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BWL-Methoden

Handbuch für Studium und Praxis

0618
2014
978-3-8385-8564-2
978-3-8252-8564-7
UTB 
Christian Mieke
Michael Nagel

Das Buch vermittelt die wichtigsten Methoden zur Unterstützung betriebswirtschaftlicher Entscheidungen aller Unternehmensbereiche. Jede Methode wird kurz und präzise vorgestellt. Der Leser kann am Ende jedes Kapitels diese Methode unmittelbar anwenden und nützlich im Unternehmen einsetzen. So lassen sich komplexe reale Probleme strukturiert analysieren, auswerten und eine möglichst optimale Lösung bestimmen.

<?page no="1"?> Eine Arbeitsgemeinschaft der Verlage Böhlau Verlag · Wien · Köln · Weimar Verlag Barbara Budrich · Opladen · Toronto facultas.wuv · Wien Wilhelm Fink · Paderborn A. Francke Verlag · Tübingen Haupt Verlag · Bern Verlag Julius Klinkhardt · Bad Heilbrunn Mohr Siebeck · Tübingen Nomos Verlagsgesellschaft · Baden-Baden Ernst Reinhardt Verlag · München · Basel Ferdinand Schöningh · Paderborn Eugen Ulmer Verlag · Stuttgart UVK Verlagsgesellschaft · Konstanz, mit UVK / Lucius · München Vandenhoeck & Ruprecht · Göttingen · Bristol vdf Hochschulverlag AG an der ETH Zürich <?page no="2"?> Michael Nagel, Christian Mieke BWL-Methoden Handbuch für Studium und Praxis UVK Verlagsgesellschaft mbH · Konstanz mit UVK/ Lucius · München <?page no="3"?> Prof. Dr. Michael Nagel ist Professor in der Fakultät Wirtschaft an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg in Stuttgart und Leiter des Studiengangs BWL-International Business. Er studierte in Tübingen und Berlin und promovierte an der Universität Potsdam. Neben seiner Lehrtätigkeit ist er seit vielen Jahren in der Unternehmensberatung aktiv. Zuletzt war er in einer der führenden Gesellschaften als Senior Manager in zahlreichen nationalen und internationalen Projekten tätig. Prof. Dr.-Ing. habil. Christian Mieke ist Inhaber der Professur ABWL, insbesondere Innovationsmanagement im Fachbereich Wirtschaft der Fachhochschule Brandenburg. Er ist ferner Privatdozent am Institut für Produktionsforschung der Technischen Universität in Cottbus und Gastprofessor in der Abteilung Produktions-, Logistik- und Umweltmanagement der Universität Klagenfurt. Er studierte in Ilmenau und Kreta und promovierte und habilitierte an der Technischen Universität in Cottbus. Online-Angebote oder elektronische Ausgaben sind erhältlich unter www.utb-shop.de. Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über <http: / / dnb.ddb.de> abrufbar. Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. © UVK Verlagsgesellschaft mbH, Konstanz und München 2014 Einbandgestaltung: Atelier Reichert, Stuttgart Einbandmotiv: © Pavel Timofeev - fotolia.com Druck und Bindung: fgb · freiburger graphische betriebe, Freiburg UVK Verlagsgesellschaft mbH Schützenstr. 24 · 78462 Konstanz Tel. 07531-9053-0 · Fax 07531-9053-98 www.uvk.de UTB-Nr. 8564 ISBN 978-3-8252-8564-7 <?page no="4"?> www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden Vorwort Zielsetzung des Methodenhandbuches Unternehmen stehen in Zeiten intensiven und globalen Wettbewerbs vor großen Herausforderungen. Das Steuern eines Unternehmens und seiner Bereiche erfordert nicht nur technisches und wirtschaftliches Know-how, sondern auch Geschick und Weitsicht. Geeignete Hilfsmittel können hierbei Unterstützung leisten. Die Betriebswirtschaftslehre hält entsprechende Hilfsmittel bereit und entwickelt diese mit Blick auf veränderte Managementaufgaben und Managementumwelten weiter. Aber welche Werkzeuge, Instrumente oder Methoden sind tatsächlich bewährt und wirkungsvoll, und welcher Ansatz eignet sich in welcher Situation und für welche Aufgabenstellung? Diese Fragen stehen im Mittelpunkt der vorliegenden Publikation. Ziel des Methodenhandbuches ist es, einen detaillierten, aber zugleich kompakten Überblick über die gängigen betriebswirtschaftlichen Problemlösungsansätze zu vermitteln, die in den primären, wertschöpfungsorientierten Unternehmensbereichen von Bedeutung sind. Das Buch bietet eine Anleitung zur Einordnung, Auswahl und Anwendung bewährter BWL-Methoden und schafft somit die Voraussetzungen zum Management der zentralen Unternehmensfunktionen. Der Fokus liegt dabei auf den leistungswirtschaftlichen Aufgaben, während finanz-, personal- oder informationstechnologische Aspekte unberücksichtigt bleiben. Letztere wären - in der Terminologie von Porter 1 - dem sekundären beziehungsweise dem unterstützenden Bereich zuzuordnen. Die ausgewählten Ansätze werden vielfach als Werkzeuge, Instrumente oder Tools bezeichnet. Ohne eine - sicherlich für andere Zwecke erforderliche - sprachliche und theoretische Abgrenzung dieser häufig synonym verwendeten Begriffe vorzunehmen, wird im vorliegenden Buch von betriebswirtschaftlichen Methoden gesprochen. Damit wird angezeigt, dass allen hier berücksichtigten Ansätzen die Idee der Planmäßigkeit und der Problem- und Ergebnisorientierung zugrunde liegt. Die Methoden tragen wie die Werkzeuge eines Handwerkers zur Lösung eines in der alltäglichen (Wirtschafts-) Praxis auftretenden Problems bei und stiften auf diese Weise konkreten Nutzen. Voraussetzung für die nutzenstiftende Funktion der Ansätze ist - um erneut die Metapher des Handwerkers zu verwenden -, dass stets das passende Werkzeug für die jeweils anstehende Aufgabe ausgewählt wird. Hierbei will das Methodenhandbuch Hilfestellung und Anleitung bieten. Diesem praxisorientierten Verständnis folgend wird im weiteren Verlauf ausschließlich von Methoden gesprochen, auch wenn der eine oder andere Aspekt als strategischer Ansatz oder Modell bekannt ist. Im hier verstandenen Sinne stellen betriebswirtschaftliche Methoden theoretisch fundierte und praktisch erprobte Hilfsmittel dar, die zur Lösung eines in der unternehmerischen Praxis auftretenden leistungswirtschaftlichen Problems beitragen. 1 Zur Idee der Wertkette beziehungsweise Wertschöpfungskette siehe Porter (2010). <?page no="5"?> 6 Vorwort www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden Zielgruppe und Nutzen des Methodenhandbuches Das Buch wendet sich an Studierende der Wirtschaftswissenschaften und verwandter Studiengänge. Es dient darüber hinaus Fach- und Führungskräften in allen Unternehmensbereichen als praktisches Nachschlagewerk. Dem angesprochenen Leserkreis soll das Methodenhandbuch eine Hilfe sein, die - aus Sicht der Autoren - wesentlichen Problemlösungsansätze der Betriebswirtschaftslehre zu verstehen und nutzbar zu machen, indem diese entlang der Wertkette theoretisch fundiert, klar strukturiert und zugleich praxisorientiert dargestellt werden. Zudem will das Buch Orientierungshilfe in Zeiten neuer Unübersichtlichkeiten 2 bieten, in denen alternativ auf weitgehend funktional oder bereichsspezifisch ausgerichtete Handbücher 3 , auf Strategie-Werkzeug-Übersichten 4 oder auf pragmatisch angelegte Managementtoolboxen 5 zurückgegriffen werden kann. Schließlich werden Methoden aus den Bereichen Innovationsmanagement, Beschaffung, Produktion oder Organisation vorgestellt, die in vergleichbaren Publikationen vielfach unberücksichtigt bleiben. Damit versucht das Buch dem Anspruch gerecht zu werden, einen gut gefüllten Werkzeugkasten für das Management der leistungswirtschaftlichen Bereiche bereitzustellen. Abbildung 1: Übersicht der berücksichtigten betriebswirtschaftlichen Methodenbereiche Dem gestiegenen Informationsbedarf von Studierenden und Entscheidern und dem Wunsch nach effizienter Verfügbarkeit der entsprechenden Inhalte trägt das Methodenhandbuch Rechnung, indem zentrale, im Text nicht näher spezifizierte Begriffe im Glossar aufgeführt sind. Diese Sammlung stellt eine Quelle für weiterführende Informationen dar und bietet die Möglichkeit, ergänzende Facetten der Betriebswirtschaftslehre und benachbarter Wissenschaften kennenzulernen. 2 Das Schlagwort von der neuen Unübersichtlichkeit wird hier verwendet, um deutlich zu machen, dass die Literatur- und Informationslage vielschichtiger und komplexer geworden ist, wohl wissend, dass Habermas (1985) mit diesem Begriff in erster Linie die Kennzeichnung politischer Perspektivenlosigkeit im Visier hatte. 3 Siehe zum Beispiel Preißner (2010). 4 Siehe zum Beispiel Kerth, Asum & Stich (2011) oder Simon & von der Gathen (2010). 5 Siehe zum Beispiel Haunerdinger & Probst (2012) und Schawel & Billing (2011). Strategie Organisation Kontrolle Forschung Entwicklung Innovation Beschaffung Produktion Marketing und Vertrieb Logistik <?page no="6"?> Vorwort 7 Struktur des Methodenhandbuches Die im Buch berücksichtigten und in Abbildung 1 dargestellten wertschöpfenden Bereiche sind: Forschung, Entwicklung, Innovationsmanagement, Beschaffung, Logistik, Produktion, Marketing und Vertrieb. Zudem werden die übergreifenden Bereiche Strategie, Organisation und Kontrolle thematisiert, da diesen eine wesentliche Steuerungsfunktion beim Management der Wertkette zugeschrieben werden kann. Je Bereich werden die wichtigsten Problemlösungsansätze nach folgendem Schema diskutiert: Zielsetzung der Methode, Beschreibung der Methode, Anwendungsbereich und Anwendungsprozess, weiterführende Hinweise. Entstehung und Autoren des Methodenhandbuches Das vorliegende Methodenhandbuch ist ein Gemeinschaftswerk, das auf der Basis von Erfahrungen in der akademischen und betrieblichen Praxis entstanden ist. Es bündelt bewährte betriebswirtschaftliche Methoden, die von verschiedenen Autoren im wissenschaftlichen Umfeld geschaffen und in der betrieblichen Praxis erprobt wurden. Wir hoffen, dass die Zusammenstellung und komprimierte Beschreibung der aus unserer Sicht relevanten BWL-Methoden Studierenden und Entscheidern die Orientierung auf dem Feld der Managementinstrumente und eine zielführende Auswahl erleichtern. Wir freuen uns, wenn das Methodenhandbuch beim Einsatz an Hochschulen und in Unternehmen und bei der Analyse, Konzipierung und Implementierung von Innovations-, Optimierungs- und Wachstumsaktivitäten mehr Fragen beantwortet als offenlässt. Herzlichen Dank möchten wir an dieser Stelle Herrn Professor Franz Xaver Bea für die freundliche Genehmigung zur Nutzung des BWL-QR-Glossars aussprechen. Unser Dank gilt auch Frau Juliane Rangnow und Herrn Christian Schminder für die Unterstützung bei der Manuskripterstellung und Herrn Stephan Teuber für die verlagsseitige Kontaktanbahnung. Ausdrücklich danken möchten wir schließlich unserem Verleger, Herrn Dr. Jürgen Schechler, für die professionelle Zusammenarbeit. Wir hoffen, dass die Leserinnen und Leser von unserem Methodenhandbuch profitieren werden. Hinweise und Verbesserungsvorschläge sind herzlich willkommen. Stuttgart/ Brandenburg, im April 2014 Michael Nagel & Christian Mieke Prof. Dr. Michael Nagel, MBA Fakultät Wirtschaft, Duale Hochschule Baden-Württemberg Stuttgart Postfach 10 05 63, 70004 Stuttgart, E-Mail: michael.nagel@dhbw-stuttgart.de Prof. Dr.-Ing. habil. Christian Mieke Fachbereich Wirtschaft, Fachhochschule Brandenburg Magdeburger Straße 50, 14770 Brandenburg, E-Mail: mieke@fh-brandenburg.de <?page no="7"?> 8 Vorwort Unser Web-Service für Sie Unter http: / / www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden finden Sie nützliche Zusatzmaterialien zum Buch: - Abbildungen als Bilddateien - Anwendungsdateien zu den einzelnen Methoden (wird sukzessive erweitert) - Glossar zu den wichtigsten Begriffen Das Glossar ist auch mittels dieses QR-Codes direkt auf Ihr Mobilgerät ladbar. <?page no="8"?> www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden Inhaltsverzeichnis Vorwort ................................................................................................................ 5 1 Forschung, Entwicklung und Innovationsmanagement ....................13 1.1 Expertenbefragungen und Delphi-Studien ....................................................... 17 1.2 Publikations- und Patentanalysen ....................................................................... 22 1.3 Brainstorming und Brainwriting.......................................................................... 25 1.4 Morphologischer Kasten ...................................................................................... 29 1.5 Synektik ................................................................................................................... 32 1.6 TRIZ ........................................................................................................................ 35 1.7 Technologielebenszyklus und S-Kurve .............................................................. 39 1.8 Nutzwertanalyse ..................................................................................................... 43 1.9 Technologie- und innovationsbezogene Portfolios ......................................... 47 1.10 Szenariotechnik ...................................................................................................... 52 1.11 Roadmapping ......................................................................................................... 55 1.12 Meilensteintrendanalyse ........................................................................................ 60 2 Beschaffung und Logistik.................................................................. 65 2.1 Make-or-Buy-Entscheidung ................................................................................. 68 2.2 Lieferantenaudit ..................................................................................................... 73 2.3 Beschaffungs- und logistikorientierte Portfolios .............................................. 79 2.4 Lieferantenbewertung ........................................................................................... 88 2.5 Lieferantenentwicklung und Lieferantenförderung ......................................... 91 2.6 Standardisierung und Bündelung ........................................................................ 95 2.7 Auktion .................................................................................................................... 99 2.8 Konzeptwettbewerb ............................................................................................ 102 2.9 ABC-/ XYZ-Analyse ........................................................................................... 106 2.10 Prioritätsregeln ..................................................................................................... 110 2.11 Cross Docking...................................................................................................... 114 2.12 Konsignationslager .............................................................................................. 117 2.13 Just in time ............................................................................................................ 119 3 Produktion ........................................................................................123 3.1 Wertanalyse ........................................................................................................... 125 3.2 Variantenausprägungsportfolio ......................................................................... 129 3.3 FMEA .................................................................................................................... 133 3.4 Schwachstellenanalytik ........................................................................................ 137 <?page no="9"?> 10 Inhaltsverzeichnis www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden 3.5 Wertstromanalyse und Wertstromdesign......................................................... 140 3.6 Kanban .................................................................................................................. 144 3.7 Retrograde Terminierung ................................................................................... 148 3.8 REFA-Zeitstudien ............................................................................................... 151 3.9 Elemente des Toyota Produktionssystems...................................................... 155 3.10 Total Productive Maintenance........................................................................... 159 3.11 Qualifikationsmatrix ............................................................................................ 164 3.12 Betreibermodelle .................................................................................................. 168 4 Marketing und Vertrieb ....................................................................175 4.1 4P des Marketings................................................................................................ 177 4.2 Kundenanalyse ..................................................................................................... 182 4.3 Kundenwertanalyse ............................................................................................. 187 4.4 Conjoint-Analyse ................................................................................................. 193 4.5 Means-End-Analyse und Ladderingverfahren ................................................ 198 4.6 Kundenzufriedenheitsanalyse ............................................................................ 202 4.7 Buying-Center-Analyse ....................................................................................... 208 4.8 Lösungsorientiertes Verkaufen: OPAL-Methode .......................................... 213 4.9 Sachbezogenes Verhandeln: Harvard-Methode ............................................. 218 5 Strategische Analyse ........................................................................ 225 5.1 Umweltanalyse...................................................................................................... 227 5.2 Branchenstrukturanalyse..................................................................................... 232 5.3 Wettbewerbsvorteilsanalyse ............................................................................... 238 5.4 Stakeholderanalyse............................................................................................... 243 5.5 Benchmarking....................................................................................................... 248 5.6 Wertkettenanalyse ................................................................................................ 253 5.7 7S-Modell .............................................................................................................. 258 5.8 Produktlebenszyklusanalyse ............................................................................... 263 5.9 Erfahrungskurvenanalyse ................................................................................... 267 6 Strategische Planung, Umsetzung und Kontrolle............................ 273 6.1 SWOT-Analyse .................................................................................................... 274 6.2 Marktwachstum-Marktanteil-Portfolio: BCG-Matrix.................................... 278 6.3 Marktattraktivität-Wettbewerbsstärke-Portfolio: McKinsey-Matrix ........... 284 6.4 Wachstumsstrategien........................................................................................... 289 6.5 Internationalisierungsstrategien......................................................................... 294 6.6 Gewinnschwellenanalyse .................................................................................... 299 6.7 Balanced Scorecard.............................................................................................. 302 <?page no="10"?> Inhaltsverzeichnis 11 7 Organisation .................................................................................... 309 7.1 Prozessmanagement ............................................................................................ 310 7.2 Changemanagement ............................................................................................ 315 Glossar ..............................................................................................................321 Literaturverzeichnis ......................................................................................... 345 Stichwortverzeichnis ........................................................................................ 363 <?page no="12"?> www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden 1 Forschung, Entwicklung und Innovationsmanagement Forschung und Entwicklung oder F&E sowie Technologie- und Innovationsmanagement sind zentrale unternehmerische Aktivitäten. Wettbewerbsvorteile basieren in der Regel auf neuen Leistungsangeboten oder veränderten Abwicklungsvorgängen in Unternehmen. Neue Produkte, Dienstleistungen, Prozesse und Strukturen ergeben sich jedoch nicht von selbst, sondern sie müssen aktiv geschaffen werden. In technologieorientierten Branchen ist sowohl das Erzeugen neuer Ideen und die Ausarbeitung neuartiger technischer Lösungen als auch das Entwickeln verbesserter oder bislang nicht vorhandener Produkte und deren Test Aufgabe von Ingenieuren und Naturwissenschaftlern in den Forschungs- und Entwicklungsabteilungen. Auch diese Bereiche unterliegen der unternehmerischen Planung, Steuerung und Kontrolle und müssen die Forderungen nach Effektivität und Effizienz erfüllen. So sollen Innovationen einen signifikanten Neuerungsgrad aufweisen, Entwicklungszeiten nicht zu lang sein und aufgestellte Budgets eingehalten werden. Aus besagten Gründen kommen auch in diesem ingenieurdominierten Feld betriebswirtschaftliche Planungsansätze und Optimierungsmethoden zum Einsatz. Abbildung 2: Beziehung innovationsbezogener Managementfelder Die Bereiche Forschung und Entwicklung sowie Technologie- und Innovationsmanagement sind nicht deckungsgleich, überschneiden sich aber in weiten Teilen. 6 Abbildung 2 illustriert, wie die einzelnen Bereiche zueinander stehen. Das Forschungs- und Entwicklungsmanagement als Schnittmenge aus Technologiemanagement und Innovationsmanagement ist auf die Erarbeitung und Erprobung neuer technologischer Lösungen ausgerichtet, 7 die in neue Produkte oder veränderte Leistungserstellungsprozesse Eingang finden. Das Technologiemanagement umfasst neben der Erzeugung 6 Zu verschiedenen Abgrenzungsansätzen vergleiche Specht, Beckmann & Amelingmeyer (2002, S. 16), Gerpott (2005, S. 56) und Brockhoff (1996, S. 6 f). 7 Vergleiche Zahn (1995, S. 15 f). <?page no="13"?> 14 1 Forschung, Entwicklung und Innovationsmanagement www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden Klassifikationskriterium Ausprägungen Anwendungsbreite Wettbewerbsstrategisches Potenzial Ergänzungsgrad Einsatzgebiet Technologiestruktur Querschnittstechnologie Schrittmachertechnologie Komplementärtechnologie Produkttechnologie Systemtechnologie Spezielle Technologie Schlüsseltechnologie Konkurrenztechnologie Prozesstechnologie Modultechnologie Basistechnologie Komponententechnologie neuartiger Lösungen auch die breitere Verwertung bestehender Technologien. Das Innovationsmanagement organisiert explizit die Schaffung und Durchsetzung von Neuerungen, beschränkt sich dabei allerdings nicht auf technische Artefakte. Es beleuchtet auch organisatorische, kulturelle und soziale Aspekte im Unternehmen. Kernbereiche, die durch eine anspruchsvolle Planung gekennzeichnet sind, dürften für viele Unternehmen die Technologieentwicklung sowie der Entwurf neuer Produkte und die Erarbeitung neuer Produktionsprozesse darstellen. Im Folgenden wird ein kurzer Einblick in die Phasen des Technologie- und Innovationsmanagements gegeben. Abbildung 3: Technologiearten 8 Gegenstand des Technologiemanagements sind Technologien. Technologien sind das Wissen über naturwissenschaftlich-technische Wirkungszusammenhänge zur Lösung technischer Probleme. 9 Damit bilden Technologien die Basis für die Entwicklung und Erstellung von Produkten und Verfahren. Technologien können nach unterschiedlichen Kriterien gegliedert werden. Abbildung 3 verdeutlicht einige Möglichkeiten der Kategorisierung. Das Technologiemanagement umfasst die Planung, Organisation, Führung und Kontrolle der Unternehmensprozesse, welche die Bereitstellung, die Durchsetzung des Einsatzes und die Verwertung von Technologien zum Inhalt haben. 10 Den Prozess des Technologiemanagements kann man in vier Phasen unterteilen, die in Abbildung 4 dargestellt sind. Innerhalb der Technologiefrühaufklärung wird versucht, schwache Signale, 11 die auf bevorstehende technologische Veränderungen hindeuten, frühzeitig zu erkennen, zu analysieren und hinsichtlich ihrer Bedeutung zu bewerten. Dazu werden technologische, aber auch ökonomische, gesellschaftliche, politische und rechtliche Tendenzen 8 Mieke (2006, S. 5). 9 Vergleiche Wolfrum (1994, S. 4). Zu den Beziehungen zwischen den Konstrukten Theorie, Technologie und Technik siehe Burr (2004, S. 19 f). 10 Vergleiche Gerpott (1999, S. 58 f). 11 Vergleiche Ansoff (1976, S. 129 ff). <?page no="14"?> 15 www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden untersucht, die Auswirkungen auf die Technologieentwicklung vermuten lassen. 12 Innerhalb der Technologieplanung werden vornehmlich Technologiestrategien entwickelt. Diese sollen unter Berücksichtigung der technologischen Situation des Unternehmens und der innerhalb der Frühaufklärung identifizierten technologischen Trends eine gute künftige technologische Positionierung des Unternehmens vorbereiten. Technologiestrategien legen etwa fest, ob eigene Technologieentwicklungen primär im Feld der Produkttechnologien angesiedelt sein oder auch das Feld der Prozesstechnologien umfassen sollen. Ferner weist die Technologiestrategie den Weg zur technologischen Leistungsfähigkeit: Soll ein technologischer Hochleistungsstand oder lediglich die Präsenz in einem Feld angestrebt werden? Abbildung 4: Prozess des Technologiemanagements 13 Die Technologiestrategie beantwortet auch die Frage nach den Technologiequellen. Grundsätzlich können Technologien durch externe Beschaffung wie Lizenznahme, Technologiekauf oder durch interne Forschung und Entwicklung verfügbar gemacht werden. Neben der Beschaffungsdimension definieren Technologiestrategien auch den Verwertungsaspekt. Sie definieren, ob Technologien in eigene Produkte und Verfahren Eingang finden oder durch Lizenzvergabe oder den Verkauf von Geschäftseinheiten vermarktet werden. Letztlich konkretisiert die Technologiestrategie auch das zeitliche Vorgehen: Will das Unternehmen als Pionier oder als Folger agieren? 14 Die Strategieumsetzung erarbeitet konkrete Maßnahmen zur Realisierung der Technologiestrategien. 15 Ein großer Anteil der Maßnahmen weist nicht den Charakter von Routinetätigkeiten auf. Daher werden zur Steuerung der Entwicklungsprojekte Verfahren des Projektmanagements eingesetzt. Das Technologie-Controlling verschafft dem Technologiemanagement rechtzeitig Informationen über Fehlentwicklungen, um Anpassungen im Planungs- und Durchführungsprozess zu ermöglichen. 16 Objekt des Innovationsmanagements sind Innovationen. Als Innovationen werden in die Anwendung überführte Neuerungen bezeichnet. 17 Innovationen können dabei sowohl technischer Natur wie Produkte und Technologien als auch sozialer Natur wie Organi- 12 Vergleiche zur Vielfalt von Einflussfaktoren Wucherer (2004, S. 26). 13 Mieke (2006, S. 11). 14 Vergleiche Tschirky (1998, S. 296 f). 15 Vergleiche zur Verzahnung der Technologieplanung mit der Geschäftsfeld- und Produktplanung Behrens (2003, S. 69 f). 16 Vergleiche Brockhoff (1994, S. 334) und Tschirky (1998, S. 346). Zu negativen und positiven Wirkungen von Kontrolle in kreativen Bereichen siehe Schorb (1994, S. 110). 17 Vergleiche Corsten, Gössinger & Schneider (2006, S. 11). Technologiefrühaufklärung Technologiestrategieentwicklung Technologiestrategieumsetzung Technologie- Controlling <?page no="15"?> 16 1 Forschung, Entwicklung und Innovationsmanagement www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden Organisation Markt Technologie Umfeld „Bedeutende“ Innovationen Inkrementelle Innovation Radikale Innovation sationsstrukturen sein. Abbildung 5 zeigt, dass Innovationen hinsichtlich ihrer Einsatzfelder und ihres Neuheitsgrades erheblich voneinander abweichen. Das Innovationsmanagement zielt auf die Sicherung der wirtschaftlichen Erfolgsposition des Unternehmens und forciert dabei insbesondere den Aufbau, die Pflege und die Weiterentwicklung des unternehmensinternen Potenzials zur Innovationstätigkeit. Im Mittelpunkt stehen sowohl die Planung und Organisation als auch die Steuerung und Kontrolle von Innovationsprozessen. 18 Für den Innovationsmanagementprozess existiert eine Vielzahl von Phasenmodellen. 19 Abbildung 5: Innovationsarten nach Innovationsgrad 20 Abbildung 6: Innovationsprozess 21 18 Vergleiche Pleschak & Sabisch (1996, S. 44). 19 Eine Auswahl findet sich bei Vahs & Brem (2013, S. 231 ff). 20 Modifiziert nach Billing (2003, S. 31 ff) und Mieke (2009, S. 11). 21 Modifiziert nach Thom (1980, S. 53). Ideengenerierung Ideenakzeptierung Ideenrealisierung Suchfeldbestimmung Ideenfindung Ideenvorschlag Prüfung der Idee Erstellen von Realisierungsplänen Entscheidung für einen zu realisierenden Plan Konkrete Verwirklichung der neuen Idee Absatz der neuen Idee an Adressat Akzeptanzkontrolle <?page no="16"?> 1.1 Expertenbefragungen und Delphi-Studien 17 www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden Eine sehr eingängige Sichtweise beschreibt Thom. Der Innovationsprozess gliedert sich demnach in die in Abbildung 6 beschriebenen drei Phasen. 22 In der ersten Phase werden Suchbereiche abgegrenzt, Ideen generiert und Vorschläge ausgearbeitet. Die zweite Phase zielt auf das Prüfen der Ideen und die Erarbeitung von Plänen zur Realisierung der Ansätze sowie auf die Entscheidungsprozesse und Entscheidungsdurchsetzung einzelner Initiativen. Die dritte Phase umfasst die Konkretisierung und Umsetzung der ausgewählten Idee sowie die Überprüfung des Eintretens der gewünschten Effekte. Forschung und Entwicklung sowie Technologie- und Innovationsmanagement sollten planvoll betrieben werden. Ungeachtet dieser Forderung finden sich in der Praxis immer wieder Beispiele, in denen Menschen ohne systematisch geleiteten Suchprozess bahnbrechende Erfindungen machen. Häufiger - allerdings auch weniger präsent - dürften jedoch Fälle sein, die deutlich machen, dass Unternehmen scheitern, da sie nicht zielgerecht nach Innovationen suchen und diese durchsetzen. Im Folgenden werden betriebswirtschaftliche Methoden vorgestellt, die wichtige Arbeitsfelder des Technologie- und Innovationsmanagements unterstützen. Sie fördern unter anderem das Aufspüren technologischer Trends, das Erzeugen von Ideen, die Bewertung neuartiger Konzepte und die Planung, Überwachung und Steuerung von innovationsbezogenen Strategien und entsprechender Maßnahmen. 1.1 Expertenbefragungen und Delphi-Studien Problemstellung: Erfassung technologischer Zukunftsinformationen zur Vorbereitung der Technologie-, F&E- und Innovationsplanung Zielgruppe: Technische Geschäftsführer, F&E-Leiter, Stabs- und Planungsabteilungsleiter, Fabrikplaner, Zukunftsforscher Voraussetzungen: Erfahrene Interviewer, Zugriff auf Expertennetz, Ressourcen für den Kontaktaufbau und Erfahrungen in Befragungsdurchführung und Befragungsauswertung Zielsetzung von Expertenbefragungen und Delphi-Studien Unternehmen greifen bei der Definition ihrer Forschungs- und Entwicklungsprogramme häufig auf Einschätzungen von Experten zurück. Die Experteneinschätzungen beziehen sich dabei nicht auf die Vorteilhaftigkeit eines etwaigen Forschungs- und Entwicklungsprogramms. Die Experten sollen vielmehr Informationen zur künftigen Ausgestaltung sozialer, ökonomischer, marktbezogener und technologischer Systeme und Umfelder bereitstellen. Für Unternehmen sind derartige Aussagen von großer Bedeutung, sollen sich doch die zu entwickelnden Produkte und Prozesse unter neuen Bedingungen bewähren und die gewünschten Wettbewerbsvorteile erzeugen. Gerade in Großunternehmen existieren Abteilungen, die Zukunftsforschung und Frühaufklärung betreiben. Dennoch werden die Mitarbeiter dieser Abteilungen nicht alle relevanten Trends aufspüren können und sind demnach auf das Know-how externer Experten angewiesen. Expertenbefragungen sollen daher: 22 Vergleiche Thom (1980, S. 53). <?page no="17"?> 18 1 Forschung, Entwicklung und Innovationsmanagement www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden Marktsog Technologiedruck bestehend neu - Kundenbedürfnis entstehend bestehend neu - Technologie entstehend Schwache Signale, die veränderte Zukunftskonstellationen andeuten, explizieren und dem Unternehmen verständlich machen, Einschätzungen zu möglichen alternativen Entwicklungen abgeben, Aussagen zur Verfügbarkeit bestimmter hilfreicher Artefakte machen, Bewertungen von Objekten durchführen. Die Befragungen ermöglichen dem Unternehmen Zugriff auf intern nicht verfügbare Informationen und die Teilnahme an der Bewertungskompetenz von Experten. Ferner reduzieren sie die Unsicherheit des Managements, möglicherweise relevante Entwicklungsrichtungen übersehen zu haben. Die Informationen berücksichtigen die in Abbildung 7 dargestellten Triebkräfte Marktsog und Technologiedruck und finden Eingang in die strategische Planung des Unternehmens - insbesondere im Hinblick auf Technologien, Forschungsvorhaben und Innovationsprojekte. Abbildung 7: Treiber technologischer Entwicklung 23 Beschreibung von Expertenbefragungen und Delphi-Studien Es haben sich verschiedene Formen von Expertenbefragungen entwickelt und in der betrieblichen Praxis bewährt. Man unterscheidet schriftliche Expertenbefragungen, mündlich durchgeführte Experteninterviews, Experten-Workshops und Delphi- Studien. 24 Mit Hilfe all dieser Erhebungsformen versucht man, Informationen bezüglich des Untersuchungsobjektes zu erhalten. Teilweise können Experten darüber unkompliziert Auskunft geben, weil der zu ermittelnde Sachverhalt Gegenstand ihrer unmittelbaren Arbeit ist oder sie in den Diskussionsprozess eingebunden sind. 25 Häufig jedoch, insbesondere bei weit in die Zukunft zielenden Befragungen, werden Experten mit Fragen konfrontiert, worauf sie selbst erst nach einem systematisch angestoßenen Analyse- und Bewertungsprozess antworten können. Den Experten ist diese Analyse und Bewertung aufgrund der Vertrautheit mit dem Fachgebiet und den beeinflussenden Parametern eher möglich als Nicht-Experten. 23 Modifiziert nach Lauglaug (1993, S. 79) und Mieke (2006, S. 8). 24 Vergleiche Specht & Möhrle (2002, S. 51 f). 25 Vergleiche Geschka (1995, S. 631). <?page no="18"?> 1.1 Expertenbefragungen und Delphi-Studien 19 www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden Einzelbefragungen von Experten - ob in schriftlicher oder mündlicher Form - zielen darauf ab, möglichst valide Zukunftsinformationen zu erhalten. Die Experten sollen sich durch Anwesenheit anderer Experten in ihrem Urteil nicht eingeschränkt fühlen. Die Informationen der unterschiedlichen Experten werden durch die Befragenden zusammengeführt, ausgewertet und zu einem Gesamtbild verarbeitet. Die schriftliche Befragung ermöglicht es den Experten, bei der Beantwortung Hilfsmittel zu verwenden und längere Auswertungsprozesse vorzunehmen, bevor eine Einschätzung abgegeben wird. Die mündliche Form gestattet Nachfragen der Experten, die Präzisierung der Frage durch den Interviewer und das Formulieren weiterer Fragen, die sich erst durch die Beantwortung vorheriger Fragen ergeben. Gemeinsame Befragungen mehrerer Experten werden durchgeführt, um die Prozesseffizienz der Erhebung zu erhöhen. Durch das Zusammenbringen verschiedener Experten an einem Ort zur gleichen Zeit, möchte man vor allem den Befragungsaufwand reduzieren. Ferner wird in diesem Format darauf gesetzt, dass Experten durch die Anwesenheit von Fachkollegen zu qualitativ hochwertigen Aussagen animiert werden. 26 Auch das Aufgreifen und Weiterentwickeln einer Kollegenaussage und die gegenseitige Anregung und Motivation sind angepeilte Effekte von Gruppenbefragungen. Abbildung 8: Expertenbefragungsformen Die Delphi-Studie stellt eine besondere Form der Expertenbefragung dar und versucht, die Vorteile der erläuterten Ansätze zu vereinen. Ruhe, Bedenkzeit und ausgewogene Informationen der schriftlichen Einzelbefragung werden durch das Rückspielen aller Befragungsergebnisse an alle Teilnehmer erreicht. Experten erhalten Gelegenheit, durch das Studium der Aussagen anderer Experten ihre eigene Einschätzung zu 26 Aufgabe des Interviewers oder Moderators ist es, Konformitätstendenzen auszuschließen und auch abweichende Meinungen aufzunehmen (siehe dazu Staehle 1994, S. 286). Schriftliche Expertenbefragung Experteninterview Experten- Workshop Delphi- Studie Vorteile Nachteile Überwindung räumlicher Distanz Anonymität Reduktion inhaltlicher Verzerrung Selbstgesteuerte Bearbeitung durch den Interviewten Geringe Rücklaufquote Unterschiedliche Interpretation gestellter Fragen Unvollständiges Ausfüllen des Fragebogens Qualitative Informationen Berücksichtigung ex ante nicht erwarteter Lösungsansätze Möglichkeit des Nachfragens Mehrdeutige Interpretierbarkeit der Gesprächsinhalte Schlechte Quantifizierbarkeit der Gesprächsinhalte Gefahr der Beeinflussung der Interviewten Negative gruppendynamische Effekte Herleitung von Lösungsansätzen auf unzureichender Theoriebasis Abstimmungsaufwand für gemeinsame Terminfindung Anonymität der Befragten Konsensbildung sichert Güte der Lösungsansätze Gefahr des hohen Aufwandes zur Konsensbildung Starre Vorgehensweise Extreme Meinungen finden möglicherweise nicht hinreichend Gehör Durch freie Interaktion der Teilnehmer direkte Entwicklung von Lösungen Hohe Akzeptanz erarbeiteter Lösungen <?page no="19"?> 20 1 Forschung, Entwicklung und Innovationsmanagement www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden Definition der Aufgabenstellung Identifikation der Experten Erstellung des Fragebogenleitfadens Ansprache der Experten Durchführung der Befragung Zusammenführung der Daten Auswertung und Interpretation Gegebenenfalls Zusammenstellung der Ergebnisse und Bereitstellung mit der Bitte um Berücksichtigung und erneute Einschätzung ergänzen und solcherart zu einem modifizierten Urteil zu gelangen. 27 Durch dieses aufwändige Verfahren erhoffen sich Befragende bessere Aussagen zu neuartigen oder unstrukturierten Problemfeldern. Abbildung 8 fasst die Besonderheiten der verschiedenen Befragungsformen zusammen. Anwendungsbereich und Anwendungsprozess Expertenbefragungen finden vor allem im Rahmen der Technologievorausschau und in der Technologie- und Innovationsplanung Anwendung. Hier sollen Informationen aus unterschiedlichen Quellen Berücksichtigung finden, um eine solide Entscheidungs- und Planungsgrundlage entwickeln zu können. Expertenbefragungen sind eine - wenn auch nicht auf den ersten Blick erkennbar - aufwändige Erhebungsmethode. Die Ergebnisqualität hängt unter anderem davon ab, inwiefern geeignete Experten gefunden und zur Mitwirkung bewegt werden können, es gelingt, die für das Erkenntnisfeld richtigen Fragen zu stellen, eine Fokussierung auf den Zeithorizont vorgesehener Planung zu erreichen ist, abweichende Expertenmeinungen in geeigneter Weise gedeutet werden können. Abbildung 9: Expertenbefragungsprozess Der in Abbildung 9 skizzierte Prozess einer Expertenbefragung beginnt mit der Formulierung der Themen-, Aufgaben- und Problemstellung. Eine klare Themenabgrenzung bildet eine Voraussetzung zum Finden geeigneter Experten. Als externe Experten im Planungsbereich des Technologie-, Forschungs-, Entwicklungs- und Innovationsmanagements sind insbesondere Forscher und Entwickler aus industriellen Forschungslabors, Hochschulen und Großforschungseinrichtungen einzustufen. Auch technologieorientierte Lieferanten und Kunden können Impulse geben, wenngleich der Vorschauhorizont bei Letzteren typischerweise nicht so weit in die Zukunft reicht wie bei Ersteren. Es schließt sich die eigentliche Suche nach geeigneten Experten für das Untersuchungsfeld an. Häufig werden hier Recherchen in Publikationslisten, Tagungs- 27 Vergleiche Krystek & Müller-Stewens (1993, S. 228 f). <?page no="20"?> 1.1 Expertenbefragungen und Delphi-Studien 21 www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden verzeichnissen und Verbandsregistern durchgeführt, um versierte Experten zu identifizieren. Diese werden danach angefragt, ob sie zur Mitwirkung bereit sind. In der Praxis dürfte die gesamte Bandbreite an Reaktionen auftreten: von strikter Ablehnung bis erfreuter Zusage. Ablehnungen resultieren häufig aus der Sorge der Experten, geheime Informationen preisgeben zu müssen oder aus der Unwilligkeit, den Aufwand der Fragenbeantwortung ohne eigenen Nutzen tragen zu sollen. Gerade die letztgenannte Barriere kann durch die Zusage reduziert werden, dass entweder sämtliche oder ausgewählte Studienergebnisse nach Abschluss der Erhebung kostenlos zur Verfügung gestellt werden. Zustimmung kommt häufig von Experten, die intrinsisch motiviert an ihrem Forschungsfeld arbeiten, sich durch das Gespräch weitere Informationen erhoffen oder erfreut über die durch die Anfrage zum Ausdruck kommende Anerkennung ihrer Leistungen sind. 28 Danach erfolgt die Erarbeitung eines Fragebogens oder Gesprächsleitfadens. Hinsichtlich des Umfangs der Befragung sind die konkurrierenden Ziele Knappheit und Prägnanz einerseits und umfassende Informationserfassung andererseits auszubalancieren. Kurze Befragungen erhöhen die Mitwirkungsbereitschaft der Experten und ermöglichen unter Umständen die Befragung von mehreren Experten. Allerdings erfordern zu knappe, unvollständige Befragungen gegebenenfalls eine weitere Erhebungsrunde. Dies wirkt sich in der Regel negativ auf die Befragungsprozesseffizienz und auf die Dauer der Studienerstellung aus. Es schließt sich die Auswertung der Befragungsergebnisse an. In der Regel wird es sich weniger um statistische Auswertungen großer Datenmengen als vielmehr um das Zusammenführen und Deuten einer überschaubaren Anzahl von verbalen Experteneinschätzungen handeln, die unter Verwendung verschiedener Fachsprachen und Fachbegriffe abgegeben werden. Dieser Vorgang ist kaum automatisierbar und erfordert Erfahrung sowie Vertrautheit mit dem Untersuchungsgegenstand und mit der Studienmethode. Werden hier Informationen nicht berücksichtigt oder fehlgedeutet, können daraus erhebliche Planungsfehler resultieren. Immer wieder stehen Auswerter vor dem Problem, mit abweichenden oder sich widersprechenden Expertenurteilen umgehen zu müssen, da Mehrheitsmeinungen nicht zwangsläufig den Gang der zukünftigen Entwicklung widerspiegeln. Im Rahmen von Delphi-Studien werden die Ergebnisse der Expertenbefragung den Befragungsteilnehmern zugänglich gemacht und die Teilnehmer zur erneuten Abgabe von Beurteilungen des Untersuchungsgegenstandes aufgefordert. Dieses Vorgehen zieht in der Regel weitere Auswerteprozeduren nach sich. Weiterführende Hinweise Expertenbefragungen und Delphi-Studien sind bewährte Methoden, um technologische Zukunftsinformationen zur Vorbereitung der Technologie-, Forschungs-, Entwicklungs- und Innovationsplanung zu erfassen. Allerdings sollte man vor der Durchführung von Expertenbefragungen und Delphi-Studien berücksichtigen, dass eine zu enge Auslegung des Expertenkreises dazu führen kann, dass trotz aufwändiger Befragungsrunden zukunftsbestimmende Trends nicht erfasst werden. Betraut man interne Experten mit der Befragung externer Experten, führt dies unter Umständen eher zu Positionierungswettbewerben als zu belastbaren Ergebnissen. Auf der Grundlage einer 28 Vergleiche zur Mitwirkungsmotivation von Experten Mieke (2006, S. 26). <?page no="21"?> 22 1 Forschung, Entwicklung und Innovationsmanagement www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden unzureichenden inhaltlichen und methodischen Vorbereitung dürfte man die Chance vergeben, bislang nicht explizierte Sachverhalte und Informationen aufzudecken beziehungsweise zugänglich zu machen. Zudem verhindert das einfache Ausblenden oder durch Mittelwertbildung erfolgende Relativieren von Extrem- und Außenseitermeinungen oftmals das Entwickeln eines Gefühls für die Unbestimmtheit und Ungewissheit der Zukunft. Die Nichtzusendung der versprochenen Studienauswertungen erschwert schließlich künftige Expertenbefragungen. Insofern sollte man in der Praxis ergänzende Informationserfassungsmethoden nutzen, um nicht nur Ausschnitte, sondern um möglichst alle planungsrelevanten Informationen zu erhalten. 1.2 Publikations- und Patentanalysen Problemstellung: Erkennen von Zukunftstechnologien und Identifikation von technologischen Wirkprinzipien und technologischen Verknüpfungen Zielgruppe: F&E-Manager, Innovationsplaner, Technologiefrühaufklärer und Koordinatoren von Forschungsnetzen Voraussetzungen: Zugang zu relevanten Datenbanken, Recherche- und Analysekompetenz und technisches Grundverständnis Zielsetzung von Publikations- und Patentanalysen Publikations- und Patentanalysen sollen eine qualitativ hochwertige Technologievorausschau ermöglichen. Die Vorausschau deckt künftig in Produkten und Verfahren zur Anwendung kommende Technologien auf, weist auf in der Zukunft verfügbare und nutzbare technologische Lösungen hin und unterstützt somit eine umfeldgerechte Technologie-, Forschungs-, Entwicklungs- und Innovationsplanung. Publikations- und Patentanalysen setzt man auch zur Stimulierung der Kreativität bei der Erzeugung neuartiger Lösungen ein. Sie sollen schließlich auch die Verletzung etwaiger Schutzrechte anderer durch das eigene Unternehmen verhindern. Beschreibung der Publikations- und Patentanalysen Zahlreiche technologische Informationen sind in frei zugänglichen Quellen wie Offenlegungsschriften von Patenten oder Fachzeitschriften dokumentiert. 29 Akteure, die für ihre Planungen relevante Informationen aus der oft beklagten Informationsflut herausfiltern, werden in die Lage versetzt, sich einen Vorsprung gegenüber Wettbewerbern zu erarbeiten. Publikationen, etwa in Form von Zeitschriften- oder Tagungsbandbeiträgen, enthalten oftmals sehr aktuelle Forschungsergebnisse - häufig so aktuell, dass Effekte, Wirkungszusammenhänge und technologische Verfahren beschrieben werden, ohne dass eine Anwendung beispielsweise in Form konkreter Funktionen von Produkten unmittelbar bevorstünde. Die vorgestellten Ergebnisse sind in der Regel Resultat von Forschungsaktivitäten, gelegentlich aus geförderten Forschungsprojekten mit Publikationspflicht. Da Publikationen die „Währung der Wissenschaft“ darstellen, sind Wissenschaftler meist mehr an der zügigen Veröffentlichung ihrer Ergebnisse als an 29 Vergleiche Wurzer (2003, S. 49). <?page no="22"?> 1.2 Publikations- und Patentanalysen 23 www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden einer unmittelbaren, durch sie initiierten und gesteuerten wirtschaftlichen Verwertung der Ergebnisse interessiert. Die entsprechenden Informationsquellen sind frei verfügbar, und die Auswerte- und Recherchekompetenz des Informationssuchenden bestimmen den Grad des Vorteils, den man aus diesen Informationen ziehen kann. Patente werden erteilt, um Erfindern die wirtschaftliche Nutzung der kreierten Lösungen für eine bestimmte Zeit exklusiv zuzugestehen. Zu diesem Zweck werden neuartige technische Lösungen detailliert beschrieben, um andere Personen vor einer versehentlichen Nutzung einer patentierten Lösung zu schützen, aber auch um unbefugten Nutzern gezielten Missbrauch nachweisen zu können. Das in der Patentschrift ausführlich dargelegte neue technische Prinzip gewährt anderen Akteuren jedoch auch - abseits einer Missbrauchsabsicht - Einblicke in die Ergebnisse industrieller Forschungstätigkeit, zum Beispiel auch von Konkurrenten, und erlaubt im Zuge von Lizenzierungsbestrebungen, die Verwendung der Technologie anzupeilen. In jedem Fall kann man durch systematische Patentanalysen die technologische Zukunft mittelfristig greifbar machen. Schätzungen besagen, dass Patente im Schnitt vier bis sieben Jahre vor der ersten marktbezogenen Verwertung der Lösung angemeldet werden. 30 Ferner wird davon ausgegangen, dass etwa drei Viertel des gesamten technischen Wissens exklusiv in Patentschriften festgehalten ist. 31 Diese Angaben verdeutlichen das Potenzial fundierter Patentanalysen im Rahmen der Technologievorausschau und mit Blick auf die Forschungs-, Entwicklungs- und Innovationsplanung von Unternehmen. Anwendungsbereich und Anwendungsprozess Vorrangiges Anwendungsfeld von Publikations- und Patentanalysen dürften technologische Planungen sein. Wenngleich auch die Patentierungsbestrebungen von Geschäftsmodellen und Geschäftsprozessen zunehmend in den Fokus rücken. 32 Abbildung 10: Patentanalyseprozess 33 Eine Publikations- und Patentanalyse lässt sich, wie in Abbildung 10 dargestellt, in sieben Schritte gliedern: 34 Zunächst legt man den Untersuchungsbereich fest. Die An- 30 Vergleiche Gerpott (1999, S. 108). 31 Vergleiche Faix (1998, S. 43). 32 Vergleiche Walter & Möhrle (2009, S. 41 ff). 33 Mieke (2006, S. 130). 34 Vergleiche Specht & Mieke (2004a, S. 22). Untersuchungsbereich festlegen Recherchemedium auswählen Recherche durchführen Stichworte definieren Patente selektieren Patente klassifizieren Patente analysieren <?page no="23"?> 24 1 Forschung, Entwicklung und Innovationsmanagement www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden nahme, dass drei Viertel des technischen Wissens exklusiv in Patenten verfügbar ist, vermittelt ein Gespür für den Aufwand, der mit der Durchführung von Patentanalysen verbunden sein kann. Insofern sollte man sich fokussieren, allerdings unter Berücksichtigung hinreichender, auch auf Substitutionstechnologien abstellende Recherchen. Im zweiten Schritt erfolgt die Wahl der Recherchemedien. Welche Publikationen, bei welchen Patentämtern, in welchen Datenbanken sollen geprüft werden? Im Folgenden definiert man Stichworte, mit deren Hilfe mit hoher Trefferwahrscheinlichkeit die interessierenden technologischen Lösungen entdeckt werden können. An dieser Stelle ist häufig das Spielen mit und das Umformulieren von Suchbegriffen hilfreich, um die gewünschten Ergebnisse zu erzielen. Abbildung 11: Beispiel eines Formblattes zur Informationsspeicherung bei Patentanalysen 35 Es schließt sich die eigentliche Recherche an. 36 Relevante Patente und Veröffentlichungen werden herausgefiltert und einer Grobeinschätzung zugeführt. Die Grobeinschätzung bildet die Grundlage für die anschließende Klassifizierung der gefundenen Lösungen. Die Klassifizierung kann nach unterschiedlichen Rastern erfolgen: Produktversus Prozesstechnologie, Querschnittsversus spezielle Technologie, Kernversus ergänzende Technologie oder Systemversus Komponententechnologie. Hier bestimmen der Untersuchungsgegenstand und das Analyseinteresse sowie der Planungsgegenstand die Art der Klassifizierung. Die Klassenbildung ermöglicht im Weiteren eine Priorisierung bei der detaillierten Analyse der Patente. Hier werden die in den Patenten beschriebenen technologischen Lösungen präzise erfasst, ihr Leistungspotenzial eingeschätzt und ihre Vernetzung mit anderen Technologien untersucht. Dabei hat sich die Nutzung von Formblättern bewährt 37 - wie in Abbildung 11 dargestellt -, um die Erkenntnisse aus der Analyse jedes einzelnen Patents zu dokumentieren. Schließlich werden jene Patente 35 Mieke (2006, S. 147). 36 Der Rechercheerfolg wird wesentlich durch das Beherrschen verschiedener Zugriffsarten auf die abgelegten Fachinformationen bestimmt (vergleiche Suhr 2000, S. 396). 37 Vergleiche Mieke (2006, S. 147). Technologie ……………... Patent Erteilungsdatum Patentantragssteller Technologische Stärke Zweck / Funktionen Naturwissenschaftliches Prinzip Basiert auf welchen anderen Technologien / Bezugspatenten Ist Voraussetzung für welche anderen Technologien (dient als Referenztechnologie) .... ++ + 0 - -- <?page no="24"?> 1.3 Brainstorming und Brainwriting 25 www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden und die entsprechenden technologischen Lösungen selektiert, die auf der Basis weiterer Recherchen ausführlicher beschrieben und untersucht werden sollen. Weiterführende Hinweise Publikations- und Patentanalysen sparen im Vergleich zu Expertenbefragungen Reisekosten, werden jedoch hinsichtlich des Recherche- und Analyseaufwandes häufig unterschätzt. Ungeübte oder technologisch nicht versierte Personen finden meist nicht alle relevanten und nutzenstiftenden Hinweise. Eine isolierte Publikations- und Patentanalyse versperrt die Möglichkeit der Einbeziehung bislang nicht explizierter Einschätzungen, beispielsweise seitens ausgewiesener Experten. Patentanalysen werden noch zu häufig ausschließlich im Rahmen der Überlegungen zu Schutzrechtsverletzungen und zu wenig für die Technologievorausschau und Technologieplanung eingesetzt. 1.3 Brainstorming und Brainwriting Problemstellung: Kreative Erzeugung von Ideen und Problemlösungsansätzen möglichst abseits bekannter Lösungsvarianten Zielgruppe: Technologieplaner, F&E-Mitarbeiter, Geschäftsfeldplaner, Produktmanager, Kreativgruppen Voraussetzungen: Kreatives Umfeld, interdisziplinäre Gruppe und Abwesenheit dominanter Vorgesetzter Zielsetzung des Brainstormings und Brainwritings Die Methoden Brainstorming und Brainwriting zählen zu den etablierten Kreativitätstechniken, wobei man unter Kreativität die Fähigkeit versteht, etwas Neues, Nützliches oder Unerwartetes zu schaffen. Inwiefern diese menschliche Fähigkeit durch eine Methode angeregt, erhöht oder zum gewünschten Zeitpunkt in erhoffter Weise erzeugt werden kann, ist eine viel diskutierte Frage. Einerseits lassen sich zahlreiche Beispiele finden, die belegen, dass Menschen ohne Anwendung etablierter Kreativitätstechniken kreativ in ihrem Denken und Handeln sein können. Andererseits zeigt die Praxis, dass es Menschen gibt, die nur über unterdurchschnittlich ausgeprägte kreative Fähigkeiten verfügen. Inwiefern Kreativitätstechniken in diesen Fällen Nutzen stiften, kann nicht abschließend beantwortet werden. Allerdings ist davon auszugehen, dass in Unternehmen zahlreiche Mitarbeiter beschäftigt sind, die sich selbst als nicht besonders kreativ einstufen, die jedoch über ein Kreativitätspotenzial verfügen, das durch den Einsatz entsprechender Methoden aktiviert werden kann. Mit Hilfe von Kreativitätstechniken will man abseits bisheriger Problemlösungswege neue Pfade anlegen und in bislang nicht bearbeitetes Terrain vordringen. Sie finden vielfach Anwendung, werden jedoch gelegentlich zu unsystematisch und zu oberflächlich eingesetzt, was teilweise zu unbefriedigenden Ergebnissen führt. Kreativitätstechniken kommen immer dann zum Einsatz, wenn Neuartiges hervorgebracht werden soll - neue Geschäftsideen, neue Produkte, neue Technologien, neue Prozesse oder neue Organisationsformen. Sie zielen weniger auf eine analytisch-systematische Problemlösung als vielmehr auf die Stimulierung des kreativen Potenzials von Mitarbeitern. <?page no="25"?> 26 1 Forschung, Entwicklung und Innovationsmanagement www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden Abbildung 12 macht die Abgrenzung von Kreativitäts- und analytischen Problemlösungstechniken deutlich. Abbildung 12: Problemlösungstechniken Bei der Anwendung von Brainstorming und Brainwriting in Gruppen soll ein kreativer Fluss durch Kopplung verschiedenartiger Denk- und Lösungsweisen initiiert werden. Man erhofft sich Vorschläge, die von aktuellen Lösungsmustern abweichen. Gerade in Unternehmen, die sich in dynamischen Umfeldern und Wettbewerbssituationen befinden, sind radikale Innovationen oft Voraussetzung für die langfristige Überlebenssicherung der Organisation. Aber auch Unternehmen in vermeintlich stabilen Umgebungen und traditionellen Branchen sollten die Gefahr von Substitutionsprodukten nicht unterschätzen und daher permanent nach neuen Lösungen suchen. Beschreibung des Brainstormings und Brainwritings Die Methoden Brainstorming und Brainwriting sind Kreativitätstechniken, die aus methodischer Sicht keine hohen Anforderungen an die Teilnehmer stellen. 38 Dies ermöglicht ihren schnellen Einsatz auch bei Mitarbeitern, die bislang nicht mit der Erzeugung von Neuprodukt- oder Neuprozessideen befasst waren. Allerdings hat sich in der Praxis gezeigt, dass die Techniken nur dann ihre volle Wirkung entfalten, wenn einige Regeln bei der Durchführung beachtet werden: So empfiehlt sich der Einsatz eines mit der Methode vertrauten Moderators, der auf die Einhaltung der formalen Vorgaben drängt. Bei diesem Hinweis regt sich gelegentlich Widerstand: Kann Kreativität durch die Einhaltung starrer Regeln befördert werden, oder wird sie dadurch nicht gerade eingeschränkt? Der Moderator soll und kann keinen einheitlichen Weg zur Kreativität beschreiben und soll auch keinen Teilnehmer auf einen bestimmten Pfad zwingen. Vielmehr sorgt er für eine Atmosphäre, die das Entstehen von Kreativität unterstützt. Ein derartiges Klima ist beispielsweise dadurch gekennzeichnet, dass keine Kritik an den artikulierten Vorschlägen geübt, keine Bewer- 38 Brainstorming wurde durch Osborn (1963) der wissenschaftlichen Diskussion zugeführt. Problemlösungstechniken Kreativitätstechniken Analytische Methoden Brainstorming Brainwriting Methode 6-3-5 Mindmapping Laterales Denken Synektik Bionik Walt Disney-Methode Analogien TRIZ Morphologischer Kasten Ursache-Wirkungs- Diagramme Osborne-Checkliste Progressive Abstraktion <?page no="26"?