Internationales Management
0814
2013
978-3-8385-8481-2
978-3-8252-8481-7
UTB
Prof. Dr. Manfred Perlitz
Prof. Dr. Randolf Schrank
Prof. Dr. Franz Xaver Bea
Prof. Dr. Steffen Scheurer
Die Schuldenkrise und die Diskussion über Chancen und Risiken für die deutsche Wirtschaft durch die Euro-Frage zeigt die Aktualität des Faches »Internationales Management« in der Praxis. Das Buch behandelt daher die Herausforderungen, die sich für Unternehmen, Branchen und Volkswirtschaften aus der zunehmenden Globalisierung ergeben. Es wird auf die Kernfragen des strategischen internationalen Managements genauso eingegangen wie auf internationale Probleme in den Funktionsbereichen von Marketing über den Finanzbereich bis hin zur Forschung und Entwicklung.
Die Didaktik ist in der 6. Auflage noch stärker in den Vordergrund gerückt. Neben vielen inhaltlichen Erweiterungen und Aktualisierungen ist die Struktur wesentlich gestrafft und durch Fallstudien von Unternehmen und Standpunkten von Praktikern ergänzt.
Das Buch eignet sich für Kurse auf dem Bachelor- und Master-Level, richtet sich jedoch auch an Praktiker aus international tätigen Unternehmen.
<?page no="1"?> Unternehmensführung Herausgegeben von Franz Xaver Bea Steffen Scheurer <?page no="2"?> Manfred Perlitz / Randolf Schrank Internationales Management 6., vollständig neu bearbeitete Auflage UVK Verlagsgesellschaft mbH · Konstanz mit UVK/ Lucius · München <?page no="3"?> Prof. Dr. Manfred Perlitz, Lehrstuhl für Allgemeine Betriebswirtschaftslehre und Internationales Management, Universität Mannheim Prof. Dr. Randolf Schrank, Professor für Allgemeine BWL, Unternehmensführung und Internationales Management, Fachhochschule Mainz Online-Angebote oder elektronische Ausgaben sind erhältlich unter www.utb-shop.de. Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über <http: / / dnb.ddb.de> abrufbar. Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. 1. Auflage 1993 2. Auflage 1995 3. Auflage 1997 4. Auflage 2000 5. Auflage 2004 © UVK Verlagsgesellschaft mbH, Konstanz und München 2013 Einbandgestaltung: Atelier Reichert, Stuttgart Einbandmotiv: istockphoto.com, Empato Druck und Bindung: fgb · freiburger graphische betriebe, Freiburg UVK Verlagsgesellschaft mbH Schützenstraße 24 · 78462 Konstanz Tel. 07531-9053-0 · Fax 07531-9053-98 www.uvk.de UTB-Nr. 8481 ISBN 978-3-8252-8481-7 <?page no="4"?> Autoren und Mitwirkende Autoren des Gesamtwerks Prof. Dr. Manfred Perlitz Universität Mannheim Lehrstuhl für Allgemeine BWL und Internationales Management Schloss 68131 Mannheim Prof. Dr. Randolf Schrank Fachhochschule Mainz Lehrstuhl für Allgemeine BWL und Internationales Management Lucy-Hillebrand-Straße 2 55128 Mainz Theoriebeiträge unter Mitwirkung von Prof. Dr. Andreas Becker Hochschule Aschaffenburg, Professor für Grundlagen der BWL und Marketing Dr. Detlef Pietsch BMW Group, Leiter Projekt Alternative Antriebe Prof. Dr. Kai Wiltinger/ Daniela Wärner FH Mainz, Professor für BWL, Rechnungswesen & Controlling / FH Mainz, Lehrkraft für besondere Aufgaben Rechnungswesen, Controlling und Finanzen Standpunkte von Dr. Kurt Bock BASF SE, Vorstandsvorsitzender Prof. Hans-Olaf Henkel Autor und Honorarprofessor Christian Boehringer Boehringer Ingelheim, Vorsitzender des Gesellschafterausschusses Dr. Karl-Ludwig Kley Merck KGaA, Vorsitzender der Geschäftsleitung Dr. Harald F. Stock Grünenthal Gruppe, Chief Executive Officer Dr. Philip Martens Novelis Inc., Chief Executive Officer Prof. Dr. Udo Ungeheuer SCHOTT AG, Vorsitzender des Vorstandes Dr. Rüdiger Grube Deutsche Bahn AG und DB ML AG, Vorsitzender des Vorstands Andreas Mosler Frank Walz- und Schmiedetechnik GmbH, Geschäftsführer <?page no="5"?> Michael Samak Saatchi und Saatchi, Regional CEO Deutschland & Schweiz Joachim Müller Bilfinger SE, Finanzvorstand Franz J. Michel Coface Deutschland, Vorstandsvorsitzender Fallstudien von Axel Nösner Stefan Zwerenz KnowledgeAgent GmbH, Geschäftsführer MAN Truck & Bus AG, Head of Market & Competitor Analysis Light Vehicles & External Engines Matthias Litschke PERLITZ STRATEGY GROUP GmbH & Co. KG, Manager Dr. Michael Siebler Boehringer Ingelheim, Leiter Firmenarchiv Dr. Detlef Pietsch Maciej Malinowski BMW Group, Leiter Projekt Alternative Antriebe / BMW Group, Vermarktung Projekt Alternative Antriebe Dr. Karl-Ludwig Kley Merck KGaA, Vorsitzender der Geschäftsleitung Michael Demmer Novelis Inc., Director Strategy, Global Can Dr. Nikolaos Katsikis SCHOTT-Rohrglas GmbH, Leiter Business Development Adriana M. Nuneva Heidelberger Druckmaschinen AG, Senior Vice President, Global Marketing & Communications / Print Media Academy & Consulting Prof. Dr. Marcel Crisand Prof. Dr. Michael Woywode Universität Mannheim, Geschäftsführer, Institut für Mittelstandsforschung, Universität Mannheim, Institutsleitung und Lehrstuhlinhaber, Institut für Mittelstandsforschung Thilo Sekol SAP AG, CFO Advisory Daniela Wärner FH Mainz, Lehrkraft für besondere Aufgaben Rechnungswesen, Controlling und Finanzen Michael Dominique Gross Energie Baden-Württemberg AG, Risikomanagement und Controlling Ildiko Kreisz Nele Herweg Accenture, Personalleiterin für Deutschland, Österreich und Schweiz Accenture, Personalmanagerin <?page no="6"?> Vorwort zur 6. Auflage Als die erste Auflage des Buches „Internationales Management“ Anfang der 1990er Jahre auf dem Markt erschienen ist, kam es durch den Zusammenbruch der damaligen Sowjetunion zu einer Öffnung vieler neuer Märkte. In diesem Zusammenhang und mit den neuen Kommunikations- und Informationstechniken begann das eigentliche Zeitalter der Globalisierung der Wirtschaft. Dabei ist die Globalisierung durch das Entstehen von Unternehmen charakterisiert, die weltweit präsent sind, sei es durch internationalen Handel, Direktinvestitionen im Ausland oder durch den Abschluss von Technologieverträgen. Durch diese Aktivitäten entwickelten international tätige Unternehmen globale Netzwerkstrukturen. Mit der neuen ökonomischen Weltordnung mussten Unternehmen oftmals ihre Strategien überdenken und auch die Führung von global ausgerichteten Unternehmensnetzwerken stellte eine neue Herausforderung dar. Während anfangs das Phänomen der Globalisierung sehr stark im Zusammenhang mit großen Unternehmen gesehen wurde, spielen heute zunehmend auch mittlere und kleinere Unternehmen eine bedeutende Rolle. Deshalb richtet sich dieses Buch nicht nur an Studenten, sondern auch an Führungskräfte großer, mittlerer und kleinerer Unternehmen. Die vorliegende neue Auflage des Buches ist in vielen Aspekten überarbeitet und neu ausgerichtet worden. So wurde aus didaktischen Gründen eine Reihe von Kürzungen vorgenommen, um damit den Lehrstoff auf zwei Semester zu straffen. Andererseits wurden zahlreiche Ergänzungen hinzugefügt, um Themen wie z.B. Unternehmensverantwortung oder IT-gestützte Koordination gerecht zu werden, welche in der Diskussion zum Internationalen Management an Bedeutung gewonnen haben. Inzwischen haben Unternehmen durch ihre globalen Tätigkeiten sehr große Erfahrungen gesammelt, die auch für Studenten relevant sind und die die bestehenden theoretischen Aspekte und Modelle sehr gut veranschaulichen. Deshalb gibt es zu jedem Kapitel aus der Sicht von Topmanagern Stellungnahmen zu zentralen Fragestellungen des entsprechenden Kapitels. Hier können die Leser Einblicke in die Denkweise von Unternehmensführern gewinnen und am Ende eines jeden Kapitels wird anhand einer Fallstudie aus der Unternehmenspraxis der besprochene Stoff vertieft. Damit soll das jeweilige Thema aus unterschiedlicher Sicht dargestellt und bearbeitet werden. Das Buch versucht in einem holistischen Ansatz alle Aspekte zu erörtern, die Unternehmen zu berücksichtigen haben, wenn sie sich außerhalb ihres Heimatlandes engagieren. So sollen alle unternehmerischen Aspekte von der Strategieformulierung bis hin zu Problemen leistungsbezogener und administrativer Funktionsbereiche im Hinblick auf die Internationalisierungsentscheidung von Unternehmen analysiert werden. Durch den entscheidungsorientierten General-Management-Ansatz bezüglich der Internationalisierung von Unternehmen unterscheidet sich das Buch von solchen, die einerseits nur das internationale Umfeld beschreiben oder andererseits sich nur auf betriebliche Teilpolitiken wie z.B. inter- <?page no="7"?> VIII nationales Marketing, internationale Beschaffung und/ oder internationale Forschung und Entwicklung konzentrieren. Auch die Struktur des Buches wurde grundlegend überarbeitet, ohne dabei den Ansatz des Buches zu verändern. Hierbei stand im Vordergrund, die Vermittlung des Stoffes in der Lehre zu erleichtern, also die „Teachability“ zu erhöhen. Hierzu dient die in der folgenden Grafik dargestellte modulare Struktur. Die elf Kapitel sind in zwölf Lehreinheiten unterteilt, welche wiederum in vier Blöcken organisiert sind. Diese entsprechen somit einer durchschnittlichen Anzahl von Lehrveranstaltungen eines Semesters, sind aber inhaltlich eher auf eine zweisemestrige Veranstaltung ausgerichtet. Hierbei wurde darauf geachtet, dass jedes Kapitel in sich als Modul in der Lehre vermittelbar ist. Die Einzelmodule bauen also nur minimal aufeinander auf und können für eine Lehrveranstaltung relativ frei kombiniert werden. Auch die vier Hauptblöcke sind als Lehrmodule verwendbar. Abhängig von der Ausrichtung des Faches Internationales Management an der jeweiligen Hochschule können zum Beispiel die ersten beiden Blöcke zu einer Vorlesung „Internationales Management“ verbunden werden. Das Eingehen auf die Funktionsbereiche, welches Gegenstand der Blöcke drei und vier ist, kann je nach Länge und Spezialisierungsgrad der Vorlesung hinzugenommen werden. Grundsätzlich kann das Buch sowohl auf der Bachelorals auch auf der Masterebene Verwendung finden. Durch eine Verschiebung der Schwerpunkte zwischen den Modulen kann der Lehrstoff leicht angepasst werden. Der Umfang des Buches hat zwar leicht zugenommen. <?page no="8"?> IX Dies ist aber teilweise durch die wesentlich höhere Dichte von grafischen Darstellungen und die zahlreichen aufgenommenen Praxisbeiträge zu erklären, nicht durch eine wesentliche Erhöhung des Stoffumfangs. Zuerst werden die Grundlagen für ein internationales Management dargestellt. So wird zunächst das globale Umfeld beschrieben, in dem heute Unternehmen agieren müssen. In diesem Zusammenhang werden die Wirtschaftsräume mit ihren Potenzialen neu in dem Buch aufgenommen und analysiert. Anschließend wird die internationale Wettbewerbssituation dargelegt, die die strategischen Entscheidungen von Unternehmen beeinflussen. In diesem Kontext werden auch die unterschiedlichen volks- und betriebswirtschaftlichen Theorien der Internationalisierung vorgestellt. Darüber hinaus müssen international tätige Unternehmen ihre Aktivitäten in unterschiedlichen Kulturkreisen erfolgreich gestalten. Aus diesem Grunde wird im Grundlagenteil beschrieben, welche Einflüsse von der Kultur auf unternehmerisches Denken und Handeln ausgehen. Daneben wird auch der Einfluss unterschiedlicher ethischer Einstellungen auf unternehmerische Tätigkeiten im Ausland aufgezeigt. Im Anschluss an die Grundlagen wird der Themenkomplex der Strategischen Ausrichtung des Unternehmens anhand der Bereiche Strategieentwicklung, Internationalisierungsstrategie sowie Organisation und Kooperation erörtert. Dazu wird zunächst die Logik einer Strategieentwicklung vorgestellt und anschließend die Besonderheiten von Internationalisierungsstrategien dargestellt. Ist diese formuliert, dann muss diese umgesetzt werden. Deshalb werden im Sinne der Maxime „structure follows strategy“ die Probleme der Organisation und Kooperation international tätiger Unternehmen im Anschluss an die Formulierung einer Internationalisierungsstrategie beschrieben. Ist die Gesamtstrategie des Unternehmens festgelegt, hat das meist erhebliche Konsequenzen für die einzelnen Funktionsbereiche des Unternehmens. Deshalb werden im Anschluss an die strategischen Überlegungen für das Gesamtunternehmen die Teilstrategien einzelner leistungsbezogener Funktionsbereiche erörtert. Diese umfassen die Forschung und Entwicklung, das Supply Chain Management und das Marketing. In diesem Kapitel sind erhebliche Änderungen vorgenommen worden. Einerseits wurde das Kapitel gestrafft und andererseits um den Gedanken des Supply Cain Managements ergänzt. Die Umsetzung einer Internationalisierungsstrategie wird aber auch durch administrative Funktionsbereiche unterstützt. Diesen Funktionsbereichen ist das letzte Kapitel des Buches gewidmet. Welche Konsequenzen sich aus der Internationalisierung unternehmerischer Aktivitäten für das Rechnungswesen und das Controlling sowie die Finanzierung ergeben, wird in diesem Kapitel genauso beschrieben wie Probleme des internationalen Personalmanagements. Auch in diesem Kapitel wurde eine Reihe von neuen Entwicklungen in dem Buch aufgenommen. So haben sich seit der letzten Auflage zahlreiche Änderungen in der internationalen Rechnungslegung und im internationalen Finanzumfeld ergeben, was insbesondere für diesen Bereich erhebliche Umstellungen dieser Inhalte nach sich zog. <?page no="9"?> X Eine so umfassende Darstellung des Themas „Internationales Management“ kann nur als eine Gemeinschaftsleistung gelingen. Deshalb haben seit der ersten Auflage viele Personen an diesem Buch mitgewirkt, denen wir zu großem Dank verpflichtet sind. Insbesondere möchte ich folgenden Personen für ihre tatkräftige Unterstützung danken. Die Erstellung der sechsten Auflage basierte auf guter Teamarbeit der Autoren und der Mitarbeiter und Hilfskräfte des Fachbereichs Wirtschaft der Fachhochschule Mainz sowie nicht zuletzt der zahlreichen bereits genannten Beitragenden aus der Unternehmenspraxis. Herr Dipl.-Kfm. Dominik Passon, Herr Michael Schumacher (M.A.), Herr Dipl.-Kfm. Steffen Huth und Herr Frederic Jenewein (B.A.) haben wertvolle Ideen zu einzelnen Kapiteln beigesteuert, wofür wir uns herzlich bedanken. Zudem waren an dieser 6. Auflage insbesondere Frau Stefanie Fecher (B.A.), Frau Anne- Katrin Brunier (B.A.), Herr Thomas Schneider (B.A.), Herr Tobias Mauritz (B.A.), Herr Stefan Robers, Herr Simon Sieben und Frau Helene Springer (B.A.), Herr Sebastian Klein und Herr Erat Aydin (M.A.) beteiligt. Natürlich basierten auch die früheren Auflagen auf wertvoller Mitarbeit und Beiträgen, welche das Fundament der jetzigen Neufassung lieferten. An dieser Stelle wollen wir uns bei diesen Personen ausdrücklich bedanken. Unser Dank gilt insbesondere Herrn Prof. Dr. Walter Paul, Herrn Prof. Dr. Frank Seger ( † ), Herrn Dr. Alexander Weiser, Herrn Prof. Dr. Helge Löbler, Herrn Dr. Matthias Zieschang, Frau Dipl.-Kffr. Martine Niederkorn, Herrn Dr. Lasse Schulze, Herrn Dr. Jürgen Bufka, Herrn Prof. Dr. Rainer Schnauffer, Herrn Dr. Michael Schulz, Herrn Dr. Thorsten Peske, Herrn Prof. Dr. Olaf Rank, Herrn Dipl.-Hdl. Werner Diehl und Herrn Gerhard Langenmayr, die wesentliche inhaltliche Beiträge geleistet haben. Herr Dipl.-Kfm. Gerald Hock gebührt besondere Erwähnung für seinen Beitrag zum Kulturkapitel. Dank gebührt Frau Dipl.-Kffr. Marissa Horvatin, Frau Dipl.-Angl. Annette von Köckritz, Frau Dipl.-Kffr. Göril Olsen, Herrn Dipl.-Kfm. Gerrit Otto, Frau Nikola Heimann, Herrn Oliver Höldin, Frau Joanna Kowalska, Herrn Matthias Magnus, Frau Kathrin Siefken, Frau Stefanie Burger, Frau Simone Brenck, Frau Judith Burrmann, Frau Myriam Dukek, Frau Ute Jahns, Frau Yvonne Hauck, Frau Laurence Langenbrinck, Herrn Andreas von Rosen, Herrn Alexander von Scheidt, Frau Silke Schuhmacher, Herrn Thomas Strack, Herrn Gonzalo Pérez-Espejo, Herrn Nino Santos und Herrn Stefan Mayer, die als Hilfskräfte viel Engagement bei der Überarbeitung gezeigt haben. Danken möchten wir auch Herrn Egbert Lenat, der als Lektor die aufwändige Erstellung des Buches begleitet hat. Herrn Prof. Dr. Ulrich Schüle und Frau Prof. Dr. Anett Mehler- Bicher, welche im Erstellungszeitraum des Buches das Dekanat des Fachbereichs Wirtschaft der Fachhochschule Mainz innehatten, danken wir für die Unterstützung des Projektes. Unser Dank gilt auch dem UVK-Verlag für die gute Zusammenarbeit, insbesondere Herrn Dr. Jürgen Schechler. <?page no="10"?> XI Das Buch wurde nur möglich durch die reibungslose Zusammenarbeit eines überaus engagierten Teams. Mannheim und Mainz, im April 2013 Manfred Perlitz Randolf Schrank Anmerkung der Autoren: Durch meine Emeritierung an der Universität Mannheim wurde es notwendig, das Buch auf „mehrere Schultern zu verteilen“. Deshalb bin ich meinem früheren Schüler Professor Dr. Randolf Schrank sehr dankbar, dass er sich bereit erklärt hat, die Ko-Autorenschaft zu übernehmen. Er hat bei der Neugestaltung des Buches einen beträchtlichen Teil übernommen und ohne seine sehr große Unterstützung und seine neu eingebrachten Ideen wäre das Buch in seiner jetzigen Form nicht möglich gewesen. Deshalb nochmals an dieser Stelle ein ausdrücklicher Dank an ihn. Manfred Perlitz Seit ich 1989 den Berufungsvortrag meines späteren akademischen Lehrers in Mannheim hörte, war ich begeistert von dem Ansatz, Forschung und Lehre als Impuls für die Praxis zu verstehen und nicht als akademische Selbstbespiegelung. In der Folge hatte ich das Glück, als Famulant schon an der ersten Auflage des „Internationalen Managements“ mitzuarbeiten, in den folgenden Auflagen konnte ich als wissenschaftlicher Assistent und später als Kollege in der Beratung „Perlitz Strategy Group“ auch aktiv mitgestalten. Mit der Aufnahme als Ko-Autor schließt sich dieser Kreis und es ist eine große Ehre für mich, dieses wichtige Werk auch in Zukunft mitgestalten zu dürfen. Hierfür gebührt meinem akademischen Lehrer großer Dank. Ich hoffe, mich dieser Aufgabe würdig zu erweisen. Randolf Schrank <?page no="12"?> Inhaltsübersicht Kapitel I: Globales Unternehmensumfeld __________________________________1 1 Dynamik des globalen Wettbewerbs ____________________________________ 4 2 Internationalisierung und Internationales Management _____________________ 10 3 Triebkräfte der Internationalisierung ___________________________________ 15 Kapitel II: Grundlagen des internationalen Wettbewerbs _____________________51 1 Volkswirtschaftliche Konzepte des internationalen Wettbewerbs _____________ 56 2 Managementorientierte Konzepte des internationalen Wettbewerbs ___________ 81 Kapitel III: Kultur und Unternehmensverantwortung_______________________ 113 1 Kultur __________________________________________________________117 2 Kulturbedingte Unterschiede in der Unternehmensverantwortung (Corporate Social Responsibility) _______________________________________________141 Kapitel IV: Strategieentwicklung im internationalen Umfeld_________________ 169 1 Internationale Aspekte des Strategieprozesses ____________________________173 2 Ablauf des Strategieprozesses ________________________________________174 3 Status quo: Definition der Ausgangsbasis _______________________________176 4 Strategische Analyse _______________________________________________193 5 Zusammenfassende Analyse _________________________________________216 6 Strategieformulierung ______________________________________________237 7 Strategiebewertung ________________________________________________251 8 Strategieumsetzung ________________________________________________272 9 Notwendigkeit eines international orientierten Strategieprozesses _____________297 Kapitel V: Internationalisierungsstrategien _______________________________307 1 Strategische Lücken-Analyse _________________________________________311 2 Überprüfung der Voraussetzungen für eine Internationalisierung _____________318 3 Gestaltungsformen von Markteintrittsstrategien __________________________336 4 Wirtschaftlichkeitsanalysen __________________________________________340 Kapitel VI: Internationales Organisations- und Kooperationsmanagement _____367 Ziele und Rahmenbedingungen des internationalen Organisationsmanagements ______370 <?page no="13"?> X • Inhaltsübersicht 1 Organisationsstrukturen ____________________________________________373 2 Prozessorganisation ________________________________________________389 3 Internationales Kooperationsmanagement_______________________________395 Kapitel VII: Internationales Forschungs- und Entwicklungsmanagement______427 1 Ziele des internationalen F&E-Managements ____________________________431 2 Planung der internationalen Forschung und Entwicklung ___________________434 3 Organisation der internationalen Forschung und Entwicklung________________452 Kapitel VIII: Internationales Supply Chain Management____________________467 1 Internationales Beschaffungsmanagement _______________________________473 2 Internationales Produktionsmanagement ________________________________482 3 Internationales Logistik- und Exportmanagement _________________________495 Kapitel IX: Internationales Marketingmanagement ________________________507 1 Internationale Produktpolitik_________________________________________513 2 Internationale Preispolitik ___________________________________________516 3 Internationale Kommunikationspolitik _________________________________527 4 Internationale Vertriebspolitik ________________________________________545 5 Einfluss des Internets auf den Marketing-Mix in internationalen Unternehmen ___550 Kapitel X: Internationales Controlling und Finanzmanagement ______________569 1 Controlling im internationalen Unternehmen ____________________________575 2 Rechnungslegung im internationalen Unternehmen ________________________591 3 Internationales Finanzmanagement ____________________________________621 Kapitel XI: Internationales Personalmanagement __________________________687 1 Besonderheiten der Personalbedarfsplanung im internationalen Unternehmen ___691 2 Besonderheiten in den Besetzungsstrategien im internationalen Unternehmen ___692 3 Probleme der Entsendung von Mitarbeitern ins Ausland ____________________701 4 Unternehmensexterne Einflussfaktoren auf das internationale Personalmanagement _____________________________________________________711 Literaturverzeichnis ____________________________________________________727 Stichwortverzeichnis ___________________________________________________785 <?page no="14"?> Inhaltsverzeichnis Vorwort ___________________________________________________________ VII Kapitel I: Globales Unternehmensumfeld _________________________ 1 Standpunkt: BASF SE _________________________________________________ 2 1 Dynamik des globalen Wettbewerbs __________________________________ 4 2 Internationalisierung und Internationales Management__________________10 2.1 Begriffliche Grundlagen ____________________________________________10 2.1.1 Begriff der Internationalisierung ______________________________________ 10 2.1.2 Begriff der Internationalen Unternehmung ______________________________ 11 2.2 Internationales Management im Rahmen der Betriebswirtschaftslehre _____12 3 Triebkräfte der Internationalisierung _________________________________15 3.1 Märkte __________________________________________________________15 3.1.1 Globale Integration der Weltwirtschaft _________________________________ 15 3.1.2 Entwicklungsstufen der wirtschaftlichen Integration _______________________ 17 3.1.3 Internationale Wirtschaftsräume ______________________________________ 19 3.2 Kosten__________________________________________________________ 28 3.3 Technologien ____________________________________________________ 29 3.4 Formen der Internationalisierung ___________________________________ 32 3.4.1 Export _________________________________________________________ 32 3.4.2 Direktinvestitionen ________________________________________________ 36 3.4.3 Lizenzen ________________________________________________________ 37 3.5 Marktteilnehmer _________________________________________________ 39 3.5.1 Unternehmen ____________________________________________________ 39 3.5.2 Staaten _________________________________________________________ 42 Fallstudie: Internationale Marktanalyse im Nutzfahrzeugmarkt: Analyse des Busmarktes für MAN Truck & Bus _________________________________ 43 Literaturempfehlungen _______________________________________________ 49 Kapitel II: Grundlagen des internationalen Wettbewerbs ___________ 51 Standpunkt: Herausforderung der Globalisierung__________________________ 52 1 Volkswirtschaftliche Konzepte des internationalen Wettbewerbs _________ 56 1.1 Theorien des internationalen Handels _______________________________ 56 1.1.1 Klassische Theorien _______________________________________________ 56 1.1.2 Moderne Theorien ________________________________________________ 57 <?page no="15"?> XVI • Inhaltsverzeichnis 1.2 Theorien der Direktinvestition ______________________________________ 70 1.3 Theorien zu internationalen Technologieverträgen _____________________ 74 1.4 Übergreifende Theorien der Internationalisierung _____________________ 77 2 Managementorientierte Konzepte des internationalen Wettbewerbs________81 2.1 EPRG-Modell ____________________________________________________81 2.2 Triademodell ____________________________________________________ 83 2.3 Globalisierungskonzept von Porter __________________________________ 90 2.4 Wettbewerbsvorteile von Nationen nach Porter ________________________ 94 2.4.1 Grundkonzept ___________________________________________________ 94 2.4.2 Dynamik des „Diamanten“ _________________________________________ 100 2.4.3 Bedeutung des „Diamanten“ und Kritik _______________________________ 103 2.5 Relevanz für das Internationale Management _________________________107 Fallstudie: Internationale Marktlebenszyklen in der Nutzfahrzeugindustrie ____ 108 Literaturempfehlungen _______________________________________________ 110 Kapitel III: Kultur und Unternehmensverantwortung _____________ 113 Standpunkt: Boehringer Ingelheim______________________________________ 114 1 Kultur __________________________________________________________ 117 1.1 Kulturbegriff_____________________________________________________ 117 1.1.1 Kulturmodell von Trompenaars _____________________________________ 120 1.1.2 Kulturmodell von Hofstede ________________________________________ 122 1.1.3 Kulturmodell der GLOBE-Studie ____________________________________ 130 1.1.4 Andere Kulturmodelle ____________________________________________ 131 1.2 Kulturvergleichende Managementforschung __________________________135 1.3 Interkulturelles Management _______________________________________139 2 Kulturbedingte Unterschiede in der Unternehmensverantwortung (Corporate Social Responsibility) _____________________________________________ 141 2.1 Begriff und Varianten der Unternehmensverantwortung ________________ 141 2.1.1 Unternehmensverantwortung im neoklassischen Ansatz (Shareholder Approach) 145 2.1.2 Unternehmensverantwortung im ganzheitlichen Ansatz (Stakeholder Approach) 146 2.2 Corporate Social Responsibility im Unternehmen ______________________147 2.3 Internationale Richtlinien der Unternehmensverantwortung _____________150 2.3.1 Triple Bottom Line _______________________________________________ 150 2.3.2 Grünbuch der Europäischen Kommission zur CSR ______________________ 151 2.3.3 Global Compact der United Nations__________________________________ 153 2.3.4 Die OECD-Leitsätze _____________________________________________ 154 2.3.5 Standard ISO 26000 ______________________________________________ 156 2.3.6 Code of Conduct der Fair Labor Association (FLA) ______________________ 159 <?page no="16"?> Inhaltsverzeichnis • XVII 2.4 Herausforderungen der CSR im internationalen Rahmen________________159 Fallstudie: Corporate Social Responsibility bei Boehringer Ingelheim _________ 161 Literaturempfehlungen _______________________________________________ 166 Kapitel IV: Strategieentwicklung im internationalen Umfeld _______ 169 Standpunkt: Merck ___________________________________________________ 170 1 Internationale Aspekte des Strategieprozesses_________________________ 173 2 Ablauf des Strategieprozesses ______________________________________ 174 3 Status quo: Definition der Ausgangsbasis ____________________________ 176 3.1 Strategische Geschäftsfelder________________________________________176 3.2 Faktenbasis _____________________________________________________182 3.3 Ziele und Vorgaben _______________________________________________187 4 Strategische Analyse ______________________________________________ 193 4.1 Interne Analyse __________________________________________________193 4.1.1 Internationale Wertkettenanalyse ____________________________________ 193 4.1.2 Zentralisierung versus Dezentralisierung der Wertkette____________________ 199 4.2 Externe Analyse _________________________________________________ 202 4.2.1 Internationale Umfeldeingrenzung ___________________________________ 203 4.2.2 Analyse des Umfeldes _____________________________________________ 211 5 Zusammenfassende Analyse _______________________________________ 216 5.1 BCG-Portfolio ___________________________________________________217 5.2 McKinsey/ GE-Matrix _____________________________________________221 5.3 Directional Policy Matrix von Shell _________________________________ 232 5.4 SWOT-Analyse _________________________________________________ 234 6 Strategieformulierung_____________________________________________237 6.1 Dimensionen der internationalen Strategieformulierung _______________ 237 6.2 Wachstumsstrategien: Ansoff-Matrix _______________________________ 238 6.3 Internationale Wettbewerbsstrategie: Porter-Matrix ___________________ 245 7 Strategiebewertung _______________________________________________ 251 7.1 Finanzielle Bewertung ___________________________________________ 252 7.1.1 Wertmanagement als Bezugsrahmen __________________________________ 252 7.1.2 Erstellung eines Bewertungsmodells __________________________________ 254 7.1.3 Internationale Strategiebewertung unter Risiko __________________________ 256 7.2 Qualitative Bewertung ____________________________________________271 <?page no="17"?> XVI • Inhaltsverzeichnis 8 Strategieumsetzung ______________________________________________272 8.1 Implementierungsplanung ________________________________________ 273 8.2 Steuerungskonzept ______________________________________________ 280 8.2.1 Performance Measurement als Steuerungskonzept _______________________ 280 8.2.2 Integration und Konsolidierung internationaler Scorecards _________________ 286 8.3 Change Management ____________________________________________ 289 9 Notwendigkeit eines international orientierten Strategieprozesses ________297 Fallstudie: BMW Group: Der globale Launch des „MINI E“ ________________299 Literaturempfehlungen _______________________________________________304 Kapitel V: Internationalisierungsstrategien _____________________ 307 Standpunkt: Grünenthal Gruppe ________________________________________308 1 Strategische Lücken-Analyse _______________________________________ 311 1.1 Entscheidungssituation ohne strategische Lücke ______________________ 311 1.2 Entscheidungssituation mit strategischer Lücke _______________________316 1.3 Entwicklung der Internationalisierung aus der strategischen Lücke _______317 2 Überprüfung der Voraussetzungen für eine Internationalisierung_________ 318 2.1 Allgemeine Voraussetzungen _______________________________________318 2.2 Analyse der länderspezifischen Voraussetzungen _____________________ 324 2.2.1 Informationsgewinnungsprozesse ____________________________________ 325 2.2.2 Überprüfung des Internationalisierungspotenzials für den Auslandsmarkt _____ 330 2.2.3 Modelle zur Bestimmung der Vorteilhaftigkeit der Umweltsituation im Ausland _ 332 3 Gestaltungsformen von Markteintrittsstrategien _______________________336 4 Wirtschaftlichkeitsanalysen ________________________________________340 4.1 Misfit-Analyse __________________________________________________ 340 4.2 Wirtschaftlichkeitsanalyse zur Auswahl von Internationalisierungsformen_ 342 4.2.1 Quantitative Analyse ______________________________________________ 343 4.2.2 Qualitative Analyse _______________________________________________ 344 4.2.3 Modell für die Zusammenführung von quantitativer und qualitativer Analyse ___ 346 4.2.4 Fallbeispiel _____________________________________________________ 347 4.2.5 Zusammenfassende Beurteilung des Entscheidungsmodells ________________ 355 Fallstudie: Merck: Internationalisierung durch M&A _______________________ 361 Literaturempfehlungen _______________________________________________363 Basisliteratur __________________________________________________________ 363 Vertiefungsliteratur _____________________________________________________ 363 <?page no="18"?> Inhaltsverzeichnis • XIX Kapitel VI: Internationales Organisations- und Kooperationsmanagement ___________________________________________ 367 Standpunkt: Novelis Inc. ______________________________________________368 Ziele und Rahmenbedingungen des internationalen Organisationsmanagements 370 1 Organisationsstrukturen___________________________________________373 1.1 Klassische internationale Organisationsstrukturen ____________________ 373 1.2 Neuere Organisationsstrukturen internationaler Unternehmen __________ 379 1.2.1 Management-Holding _____________________________________________ 379 1.2.2 Internationale Netzwerkstrukturen ___________________________________ 382 1.2.3 Intraorganisatorische Netzwerke _____________________________________ 385 2 Prozessorganisation ______________________________________________389 2.1 Technokratische Instrumente _____________________________________ 389 2.2 Personenorientierte Instrumente ___________________________________ 392 3 Internationales Kooperationsmanagement____________________________395 3.1 Eigenschaften internationaler Kooperationen ________________________ 395 3.2 Internationaler Kooperationsprozess ________________________________ 396 3.2.1 Internationale Kooperationen auf rein vertraglicher Basis __________________ 400 3.2.2 Internationale Gemeinschaftsunternehmen _____________________________ 405 3.2.3 Weitere Ausprägungsformen internationaler Kooperationen ________________ 407 3.3 Internationales Kooperationsmagement mit Hilfe sozialer Netzwerke _____410 Fallstudie: Organisation für eine globale Wachstumsstrategie _______________ 417 Literaturempfehlungen _______________________________________________423 Basisliteratur __________________________________________________________ 423 Vertiefungsliteratur _____________________________________________________ 423 Kapitel VII: Internationales Forschungs- und Entwicklungsmanagement ___________________________________________ 427 Standpunkt: Schott AG ________________________________________________428 1 Ziele des internationalen F&E-Managements _________________________ 431 2 Planung der internationalen Forschung und Entwicklung _______________434 2.1 Strategische Planung_____________________________________________ 434 2.1.1 Methoden zur Analyse des Status quo _________________________________ 435 2.1.2 Modelle zur internationalen Standortwahl in der F&E ____________________ 439 2.1.3 Make-or-Buy-Entscheidungen_______________________________________ 444 2.1.4 Festlegung der zukünftigen Forschungsrichtung _________________________ 448 <?page no="19"?> X • Inhaltsverzeichnis 2.1.5 Internationale Allokation personeller und finanzieller Ressourcen____________ 449 2.2 Operative Planung_______________________________________________ 450 3 Organisation der internationalen Forschung und Entwicklung ___________452 3.1 Aufbauorganisation ______________________________________________ 452 3.1.1 Internationale Kollegien ___________________________________________ 452 3.1.2 Internationales Projektmanagement __________________________________ 452 3.1.3 Internationale Liniensysteme________________________________________ 453 3.1.4 Stabsstellen _____________________________________________________ 454 3.2 Ablauforganisation ______________________________________________ 455 3.2.1 Zentrale Steuerung _______________________________________________ 459 3.2.2 Lokale Autonomie _______________________________________________ 459 3.2.3 Flexible Integration _______________________________________________ 460 Fallstudie: Internationales Innovationsmanagement _______________________462 Literaturempfehlungen _______________________________________________466 Basisliteratur __________________________________________________________ 466 Vertiefungsliteratur _____________________________________________________ 466 Kapitel VIII: Internationales Supply Chain Management __________ 467 Standpunkt: Deutsche Bahn AG ________________________________________468 1 Internationales Beschaffungsmanagement ___________________________473 1.1 Auswahl internationaler Beschaffungsquellen ________________________ 474 1.2 Bestimmungsfaktoren der Auswahl der internationalen Beschaffungsstrategie _______________________________________________________ 475 1.3 Entscheidungen über die Fertigungstiefe ____________________________ 477 1.4 Organisation der internationalen Beschaffung _________________________481 2 Internationales Produktionsmanagement ____________________________482 2.1 Bedeutung und Charakter des internationalen Produktionsmanagements _ 482 2.1.1 Das Produktionsmanagement im Rahmen der Funktionsbereiche____________ 482 2.1.2 Politische Einflüsse im Produktionsmanagement ________________________ 483 2.2 Aktionsparameter des internationalen Produktionsmanagements ________ 485 2.2.1 Ansätze der Produktionsorganisation _________________________________ 485 2.2.2 Internationales Standortmanagement _________________________________ 487 2.2.3 Internationales Kapazitätsmanagement ________________________________ 493 3 Internationales Logistik- und Exportmanagement _____________________495 3.1 Internationale Logistik als Basis von Wettbewerbsvorteilen _____________ 495 3.2 Kontextfaktoren der internationalen Logistik _________________________ 498 Standpunkt: Frank Walz- und Schmiedetechnik GmbH_____________________ 501 <?page no="20"?> Inhaltsverzeichnis • XXI Literaturempfehlungen _______________________________________________505 Basisliteratur __________________________________________________________ 505 Vertiefungsliteratur _____________________________________________________ 505 Kapitel IX: Internationales Marketingmanagement ______________ 507 Standpunkt: SAATCHI & SAATCHI GmbH _____________________________508 1 Internationale Produktpolitik ______________________________________ 513 2 Internationale Preispolitik _________________________________________ 516 2.1 Preisstrategien ___________________________________________________517 2.2 Zahlungs- und Lieferbedingungen __________________________________519 2.3 Kostenorientierte Preisfestlegung im Ausland ________________________ 520 2.4 Konkurrenzorientierte Preisfestlegung im Ausland ____________________ 522 2.5 Kundenorientierte Preisfestlegung im Ausland _______________________ 524 2.6 Einfluss staatlicher Regulierungen auf die Preisfestlegung im Ausland ___ 525 2.7 Einfluss von Wechselkurs- und Inflationsentwicklungen auf die Preisfestlegung im Ausland ___________________________________________ 525 2.8 Verrechnungspreise zwischen inländischer Muttergesellschaft und ausländischer Tochtergesellschaft __________________________________ 525 3 Internationale Kommunikationspolitik_______________________________527 3.1 Kommunikationspolitische Strategien_______________________________ 528 3.1.1 Standardisierung der internationalen Kommunikationsstrategie______________ 529 3.1.2 Differenzierung der internationalen Kommunikationsstrategie ______________ 531 3.1.3 Internationale Dachkampagnenstrategie _______________________________ 533 3.2 Instrumente der internationalen Kommunikationspolitik _______________ 534 3.2.1 Werbung _______________________________________________________ 534 3.2.2 Personal Selling __________________________________________________ 540 3.2.3 Messen ________________________________________________________ 541 3.2.4 Öffentlichkeitsarbeit im internationalen Unternehmen ____________________ 541 3.2.5 Sponsoring und Product-Placement im internationalen Unternehmen ________ 544 3.2.6 Direkt-Marketing im internationalen Unternehmen_______________________ 544 3.2.7 Die unterschiedliche Bedeutung der einzelnen Instrumente ________________ 545 4 Internationale Vertriebspolitik______________________________________545 4.1 Wahl der Vertriebswege im Ausland ________________________________ 546 4.2 Auswahl der Vertriebsorgane im Ausland ____________________________ 548 4.3 Besonderheiten der internationalen Vertriebslogistik __________________ 549 5 Einfluss des Internets auf den Marketing-Mix in internationalen Unternehmen ________________________________________________________550 <?page no="21"?> X • Inhaltsverzeichnis 5.1 Bedeutung des Internets für die internationale Unternehmung __________ 550 5.2 Einfluss des Internets auf die internationale Produktpolitik _____________ 552 5.3 Einfluss des Internets auf die internationale Preispolitik _______________ 554 5.4 Einfluss des Internets auf die internationale Kommunikationspolitik _____ 555 5.5 Der Einfluss des Internets auf die internationale Vertriebspolitik ________ 558 Fallstudie: Weltweite Markenführung am Beispiel der Heidelberger Druckmaschinen AG ___________________________________________________560 Literaturempfehlungen _______________________________________________566 Basisliteratur __________________________________________________________ 566 Vertiefungsliteratur _____________________________________________________ 566 Kapitel X: Internationales Controlling und Finanzmanagement ____ 569 Standpunkt: Bilfinger SE ______________________________________________570 1 Controlling im internationalen Unternehmen _________________________575 1.1 Grundkonzept des Controllings und Besonderheiten im internationalen Umfeld ________________________________________________________ 575 1.2 Ausrichtung des internationalen Controllings ________________________ 578 1.2.1 Organisation des Controllings im internationalen Unternehmen _____________ 578 1.2.2 Standardisierung oder Differenzierung des Controllings ___________________ 582 1.2.3 Controlling und Kultur ____________________________________________ 583 1.3 Ausgewählte Einzelprobleme ______________________________________ 586 1.3.1 Ausgestaltung von Technologieverträgen ______________________________ 586 1.3.2 Verrechnungspreisbildung__________________________________________ 587 2 Rechnungslegung im internationalen Unternehmen ___________________ 591 2.1 Historie des IASB _______________________________________________ 593 2.2 Rechnungslegung nach IAS/ IFRS _________________________________ 596 2.3 Jahresabschluss nach IAS/ IFRS ___________________________________ 599 2.4 Wichtige nationale Rechnungslegungssysteme _______________________ 605 2.5 Konzernrechnungslegung internationaler Unternehmen ________________613 Fallstudie: Internationale Rechnungslegung ______________________________ 618 3 Internationales Finanzmanagement _________________________________ 621 3.1 Ziele, Rahmenbedingungen und Akteure des internationalen Finanzmanagements___________________________________________________ 625 3.1.1 Ziele des internationalen Finanzmanagements___________________________ 625 3.1.2 Rahmenbedingungen des internationalen Finanzmanagements ______________ 626 3.1.3 Interne Rahmenbedingungen des internationalen Finanzmanagements ________ 632 <?page no="22"?> Inhaltsverzeichnis • XXIII 3.1.4 Akteure des internationalen Finanzmanagements ________________________ 635 3.1.5 Prozess der Kapitalbeschaffung _____________________________________ 641 3.2 Besondere Aspekte der internationalen Finanzierung von Tochtergesellschaften___________________________________________________ 645 3.2.1 Finanzierung von Vertriebsgesellschaften ______________________________ 646 3.2.2 Finanzierung von Produktionsgesellschaften____________________________ 647 3.3 Instrumente der internationalen Finanzierung________________________ 650 3.3.1 Instrumente der internationalen Eigenfinanzierung _______________________ 650 3.3.2 Instrumente der internationalen Fremdfinanzierung ______________________ 650 3.3.3 Instrumente der internationalen Finanzdisposition _______________________ 655 3.4 Herausforderungen der internationalen Finanzierung _________________ 667 3.4.1 Finanzierung im Rahmen von internationalen M&A-Transaktionen __________ 667 3.4.2 Private-Equity-Finanzierung als Sonderform der internationalen Finanzierung __ 675 Fallstudie: Internationales Controlling bei EnBW__________________________680 Literaturempfehlungen _______________________________________________686 Basisliteratur __________________________________________________________ 686 Vertiefungsliteratur _____________________________________________________ 686 Kapitel XI: Internationales Personalmanagement ________________ 687 Standpunkt: Coface Deutschland _______________________________________688 1 Besonderheiten der Personalbedarfsplanung im internationalen Unternehmen ________________________________________________________ 691 2 Besonderheiten in den Besetzungsstrategien im internationalen Unternehmen ________________________________________________________692 2.1 Ethnozentrische Besetzungsstrategie _______________________________ 695 2.2 Polyzentrische Besetzungsstrategie_________________________________ 696 2.3 Geozentrische Besetzungsstrategie _________________________________ 697 2.4 Zusammenfassende Beurteilung der Besetzungsstrategien _____________ 700 3 Probleme der Entsendung von Mitarbeitern ins Ausland ________________ 701 3.1 Auswahlphase ___________________________________________________701 3.1.1 Auswahlkriterien _________________________________________________ 701 3.1.2 Auswahltechniken ________________________________________________ 703 3.2 Vorbereitungsphase______________________________________________ 704 3.2.1 Schulung und Training ____________________________________________ 704 3.2.2 Fixierung des Entsendungsvertrages __________________________________ 705 <?page no="23"?> X • Inhaltsverzeichnis 3.3 Einsatzphase ___________________________________________________ 707 3.3.1 Einsatzdauer ____________________________________________________ 707 3.3.2 Betreuung während des Einsatzes ____________________________________ 708 3.4 Reintegrationsphase _____________________________________________ 709 4 Unternehmensexterne Einflussfaktoren auf das internationale Personalmanagement ____________________________________________________ 711 4.1 Arbeits- und sozialrechtliche Einflüsse _______________________________ 711 4.2 Einfluss der kulturellen Dimensionen auf das Personalmanagement ______712 4.2.1 Machtdistanz____________________________________________________ 713 4.2.2 Individualismus __________________________________________________ 715 4.2.3 Maskulinität ____________________________________________________ 716 4.2.4 Unsicherheitsvermeidung __________________________________________ 717 4.2.5 Zeitvorstellungen ________________________________________________ 719 4.2.6 Kontextualität ___________________________________________________ 720 4.2.7 Kognitive Prozesse _______________________________________________ 720 4.2.8 Religiöse Vorstellungen ____________________________________________ 721 Fallstudie: Personalarbeit am Beispiel eines weltweit tätigen Beratungsunternehmens _______________________________________________________722 Literaturempfehlungen _______________________________________________725 Basisliteratur ________________________________________________________ 725 Vertiefungsliteratur ___________________________________________________ 725 Literaturverzeichnis __________________________________________________727 Stichwortverzeichnis__________________________________________________785 <?page no="24"?> Kapitel I: Globales Unternehmensumfeld <?page no="25"?> 2 • Kapitel I: Globales Unternehmensumfeld Standpunkt: BASF SE BASF SE BASF ist das weltweit führende Chemieunternehmen: The Chemical Company. Die BASF erzielte 2011 einen Umsatz von rund 73,5 Milliarden € und beschäftigte am Jahresende mehr als 111.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. www.basf.com Dr. Kurt Bock, Vorstandsvorsitzender Kurt Bock ist seit Mai 2011 Vorsitzender des Vorstands der BASF SE und verantwortlich für die Bereiche Legal, Taxes & Insurance, Strategic Planning & Controlling, Communications & Government Relations, Global Executive Human Resources, Investor Relations und Compliance. 1. Welche Rolle spielen Szenarien der Weltwirtschaftsentwicklung bei der Entscheidung über das globale Engagement der BASF? Sind diese Prozesse formalisiert? Schon heute wissen, was morgen gefragt ist - diese Eigenschaft zeichnet einen erfolgreichen Unternehmer aus. Beim Fußball ist es genauso: Wer gut ist, läuft dahin, wo der Ball ist. Gewinnen wird aber, wer dahin läuft, wo der Ball sein wird. Daher schauen wir ganz genau hin, wie sich die für uns wichtigen Länder und Abnehmerindustrien entwickeln werden und planen weit in die Zukunft voraus. Ein Beispiel: Wir werden uns weiter internationalisieren, da die heutigen Schwellenländer das Wachstum für die Chemieindustrie vorantreiben werden. Bei der BASF werden die aufstrebenden Volkswirtschaften 2020 mit 45% zum Umsatz (ohne Oil & Gas) beitragen. Darauf stellen wir uns heute schon ein, indem wir Produktionsstandorte aufbauen und unsere Forschung beispielsweise in Asien verstärken. 2. Welche Rolle spielt die Auslandserfahrung des Topmanagements für die Entwicklung erfolgreicher Internationalisierungsstrategien? Welche Bedeutung hat eine Auslandserfahrung für die Karriereplanung von Mitarbeitern? Wir legen Wert darauf, dass unsere Nachwuchskräfte ihre ersten Auslandserfahrungen früh in ihrer Karriere erwerben. Voraussetzung für den Aufstieg in unser oberes Managementteam ist es, mindestens eine - besser mehrere mehrjährige Auslandsstationen erfolgreich absolviert zu haben. Denn wer in einem globalen Unternehmen eine Führungsaufgabe übernimmt, ist häufig für Mitarbeiter und Teams in verschiedenen Ländern verantwortlich. Das geht nur mit internationaler Erfahrung. Auch meine Stationen in Deutschland, Brasilien und in den USA waren für mich persönlich und beruflich unendlich wertvoll. Nicht nur weil globale Zusammenarbeit viel einfacher und erfolgreicher ist durch persönli- <?page no="26"?> Kapitel I: Globales Unternehmensumfeld • 3 che Kontakte. Wer in verschiedenen Ländern lebt und arbeitet, muss sich mit anderen Kulturen auseinandersetzen. Auf neuen Märkten ist nur der erfolgreich, der Verständnis für die Wünsche, Bedürfnisse und Werte anderer Kulturen hat. Wer global denkt, muss das ganze Bild im Kopf haben und globale mit regionalen Interessen verbinden können. Wenn ich in Asien in eine Produktionsanlage investiere, was heißt das für unser Geschäft in den USA? Welche Auswirkungen hat das auf die Weltmarktpreise? Wenige Cent Preisunterschied können darüber entscheiden, ob Containerschiffe von West nach Ost fahren oder umgekehrt. 3. Welche Faktoren werden das globale Unternehmensumfeld in Zukunft bestimmen, was wird für den Erfolg globaler Unternehmen zentral sein? Im Jahr 2050 werden 9 Milliarden Menschen auf der Erde leben. Sie brauchen mehr Nahrungsmittel, mehr Energie und Zugang zu sauberem Trinkwasser. Sie alle wollen eine bessere Lebensqualität, vor allem in den Schwellenländern. Wenn wir weiterleben wie bisher, brauchen wir in Zukunft die Ressourcen von drei Planeten so groß wie unsere Erde, um die Menschheit zu versorgen. Nachhaltigkeit ist daher das entscheidende Thema für unsere Zukunft. Und auch heute schon: Kunden wollen nachhaltige Produkte, die Industrie nachhaltige Lösungen, Mitarbeiter wollen in Unternehmen arbeiten, die Nachhaltigkeit ernst nehmen. Mehr Nachhaltigkeit erreichen wir nur über mehr Innovationen: Genau hier liegen viele Chancen für die Chemieindustrie und ihre Kunden. 4. Wie kann der Wissenstransfer zwischen dem Stammhaus und den internationalen Einheiten sichergestellt werden? Welche Rolle spielt hierbei die Entsendung von Mitarbeitern aus dem Stammhaus? Wissen und Know-how entsteht und wächst immer mehr dezentral in regionalen Exzellenzzentren. Umso wichtiger ist es, dass wir als ein Unternehmen unser Wissen teilen, damit es sich weiter entwickeln kann. Deshalb unterstützen wir unsere Mitarbeiter über Ländergrenzen hinweg, Wissen zu teilen. Ein direkter Weg sind Auslandsaufenthalte, sie dienen dem Wissensaustausch und sorgen zugleich für mehr Verständnis untereinander. Dabei geht es weniger um den Austausch zwischen der Zentrale und unseren Gruppengesellschaften als um den Wechsel von Mitarbeitern in und zwischen den Regionen. Aktuell sind rund 1.400 Mitarbeiter international auf einem Transfereinsatz tätig, ein weitaus größerer Teil arbeitet in internationalen Projekten zusammen. Ein anderes Beispiel: Seit Anfang 2010 haben wir ein eigenes globales Online-Netzwerk, das „connect.BASF“ heißt. Wir setzen damit auf Wissensaustausch, funktionierende Netzwerke und Zusammenarbeit über Einheits- und Ländergrenzen. Das alles bringt uns voran auf dem Weg zu einem noch besser vernetzten, kunden- und lösungsorientierten Unternehmen. <?page no="27"?> 4 • Kapitel I: Globales Unternehmensumfeld 5. Welche Rolle spielt das „Diversity Management“ bei der Besetzung von Spitzenpositionen in Ihrem Unternehmen? Wir sind davon überzeugt, dass wir mit einem vielfältig zusammengesetzten Team erfolgreicher sind. Das gilt für die ganze BASF - überall auf der Welt und auf allen Hierarchiestufen. Wer neue Märkte betritt, der muss seine Perspektive wechseln, die Menschen vor Ort kennen, die Unterschiede sehen und aktiv nutzen, sonst wird er keinen Erfolg haben. Unsere Kunden erwarten von uns kreative Ideen und erkennen, dass diese Ideen von Mitarbeitern stammen, die eine breite Markterfahrung mitbringen. Neue Talente, die in der BASF Fuß fassen, erwarten Offenheit und Aufgeschlossenheit. Bei Vielfalt denken wir nicht nur an äußere Merkmale, wie Nationalität, Alter oder Geschlecht, sondern viel mehr an Erfahrungen und Werte. Wir arbeiten schon seit Jahrzehnten mit Kollegen aus anderen Nationen zusammen, was neu ist, ist, dass wir den Nutzen von Vielfalt erkennen und aktiv im Geschäft umsetzen. Und das ist eine Daueraufgabe. 6. Was ist die Zukunft des internationalen Personalmanagements, welche Themen werden hier die strategischen Entscheidungen bestimmen? Wie schaffen wir es, die besten Mitarbeiter für uns zu gewinnen, auch wenn der Fachkräftemarkt immer enger wird? Wie begegnen wir der Herausforderung einer stark alternden Gesellschaft gerade in den Industrieländern? Wie stellen wir uns auf die Anforderungen der Generation Y ein? Um überall auf der Welt die besten Mitarbeiter zu gewinnen, zu halten und gemeinsam das beste Team zu bilden, braucht es dreierlei. Erstens ist es wichtig, das Talent jedes einzelnen Mitarbeiters zu erkennen, zu entwickeln und zu fördern. Zweitens müssen Unternehmen hervorragende Arbeitsbedingungen bieten - mit attraktiven Rahmenbedingungen. Und drittens brauchen wir hervorragende Führungskräfte und eine offene Führungskultur, die gegenseitiges Vertrauen, Respekt und hohe Leistungsbereitschaft fördert. 1 Dynamik des globalen Wettbewerbs Die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg ist durch eine zunehmende Internationalisierung der wirtschaftlichen Aktivitäten gekennzeichnet. Stichworte wie „Globalisierung“ und „multinationale Unternehmen“ charakterisieren diesen Entwicklungsprozess, der neue Herausforderungen an die Unternehmensführung stellt. Gerade in jüngster Zeit ergaben sich in der Unternehmensumwelt zum Teil revolutionäre Veränderungen, die besonders die auslandsorientierten deutschen Unternehmen zu neuen Strategien und Konzepten zwingen, um dauerhaft ihre Wettbewerbsposition zu sichern. Beispiele für diese Veränderungen sind: ein verstärktes Aufkommen von neuen, erfolgreichen Wettbewerbern aus den Schwellenländern, wie z.B. Brasilien, Russland, Indien, China, Südafrika (BRICS- Staaten), <?page no="28"?> Kapitel I: Globales Unternehmensumfeld • 5 eine zunehmende Präsenz von weltweit operierenden Unternehmen aus den führenden Industrienationen auf dem deutschen Markt, das Entstehen großer einheitlicher Wirtschaftsblöcke wie des EU-Binnenmarktes, der Nordamerika-Zone (NAFTA), der ASEAN-Staaten und der MERCOSUR- Staaten sowie eine sich beschleunigende Entwicklung und Diffusion neuer Technologien, insbesondere im Informations- und Kommunikationsbereich. Eines der ersten Beispiele für eine globale Strategiekonzeption stellte das „Triade-Denken“ von Ohmae (Ohmae, K., 2006) dar. In diesem Konzept wurden die drei großen Wirtschaftsregionen der Welt, Nordamerika, Japan und Westeuropa, in den Mittelpunkt strategischer Überlegungen der Marktbearbeitung gerückt und die Ansicht vertreten, dass es in Zukunft von zentraler Bedeutung für den Unternehmenserfolg sein wird, in diesen wichtigsten Regionen der Weltwirtschaft gleichzeitig und dauerhaft präsent zu sein. Voraussetzung für dieses strategische Handlungskonzept ist allerdings die Erhaltung oder Gewinnung der Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens in allen drei Regionen. Im Rahmen der Globalisierung des Wettbewerbs wird die Erhaltung oder Gewinnung von internationalen Wettbewerbsvorteilen zur zentralen Herausforderung und Aufgabe der Unternehmensführung. Die neuen Globalisierungskonzepte dürfen sich aber nicht nur auf den Absatzbzw. Marketingbereich beschränken, sondern müssen alle betrieblichen Teilbereiche im Sinne einer Querschnittsaufgabe umfassen. Die internationale Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen wird somit nicht nur durch bestehende Produkte, Verfahren und Dienstleistungen, sondern auch durch die Innovationsfähigkeit des Managements, das Planungs- und Kontrollsystem sowie die effiziente Umsetzung strategischer Grundkonzepte in allen betrieblichen Teilbereichen bestimmt. Im Hinblick auf die Konkurrenzsituation in den Weltmärkten kann die Struktur des (weltweiten) Wettbewerbs durch eine „Internationale Jagdlinie“ dargestellt werden (Perlitz, M., 1985b). Aus ihr wird deutlich, dass Unternehmen aus einer Reihe von Entwicklungsländern zunächst solche aus Schwellenländern „jagen“, d.h., dass diese einem verschärften Wettbewerb durch Unternehmen aus der genannten Ländergruppe ausgesetzt sind. Bei den Schwellenländern handelt es sich hauptsächlich um Staaten aus Südostasien und zum geringeren Teil aus Lateinamerika sowie aus dem früheren Ostblock. Die Unternehmen aus den Schwellenländern „jagen“ ihrerseits wiederum Unternehmen aus den Industrieländern. Zwischen diesen beiden Länderblöcken vollzieht sich im Grunde der gleiche Prozess, der vor 20 bis 25 Jahren zwischen Japan und den westlichen Industrieländern begonnen hat. Damals machten die Japaner den Europäern und den Amerikanern z.B. die Stahlindustrie, den Schiffsbau und die Uhrenindustrie streitig. Heute produzieren die Schwellenländer mehr Stahl, Schiffe und Uhren als die Industrieländer. <?page no="29"?> 6 • Kapitel I: Globales Unternehmensumfeld Abbildung 1: Internationale Jagdlinie Ähnliche Entwicklungen finden heute auf den Märkten für Automobile, Computer, Unterhaltungselektronik oder Kameras statt. So werden derzeit beispielsweise etwa 80% der Canon-Kameras außerhalb Japans gefertigt. Dieser Prozess der Verlagerung der Produktion von Industrieländern in erfolgreiche Schwellenländer setzt sich weiter fort. Die großen Herausforderungen kommen derzeit aus China und Indien. Beide Länder konkurrieren durch ihre Unternehmen in zunehmendem Maße mit Unternehmen aus den Industrienationen. Für die Unternehmen der Industrieländer ergibt sich aus der „Internationalen Jagdlinie“ die strategische Fragestellung, wen oder was sie eigentlich „jagen“? Für die Beantwortung dieser Frage sind grundsätzlich zwei strategische Denkansätze möglich. Der erste strategische Denkansatz wird durch die rückwärts gerichteten Pfeile in Abbildung 1symbolisiert. Mit ihnen soll verdeutlicht werden, dass Unternehmen aus Industrienationen in bestehenden Produktbereichen gegen Anbieter aus Entwicklungsländern konkurrieren bzw. mit Unternehmen aus dieser Ländergruppe wettbewerbsfähig bleiben wollen. Dieser internationale Wettbewerb spielt sich be ispielsweise auf den Gebieten des Massenstahls, der Massentextilien, der Massenchemikalien, der Massenlederwaren und der Agrarprodukte ab. Die gleiche Herausforderung ergibt sich aus dem Versuch der westlichen Unternehmen, ihre internationale Wettbewerbsfähigkeit bei „höherwertigen“ Produkten gegenüber Unternehmen aus den Schwellenländern zu erhalten. Hierbei handelt es sich z.B. um Produkte wie Stahl, Schiffe, Automobile, Uhren, TV, Camcorder, oder Computer bzw. Computerchips. Hierdurch gewinnt der zweite strategische Denkansatz zunehmend an Bedeutung: Nur durch Innovationen, welche einen langfristig orientierten Wettbewerbsvorteil gegenüber den Schwellenländern ermöglichen, können die klassischen Industrienationen sich im internationalen Wettkampf durchsetzen. Während Probleme der Produkt- und Prozess- <?page no="30"?> Kapitel I: Globales Unternehmensumfeld • 7 innovationen von Unternehmen aus Industrieländern - insbesondere im Vergleich zu chinesischen Unternehmen - häufig Gegenstand von Untersuchungen sind, ist die Betrachtung von Strategieinnovationen bisher nicht in ausreichendem Maße in das Bewusstsein des Managements vorgedrungen. Jedoch gewinnt dieser Aspekt immer mehr an Bedeutung (Sommerlatte, T., 2011; Schrank R., 2008). Heute kann bei westlichen Unternehmen gerade im Bereich der Strategie eine auffallende Gleichförmigkeit der Grundkonzepte festgestellt werden, die mit bestimmten Schlagworten, wie z.B. Qualitäts- oder Kostenführerschaft, Lean Management, Reengineering, Konzentration auf Kernkompetenzen, Outsourcing u.ä.m., die gerade „en vogue“ sind, belegt werden. Letztlich führt jedoch diese Gleichförmigkeit der strategischen Denkansätze zu einem durchschnittlichen Erfolg und lässt exzellente Unternehmen seltener oder bisher exzellente Unternehmen immer durchschnittlicher werden (Peters, T.J./ Waterman, R.H., 2007). Einerseits lässt sich das Aufholen asiatischer Unternehmen im Vergleich zu US-amerikanischen und europäischen Unternehmen erkennen, was eine zunehmende Veränderung der Wettbewerbssituation von Unternehmen aus westlichen Industrienationen gegenüber Konkurrenten aus anderen Regionen der Welt nach sich zieht. Andererseits gehörte 2011 ein großer Teil der wertvollsten Unternehmen der Welt nicht mehr zum produzierenden Gewerbe. Damit ergeben sich auch neue Problemstellungen für das Internationale Management, das sich bis heute sehr stark auf produzierende Unternehmen fokussiert hat. Abbildung 2: Die teuersten Unternehmen der Welt Quelle: o.V. (FAZ), 2012 <?page no="31"?> 8 • Kapitel I: Globales Unternehmensumfeld Im Zusammenhang mit der Tendenz einer weltweiten Strategieanpassung lässt sich feststellen, dass sich die unternehmerischen Probleme für alle Unternehmen „globalisiert“ haben. Solche Probleme sind z.B. zunehmender Wettbewerb, Globalisierung der Märkte, Marktsättigung, neue Spielregeln des Wettbewerbs oder stark schwankende Wechselkurse. So werden die Probleme für die Manager immer ähnlicher und es werden zunehmend die gleichen Methoden bzw. Konzepte benutzt, um diese Probleme strategisch zu bewältigen. Im Ergebnis kommt es damit heute zu einer „Globalisierung von Grundkonzepten und -methoden“, die von Amerika über Europa bis nach Japan bekannt sind und meist auch gleichzeitig angewandt werden. Die Zukunft wird zeigen, ob durch die neuen Schwellenländer China und Indien beziehungsweise Russland neue Wege des Managements gefunden werden. Diese Entwicklung führt zu einer Strategieanpassung der Wettbewerber an die erfolgreichsten Unternehmen („best practice“), die letztlich zum Modell für alle anderen werden. Das Ergebnis ist eine weltweite Strategieimitation, die letztendlich wiederum zu der angedeuteten Durchschnittlichkeit führt. Exzellente Unternehmen sind jedoch durch eine Andersartigkeit geprägt, die sehr eng mit dem Phänomen der Strategieinnovation verbunden ist. Vielleicht sind die japanischen Unternehmen in der Vergangenheit u.a. gerade deshalb so erfolgreich gewesen, weil sie noch genügend Potenzial für eine ausgeprägte Andersartigkeit besaßen, während europäische bzw. amerikanische Unternehmen zu ähnlich geworden sind. In diesem Zusammenhang sind chinesische oder indische Unternehmensstrategien auch interessant zu beobachten. Die Ende der 1990er Jahre extrem hohe Bewertung der sogenannten „Net-World“-Unternehmen kann auch nur durch deren Andersartigkeit erklärt werden (teilweise betrugen die Kurs-Gewinn-Verhältnisse dieser Unternehmen bis zu 4000). Die Kurzlebigkeit solcher „Erfolgsstrategien“ zeigt sich anhand von Abbildung 3. Diese zeigt die - gemessen an ihrem Börsenwert - 20 wertvollsten Unternehmen der Welt der Jahre 1972, 1982, 1992 und 2011. Deutlich werden dabei vor allem zwei unterschiedliche Trends. Einerseits lässt sich das Aufholen der Japaner im Vergleich zu US-amerikanischen Unternehmen zumindest bis zu Beginn der 1990er Jahre erkennen, was eine zunehmende Veränderung der Wettbewerbssituation von Unternehmen aus westlichen Industrienationen gegenüber Konkurrenten aus anderen Regionen der Welt nach sich zog. Andererseits gehörte 2011 ein großer Teil der wertvollsten Unternehmen der Welt nicht mehr zum produzierenden Gewerbe und chinesische Unternehmen sind bereits sehr stark vertreten. Damit ergeben sich auch neue Problemstellungen für das Internationale Management, das sich bis heute sehr stark auf produzierende Unternehmen und westliche Managementmethoden fokussiert hat. In der Praxis lässt sich feststellen, dass seit ungefähr Mitte der 1960er Jahre die „Innovationslokomotiven“ in Gestalt der Unternehmen aus den Industrienationen auf vielen Gebieten immer langsamer vorankommen, während die Unternehmen aus den Schwellenländern, insbesondere aus Asien, gleichsam als „Waggons“, immer mehr an Tempo zulegen. <?page no="32"?> Kapitel I: Globales Unternehmensumfeld • 9 Abbildung 3: Die 20 am Börsenwert gemessen wertvollsten Unternehmen in der Welt im Zeitvergleich (Werte in Mrd. $) Quelle: Forbes, 2011, online Aufgrund mangelnder Produkt-, Prozess- und Strategieinnovationen besteht für die „Lokomotive“ damit zunehmend die Gefahr, dass sie von einigen „Waggons“ überholt wird oder auf bestimmten Gebieten bereits überholt wurde. Die Bedeutung dieser Entwicklung für die Wirtschaft und die Gesellschaft in den Industrienationen zeigt sich z.B. darin, dass in der Bundesrepublik Deutschland im Jahr 2011 fast jeder vierte Arbeitsplatz vom Export und damit von der internationalen Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft abhängig war (Rödl & Partner, 2012, online). Im Jahr 2008 hatte Deutschland mit 72,1 Prozent eine überdurchschnittlich hohe Außenhandelsquote. Im Zuge der globalen Finanz- und Wirtschaftskrise fiel die Außenhandelsquote Deutschlands im Jahr 2009 auf 61,2 Prozent. 2010 erreichte sie mit 70,7 Prozent wieder nahezu das Vorkrisenniveau (Bundeszentrale für politische Bildung, 2011; Statistisches Bundesamt, 2011, online). Ein Beispiel, wie durch ein gutes Innovationsmanagement die Wettbewerbsfähigkeit zurückgewonnen werden kann, ist der heutige Erfolg der deutschen Automobil- und Chemieindustrie. Von 1991 bis 2007 betrug das Wachstum bei den wissensintensiven Dienstleistungen rund 30 Prozent, in den anderen Dienstleistungsbranchen dagegen nur etwa zehn Prozent (Eickelpasch, A., 2011). Für Unternehmen stellt sich damit die Herausforderung, eine überlegene Innovationsfähigkeit zu entwickeln. Die Erhaltung oder die Gewinnung sowie die effiziente Ausnutzung von internationalen Wettbewerbsvorteilen im Ausland durch Innovationen ist ein zentraler Gegenstand des Internationalen Managements, das im Folgenden mit seinen wesentlichen Problemfeldern dargestellt werden soll. <?page no="33"?> 10 • Kapitel I: Globales Unternehmensumfeld 2 Internationalisierung und Internationales Management 2.1 Begriffliche Grundlagen 2.1.1 Begriff der Internationalisierung In der Literatur wird mit dem Begriff der Internationalisierung eine Vielzahl verschiedener Phänomene beschrieben. Das Spektrum der Betrachtungen reicht von bestimmten Formen des Markteintritts, d.h. Internationalisierung verstanden als Export, Direktinvestition im Ausland oder Lizenzvergabe ins Ausland, über Fragestellungen zur Führung ausländischer Tochterunternehmen, bis hin zur abstrakten Gleichsetzung von Internationalisierung und grenzüberschreitender Auslandstätigkeit (Macharzina, K., 1989; Colberg, W., 1989; Carl, V., 1989). Die Trennlinie der verschiedenen Ansichten verläuft im Wesentlichen zwischen Ansätzen, die den Begriff auf ganz bestimmte funktionsbereichsspezifische Probleme beziehen und hauptsächlich am Absatzmarkt bzw. Marketing orientiert sind und solchen, die von einer funktionsübergreifenden Ausdehnung der Aktionsmöglichkeiten der Unternehmung in andere Länder ausgehen. Darüber hinaus versucht insbesondere die „Neue Institutionenökonomik“ die Internationalisierung in den Zusammenhang mit dem Überschreiten von nationalen rechtlichen Rahmenbedingungen zu bringen (Erlei, M./ Leschke, M./ Sauerland, D., 2007; Schmidtchen, D./ Schmidt-Tenz, H.-J., 2003). Die Reduktion der Internationalisierung auf Marketingfragen und deren Problemfelder ist jedoch zu eng, da sich auch andere betriebliche Teilbereiche, wie z.B. Finanzierung, Beschaffung, Produktion oder Forschung und Entwicklung über Ländergrenzen hinweg ausdehnen können (von Behr, M., 2004; Krystek, U./ Zur, E., 2002; Porter, M.E., 1989b). Die Internationalisierung ist ein Phänomen, das - zumindest konzeptionell - das Unternehmen als Ganzes umfasst. Eine ausschließlich funktionsbereichsspezifische Betrachtung der länderübergreifenden Aktionsfeldausdehnung erscheint daher nicht angebracht. Gleiches gilt für die Einschränkung des Begriffs auf die erstmalige Aufnahme von Auslandsaktivitäten. Wie weit der Begriff der Internationalisierung ausgelegt werden kann, wird deutlich, wenn die möglichen Grundstrukturen des internationalen Wettbewerbs näher betrachtet werden. Abbildung 4 stellt diese Strukturen, die schon in den einleitenden Ausführungen zur „Internationalen Jagdlinie“ angedeutet wurden, schematisch dar. Im Fall A konkurriert das inländische Unternehmen U 1 mit dem ausländischen Unternehmen U 2 auf dessen Heimatmarkt. Dieser Fall ist ebenso unproblematisch als internationaler Wettbewerb und damit als Problem der Internationalisierung anzusehen wie der Fall B, der beschreibt, dass das inländische Unternehmen U 1 mit dem ausländischen Unternehmen U 2 <?page no="34"?> Kapitel I: Globales Unternehmensumfeld • 11 auf einem Drittmarkt in Konkurrenz tritt. Von besonderem Interesse für die Begriffsbildung ist jedoch der Fall C, in dem das ausländische Unternehmen U 2 mit dem inländischen Unternehmen U 1 auf dessen Heimatmarkt, d.h. im Inland, in Konkurrenz tritt. Selbst bei einer solchen Situation muss im Grunde von Internationalisierung gesprochen werden, da zumindest in der Konkurrenzanalyse der Aktionsraum des Unternehmens U 1 von dem Aktionsraum des ausländischen Unternehmens U 2 abhängt. Eine einseitige Ausrichtung des Internationalisierungsbegriffs auf die Fälle A und B erscheint aufgrund der Zusammenhänge in Fall C nicht angebracht. Im Folgenden soll unter Internationalisierung die länderübergreifende Ausdehnung des unternehmerischen Aktionsfeldes verstanden werden, die die Fälle A, B und C einschließt. Abbildung 4: Grundstruktur des internationalen Wettbewerbs 2.1.2 Begriff der internationalen Unternehmung Neben der oben dargestellten prozessualen Sichtweise der Auslandsaktivität existiert in der Literatur ein institutioneller Ansatz, der das Phänomen der Internationalisierung mit dem jeweiligen Unternehmen verknüpft (Dülfer, E., 2008). Danach gilt ein Unternehmen als international, wenn es Aktivitäten im Ausland durchführt. Da eine solche Sichtweise nicht an einen bestimmten Funktionsbereich gebunden ist, erfolgt die Klassifikation der internationalen Unternehmung unabhängig von der Art der Auslandsaktivitäten. Bedeutsam ist allerdings die Frage, ab welchem Grad des Auslandsengagements eine Unternehmung als international gelten kann, da sinnvollerweise nicht jede Auslandsaktivität, wie z.B. die bloße Kreditaufnahme im Ausland, zu einer internationalen Unternehmung führt. Trotz vieler unterschiedlicher Messkonzepte zur Beurteilung des Internationalisierungsgrades, die vom Anteil des Auslandsumsatzes am Gesamtumsatz über die Anzahl der Beschäftigten im Ausland bis hin zur Höhe der Direktinvestitionen bzw. der Anzahl der Tochterunternehmen im Ausland reichen, ist eine schlüssige und eindeutige Festlegung bis heute nicht gelungen (Dülfer, E., 2008). Vor dem Hintergrund der Heterogenität verschiedener Branchen und Unternehmen erscheint deshalb eine ausschließlich quantitative Festlegung aufgrund inadäquater Messkonzepte problematisch. <?page no="35"?> 12 • Kapitel I: Globales Unternehmensumfeld Eine über die quantitative Abgrenzung hinausgehende Klassifikation stellt die qualitative Orientierung an den Unternehmenszielen dar. Demnach gilt eine Unternehmung dann als international, wenn die Auslandsaktivitäten zur Erreichung und Sicherstellung der Unternehmensziele von wesentlicher Bedeutung sind. In diesem Sinne soll nachfolgend auch der Begriff des internationalen Unternehmens Verwendung finden. Dabei stellt sich jedoch weiterhin das Problem, wie diese Bedeutung gemessen werden kann. In der Literatur sind weitere Begriffe wie transnationale, multinationale oder globale Unternehmung vorzufinden (Carl, V., 1989). Hinter diesen Termini verbergen sich jedoch häufig ganz spezifische Konzepte international agierender Unternehmen, die weitere Eingrenzungen vornehmen (Müller, S., 1991; Bartlett, C.A., 1986). 2.2 Internationales Management im Rahmen der Betriebswirtschaftslehre Kaum ein anderes Themengebiet der Betriebswirtschaftslehre hat in den letzten Jahren in Wissenschaft und Praxis so viel Aufmerksamkeit erfahren wie das der Internationalisierung. Nahezu unübersehbar ist mittlerweile auch im deutschen Sprachraum die Anzahl von Veröffentlichungen zu diesem Thema. Anders als in der angelsächsischen Betriebswirtschaftslehre, wo der Fachbereich „International Management“ eine lange Forschungstradition hat, ist dies in Deutschland erst seit Anfang der 1980er Jahre der Fall. Die Tagung des Verbandes der Hochschullehrer für Betriebswirtschaftslehre, die im Jahr 1982 in Berlin mit dem Generalthema „Internationalisierung der Unternehmung als Problem der Betriebswirtschaftslehre“ stattfand, kann als Geburtsstunde der umfassenden Auseinandersetzung mit Fragen der internationalen Unternehmenstätigkeit in der deutschen Betriebswirtschaftslehre gesehen werden (Lück, W./ Trommsdorff, V., 1982). In der Literatur gibt es verschiedene Konzeptionen zur Abgrenzung des Internationalen Managements (Kutschker, M./ Schmid, S., 2011; Buckley, P.J., 1991; Carl, V., 1989; Macharzina, K./ Engelhard, J., 1987; Albach, H., 1981). Dabei wird der Versuch unternommen, die konstitutiven Merkmale internationaler Unternehmenstätigkeit und deren Bedeutung für betriebswirtschaftliche Fragestellungen herauszuarbeiten. Insbesondere die spezifischen Umweltbedingungen der international tätigen Unternehmung, die im Wesentlichen in unterschiedlichen staatlichen Rahmenbedingungen und in einer fremdartigen Kultur gesehen werden, stehen im Mittelpunkt dieser Bemühungen (Dülfer, E., 2008; Buckley, P.J., 1991; Albach, H., 1981). Keines der Konzepte ist allerdings unumstritten, deshalb lässt sich bis heute das Internationale Management nicht als geschlossenes und konsistentes System wissenschaftlich geprüfter Aussagen darstellen (Kutschker, M./ Schmid, S., 2011; Krystek, U./ Zur, E., 2002; Macharzina, K./ Oesterle, M.-J., 2002; Perlitz, M., 1993; Hawkins, R., 1984). Weit mehr Konsens ist in der Literatur hinsichtlich der Konkretisierung der Aufgaben des Internationalen Managements festzustellen. So besteht weitgehend Übereinstimmung darüber, dass die Internationalisierung der Unternehmenstätigkeit neue Problemstellungen <?page no="36"?> Kapitel I: Globales Unternehmensumfeld • 13 schafft, die für rein national agierende Unternehmen nicht von Bedeutung sind. Fragen des Währungsmanagements oder der Absicherung von Auslandsrisiken sind hier beispielhaft zu nennen. Aufgabe des Internationalen Managements ist es daher, Problemlösungen für die originären Fragestellungen zu erarbeiten, die sich aus der Internationalisierung der Unternehmenstätigkeit ergeben. Hinsichtlich einer weitaus komplexeren Planungs- und Entscheidungssituation international agierender Unternehmen ist eine weitgehende Übereinstimmung vorzufinden. Zahlreiche Untersuchungen, die nationale und internationale Unternehmen in dieser Hinsicht vergleichen, teilen diese Auffassung (Wiesner, K. 2005; Macharzina, K./ Oesterle, M.-J., 2002; Welge, M.K., 1981). Die Überprüfung und gegebenenfalls Anpassung oder Ergänzung des bestehenden betriebswirtschaftlichen Instrumentariums in Bezug auf die Komplexität der konkreten Planungsaufgabe stellt somit eine weitere zentrale Aufgabe des Internationalen Managements dar. Trotz der weitgehenden Übereinstimmung bezüglich der Aufgaben des Internationalen Managements sind der eigenständige Charakter und die Einordnung des Faches weiterhin offen. Insbesondere sehen Vertreter aus bestehenden Funktionsbereichen in den dargestellten Problembereichen der Internationalisierung nur eine Ausdehnung der jeweiligen Funktionsbereiche um internationale Aspekte (Colberg, W., 1989). Internationales Marketing, internationale Beschaffung, internationale Finanzierung, internationale Personalpolitik etc. wären demnach als Erkenntnisobjekte der jeweiligen Teildisziplinen aufzufassen und deswegen eine eigenständige Disziplin Internationales Management bzw. Internationale Betriebswirtschaftslehre nicht notwendig. Einer derartigen Sichtweise ist jedoch entgegenzuhalten, dass die ausschließliche Einengung der betriebswirtschaftlichen Auswirkungen der Auslandsaktivität auf einen bestimmten Teilbereich bzw. eine Teilfunktion der Komplexität der realen Entscheidungssituation nicht gerecht werden kann und daher keine hinreichende Basis der Problemlösung darstellt (Kutschker, M./ Schmid, S., 2011; Porter, M.E., 1989b). Gerade die äußerst komplexen betrieblichen Entscheidungen internationaler Unternehmensaktivitäten sind aufgrund ihres spezifischen (Querschnitt-) Charakters funktionsübergreifend zu erforschen, was jedoch nicht heißen soll, dass eine Beschäftigung mit funktionsbereichsspezifischen Problemen der Internationalisierung sinnlos wäre. Abgesehen von der dargestellten inhaltlichsachlichen Notwendigkeit, muss eine funktionsübergreifende und damit auch eigenständige Betrachtungsweise des Faches Internationales Management einen wichtigen Beitrag für das „ Denken in betrieblichen Gesamtzusammenhängen“ leisten. Ein derartiger Ansatz ist ganz im Sinne einer General-Management-Ausbildung, die an den Hochschulen jedoch mehr und mehr vernachlässigt wird. Die Betrachtung des Internationalen Managements im Sinne einer betriebswirtschaftlichen Institutionslehre, wie z.B. Industrie-, Bank-, Versicherungs- oder Handelsbetriebswirtschaftslehre, ist m.E. ebenfalls verfehlt. Eine Internationalisierung findet bei allen Institutionen statt. Damit müsste das Internationale Management neben den Besonderheiten der einzelnen Institutionen, die Gegenstand der institutionell orientierten Betriebswirtschaftslehre sind, die besonderen Aspekte untersuchen, die sich aus der <?page no="37"?> 14 • Kapitel I: Globales Unternehmensumfeld Internationalisierung dieser Institutionen ergeben. Das Internationale Management geht aber über eine reine Institutionslehre hinaus. Damit geht der Anspruch des Internationalen Managements nicht in die Richtung einer neuen betriebswirtschaftlichen Funktions- oder Institutionslehre, sondern in Richtung einer General-Management-Lehre, die neben der Betriebs- und Volkswirtschaft auch eine Reihe von Hilfswissenschaften wie z.B. die Soziologie, die Politologie, die Rechts- oder andere Gesellschaftswissenschaften benötigt. Nur ein umfassendes Verständnis dieser Aspekte kann zu einem erfolgreichen Internationalen Management führen. Insofern ist das Forschungsgebiet „ Internationales Management“ nicht als eine eigenständige betriebswirtschaftliche Funktionslehre zu sehen. Der Sinn des Internationalen Managements kann nur in der funktions- und einzelwissenschaftsübergreifenden Erfassung komplexer Tatbestände bei Auslandsentscheidungen von Unternehmen liegen. Werden diese Problembereiche von der Betriebswirtschaftslehre nicht erfasst, läuft sie Gefahr, dass die Unternehmenspraxis der wissenschaftlichen Erkenntnis immer weiter vorauseilt. <?page no="38"?> Kapitel I: Globales Unternehmensumfeld • 15 3 Triebkräfte der Internationalisierung 3.1 Märkte Abbildung 5 macht deutlich, wie sich die Bedeutung der Regionen, gemessen am kaufkraftbereinigten Bruttoinlandsprodukt, im Zeitablauf verändert hat. Von Christi Geburt an bis Mitte des 19. Jahrhunderts war Asien die wirtschaftlich stärkste Region der Welt. Dann übernahm bis zum Ende des ersten Weltkrieges Europa diese Rolle. Von Ende des ersten Weltkrieges bis zum Ende der 80er Jahre des 20. Jahrhunderts war Amerika der Kontinent mit dem höchsten kaufkraftbereinigten Bruttoinlandsprodukt. Nun hat Asien diese Rolle wieder übernommen. Abbildung 5: Anteil der Kontinente am Bruttoinlandsprodukt (BIP) in Prozent Quelle: UNCTAD, 2012, eigene Berechnungen aus Länderdaten der Weltbank, online Mit dieser Entwicklung kam es jeweils zu beträchtlichen Marktverschiebungen, die die Handelsströme, aber auch die Investitionstätigkeit von Unternehmen beträchtlich beeinflussten. Heute sind diese drei Weltregionen in etwa von gleicher Bedeutung für die Auslandsaktivitäten von Unternehmen mit einer Tendenz, dass Asien der am stärksten wachsende Markt der Welt ist. 3.1.1 Globale Integration der Weltwirtschaft Mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion kam es zu einer neuen Weltwirtschaftsordnung. Bis dahin hat sich die Welt weitgehend in politische Blöcke aufgeteilt (kommunistische, sowjetische, westliche und neutrale Staaten). Die neue Aufteilung der Welt stellen zunehmend Wirtschaftsblöcke dar, die unterschiedliche Formen annehmen können. Damit ergibt sich für Unternehmen ein neues Weltbild. Für unternehmerische Entscheidungen spielt es dabei eine nicht zu unterschätzende Rolle, in welchen Wirtschaftsblöcken das Unternehmen in Zukunft tätig sein will. Die Vor- und Nachteile der Ausgestaltung der <?page no="39"?> 16 • Kapitel I: Globales Unternehmensumfeld Wirtschaftsräume spielen eine Rolle für Standortentscheidungen für die Produktion und Beschaffung von Produkten und Dienstleistungen. Aber auch Fragen der Markteintritts- und Bearbeitungsstrategien hängen von den Bedingungen, die in den Wirtschaftsräumen bestehen, ab. Deshalb erscheint es sinnvoll, einen Blick auf die internationalen Wirtschaftsräume zu werfen. Globalisierung vs. Regionalisierung In den letzten Jahrzehnten wurde die Integration der Weltwirtschaft insbesondere durch die World Trade Organization (WTO) vorangetrieben. Durch multilaterale Handelsabkommen verfolgt die WTO das Ziel, den freien Handel von Gütern und Dienstleistungen zwischen den Mitgliedsstaaten zu sichern. Diese Abkommen haben vor allem zu der Abnahme von Zöllen und nichttarifärer Handelshemmnisse geführt (Hill, C., 2010; Welge, M.K./ Holtbrügge, D., 2010). Dem Globalisierungsprozess steht aber auch eine Regionalisierung der Wirtschaft gegenüber. Unter Regionalisierung versteht man die Bildung von regionalen Handelsblöcken, mit dem Ziel die Wirtschaft innerhalb dieser Region, durch den Abbau von Handelshemmnissen zu stärken (Hill, C., 2010). Die Integration der Weltwirtschaft wurde insbesondere durch die Verbesserung der rechtlichen und institutionellen Rahmenbedingungen für den weltweiten Handel durch die WTO verstärkt (Welge, M.K./ Holtbrügge, D., 2010). Neben dem Globalisierungstrend lässt sich auch eine wirtschaftliche Integration auf regionaler Ebene beobachten. Eine regionale wirtschaftliche Integration kommt durch Abkommen zum Abbau tarifärer und nichttarifärer Handelsbeschränkungen für Güter, Dienstleistungen und Produktionsfaktoren zwischen Ländern einer geografischen Region zustande (Hill, C., 2010). Multilaterale Handelsabkommen zwischen WTO-Mitgliedern WTO-Mitglieder müssen die Organisation über alle regionalen Handelsabkommen informieren. Fast alle WTO-Mitglieder sind auch Mitglied eines regionalen Abkommens (Hill, C., 2010). Weltweit existieren 489 regionale Handelsabkommen/ Präferenzzonen, bei denen die Waren und Dienstleistungen getrennt betrachtet werden. Weitere 380 Handelsabkommen, von denen 202 aktuell in Kraft sind, bestehen bis heute, bei denen nicht zwischen Waren und Dienstleistungen getrennt wird (World Trade Organization, 2011, online). Circa 60% des Welthandels wird durch regionale Abkommen beeinflusst (Cavusgil, T./ Knight, G./ Riesenberger, J., 2012). Mitgliedsländer versprechen sich von einer wirtschaftlichen Integration einen höheren Lebensstandard durch erhöhte Spezialisierung, niedrigere Preise, größere Auswahl, höhere Produktivität und effizientere Nutzung von Ressourcen (Cavusgil, T./ Knight, G./ Riesenberger, J., 2012; Hill, C., 2010). Regionale Integrationsabkommen verfolgen das Ziel, durch steigenden Handel und Kostensenkungen Wachstums- und Entwicklungspotenziale auszuschöpfen. Für kleinere oder weniger entwickelte Länder steht der langfristig gesicherte Zugang zu Märkten mit hoher <?page no="40"?> Kapitel I: Globales Unternehmensumfeld • 17 Kaufkraft im Vordergrund. Große Länder erwarten gleichzeitig, dass sie trotz zusätzlicher Kosten und Verantwortung von der Kooperation profitieren. Die Motive der Zusammenschlüsse gehen allerdings über Handelsaspekte hinaus: Im Vordergrund stehen dabei politische Sicherheit, Bündelung von Interessen und die damit verbundene Stärkung der Verhandlungsmacht gegenüber anderen Gruppen und in internationalen Foren (Bundesfinanzministerium, 2012, online). Durch die Uruguay- und Gatt-Runden versuchten Länder seit 1947 einen Abbau von Handelsbarrieren zu erreichen. Diese Bestrebungen wurden dann durch die Gründung der WTO institutionalisiert. Da diese jedoch weltweit agiert und viele Mitgliedstaaten zählt, sind Einigungen auf Abkommen sowie deren Umsetzung von längerer Dauer. Die größte Herausforderung liegt bei der Einhaltung der aufgestellten Regeln durch alle Mitglieder, insbesondere in der Agrarwirtschaft. Deshalb findet die wirtschaftliche Integration regional statt und nicht unter der Federführung der WTO. Heute verhandelt die WTO mit Wirtschaftsblöcken und versucht so die weitere Entwicklung zu steuern (Cavusgil, T./ Knight, G./ Riesenberger, J., 2012; Hill, C., 2010). Die zwei bekanntesten Wirtschafsträume/ -blöcke sind die EU und die NAFTA. Man spricht von einem Wirtschaftsblock, wenn zwei oder mehrere Länder eine Freihandelszone bilden. Grenzübergreifende Investitionen sind auch charakteristisch für Wirtschaftsblöcke. In einer späteren Phase (z.B. EU) können die Liberalisierung des Kapitalmarktes und der Austausch von Arbeitskräften und Technologien hinzukommen. Die Harmonisierung der Finanz- und Währungspolitik sind weitere mögliche Schritte (Cavusgil, T./ Knight, G./ Riesenberger, J., 2012). 3.1.2 Entwicklungsstufen der wirtschaftlichen Integration Die Vertiefung der wirtschaftlichen Integration in einer Region verläuft in Schüben und ist gekennzeichnet von Stillstand oder Rückschlägen. Ein wichtiger Erfolgsfaktor ist dabei eine stabilitätsorientierte Wirtschaftspolitik in den Mitgliedsländern. Präferenzzonen sind gekennzeichnet durch Vereinbarungen von Vorzugsbedingungen, z.B. niedrigere Zölle oder höhere Einfuhrquoten für den Handel mit bestimmten Gütern. Bei Freihandelszonen erfolgt ein weitgehender Abbau von Handelsbeschränkungen zwischen den Mitgliedsstaaten (Physikalisch-Technische Bundesanstalt, 2009, online). In einer vollständigen Freihandelszone sind alle diskriminierenden Tarife, Quoten, Subventionen und administrative Behinderungen beseitigt. So wird der Handel zwischen den Mitgliedsstaaten nicht verzerrt. Gegenüber Nichtmitgliedsstaaten kann jedes Land eine eigene Handelspolitik festlegen (Söllner, A., 2008). In einer Freihandelszone ist die Einführung von Herkunftsregeln („rules of origin“) unabdingbar. Sie stellen sicher, dass nur innerhalb der Freihandelszone hergestellte Güter zollbefreit sind. Die Herkunftsregeln sollen verhindern, dass Güter über das Mitgliedsland mit den niedrigsten Zöllen eingeführt und zollfrei in andere Länder innerhalb der Freihandelszone exportiert werden. <?page no="41"?> 18 • Kapitel I: Globales Unternehmensumfeld Von einer Zollunion spricht man, wenn interne Handelsbeschränkungen und einheitliche Außenzölle festgelegt werden. Oftmals ist dies verbunden mit dem Abbau weiterer Hemmnisse, z.B. administrativer Art (Physikalisch-Technische Bundesanstalt, 2009, online). Für die Verhandlungen über einheitliche Außenzölle, die Koordinierung der gemeinsamen Außenhandelspolitik und die Kontrolle der Handelsbeziehungen ist ein bedeutender Verwaltungsapparat notwendig. Gemeinsame Außenzölle ermöglichen andererseits die Abschaffung von komplizierten Herkunftsregeln (Söllner, A., 2008). Ein gemeinsamer Markt liegt dann vor, wenn es zu einer Ausweitung der Freiheit des Güterverkehrs kommt. Zudem beinhaltet die Schaffung eines gemeinsamen Marktes oft auch die Liberalisierung des Kapitalmarktes, die Freizügigkeit der Arbeitskräfte und die Niederlassungsfreiheit von Unternehmen (Physikalisch-Technische Bundesanstalt, 2009, online). Die freie Faktormobilität wird durch die Abschaffung von Restriktionen in Bezug auf Immigration und Emigration und freien grenzüberschreitenden Kapitalverkehr ermöglicht. Für einen gemeinsamen Markt ist ein hohes Maß an Harmonie und Kooperation in der Finanz-, Währungs- und Beschäftigungspolitik nötig (Söllner, A., 2008). Eine Wirtschaftsunion resultiert aus der Schaffung eines einheitlichen Binnenmarktes mit weitgehender Vereinheitlichung der ökonomischen Rahmenbedingungen, die sowohl die Ordnungsals auch die Prozesspolitik betreffen (Physikalisch-Technische Bundesanstalt, 2009, online). Eine tiefere Integration wird durch eine gemeinsame Währung, die Harmonisierung der Steuerraten und eine gemeinsame Geld- und Finanzpolitik erreicht. Dieses hohe Maß an Integration setzt eine völlig neue Arbeitsteilung zwischen den gemeinsamen Organen und den einzelnen Regierungen voraus und erfordert einen entsprechenden Verwaltungsapparat (Söllner, A., 2008). Abbildung 6: Entwicklungsstufen der wirtschaftlichen Integration Quelle: In Anlehnung an: Cavusgil, T./ Knight, G./ Riesenberger, J., 2012; Kutschker, M./ Schmid, S., 2011; Welge, M.K./ Holtbrügge, D., 2010 <?page no="42"?> Kapitel I: Globales Unternehmensumfeld • 19 Die letzte Stufe im Integrationsprozess ist eine politische Union. Sie wird durch die Schaffung gemeinsamer Institutionen für die Legislative, Judikative und Exekutive erreicht. Die EU verfügt als einziger Wirtschaftsraum bereits über supranationale Institutionen wie z.B. dem Rat der Staats- und Regierungschefs, der Kommission und dem Europäischen Parlament. Diese sind aber im Vergleich zu den nationalen Organen noch stark eingeschränkt (Welge, M.K./ Holtbrügge, D., 2010; Schmidt, S./ Schünemann, W. J., 2009). 3.1.3 Internationale Wirtschaftsräume Abbildung 7: Wirtschaftsräume EU - Europäische Union Der europäische Binnenmarkt ist volumenmäßig der größte der Welt. Neben wirtschaftlichen Zielen will die EU auch die politische Stabilität sichern, kulturelle Vielfalt wahren und gemeinsame Werte pflegen (z.B. nachhaltige Entwicklung, gesunde Umwelt, Menschenrechte). Die EG, in der die EU ihren Ursprung hat, wurde nach dem 2. Weltkrieg gegründet mit dem Ziel, durch politische und wirtschaftliche Zusammenarbeit den Frieden zwischen den europäischen Ländern zu sichern und den Wiederaufbau des Kontinents zu beschleunigen (Europäische Union, 2012, online). Mit der abnehmenden Gefahr von Kriegen in Europa rückten in den 1950er Jahren wirtschaftliche Ziele in den Vordergrund (Welge, M.K./ Holtbrügge, D., 2010). Nach der Einführung der Freihandelszone (1959) und der Zollunion (1968) und der Erweiterung der EU um weitere Mitglieder verlangsamte sich der Integrations- und Harmoni- <?page no="43"?> 20 • Kapitel I: Globales Unternehmensumfeld sierungsprozess in den 1970er Jahren aufgrund unterschiedlicher Zielsetzungen. Erst mit der Vollendung des Binnenmarktes zum 31.12.1992 erhielt die EU neuen Schwung (siehe „ vier Freiheiten“ des Binnenmarktes). Die „ vier Freiheiten“ des Binnenmarktes sind (Welge, M.K./ Holtbrügge, D., 2010): (1) Freiheit des Warenverkehrs (a) Errichtung einer Zollunion, d.h. der Zusammenschluss einer Gruppe von Staaten zu einem einheitlichen Zollgebiet (b) Zölle zwischen den Mitgliedsstaaten werden aufgehoben (c) Einheitliche Zölle gegenüber Drittländern (d) Keine mengenmäßigen Beschränkungen innerhalb der Mitgliedsstaaten (Wagner, H., 2009) (e) Wegfall von Grenzkontrollen, Harmonisierung oder gegenseitige Anerkennung von Normen und Vorschriften, Steuerharmonisierung (Welge, M.K./ Holtbrügge, D., 2010) (2) Freiheit des Personenverkehrs (a) Wegfall von Grenzkontrollen (b) Niederlassungs- und Beschäftigungsfreiheit (Wagner, H., 2009) (3) Freiheit des Dienstleistungsverkehrs (a) Liberalisierung der Finanzdienste (b) Harmonisierung der Banken- und Versicherungsaufsicht (c) Öffnung der Transport- und Telekommunikationsmärkte (Wagner, H., 2009) (4) Freiheit des Kapital- und Zahlungsverkehrs (a) Kapitalverkehrskontrollen werden abgeschafft (b) Liberalisierung des Wertpapiermarktes (c) Vereinfachungen für Geld- und Kapitalbewegungen (Wagner, H., 2009) Die Einführung des Euro war ein wichtiger Schritt zur Schaffung der Wirtschaftsunion. Ziel der Einführung des Euro ist es, die Transaktionskosten und Wechselkursrisiken zu senken und die Preistransparenz zu erhöhen (Cavusgil, T./ Knight, G./ Riesenberger, J., 2012). Zunächst wurde die gemeinsame Währung 1999 in 11 Mitgliedsländern eingeführt. Am 1. Januar 2002 wurden Eurobanknoten und -münzen in 12 Mitgliedsländern in Umlauf gebracht (Europäische Union, 2012, online). <?page no="44"?> Kapitel I: Globales Unternehmensumfeld • 21 Ein entscheidender Schritt in der wirtschaftlichen Vereinigung von West- und Ost- Europa war die „ Osterweiterung“ um 10 Mitgliedsländer zum 1. Mai 2004 (Cavusgil, T./ Knight, G./ Riesenberger, J., 2012). Heute ist die EU ein Zusammenschluss von 2 demokratischen Ländern (Europäische Union, 201 , online). In Zukunft möchte die EU weitere Mitglieder aufnehmen und die Zusammenarbeit verstärken. Die Basis für strukturelle Anpassungen und Änderungen in den kommenden Jahren wurde mit dem Vertrag von Lissabon im Dezember 2007 gebildet. Er soll zu mehr Demokratie und Transparenz führen, Arbeits- und Abstimmungsverfahren verkürzen, die Grundrechte in der Charta verankern und eine einheitliche Stimme der EU bei globalen Fragen sicherstellen (Europäische Union, 2012, online). Die EU basiert auf vier Organen, die im Folgenden näher beschrieben werden. Der EU-Rat stellt das oberste Gremium der EU dar und setzt sich aus Staats- und Regierungschefs, dem Präsidenten des EU-Rates und dem Präsidenten der Kommission zusammen. Der EU-Rat legt die allgemeinen politischen Zielvorstellungen und Prioritäten der EU fest. Er ist zwar eine politische Instanz, wird aber nicht gesetzgeberisch tätig. Der EU-Ministerrat entscheidet über Gesetzesvorschläge (teilweise ist jedoch die Zustimmung des EU-Parlamentes erforderlich) und umfasst die Fachminister der Mitgliedsstaaten (z.B. Rat der Umweltminister bei Umwelt-Themen). Er koordiniert die Außen- und Wirtschaftspolitik der EU und die Zusammenarbeit der Mitgliedsstaaten im Bereich Justiz und Polizei. Darüber hinaus stellt er den EU-Haushalt auf und schließt internationale Verträge. Bei wichtigen Fragen ist eine einstimmige Entscheidung notwendig. In Zukunft soll es aber auch Mehrheitsentscheidungen geben. Die Kommission ist die „ Regierung“ der EU und besteht aus einem Präsidenten und einem Kommissar je Mitgliedsland. Sie schlägt Gesetze vor, überwacht deren Umsetzung und kontrolliert die Umsetzung des EU-Haushaltes und der EU-Programme. Im EU-Parlament sitzen die direkten Vertreter der EU-Bürger (ähnlich dem Deutschen Bundestag). Es gibt 750 direkt gewählte Abgeordnete, die Gesetzen zustimmen müssen. Das Parlament hat kein Recht auf eine eigene Gesetzesinitiative. Es ist befugt, über die Hälfte der EU-Ausgaben abzustimmen, jedoch nicht berechtigt, über die Agrarausgaben zu entscheiden. In Zukunft soll dem EU-Parlament mehr Rechte eingeräumt werden. Weitere Organe der EU sind der Gerichtshof der EU, die Europäische Zentralbank und der Europäische Rechnungshof (Europäische Union, 2012, online). NAFTA - North American Free Trade Agreement Bei der NAFTA handelt es sich um ein Freihandelsabkommen zwischen den USA, Kanada und Mexiko. Sie wurde am 01.01.1994 gegründet. Die USA und Kanada hatten 1989 bereits ein Freihandelsabkommen abgeschlossen (North American Free Trade Agreement, 2012, online). Neben dem europäischen Wirtschaftsraum ist die NAFTA die größte Freihandels- <?page no="45"?> 22 • Kapitel I: Globales Unternehmensumfeld zone der Welt. Vor der Gründung bestand bereits ein hoher Verflechtungsgrad zwischen den Mitgliedern (Wagner, H., 2009). Abbildung 8 gibt die wichtigsten Kennzahlen der NAFTA wieder. * = Daten für 2011 sind Schätzwerte Abbildung 8: Kennzahlen der NAFTA Quelle: NAFTA, 2012, online Ziel der NAFTA ist der Abbau von Zöllen und Handelshemmnissen. Darüber hinaus existieren Sonderregelungen für bestimmte Sektoren wie z.B. für die Automobil- und Textilindustrie sowie für die Landwirtschaft und den Energiemarkt. Außerdem gibt es noch Regelungen für die Marktöffnung von Dienstleistungen, der Niederlassungsfreiheit, der Inländerbehandlung und der Meistbegünstigung (Wagner, H., 2009). Restriktionen für ausländische Direktinvestitionen wurden beseitigt. Ausnahmen stellen Investitionen in die mexikanische Energieindustrie und den Schienenverkehr sowie die amerikanische Flugindustrie und den Funkverkehr dar (Hill, C., 2010). Die NAFTA weist im Vergleich zu anderen regionalen Abkommen einen asymmetrischen Entwicklungsstand der Mitgliedsländer auf. Die Freizügigkeit des Faktors Arbeit zwischen Mexiko und USA/ Kanada ist vertraglich ausgeschlossen. Damit sollen starke Migrationsbewegungen aus dem Schwellenland Mexiko in die nordamerikanischen Staaten verhindert werden. Trotzdem ist der Gewinner bislang insbesondere Mexiko (Wagner, H., 2009). Seit der Gründung hat sich das Handelsvolumen zwischen den drei Mitgliedern vervierfacht und zwar auf US$ 1.011,7 Mrd. im Jahre 2011 (hierbei werden nur die Importe der NAFTA-Partner berücksichtigt) (Secretaria de Economia, 2012, online). Das gemeinsame Bruttosozialprodukt dieser drei Länder hat sich in dem Zeitraum seit dem Zusammenschluss mehr als verdoppelt: von US$ 7,6 Bill. im Jahr 1993 auf knapp US$ 18 Bill. im Jahr 2011. Die Exporte von den USA nach Kanada haben sich im selben Zeitraum mehr als verdoppelt, dasselbe gilt für die Exporte von Kanada in die USA. Mexiko profitiert besonders von <?page no="46"?> Kapitel I: Globales Unternehmensumfeld • 23 dem Zugang zu den Märkten der USA und Kanada, das Exportvolumen zwischen Mexiko und der Vereinigten Staaten hat sich seit der Zugehörigkeit zur NAFTA versiebenfacht. Viele mexikanische Branchen wie Elektronik, Textilien, medizinische Produkte oder Dienstleistungen haben sich durch den gemeinsamen Markt überhaupt erst etablieren lassen. Kanada und Mexiko wickeln ca. 80% ihres Außenhandels mit den USA ab und haben 60% ihres Bestandes an Direktinvestitionen in den USA. Abbildung 9 zeigt die große Bedeutung der USA für Kanada und Mexiko bezüglich der Exporttätigkeit dieser Länder. Abbildung 9: Exporte in die USA, 2010 (in Prozent der Gesamtexporte) Quelle: CIA World Factbook, 2011, online Das Pro-Kopf-Einkommen von Mexiko ist auf über US$ 9.330 (The World Bank, 2010) gestiegen. Damit ist Mexiko das Land mit dem höchsten Pro-Kopf-Einkommen in Lateinamerika (North American Free Trade Agreement, 2012, online; Cavusgil, T./ Knight, G./ Riesenberger, J., 2012). Die USA und Kanada profitieren von der Entwicklung Mexikos, da es sich zu einem wichtigen Absatzmarkt entwickelt hat. Zudem haben amerikanische Unternehmen die Möglichkeit, arbeitsintensive Produktionsprozesse nach Mexiko zu verlagern. Im Grenzgebiet zu den USA durften zuvor schon ausländische Unternehmen Rohstoffe und Vorprodukte zollfrei einführen. Diese Regelung wurde in dem Maquiladoras-Programm 1965 verankert, um ausländische Kapitalzuflüsse zu fördern. Mit der NAFTA wurde dieser Abbau der Zollschranken auf das gesamte Land ausgedehnt (Hill, C., 2010; Welge, M.K./ Holtbrügge, D., 2010). Viele nordamerikanische Unternehmen haben folglich ihre Produktionsstätten von Niedriglohnländern in Asien nach Mexiko verlagert (z.B. Gap Inc., Liz Claiborne) (Cavusgil, T./ Knight, G./ Riesenberger, J., 2012). Auch wenn sich die Exporte mexikanischer Produkte erhöhten und zusätzliche Arbeitsplätze entstanden, hat die Freihandelszone zu einem signifikanten Anstieg von Importen und einem Außenhandelsdefizit für Mexiko geführt (Welge, M.K./ Holtbrügge, D., 2010). Die NAFTA hat im Gegensatz zu EU/ MERCOSUR/ ASEAN nicht das Ziel, eine Wirtschaftsunion bzw. eine politische Union zu werden. Sie verfügt über keine eigenen Organe, sondern nur über einen lockeren institutionellen Rahmen, dessen Hauptaufgabe es ist, die <?page no="47"?> 24 • Kapitel I: Globales Unternehmensumfeld Umsetzung des Abkommens zu überwachen und Auseinandersetzungen, die sich aus der Interpretation des Abkommens ergeben können, zu lösen (Welge, M.K./ Holtbrügge, D., 2010; Wagner, H., 2009). Eine Erweiterung der NAFTA wird seit vielen Jahren diskutiert. Einige lateinamerikanische Länder haben bereits ihr Interesse an einer Mitgliedschaft signalisiert. Aufgrund der Anlaufschwierigkeiten der NAFTA sind die Mitglieder allerdings nicht entscheidungsfreudig. Die Gespräche über Chile als potenzielles Neumitglied laufen schon seit 1995 (Hill, C., 2010). MERCOSUR - Mercado Comun del Sur 1991 wurde der Mercado Comun del Sur oder kurz MERCOSUR genannt gegründet. Dieser Zusammenschluss basiert auf einem bilateralen Abkommen zwischen Brasilien und Argentinien von 1988 mit dem Ziel der Schaffung einer Freihandelszone innerhalb von 10 Jahren (Hill, C., 2010; Rugman, A.M./ Collinson, S., 2009). Er stellt den stärksten Wirtschaftsblock in Südamerika dar (Cavusgil, T./ Knight, G./ Riesenberger, J., 2012). Neben den Gründungsmitgliedern Brasilien, Argentinien, Paraguay und Uruguay wurde 2005 Venezuela als assoziiertes Mitgliedsland integriert. Zwischen MERCOSUR und Chile, Bolivien, Peru, Ecuador und Kolumbien besteht ein Assoziierungsabkommen, das zu einer Präferenzzone mit Vorzugsbedingungen führte (Mercado Comun del Sur, 2012, online; Cavusgil, T./ Knight, G./ Riesenberger, J., 2012; Wagner, H., 2009). Oberstes Organ des MERCOSUR ist der Rat des Gemeinsamen Marktes, der sich aus den Wirtschafts- und Außenministern zusammensetzt (Wagner, H., 2009). Ziel von MERCO- SUR ist es, einen freien Verkehr von Gütern, Dienstleistungen und Produktionsfaktoren durch den Abbau tarifärer und nichttarifärer Handelshemmnisse zu schaffen und einen gemeinsamen Außenzoll zu erreichen (Mercado Comun del Sur, 2012, online; Wagner, H., 2009). Weitergehende Ziele sind die Harmonisierung der institutionellen Bedingungen in den Bereichen Agrar-, Industrie-, Fiskal-, Währungs-, Wechselkurs-, Kapital-, Dienstleistungs-, Transport- und Kommunikationspolitik (Mercado Comun del Sur, 2012, online; Wagner, H., 2009). MERCOSUR setzt sich aus asymmetrischen Vertragsparteien zusammen. Nach einem erfolgreichen Start (der Handel zwischen den vier Gründungsmitgliedern vervierfachte sich zwischen 1990 und 1998) stieß MERCOSUR 1998 in eine existenzielle Krise als Folge der Währungs- und Finanzkrise in Argentinien. Insgesamt fällt die Erfolgsgeschichte daher eher bescheiden aus. Bisher ist MERCOSUR nur eine „ unvollständige“ Zollunion (Hill, C., 2010; Wagner, H., 2009). Weiterhin gibt es viele Ausnahmeregelungen für den Abbau von Handelshemmnissen und für einen gemeinsamen Außenzoll (Hill, C., 2010; Wagner, H., 2009). Relativ erfolgreich wird die Gründung der Entwicklungsbank „ Banco del Sur“ im Jahre 2007 angesehen. Die Bank verfolgt unter anderem das Ziel, die regionale Wirtschaft mit Krediten zu versorgen, um dadurch das wirtschaftliche Wachstum zu beschleunigen (Wagner, H., 2009). <?page no="48"?> Kapitel I: Globales Unternehmensumfeld • 25 ASEAN - Association of Southeast Asian Nations ASEAN wurde 1967 von Indonesien, Malaysia, den Philippinen, Singapur und Thailand gegründet. Weitere Mitglieder sind heute Brunei, Kambodscha, Laos, Myanmar und Vietnam. Das oberste Organ ist die Konferenz der Staatsoberhäupter, die strategische Richtungsentscheidungen treffen kann. Der Rat der Außenminister tritt einmal jährlich zusammen und formuliert die politischen Leitlinien. Dem Rat untersteht ein Ständiger Ausschuss (Außenminister des Gastgeberlandes und die dortigen akkreditierten Botschafter der Mitgliedsländer). Der ständige Ausschuss führt die Geschäfte der ASEAN bis zum nächsten Außenministertreffen und unterbreitet den sonstigen Fachministertreffen und den ASEAN- Komitees Berichte und Empfehlungen. Des Weiteren verfügt jedes Land über ein ASEAN-Sekretariat, das für die Durchführung landesspezifischer Programme zuständig ist (Wagner, H., 2009). Ziel von ASEAN ist die Förderung der regionalen Zusammenarbeit auf politischem, wirtschaftlichem, sozialem und kulturellem Gebiet zur Festigung des Friedens in Südostasien, um das Wachstum der Wirtschaft zu steigern. Darüber hinaus wird der Abbau von Zöllen (AFTA) auf unter fünf Prozent angestrebt. Es bestehen aber bis heute signifikante Ausnahmen. In den ersten Jahren gab es keine nennenswerten Erfolge durch die Bildung des ASEAN. Zu Beginn der 1990er Jahre kam es jedoch zu einer Wiederbelebung der Anstrengungen zur Zielerreichung von ASEAN. Stufenweise wurden die Zölle für eine Vielzahl an Produkten abgebaut und die maximale tarifäre Belastung auf 5% gesenkt. 1992 kam es zur Gründung der AFTA (ASEAN Free Trade Agreement). Seit dem 1. Januar 2010 befindet sich der ASEAN in der zweiten Phase. Zu diesem Zeitpunkt tritt für China das Freihandelsabkommen in Kraft. Für die ASEAN-Staaten Kambodscha, Laos, Myanmar und Vietnam wird das Abkommen erst 2018 in Kraft treten. 6.682 Zolltarife wurden seit Anfang 2010 abgeschafft. Davon sind 17 Sektoren betroffen, u.a. 12 im herstellenden Gewerbe, 5 in der Landwirtschaft, der Fischerei und im Bergbau. Des Weiteren ist ASEAN an einer Beseitigung der Zölle mit China, Japan und Südkorea interessiert (Hill, C., 2010). <?page no="49"?> 26 • Kapitel I: Globales Unternehmensumfeld * = Daten für 2011 sind Schätzwerte Abbildung 10: Die vier großen Wirtschaftsblöcke im Überblick Quelle: World Bank, 2012, online; NAFTA, 2012, online; Europäische Union, 2012, online; MERCOSUR, 2012, online; ASEAN, 2012, online; IMF 2011, online; Eurostat, 2011, online, CIA World Fact Book, 2012, online Weitere regionale Handelsabkommen Weitere Beispiele für kleinere oder weniger fortgeschrittene Wirtschaftsräume sind: CAN - Comunidad de Naciones (=ANCOM - Andean Common Market) Es handelt sich dabei um eine Zollunion zwischen Bolivien, Kolumbien, Ecuador, Peru und Venezuela. Der Handel innerhalb des Wirtschaftsraumes ergibt nur 5% des gesamten Handels der Mitgliedsländer. Die Anden erschweren den Transport von Gütern zwischen den Nationen (Cavusgil, T./ Knight, G./ Riesenberger, J., 2012; Söllner, A., 2008). CARICOM - The Caribbean Community CARICOM umfasst 15 Mitgliedsländer aus der englischsprachigen Karibikregion. Bisher wurden Handelsbarrieren gesenkt, aber die geplante Zollunion wurde noch nicht umgesetzt (Cavusgil, T./ Knight, G./ Riesenberger, J., 2012; Hill, C., 2010). CACM - Central American Common Market Mitglieder von CACM sind Costa Rica, El Salvador, Guatemala, Honduras, Nicaragua und Dominikanische Republik. Seit der Gründung in den frühen 1960er Jahren wurde jedoch wenig Fortschritt, insbesondere wegen eines Konfliktes zwischen Honduras und El Salvador im Jahre 1969, erreicht. <?page no="50"?> Kapitel I: Globales Unternehmensumfeld • 27 2003 wurden die Verhandlungen wieder aufgenommen, da die USA Interesse an einem bilateralen Handelsabkommen mit dem Wirtschaftsblock zeigte. 2005 wurde das Freihandelsabkommen Central American Free Trade Agreement unterzeichnet (Hill, C., 2010). APEC - Asia-Pacific Economic Cooperation APEC setzt sich aus den Ländern Australien, Kanada, Chile, China, Japan, Mexiko, Russland und USA zusammen. Das Ziel ist die Einführung von Freihandel zwischen diesen Ländern. Bisher gab es jedoch nur geringe Erfolge in den Verhandlungen, da die Mitgliedsstaaten zu unterschiedliche wirtschaftliche Interessen und Prioritäten haben (Cavusgil, T./ Knight, G./ Riesenberger, J., 2012; Hill, C., 2010). EFTA - European Free Trade Agreement Die EFTA besteht aus Island, Liechtenstein, Norwegen und der Schweiz. Ursprünglich wurde die EFTA von ehemaligen EU- (EG-)Mitgliedern gegründet, die bei der Integration nicht über eine Freihandelszone hinausgehen wollten. Mittlerweile sind von den sieben Mitgliedern nur noch Norwegen und die Schweiz übriggeblieben und es sind Liechtenstein und Island hinzugekommen. Die anderen Länder haben sich wieder der EU angeschlossen (Rugman, A.M./ Collinson, S., 2009) Misst man die Bedeutung der wichtigsten Wirtschaftsblöcke anhand des Bruttoinlandsproduktes, dann sieht man, dass die EU und die NAFTA fast gleich groß sind und der Abstand zu den MERCOSUR- und den ASEAN-Staaten doch noch recht beträchtlich ist (vgl. Abbildung 11). * = Daten für 2011 sind Schätzwerte Abbildung 11: Bruttoinlandsprodukt der Wirtschaftsräume und ausgewählter Länder Quelle: IMF, 2011, online <?page no="51"?> 28 • Kapitel I: Globales Unternehmensumfeld 3.2 Kosten Der erste strategische Denkansatz aus dem Kapitel „Dynamik des globalen Wettbewerbs“ wirft die Frage auf, unter welchen Voraussetzungen es den Unternehmen westlicher Industrieländer gelingen wird, ihre internationale Wettbewerbsfähigkeit zu erhalten. Wenn keine Unterschiede in den Produkten zwischen den internationalen Wettbewerbern auf den Weltmärkten bestehen, reduziert sich die Frage der Wettbewerbsfähigkeit weitgehend auf vorhandene Kostenvorteile. Die alleinige Ausrichtung des strategischen Denkens auf die Kostenseite erscheint jedoch für Unternehmen aus den westlichen Industrienationen wenig erfolgversprechend, da sie dann mit Unternehmen aus Ländern konkurrieren, die zum Teil 80% niedrigere Kosten haben. So hat Porter festgestellt, dass Kostenvorteile nur „flüchtige Wettbewerbsvorteile“ sind (Porter, M.E., 1999). Abbildung 12 gibt einen internationalen Vergleich der Arbeitskosten im Industriebereich für das Jahr 2010 wieder. Aus ihr wird deutlich, welche neuen Herausforderungen auf die deutsche Wirtschaft insbesondere aus den neuen Mitgliedsstaaten der Europäischen Union zukommen können. Abbildung 12: Die Lohnstückkosten im verarbeitenden Gewerbe, Landeswährung als Grundlage, Index: 2002 = 100 Quelle: U.S. Department of Labor, Bureau of Labor Statistics, December 2010 <?page no="52"?> Kapitel I: Globales Unternehmensumfeld • 29 Abbildung 13: Vergleich der Arbeitskosten im Verarbeitenden Gewerbe im Jahr 2010 (Angaben für Arbeitnehmer (Arbeiter und Angestellte) je geleistete Stunde in Euro) Quelle: Industrielle Arbeitskosten im internationalen Vergleich, in: IW Trends, Institut der Deutschen Wirtschaft Köln, 2011 3.3 Technologien Abbildung 14: Entwicklung der Patentanmeldungen, 1978-2010 Quelle: WIPO, PCT - The international patent review, 2010, online <?page no="53"?> 30 • Kapitel I: Globales Unternehmensumfeld Die globale Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen hängt hauptsächlich davon ab, ob Unternehmen eine überlegene Produkt- oder Prozesstechnologie entwickeln können. So kommt es weltweit zu einem Wettrennen bezüglich überlegender Technologien. In diesem Zusammenhang kommt es zu einem beträchtlichen Aufholprozess von Unternehmen aus den sogenannten „emerging markets“. Das lässt sich aus den Anmeldungen von internationalen Patenten ableiten. Abbildung 14 zeigt, wie sich die Patentanmeldungen vom Ende der 1970er Jahre bis heute entwickeln haben. Aus ihr wird deutlich, wie stark die Anzahl an Patentanmeldungen in diesen Jahren zugenommen hat. Während bis zum Jahre 2000 die meisten Patentanmeldungen von Unternehmen aus den klassischen Industrienationen kamen (vgl. Abbildung 15), sind heute Unternehmen aus Süd-Korea und China unter den Top 7 Anmeldern für Patente zu finden. Damit erweitert sich der Kreis technologiegetriebener Wettbewerber und die Herausforderung für die bisherigen Technologieführer wird immer globaler (vgl. Abbildung 16 und Abbildung 17). Abbildung 15: Patentanmeldungen im internationalen Vergleich 1990-2000 Quelle: WIPO, 2010, online Patentanmeldungen sind im Rahmen des Innovationsprozesses zwar nur ein erster Indikator für die Innovationsfähigkeit von Unternehmen, jedoch sind sie langfristig ein Indikator für die Innovationspotenziale von Unternehmen aus unterschiedlichen Ländern. Die Umsetzung von Ideen in global marktfähige Produkte ist Gegenstand des Innovationsmanagements (vgl. Kapitel 9 des Buches) und auf diesem Gebiet entscheidet sich, welchen Unternehmen das 21. Jahrhundert gehören wird. Es bleibt abzuwarten, wie Unternehmen aus den übrigen Schwellenländern wie z.B. Brasilien, Russland, Südafrika oder Indien in diesen Wettbewerb eingreifen werden. Für Unternehmen aus den klassischen Industrienationen ist der technologische Vorsprung überlebensnotwendig und das Innovationsmanagement von zentraler Bedeutung für zukünftige Erfolge auf den Weltmärkten. <?page no="54"?> Kapitel I: Globales Unternehmensumfeld • 31 Abbildung 16: Patentanmeldungen im internationalen Vergleich 1990-2010 Quelle: WIPO, 2010, online Abbildung 17: Patentanmeldungen im internationalen Vergleich 1990-2010 Quelle: WIPO, 2010, online <?page no="55"?> 32 • Kapitel I: Globales Unternehmensumfeld 3.4 Formen der Internationalisierung 3.4.1 Export Die Bedeutung der Internationalisierung für Länder, Branchen und Unternehmen soll nachfolgend exemplarisch anhand einiger Entwicklungen der Weltwirtschaft dargestellt werden. Angesichts der Vielschichtigkeit der internationalen Wirtschaftsbeziehungen erfolgt diese Darstellung anhand verschiedener Indikatoren, die sich auf unterschiedliche Betrachtungsebenen beziehen. Neben der Welt- und Länderperspektive soll auch die Branchen- und Unternehmensebene erfasst werden, um einige wichtige Entwicklungen zu verdeutlichen. * = Prognose Abbildung 18: Entwicklung des Welthandelsvolumens (in Mrd. US$) Quelle: WTO, 2010, online Betrachtet man zunächst die Entwicklung der weltweiten Exporttätigkeit von Unternehmen, die sowohl in den nationalen Handelsstatistiken als auch von der UNO, der OECD sowie dem IMF erfasst werden, so kann man feststellen, dass sich das Welthandelsvolumen zwischen 1980 und 2011 nominal nahezu verachtfacht hat. Die Weltexporte unterscheiden sich nur geringfügig von den Weltimporten. Die Differenzen ergeben sich aus unterschiedlichen Methoden der Wertstellung. So werden Importe überwiegend zu CIF-Preisen (cost insurance freight) und Exporte vornehmlich zu FOB- Preisen (free on board) bewertet (Marschner, H., 1989). Welche Bedeutung dem Welthandel zukommt, wird im Vergleich zur Entwicklung des Weltbruttosozialproduktes deutlich. Wie Abbildung 19 zeigt, ist das Welthandelsvolumen in den letzten 40 Jahren im Durchschnitt stärker gewachsen als das Weltbruttosozialprodukt. Sie unterstellt als Ausgangssituation das Jahr 1950 und beginnt mit einem Index von 100 für den Welthandel und das Weltbruttosozialprodukt. Es wird ersichtlich, dass bis zum Jahre 2010 der Index für den Welthandel rund zweieinhalbmal so stark angestiegen ist wie <?page no="56"?> Kapitel I: Globales Unternehmensumfeld • 33 der für das Weltbruttosozialprodukt. Für die Unternehmensstrategie stellt somit der Außenhandel einen der zentralen „Wachstumsmärkte“ dar. Abbildung 19: Entwicklung des Welthandels und des Weltbruttosozialproduktes seit 1950 (Index 1950 = 100) Quelle: WTO, 2010, online Ein wesentlicher Grund für das Wachstum des Welthandels ist in der Beseitigung bzw. dem Abbau von tarifären und nichttarifären Handelshemmnissen zu sehen, die insbesondere im Rahmen der verschiedenen GATT-Zollsenkungsrunden und der Welthandelsrunden der WTO erfolgten. So sank beispielsweise der durchschnittliche Zoll auf Industriegüter von 40% im Jahr 1940 auf 3,2% im Jahr 2005 (Bchir, M.H./ Jean, S./ Laborde, D., 2006). Abbildung 20: Anteile am Welthandel in Prozent Quelle: Rodrigue, J.-P./ Comtois, C./ Slack, B., 2011 <?page no="57"?> 34 • Kapitel I: Globales Unternehmensumfeld Die aggregierte Betrachtung der Entwicklung des Welthandelsvolumens sagt aber noch nichts über die länderspezifische Bedeutung des Außenhandels aus. In den letzten Jahrzehnten wechselten sich in der Spitze der Exportnationen die USA und Deutschland als „Exportweltmeister“ ab, heute kommt diese Rolle China zu (vgl. Abbildung 20). Häufig wird die Globalisierung mit einer Intensivierung des Welthandels verbunden. Betrachtet man jedoch die weltweiten Handelsströme, so lässt sich feststellen, dass über 70% des Welthandels Regionalhandel ist. Dieser regionale Handel hat sich durch die Entwicklung der Wirtschaftsblöcke intensiviert und ist die treibende Kraft des Anstieges der Weltexporte. Im Zusammenhang mit dem Export kommt es damit mehr zu einer Regionalisierung als zu einer Globalisierung des Welthandels (vgl. Abbildung 21). Abbildung 21: Globaler und regionaler Handel in Prozent des Welthandels Quelle: UNCTAD, IMF und Worldbank, 2010, online Die Regionalisierung des Welthandels wird auch dadurch deutlich, wenn man die größten Weltregionen im Einzelnen betrachtet. Bei der Beschreibung der NAFTA-Zone wurde bereits darauf hingewiesen, dass fast 80% des Außenhandels von Mexiko und Kanada mit den USA abgewickelt werden. Abbildung 22 zeigt, dass auch die meisten EU-Länder ihren Handel weitgehend untereinander tätigen. <?page no="58"?> Kapitel I: Globales Unternehmensumfeld • 35 Abbildung 22: Hauptexportpartner ausgewählter Länder, 2010 (in Prozent der Gesamtexporte) Quelle: CIA Factbook, 2011, online Betrachtet man die asiatischen Länder, so zeigt Abbildung 23, dass auch diese etwa 50% ihres Handels untereinander betreiben. Abbildung 23: Bestimmungsorte asiatischer Exporte in Prozent Quelle: Worldbank, 2012, online; eigene Berechnungen Die Regionalisierungstendenzen des Welthandels werden wohl in Zukunft weiter zunehmen, da aufgrund der Wirtschaftskrisen in der Welt, trotz WTO und ähnlicher Abkommen, ein zunehmender Protektionismus zwischen den Wirtschaftsblöcken erwartet werden kann. Darüber hinaus sind die Unternehmen immer globaler aufgestellt, so dass sie die Nachfrage nach ihren Produkten und Dienstleistungen weitgehend aus der Region bedienen können und sie somit Exporte aus ihren Heimatländern nur noch auf wenige „strategische” Produkte reduzieren. Abbildung 24 zeigt die Entwicklung von Wareneinfuhr und -ausfuhr für die Bundesrepublik Deutschland. Aus ihr wird ersichtlich, dass bis auf die Krisenjahre 2009 und 2010, fast ein permanenter Anstieg der Exporte stattfand. <?page no="59"?> 36 • Kapitel I: Globales Unternehmensumfeld Abbildung 24: Entwicklung der Warenimporte und -exporte der Bundesrepublik Deutschland Quelle: Deutsche Bundesbank, 2011 (verschiedene Berichte) Der Anteil der Exporte am gesamten Bruttoinlandsprodukt Deutschlands betrug im Jahre 2011 28,8%. Auch für andere westliche Industrienationen ist der Export von ähnlicher Bedeutung. So betrug 2011 die Exportquote in Frankreich 20,6%, in Großbritannien 20,0% und in den USA 10,0% (CIA World Fact Book, 2012, online). Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass das Exportgeschäft für viele deutsche Unternehmen unterschiedlicher Branchen und Größen einen wesentlichen Teil der gesamten Geschäftstätigkeit ausmacht und von zentraler Bedeutung für den Erfolg dieser Unternehmen ist. Gleichzeitig führt die zunehmende internationale Verflechtung nicht nur zu Entwicklungspotenzialen für die Unternehmen, sondern auch zu Risiken durch neue und z.T. bessere Konkurrenzunternehmen. 3.4.2 Direktinvestitionen Neben der Aufnahme und Durchführung von Ex- und Importen stellt der direkte Transfer von Kapital und Management-Know-how, z.B. in Form von Direktinvestitionen bzw. Lizenzvergaben vom oder ins Ausland, eine weitere wichtige Möglichkeit internationaler Unternehmenstätigkeiten dar. Betrachtet man den Bestand der deutschen Direktinvestitionen im Ausland und den Bestand ausländischer Direktinvestitionen in Deutschland als Indikatoren für die Bedeutung der internationalen Unternehmenstätigkeit, so ist hier eine kontinuierliche Zunahme deutscher Direktinvestitionen im Ausland festzustellen, während die Bestände ausländischer Direktinvestitionen in Deutschland seit ca. 2005 nur unterproportional ansteigen (vergleiche Abbildung 25). <?page no="60"?> Kapitel I: Globales Unternehmensumfeld • 37 Abbildung 25: Bestand der unmittelbaren Direktinvestitionen von Ausländern in Deutschland und deutscher unmittelbarer Direktinvestitionen im Ausland Quelle: Deutsche Bundesbank, 2012, online Im globalen Umfeld lässt sich feststellen, dass Entwicklungs- und Schwellenländer seit der Jahrtausendwende in zunehmendem Maße an der Entwicklung des internationalen Direktbestandes an Direktinvestitionen partizipieren. Wie Abbildung 26 zeigt, war diese Entwicklung noch im letzten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts weitgehend entkoppelt. Ein wesentlicher Treiber dieser Entwicklung sind die Erfolge asiatischer Schwellenländer. * = Entwicklungsländer: Alle afrikanischen, lateinamerikanischen und asiatischen Länder mit Ausnahme Japans. Abbildung 26: Weltweite Direktinvestitionen Quelle: UNCTAD, 2011, online 3.4.3 Lizenzen Für eine Vielzahl von Unternehmen sind Exporte oder Direktinvestitionen aus finanziellen oder personellen Gründen nicht möglich. Darüber hinaus verfügen viele, vor allem mittelständische Unternehmen, über zu geringe oder keine Erfahrung bezüglich internationaler <?page no="61"?> 38 • Kapitel I: Globales Unternehmensumfeld Aktivitäten. Andere Unternehmen scheuen das Risiko, welches mit ausländischen Geschäften auftreten kann, und versuchen den Kapital- und Personaleinsatz zu minimieren. In diesem Zusammenhang wird die Vergabe von Lizenzen an ausländische Unternehmen interessant. Abbildung 27 macht deutlich, dass die grenzüberschreitende Lizenzvergabe in den letzten 10 Jahren für deutsche Unternehmen an Bedeutung zugenommen hat. Einerseits kommt es zu einem Anstieg von deutschen Unternehmen, die von ausländischen Unternehmen Lizenzen kaufen, und andererseits verkaufen deutsche Unternehmen zunehmend mehr Lizenzen an ausländische Unternehmen. Auch diese Entwicklung macht die zunehmende internationale Verflechtung deutscher Unternehmen mit dem Ausland deutlich. Abbildung 27: Zahlungsströme aufgrund von An- und Verkäufen von Lizenzen und Patenten in der Zahlungsbilanz der Bundesrepublik Deutschland Quelle: Deutsche Bundesbank, Zahlungsbilanzstatistik, 2012, online <?page no="62"?> Kapitel I: Globales Unternehmensumfeld • 39 3.5 Marktteilnehmer 3.5.1 Unternehmen Abbildung 28: Auslandsquoten deutscher Großunternehmen in % Quelle: Hoppenstedt Bilanzdatenbank, Geschäftsberichte Abbildung 28 zeigt die Auslandsquote von deutschen Großunternehmen aus verschiedenen Branchen, die als Auslandsumsatz in Prozent des Gesamtumsatzes gemessen wird. Aus dieser Aufstellung geht hervor, dass eine Vielzahl von deutschen Großunternehmen mehr als die Hälfte des gesamten Konzernumsatzes im Ausland erwirtschaftet. Bemerkenswert für die deutsche Wirtschaft ist allerdings, dass sich auch mittelständische Unternehmen immer mehr im Ausland engagieren. Die bisher genannten Zahlen bezogen sich in erster Linie auf den Absatzbereich der Unternehmung. In der Unternehmenspraxis sind aber auch andere Unternehmensbereiche in wachsendem Maße von der Internationalisierung der jeweiligen Aktivitäten betroffen. Im Folgenden soll dies am Beispiel der Funktionsbereiche Personal, Beschaffung und Finanzen exemplarisch dargestellt werden. Der Personalbereich ist durch eine zunehmende internationale Verflechtung gekennzeichnet. Beispielhaft sei hier die Entwicklung des Anteils der Beschäftigten im In- und Ausland beim Henkel-Konzern genannt, die Abbildung 29 wiedergibt. Auch der Finanzbereich von Unternehmen sieht sich einer wachsenden Verflechtung der internationalen Kapitalmärkte gegenüber, die die Unternehmen bei Finanzierungsentscheidungen berücksichtigen müssen. Verknüpft man diese Entwicklung mit der Notwendigkeit, Zahlungsströme unterschiedlichster Währungen, die wiederum aus dem Absatz und/ oder der Beschaffung in verschiedenen Ländern resultieren, zu steuern und effizient zu koordinieren, so wird deutlich, welche Bedeutung die Internationalisierung für den Finanzbereich einer Unternehmung hat. <?page no="63"?> 40 • Kapitel I: Globales Unternehmensumfeld Abbildung 29: Beschäftigte der Henkel KGaA (Konzern) im In- und Ausland Quellen: Henkel KGaA (Hrsg.): Geschäftsberichte, Ergänzung durch Hoppenstedt Bilanzdatenbank; Henkel, 2010, online Eindrucksvoll ist auch die Entwicklung im Bereich der Beschaffung und der Produktion. Abbildung 30 erläutert die Komponentenherkunft am Beispiel der Produktion des Smart fortwo. Aus diesem Schaubild wird deutlich, welchen Grad die Internationalisierung die Beschaffung erreicht hat. Zu Recht kann daher die moderne Unternehmung als ein komplexes Netzwerk internationaler Beziehungen bezeichnet werden. Das Management der Probleme, die sich aus der Internationalisierung für viele Unternehmen ergeben, wird zunehmend zu einer zentralen Überlebensfrage, weshalb die Bedeutung internationaler Unternehmenstätigkeit sowohl für die einzelne Unternehmung als auch für Branchen und Volkswirtschaften nicht hoch genug eingeschätzt werden kann. Abbildung 30: Komponentenbeschaffung für den Smart fortwo Quelle: o.V., 2003b <?page no="64"?> Kapitel I: Globales Unternehmensumfeld • 41 Allerdings ist diese Betrachtung für eine betriebswirtschaftliche Beurteilung immer noch zu undifferenziert. Deshalb wird im Folgenden die Bedeutung der Auslandstätigkeit aus dem Blickwinkel einzelner Branchen dargestellt. Als Beleg dafür gibt Abbildung 31 die jeweiligen Auslandsquoten unterschiedlicher Branchen wieder. * = Daten für 2011 sind Schätzwerte Abbildung 31: Exportquoten der Bundesrepublik Deutschland in verschiedenen Branchen Quelle: Commerzbank, 2011, online * = Erstes Quartal Abbildung 32: Verwaltetes Hedgefonds-Vermögen Quelle: o.V. (FAZ), 2011a Während Pensionsfonds schon sehr lange als internationale Investoren auftreten und riesige Vermögen von Versicherten weltweit anlegen und damit insbesondere globale Portfolioinvestitionen förderten, treten seit Beginn der 1990er Jahre zunehmend Hedgefonds auf. Diese Unternehmen sammeln von Banken und Privatpersonen sehr hohe Kapitalmittel ein <?page no="65"?> 42 • Kapitel I: Globales Unternehmensumfeld (vgl. Abbildung 32), um sie dann weltweit in Unternehmen zu investieren. Damit wird ein Großteil der Direktinvestitionen im Ausland durch Hedgefonds initiiert und forciert. Abbildung 33: Die größten Hedgefonds - Verwaltetes Vermögen in Milliarden Dollar Quelle: o.V. (FAZ), 2011b Hedgefonds tätigen meist keine reinen Portfolioinvestitionen, sondern nehmen oft entscheidenden Einfluss auf die Unternehmenstätigkeit. Dies erfolgt meist über eine Beteiligung am Management. Abbildung 33 stellt die größten Hedgefonds-Unternehmen vor und zeigt, über welche beträchtlichen Investitionssummen diese Unternehmen verfügen. Da meist die Investitionen der Hedgefonds auf eine begrenzte Zeit angelegt werden, kommt es jährlich zu erheblichen Verschiebungen der Direktinvestitionen bezüglich der Branchen und der Regionen, in denen Investitionen getätigt werden. Damit werden Branchen oder Regionen in der Welt attraktiver oder wenig interessant für andere Investoren. 