kognitiven Prozesses wissenschaftlichen Akteuren Verantwortung zuschreibt (Ott, 1997, 254). Zunächst wird die Verantwortung diskutiert, die direkt mit dem Forschungsprozess verbunden ist; Kapitel 10.3.1 wird hingegen die Verantwortung gegenüber der Gesellschaft betrachten. 9.2.2 Verantwortung gegenüber Studienteilnehmern Bei empirischen Methoden wird die soziale Realität erforscht, d.h., Sozialwissenschaftlerinnen müssen sich über die Art und Weise ihrer Interaktion mit Probanden beschäftigten. Wenn gefragt wird, welche Verantwortung Wissenschaftler gegenüber der Gesellschaft während des Forschungsprozesses haben, dann ist das Milgram-Experiment ein viel diskutiertes Beispiel (s. Beispiel 36, S. 265). Im Zentrum der Debatte stand die Verantwortung der wissenschaftlichen Akteure gegenüber den Studienteilnehmenden und inwieweit sie deren physisches und psychisches Wohl im Blick hatten. Im Wesentlichen sind es drei Themen mit denen wissenschaftliche Akteure Vertrauen aufbauen oder verlieren können. Einwilligung durch Aufklärung <?page no="287"?> 9.2 Ethik im Forschungsprozess 273 Vertraulicher Umgang mit Daten Risiken und Vorteile Ein wesentlicher Grundsatz ist die Einwilligung durch Aufklärung, die freiwillig gegeben werden muss (Hammersley und Traianou, 2012, 75ff). Er soll verhindern, dass sich Probanden an Untersuchungen beteiligen, deren Teilnahme sie abgelehnt hätten, wenn sie vorher ausreichend informiert gewesen wären. Es ergeben sich daraus Aufklärungs- und Dokumentationspflichten, die zu beachten sind (Deutsche Gesellschaft für Psychologie, 2016). Eine Besonderheit gilt für Experimente, weil in einigen Fällen eine umfassende Aufklärung eine Untersuchung unmöglich erscheinen lässt. Ebenso ist explizit geregelt, bei welchen Methoden und weiteren Bedingungen auf eine Einwilligung verzichtet werden kann (Deutsche Gesellschaft für Psychologie, 2016). In der qualitativen Forschung ergibt sich das Problem, dass vor der Untersuchung nicht bestimmt werden kann, wie die Untersuchung verlaufen wird und welche Ergebnisse zu erwarten sind (Hopf, 2000/ 2016, 197f). Daher ist es nicht immer möglich, die Wirkungen auf die Teilnehmenden von Studien abzuschätzen, was eine vorherige Einwilligung durch Aufklärung erheblich erschwert. Vorgeschlagen wird ein daher prozess- und dialogorientiertes Verständnis der Einwilligung (von Unger, 2014, 26). In empirischen Untersuchungen werden häufig sensible Daten von Teilnehmenden der Studie erhoben, die wiederum ihre Teilnahme davon abhängig machen, dass ihnen ein vertraulicher Umgang mit ihren Daten und damit Anonymität gewährt wird (Hopf, 2000/ 2016, 199ff, Hammersley und Traianou, 2012, 99ff). Vertraulichkeitszusagen, meist in schriftlicher Form, sind insbesondere für Interviewdaten ein Mittel, um sich über wichtige Fragen zu diesem Aspekt zu einigen. Verantwortung als Tugend zeichnet sich dadurch aus, dass wissenschaftliche Akteure die Folgen ihrer Handlungen vor der Durchführung der Studie bedenken. Es ist daher eine Risikoanalyse vorzunehmen, um die psychologischen und sozialen Gefahren für die Studienteilnehmenden abzuschätzen, denen sie während und nach dem Forschungsprojekt ausgesetzt sein könnten. Dies ist um mögliche Vorteile zu ergänzen, die für die Studienteilnehmer anfallen, um so eine umfassende Einschätzung der Wirkungen der Studie zu erhalten (Resnik, 2018, 165ff, 193ff). 9.2.3 Fehlverhalten und Praxis guter wissenschaftlicher Forschung Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen haben eine interne Verantwortung, die sich auf ihr Handeln im System der Wissenschaft bezieht. Wenn sie Phäno- <?page no="288"?> 274 9 Ethische Grundlagen der Wissenschaft mene untersuchen, dann sind im Forschungsprozess viele ethische Fragen zu klären. Sie reichen von der Auswahl des Forschungsobjekts bis zur Veröffentlichung der Ergebnisse. Wahrheit als regulative Idee leitet auch die interne Verantwortung, indem alles Handeln auf sie ausgerichtet ist und jegliches Handeln, was ihr abträglich ist, zu unterlassen ist. Beispiel 37: Plagiate und Wahrheit Der junge, aufstrebende Forscher Gatapli setzt sich zum Ziel, Professor an einer der führenden Fakultäten des Landes zu werden. Bei genauerer Analyse seiner Veröffentlichungen und den Informationen, die ihm über die Fakultät vorliegen, kommt er zu dem Schluss, dass daraus im ersten Anlauf nichts werden kann. Ihm fehlen ein paar hochrangige Publikationen. Daher beschließt er, seine Forschung mehrfach zu veröffentlichen, ohne explizit auf diese anderen Veröffentlichungen der identischen Studien hinzuweisen. Nehmen wir an, dass die Aussagen in der Originalstudie alle wahr sind. Dann verändert eine zweite, dritte oder gar vierte Veröffentlichung daran nichts. Die Aussagen bleiben wahr. Dies gilt auch für Fremdplagiate. Wenn die Aussagen in der Originalquelle wahr sind, werden sie dadurch, dass sie in einer anderen Quelle wiedergegeben werden, nicht unwahr. Die Leserin weiß nur nicht, von wem diese wahre Aussage tatsächlich stammt, weil der Quellenhinweis fehlt. Nehmen wir weiter an, dass die Aussagen nicht nur wahr, sondern auch von hoher Relevanz sind. Wäre dann nicht eine möglichst umfassende Verbreitung wünschenswert? Das Beispiel zeigt, dass es nicht ausreicht, Wissenschaftler auf wahre Aussagen in ihren Veröffentlichungen zu verpflichten. Offensichtlich bedarf es anderer Tugenden und Normen, um Plagiate zu verhindern. Zu erinnern ist, an die Tugend der Wahrhaftigkeit, die mit Aufrichtigkeit und Genauigkeit verbunden ist. Aufrichtige Wissenschaftlerinnen zeichnen sich dadurch aus, dass sie ehrlich mit ihren Forschungsergebnissen umgehen und dies in allen Phasen einer Untersuchung. Sie täuschen die wissenschaftliche Öffentlichkeit nicht über den wahren Autor der Aussagen im Falle des Fremdplagiats und auch nicht über die Mehrfachveröffentlichung einer einzigen Studie. Denn das System Wissenschaft und die Gesellschaft sind darauf angewiesen, dass über die Ergebnisse von Forschung aufrichtig berichtet wird. Warum ist dies wichtig? Wie auch in anderen Systemen müssen wir auf Kommunikation vertrauen können (Luhmann, 1991, 242). Wer sich bei wesentlichen Aussagen seiner Veröffentlichung Autorenschaft anmaßt, enttäuscht die Erwartungen, die mit einer wissenschaftlichen Veröffentlichung verbunden sind. Diese Erwartungen beziehen sich auf den Inhalt, aber sie beziehen sich auch auf weitere Informationen über <?page no="289"?> 9.2 Ethik im Forschungsprozess 275 die Untersuchung, wie z.B. die zugrundeliegende wissenschaftliche Literatur. Werden wesentliche Quellen nicht genannt, so wird verhindert, dass der Stand der Literatur angemessen nachvollzogen werden kann. Wie bereits erwähnt, berufen sich Wissenschaftlerinnen, denen Fehlverhalten nachgewiesen wurde, häufig auf fehlerhaftes Verhalten, und bestreiten, mit Absicht gehandelt zu haben. Warum ist dies wichtig? Ganz einfach deshalb, weil auch Wissenschaftler Fehler machen und dies nicht automatisch als Fehlverhalten gedeutet wird. Das betrifft allerdings nur die Aufrichtigkeit als Tugend. D.h., wer Fehler begeht, handelt vielleicht trotzdem aufrichtig. Abbildung 27 illustriert dies mit einem einfachen Schema, in dem drei Bereiche zu unterscheiden sind. Fehler zu begehen, gilt nicht als moralisch fragwürdig, sondern fällt in den Bereich handwerklicher Schwächen. Fehlverhalten liegt vor, wenn gegen gute wissenschaftliche Praxis verstoßen wird. Die folgenden Ausprägungen sind Beispiele für Verstöße (Reydon, 2013, 106ff, European Science Foundation und ALLEA (All European Academies), 2011, 11): Fabrikation ist das Erfinden von Daten. Wer Interviews für eine qualitative Untersuchung oder wer Probanden für ein Experiment erfindet, wird zum Fälscher und Erfinder von Daten. Motivation für dieses Fehlverhalten ist es, Ergebnisse zu erzeugen, die zu einer Veröffentlichung führen. Mit Fälschung werden erhobene Daten dadurch manipuliert, dass Forscher Werte oder Interviewaussagen verändern oder weglassen, um die Bestätigung für gewünschte Hypothesen zu erhalten (Beispiele für Fabrikation und Fälschung in Israel, 2015, 152ff). Ein Plagiat liegt vor, wenn in einer Veröffentlichung Ergebnisse fremder Quellen verwendet und diese nicht hinreichend oder gar nicht zitiert werden (Döring und Bortz, 2016, 135); dies gilt als Diebstahl geistigen Eigentums und Anmaßung von Autorenschaft. Ein weiteres Fehlverhalten bei der Veröffentlichung von Ergebnissen ist die redundante Publikationsstrategie. Sie ist die mehrfache Veröffentlichung einer einzigen Studie - ihrer Daten, Ergebnisse und Diskussionen - in verschiedenen wissenschaftlichen Zeitschriften, ohne dies kenntlich zu machen (Israel, 2015, 162ff, Lenz, 2014, 1169f). 2 Mit diesem Vorgehen wird die wissenschaftliche Öffentlichkeit über die Originalität der Ergebnisse getäuscht (Scanlon, 2007, 61), die Zeit von Herausgeberinnen und Gutachtern sowie die begrenzte Seitenzahl von Zeitschriften verschwendet (Reydon, 2013, 74). 2 Die Bezeichnung dieses Verhaltens als Selbstplagiat wird kritisiert (z.B. in Andreescu, 2013, 779f), weil die Autoren die geistigen Eigentümer ihrer Forschung sind und daher auch keine Anmaßung von Autorenschaft vorliegt. <?page no="290"?> 276 9 Ethische Grundlagen der Wissenschaft Weitere Formen des Fehlverhaltens sind z.B. Bruch der Verschwiegenheitspflicht, fehlendes Einverständnis der Probanden oder Verschweigen von Interessenkonflikten. Abbildung 27: Fehler, Fehlverhalten und graue Bereiche Eine dritte Kategorie wird als fragwürdige Forschungspraktiken bezeichnet, die in der Abbildung grau unterlegt ist. Solche grauen Bereiche zeigen an, dass zwar kein Fehlverhalten vorliegt, jedoch nicht einfach von einem Fehler gesprochen werden kann. Als Fehler sind überwiegend unabsichtliche Handlungen aufzufassen, die zusätzlich dadurch zu qualifizieren sind, dass sie nur vereinzelt auftreten. Fragwürdige Forschungspraktiken zeichnen sich hingegen dadurch aus, dass sie gezielt eingesetzt werden, um die Veröffentlichung der Forschungsergebnisse zu erleichtern oder überhaupt erst zu ermöglichen. Neben die Aufrichtigkeit tritt die Genauigkeit, sie „impliziert Sorgfalt, Zuverlässigkeit usw. bei der Ermittlung der Wahrheit“ (Williams, 2003, 193). Williams beschreibt sie anhand zweier Aspekte: ein Aspekt zielt auf die Einstellung, Gesinnung und Sorgfalt, der andere Aspekt zielt auf die Methoden, die eingesetzt werden (Williams, 2003, 193). Von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern wird erwartet, dass sie ihre Forschung auf dem Stand der Wissenschaft (inhaltlich, methodisch) ausüben und nach der Wahrheit streben. Wahrhaftigkeit ist somit Aufrichtigkeit und Genauigkeit, beide Tugenden stützen sich gegenseitig und sind beide notwendig, um Wahrhaftigkeit zu erlangen. 9.2.4 Fragwürdige Forschungspraktiken In der Wissenschaft gibt es nicht nur eine Verpflichtung zum Veröffentlichen (Merton, 1985, 94f), vielmehr haben sich im Wissenschaftssystem Anreizsysteme etabliert, auf die mit der Strategie des „publish or perish“ reagiert wird. Mit Veröffentlichungen in hochrangigen Publikationen sind monetäre Anreize wie höhere Gehälter und nicht-monetäre Anreize wie Reputation verbunden. Daher ist <?page no="291"?> 9.2 Ethik im Forschungsprozess 277 es durchaus möglich, dass diese Anreize dazu verführen, sich fragwürdiger Forschungspraktiken zu bedienen. Abbildung 27 (S. 276) zeigt, dass in einer grauen Zone fragwürdige Forschungspraktiken angesiedelt sind. Im Folgenden wird es darum gehen, einige dieser fragwürdigen Praktiken zu beleuchten, die insbesondere in quantitativen empirischen Untersuchungen untersucht wurden. Als Kontext ist zu beachten, dass sich in wissenschaftlichen Zeitschriften eine bedenkliche Praxis etabliert hat: Wenn zum Testen von Hypothesen statistische Methoden angewendet werden, sollten die Ergebnisse überwiegend signifikant sein, weil ansonsten eine Veröffentlichung eher unwahrscheinlich ist. Es ist daran zu erinnern, dass ein nicht-signifikantes Ergebnis anzeigt, dass die Hypothese (Aussage) durch die Daten nicht gestützt wird. Ein Problem ist dabei, dass nur eine genauere Analyse zeigt, warum ein nicht-signifikantes Ergebnis vorliegt. Wenn es z.B. daran liegt, dass die wesentlichen Variablen der Theorie fehlerhaft gemessen wurden, dann liegt kein Test der Hypothesen der Theorie vor. Eine solche Studie ist für die Theorie-Entwicklung unergiebig und daher ist ihre Veröffentlichung nicht sinnvoll. Sollten jedoch keine methodischen und messtheoretischen Fehler vorliegen und die Hypothesen nicht bestätigt werden, dann wäre dies für die Wissenschaftler, die sich mit der zugrundeliegenden Theorie beschäftigen, sehr wohl von Interesse. Welche Praktiken treten in der Praxis auf, um signifikante Ergebnisse zu erzeugen? Während der empirischen Untersuchung wird bereits ausgewertet und bei Bedarf werden weitere Fälle erhoben, um signifikante Ergebnisse zu erzeugen (Simmons, Nelson und Simonsohn, 2011, 1361f). Da es einen Zusammenhang zwischen α-Niveau, der tatsächlichen Effektgröße in der Stichprobe und dem Stichprobenumfang gibt, lässt sich bei gegebenen α-Niveau und der tatsächlichen Effektgröße Signifikanz erreichen, in dem die Stichprobe kontinuierlich vergrößert wird. In einer Befragung von 2.155 Psychologen und Psychologinnen an US-amerikanischen Universitäten bezichtigen sich 56% der Befragten, diese Vorgehensweise schon einmal gewählt zu haben (John, Loewenstein und Prelec, 2012, 525). Da der p-Wert letztlich über Veröffentlichung entscheidet, steht er oft im Zentrum der Praktiken. Offensichtlich ist die Versuchung groß, bei einem <?page no="292"?> 278 9 Ethische Grundlagen der Wissenschaft gegebenen α-Niveau von 5%, das als Standard gelten kann, bei kleineren Abweichungen ein bisschen zu schummeln. So gaben in der bereits zitieren Studie 22% der Befragten an, schon mal einen knapp darüber liegenden Wert, z.B. 5,4%, abgerundet zu haben, um das Signifikanzniveau zu unterbieten (John, Loewenstein und Prelec, 2012, 525). Um zu klären, ob es sich dabei um ein verbreitetes Phänomen handelt, analysierte ein Forscherteam 30.717 Artikel in psychologischen Zeitschriften (Zeitraum 1985-2013). Sie fanden heraus, dass in 49,6% der Artikel mindestens ein p-Wert inkonsistent war, d.h., er passte nicht zu den anderen berichteten Teststatistiken, und in 12,9% der Artikel sich ein entgegengesetzter statistischer Schluss hätte ergeben müssen (Nuijten et al., 2016, 1216). Oft zeigen sich bei der Auswertung weitere Erkenntnisse. So können relevante, aber unerwartete Ergebnisse auftreten. Dann ist die Versuchung groß, dass im Artikel dieses eigentlich unerwartete Ergebnis als von Beginn an erwartet dargestellt wird. 27% der Befragten gaben zu, dies bereits in vergangenen Studien getan zu haben (John, Loewenstein und Prelec, 2012, 525). Insbesondere die letzte Praktik gehört zu einer Gruppe von Praktiken, die als HARKing (Hypothesizing After the Results are Known) bekannt ist. Anstatt erst theoretisch Hypothesen abzuleiten, dann mittels Datenerhebung und Datenauswertung die Hypothesen zu testen, wird auf Basis der erhobenen Daten nach geeigneten Hypothesen gesucht und nach signifikanten Ergebnisse gefischt. Tabelle 8 führt wesentliche Kombinationen von Wissen über die Ergebnisse vor und nach Datenerhebung auf (das Folgende nach Kerr, 1998, 197ff). Einem hypothetisch-deduktiven Vorgehen entspricht die Kombination a und b. Vor der Studie werden Hypothesen theoretisch abgeleitet, gelten mithin als erwartet und plausibel und können sich nach dem Test (post hoc) als plausibel oder nicht-plausibel herausstellen. Häufig drängen Herausgeber und Gutachter die Autoren einer Studie dazu, im Nachhinein nicht mehr als plausibel anzusehende Hypothesen (Verliererhypothesen) zu unterdrücken (Zelle b). Begründet wird dies häufig mit der möglichst effizienten Nutzung von Zeitschriftenseiten. Beim reinen HARKing wird hingegen die Kombination a, c und e realisiert. Völlig unabhängig von den Erwartungen vor der Studie (a priori), werden die Hypothesen im Nachhinein als plausibel dargestellt. Wenn nur die Kombination e gewählt wird, dann lässt sich dieses Verfahren als explorativ bezeichnen. Es kann durchaus mit der Kombination b auftreten, d.h., die Untersuchung erbrachte nur nicht-signifikante Ergebnisse der zu testenden Hypothesen. Allerdings finden die Forscher auf Basis der Daten signifikante Ergebnisse, die vorher nicht erwartet wurden. <?page no="293"?