> 1.3 Brainstorming und Brainwriting 27 www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden tung oder Priorisierung von Ideen vorgenommen und keine Reputationswettbewerbe ausgetragen werden. 39 Es soll zu einem freien Äußern von Gedanken aller Teilnehmer kommen, wobei Äußerungen anderer Teilnehmer als Ausgangspunkt eigener, weiterer kreativer Überlegungen dienen können. Zahlreiche Ideen werden in der artikulierten Form nicht durchführ- oder umsetzbar sein. Aber gerade das Ausblenden der Machbarkeitsforderung lässt für gewöhnlich Ideen entstehen, die ein hohes Maß an Neuartigkeit aufweisen und die unter Umständen leicht modifiziert realisiert oder durch nachgeschaltete Anpassungsprozesse in eine ausführbare Form gebracht werden können, was möglicherweise zunächst gar nicht so eingeschätzt worden war. Anwendungsbereich und Anwendungsprozess Bei der Erzeugung neuer Leistungsangebote, also beim Entwickeln neuer Produkte und Dienstleistungen, nutzen Unternehmen immer wieder Kreativitätstechniken. Diese werden in unterschiedlichen Gruppen und Teams eingesetzt: Vielfach bittet man Anwender und Kunden um Impulse für neue Produktfunktionen oder fordert Mitarbeiter aus dem Produktionsbereich auf, Vorschläge für die Neuproduktgestaltung zu unterbreiten - beispielsweise mit dem Ziel einer erhöhten Produktionsgerechtigkeit. In anderen Fällen kommen Forschungs- und Entwicklungsmitarbeiter oder crossfunktionale Teams aus Forschung und Entwicklung, Marketing, Produktion oder Controlling zusammen, um neue Produktideen zu kreieren. Diesen Prozess des Brainstormings kann man in sechs Phasen gliedern, die in Abbildung 13 dargestellt sind. Abbildung 13: Phasen des Brainstormings Zu Beginn eines Brainstormingbeziehungsweise Brainwritingvorhabens steht die Abgrenzung des Arbeitsgegenstandes und die Entwicklung einer Aufgabenstellung: Wofür wird eine neue Lösung gesucht? Eine klare Problemeingrenzung hilft dabei, gute Lösungen für die zentrale Herausforderung zu finden. Benötigt ein Automobilhersteller Ideen für ein neues Antriebskonzept, sollte er nicht formulieren: „Wie sieht das Auto der Zukunft aus? “ Dies könnte zu durchaus innovativen Ideen in Bezug auf 39 Vergleiche Schlicksupp (1992, S. 103 f). Abgrenzung Untersuchungsfeld Auswahl der Teilnehmer Ideendokumentation Workshop- Durchführung Organisation der Brainstormingsitzung Vorbereitung / Trainieren der Teilnehmer <?page no="27"?> 28 1 Forschung, Entwicklung und Innovationsmanagement Bremssysteme, Bedienungssystemanordnung oder Einstiegsunterstützung führen, unter Umständen aber keinen neuen Ansatz für die Hauptherausforderung „Antriebskonzept“ hervorbringen. Nach der Definition der Aufgabenstellung erfolgt die Auswahl der Teilnehmer. Eine heterogene Teilnehmerschaft entwickelt in der Regel eine Vielzahl an Lösungsansätzen und verhindert das Verbleiben in traditionellen Lösungskorridoren. So können etwa Biologen durch ihre Kenntnis der Fortbewegungsmechanismen von Lebewesen innovative Ansätze für Automobilantriebe einbringen. Auch wenn Interdisziplinarität und Heterogenität der Teilnehmer Voraussetzungen zur Entwicklung zielführender Ansätze darstellen, scheint die Einbeziehung von Personen ohne jeglichen Bezug zur Thematik nicht zielführend. Das heißt, man wird in der Praxis eher nicht auf Finanzmarktexperten oder Juristen zurückgreifen, um Ideen für innovative Automobilantriebskonzepte zu erhalten. Insofern sind bei der Gruppenzusammensetzung stets beide Kriterien in den Blick zu nehmen: Heterogenität und Themenbezug. Daran anknüpfend wird man die Zusammenkunft der Teilnehmer organisieren, den Moderator bestimmen - gelegentlich werden bei überwiegend unerfahrenem Teilnehmerfeld vorbereitende Übungen eingeflochten - und den Workshop unter Einhaltung kreativitätsfördernder Regeln durchführen. 40 Abbildung 14 enthält einen Auszug bewährter Regeln. Das Festhalten der in der Kreativsitzung erzeugten Ideen erleichtert die spätere Bewertung. Das Protokollieren der Ideen im Rahmen einer Brainstormingsitzung kann an Moderationswänden durch Mindmaps oder durch Videoaufzeichnungen erfolgen. Beim Brainwriting werden die Ideen nicht ausgesprochen, sondern aufgeschrieben, so dass hier eine gesonderte Aufnahme im Moment der Artikulation nicht erfolgt. Allerdings ist beim Brainwriting die Archivierung der Ideenblätter für die spätere Verarbeitung der Ansätze von großer Bedeutung. Abbildung 14: Verhaltenshinweise für Brainstormingsitzungen Eine besondere Form des Brainwritings stellt die Methode 6-3-5 dar. Hier beteiligen sich sechs Akteure an der kreativen Ideenfindung. Sie schreiben je drei Lösungsansätze auf, bevor die formulierten Ansätze an den jeweils benachbarten Teilnehmer weitergereicht werden, der die Ideen des Vorgängers aufgreift und durch eigene Ideen anreichert. Die Weitergabe der Ideenblätter erfolgt fünfmal, so dass jeder Teilnehmer jedes Ideenblatt einmal bearbeitet. 41 Der Name 6-3-5 umfasst die wesentlichen Charakteristika der Methode: sechs Teilnehmer, drei Ideen, fünfmalige Weitergabe. unerwünscht erwünscht Kritik während der Sitzung Unstrukturiertes Gesamtvorgehen Bewertung von Ideen Spontanes und wertungsfreies Einbringen von Ideen Generierung einer Vielzahl von Lösungsvorschlägen Weitergabe und Aufgreifen von Ideen innerhalb der Gruppe 40 Vergleiche Majaro (1993, S. 176). 41 Vergleiche Rohrbach (1971, S. 84 f). www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden <?page no="28"?> 1.4 Morphologischer Kasten 29 www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden Weiterführende Hinweise Unterschiedliche Fächerkulturen, aber auch ungleiche Herkunft und Verschiedenartigkeit hinsichtlich Alter und Geschlecht können die Kreativitätsentstehung positiv beeinflussen, wenn es gelingt - und darauf muss oft aktiv hingewirkt werden -, Vorurteile und Denkbarrieren abzubauen. Aus der Praxis ist allerdings auch bekannt, dass die Zusammenführung von Personen unterschiedlicher Hierarchiestufen eines Unternehmens negative Effekte auf die Ergebnisse haben kann. Denn es kann einerseits passieren, dass Vorgesetzte Brainstorming- oder Brainwritingsitzungen dominieren und - explizit oder implizit - deutlich machen, dass sie keine abweichenden Meinungen dulden. Andererseits kann man beobachten, dass Mitarbeiter Lob bei Artikulation von Ideen erwarten, die in das Weltbild des Chefs passen, oder Sanktionen befürchten, wenn sie unpopuläre Ansichten vertreten. Alle Gedanken dieser Art behindern die Entfaltung von Kreativität, da sie berechnend und nutzenorientiert sind und eher unternehmensinterne Strukturen und Verhaltensweisen widerspiegeln, als den zur Diskussion stehenden Sachverhalt in den Mittelpunkt zu rücken. 1.4 Morphologischer Kasten Problemstellung: Erarbeitung neuer Problemlösungen und Entwicklung alternativer Produkt- oder Verfahrensvarianten auf analytischem Weg Zielgruppe: F&E-Mitarbeiter, Produktionsprogrammplaner, Geschäftsfeldleiter, Stabsmitarbeiter, Produktmanager Voraussetzungen: Analytisches Geschick, kreatives Umfeld, interdisziplinäre Gruppe und Abwesenheit dominanter Vorgesetzter Zielsetzung des morphologischen Kastens Der morphologische Kasten wird im Rahmen der Ideenerzeugung im Innovationsmanagement eingesetzt. Die Methode zählt zur Gruppe der analytischen Problemlösungstechniken. Es sollen - ähnlich wie bei den Kreativitätstechniken - neue Produkte oder Prozesse erarbeitet werden, die eine Marktpositionierung erlauben, die sich deutlich von denen der Wettbewerber unterscheidet. Im Fall neuer Produkte erhofft man sich, zu erhöhter Wahrnehmung, gesteigerter Nachfrage und vergrößerter Zahlungsbereitschaft seitens aktueller und potenzieller Kunden zu gelangen. Die Liste der mit dieser Methode verbundenen Erwartungen lässt schon vermuten, dass umfangreiche Neuerungen im Leistungsangebot erforderlich sind und nicht nur geringe Modifikationen oder Designänderungen. Der morphologische Kasten unterstützt die neuartige Gestaltung des Leistungsangebotes in mehreren Dimensionen und zielt nicht auf die isolierte Veränderung eines einzelnen Subsystems. Beschreibung des morphologischen Kastens Der morphologische Kasten 42 zerlegt ein Objekt, beispielsweise ein reales oder ein in Planung befindliches Produkt, in seine Bestandteile. Diese Bestandteile können Modu- 42 Die Entwicklung zu einem schlüssigen Ansatz erfolgte durch Zwicky (1966). <?page no="29"?> 30 1 Forschung, Entwicklung und Innovationsmanagement www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden le, Komponenten oder Funktionen sein. Für jede einzelne Funktion werden verschiedenartige technische Ausgestaltungsmöglichkeiten aufgenommen. So entsteht ein morphologischer Kasten mit vielen Zeilen. In jeder Zeile findet sich eine Funktion, während in den entsprechenden Spalten die jeweiligen Ausgestaltungsalternativen aufgeführt werden. Die Anzahl der Spalten kann zwischen den Zeilen variieren. Das zu entwerfende Produkt soll alle verzeichneten Funktionen aufweisen - also alle Zeilen berücksichtigen. Die Alternativen unterscheiden sich hinsichtlich der Nutzung der konkreten Ausführungsmöglichkeiten, die durch die Spalten repräsentiert werden. Vielfach werden zu diesem Zweck Profillinien durch den morphologischen Kasten gelegt, die anzeigen, auf welche Ausprägungsalternativen einzelner Dimensionen die konkrete Produktvariante zugreift. Abbildung 15 enthält einen morphologischen Kasten für das Beispiel „Uhr“ und illustriert verschiedene Produktalternativen und entsprechende Profillinien. Abbildung 15: Beispiel eines morphologischen Kastens Der Nutzen des morphologischen Kastens besteht darin, dass man sehr unterschiedliche und auch sehr innovative Produktalternativen erzeugen und gedanklich durchspielen kann. Dabei wird nicht originär auf Kreativität, sondern auf analytische Zerlegung und systematische Kombination von Merkmalsausprägungen gesetzt, um neuartige Objekte zu kreieren. 43 Insofern verfolgt man mit dem morphologischen Kasten ähnliche Ziele wie mit den Kreativitätstechniken, schlägt aber einen anderen Weg der Entwicklung von Lösungen ein. Anwendungsbereich und Anwendungsprozess Der morphologische Kasten wird häufig in technischen Entwicklungsbereichen und in der Produktplanung eingesetzt. Das Instrument unterstützt sowohl das Erzeugen neuer Produkte als auch das Hervorbringen modifizierter Varianten oder die Weiterentwicklung bestehender Leistungsangebote. Vor allem Ingenieure, die in analytisch- 43 Vergleiche Henderson & Clark (1990, S. 10 ff). Morphologisches Schema zum Suchfeld „Uhr“ Parameter Material Energieversorgung / Uhrwerk Anzeige Komplikation / Zusatzfunktionen Tragemechanismus Stahl Gold Silber Kunststoff Holz Armbanduhr Taschenuhr Halskettenuhr Batterie / Quarzwerk Handaufzug / mechanisches Werk Automatikaufzug / mechanisches Werk analog digital Datumsanzeige Mondphasenanzeige Chronographenfunktion Varianten <?page no="30"?> 1.4 Morphologischer Kasten 31 www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden systematischem Denken geschult sind, empfinden die Methode als effizient und zielführend. Ihnen fällt es häufig leicht, komplexe Konstrukte in ihre Dimensionen zu zerlegen und Ausgestaltungsalternativen für jede Merkmalsebene zu erzeugen. Auf diese Art und Weise können komplexe Objekte auch für Nicht-Techniker verständlich gemacht werden. Das Durchkombinieren von Merkmalsausprägungen ist in der Regel ohne größeren Zeitaufwand möglich. Somit stellt sich vielfach das Gefühl ein, mit dieser Methode schneller voranzukommen, als mit dem gegebenenfalls in abgehobenen Sphären schwebenden Brainstorming. In der Praxis werden beide Ansätze auch parallel genutzt. Vor allem unter Zeitdruck versuchen Unternehmen durch Beauftragung mehrerer Teams - zum Beispiel eines mit kreativem, eines mit analytisch-systematischem Ansatz -, die Trefferwahrscheinlichkeit der Bemühungen zu erhöhen. Allerdings verschwimmen in der Realität immer wieder die Grenzen zwischen den einzelnen Verfahren. So nutzt man Kreativitätstechniken zur Erzeugung eines morphologischen Kastens, wenn man verschiedene Merkmalsausprägungen für einzelne Merkmalsebenen sucht und dabei nicht nur auf bekannte, sondern auch auf neue Lösungen abzielt. Das Vorgehen der Methode gliedert sich in fünf Schritte, die in Abbildung 16 im Überblick dargestellt sind. Abbildung 16: Vorgehensweise zur Erstellung eines morphologischen Kastens Wie bei den meisten Verfahren, muss man zunächst das zu behandelnde Objekt abgrenzen und beschreiben. Dann sollte eine Arbeitsgruppe aus technischen und Marktbeziehungsweise Anwendungsexperten gebildet werden. Diese zerlegen das Objekt in seine Funktionen beziehungsweise Merkmale und beschreiben anschließend eine hinreichende Anzahl von Merkmalsausprägungen. Daran anknüpfend werden die Objektausprägungsalternativen durch Kombination von Ausprägungen der Merkmalsebenen erzeugt. Abschließend erfolgt eine Bewertung und Priorisierung der Objektalternativen. Im Rahmen der Bewertung beleuchtet man technische, marktbezogene und organisatorische Aspekte. Das heißt, man prüft beispielsweise, ob eine bestimmte Variante kurzfristig produzierbar ist, ob weitere Entwicklungen auf Komponenten oder Systemebene erforderlich sind oder ob ausreichend Kompetenzen oder Kooperationspartner zur Realisierung der Entwicklungen zur Verfügung stehen. Vorbereitungsebene Durchführungsebene Bewertungs-/ Entscheidungsebene Festlegung der Untersuchungsobjekte Bildung der Arbeitsgruppe Beschreibung der Merkmale und Merkmalsausprägungen Synthese der Objekte durch Ausprägungskombination Bewertung der Alternativen <?page no="31"?> 32 1 Forschung, Entwicklung und Innovationsmanagement www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden Weiterführende Hinweise Der morphologische Kasten kann seine Unterstützungswirkung beim Finden einer Problemlösung, beispielsweise eines Vorschlags für ein neues Produkt, nur dann ausreichend entfalten, wenn alle relevanten Merkmalsebenen, Dimensionen und Funktionen des Objektes ausgewiesen werden, eine mit Blick auf aktuelle oder zukünftige Lösungen adäquate, vollständige und umfassende Darstellung potenzieller Merkmalsausprägungen gelingt, eine große Zahl von Merkmalsausprägungen kombiniert wird und diese Merkmalskombinationen als Objektalternativen zur Wahl stehen. Ähnlich wie bei den Kreativitätstechniken werden vor allem dann gute Ergebnisse erzielt, wenn der morphologische Kasten in interdisziplinären Arbeitsgruppen eingesetzt und entwickelt wird. 1.5 Synektik Problemstellung: Erarbeitung unkonventioneller Lösungen und Ausbrechen aus bislang genutztem Lösungsraum Zielgruppe: Technologieentwickler, Innovationsmanager, F&E-Projektleiter, Produkt- und Prozessmanager Voraussetzungen: Vertrautheit mit Kreativitätstechniken, erfahrener Moderator und hinreichende Ressourcenausstattung Zielsetzung der Synektik Die Synektik soll die Ideenfindung - beispielsweise bei der Technologieentwicklung und Produktplanung, aber auch bei Prozessinnovationen - unterstützen. Oftmals gelingt es Mitarbeitern in Innovationsprojekten nicht, radikale Neuerungen hervorzubringen, da sie sich zu stark im traditionellen beziehungsweise gewohnten Lösungsraum bewegen. Sie sind gewissermaßen Gefangene ihrer fachlichen Prägung und ihrer Erfahrungen. Daher erzeugen sie Lösungen für gestellte Herausforderungen, die häufig nicht optimal sind. An diesem Punkt setzt die Synektik als anspruchsvolle Kreativitätstechnik an. Mittels Synektik sollen der Lösungsraum erweitert und Neuerungen gefunden werden, die man im Vorfeld nicht erkennt beziehungsweise nicht erkennen kann. Beschreibung der Synektik Der Grundansatz der Synektik 44 liegt im Verständnis kreativer Prozesse begründet: Vielen Menschen ist die Situation vertraut, dass in Phasen angestrengter Überlegung - gegebenenfalls auch in Arbeitsgruppen - keine überzeugenden oder neuartigen Ideen zustande kommen, während einige Zeit später - bei der Gartenarbeit, beim Joggen oder Tennisspielen - geniale Ideen oder adäquate Lösungsmöglichkeiten entstehen. 44 Vergleiche Gordon (1961). <?page no="32"?> 1.5 Synektik 33 www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden Diese Erfahrungen decken sich mit den Ergebnissen umfangreicher Analysen. 45 Es scheint ein typisches Kennzeichen für Kreativabläufe zu sein, dass zunächst eine intensive Auseinandersetzung mit der Herausforderung erfolgt, anschließend eine Entfernung vom Problem stattfindet - durch andere Tätigkeiten oder Ortswechsel - und schließlich unwillkürlich eine Lösungsidee aufkommt. 46 Dieses kognitive Grundmuster greift die Synektik auf und will den ansonsten eher zufälligen Vorgang methodisch herbeiführen. Bekanntes soll verfremdet und Fremdes soll vertraut gemacht werden. Die Verfremdung - durchaus mehrstufig angelegt - soll das gedankliche Verlassen des angestammten Lösungsraumes ermöglichen und somit die beschriebene Entfernung vom zu bearbeitenden Problem unterstützen. Die aus dem erweiterten Lösungsfeld stammende Idee überträgt man schließlich auf das Ursprungsproblem. Dieses Grundprinzip und die entsprechenden Prozessstufen der Synektik illustriert Abbildung 17. Abbildung 17: Grundprinzip der Synektik Die Synektik wird üblicherweise in Gruppen durchgeführt, deren Mitglieder man im Vorfeld mit der Methode vertraut machen sollte, indem man ihnen Übungsmöglichkeiten für die Anwendung der Methode bietet. Die Gruppenmitglieder werden in der Regel aus unterschiedlichen Fachbereichen rekrutiert, teilweise kommen externe Experten hinzu. Ein geschulter Moderator setzt den wichtigen Verfremdungs- und Analogiebildungsprozess gezielt in Gang. Anwendungsbereich und Anwendungsprozess Die Synektik kann man in vielen Bereichen einsetzen, insbesondere dort, wo es um die Erzeugung unkonventioneller Lösungen geht. Dies ist vor allem im Technologie- und Innovationssowie im Forschungs- und Entwicklungsmanagement gefordert. Sie wird 45 Vergleiche Vahs & Brem (2013, S. 272). 46 Vergleiche Corsten, Gössinger & Schneider (2006, S. 111). Reales, durch Innovation zu veränderndes System / Aufgabenstellung Verfremdungsprozess Übertragungsvorgang auf ursprüngliche Fragestellung Konkretisierung von Lösungsansätzen I II III IV I Analyse und Abgrenzung des Problems / Neufassung der Aufgabenstellung II Analogiebildungen III Analogieanalyse und Beziehung auf Aufgabenstellung IV Ausarbeitung konkreter Lösungsmöglichkeiten <?page no="33"?> 34 1 Forschung, Entwicklung und Innovationsmanagement www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden beispielsweise bei der Suche nach neuartigen Produktfunktionen, bei der Entwicklung revolutionärer technologischer Mechanismen oder beim Design von Alternativen für bestehende Prozesse genutzt. Die Synektik eignet sich vor allem, wenn extrem andersartige Lösungen, abseits bestehender Lösungsmuster gefragt sind. Zur Initiierung kontinuierlicher Verbesserungen und inkrementeller Weiterentwicklungen von bewährten und geschätzten Lösungen ist sie weniger geeignet. Abbildung 17 macht deutlich, dass die Bildung von Analogien im Rahmen der Synektik breiten Raum einnimmt. Die Bildung von Analogien erweist sich als erfolgskritischer Aspekt. Gelingen adäquate Analogiebildungen nicht, wird man kaum gute Ergebnisse erzielen, da erst durch Analogien die Verfremdung gesteuert werden kann. Es sind unterschiedliche Formen von Analogien denkbar. Häufig werden die in Abbildung 18 dargestellten Analogiearten benannt. 47 Bei der Form der persönlichen Analogie steht die Identifikation des einzelnen Individuums mit den Einzelheiten des Problems im Mittelpunkt. Daraus soll sich eine gefühlsmäßige Projektion ergeben. Bei der direkten Analogie steht das Finden von Gemeinsamkeiten zwischen dem Problem und anderen Erscheinungen im Fokus des Problemlösers. Die symbolische Analogie versucht, in der ästhetischen und poetischen Sphäre Vergleichsobjekte aufzuspüren. Bei der Analogie durch Phantasie wird von der Annahme ausgegangen, dass Kunstschaffende aktiv sind, um in ihren Werken eigene Bedürfnisse - hier in verfremdeter Weise - zu befriedigen. Abbildung 18: Analogiearten In der Praxis - insbesondere im technologischen Umfeld - versucht man bei der Analogiesuche recht häufig, Phänomene in der Natur zu berücksichtigen, die als Impulsgeber für neue Lösungen dienen können. So wird ein bekanntes Objekt oder Problem zunächst in seine Funktionen zerlegt, bevor man für die einzelnen Funktionen in der Natur oder in anderen Technikbereichen nach Lösungsmöglichkeiten sucht. Die gefundenen Lösungsansätze werden dann in ihrer grundsätzlichen Wirkungsweise beschrieben und das Grundprinzip auf die zu lösende Aufgabe übertragen und so angepasst, dass das Betrachtungsobjekt schließlich über das gewünschte Merkmal verfügt. Zahlreiche Beispiele sind bekannt, die auf diesem Weg zu technischen Neuerungen und Verbesserungen geführt haben: So lässt man sich bei Schiffsrumpfgestaltun- 47 Vergleiche Geschka & Lantelme (2005, S. 292 f). Analogie Direkte Analogie Symbolische Analogie Analogie durch Phantasie Persönliche Analogie <?page no="34"?> 1.6 TRIZ 35 www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden gen von Fischformen oder bei schmutzunempfindlichen Gebäudefassadengestaltungen von Wüstenpflanzen und deren spezifischen Oberflächen inspirieren. Weiterführende Hinweise In der Praxis sehen sich Moderatoren von Synektikgruppen häufig mit der Forderung nach schnellen Lösungen konfrontiert. Dies kann die Synektik in der Regel nicht leisten. Auch gelingt es typischerweise nicht, im Vorhinein anzudeuten, aus welchem Bereich eine potenzielle Lösung stammen könnte, um das Management in die Lage zu versetzen, etwaige Vorbereitungen bereits zu treffen. Die Methode beansprucht eine gewisse Zeit, sollte durch erfahrene Personen umgesetzt werden, bedingt die Beachtung förderlicher Regeln - zum Beispiel keine Kritik an den Ideen während der Sitzung - und ist ergebnisoffen. Die Analogiebildung nimmt eine Schlüsselrolle im gesamten Verfahren ein. Misslingt die mehrstufige Analogiebildung und das schrittweise Verlassen des ursprünglichen Lösungsraumes, werden keine innovativen Ideen erzeugt. Auf diese Grundlogik müssen Synektik-Gruppen und Synektik-Moderatoren immer wieder verweisen. Das frühzeitige Adaptieren naheliegender, vielleicht auch machbarer Lösungen, sollte nicht vorschnell erfolgen, da eine detaillierte Suche in der Regel bessere Lösungen erzeugt. Allerdings sind dafür Ressourcen - Zeit, Personal und gegebenenfalls Sachmittel - bereitzustellen, da die Analyse von Wirkungsweisen und Wirkungsmechanismen in der Natur durchaus aufwändig sein kann. 1.6 TRIZ Problemstellung: Lösung komplexer, vorwiegend technologischer Probleme mittels systematischer Erfindertätigkeit Zielgruppe: Technologieplaner, Innovationsmanager, F&E-Mitarbeiter, F&E- Leiter, Produktmanager Voraussetzungen: Vertrautheit mit Kreativitätstechniken, hinreichende Methodenkenntnis, gute analytische Fähigkeiten und präzise Problembeschreibung Zielsetzung von TRIZ TRIZ ist eine Methode zum erfinderischen Problemlösen oder zum planmäßigen Erfinden. Sie kombiniert analytische und intuitive Elemente und zielt auf die Lösung bedeutsamer Probleme ab. Für einfache Herausforderungen, die keiner originären Erfindung bedürfen, ist die Methode nicht geeignet. Ebenso stiftet TRIZ im Bereich der Grundlagenforschung keinen Nutzen, in dem es auf die Entdeckung grundlegender naturwissenschaftlicher Zusammenhänge ankommt. Sie ist vielmehr auf die klassische Erfindungstätigkeit ausgerichtet. Die Methode unterstützt Ingenieure, aber auch andere Problemlöser bei der Erzeugung innovativer Ansätze. TRIZ bietet ein Repertoire an Lösungswegen, das die Entwicklung von Neuartigem unterstützen soll. Dabei steht nicht die Kreativität im Mittelpunkt, sondern die Überzeugung, dass technische Entwicklungen - egal aus welchem Fachgebiet oder mit welchem Neuerungsumfang - einer gewissen Logik folgen und dass man die dieser Logik zugrundeliegenden Prinzipien auch auf andere Probleme anwenden und damit Neuartiges hervorbringen kann. Der Erfinder wird mit Hilfe der Methode inspiriert, in bestimmte Lösungsräume vor- <?page no="35"?> 36 1 Forschung, Entwicklung und Innovationsmanagement www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden zudringen und spezielle Lösungsansätze zu erproben, um schließlich konkrete Lösungen selbst zu kreieren. In TRIZ geschulte Mitarbeiter können in der Praxis sehr effektiv und effizient Erfindungen hervorbringen. Beschreibung von TRIZ Die Bezeichnung TRIZ wurde aus dem Russischem übertragen: TRIZ steht für das Akronym und dieses für , was so viel wie Theorie des erfinderischen Problemlösens bedeutet. TRIZ verbindet ein systematisches Vorgehen mit kreativen Elementen, ermöglicht in gewissem Maße die Schul- und Erlernbarkeit von Erfindungstätigkeit und verhindert ein unkoordiniertes Herumstochern im vermeintlichen Lösungsraum durch Versuch und Irrtum. Die Methode geht auf den russischen Ingenieur und Wissenschaftler Genrich Saulowitsch Altschuller zurück. Durch umfangreiche Patentanalysen - die auch nach Altschuller Fortsetzung fanden - kam er zu dem Schluss, dass sich technische Systeme erstens gemäß bestimmter verallgemeinerbarer Muster entwickeln, dass Erfindungen zweitens immer wieder die Auflösung von Widersprüchen innewohnt und dass drittens ein vergleichsweise geringer Umfang abstrakter Lösungsprinzipien genügt, um eine Vielzahl von Erfindungen zu erklären. 48 Offenkundig waren diese Erkenntnisse dazu geeignet, eine Art Algorithmus für erfolgreiche Erfindertätigkeit abzuleiten. Altschuller formulierte acht Gesetze der Entwicklung von technischen Systemen, die es erlauben, technologische Entwicklungen nachzuvollziehen und auch vorauszudenken. Sie bilden gewissermaßen Evolutionsmuster technischer Systeme. Im Folgenden sind die acht Gesetze angeführt: 49 [1] Gesetz zur Vollständigkeit der Teile eines technischen Systems, [2] Gesetz zur energetischen Leitfähigkeit eines technischen Systems, [3] Gesetz zur Rhythmik der Teile eines technischen Systems, [4] Gesetz zur Erhöhung des Grades der Idealität eines technischen Systems, [5] Gesetz zur Ungleichmäßigkeit der Entwicklung der Teile eines Systems, [6] Gesetz zum Übergang in ein Obersystem, [7] Gesetz zum Übergang von der Makroebene zur Mikroebene, [8] Gesetz zur Erhöhung des Anteils von Stoff-Feld-Systemen. So besagt etwa das erste Gesetz, dass ein technisches System nur lebensfähig ist, wenn es über alle seine Hauptbestandteile verfügt und mindestens eine minimale Funktionsfähigkeit aufweist. Das vierte Gesetz beschreibt, dass technische Systeme in ihrer Entwicklung zu einem Ideal hinstreben - sie werden ohne Beeinflussung ihrer Grundfunktionalität beispielsweise in Richtung geringer Energiebedarf und geringerer Bauraum entwickelt. Das fünfte Gesetz macht deutlich, dass die Entwicklungsgeschwindigkeiten der Teile eines Systems in der Regel unterschiedlich ausfallen. Das sechste Gesetz geht von der Erkenntnis aus, dass bei Erreichen der Entwicklungsgrenze eines Systems dieses in ein Obersystem integriert wird und die Weiterentwicklung auf Obersystem ebene erfolgen kann. Gesetz sieben zeigt, dass sich Entwicklungen zuerst auf der Makro- und später auf der Mikroebene vollziehen. 48 Vergleiche Pannenbäcker (2001, S. 195 ff). 49 Vergleiche Altschuller (1984, S. 124 ff). <?page no="36"?> 1.6 TRIZ 37 www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden Die unvollständige Beschreibung der Gesetze verdeutlicht schon den Leitgedanken, grundlegende und allgemeingültige Entwicklungsmuster aufdecken zu wollen. Die Relevanz dieser Gesetze lässt sich aufgrund ihrer unmittelbaren Verständlichkeit und mit Bezug auf individuelle Erfahrungen problemlos erklären: Technologische Innovationen, deren Peripherie noch nicht entwickelt ist, bleibt die Anwendung versagt (Gesetz 1). Bekannte technologische Systeme wie Fahrzeuge, Kühlschränke oder Waschmaschinen werden auf geringeren Energieverbrauch getrimmt (Gesetz 4). Die Sensortechnik - wie auch viele andere Bereiche des Maschinenbaus - entwickelte sich im Makroumfeld und findet seit einiger Zeit verstärkte Anwendung durch Miniaturisierungsanforderungen (Gesetz 7). Anwendungsbereich und Anwendungsprozess TRIZ-Anwendungsfelder sind insbesondere im Rahmen der Ideenerzeugung und der Innovationsschöpfung zu sehen. Die Methode lenkt den Blick in gegebenenfalls zuvor nicht bekannte Richtungen. Aber auch im Rahmen von Technologieanalysen wie in der Technologievorausschau kann TRIZ Einsatz finden. Wird doch in der Technologievorausschau versucht, die künftige technologische Entwicklung vorherzusehen. Zu diesem Zweck werden verschiedene Informationsquellen ausgewertet und schwache Signale gesucht und interpretiert, also Indizien, die auf eine bestimmte Entwicklung hindeuten. Häufig gelingt es nicht, ausreichend viele und zuverlässige Quellen für schwache Signale aufzuspüren und zu nutzen. In dieser Situation kann man mittels TRIZ vorausdenken und antizipieren, welche Entwicklungsrichtungen der Technologien möglich wären. Häufig wird der Analytiker damit nicht ganz verkehrt liegen, weil auch Entwickler TRIZ zur Realisierung ihrer Entwicklungstätigkeit nutzen. In der Unterstützung der Entwicklungstätigkeit in Forschungs- und Entwicklungsabteilungen besteht das Hauptanwendungsfeld der Methode, wie in Abbildung 19 verdeutlicht. Abbildung 19: Einsatzfelder der TRIZ-Methode In Theorie und Praxis existieren Vorgehensmodelle zur Problemlösung mit TRIZ, die als zentralen Ansatz die Überwindung von Widersprüchen nutzen. Dabei geht man von der Annahme aus, dass Neuerungen konflikt- und widerspruchsgeladen sind. Zur Überwindung der Widersprüche wird ein mehrstufiges Umformungssystem bereitgehalten, das 40 Verfahrensprinzipien zur Lösung technischer Widersprüche umfasst. 50 50 Vergleiche Altschuller (1984, S. 86 ff). TRIZ Analyse- und Vorausschauinstrument für technologische Entwicklungspfade Methodik zur Unterstützung der Erfindertätigkeit Technologie- Controllingwerkzeug zur Überprüfung <?page no="37"?> 38 1 Forschung, Entwicklung und Innovationsmanagement www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden Diese vierzig Prinzipien entstammen intensiver Patentanalyseaktivitäten. Die Sichtung und Durchdringung einer Vielzahl von Patentoffenlegungsschriften führten zu der Erkenntnis, dass immer wieder ähnliche Prinzipien der Entwicklung genutzt werden, 51 wobei die Grundsätze durch Abstraktion allgemein formuliert werden konnten. Eine Widerspruchsmatrix enthält zum einen verschiedene standardisierte Parameter, welche die Entwicklungsaufgabe kennzeichnen können. Zum anderen unterstützt sie die Auswahl der geeigneten Verfahrensprinzipien - vom ersten Prinzip der Zerlegung bis zum vierzigsten Prinzip der Nutzung zusammengesetzter Stoffe - in Abhängigkeit von der jeweils vorliegenden Situation. Besteht zum Beispiel die technische Herausforderung darin, ein langes Objekt sehr stabil auszuführen, ist dies unter Umständen nicht leicht möglich. Beispielhaft sei eine transportable, lange und dünnwandige Rohrleitung genannt. Bei diesem Objekt besteht die Gefahr, dass sie während des Transports knickt. Das heißt, Länge eines beweglichen Objektes (Parameter 3) und Stabilität der Zusammensetzung eines Objektes (Parameter 13) können einen Widerspruch bilden wie in Abbildung 20 dargestellt. Der Entwickler steht vor der Herausforderung, dieses Problem zu lösen. Die Verfahrensprinzipien 1 und 5 - „Prinzip der Zerlegung“ und „Prinzip der Kopplung“ - können dabei helfen. Die Rohrleitung wird nicht aus einem Stück gefertigt, sondern in koppelbare Segmente zerlegt. Somit kann man sehr lange Leitungen durch Aneinanderkoppeln einer Vielzahl von Rohrsegmenten herstellen. Während des Transports ist die Stabilität des Objektes nicht gefährdet, da die Segmente vorher entkoppelt werden und dadurch nicht der Knickgefahr unterliegen. Abbildung 20: TRIZ-Widerspruchsmatrix Durch das Beschreiben der Situation mittels der Parameter und unter Anwendung der empfohlenen Verfahrensprinzipien lassen sich verschiedene Problemlösungen finden. Das Verfahrensprinzip legt dabei noch nicht die vollständige Lösung offen, sondern stimuliert die Kreativität, welche die konkrete Ausgestaltung der Problemlösung hervorbringen soll. 51 Vergleiche Möhrle (2002, S. 131). sich verbessernde Parameter sich verschlechternde Parameter 1. Masse des beweglichen Objektes / / 1,5 ... ... / / / / / 2. Masse des statischen Objektes 3. Länge der beweglichen Objekte 13.Stabilität der Zusammensetzung eines Objektes 19.Energieverbrauch der beweglichen Objekte ... ... 1. Masse des beweglichen Objektes 2. Masse des statischen Objektes 3. Länge der beweglichen Objekte 13.Stabilität der Zusammensetzung eines Objektes 19.Energieverbrauch der beweglichen Objekte <?page no="38"?> 1.7 Technologielebenszyklus und S-Kurve 39 www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden Weiterführende Hinweise Vor dem Hintergrund der durch TRIZ-basiertes Erfinden erzielten Erfolge werden gelegentlich sehr hohe, teilweise unrealistische Forderungen an die Methode gestellt. TRIZ kann die Problemlösung im technischen Bereich unterstützen, aber nicht das Finden einer optimalen Lösung garantieren. Auch die Forderung, betriebswirtschaftliche Gesichtspunkte innerhalb des Entwicklungsprozesses zu berücksichtigen, kann TRIZ nicht erfüllen, da es nicht das primäre Ziel dieser Methode ist, Kosten- und Nutzenaspekte in ein optimales Verhältnis zu bringen. Die unterschiedlichen Verfahrensprinzipien bilden einerseits einen großen Raum an verschiedenen Lösungsmodellen und dürften damit die vom Erfinder gesehenen Lösungsmöglichkeiten erweitern. Andererseits beschränken sie möglicherweise durch das Aha-Erlebnis, wie unerwartet groß der Lösungsraum durch TRIZ ist, das Denken in andere Richtungen. Wie bei nahezu jeder betriebswirtschaftlichen Methode können nur geschulte und im Umgang mit dem Instrument erfahrene Anwender das Potenzial der Methode zur Gänze nutzen. Dies scheint insbesondere für TRIZ zuzutreffen. Allerdings besteht bei umfassenden Methoden wie TRIZ die Tendenz zur Abgeschlossenheit. Geschulte TRIZ- Anwender verstehen sich häufig als TRIZianer und als Apostel dieses Ansatzes und schotten sich gegenüber anderen Lösungsansätzen und Vorgehensweisen ab. Hierin besteht eine Gefahr für Unternehmen. Denn diese sollen nicht nur innovative Produkte und Verfahren, sondern auch die betriebswirtschaftliche Planung und den Innovationsprozess betreffende Neuerungen hervorbringen. Einer möglichen retardierenden Wirkung der Fangemeinde einer einzelnen Problemlösungstechnik sollte man durch methodische Heterogenität im Innovationswesen begegnen. 1.7 Technologielebenszyklus und S-Kurve Problemstellung: Bewertung von Gegenwarts- und Zukunftstechnologien, Zuweisung von F&E-Projektbudgets und Bewertung von Produktprogrammen Zielgruppe: F&E-Leiter, Produktprogrammmanager, Produktionstechnologen, Fabrikplaner, Technologie-Controller Voraussetzungen: Möglichkeit zur objektiven Bewertung der Leistungsfähigkeit von Technologien und Beschaffung von Daten zu F&E-Aufwendungen Zielsetzung des Technologielebenszyklus und der S-Kurve Lebenszyklusmodelle haben sich in vielen Bereichen der strategischen Analyse und Planung als hilfreiche Instrumente etabliert. 52 In der Produktplanung wird mit Hilfe des Gedankenmodells und der dazugehörigen Darstellung vom Produktlebenszyklus verdeutlicht, in welcher Lebensphase sich ein Produkt befindet. Wie in Kapitel 5.8 erörtert wird, lassen sich daraus spezielle Marketingmaßnahmen, aber auch die Anforderungen an die Produktentwicklung für zum Beispiel Nachfolgemodelle der aktuellen Produkte ableiten. Auch ganze Unternehmen, Märkte, Branchen oder Kooperationen können unter dem Blickwinkel des Lebenszyklus betrachtet werden. Somit stellt sich 52 Vergleiche Höft (1992, S. 74 ff). <?page no="39"?> 40 1 Forschung, Entwicklung und Innovationsmanagement www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden auch bei aktuellem Wachstum eines Objektes die Erkenntnis ein, dass Höhenflüge von Planungsgegenständen endlich sind. Das Lebenszyklusmodell stammt nicht aus der Betriebswirtschaftslehre, sondern wurde der Biologie entlehnt. Der Gedanke war so griffig, verständlich und leicht kommunizierbar und erwies sich als auf betriebswirtschaftliche Planungsgegenstände übertragbar, dass die Adaption und Ausbreitung innerhalb der Betriebswirtschaftslehre zu Selbstläufern wurden. Auch im Rahmen des Technologie- und Innovationsmanagements haben sich Lebenszyklusmodelle durchgesetzt. Ihr primäres Ziel liegt in der Sensibilisierung von Mitarbeitern für die Endlichkeit der Nutzungsdauer von Objekten wie einer Technologie. Die Methode schärft den Blick, dass man nach Fertigstellung des aktuellen Entwicklungsprojektes schon die Entwicklungsaufgabe der nächsten Produkt- oder Technologiegeneration initiieren sollte. Lebenszyklusmodelle unterstützen Akteure in Entscheidungssituationen, die Ressourcenzuweisungen für verschiedene Entwicklungsprojekte zum Gegenstand haben. Soll etwa ein bestimmter Geldbetrag in die Weiterentwicklung und Perfektionierung einer bekannten, in der Anwendung befindlichen Technologie investiert werden, oder sollten diese Mittel für die Entwicklung einer anderen, völlig neuen Technologie Verwendung finden? Beschreibung des Technologielebenszyklus und der S-Kurve Technologielebenszyklen treten in unterschiedlichen Formen auf und nutzen verschiedene Messgrößen. So werden mit dem Begriff des Technologielebenszyklus sowohl Modelle des Technologielebenszyklus im engen Sinne als auch die so genannte S- Kurve umschrieben. Als Technologielebenszyklus im engen Sinne bezeichnet man üblicherweise den Grad der Technologieausbreitung im Zeitablauf. 53 Abbildung 21 illustriert diesen Gedanken. 54 Abbildung 21: Technologielebenszyklus 55 53 Vergleiche Specht & Möhrle (2002, S. 356). 54 Vergleiche zum diffusionsbezogenen Lebenszyklusmodell Ford & Ryan (1981, S. 120) und zum wettbewerbspotenzialbezogenen Ansatz Michel (1990, S. 67). 55 Modifiziert nach Ford & Ryan (1981, S. 120). I II III IV V VI t I Technologieentstehung II Entwicklung der Anwendungsreife III Anwendung / Einsatz IV Anwendungswachstum V Technologiereife VI Technologiedegeneration Grade der Technologieausbreitung t <?page no="40"?> 1.7 Technologielebenszyklus und S-Kurve 41 www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden Dabei wird deutlich, dass neue Technologien zu Beginn in der Regel geringe Wachstumsraten aufweisen, da sie beispielsweise noch sehr teuer sind und noch nicht die vollständige Anwendungsreife und geforderte technische Perfektion erreicht haben, oder da die benötigte technische Peripherie noch nicht bereit steht. Häufig breiten sich überlegene Technologien anschließend mit hohen Wachstumsraten aus. Diese werden bei Erreichen eines hohen Sättigungsgrades abflachen und schließlich in einen Rückgang der Ausbreitung münden. Der Rückgang des Ausbreitungsgrades wird durch das Aufkommen von Konkurrenztechnologien und durch die Verdrängung alter durch neue Technologien befördert. In Abhängigkeit von der Lebenszyklusphase kann man auf verschiedene Normstrategien zurückgreifen und diese für die Bereiche Patentierung, Marketing oder Produktentwicklung nutzen. Die Technologie-S-Kurve stellt nicht auf die Verbreitung einer Technologie oder erzielbare beziehungsweise erzielte Erlöse ab, sondern zeigt die Entwicklung der technologischen Leistungsfähigkeit in Abhängigkeit vom eingesetzten, kumulierten Forschungs- und Entwicklungsaufwand. 56 Der Verlauf nimmt häufig eine dem Buchstaben „S“ ähnliche Form an. Abbildung 22 stellt diesen Zusammenhang schematisch dar. Abbildung 22: S-Kurve 57 Das S-Kurven-Modell macht deutlich, dass zu Beginn des Lebenszyklus vergleichsweise hohe Aufwendungen erforderlich sind, um geringe Fortschritte zu erzielen. Ist einmal eine kritische Schwelle überschritten, führen weitere Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten pro eingesetzter F&E-Aufwands-Geldeinheit zu deutlich höheren Zuwächsen der technologischen Leistungsfähigkeit. Ab dem Wendepunkt weisen die Leistungszuwächse immer noch eine beträchtliche Höhe auf, nehmen aber wieder ab. Nahe der naturwissenschaftlich-technischen Leistungsfähigkeitsgrenze, der sich die reale Leistungsfähigkeit asymptotisch annähert, sind hohe Forschungs- und Entwicklungsaufwendungen zur Erzielung kleinster Leistungssteigerungen erforderlich. 56 Vergleiche Krubasik (1982, S. 29). 57 Modifiziert nach Krubasik (1982, S. 29). derzeitiger Leistungsstand Technologische Entwicklungspoten iale alte Technologie neue Technologie Technologieleistungsfähigkeit kumulierter F&E-Aufwand <?page no="41"?> 42 1 Forschung, Entwicklung und Innovationsmanagement www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden Die S-Kurve verdeutlicht Entscheidern im Technologie- und Innovationsmanagement, dass die Bereitstellung von Ressourcen zur Weiterentwicklung bereits ausgereifter Technologien im Hinblick auf deren Leistungsfähigkeit nur noch sehr geringe Verbesserungen hervorrufen wird. Alternativ können diese finanziellen Mittel bei anderen, neuen Technologien - die möglicherweise noch deutlich unter dem Leistungsniveau der etablierten oder alten Technologie liegen - zu einer Leistungssteigerung, ja womöglich zur leistungsseitigen Überflügelung der alten Technologie führen. Die S- Kurve dürfte häufig dazu animieren, den Mut zur Fokusverschiebung beziehungsweise zum Technologiewechsel aufzubringen. Knappe Ressourcen können vor dem Hintergrund der entsprechenden Erkenntnisse effektiver eingesetzt werden. Anwendungsbereich und Anwendungsprozess Technologielebenszyklus und S-Kurve werden vor allem in der Technologiefrühaufklärung, der Technologieplanung und dem Technologie-Controlling eingesetzt. Innerhalb der Technologiefrühaufklärung helfen sie bei der Bewertung von Technologien und unterstützen gegebenenfalls auch bei der Einordnung in Technologie-Roadmaps. In der Technologieplanung stiften sie Nutzen bei der Erstellung des F&E-Projektportfolios, wobei hier folgende Frage im Mittelpunkt steht: Welche Forschungs- und Entwicklungsvorhaben sollen in nächster Zeit verfolgt und welche nicht weiter bearbeitet werden? Auch im Technologie-Controlling kann weniger planerisch denn überwachend nach dem effektiven und effizienten Mitteleinsatz gefragt werden. Die S-Kurve kann hier zum Teil Aufschluss geben. Der in Abbildung 23 beschriebene Prozess zur Erstellung von Technologie-S-Kurven, die vermutlich eine noch größere Verbreitung haben als die Technologielebenszyklen im engen Sinne, beginnt mit der Abgrenzung der einzubeziehenden Technologien. Abbildung 23: S-Kurven-Analyseprozess Grundsätzlich kann für alle derzeit in Entwicklung und Nutzung befindlichen Technologien wie auch für die von anderen Institutionen entwickelten und für das eigene Unternehmen interessant erscheinenden Technologien eine S-Kurven-Analyse und eine S-Kurven-Betrachtung erfolgen. Allerdings kann man aufgrund methodischer und ressourcenbedingter Restriktionen nicht alle Technologien untersuchen. Insofern muss man in der Praxis eine Auswahl treffen. Daran anknüpfend werden die Daten zu den erbrachten Forschungs- und Entwicklungsaufwendungen und zu den erreichten Leistungsniveaustufen für die selektierten Technologien erfasst, zugeordnet und in eine S- Kurven-Darstellung überführt. Im Rahmen dieser Analysen werden zunächst Messkriterien für die technologische Leistungsfähigkeit benannt und anschließend vorhandene beziehungsweise zugängliche Daten zusammengetragen oder durch eigene Versuche erzeugt. Zudem gilt es, die naturwissenschaftlich-technische Leistungsgrenze der einzelnen Technologien zu ermitteln oder wenigstens abzuschätzen. Daran schließen sich die strategischen Ableitungen beispielsweise zur Ressourcenallokation an. Auswahl von Technologien Prognose des Kurvenverlaufs Datenerfassung zu Leistungsfähigkeit und F&E-Aufwand Bestimmung der Leistungsgrenzen Ableitung von Maßnahmen <?page no="42"?> 1.8 Nutzwertanalyse 43 www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden Weiterführende Hinweise Lebenszyklus- und S-Kurven-Modelle sind sehr hilfreiche Methoden. Allerdings kann ihre isolierte Anwendung zu Fehlentscheidungen führen. Innerhalb der S-Kurven- Logik kann es sinnvoll sein, keine Forschungs- und Entwicklungsressourcen mehr in die Weiterentwicklung einer Technologie zu investieren, die sich nahe an ihrer Leistungsgrenze befindet. Unter Umständen wäre es aber rational, diese Investition zu tätigen. Beispielsweise dann, wenn durch die zusätzliche Forschungs- und Entwicklungstätigkeit eine Leistungsfähigkeit erreicht würde, die es erst ermöglicht, diese Technologie auch in bisher nicht genutzte Anwendungsfelder einzubringen und damit den Querschnittscharakter der Technologie zu erhöhen und unter Umständen eine breitere Basis an Objekten zu erzeugen, die für finanzielle Rückflüsse sorgen könnten. Das Vorgehen wäre insbesondere dann zu empfehlen, wenn die Konkurrenztechnologie trotz höherer Leistungsgrenze nur ein sehr eingeschränktes Anwendungsgebiet besäße. Der kombinierte und ausgewogene Einsatz verschiedener Planungsinstrumente erweist sich in der Regel als erfolgreich. Ferner ist die Erstellung von S-Kurven retrospektiv leicht möglich. Allerdings ist die exakte Erfassung des aktuellen Standes einer Technologie auf ihrer S-Kurve recht schwierig. Dies liegt insbesondere an der im Voraus häufig nicht genau bestimmbaren Leistungsgrenze der Technologie wie auch der schwierigen Vorhersagbarkeit des künftigen Kurvenverlaufs - eher steil oder eher flach, weniger oder mehr S-förmig. 58 Es handelt sich bei der S-Kurve insofern nicht um einen naturgesetzlichen Zusammenhang, der immer in gleicher Form auftritt, sondern um ein Phänomen, das in der Praxis in verschiedenen Varianten beobachtet werden kann. Daher kann diese betriebswirtschaftliche Methode allenfalls Orientierung geben, aber keine exakten Prognoseergebnisse liefern. 1.8 Nutzwertanalyse Problemstellung: Bestimmung einer vorteilhaften Alternative aus mehreren Lösungsmöglichkeiten unter Berücksichtigung verschiedener Zielsetzungen Zielgruppe: Technologie- und Innovationsmanager, F&E-Leiter, Produktionsoptimierer, Fabrikplaner, Portfolio- und Produktprogrammmanager Voraussetzungen: Klarheit über das Zielsystem des Unternehmens oder Unternehmensbereiches, Verfügbarkeit von Mess- und Transformationsvorschriften und Bewertungs-Know-how Zielsetzung der Nutzwertanalyse Die Nutzwertanalyse ist ein mehrdimensionales Bewertungsverfahren. Sie unterstützt die Auswahl des für den Beurteilenden vorteilhaftesten Objektes aus einer Menge alternativer Konstrukte. Technologie-, Forschungs-, Entwicklungs- und Innovationsplanung sollen in einem ersten Schritt stets mehr Vorschläge für innovative Vorhaben erarbeiten, als aufgrund von Budgetrestriktionen im Weiteren realisierbar sind. Bei nahezu 58 Vergleiche zu Kurvenverläufen Wissema (1982, S. 27 ff). Beispiele finden sich auch bei Foster (1986, S. 135) <?page no="43"?> 44 1 Forschung, Entwicklung und Innovationsmanagement www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden jeder systematischen Problemlösung und Planung wird davon ausgegangen, dass verschiedene Vorschläge erzeugt werden müssen, aus denen im weiteren Planungsfortgang in einem separaten Bewertungsschritt die beste Lösung bestimmt wird. Durch die Anwendung von Kreativitätstechniken oder analytischen Problemlösetechniken - wie das in Kapitel 1.3 beschriebene Brainstorming oder der in Kapitel 1.4 vorgestellte morphologische Kasten - werden viele unterschiedliche Möglichkeiten für Produkt- oder Prozessinnovationen aufgezeigt. Die Nutzwertanalyse unterstützt die Auswahl der besten Variante, so dass diese der eigentlichen Forschungs- und Entwicklungstätigkeit zugeführt werden kann. Beschreibung der Nutzwertanalyse Die Nutzwertanalyse zählt zur Gruppe der mehrdimensionalen und qualitativen Bewertungsmethoden. Mehrdimensional heißt, dass sie sich bei ihrer Bewertung nicht nur an einer Bewertungsgröße orientiert, sondern verschiedene Kriterien zur Beurteilung der Alternativen nutzt. Qualitativ meint, dass auch nicht unmittelbar quantifizierbare Merkmale über die Transformation in ein Skalensystem als Bewertungskriterien herangezogen werden können. Beide Aspekte - mehrdimensional und qualitativ - zielen darauf, eine möglichst umfassende, alle relevanten Aspekte berücksichtigende Beurteilung zu erhalten. Dabei verfolgt man mit der Nutzwertanalyse nicht das Ziel, die allgemeingültig beste Alternative zu erkennen. Man setzt sie vielmehr ein, um die Vorteilhaftigkeit einer Option zu bestimmen, die auf individuelle Bedürfnisse und Präferenzen des Bewertenden verweist. Diese individualisierte Bewertung wird durch die freie Bestimmung der einzubringenden Alternativen, die Festlegung der gewünschten Bewertungskriterien und die Zuweisung verschiedener Gewichtungen für unterschiedliche Bewertungskriterien erreicht. 59 Das bedeutet, dass die Bewertung einer Anzahl identischer Objekte durch zwei verschiedene Anwender der Nutzwertanalyse zu völlig unterschiedlichen Ergebnissen führen kann, wenn beide Personen unterschiedliche Präferenzen und Anforderungen haben. Das ist keine Schwäche der Methode, wie häufig hervorgehoben wird, sondern vielmehr ihre Stärke. Anwendungsbereich und Anwendungsprozess Die Nutzwertanalyse kann in vielen Bereichen Anwendung finden: bei Investitionsentscheidungen in der bestehenden Produktion, bei Fabrikplanungsprojekten oder bei Standortentscheidungen, aber auch bei Entscheidungen über zu verfolgende Forschungs- und Entwicklungsprojekte und zu etablierende Technologiestrategien. Gerade im Technologie-, Forschungs-, Entwicklungs- und Innovationsmanagement, wo man häufig Alternativen bewertet, deren Eigenschaften schwer quantifizierbar sind, spielt die Nutzwertanalyse ihre Stärken aus und empfiehlt sich als umfassende und gut strukturierte Entscheidungsunterstützung, die bei ausführlicher Dokumentation der einzelnen methodischen Schritte auch für an der Entscheidungsfindung nicht beteiligte Akteure nachvollziehbar ist. Wie die meisten betriebswirtschaftlichen Methoden, gliedert sich auch die Nutzwertanalyse in mehrere Stufen. 60 Zunächst muss man die zu bewertenden Alternativen aufnehmen. Diese können aus vorgelagerten Recherchen, Kreativitäts-Workshops oder 59 Vergleiche zum Aufbau der Nutzwertanalyse Zangemeister (1971, S. 159). 60 Vergleiche Specht & Möhrle (2002, S. 196). <?page no="44"?> 1.8 Nutzwertanalyse 45 www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden Abbildung 24: Beispielhafte Beurteilungskriterien und Beurteilungszielsysteme Verfahren der analytischen Problemlösung stammen. Im Weiteren wird man die relevanten Bewertungskriterien definieren. Wie in Abbildung 24 verdeutlicht, muss man auf die Bereitstellung operationalisierbarer Größen hinwirken. Häufig sucht man in diesem Zusammenhang griffige Subkriterien, die eine präzise und unmissverständliche Bewertung zulassen. Dies ist erforderlich, da anderenfalls keine valide Messung möglich ist. Bei der Kriteriensuche und Kriterienauswahl sollte man auch einen Abgleich mit dem Zielsystem des Unternehmens und Unternehmensbereiches beziehungsweise mit der Abteilung und mit den in die Zukunft gerichteten Strategien vornehmen. In Großunternehmen handelt es sich dabei im Allgemeinen um eine Gruppenleistung, da es für einzelne Mitarbeiter kaum möglich ist, Strategien anderer Bereiche aufzunehmen und zu deuten. Im nächsten Schritt erfolgt die Gewichtung der als relevant eingestuften Bewertungskriterien. Dies ist in der Praxis ein aufwändiger und teilweise auch konfliktträchtiger Abstimmungsprozess zwischen den Beteiligten, in dem sich der Einsatz eines objektiven Moderators, beispielsweise aus einer Stabs- oder Steuerungsabteilung des Unternehmens, als förderlich erweisen kann. Anschließend werden Transformationsvorschriften entwickelt, die es erlauben, sowohl qualitative als auch quantitative Merkmale in ein Skalensystem zu überführen. Letzteres illustriert Abbildung 25. Abbildung 25: Beispiel einer Transformationsfunktion Legende Relativ- Gewicht Bezeichnung Absolut- Gewicht 1 Oberziel / Oberkriterium 1 0,4 Ziel1 / Kriterium1 0,4 0,6 Ziel2 / Kriterium2 0,6 0,4 0,16 0,3 0,12 0,3 0,12 0,2 0,12 0,8 Unterkriterium 0,48 0,5 Messgröße3 / Kriterium3 Messgröße1 / Kriterium1 Messgröße2 / Kriterium2 Messgröße4 / Kriterium4 Messgröße5 / Kriterium5 0,24 0,5 Messgröße6 / Kriterium6 0,24 10 20 30 40 50 60 70 0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 quantitative Messgröße Skalenwert 80 90 0 <?page no="45"?> 46 1 Forschung, Entwicklung und Innovationsmanagement www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden Auf diesen Schritten aufbauend erfolgt die eigentliche Bewertung. Die zu bewertenden Objekte werden schrittweise begutachtet, 61 und ihnen wird durch Anwendung der relevanten Transformationsvorschrift ein Wert zugewiesen, der mit der Gewichtung des Kriteriums multipliziert wird. Der solcherart gewichtete Wert wird zum Teilnutzwert des Objektes im Hinblick auf das einzelne Bewertungskriterium. Dieses Vorgehen wiederholt man für alle Bewertungskriterien. Am Ende dieser Phase sind alle zu bewertenden Objekte für jedes Bewertungskriterium mit einem Teilnutzwert versehen. Die Addition aller Teilnutzwerte ergibt den Gesamtnutzwert eines Objektes wie in Abbildung 26 dargestellt. Der Vergleich der Gesamtnutzwerte aller Alternativen führt zum Erkennen der vorteilhaftesten Variante, wobei man in der Praxis üblicherweise das Objekt mit dem höchsten Gesamtnutzwert präferiert. Abbildung 26: Berechnungsmuster Nutzwertanalyse Weiterführende Hinweise Die Gesamtnutzwerte werden quantitativ ausgewiesen. Anwender der Nutzwertanalyse sollten nicht der Versuchung erliegen, Alternativen mit nur marginal höheren Werten als die Vergleichsobjekte zu Gewinnern zu küren. Dicht beieinanderliegende Alternativen sollten einer weiteren Prüfung - gegebenenfalls mit Hilfe einer anderen betriebswirtschaftlichen Methode - unterzogen werden. Diese Empfehlung basiert auf der Erkenntnis, dass bei der Durchführung von Nutzwertanalysen immer wieder nichtquantifizierbare Aspekte in Skalen überführt und dabei große Einordnungsspielräume genutzt werden. Bei nur unwesentlich anderer Verwendung dieser Spielräume können die Ergebnisse der Rangreihung anders ausfallen, weshalb mit geringen Unterschieden im Gesamtnutzwert versehene Alternativen als gleichwertig einzustufen sind. Führungskräften im betrieblichen Management, die eine Entscheidungsfindung mittels nutzwertanalytischer Bewertung anregen, aber den Prozess nicht selbst steuern oder begleiten, ist anzuraten, nicht nur die Ergebnisse der Nutzwertanalyse als Entscheidungsgrundlage zu verwenden, sondern auch die Berechnungen im Detail nachzuvollziehen. Das Ergebnis der Nutzwertanalyse ist manipulationsanfällig, insbesondere 61 Gegebenenfalls kann durch Hinzuziehung von Experten die Bewertungsobjektivität erhöht werden (vergleiche Krallmann, Bobrik & Levina 2013, S. 162). Beurteilungskriterium Objekt A Objekt B . . . Objekt X Gewichtung Skalenwert Teilnutzwert Skalenwert Teilnutzwert Skalenwert Teilnutzwert 1 0,12 5 0,60 10 1,20 0 0 2 0,12 4 0,48 8 0,88 4 0,48 3 0,16 3 0,48 2 0,32 3 0,48 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6 0,24 0 0 2 0,48 2 0,48 1 / Gesamtnutzwert A / Gesamtnutzwert B / Gesamtnutzwert X Bewertungsobjekte <?page no="46"?> 1.9 Technologie- und innovationsbezogene Portfolios 47 www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden durch die Nichtberücksichtigung relevanter Objektalternativen oder durch die Wahl unzutreffender Bewertungskriterien. Aber auch die Nutzung von Gewichtungen, welche die Organisationsziele nicht widerspiegeln, oder die unpräzise Bewertung einzelner Merkmalsausprägungen und der Rückgriff auf unscharfe Transformationsvorschriften führen zu schlechten Resultaten. 1.9 Technologie- und innovationsbezogene Portfolios Problemstellung: Auswahl von F&E-Projekten und Planung und Strategiebildung im Technologie- und Innovationsbereich Zielgruppe: F&E-Leiter, Innovationsmanager, Produktionsleiter, Technischer Geschäftsführer, Stabsmitarbeiter, Technologie-Controller Voraussetzungen: Vertrautheit mit Portfoliomethoden und Zugang zu den erforderlichen Daten Zielsetzung der technologie- und innovationsbezogenen Portfolios Technologie- und innovationsbezogene Portfolios unterstützen die Planung im Technologie-, Forschungs-, Entwicklungs- und Innovationsbereich. 62 Sie dienen der Strukturierung von Entscheidungsprozessen, zielen auf die mehrdimensionale Fundierung von Planungsvorgängen und wollen die planungsinhärente Komplexität beherrschbar und dabei schwierige Zusammenhänge durch Visualisierung aggregierter Größen für Akteure anschaulich machen. In Portfolios - die im Ergebnis Objekte in einem zumeist zweidimensionalen Koordinatenkreuz abbilden - können beispielsweise Technologien oder Forschungs- und Entwicklungsprojekte positioniert werden. Dabei kann man eine angestrebte Position in der Zukunft abbilden. Ebenso kann man im Zeitablauf erreichte Ist-Positionen darstellen und ein Vergleich mit Soll-Positionen vornehmen. Ziel von Portfolios ist eine objektive und nachvollziehbare Entscheidungsfindung innerhalb der Planung, wobei insbesondere in interdisziplinären Planungsgruppen durch Visualisierung eine Erleichterung der Kommunikation zwischen den Beteiligten angestrebt wird. Beschreibung der technologie- und innovationsbezogenen Portfolios Zweidimensional angelegte Portfolios betrachten in der Regel eine durch das Unternehmen beeinflussbare und eine nicht-beeinflussbare Größe. 