3.5.2 Staaten In den letzten beiden Jahrzehnten kam es in den rohstoffreichen und stark wachsenden Ländern zu einer erheblichen Akkumulation von Kapital. Die stark wachsenden „emerging markets“ benötigten vermehrt Rohstoffe für ihre Entwicklung, so dass insbesondere die rohstoffreichen Öl- und Gasländer einen sehr hohen Kapitalzufluss haben. China hat mit seiner Exportorientierung einerseits einen hohen Rohstoffbedarf, der den rohstoffreichen Ländern zugutekommt. Andererseits sammelt es durch seine Exporte sehr viel Kapital an. Oft wird dieses Kapital von Staatsfonds, die in diesen Ländern gegründet wurden, verwaltet. Abbildung 34 macht deutlich, dass außer Norwegen und Russland die größten Staatsfonds aus asiatischen Ländern kommen. Damit beeinflussen die Entscheidungsträger dieser Länder in zunehmendem Maße die Investitionsströme weltweit und nehmen damit auch Einfluss auf die Unternehmenspolitik vieler Unternehmen aus den klassischen Industrienationen. <?page no="66"?> Kapitel I: Globales Unternehmensumfeld • 43 * = Schätzung Abbildung 34: Staatsfonds: Dezember 2011, Mrd. US$ Quelle: o.V. (The Economist), 2011c Fallstudie: Internationale Marktanalyse im Nutzfahrzeugmarkt: Analyse des Busmarktes für MAN Truck & Bus Internationale Marktanalyse im Nutzfahrzeugmarkt: Analyse des Busmarktes für MAN Truck & Bus Axel Nösner, Geschäftsführer, KnowledgeAgent GmbH Stefan Zwerenz, Head of Market & Competitor Analysis Light Vehicles & External Engines, MAN Truck & Bus AG Die MAN Truck & Bus AG ist einer der führenden Bushersteller weltweit. Im Rahmen der Innovations- und Internationalisierungsstrategie stellt sich für MAN die Frage des Reifegrades im alternativ angetriebenen chinesischen Busmarkt. China ist einer der wichtigsten Wachstumsmärkte im Nutzfahrzeugbereich. Als Spezialist für Markt und Wettbewerb unterstützt KnowledgeAgent MAN bei der Analyse und Lösung strategischer Sachverhalte. Ein Team vor Ort analysierte den Markt und beurteilte den Marktreifegrad. Status der alternativ angetriebenen Busse in der Nutzfahrzeugindustrie Der Markt für Busse lässt sich in die drei Produktsegmente Stadtbusse, Überlandbusse und Reisebusse einteilen. Die Verwendung alternativer Antriebe konzentriert sich aufgrund der besonderen Nutzungscharakteristika und nicht zuletzt aufgrund der Reichweite vor allem auf das Segment der Stadtbusse. <?page no="67"?> 44 • Kapitel I: Globales Unternehmensumfeld Abbildung 35: Entwicklung Gesamtmarkt Bus Europa, >8 t, Stückzahlen Quelle: MAN Truck & Bus AG Im Jahr 2010 wurden in Europa, wie in Abbildung 35 dargestellt, ca. 28.500 Busse mit einem Gesamtgewicht über 8 Tonnen abgesetzt, wovon der Marktanteil alternativ angetriebener Busse bei ca. 5% lag. Der Trend alternativ angetriebener Busflotten ist vor allem im Stadtbussegment seit 2008 ansteigend und weiteres Marktwachstum wird neben Europa vor allem in Nordamerika, Japan und den BRICS-Staaten erwartet. Metropolen wie London (UK) beschäftigen sich im Rahmen von Testflotten bereits seit einigen Jahren mit der Einführung von alternativ angetriebenen Bussen. 2010 wurde ein Plan des Bürgermeisters Boris Johnson bekannt, wie die bisher 8.000 vor allem konventionell angetriebenen Londoner Busse ab 2012 sukzessive durch eine alternativ angetriebene Flotte ersetzt werden sollen (siehe Abbildung 36). Abbildung 36: Simulation Austausch der Busflotte der Londoner Verkehrsbetriebe Quelle: Handelsblatt, 2010, online Trotz ambitionierten Vorgehens ist, wie die Simulation in dieser Abbildung deutlich macht, eine vollständige Substitution vor 2028 kaum denkbar. Dies zeigt, dass es in Europa zwar <?page no="68"?> Kapitel I: Globales Unternehmensumfeld • 45 einige Pilotprojekte im Bereich alternativ angetriebener Stadtbusse gibt, eine dynamische Entwicklung mit starkem Wachstumspotenzial aber erst in den Anfängen steckt. Um die Technologie weiterzuentwickeln und die Preise nachhaltig zu senken, ist für die Hersteller jedoch eine Steigerung der Produktions- und Absatzzahlen von großer Bedeutung. Neben den momentan noch hohen Preisaufschlägen für alternative Antriebstechnologien spielen vor allem technische Hindernisse eine große Rolle: Busse mit bspw. Hybridtechnologie sind durchschnittlich noch bis zu 50% teurer als vergleichbare Busse mit konventioneller Antriebstechnologie, eine Entwicklung zuverlässiger und leistungsfähiger Batterien, die eine ausreichende Fahrleistung ermöglichen, steht noch am Anfang, des Weiteren sind die Total Cost of Ownership (TCO) solcher Fahrzeuge ebenfalls noch wesentlich höher als bei verbrennungsmotorisch betriebenen Bussen. Wachstumspotenziale alternativ angetriebener Busse in China für die MAN Truck & Bus AG Durch die kontinuierliche Marktbeobachtung wurde MAN auf die jüngsten Entwicklungen im Bereich hybrider und elektrischer Stadtbusse in China aufmerksam. Demnach forciert die chinesische Regierung die Entwicklung dieses Marktsegments mit einem ambitionierten Plan, der vorsieht, in kurzer Zeit eine Flotte von je 1.000 Fahrzeugen in zehn Städten zu realisieren. In der Zwischenzeit wurde dieser Plan zunächst auf dreizehn, später auf zwanzig Städte ausgeweitet. Entsprechende Subventionen wurden vom chinesischen Staat verabschiedet. Subventionen für Busse mit einer Länge von mehr als 10 Metern (in RMB pro Fahrzeug) Abbildung 37: Subventionen für Busse mit alternativen Antrieben Quelle: KnowledgeAgent Research Um eine Bewertung des Marktreifegrades für die MAN Truck & Bus AG in das Segment der alternativ angetriebenen Stadtbusse in China vorzunehmen, wurde eine umfangreiche Analyse durchgeführt. Ziel hierbei war es, ein realistisches Bild der Markttreiber, des <?page no="69"?> 46 • Kapitel I: Globales Unternehmensumfeld Marktpotenzials, des Wettbewerbssowie des Supply-Chain-Umfeldes zu erhalten. Diese Market Insights sind erforderlich, um den Marktreifegrad bestimmen und das Marktpotenzial einschätzen zu können. Die Analyse des Marktumfeldes wurde von MAN an KnowledgeAgent, einen externen Spezialisten für Markt- und Wettbewerbsinformationen, vergeben. Im Rahmen des Projektes wurde ein zweistufiges Verfahren von Sekundärsowie Primärquellenauswertung durchgeführt. Die Auswertung englischsprachiger internationaler Fach- und Tagespresse führte zu ersten Anhaltspunkten: Einige chinesische Hersteller melden große Auftragsvolumina im Bereich hybrider Stadtbusse. Die Zielvorgaben der Regierung deuteten auf ein großes Marktpotenzial und eine rasante Marktentwicklung hin. Eine Vielzahl an chinesischen Herstellern präsentierte im Internet bereits serienreife Stadtbusmodelle mit Hybridbzw. Elektroantrieb. Aufgrund der langjährigen Erfahrung mit dem Kommunikationsverhalten chinesischer Unternehmen konnte man darauf schließen, dass eine übertrieben positive Darstellung der realen Sachverhalte in China durchaus üblich ist. Um ein objektiveres Bild der Lage zu bekommen, wurde anschließend eine Befragung von Wissensträgern (Primärquellen) in der Branche durchgeführt. Aufgrund der kulturellen Unterschiede ist dies in der Regel nur vor Ort möglich, meist über persönliche Treffen und Face-to-Face-Interviews. Über das chinesische Research-Team der Fa. KnowledgeAgent wurden entsprechende Wissensträger identifiziert und befragt, u.a. aus den folgenden Organisationsbereichen: Hersteller von Stadtbussen sowie Zulieferer von hybrider bzw. elektrischer Antriebstechnologie Kommunale Stellen, die für die Gewährung von Subventionen zuständig sind Kommunale Stellen, die für die Beschaffung von Stadtbussen zuständig sind Flottenbetreiber von Stadtbussen in verschiedenen Städten und Landesteilen Die Durchführung der Interviews war bedeutend aufwendiger als die Auswertung der Sekundärquellen, ergab jedoch ein wesentlich realistischeres Marktbild. Dieses war davon geprägt, dass die offiziellen Zielvorgaben der Regierung bei Weitem nicht eingehalten wurden. Abbildung 38 verdeutlicht die Abweichung der Umsetzung von dem ursprünglichen Regierungsplan. Statt der geplanten 10.144 Fahrzeuge wurden nur rund 2.182 Fahrzeuge in den dreizehn betrachteten Städten angeschafft. Dies bedeutet, dass das tatsächliche Marktvolumen nur rund ein Fünftel des geplanten Marktvolumens ist. <?page no="70"?> Kapitel I: Globales Unternehmensumfeld • 47 Abbildung 38: Analyse tatsächlicher Stückzahlen Quelle: KnowledgeAgent Research Im Bereich der Technologie wurden die 15 wichtigsten Hersteller und ihre Produkte analysiert. Hier zeigte sich auf Basis der durchgeführten Interviews, dass es enorme technische Probleme mit den Stadtbussen gab, weshalb eine Vielzahl der angeschafften Busse gar nicht eingesetzt wurde bzw. nicht im Hybridmodus betrieben wurde. Wichtiger noch als die realistische Sicht auf Marktvolumen und Technologiestatus ist jedoch die Erkenntnis, dass ein starker lokaler Protektionismus bei der Vergabe der Aufträge besteht. Dies bedeutet nicht nur, dass lediglich chinesische Hersteller in den Genuss der Subventionen kommen, sondern auch, dass bei Neuanschaffungen in der Regel nur lokale Hersteller berücksichtigt werden. Dies führt zusätzlich zu einer starken Fragmentierung des Marktes, in dem sich neben den vier großen Herstellern (Foton, Yutong, Kinglong- Higer und Golden Dragon) zahlreiche kleine, regionale Spieler bewegen. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass China einerseits in vielen Bereichen der wichtigste Wachstumsmarkt ist und sicherlich enorme Chancen bietet, andererseits aber auch die kulturellen Aspekte und insbesondere die Verflechtung von Wirtschaft und Politik fallspezifisch berücksichtigt werden müssen. Einige der Schwierigkeiten, mit denen KnowledgeAgent im Rahmen der internationalen Marktanalyse zu kämpfen hatte, wurden bereits erwähnt. So ist es zum Beispiel in China gang und gäbe, dass reale Sachverhalte stark geschönt dargestellt werden - im hier vorliegenden Fall die Auftragsvolumina hybrider Stadtbusse und die Serienreife alternativer Antriebstechnik. Ein weiteres Problem stellt selbstverständlich auch die Sprachbarriere dar. Durch die Kenntnis der Landessprache erschließt sich eine weitaus größere Zahl an Quellen. Face-to- <?page no="71"?> 48 • Kapitel I: Globales Unternehmensumfeld Face-Interviews sind Befragungen übers Telefon vorzuziehen, da sie es dem Interviewer ermöglichen, detailliertere und präzisere Informationen zu erlangen als dies bei Telefonaten möglich ist. Diese Aspekte zeigen, wie wichtig es ist, bei der Analyse von internationalen Märkten und Wettbewerbern auf lokale Kenntnisse und Fähigkeiten zurückgreifen zu können. Auch hier gilt: „Think global - act local“. Fragen zur Fallstudie (1) Welche Gründe sprechen für eine Internationalisierungsstrategie im Bereich von alternativ angetriebenen Stadtbussen? (2) Wie schätzen Sie die Marktsituation in Europa ein? (3) Wie schätzen Sie die Marktsituation in China ein? (4) Wie schätzen Sie die Wettbewerbersituation in China ein? (5) Worin zeigen sich kulturelle Unterschiede bei der Nutzung von Primär- und Sekundärquellen in China im Vergleich zu Europa? (6) Glauben Sie, es ist für einen europäischen Hersteller sinnvoll, in den Markt für alternativ angetriebene Busse in China einzusteigen? Quellen Theorie Grant, R.M., 2012: Contemporary Strategic Analysis Text and Cases, 8 th Edition, Chichester (UK), John Wiley & Sons Ltd. Wright, M./ Filatotchev, I./ Hoskisson, R.E./ Peng, M.W., 2005: Strategy Research in Emerging Economies: Challenging the Conventional Wisdom, Journal of Management Studies, 42(1), pp. 1-33. Wright, S./ Calof, J.L., 2006: The Quest for Competitive, Business and Marketing Intelligence: A Country Comparison of Current Practice, European Journal of Marketing, 40(5/ 6), pp. 453-465. Daten Handelsblatt, 2010: Metropolen fahren mit Hybridbussen voraus, www.handelsblatt.com Abrufdatum, 24.09.2010. ChinaCarTimes, 2010: Government Confirms Subsidies for Hybrid and New Energy Vehicles, www.chinacartimes.com, Abrufdatum, 02.06.2010. <?page no="72"?> Kapitel I: Globales Unternehmensumfeld • 49 Literaturempfehlungen Basisliteratur Cavusgil, T./ Knight, G./ Riesenberger, J., 2012: International Business: The New Realities, 2. Aufl., New Jersey: Pearson, [Kapitel 2: „ Globalization of Markets and the Internationalization of the Firm“, S. 64-93]. Kutschker, M./ Schmid, S., 2011: Internationales Management, 7. Aufl., München, [Kapitel 3: „ Theorien der internationalen Unternehmung“, S. 379-481; Kapitel 7: „ Dynamik in der internationalen Unternehmung“, S. 1083-1211]. Vertiefungsliteratur Morasch, K./ Bartholomae, W., 2011: Internationale Wirtschaft, Lucius: München. Rodrigue, J.-P./ Comtois, C./ Slack, B., 2011: The Geography of Transport Systems, Second Edition, Routledge. <?page no="74"?> Kapitel II: Grundlagen des internationalen Wettbewerbs <?page no="75"?> 52 • Kapitel II: Grundlagen des internationalen Wettbewerbs Standpunkt: Herausforderung der Globalisierung Prof. Hans-Olaf Henkel Hans-Olaf Henkel war in verschiedenen internationalen Managementpositionen für IBM tätig. Von Anfang 1995 bis Ende 2000 war er Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI), von 2001 bis 2005 Präsident der Leibniz-Gemeinschaft. Heute lehrt Henkel als Honorarprofessor an der Universität Mannheim. 1. Wird sich die Globalisierung, welche die Weltwirtschaft in den letzten Jahrzehnten geprägt hat, mit der gleichen Dynamik fortsetzen? Das Wachstum der Weltwirtschaft wurde in den letzten Jahren durch den Aufholprozess der Schwellenländer, insbesondere der BRIC-Staaten, bestimmt. Ich glaube nicht, dass dieses Wachstum im gleichen Maße wie bisher verlaufen wird. Es wird trotzdem schneller verlaufen als in den USA und Europa, vor allem wird der Welthandel auf Jahrzehnte schneller wachsen als der Durchschnitt des Wachstums der einzelnen BIPs. Dazu werden Länder beitragen, die bisher nicht so im Fokus des Interesses standen, wie Indonesien, Mexiko, Südostasien und die nordafrikanischen Länder. Entscheidend bleibt, dass Marktwirtschaft, Menschenrechte und Demokratie weiter fortschreiten. Hier haben China und Russland einen strategischen Nachteil gegenüber anderen Ländern wie Indien, Brasilien und Indonesien. Zwar hat China eine bessere Infrastruktur, aber bei der „weichen“ Infrastruktur wie einer funktionierenden Demokratie sind diese Länder im Nachteil. Sie müssen den Übergang erst schaffen. Ob dieser friedlich und ohne Verwerfungen geschieht, steht in den Sternen . 2. Ohmae definierte die USA, Westeuropa und Japan als die zentralen Treiber der weltweiten Wirtschaftsentwicklung; inwiefern ist diese These noch zu halten und welche Regionen werden die Zukunft dominieren? Diese These muss revidiert werden. Als Produktionsland ist China längst allen drei Regionen davongeeilt. Als Softwarenation holt Indien schnell auf. Zwar kommen immer noch wichtige Impulse aus der „Alten Welt“, wie ich mal die Welt von Ohmae bezeichnen möchte (z.B. Software wie „Facebook“ aus den USA, Maschinenbau und Kfz-Innovationen aus Deutschland), aber Indien und China müssen als zusätzliche zukünftige „Treiber“ mitgezählt werden. So wie bei Japan auch, werden Indien und China nach einer Anfangsphase des Kopierens in eine Phase der Kreativität eintreten und die „Alte Welt“ mit eigenen Impulsen überraschen. Die außerordentliche Kreativität moderner chinesischer Kunst ist ein Vorbote industrieller Forschungsdurchbrüche aus diesen Ländern. <?page no="76"?> Kapitel II: Grundlagen des internationalen Wettbewerbs • 53 3. Sehen Sie das Modell einer geozentrischen, nicht an nationale Gegebenheiten orientierten Unternehmenskultur als zukunftsweisend oder spielen nationale Wurzeln weiterhin eine zentrale Rolle? Ich sehe die Bedeutung nationaler Wurzeln langsam zurückgehen. Seit die amerikanische IBM ihr PCbzw. ihr Laptopgeschäft an die chinesische Lenovo verkauft hat, ist die weltweite Marktstellung dieses Produktes eher gestiegen. Man kann dieses Phänomen anhand des Wandels großer deutscher Firmen sehr gut erkennen: Bayer macht z.B. inzwischen über 85% seines Umsatzes außerhalb Deutschlands, immer öfter werden Forschungsaktivitäten ins Ausland verlagert, der CEO von Bayer ist Niederländer. Einer der beiden zukünftigen CEOs der Deutschen Bank wird ein Inder sein. Dieser Trend darf aber nicht verwechselt werden mit der oft irrigen Annahme, die Kunden wollten in der Zukunft keine Produkte ohne „nationale Wurzeln“ mehr. GM ist vor Jahren mit der Idee eines „World Car“ gescheitert. Die Kunden wollen einen „deutschen“ Opel oder einen „schwäbischen“ Porsche und kein verwechselbares Einheitsprodukt. Mit anderen Worten, die Rücksichtnahme auf nationale Kundenwünsche muss auch ein weltweit tätiges Unternehmen immer im Auge behalten. 4. Wie kann ein Unternehmen aus Ihrer Sicht global agieren, ohne dabei die aus der nationalen Identität stammende Stärke zu verlieren? Das ist nach meiner Meinung die Schlüsselfrage. Ich beobachte zurzeit einen zunehmenden Trend zur Funktionalisierung zulasten der regionalen Verantwortung. Klar, in Zeiten der Globalisierung muss man über Landesgrenzen hinweg Entscheidungen treffen, aber die völlige Entmachtung „regionaler Könige“, die zurzeit bei fast allen „Global Players“ zu beobachten ist, birgt das Risiko, am regional verankerten Kunden vorbei zu entscheiden. Der richtige Mix aus funktionaler und regionaler Verantwortung macht den Unterschied. Produktion, Entwicklung, Administration und Infrastruktur können durchaus internationalisiert werden, Marketing schon weniger. Vor allem muss sichergestellt werden, dass die Entwicklung von Produkten immer wieder direkte Anstöße aus den Regionen bekommt. 5. Welche Faktoren bestimmen im 21. Jahrhundert die Wettbewerbsfähigkeit von Nationen? Neben der Bildung vor allem ein politisches System, in dem Ideen, Kritik, Anregungen ohne Furcht geäußert werden und „nach oben“ kommen können. Das gilt sowohl für Unternehmen als auch für Nationen. Hier sehe ich einen strategischen Nachteil Chinas und Russlands entstehen. Am Beispiel der Entwicklung Südafrikas kann man gut erkennen, wie schnell die Entwicklung zur Demokratie auch der wirtschaftlichen Entwicklung Beine machen kann. Den Zugang zu Rohstoffen sehe ich dagegen als weniger wichtig an. Dieser lenkt immer wieder von der Entwicklung eigener Kreativität ab und könnte zu einer Vernachlässigung der Bildungsanstrengungen, zu Trägheit und sinkender Wettbewerbsfähigkeit der Bevölkerung führen. Saudi-Arabien ist ohne intellektuelle Importe nicht überlebensfähig, wohl aber seit Langem eines der reichsten Länder der Welt. <?page no="77"?> 54 • Kapitel II: Grundlagen des internationalen Wettbewerbs 6. Welche Rolle sollte der Staat oder supranationale Organisationen spielen, um die Wettbewerbsfähigkeit der Region zu sichern? Er muss den Wettbewerb in allen Bereichen der Gesellschaft organisieren: in der Bildung, zwischen Regionen, unter den Unternehmen, in der Kultur, im Sport. Wettbewerbsfähig bleibt eine Region durch ... Wettbewerb! <?page no="78"?> Kapitel II: Grundlagen des internationalen Wettbewerbs • 55 Grundlagen des internationalen Wettbewerbs Für ein entscheidungsorientiertes Internationales Management stellt sich die Frage, welche Variablen auf die Unternehmensführung einwirken und zu einer Internationalisierung der Unternehmenstätigkeit führen. Hierzu leisten Theorien der internationalen Unternehmenstätigkeit einen wertvollen Beitrag. Bereits in der Literatur des 18. und 19. Jahrhunderts wurden ökonomische Probleme angesprochen, die sich mit der Beziehung von Volkswirtschaften, Branchen und Unternehmen zum Ausland beschäftigen (Casson, M., 1988; Babbage, Ch., 1832; Ricardo, D., 1821; Smith, A., 1776). In der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts wurde eine Vielzahl von meist volkswirtschaftlichen Theorien entwickelt, die sich mit Problemen des Außenhandels, der Direktinvestitionen im Ausland und mit internationalen Technologieverträgen befassen. Ab den 1960er Jahren wurde durch die Diskussion über das Wesen und die Bedeutung von multinationalen Unternehmen auch in der Betriebswirtschaftslehre nach Theorien und Konzepten gesucht, die die Internationalisierung dieses Unternehmenstyps erklären sollten. Dabei stellt die Mehrzahl der Theorien und Konzepte Erklärungsmodelle dar, warum und wie es zu einer Internationalisierung von Volkswirtschaften, Branchen und Unternehmen kommt. Abbildung 39 stellt die im Folgenden behandelten betriebswirtschaftlichen und volkswirtschaftlichen Konzepte im Überblick dar. Abbildung 39: Grundlagen des internationalen Wettbewerbs <?page no="79"?> 56 • Kapitel II: Grundlagen des internationalen Wettbewerbs 1 Volkswirtschaftliche Konzepte des internationalen Wettbewerbs 1 .1 Theorien des internationalen Handels 1 .1.1 Klassische Theorien Merkantilismus und absolute Kostenvorteile Der Merkantilismus wird als die erste Theorie des internationalen Handels angesehen und trat im 16. Jahrhundert erstmals in Europa auf. Gekennzeichnet ist der Merkantilismus durch die intensive staatliche Förderung der Wirtschaft, mit dem Ziel den Außenhandel zu stärken und eine permanente positive Handelsbilanz zu wahren. Im 16. Jahrhundert waren Gold und Silber die offizielle Währung zwischen Nationen und Synonym für Wohlstand und Macht. Durch die Besteuerung von Importen und die Subventionierung von Exporten versuchte der Staat, einen permanenten Handelsüberschuss zu erzwingen, sowie die Macht und den Wohlstand des Landes zu steigern (Kutschker, M./ Schmid, S., 2011; Hill, C.W.L., 2009). Die Gegenargumentation erfolgte unter anderem durch den Wirtschaftsökonom David Hume, der die Widersprüchlichkeit der merkantilistischen Sichtweise belegt. Laut Hume führt ein dauerhafter Exportüberschuss zu einer Erhöhung der Geldmenge und zu steigenden Preisen auf dem Inlandsmarkt. Im Vergleich zum Ausland werden die Waren auf dem Inlandsmarkt relativ teurer. Daraus folgt ein Importüberschuss, der durch die Gold- und Silberreserven finanziert wird. In den Empfängerländern kommt es zu dem gleichen Prozess, bis alle Länder einen Ausgleich von Importen und Exporten erreicht haben. Es wird dann von absoluten Kostenvorteilen gesprochen, wenn ein Land dasselbe Produkt zu niedrigeren Kosten herstellen kann als ein anderes Land. Durch Außenhandel können die Produktionsfaktoren in beiden Ländern effizienter eingesetzt werden. Komparative Kostenvorteile Die Theorie der Produktivitätsunterschiede geht davon aus, dass die relativen Kostendifferenzen zwischen zwei oder mehreren Ländern die Richtung der Handelsströme zwischen diesen Ländern bestimmen (Rose, K./ Sauernheimer, K., 2006). Ein bestimmtes Land hat einen komparativen Kostenvorteil bei der Herstellung eines Produktes oder einer Dienstleistung, wenn die Opportunitätskosten der Herstellung des Produktes niedriger sind als die eines anderen Landes. In einem solchen Fall sind eine Spezialisierung und folglich internationaler Handel ratsam (Krugman, P./ Wells, R., 2009). Empirische Untersuchungen lassen jedoch erhebliche Bedenken an der praktischen Relevanz dieser Theorie für Volkswirtschaften aufkommen (Porter, M.E., 2001). <?page no="80"?> Kapitel II: Grundlagen des internationalen Wettbewerbs • 57 Faktorausstattung Heckscher (Heckscher, E.F., 1949) und Ohlin (Ohlin, B., 1931) begründeten das Entstehen des Handels zwischen Ländern mit den Unterschieden in der Faktorausstattung von Arbeit und Kapital (Hill, C.W.L., 2009). Ausgangspunkt ist dabei die Hypothese, dass Richtung und Struktur des Welthandels im Wesentlichen durch die relative Faktorausstattung bestimmt werden. Danach müssten die Erzeugnisse, für deren Produktion der relativ reichlich vorhandene und damit billige Faktor eines Landes notwendig ist, vergleichsweise billig sein und somit von diesem Land exportiert werden, während Güter, die einen relativ knappen Faktor zur Herstellung benötigen, teuer sind und folglich aus solchen Ländern importiert werden, in denen dieser Faktor reichlich vorhanden ist (Kutschker, M./ Schmid, S., 2011). Das Heckscher-Ohlin-Theorem bestimmte lange Zeit die außenwirtschaftliche Diskussion. Eine empirische Bestätigung war nur unter Berücksichtigung zusätzlicher Erklärungsvariablen möglich. Insbesondere die empirische Untersuchung von Leontief (Leontief, W., 1956) führte zu umfangreichen Diskussionen über die Gültigkeit der Theorie. Leontief stellte für die USA, die in den Jahren 1947 und 1951 Kapital als reichlichen Faktor in Relation zur Arbeit hatten, fest, dass die Exportgüter arbeitsintensiver waren als die Importgüter. Dieses Phänomen, das als Leontief-Paradoxon bekannt wurde, hatte eine Reihe von Erklärungsversuchen zur Folge. Viele Untersuchungen bestätigten das Leontief-Paradoxon auch für spätere Jahre, unterschiedliche Branchen und andere Länder (Hill, C.W.L., 2009; Perlitz, M., 1978). Zur Auflösung des Leontief-Paradoxons wurden verschiedene Erklärungsvariablen untersucht, z.B.: der große Bedarf an hoch qualifizierten Arbeitskräften (Humankapital) der Exporte fortgeschrittener Volkswirtschaften, der Effizienzvorsprung fortgeschrittener Volkswirtschaften bei der Durchführung von Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten, der zu komparativen Vorteilen durch den technologischen Vorsprung in der Herstellung neuer Güter führt, und die Beschränkung von arbeitsintensiven Importen durch Zollbestimmungen fortgeschrittener Volkswirtschaften. Empirische Bestätigungen für die Auflösung des Leontief-Paradoxons konnten nicht für alle Erklärungsvariablen gewonnen werden (Baldwin, R.E., 1971). 1 .1.2 Moderne Theorien Theorie der technologischen Lücke Komparative Kostenvorteile ergeben sich auch aus internationalen Unterschieden in der Technologie. Aufbauend auf diesen Überlegungen, entwickelte Posner (Kutschker, M./ Schmid, S., 2011; Posner, M.V., 1961) die Theorie, dass Exporte durch das Vorhandensein einer <?page no="81"?> 58 • Kapitel II: Grundlagen des internationalen Wettbewerbs technologischen Lücke zwischen dem In- und Ausland entstehen. Ausgangspunkt seiner Überlegungen ist die Entwicklung eines Produktes, das entweder neu ist oder mit einem bereits existierenden Erzeugnis konkurriert. Ein Beispiel (Hufbauer, G.C., 1966) soll das Zustandekommen eines internationalen Handels durch eine technologische Lücke verdeutlichen: Ein deutsches Unternehmen hat ein neues Produkt A entwickelt, das in Konkurrenz zu einem Erzeugnis B eines US-Unternehmens steht, diesem Erzeugnis aber technologisch überlegen ist. Im Zeitpunkt t 0 beginnt das Unternehmen die Produktion. In den USA erlangt man einige Zeit später Kenntnis von dem neuen Produkt und beginnt den Import aus Deutschland. Damit kommt ein Exportstrom von Deutschland in die USA zum Zeitpunkt t 1 zustande. Die Zeitdifferenz zwischen dem ersten deutschen und dem ersten amerikanischen Konsum bezeichnet man als Nachfragelücke. Abbildung 40 stellt die Nachfragelücke (t 0 -t 1 ) grafisch dar. Abbildung 40: Theorie der technologischen Lücke In der Zwischenzeit stellen US-Unternehmen fest, dass ihr Markt durch die Importe aus Deutschland gefährdet wird oder, falls es sich um ein neues Erzeugnis handelt, eine sehr attraktive Marktchance besteht. Für sie gibt es nun neben einer passiven Haltung zwei mögliche Handlungsalternativen: die neue Technologie zu kaufen oder eine entsprechende eigene Technologie zu entwickeln. Problematisch wird die zweite Alternative dann, wenn in den USA das neue Produkt patentrechtlich von dem deutschen Unternehmen geschützt ist. In diesem Falle müssen die US-Unternehmen ein Produkt entwickeln, das keine Patentverletzung gegenüber dem deutschen Erzeugnis darstellt, oder das Patent kaufen. Beginnt das US-Unternehmen zum Zeitpunkt t 2 mit der eigenen Produktion, dann bezeichnet man die Zeitdifferenz zwischen t 0 und t 2 als Imitationslücke und die Imitationsroute wäre bei einem Technologieerwerb ein Technologievertrag. Kosten-, Liefer- oder andere Gründe können Vorteile für die US-amerikanischen Unternehmen sein, die dazu führen, dass <?page no="82"?> Kapitel II: Grundlagen des internationalen Wettbewerbs • 59 der Export des deutschen Unternehmens in die USA sinkt. Generell wird angenommen, dass der Export von Deutschland umso intensiver wird, je länger die Imitationslücke und die technologische Lücke bestehen. Im Zeitpunkt t 3 findet aus Deutschland kein Export mehr in die USA statt. Für den Zeitraum zwischen t 1 und t 3 spricht man von einem technologischen Lücken-Handel. Nach dem Zeitpunkt t 3 kann es nach dieser Theorie zu Exporten aus den USA nach Deutschland, d.h. zu einer Umkehrung der Exportströme, kommen. In der Regel wird bei der Theorie der technologischen Lücke unterstellt, dass der Export von einem Land mit technologischer oder industrieller Führerschaft ausgeht und dass dies meist auf Länder mit einem hohen Lohnniveau zutrifft. In der ersten Phase der Theorie hat das Innovationsunternehmen einen technologischen Vorsprung und die Lohnkosten spielen nur eine untergeordnete Rolle. Nachdem die Imitationslücke geschlossen wurde, werden jedoch die Kostenunterschiede nach dieser Theorie zur Hauptdeterminante des Handelsstromes, was zur Theorie der komparativen Kosten zurückführt. Darum wird unterstellt, dass in der zweiten Phase der Theorie eine Umkehrung der Exportströme von Niedrigzu Hochlohnländern erfolgt. Dieser Niedriglohn-Handel wird seinerseits wiederum durch das Aufkommen neuer Produkte oder Verfahren im Hochlohnland oder durch das Ansteigen der Lohnsätze im Niedriglohnland beendet. Die Entwicklung des technologischen Lücken-Handels zum Niedriglohn-Handel und dessen Ende ist in Abbildung 41 wiedergegeben. Aus ihr wird deutlich, welche Faktoren die Imitationslücken oder den Niedriglohn-Handel fördern oder beenden. Beim technologischen Lücken-Handel bestimmen jedoch nicht immer die Lohnkostenunterschiede zwischen den Ländern die Richtung des Handels in der zweiten Phase. Durch die Entwicklung eines neuen Produktes oder eines neuen Produktionsverfahrens im Hochlohnland kann die zweite Phase des Außenhandels auch wegfallen. In diesem Zusammenhang weist Porter darauf hin, dass knappe, teurere Arbeitskräfte ein wichtiger Anstoß für Innovationen sind (Porter, M.E., 2001). In der Realität kann es für das gleiche Land sowohl zu einem technologischen Lücken- Handel als auch zu einem Niedriglohn-Handel kommen. Hufbauer (Hufbauer, G.C., 1966) nennt als Beispiel den Export und Import von Nylon. Nachdem in den USA Nylon entwickelt und ab 1941 produziert wurde, hat 1950 Großbritannien als eines der ersten Länder neben den USA die Produktion von Nylon aufgenommen und im Gegensatz zu den USA auch nach Spanien exportiert (Freeman, C., 1963). Gleichzeitig begann der Export von Nylon von Großbritannien in die USA. Der Export von Großbritannien in die USA war ein Niedriglohn-Handel und der nach Spanien ein technologischer Lücken-Handel. Deshalb kann sich das Land mit den längsten Imitationslücken später nur noch auf den Niedriglohn-Handel einrichten. Umfangreiche empirische Untersuchungen für verschiedene Länder und Branchen zeigen die große Bedeutung dieser Theorie für das Zustandekommen von Exporten (Perlitz, M., 1978). <?page no="83"?> 60 • Kapitel II: Grundlagen des internationalen Wettbewerbs Abbildung 41: Vom technologischen Lückenzum Niedriglohn-Handel Das Entstehen einer technologischen Lücke wird in dieser Theorie aus einer überlegenen Produkt- oder Prozesstechnologie abgeleitet. Damit basiert diese Theorie insbesondere auf dem Ergebnis von Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten des Unternehmens. Betriebliche Forschungs- und Entwicklungsanstrengungen beeinflussen das Regelkreissystem der Unternehmensführung. Aufgrund dessen muss die Erklärungsvariable „ Technologie“ in die betriebliche Stärken- und Schwächenanalyse zur Entwicklung einer Internationalisierungsstrategie eingehen. Ebenso muss die Höhe der Arbeitskosten über die Erklärungsvariable „ Kosten“ in der betrieblichen Stärken- und Schwächenanalyse Berücksichtigung finden. Der Technologieaspekt wirkt sich in dieser Analyse auch auf die Erklärungsvariable „ Produktion“ aus. Gleichsam leistet die Theorie im Rahmen des Regelkreissystems einen Beitrag für die Umweltanalyse. Sie untersucht nämlich, welche Umweltfaktoren die Imitationslücke verkürzen oder verlängern. In diesem Zusammenhang werden die Erklärungsvariablen „ Größe des Marktes“ und „ Zollschranken“ für eine Umweltanalyse relevant. Darüber hinaus wird durch die Unterscheidung in Innovations- und Niedriglohnland auf die Bedeutung der Erklärungsvariablen „ Allgemeines Kostenniveau“ und „ Technologischer Stand“ für eine Umweltanalyse verwiesen. Diese Erklärungsvariablen beeinflussen über eine Umweltanalyse die Formulierung einer Internationalisierungsstrategie. <?page no="84"?> Kapitel II: Grundlagen des internationalen Wettbewerbs • 61 Produktlebenszyklus-Theorie Auch die Produktlebenszyklus-Theorie des internationalen Handels, die 1966 von Vernon (Vernon, R., 1966) entwickelt wurde, setzt bei neuen Produkten oder Verfahren an. Diese Theorie unterstellt, dass der Export von Gütern von deren Stellung auf ihrer Produktlebenszykluskurve abhängt. Vernon unterscheidet in seiner Betrachtung nicht, ob es sich um ein Konsum- oder Investitionsgut handelt (Kutschker, M./ Schmid, S., 2011). Er unterscheidet drei Phasen im Produktlebenszyklus: (1) eine Einführungsphase, in der ein neues Produkt angeboten wird, (2) eine Wachstumsphase, in der das Produkt eine gewisse Reife erlangt hat und (3) eine Reifephase, in der das Produkt standardisiert ist. Ausgangspunkt seiner Argumentation ist ein im In- und Ausland neues Produkt. Dabei kann dieses Erzeugnis nach Vernon im Hinblick auf den Input, das Verfahren oder die Ausstattung neu sein. Das Exportverhalten von Unternehmen wird nach dieser Theorie wie folgt erklärt (Hirsch, S., 1967): Neue Produkte sind i.d.R. sich schnell ändernden Produktionstechniken ausgesetzt, durch hohe Stückkosten belastet und erfordern einen hohen Personalbedarf, wobei Naturwissenschaftler und Techniker die wichtigsten Personengruppen sind. Solange andere Unternehmen im Ausland noch nicht über eine entsprechende Technologie verfügen, wird unterstellt, dass das Innovationsunternehmen eine Monopolstellung hat. Die verhältnismäßig hohen Stückkosten spielen für den Innovator in diesem Stadium eine untergeordnete Rolle, da das Unternehmen „ Monopolgewinne“ erwirtschaftet und für den Produzenten wegen der großen Produktdifferenzierung eine relativ geringe Preiselastizität der Konsumentennachfrage besteht. Somit sind Kostengesichtspunkte während der Einführungsphase weniger bedeutend als die Kommunikationsmöglichkeiten zwischen dem Produzenten und dem Konsumenten. Darüber hinaus sind in diesem frühen Stadium billigere Arbeitsplätze im Ausland für den Entscheidungsprozess unerheblich. In dieser Phase des Produktlebenszyklus beginnt der Export der Unternehmen. Dieser Export entspricht dem technologischen Lücken-Handel, der so lange ungestört fortgeführt werden kann, bis die Imitationslücke geschlossen ist. Dies kann bereits sehr früh erfolgen, d.h. wenn das Erzeugnis noch relativ neu ist (Einführungsphase), oder erst später, wenn das Produkt eine bestimmte Reife erlangt hat (Wachstumsphase). Bis zur Schließung der Imitationslücke steigt der Export ins Ausland. Da die neuen Erzeugnisse nach dieser Theorie zunächst nur für die Konsumenten mit höherem Einkommen in Betracht kommen, geht der Export schwerpunktmäßig in andere Industrienationen. Spätestens wenn das Produkt die Wachstumsphase des Produktlebenszyklus erreicht hat, nehmen die ersten Imitationsunternehmen im In- und Ausland die Produktion dieser Produkte auf. Diese Unternehmen befinden sich nach Vernon (Vernon, R., 1966) hauptsächlich in Industrieländern; allmählich tritt in diesen Ländern eine Importsubstitution ein. Auf <?page no="85"?> 62 • Kapitel II: Grundlagen des internationalen Wettbewerbs den Drittmärkten, die verallgemeinernd mit den Entwicklungsländern gleichgesetzt werden, konkurriert nun das Innovationsmit den Imitationsunternehmen in immer stärkerem Ausmaß, was zu einer Senkung der Marktpreise führt. In dieser Phase ist nach Hirsch (Hirsch, S., 1967) die wichtigste Personengruppe das Management im Unternehmen. Die Erzielung eines Monopolgewinnes ist durch die nun aufkommende Konkurrenz nicht mehr möglich. Die Stückkosten, insbesondere die Lohnkosten, gewinnen immer mehr an Bedeutung. Es kommt zu ersten Verlusten, die dazu führen, dass Entwicklungsländer ihre Kostenvorteile auszunutzen versuchen. Durch die niedrigeren Lohnkosten im Ausland sind dann ausländische Unternehmen auf dem Inlandsmarkt des Innovators konkurrenzfähig. In der Reifephase wird unterstellt, dass das Innovationsunternehmen und die anderen inländischen Unternehmen aus Kostengründen auf ihrem Inlandsmarkt nicht mehr konkurrenzfähig sind. Es findet eine vollständige Exportsubstitution durch Importe statt. Die Produktion wird in Entwicklungsländer verlagert und der Handel, der mit dem technologischen Lücken-Handel begonnen hatte, wird nun durch den Niedriglohn-Handel beendet. Abbildung 42 stellt den Ablauf der Produktlebenszyklus-Theorie des internationalen Handels schematisch dar. Am Beispiel des VW-Käfers lässt sich diese Theorie nachvollziehen. Der VW-Käfer wurde in Deutschland innoviert. In Deutschland wurden anfänglich mehr VW-Käfer produziert als konsumiert. Die überschüssige Produktion exportierte VW in andere Länder. Damit schloss sich in diesen Ländern die Nachfragelücke. Zunächst gingen die Exporte in andere Industrieländer und später in Entwicklungsländer. Zu diesem frühen Zeitpunkt war der VW-Käfer eine neue Produktidee. Als eines der nächsten Länder nahm z.B. Belgien und damit ein weiteres Industrieland die Montage und Produktion des VW- Käfers auf. Dies führte zum Schließen der Imitationslücke. Auch in Belgien wurden mehr VW-Käfer produziert als die dortige Inlandsnachfrage aufnehmen konnte. Damit exportierte VW den Käfer aus Deutschland und aus Belgien. Die Exporte gingen in andere Industrieländer und in Entwicklungsländer. Als der VW-Käfer sich langsam von einem reifenden zu einem standardisierten Erzeugnis entwickelte, nahmen Länder wie z.B. Brasilien, Mexiko und Nigeria die Produktion des VW-Käfers auf und exportierten ihn dann ebenfalls. In Deutschland wurde die Produktion des VW-Käfers eingestellt und die Nachfrage durch Importe aus Mexiko gedeckt. Damit kam es zu einer vollkommenen Umkehr der Handelsströme. Aus einem technologischen Lücken-Handel wurde ein Niedriglohn- Handel. Die Produktlebenszyklus-Theorie des internationalen Handels eignet sich hauptsächlich für Ex-post-Analysen (Perlitz, M., 1978). Aus solchen Ex-post-Analysen wird für Unternehmen aus Hochlohnländern deutlich, dass sie permanent innovieren, d.h. neue internationale Produktlebenszyklen beginnen müssen, um langfristig wettbewerbsfähig zu bleiben oder zu werden. Für betriebswirtschaftliche Entscheidungsmodelle liefert diese Theorie jedoch nur einen sehr begrenzten Beitrag. Um für betriebswirtschaftliche Ex-ante-Analysen eingesetzt <?page no="86"?> Kapitel II: Grundlagen des internationalen Wettbewerbs • 63 zu werden, müsste der konkrete Verlauf der Produktlebenszykluskurve für unterschiedliche Länder prognostizierbar sein. Daneben ist die Phaseneinteilung nicht unproblematisch und wird mehr oder weniger willkürlich vorgenommen. Für Entscheidungen über Exporte bzw. Importe ist die Kenntnis, wann Nachfrage- und Imitationslücken geschlossen werden, notwendig. Das Schließen dieser Lücken kann zwar ex-post erklärt, aber nicht ex-ante prognostiziert werden. Diese grundsätzliche Kritik gilt gleichermaßen für die Analyse des technologischen Lücken-Handels. Abbildung 42: Internationale Produktlebenszyklus-Theorie Des Weiteren ist kritisch anzumerken, dass für betriebswirtschaftliche Entscheidungen die Produktlebenszykluskurve keine vorgegebene und damit prognostizierbare Kurve ist, sondern die zu schätzenden Parameter abhängige Variable der Unternehmensstrategie sind. Damit wird eine Prognose des Verlaufs des Produktlebenszyklus ohne eine vorherige Festlegung der Unternehmensstrategie für das Unternehmen unmöglich. Es soll jedoch gerade durch eine Analyse des Produktlebenszyklus die Unternehmensstrategie festgelegt werden. Da sich zeigen lässt, dass der s-förmige Verlauf des Produktlebenszyklus nicht immer unterstellt werden kann und die Phasen damit nicht immer durchlaufen werden müssen, macht dies die Fragwürdigkeit dieses Konzeptes deutlich. Der neue VW-Käfer, der in Mexiko hergestellt und von dort in Industrie- und Entwicklungsländer exportiert wird, veranschaulicht, dass ein Imitationsland für ein Produkt auch zum Innovationsland werden kann. In diesem Beispiel ist der gesamte Ablauf der internationalen Produktlebenszyklus-Theorie infrage zu stellen. <?page no="87"?> 64 • Kapitel II: Grundlagen des internationalen Wettbewerbs Unabhängig von den genannten Kritikpunkten bietet die Produktlebenszyklus-Theorie dennoch einige Anhaltspunkte zur Gestaltung einer betrieblichen Stärken- und Schwächensowie einer Umweltanalyse. So baut die Produktlebenszyklus-Theorie des internationalen Handels auf dem Bestehen von technologischen Lücken in der Einführungsphase auf. In dieser Theorie kommt damit der Forschung und Entwicklung sowie neuen Produkten und Produktionsverfahren eine zentrale Rolle zu. Die Aussagen der internationalen Produktlebenszyklus-Theorie basieren hauptsächlich auf Technologie- und Lohnkostenunterschieden. Diese gehen als mögliche Erklärungsvariablen „ Kosten“ und „ Technologie“ in eine betriebliche Stärken- und Schwächenanalyse ein. Die Stellung eines Produktes auf der Produktlebenszykluskurve bezieht sich auf die Erklärungsvariable „ Absatz“ in einer betrieblichen Stärken- und Schwächenanalyse. Die genannten Erklärungsvariablen tangieren wiederum das Regelkreissystem des Unternehmens und geben damit Impulse für die Formulierung einer Internationalisierungsstrategie. Lernkurven-Theorie des internationalen Handels Posner (Posner, M.V., 1961) und Arrow (Arrow, K.J., 1962) haben Lerneffekte als Erklärungsvariable für das Zustandekommen von Exporten untersucht. Die aus diesen Untersuchungen entstandene Lernkurven-Theorie des internationalen Handels basiert auf der These, dass die Technologie (hier insbesondere die Prozesstechnologie) eines Landes durch die dort kumulierte Produktionsmenge bestimmt wird. Sie besagt weiter, dass das Land mit dem größten kumulierten Produktionsvolumen durch Lerneffekte die niedrigsten Kosten erreicht, d.h. eine überlegene Technologie entwickelt, und damit über bessere Exportchancen verfügt als ein Land mit einer geringeren kumulierten Produktion. Durch den komparativen Kostenvorteil kann ein Land in der Lage sein, die entsprechenden Produkte erfolgreich zu exportieren, selbst wenn beide Länder die gleiche Faktorausstattung haben. Dieser Effekt ist umso stärker, je größer der Inlandsmarkt bzw. der Auslandsmarkt während des Bestehens einer Imitationslücke ist. Das der Lernkurven-Theorie des internationalen Handels zugrunde liegende Konzept ist die Lernkurve, die erstmals 1936 von Wright (Wright, T.P., 1936) bei der Fertigung von Flugzeugen empirisch festgestellt wurde. Wright stellte fest, dass bei jeder Verdoppelung der kumulierten Produktion im Zeitablauf die Kosten pro Flugzeug um einen bestimmten Lerngrad, z.B. 20%, gesunken sind. Umfangreiche empirische Untersuchungen bestätigen zwar, dass ein „ Learning by Doing“-Effekt auftritt (Albach, H., 1991; Perlitz, M., 1978), jedoch unterscheiden sich die Lerngrade in den verschiedenen Industriezweigen und der konkrete Verlauf der Lernkurven kann ein sehr unterschiedliches Aussehen haben. Empirisch wurden fallende Lernkurven, die in kartesischen Koordinaten mit logarithmischer Skaleneinteilung einen linearen Verlauf aufweisen, konvexe und s-förmige Lernkurvenverläufe nachgewiesen. In einigen Fällen kann es auch zu einer geknickt linear fallenden Lernkurve kommen, die zunächst relativ steil und im zweiten Abschnitt relativ flach verläuft. Abbildung 43 stellt die unterschiedlichen Typen von Lernkurven dar, die empirisch festge- <?page no="88"?> Kapitel II: Grundlagen des internationalen Wettbewerbs • 65 stellt wurden, wobei log Y ein Effizienzmaß (z.B. Kosten pro Stück, Arbeitsstunden bzw. Fertigungsstunden pro Stück) und log X ein Maß für die Erfahrung (z.B. kumuliertes Produktionsvolumen) ist. Während die traditionelle Lernkurven-Theorie Lernprozesse hauptsächlich im Fertigungsbereich untersucht, entwickelte die Boston Consulting Group dieses Konzept weiter und spricht von Erfahrungskurven, die alle Kostenarten, also auch die Absatz-, Forschungs-, Entwicklungssowie sonstige Gemeinkosten, in den Lernprozess mit einbeziehen (Henderson, B.D., 1984). In zahlreichen empirischen Untersuchungen wird gezeigt, dass auch bei Einbeziehung dieser Kostenarten linear fallende oder geknickt linear fallende Erfahrungskurven in der betrieblichen Praxis anzutreffen sind. Als Effizienzmaß dieser Erfahrungskurve (log Y) werden die Durchschnittspreise pro Stück untersucht, wobei ein linear fallender Verlauf der Lernkurve unterstellt wird. Abbildung 43: Mögliche Verläufe von Lernkurven Umstritten ist die Frage, ob es typische Lernkurven gibt. So wurden in verschiedenen Branchen sehr unterschiedliche Verläufe und Lerngrade gefunden. Damit wird deutlich, dass eine eindeutige Aussage über den Verlauf von Lernkurven ex-ante nur sehr schwer möglich ist. Trotzdem können Lerneffekte, zumindest als Rationalisierungspotenziale, nicht bestritten werden. Für veränderte oder neue Produkte können manchmal die Lerngrade ähnlicher Erzeugnisse Näherungswerte für eine Prognose über den Verlauf geben. Ein schwieriges, wenn auch nicht unlösbares Problem des Erfahrungskurven-Konzeptes ist die Trennung in die Einzeleffekte „ Learning by Doing“, Economies-of-Scale und Economies-of-Scope, worauf aber an dieser Stelle nicht näher eingegangen werden soll. Die praktische Relevanz von Erfahrungskurven für die Entwicklung von Exportstrategien soll an einem Beispiel verdeutlicht werden (vgl. Abbildung 44). Zunächst soll davon ausgegangen werden, dass ein Unternehmen U D in Deutschland ein Produkt innoviert hat und <?page no="89"?> 66 • Kapitel II: Grundlagen des internationalen Wettbewerbs durch die kumulierte Produktion dieses Erzeugnisses in Höhe von X D einen Erfahrungsvorsprung besitzt, der durch die Kostenhöhe P D bestimmt wird. E D gibt dabei die Erfahrungskurve wieder, die für deutsche Kostenverhältnisse typisch sein soll. Bei gleicher Kostenstruktur müsste ein deutscher Wettbewerber auch eine kumulierte Produktionsmenge X D erzielen, um mit U D gleichzuziehen. Tritt z.B. ein japanischer Wettbewerber U J neu in den Markt ein, dann werden i.d.R. bei der Betrachtung der Erfahrungskurve mehrere Effekte relevant. Erstens kann durch eine günstigere Ausgangskostensituation in Japan der Startpunkt K J niedriger sein als der des deutschen Unternehmens (K D ). Durch den niedrigeren Einstieg in die Erfahrungskurve würde der japanische Wettbewerber die kumulierte Produktionsmenge X einsparen (vgl. Abbildung 44). Zweitens kann ein japanischer Wettbewerber, der die Produktion später beginnt, die neueste Technologie am Markt kaufen und eine Neuoptimierung vornehmen, während das deutsche Unternehmen oftmals nur noch in bestehenden Systemen optimieren kann. Oft ermöglicht das einem japanischen Wettbewerber, eine steilere Erfahrungskurve zu realisieren, d.h., höhere Lerngrade sowie Economies-of-Scale- oder Economies-of-Scope-Effekte zu erreichen als der deutsche Konkurrent. Drittens hat ein japanischer Wettbewerber den Vorteil, dass das deutsche Unternehmen bereits das Marktpotenzial „ ausgetestet“ hat. Durch eine auf ein spezielles Produkt konzentrierte globale Exportstrategie kann das japanische Unternehmen schnell eine hohe kumulierte Produktion erreichen. Exporte bieten somit die Möglichkeit, Erfahrungskurveneffekte im Inland durch das Ausnutzen von Marktpotenzialen im Ausland zu erzielen. Gelten diese drei Voraussetzungen für einen japanischen Wettbewerber, dann benötigt dieser nur noch die kumulierte Produktionsmenge X J , um die gleiche Kostenhöhe (P J ) wie der deutsche Wettbewerber zu erreichen (P D ). Hinter den kumulierten Produktionsmengen X D und X J stehen unterschiedliche Zeithorizonte. Dem japanischen Wettbewerber gelingt es damit schneller als dem deutschen, das gleiche Kostenniveau (P J = P D ) auf der Erfahrungskurve zu erreichen. Unterstellt man als Nächstes, dass ein südkoreanisches Unternehmen U SK die Produktion des Erzeugnisses aufnimmt und geht von einem Ausgangskostenniveau K SK aus, das niedriger liegt als das des japanischen Wettbewerbers K J , dann spart das südkoreanische Unternehmen wiederum eine kumulierte Produktionsmenge. Nimmt auch das südkoreanische Unternehmen eine „ Neuoptimierung“ vor, realisiert es damit eine steilere Erfahrungskurve als der japanische Konkurrent. Geht man weiterhin davon aus, dass das südkoreanische Unternehmen ebenfalls eine globale Exportstrategie wählt, um seine kumulierte Produktion so schnell wie möglich zu erhöhen, so sieht man aus Abbildung 44, dass dann nur noch die kumulierte Produktionsmenge X SK benötigt wird, um mit dem deutschen und japanischen Unternehmen auf der Erfahrungskurve gleichzuziehen. Es ist damit wiederum <?page no="90"?> Kapitel II: Grundlagen des internationalen Wettbewerbs • 67 schneller als die japanische Konkurrenz. Die unterschiedlichen Zeitintervalle dieser „ Aufholjagd“ lassen sich, wie an anderer Stelle gezeigt wurde (Perlitz, M., 1983), mathematisch mit ihren kritischen Werten in Bezug auf Kapazitäten, Marktwachstum, Ausgangskostenniveaus und unterschiedliche Lerngrade ermitteln. Abbildung 44: Entwicklung von Exportstrategien auf der Basis von Erfahrungskurven Die Lernkurven-Theorie des internationalen Handels liefert eine Reihe von Erklärungsvariablen für eine betriebliche Stärken- und Schwächensowie eine Umweltanalyse. Einerseits sind die Lerneffekte für die Erklärungsvariablen „ Kosten“, „ Produktion“ und „ Technologie“ einer betrieblichen Stärken- und Schwächenanalyse bedeutsam. Andererseits wird es dem Unternehmen durch einen großen Inlandsmarkt möglich, die Erfahrungskurve relativ schnell zu durchlaufen und damit die Erklärungsvariable „ Größe des Marktes“ für eine Umweltanalyse relevant wird. Somit liefert die Lernkurven-Theorie des internationalen Handels Erklärungsvariablen, die für das Regelkreissystem der Unternehmensführung relevant werden und die Formulierung einer Internationalisierungsstrategie beeinflussen. Nachfragestruktur-Theorie Die Nachfragestruktur-Theorie, die von Linder (Linder, S.B., 1961) entwickelt wurde, unterscheidet zwischen Exporten von Ur- (= natürliche Ressourcen) und Industrieprodukten. Für die Erklärung des Außenhandels mit Urprodukten stützt sich Linder auf die Theorie der komparativen Kostenvorteile nach Heckscher und Ohlin (Faktorausstattungstheorie). Die Nachfragestruktur-Theorie wird somit nur für Industrieprodukte relevant. Eine schematische Darstellung der Nachfragestruktur-Theorie ist in Abbildung 45 wiedergegeben (Kutschker, M./ Schmid, S., 2011). <?page no="91"?> 68 • Kapitel II: Grundlagen des internationalen Wettbewerbs Wie diese Abbildung zeigt, unterscheidet Linder (Linder, S.B., 1961) einen potenziellen und einen aktuellen Bereich des Außenhandels. Als Bestimmungsfaktoren für die Ermittlung potenzieller Exportgüter betrachtet er zum einen die vorhandene Inlandsnachfrage, die eine kostengünstige Produktion erlaubt, und zum anderen eine Wachstumsgrenze für das betreffende Industriegut im Inland. Ausgangspunkt der Theorie ist die Überlegung, dass das Produkt zuerst im Inland angeboten wird. Dafür gibt Linder drei Begründungen: Es ist unwahrscheinlich, dass ein Unternehmen eine Nachfrage im Ausland befriedigen wird, die nicht im Inland existiert. Eine Begründung dafür liegt in der unvollkommenen Information, die das Unternehmen i.d.R. über das Ausland besitzt. Erfindungen und Innovationen sind im Allgemeinen zunächst auf die Umwelt bezogen, in der das Unternehmen normalerweise tätig ist. Daher werden Innovationen zunächst im Inland angeboten. Der Trial-and-Error-Prozess während der Einführungsphase macht eine enge Verbindung zwischen dem Produzenten und den Konsumenten erforderlich, um zu einem effizienten und billigen Informationsaustausch zu kommen. Dies ist am besten im Inland möglich. Linder räumt selbst ein, dass es auch Ausnahmen für die Unterstellung gibt, dass der potenzielle Export zunächst durch die Inlandsnachfrage bestimmt wird. Als eine solche Ausnahmesituation betrachtet er z.B., dass Erzeugnisse ohne Forschungs- und Entwicklungsanstrengungen verfügbar sind oder dass Erzeugnisse keine Trial-and-Error-Phase mehr durchlaufen. Wenn der Inlandsmarkt ein weiteres Wachstum des Unternehmens verhindert, wird es nach Linder seinen Aktionsradius auf das Ausland erweitern. Dann beginnt das Unternehmen darüber nachzudenken, welche Länder für einen Export infrage kommen könnten. Als potenzielle Importländer kommen seiner Ansicht nach hauptsächlich solche in Betracht, die eine Ähnlichkeit in der Nachfragestruktur mit dem Exportland besitzen. Dabei misst er die Ähnlichkeit der Nachfragestruktur am Pro-Kopf-Einkommen der Bevölkerung eines Landes. Seine Theorie lautet: Je ähnlicher die Nachfragestruktur von zwei Ländern ist, umso intensiver ist der potenzielle Außenhandel mit Industrieprodukten zwischen diesen beiden Ländern. <?page no="92"?> Kapitel II: Grundlagen des internationalen Wettbewerbs • 69 Abbildung 45: Nachfragestruktur-Theorie Neben diesen potenziellen Bereich stellt Linder den aktuellen Bereich des Außenhandels. Die aktuellen Exporte von Industriegütern werden durch eine Reihe von Faktoren bestimmt, die den Außenhandel fördern oder hemmen. Folgende Faktoren fördern seiner Meinung nach die aktuellen Exporte: Eine weltweite monopolistische Angebotsstruktur, Vorteile in der Beschaffung und Bearbeitung von Produktionsfaktoren im Vergleich zu in- und ausländischen Konkurrenzunternehmen, eine technologische Überlegenheit gegenüber Konkurrenzunternehmen im In- und Ausland, gute Managementfähigkeiten und eine kostengünstige Produktion durch Massenerzeugung. Folgende Faktoren hemmen nach dieser Theorie den aktuellen Export: Die Unkenntnis der Unternehmen über entfernt gelegene Märkte, die Höhe der Transportkosten und Handelsbeschränkungen. Linder gibt auch die Bestimmungsfaktoren für aktuelle Importländer an: kulturelle Faktoren wie z.B. Sprach- oder Mentalitätsunterschiede und politische Faktoren wie z.B. politische Gemeinschaften (Commonwealth, ehemaliges französisches Kolonialreich). <?page no="93"?> 70 • Kapitel II: Grundlagen des internationalen Wettbewerbs Die Nachfragestruktur-Theorie wurde in vielfältiger Weise empirisch untersucht. Dabei überwiegen zwar die Bestätigungen der Linder-Theorie, aber es gibt auch eine Reihe von Studien, die die Grenzen des empirischen Erklärungswertes aufzeigen (Perlitz, M., 1978). Linder beschreibt in seiner Theorie mit der Wachstumsgrenze im Inland eine Einflussgröße, die die Entwicklung einer Internationalisierungsstrategie initiieren kann. An dieser Stelle wird deutlich, wie aus Variablen einer betrieblichen Stärken- und Schwächensowie einer Umweltanalyse Rückkopplungseffekte auf den Strategiebereich des Regelkreissystems der Unternehmensführung auftreten. Diese Effekte geben gleichzeitig einen Anstoß für eine Neuorientierung der allgemeinen Unternehmensstrategie unter Einbeziehung von internationalen Unternehmensaktivitäten. Des Weiteren lässt sich aus der Nachfragestruktur-Theorie von Linder eine Vielzahl von möglichen Erklärungsvariablen für eine betriebliche Stärken- und Schwächensowie für eine Umweltanalyse ableiten. Dies gilt insbesondere für die Bestimmungsfaktoren des aktuellen Exportes. Die Monopolstellung eines Unternehmens liefert Ansatzpunkte für den „ Absatz“, Vorteile in der Beschaffung für die „ Beschaffung“ und die „ Kosten“, Vorteile aus der Bearbeitung von Produktionsfaktoren für die „ Produktion“ und die „ Kosten“, bessere Produkt- und Prozesstechnologien für die „ Kosten“ und „ Technologie“, bessere Managementfähigkeiten für das „ Personal“ und Economies-of-Scale-Effekte für die „ Kosten“ im Rahmen einer betrieblichen Stärken- und Schwächenanalyse. Die Struktur der Inlandsnachfrage, Wachstumsgrenzen im Inland, Distanzfaktoren (z.B. politische, kulturelle Gegebenheiten) und Zollbzw. Handelsschranken sind Faktoren, die über eine Umweltanalyse die Internationalisierungsentscheidung im Unternehmen beeinflussen. 1 .2 Theorien der Direktinvestition Der Export stellt nur eine von mehreren Markteintritts- oder -bearbeitungsstrategien im Ausland dar. Eine andere Möglichkeit ist die Durchführung einer Investition im Ausland. Investitionen im Ausland lassen sich nach verschiedenen Kriterien klassifizieren. So spricht man von einer Portfolioinvestition im Ausland, wenn lediglich eine Zins- und Liquiditätsmotivation für die Investition maßgebend ist. Solche Investitionen umfassen z.B. den Kauf von Aktien, Investmentzertifikaten und festverzinslichen Wertpapieren (Kutschker, M./ Schmid, S., 2011; Jacobi, I., 1972). Direktinvestitionen im Ausland zielen nach einer Begriffsbestimmung der Deutschen Bundesbank darauf ab, einen unmittelbaren Einfluss auf die Geschäftstätigkeit des kapitalnehmenden Unternehmens zu gewinnen oder einem Unternehmen, an dem der Investor bereits maßgeblich beteiligt ist, neue Mittel zuzuführen (Deutsche Bundesbank, 1965). Reine Renditeobjekte oder Maßnahmen zur Absicherung des angelegten Kapitals sind somit keine Direktinvestitionen. Der wesentliche Unterschied zwischen einer Portfolio- und einer Direktinvestition im Ausland liegt darin, dass bei der ersten Form der private Investor keine unmittelbare Managementkontrolle ausübt. Ein weiterer Unterschied zwischen beiden Investitionsformen im Ausland ergibt sich aus den <?page no="94"?> Kapitel II: Grundlagen des internationalen Wettbewerbs • 71 verschiedenen Transaktionsformen für die Übertragung von Ressourcen. Während bei Portfolioinvestitionen nur eine monetäre Form der Kapitalübertragung vorgenommen wird, umfassen Direktinvestitionen sowohl einen geldlichen als auch einen realen Transfer oder eine Thesaurierung der im Ausland entstandenen Gewinne bzw. eine Kapitalaufnahme auf lokalen Geld- und Kapitalmärkten (Seifert, H., 1967). Theorie des oligopolistischen Parallelverhaltens Wie Hymer und Kindleberger weist Knickerbocker in seinen Untersuchungen darauf hin, dass viele multinationale Unternehmen auf oligopolistisch strukturierten Märkten arbeiten und es zu einem oligopolistischen Marktverhalten kommt (Kutschker, M./ Schmid, S., 2011; Hill, C.W.L., 2009; Knickerbocker, F.T., 1973; Kindleberger, C.P., 1969; Hymer, S.H., 1960). Er unterscheidet in Bezug auf Direktinvestitionen im Ausland zwei typische Reaktionen der oligopolistischen Wettbewerber: (1) Direktinvestitionen im Ausland als Ergebnis einer Follow-the-Leader-Strategie und (2) Direktinvestitionen im Ausland als Gegenmaßnahme gegen eine solche Strategie im Heimatland des Unternehmens (Kreuzinvestitionsstrategie). In einer empirischen Untersuchung über das Verhalten von 187 US-amerikanischen Unternehmen aus der verarbeitenden Industrie in 23 Ländern, die den Zeitraum von 1948 bis 1967 abdeckt, findet Knickerbocker die Hypothese der Follow-the-Leader-Strategie bestätigt. Produktlebenszyklus-Theorie Vernon erklärt mit der von ihm entwickelten internationalen Produktlebenszyklus-Theorie nicht nur das Entstehen von Exporten, sondern stellt auch den Einfluss eines Produktlebenszyklus auf das Investitionsverhalten von Unternehmen dar. Er geht davon aus, dass für neue Erzeugnisse das Innovationsland als Standort für die erste Produktionsstätte gewählt wird, diese aber im Verlauf des internationalen Produktlebenszyklus in andere Länder verlegt wird (Hill, C.W.L., 2009; Vernon, R., 1966). Der Grundablauf des internationalen Produktlebenszyklus wurde bereits in den Theorien des internationalen Handels dargestellt. Behavioristische Theorie Verschiedene Erklärungsvariablen für das Zustandekommen von Direktinvestitionen im Ausland werden in der behavioristischen Theorie des Entscheidungsprozesses über die Internationalisierung von Unternehmen gegeben (Aharoni, Y., 1966). Aharoni fragt sich, warum sich Unternehmen trotz hoher Gewinnchancen im Ausland, die auch das höhere Risiko kompensieren würden, nicht für Direktinvestitionen im Ausland entschieden haben. Nach seinen Untersuchungen scheuen Führungskräfte in Unternehmen oft Zeit und Mühe, um mögliche Gewinne aus solchen Investitionen zu errechnen. Als Erklärung für dieses Verhalten gibt er an, dass offensichtlich genügend gewinnträchtige Anlagemöglichkeiten im Inland zur Verfügung stehen und aus Unkenntnis der Situation im Ausland eine <?page no="95"?> 72 • Kapitel II: Grundlagen des internationalen Wettbewerbs Investition als zu risikoreich abqualifiziert wird, ohne dass zuvor eine Wirtschaftlichkeitsanalyse erfolgte. Der Entscheidungsträger im Unternehmen kann zwar über Anlagemöglichkeiten oder Steuervorteile im Ausland Bescheid wissen, trotzdem erscheint es ihm nicht sinnvoll, diese Möglichkeiten näher in das Kalkül mit einzubeziehen. Nach Beobachtungen Aharonis reicht die Prognose eines hohen Gewinnes i.d.R. nicht aus, um zu einem positiven Ergebnis für die Investitionsentscheidung zu gelangen, da international unerfahrene Führungskräfte meist die Schwierigkeiten über- und die Vorteile unterschätzen. Neben dem hohen Gewinn müssen deshalb noch andere Motive vorherrschen, um im Ausland zu investieren. Diese von Aharoni beschriebene Verhaltensweise beobachtete er bei vielen US- Unternehmen, was zu der Frage führte, wie es trotz dieser Grundeinstellung zu Direktinvestitionen im Ausland kommt (Kutschker, M./ Schmid, S., 2011). Zur Klärung dieser Fragestellung unterscheidet Aharoni zwischen der Anstoß-, Bewertungs-, Investitions- und Nachprüfungsbzw. Verhandlungsphase. Da für das Regelkreissystem der Unternehmensführung in diesem Zusammenhang nach Erklärungsvariablen für das Zustandekommen von Direktinvestitionen gesucht wird, sind an dieser Stelle nur die Anstoß- und Bewertungsphase interessant und werden einer näheren Betrachtung unterzogen. Die Entscheidung, ins Ausland zu gehen, ist seiner Ansicht nach das Ergebnis einer Reihe von Faktoren, die zum einen in der Organisation begründet liegen und sich zum anderen aus Umwelteinflüssen ergeben. Bei einer Analyse des Entscheidungsprozesses zur Internationalisierung von Unternehmensaktivitäten hat Aharoni festgestellt, dass es sich meist um eine oder mehrere Führungskräfte handelt, die als Hauptinitiatoren für eine Direktinvestition im Ausland agieren. Motive für dieses Verhalten sind u.a. Prestigedenken, Reiselust sowie das Bestreben, etwas für die Entwicklung anderer Länder zu tun. Erfahrungen aus der Vergangenheit, der Schulausbildung, dem Freundeskreis und Auslandsreisen stimulieren Führungskräfte ebenfalls, international tätig zu werden. Aharoni (Aharoni, Y., 1966) nennt folgende Faktoren, die als Initialkräfte (Initial Forces) ein Unternehmen zu einer Direktinvestition im Ausland veranlassen (Anstoßphase): Vorschläge, die von außen an das Unternehmen herangetragen werden, Angst, den Markt zu verlieren, Mitläufer-Effekte und starke Konkurrenz von ausländischen Unternehmen auf den Inlandsmärkten des Unternehmens. Vorschläge von ausländischen Händlern, von Repräsentanten ausländischer Regierungen und von Vertretern anderer Unternehmen haben nach Ansicht von Aharoni einen wesentlichen Einfluss auf die Internationalisierungsentscheidung. <?page no="96"?> Kapitel II: Grundlagen des internationalen Wettbewerbs • 73 Auch die Bedrohung des eigenen Marktes im Ausland stellt ein Motiv für die Aufnahme ausländischer Aktivitäten dar. Eine Bedrohung des Auslandsmarktes resultiert z.B. aus hohen Zollschranken, Importrestriktionen und der Forderung nach lokaler Produktion. Für das Unternehmen stellt sich dann die Frage, den Auslandsmarkt aufzugeben oder eine lokale Produktion zu beginnen. Bestehen in einem Land im Hinblick auf die Durchführung von Direktinvestitionen Beschränkungen, kommt der Abschluss eines internationalen Technologievertrages in Betracht. Als weitere Erklärungsvariable für die Entscheidung, eine Direktinvestition im Ausland durchzuführen, gibt Aharoni den Mitläufer-Effekt an. Er findet, dass sich Unternehmen gezwungen sehen, ihren Konkurrenten ins Ausland zu folgen, um ihre relative Größe und ihr relatives Unternehmenswachstum beizubehalten. Auch das Folgen eines Kunden oder Lieferanten führt nach Aharoni zu Direktinvestitionen im Ausland. Eine starke Konkurrenz aus dem Ausland auf dem Inlandsmarkt des Unternehmens wird in der Untersuchung von Aharoni ebenfalls als eine wesentliche Determinante für Direktinvestitionen genannt. Die Erklärungsvariablen der behavioristischen Theorie beeinflussen das Regelkreissystem der Unternehmensführung im Hinblick auf die Formulierung einer Internationalisierungsstrategie in unterschiedlicher Weise. Das Potenzial an externen Vorschlägen und die Marktsicherung im In- und Ausland sind Erklärungsvariablen, die über eine Umweltanalyse auf das Regelkreissystem wirken. Sie stellen Erklärungsvariablen dar, die über die Bestimmungsfaktoren „ Marktwachstum“, „ Allgemeines Kostenniveau“, „ Zollschranken“, „ Importrestriktionen“ und „ Local-Content-Vorschriften“ für eine Umweltanalyse relevant werden. Folgende Erklärungsvariablen beziehen sich auf eine betriebliche Stärken- und Schwächenanalyse, wobei in Klammern der jeweils angesprochene Bestimmungsfaktor angegeben wird: die Ausnutzung alter Maschinen ( „ Betriebsmittel“, „ Kosten“), der Verkauf von Know-how bzw. die Verteilung von Forschungs- und Entwicklungskosten ( „ Technologie“, „ Kosten“, „ Absatz“) und sonstiger fixer Kosten auf Auslandsgesellschaften ( „ Kosten“) sowie die Schaffung eines Marktes für Zulieferprodukte ( „ Beschaffung“), soweit die Zulieferprodukte nicht auch nach der Durchführung einer Direktinvestition im Ausland hergestellt werden. In der behavioristischen Theorie wurde die Bedeutung der Einstellung des Managements für die Aufnahme von Unternehmensaktivitäten im Ausland herausgestellt. Damit leistet sie einen wesentlichen Beitrag zum besseren Verständnis, wie die Internationalisierung von Unternehmensaktivitäten initiiert wird und wie damit Impulse für eine Formulierung von Internationalisierungsstrategien im Rahmen des Regelkreissystems der Unternehmensführung entstehen. Diese Impulse resultieren aus den persönlichen Erfahrungen und Motiven des Managements oder aus Mitläufer-Effekten. <?page no="97"?> 74 • Kapitel II: Grundlagen des internationalen Wettbewerbs 1 .3 Theorien zu internationalen Technologieverträgen Als dritte Markteintritts- oder -bearbeitungsstrategie im Ausland können Unternehmen neben dem Export und der Direktinvestition internationale Technologieverträge abschließen. Technologieverträge können Lizenz-, Know-how-, technische Hilfs-, Beratungs- und Regieverträge sein (Jonash, R., 1995). Gegenstand eines Lizenzvertrages ist die Befugnis, das Recht eines anderen zu nutzen (Kutschker, M./ Schmid, S., 2011; Burr, W., 2003). Unter Rechten werden einerseits Rechte des Kunsturhebergesetzes und des Literatururhebergesetzes verstanden, andererseits die Rechte des gewerblichen Rechtsschutzes (Patent, Gebrauchsmuster, Warenzeichen und Geschmacksmuster) (Böhme, W., 1967). Während der Lizenzvertrag die Benutzung eines Schutzrechtes beinhaltet, hat der Knowhow-Vertrag die Benutzung von technischen oder betriebswirtschaftlichen Kenntnissen und Erfahrungen zum Inhalt, die dem Know-how-Nehmer die Produktion und/ oder den Vertrieb von Gegenständen gestattet oder ermöglicht. Ein Schutzrecht für das gewährte Know-how, wie es einem Lizenzvertrag zugrunde liegt, besteht insofern nicht (Kutschker, M./ Schmid, S., 2011; Hill, C.W.L., 2009) Burr sowie Kutschker und Schmidt benutzen den Begriff Know-how-Lizenz (Kutschker, M./ Schmid, S., 2011; Burr, W., 2003). Gegenstand technischer Hilfsverträge, die vor allem im Verkehr mit Entwicklungsländern eine bedeutende Rolle spielen, sind die technische Beratung bei der Entwicklungsplanung von industriellen Projekten, die Ausarbeitung technischer Gutachten, die Projektierung und Errichtung von Anlagen, technische Schulungen und Investitionsgüterlieferungen (Perlitz, M./ Seger, F., 2003). Der Empfänger besitzt bei technischen Hilfsverträgen i.d.R. keine eigenen Fachkenntnisse, weshalb es sich im Allgemeinen um eine fachliche Beratung handelt, die nicht unbedingt ein gewerbliches Spezialwissen erfordert. Überschusstechnologie Eine Überschusstechnologie für internationale Technologieverträge liegt dann vor, wenn Unternehmen eine Technologie entwickelt haben, die sie selbst nicht ausnutzen können oder wollen (Perlitz, M., 1978) und die an Unternehmen im In- oder Ausland verkäuflich ist. Ein Hauptmotiv für den Verkauf der Überschusstechnologie ist die Erzielung von zusätzlichen Gewinnen, die zur Deckung der Forschungs- und Entwicklungsaufwendungen beitragen. Auf diese Weise bedeutet der Verkauf von Technologie einen Stimulus für das eigene Forschungs- und Entwicklungspersonal. Der Verkauf der Überschusstechnologie beeinträchtigt i.d.R. die anderen Aktivitäten und Märkte des Unternehmens nicht. Wird die Nutzung der Technologie nur möglich, wenn die Vorprodukte von dem Technologiegeber bezogen werden, so sind die daraus resultierenden Gewinne ein weiteres Motiv für den Verkauf der Überschusstechnologie an ein ausländisches Unternehmen. <?page no="98"?> Kapitel II: Grundlagen des internationalen Wettbewerbs • 75 Ein zusätzlicher Vorteil des Verkaufs von Überschusstechnologie liegt möglicherweise darin begründet, dass die Entwicklung neuer Technologien und deren Vergabe an Dritte dem Technologiegeber die Reputation eines technologischen Marktführers einbringen, was sich auf die Qualitätsbeurteilung der anderen von ihm erstellten Erzeugnisse positiv auswirken kann (Pfordte, R., 1974). Für die Vergabe von Überschusstechnologie spricht u.a. auch, dass durch den Verkauf Marktinformationen gewonnen werden, wie z.B. die Höhe der Absatzmenge, des Preises, die für eine vielleicht später geplante Eigennutzung der Technologie in dem betreffenden Ausland wichtig sind. In einer betrieblichen Stärken- und Schwächenanalyse wirkt das Vorhandensein von Überschusstechnologie auf die Bereiche „ Kosten“, „ Technologie“, „ Beschaffung“ und „ Absatz“. Technologiegewinnung und -sicherung Die Vergabe von eigener Technologie ins Ausland dient oft dem Erwerb fremder Technologie (Kreuzlizenzabkommen) und der Vermeidung von Prozessen gegen Imitatoren bzw. einer Anti-Trust-Klage. Daneben findet man die Vergabe von Kreuzlizenzen häufig in oligopolistischen Märkten, in denen wenige Anbieter den gemeinsamen Technologievorsprung gegenüber außenstehenden Dritten sicherstellen wollen. Auf diese Weise kommt es bisweilen zu einem Rückfluss von neuen Technologien, die auf der übertragenen Technologie aufbauen. Ein solches Vorgehen ermöglicht dem gebenden Unternehmen u.a. eine Schätzung des Technologiepotenzials des nehmenden Unternehmens, was im Rahmen der Konkurrenzanalyse einen erheblichen Vorteil darstellt. Manchmal ist die Technologievergabe dadurch bedingt, dass Unternehmen Gerichtsprozesse wegen Know-how- oder Patentverletzungen vermeiden wollen. Dies gilt vor allem dann, wenn Konkurrenzunternehmen ähnliche Technologien anwenden und nicht sichergestellt werden kann, ob tatsächlich eine Imitation vorliegt. In solchen Fällen neigen Unternehmen eher dazu, die Technologie an Konkurrenzunternehmen zu verkaufen, als langwierige Prozesse zu führen (Kreuzlizenzen). Aus Anti-Trust-Überlegungen kommt es ebenfalls zu einer Technologievergabe. Durch den Verkauf der Technologie oder z.T. auch durch eine kostenlose Gewährung soll vermieden werden, dass wegen einer marktbeherrschenden Stellung ein Anti-Trust-Verfahren gegen das betreffende Unternehmen eingeleitet wird. Anti-Trust-Überlegungen sind vor allem dann anzustellen, wenn Patentgemeinschaften, Patentanhäufungen in einer Hand, Patentlizenzierungen und Lizenzaustauschverträge bestehen (Lutz, R., 1997; Pfordte, R., 1974; Lovell, E.B., 1968). <?page no="99"?> 76 • Kapitel II: Grundlagen des internationalen Wettbewerbs Unternehmensinterne Restriktionen Unternehmensinterne Restriktionen sind oft Bestimmungsfaktoren für den Abschluss internationaler Technologieverträge (Zentes, J./ Swoboda, B./ Morschett, D., 2004; Perlitz, M., 1989). Vor allem mittelständische und kleine Unternehmen verfügen meist nicht über die nötige Finanzdecke, genügend Kapazität und/ oder das entsprechende Personal, um eigene Technologien im Ausland über Exporte oder Direktinvestitionen selbst auszunutzen. Um die selbst entwickelte Technologie dennoch gewinnbringend im Ausland zu vermarkten, stellt für solche Unternehmen i.d.R. der Verkauf einer Technologie ins Ausland die einzige mögliche Markteintrittsstrategie dar . Ein weiteres Motiv für einen internationalen Technologievertrag ist die Schlechterstellung eines aktuellen oder potenziellen Konkurrenten, da diesem durch die Technologiegebühren höhere Kosten entstehen. Für das Unternehmen, das die Technologie kauft, ist oft der Erwerb billiger als die Eigenentwicklung. In manchen Fällen benötigt ein Unternehmen eine Mindestqualität der bezogenen Erzeugnisse, um die eigenen Produktionsstandards zu halten. Das führt mitunter dazu, dass das Unternehmen Technologien entwickelt, die es dem Lieferanten zur Verfügung stellen muss, damit dieser die Qualitätsstandards erfüllen kann. In einem solchen Fall handelt es sich überwiegend um Schutzrechte wie Patente, Gebrauchsmuster oder um reines Know-how. Will das Unternehmen eine neue Auslandsaktivität aufnehmen, ist es oft gezwungen, einem ausländischen Partner die Technologie zu geben, die ihm eine Produktion mit der entsprechenden Qualität ermöglicht. Die Technologievergabe lässt bisweilen den Erwerb einer Beteiligung an einem Auslandsunternehmen als Ersatz für eine eigene Direktinvestition im Ausland zu. Anstelle eines Kapitaltransfers tritt dann ein reiner Technologietransfer. Folgende Erklärungsvariablen leiten sich aus den Motiven interner Restriktionen für eine betriebliche Stärken- und Schwächenanalyse ab: (1) mangelnde Kapitalausstattung („Kapital“), (2) mangelnde Personalausstattung („Personal“), (3) mangelnde Maschinenkapazitäten („Betriebsmittel“), (4) Vormaterial-Know-how („Beschaffung“, „Technologie“, „Kosten“) und (5) Mindestqualitätsstandards („Absatz“, „Technologie“, „Kosten“). Unternehmensexterne Restriktionen Unternehmensexterne Restriktionen, die sich auf verschiedene Umweltfaktoren beziehen, können zum Abschluss eines internationalen Technologievertrages führen (Kutschker, M./ Schmid, S., 2011; Perlitz, M./ Seger, F., 2003). <?page no="100"?> Kapitel II: Grundlagen des internationalen Wettbewerbs • 77 Ist der Absatzmarkt im Ausland für ein Erzeugnis zu klein, um eine Direktinvestition zu rechtfertigen, kann dies zum Abschluss eines internationalen Technologievertrages führen, wenn für ein ausländisches Unternehmen die Produktionsaufnahme ohne große Investitionen möglich ist. Besteht eine solche Situation, dann wird die Technologievergabe ins Ausland für den Technologieinhaber sinnvoll. In anderen Fällen ist der Markteintritt im Ausland für den Besitzer der Technologie zu teuer. Dies ist beispielsweise bei einer oligopolistischen Marktführerschaft im Ausland der Fall. Unter diesen Umständen ist es für den Technologieinhaber möglicherweise interessant, die Technologie an den Marktführer im Ausland zu verkaufen. Ein zusätzliches Motiv für einen internationalen Technologievertrag liegt oft in der Möglichkeit einer besseren Marktdurchdringung, wenn der inländische Technologieinhaber die ausländische Marktnachfrage allein nicht abdecken kann. Mitunter ist eine Technologievergabe an ein ausländisches Unternehmen notwendig, um nicht den dortigen Absatzmarkt zu verlieren. Das gilt vor allem dann, wenn im Ausland die Gefahr droht, dass das inländische Unternehmen seine Schutzrechte ohne eine Lizenzgewährung verlieren würde. Für bestimmte Entwicklungsländer ist dies besonders relevant. In anderen Fällen liegt der Abschluss eines internationalen Technologievertrages darin begründet, dass inländische Kunden Auslandsaktivitäten aufnehmen und somit Lieferanten zwingen, ihnen ins Ausland zu folgen. Je nach Auslandserfahrung eines Lieferanten wird eine Lizenzvergabe an ein ausländisches Unternehmen dem Export oder einer Direktinvestition vorgezogen. Die Vergabe von Technologie an ausländische Unternehmen wird oft auch durch staatliche Restriktionen erzwungen. In einigen Entwicklungsländern ist ein solcher Vertrag oft die einzige Möglichkeit für einen Marktzugang. Staatliche Restriktionen, die zu internationalen Technologieverträgen führen, sind z.B. Devisenbeschränkungen, die für Technologiegebühren in vielen Ländern weniger restriktiv (oft nur bis zu einer bestimmten Maximalgebühr) gehandhabt werden als für Dividenden- oder Zinszahlungen. Auch Importkontrollen können den Abschluss eines Technologievertrages als einzige Markteintrittschance offenlassen. Das Gleiche gilt für Investitionskontrollen und die Beschränkung von Beteiligungsverhältnissen bei Auslandsunternehmen. 1 .4 Übergreifende Theorien der Internationalisierung Theorie der Internalisierung Die Theorie der Internalisierung basiert auf dem Transaktionskostenansatz von Coase (Kutschker, M./ Schmid, S., 2011; Rugmann, A.M./ Collinson, S., 2009; Coase, R.H., 1937). Der Ansatz von Coase betrachtet die Effizienz unterschiedlicher Transaktionsformen. Dabei werden die Transaktionskosten auf dem Markt mit den Kosten von innerorganisatorischen Transaktionen verglichen. Coase kommt bei seiner Analyse zu dem Ergebnis, dass für viele <?page no="101"?> 78 • Kapitel II: Grundlagen des internationalen Wettbewerbs Transaktionen die Abwicklung über den Markt ineffizient ist. In diesem Fall wird die Transaktion nicht über den Markt, sondern mithilfe von innerorganisatorischen Koordinationsmechanismen durchgeführt. Viele Transaktionen sind ausschließlich innerhalb der Unternehmung möglich (Marktversagen). Deshalb sei eine Integration der Transaktionen in die Unternehmung effizienter, die intern transaktionskostengünstiger durchgeführt werden können. Die Integration von Transaktionen in das Unternehmen bezeichnet man als Internalisierung (Rugmann, A.M./ Collinson, S., 2009; Hill, C.W.L., 2009; Buckley, P.J., 1995). Buckley und Casson (Buckley, P.J./ Casson, M.C., 1991) haben den Transaktionskostenansatz auf multinationale Unternehmen übertragen und daraus die Theorie der Internalisierung entwickelt. Sie sehen das Entstehen von multinationalen Unternehmen als ein Ergebnis der Internalisierung von unvollkommenen Märkten. Vor allem betrachten sie die Märkte für Zwischenprodukte und für immaterielle Ressourcen wie z.B. Wissen und Erfahrung weitgehend als unvollkommen. Auch andere Bereiche immaterieller Leistungserstellung wie z.B. Forschung und Entwicklung, das Finanzmanagement und die Distribution sind oft besser zu internalisieren, als über den Markt zu beziehen. Im Rahmen der Internationalisierung können Unternehmen diese Vorteile aus der Internalisierung durch Direktinvestitionen im Ausland weltweit kostengünstiger nutzen, als dies durch marktbezogene Eintrittslösungen wie z.B. durch Exporte der Fall ist. Wenn Zwischenprodukte und immaterielle Ressourcen unternehmensintern international kostengünstiger als über die Auslandsmärkte disponiert werden können, kommt es zum Entstehen von Direktinvestitionen im Ausland und damit zu multinationalen Unternehmungen. Anhand einer Regressionsanalyse haben Buckley und Casson ihre Theorie getestet und kommen zu dem Ergebnis, dass internationale Unternehmen in Branchen mit einer hohen Forschungsintensität einen höheren Internalisierungsgrad aufweisen. Die Theorie der Internalisierung wurde von einigen Autoren um verschiedene Teilaspekte erweitert. So weist Hennart auf Internalisierungsvorteile durch das Vorhandensein von Goodwill und Know-how hin (Hennart, J.F., 1985). Baumann beschreibt die Bedeutung von Marktmacht, Economies-of-Scale-Effekten und Synergie-Effekten für die Gewinnung von Internalisierungsvorteilen (Baumann, H.G., 1975). Furubotn stellt die Bedeutung von Lerneffekten für die Erzielung von Internalisierungsvorteilen heraus (Furubotn, E.G., 1989). Magee begründet die Internalisierung mit einer Theorie der Aneignungsmöglichkeiten. Darunter versteht er die Möglichkeit des Urhebers einer Idee, sich den vollen Wert dieser Idee anzueignen. Da Informationen heute zunehmend ein öffentliches Gut werden, besteht nach Magee für Unternehmen die Gefahr, dass Imitatoren durch geringfügige Veränderungen der Produkteigenschaften die ursprüngliche Produktidee kostengünstig kopieren können. Deshalb gehen nach seiner Ansicht multinationale Unternehmen dazu über, den Informationstransfer unternehmensintern vorzunehmen und komplizierte, schwer zu imitierende Technologien zu entwickeln (Magee, S.P., 1977). Auf diese Weise kann das Unternehmen Internalisierungsvorteile generieren. <?page no="102"?> Kapitel II: Grundlagen des internationalen Wettbewerbs • 79 Eklektische Theorie Die Theorie der Internalisierung wurde von Dunning (Dunning, J.H., 1980) zur Eklektischen Theorie, die er später als „ Faktorausstattung/ Marktversagen-Paradigma der internationalen Produktion“ bezeichnet (Kutschker, M./ Schmid, S., 2011; Hill, C.W.L., 2009; Dunning, J.H., 1988), weiterentwickelt. Nach ihm hängt die Internationalisierungsstrategie von folgenden Faktoren ab: Eigentumsund/ oder Wettbewerbsvorteile (Ownership Advantages (O)), Standortvorteile (Location Specific Advantages (L)) und Internalisierungsvorteile (Internalization Advantages (I)). Dunning untersucht die Bedeutung dieser Vorteile für das Entstehen von internationalen Produktionsstandorten und damit von multinationalen Unternehmen. Mit seinem Ansatz will Dunning die bislang dominierenden monokausalen Theorien erweitern, indem er neben der Organisationsauch die Standort-, Wettbewerbs- und Außenhandelstheorien in seine Eklektische Theorie einbezieht. Abbildung 46 stellt den Zusammenhang zwischen den verschiedenen von Dunning verwendeten Vorteilen und unterschiedlichen Markteintrittsstrategien dar. Abbildung 46: Zusammenhang zwischen OLI-Vorteilen und Markteintrittsstrategie nach der Theorie von Dunning Dunning hat seine Theorie anhand zahlreicher Untersuchungen empirisch bestätigt gefunden (Dunning, J.H./ Kundu, S.K., 1995; Dunning, J.H., 1979; 1980; 1981). Dennoch wurde der Ansatz stark kritisiert (Randøy, T./ Dibrell, C.C., 2002; Macharzina, K./ Engelhard, J., 1991; Braun, G., 1988; Krist, H., 1985; Buckley, P.J., 1985b; Kojima, K., 1978). Daher hat Dunning seine Eklektische Theorie inzwischen vor dem Hintergrund der Umweltdynamik und sich verändernden Unternehmensverhaltens mehrfach verteidigt bzw. angepasst. Seine Theorie wurde beispielsweise um folgende vier Komponenten erweitert (Dunning, J.H., 1988): Motive für die Entscheidung über internationale Produktionsstandorte wurden berücksichtigt, Faktorausstattungen der Länder, die Basis für Standortvorteile sind, wurden um Zwischenprodukte und um die Austauschmobilität von Produkten erweitert, Strukturvariablen für Strategieentscheidungen wurden in die Theorie eingeführt und <?page no="103"?> 80 • Kapitel II: Grundlagen des internationalen Wettbewerbs Anwendungsbereiche seiner Theorie wurden erweitert, indem er nicht nur die Errichtung von internationalen Produktionsstandorten, sondern auch den Handel zwischen Konzerngesellschaften oder Desinvestitionen zu erklären versucht. Durch die Erweiterung seiner Theorie wurde zwar eine Vielzahl unterschiedlicher Variablen berücksichtigt, jedoch bleiben folgende Punkte kritisch (Kutschker, M./ Schmid, S., 2011; Randøy, T./ Dibrell, C.C., 2002; Itaki, M., 1991; Macharzina, K./ Engelhard, J., 1991; Braun, G., 1988; Kirst, M., 1985): Es ergeben sich konzeptionelle Probleme des Zusammenführens von Variablen aus unterschiedlichen Erklärungsebenen (Makroökonomische Daten, Entscheidungsdaten für das Management etc.), die sich ohne Zwischenglieder nicht lösen lassen. Die Struktur- und Bestimmungsvariablen werden nicht auf ihre empirische Relevanz untersucht und stellen damit bloße Vermutungen dar. Dunning geht von einem homo oeconomicus aus, der nur aufgrund rationaler Entscheidungen seine Strategie entwickelt. Schon Aharoni (Aharoni, Y., 1966) hat gezeigt, dass diese Annahme nicht ohne Weiteres für Internationalisierungsentscheidungen aufrechtzuerhalten ist. Darüber hinaus werden die Bedingungen für den Erwerb der Fähigkeit und für die Bereitschaft zur Durchführung von Direktinvestitionen im Ausland und die Art und Weise, wie diese Entscheidung zustande kommt, nicht erklärt, sondern als gegeben hingenommen. Dunning untersucht nicht die Beziehungen, die zwischen seinen Variablen bestehen. Seine Theorie besteht nur aus einem Sammelsurium unterschiedlicher Variablen, die in keinen Zusammenhang zueinander gebracht werden. Seine Variablen, die auf Vorteile abstellen, stellen auch keine neuen Elemente einer Theorie dar, sondern wurden bereits bei Hymer sowie in den Ansätzen zur Internalisierung als Erklärungsvariablen aufgeführt. Itaki weist nach, dass der Ansatz von Dunning Redundanzen aufweist. So reichen nach seiner Analyse die Internalisierungs- und Standortvorteile schon aus, um die Existenz und das Wachstum von multinationalen Unternehmen zu erklären. Damit wird der Eigentumsund/ oder Wettbewerbsvorteil im Dunning-Ansatz überflüssig. Außerdem weist Itaki darauf hin, dass die Eigentumsund/ oder Wettbewerbsvorteile ökonomisch nicht zu trennen sind. Dunning macht deutlich, wie schwierig, wenn nicht unmöglich, es ist, eine umfassende Theorie der Internationalisierung zu entwickeln, da die Berücksichtigung vieler unterschiedlicher Aspekte das Problem aufwirft, welche Verbindungen zwischen diesen Aspekten selbst und der Internationalisierungsentscheidung bestehen. Der Ansatz von Dunning liefert für eine betriebliche Stärken- und Schwächensowie für eine Umweltanalyse eine solche Vielzahl von Variablen, dass die Gefahr besteht, dass keine eindeutigen Aussagen mehr formuliert werden können. Für die konkrete Entwicklung <?page no="104"?> Kapitel II: Grundlagen des internationalen Wettbewerbs • 81 einer Internationalisierungsstrategie eines Unternehmens sind jedoch die OLI-Vorteile so allgemein definiert, dass ohne eine Spezifizierung nur Anstöße gegeben werden, in welche Richtungen Unternehmen nach einem Wettbewerbsvorteil suchen sollten. 2 Managementorientierte Konzepte des internationalen Wettbewerbs 2 .1 EPRG-Modell Das EPRG-Modell gehört zu den zentralen Ansätzen des internationalen Managements (Kutschker, M./ Schmid, S., 2011; Ahlstrom, D./ Bruton, G.D., 2010; Hill, C.W.L., 2009). Perlmutter (Perlmutter, H.V., 1969) kritisiert, dass in der Literatur der Grad der Multinationalität von Unternehmen fast ausschließlich mit „objektiven“ Maßgrößen bestimmt wird, wie z.B. mit Strukturvariablen (Anzahl der ausländischen Niederlassungen, Beteiligungsverhältnisse, Organisationsstruktur, Nationalität des Topmanagements usw.) und mit Leistungskriterien (absoluter oder zum Inland relativer Gewinn, Umsatz und Kapitaleinsatz im Ausland, Anzahl ausländischer Mitarbeiter usw.). Neben diesen „objektiven“ Maßgrößen, die meist auf eindimensionalen Kriterien basieren, spielt seiner Meinung nach die Einstellung des Topmanagements eine dominierende Rolle für die Messung der Multinationalität von Unternehmen: „The orientation toward foreign people, ideas, resources, in headquarters and subsidiaries, and in host and home environments, becomes crucial in estimating the multinationality of a firm“ (Perlmutter, H.V., 1969). Die Einstellung des Managements spiegelt sich in dem Führungskonzept eines Unternehmens wider. Perlmutter unterscheidet im Hinblick auf die Einstellung von Managern in international tätigen Unternehmen drei Führungskonzepte: ein ethnozentrisches (heimatlandorientiertes), ein polyzentrisches (gastlandorientiertes) und ein geozentrisches (weltorientiertes) Führungskonzept. Später haben Heenan und Perlmutter die drei genannten Konzepte um ein regiozentrisches (regionenorientiertes) Führungskonzept ergänzt (Heenan, D.A./ Perlmutter, H.V., 1979). Das ethnozentrische Führungskonzept ist dadurch charakterisiert, dass die Schlüsselpositionen in ausländischen Tochtergesellschaften bevorzugt durch Angehörige aus dem Stammland des Unternehmens besetzt werden. Mitarbeiter aus dem Land der Muttergesellschaft werden präferiert, da angenommen wird, dass sie intelligenter, fähiger und zuverlässiger sind als solche aus den Gastländern. Perlmutter weist darauf hin, dass diese Vorurteile meist aus einer mangelnden Kenntnis des ausländischen Arbeitsmarktes und der allgemeinen Situation des Gastlandes resultieren. Diese Einstellung wird dadurch gefördert, dass beim Topmanagement im Stammhaus und in den ausländischen Tochtergesellschaften die gleichen Denkmuster vorherrschen. Das polyzentrische Führungskonzept geht davon aus, dass sich die Kulturen in den verschiedenen Ländern so unterscheiden, dass sie nur schwer von Ausländern verstanden <?page no="105"?> 82 • Kapitel II: Grundlagen des internationalen Wettbewerbs werden können. Deshalb sollte man das Management im Gastland mit ausländischen Mitarbeitern besetzen und diese weitgehend allein entscheiden lassen, solange sie die Zielsetzungen der Muttergesellschaft erfüllen. Bei dem polyzentrischen Führungskonzept wird unterstellt, dass das Management im Stammland die Einzelheiten im Auslandsgeschäft nicht wirklich verstehen und beurteilen kann. Es vertraut darauf, dass das ausländische Management „es schon richtig machen wird“. Aufgrund dieser Einstellung setzt sich das Topmanagement im Stammhaus nur aus Mitarbeitern des Stammlandes und in den Gastländern aus lokalen Managern zusammen, wobei der Einfluss von Stammhausangestellten auf Entscheidungen in den Gastländern so gering wie möglich gehalten wird. Beim regiozentrischen Führungskonzept erfolgt eine Rekrutierung von Führungskräften aus Ländern der gleichen Region. Als Beispiel wählen Heenan und Perlmutter den europäischen Markt. Von einem europäischen Produktionsstandort aus kann das Unternehmen viele unterschiedliche Märkte in Europa beliefern. Eine regionale Werbekampagne kann durch italienische, französische, britische und deutsche Manager auf „europäische Gemeinsamkeiten“ überprüft werden. Kandidaten, die eine Schlüsselposition in ihren Heimatländern übernehmen sollen, können in der europäischen Zentrale Erfahrungen sammeln und eine stärkere „eurozentrische“ Sicht entwickeln. Beim geozentrischen Führungskonzept versucht man, die unterschiedlichen Regionen der Welt im Rahmen eines globalen Ansatzes zu integrieren. Das Stammhaus und die ausländischen Tochtergesellschaften betrachten sich als Teil einer weltweiten Einheit. Die Überlegenheit dieser Einheit wird nicht mit bestimmten Nationalitätszugehörigkeiten gleichgesetzt, sondern resultiert aus der Fähigkeit, eine optimale Allokation der Ressourcen auf globaler Basis zu erreichen. Es kommt über alle Ländergrenzen hinweg zu weltweiten Synergieeffekten (Heenan, D.A./ Perlmutter, H.V., 1979). Perlmutter analysiert den Einfluss der unterschiedlichen Führungskonzepte auf verschiedene Organisationsvariablen wie z.B. Komplexität, Entscheidungsabläufe, Kontrolle, Incentives, Kommunikation, Identifikation der Mitarbeiter mit dem Unternehmen und Personalführung. Abbildung 47 gibt einen Überblick über den Zusammenhang zwischen diesen Organisationsvariablen und den unterschiedlichen Führungskonzepten (Heenan, D.A./ Perlmutter, H.V., 1979). Weiterhin weist Perlmutter darauf hin, dass in der Unternehmenspraxis verschiedene Führungskonzepte in einem Unternehmen vorzufinden sind oder sich in der konkreten Ausgestaltung unterscheiden. Zwar gibt es seiner Meinung nach kein einheitliches Muster, wie sich das EPRG-Profil im Zeitablauf entwickelt, jedoch sieht er den Pfad als typisch an, wonach sich die Unternehmenskultur von einer ethnoüber eine poly- und regiobis zu einer geozentrischen Orientierung entwickelt. <?page no="106"?> Kapitel II: Grundlagen des internationalen Wettbewerbs • 83 Abbildung 47: Das EPRG-Modell von Perlmutter In einer kritischen Analyse weisen Heenan und Perlmutter auf die Probleme hin, die sich aus den unterschiedlichen Führungskonzepten bzw. Unternehmenskulturen ergeben (Heenan, D.A./ Perlmutter, H.V., 1979). Sie sehen die Zukunft von multinationalen Unternehmen mehr in einem Regio- oder Geoals in einem Ethno- oder Polyzentrismus. Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass der Ansatz von Perlmutter überwiegend auf einer Analyse der Einflüsse von unterschiedlichen Führungskonzepten bzw. Unternehmenskulturen auf bestimmten Organisationsvariablen basiert. Damit wird zwar ein Konzept der Internationalisierung vorgestellt, das alle Strategie-, Organisations- und Funktionsbereiche des Unternehmens beeinflusst, jedoch werden die Bestimmungsfaktoren, die zu einer Internationalisierungsstrategie führen, nur aus der Einstellung des Topmanagements abgeleitet. Es bleiben andere wichtige funktionsbereichsspezifische Aspekte, die die Entscheidung für eine bestimmte Internationalisierungsstrategie beeinflussen, genauso unberücksichtigt wie die Frage, in welchen Ländern sich Unternehmen engagieren sollten. 2 .2 Triademodell Mitte der 1980er Jahre entwickelte Ohmae das Triade-Modell für die Internationalisierung von Unternehmen (Rugmann, A.M./ Collinson, S., 2009; Ohmae, K., 2006). Er unterstellt, dass <?page no="107"?> 84 • Kapitel II: Grundlagen des internationalen Wettbewerbs das „klassische“ Modell des multinationalen Unternehmens heute überholt sei. Die Globalisierung von Produkten und Märkten, der rasche technische Fortschritt und neoprotektionistische Tendenzen lassen nach Ohmae einen neuen Unternehmenstyp entstehen: das Triade-Unternehmen. Dessen Hauptmerkmal ist eine starke Wettbewerbsposition in den Triaderegionen USA, Europa und Japan (Ohmae, K., 2006). Damit betrachtet Ohmae ausschließlich OECD-Länder, auf die sich allerdings auch ein Großteil der internationalen Unternehmenstätigkeit konzentriert. Das Triade-Unternehmen wird in Japan, den USA und Europa als lokales Unternehmen betrachtet und übernimmt damit in diesen Regionen eine „Insider“-Stellung (Ohmae, K., 2006). Des Weiteren wird es als ein Unternehmen beschrieben, das über eine kleine Zentrale mit dem symbolischen Namen Anchorage verfügt. Die Stadt Anchorage wurde von Ohmae gewählt, da von hier aus die Wirtschaftszentren New York, Tokio und Düsseldorf in der ungefähr gleichen Flugzeit von sieben Stunden erreicht werden können. Die „Anchorage-Mentalität“ eines Unternehmens impliziert, dass bei der Formulierung der Unternehmensziele, Strategien und Maßnahmen alle möglichen Auswirkungen auf die Triade- Regionen berücksichtigt werden. Dazu ist eine genaue Kenntnis der Triade-Märkte erforderlich und das Triade-Denken soll ein fester Bestandteil der Unternehmenskultur werden. Das Triade-Denken ist nach Meinung von Ohmae hauptsächlich durch drei Phänomene notwendig geworden: die zunehmend kapitalintensive Produktion, die dynamische Entwicklung neuer Technologien und die Homogenisierung der Nachfrage. Diese werden nachfolgend erörtert. Durch den Einsatz neuer Technologien in den Bereichen Entwicklung/ Design und Produktion kommt es nach Ohmae zu einer beträchtlichen Senkung des Lohnkostenanteils an den Gesamtkosten. Damit wird eine Produktionsverlagerung in Billiglohnländer aus Kostengesichtspunkten immer uninteressanter, da in diesen Ländern höhere Transportkosten aufgrund einer schlechteren Verkehrsinfrastruktur und höhere Versicherungsprämien anfallen als in den Ländern der Triade. Die kapitalintensivere Produktion benötigt hoch qualifizierte Arbeitskräfte. Diese sind in vielen Niedriglohnländern nicht oder nicht in ausreichendem Maße vorhanden. Aus diesen Gründen ist nach Ohmae eine Standortwahl innerhalb der Triade vorteilhaft. Daneben ist Ohmae der Ansicht, dass sich die Produktion in den Triadeländern immer stärker auf Hightech-Produkte konzentriert (Backhaus, K./ Hilker, I., 1994). Die Entwicklung von dynamischen neuen Technologien wird damit zu einer Überlebensaufgabe von Unternehmen. Die Forschung und Entwicklung von Hightech-Produkten wird seiner Meinung nach immer risikoreicher und kostspieliger, wodurch es für einzelne Unternehmen bei der hohen Geschwindigkeit der Technologieentwicklung zunehmend schwieriger wird, aus eigener Kraft mitzuhalten. Die beschleunigte Verbreitung der neuen Technologien macht den Faktor Zeit zu einem neuen strategischen Wettbewerbsvorteil. Technologische Monopolsituationen können deshalb nur für kurze Zeit gehalten werden (Ohmae, K., <?page no="108"?> Kapitel II: Grundlagen des internationalen Wettbewerbs • 85 2006). Aus den genannten Gründen gehen Unternehmen verstärkt den Weg der Kooperation und Integration. Auf diese Weise werden Marktpotenziale stärker und schneller ausgeschöpft. Dies kann durch eine Vorwärts-, Rückwärts- oder eine horizontale Integration erreicht werden. Diese Kooperations- und Integrationstendenzen sind nach Ohmae mit Unternehmen aus den Triade-Ländern eher möglich als mit solchen aus Ländern in anderen Wirtschaftsräumen. Die enge Verflechtung von Unternehmen innerhalb der Triade kann dazu führen, dass Imitatoren mit dem Innovator, durch die Aufnahme von Aktivitäten in den verschiedenen Triade-Ländern, auf dessen Heimatmarkt in Konkurrenz treten, damit können Unternehmen gleichzeitig Konkurrenten und Partner werden. Nach Ohmae kommt es darüber hinaus in den Triade-Ländern zu einer Homogenisierung der Märkte, da sich die Kaufkraft immer stärker angleicht. Damit greift er für die Triade- Märkte die Konvergenzthese von Levitt auf (Levitt, T., 1983). Da sich das Ausbildungsniveau in den Triade-Ländern angleicht und eine hoch entwickelte Infrastruktur, z.B. Massenmedien, vorhanden ist, setzt sich der Lebensstil einer Wohlstandsgesellschaft durch (Ohmae, K., 2006). Diese Entwicklung führt dazu, dass für bestimmte Produkte weltweite Trendsettergruppen entstehen. Es entwickelt sich ein „gemeinsamer“ Markt von „OECD-Bürgern“ oder von „Triade-Bürgern“, den Ohmae mit etwa 600 Millionen Menschen beziffert. Das durch die Kapitalintensität der Produktion, die Dynamik neuer Technologien und die Homogenisierung der Nachfrage geförderte Triade-Denken muss nach Ansicht von Ohmae einen zunehmenden Neoprotektionismus in den verschiedenen Triade-Ländern berücksichtigen. Protektionistische Maßnahmen sollen dazu dienen, heimische Produktionen, die nicht mehr weltweit wettbewerbsfähig sind, gegen internationale Konkurrenz zu schützen. Damit will man das Problem der Arbeitslosigkeit mildern. Dieser Protektionismus lässt sich nach Ohmae dadurch umgehen, dass ein Unternehmen in allen wichtigen Märkten als „Insider“ präsent ist. Wenn das nicht gelingt, so kann es in diesen Ländern plötzlich vor verschlossenen Türen stehen (Ohmae, K., 2006). Ein „Insider“ zeichnet sich durch die genaue Kenntnis des lokalen (regionalen) Marktes aus, und seine Präsenz und sein Einfluss sind in der Umgebung deutlich spürbar. Nach außen hin kann man den „triadischen Insider“, was sein Auftreten in dem jeweiligen Markt betrifft, nicht von einem lokalen Anbieter unterscheiden (Ohmae, K., 2006). Die dargestellten Herausforderungen für international tätige Unternehmen lassen sich nach Ansicht von Ohmae nicht mehr mit traditionellen Unternehmensmodellen lösen. Das Modell vom globalen Unternehmen sieht er in Anbetracht der geringen Bedeutung der Lohnkosten in Relation zu den Gesamtkosten als überholt an, da die Lohnkostenvorteile in vielen Ländern durch die Kostennachteile aus dem Standort und der Infrastruktur überkompensiert werden. Zudem sind globale Unternehmen durch das Aufkommen von protektionistischen Maßnahmen besonders gefährdet. Globale Unternehmen sind nach der Betrachtungsweise von Ohmae dadurch gekennzeichnet, dass sie stark von ihrem Stammland geprägt sind. <?page no="109"?> 86 • Kapitel II: Grundlagen des internationalen Wettbewerbs Bezüglich der Markteintritts- und -bearbeitungsstrategie empfiehlt Ohmae ein Modell (Ohmae, K., 2006), in dem, gleichsam einem Sprinkler, nach der Innovation eines neuen Produktes alle Schlüsselmärkte gleichzeitig „überflutet“ werden. Damit soll eine schnelle Diffusion neuer Technologien in allen relevanten Märkten erreicht werden. Das „Sprinkler- Modell„ steht im Gegensatz zu dem „Wasserfall-Modell„, bei dem ein sequenzielles Vorgehen bei der Marktdurchdringung erfolgt (Kutschker, M./ Schmid, S., 2011; Kreutzer, R., 1989b). Abbildung 48 gibt schematisch das „Sprinkler-“ und das „Wasserfall-Modell“ wieder. Abbildung 48: Wasserfall- und Sprinkler-Modell für den Markteintrittszeitpunkt Auch das Uno-Modell (Ohmae, K., 2006), nach dem die internationalen Aktivitäten von Unternehmen nicht nach betriebswirtschaftlichen Orientierungsgrößen (z.B. Marktpotenzial, Absatzvolumen) gesteuert werden, sondern im Sinne einer maximalen Länderpräsenz, kann nach Ohmae nicht erfolgreich sein, da erstens nicht für alle Länder dieser Welt von der Konvergenzthese ausgegangen werden kann und zweitens viele schwache Wettbewerbspositionen nicht vor Angriffen eines Konkurrenten aus der Triade schützen (Ohmae, K., 2006). Um aus einem international tätigen Unternehmen ein Triade-Unternehmen zu entwickeln, schlägt Ohmae eine Reihe von Maßnahmen vor. Es muss eine Neuorientierung der unternehmerischen Funktionsbereiche erfolgen. Alle betrieblichen Funktionen, insbesondere jedoch der Produktions- und Absatzbereich, müs- <?page no="110"?> Kapitel II: Grundlagen des internationalen Wettbewerbs • 87 sen im Hinblick auf die Triade-Märkte neu gestaltet werden. Beispielsweise muss sich die Produkttechnologie am Weltmarkt orientieren und auf globale Produktionsfaktoren ausgerichtet sein. Die Prozesstechnologie soll eine Kostendegression ermöglichen. Der Absatz muss im Sinne des „Sprinkler-Modells“ eine maximale Ausnutzung der Märkte in kurzer Zeit erreichen. Auch müssen sich international tätige Unternehmen mithilfe von Kooperationen zu Insidern in den Triade-Märkten entwickeln. Solche Kooperationsformen können z.B. Konsortien oder Joint Ventures sein, die vorzugsweise regional und nicht länderspezifisch ausgerichtet sind. Die Unternehmensorganisation muss nach Ohmae neu überdacht werden. Im Zusammenhang mit der optimalen Ausnutzung von Synergieeffekten unterscheidet er drei Organisationsmodelle international tätiger Unternehmen: das multinationale, das multilokale und das multiregionale Unternehmen. Bei der Beschreibung der unterschiedlichen Organisationsformen wird deutlich, dass seine Klassifikation dem ethnozentrischen (multinational), dem polyzentrischen (multilokal) und dem regiozentrischen (multiregional) Konzept von Perlmutter sehr ähnlich ist. Für ein Triade-Unternehmen ist für ihn in erster Linie eine multiregionale Organisationsstruktur empfehlenswert (Ohmae, K., 2006). Er schließt jedoch die anderen Organisationsstrukturen für ein Triade-Unternehmen nicht aus. Will sich ein Unternehmen zu einem Triade-Unternehmen entwickeln, so müssen auch die Aufgaben der Unternehmenszentrale neu definiert werden. Die Aufgabe der Zentrale besteht zunächst einmal darin, eine Vordenkerrolle zu übernehmen und den Mitarbeitern Motivation, Zielvorstellungen und Werte zu vermitteln. Dabei sind zwei Wertsysteme zu entwickeln: ein allgemeines, das Aspekte wie Leistungsanspruch und Zielvorstellungen beinhaltet, und ein spezielles Wertsystem, das an Regionen oder Funktionalbereichen ausgerichtet ist. Weiterhin muss die Zentrale aktiv die Unternehmensressourcen zwischen den Regionen verteilen, um bestimmte regionale Aktivitäten zu fördern (Ohmae, K., 2006). Damit soll erreicht werden, dass sich das lokale Unternehmen zu einem Insider entwickelt. Darüber hinaus ist die Zentrale dafür verantwortlich, alle relevanten Informationen aus den Triade- Regionen zu sammeln. Um eine möglichst kurze Reaktionszeit zu erreichen, müssen regelmäßig Informationen über Konkurrenzunternehmen und über veränderte Kundenwünsche erhoben werden. Es ist Aufgabe der Zentrale, „zum Wohle des Unternehmens neue Chancen zu entdecken und tote Winkel der Triade auszuleuchten“ (Ohmae, K., 2006). Eine weitere Aufgabe der Zentrale ist es, die Unternehmensbereiche in den einzelnen Triade-Ländern zu koordinieren und notwendig werdende Kooperationen zu initiieren. Sie muss permanent die Geschäftsfelddefinitionen überprüfen, um zu vermeiden, dass durch ein starres Festhalten an bestehenden Strukturen die Wahrnehmung neuer Chancen verhindert wird (Ohmae, K., 2006). <?page no="111"?> 88 • Kapitel II: Grundlagen des internationalen Wettbewerbs Ohmae will die gesamte internationale Unternehmenstätigkeit nicht nur auf die Triade- Länder beschränken, sondern sieht auch eine Verantwortung des Triade-Unternehmens für die Dritte Welt. Jedes Triade-Unternehmen sollte deshalb engen Kontakt zu den jeweils südlich von ihm gelegenen Entwicklungsländern pflegen. So ordnet er Europa die afrikanischen Länder, Japan die asiatischen und Amerika die lateinamerikanischen Entwicklungsländer zu. Abbildung 49 zeigt die regionalen Verantwortungsbereiche der Triade-Unternehmen, wie sie von Ohmae gesehen werden. Bei dieser Verantwortungsstruktur kommt es für die Triade-Unternehmen bei ihren Aktivitäten in diesen Regionen weniger auf Gewinnerzielungsmöglichkeiten als auf humanitäre Hilfe an. Abbildung 49: Regionale Verantwortungsbereiche der Triade-Unternehmen Kritisch ist zu dem Ansatz von Ohmae anzumerken, dass sich das Modell der Triade weitgehend auf die Strategie der Kostenführerschaft konzentriert, die durch eine Marktdurchdringungsstrategie in den Triade-Ländern erreicht werden soll. Durch diese Konzentration auf die Triade-Länder sollen Economies-of-Scale-, Economies-of-Scope- und Lernvorteile erzielt werden, damit die Gewinnschwelle trotz kürzer werdender Lebensdauern von Produkten und Technologien erreicht wird. Darüber hinaus sollen diese Vorteile dazu dienen, die durch die Kapitalintensität der Produktion entstehenden hohen Fixkostenbelastungen schneller abzudecken. Mit dieser Betrachtungsweise vernachlässigt Ohmae die Qualitätsführerschaft als mögliche Strategiealternative. Die Analyse von Ohmae ist durch das japanische Denken geprägt. Das wird auch durch die „triadisch“ ausgerichtete Unternehmenszielsetzung deutlich, bei der geringere Gewinne in Teilmärkten zugunsten einer Gewinnmaximierung auf dem Gesamtmarkt in Kauf genommen werden. Während die traditionellen Unternehmensziele Return on Investment, Eigenkapitalrentabilität und absoluter Gewinn nach Ansicht von Ohmae in westlichen Industrie- <?page no="112"?> Kapitel II: Grundlagen des internationalen Wettbewerbs • 89 unternehmen im Vordergrund stehen, werden bei Triade-Unternehmen relative und absolute Marktanteilsziele als Steuergrößen bevorzugt. Ein weiterer kritischer Punkt in der Analyse von Ohmae ist die Konvergenzthese bezüglich der Triade-Länder. Seiner Meinung nach verschwinden zunehmend lokale und kulturelle Besonderheiten bei Produkten, da sich Kunden in den Triade-Ländern nur die fortschrittlichsten Produkte wünschen. Zwar gleichen sich die Einkommensstrukturen in den verschiedenen OECD-Ländern an und führen die Transport- und Kommunikationssysteme zu einem Abbau der Distanzen zwischen Ländern und Kulturen, jedoch stehen diesen Konvergenzen erhebliche globale Divergenztendenzen - auch in den Triade-Ländern - gegenüber. Die Entwicklung zu einer Multiple-Option-Society (Kreutzer, R., 1989b) zielt auf eine individuelle Bedürfnisbefriedigung ab. Wenn auch die Konvergenzthese für einige Märkte unterstellt werden kann (z.B. ähneln sich die Jugendkulturen in den USA, Japan und Europa), so lässt sich doch feststellen, dass sie nicht allgemeingültig ist. Allein die Unterschiede im Konsumentenverhalten in Europa zeigen, wie vielfältig die Bedürfnis- und Nachfragestrukturen trotz des gemeinsamen Marktes sind. Zu den genannten Punkten kommt hinzu, dass Ohmae sich weitgehend auf Großunternehmen konzentriert. Für mittlere und kleinere Unternehmen ist eine Triade-Strategie aus Mangel an Ressourcen i.d.R. nicht durchführbar. Ohmaes Konzept propagiert durch die vorgeschlagenen Kooperationsformen und die Fokussierung auf Großunternehmen implizit eine Konzentrationstendenz, bei der nur wenige Spitzenunternehmen überleben. Damit würden, folgt man der Überlegung von Ohmae, viele kleine Innovationsunternehmen nicht globalisieren können. Zudem kann das Konzept auch für Großunternehmen nicht empirisch bestätigt werden. Von den 380 multinationalen Unternehmen der Fortune 500 aus dem Jahr 2001, für die länderspezifische Umsatzzahlen verfügbar sind, können nur neun als Triade-Unternehmen bezeichnet werden. 320 dieser Unternehmen sind auf die Heimatregion fokussiert mit einem durchschnittlichen Umsatzanteil von 80,3% in dieser Region (Rugmann, A.M./ Collinson, S., 2009). Des Weiteren stützt sich Ohmae bei seiner Betrachtung fast ausschließlich auf Hightech- Konsumgüter. Damit wird der Investitionsgüter- und Dienstleistungsbereich weitgehend außer Acht gelassen. In diesen Märkten können Qualitätsführerschafts- und Nischenstrategien genauso erfolgreich sein wie Kostenführerschaftsstrategien. Damit vernachlässigt er einen großen Teil der Aktivitäten vieler international tätiger Unternehmen. Durch die Öffnung Osteuropas und durch die Entwicklung einiger Schwellenländer in Asien oder in Lateinamerika läuft Ohmae Gefahr, aufgrund der Konzentration auf die Triade-Länder interessante Marktchancen zu übersehen. Dies gilt insbesondere für die BRICS- Staaten. <?page no="113"?> 90 • Kapitel II: Grundlagen des internationalen Wettbewerbs Insgesamt sind die Ausführungen von Ohmae auf die „Japanische Erfolgsstrategie“ der 1980er Jahre ausgerichtet. Ob Amerikaner und Europäer den japanischen Erfolgsweg imitieren können, ohne eine schlechte Kopie eines guten Japaners zu werden, erscheint fraglich. 2 .3 Globalisierungskonzept von Porter Porter stellt in seinen Ausführungen über den Wettbewerb auf globalen Märkten fest, dass man heute mehr über die Probleme weiß, „die ein Unternehmen auf dem Weg zur multinationalen Geschäftstätigkeit bewältigen muss, als über die Strategien, die für eine etablierte internationale Firma geeignet sind“ (Porter, M.E., 1989b). Er versucht daher, ein Rahmenkonzept für die Formulierung von Internationalisierungsstrategien zu entwickeln. Zunächst unterscheidet er zwischen länderspezifischen und globalen Branchen. In länderspezifischen Branchen ist der Wettbewerb zwischen den betreffenden Unternehmen innerhalb eines Landes oder einer kleinen Ländergruppe im Wesentlichen unabhängig vom Marktgeschehen in anderen Ländern. Eine globale Branche ist nach Porter dadurch gekennzeichnet, dass die Wettbewerbsposition eines Unternehmens in einem spezifischen Land von seiner Stellung in anderen Ländern beeinflusst wird oder der umgekehrte Sachverhalt vorliegt (Porter, M.E., 1989b). Während Unternehmen aus länderspezifischen Branchen entscheiden können, ob sie international tätig werden oder nur den Heimatmarkt bedienen wollen, ist für ein Unternehmen aus einer globalen Branche die Formulierung einer erfolgreichen Internationalisierungsstrategie eine lebenswichtige Aufgabe (Porter, M.E., 1989b). Nach Porter muss ein Unternehmen für die Entwicklung einer Internationalisierungsstrategie eine Optimierung von Vorteilen aus einem integrierten weltweiten Verbundsystem unter Berücksichtigung der notwendigen Länderorientierung (Meckl, R./ Rosenberg, C., 1995) vornehmen (Porter, M.E., 1989b). Porter entwickelt sein Globalisierungskonzept aus der Wertkette, die in Abbildung 50 wiedergegeben wird (Porter, M.E., 1985). Im Rahmen seines Ansatzes unterscheidet Porter zwischen unterstützenden und Primäraktivitäten. Primäraktivitäten sind interne und externe Logistik, Produktion, Marketing und Verkauf sowie Kundendienst. Die unterstützenden Aktivitäten umfassen die Funktionen Beschaffung, technologische Entwicklung, Personalmanagement und die Infrastruktur des Unternehmens. Für die Entwicklung einer Internationalisierungsstrategie muss das Management entscheiden, wie die verschiedenen Aktivitäten der Wertkette auf die unterschiedlichen Länder verteilt werden sollen. Porter schlägt vor, dass nachgelagerte, also stärker auf den Kunden bezogene Unternehmensfunktionen (Teile der externen Logistik, Marketing und Verkauf sowie Kundendienst) im Allgemeinen in der geografischen Nähe zum Kunden anzusiedeln sind. <?page no="114"?> Kapitel II: Grundlagen des internationalen Wettbewerbs • 91 Abbildung 50: Wertkette von Porter Die auf den nachgelagerten Aktivitäten basierenden Wettbewerbsvorteile, nach Porter entweder Kosten- oder Differenzierungsvorteile, sind in hohem Maße länderspezifisch. In Wirtschaftszweigen, in denen ein Wettbewerbsvorteil in erster Linie von den nachgelagerten und abnehmerorientierten Unternehmensfunktionen abhängt, entwickelt sich somit eine eher länderorientierte Wettbewerbsstruktur. Die vorgelagerten Aktivitäten (interne und Teile der externen Logistik sowie operative Funktionen) und die unterstützenden Maßnahmen sind nach seiner Ansicht nicht an den Kundenstandort gebunden (Rugmann, A.M./ Collinson, S., 2009; Porter, M.E., 1989b). Als wesentliche Unterscheidungsmerkmale für eine länderorientierte oder globale Strategie betrachtet Porter die Konfiguration und die Koordination der Unternehmensaktivitäten. Die Konfiguration der Unternehmenstätigkeiten kann zwischen den Extremen einer Konzentration, d.h. schwerpunktmäßige Ansiedlung einer Unternehmensaktivität an einem Standort, und einer Streuung der Aktivitäten, d.h. eine bestimmte Unternehmensaktivität wird in vielen Ländern ausgeführt, liegen. Die Koordination kann zwischen einer vollständigen lokalen Autonomie, bei der auf jede Koordination verzichtet wird, und einer engen Verzahnung der einzelnen Unternehmensteile liegen. Mithilfe der unterschiedlichen Ausprägungen der Strategievariablen Konfiguration und Koordination kommt Porter zu vier Varianten einer Internationalisierungsstrategie, die in Abbildung 51 wiedergegeben werden. Dabei handelt es sich um: (1) Länderspezifische Strategie eines multinationalen Unternehmens oder eines Inlandsunternehmens, das nur in einem Land tätig ist, (2) exportorientierte Strategie mit dezentralisiertem Marketing, (3) hohe Auslandsinvestitionen mit straffer Koordination der Auslandstochtergesellschaften und (4) einfache Globalstrategie. <?page no="115"?> 92 • Kapitel II: Grundlagen des internationalen Wettbewerbs Abbildung 51: Varianten von Internationalisierungsstrategien Globalstrategien können nach Porter die unter den Punkten (2) bis (4) enumerierten Strategien darstellen (Porter, M.E., 1989b). Kostenvorteile aus Globalstrategien werden durch Economies-of-Scale- und Lerneffekte oder durch die Ausnutzung komparativer Kostenvorteile mithilfe einer Konzentration der Aktivitäten auf einen Standort oder einige wenige Standorte erreicht. Daneben kann es zu Koordinationsvorteilen kommen, die sich aus der geografischen Verknüpfung verwandter Funktionen (z.B. Forschung und Entwicklung) ergeben. Damit wird auch die Standortfrage gelöst: Die Economies-of-Scale- und die Lerneffekte bestimmen die Anzahl der Standorte, während die komparativen Kosten- und die Koordinationsvorteile die geografische Lage der Standorte festlegen (Hill, C.W.L., 2009; Porter, M.E., 1989b). Damit kommt Porter zu einer internationalen Verteilung der unterschiedlichen Unternehmensaktivitäten seiner Wertkette. Er weist dabei mit Recht darauf hin, dass eine Unterscheidung zwischen einer weltweiten Standardisierung und einer nationalen Individualisierung der Komplexität einer Internationalisierungsstrategie nicht gerecht wird. Nach seiner Analyse müssen die einzelnen Unternehmensaktivitäten der Wertkette getrennt dahingehend überprüft werden, ob sich durch die unterschiedliche Ausgestaltung der Konfiguration und/ oder Koordination Wettbewerbsvorteile im Sinne von Kosten- oder Differenzierungsvorteilen ableiten lassen. So ist es möglich, dass ein Unternehmen einige seiner Funktionen standardisiert, d.h. ihnen eine Konzentrationsstruktur zugrunde legt, und andere individualisiert, d.h. streut (Porter, M.E., 1989b). Unternehmen können bei dieser Betrachtung Kostenvorteile nicht nur dadurch erreichen, dass sie an einem bestimmten Standort ein niedrigeres Kostenniveau ausnutzen, sondern auch durch die Art und Weise, wie sie ihre betrieblichen Aktivitäten weltweit gestalten. Economies-of-Scale- und Lerneffekte sowie eine in Bezug auf die internationalen Abnehmer vorgenommene Produktdifferenzierung sind nicht an einzelne Länder gebunden, sondern an den strukturellen Aufbau und die Koordination der weltweiten Aktivitäten. Die internationale Optimierung der Wertkette führt nach Porter zu dauerhafteren Wettbewerbsvorteilen für Unternehmen als die Ausnutzung von komparativen Kostenvorteilen in einem Land (Porter, M.E., 1989b). <?page no="116"?> Kapitel II: Grundlagen des internationalen Wettbewerbs • 93 Porter entwickelt für globale Branchen die folgenden vier unterschiedlichen internationalen Gesamtstrategien, die sich im Hinblick auf ihre wettbewerbspolitische und geografische Streubreite unterscheiden (Rugmann, A.M./ Collinson, S., 2009; Porter, M.E., 1989b): (1) Globale Kostenführerschaft oder globale Differenzierung, (2) globale Segmentierung, (3) geschützte Märkte und (4) länderspezifische Anpassung. Abbildung 52 gibt die unterschiedlichen strategischen Alternativen in einer globalen Branche wieder. Bei der globalen Kostenführerschaft oder Differenzierung strebt das Unternehmen nach Kosten- oder Differenzierungsvorteilen, die aus einer globalen Konfiguration bzw. Koordination gewonnen werden können. Diese Kosten- oder Differenzierungsvorteile nutzt es mithilfe einer Globalstrategie in vielen Marktsegmenten aus. Als Beispiele für eine globale Kostenführerschaft nennt Porter die Unternehmen Toyota und Komatsu und für eine globale Differenzierung IBM und Caterpillar. Bei einer globalen Segmentierung bearbeitet das Unternehmen weltweit nur wenige Marktsegmente. Mitunter ermöglicht eine globale Strategie auch eine völlig neue Marktsegmentierungspolitik, weil bei der weltweiten Bedienung eines bestimmten Segmentes eine Größenschwelle überschritten wird, die bei der Bearbeitung des Segmentes in nur einem Land nicht erreichbar ist. Als Beispiele für Unternehmen, die diese Strategie verfolgen, nennt Porter mittelgroße multinationale Unternehmen, japanische Unternehmen in der Motorrad-, Traktoren- und Fernsehgeräteindustrie sowie multinationale Unternehmen aus der Schweiz und Finnland. Abbildung 52: Strategische Alternativen in einer globalen Branche Eine Strategie von Unternehmen, in geschützten Märkten tätig zu werden, resultiert aus staatlichen Beschränkungen, die einen globalen Wettbewerb verhindern. Mit einer frühzeitigen Direktinvestition kann sich das Unternehmen einen Markteintritt verschaffen, wo- <?page no="117"?> 94 • Kapitel II: Grundlagen des internationalen Wettbewerbs durch hohe Zollschranken, stringente Importquoten oder ein hoher lokaler Eigenfertigungsanteil keine Hemmnisse mehr darstellen. Porter nennt Indien, Mexiko und Argentinien als Beispiele für Länder, die über zahlreiche geschützte Märkte verfügen. Bei einer länderspezifischen Anpassung konzentriert sich ein Unternehmen auf diejenigen Segmente, in denen spezielle Ländercharakteristika besonders zum Tragen kommen, obwohl die Branche insgesamt durchaus globale Züge aufweist. Das Unternehmen ist bereit, in jedem Land spezielle lokale oder regionale Anforderungen an die Produkte, Vertriebskanäle und Marketingmethoden zu erfüllen und verzichtet dabei auf die Wettbewerbsvorteile einer Globalstrategie (Hill, C.W.L., 2009; Porter, M.E., 1989b). Das Globalmodell von Porter ist wohl das bisher umfassendste Konzept für die Formulierung einer Internationalisierungsstrategie. Jedoch sind einige kritische Anmerkungen zu seinem Konzept angebracht. Erstens beschreibt Porter zwar allgemein, dass für die unterschiedlichen Unternehmensaktivitäten der Wertkette nach Kostenund/ oder Differenzierungsvorteilen gesucht werden müssen. Er lässt jedoch eine detaillierte Analyse, wie solche Wettbewerbsvorteile im Rahmen der Internationalisierung gefunden werden können, weitgehend vermissen. Nur einzelne, aneinander gereihte Beispiele verdeutlichen, wie solche Wettbewerbsvorteile im Einzelnen gefunden werden könnten. Wenn man z.B. bei der technologischen Entwicklung zwischen Grundlagenforschung, angewandter Forschung und Entwicklung unterscheidet, stellt sich die Frage, ob diese alle als unterstützende Maßnahmen zentralisiert werden sollten. Bei der Entwicklung hingegen müssen länderspezifische Kunden- und Marktaspekte berücksichtigt werden. Zweitens besteht die Gefahr, dass ein Unternehmen, wenn es erst einmal seine Wertkette international optimiert hat, sehr unflexibel werden kann, da eine Neuoptimierung des gesamten Wertkettensystems zu erheblichen Anpassungsschwierigkeiten führt. Porter hat dies erkannt, denn er stellt fest: „Daher gelingt einem einheimischen Unternehmen die Umwandlung in ein global operierendes Unternehmen oft leichter als einem ‹altgedienten› MNU, denn es fängt quasi bei null an, während das MNU zunächst seine internationalen Aktivitäten rationalisieren und umorganisieren muss“ (Porter, M.E., 1989b). Drittens führt Porter nur an einigen Stellen seines Konzeptes aus, wie die Markteintrittsstrategie im Einzelnen aussehen soll. 2 .4 Wettbewerbsvorteile von Nationen nach Porter 2 .4.1 Grundkonzept In seinem Buch über die Wettbewerbsvorteile von Nationen untersucht Porter (Kutschker, M./ Schmid, S., 2011; Rugmann, A.M./ Collinson, S., 2009; Porter, M.E., 1999) nicht primär die Entwicklung einer Internationalisierungsstrategie von Unternehmen. Jedoch zeigt er an- <?page no="118"?> Kapitel II: Grundlagen des internationalen Wettbewerbs • 95 hand einer empirischen Untersuchung, wie durch verschiedene Unternehmensumwelten die Strategie und damit auch die Internationalisierung von Unternehmen beeinflusst werden. Er kommt am Ende seiner Analyse zu einer Vielzahl von praktischen Ratschlägen, wie die aus seiner Umweltanalyse gewonnenen Erkenntnisse für Internationalisierungsentscheidungen von Unternehmen umgesetzt werden können (Porter, M.E., 1999). Ausgangspunkt von Porters Überlegungen ist die Hypothese, dass Nationalstaaten existieren, um ihren Bevölkerungen einen steigenden Lebensstandard zu ermöglichen. Ein wachsender Wohlstand der Bevölkerung kann nur durch eine große Konkurrenzfähigkeit von Ländern, Branchen oder Unternehmen infolge von Produktivitätssteigerungen und nicht allein durch „Erbe“, d.h. durch Erfolge, die in der Vergangenheit liegen, erreicht werden. Die Produktivität misst er an der realen Bruttowertschöpfung je Arbeits- oder Kapitaleinheit (Porter, M.E., 1999). Unter nationalen Wettbewerbsvorteilen versteht Porter Vorteile, die es einem Land ermöglichen, international wettbewerbsfähig zu sein. Er kritisiert, dass mit den klassischen Theorien der Internationalisierung die nationale Wettbewerbsfähigkeit nicht erklärt werden kann, da sie zu einseitig sind. So sei eine Ausrichtung auf komparative Kostenvorteile, auf die Verfügbarkeit von natürlichen Ressourcen oder auf das Humankapital, auf die Wechselkurse oder auf das Zinsniveau genauso ungeeignet für die Erklärung der Internationalisierung wie staatliche Maßnahmen (Porter, M.E., 1999). Außerdem könne man nicht von einer Wettbewerbsfähigkeit von Volkswirtschaften sprechen, sondern diese sei das Ergebnis von konkurrenzfähigen Unternehmen oder Branchen. Deshalb sei bei einer Analyse der nationalen Wettbewerbsfähigkeit der Schwerpunkt der Betrachtung auf die Faktoren zu lenken, die Unternehmen oder Branchen international konkurrenzfähig machen. Hier komme es darauf an, dass einzelne Unternehmen oder Branchen permanent nach neuen Quellen für das Erlangen oder den weiteren Ausbau von Wettbewerbsvorteilen suchen. Damit setzt Porter bei seiner Untersuchung auf einem niedrigeren Aggregationsniveau an als die klassischen Theorien der Internationalisierung. Die Entwicklung eines stetigen Produktivitätszuwachses und damit nationaler Wettbewerbsvorteile kann nach Meinung Porters nur durch Innovationen in spezifischen Unternehmen und Branchen erreicht werden. Solche Innovationen können sich in einer verbesserten Qualität der Erzeugnisse, in der Entwicklung mit neuen Eigenschaften versehener oder neuer Produkte bzw. in neuen Prozesstechnologien ausdrücken. Damit schaffen sich Unternehmen bzw. Branchen eine neue Wettbewerbsbasis oder finden bessere Mittel, um in den bisherigen Bereichen zu konkurrieren. Nun gibt es für Porter gute und schlechte Umweltzustände, die die nationale Wettbewerbsfähigkeit und damit den Prozess zur Erlangung einer internationalen Wettbewerbsfähigkeit fördern. Die internationale Wettbewerbsfähigkeit eines Landes oder einer Branche hängt seiner Meinung nach von vier Haupt- und zwei Nebenelementen der Gesamtwirtschaft eines Landes ab, die Porter zu einer „Diamanten“-Theorie (Rugmann, A.M./ Collinson, S., <?page no="119"?> 96 • Kapitel II: Grundlagen des internationalen Wettbewerbs 2009; Hill, C.W.L., 2009; Porter, M.E., 1999) zusammenfasst. Diese Elemente entscheiden darüber, ob sich Wissen und Fähigkeiten rasch akkumulieren, Informationen besser verbreiten, neue Einsichten in Produkt- und Verfahrenstechniken rascher umsetzen lassen, d.h. Innovationsprozesse gefördert oder gehemmt werden. Die von Porter analysierten vier Hauptelemente sind: (1) Faktorbedingungen, d.h. die Menge und Qualität der Einsatzfaktoren, insbesondere natürliche Ressourcen, die Ausbildung und Qualifikation von Arbeitnehmern und die Lohnhöhe, (2) Nachfragebedingungen eines Landes, insbesondere die Marktgröße, das Anspruchsniveau der Kunden an Produkte und Dienstleistungen sowie die Darstellungsmöglichkeiten der Produkte in den Medien, (3) Verwandte und unterstützende Branchen, insbesondere die Existenz von sogenannten Unternehmensclustern und (4) Unternehmensstrategien, Struktur und Konkurrenz, insbesondere die Anzahl von konkurrierenden Unternehmen und die Intensität des Wettbewerbs in einer Branche sowie die Struktur privater oder staatlicher Unternehmen. Neben diesen vier Hauptelementen führt Porter zwei Nebenelemente in seine „Diamanten“-Theorie ein: den Zufall und den Staat. Die Elemente der nationalen Wettbewerbsfähigkeit müssen sich nach Porter gegenseitig unterstützen, wenn Unternehmen oder Branchen und daraus abgeleitet ein Land international wettbewerbsfähig werden oder bleiben will. Diese Verflechtung versucht er mit einem „Diamanten“ zu symbolisieren. Der „Diamant“ misst, in welchem Maße ein Land Wettbewerbsvorteile entwickeln kann (Porter, M.E., 1999). Abbildung 53 stellt den „Diamanten“ dar (Porter, M.E., 1999). Faktorbedingungen Die Faktorbedingungen als erstes Element seines „Diamanten“ (Rugmann, A.M./ Collinson, S., 2009; Hill, C.W.L., 2009; Porter, M.E., 1999) umfassen nicht nur die Produktionsfaktoren aus den klassischen Außenhandelstheorien, sondern auch die verschiedenen Wege, sie am besten zu verbinden. Porter unterscheidet bei den Einsatzfaktoren menschliche, physikalische, Wissens- und Kapitalressourcen sowie die Infrastruktur. Die Einsatzfaktoren unterteilt er nach zwei unterschiedlichen Kriterien. So unterscheidet er einmal zwischen Grundfaktoren und fortschrittlichen Faktoren, wobei insbesondere die fortschrittlichen Faktoren für die Gewinnung von nationalen Wettbewerbsvorteilen wichtig sind (Porter, M.E., 1999). Grundfaktoren sind z.B. die natürlichen Ressourcen, das Humankapital und die Infrastruktur, während fortschrittliche Faktoren, z.B. die Technologien, die Fähigkeiten und das Wissen eines Landes darstellen. Zum anderen trennt er zwischen allgemeinen Faktoren und <?page no="120"?