> 9.2 Ethik im Forschungsprozess 279 Wenn unerwartete als erwartete Ergebnisse ausgegeben werden, ist die Untersuchung nicht hypothesen-testend, sondern hypothesen-generierend. Ein Test findet nicht statt, vielmehr wird auf Basis einer Stichprobe eine Hypothese formuliert. Die Studie ist daher als explorativ zu bezeichnen und es ist eine neue Untersuchung (Stichprobe) notwendig, um diese Hypothese zu testen. Tabelle 8: Status von Hypothesen Ergebnisse nach der Erhebung Ergebnisse vor der Studie (a priori) Plausibel (post hoc) Nicht plausibel (post hoc) Erwartet und plausibel a b Erwartet und unplausibel c d Unerwartet e f (Quelle: Kerr, 1998, 197) Weitere Praktiken lassen sich mithilfe Tabelle 8 beschreiben. Im Folgenden soll jedoch diskutiert werden, welche Folgen diese Praktiken haben und mit welchen Maßnahmen sie in Zukunft erschwert werden können. Der wichtigste Effekt hängt direkt mit den mit diesen Praktiken verbundenen Absichten zusammen. In der Veröffentlichung sollen überwiegend positive Ergebnisse berichtet werden und negative möglichst unterdrückt werden. Es ist daher mit einer Inflationierung von positiven Ergebnissen zu rechnen. Dies kann dazu führen, dass zum einen systematisch verzerrte p-Werte veröffentlicht und zum anderen die Effektgrößen aufgebläht werden. Eine Inflation von signifikanten Ergebnissen findet sich in einer Studie, die eine Zufallsstichprobe aus 20 Disziplinen mit 2.434 hypothesentestenden Artikeln auswertete: Volks- und betriebswirtschaftliche Studien berichteten zu 87% über positive Ergebnisse, Artikel in den Disziplinen Psychologie und Psychiatrie sogar zu 91,5%, der Mittelwert über alle Disziplinen lag bei 84% (Fanelli, 2010). In einer großangelegten Replikationsstudie von 100 psychologischen Experimenten und Korrelationsstudien zeigte sich, dass nur 36% der Replikationsstudien signifikante Ergebnisse wie die Originalstudien aufwiesen (Open Science Collaboration, 2015, 3). Entsprechend war der Mittelwert der Effektgrößen der Replikationen halb so hoch wie der Mittelwert der ursprünglichen Studien (Open Science Collaboration, 2015, 3). <?page no="294"?> 280 9 Ethische Grundlagen der Wissenschaft Wenn die skizzierten Ergebnisse als Hinweise für tatsächliche Probleme gedeutet werden, dann führen sie in ihrer Summe zu einem unerwünschten Befund: Wissenschaftliche Gemeinschaften täuschen sich aufgrund der Bestätigungsverzerrung über die Bewährung ihrer Theorien und durch die Effektgrößenverzerrung über die praktische Relevanz ihrer Ergebnisse. Daher sind von verschiedener Seite Maßnahmen vorgeschlagen worden, die zur Verbesserung dieser Situation führen sollen. Eine Reihe von Maßnahmen zielt auf die Autoren und Gutachter und setzt voraus, dass das beobachtete Verhalten nicht beabsichtigtes Verhalten ist (z.B. Vorschläge in Simmons, Nelson und Simonsohn, 2011, 1362ff). Ohne diese Vorschläge schmälern zu wollen, denn Wiederholung von Regeln erfüllt sicherlich eine didaktische Funktion, scheint dies nicht ausreichend. Ergänzt werden müssen sie um Maßnahmen, die auf eine noch wirksamere Prüfung durch die wissenschaftliche Gemeinschaft setzt (die folgenden und noch weitere Vorschläge finden sich in Munafò et al., 2017): Um überraschende Befunde nicht als a priori bekannt auszugeben, wird eine Registrierung der Untersuchung mit ihren Hypothesen und Methoden vor der Datenerhebung gefordert. Herausragend ist der Vorschlag, dass Veröffentlichungen, die zunehmend Online zur Verfügung stehen, mit zusätzlichem Material zu versehen sind. So sollten ausführliche Beschreibungen der eingesetzten Methoden vorliegen, die eine Replikation der Studienergebnisse ermöglicht. Wenn dies mit der Veröffentlichung der Originaldaten verbunden ist, ermöglicht es anderen Wissenschaftlern, die Ergebnisse nachzuvollziehen. Erleichtert wird die Nachvollziehbarkeit, wenn Wissenschaftsorganisationen Protokolle für einschlägige Untersuchungsdesigns entwickeln und ihren Mitgliedern empfehlen, nach ihnen vorzugehen. Die bisher angesprochenen Maßnahmen sollen u.a. verhindern, dass fälschlicherweise ein positives Ergebnis angenommen wird. Gleichzeitig besteht die Gefahr, dass kein Effekt festgestellt wird, obwohl tatsächlich ein Effekt in der Stichprobe auftritt. Dies betrifft die Teststärke. Um dieser Gefahr zu begegnen, wird gefordert, die Teststärke von Studien zu erhöhen. Empfohlen wird eine Teststärke von 80% (Cohen, 1988, 56), sie liegt allerdings z.B. in der Psychologie bei durchschnittlich 35% (Bakker, van Dijk und Wicherts, 2012, 544). Eine Erhöhung der Teststärke zieht in der Regel einen höheren Aufwand nach sich. Wenn davon auszugehen ist, dass das α-Niveau durch Konvention festliegt und dass die Effektgröße eine tatsächliche, nicht zu verändernde Größe aufweist, dann lässt sich die Teststärke nur durch eine größere Stichprobe erhöhen. Teststarke Untersuchungen zeichnen sich daher durch grö- <?page no="295"?> 9.2 Ethik im Forschungsprozess 281 ßere Stichproben aus, als sie üblicherweise anzutreffen sind. Beispiel: In einer Untersuchung werden zwei Gruppen auf einen Mittelwertunterschied untersucht, die Forscher rekrutieren 250 Probanden und teilen sie auf zwei Gruppen auf, bei einer Effektgröße von d = 0,2 (ein kleiner Effekt) und einem α- Niveau von 5% ist die Teststärke 35% und entspricht dem Durchschnitt vieler psychologischer Studien. Wenn die Teststärke auf die empfohlene Höhe von 80% erhöht werden soll, dann sind 788 Probanden notwendig. Die dreifach höhere Stichprobe ist daher mit einem erheblichen höheren Rekrutierungsaufwand verbunden. Viele der angesprochenen Maßnahmen etablieren einen „organisierten Skeptizismus“ (Merton, 1985, 99): Er ist intern auf Wissenschaft gerichtet, setzt die Offenheit und Transparenz von Forschungsprozessen voraus (Lenz, 2014, 1183) und institutionalisiert Kritik in der Beurteilung von Forschungsergebnissen. Es ist zu vermuten, dass, wenn in den Sozialwissenschaften mehr kumulatives Wissen erzeugt werden soll, in Zukunft deutliche Schritte in die angedeutete Richtung ergriffen werden müssen. Zusammenfassung Verantwortung von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern wird in zwei Kategorien getrennt. Eine interne Verantwortung betrifft die Wissenschaftsgemeinschaft untereinander, externe Verantwortung besteht gegenüber der Gesellschaft. Eine Reihe von Werten ist in der Wissenschaft von Relevanz: Wahrheit, Unparteilichkeit, Unversehrtheit von Probanden, Verschwiegenheit etc. Drei ethische Theorien werden diskutiert: Deontologische Theorien analysieren Pflichten, teleologische Theorien stellen die Analyse der Ergebnisse in den Vordergrund und Tugenden beschreiben stabile Charaktermerkmale von Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen. Die Tugend der Wahrhaftigkeit wird insbesondere durch die Tugenden der Aufrichtigkeit und der Genauigkeit ergänzt. Da ethische Theorien unterschiedliche Schwerpunkte bilden, kann es zu konfliktären Empfehlungen kommen. Dies ist neben der Kenntnis von ethischen Prinzipien, mit empirischem Wissen über die Handlungssituation sowie Erfahrung und Urteilskraft lösbar. Verantwortung ist ein Zuschreibungsbegriff, mit dem wissenschaftliche Akteure auf Basis von Normen für ihr Handeln und ihre Ergebnisse zur Verantwortung gezogen werden. <?page no="296"?> 282 9 Ethische Grundlagen der Wissenschaft Fabrikation, Fälschung und das Plagiat gelten als Fehlerhalten. Weitere Formen des Fehlverhaltens sind z.B. Bruch der Verschwiegenheitspflicht, fehlendes Einverständnis der Probanden oder Verschweigen von Interessenkonflikten. Fragwürdige Forschungspraktiken kommen zunehmend in den Fokus. Sie sind dadurch motiviert, dass eine Veröffentlichung erreicht werden soll. Abrundungen eines über 0,05 liegenden p-Wertes, überraschende Ergebnisse als a priori Wissen auszugeben oder die Stichprobe während der Erhebung zu vergrößern, sind Beispiele für fragwürdiges Verhalten. Ausgehend von einem organisierten Skeptizismus beruhen Vorschläge einer Kontrolle durch die Wissenschaftsgemeinschaft auf Transparenz und Offenheit des Forschungsprozesses und der Daten. Schlüsselwörter Fehlverhalten (275) Deontologische Theorien (267) Praktiken, fragwürdige (276) Teleologische Theorien (267) Tugendethik (268) Verantwortung (271) Wahrhaftigkeit (268) Wissenschaftsethik (265) Lernkontrolle 1. Warum ist der Wert „Wahrheit“ nicht ausreichend, um das Handeln von Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen zu beurteilen? 2. Unterscheiden Sie zwischen interner und externer Verantwortung von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern. 3. Grenzen Sie deontologische Theorien von teleologischen Theorien und Tugendethiken ab. 4. Ethische Theorien kommen bei der Beurteilung mancher Situation zu unterschiedlichen Empfehlungen. Diskutieren Sie, warum ethische Theorien trotzdem zur Beurteilung relevant sind. 5. Erläutern Sie den Begriff der Verantwortung und geben Sie Beispiele für die interne und externe Verantwortung. 6. Erklären Sie die Bedeutung der Einwilligung durch Aufklärung. 7. Unterscheiden Sie Fabrikation, Fälschung und Plagiate. 8. Welche Tugenden von Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen werden benötigt, um Fehlverhalten wie Fabrikation, Fälschung und Plagiate zu verhindern? 9. Geben Sie Beispiele für fragwürdiges Verhalten von Forschenden. 10. Erläutern Sie HARKing. <?page no="297"?> 9.2 Ethik im Forschungsprozess 283 11. Welche potentielle Auswirkungen hat fragwürdiges Verhalten in der Wissenschaft? 12. Zeigen Sie Maßnahmen auf, wie fragwürdiges Verhalten in der Wissenschaft vermieden werden kann. Kommentierte Literaturhinweise Einführungen in die allgemeine Ethik gibt es zahlreich. Hier eine subjektive Auswahl. Hübner (2014) geht ausführlich auf die drei ethischen Theorien ein, die auch in diesem Kapitel herangezogen werden. In dem älteren, wiederaufgelegten Werk von Frankena (1963/ 2017) werden diese drei Ansätze diskutiert und Verbindung zwischen ihnen hergestellt. Weitere Einteilungen und Theorien finden sich in dem Lehrbuch von Fenner (2020) und dem englischsprachigen von Pojman und Fieser (2012). Wer sich einen generellen Überblick verschaffen will, kann das Handbuch Ethik, herausgegeben von Düwell, Hübenthal und Werner (2006), heranziehen. Drei Monographien zur Wissenschaftsethik seien empfohlen. Reydon (2013) behandelt viele aktuelle Themen der Wissenschaftsethik, gleiches gilt für Israel (2015). Darüber hinaus geht Resnik (2018) auf die Besonderheiten ein, wenn in der Forschung Menschen Untersuchungsobjekte sind. <?page no="298"?> 10 Wissenschaft in der Gesellschaft 10.1 Wissenschaft und die Produktion von Wahrheit Im zweiten Kapitel beschreibe ich zwar Wissenschaft als ein soziales System, die folgenden Kapitel im Buch konzentrieren sich aber auf die Ergebnisse - Begriffe, Aussagen und Theorien - von wissenschaftlichen Prozessen. In diesem letzten Kapitel wird hingegen das System Wissenschaft als ein Teilsystem der Gesellschaft betrachtet und seine Funktion und dafür notwendige Strukturen beschrieben und diskutiert. Außerdem werden Fragen aufgeworfen, die die Beziehungen dieses Systems zu anderen Systemen in der Gesellschaft - wie insbesondere zur Politik oder der Wirtschaft - betreffen. Zuerst werde ich ein Idealbild der Wissenschaft skizzieren, um danach anhand von verschiedenen Aspekten Versuche aufzuzeigen, das System Wissenschaft gegenüber Pseudo-Wissenschaft abzugrenzen. Idealbild des Systems Wissenschaft - eine kurze Skizze Wissenschaft schafft Wissen für die Gesellschaft und mittels des Regulativs der Wahrheit entwickelt sie Theorien, die uns Menschen unsere Welt in gehaltvoller und relevanter Weise beschreiben und erklären. Sie erzeugt somit ein Verständnis unserer Welt, das wir nutzen können, um die Welt für uns bestmöglich zu gestalten. Dies alles zum Wohle der ganzen Menschheit. Wissenschaftliches Wissen ist somit universell, steht allen Menschen zur Verfügung und es dient der Aufklärung sowie der Emanzipation. Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen zeichnen sich durch die Tugend der Wahrhaftigkeit sowie weiterer Tugenden aus. Sie sind bestrebt, die skizzierten Ziele der Wissenschaft zu erreichen. Für die Funktion der Wissenschaft, wahre und gehaltvolle Theorien zu entwickeln, kommt es allerdings nicht darauf an, ob es vereinzelte, individuelle Abweichungen von diesem Ziel gibt. Denn im System Wissenschaft herrscht der organisierte Skeptizismus, der zu einer Institutionalisierung von Kritik führt. Kritik ist nicht nur erwünscht, sondern gefordert. Streit um die Wahrheit von Theorien ist kein Zeichen von Schwäche, sondern von Stärke. Wissenschaft etabliert daher Verfahren, wie innerhalb des Systems Wissensansprüche kritisiert werden. Wissenschaft ist ein komplexes soziales System mit verschiedensten Arrangements, die diesen Skeptizismus institutionalisieren. <?page no="299"?> 10.1 Wissenschaft und die Produktion von Wahrheit 285 Quellen: Jarvie, 2001, Jaspers, 1946, Luhmann, 1991, Merton, 1985, Popper, 1945/ 2003, Tetens, 2013, Williams, 2003 Im vorhergehenden Kapitel wird bereits darauf hingewiesen, dass das idealtypische Bild vom tugendhaft Forschenden nicht immer ausnahmslos zutrifft. In diesem Kapitel wird diese Einsicht erweitert, denn es werden die Einflüsse analysiert, die im und auf das System Wissenschaft wirken. Im Zentrum steht dabei die „Produktion“ von Wahrheit als wesentliche Funktion des Systems. Es ist insbesondere die Wahrheit, die in den letzten Jahrzehnten von den verschiedensten Seiten in Frage gestellt wurde. Im Dezember 2016 wählte die Gesellschaft für deutsche Sprache das Wort „postfaktisch“ zum Wort des Jahres, das eine nicht ganz wörtliche Übersetzung aus dem Englischen ist. Im gleichen Monat wurde von den Oxford Dictionaries bekannt gegeben, dass „post-truth“ zum Wort des Jahres in England gekürt wurde. Beide Wortkombinationen drücken ein ähnliches Phänomen aus, das sich insbesondere im Diskurs rund um zwei Abstimmungen der anglo-amerikanischen Welt auf die politische Bühne drängte. Unter Postfaktizität wird der Zustand beschrieben, dass wahre Aussagen, die auf festgestellten Tatsachen beruhen, politischen oder anderen Überzeugungen untergeordnet werden. In diesem Kapitel geht es mir allerdings nicht um den lockeren Umgang mit Tatsachen, der einigen Politikern nachgesagt wird. Folgen wir Luhmann und seiner Theorie der funktionalen Systeme, dann wird ohnehin nur im System Wissenschaft über Wahrheit kommuniziert (Luhmann, 1991, 9). Im System Politik geht es hingegen um Macht (Luhmann, 2000, 38). Ohne hier zu prüfen, ob Luhmanns Theorie eine angemessene Beschreibung unserer westlichen Gesellschaften liefert, ist festzustellen, dass in der Politik Täuschung und Lügen keine ganz neuen Phänomene darstellen (Stanley, 2015). Allerdings ist es kaum von der Hand zu weisen, dass wissenschaftliche Erkenntnisse nicht unwesentlich zum Fortschritt unserer Gesellschaften beitragen. Daher ist es bedenklich, wenn verantwortliche Politiker wissenschaftliche Erkenntnisse für gleichwertig mit unwissenschaftlichen Erkenntnissen halten und sich berufen fühlen, erstere zu ignorieren. Wer darlegt, wie ich in diesem Buch, dass Theorien und ihre Aussagen, das was wir wissenschaftliches Wissen nennen, fehlbar sind, läuft Gefahr, dass dies als minderwertig und eigentlich vernachlässigbar angesehen wird. Nicht jedem scheint klar zu sein, dass fehlbares Wissen das Beste ist, was Menschen erreichen können. Angriffe auf die Wahrheit und unser fehlbares Wissen sind aber ebenfalls keine neuen Phänomene, sie kamen und kommen aus unterschiedlichen Richtungen. <?page no="300"?