63 Im Bereich technologie-, forschungs-, entwicklungs- und innovationsorientierter Portfolios haben sich verschiedene Portfolioarten herausgebildet: beispielsweise das Technologieportfolio, das Innovationsportfolio, das Erfinderportfolio, das Patentportfolio und das F&E- Programmportfolio. Das Technologieportfolio spannt die Dimensionen Technologieattraktivität und Ressourcenstärke auf. 64 Technologieattraktivität ist die externe, durch das Unternehmen kaum 62 Vergleiche zur Nutzung von Portfoliokonzepten im Bereich der strategischen Planung Hahn (1990, S. 225 ff). 63 Vergleiche Specht & Möhrle (2002, S. 235). 64 Vergleiche Pfeiffer & Dögl (1990, S. 259). <?page no="47"?> 48 1 Forschung, Entwicklung und Innovationsmanagement www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden beeinflussbare Größe. Ressourcenstärke ist die durch das Unternehmen steuerbare interne Größe. Das Technologieportfolio unterstützt unter anderem die Planung der Investitionsentscheidungen in einzelnen Technologiefeldern, aber auch Überlegungen zu Kooperationen mit anderen Unternehmen oder Technologiekäufen und Unternehmensakquisitionen. Das Innovationsportfolio beleuchtet die Größen Innovationsfeldattraktivität und Innovationsfeldstärke. Es stellt dabei nicht primär auf Technologien, sondern auf Innovationen im Allgemeinen wie Produktneuheiten ab. Damit schlägt es als Planungsinstrument eine Brücke von der technologielastigen Forschungs- und Entwicklungsplanung zur produkt- und kundenorientierten Marketing- und Geschäftsfeldplanung. 65 Das Erfinderportfolio weist Patentaktivität und Patentqualität jeweils in den Ausprägungen „niedrig“ und „hoch“ aus. Somit lassen sich auf verschiedenen Aggregationsebenen Klassifikationen unterschiedlich kreativer Akteure anlegen. 66 Das Portfolio kann als Instrument des Personalmanagements innerhalb von Technologieentwicklungs- oder Forschungs- und Entwicklungsabteilungen zur Anwendung kommen und zeigt, welche Erfinder mit welchem Aktivitätsniveau gute beziehungsweise weniger gute Ergebnisse erzeugen. Aber auch auf der Ebene von Entwicklungsteams oder Entwicklungsabteilungen kann die Messung und Einordnung vollzogen werden. Patentportfolios ordnen nach relativer Patentposition und Technologieattraktivität auf Abszisse und Ordinate. 67 Als dritte Dimension in Form der Kreisgröße der in das Koordinatenkreuz eingezeichneten Objekte wird die Technologiebedeutung abgebildet. Dieses Portfolio unterstützt die Einschätzung der eigenen Forschungs- und Entwicklungsstärke im Vergleich zu anderen Unternehmen - beispielsweise Wettbewerbern - in Form der relativen Patentposition. 68 Technologieattraktivität setzt das Wachstum der Patentanmeldungen im betrachteten Technologiefeld zum durchschnittlichen Wachstum aller betrachteten Felder ins Verhältnis. Die Technologiebedeutung zeigt, wie stark die eigene Patentierungstätigkeit in diesem Technologiefeld zur gesamten eigenen Patentierungstätigkeit ausgeprägt ist. Das Portfolio unterstützt beispielsweise im Rahmen der strategischen Planung von Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten, aber auch bei der Ressourcenallokation im Forschungs- und Entwicklungsbereich. Das F&E-Programmportfolio sortiert Technologien und Entwicklungsvorhaben nach den Triebfedern technologischer Innovation, die mit den Begriffen Technologiedruck und Marktsog gekennzeichnet werden. 69 Technologiedruck ergibt sich beispielsweise aus vielfältigen Einsatzmöglichkeiten der Technologie, hoher technischer Standards und Neuigkeitsgrade und aufgrund der Passfähigkeit mit anderen Technologien und Projekten. Marktsog entwickelt sich zum Beispiel durch hohe Umsatz- und Marktanteilspoten- 65 Vergleiche Michel (1990, S. 191). 66 Vergleiche Vitt (1998, S. 60 ff) und Ernst, Leptien & Vitt (1999, S. 91 ff). 67 Vergleiche zu Patentportfolios Ernst (1998, S. 279 ff). 68 Die Größe Patentposition dürfte weniger Interpretationsspielräume eröffnen als die Größe Ressourcenstärke beim Technologieportfolio (vergleiche Ernst 2002, S. 215). 69 Vergleiche Möhrle (1999, S. 82 f). Zum Technologievorteil-Kundennutzen-Portfolio vergleiche Hsuan & Vepsäläinen (1999, S. 55). <?page no="48"?> 1.9 Technologie- und innovationsbezogene Portfolios 49 www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden ziale, gegebenenfalls gekoppelt mit einem ausgeprägten Marktwachstum und einem deutlichen Vorteil vor etwaigen Konkurrenten. 70 Die Einordung der Technologieentwicklungsprojekte erfolgt anhand beider Kriterien. Dadurch ergeben sich eine Kategorisierung und resultierend daraus eine Priorisierung. Projekte mit hohem Technologiedruck und hohem Marktsog, so genannte Renner, sollten mit Nachdruck weiter vorangetrieben werden. Technologien mit spiegelbildlicher Ausprägung, so genannte Schläfer, sollte man hingegen kritisch überprüfen und unter Umständen nicht weiterverfolgen. Anwendungsbereich und Anwendungsprozess Das Hauptanwendungsfeld von Portfolios liegt im Bereich der Planung. Häufig werden im Rahmen der Portfoliotechnik Normstrategien empfohlen, die dem Management konkrete Handlungsmöglichkeiten unterbreiten. Ebenso sind Portfolios im Controlling einsetzbar. Es kann mit ihrer Hilfe nachvollzogen werden, ob angestrebte Ziele erreicht werden konnten. Der Schwerpunkt ihres Einsatzes liegt in Unternehmen, die über mehrere Entwicklungsprojekte und ein Bündel an Technologien verfügen. Wenn hingegen nur ein unternehmenseigenes Objekt in die Betrachtung eingeht, können Portfolios ihre Wirksamkeit nicht vollständig entfalten. Die Vorgehensweise der Portfoliotechnik wird im Folgenden und in Abbildung 27 anhand des weit verbreiteten Technologieportfolios dargestellt. Abbildung 27: Vorgehensweise Portfoliotechnik In einem ersten Schritt werden die zu betrachtenden Objekte zusammengestellt und abgegrenzt. Im Folgenden werden die Dimensionen mit messbaren Kriterien hinterlegt, die Aggregationsweise zur Hauptgröße beschrieben und die Skalierung der Achsen festgelegt. Bei dem in Abbildung 28 dargestellten Technologieportfolio nach Pfeiffer werden die Dimensionen Technologieattraktivität und Ressourcenstärke verwendet. 71 Technologieattraktivität setzt sich aus der bedarfsseitigen Größe „Anwendungsbreite“ und den potenzialseitigen Faktoren „Weiterentwicklungspotenzial“ und „Kompatibili- 70 Vergleiche Möhrle (1988, S. 13 ff). 71 Vergleiche Pfeiffer & Weiß (1995, S. 674). Betrachtungsbereiche und -objekte abgrenzen Messgrößen operationalisieren Normstrategie ableiten Vollständigkeit und Konsistenz prüfen Daten erheben und Daten aggregieren Objekte in Portfolios positionieren <?page no="49"?> 50 1 Forschung, Entwicklung und Innovationsmanagement www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden tät“ zusammen. Die Ermittlung der Ressourcenstärke erfolgt durch Erhebung und Zusammenführung des Wissensbeziehungsweise Know-how-Standes und dessen Stabilität als auch durch Budgethöhe und Budgetkontinuität. Die Analyse dieser Beschreibungsgrößen erfordert unternehmensexterne und unternehmensinterne Recherchen und Bewertungsprozesse. Diese werden in der Regel nicht durch einen Akteur, sondern in Arbeitsgruppen - häufig interdisziplinär, gelegentlich unter Hinzuziehung externer Berater und Experten - vorgenommen. Im Weiteren erfolgt ein Abgleich mit den Planungsvorgaben aus übergeordneten Ebenen des Unternehmens. Eine Technologie-, Forschungs-, Entwicklungs- und Innovationsplanung kann zwar auch Anregungen für neue Unternehmensziele und Strategien geben, wird sich aber letztlich an deren Vorgaben orientieren müssen. Danach werden die Analyseergebnisse und Planungen in der Portfoliodarstellung visualisiert und einer Vollständigkeits- und Konsistenzprüfung unterzogen. Im abschließenden Schritt erfolgt das Zuweisen der Normstrategieempfehlungen - Investieren, Selektieren oder Desinvestieren -, um daraus pragmatische, die Unternehmensziele unterstützende Strategien abzuleiten. Abbildung 28: Technologieportfolio 72 Weiterführende Hinweise Portfolios sind aufgrund ihrer einfachen Darstellung und Vorgehensweise in der betrieblichen Praxis sehr beliebt. Allerdings ist bei der Portfolioanwendung darauf zu achten, dass geeignete Dimensionen im Portfolio genutzt werden. Sind diese nicht wissenschaftlich abgesichert, basieren weitreichende Entscheidungen auf gegebenen- 72 Modifiziert nach Pfeiffer & Weiß (1995, S. 674). I Desinvestieren II Selektieren III Investieren I II III gering hoch mittel gering hoch - Ressourcenstärke mittel - Technologieattraktivität - Budgetkontinuität Budgethöhe <?page no="50"?> 1.9 Technologie- und innovationsbezogene Portfolios 51 www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden falls unzulänglichen Kriterien. Vielfach wird der Aufwand und die Notwendigkeit gründlicher und umfassender Recherche- und Bewertungstätigkeit unterschätzt. Möglicherweise suggeriert die übersichtliche finale Darstellungsform, dass auch der Erstellungsprozess sehr übersichtlich abhandelbar wäre. Aber auch hier gilt: Die Ergebnisse der Planung können nur so gut sein wie die Datenqualität und die Datenbewertung. Normstrategien verleiten dazu, diese als methodeninhärente Empfehlungen konsequent zu befolgen. Von unreflektierter Umsetzung empfohlener Normstrategien ist hingegen abzuraten, da sie nur Handlungshinweise darstellen. Insofern ist beispielsweise zu prüfen, inwiefern man die Technologieattraktivität oder die Ressourcenstärke durch eigene Aktivitäten beeinflussen kann, wodurch sich gegebenenfalls ein anderes Bild ergeben würde. Immer wieder beklagen operativ ausgerichtete Führungskräfte den Methodenpluralismus. Für einzelne Managementprobleme existieren jeweils spezielle Methoden. Managemententscheidungen sind aber häufig durch hohe Komplexität, Multidimensionalität und Mehrstufigkeit gekennzeichnet. Dies erfordert in der Praxis die Anwendung einer Vielzahl von Methoden. Die Notwendigkeit zum Methodenpluralismus kann zum einen Probleme bei der Datentransformation zwischen den einzelnen Instrumenten oder Werkzeugen schaffen. Zum anderen kann es zu Entscheidungsdilemmas kommen, wenn verschiedene Methoden für den gleichen Planungsgegenstand unterschiedliche Strategien nahelegen. Hierauf wurde in jüngster Vergangenheit mit der Zusammenführung verschiedener Einzelmethoden zu einer integrativen Gesamtmethode reagiert - beispielsweise durch die Integration von Portfoliotechnik und Sze- Abbildung 29: Szenarienfundierte Portfolios 73 73 Mieke (2013, S. 69). Gegenwart Zukunft Prozesseffizienz P1‘ niedrig hoch Px P4‘‘ Pz Prozessflexibilität Prozesseffizienz niedrig hoch Prozessflexibilität P1‘ Py Px P3‘‘ Prozesseffizienz niedrig hoch Prozessflexibilität P2‘ Px P3‘‘ <?page no="51"?> 52 1 Forschung, Entwicklung und Innovationsmanagement www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden nariotechnik 74 , wie in Abbildung 29 dargestellt, oder durch die Verknüpfung von Portfoliotechnik und Roadmapping 75 . Ob die entsprechenden Integrativmethoden von den in der Unternehmenspraxis tätigen Entscheidern angenommen und genutzt werden, muss sich erst noch zeigen. 1.10 Szenariotechnik Problemstellung: Analyse in der Zukunft liegender Entwicklungen und Erfassung und Abbildung verschiedenartiger Zukunftszustände Zielgruppe: Strategieplaner, Geschäftsfeldplaner, Geschäftsführer, Technologiefrühaufklärer Voraussetzungen: Methodenkenntnisse, Ressourcen für Informationserfassung und Informationsauswertung und Fähigkeit zum Querdenken Zielsetzung der Szenariotechnik Die Szenariotechnik unterstützt den Blick in die Zukunft. Sie wird vor allem bei weit in die Zukunft reichenden Analysen und Planungen genutzt. Vorschauzeiträume von zehn bis zwanzig Jahren sind keine Seltenheit - sogar dreißig Jahre kann man in der Praxis finden. Der Einsatzschwerpunkt der Szenariotechnik liegt in der Vorausschau und Frühaufklärung, aber teilweise auch in der Planung. 76 Ihre Nutzung ist nicht auf die Bereiche des Technologie- und Innovationsmanagements begrenzt. Auch Zukunftsbilder ganzer Kontinente, Länder, Märkte oder Branchen können damit aufgezeigt werden. 77 Ziel der Szenariotechnik ist weniger im vermeintlichen Anspruch einer sicheren Zukunftsprognose, als vielmehr im Aufzeigen alternativer, stark voneinander abweichender, jedoch jeweils möglicher Zukunftszustände zu sehen. 78 Sie erhöht dadurch die Sensibilität für die Unvorhersagbarkeit der Zukunft und für verschiedene, realistisch mögliche Zukunftszustände. In der Regel werden Entscheider zur Erarbeitung flexibler oder alternativer Pläne, wie auch zum aktiven Einwirken auf zukunftsbestimmende Parameter motiviert. Dadurch ergeben sich für gewöhnlich positive Aspekte auf die organisationale Flexibilität. Beschreibung der Szenariotechnik Mit Hilfe der Szenariotechnik kann man die gegenwärtige Lage eines Untersuchungsfeldes analysieren und Zukunftsbilder - mindestens zwei - zur künftigen Situation des Untersuchungsbereiches entwickeln. Weil sich die Szenariotechnik mit ihrer Vorherbe- 74 Vergleiche Mieke (2013, S. 66 ff). 75 Vergleiche Mieke (2012b, S. 14 ff) und Mieke (2012c, S. 37 ff). 76 Vergleiche Geschka & Hammer (1990, S. 314). 77 Vergleiche Bonnet & Olson (1998) und Druwe (1992). 78 Vergleiche Gausemeier, Fink & Schlake (1996, S. 90) und Reibnitz (1997, S. 403). <?page no="52"?> 1.10 Szenariotechnik 53 www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden schreibung auf einen weit in der Zukunft liegenden Zeitpunkt bezieht und nicht von der Existenz der Zeitstabilitätshypothese - vereinfacht gesagt: alles bleibt so wie es ist - ausgegangen werden kann, nutzt sie nicht die Ansätze der Trendextrapolation und einfachen Fortschreibung von Vergangenheitsentwicklungen. Sie untersucht vielmehr die künftigen Einfluss- und Störfaktoren, analysiert deren Entwicklung und Interdependenzen und etwaige Reaktionen von Akteuren. Auf diese Art werden verschiedene, häufig diametral angeordnete Extremszenarien entworfen. Sie bilden gewissermaßen die Pole, zwischen denen die reale Entwicklung vermutlich liegen wird. Die Szenariotechnik stellt nicht darauf ab, mit ihrer Zukunftsprognose nah an der zum späteren Zeitpunkt real eintretenden Entwicklung zu liegen. Sie zeigt vielmehr den Raum der Möglichkeiten und sensibilisiert für mögliche Ausprägungen der Zukunft und für die Verschiedenartigkeit potenzieller künftiger Entwicklungen. Abbildung 30: Szenariotrichter - Denkmodell der Szenariotechnik 79 Ein umfangreicher schriftlicher Bericht stellt in der Regel das Ergebnis einer Szenariostudie dar. Dies ist in der Regel ein Textdokument. Darin werden das Untersuchungsfeld vorgestellt, die methodische Herangehensweise dargelegt und die Szenarien im Detail beschrieben. Ein Schaubild wie das in Abbildung 30 dargestellte abstrakte Denkmodell der Szenariotechnik findet sich darin häufig nicht. Allerdings etablieren sich in der Praxis zunehmend Formen der Visualisierung der Ergebnisse, etwa in Form des Zukunftsraummappings. Dies ist der Forderung nach einer Aufbereitungsform geschuldet, welche die leichtere Verständlichkeit komplexer Sachverhalte unterstützt. Das Ergebnis - mindestens zwei Zukunftsbilder - beschreibt mögliche Zukunftszustände zu einem definierten Zeitpunkt. Die Entwicklung dorthin, etwaige Zwischenschritte und Zwischenzustände sind in der Regel nicht originärer Bestandteil der Studie. Anwendungsbereich und Anwendungsprozess Szenarioanalysen werden im Rahmen des Technologie-, Forschungs-, Entwicklungs- und Innovationsmanagements in erster Linie zur Frühaufklärung eingesetzt. Häufig wählt man dabei keinen engen technologischen Fokus, sondern nimmt eine weiter gesteckte, eher gesellschaftlich ausgerichtete, branchenbezogene oder technologiefeldgeleitete Perspektive ein. Teilweise erstellen Unternehmen diese Studien selbst. Häufig 79 Modifiziert nach Geschka & Hammer (1990, S. 315). Gegenwart Zukunft Entwicklungswege Störereignis Extremszenario Extremszenario Trendszenario Beeinflusstes Szenario Gegenmaßnahme <?page no="53"?> 54 1 Forschung, Entwicklung und Innovationsmanagement www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden werden Beratungs- oder Forschungsinstitute beauftragt. Dies ist darauf zurückzuführen, dass umfangreiche Recherche- und Analysetätigkeiten in einer Vielzahl von Bereichen vorzunehmen sind, die gegebenenfalls außerhalb des Aktions- und Erfahrungsraumes der beauftragenden Unternehmung liegen. Gelegentlich finden sich auch verschiedene Organisationen zusammen und erstellen entsprechende Studien im Rahmen von Kooperationen. Auch eine Veröffentlichung der Studie ist nicht unüblich. Viele, vor allem kleinere Unternehmen greifen für ihre Vorausschauaktivitäten auf bestehende Szenariostudien zurück und binden diese in ihre Analyseprozesse ein. Dadurch vermeiden sie in erheblichem Umfang die Entstehung von Kosten, müssen allerdings die der Sekundärforschung generell anhaftenden Nachteile tragen. Das Vorgehen der Szenariotechnik kann man unterschiedlich abgrenzen. Eine weit verbreitete und in Abbildung 31 skizzierte Phaseneinteilung unterscheidet acht Bereiche, die wiederum vier Ebenen zugeordnet werden. 80 Zunächst muss man das Untersuchungsfeld eingrenzen und strukturieren. Ohne klare Abgrenzung werden Analysen nicht zielgerichtet erfolgen können und Ressourcen nur ineffizienten Einsatz finden. Die Untersuchung von Einflussfaktoren und die Analyse des Umfeldes bilden wesentliche Aspekte für die Qualität der Vorausschau. Werden hier Zusammenhänge nicht detailliert aufgedeckt, kann dies zu unvollständigen oder gar unzutreffenden Zukunftsbildern führen. Für die Einflussgrößen werden Zukunftsprojektionen erarbeitet - durchaus mit alternativen Ausprägungen. Nachfolgend werden diese zu konsistenten Bündeln zusammengefasst. Nicht jede Ausprägung ist beliebig mit jeder Ausprägung eines anderen Faktors kombinierbar - manche schließen sich aus. Im Folgenden werden Zukunftsbilder erarbeitet. Diese werden in einer Iterationsschleife mit möglichen Störereignissen konfrontiert und gegebenenfalls angepasst. Letztlich erfolgt die Beschreibung der Auswirkungen aus den sich ergebenden Szenarien. Abbildung 31: Vorgehen bei der Szenariotechnik 81 80 Vergleiche Geschka (2002, S. 320). 81 Geschka (2002, S. 320). 1 2 3 4 konsistente Bündel Alternativannahmen Projektion Deskriptoren Umfeldanalyse Einflussfaktoren Untersuchungsfeld strukturieren Aufgabenstellung festlegen 8 7 5 6 Störereignis Auswirkungsanalyse Zukunftsbilder Auswirkungen Anforderungen Lösungsfindung / Auswahl Realisierung normaler Ablauf verkürzter Ablauf <?page no="54"?> 1.11 Roadmapping 55 www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden Szenariostudien verlangen nach umfassender Datenbasis, wobei nicht alle Daten in quantitativer und valider Form vorliegen müssen. Häufig werden Annahmen getroffen und qualitative Ansätze genutzt. Neben der Datenverfügbarkeit ist eine profunde Kenntnis von Interdependenzen und potenziellen Auswirkungen erforderlich. In der Regel ist die Einbeziehung verschiedener Experten förderlich. Szenariostudienprojekte werden häufig in Experten-Workshops bearbeitet, die ein interdisziplinäres Wissensspektrum widergeben. Der achte Schritt der Szenariotechnik, die Lösungswahl und Umsetzung, ist von Bedeutung, wenn die Szenariotechnik als Planungswerkzeug eingesetzt wird. Findet sie als Vorausschaumethode Anwendung, ist dieser Schritt unter Umständen nur allgemein ausgeprägt oder gar nicht vorhanden. Weiterführende Hinweise Die Szenariotechnik ist ein leistungsfähiges Werkzeug der Zukunftsvorausschau. Ihre Aussagekraft hängt von der Mitwirkung ausgewiesener Experten und der Integrationsfähigkeit abweichender Ansichten ab. Dennoch stellen umfassende Analysen und die Einbindung von Experten notwendige, aber keine hinreichenden Bedingungen für eine gute Szenariostudie dar. Das Berücksichtigen von Fachleuten, deren Meinungen vom so genannten Mainstream abweichen, kann sich als vorteilhaft erweisen. Allerdings darf das in die Zukunft Schauen nicht zu einem unsystematischen „Spinnen“ verkommen. Die Balance zu wahren, ist Aufgabe erfahrener Moderatoren und Projektleiter. Zur Durchführung einer gehaltvollen Studie, sind finanzielle Ressourcen und zeitliche Freiräume einzuplanen, da man den Analyse- und Bewertungsaufwand nicht unterschätzen sollte. Finden die Ergebnisse der Studie in etwaigen Planungen Berücksichtigung, sollte man in einer später erfolgenden Rückschau nicht dem Irrglauben erliegen, dass die Szenariostudie schlecht gewesen sei, wenn sich die Zukunft nun doch nicht in einer der prognostizierten Extremformen eingestellt hat. Vielmehr sollte man erkennen, dass mit der Szenariotechnik zum einen der Raum der Möglichkeiten lediglich aufgezeigt und die - zugegebenermaßen nicht sonderlich wahrscheinlichen - Randpunkte verdeutlicht werden sollten. Zum anderen führt die Extremdarstellung im Allgemeinen zu Planungen, die ordnend auf die Entwicklung einwirken und somit Gestaltungswirkung entfalten und eine andere Zukunft entstehen lassen können. 1.11 Roadmapping Problemstellung: Sichtbarmachen technologischer Entwicklungslinien für Zukunftsvorausschau und Planung Zielgruppe: Technologiefrühaufklärer, Technologie- und Innovationsplaner, F&E-Leiter, F&E-Controller, Geschäftsführer, Produktionsleiter Voraussetzungen: Bereitschaft zur Befassung mit unsicheren Zukunftsentwürfen, Recherche- und Analysekompetenz und Zugriff auf Informationsquellen Zielsetzung des Roadmapping Das Roadmapping zeigt Pfade in die Zukunft. Die Methode strukturiert in Form visueller Darstellungen - den so genannten Roadmaps - den Verlauf komplementärer oder auch konkurrierender Zukunftsverläufe. Als Objekte, deren Entwicklung visualisiert <?page no="55"?> 56 1 Forschung, Entwicklung und Innovationsmanagement www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden wird, kommen die verschiedensten Planungsgegenstände in Frage wie Technologien, Produkte, Prozesse, Projekte oder Kompetenzen. Ziel ist die fokussierte Abbildung von Trends in einem Untersuchungsbereich. Die Darstellung soll nicht nur das Ergebnis einer Entwicklung offenbaren, sondern auch die Zwischenschritte detailliert aufzeigen, 82 wobei Verfügbarkeitszeitpunkte ausgewiesen werden. 83 Das Roadmapping soll dadurch Planungen für unterschiedliche Zeithorizonte unterstützen. Durch die universelle Anwendbarkeit der Methode lassen sich Brüche zwischen verschiedenen Planungsfeldern reduzieren - etwa zwischen Geschäftsfeldplanung einerseits und Technologieplanung andererseits - und komplexe Transformationsvorschriften minimieren. Beschreibung des Roadmapping Roadmaps visualisieren als Entwicklungspläne die Wege zu einem avisierten Zielzustand - ähnlich einer Straßenkarte. 84 Die Methode entwickelte sich als planungsbezogenes Werkzeug innerhalb des Technologie- und Innovationsmanagements. Aufgrund ihrer Fähigkeit, Zwischenstufen von Entwicklungen ausweisen zu können, wurde sie jedoch rasch auch in der Technologievorausschau eingesetzt. Ihr zeitraumbezogener Betrachtungsfokus passt häufig besser zu den Herausforderungen betrieblicher Planer als der zeitpunktbezogene Ansatz der Szenariotechnik. Roadmaps - wie in Abbildung 32 dargestellt - bilden das Ergebnis eines strukturierten Such- und Analyseprozesses mit intuitiven und kreativen Elementen. Abbildung 32: Technologie-Roadmap 85 Roadmaps zeigen zum Beispiel für den Bereich der Technologievorausschau welche Technologien künftig verfügbar sein werden, wie diese miteinander in Beziehung stehen und 82 So wird auch technologische Evolution sichtbar (vergleiche Bucher, Mitterdorfer & Tschirky 2002, S. 28). 83 Vergleiche Specht, Behrens & Kahmann (2000, S. 42). 84 Vergleiche Vinkemeier (1999, S. 18). 85 Modifiziert nach Specht, Behrens & Kahmann (2000, S. 42). T1 T2 T1‘ T2‘ T1‘‘ T3 T1‘‘‘ T1 Gegenwart Zukunft - Zeit - - Technologien - <?page no="56"?> 1.11 Roadmapping 57 www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden zu welchem Zeitpunkt sie genutzt werden können. Diese Aspekte bilden Kernbereiche eines systematischen Technologie- und Innovationsmanagements. Anwendungsbereich und Anwendungsprozess Vorrangige Anwendungsfelder liegen sowohl in den Bereichen Technologievorausschau und Technologieplanung als auch in der Produkt- und Geschäftsfeldplanung. Ob sich eine vermehrte Anwendung auch in anderen Planungsfeldern durchsetzt, bleibt abzuwarten. Der Prozess des Roadmapping variiert deutlich nach Anwendungsgebiet und spezieller Ausführungsvariante, wodurch sich in letzter Zeit verschiedene Formen des Roadmapping entwickelt haben. Eine häufig empfohlene Grundform bildet das einfache Roadmapping, das sich in vier Phasen gliedert, die in Abbildung 33 aufgeführt sind. 86 Abbildung 33: Prozess des Roadmapping 87 Im ersten Schritt werden die zu untersuchenden Objekte wie zum Beispiel Technologien eingegrenzt. Dabei ist eine Balance zwischen starker Eingrenzung des Umfangs der zu untersuchenden Technologien und weiter Auslegung des Suchfeldes zu finden. Ein knapper Zuschnitt des Untersuchungsfeldes wird durch die Forderung nach effizienten Suchprozessen und detaillierten Analysen der einbezogenen Objekte befördert. Für eine weite Auslegung des Suchraumes spricht insbesondere das Ziel der vollständigen Abbildung des relevanten Betrachtungsbereiches zur fundierten Planung und Risikoabwehr. Da regelmäßig große Gefahren von Konkurrenztechnologien ausgehen, die oftmals zu spät entdeckt werden, um auf sie angemessen und planvoll reagieren zu können, dürfte bei der Suchraumabgrenzung häufig nicht die technologische Wirkungsweise und deren Weiterentwicklungsmöglichkeiten das Suchfeld definieren, sondern das zu lösende technische Problem als Abgrenzungskriterium zum Einsatz kommen. Somit wird es möglich, auch auf anderen Wirkprinzipien basierende, aber auf die gleiche Problemstellung zielende Technologien zu erkennen und zu berücksichtigen. 86 Vergleiche Specht & Behrens (2008, S. 153). 87 Specht & Behrens (2008, S. 153). Abgrenzung Untersuchungsfeld Beurteilung Potenzial der Technologie Beurteilung Bedarf für Technologie Informationszusammenführung / Roadmapdarstellung Ergebnisprüfung <?page no="57"?> 58 1 Forschung, Entwicklung und Innovationsmanagement www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden Im zweiten und dritten Schritt werden Bedarf und Potenzial der Technologien analysiert und prognostiziert. Hier finden auch die beiden Triebkräfte technologischer Entwicklung, Marktsog und Technologiedruck, Eingang in die Untersuchung. Fordern Nachfrager beispielsweise bestimmte Produktfunktionen, die man durch Technologien realisieren könnte, so löst dies einen Bedarf nach derartigen Technologien und unter Umständen auch nach weiteren Technologien aus, die das Zusammenwirken dieser mit anderen Technologien in einem technischen System organisieren. In vielen Fällen, gerade bei radikalen Neuerungen, können Anwender ihre Wünsche nicht technologiebezogen formulieren, da ihnen der Überblick über die technischen Möglichkeiten fehlt. Hier müssen Technologiebewerter das technische Potenzial erkennen und auch für die Zukunft abschätzen. Der vierte Schritt führt die im zweiten und dritten Schritt untersuchten Technologien in einer Roadmap zusammen. Es werden technologische Abhängigkeiten, Entwicklungsfolgebeziehungen und Verfügbarkeitszeitpunkte aufgedeckt und benannt. Hierbei werden auch Interdependenzen noch einmal genauer untersucht. Gelegentlich finden sich in dieser Phase noch weitere Technologien, die in die Roadmap-Studie einzubeziehen sind. In diesem Fall werden die Schritte zwei und drei erneut durchlaufen und in Schritt vier überführt, um in der Gesamtschau alle relevanten Technologien und Abhängigkeiten vollständig darzustellen. Im fünften und letzten Schritt überprüft man die Angaben in der Roadmap auf Vollständigkeit und Konsistenz. Die Erfahrung zeigt, dass nach analytischen und kreativen Prozessen eine Evaluation und Bewertung sinnvoll ist, die deutlich von den vorangegangenen Phasen abgegrenzt ist. Durch zeitlichen Versatz, andere Gruppenkonstellationen und veränderte Sichtweisen auf den Bearbeitungsgegenstand soll eine unabhängige und unvoreingenommene Überprüfung der Arbeitsergebnisse erreicht werden. Werden Lücken oder Unstimmigkeiten aufgedeckt, sollte man diese durch Rücksprung in die Vorphasen beheben. Die Erstellung von Roadmaps obliegt in der Regel nicht einzelnen Bearbeitern. Vielmehr werden dazu Teams gegründet - vor allem, wenn noch keine Roadmaps vorliegen. Im Rahmen der Technologieanalyse wendet man weitere Instrumente des Technologie- und Innovationsmanagements an: Expertenbefragungen, Delphi-Studien, Publikations- und Schutzrechtsanalysen und teilweise auch Conjoint-Analysen befördern die Informationserzeugung. TRIZ, Lebenszyklusansätze und weitere Bewertungstechniken unterstützen die Interpretation, Beurteilung und Anreicherung der gewonnenen Informationen. Zur Einbindung weiterer Informationskanäle, zur Einbeziehung unterschiedlicher Beurteilungsschemata und zur Aufteilung von Kosten für den Technologievorausschauprozess führen Unternehmen Roadmapping-Projekte zunehmend auch in technologieorientierten Gruppen und Kooperationen durch. Dies ermöglicht ihnen, auch kooperative Forschungs- und Entwicklungsvorhaben anzubahnen und Vertrauen zu etwaigen Partnern aufzubauen. Eine große Sorge der Unternehmen in kooperativen Arrangements ist auf die Konsequenzen eines möglicherweise auftretenden und ungewollten Wissensabflusses gerichtet. 88 Hier wurden in der betrieblichen Praxis in der jüngeren Vergangenheit jedoch einige Hilfsmittel entworfen und erprobt, die diese Gefahr deutlich entschärfen. 88 Vergleiche Specht & Mieke (2006, S. 275). <?page no="58"?> 1.11 Roadmapping 59 www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden Weiterführende Hinweise Roadmaps sehen häufig sehr einfach aus. Dies ist beabsichtigt. Sie sollen komplexe Sachverhalte übersichtlich darstellen. Daraus sollte man nicht ableiten, dass der Erstellungsprozess wenig aufwändig und intuitiv möglich sei. Die strukturierte Vorgehensweise, der Zugang zu relevanten Informationskanälen und das Geschick bei der Informationsauswertung und Informationszusammenführung ermöglichen erst übersichtliche, aber eben auch stichhaltige Roadmaps. Roadmapping wurde immer mehr zu einer Meta-Methode entwickelt, die weite Teile des Technologiemanagements wie auch der Innovationsprozesse überspannen kann. Dies vermindert aufwändige Transformationsprozesse und ermöglicht effiziente Anpassungsvorgänge. Es finden sich sogar Ausweitungen auf andere Managementfelder. So existieren mittlerweile neben Technologie-Roadmaps etwa auch Produkt-Roadmaps für die Geschäftsfeldplanung, Kompetenz-Roadmaps im Personalentwicklungsbereich, Projekt-Roadmaps im Forschungs- und Entwicklungsmanagement und Prozess-Roadmaps für die strategische Produktionsprozess- und Produktionspotenzialplanung. Dadurch kann man den Integrationsgrad betrieblicher Planung erhöhen und etwaige Reibungsverluste verringern. Abbildung 34: Szenariobasierte Roadmap Gelegentlich wird beklagt, dass bei aller Vorteilhaftigkeit des Roadmapping einige für Unternehmen relevante Aspekte nicht in Roadmaps ersichtlich sind. So wird zum Beispiel kritisiert, dass zukunftsinhärente Unsicherheiten nicht berücksichtigt oder Technologiecharakteristika wie Marktsog oder Technologieattraktivität nur ungenügend integrativ dargestellt werden. Auf diese Anregungen wurde mit einer Weiterentwicklung der Ursprungsmethode reagiert. Man findet nun auch angereicherte Roadmap-Formen wie szenariobasierte Roadmaps 89 oder portfoliogestützte Roadmaps 90 , wie sie in Abbildung 34 beziehungsweise Abbildung 35 aufgeführt sind. 89 Vergleiche Mieke (2006, S. 120 ff) und Geschka & Hahnenwald (2009, S. 686 ff). T1 T2 T1‘‘‘ T3 T1‘ t 1 t 2 t 3 t 5 t 6 t 7 t 8 t 0 T2‘ T1‘‘ - Zeit - - Technologien - T1 t 4 <?page no="59"?> 60 1 Forschung, Entwicklung und Innovationsmanagement www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden Abbildung 35: Portfoliogestützte Roadmap 91 1.12 Meilensteintrendanalyse Problemstellung: Frühzeitiges Erkennen von Zeitverzögerungen und rechtzeitiges Gegensteuern in F&E-Projekten Zielgruppe: F&E-Projektleiter, Projekt-Controller, F&E-Controller, Innovationsteamleiter Voraussetzungen: Detaillierte Projektplanung, projektbegleitende Arbeitsfortschrittskontrolle und Kontrolldisziplin Zielsetzung der Meilensteintrendanalyse Die Meilensteintrendanalyse wird zur begleitenden Überwachung der Prozessdauer eingesetzt. Sie ermöglicht den Abgleich mit Planungsvorgaben und sensibilisiert für Konsequenzen von Verzögerungen im Prozess auf den avisierten Projektabschlusstermin. Die Methodik ermuntert durch das frühzeitige Aufdecken von Zeitabweichungen zu Eingriffen, die es erlauben, die ursprüngliche Projektzeitplanung einzuhalten. Gerade für Entwicklungsprojekte besitzt dieser Aspekt hohe Relevanz. 92 Treten doch hier aufgrund des im Vorhinein nur schwer zu spezifizierenden Arbeitsspektrums häufig Verzögerungen auf, die zu Verlängerungen der Entwicklungsphase führen. Dies ist betriebswirtschaftlich nachteilig. Durch verzögerte Markteintrittszeitpunkte von innovativen Leistungsangeboten können Umsätze und Gewinne nicht wie gewünscht realisiert werden. Die Höhe des Schadens ist meist deutlich größer als etwa die Kosten, 90 Vergleiche Mieke (2012b, S. 14 ff) und Mieke (2012c, S. 37 ff). 91 Modifiziert nach Mieke (2012c, S. 40). 92 Daher wird die Meilensteintrendanalyse mitunter auch den Methoden des F&E-Projekt- Controllings zugeordnet (vergleiche Specht & Mieke 2002, S. 55). t 3 - Zeit t 2 t 1 t 0 - Ressourcenstärke - <?page no="60"?> 1.12 Meilensteintrendanalyse 61 www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden die sich aufgrund zusätzlich zur Verfügung gestellter Ressourcen zur Projektbearbeitung ergeben. 93 Die Meilensteintrendanalyse unterstützt Projektleiter und Projekt- Controller bei der frühzeitigen Intervention auf zeitliche Abweichungen und reduziert die aus Zeitverzögerungen resultierenden Schäden. Beschreibung der Meilensteintrendanalyse Die Meilensteintrendanalyse ist ein Verfahren, das die Termineinhaltung von Projekten unterstützt. 94 Sie bezieht sich auf die zeitliche Dimension der Projektsteuerung. Mit Hilfe der Methode werden Zwischenergebnisse eines Projektes - so genannte Meilensteine, die definierte Ergebnisse zu vorgegebenen Zeitpunkten beschreiben - zeitlich überwacht. Die Leitfrage lautet: Wurde der Meilenstein zum geplanten Zeitpunkt erreicht oder nicht? Da große und komplexe Projekte unter Umständen über viele Zwischenstationen zu einem geplanten Endergebnis führen, will man Zeitabweichungen in Teilvorhaben zeitnah aufdecken und analysieren. Dadurch kann man vermeiden, dass sich kleine Verzögerungen fortpflanzen und kumulieren und dadurch den geplanten Fertigstellungszeitpunkt des Gesamtprojektes gefährden. Der ständige Abgleich von Soll-Zeitpunkt und Ist-Zustand des Arbeitspaketes, das zu einem bestimmten Meilenstein führen soll, ermöglicht auch ein simulationsartiges Fortschreiben und Ermitteln der Konsequenzen für das Gesamtvorhaben. Durch die integrative Sicht zeigen sich unter Umständen Möglichkeiten für Ressourcenumschichtungen zwischen verschiedenen Teilprojektteams oder andere Maßnahmen, welche die Rückkehr der Projektrealisierung auf den Planungspfad unterstützen. Anwendungsbereich und Anwendungsprozess Anwendungsbereiche für die Meilensteintrendanalyse lassen sich viele aufzeigen - auch außerhalb des Technologie- und Innovationsmanagements. Die Methode kommt beispielsweise bei komplexen Planungsaufgaben wie Fabrikneuplanungen oder Organisationsentwicklungsvorhaben zum Einsatz. Innerhalb des Technologie-, Forschungs-, Entwicklungs- und Innovationsmanagements kann man die Meilensteintrendanalyse überall dort verwenden, wo in mehrstufigen Vorgängen an der Erzeugung von Endergebnissen gearbeitet wird und wo vor Projektstart eine Abgrenzung, zeitliche Strukturierung und Planung der Einzelschritte möglich ist. Dies bezieht sich sowohl auf die Felder der Ideenerzeugung und -umsetzung als auch auf die Einführung von Neuerungen in der Anwendung. Produktentwicklungs- und Markteinführungsprozesse sind klassische Anwendungsfelder der Meilensteintrendanalyse. Der Anwendungsprozess gliedert sich in zwei Hauptphasen: Zu Beginn steht die Aufteilung des Gesamtvorhabens in Teilprozesse und die Zuweisung von Fertigstellungsterminen für die einzelnen Arbeitspakete und die Betrachtung der logischen Abhängigkeiten der Teilprozesse. Diese können sequenziell oder teilparallelisiert erfolgen. Dieser erste Schritt bildet gewissermaßen den vorbereitenden planerischen Akt des Projektmanagements. Im zweiten Abschnitt der Methodenanwendung wird während der Ausführung der Projektteilschritte wiederholt überwacht, wann diese voraussichtlich und tatsächlich fertiggestellt werden - (a) vor dem geplanten Meilensteintermin, (b) exakt zum geplanten Zeitpunkt oder (c) später beziehungsweise wie viel später als geplant. 93 Vergleiche Vahs & Brem (2013, S. 10 f). 94 Vergleiche Schröder (1996, S. 494). <?page no="61"?> 62 1 Forschung, Entwicklung und Innovationsmanagement www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden Abbildung 36: Diagramm Meilensteintrendanalyse Diese Angaben werden wie in Abbildung 36 dargestellt für alle Teilprojekte in einer Art Koordinatenkreuz visualisiert. 95 Dieses Vorgehen erlaubt auch Personen, die nicht in den Projektplanungs- und Projektsteuerungsprozess eingebunden sind, ein schnelles Erfassen etwaiger bedrohlicher Abweichungen und animiert zum Gegensteuern. Aufgrund der einfachen Handhabung und der eingängigen Darstellung eignet sich dieses Instrument auch in hervorragender Weise zur Selbststeuerung von Entwicklerteams oder auch von Einzelakteuren. Dies ist umso bedeutender, als sich Mitarbeiter in kreativen Bereichen häufig nur schlecht und auch sehr ungern überwachen lassen. Stellt ein Unternehmen hingegen wirksame Werkzeuge zur Projektsteuerung bereit, nutzen die Entwickler diese gern, und der Eingriffsbedarf reduziert sich erheblich. 96 Weiterführende Hinweise Die Einführung der Meilensteintrendanalyse verleitet gelegentlich zu der Annahme, dass aufgrund der eingängigen Systematik, des frühen Anzeigens von Abweichungen und der damit verbundenen Aufforderung des Gegensteuerns künftig keine Verzögerungen bei der Fertigstellung von Gesamtprojekten mehr auftreten werden. Dies ist in der Realität nicht der Fall. Grundvoraussetzung für die Wirkungsweise der Meilensteintrendanalyse ist - wie bei allen betriebswirtschaftlichen Methoden - die sorgfältige Planung der zu unterstützenden Vorgänge und die gewissenhafte Erfassung und Abbildung der jeweiligen Ist-Zustände. Selbst wenn dies geschieht und theoretische Auswege aus den Verspätungszuständen aufgezeigt werden, kann die Methode nicht sicherstellen - hier endet ihr Aufgabenbereich -, dass adäquate Maßnahmen tatsächlich zeitnah ergriffen werden. Zum Teil werden auch äußere Umstände mögliche Reaktionen verhindern. Insofern bildet die Meilensteintrendanalyse durch ihre Erfassungs- und Darstellungsfunktion eine Art Grundvoraussetzung zur dezentralen terminbezogenen Prozesssteuerung. Sie kann den Erfolg jedoch nicht isoliert herbeiführen. 95 Vergleiche Kuster, Huber, Lippmann, Schmid, Schneider, Witschi & Wüst (2008, S. 315). 96 Vergleiche Schorb (1994, S. 110). Fall (a) Fall (c) Fall (b) Projekt B Projekt C Projekt A 1 Zeit Zeit 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 2 3 4 5 6 7 8 9 10 - Planungszeitachse Termine der Meilensteine - - Prüf-/ Berichtszeitpunkte - <?page no="62"?> 1.12 Meilensteintrendanalyse 63 Häufig muss man Forschungs- und Entwicklungsmitarbeiter von der Notwendigkeit des Einsatzes dieser oder ähnlicher Methoden überzeugen. Insofern befinden sich Technologie- und Innovationsmanager in einem Dilemma: Erfassen sie als Führungskräfte entsprechende Daten, fühlen sich Entwickler und Projektbearbeiter häufig überwacht. Dies kann bei Projekten mit hohen kreativen Anteilen, die nicht routinemäßig abzuhandeln sind, zu einer Art Schockstarre führen. Immer wieder werden angstfreie Räume mit wenig Überwachung gefordert, um das kreative Potenzial zu stimulieren. Andererseits müssen zeitliche Vorgaben Beachtung finden. Übergeben Technologie- und Innovationsmanager die Überwachungsaufgabe mittels Meilensteintrendanalyse den Entwicklern selbst, reagieren diese gelegentlich mit Abwehrhaltung und der Begründung, dass für noch mehr administrative Tätigkeiten keine Zeit vorhanden sei und dass die zusätzliche Tätigkeit Ressourcen erfordere, die für die zügige Projektbearbeitung nötig wären. Häufig können Entwickler zur Nutzung der Methode ermuntert werden, wenn verdeutlicht wird, dass die Einhaltung der Plantermine von großer Bedeutung ist, diese in die Beurteilung der Entwicklungsleistung einfließt und die Verantwortung hierfür beim Entwicklungsteam liegt. <?page no="64"?> www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden 2 Beschaffung und Logistik Beschaffung und Logistik sind betriebliche Funktionen, die anders als die Produktion nicht als originär wertschöpfend gelten. Sie ermöglichen jedoch durch ihr Wirken erst effektive und effiziente Wertschöpfungsprozesse. Die alte Kaufmannsweisheit „im Einkauf liegt der Gewinn“ erhält angesichts sinkender Wertschöpfungstiefen in zahlreichen Branchen zunehmende Bedeutung. 97 Metatrends wie Individualisierung, Globalisierung und Innovationswettbewerb haben zu verstärkter Professionalisierung der Einkaufsaktivitäten und zur Perspektivenerweiterung geführt. Die Unternehmensfunktionen Beschaffung oder Einkauf organisieren die Versorgung des Unternehmens mit Objekten, die das Unternehmen nicht selbst erzeugt. 98 Im weitesten Sinne kann auch die Beschaffung von Mitarbeitern und Kapital dazu gerechnet werden, wenngleich üblicherweise die Versorgung mit Produktionsmaterial - also mit Rohstoffen, Hilfsstoffen und Vorprodukten - als Kernaufgabe der betrieblichen Beschaffung gesehen wird. Ergänzend fallen sowohl Investitionsgüter wie Maschinen und Anlagen als auch Betriebsstoffe und produktionsnahe Dienstleistungen sowie Rechte in den Aufgabenbereich. Die Unternehmensfunktion Logistik befasst sich mit der Planung, Steuerung und Überwachung der Material-, Personen-, Energie- und Informationsflüsse in Systemen. 99 Als Systeme werden Werkhallen und Unternehmen, aber auch ganze Lieferketten verstanden. Das Hauptaugenmerk dürfte bei produzierenden Unternehmen auch im Bereich der Materialflüsse liegen. Unternehmensintern betrachtet man beispielsweise, auf welche Art Materialien von einer Bearbeitungsstation zur nächsten gelangen und an welchen Orten Lagerplätze vorgehalten werden. Hierfür muss man zum Beispiel geeignete Transport- und Transporthilfsmittel bereitstellen. Unternehmensübergreifend wird der Austausch von Waren organisiert - Beschaffungsobjekte müssen von den Lieferanten zum weiterverarbeitenden Unternehmen gelangen, Fertigwaren sollen zu Händlern oder Kunden gebracht werden. Dafür plant die Logistikabteilung geeignete Verkehrsmittel und Routen. Wegen der Unterschiedlichkeit der Anforderungen der Logistikobjekte und daraus resultierender spezifischer Konzepte wird die Logistik für gewöhnlich in Beschaffungs-, Produktions-, Distributions- und Entsorgungslogistik gegliedert, 100 wenngleich das Grundverständnis und die jeweiligen Zielgrößen nahezu identisch sind. Den Aktivitäten der Beschaffungslogistik gehen die Einkaufstätigkeiten voraus. Die Einkaufsabteilung beobachtet Beschaffungsmärkte, die alle Anbieter eines zu beschaffenden Gutes und Anbieter für Substitutionsprodukte des zu beschaffenden Gutes umfassen. 101 Aufkommende Trends wie Verknappungstendenzen, Preisveränderungen, Anbieterkonzentrationen oder das Entstehen von Substituten müssen analysiert und 97 Vergleiche zur Hebelwirkung des Einkaufs Hahn & Kaufmann (2003, S. 255) und Kuhl (1999, S. 15). 98 Vergleiche Arnold (1997) und Kaufmann (2001, S. 39 f). 99 Vergleiche Jünemann (1989, S. 11). 100 Vergleiche zu Klassifikationsmöglichkeiten Wittig (2005, S. 19) und Zillig (2001, S. 137). 101 Vergleiche Arnold (1997). <?page no="65"?> 66 2 Beschaffung und Logistik www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden hinsichtlich der Bedeutung für das eigene Unternehmen bewertet werden. Ebenso muss der Einkauf unternehmensintern Beschaffungsbedarfe ermitteln. In Abstimmung mit den Forschungs- und Entwicklungs-, Produktions-, Logistik-, Qualitätssicherungs- und Controlling-Abteilungen werden Beschaffungsanforderungen wie Art und Qualität des Materials, Lieferfähigkeit des Lieferanten, Beschaffungsvolumina und weitere Größen definiert. Schließlich erarbeitet die Beschaffungsabteilung ein Bündel von Beschaffungsoptionen, das bestehende Quellen absichert, neue einbezieht und dem Unternehmen adäquate Marktmacht im Beschaffungskontext verschafft. 102 Eine wichtige Aufgabe besteht in der Definition von Beschaffungsstrategien, die als Handlungskorridore auf dem Weg zur Zielerreichung dienen. Abbildung 37 macht deutlich, dass sich Beschaffungsstrategien im Allgemeinen auf mehrere Dimensionen beziehen. 103 Abbildung 37: Beschaffungsstrategien 102 Vergleiche Scheuring (1986). 103 Vergleiche Arnold (1997) und Wannenwetsch (2010, S. 163). 104 Vergleiche zu den noch viel weiter reichenden Auswirkungen der Beschaffungsstrategien auf Wettbewerbsstrategien und Absatzmarkterfolge Amman & Essig (2011, S. 11 f). Beschaffungsstrategien Träger der Wertschöpfung Anzahl der Bezugsquellen Komplexität des Inputs Bereitstellungsart Größe des Marktraumes Insourcing vs. Outsourcing Single vs. Multiple Sourcing Unit vs. Modular Sourcing Stock vs. Just-in-time-Sourcing Local vs. Global Sourcing Die Strategie zur Definition des Trägers der Wertschöpfung umfasst Entscheidungen, für welche Bauteile und Baugruppen man Eigenerstellung und für welche Fremdbezug anstrebt. Diese Entscheidung trifft die Beschaffungsabteilung nicht isoliert, sondern in enger Abstimmung mit der Unternehmensleitung und der Produktionsabteilung. Dabei wird man insbesondere strategische Aspekte sowie Kosten und Risiken berücksichtigen. Bei den Überlegungen zur Festlegung der Anzahl von Bezugsquellen für einzelne Beschaffungsobjekte müssen Bündelungseffekte und langfristiger Vertrauensaufbau einerseits und Risikostreuung und Erhalt der eigenen Marktmacht andererseits gegeneinander abgewogen werden. Hinsichtlich der Komplexität des Inputs prüft der Einkauf, ob es vorteilhafter ist, Einzelteile zu beschaffen oder vorgefertigte Module vom Lieferanten zu beziehen. Bei den Strategien zur Bereitstellungsart besteht die Wahl zwischen Beschaffung auf Lager oder Just-in-time-Beschaffung. Hinsichtlich der Größe des Marktraumes wählt der Einkauf zwischen lokaler, regionaler, nationaler oder globaler Beschaffung der Rohstoffe und Vorprodukte. Durch die Entscheidungen des Einkaufs und die strategischen Rahmenbedingungen werden wesentliche Restriktionen für die Beschaffungslogistik gesetzt. 104 Beschafft ein deutsches Unternehmen im Rahmen einer global <?page no="66"?> 67 www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden Abbildung 38: Lieferkette Das bedeutet, dass man neben den bereits angesprochenen Transportaktivitäten auch die Lagerplanung und Lagerbewirtschaftung und das Umschlagen und Kommissionieren von Waren berücksichtigen muss - häufig als TUL-Logistik abgekürzt. 105 Wie in Abbildung 38 dargestellt, obliegt der Logistik wegen ihrer Kopplungsfunktion zwischen Systemen zunehmend auch die Koordination von Aktivitäten ganzer Lieferketten im Rahmen des so genannten Supply Chain Managements. Der Ansatz des Supply Chain Managements zielt auf die Verbesserung der Versorgung, auf die Erhöhung der Kundenorientierung, auf die Reduktion der Bestände und auf die Ausweitung des Flexibilitätsniveaus durch abgestimmte Planung und passfähiges Agieren der Mitglieder in einer Wertschöpfungskette. 106 Dabei ist in der Regel nicht von einer Ketten-, sondern eher von einer Netzstruktur auszugehen. Daher wird gelegentlich - wie in Abbildung 39 illustriert - vom so genannten Demand Net Management gesprochen. Die 105 Vergleiche Klaus & Krieger (2008, S. 585). 106 Vergleiche Kuhn & Hellingrath (2002, S. 10). Güterstrom Geldstrom Information Hersteller Systemlieferant Teilelieferant Rohstofflieferant Kunde Großhandel … … … … … angelegten Beschaffungsstrategie Vorprodukte zum Beispiel in Asien, hat die Logistik die Überbrückung großer Distanzen unter Nutzung verschiedener Verkehrsmittel zu organisieren. Eine andere Situation würde sich ergeben, wenn der Lieferant im Nachbarort beheimatet wäre. Vorgefertigte Module erfordern andere Transporthilfsmittel als Einzelteile. Eine Beschaffung auf Lager bedingt die Verfügbarkeit von Lagerplatz und lagertechnischer Infrastruktur, während die Realisierung von Just-in-time- Beschaffung sichere Transportketten voraussetzt. Diese Beispiele zu möglichen Auswirkungen der Beschaffungsstrategien auf die Logistik verdeutlichen die Kernaufgaben und primären Zielgrößen der Logistik, die sich insbesondere mit dem Transport, dem Umschlag und der Lagerung von Objekten befasst. <?page no="67"?> 68 2 Beschaffung und Logistik Logistik beansprucht zunehmend - obwohl innerhalb der Unternehmensfunktionen eindeutig eine Sekundär- und Unterstützungsfunktion - eine Führungsrolle. 107 Abbildung 39: Demand Net Management 108 Beschaffung und Logistik benötigen betriebswirtschaftliche Methoden, die es ihnen erlauben, Einkaufspreisreduktionen und Kostensenkungen zu initiieren, Versorgungssicherheit herzustellen, fähige Lieferanten zu finden und aufzubauen, Innovationsimpulse aus dem Beschaffungsmarkt zu organisieren und durch flexible Beschaffungsquellen die Anpassungsfähigkeit des Unternehmens zu optimieren. 2.1 Make-or-Buy-Entscheidung Problemstellung: Entscheidung über Eigenfertigung oder Fremdbezug von Bauteilen im Rahmen von Überlegungen zur Konzentration auf Kernkompetenzen und Kostensenkungen Zielgruppe: Geschäftsführer, Produktionsleiter, Beschaffungsleiter, Logistiker Voraussetzungen: Kenntnis der Unternehmensstrategie, Informationen über Kosten der Eigenerstellung und des Fremdbezugs und Übersicht über verfügbare Ressourcen Zielsetzung der Make-or-Buy-Entscheidung In Make-or-Buy-Entscheidungsprozessen soll analysiert werden, welche Variante der Verfügbarmachung bestimmter Artefakte vor dem Hintergrund der Unternehmensziele und der konkreten Umfeldbedingungen die betriebswirtschaftlich sinnvolle Alternative darstellt. Diese Entscheidungen werden üblicherweise nach Neuproduktentwick- Unternehmen Lieferanten Vorlieferanten Kunden Endkunden Geld- und Informationsfluss Material- und Informationsfluss 107 Vergleiche dazu die Entwicklungsstufen der Logistik bei Zillig (2001, S. 112). 108 Modifiziert nach Arndt (2005, S. 46). www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden <?page no="68"?> 2.1 Make-or-Buy-Entscheidung 69 www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden lungen, aber auch vor dem Hintergrund der Produktionsoptimierung und der damit verbundenen Festlegung der Wertschöpfungstiefe, wie auch im Beschaffungswesen im Kontext von Kostenreduktionsbemühungen und der Schaffung einer sicheren Versorgungssituation getroffen. Die Grundfrage lautet: Sollen bestimmte Komponenten, Module oder Systeme, die in ein Produkt des Unternehmens eingehen, selbst produziert oder bei Zulieferunternehmen gekauft werden? 109 Prinzipiell muss man diese Frage für jedes Bauteil und jede Baugruppe wie auch für die Montage des Gesamtproduktes beantworten. Im einen Extremfall können Make-or-Buy-Entscheidungen dazu führen, dass Unternehmen nicht mehr selbst produzieren, da der Zukauf der Gesamtprodukte die günstigste Lösung darstellt. In der Praxis findet man immer wieder Unternehmen, die ihre Kernkompetenzen im Bereich der Produktentwicklung und Produktvermarktung haben und demnach die Produktion zur Gänze einstellen. Im anderen Extremfall - wenn alle Fragen mit „Make“ beantwortet werden - entstehen Unternehmen mit ausgeprägter Fertigungstiefe, die alle Produktionsschritte selbst ausführen und möglicherweise lediglich Rohstoffe von Gewinnungsunternehmen beziehen. Die meisten Unternehmen weisen eine mittlere Fertigungstiefe mit gewissen Tendenzen zur Verringerung auf. Sie kaufen Vorprodukte und verarbeiten diese zu Endprodukten weiter. Insgesamt zielen gewinnorientierte Unternehmen darauf ab, die für sie optimale Balance aus Zukauf und Eigenerstellung zu ermitteln. Beschreibung der Make-or-Buy-Entscheidung Häufig ist zu hören, dass bei der Ermittlung von Eigenerstellung oder Fremdbezug die kostengünstigste Variante gesucht wird. Diese Sichtweise beleuchtet einen wichtigen Aspekt, greift aber insgesamt zu kurz. Die Entscheidung sollte man von einer Vielzahl von Kriterien abhängig machen, die häufig nicht vollständig monetarisierbar, dennoch aber von hoher Relevanz sind. So sollte man neben der Kostenhöhe 110 beispielsweise auch folgende Kriterien berücksichtigen: 111 Art der Kernkompetenzen, Höhe der Produktionskapazität, Höhe des Kapitalbedarfs, Regelmäßigkeit des Bedarfs der Objekte, Verfügbarkeit potenzieller Lieferanten, Verhandlungsposition am Markt, Abhängigkeit von etwaigen Lieferanten. Diese Kriterienliste verdeutlicht die dem Entscheidungsproblem innewohnende strategische Dimension. So wird man Unternehmen nicht empfehlen, trotz geringerer Kosten, die Zukaufvariante zu wählen, wenn sie sich dadurch in eine einseitige Abhängigkeit von einem Lieferanten begeben, wenn keine Alternativlieferanten existieren und wenn das zu beschaffende Bauteil eine Kernkomponente des zu erstellenden Produktes darstellt. In dieser Situation wird der Lieferant seine starke Stellung ausnutzen und 109 Vergleiche Ramser (1979, Sp. 435). 110 Das Kostensenkungsmotiv steht an erster Stelle der Beweggründe für Fremdbezug bislang eigenerstellter Objekte (vergleiche Kremic, Tukel & Rom 2006, S. 471). 111 Vergleiche Mikus (1998, S. 17 f). <?page no="69"?> 70 2 Beschaffung und Logistik www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden - vielleicht mit etwas Zeitverzögerung - Preise und Konditionen diktieren. Das beschriebene Szenario macht die Risiken deutlich und zeigt die Relevanz einer ganzheitlich angelegten Bewertung aller Alternativen, die durch einen strukturierten Make-or- Buy-Entscheidungsprozess Berücksichtigung finden können. Anwendungsbereich und Anwendungsprozess Das Beschaffungsmanagement wird immer wieder prüfen, ob für eigenerstellte Komponenten auch Beschaffungsmöglichkeiten am Markt bestehen und wie sich diese gegenüber der Eigenproduktion darstellen. Einkaufsabteilungen leisten damit einen wichtigen Beitrag zur strategischen Positionierung des Unternehmens. Vom strategischen Einkauf wird erwartet, dass dieser Impulse für Veränderungen wertschöpfungsbezogener Aktivitäten gibt. Ohnehin ist derzeit in zahlreichen Unternehmen ein Bedeutungszuwachs der Funktion Beschaffung zu verzeichnen. Der Grund liegt insbesondere darin, dass die Materialintensitäten in den letzten Jahren kontinuierlich gestiegen sind und Unternehmen in der Einkaufsfunktion nicht mehr den Abwickler von Bestellungen sehen. Vielmehr operiert die Beschaffung als integrativ analysierender und handelnder Akteur an der Schnittstelle zum Beschaffungsmarkt, der auch versucht, Beschaffungsmarktstrukturen im Sinne der Unternehmensinteressen zu beeinflussen. Abbildung 40: Schritte im Make-or-Buy-Entscheidungsverfahren Make-or-Buy-Entscheidungen werden wie in Abbildung 40 dargestellt in einem mehrstufigen Verfahren getroffen. 112 Zunächst wird gefragt, ob die Produktion des betreffenden Objektes zu den Kernkompetenzen des Unternehmens zählt. Dadurch wird der Blick auf die Fähigkeiten der Organisation gelenkt. Je weniger die Zuordenbarkeit zu den Kernkompetenzen gegeben ist, desto eher spricht dies für die weitere Prüfung der Beschaffungsoption. Danach wird ein Bündel von Nebenbedingungen untersucht: zum Beispiel vorhandene Produktionskapazitäten, eventuelle Ausbaumöglichkeiten der Produktionsressourcen, die Verfügbarkeit des benötigten Kapitals und die Regelmäßigkeit des Bedarfs an dem entsprechenden Untersuchungsgegenstand. Je schwächer 112 Einen Überblick verschiedener Ansätze gibt Irle (2011, S. 29 ff). Hohe Bedeutung der Einheit für wettbewerbliche Differenzierung? Nebenbedingungen erfüllt? Produktion der betrachteten Einheit Kernkompetenz? Einfache Verfügbarkeit auf Beschaffungsmärkten? Übergabe in Phase II Andere Beschaffungsoption vorsehen ja ja ja ja nein nein nein nein <?page no="70"?