> Kapitel II: Grundlagen des internationalen Wettbewerbs • 97 speziellen Faktoren. Allgemeine Faktoren sind z.B. die allen Branchen zugängliche Infrastruktur, die Versorgung mit Fremdkapital oder der Bestand an engagierten Beschäftigten mit Hochschulabschluss. Spezielle Faktoren sind z.B. Personen mit Spezialkenntnissen, eine Infrastruktur mit speziellen Merkmalen, Grundlagenkenntnisse auf bestimmten Gebieten und andere Faktoren mit Bezug zu einem begrenzten Bereich oder gar nur zu einer einzigen Branche in einem Land (Porter, M.E., 1999). Porter kommt zu dem Ergebnis, dass ein Wettbewerbsvorteil dann am „klarsten und dauerhaftesten ist, wenn ein Land Faktoren besitzt, die für den Wettbewerb in einer bestimmten Branche gebraucht werden und sowohl fortschrittlich als auch speziell sind“ (Porter, M.E., 1999). Im Gegensatz zu den klassischen Theorien der Faktorausstattung betrachtet es Porter mitunter als Vorteil für ein Land, wenn anfänglich Wettbewerbsnachteile durch fehlende Grundfaktoren vorhanden sind, denn sie zwingen Unternehmen, in Technologien zu investieren, um besser als die faktorreiche Konkurrenz zu werden (Rugmann, A.M./ Collinson, S., 2009; Porter, M.E., 1999). Abbildung 53: Porters „Diamant“ zur Bestimmung nationaler Wettbewerbsvorteile Nachfragebedingungen Für die Bestimmung der Wettbewerbsfähigkeit eines Landes sind drei allgemeine Eigenschaften der Inlandsnachfrage von Bedeutung: (1) Zusammensetzung oder Art der Verbraucherbedürfnisse, (2) Umfang und Wachstumsstruktur und (3) Mechanismen, mit denen die heimischen Präferenzen eines Landes den Auslandsmärkten vermittelt werden. Porter kommt zu dem Ergebnis, dass die Qualität der Inlandsnachfrage bei der Bestimmung eines Wettbewerbsvorteils entscheidender ist als die Quantität (Porter, M.E., 1999). <?page no="121"?> 98 • Kapitel II: Grundlagen des internationalen Wettbewerbs Die Zusammensetzung der Inlandsnachfrage erhöht für ein Land die Wettbewerbsfähigkeit, wenn inländische Käufer die Inlandsunternehmen drängen, schneller zu innovieren und differenziertere Wettbewerbsvorteile zu erzielen als die ausländischen Konkurrenten. Auch die Segmentstruktur der Inlandsnachfrage und die Verteilung der Nachfrage beeinflussen die Wettbewerbsfähigkeit eines Landes. In globalen Segmenten erzielen Unternehmen nach Porter wahrscheinlich dort einen Wettbewerbsvorteil, wo sie einen großen oder besonders wichtigen Teil der Inlandsnachfrage an sich binden. Daneben muss gelten, dass eine entsprechende Inlandsnachfrage in anderen Ländern nur unbedeutend ist (Porter, M.E., 1999). Wichtiger als die Segmentstruktur erscheint Porter für die Wettbewerbsfähigkeit eines Landes, anspruchsvolle und schwierige Käufer in Bezug auf Produkte und Dienstleistungen zu haben. Die Anforderung der Kunden an die leichte Handhabbarkeit, die Verfügbarkeit, die Nützlichkeit und das Preis-Leistungsverhältnis sind Rahmenbedingungen für Unternehmen, die sie permanent zwingen, um ihre Wettbewerbsfähigkeit zu kämpfen. Es kommt darauf an, besonders sensibel auf die Nachfragebedingungen im unmittelbaren Umfeld zu reagieren. Anspruchsvolle Kunden im Heimatland eines Unternehmens erzeugen einen Innovationsdruck, der für die Entwicklungsfähigkeit der gesamten Industrie und damit für ein ganzes Land vorteilhaft ist (Porter, M.E., 1999). Dabei ist es besonders günstig für ein Land, wenn die inländische Nachfragestruktur die der anderen Länder antizipiert, denn dadurch besitzt das Unternehmen einen Indikator für die globale Entwicklung (Porter, M.E., 1999). Größe und Wachstumsmuster der Inlandsnachfrage können ebenfalls einen nationalen Wettbewerbsvorteil in einer Branche stärken. Die Größe des Inlandsmarktes ist nach Porter für die Entwicklung von Wettbewerbsvorteilen besonders dort relevant, wo mit hohen Anforderungen an die Forschung und Entwicklung, mit Economies-of-Scalebzw. Lerneffekten, mit Technologieparadigma-Wechseln oder mit einem hohen Unsicherheitsgrad gerechnet werden muss (Porter, M.E., 1999). Dann ermöglicht ein großer Inlandsmarkt das schnelle Erreichen einer Breakeven-Menge. Eine hohe Anzahl an unabhängigen Käufern in einem Land, die alle unterschiedliche Produktanforderungen stellen, erhöht nach Porter den Innovationsdruck auf die Unternehmen und fördert damit auch die Wettbewerbsfähigkeit einer Branche. Durch ein starkes Wachstum der Inlandsnachfrage wird nach Porter eine schnellere Übernahme neuer Prozesstechnologien erreicht als bei einem langsamen Wachstum, da die Unternehmen der Überzeugung sind, immer wieder in neue Produkte oder in neue Anlagen investieren zu müssen. Mobile oder international orientierte Käufergruppen sind nach Porter genauso ein Element der Nachfragebedingungen zur Erhaltung oder Erreichung von Wettbewerbsvorteilen wie ausländische Kunden, die im Inland ausgebildet wurden. Mit dem „Export einer bestimmten Kultur“, z.B. durch Filme, kann eine Präferenz im Ausland für inländische Produkte entwickelt werden. <?page no="122"?> Kapitel II: Grundlagen des internationalen Wettbewerbs • 99 Verwandte und unterstützende Branchen Porter geht davon aus, dass ein Unternehmen nur dann eine weltweite Spitzenposition einnehmen kann, wenn es auch Lieferanten von Weltspitzenniveau hat. Erst die Internationalität der Lieferanten garantiert dem Unternehmen, dass dieses selbst die globalen Vorteile nutzen kann. Vor allem haben diese Unternehmen nach Porter bessere Chancen, durch Allianzen im internationalen Wettbewerb zu bestehen (Porter, M.E., 1999). Außerdem machen sich die Unternehmen, wenn sie ihre Lieferanten fördern, weniger von ausländischen Lieferanten abhängig. Gleichsam profitiert ein Unternehmen von einer starken inländischen Konkurrenz zwischen Unternehmen der gleichen Branche in einem Land. Schon der Auftritt von einem oder mehreren international wettbewerbsfähigen Unternehmen beeinflusst seiner Meinung nach andere mit ihnen geschäftlich verbundene heimische Unternehmen und Industrien positiv und stärkt die Basis für Wettbewerbsvorteile der ganzen Wirtschaft. Die positiven Effekte für die Wettbewerbsfähigkeit resultieren aus dem Innovationswettbewerb innerhalb der inländischen Branche, wobei es durch die relativ kurzen Kommunikationswege und die kulturelle Gleichartigkeit im Heimatland der Unternehmen zu einem laufenden Austausch von Ideen und Konzeptionen kommt (Porter, M.E., 1999). Treten zu der großen Konkurrenz im Inland auch noch eine räumliche Konzentration und Geflechte wechselseitig verwobener Unternehmen und Industrien hinzu, dann bilden sich nach Porter „Unternehmenscluster“, die sich besonders vorteilhaft auf die übrigen Elemente des „Diamanten“ auswirken. Solche „Unternehmenscluster“ können in Städten (z.B. Detroit für die amerikanische Automobil-, Maschinen- und Autozulieferindustrie), Regionen (z.B. Silicon Valley) oder ganzen Kontinenten entstehen. Unternehmensstrategie, Strukturen und Konkurrenz Als letztes Hauptelement seines „Diamanten“ sieht Porter die Unternehmensstrategie sowie die Strukturen und die Konkurrenzsituation in einer Branche. Hier betrachtet er, wie sich Branchen und Unternehmen in den Ländern gebildet haben, wie sie organisiert sind und geführt werden. Er sieht Vorteile für die internationale Konkurrenzfähigkeit in den Ländern oder Branchen, die nach langfristigen und nicht nach kurzfristigen Zielen und Wettbewerbsvorteilen streben. Er verdeutlicht dabei, dass die Formulierung der Unternehmensziele länderspezifisch durch gesellschaftliche Gruppen unterschiedlich beeinflusst wird und welche Bedeutung nationale Prestigeziele für die Entwicklung von Wettbewerbsvorteilen haben können (Porter, M.E., 1999). Die Verhaltensweisen der Unternehmensleitung und der Arbeitnehmer in unterschiedlichen Kulturkreisen können sich ebenfalls positiv auf den gesamten „Diamanten“ auswirken. Auch die Art, wie der Wettbewerb in einem Land geführt wird, spielt in Bezug auf die Entwicklung von nationalen Wettbewerbsvorteilen eine große Rolle. Dabei leisten die Handelspolitik und die Anti-Trust-Gesetzgebung einen wichtigen Beitrag. So zwingt der Konkurrenzdruck Unternehmen, auch international tätig zu werden. Eine starke Riva- <?page no="123"?> 100 • Kapitel II: Grundlagen des internationalen Wettbewerbs lität auf dem heimischen Markt betrachtet Porter als einen nationalen Besitz, dessen Wert nur schwer zu überbieten ist (Porter, M.E., 1999). Rolle des Zufalls Porter beschreibt, dass auch Zufallsereignisse für die Entwicklung der Wettbewerbsfähigkeit wichtig sind, weil sie Unterbrechungen hervorrufen, die zu Veränderungen in der Wettbewerbsposition führen können. Als Beispiele für solche Zufallsereignisse, die seiner Meinung nach einen großen Einfluss auf die Wettbewerbsvorteile ausüben, nennt Porter (Rugmann, A.M./ Collinson, S., 2009; Porter, M.E., 1999): (1) zufällige Entdeckungen, (2) größere technologische Brüche (z.B. Biotechnologie, Mikroelektronik), (3) Schwankungen bei den Produktionsmittelpreisen wie z.B. in der Erdölkrise, (4) bedeutende Verschiebungen auf den Weltfinanzmärkten oder bei den Wechselkursen, (5) extremer Anstieg der Welt- oder Regionalnachfrage, (6) politische Entscheidungen ausländischer Regierungen und (7) Kriege. Zufallsereignisse wirken sich nach der Analyse von Porter auf verschiedene Länder unterschiedlich aus. Das Land mit dem günstigsten „Diamanten“ wandelt seiner Meinung nach „Zufallsereignisse höchstwahrscheinlich in einen Wettbewerbsvorteil um“ (Porter, M.E., 1999). Rolle des Staates Der Staat kann Einfluss auf alle vier Hauptelemente des „Diamanten“ nehmen und sie positiv oder negativ verändern. Dabei ist die Rolle des Staates nach Porter einseitig. Die staatliche Politik zur Erlangung der Wettbewerbsfähigkeit eines Landes scheitert, wenn sie der einzige Ursprung des nationalen Wettbewerbsvorteils bleibt. Eine erfolgreiche staatliche Politik ist nur in den Branchen möglich, wo grundlegende Bestimmungsfaktoren des nationalen Vorteils vorhanden sind und der Staat diese unterstützt. So kann die staatliche Politik die Chance von Branchen oder Unternehmen fördern, einen Wettbewerbsvorteil zu erzielen oder zu erhöhen, sie kann aber den Vorteil nicht selbst schaffen (Rugmann, A.M./ Collinson, S., 2009; Porter, M.E., 1999). 2 .4.2 Dynamik des „Diamanten“ Nur Länder, die einen gut funktionierenden „Diamanten“ haben, d.h., bei denen sich die einzelnen Elemente des „Diamanten“ gegenseitig positiv verstärken, besitzen nach Porter langfristig nationale Wettbewerbsvorteile, die ihnen eine internationale Konkurrenzfähigkeit ermöglichen. Seiner Meinung nach ist kein Land in der Lage, in allen Branchen oder wenigstens bei den meisten Produkten weltweit gleich konkurrenzfähig zu sein. Eine welt- <?page no="124"?> Kapitel II: Grundlagen des internationalen Wettbewerbs • 101 weite Konkurrenzfähigkeit schaffen nur solche Industrien oder Unternehmen, die sich zuerst in einem besonders dynamischen heimischen Konkurrenzkampf durchsetzen konnten. So wird es selbst in den reichsten Ländern immer Branchen geben, die international nicht oder kaum erfolgreich sind. Länder mit Wettbewerbsvorteilen, die nur auf einem oder zwei Elementen des „Diamanten“ aufbauen, können, nach Ansicht von Porter keine langfristige globale Konkurrenzfähigkeit erlangen, da andere Wettbewerber in der Lage sind, sie zu umgehen. Ressourcenorientierte Wettbewerbsvorteile, z.B. die Ausnutzung billiger Arbeitskosten, sind seiner Meinung nach nur für kurzfristige Erfolge geeignet. Es kommt seiner Beobachtung nach kaum vor, dass ein Land von Beginn an über alle positiven Elemente des „Diamanten“ verfügt. Deshalb erreichen Länder eine internationale Wettbewerbsfähigkeit meist in drei Schritten. Im ersten Schritt erlangt ein Land seine Wettbewerbsvorteile aus einem einzigen Vorteil wie den Faktorbedingungen (z.B. billige Arbeitskräfte) oder den Nachfragebedingungen (z.B. Marktgröße). Jedoch ist von Anfang an fast immer eine heimische Konkurrenzsituation notwendig, da sie die Unternehmen anspornt, auch nach anderen als den ursprünglichen Wettbewerbsvorteilen zu suchen. So entstehen allmählich international wettbewerbsfähige Unternehmen und Branchen. Um langfristig erfolgreich zu sein, muss sich das Land im zweiten Schritt von einer „investitionsgetriebenen“ zu einer „innovationsgetriebenen“ Volkswirtschaft entwickeln. Im dritten Schritt bilden sich „Unternehmenscluster“ von Weltspitzenunternehmen, die eng miteinander verflochten sind und die durch eine extreme Inlandskonkurrenz so „gestählt“ sind, dass sie die Konkurrenz auf den Weltmärkten nicht zu fürchten brauchen. Porter weist aber darauf hin, dass es auch zu einer Überschätzung der eigenen Position kommen kann. Dann entsteht im vierten Schritt eine „wohlstandsgetriebene“ Volkswirtschaft, die Länder wieder in die Situation mangelnder Wettbewerbsvorteile zurückführt. Plötzliche oder nicht beeinflussbare externe Umwelteinflüsse, wie z.B. Kriege oder Embargos können sich auf existierende „Diamanten“ vorteilhaft auswirken oder zu einer Umstrukturierung von Branchen führen und ihn damit zerstören. So hat z.B. die Materialknappheit während des Zweiten Weltkrieges die USA gezwungen, innovative Durchbrüche im Bereich der Kunststoffe und der Metalllegierungen zu erreichen. Der hohe Anstieg der amerikanischen Löhne und Gehälter in den ersten Nachkriegsjahren führte zu einer verstärkten Automatisierung, um diese Arbeitskostennachteile zu kompensieren. Staatliche Eingriffe können nationale Wettbewerbsvorteile ebenfalls fördern oder negativ beeinflussen. So führt z.B. nach Porter eine rigorose Durchsetzung von Anti-Trust-Bestimmungen in einem Land zu einer verschärften Wettbewerbssituation und zwingt damit die Unternehmen zu Innovationen, was zur Bildung neuer nationaler Wettbewerbsvorteile führt. <?page no="125"?> 102 • Kapitel II: Grundlagen des internationalen Wettbewerbs Im Folgenden werden die Auswirkungen dargestellt, die Änderungen in den einzelnen Elementen des Porterschen „Diamanten“ auf dessen Entwicklung und damit Veränderung haben. Einfluss auf die Faktorbedingungen: (1) Eine Ansammlung inländischer Konkurrenten regt die Faktorbildung an. Beispielsweise kann die Etablierung eines neuen Industriezweiges in einem Schwellenland zu einer verbesserten Verfügbarkeit von Fachpersonal führen. (2) Erkannte nationale Herausforderungen regen die Faktorbildung an. (3) Inlandsnachfrage beeinflusst Prioritäten für faktorbildende Investoren. (4) Verwandte und unterstützende Branchen schaffen oder beleben die Bildung übertragbarer Faktoren. Einfluss auf die Nachfragebedingungen: (1) Eine Gruppe Konkurrenten baut ein Landesimage und die Anerkennung als wichtiger Wettbewerber auf. Scharfer Wettbewerb vergrößert die Inlandsnachfrage und macht sie anspruchsvoller. (2) Differenzierte faktorbildende Mechanismen locken ausländische Studenten und die Beteiligung ausländischer Firmen an, was die Produkte des Landes mitzieht. (3) International erfolgreiche Branchen, die Komplementärprodukte herstellen, ziehen die Auslandsnachfrage nach dem Produkt der Branche mit. (4) Das Image verwandter und unterstützender Branchen mit Weltniveau springt über und kommt einer Branche zugute. Einfluss auf die Entwicklung verwandter und unterstützender Branchen: (1) Spezielle Faktoren sind auf verwandte und unterstützende Branchen übertragbar. (2) Eine Gruppe inländischer Konkurrenten regt die Bildung stärker spezialisierter Zulieferer und verwandter Branchen an. (3) Hohe oder zunehmende Inlandsnachfrage fördert das Wachstum und die Festigung von Zulieferbranchen. Einfluss auf den Inlandswettbewerb: (1) Faktorüberschuss oder spezielle faktorbildende Mechanismen bringen neue Mitbewerber hervor. (2) Früher Produktdurchsatz fördert den Zugang. Neuzugänge kommen aus verwandten und unterstützenden Branchen. (3) Benutzer von Weltrang steigen in Zulieferbranchen ein. <?page no="126"?> Kapitel II: Grundlagen des internationalen Wettbewerbs • 103 Zerstörung des „Diamanten“ In einem weiteren Untersuchungsschritt analysiert Porter, welche Entwicklungen zu einem Verlust des nationalen Vorteils führen und damit einen erfolgreichen „Diamanten“ zerstören. Im Ergebnis stellt er fest, dass die folgenden Gründe zu einem Verlust des nationalen Vorteils führen (Porter, M.E., 1999): (1) Faktorbedingungen verschlechtern sich (z.B. durch Verschlechterung der Qualität des spezifischen Humankapitals), (2) Inlandsbedürfnisse stehen nicht im Einklang mit der globalen Nachfrage (z.B. neue Designanforderungen, gesundheitliche Bedenken), (3) heimische Käufer geben ihren hohen Anspruch auf (z.B. Selbstzufriedenheit, geringere Anforderungen an Prozesstechnologien), (4) technologische Veränderungen führen zu erheblichen Nachteilen bei speziellen Faktoren oder es fehlen unterstützende Branchen (z.B. mangelndes Humankapital, falsche oder nicht vorhandene Infrastruktur), (5) Ziele schränken die Investitionsrate ein (z.B. zu hohe Ansprüche an die Ausschüttung von Gewinnen, zu hoher Anteil „nicht rechenbarer“ Investitionen), (6) Unternehmen verlieren Flexibilität (z.B. durch Selbstzufriedenheit der Unternehmensführung, mangelnden Willen, gegenwärtig genutzte Kapazitäten frühzeitig durch neue Anlagen zu ersetzen) und (7) der Inlandswettbewerb lässt nach (z.B. zu große Konzentration, staatliche Interventionen zum Schutz nicht konkurrenzfähiger Wettbewerber). 2 .4.3 Bedeutung des „Diamanten“ und Kritik Porter untersucht weiterhin, welche Aussagen sich für die Unternehmensstrategie aus seiner „Diamanten“-Theorie ableiten lassen. Er geht dabei von der Prämisse aus, „dass ein Unternehmen die Schaffung und Wahrung eines Wettbewerbsvorteils ins Auge fassen muss, der an den weltbesten Konkurrenten gemessen wird“ (Rugmann, A.M./ Collinson, S., 2009; Hill, C.W.L., 2009; Porter, M.E., 1999). Neben einer Vielzahl von allgemeinen Überlegungen, wie Wettbewerbsvorteile von Unternehmen gewonnen oder erhalten werden können, die sich auch auf den Inlandsmarkt beziehen (Porter, M.E., 1999), gibt Porter eine Reihe von Anregungen, die es Unternehmen ermöglichen sollen, ihre internationale Wettbewerbsfähigkeit zu fördern. Auf eine vollständige Enumeration wird an dieser Stelle verzichtet, stattdessen sollen nur einige Schwerpunkte seiner Argumentation (Porter, M.E., 1999) dargestellt werden. Zunächst ist für die Ausarbeitung einer erfolgreichen Internationalisierungsstrategie eine genaue Analyse der internationalen Konkurrenz erforderlich. Hier kann der „Diamant“ Hilfestellung geben, um nationale Wettbewerbsvor- und -nachteile der Konkurrenz festzu- <?page no="127"?> 104 • Kapitel II: Grundlagen des internationalen Wettbewerbs stellen. Diese nationalen Besonderheiten lassen häufig auch Aussagen darüber zu, wie das wahrscheinliche Verhalten der Konkurrenzunternehmen sein wird. Der heimische Stützpunkt eines Unternehmens bietet nicht in allen Branchen gleiche Chancen für einen internationalen Erfolg. Der „Diamant“ kann nun dazu benutzt werden, eine Auswahl von Branchen und Branchensegmenten vorzunehmen, für die das Land ein günstiger Stützpunkt ist. Die auf der Basis des „Diamanten“ zu stellenden Fragen für diese Länderauswahl werden in Abbildung 54 wiedergegeben (Porter, M.E., 1999). Für eine Internationalisierungsstrategie schlägt Porter vor, selektive Vorteile in anderen Ländern zu erschließen. Eine Globalstrategie kann zwar einen schwachen heimischen Stützpunkt nicht ersetzen, jedoch können Innovationspotenziale im Ausland Impulse für eine Weiterentwicklung von Vorteilen im Inland generieren. Daneben sollte das Unternehmen bemüht sein, anspruchsvolle Kunden und Märkte zu bedienen, um sich einem weltweiten Innovationsdruck auszusetzen. Durch die Ausnutzung von Vorteilen im Ausland, die aus Grundfaktoren stammen, kann eine weltweite Produktion die Stellung des Unternehmens im internationalen Wettbewerb verbessern. Auch die Internationalisierung der Beschaffung sowie der Forschung und Entwicklung schafft möglicherweise internationale Wettbewerbsvorteile. Internationale Unternehmensübernahmen und strategische Allianzen können nach Porter den Zugang zu Auslandsmärkten und zu selektiven Fachkenntnissen ermöglichen. Abbildung 54 gibt eine Zusammenstellung von Fragestellungen wieder, die Unternehmen anhand des „Diamanten“ untersuchen müssen (Porter, M.E., 1999). Abbildung 54: Fragestellung für die Prognose über das Verhalten ausländischer Konkurrenten Porter nimmt für sich in Anspruch, eine neue, umfassende Theorie zur Erklärung der globalen Wettbewerbssituation entwickelt zu haben (Porter, M.E., 1999). Hier erscheinen jedoch einige Zweifel angebracht (Fuchs, M./ Apfelthaler, G., 2009; Meckl, R./ Rosenberg, C., 1995). So ist seine Auslegung der klassischen, volkswirtschaftlich orientierten Theorien zu eng. Die bestehenden Ansätze widerlegt er mit einigen diesen Theorien widersprechenden Beispielen. Die klassischen Theorien stellen jedoch nicht, wie Porter meint, Alleinbzw. Absolutheitsansprüche. Viele Elemente seines „Diamanten“ beschreiben selbst unterschiedliche Aspekte verschiedener bereits entwickelter Theorien der Internationalisierung. <?page no="128"?> Kapitel II: Grundlagen des internationalen Wettbewerbs • 105 Abbildung 55: Fragen für die Auswahl von Branchen und Branchensegmenten, für die das Land ein günstiger heimischer Standort ist Im Rahmen der Faktorbedingungen wird genauso die Verfügbarkeit von natürlichen Ressourcen und von Humankapital betrachtet, wie dies in den klassischen Theorien der Faktorausstattung der Fall ist. Auch die bessere Ausnutzung dieser Faktoren im Sinne einer besseren Kombination der Einsatzfaktoren oder einer Verbesserung des Spezialwissens der Arbeitskräfte wird bereits in der Theorie der komparativen Kosten und deren Weiterentwicklungen analysiert. Die Bedeutung der Nachfragebedingungen ist in der Linder-Theorie für den Außenhandel bereits eingehend analysiert worden. Die Linder-These hebt für den Erfolg von Exporten insbesondere die Bedeutung der Ähnlichkeit und der Repräsentanz der Nachfragebedingungen für andere Märkte hervor. Die Marktgröße wird in der Economies-of-Scale- Theorie und das Anspruchsniveau der Kunden in der Theorie des intrasektoralen Handels für die Exportleistung von Ländern und Branchen betrachtet. Die Erkenntnis, dass ein harter inländischer Wettbewerb die Wettbewerbsfähigkeit einer Nation oder einzelner Branchen fördert, ist nicht als neu zu bezeichnen (Meissner, H.G., 1995). Die Bedeutung der Unternehmensstrategie und der -kultur für außenwirtschaftliche Erfolge wurde in dem EPRG-Modell von Perlmutter ebenfalls eingehend erörtert. Einige neue Aspekte ergeben sich bei der Betrachtung der Bedeutung von „Unternehmensclustern“ für die Gewinnung nationaler Wettbewerbsvorteile, wenn auch viele Argumente als Agglomerationseffekte der Standort-Theorie bekannt sind. Die Idee, dass nationale Wettbewerbsvorteile nur durch verstärkte Innovationsanstrengungen von Unternehmen oder Branchen erreicht werden können und dass dabei bestimmte Zwangsmotive bzw. Krisen förderlich sind, ist ebenfalls nicht neu (Perlitz, M./ Löbler, H., 1985). Aus den bisherigen Kritikpunkten kann man den Vorwurf ableiten, dass es Porter versäumt hat, die bisherigen theoretischen Ansätze mit ihren Erklärungsvariablen in sein Konzept einzubinden. So ist ein System von Allgemeinplätzen entstanden, das dem Theorieanspruch kaum genügt. Dabei entsteht der Eindruck, dass seine Theorie sich aus einer „sort of comprehensive laundry list against which businessmen can check their own washing“ (o.V., 1990) zu- <?page no="129"?> 106 • Kapitel II: Grundlagen des internationalen Wettbewerbs sammensetzt. Jedoch besteht das Verdienst von Porter darin, bereits bestehende Theorien zu einem komplexen Gebilde zur Erklärung der nationalen Wettbewerbsvorteile zusammengefasst zu haben. Porters Theorie steht an vielen Stellen im klaren Widerspruch zu der Theorie von Ohmae. Während Ohmae argumentiert, dass ein Unternehmen seinen Ursprung verlassen muss, um „Insider“ in den Triade-Ländern zu werden, vertritt Porter die Auffassung, dass die nationalen Wettbewerbsvorteile, die eine internationale Konkurrenzfähigkeit begründen, zum überwiegenden Teil Prozessen entspringen, die von Faktoren des Heimatlandes determiniert und weiterentwickelt werden. Damit nimmt das Gewicht der Faktoren des Heimatlandes, wie z.B. Wertordnung, Kultur, Wirtschaftssystem, Geschichte, gesellschaftliche Institutionen, zu, d.h., die Vorteile, die aus nationalen Standorten erwachsen, sind für Porter wichtiger als Economies-of-Scale-Effekte, die die Triade-Strategie weitgehend tragen. Porter vertritt den Standpunkt, dass der zunehmend globaler werdende Wettbewerb den nationalen Hintergrund nicht unwichtiger, sondern im Gegenteil immer bedeutsamer macht. Er sieht die staatliche Einflussnahme als einen entscheidenden Faktor bei der Strategiewahl an, während Ohmae davon ausgeht, dass staatliche Interventionen nicht mehr greifen, da diese Reglementierungen von Triade-Unternehmen umgangen werden können. Die Übertragung oder Duplizierung des jeweiligen nationalen „Diamanten“ auf Tochtergesellschaften im Ausland ist nach Porter außerordentlich schwierig, da die Koordinations- und Informationslage einen effektiven Informations- und Wissensaustausch verhindern. Dies gilt insbesondere dann, wenn die einzelnen Tochtergesellschaften eine eigene Erfolgsverantwortung im Sinne von Profitcentern und damit kaum Interesse haben, ihr Wissen zu offenbaren. Die Idee von Ohmae geht von einem „OECD-“ oder „Triade-Bürger“ aus, der in der Realität noch nicht existiert, weshalb in diesem Zusammenhang Porter mit seiner Weltauffassung derzeit realistischer erscheint. Während die Betrachtung von Ohmae sehr stark aus der japanischen Perspektive erfolgt, ist die Analyse von Porter sehr durch die amerikanische Sicht geprägt. Porter betrachtet seine Theorie als dynamisch, während er die bisherigen Ansätze als statische Analysen ansieht. Er vertritt die Meinung, dass der „Diamant“ nicht nur vergangene Zustände beschreiben, sondern auch zukünftige Entwicklungen voraussagen kann. Sein Ansatz selbst ist aber eher als Erklärungsmodell für Entwicklungen der Vergangenheit angelegt. Eine zukunftsbezogene Dynamik muss auch in seinem Modell angezweifelt werden. Probleme ergeben sich bei der „Diamanten“-Theorie von Porter auch dadurch, dass er zwar immer wieder betont, dass sich die einzelnen Elemente gegenseitig positiv unterstützen müssen, um langfristige nationale Wettbewerbsvorteile zu erzielen, jedoch werden die Abhängigkeiten und der Zusammenhang zwischen den einzelnen Bausteinen nicht hinreichend dargestellt und analysiert (Grant, R.M., 1991a). <?page no="130"?> Kapitel II: Grundlagen des internationalen Wettbewerbs • 107 Thurow kritisiert mit Recht, dass Porter eher eine philosophische Arbeit als ein fundiertes Modell vorstellt, die somit schwer widerlegbar ist (Thurow, L.C., 1990). Diese Vorgehensweise erscheint vor dem Hintergrund wissenschaftstheoretischer Anforderungen an die Theorienbildung äußerst fragwürdig. Es muss daher angezweifelt werden, ob es Porter tatsächlich gelungen ist, eine Theorie der internationalen Wettbewerbsfähigkeit von Ländern, Branchen und Unternehmen zu formulieren. Porter zeigt mit seinem „Diamanten“ empirisch neue Zusammenhänge über die internationale Wettbewerbsfähigkeit anhand von 10 Ländern und mehr als 100 Branchen auf. Hier konkretisieren sich viele seiner Aussagen anhand von Beispielen aus Unternehmen und Branchen, die weltweit erfolgreich waren. 2 .5 Relevanz für das Internationale Management Die Konzepte von Perlmutter und Ohmae sowie das Globalisierungsmodell von Porter stellen zwar für ein entscheidungsorientiertes Internationales Management eine wertvolle Hilfe dar, indem sie aufzeigen, welche Gesichtspunkte für eine erfolgreiche Internationalisierung von Unternehmen relevant werden können, jedoch ist die Aussagekraft dieser Ansätze für praktische Entscheidungen und deren Umsetzung nur begrenzt. Erstens behandeln die Theorien zur Generierung von Internationalisierungsstrategien trotz der umfassenden Porter-Analyse nur Teilaspekte für konkrete betriebswirtschaftliche Entscheidungsprozesse im Zusammenhang mit dem Internationalen Management. Zweitens geben sie nur ansatzweise Gestaltungsempfehlungen wie z.B. Ohmae über die regionale Verteilung oder Perlmutter über Organisations- und Führungsprobleme der internationalen Aktivitäten von Unternehmen. Auch Porters Empfehlungen im Zusammenhang mit der Globalisierung der Wertkette oder im Rahmen der Analyse von nationalen Wettbewerbsvorteilen beantworten nicht alle für eine Internationalisierungsstrategie relevanten Fragestellungen. Sie sind somit weitgehend Erklärungsmodelle und nur begrenzt Entscheidungsmodelle (z.B. ansatzweise das Globalisierungsmodell von Porter). Drittens sind die Ansätze im situativen Kontext entwickelt worden und konzentrieren sich weitgehend auf Großunternehmen und auf bestimmte Industrieländer. Viertens werden die Interdependenzen und Zusammenhänge, die zwischen den unterschiedlichen als wichtig empfundenen Variablen vorhanden sind, nur sehr unzureichend analysiert. Fünftens werden in den verschiedenen Modellen nur vereinzelt konkrete Entscheidungshilfen für die Markteintritts- und -bearbeitungsstrategien im Ausland gegeben. Auch die Probleme der Umsetzung der Internationalisierungsstrategie in betriebliche Teilstrategien werden nur bruchstückhaft dargestellt und einer Lösung nähergebracht. Meist stehen dabei die Marketing-, teilweise auch die Beschaffungs- und Personalstrategie im Vordergrund der Überlegungen. Der „Rundumschlag“ bei der Analyse der nationalen Wettbewerbsvorteile <?page no="131"?> 108 • Kapitel II: Grundlagen des internationalen Wettbewerbs von Porter ist andererseits wieder so umfassend, dass er zu einer konkreten betriebswirtschaftlichen Entscheidungshilfe nur wenig beiträgt. Fallstudie: Internationale Marktlebenszyklen in der Nutzfahrzeugindustrie Internationale Marktlebenszyklen in der Nutzfahrzeugindustrie Matthias Litschke, Manager, PERLITZ STRATEGY GROUP GmbH & Co. KG Die Stammmärkte der Hersteller von PKWs und LKWs in den traditionellen Industriestaaten Europas, Nordamerikas und Japan sind reife Märkte: Im Marktlebenszyklus haben sie nach der erfolgreichen Massenmobilisierung des 20. Jahrhunderts die Reifephase erreicht und stagnieren nun auf hohem Niveau. Die Hersteller haben ihr Geschäftsmodell erfolgreich um die lukrativen Geschäfte Wartung und Reparatur, Ersatzteile, Finanzierung sowie die Gebrauchtfahrzeugvermarktung erweitert. Diese Geschäfte machen in vielen Märkten bereits über 50% des Branchenumsatzes aus sowie 95% der Rentabilität. Das vermeintliche Kerngeschäft, der Verkauf neuer Fahrzeuge, ist zunehmend die wenig profitable Eintrittskarte in diese lukrativen After-Sales-Märkte. Echtes Wachstum scheint nur noch in den Schwellen- und sich entwickelnden Ländern möglich. Diese Märkte befinden sich im Marktlebenszyklus noch in unterschiedlichen Phasen des Wachstums mit jährlichen Wachstumsraten von z.T. bis zu 25% und einem stetig wachsenden Weltmarktanteil. Bei LKWs beträgt z.B. der Weltmarktanteil der BRIC- Staaten (Brasilien, Russland, Indien, China) bereits 64% der verkauften Einheiten, bei PKWs 28%. Mittelfristig ist davon auszugehen, dass die etablierten Stammmärkte der Hersteller nur noch lediglich 20% (LKW) bzw. 45% (PKW) des Weltmarktes ausmachen werden. Eine starke Präsenz in diesen Wachstumsmärkten ist also unabdingbar für die Unternehmensstrategie jedes etablierten Anbieters. Dies wirft jedoch Probleme auf: Die westlichen Hightech-Produkte sind für weite Teile dieser Märkte zu teuer und treffen hier auf kostengünstige Low- und Mid-Tech-Wettbewerber aus Schwellenländern wie Korea, China und Indien. Überdies stehen i.d.R. in Schwellen- und sich entwickelnden Märkten die für Hightech-Fahrzeuge notwendigen Treibstoffqualitäten nicht zur Verfügung: Gesetzliche Abgasnormen definieren die eingesetzte Motorentechnik, diese wiederum definiert die erforderliche Treibstoffqualität. Die Welt folgt hier kaskadenartig den entwickelten Ländern: Neue Abgasnormen werden in Westeuropa, den USA und Japan eingeführt, zeitversetzt in Osteuropa und den Schwellenländern übernommen und schließlich auch in sich entwickelnden Volkswirtschaften zum Standard. Technische „Rückwärtskompatibilität“ ist nicht gegeben: Ein deutscher LKW des modernen Euro-5-Standards würde durch den in Indien verfügbaren Diesel auf Euro- <?page no="132"?> Kapitel II: Grundlagen des internationalen Wettbewerbs • 109 3-Niveau beschädigt. Ein in Schwellenländern angebotenes Fahrzeug muss also nicht nur preislich wettbewerbsfähig sein, sondern überdies mit dem lokalen Treibstoff fahren können. Erforderlich für eine erfolgreiche Marktbearbeitung sind somit entweder lokal angepasste, technisch einfachere Fahrzeuge oder aber ältere Fahrzeuge aus den entwickelten Märkten, die noch aus der Zeit der älteren Abgasnormen stammen. Die Hersteller beschreiten beide Wege: Einerseits beteiligen sie sich an Herstellern der Zielmärkte oder kooperieren mit diesen. Die westlichen Hersteller bringen hierbei Kapital und Technologiekompetenz ein, die lokalen Hersteller kostengünstige Produktionskapazitäten und lokale Marktpräsenz. Der zweite Ansatz ist die Vermarktung gebrauchter Fahrzeuge aus den entwickelten Märkten. Hierbei schlagen die Hersteller zwei Fliegen mit einer Klappe: Im Neufahrzeuggeschäft ihrer Heimatmärkte vertreiben die Hersteller mittlerweile einen signifikanten Anteil aller Fahrzeuge via Leasing. Leasing ist letztlich ein Mietgeschäft, das Fahrzeug verbleibt hierbei i.d.R. im Eigentum des Herstellers und muss somit nach Ablauf des Leasingvertrages als Gebrauchtfahrzeug vermarktet werden. Die Heimatmärkte nehmen jedoch die hohe Anzahl solcher Gebrauchtfahrzeuge nicht auf. Der Export dieser Gebrauchtfahrzeuge in die Wachstumsmärkte löst dieses Problem und liefert dem Hersteller gleichzeitig technisch geeignete und günstige Fahrzeuge für die Wachstumsmärkte. Das Ergebnis ist eine Exportkaskade: Im ersten Schritt werden gebrauchte Fahrzeuge in die mittel- und osteuropäischen Wachstumsmärkte wie Polen, Tschechien oder Russland exportiert, wo sie für einige Jahre eingesetzt werden (2. Leben). Danach wandern sie für ein weiteres, drittes Leben nach Südostasien oder Südamerika, bevor sie wiederum Jahre später auf den afrikanischen Märkten landen, wo sie ihre verbleibende Nutzungsdauer verbringen (4. Leben). Während in Westeuropa für jeden fabrikneuen LKW zwei gebrauchte verkauft werden, sind dies in Polen oder Tschechien schon fünf und in Russland zehn. In den Märkten des dritten und vierten Lebens ist der Anteil der Gebrauchtfahrzeuge am Gesamtmarkt entsprechend noch höher. Unabhängig davon, ob diese Kaskade von den Herstellern selbst oder von unabhängigen Händlern in Gang gesetzt wird, schafft sie in den neuen Märkten eine Fahrzeugpopulation von Daimler-, MAN- oder Scania-LKW, die den Herstellern ein lukratives Ersatzteilgeschäft ermöglicht, ihre Marke bekannt macht und die Grundlage dafür legt, in Zukunft auch neue Fahrzeuge zu verkaufen, sobald das Wachstumsland das entsprechende Kaufkraftniveau erreicht hat. Hinter der Speerspitze der Gebrauchtfahrzeugvermarktung kann also nach und nach eine Vertriebsorganisation geschaffen werden, die schrittweise das gesamte etablierte Geschäftsmodell aus Neufahrzeug, Wartung/ Reparatur, Ersatzteilen und Finanzierung anbieten kann. Kritische Voraussetzung ist das Fehlen von Handelsbarrieren zwischen den Wirtschaftsblöcken sowie der Verzicht auf protektionistischen Schutz lokaler Produzenten. China als ein Land mit einer eigenen, lokalen LKW-Produktion hat sich zum Beispiel durch Zollbarrieren weitgehend von der beschriebenen Kaskade abgeschottet. Es ist ferner zu beobach- <?page no="133"?> 110 • Kapitel II: Grundlagen des internationalen Wettbewerbs ten, dass Hersteller aus den Schwellenländern zunehmend den Wettbewerb mit den westlichen Herstellern aufnehmen, und zwar in Gegenrichtung zur westlichen Gebrauchtfahrzeugkaskade: In den Märkten des vierten, dritten und zweiten Lebens konkurrieren die westlichen Gebrauchtfahrzeuge zunehmend mit technisch einfachen, aber günstigen Neufahrzeugen aus China und anderen Schwellenländern. Es ist anzunehmen, dass es nur noch eine Frage der Zeit ist, bis chinesische und indische Hersteller auch in die Märkte Westeuropas und Nordamerikas eintreten, ggf. mittels Akquisition schwächerer westlicher Marken. Im PKW-Markt ist dies mit den Käufen von Jaguar und Land Rover durch die indische Tata Motors (2007) sowie von Volvo durch die chinesische ZhejiangGeely Holding Group (2010) bereits erfolgt. Der Kampf um den Weltmarkt ist also bereits in vollem Gange. Entscheidend für die etablierten Hersteller wird sein, ob sie es schaffen, das Potenzial der Wachstumsmärkte dauerhaft für sich zu erschließen . Fragen zur Fallstudie (1) In welchen Phasen des Marktlebenszyklus befinden sich die klassischen westeuropäischen und nordamerikanischen Industriestaaten im Hinblick auf PKWs und LKWs? In welcher Phase Schwellenländer wie China, Brasilien oder Indien? (2) Warum sind aktuelle Hightech-Produkte der klassischen Industrieländer im Hinblick auf Preis und technischen Anspruch nicht unbedingt gleichermaßen für Märkte in frühen Phasen des Marktlebenszyklus geeignet? (3) Erläutern Sie, wie Unternehmen die unterschiedlichen Entwicklungsstufen ihrer Absatzmärkte im Marktlebenszyklus für ihre Unternehmensentwicklung nutzen können. (4) Erläutern Sie die Auswirkungen von Handelsbarrieren auf die Umsetzbarkeit einer solchen Strategie. Literaturempfehlungen Basisliteratur Cavusgil, T./ Knight, G./ Riesenberger, J., 2012: International Business: The New Realities, 2. Aufl., Boston [u.a.], [Kapitel 1: „Introduction: What is International Business“, S. 38; Kapitel 2: „Globalization of Markets and the Internationalization of the Firm“, S. 64; Kapitel 4: „The Cultural Environment of International Business“, S. 122-153]. Hill, C., 2010: International Business: Competing in the Global Marketplace, 8., internationale Aufl., New York, [Kapitel 5: „International Trade Theory“, S. 166-203; Kapitel 7: „Foreign Direct Investment“, S. 240-273]. <?page no="134"?> Kapitel II: Grundlagen des internationalen Wettbewerbs • 111 Kutschker, M./ Schmid, S., 2011: Internationales Management, 7. Aufl., München, [Kapitel 3: „Theorien der internationalen Unternehmung“, S. 379-481]. Vertiefungsliteratur Krugman, P./ Obstfeld, M./ Merlitz, M., 2011: Internationale Wirtschaft, 9. Aufl., Pearson Studium: München. Rose, K./ Sauernheimer, K., 2006: Theorien der Außenwirtschaft, 14. Aufl., Vahlen: München. <?page no="136"?> Kapitel III: Kultur und Unternehmensverantwortung <?page no="137"?> 114 • Kapitel III: Kultur und Unternehmensverantwortung Standpunkt: Boehringer Ingelheim Boehringer Ingelheim Boehringer Ingelheim ist ein forschungsorientiertes Pharmaunternehmen, das sich seit seiner Gründung im Jahre 1885 in Familienbesitz befindet. Boehringer Ingelheim zählt zu den größten Pharmaunternehmen weltweit und beschäftigt mehr als 42.000 Mitarbeiter bei einem Umsatz von 12,6 Mrd. Euro. www.boehringer-ingelheim.de Christian Boehringer, Vorsitzender des Gesellschafterausschusses Christian Boehringer ist seit 2007 Vorsitzender des Gesellschafterausschusses von Boehringer Ingelheim. In dieser Funktion bildet er die Brücke zwischen der Inhaberfamilie und der operativen Führung. 1. Inwiefern sehen Sie sich als Unternehmen in der sozialen Verantwortung? Soziale Verantwortung ist seit der Firmengründung eine Selbstverständlichkeit bei Boehringer Ingelheim. Die Bedürfnisse und das Engagement haben sich in den 125 Jahren aber geändert. In den Anfängen des Unternehmens waren Basisbedürfnisse wie ein Dach über dem Kopf, eine gute Ernährung und soziale Absicherung keine Selbstverständlichkeit, der Firmengründer hat hier neue Maßstäbe bei seiner Belegschaft gelegt. 2. In welcher Weise hat sich dies im Laufe der Zeit verändert? Als die Basisbedürfnisse mit der Entwicklung der sozialen Marktwirtschaft eine Selbstverständlichkeit wurden, haben sich die Folgegenerationen auf Kunst und Bildung spezialisiert. Schon ab der zweiten Generation wurden auch Bildungs- und Kulturaspekte Teil der sozialen Verantwortung bei Boehringer Ingelheim. Seit 1956 fördert die Geschwister Boehringer Ingelheim Stiftung für Geisteswissenschaften wissenschaftlichen Nachwuchs in der Sprach- und Literaturwissenschaft, Kunst und Geschichtshistorik durch Druckkostenzuschüsse bei den Dissertations- und Habilitationsschriften. 1959 wurden die „Ingelheimer Tage“ ins Leben gerufen. Dies ist eine jährlich stattfindende Ausstellung, die ursprünglich die fernen Kulturkreise, in denen das Unternehmen arbeitet, nach Ingelheim brachte und sich heute einzelnen Künstlern bzw. Kunstströmungen widmet. Seit 1983 fördert der Boehringer Ingelheim Fond (B.I.F.) über Doktoranden-Stipendien die bio-medizinische Grundlagenforschung auf höchstem internationalen Niveau. <?page no="138"?> Kapitel III: Kultur und Unternehmensverantwortung • 115 Die Boehringer Ingelheim Stiftung als jüngste Stiftung fördert u.a. in Zusammenarbeit mit dem Land Rheinland-Pfalz an der Universität Mainz ein Institut für Molekulare Biologie mit 100 Millionen Euro. 3. Gibt es internationale Projekte, für die sich Boehringer Ingelheim einsetzt? Die Behandlung und Bekämpfung von AIDS ist zur globalen Herausforderung geworden. Boehringer Ingelheim trägt nicht nur durch AIDS-Medikamente in der entwickelten Welt zur Bekämpfung von AIDS bei, sondern unterstützt auch durch das „Viramune Donationprogramm“ die Bekämpfung der Krankheit in der unterentwickelten Welt. Mithilfe dieser Medikamentenspende kann mit zwei Injektionen die Übertragungschance einer mit AIDS infizierten Mutter auf das Kind deutlich gesenkt und damit die Ansteckungskette an einer wesentlichen Stelle reduziert werden. 4. Sind bei Boehringer Ingelheim weitere Programme hinsichtlich des sozialen Engagements in Planung? Derzeit denken wir darüber nach, wie wir unsere Mitarbeiter stärker in die Lösung sozialer Probleme in der Welt mit einbinden können. Wir sind derzeit auf der Suche nach sogenannten „Sozialunternehmern“, die wir mithilfe der Gesellschafter und unseren Mitarbeitern bei der Umsetzung ihrer Konzepte im Bereich „More Health“ unterstützen können. Sozialunternehmer sind Unternehmer, die nicht genügend Geld verdienen, um das nötige Kapital am Kapitalmarkt zu generieren, aber genug, um das Konzept nach einer Startphase selbst zu finanzieren. Wenn man ein Krankenhaus in der Dritten Welt unterstützt, ist das Krankenhaus in der Regel auf dauerhafte Spenden angewiesen, da die Patienten keinen Beitrag zur Finanzierung leisten können. Damit kann das Konzept auch nicht auf ganz Afrika ausgedehnt werden. Ein Beispiel für ein gelungenes Sozialunternehmen ist die Idee, Autisten aufgrund ihrer besonderen Fähigkeiten z.B. bei Versicherungsunternehmen einzusetzen. Die betreffende Person schafft für die Firma einen Mehrwert und bekommt ein Gehalt. Der Sozialunternehmer kann eine Vermittlungsgebühr verlangen und damit mehreren Autisten einen Arbeitsplatz beschaffen. Die Idee ist daher international skalierbar. Die ursprünglichen Investoren haben lediglich das Gehalt des Sozialunternehmers in den ersten 3 Jahren sowie die Startup-Kosten übernommen. Die Mitarbeiter des finanzierenden Unternehmens konnten sich auf vielfältige Weise bei der Startphase mit Rat und Tat engagieren und so sozial tätig sein. Wir glauben, dass alle Beteiligten gewinnen. Soziale Probleme können gelöst werden, die Arbeitszufriedenheit unserer Mitarbeiter steigt aufgrund des sozialen Engagements und wir können mit kalkulierbaren finanziellen Mitteln viel bewegen. <?page no="139"?> 116 • Kapitel III: Kultur und Unternehmensverantwortung 5. Wie verträgt sich CSR mit einem Unternehmen, das nach wirtschaftlicher Optimierung strebt? In der Vergangenheit wurde eine finanzielle Zuwendung wirtschaftlich und ökonomisch erfolgreicher Menschen oft erst als „sozial“ empfunden, wenn die Mittel gespendet wurden. Neuere CSR-Ansätze stellen durchaus Ansprüche, die einem wirtschaftlich geführten Unternehmen ähneln: Welchen Nutzen hat die CSR-Aktivität und wer ist bereit für diese Leistung zu bezahlen? Unternehmer können die Sozialunternehmer gut bei der Fragestellung, wie sich der Nutzen quantifizieren lässt und wer Kunde sein kann, beraten. Wie muss der Sozialunternehmer planen, sich organisieren und sich strukturieren, um ökonomisch erfolgreich zu sein (und damit nicht ewig auf Spenden angewiesen zu sein und sein Wachstum zu finanzieren)? Bei all diesen Fragen hat der erfolgreiche Unternehmer meist die Lernkurve, die der Sozialunternehmer noch vor sich hat, schon hinter sich. Mit welchen Key-Performance-Indikatoren kann der Sozialunternehmer seine Planumsetzung kontrollieren? Die Prinzipien eines erfolgreichen Key-Performance-Indikatorsystems einer CSR- Aktivität ähneln denen eines Unternehmens, auch wenn Unternehmen, die ihr Kapital aus dem Kapitalmarkt erhalten, Profit vielleicht stärker in den Vordergrund stellen. Auch wenn die meisten CSR-Aktivitäten bewusst als Non-Profit-Organisationen gegründet werden, ähneln sich die Herausforderungen, die über Erfolg und Misserfolg entscheiden, in hohem Maß. Es zeigt sich auch, dass ein CSR-Engagement im eigenen Marktumfeld bzw. Erfahrungsbereich durchaus für beide Seiten von Vorteil sein kann. Wenn ein Pharmaunternehmen Sozialunternehmern hilft, die „More Health“ zum Thema haben, kann der Sozialunternehmer stark von der Erfahrung und dem Netzwerk seines Mentors profitieren. Auf der anderen Seite lernt der Mentor die Welt aus einem Blickwinkel zu sehen, den er normalerweise vermutlich in seinem Erfahrungsumfeld eher weniger sieht (Start-up-Mentalität anstatt Konzernmentalität; alternative Ansätze, das gleiche Problem zu lösen). 6. Inwieweit ist eine Schwerpunktsetzung der CSR-Aktivitäten im regionalen Umfeld des Unternehmens sinnvoll bzw. sollte die globale Perspektive im Vordergrund stehen? In Bezug auf das „More Health“-Projekt bei Boehringer Ingelheim widersprechen sich die lokale und globale Perspektive nicht. Jedes Land wird in den nächsten Jahren eine Patenschaft für einen Sozialunternehmer aus seiner Region übernehmen. Ist der Sozialunter- <?page no="140"?> Kapitel III: Kultur und Unternehmensverantwortung • 117 nehmer erfolgreich, wird er seine Aktivität national, vielleicht sogar multinational ausweiten. Gerade in der Startphase ist es aber wichtig, dass die nationale Partnerschaft einen häufigen Austausch zwischen Sozialunternehmer und seinem Mentor ermöglicht. Gerade dadurch öffnet sich das Mentorunternehmen auch für die Menschen und Institutionen in seinem direkten Umfeld. 1 Kultur 1.1 Kulturbegriff Erfolgreiche Unternehmen zeichnen sich dadurch aus, dass sie ihre Aktivitäten an den Erfordernissen ihrer Umwelt ausrichten. Weiterhin agieren sie flexibel und situationsspezifisch auf unterschiedliche Ereignisse (Meissner, H.G., 1999; Perlitz, M., 1994b). Dies ist auch der Basisgedanke des situativen Ansatzes, der davon ausgeht, dass es nicht „ den“ optimalen, sondern nur den in der jeweiligen Situation geeigneten Weg gibt. Für ein Unternehmen geht es darum, sich so zu verhalten, dass sich die verfolgten Unternehmensziele in der jeweiligen Situation bestmöglich realisieren lassen. Die Literatur zeigt eine Vielzahl von Variablen auf, die Unternehmen in ihrem Verhalten beeinflussen. Es wird grob unterschieden in Variablen der unternehmensexternen und -internen Umwelt. Der externe Teil lässt sich weiter untergliedern in eine vom Unternehmen beeinflussbare und in eine nicht beeinflussbare Umwelt. Kultur im Sinne von gemeinsam geteilten Werthaltungen in einer Gesellschaft ist ein Teilbereich der nicht beeinflussbaren Umwelt. Im eigenen Stammland sind die kulturell internalisierten Wertvorstellungen handlungsleitend. Alternativen werden nicht gesehen und Kultur wird somit als etwas Selbstverständliches hingenommen (Holzmüller, H.H./ Berg, N., 2002; Schuster, L., 1999; Dülfer, E., 1992a; Thorborg, H., 1991). Mit deren Problematik an sich wird das Unternehmen nicht konfrontiert. Inländer sind sich daher der Inhalte der eigenen kulturellen Prägung meist gar nicht bewusst, sie setzen sich mit der jeweiligen Kultur nur implizit auseinander. Im Gegensatz dazu treffen in kulturellen Überschneidungssituationen die gewohnten, eigenkulturell geprägten Denkmuster und Verhaltensweisen mit denen der fremdkulturell geprägten Interaktionspartner aufeinander. Die bisher geeigneten Handlungsweisen, Interpretations- und Bewertungsmuster versagen dann häufig, d.h., ein „ Fit“ zwischen der Situation und dem Verhalten ist nicht mehr gegeben und der Erfolg der Unternehmensaktivitäten dadurch oft gefährdet. Die kulturelle Umwelt wird daher erst bei internationalen Aktivitäten eines Unternehmens durch das „ Aufeinanderprallen“ von Kulturen bewusst und erlangt somit betriebswirtschaftliche Bedeutung. Kultur ist ein originärer Problembereich für das Internationale Management, da er erst durch eine Internationalisierung der Unternehmenstätigkeit evident wird. <?page no="141"?> 118 • Kapitel III: Kultur und Unternehmensverantwortung Besonderen Einfluss hat die Kultur auf die interpersonelle Interaktion (Knapp, K., 2003; Kopper, E., 2003; Holzmüller, H.H., 1997; Harris, P.R./ Moran, R.T., 1991), welche vor allem im operativen Bereich der Unternehmensaktivitäten von Relevanz ist. Kultur wird daher als wichtige Umweltdimension für die internationalen betrieblichen Teilpolitiken diesem Kapitel vorangestellt. Hierzu wird zuerst das Phänomen Kultur definiert und diskutiert. Im Anschluss daran erfolgt eine Beschreibung der kulturvergleichenden Managementforschung sowie des interkulturellen Managements. Diese Komponenten werden in einer integrativen Darstellung verknüpft, wodurch die Bedeutung der Kultur für verschiedene internationale Teilpolitiken deutlich wird. Das Phänomen Kultur ist definitorisch schwer fassbar. Dies liegt darin begründet, dass sehr unterschiedliche Forschungsgebiete den Kulturfaktor in ihre Betrachtung einbeziehen. Je nach Forschungsgebiet variieren die Zielsetzungen und daher auch die Auffassungen. In einer umfangreichen Literaturanalyse haben die Anthropologen Kroeber und Kluckhohn bereits Anfang der 1950er Jahre 164 verschiedene inhaltliche Auslegungen des Begriffs Kultur zusammengetragen (Kroeber, A.L./ Kluckhohn, C., 1952). Keller bestimmt den Kulturbegriff anhand verschiedener Eigenschaften (v. Keller, E., 1982): Kultur ist menschengeschaffen. Sie ist ein Produkt kollektiven gesellschaftlichen Handelns und Denkens einzelner Menschen. Kultur ist überindividuell und ein soziales Phänomen, das den Einzelnen überdauert. Kultur wird erlernt und durch Symbole übermittelt. Kultur ist durch Normen, Regeln und Verhaltenskodizes verhaltenssteuernd. Kultur strebt nach innerer Konsistenz und Integration. Kultur ist ein Instrument zur Anpassung an die Umwelt. Kultur ist langfristig adaptiv wandlungsfähig. Hofstede stellt Kultur als ein gruppenspezifisches, kollektives Phänomen von gemeinsam geteilten Werthaltungen dar. „Culture is to a human collectivity what personality is to an individual“ (Hofstede, G., 2001). Er definiert Kultur als die kollektive Programmierung des menschlichen Denkens, die die Mitglieder einer Gruppe von Menschen von denjenigen einer anderen Gruppe unterscheidet. Die meisten Studien der kulturvergleichenden Managementforschung der 1980er und 1990er Jahre beziehen sich auf diese Begriffsbestimmung, die auch hier zugrunde gelegt wird. Das Kulturphänomen wird oft mit einem Eisberg verglichen, dessen größter Teil unter Wasser verborgen bleibt (vgl. Abbildung 56). Der sichtbare, explizite und manifeste Teil beinhaltet kulturelle Artefakte wie Symbole, Rituale, Sprache, Kleidung, Essen, Architektur, Kunst usw. Diese reflektieren aber nur tieferliegende Schichten der Kultur, d.h. die <?page no="142"?> Kapitel III: Kultur und Unternehmensverantwortung • 119 zugrunde liegenden, meist unbewussten und internalisierten Wertvorstellungen, Normen, Denkweisen und Einstellungen (Kutschker, M./ Schmid, S., 2011; Trompenaars, F., 1993). Abbildung 56: Kultur als Eisberg Kultur hat verschiedene Funktionen. Sie bietet dem Einzelnen ein Orientierungssystem und einen Bezugsrahmen, anhand derer eigene Erfahrungen und Verhaltensweisen eingeteilt und organisiert werden können. Der kulturelle Rahmen setzt somit Standards für Wahrnehmung, Denken, Urteilen und Handeln. Kultur als kollektiv geteilte kognitive Infrastruktur stellt einen effektiven Interpretations- und Problemlösungsmechanismus dar, um die komplexe Umwelt bewältigen zu können. Darüber hinaus stellt Kultur eine eigene Identität bereit. Der Sozialisationsprozess durch Lernen am Kulturmodell ermöglicht ein einheitliches Handeln und effizientes Arbeiten. Kultur hilft den Mitgliedern einer Gesellschaft bei der Kommunikation, Interaktion und Erfolgssicherung. Der Prozess der Prägung der kulturellen Grundpersönlichkeit des Einzelnen erfolgt durch Enkulturation, d.h. durch das Lernen der spezifischen Kulturmuster und -werte. Kulturelle, biologische und soziale Faktoren sowie Umwelteinflüsse sind dabei eng miteinander verbunden und ergänzen sich gegenseitig (siehe Abbildung 57) (Holzmüller, H.H./ Berg, N., 2002; v. Keller, E., 1982). <?page no="143"?> 120 • Kapitel III: Kultur und Unternehmensverantwortung Abbildung 57: Kultur, Gesellschaft und Individuum Quelle: v. Keller, E., 1982 Kulturen als Ergebnis eines langen Prozesses der internen Adaption und Integration bei gleichzeitiger Abgrenzung nach außen sind grundsätzlich sehr stabil und auf Kontinuität ausgerichtet. Dennoch verändern sich Kulturen. Kultur ist zugleich Produkt und Prozess, d.h., sie muss ständig ihre Anpassungsfähigkeit unter Beweis stellen. Nur ein adaptivevolutionärer Prozess kann es ermöglichen, dass die kulturellen Inhalte und Formen langfristig geeignet bleiben, die spezifischen Umweltprobleme zu lösen sind und eine Überalterung der kulturellen Determinanten verhindert wird (Dülfer, E., 1992a; Matenaar, D., 1983). Es bestehen verschiedene Ansätze, das Phänomen Kultur zu erfassen. Letztendlich geht es darum, das hypothetische Konstrukt Kultur in verschiedene Dimensionen aufzuspalten, die als Vergleichskriterien für die Beschreibung und den Vergleich einzelner Länder und Kulturen dienen sollen. In der Literatur lassen sich verschiedene Kulturdimensionen differenzieren. Zwei der bedeutendsten Kulturstudien sind die Ansätze von Trompenaars sowie von Hofstede. 1.1.1 Kulturmodell von Trompenaars Trompenaars unterscheidet in seinem Ansatz insgesamt sechs kulturelle Dimensionen, von denen allerdings nur fünf für den Themenbereich des Internationalen Managements relevant sind. Seine empirische Untersuchung zur Quantifizierung kultureller Differenzen basiert auf der Befragung von 15.000 Managern aus 47 Nationen. Er unterscheidet zwischen folgenden Kulturdimensionen (Trompenaars, F./ Hampden-Turner, C., 2012; Trompenaars, F., 1996; Trompenaars, F., 1993a): (1) Universalismus versus Partikularismus Diese Kulturdimension gibt wieder, inwieweit in dem jeweiligen Land das Generelle oder das Spezifische Vorrang hat. So legen universalistische Kulturen großen Wert auf die Einhaltung von Regeln und stellen diese gar über menschliche Beziehungen. Partikularistische Kulturen hingegen betrachten vorrangig die spezifischen Umstände oder persönlichen Hintergründe bei Entscheidungen aller Art. Hierdurch rückt die spezifische Situation in den Vordergrund. Eher universalistische Kulturen sind neben den angelsächsischen Ländern USA, Kanada und Großbritannien vor allem die germanischen Nationen Deutsch- <?page no="144"?> Kapitel III: Kultur und Unternehmensverantwortung • 121 land, Österreich und die Schweiz, während beispielsweise Venezuela, Südkorea, Russland oder China als partikularistisch eingestuft werden. (2) Individualismus versus Kollektivismus Hierbei geht es um die Frage, ob sich Personen primär als Individuen sehen oder sich über die Zugehörigkeit zu einer Gruppe definieren. Damit einher geht die Diskussion, ob sich Individuen bei ihren Entscheidungen an den persönlichen Interessen ausrichten oder eine Unterordnung unter ein Kollektiv stattfindet. Trompenaars betont, dass es bei dieser Dimension durchaus vorkommen kann, dass in Ländern sowohl individualistische als auch kollektivistische Tendenzen auftreten können. Die USA, Rumänien, Tschechien, Russland, Nigeria oder Israel gelten als individualistische, während Japan, Indien, Ägypten oder Mexiko als kollektivistische Nationen betrachtet werden. (3) Neutrale Beziehungen versus affektive Beziehungen Bei dieser Dimension spielen Gefühle und Beziehungen eine dominierende Rolle. So steht in neutralen Kulturen ein rationales Verhalten im Vordergrund, wohingegen in affektiven Kulturen Gefühle und Emotionen nicht unterdrückt werden. Die Mehrzahl der lateinischen, afrikanischen und arabischen Nationen wird den affektiven Kulturen zugerechnet, während Japan und China sowie mehrere mittel- und nordeuropäische Länder (z.B. Polen, Bulgarien oder Österreich) als neutral gelten. (4) Spezifische Beziehungen versus diffuse Beziehungen Diese Dimension drückt das Maß der Betroffenheit eines Individuums durch eine bestimmte Situation oder Handlung aus. In Kulturen mit diffusen Beziehungsstrukturen lassen sich unterschiedliche Lebensbereiche nicht voneinander trennen, während in spezifischen Kulturen beispielsweise die Felder Arbeit und Familie klar voneinander abgetrennt sind. China, Kuwait, Indonesien oder Chile gelten als eher diffus, während die westlichen Industriestaaten eher spezifisch orientiert sind. (5) Leistung versus Ansehen Die letzte Dimension bezieht sich darauf, ob der Status einer Person durch ihr Ansehen (z.B. aufgrund der Herkunft, religiöser Vorstellungen oder des Alters) oder aufgrund einer erzielten Leistung erreicht wird. Die USA gelten dabei als Land mit einer hohen Statuserreichung, wohingegen mitteleuropäische Länder (z.B. Italien, Deutschland und Russland) eher den Kulturen zugerechnet werden, in denen das Ansehen eine große Rolle spielt. In einer Vielzahl südamerikanischer, asiatischer und arabischer Länder sind derartige Tendenzen noch wesentlich stärker ausgeprägt. <?page no="145"?> 122 • Kapitel III: Kultur und Unternehmensverantwortung 1.1.2 Kulturmodell von Hofstede Die in der Betriebswirtschafts- und Managementlehre am häufigsten genannte und zitierte Studie zur Kulturerfassung stammt von Hofstede, der in seiner Untersuchung beim Computerhersteller IBM 117.000 Fragebögen aus 67 Ländern mit jeweils 60 Items analysiert hat (Hofstede, G., 1982). Die Datenerhebung fand zwar zwischen 1968 und 1972 statt, doch trotz des hohen Alters wird die Studie auch heute noch als Basis der meisten Untersuchungen zur kulturvergleichenden Managementforschung herangezogen. Ziel der Hofstede-Studie war die Ausarbeitung von Dimensionen, mit deren Hilfe Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen Ländern dargestellt werden können. Hofstede gelangt in seiner Analyse zunächst zu vier Kulturdimensionen mit den Bezeichnungen: (1) Machtdistanz (2) Individualismus/ Kollektivismus (3) Maskulinität/ Femininität (4) Unsicherheitsvermeidung Später kam mit der Langfrist-/ Kurzfristorientierung eine fünfte Dimension hinzu. Die einzelnen Dimensionen werden nachfolgend erläutert (Hofstede, G., 2006; Hofstede, G., 2001; Hofstede, G., 2000; Hofstede, G., 1992). (1) Machtdistanz (power distance) Diese wird von Hofstede definiert als „the extent to which the less powerful members of institutions and organizations within a country expect and accept that power is distributed unequally“ (Hofstede, G./ Hofstede, G.J./ Minkov, M., 2010). Auf der Basis von Ländermittelwerten verschiedener Fragestellungen (z.B. wahrgenommener bzw. präferierter Führungsstil, Widerspruchsmöglichkeiten gegenüber dem Vorgesetzten) wurde von Hofstede ein Machtdistanz-Index (MDI) erstellt (vgl. Abbildung 58). Länder mit einem niedrigen Indexwert haben eine geringe Machtdistanz und umgekehrt. Die meisten afrikanischen, asiatischen und lateinamerikanischen Länder zeigen ebenso wie Frankreich, Belgien, Italien und Spanien hohe MDI-Werte; niedrige Machtdistanzwerte ergeben sich dagegen für die USA, Großbritannien, Deutschland und die skandinavischen Länder. Im Management wird sich eine hohe Machtdistanz z.B. dadurch bemerkbar machen, dass eine große Zahl von Hierarchiestufen besteht und ein Umgehen dieser Hierarchiestufen tabu ist. Zudem werden Entscheidungen in Ländern mit einer hohen Machtdistanz häufig stark zentralisiert. Des Weiteren werden Statussymbole und Privilegien nach außen sichtbar angewandt. <?page no="146"?> Kapitel III: Kultur und Unternehmensverantwortung • 123 Die kursiv gedruckten Punktwerte für die Länder/ Regionen wurden aus der IBM Datenbank ermittelt. Die Punktwerte für die restlichen Länder basieren auf Wiederholungsstudien oder Schätzungen. Abbildung 58: Machtdistanz-Index-Werte (MDI) von 74 Ländern und Regionen Quelle: Hofstede, G./ Hofstede, G.J., 2009 (2) Individualismus versus Kollektivismus Die Dimension des Individualismus bzw. Kollektivismus misst, inwieweit sich die Menschen einer bestimmten Gesellschaft eher als einzelne, unabhängige Individuen oder als Mitglieder einer Gruppe definieren (Hofstede, G., 2001). Gesellschaften gelten dann als individualistisch, wenn Bindungen zwischen den einzelnen Personen locker sind und die Erwartung überwiegt, dass jeder für sich und seine unmittelbare Familie zu sorgen hat. In kollektivistischen Gesellschaften sind die Individuen hingegen von Geburt an in starke, geschlossene Gruppen integriert, die ein Leben lang für Schutz sorgen und dafür bedingungslose Loyalität erwarten. Die verschiedenen Grade der Ausprägung des Individualismus variieren von Kultur zu Kultur und können mit dem sogenannten Individualismus- Index (IDV) gemessen werden (vgl. Abbildung 59). Wie bereits im Falle der Machtdistanz repräsentieren die Punktzahlen die relative Position des jeweiligen Landes. Je niedriger die Punktzahl, desto kollektivistischer, je höher, desto individualistischer ist das jeweilige Land. Beinahe alle wohlhabenden Länder erreichen hohe IDV-Punktwerte, während fast alle ärmeren Länder niedrigere Punktwerte aufweisen. Im Management offenbart sich die individualistische Ausrichtung beispielsweise dadurch, <?page no="147"?> 124 • Kapitel III: Kultur und Unternehmensverantwortung dass der Einzelne Vorrang vor der Gruppe oder vor der gesamten Unternehmung hat. Damit einher geht eine geringe Loyalität, was zu häufigen Stellenwechseln und großer Mobilität führt. Arbeit dient folglich vornehmlich der Selbstverwirklichung und nicht dem Aufbau von Beziehungen. Dies äußert sich beispielsweise auch in der Tatsache, dass dem Inhalt der Aufgabe eine hohe Bedeutung zukommt. Die kursiv gedruckten Punktwerte für die Länder/ Regionen wurden aus der IBM Datenbank ermittelt. Die Punktwerte für die restlichen Länder basieren auf Wiederholungsstudien oder Schätzungen. Abbildung 59: Individualismus-Index-Werte (IDV) für 74 Länder und Regionen Quelle: Hofstede, G./ Hofstede, G.J., 2009 (3) Maskulinität versus Femininität Die Dualität der Geschlechter ist eine fundamentale und universelle Tatsache, mit der die verschiedenen Kulturen jedoch auf unterschiedliche Weise umgehen. Nach Hofstede misst diese Dimension „... the division of roles between the sexes“ (Torrington, D./ Hall, L./ Taylor, S., 2008). Bemerkenswert ist, dass bei der Studie die Wertvorstellungen der Frauen weniger zwischen den einzelnen Kulturen divergieren als die der Männer. Während Frauen grundsätzlich bescheidenere und fürsorglichere Vorstellungen haben, können Männer entweder ebenso denken oder eher bestimmende bzw. konkurrenzbetonte Werte verfolgen. Hofstede bezeichnet eine Gesellschaft als maskulin, wenn sie leistungsbezogen ist, die Individuen (unabhängig vom Geschlecht) erfolgsbezogen und selbstbewusst sind, Konflikte ausgefochten werden und Mitglieder mit abweichendem Verhalten übergangen oder missachtet <?page no="148"?> Kapitel III: Kultur und Unternehmensverantwortung • 125 werden (Hofstede, G., et al., 2011). Eine feminine Kultur achtet eher auf zwischenmenschliche Beziehungen, die Bewahrung der Umwelt, Lebensqualität, schließt Kompromisse und schätzt Kooperation (Hofstede, G., 2001; Nath, R., 1986). Eine hohe Punktzahl bedeutet, dass die Maskulinität in einem solchen Land relativ zu den Ländern mit geringerer Punktzahl stärker ausgeprägt ist. Stark feminine Länder haben also geringe Maskulinitäts-Index-Werte (MAS) (vgl. Abbildung 60). Japan, Österreich, Venezuela, Italien, die Schweiz und Mexiko werden als maskuline Gesellschaften bezeichnet. Auch Deutschland ist maskulin orientiert. Die skandinavischen Länder sowie die Niederlande sind hingegen feminin ausgerichtet. Im Rahmen des Managements drückt sich Maskulinität dadurch aus, dass materiellen Aspekten ein hoher Stellenwert zugesprochen wird. Arbeit wird gegenüber Freizeit als wesentlich höher eingeschätzt. Als dominante Werte gelten Ehrgeiz, Selbstdisziplin sowie Karriereorientierung. Die kursiv gedruckten Punktwerte für die Länder/ Regionen wurden aus der IBM Datenbank ermittelt. Die Punktwerte für die restlichen Länder basieren auf Wiederholungsstudien oder Schätzungen. Abbildung 60: Maskulinitäts-Index-Werte (MAS) für 74 Länder und Regionen Quelle: Hofstede, G./ Hofstede, G.J., 2009 (4) Unsicherheitsvermeidung Ungewissheit ist für einzelne Individuen oft nur schwer zu ertragen. Die Dimension Unsicherheitsvermeidung lässt sich definieren als „der Grad, in dem die Mitglieder einer Kultur sich <?page no="149"?> 126 • Kapitel III: Kultur und Unternehmensverantwortung durch ungewisse oder unbekannte Situationen bedroht fühlen“ (Hofstede, G., et al., 2011). Jede Kultur hat Methoden entwickelt, um mit dieser Ungewissheit objektiv oder subjektiv zurechtzukommen, jedoch gibt es hierbei beträchtliche Unterschiede (Hofstede, G., 2001). Eine Gesellschaft mit einer starken Tendenz zur Unsicherheitsvermeidung versucht, die Zukunft zu kontrollieren oder zumindest über bestimmte Regeln, Gesetze, Verhaltensvorschriften und Sicherheits- und Schutzmaßnahmen zu beeinflussen (Hofstede, G., 1992). Sie ist relativ intolerant gegenüber abnormem Verhalten und eher abweisend gegenüber nicht vorhersagbaren Ereignissen und schwer einzuordnenden Meinungen. Demgegenüber erziehen Kulturen mit schwach ausgeprägter Unsicherheitsvermeidung ihre Mitglieder zu mehr Toleranz gegenüber anderen Meinungen und Ungewohntem. Außerdem ist für sie eine stärkere Akzeptanz von Risiko charakteristisch. Abbildung 61 stellt die Unsicherheitsvermeidungswerte für verschiedene Kulturen dar. Die kursiv gedruckten Punktwerte für die Länder/ Regionen wurden aus der IBM Datenbank ermittelt. Die Punktwerte für die restlichen Länder basieren auf Wiederholungsstudien oder Schätzungen Abbildung 61: Unsicherheitsvermeidungsindex (UVI)-Werte für 74 Länder und Regionen Quelle: Hofstede, G./ Hofstede, G.J., 2009 Länder mit schwacher Unsicherheitsvermeidung haben geringe UVI-Werte und umgekehrt. Bei dieser Hofstede-Dimension sind selbst innerhalb einzelner Länderregionen beträchtliche Differenzen feststellbar. So weisen Griechenland und Portugal eine hohe Unsicherheitsvermeidung auf, während in Deutschland, Österreich und der Schweiz eine mitt- <?page no="150"?> Kapitel III: Kultur und Unternehmensverantwortung • 127 lere Einstufung vorzufinden ist. In Dänemark hingegen ist die Unsicherheitsvermeidung lediglich schwach ausgeprägt. Weitere bestehende kulturelle Differenzen innerhalb Europas analysieren im Detail auch Perlitz und Seger (Perlitz, M./ Seger, F., 2004). In Gesellschaften mit einer hohen Unsicherheitsvermeidung müssen Unternehmensentscheidungen eindeutig und präzise sein. Konflikte und abweichende Verhaltensmuster werden weitestgehend vermieden. Unter Umständen können derartige Mechanismen dazu führen, dass Innovationen frühzeitig erstickt werden, da wenig Platz für kreative Problemlösungen bleibt (Kutschker, M./ Schmid, S., 2011). (5) Langfrist-/ Kurzfristorientierung Die fünfte - nachträglich hinzugefügte - Dimension wird als Langfristbzw. Kurzfristorientierung bezeichnet. Als Merkmale der langfristigen Orientierung von Kulturen sieht Hofstede eine große Ausdauer bzw. Beharrlichkeit im Verfolgen von Zielen, den Respekt vor am Status orientierten Rangordnungen, eine hohe Sparquote und Investitionstätigkeit sowie ein ausgeprägtes Schamgefühl. Eine besonders hohe Langfristorientierung zeigt sich der Studie zufolge, die allerdings lediglich in 23 Ländern durchgeführt wurde, vor allem in China, Hongkong, Taiwan und Japan, während Pakistan äußerst kurzfristig orientiert zu sein scheint. Deutschland nimmt dabei eine Mittelposition ein (vgl. Abbildung 62). Der in diesem Zusammenhang aufgeführte Zeitaspekt hat auch Konsequenzen für das Management. So werden in Kulturen mit einer langfristigen Orientierung häufig strategische Überlegungen gegenüber operativen und taktischen Fragen bevorzugt. Die Unternehmensplanung beschränkt sich folglich nicht auf die nächsten Monate oder unmittelbar folgenden Jahre. Die kursiv gedruckten Punktwerte für die Länder/ Regionen wurden aus der IBM Datenbank ermittelt. Die Punktwerte für die restlichen Länder basieren auf Wiederholungsstudien oder Schätzungen. Abbildung 62: Indexwerte zur Langfristorientierung, (ILO-)Werte für 39 Länder und Regionen Quelle: Hofstede, G./ Hofstede, G.J., 2009 <?page no="151"?> 128 • Kapitel III: Kultur und Unternehmensverantwortung (6) Selbstverwirklichung versus Selbstbeschränkung Die sechste Dimension, Selbstverwirklichung versus -beschränkung (indulgence vs. restraint), wird erstmals in der dritten Auflage des Werkes von Hofstede im Jahr 2010 beschrieben. Die Autoren definieren diese Dimension als „(…) a tendency to allow relatively free gratification of basic and natural human desires related to enjoying life and having fun. Its opposite pole, restraint, reflects a conviction that such gratification needs to be curbed and regulated by strict social norms“ (Hofstede, G./ Hofstede, G.J./ Minkov, M., 2010). Der Fokus liegt auf dem subjektiven Wohlbefinden („level of happiness“) einer Gesellschaft bzw. den Angehörigen eines Kulturkreises. Dies drückt sich beispielweise im Freizeitbedürfnis und der Selbstbestimmtheit über das eigene Leben aus. Auch die Bedeutung, eigene Gedanken frei äußern zu können, wird in dieser Kulturdimension beschrieben. Menschen in einer selbstbeschränkten Kultur empfinden ein geringeres Bedürfnis zur freien Meinungsäußerung. Außerdem neigen sie zur Introvertiertheit, Pessimismus und Zynismus. Angehörige eines Kulturkreises, der stärker durch Genuss und Selbstverwirklichung charakterisiert ist, sind tendenziell extrovertierter, optimistischer und erinnern sich eher an die glücklichen Momente in ihrem Leben (Hofstede, G./ Hofstede, G.J./ Minkov, M., 2010). Länder mit einem niedrigen Indexwert sind durch hohe Selbstbeschränkung gekennzeichnet, wohingegen Länder mit einem hohen Indexwert zu Genuss und Selbstverwirklichung tendieren. Die meisten zentral- und südamerikanischen Länder wie Venezuela, Mexiko, Argentinien und Brasilien weisen hohe Indexwerte auf. Aber auch westliche Industrieländer wie Schweden, Großbritannien und die USA zeigen durch hohe Indexwerte die kulturelle Bedeutung von Genuss und Selbstverwirklichung. Im Gegensatz dazu besitzen osteuropäische, arabische und asiatische Länder durch niedrige Indexwerte eine Kultur der Selbstbeschränkung. Deutschland ist mit einem mittleren Indexwert bei 92 untersuchten Ländern auf Position 52 angesiedelt (vgl. Die Angaben basieren auf den Faktorwerten von drei Items, die im Rahmen der World Values Survey ermittelt wurden. Abbildung 63). Die Ausprägung der Dimension hat auch Auswirkungen auf das Management. In Kulturen, die durch Selbstverwirklichung charakterisiert sind, wie beispielsweise den USA ist ein freundliches und optimistisches Auftreten (z.B. lächelndes Servicepersonal) im Geschäftsalltag die Normalität. Im Gegensatz dazu wird in einer selbstbeschränkten Kultur (z.B. Russland) eine ernste Mimik als Seriosität verstanden. Da es sich in der wissenschaftlichen Diskussion um eine neue Dimension handelt, wird auch von Hofstede und Kollegen darauf hingewiesen, dass zusätzliche Forschungsarbeiten zum genaueren Verständnis notwendig sind (Hofstede, G./ Hofstede, G.J./ Minkov, M., 2010). <?page no="152"?> Kapitel III: Kultur und Unternehmensverantwortung • 129 Die Angaben basieren auf den Faktorwerten von drei Items, die im Rahmen der World Values Survey ermittelt wurden. Abbildung 63: Indexwerte zur Selbstbeschränkung, (IVR-)Werte für 93 Länder und Regionen Quelle: Hofstede, G./ Hofstede, G.J./ Minkov, M., 2010 Trotz der häufig geäußerten Kritik an Hofstedes Studie, die sich u.a. auf die von ihm definierten Dimensionen sowie die Gleichsetzung von Kulturen und Ländern bezieht, gilt seine Untersuchung nach wie vor als die umfangreichste, sowohl was die Zahl der berücksichtigten Länder als auch die Zahl der Befragten betrifft. Da eine Reihe von Folgeuntersuchungen seine Dimensionen und Einschätzungen in weiten Teilen bestätigen konnte - auch die Ähnlichkeit mit den bereits aufgeführten Dimensionen von Trompenaars ist erkennbar -, ist seine Studie auch heute noch prägend für die Kulturforschung und wird als Grundlage der meisten kulturvergleichenden Studien genutzt (z.B. Perlitz, M./ Seger, F., 2004; Weiser, A., 2004; Schmid, S., 1996; Hickson, D.J./ Pugh, D.S., 1995). Abbildung 64 zeigt die Kulturdimensionen im Überblick. <?page no="153"?> 130 • Kapitel III: Kultur und Unternehmensverantwortung Abbildung 64: Hofstedes Kulturdimensionen im Überblick Quelle: Hofstede, G./ Hofstede G.J., 2009 1.1.3 Kulturmodell der GLOBE-Studie Die GLOBE-Studie (Global Leadership and Organizational Behavior Effectiveness Research Program) begann Anfang der 1990er Jahre und befindet sich in der Validierungsphase (Lotter, 2010). Die Untersuchung wurde in 62 Ländern in einem Zeitraum von mehr als zehn Jahren durchgeführt. Der Schwerpunkt der Studie liegt in der Entwicklung einer Kulturtheorie, die den Fokus auf Kulturräume legt und nicht nur Länderstrukturen betrachtet. So wurden Deutschland, Österreich, die Niederlande sowie die deutschsprachige Schweiz in einem Cluster zusammengefasst. Zusätzlich existieren noch neun zusätzliche Cluster, wobei Europa mit insgesamt fünf Clustern die höchste kulturelle Diversität aufweist. Diese Kulturcluster werden von insgesamt neun Kulturdimensionen abgeleitet und sind eng an Hofstedes Dimensionen angelehnt. Machtdistanz sowie Unsicherheitsvermeidung entsprechen klar den Dimensionen Hofstedes. Aus der Dimension Individualismus/ Kollektivismus entwickeln sich in der GLOBE-Studie die Dimensionen gruppen-/ familienbasierter Kollektivismus und der institutionelle Kollektivismus. Kongruent dazu werden Geschlechtergleichheit und Durchsetzungsvermögen aus der Dimension Maskulinität-/ Femininität Hofstedes abgeleitet. Zusätzlich unterscheidet die GLOBE-Studie Kulturen nach ihrer Leistungs-, Zukunfts- und Fairnessorientierung. <?page no="154"?> Kapitel III: Kultur und Unternehmensverantwortung • 131 Abbildung 65: Kulturmodelle im Vergleich Lotter prüft unter anderem die Kultursysteme von Hofstede, Trompenaars und der GLOBE- Studie auf Gemeinsamkeiten und stellt vielfache Überschneidungen fest. Diese aggregiert er zu fünf Kernbereichen und visualisiert die Überlappungen (Abbildung 65). Die Gemeinsamkeiten führt er dabei zum Teil darauf zurück, dass Hofstedes Dimensionen mithin adaptiert werden. Andererseits erhöhen aber die Gemeinsamkeiten die Vergleichbarkeit und auch die Aussagekraft der Kulturdimensionen als globale Unterscheidungskriterien von Kulturen. Neben den bislang aufgeführten Kulturdimensionen von Trompenaars und Hofstede werden in der Literatur häufig weitere Vergleichskriterien erwähnt. Aus Vollständigkeitsgründen werden diese daher zusätzlich aufgeführt. Allerdings können diese in Bezug auf die Dimensionen von Hofstede durchaus Interdependenzen aufweisen. 1.1.4 Andere Kulturmodelle (1) Zeitvorstellungen Die Zeitvorstellungen in verschiedenen Kulturen können anhand der Gegensatzpaare linear versus zyklisch (Dülfer, E., 2011; Dülfer, E., 1992a; Bleicher, K., 1986) und monochron <?page no="155"?> 132 • Kapitel III: Kultur und Unternehmensverantwortung versus polychron kategorisiert werden. Kulturen unterscheiden sich zudem bezüglich ihrer Gegenwarts-, Vergangenheitsbzw. Zukunftsorientierung. Diese Begriffe sollen kurz näher erläutert werden. Unter linearer Zeitvorstellung versteht man die strenge Aneinanderreihung von Monaten und Jahren. Was gestern geschah, ist für immer vorbei. Die Zeit gilt als mess- und teilbare Quantität, der Kalender ist monoskalar. Diese Zeitauffassung ist vor allem in Industriegesellschaften verbreitet. Bei der zyklischen Zeitauffassung ist die Zeit geprägt durch den ständigen Wechsel von Tag und Nacht, von Monden, von Jahreszeiten und dem Mahlzeitenturnus. Leistungsunterschiede in Quantität und Qualität können im Zeitablauf wieder ausgeglichen werden. Es bestehen beim Zeitverbrauch keine Opportunitätskosten. Die Zeit, die heute vergeudet wurde, kommt morgen wieder (Marcotty, A./ Solbach, W., 2003). Die zyklische Zeitauffassung ist vor allem in asiatischen Kulturen und in Agrargesellschaften verbreitet. Abbildung 66: Lineare und zyklische Zeitgerichtetheit Quelle: Bleicher, K., 1986 Bei der monochronen (oder sequenziellen) Zeitauffassung werden Dinge nacheinander erledigt (Trompenaars, F., 1993b; Schein, E.H., 1992). In Kulturen mit polychroner (oder synchroner) Zeitvorstellung herrscht die Auffassung, dass mehrere Dinge gleichzeitig erledigt werden können (Usunier, J.-C., 1991). Abbildung 67 macht deutlich, wie unterschiedlich die Gegenwarts-, Vergangenheits- oder Zukunftsorientierung in unterschiedlichen Kulturen sein kann. Die Größe der Kreise stellt die jeweilige Bedeutung dar. Deutlich werden auch die Zusammenhänge zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. <?page no="156"?> Kapitel III: Kultur und Unternehmensverantwortung • 133 Abbildung 67: Zeitkonzeptionen: Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft Quelle: Trompenaars, F./ Hampden-Turner, C., 2003 (2) Raumvorstellungen Raum hat sowohl eine physische als auch eine soziale Bedeutung. Koordiniertes kulturelles Handeln erfordert gemeinsam geteilte Annahmen über die Bedeutung der Platzierung von physischen Gegenständen im Raum und auch darüber, wie man sich räumlich gegenüber anderen Individuen zu orientieren hat. Durch die räumliche Anordnung wird soziale Distanz oder Nähe ausgedrückt (Adler, N.J., 2002; Schein, E.H., 1992). (3) Kontextualität Hierbei wird insbesondere auf die Bedeutung des kontextuellen Rahmens für die Kommunikation Bezug genommen. Man unterscheidet „high-context“- und „low-context“-Kulturen. Kommunikation in high-context-Kulturen (östliche Kulturen) hängt sehr vom Kontext oder der nonverbalen Spezifizierung der Kommunikation ab (man muss zwischen den Zeilen lesen), wohingegen in low-context-Kulturen (USA, Mitteleuropa) die Kommunikation mehr von expliziter verbaler Kommunikation bestimmt wird (Campbell, N.C.G., et al., 1988). Gedankliche Muster, die Art zu denken, zu urteilen und Schlussfolgerungen zu ziehen sowie die Perzeption von Realität und Kausalität können sich von Kultur zu Kultur unterscheiden. Exemplarisch seien hier die unterschiedlichen Problemlösungsstile westlicher und östlicher Kulturen anhand einiger Merkmale dargestellt (Dülfer, E., 2011; Chikudate, N., 1991; Schwarz, G., 1991; Shaw, J.B., 1990) (vgl. Abbildung 68). <?page no="157"?> 134 • Kapitel III: Kultur und Unternehmensverantwortung Abbildung 68: Denk- und Problemlösungsstile westlicher und östlicher Kulturen Quelle: In Anlehnung an: v. Keller, E., 1982 (4) Religiöse Vorstellungen Je nach religiöser Anschauung neigen die jeweiligen Anhänger dazu, ihr Schicksal als selbst (intern) oder fremd (extern) kontrolliert anzusehen. Abbildung 69: Internale versus externale Kontrollüberzeugungen: Anteil der Befragten, die ihr Schicksal als eigenbestimmt ansehen (alle Angaben in Prozent) Quelle: Trompenaars, F./ Hampden-Turner, C., 2003 <?page no="158"?> Kapitel III: Kultur und Unternehmensverantwortung • 135 Abbildung 69 gibt die Ergebnisse einer kulturvergleichenden Studie hinsichtlich externaler bzw. internaler Kontrollüberzeugungen wieder. Den Einfluss der Religion auf das wirtschaftliche Leistungsdenken hat Weber am Beispiel der protestantischen Ethik näher erläutert. Die beschriebenen Kriterien bzw. Dimensionen machen deutlich, wie das Phänomen Kultur beschrieben und teilweise operationalisiert werden kann. Der nachstehende Abschnitt beschäftigt sich mit den Zielsetzungen und grundsätzlichen Forschungsansätzen der kulturvergleichenden Managementforschung, um letztendlich die Abhängigkeit der Managementprozesse von der jeweiligen Kultur näher zu betrachten. 1.2 Kulturvergleichende Managementforschung Die kulturvergleichende Managementforschung ( „ cross-cultural management research“) untersucht primär den Einfluss kultureller Faktoren auf den Managementprozess. Nach Adler untersucht die kulturvergleichende Managementforschung „the behavior of people in organizations around the world and trains people to work in organizations with employee and client populations from several cultures. It describes organizational behavior within countries and cultures, compares organizational behavior across countries and cultures, and (...) seeks to understand and improve the interaction of co-workers from different countries and cultures“ (Adler, N.J., 2002). Allgemein ist der Gegenstand vergleichender Forschung das systematische Aufdecken, Identifizieren, Klassifizieren, Messen und Deuten von Unterschieden und Gemeinsamkeiten betriebswirtschaftlich bedeutsamer Phänomene (Perridon, L., 1981). Übertragen auf kulturvergleichende Forschung bedeutet dies, dass Unterschiede und Gemeinsamkeiten bezüglich Grundannahmen, Werten, Normen und Verhaltensweisen zwischen zwei oder mehreren Ländern identifiziert, verstanden, beschrieben, erklärt und möglicherweise bewertet werden (Schmid, S., 1996). Die kulturvergleichende Managementforschung verfolgt die nachstehenden Erkenntnisziele (v. Keller, E., 1989; v. Keller, E., 1982): (1) Deskriptiv-klassifikatorische Ziele Hierunter versteht man die Beschreibung, die Erfassung, den Vergleich und die Klassifikation verschiedener Kulturen. Die Unterschiede und Gemeinsamkeiten in Managementprozessen, Normen und Wertvorstellungen werden identifiziert. Relativ homogene kulturelle Cluster werden abgeleitet. (2) Heuristische Ziele Die Ergebnisse aus dem ersten Erkenntnisschritt (Beschreibung, Vergleich, Klassifikation) bilden die Grundlage für die Entdeckung und Generierung von Hypothesen und Theorien über den Zusammenhang zwischen Managementvorgängen und kulturellen Faktoren. Man <?page no="159"?> 136 • Kapitel III: Kultur und Unternehmensverantwortung versucht also, die beschriebenen Phänomene zu erklären bzw. transkulturelle Gesetzmäßigkeiten abzuleiten. (3) Falsifikatorische Ziele Hier wird die Gültigkeit von Theorien, Hypothesen und Erklärungsmodellen in fremden Kulturen an der Realität überprüft (Kontrollfunktion). Der Kulturvergleich ermöglicht so in den Sozialwissenschaften das Testen von Theorien unter veränderten kulturellen Rahmenbedingungen und erfüllt somit die Funktion des in den Naturwissenschaften üblichen Experiments. Die Problematik beim Kulturvergleich besteht allerdings in der Isolierung der verursachenden Faktoren, da es kaum möglich ist, zwei völlig gleiche Objekte unter verschiedenen (kulturellen) Bedingungen zu analysieren, wie dies im idealen kontrollierten Experiment der Fall ist. Lassen sich bestimmte Gesetzeshypothesen in einer anderen Kultur nicht nachweisen, dann ist eine Aufdeckung der verursachenden kulturellen Hintergrundvariablen notwendig. Dies führt damit eventuell zur Entdeckung und Generierung neuer Hypothesen. Kulturvergleichende Managementforschung darf jedoch, ebenso wie die Kultur selbst, nicht als statisches Konstrukt verstanden werden. Vielmehr war sie im Zeitablauf einem kontinuierlichen Veränderungsprozess unterworfen, in dessen einzelnen Phasen unterschiedliche Fragestellungen und Zielsetzungen relevant waren. Eine Übersicht über den Entwicklungsprozess lässt sich Abbildung 70 entnehmen. Abbildung 70: Die Entwicklung der Kulturforschung im Management Quelle: Kutschker, M./ Schmid, S., 2011; Schmid, S., 1996 Die kulturvergleichende Managementforschung ist ein interdisziplinäres Forschungsgebiet. Aus verschiedensten wissenschaftlichen Disziplinen müssen Erkenntnisse problemorientiert integriert und zusammenhängend verarbeitet werden. Zahlreiche Beiträge haben sich mit dem Transfer von Managementtechniken in fremde Kulturen beschäftigt. Dabei haben sich im Wesentlichen drei kontroverse Positionen entwickelt (Kutschker, M./ Schmid, S., 2011; Osterloh, M., 1994; Ralston, D.A., et al., 1993; Klimecki, R.G./ Probst, G.J.B., 1993; Bittner, A./ Reisch, B., 1993; Brooke, M.Z., 1992; Black, J.S./ Porter, L.W., 1991; Takahashi, Y., 1989): <?page no="160"?> Kapitel III: Kultur und Unternehmensverantwortung • 137 Die Universalisten („universal approach“) behaupten, dass Managementprinzipien unabhängig von den kulturellen Umweltfaktoren allgemeine Gültigkeit besitzen. Das - meist in den USA entwickelte - Management-Know-how sei universell und könne daher leicht von einer Kultur in eine andere übertragen werden. Die ökonomischen Relativisten sind der Auffassung („culture free“-These), dass mit der fortschreitenden wirtschaftlichen Entwicklung, Industrialisierung und Technologisierung beinahe zwangsläufig eine Homogenisierung und Konvergenz der Managementprinzipien stattfindet. Die Logik der Industrialisierung generiert wirtschaftliche und technologische Imperative und Notwendigkeiten, die kulturelle Unterschiede mit der Zeit verschwinden lassen. Kulturvergleichende Managementstudien dienen hier der Suche nach Ähnlichkeiten bzw. werden teilweise langfristig gar als hinfällig betrachtet. Diese „culture-free“- These behauptet allerdings nicht, dass das Management und die Organisationsstrukturen von kulturellen Einflüssen unabhängig sind, sondern dass die Beziehungen zwischen den nichtkulturellen Kontextvariablen (Stand der industriellen Entwicklung, Größe der Unternehmung usw.) und der Organisationsstruktur jeweils von einer Gesellschaft zur anderen stabil sind. Kulturvergleichende Managementstudien unter annähernd gleichen Kontextbedingungen (gleicher ökonomischer Entwicklungsstand der Länder, gleiche Unternehmensgröße) konnten aber dennoch Managementunterschiede feststellen, die dann auf kulturelle Faktoren zurückgeführt werden müssen. Die Kulturisten heben die Kulturabhängigkeit („culture-bound“-These) aller Managementkonzepte und -instrumente hervor. Unterschiedliche kulturelle Ausgangsbedingungen erfordern ein angepasstes Managementverhalten. Als Folge davon kann das Management- Know-how nicht problemlos von einer Kultur auf eine andere übertragen werden. Berücksichtigt werden muss, dass die eher technischen Komponenten des Management- Know-how wie Investitions- und Budgetanalyse, Kostenrechnung und Controlling leichter übertragbar sind als die personen- und verhaltensbezogenen Teile wie z.B. Führungs-, Entscheidungs-, Motivations- und Kommunikationsstrukturen (v. Dijck, J.J., 1990; v. Keller, E., 1982). In einer Analyse über kulturvergleichende Managementstudien wurde festgestellt, dass Untersuchungen, die sich auf Makrovariablen (Technologie, Organisationsstrukturen usw.) konzentrieren, Konvergenztendenzen nachgewiesen haben, während Studien auf Mikroebene (Verhalten von Organisationsmitgliedern) eine Divergenz aufweisen (Adler, N.J./ Doktor, R./ Redding, S.G., 1986). Dieses Ergebnis relativiert die Universalisten- Kulturisten-Kontroverse und zeigt, dass der Einfluss der Kultur auch vom Untersuchungsgegenstand abhängt. Bezüglich der zahlreichen kulturvergleichenden Managementuntersuchungen lassen sich grundsätzlich zwei Forschungsmethoden (Cleff, T., 1996; Schmid, S., 1996; v. Keller, E., 1989; Nath, R., 1986; v. Keller, E., 1982) unterscheiden. In empirisch-quantitativen Untersuchungen wird davon ausgegangen, dass Kultur messbar ist und anhand einzelner kultureller Dimensionen und Skalen verglichen werden kann. <?page no="161"?> 138 • Kapitel III: Kultur und Unternehmensverantwortung Mit Hilfe „ harter“ Erhebungs- und Analysemethoden (schriftliche standardisierte Befragungsinstrumente, Interviews und Tests; multivariate Verfahren; Massenerhebungen/ Surveys) werden quantitative Daten generiert, die der Überprüfung bestimmter Hypothesen und der Suche nach Gesetzmäßigkeiten dienen sollen. Demgegenüber versuchen qualitative Fallstudien, Informationen über verschiedene Kulturen zu verarbeiten. Zu den „ weichen“ Forschungsmethoden zählen unstrukturierte Interviews, einführende Symptomdeutungen, die teilnehmende Beobachtung, Aktionsforschung, Literatur- und Sprachanalyse sowie die Analyse historischer Ursachen und Parallelen. Auch anekdotisches Material und persönliche Erfahrungen werden miteinbezogen. In grober Anlehnung an das Konzept von Perlmutter teilt Adler die kulturvergleichende Managementforschung in sechs Ansätze ein (Adler, N.J., 2002; Cleff, T., 1996; Kumar, B.N., 1988; Ronen, S., 1986; vgl. auch Nath, R., 1986; Adler, N.J., 1983a): (1) Parochiale Untersuchungen sind „ single-culture“-Studien und werden von Forschern aus dem jeweiligen Land durchgeführt. Implizit wird angenommen, dass die Forschungsergebnisse universelle Gültigkeit haben. (2) Die ethnozentrische Forschung geht implizit von der Überlegenheit der heimischen Managementmethoden aus und versucht, die Frage zu beantworten, wie eigene Theorien auch in anderen Kulturen angewendet werden können. Im Gegensatz zum parochialen Ansatz wird die Universalität der eigenen Konzepte jedoch erst gesucht und nicht nur vorausgesetzt. Die Suche nach Ähnlichkeiten soll zur interkulturellen Validität der heimischen Theorien führen. Methodisch geschieht dies meist durch eine Replikation einer „ single-culture“-Studie in einer anderen Kultur. „Measuring the second culture against the first - that is, using a self-reference criterion - is one of the indications of the underlying ethno-centrism inherent in this approach“ (Adler, N.J., 1983a). (3) Die polyzentrische Forschung geht davon aus, dass jede Kultur einzigartig ist und daher nur aus ihrem eigenen Begriffssystem und Bezugsrahmen heraus analysiert werden kann. Polyzentrische Studien beruhen auf zwei Annahmen: Die Prämisse der Äquifinalität besagt, dass es viele kulturspezifische Wege zur Erreichung bestimmter Managementziele gibt. Die Annahme der kulturellen Relativität bedeutet, dass keine der bestehenden Lösungsmöglichkeiten als besser oder effizienter angesehen wird. Universalität wird abgelehnt. Management und Organisation sollen vorurteilsfrei untersucht werden und gelten nur im Kontext ihres spezifischen kulturellen Umfeldes als verstehbar. Methodisch wird ein induktives und deskriptives Vorgehen bevorzugt. Der Schwerpunkt liegt auf den oben beschriebenen „ weichen“ Forschungsmethoden. Man versucht, Generalisierungen und die Formulierung nomothetischer Hypothesen zu vermeiden. Die Problematik dieses Forschungsansatzes besteht dann allerdings darin, die gewonnenen Ergebnisse zwischen verschiedenen Kulturen zu vergleichen, da ein gemeinsamer Bezugsrahmen fehlt. <?page no="162"?> Kapitel III: Kultur und Unternehmensverantwortung • 139 (4) Der komparative Forschungsansatz ist der verbreitetste in der kulturvergleichenden Managementforschung. Komparative Studien sollen Ähnlichkeiten bzw. Unterschiede zwischen zwei oder mehr Kulturen aufdecken. Die Annahme, dass es nur eine dominante Kultur bzw. Managementtheorie gibt, wird abgelehnt. Durch Vergleich sollen entweder universelle oder kulturspezifische Aspekte des Managementprozesses identifiziert werden. Implizite Universalität beinhaltet dieser Forschungsansatz allerdings dadurch, dass man Kulturen anhand gemeinsamer Dimensionen bzw. Kriterien zu vergleichen versucht. (5) Geozentrische Studien untersuchen das Management multinationaler Unternehmen. Wenn auch nicht explizit, sucht dieser Ansatz eher nach Ähnlichkeiten zwischen den Kulturen. Dabei wird von einer einheitlichen, durch die Muttergesellschaft geprägten Unternehmenskultur und einer möglichst vollständigen Integration der Tochtergesellschaften ausgegangen. Betont wird meist mehr die geografische Dispersität des Konzerns und nicht die kulturelle Verschiedenartigkeit. Im Mittelpunkt stehen Globalisierung und Gesamtoptimierung der Unternehmensstrukturen und -abläufe, d.h. eher die Makrovariablen als die Mikroebene des einzelnen Mitarbeiters. (6) Untersuchungen der synergistischen Forschungsrichtung konzentrieren sich auf Situationen interkultureller Interaktion in konkreten Arbeitssituationen. So gibt es Studien zu Führungsproblemen in internationalen Joint Ventures und strategischen Allianzen oder zur Problematik der Personalentsendung ins Ausland. Oft wird auch im Rahmen von Aktionsforschung versucht, Muster konfliktfreien Zusammenarbeitens (erst) zu entwickeln, wobei von gegenseitigen Sozialisations- und Lernprozessen der jeweiligen Mitarbeiter ausgegangen wird. 1.3 Interkulturelles Management Das interkulturelle Management befasst sich mit der konkreten Gestaltung von funktionalen, strukturalen und personalen Managementprozessen. Ziel ist die erfolgreiche Bewältigung kulturbedingter Managementprobleme durch Bereitstellung entsprechender Lösungsvorschläge für effizientes interkulturelles Handeln. Im Zentrum des Interesses stehen daher die verschiedenen Managementprozesse, kulturelle Überschneidungssituationen und Lösungsvorschläge für kulturbedingte Managementprobleme. Interkulturelle Probleme sind oftmals die Folge einer Art Ähnlichkeitsannahme gegenüber ausländischen Partnern oder von fehlendem Verständnis und Einfühlungsvermögen für die jeweiligen Kulturen (Thomas, A./ Hagemann, K., 2003; Schulz, B., 1993; Pfaller, P./ Heibutzki, H.J., 1991; o.V., 1991). Lösungsvorschläge für das interkulturelle Management können auf den Ergebnissen empirischer oder qualitativer kulturvergleichender Managementstudien beruhen. Interkulturelle Wissensvermittlung stützt sich häufig nur auf Sprachschulung, Landeskunde und Benimm- <?page no="163"?> 140 • Kapitel III: Kultur und Unternehmensverantwortung Regeln oder auf andere eher an der „ kulturellen Oberfläche“ liegende Verhaltenshinweise ( „ How to behave in ...“). Dabei ist generell der Wert solcher Hinweise für das soziale Protokoll im Einzelfall nicht zu bestreiten. Im Hinblick auf ein erfolgreiches interkulturelles Management dürften derartige Maßnahmen an der kulturellen Oberfläche allerdings kaum ausreichend sein. Vielmehr ist für das Management international tätiger Unternehmungen eine Auseinandersetzung mit den Tiefenstrukturen der jeweiligen Kulturkreise unumgänglich (Schmid, S., 1996). Da die Kultur, wie zu Beginn dieses Kapitels gezeigt, insbesondere Einfluss auf die interpersonelle Interaktion hat, erscheint es folgerichtig, einen Schwerpunkt des interkulturellen Managements auf eine international orientierte Personalentwicklung sowie auf eine zielgerichtete Aus- und Weiterbildung zu legen. Dieses sollte sowohl kultur- und interaktionsorientiert als auch informations- und verstehensorientiert sein (Thomas, A./ Hagemann, K., 2003; Holzmüller, H.H./ Berg, N., 2002; Thomas, A., 1995). Die kulturvergleichende Managementforschung bietet für das interkulturelle Management wertvolle Informationen, indem ein tiefer gehendes Verständnis der kulturellen Phänomene und Dimensionen sowie ihrer Hintergrundfaktoren geschaffen wird. Der internationale Manager wird so in die Lage versetzt, Muster kulturellen Handelns zu erkennen, Empathie zu entwickeln und kulturbedingte Managementprobleme besser zu lösen. Abschließend sollen die kulturvergleichende Managementforschung und das interkulturelle Management noch einmal klar voneinander abgegrenzt werden. Im Zentrum der kulturvergleichenden Managementforschung steht die Entwicklung von Theorien und Modellen über den Einfluss kultureller Faktoren auf die Managementprozesse. Gegenstand des Interesses des interkulturellen Managements ist die erfolgreiche Lösung kulturbedingter Managementprobleme. Interaktion und konkretes Handeln - weniger der Vergleich - stehen hier im Mittelpunkt (Adler, N.J./ Doktor, R./ Redding, S.G., 1986; Adler, N.J., 1983b). Die kulturvergleichende Managementforschung befindet sich im Verhältnis zum Praktiker des interkulturellen Managements quasi auf einer übergeordneten, metasprachlichen Ebene der Reflexion über den Zusammenhang zwischen kulturellen Faktoren und Managementprozessen, während sich der interkulturelle Manager in diesen Zusammenhang gestellt sieht und darauf durch konkretes Handeln reagieren muss (v. Keller, E., 1982). Die bisher besprochenen Teilbereiche der mit Kultur verbundenen Forschung sind entweder interdependent oder hängen kausal voneinander ab. Betriebliche Teilprozesse gestalten sich in unterschiedlichen Kulturen unterschiedlich. Der Einfluss der Kultur ist evident. Die Kultur als Phänomen lässt sich durch die zuvor dargestellten Dimensionen bzw. Faktoren beschreiben. Kultur hat nicht gleichermaßen Einfluss auf alle betrieblichen Teilpolitiken, sondern wirkt sich besonders in personen- und verhaltensbezogenen Bereichen aus. Aus diesem Grund soll insbesondere in einem späteren Kapitel der Einfluss der Kultur auf die internationale Personalpolitik untersucht werden. <?page no="164"?> Kapitel III: Kultur und Unternehmensverantwortung • 141 2 Kulturbedingte Unterschiede in der Unternehmensverantwortung (Corporate Social Responsibility) 2.1 Begriff und Varianten der Unternehmensverantwortung Unternehmen, die im Ausland tätig sind oder sein wollen, sind oft mit unterschiedlichen Erwartungshaltungen bezüglich deren Verantwortung für die Gesellschaft eines Landes konfrontiert. Erfolgreiches Wirtschaften in einem Land setzt dann ein Verhalten voraus, das diesen Erwartungen entspricht. Die soziale Verantwortung für die Menschen eines Landes kann sich auf drei Bereiche verteilen: eine indivuduelle, eine staatliche und eine unternehmerische Verantwortung. Welche Erwartungshaltung bezüglich der Verantwortung im Vordergrund steht, hängt von mehreren Faktoren ab, wie z.B. der Kultur, der vorherrschenden Religion oder dem Entwicklungsstand eines Landes. Im Zusammenhang mit der Kultur zeigen Studien von Maignan und Ferrell (Maignan et al., 2003), dass sich insbesondere individualistische und kollektivistische Kulturen in ihren Erwartungshaltungen bezüglich der sozialen Verantwortung von Individuen, des Staates und von Unternehmen unterscheiden. Individualistische Kulturen sehen hauptsächlich das Individuum, jedoch weniger den Staat oder Unternehmen in der Pflicht, sozial tätig zu sein. Wenn dann, wie in den USA, auch noch ein calvinistisches Gedankengut (Gott ist den Erfolgreichen gegenüber wohlgesonnen) hinzukommt, kommt es auf der Individualebene zu vielen sozialen Aktivitäten, staatliche oder unternehmerische Tätigkeiten im Sozialbereich werden jedoch weniger erwartet. Das drückt sich z.B. in einer großen Spendenbereitschaft einzelner Menschen aus oder durch das Entstehen großer privater Stiftungen, die durch Einzelpersonen gegründet werden (z.B. Bill Gates). Die Hauptaufgabe des Unternehmens ist die Gewinnerzielung, denn damit wird es einerseits dem Individuum möglich, Teile seines Einkommens zu spenden, und der Staat kann durch ein erhöhtes Steueraufkommen seinen Aufgaben, auch im sozialen Bereich, besser gerecht werden. Somit werden die Kunden und die Aktionäre zu den wichtigsten Interessengruppen eines Unternehmens (Lodge, 1990; Maignan et al. 2003). Mehr kollektivistisch geprägte Kulturen sehen die soziale Verantwortung mehr bei dem Staat oder den Unternehmen. Zwar ist Deutschland bei dem Individualismus-Index von Hofstede weltweit gesehen immer noch im oberen Mittelfeld platziert, jedoch ist der Wert mit 67 beträchtlich unter den Ländern mit einem sehr hohen Individualismus-Wert, wie z.B. den USA mit 91, Australien mit 90 und Großbritannien mit 89 Punkten. So wurden in Deutschland bereits mit der Bismarckschen Sozialpolitik Ende des 19. Jahrhunderts viele Bereiche der sozialen Verantwortung auf den Staat übertragen. Zwar haben deutsche Unternehmen wie z.B. Krupp oder Bergbauunternehmen in der gleichen Zeit bereits soziale <?page no="165"?> 142 • Kapitel III: Kultur und Unternehmensverantwortung Verantwortung für ihre Mitarbeiter übernommen, doch die Erwartungshaltung für soziale Belange richtet sich mehr an den Staat. In sehr kollektivistischen Kulturen wie z.B. Japan (46 Punkte) oder Südkorea (18 Punkte) wurde die soziale Verantwortung auf Unternehmen verlagert. Oft wurde das Leben der Mitarbeiter von der Wiege bis zur Bahre unternehmerisch in den Kereitsus oder Chaebols organisiert. Auch unterschiedliche Machtdistanzen können die Einstellung einer Gesellschaft bezüglich der sozialen Verantwortung von Unternehmen beeinflussen (Waldman, D., et al., 2006). Herrschen in einem Land oligopolistische Strukturen, wie dies in vielen lateinamerikanischen oder südostasiatischen Ländern der Fall ist, dann hängt die soziale Verantwortung von wenigen herrschenden Familien ab, die oft nicht nur Unternehmen, sondern auch den Staat maßgeblich beeinflussen. Länder mit niedrigen Machtdistanz-Werten zeichnen sich nach den Untersuchungen von Waldman et al. (Waldman, D., et al., 2006) durch ein hohes CSR-Engagement seitens der Unternehmen aus. Orij (Orij, 2010) hat die Bedeutung maskuliner oder femininer Kulturen für die Unternehmensverantwortung untersucht. Dabei macht er deutlich, dass sich bei femininen Kulturen eher eine größere soziale Verantwortung von Unternrehmen zeigt als bei maskulinien Kulturen. Das Streben nach einem harmonischen Miteinander femininer Kulturen fördert die soziale Verantwortung sowohl von staatlicher als auch unternehmerischer Seite. Letztlich spielt der Entwicklungsstand eines Landes eine erhebliche Rolle für die soziale Verantwortung für eine Gesellschaft. Soziale Verantwortung muss auch bezahlbar sein. Arme Länder können sich oft staatliche Leistungen im sozialen Bereich nicht leisten, so dass hier entweder die Individual- oder die Unternehmensebene gefordert sind. Wenn es in diesen Ländern nur wenige Reiche gibt und auch die Unternehmen nicht sehr erfolgreich sind, erwartet man, wenn international tätige Untrernehmen aus reicheren Ländern dort agieren, von diesen eine verstärkte Übernahme sozialer Verantwortung. Für Unternehmen bedeutet dies, dass ein erfolgreiches Wirtschaften in einem Land, von einer an die Erwartungshaltung der Menschen angepaßten sozialen Unternehmensverantwortung abhängt. Diese kann, wie vorher ausgeführt, kulturbedingt sehr unterschiedliche Konzepte und Verhaltensweisen notwendig machen. Deshalb werden im Folgenden unterschiedliche Konzepte der sozialen Unternehmensverantowrtung vorgestellt und analysiert. Begriffsinhalt Unternehmensverantwortung beschreibt das Einstehen des Unternehmens für Ziele und Werte, welche über die rein ökonomische Dimension hinausgehen. Neben der wirtschaftlichen Zielerreichung, welche sich beispielsweise durch Gewinnerzielung, Wertsteigerung oder Umsatzwachstum messen lässt, tritt die Verantwortung für Ziele, welche außerhalb des direkten Interesses der Anteilseigner (Shareholder) liegen. Somit ist eine Berücksichti- <?page no="166"?> Kapitel III: Kultur und Unternehmensverantwortung • 143 gung anderer Stakeholder wie Gesellschaft, Mitarbeiter und Staat integraler Bestandteil dieses Konzeptes. Insbesondere seit der internationalen Finanzkrise am Ende des letzten Jahrzehnts hat diese Perspektive für Politik und Unternehmensführung stark an Bedeutung gewonnen und wird auch in Zukunft möglicherweise Einfluss auf Entscheidungen nehmen. Der Begriff der Unternehmensverantwortung hat sich allerdings im deutschen Sprachraum nur begrenzt durchsetzen können. Im Folgenden wird er daher synonym mit dem weitaus geläufigeren Begriff der Corporate Social Responsibility („CSR“) verwendet (Seidel, P., 2011). Dennoch erscheint der Begriffsumfang der Unternehmensverantwortung durchaus korrekter, da dieser eine Ausweitung auf Anteilseigner und z.B. die natürliche Umwelt beinhaltet. Konzepte der Unternehmensverantwortung werden auch unter den Begriffen Corporate Citizenship, Corporate Accountability, Nachhaltige Unternehmensführung/ Sustainability oder Unternehmensethik/ Business Ethics diskutiert (Keinert, C., 2008). Unterschiede bestehen dabei aber in erster Linie in der exakten Abgrenzung des Begriffes, weniger in den praktischen Implikationen, und sind historisch gewachsen. Im internationalen Umfeld finden sich zudem Ausprägungen, welche durch regionale Kulturunterschiede geprägt sind, wie die US-amerikanische Variante eines Shareholder-Value-orientierten CSR-Verständnisses oder die Unternehmensverantwortung im traditionellen deutschen Familienunternehmen. In der Unternehmenspraxis ist aber eine Annäherung der verschiedenen Konzepte erkennbar. Dazu tragen international operierende Unternehmen sowie Institutionen bei. ISO-Normen zum Qualitäts- und Umweltschutz, Richtlinien der Global Reporting Initiative (GRI) und der Global Compact der United Nations dienen unabhängig vom benutzten Konzeptbegriff als Richtlinie und tragen so zur Konvergenz bei. Neben der allgemeinen Verantwortung von Unternehmen gegenüber der Gesellschaft steht CSR im engeren Sinne auch für das über die gesetzlichen Verpflichtungen hinausgehende Engagement von Unternehmen für Ziele folgender Art: (1) Soziale Ziele (2) Ökologische Ziele (3) Wirtschaftliche Ziele Soziale Verantwortung dient den Zielen der Gesellschaft und kann beispielsweise durch die sozialverträgliche Beschäftigung von benachteiligten Menschen oder Herstellung von Geschlechtergerechtigkeit genauso wahrgenommen werden wie durch die Unterstützung von Bildungseinrichtungen oder Jugendprojekten. Ökologische Verantwortung kann sich in der Verwendung verbrauchsarmer Fahrzeugflotten, ressourcenschonender Produktion oder einem nachhaltigen Management des CO 2 - Ausstoßes umsetzen lassen. Es existieren vielfältige Möglichkeiten für Firmen, sich der außerökonomischen Verantwortung zu stellen. <?page no="167"?> 144 • Kapitel III: Kultur und Unternehmensverantwortung Ökonomische Dimensionen der Geschäftstätigkeit beinhalten beispielsweise Gewinnerzielung, Kundenzufriedenheit, Wertsteigerung am Kapitalmarkt oder das Erbringen der Steuerschuld und das Leisten der Sozialabgaben. Diese Einteilung liegt vielen CSR-Konzepten zugrunde, kann aber in verschiedene Richtungen erweitert oder modifiziert werden. Hierbei spielt auch der Begriff der Nachhaltigkeit (Sustainability) eine große Rolle. Dieser beinhaltet neben der Ausrichtung des Unternehmens an ethischen Standards auch die langfristige Nachhaltigkeit dieser Orientierung aus einzel- und gesamtwirtschaftlicher Sicht. Hierbei wird gemeinhin eine äußerst langfristige Perspektive unterstellt: Nachhaltigkeit beinhaltet die Beibehaltung der entsprechenden Ziele. Historie Gerade der Nachhaltigkeitsgedanke hat in verschiedenen Wissenschaften eine lange Historie, aber auch die Unternehmensverantwortung wird seit Langem unter verschiedenen Aspekten thematisiert. Der deutsche Forstwirtschaftler v. Carlowitz formulierte in seinem 1713 erschienenen Werk „Sylvicultura Oeconomica“ erstmalig das Prinzip der Nachhaltigkeit in der Forstwirtschaft (v. Carlowitz, H.C., 2011[Reprint der Ausgabe von 1713]), was zumindest einen semantischen Ausgangspunkt für die Nachhaltigkeitsdebatte darstellt. Wirtschaftswissenschaftliche Auseinandersetzungen mit der Nachhaltigkeit des Wirtschaftens im Unternehmen finden sich später in den Werken von Dodd und Barnard (Dodd, E.M., 1932; Barnard, C.I., 1968). Prägend war aber vor allem die Arbeit von Howard Bowen in seinem zentralen Werk Social Responsibilities of the Businessman von 1953 (Bowen, H.R. 1953). Schon der Titel seines Werkes verdeutlicht, dass er die persönliche Verantwortung des einzelnen Managers in den Mittelpunkt stellt: „It refers to the obligations of businessmen to pursue those policies, to make those decisions, or to follow those lines of action which are desirable in terms of the objectives and values of our society“ (Bowen, H.R., 1953). Bereits zu dieser Zeit formulierte auch Peter Drucker, dass Manager die soziale Tragweite ihrer Entscheidungen beachten sollten, da sie damit einen weitreichenden Einfluss auf die Gesellschaft ausüben (Drucker, P.F., 2007). Einige Jahre später richtete McGuire mit seiner Definition: „The idea of social responsibilities supposes that the corporation has not only economic and legal obligations but also has certain responsibilities which extend beyond these obligations“ den Fokus auf das Unternehmen als Ganzes und nähert sich damit der heutigen Betrachtungsweise im Sinne einer Unternehmensverantwortung an (McGuire, J.W., 1963). Den modernen Begriff der Corporate Social Responsibilities prägte schließlich Walton in seinem 1967 veröffentlichten Werk mit dem gleichlautenden Titel (Walton, C.C., 1967). Neben dieser allgemeinen Entwicklung haben sich jedoch auch Varianten des CSR- Ansatzes etabliert, die auf einer grundsätzlich unterschiedlichen ethischen Position basie- <?page no="168"?> Kapitel III: Kultur und Unternehmensverantwortung • 145 ren, welche auch zu internationalen Unterschieden in der CSR-Praxis führt. Zwei ausgewählte Positionen werden im Folgenden kurz dargestellt. 2.1.1 Unternehmensverantwortung im neoklassischen Ansatz (Shareholder Approach) 1970 charakterisierte der amerikanische Ökonom Milton Friedman Unternehmensverantwortung mit der Aussage, dass die soziale Verantwortung mit der Erzielung von ökonomischen Gewinnen bereits weitgehend erfüllt werde (Friedman, M., 1970). Dies macht ihn zum Vorreiter und zentralen Vertreter des sogenannten „Shareholder Approach“. Diese Haltung unterstellt, dass die Gewinnerzielung die einzige notwendige - zumindest aber die zentrale - gesellschaftliche Verantwortung des Unternehmens darstellt. Den Anteilseignern steht es durch ihre Gewinnbeteiligung wiederum frei, die Gesellschaft nach ihrem Ermessen am Erfolg des Unternehmens teilhaben zu lassen. Die Verwendung von Mitteln des Unternehmens für Zwecke des Gemeinwohls führt hingegen zu einer „Enteignung“ nicht nur der Shareholder, sondern indirekt auch anderer Stakeholder wie Kunden oder Mitarbeitern: „The corporate executive would be spending someone else’s money for a general social interest. Insofar as his actions in accord with his „social responsibility” reduce returns to stockholders, he is spending their money. Insofar as his actions raise the price to customers, he is spending the customer’s money. Insofar as his actions lower the wages of some employees, he is spending their money“ (Friedman, M., 1970). Aus der Sicht dieses Ansatzes ist es nicht die Aufgabe des Unternehmens bzw. des Unternehmers, Mittel für soziale oder ökologische Projekte zu investieren und damit den Unternehmensgewinn zu schmälern. Das komme einer Steuer gleich und sei daher abzulehnen: „The whole justification for permitting the corporate executive to be selected by the stockholders is that the executive is an agent serving the interests of his principal. This justification disappears when the corporate executive imposes taxes and spends the proceeds for ‚social purposes.“ (Friedman, M., 1970). Auch im Shareholder-Ansatz gibt es jedoch Anreize, gesellschaftlich verantwortlich zu handeln. So sollte die Honorierung nachhaltigen sozialen oder ökologischen Engagements des Unternehmens durch die Kaufentscheidung der Konsumenten oder die Investitionsentscheidung der Kapitalgeber erfolgen, wenn diese Stakeholder-Gruppen das gesellschaftliche Engagement tatsächlich wünschen. Hinzu kommt, dass einige Marktunvollkommenheiten dazu führen, dass der Markt keine adäquate Allokation von Ressourcen herstellen kann. Bei der Herstellung von Gütern entstehen zum Beispiel oft (negative) externe Effekte (Kosten), die auf die Gesellschaft als Ganzes oder einzelne Gruppen „abgewälzt“ werden (Hardes, H.D., 2002). Ein Teil der Kosten wird also externalisiert. Ein Industrieunternehmen, welches im Produktionsprozess beispielsweise CO 2 -Abgase ausstößt, profitiert von der Umweltbelastung, da es nur die Kosten der Herstellung, nicht aber die sozialen Kosten der externen Effekte berücksichti- <?page no="169"?> 146 • Kapitel III: Kultur und Unternehmensverantwortung gen muss. Die ökologische Problematik der Umweltverschmutzung verschärft sich zusätzlich, da es sich dabei oft um öffentliche Güter wie Luft und Wasser handelt (Mankiw, N.G./ Taylor, M.P., 2012). Die fehlende Bepreisung dieser öffentlichen Güter stellt ein Marktversagen dar. Somit verhilft die Wahrnehmung der Unternehmensverantwortung dabei, Fehlallokationen zu mildern und ist insofern auch kompatibel mit einer Perspektive, welche das freie Spiel des Marktes in den Vordergrund stellt. Die Vertreter des Shareholder-Ansatzes würden hier allerdings auf die Notwendigkeit ordnungspolitischer Rahmenbedingungen (z.B. Bepreisung des CO 2 -Ausstoßes) verweisen, welche im globalen Rahmen nur äußerst schwer umsetzbar sind. Insofern wird Unternehmensverantwortung im internationalen Rahmen immer teilweise rein ethisch motiviert sein müssen, was der Stakeholder-Ansatz in den Mittelpunkt stellt. 2.1.2 Unternehmensverantwortung im ganzheitlichen Ansatz (Stakeholder Approach) Carroll formulierte 1979 ein Konzept, welches die rein ökonomische Sichtweise mit der ethisch motivierten Unternehmensverantwortung zusammenführte (Carroll, A.B., 1979). Dadurch verdeutlicht er, dass die Gesellschaft neben der Einhaltung ethischer Normen und rechtlicher Vorgaben auch ein Gewinnstreben der Unternehmen erwartet, da eine zuverlässige Wirtschaft einen stabilisierenden Beitrag zur Gesellschaft leiste (Carroll, A.B., 1999). Dem stimmt auch Drucker in seinem 1984 erschienenen Artikel „The New Meaning of Corporate Social Responsibility“ (Drucker, P.F., 1984) zu. Nach Drucker und Carroll sind Unternehmen am ehesten bereit gesellschaftliche Verantwortung zu übernehmen, wenn darin für sie ein zusätzlicher Gewinnanreiz besteht. Folgerichtig stellt Drucker das Gewinnstreben in eine übergeordnete Position, damit Unternehmen gewillt sind, sich gesellschaftlich zu engagieren (Drucker, P.F., 1984). Aufbauend auf diesen Ideen formuliert Freeman 1984 die Theorie des Stakeholder- Ansatzes der CSR, wobei Stakeholder als die Gruppen definiert werden, welche die Zielerreichung des Unternehmens beeinflussen oder aber von dieser beeinflusst werden (Freeman, M., 1984). Diese Definition integriert eine breitere Perspektive in das Zielsystem des Unternehmens und kann als Gegenentwurf zu Friedmans Shareholder-Ansatz gesehen werden. Auffallend bei der historischen Betrachtung der CSR-Forschung und -Praxis ist die Dominanz der US-amerikanischen Beiträge. Dies ist teilweise auf die im internationalen Vergleich weniger ausgeprägten sozialstaatlichen Sicherungssysteme und die liberale Wirtschaftspolitik zurückzuführen (Backhaus-Maul, H., 2008). Die europäische Diskussion findet ihren Anstoß im Bericht „Our Common Future“ der Weltkommission für Umwelt und Entwicklung (Brundtland, G.H., 1984). Der Bericht definiert nachhaltiges, zivilgesellschaftliches Verhalten in den drei bereits genannten Dimensi- <?page no="170"?> Kapitel III: Kultur und Unternehmensverantwortung • 147 onen Gesellschaft, Ökologie und Wirtschaft. Diese Definition prägte die Wahrnehmung des CSR-Konzepts weltweit und in Europa im Besonderen und entfachte einen weltweiten Diskurs über Nachhaltigkeit (Europäische Kommission, 2001). Durch die Erweiterung der CSR-Dimensionen um ökologische Nachhaltigkeitsaspekte hat sich der Begriff der „Triple Bottom Line“ (TBL) von Elkington etabliert, welcher manchmal auch als „PPP“ bezeichnet wird (Elkington, J., 1999). Die Vielzahl der Ansätze zeigt die Vielfältigkeit der Diskussion zur Unternehmensverantwortung. Loew et al. fassen folgende Inhalte einer grundlegenden Begriffsbestimmung zusammen (Loew, T., et al., 2004): (1) CSR umfasst die soziale und ökologische Dimension von Nachhaltigkeit. (2) CSR soll einen Beitrag zu nachhaltiger Entwicklung leisten. (3) CSR fokussiert auf unternehmerisches Engagement über Compliance hinaus. (4) CSR schließt die Einhaltung der Rechtsvorschriften mit ein (Compliance). (5) CSR ist weder Ersatz für bestehende Rechtsvorschriften noch Ersatz für die Entwicklung neuer Rechtsvorschriften. 2.2 Corporate Social Responsibility im Unternehmen Spätestens seit der öffentlichen Forderung der EU-Kommission nach größerer Übernahme gesellschaftlicher Verantwortung beschäftigen sich viele Unternehmen mit dessen praktischer Implementierung. In der Literatur werden unterschiedliche Ansätze zur praktischen Umsetzung erörtert. Die wichtigsten Ansätze sind nach einer Einteilung von Lantos (Lantos, G.P., 2001) die ethische, altruistische und die strategische CSR. Die Ansätze verfolgen unterschiedliche Interessen und führen daher zu verschiedenen Resultaten. Daher muss eine Organisation Prioritäten festlegen und sich bewusst machen, welche Erwartungen sie in das Engagement investiert und welche Ziele dadurch erreicht werden sollen. Strategische Unternehmensverantwortung Der zunehmende Druck der internationalen Öffentlichkeit zwingt Unternehmen zur Etablierung von gesondert organisierten CSR-Aktivitäten. Porter und Kramer kritisieren dieses Vorgehen, da die Effektivität dieser Aktivitäten durch die Trennung vom operativen Geschäft sehr begrenzt sei (Porter, M.E./ Kramer, M.R., 2006). Dieselbe Umsicht und Verbindlichkeit, welche im Kerngeschäft an den Tag gelegt wird, sollte auch bei der Unternehmensverantwortung zum Tragen kommen. Als Rahmen zur Bewertung der CSR-Aktivitäten dienen hierbei Porters Wertschöpfungskette und sein Diamanten-Modell der internationalen Wettbewerbsfähigkeit. <?page no="171"?> 148 • Kapitel III: Kultur und Unternehmensverantwortung Abbildung 71: Porters CSR in der Wertschöpfungskette Die Wertkette hilft, ausgehend von einer „Inside-Out-Perspektive“, die gesellschaftlichen Effekte der Geschäftstätigkeit zu identifizieren. Die Analyse der Wertkette untersucht und priorisiert Stärken und Schwächen, die die gesellschaftliche Verantwortung beeinflussen, um hierdurch Wettbewerbsvorteile zu generieren. Abbildung 71 zeigt anhand der Aktivitäten der Wertkette das Potenzial zur effizienten CSR-Implementierung. Die Einführung einer effektiven CSR-Strategie erfordert aber auch einen Blick, der sich von außen nach innen richtet - die „Outside-In-Perspektive“. Sie richtet den Fokus auf die Effekte, die Veränderungen in der Wertschöpfungskette nach außen hin bewirken. In dieser Betrachtung sollte der Organisation bewusst sein, dass nicht alle externen Partner und Faktoren beeinflusst werden können. Daher sollte eine Konzentration auf die Kernbereiche stattfinden, die den größten gemeinsamen Mehrwert (Shared Value) für die Gesellschaft und das Unternehmen schaffen. <?page no="172"?> Kapitel III: Kultur und Unternehmensverantwortung • 149 Abbildung 72: Porters „Diamant“ in Bezug auf Unternehmensverantwortung (CSR) Das Modell von Porter und Kramer ist letztlich in Friedmans Shareholder-Ansatz verwurzelt. Alle CSR-Aktivitäten verfolgen auch hier das Ziel einer Differenzierungsstrategie gegenüber dem Wettbewerb oder am Markt und insofern indirekt eine Gewinnmaximierung. Im Rahmen dieses Verständnisses von Unternehmensverantwortung werden die dafür getätigten Ausgaben nicht als unvermeidbarer Aufwand wahrgenommen, sondern einer langfristigen Investition in den wirtschaftlichen Erfolg des Unternehmens gleichgestellt (McWilliams, A., et al., 2006). In gewisser Weise können diese Ausgaben als eine Investition in eine „Goodwill Bank“ betrachtet werden (Lantos, G.P., 2001; Vaughn, S., 1999). Das Unternehmen kann auf dieses „Guthaben“ im Falle ethisch bedingter Probleme zurückgreifen. Aufwendungen dieser Form sind somit in Übereinstimmung mit der Shareholder-orientierten CSR-Auffassung. Solange die Anteilseigner einen finanziellen Vorteil durch die Ausgaben erzielen, sind diese gerechtfertigt (Friedman, M., 1970). Ziel ist die Schaffung einer nachhaltig positiven Beziehung zu Kunden und Geschäftspartnern, welche zukünftige Konsum- und Investitionsentscheidungen beeinflusst (Brenkert, G.G., 1992). Ethische Unternehmensverantwortung Unternehmensentscheidungen beeinflussen eine Vielzahl von Individuen, Organisationen oder gesellschaftliche Gruppen. Viele dieser Akteure ziehen Nutzen aus der wirtschaftlichen Tätigkeit, einige jedoch tragen gegebenenfalls physischen, psychischen oder wirtschaftlichen Schaden davon. Gegenüber den benachteiligten Personen und Gruppen über- <?page no="173"?> 150 • Kapitel III: Kultur und Unternehmensverantwortung nehmen die Unternehmen als potenzielle Verursacher dieses Schadens eine ethisch-moralische Verpflichtung. Dasselbe gilt natürlich umgekehrt für die Schaffung eines zusätzlichen Nutzens über die wirtschaftliche Beziehung hinaus. Jede Organisation, die dieser Verpflichtung nicht nachkommt, verhält sich gegebenenfalls unmoralisch und gefährdet damit ihre „license-to-operate“, das heißt die Möglichkeit auf weitere wirtschaftliche Betätigung (Porter, M.E.,/ Kramer, M.R., 2006). Obgleich negative Effekte auf andere nie ausgeschlossen werden können, ist der Versuch, diese zu minimieren, von zentraler Bedeutung und erweitert die strategische CSR insofern um einen grundlegend ethisch motivierten Aspekt. Wie in der ganzheitlichen Unternehmensverantwortung generell muss auch aus ethischer Sicht ein Kompromiss in Bezug auf ethische und ökonomische Ziele gefunden werden. Kosten, die die Umweltbelastung verringern oder die Produktsicherheit erhöhen, schmälern kurzfristig den Gewinn. Die Alternative ist jedoch ein Handeln ohne ethische Grundlage und eine bewusste Verminderung der gesellschaftlichen Gesamtwohlfahrt. Altruistische Unternehmensverantwortung Altruismus steht für aufopferndes, uneigennütziges oder selbstloses Handeln. Individuen und Organisationen können und sollten sich aus altruistischer Sicht verpflichtet fühlen, gesellschaftliche Missstände zu verbessern, weil sie die finanziellen oder ressourcenbedingten Möglichkeiten dazu haben. Die Verfügbarkeit finanzieller und personeller Mittel kann für Unternehmen Grund genug sein, Unternehmensverantwortung im gesellschaftlichen Sinne wahrzunehmen. Altruistische CSR ist jedoch stark von der wirtschaftlichen Situation des Unternehmens oder der Volkswirtschaft im Allgemeinen abhängig. Nur bei einer positiven ökonomischen Situation können Mittel für altruistische Projekte zur Verfügung gestellt werden. Die drei genannten Ausprägungen der Unternehmensverantwortung stehen für die Umsetzung und die dahinterstehende Motivation des Unternehmens. Im konkreten Fall wird es jedoch häufig zu einer Überschneidung der genannten Motive und zu einer Anpassung an etablierte internationale Richtlinien der Unternehmensverantwortung kommen. Diese werden im Folgenden dargestellt. 2.3 Internationale Richtlinien der Unternehmensverantwortung 2.3.1 Triple Bottom Line 1987 veröffentlichte die Brundtland-Kommission der Vereinten Nationen (UN) unter dem Vorsitz der damaligen norwegischen Ministerpräsidentin Brundtland den Bericht „Our common future“. Darin wird das Leitbild der nachhaltigen Entwicklung wie folgt definiert: „Sustainable development is development that meets the needs of the present without compromising the ability of future generations to meet their own needs“ (United Nations, 2010, online). Diese Definition der Brundtland-Kommission ist noch heute richtungsweisend. Der genannte Bericht unter- <?page no="174"?> Kapitel III: Kultur und Unternehmensverantwortung • 151 gliedert die Nachhaltigkeit im Wesentlichen in die drei bereits genannten Dimensionen Ökonomie, Ökologie und Soziales. Die Begriffe „Drei-Säulen-Modell“ bzw. „triple bottom line“ werden alternativ dazu verwendet und stellen das Prinzip anschaulich dar (Schunk, S., 2009). Die begriffliche Anlehnung an das finanzielle Berichtswesen eines Unternehmens („Bottom Line“) weist dabei darauf hin, dass diesen Ergebnissen eine ähnliche Bedeutung zukommen sollte wie den finanziellen Resultaten. Viele Unternehmen machen diesen Grundgedanken zum Ausgangspunkt ihrer CSR- Aktivitäten. So baut das Nachhaltigkeitsmodell der Siemens AG auf dem Modell der Brundtland-Kommission auf, was Abbildung 73 darstellt. Abbildung 73: Siemens-Nachhaltigkeitsprogramm Quelle: Siemens AG, 2012, online Im Hinblick auf die ökologische Dimension wird versucht, die Umweltbilanz zu verbessern und ökologische Lösungen als Produkte weiter zu forcieren. Ökonomisch setzt die Siemens AG auf langfristige Wertschöpfung, aber auch Effizienzziele und eine Compliance sind Bestandteile des Programms, welche direkt angesprochen werden. Hier findet sich auch der Grundgedanke eines Steuerungs- und Reporting-Systems wieder. In sozialer Hinsicht werden Stakeholder-Beziehungen generell durch Institutionen (Sustainability Advisory Board) gefördert. Durch Projekte wie beispielsweise die „Sanjeevan Mobile Clinic“ (eine mobile Klinik für die Gesundheitsversorgung Indien) wird zudem gesellschaftliches Engagement gefördert (Siemens AG, 2012, online). 2.3.2 Grünbuch der Europäischen Kommission zur CSR Die Grünbücher der Europäischen Kommission sind Diskussionspapiere, welche regelmäßig zu einem bestimmten Thema herausgegeben werden, um auf diesem Gebiet <?page no="175"?> 152 • Kapitel III: Kultur und Unternehmensverantwortung einen öffentlichen und wissenschaftlichen Diskurs herbeizuführen. Oft führen sie zu politischen Initiativen, Verordnungen und Gesetzesänderungen. Auf die Vorgaben der „Lissabon-Strategie“ der EU reagierte die Kommission 2001 mit dem Grünbuch „Europäische Rahmenbedingungen für die soziale Verantwortung der Unternehmen“. Darin heißt es: „Die meisten Definitionen bezeichnen die Unternehmensverantwortung als ein Konzept, das den Unternehmen als Grundlage dient, auf freiwilliger Basis soziale Belange und Umweltbelange in ihre Unternehmenstätigkeit und in die Wechselbeziehungen mit den Stakeholdern zu integrieren. Sozial verantwortlich handeln heißt nicht nur, die gesetzlichen Bestimmungen einhalten, sondern über die bloße Gesetzeskonformität hinaus „mehr“ investieren in Humankapital, in die Umwelt und in die Beziehungen zu anderen Stakeholdern“ (Europäische Kommission, 2001). Im Grünbuch wird die Unternehmensverantwortung bzw. CSR in eine interne und externe Dimension unterteilt (Europäische Kommission, 2001). Die interne Dimension bezieht sich auf folgende Themen: Humanressourcenmanagement Arbeitsschutz Anpassung an den Wandel Umweltauswirkungen und verantwortungsbewusste Bewirtschaftung der natürlichen Ressourcen Unter der externen Dimension subsumiert die Europäische Kommission: Lokale Gemeinschaften (Integration der Unternehmen in das lokale Umfeld) Intensive Kooperation mit den Geschäftspartnern, Zulieferern und Verbrauchern Achtung und Einhaltung der Menschenrechte Einfluss auf den globalen Umweltschutz Der von der Kommission verwendete Begriff der „sozialen Verantwortung von Unternehmen“ deckt sich dabei mit dem hier verwendeten Begriff der „Unternehmensverantwortung“. Im Rahmen des Konsultationsprozesses in Kapitel 4 des Grünbuchs wurden die betroffenen Akteure (Unternehmen, NGOs, Behörden, aber auch interessierte Einzelpersonen) aufgerufen, schriftliche Stellungnahmen bzw. Vorschläge hinsichtlich des Aufbaus und der Entwicklung von Rahmenbedingungen zur Förderung von CSR-Aktivitäten in Europa einzureichen (Thielemann, U./ Ulrich, P., 2009). Diese Vorschläge der Akteure wurden 2002 als eine „Mitteilung der Kommission betreffend der sozialen Verantwortung der Unternehmen - ein Unternehmensbeitrag zur nachhaltigen Entwicklung“ (Europäische Kommission, 2002) veröffentlicht. Darin wurde die Errichtung eines CSR-Multistakeholder-Forums angeregt, welches zwischen 2002 und 2004 auch stattfand. Die Ergeb- <?page no="176"?