> 286 10 Wissenschaft in der Gesellschaft Seit der Antike führt der philosophische Skeptizismus den Kampf gegen die Wahrheit. Der philosophische Skeptizismus ist mit der Auffassung verbunden, dass es prinzipielle Hindernisse für Menschen gibt, wahre Aussagen über die Realität zu erlangen und somit Wissen verlässlich erwerben zu können. (Grundmann, 2017, 253ff). Erinnert sei an Philosophiebox 1 (S. 11), in der der Fallibilismus als eine Antwort auf die skeptische Herausforderung beschrieben wird. Sozialkonstruktivistische Analysen des Systems Wissenschaft meinen zeigen zu können, dass im System Wissenschaft nicht nach Wahrheit gesucht wird, sondern dass andere Ziele verfolgt werden (z.B. Latour und Woolgar, 1979). Wahlweise können dies persönliche Interessen, Machtinteressen oder Verwertungsinteressen sein, die die Wahrheitssuche verhindern. Die letztgenannten Interessen spielen als Einfluss von außerhalb des Systems Wissenschaft eine große Rolle. Politische und wirtschaftliche Akteure greifen den Zweifel auf, der innerhalb der Wissenschaft praktiziert wird, und instrumentalisieren ihn, um eine generelle Unsicherheit über die Ergebnisse der Forschung zu erzeugen (Proctor, 2011, 15; Oreskes und Conway, 2010, 10ff). Politische Akteure wählen förderungswürdige Theorien danach aus, ob sie zur eigenen politischen Agenda und Ideologie passen. Wirtschaftliche Akteure engagieren sich innerhalb der Wissenschaft. Sie missachten allerdings ihre Prinzipien, um ein ihren Interessen entsprechendes Ergebnis zu erhalten (Galison und Proctor, 2020, 29ff). In diesem Kapitel wird zunächst auf das Problem der Abgrenzung von Wissenschaft zu Pseudo-Wissenschaft oder zu Verschwörungsmythen analysiert. Im nächsten Schritt wird gezeigt, welche sozialen Organisationen und Institutionen den organisierten Skeptizismus umsetzen. Es wird dann gezeigt, welche typischen Angriffe auf die Wahrheit aus den Systemen Politik und Wirtschaft erfolgen. Damit einher geht auch die Frage der Verantwortung von Wissenschaft, die im letzten Kapitel als externe Verantwortung bezeichnet wurde. 10.2 Wissenschaft und Pseudo-Wissenschaft 10.2.1 Abgrenzung der Wissenschaft Wer sich fragt, wie Wissenschaft von anderen Systemen einer Gesellschaft abgegrenzt wird, der kann diese Frage sehr verschieden beantworten. Beispielsweise könnte gefragt werden, ob denn der große Stellenwert, der in vielen Studiengängen und besonders in Doktorandenprogrammen auf die Methoden gelegt wird, nicht für die Abgrenzung von Wissenschaft verwendet werden kann. Der Fokus <?page no="301"?> 10.2 Wissenschaft und Pseudo-Wissenschaft 287 der Diskussion liegt dann nicht mehr auf den Ergebnissen der Forschung, sondern auf ihren Prozessen ( ► Abbildung 1). Allerdings gibt es einige Stimmen, die eine Abgrenzung mithilfe eines Kriteriums „Methode“ für nicht aussichtsreich halten (z.B. Hoyningen-Huene, 2013, 4, McIntyre, 2020, 11ff). Ein Grund hierfür ist, dass die schwierige Suche nach der einen Methode, die die Wissenschaft auszeichnet, seit den historischen Analysen von Kuhn (1962/ 1976) und Feyerabend (1970/ 1995) als wenig erfolgreich gilt. Ein Fallibilismus ist aber ohnehin eher mit der Aussage verträglich, dass es die eine wahrheitsgarantierende Methode nicht geben kann und somit ein Methodenpluralismus vorzuziehen ist. Feyerabend, der sich durchaus ironisch als epistemologischen Anarchisten bezeichnete, schrieb in einem Brief an den befreundeten kritischen Rationalisten Albert: „Anarchismus heißt also nicht: überhaupt keine Methode, sondern alle Methoden, nur unter verschiedenen Umständen verschiedene Methoden angewendet“ (Feyerabend und Albert, 1997, 144). Wer die vielen unterschiedlichen Methoden betrachtet, die in den Sozialwissenschaften eingesetzt werden, stößt daher auf die Schwierigkeit notwendige und hinreichende Bedingungen zu formulieren, mit denen diese Methoden als wissenschaftlich ausgezeichnet werden können. Ein weiterer prominenter Versuch der Abgrenzung stammt von Popper und knüpft an die Ergebnisse der Forschung an und wie mit ihnen umzugehen ist: Wissenschaftliche Aussagen müssen an der Erfahrung scheitern können. Dies ist zunächst auf die empirischen Wissenschaften gerichtet und ist dann mit der Idee der empirischen Falsifizierbarkeit verbunden (Popper, 1935/ 2005, 26). So einleuchtend diese Idee auf den ersten Blick erscheint, wird in diesem Buch an verschiedenen Stellen darauf hingewiesen, welche Schwierigkeiten damit verbunden sein können. Erkenntnistheoretische Entscheidungen wie die Entscheidung, was als wissenschaftliches Wissen gilt, sind nicht voraussetzungslos. Sie sind u.a. abhängig von ontologischen Festsetzungen und den methodischen Möglichkeiten, die sich verändern können. Beispielsweise gibt es nicht nur heute, sondern auch in der Geschichte der Wissenschaften unterschiedliche Antworten auf die Frage, was als beobachtbar und damit als erfahrbar gilt: Somit unterliegen diese Antworten einem stetigen Wandel (Wendel, 2013, 62ff). Wie insbesondere das Kapitel 7.4.2 zeigt, lässt sich im Falle der Falsifikation nicht einfach erkennen, ob eine einzelne Hypothese falsifiziert wird, denn sie steht in einem Zusammenhang mit anderen Aussagen der Theorie sowie weiteren Hintergrund- und Messtheorien. Ein weiteres Ergebnis der Analyse ist, dass wir probabilistische Hypothesen weder verifizieren noch falsifizieren können. Vielmehr dienen die statisti- <?page no="302"?> 288 10 Wissenschaft in der Gesellschaft schen Methoden dazu, die möglichen Fehlentscheidungen einer Annahme oder Ablehnung der Hypothese methodisch zu unterstützen. Trotz solcher beispielhaften Einwände gegen Poppers Abgrenzungskriterium hat es die Funktion einer regulativen Idee, die seiner Meinung nach angewendet werden kann, um Wissenschaft von Pseudo-Wissenschaft zu unterscheiden (Popper, 1963/ 2009, 48ff). Was unterscheidet denn wissenschaftliches Wissen von Pseudo-Wissen? Pseudo-Wissenschaftler verhalten sich zur Wissenschaft ähnlich wie Diktatoren und Autokraten zur Demokratie: Zwar scheut man ihre konstitutiven Merkmale, weil sie den eigenen Interessen zuwiderlaufen, aber ihre positive Ausstrahlung und Legitimationswirkung sind erwünscht. Pseudo-Wissenschaft gibt sich daher einen wissenschaftlichen Anstrich, um den Status als Wissenschaft zu erlangen, ohne jedoch die Anforderungen an Wissenschaft zu erfüllen. Welche Anzeichen lassen sich angeben, um zu erkennen, ob eine Theorie Pseudo-Wissenschaftlich ist? Die folgende, nicht vollständige Liste ist aus verschiedenen Quellen zusammengestellt (Bunge, 1984, 39ff, Butter, 2018, Hepfer, 2015, Lilienfeld, Ammirati und David, 2012, 21ff, Mahner, 2013, 38f, Ruscio, 2005, 6ff) und soll helfen, Pseudo-Wissenschaft zu erkennen. Wer dieses Buch aufmerksam gelesen hat, wird merken, dass einige dieser Kriterien im Buch analysiert und diskutiert werden. Für jedes Merkmal wird kurz das Problem konstatiert und auf Stellen im Buch hingewiesen. Es scheint sich ein Konsens zu entwickeln, dass Pseudo-Wissenschaft von Wissenschaft nicht auf Basis eines einzigen Kriteriums abgegrenzt werden kann. Vielmehr sind die sehr heterogenen Aussagenkonglomerate von Pseudo-Wissenschaft durch eine Vielzahl von Kriterien zu beschreiben. Es folgt daher eine sicherlich nicht abschließende Liste der Kriterien: Ausgewählte Beispiele bestätigen die Theorie. Anekdoten und Geschichten des Erfolgs, wenn die Theorie angewendet wird, kommen dem menschlichen Bedürfnis entgegen, positive Geschichten erzählt zu bekommen (Problem der verzehrten Stichprobe). ( ► Kap. 6.5.3) Autoritäten stehen im Vordergrund, um die Theorie glaubwürdiger erscheinen zu lassen (Problem des genetischen Fehlschlusses). Ein genetischer Fehlschluss liegt vor, wenn Einzelheiten, die mit der Entdeckung einer Theorie zusammenhängen, als wesentlich für die Begründung herangezogen werden (Salmon, 1983, 28f). Wer die Theorie entdeckt hat, ist aber für die Güte ihrer Begründung belanglos. Es wird versucht, die Theorie zu bestätigen und nicht, sie zu Fall zu bringen. (Problem der fehlenden Falsifikation) ( ► Philosophiebox 1) <?page no="303"?> 10.2 Wissenschaft und Pseudo-Wissenschaft 289 Testvermeidung: Pseudo-Wissenschaft zeichnet sich häufig dadurch aus, dass in ihr die Aussagen ungern einem empirischen Test unterzogen werden. Wenn überhaupt getestet wird, dann soll es nicht allzu hart zugehen, d.h., riskante Tests sind zu vermeiden (Problem, ob die Theorie Aussagen enthält, die die Realität angemessen beschreiben). ( ► Kap. 7.4.7) Fällt der Test vermeintlich positiv aus, dann wird er so beschrieben, dass er nicht wiederholbar ist (Problem der mangelnden Replikation). ( ► Kap. 7.4.7) Endet der Test hingegen negativ, dann wird dieses Ergebnis möglichst ignoriert oder das Ergebnis als irrelevant bezeichnet, um die Theorie beibehalten zu können (Problem der endgültigen Falsifikation von Theorien). ( ► Kap. 7.4.7) Ungewöhnliche Begriffe und eine sehr „technische“ Sprache lassen den Leser häufig im Unklaren darüber, was die Aussagen bedeuten (Problem der mangelnden begrifflichen Klarheit). ( ► Kap. 6.2) Menschen, die einer Pseudo-Wissenschaft oder einem Verschwörungsmythos anhängen, finden sich in Gemeinschaften zusammen, die sich hartnäckig streuben, ihre Vorstellungen über die Welt durch entgegenstehende Belege zu revidieren. Allerdings ist dieses Verhalten auch unter Anhängern von wissenschaftlichen Theorien zu finden, die überzeugt sind, dass ihre Theorie den Ausschnitt der Welt am besten beschreibt und erklärt (s. Philosophiebox 2, S. 28). Um dieser Tendenz entgegenzuwirken, zeichnet sich das System Wissenschaft durch eine institutionalisierte Kritik aus. 10.2.2 Institutionalisierte Kritik Wissenschaft ist ein wesentlicher Faktor für die Schaffung von Wohlstand. Auch wenn die Welt in Staaten aufgeteilt ist und jeder Staat sein nationales Wissenschaftssystem hat, ist das System Wissenschaft ein Weltsystem, das sich vieler Regeln bedient, die universal gelten. Luhmann hat für unsere moderne Weltgesellschaft die funktionale Systemdifferenzierung beschrieben, in der das System Wissenschaft mit dem Code „wahr/ falsch“ kommuniziert. Während im letzten Kapitel die Ethik der Wissenschaft diskutiert wird, die sich auf den einzelnen Wissenschaftler und seine Handlungen richtet, ist hier ausschnitthaft der institutionale Rahmen zu beschreiben, der die Suche nach der Wahrheit befördern soll. Meine Beschreibung zielt auf eine kurze Skizze der Regeln, Normen und Institutionen, die sich in der Wissenschaft entwickelt haben. Wie lässt sich das System Wissenschaft beschreiben, das die Funktion hat, Wissen als wahre, gerechtfertigte Überzeugungen zu schaffen? Wiederum hilft der Fallibilismus, um eine erste Intuition für mögliche Regeln zu erhalten. Wenn Wissenschaftlerinnen und <?page no="304"?> 290 10 Wissenschaft in der Gesellschaft Wissenschaftler wie alle Menschen fehlbar sind, dann spricht viel dafür, Regeln der gegenseitigen Beurteilung und Kritik zu schaffen. Institutionalisierte Kritik ist somit eine wesentliche Idee innerhalb der Wissenschaft. Wer sich dieser Kritik zu entziehen sucht, indem z.B. wesentliche Aussagen einer Theorie als nicht überprüfbar ausgewiesen werden, dem schlägt ein gewisses Misstrauen entgegen. Zur Erinnerung: Eine Theorie kann durchaus nicht überprüfbare Aussagen enthalten, es müssen sich aber zumindest einige Aussagen ableiten lassen, die empirisch geprüft werden können. Es herrscht das Prinzip der Öffentlichkeit (Albert, 2019, 329). Wissenschaft hat eine kritische Funktion in der Gesellschaft und sie wirkt sich nach innen - in das System Wissenschaft - und nach außen - in andere Systeme der Gesellschaft - aus. Im Folgenden werde ich dies unter drei Aspekten beschreiben. Öffentlichkeit, die verbunden ist mit Veröffentlichung von Forschungsergebnissen Kritische Bewertung innerhalb des Systems Wissenschaft Kritische Bewertung von Handlungen und Handlungsfolgen der Systeme Politik und Wirtschaft Wenn institutionalisierte Kritik als wesentliche Idee angesehen wird, dann fordert dies eine Veröffentlichung von wissenschaftlichen Studien, denn die Gemeinschaft kann nur beurteilen und kritisieren, was sie kennt. Veröffentlichung dient dem Verbreiten von wissenschaftlichem Wissen und der Kritik aller Beteiligten an diesen Ergebnissen. Zwei Ereignisse haben zu grundlegenden Veränderungen im System Wissenschaft geführt. Der Buchdruck im 15. Jahrhundert ermöglichte es, Wissen mit diesem Medium auf Dauer erhaltbar und leichter verteilbar zu machen (Luhmann, 1991, 600ff). Wissenschaftliche Monographien und Zeitschriften sind in seiner Folge in allen Disziplinen entstanden und viele Disziplinen kommen heutzutage auf hunderte von Zeitschriften. Die Digitalisierung und das Internet haben diesen Prozess weiter vorangetrieben und die Möglichkeiten der Verbreitung von Wissen um ein Vielfaches erhöht (Taubert und Weingart, 2016, 10ff). In der Wissenschaft kann daher von einer Weltgesellschaft geredet werden, so sie denn primär als Kommunikationssystem aufgefasst wird. Veröffentlichung von Ergebnissen ist eine notwendige Voraussetzung der institutionalisierten Kritik nach innen. Die Begutachtung ist dies hingegen nicht. Trotzdem hat sie sich zunehmend in der Wissenschaft etabliert. Zwar beginnt die Begutachtung von Aufsätzen insbesondere mit der Einführung der ersten wissenschaftlichen Zeitschriften im 17. Jahrhundert (Csiszar, 2018), allerdings entspricht der Prozess bis weit ins 20. Jahrhundert nicht den derzeit praktizierten Standards. Das heute in nationalen und internationalen Zeitschriften praktizierte Gutachterverfahren (Peer-Review) ist noch relativ jungen Datums und dient einer Qualitätsauszeichnung der Veröffentlichung. Es sieht eine möglichst <?page no="305"?> 10.3 Wissenschaft, Politik und Wirtschaft 291 anonyme, doppelt-blinde Begutachtung vor, bei der sich Begutachtete und Begutachtende nicht erkennen können. Einschränkend ist allerdings zu bemerken, dass dies nicht immer funktioniert (Johnson und Hermanowicz, 2017, 513ff), weil z.B. Vorfassungen eines eingereichten Artikels auf Konferenzen vorgestellt wurden oder in einem engen Forschungsfeld nur eine sehr kleine Anzahl an Forschern und Forscherinnen tätig ist. Neben diesem spezifischen Problem, dass es keine absolute Anonymität gibt, wird am Prinzip des Begutachtungsverfahrens u.a. bemängelt, dass die Beurteilungen nicht reliabel sind, d.h., dass die Urteile nicht übereinstimmen (Starbuck, 2016, 166ff), die Gefahr besteht, dass innovative Ideen und Theorieentwürfe abgelehnt werden (Petersen, 2017), und daher nur das vorherrschende Paradigma in einer Wissenschaft Raum zur Veröffentlichung bekommt (Hirschauer, 2004, 65). Trotz dieser Kritik bleibt die Veröffentlichung in einer begutachteten Zeitschrift eines der wesentlichen institutionalisierten Elemente, mit dem Ergebnisse der Wissenschaft beurteilt und Reputation innerhalb der Wissenschaft vergeben werden. 