> 2.1 Make-or-Buy-Entscheidung 71 www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden diese Kriterien ausgeprägt sind, desto stärker rückt die Beschaffungsvariante in den Mittelpunkt der Betrachtung. Ferner wird untersucht, ob es sich um ein bedeutsames Vorprodukt mit zentraler Stellung im Gesamtsystem und dem Potenzial zu hoher wettbewerblicher Differenzierungswirkung handelt. Je weniger man eine wettbewerbliche Differenzierungswirkung vermutet, desto eher wird man weitere Prüfungen in Richtung Zukauf vornehmen. Daran anknüpfend erfolgen Recherche und Bewertung, um zu bestimmen, ob überhaupt eine hinreichende Verfügbarkeit der Komponenten oder Baugruppen auf den Beschaffungsmärkten gegeben ist. Je höher die Verfügbarkeit, desto eher wird die Zukaufmöglichkeit in Frage kommen. In diesem Kontext sind auch die Größen Zuverlässigkeit von Lieferanten und Lieferketten, das Qualitätsniveau von Erzeugnissen und die Prozesse der Lieferanten zu analysieren. Durch die Höhe der Verfügbarkeit am Markt werden auch die Kriterien Autonomie und Marktmacht bestimmt. Bei hoher Verfügbarkeit dürften Autonomieausmaß und Marktmacht des potenziell beschaffenden Unternehmens hinreichend aufrechterhalten werden können. Strategische Bedeutung des Untersuchungsobjektes und Verfügbarkeit am Markt werden häufig in einer Portfoliodarstellung zusammengefasst, die als Ergebnis der ersten Phase des Make-or-Buy-Entscheidungsprozesses gilt. Aus der in Abbildung 41 illustrierten Portfoliodarstellung kann man Normstrategien ableiten, die als Hinweise zu verstehen sind, in welche Richtung Entscheidungen ausfallen können. Allerdings unter dem Vorbehalt, dass auch die auf den Wirtschaftlichkeitsvergleich zielende Kostenbetrachtung zu einem ähnlichen Resultat führen wird. Das Portfolio empfiehlt bei hoher strategischer Bedeutung der untersuchten Bauteile und Baugruppen gekoppelt mit geringer Verfügbarkeit der Objekte am Markt die Eigenerstellung. Bei geringer strategischer Bedeutung und hoher Verfügbarkeit wird Fremdbezug angeregt. Sind beide Merkmale gleich stark ausgeprägt, ist keine klare Normstrategie vorgesehen, sondern die Entscheidung nur unter Berücksichtigung weiterer Entscheidungskriterien zu treffen. Abbildung 41: Make-or-Buy-Portfolio In der zweiten Phase steht die Analyse der Kostenverläufe der Alternativen im Vordergrund. Es wird erfasst und beispielsweise in Kostenverlaufsdiagrammen visualisiert, welche Kosten je Alternative bei bestimmten Bedarfsmengen von Objekten anfallen. gering hoch gering hoch - Strategische Bedeutung des Untersuchungsobjektes - - Verfügbarkeit am Markt - Buy Selektive Entscheidung Selektive Entscheidung Make <?page no="71"?> 72 2 Beschaffung und Logistik www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden Darauf aufbauend kann man Mengenbereiche ermitteln, innerhalb derer Fremdbezug vorteilhaft wäre und Mengenbereiche, in denen man bei gleichem Objekt Eigenfertigung empfehlen würde. In der Regel dürfte bei niedrigem Bedarf die Beschaffung der Objekte geringere Kosten aufweisen als die Eigenfertigungsvariante - fallen bei letzterer doch häufig hohe Fixkosten an, die bei kleinen Stückzahlen durch geringere variable Kosten als bei der externen Beschaffung kaum zu kompensieren sein dürften. Sind hohe Stückzahlen geplant, wird bei der kostenbasierten Sichtweise häufig die Eigenfertigungslösung in den Vordergrund treten. Ein schematisches Kostenverlaufsdiagramm enthält Abbildung 42. Abbildung 42: Kostenverlaufsdiagramm In der betrieblichen Praxis zeigt sich immer wieder, dass die Erfassung der Kosten zur Durchführung des Alternativenvergleiches aufwändig ist. Der Aufwand bezieht sich dabei weniger auf die Verfügbarmachung der Kosten für die externe Beschaffung der Objekte. Hier kann man durch Anfrage beim Lieferanten in der Regel sehr unkompliziert die Höhe zu zahlender Preise für unterschiedliche Mengen ermitteln. Für die Eigenfertigung sind die Kosten für Rohstoffe und für die eigene Produktion auszuweisen - hier fallen etwa Maschinenkosten, Personalkosten der Produktionsmitarbeiter und weitere Gemeinkosten an. Diese sind teilweise kaum exakt zu quantifizieren, wenn noch keine Erfahrungen in der Produktion derartiger Objekte vorliegen oder noch gar keine entsprechenden Mitarbeiter und benötigten Maschinen im Unternehmen vorhanden sind. Zur Sicherung der Make-or-Buy-Entscheidungsqualität sollten jedoch erforderliche Datenerhebungen realisiert und Schätzverfahren angewendet werden. Weiterführende Hinweise Make-or-Buy-Entscheidungen liefern nur dann gute Ergebnisse, wenn sie die Vielschichtigkeit der Entscheidung in den Bewertungsprozesses integrieren. Einfache Ansätze, die nur die momentane Fähigkeitsausstattung des Unternehmens, nur die Lieferantenverfügbarkeit oder nur den Kostenvergleich in den Mittelpunkt rücken, sind zwar in der betrieblichen Praxis immer wieder anzutreffen, verkürzen das Problem aber unzulässig und dürften häufig zu Fehlentscheidungen führen. Auch eine statisch-passive Sichtweise kann zu Fehlsteuerungen beitragen. Die aktuelle Einschätzung von Marktverhältnissen und Lieferantenfähigkeiten ist nicht für die Zukunft festgeschrieben. Lieferanten können aus Märkten ausscheiden, ihre Schwerpunkte verändern oder von Eigenfertigung K Fremdbezug K Eigenfertigung K m <?page no="72"?> 2.2 Lieferantenaudit 73 www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden Konkurrenten übernommen werden. Die Personen, die Make-or-Buy-Entscheidungen treffen und ausführen, können allerdings auch systembeeinflussend wirken. Insbesondere können sie eigene Fähigkeiten und Machtpositionen verändern, aber auch durch gezielte Lieferantenförderung und Lieferantenentwicklung Zulieferer befähigen, Produktionsaufgaben zu übernehmen. Auch die Kosten der Eigenfertigung können durch Technologieentwicklungen beeinflusst werden. Entscheider sollten daher für verschiedene Situationskonstellationen die Betrachtungen und Berechnungen ausführen und in gewissen Abständen für die gleichen Objekte wiederholen - können doch Veränderungen bei einzelnen Variablen, die entweder selbst herbeigeführt oder durch das Umfeld getrieben werden, ein Umschwenken nahelegen. 2.2 Lieferantenaudit Problemstellung: Beurteilung eines neuen Lieferanten und Analyse seiner Fähigkeiten zur Risikominimierung vor Abschluss von Lieferverträgen Zielgruppe: Einkäufer, Materialgruppenmanager, Logistiker, Qualitätsmanagementmitarbeiter, Lieferantenentwickler Voraussetzungen: Mitwirkungsbereitschaft des Lieferanten, interdisziplinäre Herangehensweise und Know-how im Bereich Prozess- und Produktionsanalyse Zielsetzung des Lieferantenaudits Das Lieferantenaudit ist eine Methode der Lieferantenanalyse und Lieferantenbewertung und dient dem Abnehmer von Waren zur Erhebung von Primärdaten. Im industriellen Beschaffungswesen werden Einkaufsvorgänge nicht bei jedem auftretenden Bedarf vollständig neu angestoßen. Baut ein Automobilhersteller in seine Fahrzeuge üblicherweise Schaltgetriebe, auf Kundenwunsch aber auch Automatikgetriebe ein, so wird das Unternehmen nicht bei jeder Bestellung eines Automatikfahrzeuges erneut auf Lieferantensuche gehen. Vielmehr wird der Automobilhersteller Kooperationen mit Lieferanten eingehen, die in der Regel einen Vertrag über einen großen Teil oder über die gesamte Laufzeit der Produktion des aktuellen Modells erhalten und bei denen der Hersteller die benötigten Getriebe in vereinbarter Spezifikation und zu vereinbarten Preisen abrufen kann. Für die reibungslose Funktionsweise des Ansatzes ist es von großer Bedeutung, dass man zuverlässige Lieferanten ausgewählt hat. Die Zuverlässigkeit und Fähigkeit möglicher Lieferanten wird das Unternehmen im Vorhinein prüfen wollen. Zahlreiche Informationen kann der potenzielle Lieferant dem Kunden in schriftlicher Form vorlegen. Weitere Informationen wird der Kunde selbst einholen wollen, da er gegebenenfalls ein Manipulationsinteresse seitens des Lieferanten vermutet oder weil die Einstufung, ob eine bestimmte Qualifikation vorliegt, intersubjektiv sehr unterschiedlich ausfallen kann. Zu diesem Zweck kommen Lieferantenaudits zum Einsatz. Sie liefern sehr detaillierte Informationen 113 für eine begrenzte Anzahl von in die engere Wahl 113 Vergleiche Wagner (2003, S. 709 f). <?page no="73"?> 74 2 Beschaffung und Logistik www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden genommenen Lieferanten. 114 In den entsprechenden Audits muss der Lieferant nachweisen, dass er beispielsweise die Kapazitäten oder Qualifikationen und die prozessualorganisatorischen Fähigkeiten besitzt, die geforderten Leistungen zu erbringen. Für gewöhnlich kommen zur Überprüfung dieser Aspekte Auditoren in das Unternehmen des Lieferanten und fordern Einsicht in und Stellungnahmen zu Produktionsprozessen, Anlagen, Prüfinstrumenten oder Qualitätsmanagementprozessen. Der Auditor möchte sich ein Bild machen, ob der Lieferant den gesetzten Anforderungen genügt. 115 Im Ergebnis kann die Ausstellung eines Zertifikates stehen, welches das Vorhandensein des geforderten Fähigkeitenausmaßes seitens des Lieferanten dokumentiert. Der Lieferant wird sich dieser Prozedur unterziehen, da er vielfach nur hierdurch die Möglichkeit erhält, Lieferant des potenziellen Abnehmers zu werden und gelegentlich auch, um Anregungen zur Verbesserung der eigenen Vorgehensweisen von einem unternehmensexternen Gutachter zu erhalten. Beschreibung des Lieferantenaudits Das Lieferantenaudit kommt insbesondere dann zum Einsatz, wenn Abnehmer weitreichendere Informationen über Lieferanten benötigen, die man auch durch Nachweise oder die Lieferung von Musterteilen nicht erhält. Die Kunden der Lieferanten wollen bestimmte Fähigkeiten prüfen. Dazu wollen sie Prozesse, Strukturen, Ressourcen und gelegentlich auch die Unternehmenskultur untersuchen. In der Praxis hat sich gezeigt, dass andere Evaluationsvarianten vielfach zu Fehlschlägen führen. Auch wenn Zulieferer durch die Zusendung von nach Vorgaben des Kunden gefertigten Musterteilen belegen, dass sie die gewünschten Ergebnisse erzeugen können, wird für den Abnehmer beispielsweise nicht sichtbar, ob es sich hierbei um arbeitsintensiv erzeugte Teile handelt - mit besonderer Zuwendung etwa in Handarbeit - oder ob der Lieferant diese Fähigkeit auch für hohe Stückzahlen mit wechselnden Anteilen einzelner Varianten termingetreu bereitstellen kann. Die Verfügbarkeit stabiler Prozesse, robuster produktionstechnologischer Anlagen und logistischer Flexibilität beim Lieferanten bestimmen jedoch wesentlich den Erfolg des Unternehmens auf der nachfolgenden Wertschöpfungsstufe. Muss dieses Unternehmen mit Lieferverzögerungen, hohen Ausschussraten oder mangelnder Umstellungsgeschwindigkeit auf andere Varianten beim Lieferanten kämpfen, werden bei ihm als Abnehmer der Vorprodukte erhebliche Aufwendungen und gegebenenfalls auch beträchtliche Schäden - etwa in Form von Terminverzögerungen, Produktionsstillstand, Nacharbeit oder Prüfungen - entstehen. Das Audit - also das Prüfen der Fähigkeiten des Lieferanten in dessen Betriebsstätte - soll dem Abnehmer ein differenziertes Bild von der Leistungsfähigkeit des Lieferanten verschaffen, einen passgenauen Zuschnitt von Lieferaufträgen erlauben, gegebenenfalls Entwicklungspotenziale aufdecken und möglicherweise auch das Vorhalten von Ausgleichsmechanismen, beispielsweise in Form temporär höherer Lagerbestände für Vorprodukte, bei Kunden auslösen. Ähnlich wie das Assessment Center im Personalmanagement zur Beurteilung von Bewerbern angewendet wird, um neben Zeugnisnoten und Bewerbungsunterlagen auch die außerhalb der fachlichen Sphäre liegenden Kompetenzen zu prüfen, so ist das Lieferantenaudit bemüht, ein umfassenderes Bild 114 Brunner & Wagner (2008, S. 31). 115 Audits werden nie allumfassend sein können, sondern immer einen speziellen Fokus aufweisen, etwa System-, Prozess- oder Produktaudit (vergleiche Large 2009, S. 198 f). <?page no="74"?> 2.2 Lieferantenaudit 75 www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden eines möglichen Kooperationspartners zu zeichnen. Auf dieser Grundlage kann man unter anderem eigene Planungen wie beispielsweise die Verlagerung von Produktionsschritten zum Lieferanten im Rahmen von Make-or-Buy-Entscheidungen absichern. Zur Durchführung von Lieferantenaudits werden zahlreiche Kriterien herangezogen - man spricht in diesem Zusammenhang daher von einem multikriteriellen Vorgehen. Das heißt, es wird nicht nur eine wichtige Eigenschaft geprüft, sondern der Versuch unternommen, hinsichtlich vieler bedeutender Faktoren Informationen zu erhalten, die zu einer Gesamtschau zusammengeführt werden. Abbildung 43 enthält Beispielkriterien für ein innovationsbezogenes Lieferantenaudit. 116 Abbildung 43: Beispielkriterien für ein innovationsbezogenes Lieferantenaudit 117 Welche Prüfkriterien als wichtig angesehen werden, kann man unter Berücksichtigung der Anforderungen des Abnehmers und der Art des Lieferanten bestimmen. 118 Bei einem Lieferanten von Standardteilen werden andere Prüfungen im Vordergrund stehen, als bei einem Zulieferer für speziell zugeschnittene Systeme. Da man verschiedene Merkmale prüft, variieren auch die Prüfverfahren. Diese reichen von Probeläufen einer Presse mit einem seriennahen Werkzeug über eine definierte Zeit bis hin zu organisatorischen Regelungen für etwaige Störfälle. In der Praxis werden auch intensive Gespräche mit Mitarbeitern des Lieferanten geführt, um deren Fähigkeiten in relevanten Feldern einzuschätzen. Gerade vor dem Hintergrund, dass sich viele Lieferanten zu Forschungs- und Entwicklungspartnern verändern, gewinnen weiche Faktoren an Gewicht. Es zählen nicht mehr nur harte, produktionsrelevante Aspekte wie Qualitätsniveau, Anlagenkapazität oder Logistikprozesse, sondern zunehmend auch Entwicklungskompetenz, Problemlösungsbegabung, Innovationsfähigkeit und Innovationsbereitschaft. 116 Vergleiche Mieke (2009, S. 154 ff). 117 Mieke (2009, S. 155). 118 Zu Kriterien zur Bewertung von Lieferanten vergleiche Arnold (1997, S. 75 ff). Bewertungskriterien inhaltlich prozessual − Informationsverfügbarkeit − Kompetenzverfügbarkeit Daten über Betriebsmittelzustand Vergleichsdaten anderer Betriebsmittel Analysefähigkeit Bewertungsfähigkeit Innovationsfähigkeit Implementierungsfähigkeit Projektmanagementfähigkeit − Kapazitätsverfügbarkeit − Bereitschaft in Bezug auf Personelle Kapazität für Innovationsaufgaben Technische Kapazität für Innovationsaufgaben Erweiterung des Aufgabenspektrums Übernahme höherer Verantwortung Investition in zusätzliche Kapazitäten Organisationales Lernen Enge Bindung an den Auftraggeber <?page no="75"?> 76 2 Beschaffung und Logistik www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden Anwendungsbereich und Anwendungsprozess Lieferantenaudits können von unterschiedlichen Funktionsbereichen des Abnehmers gefordert werden. Im Allgemeinen wird das Beschaffungswesen diese anstoßen. Aber auch Qualitätsmanagement-, Produktions-, Logistik- oder Forschungs- und Entwicklungsabteilungen fungieren als Initiatoren. Wenn etwa multitechnologische Innovationen in der Forschungs- und Entwicklungsabteilung geplant sind und einige Kompetenzfelder durch externe Partner abgedeckt werden sollen, dann sucht diese Abteilung in Abstimmung mit der Einkaufsabteilung nach geeigneten Unternehmen und wird das Lieferantenaudit nutzen, potenzielle Kandidaten zu überprüfen. Nach Make-or-Buy- Entscheidungen suchen Einkauf und Produktion nach Lieferanten, die bislang intern beim Abnehmer ausgeführte Produktionsschritte übernehmen. Nach Global Sourcing- Planungen - meist zur Suche eines kostengünstigeren Lieferanten für ein Bauteil in einem Niedriglohnland - wird die Beschaffungsabteilung die Fähigkeit des neuen Lieferanten begutachten wollen, bevor etwaige Verträge geschlossen und Verbindungen mit bestehenden Lieferanten gekündigt werden. Insgesamt werden Lieferantenaudits insbesondere dann durchgeführt, wenn: eine längere Partnerschaft mit dem Lieferanten angestrebt wird, bislang nur wenige Informationen vorliegen, notwendige Informationen nur schwer ermittelbar sind, Leistungen vom Lieferanten erbracht werden sollen, die vom Standard abweichen, der Erfolg des Unternehmens durch schlechte Leistungen des Lieferanten in erheblichem Maße beeinflusst wird. Abbildung 44: Vorgehen des Lieferantenaudits 119 119 Mieke (2009, S. 154). verfügbare Kapazität Bedarf ermitteln Audit durchführen Entscheidungen treffen Akteure identifizieren Kapazitätsauslastungsdiagramme Kompetenzprofile Kriterienliste Plan-/ Ist- Analysen Liste potenzieller Lieferanten Lieferantenliste Organisat. Rahmenbedingungen Branchendatenbanken theoretisches Innovationspotenzial Innovationsbedarf externer Unterstützungsbedarf zielkonforme Bewertungskriterien mögliche neue Partner Dienstleister bislang unbekannte Akteure Liste vorausgewählter potenzieller Innovatoren Auditergebnisse Bedarf Lieferantenentwicklung gewünschte Organisations-, Kultur- Profile Innovationspartner <?page no="76"?> 2.2 Lieferantenaudit 77 www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden Das Verfahren zur Durchführung von Lieferantenaudits bildet ein mehrstufiges Vorgehen, wie in Abbildung 44 dargestellt. Zunächst werden Lieferanten festgelegt, bei denen man Audits durchführen möchte. Handelt es sich hier um eine größere Anzahl, erscheint es sinnvoll, eine Priorisierung vorzunehmen. Anschließend wird ein Auditteam zusammengestellt, das in der Regel crossfunktional ist und Vertreter unterschiedlicher Fachrichtungen und Abteilungen umfasst wie Mitglieder der Beschaffung, der Produktion, des Qualitätsmanagements und des Controllings. Danach erfolgt die Abstimmung mit dem potenziellen oder schon bestehenden Lieferanten hinsichtlich der Auditdurchführung und der terminlichen Koordination. 120 Dann wird das Audit vom Auditteam vorbereitet. Ein wichtiges Feld bildet die Festlegung der Prüfbereiche und Prüfverfahren. In diesem Zusammenhang werden möglicherweise weitere Informationen vom Lieferanten angefordert, die etwaige Prüfungen verkürzen können oder die zur zielgerichteten Vorbereitung erforderlich sind. Es folgt die Durchführung des Audits in der Betriebsstätte des Lieferanten. Die einzelnen Aktivitäten der Auditdurchführung beschreibt Abbildung 45. Abbildung 45: Aktivitäten der Auditdurchführung 121 Das Vorgehen verlangt nach einer konstruktiven Mitwirkung des untersuchten Unternehmens. Gewährt dieses keinen Zugang zu bestimmten Fertigungsabschnitten, hält Informationen zurück, verhindert Gespräche mit relevanten Mitarbeitern oder führt Probearbeiten nicht aus, kann man keine aussagekräftigen Lieferantenauditergebnisse erzielen. Einerseits kann man vermuten, dass Lieferanten daran interessiert sind, möglichst viele Aspekte nicht preiszugeben - und in der Tat passiert es immer wieder, dass Audits wegen mangelnder Kooperationsbereitschaft des Auditierten durch das Auditteam abgebrochen werden. Andererseits wissen Lieferanten, dass sie lukrative und langfristige Lieferaufträge nur dann erhalten, wenn sie das Audit zulassen und aktiv 120 Vergleiche zum Ablauf von Lieferantenaudits Mieke (2009, S. 153 ff). 121 Mieke (2009, S. 156). Datensynthese/ Gesamtbewertung Kriterienliste zielkonforme Bewertungskriterien Liste vorausgewählter potenzieller Innovatoren Rangliste I Bedarf u. pot. Innovatoren abgleichen externer Unterstützungsbedarf Vor-Ort-Audits durchführen Auditergebnisse Rangliste II Audit durchführen situationsadäquate Dienstleister Dokumente/ Befragungen auswerten <?page no="77"?> 78 2 Beschaffung und Logistik www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden mitgestalten. Daher wird das Audit im Normalfall vom Lieferanten unterstützt. Nach der Auditdurchführung beim Lieferanten nimmt das Auditteam die Auswertung vor. Mögliche Ergebnisse können sein, dass die Anforderungen entweder voll, teilweise oder nicht beziehungsweise nicht hinreichend erfüllt werden. Im Fall der Erfüllung von Anforderungen können - wenn man mit dem durchgeführten Audit alle relevanten Bereiche abgedeckt hat - Verhandlungen über die Belieferung mit entsprechenden Komponenten oder Systemen beginnen. Im Fall der teilweisen Erfüllung von Anforderungen und im Fall der Nicht-Erfüllung von Anforderungen kann es bei Verfügbarkeit von besser positionierten Alternativlieferanten zum Abbruch der Kooperationsanbahnung kommen. Bei Nichtvorhandensein geeigneter anderer Lieferanten werden Maßnahmen erarbeitet und zur Umsetzung empfohlen, die bei konsequenter Implementierung eine Verbesserung der Lieferantenleistung in den nicht anforderungsgerechten Merkmalsebenen erwarten lassen. Die Maßnahmen werden häufig gemeinsam mit dem Lieferanten entworfen. Ein Vorgeben von Maßnahmen durch das auditierende Unternehmen führt oftmals zu Abwehrhaltungen seitens des Lieferanten und kollidiert möglicherweise mit bestehenden, funktionsfähigen Abläufen oder Systemen des Lieferanten. Eine alleinige Erarbeitung von Veränderungsmaßnahmen durch den Lieferanten weist typischerweise nicht ausreichend Optimierungspotenzial auf. Gemeinsam erarbeitete Lösungswege sind in der Regel gut geeignet, festgestellte Defizite abzubauen, da sie durch die externe Sichtweise des Auditors genügend Neuerungspotenzial aufweisen und durch die Detailkenntnis des Lieferanten bestehende Bedingungen und Restriktionen berücksichtigen. Gegebenenfalls erfolgt nach der Maßnahmenumsetzung ein erneutes Lieferantenaudit. Weiterführende Hinweise Lieferantenaudits sind gut geeignet, schnell und umfassend einen Eindruck vom Leistungspotenzial eines Lieferanten zu erhalten. Sie bedürfen allerdings umfassender Vorbereitungen und erzeugen erheblichen Aufwand. Nur interdisziplinäre und eingespielte Teams vermögen im Verborgenen liegende Schwächen zielsicher aufzudecken. Allerdings bilden Audits kein Allheilmittel. Die Durchführung ändert meist noch nicht viel. Erst das konsequente Erarbeiten und Einführen von Verbesserungsmaßnahmen führt den Lieferanten auf den gewünschten Pfad. Im internationalen Kontext können weitere Probleme auftreten - insbesondere dann, wenn Partner unterschiedlichen Kulturkreisen entstammen. Dann müssen Auditteams gegebenenfalls die Art ihres Vorgehens anpassen, um alle relevanten Informationen zu erhalten. In der Praxis kommt es beispielsweise aus folgenden Gründen häufig zu Irritationen auf beiden Seiten: Wird eine zu genaue Prüfung als Vertrauensentzug gewertet? Ist die direkte Ansprache von Produktionsmitarbeitern hierarchieübergreifend durch Abteilungsleiter des auditierenden Unternehmens möglich? Werden bohrende Fragen als vernichtende Kritik aufgefasst und geht damit ein Gesichtsverlust des Befragten einher? Sind zugesagte Verbesserungsmaßnahmen und entsprechende Termine wortgenau zu verstehen oder lediglich als Zeichen des guten Willens zu interpretieren? Diese und weitere Fragen sollte man im Vorfeld eines internationalen Lieferantenaudits klären und die Methode gemäß den jeweiligen kulturellen Bedingungen anpassen. Nur so kann es gelingen, Vertrauen als Basis für eine nutzenstiftende Kooperation zu schaffen und eine Win-win-Situation herzustellen. <?page no="78"?> 2.3 Beschaffungs- und logistikorientierte Portfolios 79 www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden 2.3 Beschaffungs- und logistikorientierte Portfolios Problemstellung: Planung von Beschaffungsoptionen und Erarbeitung von Beschaffungs- und Logistikstrategien Zielgruppe: Einkäufer, Risikomanager, Logistiker, Supply Chain Manager, Controller Voraussetzungen: Zugang zu allen beschaffungs- und logistikrelevanten Informationen Zielsetzung der beschaffungs- und logistikorientierten Portfolios Beschaffungs- und logistikorientierte Portfolios sollen Bewertungen, Entscheidungen und Planungen innerhalb des strategischen Beschaffungs- und Logistikmanagements fundieren. Beschaffungs- und logistikorientierte Portfolios unterstützen die mehrbeziehungsweise zweidimensionale Betrachtung unterschiedlicher Planungsgegenstände. Ferner erlauben sie durch ihre prägnante und eingängige Darstellung eine unkomplizierte Einbindung weiterer Experten in die Planungsaufgabe und eine unmissverständliche Kommunikation der Planungsergebnisse an andere Bereiche oder Hierarchieebenen. Die Zielrichtungen der verschiedenen Portfolios sind sehr unterschiedlich. Sie erstrecken sich unter anderem auf folgende Bereiche: Planung des Auftretens auf dem Beschaffungsmarkt, Untersuchung von aktuellen oder potenziellen Kooperationen im Bereich der Beschaffung und Logistik, Analyse der Logistikkostendimensionen, Prüfung der Strukturen in Lieferketten, Betrachtung von Risikosituationen, Evaluation der Lieferantenstruktur. Die Portfolios bilden nur das Ergebnis eines umfassenden Analyse-, Bewertungs- und Planungsprozesses. Insofern verfolgt man mit ihnen auch das Ziel, den Analyse- und Planungsfokus der Organisationsmitglieder auf wesentliche Aspekte zu lenken, diese sowohl gründlich zu erfassen und zu validieren als auch kontinuierlich zu beobachten und immer wieder neu zu beurteilen. Beschreibung der beschaffungs- und logistikorientierten Portfolios Das Einkaufsportfolio zur Planung des Auftretens am Beschaffungsmarkt ist eine Methode zur Unterstützung der Beschaffungsstrategiewahl. Es enthält Merkmale zur Beschreibung des Beschaffungsmarktes und spannt die Dimensionen Nachfragemacht und Lieferantenmacht auf. 122 Dabei bezeichnet das Merkmal Nachfragemacht die eigene relative Machtposition. Die Lieferantenmacht zeigt die relative Stärke des Zulieferers wie in Abbildung 46 illustriert. Die Durchführung der Analyse wird pro Beschaffungsobjekt oder pro Materialgruppe vollzogen. So können sich für einzelne Objekt- 122 Vergleiche Kraljic (1985, S. 11). <?page no="79"?> 80 2 Beschaffung und Logistik www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden klassen unterschiedliche Empfehlungen ergeben. 123 Nach der Einordnung der objektbezogenen Daten in das Portfolio kann man Empfehlungen für Normstrategien ableiten, die es dem Beschaffungsmanagement erleichtern sollen, eine konsequente strategische Ausrichtung zu finden. Der durch das Koordinatenkreuz aufgespannte Raum gliedert sich in drei Segmente: ohe Nachfragemacht/ geringe Lieferantenmacht, eringe Nachfragemacht/ hohe Lieferantenmacht, leichlautende Ausprägung beider Dimensionen. Bei hoher Nachfragemacht und geringer Lieferantenmacht werden typischerweise strategische Richtungen und Handlungen empfohlen, die auf das Einfordern von Vorteilen in der Nachfrager-Lieferantenbeziehung gerichtet sind, etwa in Form von Preisabschlägen oder abnehmergerechten Liefer- und Zahlungsbedingungen. Das fordernde Auftreten resultiert aus einem geringen Lieferrisiko, wobei man berücksichtigen sollte, dass die vorliegende Situation nicht statisch ist. Treten Nachfrager zu forsch auf, können Lieferanten die Tätigkeit in diesem Geschäftsfeld als unattraktiv einstufen, sich umorientieren und damit eine Situation schaffen, in der die Nachfragemacht des Abnehmers sinkt und die Lieferantenmacht der verbleibenden Lieferanten steigt. Derartige Aspekte sollte man im Blick haben, während man die Kräfteverhältnisse zugunsten des Abnehmers zu nutzen versucht. Abbildung 46: Einkaufsportfolio 124 123 Vergleiche Schulte (2009, S. 280). 124 Modifiziert nach Kraljic (1985, S. 11). gering hoch gering hoch - Lieferantenmacht - - Nachfragemacht mittel mittel Abschöpfen Abwägen Diversifizieren Abschöpfung Abwägen Diversifizieren Abschöpfen Abwägen Diversifizieren <?page no="80"?> 2.3 Beschaffungs- und logistikorientierte Portfolios 81 www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden Bei geringer Nachfragemacht und hoher Lieferantenmacht kommen häufig keine Verhandlungen zustande, in denen der Abnehmer seine Wünsche bezüglich der Konditionen durchsetzen kann. Gelegentlich sind diese Fälle derart sensibel, dass Abnehmer um Lieferanten werben und sich selbst als attraktive Abnehmer präsentieren müssen, um überhaupt mit Lieferungen bedacht zu werden. Bei einigen Rohstoffen sind Vorräte temporär so knapp, dass Lieferanten auswählen können, an wen sie zu welchem Zeitpunkt liefern. Gelegentlich macht kleineren Abnehmern die Tatsache zu schaffen, dass seitens der Lieferanten Mindestabnahmemengen vorgegeben werden, die für den Abnehmer zu hoch angelegt sind und immense Lagerhaltungs- und Kapitalbindungskosten erzeugen würden. In derartigen Konstellationen können Abnehmer Kooperationen anstreben, um Bedarfe zu bündeln und um ihre Machtposition auszubauen. Ebenso erscheint es sinnvoll, durch Lieferantenförderung vonseiten der Abnehmer, gezielt Lieferanten aufzubauen, die bislang noch nicht in dem bearbeiteten Feld aktiv sind, aber das Potenzial zur Bearbeitung dieses Bereiches aufweisen. Dadurch kann man die hohe relative Macht der bisherigen Lieferanten unter Umständen senken. Auch die vermehrte Suche nach anderen Lieferanten - beispielsweise außerhalb des bisherigen Aktionsraumes, etwa in anderen Ländern oder auf anderen Kontinenten - oder das Erarbeiten alternativer technischer Lösungen, welche besagte Vorprodukte nicht mehr benötigen und damit eigene Bedarfe auf andere Beschaffungsmarktsegmente verlagern oder auch das Verbünden mit oder der Kauf von Lieferanten, stellen mögliche Reaktionsmuster dar. Bei gleichartiger Ausprägung beider Machtdimensionen erscheint ein ausgewogenes Vorgehen ratsam, welches vorsichtig tastend Aktionsräume auslotet, ohne durch aggressives Vorgehen Vergeltung zu provozieren. Abbildung 47: Kooperationsportfolio 125 Das in Abbildung 47 dargestellte Kooperationsportfolio rückt die Optimierung von Partnerschaften in den Mittelpunkt - sei es in Form von Beschaffungs- oder Logistiknetzen - und zielt auf die Größen Kooperationsbedarf und Kooperationsqualität. Es unterstützt die Untersuchung, ob für unterschiedliche Klassen von Beschaffungsobjekten eine Einführung oder Fortführung von kooperativem Handeln geboten erscheint. 125 Modifiziert nach Otto (2002, S. 303). gering hoch gering hoch - Kooperationsbedarf - - Kooperationsqualität - Sachliche Richtung verändern Kooperation beenden Fortführen Qualitätserhöhung bewirken <?page no="81"?> 82 2 Beschaffung und Logistik www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden Der Bedarf kann sich dabei aus der eigenen, geringen Machtposition am Beschaffungsmarkt oder aufgrund fehlender Zugänge zu Beschaffungsquellen ergeben. Die Kooperationsqualität bildet unter anderem Intensität und Reziprozität der Kooperation ab. Sind Bedarf und Qualität der Kooperation hoch, wird ein Fortführen der Partnerschaft angeraten. Sind beide Merkmale gering ausgeprägt, ist die weitere Kooperation in der Regel nicht lohnend. Die für die Kooperation eingesetzten Ressourcen, zum Beispiel für Abstimmungsvorgänge, können an anderer Stelle unter Umständen mit höherem Nutzen eingesetzt werden. Bei geringer Ausprägung des Bedarfs, aber hoher Ausprägung der Qualität kann man den Versuch unternehmen, die sachliche Ausrichtung der Netzwerkaktivitäten in einen Bereich zu lenken, in dem intern höherer Kooperationsbedarf besteht. Gelingt dies nicht, dürfte eine weitere Kooperation trotz hoher Qualität nicht rational sein. Bei hohem Bedarf und geringer Kooperationsqualität sollte man auf die Veränderung der Qualität hinwirken. Diese könnte etwa durch das Einbringen anderer Koordinationsmechanismen, die Veränderung der Netzwerkkultur oder die Implementierung neuer Abstimmungsmechanismen und Kommunikationstechnologien beeinflusst werden. Das Frachtkosten-Bestandskosten-Portfolio zur Analyse der Logistikkosten visualisiert die Höhe von Frachtkosten und Bestandskosten - zwei wichtige Bestandteile der Logistikkosten. Diese in Abbildung 48 beschriebenen Aspekte stehen häufig in einer konfliktären Beziehung zueinander. 126 Abbildung 48: Frachtkosten-Bestandskosten-Portfolio 127 Gelingt es, Frachtkosten zu senken, etwa durch Bündelung von zeitlich unterschiedlich anfallenden Bedarfen und durch eine damit verbundene Reduktion von Transportvorgängen, dann steigen die Lagerkosten in der Regel an, weil zu früh angeliefertes Material im Unternehmen gelagert werden muss. Wird demgegenüber die Senkung der Lagerkosten angestrebt, so führt dies üblicherweise zur Erhöhung der Bestellfrequenz und zur Verringerung der Bestellmenge. Häufige Lieferungen kleiner Mengen sind die 126 Vergleiche Werner (2013, S. 258). 127 Modifiziert nach Werner (2013, S. 260). gering hoch gering hoch - Bestandskosten - - Frachtkosten - JIT-Lover Best Practice Loser Security Fan <?page no="82"?> 2.3 Beschaffungs- und logistikorientierte Portfolios 83 www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden Folge, wodurch Lagerkosten sinken, aber Transportkosten steigen. Die jeweiligen Veränderungen sind für gewöhnlich nicht gleich groß. Das heißt, die Senkung der Transportkosten kann beispielsweise höher ausfallen als der Anstieg der Lagerkosten. Das Frachtkosten-Bestandskosten-Portfolio versucht, diese Zusammenhänge abzubilden, eine Einordnung vorzunehmen und auch im Vergleich zu anderen Unternehmensstandorten aufzuzeigen, ob das Unternehmen bei der konkreten Ausgestaltung seiner Liefer- und Lagermengen einem Gesamtoptimum nahe ist. Dabei unterscheidet man typischerweise vier Bereiche: Best-Practice-Unternehmen, die im Allgemeinen in beiden Dimensionen geringe Kosten aufweisen. Just-in-time-Lover, die Bestandskosten minimieren und steigende Frachtkosten in Kauf nehmen. Den Security Fan, der Frachtkosten minimiert und Bestandskosten in großer Höhe akzeptiert sowie den Loser, der sowohl bei Frachtals auch bei Bestandkosten ein vergleichsweise hohes Niveau aufweist. 128 In der Praxis wird man den Best-Practice-Fall präferieren, wenngleich man diesen kurzfristig kaum erreichen kann. In Abhängigkeit vom Status quo eines Unternehmens, sind Maßnahmen in die gewünschte Richtung einzuleiten. Operiert ein Unternehmen beispielsweise mit verderblichen Gütern, die einen unregelmäßigen Abgang aufweisen, dürfte das Just-in-time-Lover-Konzept vorteilhaft sein. Nutzt das Unternehmen Vorprodukte, für die eine geringe Versorgungssicherheit besteht, erscheint es besser, die Security-Fan-Position einzunehmen. Für beide gilt jedoch, dass sie durch Produktanpassung, Veränderung der Lieferantenstruktur oder durch eine Modifikation der Lieferkette die Best-Practice-Position anstreben sollten. Abbildung 49: Supply Chain Map und Beanspruchungs-Belastungs-Portfolio 129 Das Beanspruchungs-Belastungs-Portfolio und die Supply Chain Map unterstützen die Strukturprüfung einer industriellen Lieferkette. Unternehmen versuchen, sich in Abnehmer- Lieferanten-Beziehungen stärker zu vernetzen, Informationen intensiver auszutauschen, gemeinsame Ziele zu entwerfen und einheitliche Steuerungsalgorithmen zu nut- 128 Vergleiche Werner (2013, S. 260). 129 Modifiziert nach Bacher (2004, S. 179). Beanspruchungs- Supply Chain Map OEM 1. Tier 2. Tier 3. Tier 4. Tier 5. Tier 1 2 gering hoch gering hoch - Belastbarkeit des Pfades - - Beanspruchung des Pfades - Stärkung und Austausch von Kettengliedern Erhaltung / Management by Exception Erhaltung und erfolgreiche Weiterentwicklung Überprüfung und Einsparungen 2 1 <?page no="83"?> 84 2 Beschaffung und Logistik www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden zen. Sie wollen dadurch beispielsweise schneller auf Veränderungen von Kundenpräferenzen reagieren, die Lieferleistung erhöhen und Bestandskosten senken. Zu diesem Zweck formen sie Lieferketten beziehungsweise so genannte Supply Chains, die sie nach vereinbartem Muster steuern. Das Bild der Lieferkette verdeutlicht, dass die Leistungsfähigkeit der Gesamtkette wesentlich von der Leistungsfähigkeit seiner schwächsten Mitglieder bestimmt wird. In der Supply Chain Map werden die Verknüpfungen zwischen den Kettengliedern visualisiert. Im Beanspruchungs-Belastungs-Portfolio erfolgt die Einordnung jeder Beziehung, also jeder Koppelstelle beziehungsweise jedes Kettengliedes hinsichtlich der beiden Merkmale Beanspruchung und Belastbarkeit. 130 Die Belastbarkeit stellt eine Potenzialgröße dar und zeigt, wie stark diese Stelle der Lieferkette ist. Die Beanspruchung verdeutlicht, welche Nutzung dieses Kettenbereiches in der Realität gegeben ist. Durch die in Abbildung 49 dargestellte Skalierung „gering“ und „hoch“ beider Achsen ergibt sich die für Portfolios typische quadrantenartige Struktur. Sind beide Dimensionen etwa gleich ausgeprägt, wird von einer situationsgerechten Dimensionierung der Kette ausgegangen. Sind beide Merkmale unterschiedlich ausgeprägt, kann man Veränderungsmöglichkeiten ableiten. Sind in einem Kettenabschnitt hohe Beanspruchung und geringe Belastbarkeit kombiniert, stellt dieser Bereich ein erhebliches Risiko für die gesamte Kette dar. An dieser Stelle sollte man die Verstärkung des Kettengliedes forcieren - etwa durch Lieferantenförderung oder indem man den schwachen Partner durch einen neuen Lieferanten ersetzt. Sind andere Koppelstellen stark belastbar, allerdings nur wenig beansprucht, sollte man prüfen, ob man hier durch Abspecken Kostensenkungen realisieren kann. Innerhalb des Beschaffungs- und Logistikmanagements nimmt die Analyse und Steuerung von Risiken breiten Raum ein. Unternehmen nutzen Beschaffungsquellen - auch wenn diese weit entfernt liegen -, um sicher versorgt zu werden. Sie benötigen Rohstoffe und Vorprodukte zur Herstellung ihrer Erzeugnisse. Bleiben Lieferungen aus, kann die Produktion nicht erfolgen, und es entsteht erheblicher Schaden. Daher werden in Beschaffung und Logistik auch Risikoportfolios eingesetzt. Das Risikoportfolio zerlegt Risiken in die beiden wesentlichen Beschreibungsgrößen: Schadenshöhe und Eintrittswahrscheinlichkeit. 131 Durch die multiplikative Verknüpfung beider Größen kann man die Risikohöhe ermitteln. Die Zerlegung von Risiken in die relevanten Bestandteile erlaubt es Akteuren, gezielt auf die Parameter einzuwirken und damit die Risikohöhe zu beeinflussen. Zur Bestimmung der Parameterausprägung sind umfassende Analysen erforderlich. So muss man beispielsweise prüfen, wie wahrscheinlich es ist, dass ein Vorprodukt eines asiatischen Lieferanten nicht zum geplanten Zeitpunkt verfügbar sein wird. Beeinflussende Faktoren können die Lieferleistung des Lieferanten, die Unwägbarkeiten des Seeverkehrs, die (Un-)Zuverlässigkeit der Verlader und der Landtransport sein. Überall kann es zu Verzögerungen, Beschädigungen oder gar zum Verlust der Ware kommen. Insofern sollte man präzise Wahrscheinlichkeiten ermitteln. Die Schadenshöhe wird beispielsweise durch etwaige Produktionsausfälle, zu zahlendende Vertragsstrafen des Produzenten an dessen Kunden und Mehraufwendungen bei Nutzung alternativer Versorgungsquellen bestimmt. 130 Vergleiche Kaufmann & Germer (2001, S. 184 ff). 131 Vergleiche zur Risk Map Schulte (2009, S. 697 f). <?page no="84"?> 2.3 Beschaffungs- und logistikorientierte Portfolios 85 www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden Aus dem in Abbildung 50 dargestellten Risikoportfolio können erneut Normstrategien für unterschiedliche Risikoklassen abgeleitet werden. Für Risiken mit geringer Schadenshöhe und geringer Eintrittswahrscheinlichkeit wird häufig das Tragen der Risiken empfohlen. Sie treten vermutlich selten auf, und der Schaden ist gering und nicht existenzbedrohend. Risiken mit großer Schadenshöhe und hoher Eintrittswahrscheinlichkeit stellen demgegenüber eine Bedrohung für das Unternehmen dar. In diesen Fällen besteht akuter Handlungsbedarf. Unternehmen sollten Möglichkeiten prüfen, um die Risiken zu vermeiden oder abzuschwächen. Vermeidung könnte etwa durch einen Wechsel des Lieferanten oder durch Eigenfertigung der Vorprodukte oder durch einen Aufbau weiterer Bezugsquellen erfolgen. Bestehen diese Möglichkeiten nicht, wäre eine Abschwächung des Risikos durch das Vorhalten höherer Sicherheitsbestände im Lager erreichbar. Mittlere Risiken ergeben sich, wenn beide Parameter durchschnittlich oder wenn ein Parameter hoch und der andere gering ausgeprägt ist. In diesen Fällen wird ein Überwälzen der Risiken empfohlen. Die Versicherung von Risiken stellt zum Beispiel ein derartiges Überwälzen dar. Allerdings erscheint es häufig geboten, Möglichkeiten der Risikobeeinflussung zu initiieren. In der Regel bestehen Möglichkeiten, auf Eintrittswahrscheinlichkeit und Schadenshöhe einzuwirken. Abbildung 50: Risikoportfolio Auch die Materialstruktur beeinflusst die Vorgehensweise des Beschaffungsmanagements. Materialstrukturportfolios geben Hinweise für situationsgerechte Beschaffungstaktiken. In ihnen werden wie in Abbildung 51 aufgeführt die benötigten Rohstoffe und Vorprodukte nach Beschaffungsvolumen und Beschaffungsrisiko beziehungsweise Beschaffungskomplexität geordnet. Das Beschaffungsvolumen umschreibt dabei den monetären Wert der Materialien. Standardmaterialien, die in die Gruppe geringes Beschaffungsvolumen und geringes Beschaffungsrisiko fallen, sollten durch sehr aufwandsarme Prozesse wie die Bestellabwicklung über Online-Kataloge eingekauft werden. Bei hoher Ausprägung beider Dimensionen sollte man die Abnehmer- Lieferanten-Beziehung durch Lieferkettenoptimierung oder durch gemeinsame Entwicklungen für die strategischen Materialien stärken. Für Engpassmaterialien mit hohem Risiko und geringem Beschaffungsvolumen empfiehlt das Portfolio, die Senkung der Versorgungsrisiken anzustreben. Mit Blick auf die so genannten Hebelmaterialien mit hohem Beschaffungsvolumen und geringem Versorgungsrisiko sollte man das gering hoch gering hoch - Schadenshöhe - - Eintrittswahrscheinlichkeit - III I II Risikostrategien I Risiken vermeiden / abmildern II Selektive Behandlung III Risiko eingehen / tragen <?page no="85"?> 86 2 Beschaffung und Logistik www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden Marktpotenzial ausschöpfen und durch Beschaffungspreisoptimierung und Auktionen die für den Abnehmer günstige Lage nutzen. Abbildung 51: Materialstrukturportfolio 132 Lieferantenportfolios gliedern sich ebenfalls - wie Materialstrukturportfolios - nach Beschaffungsvolumen und Versorgungsrisiko. Sie unterscheiden nicht nach einzelnen Materialien, sondern nutzen eine Lieferantensicht. 133 Ihr Vorgehen wird im Folgenden stellvertretend für die beschriebenen beschaffungs- und logistikorientierten Portfolios erörtert. Anwendungsbereich und Anwendungsprozess Das Beschaffungsmanagement hat die Aufgabe, Beschaffungsstrategien zu entwickeln, auszuwählen und umzusetzen. Beschaffungsstrategien beschreiben die Leitplanken, die den Akteuren einen handlungsleitenden, aber flexiblen Rahmen vorgeben, um angestrebte Beschaffungsziele zu erreichen. Beschaffungsstrategien sind in mehreren Dimensionen zu bestimmen. Gemäß eines in der Unternehmenspraxis vielfach genutzten Grundansatzes, umfassen Beschaffungsstrategien folgende Dimensionen: 134 Träger der Wertschöpfung (Make or Buy: Eigenerstellung oder Fremdbezug), Anzahl der Bezugsquellen (Single, Double oder Multiple Sourcing), Komplexität des Inputs (Unit Sourcing oder Modular Sourcing), Bereitstellungsart (Stock Sourcing oder Just-in-Time-Sourcing), Größe des Marktraumes (Local, Domestic oder Global Sourcing). Unternehmen müssen für jede dieser Strategieebenen entscheiden, welchem strategischen Muster sie folgen wollen. Allerdings ist es nicht erforderlich, pro Ebene unternehmensweit nur eine Strategie zu nutzen - diese kann in Abhängigkeit bestimmter 132 Modifiziert nach Arnold (2004, S. 95). 133 Die Verknüpfung von Materialstruktur- und Lieferantenportfolio unterstützt die Bildung von Beschaffungsstrategien (vergleiche dazu Essig 2008, S. 65). 134 Vergleiche hierzu auch Abbildung 37 auf Seite 66. gering hoch gering hoch - Beschaffungsvolumen - - Beschaffungsrisiko/ -komplexität - Engpassmaterial Verfügbarkeit gewährleisten Standardmaterial Abwicklungseffizienz erhöhen Strategisches Material Partnerschaft aufbauen Leverage Material Marktpotenzial ausschöpfen <?page no="86"?> 2.3 Beschaffungs- und logistikorientierte Portfolios 87 www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden Merkmale variieren. So ist es üblich, die Strategien für die jeweiligen Materialgruppen zu konfigurieren. Das Lieferantenportfolio unterstützt eine lieferantenindividuelle Strategiewahl. In einem ersten Schritt werden die Beschaffungsmaterialien und Beschaffungsvolumina erfasst, den Lieferanten zugewiesen und die Versorgungsrisiken bestimmt. Danach kann man durch eine Verknüpfung der Daten und deren integrative Beurteilung die lieferantenorientierte Strategiewahl vornehmen. Während die ersten beiden Aspekte in der Regel problemlos erfassbar sind, bereitet die Bestimmung des Versorgungsrisikos in der Praxis gelegentlich Probleme. Die Ermittlung der Risikohöhe ist meist nicht auf Exaktheit angelegt, sondern soll ein Gespür für die Größenordnung der bestehenden Risiken geben. Von einer rein intuitiven Globalschätzung ist jedoch abzuraten. Das Aufgliedern der Risiken in Schadenshöhe und Eintrittswahrscheinlichkeit und die an der Realität und an Erfahrungswerten orientierten Schätzungen der einzelnen Bestandteile für jedes Risiko führen meist zu realistischen Risikowerten. Bei der Schätzung der Risiken sollte man auch - sofern vorhanden - Daten der Lieferantenbewertung und Ergebnisse von Lieferantenaudits berücksichtigen. Abbildung 52 zeigt die Aufteilung aller Lieferanten in vier Gruppen und die zu jeder Gruppe gehörende Normstrategie des Lieferantenportfolios. Hieraus können sich Impulse für Anpassungen in der Lieferantenstruktur oder zur Förderung einzelner Lieferanten ergeben. Abbildung 52: Lieferantenportfolio mit Strategieempfehlungen 135 Weiterführende Hinweise Portfolios sollen Komplexität in Entscheidungssituationen reduzieren. Sie wollen von eindimensionalen Entscheidungsverfahren wegleiten, andererseits die Multidimensionalität durch Zusammenfassung vieler Subkriterien begrenzen und die Vorgehensweise durch die Beschränkung auf Kernaspekte handhabbar machen. Das eine, empfehlenswerte beschaffungs- und logistikorientierte Portfolio existiert indes nicht. Vielmehr haben sich Variationen herausgebildet, die jeweils einen anderen Schwerpunkt setzen. Insofern muss man in der betrieblichen Praxis das für die jeweilige Situation oder für einen speziellen Aufgabenzuschnitt einer Beschaffungs- oder Logistikabteilung pas- 135 Arnold (2004, S. 102). gering hoch gering hoch - Beschaffungsvolumen - - Versorgungsrisiko - Kritischer Lieferant Versorgungssicherheit bei Engpassteilen Teilelieferant Effiziente Abwicklung bei Standardteilen Systemlieferant Wertschöpfungspartnerschaft bei strategischen Teilen Modullieferant Flussoptimierung bei Kernteilen Fokus: Logistikkosten Bestands-/ Zeitmanagement Strategie: Bedarfsorientierte Mengenplanung Bewusste Bevorratung Lieferant sichern Global Sourcing Fokus: Optimale Beschaffungs- und Logistikprozesse Strategie: Verbrauchsorientierte Mengenplanung Effiziente Bestellabwicklung Multiple, Global Sourcing Fokus: Innovation und Produktionskosten Strategie: Bedarfsorientierte Mengenplanung Bedarfsorientierter Nachschub Logistische Kooperation Partnerintegration Single/ Dual, Local Sourcing Fokus: Materialkosten Strategie: Bedarfsorientierte Mengenplanung Verbrauchsorientierter Nachschub Niedrige Bestände Multiple, Global Sourcing <?page no="87"?> 88 2 Beschaffung und Logistik www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden sende Portfolio auswählen oder auch mehrere Portfolios parallel anwenden, um eine ausgewogene Entscheidungsunterstützung zu erreichen. Aus einem Portfolio lassen sich nur Anregungen für die Strategiewahl entnehmen - abnehmen kann und soll es dem Manager die Entscheidung nicht. Einer falschen Methodenhörigkeit sollte im betrieblichen Alltag entgegengetreten werden. Denn die Aussagekraft der Strategieempfehlungen ist begrenzt - vor allem wenn eingeordnete Objekte dicht an der Grenze eines Sektors liegen, das Portfolio nicht alle entscheidungsrelevanten Dimensionen abbildet oder die Einordung auf nur wenigen belastbaren Daten basiert. 2.4 Lieferantenbewertung Problemstellung: Erfassung des Lieferservices bestehender Lieferanten, Erstellung von Zeitreihenanalysen zur Bewertung der Lieferleistungsentwicklung und Vergleich von Lieferanten Zielgruppe: Einkäufer, Qualitätsmanagementmitarbeiter, Logistikmanager, Produktionsleiter, Materialgruppenmanager Voraussetzungen: Datenerhebungs-, Datenspeicherungs- und Datenauswertungssysteme, kontinuierliche Datenerfassung und Verzicht auf kurzfristige Veränderungen der Erfassungslogik Zielsetzung der Lieferantenbewertung Lieferanten versorgen Produzenten mit Rohstoffen und Vorprodukten, aber auch mit Hilfs- und Betriebsstoffen oder Dienstleistungen, welche die Produzenten für ihren Wertschöpfungsprozess benötigen, aber nicht selbst erzeugen. Produzenten sind insofern bemüht, geeignete Lieferanten zu identifizieren, auszuwählen und an sich zu binden. Zu diesem Zweck analysieren Unternehmen Lieferanten, zum Beispiel im Rahmen eines so genannten Lieferantenaudits, das in Kapitel 2.2 beschrieben wird. Allerdings werden die Produzenten die einmal getroffenen Lieferantenentscheidungen nicht ungeprüft auf alle Ewigkeit bestehen lassen. Sie sind an einer permanenten Leistungsmessung der Zulieferer interessiert. Hierzu kann man auf die Methode der Lieferantenbewertung zurückgreifen. Mit ihrer Hilfe werden Kernleistungsparameter in einer bestehenden Lieferbeziehung gemessen. Steht beim Lieferantenaudit eher das Leistungspotenzial des Lieferanten im Vordergrund, so beurteilt die Lieferantenbewertung die realisierte Lieferleistung. Ziel der Methode ist es, Einblicke in die reale Leistung der Lieferanten zu erhalten und basierend auf den periodenübergreifend erfassten Leistungsdaten unter anderem folgende Maßnahmen einzuleiten: 136 Lieferanten zur Verbesserung anhalten, Lieferanten fördern, Lieferanten austauschen, Lieferanten höhere Liefervolumina oder weitere Aufgabenbereiche übertragen, Eigenerstellung von Zulieferteilen initiieren. 136 Vergleiche Knapp, Durst & Bichler (2000, S. 42). <?page no="88"?> 2.4 Lieferantenbewertung 89 www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden Beschreibung der Lieferantenbewertung Die Lieferantenbewertung ist darauf ausgelegt, Lieferantenleistungen quantitativ auszudrücken, vergleichbar zu machen und reale Lieferungen anhand von Messgrößen zu beurteilen, die im Voraus definiert werden. 137 Sie liefert die Basis zur Steuerung von Lieferanten und zum Treffen von Lieferantenentscheidungen. 138 Die Bewertung erfordert kontinuierliche Datenerfassung, Datenaggregation und Datenauswertung. Viele Unternehmen sind dazu übergegangen, verschiedene, mit Lieferungen verbundene Parameter aufzunehmen und systematisch auszuwerten. 139 Gängige Schemata berücksichtigen vor allem folgende Dimensionen: Qualität, Zeit, Preis, Service. Das Kriterium Qualität erfasst, ob die eingehenden Lieferungen den definierten Anforderungen entsprechen: Ist die Lieferung vollständig? Erfüllen alle gelieferten Teile - erfasst durch Vollerhebung oder Stichprobenprüfung - die technischen Parameter wie Maße beziehungsweise Toleranzen, Funktionsfähigkeit oder Festigkeit? Das Kriterium Zeit misst Lieferfähigkeit und Liefertreue. Das heißt, inwiefern konnte der Lieferant den gewünschten Liefertermin zusagen und in welchem Maß wurde der zugesagte Termin eingehalten beziehungsweise von diesem abgewichen. Das Kriterium Preis bildet ab, ob der Lieferant ursprünglich vereinbarte Preise über die Perioden stabil hält, geforderten Preissenkungen nachkommt und zur Einkaufskostenreduktion des Herstellers beizutragen vermag. Das Kriterium Service berücksichtigt in verschiedenen Unternehmen sehr unterschiedliche Beurteilungsgrößen. Einige Beschaffungsabteilungen sehen hier primär die Änderungsflexibilität des Lieferanten, andere fassen hierunter das Informationsverhalten des Lieferanten, wieder andere das Innovationsverhalten und das Einbringen neuartiger Produkt- und Prozessideen in die Lieferanten-Abnehmer-Beziehung. Es steht Unternehmen frei, je nach Interesse, Zielsetzung oder Branche Kriterien zu definieren und zur Bewertung heranzuziehen. Auch können sich bei Veränderung der eigenen Absatzmärkte oder des Leistungsspektrums neue Anforderungen an Lieferanten ergeben, die im Allgemeinen zu einer Modifikation der Lieferantenbewertungskriterien führen. Allerdings ist von einer kurzfristigen Änderung der Bewertungskriterien abzuraten, da ein nicht unerheblicher Nutzen der Lieferantenbewertung in der Betrachtung von Zeitreihen besteht - also in der periodenübergreifenden Analyse der Entwicklung des Leistungsniveaus hinsichtlich einzelner Kriterien für die verschiedenen Lieferanten. Derartige Zeitreihenanalysen kann man in der Praxis nicht mehr durchführen, wenn man die Kriterien zu häufig ändert. Ein Vergleich zwischen Liefe- 137 Vergleiche zu unterschiedlichen methodischen Ausprägungen quantitativer und qualitativer Art Janker (2008, S. 102 ff). 138 Der Hauptnutzen der Lieferantenbewertung liegt beim Bewertenden. Allerdings kann eine Lieferantenbewertung auch für den bewerteten Lieferanten positiv wirken, wenn diesem Veränderungspotenziale aufgezeigt werden, die bei zügiger Umsetzung zu einer Verbesserung der Wettbewerbsposition führen (vergleiche Harting 1994, S. 63). 139 Zu Kriterien siehe Glantschnig (1994, S. 97 ff) und Muschinski (1998, S. 88 f). <?page no="89"?> 90 2 Beschaffung und Logistik www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden ranten ist nur möglich, wenn alle Lieferanten mit Hilfe identischer Kriterien und Bewertungsmaßstäbe beurteilt werden. 140 Eine Messung nach dem Prinzip, wir messen jeweils nur das, wo der einzelne Lieferant die größten Probleme bereitet, ist nicht ratsam. Das heißt auch, dass man Größen erfassen sollte, die aktuell als unproblematisch eingestuft werden. Dies erzeugt Datenerfassungsaufwand und wird daher teilweise kritisch gesehen. Allerdings ermöglicht dieses Vorgehen sowohl den systematischen Vergleich zwischen Lieferanten und die Auswertung von Zeitreihen als auch die objektive Beurteilung des Leistungsniveaus von Lieferanten und das Erkennen sich schleichend aufbauender Leistungsabweichungen. Anwendungsbereich und Anwendungsprozess Die Methode der Lieferantenbewertung kann man in allen Bereichen des Zukaufs externer Leistungen einsetzen, wobei die Kriterien üblicherweise zwischen Beschaffungswesen, Qualitätssicherung und Logistikabteilung abgestimmt werden. 141 Gelegentlich wird man auch weitere Abteilungen wie Produktion, Forschung und Entwicklung oder Controlling einbeziehen, um entweder deren Lieferantenanforderungen aufzunehmen und zu berücksichtigen oder um von deren Kompetenzen in der Messung und Auswertung von Leistungsparametern zu profitieren. Die primäre Zielsetzung der Methode dürfte in der Messung und Bewertung von Produktionsmateriallieferanten liegen. Aufgrund der erheblichen Reduktion von Vormateriallagerbeständen in vielen Branchen haben sich sowohl die Zahl der Belieferungen und Wareneingänge als auch die Bedeutung pünktlicher Belieferung erhöht. Für Unternehmen mit geringer Fertigungstiefe, komplexen Produkten, unterschiedlichen Fertigungsstätten und geringen Lagerbeständen sind Lieferantenbewertungen besonders wichtig. Abbildung 53: Prozess der Lieferantenbewertung Nach der Definition der Leistungskriterien - möglicherweise in crossfunktionaler Abstimmung - erfolgen der Aufbau des Datenerfassungs- und Datenauswertungssystems und die Schulung der Mitarbeiter. Es wird eine Datenbank entwickelt oder ein Bereich im ERP-System genutzt, um die Erfassung und Auswertung der Daten zu gewährleisten. Wareneingangsmitarbeiter werden unterrichtet, welche Kriterien sie erfassen und wie sie diese messen sollen. In diesem Zusammenhang muss man unter Umständen geeignete Prüf- und Messmittel zur Verfügung stellen. Es ist empfehlenswert, die IT- 140 Vergleiche Pfohl, Gareis & Stölzle (1999, S. 5) und Strub (1998, S. 122). 141 Vergleiche die empirischen Befunde bei Janker (2008, S. 161). Definition von Leistungskriterien und Messgrößen Aufbau Datenerfassungs- und -auswertungssystem Schulung der Mitarbeiter Einführung und Anwendung des Vorgehens <?page no="90"?> 2.5 Lieferantenentwicklung und Lieferantenförderung 91 www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden Unterstützung so zu konfigurieren, dass Daten, die bereits an anderer Stelle erfasst werden, auch der Lieferantenbewertung zur Verfügung stehen, um Redundanzen und Doppelerhebungen zu vermeiden. Die betriebliche Praxis hält leider viele Beispiele bereit, die zeigen, dass identische Daten in unterschiedlichen Unternehmensbereichen parallel erhoben werden, ohne dass die betroffenen Abteilungen hiervon Kenntnis haben. In der Beschaffungs- und Logistikabteilung ist schließlich zu definieren, in welchem Turnus die nicht im Wareneingang zu prüfenden Kriterien - wie Innovationsleistung des Lieferanten - beurteilt werden sollen. Nach dieser Definitions- und Einführungsphase kommt das in Abbildung 53 aufgeführte System zur Anwendung. Hierbei ist vor allem auf eine konsequente und vollständige Datenerhebung zu achten. Unvollständige Daten erlauben keine zuverlässigen Aussagen und lassen das gesamte System obsolet werden. Die Nutzung der Daten wird durch die Beschaffungsabteilung insbesondere dann sehr intensiv sein, wenn zum Beispiel Jahrespreisverhandlungen anstehen, einzelne Abteilungen Lieferantenwechsel fordern, neue Teile zur Ausschreibung gebracht oder Lieferantenförderung und Lieferantenentwicklung geplant werden. Weiterführende Hinweise Die Lieferantenbewertung ist im einfachsten Fall eine multikriterielle Punktbewertung verschiedener Personen, wobei die Bewertungskriterien in der Regel von Unternehmen zu Unternehmen differieren. Besondere Gegebenheiten können auch durch unterschiedliche Gewichtungen der verschiedenen Kriterien Berücksichtigung finden. Eine gute Bewertung kann viele Lieferantenentscheidungen vereinfachen und in Zeiten, in denen schnelles Handeln gefragt ist, Unternehmen von der Last befreien, erst im Bedarfsfall Daten zu erfassen oder im Blindflug weitreichende Entscheidungen treffen zu müssen. Stimmt man die Kriterien innerhalb des Unternehmens nicht im Detail ab, können interne Reibereien und fehlende Synergien die Folge sein. Daher empfiehlt sich eine umfassende Abstimmung im Vorfeld der Einführung. Trotz immer wieder propagierter Dezentralisierungstendenzen in Konzernen, erscheint auch eine zentrale Vorgabe - unter Berücksichtigung der dezentralen Anforderungen - der Lieferantenbewertungsmethode und Datenerfassungssystematik ratsam. Können doch auf diese Weise konzernintern sehr pragmatisch Vergleiche vorgenommen, für einzelne Werke neue, aber im Unternehmen schon erprobte Lieferanten erschlossen und die Beurteilungsbasis für Lieferanten ausgeweitet werden. 