> Kapitel III: Kultur und Unternehmensverantwortung • 153 nisse wurden in einem Abschlussbericht festgehalten, welcher 2006 zur Bildung einer CSR- Allianz zwischen der Kommission und europäischen Unternehmen führte, bei welcher das vorgenannte Forum integriert wurde. Diese Allianz wurde in 2009 und 2010 fortgesetzt und befasste sich zum Beispiel mit Themen wie Menschenrechte in der Wirtschaft (Beauftragung einer Studie zur Anwendbarkeit der bestehenden Gesetzgebung auf europäische Unternehmen, die international tätig sind) oder der Transparenz in der Berichterstattung in den Bereichen Environment, Social sowie Governance (Econsense, 2011, online). Auch das Grünbuch streicht den unmittelbaren wirtschaftlichen Wert heraus, den die Wahrnehmung der Unternehmensverantwortung haben kann, und positioniert CSR somit durchaus auch im Sinne der strategischen Interpretation von Porter und Kramer. Trotz der relativ allgemeinen Formulierung vieler Ziele hat das Grünbuch durch die Integration in viele Initiativen der europäischen Politik eine erhebliche Nachwirkung entfaltet. 2.3.3 Global Compact der United Nations Der United Nations Global Compact oder UNGC wurde 1999 von dem damaligen UN- Generalsekretär Annan vorgeschlagen und im Jahr darauf in Kraft gesetzt (Thielemann, U./ Ulrich P., 2009). Die UN-Mitglieder aus mehr als 130 Ländern (United Nations, 2011b, online) sollten auf freiwilliger Basis den Aufbau nachhaltig und verantwortlich arbeitender Unternehmen sowie Märkte unterstützen. Der UNGC ist in erster Linie ein Netzwerk zur Information und zum Austausch, welches ergänzend zur nationalen Gesetzgebung zu sehen ist. Es ist nicht als eine überwachende Instanz oder regulierende Behörde zu verstehen. Durch eine Mitgliedschaft gehen die Unternehmen und andere Organisationen eine rein ethische, aber keine legal durchsetzbare Verpflichtung ein, wodurch ein freiwilliger Ansatz der Unternehmensverantwortung bestärkt werden soll. Mit einer einfachen Mitteilung an die UN können interessierte Unternehmen ihre Mitgliedschaft erklären. Die Einhaltung der zehn Prinzipien aus den Bereichen Menschenrechte, Arbeitnehmerrechte, Umweltschutz, Korruptionsbekämpfung soll die nachhaltige Entwicklung bzw. gesellschaftliche Verantwortung der Unternehmen fördern. Wann und in welchem Umfang allerdings Maßnahmen zur Befolgung der Regeln eingeleitet werden, liegt im Ermessen der Mitglieder selbst. Mitgliedsunternehmen erstellen einen jährlichen Bericht, den COP (Communication on Progress) über den Status der CSR- Implementierung. Wird es versäumt, den COP-Bericht einzureichen, wird zur Wahrung der Integrität die entsprechende Firma auf der Website der UNGC als „non communicating“ oder „inactive“ deklariert oder sogar von der Mitgliedschaft ausgeschlossen (Thielemann, U./ Ulrich, P., 2009). Die zehn Prinzipien der UNGC sind (United Nations, 2011c, online): Menschenrechte <?page no="177"?> 154 • Kapitel III: Kultur und Unternehmensverantwortung (1) Unternehmen sollen den Schutz der internationalen Menschenrechte unterstützen und achten und (2) sicherstellen, dass sie sich nicht an Menschenrechtsverletzungen mitschuldig machen. Arbeitsnormen (3) Unternehmen sollen die Vereinigungsfreiheit und die wirksame Anerkennung des Rechts auf Kollektivverhandlungen wahren. (4) Unternehmen sollen sich für die Beseitigung aller Formen der Zwangsarbeit einsetzen. (5) Unternehmen sollen sich für die Abschaffung von Kinderarbeit einsetzen. (6) Unternehmen sollen sich für die Beseitigung von Diskriminierung bei Anstellung und Erwerbstätigkeit einsetzen. Umweltschutz (7) Unternehmen sollen im Umgang mit Umweltproblemen dem Vorsorgeprinzip folgen. (8) Unternehmen sollen Initiativen ergreifen, um größeres Umweltbewusstsein zu fördern. (9) Unternehmen sollen die Entwicklung und Verbreitung umweltfreundlicher Technologien beschleunigen. Korruptionsbekämpfung (10)Unternehmen sollen gegen alle Arten der Korruption eintreten, einschließlich Erpressung und Bestechung. 2.3.4 Die OECD-Leitsätze Die Leitsätze der OECD wurden als Reaktion auf die sich beschleunigende Globalisierung in den 1970er Jahren entwickelt. Die Erstfassung wurde bereits 1976 verfasst und seitdem mehrfach überarbeitet. Die aktuellen OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen wurden 2011 anlässlich des 50-jährigen Bestehens der OECD neu überarbeitet und von den Mitgliedstaaten unterzeichnet. An der Neufassung wirkten Regierungsvertreter verschiedener Nationen, der beratende Ausschuss der Wirtschaft und der gewerkschaftlich beratende Ausschuss der OECD sowie Nichtregierungsorganisationen (NGOs) mit. In der Folge haben die Regierungen von 36 Industrieländern mittlerweile „Nationale Kontaktstellen“ eingerichtet, welche Anfragen beantworten, für die Lösung von Problemen zuständig sind und Beschwerden über die Nichteinhaltung der Leitsätze nachgehen. Die <?page no="178"?> Kapitel III: Kultur und Unternehmensverantwortung • 155 „Nationale Kontaktstelle“ ist beim Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie im Referat Auslandsinvestitionen angesiedelt. Wie bei den zuvor genannten Initiativen sind auch hier die Leitsätze nicht rechtlich bindend, sondern bauen auf dem Prinzip der Freiwilligkeit auf. Sie stellen eine Ergänzung nationaler Rechtssysteme dar. Die G8-Staaten haben sich 2007 dazu verpflichtet, die Leitsätze gezielt zu fördern. Dies unterstreicht die weitgehende internationale Anerkennung der OECD-Prinzipien (Thielemann, U./ Ulrich, P., 2009). Abbildung 74 gibt einen Überblick über die Dimensionen der OECD-Leitsätze sowie deren Inhalt. <?page no="179"?> 156 • Kapitel III: Kultur und Unternehmensverantwortung Abbildung 74: Dimensionen und Inhalt der OECD-Leitsätze Quelle: BDA: Internationale Aspekte von Corporate Social Responsibility, 2011; OECD, 2011 2.3.5 Standard ISO 26000 Die ISO (International Standards Organisation) wurde 1947 gegründet. Sie umfasst 156 nationale Standardisierungsbehörden, deren Ziel es ist, weltweit gültige Industriestandards zu schaffen. Damit soll eine Vergleichbarkeit von Produkten und Verfahren auf den unterschiedlichen Märkten ermöglicht werden (Thielemann, U./ Ulrich, P., 2009). Nach einem langjährigen Entwicklungsprozess wurde der Standard ISO 26000 im Jahre 2010 in der Schweiz vorgestellt. 450 Experten und 210 Beobachter aus rund 100 Ländern gehörten zu der Expertengruppe, welche an der Erarbeitung von ISO 26000 teilnahm. Die genannte Norm soll lediglich als Leitfaden dem allgemeingültigen Verständnis und der genauen Definition der Unternehmensverantwortung dienen. Des Weiteren soll sie Organisationen aller Art (sowohl im öffentlichen als auch im privaten Sektor) eine Hilfestellung bei der Gestaltung unternehmensspezifischer Prozesse und Maßnahmen zur CSR bieten. Die Norm stellt eher eine Richtlinie dar und ist weder als eine Art Pflicht bzw. Anforderung wie z.B. Zertifizierungen gemäß ISO 9001 und ISO 14001 zu verstehen, noch stellt sie einen Normenkatalog bzw. eine CSR-Checkliste dar. <?page no="180"?> Kapitel III: Kultur und Unternehmensverantwortung • 157 Unternehmen können sich also nicht nach ISO 26000 zertifizieren lassen (ISO, 2011, online). Den relativ komplexen Aufbau der ISO 26000 verdeutlicht Abbildung 75. Abbildung 75: Aufbau und Inhalt der ISO 26000 Quelle: In Anlehnung an: Hardtke, A./ Kleinfeld, A., 2010 Im Verlauf des Erarbeitungsprozesses von ISO 26000 haben sich sieben Prinzipien der gesellschaftlichen Verantwortung herauskristallisiert (oberer Teil in Abbildung 75), die im Folgenden kurz erläutert werden. Rechenschaftspflicht spricht die moralisch-ethische Verpflichtung der Unternehmen gegenüber der Gesellschaft an. Es ist ein zusätzlicher Beitrag zum gesetzlichen Rahmen. Die Berichtsinhalte beziehen sich nicht nur auf Anteilseigner und staatliche Institutionen, sondern berücksichtigen auch die Umwelt und Gesellschaft. Die Informationen werden wie bei den meisten Richtlinien freiwillig veröffentlicht. Das Prinzip der „Rechenschaftspflicht“ im Sinne von ISO 26000 ist also weniger eine Verpflichtung als ein Appell an Unternehmen, eine möglichst transparente und offene Informationspolitik zu betreiben (Hardtke, A./ Kleinfeld, A., 2010). Der Grundsatz der Transparenz ist entsprechend im Zusammenhang mit der Rechenschaftspflicht zu betrachten. Die Betriebe sollen zwar die relevanten Informationen in realistischer, objektiver und verständlicher Weise zur Verfügung stellen (in Form von CSR- <?page no="181"?> 158 • Kapitel III: Kultur und Unternehmensverantwortung oder Nachhaltigkeitsberichten etc.), jedoch wird unter keinen Umständen erwartet, dass Wettbewerbsvorteile und Effizienz hierdurch beeinträchtigt werden (Hardtke, A./ Kleinfeld, A., 2010). Das Prinzip des ethischen Verhaltens beinhaltet, dass sich Management und Mitarbeiter im Konsens mit den Sitten und kulturellen Normen des Standortes verhalten (Wahrung der Integrität, Ehrlichkeit, Fairness und Verantwortung). Die Achtung der moralischen Wertevorstellungen soll einen positiven Beitrag über die Einhaltung der nationalen und internationalen Gesetzmäßigkeiten hinaus darstellen. Unter der Achtung der Interessen der Anspruchsgruppen ist z.B. die Bereitstellung umfassender Produktinformationen/ Produktdatenblätter zu verstehen. Jeder Kunde oder andere Interessengruppen wie zum Beispiel Verbraucherverbände können Aufklärung über das Produkt des Unternehmens verlangen. Wer letztlich zu den Anspruchsgruppen gehört, muss jedes Unternehmen für sich selbst festlegen. Die Grundregel der Gesetzestreue ist selbsterklärend. Im Hinblick auf das Compliance- Prinzip sollten sich vor allem Unternehmen, die international vertreten sind, unbedingt rechtzeitig über das nationale Gesetz informieren und sich damit genauestens auseinandersetzen. Unter der Achtung internationaler Verhaltensstandards sind global anerkannte Richtlinien, Normen und Selbstverpflichtungen eines weltweit agierenden Unternehmens zu verstehen. Beispielsweise sind hier der UN Global Compact, die International Labour Standards der ILO, Leitsätze der OECD zu nennen. Darüber hinaus können interne und/ oder externe Audits (z.B. ISO 14000) auch als Instrumente dienen. Mithilfe dieser allgemein anerkannten ethischen Grundsatzregelungen soll versucht werden, die in manchen Ländern nicht gesetzlich kontrollierten Grauzonen (z.B. Umweltschutz, Menschenrechte, Arbeitsrecht) abzudecken. Ziel ist die Vermeidung von Handlungen oder Aktionen, die nicht mit dem Völkerrecht oder den o.g. internationalen Leitsätzen vereinbar sind. Die Achtung der Menschenrechte bildet ein zentrales Prinzip der ISO 26000. Immer mehr Großunternehmen sind in Gebieten mit äußerst schwierigen Menschenrechtssituationen tätig. Hier sieht man eher die einflussreichen Firmen als die nicht immer ethisch handelnden nationalen Regierungen in der Pflicht, die Menschenrechte aktiv durchzusetzen. Dabei kann die Einhaltung der oben erwähnten Leitsätze und Standards unterstützend wirken (Hardtke, A./ Kleinfeld, A., 2010). Wie Abbildung 75 zeigt, werden aufgrund dieser 7 Prinzipien in den zwei Folgeschritten sogenannte Kernthemen identifiziert, welche im Weiteren in Handlungsfelder überführt werden. Insofern ist ISO 26000 keine bloße Beschreibung der relevanten Grundsätze für eine CSR-Orientierung, sondern bietet im höheren Maße als die von Regierungsorganisationen getragenen Ansätze auch einen Rahmen für ein CSR-orientiertes Managementsystem. <?page no="182"?> Kapitel III: Kultur und Unternehmensverantwortung • 159 2.3.6 Code of Conduct der Fair Labor Association (FLA) Die Fair Labor Association (FLA) geht auf eine Initiative der US-Regierung unter Präsident Clinton zurück und wurde 1999 von Unternehmern, Nichtregierungsorganisationen (NGOs) und Bildungseinrichtungen gegründet. Im Gegensatz zu den bisher genannten Richtlinien stellt der Code of Conduct der FLA eine von privaten Organisationen getragene Initiative dar. Die FLA wurde aufgrund problematischer Arbeitsbedingungen in der Bekleidungsindustrie, insbesondere in einigen asiatischen Ländern, ins Leben gerufen. Die Zielsetzung ist es, die Arbeitsbedingungen in den sogenannten „Sweatshops“ (Ausbeutungsbetriebe) zu überwachen und zu verbessern. Das Missionstatement der FLA zeigt zudem eine Konzentration auf abhängig Beschäftigte: „The mission of the Fair Labor Association (FLA) is to protect workers’ rights and improve working conditions worldwide by promoting adherence to international labor standards“ (FLA, 2011, online). Der „Code of Conduct“ der FLA basiert auf den ILO (International Labour Organization)-Standards und erstreckt sich auf Zwangsarbeit, Kinderarbeit, Missbrauch, Nichtdiskriminierung, Gesundheit und Sicherheit, Vereinigungsfreiheit, Entlohnung, Arbeitszeiten sowie Überstundenregelungen (FLA, 2011, online). Die Mitgliedsunternehmen gehen eine freiwillige ethische Verpflichtung ein, indem sie entsprechende Überwachungsprozesse einführen und regelmäßig darüber berichten. Bei der Zielerreichung ist die FLA auf die Mitarbeit der Textilien beschaffenden Haushalte und Unternehmen angewiesen, die wiederum einen Druck auf die großen Markenunternehmen ausüben können, indem sie bei der Beschaffung darauf achten, dass die Produkte in Betrieben hergestellt werden, die entsprechend dem Code of Conduct der FLA arbeiten. Eine Zertifizierung solcher produzierenden Betriebe durch die FLA erleichtert ihren Eintritt auf dem internationalen Markt. Die hohen Standards der FLA haben aber auch negative Folgen. Wenn ein Betrieb die Bedingungen nicht erfüllen kann, so droht ein Arbeitsplatzverlust, sobald der Zugang zu internationalen Märkten verwehrt wird. Da die Herstellung in der Textilbranche oftmals in Entwicklungsländern erfolgt, bedeutet dies, dass Menschen in diesen Ländern aufgrund ethischer Standards möglicherweise in die Arbeitslosigkeit gedrängt werden (Thielemann, U./ Ulrich, P., 2009). Dies würde den Vertretern der Shareholder-Schule indirekt Recht geben, da sie eine soziale und ökologische Verantwortung erst nach der Sicherstellung ökonomischer Ziele postulieren. 2.4 Herausforderungen der CSR im internationalen Rahmen Die im vorherigen Abschnitt aufgeführten Richtlinien der Unternehmensverantwortung ließen sich noch in verschiedene Richtungen erweitern, worauf hier aber verzichtet werden soll. Bei einem direkten Vergleich der genannten Richtlinien zeigt sich, dass diese inhaltlich große Überschneidungen aufweisen. Der wesentliche Unterschied in den international akzeptierten Konzepten liegt eher darin begründet, <?page no="183"?> 160 • Kapitel III: Kultur und Unternehmensverantwortung von welcher Organisation diese erarbeitet wurden und welchen Ansatz zur Umsetzung diese Organisationen vorschlagen oder unterstützend begleiten. So stellte das Konzept der Brundtland-Kommission zumindest für Europa einen konzeptionellen Meilenstein dar, welcher über das Grünbuch von 2001 und die darauf aufbauenden flankierenden Maßnahmen Eingang in Unternehmenspraxis und Politik gefunden hat. Die OECD-Richtlinien sind sicher im engen Zusammenhang mit diesem Ansatz zu sehen und führten zur Etablierung vielfältiger, von den nationalen Regierungen und der OECD selber getragenen Beratungs- und Förderungsstellen. Der UN Global Compact kann auf die breiteste Basis an teilnehmenden Nationen aufbauen und hat in Kombination mit der hier nicht eingehend besprochenen Global Reporting Initiative (GRI) zu einer hohen Akzeptanz bei wirklich global agierenden Unternehmen geführt. Die GRI wurde 1997 mit dem Ziel gegründet, einen weltweit anerkannten Leitfaden für die freiwillige Berichterstattung über ökonomische, ökologische und soziale Aktivitäten von Organisationen und Unternehmen zu entwickeln. Die Richtlinien der GRI bieten eine umfassende Zusammenstellung von Indikatoren, die die Dimensionen der Unternehmensverantwortung abdecken, wobei eine Kongruenz zum Ansatz der UNGC angestrebt wird. Ein Beispiel für die Berücksichtigung beider Richtlinien bietet der Bericht der BASF SE, welcher parallel zur finanziellen Berichterstattung aufgrund der GRI und des UNGC Rechenschaft ablegt (BASF SE, 2012, online). ISO 26000 bietet einen breiten Ansatz, welcher sich stärker am Einzelunternehmen orientiert, ist aber noch lange nicht so umgesetzt wie die anderen genannten Ansätze. Eine Richtlinie, welche sicher aus diesem Rahmen fällt und daher nur beispielhaft erwähnt wurde, ist der Code of Conduct der FLA. Dieses Konzept hebt sich durch die privatwirtschaftliche Trägerschaft, den Fokus auf eine Stakeholder-Gruppe (Arbeitnehmer) und den Ausgangspunkt in einer bestimmten Branche (Textil) hervor. Es ist aber insofern zukunftsweisend, als hier die Tendenz zur Spezifizierung der Inhalte, zu deren Anpassung an bestimmte Rahmenbedingungen und zur Konzentration auf bestimmte Anspruchsgruppen und Teilprobleme repräsentiert wird. Die Vielfalt des CSR-Konzeptes macht dies unabdingbar, worauf die internationale CSR-Forschung auch reagiert. Palazzo identifiziert aufgrund umfassender Analysen der internationalen Literatur die 10 wichtigsten Schwerpunkte der internationalen CSR-Forschung, welche keinesfalls als erschöpfend anzusehen sind (Palazzo, G., 2009). Die Thematik der internationalen Unternehmensverantwortung nimmt weiterhin an Bedeutung zu. CSR stellt mit Sicherheit ein zentrales Feld der künftigen Forschung zum internationalen Management dar. Viele internationale Konzerne berichten mittlerweile Kennzahlen, welche auf dem Global Compact der UN basieren; in ähnlicher Tiefe wie die finanziellen Informationen. In Abbildung 76 werden die Schwerpunkte der internationalen Forschung dargestellt. <?page no="184"?> Kapitel III: Kultur und Unternehmensverantwortung • 161 Abbildung 76: Forschungsschwerpunkte der CSR Quelle: Palazzo, G., 2009 Fallstudie: Corporate Social Responsibility bei Boehringer Ingelheim Corporate Social Responsibility (CSR) bei Boehringer Ingelheim Dr. Michael Siebler, Leiter Firmenarchiv, Boehringer Ingelheim Boehringer Ingelheim ist ein forschungsorientiertes Pharmaunternehmen, das sich seit seiner Gründung im Jahre 1885 in Familienbesitz befindet. Es erforscht, entwickelt, produziert und vertreibt Humanpharmazeutika und Präparate für die Tiergesundheit. Weltweit beschäftigt das Unternehmen mehr als 44.000 Mitarbeiter in 145 verbundenen Unternehmen, die 2011 rund 13,1 Milliarden Euro erlösten. Boehringer Ingelheim betreibt Forschung und Entwicklung (F&E) an weltweit sieben Standorten und unterhält 20 Produktionsstätten in 13 Ländern. Im Jahr 2011 wurden für F&E 23,5 Prozent oder rund 2,5 Milliarden Euro der mit verschreibungspflichtigen Medikamenten erzielten Gesamterlöse aufgewendet. Die unternehmerische Verantwortung bei Boehringer Ingelheim ist fest verankert im Leitbild. Dieses ist Grundlage der gemeinsamen Identität, es ist für alle Mitarbeiter verbindlich und gibt Orientierung bei jeglichen Aktivitäten für das Unternehmen. Zwei Kernaussagen des Leitbildes definieren und charakterisieren dieses Selbstverständnis: <?page no="185"?> 162 • Kapitel III: Kultur und Unternehmensverantwortung (1) „Unser Ziel ist es, der Menschheit durch die Erforschung von Krankheiten und die Entwicklung neuer Arzneimittel und Therapien zu dienen.“ (2) „Bei all unseren Aktivitäten schützen wir unsere Mitarbeiter, unsere Einrichtungen und die Umwelt vor schädlichen Einflüssen, erhalten die natürlichen Ressourcen und fördern das Umweltbewusstsein. Mit dem Verfolgen dieser Ziele sind wir zusätzlich bestrebt, in den Ländern und Gemeinschaften, in denen wir geschäftlich aktiv sind, wirtschaftliches und soziales Wohlergehen zu fördern.“ In diesen Aussagen sind grundlegende Aspekte umfassender unternehmerischer Verantwortung enthalten, nämlich: auf Basis einer humanistischen Grundüberzeugung Werte und Verantwortung nach innen und nach außen zu leben sowie soziales Engagement für Mitarbeiter und gleichzeitiges Engagement der Mitarbeiter für andere. Diese in der Praxis gelebte CSR zieht sich wie ein roter Faden durch die gesamte Geschichte des Unternehmens seit seiner Gründung im Jahre 1885. Ein solches Miteinander und Füreinander ist schon in der Familie des Firmengründers Albert Boehringer erkennbar und unterstreicht, dass CSR bei Boehringer Ingelheim eine Selbstverständlichkeit ist - und damit nachhaltig. Boehringer Ingelheim ist beim Thema CSR also eine treibende Kraft. So unterstützten der ältere Bruder und die Mutter den jungen Firmengründer über Jahre hinweg mit Rat und Tat und finanziellen Mitteln, da unter anderem zahlreiche Investitionen nötig waren und deshalb zunächst keine Gewinne erwirtschaftet werden konnten. Als sich mit der Produktion von Milchsäure in industriellem Maßstab der finanzielle Erfolg einstellte, konnte Albert Boehringer seine Mitarbeiter am Aufschwung teilhaben lassen und ihnen für ihre Treue danken. Bereits 1902 gründete er eine Betriebskrankenkasse, von 1907 an erfolgte der Bau von Häusern und Wohnungen für die Mitarbeiter, 1909 wurde eine finanzielle Unterstützung für alte und gebrechliche Arbeiter eingeführt und von 1910 an gab es bezahlten Urlaub. Eine betriebliche Altersversorgung gibt es seit 1912 und seit 1917 ein tägliches Essen für die Belegschaft; 1918 wurde für Hinterbliebene von Gefallenen die Albert und Helene Boehringer-Stiftung gegründet. Sowohl diese Stiftung als auch andere Einrichtungen bestehen bis heute, sind weiter entwickelt und an die Anforderungen der Gegenwart angepasst worden. In den ersten Jahrzehnten kümmerten sich Albert Boehringer und seine Familie also vor allem um die soziale Absicherung und Unterstützung der Mitarbeiter dort, wo die staatlichen Einrichtungen noch nicht heutigen Standards entsprachen. In den folgenden Jahrzehnten wurde das Engagement für die Mitarbeiter weiter ausgebaut. Neben den immer stärker vom Sozialstaat geregelten Bereichen begannen Unternehmen und Gesellschafterfamilie, sich nunmehr auf Feldern zu engagieren, die eher gesellschaftspolitisch definiert sind, besonders der Bildung und Kunst. Manche Neuerung entsprang auch den modifizierten Anforderungen in der Welt von heute, neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen oder veränderten gesellschaftlichen Bedürfnissen wie etwa Umweltbewusstsein, Engagement für <?page no="186"?> Kapitel III: Kultur und Unternehmensverantwortung • 163 die Schwachen, Behinderten und Kranken der Gesellschaft, Gesundheitsvorsorge, Familie und Beruf oder Bildung. Auf diesen und weiteren Gebieten - internationale Auszeichnungen belegen das - schafft Boehringer Ingelheim durch soziales Engagement Werte für Mitarbeiter und Gesellschaft. Dies sollen einige ausgewählte Beispiele belegen. Der Unterstützung und Förderung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf gilt ein besonderes Augenmerk. Das Angebot reicht von der flexiblen Arbeitszeitgestaltung über Serviceleistungen wie Elternzeit, Kinderbetreuung, Kinderkrippen, Mitnahme-Essen aus der Firma oder Wäsche- und Reinigungsservice bis hin zur Unterstützung beim Thema Beruf und Pflege von Angehörigen. Demografischer Wandel und gestiegene Lebenszeiterwartung unterstreichen die Bedeutung der eigenen Gesundheit als das wichtigste Kapital für die persönliche Lebensqualität. Deshalb bietet Boehringer Ingelheim regelmäßig allen Mitarbeitern einen umfassenden Gesundheits-Check-up an. Dabei steht die Beantwortung von vier Fragen im Vordergrund: Wo stehe ich mit meiner Gesundheit zurzeit? Gibt es Risiken, die langfristig meine Gesundheit gefährden? Welche praktikablen Möglichkeiten habe ich, etwas daran zu ändern? Was kann ich noch zur Förderung meiner Gesundheit tun? Ein Bestandteil der Beratung ist auch das Thema Ernährung. Gezielte Angebote im Mitarbeiterrestaurant helfen bei der Umsetzung einer Anpassung der Ernährung. Die Zusammenarbeit mit der akademischen Forschung und das Engagement in Public-Private-Partnership hat bei Boehringer Ingelheim eine lange Tradition. So konnte beispielsweise der Firmengründer Albert Boehringer schon 1903 den Chemiker und Nobelpreisträger Heinrich Wieland für eine Zusammenarbeit gewinnen, die Jahrzehnte währte. Heute unterstützt Boehringer Ingelheim etwa das 1985 gegründete Institut für Molekulare Pathologie in Wien (IMP), ein international als Exzellenzzentrum in Molekularbiologie und Genetik anerkanntes Forschungsinstitut für biomedizinische Grundlagenforschung. 2011 wurde das von der Boehringer Ingelheim Stiftung initiierte und mit 100 Millionen Euro geförderte Institut für Molekulare Biologie in Mainz (IMB) eingeweiht. Eine öffentlich-private Partnerschaft gibt es mit der Hochschule Biberach, wo 2006 der Bachelor- Studiengang Pharmazeutische Biotechnologie eingerichtet wurde; in 2010 folgte eine Kooperation der Hochschule Biberach und der Universität Ulm, die einen gemeinsamen Masterstudiengang Pharmazeutische Biotechnologie anbieten. Die Boehringer-Ingelheim-Stiftungen sind eigenständige und gemeinnützige Organisationen. Ziel dieser Organisationen ist es, durch die Förderung von außerordentlichen wissenschaftlichen Leistungen wichtige Entwicklungen voranzutreiben, welche die Lebensqualität langfristig verbessern können. Die Boehringer Ingelheim Stiftung fördert seit 1977 Exzellenzforschung in Medizin, Biologie, Chemie und Pharmazie, wie etwa das oben erwähnte IMB in Mainz; sie stiftet den <?page no="187"?> 164 • Kapitel III: Kultur und Unternehmensverantwortung seit 1964 vergebenen Heinrich-Wieland-Preis und verleiht alljährlich den Boehringer- Ingelheim-Preis für herausragende Leistungen von Nachwuchsforschern der Universitätsmedizin. Seit 1983 fördert der Boehringer-Ingelheim-Fonds biomedizinische Grundlagenforschung und unterstützt vor allem Nachwuchswissenschaftler. Bisher konnten mehr als 1000 Ph. D.-Stipendien vergeben werden. Mehr als 140 Stipendiaten wurden bisher zu Professoren ernannt, vier haben den angesehenen Leibniz-Preis erhalten. Die Geschwister Boehringer Ingelheim Stiftung für Geisteswissenschaften wurde 1956 von den Kindern des Firmengründers ins Leben gerufen. Sie unterstützt heute den wissenschaftlichen Nachwuchs etwa in den Sprach- und Literaturwissenschaften oder der Geschichte und Kunsthistorik vor allem mit Druckkostenzuschüssen für Dissertationen und Habilitationsschriften. Seit mehr als einem halben Jahrhundert bieten die 1959 von der Gesellschafterfamilie gegründeten Internationalen Tage alljährlich mit Ausstellungen Einblicke in Kulturtraditionen anderer Länder, Kunstströmungen oder in das Oeuvre einzelner Künstler. Beide Einrichtungen - die Internationalen Tage und die Stiftung für Geisteswissenschaften - sind Zeugnisse des lebendigen mäzenatischen Geistes der Gesellschafterfamilie, der sich auch in zahlreichen anderen Zuwendungen für die Gesellschaft und ihre Menschen manifestiert. Ein besonderes Engagement ist das Viramune®-Spendenprogramm für die Bekämpfung der verheerenden AIDS-Pandemie, beispielsweise auf dem Gebiet der Verhinderung der Mutter-Kind-Übertragung von HIV/ AIDS. Seit dem Jahr 2000 wurden Medikamente für mehr als 2 Millionen Mutter-Kind-Paare im Rahmen von 171 Programmen in 71 Länder gespendet; dabei wurde großer Wert gelegt auf die Zusammenarbeit mit Regierungen, medizinischen Fachkräften und Organisationen. Außerdem stellt Boehringer Ingelheim Generika-Herstellern, die durch die WHO vorqualifiziert sind, für alle einkommensschwachen Länder und für ganz Afrika sogenannte Non- Assert-Erklärungen aus. Damit ist festgelegt, dass keine Patentansprüche geltend gemacht werden, dass keine Lizenzgebühren anfallen und dass die hohe Qualität der Produkte sichergestellt ist. Diese Regelung gilt für die beiden Wirkstoffe Nevirapin und Tipranavir der beiden AIDS/ HIV-Präparate Viramune® und Aptivus®. Zusätzlich hilft Boehringer Ingelheim in diesen Ländern mit notwendigem Technologietransfer und gezielter Personalentwicklung, etwa durch Ausbildungsförderung von Ärzten. Ein gesellschaftliches und ehrenamtliches Engagement ist - wie schon in den vorherigen Beispielen oben gezeigt - ein wesentlicher Bestandteil der Unternehmenskultur bei Boehringer Ingelheim. Folgerichtig engagieren sich Mitarbeiter weltweit einzeln oder in Gruppen und das Unternehmen als „Good Corporate Citizen“ in vielen Bereichen. Das <?page no="188"?> Kapitel III: Kultur und Unternehmensverantwortung • 165 Spektrum reicht von Kinderfürsorge- und Bildungsprogrammen über die Katastrophen- und Nachbarschaftshilfe bis hin zum Umweltschutz. Zum 125jährigen Bestehen hat Boehringer Ingelheim 2010 unter dem Motto „ Making more health“ eine neue Initiative gegründet. Diese Initiative hat sich zum Ziel gesetzt, Projekte der Corporate Social Responsibility auf eine nachhaltigere Basis zu stellen. Dazu wird Boehringer Ingelheim Partnerschaften mit „ Sozialunternehmern“ eingehen. Ein Sozialunternehmer gründet ein Non-Profit-Unternehmen. Mit diesem Unternehmen verdient er nicht genug, um sich das Startkapital am Kapitalmarkt zu besorgen, aber er wird bei Erfolg genug verdienen, um seine Organisation selbst und das nötige Wachstum zu finanzieren. Damit wird er unabhängig von einer dauerhaften Spendenunterstützung und sichert so die nachhaltige Lösung eines sozialen Problems. Das deutsche Pilotprojekt „discovering hands®“ bildet blinde und sehbehinderte Frauen als Tastexpertinnen zur Brustkrebsfrüherkennung aus. Aufgrund der besseren Tastfähigkeiten der blinden Frauen im Vergleich zu den sehenden Kollegen steigt die Qualität der Vorsorgeuntersuchung. Damit gewinnen die betroffenen Patienten. Zusätzlich können die Belastungen des Gesundheitswesens so stark gesenkt werden, dass die Versicherer ein Interesse haben, diese Serviceleistung zu finanzieren. Die behinderten Personen empfinden sich als Menschen mit einer besonderen Fähigkeit und weniger als Behinderte. Eine solche Serviceleistung löst also ein soziales Problem, wird aber gleichzeitig finanziell genügend honoriert, sodass „discovering hands®“ nicht auf Dauer von einer Unterstützung durch Spender angewiesen ist. Teil der Konzeption ist aber auch, dass sich Mitarbeiter bei der Gründung von Sozialunternehmen wie z.B. „discovering hands®“ unentgeltlich für die Sache einsetzen und damit ihr soziales Engagement dokumentieren. Dies fördert den Aspekt, sich mit berufsrelevanten Themen wie „Gesundheit“ auch aus ganz anderen Blickwinkeln zu beschäftigen. Boehringer Ingelheim gewinnt damit nicht im monetären Sinn, aber geht davon aus, dass das Thema „Mitarbeiterzufriedenheit“ so positiv beeinflusst werden kann. Aufgrund des letzten Aspektes fiel auch die Entscheidung, sich sozial in einem Bereich des Kerngeschäftes zu engagieren, denn hier ist die Fähigkeit, die Unternehmensgründer zu beraten und das bestehende Netzwerk zu ihren Gunsten zu nutzen, am größten. Ähnliche Projekte, die bereits angestoßen wurden, aber auch die ersten internen Erfahrungen zeigen, dass die Akzeptanz bei den eigenen Mitarbeitern hoch ist. Der Erfolg in der öffentlichen Wahrnehmung wird darin liegen, zu zeigen, dass die Unternehmen soziales Engagement nicht als Feigenblatt-Engagement betreiben bzw. diese Projekte nutzen, um primär ihr Kerngeschäft zu stärken. Vielmehr kann erfolgreich kommuniziert werden, dass mit einer Kombination aus der Entwicklung von onkologischen Produkten (Kerngeschäft) und sozialem Engagement in Bereichen, die der Kapitalmarkt nicht finanzieren kann (z.B. in der Brustkrebsfrüherkennung), alle Beteiligten zu den Gewinnern gehören. <?page no="189"?> 166 • Kapitel III: Kultur und Unternehmensverantwortung Fragen zur Fallstudie (1) Kann ein Unternehmen kurzfristig CSR-Programme entwickeln, die wirklich nachhaltig sind? (2) Ist es sinnvoll, den Schwerpunkt von CSR-Aktivitäten auf Themenbereiche zu konzentrieren, die sich aus dem Kerngeschäft im eigenen Unternehmen ergeben oder ableiten lassen? (3) Welche Faktoren bedingen die Glaubwürdigkeit von CSR eines Unternehmens bei den Mitarbeitern und in der Öffentlichkeit? Informationen www.boehringer-ingelheim.de, www.boehringer-ingelheim.com www.boehringer-ingelheim-stiftung.de, www.bifonds.de www.imp.ac.at, www.imb-mainz.de www.germany.ashoka.org Literaturempfehlungen Basisliteratur Cavusgil, T./ Knight, G./ Riesenberger, J., 2012: International Business: The New Realities, 2. Aufl., Boston [u.a.], [Kapitel 4: „The Cultural Environment of International Business“, S. 122-153; Kapitel 5: „Ethics and International Business“, S. 154-175]. Hill, C., 2010: International Business: Competing in the Global Marketplace, 8., internationale Aufl., New York, [Kapitel 3: „Differences in Culture“, S. 86-121; Kapitel 4: „Ethics in International Business“, S. 122-156]. Kutschker, M./ Schmid, S., 2011: Internationales Management, 7. Aufl., München 2011, [Kapitel 5: „Kultur in der internationalen Unternehmung“, S. 671-811]. Lasserre, P., 2007: Global Strategic Management, 2. Aufl., Houndmills [u.a.], [Kapitel 11: „ Cross-Cultural Management“, S. 301-322; Kapitel 15: „The Social Responsibility of the Global Firm“, S. 401-426]. Vertiefungsliteratur Crane, A./ McWilliams, A./ Matten, D./ Moon, J./ Siegel, D., 2008: The Oxford Handbook of Corporate Social Responsibility, Oxford University Press, New York 2008 [Kapitel 6: „Corporate Social Responsibility in Global Context”, S. 413-499]. Hofstede, G./ Hofstede, G.J./ Minkov, M., 2010: Cultures and organizations. Software of the mind: International cooperation and its importance for survival. 3. Aufl. McGraw-Hill: New York. <?page no="190"?> Kapitel III: Kultur und Unternehmensverantwortung • 167 McFarlin, D.B./ Sweeney, P.D., 2011: International Management: Strategic Opportunities and Cultural Challenges, 4. Aufl., Routledge: New York. Seidel, P., 2011: Internationale Unternehmen, Gesellschaft und Verantwortung, Wiesbaden. Trompenaars, F./ Hampden-Turner, C., 2012: Riding the waves of culture. Understanding diversity in global business. 3. Aufl. Nicholas Brealey: London. <?page no="192"?> Kapitel IV: Strategieentwicklung im internationalen Umfeld <?page no="193"?> 170 • Kapitel IV: Strategieentwicklung im internationalen Umfeld Standpunkt: Merck Merck Merck ist ein weltweit tätiges Pharma-, Chemie- und Life- Science-Unternehmen und erwirtschaftete im Geschäftsjahr 2011 Gesamterlöse in Höhe von 10,3 Milliarden Euro. Die Merck-Aktie ist im DAX notiert. www.merckgroup.com Karl-Ludwig Kley, Vorsitzender der Geschäftsleitung Karl-Ludwig Kley ist seit 2007 Vorsitzender der Geschäftsleitung von Merck. Zuvor war er Mitglied des Vorstandes und Chief Financial Officer der Lufthansa und davor in verschiedenen leitenden Positionen für Bayer tätig. 1. Sind Analysen bezüglich Wertschöpfungskette, Umfeld, Wettbewerb und Branche notwendig oder ist die Erfahrung des Managements hinreichend, um erfolgreiche internationale Strategien zu entwickeln? Beides ist unverzichtbar. Am Anfang jeder Internationalisierungsstrategie muss eine umfassende Analyse stehen. Im Fokus sollten dabei nicht nur die aktuellen Gegebenheiten in einzelnen Regionen liegen, sondern auch Prognosen für die künftige Entwicklung. Allerdings sind auch die besten Analysen nur von begrenztem Wert, wenn sie nicht von einem erfahrenen, international versierten und vernetzten Management richtig interpretiert und umgesetzt werden. Denn keine Analyse kann die Wirklichkeit zu 100 Prozent abbilden. Außerdem haben wir gerade in den vergangenen Jahren eine Zunahme der Veränderungsgeschwindigkeit und eine Erhöhung der Volatilität erlebt. Da finden dann auch die besten Analysen ihre natürlichen Grenzen. Es bleibt daher immer ein beträchtlicher Rest, der durch Kompetenz, Erfahrung, kulturelles Verständnis und unternehmerischen Geist der Verantwortlichen gefüllt werden muss. 2. Welche Rolle spielt Größe im Pharma und Chemiegeschäft und inwiefern spielt dies eine Rolle in der internationalen Strategie von Merck? Zunächst: Der Größenbegriff wird oft unbestimmt verwendet. Ist z.B. der Jahresumsatz die relevante Messgröße oder sind es Mitarbeiterzahl oder Marktkapitalisierung? Gemessen am Börsenwert war mancher New-Economy-Startup zeitweise größer als etablierte Industrieunternehmen mit zehntausenden Mitarbeitern. „Größer“ muss also nicht zwangsläufig „bedeutender“ implizieren. Davon abgesehen ist Größe an sich kein Erfolgswert. World- Com war eine der größten Telefongesellschaften der Welt und ging dennoch in die Insolvenz. Ob ein Unternehmen langfristig erfolgreich ist, darüber entscheidet ein vielschichti- <?page no="194"?> Kapitel IV: Strategieentwicklung im internationalen Umfeld • 171 ges Faktorengeflecht - beginnend mit der Qualifikation und Motivation der Mitarbeiter über die Wettbewerbsfähigkeit der Produkte bis hin zur Solidität der Finanzierungsstruktur. Das gilt für Pharma und Chemie wie für jede andere Branche. Größe spielt allerdings dann eine Rolle, wenn man kritische Masse benötigt, etwa bei Investitionen in komplexe Produktionsanlagen oder bei der Entwicklung von Arzneimitteln. So kostet die Entwicklung, Zulassung und Markteinführung eines einzigen Medikaments mit neuem Wirkstoff rund 1 Milliarde Euro. Wir bei Merck haben die notwendige Größe für solche Entwicklungsanstrengungen; Größe als solche ist aber kein Unternehmensziel. Wir setzen stattdessen auf innovative Produkte, mit denen wir weltweit in Spezialmärkten führend sind: bei Pharma mit Biopharmazeutika, bei Chemie etwa mit High-Tech-Flüssigkristallen für Flachbildschirme oder bei Life Science mit Laborwassersystemen. 3. Verfolgt Merck auch Diversifikationsstrategien (Erschließung neuer Märkte und neuer Produktfelder) im Rahmen der Gesamtunternehmens- und Geschäftsbereichsstrategien? Ja - wir treiben zum Einen den Ausbau unserer Geschäfte in neuen Märkten oder in Märkten voran, in denen wir heute noch nicht optimal aufgestellt sind. Zum Anderen sind wir ein stark innovationsgetriebenes Unternehmen und setzen auf die Entwicklung neuer Produkte. Ein Beispiel für regionale Diversifikation sind die USA: Hier war Merck noch vor wenigen Jahren kaum präsent. Durch die Übernahme von Serono im Jahr 2007 haben wir zunächst unsere Marktposition bei Pharma deutlich gestärkt. Mit der 2010 durchgeführten Akquisition von Millipore mit Sitz in Boston sind wir nicht nur zu einem weltweit führenden Anbieter im Life-Science-Bereich geworden, sondern konnten zugleich auch unsere US-Präsenz in diesem Geschäft auf einen Schlag signifikant verbessern. Ein Beispiel für Produktdiversifikation sind Flüssigkristalle: Was als Nischenprodukt für Anzeigen von Taschenrechnern oder Armbanduhren begann, ist heute die Grundvoraussetzung für Tablet-PCs, Smartphones und Flachbildschirme aller Art. Die Flüssigkristalle sind damit zu einem zentralen Umsatztreiber für Merck avanciert. Und heute betreiben wir Forschung, um neue Anwendungsgebiete für diese Materialien zu identifizieren, etwa für die Beleuchtungsindustrie. 4. Ist der Mix von Pharma und Chemie wichtig für den Erfolg von Merck? Merck gibt es seit 1668. Es ist damit das älteste Pharma- und Chemieunternehmen der Welt, an dem die Gründerfamilie noch immer einen Anteil von rund 70 Prozent hält. Die Perspektive von Merck ist deshalb eine andere als bei anderen Unternehmen: Langfristiger Erfolg hat bei uns Vorrang gegenüber kurzfristigen Strohfeuer-Effekten. Merck denkt in Generationen, nicht nur in Quartalen. Und: Merck lernt stark aus Erfahrungen der Vergangenheit. Deshalb setzen wir nicht alles auf eine Karte. Die Diversifikation in verschiedene Geschäfte ermöglicht uns den besseren Ausgleich von Chancen und Risiken. Das ist sicherlich nicht für alle Unternehmen der richtige Weg, es ist aber gut für Merck. <?page no="195"?> 172 • Kapitel IV: Strategieentwicklung im internationalen Umfeld 5. Welche Bedeutung haben kulturelle Unterschiede bei der Umsetzung einer globalen Strategie? Internationalisierungsstrategien nach dem Motto „one size fits all“ bringen immer die Gefahr mit sich, kulturelle Unterschiede zu ignorieren. Produkte und Strukturen, die an solchen Besonderheiten vorbeigehen, gefährden den Geschäftserfolg. Unternehmen sind deshalb gut beraten, diese Besonderheiten bei der Formulierung und Umsetzung ihrer Strategien zu berücksichtigen. Und das auf mehreren Ebenen: Im Umgang mit Kunden und Zulieferern ebenso wie mit Blick auf die eigenen Mitarbeiter. Die Berücksichtigung kultureller Unterschiede sollte dabei nicht mit Beliebigkeit verwechselt werden: Eine klare, global gültige Markenidentität ist ebenso unverzichtbar wie ein fester Kern von Werten, der das unternehmerische Handeln leitet. Wir bei Merck fühlen uns unseren sechs Werten Mut, Leistung, Verantwortung, Respekt, Integrität und Transparenz verpflichtet. Diese Werte sind in Deutschland entstanden und gelten für die gesamte Merck-Welt. Allerdings werden sie im jeweiligen kulturellen Kontext unterschiedlich interpretiert und gelebt. Eine so verstandene Unternehmenskultur nutzt das Potenzial kultureller Diversität, ohne die Identität des Unternehmens zu verwässern. <?page no="196"?> Kapitel IV: Strategieentwicklung im internationalen Umfeld • 173 Strategieentwicklung im internationalen Umfeld 1 Internationale Aspekte des Strategieprozesses Strategisches Management ist ein komplexes und vielgestaltiges Feld der Betriebswirtschaftslehre. Neben der Definition einzelner Entscheidungsfelder der Strategie und der Charakterisierung von Lösungsansätzen für diese Bereiche hat insbesondere die prozessorientierte Strukturierung der strategischen Entscheidungen an Bedeutung gewonnen (Rothaermel, F.T., 2011; Lynch, R., 2011; Lombriser, R./ Abplanalp, P.A., 2010). Entsprechend dem grundlegenden Ansatz dieses Buches (Perlitz, M., 1985; Schrank, R., 2008b) wird diese Prozesssichtweise auch hier angewandt. Der Strategieprozess soll hierbei unter besonderer Berücksichtigung der internationalen Aspekte beleuchtet und gegebenenfalls erweitert werden. In der Literatur und in der Unternehmenspraxis sind eine Vielzahl von Konzepten entwickelt worden, die sich mit der Formulierung allgemeiner Unternehmensstrategien befassen (Grant, R.M., 2011; Lynch, R., 2011; Welge/ Al-Laham, A., 2010; Lombriser, R./ Abplanalp, P.A., 2010; Johnson, G./ Scholes, K./ Whittington, R., 2011). Mit diesen Konzepten, die auf einer Kombination von Marktmerkmalen und möglichen Wettbewerbsvorteilen basieren, versucht man, typische strategische Grundmuster zu entwickeln, die eine Einteilung von unterschiedlichen strategischen Denkansätzen in bestimmte Kategorien ermöglichen sollen. Sie beschäftigen sich hauptsächlich mit der Frage, welche Wettbewerbsvorteile für Unternehmen gegeben sein müssen, analysieren jedoch weniger, wie diese gerade im internationalen Umfeld zustande kommen. In der Folge werden daher entlang des Strategieprozesses Besonderheiten des internationalen Umfeldes aufgegriffen und erläutert. Komplexität Höhere Komplexität des Umfeldes durch unterschiedliche und sehr heterogene nationale Umweltgegebenheiten Risiko Erhöhte geschäftliche, finanzielle, politisch-rechtliche sowie kulturelle Risiken (Cavusgil, T./ Knight, G./ Riesenberger, J., 2011) erfordern einen anderen Umgang mit Unsicherheiten im strategischen Umfeld Hohe Investitionen Die Aufnahme und Verfolgung internationaler Aktivitäten ist gemeinhin mit einer erheblichen zusätzlichen Kapitalbindung verbunden. Dieses „Money at Risk“ verlangt den gezielten Einsatz der Kapitalressourcen. <?page no="197"?> 174 • Kapitel IV: Strategieentwicklung im internationalen Umfeld Erzielung größerer Skaleneffekte Die Ausweitung der Volumina von Absatz und Umsatz und die damit angestrebte Wachstumssteigerung bei Ausschöpfung der Kostensenkungspotenziale sind eine zentrale Motivation für die Internationalisierung. Volkswirtschaftliche Einflüsse Natürlich bleibt die Unternehmung auch im nationalen Umfeld nicht unberührt von wirtschaftspolitischen und konjunkturellen Einflüssen; diese werden im globalen Umfeld vielfältiger und sind schwerer beherrschbar. Erweiterte Ressourcenbasis und intensivierter Wettbewerb Der erweiterte Zugriff auf Wissens-, Rohstoff- und Finanzressourcen, welche im nationalen Umfeld nur bedingt vorhanden sind, eröffnet der Unternehmensführung neue Chancen, führt aber auch zu einem verschärften Wettbewerb durch Firmen, welche diese Ressourcen durch ihren nationalen Hintergrund besser nutzen können. Aufgrund dieser und anderer Unterschiede zum nationalen Strategieentwicklungsprozess wird im Folgenden insbesondere auf internationale Modifikationen und Erweiterungen von Instrumenten und Vorgehensweisen der Strategieentwicklung eingegangen. Hierzu findet ein Modell Anwendung, welches den Strategieprozess in grafischer Analogie zu einer Sanduhr in 12 Abschnitte unterteilt (Schrank, R., 2008). Im Folgenden wird auf die 12 Schritte des Sanduhr-Prozesses eingegangen, wobei die internationale Dimension der Umsetzung des jeweiligen Schrittes eine zentrale Rolle einnimmt. 2 Ablauf des Strategieprozesses Strategieprozesse können nach unterschiedlichen Mustern ablaufen. Die in der Literatur diskutierten Schemata weisen jedoch von den Inhalten und der Anordnung der Schritte auch weitgehende Überschneidungen auf (Grant, R.M., 2012; Lombriser, R./ Abplanalp, P.A., 2010; Lynch, R., 2011; Johnson, G./ Scholes, K./ Whittington, R., 2011). Das hier verwendete Sanduhr-Modell (Schrank, R., 2008) wird in Abbildung 77 grafisch dargestellt. Die Analogie zur Sanduhr symbolisiert die Verdichtung der Informationen im Zusammenhang mit der Informationssammlung und Analyse („Upstream“), welche nach der Strategieentscheidung (Mitte der Sanduhr) im Rahmen der Bewertung, Implementierung und Steuerung wieder in die Breite der Organisation getragen werden („Downstream“). Durch diesen optischen Aufbau wird die Navigation innerhalb des Prozesses unter Rückgriff auf klassische Instrumente und Methoden erleichtert. Zudem betont die Sanduhr den Charakter der Strategieentwicklung als sich wiederholendem Zyklus. Die <?page no="198"?> Kapitel IV: Strategieentwicklung im internationalen Umfeld • 175 einzelnen Schritte enthalten zahlreiche Rückkopplungen und Querverbindungen, müssen aber andererseits in regelmäßigen Abständen erneut durchlaufen werden. Abbildung 77: Sanduhrmodell der Strategieentwicklung Quelle: Schrank, R., 2008 Der Prozess ist neben dem Upstream und dem Downstream in sechs Hauptphasen von I bis VI eingeteilt, welche zwölf symmetrisch angeordnete Schritte (I.a-VI.c) aufzeigen. Bevor strategische Analysen durchgeführt werden, gilt es, in Phase I („Status quo“) zunächst einige normative und informationelle Grundlagen zu legen, welche die späteren Phasen des Prozesses kanalisieren und unterstützen sollen. Hierzu zählt die Einteilung strategischer Geschäftsfelder genauso wie die Erstellung einer Informationsbasis und die Festlegung grundlegender Ziele und der Mission und Vision des Unternehmens. Im Kontext der Phase II („Analyse“) wird klassisch zwischen der internen und der externen Analyse unterschieden. Hierbei werden im Rahmen der internen Analyse (II.a) durch Nutzung verschiedener strategischer Instrumente Stärken und Schwächen herausgearbeitet, wohingegen die externe Analyse (II.b) nach außen blickend Chancen und Risiken des internationalen Umfeldes identifiziert. Die sich aus der internen und externen Analyse ergebenden Ergebnisse werden schließlich in Phase III („Zusammenfassende Analyse“) gebündelt, um durch fokussierte Informationen die Entscheidungsfindung zu ermöglichen. Gerade im internationalen Umfeld bieten erweiterte Portfolio- und SWOT-Analysen die Möglichkeit, die erhebliche Komplexität adäquat abzubilden. Die zusammenfassende Analyse befindet sich bildlich an der engsten Stelle der Sanduhr, da hier alle Daten in komprimierter Weise zusammengeführt werden. <?page no="199"?> 176 • Kapitel IV: Strategieentwicklung im internationalen Umfeld Diese Konzentration auf Kerninhalte und die sich daraus ergebenden strategischen Kernfragen setzt sich in der Phase IV („Strategieformulierung“) fort. An dieser entscheidenden Stelle des Prozesses muss eine Konzentration auf die wichtigsten strategischen Entscheidungen stattfinden, ohne dass dabei die Vielgestaltigkeit einer Strategie vernachlässigt wird. Hier zwischen Dimensionen wie der regionalen Ausrichtung, der Innovationsorientierung, der Wettbewerbsposition und anderen sinnvoll abzuwägen, stellt eine zentrale Herausforderung der internationalen Strategiefindung dar. Die als Ergebnis formulierten Strategieoptionen werden in Phase V („Bewertung“) einer Überprüfung aus finanzieller (V.a) und strategischer (V.b) Sicht unterzogen. Auch an dieser Stelle ergeben sich insbesondere durch das international erhöhte Risiko andere methodische Herausforderungen an dessen Quantifizierung. Die letzte Phase VI („Implementierung und Steuerung“) führt visuell wieder in die Breite. Die internationale Strategie muss hier heruntergebrochen und umsetzbar gemacht werden, wozu die Schritte VI.a und VI.b den klassischen Implementierungsplan im Sinne eines Ablaufschemas sowie kennzahlenbasierte Steuerungssysteme im Sinne einer Balanced Scorecard verwenden. Diese beiden eher formal-quantitativen Umsetzungsinstrumente müssen jedoch durch ein begleitendes Change Management ermöglicht werden, welches sich in Schritt VI.c anschließt und das Leben der formulierten Strategie erst möglich macht. Im Folgenden werden die Schritte des Sanduhr-Prozesses im Einzelnen auf das internationale Umfeld übertragen. Hierzu werden in den einzelnen Bereichen ausgewählte Konzepte der Strategieentwicklung auf das internationale Umfeld übertragen, ohne einen Anspruch auf Vollständigkeit des Strategieprozesses zu erheben. 3 Status quo: Definition der Ausgangsbasis Den Anfang des Strategieentwicklungsprozesses stellt der Status quo als Datenbasis zur Informationsgewinnung dar. Zusammengesetzt aus den drei Teilbereichen Geschäftsfelder, Faktenbasis und normative Richtlinien, bündelt er alle für die Strategieentwicklung relevanten Daten. 3.1 Strategische Geschäftsfelder Die Bildung strategischer Geschäftsfelder stellt eine zentrale strategische Entscheidung des Unternehmens dar, welche durch den Grad der Internationalisierung wesentlich beeinflusst wird. Mit zunehmender internationaler Aktivität rücken regionale Abgrenzungen in den Vordergrund, wie dies das Beispiel Coca-Cola zeigt: „As a company whose success rests on its ability to connect with local consumers, it makes sense for The Coca-Cola Company to be organized into a regional structure which combines centralization and localiza- <?page no="200"?> Kapitel IV: Strategieentwicklung im internationalen Umfeld • 177 tion. The Company operates six geographic operating segments - also called Strategic Business Units (SBUs) - as well as the corporate (Head Office) segment (Coca-Cola, 2011). Konzept und Vorgehen bei der Einteilung von Geschäftsfeldern werden im Folgenden erläutert. Strategische Geschäftsfelder sind durch das Unternehmen selbst definierte Planungs- und Analyseeinheiten, die einen Markt oder Teilmarkt darstellen, in dem ein Unternehmen bereits aktiv ist oder erwägt, dies zu tun. Er zeichnet sich durch eigene Wachstums- und Erfolgsaussichten, zukünftige Chancen und Risiken sowie Erfolgsfaktoren (z.B. organisatorische Fähigkeiten, Investitionsintensität) aus. Diese Unterschiede machen eine eigene strategische Ausrichtung des jeweiligen Geschäftsfeldes unabdingbar. Durch die Ähnlichkeit der Märkte innerhalb des Geschäftsfeldes ist es aber möglich, ein Geschäftsfeld einheitlich zu steuern (Hungenberg, H., 2010; Lombriser, R./ Abplanalp, P.A., 2010), woraus auch die Bezeichnung von „Unternehmen im Unternehmen“ resultiert (Rugman, A.M./ Collinson, S., 2009). Im internationalen Umfeld ergeben sich insbesondere bei der Wahl der Einteilungsdimensionen von Geschäftsfeldern spezifische Probleme. Strategische Geschäftsfelder lassen sich nach Produkten, Märkten, Funktionen, Technologien, aber eben auch nach Regionen, Ländern und anderen Dimensionen aufteilen, wobei je nach der verwendeten Methode mehrere Kriterien betrachtet werden können (Paul, H./ Wollny, V., 2011). Um dieser Komplexität zu begegnen, werden häufig Matrix- oder Tensordarstellungen gewählt, welche dabei helfen, sinnvolle Kombinationen zur Bildung von Geschäftsfeldern zu identifizieren. Etablierte Konzepte umfassen z.B. die Produkt-Markt- oder auch Marktleistungs- Marktsegmente-Matrix (Gausemeier, J./ Plass, C./ Wenzelmann, C., 2009) oder das Abnehmer- Funktions-Technologie-Konzept, welches drei Dimensionen betrachtet (Aumayr, K.J., 2009). Das Prinzip der Gegenüberstellung der Dimensionen zur Ermittlung möglicher Kombinationen zur Definition von Geschäftsfeldern ist jedoch sowohl den zweidimensionalen (Matrix) als auch den drei- oder mehrdimensionalen Ansätzen (Tensor) gemeinsam. Da beide Konzepte, genau wie die Mehrzahl der anderen in der Literatur diskutierten Kombinationen, die internationale Komponente nicht explizit berücksichtigen, zeigt Abbildung 78 eine zweistufige Tensor-Darstellung mit regionaler Komponente. <?page no="201"?> 178 • Kapitel IV: Strategieentwicklung im internationalen Umfeld Abbildung 78: Die regionale Dimension in einer zweitstufigen Tensor-Darstellung zur Geschäftsfelddefinition Während die Vertikale und die Horizontale in dieser Darstellung Produkte und Kundengruppen darstellen, wird in der Tiefe des Würfels die regionale Dimension abgetragen. Was hier als eine Dimension erscheint, ist in der Unternehmenspraxis oft ein Problem mit mehreren Ebenen. Die hier beispielhaft blau markierte regionale Einteilung beginnt auf der Ebene von Ländern, welche jedoch im Weiteren zu strategisch oder regional sinnvollen Bündeln zusammengefasst werden. So kann es sinnvoll sein, die geografische Region Nordamerika lediglich in zwei Länder, hier Kanada und die USA, aufzugliedern, wenn dies die einzigen Märkte von strategischem Interesse sind. Genauso denkbar sind jedoch auch mehrstufige Einteilungen, bei denen Regionen zu Subregionen mit eigener strategischer Orientierung zusammengefasst werden, wie z.B. West- und Osteuropa, die je nach Herkunft und Ausrichtung des Unternehmens völlig unterschiedliche Rollen innehaben können - auch bei identischem Produktprogramm. Schließlich kann auch ein einzelnes Land zum Kernmarkt erklärt werden und mit einer besonderen Rolle aus der Region herausgenommen werden, weil bspw. die Marktgröße oder das Marktpotenzial dominant sind. Das Gleiche kann für sogenannte „lead countries“ gelten, die aus anderen strategischen oder Know-how-basierten Gründen eine Sonderrolle einnehmen. Eine strategisch sinnvolle Einteilung erfordert, dass die regionale Abgrenzung nicht zu eng oder zu weit gefasst ist (Ahlstrom, D./ Burton, G.D., 2010), da sonst entweder zu gleichförmige Strategien Anwendung finden werden oder im anderen Fall die regionale Zergliederung zu einer „unstrategischen“ Anpassung an den jeweiligen Heimatmarkt führt. <?page no="202"?> Kapitel IV: Strategieentwicklung im internationalen Umfeld • 179 Die Ermittlung der Regionalhierarchie muss insofern einem rationalen, an den internationalen Gegebenheiten ausgerichteten Prozess folgen. Hierzu werden zunächst alle Länder, in welchen ein Unternehmen tätig ist oder tätig zu werden erwägt, identifiziert und gegebenenfalls zu Regionen und Subregionen zusammengefasst. Die Zusammenfassung sollte so erfolgen, dass die regionalen Einheiten sich aus marktseitiger, technologischer, politischrechtlicher und sozio-kultureller Sicht möglichst stark gleichen, da zu heterogene Umweltgegebenheiten innerhalb einer Region oder eines Geschäftsfeldes eine Entwicklung konsistenter Strategien nicht ermöglichen (Lynch, R., 2011). Eine regionale Einteilung könnte die Unterscheidung nach Schwellen- und Entwicklungsländern sein, wobei hierbei der Entwicklungsstand als einzige Variable herangezogen wird (Cullen, J.B./ Parboteeah, K.P., 2010). In vielen Fällen wird diese Einteilung aufgrund geografischer Unterschiede aber auch an ihre Grenzen stoßen. Abbildung 79 zeigt ein Beispiel für eine geografische Hierarchie strategischer Geschäftsfelder. Abbildung 79: Geografische Hierarchie zur Ermittlung regionaler Geschäftsfelder In dem dargestellten Fall wurden Einteilungen nach allgemeingültigen geografischen Abgrenzungen, aber auch nach strategischen Überlegungen vorgenommen. So nimmt Frankreich im vorliegenden Falle eine besondere Rolle als Kernmarkt ein, weil das Marktvolumen in diesem Markt eine eigenständige Strategie rechtfertigt. Eine solche Rolle kann sich zum Beispiel im Agrarbereich ergeben, da Frankreich mit einer Kombination aus hohem Ausbildungsniveau, relativ hohem Automatisierungsgrad und intensiver Bewirtschaftung den zentralen Absatzmarkt in Westeuropa darstellt. Oft resultiert eine solche Stellung aber auch aus historischen Gegebenheiten wie der Rolle als Heimatmarkt. Ähnliches gilt häufig für die USA, die sich allein aufgrund ihrer Marktgröße als Ankermarkt in der NAFTA- <?page no="203"?> 180 • Kapitel IV: Strategieentwicklung im internationalen Umfeld Region anbieten. Anders als Frankreich innerhalb von Europa ist jedoch die Rolle der USA als Ankermarkt der Region mit einer Führungsrolle in der Strategie der Region verbunden. In Südamerika zeigt sich eine weitere Variante: Während der Teilkontinent an sich einen Zukunftsmarkt darstellt, in dem noch keine Geschäftstätigkeit vorliegt, wird Brasilien als momentaner „Brückenkopf“ für Aktivitäten in Lateinamerika von der US-amerikanischen Tochtergesellschaft bearbeitet. Westeuropa außerhalb von Frankreich hingegen wird als klassische Region geführt. Um der Globalisierung des Wettbewerbs Rechnung zu tragen, kann auch eine übergeordnete und regional alles umfassende Hierarchiestufe auf Konzernebene etabliert werden (Backhaus, K./ Schneider, H., 2009; Backhaus, K./ Büschken, J./ Voeth, M., 2003). Die Relevanz der regionalen Einteilung lässt sich durch ein weiteres Zitat aus dem Bericht von Coca-Cola belegen: „Our operating segments are primarily based on geographic responsibility, which is consistent with the way management runs our business. Our operating segments are subdivided into smaller geographic regions or territories that we sometimes refer to as ‚business units.’ These business units are also our reporting units. (Coca-Cola, 2011) We are a global business that operates on a local scale in every community where we do business. We create global reach with local focus because of the strength of the Coca-Cola system, which comprises our Company and our bottling partners - more than 300 worldwide. Our business operations are divided into the following geographies: Eurasia and Africa, Europe, Latin America, North America and Pacific, as well as our Bottling Investments Group.“ (Coca- Cola, 2011) Neben der erneuten Betonung der regionalen Abgrenzung lassen sich zwei Besonderheiten festhalten: Die Einbeziehung der - eigentlich externen - Partner im Abfüllgeschäft und die Bildung eines globalen Geschäftsfeldes „Bottling Investment“ im selben Segment. Beides weist darauf hin, dass die regionale Einteilung auch in so einem regional organisierten Geschäft wie dem von Coca-Cola die Berücksichtigung weiterer Dimensionen erfordert. Neben der Abgrenzung und anschließenden Hierarchisierung der regionalen Märkte muss die Komplexität bewältigt werden, welche durch den Abgleich mit der Produkt- und der Kundendimension entsteht. Der dargestellte dreidimensionale Tensor sprengt in der Praxis häufig die Grenzen der Komplexität und sollte durch ein schrittweises Vorgehen ermittelt werden, welches in Abbildung 80 dargestellt wird. <?page no="204"?> Kapitel IV: Strategieentwicklung im internationalen Umfeld • 181 Abbildung 80: Mehrstufiges Vorgehen zur Kombination geografischer, kundenbezogener und produktbezogener Geschäftsfelder Hierbei wird zunächst von der häufig verwendeten Produkt-Kunden- oder auch Marktleistungs-Marktsegmente-Matrix ausgegangen. Der erste Schritt stellt also die Ermittlung international möglichst weitgehend einsatzbarer Produkt- und Kundengruppen dar. Im zweiten Schritt werden die in dieser Matrix bestehenden Produkt-Kunden-Kombinationen auf Basis der bereits lokalisierten strategischen Regionalhierarchie auf jeder Ebene (Welt, Regionen, Länder) und für jedes einzelne regionale Geschäftsfeld ermittelt. Neben dem Endziel der Abgrenzung von Geschäftsfeldern lässt sich hierdurch auch Heterogenität bzw. die mögliche Homogenität der globalen Märkte visuell darstellen. Je nach Regionen- oder Länderstruktur existieren oft nicht alle Produkt-Kunden-Kombinationen der Konzernebene auch in den Regionen. Aufgrund der individuellen Ausrichtung einzelner Länder kann ein Land ein vom Konzern stark abweichendes Portfolio vermarkten und trotzdem eine relevante und profitable Rolle im Konzern spielen. So lassen sich im Pharmabereich oft Produkte nicht global vermarkten, weil die Zulassungssituation in verschiedenen Ländern nur unterschiedliche Strategien zulässt. Der erfolgreiche Diabetes- Wirkstoff Metformin der Firma Merck wurde z.B. lange in einigen Ländern als generisches Produkt, in anderen als patentgeschütztes Produkt und in dritten Ländern gar nicht selber vertrieben, obwohl er über lange Jahre der zentrale Ertragsträger der Pharmasparte war. Das Land Spanien spielte im selben Zeitraum trotz eines stark abweichenden Portfolios eine wichtige Rolle im strategischen Gesamtkonzept. Im dritten Schritt schließlich gilt es, über die regionale Dimension eine Produkt-Kunden- Kombination zu legen, welche die globale Koordination der Regionen ermöglicht. Es muss hier eine Balance zwischen regionaler Anpassung und globaler Koordination gefunden werden, welche sich nur schwer systematisieren lässt. Im Ergebnis können solche Misch- <?page no="205"?> 182 • Kapitel IV: Strategieentwicklung im internationalen Umfeld lösungen wie die von Coca-Cola entstehen. Eine bestimmte Reihenfolge der Analyse ist hingegen notwendig, da eine Geschäftsfeld-Abgrenzung in allen Dimensionen sonst nahezu unmöglich ist (Meffert, H./ Burmann, C./ Kirchgeorg, M., 2011; Hinterhuber, H.H./ Handlbauer, G./ Matzler, K., 2003). 3.2 Faktenbasis Die internationale Unternehmenstätigkeit unterscheidet sich auch durch die Notwendigkeit der Ermittlung einer wesentlich erweiterten Menge einzubeziehender Informationen vom rein nationalen Wettbewerb (Kutschker, M./ Schmid, S., 2011). In Abgrenzung zu Einschätzungen, Meinungen und normativen Aussagen wie Zielen werden diese hier als Faktenbasis („Fact Base“) für die internationale Unternehmensstrategie bezeichnet. Internationale Informationsrecherche Die Ermittlung der relevanten Daten stellt im internationalen Umfeld natürlich eine besondere Herausforderung dar, da die Informationsrecherche mit zahlreichen Hürden verbunden ist, welche im nationalen Umfeld nicht im selben Maße vorhanden sind. Solche Hürden sind unter anderem: sprachliche Hürden, insbesondere durch hinzukommende Barrieren bei der Schriftsprache bspw. in asiatischen, arabischen oder osteuropäischen Ländern. die Existenz unterschiedlicher Datendefinitionen und Abgrenzungen aufgrund technischer (z.B. DIN-Normen) oder wirtschaftlicher (z.B. Rechnungslegungsdaten) Standards. unterschiedliche rechtliche Gegebenheiten, welche die Verfügbarkeit von Daten beeinflussen. den politischen Einfluss, welchen Regierungen gerade in nichtdemokratischen Staaten auf die Verbreitung von bestimmten Informationen ausüben. die stark schwankende Zuverlässigkeit von Daten, selbst wenn diese vom Grundsatz her verfügbar sind. die mangelnde Aggregierbarkeit von Informationen aus unterschiedlichen nationalen Quellen. die erheblichen Kosten der Datenbeschaffung und das unabdingbare spezifische Know-how zu ihrer Erhebung. Diese Liste ließe sich sicher noch fortsetzen. Die Sicherstellung der Verfügbarkeit einer internationalen Faktenbasis ist somit im Vergleich zur rein nationalen Sicht deutlich aufwändiger. Der sich stetig verbessernde Zugang zu Daten über elektronische Medien kann die genannten Probleme bei der Verarbeitung und Interpretation aber nur teilweise lösen. Dies zeigt sich u.a. auch in der Fallstudie der Firma MAN in Kapitel I dieses Buches, <?page no="206"?> Kapitel IV: Strategieentwicklung im internationalen Umfeld • 183 welche die Probleme bei der Erhebung und Interpretation solcher Daten am Beispiel des chinesischen Marktes verdeutlicht. Zwar steigt die Verfügbarkeit professionell erstellter Quellen von spezialisierten Unternehmen, die eine globale Abdeckung zum Ziel haben, jedoch leidet in der Regel die Datenqualität aufgrund der nötigen Vereinheitlichung bei der Aggregation von Quellen verschiedener internationaler Herkunft. Eine ständige Abwägung zwischen Detailtiefe auf der einen Seite und Aufwand der Datensuche auf der anderen Seite lässt sich daher im internationalen Umfeld nicht vermeiden. Es empfiehlt sich daher, in einem ersten Schritt Quellen zu nutzen, welche bereits Informationen und Daten aggregiert zur Verfügung stellen. Dies sind zum einen kostenpflichtige Datenbanken und Portale, zum anderen Non-Profit-Organisationen, die oft auf Länderbzw. globaler Ebene ökonomische Daten bereitstellen. Darüber hinaus sind zahlreiche Studienanbieter sowie auch frei verfügbare Internetportale mit einzubeziehen. Die nachfolgende Tabelle zeigt exemplarisch wichtige Quellen nach Kategorie geordnet (kostenpflichtige Quellen sind mit einem ($) versehen). Abbildung 81: Datenbanken und Recherchehilfen für die internationale Faktenbasis Natürlich können diese Quellen nur Anknüpfungspunkte für weitere, tiefergehende Analysen darstellen. Organisationen wie die UNCTAD, die WTO oder der CIA lassen bereits mit gebührenfrei verfügbaren Informationen recht weitgehende Faktenbasen auf der Länderebene zu. <?page no="207"?> 184 • Kapitel IV: Strategieentwicklung im internationalen Umfeld Die Art der in der Faktenbasis zu erhebenden Daten kann sehr unterschiedlich sein. Neben einer genauen Definition der Geschäftsfelder sind Daten zu deren finanzieller Leistungsfähigkeit genauso unabdingbar wie zur Prognose finanzieller Daten für die kommenden Perioden. Die hierbei zu berücksichtigenden Werte betreffen zum Beispiel den Gewinn (EBIT, EAT), den Cashflow, die Rentabilität (Return on Sales, Return on Capital Employed, Return on Equity), das Wachstum (Umsatz pro Gesellschaft, Umsatz pro Produkt/ Produktgruppe, Umsatz pro Geschäftsfeld), die Wettbewerbsstellung (Marktanteil, Charakterisierung der Top-Wettbewerber pro Geschäftsfeld). Aber auch qualitative Daten wie Kundenzufriedenheit, rechtliche Gegebenheiten etc. sind zu erheben. Es ist an dieser Stelle wenig sinnvoll, eine vollständige Aufzählung der notwendigen Informationen aufzuführen. Zu den grundlegenden Informationskategorien gehören: Länderfakten Einwohnerzahl, Politisches Umfeld, Bruttosozialprodukt, Industrieproduktion, Branchenwachstum etc. Branchenfakten Produktionswert der Branche, globale Entwicklung, Absatzzahlen etc. Wettbewerberfakten Definition der Hauptwettbewerber, Umsatz, finanzielles Standing, strategische Position etc. Kundenfakten Unternehmen inkl. Adressdaten in der Branche, Umsätze mit Kunden, wichtige Segmente etc. Jede dieser Informationskategorien baut auf verschiedene Quellen der oben genannten Darstellung auf. Im Folgenden sollen beispielhaft einige Informationsformate dargestellt werden, welche in der Praxis Anwendung finden und insbesondere den internationalen Bereich betreffen. Länderfakten Im internationalen Bereich erstreckt sich die Ermittlung der Faktenbasis in wesentlich höherem Maße auch auf gesamtwirtschaftliche Länderdaten und nicht nur auf das direkte Branchenumfeld. Gerade bei Unternehmen, welche am Anfang ihres Internationalisierungsprozesses stehen, wird durch die Erhebung solcher Makrodaten eine erste Transparenz bezüglich der möglichen Bedeutung internationaler Märkte für den Geschäftserfolg geschaffen. Hier wird gerade in den frühen Phasen des Strategieprozesses mit der komprimierten Darstellung eines Landes in Form von „Ländersteckbriefen“ gearbeitet. Diese enthalten komprimierte Informationen, um die Rolle eines Landes zunächst generell einschätzen zu können. Abbildung 82 zeigt einen solchen Ländersteckbrief in vereinfachter Form. <?page no="208"?> Kapitel IV: Strategieentwicklung im internationalen Umfeld • 185 Abbildung 82: Vereinfachter Ländersteckbrief in der Agrotechnik-Branche Wie aus der Grafik ersichtlich ist, werden branchenspezifische Informationen mit allgemeinen volkswirtschaftlichen Daten verbunden. Die Rolle des jeweiligen Landes in der momentan bestehenden Strategie wird schließlich in der letzten Zeile dargestellt, welche gleichzeitig als Grundlage für eine zukünftige, gegebenenfalls geänderte Strategieentscheidung dienen kann. Wettbewerberfakten Die Analyse von Wettbewerbern stellt einen zentralen Bestandteil der Faktenbasis dar. Hierbei ist es notwendig und sinnvoll, die quantitativen Basisdaten der wichtigsten Wettbewerber auf den internationalen und nationalen Märkten festzuhalten. Darüber hinaus sollte aber eine Einschätzung des Verhaltens der Wettbewerber vorgenommen werden, welche bereits in der Phase der Datensammlung erfolgen kann. Verhält sich ein Wettbewerber offensiv und versucht, Marktanteile zu gewinnen? Zieht er sich zurück, expandiert er ohne Rücksicht auf Einbußen der Profitabilität? Auch bei Aussagen dieser Art muss sofort auf Fakten zurückgegriffen werden. Sie können jedoch auch oft ohne hinterlegte quantitative Daten als Richtlinie dienen. <?page no="209"?> 186 • Kapitel IV: Strategieentwicklung im internationalen Umfeld Abbildung 83: Vereinfachter Wettbewerbersteckbrief aus der Pharmabranche Fragen wie die eben aufgeführten können in einem sogenannten „Wettbewerbersteckbrief“ (Competitor Passport) aufgenommen werden, welcher über das in Abbildung 83 genannte Beispiel hinaus natürlich auch finanzielle und andere quantitative Daten enthalten sollte. Gerade im internationalen Umfeld, in welchem man oft in unbekannten Märkten agiert, ist es jedoch sinnvoll, schon in der Faktenbasis eine Einschätzung des jeweiligen Wettbewerbers zu verankern. Kundenfakten Zur Orientierung im Rahmen der Strategieentwicklung können bereits im Ländersteckbrief wichtige Daten bezüglich der Kunden festgehalten werden, wie dies im oben genannten Beispiel der Fall ist. Um im weiteren Verlauf der Strategieentwicklung jedoch ein genaues Bild bezüglich der internationalen Kundenstruktur zu erhalten, sollte die Informationssammlung auch auf Einzelkunden und die regionale Aufteilung der Nachfrage innerhalb eines Landes eingehen. Hierzu stehen mittlerweile weit ausgebaute Customer Relationship-Management (CRM)-Lösungen zur Verfügung. Abbildung 84 zeigt die Kundenstrukturanalyse eines Investitionsgüterunternehmens am Beispiel Spanien. Im vorliegenden Beispiel werden die Regionen des entsprechenden Landes, in diesem Fall Spanien, je nach deren Marktpotenzial in verschiedenen Farben dargestellt. Auch die Existenz von Verkaufsteams in bestimmten Regionen, die Standorte von Nicht-Kunden (NoCos), und der durch die Verkaufsteams erreichbare Radius, werden grafisch dargestellt. Hier- <?page no="210"?> Kapitel IV: Strategieentwicklung im internationalen Umfeld • 187 durch wird ein Überblick über die Präsenz im jeweiligen Land gegeben, welche in Verbindung mit dem Ländersteckbrief eine Aussage bezüglich der Ausgangsposition für eine Marktausschöpfung in dem entsprechenden Land liefert. Abbildung 84: Kunden und Absatzgebietsanalyse eines Investitionsgüterproduzenten am Beispiel Spanien Die Liste der notwendigen Intonationsformate im Rahmen der Faktenbasis für die internationale Strategieentwicklung ließe sich fast beliebig weiterführen. An dieser Stelle wurden jedoch einzelne Beispiele herausgenommen und zentrale Informationsquellen aufgeführt. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass die verschiedenen Länder und Regionen, in denen das Unternehmen agiert, in der Auswertungsstruktur der Faktenbasis berücksichtigt werden. Nach erfolgter Abgrenzung internationaler Geschäftsfelder sollte deren geografische, produkt- und kundenseitige Dimensionierung als struktureller Rahmen zur Auswertung genutzt werden. Nur so ergibt sich das notwendige Maß an Vergleichbarkeit zur strategischen Analyse. Die Faktenbasis bildet also die Grundlage für die Phase II des Strategieprozesses, in welcher die gesammelten Fakten im Rahmen der Unternehmens- und Umfeldanalyse Anwendung finden. 3.3 Ziele und Vorgaben Die Bestimmung von Zielen und Vorgaben zur Erreichung dieser Ziele stellt den dritten Eckpfeiler der Status-quo-Phase dar. Ziele definieren angestrebte zukünftige Zustände der Unternehmenssituation (Hungenberg, H./ Wulf, T., 2011). <?page no="211"?> 188 • Kapitel IV: Strategieentwicklung im internationalen Umfeld Vorgaben hingegen setzen die Rahmenbedingungen, unter welchen diese Ziele erreicht werden sollen. So definieren Lombriser und Abplanalp Strategie als das Erreichen eines Zieles im Rahmen bestimmter Vorgaben im Sinne einer „Leitplanke“, welche beispielsweise durch die Mission oder das Unternehmensleitbild festgelegt werden und Geschäftszweck und Werte definieren (Lombriser, R./ Abplanalp, P., 2010). Da die Abgrenzung von Mission, Leitbild und anderen Vorgaben der Unternehmensleitung weder in der Theorie noch der Unternehmenspraxis absolut trennscharf ist, wird hier der Begriff der Vorgabe gewählt. Der Zweck, die Zielerreichung unter gewissen Vorgaben stattfinden zu lassen, ist nämlich beiden Konzepten, der Mission und dem Leitbild, gemeinsam. Im Vordergrund steht die Koordinationsfunktion von Zielen und Vorgaben: Diese sind geeignet, Teilaktivitäten zu koordinieren, zu integrieren und auf eine gemeinsame Bezugsgröße auszurichten. Die Faktenbasis bietet die zentrale Datengrundlage für die Strategieentwicklung, diese muss jedoch in diesem Schritt durch eine normative, also wertende Grundausrichtung kanalisiert werden (Brauer, M./ Müller-Stewens, G., 2009). Im Folgenden werden Mission als zentrale Vorgabe, Vision als langfristige Zielbeschreibung und internationale Ziele als konkrete Ausprägung der Zieldefinition kurz charakterisiert. Mission Die Mission definiert das Tätigkeitsspektrum des Unternehmens („Was tun wir? “). Dabei stehen Aussagen zur Produkt-Marktkonzeption im Vordergrund, welche in der Geschäftsfeldabgrenzung bereits diskutiert wurden. Die Mission soll eine treffende und prägnante Aussage zum gegenwärtigen Tätigkeitsbereich des Unternehmens formulieren. Sie stellt insofern eine Vorgabe dar, als sie Richtlinien definiert, welche bei der Erreichung der Ziele des internationalen Unternehmens zu beachten sind. Hierbei können ähnlich wie bei der Geschäftsfeldabgrenzung Dimensionen wie Kunden, Produkte oder auch Geografie eine Rolle spielen. In gewisser Weise beinhaltet die Mission eine fokussierte, besser kommunizierbare Version der Geschäftsfeldeinteilung (Lynch, R., 2011) und ergänzt diese um andere Dimensionen des Tätigkeitsfeldes. Aufgabe der Mission ist es somit, Teilhabern und Mitarbeitern in verständlicher Form zu vermitteln, wofür das Unternehmen steht und in welchen Märkten es sich mit welchem Anspruch bewegt. Insofern sehen manche Autoren die Mission auch als gezielte Darstellung der Unternehmensphilosophie, was die Abgrenzung der Begriffe nicht gerade erleichtert (Ahlstrom, D./ Burton, G.D., 2010; Brauer, M./ Müller-Stewens, G., 2009). Darüber hinausgehend wird in der anglo-amerikanischen Literatur das „mission statement“ oder „business mission“ oftmals auch als Unternehmensleitbild verstanden, was weit mehr beinhal- <?page no="212"?> Kapitel IV: Strategieentwicklung im internationalen Umfeld • 189 tet als die hier dargestellte Definition der Mission (Daft, L.R., 2010; Grüning, R./ Kühn, R., 2009; Matje, A., 1996). Aufgabe der hier vertretenen Auffassung einer Mission ist die Bestimmung des Zwecks und des Auftrags der Organisation: „In welchem Geschäft sind wir tätig? “. Je nach Ausrichtung der internationalen Tätigkeit werden national, international und global agierende Unternehmen unterschiedliche Missionen formulieren. Ein rein national agierendes Unternehmen kann durch die Benennung des regionalen Handlungsraumes in der Mission zum Beispiel einen hohen Grad an Marktnähe und Angepasstheit im Gegensatz zu internationaler Konkurrenz kommunizieren. Bei einem multinationalen Unternehmen im Sinne einer dezentralen internationalen Präsenz können die internationale Präsenz und die Anpassung an verschiedene Kulturen explizite Erwähnung finden. Eine globale Ausrichtung hingegen sollte sich von der Anpassung an einzelne Kulturen lösen und den Weltmarkt in den Vordergrund stellen. Zentral ist jedoch, dass das Unternehmen die Möglichkeit nutzt, mit seiner Mission für die Mitarbeiter wirklich fassbare und handlungsorientierte Aussagen zu treffen. In der Praxis sind häufig sehr allgemeine Missionen zu finden, wie Walt Disneys „To make people happy“ oder eindimensionale wie z.B. Body Shop‘s „To produce cosmetica that don‘t hurt animals or the environment“. Hier wird der Informationsgehalt für die bessere, vor allem externe Kommunizierbarkeit weitgehend reduziert. Die Berücksichtigung der regionalen und anderer Dimensionen würde den Mitarbeitern jedoch klarere Vorgaben kommunizieren, was gerade für ein komplexes, internationales Unternehmen eine besondere Bedeutung hat. Folgende Mission formulierte ein deutscher Pharmakonzern Anfang dieses Jahrtausends: „Unser Streben ist die Bekämpfung von Krankheiten. Hierzu entwickeln wir innovative, verschreibungspflichtige Medikamente und vertreiben diese auf den größten Weltmärkten.“ Obgleich diese Mission zunächst sehr allgemein erscheint, enthält sie doch wenige wesentliche und prägnante Aussagen: Das Unternehmen bewegt sich im Gesundheitsmarkt. Das Unternehmen entwickelt innovative Medikamente, zählt sich also nicht zu den Generikaherstellern. Das Unternehmen konzentriert sich auf verschreibungspflichtige Medikamente, zählt sich also nicht zu den Anbietern von sogenannten OTC-Medikamenten, welche frei verkäuflich sind und oft weniger schwere Krankheitsbilder behandeln. Das Unternehmen sieht sich als ein Spieler auf den größten Weltmärkten. Diese Formulierung definiert einige Basisaussagen, ohne die Art der Zielerreichung allzu sehr einzugrenzen. Besonders deutlich wird die Funktion als „Leitplanke“ durch die regio- <?page no="213"?> 190 • Kapitel IV: Strategieentwicklung im internationalen Umfeld nale Aussage, da das entsprechende Unternehmen zu diesem Zeitpunkt noch nicht auf allen wichtigen internationalen Pharmamärkten vertreten war. Vision Anders als die Mission hat die Vision einen eindeutigen Zukunftsbezug und Zielcharakter. Sie soll eine umfassende, bildhafte Vorstellung von der Zukunft des Unternehmens geben („Wo wollen wir in der Zukunft stehen? “). Sinnstiftend, motivierend und handlungsorientiert sind zudem drei Eigenschaften, die eine gute Vision auszeichnen sollten (Lechner, C./ Müller-Stewens, G., 2011). Brauer und Müller-Stewens unterscheiden sechs verschiedene Kategorien von Visionen (Brauer, M./ Müller-Stewens, G., 2009; Lechner, C./ Müller-Stewens, G., 2011): (1) Ziel- oder wettbewerbsfokussierte Visionen, welche klar definieren, wo sich das Unternehmen im Wettbewerbsumfeld befinden will. (2) Feindfokussierte Visionen, die sich direkt gegen einen Wettbewerber richten. (3) Rollenfokussierte Visionen, welche sich an Unternehmen mit Leitbildfunktion orientieren. (4) Wandelfokussierte Visionen, welche fundamentale Änderungen in der Unternehmensstruktur darstellen. (5) Kundenfokussierte Visionen, welche auf bestmögliche Befriedigung von Kundenbedürfnissen abzielen. (6) Geschäftsmodellfokussierte Visionen, die ein Leistungsniveau als Maßstab nehmen und oftmals interne Verbesserungen anstreben. Ähnliche Varianten finden sich bei Dillerup und Stoi (Dillerup, R./ Stoi, R., 2008). Es fällt auf, dass diese Kategorisierung die internationale Dimension nicht direkt berücksichtigt. Insofern sollte gerade bei der Vision eines internationalen Unternehmens explizit darauf eingegangen werden, welche internationale Präsenz letztlich angestrebt wird. Natürlich bieten all die genannten Varianten Ansatzpunkte, um diesen Aspekt zu berücksichtigen. Folgende Beispiele enthalten einen regionalen Aspekt: Nationale Vision: Mediengruppe Oberfranken Unsere Vision: Heimat - Zukunft - Information Heimat ist für uns mehr als ein regionaler Standort. Heimat ist Bekenntnis zu einem Lebensgefühl. Das macht unsere besondere Nähe zu den Menschen aus. Denn Verbundenheit entsteht durch gemeinsame Identität. Die Zukunft Frankens liegt uns besonders am Herzen - weit über ambitionierte Ziele unseres Unternehmens hinaus. Wir möchten Impulse für die gesamte Region geben. Denn Lebensqualität ist etwas, das jeden von uns bereichert. <?page no="214"?> Kapitel IV: Strategieentwicklung im internationalen Umfeld • 191 Information ist für uns mehr als Ware. Sie ist für das Leben in Franken von zentraler Bedeutung. Dafür setzen wir Technologien ein, die qualitativ genauso hochwertig sind wie die Nachricht selbst. Dieses Streben nach bester Informationsvermittlung vereint alle unsere Mitarbeiter. Die Mediengruppe Oberfranken stellt eine bewusst regional orientierte Vision in den Mittelpunkt. Die Stärken des Unternehmens ergeben sich aus dem regionalen Fokus, welcher sich auch innerhalb des deutschen Marktes stark regional auf den oberfränkischen Raum konzentriert. So kann eine Vision natürlich auch ohne Einbezug der internationalen Ausrichtung definiert werden, wenn diese nicht im Mittelpunkt der strategischen Überlegungen des Unternehmens steht. Anzumerken ist allerdings, dass der Übergang zu einer Mission fließend ist, was in der Praxis häufig der Fall ist. Globale Vision ohne regionalen Fokus: Rockwell Die Firma Rockwell ist allein aufgrund ihres Geschäftsmodells und der Branche für eine globale Präsenz prädestiniert, weshalb sie diese in der Vision auch nicht direkt erwähnt. Dennoch ist eine klare Richtunggebung in der Vision vorhanden, was sie trotz ihrer vereinfachten Form sehr hilfreich erscheinen lässt. Die Globalität der Unternehmenstätigkeit ist quasi nicht zentral und wird für die Vision außen vor gelassen. „Wir wollen von einem Hersteller von Verteidigungsprodukten zu dem am besten diversifizierten Hochtechnologieunternehmen werden“ (Brauer, M./ Müller-Stewens, G., 2009) Vision unter Einbezug der Globalität: Wikimedia Wikimedia ist allein aufgrund des Geschäftsmodells ein global agierendes Unternehmen, hat dies aber im Gegensatz zum vorgenannten Unternehmen explizit in die Vision mit aufgenommen. WIKIMEDIA 2010: „Stell dir eine Welt vor, in der jeder einzelne Mensch freien Anteil an der Gesamtheit des Wissens hat. Das ist unser Ziel“ (Wikimedia, 2010, online) Doch gerade bei zielbeziehungsweise wettbewerbsfokussierten Visionen lässt sich internationales Handeln auch aus der Wachstumsstrategie oder marktorientierter Sicht definieren. Demgemäß kann ein mögliches Ziel sein, führend in einem bestimmten geografischen Bereich zu sein. Wie die Beispiele zeigen, sind Visionen und Missionen nicht immer trennscharf. Oftmals werden Mischformen von Missionen und Visionen formuliert, welche beispielweise als „Strategic intent“ bezeichnet werden (Hamel, G./ Prahalad, C.K., 1998), jedoch ist in den normativen Richtlinien die Trennung der beiden Konzepte aufgrund der unterschiedlichen Funktionen sinnvoll (Brauer, M./ Müller-Stewens, G., 2009). Vor dem Hintergrund der extern kommunizierten Visionen und Missionen internationaler Unternehmen ist deren Informationsgehalt kritisch zu prüfen und zu hinterfragen. <?page no="215"?> 192 • Kapitel IV: Strategieentwicklung im internationalen Umfeld Internationale Unternehmensziele Es bedarf der Formulierung konkreter Ziele, um die sehr langfristige Ausrichtung der Vision unter Berücksichtigung des nachhaltigen Versprechens, das mit der Mission an die Anspruchsgruppen gegeben wird, auf mittel- und kurzfristige Teilziele herunterzubrechen (Brauer, M./ Müller-Stewens, G., 2009). Hierzu gehören finanzielle Ziele wie Rentabilität, Marktstellungsziele, soziale Ziele, Markt- und Prestigeziele und andere. Da hierunter eine Vielzahl möglicher Zielausprägungen fällt, ist es wenig sinnvoll, diese hier auch nur ansatzweise vollständig aufzuzählen. Zu beachten ist, dass sich konkrete Ziele an der Vision und Mission des internationalen Unternehmens ausrichten müssen und nicht losgelöst von deren Formulierung gesehen werden dürfen. Zudem sollten sie möglichst konkret formuliert sein. Es sollte jedoch Berücksichtigung finden, dass sich viele Zielkategorien direkt aus der Internationalisierung der Unternehmenstätigkeit ergeben. Spezifische Ziele internationaler Unternehmen umfassen zum Beispiel: Ausgleich saisonbedingter Nachfrageschwankungen auf dem Heimatmarkt durch Verhinderung von phasenweise auftretenden Umsatzeinbrüchen Langfristige Sicherung des Wachstums durch Erhöhung des Weltmarktanteils Ausweichen auf Auslandsmärkte mit geringerem Wettbewerbsdruck Wachstum: Sicherung und Erhöhung des gegenwärtigen Umsatzvolumens Risikostreuung durch Diversifikation im internationalen Rahmen Auslastung vorhandener Kapazitäten Nutzung von Kostenvorteilen durch Standortverlagerung Nutzung von „Economies of Scale“ Kostensenkung durch niedrigere Arbeitskosten, günstiger umzusetzende technische Standards, optimierte Beschaffungspreise Kostensenkung durch Lerneffekte, günstigere Beschaffungskonditionen Sicherung der Rohstoffversorgung etc. Die zeitliche Gültigkeit internationaler Ziele ist dabei abhängig von dem Wandel der Bedingungen und dem Anpassungswillen des Unternehmens. Deshalb haben auch Visionen und Ziele einen Lebenszyklus (Coenenberg, A.G./ Salfeld, R., 2007). Ein wichtiges Instrument der Zieldefinition, welches gerade bei der Internationalisierung eine zentrale Bedeutung einnimmt, wird erst im folgenden Kapitel V besprochen: die GAP-Analyse. <?page no="216"?> Kapitel IV: Strategieentwicklung im internationalen Umfeld • 193 4 Strategische Analyse Die Phase II des Strategieprozesses zielt darauf ab, die im Rahmen der Faktenbasis gesammelten Daten zu analysieren und unter Zuhilfenahme geeigneter Instrumente so aufzubereiten, dass diese als Grundlage für die Strategieentscheidung dienen können. Aufgrund der Vielzahl der zur Verfügung stehenden Methoden können gerade in den Phasen II-IV nur ausgewählte Ansätze besprochen und auf das internationale Umfeld übertragen werden. 4.1 Interne Analyse Die interne Analyse dient der Identifikation von Stärken und Schwächen des Unternehmens unter Berücksichtigung des Wettbewerbs. Es werden einerseits Kernkompetenzen und Wettbewerbsvorteile ermittelt sowie andererseits erfolgskritische Faktoren identifiziert, bei denen Wettbewerbsnachteile bestehen, die es zu kompensieren gilt (Deresky, H., 2008; Sachse, U., 2003). Welge und Al-Laham unterscheiden drei Gruppen interner Analysemöglichkeiten (Welge, M.K./ Al-Laham, A., 2012): Klassische Ansätze Wertorientierte Ansätze Ressourcen- und kompetenzorientierte Ansätze Die klassischen Ansätze beziehen sich dabei auf die historische Entwicklung des Unternehmens, das bestehende Produktprogramm und eine funktionsbereichsbezogene Analyse. Wertorientierte Ansätze hingegen basieren auf dem Ansatz der Wertkette von Porter, da diese die relevanten Unternehmensaktivitäten des Wertschöpfungsprozesses auch außerhalb der klassischen Funktionsbereiche abbildet (Kerth, K./ Asum, H./ Stich, V., 2009). Hierdurch wird die Analyse und Zuteilung von Kernkompetenzen ermöglicht (Welge, M.K./ Al- Laham, A., 2012). Ressourcen- und kompetenzorientierte Ansätze machen strategische Stärken und Schwächen an der Ausprägung bestimmter Ressourcen, Fähigkeiten oder Kernkompetenzen einer Unternehmung fest. Im Folgenden wird die Wertkettenanalyse aufgrund ihrer großen praktischen Bedeutung als repräsentatives Beispiel für interne Analysen im Allgemeinen dargestellt und aus dem Blickwinkel internationaler Unternehmen erläutert. 4.1.1 Internationale Wertkettenanalyse Porter unterteilt die Wertschöpfung des Unternehmens in primäre und unterstützende Aktivitäten. Die primären Aktivitäten beziehen sich direkt auf das Produkt, von der Her- <?page no="217"?> 194 • Kapitel IV: Strategieentwicklung im internationalen Umfeld stellung über die Logistik bis hin zum Vertrieb und der Kundenbetreuung. Unterstützende Aktivitäten hingegen sorgen für die Aufrechterhaltung der gesamten Infrastruktur und ermöglichen den reibungslosen Ablauf der primären Aktivitäten. Zieht man von der hier gemeinsam erwirtschafteten Wertschöpfung die bei jeder Unternehmensaktivität angefallenen Kosten ab, erhält man die erzielte Gewinnspanne (Porter, M.E., 2000). Natürlich stellt die Wertkette nur einen Rahmen dar, welcher je nach Branche und Ausrichtung des Unternehmens in unterschiedlicher Weise anzuwenden ist. Insofern sind die einzelnen Bereiche nicht als festgelegt zu betrachten, sondern können und müssen auf das Branchenumfeld angepasst werden. Abbildung 85 zeigt beispielhaft die Aktivitäten der generischen Werkkette nach Porter auf. Abbildung 85: Die generische Wertkette nach Porter Im internationalen Unternehmen stellt sich die Wertkette natürlich mehrdimensional und geografisch verteilt dar. Jede Aktivität kann grundsätzlich in jedem Land angesiedelt werden, im Extremfall ist die gesamte Wertkette in allen Regionen oder Ländern parallel vollständig ausgeprägt („home replication“). Typischer ist jedoch eine unterschiedliche Allokation der Wertkette je nach der betroffenen Aktivität. Abbildung 86 zeigt die Komplexität dieses internationalen Allokationsproblems grafisch auf. <?page no="218"?> Kapitel IV: Strategieentwicklung im internationalen Umfeld • 195 Abbildung 86: Dimensionen der internationalen Wertkette Hierbei stellt eine horizontale Ebene jeweils ein Land dar. Die anderen beiden Dimensionen stehen für die Bereiche der Wertkette und deren Aufspaltung gemäß unterschiedlicher Länderstandorte. Typischerweise dezentral angesiedelte Aktivitäten wie zum Beispiel Vertrieb oder Kundendienst werden als ein Feld in jedem Land dargestellt. Zentral geregelte Unternehmensaktivitäten hingegen sind als durch alle Länderebenen laufende, vertikale Blocks abgebildet, wie am Beispiel des Finanzwesens, der Forschung und der Produktion zu erkennen ist. Auch diese Einteilung der Zentralisierung bedarf jedoch einer fallweisen Detailanalyse. Aus der Vielzahl der Kombinationsmöglichkeiten im Rahmen der dargestellten internationalen Wertkette lässt sich die Komplexität des Entscheidungsproblems ablesen. Um die Wertkettenanalyse für die internationale Strategieentwicklung nutzbar zu machen, sind verschiedene Schritte zu durchlaufen: (1) Erfassung der Ist-Situation der internationalen Wertschöpfungsstruktur (2) Identifikation der erfolgskritischen Wertschöpfungsbereiche für die internationale Strategie (3) Evaluierung der relativen Wettbewerbsposition gegenüber den internationalen Konkurrenten a. Leistungsfähigkeit b. Kostenposition (4) Identifikation von Ansatzpunkten zur globalen Optimierung der Wertkette Diese Schritte werden im Folgenden beschrieben. Erfassung der Ist-Situation Das Vorgehen zur Ermittlung der Basisinformationen der Wertkettenanalyse wird in der Literatur ausführlich dargestellt (Kerth, K./ Asum, H./ Stich, V., 2009; Welge, M.K./ Al-Laham, <?page no="219"?> 196 • Kapitel IV: Strategieentwicklung im internationalen Umfeld A., 2012; Porter, M.E., 2000). Im internationalen Umfeld steht jedoch die regionale Komponente der Wertschöpfungsstruktur im Vordergrund. Bei der Erfassung der Konfiguration der Wertkette sind Produktionsstandorte, Vertriebsniederlassungen, Service-Center etc. gleichermaßen zu berücksichtigen. Oftmals ergeben sich hierbei Strukturen, die historisch gewachsen sind und nicht auf einer globalen Logik der Ressourcenallokation basieren. Dies kann vielfältige Gründe haben: Zukäufe von Firmen in der Vergangenheit, Weiterführung von angestammten Standorten, historisch gewachsene Muster der Marktpräsenz etc. Diese Situation sollte offengelegt und transparent dargestellt werden, was Abbildung 87 beispielhaft veranschaulicht. Abbildung 87: Ausgangskonfiguration einer Wertkette Während in diesem Beispiel eine vollständige Wertkette im Heimatmarkt und an einem zentralen internationalen Standort existiert, werden andere Teile der Wertkette dezentral angesiedelt. Die Beispiele einer reinen Produktionsniederlassung in China und der Technologieentwicklung in Indien rücken einzelne Aktivtäten und deren Allokation in den Vordergrund, bilden aber die Komplexität einer solchen globalen Wertkettenkonfiguration nicht vollständig ab. Identifikation erfolgskritischer Wertschöpfungsbereiche Je nach Branche spielen unterschiedliche Bereiche der Wertkette eine zentrale Rolle für die Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens. Hierfür lassen sich zahlreiche Beispiele finden: So basiert die Stärke eines „Global Player“ in der Grundchemie oft auf starken Verbundstandorten, welche es erlauben, die sich ergänzende Herstellung verschiedener Chemikalien an zentralen Standorten zu optimieren. Der zentrale Standort der BASF SE in Ludwigshafen mit seiner hohen Zentralisierung und der stark integrierten Verbundstruktur ist hierfür nur ein Beispiel. In der forschenden pharmazeutischen Industrie hingegen sind Bereiche wie Forschung, Entwicklung und Vertrieb von ungleich höherer Bedeutung. Der Erfolg von markenorientierten Firmen der Konsumgüterindustrie wie L’Oreal oder Proc- <?page no="220"?> Kapitel IV: Strategieentwicklung im internationalen Umfeld • 197 ter & Gamble auf der anderen Seite hängt stärker von der Marketingfunktion und nicht zuletzt vom Image des Gast- oder Heimatlandes ab. Insofern muss die Analyse und Bewertung einzelner Standorte und Funktionen vor dem Hintergrund der Branche und der Bedeutung der jeweiligen Aktivität gesehen werden. Evaluierung der relativen Wettbewerbsposition Die Bestimmung von Stärken und Schwächen in der Wertkette ist das Hauptziel der internationalen Wertkettenanalyse. Insofern ist die Wettbewerbsposition im nächsten Schritt auch normativ zu bewerten, d.h., es müssen bewertende Vergleiche zum Wettbewerber angestellt werden. Diese Aufgabe erfolgt getrennt nach der Wettbewerbsposition und der Kostenposition des Unternehmens (Paul, H./ Wollny, V., 2011). Die Einschätzung der Wettbewerbsposition wird von vielen Aspekten beeinflusst. Insofern kann diese häufig nur über die Anwendung von Scoring-Modellen erfolgen, bei denen verschiedene Aspekte der Leistungsfähigkeit über eine gemeinsame Skala messbar gemacht werden (vgl. hierzu im Detail Abschnitt 5 dieses Kapitels). Neben der Methodik des Scoring-Modells stehen aber insbesondere die anzuwendenden Kriterien sowie die Beschaffung der dem Urteil zu Grunde liegenden Informationen im Vordergrund. Mögliche Kriterien zur Bewertung der Leistungsfähigkeit einer Wertschöpfungsaktivität sind: Know-how (bspw. technisches Wissen, Verfügbarkeit von Patenten, Erfahrung) Internationale Präsenz (bspw. Abdeckung der zentralen internationalen Märkte durch eine entsprechende Außendienstorganisation, Internationales Logistiknetzwerk) Technische Ausstattung (bspw. Verfügbarkeit technischer Anlagen, Existenz von Produktionsstandorten mit einem entsprechenden Produktionsvolumen) etc. Die Liste ließe sich sicher beliebig fortsetzen. Das Problem der Informationsbeschaffung stellt sich natürlich im internationalen Bereich in besonderem Maße. Gerade bei diesen qualitativ definierten Kriterien ist es jedoch oft möglich, auf die Expertise und Erfahrung der Mitarbeiter zurückzugreifen. So ist beispielsweise die internationale Vertriebspräsenz eines Unternehmens im Pharmabereich den globalen Wettbewerbern meist bekannt und sollte in eine solche Analyse einfließen. Auch bei der Einschätzung der Leistungsfähigkeit der Produktion kann oft aus den bekannten Produktionsvolumina und der technischen Qualität des Endproduktes auf die Leistungsfähigkeit des Bereiches rückgeschlossen werden. Zudem hat sich eine Vielzahl von Agenturen entwickelt, welche sich mit dem Thema „Benchmarking“ beschäftigen und vergleichende Kennzahlen und andere Fakten in standardisierter Form anbieten. Nicht zuletzt können auch Firmen kooperieren, um in <?page no="221"?> 198 • Kapitel IV: Strategieentwicklung im internationalen Umfeld nicht zentral wettbewerbsrelevanten Bereichen Informationen über die Qualität der eigenen Aktivitäten auszutauschen. Im Anschluss hieran ist die Kostenposition gegenüber dem Wettbewerber zu bestimmen. Hierzu erfolgt zuerst eine Bestandsaufnahme der eigenen Wertkette mit einer Verteilung der Gesamtkosten der Wertschöpfung über die verschiedenen Bereiche hinweg (Paul, H./ Wollny, V., 2011). Auf Basis dieser Information lassen sich meist Abschätzungen über die Kostenposition vornehmen, auch wenn die interne Kalkulation des Wettbewerbers natürlich nicht direkt zugänglich ist. Allein die Analyse einer Gewinn- und Verlustrechnung in Verbindung mit Fakten wie Arbeitskosten, Produktionsvolumen und Faktorkosten im entsprechenden Land, etc. lassen oft eine realistische Abschätzung der Kostenposition zu, auch wenn diese nicht exakt monetär quantifizierbar ist. Identifikation von Ansatzpunkten zur globalen Optimierung der Wertkette Nach der Durchführung dieser beiden Analysen kann das Ergebnis im Rahmen einer grafischen Darstellung analysiert werden, wie sie in Abbildung 88 wiedergegeben wird. Abbildung 88: Kategorisierung der Ergebnisse der Wertkettenanalyse Wie dargestellt, lassen sich die Bereiche der internationalen Wertkette anhand der vorher festgelegten Bedeutung der Wettbewerbsposition einordnen. Oft wird eine solche Analyse zu einer Neukonfiguration, zumindest aber zu einer Anpassung der internationalen Wertschöpfungsstruktur führen. So kann im oben genannten Fall hinterfragt werden, warum verschiedene Werke eine solch unterschiedliche Wettbewerbsfähigkeit aufweisen. Die hierauf basierenden Entscheidungen sind nicht immer einfach für das Unternehmen, da bestehende Strukturen verändert werden müssen und damit gegebenenfalls auch der Verlust von Arbeitsplätzen verbunden sein kann. Auf der anderen Seite hilft eine effiziente Allokation der Ressourcen im internationalen Umfeld auch, die Wettbewerbsfähigkeit von Standorten zu halten und somit wiederum Arbeitsplätze zu schaffen. Um über die Not- <?page no="222"?> Kapitel IV: Strategieentwicklung im internationalen Umfeld • 199 wendigkeit paralleler Standorte bzw. die Öffnung oder Schließung von Standorten zu entscheiden, muss im Rahmen der Optimierung der Wertkette eine grundsätzliche Richtungsvorgabe über Zentralisierung/ Dezentralisierung der jeweiligen internationalen Aktivität erfolgen. Aufgrund der hohen Bedeutung dieser Entscheidung im internationalen Management werden im Folgenden Argumente für und gegen die Zentralisierung einzelner Wertkettenaktivitäten aufgeführt. 4.1.2 Zentralisierung versus Dezentralisierung der Wertkette Grundsätzlich bedeutet Zentralisierung eine Bündelung der Aktivität an einem bestimmten Ort, Dezentralisierung bezeichnet die Ausführung einer Aktivität in jedem Land, wobei zumeist Mischformen anzutreffen sind (Sachse, U., 2003). Für eine umfangreiche Analysebasis sollten diese Aspekte bei der Neukonzeption oder Optimierung einer Wertkette im internationalen Unternehmen integriert werden. Die Vorteilhaftigkeit der Zentralisierung und Dezentralisierung einzelner Aktivitäten hängt vom Kostenfaktor, von der gewünschten Kundennähe und den Gegebenheiten in den einzelnen Ländern ab. Wenn Unternehmensteile wie die Produktion oder die Beschaffung zentralisiert werden, so kann dies Kosteneinsparungen durch Skaleneffekte oder einen besseren Erfahrungsaustausch zur Folge haben. Die Dezentralisierung von Aktivitäten hingegen bringt Nähe zum Konsumenten und bessere Anpassungsmöglichkeiten an örtliche Gegebenheiten mit sich und ist insofern insbesondere für marktnahe Aktivitäten von Vorteil. In den folgenden Tabellen werden einige wichtige Argumente für die Zentralisierung oder Dezentralisierung einzelner Aktivitäten der Wertkette aufgeführt. Diese sind keinesfalls als gemeinhin gültig zu betrachten, sondern müssen branchen- und unternehmensspezifisch angepasst werden. <?page no="223"?> 200 • Kapitel IV: Strategieentwicklung im internationalen Umfeld Abbildung 89: Vor- und Nachteile der Zentralisierung der Aktivitäten der Wertschöpfungskette - Produktion, Forschung und Entwicklung Industrielle Kernbereiche wie Produktion, Forschung und Entwicklung weisen oft eine Tendenz zur Zentralisierung auf, da Skaleneffekte eine hohe Bedeutung haben. Spätestens bei der Notwendigkeit zur nationalen Anpassung von Produkten ergibt sich zumindest bei der Entwicklung die Erfordernis zur Anpassung an nationale Gegebenheiten und damit zur Dezentralisierung (Krubasik, E./ Schrader, J., 1989). Abbildung 90: Vor- und Nachteile der Zentralisierung der Aktivitäten der Wertschöpfungskette - Marketing, Vertrieb, Beschaffung und Logistik <?page no="224"?> Kapitel IV: Strategieentwicklung im internationalen Umfeld • 201 Je marktnäher ein Bereich ist, desto höher ist in der Tendenz der Druck zur Anpassung an nationale Gegebenheiten. So lässt sich ein global zentralisiertes Vertriebsmanagement in den meisten Branchen nur sehr schwer etablieren. Auf der anderen Seite stehen Aktivitäten wie die Beschaffung, welche in hohem Maße vom globalen „Pooling“ der Nachfrage des Unternehmens profitieren. Abbildung 91: Vor- und Nachteile der Zentralisierung der Aktivitäten der Wertschöpfungskette - Unterstützende Bereiche Die unterstützenden Aktivitäten müssen sich letztlich stark an der strategischen Orientierung des gesamten Unternehmens ausrichten. Ein global geführtes Unternehmen wird stärker vereinheitlichte Personalrichtlinien umsetzen als ein multinational organisiertes Unternehmen. Die genannten Argumente sollen an dieser Stelle nicht weiter vertieft werden, bilden aber Anhaltspunkte für die wichtige Entscheidung über die Allokation der Wertschöpfungsbereiche. Allerdings bleiben Zentralisierungsentscheidungen organisations- und branchenabhängig, so dass generelle Empfehlungen nicht möglich sind. Eine kontinuierliche Überprüfung und Neubewertung der Konfiguration der Aktivitäten ist deshalb notwendig (Kutschker, M./ Schmid, S., 2011; Sachse, U., 2003). Da es sich bei der internen Analyse um einen der umfangreichsten Teile des Strategieentwicklungsprozesses handelt, ist eine präzise Vorarbeit, zum Beispiel bei der Erstellung der Ausgangskonfiguration der Wertschöpfungskette, unabdingbar. Andererseits lässt sich durch die Konzentration auf die Vorgehensweise der Wertkettenanalyse ein Großteil der relevanten Aspekte für die interne Analyse abdecken. Dennoch kann im Rahmen der internen Analyse natürlich eine Vielzahl anderer Analyseinstrumente zum Einsatz kommen. Hierzu gehören unter anderem: Analyse der Kernkompetenzen (Welge, M.K./ Al-Laham, A., 2012) VRIO-Rahmen (Paul, H./ Wollny, V., 2011) <?page no="225"?> 202 • Kapitel IV: Strategieentwicklung im internationalen Umfeld Ressourcen- und Fähigkeitsportfolio (Paul, H./ Wollny, V., 2011) Benchmarking (Lynch, R., 2011) Bezüglich dieser Instrumente sei hier auf die angegebene Literatur verwiesen. Im nächsten Schritt ändert sich die Perspektive der Analyse von der Innensicht auf eine Betrachtung des Umfeldes. 4.2 Externe Analyse Im Rahmen der externen Analyse wird das externe Umfeld des Unternehmens systematisch dargestellt und im Hinblick auf existierende Chancen und Risiken analysiert. Hierzu werden gemeinhin zwei Kategorien verwendet: die Analyse des allgemeinen Umfeldes unabhängig von der Branche (Makro-Umfeld) sowie die Analyse des direkten Unternehmensumfeldes im Sinne der Branche (Mikro-Umfeld). Um diese verschiedenen Ebenen zu beurteilen, sind verschiedene Konzept der Einteilung in relevante Teilbereiche entwickelt worden (Johnson, G./ Scholes, K./ Whittington, R., 2011; Thomas, H., 2007). Abbildung 92 zeigt eine mögliche Unterteilung dieser beiden Kategorien in Anlehnung an Daft und Lane im Überblick. Abbildung 92: Makro- und Mikroumwelt nach Daft/ Lane Quelle: Daft, R.L./ Lane, P., 2009 Wie ersichtlich ist, ordnen Daft und Lane die internationale Dimension der Makroumwelt zu. Diese wäre insofern als gleichwertige Kategorie neben den anderen Dimensionen einzuordnen. In einer anderen Sichtweise müssen jedoch sämtliche der genannten Kategorien im Hinblick auf das internationale Umfeld heruntergebrochen und gegebenenfalls pro Land, Region und auf globaler Ebene untersucht werden. Im internationalen Umfeld <?page no="226"?> Kapitel IV: Strategieentwicklung im internationalen Umfeld • 203 impliziert die externe Analyse somit einen besonderen Grad an Komplexität, welcher kanalisiert und durch geeignete Instrumente eingegrenzt werden muss, um eine fokussierte Datenerhebung und -analyse zu ermöglichen. Hierzu werden nachfolgend gängige Instrumente mit einer länderspezifischen Analyse verbunden. Folgende Schritte sollte ein international tätiges Unternehmen im Rahmen der externen Analyse durchlaufen: A. Internationale Umfeldeingrenzung (1) Eingrenzung des globalen Umfeldes auf relevante Märkte (2) Informationsverdichtung durch Länderportfolioanalyse (3) Charakterisierung der strategischen Rolle der Länder (Sternmodell nach Spulber) B. Durchführung der Umfeldanalysen (4) Makro-Umfeldanalyse (Internationale PEST-Analyse) (5) Internationale Branchenanalyse (fünf Wettbewerbskräfte nach Porter) 4.2.1 Internationale Umfeldeingrenzung Im Rahmen dieses ersten Schrittes wird die Internationalität der Unternehmenstätigkeit dadurch berücksichtigt, dass das extrem komplexe internationale Umfeld eingegrenzt wird, um die Informationssammlung gezielt und gemäß der strategischen Bedeutung einzelner Länder und Regionen durchführen zu können. Eingrenzung des globalen Umfeldes Im Rahmen der Geschäftsfelddefinition in Schritt I.a wurden bereits Regionen oder Länder identifiziert, welche von strategischer Bedeutung für das Unternehmen sind. Dies sind insbesondere Länder, in denen das Unternehmen bereits tätig ist. Für die externe Analyse sind jedoch auch solche Länder zu berücksichtigen, deren Bearbeitung relevant sein könnte, welche aber im Rahmen der momentanen Strategie noch nicht im Fokus stehen, gleichwohl aber potenzielle Märkte darstellen. Ergibt sich im Schritt Faktenbasis eine datenmäßige Abbildung des Weltmarktes, so ist dieser daraufhin zu untersuchen, inwiefern über den bearbeiteten Teil des Weltmarktes hinaus andere regionale Einheiten von Interesse für die strategische Stoßrichtung des Unternehmens sein können. Abbildung 93 stellt dieses Vorgehen schematisch dar. <?page no="227"?> 204 • Kapitel IV: Strategieentwicklung im internationalen Umfeld Abbildung 93: Strategische Segmentierung des Weltmarktes Ausgehend vom Weltmarkt werden die regionalen Segmente identifiziert, welche im Augenblick noch nicht bearbeitet werden, und in drei Kategorien unterteilt, zu denen als viertes die Kategorie der bearbeiteten Märkte hinzukommt: (1) Geschlossene Märkte, welche aus rechtlichen, politischen oder marktbezogenen Gründen nicht bearbeitet werden können oder sollen (2) Zugängliche Märkte, welche außerhalb des strategischen Fokus liegen (zu hoher Bearbeitungsaufwand, nicht vorhandene Ressourcen etc.) (3) Potenzielle Märkte, welche in die strategische Betrachtung mit einbezogen werden sollen (4) Bearbeitete Märkte, welche sich bereits in den strategischen Geschäftsfeldern abbilden Während die Kategorien (1) und (2) nicht in die weitere Analyse aufgenommen werden, muss bezüglich der Märkte der Kategorie (3) eine Entscheidung darüber fallen, ob diese eine strategische Rolle spielen werden. Die so identifizierten Ländergruppen (3) und (4) werden im nächsten Schritt einer allgemeinen, zunächst von der Rolle des Landes losgelösten datenbasierten Portfolioanalyse unterzogen. Informationsverdichtung durch eine Länderportfolioanalyse Im Kontext einer Länderportfolioanalyse werden grundlegende volkswirtschaftliche Daten der als relevant identifizierten Länder oder Ländergruppen im Zuge einer komprimierten Darstellung aufbereitet. Hierzu können zum einen Scoring-Modelle dienen (Kutschker, M./ Schmid, S., 2012), zum anderen bietet sich jedoch eine Visualisierung der zu komprimierenden Informationen an. Die Portfoliodarstellung im Sinne einer Matrix, welche im strategischen Management weite Verbreitung gefunden hat, wird bei volkswirtschaftlichen Analysen nur selten eingesetzt. <?page no="228"?> Kapitel IV: Strategieentwicklung im internationalen Umfeld • 205 Gerade im internationalen Umfeld erlaubt diese Darstellung jedoch einen Überblick über die Wettbewerbsfähigkeit und Entwicklung von Ländern als Märkte oder aber Standorte, welcher die spätere Entscheidungsfindung entscheidend unterstützen kann. Es gibt verschiedene Ansätze der Länderportfolioanalyse (Perlitz, M., 1985a; Backhaus, K./ Voeth, M., 2010; Berndt, R./ Fantapié Altobelli, C./ Sander, M., 2010), welche meist verschiedene Dimensionen aus dem volkswirtschaftlichen Bereich oder aber Scoring-Modelle verwenden. Im Grundschema werden drei Dimensionen dargestellt: eine auf der vertikalen Achse, eine auf der horizontalen Achse sowie eine im Rahmen der Blasengröße der positionierten Länder. Die auf den beiden Achsen und durch die Blasengröße dargestellten Informationen sollten möglichst trennscharf die Rolle des Landes aus verschiedenen für das Unternehmen relevanten Blickrichtungen beleuchten. Abbildung 94 zeigt ein beispielhaftes Länderportfolio, welches die Rolle der entsprechenden Länder als Absatzmarkt beleuchtet. * = Compound Annual Growth Rate Abbildung 94: Beispiel für ein Portfolio zur Länderanalyse Während das Wachstum des Bruttoinlandsproduktes über die Dynamik der Entwicklung Auskunft gibt, repräsentiert die Blasengröße das Bruttoinlandsprodukt in absoluten monetären Größen auf und gibt damit einen Eindruck über eine potenzielle Marktgröße. Das auf der X-Achse dargestellte Pro-Kopf-Einkommen wiederum enthält eine Aussage über die Kaufkraft, welche in der entsprechenden Volkswirtschaft vorhanden ist. Sie ist natürlich gegen die Marktgröße in Form des BIP abzuwägen, da auch in einer absolut großen Volkswirtschaft nicht unbedingt von einem wirtschaftlich relevanten Markt für gewisse Güter auszugehen ist. Typische Positionen finden sich zum Beispiel im oberen linken und im unteren rechten Quadranten des Portfolios. Zukunftsmärkte sind oft sich <?page no="229"?> 206 • Kapitel IV: Strategieentwicklung im internationalen Umfeld stark entwickelnde Länder, oft Schwellenländer, wie beispielsweise China, Brasilien oder Malaysia. Auch wenn diese von der absoluten Größe der Volkswirtschaft her durchaus schon als etablierte Märkte gelten können, weist das noch erhebliche Entwicklungspotenzial im Durchschnittseinkommen auf die im Vergleich zur Größenordnung des BIP eingeschränkte Kaufkraft hin. Saturierte Märkte hingegen finden sich oft in den etablierten Industrieländern wie beispielsweise Japan oder Deutschland, bei denen die Entwicklungsmöglichkeiten allein aufgrund des bereits erreichten hohen Niveaus beschränkter sind. Auch wenn eine solche Analyse bei einem Vergleich klassischer Industrienationen mit typischen Zukunftsmärkten trivial erscheinen mag, kann sie bei der Eingrenzung der externen Analyse doch hilfreiche Hinweise liefern, wenn zum Beispiel einzelne Regionen in Südamerika oder Osteuropa mit all ihren einzelnen Subregionen oder Ländern analysiert werden. Die interne Heterogenität solcher Regionen wird in der Praxis oft unterschätzt und sollte daher einer solchen Grobanalyse unterzogen werden. Auf Basis der Quadranten, in welchen sich die jeweiligen Länder befinden, kann eine Entscheidung über die Relevanz für die weitere Strategieentwicklung gefällt werden. Abbildung 95 zeigt ein solches marktorientiertes Länderportfolio am Beispiel ausgewählter Länder Lateinamerikas. Abbildung 95: Länderportfolio ausgewählter lateinamerikanischer Staaten 2011 Quelle: World Bank (2013), Cia Factbook (2013), online Neben dem hier beispielhaft dargestellten eher marktorientierten Länderportfolio lässt sich auch die Rolle der Länder als Wettbewerber und potenzieller Standort durch die Modifikation der Achsen analysieren (Perlitz, M., 1985a). Nach der volkswirtschaftlichen Charakterisierung der entsprechenden Ländermärkte kann nochmals eine eingehendere Analyse der Wettbewerbsfähigkeit des Landes erfolgen. Hier- <?page no="230"?> Kapitel IV: Strategieentwicklung im internationalen Umfeld • 207 zu ist das Diamantenmodell von Porter sehr hilfreich, welches aber in Kapitel II schon ausführlich besprochen wurde. Nachdem die Entscheidung über ein relevantes „Set“ an Ländern gefallen ist, empfiehlt Spulber, diese anhand ihrer strategischen Rolle für das Unternehmen zu kategorisieren. Dieses Konzept wird im Folgenden als Exkurs dargestellt. Charakterisierung der strategischen Rolle der Länder (Sternmodell nach Spulber) Um die jeweilige Bedeutung der einzelnen Märkte für die Unternehmung zu klassifizieren, dient die von Spulber entwickelte „Stern-Analyse . Er unterscheidet fünf unterschiedliche Länderkategorien, die den Wettbewerbsvorteil einer international agierenden Unternehmung maßgeblich beeinflussen. Diese Länderkategorien sind: (1) Das Heimatland, dessen Eigenschaften die Leistungsfähigkeit im Wettbewerb beeinflussen. (2) Lieferantenländer, welche aufgrund der Beziehung zu Produktion und Lieferantenbeziehungen das wettbewerbliche Potenzial beeinflussen. (3) Kundenländer, welche die Nachfrage nach Produkten des Unternehmens bestimmen. (4) Partnerländer, die den Eindruck der Kunden und die Leistungsfähigkeit des Unternehmens durch das Angebot ergänzender Produkte oder Dienstleistungen beeinflussen. (5) Konkurrenzländer, welche Aufschluss über die Strategien der Wettbewerber geben. Somit bietet die „Stern-Analyse“ einen konzeptionellen Rahmen zur Erfassung und Verarbeitung von Daten globaler Märkte, dessen grafische Visualisierung in Abbildung 96 wiedergegeben wird. <?page no="231"?> 208 • Kapitel IV: Strategieentwicklung im internationalen Umfeld Abbildung 96: Stern-Modell der strategischen Rolle von Ländern nach Spulber Quelle: Daft, R.L./ Lane, P., 2009 (1) Heimatländer Ein signifikanter Einfluss auf den Unternehmenserfolg kann von dem eigenen Heimatland, d.h. dem Land, in dem die Unternehmenszentrale angesiedelt ist, ausgehen. Es gibt Eigenschaften des Heimatlandes, die den Wettbewerbsvorteil fundamental beeinflussen und deshalb die internationale Wettbewerbsfähigkeit fördern oder auch behindern. Andere Eigenschaften des Heimatlandes haben weniger Einfluss auf die internationale Wettbewerbsfähigkeit, da sie durch die internationale Expansion überwunden werden können. Ein Beispiel für einen Heimatvorteil ist die Kundenloyalität lokaler Kunden, wenn ausländische Angreifer auf dem Heimatmarkt in den Wettbewerb treten. Global agierende Unternehmungen profitieren auch durch die Nutzung der Stärken eines Heimatlandes zur internationalen Expansion. Die Identität einer Unternehmung ist oftmals direkt mit dem Heimatland verknüpft, wie beispielsweise die Wahrnehmung von Haier als chinesisches oder der Tata Group als indisches Unternehmen. Die Unternehmensbzw. Markenidentität spielt wiederum eine Rolle bei den Verhandlungen mit Mitarbeitern, Lieferanten, Partnern und Wettbewerbern. Die Nationalität einer Marke kann den Verkauf also unterstützen oder auch behindern, je nachdem, welche Einstellung die Kunden zum Heimatland der Marke haben („Country of origin-Effekt“). Das politische und regulatorische Klima des Heimatlandes kann auch großen Einfluss auf die Unternehmung nehmen. Die Produkte, der Herstellungsprozess, die Umweltgesetze und die generellen Arbeitsbedingungen unterliegen den gesetzlichen Vorschriften der Aktivitäten im Heimatland. Restriktive Regularien (z.B. hohe Steuern) können die Wett- <?page no="232"?> Kapitel IV: Strategieentwicklung im internationalen Umfeld • 209 bewerbsfähigkeit eines Unternehmens behindern. Einige Länder behandeln ihre großen multinationalen Unternehmungen als „Nationale Champions“ und unterstützen diese durch Subventionen, Handelsbeschränkungen oder Steuererleichterungen. Unternehmungen aus einer relativ offenen und flexiblen Volkwirtschaft haben die besten Möglichkeiten, die Vorteile globaler Märkte zu nutzen. (2) Lieferantenländer Große Unternehmungen sind von einer Vielzahl an Lieferanten abhängig. Zu den Lieferantenländern gehören die Länder, aus denen die globale Unternehmung ihre Inputfaktoren bezieht oder in denen sie ihre Produkte herstellt. Das Heimatland kann sicherlich eines der Lieferantenländer sein, jedoch wird die Unternehmung die beste Kombination aus Preis, Qualität und Einfachheit auf dem globalen Marktplatz auswählen. Dabei vergleichen Manager die Kosten, die durch den Kauf bei Lieferanten und bei der Entwicklung einer Produktion entstehen. Globale Wettbewerbsvorteile verlangen, dass die Unternehmung den bestmöglichen Mix von Lieferanten aus dem globalen Umfeld auswählt. Die Lieferantenseite einer globalen Unternehmung wird oft auch als die „globale Fabrik“ bezeichnet. (3) Kundenländer Einen aufwendigen Teil der Stern-Analyse stellt die Untersuchung der potenziellen Kundenländer dar. Manager müssen die jeweiligen Kundenpräferenzen berücksichtigen, um die Marktnachfrage richtig einschätzen zu können. Mithilfe dieser Marktinformationen lassen sich dann die Länder identifizieren, die zum Verkauf geeignet sind, d.h. welche Produkte angeboten werden sollen und welche Wettbewerbsstrategie verfolgt werden soll. (4) Partnerländer Durch den internationalen Wettbewerbsdruck konzentrieren sich Unternehmen immer mehr auf die eigenen Stärken und versuchen Aufgaben, die nicht zu ihren Kernkompetenzen gehören, durch Partnerschaften wie strategische Allianzen oder Joint Ventures abzugeben. Ziel ist es, die Kosten und Risiken zu verringern und die Innovationsprozesse zu beschleunigen. Grundsätzlich lassen sich Partnerschaften auf der Nachfrageseite von denen auf der Lieferantenseite unterscheiden. Auf der Nachfrageseite handelt es sich meistens um Komplementärprodukte (Computer und Software), die dann zum Beispiel im Bündel dem Kunden angeboten werden. Auf der Lieferantenseite wird durch den Austausch bzw. die Ergänzung von Komponenten, Technologien und Fähigkeiten die Produktionseffizienz gesteigert. Manager müssen zur Beurteilung der Erfolgschancen einer Partnerschaft immer den Landeskontext beachten, in dem das Partnerunternehmen beheimatet ist. Die richtige Kombination an Partnern und deren komplementären Eigenschaften kann zu einem globalen Wettbewerbsvorteil führen. (5) Wettbewerbsländer Die Untersuchung des globalen Geschäftsumfeldes anhand einer „Stern-Analyse“ schließt mit der Betrachtung der Länder ab, in denen die Wettbewerber agieren. Manager müssen <?page no="233"?> 210 • Kapitel IV: Strategieentwicklung im internationalen Umfeld ein Verständnis für die „Stern-Analyse“ des Wettbewerbs, d.h. über das Heimatland, die Lieferanten-, Kunden- und Partnerländer des Wettbewerbers, bekommen. Ziel ist die Identifikation von Unterschieden im geografischen Profil des eigenen Unternehmens mit dem des Wettbewerbers. Länderbasierte Unterschiede sind oft die Quelle zur Erreichung eines Wettbewerbsvorteils. Auf der Basis dieser Rollen muss eine Entscheidung über die Einordnung verschiedener Länder und Regionen erfolgen. Abbildung 97 zeigt ein Beispiel für eine solche Einordnung anhand eines Scoring-Modells. Abbildung 97: Einordnung von Ländern anhand der Stern-Analyse von Spulber Im dargestellten Fall spielt das von Spulber als „Heimatland“ bezeichnete Land natürlich auch eine zentrale Rolle. Im genannten Fall befinden sich im Heimatmarkt die wichtigsten Abnehmer, starke Wettbewerber, aber auch die Zulieferindustrie spielt eine wichtige Rolle. Dennoch lassen sich je nach Branche oft unterschiedliche Schwerpunkt- oder Kernrollen für verschiedene Länder festlegen. So mag Russland bei der Strategie von Unternehmen der Chemie-, Rohstoff- oder Energieindustrie eine zentrale Rolle als Zulieferer spielen, aber keinen ähnlichen Stellenwert als Abnehmer haben. Aufgrund einer Stern-Analyse nach Spulber sollte dies analysiert und auf seine Implikationen hin geprüft werden. Ein wichtiger Partner Russland in Zulieferung, Technologie und Energieversorgung erfordert eine andere Strategie als ein Land, welches möglicherweise in erster Linie als Absatzmarkt im Fokus steht. Zwar sind diese Rollen oft miteinander korreliert, was sich hier am Beispiel von China zeigt. Dennoch gilt es, für jede der Rollen in der externen Analyse unterschiedliche Daten zu berücksichtigen. <?page no="234"?> Kapitel IV: Strategieentwicklung im internationalen Umfeld • 211 Wie bei vielen anderen Analysen liegt ein Hauptnutzen der Stern-Analyse darin, dass sich das internationale Unternehmen intensiv mit der Frage der Einstufung der Rolle verschiedener Länder befasst. Dies beeinflusst auf der einen Seite die Art der zu erhebenden Daten bei durchzuführenden Analysen, führt aber auf der anderen Seite auch zu einer Vorentscheidung über die Rolle nationaler Niederlassungen bzw. der entsprechenden Marktstrategie in der Region. An die Analyse der Rolle der Länder schließen sich die klassischen Instrumente der Makro- und Mikro-Umfeld-Analyse an. 4.2.2 Analyse des Umfeldes Ziel der Umfeldanalyse ist die Untersuchung von Chancen und Risiken der Makroumwelt, also des Umfeldes außerhalb der Branche und des Branchenumfeldes. Wie Abbildung 98 zeigt, bildet der Charakterisierung und Eingrenzung der Ländermärkte 21den Rahmen für die Umfeldanalyse. Auf dieser Basis werden bewährte Instrumente wie die PEST-Analyse und die Wettbewerbskräfte nach Porter angewendet. Abbildung 98: Drei Ebenen der Umfeldanalyse Makro-Umfeldanalyse Zur Analyse der Makroumwelt hat sich die PEST-Analyse als Format etabliert R.N./ Richman, B.M., 1965). PEST steht dabei für die Betrachtung der politischen, ökonomischen, soziokulturellen, und technologischen Umweltfaktoren. Das PEST-Modell wird von verschiedenen Autoren durch die Kategorien L“ (Legal) und E“ (Ecological) erweitert, was zu der Bezeichnung PESTEL-Analyse führt (Johnson, G./ Scholes, K./ Whittington, R., 2011; Thomas, H., 2007; Baum, H.-G./ Coenenberg, A.G./ Günther, T., 2007; Hungenberg, H., 2010). Die ausgewiesene Analyse der ökologischen Aspekte <?page no="235"?> 212 • Kapitel IV: Strategieentwicklung im internationalen Umfeld stellt gerade aufgrund der stark wachsenden Bedeutung ökologischer Fragen im Rahmen von Themen wie Klimawandel und CO 2 Management eine sinnvolle Erweiterung dar (Paul, H./ Wollny, V., 2011). Letztlich geht es jedoch bei der PEST-Analyse um eine sinnvolle Auflistung relevanter Trends und deren Stützung durch Daten. Die Liste der Kategorien ist fast beliebig erweiterbar, dennoch stellt der PEST-Rahmen einen sinnvollen Ausgangspunkt dar. Die Durchführung der PEST-Analyse umfasst dabei neben der Analyse der Umweltfaktoren auch die Trendüberwachung, die Prognose der Umweltentwicklung und die Beurteilung der Bedeutung der erfassten Entwicklungen. Einen konkreten Ablaufplan der PEST-Analyse zeigen zum Beispiel Dillerup und Stoi auf (Dillerup, R./ Stoi, R., 2010). Im internationalen Umfeld sind die Analysekategorien der PEST-Analyse entsprechend anzupassen, was Rugman und Collinson mit dem in Abbildung 99 dargestellten Schema beispielhaft dokumentieren (Rugman, A.M./ Collinson, S., 2009). Abbildung 99: Internationale PEST-Analyse Quelle: Rugman, A.M./ Collinson, S., 2009 Natürlich ist bei einer PEST-Analyse zu beachten, dass nicht nur die Umwelt Einfluss auf das Unternehmen nimmt, sondern auch Unternehmen in der Lage sind, auf ihre Umwelt einzuwirken, z.B. durch Beeinflussung der politisch-rechtlichen Umwelt durch Lobbyismus oder gezielte Förderung einzelner Trends durch die Unterstützung bestimmter Interessengruppen (Thomson, N./ Baden-Fuller, C., 2010). Da die Makroumwelt jedoch den Einflüssen des globalen Umfeldes ausgesetzt ist, sollte sie auf regionaler und auf Länderebene durchgeführt werden. Die vorher identifizierte Rolle der Region eines Landes im Rahmen des Spulber-Schemas bietet einen Anknüpfungspunkt, um die PEST-Analyse entsprechend an nationale Umfelder anzupassen. So sind die <?page no="236"?> Kapitel IV: Strategieentwicklung im internationalen Umfeld • 213 zu analysierenden Trends in einem typischen Marktland sicher andere als die Analysekategorien eines Lieferantenlandes. Branchenanalyse Das klassische Instrument der Branchenanalyse, die Analyse der fünf Wettbewerbskräfte nach Porter, stellt auch für die internationale Analyse einen Ausgangspunkt dar (Kerth, K./ Asum, H./ Stich, V., 2011). Porter unterscheidet folgende Wettbewerbskräfte Rivalität unter den bestehenden Wettbewerbern Bedrohung durch neue Anbieter Verhandlungsstärke der Lieferanten Verhandlungsstärke der Abnehmer Ersatzprodukte Porter weist nach, dass die genannten Wettbewerbskräfte entscheidenden Einfluss auf die Profitabilität einer Branche haben. Die Analyse von Lieferanten und Abnehmern hat zum Ziel, zu ermitteln, wie viel Einfluss diese auf das Unternehmen und seine Strategie ausüben können. Bei einer geringen Anzahl von Lieferanten, welche unter Umständen sogar eine Monopolstellung für technologisch anspruchsvolle Teile eines Produktes haben, ist der Einfluss größer als bei einer großen Anzahl kleinerer Lieferanten für einfache Produkte. Ist Letzteres der Fall, ist es für ein Unternehmen einfacher, den Lieferanten zu wechseln. Aus der Perspektive des Kunden betrachtet, ergibt sich eine geringere Verhandlungsmacht, wenn eine Alternative für ein Produkt leicht zu erhalten ist, wohingegen bei hochwertigen und notwendigen Produkten, bei welchen ein Wechsel sehr kostenintensiv und schwierig ist, wenig Einfluss seitens des Kunden auf das Unternehmen ausgeübt werden kann (Thomson, N./ Baden-Fuller, C., 2010). Ersatzprodukte (Substitute und Innovationen) sind eine Bedrohung, auf die nur durch ständige Beobachtung reagiert werden kann. Es ist wichtig, durch Preissenkung, Anbieten gleicher Produkte oder mehr Serviceangebot für den Abnehmer auf ein Substitut zu reagieren, denn es kann die gesamte Branche signifikant verändern und Trends setzen, was folglich ältere Produkte unbrauchbar macht (Thomson, N./ Baden-Fuller, C., 2010; Rugman, A.M./ Collinson, S., 2009). Die Risiken, welche durch neue Anbieter entstehen, hängen im Wesentlichen von Markteintrittsbarrieren ab, welche natürlich im internationalen Umfeld eine besondere Rolle spielen. Ist es beispielsweise investitionsintensiv, in einen Markt einzudringen, herrscht eine hohe Loyalität zu bestehenden Wettbewerbern oder hat ein Neuanbieter nicht die Erfahrung und Produktionskapazität, um wettbewerbsfähige Preise anzubieten, so ist die Gefahr neuer Wettbewerber eher gering (Bea, F.X./ Haas, J., 2012). Neue Anbieter erhöhen die Rivalität in einer Industrie und minimieren die Überlebenschancen der Anderen in der Branche (Thomson, N./ Baden-Fuller, C., 2010). <?page no="237"?