10.3 Wissenschaft, Politik und Wirtschaft 10.3.1 Externe Verantwortung der Wissenschaft Was bedeutet es, wenn von Verantwortung von Wissenschaft gegenüber der Gesellschaft gesprochen wird? Besonders herausgestellt wird seit vielen Jahren die Verantwortung für die Ergebnisse der Forschung. Eine Auffassung vertritt die These, dass Wissenschaft für die Anwendung ihrer Ergebnisse in der Gesellschaft verantwortlich ist (so z.B. Nida-Rümelin, 1996, 786ff). Sie kann sich nicht darauf berufen, dass sie nur das theoretische Wissen liefert und die Anwendung in den Händen anderer Akteure in der Gesellschaft liegt. Wenn es Aufgabe von Wissenschaft ist, Wissen zu schaffen, um es in einer Gesellschaft nutzbringend anzuwenden, dann stellt sich die Frage der Verantwortung von Wissenschaftlern gegenüber der Gesellschaft in mehreren Hinsichten. Wissenschaftliches Wissen dient als Grundlage für Entscheidungen, um wesentliche Lebensbereiche der Menschen in einer Gesellschaft zu verändern. Es ist davon auszugehen, dass diese Lebensbereiche als Lebenswelt eine äußerst komplexe Realität darstellt, die sich einer vollkommenen und abschließenden Beschreibung entzieht. <?page no="306"?> 292 10 Wissenschaft in der Gesellschaft Dem gegenüber stehen Theorien (wissenschaftliches Wissen), die meist nur Ausschnitte dieser Lebenswelten betrachten. Es ist plausibel anzunehmen, dass Theorien nur einen eingeschränkten Blick auf die komplexe Realität gewährleisten. Ohne diese Komplexitätsreduktion lassen sich praktische Probleme nur schwer wissenschaftlich untersuchen. Daraus folgt allerdings, dass es wichtige Faktoren geben kann, die nicht in der Theorie berücksichtigt sind, in der Realität jedoch ihre Wirkung entfalten. Hieraus ergibt sich eine Reihe von Konsequenzen, die zu beachten ist, wenn Wissenschaftler über Fragen ihrer Verantwortung für wissenschaftliche Ergebnisse nachdenken. In komplexen Situationen treten die Kontexte des Handelns und die Folgen, insbesondere die Nebenfolgen des Handelns, in den Vordergrund (Heidbrink, 2003, 30ff). Wenn Sozialwissenschaftler beispielsweise weltweit agierende Unternehmen untersuchen, stellen sie fest, dass sich der Kontext ihrer Untersuchung durch die unterschiedlichen Kulturräume in viele Möglichkeiten ausdifferenziert. Während in einer Untersuchung über diese Phänomene die Komplexität eingeschränkt wird, bleibt sie in der Lebenswelt der Führungskräfte des Unternehmens aber bestehen. Dieser prinzipielle Unterschied zwischen Theorie und Praxis ist zu beachten. Neben diesem Aspekt, der sich aus der Analyse des theoretischen Wissens ergibt, treten die Erkenntnisse über die Gestaltung. Ihre Analyse ergibt, dass es neben den Theorien ein spezifisches Gestaltungswissen gibt, über das Wissenschaftler nicht immer verfügen. Beide Aspekte können miteinander verbunden sein und Anlass sein, die Grenzen von theoretischen und praktischen Wissen zu erkennen. Verantwortung für die Forschungsergebnisse geht damit einher, dass Wissenschaftler transparent informieren und sich zu möglichen Folgen ihrer Forschung äußern. Verantwortung als Tugend, die Fähigkeit und Bereitschaft Verantwortung zu übernehmen, setzt eine umgreifende Analyse von Handlungssituationen voraus (Schmiedl-Neuburg, 2017, 214). Einzelpersonen sind aber häufig nicht in der Lage, diese Verantwortung angemessen wahrzunehmen, weil ihnen das Wissen über alle relevanten Auswirkungen von vorgeschlagenen Maßnahmen fehlt. Herausragendes Beispiel für ein komplexes Problem ist die Bewältigung des Klimawandels. Es wird zwar ein vermeintlich klares Ziel der Begrenzung der Erderwärmung angestrebt, jedoch sind die Wege dorthin schon weniger klar. Gründe für die Schwierigkeiten, sich auf eine koordinierende Politik zu einigen, sind zahlreich. Herausragend ist allerdings die Schwierigkeit, die Wirkungen von Maßnahmen auf komplexe Systeme abzuschätzen. Der Klimawandel entzieht sich als Phänomen der Kompetenz einzelner Wissenschaftsdisziplinen. <?page no="307"?> 10.3 Wissenschaft, Politik und Wirtschaft 293 Das Beispiel des Klimawandels steht außerdem für Entscheidungssituationen mit einer großen Tragweite, in denen unterschiedliche Werte berücksichtigt werden sollten wie z.B. die der Sozial-, Wirtschafts- und der Klimapolitik. Da die Konzentration auf wissenschaftliche Expertise mit der Gefahr verbunden ist, Wertkonflikte zu verdecken, ist es anzuraten, für wichtige Entscheidungen einer Vielzahl von Meinungen Gehör zu verschaffen (Bogner, 2021, 18ff). Erst wenn sie offengelegt sind, kann angemessen im Sinne einer Abwägung von Werten und der Folgen verschiedener Maßnahmen entschieden werden. Wissenschaftliche Expertise stellt somit zwar eine wichtige Quelle für Entscheidungen in der Politik oder in Unternehmen dar. Ein angemessener Einsatz muss sich jedoch der unterschiedlichen Werte bewusst sein, die in den meisten Entscheidungssituationen eine Rolle spielen. Im abschließenden Kapitel wird anhand von Beispielen gezeigt, wie sich Wissenschaft auf der einen Seite sowie Politik und Wirtschaft auf der anderen Seite gegenseitig beeinflussen. Wiederum steht die Frage im Raum, inwieweit dies die Funktion der Wissenschaft, Wahrheit zu produzieren, beeinträchtigt oder auch fördert. 10.3.2 Interessenkonflikt und Unwissenheit Das System Wissenschaft hat die Funktion, der Gesellschaft wissenschaftliches Wissen zur Verfügung zu stellen, das wahr ist und auf dessen Basis sich wichtige gesellschaftliche Probleme lösen lassen. Dies ist ein Grund, warum staatliche und private Institutionen in Deutschland und anderen Nationen bereit sind, hunderte Milliarden in das Wissenschaftssystem zu investieren und wissenschaftliche Forschung zu weiten Teilen zu finanzieren. Wem gegenüber sind Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen verantwortlich? Ist es der Geldgeber? Gilt also: „Wes‘ Geld ich nehm‘, des‘ Lied ich sing“? Und: Ist denn der Geldgeber zwangsläufig an der Wahrheit interessiert? Warum Vorsicht bei der Analyse von Forschung angebracht ist, wenn Geldgeber Interessen an bestimmten Ergebnissen haben, an anderen hingegen nicht, kann an mehreren Beispielen gezeigt werden. Sie illustrieren die Gefahr, dass über die Ergebnisse nicht transparent und wahrheitsgemäß berichtet wird. Meta-Studien, die veröffentlichte, wissenschaftliche Studien analysieren, die von Unternehmen gesponsert werden, kommen regelmäßig zu dem Ergebnis, dass sie für das Unternehmen günstig ausgehen. Insbesondere in der pharmazeutischen und medizinischen Forschung werden systematische Verzerrungen, meist positive Ergebnisse, für ihre Erzeugnisse festgestellt. So wird beispielsweise einem Medikament eine positive Wirkung auf die Gesundheit von Menschen bescheinigt, ohne dass es hierfür hinreichende Belege gibt (Brown, 2013, 339ff). <?page no="308"?> 294 10 Wissenschaft in der Gesellschaft Zu trauriger Berühmtheit kam die Tabak-Branche in den USA, weil sie systematisch Forschung finanzierte, die den Zweck hatte, Forschung, welche die Gesundheitsgefährdung des Rauchens belegte, als nicht beweiskräftig herauszustellen (s. Philosophiebox 16). Da Interessenkonflikte dazu führen können, dass Studien als nicht verlässlich angesehen werden, wird versucht, die Finanzierung nicht öffentlich werden zu lassen. So werden Institute mit seriösen Namen gegründet, die Studien im Sinne der Interessen der Geldgeber durchführen (Oreskes und Conway, 2010), denn das Misstrauen gegenüber Wissenschaft ist am höchsten, wenn vermutet wird, dass eine Abhängigkeit von Geldgebern besteht (Wissenschaft im Dialog, 2020, 14). Diese Illustrationen zeigen ein ähnliches Muster. Wissenschaft genießt in vielen Gesellschaften ein hohes Ansehen: Menschen vertrauen der Wissenschaft, weil sie vermuten, dass die Forschenden primär dem Gemeinwohl und nicht Einzelinteressen verpflichtet sind. Daher wird sich der Prozesse und Methoden der Wissenschaft bedient, um unter diesem Deckmantel die eigenen Interessen zu verfolgen und sich somit den Anschein von Wissenschaft zu geben (s. Philosophiebox 16). Philosophiebox 16: Agnotologie Wenn Menschen als begrenzte Wesen aufgefasst werden, die in ihrem Wissen fehlbar sein können, dann ist es fraglich, ob es nicht Bereiche gibt, über die Menschen grundsätzlich nichts wissen können. Meist wird der Agnostizismus mit einer solch prinzipiellen Unerkennbarkeit beschrieben. Während der Agnostizismus als eine erkenntnistheoretische Einsicht diskutiert wird, beschäftigt sich die Agnotologie mit der Frage, wie in Gesellschaften Unwissen verbreitet wird. Sie ist aus der Forschung entstanden, die das Verhalten von Tabak-Unternehmen untersuchte, die öffentliche Meinung so zu beeinflussen, dass Tabak-Konsum nicht als gesundheitsschädlich angesehen wird. Berühmt wurde ein Zitat aus einem internen Papier der Tabakindustrie, was im Zuge der Untersuchungen in den USA bekannt wurde: „Doubt is our product“. Wer sich den Fallibilismus zu Nutze machen will, der fördert viele Studien, die vermeintlich ein möglichst unklares Bild der Forschungslage erzeugen. An der Wahrheit besteht somit nur dann ein Interesse, wenn es den Verkauf der Produkte nicht behindert. Das vorangegangene Kapitel hat Anschauungsmaterial für Fehlverhalten und fragwürdige Forschungspraktiken geliefert, mit denen Studien so angelegt sind, dass die gewünschten Ergebnisse erzielt werden. Das reicht <?page no="309"?> 10.3 Wissenschaft, Politik und Wirtschaft 295 von einer geschickten Wahl der Stichprobe bis zum Nichtberichten von Ergebnissen. Daher ist die Frage berechtigt: Ist das noch Wissenschaft? Wiederum stoßen wir somit auf das Problem, Wissenschaft von anderem Wissenserwerb abzugrenzen. Häufig sind interessegeleitete Studien auf hohem technischem Niveau ausgeführt und nur an wenigen, allerdings entscheidenden Stellen wird auf das vorher festgelegte Ziel zugesteuert. Alle, die an diesen Studien mitwirken, lassen wesentliche Einstellungen vermissen, die gute Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler auszeichnen. Durch ihre Haltung, sich nicht angemessen um empirische Belege zu bemühen und die Theorie daher nur scheinbar zu prüfen, verhindern sie eine ergebnisoffene Forschung. Sie ist Voraussetzung für Erkenntniserwerb, der unvoreingenommen ist und auch dann angestrebt wird, wenn er den eigenen Interessen oder denen eines Auftraggebers zuwiderläuft. Quellen: Gross und McGoey, 2015, McIntyre, 2020, Oreskes und Conway, 2010, Proctor, 2011, Proctor und Schiebinger, 2008 Von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern wird erwartet, dass sie unparteilich und auf wissenschaftlicher Basis Folgen und Nebenfolgen der von ihnen aufgezeigten Handlungsmöglichkeiten aufzeigen. Es ist die Tugend der Unparteilichkeit, die in Misskredit gebracht wird, wenn bestimmte Handlungsmöglichkeiten in ein besseres Licht gebracht werden, weil dies beispielsweise den Interessen des Auftraggebers entspricht. Unparteilichkeit heißt, dass Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Wahrheit verpflichtet sind und allen aus ihrer Forschung sich ergebenden Handlungsmöglichkeiten mit dem gleichen unbeteiligten Blick zu begegnen haben (allgemein in Seel, 2015, 29). Interessengeleitete Forschung hingegen ist parteilich, dient den Interessen einer Gruppe, einer Organisation oder einer Ideologie und bringt somit die Gefahr mit sich, dass Wahrheit nicht ungeschminkt veröffentlicht wird. Extremes Ausmaß nimmt interessengeleitete Forschung in ideologisierten Diktaturen wie z.B. zur Zeit des Nationalsozialismus in Deutschland oder des Stalinismus im Machtbereich der Sowjetunion. In diesen Gesellschaften gab es keine freie Forschung, weil beispielsweise bestimmte Phänomene nach ihren Ideologien nicht existierten und daher auch als Forschungsgegenstand nicht in Betracht kamen. In den meisten entwickelten Gesellschaften der westlichen Welt gibt es Freiheit der Forschung, die allerdings finanziert werden muss. Daher ist es plausibel anzunehmen, dass Geldgeber ein Interesse haben, Forschung zu finanzieren, die ihren Interessen dient oder ihnen zumindest nicht widerspricht. <?page no="310"?> 296 10 Wissenschaft in der Gesellschaft Im Nachgang zur Finanzmarktkrise der Jahre 2007/ 8 wurde eine Reihe von Ökonomen bekannt, die sehr enge finanzielle Verbindungen zur Finanzindustrie hatten. Besonders prominent wurde F. Mishkin in einem Dokumentarfilm über die Finanzmarktkrise, weil er in einem Gutachten die finanzielle Stabilität Islands bestätigte und hierfür von der isländischen Handelskammer ein beträchtliches Honorar erhielt. Für eine angemessene Beurteilung von Studien ist es daher von Relevanz, die Geldquellen zu kennen, mit denen die Studien finanziert werden. Zunehmend haben wissenschaftliche Organisationen ihre Ethikrichtlinien im Hinblick auf mögliche Interessenkonflikte angepasst. So hat im Nachgang der Finanzmarktkrise von 2007/ 8 die Wissenschaftsorganisation der Ökonomen in den USA (American Economic Association) die Konsequenz gezogen, im Ethik-Kodex eine Regel aufzunehmen, dass auf Interessenkonflikte, insbesondere auf die Quelle der Finanzierung der Forschung, ausdrücklich hinzuweisen ist. Die Academy of Management fordert beispielsweise: „AOM-Mitglieder legen relevante Informationen und persönliche oder berufliche Beziehungen offen, die den Anschein eines Interessenkonflikts erwecken oder das Potenzial für einen solchen haben können“ (Academy of Management, 2006). Mitglieder sollen transparent berichten, wenn ein Interessenkonflikt bestehen könnte. Der Verein für Socialpolitik verlangt von seinen Mitgliedern: „Wissenschaftliche Gutachten sind unvoreingenommen und ergebnisoffen zu erstellen. Das Ergebnis der Analyse soll von der Interessenlage des Auftraggebers unbeeinflusst sein“ (Verein für Socialpolitik, 2012). Es ist allerdings Vorsicht geboten, bevor ein Urteil über die Parteilichkeit eines Diskursteilnehmers gefällt wird. Denn dieser Vorwurf kann dazu missbraucht werden, Diskursteilnehmer unglaubwürdig erscheinen zu lassen, um ihre durchaus überzeugenden Argumente in ein schlechtes Licht zu rücken. Solche rhetorischen Taktiken werden bezeichnender Weise in Situationen angetroffen, in denen gegensätzliche Interessen im Spiel sind. Widersprüchliche Empfehlungen von Gutachtern sind häufig der komplexen Realität geschuldet und beruhen darauf, dass die Forscher unterschiedliche Blickwinkel eingenommen haben. Die theoretischen Brillen, die Wissenschaftler aufsetzen, müssen nicht interessengeleitet sein. Wie lässt sich mit dieser Situation umgehen? 1. Wissenschaftler, die gutachterlich tätig sind, haben die Prämissen ihrer Forschung offenzulegen. Um ihre Forschungsergebnisse zu beurteilen, sind die Bedingungen, unter denen diese Ergebnisse erreicht werden, klar aufzuzeigen (Wandschneider, 1991, 264f). <?page no="311"?