2.5 Lieferantenentwicklung und Lieferantenförderung Problemstellung: Aufbau von Lieferanten, die den Anforderungen des Unternehmens hinsichtlich Lieferqualität, Lieferfähigkeit, Lieferflexibilität, Liefertreue und Innovationsleistung entsprechen Zielgruppe: Einkäufer, Lieferantenentwickler, Materialgruppenmanager, Prozessoptimierer, Qualitätsmanager Voraussetzungen: ooperative Lieferanten, Lieferantenentwicklungs-Know-how und personelle und finanzielle Ressourcen <?page no="91"?> 92 2 Beschaffung und Logistik www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden Zielsetzung der Lieferantenentwicklung und Lieferantenförderung Lieferantenentwicklung und Lieferantenförderung sollen die Zuliefererbasis eines Unternehmens stärken. Wenn bestehende Lieferanten die gewünschte Leistung nicht erbringen - nachgewiesen zum Beispiel durch schlechte Beurteilungen in der Lieferantenbewertung -, ergibt sich für das beschaffende Unternehmen Handlungsbedarf. Der Hersteller wird zunächst versuchen, mit dem Lieferanten in Kontakt zu treten und gegebenenfalls durch Maßnahmen der Lieferantenerziehung - zum Beispiel durch Gewährung von Leistungsanreizen, durch Vertragsstrafen oder durch die Drohung, die Geschäftsbeziehung aufzulösen - eine Steigerung der Lieferantenleistung zu bewirken. Wenn dies nicht gelingt, dann bleibt häufig nur die Möglichkeit des Lieferantenwechsels. Was ist jedoch zu tun, wenn keine adäquaten Wechselalternativen zur Verfügung stehen? Dann kann man auf die Methode der Lieferantenentwicklung und Lieferantenförderung zurückgreifen. Mit Hilfe der Lieferantenentwicklung kann man potenzielle Lieferanten außerhalb des gegenwärtig bestehenden Lieferantenpools des Unternehmens aufspüren, die noch nicht das gewünschte Leistungsvermögen aufweisen, denen aber ein Entwicklungspotenzial zugesprochen wird, das zum gewünschten Leistungsniveau führen kann. In diesen Fällen wird eine Zusammenarbeit zwischen Lieferant und Kunde vereinbart, und der Hersteller wird versuchen, die erforderlichen Fähigkeiten beim Lieferanten systematisch aufzubauen. 142 Diese fokussierte Hilfestellung ist auch Gegenstand der Lieferantenförderung. Allerdings werden im Rahmen der Lieferantenförderung keine neuen Lieferanten gesucht, sondern bestehende Lieferanten in ihrer Leistungsverbesserung durch den Hersteller unterstützt. In der Unternehmenspraxis werden die Begriffe Lieferantenentwicklung und Lieferantenförderung nicht einheitlich gemäß der hier gewählten Abgrenzung verwendet, gelegentlich werden auch beide Methoden als Lieferantenentwicklung bezeichnet. 143 Beschreibung der Lieferantenentwicklung und Lieferantenförderung Die Ansätze der Lieferantenentwicklung und der Lieferantenförderung sind identisch. Bei der Lieferantenentwicklung sind lediglich die Lieferantensuche und gegebenenfalls ein Lieferantenaudit vorgeschaltet. Danach läuft die Lieferantenentwicklung wie die Lieferantenförderung ab und nutzt folgende Maßnahmen: 144 echnische Beratung des Lieferanten durch Experten des Herstellers, Überlassung von Produktionsfaktoren, gemeinsame Durchführung von Wertanalyseprozessen, Personalschulungen und Lieferantentage. Die technische Beratung des Lieferanten durch Experten des Herstellers bezieht sich häufig auf Produktions- oder Logistikprozesse. Vielfach sind Hersteller mit dem Qualitätsniveau der gelieferten Baugruppen und Einzelteile unzufrieden oder monieren schlechte Lieferleistungen aufgrund verspäteter Anlieferungen. Finden Lieferanten selbstständig keinen Weg zur Optimierung, treten Spezialisten auf den Plan, die den Lieferanten bei der Wahl und Integration neuer Produktionstechnologien unterstützen 142 Vergleiche Lasch & Janker (2008, S. 1004). 143 Vergleiche Durst (2011, S. 18). 144 Vergleiche Durst (2011, S. 96 f) und Corsten & Gössinger (2008, S. 482). <?page no="92"?> 2.5 Lieferantenentwicklung und Lieferantenförderung 93 www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden oder leistungsfähige Betriebsmittel für Logistikprozesse empfehlen. In einigen Branchen sind Zulieferer deutlich kleiner als Hersteller. Insofern verfügen Zulieferer vielfach nicht über eine ausreichende Zahl an Experten in relevanten Technologiegebieten und müssen daher auf die Expertise der Hersteller zugreifen. Die Überlassung von Produktionsfaktoren kommt häufig nach Auslagerungsvorgängen der Hersteller zum Tragen. Trifft ein Hersteller im Rahmen von Make-or-Buy-Überlegungen die Entscheidung, bestimmte Produktionsschritte nicht selbst auszuführen, sondern diese an einen Lieferanten zu übertragen, können sich im Verlauf der Produktion Qualitätsprobleme einstellen, selbst wenn der Lieferant alle erforderlichen Kompetenzen besitzt, um die Aufgabe zu realisieren. Qualitätsprobleme können auf nicht leistungsfähigen Betriebsmitteln basieren, die beispielsweise die präzisionalen Anforderungen nicht wiederkehrend erfüllen. In diesen Fällen kann der Hersteller seine nicht mehr benötigten Maschinen und Anlagen dem Lieferanten zur Verfügung stellen, um diesem eine höhere Produktqualität zu ermöglichen und um selbst eine unkomplizierte Weiterverarbeitung von Vorprodukten vornehmen zu können. Abbildung 54: Einsatzfelder der Wertanalyse 145 Wertanalyseprozesse wird man insbesondere dann gemeinsam durchführen, wenn seitens der Hersteller deutliche Einkaufspreissenkungen angestrebt werden. Viele Hersteller machen die Erfahrung, dass in ersten Preissenkungsrunden - bei entsprechender Verhandlungsführung - in der Tat deutliche Kosteneinsparungen möglich sind. Allerdings lassen sich diese in den Folgejahren im Allgemeinen nicht wiederholen. Preisverhandlungen, Mengenbündelungen, Lieferantenwechsel, Global Sourcing und andere primär kaufmännisch ausgelegte Beschaffungsmethoden stoßen an ihre Grenzen. Durch geschickte technische Veränderungen von Produkten und Prozessen lassen sich oftmals erhebliche Kostensenkungspotenziale erschließen, worauf die Wertanalyse abzielt. Da hierfür umfangreiches technisches Wissen, Kreativität und Auswirkungsanalysen über den eigenen Bereich hinaus erforderlich sind, versprechen gemeinsame Wertanalyseprojekte von Hersteller und Lieferant besonderen Erfolg. Eine Übersicht über mögliche wertanalytische Ausprägungsformen und Einsatzfelder enthält Abbildung 54. 146 145 Mieke (2009, S. 18). 146 Vergleiche Specht & Mieke (2005a, S. 182 ff). Klassifikationskriterien Ausprägungen Existenz des WA-Objektes Art des WA-Objektes Ort des WA-Objektes Fokus des WA-Objektes Kostensenkung Qualitätssteigerung Komplexitätsreduktion in F&E in Beschaffung in Logistik in Produktion in Administration für Produkte für Prozesse für reale Objekte „Wertanalyse“ für geplante Objekte „Wertgestaltung“ <?page no="93"?> 94 2 Beschaffung und Logistik www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden Personalschulungen und Lieferantentage zielen darauf ab, den Kenntnisstand des Lieferanten zu erhöhen. Mitarbeiterschulungen des Lieferanten - oft auch in der Fabrik des Herstellers - erhöhen die Kompetenzen und versetzen Lieferanten in die Lage, Herstelleranforderungen zu erfüllen. Die Analyse, Planung und Verbesserung von Kompetenzen kann man schließlich mit Hilfe des in Abbildung 55 aufgeführten Kompetenzklassendiagramms unterstützen. 147 Abbildung 55: Kompetenzklassendiagramm 148 Lieferantentage dienen dem Austausch zwischen den Akteuren, der Stärkung persönlicher Beziehungen zwischen den Angehörigen verschiedener Unternehmen, aber auch dem Strategieausblick seitens des Herstellers. Dieser gibt Auskunft über seine künftigen Ziele und ermöglicht es dadurch Lieferanten, sich auf anstehende Veränderungen einzustellen und eigene Planungen daran auszurichten. Anwendungsbereich und Anwendungsprozess Lieferantenentwicklung und Lieferantenförderung erfordern erheblichen Kapazitätseinsatz des Herstellers. Diesen Einsatz wird der Hersteller nur erbringen, wenn kostengünstigere Alternativen nicht verfügbar oder nicht erfolgversprechend sind. Der Aufwand kann sich jedoch lohnen, wenn dadurch Fehlerkosten, erhöhte Logistikkosten oder Kosten für Produktionsausfälle vermieden werden. Großunternehmen haben in den Beschaffungsabteilungen Lieferantenentwicklungsteams etabliert, die meist Fertigungstechnologie- und Prozessexperten umfassen. Sie suchen teils selbst nach potenziellen Lieferanten, die sie dann aufbauen können. Häufiger werden sie hingegen von Materialgruppenverantwortlichen in den Einkaufsabteilungen hinzugezogen, wenn diese ihre kaufmännischen Ansätze ausgeschöpft haben oder für neuartige Produkte keine passfähigen Zulieferer finden können. 147 Vergleiche Mieke (2006, S. 209). 148 Mieke (2006, S. 209). Kompetenz im Umgang mit Instrument A Kompetenz im Umgang mit Instrument B Kompetenz im Fachgebiet I Kompetenz im Fachgebiet II Interaktionskompetenz Spezielle kulturelle Kompetenz Kompetenz im Fachgebiet III Kompetenz im Fachgebiet IV Kompetenz im Umgang mit Instrument C Kompetenz im Fachgebiet V Kompetenz im Umgang mit Instrument D Projektebene Organisationsebene Aggregation Vererbung <Kompetenzklasse> Methodische Kompetenz Fachliche Kompetenz Soziale Kompetenz Erforderliche Kompetenz für produktionstechnologische Innovationsaufgaben bei mitwirkenden Unternehmen Kompetenz für Innovationsvorhaben I bei Unternehmen X Kompetenz für Innovationsvorhaben II bei Unternehmen Y <?page no="94"?> 2.6 Standardisierung und Bündelung 95 www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden In der Regel startet der Prozess mit der Kontaktaufnahme mit dem Lieferanten. Formen der Lieferantenentwicklung und Lieferantenförderung und Grundsätze der Zusammenarbeit werden gemeinsam festgelegt. Dann folgt eine Analysephase, in der Defizite des Lieferanten herausgearbeitet und mit Blick auf die entsprechenden Ursachen detailliert beschrieben werden. Schließlich werden Maßnahmen entwickelt, die zur Leistungsniveauerhöhung des Lieferanten führen sollen. Auch die Implementierungsphase wird regelmäßig von den Lieferantenentwicklern des Herstellers begleitet - verfügen sie doch in der Regel sowohl über Fachwissen etwa bezüglich der neu einzuführenden produktionstechnischen Lösungen als auch über Erfahrung bei der Umsetzung von Veränderungsprozessen. Denn selbstverständlich wollen sie den Umsetzungserfolg befördern. Ihr Einsatz hätte keinen Sinn, wenn neuartige Lösungen zwar erarbeitet, aber nicht zur Anwendung gebracht werden. Weiterführende Hinweise In einigen Branchen sind die Lieferantenentwicklungsteams der Hersteller bei den Lieferanten gefürchtet. Sie werden den Lieferanten vorgesetzt, die sich kooperativ und motiviert zeigen müssen. Anderenfalls droht die Streichung von der Lieferantenliste. Die Lieferantenentwicklungsteams fordern viele Einblicke in das Zulieferunternehmen - auch in vermeintliche Betriebsgeheimnisse - und setzen Veränderungen um, die den Herstellern Vorteile versprechen. Ein aggressives Vorgehen kann bei Lieferanten zu Widerständen führen, da sie sich entmündigt und durch die Informationsbeschaffungspolitik des Herstellers auch weniger gut für künftige Verhandlungen gerüstet fühlen. Auch müssen Veränderungsmaßnahmen nicht immer für alle Geschäftsbereiche des Lieferanten von Vorteil sein, was die Bilanz aus Sicht der Lieferanten zusätzlich trüben kann. Wenn ein zu rigides Vorgehen die Lieferanten-Hersteller-Beziehung langfristig belastet, ist es unter Umständen nicht möglich, Vorteile mit der Methode zu erzielen. Insofern sollte man die Lieferantenförderung als partizipativen Prozess anlegen. Ungeachtet dessen kann es auch Lieferanten geben, die eigene Bemühungen bewusst drosseln und sich auf gewinnversprechende Optimierungsmaßnahmen des Herstellers verlassen und dieses Wissen auch für andere Geschäftszweige nutzen. Aus Sicht des Herstellers stellen Lieferantenentwicklung und Lieferantenförderung sehr wirksame Methoden dar, da sie an den Ursachen von Problemen ansetzen und eine Gestaltung in Richtung eigener Zielsysteme ermöglichen. Allerdings verursachen sie auch einen erheblichen Aufwand, der durch die erarbeiteten Vorteile zumeist kompensiert wird, in der entsprechenden Periode jedoch vorfinanziert werden muss. 2.6 Standardisierung und Bündelung Problemstellung: Realisierung von Kostensenkungen und Reduktion komplexitätsbedingter Aufwände Zielgruppe: F&E-Leiter, Einkäufer, Materialgruppenleiter, Produktionsleiter, Produktionsoptimierer, Global Sourcing Manager Voraussetzungen: Passfähigkeit verschiedener technischer Komponenten in unterschiedliche technische Systeme und Verfügbarkeit leistungsfähiger Lieferanten <?page no="95"?> 96 2 Beschaffung und Logistik www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden Zielsetzung der Standardisierung und Bündelung Mittels Standardisierung und Bündelung wollen Unternehmen primär Kostensenkungen realisieren. Durch die zunehmende Individualisierung und Variantenbildung und den durch die Globalisierung beförderten Aufbau weltweit verteilter Produktionsstätten haben sich das Spektrum zu beschaffender Rohstoffe und Vorprodukte und die Zahl der Bezugsquellen deutlich erweitert. Dies führt zu kleinen Beschaffungsvolumina bei einzelnen Beschaffungsobjekten und Lieferanten, was wiederum verhindert, Mengenrabatte auf die Einkaufspreise in Anspruch nehmen zu können. Die beschriebene Situation erzeugt zudem hohe Komplexitätskosten. So müssen etwa alle Vorproduktvarianten im Warenwirtschaftssystem angelegt und gepflegt werden. Für verschiedenartige Ausprägungen sind gegebenenfalls unterschiedliche Prüfanweisungen oder Messmittel bereitzuhalten. Zahlreiche Lieferanten müssen einer Auditierung unterzogen werden, und man muss mit ihnen separate Verhandlungen führen und ihre Stammdaten einzeln pflegen. Diese Aktivitäten verursachen Kosten, die Unternehmen durch Standardisierung und Bündelung zu reduzieren versuchen. Beschreibung der Standardisierung und Bündelung Unter Bündelung versteht man die betriebswirtschaftlich ausgerichtete Zusammenfassung von Objekten. Der Ausbau des Produkt- und Produktionsprogramms, die Ausweitung von Produktionskapazitäten und die Tendenz zur Dezentralisierung - mit der man das Ziel verfolgt, entstehende Probleme vor Ort ohne bürokratische Prozesse einer Zentrale zu lösen -, führen häufig zu Ineffizienzen. Das heißt, Produktlinienverantwortliche und Einkaufsabteilungen verschiedener Werke beschaffen zum Teil gleiche Vorprodukte bei unterschiedlichen Lieferanten. Dies kann sinnvoll sein, wenn lokale Lieferanten im Hinblick auf die Einhaltung von Local Content-Anforderungen oder bezüglich der Standardisierung ist primär auf die technische Dimension der Zusammenführung ausgerichtet. Sie wird im Allgemeinen von der kaufmännischen Funktion Einkauf angestoßen. Mit Hilfe der Standardisierung möchte man trotz Erhöhung der Variantenanzahl der Endprodukte eines Herstellers - was aus Sicht des Marketings möglicherweise die Gewinnung neuer Kunden befördert - die Art und Zahl der Vorprodukte begrenzen. Daher muss man prüfen, welche Einzelteile und Baugruppen in gleicher Ausführung in unterschiedlichen Varianten einsetzbar sind, weil sie aus Sicht des Kunden keine wettbewerbsrelevanten Differenzierungsmerkmale darstellen. So mögen Eigentümer von Oberklassefahrzeugen Wert darauf legen, dass sie eine stärkere Motorisierung oder höherwertige Materialien in der Mittelkonsole ihres Fahrzeuges finden als im Mittelklassemodell des gleichen Automobilherstellers. Muss man jedoch auch den Bedienhebel für das Blinklicht oder den Antriebsmotor für den elektrischen Fensterheber andersartig gestalten oder kann man hier die gleiche Ausführung wie beim Mittelklassewagen verwenden? In vielen Fällen dürfte die Antwort lauten, dass man die gleichen Bauteile und Baugruppen einsetzen kann. Oftmals finden sich aber unterschiedliche Lösungen. Dafür gibt es zahlreiche Gründe: Möglicherweise ist es für den Konstrukteur leichter und mit weniger Aufwand verbunden, ein Bauteil im CAD-System neu zu entwerfen, als ein geeignetes Teil aus einem Katalog herauszusuchen. Oder das Problembewusstsein bezüglich der durch Variantenvielfalt entstehenden Kosten ist nicht vorhanden. Oder getrennte organisatorische Zuständigkeiten erschweren abgestimmtes Handeln. Standardisierungsbemühungen müssen derartige Themenstellungen adressieren und zeigen, dass durch Vereinheitlichung einerseits keine Nachteile für die Funktionsfähigkeit des technischen Systems, andererseits aber wirtschaftliche Vorteile entstehen. <?page no="96"?> 2.6 Standardisierung und Bündelung 97 www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden Flexibilität die beste Alternative darstellen. Greifen diese Anforderungen jedoch nicht, können durch die Aufteilung der Einkaufsvolumina keine Größeneffekte erzielt werden. Gelingt die Bündelung der Bedarfe und das Aushandeln von Verträgen für die Gesamtmenge mit möglicherweise nur einem oder zwei Lieferanten, kann man zum Teil erhebliche Einkaufspreissenkungen realisieren und Prozesskosten im Bereich der Lieferantenbetreuung einsparen. Vielfach ist der Anstieg der damit verbundenen Logistikkosten weit weniger bedeutsam als die entsprechende Kostensenkung. Anwendungsbereich und Anwendungsprozess Standardisierung und Bündelung als Optimierungsmethoden im Beschaffungswesen nutzen vor allem Unternehmen, die über ein breites Produktspektrum mit vielen Varianten verfügen und die bislang ihre Vorprodukte in verteilten Werken dezentral beschaffen. Für diese Unternehmen lohnt es sich, ihre Objekte unter dem Gesichtspunkt der Standardisierung und Bündelung zu untersuchen. Zur Umsetzung von Standardisierungsbemühungen müssen technische Bereiche einbezogen werden. Zwar kann der Impuls aus dem Beschaffungswesen kommen, die Implementierung wird jedoch ohne Entwicklungs- und Konstruktionsabteilung und gegebenenfalls auch ohne die Einbeziehung der Produktion nicht möglich sein. Im Rahmen der Bündelung richtet sich der Fokus der crossfunktionalen Zusammenarbeit der Einkaufsabteilung weniger auf die Entwicklungs- und Konstruktionsabteilung als vielmehr auf Produktion, Qualitätsmanagement und Logistik. Abbildung 56 verweist auf Möglichkeiten der Zusammensetzung crossfunktionaler Teams, die im Rahmen von Bündelungsbemühungen erfolgversprechend sind. Abbildung 56: Zusammensetzung crossfunktionaler Teams Zunächst analysiert man, welche Standardisierungs- und Bündelungspotenziale das aktuelle Produkt- und Produktionsprogramm aufweist. Dies kann als Vorstudie vom Beschaffungswesen betrieben werden, während in einer zweiten Stufe Entwicklung und Konstruktion detaillierte Analysen durchführen müssen. Dabei werden Gleichteile identifiziert, die von verschiedenen Lieferanten bezogen werden und Teile lokalisiert, die identische technische Funktionen ausüben, jedoch keine Gleichteile darstellen. In Crossfunktionale Teams Marketing / Vertrieb Produktion F&E / Konstruktion Qualitätsmanagement Einkauf Logistik Controlling <?page no="97"?> 98 2 Beschaffung und Logistik www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden diesem Stadium können auch Wertanalysen zum Einsatz kommen. Man prüft, welche Vereinheitlichungsmöglichkeiten existieren und mit welchen Konsequenzen diese verbunden sind. Konsequenzen können beispielsweise sein: Anpassungskonstruktionen, Umkonstruktionen der technischen Peripherie eines Bauteils, Einsatz anderer Produktionsmittel zur Weiterverarbeitung der vereinheitlichten Bauteile in einer von der Veränderung betroffenen Produktionslinie, Etablierung neuer Logistikstrukturen oder Lieferantenförderung zur Realisierung der gewünschten Mengen. Die potenziellen Konsequenzen sind hinsichtlich Realisierbarkeit, Zeitbedarf, Kosten und avisiertem Einspareffekt zu spezifizieren. In Abhängigkeit von den konkreten Konsequenzen werden Teams gebildet, die eine Konzeptionierung und Realisierung der Veränderungen vorantreiben. Ferner ist neben der aktuellen Umstellungsmöglichkeit, auch auf eine in die Zukunft gerichtete Beachtung der Standardisierungs- und Bündelungszielsetzungen hinzuwirken. Das heißt, dass man bei künftigen Neuproduktentwicklungen und bei der Nutzung neuer Beschaffungsquellen auf Vereinheitlichung achtet. Prominente Beispiele aus der Automobilindustrie wie Plattform- und Baukastenstrategie rufen immer wieder in Erinnerung, dass auf diesen Ansätzen große Erfolge basieren können, wenn sie systematisch geplant und konsequent umgesetzt werden. Hierzu sind die Unterstützung und Förderung durch die Unternehmensleitung erforderlich, da entsprechende Initiativen bei auftretenden Schwierigkeiten - und Standardisierung und Bündelung sind auch mit Hindernissen und Herausforderungen verbunden - anderenfalls an Fahrt verlieren und nicht mehr als handlungsleitende Maßgaben fungieren. Insbesondere werden die Sensibilität und der Informationsstand bezüglich der Effekte an verschiedenen Stellen im Unternehmen zu erhöhen sein und die Ziel- und Anreizsysteme Anpassungen erfahren müssen. Weiterführende Hinweise Das konsequente Bemühen zur Umsetzung der häufig banal erscheinenden Standardisierung und Bündelung löst in der Unternehmenspraxis in der Regel Widerstände aus. Neben den realen technischen Problemen oder organisatorischen Herausforderungen, die durch das Vorgehen hervorgerufen werden, sind aus Sicht des Unternehmens auch irrationale Gründe zu berücksichtigen. Produktlinien- oder Werkleiter werden in ihrer Autonomie eingeschränkt, wenn ihnen die Verwendung bestimmter Einzelteile oder der Zugriff auf spezielle Lieferanten vorgeschrieben wird. Diese Beschränkungen werden oftmals als Beschneidung der Befugnisse und als Machtverlust empfunden. Umso wichtiger ist es, die Vorteile der Veränderung herauszustellen und die Betroffenen an den gewünschten Verbesserungen zu beteiligen. Häufig bedingen die entsprechenden Aktivitäten auch die Abkehr von gewohnten Handlungsmustern und Denkwelten. Sie erfordern somit Lernen und das Ausführen neuer Vorgehensweisen, was zunächst mit zusätzlichem Aufwand verbunden ist und daher zu Abwehrreaktionen führt. Durch die Bereitstellung geeigneter Hilfsmittel gelingt es, entstehenden Aufwand zu begrenzen und Abwehrhaltungen zu reduzieren oder ganz zu vermeiden. <?page no="98"?> 2.7 Auktion 99 www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden 2.7 Auktion Problemstellung: Erzielung günstiger Preise für zu beschaffende Güter unter Nutzung des Wettbewerbsmechanismus zwischen Lieferanten bei geringen Prozesskosten für den Hersteller Zielgruppe: Einkäufer, Materialgruppenmanager, Logistiker, Produktionsleiter Voraussetzungen: Exakte Beschreibung der zu beschaffenden Leistung und Verfügbarkeit qualifizierter und mitwirkungsbereiter Lieferanten Zielsetzung der Auktion Auktionen sind Verfahren zur Vergabe von Aufträgen. Unternehmen haben ein Interesse daran, nicht selbst produzierte Vorprodukte von externen Anbietern in bester Qualität und zu günstigen Preisen zu beziehen und dann weiterzuverarbeiten. Das klassische Verfahren in Unternehmen, um Produzenten von Vorprodukten auszuwählen, ist die Ausschreibung. Die zu beschaffenden Leistungen - eine Beratungs- oder Baudienstleistung oder ein Vorprodukt - werden in den Ausschreibungsunterlagen möglichst genau spezifiziert, um einerseits die Anforderungen deutlich zu machen und um andererseits eine seriöse Preiskalkulation der Lieferanten zu ermöglichen. Die Anbieter geben unter Rekurs auf die Ausschreibungen Auskunft, ob, in welcher Menge und zu welchen Preisen sie die entsprechenden Güter liefern können. In der Regel schließen sich Lieferantenaudits und Preisverhandlungen an. Dies ist für den Hersteller des Gesamtproduktes, der ein Vorprodukt nachfragt, ein vergleichsweise aufwändiges Verfahren. Insbesondere der Verhandlungsteil setzt gute Vorbereitung, das Vorhandensein mehrerer Angebote und Verhandlungsgeschick voraus. An diesem Punkt setzt das Konzept der Auktion an. Warum soll der Nachfrager der Leistung eigentlich den Prozess der Preisverhandlung steuern? Durch die Schaffung von Transparenz würden sich konkurrierende Lieferanten unter Umständen selbst unterbieten, während der Bezieher der Leistung abwartet und dem günstigsten Anbieter den Auftrag erteilt. Dies kann sowohl zu attraktiven Einkaufspreisen als auch zu optimierten Prozesskosten im Unternehmen führen. 149 Von einer Auktion verspricht man sich insofern, eine konsequente Nutzung des Marktmechanismus, das Finden des günstigsten Preises bei gleichzeitig reduziertem Aufwand durch den Leistungsbezieher. Der Fokus liegt demnach eindeutig auf der Kostensenkung im Beschaffungswesen. Beschreibung der Auktion Auktionen setzen voraus, dass eine detaillierte Leistungsbeschreibung für das zu beschaffende Gut vorliegt. Anderenfalls können Anbieter ohne weiteres andere unterbieten, indem sie einfach einen geringeren Leistungsumfang offerieren. Grundvoraussetzung einer Auktion ist insofern Transparenz, die wiederum Vergleichbarkeit der Angebote in technischer Hinsicht erfordert. Auktionen sind keine neue Erfindung. Sie stellen vielmehr ein altes Prinzip der Preisfindung dar. Bekannter ist die Variante, dass der Verkäufer einer knappen Ware eine Auktion ansetzt, um den höchsten Preis für das zu verkaufende Gut zu erhalten - im englischsprachigen Kontext als Forward Auctions 149 Vergleiche Eichstädt (2008, S. 28). <?page no="99"?> 100 2 Beschaffung und Logistik www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden geläufig. Die Interessenten sollen sich gegenseitig überbieten. Im Beschaffungswesen ist demgegenüber charakteristisch, dass der Käufer einer Leistung vielen Anbietern gegenübersteht, die ein Interesse daran haben, den Auftrag zu erhalten und sich deshalb - bis zu einer gewissen Preisuntergrenze - gegenseitig unterbieten. Diesen Prozess bezeichnet man im englischsprachigen Kontext als Reverse Auctions. 150 Das Verfahren funktioniert nur, wenn das Erlangen des Auftrages für potenzielle Leistungserbringer attraktiv ist, etwa eine gewisse Größe aufweist, langfristige Lieferungen ermöglicht oder wenn das Geschäft ein gewisses Prestige besitzt. Ferner müssen unterschiedliche Anbieter vorhanden sein. Existiert nur ein geeigneter Anbieter, macht eine Auktion keinen Sinn. Dieser Fall tritt in der Praxis vor allem bei speziellen technologischen Lösungen ein. In diesem Zusammenhang wird immer wieder das Beispiel von Eisenbahnbremsanlagen genannt. Abbildung 57: Auktionsarten Das hier beschriebene Modell mit hoher Transparenz und gegenseitigem Unterbieten der Lieferanten spiegelt das Modell der englischen Auktion wider, die neben weiteren Auktionsarten in Abbildung 57 dargestellt ist. 151 Der in der Regel online bereitgestellte Auktionsraum ist für eine gewisse Zeit geöffnet. Alle Lieferanten sehen die Gebote ihrer Mitbieter und können mehrfach Angebote unterbreiten. Das niedrigste Gebot erhält den Zuschlag. 152 In der Praxis kommen auch noch die weniger eingesetzten Formen der verdeckten Auktion und das Holländische Modell zur Anwendung. Bei der verdeckten Auktion gibt jeder Bieter nur ein Gebot ab und sieht die anderen Gebote nicht. Der Lieferant mit dem niedrigsten Gebot erhält den Auftrag. Bei dieser Variante wird das Preissenkungspotenzial des gegenseitigen sukzessiven Unterbietens möglicherweise nicht hinreichend genutzt, andererseits werden strategisch gesetzte hohe Einstiegsgebote und ein lediglich zur Schau gestelltes Unterbieten vermieden. Bei der Holländischen Auktion setzt der Nachfrager der Leistung einen sehr niedrigen Einstiegspreis und erhöht diesen schrittweise. Der erste Lieferant, der den Preis akzeptiert - es gibt demnach nur ein Gebot - erhält den Zuschlag. 150 Vergleiche zu Auktionsformen Müller (1999, S. 222 ff). 151 Sie bildet die in diesem Kontext am häufigsten eingesetzte Auktionsart (vergleiche zur Einsatzhäufigkeit dieser und anderer Auktionsarten Eichstädt 2008, S. 118). 152 Emiliani & Stec (2002) weisen darauf hin, dass jenes durch den niedrigen Einkaufspreis erhoffte Einsparvolumen nicht vollständig realisiert wird, da beim billigsten Anbieter logistische oder qualitätsseitige Probleme auftreten können, die wiederum Kosten erzeugen. Sichtbarkeit der Gebote Preissetzungsakteur Aktionsmechanik Einseitige Zweiseitige Englisch Bieter setzen Preise Japanisch System setzt Preise Holländisch Auktionator setzt Preise Offen Geschlossen <?page no="100"?> 2.7 Auktion 101 www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden Anwendungsbereich und Anwendungsprozess Auktionen lassen sich für die unterschiedlichsten Beschaffungsobjekte realisieren. Sie eignen sich sowohl für Dienstleistungen als auch für Hilfs- und Betriebsstoffe und für Produktionsmaterialien und Vorprodukte. Voraussetzung ist allerdings, dass die Objekte gut beschrieben werden können. In Innovationsprojekten, in deren Rahmen man die Ergebnisse vorher kaum spezifizieren kann, wird dieses Verfahren weniger angewendet. Die Verfügbarkeit moderner Informationstechnologien hat den Einsatz von Auktionen im Beschaffungswesen insgesamt befördert. Abbildung 58: Auktionsbasiertes Auftragsvergabeverfahren Zu Beginn eines auktionsbasierten Vergabeverfahrens nimmt man - wie Abbildung 58 verdeutlicht - die Definition der Leistung vor. Hier ist eine exakte Beschreibung und Abgrenzung erforderlich. In Branchen mit technisch komplexen Gütern werden regelmäßig intensive Vorgespräche mit den Lieferanten geführt, die zum Gegenstand haben, alle beteiligten Akteure auf den gleichen Informationsstand zu bringen. Man versucht zu vermeiden, dass etwaige Interpretationsspielräume entstehen. Alle technischen Parameter und alle logistischen Leistungsbestandteile müssen definiert und allen beteiligten Lieferanten verständlich gemacht werden. Erst dann entfaltet die Methode der Auktion ihre Wirkung, da im Verlauf der Auktion ausschließlich auf das Kriterium Preis fokussiert wird. Anschließend wird auf einem virtuellen Marktplatz - einer internetbasierten Plattform - die Auktion angestoßen. Die Auktion kann man für alle interessierten Unternehmen zugänglich machen oder nur das Einloggen eines vorher bestimmten Kreises von Unternehmen zulassen. Dann werden die Auktionsbedingungen bekanntgegeben und die Auktion eröffnet. Zum geplanten Zeitpunkt wird die Auktion beendet und der Zuschlag an das Unternehmen mit dem geringsten Preisgebot erteilt. In der Regel - vor allem, wenn erst wenige Erfahrungen mit Auktionen vorliegen - empfiehlt sich eine Nachlese, in der man die Erfahrungen aus der Auktion bewertet und versucht, diese für künftige Auktionen nutzbar zu machen. Folgende Leitfragen können für die Auktionsevaluation herangezogen werden: Waren die Auktionsbedingungen allen Beteiligten klar? War die angesetzte Zeit ausreichend, oder war sie gegebenenfalls zu groß bemessen? War der Bieterkreis angemessen? War das Auktionsverfahren für das definierte Beschaffungsproblem passend? Welches Bieterverhalten war zu erkennen? Welche Konsequenzen ergeben sich aus dem beobachteten Bieterverhalten? Leistungsbeschreibung Materialauswahl Vorgespräche Auktionsraumfreigabe Auktionsdurchführung Auftragsvergabe Auswertung/ Erfolg/ Vorgehen <?page no="101"?> 102 2 Beschaffung und Logistik www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden Weiterführende Hinweise Auktionen erfreuen sich im Beschaffungswesen großer Beliebtheit, bieten sie doch ein geeignetes Mittel, günstige Einkaufspreise zu realisieren und einen effizienten Beschaffungsprozess zu unterstützen. Allerdings muss man im Detail prüfen, ob für die avisierten Objekte und die damit verbundenen Beschaffungsmarktstrukturen eine Auktion tatsächlich das leistungsfähigste Vergabeverfahren darstellt. Auch ein nachträgliches Verändern des Leistungsumfanges unter Beibehaltung des Preises verbietet sich. Ebenso darf man nicht der Versuchung erliegen, dem Anbieter mit dem niedrigsten Gebot doch nicht den Zuschlag zu erteilen, da man gegebenenfalls Qualitätsmängel antizipiert. Derartige Verfahrensweisen schmälern das Vertrauen in den Leistungsbezieher. Auf den schnellen, einmaligen Erfolg folgen im Allgemeinen Nachteile in der Zukunft. Auch das Überstrapazieren dieser Methode im Sinne eines zu häufigen Einsatzes kann bei Lieferanten Unmut hervorrufen, ebenso wie das Involvieren offenkundig nicht hinreichend qualifizierter Bieter oder auch das Manipulieren des Bieterwettbewerbs. 153 Auch kann das standardmäßige Anwenden von Auktionen dazu führen, dass innovative Anbieter Normalaufträge nicht mehr erhalten und ihnen somit eine solide Grundfinanzierung wegbricht. Damit würde ihnen die Basis entzogen, Innovationsprojekte zu initiieren, die dem Leistungsbezieher gegebenenfalls wichtig gewesen wären. Insofern scheint ein umsichtiger Umgang mit der Methode geboten. 2.8 Konzeptwettbewerb Problemstellung: Identifizierung des innovativsten Lieferanten mit der passfähigsten Lösung für eine technische Aufgabenstellung Zielgruppe: Einkäufer, Materialgruppenverantwortliche, Innovations- und Technologiemanager Voraussetzungen: Innovationspotenzial bei Lieferanten, präzise Zielbeschreibung, Offenlegung der Entscheidungskriterien und Einhaltung aufgestellter Verfahrensregeln Zielsetzung des Konzeptwettbewerbs Konzeptwettbewerbe zielen auf Bereiche, in denen Hersteller nach leistungsfähigen Lieferanten mit innovativen Konzepten suchen. 154 Im Unterschied zur Auktion, steht hier nicht der Preis im Mittelpunkt der Bewertung, sondern die technische Ausführung, wobei auch wirtschaftliche Parameter Berücksichtigung finden. Das Grundprinzip des Konzeptwettbewerbs stammt aus dem Bereich der Architektur. Architekten stellen sich in einem Wettbewerb mit ihren Entwürfen potenziellen Auftraggebern vor, die dann dem aus ihrer Sicht besten Ansatz den Zuschlag erteilen. Der Konzeptwettbewerb gewinnt in der industriellen Praxis an Bedeutung, da Lieferanten neben der Übernahme weiterer Wertschöpfungsanteile durch die Produktion 153 Zu unethischem Verhalten vergleiche Jap (2002, S. 521 f). 154 Vergleiche Hug (2001, S. 286 f). <?page no="102"?> 2.8 Konzeptwettbewerb 103 www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden ganzer Module und Systeme zunehmend auch Innovationsaufgaben ausführen sollen. 155 Bei den Lieferanten liegt viel innovationsrelevantes Wissen, das Hersteller stärker nutzen wollen. Mit Hilfe von Konzeptwettbewerben versucht man, die Auswahl geeigneter System- und Modullieferanten 156 für Innovationskooperationen zu unterstützen und den Entscheidungsprozess methodisch zu unterfüttern. Konzeptwettbewerbe bilden somit eine Koppelstelle zwischen Beschaffungs- und Innovationsmanagement. Mit Konzeptwettbewerben verfolgt man das Ziel, Vergabeprozesse für Beschaffungsvorgänge im Bereich komplexer Güter und Entwicklungsprojekte effizienter ablaufen zu lassen und Unternehmen bei der Verwirklichung ihrer Innovationspionier- oder Folgerstrategie zu unterstützen. 157 Beschreibung des Konzeptwettbewerbs Bei einem Konzeptwettbewerb werden Lieferanten vom Hersteller aufgefordert, Realisierungspläne für eine bestimmte Aufgabenstellung unter Beachtung gesetzter Restriktionen zu bearbeiten und einzureichen. Die Lieferanten gehen in Vorleistung und erarbeiten Lösungsansätze für die vom Auftraggeber formulierte Problemstellung. Andere Lieferanten erarbeiten ebenfalls Lösungsmöglichkeiten, so dass ein Lieferantenwettbewerb entsteht und schließlich nur ein Lieferant den Auftrag zur Ausarbeitung seines Ansatzes und zur späteren Belieferung des Herstellers erhält. Der Auftraggeber erlangt auf diese Weise gute Einblicke in die Innovationsfähigkeit der Lieferanten und ermuntert diese zur intensiven Auseinandersetzung mit der gestellten Problematik. Die Motivation zur Mitwirkung seitens der Lieferanten entspringt unter anderem folgenden Gründen: Hoffnung auf einen Serienproduktionsauftrag für das zu entwickelnde Modul, Verknüpfung von komplementärem Know-how zwischen Hersteller und Lieferant, Erlangung einer starken Stellung mit schwerer Ersetzbarkeit, Informationen aus der Innenperspektive des Herstellers, Fertigungsgerechte Konstruktion und somit reibungslose und günstige Produktion. Es existieren aber auch beträchtliche Risiken für die teilnehmenden Lieferanten. So haben sie umfangreiche Vorleistungen zu erbringen, die ihnen bei Nichterhalt des Auftrages unter Umständen nicht ersetzt werden. Selbst wenn sie den Auftrag erhalten, haben sie einen großen Teil der Entwicklungsüberlegungen vorfinanziert und somit Kosten zu tragen. Durch die Erarbeitung und Einreichung des Konzeptes kann es zu einem Wissensabfluss vom Lieferanten zum Hersteller kommen. Vor allem für Lieferanten, die vom Auftraggeber nicht berücksichtigt werden, ist dieser Umstand ärgerlich, da der Hersteller in die Lage versetzt wird, die Ansätze der im Konzeptwettbewerb unterlegenen Lieferanten für sich zu nutzen. Ferner zeigt sich in der Praxis recht häufig, dass in Konzeptwettbewerben etablierte Lieferanten einen strukturellen Vorteil gegenüber neuen Lieferanten haben, da es den Etablierten aufgrund ihres Informationsvorteils vielfach gelingt, auch auf durch den Auftraggeber im Rahmen des Wettbewerbs nicht geäußerte, aber dennoch bestehende Anforderungen einzugehen und dadurch unter Umständen passfähigere Konzepte abliefern zu können. 155 Vergleiche Wildemann (2006, S. 243). 156 Vergleiche Hickel (2011, S. 167). 157 Vergleiche Wildemann (2006, S. 243). <?page no="103"?> 104 2 Beschaffung und Logistik www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden Anwendungsbereich und Anwendungsprozess Konzeptwettbewerbe kommen insbesondere in Industriebereichen zur Anwendung, in denen Unternehmen komplexe Produkte erstellen, in denen vergleichsweise kurze Produktlebenszyklen vorherrschen und Lieferanten daher in einem Innovationswettbewerb stehen und in denen mehrere konkurrierende Lieferanten über Innovationsfähigkeit und Innovationsbereitschaft sowie Entwicklungskompetenz verfügen. Der Anwendungsprozess des Konzeptwettbewerbs umfasst 4 Hauptphasen, die in Abbildung 59 verdeutlicht werden. 158 Abbildung 59: Phasen des Konzeptwettbewerbs In der ersten Phase bereitet man den Konzeptwettbewerb vor. Dazu gehören unter anderem die Erstellung von Ablaufplanung und Terminplanung und die Entwicklung des Kommunikationskonzeptes. In der Ablaufplanung werden die erforderlichen Schritte festgelegt, benötigte Ressourcen abgeschätzt und Ansprechpartner definiert. Die Terminplanung umfasst die Taktung der Termine des eigentlichen Wettbewerbs und die Vernetzung mit den Aktivitäten des Gesamtinnovationsprojektes. Im Kommunikationskonzept werden durch den Hersteller unter anderem die Bedeutung des Vorhabens und das Wettbewerbsobjekt erklärt, die Ablaufplanung dargestellt und die Kontaktart angegeben, um sicherzustellen, dass interessierten Lieferanten alle erforderlichen Informationen zur Verfügung stehen. In der zweiten Phase werden die Konzeptanforderungen festgelegt. In einem zu erstellenden Lastenheft spiegeln sich Anforderungen, Vorgaben und Spezifikationen wider. Ferner werden aus den bekannten Lieferanten diejenigen mit bewährter Entwicklungskompetenz ausgewählt und um weitere ergänzt, die man zum Beispiel im Rahmen einer gesonderten Lieferantensuche identifiziert. Die Einladung der vorgesehenen Teilnehmer bildet den Abschluss der zweiten Phase. Der dritte Schritt umfasst die Durchführung des Konzeptwettbewerbs. In einem Auftakttreffen - beispielsweise auch in Form eines Lieferantentages - werden die Anforderungen diskutiert und sichergestellt, dass alle Teilnehmer über den gleichen projektbezogenen Informationsstand verfügen. Danach arbeiten die Lieferanten Konzepte aus, und der Hersteller reagiert nur bei Nachfragen. Üblicherweise findet nach einigen Wochen die Konzeptvorstellung statt. Dazu werden Einzel-Workshops zwischen Hersteller und jeweils einem Lieferanten organisiert. Daran anknüpfend erfolgt die Konzeptauswertung. In der vierten Phase stehen die detaillierte Bewertung der Konzepte und die finale Auswahl des besten Lieferanten an. Häufig wird hierbei ein integrativer Entschei- 158 Vergleiche im Überblick Wildemann (o.J., S. 3 ff). Planung Konzeptwettbewerb Festlegung der Anforderungen Wettbewerbsdurchführung Konzeptbewertung und Entscheidungsfindung <?page no="104"?> 2.8 Konzeptwettbewerb 105 www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden dungsansatz gewählt, der nach dem Muster der Nutzwertanalyse eine multikriterielle Konzept- und Lieferantenbewertung umfasst. Konzepte und Lieferanten werden anhand der gleichen Kriterien bewertet. Für das Konzept kommen beispielsweise sowohl die Kriterien Konstruktion, Technologiereife und Differenzierungspotenzial als auch Material-, Prozess-, Werkzeug-, Logistik- und Folgekosten in Betracht. Zur Bewertung des Lieferanten werden Standardkriterien aus der Lieferantenbewertung wie Qualität, Termintreue, Preis und Service genutzt. Anschließend nimmt man die in Abbildung 60 illustrierte Verknüpfung beider Bewertungen vor. Lieferanten, die in beiden Dimensionen schwache Ausprägungen aufweisen, scheiden aus. Die Wunschkonstellation ist, einen Lieferanten mit deutlich positiver Konzeptbewertung und überlegener Lieferantenbewertung zu identifizieren. Weist keiner der Teilnehmer die Idealausprägung auf, wird man zusätzlich zur Bewertung der Fähigkeiten des Lieferanten eine Potenzialbewertung durchführen. Der Hersteller wird abschätzen, welche Lieferanten - gegebenenfalls begleitet durch eine systematische Lieferantenförderung - am effektivsten Schwächen abbauen werden. Zudem wird der Hersteller reflektieren, ob er auf eine beim Lieferanten nicht vorhandene Kompetenz verzichten kann, weil sie bei ihm selbst vorliegt. Abbildung 60: Bewertungsschema Nicht mehr unmittelbar zum Vorgehen des Konzeptwettbewerbs zählt man die Auswahlevaluation. Allerdings sollte auch der Erfolg der auf dem Konzeptwettbewerb basierenden Entscheidungen kontrolliert werden. Aus der betrieblichen Praxis ist bekannt, dass insbesondere in den Feldern Entwicklungszeitverkürzung, Fertigungskostensenkung und Vermeidung von Konstruktionsänderungen erhebliche Verbesserungen erzielt werden können. Weiterführende Hinweise Konzeptwettbewerbe stellen eine leistungsfähige Methode zur Identifikation innovativer Lieferanten dar, wenn man das Instrument unter Berücksichtigung beider Interessenlagen einsetzt und wenn die Beschaffungsmethoden aufeinander abgestimmt sind. Das heißt: Wurden Lieferanten über Jahre ausgepresst und wurden ihnen Preissenkungen gering hoch gering hoch - Konzeptbewertung - - Lieferantenbewertung nicht geeignet ideal Konstruktion Technologiereife … … Qualität Termintreue … … <?page no="105"?> 106 2 Beschaffung und Logistik www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden abgerungen, kann dies zu einem Klima führen, das es Lieferanten und auch Herstellern erschwert, im Rahmen von Konzeptwettbewerben in den Kooperationsmodus umzuschalten. Auch das vermeintlich kluge Abgreifen und Nutzen vieler Ideen von den Wettbewerbsteilnehmern - auch von den nicht zum Zuge kommenden Kandidaten - wird langfristig zur Senkung der Teilnahmebereitschaft fähiger Lieferanten an Wettbewerben dieses Herstellers führen. Die zu erzielenden Erfolge lassen in vielen Beschaffungsabteilungen diese betriebswirtschaftliche Methode als sehr attraktiv erscheinen. Es darf jedoch nicht übersehen werden, dass man für Vorbereitung und Durchführung des Konzeptwettbewerbs sorgfältig planen und einen erheblichen Aufwand einkalkulieren muss. 2.9 ABC-/ XYZ-Analyse Problemstellung: Senkung von Lagerkosten, Entwicklung einer adäquaten Bestellstrategie und Sicherung der Versorgung von Unternehmen Zielgruppe: Einkäufer, Lagerleiter, Produktionsleiter, Logistiker, Materialgruppenmanager Voraussetzungen: Möglichkeiten zur Erfassung und Prognose von Materialwerten und Verbrauchsbedingungen Zielsetzung der ABC-/ XYZ-Analyse Die ABC-/ XYZ-Analyse wird innerhalb der Materialwirtschaft unter anderem zur Lageroptimierung und zur Wahl geeigneter Bestellstrategien für nicht selbst erzeugte Objekte genutzt. Sie kommt auch immer dann zum Einsatz - häufig im Verbund mit anderen Methoden -, wenn es gilt, die Summe aus Lager- und Frachtkosten zu minimieren. Lagerbestände von zu verarbeitenden Vormaterialien weisen einige Vorteile auf. Besitzen Hersteller diese, können sie beispielsweise sehr flexibel unterschiedliche Fertigungsaufträge erfüllen und zeitnah ihre Kunden beliefern. Allerdings verursachen hohe Bestände auch Lagerkosten wie Miete oder Abschreibungen. Zu nennen sind auch Betriebskosten, Personalkosten, Kosten für die Lagerinfrastruktur und die Kapitalbindung. Kapitalbindung bedeutet, dass Geld in Sachgütern gebunden ist und somit nicht anderweitig Einsatz finden und keine Erträge erwirtschaften kann. Möglicherweise muss man auf dieses Kapital noch Zinszahlungen an den Kapitalgeber leisten. Unternehmen sind daher bemüht, ihre Bestände so weit wie möglich abzusenken und alternative Belieferungskonzepte wie Just in time zu nutzen. Mit Hilfe der ABC-/ XYZ-Analyse versucht man herauszufinden, für welche Materialien, welche Beschaffungsart und welcher Lagerumfang angestrebt werden soll. Beschreibung der ABC-/ XYZ-Analyse Die ABC-/ XYZ-Analyse ist eine Kategorisierungsmethode. Die Kategorisierung schafft Vergleichsmaßstäbe und Transparenz und unterstützt das Finden von Rationalisierungsschwerpunkten. Die Methode untergliedert einerseits in A-, B- und C-Materialien und andererseits in X-, Y- und Z-Materialien. Innerhalb einer Kategorisierungsdimension kann jedes Material genau einer Gruppe zugewiesen werden. Ein Material kann also nur A-, B- oder C-Material sein. In der zweiten Dimension wird das gleiche Material - quasi durch eine andere Brille betrachtet - genau einer der Gruppen X, Y <?page no="106"?> 2.9 ABC-/ XYZ-Analyse 107 www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden oder Z zugewiesen. Diese Zuweisung ist unternehmens- oder betriebsstättenbezogen und nicht universell. Das gleiche Material kann demnach in einem Unternehmen zum X-Material, in einem anderen zum Z-Material gehören. Die ABC-Kategorisierung erfolgt durch Ordnung nach den Kriterien Wert des Materials und Menge oder Volumen des Materials. Die Angabe von Wert- und Mengengrenzen, welche die Klassengrenzen vorschreiben, differieren in der Literatur und Unternehmenspraxis stark. A-Teile weisen einen geringen Mengen-, aber einen hohen Wertanteil auf - sie verursachen dadurch eine hohe Kapitalbindung. Etwa 20 Prozent der Materialien umfassen rund 70 Prozent des Gesamtmaterialwertes. 159 B-Teile haben bei mittlerem mengenmäßigen Anteil auch einen mittleren Wertanteil, und C-Teile verfügen bei hohem mengenmäßigen Anteil nur über einen äußerst geringen Wertanteil, wie aus Abbildung 61 ersichtlich. 160 Bezogen auf ein Traktorenwerk könnte dies bedeuten, dass wenige Vorprodukte wie beispielsweise Motoren - denn jeder Traktor benötigt davon nur einen - einen hohen Wert ausmachen und daher A-Teile wären. Demgegenüber weisen viele Verbindungselemente wie Schrauben oder Nieten - von denen im Vergleich zu Motoren ungleich mehr in die Produktion eingehen - nur einen geringen Wert auf und bilden deshalb C-Teile. Abbildung 61: Abgrenzung von A-, B- und C-Materialien Die XYZ-Kategorisierung, früher häufig als RSU-Analyse bezeichnet, gliedert die Materialien nach der Regelmäßigkeit ihres Verbrauchs. X-Materialien werden regelmäßig benötigt, Y-Materialien weisen einen schwankenden Bedarf auf und Z-Materialien sind durch einen unregelmäßigen Verbrauch gekennzeichnet. 161 Daraus resultiert auch eine unterschiedliche Vorhersagbarkeit. Ist der Bedarf an X-Gütern gut prognostizierbar, so ist dies für Z-Güter nur sehr schwer möglich. Beide Kategorisierungsansätze sind in der ABC-/ XYZ-Analyse miteinander verzahnt. Diese weist unter Umständen folgende Güterkategorien aus: AX, AY, AZ, BX, BY, BZ, CX, CY, CZ. Für die unterschiedlichen Materialklassen ergeben sich verschiedenartige Beschaffungs- und Lagerhaltungsempfehlungen, die in Abbildung 62 dargestellt sind. 159 Vergleiche Günther & Tempelmeier (2005, S. 177 f). 160 Vergleiche Fortmann & Kallweit (2000, S. 37). 161 Vergleiche Schulte (2009, S. 311 f). A B C m Wert <?page no="107"?> 108 2 Beschaffung und Logistik www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden Abbildung 62: Beschaffungshinweise aus der ABC-/ XYZ-Analyse 162 CZ-Materialien mit hohem Mengenaber geringem Wertanteil und unregelmäßigem Verbrauch sollten eingelagert werden. Sie weisen einen geringen Wert auf, woraus eine nur marginale Kapitalbindung resultiert. Es handelt sich in der Regel um Kleinteile, daher beanspruchen sie nur wenig Lagerplatz. Sie sind hinsichtlich ihres Bedarfs schlecht vorhersagbar, werden möglicherweise unerwartet benötigt und würden bei Beschaffung im Bedarfsfall und bei nicht sofortiger Verfügbarkeit möglicherweise den Produktionsprozess verzögern und vergleichsweise hohe Transportkosten erzeugen. AX-Materialien hingegen sollten bedarfsgerecht beschafft werden. Sie weisen einen hohen Wert auf und verursachen bei Lagerung hohe Kapitalbindung. Bei Beschaffung im Bedarfsfall kann diese umgangen werden. Ferner ist - selbst bei lieferantenseitig längeren Lieferzeiten - durch die gute Vorhersagbarkeit des Bedarfs und der damit verbundenen Möglichkeit der frühzeitigen Bestellung auch eine punktgenaue Anlieferung zum Verbrauchstermin realisierbar. Anwendungsbereich und Anwendungsprozess Die ABC-/ XYZ-Analyse ist eine Methode des Beschaffungsmanagements und der Materialwirtschaft und wird primär zur Anpassung von Lagerbeständen eingesetzt. Die Kategorisierungslogik der ABC-Analyse ist so eingängig, gut handhabbar und attraktiv, dass sie auch in anderen betriebswirtschaftlichen Bereichen und unternehmerischen Funktionen zum Einsatz kommt. So nutzen beispielsweise auch Marketing und Vertrieb eine ABC-Einteilung der im Produktprogramm befindlichen Produkte gemäß folgender Logik: Mengenmäßig wenige Produkte erzeugen einen großen Teil des Umsatzes (A-Produkte), und mengenmäßig viele Produkte realisieren nur einen geringen Teil des Gesamtumsatzes (C-Produkte). 163 Diese absatzmarktbezogene ABC-Logik wirkt aber in der Regel nicht auf die Materialwirtschaft. Die Durchführung der materialwirtschaftlichen ABC-/ XYZ-Analyse umfasst die in Abbildung 63 aufgeführten acht Schritte. 162 Modifiziert nach Werner (2013, S. 235). 163 Die Logik kann man sowohl auf Produkte als auch auf Kunden beziehen, im Sinne von: Wenige Kunden verantworten einen großen Teil des Umsatzes (vergleiche Esch, Herrmann & Sattler 2008, S. 401 f). Zur ABC-Analyse im Bereich des Marketings siehe Kapitel 4.3. Teile Vorratsbeschaffung A- B- C- X- Y- Z- Güter fallweise Beschaffung bedarfsgerechte Beschaffung <?page no="108"?> 2.9 ABC-/ XYZ-Analyse 109 www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden Abbildung 63: Schritte der ABC-/ XYZ-Analyse Bei der Festlegung des Analyseobjektes wird der Untersuchungsbereich abgegrenzt: Wird die ABC-Analyse für einen Lagerstandort, eine Produktlinie oder einen Geschäftsbereich, eine Fabrik oder ein ganzes Unternehmen durchgeführt? Danach erfasst man Daten. Für jede Artikelnummer werden Mengen-, Einkaufspreis- und Verbrauchsangaben ermittelt. In der Regel ist dies mit Hilfe der zur Verfügung stehenden ERP-Systeme unkompliziert möglich, gelegentlich müssen aber Datenverknüpfungen organisiert beziehungsweise Schnittstellen zwischen den Systemen geschaffen werden. Etwa dann, wenn verschiedene Standorte unterschiedliche Artikelnummern für das gleiche Vormaterial nutzen oder separate Rechnersysteme in Verwendung sind. Danach errechnet man die Wertgrößen durch Multiplikation von Menge und Einkaufspreis pro Vorprodukt, es sei denn, diese Daten werden durch das ERP-System automatisiert bereitgestellt. Anschließend erfolgt die Sortierung der Vorprodukte nach ihrem Wert, die Untergliederung in A-, B- und C-Materialien, die Berechnung der relativen Anteile der gebildeten Kategorien am Gesamtwert und die abschließende Erarbeitung einer Gesamtübersicht in Form einer Tabelle oder einer Grafik, wie sie Abbildung 61 enthält. Weiterführende Hinweise Die ABC-/ XYZ-Analyse ist ein robustes Verfahren zur Lageroptimierung, auch wenn man weitere Kriterien berücksichtigen kann, wozu im Einzelfall auch geraten wird. Dennoch schärft die Methode den Blick für die wesentlichen Dimensionen und ist ohne großen Aufwand durchführbar. Die Praxis zeigt allerdings auch, dass die Verwendung von ABC-Kategorisierungen in verschiedenen betriebswirtschaftlichen Funktionsbereichen und Disziplinen Verwirrung stiftet. So gibt es Unternehmen, die ihre abzusetzenden Produkte nach ABC-Produkten gliedern und anschließend - in der Annahme die ABC-Analyse würde automatisch zur Lageroptimierung führen - alle Materialien, die in A-Endprodukte eingehen, als A-Materialien einstufen und alle Materialien, die in C-Produkte eingehen, als C-Materialien klassifizieren. Darauf aufbauend wird die aus Analysebereich definieren Daten erheben Daten sortieren Werte ermitteln Nach Wert reihen A,B,C-Bereiche abgrenzen Relative Anteile ausweisen Ergebnisdarstellung <?page no="109"?> 110 2 Beschaffung und Logistik www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden Marketingsicht möglicherweise erfreuliche Direktive ausgegeben, alle A-Materialien ständig im Lager vorzuhalten, um somit bei den eigenen Star-Produkten stets lieferfähig zu sein. Diese Strategie führt unweigerlich zu hohen Lager- und hohen Kapitalbindungskosten. Sie verursacht ferner Lieferprobleme bei C-Produkten, die bislang noch nicht zu hohen Umsätzen beitragen, weil es sich gegebenenfalls um neue, innovative und erst noch zu etablierende Produkte handelt. Eine wachsende Verankerung im Markt dürfte durch Lieferengpässe jedoch behindert werden. Es ist insofern wichtig, die ABC-/ XYZ-Analyse richtig anzuwenden, da sie ansonsten keinen Nutzen stiftet und im Worst Case sogar Schaden hervorrufen kann. Schließlich sollte man in der betrieblichen Praxis darauf achten, die ABC-/ XYZ- Kategorisierung nicht nur einmalig durchzuführen und die Ergebnisse fortzuschreiben. Vielmehr sollte sie permanent mitlaufen, um sowohl Verschiebungen in der Nachfrage nach Materialien zu verdeutlichen als auch um eine situationsadäquate Lagerhaltung zu gewährleisten. Die Festlegung der Lagerhaltungs- und Bestellstrategie ist für einzelne Materialien jedoch nicht automatisierbar. Manuelle Korrekturen und Eingriffe sind dann erforderlich, wenn neu einzuführende Produkte gefertigt werden, für die noch keine Verbrauchswerte vorliegen. Allerdings sollte die Korrekturnotwendigkeit nicht als Einfallstor für willkürliche Manipulationen der ABC-/ XYZ-Analyse und ihrer Empfehlungen dienen. 2.10 Prioritätsregeln Problemstellung: Bestimmung einer zielführenden und vorteilhaften Reihenfolge für um Produktionsressourcen konkurrierende Aufträge Zielgruppe: Arbeitsvorbereiter, Disponenten, Fertigungsplaner, Fertigungssteuerer, Produktionsleiter, Logistikleiter Voraussetzungen: Entscheidungs- und Steuerungsfreiheit und Zugang zu erforderlichen Daten Zielsetzung der Prioritätsregeln Logistik organisiert und steuert Warenflüsse in und zwischen Unternehmen. Sie übernimmt dabei wichtige Transformationsfunktionen und trägt durch ihr Handeln dazu bei, dass beispielsweise Produktionsaufträge termin-, kosten- und qualitätsgerecht ausgeführt werden. Als Sekundärfunktion ist die Logistik darauf bedacht, die eigenen, nicht-wertschöpfenden Prozesse ohne großen Aufwand zu realisieren. Dabei kann im Logistiksystem - wie auch in der Produktion selbst - das Dilemma der Ablaufplanung auftreten, also der Zielkonflikt aus hoher Kapazitätsauslastung und geringen Durchlaufzeiten. 164 Verschiedene Aufträge konkurrieren um begrenzte Ressourcen und der Planer oder Disponent hat zu entscheiden, in welcher Reihenfolge die Aufträge abgearbeitet werden sollen. Dabei müssen Aufträge termingerecht ausgeführt werden, und Ressourcen sollten keine Leerzeiten ausweisen. Zur Lösung dieses Problems werden Heuristiken eingesetzt, die es ermöglichen, näherungsweise ein gutes Ergebnis zu be- 164 Vergleiche Gutenberg (1979, S. 216). <?page no="110"?