> 214 • Kapitel IV: Strategieentwicklung im internationalen Umfeld Die Wettbewerber in der Branche schließlich bestimmen die Intensität der aktuellen und zukünftigen Rivalität. Sind zum Beispiel die Produkte weitestgehend austauschbar, die Marktaustrittsbarrieren hoch, die Umstellungskosten für den Abnehmer gering, das Branchenwachstum gering und die Branchenkultur hart, so steigt der Druck unter den Wettbewerbern, was es für jedes einzelne Unternehmen erschwert, wettbewerbsfähig zu bleiben (Kerth, K./ Asum, H./ Stich, V., 2011; Bea, F.X./ Haas, J., 2012). Aus der Branchenstrukturanalyse nach Porter leiten sich branchenspezifische Gefahren und Chancen ab, welche wiederum der Strategieentwicklung dienen. Die internationale Vielschichtigkeit einer Branche wird bei Porter nur teilweise berücksichtigt. Eine globale Betrachtung der Größen ist zwar möglich, allerdings werden so die vorstellbaren Unterschiede zwischen einzelnen Ländern der Branche nicht sichtbar, wie zum Beispiel eine differierende Verhandlungsmacht von Kunden oder Lieferanten zwischen einzelnen Ländern oder eine unterschiedliche Branchenrivalität in verschiedenen geografischen Einheiten. Somit ist auch die Branchenanalyse länderspezifisch durchzuführen. Wird die Analyse jedoch nur auf Länderebene durchgeführt, so resultiert daraus die Gefahr der Vernachlässigung globaler Einflussgrößen. So kann es globale Einflussgrößen auf die Branche geben, welche sich langfristig über Ländergrenzen hinweg durchsetzen werden, auch wenn sie noch nicht in jedem Land relevant sind. Beispiele können technologische Trends wie zum Beispiel die Biotechnologie sein, welche aufgrund ihrer hohen Komplexität nicht in jedem Markt diese Bedeutung haben. Auf der anderen Seite können Substitute oder neue Wettbewerber eine globale Gefahr darstellen, welche in der Region des Wettbewerbers zeitversetzt relevant wird. Letztlich ist also eine kombinierte globale und auf Regionen heruntergrochene Analyse der Branchenrentabilität und ihrer Einflussgrößen durchzuführen (Mellahi, K./ Frynas, J.G./ Finlay, P., 2005), ohne dabei den Konzernblickwinkel aus den Augen zu verlieren. Spulber empfiehlt beispielsweise, zu analysieren, ob die Gegebenheiten im Heimatland die eigene Strategie unterstützen, ab welchem Punkt sich der Länderfokus vom Heimatland entfernt, welchen Einfluss die Position der Lieferanten auf die eigene Produktion hat, wie die Eigenschaften von Ländern den Bezug zum Kunden beeinflussen, inwiefern Partnerländer die Produktion und den Vertrieb unterstützen beziehungsweise erweitern können und wie der geografische Kontext der Konkurrenten aussieht (Spulber, D.F., 2007). Ausgehend vom Spulber-Schema kann also die Analyse der Wettbewerbskräfte auf die Rolle des Landes zugeschnitten und spezifiziert werden. Dies gilt insbesondere für die Länder, welche in erster Linie als Lieferanten-, Wettbewerber- oder Abnehmerländer definiert wurden. Hier besteht eine direkte Beziehung zu den entsprechenden Wettbewerbskräften von Porter. Der Aufwand der Informationssammlung sollte auf die jeweilige Wettbewerbskraft konzentriert werden. Während Lieferanten- und Abnehmerländer direkt der jeweiligen Wettbewerbskraft zugeordnet werden können, bezieht sich der Einfluss von <?page no="238"?> Kapitel IV: Strategieentwicklung im internationalen Umfeld • 215 Wettbewerberländern auf die beiden Kräfte neue Anbieter und Wettbewerber in der Branche. Die Kategorie Ersatzprodukte hingegen entspricht nicht direkt einer der Kategorien von Spulber und sollte stärker auf der Konzernebene analysiert werden, da damit gerechnet werden muss, dass die Bedrohung durch Substitute in vielen Fällen ein globales Problem der Branche ist. Abbildung 100 zeigt die Branchenstrukturanalyse nach Porter in Kombination mit einer länderorientierten Betrachtung auf Basis der Stern-Analyse. Abbildung 100: Länderorientierte Branchenanalyse auf Basis der Konzepte von Porter und Spulber In Verbindung mit der PEST-Analyse können nun Chancen und Risiken für die gesamte internationale Unternehmensumwelt herausgearbeitet werden, um im Anschluss Maßnahmen zu entwickeln, diese zu nutzen beziehungsweise Risiken zu vermeiden (Kerth, K./ Asum, H./ Stich, V., 2011). Im Ergebnis ergibt sich ein normalerweise qualitativ formuliertes internationales Chancen-Risiken-Profil, welches im nächsten Schritt in die komprimierte Darstellung der zusammenfassenden Analyse eingebunden wird. Abbildung 101 zeigt den Ablauf der externen Analyse mit den Instrumenten und den zugehörigen Ergebnis nochmals im Überblick. <?page no="239"?> 216 • Kapitel IV: Strategieentwicklung im internationalen Umfeld Abbildung 101: Instrumente im externen Analyseprozess im Überblick 5 Zusammenfassende Analyse Die Analysen des klassischen Strategieprozesses stellen im internationalen Rahmen aufgrund der hohen Komplexität eine besondere Herausforderung dar. Gerade vor diesem Hintergrund spielt die zusammenfassende Analyse der gefundenen Informationen und deren Darstellung in leicht interpretierbaren und komprimierten Kategorien eine zentrale Rolle für das internationale Management. Im Wesentlichen lassen sich zwei Kategorien von zusammenfassenden Analysen unterscheiden. In der ersten Kategorie, der Gruppe der Portfolio-Konzepte, sind Instrumente wie die GE- oder McKinsey-Matrix (Schrank, R., 2011), das BCG-Portfolio und die Directional Policy Matrix von zentraler Bedeutung. Einen weniger formal strukturierten, in der Praxis aber weithin akzeptierten Ansatz stellen qualitative Verfahren wie die SWOT- Analyse dar. Im Folgenden werden die drei genannten zentralen Portfoliokonzepte auf ihre internationale Anwendbarkeit überprüft und um eine internationale Komponente erweitert. Des Weiteren wird kurz auf die internationale SWOT-Analyse eingegangen, obgleich hier eine direkte Übertragung auf das internationale Umfeld weniger notwendig erscheint. Ziel der zusammenfassenden Analyse ist es, aus den komprimierten Informationen Handlungsempfehlungen für geeignete Strategien ableiten zu können (Kerth, K./ Asum, H./ Stich, V., 2011). <?page no="240"?> Kapitel IV: Strategieentwicklung im internationalen Umfeld • 217 5.1 BCG-Portfolio Ein klassisches Konzept der zusammenfassenden Analyse stellt das in den 1970er Jahren von der Boston Consulting Group entwickelte BCG-Portfolio dar (Hedley, B., 1977; Baum, H.-G./ Coenenberg, A.G./ Günther, T., 2007; Schneider, D., 2007). In der BCG-Portfolio-Analyse werden das Produktlebenszyklus- und das Erfahrungskurven-Konzept implizit miteinander verbunden. Das Produktlebenszyklus-Konzept wird mit der Variablen Marktwachstum und das Erfahrungskurven-Konzept mit der Variablen relativer Marktanteil in die BCG-Portfolio-Matrix integriert. Dabei wird der relative Marktanteil (RMA) durch den folgenden Quotienten bestimmt: RMA = U E / U GK , wobei U E der eigene, über alle Jahre kumulierte Umsatz und U GK der über die gleichen Jahre kumulierte Umsatz des an diesem Wert gemessenen größten Wettbewerbers ist. Manche Unternehmen verwenden als U GK den durchschnittlichen kumulierten Umsatz der drei größten Konkurrenten. In der Literatur wird auch der Umsatz eines Jahres und nicht der kumulierte Umsatz zur Bestimmung des relativen Marktanteils verwendet (Hahn, D., 2005; Hinterhuber, H.H./ Handlbauer, G./ Matzler, K., 2003). Dies ist jedoch bedenklich, wenn mit dem relativen Marktanteil die Stellung auf der Erfahrungskurve ermittelt werden soll. Da die Erfahrungskurve von der kumulierten Ausbringungsmenge ausgeht, muss auch der kumulierte Umsatz verwendet werden. Abbildung 102 gibt die grundsätzlichen Kategorien der BCG-Portfolio-Matrix und deren Cashflow-Wirkung wider. Abbildung 102: BCG-Portfolio-Matrix Produkte, Produktgruppen oder ganze Geschäftseinheiten werden in Bezug auf das Marktwachstum in zwei Kategorien unterteilt: eine mit hohem (Einführungs- und Wachstumsphase im Produktlebenszyklus) und eine mit niedrigem Wachstum (Reife- und Degenerationsphase im Produktlebenszyklus). Hinsichtlich des relativen Marktanteils werden <?page no="241"?> 218 • Kapitel IV: Strategieentwicklung im internationalen Umfeld Produkte, Produktgruppen oder Geschäftseinheiten unterschieden, die auf ihren Märkten einen relativen Marktanteil kleiner eins (das Unternehmen hat eine höhere Stellung auf der Erfahrungskurve als der größte Wettbewerber) oder größer als eins (das Unternehmen liegt tiefer auf der Erfahrungskurve als der größte Wettbewerber) haben. Aus dieser Betrachtungsweise ergeben sich vier unterschiedliche Kategorien von strategischen Geschäftsfeldern: „Babies“ oder „Fragezeichen“ sind solche, die ein hohes Marktwachstum und einen relativen Marktanteil kleiner als eins bzw. 100% haben. „Stars“ sind in einem Markt mit hohem Wachstum positioniert und haben, gemessen am relativen Marktanteil, die Stellung eines Marktführers. Zu den „Cash Cows“ werden Produkte gerechnet, bei denen das Marktwachstum niedrig und der relative Marktanteil größer eins ist. Als „Dogs“ oder „Lahme Enten“ werden die Produkte bezeichnet, für die das Marktwachstum niedrig ist und keine Marktführerschaft besteht. Aus der Stellung der Produkte, Produktgruppen oder Geschäftsbereiche auf der Erfahrungskurve und dem Produktlebenszyklus wird abgeleitet, dass die „Babies“ und „Stars“ i.d.R. einen höheren Kassenabfluss als -zufluss und „Cash Cows“ und „Dogs“ einen höheren Kassenzugang als -abgang haben. Dabei wird unterstellt, dass sich das Unternehmen von „Dog“-Bereichen spätestens dann trennen sollte, wenn der Kassenabfluss den -zufluss übersteigt. Aus dieser Matrix wird in der Unternehmenspraxis eine Normstrategie abgeleitet, die als Daumenregel besagt, dass mindestens 10% des Umsatzes aus dem Bereich der „Babies“, 30% aus dem Bereich der „Stars“, 40-50% aus dem Bereich der „Cash Cows“ und maximal 10-20% aus dem Bereich der „Dogs“ stammen sollten. Bei Erreichung dieser Normstrategie ergäbe sich nach der Portfolio-Analyse ein finanzielles Gleichgewicht für das Unternehmen. Auch vom zeitlichen Aspekt her wäre das Unternehmen in einem Gleichgewicht, wenn mindestens 40% des Umsatzes aus Bereichen kommen, die in der Einführungs- und Wachstumsphase des Produktlebenszyklus stehen, und maximal 60% aus Bereichen, die sich in der Reife- und Degenerationsphase befinden (Hahn, D., 2005; Hinterhuber, H., 1996). Bei einer unkritischen Anwendung obiger Normstrategie besteht die Gefahr einer Fehleinschätzung. Generell führt jedoch eine beträchtliche Abweichung von dieser Normstrategie ein Unternehmen langfristig in eine Krise. Allgemein lassen sich aus der BCG-Portfolio- Analyse folgende strategische Aussagen ableiten: Erfolgreiche Produkte, Produktgruppen oder Geschäftseinheiten sind die, die sich von einem „Baby“ über einen „Star“ zur „Cash Cow“ entwickeln und als „Dog“ eliminiert werden, wenn der Kassenabfluss den -zufluss übersteigt. Ein Produkt, eine Produktgruppe oder ein Geschäftsbereich kann jedoch gleich als „Star“, „Cash Cow“ oder sogar als „Dog“ in der Matrix eingestuft werden. Dann verschiebt sich der entsprechende Startpunkt in der Matrix. <?page no="242"?> Kapitel IV: Strategieentwicklung im internationalen Umfeld • 219 Besitzt ein Unternehmen zu viele „Babies“ oder „Stars“, besteht die Gefahr einer Liquiditätskrise. Das finanzielle Gleichgewicht kann dann durch einen Abbau von „Babies“ und/ oder „Stars“ bzw. durch eine Schaffung von „Cash Cows“ bzw. flüssige Mittel generierenden „Dogs“ wieder erreicht werden. Verfügt das Unternehmen über zu viele „Cash Cows“ oder „Dogs“, dann besteht die Gefahr, dass das Unternehmen aus seinem „Zeitgleichgewicht“ gerät. Das Unternehmen „überaltert“ mit seinen Produkten, Produktgruppen oder Geschäftseinheiten. Es muss sich dann Gedanken darüber machen, wie es die für die Zukunft wichtigen Bereiche der „Babies“ und/ oder „Stars“ generiert. Die BCG-Portfolio-Analyse betrachtet die Internationalisierung von Unternehmen nicht explizit, jedoch wird sie in mehrfacher Hinsicht bei näherer Betrachtung relevant. Im Folgenden wird überprüft, wie durch eine Internationalisierung von Unternehmensaktivitäten erfolgreiche Durchläufe durch die BCG-Portfolio-Matrix erreicht werden können. Darüber hinaus wird untersucht, inwieweit die Internationalisierung von Unternehmensaktivitäten einen Beitrag zum Erreichen des finanziellen und des zeitlichen Gleichgewichtes leistet. Ein erfolgreicher Durchlauf durch die BCG-Portfolio-Matrix wird durch die Internationalisierung von Unternehmensaktivitäten in mehrfacher Hinsicht unterstützt. Um ein „Baby“ zu einem „Star“ zu entwickeln, muss das Unternehmen die größte kumulierte Produktion erreichen. Ein schnelleres Ablaufen der Erfahrungskurve wird durch Exporte erzielt. Eine frühe Exportorientierung ermöglicht es dem Unternehmen, über den Erfahrungskurven- Effekt Kostenvorteile zu generieren, die zu einer Marktführerschaft und damit zu einem „Star“ führen. Daneben wird es dem Unternehmen möglich, durch den Aufkauf von Konkurrenten im Ausland, die auf seinem Heimatmarkt tätig sind, die relative Wettbewerbssituation zu verbessern. Das erfolgt einerseits, um aus „Babies“ „Stars“ zu machen, andererseits, um das Abdriften von „Babies“ oder „Stars“ in den „Dog“-Bereich zu verhindern. Auch die Vergabe von Technologien ins Ausland ermöglicht es dem Unternehmen, seine relative Wettbewerbssituation im Inland, z.B. durch die Bildung von Kooperationen (u.a. durch strategische Allianzen), zu verbessern. Damit leistet die Internationalisierung von Unternehmensaktivitäten einen wichtigen Beitrag für den erfolgreichen Durchlauf durch die BCG-Portfolio-Matrix. Auch zur Überwindung eines finanziellen Ungleichgewichtes, das durch einen zu hohen Anteil an „Babies“ und/ oder „Stars“ in der BCG-Portfolio-Matrix entstanden ist, trägt die Internationalisierung von Unternehmensaktivitäten bei. Zunächst ist zu überprüfen, ob Kostensenkungspotenzale durch eine Internationalisierung der Beschaffung realisiert werden können. Daneben wird durch Exporte ein schnelleres Ablaufen der Erfahrungskurve erreicht und damit eine günstigere Kostensituation herbeigeführt. Interessant kann bei einem finanziellen Ungleichgewicht die Vergabe von Technologie gegen Gebühren ins Ausland sein. Des Weiteren führen internationale Kooperationen, bei denen der Partner das Kapital und das inländische Unternehmen das Know-how einbringt, u.U. zu einer <?page no="243"?> 220 • Kapitel IV: Strategieentwicklung im internationalen Umfeld Entlastung der finanziellen Anspannung. Eine Kooperation mit Unternehmen im Ausland ist auch dann interessant, wenn durch sie eine Konkurrenz auf dem Heimatmarkt vermieden wird. Das Problem des zeitlichen Ungleichgewichtes bzw. der „Überalterung“ der Produkte, Produktgruppen oder Geschäftsbereiche kann durch die Internationalisierung von Unternehmensaktivitäten ebenfalls entschärft werden. So kommt es zum einen darauf an, die „Cash Cows“ so lange wie möglich in dieser Position zu halten. Kosteneffizienz ist hierfür eine wichtige Voraussetzung. Diese wird auch durch eine Internationalisierung der Beschaffung ermöglicht. Weiterhin kann das Unternehmen nach Märkten suchen, in denen die Produkte noch ein hohes Marktwachstum besitzen. Damit wird es möglich, aus „Cash Cows“ oder „Dogs“ im Inland „Babies“ oder „Stars“ im Ausland zu machen. Wählt man den Export als Markteintritts- oder -bearbeitungsstrategie, ist das Unternehmen in der Lage, die auf dem heimischen Markt erreichten Erfahrungskurven-Vorteile in Preisvorteile auf dem Auslandsmarkt, auf dem das Produkt noch ein „Baby“ oder „Star“ ist, umzusetzen und damit dem zeitlichen Gleichgewicht in der BCG-Portfolio-Matrix näherzukommen. Als Produkte im Sinne der BCG-Portfolio-Analyse werden in der Praxis mitunter auch ganze Bereiche von Unternehmen in verschiedenen Ländern betrachtet. So klassifizierte z.B. die Mannesmann AG (Weisweiler, F.J., 1982) ihre Gesamtaktivitäten in Brasilien (z.B. Röhrenproduktion, Demag, Rexroth) in ihrer Portfolio-Analyse als ein „Baby- Produkt“. Der Aufkauf von Konkurrenten im Ausland verlängert gegebenenfalls die zeitliche Dauer der „Cash Cow“-Situation. Einen Ansatz zur Wiedergewinnung des zeitlichen Gleichgewichtes stellt auch der Kauf eines Unternehmens im Ausland dar, das über genügend „Babies“ verfügt. Damit steigert das Unternehmen seinen „Baby“-Anteil in der BCG- Portfolio-Matrix durch eine Direktinvestition im Ausland. Auch die Technologieübernahme von einem ausländischen Unternehmen eröffnet die Möglichkeit, „Babies“ oder „Stars“ für das Unternehmen zu generieren. Das Eingehen internationaler Kooperationen oder strategischer Allianzen kann demselben Zweck dienen. Die dargestellten Ansatzpunkte zeigen, dass die Internationalisierung von Unternehmensaktivitäten für die Herstellung eines zeitlichen Gleichgewichtes wesentlich sein kann. <?page no="244"?> Kapitel IV: Strategieentwicklung im internationalen Umfeld • 221 Abbildung 103: Portfolio-Matrix der Mannesmann AG Kritisch an der Portfolio-Analyse nach BCG ist anzumerken, dass sie sich nur auf die beiden Variablen Marktwachstum und relativer Marktanteil des Unternehmens bezieht. Danach muss das Unternehmen eine führende Position auf der Erfahrungskurve anstreben. Obgleich die Auswirkungen einer Volumenerhöhung durch die Aufnahme internationaler Geschäftstätigkeit eindeutig zu einem Effekt bezüglich des relativen Marktanteils führen, wird diese Thematik im Rahmen des Originalkonzepts nur sehr beschränkt angesprochen. Die Defizite im Konzept der BCG-Matrix haben zur Entwicklung komplexerer Portfoliokonzepte geführt. Die weiteste Verbreitung hat hierbei die McKinsey- oder General Electric (GE)-Matrix gefunden (Kerth, K./ Asum, H./ Stich, V., 2011). Deren Anwendbarkeit im Internationalen Management wird im Folgenden diskutiert. 5.2 McKinsey/ GE-Matrix Im Gegensatz zur Portfolio-Analyse nach BCG basiert die GE-Matrix auf einem Scoring- Modell bzw. einem Nutzwertverfahren (Schrank, R./ Giesa, T., 2012). Anstatt der Festlegung auf bestimmte, klar quantifizierbare Variablen wird also der Ansatz gewählt, das zu messende Konstrukt auf Teilbestandteile herunterzubrechen und diese über ein Bewertungssystem messbar zu machen. Dies bietet den Vorteil, dass mehrere Dimensionen abgebildet <?page no="245"?> 222 • Kapitel IV: Strategieentwicklung im internationalen Umfeld werden können und dadurch eine breitere Erfassung des Sachverhaltes möglich ist. Implizit wird dadurch natürlich der Nachteil einer teilweise subjektiven Bewertung in Kauf genommen. In Anbetracht der äußerst komplexen Aufgabe der Bewertung der strategischen Position internationaler Geschäftseinheiten erscheint dieser methodische Kompromiss jedoch als durchaus sinnvoll. In der Basisversion beinhaltet das Konzept der GE-Matrix die Dimensionen Marktattraktivität und Wettbewerbsstärke. Diese reflektieren die Ergebnisse der internen und externen Analyse und sind insofern vergleichbar mit den Dimensionen des BCG-Portfolios. Anders als im BCG- Konzept können jedoch verschiedene Subkategorien für die einzelnen Dimensionen gewählt werden, welche in der Folge zu einem aggregierten „Score“ zusammengefasst werden. Zunächst ist festzulegen, aus welchen Kriterien sich die Marktattraktivität und Wettbewerbsstärke zusammensetzen und wie diese gewichtet werden. Marktattraktivität kann zum Beispiel aus den Unterkriterien Marktvolumen, Marktwachstum, Branchenrendite, Markteintrittskosten etc. bestehen. Für die Ermittlung der Wettbewerbsstärke sind denkbare Größen relativer Marktanteil, relative Produktqualität und Preisvorteile, relative Vertriebsstärke sowie das relative Forschungs- und Entwicklungspotenzial. Anschließend werden die Kriterien für jedes strategische Geschäftsfeld oder jede gewünschte Geschäftseinheit bewertet (Grüning, R./ Kühn, R., 2009; Hill, C.W.L./ Jones, G.R., 2009; Welge, M.K./ Al-Laham, A., 2012; Schrank, R./ Giea, T., 2012). Daraus ergibt sich die Lage der einzelnen Geschäftsfelder in einer Neun-Felder-Matrix. Die Geschäftseinheiten werden als Blasen dargestellt, wobei deren Größe sich meist nach dem Umsatz, den die Geschäftseinheit zum Unternehmen beiträgt, richtet (Grüning, R./ Kühn, R., 2011; Welge, M.K./ Al-Laham, A., 2012). Verschiedentlich finden sich aber auch Darstellungen, welche den Gewinnbeitrag oder den erzielten Deckungsbeitrag mit einbeziehen. Abbildung 104 zeigt das Herunterbrechen der Dimension Markattraktivität auf Punktwerte und die dazugehörige Zuweisung konkreter Datenausprägung am Beispiel eines Komponentenherstellers. <?page no="246"?> Kapitel IV: Strategieentwicklung im internationalen Umfeld • 223 * = Compound Anual Growth Rate Abbildung 104: Beispielhafte Kriterien für die Abbildung der Marktattraktivität im Rahmen der GE-Matrix Quelle: Schrank, R./ Giesa, T., 2012 Wie gezeigt wird, ist es nur teilweise möglich, die jeweiligen Punktwerte mit konkreten Daten zu unterlegen. Auch wenn für die Bewertung eines Kriteriums wie beispielsweise der „Wettbewerbsintensität“ zahlreiche Daten zur Verfügung stehen, fällt die Festlegung auf eine konkrete Ausprägung oft schwer. Weder die Anzahl noch die durchschnittliche Größe der Wettbewerber korreliert notwendigerweise mit der Wettbewerbsintensität. Daher muss an dieser Stelle mit Einschätzungen des Managements gearbeitet werden. Dies ist bei der Bewertung der zweiten Hauptdimension, der Wettbewerbsstärke, oft in noch höherem Maße notwendig, wie Abbildung 105 zeigt. Abbildung 105: Herunterbrechen der Scores zur Wettbewerbsstärke in Daten oder qualitative Scores Quelle: Schrank, R./ Giesa, T., 2011 <?page no="247"?> 224 • Kapitel IV: Strategieentwicklung im internationalen Umfeld Die Wettbewerbsstärke kann gemeinhin besser über qualitative Skalen abgebildet werden, da sich die Quantifizierung der entsprechenden Kriterien meist schwieriger gestaltet. Dies hängt aber letztlich von der Datenlage in der entsprechenden Branche ab. So ist im Falle des vorliegenden Komponentenherstellers der Marktanteil nur sehr schwer zu quantifizieren, da die entsprechenden Daten nicht vorliegen. Eine Einschätzung entlang der unten genannten Kategorien zwischen „Keine Bedeutung“ und „Nr. 1 oder Nr. 2“ wird den Vertriebsmitarbeitern jedoch relativ leicht fallen. Auch bei den anderen Kriterien herrschen qualitative Scores vor, wobei natürlich quantifizierbare Daten wünschenswerter wären. Durch die weitgehend freie Wahl der Kriterien ist auch eine Anpassung an das spezifische Umfeld einer bestimmten Branche oder ein bestimmtes nationales Umfeld erzielbar. Abbildung 106: Bestimmung der Position in der GE-Matrix aufgrund der Punktwerte und der Gewichtung Quelle: Schrank, R./ Giesa, T., 2012 Die GE-Matrix wird in neun Felder aufgeteilt, was im Vergleich zur BCG-Matrix mit nur vier Feldern mehr Spielraum für die Ableitung differenzierter Normstrategien bietet. Die Definition und Bewertung der Variablen kann bei der GE-Matrix subjektiv ausfallen (Kerth, K./ Asum, H./ Stich, V., 2011). Allerdings geht sie wesentlich detaillierter auf die individuellen Bedürfnisse einzelner Unternehmen und Branchen ein und stellt die Komplexität des Unternehmensumfeldes treffender dar als das BCG-Portfolio (Grüning, R./ Kühn, R., 2011). Als Normstrategien im Rahmen der GE-Matrix wird ein selektives Vorgehen entlang der Diagonalen der Neun-Felder-Einteilung vorgeschlagen, wobei die Investitionsschwerpunkte im oberen rechten, also im optimalen Bereich liegen sollten (Grüning, R./ Kühn, R., 2011; Welge, M.K./ Al-Laham, A., 2012; Macharzina, K./ Wolf, J., 2005). In Abbildung 107 ist dieser Investitionsbereich durch die drei blauen Felder gekennzeichnet, in denen SGF 1 positio- <?page no="248"?> Kapitel IV: Strategieentwicklung im internationalen Umfeld • 225 niert ist. Die hellblau gefärbten Felder am linken unteren Rand repräsentieren hingegen die Bereiche, in denen die Normstrategie eine Desinvestition bzw. ein Ausstieg ist. Abbildung 107: Grundaufbau der GE-Matrix Die GE-Matrix ist ein klassisches Instrument der Konzernstrategie und wird oft zur Bewertung der strategischen Geschäftseinheiten auf globaler Basis verwendet. Im internationalen Management kann der Ansatz jedoch auch durch die geografische Dimension erweitert oder auf Länder als Analyseobjekte übertragen werden. Hierzu wird die geografische Dimension, welche bei der Einteilung der strategischen Geschäftseinheiten in Schritt I.a bereits diskutiert wurde, hinzugezogen. Um die GE-Matrix international anwenden zu können, bieten sich drei grundsätzliche Vorgehensweisen an: (1) Die Analyse einzelner Länder oder Ländergruppen in einer Matrix. (2) Die Erstellung regionalspezifischer Matrizen, welche jeweils die strategischen Geschäftseinheiten spezifisch abbilden. (3) Die Aggregation der ermittelten Matrizen zu einer Konzernmatrix. Während Möglichkeit (1) und Möglichkeit (2) die Analyse eine Stufe unter der Konzernebene ansiedeln, bietet Möglichkeit (3) eine Alternative zur direkten Erstellung eines globalen Konzernportfolios an, da sie auf einzelnen regionalspezifischen Analysen basiert. Im Folgenden werden die genannten drei Möglichkeiten kurz vorgestellt. <?page no="249"?> 226 • Kapitel IV: Strategieentwicklung im internationalen Umfeld Ländermatrizen Zur Erstellung einer Ländermatrix wird das Portfolio der Aktivitäten eines Landes in einem bewertet. Die Attraktivität eines Ländermarktes wie zum Beispiel der Türkei erfolgt also über die einzelnen strategischen Geschäftseinheiten hinweg in einem Score. Dies stellt zwar eine Vereinfachung dar, führt jedoch in vielen Fällen zu einer besseren Übersicht über die regional unterschiedlichen strategischen Positionen. Zudem muss erwähnt werden, dass es bei der Erstellung einer solchen Matrix oft auch um die Bewertung der jeweiligen Tochtergesellschaft geht, so dass die Wettbewerbsstärke über verschiedene Geschäftseinheiten häufig sehr stark miteinander korreliert. Außerdem ist die Attraktivität eines nationalen Marktes in vielen Fällen über verschiedene Geschäftseinheiten hinweg zumindest vergleichbar. Insofern ist die genannte Vereinfachung hinnehmbar. Abbildung 108 zeigt eine Geschäftsfeldmatrix, welche für den Bereich Mittlerer Osten/ Afrika eines deutschen Pharma-Unternehmens erstellt wurde. Abbildung 108: Regionale Geschäftsfeldmatrix eines Unternehmens der pharmazeutischen Industrie für den Bereich Mittlerer Osten/ Afrika Die Position der einzelnen Blasen basiert auf der Gesamteinschätzung des jeweiligen Ländermarktes. Die Unterscheidung zwischen potenziellen und bereits existierenden Märkten stellt eine Vorgehensweise dar, welche bei der Anwendung der GE-Matrix stets verfolgt werden sollte. Auch hier kann die Einteilung, welche in der Geschäftsfelddefinition in <?page no="250"?> Kapitel IV: Strategieentwicklung im internationalen Umfeld • 227 Schritt I.a erfolgt ist, herangezogen werden. Im vorliegenden Fall kann das Portfolio durchaus im Sinne der Normstrategien interpretiert werden. Die starken Ländergesellschaften in Saudi-Arabien, Katar und Ägypten stellen den Fokus einer Stabilisierungsstrategie dar. Durch die Ausweitung der regionalen Präsenz in Richtung Osteuropa und der Türkei können jedoch attraktive neue Märkte für die regionale Organisation hinzugewonnen werden. Während die kleineren Märkte in Nordafrika und dem mittleren Osten aufgrund ihrer begrenzten Attraktivität abgeschöpft werden, ist eine Erweiterung in die Länder der vormaligen Sowjetunion eher wenig aussichtsreich. Das hier angedachte Engagement in Usbekistan ist insofern auf den Prüfstand zu stellen. Wie häufig bei der Interpretation einer solchen Matrix ist eine wesentliche Entscheidung bezüglich der in der Mitte platzierten Ländermärkte zu fällen. Ob in diesem Falle Ägypten oder Libanon in den Fokus einer Wachstumsstrategie rücken können oder ob Südafrika als möglicher neuer Markt erschlossen werden kann, muss eine tiefergehende Analyse ergeben. Ländermatrizen sind von zentraler Bedeutung für die Regionalstrategie, sollten jedoch durch eine Aufgliederung in die einzelnen Geschäftsfelder ergänzt werden. Regionale Geschäftsfeldmatrizen Es ist für einzelne Regionalstrategien unumgänglich, eine Analyse pro Geschäftsfeld durchzuführen, also ein Geschäftsfeldportfolio spezifisch für ein Land oder eine Region abzubilden. Das Ergebnis ist im Prinzip mit der Geschäftsfeldmatrix auf Konzernebene vergleichbar, wird aber gemeinhin andere Ausprägungen der einzelnen Kriterien enthalten. Ein Markt, welcher in einem Land als groß zu betrachten ist, erfüllt nicht notwendigerweise die Voraussetzungen eines Umsatzträgers in einer größeren Region oder dem Konzern. Durch den Scoring-Ansatz der GE-Matrix werden diese Werte jedoch wiederum vergleichbar gemacht. So ergibt sich in Ergänzung der eben geschilderten Ländermatrix ein Bild der Geschäftsfeldsituation in jedem einzelnen der analysierten Länder. Entscheidend für den Nutzen einer solchen Analyse ist natürlich, inwiefern die einzelnen Länder oder regionalen Märkte strategische Unterschiede aufweisen. Je höher die Diversität der einzelnen Ländergesellschaften bzw. Ländermärkte ist, desto notwendiger ist eine tiefergehende Einzelanalyse und der Abgleich mit der Konzernmatrix. So wird ein Unternehmen mit einer polyzentrischen Strategie eher dazu tendieren, eine Konzernmatrix aus einzelnen Länderbestandteilen zu aggregieren, als ein Unternehmen, welches eher global ausgerichtet ist. Für das Beispiel, welches in Abbildung 107 dargestellt ist, würde sich also eine Matrix für den türkischen Markt beispielsweise, wie in Abbildung 109 gezeigt, ergeben. <?page no="251"?> 228 • Kapitel IV: Strategieentwicklung im internationalen Umfeld Abbildung 109: Geschäftsfeldmatrix eines Pharma-Unternehmens am Beispiel der Türkei Beide Ausprägungen der GE-Matrix - die Länderbetrachtung und die Geschäftsfeldbetrachtung pro Land - haben ihre Berechtigung und stellen unterschiedliche Perspektiven der Strategiebetrachtung dar. Um von einer der beiden Perspektiven zu einer Gesamtdarstellung der Konzernsituation auf internationaler Ebene zu kommen, ist eine Integration der Einzelergebnisse notwendig. Diese wird im folgenden Schritt dargestellt. Konzernmatrix auf Basis einzelner Länder- oder Regionalmatrizen Eine Konzernmatrix lässt sich, wie bereits angesprochen, auch direkt durch eine Evaluierung der globalen Geschäftseinheiten ermitteln. Die Alternative der Aggregation einzelner Ländermatrizen, die hier dargestellt werden soll, bietet jedoch den Vorteil, dass sie nationale Gegebenheiten berücksichtigt und zu einer Überprüfung des Urteils auf globaler Ebene beitragen kann. Geht man von regionalen Geschäftsfeldmatrizen aus, kann die Aggregation zu einer Konzernmatrix anhand des folgenden Vorgehens erfolgen: Schritt 1: Gewichtung der einzelnen Ländergesellschaften Das methodische Kernproblem bei der Ermittlung der Konzernmatrix stellt sicherlich die Gewichtung der einzelnen Gesellschaften dar. Die Gewichtung der Ländergesellschaft sollte über die Kennzahl erfolgen, welche die Bedeutung des Landes am besten wiedergibt. Oft wird dies der Umsatz sein, es könnten jedoch auch Gewinnanteile sowie wiederum Scores verwendet werden. Aus Gründen der höheren Objektivierung liegt jedoch die Verwendung von Umsätzen nahe. Somit ergibt sich für das Gewicht eines Landes <?page no="252"?> Kapitel IV: Strategieentwicklung im internationalen Umfeld • 229 mit bei bis Ländern U = Konzernumsatz = Umsatz des Landes Schritt 2: Ermittlung der gewichteten durchschnittlichen Wettbewerbsstärke mit = Wettbewerbsstärke des Landes im Konzernverbund = Wettbewerbsstärke der Landesgesellschaft = Score des Kriteriums bei bis Subkriterien = Gewicht des Kriteriums im Land bei Subkriterium bei bis Subkriterien Hierbei beziehen sich die einzelnen Scores und Gewichte auf die jeweils ermittelnden Werte für die Wettbewerbsstärke des Landes Schritt 3: Ermittlung der gewichteten durchschnittlichen Marktattraktivität mit = Marktattraktivität des Landes im Konzernverbund = Wettbewerbsstärke der Landesgesellschaft = Score des Kriteriums bei bis Subkriterien = Gewicht des Kriteriums im Land bei Subkriterium c bei bis Subkriterien Hierbei beziehen sich die einzelnen Scores und Gewichte auf die jeweils ermittelten Werte für die Marktattraktivität des Landes Die resultierende Konzernmatrix ergibt rein konzeptionell ein vergleichbares Bild wie die vorher dargestellte länderspezifische Geschäftsfeldmatrix. Im Gegensatz zu dieser enthält die Konzernmatrix jedoch die aufgrund der oben angegebenen Algorithmen verdichteten Daten und ergibt so ein Gesamtbild der Konzernsituation. Eine mögliche Ausprägung dieser Matrix für das oben genannte Beispiel wird in Abbildung 110 dargestellt. <?page no="253"?> 230 • Kapitel IV: Strategieentwicklung im internationalen Umfeld Abbildung 110: Konzernweite GE-Matrix auf Basis länderspezifischer GE-Matrizen Die Positionen der hier beispielhaft dargestellten strategischen Geschäftsfelder Vitamine, Diabetes, Schmerz, Gastro und Hormone enthalten die vorher definierten gewichteten Mittelwerte der Länder. Hierdurch werden die Unterschiede in der Positionierung der strategischen Geschäftsfelder relativiert. Durch die Mittelwertbildung können Unterschiede in der Positionierung in einzelnen Ländern und Regionen gegeneinander ausgeglichen werden. Dies beinhaltet den Nachteil, dass die einzelnen Werte aus der direkten Aggregation nicht mehr ablesbar sind. Andererseits ergibt sich ein Gesamtwert, welcher durch Einzelländerdaten fundiert ist und bei Bedarf auch in seine Bestandteile heruntergebrochen werden kann. Insofern enthält die Konzernmatrix wertvolle Einzeldaten, welche durch die direkte Erstellung einer Konzernanalyse nicht ermittelt werden können. Ein erheblicher Nutzen der aggregierten GE-Matrix ergibt sich durch einen Vergleich mit der direkt erstellten Konzernmatrix. Sind beide Matrizen deckungsgleich, so resultiert daraus ein konsistentes Bild, welches für gute Kommunikation und zweckmäßige Unternehmensstrukturen spricht. Ergeben sich allerdings größere Abweichungen zwischen den beiden Matrizen, so sind die Abweichungen zu analysieren. Dem Problem der Unterschiedlichkeit der Position eines Geschäftsfeldes zwischen verschiedenen Einzelpositionierungen in den Ländern kann durch eine grafische Darstellung begegnet werden, welche in Abbildung 111 beispielhaft dargestellt wird. Obgleich der aggregierte Wert eines Landes durchaus seine Berechtigung hat, wird in dieser Darstel- <?page no="254"?> Kapitel IV: Strategieentwicklung im internationalen Umfeld • 231 lungsform die Abweichung im internationalen Umfeld durch die Darstellung von Pfeilen, welche die Länderposition wiedergeben, und eine entsprechende Fläche gekennzeichnet. So zeigt sich im dargestellten Beispiel, dass das Geschäftsfeld Vitamine im internationalen Vergleich eine deutlich unterschiedliche Positionierung einnimmt, wohingegen das Geschäftsfeld Diabetes weitgehend einheitlich positioniert ist. Abbildung 111: Kombinierte Länder- und Konzernmatrix Die Schlussfolgerung aus dieser kombinierten Matrix ist im gegebenen Beispiel, dass für das Geschäftsfeld Diabetes eher ein globaler Strategieansatz notwendig ist, wohingegen das Geschäftsfeld Vitamine einen dezentralen Ansatz erfordert, weil die Rolle des Produktes sich zu sehr bezüglich verschiedener Ländermärkte unterscheidet. Im Falle des Beispielunternehmens aus der pharmazeutischen Industrie ist diese Unterscheidung durchaus sinnvoll, da Vitamine je nach Entwicklung des nationalen Gesundheitssystems eine völlig unterschiedliche Rolle spielen, wohingegen ein international patentgeschütztes Produkt in einem therapeutischen Feld wie Diabetes gemeinhin global vermarktet werden sollte. Von der Schlussfolgerung lassen sich aus der Konzernmatrix und ihren Varianten ableiten: (1) Die Normstrategien der Position eines strategischen Geschäftsfeldes gleichen dem Grundkonzept der GE-Matrix: Investition, Selektion und Desinvestition. (2) Die Positionen der Geschäftsfelder sind auf ihre Abweichungen in einzelnen Regionen oder Ländern zu überprüfen. (3) Je stärker die Abweichung ist, desto dezentraler und somit heterogener muss die internationale Strategie eines Geschäftsfeldes aussehen. <?page no="255"?> 232 • Kapitel IV: Strategieentwicklung im internationalen Umfeld (4) Je einheitlicher die Positionierung des Geschäftsfeldes über Länder hinweg ist, desto globaler und somit homogener muss die Strategie des Geschäftsfeldes aussehen. Die GE-Matrix bietet gegenüber dem BCG-Portfolio ein wesentlich breiteres Spektrum an Sachverhalten und Daten, welche in die Analyse mit eingebunden werden können. Hierdurch eignet sie sich besonders für den Einsatz im komplexen Umfeld der internationalen Strategieentwicklung. Die Vielzahl an Informationen wird so komprimiert dargestellt, dass sich eine fokussierte Diskussion über die internationale strategische Ausrichtung führen lässt, ohne dass dabei in hohem Maße auf Details eingegangen werden muss. Dennoch ist die Methode natürlich auch mit Schwächen verbunden. Durch den Scoring- Ansatz ergibt sich fast zwangsläufig eine gewisse Subjektivität, welche dem Konzept oftmals unterstellt wird. Andererseits bietet die GE-Matrix die Möglichkeit, diese Subjektivität durch entsprechende Datenfundierung auf ein Minimum zu reduzieren. Der Hauptvorteil gegenüber weniger mehrdimensionalen Ansätzen ist jedoch darin zu sehen, dass die GE-Matrix nur auf wenigen Annahmen und Prämissen aufbaut und die Ausgestaltung der Position weitgehend dem Bewerter überlässt. Hierdurch wird sie zu einem wertvollen Instrument zur Konsensbildung im komplexen internationalen Umfeld. Eine Variation dieses mehrdimensionalen Ansatzes stellt die Directional Policy Matrix von Shell dar, welche im Folgenden kurz vorgestellt wird. 5.3 Directional Policy Matrix von Shell Abbildung 112 gibt als ein weiteres Beispiel einer mehrdimensionalen Portfolio-Analyse die Directional Policy Matrix von Shell wieder (Wack, P., 1983). <?page no="256"?> Kapitel IV: Strategieentwicklung im internationalen Umfeld • 233 Abbildung 112: Directional Policy Matrix von Shell In diesem Konzept wird beispielsweise die Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens durch die Faktoren Marktstellung, Marketing-, Produktions-, Forschungs- und Entwicklungsfähigkeiten bestimmt. Die Marktattraktivität wird durch die Faktoren Marktwachstum, Markteintrittsbarrieren, Beschaffungsmarktverhältnisse und staatliche Regulierungen erfasst. Anhand dieser Matrix werden unterschiedliche „Strategieempfehlungen“ gegeben. Jedes Unternehmen muss bei einer solchen Analyse jedoch selbst bestimmen, welche Faktoren in seinem Marktsegment für die Bestimmung der Wettbewerbsfähigkeit besonders wichtig sind. Das Gleiche gilt für die Faktoren zur Bestimmung der Marktattraktivität. Wenn auch die Directional Policy Matrix von Shell somit nur ein Beispiel für eine Neun- Felder-Matrix ist, soll doch im Folgenden untersucht werden, welchen Beitrag die Internationalisierung von Unternehmensaktivitäten zu den einzelnen in Abbildung 112 enthaltenen Strategieempfehlungen leistet. Für die „Desinvestition“ und den „phasenweisen Ausstieg“ ist zu überprüfen, ob in den betreffenden Bereichen Know-how vorhanden ist, das weiterhin in einem Land genutzt werden kann, in dem die Marktattraktivität noch hoch genug ist. Dann wäre die Vergabe von Technologieverträgen ins Ausland eine Gewinn bringende Alternative. Eventuell ist das vorhandene Know-how noch dafür zu verwenden, um mit einem ausländischen Unternehmen eine Kooperation einzugehen. Des Weiteren ist zu überprüfen, inwieweit durch eine Internationalisierung der Beschaffung und durch verstärkte Exportanstrengungen Erfahrungskurvenvorteile erzielbar sind, die eine größere Kosteneffizienz ermöglichen, um damit den Ausstieg zeitlich zu verzögern. <?page no="257"?> 234 • Kapitel IV: Strategieentwicklung im internationalen Umfeld Bei den Strategien „Verdoppelung oder Ausstieg“, „vorsichtige Weiterentwicklung“ bzw. „verstärkte Anstrengungen“ muss das Unternehmen untersuchen, ob es ihm möglich ist, langfristig Wettbewerbsvorteile zu erzielen. Das Erreichen der Wettbewerbsfähigkeit hängt in der Shell-Matrix von den Faktoren Marktstellung, Marketing-, Produktionssowie Forschungs- und Entwicklungsfähigkeiten ab. Zwar gelten diese Faktoren nicht allgemein für alle Unternehmen zur Bestimmung der Wettbewerbsfähigkeit, jedoch soll auch an diesen Variablen exemplarisch gezeigt werden, wie sich die Internationalisierung von Unternehmensaktivitäten positiv auf sie auswirkt. Die Marktstellung von Unternehmen wird auf mehrfache Weise durch die Internationalisierung positiv beeinflusst. So ist z.B. durch eine Internationalisierung der Beschaffung, durch Exportsteigerungen über Erfahrungskurveneffekte und durch internationale Kooperationen eine Verbesserung der Marktstellung eines Unternehmens möglich. Auch eine Verbesserung des Images wird durch eine erfolgreiche Auslandstätigkeit erreichbar. Die Produktionsfähigkeiten können durch eine verstärkte Exporttätigkeit aufgrund von Erfahrungskurveneffekten, internationalen Kooperationen bzw. Produktionsverlagerungen ins Ausland erhöht werden. Auch die internationale Beschaffung kann zum gleichen Effekt führen. Eine Internationalisierung des Forschungs- und Entwicklungsbereiches hat ebenso positive Einflüsse auf die Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens wie Kooperationen oder strategische Allianzen auf diesem Gebiet. Die Strategien der „Führerschaft“, des „Wachstums“ und der „reinen Cash-Generierung“ gehen von der Annahme aus, dass das Unternehmen eine überlegene Wettbewerbsfähigkeit besitzt. Hier dient die Internationalisierung von Unternehmensaktivitäten mitunter dazu, diese Position zu verbessern oder zumindest zu halten. Das Unternehmen kann gezielt nach Auslandsmärkten suchen, auf denen es seine Vorteile ausnutzt. Dies ist durch Exporte, eine Direktinvestition oder eine Technologievergabe ins Ausland erreichbar. Durch verstärkte oder erstmalige Exporte erzielt das Unternehmen stärker als bisher Erfahrungskurveneffekte und baut damit seine führende Stellung aus. Direktinvestitionen können einmal zum Erwerb von Konkurrenten im Ausland durchgeführt werden und zum anderen, um auch dort eine führende Position zu erreichen. Technologieverträge ermöglichen es dem Unternehmen, zusätzliche Gewinne zu erzielen, die die Finanzkraft im Inland und damit die Wettbewerbsposition stärken. Darüber hinaus werden internationale Technologieverträge oft abgeschlossen, um internationale Kooperationen zu beginnen, die den Markteintritt für neue Wettbewerber erschweren. 5.4 SWOT-Analyse Die SWOT-Analyse dient der Zusammenfassung der Analyseergebnisse in einem qualitativen Format, welches auf formale, quantitative Strukturen verzichtet. Hier werden die Stärken und Schwächen, welche in der internen Analyse identifiziert wurden, und die Chancen <?page no="258"?> Kapitel IV: Strategieentwicklung im internationalen Umfeld • 235 und Risiken, welche sich aus der externen Analyse ergeben, gemeinsam erfasst (Lynch, R., 2011). Die SWOT-Analyse kann auf verschiedenen Perspektiven beruhend eingesetzt werden. Es ist möglich, sie auf strategische Geschäftsfelder, Funktionalbereiche, aber auch geografische Einheiten anzuwenden. Letzteres ist für die vorliegende Themenstellung von besonderem Interesse, da jedes Land eigene Chancen und Risiken, aber auch zukünftige und gegenwärtige Stärken und Schwächen aufweisen kann (Kutschker, M./ Schmid, S., 2011). Abbildung 113: Internationalisierte SWOT-Analyse Quelle: Kutschker, M./ Schmid, S., 2011 Im Gegensatz zu einer einheitlichen und kaum gegliederten Auflistung der Faktoren wird hier jeder der Faktoren in eine konzernweite und eine länderspezifische Sicht geteilt. Dadurch werden alle in vorherigen Analysen ermittelten Daten verwertet und die Konzentration auf länderspezifische Informationen wird berücksichtigt. Um daraus im nächsten Schritt Normstrategien ableiten zu können, werden die internen und externen Faktoren einander tabellarisch gegenübergestellt. Es ist zu beachten, dass die SWOT-Normstrategien nur Stoßrichtungen vorgeben. Hierbei werden verschiedene Handlungsoptionen präsentiert, welche anschließend auf den bestimmten Fall hin konkretisiert und in mögliche Strategien transferiert werden müssen (Kerth, K./ Asum, H./ Stich, V., 2011). Allerdings werden die SWOT-Normstrategien in der Regel nur auf Konzernebene ausgeführt. Deshalb soll auch hier eine Lösung gefunden werden, die zusätzlichen Daten der einzelnen Länder zu integrieren. In Abbildung 114 werden konzernweite sowie länderspezifische Komponenten bei der Ermittlung von Strategieoptionen gleichermaßen berücksichtigt. <?page no="259"?> 236 • Kapitel IV: Strategieentwicklung im internationalen Umfeld Abbildung 114: SWOT-Normstrategien für verschiedene hierarchische Ebenen Quelle: In Anlehnung an: Kerth, K./ Asum, H./ Stich, V., 2011 Um die Normstrategien richtig ableiten zu können, werden die Stärken, Schwächen, Chancen und Risiken sowohl auf Konzernebene als auch für jedes einzelne Land in einer separaten Tabelle aufgelistet und nach Wichtigkeit geordnet. Diese werden dann innerhalb einer Matrix so kombiniert, dass sich daraus Strategien ableiten lassen. SO-Strategien dienen dem Einsatz von Stärken zur Nutzung von Chancen, ST-Strategien nutzen eigene Stärken, um Risiken abzuwehren, WO-Strategien überwinden eigene Schwächen durch das Nutzen von Gelegenheiten und WT-Strategien versuchen Risiken durch den Abbau von Schwächen aus dem Weg zu gehen (Macharzina, K./ Wolf, J., 2012). Es ergeben sich Strategien für jede geografische Einheit sowie für den Gesamtkonzern, welche nach Wichtigkeit priorisiert sind. Allerdings befinden sich diese nun in mehreren Tabellen, so dass man nicht von einer übersichtlichen Darstellung der Ergebnisse sprechen kann. Um die Masse an entstandenen Strategievorschlägen bewältigen und umsetzen zu können, müssen diese in eine sinnvolle Reihenfolge gebracht werden, wobei es keine Rolle spielt, ob es sich um konzernweite oder länderspezifische Strategien handelt. Einen konkurrenzarmen Ländermarkt mit bestehenden Produkten zu penetrieren, kann genauso lukrativ oder wichtig sein wie die Entwicklung einer neuen Produktreihe auf Konzernebene. Hierzu wird ein Maßnahmenplan erstellt, wobei entschieden werden muss, welche Strategien von besonderem Interesse sind (A-Strategien), welche zwar relevant, aber zunächst nicht allzu wichtig sind (B-Strategien) und welche eine untergeordnete Rolle spielen (C-Strategien). Für die folgende Strategieformulierung ist somit schon ein Fokus auf das Wesentliche gerichtet. Durch die Aufnahme der länderspezifischen Informationen in die SWOT-Analyse und -Normstrategien kann auch die zukünftige Rolle einzelner Länder definiert werden. Ist die <?page no="260"?> Kapitel IV: Strategieentwicklung im internationalen Umfeld • 237 Positionierung von strategischen Geschäftseinheiten in einem bestimmten Ländermarkt von zentraler Bedeutung, um konkurrenzfähig bleiben zu können, so kann dies nur durch die Analyse geografischer Besonderheiten und deren Berücksichtigung in der nun folgenden Strategieformulierung erreicht werden. 6 Strategieformulierung Die Formulierung einer internationalen Strategie erfordert eine Vielzahl von Entscheidungen, welche sich entlang verschiedener Dimensionen anordnen lassen. Eine abschließende Aufzählung dieser Dimensionen ist aufgrund der Komplexität einer Strategie kaum möglich, es lassen sich jedoch gewisse Basisentscheidungen identifizieren, welche im Folgenden aufgeführt werden. 6.1 Dimensionen der internationalen Strategieformulierung Abbildung 115 zeigt die Dimensionen der Strategieentscheidung eines internationalen Unternehmens beispielhaft auf. Neben der eigentlichen Dimension, welche auf der linken Seite der Grafik dargestellt wird, finden sich in den rechten Feldern die jeweils relevanten Basisstrategien der entsprechenden Dimension. Abbildung 115: Dimensionen der internationalen Strategieentwicklung So wird im Rahmen der Entwicklungsrichtung oder des Mitteleinsatzes darüber entschieden, ob ein Geschäftsfeld oder ein international abgegrenzter Bereich Gegenstand einer Investitionsstrategie sein soll, ob ein Wachstum angestrebt wird oder ob ein Zurückziehen auf bestehende Positionen bis hin zu einer Desinvestition sinnvoll ist. Eine generische Entscheidung im Rahmen des internationalen Managements stellt die zweite Dimension dar, in welcher über die Art des angestrebten Wachstums und damit über die Produkt-Marktkombination entschieden wird. An dieser Stelle ist das Instrument der Ansoff-Matrix von zentraler Bedeutung, welche in diesem Abschnitt näher erläutert wird. <?page no="261"?> 238 • Kapitel IV: Strategieentwicklung im internationalen Umfeld Bei Entscheidungen über das Wertschöpfungsmodell steht die Ausgestaltung der Wertschöpfung des Unternehmens im Mittelpunkt. An dieser Stelle muss über Themen wie Mergers & Acquisitions (M&A), Vorwärts- oder Rückwärtsintegration sowie Diversifikation entschieden werden. Die Dimensionen Marktabdeckung und Wettbewerbsstrategie beziehen sich auf die entsprechenden Ansätze von Porter und erfordern eine Entscheidung über die Positionierung gegenüber Wettbewerbern (Kostenführerschaft, Qualitätsführerschaft, hybride Strategien) und die Breite der Abdeckung des Marktes im Hinblick auf beispielsweise eine Nischenstrategie oder eine Gesamtmarktabdeckung. Eine gerade im internationalen Rahmen immer zentraler werdende Kategorie ist die Dimension der Innovationsstrategie. Da die Differenzierung gegenüber internationalen Wettbewerbern aus Ländern mit anderen Kostenstrukturen oftmals nur über eine technologische oder anderweitige Innovationsführerschaft denkbar ist, kommt der Entscheidung über eine „First-Mover“- oder aber „Follower“-Strategie eine wesentliche Bedeutung zu. Letztlich müssen die strategischen Basisentscheidungen in Handlungsempfehlungen und strategische Richtlinien für die einzelnen Funktionsbereiche umgesetzt werden, was im Rahmen der Funktionalstrategien erfolgt. Die genannte Aufzählung ist keinesfalls erschöpfend, bietet aber einen Bezugsrahmen zur Festlegung zentraler strategischer Richtlinien. Für eine detailliertere Darstellung der einzelnen Dimensionen sei auf die Literatur zum nationalen strategischen Management verwiesen (Hungenberg, H./ Wulf, T., 2011; Lombriser, R./ Abplanalp, P., 2010; Müller-Stewens, G./ Lechner, C., 2002). In der praktischen Anwendung wird die Darstellung aus Abbildung 115 im Sinne eines „Strategietableaus“ erweitert. Hierzu werden die Ausprägungen der einzelnen Dimensionen als Entscheidungspunkte grafisch abgebildet und durch eine Kurve verbunden, welche das strategische Profil des Unternehmens darstellt. Im Folgenden werden beispielhaft Instrumente der Ansoff-Matrix und der Porter-Matrix dargestellt, welche sich auf die Strategiedimensionen „Produkt-Marktkombination“ sowie „Wettbewerbsstrategie“ beziehen. Hierbei wird insbesondere auf die Erweiterung eingegangen, welche das jeweilige Instrument im internationalen Umfeld erfährt. 6.2 Wachstumsstrategien: Ansoff-Matrix Ansoff (Ansoff, I.H., 1965) geht bei der Entwicklung seines strategischen Konzeptes von der Frage aus, ob das Unternehmen auf Basis der bisherigen Strategie über genügend Potenziale für die Sicherung eines zukünftigen Unternehmenswachstums verfügt (Meffert, H./ Burmann, C./ Kirchgeorg, M., 2011). Dies untersucht er mit Hilfe des Modells der strategischen Lücke (Ansoff, I.H., 1957). Dabei versteht er unter einer strategischen Lücke die Differenz zwischen der strategischen Zielvorstellung des Unternehmens und dem aktuellen Erfolgspotenzial. <?page no="262"?> Kapitel IV: Strategieentwicklung im internationalen Umfeld • 239 Die Schließung einer vorhandenen strategischen Lücke kann nach Ansoff durch vier Grundbzw. Wachstumsstrategien erreicht werden: durch eine Marktdurchdringungs-, Markterweiterungs-, Produktdifferenzierungs- oder Diversifikationsstrategie. Dabei soll unter der Produktdifferenzierung sowohl die Produktentwicklung als auch -erweiterung verstanden werden, also auch Innovationen erfasst werden. Diese unterschiedlichen Strategien entwickelt er aus einem Produkt-Markt-Mix, wobei er jeweils zwischen der Beibehaltung bestehender oder neuer Produkte oder Märkte unterscheidet. Aus den Dimensionen Produkt und Markt entwickelt Ansoff eine Matrix, die strategische Felder nach dem Neuigkeitsgrad der Märkte und der Produkte klassifiziert (Abbildung 116). Die Abgrenzung in alte und neue Märkte bzw. Produkte erfolgt nach sachlichen Kriterien. Abbildung 116: Ansoff-Matrix Inwieweit die Internationalisierung von Unternehmensaktivitäten zur Schließung der strategischen Lücke beitragen kann, wird zwar von Ansoff nicht explizit analysiert, jedoch lassen sich bei allen von ihm vorgeschlagenen Grundstrategien Ansatzpunkte finden, die implizit für die Aufnahme oder Ausdehnung von Auslandsaktivitäten von Unternehmen sprechen. Diese Ansatzpunkte sollen im Folgenden herausgearbeitet werden. Dazu soll die ursprüngliche Ansoff-Matrix dahingehend erweitert werden, dass die Märkte nicht nur in alt oder neu, sondern auch in In- und Ausland unterschieden werden. Neben der sachlichen wird somit eine räumliche Abgrenzung (national/ international) vorgenommen. Abbildung 117 gibt diese modifizierte Ansoff-Matrix wieder. Abbildung 117: Modifizierte Ansoff-Matrix Abbildung 117 zeigt dabei, dass sich für jede Fundamentalstrategie zwei unterschiedliche Ausprägungen ergeben. Eine Analyse des Beitrags der Internationalisierung von Unternehmensaktivitäten für die allgemeine Unternehmensstrategie muss demnach für jeweils zwei Ausprägungen einer Fundamentalstrategie erfolgen. Auf die Darstellung von Maßnahmen, die zu einer Erreichung der Unternehmensstrategien führen und keinen internationalen Aspekt beinhalten, wird in diesem Zusammenhang verzichtet, da dies nicht primärer Gegenstand des Internationalen Managements ist. <?page no="263"?> 240 • Kapitel IV: Strategieentwicklung im internationalen Umfeld Marktdurchdringung Die Marktdurchdringungsstrategie basiert auf der Zielsetzung des Unternehmens, in alten Märkten mit alten Produkten ein Unternehmenswachstum zu erzielen. Das Wachstum kann dabei durch folgende Maßnahmen erreicht werden (Aaker, D., 2001): Erhöhung des Marktanteils oder Steigerung der Produktverwendung durch Steigerung der Nutzungsfrequenz und/ oder der Nutzungsmenge sowie durch neue Anwendungen bei bestehenden Nutzern. Eine Marktanteilssteigerung bei einer Marktdurchdringungsstrategie wird durch Leistungsbzw. Kostenvorteile gegenüber der Konkurrenz erreicht. Alte Märkte können im modifizierten Ansoff-Konzept Inund/ oder Auslandsmärkte sein. Die Marktdurchdringungsstrategie beinhaltet die Stärkung einer vorhandenen Wettbewerbsposition im Inund/ oder Ausland. Damit lassen sich, wie aus Abbildung 117 deutlich wird, zwei Ausprägungen einer Marktdurchdringungsstrategie unterscheiden, die mit Marktdurchdringungsstrategie 1 (MD 1 ) und Marktdurchdringungsstrategie 2 (MD 2 ) bezeichnet werden sollen. Im Folgenden wird untersucht, welchen Beitrag die Internationalisierung von Unternehmensaktivitäten zu einer erfolgreichen Umsetzung dieser Strategien leistet. Bei der Marktdurchdringungsstrategie 1 (MD 1 ), die sich nur auf das Inland bezieht, kann die Internationalisierung der Unternehmensaktivitäten zu Leistungs- und Kostenvorteilen führen. Ist das Unternehmen bereits im Ausland tätig, so kann es anhand verstärkter Exporte Erfahrungskurvenvorteile durch eine bessere Ausnutzung der inländischen Kapazitäten erzielen. Der Ruf, im Ausland erfolgreich zu sein, kann eine Imagesteigerung im Inland zur Folge haben. Ansoff konzentriert sich bei seiner Betrachtung nur auf die Absatzseite des Unternehmens und vernachlässigt damit die Beschaffungsseite. Kostenvorteile, die sich im Inland in Preisvorteile umwandeln lassen, sind aber z.B. auch durch die Internationalisierung der Beschaffung zu erreichen. Gerade die Anstrengungen, die heute in vielen Unternehmen im Hinblick auf das Global Sourcing gemacht werden, zeigen, dass sich Unternehmen von der Internationalisierung des Beschaffungsbereiches erhebliche Kostenvorteile versprechen, die ihre Wettbewerbsposition stärken sollen. Des Weiteren kann die Verlagerung der Produktion in das kostengünstigere Ausland im Inland zu einer Kostensenkung führen, die einen Wettbewerbsvorteil begründet. Die Lizenznahme von einem ausländischen Unternehmen (z.B. für eine Prozesstechnologie) ist eine weitere Möglichkeit, im Inland kostengünstiger zu produzieren. Bei der Marktdurchdringungsstrategie 2 (MD 2 ) will das Unternehmen seine Marktdurchdringung im Ausland erhöhen. Damit wird vorausgesetzt, dass das Unternehmen bereits Aktivitäten auf dem Auslandsmarkt ausübt. Die Intensivierung dieser Auslandsaktivitäten ermöglicht dem Unternehmen wie bereits bei der Marktdurchdringungsstrategie 1 (MD 1 ), Kostenvorteile z.B. durch verstärkte Exportanstrengungen aus dem Inland zu <?page no="264"?> Kapitel IV: Strategieentwicklung im internationalen Umfeld • 241 erzielen. Diese Kostenvorteile lassen sich aus Erfahrungskurveneffekten ableiten. Auch in diesem Fall verbessert sich die Kostensituation des Unternehmens im In- und Ausland. Durch das Auslandsgeschäft wird darüber hinaus eine Verbesserung von Prozesstechnologien ermöglicht. Abbildung 118: Exporttätigkeit und Erfahrungskurve Abbildung 118 verdeutlicht anhand der Erfahrungskurve beide Effekte mit ihren Auswirkungen auf die Stückkosten von exportierenden im Vergleich zu nicht exportierenden Unternehmen in Abhängigkeit von der Ausbringungsmenge . Eine weitere Möglichkeit zur Verbesserung der Wettbewerbsposition im In- und Ausland ist die Übernahme eines Konkurrenten. Die verbesserte Ausnutzung von bestehenden Forschungs- und Entwicklungseinrichtungen im Ausland sowie die Verlagerung von Produktionen alter Erzeugnisse aus Kostengründen ins Ausland können ebenfalls Elemente einer erfolgreichen Marktdurchdringungsstrategie sein. Eine günstigere Beschaffung von Ressourcen im Ausland fördert eine erfolgreiche Marktdurchdringungsstrategie im In- und Ausland. Aus dieser kurzen Darstellung wird deutlich, dass der potenzielle Beitrag der Internationalisierung von Unternehmensaktivitäten für eine Marktdurchdringungsstrategie beträchtlich ist. Markterweiterung Als zweite strategische Grundkonzeption betrachtet Ansoff die Markterweiterung. Bei ihr sucht das Unternehmen nach neuen Märkten für bestehende Produkte, wobei der Markt in In- und Ausland unterschieden werden kann. Dementsprechend soll im Folgenden zwischen der Markterweiterungsstrategie 1 (ME 1 ), die sich auf das Inland bezieht, und der Markterweiterungsstrategie 2 (ME 2 ), die sich auf das Ausland erstreckt, differenziert werden. Auch hier ist zu untersuchen, wie die Internationalisierung von Unternehmensaktivitäten die beiden Markterweiterungsstrategien unterstützt. Handelt es sich um ein für das Unternehmen altes Produkt, das auf einem neuen Inlandsmarkt abgesetzt werden soll (Markterweiterungsstrategie 1; ME 1 ), dann bezieht sich die Markterweiterungsstrategie nur auf eine neue Verwendungsart des Produktes oder auf die Erschließung neuer Käufergruppen für das Erzeugnis, z.B. durch eine zielgruppenspezifi- <?page no="265"?> 242 • Kapitel IV: Strategieentwicklung im internationalen Umfeld sche Preispolitik. Für die Entwicklung der Markterweiterungsstrategie 1 (ME 1 ) ist die Internationalisierung dann relevant, wenn bei der Bildung des neuen Marktsegments Kostengesichtspunkte bedeutsam werden. Auch hier leistet die Internationalisierung der Beschaffung einen Beitrag zur Kostensenkung. Imagegesichtspunkte, z.B. im Ausland erfolgreich zu sein, können ebenfalls bei der Marktpositionierung für bestimmte Zielgruppen förderlich sein. Es ist auch denkbar, dass ein Konkurrenzunternehmen im Ausland aufgekauft wird. So kann das Unternehmen ein neues Marktsegment mit einem alten Produkt im Inlandsmarkt bedienen, das bisher von dem erworbenen Unternehmen beliefert wurde. Die Markterweiterungsstrategie 2 (ME 2 ) geht davon aus, dass ein altes Produkt auf einem Auslandsmarkt neu eingeführt wird. Der Eintritt in einen neuen Auslandsmarkt ist insbesondere dann Erfolg versprechend, wenn das Unternehmen über produkt- oder prozesstechnologische Vorteile verfügt. Die Markterweiterungsstrategie ins Ausland kann in der Form des Exportes, der Direktinvestition oder des Abschlusses eines Technologievertrages erfolgen. Basiert die Markterweiterung auf Exporten, dann wird es dem Unternehmen möglich, Erfahrungskurveneffekte zu erzielen. Eine Direktinvestition im Ausland kann durch den Aufbau einer eigenen Tochtergesellschaft, die Gründung eines Gemeinschaftsunternehmens oder durch den Erwerb eines ausländischen Unternehmens erfolgen. Auch bei dieser Strategie kommt es oft zu Erfahrungskurveneffekten. Darüber hinaus können sich Vorteile aus dem Forschungs- und Entwicklungs-, dem Personal- und dem Beschaffungsbereich ergeben. Die Vergabe von vorhandenen Technologien ins Ausland in Form von Technologieverträgen ermöglicht es dem Unternehmen, sich einen Marktzugang zu verschaffen. Damit kann das Unternehmen Informationen über den Auslandsmarkt gewinnen und Gewinnvorteile aus den Gebühren der Technologievergabe erzielen. Die Markterweiterungsstrategie 2 (ME 2 ) ist damit weitgehend eine „klassische“ Internationalisierungsstrategie, die zur Schließung der strategischen Lücke beiträgt. Produktdifferenzierung Bei der Produktdifferenzierungsstrategie betrachtet Ansoff ein für das Unternehmen neues Produkt, das auf den alten Märkten des Unternehmens angeboten wird. Auch bei der Produktdifferenzierungsstrategie sollen die bestehenden Märkte in In- und Ausland unterteilt werden. Daraus ergeben sich die Produktdifferenzierungsstrategie 1 (PD 1 ), bei der das neue Produkt auf dem alten Inlandsmarkt verkauft wird, und die Produktdifferenzierungsstrategie 2 (PD 2 ), bei der das neue Produkt auf dem bereits von dem Unternehmen bedienten Auslandsmarkt abgesetzt wird. Für die Produktdifferenzierungsstrategie 1 (PD 1 ) kann die Internationalisierung der Unternehmensaktivitäten zunächst im Hinblick auf die Ideenfindung für neue Produkte interessant sein. So können Produkte im Ausland existieren, die im Inland noch nicht oder noch nicht in dieser Verwendungsform bekannt sind. Dazu sind Marktforschungsaktivitä- <?page no="266"?> Kapitel IV: Strategieentwicklung im internationalen Umfeld • 243 ten im Ausland erforderlich. Das Image, beispielsweise auch im Ausland als Technologieführer anerkannt zu werden, kann die Stellung des Unternehmens im Inland als Marktführer fördern. Von Seiten der internationalen Beschaffung sind Impulse für eine Produktdifferenzierung möglich, wenn z.B. neue Materialien im Ausland eingesetzt werden müssen, weil der Einsatz der bisher verwendeten Materialien verboten wurde. Neue Produktanforderungen im Ausland, z.B. der in den USA maximal zulässige Benzinflottenverbrauch von Automobilherstellern, wirken sich ebenfalls auf die Produktdifferenzierungsstrategie im Inland aus. Technologische Durchbrüche im Ausland führen möglicherweise dazu, dass Produkte im Inland neu konzipiert werden müssen, wenn das Unternehmen national und international wettbewerbsfähig bleiben will. Durch den Kauf eines Unternehmens im Ausland wird es dem Unternehmen möglich, einen Zugriff auf neue Technologien zu erlangen. Auch die Lizenznahme von einem ausländischen Unternehmen (z.B. für eine neue Produkttechnologie) eröffnet dem Unternehmen die Möglichkeit, eine Produktdifferenzierungsstrategie zu betreiben. Die Produktdifferenzierungsstrategie 2 (PD 2 ) betrachtet ein Produkt, das im bisher von dem Unternehmen bearbeiteten Ausland neu ist. Die Verwertung des neuen Produktes wird durch Export, eine Direktinvestition oder eine Technologievergabe möglich. Verfügt das Unternehmen bereits über eine eigene Tochtergesellschaft im Ausland, so kann diese die Produktion der neuen Erzeugnisse übernehmen. Exportiert das Unternehmen das Produkt ins Ausland, so sind im Inland Erfahrungskurveneffekte erzielbar, die die Wettbewerbsposition des Unternehmens nicht nur im Ausland, sondern auch im Inland verbessern. Der Kauf eines Unternehmens im Ausland versetzt das Unternehmen in die Lage, einen Zugang zu neuen Produkten zu erhalten. Eine Internationalisierung der Forschungs- und Entwicklungstätigkeiten wirkt sich u.U. ebenfalls positiv auf die Produktdifferenzierungsstrategie 2 (PD 2 ) aus. Durch eine Lizenzvergabe an ein ausländisches Unternehmen wird diesem eine Produktdifferenzierungsstrategie ermöglicht. Die dabei erzielbaren Gebühren können zur Deckung des Forschungs- und Entwicklungsaufwandes im Inland verwendet werden. Darüber hinaus führt dies i.d.R. zu einer Risikominderung im Zusammenhang mit hohen Forschungs- und Entwicklungsaufwendungen. Diversifikation Bei der Diversifikationsstrategie geht ein Unternehmen mit neuen Produkten in neue Märkte. Auch bei der Diversifikationsstrategie lassen sich für die vorliegende Analyse zwei Arten unterscheiden, je nachdem, ob der neue Markt im Inland (Diversifikationsstrategie 1; DI 1 ) oder im Ausland liegt (Diversifikationsstrategie 2; DI 2 ). Die Gründe für eine Diversifikation sind sehr vielschichtig. Im Kern lassen sich die Ziele von Diversifikationsstrategien in zwei Kategorien einteilen: die Steigerung der Rendite und die Reduktion von Risiken. <?page no="267"?> 244 • Kapitel IV: Strategieentwicklung im internationalen Umfeld Das Renditeziel kann durch den Eintritt in neue Märkte und/ oder durch Synergie-Effekte erreicht werden. Dem Ziel der Risikoreduktion versuchen Unternehmen durch eine Risikoausgleichsfunktion sowie durch eine Stabilisierungsfunktion der Diversifikation und durch eine Erhöhung des Flexibilitätsgrades nachzukommen. Die Diversifikationsstrategie 1 (DI 1 ) fördert durch eine Ausweitung des ökonomischen Horizontes auf das Ausland oft die Ideenfindung. So ist mitunter das Produkt zwar im Ausland bekannt, aber im Inland noch unbekannt, so dass bei einer Produktionsaufnahme durch das inländische Unternehmen in seinem Heimatmarkt ein neues Marktsegment entsteht. Ansonsten sind wie bei der Produktdifferenzierungsstrategie 1 (PD 1 ) positive Imageeffekte möglich. Auch die dort besprochenen neuen Produkt- oder Materialanforderungen im Ausland können zu der Diversifikationsstrategie 1 (DI 1 ) führen. Welche Bedeutung eine Internationalisierung von Unternehmensaktivitäten für die Entwicklung einer Diversifikationsstrategie 2 (DI 2 ) hat, soll im Folgenden näher betrachtet werden. Wie bereits dargestellt, hat die Diversifikationsstrategie zum Ziel, eine Steigerung der Rendite und/ oder eine Reduktion der Risiken zu erreichen. Der Zusammenhang zwischen Auslandsaktivitäten, der Renditeerwartung und dem Risiko wird aus Abbildung 119 deutlich. Abbildung 119: Mean-Variance-Analyse Die oben angeführte Abbildung basiert auf dem Grundgedanken einer Mean-Variance- Analyse. Unterstellt man, dass in dem Heimatland des Unternehmens eine Kurve I 1 zwischen der erwarteten Rendite und der Varianz dieser Rendite besteht und geht man davon aus, dass ein Unternehmen sein Risiko, gemessen an der Varianz, in Höhe von V 1 beschränken will, dann kann es in dem Heimatland von einer maximalen Renditeerwartung in Höhe von R 1 ausgehen. Trägt man in die gleiche Grafik die Kurve anderer Länder ein, wie z.B. durch I 2 und I 3 angedeutet wird, dann wird es für das Unternehmen durch eine Aufnahme von Exporten, Direktinvestitionen oder Technologievergaben möglich, in diesen Ländern bei gleichem Risiko eine höhere maximale Renditeerwartung (R 2 bzw. R 3 ) zu <?page no="268"?> Kapitel IV: Strategieentwicklung im internationalen Umfeld • 245 erreichen oder die gleiche Renditeerwartung bei einem niedrigeren Risiko zu erzielen. Das Land, das durch die Kurve I 3 charakterisiert wird, ist für eine Auslandsaktivität vorteilhafter als das Land mit der Kurve I 2 . Theoretisch ließe sich mit der Mean-Variance-Analyse auch ein optimaler Pfad für die Länder, in die das Unternehmen gehen sollte, sowie ein optimales Portfolio der Auslandsaktivitäten ableiten. Zusammenfassung Die Analyse von Ansoff beschränkt sich auf die Betrachtung absatzorientierter Wachstumsstrategien. Ansoff lässt in seiner Matrix offen, wie neue Absatzmärkte im In- und Ausland ausgewählt und mit welchen Markteintrittsstrategien gearbeitet werden soll. Einige Ansatzpunkte allgemeiner Art lassen sich aus seinem Modell für die Marktbearbeitungsstrategie (z.B. Penetrations- oder Produktdifferenzierungsstrategie) im In- und Ausland ableiten. Auch auf der Produktseite lässt Ansoff offen, wie neue Produkte entwickelt werden sollen und welche Probleme insbesondere bei der Einführung neuer Produkte in neue Märkte entstehen. Untergliedert man jedoch die Marktseite nicht nur in alt und neu, sondern auch in In- und Ausland, dann wird deutlich, dass Unternehmen, die der allgemeinen Unternehmensstrategie von Ansoff folgen, eine Internationalisierung ihrer Unternehmensaktivitäten als sinnvoll erachten. Der Ansatz von Ansoff mit den Strategien MD 2 , ME 2 , PD 2 und DI 2 führt bei einer solchen Überlegung zu unterschiedlichen absatzorientierten Internationalisierungsaktivitäten. Die Reduktion der Erklärungsvariablen auf den Neuigkeitsgrad der Märkte und der Produkte führt jedoch zu einer starken Vereinfachung der komplexen Zusammenhänge, die mit der Internationalisierung von Unternehmen einhergehen. Hinter den Variablen alte/ neue Produkte und/ oder Märkte steht ein ganzes Theoriegebäude von Erklärungsansätzen, wie im Ausland Bestehendes besser ausgenutzt oder Neues besser entwickelt bzw. ökonomisch besser verwertet werden kann. Auch Erklärungsansätze im Sinne von Rückkoppelungen von Auslandsaktivitäten auf Inlandsaktivitäten werden von Ansoff nicht explizit berücksichtigt. 6.3 Internationale Wettbewerbsstrategie: Porter-Matrix Prinzip der Porter-Matrix In den 1980er Jahren untersuchte Porter (Porter, M.E., 1985), welche Wettbewerbsvorteile für eine erfolgreiche Unternehmensstrategie relevant sind und in welchen Märkten sie ausgenutzt werden können. In einer späteren Veröffentlichung hat Porter ein Globalisierungskonzept vorgelegt (Porter, M.E., 1989b). Dieses wird im Zusammenhang mit den Konzepten zur Formulierung von Internationalisierungsstrategien näher betrachtet (Kapitel V). Im Folgenden wird nur auf die Porter-Matrix zur Formulierung einer allgemeinen Unternehmensstrategie eingegangen. <?page no="269"?> 246 • Kapitel IV: Strategieentwicklung im internationalen Umfeld Als strategische Wettbewerbsvorteile unterscheidet er Wettbewerbsvorteile aus der Leistung und aus der Kostensituation. Diese Wettbewerbsvorteile kann ein Unternehmen in Gesamt- oder Teilmärkten ausnutzen. Damit kommt Porter zu den vier in Abbildung 120 genannten Unternehmensstrategien. Bei der Differenzierung auf dem Gesamtmarkt nutzt das Unternehmen Leistungsvorteile aus. Beispiele hierfür bieten Unternehmen wie IBM, BMW, aber auch japanische Unternehmen wie Sony, Nikon oder Seiko. Bei einer Kostenführerschaftsstrategie nutzt ein Unternehmen seine Kostenvorteile im Gesamtmarkt aus. Als Beispiele für eine Kostenführerschaftsstrategie sind insbesondere viele japanische Unternehmen zu nennen, die ihre Kostenvorteile weltweit als strategischen Wettbewerbsvorteil einsetzen (z.B. japanische Chiphersteller oder Automobilproduzenten). Verfügt ein Unternehmen über Leistungsvorteile auf bestimmten Teilmärkten, spricht Porter von einer „focused differentiation“. Diese Strategie wird beispielsweise von Unternehmen wie Rolex oder Cartier verfolgt. Konzentriert sich ein Unternehmen auf einzelne Teilmärkte, auf denen es Kostenvorteile hat, bezeichnet dies Porter mit „cost focus“. Als Beispiele sind hier Skoda und südkoreanische sowie taiwanesische Unternehmen zu nennen. Abbildung 120: Porter-Matrix Die Glockenkurve in Abbildung 121 verdeutlicht, dass es in der Regel keine überlegene oder unterlegene Strategie innerhalb der vier genannten Basisstrategien gibt. Unternehmen können die gleiche Rendite erwirtschaften, unabhängig davon, ob sie eine Teilmarkt- oder eine Gesamtmarktstrategie verfolgen. Wichtig erscheint nur, dass sie eine klare strategische Grundkonzeption verfolgen. Empirisch ist die Glockenkurve jedoch sehr umstritten, so dass der dort formulierte Zusammenhang noch einer weiteren wissenschaftlichen Durchdringung bedarf (Barzen, D./ Wahle, P., 1990; Buzzel, R./ Gale, P., 1989; Weise, A.D., 2013). <?page no="270"?> Kapitel IV: Strategieentwicklung im internationalen Umfeld • 247 Abbildung 121: Rentabilität und Marktanteil Bedeutung der Internationalisierung für die Strategieentwicklung im Rahmen der Porter-Matrix Porter hat die Bedeutung der Internationalisierung von Unternehmensaktivitäten für die Formulierung seiner vier Unternehmensstrategien nicht explizit untersucht. Um diese Analyse durchzuführen, soll im Folgenden der Gesamtmarkt in der Porter-Matrix in Inlands- und Auslandsmarkt unterteilt werden. Dabei soll für die Analyse noch nicht unterschieden werden, wie viele Märkte das Unternehmen im Ausland bedient. Abbildung 122 gibt die so modifizierte Porter-Matrix wieder. Abbildung 122: Modifizierte Porter-Matrix Aus Abbildung 122 ergibt sich, dass die vier Unternehmensstrategien von Porter in jeweils zwei Ausprägungen unterschieden werden müssen. Im Folgenden wird untersucht, welchen Beitrag die Internationalisierung von Unternehmensaktivitäten zu den einzelnen Unternehmensstrategien leistet. Die Differenzierungsstrategie 1 (DS 1 ) betrachtet nur den inländischen Markt als Gesamtmarkt. Produktvorteile, die durch eine Internationalisierung von Unternehmensaktivitäten erzielbar sind, resultieren für das Unternehmen z.B. daraus, dass es auf bestimmten Gebieten (z.B. Technologieführerschaft, Anzahl weltweiter Patente, Lizenzvergaben ins Ausland) weltweit erfolgreich ist und als Rückkopplungseffekt ein gutes Image für die Produkte im Inland entsteht. So ermöglichen z.B. Erfolge auf bestimmten Gebieten im Inland (u.a. als anerkannter Technologieführer) in den USA oder in Japan eine entsprechende Werbung, um eine produkttechnologische Führerschaft zu unterstreichen. In diesem Zusammenhang ist es auch bedeutsam, mit welcher Markteintritts- oder -bearbei- <?page no="271"?> 248 • Kapitel IV: Strategieentwicklung im internationalen Umfeld tungsstrategie das Unternehmen im Ausland tätig wird. Oft sind spektakuläre Exporterfolge (z.B. die Bezeichnung als Exportweltmeister) in diesem Zusammenhang werbewirksamer als Direktinvestitionen oder die Vergabe von Technologieverträgen ins Ausland. Bei der Internationalisierung der Beschaffung ist bei der Differenzierungsstrategie, wenn sie sich auf Qualitätsvorteile bezieht, zu beachten, dass keine negativen Wirkungen aus dieser Tatsache auf das Qualitätsimage des Unternehmens ausgehen. Die Gefahr besteht vor allem dann, wenn Materialien oder Teile aus Ländern bezogen werden, deren Qualitätsimage im Inland in Frage gestellt wird. Die Differenzierungsstrategie 2 (DS 2 ) geht davon aus, dass das Unternehmen im In- und Ausland über produkttechnologische Wettbewerbsvorteile verfügt. Produkttechnologische Wettbewerbsvorteile, die das Unternehmen aus der Internationalisierung von Unternehmensaktivitäten gewinnt, können z.B. aus einer Globalisierung der Forschung und Entwicklung stammen. Erfahrungskurveneffekte, die aus dem größeren Absatzmarkt resultieren, ermöglichen eine Verbesserung der Produktqualität. Die Internationalisierung von Unternehmensaktivitäten im Rahmen der Differenzierungsstrategie 2 wird durch Exporte, Direktinvestitionen im Ausland oder durch Technologievergaben ins Ausland möglich. Die Erhöhung der Absatzmenge durch eine Bedienung der Auslandsmärkte über Exporte führt zu einer Senkung der Qualitätskosten pro Stück. Durch den Kauf von Konkurrenzunternehmen im Ausland, die über ein bestimmtes Qualitäts-Know-how verfügen, kann die Differenzierungsstrategie unterstützt werden. Daneben ist es dem Unternehmen möglich, durch eine Direktinvestition im Ausland eine größere Marktnähe zu erreichen, was u.U. die Entwicklung adäquaterer Produkte für das betreffende Land fördert. Mit Hilfe von Technologievergaben ins Ausland besteht die Möglichkeit, dass das Unternehmen zusätzliche Gewinne generiert, die zur Deckung der eigenen Forschungs- und Entwicklungskosten beitragen. Auch bei der Differenzierungsstrategie 2 sind Imageeffekte zu beachten. Misserfolge im Ausland können als Negativbeispiele eine inländische Differenzierungsstrategie gefährden. Bei der Kostenführerschaftsstrategie 1 (KS 1 ) nutzt das Unternehmen Kostenvorteile auf dem Inlandsmarkt aus. Exporte ermöglichen ihm, über Erfahrungskurveneffekte Kostenvorteile im Inland zu erzielen oder zu steigern. Aus einer Internationalisierung der Beschaffung können weitere Kostenvorteile resultieren. Der Erwerb von Technologien aus dem Ausland (z.B. von Prozesstechnologien) verhilft ihm, Kostenvorteile im Inland besser auszunutzen. Direktinvestitionen im Ausland führen zu kostengünstigen Produktionsstandorten für die Herstellung von Erzeugnissen, die im Inland verkauft werden. Die Kostenführerschaftsstrategie 2 (KS 2 ) geht davon aus, dass das Unternehmen auf in- und ausländischen Märkten über Kostenvorteile verfügt. Diese Kostenvorteile kann das Unternehmen durch Exporte verbessern oder erhalten. Durch Exporte nutzt das Unternehmen schneller als bei einer rein nationalen Marktausrichtung die Erfahrungskurveneffekte aus. Direktinvestitionen im Ausland ermöglichen es dem Unternehmen, eine Stand- <?page no="272"?> Kapitel IV: Strategieentwicklung im internationalen Umfeld • 249 ortverlagerung verschiedener Aktivitäten dergestalt vorzunehmen, dass diese jeweils am kostengünstigsten Ort lokalisiert werden. Auch eine Internationalisierung der Beschaffung trägt oft zu globalen Kostenvorteilen bei. Durch eine Vergabe von überlegenen, d.h. kostengünstigeren Prozesstechnologien ins Ausland können Gewinne erzielt werden, die den eigenen Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten gutzuschreiben sind. Bei der Differenzierungsstrategie 3 (DS 3 ) werden produkttechnologische Wettbewerbsvorteile auf einem inländischen Teilmarkt ausgenutzt. Die Differenzierungsstrategie 3 profitiert oft davon, dass Imageeffekte aus sonstigen Auslandsaktivitäten des Unternehmens auf den Inlandsmarkt übertragen werden. Auch eine Globalisierung der Forschung und Entwicklung ermöglicht es dem Unternehmen, die Nische im Inland zu verteidigen. Die Einschränkungen, die bereits für die Differenzierungsstrategie 1 in Bezug auf die internationale Beschaffung vorgenommen wurden, gelten auch für die Differenzierungsstrategie 3. Die Differenzierungsstrategie 4 (DS 4 ) geht davon aus, dass das Unternehmen im In- und Ausland solche Teilmärkte bedient, auf denen es produkttechnologische Vorteile hat. Exporte, Direktinvestitionen und Technologievergaben ins Ausland können die Differenzierungsstrategie 4 unterstützen. Durch Exporte kumuliert das Unternehmen auch für kleine Nischen in den verschiedenen Ländern größere Produktionsmengen im Inland, so dass Erfahrungskurveneffekte entstehen. Daneben gestatten Exporte dem Unternehmen, die Qualitätskosten pro Stück zu senken. Durch Direktinvestitionen im Ausland wird es möglich, entweder Konkurrenten aufzukaufen (z.B. um Zugang zu besseren Produkttechnologien zu erlangen) oder eine größere Marktnähe zu erreichen (z.B. zur Entwicklung adäquater Produkte für das betreffende Land). Durch eine Technologievergabe ins Ausland erzielt das Unternehmen wiederum zusätzliche Gewinne, die zur Deckung der eigenen Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten beitragen. Das Image einer weltweiten Marktführerschaft auf einem bestimmten Teilgebiet wirkt sich u.U. positiv auf die Differenzierungsstrategie 4 aus. Eine Globalisierung der Forschung und Entwicklung kann für eine weltweite Verteidigung der Nische förderlich sein. Bei der Kostenführerschaftsstrategie 3 (KS 3 ) wird unterstellt, dass ein Unternehmen auf einem inländischen Teilmarkt Kostenvorteile ausnutzt. Die Kostenführerschaftsstrategie 3 wird oft durch eine internationale Beschaffungspolitik gefördert. Darüber hinaus unterstützt eine Produktionsverlagerung auf kostengünstige Standorte im Ausland diese Strategie im Inland. Durch den Kauf von Technologien aus dem Ausland werden mitunter Kostenvorteile durch die Einsparung eigener Forschungs- und Entwicklungskosten erreicht. Die Kostenführerschaftsstrategie 4 (KS 4 ) basiert auf der Annahme, dass ein Unternehmen auf dem in- und ausländischen Teilmarkt Kostenvorteile besitzt. Diese Strategie kann durch Exporte, Direktinvestitionen oder Technologievergaben ins Ausland unterstützt werden. Exporte ermöglichen es dem Unternehmen, Erfahrungskurveneffekte zu erzielen, die sich aus der weltweiten Akkumulation der Nachfrage in den verschiedenen Teilmärkten <?page no="273"?> 250 • Kapitel IV: Strategieentwicklung im internationalen Umfeld ergeben. Unter Umständen führt eine Internationalisierung der Beschaffung zu einer Verbesserung der Kostensituation des Unternehmens. Durch Direktinvestitionen im Ausland können kostengünstige Produktionsstandorte ausgenutzt werden. Kostenvorteile erlauben es dem Unternehmen, Konkurrenten im Ausland aufzukaufen, die kostenungünstiger arbeiten. Durch den Kauf von Technologien aus dem Ausland können eigene F&E- Ausgaben eingespart werden. Basieren die Kostenvorteile auf einer überlegenen Prozesstechnologie, dann ist es dem Unternehmen möglich, diese auch anderweitig zu verwerten, um damit zusätzliche Gewinne zu erzielen. Aus der dargestellten Analyse wird deutlich, dass die strategischen Grundkonzepte DS 2 , KS 2 , DS 4 und KS 4 aus der modifizierten Porter-Matrix Unternehmen dazu führen, Internationalisierungsaktivitäten zu entwickeln. Da diese oft erst punktuell beginnen, sehen sich Unternehmen i.d.R. noch nicht gezwungen, für diese Aktivitäten im Rahmen ihrer allgemeinen Unternehmensstrategie eine eigene Internationalisierungsstrategie zu entwickeln. Erst wenn diese Aktivitäten eine gewisse Bedeutung für den gesamten Unternehmenserfolg erlangen, wird die Formulierung einer eigenständigen Internationalisierungsstrategie relevant. Die dynamischen Aspekte der Betrachtung von Strategien, die auf Produkt- oder Kostenbzw. Prozesstechnologien aufbauen, wurden von Gilbert/ Strebel (Gilbert, X./ Strebel, P., 1987) dargestellt. Zwar beziehen sich Gilbert und Strebel nicht direkt auf die Porter-Matrix, jedoch sind ihre Ausführungen als eine Ergänzung der Porter-Analyse aufzufassen und sollen deshalb an dieser Stelle näher betrachtet werden. Abbildung 123: Technologiepfade westlicher und asiatischer Unternehmen Abbildung 123 verdeutlicht die typischen Unterschiede in der Strategieentwicklung westlicher und asiatischer Unternehmen. Nach Gilbert und Strebel bevorzugen die Unternehmen der westlichen Industrieländer meist die Entwicklung von produkttechnologischen Wettbewerbsvorteilen und konzentrieren sich erst dann auf Maßnahmen zur Kostensenkung (Prozesstechnologien), wenn produkttechnologische Verbesserungen nur noch sehr be- <?page no="274"?> Kapitel IV: Strategieentwicklung im internationalen Umfeld • 251 grenzt oder gar nicht mehr erreicht werden können. Japanische Unternehmen verfolgen nach Gilbert und Strebel i.d.R. den umgekehrten Weg. Sie nutzen zunächst die Kostenvorteile aus einer überlegenen Prozesstechnologie, ehe sie dann, wenn auch diese nicht mehr beträchtlich verbessert werden kann, eine überlegene Produkttechnologie anstreben. Dabei gibt es jedoch auch Ausnahmen, wie der französische Kugelschreiber-Hersteller BIC verdeutlicht. BIC produzierte zunächst nur billigste Kugelschreiber, bevor auf neuere Produkte umgestiegen wurde. Insofern ist die Darstellung von Gilbert und Strebel zwar eine Vereinfachung der Wirklichkeit, gibt aber einen allgemeinen Trend wieder. Interessant erscheint in jüngster Zeit, dass sich die Unternehmen der westlichen Welt und Japans in ihren Strategien immer stärker annähern und sich damit auch die internationalen Wettbewerbsvorteile zwischen den beiden Wirtschaftsblöcken zunehmend angleichen. Unternehmen westlicher Industrieländer streben heute vielfach nach einer Kostenführerschaft, während sich die Japaner immer mehr in die Richtung einer Differenzierungsstrategie, insbesondere in Form einer Qualitätsführerschaft, bewegen. Die Matrix in Abbildung 123 zeigt die Annäherungspfade auf. Die Präferenzen in der Technologieentwicklung westlicher und japanischer Unternehmen spiegeln auch die Unterschiede in der Managementauffassung der beiden Kulturkreise wider. Heute versucht man, durch die Methoden des „simultaneous (concurrent) engineering“ und des „Kaizen“ (permanente Verbesserungen) in Japan und zunehmend auch in westlichen Industrieländern eine gleichzeitige Verbesserung von Produkt- und Prozesstechnologien zu erreichen. Ziel ist es dabei, dass sowohl westliche als auch japanische Unternehmen versuchen, eine „Outpacing-Strategie“ zu verfolgen, die sowohl eine Kostenals auch eine Produkttechnologieführerschaft beinhaltet. Die Erarbeitung einer internationalen Strategie ist ein multidimensionaler Vorgang, welcher auch nur begrenzt durch Instrumente und Vorgehensweisen unterstützt werden kann, sondern die Kreativität und das unternehmerische Denken der Entscheider herausfordert. Umso mehr kommt es häufig zu der durchaus erwünschten Situation, dass verschiedene Alternativen als strategische Stoßrichtung konkurrieren. Deren Bewertung und Auswahl ist Gegenstand des folgenden Schrittes des Sanduhr-Prozesses. 7 Strategiebewertung Basierend auf der Strategieformulierung gilt es, die Auswahl derjenigen Strategieoptionen sicherzustellen, welche den Unternehmenswert maximieren oder aber die strategischen Ziele des Unternehmens bestmöglich erreichen. Insofern beinhaltet die Wahl der Methodik der Strategiebewertung ein implizites Werturteil über die Bedeutung verschiedener Ziele und die Berücksichtigung verschiedener Anspruchsgruppen: die Perspektive der Shareholder oder weiter gefasst der Stakeholder. <?page no="275"?> 252 • Kapitel IV: Strategieentwicklung im internationalen Umfeld Im Folgenden wird die finanzielle Bewertung von der qualitativ-strategischen Bewertung getrennt behandelt, wobei ein Schwerpunkt auf der finanziellen Bewertung liegt, weil diese methodisch durch weitaus mehr Instrumente unterstützt werden kann. 7.1 Finanzielle Bewertung 7.1.1 Wertmanagement als Bezugsrahmen Um eine Strategie finanziell zu bewerten, müssen deren finanzielle Auswirkungen abgeschätzt und im Hinblick auf die Schaffung eines optimalen Unternehmenswertes evaluiert werden. Hierzu bietet das Wertmanagement einen Bezugsrahmen, welcher wiederum auf den Shareholder-Value-Ansatz zurückgeht. Der Shareholder-Value-Ansatz (Copeland, T.E./ Koller, T./ Goedhart, M./ Wessel, D., 2010; Rappaport, A., 1999), einerseits als eigenständiger Ansatz, aber oftmals auch als ein Teilbereich der Stakeholderorientierung betrachtet, entstand aus der Kritik an traditionellen Zielgrößen wie dem Gewinn oder der Umsatzrendite. Insbesondere die Einflüsse von buchhalterischen Vorgängen wie Abschreibungen oder Rückstellungsbildung lassen diese Größen als alleinigen Maßstab zur Kontrolle der Unternehmensführung als unzulänglich erscheinen (Bea, F.X./ Haas, J., 2012). So werden gegenwartsnahe Strategien (z.B. Abschöpfung), die weitgehend auf grundlegende Forschung und Entwicklung oder langfristige Marketingaktivitäten verzichten, mit einem hohen „Return on Investment“ belohnt. Langfristige Strategien wie beispielsweise der Ausbau der internationalen Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten, die mit hohen Investitionen in den Anfangsjahren verbunden sind, wirken hingegen unvorteilhaft. Indem Manager bevorzugt den Gewinn der Periode maximieren, handeln sie zu ihrem eigenen Vorteil und auf Kosten der Anteilseigner. Zwischen einem vom Rechnungswesen ermittelten Gewinn und dem Vermögen der Anteilseigner besteht aber nahezu kein Zusammenhang. Die Kritik am buchhalterischen Gewinn beruht auf den vielfältigen Abschreibungs- und Bewertungsmöglichkeiten, der Nichtberücksichtigung des Risikos, der Nichtbeachtung zukünftiger Finanzierungszwänge und der Nichtberücksichtigung des Zeitwertes des Geldes. Für die Investoren am Kapitalmarkt ist ein Unternehmen jedoch nur dann erfolgreich und besitzt einen hohen Wert, wenn der Barwert des freien Cashflows die im Aktienkurs implizit enthaltenen Renditeerwartungen übersteigt (Hasler, P.T., 2011; Copeland, T.E./ Koller, T./ Goedhart, M./ Wessel, D., 2010; Unzeitig, E./ Köthner, D., 2000). Der Shareholder Value als zukunftsbezogene ökonomische Nutzgröße errechnet sich durch die Diskontierung zukünftiger, wahrscheinlicher Geldflüsse an die Anteilseigner. Diese Geldflüsse kommen den Anteilseignern in Form von Dividenden, Kapitalrückzahlungen oder als Steigerung des Wertes ihrer Anteile zu (Rappaport, A., 1998). <?page no="276"?> Kapitel IV: Strategieentwicklung im internationalen Umfeld • 253 Zur Berechnung des Shareholder Value kann das Modell des Discounted-Cash-Flow (DCF)-Ansatzes herangezogen werden (Bea, F.X./ Haas, J., 2012). Der Vorteile dieser Methode sind die: (1) Verwendung des freien Cashflows als ungeglättete, um betriebsfremde, aperiodische und außerordentliche Ergebnisse bereinigte Größe; (2) Einbeziehung der Kapitalstruktur, der Finanzierungskosten und des Risikos; (3) Bereitstellung einer Zielgröße für das Unternehmen, durch deren Verwendung eine Übereinstimmung mit den Informationsbedürfnissen und Entscheidungsregeln der Kapitalgeber geschaffen wird; (4) systematische Abbildung der Dynamik von Entwicklungen durch Zuordnung der finanziellen Ergebnisse zu einzelnen Perioden und Berücksichtigung des Restwertes zur Einbeziehung der langfristigen Auswirkung der Strategie. Der Shareholder-Value-Ansatz macht den Zusammenhang strategischer und finanzieller Leistungsstärke einerseits und dem Marktwert der Aktien bzw. Anteile andererseits transparent und beeinflussbar. Vor allem dann, wenn zur langfristigen Sicherung des Unternehmens oder von Konzernteilen die strategische Ausrichtung hinterfragt wird, zeigt sich der Nutzen des Shareholder-Value-Ansatzes. Die traditionellen Erfolgsmaßstäbe des Rechnungswesens können dies nicht leisten. Die Berechnung des Discounted Cash-Flow folgt derselben Logik wie die Kapitalwertmethode bzw. der Net-Present-Value-Ansatz. Abbildung 124: Berechnung des Shareholder Value <?page no="277"?> 254 • Kapitel IV: Strategieentwicklung im internationalen Umfeld Nicht zu vergessen ist, dass auch weiterhin die kreative Leistung des Managements für die Höhe des Shareholder Value ausschlaggebend ist und nicht die Art und Weise seiner Messung (Welge, M.K./ Al-Laham, A., 2012; Kilroy, D.B./ McKinley, M.T., 1997). Weitere Anwendungsfelder dieses Ansatzes sind die Unternehmensbewertung, Bewertung von Investitionsvorhaben, die Steuerung und Beurteilung von dezentralen Einheiten im globalen Netzwerk, Entscheidungshilfe bei der Portfoliooptimierung auf Konzernebene, Beurteilungshilfe und Vergütungsmaßstab von Mitarbeitern und das Investor Relations Management (Michel, U., 1996). Die gesellschaftliche Akzeptanz des Shareholder-Value-Ansatzes als zentrales Controlling- Instrument ist jedoch abhängig von dem spezifischen Umfeld, in dem das Unternehmen arbeitet. Nicht zuletzt aufgrund der traditionell höheren Bedeutung der aktienbasierten Eigenkapitalfinanzierung findet der Ansatz in angelsächsischen Ländern weit höhere Akzeptanz als z.B. in kontinentaleuropäischen Ländern und stellt dort schon seit langem den Standard der Unternehmens- und Strategiebewertung dar. Obgleich diese Entwicklung in Ländern mit weniger ausgebildeter Kapitalmarktkultur wie zum Beispiel Deutschland mit deutlichem Zeitverzug einsetzte, kommen auch Unternehmen aus diesen Regionen durch den Druck des internationalen Kapitalmarkts nicht um eine vergleichbare Bewertung umhin. 7.1.2 Erstellung eines Bewertungsmodells Die Bewertung einer internationalen Strategieoption erfordert entsprechend der eben geschilderten Logik zunächst die Ermittlung des Cashflows der entsprechenden Strategiealternativen. Die Strategiealternativen werden aufgrund des vorhergehenden Schrittes IV des Strategieprozesses ermittelt und stellen die Grundlage für die Strategiebewertung dar. Die Modellierung eines Bewertungsmodells enthält eine Vielzahl zu berücksichtigender Variablen und stellt insofern eine erhebliche Herausforderung für die strategische Planung dar. Dennoch ist ein solches Modell eine wichtige Grundlage für die Entscheidung über internationale Strategien, auch wenn die Modellierung jeglicher Strategieoption mit nicht unerheblichen Unsicherheiten verbunden ist. Das Bewertungsmodell enthält die Prognose der wichtigsten Zahlungsströme in der strategischen Planungsperiode. Diese kann je nach Branche von sehr unterschiedlicher Länge sein, wird jedoch gemeinhin einen Zeitraum von fünf bis zehn Jahren abdecken. In Branchen, in denen dieses aufgrund der Langfristigkeit der Investitionen notwendig ist, kann der Planungszeitraum weit über zehn Jahre hinausgehen. So erfordert die Entwicklung eines neuen pharmazeutischen Wirkstoffs beispielsweise ca. acht Jahre. Ähnliches gilt für die langfristige Planung von Energiequellen oder Investitionen in Großprojekte wie Kraftwerke etc. Für diesen Zeitraum enthält das Modell die wesentlichen Umsatzströme sowie die zu erwartenden Investitionen und die Kosten des laufenden Geschäftes. Aufgrund der Länge des Planungszeitraums müssen die Kostenkategorien (wie bspw. Logistik, Vertrieb, <?page no="278"?> Kapitel IV: Strategieentwicklung im internationalen Umfeld • 255 Herstellkosten) oft als Prozentsatz oder Näherungswert geplant werden. Hierbei bildet häufig eine Plan-Gewinn-und-Verlustrechnung (GuV) den Ausgangspunkt, welche dann um Cash-relevante Elemente wie Investitionen und Abschreibungen erweitert wird. Output ist ein Verlauf des Cashflows über den Planungszeitraum hinweg: Dieser lässt sich letztlich in einer einzigen Zahlungsreihe abbilden. Abbildung 125 zeigt beispielhaft den Verlauf der Cashflow-Prognose dreier Strategiealternativen im Vergleich zur Status-quo- Planung. Abbildung 125: Cashflow-Verläufe verschiedener internationaler Strategiealternativen Die hier als Option 2, 3 oder 1 dargestellten Alternativen für die zukünftige Gestaltung der Strategie stellen Variationen des Status quo dar, welche finanziell und strategisch zu bewerten sind. Abbildung 125 zeigt beispielhaft das Ergebnis der finanziellen Bewertung, welches auf Cashflow-Daten basiert. Im vorliegenden Falle kann die Strategieoption 1 schnell ausgeschlossen werden, da sie schon von der Status-quo-Planung dominiert wird. Auch der Status quo stellt keine wertmaximierende Alternative dar, da Option 2 und Option 3 in jeder Planungsperiode mindestens den gleichen Cashflow erreichen. Die zu klärende Frage ist jedoch, inwiefern Option 2 oder Option 3 relativ vorteilhafter sind. Um diese Entscheidung zu fällen, muss aus den vorliegenden Cashflow-Kurven eine zentrale Bewertungsgröße gebildet werden. Hierzu bietet der DCF-Ansatz die Konzentration auf eine zu bewertende Zahl als Lösung. Der DCF liefert eine absolute Größe, welche in Geldeinheiten dargestellt wird. Die Strategiealternative mit dem höchsten DCF ist aus rein finanzieller Sicht auszuwählen. Meistens wird diese Spitzenkennzahl aber durch weitere Kennzahlen ergänzt, welche die Profitabilität und das Risiko der Strategie abbilden. Hierfür können zum Beispiel die „Internal Rate of Return“, das Kapitalverhältnis oder die Amortisationsdauer hinzugezogen werden (Kruschwitz, L., 2011; Horngren, C.T./ Harrison, W.T./ Oliver, M.S., 2012). Auf der anderen Seite ist die Analyse natürlich um die erheblichen Risiken zu ergänzen, welche im internationalen Umfeld eine Rolle spielen. <?page no="279"?> 256 • Kapitel IV: Strategieentwicklung im internationalen Umfeld 7.1.3 Internationale Strategiebewertung unter Risiko Das internationale Umfeld impliziert erhöhte Risiken, welche sich in der Schwankungsbreite finanzieller Variablen niederschlagen. Umsätze, Preise, Absatzvolumina und Kosten werden durch das heterogene Umfeld beeinflusst und sollten insofern einer besonderen Risikobetrachtung unterzogen werden. Zur Abbildung dieser Risiken muss die Unsicherheit bezüglich einzelner Variablen in ihrer Auswirkung auf den Cashflow modellhaft abgebildet werden. „In fact, all risk in an investment ultimately can be expressed by one method: the ranges of uncertainty on the cost and benefits“ (Hubbard, D.W., 2010). Mit dieser Aussage stellt Hubbard klar, dass die letztlich interessierende Unsicherheit diejenige ist, welche sich in den Finanzströmen niederschlägt. Außerökonomische Betrachtungen dienen hierbei nur als beeinflussende Rahmenvariablen. Um diese risikoabhängige Variation von Kosten und Nutzen abzubilden, bieten sich verschiedene Ansätze an: Sensitivitätsanalysen zur Quantifizierung einzelner Teilrisiken Tornado-Charts zur Visualisierung der Auswirkungen von Teilrisiken auf die Gesamtstrategie Monte-Carlo-Simulationen zur simultanen Betrachtung der gesamten Risikostruktur einer Strategie Realoptionsmodelle zur gleichzeitigen Berücksichtigung von Risiko und Flexibilität bei der Strategieumsetzung Diese werden im Folgenden kurz dargestellt. Sensitivitätsanalysen und Tornado-Charts Das Prinzip der Sensitivitätsanalyse ist es, die DCF-Berechnung, welche einer internationalen Strategiebewertung zugrunde liegt, in einzelnen Punkten bzw. Einflussfaktoren zu variieren (Schierenbeck, H./ Lister, M., 2002). Hierdurch wird es ermöglicht, den Hebel, den Einzelvariablen auf das Gesamtergebnis haben, visuell und quantitativ darzustellen. Im einfachsten Fall einer Sensitivitätsanalyse werden einzelne Variablen des Bewertungsmodells vom Basisfall ausgehend modifiziert, um so die Auswirkungen auf die Gesamtbewertung, also den DCF, aufzuzeigen. Natürlich ist es hierbei naheliegend, diejenigen Variablen zu modifizieren, welche einen erheblichen Einfluss auf das Modell haben. Dies erfordert jedoch wiederum eine quantitative Analyse dieses Einflusses. Oft konzentriert man sich bei finanziellen Bewertungsmodellen auf diejenigen Variablen, deren Annahmen strittig oder deren Werte schwer zu quantifizieren sind. Die Gefahr ist hierbei, diejenigen Variablen zu vernachlässigen, die zwar einigermaßen gut abschätzbar sind, deren Einfluss aber deutlich höher ist, als jener der strittigen oder sehr unsicheren Variablen. So kann es beispielsweise bei der Bewertung einer Innovationsstrategie zu intensiven Diskussionen über die Höhe des Forschungs- und Entwicklungsbudgets kommen, weil dessen optimale Höhe sehr unsicher ist und eine wichtige Entscheidungsvariable <?page no="280"?> Kapitel IV: Strategieentwicklung im internationalen Umfeld • 257 darstellt. Es könnte jedoch sein, dass eine nur marginale Veränderung der erzielbaren Preisposition im Markt den Effekt einer möglichen Veränderung des Forschungs- und Entwicklungsbudgets bei weitem überwiegt. Insofern kann eine geringe Verbesserung der letztgenannten Einflussgröße einen viel höheren Effekt haben. Um eine solche auf subjektiven Einschätzungen basierende Fehlallokation der Aufmerksamkeit („Management Attention“) zu vermeiden, bietet sich die parallele Modifikation mehrerer oder aller Variablen des Modells in einer Darstellung an. Diese kann in Form eines Tornado-Charts visualisiert werden. Abbildung 126: Tornado-Chart zur Strategieanalyse Diese in Abbildung 126 dargestellte Auswertung stellt das Ergebnis einer multiplen Sensitivitätsanalyse komprimiert dar und bildet somit ein Risikoprofil der Gesamtstrategie ab. Die beidseitigen Balken auf der Mittelachse geben den Einfluss der jeweiligen Variable auf den DCF der Strategie wieder, wenn diese um einen fixen Prozentsatz von zum Beispiel 10% variiert wird. Auf der rechten Seite wird dabei der positive Einfluss auf den DCF, auf der linken Seite hingegen der negative Einfluss gezeigt. Die Farben stehen für die Art der Auswirkung der Variablen: Eine Variable, welche sich bei einer Steigerung negativ auf den DCF auswirkt (z.B. Entwicklungskosten), zeigt einen dunkelblauen Balken auf der rechten Seite, wohingegen eine sich positiv auswirkende Variable diesen auf der linken Seite abbildet. Die Höhe der Balken entspricht der relativen Veränderung des DCF einer prozentualen Veränderung der Variable. Wahlweise kann der resultierende absolute DCF neben den beiden Balken gezeigt werden. Das Tornado-Chart sieht insofern einfach aus, enthält aber eine Vielzahl komprimierter Informationen. Im vorliegenden Falle würde sich eine Verkürzung der Entwicklungsdauer um 10% in der Höhe von 20 Mio. € positiv auf den DCF der jeweiligen Strategie auswirken. Eine entspre- <?page no="281"?> 258 • Kapitel IV: Strategieentwicklung im internationalen Umfeld chend längere Entwicklungsdauer hingegen hat einen negativen Effekt von in diesem Falle 60 Mio. €. Die Dominanz der Entwicklungsdauer als Einflussvariable lässt darauf schließen, dass diese Variable den entscheidenden Erfolgsfaktor für die Umsetzung der Strategie darstellt. Das Risikoprofil dieser Variable wäre in diesem Falle unausgeglichen. D.h., dass eine Variation nach oben betragsmäßig deutlich andere Auswirkungen hat als eine entsprechende Variation nach unten. Dies liegt an nichtlinearen Zusammenhängen im zugrundeliegenden Planungsmodell. So könnte es im vorliegenden Falle sein, dass der Erfolg der Strategie entscheidend von der rechtzeitigen Markteinführung einer Innovation abhängt. Eine deutlich frühere Einführung würde entsprechend höhere Abschöpfungsgewinne implizieren, eine Verspätung aber den Wert der Innovation erheblich schmälern. Eine solche Situation besteht zum Beispiel bei der Einführung eines neuen Wirkstoffs im Pharmabereich. Solange dieser „First in Class“ ist, also der erste verfügbare Wirkstoff dieser Art, kann der Innovationsvorteil finanziell ausgenutzt werden. Bei einer erheblichen Verspätung sinkt jedoch nicht nur die Vermarktungsdauer, sondern durch den Eintritt anderer Wettbewerber wird ein wesentlicher Vorteil eingebüßt. Der nicht-lineare Effekt kommt zum Tragen und der DCF bricht eventuell bis in das negative Spektrum ein. Im Ergebnis zeigt das Tornado-Chart also nicht nur die Auswirkungen der einzelnen Variablen, sondern liefert eine - wenn auch grobe - Abschätzung bezüglich eines „Worst Case“ und eines „Best Case“. Während das dargestellte Tornado-Chart sich auf eine Gesamtstrategie bezieht, können bei der internationalen Strategieentwicklung auch Darstellungen hilfreich sein, welche die Rolle einzelner Länder und das damit verbundene Risiko wiedergeben. Oftmals können einzelne Investitionen in Ländergesellschaften entscheidend für den Gesamtwert einer Strategie und damit die Zukunft des Konzerns sein. Dies zeigt sich am Beispiel der Firma ThyssenKrupp, deren strategischer Erfolg durch zwei fehlgeschlagene Investitionen in Ländergesellschaften im Jahre 2012 so stark beeinflusst wurde, dass der finanzielle Erfolg des Gesamtkonzerns stark gefährdet wurde. Durch die oben aufgeführten Darstellungen können die Auswirkungen einzelner Länderengagements auf die Gesamtstrategie visualisiert und erfasst werden, um so das Auswirkungsprofil einzelner Investitionen besser abschätzen zu können. Ein noch weitergehender Schritt ist die Durchführung einer Monte-Carlo-Simulation. Monte-Carlo-Simulation Im Gegensatz zur Sensitivitätsanalyse, welche die Variation einzelner Variablen in den Mittelpunkt stellt, erlaubt die Monte-Carlo-Simulation sowohl die Variation aller als auch einzelner Variablen, um so zu einem Gesamtmodell zu kommen. Erstmals erwähnt wurde der Begriff der Monte-Carlo-Simulation in einem Beitrag aus dem Jahre 1949, in dem mathematische Probleme statistisch unter Verwendung von Zufallszahlen gelöst wurden (Charnes, J.M., 2012). Zuvor nutzte jedoch schon der Kernphysiker Enrico Fermi im Jahre 1930 diese Form der Simulation, um das Verhalten von Neutronen zu berechnen (Hubbard, D.W., 2010). Benannt wurde die Simulation nach dem Spielcasino in <?page no="282"?> Kapitel IV: Strategieentwicklung im internationalen Umfeld • 259 Monte-Carlo, da eine Ähnlichkeit mit einem Roulettetisch besteht, der im Grunde einem Zufallsgenerator entspricht (Klein, M., 2011a). Auch der Ausgangspunkt der Monte-Carlo- Simulation basiert auf dem Gedanken eines Zufallsgenerators. Um das Risiko abzubilden, werden die Variablen des Bewertungsmodells mit einer Wahrscheinlichkeitsverteilung belegt, die deren Risikostruktur widerspiegelt. Anstatt eine Annahme zu treffen, wie hoch beispielsweise der Wechselkurs, die Wachstumsrate oder der Marktanteil im Rahmen einer Strategieoption ist, wird pro Variable eine gewisse Schwankungsbreite unterstellt. Diese wird im Rahmen einer Wahrscheinlichkeitsverteilung abgebildet. Es können hierbei auch Abhängigkeiten in Form von Korrelationen zwischen den einzelnen Variablen definiert werden, z.B., dass der Ölpreis positiv mit dem Dollarkurs korreliert ist. Als Ergebnis kann man deren Wirkung auf die entsprechende Zielgröße wie DCF, Unternehmenswert, Marktanteil etc.) beobachten (Klein, M., 2011a). Folgende Schritte werden im Rahmen einer Monte-Carlo-Simulation zur Bewertung einer Interzahlstrategie durchlaufen: Erstellung des Planungsmodells zur Strategiebewertung (Base Case) Das Planungsmodell besteht in der Regel aus einer Cashflow-Betrachtung, in der die zukünftigen Zahlungsüberschüsse der Strategieoptionen im internationalen Rahmen prognostiziert werden. Zusätzlich werden Risikovariablen identifiziert und deren Einfluss auf die Zahlungsströme wird in das Modell übernommen. Im internationalen Umfeld sind dies oft Wechselkurse, Preise, regionalspezifische Marktanteile oder Einzeldaten wie der Zeitpunkt des Eintritts in einen bestimmten Markt oder das Volumen einer strategischen Investition. Je nach Art der Modellierung wird hierbei eine Trennung in drei Kategorien vorgenommen: Annahmen (Assumption parameters) Entscheidungsvariablen (Decision parameters) Abhängige Variablen (Forecast results) Annahmen sind diejenigen Risikofaktoren, über deren Höhe sich das Unternehmen unsicher ist, bspw. Inflation, Wechselkursschwankungen. Die Entscheidungsvariablen stellen keine Schätzung oder Annahme dar, sondern beinhalten die unternehmerische Entscheidung im Rahmen der jeweiligen Strategieoption. Die eigentliche Prognose des Wertes der Strategie muss schließlich als abhängige Variable definiert werden, um sie als Ergebniswert zu kennzeichnen. Dieser kombiniert die Werte der Annahme- und der Entscheidungsvariablen und berechnet das DCF-Ergebnis einer Strategieoption. Definition von Verteilungen und Abhängigkeiten Um die passende Verteilung der jeweils zu betrachtenden Variable zu bestimmen, sollten sämtliche Faktoren aufgelistet werden, die den Zustand dieser Variable beeinflussen könnten. Schließlich wird die Verteilung gewählt, durch die die Variable am besten beschrieben <?page no="283"?> 260 • Kapitel IV: Strategieentwicklung im internationalen Umfeld wird (Klein, M., 2011a). Die Anwendung der Monte-Carlo-Simulation erfordert gemeinhin eine Software-Unterstützung, da die Vielzahl der Berechnungen äußerst komplex ist. Die verfügbaren Softwarelösungen bieten die Möglichkeit, unterschiedliche Verteilungen der Variablen auch ohne eine spezifisch mathematische Modellierung auszuwählen. Abbildung 127 zeigt einige typische Verteilungen, welche bei der Strategiemodellierung Einsatz finden. Die Modellsammlungen der meisten Softwarelösungen enthalten jedoch meist weitaus mehr Optionen, die hier dargestellten sind lediglich als beispielhaft zu verstehen. Abbildung 127: Beispiele von Verteilungsannahmen Falls historische Daten verfügbar sind, kann auch diejenige Verteilung ausgewählt werden, welche den historischen Werten entspricht. Hierbei muss allerdings validiert werden, ob die vergangenheitsbezogenen Werte tatsächlich eine geeignete Zukunftsprognose im Sinne einer Extrapolation zulassen. Da die einzelnen Risikovariablen selten eine völlige Unabhängigkeit aufweisen, müssen zudem die Einflüsse untereinander dargestellt werden. Hierfür bedient man sich einer Korrelationsmatrix. Hierbei wird ausgedrückt, ob sich die identifizierten Werttreiber und Risiken kompensieren, gar nicht beeinflussen oder sich gegenseitig verstärken. Bei einer Korrelation von 1 (-1) sind beide Inputvariablen perfekt positiv (perfekt negativ) linear abhängig. Bei einer Korrelation von null besteht kein linearer Zusammenhang (Klein, M., 2011a). Durchführung der Simulation Die eigentliche Simulation generiert Zufallsvariablen, unterstellt also Ergebnisse aufgrund der Simulation, und zeigt anschließend die Ergebnisse auf. Dieser Vorgang wird im Rahmen der Simulation vielfach, z.B. bis zu 10.000 Mal, wiederholt, wobei die Anzahl der Iterationen festzulegen ist, welche die Qualität der Simulation natürlich beeinflusst. Der Vorgang gleicht dem Entscheidungsmodell des „Ziehens mit Zurücklegen“. <?page no="284"?> Kapitel IV: Strategieentwicklung im internationalen Umfeld • 261 Abbildung 128: Vorgehensweise der Monte-Carlo-Simulation Nachdem die Ergebnisverteilung durch multiple Berechnung der interessierenden Zielgröße bestimmt wurde, können statistische Werte wie Erwartungswert, Standardabweichung als zweiseitiges Risikomaß, Schiefe, Wölbung etc. zur Interpretation abgelesen werden (Klein, M., 2011c). Hieraus kann somit ein Chancen-/ Risikoprofil der jeweiligen Strategieoption erstellt werden. Abbildung 128 zeigt diese Vorgehensweise im Überblick. Auswertung & Analyse Die verschiedenen Simulationsprogramme bieten umfangreiche Darstellungsmöglichkeiten wie beispielsweise Histogramme oder kumulative Verteilungsfunktionen (Klein, M., 2011b). Mithilfe der gewonnenen Informationen über die risikobedingte Schwankungsbreite des DCF können auf dieser Basis auch statistisch fundierte Entscheidungen gefällt werden. Voraussetzung ist natürlich, dass die Annahmen entsprechend realistisch getroffen wurden. Das Problem der Unsicherheit kann durch die Monte-Carlo-Simulation nicht gelöst werden, die Alternative zu einer risikoattestierten Bewertung ist jedoch immer eine „naive“ direkte Abschätzung. Dieser ist die Verwendung von Methoden der Risikobewertung gemeinhin überlegen. Im Vordergrund steht immer das Abwägen zwischen Risiko und finanziellem Ergebnis (Risk/ Return), nicht die Ableitung eines absolut „richtigen“ Modells. <?page no="285"?> 262 • Kapitel IV: Strategieentwicklung im internationalen Umfeld Der große Vorteil der Monte-Carlo-Simulation liegt somit darin, Aussagen zu treffen, welche das Risiko der Variante mit einschließen. Hierzu gehören zum Beispiel Aussagen wie „mit einer Wahrscheinlichkeit von 80 Prozent liegt der DCF bei mindestens 60 Mio. Euro“. Wahrscheinlichkeit und Ziel-DCF können dabei modifiziert werden, um so in der Diskussion über die Strategiebewertung verschiedene Risikoeinstellungen bzw. -annahmen zu simulieren und die Robustheit der Ergebnisse besser zu verstehen. Selbst bei Divergenz der Annahmen ergibt sich zumindest ein Spektrum, welches die möglichen Ergebnisse fassbar macht. Insofern ist diese Methode gerade für die komplexe internationale Strategiebewertung sehr hilfreich und erlaubt zudem vielfache zusätzliche Auswertungsmöglichkeiten (Charnes, J.M., 2012), welche hier nicht alle im Detail besprochen werden sollen. Software-Unterstützung Auf dem Markt werden verschiedene Lösungen zur Unterstützung der Monte-Carlo- Simulation angeboten, welche gemeinhin auch andere Instrumente umfassen, wie zum Beispiel Sensitivitätsanalyse, Entscheidungsbäume, Tornado-Charts. Die wohl bekanntesten Lösungen basieren auf der Software Microsoft ® Excel und sind als Add-on verfügbar. Hier sind insbesondere die beiden Lösungen Crystal Ball von der Firma Oracle ® und @Risk von der Firma Palisade ® zu erwähnen. Beide Softwarepakete sind Beispiellösungen und vorgefertigte Anwendungen für verschiedenste Bereiche der Risikosimulation. Es existieren jedoch auch integrierte Pakete, welche nicht auf einer Standardsoftware basieren, sondern eigenständige Datenbanken mit einer integrierten Strategielösung anbieten, wie zum Beispiel die Software Pipeline Planner. Beispielhaft wird in Abbildung 129 ein Screenshot aus dieser integrierten Lösung dargestellt, welcher Ergebnisse verschiedener Instrumente zeigt. <?page no="286"?> Kapitel IV: Strategieentwicklung im internationalen Umfeld • 263 Abbildung 129: Softwaregestützte Strategieanalyse am Beispiel der Software „Pipeline Planner“ Quelle: Schrank, R./ Schug, K., 2013 Der Vorteil einer Monte-Carlo-Simulation ist es, innerhalb des Modells nicht nur die Risiken adäquat und breit zu bewerten, sondern auch mögliche positive Einflussfaktoren („Upsides“) zu berücksichtigen. Viele Organisationen beurteilen ihre Risiken mithilfe von Ampelfarben oder anhand einer qualitativen Skala („niedrig“; „mittel“; „hoch“). Allein die Frage, wie hoch ein „mittleres Risiko“ tatsächlich ist, kann diese Vorgehensweise teilweise entkräften (Hubbard, D.W., 2010). Anwendung in der Internationalisierungsplanung Wie der Einfluss des Risikos auf die Internationalisierung durch die Monte-Carlo- Simulation dargestellt werden kann, lässt sich anhand einer Simulation aufzeigen (Schrank, R./ Schumacher, M., 2012). Im hier dargestellten Modell wurde die Internationalisierungsentscheidung bezüglich einer Anzahl von zwölf Ländermärkten durch einfache Annahmen über Korrelationen zwischen Umsatzbzw. Cashflow-Entwicklung und dem Wachstum des Bruttosozialproduktes modelliert, wobei zentralen Risikotreibern mit dem Wechselkurs, der Inflation, dem Wachstum der Volkswirtschaft etc. entsprechende Wahrscheinlichkeitsverteilungen zugewiesen wurden. Diese basieren größtenteils auf Zeitreihen historischer Werte bzw. Prognosen des IMF und anderer Organisationen. Ohne an dieser Stelle auf die spezifischen Details des Modells einzugehen, lässt sich anhand von Abbildung 130 aufzeigen, welche Risikotreiber den größten Einfluss auf den DCF eines Markteintritts, in diesem Falle Deutschland bzw. Brasilien, haben. <?page no="287"?> 264 • Kapitel IV: Strategieentwicklung im internationalen Umfeld Es handelt sich bei dem Modell in allen Ländern um die gleiche Investitionssumme sowie um das gleiche Wachstum der Cashflows, das lediglich mit dem Wachstum des BIP korreliert (Koeffizient +0,8). Einfluss auf das Ergebnis nehmen exemplarisch im Fall von Brasilien insbesondere die Wechselkursschwankungen und die Inflation. Dies wird auch durch die Betrachtung der Sensitivität (Beitrag zur Varianz) deutlich. Es ist nahe liegend, dass die Schwankungsbreite und die absolute Höhe von Inflation und Wechselkurs deren Sensitivität im Falle von Brasilien deutlich erhöhen. Abbildung 130: MC-Simulation - Sensitivität Deutschland vs. Brasilien (Ausschnitt) Quelle: Schrank, R./ Schumacher, M. (2012) In Bezug auf die Form der Internationalisierung (Markteintritt) können nun verschiedene Handlungsoptionen aufgezeigt werden, wofür eine Darstellung in Form einer Risk/ Return- Matrix sinnvoll ist. Auf der vertikalen Achse ist hier der Mittelwert des DCF aus der Simulation abgetragen, die Standardabweichung des DCF (hier Risiko) ist auf der horizontalen Achse eingezeichnet. Die Größe der Blasen repräsentiert das Marktvolumen, hier exemplarisch durch die Bevölkerungszahl approximiert. Die gestrichelte Linie in der Mitte zeigt eine beispielhafte Risikotoleranzgrenze des Unternehmens auf, welche eine maximal akzeptable Standardabweichung im DCF angibt. <?page no="288"?> Kapitel IV: Strategieentwicklung im internationalen Umfeld • 265 Abbildung 131: MC-Simulation - Risk/ Return-Matrix pro Land Quelle: Schrank, R./ Schumacher, M. (2012) Im vorliegenden Fall lassen sich aufgrund der Risikoprofile und Wertpotenziale der einzelnen Länder Risikogruppen bilden, welche durch die gestrichelten Blasen angedeutet werden. Neben risikoarmen Investitionen, hier in den westeuropäischen Ländern, ergeben sich Möglichkeiten, um den Pfad der Internationalisierung in stärker risikobehafteten Länder fortzuführen. Dies ist im oben angegebenen Fall allerdings auch mit einer Steigerung des Wertpotenzials verbunden. Das hier dargestellte Modell basiert auf Annahmen, welche sich aus allgemeinen Schätzungen für Wechselkurs, Wachstum der Volkswirtschaft, Inflation etc. ergeben. Das Ergebnis ist jedoch nicht weit entfernt von dem Entscheidungsproblem, welchem viele Firmen gegenüberstehen: die Investition in risikoreiche Märkte, welche mit einer Steigerung des Wertpotenzials einhergeht. Hierbei ist aber zu berücksichtigen, dass sich die Internationalisierungsstrategie gemeinhin nicht auf einen einzelnen Markt, sondern auf die Kombination von Märkten beziehen wird. Daher werden in einem zweiten Schritt die einzelnen Strategieoptionen als Kombination von Investitionen gemeinsam betrachtet. Die Ergebnisse der einzelnen Simulationen können wiederum in eine Risk/ Return-Matrix, analog wie oben beschrieben, abgetragen werden. <?page no="289"?> 266 • Kapitel IV: Strategieentwicklung im internationalen Umfeld Abbildung 132: MC-Simulation - Risk/ Return-Matrix Internationalisierungspfade Quelle: Schrank, R./ Schumacher, M. (2012) In Bezug auf die Risk/ Return-Charakteristik sollte ein Hauptaugenmerk auf die Betrachtung der Alternativen „Gruppe 1 (Risiko)“ und im Vergleich dazu „Gruppe 2 (Alle)“ fallen. Bei Gruppe 1 handelt es sich um diejenigen Staaten mit einem „höheren Risiko“ bezogen auf die Standardabweichung des DCF, d.h. eine mögliche Internationalisierung aus Deutschland heraus in Richtung der BRIC-Staaten plus USA und Mexiko. Nimmt man nun „risikoärmere“ Staaten wie Frankreich, Italien, Finnland und Spanien hinzu, stellt man fest, dass das Gesamtrisiko im Sinne der Standardabweichung dennoch steigt - wenn auch nur leicht. Gleichwohl stabilisiert sich insbesondere der DCF in Verbindung mit einer geringen Risikozunahme. Betrachtet man nur die Investition und die angenommenen Risikofaktoren und Werttreiber, so lässt sich festhalten, dass eine Internationalisierung grundsätzlich mit einer Risikozunahme und einer entsprechenden Auswirkung auf das finanzielle Ergebnis (DCF) verbunden ist. Durch die Kombination verschiedener Länder lässt sich diese Auswirkung allerdings abfedern. Zudem bietet sich die Möglichkeit, Wechselkursschwankungen, Inflation und Repatriierungsproblemen mit entsprechenden Instrumenten des internationalen Finanzmanagements zu begegnen. Zusätzlich zur Portfoliodarstellung bieten sich natürlich verschiedene zusätzliche Auswertungen an. So können zum Beispiel verschiedene Handlungsoptionen überlagert betrachtet werden, wie dies in Abbildung 133 dargestellt wird. <?page no="290"?> Kapitel IV: Strategieentwicklung im internationalen Umfeld • 267 Abbildung 133: MC-Simulation - Wahrscheinlichkeitsverteilungen der Investitionsalternativen in verschiedenen Ländern Quelle: Schrank, R./ Schumacher, M. (2012) Hierbei wird ebenfalls die Streuung des DCF bei den Alternativen sichtbar. Es kommt nun auf die Lage des Unternehmens und die Risikoaversion des Managements in Verbindung mit den qualitativen Faktoren an, wie die Entscheidung ausfällt (Mankiw, N.G./ Taylor, M.P., 2010). Die Simulation kann lediglich eine unterstützende Entscheidungsgrundlage liefern. Risikoaverse Manager würden unter ausschließlicher Betrachtung obiger Abbildung (bei Vernachlässigung des Marktvolumens) den Markteintritt die USA wählen. Brasilien hat einen ungefähr gleich hohen DCF bei größerer Streuung. Russland wiederum bietet einen hohen DCF bei entsprechend hohem Risiko. Allerdings ist die Wahrscheinlichkeit, dass der DCF geringer ausfällt als bei den anderen beiden Optionen, ebenfalls niedrig. Diese Art der statistischen Fundierung kann die Monte-Carlo-Simulation als eine von wenigen Methoden leisten. Realoptionsmodelle Im Gegensatz zur Monte-Carlo-Simulation, welche auf einer Simulation basiert, bietet der Realoptionsansatz geschlossene Lösungen des Bewertungsproblems unter Risiko. Diese Möglichkeit ist an das Konzept und die Annahmen der Optionspreistheorie im Kapitalmarkt angelehnt und wird im Folgenden kurz charakterisiert. Reale Optionen basieren auf dem Ansatz, Flexibilität in die Strategiebewertung mit einfließen zu lassen. Gerade bei langfristigen und komplexen Strategien ist davon auszugehen, dass diese nicht in vollem Umfang so implementiert werden, wie sie in der Strategiebewertung geplant wurden. Im Rahmen der Umsetzung der Strategie existiert eine Flexibilität, <?page no="291"?> 268 • Kapitel IV: Strategieentwicklung im internationalen Umfeld welche es erlaubt, negative Ergebnisse zu vermeiden, von positiven Entwicklungen aber in vollem Umfang zu profitieren. Dieses Risikoprofil entspricht dem einer Option am Kapitalmarkt, welche man ausüben kann, aber nicht muss. Erhebliche Verluste werden also teilweise vermieden, wohingegen von positiven Entwicklungen profitiert werden kann. Abbildung 134 stellt diesen Effekt grafisch dar. Abbildung 134: Grundprinzip des Realoptionsmodells Im blau gekennzeichneten Bereich wird die negative Ausprägung der Risikoverteilung der jeweiligen Strategieoption vermieden, wohingegen ein solcher Bereich bei positiven Werten nicht existiert. Hierdurch entsteht eine schiefe Verteilung, welche implizit die Flexibilität bei der Auflösung von Unsicherheit aufzeigt sowie entsprechend mögliche Reaktionen darauf abbildet. Hiermit sind Entscheidungen gemeint, welche bei der Änderung der Rahmenbedingungen eine Anpassung der Strategie erlauben. Diese werden im Rahmen der Realoptionstheorie als „Optionen“ bezeichnet. Hierzu gehören beispielsweise: Option, zusätzlich zu investieren (erweitern, hochskalieren, ausbauen etc.) Option, zu warten (Investitionen verschieben, nicht weiter investieren etc.) Option, zu desinvestieren (Verkauf, Abbau zur Vermeidung von Folgekosten etc.) Flexibilität kann somit darin bestehen, eine Investition zu verschieben, Projekte bei günstigen Marktbedingungen auszuweiten, bei gegenteiliger Entwicklung zurückzufahren etc. (Loderer, C./ Jörg, P./ Pichler, K./ Roth, L./ Wälchli, U., 2010). Neben diesen grundlegenden Möglichkeiten lassen sich viele weitere Variationen der Ausprägungen identifizieren (Copeland, T.E./ Koller, T./ Goedhart, M./ Wessel, D., 2010¸Perlitz, M./ Peske, T./ Schrank, R., 1999). Von vielen Vertretern des Realoptionsansatzes wird die klassische DCF-Berechnung insofern als „naiver Ansatz“ dargestellt, da hier keine Handlungsoptionen direkt berücksichtigt werden. Strategien oder Investitionen können weder ausgeweitet noch zurückgefahren oder gar abgebrochen werden (Copeland, T.E./ Keenan, P.T., 1998). Diese Kritik ist jedoch nur teilweise richtig, da auch in klassischen DCF-Analysen durch entsprechende Methoden eine Berücksichtigung der Handlungsoptionen eingebaut werden kann. Hier ist insbeson- <?page no="292"?> Kapitel IV: Strategieentwicklung im internationalen Umfeld • 269 dere das Entscheidungsbaumverfahren (Loderer, C./ Jörg, P./ Pichler, K./ Roth, L./ Wälchli, U., 2010) zu nennen, welches oftmals bei der Bewertung von komplexen Projekten Anwendung findet und den klassischen DCF um eine situationsabhängige Entscheidungskomponente erweitert. Im Gegensatz zum Entscheidungsbaumverfahren enthält die Bewertung mit realen Optionen aber schon implizit die Flexibilitätskomponente, da eine entsprechende kapitalmarktorientierte Berechnungsformel Verwendung findet. Der Theorie der realen Optionen basiert im Wesentlichen auf der kapitalmarktorientierten Optionspreistheorie und damit auch auf der Formel zur Optionspreisbestimmung von Black und Scholes (Black, F./ Scholes, M., 1973). Dieses Modell, das zur Optionspreisbestimmung von gehandelten Unternehmensverbindlichkeiten (Aktien, Anleihen, Garantien) entwickelt wurde, liegt somit auch vielen Realoptionsmodellen zugrunde und ist in manchen Softwarelösungen enthalten. Der Bewertung mittels realer Optionen liegt die Annahme zugrunde, dass der Wert des zugrundeliegenden Basisinstruments durch strategische Handlungen beeinflussbar ist (Miller, K.D./ Waller, H.G., 2003; Peppmeier, A., 2006). Durch die am Kapitalmarkt orientierte Modellstruktur steigt der Wert der Option jedoch auch mit steigendem Wert der strategischen Option im Erfolgsfalle (Underlying). der Höhe der Unsicherheit. der Dauer bis zur möglichen Ausübung der Option. Ein Problem bei der praktischen Anwendung von Realoptionsmodellen resultiert aus den vielen Annahmen, welche aus der Kapitalmarkttheorie entlehnt sind und deren Gültigkeit in realwirtschaftlichen strategischen Entscheidungssituationen äußerst fraglich ist. Die wenigen Inputgrößen, die für die Anwendung der komplexen Black&Scholes-Formel notwendig sind, deuten bereits darauf hin, dass die Vielzahl der weiteren Informationen durch Annahmen ersetzt wird. Dies führt teilweise zu einer Scheingenauigkeit. Bei komplexen und schwer zu bewertenden Investitionen kann jedoch ein Realoptionsmodell dabei helfen, die Unsicherheit und Flexibilität wenigstens näherungsweise zu berücksichtigen. Theoretisch könnten Realoptionen für die Entwicklung einer Timing-Strategie in Bezug auf einen Markteintritt Verwendung finden, da die Zeit der Ausübung auch ein Parameter darstellt. Hierbei können die Optionen Abwarten, Eintritt, Rückzug, Wiedereintritt etc. einzeln bewertet werden. In der praktischen Anwendung hat sich die Methode jedoch für solche Fragestellungen bislang nicht durchsetzen können. Unternehmen haben bisher kaum Erfahrung mit einer solchen Bewertung, somit fehlen auch Rückhalt und Akzeptanz (Prexl, S./ Bloss, M./ Ernst, D./ Haas, C./ Häcker, J./ Röck, B., 2010). Zudem sollte Beachtung finden, dass eine Realoption immer isoliert betrachtet wird. Es ist keine Korrelation und keine Verbindung zur Umwelt im Konzept enthalten (Miller, K.D./ Waller, H.G., 2003), so dass das Modell zur Bewertung im komplexen Umfeld der Strategiebewertung weniger geeignet ist. <?page no="293"?> 270 • Kapitel IV: Strategieentwicklung im internationalen Umfeld Andere Methoden der Risikoberücksichtigung Natürlich bietet das Instrumentarium der finanziellen Bewertung weitere Vorgehensweisen an, um Risiken, welche im internationalen Umfeld auftreten, abzubilden. Diese werden hier nicht im Detail dargestellt, sollen jedoch kurz Erwähnung finden. Szenarioanalysen (Variation mehrerer oder aller Variablen des Bewertungsmodells in Hinsicht auf eine bestimmte definierte Zukunftssituation) Entscheidungsbaummodelle (Aufgliederung der Bewertung zukünftiger Entscheidungspunkte und deren getrennte Bewertung, gegebenenfalls mit integrierter Wahrscheinlichkeitsschätzung) Spieltheoretische Ansätze (Modellierung der Strategieoption unter Berücksichtigung der Reaktion von Wettbewerbern und anderen Marktteilnehmern) Value at Risk (VaR), Cash-Flow at Risk (CFaR) (Berücksichtigung und Quantifizierung des maximal akzeptablen Verlustes einer Strategieoption) Auch die genannten Ansätze sind keine vollständige Auflistung des Instrumentariums zur Strategiebewertung, stellen jedoch eine anwendungsorientierte Auswahl dar. Abschließend lässt sich festhalten, dass die Bewertung internationaler Strategieoptionen auf den grundlegenden finanziellen Bewertungsmodellen aufbaut, jedoch in besonderem Maße die Berücksichtigung von Risiko erfordert. Eine vergleichende Bewertung der genannten Modelle und Ansätze wird nicht vorgenommen, da diese je nach Aufgabenstellung und Branche in unterschiedlicher Weise und in unterschiedlicher Kombination Verwendung finden können und sollten. Vielfach wird die Berücksichtigung von Risiko und die damit verbundene Notwendigkeit von Annahmen kritisiert. So stellte der Risikoexperte Reinhold Hafner in einem Handelsblatt-Interview fest: „Wenn man die Normalverteilung als Modell zu Grunde legt, dürfte ein Einbruch amerikanischer Aktien wie im Herbst 2008 nur alle 598.000 Jahre vorkommen“ (Hagen, J., 2011). Es existiert demnach ein entscheidender Unterschied zwischen „höchst unwahrscheinlich“ und „unmöglich“ (Maisch, M., 2011). Auch wenn diese Feststellung sicher richtig ist, stellt sich in Unsicherheitssituationen die Frage nach der Alternative oder, wie Sercu es ausdrückt: „One never knows whether one made the right assumptions; in fact, the cure might be worse than the disease“ (Sercu, P., 2009). Insofern ist ein völliger Verzicht auf die Berücksichtigung des Risikos kein Ausweg. Eine Problematik jedes Modells im Allgemeinen ist, dass die Berechnung für Außenstehende eine Art „Blackbox“ darstellt und nur schwer nachvollzogen werden kann. Die Ergebnisse, aber auch die Zusammenhänge lassen sich nur bedingt überprüfen (Hinners-Tobrägel, L., 1998). Hubbard schlägt daher vor, einen Chief Probability Officer (CPO) nahe der Geschäftsführung zu installieren, der für bestimmte Risikostrukturen zertifiziert wird. Drei Grundvoraussetzungen sind dafür maßgeblich (Hubbard, D.W., 2010): Zertifizierung, Dokumentation und ein entsprechendes Programm zur Durchführung (Klein, M., 2011a). <?page no="294"?> Kapitel IV: Strategieentwicklung im internationalen Umfeld • 271 Vor der letzten Strategieentscheidung ist jedoch in jedem Falle auch eine qualitative Bewertung der Strategieoption notwendig. Diese wird im Folgenden dargestellt. 