> 10.3 Wissenschaft, Politik und Wirtschaft 297 2. Neben den theoretischen sind auch die Werturteile, die in das Gutachten einfließen, kenntlich zu machen. Wie im Kapitel zur Gestaltung betont, finden sich in Gutachten häufig Gestaltungsempfehlungen. Da sie auf subjektiven Präferenzen beruhen, weil z.B. Zielerreichungsgrade bewertet werden müssen, sind sie ebenfalls kenntlich zu machen. Zusammenfassung Das Idealbild des Systems Wissenschaft beschreibt die Wahrheit als den zentralen Wert, der in diesem System zu erreichen ist. Dieses System wird von anderen funktionalen Systemen der Gesellschaft beeinflusst, beispielsweise dadurch, dass politische und wirtschaftliche Akteure die Wissenschaft für eigene Interessen nutzen. Sie bedienen sich der Prozesse und Mechanismen der Wissenschaft, um sich den Anschein von Wissenschaftlichkeit zu geben. Wissenschaft ist ein komplexes, dynamisches Phänomen und schwer gegenüber Pseudo-Wissenschaft abzugrenzen. Daher wird eine Abgrenzung durch eine Reihe von Kriterien vorgenommen, so wird Pseudo-Wissenschaft z.B. mit folgenden Kriterien abgegrenzt: Testvermeidung, insbesondere strenge Prüfversuche werden vermieden, Verhinderung von Replikationsversuchen etc. Um Kritik zu institutionalisieren, müssen wissenschaftliche Ergebnisse veröffentlicht werden, denn nur so können sie von der wissenschaftlichen Gemeinschaft beurteilt werden. Wissenschaftliche Veröffentlichungen unterliegen einem Begutachtungsverfahren, bei dem sich die Beteiligten nicht kennen. Trotz einiger Nachteile wird dies standardmäßig in der Wissenschaft weltweit eingesetzt. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler haben eine externe Verantwortung gegenüber der Gesellschaft. Komplexität und Dynamik von sozialer Realität lässt Grenzen der Prognose und Gestaltung erkennen und bereitet daher auch die Schwierigkeit, Verantwortung auf einzelne Maßnahmen zuzurechnen. Dieses Problems sind sich Forschende bewusst und zeigen z.B. in ihren Gutachten die wesentlichen Annahmen ihrer Empfehlungen an. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler enthalten sich interessengeleiteter - im Sinne einseitiger - Forschung, die nicht dem Ideal der Wissenschaft - Wahrheit - folgt. Sie beteiligen sich auch nicht an Strategien, die nicht die Wissensmehrung in der Gesellschaft, sondern die interessengeleitete Verbreitung von Unkenntnis als Ziel hat. <?page no="312"?> 298 10 Wissenschaft in der Gesellschaft Schlüsselwörter Agnotologie (294) Postfaktizität (285) Pseudo-Wissenschaft (288) Skeptizismus (286) Unparteilichkeit (295) Lernkontrolle 1. Skizzieren Sie die wesentlichen Elemente eines Ideals der Wissenschaft. 2. Grenzen Sie Wissenschaft gegen Pseudo-Wissenschaft ab. Erläutern Sie die Schwierigkeiten, die mit dieser Abgrenzung verbunden sind. 3. Warum ist Öffentlichkeit ein wichtiger Aspekt der institutionalisierten Kritik? Beschreiben Sie weitere Ihnen bekannte Aspekte. 4. Nennen Sie Kritikpunkte, die auf das Begutachtungsverfahren zielen, wie es in internationalen, wissenschaftlichen Zeitschriften üblich ist. 5. Welche Besonderheiten erschweren in den Sozialwissenschaften die Zurechnung der Verantwortung gegenüber der Gesellschaft? 6. Zeigen Sie anhand von Beispielen auf, wie politische und wirtschaftliche Akteure die Unsicherheit, die mit Forschung verbunden ist, für ihre Interessen nutzen. 7. Was ist Agnotologie? 8. Was zeichnet Unparteilichkeit aus? 9. Mit welchen Vorkehrungen wird in der Wissenschaft potentiellen Interessenkonflikten begegnet? Kommentierte Literaturhinweise Das Kapitel folgt einer Einteilung der Gesellschaft in funktionale Teilsysteme, von denen eines die Wissenschaft ist. Maßgebliche Quelle ist Luhmann (1991), kurze Skizzen des Systems Wissenschaft finden sich in Handbuchartikeln von Schimank (2012) und Weingart (2016). Zur Abgrenzung der Wissenschaft haben in den letzten Jahren Hoyningen-Huene (2013) und McIntyre (2020) Monographien vorgelegt. Zu Verantwortung und zur Unparteilichkeit von Wissenschaft sei auf die Literaturhinweise zur Wissenschafts- und Forschungsethik des 9. Kapitels verwiesen. <?page no="313"?> Glossar Abduktion Abduktion ist ein Schlussverfahren, das verwendet wird, um zu neuen → Hypothesen zu gelangen. Sie ist wie die → Induktion gehaltserweiternd. Schlüsse auf ihrer Basis sind riskant und nicht wahrheitserhaltend. (76) Adäquatheitsbedingungen A. werden formuliert, um sicherzustellen, dass es sich beim Ergebnis auch wirklich um das Ergebnis handelt, das angestrebt wird. Dies kann z.B. ein exakter Begriff sein ( → Explikation). (141) Agnotologie Sie ist die Wissenschaft, die untersucht, wie in Gesellschaften Unwissen verbreitet wird. (294) Akteur, sozialer Soziale A. können Individuen und kollektive Institutionen sein, wobei beiden → Intentionen zugeschrieben werden. (49) Anfangsbedingung A. sind die besonderen Sachverhalte, die untersucht werden und die in der Wenn- Komponente des → Gesetzes enthalten sind. Sie sind in der → DN-Erklärung ein Bestandteil des Explanans. (173) Argument Ein A. besteht aus einer oder mehrerer miteinander verbundener → Aussagen, wobei eine Aussage als Konklusion, die Schlussfolgerung enthält, und eine oder mehrere Aussagen als Prämissen, die Gründe enthalten, die zur Schlussfolgerung führen. (69) Argument, prognostisches Ein p. Argument besteht aus einem → Gesetz und den → Anfangsbedingungen als Prämissen und der prognostischen Aussage als Konklusion. Der Unterschied zwischen Erklärung und Prognose ist pragmatischer Natur: Während bei Erklärungen das Explanandum - also die Konklusion - bekannt ist und die Voraussetzungen - das Explanans (Gesetz und Anfangsbedingungen) - gesucht werden, wird bei der Prognose das Prädikandum - die Prognose - gesucht und das Prädikans (Gesetz und Anfangsbedingungen) ist gegeben. (227) Aussage In A.n werden → soziale Sachverhalte ausgedrückt, ihnen kann somit ein Wahrheitswert zugewiesen werden. (71) Aussage, analytische Dies sind Aussagen, die darauf beruhen, dass ihre → Wahrheit nicht empirisch überprüft werden muss. So ist eine Aussage wie „Alle Junggesellen sind verheiratet“ aufgrund der Konventionen der Sprache als wahr zu bezeichnen. (72) Aussage, synthetische Hiermit werden Aussagen bezeichnet, die empirisch geprüft werden müssen, da ihr Inhalt nicht durch die Logik oder Bedeutungskonventionen der Sprache festgestellt werden. Eine Aussage wie z.B. „Frauen sind klüger als Männer“ muss empirisch überprüft werden. (73) Autorenintention Die A. wird verwendet, um einen Maßstab der Richtigkeit von Interpretationen festzulegen: Es werden die Absichten des Autors bei der Abfassung des Textes für die Interpretation zugrunde gelegt. (115) Begriff B.e drücken soziale Sachverhalte sprachlich aus, indem sie Eigenschaften benennen, welche auf diese Sachverhalte zutref- <?page no="314"?> 300 Glossar fen sollen. Da es in → Theorien um → Zusammenhänge von B.en geht, werden durch → Aussagen diese Phänomene in Relation zueinander gebracht. B.e stellen daher einen wichtigen Baustein für → Theorien dar. (131) Begriff, empirischer E. Begriffe sind deskriptive → Begriffe, die unserer Welterkenntnis dienen. Sie bezeichnen → Sachverhalte (Dinge, Eigenschaften von Dingen u.v.m.). Wenn der Sachverhalt beobachtbar ist, handelt es sich um e. Begriffe. (131) Begriff, theoretischer T. Begriffe sind deskriptive → Begriffe, die unserer Welterkenntnis dienen. Sie bezeichnen → Sachverhalte (Dinge, Eigenschaften von Dingen u.v.m.). Wenn der Sachverhalt nicht beobachtbar ist, handelt es sich um t. Begriffe. (131) Begründungszusammenhang Im B. werden → Hypothesen einer Prüfung unterzogen, indem durch geeignete Methoden gezeigt wird, ob der in der Hypothese behauptete Zusammenhang tatsächlich existiert. (70) Beschreibung Die B. ist ein kognitives Wissenschaftsziel, das dazu dient, dass soziale Sachverhalte erfasst und dargestellt werden. Es umfasst verschiedene Aspekte: es werden mit Hilfe von → Definitionen → Begriffe gebildet, mit Hilfe messtheoretischer Modelle werden → Variable konstruiert, komplexe Phänomene werden auf Basis von → Typologien dargestellt und es werden → Zusammenhänge zwischen Begriffen dargestellt. (21) Bewährung → Hypothesen und → Theorien gelten als bewährt, wenn sie bestimmte strenge Prüfungen - Falsifikationsversuche - überstanden haben. (175) Ceteris-paribus-Aussage In ihnen ist eine Annahme enthalten - die ceteris-paribus-Annahme -, die besagt, dass bekannte oder unbekannte Faktoren sich nicht auf den behaupteten → Zusammenhang auswirken. (159) Deduktion Mittels einer D. werden von einer allgemeinen Aussage (1. Prämisse: Alle Menschen sind sterblich) und einer beobachteten Tatsache (2. Prämisse: Sokrates ist ein Mensch) auf das Vorliegen der in der allgemeinen Aussage behaupteten Eigenschaft geschlossen (Konklusion: Sokrates ist sterblich). Deduktive Schlüsse haben die Eigenschaft wahrheitserhaltend zu sein, d.h., wenn die Prämissen wahr sind, dann muss die Konklusion wahr sein. (71) Definition, operationale Mithilfe von o. D.en werden empirische Begriffe mit ihren theoretischen Begriffen verbunden. Diese Verbindung wird durch Zuordnungsregeln geschaffen, die auch als bilaterale Reduktionssätze bezeichnet werden. Beispielsweise wird die Eigenschaft „Vertrauen zu einer Bank haben“ auf die Frage in einem Fragebogen und die Antwort eines Kunden reduziert und die → Disposition mit einer Reaktion gleichsetzt. (136) Deontologische Theorien Sie sind Pflichtenethiken. Mit ihrer Hilfe werden Normen als Sollens-Aussagen formuliert, die einzuhalten sind. Sie weisen zum Handeln an, legen fest, wie Handlungen auszuführen sind (Gebotsnormen) und welche Handlungen zu unterlassen sind (Verbotsnormen). (267) Disposition D.en sind Eigenschaften von zu untersuchenden sozialen Akteuren, die zwar vorhanden sind, allerdings nur unter bestimmten Bedingungen beobachtbar sind. Dispositionsbegriffe ( → Definition, ope- <?page no="315"?> Glossar 301 rationale) zeichnen sich daher dadurch aus, dass sie immer dann beobachtet werden können, wenn diese bestimmten Bedingungen vorliegen und herbeigeführt werden. (135) DN-Erklärung Eine deduktiv-nomologische (DN) Erklärung besteht aus mindestens einem Gesetz und mindestens einer Anfangsbedingung, aus denen sich Konsequenzen folgern lassen. Für die Erklärung von Handlungen sind die Anfangsbedingungen die Ziele und Überzeugungen von sozialen Akteuren, die in allgemeiner Form auch dem Gesetz zugrunde liegen. (173) Dualismus Dualistische Positionen in der Ontologie nehmen an, dass es neben den natürlichen, materiellen Phänomenen ideelle, mentale Phänomene gibt. Wenn letztere als eigenständige Entitäten aufgefasst werden, ist es fraglich, wie mentale Phänomene, als nicht materielle Phänomene, in die materielle Welt eingreifen können. ( → Methodendualismus) (64) Emanzipation Mit E. verbindet sich eine zentrale Kategorie sozialwissenschaftlicher Gestaltung. Sie zielt auf eine Gesellschaft, in der sich Akteure frei von Zwängen und Autorität einbringen können. (254) Emergenz Als E. wird das Phänomen bezeichnet, das Eigenschaften, die auf einer höheren Ebene wie z.B. in Organisationen auftreten, sich nicht aus Eigenschaften einer niedrigeren Ebene wie z.B. individuellen Akteuren erklären lassen. (59) Entdeckungszusammenhang Im E. geht es um die Fragen, wie Hypothesen gefunden und entwickelt werden, die Aussagen über die soziale Realität machen. (70) Erfahrungsobjekt Mit dem E. ist ein Ausschnitt der sozialen Realität gemeint, der allgemein als Gegenstand der Sozialwissenschaft bezeichnet wird. Als herausragende E.e der Sozialwissenschaften gelten Institutionen, da soziale und wirtschaftliche Handlungen überwiegend in Institutionen stattfinden. Institutionen sind insbesondere Organisationen, Unternehmen und Märkte u.v.m. (27) Erkenntnisobjekt Als E. werden die sozialen Sachverhalte ausgewählt, welche die Wissenschaft untersuchen will. (27) Erklärung Das Wissenschaftsziel E. dient allgemein dem Aufzeigen von Gründen oder Ursachen, warum soziale Sachverhalte aufgetreten sind. Es gibt verschieden E.typen, wobei insbesondere die deduktiv-nomologische E. ( → DN-Erklärung)oder die induktiv-statistische E. ( → IS-Erklärung) dem Aufzeigen von Ursache-Wirkungs- Zusammenhängen dienen (Kausalbeziehungen); ein weiterer E.typ ist die intentionale E. ( → Erklärung, intentionale) (21) Erklärung, intentionale Mittels i.r E.en sind Überzeugungen und Ziele von Akteuren Ausgangspunkt zur Erklärung von Handlungen. (178) Experimentalismus Der E. ist eine Auffassung, welche den Vorrang der Theorie vor dem Experiment bestreitet. Mit Experimenten wird daher nicht nur der Zweck verfolgt, Theorien zu testen. Vielmehr zeigen viele Beispiele aus der Geschichte, dass Experimente hypothesen- und theoriebildend eingesetzt werden. (257) Explikation Die E. dient dazu wissenschaftliche → Begriffe zu bilden, d.h., sie soll aus einem <?page no="316"?> 302 Glossar umgangssprachlichen Begriff (Explikandum) einen exakteren Begriff (Explikat) erzeugen. Um die Qualität des Ergebnisses zu beurteilen, werden vier → Adäquatheitsbedingungen herangezogen. (141) Fallibilismus Nach dem F. hat menschliches → Wissen immer nur vorläufigen Bestand; es steht mithin unter dem Vorbehalt, falsch zu sein. Wissenschaftliche → Aussagen und → Theorien sowie wissenschaftliche → Methoden können genauso fehlbar sein wie Alltagswissen. (11) Falsifikation F. ist eine empirische Widerlegung einer allgemeinen Aussage. (12) Fehlverhalten F. liegt vor, wenn gegen gute wissenschaftliche Praxis verstoßen wird. Die sind insbesondere Fabrikation, Fälschung und Plagiat. (275) Forschungspraktik, fragwürdige Sie zeichnet sich dadurch aus, dass sie gezielt eingesetzt wird, um die Veröffentlichung der Forschungsergebnisse zu erleichtern oder überhaupt erst zu ermöglichen. (276) Forschungsprogramm Ein F. betrachtet alle Dimensionen des Forschungsprozesses, diese beinhalten neben den Theorien und Ergebnissen, wissenschaftliche Regeln und Grundannahmen. (23) Gehalt, empirischer Der e. G. wird durch seine potentiellen Falsifikatoren beschrieben, d.h., jede soziale Tatsache, die einer Hypothese widerspricht, ist eine Falsifikationsmöglichkeit. Der empirische Gehalt einer Hypothese steigt demnach mit ihren Falsifikationsmöglichkeiten. (202) Gehalt, propositionaler Der p. G. entspricht der Bedeutung von Sätzen und Gedanken, die sprachlich ausgedrückt werden. Der Zugang der Forschenden zu den Repräsentationen sozialer Akteure wird insbesondere dadurch möglich, dass sie von den Akteuren sprachlich ausgedrückt werden. (95) Gesetz G. wird in der → Wissenschaftstheorie der Naturwissenschaften eine → Aussage bezeichnet, die räumlich und zeitlich unbeschränkt gültig ist und sich empirisch bewährt hat, d.h. bisherige Falsifikationsversuche erfolgreich bestanden hat. Für die Sozialwissenschaften sind hingegen Gesetze als graduelle Aussagen aufzufassen, weil eine zu enge Festlegung als räumlich und zeitlich unbeschränkte All- Aussage der sozialen Realität nicht gerecht wird. „Gesetz“ und „gesetzesartige Aussage“ werden in diesem Buch synonym verwendet und ihre graduelle Bestimmung wird zugelassen. (155) Gestaltung G. führt zu Empfehlungen, welche Handlungen zu ergreifen sind, um bestimmte Ziele zu erreichen. (21) Gestaltungsargument Ein G. ist ein deduktiver Schluss, der im Explanans das → Gesetz in Form einer Handlungsregel enthält und der in den → Anfangsbedingungen die Ziele des sozialen Akteurs enthält: - Handlungsregel: Soziale Akteure, die das Ziel Z anstreben und die sich den weiteren Anfangsbedingungen R wie z.B. einer bestimmten Ressourcenausstattung gegenüber sehen, sollen die Handlung H ergreifen. - Anfangsbedingungen: Sie enthalten das Ziel Z und die in der Handlungsregel genauer spezifizierten weiteren Anfangsbedingungen. Das Explanandum drückt aus, dass auf Basis der Prämissen empfohlen wird, die <?page no="317"?