> 2.10 Prioritätsregeln 111 www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden stimmen. Prioritätsregeln gehören zu diesen Verfahren und werden aufgrund ihrer Verständlichkeit und Praktikabilität in der Unternehmenspraxis häufig eingesetzt. Gemäß dieser Methode werden nach unterschiedlichen Verfahren Prioritätskennziffern für Aufträge einer bestehenden Warteschlange vergeben, die anzeigen, in welcher Reihenfolge die Aufträge zu bearbeiten sind. Die Herausforderung für den Planer besteht darin, die eigenen Ziele zu ermitteln, zu strukturieren und zu ergründen, welche Prioritätsregel die Erreichung eines hohen Zielerfüllungsgrades unterstützt. Ist die passende Prioritätsregel gefunden, kann durch ihre Anwendung ein sehr effizienter Planungsprozess entstehen. Beschreibung der Prioritätsregeln Es existiert eine Vielzahl von Prioritätsregeln. Jede nutzt ein anderes Kriterium oder auch nur eine alternative Ausprägung eines schon bekannten Kriteriums. Die Wirksamkeit der Regel in Bezug auf die erwähnten Ziele der Durchlaufzeitminimierung und der Kapazitätsauslastungsmaximierung hängt von der Passfähigkeit der Regel für die vorliegende Situation ab. Daher kann in einem Unternehmen die Anwendung einer bestimmten Prioritätsregel zu großen Verbesserungen führen und in einem anderen nichts bewirken oder sogar ursächlich für eine Verschlechterung sein. Bekannte Prioritätsregeln sind: 165 FCFS (First-Come-First-Serve): Der zuerst eintreffende Auftrag wird als Erster ausgeführt. KOZ (Kürzeste Operationszeit): Der Auftrag mit der betriebsmittelbezogen kürzesten Operationszeit wird zuerst ausgeführt. LOZ (Längste Operationszeit): Der Auftrag mit der betriebsmittelbezogen längsten Operationszeit wird als erster ausgeführt. KGB (Kürzeste Gesamtbearbeitungszeit): Der Auftrag mit der kürzesten Gesamtbearbeitungszeit über alle Stationen und Betriebsmittel wird zuerst ausgeführt. GGB (Größte Gesamtbearbeitungszeit): Der Auftrag mit der längsten Gesamtbearbeitungszeit über alle Stationen und Betriebsmittel wird als Erster ausgeführt. FFT (Frühester Fertigstellungstermin): Der Auftrag mit dem zeitnahesten Fertigstellungstermin wird zuerst ausgeführt. KRB (Kürzeste Restbearbeitungszeit): Der Auftrag mit der zum Zeitpunkt der Belegung kürzesten verbleibenden Arbeitszeit in allen benötigten Stationen wird als Erster ausgeführt. GRB (Größte Restbearbeitungszeit): Der Auftrag mit der zum Zeitpunkt der Belegung größten verbleibenden Arbeitszeit in allen benötigten Stationen wird zuerst ausgeführt. WAA (Wenigste auszuführende Arbeitsschritte): Der Auftrag mit den wenigsten noch auszuführenden Arbeitsschritten wird als Erster ausgeführt. MAA (Meiste auszuführende Arbeitsschritte): Der Auftrag mit den meisten noch auszuführenden Arbeitsschritten wird zuerst ausgeführt. SZ (Schlupfzeitregel): Der Auftrag mit der geringsten Differenz zwischen Liefertermin und verbleibender Ausführungszeit wird als Erster ausgeführt. 165 Vergleiche Berg (1979, Sp. 1427 f) und Wannenwetsch (2010, S. 570). <?page no="111"?> 112 2 Beschaffung und Logistik www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden WR (Wertregel): Der Auftrag mit dem höchsten Produktendwert wird zuerst ausgeführt. DWR (Dynamische Wertregel): Der Auftrag mit dem höchsten Produktwert vor Ausführung des nächsten Arbeitsschrittes wird als Erster ausgeführt. ZUF (Zufallsregel): Die durch einen Zufallsgenerator ermittelten Zufallszahlen bilden die Prioritätszahlen der Aufträge. In Abhängigkeit von der jeweiligen Regel werden den Aufträgen nach einem bestimmten Muster Prioritätszahlen zugewiesen - man erkennt nicht nur, welcher der erste, sondern auch welcher der zweite, dritte oder vierte Auftrag sein soll. Im Ergebnis liegt eine sortierte Liste mit einer abzuarbeitenden Auftragsreihenfolge vor. Anwendungsbereich und Anwendungsprozess Prioritätsregeln finden Anwendung in der Festlegung der Bearbeitungsreihenfolge von Aufträgen in der Produktion von Güterherstellern. Die Logistik nimmt die Reihenfolgen auf und realisiert die aus den Fertigungsaufträgen resultierenden Transportaufträge - möglicherweise in der gleichen Reihenfolge. Es ist auch denkbar, dass aufgrund andersartiger logistischer Prozesse und Bedingungen alternative Reihenfolgen vorteilhaft sind und keine starre Orientierung an den produktionsseitig geprägten Sortierungen erfolgt. In diesen Fällen wird die Logistik als Unternehmensfunktion oder als Dienstleister eigene Reihenfolgen mittels Prioritätskennzahlen bilden. Prioritätsregeln sollen Planern und Disponenten pragmatische Entscheidungshilfen an die Hand geben. Daher wird die zum Einsatz kommende Prioritätsregel nicht ständig variiert, sondern nur dann modifiziert, wenn dies aufgrund von Veränderungen der Situation - Installation zusätzlicher Maschinen oder Veränderung der Unternehmenszielsetzung - geboten erscheint. Aus diesem Grund kommt der Auswahl der zu nutzenden Prioritätsregel vor deren Verwendung große Bedeutung zu. 166 Es ist zu hinterfragen, welche Ziele bestehen, in welcher Rangfolge sich diese befinden und welche Prioritätsregel die Erreichung der Ziele am besten unterstützt. Die Prioritätsregeln weisen jeweils einen sehr unterschiedlichen Fokus auf. So kann die KOZ-Regel darauf abstellen, in einem Unternehmen mit hohem Auslastungsgrad viele Aufträge abzuarbeiten und damit Kunden durch zeitnahe Belieferung zufrieden zu stellen, ohne dass ein Auftrag zu lange ein Betriebsmittel belegt und dadurch andere Aufträge erst sehr viel später zur Bearbeitung gelangen. Die DWR-Regel versucht, Aufträge mit schon erzeugtem, hohen Produktwert weiterzubearbeiten und schnell fertigzustellen und damit aus dem Produktions- und Logistiksystem zu entlassen. Würden diese Halbfertigprodukte lange auf die Weiterbearbeitung warten, entspräche dies einer Lagerung werthaltiger Güter, was hohe Kapitalbindung mit sich brächte, welche mittels Anwendung der DWR-Regel vermeidbar wäre. Die Wirksamkeit einzelner Regeln hinsichtlich möglicher Ziele zeigt Abbildung 64. 167 166 Vergleiche zu Simulationsmodellen zur Unterstützung der Auswahl geeigneter Prioritätsregeln Günther & Tempelmeier (2005, S. 225 ff). 167 Vergleiche Schulte (2009, S. 407), der auf Hoss (1965) verweist und damit zeigt, dass die Nutzung derartiger Regeln schon lange Zeit etabliert ist. <?page no="112"?> 2.10 Prioritätsregeln 113 www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden Abbildung 64: Beurteilung einzelner Prioritätsregeln 168 Ist die passende Regel gefunden, wird der Planer die Aufträge zusammentragen, hinsichtlich der relevanten Kriterien analysieren und anschließend in die entsprechende Reihenfolge bringen. Gelegentlich muss er weitere Restriktionen prüfen, beispielsweise ob das für einen zuerst auszuführenden Auftrag benötigte Material vorliegt. Oftmals dürften die Erfassung, Analyse und Sortierung der Aufträge nach der präferierten Regel ohne großen Aufwand mit Hilfe datenverarbeitungstechnischer Unterstützung realisiert werden. Weiterführende Hinweise Die Hoffnung, mit der Anwendung von Prioritätsregeln ein optimales Ergebnis der Reihenfolgeplanung zu erzielen, wird in der betrieblichen Praxis nicht immer erfüllt. Ungeachtet dessen stiftet diese Methode Nutzen, da sich bei der Auswahl der richtigen Regel gute Ergebnisse einstellen. In Theorie und Praxis wird allerdings beklagt, dass eine einzelne Regel meist auf die Erfüllung eines einzelnen Ziels abstellt, in der Unternehmenspraxis jedoch häufig ein Kanon verschiedener Ziele adressiert werden muss. Der Gedanke, verschiedene Prioritätsregeln zu verbinden, indem die durch unterschiedliche Regeln ermittelten Prioritätszahlen pro Auftrag addiert oder multipliziert werden, um somit eine neue Prioritätszahl zu kreieren, die integrativ die Zielsetzung der genutzten Regeln verknüpft, erscheint zwar unter Umständen machbar, liefert für gewöhnlich jedoch keine guten Ergebnisse - häufig verstärken sich sogar die unerwünschten Effekte der einzelnen Regeln. 169 168 Modifiziert nach Schulte (2009, S. 407). 169 Vergleiche dazu die Aussagen bei Schulte (2009, S. 407). Optimierungsziele Prioritätsregel Maximale Kapazitätsauslastung Minimale Durchlaufzeit Minimale Zwischenlagerkosten Minimale Terminabweichungen Kürzeste Operationszeit Fertigungsrestzeitregel Dynamische Wertregel Schlupfzeitregel sehr gut sehr gut gut schlecht gut gut mäßig mäßig mäßig sehr gut mäßig mäßig gut mäßig mäßig sehr gut <?page no="113"?> 114 2 Beschaffung und Logistik www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden 2.11 Cross Docking Problemstellung: Optimierung von Transportvorgängen und Realisierung einer bedarfsgerechten Belieferung von Abnehmern Zielgruppe: Logistiker, Transportplaner, Materialwirtschaftler, Supply Chain Manager Voraussetzungen: Vorhandensein einer adäquaten Infrastruktur und Beschaffung erforderlicher Transportmittel Zielsetzung des Cross Docking Cross Docking ist ein Aktivitätenbündel zur Auflösung und bedarfsgerechten Neukommissionierung von Warenladungen in einem Konzentrationspunkt eines mehrstufigen Logistiksystems. Der Ansatz zielt auf die Verkürzung von Lieferzeiten, die Reduktion von Frachtkosten und die Verringerung von Lagerbeständen. Insbesondere auf der Stufe von Herstellerzu Händlerfilialunternehmen findet dieses Konzept Anwendung und kann hier seine Stärken ausspielen, obgleich der Einsatz nicht an diese Stufe einer Lieferkette gebunden ist. Auch zwischen Lieferanten und Herstellern kann man die Methode einsetzen. Wesentliche Vorteile werden in der Reduktion der Anzahl und Länge von Transportwegen gesehen. Den Warenempfängern werden auf ihre Bedürfnisse ausgelegte Warenpakete geliefert. 170 Dadurch verringern sich sowohl Lagerhaltungsvolumina und die Anzahl der Wareneingänge als auch die benötigten Andockstellen und Kommissionierflächen in den jeweiligen Betriebsstätten. Beschreibung des Cross Docking Beliefern viele Lieferanten jeweils zahlreiche und gegebenenfalls identische Abnehmer, ergibt sich ein komplexes Beziehungsnetz und eine hohe Anzahl von Transporten wie in Abbildung 65 illustriert. Soll die Anzahl der Fahrten und insbesondere die Anzahl der Leerfahrten reduziert werden, kann man größere Transportmittel mit höherer Transportkapazität einsetzen und durch Rundfahrten - also durch Fahrten ohne viele einzelne Rückfahrten - die zahlreichen Abnahmestellen beliefern. Dies führt jedoch zu hohen Fahrtanteilen mit wenig ausgelasteten Transportmitteln wie Abbildung 66 verdeutlicht. Cross Docking reduziert die Anzahl der Transportbeziehungen und erlaubt den Einsatz unterschiedlich großer Transportmittel, was zu höherer Effizienz im Transportprozess beiträgt. Diesen Zusammenhang stellt Abbildung 67 dar. 171 Große Lastkraftwagen können jeweils sortenrein aus den Produktionsstätten der Vorproduzenten die Waren anliefern. In der Cross Docking-Station werden sie entladen, und die Güter stellt man nun so zusammen, dass die Bedarfspunkte jeweils die von ihnen benötigten Güter in der richtigen Menge in einer Lieferung zusammengefasst erhalten und somit nur einen - möglichweise auch nur durch einen kompakten Stadtlieferwagen realisierten - Transport empfangen müssen, um alle bestellten Waren zu erhalten. 170 Vergleiche Werner (2013, S. 136 f). 171 Allerdings weisen Stephan & Boysen (2011, S. 130) auch darauf hin, dass durch Cross Docking zusätzliche Handlingvorgänge und Fixkosten erzeugt werden. <?page no="114"?> 2.11 Cross Docking 115 www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden Abbildung 65: Transportwege bei normaler Belieferung Anwendungsbereich und Anwendungsprozess Cross Docking ist in unterschiedlichen Stufen der Lieferkette einsetzbar. Der Schwerpunkt der typischen Anwendung liegt in der Kopplung zwischen Endproduzenten und Händlern. Es ist eine Methode der zwischenbetrieblichen Logistik. Der Wunsch zur Einführung von Cross Docking setzt eine Analyse voraus, in der man prüft, ob Transport- und Lagerkosten in unerwünschter Höhe vorliegen, ob eine Situation besteht, in der viele Transportbeziehungen zwischen gleichen Akteuren existieren und somit das Cross Docking in der Lage wäre, einen Verbesserungsbeitrag zu leisten. Abbildung 66: Transportwege bei Kreisverkehren Darüber hinaus werden sich die Mitglieder der Lieferkette darüber verständigen müssen, wer die zu errichtende Cross Docking-Station betreibt und wie Investitions- und Betriebskosten verteilt werden. Oftmals werden Planung und Betrieb in die Hände eines Logistikdienstleisters gelegt, der nicht in die Wertschöpfungsprozesse der Supply Chain eingebunden ist, der aber eine wichtige Kopplungsfunktion zwischen den Part- Lieferanten Abnehmer <?page no="115"?> 116 2 Beschaffung und Logistik www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden nern übernimmt. In der Praxis äußern Logistikdienstleister immer wieder Interesse daran, neben den klassischen Kernfunktionen der Logistik wie Transport, Umschlag und Lagerung - üblicherweise mit TUL abgekürzt - auch weitergehende Planungs- und Optimierungstätigkeiten zu übernehmen und gegebenenfalls sogar in Randbereiche der wertschöpfenden Tätigkeiten vorzudringen, wie sie beispielsweise einfache Montagen im Kontext der Kontraktlogistik darstellen. Dies würde es Logistikdienstleistern erlauben, ihre Stellung im wettbewerbsintensiven Logistikmarkt zu festigen, Alleinstellungsmerkmale aufzubauen, längerfristige Kundenbindungen zu erreichen und margenreiche Tätigkeitsfelder zu erschließen. Abbildung 67: Transportwege im Cross Docking-Modell Cross Docking kann in verschiedenen Formen ausgeführt werden. 172 Eine Variante stellen beispielsweise die artikelreine Anlieferung von Paletten durch die Hersteller und die filialgenaue Kommissionierung sowie der unmittelbare Weiterversand an die Handelsfilialen dar. Eine andere Form umfasst neben der Anlieferung auch die Zwischenlagerung in der Kommissionierzone der Cross Docking-Station. Der reibungsfreie Betrieb einer Cross Docking-Station und das Erreichen der avisierten Ziele setzen voraus, dass die Akteure miteinander informationstechnisch vernetzt sind. In der Regel werden über so genannte Electronic Data Interchangebeziehungsweise EDI- Verbindungen notwendige Informationen ausgetauscht. Weiterführende Hinweise Cross Docking-Stationen können sehr unterschiedlich ausgestattet sein. So variieren sie beispielsweise hinsichtlich ihres Automatisierungsgrades. Erfolgt maschinelles Sortieren und Kommissionieren oder sind in hohem Maße manuelle Arbeitsanteile vorgesehen? Die Antwort auf die Frage des angemessenen Automatisierungsgrades richtet sich auch hier nach dem Standort und der jeweiligen Lohnkostenhöhe. Auch hinsichtlich der informationsseitigen Koppelung lassen sich verschiedene Ausprägungsgrade ermitteln. Besonders elegant scheinen Stationen arbeiten zu können, wenn eine hohe Informationsdichte und ausreichend Kapazität zur Informationsverarbeitung vorliegen. 172 Vergleiche zu Cross Docking-Varianten Kotzab (1997, S. 167). <?page no="116"?> 2.12 Konsignationslager 117 www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden So können etwa durch Vorankündigung von in Kürze eingehenden Lieferungen erforderliche Bedingungen geschaffen und die organisatorischen Abläufe gestrafft werden. 2.12 Konsignationslager Problemstellung: Sicherung hoher Versorgungssicherheit bei niedrigen Lagerhaltungskosten auf Seiten des Warenabnehmers Zielgruppe: Logistiker, Einkäufer, Materialwirtschaftler, Supply Chain Manager, Geschäftsführer, Produktionsleiter, Fabrikplaner Voraussetzungen: Ausreichend Lagerplatz am Ort des Abnehmers Zielsetzung der Konsignationslager Unternehmen stellen darauf ab, Lagerbestände zu reduzieren, um Lager- und Kapitalbindungskosten gering zu halten. Andererseits wollen sie das benötigte Material zum Bedarfszeitpunkt verfügbar haben. In einigen Lieferketten erweist sich die zeitpunktgenaue Belieferung als anfällig, und verspätet eintreffende Lieferungen können Produktionsstillstände verursachen. Diese Situation versuchen Unternehmen zu vermeiden. Das Konsignationslager bietet die Möglichkeit, beide Anforderungen zu verbinden: hohe Materialverfügbarkeit und minimale Lagerkosten. Es verschafft dem Verarbeiter von Vormaterialien Sicherheit bezüglich des Vorhandenseins von Material, vermeidet teure Sondertransporte und stärkt den Kooperationsgrad zwischen Lieferant und Hersteller. Zudem bietet es Lieferanten die Chance, Kundenbeziehungen zu intensivieren und die Kundenbindung zu erhöhen. Beschreibung der Konsignationslager Konsignationslager sind echte Lager. Das heißt, anders als bei Cross Docking- Stationen, in denen primär das Kommissionieren realisiert wird, erfüllen Konsignationslager eine reale Lagerungsfunktion. Daher entstehen in diesem Fall auch Lager- und Kapitalbindungskosten. Die Besonderheit ist, dass die Lager- und Kapitalbindungskosten für Vorprodukte nicht beim Hersteller auftreten, der die Vorprodukte weiterverarbeitet, obgleich dieser jederzeit auf das Lager zugreifen kann. Diese für den Hersteller vorteilhafte Situation ergibt sich dadurch, dass der Lieferant zum Aufbau und Betrieb eines Lagers auf dem Werksgelände des Herstellers motiviert wird. Das heißt, der Zulieferer fertigt Vorprodukte, transportiert diese zur Betriebsstätte des Herstellers und lagert sie dort ein, während der Hersteller bei Bedarf dieses Lager nutzt und die benötigten Vorprodukte entnimmt. Erst durch die Entnahme wird ein Kauf realisiert, in dessen Folge der Hersteller die entsprechende Rechnung begleichen muss. Der Vorteil dieser Methode ist darin zu sehen, dass der Hersteller jederzeit benötigte Vorprodukte im Lager sehen kann, sie aber erst bei Entnahme bezahlt. Lagerort- und Eigentumsübergang fallen insofern auseinander: Die Ware ist beim Hersteller, aber er bezahlt sie erst bei Nutzung. 173 173 Vergleiche Koch (2012, S. 130). <?page no="117"?> www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden Anwendungsbereich und Anwendungsprozess Konsignationslager kommen vorwiegend in industriellen Lieferketten zwischen Produzenten verschiedener Wertschöpfungsstufen zum Einsatz und erfreuen sich zunehmender Beliebtheit. Für Hersteller liegen die Vorteile auf der Hand. Diese vermeiden durch den verzögerten Eigentumsübergang eine hohe Kapitalbindung, 174 während das Bestandsrisiko der Lieferant trägt. 175 Durch die Lagerung des Materials auf seinem Werksgelände profitiert der Hersteller als Materialempfänger von höherer Versorgungssicherheit. Ferner ermöglicht der schnelle Zugriff auf Material dem Produzenten, kurzfristige Modifikationen des Produktionsplanes vorzunehmen und somit Vorteile hinsichtlich Rüstzeitminimierung und Durchlaufzeitverkürzung zu realisieren. Abbildung 68: Abläufe in einem Konsignationslager 176 Anfangs vornehmlich durch Druck des meist mächtigeren Herstellers zur Einrichtung von Konsignationslagern gezwungen, sehen aber auch Lieferanten zunehmend Vorteile in diesem Ansatz. So können sie die Lagerhaltung am eigenen Produktionsstandort reduzieren und auf den Erwerb weiterer Grundstücke und die Ausweitung von Lagerkapazitäten verzichten. Gerade für kleine und mittelständische Unternehmen, die sich in vollständig bebauten Mischgebieten befinden, erweist sich dieser Aspekt als Vorteil. Durch die Lagerungsmöglichkeit des Lieferanten beim Hersteller muss der Lieferant nicht mehr einzelauftragsbezogen produzieren. Er kann größere Produktionslose auflegen und dadurch Größenvorteile in der Produktion nutzen, welche die entstehenden Lagerkosten unter Umständen überkompensieren. 177 Schließlich kann das Abschöpfen 174 Konsignationslager zählen zu den erfolgreichsten logistischen Maßnahmen (vergleiche dazu die Studienergebnisse bei Göpfert & Braun 2012, S. 34). 175 Vergleiche Heß (2008, S. 58). 176 Modifiziert nach Werner (2013, S. 250). 177 Auch der entstehende Kundenbindungseffekt ist nicht zu unterschätzen (vergleiche Koch 2012, S. 130). 1 Lieferant Lieferant 6 7 Eigentum Ort 2 3 4 5 Produktion Lieferung Wareneingang Konsignationslager Verbrauchspunkt Disposition Lieferabruf Entnahmemeldung Lieferabruf / Feinabruf Lieferabruf Kunde Kunde Steuerinstrument für Materialbeschaffung und Produktionskapazität des Lieferanten Steuerinstrument für Feinplanung, Anlieferung und Rechnungsstellung des Kunden Bezahlung nach vereinbarten Zahlungsbedingungen <?page no="118"?> 2.13 Just in time 119 www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden eines Aufgeldes für den erhöhten Servicegrad für den Hersteller wirtschaftlich interessant sein. Den Ablauf in einem Konsignationslager illustriert Abbildung 68. Hersteller sollten die Einrichtung eines Konsignationslagers in Betracht ziehen, wenn sie mit langen Versorgungswegen, anfälligen Lieferketten und hohen Lagerkosten konfrontiert sind. Allerdings empfiehlt sich eine Abstimmung mit den Lieferanten. Eine auf Druck des Herstellers basierende Errichtung von Konsignationslagern durch die Lieferanten kann zwar kurzfristig die erhofften Erfolge erzeugen, aber langfristig die Beziehung zwischen Hersteller und Lieferant belasten. Da sich Lieferanten immer häufiger zu Produktions- und Innovationspartnern wandeln, kann ein zu dominantes und auf einseitige Vorteilsnahme bedachtes Handeln zur Schmälerung der Innovationsleistung und zu einer Verschlechterung der Gesamtleistung führen. Weiterführende Hinweise Konsignationslager sollen zur Erhöhung der Versorgungssicherheit und zur Senkung von Kosten beim Hersteller führen. Dabei sollte man beachten, dass die Kostensenkungen in der Regel nicht im theoretisch ermittelten Umfang eintreten. Der Hersteller wird dem Lieferanten für das Betreiben des Konsignationslagers ein Entgelt entrichten müssen. Wenn die entsprechenden Zahlungen nicht direkt erfolgen, werden die Kosten vermutlich auf die zu beschaffenden Vorprodukte umgelegt, wodurch sich der Beschaffungspreis der einzukaufenden Komponenten erhöht. Dies muss jedoch kein Nullsummenspiel sein. Aus den genannten Gründen können sich tatsächlich Kostensenkungen ergeben, die beiden Partnern Vorteile versprechen. Die isolierte Betrachtung des Konsignationslagers als rein logistisches Instrument ist von seiner Anlage her möglich, allerdings sollte die Wirkung eines aufgezwängten Konsignationslagers nicht unterschätzt werden. Nutzen starke Hersteller ihre Macht zu einseitig, kann dies zu Ausweichmanövern der Lieferanten in andere Branchen oder zu anderen Kunden führen. Gerade bei innovationsstarken Systemlieferanten erscheint die Erarbeitung gemeinsamer Vorgehensweisen geboten. Ungeachtet dessen sollten Hersteller natürlich bestrebt sein, ihre Vormachtstellung zur Erhöhung der Gesamteffizienz in einer Lieferkette zu nutzen. 2.13 Just in time Problemstellung: Erreichen einer Situation mit geringen Vormateriallagerkosten und hoher Lieferflexibilität Zielgruppe: Produktionsleiter, Einkäufer, Logistiker, Supply Chain Manager, Risikomanager Voraussetzungen: ust-in-time-fähige Produktionsanlagen, ust-in-time-fähige Lieferanten und geringe örtliche Distanz zwischen Lieferant und Abnehmer Zielsetzung des Just in time Just in time, häufig mit JIT abgekürzt, ist eine prominente Form der produktionssynchronen Beschaffung. 178 Hersteller wollen Bestände werthaltiger Güter gering halten, 178 Vergleiche Koch (2012, S. 132 f) und Heß (2008, S. 233). <?page no="119"?> 120 2 Beschaffung und Logistik www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden um keine hohe Kapitalbindung tragen zu müssen. Andererseits wollen sie den Aufwand von Einzelbeschaffungen im Bedarfsfall, damit einhergehende Mehrkosten und Planungsaufwendungen sowie Unsicherheiten reduzieren. An diesem Punkt setzt die Methode der produktionssynchronen Beschaffung an. Diese beinhaltet längerfristige Verträge zwischen Lieferant und Hersteller über die Belieferung mit spezifizierten Materialien und die bedarfsbeziehungsweise termingerechte Belieferung des Herstellers durch den Lieferanten. Der Materialbedarf in der Produktion löst die Materialanlieferung aus, wobei die Lagerhaltung auf ein Minimum reduziert werden soll. Beschreibung des Just in time Mit Hilfe von Just in time plant man, eine produktionssynchrone Belieferung des Herstellers mit Vorprodukten zu erreichen. In Theorie und Praxis existieren verschiedene Varianten von Just in time. Die theoretisch ideale Situation ist - vor dem Hintergrund der JIT-Zielsetzung - eine Produktion ohne Bestände. Gelingt die Anlieferung der erforderlichen Materialien in exakt der Reihenfolge der Produktionsaufträge, für welche die Materialien benötigt werden, spricht man von Just in sequence. Unabdingbar für das Funktionieren dieses Ansatzes ist die Verfügbarkeit eines leistungsfähigen Informationssystems, das den Datenaustausch zwischen den Akteuren erlaubt und die Bereitschaft zur umfassenden Datenweitergabe beinhaltet. 179 Das Vorhandensein einer partnerschaftlichen Beziehung ist eine von mehreren Voraussetzungen. Weitere sind hohe Prognosesicherheit und hoher Servicegrad (vergleiche Werner 2013, S. 171). Wird Just-in-time-Belieferung bereits in der Planungsphase einer Fabrik als Beschaffungsprinzip vorgesehen, so lassen sich durch die Berücksichtigung der produktionssynchronen Beschaffung bei der Standort-, Bereichs-, Layout-, Transportmittel- und Materialflussplanung weitere Effizienzgewinne erzielen. Umfangreiche Lager muss man insofern nicht mehr aufbauen. Materialflusssysteme und Wegenetze können auf diese spezielle Belieferungssituation hin ausgelegt werden, um Warte- und innerbetriebliche Transportzeiten zu verringern. Die Auswirkungen des JIT-Ansatzes können soweit reichen, dass die Partner 179 vereinbaren, dass der Lieferant in der Nähe des Herstellers ein Werk errichtet, in dem die zu liefernden Komponenten oder Baugruppen produziert werden. Sind dann noch Behälterkonzepte abgestimmt und Prüfpläne und Prüfroutinen gemeinsam erarbeitet, können prozessverlängernde Zwischenschritte wie Umpacken und Doppelprüfungen eliminiert werden. Allerdings ist bei bedarfssynchroner Belieferung davon auszugehen, dass die Anzahl der Transporte steigen und die Transportlose kleiner werden. Offenkundig dürfte auch eine höhere Anzahl von Leerfahrten entstehen. Häufig wird davon berichtet, dass man die Lagerung auf die Straße verschiebt. Nebeneffekte sind auch, dass Verkehre von der Schiene auf die Straße verlegt werden und die Anfälligkeit der Belieferung zunimmt - insbesondere bei größeren Distanzen zwischen Lieferant und Hersteller. Einige dieser Nebenwirkungen sind sowohl unter ökonomischen als auch unter den in der Logistik zunehmend Beachtung findenden ökologischen Gesichtspunkten bedenklich. Die Nachteile der Methode kann man durch Kopplung mit anderen Ansätzen abmildern. Einzelne Just-in-time-Ausprägungen geben selbst schon Antworten auf die benannten Herausforderungen. <?page no="120"?> 2.13 Just in time 121 www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden Kernelement der betriebswirtschaftlichen Methode des Just in time ist, dass zwischen zwei Akteuren mindestens ein Lager und eine Qualitätsprüfung entfallen sollen - in der Regel beim Empfänger der Ware. In traditionellen Logistikbeziehungen produziert ein Lieferant die Vorprodukte, prüft sie nach der Fertigstellung und lagert sie dann bei sich ein. Der Hersteller bestellt die Vorprodukte, lässt sie anliefern, unternimmt eine Wareneingangsprüfung und lagert sie erneut bis zu dem Zeitpunkt, an dem das Vorprodukt in der Produktion des Herstellers benötigt wird. Durch Just in time werden Lagerung und Eingangsprüfung beim Empfänger eingespart, da die Ware punktgenau zum Bedarfszeitpunkt angeliefert wird. Anwendungsbereich und Anwendungsprozess er Lieferant Vorprodukte für den Hersteller produzieren, in sein eigenes Ausgangslager einlagern und der Hersteller bei Vorliegen von in der Regel kundenbasierten Produktionsaufträgen direkt daraus abrufen und nach Eintreffen in der Produktion nutzen. er Lieferant produzieren und in das Lager eines in die JIT-Abwicklung involvierten Spediteurs einlagern, in dem auch kommissioniert und dann beim Hersteller angeliefert wird. In diesem Kontext wird auch von gemeinsamer Bestandsführung gesprochen. er Lieferant produzieren und prüfen. Er liefert ohne Zwischenlagerung direkt an den Hersteller, der die Vorprodukte benötigt, was insbesondere bei dicht beieinanderliegenden Produktionsstätten von Lieferant und Hersteller funktionieren kann. Abbildung 69: Schritte der ust-in-time-Einführung 180 Vergleiche Wannenwetsch (2010, S. 181 f). Fähige Lieferanten erkennen Lieferanten qualifizieren Bedarfsprognose erstellen Vereinbarung schließen JIT-Betrieb aufnehmen Just in time kommt insbesondere in der Industrielogistik zur Anwendung. Beziehungen zwischen Wertschöpfungspartnern verschiedener Stufen industrieller Lieferketten werden auf diese Weise miteinander verbunden. Ferner ist das Konzept am ehesten dort zu finden, wo aufgrund hoher Variantenvielfalt, hoher Produktionsvolumina, komplexer Güter, schwankender Nachfragehöhen und werthaltiger Vorprodukte Lagerhaltung sehr teuer ist. Im Wesentlichen lassen sich drei Ausführungs- und Ablaufarten des Just-in-time-Konzeptes ausmachen. 180 Sollen Prüf- und Lagerungsvorgänge beim Abnehmer wegfallen, so wird: In der Regel erfordert die Einführung eines Just-in-time-Konzeptes die Existenz fähiger Lieferanten, die man gegebenenfalls weiterqualifiziert und mit denen man ein mehrstufiges Planungssystem etabliert. Wie in Abbildung 69 dargestellt, wird das Planungssystem in erster Ebene eine Rahmenvereinbarung umfassen, das die Anforde- <?page no="121"?> 122 2 Beschaffung und Logistik rungen an die zu liefernden Güter enthält, eine Bedarfsprognose einschließt und typischerweise eine einjährige Laufzeit hat. In zweiter Ebene werden quartalsweise Rahmenaufträge stehen, die beim Lieferanten die Materialbeschaffung auslösen, um die zur Erstellung der Vorprodukte benötigten Werkstoffe zu erhalten. In dritter Ebene wird der Direktabruf des Herstellers realisiert, der auf der Basis der im Rahmenauftrag geplanten Mengen eine konkrete Variante in bestimmter Stückzahl zu einem festgelegten Termin anfordert. Weiterführende Hinweise Die Implementierung einer produktionssynchronen Beschaffung ist an einige Rahmenbedingungen geknüpft. Sind diese nicht gegeben, stellen sich die Vorteile in der Praxis nicht ein. Sowohl der Lieferant als auch der Hersteller müssen ihre Vorgehensweisen und beschaffungsmarktseitigen Prozesse umstellen beziehungsweise verändern. Derartige Anpassungen wird man nur realisieren, wenn man von einer längerfristigen Lebensdauer des neuen Modells ausgeht. Mehrjährige Vertragsdauern sind daher üblich. Häufig erscheint es auch sinnvoll, nicht nur die Steuerung einer Lieferanten- Abnehmer-Beziehung nach dem JIT-Konzept zu gestalten, sondern weitere Vorstufen mit einzubeziehen. Die Installation informationstechnischer Voraussetzungen ermöglicht den zeitnahen Datenaustausch. Gelingt die Belieferung mit der vereinbarten Ware nicht termingerecht, greifen in den Verträgen fixierte Konventionalstrafen. Ferner bilden eindeutige Spezifikationen der zu liefernden Teile, exakte Prüfvorschriften und Vereinbarungen über Messmittel wichtige Voraussetzungen für einen reibungslosen Ablauf innerhalb der JIT-Beziehung. Die Preise werden in der Regel für ein Jahr festgesetzt und danach neu verhandelt. Vielerorts finden sich Preisgleitklauseln für den Rohstoffpreisanteil am Wert des Vorproduktes. <?page no="122"?> www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden 3 Produktion Der betriebliche Funktionsbereich Produktion bildet den Ort der Wertschöpfung im Unternehmen. Hier werden die Leistungen, insbesondere die zu vertreibenden Produkte, hergestellt. Ohne Produktion würden Unternehmen nicht über Leistungen verfügen, mit deren Hilfe sie Umsätze und Einnahmen erwirtschaften. Die Produktion veredelt die durch die Beschaffung verfügbar gemachten Rohstoffe und Vorprodukte gemäß geltender Vorgaben der Forschungs- und Entwicklungsabteilung - wie Konstruktionspläne in der Stückgutfertigung und Rezepturen in der Verfahrensindustrie - zu absetzbaren Produkten. 181 Abbildung 70 beschreibt die Grobstruktur von Produktionssystemen. 182 Die Qualität der produzierten Erzeugnisse und die Kosten der Produktion sowie Flexibilitätspotenziale und Schnelligkeit der Auftragsbearbeitung beeinflussen in erheblichem Maße die betriebliche Wettbewerbsfähigkeit. Abbildung 70: Ein- und Ausgangsgrößen von Produktionssystemen 183 Im Rahmen der produktionswirtschaftlichen Planung muss man das Produktionsprogramm festlegen, das Produktionspotenzial ausgestalten und die Produktionsprozesse definieren. Die Programmplanung legt die Output-Dimension des Produktionsprozesses fest. Die Definition der herzustellenden Produkte nach Art, Menge und Form orientiert sich insbesondere an den Vorgaben des Absatzmarktes, aber auch an den intern verfügbaren Kompetenzen und Ressourcen. Die Produktionsprogrammplanung umfasst auch die Entscheidung über Eigenerstellung oder Fremdbezug der Produktkomponenten, 184 die in einem frühen Stadium gemeinsam mit der Beschaffungsabteilung getroffen wird. Die Potenzialplanung zielt auf die Sicherstellung der Leistungsbereitschaft des Produktionssystems. Zur Erstellung der im Produktionsprogramm aufgeführten Güter bedarf es des Einsatzes von Produktionsfaktoren. Durch die Kombination der in Abbildung 71 dargestellten Potenzial- und Repetierfaktoren versucht man, das angestrebte Produktionsergebnis zu erreichen. Betriebsmittel werden aufgrund ihrer generellen technischen Eignung, ihrer quantitativen und qualitativen Kapazität sowie ihrer 181 Vergleiche Corsten (2004, S. 2). 182 Vergleiche Fandel (1996, S. 32), Haak (1982, S. 119) und Kern (1976, S. 758 ff). 183 Mieke (2009, S. 4). 184 Vergleiche Nebl (2004, S. 62). Input Throughput Output Produktionsfaktoren Werkstoffe Betriebsmittel Menschliche Arbeit Dispositiver Faktor Produktionsprozess basiert auf Technologien / Verfahren Materielle Produkte Endprodukte Zwischenprodukte Abfallprodukte Immaterielle Produkte <?page no="123"?> 124 3 Produktion www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden Verfügbarkeit und Kompatibilität mit anderen Betriebsmitteln und Faktorarten für die Erstellung von Gütern bereitgestellt und weiterentwickelt. Zu ihnen zählen etwa Maschinen, Werkzeuge, Transportmittel oder Einrichtungen. 185 Ziel der produktionswirtschaftlichen Personalarbeit ist es, die Ergiebigkeit menschlicher Ressourcen zum Beispiel durch den Einsatz adäquater Führungs- und Anreizsysteme oder durch Kompetenzprofilverbesserungen zu erhöhen. Abbildung 71: Produktionsfaktoren Die Prozessplanung im Produktionsbereich erstreckt sich auf den Entwurf von Ordnungen, die den Ablauf von Produktionsprozessen in Raum und Zeit vorgeben. 186 Zu Beginn wird die grundsätzliche Struktur der Abläufe - insbesondere die Gestaltung von Layout und Materialflusskonzept - bestimmt. Danach erfolgt die Auslegung der Prozesse hinsichtlich Reihenfolge und terminlicher Planung. Eine wichtige Beurteilungsgröße im Rahmen von Produktionsprozessen ist die Durchlaufzeit. Sie ergibt sich im Wesentlichen aus Rüst-, Bearbeitungs-, Kontroll-, Transport- und Liegezeiten. Diese Größen werden in erheblichem Maße durch andere Objekte - wie Betriebsmittel oder Qualifikationen und Fähigkeiten von Mitarbeitern, die Verfügbarkeit von Material, die logistischen Prozesse und die Qualität der Auftragseintaktung - und deren Planungen beeinflusst. Obwohl der Produktionsbereich als der Ort der Wertschöpfung eine zentrale Rolle einnimmt, kann man diesen nicht ohne Abstimmung mit den vorgenannten Funktionsbereichen Forschung und Entwicklung sowie Beschaffung und Logistik steuern. Zahlreiche Verflechtungen erfordern intensive Kommunikation und Koordination, die in eine harmonisierte Planung münden sollten. Forschung und Entwicklung definieren das zu erstellende Produkt. Dabei werden Werkstoffe, Fertigungsverfahren, Montageschritte, Variantenvielfalt, Einsatz von Standard- oder Normbauteilen festgelegt. Die entsprechenden Entscheidungen wirken sich unter anderem auf Beschaffungsaspekte wie Lieferantenwahl oder Möglichkeiten zur Erzielung von Mengeneffekten aus. Ebenso bestimmen die forschungs- und entwicklungsbezogenen Aspekte den Produktionsbereich - zum Beispiel bei der Wahl der Produktionsprozesse, beim Maschinen- 185 Vergleiche Kern (1992, S. 196). 186 Vergleiche Kern (1992, S. 255). Potenzialfaktoren Betriebsmittel Menschliche Arbeit mittelbarer unmittelbarer Rohstoffe Hilfsstoffe Betriebsstoffe Repetierfaktoren Originäre / elementare Produktionsfaktoren Verbrauch im Rahmen der Leistungserstellung <?page no="124"?> 3.1 Wertanalyse 125 www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden einsatz oder bei der Gestaltung des Automatisierungsgrades. Die Beschaffung wiederum legt durch ihre Lieferantenauswahl die Zuverlässigkeit der Produktion fest. Können Lieferanten die benötigten Vorprodukte nicht in vereinbarter Qualität und Menge zum definierten Zeitpunkt bereitstellen, entziehen sie der Produktion die Grundlage. Obwohl die nachgelagerten Bereiche von den Ergebnissen der vorgelagerten abhängen, haben auch die nachgelagerten wie Produktion, Marketing oder Vertrieb Einfluss auf die Leistungen der Vorstufen. So kann zum Beispiel die Beschaffung Restriktionen oder Anforderungen benennen, die wiederum in den Planungen und Entscheidungen der vorgelagerten Bereiche berücksichtigt werden müssen. 187 In der Produktion wird man bei avisierter Nutzung bestehender Fabriken für neue Produkte bestimmte Fertigungsverfahren gegenüber der Forschungs- und Entwicklungsabteilung ausschließen oder auf einfache Geometrien von Bauteilen oder auf Montagegerechtigkeit drängen. Viele Herausforderungen wie die Individualisierung von Leistungen, die Verkürzung von Auftragsbearbeitungszeiten, die Senkung von Kosten oder die Erhöhung von Produktqualitäten wird der Produktionsbereich nicht allein absichern können. Allerdings stehen erprobte betriebswirtschaftliche Methoden zur Verfügung, um den produktionsspezifischen Anteil abzudecken. Die wichtigsten Ansätze werden im Folgenden diskutiert. 3.1 Wertanalyse Problemstellung: Senkung der Kosten von Produkten oder Prozessen unter Beibehaltung der Funktionen beziehungsweise Erhöhung des Nutzens von Produkten oder Prozessen ohne Mehrkosten Zielgruppe: Produktionsleiter, F&E-Leiter, F&E-Mitarbeiter, Lieferantenentwickler, Materialgruppenverantwortliche, Prozessoptimierer Voraussetzungen: Verfügbarkeit der relevanten Funktionskosten Zielsetzung der Wertanalyse Die Wertanalyse ist eine Methode, mit deren Hilfe Funktionsstrukturen eines Betrachtungsobjektes offengelegt, durchdrungen und bewertet werden können. Die Elemente des Objektes sollen grundsätzlich in Richtung Wertsteigerung beeinflusst werden. 188 Die Wertanalyse lässt sich sowohl zur Kostensenkung als auch zur Nutzensteigerung von Objekten anwenden. Die Wertanalyse hinterfragt, inwiefern einzelne Elemente eines Systems zur Erfüllung des Systemzwecks erforderlich sind, wobei ein System ein Produkt, aber auch ein Prozess sein kann. Möglicherweise lassen sich einzelne Elemente eliminieren. Hierfür finden sich häufig nur begrenzte Möglichkeiten. Allerdings sind viele vorhandene Funktionen andersartig ausführbar als im betrachteten Fall. So treten die Suche, Analyse und Ausgestaltung technologischer Substitutionsmöglichkeiten in den Vordergrund. 187 Vergleiche Porter (2010, S. 62) und Picot, Dietl & Franck (2005, S. 285). 188 Vergleiche DIN 69910. <?page no="125"?> 126 3 Produktion www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden Beschreibung der Wertanalyse Die Durchdringung der Objekte, beispielsweise der Produkte, geschieht im Rahmen der Wertanalyse nicht durch Zerlegung in Einzelteile, sondern durch Zerlegung in Funktionen. Dies ist ein wesentlicher Unterschied. Durch die Zerlegung in Funktionen erschließt sich im Allgemeinen ein größerer Lösungsraum, um alternative Ausführungsvarianten zu bestimmen, als durch die Zerlegung in Einzelzeile. Folgendes Beispiel illustriert diesen Sachverhalt: Zerlegt man ein Fahrrad in seine Einzelteile bis zum Kettenglied, dann stellt sich die Frage, ob das Kettenglied, ein Zahnrad oder der Stift, der die Kettenglieder verbindet, eliminiert werden können. Die Antwort dürfte in der Regel negativ ausfallen, da das System in der Folge nicht mehr in gewünschter Weise funktionieren würde. Lenkt man den Blick weg von den Einzelteilen, hin zu den Funktionen des Fahrrades, etwa auf Antrieb, Kraftumformung oder Richtungsänderung, dann fällt auf, dass diese einzelnen Funktionen häufig aus einem Zusammenspiel verschiedener Einzelteile und Baugruppen resultieren. Manche Einzelteile und Baugruppen sind in die Realisierung mehrerer Funktionen eingebunden. Auf der Grundlage dieser Überlegungen kommen neue Optionen in Betracht. Zur Kraftumformung und Kraftübertragung kann man statt Kettengetriebe etwa ein Reibrad-, ein Riemen-, ein Zahnradgetriebe oder eine Kardanwelle einsetzen. Unter Umständen sind diese Alternativen ebenso tauglich, die Funktion zu erfüllen und lassen sich möglicherweise kostengünstiger produzieren. Durch die Ermittlung überflüssiger Systembestandteile und die Erarbeitung neuartiger Lösungsmöglichkeiten ergeben sich - bei Zielstellung der Kostensenkung - mehrere Kosteneinsparpotenziale. Zum einen können womöglich Beschaffungskosten gesenkt werden. Zum anderen fallen unter Umständen Fertigungs- und Montageschritte weg, und Produktionskosten lassen sich senken. Schließlich ist durch eine Neuausrichtung der Make-or-Buy- und der Lieferantenentscheidung sowie durch eine Restrukturierung der Lieferkettenmitglieder eine Senkung von Koordinationskosten möglich. Wertanalysen erfordern üblicherweise interdisziplinäre Teams, da man sowohl technische Lösungen analysieren, Kosten zuweisen, neue Lösungsmöglichkeiten erarbeiten und Kostenwirkungen prognostizieren als auch die marktbezogene Akzeptanz abschätzen und die Verfügbarkeit fähiger Lieferanten erkennen muss. Gelingt die Zusammenstellung schlagkräftiger Wertanalyseteams - häufig ein Verbund aus Konstrukteuren, Fertigungsplanern, Einkäufern, Controllern und Produktplanern -, so können diese oftmals Kostensenkungen in beträchtlichem Umfang herausarbeiten. Die Wertanalyse beschränkt sich nicht nur auf Produkte, sondern sie analysiert auch Produktions- und administrative Prozesse. Mit dem der Wertanalyse eigenen Blick auf Funktionen kann man auch Effizienzsteigerungsmöglichkeiten in betrieblichen Abläufen identifizieren. Anwendungsbereich und Anwendungsprozess Die Wertanalyse kommt für ganz unterschiedliche Untersuchungsobjekte und auch an ganz verschiedenartigen Orten im Unternehmen zum Einsatz. Abbildung 72 fasst typische Anwendungsfelder zusammen. Es zeigt sich, dass schon im Stadium der Konstruktion, wenn das Produkt noch nicht realisiert ist, wertanalytische Betrachtungen sinnvoll sein können. 189 Bestehen doch in dieser Phase die größten Freiheitsgrade der Gestaltung bei geringsten Änderungskosten. Aber auch in der laufenden Serienproduk- 189 Vergleiche Freidank (2001, S. 619). <?page no="126"?> 3.1 Wertanalyse 127 www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden tion können durch auf der Wertanalyse basierende Veränderungen beträchtliche Einsparungen erreicht werden. Abbildung 72: Anwendungsfelder der Wertanalyse 190 Der Anstoß für wertanalytische Untersuchungen kann aus verschiedenen Bereichen kommen. Das Beschaffungswesen mahnt die Anwendung des Verfahrens in der Regel dann an, wenn Preisverhandlungen, Mengenbündelungen, Global Sourcing und ähnliche Aktivitäten nicht mehr die avisierten Einkaufspreissenkungen erzielen. In der Produktion sucht man häufig nach effizienten Fertigungsmöglichkeiten, die sich durch die Anwendung von Wertanalysen stützen lassen. Das Vorgehen der Wertanalyse kann man in sechs Phasen gliedern, 191 die in Abbildung 73 aufgeführt sind. 192 Im Rahmen der Projektvorbereitung werden der Analysebereich definiert, Ziele abgesteckt und Teammitglieder bestimmt. Innerhalb des Teams sollten alle erforderlichen fachlichen Kompetenzen und methodischen Fähigkeiten im Hinblick auf Wertanalysen und Problemlösungstechniken verfügbar sein. Die Arbeitsgruppe entwickelt dann eine Ablaufplanung. In der zweiten Phase erfolgt die Zerlegung des zu untersuchenden Objektes. In der Regel dürfte sich das Ordnen der Funktionen nach Haupt-, Neben- und unwichtigen Funktionen als sinnvoll erweisen. 193 In diese Phase fällt auch die Ermittlung der Funktionskosten. Die Funktionskostenmatrix unterstützt die Zuweisung der Kosten der Elemente auf die einzelnen Funktionen. Die dritte Phase richtet sich auf die Konkretisierung der Zielzustände. Mit den Kenntnissen aus Phase zwei dürften sich diese nun präziser beschreiben lassen. Die Gesamtleistungsfähigkeit des Objektes wird durch die Summe zu beschreibender Soll- 190 Mieke (2009, S. 18). 191 Vergleiche Hesse (1990, S. 332). 192 Vergleiche Specht & Mieke (2005a, S. 182 ff). 193 Funktionsstrukturbäume können hier unterstützen (vergleiche Schröder 1994, S. 155). Klassifikationskriterien Ausprägungen Existenz des WA-Objektes Art des WA-Objektes Ort des WA-Objektes Fokus des WA-Objektes Kostensenkung Qualitätssteigerung Komplexitätsreduktion in F&E in Beschaffung in Logistik in Produktion in Administration für Produkte für Prozesse für reale Objekte „Wertanalyse“ für geplante Objekte „Wertgestaltung“ <?page no="127"?> 128 3 Produktion www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden Funktionen repräsentiert. Ihnen lassen sich Kostengrößen zuordnen. Hier wird eine Parallele zum Controlling-Konzept des Target Costing sichtbar, obgleich dieses weniger technisch, sondern eher marktseitig orientiert ist. Im Mittelpunkt der vierten Phase steht die Entwicklung neuartiger Ansätze zur Ausführung der Funktionen des Systems. Dabei werden sowohl vorhandene Ideen gesammelt als auch neue Ideen erzeugt. Dies ist die Phase, in der auch analytische Problemlösungstechniken wie der morphologische Kasten und Kreativitätsmethoden wie Synektik oder Brainstorming zum Einsatz kommen - auch das Inspirieren durch Benchmarking kann stattfinden. Eine Verdichtung der Ansätze zu ganzheitlichen Lösungsansätzen schließt diesen Schritt ab. Abbildung 73: Wertanalyseprozess Im fünften Schritt leitet man aus den bestehenden Zielstellungen Bewertungskriterien für die erzeugten Lösungen ab und beurteilt die gefundenen Ergebnisse. Multikriterielle Bewertungsverfahren wie die Nutzwertanalyse erfüllen diese Aufgabe besonders gut. 194 Sie werden um Wirtschaftlichkeits- und Investitionsrechenverfahren ergänzt, um eine monetäre Bewertung zu gestatten. Die wesentliche Herausforderung in dieser Phase dürfte die Kostenprognose für die verschiedenen Lösungsprinzipien sein, die unter Umständen sehr neuartig und kostenseitig schwer spezifizierbar sind. Die abschließende sechste Phase richtet sich auf die Überführung der gefundenen Lösung in die Realität. Es ist zu planen, in welchen Schritten und zu welchem Zeitpunkt die Umstellung erfolgen soll, welche weiteren Akteure man einbinden und welche Rahmenbedingungen man noch schaffen muss. Schließlich erhält die letzte Phase den Charakter eines Projekt-Controllings, das die Realisierung überwacht und steuert. Weiterführende Hinweise Wertanalysen können aufwändig sein. Es sind crossfunktionale Wertanalyseteams zu bilden, die nicht immer konfliktfrei funktionieren. Die Durchdringung von Objekten nach Funktionsstrukturen erfordert - zumindest bei nicht technisch ausgebildeten Teilnehmern - etwas Übung. Die Spezifizierung von Kosten erweist sich häufig als 194 Vergleiche zu verschiedenen Bewertungsverfahren Lenk (1994, S. 33 ff). Projektvorbereitung Analyse des Ist-Zustandes Beschreibung des Ziel-Zustandes Entwicklung von Lösungsansätzen Auswahl zu realisierender Lösungen Realisierung der Lösung Definition Analysebereich Bestimmung Grobziel Bildung Arbeitsgruppe Ablaufplanung Information der Arbeitsgruppenmitglieder Informationsbeschaffung Wertanalyseobjekt Beschreibung der Funktion Ermittlung/ Schätzung Funktionskosten Kritische Prüfung Zielkonkretisierung Ableitung und Gliederung abstrahierter Funktionen Zuordnung von Kostenzielen zu Soll- Funktionen Sammlung vorhandener Ideen Anwendung Kreativitätstechniken und analytischer Problemlösungsmethoden Zusammenführung zu Lösungsansätzen Definition und Gewichtung von Bewertungskriterien Bewertung der Lösungsalternativen (Funktion, Kosten, Durchführbarkeit) Erstellen Entscheidungsvorlage Vorschlag zur Realisierungsplanung Gegebenenfalls Überwachung der Realisierung <?page no="128"?> 3.2 Variantenausprägungsportfolio 129 www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden problematisch. Mitglieder von Konstruktionsabteilungen haben in der Praxis nicht immer großes Mitwirkungsinteresse, stehen sie doch unter dem Druck, Neuprodukte entwickeln zu müssen, anstatt an aktuellen Modellen Veränderungen vorzunehmen. Und dennoch: Der Aufwand lohnt sich. Durch Wertanalysen gelingt es immer wieder, einen Schub zu erzeugen, der wesentliche Verbesserungen mit sich bringt. Insofern kann man empfehlen, Wertanalysen regelmäßig durchzuführen, insbesondere dann, wenn die Methode in einer Organisation bereits bekannt und Mitarbeiter mit der entsprechenden Anwendung und Umsetzung vertraut sind. Dann ist der Boden für systematische Optimierungen bereitet, die eine Voraussetzung für die langfristige Überlebenssicherung von Unternehmen darstellen. 3.2 Variantenausprägungsportfolio Problemstellung: Auswahl der für das Unternehmen nützlichen Varianten bei zunehmender Variantenanzahl Zielgruppe: Produktionsleiter, F&E-Leiter, Geschäftsfeldleiter, Produktmanager Voraussetzungen: Verfügbarkeit der Kosten und Nutzengrößen von Standard- und Variantenausführungen Zielsetzung des Variantenausprägungsportfolios Zunehmende Variantenvielfalt bei Produkten stellt die Produktion vor große Herausforderungen. Es sind - häufig an getakteten Fließbandproduktionen - verschiedene Ausführungen eines Produktes zu fertigen, womit sich erhebliche Herausforderungen in den Bereichen Materialversorgung, Logistik, Kapazitätsauslastung und Durchlaufzeitminimierung ergeben. Daher wird der Produktionsbereich auf eine Begrenzung der Variantenvielfalt drängen, wobei man unter Varianten Gegenstände ähnlicher Form oder Funktion mit in der Regel hohem Anteil gleicher Bauteile versteht. 195 Demgegenüber wollen Marketingverantwortliche das Variantenspektrum ausdehnen, um mit zusätzlichen Varianten die Präferenzstruktur potenzieller Käufer besser treffen und deren Kauf- und Zahlungsbereitschaft stimulieren zu können, was ohne eine spezielle zusätzliche Variante vermeintlich nicht gelingen würde. Zusätzliche Varianten versprechen insofern höhere Umsätze, verursachen aber auch steigende Kosten. 196 In der Praxis führen die unterschiedlichen Anforderungen, zum Beispiel von Produktion und Marketing, zu einem Konflikt. Das Variantenausprägungsportfolio mit seiner Variantenausprägungskennzahl will die Entscheidung objektivieren, welche Varianten in der Gesamtschau für das Unternehmen vorteilhaft sind. Es ist eine Methode, welche die Auswahl von zu fertigenden Varianten aus einem Fundus möglicher Varianten unterstützt. Beschreibung des Variantenausprägungsportfolios Das Variantenausprägungsportfolio visualisiert eine in ihren Grundzügen vergleichsweise einfache Berechnung. Der Grundgedanke besteht darin zu ermitteln, 195 Vergleiche Lingnau (1994, S. 23 f). 196 Vergleiche Hentschel & Hofstetter (2008, S. 198). <?page no="129"?> 130 3 Produktion www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden wie hoch der relative Nutzen einer Variante ist, also der Nutzen im Vergleich zur Standardausführung, wie hoch die relativen Kosten einer Variante liegen, also die Kosten im Vergleich zur Standardausführung. 197 Kosten- und Nutzenzuwächse von Varianten im Vergleich zur Standardausführung fallen nicht zwingend gleich hoch aus. Anders formuliert: Steigende Kosten führen nicht zwingend zu einem höheren Nutzen und umgekehrt. Das Entscheidungskriterium zur Aufnahme einer Variante in das Produkt- und Produktionsprogramm lautet: Übersteigt der relative Nutzen die relativen Kosten - anders gesprochen: ist der Quotient aus relativem Nutzen und relativen Kosten größer 1 -, so ist es vorteilhaft, die Variante in das Programm aufzunehmen. Beide Dimensionen, relativer Nutzen und relative Kosten, können auf den Achsen eines Koordinatenkreuzes abgetragen werden. Auf diese Weise visualisiert das Portfolio, wie und in welchen Abständen verschiedene potenzielle Varianten zueinander stehen. Abbildung 74 verdeutlicht diesen Zusammenhang. Bei Vorhandensein vieler Varianten und beschränkter Ressourcen und Realisierungsmöglichkeiten können gezielt jene Alternativen ausgewählt werden, die nicht nur eine Ausprägungskennzahl größer 1, sondern im Sinne einer Reihung die höchsten Werte aufweisen. 198 Abbildung 74: Variantenausprägungsportfolio Das Variantenausprägungsportfolio bietet ähnlich wie andere Portfoliodarstellungen nicht nur einen Überblick über die Betrachtungsobjekte, sondern hält für die Quadranten Empfehlungen in Form von Normstrategien bereit. Für Varianten, die sich im ersten Quadranten befinden - ihre relativen Kosten übersteigen den relativen Nutzen -, lautet die Empfehlung, sie zu eliminieren. Sie sollten nicht weiter produziert bezie- 197 Vergleiche im Überblick Heina (1999). 198 Naefe (2012, S. 152 f) weist darauf hin, dass erfolgreiche Unternehmen häufig über eine übersichtliche Anzahl an Produkt-, Baugruppen- und Teilevarianten verfügen. gering hoch gering hoch - Relativer Nutzen - - Relative Kosten - I IIa IIb IIIa IIIb IV Eliminieren Verbleib, aber Kostenreduktion Eliminieren oder Nutzen erhöhen Ideal, Verkaufsförderung/ Kommunikationspolitik Verbleib, ggf. Kostenreduktion Verbleib, aber ggf. Nutzen erhöhen Kosten-Standardausprägung Nutzen-Standardausprägung Iso-Kosten-Nutzen-Linie VPK < 1 VPK > 1 <?page no="130"?> 3.2 Variantenausprägungsportfolio 131 www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden hungsweise nicht in das Programm aufgenommen werden. Demgegenüber bilden Varianten des vierten Quadranten den angestrebten Zustand. Sie weisen bei geringen relativen Kosten einen hohen relativen Nutzen auf. Dabei handelt es sich in gewisser Weise um Idealvarianten. Sie sollten ins Programm aufgenommen werden beziehungsweise dort verbleiben. Die entsprechenden Varianten sollten auch im Rahmen von Verkaufsförderungsmaßnahmen und in der Kommunikationspolitik besondere Berücksichtigung erfahren, da es gewinnbringend sein dürfte, die Aufmerksamkeit potenzieller Interessenten vor allem auf diese, für das Unternehmen sehr vorteilhaften Varianten zu lenken. Für die Quadranten II und III wird ein selektives Vorgehen empfohlen. Hier ist genauer zu prüfen, an welchen Stellen in den Quadranten die Varianten platziert sind. Varianten des Bereiches IIa mit einer Variantenausprägungskennzahl leicht unter 1 wird man entweder aus dem Programm entfernen oder den Versuch unternehmen, bei gleichbleibenden relativen Kosten den relativen Nutzen zu erhöhen. Liegen ausreichend Varianten in Quadrant IV vor, wird man sich eher für das Eliminieren entschließen. Verfügt das Unternehmen über wenige Varianten mit einer Variantenausprägungskennzahl größer 1, treten Bemühungen zur Nutzenerhöhung auf den Plan. Bei der Suche nach Möglichkeiten zur Erhöhung des relativen Nutzens können Methoden wie Wertanalysen, Brainstorming, Synektik und der morphologische Kasten Anwendung finden. Varianten im Quadrant IIb mit einer Variantenausprägungskennzahl größer 1 werden üblicherweise im Programm belassen. Varianten des Quadranten IIIa mit einer Variantenausprägungskennzahl kleiner 1 sollten man weiter produzieren, wenn es gelingt, die relativen Kosten deutlich zu senken. Sie verfügen aufgrund ihres hohen relativen Nutzens über eine gute Ausgangsposition, wenngleich sie ohne deutliche Kostensenkungen für das Unternehmen langfristig nicht vorteilhaft sind. Hier können Make-or-Buy-Entscheidungen, Lieferantenförderung, Wert- und Schwachstellenanalysen oder Auktionen als auf Kostensenkung fokussierte Methoden helfen. Die Kostensenkung kann dabei - das deutet der Hinweis auf die verschiedenen Methoden schon an - in unterschiedlichen Bereichen wie Materialkosten oder Produktionskosten erreicht werden. Varianten des Quadranten IIIb mit einer Variantenausprägungskennzahl größer 1 verbleiben im Programm. Anwendungsbereich und Anwendungsprozess Das Variantenausprägungsportfolio findet sowohl in der Produktplanung als auch in der Produktionsoptimierung Anwendung. Es bezieht sich traditionell auf Produktvarianten. Die Anwendung der Methode unterstützt die Entscheidung, welche möglichen Produktvarianten Eingang in das Produkt- und Produktionsprogramm finden sollen. Damit beeinflusst es in hohem Umfang die Bereiche Produktion, Materialwirtschaft und Marketing. Allerdings kann man das Variantenausprägungsportfolio nicht nur zur Beurteilung von Produktvarianten, sondern beispielsweise auch bei der Bewertung von Prozessvarianten nutzen. Unternehmen werden in dynamischen und wettbewerbsintensiven Umfeldern unter Umständen auch verschiedene Prozessentwürfe erarbeiten und zum Einsatz bringen. Welche Varianten sich für das Unternehmen als vorteilhaft erweisen, könnte eine auf Prozesse angepasste Methode des Variantenausprägungsportfolios bewerten. 199 199 Vergleiche Mieke (2012a, S. 49 f). <?page no="131"?