7.2 Qualitative Bewertung Im Rahmen der strategischen Bewertung finden Scoring-Modelle Anwendung, welche Strategien über die bislang rein finanziell erfolgte Betrachtung hinaus anhand strategischer Kriterien bewerten. Das Grundschema folgt dem Prinzip der Nutzwertanalyse bzw. des Scoring, welches in seinen Grundzügen bereits bei der Vorstellung der GE-Matrix dargestellt wurde. Auch hier müssen Kriterien und gegebenenfalls Gewichte und Skalen festgelegt werden. Mögliche Kriterien einer internationalen Strategiebewertung können folgende Punkte umfassen (Wüthrich, H.A., 2005): Differenzierung gegenüber der Konkurrenz: Führt die Strategieoption zu einer Verbesserung des Kundennutzens oder hat sie eine positive Wirkung auf die eigene Wettbewerbsstärke? Profitabilität: Leistet die Strategieoption einen Beitrag zur Verbesserung der relativen Unternehmensrentabilität? Timing: Sind Beschaffungs- und Absatzmärkte „bereit“ für die Strategieoption und wird das Engagement honoriert? Stärken/ Schwächen: Baut die Strategieoption auf Stärken des Unternehmens auf oder verbessert sie Schwächen des Unternehmens? Chancen/ Gefahren: Erlaubt die Strategieoption die Ausnutzung von Chancen aus der zuvor ausgeführten Umwelt-, Branchen- und Marktanalyse oder vermeidet sie die festgestellten Hauptgefahren? Kräftekonzentration: Eignet sich die Strategieoption zur Konzentration der Leistungen, Märkte, Absatzkanäle, Technologien, Materialien und internen Projekte? Konkurrenzsituation: Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit einer unbemerkten Realisierung und mit welchen Reaktionen muss bei Bekanntwerden gerechnet werden? Kultur/ Motivation: Ist die Strategieoption mit der heutigen Unternehmenskultur vereinbar? Steht sie in Konkurrenz zu Wertvorstellungen der Geschäftsleitung? Kann die Strategieoption Motivation und Identifikation bei Mitarbeitern auslösen? Realisierungschancen/ -risiken: Sind die notwendigen Ressourcen verfügbar, um die Strategieoption zu implementieren, und wie sind die Möglichkeiten zur Erhaltung der Rentabilität? Strategische Schlüsselfrage: Liefert die Strategieoption schlüssige Antworten auf die erkannten strategischen Schlüsselfragen? <?page no="295"?> 272 • Kapitel IV: Strategieentwicklung im internationalen Umfeld Diese Kategorien lassen sich beliebig erweitern und stellen deshalb nur eine Auswahl dar. Im internationalen Umfeld sind sicher die Kriterien „Risiko“ und „Ressourcen“ von entscheidender Bedeutung, da das internationale Engagement stets mit hohen Risiken und einem erhöhten Ressourceneinsatz verbunden ist. Im Gegensatz zur exakt-quantitativen Vorgehensweise im Rahmen der finanziellen Bewertung ist es unabdingbar und gewollt, dass bei der qualitativ strategischen Bewertung Unschärfen in der Bewertung in Kauf genommen werden und verschiedene Ansichten diskutiert werden können. Die endgültige Bewertung und Auswahl einer Strategieoption wird stets beide Bewertungen beinhalten. Insbesondere in dem Falle, in dem die finanzielle Bewertung verschiedener Optionen zu nicht klar unterschiedlichen Ergebnissen führt, gewinnt die strategische Bewertung an Bedeutung und gibt letztlich den Ausschlag für die Strategieentscheidung. Auch hier stehen verschiedene Techniken zur Zusammenführung beider Bewertungen zur Auswahl, welche hier aber nicht im Detail besprochen werden. Im Ergebnis wird eine Strategieoption für das internationale Unternehmen ausgewählt, deren Umsetzung Gegenstand des letzten Schrittes im Strategieprozess ist. 8 Strategieumsetzung Die Strategieumsetzung oder Implementierung bildet einen wesentlichen Erfolgsfaktor des strategischen Managements. So ist es empirisch nachgewiesen, dass die überwiegende Zahl der Strategien nicht an ihrer Konzeption, sondern an den Schwächen bei der Umsetzung scheitert (Kaplan, R.S./ Norton, D.P., 2010). Andererseits ist das Vorliegen einer solide abgeleiteten Strategie natürlich die Voraussetzung für die Erstellung eines Implementierungsplans. Nur das Zusammenspiel beider Komponenten kann zu einer optimalen Lösung bezüglich der strategischen Ausrichtung des Unternehmens führen. So kann eine effizient und stringent durchgeführte Implementierung durchaus auch Schwächen in der strategischen Konzeption ausgleichen. Das Scheitern einer an sich validen strategischen Konzeption sollte jedoch unbedingt vermieden werden. Kolks zeigt dieses Dilemma anhand des in Abbildung 135 dargestellten Schemas auf (Kolks, U., 1990). Abbildung 135: Strategie und Strategieimplementierung im Überblick Quelle: Kolks, U., 1990 Hierbei sollte insbesondere der Sektor der „verhinderten Gefahr“ Beachtung finden. Da die Festlegung der strategischen Ausrichtung des Unternehmens gerade im internationalen Umfeld stets mit Unsicherheiten behaftet ist, steigt die Bedeutung einer guten Umsetzung, <?page no="296"?> Kapitel IV: Strategieentwicklung im internationalen Umfeld • 273 auch wenn diese niemals ein Ersatz für die Findung der richtigen Strategie sein kann. Zudem befinden sich viele internationale Unternehmen in einem „Red Ocean“ (Kim, C./ Mauborgne, R., 2005), also einer Industrie, in der die meisten oder alle Wettbewerber ähnliche Strategien verfolgen: Gerade hier wird die Implementierung zum zentralen Erfolgsfaktor. Die drei Schritte, die bei der Strategieumsetzung im Vordergrund stehen, betreffen den Implementierungsplan, das Steuerungskonzept und das Change Management. Während der Implementierungsplan die zeitliche Struktur und den Ablauf der Umsetzung vorgibt, werden im Rahmen des Steuerungskonzeptes Kennzahlen ermittelt, welche eine effiziente Umsetzung erst möglich machen. Ein nur begrenzt durch Instrumente strukturierbarer Faktor ist jedoch das Change Management, welches neben den messbaren Ergebnissen auch auf die Verhaltensänderung der Mitarbeiter und die Weiterentwicklung der Organisation abzielt. 8.1 Implementierungsplanung Der Begriff Implementierung leitet sich vom lateinischen „implementum“ ab und bedeutet „Erfüllung“ oder „Anfüllung“ (Hilker, J., 1993; Welge, M.K./ Al-Laham, A., 2012; Kranz, M., 2007). Im Kontext des strategischen Managements determiniert der Implementierungsplan also, wie die Transformation vom Status quo zur zukünftigen Positionierung des Unternehmenserfolgen soll (Raps, A., 2008). Bei der Strategieimplementierung im internationalen Konzern stellen sich besondere Herausforderungen, welche sich aus der Komplexität und Mehrdimensionalität der internationalen Strukturen ergeben. Im Einzelnen sind hier folgende für die Implementierung relevanten Ebenen hervorzuheben: (1) Konzernebene („Corporate Level“, „Global Level“): Die Konzernperspektive der Strategieentwicklung (2) „Strategische Geschäftsfeldebene“ („Business Unit-/ Business Area Level“): Die internationale strategische Geschäftseinheit ist die frei gewählte Einteilung des Konzerns in eigenständig agierende strategische Felder (3) „Funktionsbereichsebene“ (Functional Area, Competence Center): Der international integrierte Funktionsbereich, wie z.B. Produktion oder Human Resources (4) „Standortebene“ („Site“, „Plant“, „Sales Affilitae“): Zentrale Niederlassungen wie zum Beispiel eine Vertriebseinheit oder ein zentraler Standort für Aktivitäten wie zum Beispiel Produktion oder Forschung & Entwicklung (5) Länderebene („Country“, „Region“): Rechtliche Einheiten („Legal Entities“) im Konzern, also nationale oder internationale Gesellschaften (6) Rechtliche Gesellschaften („Legal Entity Level“) <?page no="297"?> 274 • Kapitel IV: Strategieentwicklung im internationalen Umfeld Die genannten organisatorischen und inhaltlichen Ebenen spielen natürlich auch im Rahmen des Upstream-Strategieprozesses eine Rolle. Dieser konzentriert sich jedoch naturgemäß auf die Konzernebene sowie die eigens für die Strategieentwicklung gebildeten strategischen Geschäftsfelder, also auf die hier mit (1) und (2) bezeichneten Ebenen. Für die Strategieimplementierung und deren Planung hingegen gewinnen die Ebenen (3) bis (6) eine besondere Bedeutung, da die organisatorische Weisungsbefugnis oft an ihnen festgemacht ist. Wenn beispielsweise eine neue Produktstrategie im Rahmen der Geschäftsfeldplanung ermittelt wurde, muss diese im Anschluss z.B. an die Forschung und Entwicklung als globalen Funktionsbereich kommuniziert und dort implementiert werden, welche für die Entwicklung des neuen Produktes verantwortlich ist. Gleichzeitig muss deren Rolle aber mit den Leitern der Länderorganisationen und den Leitern großer Standorte wie zum Beispiel Produktionsstandorten abgestimmt werden. Sowohl Länder als auch Standortorganisationen verfügen häufig über eine erhebliche interne Machtposition, da sie bezüglich der Ausstattung mit Mitarbeitern, Budget und auch durch die rechtliche Ausgestaltung mit mehr Ressourcen versehen sind. Somit entsteht für die auf die Strategieentwicklung spezialisierten Einheiten die Problematik, sich auch dann mit neuen strategischen Konzepten durchzusetzen, wenn diese in manchen Fällen den Interessen der Linienorganisation widersprechen. Hier kommt es zu dem jedem Praktiker eines internationalen Konzerns bekannten Phänomen des Konfliktes zwischen dem „Wasserkopf“ auf der einen und den „Länderfürsten“ oder „Standortfürsten“ auf der anderen Seite. Dieser Effekt sollte natürlich im Idealfall durch eine intelligente Kommunikation und Verzahnung der Strategieimplementierung vermieden werden. Um Probleme bei der Umsetzung der Strategie zu vermeiden, empfiehlt es sich daher, die verschiedenen Ebenen schon im Prozess der Strategieentwicklung frühzeitig mit einzubinden. Abbildung 136 zeigt einen Überblick über den Strategieprozess eines deutschen Automobilzulieferers im jährlichen Zeitablauf. <?page no="298"?> Kapitel IV: Strategieentwicklung im internationalen Umfeld • 275 Abbildung 136: Strategieentwicklungsprozess eines deutschen Automobilzulieferers Die hier als Division, Region und Kompetenzzentren („COC“, Centers of Competence) bezeichneten Ebenen entsprechen den weiter oben genannten Ebenen (2), (3) und (5). Dem übergeordnet ist die Konzernebene, von der der Anstoß zur Strategieentwicklung ausgeht und welche die Strategien der einzelnen Ebenen konsolidiert. Während die hierarchische Beziehung zwischen der Konzernebene und den darunter liegenden Ebenen eindeutig ist, positioniert sich die Geschäftsfeldstrategie oft zwischen der Konzernstrategie und der Strategie der operativen Einheiten und stellt somit die notwendige Verbindung zwischen beiden her. Nicht zuletzt aufgrund dieser Komplexität sehen viele Autoren die Implementierung als anspruchsvollste Phase im strategischen Managementprozess (Lombriser, R./ Abplanalp, P.A., 2010). Dies zeigt sich auch an der Erfolgsrate einer erfolgreichen Umsetzung, welche je nach Autor zwischen nur 10% und 30% liegt (Judson, A., 1991; Kiechel, R, 1984; Kaplan, R.S./ Norton, D.P., 2001). Es hat sich bislang kein dominantes Ablaufschema für die Implementierung einer Strategie eines internationalen Konzerns herausgebildet. Im Folgenden werden jedoch die wichtigsten zu durchlaufenden Schritte kurz dargestellt und nicht in jedem Falle auf die hier im Einzelnen verwendeten Instrumente eingegangen. Konkretisierung der Strategiekonzeption In diesem Schritt muss die auf Konzernebene definierte Strategie bezüglich der operativen Einheiten konkretisiert und in ihre Kernstoßrichtungen heruntergebrochen werden. An dieser Stelle geht es darum, das komplexe Gebilde der internationalen Strategie in kommunizierbare „Pakete“ herunterzubrechen, welche als Richtlinie für die Maßnahmenplanung dienen können. Oft wird diese Aufgabe von spezialisierten strategischen Planungseinheiten <?page no="299"?> 276 • Kapitel IV: Strategieentwicklung im internationalen Umfeld oder dem zentralen Controlling übernommen. Die Rolle des Controllings besteht dabei insbesondere darin, die Budgets bezüglich neuer Investitionen und laufende Kosten auf die jeweilige operative Einheit anzupassen bzw. die Entscheidung über einzelne Maßnahmen herbeizuführen. Maßnahmenplanung der operativen Einheiten Auf Basis der Strategiekonzeption schlagen die operativen Einheiten einzelne Maßnahmen vor, welche zur Implementierung der Strategie notwendig oder von der Einheit gewünscht sind. Hierbei ist natürlich darauf zu achten, dass nur solche Maßnahmen in den globalen Implementierungsplan aufgenommen werden, welche entweder einen erheblichen Einfluss auf die Gesamtstrategie des Konzernes haben oder aber erhebliche finanzielle Mittel erfordern, so dass eine zentrale Budgetierung unabdingbar ist. Die Mittelverteilung im Rahmen der globalen Strategie erfordert eine zentrale Koordination. Nur so kann eine zielgerichtete Verwendung sichergestellt werden, welche die internationale Konzernstrategie und nicht die finanzielle Ausstattung der operativen Einheit in den Vordergrund stellt. Priorisierung und Auswahl der Maßnahmen Liegen die Maßnahmenpläne zur Strategieumsetzung vor, muss eine Bewertung und Auswahl erfolgen. Gemeinhin können nicht alle vorgeschlagenen Maßnahmen umgesetzt werden, sondern es muss eine Priorisierung bezüglich der finanziellen Auswirkungen des strategischen Nutzens stattfinden. Abbildung 137 zeigt ein solches Auswahlschema. Abbildung 137: Maßnahmenbewertung und -auswahl im Rahmen der Strategieumsetzung Das hier dargestellte Schema wird in dieser oder ähnlicher Form in vielen internationalen Firmen verwendet und ist im Grunde vergleichbar mit der Bewertung von Strategieoptionen. Im Gegensatz zur umfangreichen Modellierung eine Strategiebewertung findet hier <?page no="300"?> Kapitel IV: Strategieentwicklung im internationalen Umfeld • 277 aufgrund der Vielzahl der Maßnahmen eine Konzentration auf wenige pragmatische Größen statt. Aufgrund der global definierten strategischen Stoßrichtungen (Spalte 1) werden Maßnahmen (Spalte 2) vorgeschlagen, welche meist auch Investitionen bzw. eine Budgetzuteilung implizieren, welche in Spalte 3 aufgeführt wird. Durch die Summierung von Spalte 3 entsteht bereits ein erster Eindruck über die Umsetzbarkeit des gesamten Maßnahmenpaketes. Die Spalten 4 bis 6 enthalten geschätzte finanzielle Parameter zur Bewertung der Investitionen. Die hier beispielhaft genannten Kennzahlen finden in der Praxis Anwendung, andere Kriterien wie vormals genannte DCF oder die „Internal Rate of Return“ können aber auch Anwendung finden. Spalte 7 schließlich enthält eine verkürzte strategische Bewertung, welche zusammen mit den finanziellen Kriterien letztlich zu einer Entscheidung in Spalte 8 führt. Das genannte Vorgehen basiert auf einer komprimierten und in gewisser Weise vereinfachten Bewertung einzelner Maßnahmen. Es kann bei besonders investitionsintensiven oder strategisch zentralen Maßnahmen verfeinert und erweitert werden. Für die Durchführung einer Maßnahmenbewertung im Rahmen der globalen Strategieentwicklung ist eine solche Vereinfachung jedoch unabdingbar, zumal die Entscheidung typischerweise im Rahmen eines größeren Strategietreffens erfolgt. Herunterbrechen der Maßnahmenplanung Sind strategische Stoßrichtungen und Kernmaßnahmen konzernweit und pro Einheit definiert, folgt eine Umsetzungsplanung, bei welcher klassische Instrumente der Projektplanung Anwendung finden. Hierbei handelt es sich um GANT-Diagramme, Netzpläne, Meilensteinpläne etc., welche gemittelte Maßnahmen in eine zeitliche und inhaltliche Struktur bringen. Strategiekommunikation Eine oft vernachlässigte Aufgabe stellt schließlich die Kommunikation der letztlich entschiedenen Strategie inklusive ihrer Einzelmaßnahmen an die internationalen Einheiten dar. Hier können Instrumente des internen Marketings Verwendung finden, um das Verständnis der umfassenden Strategiekonzeption in den internationalen operativen Einheiten zu fördern. Oftmals lässt sich beobachten, dass die Kenntnis der Strategie sich in einzelnen Ländereinheiten auf die jeweilige Geschäftsleitung beschränkt. Bei internen Umfragen ergibt sich gerade bei internationalen Konzernen regelmäßig, dass die Strategie in verschiedenen Ländereinheiten eine völlig unterschiedliche Wahrnehmung erfährt als beispielsweise bei der zentralen Planung. Diesen Widerspruch zu überwinden, stellt eine wesentliche Herausforderung für die internationale Strategieimplementierung dar. Neben diesen Schritten ist es von zentraler Bedeutung, den Prozess der Strategieentwicklung („Upstream“) mit dem Prozess der Strategieumsetzung („Downstream“) zu verzahnen. Hierdurch werden Implementierungsprobleme bereits im Vorfeld angegangen oder idealerweise vermieden. <?page no="301"?> 278 • Kapitel IV: Strategieentwicklung im internationalen Umfeld Abbildung 138 zeigt den Strategieprozess der Firma Novelis im Überblick. Hierbei wird zwischen der Strategieentwicklung und der Strategieumsetzung unterschieden. Abbildung 138: Strategieprozess der Firma Novelis (Upstream) Der Strategiezyklus von Novelis umfasst einen Zeitraum von Mai bis Februar, welche von dem Kick-off-Treffen auf Konzernebene bis zur Kommunikation der Strategie an internationale Einheiten reicht. Ohne an dieser Stelle näher auf die einzelnen Teilschritte einzugehen, zeigt sich die mehrdimensionale Struktur, anhand welcher die jeweiligen Einheiten in den Prozess eingebunden werden. Eine entscheidende Phase für die Implementierung liegt hierbei zwischen September und Dezember. In diesem Zeitraum werden die Geschäftspläne für die Maßnahmen entwickelt, welche nach einer Vorauswahl für die Strategieimplementierung in Frage kommen. Nach der Freigabe im Dezember folgen im ersten Quartal des Folgejahres der eigentliche Implementierungsplan und das Herunterbrechen auf die einzelnen Konzerneinheiten. Dies führt zur fertiggestellten Strategie, welche ab Februar als rotierender Fünfjahresplan an die Teileinheiten kommuniziert wird. Aus dieser Übersicht wird auch ersichtlich, dass es sich beim internationalen Strategieprozess keinesfalls um eine einmalige Festlegung handelt, sondern um einen sich wiederholenden Planungszyklus, welcher weite Teile des Jahres abdeckt, aber nicht in jeder Phase die operati- <?page no="302"?> Kapitel IV: Strategieentwicklung im internationalen Umfeld • 279 ven Einheiten einbindet, um diese in der Implementierung nicht mit sich ändernden Plänen zu konfrontieren. Abbildung 139: Strategieprozess der Firma Novelis (Downstream) Abschließend lässt sich festhalten, dass die Strategieimplementierung einen zentralen Erfolgsfaktor darstellt, sich aber nur wenige konkrete Lösungsansätze in der Theorie finden lassen. Die hohe Misserfolgsrate in diesem Schritt des Strategieprozesses lässt sich auf verschiedene Probleme zurückführen, welche im Folgenden kurz aufgeführt werden (Raps, A., 2008; Alexander, L.D., 1985): <?page no="303"?> 280 • Kapitel IV: Strategieentwicklung im internationalen Umfeld Unterschätzung der Implementierungsdauer Mangelhafte Definition der Kernaufgaben und nicht ausreichende Vorbereitung der Mitarbeiter Beeinträchtigung durch konkurrierende Umsetzungsaktivitäten Suboptimal koordinierte und ineffektive Umsetzungsaktivitäten Inadäquates Informationssystem zur Überwachung der Implementierung Auftreten unerwarteter Probleme Negative externe Einflüsse nicht kontrollierbarer Faktoren, die den Umsetzungsvorgang stören oder von diesem ablenken Unzureichende Leistung der involvierten Mitarbeiter und unzureichende Führung vom Management Ein Konzept zur Verhinderung dieser Probleme stellt die Etablierung eines effizienten Steuerungssystems dar, was Gegenstand des nächsten Schrittes des Strategieprozesses ist. 8.2 Steuerungskonzept 8.2.1 Performance Measurement als Steuerungskonzept Der Entwicklung eines kennzahlenbasierten Steuerungssystems kommt im internationalen Rahmen eine besondere Bedeutung zu. Schon das Controlling der Umsetzung einer nationalen Strategie stellt das Management vor erhebliche Herausforderungen. Auf der anderen Seite eignet sich gerade die kennzahlenbasierte Steuerung als Ansatzpunkt für die internationale Strategieimplementierung, da die Zielerreichung quantifiziert und in konkreten Daten abgebildet wird. Dies reduziert das Problem der interkulturellen Kommunikation in gewissem Umfang, wenn durch klare Definitionen der Kennzahlen faktenbasiert argumentiert werden kann. Als zentrale Gruppe von Instrumenten hat sich hier der Performance-Measurement-Ansatz etabliert. Der Begriff „Performance Measurement“ bezeichnet den Aufbau und Einsatz meist mehrerer quantifizierbarer Kennzahlen verschiedenster Dimensionen (z.B. Kosten, Zeit, Qualität, Innovationsfähigkeit, Kundenzufriedenheit). Diese werden zur Beurteilung der Effektivität und Effizienz der Leistung unterschiedlichster Einheiten im Unternehmen herangezogen (Gleich, R., 2011). Ziel eines Steuerungssystems ist neben der Quantifizierung der Zielerreichung auch die Verdeutlichung des Zusammenhangs zwischen der Unternehmensstrategie und den Steuerungsgrößen des Unternehmens. „What gets measured gets done“ steht hierbei also sowohl für das Nachhalten quantifizierter Ergebnisse als auch für die klare Kommunikation der Ziele und deren Zusammenhang mit der Strategie. <?page no="304"?> Kapitel IV: Strategieentwicklung im internationalen Umfeld • 281 Besondere Bedeutung hat hier das Konzept der Balanced Scorecard erlangt. Das Konzept bildet einen Rahmen, innerhalb dessen Strategien systematisch konkretisiert und durch ein integriertes System von Steuerungsgrößen gemessen werden (Horvath, P., 2013; Kaplan, R.S./ Norton, D.P., 2010; Kaplan, R.S./ Norton, D.P., 2012; Niven, P.R., 2009). Der Ansatz geht über klassische finanzielle Kennzahlensysteme als Instrumente der Verhaltenskontrolle und Bewertung hinaus und ermöglicht es, die langfristigen Visionen und Strategien mit kurzfristigen Zielen und Aktionen zu verbinden sowie strategisches Lernen zu fördern (Friedag, H.R./ Schmidt, W., 2007; Fink, C.A./ Gundeler, C., 1998). Die Autoren Kaplan und Norton schlagen vor, die Strategie unter vier Perspektiven zu betrachten: Finanzwirtschaftliche Perspektive Kundenperspektive Interne Prozessperspektive Innovations- und Lernperspektive Den einzelnen Perspektiven werden Ziele zugeordnet, die durch finanzielle und nichtfinanzielle Messgrößen abgebildet werden. Diese 10 bis 25 Kernkennzahlen sollten über die unterstellten Ursache-Wirkungszusammenhänge ein kohärentes System bilden (Kaplan, R.S./ Norton, D.P., 2001). Die finanzwirtschaftliche Perspektive definiert die langfristigen Erfolgsziele der Geschäftseinheit. Daneben treten noch andere Ziele in Erscheinung, wie z.B. das Umsatzwachstum in der Wachstumsphase oder Cashflow-Ziele in der Reifephase einer Geschäftseinheit. Die Kundenperspektive der Balanced Scorecard benennt die Leistungsmaßstäbe für die Markt- und Kundensegmente, in denen sich die Geschäftseinheit dem Wettbewerb stellen möchte. Die Ergebnisse werden i.d.R. durch mehrere generische Messgrößen abgebildet, wie z.B. Kundenzufriedenheit, Kundenbindung oder Neuakquisition von Kunden. In der internen Prozessperspektive werden die erfolgskritischen Prozesse identifiziert. Im Gegensatz zu traditionellen Ansätzen konzentriert sich der Balanced-Scorecard-Ansatz weniger auf bereits existierende Prozesse, sondern versucht, neue, erfolgskritische Prozesse herauszuarbeiten. Deshalb werden sowohl Messgrößen des langfristigen Innovationszyklus als auch des kurzfristigen operativen Geschäftszyklus aufgenommen. Die Innovations- und Lernperspektive identifiziert die Infrastruktur für langfristiges Wachstum und Verbesserung. Die strategischen Potenziale des Informationssystems und der Mitarbeiter sowie deren Motivation, Fähigkeit und Zielausrichtung stellen Steuerungsgrößen für diese Perspektive dar. <?page no="305"?> 282 • Kapitel IV: Strategieentwicklung im internationalen Umfeld Abbildung 140 stellt beispielhaft Kernziele und Kennzahlen der Firma Rockwater dar, einem der klassischen von Kaplan und Norton aufgeführten Beispiele. Abbildung 140: Die Balanced Scorecard von Rockwater Quelle: Kaplan, R.S./ Norton, D.P., 2001 Kritisch ist bei dem Konzept vor allem anzumerken, dass die vorgeschlagenen Kennzahlen eine Detailanalyse auf operativer Ebene nur in begrenztem Umfang zulassen. Weiterhin wird die Prozessorientierung nicht genügend berücksichtigt und eine Verbindung der unterschiedlichen Perspektiven ist im Rahmen der Balanced Scorecard nur bedingt möglich (Schrank, R., 2002; Perlitz, M., 1999). Bezüglich des Einsatzes und der Umsetzung von Performance-Measurement-Systemen zeigt eine empirische Studie deutliche Unterschiede zwischen den USA und Deutschland. Abbildung 141 verdeutlich, dass sich Vorstände in Deutschland schwerpunktmäßig an Finanz- und Leistungskennzahlen orientieren. In Amerika spielen zusätzlich vor allem die Kundenzufriedenheit und Mitarbeiterbelange eine große Rolle (Perlitz, M., 1998). Abbildung 141 gibt Hinweise darauf, dass sich die Kennzahlen der Balanced Scorecard weitaus weniger gut auf verschiedene regionale und nationale Teileinheiten übertragen lassen, als dies bei rein finanziellen Steuerungssystemen der Fall ist. Dies liegt nicht nur in kulturellen Unterschieden begründet, sondern ergibt sich bereits aus den unterschiedlichen historischen, rechtlichen und wirtschaftlichen Gegebenheiten. Obgleich einige multinationale Konzerne wie bspw. Daimler konzernweite Scorecards im Einsatz haben, stellt das Problem der Steuerung großer Konzerne mit der Balanced Scorecard eine der großen <?page no="306"?> Kapitel IV: Strategieentwicklung im internationalen Umfeld • 283 Herausforderungen für die internationale Managementforschung dar. Es finden sich bislang kaum Beiträge, welche diese Herausforderung direkt untersuchen. Abbildung 141: Einsatz von Messgrößen für das Performance Measurement in Deutschland und den USA Quelle: Perlitz, M., 1998 Folgende beispielhaft genannten Probleme treten bei der Steuerung internationaler Konzerne mit der Balanced Scorecard auf: (1) Die Messbarkeit der gewählten Kennzahlen ist nicht konzernweit sichergestellt. So kommt es in der Praxis häufig vor, dass etwa Kennzahlen zur Kundenperspektive wie z.B. Kundenzufriedenheitsindizes oder Kundenrentabilität zwar im Stammhaus erhoben werden, nicht jedoch in allen Tochterunternehmen in gleicher Form vorliegen. In der Folge muss auf andere Kennzahlen zurückgegriffen werden, was wiederum die Vergleichbarkeit der Performance einschränkt. (2) Es bestehen Unterschiede in der nationalen strategischen Ausrichtung. Auch wenn ein multinationales Unternehmen eine einheitliche strategische Ausrichtung anstrebt, existieren in der Realität häufig nationale Gesellschaften, die von der Konzernstrategie abweichen. Gründe hierfür können z.B. in der Historie liegen, wenn es sich um ein zugekauftes Unternehmen handelt. Häufig machen auch nationale Gegebenheiten eine Strategieanpassung notwendig. In der Folge ist nicht nur die Übertragbarkeit der Kennzahlen fraglich, sondern das ganze Kausalmodell der Balanced Scorecard muss in Frage gestellt werden. (3) Aufwand der Erhebung. Abgesehen von der Problematik der internationalen Standardisierung von Kennzahlen kommt ein Aufwandsproblem hinzu. Auch wenn die Erhebung der gleichen Kennzahlen sinnvoll erscheint, kann nicht in jedem Markt davon ausgegangen werden, dass deren Erhebung auch aus wirtschaftlicher <?page no="307"?> 284 • Kapitel IV: Strategieentwicklung im internationalen Umfeld Sicht als sinnvoll erscheint. Hierbei spielen sowohl die Datenverfügbarkeit als auch die Marktgröße eine wichtige Rolle. (4) Kulturelle Akzeptanz von Kennzahlen. Es wurde hier bereits auf die durchaus bedeutenden kulturellen Unterschiede bei der Akzeptanz von Controllingsystemen und Daten hingewiesen. Bei internationalen Balanced Scorecards tritt diese Problematik insofern in verschärfter Form auf, als weitaus mehr Bereiche der jeweiligen Niederlassung mit der Zielerreichungsproblematik konfrontiert werden. (5) Konsolidierbarkeit der Kennzahlen. Viele Kennzahlen können zwar dezentral erhoben, nicht jedoch global konsolidiert dargestellt werden. Dies ergibt sich durch die unterschiedlichen Dimensionen finanzieller und nicht-finanzieller Kennzahlen. Hierdurch erhöht sich der Komplexitätsgrad bei der Auswertung und Analyse der Kennzahlen erheblich. (6) Global zentralisierte vs. nationale Einheiten: die Matrix-Problematik. Im internationalen Kontext erhält die Koordination zwischen Funktionsbereichen, Produktionsstandorten und Vertriebsniederlassungen eine neue Qualität. So muss sich das relevante Set an Kennzahlen je nach Art der zu messenden Einheit (Funktion, Produktionsstandort, Vertriebsniederlassung) wesentlich unterscheiden. Darüber hinaus ist zu beachten, dass sich je nach Struktur des internationalen Unternehmens verschiedene „Legal Entities“, also rechtlich selbstständige Einheiten, finden, welche den Spielraum der Messung gegebenenfalls erweitern oder einengen. Die genannten Erhebungsprobleme machen das Management multinationaler Scorecards zu einer komplexen Problematik. So muss im internationalen Konzern die „Top Level- Scorecard“, also die auf der höchsten Ebene angesiedelte Gruppe von Kennzahlen, die Performance der unteren Ebenen möglichst vollständig abbilden. Eine solche Konzern- Scorecard ist aufgrund der heterogenen Inputs nicht immer leicht interpretierbar. Abbildung 142 stellt die komplexe Struktur verschiedener Scorecard-Ebenen beispielhaft im Überblick dar. Die Konzern-Scorecard stellt häufig finanzielle Ziele in den Mittelpunkt, da hier eine integrierte Darstellung machbar und sinnvoll ist. Schon bei einigen Kerngrößen der Kundenperspektive muss jedoch häufig auf Einzel-Scorecards der nachgelagerten Ebenen verwiesen werden. Eine mögliche Alternative stellt die Indexierung von Kennzahlen im Rahmen eines Zielerreichungsgrades dar (Schrank, R., 2002). <?page no="308"?> Kapitel IV: Strategieentwicklung im internationalen Umfeld • 285 Abbildung 142: Unterschiedliche Ebenen von Balanced Scorecards im internationalen Konzern Auf nachgelagerten Ebenen finden sich üblicherweise die Scorecards von Vertriebsgesellschaften sowie Standorten, an denen produziert oder geforscht wird. Das hierfür relevante Set an Kennzahlen unterscheidet sich aufgrund der unterschiedlichen Aufgabenstellungen und internationalen Standorte oft erheblich. Grundsätzlich gilt, dass ein optimales Gleichgewicht zwischen weltweit standardisierten Kennzahlen zur vereinheitlichten Steuerung und spezifischen Kennzahlen zur Berücksichtigung der Untereinheit anzustreben ist. Innerhalb einer Scorecardgruppe (z.B. Produktionsstandorte) ist hingegen eine weitgehende Standardisierung von Vorteil. Hierdurch wird die Bildung von Funktions- Scorecards erleichtert, wie sie beispielsweise der amerikanische Konzern Johnson & Johnson für die globale Forschung und Entwicklung ermittelt. Der komplexe Prozess der Ableitung einer internationalen Struktur von unterschiedlichen Balanced Scorecards wird in Abbildung 143 beispielhaft dargestellt. Auch hier ergibt sich die Problematik der Abgleichung und Koordination zwischen einzelnen Ebenen der Strategie. <?page no="309"?> 286 • Kapitel IV: Strategieentwicklung im internationalen Umfeld Abbildung 143: Prozess der Ableitung einer internationalen Scorecard am Beispiel eines mittelständischen Mischkonzerns Aufgrund diverser Gegensätze zwischen den regionalen und nationalen Geschäftseinheiten, die unter anderem auf die kulturellen, rechtlichen und wirtschaftlichen Gegebenheiten sowie die verschiedenen Tätigkeitsbereiche zurückzuführen sind, lässt sich erkennen, dass sich die verschiedenen Kennzahlen der Balanced Scorecard im Gegensatz zu Steuerungssystemen, welche auf rein finanziellen Kennzahlen beruhen, wesentlich schwieriger auf das gesamte Unternehmen übertragen lassen. 8.2.2 Integration und Konsolidierung internationaler Scorecards Eines der Hauptprobleme bei der Umsetzung einer Balanced Scorecard in multinationalen Unternehmen ist die konzernweite Konsolidierung und Interpretation der meist sehr heterogenen Kennzahlen. Vertriebsgesellschaften, Produktionsstandorte oder regionale Zentraleinheiten erfordern völlig unterschiedliche Kennzahlen. Die Anpassung der Kennzahlen ermöglicht zwar die Analyse der einzelnen operativen Einheit, führt aber zu einer erheblichen Zunahme des Komplexitätsgrades bei der Auswertung und Analyse der Kennzahlen auf Konzernebene. Kaplan und Norton stellen dieses Problem anhand der in Abbildung 144 dargestellten Grafik dar. Zum einen sind verschiedene Funktionsbereiche in verschiedenen Ländern angesiedelt, zum anderen werden nicht alle Kennzahlen in jeder operativen Einheit gemessen. Hinzu kommt, wie bereits erwähnt, dass sich auch die verwendeten Kennzahlen notwendigerweise oft länderspezifisch unterscheiden müssen, auch wenn die Aktivitäten in beiden Ländern ähnlich sind. <?page no="310"?> Kapitel IV: Strategieentwicklung im internationalen Umfeld • 287 Abbildung 144: Balanced Scorecard im internationalen Verbund Quelle: Kaplan, R.S./ Norton, D.P., 2009 Das Problem der Konsolidierung wird im Folgenden anhand eines modellhaft vereinfachten Beispiels eines international agierenden Konzerns mit zwei Ländergesellschaften, Land A und Land B, betrachtet. Zudem wird vereinfachend von nur einer Kennzahl pro Perspektive der Balanced Scorecard ausgegangen. Von einer unterschiedlichen Definition der einzelnen Kennzahlen wurde hier abgesehen. Ein Konsolidierungsmechanismus lässt sich auch so aufzeigen und ist grundsätzlich auf weitaus komplexere Strukturen übertragbar. Selbst ohne unterschiedliche Kennzahlen ist die Gesamtperformance einer Ländergesellschaft aufgrund der Heterogenität der Kennzahlen nicht ermittelbar. Dies resultiert notwendigerweise aus der mehrdimensionalen Betrachtung des Balanced-Scorecard-Ansatzes. Bei einer rein finanziellen Betrachtung stellt sich das Problem nicht in derselben Schärfe. Einen Ausweg kann hier ein auf Indexierung basierender Ansatz (Schrank, R. 2001) schaffen, welcher durch moderne Business-Intelligence-Software auch einfach zu implementieren ist. Die Basis eines solchen Ansatzes stellt die Normalisierung der einzelnen Kennzahlen auf eine abstrakte und in Prozent ausgedrückte „Zielerreichung“ dar. Durch die Vereinheitlichung der Dimension wird allerdings, ähnlich wie bei der bereits dargestellten Lösung für die GE-Matrix, eine Gewichtung einzelner Kennzahlen und letztlich eine Gewichtung einzelner Gesellschaften notwendig. Abbildung 145 enthält die hierfür notwendigen Basisdaten: Definition der Kennzahlen Zu erreichende Zielvorgaben Gewichtung der entsprechenden Ziele bzw. Perspektiven <?page no="311"?> 288 • Kapitel IV: Strategieentwicklung im internationalen Umfeld Abbildung 145: Basisdaten zur Ermittlung einer Gesamtperformance In einem nächsten Schritt müssen die erzielten Ergebnisse der Landesgesellschaft mit den Zielvorgaben verglichen werden, um so einen Zielerreichungsgrad (Ergebnis/ Zielvorgabe in %) zu ermitteln. Dies stellt meist einen einfachen Soll-Ist-Vergleich dar, kann jedoch, je nach Definition der Kennzahlen, zu Messproblemen führen, welche aber lösbar sind (Schrank, R., 2001). Multipliziert mit der Gewichtung der jeweiligen Ziele ergibt sich eine gewichtete Zielerreichung, welche dann zu einer Gesamtzielerreichung der Ländergesellschaft aufsummiert werden kann. Abbildung 146: Errechnung der Gesamtperformance zweier Tochtergesellschaften Im vorliegenden Modellfall zeigt sich, das Land A die gesteckten Ziele übertroffen hat, wohingegen Land B deutlich hinter der Zielerreichung zurückbleibt. Auch wenn diese Größen die teilweise subjektive Bewertung der Bedeutung einzelner Ziele beinhalten, können sie doch mehr Aufschluss über den Zielerreichungsgrad einer Landesgesellschaft geben, als dies finanzielle Daten vermögen, welche völlig von der Bedeutung einzelner Ziele losgelöst sind. In einem weiteren Schritt kann schließlich eine Konzernperformance ermittelt werden, welche allerdings eine Gewichtung der Ländergesellschaften erfordert. Abbildung 147: Ermittlung der Konzernperformance Dieser Schritt ist nicht unproblematisch, ergibt sich jedoch bei der Steuerung internationaler Landesgesellschaften immer wieder. Unterschiedliche Gesellschaften haben eine unter- <?page no="312"?> Kapitel IV: Strategieentwicklung im internationalen Umfeld • 289 schiedliche Bedeutung für die Zielerreichung des Konzerns. Dies kann auf deren finanzieller Bedeutung beruhen, auf Umsatzanteilen oder Gewinnbeiträgen, aber auch deren strategischer Bedeutung für den künftigen Geschäftserfolg. Hier lässt sich keine eindeutige Regel festlegen. In Anlehnung an die im Rahmen der GE-Matrix erfolgte Gewichtung könnten zum Beispiel Umsatzanteile herangezogen werden. Im gegebenen Beispiel führt die höhere Bedeutung der Landesgesellschaft B, welche ihre Ziele nicht erreicht, zu einer Beeinflussung der Erreichung der Gesamtziele des Konzerns, welche in diesem Falle 86% beträgt. Natürlich kann diese aggregierte Zahl nur als grobe Richtlinie dienen. Durch ein Herunterbrechen in die einzelnen Zielerreichungswerte der Ländergesellschaften kann jedoch eine gezielte Steuerung erfolgen. So lassen sich zum Beispiel Hinweise auf mangelnde Zielerreichung in die Ermittlung der Spitzenkennzahl (im Sinne eines „management by exception“) einbauen. Natürlich besteht bei diesem Vorgehen die Gefahr der Kompensation negativer Ergebnisse durch eine sehr hohe Zielerreichung in anderen Bereichen. Diese Gefahr ist aber letztlich auch bei der klassischen finanziellen Kennzahlenermittlung gegeben. Um hier eine klare Datenlage herzustellen, sind schon bei der Ableitung der Kennzahlen einzelne Kernpunkte zu beachten. Ein erster Punkt ist die Problematik der Erhebung bzw. der Sinnhaftigkeit der einzelnen Kennzahlen in den verschiedenen Landesgesellschaften. In diesem Punkt muss sich das Management fragen, ob es sinnvoll und somit auch wirtschaftlich ist, die ermittelten Kennzahlen in allen Landesgesellschaften zu erheben oder ob in Einzelfällen auf andere Messgrößen ausgewichen werden muss. Ebenso muss bedacht werden, ob die Kennzahlen überhaupt verfügbar sind, da die Datenlage in unterschiedlichen Märkten kaum eine einheitliche Erhebung zulässt. Des Weiteren hat die Unternehmensleitung dafür Sorge zu tragen, dass die Begrifflichkeiten der Balanced Scorecard einheitlich sind. Eine klare Definition von Kennzahlen und Zielen ist unabdingbar, um der Entmutigung der in die Implementierung involvierten Einheiten entgegenzuwirken (Niven, P.R., 2003). Letztlich ist auch eine enge Verbindung zur Strategie zentral, da nur so der Bezug zum täglichen Geschäft hergestellt werden kann (Niven, P.R., 2003). Ein Performance-Measurement-System hilft dabei, auch international unterschiedliche Ziele zu konkretisieren und dezentral messbar zu machen. Nicht zu vernachlässigen sind jedoch in jedem Falle qualitative und kulturelle Faktoren, welche im Rahmen des Change Management eine zentrale Rolle spielen. 8.3 Change Management Die Steuerung des Wandels der Organisation und die gezielte Ermöglichung von Veränderungsprozessen wird als Change Management bezeichnet. Hierzu hat sich eine eigene, stark von der Psychologie und der Organisationsforschung beeinflusste Forschungsrich- <?page no="313"?> 290 • Kapitel IV: Strategieentwicklung im internationalen Umfeld tung entwickelt. Trotz verschiedenster Steuerungsinstrumente gelten Change-Management- Prozesse allerdings angesichts hoher Misserfolgsraten noch immer als eine der größten Herausforderungen für Manager (Balogun, J., 2006; Krüger, W./ Petry, T., 2005; Picot, A./ Fiedler, M., 2003). Mithilfe eines systematischen Change Managements sollen die im Bereich der Strategieformulierung abgeleiteten Anpassungen intern optimal umgesetzt werden. Change Management ist demnach zu definieren als die „Strategie des geplanten und systematischen Wandels, der durch die Beeinflussung der Organisationsstruktur, Unternehmenskultur und individuellem Verhalten zu Stande kommt, und zwar unter größtmöglicher Beteiligung der betroffenen Mitarbeiter“ (Kraus, G./ Becker-Kolle, C./ Fischer, T., 2006). Grundsätzlich lassen sich zwei Typen der organisatorischen Veränderung mit unterschiedlicher Ausprägung bezüglich der Breite, Tiefe und Geschwindigkeit des Wandels unterscheiden: Der inkrementale Wandel stellt die am häufigsten anzutreffende Form in Unternehmen dar. Er beschränkt sich auf nur geringe Veränderungen des bestehenden Systems bei sehr kleinen Änderungsgeschwindigkeiten. Zudem ist er logisch und rational planbar und stellt eine Weiterführung des gültigen strategischen Paradigmas dar. Ziel ist die Veränderung von organisatorischen Verhaltensweisen, jedoch sollen die tieferliegenden Unternehmenswerte beibehalten werden. Beispiele für einen inkrementalen Wandel sind operative Veränderungen wie die Steigerung der Produktion oder die Verbesserung innerbetrieblicher Abläufe. Obgleich er in kleinen Schritten verläuft, zielt auch dieser auf eine langfristige Änderung der Organisation ab. Die transformatorische Veränderung beschränkt sich im Gegensatz zur inkrementellen nicht nur auf einzelne Dimensionen, sondern umfasst alle Ebenen und Bereiche der Unternehmung. Auslöser für den radikalen Wandel sind oftmals unvorhergesehene Ereignisse innerhalb oder außerhalb des Unternehmens, was auch eine grundlegende Veränderung des strategischen Paradigmas mit sich bringt. Die transformatorische Veränderung erfolgt oft mit einer hohen Geschwindigkeit (Welge, M.K./ Al-Laham, A., 2012). Auch die verschiedenen Phasen einer geplanten Veränderung sind für das Verständnis des Wandels sozialer Gruppen relevant. In der Literatur lassen sich unterschiedliche Auffassungen und Einteilungen finden, wie beispielsweise die Phasenmodelle von Kotter, Krüger oder Mintzberg/ Wesley (Kotter, J.P., 1995; Krüger, W., 2009; Mintzberg, H./ Wesley, F., 1992). Aufgrund seiner klaren Abgrenzung und der Fokussierung auf den eigentlichen Wandel wird hier dem Modell des Drei-Phasen-Ansatzes von Lewin gefolgt, welches in Abbildung 148 schematisch dargestellt wird (Lewin, K., 1947). <?page no="314"?> Kapitel IV: Strategieentwicklung im internationalen Umfeld • 291 Abbildung 148: Implementierungsphasen nach Lewin Quelle: Lewin, K., 1947 Folgende Phasen unterscheidet Lewin: Auftauen (Unfreezing): Vor dem Wandel wird das Verhalten der Mitarbeiter durch ein quasi-stationäres Gleichgewicht bestimmt, welches auf einem Zusammenspiel treibender und hemmender Kräfte beruht. In der ersten Phase des Veränderungsprozesses muss daher das bestehende Gleichgewicht aufgelockert bzw. aufgetaut werden. Dies kann unter anderem durch Hinterfragen des „Status quo“, Vermittlung des Sinns der Veränderung sowie durch Betonung attraktiver Aspekte des Zielzustandes geschehen. Um die hemmenden Kräfte innerhalb der Organisation zu reduzieren, müssen die Ängste und Unsicherheiten der Betroffenen gezielt abgebaut werden (Schein, E.H., 2004; Pescher, J., 2010). Verändern (Moving): Im zweiten Schritt wird das Ausgangsniveau verlassen und die Veränderung durch ein Hinübergleiten auf ein neues Niveau angestrebt. In der „Moving“- Phase muss ein Lernprozess stattfinden. Dazu müssen gezielte Veränderungsmaßnahmen initiiert werden, z.B. Schulungen in neuen Systemen, Definition kompetenter Ansprechpartner oder regelmäßige Informationsveranstaltungen. Je größer der Unterschied zwischen dem neuen und dem alten Niveau ist, d.h. je tiefgreifender die Veränderungen sind, desto schwieriger ist die Mobilisierung und Transformation der Betroffenen (Schein, E.H., 2004; Pescher, J., 2010). Einfrieren (Refreezing): Da Veränderungen oft nur kurzfristig sind und Gruppen dazu tendieren, schnell wieder auf das Ausgangsniveau zurückzukehren, bedarf es in der dritten Phase einer Stabilisierung und dauerhaften Integration der durchgeführten Veränderungen. Zielführende Maßnahmen sind unter anderem die Rückmeldung von (Zwischen-)Erfolgen oder das Angebot assistierender Hilfeleistungen. Um mögliche Rückfälle auf das Ausgangsniveau zu verhindern, ist auf Abweichungen getroffener Vereinbarungen unmittelbar zu reagieren (Schein, E.H., 2004; Pescher, J., 2010). Mitarbeiter des Unternehmens, gleich welcher Ebene, stehen Veränderungen meist skeptisch gegenüber. Für gewöhnlich geht man eher gewohnten Routinen nach, als Verände- <?page no="315"?> 292 • Kapitel IV: Strategieentwicklung im internationalen Umfeld rungen zu begrüßen, denn die Veränderung wird oftmals als Risiko und Bedrohung wahrgenommen. Der Mensch durchläuft dabei sieben emotionale Phasen, die in Abbildung 149 dargestellt sind. Abbildung 149: Sieben Phasen der Veränderung in Change-Management-Projekten Quelle: Böning, U./ Fritschle, B., 1997 Durch die Internationalisierung sind Unternehmen kulturell mit immer heterogeneren Belegschaften konfrontiert. Dies führt auch zu einer komplexeren Umsetzung von Veränderungsprozessen (Miroshnik, V., 2002). Empirischen Studien zufolge nehmen Menschen in Abhängigkeit ihres kulturellen Hintergrundes Veränderungen unterschiedlich wahr (Sackmann, S.A., 1997). Eine internationale Betrachtung des Change Managements ist in der Wissenschaft dennoch derzeit noch unterrepräsentiert. Werner und Brouthers zufolge berücksichtigen lediglich 6% der Beiträge in führenden Management-Zeitschriften interkulturelle Faktoren. Eine lokale Anpassung steht im Spannungsfeld zur globalen Standardisierung, auch im Rahmen des Change Managements (Werner, S./ Brouthers, L.E., 2002). Doch sollten länderübergreifende Veränderungsprozesse zur größeren Akzeptanz bei den Betroffenen kulturell angepasst und nicht standardisiert in den Tochtergesellschaften implementiert werden (Yüksek, S./ Schinnenburg, H., 2012; Hemple, P.S./ Martinsons, M.G., 2009). <?page no="316"?> Kapitel IV: Strategieentwicklung im internationalen Umfeld • 293 Zur Beschreibung und Erklärung kultureller Unterschiede dienen die von Geert Hofstede definierten Kulturdimensionen Machtdistanz, Individualismus, Maskulinität, Unsicherheitsvermeidung und Langzeitorientierung sowie Genuss/ Zurückhaltung (Hofstede, G./ Hofstede, G.J./ Minkov, M., 2010) (vgl. Kapitel III). Anhand dieser Dimensionen soll das abstrakte Phänomen der Kultur besser greifbar und vergleichbar gemacht werden. In Abbildung 150 werden die Implikationen der einzelnen Kulturdimensionen auf den Veränderungsprozess tabellarisch dargestellt. Es wird deutlich, wie komplex Veränderungsprozesse aufgrund der vielschichtigen Beeinflussung der Kulturdimensionen werden können. Abbildung 150: Auswirkungen der Kulturdimensionen auf den Veränderungsprozess Quelle: Yüksek, S./ Schinnenburg, H., 2012 <?page no="317"?> 294 • Kapitel IV: Strategieentwicklung im internationalen Umfeld Wie aus den angeführten Implikationen deutlich wird, hat die Ausprägung der Kulturdimensionen einen Einfluss auf den Prozessverlauf (Heracleous, L., 2001; Johnson, G., 1990). Der kulturelle Hintergrund von Mitarbeitern kann sich positiv in Form von Partizipation und Unterstützung oder aber auch negativ in Form von Ablehnung auswirken. Durch Partizipation der Mitarbeiter am Veränderungsprozess soll einerseits die Mitarbeiterakzeptanz und andererseits die Qualität der umgesetzten Lösungen gesteigert werden. Es gilt dabei, im Wesentlichen drei Personengruppen, die in einem Veränderungsprozess involviert sind, zu berücksichtigen (Davenport, T.H., 1993) : (1) Topmanagement (Lenkungsausschuss): Die Unterstützung des Topmanagements ist für eine erfolgreiche Umsetzung der Veränderung ausschlaggebend. Die größte Erwartung an Topmanager ist es, die angestrebten Veränderungen im eigenen Verhalten zu zeigen. Außerdem müssen sie die Ziele und Vision der angestrebten Veränderung kontinuierlich an die Mitarbeiter kommunizieren. Der Reaktionsablauf der Veränderung setzt bei ihnen früher ein als auf der Ebene der Manager und der Betroffenen, da sie normalerweise als Erste in den Veränderungsprozess involviert sind bzw. diesen initiieren und legitimieren. (2) Manager (Change Agents): Die Ebene zwischen dem Topmanagement und den Betroffenen hat aufgrund ihrer Schnittstellenfunktion eine große Bedeutung. Die Manager müssen die Entscheidungen des Topmanagements gegenüber den Betroffenen erklären und überzeugend vertreten. Oftmals werden für diese Aufgaben auch externe Berater eingesetzt, da diese eine größere Distanz zu den Betroffenen und deren Befindlichkeiten haben und direkte Konflikte mit den Vorgesetzten vermieden werden. In großen multinationalen Unternehmungen wird die Funktion oftmals von Auslandsentsendeten (Expatriates), d.h. Mitarbeitern aus der Zentrale, übernommen. Da die Manager die Zweiten sind, die in den Veränderungsprozess eingebunden werden, setzt bei ihnen der Reaktionsablauf auch als Nächstes ein. (3) Mitarbeiter (Betroffene): Wenn schließlich auch alle übrigen Mitarbeiter einbezogen wurden, ist die Reaktionskurve der Manager bereits fortgeschritten. Aus diesem Grund reagieren sie oft ungeduldig auf die Fragen und Bedenken der Mitarbeiter. Die Kommunikation zwischen Managern und Mitarbeitern ist ohne Zweifel einer der entscheidenden Erfolgsfaktoren im Rahmen des Change Management. Dies kommt schon allein daher, dass Führung im Wesentlichen auf Kommunikation beruht (Lauer, T., 2010). Kommunikationsmittel müssen dabei zielgruppengerecht eigesetzt werden. Es ist auf einen ausgewogenen Einsatz unternehmensinterner Medien (z.B. Intranet, Newsletter, Aushänge) und die Initiierung von Dialogen zwischen den involvierten Personen (z.B. Gruppenkonferenzen, Fokusgruppen, Blogs) zu achten. Welches Medium Anwendung findet, muss dabei immer im Kontext der spezifischen Umstände betrachtet werden, denn abhängig <?page no="318"?> Kapitel IV: Strategieentwicklung im internationalen Umfeld • 295 von der Veränderungstiefe ändert sich auch die Bereitschaft der Mitarbeiter zur Kommunikation (Mellahi, K. et al., 2005). Für das Management bleibt die direkte Kommunikation (Vieraugengespräch) wichtig, um Wahrnehmungen und Meinungen der Betroffenen ungefiltert mitzubekommen. Außerdem trägt es zur Motivation der Mitarbeiter bei und hilft, Unsicherheit durch die Veränderung zu reduzieren (Young, M./ Post, J.E., 1993). Bei Veränderungsprozessen in einem internationalen Kontext darf die Rolle der Sprache nicht unterschätzt werden. Die vorab schon beschriebenen Schwierigkeiten für Mitarbeiter, über tiefgreifende Veränderungen zu sprechen, wird durch die Verwendung einer anderen Sprache (i.d.R. Englisch) als der Muttersprache noch verstärkt. Missverständnisse in Gruppendiskussionen führen in vielen Kulturkreisen zum Gesichtsverlust, was eine Minderung der Macht und Autorität nach sich ziehen kann (Feely, A., 2003). Neal interviewte 174 ausländische Manager, die in Großbritannien arbeiteten. Die ausländischen Kollegen empfanden die Zusammenarbeit mit ihren britischen Kollegen als frustrierend und durch die Sprachbarriere fühlten sie sich als Außenseiter. Sprachtrainings und eine einheitliche Unternehmenssprache sind Maßnahmen, um die Kommunikationsbarrieren zu reduzieren und die Erfolgswahrscheinlichkeit der Veränderung zu erhöhen (Neal, M., 1998). All die zuvor aufgeführten Einflussfaktoren machen deutlich, dass sowohl der Partizipationsgrad als auch der zeitliche Prozessverlauf immer vor dem kulturellen Hintergrund der Betroffenen zu sehen sind. Abbildung 151 zeigt die Unterschiede des internationalen Change Managements am Beispiel Deutschland und Südkorea zusammenfassend auf (vgl. dazu die Studie von Yüksek, S./ Schinnenburg, H., 2012). Bei genauerer Analyse des schematisch dargestellten Verlaufes wird ersichtlich, wie die zuvor beschriebenen Kulturdimensionen Einfluss auf die Prozessgeschwindigkeit und Partizipation nehmen, was in der darauf folgenden Abbildung genauer erläutert wird. Abbildung 151: Beispielhafter Verlauf eines internationalen Change-Prozesses am Beispiel Deutschland versus Südkorea <?page no="319"?> 296 • Kapitel IV: Strategieentwicklung im internationalen Umfeld Es ist beispielsweise erkennbar, dass eine hohe Machtdistanz in Südkorea zu einer geringeren Partizipation und einem schnelleren Übergang vom Topmanagement auf die Ebene der Change-Agents führt. In Kulturen mit einer hohen Machtdistanz sind tendenziell weniger Entscheidungsträger involviert, was eine Verringerung der typischen Partizipationsrituale (z.B. Jour Fixe) nach sich zieht und damit den Prozessverlauf zu Beginn beschleunigt. Auf den nachgelagerten Ebenen machen die Dimensionen des Kollektivismus und Feminismus jedoch eine breitere Einbindung der Mitarbeiter erforderlich. Gerade in asiatischen Kulturen wie Südkorea müssen kritische Situationen im Einzelgespräch besprochen werden, um den Status und das Ansehen der Betroffenen nicht zu gefährden (Gesicht wahren). In femininen Kulturen sind längere Abstimmungsprozesse einzuplanen, da die unterschiedlichen Meinungen berücksichtigt werden müssen, wohingegen maskuline Kulturen (Deutschland) eine zielgerichtete und effizientere Besprechungskultur aufweisen. Abbildung 152: Kulturdimensionen und deren Auswirkung auf den Veränderungsprozess am Beispiel Deutschland versus Südkorea Auch die sechste Kulturdimension, Selbstverwirklichung vs. Selbstbeschränkung, hat einen maßgeblichen Einfluss auf den Prozessverlauf. In Kulturen mit einer stärkeren Ausprägung <?page no="320"?> Kapitel IV: Strategieentwicklung im internationalen Umfeld • 297 zur Selbstbeschränkung, wie im Beispiel Südkorea, kann eine höhere Arbeitsbereitschaft und Leidensfähigkeit während des Change-Prozesses vorausgesetzt werden. Im Gegensatz dazu ist in Kulturen, die durch eine stärkere Selbstverwirklichung charakterisiert sind (z.B. Deutschland), ein höherer Freizeitbedarf zu beachten. Generell lässt sich festhalten, dass ein grundlegendes Bedürfnis nach Partizipation in beiden Nationen vorzufinden ist. Allerdings variieren der Partizipationsgrad und die Prozessgeschwindigkeit je nach Mitarbeiterebene, was letztendlich zu einer Angleichung der Dauer des Veränderungsprozesses führt. Die vorangegangenen Ausführungen machen deutlich, von welcher Komplexität länderübergreifende Veränderungsprozesse gekennzeichnet sind. Im Mittelpunkt steht die Frage, inwieweit Menschen abhängig von ihrem kulturellen Kontext Veränderungen unterschiedlich wahrnehmen. Deshalb muss der Partizipationsgrad wie auch der zeitliche Prozessverlauf immer vor dem kulturellen Hintergrund der Betroffenen betrachtet werden. Infolgedessen ist der Standardisierungsgrad bei internationalen Veränderungsprozessen immer unter Berücksichtigung der kulturellen Kontextfaktoren festzulegen. Gelingt es, Strategien des internationalen Unternehmens auch kulturell an die Mitarbeiter zu vermitteln und einen hohen Partizipationsgrad zu erzielen, sind die Voraussetzungen für eine erfolgreiche Strategieumsetzung optimal. Hierzu bedarf es jedoch einer expliziten Berücksichtigung „weicher“ Faktoren. 9 Notwendigkeit eines international orientierten Strategieprozesses Das internationale Management ist nach Spulber das Bindeglied zwischen Strategie und globaler Geografie (Spulber, 2007). Die bisher dargestellten strategischen Konzepte sind nicht speziell für Fragen der Internationalisierung von Unternehmen entwickelt worden. Jedoch zeigt sich, dass die Internationalisierung von Unternehmensaktivitäten einen wesentlichen Beitrag für die Implementierung der strategischen Konzepte von Ansoff und Porter leistet. Die BCG-Portfolio-Analyse macht deutlich, dass die Internationalisierung von Unternehmensaktivitäten wesentlich zum Erreichen eines finanziellen und/ oder zeitlichen Gleichgewichtes im Unternehmen beitragen kann. Die Analyse zeigt aber auch, dass die verwendeten Modelle von sehr undifferenzierten Erklärungsfaktoren zur Bestimmung von Wettbewerbsvorteilen ausgehen. Hinter den Wettbewerbsfaktoren wie Kosten- oder Produktvorteile, alte oder neue Produkte und relativer Marktanteil sowie der Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen verbirgt sich eine Vielzahl von Erklärungsparametern, die eine differenziertere Betrachtung bei der Formulierung einer Unternehmensstrategie notwendig machen. Bei den vorgestellten Strategiekonzepten dominiert der Absatzmarktaspekt, was sie für die Entwicklung einer Internationalisierungsstrategie zu eng erscheinen lässt. Die allgemeinen Strategiekonzepte müssen deshalb durch eine detailliertere Analyse der Aspekte der Internationalisierung ergänzt <?page no="321"?> 298 • Kapitel IV: Strategieentwicklung im internationalen Umfeld werden, die auch die Gewinnung von Wettbewerbsvorteilen durch eine Internationalisierung der Beschaffung, der Produktion, der Forschung und Entwicklung, des Personals und der Organisation umfasst. Die dargestellte Analyse macht die Vielzahl von Gründen deutlich, die zu einer Internationalisierung von Unternehmensaktivitäten führen können. Diese internationalen Aktivitäten können, wie gezeigt wurde, einen wesentlichen Beitrag zur Erreichung der allgemeinen Unternehmensstrategie leisten. Wird der Beitrag der internationalen Aktivitäten für die Gesamtzielsetzung des Unternehmens so bedeutend, dass diese nicht mehr „ungeplant“ bleiben dürfen, dann stellt sich für das Unternehmen im Rahmen der strategischen Planung die Frage nach der Formulierung einer Internationalisierungsstrategie, welche im folgenden Kapitel behandelt wird. <?page no="322"?> Kapitel IV: Strategieentwicklung im internationalen Umfeld • 299 Fallstudie: BMW Group: Der globale Launch des „MINI E“ BMW Group: Der globale Launch des „MINI E“ Dr. Detlef Pietsch, Leiter Projekt Alternative Antriebe, BMW Group Maciej Malinowski, Vermarktung Projekt Alternative Antriebe, BMW Group Die Endlichkeit fossiler Rohstoffe und die kontinuierlich steigende Nachfrage nach denselben sorgen auf den Weltmärkten für eine stetige und besorgniserregende Preissteigerung. Die nachhaltige Reduzierung von CO 2 -Emissionen stellt sowohl für die Industrie als auch für die Politik eine Herausforderung dar. In Zeiten eines gleichzeitig steigenden Umweltbewusstseins in der Gesellschaft steht die Automobilindustrie einmal mehr im Zentrum der öffentlichen Wahrnehmung. Insbesondere Premiumhersteller, die im Vergleich zu Volumenherstellern tendenziell größere Fahrzeugmodelle mit überwiegend leistungsstärkeren Motoren verkaufen, geraten bei CO 2 -Debatten, Flottendurchschnittsverbräuchen und dergleichen schnell ins Rampenlicht. Daher gibt es seit einigen Jahren nennenswerte Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten auf dem Gebiet der alternativen Antriebe. So soll in naher Zukunft eine vernünftige, marktreife Antwort auf die Frage nach der nachhaltigen Mobilität von Morgen gegeben werden können. Seit geraumer Zeit greift auch die Gesetzgebung diesen gesellschaftlichen Wandel auf, indem sie für die Zulassungsfähigkeit neuer Fahrzeugmodelle anspruchsvolle gesetzliche Rahmenbedingungen formuliert, die die Branche vor große Herausforderungen hinsichtlich ihres Produktportfolios stellen. So verpflichtet die Behörde CARB (California Air Ressource Board) mittlere und große Automobilhersteller in Kalifornien dazu, Nullemissionsfahrzeugen zum Verkauf anzubieten, sodass jene mit einem Mindestanteil in den Zulassungsstatistiken erscheinen (Zero-Emission-Vehicle (ZEV) Mandat in Kalifornien). Zahlreiche US-Bundesstaaten schließen sich dieser im weltweiten Vergleich strengsten Emissionsgesetzgebung Kaliforniens an. Die Politik beabsichtigt auf diese Weise die Entwicklungsaktivitäten der Hersteller deutlich zu beschleunigen und sie zum Angebot kurzfristig verfügbarer, alltagstauglicher Lösungen zu bewegen. Die BMW Group hat sich Ende 2007 in einer Situation wiedergefunden, in der sich die zulassungsrechtlichen Gegebenheiten auf den weltweiten Märkten schneller veränderten, als man in einem gewöhnlichen Produktentwicklungsprozess überhaupt darauf hätte reagieren können. Da es sich dabei insbesondere um die strategisch bedeutendsten Absatzmärkte (z.B. USA, GB) handelte, identifizierte man einen dringenden Handlungsbedarf, <?page no="323"?> 300 • Kapitel IV: Strategieentwicklung im internationalen Umfeld um auf den Wandel in der Gesetzgebung reagieren zu können. So sollten drastische Strafmaßnahmen bei Nichteinhaltung vermieden werden. Im Rahmen der Strategie „Number ONE“ (Opportunities, New, Efficiency) wurde unter anderem die Initiative „project i“ ins Leben gerufen - ein „think tank“ im Unternehmen bestehend aus Experten, die sich in ihrem jeweiligen Spezialgebiet mit Fragen zur Mobilität der Zukunft beschäftigten. Ein zentraler Faktor dabei war die vollständige Unabhängigkeit dieser Einheit von jeglichen Standardprozessen, -strukturen und Linienfunktionen in der BMW Group. Erst jene Eigenständigkeit konnte zu vollkommen neuen Denkanstößen und konkreten Projekten in den Bereichen Entwicklung, Produktion und Vertrieb führen. Gleichzeitig wurde der sogenannte Elektromobilitätspfad definiert, der eine Reaktion auf die sich verändernden Marktbedingungen für individuelle Mobilität beschreibt und das konkrete Engagement der BMW Group in den wichtigsten Absatzmärkten formuliert. Hauptaugenmerk dabei ist zunächst die Markteinführung des sogenannten MegaCityVehicles, des BMW i3, anhand dessen die BMW Group eine neuartige Lösung für Mobilität im urbanen Umfeld anbieten wird, und im breiteren Kontext der Launch der Submarke BMW i, unter welcher die Ergebnisse des project i und der Ansatz für die Mobilität der Zukunft vermarktet werden. Der Erfolg dieser Vorhaben hängt allerdings von einer frühzeitigen Etablierung nachhaltiger Kooperationen in den strategisch relevanten Märkten mit Partnern in Politik und Energiewirtschaft ab. Ohne jene Partnerschaften, die an diversen Schnittstellen rund um ein Elektrofahrzeug greifen müssen, wird Elektromobilität nicht marktfähig sein können. So ist eine enge Kooperation mit einem Energieversorger, der öffentlichen Hand und/ oder dem Gesetzgeber unerlässlich, um notwendige Voraussetzungen für einen kundenwertigen Elektrofahrzeugeinsatz im Alltag zu schaffen, wie z.B. die Ladeinfrastruktur im privaten/ öffentlichen Raum und die elektrofahrzeugspezifischen Gegebenheiten einer KFZ-Zulassung und -Besteuerung. Als erstes Ergebnis entstand in diesem Umfeld binnen kürzester Zeit die Innovation MINI E - ein rein elektrisch angetriebener MINI. Das Ziel von project i war es, den MINI E in Kundenhand zu übergeben, um so schnell wie möglich repräsentative und allgemeingültige Kundenerkenntnisse aus dem Alltagsgebrauch eines Elektrofahrzeuges zu gewinnen. Im zweiten Schritt entstand die nächste Innovation in Form des BMW ActiveE - einem rein elektrisch angetriebenem BMW 1er Coupé -, in welcher die Hochvoltkomponenten der nächsten Generation während eines realitätsgetreuen Alltagseinsatzes gezielt in technischer Hinsicht untersucht werden. Die Ergebnisse beider Großversuche werden dann wiederum eine maßgebliche Rolle für die Entwicklung künftiger Mobilitätsprodukte (wie z.B. das Mega City Vehicle BMW i3) und -dienstleistungen spielen. Die Entscheidung über die Auswahl der Pilotierungsmärkte für den MINI E wurde anhand weniger entscheidender Kriterien herbeigeführt. <?page no="324"?> Kapitel IV: Strategieentwicklung im internationalen Umfeld • 301 Abbildung 153: MINI E Projekte weltweit Mit der schärfsten Emissionsgesetzgebung im Individualverkehr positioniert sich der US- Bundesstaat Kalifornien an der Westküste bereits seit Jahrzehnten weltweit an vorderster Stelle hinsichtlich der Förderung der Zulassung alternativ angetriebener Fahrzeuge und im Besonderen der Zero-Emission-Vehicles (ZEV). Trotz der Größe der Entfernung zur US- Ostküste ist ein nennenswerter Einfluss auf die Gesetzgebung am US-amerikanischen Regierungssitz zu verzeichnen. Zudem handelt es sich bei den USA um die größte Volkswirtschaft der Welt. Auf dem europäischen Kontinent hingegen nahm die deutsche Regierung die Vorreiterrolle ein und beabsichtigt, Deutschland als weltweiten Leitmarkt für Elektromobilität zu entwickeln. Anhand von bundesweiten Forschungs- und Förderprojekten, die im Rahmen des Konjunkturpaketes II unterstützt werden, erging an die in der Verantwortung stehenden Hauptakteure der Elektromobilität (Automobilindustrie, Energiewirtschaft, Infrastrukturpartner) die Aufforderung, einen maßgeblichen Beitrag hierzu zu leisten und Erkenntnisse für die Erschließung dieses noch jungen Industriefeldes zu gewinnen. Für die BMW Group ist der Heimatmarkt Deutschland zudem der größte Absatzmarkt. Großbritannien ist das Ursprungsland der Marke MINI und hat aus diesem Grund eine essenzielle Bedeutung für die BMW Group, die bei der Vermarktung seiner Produkte und bei der Schaffung der einzigartigen MINI Markenwelt sehr stark auf authentische, britische Emotionen angewiesen ist. Als einer der größten Absatzmärkte generiert das Vereinigte Königreich zudem enorme Abstrahleffekte in seine ehemaligen Kolonien und die heutigen Mitgliedstaaten des Commonwealth of Nations. <?page no="325"?> 302 • Kapitel IV: Strategieentwicklung im internationalen Umfeld Auf Basis der genannten Argumente wurde die selektive Markteinführung der ersten ZEV Kleinserie der BMW Group an den Standorten Los Angeles, New York / New Jersey, Berlin, München und London durchgeführt. Mit der Auslieferung des MINI E Anfang 2009 als erstes Premium-Elektrofahrzeug in Kleinserie beanspruchte die BMW Group die Führungsrolle in der individuellen Elektromobilität für sich allein, und das zum damaligen Zeitpunkt ohne jeden Wettbewerb. Mit einem gewöhnlichen Produktlaunch in diesen Märkten würde man jedoch allenfalls Marketingeffekte generieren, aber keine fundierten Erkenntnisse darüber gewinnen, wie eine umfassende Markteinführung eines Elektrofahrzeuges in Serie auszusehen hat. Der MINI E-Großversuch stellte ein bisher einzigartiges, weltweites Lernprojekt dar, dessen Ziel es war, ausgewählte potenzielle Elektrofahrzeugmärkte umfassend zu pilotieren. So sollten der Alltagseinsatz der Fahrzeuge und die damit verbundenen Anforderungen weitreichend erforscht werden. Dazu wurde zum einen die Hochvolttechnologie einer realitätsnahen Prüfung unterzogen, zum anderen wurde insbesondere das Kundenverhalten untersucht. Um fundierte, aussagekräftige Studienergebnisse auf Basis des Kunden-Feedbacks zu erhalten, wurde die MINI E Feldstudie unter wissenschaftlicher Begleitung und in Kooperation mit universitären Partnern durchgeführt. Die Gewährleistung der Validität der Forschungsresultate war dabei ebenso essentiell wie die Sicherstellung der weltweiten Vergleichbarkeit. Nur auf diese Weise ließ sich das erworbene Wissen auf Folgeaktivitäten des „project i“ übertragen und der Erfahrungsgewinn in vollem Umfang nutzen. Die aufgrund des wissenschaftlichen Anspruchs des MINI E-Projektes entstandene deutliche Differenzierung der BMW Group zum Wettbewerb war dabei lediglich ein positiver kommunikativer Nebeneffekt. Die weltweit durchgeführte wissenschaftliche Begleitung aller MINI E Projekte und die daraus gewonnenen Erkenntnisse verschafften der BMW Group ihr Alleinstellungsmerkmal in der Elektrofahrzeugbranche, da im Wettbewerb bis dato keine derart fundierten Ergebnisse erarbeitet wurden. Abgesehen von Fahrzeugtechnologie und Kundenverhalten gab es allerdings noch zahlreiche andere Aufgabenfelder, die es ebenso zu untersuchen und zu lösen galt. Für Schnittstellen zwischen dem Elektrofahrzeug und dem Umfeld, in dem es betrieben wurde, gab es oftmals keine verfügbare kundenfreundliche Lösung. Um diese den Kunden anbieten zu können, mussten Partner aus Energiewirtschaft, Infrastruktur und Politik einbezogen werden. Diesbezüglich galt es von Beginn an „Elektromobilitäts-Know-how“ aufzubauen und dieses spezielle Know-how ebenfalls mit den Handelsorganisationen für die künftige Interaktion mit dem Kunden zu erarbeiten. Durch die systematische Datenerfassung mittels Datenloggern im MINI E bei Fahrten sowie Ladevorgängen generierte man eine weltweit einzigartige Datenbasis, die tatsächliches Kundenverhalten in diversen reellen Einsatzszenarien abbildet. Ergänzt um regelmäßige Interviews mit allen MINI E Nutzern, die ihre subjektive Sicht rund um die Fahr- <?page no="326"?> Kapitel IV: Strategieentwicklung im internationalen Umfeld • 303 zeugnutzung schilderten, reicherte man die objektiven Datensätze um wertvolle subjektive und qualitative Komponenten in diesem Feldversuch an. Diese umfassende Datenbasis nutzte die BMW Group nicht nur für die Weiterentwicklung neuer Mobilitätslösungen, sondern stellte jene ebenfalls der Politik zur Verfügung, damit reale Erkenntnisse in den Prozess der Setzung von Rahmenbedingungen einfließen können. Wenn der Gesetzgeber in die Lage versetzt wird, Rahmenbedingungen zu schaffen, die eine Marktentwicklung begünstigen bzw. diese zumindest nicht verhindern, profitiert das gesamte Industriefeld von dieser engen Kooperation mit Regierungsstellen und Normierungsinstituten. Während die für die BMW Group strategisch wichtigsten Märkte für die Vermarktung von Elektrofahrzeugen qualifiziert und mittels Sondersystemen und -prozessen befähigt wurden, wurde zusehends die Notwendigkeit deutlich, noch weitere Schlüsselmärkte befähigen zu müssen. Einerseits wurden die Stimmen aus den Vertriebsregionen laut, dass man die Innovation MINI E dringend benötige, um den Nachhaltigkeitsanspruch der BMW Group glaubhaft vermitteln zu können. Andererseits war es unerlässlich, weitere ausgewählte Pilotmärkte vorzubereiten, um sie für die avisierten Aktivitäten der BMW Group unter der Marke BMW i gezielt zu qualifizieren. Auf dem europäischen Kontinent wird Frankreich das Potenzial zugestanden, sich zum weltweit zweitgrößten Elektrofahrzeugmarkt entwickeln zu können. Auf dem asiatischen Kontinent wiederum war man bis dato überhaupt nicht vertreten. Gemessen am Industrialisierungsgrad der asiatischen Volkswirtschaften ist Japan das technologisch am höchsten entwickelte Land, insbesondere wenn der Fokus auf der Automobilindustrie liegt. Gemessen am Entwicklungspozential der einzelnen Länder ist China zweifelsohne das größte Gewicht im asiatischen Raum. Dies betrifft nicht nur die individuelle Mobilität der Bevölkerung von 1,3 Mrd. Chinesen, sondern ebenfalls die Energiewirtschaft und die Infrastrukturpartner bzw. die Behörden zur Bewirtschaftung öffentlichen Raumes. In diesen genannten Ländern erfolgte Ende 2010 der Rollout des MINI E Projektes in seiner zweiten Phase. Um die Unternehmensressourcen bezogen auf Budget sowie Personal zu schonen, wurde ein Teil der MINI E Flotte aus den USA für diesen Einsatz abgezogen und in diese Länder verlagert. Die zuvor erwähnte notwendige Vergleichbarkeit der Forschungsergebnisse aller Projekte führte zu einer relativ genauen Spiegelung der Projektorganisation der ersten Pilotmärkte in die neuen Schlüsselmärkte hinein. Dies beinhaltete die BMW interne Projektorganisation zentral in München sowie dezentral bei der Tochtergesellschaft. Ergänzend musste aber auch das Set-up des Konsortiums bestehend aus Energieversorgern, Universitäten, Regierungsstellen und Behörden definiert werden. Die Erfahrungswerte aus der ersten Projektphase begünstigten zwar den Aufbau der Projektorganisationen, jedoch stieß man bei jedem Projekt auf nationale Gegebenheiten, die in anderen Ländern zuvor oftmals keine Relevanz hatten. <?page no="327"?> 304 • Kapitel IV: Strategieentwicklung im internationalen Umfeld Mit dem MINI E Großversuch hat die BMW Group binnen kürzester Zeit in allen Schlüsselmärkten eine einzigartige Datensowie Erfahrungsbasis aus der Alltagsnutzung der Fahrzeuge geschaffen. Ergänzt um die künftigen Erfahrungen mit dem Folgeprojekt BMW ActiveE und die daraus gewonnenen Erkenntnisse hinsichtlich des Kundenverhaltens und der Komponentenzuverlässigkeit, nimmt die BMW Group mit diesem speziellen Knowhow eine strategisch günstige Marktposition gegenüber dem Wettbewerb ein. Wesentlich für die Vermarktung zukünftiger Aktivitäten unter der Marke BMW i ist ebenfalls, dass die angesprochene Zielgruppe um die Kompetenz der BMW Group in diesem noch sehr jungen Markt für Elektromobilität weiß und vorab Vertrauen in die Zuverlässigkeit der BMW Produkte entwickelt. Die hierfür notwendige Vorarbeit leistet die BMW Group mittels der Forschungsprojekte MINI E und BMW ActiveE, um den künftigen Produkten der Marke BMW i eine günstige Markteintrittslage zu verschaffen. Fragen zur Fallstudie (1) Welche Motivation steckt hinter der Gründung von „project i“? (2) Welche Ziele verfolgt die BMW Group mit dem MINI E Projekt? Skizzieren und bewerten Sie die Vorgehensweise bei der Umsetzung. (3) Nennen Sie Gründe/ Kriterien für die Auswahl der Pilotmärkte. (4) Wie könnte der MINI E auf Basis der Erkenntnisse aus den Pilotmärkten international ausgerollt werden? Auf welche nationalen Besonderheiten in Frankreich, China und Japan ist dabei jeweils zu achten? (5) Weitere Strategieempfehlung für die BMW Group, inwieweit es mit project i weitergehen sollte? (6) Wovon hängt der zukünftige Erfolg von BMW i ab? Begründen Sie Ihre Argumente. Mit welchen Folgen ist zu rechnen, wenn die Voraussetzungen für die Erfolgskriterien nicht erfüllt werden (können)? Informationen www.mini-e.de www.bmw-i.de www.project-i.com Literaturempfehlungen Basisliteratur Copeland, T.E./ Koller, T./ Murrin, J., 2002: Unternehmenswert, 3. Aufl., Frankfurt a.M./ New York. Lasserre, P., 2007: Global Strategic Management, 2. Aufl., Houndmills, [Kapitel 2: „Designing a Global Strategy“, S. 33-66]. <?page no="328"?> Kapitel IV: Strategieentwicklung im internationalen Umfeld • 305 Lombriser, R./ Abplanalp, P.A, 2010: Strategisches Management, 5. Aufl., Zürich. Rothaermel, F.T., 2012: Strategic Management, McGraw-Hill, New York, [Kapitel 2: „The Strategic Management Process“, S. 30-53, sowie die Kapitel 3, 4 und 6] Vertiefungsliteratur Hasler, P.T., 2011: Aktien richtig bewerten, Heidelberg. Koller, T./ Dobbs, R./ Huyett, B., 2011: Value. The four cornerstones of corporate finance, Hoboken, N.J: John Wiley & Sons. Kuhner, C./ Maltry, H., 2006: Unternehmensbewertung, Heidelberg. <?page no="330"?> Kapitel V: Internationalisierungsstrategien <?page no="331"?> 308 • Kapitel V: Internationalisierungsstrategien Standpunkt: Grünenthal Gruppe Grünenthal Gruppe Die Grünenthal Gruppe ist ein unabhängiges, international tätiges, forschendes Pharmaunternehmen im Familienbesitz. Die Grünenthal Gruppe ist in 26 Ländern weltweit mit Gesellschaften vertreten und erwirtschaftete mit circa 4.200 Mitarbeiter in 2011 einen Umsatz von 947 Mio. €. www.gruenenthal.com Dr. Harald F. Stock, Chief Executive Officer der Grünenthal Gruppe Dr. Harald F. Stock ist seit Januar 2009 Chief Executive Officer der Grünenthal Gruppe. Er agiert zudem in den Aufsichtsgremien der Unternehmen immaticsbiotechnologies GmbH sowie PAION AG. 1. Ist die Breite der internationalen Marktpräsenz einer Firma im Pharma-Bereich ein zentraler Erfolgsfaktor? Diese Frage ist nicht mit ja oder nein zu beantworten. Strategisch ist eine Präsenz sowohl in den aufstrebenden Wachstumsmärkten als auch eine Präsenz in den großen, etablierten Märkten zur Erreichung einer kritischen Masse strategischer Ressourcen sowie nachhaltigem Wachstums notwendig. Dagegen ist der Aufbau einer direkten breiten internationalen Präsenz, also durch Tochterunternehmen, mit hohen Investitionskosten und -risiken verbunden. Unter dem Strich zahlt sich eine selektierte - und damit fokussierte - Breite der Internationalisierung für die Grünenthal Gruppe als mittelgroßen Marktteilnehmer aus. So partizipieren wir basierend auf unserer über Jahrzehnte aufgebauten starken Marktposition sowohl am überdurchschnittlichen Marktwachstum der Märkte in Lateinamerika als auch durch - zugegebenermaßen mit hohen Entwicklungskosten und -risiken behaftet - Innovationen aus „eigener Küche“ am Marktpotenzial der größten globalen Märkte für starke Schmerzmittel in Europa und USA (dort in einer Allianz mit Johnson & Johnson bzw. mit Forest Laboratories, die unsere Produkte mitentwickeln und -vertreiben). Neben dem Wachstumspotenzial, das sich für uns nur durch Internationalisierung erschließen lässt, sind wir durch unsere direkte Präsenz in mehr als 20 Märkten in Europa und Lateinamerika weitaus weniger exponiert gegenüber staatlich verordneten Preisabschlägen und Wechselkursrisiken. Wir arbeiten darauf hin, in den kommenden drei Jahren eine Balance in unserem Geschäftsmodell zwischen den Kostenträger-dominierten und damit durch Innovation geprägten Märkten Europas und Nordamerikas und den Endkunden-dominierten und damit durch Marken geprägten Märkten Lateinamerikas zu schaffen. Beide Systeme bewegen sich jedoch aufeinander zu: die Entwicklungsmärkte bauen Sozialsysteme auf, die <?page no="332"?> Kapitel V: Internationalisierungsstrategien • 309 entwickelten Märkte nehmen den Patienten als Endverbraucher mehr und mehr in die Pflicht. 2. Welche Rolle spielen Internationalisierungsformen wie Technologieverträge in Form von Ein- oder Auslizenzierungen für Grünenthal? Als mittelgroßer Marktteilnehmer fehlt uns in vielen Teilen der Wertschöpfungskette die finanzielle ‚Muskelkraft‘ oder die kritische Masse an Fähigkeiten. Insofern haben wir sowohl sehr eng definiert, was unsere strategischen Kernkompetenzen sind, als auch darauf aufbauend eine Virtualisierung unserer Wertschöpfungskette vorangetrieben. In Summe findet unsere Wertschöpfung zu 50% in Allianzen statt: von der Einlizenzierung von Molekülen über die Entwicklung von Produkten, die Produktion bis hin zur Vermarktung. Speziell in der ressourcenaufwendigen späten Entwicklung eines Projektes setzt unsere Allianzstrategie an. Wir streben an, nur ca. 40% der Entwicklungskosten selber zu tragen und bringen dafür regionale Vermarktungsrechte für den Entwicklungspartner ein. So entsteht ein Partneringmodell für die Vermarktung, in dem wir hinsichtlich der reifen, großen Märkte in Europa stets der ‚Seniorpartner‘ und in den USA stets der ‚Juniorpartner‘ sind. In diesem Modell werden die Entwicklungsmärkte Lateinamerika durch uns, Märkte in Afrika und vor allem in Asien aber durch Partner bearbeitet. Neben den Lizenzeinnahmen aus den auslizenzierten Territorien erwirtschaften wir einen nicht unbeträchtlichen Teil unserer Erträge aus Basistechnologien wie beispielsweise unserer Narkotikamissbrauch reduzierenden INTAC (TM) Technologie. 3. Welche Kriterien zieht Grünenthal bei der Auswahl von Absatzmärkten heran? Die oben beschriebene regionale Fokussierung beruht auf der Priorisierung der Absatzmärkte bezüglich der Marktposition, die wir innehaben, und dem Marktpotenzial für unsere aktuellen Produkte und unsere R&D-Pipeline. So haben wir eine vielversprechende Pipeline und Marktposition im Segment der mittleren bis starken Schmerzmittel in den europäischen Kernmärkten und ein großes Marktpotenzial in diesem Segment in den USA. Darüber hinaus besitzen wir eine überdurchschnittlich gute Marktposition in Lateinamerika, die es uns erlaubt, das dortige starke Marktwachstum auszuschöpfen. Dies definiert unsere dreiteilige Regionalstrategie: 1. direkte Präsenz in den europäischen Kernmärkten und in Lateinamerika. 2. Lizenzbeziehungsweise Juniorpartnerrolle in den USA. 3. Auslizenzierung der restlichen Regionen. 4. Ist es für ein mittelgroßes Unternehmen im Pharma-Bereich notwendig, sich eng zu fokussieren, um eine internationale Präsenz aufzubauen? Aus meiner Sicht ist es absolut überlebensnotwendig, sich eng zu fokussieren. Das gilt insbesondere, um die extrem hohen Vermarktungskosten im Griff zu behalten. Das bedeutet zweierlei: Erstens bedienen wir eine enge Zielgruppe und fokussieren uns im Vertrieb auf Spezialisten vs. Allgemeinärzte. Und zweitens müssen wir die extrem hohen Entwicklungskosten (bis zu EUR 500 Mill. pro Jahr und pro Molekül in der Phase III) effizient einsetzen. <?page no="333"?> 310 • Kapitel V: Internationalisierungsstrategien 5. Welche Rolle spielen Länder wie China oder Indien im Markt für pharmazeutische Produkte - sei es als Kunde oder Wettbewerber? Mehr als zwei Drittel des Weltmarktwachstums der kommenden Jahre wird aus den sogenannten BRIC-Staaten (Brazil, Russia, India, China) generiert werden, so projiziert es IMS. Je nach etablierten medizinischen Schulen sind es die einen oder anderen Märkte, die aus diesen vieren herausragen. Um am Weltmarktwachstum partizipieren zu können, muss eine Pharmafirma direkt oder indirekt in diesen Märkten präsent sein. Auf Basis einer bereits seit 1968 in Lateinamerika (Peru) auf- und ausgebauten Marktposition sind wir beispielsweise 2011 den ersten Schritt der Expansion nach Brasilien gegangen. Dies ist ein Markt, in dem wir bisher noch nicht direkt vertrieben hatten. Aber auch auf Wettbewerbsseite sind sowohl indische als auch chinesische Firmen immer ernster zu nehmen. 6. Welche Rolle spielen finanzielle Kriterien wie der Kapitalwert einer Auslandsinvestition bei der Internationalisierung im Vergleich zu „Soft Factors“? Jede Investition, die Grünenthal tätigt, muss sich rechnen. Im Gegensatz zu Publikumsgesellschaften können wir jedoch als Konzern in Familienbesitz längeren Atem beweisen, bis sich die Investition auszahlt. Nicht jedes Quartal Ertragswachstum berichten zu müssen, erlaubt es, langfristiger und vor allem nachhaltiger zu wirtschaften. 7. Welche Themen stellen die größten Herausforderungen für die Internationalisierung in der Pharma-Branche dar? Gesundheit, also Pharma, Medizintechnik, Gesundheitsdienstleistungen und -infrastruktur, ist einer der global auch in der Zukunft am schnellsten wachsenden Wirtschaftszweige. Daraus ergibt sich aus meiner Sicht ein klares Bild: Diese Entwicklung stellt - unabhängig von der Staatsverschuldungskrise - die weltweiten Gesundheitssysteme vor die Herausforderung der Finanzierbarkeit. Arzneimittelpreise werden genauso weiter unter Druck sein, wie die Zulassungshürden höher werden. Generika werden den Großteil der Marktvolumina darstellen. Daraus folgt für mich für die Zukunft, dass die Industrielandschaft von Generikagiganten geprägt sein wird, die Skaleneffekte nutzend zu Tiefstpreisen das Gros der Medikamente liefern und dabei geringe Margen erwirtschaften werden. Es gibt aber keinen Grund, ein allzu düsteres Bild zu zeichnen: Wissenschaftlich exzellente Nischenspieler werden auch weiterhin den medizinischen Fortschritt vorantreiben und mit weiter massiv steigenden Forschungs- und Entwicklungsbudgets und -risiken umgehen können - und dabei auch ausreichende Margen erwirtschaften. Allerdings wird sich die Kostenstruktur dieser Spezialisten (oder auch eines „Flottenverbandes“ mehrerer lose koordinierter Spezialisten unter dem „Kommando“ einer mit langer Leine dezentral regierender Konzernzentrale) deutlich verändern: Statt rund ein Drittel der Umsatzerlöse in die Vermarktung zu investieren und nur rund ein Sechstel in die Forschung und Entwicklung, wird es notwendig sein, ausgehend von einem etwas niedrigeren Preisniveau mehr in F&E als in M&V zu investieren. Die Herausforderung für eine Industrie, die Jahrzehnte mit „more of the same“ trotz mangelnder echter Innovationen einträglich lebte (aber dabei ihr Image <?page no="334"?> Kapitel V: Internationalisierungsstrategien • 311 aufs Spiel setzt(e)), wird es sein, diesen radikalen Wandel intern und extern (insbesondere gegenüber den Kapitalmärkten) zu bewerkstelligen. Für uns bei Grünenthal fängt Innovation beim Patienten an. Wir wollen das patientenzentrierteste Unternehmen werden - wir werden Innovationspotenziale dadurch erschließen, dass wir besser als der Wettbewerb verstehen, welche Probleme unsere Patienten haben und wie wir diese adressieren können. Schon heute investieren wir daher mehr als 25% unseres Umsatzes in F&E und in absehbarer Zeit wird unser F&E-Budget unser M&V-Budget überholt haben. Internationalisierungsstrategien Abbildung 154 stellt ein mögliches Ablaufdiagramm zur Entwicklung einer Internationalisierungsstrategie dar. Es handelt sich dabei um ein mehrstufiges Modell, das in viele Einzelschritte untergliedert ist. Diese Einzelschritte sollen im Folgenden dargestellt und mit den bereits vorhandenen Theorien und Konzepten der Internationalisierung von Unternehmen in Zusammenhang gebracht werden. Da diese Abbildung einen sehr komplexen Sachverhalt wiedergibt, werden alle Zweige (Z) nummeriert, so dass im Text auf die entsprechenden Nummern verwiesen werden kann. 1 Strategische Lücken-Analyse Ausgangspunkt der Betrachtung ist die Frage, ob eine strategische Lücke im Rahmen der bisherigen strategischen Planung des Unternehmens vorhanden ist, d.h. ob das bisherige Potenzial zur Erfüllung der Zielvorstellung nicht ausreicht. Für die Analyse der strategischen Lücke ist es notwendig, das gesamte Regelkreissystem der Unternehmensführung im Hinblick auf die Zielerreichungspotenziale zu überprüfen. 1.1 Entscheidungssituation ohne strategische Lücke Wie bereits an anderer Stelle festgestellt wurde, kann das Unternehmen durch die Internationalisierung der Aktivitäten zu einem erhöhten Anspruchsniveau bezüglich seiner Zielvariablen kommen. Das ist dann der Fall, wenn das Unternehmen im Inland über Wettbewerbsvorteile verfügt, die es auch im Ausland zur Erhöhung der Zielvorgaben benutzen könnte. In diesem Zusammenhang wurde der Begriff der aktiven Internationalisierung verwendet. <?page no="335"?> 312 • Kapitel V: Internationalisierungsstrategien <?page no="336"?> Kapitel V: Internationalisierungsstrategien • 313 <?page no="337"?> 314 • Kapitel V: Internationalisierungsstrategien Abbildung 154: Konzept zur Entwicklung einer Internationalisierungsstrategie <?page no="338"?> Kapitel V: Internationalisierungsstrategien • 315 Geht man davon aus, dass das Zielerreichungspotenzial ausreicht, d.h. keine strategische Lücke für das Unternehmen besteht (Z1), ist zu überprüfen, ob es bereits Auslandsaktivitäten durchführt. Bestehen solche Auslandsaktivitäten nicht (Z2), dann muss darüber entschieden werden, ob eine Internationalisierung der Unternehmenstätigkeit aufgenommen werden soll. Z3 gibt den Fall wieder, in dem das Unternehmen eine Internationalisierung seiner Aktivitäten ausschließt. Damit beschränkt die Unternehmensleitung ihren ökonomischen Horizont auf Inlandsaktivitäten. Bestehen bereits Auslandsaktivitäten (Z4), dann muss das Management darüber entscheiden, ob es eine Verstärkung der bisherigen oder eine Aufnahme neuer Auslandstätigkeiten anstreben will, um damit eine Steigerung der Zielvorgaben zu erreichen. Ist dies nicht der Fall (Z5), dann stellt sich die Frage, ob das Unternehmen bereits über eine Internationalisierungsstrategie verfügt. Ist dies nicht gegeben (Z6), muss die Unternehmensführung überlegen, ob sie ihre bisherigen Auslandsaktivitäten weiter ausüben will. Wird diese Frage verneint, dann beendet das Unternehmen seine Auslandsaktivitäten (Z7). Andernfalls führt es seine bisherigen Auslandsaktivitäten weiter (Z8). Aus dem Entscheidungspfad Z5/ Z6/ Z8, der davon ausgeht, dass keine aktive Internationalisierung angestrebt wird und keine Internationalisierungsstrategie besteht, kann man schließen, dass die bisherigen Auslandsaktivitäten von dem Unternehmen für den Unternehmenserfolg als strategisch unbedeutend angesehen werden. Unterstellt man, dass eine Unternehmung bereits über eine Internationalisierungsstrategie verfügt (Z9), dann steht sie vor der Alternative, diese fortzuführen oder nicht. Kommt es zu keiner Fortführung (Z10), dann kann zwar das Unternehmen weiterhin Auslandsaktivitäten betreiben, jedoch sind diese strategisch unbedeutend. Z11 gibt den Fall wieder, in dem das Unternehmen eine Fortführung der bisherigen Internationalisierungsstrategie geplant hat, jedoch keine neuen Auslandsaktivitäten beginnen möchte. Der Pfad Z13 stellt die Situation dar, in der das Unternehmen seine bisherigen Auslandsaktivitäten weiter verstärken will, um damit eine Erhöhung des Anspruchsniveaus seiner Zielvariablen zu erreichen. Wie aus Abbildung hervorgeht, kann eine aktive Internationalisierung über die Pfade Z1/ Z2/ Z12 und Z1/ Z4/ Z13 erreicht werden. Beim ersten Pfad bedeutet die aktive Internationalisierung die erstmalige Aufnahme von Auslandsaktivitäten (aktive Internationalisierung 1), im Pfad Z1/ Z4/ Z13 aktive Internationalisierung, dass das Unternehmen seine bisherigen Auslandsaktivitäten intensivieren oder neue aufnehmen will (aktive Internationalisierung 2). <?page no="339"?> 316 • Kapitel V: Internationalisierungsstrategien 1.2 Entscheidungssituation mit strategischer Lücke Stellt das Unternehmen fest, dass die Zielerreichungspotenziale nicht ausreichen, um die Zielvorstellung der Unternehmensleitung zu realisieren, besteht eine strategische Lücke. Zur Schließung dieser strategischen Lücke kann die Unternehmensführung überlegen, ob der ökonomische Aktionsradius um Auslandsaktivitäten erweitert werden soll. Eine so initiierte Internationalisierung von Unternehmensaktivitäten wird als passive Internationalisierung bezeichnet. Im Folgenden wird untersucht, wie es zu einer passiven Internationalisierung kommen kann. Ist eine strategische Lücke vorhanden (Z14), dann ergeben sich bezüglich der Frage der Internationalisierung zwei Möglichkeiten: Das Unternehmen ist bereits im Ausland tätig (Z18) oder nicht (Z15). Im zweiten Fall (Z15) ergibt sich die Möglichkeit der Aufnahme von Auslandsaktivitäten für das Unternehmen. Bei Z16 verzichtet die Unternehmensleitung auf eine Internationalisierung seiner Aktivitäten. Damit beschränkt sich der ökonomische Horizont des Unternehmens auf Inlandsaktivitäten, eine Internationalisierung findet nicht statt. Z17 spiegelt die Entscheidung des Managements wider, Auslandsaktivitäten erstmalig aufzunehmen. Der Pfad Z14/ Z15/ Z17 wird als passive Internationalisierung 1 bezeichnet. Führt das Unternehmen bereits Auslandsaktivitäten durch (Z18), dann stellt sich die Frage, ob es eine Schließung der strategischen Lücke durch eine Verstärkung der bisherigen Aktivitäten bzw. durch die Aufnahme neuer Aktivitäten herbeiführen möchte. Will es dies nicht (Z19), dann ist zu untersuchen, ob bereits eine Internationalisierungsstrategie vorhanden ist. Ist dies der Fall (Z20), dann stellt sich das Problem, ob das Unternehmen diese fortführen will. Andernfalls (Z21) bedeutet das die Beendigung der Internationalisierungsstrategie und/ oder es werden nur noch solche Auslandsaktivitäten durchgeführt, die keine strategische Bedeutung haben. Z22 gibt den Pfad wieder, der angibt, dass das Unternehmen seine bisherige Internationalisierungsstrategie fortführen will. Neue Auslandsaktivitäten werden jedoch nicht aufgenommen. Hat das Unternehmen keine Internationalisierungsstrategie (Z23), dann besteht entweder die Alternative, die Auslandsaktivitäten weiter wie bisher durchzuführen (Z24), was zu Auslandsaktivitäten ohne strategische Bedeutung führt, oder diese zu beenden (Z25). Sollen die bisherigen Auslandsaktivitäten zur Schließung der strategischen Lücke erweitert werden, dann führt dies zu einer Verstärkung oder Neuaufnahme von Auslandstätigkeiten. Diese Form der Internationalisierung von Unternehmensaktivitäten soll als passive Internationalisierung 2 bezeichnet werden (Z26). <?page no="340"?> Kapitel V: Internationalisierungsstrategien • 317 1.3 Entwicklung der Internationalisierung aus der strategischen Lücke Die Pfade Z1/ Z2/ Z12 (= aktive Internationalisierung 1), Z1/ Z4/ Z13 (= aktive Internationalisierung 2), Z14/ Z15/ Z17 (= passive Internationalisierung 1) und Z14/ Z18/ Z26 (= passive Internationalisierung 2) geben die Initiierung einer Internationalisierungsstrategie für Unternehmen wieder. Bei diesen Pfaden ist eine Reihe von unternehmerischen Entscheidungen zu treffen, die sich insbesondere darauf beziehen, ob das Unternehmen eine aktive oder passive Internationalisierung und damit eine Erweiterung seines ökonomischen Horizonts um neue Auslandsaktivitäten vornehmen will. Diese Grundsatzentscheidung hängt von einer Vielzahl von Faktoren ab. Die Initialkräfte von Aharoni (Aharoni, Y., 1966) wie z.B. Vorschläge, die von außen an das Unternehmen herangetragen werden, oder die Angst, den Markt zu verlieren, bzw. Mitläufer-Effekte oder die starke Konkurrenz von ausländischen Unternehmen im Inland beeinflussen die Einstellung der Unternehmensleitung gegenüber Auslandsaktivitäten positiv. Genauso führen in Anlehnung an Aharoni Prestigedenken, Reiselust sowie das Bestreben, etwas für die Entwicklung anderer Länder zu tun, zu einer positiven Einstellung der Unternehmensleitung zur Internationalisierung von Unternehmensaktivitäten. Auch die aus der Theorie des oligopolistischen Parallelverhaltens abgeleiteten Follow-the-Leader- oder Kreuzinvestitions-Strategien ermöglichen eine Internationalisierung von Unternehmensaktivitäten. Ebenso kann das Aufkommen von ausländischen Wettbewerbern auf dem Heimatmarkt des Unternehmens eine Initialwirkung für die Formulierung einer Internationalisierungsstrategie haben. In der Nachfragestruktur- und der internationalen Produktlebenszyklus-Theorie wird auf die Bedeutung der Wachstumsgrenze auf dem Inlandsmarkt für das Entstehen von Auslandsaktivitäten hingewiesen. In diesen Konzepten würde die Wachstumsgrenze im Inland das Entstehen einer strategischen Lücke erklären. Ein weiteres Motiv, eine Internationalisierung zu beginnen, ist das aus der Monopoltheorie abgeleitete Kontrollmotiv. Dieses Kontrollmotiv, den Wettbewerb im Ausland auszuschalten oder einen monopolistischen Vorteil im Ausland auszunutzen, führt zu einer aktiven Internationalisierung. Neben diesen mehr auf den Entscheidungsträger bezogenen Verhaltensvariablen hängt die Einstellung der Unternehmensleitung gegenüber Auslandsaktivitäten auch von dem Ausmaß der strategischen Lücke ab. So kann das Unternehmen feststellen, dass der Inlandsmarkt für ein Schließen der strategischen Lücke nicht mehr ausreicht. Dann entsteht zwangsweise die Notwendigkeit, auch ausländische Märkte zu bearbeiten, wenn das Unternehmen seine Zielvorstellungen nicht nach unten korrigieren will. Veränderungen bei bestimmten Elementen des Regelkreissystems der Unternehmensführung können eine Neuorientierung der Unternehmenspolitik im Hinblick auf Auslandsaktivitäten erforderlich machen. So können sich z.B. die Umweltfaktoren im Inland so verschlechtern, dass die Unternehmensleitung bezweifelt, dass in Zukunft das Heimatland der günstigste Standort ist. Auch aus der betrieblichen Stärken- und Schwächenanalyse lässt <?page no="341"?> 318 • Kapitel V: Internationalisierungsstrategien sich eine Reihe von Gründen ableiten, die ein Unternehmen veranlassen, ins Ausland zu gehen. In diesem Zusammenhang werden die Theorien der Internationalisierung relevant, da sie mit ihren Erklärungsvariablen Bestimmungsgründe liefern, warum und wann Unternehmen Auslandsaktivitäten aufnehmen sollen. Besteht die Bereitschaft, eine aktive oder passive Internationalisierung der Unternehmenstätigkeiten vorzunehmen, dann muss im nächsten Schritt untersucht werden, ob die Voraussetzungen dafür gegeben sind. 2 Überprüfung der Voraussetzungen für eine Internationalisierung 2.1 Allgemeine Voraussetzungen Unabhängig davon, ob eine aktive Internationalisierung 1 (Z12) oder 2 (Z13) bzw. eine passive Internationalisierung 1 (Z17) oder 2 (Z26) vorgenommen werden soll, muss die Unternehmensleitung untersuchen, inwieweit die Voraussetzungen dafür gegeben sind. Zur Bestimmung des Internationalisierungspotenzials muss das Management überprüfen, inwieweit die allgemeinen Voraussetzungen für erfolgreiche Auslandsaktivitäten vorliegen. Dazu ist das gesamte Regelkreissystem der Unternehmensführung dahingehend zu analysieren, über welche Bestimmungsfaktoren positive Effekte für eine Internationalisierung gewonnen werden können. Kommt das Unternehmen bei dieser Analyse zu dem Ergebnis, dass die allgemeinen Voraussetzungen für eine Internationalisierungsstrategie nicht gegeben sind (Z27), dann sind nur strategisch unbedeutende Auslandsaktivitäten möglich. Um dieses Problem zu analysieren, muss zunächst untersucht werden, ob sich mit der bisherigen Führungskonzeption eine Internationalisierung von Unternehmensaktivitäten vereinbaren lässt. Ist das Denken des Managements fast ausschließlich auf den Inlandsmarkt konzentriert, wird sogar eine ethnozentrische Führungskonzeption fraglich. Bei der Internationalisierung muss ein Unternehmen über genügend Wettbewerbsvorteile auf den bisher bearbeiteten Märkten verfügen, die potenziell auch auf andere Länder übertragbar sind. Für diese Analyse leisten die Erklärungsvariablen der Theorien der Internationalisierung wertvolle Hilfestellungen, da sie Bestimmungsfaktoren liefern, die für die betriebliche Stärken- und Schwächensowie die Umweltanalyse bedeutsam sind. Aus den dargestellten Theorien im Kapitel „Grundlagen des internationalen Wettbewerbs“ lassen sich z.B. folgende internationale Wettbewerbsvorteile ableiten: (1) Vorteile in der Produkttechnologie, (2) Vorteile in der Verfahrenstechnologie, (3) Vorteile in der Managementtechnologie, <?page no="342"?> Kapitel V: Internationalisierungsstrategien • 319 (4) Vorteile in der Rohstoffversorgung, (5) Vorteile in der Beschaffung sonstiger Ressourcen (z.B. Humankapital, Finanzen), (6) Vorteile, die sich aus dem Inlandsmarkt ergeben, (7) Vorteile des Standortes des Inlandsunternehmens und (8) Vorteile aus der Kapazitätsauslastung. Die dargestellte Auswahl von möglichen Wettbewerbsvorteilen erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Das würde letztlich dem Versuch gleichkommen, eine „Übertheorie“ der Internationalisierung entwickeln zu wollen. Jeder Versuch dieser Art ist aber zum Scheitern verurteilt. Für ein Unternehmen stellt sich an dieser Stelle die Frage, welche Wettbewerbsvorteile für seinen speziellen Bereich relevant sind. Dabei ist die Liste von möglichen Wettbewerbsvorteilen nahezu unendlich groß. Das Auffinden möglicher Wettbewerbsvorteile, die für eine erfolgreiche Internationalisierungsstrategie verwendet werden können, stellt einen sehr kreativen Akt dar. Ziel der folgenden Darstellung ist es, beispielhaft die Bestimmung des Internationalisierungspotenzials zu verdeutlichen. Dies kann mithilfe eines Scoring-Modells (Strebel, H., 2007; Brockhoff, K., 1976) erfolgen. Abbildung 155 gibt ein Beispiel für ein Scoring-Modell, in dem wesentliche, aus den Theorien der Internationalisierung abgeleitete Wettbewerbsvorteile enthalten sind. An dieser Stelle wird noch einmal deutlich, wie wichtig die Theorien der Internationalisierung für betriebswirtschaftliche Analysen sind. Sie ermöglichen eine Identifikation von Erklärungsvariablen für mögliche Wettbewerbsvorteile und damit das Erstellen von Checklisten für Scoring-Modelle. Kommt die Unternehmensführung über die aktive oder passive Internationalisierung 1 (Z12 oder Z17) zu der Überlegung, Auslandsaktivitäten zu beginnen, dann kann sie mögliche Wettbewerbsvorteile aus der Wettbewerbssituation im Inland ableiten. Dazu muss sie eine Analyse der Stellung des Unternehmens in Bezug auf diese Wettbewerbsvorteile gegenüber den Hauptwettbewerbern im Inland durchführen. Erst in einem zweiten Schritt kann sie dann überprüfen, ob diese Vorteile auch auf ausländische Märkte übertragbar sind. Andererseits muss das Unternehmen analysieren, ob es im Ausland Wettbewerbsvorteile besitzt, die im Inland nicht bestehen. Führt das Unternehmen schon Auslandsaktivitäten durch und kommt über die aktive oder passive Internationalisierung 2 (Z13 oder Z26) zu der Überlegung, diese weiter auszubauen, dann kann es eine Untersuchung seiner Wettbewerbssituation sowohl für den Inlandsmarkt als auch für die bisherigen Auslandsmärkte durchführen. Für neue Auslandsmärkte muss die Übertragbarkeit von Wettbewerbsvorteilen vom Heimatmarkt oder den bisherigen Auslandsmärkten auf die neuen Märkte überprüft werden. <?page no="343"?> 320 • Kapitel V: Internationalisierungsstrategien Ausgangspunkt bei Verwendung des Scoring-Modells ist die Frage, wie sich die Wettbewerbssituation des Unternehmens darstellt. Im jeweils betrachteten Land ist es sinnvoll, den stärksten Konkurrenten als Maßstab der eigenen Wettbewerbsvorteile zu wählen. Um den stärksten Wettbewerber zu identifizieren, kann das Management auf übliche Erfolgskennzahlen wie z.B. Marktanteile zurückgreifen oder auch detailliertere Analysen durchführen. Dabei können ebenfalls Scoring-Modelle verwendet werden. Denkbar wäre auch, dass sich das Unternehmen gegenüber allen Wettbewerbern misst, da unterschiedliche Konkurrenten über verschiedene Wettbewerbsvorteile verfügen können. Ein solches Benchmarking würde zu einer Analyse führen, die einen Vergleich bei allen möglichen Wettbewerbsvorteilen zu einem theoretischen Konstrukt eines „Best-practice“-Unternehmens zulassen würde. Gegenüber dem besten Konkurrenten bestehen: +3 sehr große Vorteile/ +2 große Vorteile/ +1 geringe Vorteile/ 0 keine Vorbzw. Nachteile -1 geringe Nachteile/ -2 große Nachteile/ -3 sehr große Nachteile Abbildung 155: Scoring-Modell zur Bestimmung des Internationalisierungspotenzials eines Unternehmens Im Folgenden wird davon ausgegangen, dass der stärkste Wettbewerber bereits bestimmt wurde und dass andere Konkurrenten über keine größeren Wettbewerbsvorteile gegenüber dem betrachteten Unternehmen verfügen. Alle weiteren Analysen beziehen sich auf das wettbewerbsfähigste Konkurrenzunternehmen. Beispielhaft soll eine solche Analyse in Bezug auf diesen Konkurrenten durchgeführt werden. Gleiche Analysen könnte man jedoch auch für andere Wettbewerber mit unterschiedlichen Wettbewerbsvorteilen anstellen. Zunächst ist es notwendig, alle in Abbildung 155 wiedergegebenen Faktoren zu überprüfen. Die Beurteilung der Wettbewerbssituation des betreffenden Unternehmens in einem <?page no="344"?> Kapitel V: Internationalisierungsstrategien • 321 bestimmten Land kann in Bezug auf den jeweils stärksten Wettbewerber mittels einer Skala erfolgen, die von -3 bis +3 reicht. Abbildung 155 zeigt dabei zwei Extremfälle. Profil 1 zeigt ein Unternehmen, das in einem bestimmten Land bzgl. aller Faktoren sehr große Wettbewerbsnachteile hat. Mit einem solchen Profil wäre die erfolgreiche Aufnahme einer Internationalisierungsstrategie in dem betreffenden Land äußerst unwahrscheinlich. Es ist aber denkbar, dass für ein anderes Land das Profil anders aussieht. Als Beispiele können hier Unternehmen aus dem ehemaligen Ostblock genannt werden, die in dem ehemaligen Comecon-Gebiet Wettbewerbsvorteile hatten, da häufig westliche Konkurrenten fehlten, die aber in den westlichen Industrieländern nicht konkurrenzfähig waren. Das Profil 2 in Abbildung 155 stellt die Situation eines Unternehmens dar, das auf allen Gebieten Wettbewerbsvorteile in einem bestimmten Land hat. Eine solche Situation stellt i.d.R. eine Ausnahme dar. Das Unternehmen hat für das betreffende Land ein überragendes Internationalisierungspotenzial. Dies wird in der Regel in der Realität nicht existieren (z.B. ein Unternehmen in der Automobilbranche, das Autos mit dem größten Sitzkomfort, mit dem größten Kofferraum, mit der größten Beschleunigung, mit der größten Sicherheit, mit dem sparsamsten Motor, der höchsten Geschwindigkeit, dem kleinsten Wendekreis usw. baut). Interessant wird eine solche Analyse dann, wenn Wettbewerber existieren, die über große Wettbewerbsvorteile auf unterschiedlichen Gebieten verfügen. Dann gilt es, Wettbewerbsvorteile zu finden, die sich von denen der übrigen Konkurrenten unterscheiden. Realistischer ist ein Profil, wie es in Abbildung 156 dargestellt ist. Hier besitzt das betrachtete Unternehmen einige Vorteile, denen aber Nachteile in der Produkttechnologie und in der Rohstoffversorgung gegenüberstehen. Die Entwicklung einer Internationalisierungsstrategie für ein betrachtetes Erzeugnis bzw. eine Erzeugnisgruppe in dem betreffenden Land stellt das Unternehmen vor die Frage, welche Alternativen ihm zur Verfügung stehen. Dabei kann das Unternehmen zwischen zwei unterschiedlichen gedanklichen Konzeptionen entscheiden. Erstens kann das Unternehmen strategische Überlegungen darüber anstellen, wie die Nachteile in der Produkttechnologie und in der Beschaffung von Rohstoffen zu beseitigen sind. Die Gefahr bei einem solchen Vorgehen besteht darin, dass dann der Wettbewerber, der definitionsgemäß Vorteile auf diesen Gebieten besitzt, zum Vorbild genommen wird. Eine solche Imitationsstrategie kann eine erfolgreiche Gesamtstrategie gefährden, da viele Ressourcen in die Verbesserung der bestehenden Nachteile investiert werden müssen. Da es heute in der Unternehmensstrategie i.d.R. nicht ausreicht, gleich gut wie die Wettbewerber zu sein, kann diese Imitationsstrategie langfristig zu einer falschen Prioritätenbildung im Unternehmen führen und damit die gesamte Internationalisierungsstrategie in Frage stellen. Hierbei wird auch die große Gefahr des Benchmarkings deutlich. So kann ein falsch verstandenes Benchmarking sehr leicht zu einer Imitationsstrategie führen. <?page no="345"?> 322 • Kapitel V: Internationalisierungsstrategien Gegenüber dem besten Konkurrenten bestehen: +3 sehr große Vorteile/ +2 große Vorteile/ +1 geringe Vorteile/ 0 keine Vorbzw. Nachteile -1 geringe Nachteile/ -2 große Nachteile/ -3 sehr große Nachteile Abbildung 156: Scoring-Modell für die Wettbewerbsvorteile eines Unternehmens Aus Abbildung 156 kann auch ein zweites gedankliches Vorgehen abgeleitet werden. Danach befasst sich das Unternehmen zunächst damit, vorhandene Vorteile zu einem strategischen Konzept zu verbinden. Ist eine solche Strategiekonzeption möglich, muss das Unternehmen in einem zweiten Schritt überprüfen, ob die bestehenden Nachteile die Implementierung einer so gefundenen Strategie verhindern. Ist dies nicht der Fall, dann ließe sich mit dieser Konzeption eine Strategieinnovation in dem betreffenden Land entwickeln. Damit ist es möglich, dass das eigene Unternehmen und der stärkste Wettbewerber mit unterschiedlichen Strategien, die auf verschiedenen Wettbewerbsvorteilen basieren, in bestimmten Produktsegmenten erfolgreich sind. Analog ist dies auch für eine größere Zahl von Unternehmen denkbar. Es stellt sich bei einer Analyse der Internationalisierungspotenziale auch die Frage, wie viele internationale Wettbewerbsvorteile ein Unternehmen besitzen muss, um erfolgreich zu sein. In der Unternehmenspraxis, insbesondere in den fernöstlichen Schwellenländern, gibt es genügend Beispiele dafür, dass ein einziger Vorteil schon ausreicht, um erfolgreich zu internationalisieren, solange die Wettbewerbsnachteile nicht die Implementierung dieser Strategie verhindern. Porter hat jedoch gezeigt, dass beispielsweise ein Kostenvorteil allein nicht ausreicht (Porter, M.E., 1999), um langfristig erfolgreich zu sein. Ein Beispiel soll die dargestellte Analyse verdeutlichen. Gewählt wird das Unternehmen Benetton in den 1980er Jahren. Trägt man die Wettbewerbsvor- und -nachteile von Benetton in das Scoring-Modell ein, erhält man für Westeuropa (den Hauptmärkten, in denen das Unternehmen tätig war) das Bild, das in Abbildung 157 wiedergegeben ist (Harvard Business School, Case Nr. 9-685-020, Rev. 4/ 86). <?page no="346"?> Kapitel V: Internationalisierungsstrategien • 323 Gegenüber dem besten Konkurrenten bestehen: +3 sehr große Vorteile/ +2 große Vorteile/ +1 geringe Vorteile/ 0 keine Vorbzw. Nachteile -1 geringe Nachteile/ -2 große Nachteile/ -3 sehr große Nachteile Abbildung 157: Scoring-Modell für die Wettbewerbsvorteile von Benetton Auf dem Gebiet der Produkt- und Prozesstechnologie war Benetton 1982 in seinem Marktsegment führend. Mit der Erfindung des nachträglichen Einfärbens grauer Pullover hatte Benetton eine überlegene Produkttechnologie entwickelt, weil es hierdurch möglich wurde, auf Nachfrageverschiebungen kurzfristig zu reagieren. Auch in der Optimierung der gesamten Prozesssteuerung galt das Unternehmen als führend. Das Management von Benetton wurde in diesem Markt im Vergleich zu den Wettbewerbern ebenfalls als besser angesehen. Durch ein geschicktes Subkontraktorsystem konnte das Unternehmen in Italien fast ein ähnliches Modell wie das japanische Just-in-Time-System aufbauen, so dass bei der Rohstoffbeschaffung eine eindeutige Überlegenheit gegenüber anderen Wettbewerbern bestand. Die Beschaffung sonstiger Ressourcen umfasst das Vorhandensein von gut ausgebildeten Arbeitskräften und/ oder die Verfügbarkeit von finanziellen Mitteln. Auch in diesen Bereichen war Benetton seinen Wettbewerbern überlegen, z.B. durch ein geschicktes Franchising- und Zahlungssystem für die Vorlieferanten bzw. Händler. Der Heimatmarkt Italien, der durch ein großes Modebewusstsein geprägt ist, war für Benetton im Vergleich zu anderen nicht-italienischen Unternehmen ebenfalls von Vorteil. Der Standort Norditalien bedeutete für das Unternehmen einen leichteren Zugang zu nördlichen europäischen Ländern und verfügt über eine relativ gute Verkehrsinfrastruktur. Diese Tatbestände waren für das Unternehmen gegenüber anderen Wettbewerbern zumindest nicht als negativ zu bewerten. Die Kapazitätsauslastung hat das Unternehmen Benetton durch eine Just-in-Time-Produktion optimiert und sich durch eigene Softwareentwicklungen auf diesem Gebiet zu einer weltweit führenden Firma entwickelt. Dies geschah durch eine geschickte Ausnutzung der Informationstechnologie. <?page no="347"?> 324 • Kapitel V: Internationalisierungsstrategien Damit besaß Benetton in Westeuropa auf allen Gebieten Wettbewerbsvorteile und hatte ein beträchtliches Internationalisierungspotenzial für außereuropäische Länder. Bisher wurde in der Analyse der Wettbewerbsvorteile davon ausgegangen, dass das Unternehmen diese von den bisher bearbeiteten Märkten auf neue Auslandsmärkte überträgt, d.h. eine Strategie entwickelt, die zunächst auf seinen Stärken aufbaut. Eine Internationalisierung von Unternehmensaktivitäten kann jedoch auch als Konsequenz aus den Schwächen eines Unternehmens auf seinen bisherigen Märkten erfolgen. Stellt ein Unternehmen z.B. fest, dass es erhebliche Kosten- oder Technologieprobleme auf seinen bisher bearbeiteten Märkten hat, dann kann es versuchen, durch Importe von Vorund/ oder Endprodukten, durch eine Internationalisierung der Forschung und Entwicklung, durch eine Verlagerung der Produktion ins Ausland in Form einer Direktinvestition oder durch die Lizenznahme von einem ausländischen Unternehmen diesen Problemen entgegenzuwirken. Dann wird die Internationalisierung der Unternehmensaktivitäten dazu benutzt, inländische Wettbewerbsnachteile in Vorteile zu verwandeln. Verfügt ein Unternehmen über genügend Internationalisierungspotenzial (Z28), dann stellt sich die Frage, ob sich diese Wettbewerbsvorteile auch „internationalisieren“, d.h. auf andere Länder übertragen lassen (Fall A). Auch für die Frage, inwieweit Auslandsaktivitäten Wettbewerbsnachteile im Inland beseitigen können, muss das Unternehmen überprüfen, welche Länder dazu geeignet sind, eine Problemlösung zu ermöglichen (Fall B). Für beide Fragen ist eine länderspezifische Vorteilsanalyse notwendig, auf die in dem folgenden Abschnitt eingegangen werden soll. 2.2 Analyse der länderspezifischen Voraussetzungen Will ein Unternehmen Wettbewerbsvorteile in bisherigen Märkten auf neuen Auslandsmärkten nutzen (Fall A), muss es überprüfen, ob diese auf das Land übertragbar sind, für das es sich interessiert. Ist dies nicht der Fall, dann fällt das betreffende Land für eine Internationalisierungsstrategie aus (Z29). Das Gleiche gilt, wenn das Unternehmen zu dem Ergebnis kommt, dass ein bestimmtes Land nicht dazu geeignet ist, eine Problemlösung zur Beseitigung von Schwächen in den bisher bearbeiteten Märkten zu bieten (Fall B). Um die Frage nach der Übertragbarkeit bzw. der Schaffung von Wettbewerbsvorteilen zu untersuchen und eine Analyse der relevanten Umweltfaktoren durchzuführen, ist ein zweistufiges Vorgehen notwendig. Zunächst muss überprüft werden, inwieweit ein Unternehmen seine Wettbewerbsvorteile aus dem Scoring-Modell auf ein bestimmtes Land übertragen kann bzw. ob das betreffende Land Beiträge zu Problemlösungen auf den bisher bearbeiteten Märkten bietet. Anschließend müssen die allgemeinen Rahmenbedingungen dieses Landes mithilfe einer Umweltanalyse daraufhin untersucht werden, ob das Risiko, in diesem Land tätig zu werden, ver- <?page no="348"?> Kapitel V: Internationalisierungsstrategien • 325 tretbar ist. Kommen beide Analysen zu einem positiven Abschluss (Z30), dann kann die Entwicklung einer Internationalisierungsstrategie fortgeführt werden. 2.2.1 Informationsgewinnungsprozesse Im Rahmen der vorgenannten Problemstellungen ist zunächst die Frage zu beantworten, wie Unternehmen dazu kommen, bestimmte Länder in ihre Analyse mit einzubeziehen. Dies kann auf zwei Arten erfolgen: auf der Basis eines passiven oder aktiven Informationsgewinnungsprozesses. Bei der passiven Informationsgewinnung über Auslandsmärkte geht man davon aus, dass die Informationen von außen an das inländische Unternehmen herangetragen werden. Dies entspricht dem Konzept der Initialkräfte der Theorie von Aharoni (Ramamurti, R./ Hashai, N., 2011; Aharoni, Y., 1966). Der passive Informationsgewinnungsprozess wird in Abbildung 158 wiedergegeben. Abbildung 158: Passives Modell der Informationsgewinnung In der ersten Stufe gibt das inländische Unternehmen erzeugnisbezogene Daten an Institutionen im Ausland. Dabei können folgende Informationsübermittler im Ausland für das Inlandsunternehmen von besonderer Bedeutung sein: Kunden, Auslandsgesellschaften des inländischen Unternehmens, staatliche Stellen, Konkurrenzunternehmen, Broker, Handelskammern, Banken und Messen. Als Reaktion auf die erzeugnisbezogenen Daten erhält das inländische Unternehmen in der zweiten Stufe des Informationsgewinnungsprozesses Absatzmarktinformationen über das Ausland von lokalen Stellen. <?page no="349"?> 326 • Kapitel V: Internationalisierungsstrategien Beim aktiven Modell der Informationsgewinnung, das in Abbildung 159 wiedergeben ist, legt das inländische Unternehmen den Bedarf für die Informationsgewinnung fest und initiiert sie im Ausland. Dies kann z.B. durch folgende Situationen bedingt sein: (1) Unternehmen, die eine Globalstrategie verfolgen, bemühen sich gezielt um weltweite Informationen über aktuelle oder potenzielle Absatzund/ oder Beschaffungsmärkte. (2) Unternehmen, die bisher nur eine passive Informationsgewinnung betrieben haben, erreichen eine kritische Schwelle des Anteils des Auslandsumsatzes am Gesamtumsatz, so dass eine umfassende strategische Analyse der Auslandsaktivitäten notwendig wird. (3) Die Gefährdung eines für das Unternehmen nicht unbedeutenden Auslandsmarktes erfordert eine gezielte Analyse dieses Marktes. (4) Technologische Zwänge erfordern den Aufbau von Mindestkapazitäten. Wenn die Inlandsnachfrage für das Ausnutzen dieser Mindestkapazität zu gering ist, müssen sich Unternehmen gezielt um zusätzliche Absatzchancen im Ausland bemühen. (5) Eine Unterbeschäftigungssituation im Inland zwingt das Unternehmen, freie Kapazitäten durch Auslandsaktivitäten zu nutzen. (6) Mitläufer-Effekte machen ein Land für ein Unternehmen interessant und es beginnt, sich gezielt darüber zu erkundigen. Abbildung 159: Aktives Informationsgewinnungsmodell <?page no="350"?> Kapitel V: Internationalisierungsstrategien • 327 Als Resultat des Informationsgewinnungsprozesses ergeben sich Länder, die für das Unternehmen interessant sein könnten. Die Bedeutung von Informationen für eine erfolgreiche Internationalisierungsstrategie wurde bereits erläutert. Das besonders im englischsprachigen Raum populäre Konzept der Competitive Intelligence beschreibt einerseits den in Abbildung 160 visualisierten Prozess (Pfaff, D., 2005; Michaeli, R., 2005; Bernhardt, D., 1993) der Informationsgewinnung und -analyse über Wettbewerber und das Umfeld. Der Prozess besteht aus den Schritten Informationsbedarfsanalyse und Projektplanung (Planning & Direction), Informationssammlung (Collection), Verarbeitung (Processing), Auswertung und Analyse (Analysis and Production) und der Präsentation der Ergebnisse (Dissemination). Andererseits wird unter Competitive Intelligence das Produkt des Durchlaufs des Intelligence Cycles verstanden, also das aggregierte Wissen über Wettbewerber und Umfeld (Lux, C./ Peske, T., 2002). Als Geburtsstunde der modernen Competitive Intelligence gilt die Veröffentlichung: „Techniques for analyzing industries and competitors“ von Michael Porter (Porter, M.E., 1980). Abbildung 160: Intelligence Cycle Die Informationsgewinnung bei der Competitive Intelligence sollte nur mit legalen Mitteln durchgeführt werden. Die „Society of Competitive Intelligence Professionals“ (SCIP), die weltweit größte Vereinigung auf diesem Gebiet, fordert darüber hinaus von ihren Mitgliedern ein sowohl legales als auch ethisch einwandfreies Vorgehen. Somit stehen dem seriösen Competitive-Intelligence-Spezialisten nur offene Quellen zur Verfügung, womit der Vorwurf der Wirtschaftsspionage entkräftet wird. Unter Wirtschaftsspionage wird jede illegale Tätigkeit verstanden, deren Ziel die Beschaffung und Verwertung von Informationen über ein Unternehmen oder von Informationen ist, die in einem Unternehmen genutzt <?page no="351"?> 328 • Kapitel V: Internationalisierungsstrategien oder gewonnen werden (Kochmann, K., 2009; Lux, C./ Peske, T., 2002; Maier, E., 1992). Der Übergang von legaler zu illegaler Informationsbeschaffung ist allerdings nicht eindeutig (KPMG, 1997). Vor allem die neuen Informations- und Kommunikationstechnologien ermöglichen die illegale Beschaffung von Informationen. Welche Schäden durch Wirtschaftsspionage entstehen, ist schwer abschätzbar. Die dafür angeführten Zahlen gehen weit auseinander. Jede Schätzung oder Untersuchung weist aufgrund der hohen Dunkelziffer einen hohen Grad an Spekulation und Vermutung auf (Lux, C./ Peske, T., 2002). Der durch Wirtschaftsspionage jährlich verursachte Schaden in der Bundesrepublik wird beispielsweise auf ca. 10 Mrd. € geschätzt (Deiß, M., 2003). Man unterscheidet bei der Wirtschaftsspionage zwischen Konkurrenzspionage, d.h. Wirtschaftsspionage zwischen Unternehmen, und nachrichtendienstlich geführter Wirtschaftsspionage durch Staaten. Ziel ist die Erlangung eines wirtschaftlichen Vorteils für ein Unternehmen bzw. eine Volkswirtschaft (von der Wirtschaftsspionage sind die Begriffe sensitive Exporte, Proliferation, Sabotage und gemeine Betriebskriminalität abzugrenzen). Abbildung 161 soll einen kurzen Überblick über die Akteure der Wirtschaftsspionage geben. Nach Ende des Kalten Krieges, dem Fall der Mauer sowie dem Zerfall der Sowjetunion wurde von einer Verringerung nachrichtendienstlicher Aktivitäten ausgegangen. Jedoch war die Folge nur eine Verlagerung von militärischen auf wirtschaftliche und wissenschaftliche Ziele. Sichtbar aktiv sind in Deutschland die Nachrichtendienste der Russischen Föderation, der Ukraine, Weißrusslands und Kasachstans. Eine beliebte Methode von ihnen ist die Anwerbung deutschstämmiger Aussiedler (Landesamt für Verfassungsschutz Baden-Württemberg, 2002). Auch China baut bei seinem wirtschaftlichen Expansionsstreben auf die Unterstützung seiner Geheimdienste, zudem wird an den Patriotismus ehemaliger Austauschstudenten appelliert, „interessante“ Informationen aus Industrie und Technik dem Heimatland zukommen zu lassen (Landesamt für Verfassungsschutz Baden-Württemberg, 2002). Im Bereich der Konkurrenzspionage ist von einem gleich bleibend hohen Niveau von Aktivitäten auszugehen. Dies ist auf einen verstärkten Wettbewerbsdruck, Globalisierungsbestrebungen sowie auf die „Freisetzung“ von nachrichtendienstlich geschultem Personal durch den Zerfall des Ostblocks zurückzuführen. In der Wirtschaftsspionage nimmt neben den klassischen Methoden der Auswertung offener Quellen, Teilnahme am Wirtschaftsleben durch Gründung von Unternehmen und dem Agenten im Zielobjekt (Innentäter) die Bedeutung moderner Informationstechnik weiter zu. So besitzen insbesondere westliche Nachrichtendienste modernste Fernmeldeaufklärung, die die Überwachung nahezu aller Fernmeldesatelliten sowie des regulären Funkverkehrs und der Internetkommunikation ermöglicht. Das Ausmaß der Abhörtätigkeit, insbesondere die Menge an Informationen, die gleichzeitig abgefangen und ausgewertet werden kann, ist jedoch strittig (Lux, C./ Peske, T., 2002). <?page no="352"?> Kapitel V: Internationalisierungsstrategien • 329 Alle hier genannten Methoden finden auch in der Konkurrenzspionage im kleineren Rahmen ihre Anwendung. Jedoch gilt zu beachten, dass trotz neuer Möglichkeiten der Informationstechnologie immer noch die größte Gefahr von Innentätern ausgeht (Lux, C./ Peske, T., 2002). Abbildung 161: Akteure der Wirtschaftsspionage Quelle: In Anlehnung an: Lux, C./ Peske, T., 2002 Für die mangelnde Anzahl an öffentlich bekannten Wirtschaftsspionagefällen gibt es verschiedene Gründe. Einerseits schweigen die Opfer aus Angst vor Prestigeverlust in der Öffentlichkeit. Andererseits hinterlässt die moderne Fernmeldeaufklärung keine Spuren, so dass nur Vermutungen geäußert werden können (Landesamt für Verfassungsschutz Baden- Württemberg, 2002). Der gesetzliche Rahmen für die Abwehr, Aufklärung und Verfolgung von Wirtschaftsspionage ist international sehr unterschiedlich. Während einige Staaten keine gesetzlichen Regelungen diesbezüglich getroffen haben, erließen z.B. die USA im Jahre 1996 mit dem „Economic Espionage Act“ ein eigenes Gesetz zur Bekämpfung der Wirtschaftsspionage mit hohen Strafen (Lux, C./ Peske, T., 2002). Nach diesen Ausführungen ist es unverständlich, weshalb der Prävention von Wirtschaftsspionage eine so geringe Bedeutung zukommt. Erst nach einem entsprechenden Angriff, der häufig existenzbedrohend ist, wird der Prävention die notwendige Aufmerksamkeit beigemessen. Daher unterhalten nur wenige Unternehmen neben der klassischen Abteilung Werkschutz mit ihrem vielfältigen Aufgabengebiet eine Abteilung Informationsschutz und <?page no="353"?> 330 • Kapitel V: Internationalisierungsstrategien statten die Abteilungen mit entsprechenden Mitteln und Kompetenzen aus. Voraussetzung für die Beseitigung dieses Problems ist die Erkenntnis, dass Informationsschutz eine wichtige Managementaufgabe ist (Deutscher Industrie- und Handelstag, 1997). Der erste Schritt ist eine Bedrohungs-/ Schwachstellenanalyse, gefolgt von einer Risikobewertung. Darauf aufbauend ist ein angepasstes Informationsschutzkonzept im Gesamtunternehmen zu verankern (Dreger, W., 1998). Gegenwärtig ist vor allem bei Konzernen zu beobachten, dass Informationsschutzkonzepte immer mehr an Bedeutung gewinnen und umgesetzt werden, während bei mittelständischen Unternehmen das Sicherheitsbewusstsein oft nur unzureichend ausgeprägt ist (Deiß, M., 2003). 2.2.2 Überprüfung des Internationalisierungspotenzials für den Auslandsmarkt Besteht für ein bestimmtes Land Interesse, dann muss überprüft werden, ob die vorhandenen Wettbewerbsvorteile auf dieses Land übertragbar sind (Fall A). Dazu muss das Unternehmen das dargestellte Scoring-Modell zur Bestimmung von Internationalisierungspotenzialen für das betreffende Land überprüfen. Dabei kann es zu einem im Vergleich zum Heimatmarkt völlig neuen Profil kommen. Auch diesen Zusammenhang soll das Benetton-Beispiel verdeutlichen. 1982 stand das Unternehmen vor der Frage, ob es in den US-amerikanischen Markt eintreten sollte. Abbildung 162 stellt das Profil für Benetton in den USA dar. Es weicht beträchtlich von dem in Westeuropa ab. Die Produkttechnologie konnte in den USA zunächst nicht als überlegen angenommen werden, da dort Pullover aus reiner Wolle unüblich waren und Synthetikgemische präferiert wurden. In der Prozesstechnologie hatte Benetton gegenüber anderen Anbietern in den USA ebenfalls keine Vorteile, da diese zunächst nur auf europäische Verhältnisse abgestellt war. Das italienische Management war auf dem US-Markt unerfahren, so dass hier Nachteile gegenüber anderen Konkurrenten bestanden. Die Rohstoffversorgung, die in Italien und Westeuropa sehr vorteilhaft war, brachte gegenüber anderen Konkurrenten in den USA keine Vorteile. Die Kapitalknappheit und die Amerika-unerfahrenen Mitarbeiter waren eher negativ für den US-Markt zu bewerten. Lediglich das Mode-Image Italiens („Country of origin-Effekt“) war in den USA ein ausgeprägter Vorteil, der sich entsprechend im Vergleich zu den Konkurrenten in den USA im Scoring-Modell niedergeschlagen hat. Aus dem Standort Norditalien entstanden Benetton gegenüber anderen Wettbewerbern auf dem US-Markt Nachteile. Die Vorteile in der Kapazitätsauslastung in Italien ließen sich zunächst nicht auf den US-Markt übertragen. So entstand für Benetton die Frage, ob es eine Internationalisierung auf der Basis von nur einem Wettbewerbsvorteil in Richtung USA wagen sollte. Auch hier standen Benetton zwei grundsätzliche Möglichkeiten offen. Zum einen hätte Benetton versuchen können, die Nachteile zu beseitigen, was außerordentliche Anstrengungen und finanzielle Mittel erfordert hätte. Zum anderen bestand die Möglichkeit, das gute italienische Image zu nutzen, um eine „Prestigestrategie“ mit höheren Preisen als die der Konkurrenz in den USA zu entwickeln. Durch den höhe- <?page no="354"?> Kapitel V: Internationalisierungsstrategien • 331 ren Preis ließ sich eine Reihe von Kostennachteilen kompensieren, vor allem im Bereich der Produktionskosten sowie der Zoll- und Frachtkosten. Mit einer neuen Segmentstrategie, die zunächst nur auf die italienische Mode in den USA gerichtet war, ist es Benetton dann gelungen, erfolgreich in den Markt einzutreten und später die anfangs bestehenden Nachteile in Vorteile umzuwandeln. Sind Wettbewerbsvorteile aus dem Inins Ausland übertragbar (Fall A) oder lassen sich Schwächen auf den bisher bearbeiteten Märkten durch eine Internationalisierung von Unternehmensaktivitäten abbauen (Fall B), dann stellt sich die Frage, ob aus der Umwelt in dem betreffenden Land Risiken entstehen, die eine Internationalisierung der Aktivitäten in dieses Land gefährden. Gegenüber dem besten Konkurrenten bestehen: +3 sehr große Vorteile/ +2 große Vorteile/ +1 geringe Vorteile/ 0 keine Vorbzw. Nachteile -1 geringe Nachteile/ -2 große Nachteile/ -3 sehr große Nachteile Abbildung 162: Scoring-Modell für Benetton in den USA Die Theorien der Internationalisierung analysieren eine Reihe von externen Rahmenbedingungen, die den Außenhandel, die Direktinvestition im Ausland und die Vergabe von Technologieverträgen ins Ausland hemmen oder fördern. Diese externen Rahmenbedingungen können sozioökonomische, politisch-rechtliche, kulturelle, natürlich-technische und gesellschaftliche Faktoren umfassen. Die Analyse, die die Einflüsse dieser Faktoren auf unternehmerische Entscheidungen untersucht, wird als Umweltanalyse bezeichnet. Zahlreiche wissenschaftliche Untersuchungen beschäftigen sich mit der Frage, wie man die Vor- und Nachteile der Umwelt eines bestimmten Landes für unternehmerische Entscheidungen messbar machen kann (Tümpen, M., 1987). <?page no="355"?> 332 • Kapitel V: Internationalisierungsstrategien 2.2.3 Modelle zur Bestimmung der Vorteilhaftigkeit der Umweltsituation im Ausland In der Literatur wurde eine Reihe von Instrumenten zur Beurteilung der Vorteilhaftigkeit von Umweltsituationen in Auslandsmärkten entwickelt. Die bekanntesten dieser Verfahren sind: (1) Checklistenverfahren (Homburg, Ch./ Krohmer, H., 2003; Stahr, G./ Backes, S., 1992; Stahr, G., 1980; Stuart, R.D., 1965), (2) Verfahren der aspektweisen Eliminierung (Backhaus, K./ Büschken, J./ Voeth, M., 2003; Aschenbrenner, K.M., 1977; Tversky, A./ Sharif, E., 2004), (3) Scoring-Modelle (Homburg, Ch./ Krohmer, H., 2003; Stahr, G., 1980; Kortüm, B., 1972; Stobaugh, R.B., 1969), (4) Nutzwertanalyse-Modelle (Welge, M.K./ Al-Laham, A., 2012; Eisenführ, F./ Weber, M., 2003; Seidel, H., 1977; Douglas, S.P./ Lemaire, P./ Wind, Y., 1972; Zangemeister, Ch., 1971) und (5) Faktorenbzw. Diskriminanzanalysen in Verbindung mit Clusteranalysen (Backhaus, K./ Büschken, J./ Voeth, M., 2003; Backhaus, K./ Erichson, B./ Plinke, W./ Weiber, R., 2003; Bernkopf, G., 1980; Backhaus, K., 1977; Sethi, P.S., 1971; Liander, B./ Terpstra, V./ Yoshiao, M.Y./ Sherbini, A.A., 1967). Vielfach versucht man auch, mithilfe der Portfolio-Analyse (Backhaus, K./ Büschken, J./ Voeth, M., 2003; Harrell, G.D./ Keifer, R.O., 1997; Perlitz, M., 1985a; Wind, Y./ Douglas, S., 1981) Länderrisiken zu beurteilen. Einige dieser Verfahren weisen eine Reihe von methodischen Problemen auf, die stellvertretend am Beispiel des Business-Environment-Risk-Indexes (einem Scoring-Modell) untersucht werden sollen (Tümpen, M., 1987). Der Business-Environment Risk Index setzt sich aus mehreren Teilindizes zusammen. Im Einzelnen besteht er aus dem Operations Risk Index (ORI), dem Political Risk Index (PRI), dem Remittance and Repatriation Factor (RF) und der Profit Opportunity Recommendation (POR). Der Operations Risk Index beispielsweise umfasst folgende Faktoren: (1) politische Stabilität, (2) Einstellung gegenüber ausländischen Investoren und Gewinnen, (3) Verstaatlichung, (4) Geldentwertung, (5) Zahlungsbilanz, (6) Bürokratie, (7) Wirtschaftswachstum, <?page no="356"?