> Glossar 303 Handlung zu vollziehen, um das Ziel zu erreichen. (242) Gestaltungswissen Als G. wird ein Aussagenzusammenhang bezeichnet, der inhaltlich ausreicht, um daraus glaubwürdige Empfehlungen für Entscheidungen über betriebliche Gestaltungsalternativen abzuleiten Es enthält z.B. Regelwissen, Zweck-Mittel-Beziehungen und theoretisches Wissen. (241) Gestaltungszusammenhang Auf Basis von Hypothesen (Theorien) werden sozialwissenschaftliche Sachverhalte zielgerichtet gestaltet. (70) Handlung H.en von Menschen werden als absichtsvolles (= intentionales) Verhalten aufgefasst. (49) Handlung, soziale Sie umfasst individuelles, das ein auf einen anderen sozialen Akteur orientiertes → Handeln ist, und kollektives Handeln, unter dem ein notwendig gemeinsames Handeln verstanden wird. (56) Hermeneutik H. ist die Lehre vom Auslegen und Interpretieren. Ihre Wurzeln reichen bis in die Antike zurück und im Verlaufe des zwanzigsten Jahrhunderts nahm sie zunehmend Einfluss auf verschiedene Sozialwissenschaften. In diesem Buch werden verschiedene Facetten der Hermeneutik unterschieden: 1. → Hermeneutik als Methode 2. → Hermeneutik als Philosophie 3. Naturalistische Hermeneutik ( → Hermeneutik, naturalistische) 4. Sozialwissenschaftliche Hermeneutik ( → Hermeneutik, sozialwissenschaftliche). (90) Hermeneutik, Methode der Sie ist ein jahrtausendaltes Verfahren zum Interpretieren und wird heute als spezielles Verfahren für das → Verstehen angesehen. (91) Hermeneutik, naturalistische Eine n. H. wird von ihren Vertretern als eine Methode der Hermeneutik verstanden, die auf empirischer Basis Verstehen analysiert und darauf aufbauend Vorschläge für Regeln der Hermeneutik entwickeln soll. Naturalistisch bezieht sich auf die Forderung nach einer Einheitsmethode, wobei im Mittelpunkt der n. H. die hypothetisch-deduktive Methode steht. (98) Hermeneutik, Philosophie der Insbesondere durch die beiden Philosophen Heidegger und Gadamer wurde die H. nicht als Methode angesehen, sondern mit einer ontologischen Komponente versehen, die das Verstehen als eine Seinsweise der Menschen auffasst. (91) Hermeneutik, sozialwissenschaftliche S. H. ist eine Bereichshermeneutik, die als spezifischen Gegenstand Handlungen, als vollzogene Handlungen von Akteuren hat. Sie betont den sozialen Charakter dieser Handlungen als ein auf andere Akteure bezogenes Handeln, so dass Interaktion als die kleinste zu betrachtende Untersuchungseinheit anzusehen ist. Sie ist eine Text- und Sprachwissenschaft insofern, als sie sich auf die Sprache in Gesellschaften stützt. (101) Hintergrundwissen H. wird als → Wissen bezeichnet, das erstens mehrere Komponenten wie das theoretische Wissen und das Alltagswissen enthält und zweitens häufig als unproblematisch angesehen wird; in der qualitativen Sozialforschung wird es auch häufig als Vorwissen bezeichnet. (77) Holismus H. ist eine Auffassung, dass → Theorien komplexe Gebilde sind, die nur als Gan- <?page no="318"?> 304 Glossar zes unter Einschluss weiterer Theorien getestet werden können. (201) Hypothese H. sind → Aussagen, die über empirische Sachverhalte informieren. Sie stellen Vermutungswissen dar und können nicht als sicher wahr angenommen werden. Sie sollen überprüfbar sein. Meist wird daher ihr vorläufiger, weil ungeprüfter Charakter betont, da erst nach erfolgreich bestandenen empirischen Tests ihre Aussage als bewährt gilt. (154) Idealismus Der I. setzt entgegen dem Realismus den Primat beim menschlichen Subjekt und bestreitet die Unabhängigkeit der Realität vom Subjekt. (32) Individualismus, methodologischer Eine wesentliche Annahme des m. I. ist es, dass jedes soziale und damit auch wirtschaftliche Phänomen nur mithilfe individueller → Handlungen erklärt werden kann. (57) Induktion Bei einer I. wird von einer Beobachtung einzelner Fälle auf alle Fälle geschlossen. Somit ist der induktive Schluss gehaltserweiternd, weil in den Prämissen nicht alle Fälle enthalten sind. Da nicht alle Fälle untersucht werden, bleibt bei einem induktiven Schluss die Unsicherheit auf einen Fall zu stoßen, der die allgemeine Aussage nicht bestätigt. Wenn dies auftritt, dann ist im Unterschied zum deduktiven Schluss auch dann, wenn alle Prämissen wahr sind - wir haben tatsächlich nur weiße Schwäne beobachtet -, die Konklusion falsch. (75) Induktion, analytische Die a. I. ist weniger ein induktiver Schluss als eine Forschungsmethode, die als Ziel hat, zwischen auftretenden Effekten und vermuteten Ursachen kausale Zusammenhänge zu finden. (160) Induktion, statistische Sie entspricht der generalisierenden → Induktion. Beide unterscheiden sich dadurch, dass die s. I. darauf schließt, dass bestimmte Eigenschaften mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit in der Grundgesamtheit zu finden sind. (80) Inkommensurabilität Mit der I. ist die Behauptung verbunden, dass Begriffe, Methoden oder Erklärungen zwischen verschiedenen Theorien nicht vergleichbar sind. (29) Institution Der Begriff der I. wird in den (neueren) I.enauffassungen der Sozialwissenschaften weit gefasst, d.h., er umfasst nicht nur Organisationen, als zweckorientierte und dauerhaft angelegte Zusammenschlüsse von Individuen, sondern z.B. in der neuen I.ökonomie jede Form von Regel, die Anreizwirkungen entfaltet. Noch weiter ist die Auffassung im Neoinstitutionalismus, in der sie als verfestigte soziale Erwartungsstrukturen verstanden werden. (55) Instrumentalismus Der I. ist eine Ansicht, die → Theorien als Instrumente ansieht und sich dezidiert gegen realistische Positionen wendet. Vertreter dieser Ansicht bestreiten, dass alle → Begriffe unserer → Theorien zu → Tatsachen in der Realität korrespondieren. Insbesondere den → theoretischen Begriffen entsprechen aus instrumentalistischer Sicht keine realen Objekte. (231) Intention Intentionales Verhalten ist absichtsvolles Verhalten und eine wesentliche Eigenschaft von → Handlungen. (50) Intentionalität Als I. wird die Eigenschaft des Geistes bezeichnet, sich auf verschiedene geistige <?page no="319"?> Glossar 305 Zustände zu richten, wie z.B. → Überzeugung oder → Ziele. (51) Intentionalität, kollektive Kollektive I. wird häufig mit Wir-Zielen und Wir-Überzeugungen beschrieben. Wir-Überzeugungen unterscheiden sich von individuellen Überzeugungen dadurch, dass ein Individuum die Wir- Überzeugung anderen → Akteuren zuschreibt. Institutionen erzeugen k.I. jedoch häufig durch eigens etablierte Verfahren, ohne dass jeder Akteur eine Wir- Überzeugung haben muss. (56) Interpretationshypothese I.n beziehen sich auf die Bedeutung von sprachlichen Äußerungen (Text) und den → Sinn oder den Sinnzusammenhang von Handlungen. (97) Interventionsansatz Mit dem Interventionsansatz wird behauptet, dass die Ursache die Wirkung hervorruft, die Ursache durch eine Intervention (Manipulation) herbeigeführt wird. (184) IS-Erklärung In einer induktiv-statistischen Erklärung (IS-Erklärung), wird das Gesetz in Form einer bedingten Wahrscheinlichkeit formuliert: Das probabilistische Gesetz (G) in einer Handlungserklärung muss also die Ziele (Z) der Akteure und ihre Überzeugungen, mit welchen Mitteln sie diese erreichen können, verknüpfen und behaupten, dass daraus die Handlung mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit folgt. (177) Kausalität Um K. zu beschreiben, werden drei Elemente verwendet: 1. Ein Ereignis, dass wir als Ursache qualifizieren können. 2. Ein weiteres Ereignis wird als Wirkung bezeichnet. Wirkungen treten nach ihrer Ursache auf. 3. Es kommen noch Angaben über die Beziehung zwischen Ursache und Wirkung hinzu. Es ist insbesondere die Art der Beziehungen, die zu unterschiedlichen Auffassungen über Kausalität geführt haben. (180) Kausalität, kontrafaktische Mit dem k. Ansatz wird beschrieben, wie eine mögliche Welt aussieht, in der die Ursache (der betrunkene Autofahrer) nicht auftritt und daher die Wirkung (der Unfall) nicht existiert. (184) Kodierparadigma Das im Buch vorgestellte K. legt ein handlungstheoretisches Modell zugrunde, mit dem die Hypothesen- und Theoriebildung unterstützt werden soll und das aus verschiedenen Elementen besteht: 1. das zu untersuchende Phänomen, 2. Bedingungen, die zum Entstehen von Phänomenen führen; sie werden unterteilt in a. kausale Bedingungen, b. intervenierende Bedingungen, c. kontextuelle Bedingungen, 3. Aktionen/ Interaktionen sowie 4 Konsequenzen. (111) Kohärenztheorie Wahrheit nach der Kohärenztheorie bezieht sich auf die Aussagen in einer Theorie. Fügt sich eine Aussage ohne Widerspruch in ein bestehendes Aussagensystem ein, dann gilt sie als kohärent und damit wahr. (33) Konsenstheorie Nach der K. ist eine Aussage genau dann wahr, wenn eine idealtypische Forschergemeinschaft immer weiter (unendlich) forscht und alle Forscher die Aussage akzeptieren (Peirce). Habermas hat diese Theorie um das Konstrukt der idealen Sprechsituation erweitert, durch das die Teilnehmer ihre Aussagen in einem <?page no="320"?> 306 Glossar gleichberechtigten Diskurs zur Geltung bringen. (34) Konstruktionen, erster/ zweiter Ordnung K. erster Ordnung sind die mentalen Konstruktionen, die sich die Akteure von ihrer Welt machen. Wissenschaftler finden somit eine bereits interpretierte Welt vor, d.h., Wissenschaftler schaffen keine neue Welt, sondern versuchen die Konstruktionen erster Ordnung zu verstehen und schaffen mit einer Re-Konstruktion die Konstruktion zweiter Ordnung. (102) Konstruktivismus, sozialer Der s. K. vertritt eine anti-realistische Erkenntnistheorie des Sozialen und geht davon aus, dass sich die soziale Realität nach den Ideen und Konstruktionen der Akteure richten. (64) Konstruktvalidität K. ist das Ergebnis eines Arguments und zeigt an, ob die Messungen in einer Untersuchung das Konstrukt (theoretischer Begriff) zufriedenstellend wiedergeben. Wenn bewährte Hypothesen vorliegen, lassen sich anhand der Ergebnisse der Messung Rückschlüsse auf die Konstruktvalidität ziehen. (147) Korrelation Wenn zwischen zwei oder mehreren empirischen Phänomenen ein systematischer Zusammenhang festgestellt wird, dann liegt eine K. vor. (155) Korrespondenztheorie Wahrheit aus Sicht der K. ist durch ein Verhältnis der sozialen Realität mit Aussagen einer Theorie bestimmt. Es wird eine Korrespondenz der Aussagen mit den Tatsachen, die in den Aussagen behauptet werden, angenommen. (32) Mechanismen, kausale Der Mechanismusansatz stellt ausdrücklich die Kausalität als Beziehung in den Mittelpunkt. K. M. werden als Prozesse aufgefasst, die zwischen den Ereignissen Ursache und Wirkung stattfinden, und die bewirken, dass die Ursache die Wirkung hervorbringt. (186) Messung M. zielt auf eine Zuordnungsrelation, bei der Zahlen anderen Objekten insbesondere empirischen Phänomenen zugeordnet werden. Diese Relation soll möglichst der Struktur der empirischen Phänomene entsprechen. (130) Meta-Repräsentation M. ist Repräsentation einer Repräsentation und ist eine wesentliche Fähigkeit von Fremdverstehen. Hierzu ist eine spezifische, kognitive Fähigkeit notwendig, die als Theorie des Geistes bezeichnet wird. (93) Methode Als M. wird ein - mehr oder weniger - systematisches Verfahren bezeichnet, das aus einer Folge von Handlungsanweisungen zur Erreichung eines Ziels besteht. (22) Methode, analytisch-deduktive Analytisch-deduktive Methoden werden für rationale Handlungstheorien eingesetzt. In der analytisch-deduktiven Methodengruppe werden formal-analytische Methoden, wie sie paradigmatisch in der präskriptiven Entscheidungs- und Spieltheorie praktiziert werden, und verbal-analytische Methoden unterschieden. (83) Methode, empirische Es werden quantitative und qualitative Methoden unterschieden. Methoden, die mittels ihrer Auswertungsverfahren überwiegend interpretierend vorgehen, werden als qualitativ bezeichnet. Im Falle von Methoden, die überwiegend Messwerte statistisch analysieren, wird von quantitativen Methoden gesprochen. (83) <?page no="321"?> Glossar 307 Methodendualismus Ein M. wird von Vertretern hermeneutischer und konstruktivistischer Strömungen vertreten, die spezielle Methoden des → Verstehens proklamieren, die sich von → Methoden der Naturwissenschaften unterscheiden. (215) Methodenmonismus Ein Methoden-Monismus wird von Vertretern analytischer insb. kritisch rationaler Strömungen vertreten, die nur Methoden des → Erklärens als wissenschaftlich anerkennen und die somit Methoden der Naturwissenschaften als Ideal auch für die Sozialwissenschaften ansehen. (215) Methodenpluralismus Da → Methoden jeweils spezifische perspektivische Sichtweisen auf die soziale Realität erzeugen, plädiert der → Pluralismus für den Einsatz verschiedener Methoden. (4) Methodologie M. ist die Lehre von den → Methoden. Sie wird häufig als präskriptiv eingesetzt und dient dann der Beurteilung von Methoden hinsichtlich Leistungsfähigkeit oder Zuverlässigkeit. (26) Modell Ein M. ist ein vereinfachtes Abbild der Realität, das dazu dient, einen sozialen Sachverhalt in angemessener Weise wiederzugeben, so dass es möglich ist, die kognitiven Wissenschaftsziele Beschreibung, Verstehen, Erklärung, Prognose und Gestaltung zu erreichen. (86) Naturalismus Der N. lässt sich grob in zwei Thesen unterscheiden: eine ontologische und epistemologische (methodologische) These. Wenn sozialwissenschaftliche Tatsachen in irgendeiner Form durch naturwissenschaftliche Tatsachen ersetzt werden, ist eine ontologische These ausgesprochen. Die epistemologische These oder ein methodologischer Naturalismus besagt, dass die Methoden der Naturwissenschaften maßgeblich für die Sozialwissenschaften sein sollten. (97) Nominaldefinition N. weisen einem → Begriff (Definiendum) eine meist größere Anzahl anderer Begriffe (Definiens) zu und postulieren Bedeutungsgleichheit. Sie sind sprachliche Festlegungen, die nichts über die Realität behaupten. (134) Paradigma P. ist ein zentraler Begriff der Kuhnschen Wissenschaftsphilosophie, der in seiner engen Verwendung die verschiedenen Problemlösungen innerhalb einer Wissenschaftlergemeinschaft meint, die ihnen als Vorbilder für die eigene Forschung dienen. (28) Perspektivismus Wissenschaftliche Wissenserlangung ist von menschlichen Perspektiven abhängig, welche begrenzt, kontextspezifisch, forscher- und damit zweckabhängig sind. (5) Pluralismus P. ist eine theoretische Konzeption, die ursprünglich aus der politischen Philosophie stammt und mit der auch in der Wissenschaftstheorie für Vielfalt von Theorien ( → Theorienpluralismus) und Methoden ( → Methodenpluralismus) plädiert wird. (3) Postfaktizität P. ist der Zustand, dass wahre → Aussagen, die auf festgestellten → Tatsachen beruhen, politischen oder anderen Überzeugungen untergeordnet werden. (285) Prinzip der wohlwollenden Interpretation Das Prinzip der wohlwollenden Interpretation lässt sich mit zwei Prinzipien konkretisieren: Ein eher formales Prinzip ( → Kohärenzprinzip), das den zu Inter- <?page no="322"?