> 132 3 Produktion www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden In der klassischen Anwendung des Variantenausprägungsportfolios - für Produktvarianten - ist die Methode mit folgendem Vorgehen verknüpft: Unternehmen werden im Rahmen eines Variantenmanagements planen, wie umfangreich ihr Sortiment im Hinblick auf Varianten ausgestaltet sein soll. In diesem Zusammenhang werden umfangreiche Analysen sowohl in den Abteilungen Marketing, Entwicklung und Konstruktion als auch in den Bereichen Produktion und Beschaffung erstellt und bewertet. Das Marketing muss beantworten, welche Nutzungspräferenzen, welche Funktionswünsche und welche Zahlungsbereitschaften bei den Kunden für potenzielle Leistungsangebote vorliegen. Entwicklung und Konstruktion müssen bestimmen, ob etwaige Änderungswünsche der Grundvariante und die damit verbundene Entstehung weiterer Varianten technisch möglich sind. Die Produktion hat zu prüfen, ob hinreichende Produktionskapazitäten vorliegen, welche zusätzlichen Betriebsmittel notwendig werden und welche Kostenwirkungen durch die Variantenproduktion entstehen. Die Beschaffungsabteilung eruiert schließlich, welche Auswirkungen auf die Lieferantenstruktur und auf Beschaffungsmengen und Beschaffungspreise entstehen und ob qualifizierte Lieferanten für benötigte Zukaufteile verfügbar sind. Durch Aggregation der Kosten und eine Abschätzung des Nutzens kann man ein Variantenausprägungsportfolio erstellen und die Variantenausprägungskennzahlen berechnen. Nach der Zusammenführung der Analysen weisen die strategischen Stoßrichtungen im Rahmen der Produktentstehungsphase entweder in Richtung Variantenerzeugung oder Variantenvermeidung. 200 Dabei muss nicht nur eines der Grundmuster zum Einsatz kommen. Vielmehr kann es für ein Produkt ratsam sein, keine oder wenige Varianten neben der Standardausführung zu entwickeln. Für andere Produkte kann die Schaffung mehrerer, möglicherweise gar einer Vielzahl von Varianten sinnvoll sein. Während der Marktphase richten sich in Abhängigkeit von den Analyseergebnissen die Aktivitäten auf die Beherrschung der Varianten oder auf die Reduktion der Variantenvielfalt. Bei der Gestaltung der Varianten werden Unternehmen versuchen, den Variantenentstehungspunkt innerhalb des Wertschöpfungsprozesses weit hinten anzusiedeln - also vom Standardprodukt abweichende Merkmale erst in den letzten Produktionsschritten zu erzeugen. Dies ermöglicht über weite Teile des Fertigungs- und Montageprozesses eine Produktionsweise, als handelte es sich um gar kein Variantenprodukt, wodurch man typischerweise Größenvorteile erzielen kann. Allerdings hängt diese Möglichkeit in großem Maße vom Ideenreichtum und Willen der Entwickler und Konstrukteure ab. Lenken diese ihren Blick nicht auf die beschriebene Herausforderung, können Varianten unter Umständen sehr teuer werden. Weiterführende Hinweise Die Einführung zusätzlicher Varianten kann unter Marketinggesichtspunkten ratsam sein. Es finden sich viele Ansätze, Varianten günstig zu erzeugen. Allerdings müssen Verantwortliche auch jeweils prüfen, ob Varianten tatsächlich den gewünschten Nutzen stiften, oder ob deren Produktion nur propagiert wird, weil man dadurch das Produktprogramm einer bestimmten Sparte aufblähen und somit für die Verantwortlichen und Mitarbeiter dieses Bereiches Arbeitsplatzsicherheit schaffen, größere Budgets beanspruchen oder im innerbetrieblichen Machtgefüge eine bessere Positionierung erreichen kann. Diese Problematik verweist auf eine weitere Herausforderung. Die 200 Zu Strategien des Variantenmanagements vergleiche Raubold (2011, S. 29 ff). <?page no="132"?> 3.3 FMEA 133 www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden zuverlässige Quantifizierung von Kosten und Nutzenwerten ist unter Umständen nicht immer einfach und bedingt die Anwendung von Schätzverfahren. Hier sind fundierte Analysen und gewissenhafte Verfahrensanwendungen sowie die Offenlegung der anhaftenden Unsicherheiten notwendig, um zielführende Entscheidungen treffen zu können. In Einzelfällen kann es sinnvoll sein, eine andere Strategie zu verfolgen, als jene, die man im Anschluss an die Berechnung der Variantenausprägungskennzahl durch das Variantenausprägungsportfolio ableiten kann. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn es sich bei der speziellen Variante um ein strategisches Produkt handelt. Damit werden Leistungen beschrieben, die Kunden typischerweise im Verbund mit Weiteren erwerben. Kunden erwarten insofern, dass sie alle Produkte bei einem Unternehmen beziehen können, auch die strategischen, die für das Unternehmen gegebenenfalls Verlustbringer darstellen. Wird diese für das Unternehmen nicht vorteilhafte Variante gestrichen, kann es sein, dass auch die Umsätze der als vorteilhaft eingestuften Varianten zurückgehen. Derartige Effekte sind im Vorhinein zu untersuchen, wenngleich nicht jede durch den Vertrieb angeführte strategische Produktkonstellation sich in der Realität als eine solche herausstellen dürfte. Das Variantenausprägungsportfolio wird für Produktvarianten angewendet. In der Vergangenheit lag der Fokus des Variantenmanagements vor allem auf Produkten. Für die Zukunft ist denkbar, dass Unternehmen aufgrund der zunehmenden Dynamik des Wettbewerbsumfeldes schneller und gegebenenfalls mit maßgeschneiderten Lösungen für unterschiedliche Branchen, Regionen oder Kunden reagieren müssen und dass diese Anpassungen verschiedenartige Organisations-, Steuerungskonzept- und Technologievarianten erfordern, die wiederum mit Hilfe geeigneter betriebswirtschaftlicher Methoden zu bewerten sind. 3.3 FMEA Problemstellung: Risikovermeidung bei neuen Produkten und Verfahren Zielgruppe: Produktionsleiter, Prozessoptimierer, Qualitätsmanager, Konstrukteure, Risikomanager, Produktmanager, Einkäufer Voraussetzungen: Verfügbarkeit von Fehlerkosten und Risikodaten und Bereitschaft zur interdisziplinären Zusammenarbeit Zielsetzung der FMEA Das Akronym FMEA steht für Fehlermöglichkeits- und Einflussanalyse, die im englischsprachigen Kontext als Failure Mode and Effects Analysis bezeichnet wird. 201 Die FMEA unterstützt die Erreichung der Ziele des magischen Dreiecks, das sich aus Qualität, Kosten und Zeit zusammensetzt. Im Mittelpunkt stehen dabei Qualität und die aus mangelhafter Qualität resultierenden Kosten. Mit Hilfe der Methode versucht man, Risiken zu bestimmen und zu analysieren und deren Eintritt durch Veränderung der 201 Vergleiche Werdich (2012, S. 1). <?page no="133"?> 134 3 Produktion www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden eingesetzten technischen Lösungen zu verhindern. 202 Die FMEA kann man auf verschiedene Objekte anwenden. Es haben sich insbesondere Produkt-FMEA und Prozess-FMEA herausgebildet. 203 Diese kann man unabhängig voneinander oder auch gekoppelt einsetzen - etwa zunächst Produkt-FMEA im Rahmen der Konstruktionsphase und anschließend Prozess-FMEA während des Entwurfes des Produktionsprozesses. Durch die Anwendung der FMEA schon innerhalb der Konstruktionsphase eines Produktes können etwaige Fehler, Qualitätsprobleme oder Kosten vermieden werden. Dabei geht man von der Erkenntnis aus, dass die Beseitigung eines Fehlers in der Auslieferungsphase an den Kunden unter Umständen um den Faktor 1.000 höhere Kosten erzeugt, als die Vermeidung des Fehlers in der Konstruktionsphase gekostet hätte. Im Mittelpunkt steht die Erzeugung robuster und funktionsfähiger Artefakte, die gut produzierbar sind und nicht aufgrund anfälliger Produktionsverfahren bei Auslieferung verdeckte Fehler aufweisen. Innerhalb des Produktionsbereiches kann man die FMEA auch einsetzen, wenn das Produktionsprogramm unverändert bleibt, aber Neuerungen in den Bereichen Produktionspotenziale oder Produktionsprozesse vorgenommen werden. So unterstützt die FMEA das Aufspüren möglicher Fehler bei der Einführung neuer Fertigungstechnologien oder modifizierter Produktionssysteme. Gelingt es, mittels FMEA Fehler im Vorhinein zu erkennen, kann man Schadensereignisse vermeiden und die Entstehung fehlerbasierter Kosten verhindern. Fehlerkosten umfassen sowohl Nacharbeitskosten und Schadensersatzansprüche künftiger Anwender der produzierten und nicht funktionsfähigen Güter als auch Opportunitätskosten in Form von Umsatzrückgängen durch Imageverluste, aber auch Kosten, die aus Produktionsstillständen resultieren. In diesen Bereichen können schon durch kleine Mängel große Schäden hervorgerufen werden. Brechende Bolzen an Bremspedalen von Autos und daraus resultierende Unfälle mit Todesfolge verdeutlichen die verheerenden Folgen eines Fehlers bei einem bezogen auf das Gesamtsystem Automobil fast unscheinbaren Einzelteil. Derartige Fehlerquellen will man unter Verwendung einer FMEA frühzeitig erkennen, berechnen und vermeiden. Beschreibung der FMEA Die FMEA entstand im Umfeld der Luft- und Raumfahrtbranche. Insbesondere in diesem Hochtechnologiebereich haben kleine Fehler große Auswirkungen. Dies hat man erkannt und eine Methode entwickelt, um Fehler aufzuspüren und zu vermeiden. Die entsprechende Methode wurde nach ihrer Entwicklung in andere Bereiche mit ähnlichen Situationscharakteristika übertragen. Zur Aufdeckung möglicher Fehler und zur Abarbeitung des FMEA-Prozesses werden üblicherweise crossfunktionale Arbeitsgruppen gebildet. Die unterschiedlichen fachlichen Sichtweisen ermöglichen eine umfassende und detaillierte Analyse des Betrachtungsobjektes und das Erkennen verschiedenster Fehlerursachen sowie die Ableitung von Fehlerfolgen. Die FMEA basiert auf der Annahme, dass alle Fehler prinzipiell im Voraus erkennbar sind. Dieser Gedanke mag auf den ersten Blick schlüssig erscheinen: Wenn man die Analysen systematisch und aus verschiedenen Blickwinkeln gestaltet, müssen doch alle 202 Vergleiche Kamiske & Brauer (2003, S. 74). 203 Vergleiche Werdich (2012, S. 13 ff). <?page no="134"?> 3.3 FMEA 135 www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden potenziell denkbaren Mängel erfassbar sein. Allerdings ist dieser Idealzustand in der Realität trotz ausgefeilter Methoden und versierter Arbeitsgruppenteilnehmer kaum erreichbar. So ist es zum Beispiel bei hochgradig innovativen Systemen schwierig, neben den einzelnen Fehlerursachen und deren Wirkungen auch die Wechselwirkungen und Abhängigkeiten zwischen den Elementen vollständig zu erfassen und daraus resultierende Probleme in ihrem Ausmaß zur Gänze abzubilden. Ferner geht die FMEA davon aus, dass die Methodenanwender benennen können, mit welcher Wahrscheinlichkeit Fehler auftreten. Eine exakte Berechnung von Wahrscheinlichkeiten ist in der praktischen Anwendung jedoch schwierig. Abbildung 75: Beispiel eines FMEA-Formblattes Die FMEA-Durchführung wird in der Regel durch Formblätter unterstützt. Sie dienen der Steuerung des Vorgehens und zur gleichartigen Bewertung aller Artefakte sowie als Verständigungsgrundlage zwischen den beteiligten Akteuren und als Dokumentationsinstrument. Abbildung 75 zeigt ausschnittsweise den Aufbau eines derartigen Formblattes. Das Formblatt teilt sich in die Hauptbereiche Risikoanalyse, Risikobewertung und Verbesserungen. Anwendungsbereich und Anwendungsprozess Eine FMEA wird in unterschiedlichen Unternehmensbereichen eingesetzt, vornehmlich jedoch in der Entwicklung und Konstruktion sowie in der Produktion. Die Analysen beziehen sich auf Produkte, Prozesse und Systeme im Allgemeinen. Es wird insbesondere das Zusammenspiel von erzeugtem Gut und dessen Herstellung durchdrungen. Zur Durchführung der Methode finden sich in der Regel interdisziplinäre Teams zusammen, die ihr Wissen aus verschiedenen Fachrichtungen einbringen. Das Vorgehen der FMEA erfolgt analog der in Abbildung 76 dargestellten Schritte. Zu Beginn des FMEA-Prozesses werden die Untersuchungsobjekte ausgewählt. In diesem Zusammenhang werden auch Teambildung, Abstecken des Zeithorizonts und organisatorische Vorarbeiten realisiert. Im zweiten Schritt beschreibt man die Funktionen des Analyseobjektes. Damit sind nicht nur die Hauptfunktionen gemeint - ein Auto soll seinen Fahrer von A nach B transportieren. Vielmehr sollte man alle Funktionen beschreiben - bei einem Auto also Fortbewegung, Bremsbarkeit, Richtungsänderung und andere. Prozesse werden ebenso in ihre Funktionen und in ihre Strukturen FMEA Mögliche Fehler Derzeitiger Zustand - RPZ Lösungen Verbesserter Zustand Art Ausprägung / Folge Ursache Fehleranalyse Risikobeurteilung Maßnahmen Ergebnis … <?page no="135"?> 136 3 Produktion www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden zerlegt. Diese Zerlegung bereitet die Analyse potenzieller Fehler vor. Ohne diesen Detailblick könnten einzelne Fehlerursachen von Einzelteilen oder auch potenzielle Schwächen im Zusammenspiel von Komponenten nicht erkannt werden. Es schließt sich die Risikoanalyse an. In diesem Rahmen werden alle möglichen Fehlerarten erfasst, ohne deren Eintrittswahrscheinlichkeiten in den Blick zu nehmen. Daran anknüpfend erfolgt die Ermittlung der Fehlerursachen. Im Beispiel des berstenden Bolzens eines Bremspedals in einem Auto könnte die Ursache im Produktionsprozess liegen, etwa verursacht durch Verunreinigungen am Werkzeug oder durch eine falsch eingestellte Maschine. Die Ursache kann aber auch eine Unterdimensionierung des Bauteils oder falsche Materialwahl im Konstruktionsprozess sein. Anschließend werden Fehlerfolgen aufgenommen - im skizzierten Beispiel das Bremsversagen - und aus Kundenbeziehungsweise Anwenderperspektive benannt. In diesem Zuge versucht man, die Entdeckungswahrscheinlichkeit eines möglichen Fehlers vor Übergabe des Produktes an den Kunden zu berechnen und die Prioritätszahl zu bestimmen. Die Risikoprioritätszahl RPZ ist das Produkt aus Eintrittswahrscheinlichkeit (Wert 1 = „niedrig“, Wert 10 = „hoch“), Bedeutung ( Wert 1 = „niedrig“, Wert 10 = „hoch“) und Entdeckungswahrscheinlichkeit (Wert 1 = „hoch“, Wert 10 = „niedrig“). 204 Der maximale Wert beträgt 10 x 10 x 10 = 1.000 und der minimale 1 x 1 x 1 = 1. Abbildung 76: Schritte des FMEA-Prozesses An die Risikoanalyse und Risikobewertung schließen sich die Suche und Initiierung von Gestaltungsmaßnahmen zur Fehlervermeidung an. Es wird nach produktionstechnischen, produktgestalterischen oder prüftechnischen Maßnahmen gesucht. Die Dringlichkeit und die zulässige Kostenhöhe für eine alternative Ausgestaltung des fehleranfälligen Konstruktes werden durch die Prioritätszahl bestimmt. Hohe Prioritätszahlen weisen darauf hin, dass Lösungen zwingend erforderlich sind. Gelegentlich wird auch noch die Verfolgung der definierten Maßnahmen zur Fehlervermeidung dem FMEA-Ablauf zugeordnet. Weiterführende Hinweise Die Klassifizierung der Risiken nach Prioritätszahlen eignet sich zur Reihung möglicher Fehler innerhalb eines FMEA-Projektes. Immer wieder wird Kritik an der Berechnung der Prioritätszahlen anhand der drei Faktoren Eintrittswahrscheinlichkeit, Bedeutung und Entdeckungswahrscheinlichkeit geäußert. Unternehmen passen den 204 Vergleiche Syska (2006, S. 47). Festlegung Untersuchungsobjekt Teamzusammensetzung Vorhabensplanung Vorbereitung realisieren Funktionen abgrenzen Fehler vordenken Ursachen- und Folgenherleitung RPZ-Ermittlung Funktionen beschreiben/ mögliche Fehler aufzeigen Kreative oder analytische Suche und Fehlervermeidungsmaßnahmen Erneute Ermittlung RPZ Fehlervermeidungsmaßnahmen entwerfen <?page no="136"?> 3.4 Schwachstellenanalytik 137 www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden Berechnungsprozess in der Praxis häufig an und operieren mit modifizierten Berechnungsgrundlagen. Insbesondere der Einfluss der Größe Entdeckungswahrscheinlichkeit führt zu intensiven Diskussionen. Eine Modifikation erscheint möglich, wobei wichtig ist, dass diese hinreichend begründet und von allen involvierten Abteilungen mitgetragen sowie einheitlich angewendet wird. 3.4 Schwachstellenanalytik Problemstellung: Frühzeitiges Lokalisieren von Schwachstellen durch Datenauswertung bei mehreren vergleichbaren Betriebsstätten Zielgruppe: Produktionsleiter, Qualitätsmanager, Prozessmanager Voraussetzungen: Betriebsdatenerfassungssysteme, Möglichkeit zur Bündelung dezentraler Daten und Schaffung gleicher Datenbeschreibungsformate Zielsetzung der Schwachstellenanalytik Die Schwachstellenanalytik unterstützt das systematische, segment- oder betriebsstättenübergreifende Aufdecken von Schwachstellen in Produktionsstätten mittels strukturierter Datenauswertung. Schwachstellen sollen durch Vernetzung von Daten und darauf aufbauenden Analysen früher identifiziert werden als dies durch eine isolierte Betrachtung von Objekten möglich wäre. Mit Hilfe dieser Methode plant man, an bestimmten Orten auftretende Schwachstellen zu erkennen und daraus Rückschlüsse für andere Bereiche zu ziehen, die unter ähnlichen Voraussetzungen operieren, in denen die Schwachstellen aber noch nicht aufgetreten sind. Durch vorbeugende Eingriffe kann das Eintreten eines Schadens aufgrund existierender Schwachstellen vermieden werden. Insbesondere in mechanisierten und automatisierten Produktionssystemen kann die konsequente Anwendung der Methode Kosten in hohem Umfang sparen. So können beispielsweise Stillstands- und Reparaturkosten von Produktionsanlagen begrenzt und die Anlagenverfügbarkeit erhöht werden. Beschreibung der Schwachstellenanalytik Die Schwachstellenanalytik hat sich auf der Grundlage der Störstellenanalytik entwickelt. Störstellen sind Orte innerhalb der Produktion, an denen Störungen auftreten, wie ein Maschinenausfall aufgrund des Defekts eines Maschinenteils und ein daraus resultierender Produktionsstillstand. 205 Allerdings stellen nicht nur Störungen Schwachstellen dar. Abbildung 77 enthält Ereignisse, die mit dem Begriff der Schwachstelle umschrieben werden, und verdeutlicht, mit welchen Auswirkungen Schwachstellen behaftet sind. Störungen verursachen Ausfallzeiten und eine geringere Anlagenverfügbarkeit. Niedrige Standzeiten von Komponenten einer Produktionsanlage erfordern, dass Werkzeuge oder Baugruppen vorzeitig ausgetauscht werden müssen. Negative Leistungsdifferenzen bedeuten, dass die Ist-Leistung einer Anlage deutlich von der angegebenen Soll- Leistung abweicht. Das Auftreten derartiger Schwachstellen verursacht nicht nur orga- 205 Dies beeinflusst in erster Linie die Verfügbarkeit als wichtige Eigenschaft von Produktionssystemen (vergleiche Keßler & Uygun 2007, S. 68). <?page no="137"?> 138 3 Produktion www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden nisatorischen Aufwand und führt zu Verzögerungen in den Produktionsprozessen, sondern lässt in erheblichem Maße zusätzliche Kosten entstehen. Abbildung 77: Schwachstellenarten 206 Die Methode der Schwachstellenanalytik soll Störungen, niedrige Komponentenstandzeiten und negative Leistungsdifferenzen frühzeitig erkennen und lokalisieren sowie deren Ursachen erfassen, analysieren und bewerten und darauf aufbauend Verbesserungsmöglichkeiten aufzeigen, die insbesondere auch zu Kostensenkungen beitragen. 207 Zur Durchführung einer funktionsfähigen Schwachstellenanalytik bedarf es vor allem der Verfügbarkeit von Daten, die im Allgemeinen dezentral in den entsprechenden Anlagen erfasst werden. Von besonderem Interesse sind hierbei etwa Ausfallzeiten und Ausfallursachen, Instandsetzungszeiten, Materialverbrauch, Leistungsparameter und Komponentenstandzeiten. Die Erzeugung der Daten erfolgt auf zwei Wegen: Einerseits sind zahlreiche Daten automatisch, zum Beispiel per Maschinendatenerfassung, generierbar. Andererseits muss man Daten wie Ausfallursachen manuell erzeugen. Die Datenbestände müssen gespeichert, zusammengeführt und angereichert werden. Vor allem betriebswirtschaftliche Größen wie erhöhte Kosten und entgangene Gewinne komplettieren das Datengerüst. Werden die angegeben Daten nach einheitlichem Muster erfasst, gebündelt und ausgewertet, können Unternehmen beispielsweise erkennen, dass der defekte Antrieb der Drehmaschine im Werk A kein zufälliger Fehler ist, da dieser Fehler gegebenenfalls auch in den Werken B und C auftritt. Entscheider können somit frühzeitig - vor dem erneuten Auftreten des Fehlers im Werk A - nach einer Lösung suchen, welche die Ursache eines offenkundig systematischen Fehlers beseitigt. Dass es sich hier um einen systematischen Fehler handelt, kann man erst durch die Zusammenführung der Daten aus den verschiedenen Werken erkennen. Eine isolierte beziehungsweise dezentrale Betrachtung würde dies nicht ermöglichen. Anwendungsbereich und Anwendungsprozess Die Schwachstellenanalytik - vor allem mit dem weit über Störungen hinausgehenden Schwachstellenbegriff - kann man an verschiedenen Stellen einsetzen. Der klassische Einsatzort ist die industrielle Produktion. Weiterhin kann man sie im Bereich von 206 Mieke (2009, S. 68). 207 Vergleiche Specht, Mieke & Lutz (2004, S. 614 f). Schwachstellenart Kostenkategorie Störungen Niedrige Komponentenstandzeiten Negative Leistungsdifferenzen Instandsetzungskosten Opportunitätskosten X X X X <?page no="138"?> 3.4 Schwachstellenanalytik 139 www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden Logistiksystemen gewinnbringend nutzen. Aber auch eine Ausweitung auf administrative Bereiche oder auf Unternehmensnetzwerke ist denkbar. Der Ort der Durchführung der Schwachstellenanalytik wird dann von der Produktionszur Organisationsabteilung wechseln. Der Prozess der Schwachstellenanalytik lässt sich in fünf Schritte gliedern, die in Abbildung 78 skizziert sind. 208 Abbildung 78: Prozess der Schwachstellenanalytik 209 Zunächst muss man Daten erfassen, zusammenführen und aufbereiten. Teilweise müssen diese noch in ihren Beschreibungsformaten harmonisiert oder hinsichtlich einzelner Merkmalsebenen ergänzt werden. Insbesondere betriebswirtschaftliche Daten lassen sich nicht aus der Maschinendatenerfassung erzeugen, sondern erfordern eine Ergänzung. Teilweise kann man Kostengrößen nicht direkt erfassen oder exakt zuordnen. In diesen Fällen hilft der Einsatz von Schätzverfahren, die eine hinreichende Berücksichtigung fehlender Größen erlauben. Nach der Zusammenführung der Daten beginnt die eigentliche Analyse, die sich an folgenden Leitfragen orientiert: Wo treten gleiche Schwachstellen auf? Welche wirtschaftlichen Auswirkungen haben die einzelnen Schwachstellen? Nach Möglichkeit sollte eine Priorisierung der Schwachstellen nach der Höhe der verursachten Kosten vorgenommen werden. Vielfach wird man auch Schwachstellencluster bilden, also Gruppen, die entweder verschiedene Schwachstellen mit gleichen Ursachen oder gleiche Schwachstellen mit unterschiedlichen Ursachen zusammenfassen. Grafische Darstellungen der Ergebnisse erleichtern die schnelle Erfassung von Schwachstellen, 210 die einer zeitnahen Abstellung bedürfen. 208 Vergleiche Specht, Lutz & Mieke (2005, S. 274). 209 Mieke (2009, S. 71). 210 Vergleiche Wiendahl, Brückner & Lorenz (1999, S. 24 f). Erarbeitung Verbesserungspotenziale Erarbeitung von Verbesserungspotenzialen (Innovationen, Durchsetzung organisatorischer Regelungen) Integration in betriebliche Planungsbereiche Datenerfassung Definition zu erfassender Daten Erfassung der Daten Definition von Ursachenkategorien Zuweisung zu Abweichungsursachen Datenaufbereitung Zusammenführung der Daten Vereinheitlichung der Beschreibungsformate Anreicherung um monetäre Größen Analyse / Priorisierung Festlegung von Priorisierungskriterien Bildung von Schwachstellenclustern Zusammenführung unternehmensweit vorhandener Informationen Weiterführende Bewertung Inhaltlich geprägte, detaillierte Bewertung von Schwachstellen und Ursachen Feststellung einer Rangfolge der Schwachstellen 1 2 3 4 5 <?page no="139"?> 140 3 Produktion www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden Möglicherweise gehen einzelne Ursachen noch nicht aus den Schwachstellenbeschreibungen hervor und müssen erst durch einen technisch orientierten Analyseprozess herausgearbeitet werden. Diese Daten sollte man in den Bestand nachpflegen und eine Klassifizierung und Priorisierung vornehmen. Abschließend werden für die Schwachstellen mit den größten negativen Wirkungen Verbesserungspotenziale erarbeitet. Derartige Verbesserungen können in der Beschaffung von höherwertigen Ersatzteilen aus anderen Beschaffungsquellen, aber auch in der technischen Weiterentwicklung einer Produktionsanlage oder der Suche nach alternativen Produktionstechnologien liegen. Die Ergebnisse der Schwachstellenanalytik sollten so aufbereitet, gespeichert und zugänglich gemacht werden, dass sie sowohl in der Anlagenoptimierung als auch bei der Neuplanung Berücksichtigung finden können. Weiterführende Hinweise Die Schwachstellenanalytik sollte zentral beschlossen und verortet werden. Zwar muss die Datenerfassung dezentral erfolgen. Allerdings kann man ohne zentrale und einheitliche Definition von Datenformaten und Fehlerkategorien keine rechnergestützten Auswertungen der Daten realisieren und somit auch kaum systematische Fehler frühzeitig erkennen. Die Definition von Ursachenkategorien kann ein langwieriger Prozess sein. Diese Erarbeitung wie auch die Disziplin der im Umgang mit etwaigen Formularen befassten Mitarbeiter bestimmen im Wesentlichen spätere Auswertungsmöglichkeiten. Gelingt es nicht, einen Zahnradbruch in einem Getriebe einheitlich als Fehlerursache „Zahnradbruch im Getriebe“ zu beschreiben, sondern wird der Fehler möglicherweise einmal als „Zahnrad defekt“, einmal als „Getriebeschaden“, einmal als „Zahn abgebrochen“ oder ein andermal als „Schaden an Getriebeverzahnung“ bezeichnet, kann keine automatisierte Erkennung und Zusammenführung der Schwachstellen erfolgen. Die Einbeziehung des Instandhaltungspersonals in die Definition der Fehlerursachen hat sich als erfolgversprechende Vorgehensweise herausgestellt. Zum einen verfügen die Mitarbeiter über großes Erfahrungswissen, das eine bessere Ursachenkategorienbildung ermöglicht. Zum anderen fällt ihnen die Anwendung einer selbst mitgestalteten Methode im späteren alltäglichen Einsatz in der Regel leichter. In vielen Unternehmen wurden in der Vergangenheit ganze Unternehmensbereiche ausgelagert. Das heißt, Unternehmensaufgaben wie die Instandhaltung wurden an Dienstleister übertragen. In den Aufbau einer Schwachstellenanalytik sollten diese externen Instandhaltungsdienstleister einbezogen werden. Möglicherweise sind sie über modifizierte Anreiz- und Vergütungssysteme zur Mitwirkung zu motivieren. Dabei sollte man ihnen vor allem die Sorge nehmen, dass sie sich bei intensiver Beteiligung an der Schwachstellenanalytik als Instandhaltungsdienstleister selbst überflüssig machen. 3.5 Wertstromanalyse und Wertstromdesign Problemstellung: Analyse von Produktions- und Logistikprozessen mit dem Ziel der Schaffung einer verschwendungsfreien Fabrik Zielgruppe: Produktionsleiter, Fabrikplaner, Logistikplaner, Prozessoptimierer, Lieferantenentwickler Voraussetzungen: Methodisch erfahrenes und geschultes Team <?page no="140"?> 3.5 Wertstromanalyse und Wertstromdesign 141 www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden Zielsetzung der Wertstromanalyse und des Wertstromdesigns Die Wertstromanalyse und das Wertstromdesign stellen darauf ab, eine Fabrik zu gestalten, in der keine Verschwendung auftritt, 211 in der das Schlankheits- oder Lean- Prinzip verfolgt wird und in der die Produktion am Kunden orientiert ist. Zu diesem Zweck untersucht die Wertstromanalyse die Prozesse beziehungsweise Flüsse in der Fabrik nach einem bestimmten Muster. So werden etwa Produktionsströme und Logistikprozesse sowie informationelle Flüsse deutlich voneinander abgegrenzt. Die Aufnahme der Ist-Situation und die Abbildung mittels einer symbolreichen Darstellungsweise sollen als Kommunikationsgrundlage dienen und die Identifikation von Problemstellen innerhalb des Wertschöpfungssystems erleichtern. Das Wertstromdesign stellt erprobte, aufeinander abgestimmte Prinzipien bereit, auf deren Grundlage der angestrebte, schlanke Zustand sichergestellt werden soll. Die erarbeiteten Maßnahmen sollen durch Standardisierung Eingang in die Produktion und in das Tagesgeschäft erfahren, wobei die Wertstromanalyse und das Wertstromdesign keine einmaligen Optimierungsmaßnahmen darstellen. Mit Hilfe dieser Methoden sollte die Produktion immer wieder durchleuchtet und angepasst werden, um eine kontinuierliche Verbesserung zu erzielen. Beschreibung der Wertstromanalyse und des Wertstromdesigns Wertstromanalyse und Wertstromdesign unterstützen die Schaffung einer schlanken Produktion, die im englischsprachigen Kontext als Lean Production bezeichnet wird. Verschwendungsursachen werden beseitigt und komplexe Fabriken transparent gemacht. Die Wertstromanalyse bildet die Wertströme jeweils für ein Produkt oder eine Produktfamilie ab. Daher müssen Unternehmen als Grundlage für die Anwendung dieser Methode zunächst eruieren, welche Produkte eine Produktfamilie bilden. Dies werden häufig nicht nur zusammengefasste Varianten sein, sondern ähnliche Produkte, die möglicherweise die gleichen Rohstoffe nutzen und in gleicher technologischer Folge auf den gleichen Maschinen bearbeitet werden. In einer Möbelfabrik könnten etwa Tische und Stühle eine Produktfamilie bilden und Kleiderschränke und Kommoden eine andere. Die Erhebung der Wertströme realisiert man in der Fabrik. Ein Team erfasst die Wertströme beginnend an der Senke, also am Prozessende. Das Entnehmen von Informationen aus Dokumenten und die Überführung in die Notation der Wertstromanalyse sind nicht zielführend. Nur eine Aufnahme der realen Situation ermöglicht das Erkennen von Verschwendung. Zur Analyse gehört die Erstellung einer Wertstromdarstellung mit den Symbolen der Wertstromanalyse. In diese Darstellung werden - vom Grundansatz ähnlich einer mehrdimensionalen Prozessdarstellung - weitere Größen eingetragen. So finden sich etwa tabellenartige Elemente, die einzelne Produktionsschritte hinsichtlich bedeutender Charakteristika wie Rüstzeiten, Bearbeitungszeiten, Verfügbarkeiten oder Nacharbeitsquoten näher beschreiben. In Bezug auf Materialflüsse werden etwa Lagerbestände und Reichweiten der Bestände ausgewiesen. Zudem zeigt man Wertschöpfungs- und Durchlaufzeiten. 212 Auch Informationsflüsse finden sich in der gleichen Darstel- 211 Vergleiche Rother (2004, S. 3 ff). 212 Die Methode begnügt sich nicht mit der Darstellung von Abläufen, sondern weist „Abweichungen von Prinzipien der Schlanken Produktion unmissverständlich“ aus (Syska 2006, S. 176). <?page no="141"?> 142 3 Produktion www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden lung. Die gemeinsame Abbildung von Wertschöpfungsprozessen, Materialflüssen und Informationsströmen sollen eine ganzheitliche Sichtweise und Analyse unterstützen. Die Zusammenführung unterschiedlicher Dimensionen in einer übersichtlichen Darstellung erfordert die Verwendung klar definierter und farblich gestalteter Symbole. 213 Hier hat sich eine wertstromanalyse-spezifische, wenig wissenschaftlich anmutende, aber sehr eingängige Notation herausgebildet, die auch Betrachtern einen schnellen Zugang ermöglicht, die nicht mit der Methode vertraut sind. Abbildung 79 illustriert diesen Gedanken anhand ausgewählter Beispiele. Abbildung 79: Notation Wertstromanalyse In der Abbildung werden mit Blitzen jene Stellen markiert, an denen Schwächen auftreten. Mögliche Verschwendungen sind etwa im Bereich der Produktionsflüsse nicht erforderliche Prozessschritte, im Bereich des Logistiksystems unnötig hohe Bestände oder im Feld der Informationsflüsse die Mehrfachdatenerfassung. Wertstromdesigns nutzen die gleiche Notation wie die Wertstromanalyse. Auf deren Basis modelliert man ein verbessertes System ohne die zuvor benannten Schwächen. Insofern dürften die entsprechenden Darstellungen keine Blitze mehr enthalten. Vielfach wird nicht nur eine lokale Veränderung an der unmittelbaren Problemstelle vorgenommen, sondern im Anschluss an die Ursachensuche eine grundsätzliche Neugestaltung ganzer Prozessabschnitte durch Fehlerbeseitigung angestrebt. Anwendungsbereich und Anwendungsprozess Der primäre Anwendungsbereich der Wertstromanalyse und des Wertstromdesigns liegt in der industriellen Stückgutproduktion. Die Art des Stückgutes spielt dabei keine Rolle - es kann eine Büroklammer oder eine Lokomotive sein. In jüngster Zeit finden sich auch Adaptionen und Modifikationen für weitere Bereiche etwa mit stärkerer Orientierung auf logistische Belange. 213 Zur Symbolübersicht vergleiche Erlach (2010, S. 384 f). Nieten Materialflusssymbole Fertigungsprozessschritt Externe Quelle Bestand Push-Pfeil Fertigwarenfluss extern Lieferung per Lastwagen Informationsflusssymbole Produktions-Kanban Elektronischer Informationsfluss Manueller Informationsfluss <?page no="142"?> 3.5 Wertstromanalyse und Wertstromdesign 143 www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden Der Prozess gliedert sich im Wesentlichen in vier Schritte, die in Abbildung 80 beschrieben sind. 214 In der ersten Phase werden die vorbereitenden Tätigkeiten wie die Abgrenzung des Untersuchungsbereiches, die Auswahl der Teammitglieder, die Bildung der Produktfamilien oder die Erarbeitung eines Projektplanes ausgeführt. Daran schließt sich die eigentliche Wertstromanalyse an. Die Mitglieder des Wertstromanalyseteams durchlaufen die Produktion entgegen der Wertschöpfungsrichtung. Dieses Vorgehen unterstützt die Wahrnehmung der Wertschöpfungsergebnisse und Wertschöpfungsprozesse aus Kundensicht. Es werden charakteristische Größen zur Beschreibung der Prozesse ermittelt. Die Erhebung erfolgt als Momentaufnahme - umso wichtiger ist es, dass die Analyse in einem Zeitraum durchgeführt wird, der als repräsentativ gelten darf. Abbildung 80: Ablauf der Wertstromanalyse Es wird eine Visualisierung der Wertströme wie in Abbildung 81 vorgenommen, in der einige Schwächen wie zu lange Durchlaufzeiten oder eine nicht optimale Auslastung der Betriebsmittel gekennzeichnet sind. Anschließend werden in der Phase des Wertstromdesigns die Materialflüsse klarer strukturiert, wobei man zumeist einer produktfamilienorientierten Segmentierung folgt. Ferner werden die Prozesse neu gestaltet und die Produktionsplanungs- und Produktionssteuerungssystematik angepasst. Die Empfehlungen reichen bis zur Gestaltung eines flussorientierten Fabriklayouts. Der letzte Schritt beinhaltet die Ausarbeitung von Implementierungshinweisen. Diese machen deutlich, wie der Übergang vom Ist-Zustand zum neu konzipierten Soll-Zustand erfolgen kann. Weiterführende Hinweise Viele Unternehmen berichten von Erfolgen durch die Anwendung von Wertstromanalysen und Wertstromdesigns. Allerdings darf nicht übersehen werden, dass auch diese Methode kein Allheilmittel darstellt - gelegentlich werden unübersichtliche oder zu 214 Vergleiche die leicht abweichend strukturierte, aber auch in vier Schritte untergliederte Vorgehensweise bei Erlach (2010, S. 36). Untersuchungsbereich festlegen Team zusammenstellen Produktfamilien bilden Projektplan entwerfen Vorarbeiten Prozesse aufnehmen Verbesserungen entwerfen Implementierung vorbereiten Prozesse erfassen Messgrößen ermitteln Wertstrom visuell darstellen Schwächen kennzeichnen Verbesserungsansätze erarbeiten Entscheidung für einzelne Ansätze Umsetzungshinweise erarbeiten Unterstützungsmechanismen benennen 1 2 3 4 <?page no="143"?> 144 3 Produktion www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden wenig detaillierte Darstellungen beklagt. 215 Mit dieser Methode kann man nicht alle Probleme beheben, und auch andere Methoden sind in der Lage, zumindest einen Teil der aufgedeckten Schwächen zu lokalisieren. Ungeachtet dieser Kritik ist die Wertstromanalyse aufgrund ihrer klaren und pragmatischen Verfahrenshinweise sowie dank ihrer verständlichen Darstellungsform und ihres ganzheitlichen Ansatzes gut geeignet, Problemfelder zu identifizieren und die Definition von Veränderungsmaßnahmen zu unterstützen. Wie so oft, hängt der Erfolg auch hier von der Teamzusammenstellung und der Unterstützung der Leitungsebene ab. Denn selbst die leistungsfähigste Methode bleibt ohne Wirkung, wenn die zur Anwendung und Umsetzung erforderlichen Mitarbeiter nicht zur Verfügung stehen. Abbildung 81: Beispiel einer Wertstromdarstellung 3.6 Kanban Problemstellung: Veränderung der Produktionssteuerung mit dem Ziel der Erhöhung der Liefertermintreue und der Begrenzung der Bestandshöhe Zielgruppe: Produktionsleiter, Produktionsplaner, Produktionssteuerer, Materialwirtschaftsleiter, Logistikleiter, Arbeitsvorbereiter Voraussetzungen: Fertigung vergleichbarer Güter mit ähnlicher Produktionsweise Zielsetzung von Kanban Kanban ist ein Ansatz zur Produktionssteuerung wie auch die Belastungsorientierte Auftragsfreigabe oder das Fortschrittzahlensystem, die mit BOA beziehungsweise FZ 215 Vergleiche Becker (2005, S. 124). Schweißen Verschicken Rohstoffe Bestellung PPS Bestellung Fertigungsauftrag Lieferpapiere Waren annehmen RSL: Rohstofflager ZL: Zwischenlager FL: Fertigteillager Sägen <?page no="144"?> 3.6 Kanban 145 www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden abgekürzt werden. Mit Hilfe von Kanban verfolgt man das Ziel, eine effiziente Ablaufgestaltung in der Produktion zu erreichen. Die Aufträge für die Produktion sollen durch die aktuelle Nachfrage und durch aktuelle Bestände ausgelöst werden. Das heißt, es soll nur das produziert beziehungsweise nachproduziert werden, was durch die Folgestufen verbraucht wird, um somit Verschwendung in Form von Überproduktion zu vermeiden. 216 Unternehmen, die ein Kanban-System erfolgreich etabliert haben, zeichnen sich unter anderem aus durch eine bedarfsgerechte Produktion, eine verbesserte Einhaltung von Lieferterminen und eine höhere Motivation und Problemlösungsbereitschaft der Mitarbeiter. Beschreibung von Kanban Kanban steht im Japanischen für Karte. Es ist ein System, das weitgehend auf Selbststeuerung setzt. Die Produktion wird nicht durch eine zentrale Instanz im Detail gesteuert, sondern realisiert die Steuerung im Sinne eines autopoietischen Systems. Das Mittel bilden Karten, welche die notwendigen Informationen enthalten. 217 Sie fungieren koordinierend zwischen Verbrauchern beziehungsweise nächsten Bearbeitungsstationen und Bereitstellern beziehungsweise vorgelagerten Bearbeitungsstationen in einer Produktion. Kurzfristige Steuerungsfunktionen übernehmen die Mitarbeiter selbst. Es ist keine leitende Instanz dafür nötig. Im Kanban-System ist das Hol-Prinzip und nicht das sonst übliche Bring-Prinzip verankert. Auf der Kanban-Karte - siehe hierzu Abbildung 82 - werden zur Steuerung wichtige Informationen hinterlegt: 218 Teilebezeichnung und Identifikationsnummer, produzierende Stelle oder Abteilung, verbrauchende beziehungsweise weiterbearbeitende Stelle oder Abteilung, Menge und Losgröße, Zeitpunkt der Lieferung. Abbildung 82: Beispiel einer Kanban-Karte Die Kanban-Karte als Signalgeber und Informationsträger entwickelte sich in einer Zeit, in der elektronische Informations- und Kommunikationstechnologien in Unternehmen noch nicht im Einsatz waren. Heute funktioniert dieses System zwar immer noch, wenngleich eine Umstellung von physischen Karten auf andere Informationsträ- 216 Vergleiche Lödding (2005, S. 178). 217 Vergleiche Nyhuis, Wiendahl, Fiege & Mühlenbruch (2006, S. 342). 218 Vergleiche Lödding (2005, S. 179). <Strichcode> Ident-Nr. Produktions-Kanban oder Transport-Kanban Behälter: X/ Y Artikel-Nr. 00001 Artikel Bezeichnung: Stuhlbein Menge 10 Stück Wiederbeschaffung 8 Stunden Lieferant Lagerort Verwender Arbeitsplatz AP Regal 1 Fach 2 Arbeitsgruppe AG <?page no="145"?> 146 3 Produktion www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden ger sinnvoll erscheint. So kann man statt Karten etwa akustische oder optische Signalgeber einsetzen. Anzeigetafeln oder auch Computerbildschirme können statt physischer Karten die Aufträge und deren Bearbeitungsreihenfolge anzeigen, und die Informationsübermittlung kann auf elektronischem Wege erfolgen. 219 Der Verbraucher wird die Entnahme von Vorprodukten zur weiteren Bearbeitung kenntlich machen, während bei Unterschreitung eines definierten Mindestbestandes ein Kanban-Auftrag zur Nachproduktion der entnommenen Vorprodukte an die vorgelagerte Bearbeitungsstation übermittelt und bei dieser auf dem Bildschirm angezeigt wird. Anwendungsbereich und Anwendungsprozess Anwendungsfeld der Kanban-Steuerung ist vor allem die industrielle Stückgutproduktion von Standarderzeugnissen mit Varianten, die vorzugsweise in Linien- oder Gruppenfertigung, teilweise auch in Werkstattfertigung, realisiert wird. Soll diese Art der Produktionssteuerung eingeführt werden, muss man zunächst Rahmenbedingungen schaffen, welche die Funktionsweise der Kanban-Steuerung ermöglichen und unterstützen. Wildemann benennt in diesem Zusammenhang folgende Voraussetzungen: 220 Standardisierung von Teilen und Bildung von Teilefamilien mit dem Ziel, einen gleichmäßigen Teileverbrauch zu fördern und den Anteil wiederkehrender Tätigkeiten zu steigern. Angestrebt werden den Tagesbedarf unterschreitende Produktionslose, die in ihrem Umfang fix sind und bei veränderter Nachfrage weniger oft oder aber häufiger produziert werden. Ablauforientierte Anordnung der Betriebsmittel innerhalb der Fabrik und Harmonisierung der Produktionskapazitäten der durch den Ablauf miteinander gekoppelten Anlagen zur Angleichung von Arbeitsgeschwindigkeiten und Arbeitstakten und eine damit einhergehende Verringerung oder gar Abschaffung von Pufferlagern. Erarbeitung von Lösungen, die geringe Rüstzeiten und hohe Anlagenverfügbarkeit befördern, um Störungen und deren Auswirkungen gering zu halten und ferner ein hohes Maß an Flexibilität für etwaige quantitative oder auch qualitative Veränderungen des Bedarfs bereithalten zu können. Etablierung von Produktionsweisen und Qualitätssicherungsmaßnahmen, die eine geringe Ausschussrate garantieren. Sind diese Voraussetzungen erfüllt, werden die Pufferlager mit ihren Bestandshöhen und den Meldebeständen definiert. Diese hängen unter anderem von den Bereitstellungszeiten für das nächste fertige Produktionslos ab. Anschließend werden die ermittelten Voraussetzungen physisch bereitgestellt und eine Umstellung von meist zentraler Push-Produktionssteuerung auf die weitgehend dezentral orientierte Pull-Steuerung mit Kanban vorgenommen. In dieser Logik befinden sich auch Pufferlager zwischen den Stationen, die mit den von der nächsten Produktionsstufe benötigten Vorprodukten ausgestattet sind. Entnimmt die in Materialflussrichtung dahinter liegende Bearbeitungsstation benötigte Teile, wird geprüft, ob der definierte Meldebestand erreicht ist. Ist dies nicht der Fall, erfolgt keine Meldung. Ist der Meldebestand unterschritten, erfolgt eine Übergabe der Kanban-Karte - oder aber eine elektronische Meldung - an die vor dem Pufferlager liegende Bearbeitungsstation. Diese interpretiert die Karte als Ferti- 219 Vergleiche Wildemann (2008, S. 24). 220 Vergleiche Wildemann (1984, S. 38 ff). <?page no="146"?> 3.6 Kanban 147 www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden gungsauftrag und hat nun dafür zu sorgen, dass das gewünschte Material in auf der Karte verzeichneter Menge produziert und durch Lieferung - nebst Kanban-Karte - im nachgelagerten Pufferlager der verarbeitenden Station verfügbar gemacht wird. Die nachgelagerte, verarbeitende Station nutzt die bereitgestellten Teile, und bei Erreichen des Meldebestandes beginnt der beschriebene Zyklus von Neuem. Auf diese Weise werden in Abhängigkeit von der aktuellen Bedarfs- und Bestandssituation nur die tatsächlich benötigten Erzeugnisse erstellt. Die zentrale Instanz fungiert nicht mehr als operativer Steuerer. Dennoch wird weiterhin eine zentrale Produktionsplanung erforderlich sein, welche die strategische Programmplanung und die taktische Kapazitäts- und Materialplanung ausführt. Ein Kennzeichen der Kanban-Steuerung ist, dass auf operativer Ebene die Abstimmung direkt und dezentral zwischen den beteiligten Akteuren stattfindet. Eine Kommunikation über die zentrale Instanz zur Produktionssteuerung ist - wie in Abbildung 83 dargestellt - nicht mehr vorgesehen. 221 Abbildung 83: Vergleich zentraler Produktions- und Kanban-Steuerung 222 In der Einführungsphase wird man genau beobachten und gegebenenfalls nachjustieren, ob die vorgegebenen Mengen in den Pufferlagern adäquat bemessen, die Produktionszeiten und Kapazitäten der Bearbeitungsstationen hinreichend harmonisiert und die Mitarbeiter bedarfsgerecht qualifiziert sind. Weiterführende Hinweise Die Kanban-Steuerung ist nur eine Art der Produktionssteuerung und kann nicht jeder Produktion empfohlen werden. Sie wird hier stellvertretend angeführt, um deutlich zu machen, dass die Art der Produktionssteuerung wesentlich die Erreichung produktionswirtschaftlicher Zielstellungen beeinflusst. Eine Erfassung der Produktionscharakteristika und die Umstellung auf die am besten geeignete Steuerungsart kann erhebliche Fortschritte bringen - jedoch nur, wenn die erforderlichen Rahmenbedingungen geschaffen werden. Unabhängig davon kann man die Kanban-Steuerung in vielen stück- 221 Vergleiche Schulte (2009, S. 426). 222 Modifiziert nach Schulte (2009, S. 426). Zentrale Produktionssteuerung Rohstoffe Fertigungsschritt 1 Fertigungsschritt 2 Vormontage Endmontage Fertigwarenlager Kanban-Produktionssteuerung Rohstoffe Fertigungsschritt 1 Fertigungsschritt 2 Vormontage Endmontage Fertigwarenlager Bearbeitungsstation Pufferlager Materialfluss Steuerungs-/ Informationsfluss <?page no="147"?> 148 3 Produktion www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden guterzeugenden Branchen gewinnbringend einsetzen. Allerdings haben sich die Akteure innerhalb der Produktion an einige Grundregeln zu halten: Der Produzent der weiterzuverarbeitenden Güter darf nicht mehr produzieren als angefordert, darf Güter nur nach Bestellung fertigen und keine Ausschussteile weitergeben. Der nachfragende Weiterverarbeiter darf erst dann Vorprodukte ordern, wenn diese benötigt werden, also der Meldebestand unterschritten ist. Die Produktionssteuerer sollten eine Steuerung mit wenigen Karten in den Regelkreisen bei gleichmäßiger Auslastung anstreben. Die Grenzen der Anwendung dieser betriebswirtschaftlichen Methode liegen in Unternehmen, die auf die Produktion kundenindividueller Erzeugnisse ausgerichtet sind. Hier ändern sich einige Bedingungen wie Produktkonfiguration, benötigte Vorprodukte und technologische Folge. Für diese Bedingungen bietet das Kanban-System keine adäquate Steuerungssystematik. Auch Baustellenfertigung oder Fließbandproduktion stellen keine primären Einsatzfelder dieser Produktionssteuerungsart dar. 3.7 Retrograde Terminierung Problemstellung: Verbesserung der Termintreue und Steigerung der Auslastung kapitalintensiver Ressourcen Zielgruppe: Produktionsleiter, Laborleiter, Fertigungsplaner, Disponent, Arbeitsvorbereiter, F&E-Leiter, Projektmanager, Geschäftsfeldleiter Voraussetzungen: Angaben zu Ausführungszeiten verschiedener Bearbeitungsschritte unterschiedlicher Aufträge Zielsetzung der retrograden Terminierung Die retrograde Terminierung ist eine Methode der zentralen Grobsteuerung der Produktion. Im Mittelpunkt stehen die Felder Kapazitätsauslastung und Termintreue. Das Ziel der retrograden Terminierung besteht darin, trotz unterschiedlicher Auftragsvolumina und verschiedenartiger Beanspruchungen der Produktionsressourcen termingerechte Auslieferungen aller Aufträge realisieren zu können und dies nach Möglichkeit, ohne unnötig hohe Bestände in Kauf nehmen zu müssen. Orientiert an diesen Zielgrößen entwickelt die retrograde Terminierung die Auftragsreihenfolge für die einzelnen Steuereinheiten. Steuereinheiten können dabei Fertigungsabschnitte, einzelne Bearbeitungszentren oder Prüflabore sein. Beschreibung der retrograden Terminierung Die retrograde Terminierung wird vor allem vom zentralen Fertigungsplaner oder Disponenten genutzt, um für Steuereinheiten Auftragsreihenfolgen vorzuschlagen. Dabei wird in der Regel nur auf sehr grober Ebene, wie Vorgaben auf Tagesebene, operiert. 223 Zu welcher Stunde der einzelne Auftrag auf die Bearbeitungsanlage aufgelegt wird, bleibt eine dezentrale Entscheidung in den Steuereinheiten. Die retrograde Terminierung wird als rollierende Planung ausgeführt. Das heißt, nach Ablauf einer gewissen Zeitspanne wird unter Berücksichtigung verbliebener, noch nicht fertiggestellter Aufträge und neu hinzugetretener Aufträge neu geplant. 223 Vergleiche Vahrenkamp (2008, S. 341). <?page no="148"?> 3.7 Retrograde Terminierung 149 www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden Die retrograde Terminierung ist eine Heuristik und wird in einem mehrstufigen, in der Regel dreistufigen Verfahren vollzogen. Retrograd bedeutet, dass die Methode Möglichkeiten zur Eintaktung in die Steuereinheiten vom Ende des Wertschöpfungsprozesses betrachtet. Der Grund für die rückwärtsgerichtete Planung liegt in der Zielstellung der Vermeidung von Lagerbeständen. Wenn man vom aktuellen Zeitpunkt vorwärts terminiert, kann die Situation eintreten, dass mehrere Aufträge deutlich vor dem durch den Kunden gewünschten Liefertermin fertiggestellt werden und man hoch veredelte Güter lagern muss. Damit wären hohe Lager- und auch Kapitalbindungskosten verbunden. Erfahrungen in Unternehmen zeigen, dass neben diesen zu früh fertiggestellten Aufträgen, andere Aufträge zu spät abgearbeitet werden. Um diese Situation zu vermeiden, greift man auf die retrograde Terminierung zurück. Anwendungsbereich und Anwendungsprozess Die betriebswirtschaftliche Methode der retrograden Terminierung kommt insbesondere dann zum Einsatz, wenn Aufträge mit sehr unterschiedlichen Durchlaufzeiten, mit gegebenenfalls differierenden technologischen Folgen und unterschiedlichem Umfang bearbeitet werden müssen. Im Allgemeinen treten derartige Merkmale bei auftragsbezogener Werkstattfertigung auf, 224 die vor allem im Maschinenbau anzutreffen ist. Mittels retrograder Terminierung kann man aber auch entwicklungsnahe Aufträge in Dienstleistungsunternehmen etwa in Testlaboren steuern. Der Ablauf der retrograden Terminierung vollzieht sich in vier wesentlichen Schritten, die in Abbildung 84 aufgeführt sind. 225 Abbildung 84: Ablauf der retrograden Terminierung Vor dem eigentlichen Start sind alle vorliegenden Aufträge zu erfassen. Man muss ermitteln, in welcher technologischen Folge die Aufträge jeweils die Steuereinheiten beanspruchen - zum Beispiel Arbeitsplätze - und mit welcher Beanspruchungszeit pro Steuereinheit zu rechnen ist. Diesen Aspekt verdeutlicht der linke Bereich von Abbildung 85. Die erforderlichen Informationen können aus Arbeitsplänen abgeleitet werden. Ferner muss man die festgelegten Fertigstellungstermine ausweisen. Im ersten Schritt der Methode werden alle Aufträge von ihrem jeweiligen Fertigstellungszeitpunkt aus retrograd entsprechend ihrer technologischen Folge den einzelnen Steuereinheiten zugewiesen. In diesem Schritt werden kapazitative Beschränkungen noch nicht berücksichtigt. Vielmehr wird darauf abgestellt, dass etwaige Lagerzeiten und Verzögerungen minimal ausfallen. Es werden möglichst späte Starttermine ermittelt. Als Ergebnis der ersten beiden Schritte ergeben sich in der Regel unzulässige Bele- 224 Vergleiche Adam (1990, S. 823) und Adam (1992, S. 17). 225 Vergleiche Vahrenkamp (2008, S. 342 ff). Aufträge erfassen / Vorarbeiten Von Fertigstellungszeitpunkt retrograd eintakten Entwurf zulässiger Pläne gemäß Vorwärtsterminierung Partielle Rückwärtsterminierung 1 2 3 4 <?page no="149"?> 150 3 Produktion www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden gungspläne wie die Doppelbelegung von Arbeitsplatz B am Tag 7 in der oberen Belegungssituation von Abbildung 85 verdeutlicht. Dies ist darauf zurückzuführen, dass die Kapazitäten in der Produktion nicht, wie vereinfachend angenommen, unendlich sind. Die Pläne enthalten oft nicht realisierbare Doppelbelegungen - zur gleichen Zeit sollen etwa zwei Aufträge auf derselben Maschine bearbeitet werden. Abbildung 85: Belegungspläne im Verlauf der retrograden Terminierung Im dritten Schritt werden komplexe Arbeitsgänge priorisiert und dem Prinzip der Vorwärtsterminierung folgend eingeordnet, um zulässige Arbeitspläne zu entwerfen. Durch diesen Schritt erhöht sich der Realitätsgrad der Planung, da man Kapazitätsbeschränkungen berücksichtigt und Doppelbelegungen von Steuereinheiten nicht mehr vornimmt. Häufig führt dieser Schritt dazu, dass mehrere Aufträge vor dem gewünschten Auslieferungstermin und andere zu spät fertig werden. Die mittlere Belegungssituation in Abbildung 85 zeigt, dass die Aufträge X und Y zu früh abgearbeitet werden, während Auftrag Z hingegen zu spät fertig wird. Zu früh ausgeführte Aufträge sind deshalb nicht günstig, weil hoch veredelte Güter gelagert werden müssen und somit Lager- und Kapitalbindungskosten entstehen. Zu spät fertiggestellte Aufträge verärgern Kunden und ziehen gegebenenfalls Vertragsstrafen nach sich. Beide Konstellationen sollte man in der Praxis vermeiden. Im vierten Schritt werden in einer partiellen Rückwärtsterminierung die in Schritt 3 verfrüht fertiggestellten Aufträge retrograd den Steuereinheiten zugewiesen und anschließend die verbliebenen und verspätet fertiggestellten Aufträge per Vorwärtsterminierung in den erarbeiteten, partiellen Plan ergänzt. Im Ergebnis erhält man einen zulässigen Belegungsplan ohne Doppelbelegungen. Dieser weist zum einen Aufträge aus, die in der Mehrzahl exakt zum gewünschten Termin fertiggestellt werden wie die Aufträge X und Y. Zum anderen enthält er einzelne Aufträge, die vor dem gewünschten Termin abgeschlossen werden wie Auftrag Z in der unteren Darstellung von Abbildung 85. Gegebenenfalls werden die Schritte 3 und 4 mehrfach durchlaufen, um ein optimales Resultat zu erzielen. In Summe liegt schließlich die unter den realistischen Arbeitsplatz 5 10 A B C Z1 Z2 Y2 X1 Y1 Z Y X 5 10 A B C Z1 Z2 Y2 X1 Y1 X2 Z Y X 5 10 A B C Z1 Z2 Y2 X1 Y1 X2 Z Y X X2 B 4 X1 A 4 Y1 C 2 Z1 A 2 X2 C 4 Y2 B 4 Z2 Arbeitsgang Dauer Arb.platz 12 10 7 Geplante Fertigstellungstermine t t t <?page no="150"?> 3.8 REFA-Zeitstudien 151 www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden Bedingungen beste Lösung vor. Es werden keine Vertragsstrafen nötig, und etwaige Lager- und Kapitalbindungskosten fallen nur in geringem Maße an. Weiterführende Hinweise Der Disponent hat die Möglichkeit, durch mehrmaliges Durchlaufen der Schritte 3 und 4 und aufgrund der Variation von Parametern in einer Art Sensitivitätsanalyse oder Simulation herauszufinden, welches die vorteilhafteste Belegung ist. Auch sein Erfahrungswissen kann er in diesen Prozess einbringen. Dieses Planungsverfahren stärkt in der Regel die Stellung des Disponenten. Die retrograde Terminierung ermöglicht auch die Berücksichtigung variierender Kapazitäten und verschiedener Effizienzniveaus von Mitarbeitern. 3.8 REFA-Zeitstudien Problemstellung: Definition realistischer Vorgabezeiten für Arbeitsschritte und Bestimmung des Optimierungspotenzials für Prozesszeitsenkungen Zielgruppe: Produktionsleiter, Arbeitswissenschaftler, Fabrikplaner, Arbeitsvorbereiter, Prozessanalytiker, Lieferantenentwickler Voraussetzungen: Eignung zu betrachtender Arbeitsschritte und Zustimmung des Betriebsrates Zielsetzung der REFA-Zeitstudien Zeitstudien werden aus verschiedenen Gründen durchgeführt: Einerseits, um Soll- Zeiten für Arbeitsschritte in Form von Vorgabezeiten abzuleiten und Ist-Zeiten zu messen und mit Soll-Zeiten zu vergleichen. Andererseits, um Arbeitsunterweisungen zu stützen, Lohndifferenzierungen zu ermöglichen und um die Arbeitsgestaltung zu fundieren. 226 REFA-Zeitstudien kommen insbesondere im Rahmen von Bemühungen zur Effizienzsteigerung in der industriellen Produktion zum Einsatz. Die Messung von Zeiten bei der Variation von Arbeitsfolgen unterstützt die Identifikation der kürzesten Ausführungsmöglichkeit eines Arbeitsschrittes oder eines ganzen Prozesses und befördert damit die Optimierung von Durchlaufzeiten und die Chance, Produktionskosten zu senken. Beschreibung der REFA-Zeitstudien Die REFA-Zeitstudien wurden von der Institution REFA erarbeitet und verfeinert, bei der es sich ursprünglich um den Reichsausschuss für Arbeitszeitermittlung handelte. Im Rahmen von REFA hat man Vorgehensweisen zur Zeitermittlung zusammengefasst und einen bedeutenden Beitrag im Hinblick auf Systematisierung und Vereinheitlichung des Zeitstudienwesens geleistet. Durch die Verfügbarkeit von Zeiten ergibt sich die Möglichkeit, die genannten Zielsetzungen zu verfolgen. Die Existenz realer Zeiten für produktionsbezogene Vorgänge verbessert auch die Datengrundlage für weitere betriebliche Planungsfelder, da erfasste Zeiten etwa verbesserte Kalkulationsmöglichkeiten in Unternehmen gestatten. 226 Vergleiche Langner (2007, S. 145). <?page no="151"?> 152 3 Produktion www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden Abbildung 86: REFA-Zeitschema 227 Die Zeitstudien haben ihren Ursprung in den Studien von Taylor und Gilbreth und dem daraus entstandenen Scientific Management. Zeit- und Bewegungsstudien sollten zur Produktivitäts- und Leistungssteigerung von in der Handarbeit tätigen Personen führen. In der Belegschaft kam es zu Widerständen, da die Mitarbeiter eine Ausbeutung durch eine immer detailliertere Überwachung und eine Erhöhung des Arbeitspensums befürchteten. Allerdings ging mit dem vermehrten Einsatz von Zeitstudien auch die Überlegung einher, welche Hilfsmittel Arbeiter in ihren Verrichtungen unterstützen könnten. Arbeitswissenschaftliche Ansätze zu Ergonomie, zu hilfreichen Vorrichtungen und zu verbesserten Umfeldbedingungen am Arbeitsplatz machten schnellere Arbeitsprozesse möglich, ohne dass damit zwangsläufig eine Erhöhung des individuellen Anstrengungsniveaus des Arbeiters einherging. REFA schuf ein System, in welchem ausgewiesen wurde, welche Zeiten bei der Bearbeitung eines Auftrages anfallen und welche Zeiten seitens des Mitarbeiters und seitens der Maschinen 228 zur Verfügung stehen. Durch die in Abbildung 86 aufgeführte REFA-Systematik wurden Zeiten einheitlich kategorisiert und Vergleiche innerhalb von Betrieben, aber auch zwischen Betriebsstätten möglich, da erstmalig ein quasi genormtes Raster zur Ausweisung von Zeiten zur Verfügung stand. Die Systematik enthält die Zeitkategorien für einen Mitarbeiter des Unternehmens. Die Zeit-Systematik unterstützt damit verschiedene Bereiche der produktionswirtschaftlichen Planung wie die Potenzial- und Prozessplanung oder die Prozesssteuerung. 