> Kapitel V: Internationalisierungsstrategien • 333 (8) Währungskonvertibilität, (9) Durchsetzbarkeit von Verträgen, (10) Lohnkosten und Produktivität, (11) Verfügbarkeit von Experten, (12) Nachrichtenwesen und Transport, (13) örtliches Management und Partner, (14) kurzfristige Kredite und (15) langfristige Kredite und Eigenkapital. Abbildung 163 gibt die Vorgehensweise beim Operations Risk Index anhand des Beispiels der Türkei (Stand: August 2003) wieder. Zunächst erfolgt eine Gewichtung der Kriterien (g i , i=1, 2, ... ,15), wobei die Skala für g von 0,5 bis 3 reicht. Im Anschluss daran werden die Ausprägungen der einzelnen Kriterien (a ik , für das Kriterium i und das Land k) in den verschiedenen Ländern in einer von 0 bis 4 (0 = unerträglich, 1 = schlecht, 2 = befriedigend, 3 = gut, 4 = sehr günstig) reichenden Skala festgelegt. Schließlich werden die Gewichtungen der Kriterien (g i ) mit deren Bewertungen (a ik ) multipliziert. Der Gesamtindex für die einzelnen Länder k ergibt sich dann aus: ORI k = g a i ik i 1 15 , für k=1, 2, ... , N, wobei N die Anzahl der Länder ist. Die maximal erreichbare Punktzahl für ein Land ist 100. Nach dem OR-Index werden die folgenden Klassen gebildet: 1. Klasse: Mehr als 71 Punkte (stabiles Land), 2. Klasse: 56 bis 70 Punkte (mäßiges Risiko, einige Erschwernisse im täglichen Betrieb), 3. Klasse: 41 bis 55 Punkte (hohes Risiko, schlechtes Geschäftsklima für ausländische Unternehmen) und 4. Klasse: 40 und weniger Punkte (die geschäftliche Situation ist für ausländische Investoren nicht akzeptabel). Der OR-Index wurde hauptsächlich als Entscheidungshilfe für westliche Industrienationen entwickelt. Darauf deuten auch die Kriterien politische Stabilität, Rechtssicherheit (Verstaatlichung, Bürokratie, Durchsetzbarkeit von Verträgen) und Einstellung gegenüber ausländischen Investoren und Gewinnen (Marktwirtschaft) hin. Viele Kriterien des OR-Indexes basieren auf Erklärungsvariablen, die auch in den Theorien der Internationalisierung als bedeutsam erkannt wurden. <?page no="357"?> 334 • Kapitel V: Internationalisierungsstrategien Abbildung 163: Operations Risk Index am Beispiel der Türkei Mit der Auswahl dieser Kriterien wird deutlich, dass die Unternehmen, die eine Auslandsaktivität durchführen oder in Erwägung ziehen, nach ähnlichen Marktstrukturen wie im Inland suchen. Diese Forderung nach Ähnlichkeit der Strukturen wie im Inland steht im Einklang mit der Nachfragestrukturtheorie. Gewinnrepatriierungs- und Devisenbeschränkungen werden in den Theorien der Internationalisierung als Investitionshemmnisse dargestellt. Die Kriterien Lohnkosten und Produktivität stellen auch Erklärungsvariablen der Theorie der komparativen Kosten dar. Die Verfügbarkeit von Experten und Dienstleistungen und von einem qualifizierten Management im Ausland wird in der Faktorausstattungstheorie angesprochen. Dies gilt insbesondere für das Humankapital als Erklärungsvariable der Faktorausstattungstheorie. Die Relevanz von Kommunikations- und Transportsystemen für Auslandsentscheidungen wurde nicht nur im Rahmen der Nachfragestrukturtheorie, sondern auch im Zusammenhang mit der Standorttheorie erörtert. Die Kriterien kurzfristige und langfristige Kredite sowie das Eigenkapital können mit der klassischen Kapitaltheorie in Verbindung gebracht werden. Aus dieser Analyse wird deutlich, dass die einzelnen Kriterien des OR-Indexes durchaus sinnvoll sind. Trotzdem tritt eine Reihe von Problemen auf, die zu einer falschen Beurteilung eines Landes mithilfe des OR-Indexes führen können (Meyer, M., 1987; Bechmann, A., 1978). Erstens sind die Kriterien nicht unabhängig voneinander, so dass es bei einzelnen Phänomenen zu Mehrfachgewichtungen kommt. Viele Kriterien hängen unmittelbar mit der politischen Stabilität eines Landes zusammen (z.B. die Einstellung gegenüber ausländischen Investoren und Gewinnen, die Verstaatlichung, die Bürokratie, die Durchsetzbarkeit von Verträgen). Mit der fehlenden Unabhängigkeit der Variablen wird gegen eine wichtige <?page no="358"?> Kapitel V: Internationalisierungsstrategien • 335 Voraussetzung für den Einsatz von Scoring-Modellen verstoßen. Zweitens ist die Gewichtung der Kriterien g i ohne einen Bezug zu einer konkreten Entscheidungssituation nicht sinnvoll. Die Bedeutung der einzelnen Kriterien verändert sich entscheidungssituationsabhängig. Drittens kann es bei den 15 Kriterien zu einer Kompensation von äußerst schlechten durch besonders gute Ausprägungen kommen. Die Durchschnittsbildung verwischt Extremwerte und damit wichtige Erkenntnisse über einzelne Länder. Nutzwertanalyse-Modelle weisen meist die gleichen Probleme auf und führen damit zu den gleichen Schwierigkeiten für die Analyse der Umwelt im Ausland. Trotz dieser erheblichen Mängel zählen Scoring-Modelle und Nutzwertanalysen zu den in der Praxis am weitesten verbreiteten Verfahren zur Beurteilung der Umwelt im Ausland. Aber auch multivariate Verfahren wie die Clusteranalyse weisen erhebliche Probleme bei der Länderanalyse auf. In den bisher vorgeschlagenen Modellen werden meist makroökonomische Variablen für die Clusterbildung herangezogen. Damit entfällt häufig der unternehmens- und produktbezogene Aspekt bei der Analyse (Backhaus, K./ Büschken, J./ Voeth, M., 2003; Köhler, R./ Hüttemann, H., 1989). Mit dem Verfahren der aspektweisen Eliminierung von Kriterien lassen sich viele der vorgenannten Nachteile vermeiden. Hier wird für eine spezielle unternehmerische Fragestellung zunächst festgestellt, welche die wichtigsten Kriterien sind, die die Entscheidungssituation beeinflussen. Damit sind für dieses Verfahren nur ordinale Maßgrößen notwendig, die Unabhängigkeit der Kriterien ist gewährleistet und es kommt nicht zu kompensatorischen Effekten durch die Bildung eines Mittelwertes. Jedoch ist auch bei diesem Verfahren eine Reihung der Kriterien nach ihrer Wichtigkeit notwendig. Kommt das Unternehmen zu dem Ergebnis, dass es nicht über länderspezifische Wettbewerbsvorteile verfügt (Fall A) bzw. eine Beseitigung von Schwächen oder eine Schaffung von Wettbewerbsvorteilen auf den bisher bearbeiteten Märkten durch eine Internationalisierung der Unternehmensaktivitäten nicht erreicht wird (Fall B) und/ oder die Umweltanalyse ein Engagement in einem bestimmten Land als unattraktiv einstuft, dann fällt das betreffende Land aus der Analyse heraus (Z29). Sind länderspezifische Wettbewerbsvorteile vorhanden oder können Schwächen auf den bisherigen Märkten des Unternehmens beseitigt oder dort Wettbewerbsvorteile durch eine Internationalisierung von Unternehmensaktivitäten erzielt werden (Z30), dann steht die Unternehmensleitung vor der Entscheidung, in wie vielen Ländern sie sich engagieren soll. Hier sind folgende Möglichkeiten zu unterscheiden: erstens, das Unternehmen geht auf einen Auslandsmarkt (Z31), zweitens, es bedient nur wenige Auslandsmärkte (Z32) und drittens, es globalisiert sich durch die Aufnahme von Aktivitäten auf vielen Auslandsmärkten (Z33). Die Anzahl der Auslandsmärkte, die ein Unternehmen bedienen kann, hängt u.a. von folgenden Faktoren ab: <?page no="359"?> 336 • Kapitel V: Internationalisierungsstrategien (1) dem verfügbaren Kapital, (2) dem verfügbaren Personal, (3) der Auslandserfahrung des Managements und (4) der Forschungsintensität, falls Produkte für den Auslandsmarkt angepasst werden müssen. Sind die in Frage kommenden Auslandsmärkte ausgewählt, dann müssen Unternehmen entscheiden, mit welcher Markteintrittsund/ oder -bearbeitungsstrategie dort agiert werden soll. 3 Gestaltungsformen von Markteintrittsstrategien Im Allgemeinen kann man drei Markteintrittsbzw. -bearbeitungsstrategien unterscheiden: (1) Exporte/ Importe, (2) Direktinvestitionen im Ausland und (3) internationale Technologieverträge. Die Ex-/ Importalternative (Z40) kann in der Form eines direkten (Z41) oder indirekten Ex-/ Imports (Z42) vorkommen. Im Folgenden sollen beide Formen für den Export dargestellt werden. Für die Importe des Unternehmens gelten die Ausführungen entsprechend. Von direkten Exporten (Z41) spricht man dann, wenn alle Erzeugnisse über eine eigene Verkaufsorganisation direkt zum Abnehmer geliefert werden (Fischer, A.J., 1973). Dabei kann man sechs Organisationsalternativen unterscheiden, die in Abbildung 164 wiedergegeben sind (Fischer, A.J., 1973): Gebietsdelegierte, Importeure, Tochtergesellschaften im Ausland, Generalagenten, Gemeinschaftsvertretungen sowie Generalagenten und Untervertreter. <?page no="360"?> Kapitel V: Internationalisierungsstrategien • 337 Abbildung 164: Direkte Exporte <?page no="361"?> 338 • Kapitel V: Internationalisierungsstrategien Bei indirekten Exporten (Z42) tritt zwischen dem inländischen Hersteller und dem Abnehmer im Ausland ein Mittlerunternehmen auf, das sich auf die Ausfuhr der Erzeugnisse spezialisiert hat, wie z.B. Überseehäuser, Exportagenten, Conforming Houses, Purchasing Agents, Exportfirmen u.Ä.m. Abbildung 165 gibt zwei mögliche Formen der Organisation von indirekten Exporten wieder (Fischer, A.J., 1973). Der Unterschied zwischen den beiden Formen besteht in der Anzahl an inländischen Produzenten, die die Mittlerunternehmen mit Erzeugnissen bedienen. Welche Form des Ex- oder Importes das Unternehmen wählen soll, kann nur im Zusammenhang mit den anderen Alternativen überprüft werden. Dazu ist es notwendig, eine Wirtschaftlichkeitsanalyse für beide Alternativen (Z43 und Z44) durchzuführen und diese mit den Wirtschaftlichkeitsanalysen alternativer Formen von Auslandsaktivitäten zu vergleichen. Wie diese Wirtschaftlichkeitsanalysen durchgeführt werden, wird nach der Darstellung der unterschiedlichen Gestaltungsformen von Auslandsaktivitäten untersucht. Abbildung 165: Indirekte Exporte Als zweite Gestaltungsform von Auslandsaktivitäten kommen Direktinvestitionen im Ausland in Betracht (Z45), die in unterschiedlicher Weise durchgeführt werden können: (1) Aufbau einer eigenen Auslandsgesellschaft (Z46), (2) Erweiterung der eigenen Auslandsgesellschaft (Z47), (3) Erwerb eines ausländischen Unternehmens als 100%ige Tochtergesellschaft (Z48), (4) Erwerb einer Mehrheitsbeteiligung an einem ausländischen Unternehmen (Z49), <?page no="362"?> Kapitel V: Internationalisierungsstrategien • 339 (5) Erwerb einer Minderheitsbeteiligung an einem ausländischen Unternehmen (Z50), (6) Fusion mit einem ausländischen Unternehmen (Z51) und (7) Kooperation mit einem in- oder ausländischen Unternehmen (Z52) in Form eines Joint Ventures (Z53) oder einer strategischen Allianz (Z54). Welche Alternative gewählt wird, hängt von der Wirtschaftlichkeitsanalyse (Z55-62) ab, die später dargestellt wird. Internationale Technologieverträge (Z63) können Lizenz- (Z64), Know-how- (Z65) oder technische Kooperationsverträge (Z66) umfassen. Die Wirtschaftlichkeit der Alternativen muss ebenfalls durch eine gesonderte Analyse überprüft werden (Z67-69). Die Gestaltung der Auslandsaktivitäten kann auch durch eine Kombination der genannten Alternativen erfolgen (Z70). So kann es z.B. zu einer Einbringung der Technologie gegen Gewährung von Gesellschaftsrechten an einem ausländischen Unternehmen kommen, eventuell mit einer zusätzlichen Kapitaleinlage des inländischen Unternehmens. Die Technologie des Unternehmens kann in ein Joint Venture oder eine Patentgemeinschaft mit einem in- oder ausländischen Unternehmen eingebracht werden. Außerdem können Direktinvestitionen im Ausland dazu dienen, die Exund/ oder Importe des Unternehmens zu steigern. Auch für diese Alternativen sind getrennte Wirtschaftlichkeitsanalysen (Z71) vorzunehmen. Abbildung 166: Markteintrittsformen Quelle: In Anlehnung an: Müller-Stewens, G./ Lechner, C., 2002 Abbildung 166 zeigt das Kontinuum möglicher Markteintrittsformen. Gliedert man diese anhand der zwei Aspekte „Kontroll- und Steuerungsfähigkeit“ sowie „Höhe der Ressourcenbeanspruchung“, so ergibt sich eine alternative Einteilung der Markteintrittsformen in <?page no="363"?> 340 • Kapitel V: Internationalisierungsstrategien die drei Typen „Vertretung durch Dritte“, „Kooperationen“ und „Tochtergesellschaft“ (Müller-Stewens, G./ Lechner, C., 2002). Keine der Markteintrittsformen kann als generell vorteilhaft bzw. nachteilig gesehen werden. Deshalb sind für alle Alternativen gesonderte Wirtschaftlichkeitsanalysen durchzuführen, die im Folgenden dargestellt werden. 4 Wirtschaftlichkeitsanalysen Die Wirtschaftlichkeit der Gestaltungsformen für unterschiedliche Auslandsaktivitäten lässt sich in zwei Schritten untersuchen. Im ersten Schritt wird geprüft, inwieweit unterschiedliche Gestaltungsformen für Auslandsaktivitäten mit den Umweltfaktoren eines bestimmten Landes harmonisieren. Das Ergebnis dieser Grobanalyse kann zu einem Ausschluss bestimmter Gestaltungsformen für Auslandsaktivitäten führen, da diese zu einem „Misfit“ mit der Umwelt dieses Landes führen (Misfit-Analyse). Im zweiten Schritt werden für die verbleibenden Alternativen detaillierte Wirtschaftlichkeitsanalysen auf der Basis quantitativer und qualitativer Bestimmungsfaktoren durchgeführt. Im Folgenden werden diese beiden Schritte dargestellt. 4.1 Misfit-Analyse Die Misfit-Analyse überprüft, ob eine der unterschiedlichen Gestaltungsformen für Auslandsaktivitäten mit der Umwelt in Einklang zu bringen ist. Dabei wird zunächst untersucht, welche die wichtigsten Einflussgrößen aus der Umwelt des Unternehmens sind, die die unternehmerische Entscheidung im Hinblick auf die unterschiedlichen Gestaltungsformen für Auslandsaktivitäten beeinflussen. Diese Einflussgrößen seien mit E 1 , E 2 , ..., E n bezeichnet. Die Bedeutung dieser Einflüsse für die spezielle Entscheidung des Unternehmens kann als „hoch“ oder „niedrig“ klassifiziert werden. Die Einflussgrößen werden dann zu Szenarien zusammengefasst. Dazu werden alle möglichen Ausprägungen der Einflussgrößen miteinander kombiniert. Anschließend wird überprüft, ob die konkreten Gestaltungsformen A 1 , A 2 , ..., A m für die unterschiedlichen Szenarien vorteilhaft, zweifelhaft oder unvorteilhaft sind. Dieses Verfahren wurde unter dem Namen Tree-Matrix bei Shell für konkrete Entscheidungsfindungen eingesetzt. Abbildung 167 gibt ein Beispiel von Shell wieder (Wack, P., 1983). Das Shell-Beispiel geht von bestimmten Basisannahmen im Ausland aus, die für alle Szenarien konstant sind. So wird in dem Beispiel als Szenariokonstante angenommen, dass in dem betreffenden Land die Energie hauptsächlich importiert werden muss und Öl die Hauptenergiequelle bleibt. Als Haupteinflussfaktoren der Umwelt werden solche betrachtet, die die möglichen Gestaltungsalternativen in dem betreffenden Land besonders positiv oder negativ beeinflussen können. <?page no="364"?> Kapitel V: Internationalisierungsstrategien • 341 Abbildung 167: Tree-Matrix In dem gewählten Beispiel sind die Haupteinflussfaktoren Wachstum in der Energienachfrage des Landes (E1), das Interesse der Regierung des betreffenden Landes an einer Diversifikation nach der Herkunft der Energie und nach den Energiearten (E2) sowie der Trend zu staatlichen Regulierungen unter Einschluss von Umweltschutzmaßnahmen (E3). Die Ausprägung der Haupteinflussfaktoren für die konkrete Entscheidung wird in hoch oder niedrig unterschieden. Daraus lassen sich, wie Abbildung 167 zeigt, bei drei Haupteinflussfaktoren und zwei Ausprägungen acht unterschiedliche Szenarien gewinnen. Im nächsten Schritt werden die unterschiedlichen Auslandsaktivitäten (A i ) (i = 1, 2, ..., m) im Hinblick auf ihren Fit mit den verschiedenen Szenarien überprüft. Als mögliche Internationalisierungsstrategien werden in dem Beispiel angenommen: (1) Erweiterung der lokalen Raffineriekapazität (A 1 ), (2) Erweiterung aller lokalen Aktivitäten (A 2 ), (3) Erhöhung der Marketinganstrengungen (A 3 ) und (4) Bau einer neuen Fabrik (A 4 ). <?page no="365"?> 342 • Kapitel V: Internationalisierungsstrategien Jede Internationalisierungsstrategie wird nun dahingehend überprüft, ob ein bestimmtes Szenario für sie vorteilhaft, zweifelhaft oder unvorteilhaft ist. So ist z.B. für die Szenarien 2, 3 und 4 die Alternative „Erweiterung der lokalen Raffineriekapazität“ vorteilhaft, bei den Szenarien 5 und 7 zweifelhaft sowie unvorteilhaft bei den Szenarien 1, 6 und 8. Mit dieser Vorgehensweise wird sichergestellt, dass alle Szenarien mit allen Internationalisierungsstrategien auf ihren Fit überprüft werden. Unterstellt man nun, dass die Szenarien 5 und 7 die wahrscheinlichsten sind, führt nur die Alternative „Erweiterung aller lokalen Aktivitäten“ zu einem Fit. Da nur für diese Alternative ein Fit mit der Umwelt zustande kommt, wird nur diese Form des Markteintritts im Hinblick auf ihre Wirtschaftlichkeit näher untersucht. Die anderen Alternativen, die nicht zu einem Fit führen, werden aus der weiteren Analyse ausgeschlossen. Probleme bei dieser Vorgehensweise ergeben sich dann, wenn die Anzahl der besonders wichtigen Haupteinflussfaktoren groß ist, da in diesem Falle die Zahl möglicher Szenarien sehr groß wird. Die Misfit-Analyse kann einmal verwendet werden, um alternative Internationalisierungsstrategien im Hinblick auf bestimmte Umweltszenarien zu vergleichen, aber auch im Rahmen einer einzelnen Markteintrittsund/ oder -bearbeitungsstrategie, z.B. einer Direktinvestition im Ausland, wenn diese im Hinblick auf mehrere Gestaltungsformen in einem Land untersucht wird. Die Misfit-Analyse wird jedoch nur für eine grobe Vorauswahl der bestehenden Alternativen eingesetzt. Für die endgültige Entscheidung, welche Gestaltungsform für Auslandsaktivitäten in einem bestimmten Land gewählt werden soll, ist eine detaillierte Wirtschaftlichkeitsanalyse notwendig, die im Folgenden dargestellt wird. 4.2 Wirtschaftlichkeitsanalyse zur Auswahl von Internationalisierungsformen Die Wirtschaftlichkeitsanalyse zur Überprüfung verschiedener Gestaltungsformen für Auslandsaktivitäten hängt von quantitativen und qualitativen Bestimmungsfaktoren ab. Die quantitativen Faktoren lassen sich mithilfe des Kapitalwertes daraufhin analysieren, inwieweit sich eine bestimmte Gestaltungsform für Auslandsaktivitäten „rechnet“. Die nicht rechenbaren qualitativen Faktoren, die die Entscheidung für oder gegen eine bestimmte Gestaltungsform für Auslandsaktivitäten beeinflussen, lassen sich anhand einer Pattern- Analyse beurteilen (Jantsch, E., 1967). Nachfolgend werden die Probleme der quantitativen und qualitativen Analyse für die Entscheidung über unterschiedliche Gestaltungsformen für Auslandsaktivitäten dargestellt. <?page no="366"?> Kapitel V: Internationalisierungsstrategien • 343 4.2.1 Quantitative Analyse Mithilfe der Kapitalwertmethode kann ein Unternehmen analysieren, ob eine bestimmte Gestaltungsform für Auslandsaktivitäten rechnerisch wirtschaftlich ist: Dabei bedeuten: C: Kapitalwert der Gestaltungsform s I s,t : Notwendige Investition für die Gestaltungsform s zum Zeitpunkt t E s,t : Einzahlungsüberschuss im Jahre t für die Gestaltungsform s T: Planungshorizont L s : Liquidationserlös am Ende des Planungshorizontes T i: Kalkulationszinsfuß Für den Fall, dass verschiedene Gestaltungsformen in Betracht kommen, aber nur eine Alternative realisiert werden soll, ist die mit dem höchsten Kapitalwert rechnerisch am vorteilhaftesten (Max C s für s=1, 2, ... , S). Probleme ergeben sich bei der Bestimmung des Kalkulationszinsfußes insbesondere dann, wenn (1) Währungsumrechnungen getätigt werden müssen, (2) Zurechnungsprobleme der Finanzquellen zu Investitionsprojekten bestehen, (3) die Menge der zu berücksichtigenden Einflussfaktoren wie Zins- und Steuersätze, die wie die Wechselkursentwicklung ungewiss sind, durch unterschiedliche Auslands- und Inlandsdaten ausgedehnt werden, (4) eine Vielzahl unterschiedlicher Finanzierungsarten und -möglichkeiten in die Berechnung einbezogen wird, wie z.B. Subventionen oder zinsbegünstigte Darlehen, (5) die steuerliche Behandlung der Finanzierungsquellen im In- und Ausland sehr unterschiedlich ist, (6) sich die Kapitalstruktur der Unternehmung nach Durchführung der Investition ändert, sofern das Management einen positiven Kapitalwert nicht bereits bei der Finanzierung des Projektes mit einkalkuliert, (7) das Investitionsprojekt einer anderen Risikoklasse als der der Gesamtunternehmung angehört, so dass sich die Eigenkapitalrentabilität als risikoadjustierte Mindestrenditeanforderung der Eigenkapitalgeber nicht aus der Eigenkapitalrendite des Gesamtunternehmens ableiten lässt. T 0 t T 1 t T s t t s, t t s, s i) (1 L i) (1 E i) (1 I C <?page no="367"?> 344 • Kapitel V: Internationalisierungsstrategien Aufgrund der genannten Probleme schlägt Mrotzek deshalb den „adjusted present value“- Ansatz anstelle des gewichteten Kapitalkostenansatzes vor. Dabei werden die Einzahlungsüberschüsse mit denjenigen Zinssätzen diskontiert, die das jeweilige Risiko am besten widerspiegeln. So werden projektspezifische Risiken und sich ändernde Kapitalstrukturen berücksichtigt. Außerdem macht der „adjusted present value“-Ansatz das Bewertungskalkül transparenter (Mrotzek, R., 1989). Da quantitative Wirtschaftlichkeitsanalysen im Allgemeinen auf vielen Annahmen basieren, die eine hohe Unsicherheit aufweisen können, ist es sinnvoll, für verschiedene Gestaltungsformen s von unterschiedlichen Szenarien auszugehen. Um die Unsicherheit zu berücksichtigen, können in diesem Zusammenhang Monte-Carlo-Simulationen für die Kapitalwerte unterschiedlicher Gestaltungsformen s durchgeführt werden (Klein, M., 2011c). Die Monte-Carlo-Simulation ermöglicht es einem Entscheidungsträger zu bestimmen, mit welcher Wahrscheinlichkeit bei einer Gestaltungsalternative mit einem negativen Kapitalwert gerechnet werden kann. Damit kann er zumindest das Risiko seiner Entscheidung rechenbar machen. Um zu einer abschließenden Entscheidung für eine bestimmte Gestaltungsform der Auslandsaktivitäten zu gelangen, ist neben der Analyse der quantitativen auch eine Analyse der qualitativen Faktoren erforderlich. 4.2.2 Qualitative Analyse Die endgültige Entscheidung für eine bestimmte Gestaltungsform erfordert eine Analyse der qualitativen Faktoren. Diese Faktoren lassen sich in drei Kategorien gliedern: (1) Länderspezifische qualitative Faktoren, (2) produktspezifische qualitative Faktoren und (3) strategiespezifische qualitative Faktoren. Entscheidungsrelevant sind nur die qualitativen Faktoren, die für die betrachteten Gestaltungsformen von Auslandsaktivitäten eine unterschiedliche Ausprägung haben; so sind z.B. länderspezifische qualitative Faktoren, die alle betrachteten Markteintrittsstrategien gleich betreffen, aus der Analyse auszuschließen, da sie in dem Entscheidungsprozess über das Land bereits untersucht wurden. Außerdem dürfen für die Analyse der qualitativen Faktoren nur solche erfasst werden, die nicht bereits bei der Ermittlung der quantitativen Wirtschaftlichkeit berücksichtigt wurden. Die in der Unternehmenspraxis relevanten qualitativen Gesichtspunkte sind so vielschichtig, dass auf eine Beschreibung einzelner länder-, produkt- oder strategiespezifischer qualitativer Faktoren in diesem Zusammenhang verzichtet werden muss. Dies wurde bereits bei der Analyse der Erklärungsvariablen aus den Theorien der Internationalisierung deutlich. <?page no="368"?> Kapitel V: Internationalisierungsstrategien • 345 Die länderspezifischen qualitativen Faktoren, die die Auswahl zwischen unterschiedlichen Markteintrittsstrategien beeinflussen, lassen sich i.d.R. aus Länderberichten ableiten und konzentrieren sich hauptsächlich auf politische, ökonomische, rechtliche und soziale Risikofaktoren. Sie können aus den Modellen zur Länderanalyse abgeleitet werden. Produktspezifische qualitative Faktoren wurden bereits bei der Auswahl der Auslandsmärkte erfasst. Hier sind z.B. produktspezifische Risikofaktoren von Bedeutung (z.B. die Geheimhaltung von Produkttechnologien). Strategiespezifische qualitative Faktoren lassen sich aus der Unternehmenspolitik ableiten. Solche qualitativen Faktoren sind z.B. die Einstellung der Unternehmensleitung gegenüber gesellschaftlichen Gruppen (z.B. Gewerkschaften), die momentane Unternehmenssituation (z.B. Finanzknappheit, freie Kapazitäten, Unsicherheit in der Rohstoffversorgung) oder die Festlegung von Schwerpunktmärkten. Eine Analyse der qualitativen Faktoren lässt sich mithilfe einer Pattern-Analyse (Planning Assistance Through Technical Evaluation of Relevance Numbers) (Jantsch, E., 1967) durchführen. Methodisch geht die Pattern-Analyse in fünf Schritten vor: (1) Die qualitativen Faktoren werden in qualitative Ziele (Z u =1, 2, ..., U) umformuliert. (2) Die qualitativen Ziele werden im Hinblick auf ihre Bedeutung für die Entscheidungsfindung so gewichtet, dass die Summe der Gewichtungsfaktoren g u eins ergibt, d.h., es gilt: (3) Jede Gestaltungsform der Auslandsaktivitäten Ai (i=1, 2, ..., m) wird dahingehend überprüft, wie hoch ihr Einfluss auf jedes qualitative Ziel ist. Die Zielbeiträge in jeder Gestaltungsform werden in Bezug auf jedes Ziel angegeben, wobei die Summe der Zielbeiträge aller Gestaltungsformen Ai (für i=1, 2, ..., m) für ein bestimmtes Ziel u gleich eins ist, d.h. es gilt: 1 (für u = 1, 2, ..., U) (4) Der Gesamtbeitrag der einzelnen Gestaltungsformen Ai (für i=1, 2, ..., m) für die Erreichung aller qualitativen Ziele wird mit einer Relevanzzahl Ri ermittelt, die wie folgt bestimmt wird: 1, 2, ..., m) Würde nur eine einzige Gestaltungsform A i (für i=1, 2, ..., m) für die Auslandsaktivitäten zu der Zielerreichung aller qualitativen Ziele beitragen, dann wäre die Relevanzzahl für diese eins. U 1 u u 1 g h m 1 i iu U 1 u i iu u g h R <?page no="369"?> 346 • Kapitel V: Internationalisierungsstrategien (5) Das Ergebnis der Pattern-Analyse ist eine Prioritätenbildung der einzelnen Gestaltungsformen der Auslandsaktivitäten auf der Basis von Relevanzzahlen. Abbildung 168 gibt die Pattern-Analyse in allgemeiner Form wieder. Abbildung 168: Pattern-Analyse 4.2.3 Modell für die Zusammenführung von quantitativer und qualitativer Analyse Die Analyse der Wirtschaftlichkeit unterschiedlicher Gestaltungsformen basiert auf der Trennung des Entscheidungsprozesses in eine Wirtschaftlichkeitsrechnung und eine Analyse der qualitativen Faktoren mithilfe der Pattern-Analyse. Die Struktur eines Entscheidungsmodells, mit dem die Wirtschaftlichkeitsrechnung und die Pattern-Analyse zusammengeführt werden, um daraus eine Entscheidung abzuleiten, ist in Abbildung 169 wiedergegeben. Nach der Zusammenstellung von alternativen Gestaltungsformen A i (für i = 1, 2, ..., m) unterschiedlicher Auslandsaktivitäten werden für diese quantitative Wirtschaftlichkeitskriterien (z.B. Kapitalwerte) ermittelt und eine Analyse der qualitativen Faktoren in Form einer Pattern-Analyse (Sabel, H., 1976; Jantsch, E., 1967) durchgeführt. Damit gelangt man für jede Gestaltungsform zu jeweils einem Wert für die quantitative Wirtschaftlichkeit, gemessen am Kapitalwert C {C 1 , C 2 , ..., C m }, und der Bedeutung der qualitativen Faktoren, gemessen an der Relevanzzahl R {R 1 , R 2 , ..., R m }. Anschließend trägt man die alternativen Gestaltungsformen in ein Diagramm (C-R-Diagramm) ein, dessen Ordinate die Wirtschaftlichkeit und dessen Abszisse die Relevanzzahl angibt. Jede mögliche Gestaltungsform ist durch einen Punkt in dem C-R-Diagramm gekennzeichnet alle Gestaltungsformen von Auslandsaktivitäten, die im Vergleich zu einer anderen sowohl einen niedrigeren Cals auch R-Wert aufweisen, werden dominiert und scheiden aus. <?page no="370"?> Kapitel V: Internationalisierungsstrategien • 347 Abbildung 169: Struktur des Entscheidungsmodells 4.2.4 Fallbeispiel Das vorgenannte Entscheidungsmodell soll anhand eines Fallbeispiels veranschaulicht werden (Perlitz, M., 1978). Ein US-amerikanischer Kunde eines mittelgroßen deutschen Chemieunternehmens informiert im Verlaufe von Vertragsverhandlungen über die Lieferungen von 10.000 Jahrestonnen Polymerisationserzeugnissen, dass er für ein bestimmtes Arzneimittel des deutschen Unternehmens auf dem US-Markt gute Absatzchancen sieht. Das deutsche Unternehmen war bisher nur in geringem Umfang auf dem US-Markt tätig. Da das Arzneimittel für den betreffenden US-amerikanischen Kunden selbst uninteressant ist (völlig andere Branche), sondiert das Unternehmen alternative Gestaltungsformen für die Aufnahme von Marktaktivitäten in den USA. Nach Voruntersuchungen bieten sich dem Unternehmen drei Gestaltungsformen für den Markteintritt in die USA für dieses Arzneimittel an: (1) Der direkte Export des Arzneimittels in die USA. Dazu sind jedoch im Inland Kapazitätserweiterungen notwendig. <?page no="371"?> 348 • Kapitel V: Internationalisierungsstrategien (2) Eine Direktinvestition in den USA durch den Kauf eines amerikanischen Unternehmens, das ähnliche Erzeugnisse produziert. (3) Die Vergabe einer Lizenz an ein interessiertes US-amerikanisches Unternehmen bei einem gleichzeitigen Erwerb einer Kapitalbeteiligung. Bei der Entscheidungsfindung werden folgende qualitative Faktoren relevant: Das deutsche Unternehmen möchte sich langfristig auf dem US-Markt etablieren. Das deutsche Unternehmen hat aus historischen Gründen eine Reihe von Aktivitäten in politisch unsicheren Ländern. Wegen des zunehmenden politischen Risikos in diesen Ländern möchte es sich in Zukunft nur noch in politisch sicheren Ländern engagieren. Die Erzeugung des Arzneimittels ist sehr rohstoffintensiv. Die USA sind ein Hauptproduzent dieses Rohstoffes. Die finanzielle Lage des Unternehmens ist momentan angespannt. Das Unternehmen ist zurzeit bis auf seinen Pharmabereich unterbeschäftigt. Es erwartet deshalb, dass der gewerkschaftliche Druck gegen den „Export von Arbeitsplätzen“ in der Zukunft zunimmt. Als Wirtschaftlichkeitskriterium verwendet das Unternehmen die Kapitalwertmethode. Abbildung 170 gibt das Ergebnis der Wirtschaftlichkeitsrechnung für die drei Gestaltungsformen der Aktivitäten in den USA wieder. Abbildung 170: Ergebnis der Wirtschaftlichkeitsrechnung der alternativen Aktivitäten in den USA Die Untersuchung des Einflusses der qualitativen Faktoren auf die Entscheidung über die unterschiedlichen Gestaltungsformen der Aktivitäten in den USA erfolgt mithilfe der Pattern-Analyse. Dazu ist eine Umformulierung der qualitativen Faktoren in qualitative Ziele notwendig. Die Umformulierung der qualitativen Faktoren in Ziele lässt sich wie folgt darstellen: Ziel 1: Markteintritt in die USA (Z 1 ) Ziel 2: Engagement in politisch sicheren Märkten (Z 2 ) Ziel 3: Rohstoffsicherung (Z 3 ) <?page no="372"?> Kapitel V: Internationalisierungsstrategien • 349 Ziel 4: Geringe finanzielle Belastung (Z 4 ) Ziel 5: Vermeidung von gewerkschaftlichen Konflikten (Z 5 ) Im nächsten Schritt muss bei der Pattern-Analyse eine Zielgewichtung vorgenommen werden (siehe Abbildung 171). Dafür legt der Bewertende oder eine Gruppe von Entscheidungsträgern in einer Bewertungsskala, die von 0 (völlig unbedeutend) bis 10 (außerordentlich wichtig) reicht, die Bedeutung fest, die den einzelnen Zielen beigemessen werden soll (Brockhoff, K., 1976). Eine Bewertung mit null würde bedeuten, dass das Ziel völlig unerheblich für die Analyse der qualitativen Faktoren wäre und man deshalb im Zusammenhang mit dieser Fragestellung ganz auf dieses Ziel verzichten könnte. Abbildung 171: Zielgewichtung im Rahmen der Pattern-Analyse Aus diesem Befragungsergebnis lässt sich eine Zielgewichtung ermitteln. Die Summe der Einzelbewertungen beträgt 20. Dividiert man nun 100: 20, dann entspricht jeder Punkt in diesem Teil der Pattern-Analyse 5 Bewertungspunkten. Damit gelangt man zu der nachstehenden Zielgewichtung: Im nächsten Schritt muss das Unternehmen die Zielerreichungsgrade für jede einzelne Gestaltungsform in Bezug auf jedes qualitative Ziel schätzen. Auch diese Schätzung kann mithilfe einer Bewertungsskala, die von 0 (völlig unbedeutend) bis 10 (außerordentlich wichtig) reicht, durchgeführt werden. 0,25 100 5 5 g 0,30 100 6 5 g 0,15 100 3 5 g 0,10 100 2 5 g 0,20 100 4 5 g 5 4 3 2 1 <?page no="373"?> 350 • Kapitel V: Internationalisierungsstrategien Bezeichnet man die Handlungsalternative Export mit A 1 , Direktinvestition mit A 2 und Lizenzvergabe mit A 3 , dann soll die Bewertung aus Abbildung 172 gelten. Abbildung 172: Bewertung der Zielerreichungsgrade der verschiedenen Gestaltungsformen In Abbildung 173 lässt sich für jede Gestaltungsform die entsprechende Relevanzzahl wie folgt ermitteln: R 1 (A 1 ) = 0,2 · 0,2 + 0,3 · 0,1 + 0,15 · 0,3 + 0,8 · 0,25 = 0,3150 R 2 (A 2 ) = 0,7 · 0,2 + 0,6 · 0,1 + 1,0 · 0,15 + 0,05 · 0,3 + 0,05 · 0,25 = 0,3775 R 3 (A 3 ) = 0,1 · 0,2 + 0,1 · 0,1 + 0,8 · 0,3 + 0,15 · 0,25 = 0,3075 Abbildung 173: Pattern-Analyse für die verschiedenen Gestaltungsformen für Aktivitäten in den USA Drückt man die Relevanzzahlen R i in Prozent aus, dann ergibt sich: 3 1 i i 3 2 1 100% R __ __________ 30,75% R 37,75% R 31,50% R <?page no="374"?> Kapitel V: Internationalisierungsstrategien • 351 Abbildung 173 fasst das Ergebnis der Pattern-Analyse zusammen und stellt die Relevanzzahlen für die unterschiedlichen Gestaltungsformen der Aktivitäten in den USA dar. Als Ergebnis der Analyse der qualitativen Ziele ergibt sich, dass diese am besten mit einer Direktinvestition in den USA zu realisieren sind. Nachdem die Ergebnisse der Wirtschaftlichkeitsrechnung und der Pattern-Analyse vorliegen, werden im nächsten Schritt beide Gesichtspunkte in dem Modell zusammengeführt. Dies geschieht durch die Übertragung der Ergebnisse der Wirtschaftlichkeitsrechnung und der Pattern-Analyse in ein C-R- Diagramm, auf dessen Ordinate die Kapitalwerte und auf dessen Abszisse die Relevanzzahlen für die unterschiedlichen Gestaltungsformen eingetragen werden. Abbildung 174 gibt das C-R-Diagramm für die drei zur Diskussion stehenden Markteintrittsstrategien wieder. In ihr sind die einzelnen Alternativen wie folgt eingezeichnet: A 1 = {R 1 = 31,50%; C 1 = 400 Mio. €} A 2 = {R 2 = 37,75%; C 2 = 300 Mio. €} A 3 = {R 3 = 30,75%; C 3 = 150 Mio. €} Abbildung 174: C-R-Diagramm Jede Gestaltungsform der Aktivität in den USA ist in dem C-R-Diagramm durch einen Punkt gekennzeichnet. Aus dem C-R-Diagramm lässt sich eine Gestaltungsform dann eliminieren, wenn sie von einer anderen dominiert wird. Das ist dann gegeben, wenn sie sowohl einen niedrigeren Kapitalwert als auch eine niedrigere Relevanzzahl im Vergleich zu einer anderen Alternative besitzt. Dies trifft im vorliegenden Beispiel für die Lizenzalternative zu, denn sie ist dem Export und der Direktinvestition im Hinblick auf die beiden betrachteten Kriterien unterlegen. Man kann in dem C-R-Diagramm feststellen, dass es <?page no="375"?> 352 • Kapitel V: Internationalisierungsstrategien vier mögliche Vergleichsräume zur Exportalternative gibt. Im Lösungsraum 1 sind alle Alternativen dem Export unterlegen. Im Lösungsraum 2 sind alle Alternativen dem Export überlegen. Probleme im Vergleich zur Exportalternative ergeben sich für Gestaltungsformen, die in den Lösungsräumen 3 oder 4 liegen. So hat zwar die Direktinvestition im Ausland einen um 100 Mio. € geringeren Kapitalwert, aber in der Pattern-Analyse eine um 6,25 Prozentpunkte höhere Relevanzzahl. Der Ausschluss der Lizenzalternative als dominierte Markteintrittsstrategie lässt sich auch aus der C ij - und R ij -Matrix (für i j und i = 1, 2, ..., m bzw. j = 1, 2, ..., m) ableiten. Abbildung 175 und Abbildung 176 geben die C ij -Matrix und die R ij -Matrix wieder. Abbildung 175: Matrix für die Differenzen in der Wirtschaftlichkeit zwischen den betrachteten Markteintrittsstrategien Abbildung 176: Matrix für die Differenzen in den Relevanzzahlen zwischen den betrachteten Markteintrittsstrategien Eine Analyse der C ij - und R ij -Matrizen zeigt, dass in beiden Matrizen in der Zeile für die Lizenzvergabe ins Ausland nur negative Elemente vorhanden sind. Damit scheidet die Lizenzvergabe als dominierte Gestaltungsform für Aktivitäten in den USA aus. Für die verbleibenden Gestaltungsformen Direktinvestition und Export in die USA sind in den entsprechenden Zeilen in der C ij bzw. R ij -Matrix positive und negative Elemente, so dass keine der beiden Alternativen dominant ist. Im nächsten Schritt wird mithilfe der -Gewichtung versucht, eine Entscheidung zwischen Export und Direktinvestition zu ermöglichen. Dazu muss man zuerst den Unterschied in den Kapitalwerten zwischen dem Export und einer Direktinvestition im Ausland mithilfe einer Bewertungsskala beurteilen. Die Bewertungsskala reicht von +3 (der Kapitalwert des Exports ist viel größer als der Wert der Direktinvestition im Ausland) bis -3 (der Kapitalwert des Exportes ist viel geringer als der Wert der Direktinvestition) (vgl. Abbildung 177). Abbildung 177: Bewertungsskala für die Unterschiede in den Kapitalwerten <?page no="376"?> Kapitel V: Internationalisierungsstrategien • 353 Das Gleiche erfolgt für die Beurteilung des Unterschiedes in den Relevanzzahlen zwischen dem Export und der Direktinvestition in die USA. Die Bewertungsskala reicht von +3 (die Relevanzzahl des Exports ist sehr viel höher als die der Direktinvestition) bis -3 (die Relevanzzahl des Exportes ist sehr viel geringer als die der Direktinvestition) (vgl. Abbildung 178). Abbildung 178: Bewertungsskala für die Unterschiede in den Kapitalwerten Bei der Bewertung der Differenzen kann man außer der Höhe der Unterschiede auch andere Gesichtspunkte berücksichtigen. Die Bewertung der Differenzen in den Kapitalwerten kann die verschiedenen Unsicherheiten der Rechnung widerspiegeln. So könnten sich z.B. durch Alternativrechnungen folgende unterschiedliche Kapitalwerte des Exportes C 1 und der Direktinvestition in den USA C 2 ergeben: C 1 = 400 Mio. € ± 20 Mio. €, C 2 = 300 Mio. € ± 70 Mio. €. Das heißt, im günstigsten Fall kann die Differenz der Kapitalwerte 190 Mio. € ( C = 420 Mio. € - 230 Mio. €) zugunsten des Exportes betragen. Im ungünstigsten Fall ist für den Export C 1 um 10 Mio. € größer als C 2 ( C = 380 Mio. € - 370 Mio. €). Im Fallbeispiel bewertete der Entscheidungsträger im Hinblick auf die Unsicherheit der Daten und unter der Berücksichtigung, dass die Inlandsinvestition beträchtlich „sicherer“ ist als eine Auslandsinvestition, den Unterschied in den Kapitalwerten mit 12 = +2 zugunsten des Exportes (der Kapitalwert des Exportes ist höher als der Wert der Direktinvestition). Den Unterschied in den Relevanzzahlen bewertet der Entscheidungsträger mit 12 = -1 (Relevanzzahl des Exportes ist geringfügig kleiner als die der Direktinvestition). Auch die Bewertung der Differenzen in den Relevanzzahlen wird u.a. durch die Berücksichtigung der Unsicherheit beeinflusst. Mithilfe dieser Bewertung lassen sich kritische Verhältniszahlen für eine Gewichtung der Bedeutung der Differenzen in der Wirtschaftlichkeitsrechnung im Verhältnis zu denen der Pattern-Analyse angeben. Würde der Entscheidungsträger nur nach den Kapitalwerten urteilen, erhielte er als Vergleichsbewertung für die Entscheidung über den Export oder die Direktinvestition in den USA: 1,0 · (+2) + 0,0 · (-1) = +2. <?page no="377"?> 354 • Kapitel V: Internationalisierungsstrategien Der Export wäre demnach günstiger als die Direktinvestition. Ginge er von einer Gleichgewichtigkeit der Kapitalwerte und der Relevanzzahlen im Rahmen der Gesamtentscheidung aus, dann erhielte er: 0,5 · (+2) + 0,5 · (-1) = 0,5. Der Export würde immer noch günstiger bewertet als die Direktinvestition. Erst wenn den Differenzen aus der Pattern-Analyse mehr als doppelt so viel Gewicht beigemessen würde wie denen der Kapitalwerte, hätte die Direktinvestition eine höhere Vergleichsbewertung als der Export. Als kritischen Wert der -Gewichtung erhält man: = 1 3 ; es gilt dann 1 3 · (+2) + 2 3 · (-1) = 0. Abbildung 179 gibt die verschiedenen Gewichtungsverhältnisse der Ergebnisse der Wirtschaftlichkeitsrechnung in Relation zu den Relevanzzahlen, der Vergleichsbewertung und den jeweils höher bewerteten Markteintrittsstrategien wieder. Abbildung 179: Bewertung der Ergebnisse der Wirtschaftlichkeitsrechnung in Relation zu den qualitativen Faktoren Die Entscheidung über eine bestimmte Gestaltungsform für den Markteintritt in die USA kann aber auch auf der Basis von ij - und ij bzw. V ij -Matrizen getroffen werden. Abbildung 180 und Abbildung 181 geben die ij sowie die ij -Matrix wieder. Abbildung 180: ij -Matrix <?page no="378"?> Kapitel V: Internationalisierungsstrategien • 355 Abbildung 181: ij -Matrix Für unterschiedliche -Gewichtungen können nun V ij -Matrizen erstellt werden. Abbildung 182 und Abbildung 183 zeigen die V ij -Matrix für = 0,7 bzw. für = 0,2. Aus Abbildung 182 wird deutlich, dass V 12 mit +1,1 positiv ist und somit die Exportgegenüber der Direktinvestitionsalternative präferiert wird. Letztere b einhaltet den gegenteiligen Fall, da V 12 mit -0,4 negativ ist. Abbildung 182: V ij -Matrix für = 0,7 Abbildung 183: V ij -Matrix für = 0,2 4.2.5 Zusammenfassende Beurteilung des Entscheidungsmodells Das vorgestellte Modell geht implizit von einer Maximierung des Nutzens des Entscheidungsträgers aus. Für die Bestimmungsgleichung V ij = ij + (1- ) ij gilt, dass ij und ij die subjektiv bewerteten Differenzen in den Kapitalwerten und in den Relevanzzahlen zwischen verschiedenen Gestaltungsformen der Auslandsaktivitäten wiedergeben. ij und ij wurden aus einer Bewertungsskala, die ein subjektives Zielwertkontinuum darstellt (Zangemeister, Ch., 1971), abgeleitet. Die Bewertungsskala wurde benutzt, um eine Präferenzordnung für die unterschiedlichen Alternativen zu erhalten. Diese Präferenzordnung basiert auf der Nutzenschätzung des Entscheidungsträgers. ij gibt somit den Nutzenvorteil wieder, den der Entscheidungsträger den Differenzen in der Wirtschaftlichkeitsrechnung zwischen den Gestaltungsformen A i und A j (i, j = 1, 2, ..., m) zuordnet, und ij stellt den Nutzenvorteil dar, der die Differenzen in den Relevanzzahlen bei den betrachteten Alternativen widerspiegelt. stellt ebenfalls eine Nutzwertgewichtung dar, weil der Entscheidungsträger die Nutzenvorteile aus den Differenzen in der Wirtschaftlichkeit in Relation zu denen aus den Relevanzzahlen setzen muss. V ij gibt die Gesamtnutzendifferenz für die Alternative A i im Vergleich zu A j wieder. Das dargestellte Modell ist somit ein <?page no="379"?> 356 • Kapitel V: Internationalisierungsstrategien Spezialfall der Nutzwertanalyse und basiert auf dem ökonomischen Prinzip der Nutzenmaximierung. Zur Nutzwertanalyse, wie sie von Zangemeister vorgeschlagen wurde (Zangemeister, Ch., 1971), ergeben sich allerdings einige Unterschiede: (1) Die Nutzwertanalyse nach Zangemeister bezieht die quantifizierbaren Bestimmungsfaktoren der Rechnung in die Zielertragsmatrix ein, während sich die Pattern- Analyse, wie sie hier vorgeschlagen wird, nur auf die Analyse der qualitativen Faktoren beschränkt. (2) Die Nutzwertanalyse kommt zu einer Rangordnung der einzelnen Projekte, die durch die Höhe eines Nutzwertes bestimmt wird. Bei der Ermittlung dieses Nutzwertes wird jedoch das Abwägen der Differenzen in den Kapitalwerten im Vergleich zu den qualitativen Gesichtspunkten vernachlässigt. (3) Dathe (Dathe, H.M., 1971) und Seidel (Seidel, H., 1977) betrachten die Nutzwertanalyse als Instrument zur Reduzierung der Anzahl von Alternativen und untersuchen anschließend den Gewinn bzw. den Kapitalwert als dominierendes Entscheidungskriterium. Dieses zweistufige Verfahren vernachlässigt den wichtigen Aspekt, dass die Wirtschaftlichkeitsrechnung und die Analyse der qualitativen Faktoren bei der Entscheidungsfindung im Widerspruch stehen können und damit gegeneinander abgewogen werden müssen. Für die konkrete Anwendung dieses Entscheidungsmodells sind jedoch einige Punkte zu beachten: (1) Eine Nutzwertmaximierung auf der Basis von Nutzwertanalyse-Modellen oder wie im Fall der Pattern-Analyse kann entscheidungstheoretisch wie Gäfgen (Gäfgen, G., 1961/ 1960), Fishburn (Fishburn, P.C., 1967) und Zangemeister (Zangemeister, Ch., 1971) gezeigt haben, nur dann erreicht werden, wenn gewährleistet ist, dass ij für sich und nicht in Verbindung mit anderen ij oder ij einen Beitrag zum Nutzwert einer Alternative liefert. Aus diesem Grunde dürfen nur solche Faktoren als qualitative Ziele in die Pattern-Analyse eingehen, die nicht in der Wirtschaftlichkeitsrechnung erfasst wurden. (2) Inwieweit qualitative Gesichtspunkte in die Wirtschaftlichkeitsrechnung einfließen, hängt auch vom Planungshorizont ab. So kann sich z.B. das Bestreben nach einer Vermeidung von Konflikten mit den Gewerkschaften langfristig in der Höhe der Lohnkosten niederschlagen und damit in die Rechnung eingehen. Deshalb muss sorgfältig analysiert werden, welche Faktoren mit der Rechnung erfasst werden können und welche nicht rechenbar bleiben. Wird eine solche Trennung nicht vorgenommen, führt die -Gewichtung zu einer Verzerrung der Gesamtnutzendifferenzen und verhindert somit die angestrebte Nutzenmaximierung. <?page no="380"?> Kapitel V: Internationalisierungsstrategien • 357 (3) In dem gewählten Beispiel wurde die Bedeutung der Ziele und der Beiträge, die einzelne Gestaltungsformen für diese Ziele haben, anhand einer Bewertungsskala durchgeführt, die von 0 bis 10 reicht. Die Bestimmung der Zielgewichtungen und der Gewichtung der Beiträge einzelner Gestaltungsformen kann auch in Form einer Prioritätenbildung vorgenommen werden. Bei dieser Vorgehensweise für die Analyse der qualitativen Faktoren ergibt sich das Problem, dass die Prioritätenbildung zu gleich großen Differenzen bei der Bewertung führt. Geht man z.B. davon aus, dass eine Prioritätenbildung bei den qualitativen Zielen wie folgt vorgenommen wurde: Priorität: Ziel 4 (geringe finanzielle Belastung), Priorität: Ziel 5 (Vermeidung von gewerkschaftlichen Konflikten), Priorität: Ziel 1 (Markteintrittsziel), Priorität: Ziel 3 (Rohstoffsicherung) und Priorität: Ziel 2 (Engagement in politisch sicheren Märkten), dann ergibt sich als Annäherung nachstehende Zielgewichtung: Ziel 4 : 100 15 · 5 : 33% Ziel 5 : 100 15 · 4 : 27% Ziel 1 : 100 15 · 3 : 20% Ziel 3 : 100 15 · 2 : 13% Ziel 2 : 100 15 · 1 : 7% Wie das Beispiel zeigt, sind bei der Überführung der Prioritätenbildung in eine Pattern- Analyse die Zielgewichtungsunterschiede konstant. Dies führt in Einzelfällen zu Fehlbewertungen. Auch hierzu ein Beispiel. Für das qualitative Ziel 3 (Rohstoffsicherung) soll die folgende Rangordnung in fallender Reihenfolge der Gewichtung gelten: (1) Direktinvestition, (2) Lizenzabkommen und (3) Export. Damit werden folgende Zielerreichungsgrade bestimmt: (1) Direktinvestition : 6 100 · 3 : 50% <?page no="381"?> 358 • Kapitel V: Internationalisierungsstrategien (2) Lizenzabkommen : 6 100 · 2 : 33% (3) Export : 6 100 · 1 : 17% In der Ausgangssituation wurde unterstellt, dass weder die Lizenznoch die Exportalternative einen Beitrag zum Ziel der Rohstoffsicherung leisten. Die Durchführung der Pattern- Analyse auf der Basis einer Prioritätenbildung führt im Beispiel zu einer unterschiedlichen Rangfolge der Relevanzzahlen (vgl. Abbildung 184). Abbildung 184: Pattern-Analyse auf der Basis einer Prioritätenbildung Die Exportalternative hat nun mit 35,51% die höchste Relevanzzahl. Da auch der Kapitalwert dieser Alternative am höchsten ist, wäre der Export in die USA eine dominante Markteintrittsstrategie. Dieses Ergebnis kommt dadurch zustande, dass bei der Prioritätenbildung die Lizenz- und Exportalternative „zwangsweise“ zum Ziel der Rohstoffsicherung beitragen. Würde man bei der Prioritätenbildung berücksichtigen, dass nur die Direktinvestition in den USA einen Zielbeitrag zur Rohstoffsicherung leistet, dann käme man wieder zu der gleichen Rangfolge wie im Ausgangsbeispiel (vgl. Abbildung 185). Abbildung 185: Pattern-Analyse auf der Basis einer selektiven Prioritätenbildung Ein weiteres Problem der praktischen Anwendung des dargestellten Entscheidungsmodells ist die Subjektivität der Bewertung im Rahmen der Pattern-Analyse und der Differenzen in den Ergebnissen der Wirtschaftlichkeitsrechnung und der Relevanzzahlen. Das Element <?page no="382"?> Kapitel V: Internationalisierungsstrategien • 359 der Subjektivität der Bewertung lässt sich aus einem Entscheidungsprozess, wie er dargestellt wurde, nicht eliminieren. Die Frage, die sich in diesem Zusammenhang stellt, lautet: Wie sensitiv reagiert die Pattern-Analyse auf Bewertungsänderungen, d.h. wie groß sind die „Manipulationsspielräume“? Nimmt man das Ergebnis der Pattern-Analyse unseres Fallbeispiels, dann lässt sich für jede Zielgröße ermitteln, um wie viel sich die Zielerreichungsbewertungen der Alternativen Export und Direktinvestition ändern müssen, damit der Export eine höhere Relevanzzahl erreicht als die Direktinvestition. Abbildung 186 gilt unter der Annahme, dass zunächst nur die Zielerreichungsgrade der Alternativen Export und Direktinvestition geändert werden. Abbildung 186: Sensitivitätsanalyse der Pattern-Analyse Diese Abbildung verdeutlicht, dass im Rahmen dieser einparametrischen Sensitivitätsanalyse erhebliche Änderungen einzelner Zielerreichungsbewertungen vorgenommen werden müssen, um eine Umkehrung der Ergebnisse der Pattern-Analyse zu erreichen. Neben der Frage der Sensitivität der Ergebnisse bei einer Veränderung der Bewertungen ist bei einer Beurteilung der Subjektivität der Bewertung zu beachten, dass der Meinungsbildungsprozess in Gruppen den Bewertungsspielräumen oft enge Grenzen setzt. Die Pattern-Analyse erweist sich hier aus folgenden Gründen als nützlich: Erstens wird durch die logische Struktur der Pattern-Analyse die systematische Diskussion der Gruppe unterstützt, zweitens wird durch die Kombinatorik sichergestellt, dass innerhalb einer Ziel- Alternativen-Matrix alle denkbaren Möglichkeiten gedanklich überprüft werden müssen und drittens dient die Bewertungsmatrix als Instrument der Selbstkontrolle und einer nachträglichen Überprüfbarkeit der Diskussion. Auch wenn man den Einwand der Subjektivität der Bewertung gelten lässt und damit eine gewisse „Manipulationsfähigkeit“ verbindet, können zumindest die Entscheidungsprozesse durch das vorgestellte Bewertungsverfahren transparenter dargestellt werden. Sie führen zu einer Offenlegung der Entscheidungsabläufe und machen dabei Begründungen nachvollziehbar und damit überprüfbar. Durch die Ermittlung der Relevanzzahlen wird bei einer unkritischen Haltung der Entscheidungsträger eine Scheingenauigkeit vorgespiegelt. Das kann dazu führen, dass insbesondere Naturwissenschaftler und Techniker aufgrund ihres Zahlenverständnisses diese Zahlen falsch interpretieren. Bei der Pattern-Analyse kommt es jedoch weniger darauf an, <?page no="383"?> 360 • Kapitel V: Internationalisierungsstrategien wie hoch die Relevanzzahl ist, sondern mehr auf die Rangfolge der unterschiedlichen Alternativen und ob sich bestimmte dominierende Optionen herausbilden. Auch die Anzahl der betrachteten Gestaltungsformen der Auslandsaktivitäten und der qualitativen Faktoren können Probleme aufwerfen, die sich aus einem „Nivellierungseffekt“ ergeben. Wird die Anzahl der Alternativen zu groß, dann ist eine mehrstufige Entscheidungsfindung dergestalt möglich, dass mithilfe des Entscheidungsmodells zunächst sukzessive die günstigste Exportalternative (z.B. indirekter oder direkter Export), dann die günstigste Direktinvestitionsalternative (z.B. Erwerb eines ausländischen Unternehmens, Bau auf der grünen Wiese oder Joint Venture) und anschließend die günstigste Alternative für den Abschluss eines internationalen Technologievertrages (z.B. Lizenzvergabe, technische Kooperation) ermittelt werden. In der nächsten Stufe des Entscheidungsprozesses werden dann nur noch die günstigsten der drei alternativen Grundformen der Markteintrittsstrategien im Ausland betrachtet und miteinander verglichen. Neben der Anzahl der zu betrachtenden Gestaltungsformen kann eine große Zahl von qualitativen Zielen zu einem „Nivellierungseffekt“ führen. Fasst man die Vorteile des vorgeschlagenen Ablaufkonzeptes zusammen, dann ergibt sich, dass das Entscheidungsmodell: (1) die Entscheidungsträger zwingt, ihre Analyse in logischen Schritten durchzuführen, (2) die Entscheidungsfindung für alle Beteiligten transparent und überprüfbar macht, (3) den Entscheidenden zwingt, die jeweilige Bewertung zu begründen, (4) durch seine Kombinatorik eine strukturierte Diskussion fördert und gleichzeitig der Selbstkontrolle und der Bestimmung der Standpunkte einzelner Mitglieder im Meinungsbildungsprozess der Gruppe dient und (5) die Entscheidungsträger zu einer permanenten Reflexion der Ziele des Unternehmens auffordert. Nach der Anwendung des vorgeschlagenen Prozessmodells hat das Unternehmen über alle wesentlichen Fragen, die bei der Entwicklung eines strategischen Konzeptes für eine Internationalisierung der Unternehmensaktivitäten notwendig sind, entschieden. Eine Internationalisierungsstrategie bedeutet, dass das Unternehmen einen Pfad von der strategischen Lücke bis zu einer konkreten Gestaltungsform seiner Auslandsaktivitäten festgelegt hat. <?page no="384"?> Kapitel V: Internationalisierungsstrategien • 361 Fallstudie: Merck: Internationalisierung durch M&A Internationalisierung durch M&A Karl-Ludwig Kley, Vorsitzender der Geschäftsleitung von Merck 1. Ausgangslage Gegründet 1668, ist Merck das älteste pharmazeutisch-chemische Unternehmen der Welt. Die operativen Tätigkeiten sind unter dem Dach der Merck KGaA mit Sitz in Darmstadt gebündelt, an der die Familie Merck mit 70% und freie Aktionäre mit 30% beteiligt sind. Die einstige US-Tochtergesellschaft Merck & Co. wurde 1917 enteignet und ist seitdem ein von Merck unabhängiges Unternehmen. Im Geschäftsjahr 2006 erwirtschaftete Merck Gesamterlöse in Höhe von rund 6,3 Milliarden Euro, davon 4,1 Milliarden Euro im Unternehmensbereich Pharma und 2,1 Milliarden Euro im Unternehmensbereich Chemie. Merck beschäftigte 2006 in 56 Ländern rund 30.000 Mitarbeiter, 33% davon in Deutschland. Der Schwerpunkt der Geschäfte lag zu diesem Zeitpunkt in Europa, wo 46% des Konzernumsatzes generiert wurden. Insbesondere Nordamerika war mit einem Umsatzanteil von 14% deutlich unterrepräsentiert. Abbildung 187: Umsatz Merck-Gruppe nach Regionen 2006 in Mio. €. <?page no="385"?> 362 • Kapitel V: Internationalisierungsstrategien 2. Neuausrichtung des Unternehmensbereichs Pharma: Akquisition von Serono und Veräußerung des Generika-Geschäfts 2006 erwirtschaftete der Unternehmensbereich Pharma 44% seines Umsatzes mit Generika - Arzneimittel mit Wirkstoffen, die nicht mehr dem Patentschutz unterliegen. Die zweite Pharmasparte „Ethicals“, die die Erforschung, Herstellung und den Vertrieb von rezeptpflichtigen Medikamenten umfasst, trug 46% zum Umsatz dieses Unternehmensbereichs bei. Arzneimittel zur Selbstmedikation, gebündelt in der Sparte „Consumer Health Care“, generierten 10% des Pharmaumsatzes. Strategisches Ziel von Merck war es, sich auch im Pharmageschäft dauerhaft als innovatives Unternehmen mit wachstumsstarken Spezialitätengeschäften und dem Schwerpunkt im Bereich Biotechnologie zu positionieren. Im September 2006 gab Merck daher die Übernahme des Schweizer Biotechnologieunternehmens Serono bekannt. Es war die bis dato größte Akquisition in der 338-jährigen Firmengeschichte von Merck. Serono hatte im Geschäftsjahr 2005 mit rund 4.800 Mitarbeitern einen Gesamtumsatz von 1,9 Milliarden Euro erzielt, davon 565 Millionen Euro in den USA. „Merck Ethicals“ und Serono wurden zur neuen Sparte „Merck Serono“ verschmolzen. Abbildung 188: Vergleich Merck Ethicals und Serono 2005 Die transformierende Übernahme folgte einer konsistenten strategischen Logik: Durch die Transaktion wurde Merck zu einem weltweit führenden Hersteller biotechnologisch hergestellter Arzneimittel. Das Produktportfolio verschreibungspflichtiger Arzneimittel konnte deutlich verbreitert werden - beispielsweise durch Rebif®, ein weltweit führendes Medikament zur Behandlung der Multiplen Sklerose, einer Erkrankung des zentralen Nervensystems. Die gute Marktpräsenz von Serono in den USA verbesserte die Aufstellung von Merck im weltweit wichtigsten Pharmamarkt signifikant. Vor der Übernahme war Merck dort nur mit Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten präsent; mit Serono kam eine breit aufgestellte kommerzielle Infrastruktur hinzu. <?page no="386"?> Kapitel V: Internationalisierungsstrategien • 363 Der durch die Akquisition deutlich gestärkte Cashflow ermöglichte Merck ein Forschungs- und Entwicklungsbudget, mit dem die kritische Masse für nachhaltige Investitionen in innovative Produkte erreicht wurde. Kurz nach der Übernahme von Serono veräußerte Merck im Mai 2007 sein Generikageschäft an das US-Unternehmen Mylan. „Merck Generics“ hatte 2006 mit rund 5.000 Mitarbeitern einen Umsatz von 1,8 Milliarden Euro erwirtschaftet. Da das Generikageschäft nicht durch Forschung und Entwicklung, sondern durch Menge und Preis determiniert ist, trug die Desinvestition der Generikasparte dazu bei, Merck auf innovationsgetriebene Aktivitäten zu fokussieren und die Profitabilität nachhaltig zu erhöhen. Der Veräußerungserlös von 4,9 Milliarden Euro diente - neben einer Kapitalerhöhung der Merck KGaA - zur Refinanzierung der Serono-Übernahme. 3. Strategische Weiterentwicklung im Bereich Chemie: Akquisition von Millipore Ebenfalls 2006 erwirtschaftete der Unternehmensbereich Chemie rund 63% seines Umsatzes mit Materialgeschäften und rund 37% mit Angeboten für die Life-Science-Industrie, also die Pharma- und Nahrungsmittelindustrie. Dieses Geschäft wurde als Wachstumsmarkt für innovative Produkte eingestuft. Im Februar 2010 gab Merck daher die Übernahme des US-amerikanischen Life-Science-Unternehmens Millipore bekannt. Das Angebotsportfolio von Millipore umfasste Produkte, Technologien und Serviceleistungen für Kunden der Pharma- und biopharmazeutischen Industrie sowie für Forschungseinrichtungen. 2009 erwirtschaftete Millipore mit rund 6.000 Mitarbeitern in über 30 Ländern einen Umsatz von 1,7 Milliarden US-Dollar. Jeweils rund 40% des Umsatzes erzielte das Unternehmen in Nord- und Lateinamerika sowie in Europa, etwa 20% in Asien. Zusammen mit den bestehenden Life-Science-Geschäften von Merck entstand die neue Sparte „Merck Millipore“. Die Millipore-Akquisition folgte folgenden strategischen Eckpunkten: Schaffung eines weltweit führenden Partners für die Life-Science-Industrie mit einem Umsatzvolumen von über 2 Milliarden Euro. Ausbau der globalen Präsenz von Merck auch im Chemiebereich und insbesondere Stärkung der Marktposition in den USA. Weitere Fokussierung auf hochprofitable Spezialprodukte mit attraktiven Wachstumspotenzialen. Dauerhafte Erhöhung der operativen Marge durch größeren Marktanteil im Life- Science-Markt. <?page no="387"?> 364 • Kapitel V: Internationalisierungsstrategien Abbildung 189: Umsatz nach Regionen 2009 4. Akquisitionen im Rahmen der Unternehmensstrategie Die beiden Akquisitionen folgten der strategischen Grundmaxime von Merck, einerseits das unternehmerische Risiko durch mehrere Geschäftsfelder mit unterschiedlichen Geschäftsmodellen zu diversifizieren. Andererseits wiesen beide Unternehmen wichtige Kernkompetenzen auf, die auch für das Gesamtunternehmen Merck charakteristisch sind: Innovationskraft, Spezialitätengeschäft statt Massenproduktion, hohe Qualität und ausgefeiltes Supply Chain Management. Darüber hinaus bieten beide Geschäfte Synergiepotenzial. 5. Integrationsprozesse Sowohl bei „Merck Serono“ als auch bei „Merck Millipore“ lag dem Integrationsprozess das Prinzip „best of both worlds“ zugrunde: Statt einer einseitigen Integration in die bestehenden Merck-Strukturen sollten die Stärken von Merck und dem neu hinzugekommenen Unternehmensteil kombiniert werden. Um negative Auswirkungen des Integrationsprozesses auf das Tagesgeschäft zu vermeiden, spielte der Faktor Geschwindigkeit bei der Umsetzung des Integrationsplanes eine zentrale Rolle. Gleichzeitig galt es, die weltweit verteilten Mitarbeiter kommunikativ in den Integrationsprozess einzubinden und die Unternehmenskultur von Merck zu vermitteln. 6. Fazit Mit der Akquisition von Serono entwickelte Merck das Geschäft mit innovativen Arzneimitteln zu einer international signifikanten Größe und etablierte sich als führendes Unternehmen im Biotechnologiesektor. Die Übernahme von Millipore positionierte Merck als weltweit führenden Anbieter von Produkten und Lösungen für die Pharma- und Biotechindustrie sowie für Forschungseinrichtungen und etablierte eine weitere Innovationsplattform im Unternehmen. Beide Transaktionen haben die internationale Aufstellung von <?page no="388"?> Kapitel V: Internationalisierungsstrategien • 365 Merck deutlich verbreitert - insbesondere in der Wachstumsregion Nordamerika, deren Umsatz 2011 sich gegenüber 2006 mehr als verdoppelt hat. Die Gesamterlöse der Merck- Gruppe stiegen von 2006 bis 2011 um 63% auf 10,3 Milliarden Euro. Der Anteil der Mitarbeiter in Deutschland sank im gleichen Zeitraum um 6 Prozentpunkte auf 27%. Die Vereinigung von Merck Serono und Merck Millipore unter einem Dach eröffnet darüber hinaus künftig vielversprechende Synergiepotenziale in der biotechnologischen Wertschöpfungskette. Fragen zur Fallstudie (1) Das „Handelsblatt“ kommentierte im April 2011: „Die Merck KGaA ist unter den Industriekonzernen im Dax-30 ein heimlicher Meister im M&A-Geschäft […].“ Warum wählte Merck Übernahmen als Weg zur Internationalisierung? (2) Welche Gründe sprachen für Serono beziehungsweise Millipore als Akquisitionsziel? (3) Warum konzentrierte sich Merck nach der Serono-Akquisition nicht mit weiteren Übernahmen auf den Pharmabereich, sondern kaufte mit Millipore im Chemiebereich zu? Quellen: Handelsblatt, 07.04.2011, S. 24. Literaturempfehlungen Basisliteratur Cavusgil, T./ Knight, G./ Riesenberger, J., 2012: International Business: The New Realities, 2. Aufl., Boston, [Abschnitt 3: „Strategy and Opportunity Assessment“, S. 342-399]. Hill, C., 2010: International Business: Competing in the Global Marketplace, 8., internationale Aufl., New York, [Kapitel 12: „The Strategy of International Business“, S. 418- 447]. Kutschker, M./ Schmid, S., 2011: Internationales Management, 7. Aufl., München, [Kapitel 6: „Strategien der internationalen Unternehmung“, S. 823-1068]. Lasserre, P., 2007: Global Strategic Management, 2. Aufl., Houndmills, [Kapitel 7: „Entry Strategies“, S. 191-217]. Vertiefungsliteratur Clemens, B., 2010: Internationale Unternehmensführung: Entscheidungsorientierte Einführung, Oldenbourg: München. <?page no="389"?> 366 • Kapitel V: Internationalisierungsstrategien Daniels, J.D./ Radebaugh, L.H./ Sullivan, D.P., 2007: International Business, 11. Aufl., Pearson: New Jersey. Holtbrügge, D./ Welge, M.K., 2010: Internationales Management: Theorien, Funktionen, Fallstudien, 5. Aufl., Poeschel: Stuttgart. Meckl, R., 2010: Internationales Management, 2. Aufl., Vahlen: München. Neumair, S.M./ Haas, H.D., 2006: Internationale Wirtschaft: Rahmenbedingungen, Akteure, räumliche Prozesse, Oldenbourg: München. <?page no="390"?> Kapitel VI: Internationales Organisations- und Kooperationsmanagement <?page no="391"?> 368 • Kapitel VI: Internationales Organisations- und Kooperationsmanagement Standpunkt: Novelis Inc. Novelis Inc. Novelis, mit Hauptsitz in Atlanta, USA, ist weltweit führend in der Herstellung von gewalzten Aluminiumprodukten sowie im Recycling von Aluminium-Getränkedosen. Novelis ist weltweit tätig mit Werken in 11 Ländern, rund 11.600 Mitarbeitern und einem ausgewiesenen Umsatz von 10,6 Milliarden US-Dollar im Geschäftsjahr 2011. www.novelis.com Dr. Philip Martens, CEO Novelis Inc. Dr. Philip Martens ist CEO der Novelis Inc. und Vorstandsmitglied der Plexus Corporation sowie der Handelskammer von Atlanta. 1. In how far is the organizational set up crucial to succeed in international competition? How an organization runs, all things considered, is one of the most critical factors senior executives have to manage. I see 3 key factors for the effectiveness of an organization: (1) Talent management process (2) Decision making process (3) Capital allocation process The management of these processes and how well these are understood requires global implementation and uniformity of those processes within the organizational design structure. How an organization runs is a function of organization structure and design. In this case, form follows the function of the governance process. 2. Is a global standardization of international organizational processes necessary for a multinational enterprise? Yes, it clearly is. If you have non-standard operating practices you cannot have clearly defined decision making, capital allocation, and talent management processes throughout the organization. This results in a high variability of processes which then leads to inefficiency, reversal, reevaluation, and delays to respond. This can furthermore be inconsistent with strategic corporate decisions. <?page no="392"?> Kapitel VI: Internationales Organisations- und Kooperationsmanagement • 369 3. Should there be a focus on regional or national structures in decision making? Or does a global harmonization make sense? An overarching strategy like Novelis has with both global commercial organizations and regional organizations can be challenging. This is the art of balance. Any global company needs a very careful and measured balance between centralization and decentralization. Neither one extreme really exists with truly successful international companies. In order to be successful, companies need to hit the sweet spot in between the two. The balance allows a company to take advantage of global resources and optimized processes and operating practices while considering local or regional requirements in decision making, such as cultural or legal standards, for example. 4. Are cooperations with third parties a strategic key for international competition or is there a danger to lose knowledge or competitive advantage? Companies should undergo a careful thought process when considering associations with third parties. If you can very clearly define control, governance and roles within the partnership, and there is a clear gap in the knowledge of the core company, it makes sense to consider a cooperation, typically a Joint Venture or a technology partnership. For example, Novelis has successful Joint Ventures with third parties at two of our plants at Logan (USA) and Norf (Germany). Both are large scale rolling mill operations and fill a critical need for the partners. Technical associations are more difficult as they are based on the perspective of a common desire but often characterized by competing business needs of the companies partnering. In the optimal case, a Joint-Venture can be based on aligned interests of the partners, such as a cooperation of a manufacturing company with a financial investor. Those different types of cooperation range from moderate/ controlled risk to reasonably uncontrolled risk, and tied to a legal framework. As such, a company needs to make a decision on the amount of risk to take. 5. What are the pros and cons of staffing managers from the headquarter/ home country in international and overseas assignments? There are clearly many pros and a few cons: The pros include career development, transfer of knowledge (technical, business process/ practices), filling a critical skill mix in a short period of time, allowing the business to expand faster while ensuring consistency with corporate goals and strategies. The cons are: transfers are expensive and you face a risk that the individual involved cannot make the transition to the new culture. Generally, the pros clearly outweigh the cons. There are differences by region to be considered, too, and the success of an overseas staffing depends on the development cycle of a company. As an example, there are more <?page no="393"?> 370 • Kapitel VI: Internationales Organisations- und Kooperationsmanagement Chinese nationals today who understand Western business practices, very different from 10 years ago when the cultural gap was even larger and more difficult to overcome. 6. Do cross cultural teams work and what are the success factors for making them work? In the right environment, they can work very well. Generally, there is a need for cross-cultural teams in multinational companies as they create a positive learning environment, and promote an understanding of cultural differences with team members becoming sensitive to those. At Novelis, I manage a cross-cultural leadership team and it is important that I understand how to handle the team to be effective. Most of the team members have lived and worked abroad themselves and come from a wide variety of backgrounds. 7. What is the role of social media and the web in general in international collaboration? Due to the global availability of the Internet, face-to-face communication cost is lower than ever. Expensive video conference rooms and special equipment have become absolute, high quality and low cost video solutions are available to everyone today. This is a dramatic shift and allows for face-to-face discussions across the globe at any time. Social media such as Facebook and Twitter is today mostly a means for communication, branding, recruiting and potentially advertising. However, there is some risk associated to utilizing social media in that it can be very subjective and driven by opinions of individuals, rather than representing an objective view of facts. 8. What are the major challenges in international organization and cooperation in the future? The major challenges are driven by the level of information flow today vs. 10 years ago. The speed of decision making increases to almost real-time today, with all information at hand, supported by flattening organizational structures. Executives are challenged to appropriately prioritize input requests and manage what they respond to, in an environment where faster responses and decision making are expected. Ziele und Rahmenbedingungen des internationalen Organisationsmanagements Der Begriff Organisationsmanagement umfasst „die bewusste und proaktive Gestaltung von organisatorischen Lösungen, die sowohl aufbauals auch ablauforganisatorische Aspekte berücksichtigen, um effiziente Organisationsstrukturen im internationalen Umfeld zu schaffen“ (Kreikebaum, H./ Gilbert, D.U./ Reinhardt, G.O., 2002). Die Frage der organisatorischen Effektivität bezieht sich darauf, ob in einer Organisation die richtigen Ziele verfolgt werden. Organisatorische Effizi- <?page no="394"?> Kapitel VI: Internationales Organisations- und Kooperationsmanagement • 371 enz betrachtet die Erfüllung organisatorischer Ziele (Schulte-Zurhausen, M., 2010). Das Organisationsmanagement beinhaltet nicht nur das Ergebnis des Organisierens (Organisationsstruktur), sondern auch den Organisationsprozess. Neben dem instrumentellen ist der institutionelle Begriffsinhalt des Organisationsmanagements zu nennen. Internationale Organisationen werden hierbei als soziale Gebilde betrachtet, die sowohl geplante Ordnung als auch ungeplante Resultate hervorbringen (Bleicher, K., 2011). Sie weisen mehr oder weniger klar definierte Grenzen auf. Diese sind Planungsgegenstand des internationalen Organisationsmanagements. Beispiele hierfür sind Make-or-buy-Entscheidungen oder Fragen des Kooperationsmanagements. Vor dem Hintergrund der Globalisierung der Märkte reflektieren die großen multinationalen Unternehmen ihre Koordination und Konfiguration. Diese organisatorischen Aspekte fließen wiederum maßgeblich in gesellschafts- und wirtschaftspolitische Standortdebatten ein (Perlitz, M., 1994a). Multinationale Unternehmen stellen heute globale Netzwerkstrukturen dar, in denen viele Knotenpunkte durch Tochtergesellschaften, horizontale und/ oder vertikale Kooperationen bzw. einem oder mehreren Headquartern miteinander verbunden sind. Jeder Knotenpunkt in diesem Netzwerk ist permanent zu hinterfragen. Nur wenn der Knotenpunkt einen Beitrag zum Gesamtnetzwerk leistet, der nicht durch effizientere Lösungen zu ersetzen ist, bleibt dieser als wertvoller Bestandteil des Netzwerkes erhalten. Damit werden die Strukturen multinationaler Unternehmen extrem dynamisch und ändern sich oft. Jedoch sind nicht nur die „Global Players“, sondern auch kleine und mittelständische Unternehmen oft in sehr hohem Maße international aktiv (Simon, H., 2007). Gerade diesen Unternehmen erlauben die dramatischen Fortschritte in der Informations- und Kommunikationstechnologie, die mit innovativen Organisationskonzepten einhergehen, über die traditionell bedeutenden Handelsbeziehungen hinaus verstärkt international tätig zu werden. Das grundlegende Ziel des internationalen Organisationsmanagements ist die langfristige Sicherung bzw. Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit im Rahmen einer sich global entwickelnden Wirtschaft. Somit haben organisatorische Ziele per se instrumentellen Charakter, d.h., sie tragen zu den Unternehmenszielen bei. Hierbei entspricht der Internationalisierungsgrad von Organisationen vielfach nicht den strategischen Optionen, die sich im internationalen Geschäft bieten. Ein zielgerichtetes Organisationsmanagement ist deshalb erforderlich (Kreikebaum, H./ Gilbert, D.U./ Reinhardt, G.O., 2002). Aus dem Ziel der internationalen Wettbewerbsfähigkeit leiten sich konkrete organisatorische Subziele ab, so z.B.: Marktorientierung, Flexibilität, Motivation, Anreiz-, Ressourcen- und Informationskompatibilität, <?page no="395"?> 372 • Kapitel VI: Internationales Organisations- und Kooperationsmanagement organisatorisches Lernen und grenzüberschreitender Wissenstransfer, Konzentration auf Kernkompetenzen oder Fähigkeit zur Selbststeuerung im Unternehmensverbund. Die Internationalisierung von Unternehmen führt zu erhöhten Anforderungen an die Organisation der Unternehmung im Hinblick auf die Funktionsfähigkeit, die Verwaltung und insbesondere die Flexibilität (zur Nedden, C., 1994). Der Flexibilität kommt deswegen eine Sonderstellung zu, weil sich die Umweltbedingungen, die strategischen Anforderungen und auch die internen Strukturen von Organisationen permanent wandeln. Auch die historische Entwicklung von Unternehmensorganisationen zeigt, dass die Organisationsgestaltung kein einmaliger Vorgang ist. Deshalb darf internationales Organisationsmanagement keinesfalls statisch verstanden werden. Vielmehr sind Organisationsstrukturen und -prozesse permanent zu hinterfragen. Hierbei gilt es, einen organisatorischen Fit zwischen den Dimensionen Struktur, Strategie, Kultur und Personal anzustreben. Folgende Einflussfaktoren spielen dabei eine tragende Rolle: Soziokulturelle Einflussfaktoren wie z.B. der Führungsstil, die Unternehmensphilosophie, die Unternehmenskultur der Muttergesellschaft, die demografische Struktur, der Ausbildungsstand, die Mentalität, die Kreativität, die Motivation, die Eigenverantwortlichkeit und die Religionszugehörigkeit des Personals sowie der historische Hintergrund des Unternehmens beeinflussen die Organisationsstruktur des internationalen Unternehmens. Im Zusammenhang mit den kulturellen Faktoren, die auf die Organisationsstruktur Einfluss nehmen, wurden zwei gegensätzliche Thesen entwickelt. Die „Culture-free-These“ geht davon aus, dass die meisten Umweltfaktoren langfristig für verschiedene Kulturen eher ähnlicher werden und damit zu gleichen Unternehmensstrukturen führen. Die „Culture-bound-These“ beschreibt eine enge Abhängigkeit der Organisationsstruktur von der sie umgebenden Kultur (Perlitz, M., 2000). Je stärker sich die lokale Kultur von der des Stammlandes unterscheidet, umso mehr nehmen tendenziell der Entscheidungsspielraum der Führungszentrale und die Dominanz des Führungsstils der Muttergesellschaft ab. Es kommt zu einer Steigerung der Entscheidungs- und Aufgabendominanz sowie zu einer inhaltlichen Gestaltungsfreiheit für Verträge bei den ausländischen Tochtergesellschaften. Von technisch-ökonomischen Faktoren wie z.B. verwendete Technologie, Unternehmensgröße, Grad der Internationalisierung, Transferpreisgestaltung und Entwicklungsstand des Marktes gehen ebenfalls Einflüsse auf die Organisationsstruktur im internationalen Unternehmen aus. Sehr große Bedeutung für das internationale Organisationsmanagement hat die Informations- und Kommunikationstechnologie: Datenbanken und -netze erleichtern transnationale Strategien, internationale Modularisierung sowie die weltweite Integration von <?page no="396"?> Kapitel VI: Internationales Organisations- und Kooperationsmanagement • 373 Prozessabläufen und Organisationsstrukturen. Einfach zu bedienende und individualisierte Informations- und Kommunikationstechnologien erleichtern die Selbstabstimmung und fördern somit den Trend zu einer stärkeren lokalen Entscheidungsautonomie. So kommt es auch zu neuen Kooperationsformen innerhalb von Unternehmen. Mit Videokonferenzen, E-Mails, Handys etc. und sozialen Medien können heute Unternehmen schneller, effizienter, flexibler und dynamischer geführt werden. Insbesondere können heute durch Cloud basierte IT-Lösungen erheblich zur Flexibilität und zur weltweiten Verfügbarkeit von Mitarbeitern beitragen. So kommt es in vielen Unternehmen fast zu einer „24 Stunden pro Tag“-Verfügbarkeit von Mitarbeitern. Ob das wünschenswert ist, ist eine andere Frage. Die neuen IT-Lösungen ermöglichen aber auch eine schnellere Integration von übernommenen Unternehmen. Politisch-rechtliche Bestimmungsfaktoren üben ebenso einen Einfluss auf die Organisationsstruktur eines internationalen Unternehmens aus. Hier spielen z.B. mögliche Rechtsformen, lokale Kontrollanforderungen, lokale Einflussnahmen auf die Zusammensetzung der Leitungsgremien und der Anteil öffentlicher Unternehmen an der Gesamtzahl der Unternehmen in den verschiedenen Ländern eine wichtige Rolle. Die Berücksichtigung der lokalen Bestimmungen führt oft dazu, dass Synergiepotenziale in der Organisation nicht realisiert werden. Auch Fragen der Corporate Governance werden in vielen Ländern unterschiedlich gesehen, so dass adäquate Organisationsformen in der Aufbau- und der Ablauforganisation gefunden werden müssen, die nationale und internationale Konfliktpotenziale vermeiden. 1 Organisationsstrukturen 1.1 Klassische internationale Organisationsstrukturen In einem frühen Stadium der Internationalisierung wird die bestehende inländische Organisation meist lediglich um eine Exportabteilung ergänzt. Zunehmende Auslandsaktivitäten führen zu einer stärkeren Bedeutung der Exportabteilung und es können selbstständig operierende Niederlassungen im Ausland gebildet werden. Eine Ausweitung des internationalen Engagements bedeutet zudem, dass andere Formen neben den Export treten. Beispielsweise kommt es zu internationalen Lizenzvereinbarungen oder zu einer Auslandsproduktion. Die Exportabteilung erweist sich nun als ungenügend, d.h., die fortgeschrittene Internationalisierung löst eine Reorganisation aus. Je nach Integrationsgrad des Auslandsgeschäfts in die nationale Organisationsstruktur ergeben sich hierbei zwei grundsätzliche Gestaltungsoptionen (Welge, M.K./ Holtbrügge, D., 2010): (1) Differenzierte Strukturen, bei denen Inlands- und Auslandsaktivitäten getrennt sind, und <?page no="397"?> 374 • Kapitel VI: Internationales Organisations- und Kooperationsmanagement (2) integrierte Strukturen, bei denen Inlands- und Auslandsgeschäft gemeinsam gemäß einem übergeordneten Gestaltungsprinzip organisiert sind. Differenzierte Strukturen spielen insbesondere bei noch eher geringer Komplexität des Auslandsgeschäfts eine Rolle. Oft wird aus der Exportabteilung eine internationale Division gebildet, die für den größten Teil oder die Gesamtheit des Auslandsgeschäfts zuständig ist. Sie steht neben den sonstigen Sparten bzw. Funktionen des Unternehmens (Söllner, A., 2008). Abbildung 190: Internationale Division Hinsichtlich der Verantwortlichkeit und Autonomie der internationalen Division gibt es unterschiedliche Ausgestaltungsformen. Am weitesten verbreitet ist die Auslandsholding, in der die rechtlich selbstständigen Auslandsgesellschaften zusammengefasst sind und die als Profit Center geführt wird. Der Erfolgsausweis für das Auslandsgeschäft kann so separat erfolgen. Bei vielen Unternehmen zeichnet sich eine Regionalisierung der internationalen Division ab, d.h., es werden „regional headquarters“ etabliert (Welge, M.K./ Holtbrügge, D., 2010). Vorteile der internationalen Division ergeben sich insbesondere bei international weitgehend standardisierten Produkten und homogenen Kundenbedürfnissen. Durch die Bündelung der Erfahrungen im Auslandsgeschäft sind die Kommunikations- und Entscheidungswege kurz, wenige Spezialisten können das Auslandsgeschäft straff ordnen. Zwar ergeben sich Vorteile aus der Erleichterung operationaler Entscheidungen im Auslandsgeschäft, aber es kann zu Konflikten zwischen In- und Auslandsdivisionen und zu Kommunikationsproblemen sowie Abstimmungsproblemen kommen. Nachteile sind ferner die mangelnde Austauschbarkeit von nationalen und internationalen Managern sowie die Gefahr der Verselbstständigung des Auslandsgeschäfts. Zudem kann es zu redundanten Stabstätigkeiten und zu Problemen bei der Übertragung von Innovationen vom Heimatmarkt auf Auslandsmärkte kommen, weil die Inlandssparten wenig Interesse an der Anpassung an ausländische Bedürfnisse haben (Welge, M.K./ Holtbrügge, D., 2010; Kreikebaum, H./ Gilbert, D.U./ Reinhardt, G.O., 2002). Internationale Divisionen sind dann als Organisationsstruktur sinnvoll, wenn die Auslandsaktivitäten noch nicht sehr stark ausgeprägt sind und der Diversifikationsgrad des Auslandsgeschäftes eher gering ist bzw. dem Unternehmen nur wenige Führungskräfte mit internationaler Erfahrung zur Verfügung stehen. <?page no="398"?> Kapitel VI: Internationales Organisations- und Kooperationsmanagement • 375 Bei weiter steigendem Internationalisierungsgrad nimmt das Auslandsgeschäft einen Komplexitätsgrad an, durch den auch eine internationale Division überlastet wird. Dies ist ein Anlass, integrierte Strukturen zu bilden. Hierbei lassen sich folgende Grundmuster unterscheiden: die integrierte Funktionalstruktur, die integrierte Produktstruktur, die integrierte Regionalstruktur sowie mehrdimensionale Strukturen. Bei der integrierten Funktionalstruktur sind In- und Auslandsgeschäft unter die betrieblichen Funktionsbereiche gegliedert. Die integrierte Funktionalstruktur bietet sich dann an, wenn die weltweite Abstimmung der Funktionsbereiche die vorrangige strategische Herausforderung im Unternehmen ist. Vorteile der funktionalen Struktur liegen im wirtschaftlichen Einsatz von Spezialisten, in der Vermeidung von Doppelarbeit sowie der Implementierung einer weltweiten Unternehmenspolitik und eines relativ geringen Bedarfs an Managementpersonal. Der funktionalen Organisationsstruktur sind dann Grenzen gesetzt, wenn durch Wachstum und Diversifikation eine klare Zuordnung von Tochtergesellschaften zu den betrieblichen Funktionsbereichen nicht mehr möglich ist. Zudem können die Koordinationserfordernisse die Unternehmensleitung überlasten (Welge, M.K./ Holtbrügge, D., 2010). Abbildung 191: Integrierte Funktionalstruktur Die integrierte Produktstruktur ist dadurch gekennzeichnet, dass jede Produktdivision die weltweite Verantwortung für ihr Produkt bzw. ihre Produktgruppe hat. Das nötige Produkt- und Verfahrens-Know-how wird in den einzelnen Produktsparten gebündelt. Die regionalen und funktionalen Aktivitäten werden ggf. durch Stäbe koordiniert. Die produktbezogene Organisationsstruktur eignet sich insbesondere dann, wenn ein internationales Unternehmen stark diversifiziert ist, verschiedene Technologien weltweit einsetzt und in stark unterschiedlichen Marktstrukturen arbeitet (Eversheim, W./ Schuh, G., 2005). Die Vorteile der globalen Produktstruktur liegen vor allem in der guten weltweiten <?page no="399"?> 376 • Kapitel VI: Internationales Organisations- und Kooperationsmanagement Produktkoordination und der Vermeidung einer Programmzersplitterung. Nachteilig können sich die Vernachlässigung geografischer Besonderheiten, die Koordination zwischen den Produktgruppen, die Gefahr einer Überbewertung des Schwerpunktes „Produkt“ und eine mögliche Aushöhlung der Rolle der zentralen Geschäftsleitung auswirken (Kutschker, M./ Schmidt, S., 2011). Abbildung 192: Integrierte Produktstruktur Bei der integrierten Regionalstruktur folgt die Organisation des internationalen Unternehmens dem Gliederungsmerkmal „Raum“. Sie basiert auf dem Prinzip, dass die oberste Unternehmensebene in regionale Divisionen untergliedert wird, deren Führungskräfte jeweils für einen geografischen Raum verantwortlich sind. bbildung 193: Integrierte Regionalstruktur Die Regionalstruktur ist insbesondere dann geeignet, wenn ein Unternehmen ein relativ homogenes und standardisiertes Leistungsprogramm bzw. ausgereifte Produkte vermarktet. Die Regionalstruktur ermöglicht eine bessere Integration von nationalen und internationalen Märkten und die Förderung einer globalen Perspektive bei der Leistungsbeurteilung. Eine bessere Ressourcenallokation, eine globale Strategieentwicklung, eine bessere Planung und Logistik sowie die Nutzung eines marktbedingten Know-hows sind weitere Vorteile der Regionalstruktur. Probleme ergeben sich bei der Übertragung von Ideen von Markt zu Markt gemäß dem „Not invented here-Syndrom“: „It‘s a great idea, but it won‘t work in my market“ (Welge, M.K./ Holtbrügge, D., 2010). Die lokale Holding- oder „Umbrella“-Struktur stellt eine Zwischenstufe von produktbezogener und regionaler Struktur dar. Bei der lokalen Holding-Struktur kommt es zu <?page no="400"?> Kapitel VI: Internationales Organisations- und Kooperationsmanagement • 377 einer Nachahmung der Organisationsstruktur der Muttergesellschaft auf regionaler Ebene. Bei dieser Struktur besteht die Gefahr, dass die globale Kompetenz des weltweit tätigen Unternehmens nicht voll ausgenutzt wird (Dudley, J.W., 1989). Die bisher erörterten eindimensionalen Strukturen haben jeweils spezifische Schwächen. Dadurch, dass jeweils ein organisatorisches Gliederungskriterium an erster Stelle steht, werden andere Aspekte tendenziell vernachlässigt. Deshalb wurden in der Praxis bei vielen internationalen Unternehmen mehrdimensionale Strukturen eingeführt. Das Grundmodell ist die zweidimensionale Matrixstruktur, meist mit den Dimensionen Region und Funktion. Abbildung 194: Zweidimensionale Matrixstruktur Stopford und Wells haben 1972 eine Studie vorgelegt, die die Entwicklung der Organisationsstruktur internationaler Unternehmen in Abhängigkeit von der Art des Auslandsgeschäfts thematisiert. Basis war die empirische Analyse der Organisationsentwicklung von 187 US-Unternehmen im Zeitraum von 1900 bis 1963. Ihre Resultate fassen die Autoren in ihrem Struktur-Stadien-Modell zusammen (Stopford, J.M./ Wells, L.T., 1972). <?page no="401"?> 378 • Kapitel VI: Internationales Organisations- und Kooperationsmanagement Abbildung 195: Struktur-Stadien-Modell Quelle: Stopford, J.M./ Wells, L.T., 1972 Die zweidimensionale Matrix ist für internationale Unternehmen mit heterogenen Auslandsaktivitäten und verschiedenen lokalen Schwerpunkten relevant (Usunier, J.-C., 1988). Bei den Dimensionen „Raum“ und „Produkt“ gibt es auf der ersten Ebene unter der Unternehmensleitung sowohl Produktals auch Gebietsmanager, so dass eine Produkt-Markt- Strategie in gemeinsamer Verantwortung entwickelt werden muss. Mit der Matrixorganisation ist eine Reihe von Problemen verbunden: schwierige Kompetenzabgrenzung, hohe Koordinationskosten, Konflikte zwischen den Dimensionen und Machtkämpfe zwischen Mutter- und Tochtergesellschaft. Viele Unternehmen haben internationale Matrixstrukturen etabliert. Angesichts der genannten Probleme überrascht es jedoch nicht, dass diese in vielen Fällen nach wenigen Jahren wieder aufgegeben wurden (Kreikebaum, H./ Gilbert, D.U./ Reinhardt, G.O., 2002). Bei einer Grid-Struktur (auch „Tensor-Organisation“) erfolgt i.d.R. eine Gliederung des internationalen Unternehmens nach den Dimensionen „Funktion“, „Raum“ und „Produkt“. Hierbei besteht eine Regionalverantwortung von Gebietsmanagern und faktisch weisungsbefugten, funktional gegliederten Zentralstäben, die versuchen, eine Koordination des Gesamtsystems der internationalen Unternehmung zu erreichen. Welche Kompetenzlinie dominiert, hängt von der spezifischen Unternehmenssituation ab und kann nicht allgemeingültig formuliert werden. Die Grid-Struktur im internationalen Unternehmen kann bis zu vier Dimensionen umfassen, bei denen als mögliche vierte Dimension neben „Funktion“, „Raum“ und „Produkt“ die „Zeit“ oder ein „Projekt“ betrachtet wird (Welge, M.K., 1989a). Die für die zweidimensionale Matrix angesprochenen Probleme stellen sich verstärkt bei höherdimensionalen <?page no="402"?> Kapitel VI: Internationales Organisations- und Kooperationsmanagement • 379 Grid-Strukturen dar. Hier besteht die Gefahr, dass sich zwar theoretisch mit dieser Struktur eine größere Anpassungsfähigkeit für das internationale Unternehmen ergibt, dass aber in der Praxis die Schwerfälligkeit der Organisation dieser entgegenläuft. Als Mischform der genannten Organisationsstrukturen können Hybridstrukturen adäquat sein. Beispielsweise können unter dem Dach der Konzernführung sowohl Bereiche mit integrierter Regionalals auch Produktstruktur simultan bestehen (Macharzina, K./ Wolf, J., 2010). 1.2 Neuere Organisationsstrukturen internationaler Unternehmen 1.2.1 Management-Holding Die Management-Holding knüpft in organisatorischer Hinsicht an die Spartenorganisation an, da auf der zweiten Ebene eine Gliederung nach Produkten oder Produktgruppen bzw. nach Regionen vorgesehen ist (Macharzina, K./ Wolf, J., 2010). Hauptzweck einer Holdinggesellschaft ist eine auf Dauer angelegte Beteiligung an rechtlich selbstständigen Unternehmen. Hierbei hat die Management-Holding - anders als eine nur auf die Beteiligungsverwaltung beschränkte reine Finanzholding - die Verantwortung für unternehmensstrategische Aufgaben. Die Struktur der Management-Holding umfasst drei Elemente (Zeiss, H., 2006): (1) eine vergleichsweise kleine Holdingleitung, (2) eher wenige Zentralbereiche und (3) Geschäftsbereiche mit rechtlicher Selbstständigkeit. Typisch sind flache Hierarchien mit einer daraus resultierenden hohen Leitungsspanne. Die Geschäftsbereiche sind i.d.R. Profitcenter. Man verspricht sich von der Management- Holding die Beseitigung der Nachteile zentraler Geschäftsbereichsorganisationen wie hohe Verwaltungsgemeinkosten durch Zentralbereiche, hohe Komplexitätskosten wegen großer Produktvielfalt sowie Trägheit von Unternehmen mit der Konsequenz geringer Innovationskraft und Flexibilität. Die Vorbzw. Nachteile kleiner bzw. großer Einheiten sollen verknüpft bzw. vermieden werden (Kreikebaum, H./ Gilbert, D.U./ Reinhardt, G.O., 2002). <?page no="403"?> 380 • Kapitel VI: Internationales Organisations- und Kooperationsmanagement Abbildung 196: Schnittstellen und Reaktionsfähigkeit Quelle: May, P., 1997 Die Koordination zwischen Holdingspitze und Tochtergesellschaften erfolgt durch (Kreikebaum, H./ Gilbert, D.U./ Reinhardt, G.O., 2002): Finanzhoheit: Kapitalbeschaffung, Zuweisung von Kapital an die Töchter, Budgetierung, Verrechnungspreise, Kennzahlen; Personalunion: Mitglieder des Leitungsorgans der Obergesellschaft sind auch in den Leitungsorganen der Tochtergesellschaft vertreten und/ oder Mitglieder des Leitungsorgans der Obergesellschaft sind zugleich in den Aufsichtsbzw. Beiräten der Tochtergesellschaft vertreten; Kommunikation: Gesprächskreise, Strategiegruppen, Planungsrunden, Ausschüsse; Verträge: Beherrschungsbzw. Gewinnabführungsverträge sowie die Unternehmenskultur. Je nach Aufteilung der Kompetenzen zwischen Holdingleitung und Tochtergesellschaften lassen sich folgende Formen unterscheiden: die Finanzholding, die strategische Management-Holding oder die operative Management-Holding. Abbildung 197 zeigt, welche Führungsaufgaben die Holdingmutter bei den drei genannten Formen übernimmt. <?page no="404"?> Kapitel VI: Internationales Organisations- und Kooperationsmanagement • 381 Legende: „F“: Finanzholding; „S“: Strategische Management-Holding; „O“: Operative Management-Holding „ “ Eingriff der Holdingmutter; „-“ Kein Eingriff der Holdingmutter Abbildung 197: Führungsaufgaben in verschiedenen Formen der Management-Holding Quelle: In Anlehnung an: Kreikebaum, H./ Gilbert, D.U./ Reinhardt, G.O., 2002 Im internationalen Kontext bieten sich zwei Gestaltungsoptionen der Management- Holding an: (1) zum einen kann eine Überordnung der Führung über das nationale Stammhaus und die Auslandsgesellschaften bestehen, (2) zum anderen erfolgt eine Unterordnung einer Auslands-Holding unter die Geschäftsführung des Stammhauses. Die Holdingorganisation bietet, verglichen mit herkömmlichen Organisationsstrukturen, verschiedene Vorteile im Hinblick auf die strategische Neuausrichtung des Geschäftsportfolios von internationalen Konzernen (Keller, T., 2010): höhere Transparenz (auch für die Aktionäre durch Vorlage von Jahresabschlüssen und ggf. Börsennotierung der Töchter), bessere Messbarkeit des Leistungsbeitrages einzelner Geschäftsfelder, erhöhte Flexibilität, um Portfolio-Bereinigungen durchzuführen, Vereinfachung der Zusammenarbeit mit anderen Unternehmen, beschleunigte Integration neuer Unternehmen, Nutzung von Steuervorteilen, Erleichterung der Umsetzung von Strategien, da die Verantwortung personifiziert und klar definiert ist, und gezieltes Management von Kernkompetenzen. <?page no="405"?> 382 • Kapitel VI: Internationales Organisations- und Kooperationsmanagement Abbildung 198: Formen internationaler Verbundführung durch Holdinggesellschaften Quelle: Keller, T., 2010 Bei der Einführung einer Konzern-Holding sind Rollenverständnisse bei Holdingspitze und Geschäftsbereichsleitern, der Führungsstil und die Unternehmenskultur von entscheidender Bedeutung. Durch die Eigenständigkeit der Geschäftsbereiche besteht die Gefahr der Verselbstständigung. Die starke Zersplitterung des Gesamtkonzerns kann die Unternehmenskultur und -identität bedrohen, Bereichsegoismen werden gefördert und die Nutzung von Synergien wird tendenziell eingeschränkt (Bernhardt, W./ Witt, P., 1995). Die Führungsdistanz zwischen Holdingleitung und ausländischen Tochtergesellschaften ist relativ hoch. Somit wächst die Gefahr von Fehlentscheidungen und es kann zu Reibungsverlusten kommen, beispielsweise weil die Bewilligung ausländischer Investitionen durch inländische Interessen der Holdingmutter beeinflusst wird (Keller, T., 2010). 1.2.2 Internationale Netzwerkstrukturen Die Globalisierung von Unternehmensaktivitäten ist geprägt durch einen Trend zum Wirtschaften in Netzwerken. Ein Indikator hierfür ist, dass etwa ein Drittel des Welthandels innerhalb der Unternehmensbereiche internationaler Konzerne und ein weiteres Drittel zwischen internationalen Konzernen abgewickelt werden. Netzwerkgebilde sind das Ergebnis zweier Restrukturierungsvorgänge: der Auflösung (Erosion, Segmentierung, Modularisierung) von Großunternehmen einerseits und der Vernetzung der entstehenden Segmente andererseits (Reiß, M., 1996). International tätige Konzerne besitzen eine Vielzahl <?page no="406"?> Kapitel VI: Internationales Organisations- und Kooperationsmanagement • 383 von Tochtergesellschaften und Beteiligungen (oftmals mehrere Hundert), die untereinander Material, Informationen und Geld austauschen. Mit dem Phänomen internationaler Netzwerke hat sich in den letzten Jahren eine Vielzahl von Autoren beschäftigt. Hierbei lassen sich intraorganisatorische und interorganisatorische Netzwerke unterscheiden (Kutschker, M./ Schmid, S., 2011; Weber, B., 1996; Böttcher, R., 1996; Schoppe, S.G., 1995; Sydow, J., 1992). Erstere interpretieren das Unternehmen als Netzwerk und untersuchen die internen Beziehungen zwischen den verschiedenen Einheiten der Organisation. Letztere gehen über die Organisationsgrenzen hinaus. Interorganisationale Netzwerke Interorganisationale Netzwerke bezeichnen Verflechtungen zwischen rechtlich und wirtschaftlich selbstständigen Unternehmen. Eine unternehmensübergreifende Aufgabenerstellung wird hierbei durch vertragliche Verbindungen zwischen einer Mehrzahl rechtlich selbstständiger Unternehmen abgewickelt (Picot, A./ Reichwald, R./ Wigand, R.T., 2010). Diese langfristigen Beziehungen zwischen zwei oder mehreren Unternehmen werden z.B. mit Begriffen wie „dynamic networks“, „Strategische Netzwerke“, „Wertschöpfungsnetzwerke“, „Joint Ventures“, „Strategische Allianzen“ oder „kooperative Netzwerke“ bezeichnet (Schoppe, S.G., 1995; Jarillo, J.C., 1993; Thorelli, H.B., 1986). Sydow fasst diese Organisationsformen unter dem Überbegriff des Unternehmensnetzwerks zusammen. Ein solches besteht „aus einer endlichen Zahl von rechtlich und - in einem eingeschränkteren Sinne als die Unternehmung - wirtschaftlich selbständigen Einheiten“ (Sydow, J., 1992), sogenannten Netzwerkunternehmungen. Je nachdem, wie weit dieser Begriff gefasst wird, können diese als intra- oder interorganisationale Netzwerke interpretiert werden. Je stärker die rechtliche und wirtschaftliche Selbstständigkeit der Netzwerkunternehmungen wird, desto eher sind sie Komponenten eines interorganisationalen Netzwerks. Interorganisationale Unternehmensnetzwerke können auf finanziellen, personellen und vertraglichen Austauschbeziehungen beruhen (Wastl, U./ Wagner, F., 1997; Papenheim-Tockhorn, H., 1995; Adams, M., 1994; Pfannschmidt, A., 1993). <?page no="407"?> 384 • Kapitel VI: Internationales Organisations- und Kooperationsmanagement Abbildung 199: Grundformen der Unternehmensverflechtung Quelle: Windolf, P./ Beyer, J., 1995 Im Bereich der interorganisationalen Netzwerkforschung liefert Sydow eine ausführliche Aufarbeitung und Analyse (Sydow, J., 1992). Er beschäftigt sich mit strategischen Netzwerken von Unternehmen und definiert diese als „eine auf die Realisierung von Wettbewerbsvorteilen zielende, polyzentrische, gleichwohl von einer oder mehreren Unternehmungen strategisch geführte Organisationsform ökonomischer Aktivitäten zwischen Markt und Hierarchie, die sich durch komplex-reziproke, eher kooperative denn kompetitive und relativ stabile Beziehungen zwischen rechtlich selbständigen, wirtschaftlich jedoch zumeist abhängigen (Netzwerk-)Unternehmungen auszeichnet“ (Sydow, J., 1992). Abbildung 200: Organisationsformen ökonomischer Aktivitäten Quelle: Sydow, J., 1991 <?page no="408"?> Kapitel VI: Internationales Organisations- und Kooperationsmanagement • 385 Abbildung 200 zeigt die Stellung eines Unternehmensnetzwerks auf dem Kontinuum Markt und Hierarchie (Sydow, J., 1991). Somit finden sich auch die Ausgestaltungsformen des internationalen Kooperationsmanagements auf diesem Kontinuum wieder. Die Steuerung weltweiter Netzwerke wird heute von sogenannten Entreprise-Resource- Planning-Systemen (ERP) unterstützt. Solche Systeme werden beispielsweise von SAP, Microsoft oder Oracle angeboten. 1.2.3 Intraorganisatorische Netzwerke Bartlett und Ghoshal kommen auf Basis einer internationalen Studie zu dem Schluss, dass bisherige Organisationsformen den Herausforderungen des internationalen Wettbewerbs nicht mehr gerecht werden (Bartlett, C.A./ Ghoshal, S./ Birkinshaw, J., 2003). In multinationalen Unternehmen agieren dezentrale Landesgesellschaften als unabhängige Portfolio-Einheiten, um damit lokale Präsenz und die Berücksichtigung nationaler Unterschiede zu erreichen (lokale Anpassungsfähigkeit). Diese Unabhängigkeit verhindert jedoch die Erzielung von Wettbewerbsvorteilen durch Globalisierungsstrategien. Globale Organisationen schöpfen aufgrund ihrer Weltmarktorientierung Größenvorteile aus (globale Effizienz), sind aber infolge zentralisierter, einseitiger Entscheidungsflüsse nur begrenzt innovationsfähig. Internationale Unternehmungen bündeln schließlich Kernkompetenzen in der Zentrale und transferieren dieses Wissen zur Anwendung an die jeweiligen Einheiten in den Auslandsmärkten (weltweite Sicherung von Innovationsprozessen). Jedoch sind die Auslandsfilialen auf den einseitigen Transfer von Wissen und Informationen aus der Zentrale angewiesen, daher ist auch diese Organisation beschränkt innovativ. Das sogenannte transnationale Unternehmen kann die multidimensionalen Ziele der anderen Organisationsformen (Marktnähe, Effizienz und Innovation) gleichzeitig verfolgen. Es überwindet somit das Dilemma zwischen Globalisierung versus Lokalisierung bzw. Integration versus Differenzierung. <?page no="409"?> 386 • Kapitel VI: Internationales Organisations- und Kooperationsmanagement Abbildung 201: Einfluss neuer Einflussfaktoren auf Integration/ Differenzierung Quelle: Bartlett, C.A./ Ghoshal, S./ Birkinshaw, J., 2003 Erreicht wird die mehrdimensionale Zielerfüllung durch ein integriertes Netzwerk von mehreren Partialzentren mit verteilten, aber interdependenten und spezialisierten Ressourcen und Kernkompetenzen (Prahalad, C.K./ Hamel, G., 1991). Die Stärke dieser Struktur beruht insbesondere auf folgenden Charakteristika (Bartlett, C.A./ Ghoshal, S./ Birkinshaw, J., 2003): differenzierte Beiträge der nationalen Einheiten zu integrierten weltweiten Aktivitäten, weltweit verstreute, interdependente und spezialisierte Werte und Fähigkeiten sowie gemeinsam entwickeltes Wissen zur weltweiten Nutzung durch alle Unternehmenseinheiten. Die einzelnen Netzwerkelemente werden durch eine Vielzahl reziproker Interdependenzen zusammengehalten in Form eines „ständigen Austausches von Komponenten, Produkten, Ressourcen, Menschen und Informationen im transnationalen Unternehmen“ (Bartlett, C.A./ Ghoshal, S./ Birkinshaw, J., 2003). Im Vergleich zu den bisherigen Organisationsmodellen hat die transnationale Unternehmung zusätzliche Verbindungen zwischen den einzelnen Netzwerkmitgliedern, die sie nutzt. Dadurch können die Partialzentren ihre Aktivitäten auch direkt untereinander (lateral) koordinieren und Aufgaben jeweils an die Einheiten verlagern, die die besten Kompetenzen dafür besitzen. <?page no="410"?> Kapitel VI: Internationales Organisations- und Kooperationsmanagement • 387 Abbildung 202: Das integrierte Netzwerk Quelle: Bartlett, C.A./ Ghoshal, S., 2003 Durch das Zusammenspiel von Muttergesellschaft und Filialen entsteht eine polyzentrische Struktur, in der die Netzwerkmitglieder in Abhängigkeit von den Kriterien „strategische Bedeutung der lokalen Einheiten“ und „Niveau der lokalen Ressourcen und Kompetenzen“ unterschiedliche Rollen einnehmen können. Die wichtigsten Funktionen haben die Einheiten in der Rolle des „strategischen Führers“. Sie übernehmen für ein bestimmtes Teilgebiet die strategische Gesamtverantwortung im Sinne eines lokalen Akteurs. Dies wird auch als „Lead-Country-Konzept“ bezeichnet (Kutschker, M./ Schmid, S., 2011). Die Unternehmenszentrale hat schließlich als Netzwerkoperator das optimale Zusammenspiel der verschiedenen funktionalen und regionalen Netzwerkelemente sicherzustellen (Wimmer, O., 1994). Der Vorteil der Vielfalt in der transnationalen Organisation ist gleichzeitig deren große Schwäche, denn „sie ist beständig von Spaltung und Zersplitterung bedroht“ (Bartlett, C.A./ Ghoshal, S., 2003). Dies verlangt ständige Koordinationsprozesse für die Organisationseinheiten. Zwei Bereiche sind dabei von zentraler Bedeutung: erstens die Koordinationsprozesse für die strategischen Rollen und Aufgaben der Einheiten, zweitens die Koordination der „Flüsse“ zwischen den Einheiten der Organisation. Drei Ströme bestimmen die Beziehungen zwischen den Netzwerkelementen: der Warenfluss (Rohstoffe, Komponenten, Baugruppen und Fertigwaren), der Ressourcenfluss (Kapital, Technologie und Personal) und der Informationsfluss (Rohdaten, Analysen und Wissen). Die transnationale Unternehmung muss ständig die Verteilung von Ressourcen steuern, internationale Aktivitäten integrieren, lokale Einheiten koordinieren und weltweit verstreute Kenntnisse und Informationen verknüpfen. <?page no="411"?> 388 • Kapitel VI: Internationales Organisations- und Kooperationsmanagement Der Verdienst von Bartlett und Ghoshal besteht in der Legitimation der Vielfalt. Ihr Organisationsmodell unterscheidet sich von den traditionellen Organisationsformen insbesondere durch die Verteilung von Aufgaben der Zentrale auf mehrere Zentren im Sinne einer polyzentrischen Führungsstruktur. Allerdings werden die Koordinationsinstrumente nur sehr vage beschrieben und gehen nicht über konzeptionelle Vorstellungen hinaus (Hungenberg, H., 2010; zur Nedden, C., 1994). Das intraorganisatorische Netzwerk kann als eine hybride Organisationsform zwischen Markt und Hierarchie bezeichnet werden, die marktliche und hierarchische Elemente vereint, um die Vorteile beider Koordinationsformen zu kombinieren (Kutschker, M./ Schmid, S., 2011). Sowohl Kooperation als auch Konkurrenz sind wichtige Merkmale intraorganisationaler Netzwerke. Durch ihre Struktur kann die Netzwerkorganisation im Vergleich zu traditionellen Organisationsformen eine Reihe von Dichotomien überwinden (Kutschker, M./ Schmid, S., 2011). Sie ist als Ausweg aus dem Dilemma von Differenzierung bzw. Lokalisierung versus Integration oder Globalisierung und Dezentralisierung versus Zentralisierung anzusehen, weil sie gleichzeitig die Vorteile der Kleinheit und der Größe realisieren kann. Netzwerke können somit als eine Weiterentwicklung klassischer Organisationsformen angesehen werden. Problematisch ist im Rahmen der empirischen Netzwerkforschung, dass bislang keine Studien vorliegen, die das Rollenspiel in Konzernen analysieren. Die Globalisierung und die damit verbundene Bildung weltweiter Unternehmensnetzwerke führen zudem zu wachsender asymmetrischer Ressourcenverteilung innerhalb von Konzernen. Die Folge sind mehrere Machtzentren, welche auf die strategische Führung des Unternehmensnetzwerks Einfluss nehmen. Um eine solche Führung aufrechterhalten und verschiedene Interessen berücksichtigen zu können, scheinen Verhandlungen in diesem Zusammenhang eine große Rolle zu spielen. Macht und Verhandlungen besitzen im Bereich der Politologie eine lange Forschungstradition. Zahlreiche Forschungsergebnisse aus diesem Bereich eignen sich, um die Führung von Unternehmensnetzwerken zu verstehen und Gestaltungsempfehlungen geben zu können (Perlitz, M./ Peske, T., 2000). In jüngster Zeit bilden sich Netzwerke, die das Unternehmen mit der Außenwelt für bestimmte Aufgaben verbindet als Beispiel hierfür kann das Konzept der Open Innovation genannt werden. Hier kommt es auf freiwilliger Basis zu einer Kooperation zwischen Unternehmen und interessierten Mitgliedern von „Netzwerkern“, die sich das Ziel einer Lösung für eine bestimmte Innovationsaufgabe gesetzt haben. Dieser Form der Zusammenarbeit steht fast unabhängig neben den klassischen Organisationsformen. Ähnliches gilt auch für sogenannte Sozialnetzwerke, die sich auch meist auf freiwilliger Basis bilden und oft ebenfalls versuchen, spezielle Unternehmensaufgaben zu lösen. <?page no="412"?> Kapitel VI: Internationales Organisations- und Kooperationsmanagement • 389 2 Prozessorganisation Klassifikation der Instrumente Die oben dargestellten strukturellen Gestaltungselemente beruhen in starkem Maße auf Hierarchien. Kommunikationsprozesse außerhalb der Hierarchie werden vernachlässigt. Dies ist jedoch nicht hinreichend, um die Prozesse innerhalb internationaler Unternehmen abzubilden. Vielmehr müssen auch nichthierarchische Gestaltungselemente, z.B. Kommunikationsprozesse zwischen Abteilungen, berücksichtigt werden. Prozessuale Gestaltungselemente sind flexibler einsetzbar als strukturelle Gestaltungselemente. Somit eignen sie sich eher zur Feinsteuerung im international tätigen Unternehmen. Abbildung 203 zeigt eine in der Literatur übliche Klassifikation prozessualer Gestaltungselemente innerhalb von Organisationen (Welge, M.K./ Holtbrügge, D., 2010). Dabei lassen sich technokratische und personenorientierte Instrumente unterscheiden. Abbildung 203: Prozessuale Gestaltungselemente internationaler Unternehmen Quelle: modifiziert nach Welge, M.K./ Holtbrügge, D., 2010 2.1 Technokratische Instrumente Planung Das Instrument Planung ist durch periodisch wiederkehrende Vorgaben der Muttergesellschaft an die ausländischen Tochtergesellschaften gekennzeichnet. Pläne begrenzen und strukturieren zukünftige Entscheidungs- und Handlungsspielräume. Angesichts der Komplexität betrieblicher Abläufe und Strukturen im internationalen Unternehmen, gibt es eine Vielzahl von aufeinander abgestimmten Plänen, die als betriebliches Planungssystem zu bezeichnen sind (Bufka, J., 1997). Die Koordinationswirkung der Planung zwischen Mutter und Tochter ergibt sich daraus, dass die Zentrale ihren Auslandsgesellschaften mehr oder weniger präzise Planvorgaben macht. Diese sind Basis von Detailplänen und haben somit den Charakter von Zielvorgaben. Entscheidend für die koordinative Wirkung ist, dass die Planziele den einzelnen ausländischen Subeinheiten verbindlich vorgegeben werden. An- <?page no="413"?> 390 • Kapitel VI: Internationales Organisations- und Kooperationsmanagement sonsten besteht die Gefahr, dass sie nur zur nachträglichen Begründung und Rechtfertigung dienen (Kieser, A./ Walgenbach, P., 2010). Bei der Planung kann je nach Inhalt zwischen Ziel-, Maßnahmen- und Ressourcenplanung unterschieden werden. Die Zielplanung umfasst die Ermittlung und Festlegung erwünschter Sollzustände und soll die Ausrichtung von Tochtergesellschaften an den Zielen des Gesamtunternehmens gewährleisten. Die Maßnahmenplanung basiert auf der Unternehmensstrategie und enthält die Aktivitäten, die auf der Tochterebene durchgeführt werden sollen. Die Ressourcenplanung beinhaltet schließlich die Ermittlung, Entwicklung und Bereitstellung von finanziellen, sachlichen und personellen Mitteln zur Umsetzung der geplanten Maßnahmen. Hierbei kommt der Budgetierung für einzelne Funktionen, Bereiche bzw. Projekte der Töchter eine zentrale Bedeutung zu (Welge, M.K./ Holtbrügge, D., 2010). Abbildung 204: Bestimmungsfaktoren der Planungskomplexität im internationalen Unternehmen Quelle: In Anlehnung an: Welge, M.K., 1981 Aus inhaltlicher Sicht erscheint vor allem die Zielplanung koordinationsrelevant zu sein (Welge, M.K., 1989b). Auch von der Maßnahmen- und Ressourcenplanung geht eine koordinierende Wirkung aus, weil anhand der planerischen Vorgabe von Maßnahmen bzw. Ressourcen konkrete Handlungen für die Zukunft festgelegt werden. Im Gegensatz zu Programmen und Richtlinien beinhaltet die Maßnahmenplanung immer einen zeitlichen Bezug. Deshalb wird der Planung eine vergleichsweise hohe Flexibilität zugebilligt, da im Rahmen des Planungsprozesses Bedingungsveränderungen berücksichtigt und entsprechende Plananpassungen vorgenommen werden können. Hinsichtlich der Vorteilhaftigkeit der Planung muss einschränkend angemerkt werden, dass die Koordinationswirkung der Planung entscheidend davon abhängt, inwieweit zukünftige Entwicklungen prognostizierbar sind (Staehle, W.H., 2009). <?page no="414"?> Kapitel VI: Internationales Organisations- und Kooperationsmanagement • 391 Formalisierung Zu den formalen Koordinationsinstrumenten zählen die Programmierung, die Standardisierung und die Festlegung von Verrechnungspreisen. Unter Programmierung versteht man die A-priori-Festlegung relevanter Aktivitäten und Eigenschaften (Kieser, A./ Walgenbach, P., 2010; Hill, W./ Fehlbaum, R./ Ulrich, P., 1989). Wie bei der Planung ergibt sich die Koordinationswirkung aus einer Beschränkung von Handlungsalternativen. Programme bestimmen Handlungsabläufe durch festgelegte Verfahren und Lösungswege. Dies erfolgt im Allgemeinen schriftlich, wobei als Adressaten sowohl einzelne Organisationsmitglieder als auch organisatorische Teileinheiten, wie z.B. ausländische Tochtergesellschaften in Frage kommen. Beziehen sich Programme nicht nur auf spezifische Sachverhalte im Sinne einer Einzelanweisung, so spricht man von Richtlinien (Bufka, J., 1997). Der wesentliche Unterschied zwischen Programmen und Planung ist der fehlende zeitliche Bezug des ersteren Koordinationsinstruments. Dies bedeutet jedoch nicht, dass Programme eine unbegrenzte Geltungsdauer haben. Auch sie unterliegen dem Zwang der Anpassung, allerdings ist die Änderungsrate nicht so hoch wie bei der Planung (Kenter, M.E., 1985). Darüber hinaus spezifizieren Programme lediglich die zur Zielerreichung notwendigen Handlungsaktivitäten, nicht jedoch die Ziele selbst (Staehle, W.H., 2009). In der Literatur (Kieser, A./ Walgenbach, P., 2010; Wolf, J., 1994; Krüger, W., 1984) werden als Vorteile von Programmen angeführt, dass: durch eine verbindliche und allgemein zugängliche Vorgabe optimierter Handlungsabläufe relativ schnell Effizienzsteigerungen möglich sind, einheitliche Leistungsergebnisse sichergestellt werden, die Entscheidungsqualität verbessert wird, da sich subjektive Einflüsse auf Entscheidungen und Handlungsabläufe reduzieren, die Führungskräfte entlastet werden, da zahlreiche Entscheidungsaufgaben erst delegierbar sind, wenn klare Vorgehensweisen zur Problemlösung spezifiziert werden, die Bereitschaft zur Verantwortung zunimmt, da die individuelle Angst vor den Konsequenzen fehlerhaften Verhaltens durch die Vorgabe von Handlungsalternativen verringert wird, sich die Überprüfung und Kontrolle von Einzelpersonen und organisatorischen Einheiten vereinfacht, da durch die Richtlinien einheitliche Kriterien zur Verhaltensbewertung vorgegeben werden und eine gerechtere Leistungsbewertung vereinfacht wird, da gleiche Aufgaben in gleicher oder zumindest ähnlicher Weise erledigt werden. Den positiven Effekten stehen folgende Nachteile gegenüber (Kieser, A./ Walgenbach, P., 2010; Staehle, W.H., 2009): <?page no="415"?> 392 • Kapitel VI: Internationales Organisations- und Kooperationsmanagement Monotonieerlebnisse führen bei den Mitarbeitern zu Desinteresse und mangelnder Eigeninitiative; Behinderung innovativen Verhaltens; Tendenz zur Schwerfälligkeit; hoher Erstellungs- und Änderungsaufwand und die Gefahr, dass formale Verhaltensvorschriften zum Selbstzweck werden. Angesichts der genannten Nachteile ist es unmittelbar einsichtig, dass Programme nur dann wirksam und effektiv eingesetzt werden können, wenn die zu bewältigenden Aufgaben klar definiert sind und ein gewisses Maß an Stabilität gegeben ist. Außer einer mehr oder weniger umfassenden Vorgabe von Handlungsabläufen können sich Richtlinien aber auch auf die zu erzielenden Leistungsergebnisse beziehen. In diesem Falle spricht man von Standardisierung. Werden Komponenten standardisiert, wird dies als Normung bezeichnet. Eine Standardisierung von Endprodukten fällt unter den Begriff der Typung. Durch Standardisierung wird ein über Ländergrenzen hinweg einheitliches Leistungsprogramm ermöglicht. Der Anwendungsbereich ergebnisbezogener Programme und Richtlinien ist jedoch nicht nur auf den Produktionsbereich beschränkt. Auch in anderen Funktionsbereichen wie z.B. bei der Kapital- oder Personalbeschaffung ergeben sich vielfältige Einsatzmöglichkeiten dieser speziellen Richtlinienart (Welge, M.K./ Holtbrügge, D., 2010). Durch die Festlegung von Verrechnungspreisen soll schließlich die Ressourcenallokation im internationalen Unternehmen gesteuert werden. Darüber hinaus haben Verrechnungspreise auch eine Wertbemessungs- und Gewinnverlagerungsfunktion. 2.2 Personenorientierte Instrumente Persönliche Anweisung Gibt eine übergeordnete Stelle Entscheidungen und Handlungen durch vertikale Kommunikation verbindlich vor, so spricht man von einer Koordination durch persönliche Anweisung. Voraussetzung ist dabei die Existenz einer hierarchischen Beziehung. Ist die Muttergesellschaft die oberste Hierarchieebene im Unternehmen, so kann die Koordination ausländischer Tochtergesellschaften auch mithilfe der persönlichen Anweisung erfolgen: Der Verantwortliche in der Zentrale trifft Entscheidungen und gibt diese als verbindliche Handlungsanweisung an die jeweiligen Führungskräfte auf der Ebene der ausländischen Tochtergesellschaften weiter (Bufka, J., 1997; Kenter, M.E., 1985). Aufgrund der engen Anlehnung an organisationsstrukturelle Gegebenheiten ist die persönliche Anweisung relativ einfach zu gestalten. Es sind lediglich die Entscheidungskompetenzen der einzelnen Stellen vorzugeben, während die Inhalte ad hoc bestimmt werden können. Somit besteht ein hohes Maß an Flexibilität. Hinzu kommt, dass es sich bei der per- <?page no="416"?> Kapitel VI: Internationales Organisations- und Kooperationsmanagement • 393 sönlichen Anweisung um ein vergleichsweise rigides Koordinationsinstrument handelt, da sehr schnell präzise Vorgaben gemacht werden können. Ein Problem der persönlichen Anweisungen ist, dass komplexe Koordinationserfordernisse zu einer Überlastung der vertikalen Kommunikationskanäle und der zuständigen Instanzen führen (Kieser, A./ Walgenbach, P., 2010). Die Folge ist eine mangelhafte Koordination. Gerade im internationalen Unternehmen, das durch komplexe Abläufe und durch große räumliche Distanz zwischen Zentrale und Tochtergesellschaft gekennzeichnet ist, erscheint dieses Problem besonders relevant. Hinzu kommt, dass Entscheidungen der Zentrale, die ohne Berücksichtigung der konkreten Auswirkungen vor Ort getroffen werden, Rückfragen mit sich bringen, welche die Koordinationskanäle zusätzlich belasten (Bufka, J., 1997). Selbstabstimmung Die Selbstabstimmung ist ein weiteres personenorientiertes Koordinationsinstrument, das dadurch gekennzeichnet ist, dass Entscheidungen von den beteiligten Stellen in einer Gruppenentscheidung getroffen werden (Holtbrügge, D., 2010). Besonders bedeutsam für die Selbstabstimmung sind strukturelle Regelungen, die den Abstimmungsprozess in formaler Hinsicht unterstützen. Unter Berücksichtigung solcher Regelungen lassen sich folgende drei Arten der Selbstkoordination unterscheiden (Kieser, A./ Walgenbach, P., 2010): (1) die fallweise Interaktion nach eigenem Ermessen, die auf Basis spontaner und freiwilliger Zusammenarbeit erfolgt, (2) die themenspezifische Interaktion, wobei Problemstellung und betroffene Organisationseinheiten von übergeordneten Instanzen festgelegt werden und (3) die institutionalisierte Interaktion, bei der üblicherweise Koordinationsorgane (Komitees, Ausschüsse, Arbeitskreise) gebildet werden, die zur Lösung spezieller Abstimmungsfragen zum Teil mit Entscheidungskompetenzen ausgestattet sind. Bezüglich der Koordination ausländischer Tochtergesellschaften deuten Studien auf eine zunehmende Bedeutung der Selbstabstimmung hin (Wolf, J., 1994; Kim, W.C./ Mauborgne, R.A., 1993; Macharzina, K., 1993). Martinez und Jarillo führen dies auf die sich ändernden Koordinationserfordernisse komplexer Internationalisierungsstrategien zurück: „Simple strategies need little coordination and therefore are implemented by using structural and formal mechanisms. Complex strategies (those resulting from interrelated, multiplant, multimarket policies) need enormous coordinating effort, and so are implemented through both types of mechanisms: structural and formal, plus informal and subtile“ (Martinez, J.I./ Jarillo, J.C., 1989). Vorteile der Selbstabstimmung sind hohe Flexibilität, die Entlastung der Kommunikation entlang der Dienstwege und die Möglichkeit, durch die Gruppenzusammensetzung eine Gleichberechtigung zwischen den Interessen der Mutter und den ausländischen Unternehmensteilen herzustellen. Jedoch sind mit der Selbstabstimmung auch erhebliche Aufwendungen verbunden. Mit zunehmender Größe und räumlicher Ausdehnung der interna- <?page no="417"?> 394 • Kapitel VI: Internationales Organisations- und Kooperationsmanagement tionalen Unternehmung dürften daher schnell Effizienzgrenzen erreicht werden. Hinzu kommt, dass Gruppenentscheidungen häufig durch Machtpolitik und Rivalitäten innerhalb der Gruppe, eine Tendenz zu unbefriedigenden Kompromissen, eine Verringerung des Verantwortungsgefühls des einzelnen Gruppenmitglieds und bei einer internationalen Besetzung durch interkulturelle Verhaltens- und Verständigungsprobleme gekennzeichnet sind (Bufka, J., 1997). Sozialisation In der Managementlehre wird der Unternehmenskultur, die als ein System von Wertvorstellungen, Verhaltensnormen und Denkhaltungen verstanden wird, welche das Verhalten der Mitarbeiter auf allen Stufen einer Unternehmung prägt, besondere Aufmerksamkeit gewidmet. Generell lässt sich der Zusammenhang zwischen Koordination und Unternehmenskultur wie folgt beschreiben: Die von den Organisationsmitgliedern verinnerlichten „shared values“ werden als komplexitätsreduzierender Orientierungsrahmen benutzt, so dass bestimmte Interpretationen sowie Handlungs- und Verhaltensweisen a priori ausgeklammert werden. Diese koordinative Wirkung der Unternehmenskultur wird umso stärker sein, je mehr Unternehmensmitglieder in ihren Überzeugungen übereinstimmen und je intensiver diese Übereinstimmung ist (Kieser, A./ Walgenbach, P., 2010). Da die Verinnerlichung der Unternehmenskultur nicht zwangsläufig erfolgt, müssen gezielte Mechanismen eingesetzt werden, die eine entsprechende Kulturvermittlung bewirken. Dieser Vorgang bewusster Kulturvermittlung wird auch als Sozialisation im Sinne eines „cultural learning process“ bezeichnet (Schreyögg, G./ Koch, J., 2010) Ein wesentlicher Vorteil der Sozialisation ist deren implizite Steuerungsfunktion. Gerade bei Aufgaben mit hohem Innovationsgrad und großer Komplexität und Unsicherheit lässt sich die Berücksichtigung der Ziele der Muttergesellschaft eher durch gemeinsame Werte und Normen als durch andere Koordinationsinstrumente sicherstellen. Zudem kann durch die Sozialisation formaler Aufwand vermindert werden (Welge, M.K./ Holtbrügge, D., 2010). Zu erwähnen sind jedoch auch Faktoren, die die Anwendungsmöglichkeiten der Sozialisation einschränken. Als erstes ist hierbei an die Akkulturationsproblematik zu denken, worunter der Einfluss der Landeskultur auf die Unternehmenskultur zu verstehen ist (Reineke, R.-D., 1989). Dies führt dazu, dass der Sozialisationsprozess in Ländern, die eine hohe kulturelle Distanz zum Heimatland der Zentrale aufweisen, mit erheblichen Akzeptanz- und Umsetzungsproblemen verbunden ist. Des Weiteren ist zu bedenken, dass der eigentliche Vorteil der Unternehmenskultur, nämlich die Selektion von Verhaltensweisen, dazu führen kann, dass erfolgversprechende Verhaltensmuster bzw. lokal erforderliche Einstellungen aufgrund mangelnder kultureller Legitimität entweder nicht wahrgenommen oder <?page no="418"?> Kapitel VI: Internationales Organisations- und Kooperationsmanagement • 395 aber nicht durchgesetzt werden können. Zudem kann eine ausgeprägte Unternehmenskultur vor allem in Krisensituationen, in denen überkommene Verhaltensweisen nicht mehr weiterhelfen, zu einem Anpassungshemmnis werden (Kieser, A./ Walgenbach, P., 2010). Nicht zu vergessen sind im Hinblick auf die Nachteile dieser Koordinationsform die hohen Implementierungsaufwendungen. Diese hängen damit zusammen, dass eine tief greifende Verinnerlichung der angestrebten Werte, Normen und Einstellungen nicht kurzfristig herbeigeführt werden kann, sondern einen über viele Jahre ablaufenden Diffusionsprozess erfordert (Welge, M.K./ Holtbrügge, D., 2010; Bufka, J., 1997). 3 Internationales Kooperationsmanagement 3.1 Eigenschaften internationaler Kooperationen Picot et al. definieren Kooperationen als „eine mittelbis langfristig angelegte, vertraglich geregelte Zusammenarbeit rechtlich selbständiger Unternehmen zur gemeinschaftlichen Erfüllung von Aufgaben“ (Picot, A./ Reichwald, R./ Wigand, R.T., 2010). Wichtig ist dabei, dass die Unternehmen ihre rechtliche Selbstständigkeit behalten und die wirtschaftliche Selbstständigkeit nur für den die Kooperation betreffenden Bereich, und dies auch nur für die Dauer des Bestehens der Kooperation, aufgeben (Bea, F.X./ Haas, J., 2012). Somit unterscheiden sich Kooperationen von Fusionen, Akquisitionen, Gründungen von Tochtergesellschaften oder Mehrheitsbeteiligungen zum Zwecke der Beherrschung des erworbenen Unternehmens (Perlitz, M., 2002). Nach Tröndle sind die konstitutiven Merkmale des Kooperationsbegriffes die simultane Existenz von Autonomie (Selbstständigkeit) und Interdependenz (gegenseitige Abhängigkeit) (Tröndle, D., 1987). Als weiterer Aspekt der Kooperation wird die Freiwilligkeit der Teilnahme angeführt. Hierbei ist jedoch gerade im internationalen Kontext der Fall möglicher staatlicher Eingriffe zu berücksichtigen, die dazu führen, dass diese Eigenschaft nicht gegeben ist (Schwerk, A., 2000). Internationale Kooperationen zeichnen sich dadurch aus, dass es sich zumindest für einen der Partner um eine grenzüberschreitende Zusammenarbeit handelt. Dabei können sich inländische Unternehmen gemeinsam auf einem ausländischen Markt betätigen oder inländische Unternehmen kooperieren mit einem oder mehreren ausländischen Unternehmen auf Märkten im Inbzw. Ausland. Kooperative Internationalisierungsformen lassen sich anhand verschiedener Eigenschaften beschreiben (Perlitz, M., 2002; Schwerk, A., 2000). Kooperationsform, Kapitalbeteiligung und Managementkontrolle: Es gibt Kooperationen, für die keine Kapitalbeteiligung notwendig ist. Demgegenüber stehen Gemeinschaftsunternehmen, die auf einer Kapitalbeteiligung basieren. Hierbei sind Majoritäts-, Paritäts- oder Minoritätsbeteiligungen möglich. <?page no="419"?> 396 • Kapitel VI: Internationales Organisations- und Kooperationsmanagement Anzahl der Kooperationspartner: Eine hohe Zahl steigert einerseits den Koordinationsaufwand, kann aber andererseits die Wettbewerbsposition verbessern. Kooperationsrichtung: Je nach Gestaltung der Geschäftsprozesse wird zwischen horizontalen, vertikalen oder konglomeraten Kooperationen unterschieden. Kooperationserfahrung und -häufigkeit: Positive Erfahrungen und die Vertrautheit mit Abläufen und Problemen von Kooperation können weitere Kooperationen erleichtern. Kooperieren Unternehmen wiederholt, so schafft dies eine Vertrauensbasis, die die Partner vor opportunistischem Verhalten schützt. Fristigkeit: Manche Kooperationen sind nur kurzfristiger Natur, andere sind auf eine eher längerfristige Zusammenarbeit ausgelegt. Kultureller „Fit“: Auf Länder- und Partnerebene: Spannungen, die hier entstehen, können Kooperationen grundsätzlich in Frage stellen. Ausgestaltung der Aktivitäten: Manche internationale Kooperationen beziehen alle unternehmerischen Aktivitäten mit ein, andere umfassen nur Teilbereiche betrieblicher Tätigkeiten. Formalisierungsgrad und Bindungsintensität. Risiko, Unsicherheit und Erfolg. 3.2 Internationaler Kooperationsprozess Unter dem Kooperationsprozess wird eine inhaltlich abgeschlossene, zeitliche und sachlogische Abfolge von Phasen zur Durchführung einer interorganisationalen Zusammenarbeit verstanden. Bei einer internationalen Kooperation werden sich typischerweise zum einen die Rahmenbedingungen im Zeitverlauf ändern. Zum anderen beeinflussen Aktionen und Reaktionen der Kooperationspartner den Verlauf der Partnerschaft. Wichtig ist also, die dynamische Entwicklung der Beziehungen zwischen den Kooperationspartnern zu beachten (Schertler, W., 1995). Im internationalen Kontext sind interkulturelle Aspekte für Kooperationen von großer Bedeutung. Hierbei sind die jeweiligen Landeskulturen, die Unternehmenskulturen der Kooperationspartner und die jeweiligen Corporate Governance-Systeme relevant. Die resultierenden interkulturellen Differenzen können einerseits im Sinne eines geozentrischen Ansatzes produktiv genutzt werden. Andererseits können interkulturelle Differenzen auch negative Folgen haben, die den Kooperationserfolg in Frage stellen. Diese Aspekte sollten in einer interkulturellen Misfit-Analyse bedacht werden (Abbildung 205). Der Kooperationsprozess kann in vier Phasen eingeteilt werden, wobei die wesentlichen Problemfelder hier nur stichwortartig genannt werden (Picot, A./ Reichwald, R./ Wigand, R.T., 2010; Börsig, C./ Baumgarten, C., 2002; Perlitz, M., 2002; Löser, B., 2000; Schwerk, A., 2000; Quack, H., 2000; Balling, R., 1998; Baumgarten, C., 1998; Klanke, B., 1995; Rumer, K., 1994): <?page no="420"?