> 308 Glossar pretierenden mit einem Grundgerüst an logischen Fähigkeiten ausstattet, und zum zweiten ein Prinzip, das den zu Interpretierenden einen gewissen Grad an wahren → Überzeugungen über die Welt zuschreibt ( → Wahrheitsprinzip). (119) Prognose Während → Erklärungen dazu dienen, Regelmäßigkeiten (Ursache-Wirkungs- Zusammenhänge) der Vergangenheit aufzudecken, gilt die P. zukünftigen Ereignissen. (21) Prognose, bedingte Sie zeichnen sich dadurch aus, dass in ihnen alternative Anfangsbedingungen mit unterschiedlichen Wahrscheinlichkeiten auftreten, die voneinander abweichende Prognosen erzeugen. Die Prognose hängt dann davon ab, welche der Anfangsbedingungen in Zukunft tatsächlich zutreffen. (229) Prognose, selbsterfüllende Eine selbsterfüllende P. tritt auf, wenn sich Akteure gemäß einer Prognose verhalten und somit wahrmachen, obwohl die Ausgangssituation auf deren Basis die Prognose gemacht wurde, von ihnen falsch interpretiert wurde. (234) Prognose, selbstzerstörende Bei einer selbstzerstörenden P. schätzen die Akteure die Eigenschaften der Situation korrekt ein, allerdings treten aufgrund ihrer Handlungen die vorhergesagten Eigenschaften überhaupt nicht, zu einem anderen Zeitpunkt oder in anderer Intensität ein. (235) Protokollsatz Ein P. hält die → Beobachtungen wie in einem Protokoll fest. Er wird auch als Basissatz bezeichnet. Da es nach dem → Fallibilismus keine (absolut) gesicherte Basis des → Wissens geben kann, sind daher auch → Falsifikationen, wenn sie als Protokollsätze vorliegen als fallibel anzusehen. Wir können uns also nie sicher sein, dass unsere Falsifikation erfolgreich ist. (99) Pseudo-Wissenschaft Sie gibt sich einen wissenschaftlichen Anstrich, um den Status als Wissenschaft zu erlangen, ohne jedoch die Anforderungen an Wissenschaft zu erfüllen. (288) Rationalität Als rational gelten Handlungen von Akteuren, wenn mit ihrer Hilfe die Ziele von Akteuren erreicht werden und dies so geschieht, dass die Mittel entsprechend den Präferenzen bestmöglich eingesetzt werden. (52) Realismus Der R. geht von folgenden Annahmen aus: 1. Es existieren Entitäten in der Realität. 2. Entitäten der Realität existieren objektiv und unabhängig von unserem Geist. Meist ist mit dem R. ein erkenntnistheoretischer R. verbunden, der besagt, dass diese unabhängige Realität von sozialen Akteuren erkannt werden kann. (59) Rechtfertigung Rechtfertigung ist ein wesentlicher Bestandteil von → Wissen. Eine epistemisch gerechtfertigte → Aussage zeichnet sich durch folgende Aspekte aus: 1. Es müssen überhaupt Gründe vorliegen, 2. diese Gründe sollten die Aussage stützen und 3. die Gründe sollten adäquat sein. (37) Reduktion Unter R. wird die Möglichkeit verstanden, dass sich die Eigenschaften von höheren Ebenen (z.B. Organisationen) auf Eigenschaften von unteren Ebenen (z.B. Individuen) zurückführen lassen. Dem methodologischen → Individualismus liegt die These der R. zugrunde. (59) <?page no="323"?> Glossar 309 Regel Eine R. ist eine Handlungsanweisung, die mit Modalitäten (z.B. Gebot, Erlaubnis) versehen ist, und die sich auf Akteure in spezifischen Situationen richten. Wer Handlungsanweisungen gibt, hat die Erwartung, dass bestimmte Zwecke erreicht werden. (23) Regel, methodologische Eine methodologische R. ist eine Handlungsanweisung, die den Umgang mit Ergebnissen festlegt und die auf methodische Regeln einwirkt. Eine methodologische Regel ist z.B. die Forderung, dass Hypothesen nachprüfbar sein müssen, d.h., dass es möglich sein muss, sie an der Erfahrung scheitern zu lassen. (25) Regularitätsansatz Der Regularitätsansatz liegt vor, wenn Folgendes gegeben ist: 1. Ursache und Wirkung hängen räumlich und zeitlich eng zusammen. 2. Die Wirkung (W) folgt zeitlich der Ursache (U). 3. Die eigentliche Annahme der Regularität: Jedem Ereignis (U) folgt regelmäßig das Ereignis (W). (182) Reliabilität Sie bezeichnet die Zuverlässigkeit von Aussagen, die z.B. auf Basis einer → Methode abgeleitet werden. Sie ist eine notwendige Bedingung der → Validität. (38) Sinn Soziale → Akteure verbinden mit ihren → Handlungen einen S. Um den S. zu ermitteln, interpretieren Akteure die mit Handlungen verbundenen → Ziele, Absichten und weitere relevante → Werte und → Normen. S. ist somit ein wesentlicher Gegenstand der sozialwissenschaftlichen Analyse. (50) Sinnzusammenhang, latenter Neben dem subjektiven → Sinn, den einzelne Akteure Handlungen zuschreiben, gibt es einen objektiven oder l. S., der sich in der Handlung manifestiert, und den sozialen Akteuren nicht bewusst sein muss. Ein l. S. lässt sich z.B. durch theoretische Begriffe und ihre Relationen in Theorien beschreiben (117) Skeptizismus Der philosophische S. ist mit der Auffassung verbunden, dass es prinzipielle Hindernisse für Menschen gibt, wahre Aussagen über die Realität zu erlangen und somit → Wissen verlässlich erwerben zu können. (286) Sozialexperiment S.e zeichnen sich durch folgende Merkmale aus: - Zufallsstichprobe: Es werden zwei Gruppen von Akteuren ausgewählt, die nach dem Zufallsprinzip ausgewählt werden. - Intervention: Die Gruppen werden in ihrem täglichen Umfeld (Lebenswelt) unterschiedlichen Maßnahmen ausgesetzt. - Nachträgliche Datenaufnahme: Es werden die Konsequenzen für jedes Mitglied einer Gruppe gemessen. - Evaluation: Durch geeignete Messverfahren werden Unterschiede der Konsequenzen auf die Mitglieder erfasst und beurteilt, inwieweit die Maßnahmen sie verursacht haben. Neuere Konzeptionen der S.e sehen die stärkere Partizipation der Akteure vor, wie sie sich traditionell bereits in der Aktionsforschung durchgesetzt hat. (257) Sozialontologie Mit der S. wird mit möglichst wenigen Kategorien die soziale Welt beschrieben; sie wird in diesem Buch als Sachverhaltsontologie aufgefasst. (44) Sozialtechnologie Unter S. wird Gestaltungswissen (technologisches Wissen) für soziale Institutionen verstanden. (241) <?page no="324"?> 310 Glossar Sozialwissenschaft, Erkenntnisobjekt der E.e der S. sind alle Handlungen, die zweck- oder normenorientiert sind, d.h., die mit einer bestimmten Absicht (Intention) oder mit einer Normbeachtung verbunden sind, einschließlich der mit diesen Handlungen verbundenen Ergebnisse, als intendierte oder nicht-intendierte Ergebnisse, wie sie sich in Form von Institutionen den sozialen Akteuren zeigen. (46) Spirale, hermeneutische Mit der Metapher von der h. S. wird Verstehen als ein Prozess aufgefasst. In Form einer Spirale verbessert sich das Verständnis z.B. durch mehrmaliges Lesen nach jedem Lektüreschritt. (107) Supervenienz Die kollektive Ebene superveniert auf der individuellen Ebene, als sich beliebige Sachverhalte, die in allen individuellen Eigenschaften gleich sind, hinsichtlich ihrer kollektiven Eigenschaften nicht unterscheiden können. Daraus folgt: Die individuelle Ununterscheidbarkeit muss einer kollektiven Ununterscheidbarkeit entsprechen. (197) Tatsache T. sind bestehende Sachverhalte, die somit Wahrmacher von Sachverhalten sind. (46) Teleologische Theorien Sie rücken die Ergebnisse von Handlungen ins Blickfeld, wobei auch nicht-intendierte Nebenwirkungen zu beachten sind. Eine moralisch gute Handlung erweist sich somit aufgrund ihrer moralisch guten Ergebnisse. (267) Theorie Eine T. ist ein System von → Aussagen, wobei die Aussagen untereinander in einem inhaltlichen Zusammenhang stehen und weitere Ansprüche an sie gestellt werden, wie z.B. dass sie gesetzesartig ( → Gesetz) oder überprüfbar sind. Diese sogenannte Aussagen-Konzeption von Theorien ist unter Sozialwissenschaftlern als gängige Praxis anzusehen. Als wesentliche Komponenten von Theorien gelten: 1. Begriffe und Interpretationsregeln 1.a Theoretische Begriffe 1.b Empirische Begriffe 1.c Interpretationsregeln 2. Aussagen 2.a Grundsätzliche Aussagen (Axiome) 2.b (Empirische) Folgerungen aus den Axiomen Mit Theorien sollen die → Ziele des Forschens - Verstehen, Beschreibung, Erklärung, Prognose und Gestaltung - erreicht werden. (191) Theorienpluralismus Ein Wettbewerb von Theorien ist eine pluralistische Strategie, weil die Komplexität der sozialen Realität und unsere menschliche perspektivische Sicht auf diese Realität verhindern, dass wir diese Realität durch eine vereinheitlichende Theorie vollständig beschreiben, verstehen oder erklären können. (4) Toleranz Eine Voraussetzung für → Pluralismus ist eine tolerante Einstellung gegenüber anderen Überzeugungen. Im wissenschaftlichen Diskurs zeigt Toleranz an, dass eine andere Überzeugung mit guten Gründen abgelehnt wird und gute Gründe für eine Tolerierung sprechen. Wichtigste Quellen für gute Gründe sind die regulative Idee der → Wahrheit und das Prinzip der Reziprozität im wissenschaftlichen Diskurs. (7) Tugendethik T. beschreibt, welche Tugenden, im Sinne von stabilen Charaktereigenschaften, Wissenschaftler haben sollten, um als moralisch gute Wissenschaftler und daher als anerkennenswert zu gelten. (268) Typologie Eine T. soll soziale Sachverhalte beschreiben, indem den einzelnen Typen <?page no="325"?> Glossar 311 verschiedene Eigenschaftskombinationen zugeordnet werden. Sie ist somit ein System von Typen ( → Typus). (148) Typus Ein T. stellt eine mehrdimensionale Eigenschaftskombination dar, die innerhalb der möglichen Eigenschaftsausprägungen festgelegt wird. Mehrdimensionalität bedeutet, dass mehrere Eigenschaften zur Typenbildung herangezogen werden. (148) Überzeugung Ü.en sind geistige Zustände von sozialen Akteuren, in denen sich ihr Wissen von der Welt widerspiegelt. (51) Unparteilichkeit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sind der Wahrheit verpflichtet und haben allen aus ihrer Forschung sich ergebenden Handlungsmöglichkeiten mit dem gleichen unbeteiligten Blick zu begegnen. (295) Validität V. ist ein Konzept mit dem versucht wird, ein qualitatives Urteil für die Wahrheitsnähe von Aussagen bereitzustellen. V. ist eine Eigenschaft von Schlussfolgerungen, die auf Basis von Methoden und ihren Ergebnissen gezogen werden Obwohl damit versucht wird, Auskunft über die Güte von Aussagen zu geben, wird der Begriff häufig verkürzend für unterschiedliche Phänomene verwendet. So wird von Konstruktvalidität oder von validen Instrumenten gesprochen. (37) Validität, interpretative Mithilfe der i. V. wird auf Basis der Methoden und entsprechender Kriterien auf die Gültigkeit der Interpretation geschlossen. Sie ist mit verschiedenen Validierungsstrategien verbunden. Bei interpretativen Verfahren steht an erster Stelle die Gültigkeit der Inhalte der Interpretationshypothesen auf dem Prüfstand. (122) Variable V. sind Symbole, die stellvertretend für die Merkmalsausprägungen der jeweiligen untersuchten Eigenschaft stehen. (144) Variable, latente L.V. entsprechen den theoretischen Begriffen auf der messtheoretischen Ebene. Sie sind nicht beobachtbar und werden daher meist mit manifesten Variablen verbunden, um sie interpretieren zu können. (144) Variable, manifeste Wenn soziale Sachverhalte beobachtbar gemacht werden sollen, sind empirische Begriffe in Form von m. V. messbar zu machen. (144) Verantwortung V. ist ein mehrstelliger Relationsbegriff. Eine vierstellige Relation umfasst, dass (1) Wissenschaftler für ein (2) Ereignis auf Basis einer (3) Norm von einem anderen (4) sozialen Akteur (Instanz) verantwortlich gemacht werden. (271) Verstehen V. bezieht sich primär auf Sprache und Symbole, um → Interpretation und Auslegung von Texten und insbesondere von → Handlungen zu analysieren. V. setzt Kenntnisse von Sprache, Symbolen und Handlungskontext voraus. Der Sinn, der in diesen → Handlungen liegt, muss vom Verstehenden erfasst werden, was neben Sprachkompetenz Kenntnisse der Lebenswelt, aus dem die zu interpretierenden Sachverhalte stammen, voraussetzt. Das Verstehen von Handlungen sozialer → Akteure richtet sich primär auf den Sinn, den die Akteure mit ihrem Handeln verbinden. (20) Wahrheit W. ist ein grundlegendes Konzept der Philosophie und entzieht sich einer expliziten Definition. Im Buch wird im Wesentlichen auf drei Wahrheitstheorien zu- <?page no="326"?> 312 Glossar rückgegriffen, die auf unterschiedlichen Ebenen liegen: 1. Korrespondenz (Soziale Realität - Sprache) 2. Kohärenz (Sprache) 3. Konsens (soziale Akteure) Keine stellt im Konzept der → Supervenienz eine notwendige Bedingung für das Vorliegen von W. dar. Allen gemeinsam ist jedoch eine Möglichkeit, die regulative Idee von W. zu exemplifizieren. (31) Wahrhaftigkeit W. umfasst Genauigkeit und Aufrichtigkeit. Genauigkeit bedeutet z.B., dass Wissenschaftler ihre Ergebnisse auf ihre Korrektheit prüfen. Ein aufrichtiger Wissenschaftler fälscht keine Daten und manipuliert nicht sein Ergebnis. (268) Werturteil Ein W. ist eine normative → Aussage. Sie ist von Tatsachenaussagen zu trennen, da sie nicht durch die Beobachtung von Tatsachen gerechtfertigt werden können (22) Wissen W. liegt vor, wenn eine Aussage wahr ( → Wahrheit) und gerechtfertigt ( → Rechtfertigung) ist. Beide Bestandteile stehen allerdings unter dem Vorbehalt des Scheiterns. Daher ist es nicht notwendig von Wissen nur dann auszugehen, wenn absolut sichere Wahrheits- und Rechtfertigungsansprüche vorliegen. Wissenschaftler legen besonderen Wert auf ihre → Methoden, weil sie darauf setzen, dass so → valide Ergebnisse erzeugt werden können. (30) Wissenschaft W. ist ein System, in dem soziale Akteure systematisch und methodisch versuchen, überprüfbare Aussagen für die kognitiven Ziele (Verstehen, Beschreiben, Erklären, Prognose, Gestaltung) nutzbar zu machen. (18) Wissenschaftsethik W. beschäftigt sich mit den spezifischen ethischen Verantwortungen von Forschenden und Forschergemeinschaften in modernen Gesellschaften. (265) Wissenschaftstheorie Nach heutigem Verständnis ist die W. eine Teildisziplin der Philosophie, welche sich mit allen grundlegenden Fragen der Wissenschaften beschäftigt. Dies sind 1. logische, methodologische oder - allgemeiner - erkenntnistheoretische Fragen, 2. handlungstheoretische und ethische Fragen, 3. ontologische Fragen. Hierzu werden die Erkenntnisse anderer Teildisziplinen der Philosophie wie z.B. Erkenntnistheorie, Handlungstheorie und Ontologie herangezogen. (19) Wissenschaftsziele, kognitive Als wesentliche kognitive Ziele von Wissenschaft werden → Beschreibung, → Erklärung, → Gestaltung, → Prognose und → Verstehen angesehen. (2) Ziel Ein Z. von sozialen Akteuren ist ein zukünftig angestrebter Zustand. Z.e zu haben, kann als geistiger Zustand von sozialen Akteuren beschrieben werden. Da sie auf etwas gerichtet sind, werden sie auch als intentional ( → Intentionalität) bezeichnet. (51) Zusammenhang Unter einem Z. zwischen sozialen Sachverhalten wird eine Relation zwischen den Sachverhalten verstanden, die als regelmäßig und als nicht zufällig angenommen wird. Für Sozialwissenschaftler sind insbesondere folgende Zusammenhänge interessant: a) → Korrelation b) → Kausalität (153) <?page no="327"?> Literaturverzeichnis Aaken, D. v., Schreck, P. (Hg.) (2015): Theorien der Wirtschafts- und Unternehmensethik. Berlin. Aarts, H., Dijksterhuis, A. (2000): Habits as knowledge structures: automaticity in goaldirected behavior. 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Edward 252 Friedman, Milton 229-30, 263 Gadamer, Hans-Georg 91-92, 107-8, 118 Gadenne, Volker 213 Gettier, Edmund 31 Gigerenzer, Gerd 53 Glaser, Barney 106, 111 Guba, Egon 5 Habermas, Jürgen 32, 34, 253-56, 305 Hacking, Ian 257 Harman, Gilbert 78 Hastedt, Heiner 8 Heidegger, Martin 91-92, 107 Hempel, Carl 136, 148, 151, 172- 74, 178-79, 183, 215, 227 Hirsch, Eric 115 Horkheimer, Max 255 Hume, David 75, 181, 184 James, William 247 Jarvie, Ian 25 Kane, Michael 146 Kant, Immanuel 28, 72, 254, 270 Kaplan, Abraham 231 Keil, Geert 97 Kelle, Udo 6, 174, 199 Kluge, Susann 151 Krell, Claudia 90 Kuhn, Thomas 22, 29, 42, 70, 194, 253 Küttner, Michael 229 Lakatos, Imre 4, 23, 42, 55, 193- 95, 211, 238 Lamnek, Siegfried 90 Lewin, Kurt 256 Lincoln, Yvonna 5 <?page no="372"?