> Kapitel VI: Internationales Organisations- und Kooperationsmanagement • 397 (1) Planung und Initiierung der internationalen Kooperation Analyse der technischen, institutionellen und personellen Voraussetzungen einer Kooperation. Die Existenz stabiler, entwicklungsfähiger und kostengünstig nutzbarer „Infrastrukturen“ ist eine wichtige Ausgangsbedingung internationaler Kooperationen. Abbildung 205: Interkulturelle Misfit-Analyse Festlegung des Kooperationsgegenstandes, also die Bestimmung von Produkten, Geschäftsfeldern oder Funktionsbereichen, die Objekt der Kooperation sein sollen. Informationen über die Zielregion bzw. den -markt der Kooperation, also beispielsweise über Marktpotenzial, vorhandene Wettbewerber oder rechtliche und steuerliche Gegebenheiten im internationalen Umfeld. Planung der Kooperationsziele und -beiträge und Suche nach Kooperationspartnern. Hierbei kann ein zukünftiger Kooperationspartner mithilfe eines Anforderungsprofils gefunden werden, das Stärken bzw. Schwächen eines potenziellen Partners in Beziehung zu unternehmenseigenen Stärken bzw. Schwächen setzt. Dabei sind sowohl „harte Kriterien“, also beispielsweise finanzielle Ressourcen, als auch „weiche Kriterien“, also beispielsweise der Führungsstil, zu berücksichtigen. Um das gegenseitige Interesse an einer erfolgreichen Zusammenarbeit zu verdeutlichen, wird in der Praxis meist ein „Letter of Intent“ unterzeichnet. (2) Gestaltung der internationalen Kooperation Festlegung der Inhalte, der Rechtsform und der Organisation der Kooperation. <?page no="421"?> 398 • Kapitel VI: Internationales Organisations- und Kooperationsmanagement Machbarkeitsstudie („Feasibility Study“), die die Übereinstimmung der Partner hinsichtlich folgender Punkte untersucht: Produkt-/ Marktbereich, Ressourcenausstattung, Standortanalyse, Investitionsbzw. Projektrechnung und umfassende Bewertung der geplanten Kooperation. Kooperationsvertrag, der die Inhalte des Letter of Intent und der Feasibility Study aufgreift und rechtsverbindlich regelt. Ferner sollten Aspekte der Ertragsverteilung, Verhaltens- und Konfliktregelungen sowie die Vorgehensweise bei Beendigung der Kooperation berücksichtigt werden. (3) Management der internationalen Kooperation im Geschäftsbetrieb Gestaltung, Lenkung und Entwicklung der Austauschbeziehungen auf normativer, strategischer und operativer Ebene. Dies muss sowohl interorganisational, also zwischen den Partnern, als auch intraorganisational, also innerhalb der Partnerunternehmen, geschehen. Management der Koordinationsinstrumente. Controlling und Risikomanagement der internationalen Kooperation. (4) Beendigung bzw. Rekonfiguration Abweichungsanalyse bzgl. der normativen, strategischen und operativen Ziele. Ursachenanalyse hinsichtlich der beteiligten Unternehmen (bspw. Wechsel der kooperativen Strategie), der Unternehmensumwelt (bspw. hinsichtlich des Zielmarkts) und der Kooperation selbst (bspw. Erreichen der Kooperationsziele). Generierung und Bewertung von Alternativen: Beendigung, Rekonfiguration oder Weiterführung durch einzelne (ehemalige) Partner. Motive für internationale Kooperationen Hinsichtlich der Ziele internationaler Kooperationen gibt es zahlreiche Auffassungen. Die Gewinnung von Wettbewerbsvorteilen ist ohne Zweifel eine wichtige generelle Zielsetzung. Dabei können durch die Partnerschaft Vorteile erzielt werden, die die einzelnen Unternehmen in dieser Form allein nicht realisieren könnten. Kooperationsziele lassen sich aus unternehmensexternen oder -internen Einflussfaktoren herleiten. Unternehmensexterne Einflussfaktoren sind die Wettbewerbsintensität der Branche, die Angebots- und Nachfragestruktur, die Bedrohung durch neue Konkurrenten, die Bedeutung technologischen Wissens oder staatliche Einflüsse. Hieraus lassen sich folgende Kooperationsziele herleiten: Verteilung von Kosten und Risiken zwischen den Partnern, Beschleunigung von Innovations- und Produktlebenszyklen, schnellerer Zugang zu neuen Märkten, Produkten oder Technologien, <?page no="422"?> Kapitel VI: Internationales Organisations- und Kooperationsmanagement • 399 Umgehung von Handelsbeschränkungen, Subventions- oder Kartellbestimmungen, Erzielung von Skalen-, Verbund- und Lernkurveneffekten, Vergrößerung von Marktmacht und -präsenz, Abschreckung potenzieller Konkurrenten durch Schaffung oder Veränderung von Marktbarrieren sowie verbesserter Zugang zu relevanten Marktinformationen. Zu den unternehmensinternen Einflussfaktoren zählen die Strategie, der Erfolg und die Wettbewerbsvorteile eines Unternehmens. Auch die Unternehmenskultur und -reputation sind hierunter zu subsumieren. In diesem Zusammenhang sind als mögliche Ziele internationaler Kooperationen zu nennen: Stärkung des Unternehmens durch Transfer nicht (ausreichend) vorhandener Ressourcen finanzieller, materieller, personeller und technischer Art, Erzielung von Wettbewerbsvorteilen durch Kompensation eigener Schwächen, (schnelleres) Erreichen geplanter Gewinn-/ Rentabilitätsziele, Ermöglichung oder Förderung einer veränderten strategischen Ausrichtung, Internalisierung von Lerneffekten aus der Kooperation, höhere Reputation gegenüber Lieferanten, Kunden oder Wettbewerbern, Unterstützung bei einer Veränderung der Unternehmenskultur, beispielsweise hin zu einer ausgeprägteren Shareholder Value-Orientierung (Schwerk, A., 2000). Die Stabilität einer internationalen Kooperation ist von der langfristigen Komplementarität der Interessen abhängig: Für alle Partner muss die Kooperation zu einer „win-win“- Situation führen. Internationale Kooperationsformen Systematisierung internationaler Kooperationen Eine Systematisierung kooperativer Internationalisierungsformen lässt sich anhand der Bindungsintensität und der entsprechenden rechtlichen Grundlage vornehmen (Balling, R., 1998; Schubert, W./ Küting, K., 1981). Zum einen kann eine internationale Kooperation ausschließlich auf vertraglichen Vereinbarungen beruhen. In diesem Fall entsteht weder ein neues Unternehmen, noch kommt es zu einer Unternehmensbeteiligung. Zum anderen kann die internationale Kooperation dazu führen, dass selbstständige Gemeinschaftsunternehmen entstehen oder Beteiligungen eingegangen werden. Darüber hinaus gibt es weitere internationale Kooperationsformen, die sich nicht eindeutig zuordnen lassen. Dies gilt für strategische Allianzen, virtuelle Unternehmen und Kooperationen mittels E-Technologien: Sie können sowohl auf rein vertraglichen Vereinbarungen beruhen als auch zur Gründung von Gemeinschaftsunternehmen führen. In der betriebswirtschaftlichen Praxis <?page no="423"?> 400 • Kapitel VI: Internationales Organisations- und Kooperationsmanagement existiert zudem eine Vielzahl von Mischformen internationaler Kooperationsarten. So wird häufig ein Lizenzvertrag mit einer Beteiligung gekoppelt, um so die Kontrollmöglichkeiten des Lizenzgebers zu verbessern. 3.2.1 Internationale Kooperationen auf rein vertraglicher Basis (1) Indirekter Export und Exportkooperationen Beim indirekten Export bedienen sich Unternehmen der Hilfe Dritter, die über spezifische Marktkenntnisse im Ausland verfügen, um Produkte abzusetzen (Kutschker, M./ Schmid, S., 2011). Vorteile des indirekten Exports sind die Übernahme der Exportrisiken, die Schonung finanzieller und personeller Ressourcen und die Kenntnisse über Auslandsmärkte auf Seiten der Absatzmittler (Kutschker, M./ Schmid, S., 2011). Dies begünstigt eine schnelle internationale Expansion (Kutschker, M./ Schmid, S., 2011). Allerdings hat der indirekte Export auch Nachteile: Ein Teil der Erträge bleibt beim Exportmittler, oft entsteht eine Abhängigkeit vom Absatzmittler und es gibt keinen unmittelbaren Kontakt zu den ausländischen Nachfragern (Belew, D., 2000). Dies behindert eine später möglicherweise angebrachte direkte Marktbearbeitung. Weil der inländische Anbieter seine Geschäftspolitik nicht direkt im Ausland umsetzen kann, ist er auf den guten Willen und das Engagement des Exportmittlers angewiesen. Handelt es sich hierbei beispielsweise um einen Vertreter mehrerer Anbieter, kann es zur Vernachlässigung der eigenen Produkte kommen (Waning, T., 1994). Auch die Gestaltung der marketingpolitischen Instrumente ist nur eingeschränkt möglich (Kutschker, M./ Schmid, S., 2011). Unter Exportkooperationen fallen Zusammenschlüsse von Anbietern mit gleichem oder ähnlichem Leistungsprogramm, die unter der Bezeichnung Exportgemeinschaften, -kartelle, -konsortien oder -syndikate am Markt agieren. Dabei reicht der Umfang der Leistungen von einzelnen bis hin zu allen Exportaktivitäten für die Mitgliedsunternehmen; sie können in eigenem Namen oder in dem des jeweiligen Mitglieds stattfinden (Albaum, G./ Duerr, E./ Strandkov, G., 2008). Unternehmen gehen diese Kooperationen ein, um die mit Exporten verbundenen Kosten und Risiken zu reduzieren und Markteintrittsbarrieren im Ausland zu überwinden (Belew, D., 2000). Im Gegensatz zu den indirekten Importen haben die einzelnen Mitgliedsunternehmen hier mehr Einflussmöglichkeiten (Macharzina, K., 2010). Der Vorteil von Exportkooperationen liegt in der Kostenersparnis durch gemeinsame Nutzung von Export- und Distributionskanälen. Gründe, die gegen Exportkooperationen sprechen, sind die Abhängigkeit von den Kooperationspartnern und eine nicht optimale Markterschließung für eigene Produkte (Schanz, K.-U., 1995). (2) Internationale Kompensationsverträge Bei internationalen Kompensationsverträgen handelt es sich um Kooperationsabkommen, die aufgrund anhaltender Zahlungsbilanz- und Devisenprobleme besonders bei Transaktionen mit Entwicklungsländern verbreitet sind. Zentrales Motiv internationaler Kompensationsverträge ist die Erschließung bzw. Sicherung von Auslandsmärkten, die sonst <?page no="424"?> Kapitel VI: Internationales Organisations- und Kooperationsmanagement • 401 nicht erreichbar wären. Als Nachteile werden der große Zeitaufwand, hohe Transaktionskosten, Unerfahrenheit und Inkompetenz der Handelspartner sowie Imageprobleme angeführt. Zudem sind Countertrade-Strategien sehr komplex und stellen hohe Anforderungen an Verhandlungsgeschick und Vertragsgestaltung (Belew, D., 2000). (3) Internationale Leasingverträge Internationale Leasingverträge regeln die zeitlich begrenzte Nutzungsüberlassung eines Investitionsobjektes gegen Entgeltzahlung (Leasingraten) durch einen außenstehenden Finanzier und Eigentümer (Leasinggeber) mit der Wirkung, dass der Leasingnehmer die Anschaffungskosten des Investitionsobjektes nicht aus eigenen Mitteln aufbringen muss (Tacke, H.R., 1999). Dabei kann zwischen Mobilienleasing (Maschinen, Transportmittel und andere bewegliche Objekte) und Immobilienleasing (Geschäftshäuser, Lagerhallen und andere unbewegliche Objekte) sowie zwischen direktem und indirektem Leasing unterschieden werden (Hastedt, U.-P./ Mellwig, W., 2007). Beim direkten Leasing sind Hersteller und Leasinggeber identisch, beim indirekten Leasing dagegen existiert neben dem Hersteller ein Leasinggeber, beispielsweise in Form einer Leasinggesellschaft (Kroll, M., 2008). Im internationalen Kontext ist die Dauerhaftigkeit des Vertragsverhältnisses ein bedeutsames Unterscheidungskriterium: Das Operating Leasing ist gemessen an der Nutzungsdauer des Objektes eine kurzfristige Überlassung des Leasinggegenstandes an wechselnde Nutzer, die den Vertrag jederzeit kündigen können. Daher hat diese Leasingform den Charakter eines Mietverhältnisses, bei dem der Leasinggeber das alleinige Risiko des Leasingobjektes innehat und i.d.R. nur über mehrere Leasingnehmer eine Amortisation erreichen kann. Deshalb muss das Leasingobjekt hierfür drittverwendungsfähig, also wertbeständig und universell einsetzbar, sein. Beim Financial Leasing handelt es sich um langfristige Verträge, die für eine Grundmietzeit unkündbar sind und danach individuell gestaltete Kündigungsvorschriften enthalten. Hier geht das Investitionsrisiko auf den Leasingnehmer über, der bei Beschädigung, Verlust o.Ä. gegenüber dem Leasinggeber haftet (Büschgen, H.E., 1998). Ein Markteintritt mittels internationalen Leasings bietet sich an, wenn die potenziellen ausländischen Nachfrager nicht die finanziellen Mittel für einen Direktkauf besitzen oder diesen aufgrund von Wechselkursrisiken nicht tätigen wollen. Hohe Einfuhrzölle können ebenfalls von einem Kauf abschrecken (Meffert, H./ Burmann, C., 2010). Weitere Vorteile können steuerlicher oder strategischer Natur sein, etwa wenn eine langfristige Kapitalbindung vermieden werden soll, um sich beispielsweise Rückzugsoptionen offenzuhalten (Dülfer, E./ Jöstingmeier, B., 2008). Nachteile können in Kapitaltransferbzw. Währungsrisiken bestehen, besonders wenn die Leasingnehmer in Entwicklungsländern ansässig sind. Auch Gewährleistungs- und Wartungsrisiken betreffen besonders internationale Leasingverträge mit Partnern dieser Regionen (Perlitz, M., 2002). Weitere Nachteile können in steuerrechtlichen Problemen (Hartmann, P., 2000), länderspezifischen Zulassungsverord- <?page no="425"?> 402 • Kapitel VI: Internationales Organisations- und Kooperationsmanagement nungen oder einer komplizierten Bonitätsprüfung des potenziellen Leasingnehmers bestehen (Meffert, H./ Burmann, C., 2010). (4) Internationale Franchising-Verträge Beim Franchising wird eine auf Dauer angelegte vertragliche Zusammenarbeit zwischen rechtlich selbstständigen Unternehmen vereinbart. Der Franchisenehmer kann gegen die Zahlung von Franchisegebühren und unter genau festgelegten Bedingungen Rechte des Franchisegebers nutzen. Hierunter fallen typischerweise die Benutzung von Marken und Firmennamen, die Erzeugung bzw. der Vertrieb einer Leistung sowie die Nutzung eines bestimmten Absatzprogramms. Zudem unterstützt der Franchisegeber den Franchisenehmer beim Aufbau und bei der laufenden Betriebsführung (Morschett, D., 2005). Der Franchisegeber hat Vorteile aufgrund der geringen Inanspruchnahme finanzieller und personeller Ressourcen, des standortspezifischen Know-hows des Franchisenehmers, eines raschen Marktzuganges und der rentablen Bearbeitung auch kleinerer Märkte, der Umgehung von Handelshemmnissen sowie eines vergleichsweise sicheren Ertrags bei gleichzeitiger teilweiser Abwälzung des unternehmerischen Risikos (Berndt, R./ Sander, M., 2002). Wichtige Marketingziele wie Produktpositionierung oder Distributionsgrad sind für den Franchisegeber genauso gut zu erreichen wie die Kontrolle über den Einsatz von Marketinginstrumenten durch den Franchisenehmer (Meffert, H., 2008). Nachteile können durch die Kosten der Entwicklung des Franchisesystems oder durch schlecht motivierte Franchisenehmer entstehen, wodurch der erwirtschaftete Ertrag geringer als bei eigener Marktbearbeitung ausfallen oder es zu Imageverlusten kommen kann. Ein weiteres Problem kann der Know-how-Abfluss in Verbindung mit einem „Moral Hazard“-Verhalten darstellen, wenn der ehemalige Franchisenehmer zum Wettbewerber wird, den der Franchisegeber selbst aufgebaut hat (Morin, K.P., 2001). Zu den Vorteilen für den Franchisenehmer zählen vergleichsweise geringe Kosten und Risiken durch Adaption eines eingeführten Unternehmenskonzeptes, oftmals Gebietsschutz, ein verbessertes Unternehmens- und Produktimage und höhere Verbraucherakzeptanz. Zudem kann er von Marketingmaßnahmen des Franchisegebers profitieren und von diesem auch betriebswirtschaftliches, kaufmännisches und technisches Wissen nutzen. Nachteilig ist für den Franchisenehmer jedoch die Betroffenheit von möglichen Fehlentscheidungen des Franchisegebers. Zudem muss er unternehmerisches Risiko übernehmen trotz eines geringen Einflusses auf die Geschäfts- und Produktpolitik und trotz der latenten Gefahr der Kündigung des Franchisevertrages, wenn der Franchisegeber das erfolgreich angelaufene Geschäft selbst betreiben will (Belew, D., 2000). (5) Internationale Lizenzverträge Eine Lizenz ist das Nutzungsrecht an einer rechtlich geschützten oder ungeschützten Erfindung bzw. Technologie, das einem Unternehmen vertraglich eingeräumt wird (Morschett, D., 2005). Im Lizenzvertrag werden zwischen den rechtlich und wirtschaftlich selbststän- <?page no="426"?> Kapitel VI: Internationales Organisations- und Kooperationsmanagement • 403 digen Vertragspartnern der Gegenstand, das Lizenzgebiet, die Lizenzform und die Art und Höhe der vom Lizenznehmer zu entrichtenden Lizenzgebühr festgelegt (Sjurts, I., 2000). Letztere kann vielerlei Formen annehmen, beispielsweise neben einer pauschalen Zahlung („Lump sum fee“) verschiedene variable Komponenten („Royalties“). Zudem gibt es folgende weitere Möglichkeiten der Abgeltung: Lieferungen und Leistungen aus der Lizenzproduktion, Abnahme von Lieferungen und Leistungen des Lizenzgebers, Nutzungsrechte an Patenten bzw. ungeschütztem Know-how („Cross licensing“) oder Kapitalanteile am Unternehmen des Lizenznehmers (Scherm, E./ Süß, S., 2007). Die genannten Komponenten können miteinander kombiniert werden. So findet man in der Praxis häufig eine Kombination von Umsatz- und Pauschalgebühr. Zu den Vorteilen einer Lizenzvergabe zählen die Einsparung von Management- und Kapitalressourcen, die Erschließung neuer oder blockierter Auslandsmärkte, z.B. durch Umgehen tarifärer und nichttarifärer Handelshemmnisse, und die Vertrautheit des Lizenznehmers mit den lokalen Gegebenheiten. Auch eine Begünstigung durch ausländische Regierungen, geringere politische Risiken von Enteignungen bzw. Transferbeschränkungen oder die bessere Nutzung und schnellere Amortisation von F&E-Investitionen sprechen für die Lizenzvergabe (Schanz, K.-U., 1995). Ein wesentlicher Nachteil von Lizenzverträgen besteht in der Gefahr, dass der Lizenznehmer nach Beendigung des Vertrages zu einem Wettbewerber wird und das erhaltene Know-how gegen den ehemaligen Lizenzgeber einsetzt, gegebenenfalls sogar auf dessen Heimatmarkt (Porter, M.E., 2010; Söllner, A., 2008). Ein weiterer Nachteil ist die mangelnde Kontrollierbarkeit des Lizenznehmers betreffend Produktqualität und Vertragstreue. Damit einher geht die Gefahr von Missbrauch und unautorisierter Wissensdiffusion. Des Weiteren stellen ein möglicher Image- und Goodwill-Verlust des Lizenzgebers, ein möglicher Verlust der Lizenzgebühren durch eine Währungsabwertung im Gastland und ein erschwerter späterer Markteintritt im betreffenden Gastland weitere Nachteile dar (Belew, D., 2000). (6) Internationale Subcontracting-Abkommen Bei internationalen Subcontracting-Abkommen (auch „Auftragsfertigung“, „Contract Manufacturing“, „Lohnveredelung“, „Offshore-Produktionsabkommen“) erstellt ein ausländisches Unternehmen - meist aus Billiglohnländern - Produkte im Auftrag eines inländischen Unternehmens. Hierbei kann es sich um die Vorproduktion von Komponenten oder die Endmontage bzw. die Veredelung angelieferter Vorprodukte handeln (Schwerk, A., 2000). Dabei werden die Produktionseinrichtungen grundsätzlich vom Auftragnehmer gestellt (Belew, D., 2000). Allerdings ist es häufig erforderlich, dass der Auftraggeber das Produkt- und Fertigungs-Know-how sowie Teile der Produktionseinrichtungen bereitstellt, um die Einhaltung von Qualitätsstandards zu gewährleisten (Rumer, K., 1994). Im Gegensatz zu Lizenz- oder Franchiseverträgen bleibt der Vertrieb beim Subcontracting in der Hand des Auftraggebers. <?page no="427"?> 404 • Kapitel VI: Internationales Organisations- und Kooperationsmanagement Vorteile des Subcontracting sind günstigere Materialbzw. Lohnkosten im Ausland, die Vermeidung von Kosten des Exports und von ausgeschöpften Produktionskapazitäten im Inland. Vorteilhaft sind zudem die Vermeidung hoher Investitionskosten und -risiken und ein schneller Marktzugang, da keine eigenen Produktionsaktivitäten im Ausland nötig sind. Ein Nachteil ist - wie bei internationalen Lizenzverträgen - der mögliche Abfluss spezifischen Know-hows verbunden mit der Gefahr, einen potenziellen Konkurrenten heranzuziehen. Ein weiterer möglicher Nachteil besteht darin, die Gewinne mit dem Auftragnehmer teilen zu müssen (Belew, D., 2000). (7) Internationale Management-, Consulting- und technische Hilfsverträge Internationale Managementverträge bezeichnen Kooperationsabkommen, bei denen ein ausländisches Unternehmen („Contracting Firm“) einem Unternehmen im Ausland („Managed Firm“) zeitlich befristet Management-Know-how zur Verfügung stellt, während Letzteres oder ein anderer Kapitalgeber die nötigen Direktinvestitionen tätigt (Belew, D., 2000). Somit sind Management und Eigentum getrennt. Während bei Lizenzverträgen das transferierte Wissen vom Empfänger angewendet wird, setzt hier ein Manager der „Contracting Firm“ seine Fähigkeiten im ausländischen Unternehmen um (Rath, H., 1990). Für die Managementleistungen erhält die „Contracting Firm“ typischerweise einen Ersatz für Personal- und Sachaufwendungen und zusätzlich eine Beteiligung am Erfolg der „Managed Firm“ (Rath, H., 1990). Auch die Option auf eine Beteiligung am lokalen Unternehmen zu einem späteren Zeitpunkt kann vereinbart werden (Scherm, E./ Süß, S., 2007). Managementverträge findet man oft bei Geschäftsbeziehungen mit Entwicklungsländern, wo zwar Kapital und Personal zur Ausführung vorhanden sind, das Management-Know-how aber fehlt (Belew, D., 2000). Wesentlicher Vorteil internationaler Managementverträge ist ein besserer Zugang zu Auslandsmärkten. Ohne die Risiken von Direktinvestitionen können relativ schnell Erträge generiert werden (Kotler, P./ Bliemel, F., 2006). Zudem kann die Auslandspräsenz „secondary benefits“ wie z.B. eine bessere Reputation mit sich bringen, weil die eigene Leistungsfähigkeit auch unter schwierigen Bedingungen unter Beweis gestellt wird (Straatmann, U., 2001). Jedoch können auch hier neue Wettbewerber herangebildet werden, die nach Vertragsende die eigene Stellung im Markt schwächen können (Belew, D., 2000). Eng verwandt mit internationalen Management-Verträgen sind internationale technische Hilfsverträge, die insbesondere bei Geschäftsbeziehungen mit Entwicklungsländern Bedeutung haben. Sie umfassen in der Regel die technische Beratung bei der Entwicklungsplanung von industriellen Projekten, die Ausarbeitung technischer Gutachten, die Projektierung und Errichtung von Anlagen, technische Schulungen und Investitionsgüterlieferungen. Oft besitzt der ausländische Partner keine eigenen Fachkenntnisse, so dass es sich bei technischen Hilfsverträgen um eine fachliche Beratung handelt, die nicht unbedingt ein gewerbliches Spezialwissen erfordert. <?page no="428"?> Kapitel VI: Internationales Organisations- und Kooperationsmanagement • 405 Der Übergang von internationalen Managementzu Consultingverträgen verläuft fließend. Jedoch verweist Schlüter darauf, dass Letztere in erster Linie „die Inanspruchnahme einer Beratungsleistung durch Dritte“ bedeuten (Schlüter, A., 1987). Zwar kann dies auch zu einer dauerhaften und weitreichenden internationalen Zusammenarbeit führen, aber im Gegensatz zum Managementvertrag verbleibt die letztendliche Entscheidungskompetenz bei der Geschäftsführung des beratenen Unternehmens. (8) Kooperation im Rahmen des internationalen Projektmanagements Das internationale Projektmanagement betrifft zumeist Infrastrukturmaßnahmen, den Bau von Flugzeugen, von Industrieanlagen, die Bereiche Raumfahrt und Wehrtechnik, die Institutionengründung oder die Erbringung von Dienstleistungen (Grün, O., 1998). Die Ausführung des Projektes kann mit einer Generalunternehmer- oder einer Konsortialstruktur erfolgen. Ein Generalunternehmer bestimmt alle unternehmerischen Aktivitäten, auch bzgl. der Zusammenarbeit der Partner untereinander, und haftet eigenverantwortlich gegenüber dem Auftraggeber. Im Bereich des Anlagenbaus handelt es sich hierbei oft um die bereits erwähnten „Turnkey“-Projekte, bei denen der Generalunternehmer die Anlage in schlüsselfertigem Zustand übergibt. Bei einer Konsortialstruktur arbeiten alle Partner eigenverantwortlich unter der Federführung eines Konsortialführers zusammen. Dieser hat zwar einen höheren Koordinierungsaufwand als der Generalunternehmer, haftet aber nur für die selbst erbrachte Leistung (Perlitz, M., 2002). Typische Vorteile des internationalen Projektmanagements sind die Umgehung von „local-content“-Vorschriften und die Erschließung zusätzlicher Betätigungsfelder (Straatmann, U., 2001). Beim internationalen Projektmanagement sind insbesondere folgende möglichen Problemfelder zu beachten: geologische Gegebenheiten, verfahrenstechnische Fragen, Risiken hinsichtlich höherer Gewalt, der Fertigstellung, des Betriebs, des Preises, des Absatzes und des Wechselkurses sowie Probleme aus dem politischen Umfeld. Deshalb hat ein umfassendes Risikomanagement beim internationalen Projektmanagement große Bedeutung (Backhaus, K., 1989). 3.2.2 Internationale Gemeinschaftsunternehmen Beim internationalen Gemeinschaftsunternehmen sind die Kooperationspartner Gesellschafter des Unternehmens und sie legen den gemeinsamen Unternehmenszweck und die allgemeine Geschäftspolitik fest. Gemeinschaftsunternehmen können auf Dauer angelegt sein oder von vornherein einer zeitlichen Begrenzung unterliegen. Wesentliches Merkmal von Gemeinschaftsunternehmen ist somit eine vertraglich vereinbarte gemeinsame Führung einer rechtlich selbstständigen Unternehmung durch zwei oder mehrere rechtlich und wirtschaftlich voneinander getrennte Unternehmen. <?page no="429"?> 406 • Kapitel VI: Internationales Organisations- und Kooperationsmanagement Für die Gründung von Gemeinschaftsunternehmen ist es wichtig, dass die Partner ein gemeinsames Unternehmenskonzept entwickeln. Dessen wesentliche Punkte sind (Perlitz, M., 2002): Wirtschaftlichkeitsanalyse, Zielsetzung und strategische Grundausrichtung, Controllingsystem, finanzielle Ausstattung, Sachmittelausstattung, Ausstattung mit immateriellen Gütern und Personalausstattung. Die Kapitalbeteiligung der einzelnen Partner kann unterschiedlich hoch sein. Einzelne Gesellschaften können eine Minder- oder Mehrheitsbeteiligung halten. Auch Minderheitsbeteiligungen sind hierbei in jedem Falle eine Direkt- und keine Portfolioinvestition. Ebenfalls möglich ist eine paritätische Aufteilung der Gesellschaftsanteile (sog. „klassisches Joint Venture“). Im internationalen Kontext bestimmen oft Ländergesetzgebungen über die Höhe möglicher Beteiligungen. Beim „klassischen Joint Venture“ besitzen die Partner paritätische Kapital- und Stimmrechtsanteile am gemeinsamen Unternehmen. Dies impliziert einerseits eine Gleichstellung der Partner bzgl. des Risikos und der Geschäftsführung. Andererseits treten oftmals Entscheidungskonflikte auf, etwa wenn sich die Partner über die strategische Ausrichtung des Joint Ventures uneinig sind (Backhaus, K./ Voeth, M., 2010). Deshalb müssen die Organe des Joint Ventures (Geschäftsführung, Gesellschafterversammlung, Aufsichtsrat), deren Geschäftsbefugnisse sowie deren personelle Besetzung genau geregelt werden. Joint- Venture-Verträge werden häufig durch Kapazitätsbindungen und Marktabsprachen, soweit diese rechtlich zulässig sind, ergänzt. Hinzu kommen in der Praxis regelmäßig Abmachungen über Darlehensvergaben, Lizenzgewährungen und Lieferverpflichtungen. Zentrale Voraussetzung für den Erfolg von Joint Ventures ist, dass beide Partner Synergieeffekte generieren können. Aufgrund der Komplexität von Joint Ventures und der Gefahr eines Vertrauensverlustes sollten bereits im Joint-Venture-Vertrag Mechanismen für mögliche Konflikte vereinbart werden (Perlitz, M., 2002). Folgende Vorteile internationaler Joint Ventures lassen sich aufzählen: geringerer Kapitalaufwand und geringeres Risiko als beim Alleingang, Umgehung von „local-content“-Vorschriften und anderen Handelshemmnissen, Zugang zu regionalen Ressourcen, <?page no="430"?> Kapitel VI: Internationales Organisations- und Kooperationsmanagement • 407 Umgehung von Regelungen, die im Gastland die Gründung von Tochtergesellschaften oder den Kauf inländischer Unternehmen untersagen, Schaffung oder Veränderung von Marktbarrieren, Imagevorteile und Inanspruchnahme von Förderprogrammen oder Subventionen im Gastland. Dem stehen folgende Nachteile entgegen: hohe Kontroll- und Steuerungsaufwendungen, potenzielle Zielkonflikte, Konflikte bei der Marketingstrategie oder der Gewinnverwendung, soziokulturelle Differenzen, Verlust von Einfluss- und Kontrollmöglichkeiten und langsame Anpassung des Joint Ventures an marktliche, politische oder rechtliche Veränderungen (Scherm, E./ Süß, S., 2007; Belew, D., 2000). Die Integration unterschiedlicher Unternehmenskulturen stellt bei internationalen Gemeinschaftsunternehmen eine zentrale Herausforderung dar. Deshalb ist hier sehr viel Sensibilität im Umgang miteinander gefordert. Letztlich muss überdacht werden, was im Falle einer Auflösung oder des Ausscheidens von Partnern aus dem Gemeinschaftsunternehmen im Einzelnen geschehen soll. Auftretende Bewertungsprobleme oder mögliche Werte der frei werdenden Anteile sollten bereits in der Gründungsphase geregelt werden (Perlitz, M., 2002). 3.2.3 Weitere Ausprägungsformen internationaler Kooperationen (1) Internationale strategische Allianzen Unter einer strategischen Allianz versteht man eine zwischenbetriebliche Kooperation, die durch folgende Merkmale gekennzeichnet ist (Müller-Stewens, G., 1993): die Partnerunternehmen bleiben rechtlich selbstständig, sie stellt eine Zwischenform zwischen einer Konzern- und einer Marktkoordination der betrieblichen Aktivitäten dar, Teile der Entscheidungsautonomie der beteiligten Partnerorganisationen werden an die Kooperationsinstanz abgegeben, sie ist von vornherein auf die Erreichung eines bestimmten Zieles und nicht auf Dauer angelegt und oft sind nur Teile der beteiligten Organisationen in die Umsetzung des gemeinsamen Vorhabens direkt einbezogen. <?page no="431"?> 408 • Kapitel VI: Internationales Organisations- und Kooperationsmanagement Internationale Strategische Allianzen ermöglichen den beteiligten Unternehmen die Nutzung dauerhafter Größenvorteile durch das Generieren von Skalen- und Verbundeffekten sowie Erfahrungskurvenvorteile bei der gemeinsamen Leistungserstellung. Zeitliche Vorteile beim Markteintritt, die häufig über Erfolg oder Misserfolg entscheiden, ergeben sich durch verkürzte F&E-Zeiten und eine schnelle (globale) Produkteinführung (Belew, D., 2000). Auch lassen sich Vorteile durch die gemeinsame Nutzung von knappen finanziellen und personellen Ressourcen erzielen, über die das einzelne Unternehmen so nicht verfügen könnte und die, besonders bei den immer höheren Aufwendungen im F&E-Bereich, für die Unternehmen eine große Rolle spielen (Welge, M.K./ Al-Laham, A., 2012). Durch die Aufteilung des Ressourceneinsatzes können sich die Partner ihre Beweglichkeit bzw. Flexibilität erhalten. Dasselbe gilt auch für die Verteilung der vorhandenen Risiken des Markteintritts und der -bearbeitung auf die Mitglieder der Allianz (Bühner, R., 2004). Nachteile internationaler Strategischer Allianzen können im Verlust der eigenen Handlungsfreiheit bestehen. Die hohen Koordinationsanforderungen, die internationale Strategische Allianzen bei der Planung, Organisation und Kontrolle an das Unternehmen stellen, müssen Berücksichtigung finden (Waning, T., 1994). Dies trifft besonders auf große Unternehmen zu, die oftmals in zahlreichen Allianzen unterschiedlicher Geschäftsbereiche (Dyer, J.H./ Kale, P./ Singh, H., 2001) eingebunden sind und ohne ein wirksames Allianzmanagement weder Überblick noch Kontrolle über die jeweiligen Aktivitäten haben (Bamford, J./ Ernst, D., 2002). Zudem können Interessenbzw. Zielkonflikte das Anreiz-/ Beitrags- Gleichgewicht stören (Lutz, V., 1993). Selbst bei einer anfänglich gegebenen Zielharmonie können später Zieldivergenzen auftreten (Gahl, A., 1991). Diese entstehen bspw. durch unterschiedlich schnelle Lernprozesse. So kann es zwischen den Partnern zu einer Nivellierung der Stärken-/ Schwächenprofile oder einer Verschiebung der relativen Machtpositionen kommen, weil der schneller Lernende seine Angewiesenheit auf den Partner senken und somit seine Position innerhalb der Kooperation ausbauen kann (Lutz, V., 1993). Hieraus resultiert die Gefahr der Dominanz der Allianz durch einen der Partner. Solche Konstellationen enden oft mit einem Misserfolg oder der Übernahme bzw. der Verdrängung des schwächeren Partners (Perlitz, M., 2002; Gahl, A., 1991). Ist die Gleichberechtigung der Partner erst einmal gestört, kann es ferner zur Ausnutzung eines Partners durch den anderen kommen (Bronder, C./ Pritzel, R., 1991). In diesem Zusammenhang ist die Gefahr der ungewollten Know-how-Diffusion besonders groß. Dies kann im Falle einer Allianzauflösung tief greifende Auswirkungen auf das zukünftige Wettbewerbsverhältnis der ehemaligen Partner haben (Gahl, A., 1991). (2) Internationale virtuelle Unternehmen Ein virtuelles Unternehmen ist eine Kooperation von Unternehmen, die sich auf Basis eines gemeinsamen Geschäftsverständnisses zusammenschließen, um zeitlich begrenzte Wettbewerbschancen zu nutzen (Engelhard, J., 1999). Dies geschieht durch das Einbringen der jeweiligen Kernkompetenzen. Die beteiligten Unternehmen treten gegenüber Dritten <?page no="432"?> Kapitel VI: Internationales Organisations- und Kooperationsmanagement • 409 wie ein einheitliches Unternehmen auf, obwohl sie räumlich und rechtlich voneinander getrennt sind (Fink, D.H., 1998). Mithilfe geeigneter Informations- und Kommunikationstechnologie („IKT“) wird auf die Einrichtung eigenständiger zentraler Managementfunktionen verzichtet. Ein sog. „Makler“ wählt Partnerunternehmen aus und übernimmt wichtige Marketing- und Koordinationsfunktionen. Letztere setzen auf moderne IKT und das Vertrauen unter den Beteiligten. Um dem Problem einer möglichen Vertrauensunsicherheit zu begegnen, sind die Ziele der Zusammenarbeit, die Regelung finanzieller und rechtlicher Fragen, die Kontroll- und Sanktionsmechanismen und die Vorgehensweise bei Auflösung des virtuellen Unternehmens zu regeln (Eigeldinger, A., 2001; Markus, M.L./ Manville, B./ Agres, C., 2000). Ein weiteres Merkmal virtueller Unternehmen ist die Prozessorientierung: Im Gegensatz zu anderen Organisationsformen existieren im virtuellen Unternehmen keine starren Funktionsbereiche. Die virtuelle Unternehmung stellt eine Dominanz der Ablaufüber die Aufbauorganisation dar (Müller, T., 1997). Zu den Vorteilen virtueller Unternehmen zählen die Anpassung des Geschäftsprozesses an die Marktbedingungen, eine hohe Flexibilität sowie beschleunigte Innovationen und Produktentwicklungen, die Bündelung von Kernkompetenzen und die Aufteilung der notwendigen Ressourcen. Es kommt somit zu Senkungen der Kosten und Risiken bei den einzelnen Unternehmen (Bea, F.X./ Jägle, E., 2002; Brütsch, D., 1999). Virtuelle Unternehmen bieten aufgrund ihrer Flexibilität die Möglichkeit, in bestehenden Märkten Leistungspotenziale besser auszunutzen. Dies gilt insbesondere auch für kleinere und mittlere Unternehmen, denn die Größe der virtuellen Unternehmung bestimmt sich nicht über herkömmliche Kriterien wie Mitarbeiteranzahl oder Anzahl der Niederlassungen (Scholz, C., 1994b). Nachteile bestehen hingegen auch hier in der Gefahr eines unkontrollierbaren Knowhow-Abflusses. Zudem besteht eine Abhängigkeit von der eingesetzten IKT. Diese kann beim Ausfall zentraler Systemkomponenten, beispielsweise durch Software-Viren, gravierende Folgen haben. Bei mangelnder Absicherung kann es ferner zu unberechtigten Zugriffen Dritter auf wettbewerbsrelevante Informationen kommen. Hohe finanzielle Schäden können insgesamt die Folge sein. Weitere Probleme beziehen sich auf rechtliche Fragen wie z.B. Haftung oder Gewinnverwendung (Bea, F.X./ Jägle, E., 2002). (3) Internationale E-Business-Kooperationen Die Definitionen von E-Commerce (vgl. auch Kapitel Internationales Marketingmanagement) reichen vom Online-Verkauf von Gütern und Dienstleistungen (Kotler, P./ Bliemel, F., 2006) bis hin zu „der Unterstützung von Geschäftstransaktionen, Geschäftsprozessen sowie der Beziehungen zu sämtlichen internen und externen Partnern eines Unternehmens durch IKT“ (Haertsch, P., 2000). Letztere, weitere Begriffsfassung ist für das internationale Kooperationsmanagement eher angebracht. In diesem Sinne ist dann auch von „E-Business“ die Rede (Willcocks, L.P./ Plant, R., 2001). Eine gängige Unterscheidung ist je nach Verbindungsart „Business- <?page no="433"?> 410 • Kapitel VI: Internationales Organisations- und Kooperationsmanagement to-Business“, „Business-to-Consumer“, „Business-to-Administration“ und „Consumer-to- Administration“ (Haertsch, P., 2000; Reppegather, S., 2002). Für Unternehmen bestehen folgende Möglichkeiten zur internationalen E-Business- Kooperation: Elektronische Marktplätze, auf denen Unternehmen oder Endkunden weltweit Produkte und Dienstleistungen handeln können. Diese bieten sich besonders für standardisierte Produkte und Dienstleistungen mit geringen Transportkosten an, wie z.B. bei Halbleitern (Reppegather, S., 2002). Rohmaterialien oder Vorprodukte können mittels „E-Procurement“ kooperativ beschafft werden. Hierbei werden die nötigen Schritte wie z.B. regelmäßige Bestellvorgänge gemeinsam online und automatisiert ausgeführt (Dörflein, M./ Thome, R., 2005). Die unternehmensübergreifende Optimierung von Wertschöpfungsketten mittels Supply Chain Management (Wildemann, H., 2001). E-Learning, z.B. bei gemeinsam durchgeführten Schulungen (Neumann, R., 2001). E-Marketing, z.B. durch gemeinsame After-Sales-Services via Internet. Als Vorteile von E-Business-Kooperationen werden Effizienz- und Effektivitätsgewinne, geringere Durchlaufzeiten und Qualitätsverbesserungen aufgrund prozessualer Veränderungen angeführt (Dörflein, M./ Thome, R., 2005; Reppegather, S., 2002). Auch der flexible, schnelle und weltweite Zugang zu mitunter sehr entlegenen Märkten bei gleichzeitig geringem Risiko wird als Vorteil genannt (Bielfeld, M./ Slink, T., 1999). Zudem kann die Gewinnung kundenorientierter Daten beschleunigt und qualitativ verbessert werden. Ein Nachteil von E-Business-Kooperationen ist die schon bei virtuellen Unternehmen thematisierte hohe Technologie-Abhängigkeit. Auch Fragen der rechtlichen Sicherheit werden oft als mögliche Problemfelder angeführt (Knoblauch, J.-P., 2001). 3.3 Internationales Kooperationsmagement mit Hilfe sozialer Netzwerke Die Steuerung globaler Netzwerkstrukturen von Unternehmen kann heute auch durch soziale Medien unterstützt werden. „Unter Social Media werden soziale Netzwerke verstanden, die als Plattformen zum gegenseitigen Austausch von Meinungen, Eindrücken und Erfahrungen dienen. Es handelt sich um soziale Netzwerke, Blogs, Online- und Video-Zusammenarbeit (Hilker, C., 2010). Diese neue Form der Zusammenarbeit über das Internet wird auch als Web 2.0 bezeichnet (Hilker, C., 2010, S. 11). Soziale Netzwerke können z.B. mit folgenden Anbietern aufgebaut und genutzt werden: Facebook Xing <?page no="434"?> Kapitel VI: Internationales Organisations- und Kooperationsmanagement • 411 LinkedIn Twitter Wikipedia Youtube Myspace Flickr Facebook konzentriert sich dabei auf private Kontakte, während Xing und LinkedIn ihren Fokus auf das Anbahnen und die Pflege von beruflichen Kontakten richten. Twitter ist ein Mikroblog, bei dem die Benutzer Beiträge verfassen können, die meist nicht länger als 200 Zeichen sind und in chronologischer Reihenfolge veröffentlicht werden. Mit Hilfe von Wikipedia können Unternehmen über sich selbst berichten oder sich über Konkurrenzunternehmen informieren. Ähnliches gilt für Youtube, wobei hier Videobeiträge im Vordergrund stehen. Myspace ist eine Plattform, auf der sich Nutzer über Videos oder Fotos bzw. über Musik informieren können, aber auch die Möglichkeit besteht, sich mit anderen Nutzern in Verbindung zu setzen. Bei Flickr steht der Austausch von Fotos, die mit Kommentaren versehen werden können, im Vordergrund. Darüber hinaus gibt es noch eine Vielzahl von weiteren sozialen Netzwerken, deren Bedeutung zum heutigen Zeitpunkt jedoch noch gering ist. Unternehmen können soziale Netzwerke in vielfacher Art und Weise für eine internationale Kooperation und Kommunikation nutzen. Abbildung 206 fasst die unterschiedlichen Anwendungsmöglichkeiten für Unternehmen zusammen. Abbildung 206: Einsatzmöglichkeiten sozialer Medien für Unternehmen Quelle: In Anlehnung an Hilker, C., 2010 <?page no="435"?> 412 • Kapitel VI: Internationales Organisations- und Kooperationsmanagement Hierbei werden sechs Bereiche unterschieden, bei denen soziale Netzwerke geeignet sind, Unternehmen in deren Aufgaben zu unterstützen. Für international tätige Unternehmen eignen sich soziale Netzwerke besonders gut, da soziale Netzwerke weltweit ausgenutzt werden können und somit wenig länderspezifische Kosten der Kommunikation auftreten. Darüber hinaus können Unternehmen mit sozialen Medien eine Zielgruppenorientierung weltweit so steuern, dass die Kundenmentalität besser berücksichtigt werden kann. Andererseits lassen sich soziale Netzwerke von Unternehmen nur sehr schwer kontrollieren. Positive, aber auch negative Nachrichten oder Meinungen können in sozialen Netzwerken sehr schnell ausgetauscht werden und wenn eine Diskussion erst einmal gestartet ist, kann sie nur begrenzt von Unternehmen gesteuert werden. Der erste Bereich in Abbildung 206, der durch soziale Netzwerke unterstützt werden kann, ist die Geschäftsführung. Hier können soziale Medien die Meinungsbildung über Unternehmen beeinflussen bzw. Aufmerksamkeit generieren. Als Medien sind hier insbesondere Blogs, Twitter, Facebook oder Fanseiten zu nennen. Fanseiten stellen dabei Portale dar, auf denen Nutzer ihre Ansichten über ein Unternehmen, ein Produkt oder eine Dienstleistung niederschreiben können. Eine besondere Bedeutung spielen die sozialen Medien im Marketingbereich. Da die sozialen Netzwerke in englischer Sprache aufgebaut werden können, ist es möglich, sie weltweit einzusetzen, ohne große Anpassungsmaßnahmen vornehmen zu müssen. Verschiedene Zielgruppen können dabei in unterschiedlicher Form angesprochen werden. Daneben sind auch Einzelansprachen möglich. So kann z.B. ein weltweit tätiges Unternehmen bei Facebook eine Fanseite einrichten und damit weltweit eine Marketingkampagne starten. Das ist in der Regel billiger als über andere Medien wie z.B. Fernsehen, Presse oder Radio Marketing für ein Unternehmen zu betreiben. Darüber hinaus steht dieses Medium 24 Stunden pro Tag zur Verfügung. Auch über Youtube können Videos über Produkte und Dienstleistungen eines Unternehmens eingestellt werden, um damit Marketingkampagnen zu unterstützen. Über Blogs oder Twitter können interessierte Nutzer direkt angesprochen und damit ganz aktuelle Informationen gezielt verbreitet werden. Des Weiteren dienen soziale Netzwerke auch dazu, dass neue Vertriebskanäle aufgebaut werden können und durch die unmittelbare Ansprache eine stärkere Nutzung dieser Kanäle ermöglicht wird. Rich Media und eine interaktive Werbung ermöglichen es Unternehmen, gezielt auf Kundenbedürfnisse einzugehen. Auch der Vertrieb kann durch soziale Netzwerke weltweit unterstützt werden. Durch Plattformen bei Facebook können neue Kunden gewonnen werden. Eine besondere Bedeutung kommt dabei dem „gefällt mir“-Button zu. Auch eine Direktansprache durch Twitter oder Xing ermöglicht den Aufbau neuer Vertriebskanäle. Online-PR oder die Einrichtung von Newsrooms mit Rich Media kann die Public Relationsarbeit von international tätigen Unternehmen weltweit unterstützen. Rich Media versetzen Unternehmen in die Lage, interaktiv mit den Nutzern zu kommunizieren. <?page no="436"?> Kapitel VI: Internationales Organisations- und Kooperationsmanagement • 413 Auch die Marktforschung kann durch soziale Netzwerke unterstützt werden. Durch Kommentarfunktionen wie z.B. bei Blogs, Youtube oder Amazon können sich Unternehmen darüber informieren, wie ihre Leistungen am Markt angenommen und bewertet werden. Diese Kommentarfunktionen sind wichtige Hilfsmittel, um das Leistungsspektrum des Unternehmens zu verbessern oder auch neue Ideen zu gewinnen. Interessant sind auch Berichte von Nutzern, die in Videoclips die Benutzung von Produkten beschreiben oder über Schwierigkeiten informieren, die sie mit der Anwendung des Produktes hatten. Auch in der Forschung und Entwicklung bieten soziale Netzwerke wertvolle Hilfsmöglichkeiten. Einerseits können soziale Medien im firmeneigenen Intranet eingesetzt werden, um neue Produkte und Dienstleistungen zu entwickeln. Auf diese Weise entstehen weltweite Kooperationsformen innerhalb eines Unternehmens, z.B. durch sogenannte Firmenwikis. Diese können sowohl als soziale Medien als auch für eine weltweite Kollaboration eingesetzt werden. Diese ermöglichen es, dass Beiträge gemeinsam gestaltet und verändert werden können. Mitarbeiter der verschiedenen Forschungs- und Entwicklungsabteilungen können so weltweit, ohne dass Zeitunterschiede eine Rolle spielen, an bestimmten Projekten zusammenarbeiten. Ein Beispiel für ein Intranetsystem, das um wesentliche soziale Medien angereichert wurde, gibt es bei IBM. Dort kann jeder Mitarbeiter ein eigenes Profil erstellen. Damit können Gruppen gebildet werden, die an bestimmten Projekten arbeiten und deren Kommunikation auf diese Weise verbessert werden kann. „Durch etwa 20.000 Webkonferenzen mit durchschnittlich 8,3 Millionen Verbindungsminuten im Monat sparen wir außerdem eine erbliche Summe an Reisekosten und reduzieren dadurch gleichzeitig unsere Emissionen“, so ein IBM-Sprecher. Diese Einsparungen vor allem an Reisekosten können einen Wettbewerbsvorteil darstellen und somit von erheblicher Bedeutung sein (Hilker, C., 2010). Andererseits können auch soziale Netzwerke außerhalb eines Unternehmens in die Forchung und Entwicklung eingebunden werden. Man spricht in diesem Zusammenhang von Crowdsourcing, interaktiver Wertschöpfung oder Open Innovation (Reichwald, R./ Piller, F., 2006). Open Innovation kann mit verschiedenen sozialen Medien durchgeführt werden. So kann z.B. auf Facebook ein Ideenwettbewerb erfolgen, in dem Nutzern die Problemstellung beschrieben und um Lösungsvorschläge gebeten wird. Ein Beispiel für Open Innovation ist die Platform „Innovatewithkraft.com“ des amerikanischen Unternehmens Kraft. Hier werden externe Innovatoren einerseits aufgefordert, Ideen für neue Produkte oder Prozesse einzureichen und andererseits sucht das Unternehmen für bestimme Produkte Verbesserungsvorschläge wie z.B. neue Geschmacksrichtungen bei Keksen. Diese Seiten richten sich an Nutzer in aller Welt und zahlreiche Beispiele, die auf der Webseite beschrieben werden, machen den Erfolg dieser Open-Innovation-Strategie deutlich. Mit Open Innovation haben Unternehmen somit die Möglichkeit, die Kreativität von externen Nutzern der sozialen Netzwerke für ihre Forschung und Entwicklung auszunutzen, um neue Leistungen zu generieren. Es muss aber auch berücksichtigt werden, dass Open Innovation eine nach außen offene Unrternehmenskultur voraussetzt, damit kein „notinvented-here-Effekt“ auftritt. <?page no="437"?> 414 • Kapitel VI: Internationales Organisations- und Kooperationsmanagement Bereits im größeren Stile haben sich soziale Netzwerke beim Personalmanagement und hier vor allem beim Personalrecruiting durchgesetzt. Plattformen wie Xing oder LinkedIn haben sich auf diesen Bereich konzentriert und werden auch von Unternehmen zunehmend zum Personalrecruiting genutzt. Sie beinhalten u.a. die Funktion einer Jobbörse. Auch Twitter wird vermehrt in diesen Prozess miteinbezogen. Abbildung 207 zeigt die sozialen Medien, die am stärksten beim Personalrecruiting eingesetzt werden. Problematisch ist dabei, dass Facebook sehr stark in der Praxis nach dieser Untersuchung genutzt wurde. In der heutigen Diskussion wird es jedoch als rechtlich bedenklich angesehen, private Einträge bei Facebook für Personalentscheidungen zu benutzen. Eine entsprechende rechtliche Regelung ist in der EU vorgesehen. Abbildung 207: Einsatz von sozialen Medien für die Personalbeschaffung Quelle: Jobvite (Hrsg.), 2010, S. 2 Schließlich kann auch das Innovationsmanagement von sozialen Medien profitieren. Durch ein zeitnahes Feedback bei Neueinführungen und durch Kundenkommentierungen können Produkt- oder Leistungsanpassungen schneller initiiert und damit Fehlschläge oder Produktfehler schneller beseitigt werden. Auch das Identifizieren der unterschiedlichen Nutzergruppen gemäß der Diffusionstheorie von Rogers (Innovatoren, frühe Übernehmer, frühe Mehrheit, späte Mehrheit, Nachzügler) (Rogers, E.M., 2003) kann mit Hilfe sozialer Medien unterstützt werden. Neben den vielen positiven Möglichkeiten der Nutzung sozialer Netzwerke ist jedoch eine Reihe von Gefahren zu berücksichtigen. Soziale Netzwerke sind von Unternehmen nur begrenzt steuerbar, d.h., schlechte Nachrichten über ein Unternehmen und seine Dienstleistungen verbreiten sich fast zeitgleich über den ganzen Globus und sind dann auch meist nicht mehr zurückzunehmen. Am Beispiel des Unternehmens Nestlé und seines Schokoriegels KitKat soll dies verdeutlicht werden. Greenpeace startete gegen Nestlé eine soziale Medienkampagne bei Youtube und zeigte ein Video, das einem KitKat-Werbespot nachempfunden war. Bei der Herstellung des Schokoriegels verwendete Nestlé Palmöl, für dessen Gewinnung Teile des Regenwaldes abgeholzt werden mussten. Dadurch wurden Lebensräume des Orang-Utan-Affens erheblich beeinträchtigt und gefährdet. Aufgrund der negativen Reaktionen vieler Verbraucher auf diese Information wollte Nestlé eine offizielle Stellungnahme zu dem Thema <?page no="438"?> Kapitel VI: Internationales Organisations- und Kooperationsmanagement • 415 abgeben. Nestlé leitete als Antwort auf das Video, das einem KitKat-Werbespot nachempfunden ist, eine Urheberrechtsklage gegen Greenpeace ein und verlangte, die Verbreitung des Videos zu stoppen. Auch auf der Facebook-Seite von Nestlé und KitKat wurden die kritischen Stimmen immer lauter. Die zuständigen Mitarbeiter schienen mit der Situation überfordert und fingen an, kritische Beiträge zu löschen, und schließlich wurde die KitKat- Facebookseite für einige Zeit stillgelegt. Als Fazit dieser sozialen Medienkampagne von Greenpeace erlitt Nestlé einen erheblichen Imageschaden, die Umsatzzahlen des Schokoriegels sanken enorm und über 200 Artikel zu dem Thema wurden im Internet und in verschiedenen Zeitschriften veröffentlicht (Hutter, T., 2010). Jüngstes Beispiel über die Bedeutung von Twitter und Youtube ist der Fall von Amazon. Durch den angeblichen Missbrauch von Leiharbeitern wurde auch hier eine negative Imagekampagne gegen Amazon geführt, die zur Entlassung der Leiharbeitsfirma und der Sicherheitsfirma geführt hat. Eine solche Kampagne, insbesondere über Twitter, wird auch „Shitstorm“ genannt und hat Amazon erhebliche Reputationsverluste beschert. Ein weiteres Problem ist die Überschneidung der Privat- und Berufssphäre. Dies ist besonders beim Personalrecruiting relevant und rechtliche Regelungen zum Schutz der Privatsphäre stehen hier noch aus. Auch die Messbarkeit des Erfolgs der Wirksamkeit des Einsatzes von sozialen Medien bleibt weitgehend unerforscht. Darüber hinaus muss das Unternehmen die sozialen Netzwerke pflegen und die Aktivitäten auch durch einen entsprechenden Personaleinsatz unterstützen. Hierfür sind mitunter beträchtliche Ressourcen erforderlich, die bereitgestellt werden müssen. Hilker weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass fehlende oder mangelhafte Ergebnisse beim Einsatz von sozialen Netzwerken oft auf eine zu geringe Ressourcenausstattung bei Unternehmen zurückzuführen sind (Hilker, C., 2010, S. 66). Als letzter Punkt gilt es zu berücksichtigen, dass durch die Offenlegung von bestimmten Unternehmensinformationen in den sozialen Medien und durch Diskussionsforen auch Wettbewerber wichtige Informationen erhalten können, z.B. über Schwachpunkte des Leistungsspektrums eines Unternehmens. Auch im Bereich der Open Innovation können Wettbewerber durch die Ausschreibung der Problemstellung wichtige Produkt- und sonstige Leistungsinformationen gewinnen. Trotzdem stehen Unternehmen hier oft noch am Anfang einer Entwicklung, deren Reichweite bisher noch nicht vollständig absehbar ist und es besteht noch ein erheblicher Forschungsbedarf. Durch die weltweite Verknüpfung der sozialen Netzwerke über das Internet oder das Intranet bieten soziale Medien die Möglichkeit, räumliche und zeitliche, aber auch kulturelle Distanzen zu überwinden. Soziale Netzwerkstrukturen helfen damit Unternehmen, durch <?page no="439"?> 416 • Kapitel VI: Internationales Organisations- und Kooperationsmanagement eine verbesserte Kommunikation und Kooperation ihre komplexen Strukturen optimaler an unterschiedliche interne und externe Bedürfnisse anzupassen. Es bleibt aber festzuhalten, dass manche soziale Medien einen kurzen Produktlebenszyklus aufweisen: So war vor einigen Jahren „Second Life“ eine Plattform, mit der viele Menschen ein Wunschleben führen konnten. Heute ist es sehr ruhig um „Second Life“ geworden. Darüber hinaus kommt es zunehmend zu einer Verbindung zwischen sozialen Medien und Kollaborationsprodukten, die von Softwareunternehmen wie z.B. SAP angeboten werden. Bei den Kollaborationsprodukten werden alle Bereiche erfasst, also auch die Kommunikation über soziale Medien. Heute rückt das Teilen und gemeinsame Nutzen von Wissen, Ressourcen und Erfahrungen als neue Formen der Zusammenarbeit in den Mittelpunkt. Man bezeichnet diese Entwicklung auch als „Shareconomy“. So stand die Cebit 2013 unter dem Generalthema „Shareconomy“. Abbildung 208 stellt diese Entwicklung noch einmal grafisch dar. Abbildung 208: Integration von Kooperationssoftware Aus Abbildung 208 wird ersichtlich, dass ERP-Systeme und soziale Medien immer mehr durch Kollaborationsprodukte verbunden werden und es damit zu einer Integration der Systeme kommt. Letztlich wird diese Entwicklung mit dem Ausdruck „Shareconomy“ beschrieben. In diesem Zusammenhang entsteht ein hohes Innovationspotenzial, das für die Überlebensfähigkeit von Unternehmen notwendig ist. Dies wird einerseits durch eine höhere Flexibilität durch die neuen IT-Lösungen und zum anderen durch eine optimale Unternehmensressourcenplanung (ERP) ermöglicht. <?page no="440"?> Kapitel VI: Internationales Organisations- und Kooperationsmanagement • 417 Fallstudie: Organisation für eine globale Wachstumsstrategie Organisation für eine globale Wachstumsstrategie Michael Demmer, Director Strategy, Global Can, Novelis Inc. Novelis, mit Hauptsitz in Atlanta, Georgia, USA, ist der weltweite Marktführer in der Herstellung von gewalzten Aluminiumprodukten sowie im Recycling von Aluminium- Getränkedosen. Ca. 40 Milliarden Getränkedosen werden von Novelis jährlich wiederverwertet und zur Herstellung neuer Dosenbleche verwendet. Dieser Recycling-Kreislauf kann unendlich weitergeführt werden, da die Qualität von Aluminium im Gegensatz zu anderen Materialien während des Recycling-Verfahrens nicht abnimmt. Novelis ist weltweit tätig mit Werken in zwölf Ländern, rund 11.000 Mitarbeitern und einem ausgewiesenen Umsatz von 10,6 Milliarden US-Dollar im Geschäftsjahr 2011. Novelis fokussiert sein Produktportfolio auf die höherwertigen Segmente der Aluminiumwalzprodukte-Industrie („FRP - Flat Rolled Products“). In diesen Segmenten nimmt Novelis nicht nur nach Umsatz und Produktqualität eine führende Position ein, sondern ist derzeit auch (noch) der einzige Hersteller mit Werken in allen großen Märkten der Welt. Novelis‘ Produktportfolio umfasst im Wesentlichen Aluminium-Walzprodukte für Automotive-Anwendungen, Getränke- und Nahrungsmitteldosen sowie Spezialprodukte für Märkte wie Verpackungen, Transport, Elektronik, Druck und Architektur (bspw. anodisiertes oder lackiertes Aluminium für Gebäudefassaden). Novelis’ Kunden sind insbesondere große und weltweit tätige sowie bekannte Unternehmen wie z.B. Audi, BMW, Daimler, Ford, Jaguar-LandRover, Coca-Cola, Anheuser-Busch- InBev, Ball, Crown, Rexam, Agfa, Fujifilm, Kodak, Samsung, LG, TetraPak. Novelis’ langjährige Kundenbeziehungen sind ein wesentlicher Wettbewerbsfaktor und erstrecken sich von Entwicklungspartnerschaften, beispielsweise im Automotive-Bereich, bis hin zur Unterstützung geografischer Wachstumspläne von Kunden und damit verbundener Investitionen seitens Novelis in neue bzw. zusätzliche Kapazitäten. <?page no="441"?> 418 • Kapitel VI: Internationales Organisations- und Kooperationsmanagement Abbildung 209: Novelis’ Produktportfolio Im Jahr 2011 hat Novelis drei große Investitionsprojekte in derzeitigen Stammregionen von insgesamt ca. $ 900 Mio. angekündigt, welche primär auf Wachstumsplänen von Kunden basieren - $ 300 Mio. in Brasilien, $ 400 Mio. in Korea sowie $ 200 Mio. in Nordamerika. Novelis hat außerdem im April 2012 den Bau des ersten Werks in China speziell für den Automobilbereich angekündigt. Zu der Investition von $ 100 Mio. in diese hundertprozentige Tochtergesellschaft hat Novelis sich auch Landnutzungsrechte gesichert, die den Bau eines möglichen zukünftigen großen Walzwerks erlauben. Darüber hinaus wird Novelis in den nächsten Jahren weltweit zusätzliche Recycling-Kapazitäten schaffen und entsprechende Investitionen tätigen. Abbildung 210: In 2011 beschlossene Investitionen in Kapazitätserweiterungen Novelis sieht Nachhaltigkeit („Sustainability“) als Grundsatzprinzip und hat sich als Ziel gesetzt, bis zum Jahr 2020 die derzeitige Materialeinsatzquote von wiederverwertetem Aluminium von 33% auf 80% zu erhöhen. Um dies zu erreichen, bedarf es Investitionen in Recycling-Kapazitäten und -Technologie sowie gleichzeitig intensiver Forschungs- und Entwicklungsarbeit im Bereich der Prozess- und Produktentwicklung, um die Erhöhung des Anteils an wiederverwertetem Aluminium zu ermöglichen. Um die Verfügbarkeit einer ausreichenden Menge von Aluminium für die Wiederverwertung sicherzustellen, bedarf es einer massiven Erhöhung der Recycling-Raten in vielen <?page no="442"?> Kapitel VI: Internationales Organisations- und Kooperationsmanagement • 419 Ländern der Welt und dies in verschiedensten Anwendungsbereichen von Aluminium- Walzprodukten. Während der Recycling-Zyklus einer Aluminium-Getränkedose von der Herstellung über den Verkauf, Konsum und Recycling wieder zurück zur Herstellung 60 Tage benötigt, sind die Produktlebenszyklen in anderen Marktsegmenten wie beispielsweise Automobilen wesentlich länger, was die Verfügbarkeit von Aluminium zum Recycling einschränkt. Ein Schlüssel zur erfolgreichen Steigerung von Recycling-Raten sieht Novelis in der Aufklärung von Konsumenten, was die prinzipiellen ökologischen Eigenschaften von Metallen und insbesondere Aluminium angeht. Beispielsweise werden bei der Herstellung von Aluminium-Blechen aus recycliertem Aluminium nur 5% der Energie benötigt, welche bei der Herstellung desselben Produktes aus Primär-Aluminium (aus Bauxit gewonnenem Aluminium) notwendig ist. Gleichermaßen erzeugt die Wiederverwertung von Aluminium 95% weniger Treibhausgase als die Produktion von Primär-Aluminium. Wettbewerb & Marktentwicklung Die kapitalintensive Aluminium-Walzprodukte-Industrie ist geprägt von wenigen überregional bis global agierenden Unternehmen und einigen kleineren Wettbewerbern im derzeit noch fragmentierten asiatischen Markt, welcher auch das größte weltweite Wachstum in verschiedenen Segmenten aufweist. Abbildung 211: Der globale Aluminium-Walzprodukte-Markt nach Wettbewerbern Quelle: CRU Industry Research Group, Novelis Schätzungen 2011 <?page no="443"?> 420 • Kapitel VI: Internationales Organisations- und Kooperationsmanagement Abbildung 212: Aluminium FRP Industrie Wachstum nach Region; CAGR = Compound Annual Growth Rate; durchschnittliche Wachstumsrate pro Jahr über einen längeren Zeitraum Quelle: CRU, Novelis Schätzungen 2011 Strategie & Unternehmensentwicklung Novelis entstand 2005 als abgespaltenes Unternehmen von Alcan, welche einen Teil ihrer weltweiten Werke nach der Übernahme von Pechiney in 2004, deren damals größten Wettbewerber, aus wettbewerbsrechtlichen Gründen abgeben musste. Alcan als integrierter Aluminium-Konzern, dessen Portfolio sich von Bauxitminen und der Herstellung von Primär-Aluminium bis hin zur Downstream-Verarbeitung wie Aluminium-Walzprodukte, Strangpressprodukte etc. erstreckte, etablierte Novelis als weltweit aufgestelltes Unternehmen in der Aluminium-Walzprodukte-Industrie mit einem IPO im Januar 2005. Zunächst waren die Netto-Finanzergebnisse von Novelis, auch getrieben von einer hohen Schuldenquote sowie unprofitablen Verträgen, negativ und unterhalb der Erwartungen von Analysten. Jedoch war Novelis fundamental bereits ein Unternehmen mit großem Potenzial aufgrund der bestehenden Anlagen, Technologie, Qualität, Kundenbeziehungen und erfahrenen Mitarbeitern. So wurde Novelis 2007 vom indischen Metallunternehmen Hindalco für $ 6 Mrd. übernommen und ist seitdem in privater Hand. Hindalco ist zwar sowohl im Kupferals auch im Aluminium-Bereich tätig, lässt dem Management von Novelis aber weitgehende Entscheidungsfreiheit und beteiligt sich an der Führung des Unternehmens lediglich durch einen Sitz im Aufsichtsrat. <?page no="444"?> Kapitel VI: Internationales Organisations- und Kooperationsmanagement • 421 Abbildung 213: Ergebnisentwicklung (absolut sowie relativ zum Verkaufsvolumen, gemessen in Tonnen) seit der Etablierung von Novelis in 2005 und Darstellung des Turnarounds seit dem Fiskaljahr 2010 Phil Martens, President & CEO, übernahm 2009 die Führung von Novelis und leitete den vollständigen Turn-around des Unternehmens ein. Er etablierte ein Topmanagementteam und schaffte die neue Rolle des Chief Strategy Officers, welche Erwin Mayr seither innehat. Mayr und Martens entwickelten erstmals eine klare und weitläufig kommunizierte Unternehmensstrategie, welche drei Phasen umfasst und seitdem konsistent vorangetrieben wird. EV = „Economic Value“, EBITDA abzüglich Abschreibungen und Kapitalkosten $ B = „Billion“, Milliarden US-Dollar IRR = „Internal Rate of Return“, Interner Zinsfuß Abbildung 214: Novelis‘ 3-Phasen-Strategie Die drei Phasen der Novelis-Strategie gliedern sich in: (1) „Transform the Business“: Im Anschluss an ein Projekt zur Definition wesentlicher Verbesserungspotenziale von Mitte 2009 bis Anfang 2010 wurde Ende 2010 ein zweijähriges Programm auf- <?page no="445"?> 422 • Kapitel VI: Internationales Organisations- und Kooperationsmanagement gelegt, um das bestehende Potenzial des Unternehmens auszuschöpfen (unter dem Slogan „achieving our full potential“). Diese Programm, genannt „Project Leader“, umfasst alle Unternehmensbereiche, vom Verkauf, über Produktion, Finanzen, Logistik, Personalwesen, bis hin zur Informationstechnologie. Jeder Bereich unterliegt der Verantwortung von zwei Mitgliedern der Unternehmensleitung und es wurden weitläufig kommunizierte Ziele definiert und Programmleiter für einzelne Bereiche festgelegt. (2) „Business Development“: Wachstum durch Business Development umfasst insbesondere organische Wachstumsprojekte und Investitionen zur Kapazitätserweiterung sowie inkrementelle Akquisitionen zum bestehenden Portfolio. Die Projekte sind im Wesentlichen ein Ergebnis des strategischen Planungsprozesses, welcher auf dem Prinzip des wertbasierten Managements („Value Based Management“, auch „VBM-Prozess“ genannt) basiert. (3) „Growth Opportunities“: Die dritte Phase der Novelis-Strategie umfasst mögliche größere Akquisitionen wie solche, welche einen Markteintritt in neue, strategisch erwünschte Geschäftsfelder oder geografische Märkte ermöglichen. Die Phasen der Novelis-Strategie bauen aufeinander auf und neben „Project Leader“ unterstützen weitere neue Initiativen die Strategieimplementierung. Aus „Project Leader“ resultiert beispielsweise das Projekt „Novelis 2.0“, welches die Einführung eines globalen ERP-Systems sowie die Optimierung aller Geschäftsprozesse umfasst. „One Novelis“ - Globale Organisation Entscheidungen wurden bei Novelis historisch primär auf regionaler Ebene getroffen. Die Zentrale delegierte operative Entscheidungen weitgehend an die Regionen und selbst die strategische Planung war ein vorrangig regionaler Prozess. Novelis‘ Unternehmensleitung führte 2009 das Leitmotiv „One Novelis“ ein, was zunächst bedeutete, dass die Unternehmensteile enger zusammenarbeiten und besser abgestimmt werden. Dies war der erste Schritt zu einer stärker zentralisierten Organisation, wobei nicht das Extrem einer vollständigen Zentralisierung verfolgt wurde, sondern eine Balance zwischen Zentralisierung und Regionalisierung, um global koordiniert handeln zu können, ohne zu viel Bürokratie aufzubauen und Entscheidungsprozesse zu verlangsamen. Um die erfolgreiche Umsetzung der Globalisierungsstrategie zu „One Novelis“ zu unterstützen, werden seit April 2011 globale Organisationsbereiche implementiert, zusätzlich zu der bestehenden regionalen Organisation (Nordamerika, Südamerika, Europa und Asien). Die regionalen Managementteams sind unterschiedlich organisiert, teilweise in Business Units oder Value Streams (Die Verantwortlichkeiten von Value Streams orientieren sich am Wertschöpfungsprozess eines Endprodukts; so kann ein einzelnes Werk mehreren <?page no="446"?> Kapitel VI: Internationales Organisations- und Kooperationsmanagement • 423 Value Streams unterstehen, wenn dieses Werk mehrere Produkte produziert) oder auch funktional auf regionaler Ebene. Auf globaler Ebene werden insbesondere eine globale Recycling-Organisation sowie globale kommerzielle bzw. Verkaufsorganisationen für Automotive, Can (Getränke- und Nahrungsmitteldosen) sowie Specialties (Aluminiumbleche für Spezialanwendungen) implementiert. Diese arbeiten in einer Art Matrixorganisation mit und über Regionen hinweg zusammen, um die gesetzte Wachstumsstrategie voranzutreiben. Die globalen kommerziellen Organisationen haben insbesondere die Aufgabe, global einheitliche Standards zu setzen und Entscheidungen zu koordinieren, konsistent mit (globalen) Kunden zusammenzuarbeiten, ein globales Marktverständnis zu entwickeln sowie eine global abgestimmte Produktbereichsstrategie zu entwickeln und umzusetzen. Abbildung 215: Globale Organisation für den Bereich Getränkedose („Global Can“) Die neue Organisationsstruktur mit globalen und regionalen Organisationselementen stellt neue Herausforderungen an Mitarbeiter, insbesondere diejenigen, die nun in einer „Matrix“ arbeiten und sowohl regionalen als auch globalen Berichtslinien unterliegen. Um eine optimale Zusammenarbeit der globalen und regionalen Manager zu ermöglichen, müssen Prioritäten und (Entscheidungs-)Verantwortlichkeiten klar definiert und zwischen regionalen und globalen Entscheidern verteilt werden. <?page no="447"?> 424 • Kapitel VI: Internationales Organisations- und Kooperationsmanagement Abbildung 216: Marktwachstumsaussichten der strategischen Marktsegmente von Novelis Fragen zur Fallstudie (1) Nennen Sie wesentliche Bereiche möglicher Konflikte zwischen regionalen und globalen Entscheidern. Beziehen Sie sich dabei auf interne Unternehmensprozesse sowie externe Prozesse, insbesondere in der Interaktion mit Kunden. (2) Welche Optionen sehen Sie, was die Aufteilung von Entscheidungsverantwortlichkeiten zwischen regionalen und globalen Managern angeht? Fokussieren Sie dabei auf die kommerzielle Organisation. (3) Welche Rolle sollten globale und regionale Entscheider spielen, um die Novelis- Wachstumsstrategie weiter voranzutreiben? Betrachten Sie dies sowohl aus der Perspektive des Wachstums in neuen geografischen Märkten (bspw. China) als auch dem Eintritt in ein neues Produkt-Marktsegment. * Hindalco Novelis ist eine hundertprozentige Tochtergesellschaft von Hindalco Industries Limited, einem der größten integrierten Produzenten von Aluminium in Asien und führendem Kupferhersteller. Das Unternehmen mit Sitz im indischen Mumbai ist einer der kosteneffizientesten Aluminium-Produzenten weltweit. Die Aktie von Hindalco wird an der Bombay Stock Exchange, der National Stock Exchange of India Limited und der Luxemburger Börse öffentlich gehandelt. Hindalco ist das Flaggschiff der Aditya Birla Group, einem multinationalen Mischkonzern in privater Hand mit Aktivitäten in 27 Ländern. <?page no="448"?> Kapitel VI: Internationales Organisations- und Kooperationsmanagement • 425 Literaturempfehlungen Basisliteratur Hill, C., 2010: International Business: Competing in the Global Marketplace, 8., internationale Aufl., New York, [Kapitel 13: „The Organization of International Business“, S. 352-411]. Lasserre, P., 2007: Global Strategic Management, 2. Aufl., Houndmills, [Kapitel 3: „Designing a Global Organization“, S. 69-96]. Kutschker, M./ Schmid, S., 2011: Internationales Management, 7. Aufl., München, [Kapitel 4: „Strategien der internationalen Unternehmung“, S. 491-657]. Vertiefungsliteratur Kieser, A./ Walgenbach, P., 2010: Organisation, 6. Aufl., Schäfer-Poeschel: Stuttgart. Kreikebaum, H./ Gilbert, D.U./ Reinhardt, G.O., 2003: Organisationsmanagement Internationaler Unternehmen, 2. Aufl., Wiesbaden. <?page no="450"?> Kapitel VII: Internationales Forschungs- und Entwicklungsmanagement <?page no="451"?> 428 • Kapitel VII: Internationales Forschungs- und Entwicklungsmanagement Standpunkt: Schott AG SCHOTT AG SCHOTT ist als internationaler Technologiekonzern in den Bereichen Spezialglas, Spezialwerkstoffe und Spitzentechnologien tätig. Rund 17.000 Mitarbeiter in 40 Ländern erwirtschafteten im Geschäftsjahr 2010/ 2011 einen Weltumsatz von rund 2,9 Milliarden Euro. Die SCHOTT AG ist ein Unternehmen der Carl-Zeiss-Stiftung. www.schott.com Prof. Dr.-Ing. Udo Ungeheuer, Vorsitzender des Vorstandes der SCHOTT AG Prof. Dr.-Ing. Udo Ungeheuer ist promovierter Maschinenbauer (RWTH Aachen). Neben seiner Vorstandstätigkeit ist er Präsident des Bundesverbandes Glasindustrie e.V. (BV Glas) und Mitglied bzw. Vorsitzender mehrerer Beiräte und Aufsichtsräte. 2006 wurde er zum Honorarprofessor der Fachhochschule Mainz bestellt. 1. Welchen Stellenwert hat das Thema „Innovation“ im internationalen Wettbewerb, in welchem SCHOTT sich behaupten muss? Technologische Kompetenz und Innovationskraft haben seit jeher einen hohen Stellenwert für SCHOTT, sie sind wichtige Erfolgsfaktoren und sichern die Zukunft des Unternehmens. Nur durch sie gehören wir mit vielen unserer Produkte zur Weltspitze. Wenn man im globalen Wettbewerb steht und hier dauerhaft erfolgreich sein möchte, muss man ständig Innovationen generieren, um sich von seinen Wettbewerbern abzusetzen und seinen Kunden einen überlegenen Nutzen stiften zu können. Wir streben jeden Tag aufs Neue nach technologischen Spitzenleistungen und neuen Lösungen, um SCHOTT zu einem wichtigen Bestandteil im Leben jedes Menschen zu machen. Dieser Anspruch treibt uns an, seit mehr als 125 Jahren. 2. Sollte die Forschung & Entwicklung eher zentral oder dezentral angesiedelt werden und inwiefern sind die beiden Bereiche hier getrennt zu behandeln? Forschung und Technologieentwicklung muss in einem internationalen Technologiekonzern sowohl zentral als auch dezentral organisiert sein. Zentral für das Know-how, das alle Geschäftsbereiche gemeinsam nutzen, und dezentral für spezifische Applikationsentwicklungen der einzelnen Produktgruppen und in den teilweise sehr unterschiedlichen Märkten. Bei SCHOTT schlägt das Herz der Forschung in Mainz. Das Otto-Schott-Forschungszentrum ist eine der weltweit führenden Einrichtungen für die Glasforschung. Hier arbeiten über 180 Wissenschaftler, Ingenieure und Anwendungsexperten an zentralen For- <?page no="452"?> Kapitel VII: Internationales Forschungs- und Entwicklungsmanagement • 429 schungsthemen, übergreifenden Fragestellungen und an der Weiterentwicklung des Kern- Know-hows. Daneben betreiben wir an der Schnittstelle zwischen Forschung und Anwendung Kompetenzzentren der einzelnen Geschäftsbereiche und dezentral angesiedelte technische Supportzentren. Sie führen Entwicklungsprojekte vor Ort durch und geben den lokalen Einheiten anwendungstechnische Unterstützung. Dabei agieren sie als Problemlöser sehr nah am Kunden und knüpfen darüber hinaus Netzwerke und Kontakte zu Hochschulen und Forschungseinrichtungen in den betreffenden Regionen. Anwendungsorientierung, zielgerichtete Zusammenarbeit, grenzüberschreitende Netzwerk- und Projektarbeit lauten die Konstanten im Alltag der weltweit über 600 Mitarbeiter, die auf dem Gebiet Forschung und Technologieentwicklung tätig sind - egal ob zentral oder dezentral. 3. Welche Kriterien zieht SCHOTT bei der Auswahl der Länderstandorte von F&E-Einheiten heran? Welchen Stellenwert hat bei der Ansiedlung der F&E die Attraktivität des Landes als Absatzmarkt? Wichtige Entscheidungskriterien sind hierbei natürlich die Bedeutung des Landes als aktueller Absatzmarkt und das zu erwartende Marktpotenzial in der Zukunft. Deshalb haben wir regionale Supportzentren in den Fokusmärkten Europa, Nordamerika und Asien, wobei in Asien vor allem Japan, China und Indien zunehmend an Bedeutung gewinnen. Bei der Standortentscheidung spielt natürlich auch die Qualifikation der lokalen Mitarbeiter eine wichtige Rolle. 4. Werden Nationen wie China oder Indien bezüglich Ihrer F&E-Kompetenz in absehbarer Zeit auf „Augenhöhe“ mit den westlichen Industrienationen sein? China hat sich äußerst dynamisch zu einem Schwellenland mit großen Ambitionen entwickelt, Indien liegt im direkten Vergleich hingegen noch ein Stück zurück. Beide gehören mit ihrem Wirtschaftswachstum zu den am stärksten expandierenden Volkswirtschaften der Welt. Und wenn man sich die Bevölkerungen vor Augen führt, dann gibt es in beiden Ländern ein riesiges Potenzial an Talenten, die zunehmend auf dem Niveau der Industrieländer studieren. Vor allem China befindet sich in einer zielstrebigen Aufholjagd. Für uns geht es darum, unseren Vorsprung durch die Stärkung unserer Kernkompetenzen und systematische Innovationsarbeit zu sichern. 5. Wie organisiert SCHOTT Technologieparadigmenwechsel im Konzern, wie werden die internationalen Einheiten eingebunden? Forschung und Technologieentwicklung zielt bei SCHOTT zuallererst auf Anwendung. Deshalb hinterfragen wir unser Produktportfolio ständig. Grundlage hierfür sind die Technologieroadmaps und Strategien unserer Geschäftseinheiten. Diese gleichen wir ab mit unseren Kernkompetenzen, neuen technologischen Entwicklungen, Markttrends, den Wünschen und Anforderungen unserer Kunden und schließlich der Marktfähigkeit und Wirtschaftlichkeit. Haben wir ein Innovationsthema identifiziert, gehen wir mit einem straffen Innovationsmanagement und einem klar strukturierten Innovationsprozess an die Arbeit. Dazu gehören ein Phasenplan mit klaren Zielen und Meilensteinen sowie eine konsequent <?page no="453"?> 430 • Kapitel VII: Internationales Forschungs- und Entwicklungsmanagement priorisierte Zuweisung von finanziellen und personalen Ressourcen sowie die Bündelung von Kompetenzen. Internationale dezentrale Einheiten werden dann eingebunden, wenn dort vorhandenes Know-how gefragt ist oder wenn es um spezifische Anforderungen der regionalen Kunden und Märkte geht. 6. Welche Themen stellen die größten Herausforderungen für die internationale F&E in der nächsten Dekade dar? Als global agierender Technologiekonzern befinden wir uns in einem permanenten Wettlauf um die führenden Positionen bei Innovationen, Technologien und Marktanteilen. Die Innovationszyklen werden immer kürzer. Deshalb ist es wichtig, marktfähige Innovationen in unseren Kerngeschäften schneller zu entwickeln als der Wettbewerb, aussichtsreiche Zukunftsgeschäfte frühzeitig zu identifizieren und die sich bietenden Chancen wahrzunehmen. Wir haben hier einen sehr hohen Anspruch, denn wir wollen 30 Prozent des Umsatzes mit Produkten erzielen, die weniger als fünf Jahre auf dem Markt sind. Neben der Schnelligkeit gehören die Produktqualität und die Kundenorientierung zu den wichtigsten Erfolgsfaktoren für unsere Innovationsarbeit. Als Business-to-Business-Unternehmen wollen wir darüber hinaus insbesondere unseren Kunden in endverbrauchernahen Branchen wie zum Beispiel der Hausgeräteindustrie hochwertige Produkte und Lösungen bieten, die ihnen wichtige Differenzierungsmerkmale im Wettbewerb an die Hand geben. Und schließlich gewinnt ein Thema für die Forschung und Technologieentwicklung im Speziellen und für die Unternehmen im Allgemeinen zunehmend an Bedeutung: das Thema Nachhaltigkeit. Es geht darum, neue Technologien und Produkte zu entwickeln, die umweltschonender sind. Doch die Ökologie ist nur ein Aspekt. In allem, was wir als Wirtschaftsunternehmen tun, müssen wir zugleich ökonomisch erfolgreich, ökologisch und sozial verantwortlich handeln. Nur dann agieren wir nachhaltig. Wir sehen dieses Thema als größte Herausforderung für Politik, Wirtschaft und Gesellschaft in der nächsten Dekade. Es geht darum, Globalisierung und Nachhaltigkeit in Einklang zu bringen. Ich bin davon überzeugt: Auf Dauer werden nur die Unternehmen erfolgreich sein, die sich an den Prinzipien der Nachhaltigkeit orientieren. <?page no="454"?> Kapitel VII: Internationales Forschungs- und Entwicklungsmanagement • 431 Internationales Forschungs- und Entwicklungsmanagement Das Management der Forschung und Entwicklung (F&E) ist speziell in westlichen Industrieländern in vielen Branchen ein zentraler Bestandteil der Wettbewerbsfähigkeit und findet auch in der Literatur eine große Beachtung (Belderbos, R./ Lykogianni, E., 2008). Zwar verändern sich oft die jährlichen F&E-Aufwendungen aufgrund von Konjunkturzyklen, langfristig zeigt sich jedoch ein stabiler Trend zur kontinuierlichen Investition. Über 30% der Unternehmen planen, 2012 ihre Forschungsausgaben in Prozent vom Umsatz zu erhöhen (Antcliff, R., 2012). Der Erfolg der internationalen Unternehmung hängt heute weitgehend von der Fähigkeit ab, Produkt-, Verfahrens- und Strategieinnovationen effizienter, flexibler und schneller als die Wettbewerber im globalen Umfeld durchzuführen (Perlitz, M., 1993). Damit kommt dem Innovationsmanagement des internationalen Unternehmens - und in diesem Rahmen auch insbesondere dem F&E-Management - eine entscheidende Bedeutung für das Überleben im länderübergreifenden Konkurrenzkampf zu. Dies wird nicht zuletzt durch die Logik der „Internationalen Jagdlinie“ dargestellt: Basierend auf der Dynamik des internationalen Wettbewerbs bleibt den klassischen Industrienationen im Kern nur die Innovation von Prozessen und Produkten als Zukunftsorientierung. 1 Ziele des internationalen F&E-Managements Die Zielsetzung und Ausrichtung des internationalen F&E-Managements muss sich an der allgemeinen Unternehmenspolitik orientieren. Die Ziele der Unternehmenspolitik lassen sich in Sicherheitsziele (langfristiger Bestand des Unternehmens) und in Gewinnbzw. Renditeziele unterscheiden. Die für den F&E-Bereich relevanten Subziele leiten sich aus den allgemeinen Unternehmenszielen ab und konkretisieren sich in den Zielen Effektivität („Tun wir das Richtige? “) und Effizienz („Tun wir es richtig? “). Die Internationalisierung der F&E hilft den Unternehmen, diese Ziele zu erreichen. Folgende Vorteile, die sowohl dem Effektivitätsals auch dem Effizienzziel dienen, können mit einer Internationalisierung der F&E erzielt werden: (1) Zugang zu knappen Ressourcen (infrastrukturelle Vorteile) (a) Verfügbarkeit von Know-how bzw. Forschungspersonal. Durch eine Internationalisierung der F&E kommt es zu einer Agglomeration der Forschungsaktivitäten an gewissen Orten. Ein Beispiel dafür ist das Silicon Valley oder der Forschungscluster der Pharmaindustrie in der Umgebung von Boston. Unternehmen können sich kaum von solchen internationalen Konzentrationstendenzen abkoppeln, wenn sie nicht den Anschluss an die „scientific community“ verlieren wollen. <?page no="455"?> 432 • Kapitel VII: Internationales Forschungs- und Entwicklungsmanagement (b) Verfügbarkeit von Kapital. Durch die Internationalisierung der F&E wird es dem Unternehmen ermöglicht, lokale Fördermittel oder den Zugang zu dem Venture-Capital-Markt des Gastlandes zu erlangen. Die Förderung durch öffentliche Stellen spielt nach wie vor eine wichtige Rolle bei der Finanzierung von Forschungsaktivitäten (Antcliff, R., 2012). (2) Erhöhung der Marktnähe (a) Nähe zum Kunden. Die Nähe zum Kunden ist insbesondere in dynamischen Branchen und bei einer Strategie der Differenzierung wichtig. Sogenannte „Lead User“ bringen eine höhere Treffsicherheit im lokalen Produktdesign. Die Anpassung der Produkte an die lokalen Erfordernisse erhöht die Marktnähe des Unternehmens. Mitunter bedeutet die Verlagerung der F&E ins Ausland eine Senkung der Produktionskosten durch „low-cost-design“-Entwicklungen. (b) Sicherung des Marktzugangs. Die Notwendigkeit, Local-Content-Vorschriften einzuhalten, erfordert oft die Verlagerung von Entwicklung und Produktion in das betreffende Gastland. Auch das Bestreben, ein „guter Bürger“ des Gastlandes zu sein, kann die Aufnahme einer lokalen F&E erforderlich machen. Ebenso kann das Bestreben, als „Insider“ im Sinne von Ohmae zu gelten, zu einer Verlagerung der F&E in das Gastland führen, da hierdurch das Unternehmensprestige wächst (Ohmae, K., 2006). (3) Kosten- und Risikosenkung (a) Senkung der F&E-Kosten. Durch eine Verlagerung der F&E in Länder mit niedrigen Arbeitskosten ist eine Senkung der F&E-Kosten zu erreichen. So erfolgt z.B. eine Vergabe von Programmieraufträgen in die ehemaligen Ostblockländer oder nach Indien, da dort einerseits Programmier-Know-how vorhanden ist und andererseits die Arbeitskosten niedrig sind. Auch die Ausgliederung von F&E-Aktivitäten nach Großbritannien dient oftmals diesem Zweck. (b) Kosten- und Risikoreduktion durch Forschungsallianzen. Mithilfe von Forschungsallianzen mit ausländischen Unternehmen oder anderen ausländischen Institutionen wie z.B. Großforschungsanlagen oder Universitäten versuchen inländische Unternehmen einerseits ihre F&E-Kosten zu senken und andererseits eine Risikoreduktion zu erreichen. Das Bearbeiten von Forschungsfeldern, die für das einzelne Unternehmen zu teuer wären, wird durch internationale Forschungsallianzen ermöglicht. (4) Umgehung von rechtlichen Restriktionen im Inland Rechtliche Beschränkungen im Inland verhindern oftmals den Zugang zu bestimmten Technologien (z.B. Gentechnologie in Deutschland). Die Internationalisierung der F&E ermöglicht es dem Unternehmen, solche Forschungsfelder zu bearbeiten. <?page no="456"?> Kapitel VII: Internationales Forschungs- und Entwicklungsmanagement • 433 Das Zielsystem des internationalen F&E-Managements konkretisiert sich letztlich auch in der Grundausrichtung der F&E-Aktivitäten, welche sich in unterschiedlich starkem Maße an den Markterfordernissen der einzelnen Ländermärkte orientieren. Dies gilt insbesondere für die Entwicklung. In einem internationalen Unternehmen kann es sich um eine reine bzw. eine modifizierte Anpassungsentwicklung handeln oder es kann eine zielgerichtete Ausrichtung auf den Weltmarkt erfolgen (Pearce, R.D./ Singh, S., 1992; Krubasik, E./ Schrader, J., 1989; Pearce, R.D., 1989). Abbildung 217 fasst die Vorgehensweisen und die Charakteristika dieser unterschiedlichen Konzepte zusammen. Bei der reinen Anpassungsentwicklung erfolgt eine Ausrichtung der Produktspezifikationen im Wesentlichen auf den Heimatmarkt und es findet keine oder eine nur geringe Berücksichtigung multinationaler Marktanforderungen statt. Die modifizierte Anpassungsentwicklung ist durch eine weitgehende Berücksichtigung internationaler Marktanforderungen bei den Produktspezifikationen gekennzeichnet. Abbildung 217: Anpassungskonzepte der Entwicklung Bei der zielgerichteten Ausrichtung auf den Weltmarkt findet eine Verlagerung von Produktion bzw. Entwicklung unter ständiger Mitwirkung ausländischer Gesellschaften statt. Es wird eine weitgehende Einbeziehung lokaler Anforderungen in das Produktdesign vorgenommen und es erfolgt eine parallele Produktanpassung in der Muttergesellschaft, wenn dies erforderlich ist. Die Ausrichtung des internationalen F&E-Managements leitet sich aus der grundlegenden Länderorientierung der Unternehmung ab. So wird i.d.R. erst eine global orientierte Unter- <?page no="457"?> 434 • Kapitel VII: Internationales Forschungs- und Entwicklungsmanagement nehmung in der Lage sein, internationale F&E-Zentren effizient zu betreiben. Die Ausrichtung des internationalen F&E-Managements spiegelt sich in seinen Entscheidungsfeldern und Aufgaben wider, nämlich der Planung, Organisation und Führung. Diese Aspekte werden im Folgenden dargestellt. 2 Planung der internationalen Forschung und Entwicklung Die Planung der F&E-Aktivitäten lässt sich hierarchisch in verschiedene Ebenen gliedern. So nimmt z.B. Brockhoff eine Unterteilung in Grundsatz-, strategische, operative und taktische Planung vor (Brockhoff, K., 1999). Es ist unmittelbar einsichtig, dass nicht alle dieser Ebenen von gleichem Interesse für internationale Fragestellungen im F&E-Management sind. Instrumente der operativen und taktischen Planung, wie z.B. Netzplantechniken oder die Projektkostenrechnung, sind mithin von so detailliertem Charakter, dass sie hier keine Beachtung finden sollen. Der Schwerpunkt soll vielmehr auf den Fragestellungen liegen, die für das internationale F&E-Management von herausragendem Interesse oder von originärer Bedeutung sind. Dies sind insbesondere die Standortentscheidung, Make-or-Buy Entscheidung, Festlegung der zukünftigen Forschungsrichtung und internationale Allokation personeller und finanzieller Ressourcen. Das Unternehmen muss im Rahmen seiner strategischen F&E-Entwicklungsplanung auch das zukünftige „Standing“, das die F&E im internationalen Unternehmen einnehmen soll, festlegen. Dies kann nur aus der allgemeinen Unternehmenspolitik abgeleitet werden. Dabei muss das Unternehmen darüber entscheiden, ob es eine Innovations- oder eine Imitationsstrategie verfolgen bzw. seine Schwerpunkte auf die Entwicklung von Produkt- oder Prozessinnovationen legen will. Dabei handelt es sich um Fragen der allgemeinen Unternehmenspolitik, so dass sich hier der internationale Aspekt wiederum über die Standortwahl und die daraus abgeleiteten F&E-Aktivitäten ergibt. 2.1 Strategische Planung Mit der strategischen Planung werden projektunabhängige Rahmenbedingungen festgelegt, die die langfristigen Ziele und Aufgaben des internationalen F&E-Managements beeinflussen. Die gesamten Planungs- und Koordinationsaktivitäten des internationalen F&E- Managements müssen an den allgemeinen Unternehmenszielen und an der globalen Unternehmensstrategie ausgerichtet werden. <?page no="458"?> Kapitel VII: Internationales Forschungs- und Entwicklungsmanagement • 435 Die Standortwahl in der internationalen Forschung und Entwicklung Einflussgrößen Ähnlich wie beim Produktionsmanagement ist die Standortentscheidung im Rahmen der internationalen F&E von zentraler Bedeutung, da die Leistungserstellung in geringerem Maße mobil ist als bei anderen Funktionsbereichen. Forschungsprojekte sind dort anzusiedeln, wo Spezialisierungs- und Standortvorteile am besten ausgenutzt werden. Durch eine unterschiedliche Professionalisierung der Mitarbeiter der F&E können sich an verschiedenen Standorten des internationalen Unternehmens differenzierte Spezialisierungsschwerpunkte herausbilden. Dies muss bei der internationalen Vergabe von F&E-Projekten im Hinblick auf eine schnelle und gute Aufgabenbewältigung berücksichtigt werden. Bei der Standortwahl der internationalen F&E ist eine Reihe von Kriterien zu beachten. Zunächst muss überprüft werden, ob eine Nähe zu anderen Funktionsbereichen (z.B. Beschaffung, Produktion, Absatz) erforderlich ist. Daneben muss die technologische (z.B. Infrastruktur), rechtliche (z.B. lokales Patentrecht) und wirtschaftliche Situation (z.B. Forschungsförderung) des Standortes berücksichtigt werden. Weiterhin ist zu überprüfen, ob die geografische Nähe zu Kunden notwendig ist (z.B. die Benutzung eines Landes als Testmarkt). Auch die Verfügbarkeit von Ressourcen (Forschungspersonal, Kapital) beeinflusst die Standortwahl für die internationale F&E. Im Hinblick auf ein effizientes internationales F&E-Management ist oft eine Mindestgröße der F&E-Abteilungen notwendig. Die Fixkostendegressionseffekte, die sich im F&E-Bereich ergeben, sind zu berücksichtigen. Letztlich entscheidet auch das Kostenniveau eines Standortes über die internationale Ansiedlung der F&E. 2.1.1 Methoden zur Analyse des Status quo Im Rahmen einer Status-quo-Analyse der internationalen F&E ist i.d.R. eine Trennung in Grundlagenforschung, angewandte F&E erforderlich. Mithilfe des Instrumentes der Technologie-S-Kurve, die in Abbildung 218 wiedergegeben wird, lässt sich diese Problemstellung verdeutlichen (Foster, R. N., 2006; Brockhoff, K., 1999; Perlitz, M., 1988). Abbildung 218 bildet die empirisch nachgewiesene Tatsache ab (Albers, S./ Gassmann, O., 2011; Brockhoff, K., 1999), dass sich die Leistung von Produktund/ oder Prozesstechnologien in Abhängigkeit von dem kumulierten F&E-Aufwand in Form einer Technologie-S- Kurve verändert. <?page no="459"?> 436 • Kapitel VII: Internationales Forschungs- und Entwicklungsmanagement Abbildung 218: Technologie-S-Kurve Befindet sich eine bestimmte Technologie des Unternehmens im Punkt A auf der Technologie-S-Kurve, dann ist eine überproportionale Steigerung der Leistung durch einen zusätzlichen Einsatz von F&E-Mitteln möglich. In einer solchen Situation kommt es für das Unternehmen darauf an, die Effektivität und Wirtschaftlichkeit der F&E zu gewährleisten, da für die betreffende Technologie noch genügend „Reserven“ für eine Weiterentwicklung vorhanden sind. Das international tätige Unternehmen muss nach Standorten suchen, die diese Kriterien am besten erfüllen. Geht man davon aus, dass sich eine Technologie des Unternehmens im Punkt B der Technologie-S-Kurve (vgl. Abbildung 218) befindet, dann gibt es drei Alternativen: Das Unternehmen investiert weiter in die bestehende Technologie. Dann wird die F&E immer kostenintensiver, die Verbesserungen werden immer geringer und es fällt dem Unternehmen immer schwerer, die eingesetzten F&E-Aufwendungen am Markt zurückzugewinnen. Das Unternehmen verlegt seine Schwerpunktaktivitäten auf andere Funktionsbereiche wie z.B. Marketing. Hier strebt das Management keine Weiterentwicklungen einer bereits „ausgereizten“ Technologie an, sondern versucht, bestehende Produkte auf Basis der bestehenden Technologie beim Kunden neu zu positionieren. Diese Vorgehensweise birgt die Gefahr in sich, dass die Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens durch innovative Konkurrenten verloren geht. Das Unternehmen geht von der alten auf eine völlig neue Schrittmachertechnologie über. Hierunter versteht man eine Technologie, die sich noch in einem frühen Entwick- <?page no="460"?> Kapitel VII: Internationales Forschungs- und Entwicklungsmanagement • 437 lungsstadium befindet, die aber schon erkennen lässt, dass sie gravierende Auswirkungen auf das Wettbewerbsgeschehen einer Industrie haben könnte (Albers, S./ Gassmann, O., 2011; Arthur D. Little International, 1986). I.d.R. liegt das Effizienzniveau der neuen Technologie niedriger als das der bisher verwandten. Den Übergang zu einer Schrittmachertechnologie bezeichnet man als einen Technologieparadigma-Wechsel. In Abbildung 218 ist der Technologieparadigma-Wechsel durch den Übergang vom Punkt B der alten auf den Punkt C der neuen Technologie-S-Kurve dargestellt. Für die Standortwahl im Rahmen des internationalen F&E-Managements stellen sich die Fragen, ob durch eine Verlagerung der F&E ins Ausland Veränderungen in den Technologie-S-Kurven möglich sind und ob in bestimmten Ländern ein Technologieparadigma- Wechsel wahrscheinlicher ist. Durch eine Verlagerung der F&E ins Ausland ist es denkbar, dass dort zunächst das Ausgangskostenniveau niedriger ist als im Inland. Dann beginnt die Technologie-S-Kurve bei gleichem F&E-Aufwand wie im Inland auf einem höheren Leistungsniveau. In dieser Abbildung ist dies durch den Punkt D wiedergegeben. Darüber hinaus ist es möglich, dass im Ausland die F&E-Aktivitäten effizienter als im Inland durchgeführt werden. Dann hat die Technologie-S-Kurve im Ausland einen steileren Anstieg und die Technologiegrenze ist eher erreicht als im Inland. Es ist denkbar, dass im Ausland die Grenze der Technologie sogar nach oben verschoben wird, da dort Technologien durch andere Unternehmenskulturen bzw. Rahmenbedingungen insgesamt leistungsfähiger gestaltet werden können (z.B. Rahmenbedingungen, die in Deutschland die Technologiegrenzen in der Bio- und Gentechnologie eingrenzen). In der Praxis fällt es insbesondere großen Unternehmen zunehmend schwer, einen Technologieparadigma-Wechsel vorzunehmen. Dies lässt sich aus der Zielsetzung großer Unternehmen ableiten. Sie streben nach optimaler Effizienz, Zero-Defects, optimaler Qualität und optimalen Strukturen. Diese Ziele lassen sich am besten erreichen, wenn auf einer bestehenden Technologie-S-Kurve eine weitere Verbesserung angestrebt wird, da diese Technologie immer besser beherrscht wird. Ein Technologieparadigma-Wechsel, also der Übergang von Punkt B auf C in Abbildung 218, bedeutet für das Unternehmen, dass es von den bisher optimierten auf neue Systeme wechseln muss. Das heißt, es muss akzeptieren, dass i.d.R. erstens die Qualität am Anfang nicht so gut ist wie bisher, zweitens Ineffizienzen auftreten, drittens eine „Zero-Defect“-Strategie anfänglich schwierig wird und viertens ein Übergang von optimalen auf zumindest am Anfang suboptimale Organisationssysteme erfolgt. Diese Folgen eines Technologieparadigma-Wechsels stehen oft im Widerspruch mit der Zielsetzung großer Unternehmen und machen damit den Übergang besonders schwierig. Nur in dem bereits erwähnten Ausnahmefall, dass die neue Technologie von vornherein auf einem höheren Ausgangsleistungsniveau beginnt als die alte, entfällt diese Problematik (Weiss, E., 1989). <?page no="461"?> 438 • Kapitel VII: Internationales Forschungs- und Entwicklungsmanagement Im Rahmen der Standortwahl des internationalen F&E-Managements muss überprüft werden, ob es Länder gibt, in denen ein Technologieparadigma-Wechsel wahrscheinlicher ist als in anderen. Das hängt einerseits von den technologischen Fähigkeiten im jeweiligen Land und andererseits von der dortigen Unternehmenskultur, wie z.B. mit einer „Andersartigkeit im Denken“ umgegangen wird, ab. Das Unternehmen kann seine internationalen F&E-Aktivitäten so steuern, dass ein Technologieparadigma-Wechsel im Ausland vollzogen wird und dann der dortige Markt als Testmarkt dient. Erst wenn dort die neue Technologie das Leistungsniveau der alten erreicht hat (Punkt E in Abbildung 218), setzt das Unternehmen die neue Technologie auch im Inland ein. Hierdurch werden die oben diskutierten Probleme eines Technologieparadigma-Wechsels im Inland vermieden. Alle Überlegungen setzen jedoch voraus, dass das Unternehmen weiß, wo es sich auf der Technologie-S-Kurve befindet. Dazu ist es insbesondere notwendig, ein Frühwarnsystem für das Erreichen von Technologiegrenzen zu entwickeln, das eine solche Abschätzung ermöglicht (Romeike, F./ Hager, P., 2009; Perlitz, M., 1988). Neben der Technologie-S-Kurve können auch Technologie-Portfolios für die Standortwahl der internationalen F&E relevant sein. Abbildung 219 stellt eine Technologie-Portfolio-Matrix mit den entsprechenden Strategieempfehlungen dar. Sie ist ein Hilfsmittel für die Bestimmung der lokalen und internationalen Technologieplanung und kann der Konsensbildung dienen (Bea, F.X./ Haas, J., 2009; Pfeiffer, W./ Metze, G./ Schneider, W./ Amler, R., 1991). Abbildung 219: Technologie-Portfolio-Matrix Im Rahmen des internationalen F&E-Managements ist es notwendig, die Technologieattraktivität und die Ressourcenstärke jeweils global und national zu untersuchen. Dabei bietet es sich an, die globale Technologieattraktivität zentral und die lokale dezentral zu überprüfen. Das Gleiche gilt für die Analyse der Ressourcenstärke. Aus dieser Analyse ist dann abzuleiten, an welchen Standorten im F&E-Bereich investiert, selektiert oder desin- <?page no="462"?> Kapitel VII: Internationales Forschungs- und Entwicklungsmanagement • 439 vestiert werden soll. Insbesondere bei einem Know-how-Erwerb oder -Verkauf stellt sich die Frage, inwieweit durch eine Lokalisierung von F&E-Aktivitäten im Ausland solche Strategien gefördert werden. Auch im Rahmen der anderen Strategieempfehlungen spielt der Standort der F&E eine Rolle. So kann z.B. im Rahmen der Rationalisierung das Kostenniveau für die Standortwahl der F&E-Aktivitäten im Ausland wichtig werden. 2.1.2 Modelle zur internationalen Standortwahl in der F&E Im Zusammenhang mit der zunehmenden Aufmerksamkeit, die gerade die Internationalisierung der F&E in den letzten Jahren erfahren hat, wurden von einigen Autoren Instrumente entwickelt, um die Standortwahl in der internationalen F&E zu strukturieren (Gerpott, T.J., 2005; Pearson, A./ Brockhoff, K./ v. Boehmer, A., 1993). Die Notwendigkeit einer gesonderten Behandlung der Standortwahl dieses Funktionsbereichs ergibt sich aus den Anforderungen an einen F&E-Standort, die grundsätzlich nicht mit denen an einen Produktionsstandort zu vergleichen sind. Zwar befindet sich die Entwicklung diesbezüglicher Instrumente noch in der Anfangsphase, es sollen hier jedoch beispielhaft zwei Modelle der internationalen Standortwahl, nämlich das von Gerpott und das von Pearson, Brockhoff und von Boehmer, vorgestellt werden. Die erwähnten Ansätze eignen sich insofern, als sie sich bezüglich Zielsetzung und Methodik wesentlich unterscheiden. Gerpott-Ansatz Der Ansatz von Gerpott konzentriert sich weniger explizit auf die Auswahl einzelner F&E- Standorte, sondern hat vielmehr die Ausgestaltung und Organisation eines globalen Standortsystems zum Ziel. Hierzu wird ein zweistufiger Analyseprozess vorgeschlagen, der auf einer ersten Stufe aus der Untersuchung der internen Technologieposition geeignete Organisationsformen der F&E-Leistungserstellung (z.B. Joint Venture, Neugründung) ableitet. In einem zweiten Schritt werden schließlich Standortalternativen generiert, an denen die zuvor identifizierten Organisationsformen implementiert werden sollen. Im ersten Schritt wird zunächst die Technologieposition des eigenen Unternehmens evaluiert, wozu ein Analyseraster vorgeschlagen wird, welches der bereits vorgestellten Technologie-Portfolio-Matrix von Pfeiffer (Pfeiffer, W., 1986) ähnelt und die Dimensionen „Technologieattraktivität“ und „Technologieposition“ umfasst. Die abgeleiteten Normstrategien beziehen sich jedoch konkret auf die internationale F&E und fügen den Grundsatzaussagen über die Organisationsform Tendenzaussagen darüber hinzu, ob eine Internationalisierung der F&E überhaupt sinnvoll ist oder nicht. Die Verwandtschaft zum Pfeifferschen Ansatz wird klar, wenn man die untere Achse mit der von Pfeiffer verwendeten Konkretisierung seiner Dimension „Ressourcenstärke“ vergleicht, in welcher diese teilweise deckungsgleich mit der Technologieposition bei Gerpott ist. Abbildung 220 verdeutlicht aber auch, dass sich ein grundsätzlicher Unterschied aus dem fehlenden Portefeuille-Charakter ergibt. Die Verteilung der Position unterschiedlicher <?page no="463"?> 440 • Kapitel VII: Internationales Forschungs- und Entwicklungsmanagement Projekte bzw. Technologien in der oben dargestellten Matrix ist weit weniger wichtig als die normative Strategieempfehlung, welche aus jeder einzelnen Position abgeleitet werden kann. Die Optimierung eines „Gesamtprogrammes“, wie sie gedanklich den Portfolioansätzen zugrunde liegt (Hahn, D., 1999), entspricht nicht der Hauptintention dieses Instrumentes. Abbildung 220: Matrix zur Bestimmung der Technologieposition bei Gerpott Quelle: Gerpott, T.J., 1991 Die in den einzelnen Feldern abgeleiteten Empfehlungen zur organisatorischen Gestaltung internationaler F&E-Aktivitäten sind hierbei allerdings lediglich als idealtypisch zu verstehende Beispiele anzusehen. In der Realität wird Mischformen und anderen Gestaltungsalternativen ein wesentlich größeres Gewicht einzuräumen sein. Dennoch können die dargestellten Alternativen Hinweise auf die generelle Tendenz bei einer Auswahl von Gestaltungsformen der F&E im internationalen Kontext geben und gleichzeitig Vorschläge für die praktische Umsetzung liefern. Systematisiert man die Empfehlungen der Entscheidungsmatrix auf einer Metaebene, zeigt sich, dass die Quadranten Ausdruck der stärkeren Ausprägung der zugrunde liegenden Determinanten „Investitionsintensität“ und „Grad der Internalisierung“ sind. Bei zunehmender Bedeutung einer Technologie nimmt analog deren potenzieller Wert für die Unternehmung zu, so dass die Investitionsbereitschaft in dieselbe steigt. Entsprechend implizieren die Gestaltungsalternativen in den beiden oberen Quadranten hohe Investitionen. Die in den rechts gelegenen Quadranten dargestellten Möglichkeiten zeichnen sich hingegen durch einen hohen Internalisierungsgrad der Wertschöpfung aus. In einer Generalisierung des Gerpott-Ansatzes kann somit von einem Kontinuum von Kombinationen verschiedenster Ausprägungen dieser Dimensionen ausgegangen werden, innerhalb welchem eine individuelle Wahl getroffen werden muss. Diese Zurückführung auf grundsätzliche Bestimmungsgrößen scheint insofern notwendig, als dass die Akzeptanz der pauschalen Handlungsanweisungen der Entscheidungsmatrix zu einer strategischen Gleichförmigkeit führen könnte, welche Strategieinnovationen (Perlitz, M., 1993) zu verhindern droht. Die sich nun anschließende Miteinbeziehung externer Bedingungen führt zu einer Herleitung von Handlungsempfehlungen auf drei verschiedenen Ebenen. Die Schematisierung der externen Bedingungen erfolgt dabei anhand der Dimensionen „Technologiereife“ und <?page no="464"?> Kapitel VII: Internationales Forschungs- und Entwicklungsmanagement • 441 „Schnittstelle zum Anwender bzw. Kunden“. Zwar mögen diese gewählten Begriffe auf den ersten Blick nicht unbedingt überschneidungsfrei sein, Gerpott belegt das Vorhandensein unterschiedlichster Ausprägungen jedoch anhand überzeugender Beispiele (Gerpott, T.J., 1991). Zudem wird ein Operationalisierungsschema zumindest angedacht (Gerpott, T.J./ Meier, H., 1990). Die Analyse externer Gegebenheiten erlaubt die Ableitung grundsätzlicher normativer Handlungsempfehlungen bezüglich der Schwerpunkte künftiger F&E-Aktivitäten, der Relevanz zusätzlichen Informationsinputs und letztlich der internationalen Wahl von F&E-Standorten. Es ist dabei allerdings zu beachten, dass sich die Ergebnisse dieser einzelnen Schritte in hierarchischer Weise gegenseitig beeinflussen. Die Entscheidung bezüglich einer Schwerpunktsetzung im Rahmen der F&E-Strategie, wie sie in Abbildung 221 (Schritt 1) dargestellt wird, hat zwingend gewisse Informationserfordernisse zur Folge, welche sich in Schritt 2 finden lassen. Abbildung 221: Der Analyseprozess bei der F&E-Standortwahl bei Gerpott Quelle: Gerpott, T.J., 1991 Aufgrund der vorangegangenen beiden Schritte können letztlich Aussagen bezüglich der regionalen Konfiguration und Koordination der F&E-Aktivitäten getroffen werden, welche sich wiederum zwingend aus den Triebkräften ergeben, die in den vorgelagerten Schritten identifiziert wurden. Während der erste Analyseschritt Gestaltungsalternativen internationaler F&E-Aktivitäten generiert, findet im zweiten Schritt eine Festlegung hinsichtlich der geografischen Konfiguration statt. <?page no="465"?> 442 • Kapitel VII: Internationales Forschungs- und Entwicklungsmanagement Dem von Gerpott vorgestellten Ansatz liegt eine pragmatisch-normative Denkhaltung zugrunde, wie sie auch vielen Ansätzen namhafter Unternehmensberatungen zu eigen ist. Zu kritisieren ist jedoch die mechanistisch anmutende Zuteilung konkreter Handlungsempfehlungen zu den jeweiligen Quadranten, ohne hierbei weitere Einflüsse zu berücksichtigen. Diese Problematik wird auch vom Autor erkannt, wenn nach Vorstellung der Analyseinstrumente auf das Vorhandensein wichtiger Einflussgrößen wie z.B. der bisherigen Standortkonfiguration oder externer Globalisierungsbeschränkungen hingewiesen wird (Gerpott, T.J., 1991). Ansatz von Pearson, Brockhoff und von Böhmer Einen theoretisch fundierten Ansatz zur Strukturierung der Standortentscheidung für die F&E legen Pearson, Brockhoff und von Böhmer vor. Hierbei lehnen sie sich grundsätzlich an das Diamanten-Modell zur Erklärung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit von Nationen an (Porter, M.E., 1992), um dieses als Analyserahmen zur Evaluierung F&E-spezifischer Standortfaktoren nutzbar zu machen. Die Übertragung des Porterschen Modells erfolgt dabei über eine F&E-spezifische Modifikation der einzelnen Bestandteile des Diamanten, welche bereits im Kapitel „Grundlagen des internationalen Wettbewerbs“ dieses Buches ausführlich erläutert wurden. Hierbei ergeben sich folgende spezifische F&E- Pendants zu den vier Originalfaktoren des Diamanten (Pearson, A./ Brockhoff, K./ v. Boehmer, A., 1993): Bezüglich der Faktorausstattung sticht in der F&E insbesondere der Bereich der Humanressourcen hervor, da die Qualifikation des verfügbaren Personals in höherem Maße als in der Produktion entscheidend für eine erfolgreiche Gestaltung der F&E-Aktivitäten ist. Aus Porters unterstützenden Branchen werden unterstützende Technologien, da sich die Bedeutung technologischer Infrastrukturen neben der Unternehmensebene auch wesentlich auf vorhandenes Know-how von Forschungsinstituten, Universitäten und sonstigen Institutionen stützt. Dieses Vorhandensein technologischer Ressourcen wird hier als „unterstützende Technologien“ bezeichnet. Die Nachfragebedingungen sind insofern von Bedeutung für die F&E, als sie die wichtige Schnittstelle zwischen Markt- und Produktentwicklung beeinflussen. Sind für eine Industrie „demand pull“-Innovationen im Gegensatz zu „technology push“-Innovationen (Hauschildt, J./ Salomo, S., 2011) von hoher Wichtigkeit, spielt die Marktnähe der F&E und der Kontakt zu potenziellen Abnehmern eine bedeutende Rolle. Die Wettbewerbsintensität schließlich erweist sich als wesentlich weniger relevant für die F&E als die übrigen Faktoren. Zwar wirkt sie sich durch eine höhere Ressourcenallokation bei intensiverem Wettbewerb indirekt auch auf die F&E aus, bietet jedoch für die F&E- Standortentscheidung kaum spezifische Faktoren. <?page no="466"?> Kapitel VII: Internationales Forschungs- und Entwicklungsmanagement • 443 Wie aus diesen Erläuterungen klar wird, übernehmen die Autoren Porters Faktoren, konzentrieren sich jedoch teilweise auf für die F&E besonders relevante Teilbereiche. Diesem modifizierten Diamanten werden nun in Erweiterung des Ursprungskonzeptes die anderen Funktionsbereiche der Unternehmung als interne Faktoren gegenübergestellt, wodurch sich das in Abbildung 222 dargestellte Modell ergibt. Der Marketingbereich wurde hierbei als besonders wichtig für die Marktorientierung des F&E-Outputs eingestuft, weshalb ihm eine exponierte Rolle zukommt. Abbildung 222: Der modifizierte Porter-Diamant nach Pearson, Brockhoff und von Boehmer Quelle: Pearson, S./ Brockhoff, K./ v. Boehmer, A., 1993 Wird diese Konfiguration nun durch die internationale Verteilung von Standorten regional gestreut, ergeben sich völlig andere Probleme der Schnittstellenabstimmung innerhalb der Unternehmung. Diese Probleme werden von den Autoren durch die Identifikation von abstimmungsrelevanten Kosten berücksichtigt, deren Natur stark an das Gedankengut des bereits erwähnten Transaktionskostenansatzes (Coase, R., 1937) erinnert. Werden einzelne Funktionsbereiche oder Teile davon ins Ausland verlegt, ergibt sich zunächst einmal ein erhöhter Koordinationsaufwand innerhalb der Organisation („organizational costs“), welcher durch die schwieriger gewordene Abstimmung (Informationsfluss, Verhandlungen etc.) verursacht wird. Diese fallen sowohl durch die Abstimmung der heimischen mit der ausländischen F&E als auch durch die Abstimmung mit den anderen Funktionsbereichen an. Andererseits ergeben sich Kostenvorteile auf der Marktseite. Der Kontakt zu Kunden, insbesondere zu sogenannten „Lead-Usern“, ist für die Kundenorientierung der F&E wichtig und wird durch die Präsenz vor Ort wesentlich erleichtert. Diesem Umstand wird im vorliegenden Modell durch die Verringerung externer Koordinationskosten (welche hier <?page no="467"?> 444 • Kapitel VII: Internationales Forschungs- und Entwicklungsmanagement als „transactional costs“ bezeichnet werden) Rechnung getragen. Abbildung 223 stellt die drei Arten der sich durch eine Verlegung von F&E-Aktivitäten ins Ausland verändernden Koordinationskosten dar. Abbildung 223: Interaktionskosten im Modell von Pearson, Brockhoff, von Boehmer Quelle: Pearson, A./ Brockhoff, K./ v. Boehmer, A., 1993 Das vorgestellte Konzept stützt sich mit der Diamantentheorie und dem Transaktionskostenansatz, wenn auch Porters Konzept umstritten ist (Perlitz, M., 1992), auf theoretisch und empirisch fundierte Grundlagen. Demgegenüber zeigen sich jedoch Defizite in der praktischen Anwendbarkeit. Wie Porter versuchen Pearson, Brockhoff und von Boehmer die Auswirkungen auf das Management separat zu erläutern, die vorgeschlagenen Empfehlungen sind jedoch vager als beispielsweise im Modell von Gerpott. Der vorgestellte Ansatz hat mithin eher den Charakter einer Theorie der internationalen F&E-Konfiguration als den eines Entscheidungsmodells zur Ableitung der Standortentscheidung. Die beiden hier vorgestellten Modelle sind Bestandteil der noch sehr jungen Diskussion zum internationalen F&E-Management und zeigen exemplarisch die Heterogenität der Ansätze. Je nach Autor werden verschiedene Aspekte stärker betont. So stellt beispielsweise das hier nicht besprochene Modell von Howells (Howells, J., 1990) die Differenzierung in Grundlagenforschung, angewandte F&E in den Vordergrund, ein Aspekt der in den vorgestellten Konzepten kaum Berücksichtigung findet. Ein umfassendes, integratives und allgemein anerkanntes Konzept liegt jedoch bisher nicht vor. 2.1.3 Make-or-Buy-Entscheidungen Entscheidungen über Eigenerstellung („Make“) oder Fremdbezug („Buy“) von Produkten oder Dienstleistungen treten in fast allen Betriebsbereichen auf. In der Vergangenheit wurde die Entscheidung Make oder Buy jedoch nahezu ausschließlich als Angelegenheit des Fertigungs- und Beschaffungsbereiches angesehen. Die Frage, ob benötigte Halb- oder <?page no="468"?> Kapitel VII: Internationales Forschungs- und Entwicklungsmanagement • 445 Fertigprodukte zugekauft werden sollten, wurde jeweils situativ aufgrund von Kapazitätsengpässen, Kostenaspekten sowie Wirtschaftlichkeitsanalysen entschieden (Bechter, C., 2009) und hatte somit eher operativen Charakter. Bedingt durch die permanenten dynamischen Veränderungen im Bereich der F&E (Verkürzung der Produktlebenszyklen, Verlängerung der Produktentwicklungszeit, Anstieg der F&E-Budgets etc.) spielt zukünftig auch im Bereich der F&E die Make-or-Buy-Entscheidung eine immer größere Rolle. Bei der Frage der institutionellen Ansiedlung der F&E kann das Unternehmen entscheiden, ob es Eigenforschung bzw. -entwicklung betreiben oder Fremdforschung bzw. -entwicklung nutzen will. Eine Buy-Strategie ermöglicht, dass das Unternehmen mit ausländischen Instituten, Unternehmen oder Universitäten zusammenarbeitet, um so einen Technologietransfer vom Ausins Inland zu erreichen. Die Frage, ob ein Unternehmen sich für die Make- oder die Buy-Strategie entscheidet, hängt unter anderem von den Kosten, den verfügbaren finanziellen Ressourcen im In- und Ausland sowie von dem bei den Fremdinstituten vorhandenen Know-how ab (Bechter, C., 2009). Weiterhin sind die Zuverlässigkeit der Vertragspartner sowie die politischen Rahmenbedingungen im Land der F&E-Leistung einzuschätzen und zu bewerten. Während die klassische Make-or-Buy-Entscheidung lediglich zwischen den beiden Extremformen Eigenfertigung oder Fremdbezug unterscheidet, versteht man darunter in einer weiteren Interpretation eine Vielzahl verschiedener Bereitstellungswege von F&E-Leistungen. Die beiden klassischen Fälle stellen in dieser Interpretation lediglich die Extrempunkte eines Kontinuums dar. Eine Darstellung der verschiedenen Organisationsformen zeigt Abbildung 224. Als mögliche Ausprägungen der internen F&E (Make-Strategie) unterscheidet man prinzipiell zwei Erscheinungsformen. In der Praxis kommt der internen F&E immer noch mit Abstand die größte Bedeutung zu, wenn auch ihr Anteil in den letzten Jahren leicht gesunken ist. Eine Untersuchung des BMBF (Bundesministerium für Bildung und Forschung) kommt zu dem Ergebnis, dass der Anteil der internen F&E an den Gesamtaufwendungen für F&E rund 85% beträgt (BMBF, 2002), während in der Studie des früheren BMFT von 1990 gar ein Anteil von rund 91% ermittelt wurde (BMFT, 1990). Die externe F&E (Buy-Strategie) ist dadurch gekennzeichnet, dass die Finanzierung von F&E-Aktivitäten durch Unternehmen erfolgt, die die F&E nicht selbst durchführen. Klassische Ausprägungen dieser Form der F&E-Organisation sind die Lizenznahme sowie die Vertragsbzw. Auftrags-F&E. Trotz externer F&E ist es denkbar, dass ein Unternehmen zugleich interne F&E betreibt. Dies ist z.B. sinnvoll, um zu vermeiden, dass das firmeneigene Kreativitätspotenzial gehemmt wird. Eine reine Form der externen F&E bietet sich besonders für kleine und mittelständische Unternehmen an, die aus Kostengründen keine eigene F&E-Abteilung institutionalisiert haben. Die kooperative F&E als Zwischenform der beiden idealtypischen Ausprägungen unterschiedlicher Vertrags- und Koordinationsmuster gewinnt gerade unter dem Aspekt der <?page no="469"?> 446 • Kapitel VII: Internationales Forschungs- und Entwicklungsmanagement steigenden marktlichen Anforderungen bei erhöhtem Wettbewerbsdruck immer mehr an Bedeutung. Kooperationen können in diesem Zusammenhang deshalb auch als Versuch interpretiert werden, den Schwierigkeiten der individuellen Behauptung am Markt durch Gruppenbildung zu begegnen (Ullrich, H., 1988). Unter einer Kooperation wird allgemein eine auf stillschweigender oder vertraglicher Vereinbarung beruhende Zusammenarbeit zwischen sowohl rechtlich als auch wirtschaftlich selbstständigen Unternehmen verstanden. Abbildung 224: F&E-Organisation zwischen Markt und Hierarchie Quelle: Schneider, D./ Zieringer, C., 1991 Als ein wichtiger Punkt der gegenwärtigen Standortdebatte wird der Mangel an Innovationstätigkeit in den Unternehmen eingestuft. Als Ergebnis dieses Prozesses kann es zu einer quantitativen Abnahme neuer Produkte und Verfahren kommen. Eine mögliche Lösung des hieraus resultierenden Problems bieten F&E-Kooperationen. Länderübergreifende Strategische Allianzen im F&E-Bereich gewinnen in diesem Zusammenhang zunehmend an Bedeutung (Berndt, R./ Fantapié Altobelli, C./ Sander, M., 2010; Saad, K./ Roussel, P.A./ Tiby, C./ Little, A.D., 1993). Durch sie lassen sich beispielsweise länderspezifische Kenntnisse erwerben, die im eigenen Land nicht oder nur sehr schwer zugänglich sind. Die Notwendigkeit hierzu erlangt besonders vor dem Hintergrund Relevanz, dass das weltweit richtungsweisende Know-how für einzelne zukunftsträchtige Technologien häufig in geografisch begrenzten Zentren, sog. „pockets of innovation“, entwickelt wird (Ernst, H./ Dubiel, A.T./ Fischer, M., 2009; Gerpott, T.J., 1991). Beispiele hierfür sind europäische Unternehmen, die im Bereich von CAX-Technologien (CAD, CAM etc.) eine herausragende Position innehaben oder US-amerikanische Unternehmen, die im Bereich der Biobzw. Gentechnologie führend sind. Abschließend sei angemerkt, dass F&E-Kooperationen aus innovationsschwachen noch lange keine innovationsstarken Unternehmen machen. Gleichwohl darf auch nicht verkannt werden, dass sich durch F&E-Kooperationen sowohl Möglichkeiten zur Kosteneinsparung bieten als auch neue Kompetenzbereiche hinzugewinnen lassen. <?page no="470"?> Kapitel VII: Internationales Forschungs- und Entwicklungsmanagement • 447 Ein nicht zu übersehendes Problem, das sowohl im Falle der externen als auch der kooperativen F&E zu beachten ist, ist der eigentlichen F&E zeitlich vorgelagert. Die Unternehmen, die sich entscheiden, F&E nicht selbstständig durchzuführen, müssen sich darüber im Klaren werden, auf welchen Gebieten Kooperationsbedarf besteht. Hierzu müssen die F&E-Gebiete identifiziert und genau definiert werden, bevor dann die späteren F&E-Partner ausgesucht werden können (siehe Abbildung 225). Abbildung 225: Prozess der Strategieentwicklung zur Make-or-Buy-Entscheidung Als ein Faktor, der bei der Make-or-Buy-Frage im Vordergrund steht, soll hier kurz auf die Kosten für Transaktionen (Tauschprozesse) eingegangen werden. Transaktionskosten sind Aufwendungen, die notwendig sind, damit ein Kontakt zwischen zwei Wirtschaftssubjekten zustande kommt, eine Vereinbarung abgeschlossen wird und die Überwachung und ggf. notwendig werdende Änderungen bzw. Anpassungen vollzogen werden können. Die Transaktionskosten lassen sich - in Anlehnung an den zeitlichen Verlauf eines Vertragsverhältnisses - in die vier in Abbildung 226 dargestellten Kostenarten einteilen. Abbildung 226: Transaktionskostenarten Quelle: Schneider, D., 2004; Williamson, O.E., 1990 Kosten entstehen jedoch auch durch die Integration von F&E-Aktivitäten in die Unternehmung, insbesondere für die Verwaltung, Koordination und Kontrolle der einzelnen Unternehmensteile. Betrachtet man vor diesem Hintergrund das Problem des „optimalen“ Integrationsgrades, so ergibt sich folgende Regel: Aktivitäten und Prozesse werden in die eigene Unternehmung integriert, bis sich die internen und die externen Grenzkosten der Organisation ausgleichen (Benkenstein, M./ Henke, N., 1993). <?page no="471"?> 448 • Kapitel VII: Internationales Forschungs- und Entwicklungsmanagement Eine Gegenüberstellung der Vorbzw. Nachteile der genannten Ausprägungsformen zeigt Abbildung 227. Abbildung 227: Vor- und Nachteile von Make-, Kooperations- und Buy-Strategien Bei allen genannten Vor- und Nachteilen der Make-or-Buy-Entscheidung sollten folgende Leitgedanken Berücksichtigung finden: Je bedeutender die zur Diskussion stehende Technologie für das Kerngeschäft einer Unternehmung ist, desto eher ist die Make-Strategie zu bevorzugen, da die technische Eigenständigkeit in diesen Bereichen gewahrt werden sollte. Besonders bei zukunftsträchtigen, technisch noch nicht voll ausgereiften Produkten, die deshalb oft eine reibungslose, informelle Zusammenarbeit zwischen Fertigung und Entwicklung erfordern, sind eigene F&E- Anstrengungen sinnvoll. Buy-Strategien sollten dagegen dann Berücksichtigung finden, wenn die neu zu entwickelnden Produkte nicht auf den Kernkompetenzen der Unternehmung aufbauen. 2.1.4 Festlegung der zukünftigen Forschungsrichtung Die Festlegung der zukünftigen Forschungsrichtung leitet sich aus der grundsätzlichen Orientierung des internationalen Unternehmens ab. Für das internationale F&E-Management bedeutet dies, dass Forschungsfelder festgelegt werden, die in den verschiedenen Ländern bearbeitet werden. Die Wahl der Forschungsfelder richtet sich einerseits nach der allgemeinen Unternehmenspolitik und andererseits nach notwendigen länderspezifischen Produkterfordernissen. Dabei muss standortspezifisch untersucht werden, welche Aufgaben der Grundlagenforschung, der angewandten F&E in den einzelnen Ländern über- <?page no="472"?> Kapitel VII: Internationales Forschungs- und Entwicklungsmanagement • 449 nommen werden sollen. In diesem Zusammenhang werden wiederum die Kriterien, die bei der Frage der Standortwahl der internationalen F&E erörtert wurden, relevant. Die Festlegung der zukünftigen Forschungsrichtung und die Auswahl geeigneter Projekte sind eng mit der Bewertung von F&E-Projekten verbunden. F&E-Projekte haben die Eigenschaft, hohe Wachstumspotenziale ermöglichen zu können, indem aus einem Projekt zahlreiche Produkte hervorgehen. Somit schafft eine F&E-Investition Optionen für zukünftige Produkte und Geschäftsfelder. Gerade diese Optionen sind es, die den Wert eines F&E-Projektes ausmachen. Vielfach sind die zukünftigen Projekte und Geschäftsfelder, die durch F&E ermöglicht werden, zum Zeitpunkt der Investition noch nicht absehbar. Abbildung 228 stellt das Optionsbündel eines F&E-Projektes beispielhaft dar. Bei der Bewertung und Auswahl einzelner Projekte muss daher dieses zukünftige Potenzial berücksichtigt und den Kosten der Investition gegenübergestellt werden. Traditionelle Discounted-Cashflow-Methoden sind hierfür nicht geeignet. Vielmehr müssen optionspreisbasierte Bewertungsmethoden herangezogen werden (Perlitz, M./ Peske, T./ Schrank, R., 1999). Zudem ist es gerade für internationale Unternehmen wichtig, sich durch F&E- Kooperationen mit kleinen innovativen Firmen zukünftiges Know-how zu sichern (Peske, T./ Schrank, R., 1999). Für die Festlegung der zukünftigen Forschungsrichtung kann zudem das bereits dargestellte Technologie-Portfolio verwendet werden. Abbildung 228: Optionsbündel eines F&E-Projektes 2.1.5 Internationale Allokation personeller und finanzieller Ressourcen Die internationale Allokation personeller und finanzieller Ressourcen spiegelt sich in der Planung des F&E-Budgets wider. Die Budgetplanung stellt ein Bindeglied zwischen strategischer und operativer Planung dar. Beim internationalen F&E-Management kann man <?page no="473"?> 450 • Kapitel VII: Internationales Forschungs- und Entwicklungsmanagement eine projektunabhängige oder -abhängige Vorgehensweise bei der Budgetplanung unterscheiden (Strebel, H., 2007). Ziel einer projektunabhängigen Vorgehensweise ist die Bestimmung eines globalen F&E-Budgets. Die Bestimmung eines „optimalen“ F&E-Budgets ist ein bisher betriebswirtschaftlich ungelöstes Problem. So versucht man in der Praxis, alle Anforderungen nach einem lokalen F&E-Budget mittels eines „Gegenstrom“-Verfahrens in einem projektunabhängigen Budget zusammenzufassen, um damit zu einem Gesamtbudget zu kommen. Um den Abstimmungsprozess zu beschleunigen, gibt die Muttergesellschaft ein vorläufiges Budget vor, an dem sich die lokalen F&E-Einheiten orientieren können. Das endgültige lokale F&E-Budget wird dann von einem Gremium, das sich aus Vertretern des zentralen und dezentralen Managements zusammensetzt, festgelegt. So kann die Zentrale ihren Einfluss durch eine gezielte Steuerung der F&E-Mittel geltend machen. Bei der projektabhängigen Vorgehensweise zur Bestimmung des F&E-Budgets orientiert sich die Zuteilung von finanziellen Mitteln an den bereits vorliegenden F&E-Projekten. Das sich so ergebende F&E-Budget wird dem lokalen Management nach der Genehmigung zur Verfügung gestellt, damit es gegebenenfalls schnell auf Veränderungen reagieren kann. In der Praxis tritt meist eine Kombination einer projektunabhängigen und -abhängigen Vorgehensweise auf. So steuert und kontrolliert die Muttergesellschaft einerseits die langfristige strategische Ausrichtung der weltweiten F&E durch die Festlegung eines projektunabhängigen Budgets und fördert andererseits die Flexibilität der lokalen Gesellschaften durch ein projektabhängiges Budget. Daneben kann zur Erhöhung der Flexibilität ein „Not-Finanzfonds“ zentral vorgehalten werden, um projektbezogene, kurzfristige Budgetierungsaufgaben wahrnehmen zu können. 2.2 Operative Planung Die operative Planung des internationalen F&E-Managements betrifft die Projektauswahl, das Projektgenehmigungsverfahren, die Projektdurchführung und den Projektabbruch. Sie bezieht sich auf einzelne F&E-Projekte und wird im Allgemeinen von den lokalen F&E- Führungskräften durchgeführt. Die Initiierung der Projekte erfolgt i.d.R. aufgrund eines informalen Auswahlprozesses bei den lokalen Einheiten. Bei der Projektgenehmigung unterscheidet man zwischen kleineren Projekten mit rein lokalem und größeren mit einem transnationalen oder globalen Bezug. Kleinere Projekte benötigen meist keine Genehmigung der Muttergesellschaft. Handelt es sich um größere Projekte, werden meist im Rahmen des Genehmigungsverfahrens regelmäßig tagende Arbeitskreise gebildet. In diesen Arbeitskreisen sitzen neben dem lokalen Management auch Führungskräfte der Muttergesellschaft. <?page no="474"?> Kapitel VII: Internationales Forschungs- und Entwicklungsmanagement • 451 Bei der Durchführungsplanung werden Projekte, die nur einzelne lokale F&E-Einheiten betreffen, von solchen unterschieden, die im internationalen Netzwerk der Standorte durchgeführt werden. Bei den erstgenannten Projekten wird die operative Detailplanung meist ausschließlich von dem lokalen Management durchgeführt. Bei den anderen Projekten kommt es zu dem Problem der zeitlichen und sachlichen Koordination im internationalen Unternehmen. Im Allgemeinen wird in der Praxis die Rolle eines internationalen Koordinators von der lokalen F&E-Einheit übernommen, die die Initiative ergriffen hat, die am größten ist oder die über freie Kapazitäten verfügt. Als Planungsinstrumente der operativen internationalen F&E-Planung werden zeitlich in regelmäßigen Abständen stattfindende Koordinationsgespräche sowie Netzplantechniken eingesetzt. Die Koordinationsgespräche werden i.d.R. von spezialisierten Stabsmitarbeitern der Muttergesellschaft oder durch spezielle Projektmanager organisiert. Die Projektfortschrittskontrolle wird im Wesentlichen mithilfe eines „management by exception“ dezentralisiert durchgeführt. <?page no="475"?> 452 • Kapitel VII: Internationales Forschungs- und Entwicklungsmanagement 3 Organisation der internationalen Forschung und Entwicklung 3.1 Aufbauorganisation Im Rahmen der Aufbauorganisation des internationalen F&E-Managements kommt es zur Bildung von internationalen Kollegien, von einem internationalen Projektmanagement, von internationalen Liniensystemen und von Stabsstellen. 3.1.1 Internationale Kollegien Internationale F&E-Kollegien setzen sich aus Mitgliedern des zentralen und dezentralen F&E-Managements zusammen. Internationale Kollegien sind multipersonale Einrichtungen, die die Linienorganisation nicht verändern, die projektgebunden sowie befristet gebildet werden und die damit außerhalb der formalen Organisationsstrukturen stehen. Diesen Kollegien werden die folgenden Aufgaben übertragen: (1) Kontrolle des aktuellen Projektportfolios im Zusammenhang mit der aktuellen Forschungs- und Entwicklungspolitik, (2) Durchführung strategischer Koordinationsaufgaben, insbesondere bei Großprojekten, (3) Koordination und Kontrolle der laufenden Projekte und (4) Beratungsfunktion für Leitungsorgane. Insbesondere bei der Lösung länderübergreifender Probleme werden diese speziellen Kollegien („Task Forces“) eingesetzt. Dabei werden diese Kollegien im Allgemeinen sehr kurzfristig, flexibel und auf das spezielle Problem ausgerichtet gebildet. Internationale Kollegien haben den Vorteil, dass die Kommunikation und die Kooperationsbereitschaft durch die persönlichen Kontakte der F&E-Manager aus dem In- und Ausland gefördert werden. Dem steht der Nachteil gegenüber, dass die Kosten solcher Gremien hoch sind. Auch die Probleme von Gruppenentscheidungen müssen in diesem Zusammenhang beachtet werden. Jedoch werden diese Nachteile in der Praxis durch die integrierende Wirkung für das gesamte F&E-System weitgehend kompensiert. Da internationale Kollegien außerhalb der formalen Linienorganisation stehen, benötigen sie i.d.R. einen Machtpromotor (Mansfeld, M., 2011; Witte, E., 1973), um ihre Empfehlungen im Unternehmen durchzusetzen. 3.1.2 Internationales Projektmanagement Die Organisationsform eines internationalen Projektmanagements, das außerhalb des formalen Liniensystems steht, wird insbesondere bei länderübergreifenden, komplexen und <?page no="476"?> Kapitel VII: Internationales Forschungs- und Entwicklungsmanagement • 453 zeitlich begrenzten F&E-Projekten gewählt. Die Aufgabenstellung des internationalen Projektleiters ist unterschiedlich, je nachdem, welche Kompetenzen oder Weisungsbefugnisse ihm eingeräumt werden. Grundsätzlich lassen sich drei unterschiedliche Projektmanagementformen unterscheiden: das Einflussprojektmanagement, die Matrix-Projektorganisation und das reine Projektmanagement (Hölzle, P., 2007; Kern, W./ Schröder, H.H., 1977). Bei dem Einflussprojektmanagement besitzt der Projektmanager keine Entscheidungs- oder Weisungsbefugnis gegenüber den Stellen des Liniensystems. Er nimmt nur eine Informations- und Beratungsfunktion wahr. Bei der Matrix-Projektorganisation werden dem Projektmanager fachliche Weisungskompetenzen zugewiesen, jedoch bleiben die disziplinarischen Leitungsbefugnisse bei den Linienvorgesetzten. Der Projektmanager kann z.B. darüber entscheiden, wo und wann bestimmte Akt