> 358 Namensregister Little, Daniel 198 Luckmann, Thomas 64 Luhmann, Niklas 18 Mackie, John 182, 188 Mantzavinos, Chrysostomos 97 Marcuse, Herbert 255 Massimi, Michela 11 Mead, George Herbert 103 Meier, Georg 120 Menger, Carl 46, 47 Merton, Robert 174, 233 Mill, John Stuart 47, 90, 160-66 Mischel, Theodor 180 Mises, Ludwig von 46, 54 Morgenstern, Oskar 54, 225, 235, 236 Musgrave, Alan 238 Nagel, Thomas 251 Neumann, John von 54 Neurath, Otto 100 Neyman, Jerzy 204 Oevermann, Ulrich 103, 108 Opp, Karl-Dieter 90, 139-40, 250-53 Pearson, Egon 204 Peirce, Charles 12, 32, 34, 76-77, 79, 247, 305 Popper, Karl 2, 4, 7, 9, 12, 23, 26, 33, 71, 79, 98, 135, 175-76, 194, 200, 202, 211, 227, 230, 231, 232-33, 240, 243, 255 Putnam, Hilary 248 Quine, Willard van Orman 34, 60, 119, 202, 247 Ragin, Charles 152, 187 Reichenbach, Hans 70-71 Rescher, Nicholas 32, 174 Rorty, Richard 36, 248 Russell, Bertrand 34, 247 Russo, Federica 190 Ryle, Gilbert 129 Schleiermacher, Friedrich 91 Schneider, Dieter 239 Schumpeter, Joseph 46, 57 Schurz, Gerhard 225 Schütz, Alfred 50, 64, 102, 117 Searle, John 32, 56, 59, 62 Shadish, William 39 Simon, Herbert 10, 53, 119 Soeffner, Hans-Georg 101 Spinner, Helmut 4-5 Stanley, Julian 213 Strauss, Anselm 106, 107, 110, 112-13 Taylor, Charles 252 Tepe, Peter 116 Thomas, Dorothy S. 234 Thomas, William I. 234 Toulmin, Stephen 80-82, 146, 147 Ulrich, Hans 226, 245 von Wright, Georg Henrik 178 Vossenkuhl, Wilhelm 180 Weber, Max 8, 22, 50, 92, 101, 121, 250, 252 Williams, Bernard 7, 28, 276 Wimsatt, William 116 Wittgenstein, Ludwig 46, 190, 222 Wright, Georg Henrik von 245 Yin, Robert 162 Zelewski, Stephan 241, 253 Znaniecki, Florian 160 <?page no="373"?> Sachregister Die Sachwörter, die fett gedruckt sind, finden Sie kurz definiert als Schlüsselwörter im Glossar, wobei die letzte, fettgedruckte Seitenzahl der Fundort im Glossar ist. Im Glossar finden Sie am Ende des Eintrags auch den Hauptfundort. A Abduktion 71, 76-79, 115, 158, 167, 189, 244, 299, siehe Schluss auf die beste Erklärung Abduktiver Schluss siehe Abduktion Absicht 6, 46, 50-51, 57, 117, siehe Intention Adäquatheitsbedingungen 141, 174, 228, 299 Agnotologie 294, 299 Akkommodation 238 Akteur sozialer 49, 299 Aktionsforschung 226, 255, 256- 58 All-Aussagen 155, 156, 175, 182 Anfangsbedingung 79, 99, 173, 175, 182-83, 227-29, 236, 242- 43, 299 Anomalie 29 Antezedensbedingung siehe Anfangsbedingung Anti-Realismus 32, 60, 64, 232 Argument 69, 73, 80, 299 Gestaltungsargument 241-44, 302 prognostisches 227, 229, 299 Auslegen siehe Verstehen Aussage 299 analytische 72, 140, 192, 299 gesetzesartige siehe Gesetz synthetische 72-73, 139-40, 299 Autorenintention 115-16, 299 Axiom 54, 191-93 B Basissatz siehe Protokollsatz Begriff 131, 299 empirischer 131, 132, 134-36, 139-44, 175, 203, 300 theoretischer 110, 118, 131, 135- 45, 149, 190, 192, 203, 231, 300 Begründungszusammenhang 70, 79, 109, 215, 217, 300 Beobachtung 109, 134-35 theoriebeladen 109, 135 theoriegetränkt 135 Beschreibung 2, 21, 26, 60, 70, 86, 90, 100, 129-31, 141, 151, 300 dichte 129 dünne 129 nicht vollständige 141 Betriebswirtschaftslehre 2, 10, 104, 245, 252, 253-54 Bewährung 79, 175-76, 200-201, 208-12, 300 C Ceteris-paribus-Aussage 4, 158- 59, 177, 188, 300 D Deduktion 25, 71-74, 76, 79, 83, 87, 113, 173-74, 189, 192, 201- 2, 214, 227-28, 243, 300 Deduktiver Schluss siehe Deduktion Definition siehe Nominaldefinition <?page no="374"?> 360 Sachregister operationale 130, 136, 139-40, 300 Deontologische Theorien 28, 266- 67, 268-70, 300 Determinismus 152, 156, 164, 199 Disposition 135-37, 300 DN-Erklärung 173-74, 177-79, 183, 227-28, 237, 242, 243, 245, 301 Dualismus 64, 301 E Effektgröße 36, 206-9, 260 Einfühlung 7, 104, 111 Emanzipation 254-57, 301 Emergenz 59, 87, 197, 301 Entdeckungszusammenhang 70, 84, 106, 109, 215, 301 Epistemologie siehe Erkenntnistheorie Erfahrungsobjekt 27, 301 Erkenntnisobjekt 27, 46, 301 Erkenntnistheorie 11, 19-20, 60 Erklärung 21, 26, 78, 87, 90, 97, 172-74, 188, 196, 212, 217, 225- 27, 230, 238, 242-43, 301, siehe IS-Erklärung, siehe DN-Erklärung intentionale 97, 178, 228, 301 Experiment 184-85, 212-13, 256- 58, siehe Sozialexperiment Experimentalismus 257, 301 Explanandum 173-74, 177, 196, 227 Explanans 173-77, 183, 242 Explikandum 175 Explikation 141, 301 Exploration 78, 132 Extension 142 F Fallauswahl 107, 113-14, 160, 162, 166-67, 184, 217 Fallibilismus 4, 11-13, 46, 99, 109, 208-9, 231, 232, 302 Falsifikation 12, 33, 55, 99, 100, 153, 155, 162, 175, 176, 178, 194, 200, 202, 203, 211, 212, 239, 302 Falsifikationismus 13, 98, 175, 194 Falsifizieren siehe Falsifikation Fehlschluss 74, 243 naturalistischer 251 Fehlverhalten 264, 275, 302 Forschungspraktik fragwürdige 276, 277, 302 Forschungsprogramm V, 5, 7, 9, 23, 48, 53, 55, 193, 194, 302 Fremdverstehen siehe Verstehen G Gedankenexperiment 119, 184 Gehalt empirischer 175-76, 195, 202, 203, 206, 209, 212, 302 propositionaler 61, 95, 96, 302 Generalisierung 105, 107, 113, 114, 146, 210, 211, 214, 217 Gesetz 21, 22, 97, 155-57, 159, 170, 172-74, 177-79, 182, 183, 186, 189, 191, 192, 199, 200, 227, 228, 239, 242, 243, 245, 246, 247, 302 Gestaltung 10, 21, 70, 86, 191, 226, 241, 243, 244-47, 249, 252, 258-60, 302 Gestaltungswissen 226, 241, 242, 244, 245, 247, 303 Gestaltungszusammenhang 70, 257, 258, 303 Grounded Theory 106-15 <?page no="375"?> Sachregister 361 H Handlung 49, 52, 55, 97, 105, 117, 158, 159, 173, 177-80, 202, 226, 242-44, 246, 251, 303 soziale 56, 92, 101, 103, 105, 256, 303 Hermeneutik 90, 303 geist-theoretische 93 kognitve 116 Methode der 91, 92, 303 naturalistische 97, 98, 303 Philosophie der 91, 303 sozialwissenschaftliche 7, 92, 97, 101, 102, 106, 121, 303 Hermeneutische Spirale siehe Spirale, hermeneutische Heuristik 52 Hintergrundwissen 77-79, 85, 107, 108, 113, 116, 151, 166, 185, 303 Holismus 58, 195, 201, 303 Humesche Gesetz siehe Sein-Sollen- Problem Hypothese 77, 99, 122, 154, 159, 180, 201, 203, 204, 205, 207, 238, 304 I Idealismus 27, 32, 64, 255 Idealtypus siehe Typus: idealer Individualismus 46, 57, 59, 195, 196, 198 methodologischer 46, 47, 57, 196, 304 Induktion 71, 75-77, 79, 87, 118, 160-63, 173, 174, 177, 189, 214, 304 analytische 160, 162, 304 statistische 80, 304 Induktiver Schluss siehe Induktion Induktiv-statistische Erklärung siehe IS-Erklärung Inkommensurabilität 29, 304 lokale 29 Institution 23, 25, 27, 46, 55, 58, 196, 198, 241, 304 Instrumentalismus 225, 229-33, 263, 304 Instrumentelle Rationalität siehe Zweckrationalität Intension 141, 142 Intention 6, 27, 47, 51, 56, 58, 63, 95, 102, 103, 115-18, 129, 156, 174, 179, 304 Intentionalität 50, 51, 57, 63, 93, 102, 304 kollektive 47, 56, 57, 59, 63, 305 Interaktion 54, 56, 57, 102, 105, 112, 236 Interessenkonflikt 276, 294, 296 Interpretation 39, 90, 92, 100, 105, 106, 115-16, 119-23, siehe Verstehen radikale 119 Interpretationshypothese 98, 99, 107, 112, 115, 120, 121, 123, 305 Interventionsansatz 184, 185, 186, 189, 305 INUS-Bedingung 182, 183, 188 IS-Erklärung 177, 178, 183, 305 K Kausalität 45, 144, 163, 164, 180- 91, 197, 202, 203, 305, siehe Interventionsansatz; Mechanismen, kausale; Regularitätsansatz kontrafaktische 180, 184, 189, 305 Kodierparadigma 111-13, 114, 305 Kodierung 109-14, 123 Kohärenztheorie 31, 32, 33, 35, 119, 122, 232, 233, 305 <?page no="376"?> 362 Sachregister Kollektivismus 46, 57, 195, 196 Komplexität 4, 137, 163, 197, 240, 245 Konfidenzintervall 206, 207, 239 Konsenstheorie 31, 32, 34, 36, 233, 305 Konstruktionen erster/ zweiter Ordnung 93, 102-4, 306 Konstruktivismus sozialer 60, 63, 64, 124, 306 Konstruktvalidität 39, 147, 208, 214, 259, 306 Kontrollvariable 185 Korrelation 139, 163, 164, 165, 166, 306 Korrespondenztheorie 31, 32, 33, 35, 60, 122, 231, 232, 233, 306 Kritische Theorie 254-57 L latente Sinnstrukturen siehe Sinnzusammenhang, latenter Lebenswelt 50, 64, 65, 95, 108, 175, 257, 260 Literaturwissenschaft 115, 116 M Makro-Ebene 47, 55, 87, 195, 196, 199, 225 Mechanismen kausale 186, 187, 189, 198, 306 Mediatorvariable 189 Meso-Ebene 47, 186, 195, 196, 199 Messung 37, 39, 130, 135, 145, 146, 149, 208, 306 Meta-Repräsentation 93, 94, 306 Methode 22, 306 analytisch-deduktive 8, 83, 84, 85, 306 der Übereinstimmung 161, 163, 166 des Unterschieds 161, 163, 164 empirische 3, 83, 306 formal-analytische 83, 84, 86, 87 hypothetisch-deduktive 98, 101 qualitative 3, 83, 90, 104, 217 quantitative 3, 78, 83, 105, 217 Methodendualismus 215, 216, 307 Methodenmonismus 5, 215, 307 Methodenpluralismus 4, 5, 216, 307 Methodologie 3, 5, 23-26, 98, 101, 106, 229, 307 Mikro-Ebene 47, 186, 195, 198, 225 Mikrofundierung 196, 197, 198 Modell 86, 307 Drei-Ebenen-Modell (Begriff) 137, 138, 145, 207, 279 Drei-Ebenen-Modell (Theorie) 195, siehe Mikro-, Meso-, Makro- Ebene Handlungsmodell 48-54, 56 Monismus 3, 64 N Naturalismus 24, 64, 97, 100, 307 Nominaldefinition 130, 134, 136, 137, 139, 140, 307 Normalwissenschaft 29 Normativität 102, 250 O Objektive Hermeneutik 118 Ontologie 44, 46, 47, 58, 59, 67, 191 Sachverhaltsontologie 44 P Paradigma 6, 22, 28, 194, 253, 307 <?page no="377"?> Sachregister 363 Paradoxie (Paradoxon) 8 Perspektivismus 4-6, 307 Philosophie analytische 3, 71, 247, 249 Pluralismus V, VI, 3, 6, 7, 10, 17, 157, 216, 307 Politikwissenschaft 2, 10, 55, 159 Positivismus 5, 55, 255 Positivismusstreit 252, 255 Postfaktizität 285, 307 Prädikandum 227, 229 Prädikans 227, 236 Pragmatismus 244, 247-48, 256 Prinzip der Akteursintention 118 Prinzip der hermeneutischen Billigkeit 118 Prinzip der wohlwollenden Interpretation 8, 119-21, 123, 307 Prognose 10, 21, 79, 86, 99, 131, 158, 191, 216, 225-41, 245, 308, siehe Argument, prognostisches bedingte 229, 308 selbsterfüllende 234, 235, 308 selbstverändernde 235 selbstzerstörende 235, 308 Protokollsatz 36, 99, 100, 308 Prüfung, strenge 176, 209, 212 Pseudo-Wissenschaft 288-89, 308 Psychologie 2, 10, 36, 49, 51, 71, 77, 92 Q Quasi-Gesetz siehe Theorie, Theorie mittlerer Reichweite R Randbedingung siehe Anfangsbedingung Randomisierung 187, 212, 213 Rationalismus kritischer 3, 214, 254, 256 Rationalität 6, 52-55, 105, 119- 21, 179, 308 begrenzte 53, 119 ökologische 54 Realismus 32, 33, 59-61, 122, 231-33, 248, 263, 308 Realtypus siehe Typus: realer Rechtfertigung 12, 30, 36, 37, 75, 77, 91, 123, 200, 308 Rechtfertigungszusammenhang siehe Begründungszusammenhang Reduktion 59, 186, 197, 198, 308 Regel 23, 25, 26, 105, 115, 309 methodologische 25, 98, 309 Regelhaftigkeit siehe Regularitäten Regularitäten 105, 157, 182, 191, 216, 246 Regularitätsansatz 182, 186, 188, 309 Rekonstruktion rationale 23, 195 Reliabilismus 37, 238 Reliabilität 38, 214, 309 Replikation 162, 201, 210-12 S Sachverhalt 44, 45, 46 natürlicher 50, 51, 100 sozialer 21, 27, 34, 47, 51, 56-59, 60, 62, 63, 86, 100, 102, 112, 129, 131, 137, 141-43, 148-51, 159, 197, 202-4, 234 Sachverhaltsontologie siehe Ontologie Sättigung theoretische 113-15 Scheinkorrelation 163, 164, 166 Schluss auf die beste Erklärung 78, 167, siehe Abduktion Sein-Sollen-Problem 250 Signifikanzniveau 36, 165, 205, 209 <?page no="378"?> 364 Sachregister Sinn 50, 56, 98, 101, 115, 116, 117, 178, 309 Sinnadäquanz 92 Sinnverstehen siehe Verstehen Sinnzusammenhang 92, 98, 102, 122 latenter 117, 309 Skeptizismus 12, 65, 281, 286, 309 Sozialexperiment 257, 258, 309 Sozialontologie 44, 48, 59, 102, 309 Sozialtechnologie 241, 256, 309 Sozialwissenschaft, Erkenntnisobjekt der 46, 310 Soziologie 2, 7, 10, 55, 92, 101, 102, 252 verstehende 92, 101, 102 Spirale, hermeneutische 107, 108, 113, 310 Sprechakt 95, 96 Störvariable 185-87 Supervenienz 197, 198, 310 Symbolischer Interaktionismus 112 T Tatsache 31, 32, 33, 35, 46, 60, 70, 71, 76, 77, 103, 172, 173, 194, 203, 230, 250, 254, 310 Technologie siehe Gestaltungswissen Teleologische Theorien 267, 269, 310 Teststärke 207-9, 260 Textkodierung siehe Kodierung Theorie 4, 32, 35, 39, 70, 79, 109, 113, 114, 142, 144, 153, 158, 162, 175, 176, 178, 183, 189, 191-94, 200, 209, 211, 212, 230, 231, 236, 238, 239, 244, 310 T. mittlerer Reichweite 174, 175, 199 Theorienpluralismus 4, 310 Toleranz 6-9, 310 Tugendethik 268, 310 Typologie 105, 148-53, 190, 266, 310 Typus 21, 105, 130, 139, 148-53, 311 idealer 149, 150 realer 149, 150 U Übersetzung, radikale siehe Interpretation, radikale Überzeugung 47, 51, 54, 56, 57, 61, 93-97, 115, 116, 119-22, 174, 177-80, 200, 216, 234, 235, 236, 245, 311 Wir-Überzeugungen 56, 57 Unparteilichkeit 295, 311 Unterbestimmtheit 34, 99, 201, 202, 233 V Validität 37-40, 122, 123, 124, 146, 147, 153, 208, 212, 259-60, 311 externe 39, 213-14, 259 interne 39, 165, 212-15, 259 interpretative 122, 123, 311 statistische 207, 208, 212, 215, 260 Variable 26, 144-45, 153, 182, 185, 189, 206, 240, 259, 311 latente 144, 145, 149, 203, 311 manifeste 130, 132, 144-46, 311 Verantwortung 26, 265, 271, 272, 291, 292, 311 Verifikation 25, 75, 99, 107, 162, 164, 175, 178, 200, 211, 239 Verschwörungsmythen 120, 286, 289 <?page no="379"?> Sachregister 365 Verstehen 2, 4, 6, 10, 20, 31, 50, 85, 86, 90-98, 101-5, 107, 108, 119, 120, 121, 123, 215-16, 225, 311 Fremdverstehen 93 Sinnverstehen 50 Stufen des 95, 97, 101, 102 Volkswirtschaftslehre 2, 10, 46, 54 Vorwissen siehe Hintergrundwissen W Wahrhaftigkeit 7, 28, 268, 274, 276, 311, 312 Wahrheit 7-11, 31, 36, 39, 72, 94, 118, 121, 122, 175, 176, 200, 233, 251, 311 analytische 73, 140 regulative Idee 9, 31, 124, 232, 233 Wahrheitstheorie siehe Kohärenztheorie; Konsenstheorie; Korrespondenztheorie Wahrnehmung 45, 59, 60, 61, 64, 65, 95, 96, 124, 134, 235 Wertrationalität 54 Werturteil 22, 249, 250, 251, 254, 255, 312 Werturteilsfreiheit 22, 249, 250- 53, 255 Werturteilsverbot 22 Willensfreiheit 156, 191, 196, 226 Wissen 4, 12, 13, 19, 26, 30, 51, 71, 76-78, 86, 102, 105, 109, 175-76, 178, 200, 208, 216, 226, 240, 241, 245, 246, 258, 263, 312 Wissenschaft 18, 312 Wissenschaftsethik 265, 266, 312 Wissenschaftstheorie 19, 312 Wissenschaftsziele kognitive 2, 10, 86, 258, 312 Z Ziel 47-57, 94, 115, 119, 121, 159, 174, 177-80, 216, 241-44, 245, 246, 252, 312 Wir-Ziel 56 Zirkel, hermeneutischer siehe Spirale, hermeneutische Zufall 151, 213, 257 Zufallsstichprobe 153, 162, 257 Zusammenhang 21, 70, 131, 132, 136, 151, 159, 161, 162, 163, 166, 203, 218, 312 kausaler 180, 202, 206 Zweckrationalität 54, 55, 121, 251, 252, 253 Zwei-Ebenen-Konzeption der Wissenschaftssprache 133, 135 <?page no="380"?> ,! 7ID8C5-cfhcgc! ISBN 978-3-8252-5726-2 Wissen schafft die Wissenschaft durch ihre (empirischen) Methoden. Dieses Buch zeigt für die Sozial- und Wirtschaftswissenschaften, wie ihre Methoden wissenschaftstheoretisch fundiert werden. Mittels eines pluralistischen Konzepts werden zentrale Themen diskutiert und gezeigt, wie im Wettbewerb um Ideen wissenschaftliche Forschungsstandards auf ihre Begründungsansprüche zu prüfen sind. Die 3., überarbeitete und erweiterte Auflage geht nun konkret auf die Wechselwirkungen zwischen Wissenschaft und Politik sowie Wirtschaft ein. Das Buch richtet sich gleichermaßen an Studierende, Lehrende und Forschende aus den Sozial- und Wirtschaftswissenschaften. Schlüsselkompetenzen Sozial- und Wirtschaftswissenschaften Dies ist ein utb-Band aus dem UVK Verlag. utb ist eine Kooperation von Verlagen mit einem gemeinsamen Ziel: Lehr- und Lernmedien für das erfolgreiche Studium zu veröffentlichen. utb-shop.de QR-Code für mehr Infos und Bewertungen zu diesem Titel Mit Philosophieboxen