227 Schulte-Zurhausen (2010, S. 134). 228 Vergleiche Aggteleky (1990, S. 56). Mensch Im Einsatz außer Einsatz Betriebsruhe nicht erkennbar MI ML MR Tätigkeit MT Unterbrechung MK Haupttätigkeit MH Nebentätigkeit MN zusätzliche Tätigkeit MZ ablaufbedingte Unterbrechung MA störungsbedingte Unterbrechung MS erholungsbedingte Unterbrechung ME persönlich bedingte Unterbrechung MP MX M <?page no="152"?> 3.8 REFA-Zeitstudien 153 www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden Anwendungsbereich und Anwendungsprozess REFA-Zeitstudien nutzt man vorwiegend in der industriellen Produktion. Vor allem die Stückgutherstellung stellt ein zentrales Einsatzfeld dar, wobei sich die Nutzung auch auf die Serienproduktion erstreckt. Eine systematische Zeiterfassung ist sinnvoll, wenn man Arbeitsschritte in den Blick nimmt, die auch in Zukunft immer wieder in der gleichen Weise ablaufen sollen. Ferner muss sichergestellt werden können, dass die Bedingungen, unter denen die Prozesse ausgeführt werden, vergleichbar sind. Schließlich müssen die Zeiten messbar und Arbeitsschritte exakt voneinander abgrenzbar sein. Das Vorgehen einer Zeitstudie umfasst die in Abbildung 87 skizzierten acht Stufen. 229 Abbildung 87: Schritte zur Erstellung von REFA-Zeitstudien Hat man die Entscheidung zur Durchführung einer REFA-Zeitstudie getroffen, werden die Ziele der Datenerhebung bestimmt. Im Rahmen der Entscheidung, eine derartige Studie durchzuführen und die Daten für bestimmte Zwecke zu nutzen - etwa zur Ableitung von Vorgabezeiten -, sollte man unter rechtlichen Gesichtspunkten gegebenenfalls auch Vertreter der Arbeitnehmer einbeziehen. Nach Abschluss dieser Vorarbeiten wird man die eigentliche Zeiterfassung planen, da möglicherweise Vorgabezeiten für die Produktion eines neu entwickelten Produktes bestimmt werden sollen. Ist dies der Fall, wird man zunächst die notwendigen Arbeitsschritte zur Erzeugung des Gutes benennen und alle technischen Hilfsmittel festlegen. Im Weiteren wird die Art des Messverfahrens definiert. So ist es etwa möglich, Einzelzeiten oder Fortschrittszeiten zu erfassen und auszuweisen. Es ist darüber hinaus zu bestimmen, mit Hilfe welcher technischen Messinstrumente die Zeit aufgenommen wird: zum Beispiel mit einer automati- 229 Zur Darstellung, Erläuterung und Diskussion vergleiche Schlick, Bruder & Luczak (2010, S. 672 ff). Datenerhebungszweck festlegen Zeiterfassung vorbereiten Messpunkte bestimmen Formulare entwerfen Prozessschritte abgrenzen Messverfahren festlegen Analyse / Beurteilung Messen <?page no="153"?> 154 3 Produktion www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden schen oder einer manuell zu bedienenden Uhr. So könnte etwa ein Arbeiter durch seine Bewegung, beispielsweise durch den Griff nach einem Werkstück, die sensorgesteuerte Zeitmessung auslösen. Andererseits könnte ein Beobachter eine Stoppuhr manuell starten und nach Beendigung der jeweiligen Arbeitsschritte wieder anhalten. In beiden Fällen - im zweiten noch mehr als im ersten - sollte man wiederholte Messungen vornehmen und nicht das Ergebnis einer Messung als repräsentativ und somit als Endergebnis betrachten. Darauf aufbauend wird man die Art der Zeitaufnahme festlegen. Dabei muss man entscheiden, ob man erst mehrfach an einer Arbeitsstation die gleichen Arbeitsschritte und danach wiederholt die nächsten Arbeitsschritte messen möchte - so genannte reihenweise Erfassung -, oder ob man die Messungen prozessbegleitend nach folgendem Muster gestalten will: Erst misst man jeweils einmal jeden Prozessschritt des gesamten Prozesses, um danach erneut jeden Prozessschritt des gesamten Prozesses zu erfassen - so genannte zyklische Erfassung. Zudem ist es denkbar, beide Prinzipien im Sinne einer wechselnden Ablauffolge nach dem Muster zu kombinieren, dass man zunächst mehrfach Schritt 1 und dann mehrere Schritte des gesamten Prozesses einfach misst, um schließlich mehrfach die Zeiten des ganzen Prozesses zu bestimmen. Die festgelegte Vorgehensweise wird auf Formularen vermerkt. In diese Zeitaufnahmebögen werden im weiteren Verlauf die Messwerte eingetragen. Doch zuvor sind noch die Messpunkte exakt zu definieren. Das heißt, man muss festlegen, wann ein Arbeitsschritt endet und welches Ereignis die Messung auslöst wie zum Beispiel die Tätigkeit „Bohrung gebohrt“, „Werkstück ausgespannt“ oder „Werkstück abgelegt“. Nur eine genaue Beschreibung des Messpunktes und eine akkurate Ausführung liefern verwertbare Ergebnisse. Sind diese Schritte absolviert, erfolgen die eigentlichen Messungen unter Speicherung der Werte. Anschließend werden die Daten ausgewertet und beurteilt. Weiterführende Hinweise Die REFA-Methode eignet sich für Tätigkeiten, deren Arbeitsschritte eindeutig abgrenzbar sind und deren Handlungen wiederholt exakt gleichartig ausgeführt werden. In vielen Produktionsumgebungen treffen diese Bedingungen nur auf sehr wenige Tätigkeiten zu, da durch zunehmende Individualisierungsmöglichkeiten von Produkten gleichartige Arbeitsfolgen abnehmen. Auch neuere Fertigungsorganisationsformen wie die Gruppenarbeit zielen auf die selbstständige Arbeitsorganisation seitens der Werker, während starre Vorgaben nur sehr begrenzt zu diesen Ansätzen passen. Zudem sollte man beim Einsatz von REFA-Zeitstudien berücksichtigen, dass hier von Einzelmessungen ausgehend langfristig gültige Vorgaben mit Allgemeingültigkeitsanspruch abgeleitet werden. Dies kann unter Umständen problematisch sein. Unbeantwortet bleibt dabei zum Bespiel, wie man veränderte Bedingungen, Lerneffekte oder Qualifikationsunterschiede sinnvoll berücksichtigen kann. <?page no="154"?> 3.9 Elemente des Toyota Produktionssystems 155 www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden 3.9 Elemente des Toyota Produktionssystems Problemstellung: Erhöhung von Qualität und Effizienz der Produktionsprozesse Zielgruppe: Produktionsleiter, Technischer Geschäftsführer, Lieferantenentwickler Voraussetzungen: Bereitschaft zur Übertragung von Verantwortung an Mitarbeiter, hinreichende Mitarbeiterqualifikation und Unterstützung durch die oberste Führungsebene Zielsetzung der Elemente des Toyota Produktionssystems Das Toyota Produktionssystem vereint verschiedene Ansätze zur Führung einer industriellen Produktion mit dem vorrangigen Ziel, Verschwendung zu vermeiden. 230 Verschwendungsquellen wie Überproduktion, Wartezeiten, überflüssige Transporte, Herstellung fehlerhafter Teile, überhöhte Lagerhaltung, ineffiziente Bewegungsabläufe oder ungeeignete Herstellungsprozesse finden sich in vielen Produktionsbereichen. 231 Dabei soll die Produktion als wertschöpfender Bereich so agieren, dass Leistungen hoher Qualität und gemäß den Forderungen der Anwender erzeugt werden. Die Art der Güterproduktion wird so organisiert, dass man Verschwendungsquellen systematisch eliminieren kann. Auf diese Weise soll die Herausforderung der kostengünstigen Erzeugung qualitativ hochwertiger Güter gemeistert werden. 232 Das System setzt dabei auf eine umfangreiche Einbindung der Produktionsmitarbeiter. Die Zielerreichung wird als Gemeinschaftsaufgabe verstanden, wobei Mitarbeiter, Kultur und Rahmenbedingungen so eingebunden, ausgerichtet und gestaltet werden, dass sich die gewünschten Effekte ergeben. Beschreibung der Elemente des Toyota Produktionssystems Das Toyota Produktionssystem wurde im vergangenen Jahrhundert erarbeitet und insbesondere nach 1945 durch Ohno und Shingo ausformuliert. Auslöser der Bemühungen war die schwierige wirtschaftliche Lage der japanischen Automobilindustrie. Die innerjapanische Nachfrage lag am Boden und die Verfügbarkeit wichtiger Produktionsfaktoren wie Kapital und Material war nicht in hinreichendem Maße gegeben. Insofern wollte man ein Gesamtsystem schaffen, das verschiedene Elemente zur wirksamen Hervorbringung von nachfragegerechten Gütern unter Erzeugung geringer Kosten kombiniert. Die Elemente des Toyota Produktionssystems sind - wie der ganzheitliche Ansatz zeigt - auf verschiedene Bereiche ausgerichtet. Die Begründer waren sich der Tatsache bewusst, dass nur breit angelegtes und abgestimmtes Handeln Wirksamkeit entfalten kann. Das Toyota Produktionssystem bildet keine geschlossene Theorie, sondern bündelt verschiedene Konzepte, die aber ein hohes Maß an Passfähigkeit aufweisen, sich zielgerichtet ergänzen und das Hinwirken auf das Gesamtziel Verschwendungsreduktion unterstützen. Im Folgenden werden die wesentlichen Elemente des Systems kurz beschrieben. 230 Vergleiche Ohno (1993, S. 19). 231 Vergleiche Becker (2006, S. 280 f). 232 Vergleiche Oeltjenbruns (2000, S. 30 ff). <?page no="155"?> 156 3 Produktion www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden Andon ist eine Tafel, die über den Zustand des Systems informiert. Anzeigetafeln sind Teil des visuellen Managements und signalisieren allen in einem Fertigungsabschnitt oder in einer Produktionslinie tätigen Mitarbeitern, dass beispielsweise eine Störung aufgetreten ist oder dass die Ist-Produktionsmenge von der Soll-Produktionsmenge abweicht, wie in Abbildung 88 verdeutlicht. Derartige Anzeigen folgen der Auffassung, dass informierte Mitarbeiter Probleme erkennen und durch Anpassung ihres Verhaltens reagieren können. Wird ihnen beispielsweise bewusst, dass die produzierte Güteranzahl deutlich hinter der avisierten Soll-Stückzahl zurückliegt, werden sie ihre Anstrengungen zur Erreichung der Soll-Stückzahl erhöhen. Wegen der unmittelbaren Sichtbarkeit wird die Zeitverzögerung durch die Vorgänge Erfassung der Situation, Meldung an das Management, Formulierung einer Anweisung und Kommunikation der Anweisung an die Mitarbeiter nahezu eliminiert. Dies setzt voraus, dass die Mitarbeiter motiviert sind, eigene Anstrengungen ohne direkte Anweisung zu unternehmen, und genügend Gestaltungsspielraum besitzen und über Handlungskompetenz verfügen. Die auf der Anzeigetafel sichtbaren Daten sollten nicht manuell erfasst, transformiert und eingespielt, sondern automatisiert aus dem Betriebsdatenerfassungs-, Produktionsplanungs- und Steuerungssystem gezogen und zeitnah übermittelt werden - wünschenswert wäre in Echtzeit. Abbildung 88: Beispiel einer Andon-Tafel Heijunka beschreibt eine ausbalancierte Produktion. Darunter versteht man, dass die Gesamtproduktionsmenge einer längeren Periode in kleinere Lose - etwa Tageslose - aufgeteilt wird und dass man jeweils die Erzeugnisse erstellt, die man kurzfristig absetzen kann. Dieses Vorgehen führt zu einer bedarfsgerechten Produktion. Schwankende Nachfrage nach einzelnen Varianten findet angemessen Berücksichtigung. Ressourcen werden bestmöglich genutzt, 233 und es werden keine Lagerbestände produzierter Güter angehäuft, die erst mit erheblichem Zeitversatz verkauft werden können. Die Situation des Nichtofferierens absetzbarer Leistungen bei gleichzeitiger Produktion nicht absetzbarer Güter soll vermieden werden. 233 Eine hohe Kapazitätsauslastung führt typischerweise zur Steigerung der Profitabilität (vergleiche Becker 2006, S. 298 ff). Tag Monat . . . .... Juni ‘14 <?page no="156"?> 3.9 Elemente des Toyota Produktionssystems 157 www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden Just in time bildet ein - in Kapitel 2.13 näher erläutertes - Konzept der bedarfsgerechten Versorgung der Produktion mit benötigten Materialien und Vorprodukten. Die erforderlichen Werkstoffe werden zu jenem Zeitpunkt geliefert, zu dem ihre Weiterverarbeitung in der Produktion ansteht. Dies verhindert das Anlegen umfassender Vormaterialbestände, die Lagerkapazität beanspruchen und Kapitalbindung erzeugen. Just-in-time-Konzepte bedingen sowohl eine enge Abstimmung mit Lieferanten und die Verfügbarkeit verlässlicher Partner für die Produktion der Vormaterialien als auch eine entsprechende Logistik. Kaizen bezeichnet die kontinuierliche Verbesserung installierter Lösungen und ausgeführter Prozesse in der Produktion und in anderen Bereichen. 234 Mitarbeiter sollen ihre Arbeitsvorgänge reflektieren und beim Entdecken von ineffizienten Vorgehensweisen Verbesserungsmöglichkeiten erarbeiten und zur Anwendung bringen. Das Schaffen von Neuem wird hier nicht exklusiv den Mitgliedern aus den Forschungs-, Entwicklungs- und Planungsabteilungen zugewiesen. Vielmehr soll das Wissen, die Problemkenntnis und das Lösungsvermögen der Mitarbeiter vor Ort zur Erzeugung von Verbesserungen genutzt werden. Häufig entstehen dadurch keine radikalen Neuerungen, sondern inkrementelle Veränderungen. Die Summe der vielen kleinen Schritte kann einen erheblichen Verbesserungseffekt begründen. Kanban ist ein dem Zieh-Prinzip verschriebenes Konzept der Produktionssteuerung, das in Kapitel 3.6 erläutert wird. Kanban zielt darauf ab, innerhalb der Produktion die Auftragsreihenfolge verschiedener Bearbeitungsstationen an den Bedarfen ihrer Folgestation zu orientieren, um somit produktionsinterne Pufferlagerbestände als auch produktionsinterne Planungs- und Abstimmungsaufwände zu reduzieren. Als Mittel werden Kanban-Karten - heute auch in elektronischer Form - verwendet. Sie zeigen dem Bereitsteller weiterzubearbeitender Güter, welche spezielle Variante benötigt wird. Genau diese wird er in definierter Form und festgelegter Anzahl herstellen und dem Weiterverarbeiter zur Verfügung stellen. Eine zentrale Produktionsplanung und Produktionssteuerung finden auf dieser Detailebene nicht mehr statt. Die Mehrmaschinenbedienung stellt darauf ab, Mitarbeiterkapazität umfassend zu nutzen. Mehrere Maschinen werden durch einen Werker bedient. Dies erfordert, dass die Maschinentakte aufeinander abgestimmt sind und dass die räumliche Anordnung der Maschinen ihre Bedienung durch denselben Mitarbeiter ohne aufwändige Ortswechsel ermöglicht. One-Piece-Flow mahnt die Weitergabe einzelner Stücke an die weiteren Prozessschritte an. 235 Werden immer nur umfangreiche Losgrößen gefertigt und im Ganzen weitergereicht, so entstehen große Mengen an zwischengelagerten Teilen in der Produktion. Häufig kommt es in der Folge zu Prozessverzögerungen und teilweise auch zu unausgelasteten Produktionsmitteln an Folgebearbeitungsstationen, da diese auf das Material aus den Vorprozessen warten. Durch Einführung eines One-Piece- Flow-Ansatzes soll dies verhindert werden. Single Minute Exchange of Die, häufig mit SMED abgekürzt, soll Werkzeugwechselvorgänge beschleunigen. Das Rüsten von Produktionsanlagen kann viel Zeit bean- 234 Vergleiche Bellmann & Haak (2007, S. 7) und Haak (2007, S. 201). 235 Vergleiche die Gegenüberstellung bei Becker (2006, S. 284). <?page no="157"?> 158 3 Produktion www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden spruchen und erheblichen Aufwand erzeugen. Wenn ein Produktionssystem darauf abzielt, bedarfsgerecht zu produzieren, dann kann dies häufiges Umrüsten erfordern. Das erscheint allerdings nur dann wirtschaftlich, wenn rasche Umrüstvorgänge möglich sind. In diesem Zusammenhang sind meist technische Lösungen gefragt wie automatische Werkzeugwechselsysteme oder Werkzeugrevolver. Sie beschleunigen das Umrüsten der Maschine oder Anlage mit dem benötigten Werkzeug. Single Minute Exchange of Die fordert, den Umrüstvorgang im einstelligen Minutenbereich ausführen zu können. Das 5S-Konzept verfolgt das Ziel, Ordnung und Sauberkeit an den Arbeitsplätzen in der Produktion und in anderen Bereichen zu begünstigen. Die fünf „S“ sind die Anfangsbuchstaben der Worte Seiri, Seiton, Seiso, Seiketsu und Shitsuke. 236 Diese bilden Verhaltensgrundsätze und ermahnen Mitarbeiter, bestimmte auf Sauberkeit zielende Verrichtungen regelmäßig durchzuführen. Die Empfehlungen umfassen vor allem: Aufräumen, Ordnen, Reinigung, Sauberkeit und Disziplin. Diese Leitlinien vermitteln Eltern zwar schon ihren Kindern. Die Grundsätze scheinen aber in Unternehmen - möglicherweise aufgrund der hohen Spezialisierung - vielfach aus dem Blick einzelner Mitarbeiter zu geraten. Das Propagieren und Kontrollieren der 5S rücken diese Prinzipien wieder in den Mittelpunkt. Dadurch werden beispielsweise belegte Flächen wieder frei und für den Wertschöpfungsprozess nutzbar. Zudem zeigt sich in der Praxis, dass die Arbeitsleistungen der Mitarbeiter in einem aufgeräumten Umfeld höher sind. Die Fokussierung auf diese Prinzipien führt oft auch zu präventivem Handeln und lässt Unordnung und die damit einhergehende Verschwendung erst gar nicht entstehen. Die beschriebenen Maßnahmen zielen alle darauf ab, Verschwendung im Unternehmen zu reduzieren. Sie unterstützen ein Vorgehen, das die zur Produktion eingesetzten Ressourcen, Maschinenkapazitäten, Materialien, Betriebsflächen oder Mitarbeiter möglichst optimal nutzt. Die Elemente müssen nicht zwangsläufig gemeinsam installiert werden. Der größte Effekt wird jedoch durch einen kombinierten Einsatz erzielt. Anwendungsbereich und Anwendungsprozess Der ursprüngliche Anwendungsbereich war die industrielle Serienproduktion. Dies ist insofern nicht verwunderlich, als Toyota zu jener Unternehmenskategorie zählt, welche die Serienproduktion populär gemacht hat. Es zeigte sich jedoch schnell, dass man viele der Elemente auch in anderen Bereichen, etwa jenen, die Unterstützungs- oder Steuerungsaufgaben wahrnehmen, anwenden kann. So dient das Toyota Produktionssystem einigen Unternehmen als grundlegende Philosophie zur Organisation und Abwicklung ihres Geschäftsbetriebes. Die Elemente werden für den spezifischen Einsatzbereich jeweils angepasst und entfalten dann auch dort ihre Wirkung. Der Anwendungsprozess lässt sich im Fall der Elemente des Toyota Produktionssystems nur schwer in ein Phasenschema gliedern. Entscheidet sich ein Unternehmen, die Einführung des Toyota Produktionssystems zu prüfen, wird zuerst eine Untersuchung erforderlich sein, ob die Zielstellung des Unternehmens und die Ausrichtung der Elemente des Toyota Produktionssystems harmonieren. Ferner ist zu eruieren, welche Voraussetzungen man schaffen muss, um einen effizienten Einsatz sicherzustellen. So könnte es etwa sein, dass man das Produktionslayout verändern muss, da sonst eine 236 Vergleiche Haak (2007, S. 206). <?page no="158"?> 3.10 Total Productive Maintenance 159 www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden Mehrmaschinenbedienung nicht möglich ist. Oder Lieferanten müssen neu gesucht oder bestehende qualifiziert werden, da diese mit ust-in-time-Belieferung noch nicht vertraut sind. Anpassungen des Produktionsplanungs- und Produktionssteuerungsbeziehungsweise des Enterprise Ressource Planning-Systems müssen gegebenenfalls vorgenommen werden, wenn die Kanban-Steuerung eingeführt werden soll. Mitarbeiter sind unter Umständen weiterzubilden, weil man ihnen mehr Verantwortung und ein breiteres Aufgabenfeld bis hin zur Erzeugung von Verbesserungen überträgt. Bereiche, in denen sie möglicherweise erst methodisches Wissen aufbauen müssen. Auch einzelne Investitionen können erforderlich sein, etwa von der Anzeigetafel bis zum automatischen Werkzeugwechselsystem, wenngleich die Elemente des Toyota Produktionssystems nicht primär die Realisierung umfangreicher Investitionen zur Voraussetzung haben. Vielmehr ist die dahinter stehende Grundidee der konsequenten Vermeidung von Verschwendung und der sachgerechten Nutzung vorhandener Ressourcen in die Organisation zu tragen und zu verankern. Sind diese Voraussetzungen geschaffen, kann die Umstellung auf das neue System erfolgen. 237 Gemäß dem Kaizen-Ansatz darf man in einem ersten Schritt nicht die Implementierung einer perfekten Lösung erwarten. Das Produktionssystem und die installierten Elemente können durch Erfahrungen, die man während ihrer Nutzung macht, modifiziert oder ergänzt werden. Auf diese Weise unterliegt auch das Toyota Produktionssystem selbst einer permanenten Anpassung. Weiterführende Hinweise Das Toyota Produktionssystem verdankt seine Popularität der Tatsache, dass man mit vergleichsweise einfachen Maßnahmen beträchtliche Erfolge erzielen kann. Überraschend waren der Paradigmenwechsel - etwa bei der konsequenten Orientierung auf das Zieh-Prinzip - und der abgestimmte Einsatz der Instrumente sowie die umfangreiche Einbindung der Produktionsmitarbeiter in die Steuerung des Produktionsbereiches und die Weiterentwicklung von Produktionsvorgängen. Trotz aller Erfolge, vermag auch das Toyota Produktionssystem nicht alle Probleme in der Produktion zu lösen. Nicht in allen Bereichen entfaltet es die erhoffte Wirkung und dies nicht zuletzt, da die Gegebenheiten einen wirkungsvollen Methodeneinsatz erlauben müssen. Ohne das Vorhandensein einer Unternehmenskultur, die den Mitarbeitern entsprechende Mitwirkung einräumt, diese honoriert und befördert, fehlt die Triebfeder für den Erfolg des Konzeptes. Auch eine zu konsequente - in Form einer Ersatzreligion ausgeführte - Umsetzung des Toyota Produktionssystems kann zu Misserfolgen führen, da diese in der Praxis üblicherweise zur Abwehrhaltung der beteiligten Akteure führt. 3.10 Total Productive Maintenance Problemstellung: Erhöhung der Anlagenverfügbarkeit und Anlagenproduktivität durch Reduktion technischer Störungen Zielgruppe: Produktionsleiter, Produktionsmitarbeiter, Instandhaltungsleiter, Anlagenmanager 237 Die Einführung von Einzelmaßnahmen führt zu geringeren Erfolgen als die Implementierung mehrerer aufeinander abgestimmter Elemente (vergleiche Syska 2006, S. 159). <?page no="159"?> 160 3 Produktion www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden Voraussetzungen: In Instandhaltungsaufgaben geschulte Maschinenbediener und ausreichend verfügbare Zeit für neue Aufgaben bei Maschinenbedienern Zielsetzung der Total Productive Maintenance Total Productive Maintenance soll eine Steigerung der Produktivität von Produktionsanlagen bewirken und die verfügbare Kapazität von Produktionsmitarbeitern zielgerichtet nutzen. Dazu wird dem Produktionspersonal die Anlagenverantwortung übertragen. Die Mitarbeiter an den Maschinen haben dafür zu sorgen, dass sich diese in einem Zustand befinden, der eine reibungslose Produktion der festgelegten Güter ermöglicht. Es soll ausgeschlossen werden, dass im Fall von Produktionsstörungen, die in einigen Produktionsumgebungen zum Beispiel durch starke Verschmutzung und mangelnde Pflege der Produktionsanlagen entstehen, die Verantwortung der Instandhaltungsabteilung zugewiesen wird. Man geht von der Grundüberzeugung aus, dass Maschinenbediener ein höheres Verantwortungsgefühl für ihre Anlagen entwickeln, wenn ihnen auch Aufgaben der Pflege und Instandhaltung übertragen werden. Dadurch reduziert sich die Anzahl an Störungen, und die Produktionsmengen pro Anlage können aufgrund der höheren Verfügbarkeit gesteigert werden. Die Pflege und Reinigung der Betriebsmittel, aber auch ihre Inspektion und Wartung werden in diesem Konzept als Tätigkeiten der Produktionsmitarbeiter aufgefasst, die erforderlich sind, um die gesetzten Produktionsziele zu realisieren. Beschreibung der Total Productive Maintenance Um eine Erhöhung der Anlagenproduktivität zu erreichen, integriert das Total Productive Maintenance-Vorgehen verschiedene Ansätze, mit deren Hilfe man vor allem: 238 en verantwortungsvollen und umsichtigen Umgang mit den Maschinen erwirken, die Maschinenbediener zu gründlicher Reinigung animieren, eine gewissenhafte Inspektion und Wartung - in einer Mischung aus vorbeugenden und zustandsorientierten Instandhaltungsmaßnahmen - durch die Produktionsmitarbeiter initiieren 239 und Anlagenmodernisierungen anregen und einführen möchte. Die Bemühungen zielten ursprünglich vor allem auf die Erhöhung der Verfügbarkeit durch eine Reduktion der Störungshäufigkeit. Die Verfügbarkeit wird zusätzlich gesteigert, wenn die Instandhaltungsmaßnahmen in verbesserter Abstimmung mit den terminierten Produktionsaufträgen ausgeführt werden. Die Produktionsmitarbeiter kennen die zeitlichen Lücken, haben selbst Kapazitäten verfügbar und müssen nicht auf andere Organisationsbereiche wie die Instandhaltungsabteilung zugreifen. Ferner kann durch verbesserte Reinigung und Wartung der Maschinen in der Regel eine Erhöhung der Präzision und eine damit einhergehende Verringerung der Ausschussproduktion erreicht werden, die sich positiv auf die Zahl der produzierten Gutteile auswirkt. Einigen Unternehmen gelingt es im Rahmen von Total Productive Maintenance, Rüstzei- 238 Vergleiche zu den Elementen und zur Aufgabenaufteilung zwischen Produktionsmitarbeitern und Instandhaltungsabteilung Al-Radhi (1996, S. 28 ff). 239 Vergleiche Schulz-Kratzenberg (1993, S. 63). <?page no="160"?> 3.10 Total Productive Maintenance 161 www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden ten zu verringern und dadurch mehr Zeit für die Gütererstellung verfügbar zu machen. Schließlich kann bei entsprechender Qualifikation und Erfahrung der Mitarbeiter auch die an den Bedürfnissen der Maschinenbediener ausgerichtete Modifikation der Anlage zu einem Produktivitätszuwachs führen, da durch die Veränderung beispielsweise Nebenzeiten reduziert oder Bearbeitungsgeschwindigkeiten erhöht werden. Mögliche Säulen eines Total Productive Maintenance fasst Abbildung 89 zusammen. Aus der Praxis ist bekannt, dass man durch eine konsequente Einführung von Total Productive Maintenance Produktivitätssteigerungen bis zu 50 Prozent erreichen kann. Abbildung 89: Bestandteile des Total Productive Maintenance-Ansatzes Allerdings darf man nicht übersehen, dass diese Form der Erweiterung des Aufgabenspektrums der Produktionsmitarbeiter an bestimmte Voraussetzungen geknüpft ist. Die Mitarbeiter sollten in einer Qualifikationsphase auf die neuen Arbeiten vorbereitet und mit den nötigen Informationen und Werkzeugen ausgestattet werden. Gelegentlich wird dieser Ansatz auch durch die Unternehmensleitung in den Blick genommen, um die Instandhaltungsabteilung schließen und damit kurzfristig messbare Kosteneinspareffekte erzielen zu können. Den Umfang der Instandhaltungsabteilung sollte man nach Einführung von Total Productive Maintenance einer Prüfung unterziehen, um zu ermitteln, ob die Reduktion und Auslagerung einzelner Aufgaben möglich sind. Im Vorhinein davon auszugehen, dass die Instandhaltungsabteilung zur Gänze überflüssig wird, dürfte sich in den meisten Fällen als Trugschluss erweisen. Reparaturen müssen weiterhin durch professionelle Instandhalter ausgeführt werden. Der Total Productive Maintenance-Ansatz zur Steigerung der Anlagenproduktivität und zur Erhöhung der Mitarbeiterverantwortung ist durch die Vertreter der verschiedenen Hierarchieebenen mitzutragen. Werden Beschaffungsanträge für Bauteile, die zur Anlagenmodernisierung benötigt werden, mehrfach abgelehnt, kann es sein, dass die Produktionsmitarbeiter den Eindruck gewinnen, der neue Ansatz sei nicht ernst gemeint. In der Folge werden sie sich auf ihre Ursprungsaufgaben zurückziehen. Demnach erscheint es sinnvoll, Anstöße der Motivationsförderung zu geben, damit das neuartige Vorgehen schnell Anwendung findet. Schließlich wird im Total Productive Maintenance eine verstärkte Zusammenarbeit zwischen den Mitarbeitern erforderlich sein, die man organisatorisch vorbereiten sollte. Total Productive Maintenance Eigenständige Instandhaltung Geplante/ zustandsbezogene Instandhaltung Permanente Modernisierung der Anlage Mitarbeiterqualifizierung Instandhaltungsprävention Informationsverfügbarkeit Teamarbeit <?page no="161"?> 162 3 Produktion www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden Anwendungsbereich und Anwendungsprozess Total Productive Maintenance wird insbesondere in mechanisierten und automatisierten industriellen Produktionsstätten eingesetzt. Für viele Unternehmen dürfte das Total Productive Maintenance-Konzept mit steigendem Automatisierungsgrad an Attraktivität gewinnen. In einer vollständig automatisierten Fabrik mit geringer Mitarbeiteranzahl greift dieser Ansatz nicht, da es schlicht an Maschinenbedienern mangelt. Der Einführungsprozess eines Total Productive Maintenance kann in vier Phasen untergliedert werden. 240 Wie in Abbildung 90 dargestellt, bestimmt man zunächst, in welchen Unternehmensbereichen die Voraussetzungen für die Einführung von Total Productive Maintenance gegeben sind. Dies kann in einer Fabrik oder einer Produktionslinie der Fall sein - beispielsweise in dem Bereich zur Erstellung von Serienfahrzeugen. In einem anderen Bereich, in dem mit handwerklichem Ansatz Sonderanfertigungen entstehen, könnte sich eine Implementierung demgegenüber als nicht zielführend erweisen. In dieser Phase werden auch die Produktivitätsziele benannt. Abbildung 90: Total Productive Maintenance-Einführungsprozess Im Mittelpunkt der zweiten Phase stehen Datenerhebungen und Datenanalysen. Sie sollen einen Eindruck darüber vermitteln, wie leistungsfähig der untersuchte Produktionsbereich ist und in welchen Abschnitten besonders hohe Defizite bestehen. In der dritten Phase erfolgt die Konzeption des Total Productive Maintenance-Systems. In diesem legt man fest, welche Instandhaltungsaufgaben dem Produktionspersonal übertragen werden und in welchen Zyklen unter Anwendung welcher Werkzeuge welche Aufgaben auszuführen sind. Zudem wird man die Instandhaltungsstrategie anpassen. Die Elemente der vorbeugenden und zustandsorientierten Instandhaltung müssen neu austariert und auf das Total Productive Maintenance-Modell hin justiert werden. In Phase 3 fallen auch der Zuschnitt von Anreizsystemen und die Erarbeitung von Weiterbildungsmaßnahmen für die Produktionsmitarbeiter. In der letzten Phase erfolgt die Einführung des entworfenen Konzeptes. Hierunter fällt insbesondere die Bekanntmachung und Durchsetzung des neuen Ansatzes sowie die Verfügbarmachung aller relevanten Unterstützungselemente. Gelegentlich kann es erforderlich sein, die in Kapitel 7.2 beschriebene Methode des Changemanagements einzusetzen, da das neue Konzept sowohl bei Produktionsmitarbeitern als auch bei Instandhaltern auf Widerstände stoßen kann. Denn aus der Praxis ist bekannt, dass sich Produktionsmitarbeiter nicht immer über die Erweiterung ihres Aufgabenspektrums freuen, sondern Ausbeutung befürchten. Instandhalter dürften Sorge vor einem Bedeutungsverlust oder einer Auslagerung haben und daher die Einführung bekämpfen. Ferner sollte man in dieser Phase auch ein Messsystem einrichten, das die Effekte 240 Immer wieder wird auch auf den erforderlichen, in den vier Phasen zu akzentuierenden kulturellen Wandel hingewiesen (vergleiche Zielowski 2006, S. 190 ff). Vorhandensein von Voraussetzungen für TPM prüfen Daten erheben und auswerten Situationsgerechtes TPM konzipieren Konzept einführen <?page no="162"?> 3.10 Total Productive Maintenance 163 www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden der Total Productive Maintenance-Einführung dokumentiert und etwaiges Nachjustieren erleichtert. Weiterführende Hinweise Viele Unternehmen berichten, dass sie Erfolge in den Bereichen Produktivitäts- und Effizienzsteigerung erreichen konnten, auch wenn diese nicht immer in gewünschter Höhe oder Zeit eintraten. Das Total Productive Maintenance-Konzept kann jedoch auch Nachteile mit sich bringen. Wenn Unternehmen erkennen, dass ihre Instandhaltungsabteilungen über reichhaltiges Anlagenwissen verfügen, könnten sie den Instandhaltungsabteilungen Innovationsaufgaben zuweisen. 241 Warum soll ein Instandhalter, der sich vermutlich besser mit dem technischen Innenleben der Maschine auskennt als jeder andere Mitarbeiter im Unternehmen, nicht technische Weiterentwicklungen entwerfen und einführen? Verfolgt ein Unternehmen diesen Ansatz, können Instandhalter zu Innovationstreibern im Bereich der eingesetzten Maschinen und Anlagen werden. Diesen Grundgedanken illustriert Abbildung 91. Abbildung 91: Instandhalter als organisationsinterne Prozessinnovatoren Allerdings ist fraglich, ob sie weiterhin über ausreichend Einblick, Erfahrungswissen und daraus resultierende Kompetenz verfügen, wenn Teile der originären Instandhaltungstätigkeit im Rahmen des Total Productive Maintenance-Ansatzes auf das Produktionspersonal übertragen werden. Für eine derartige Situation müsste man Ausgleichsmechanismen schaffen, die beide Ansätze parallel wirksam werden lassen. 241 Gelegentlich wird die mangelnde Innovationsorientierung des Total Productive Maintenance-Ansatzes kritisiert (vergleiche Zielowski 2006, S. 185). Hier zeigen Specht & Mieke (2005b, S. 31 f) Wege auf, die zu einer Stärkung des Innovationsfokus beitragen können. <?page no="163"?> 164 3 Produktion www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden 3.11 Qualifikationsmatrix Problemstellung: Auf produkt-, kunden- und anlagenbezogene Aspekte ausgerichtete Kompetenzprofile der Produktionsmitarbeiter Zielgruppe: Produktionsleiter, Arbeitswissenschaftler, Personalentwickler Voraussetzungen: Kenntnis derzeitiger und künftiger Qualifikationsanforderungen und Verfügbarkeit aktueller Kompetenzausprägungsniveaus Zielsetzung der Qualifikationsmatrix Die Qualifikationsmatrix ist eine Methode, welche die Kontrolle und Entwicklung von Fähigkeiten der Mitarbeiter des Produktionsbereiches unterstützt. Sie ist im Managementfeld Produktionspotenzialgestaltung verortet und ein produktionsfaktororientiertes Werkzeug. Erfolge in der Produktion kann man nicht realisieren, wenn allein leistungsfähige Prozesse und anforderungsgerechte Betriebsmittel vorhanden sind. Erst im Zusammenspiel mit leistungswilligen und adäquat qualifizierten Mitarbeitern werden sich erhoffte Verbesserungen einstellen. Mit Hilfe der Qualifikationsmatrix kann man vorliegende Qualifikationen der Gesamtbelegschaft aufnehmen, den Ort der Verfügbarkeit ausweisen und darstellen, ob das gewünschte Leistungsniveau bereits vorliegt oder ob die weitere Ausbildung bestimmter Fähigkeiten erforderlich ist. 242 Sie lenkt den Blick der Führungsebene des Produktionsbereiches - der wegen seiner hohen Kapitalintensität oftmals eher technologisch orientiert gesteuert wird - auf den bedeutenden Produktionsfaktor Mensch. Beschreibung der Qualifikationsmatrix Die Qualifikationsmatrix bildet gewissermaßen die Einstiegsmethode in ein personalorientiertes Produktionsmanagement. Sie unterstützt das Erkennen von Qualifikationsdefiziten und die in die Zukunft gerichtete Planung des Qualifikationsaufbaus. Form und Inhalt von Qualifikationsmatrizen sind nicht genormt. Daher finden sich in Unternehmen vielfältige Varianten. Einerseits sollen die Hauptinformationen enthalten sein und durch den Betrachter schnell erfasst werden können. Andererseits sollte man die Überfrachtung innerhalb einer Darstellung vermeiden. In einer typischen Qualifikationsmatrix finden sich häufig in der einen Dimension die Namen der Mitarbeiter beziehungsweise Abteilungen und in der anderen Dimension die benötigten Qualifikationen. Die in Abbildung 92 aufgeführten Symbole in den Zellen machen deutlich, in welchem Ausmaß, verglichen mit den jeweiligen Anforderungen, die Qualifikationen zum Gegenwartszeitpunkt vorliegen. Diese Darstellungsart unterstützt das schnelle Erfassen von Kernaspekten, wenngleich nicht alle denkbaren Facetten abgebildet werden. Mit der Qualifikationsmatrix können weitere Methoden verknüpft werden. So bieten Kompetenzklassendiagramme, Kompetenzportfolios und Kompetenz-Roadmaps die Möglichkeit, Personalentwicklung unter dem Dach der Qualifikationsmatrix vielschichtiger zu gestalten. Kompetenzklassendiagramme ordnen Kompetenzen speziellen Vorhaben zu. Die für das Projekt erforderlichen Fähigkeiten lassen sich aus der Charakteristik eines jeden Vorhabens, wie Technologieentwicklung oder Geschäftsfelderweite- 242 Vergleiche Wickel-Kirsch, Janusch & Knorr (2008, S. 88 f). <?page no="164"?> 3.11 Qualifikationsmatrix 165 www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden rung, ableiten. Eine Kompetenz-Roadmap zeigt, auf welchem Qualifikationsweg die gewünschte Kompetenz erreicht werden kann, welche Zwischenschritte erforderlich und zu welchen Zeitpunkten definierte Qualifikationsniveaus erreichbar sind. 243 Abbildung 92: Beispielhafte Qualifikationsmatrix Der konsequente Einsatz dieser Methoden, der nicht im Personalbüro der Unternehmenszentrale, sondern in den Produktionsbereichen selbst erfolgen sollte, verschafft einen guten Einblick in die Qualifikationsstruktur und ermöglicht die rasche Beseitigung etwaiger Defizite. Alle betriebswirtschaftlichen Methoden setzen das Vorhandensein qualifizierter Mitarbeiter voraus. Insofern bildet die Qualifikationsmatrix nicht nur die Grundlage zur Verbesserung der Leistungen des Produktionsbereiches, sondern auch zur Optimierung der Leistungen des Gesamtunternehmens. Anwendungsbereich und Anwendungsprozess Die Qualifikationsmatrix kann man in den Produktionsbereichen eines Unternehmens einsetzen. Hier werden vielschichtige Qualifikationsprofile benötigt - insbesondere dann, wenn viele technologische Wertschöpfungsstufen im Unternehmen realisiert werden. So erfordert zum Beispiel das Trennen andere Qualifikationen als das Urformen, Umformen oder Fügen. Innerhalb des Fügens sind wiederum sehr unterschiedliche Qualifikationen in Abhängigkeit von den eingesetzten Fügeverfahren gefragt wie Schrauben, Nieten, Kleben, Löten oder Schweißen. Wenn darüber hinaus neue Fertigungstechnologien analysiert und eingeführt werden, erhöht sich die Notwendigkeit, Mitarbeiter zielgerichtet zu entwickeln. Auch die Veränderung der organisatorischen Abwicklung von Wertschöpfungsprozessen in Lieferketten und internationalen Produktionsnetzwerken lässt möglicherweise Qualifikationsanforderungen aufkommen, die in der Vergangenheit nicht in gleichem Maße notwendig waren. Umso mehr müssen diese Kompetenzen Eingang in das Qualifikationsmanagement finden. Die Anwendung der Qualifikationsmatrix ist wie beschrieben nicht auf den Produktionsbereich beschränkt. Die Methode ist vielmehr in allen Bereichen einsetzbar, in denen vielschichtige Qualifikationen erforderlich sind wie in der Instandhaltung, in der Logistik oder in der Beschaffung. 243 Vergleiche Specht & Mieke (2004b, S. 19 f). Person / Abteilung A Person / Abteilung B … Person / Abteilung Y Fähigkeit 1 Fähigkeit 2 Fähigkeit 3 … Fähigkeit X erforderlich vorhanden erforderlich vorhanden erforderlich vorhanden <?page no="165"?> 166 3 Produktion www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden Das in Abbildung 93 skizzierte Vorgehen zur Erstellung der Qualifikationsmatrix beginnt mit der Definition des Bereiches, für den die Matrix erstellt werden soll. Ein zu breiter Zuschnitt bläht die Matrix auf und reduziert die Übersichtlichkeit. Daher ist es empfehlenswert, gegebenenfalls mehrere Matrizen - für einzelne Werke oder einzelne Produktionssegmente - anzulegen. Dann sind die vorhandenen Mitarbeiter zu erfassen. Anschließend erfolgt die Benennung der Qualifikationen. Dazu muss man die bestehenden Aufgaben analysieren und erforderliche Fähigkeiten ableiten. 244 Die Fähigkeiten können auch eine Gliederung in unterschiedliche Gruppen erfahren, um beispielsweise fachliche, methodische oder soziale Fähigkeiten voneinander zu unterscheiden. 245 Außerdem erfasst man, welche Qualifikationen in der Zukunft potenziell erforderlich sein werden. Diese kann man aus Geschäftsplänen und Strategiepapieren oder aus der Technologieplanung ableiten. In diesem Zusammenhang kann auch die Kontaktaufnahme zu anderen Abteilungen oder Instanzen notwendig werden. Abbildung 93: Erstellungsprozess für eine Qualifikationsmatrix Sind Mitarbeiter sowie gegenwärtig und zukünftig benötigte Qualifikationen in ihrer Gesamtheit erfasst, muss man definieren, ob bestimmte Kompetenzen bei allen oder nur bei einzelnen Mitarbeitern vorliegen sollen. Ferner ist ein gegenwärtiges und künftig erforderliches Niveau der betrachteten Fähigkeiten zu benennen. Im Anschluss sollte mittels einer Qualifikationsanalyse evaluiert werden, in welchem Ausmaß die einzelnen Qualifikationen bei den verschiedenen Mitarbeitern vorliegen. Dazu lassen sich erste Indizien in Dokumenten wie Zeugnissen oder Zertifikaten finden. Weiterführende Einschätzungen können aus Beurteilungen von Arbeitsergebnissen und speziell auf die Qualifikationserfassung ausgerichteten personalwirtschaftlichen Prüfverfahren wie Assessment-Centern stammen. Anschließend werden die Ergebnisse in der Qualifikationsmatrix zusammengeführt. Damit ist der eigentliche Erstellungsvorgang 244 Hier muss vor einer Bedarfsinflation gewarnt werden (vergleiche Wickel-Kirsch, Janusch & Knorr 2008, S. 89). Priorisierungen erscheinen notwendig, werden jedoch durch die Qualifikationsmatrix kaum unterstützt. 245 Vergleiche Rösch (2004, S. 102). Buck & Witzgall (2012, S. 404 f) schlagen die Untergliederung in Aufgaben- und Prozesskompetenzen vor. Untersuchungs-/ Planungsbereich festlegen Vorhandene Fähigkeiten aufnehmen Erforderliche Fähigkeiten erfassen Fähigkeiten analysieren Künftig erforderliche Fähigkeiten ergänzen Qualifizierungsmaßnahmen definieren <?page no="166"?> 3.11 Qualifikationsmatrix 167 www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden der Qualifikationsmatrix abgeschlossen. Um das Ziel der Verfügbarmachung der benötigten Qualifikationen an der richtigen Stelle zum benötigten Zeitpunkt sicherzustellen, ist der Prozess systematisch fortzusetzen. Das heißt, man sollte sowohl mit weiteren Planungen wie der Erarbeitung einer Kompetenz-Roadmap, die abbildet, in welchen Schritten und zu welchen Zeitpunkten die erforderlichen Qualifikationen verfügbar gemacht werden können, als auch mit der Ableitung von Maßnahmen zeitnah beginnen. Abbildung 94 stellt schematisch eine Kompetenz-Roadmap dar. Abbildung 94: Kompetenz-Roadmap 246 Decken die Qualifikationsmatrix oder die an sie gekoppelten Methoden Defizite auf, entscheidet das zuständige Management, wie diese geschlossen werden können. Denkbare Maßnahmen sind: Qualifizierung vorhandener Mitarbeiter durch Schulungen oder Job Rotation, Einstellung neuer Mitarbeiter mit gewünschten Qualifikationen, Aufbau strategischer Allianzen und Nutzung externer Ressourcen. Die Qualifikationsmatrix sollte regelmäßig aktualisiert werden, da es sich bei Qualifikationen um ein dynamisches Analyseobjekt handelt. Diese entwickeln sich bei Mitarbeitern durch die Übernahme neuer Aufgaben und die Teilnahme an Trainings sowie durch Aktivitäten in der außerberuflichen Sphäre. Der Verlust des Überblicks 247 über den jeweils aktuellen Zustand des Qualifikationsniveaus und über die unternehmensseitigen Anforderungen kann zu signifikanten Fehlsteuerungen führen. Weiterführende Hinweise Das Erstellen von Qualifikationsmatrizen sollte im Produktionsbereich verankert werden. Dies kann zu Konflikten führen, da sich die Personalabteilung gegebenenfalls in ihren Aufgaben und ihrem Einfluss beschnitten fühlt. Aus Sicht des Produktionsbereiches wird das Befassen mit personalwirtschaftlichen Aspekten möglicherweise als zu- 246 Mieke (2006, S. 215). 247 Qualifikationsmatrizen visualisieren sehr gut Qualifikationsbreite und Qualifikationshöhe der Mitglieder eines Systems (vergleiche Bühner 1997, S. 125 f). t Kompetenzen K1 K3 K3´´ K3´ K2´ K2 K4 <?page no="167"?> 168 3 Produktion www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden sätzlicher administrativer Aufwand und somit als unerwünschte Aktivität betrachtet. Für das verantwortliche Management des Produktionsbereiches würde es jedoch der Abgabe eines Steuerungshebels gleichkommen, wenn es entsprechende Planungen nicht machte. Insgesamt könnte die Erreichbarkeit etwaiger Ziele beeinträchtigt werden. Möglicherweise empfiehlt sich eine Abstimmung mit dem Personalwesen bei der Auswahl der konkreten Methoden. Arbeitet das Personalwesen etwa nicht mit Qualifikationsmatrizen, sondern beispielsweise mit den in Abbildung 95 aufgeführten Qualifikationsprofilen, sollte im Produktionsbereich identisch vorgegangen werden. Dadurch würde der Informationsaustausch, insbesondere aufgrund nicht benötigter Transformationsvorschriften, erleichtert. Abbildung 95: Qualifikationsprofil Gelegentlich stoßen Qualifikationserfassungen bei Mitarbeitern auf Misstrauen und lösen folgende Fragen aus: „Ich mache doch meine Arbeit, wozu wollt ihr das alles wissen? “ oder „Steht eine Entlassungswelle bevor und ihr wollt schnell die wertvollsten Mitarbeiter identifizieren und den Rest fallen lassen? “ Um solchen Sorgen vorzubeugen, die sich negativ auf den Arbeitseinsatz auswirken können, empfiehlt sich eine frühzeitige, offene und transparente Kommunikation. Erkennen die Mitarbeiter, dass bei sich verkürzenden Technologiezyklen, sich verändernden Kundenanforderungen und daraus resultierenden Prozessmodifikationen in der Produktion passende Qualifikationen von zentraler Bedeutung sind, werden sie ihre Mitwirkungsbereitschaft im Allgemeinen erhöhen. 3.12 Betreibermodelle Problemstellung: Bedarf an kapitalintensiven Anlagen bei begrenzter Finanzkraft und Risikobereitschaft Zielgruppe: Geschäftsführer, Produktionsleiter, Finanzmanager, Risikomanager, Einkäufer Voraussetzungen: Anlagenlieferanten mit Bereitschaft, als Betreiber zu fungieren Fähigkeit 1 Fähigkeit 2 Fähigkeit 3 Fähigkeit X … 1 2 3 4 5 Ausprägungsniveau Mitarbeiter/ Abteilung B Mitarbeiter/ Abteilung A Soll- Profil <?page no="168"?> 3.12 Betreibermodelle 169 www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden Zielsetzung der Betreibermodelle In Branchen, die sich durch eine kapitalintensive Produktion etwa in Form hoch automatisierter Fabriken auszeichnen, wird es für Unternehmen zunehmend schwierig, eine konsequente Wachstums- und Internationalisierungsstrategie zu verfolgen. Häufig stehen ihnen nicht hinreichend Finanzierungsmöglichkeiten zur Verfügung, um in gewünschtem Umfang Investitionen realisieren zu können. Insofern sucht man nach Möglichkeiten, Risiken von Großprojekten aufzuteilen und nicht beim Unternehmen zu belassen. Auf der Grundlage dieser Überlegungen haben sich Betreibermodelle entwickelt. Sie ermöglichen Unternehmen, zügig zu wachsen und parallel an verschiedenen Standorten neue Produktionskapazitäten zu schaffen, ohne dadurch die Relation der Kapitalpositionen der Bilanz aus dem Gleichgewicht zu bringen und etwa einen steigenden Verschuldungsgrad ausweisen zu müssen oder hohe Risiken zu tragen. 248 Beschreibung der Betreibermodelle Bei Betreibermodellen liefern Anlagenhersteller einem Produzenten von Gütern nicht mehr nur eine Produktionsanlage. Vielmehr erstellen sie eine Anlage, errichten diese und betreiben diese in der Folge, ohne den sonst üblichen Eigentumsübergang wie in Abbildung 96 dargestellt. Das heißt, sie werden von Betriebsmittellieferanten zu Dienstleistungslieferanten - der Abnehmer bezahlt die erbrachte Leistung. 249 Häufig sind die Anlagenlieferanten und nun die Betreiber auch für die Wartung und Instandsetzung der Anlagen im laufenden Betrieb zuständig. 250 Dies hat Auswirkungen auf die Entlohnung der Leistung. Betreiber werden nicht für die Lieferung einer Anlage bezahlt. Eine Vergütung erfolgt entweder für die bereitgestellte Nutzungszeit der Anlage oder für die Zahl der qualitätsgerecht produzierten Teile. Durch die Anwendung von Betreibermodellen erreichen Unternehmen in erheblichem Umfang die Flexibilisierung von Fixkosten. Sie können ferner eine Konzentration auf Kernkompetenzen wie zum Beispiel Entwicklung und Marketing vorantreiben. Für die Anlagenhersteller bietet die Entwicklung hin zum Betreiber unter Umständen die Möglichkeit, eigenes Wachstum zu realisieren. Das Anbieten der zusätzlichen Leistungen und die Übernahme des Risikos werden möglicherweise auch vergütet, so dass eine lukrative Situation entstehen kann. Auch die Ausführung von Instandhaltungsleistungen an der Anlage und die Sicherstellung einer hohen Verfügbarkeit dürften aufgrund der vorhandenen Kompetenzen und der Vertrautheit mit der Anlage für den Betreiber in effizienterer Weise als für ein anlagenerwerbendes Produktionsunternehmen möglich sein. Allerdings sind mit dem Betreibermodell aus Sicht des Anlagenlieferanten und Betreibers auch Nachteile verbunden. Er wird ein höheres Risiko tragen und sich mit neuen Aufgabenfeldern befassen müssen, die vormals nicht zu seinen Kernaktivitäten zählten. Nicht immer übernehmen Anlagenhersteller die Betreiberrolle freiwillig, gelegentlich werden sie von ihren Abnehmern auch dazu gedrängt. Aber auch die Abnehmer der Leistung müssen systematisch prüfen, welche Form des Leistungsbezugs - Fremdbezug, Betreibermodell oder Eigenerstellung - die effizienteste Form darstellt. 251 248 Vergleiche zu den Wirkungen Beyer (2007, S. 240). 249 Vergleiche Österle & Senger (2006, S. 48). 250 Vergleiche Meier, Schramm, Werding & Zuther (2001, S. 37). 251 Vergleiche Meier, Steven & Werding (2006, S. 282). <?page no="169"?> 170 3 Produktion www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden Abbildung 96: Grundstruktur eines Betreibermodells Anwendungsbereich und Anwendungsprozess Der Anwendungsbereich liegt vornehmlich in der Güterproduktion und damit abseits der Betreiberkonzepte für Infrastruktur im öffentlichen Raum, wo staatliche Stellen privaten Unternehmen die Errichtung und das Betreiben von Infrastruktur beispielsweise in Form von Public Private Partnership-Modellen übertragen. Der Güterproduktionsbereich ist durch hohe Anlagenintensität und große Investitionssummen gekennzeichnet. Daher sollten Unternehmen prüfen, ob Betreibermodelle eine geeignete Organisationsmöglichkeit für ihre Produktion bieten. Dabei untersucht man zunächst, ob die Einführung eines Betreibermodells sinnvoll ist. Unternehmen analysieren in diesem Zusammenhang ihre eigene Situation vor allem im Hinblick auf die Anforderungen der Branche und des Marktes. Die Prüfung umfasst typischerweise vier Felder: Strategie, Technologie, Finanzen und Kosten. Aus strategischer Perspektive würde man das Installieren von Betreibermodellen unter anderem dann empfehlen, wenn folgende Bedingungen vorliegen: Das Unternehmen strebt eine Konzentration auf Kernkompetenzen an, will jedoch die nicht zu den Kernkompetenzen zählenden Produktionsabschnitte nicht vollständig aus seiner Einflusssphäre entlassen. Der Produktionsbereich ist zu komplex. Die Steuerung wird durch vielfältige Abhängigkeiten erschwert. Eine Entflechtung und interne Neuorganisation gelingen nicht. Wichtige Maschinen- und Anlagenlieferanten sollen langfristig an das Unternehmen gebunden werden und ein Eigeninteresse an der Anlagenmodernisierung entwickeln, welche die Produktion innerhalb des vorgesehenen Lebenszyklus zu verbessern hat. Aus technologischer Sicht sprechen vor allem folgende Gründe für die Einführung eines Betreiberkonzeptes: Neue, leistungsfähigere Technologien können auf diese Weise schneller für die Produktion nutzbar gemacht werden. Technologische Verbesserungsideen werden generiert, da der Anlagenlieferant und Betreiber auch Einblicke in andere Unternehmen hat und Lösungen aus anderen Umfeldern für die Anlage im Betreiberkontext antizipiert. Das Spezial-Know-how des Anlagenlieferanten und Anlagenbetreibers bildet die Voraussetzung, dass bei Problemen, zum Beispiel bei kostenintensiven Produkti- Klassisch Lieferant Anlagennutzer Ortswechsel der Maschine Eigentümerwechsel Betreibermodell Lieferant Anlagennutzer Betreiberleistung Ortswechsel der Maschine <?page no="170"?> 3.12 Betreibermodelle 171 www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden onsstillständen, Störungen schneller als bei anderen Organisationsformen behoben werden. Innerhalb der finanzbezogenen Bewertungsdimension würde die Einführung eines Betreibermodells befördert, wenn zum Beispiel: Liquiditätsengpässe die Einführung wettbewerblich dringend benötigter neuer produktionstechnologischer Anlagen nicht zulassen. Die Bilanz des Produzenten einen vergleichsweise hohen Verschuldungsgrad aufweist und etwaige Fremdkapitalgeber signalisieren, dass weitere Fremdfinanzierung nicht möglich oder sehr teuer wäre. Der Anlagenhersteller eine vorteilhafte Finanzierungsmöglichkeit in Aussicht stellt, welche die alternativen Konditionen ins Abseits stellt. Aus der Kostenperspektive wird die Entscheidung für die Realisierung von Betreibermodellen positiv beeinflusst, weil unter anderem: Hohe Fixkostenblöcke variabilisiert werden können, Kostenstrukturen transparenter und nachvollziehbarer werden, Skaleneffekte in Beschaffung und Instandhaltung möglich werden. Der Prozess zur Installation eines Betreibermodells gliedert sich in vier Phasen, die in Abbildung 97 dargestellt sind. 252 In der ersten Phase werden die Vorarbeiten zu diesem Projekt realisiert. Dabei gilt es, zuerst das Untersuchungsfeld einzugrenzen. Für welchen Abschnitt der Produktion wird ein Betreibermodell in Erwägung gezogen? Aus welcher Motivlage heraus hat sich dieses Szenario ergeben? Welche Bewertungskriterien sind aus den Zielen ableitbar? Es wird ein Projektteam geformt, das Personen umfasst, die technische Aspekte benennen und beurteilen können. In Ergänzung werden Mitglieder mit wirtschaftlicher Bewertungskompetenz herangezogen. Eine der ersten Aktivitäten im Rahmen der Vorarbeiten ist das Erfassen und Selektieren potenzieller Partnerunternehmen. Hierbei muss man feststellen, ob bisherige Anlagenlieferanten bereit und in der Lage sind, in derartigen Betreibermodellkonstellationen mitzuwirken und ob weitere potenzielle Partner existieren. Die zweite Phase umfasst die Erarbeitung einer konzeptionellen Ausgestaltung des konkret zu errichtenden Betreibermodells. Gemäß dem bei Problemlösungen üblichen Verfahren werden verschiedene Alternativen des Betreibermodells entworfen und anschließend in Form von Simulationen hinsichtlich der definierten Ziel- und Bewertungskriterien getestet. Ein großer Teil der Arbeit liegt dabei im Bereich der Datenerhebung. Insofern muss man künftige Zahlungsströme erfassen beziehungsweise schätzen und auch etwaige Risiken taxieren. Ziele sind die Benennung etwaiger Vorteile, aber auch Gefahren und die Anpassung der Betreibermodellkonstellationen sowie die Auswahl 252 In der Literatur finden sich verschiedene Abgrenzungsansätze für die Phasen. Garrel, Dengler & Seeger (2009, S. 274 ff) unterscheiden fünf Phasen. Das Modell umfasst auch die Schlussphase Abwicklung, wobei die Abwicklungsmöglichkeiten in einer Übergabe der betriebenen Anlage durch den Lieferanten oder Betreiber an den Kunden im Sinne eines Build-Operate-Transfer (BOT) oder im Verbleib der Anlage beim Betreiber im Sinne eines Build-Operate-Own (BOO) bestehen. <?page no="171"?> 172 3 Produktion www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden der besten Alternative. In dieser Phase erfolgt bereits ein enges Zusammenwirken mit potenziellen Partnern, da das gemeinsame Entwickeln von Modellen am ehesten zu für beide Seiten akzeptablen Lösungen führen dürfte. Das Verfahren kann in dieser Phase durch Abstimmungs- und Aushandlungsprozesse zwar verlängert werden, dürfte dafür aber etwaige Verzögerungen im Gesamtprozess verhindern und eine solide Basis für den langfristigen Erfolg der Partnerschaft schaffen. Abbildung 97: Phasen der Installation von Betreibermodellen Im dritten Schritt werden ein Modell aus den erzeugten Alternativen und der favorisierte Partner bestimmt. Dabei stehen technische Machbarkeit, betriebswirtschaftliche Vorteilhaftigkeit und Risikobegrenzung im Vordergrund. Es schließt sich eine Umsetzungsplanung an. Hierbei sind etwa Umsetzungsteams und Projektpläne unter anderem mit Arbeitspaketen, Verantwortlichkeiten und Budgetgrößen zu benennen. Der vierte Schritt beinhaltet die eigentliche Umsetzung als operative Aufgabe sowie die Kontrolle des Umsetzungsprozesses und die Installation eines Systems zur Ergebniskontrolle. Die Kontrollsysteme sollen erstens im Sinne kurzer Regelkreise ermöglichen, Aufschluss über den Umsetzungsprozess zu erhalten und bei Notwendigkeit zeitnah nachsteuern zu können und zweitens die Möglichkeit bieten, Erfahrungen aufzubauen, die in die Planung künftiger Betreibermodellvorhaben einfließen können. Weiterführende Hinweise Aus der Praxis sind zahlreiche Vorteile bekannt, die durch das Etablieren von Betreibermodellen erreicht werden wie die Steigerung der Termintreue von Lieferungen oder die Erhöhung von Renditen durch die Realisierung von Kostensenkungen. Allerdings sind mit diesem Modell auch Risiken verbunden. Insbesondere bei erstmaliger Implementierung eines Betreibermodells muss man mit Startschwierigkeiten rechnen, da bei der Planung noch nicht auf Erfahrungswerte zurückgegriffen werden kann, Partner unter Umständen noch nicht bekannt sind, oder weil das Abstimmungsverhalten zwischen den Partnern erst noch der neuen Arbeitsweise angepasst werden muss. Betreibermodelle sind eine spezielle Form der Auslagerung. Einige Leistungen werden durch Vorarbeiten Konzepterarbeitung Entscheidung Einführung <?page no="172"?> 3.12 Betreibermodelle 173 einen externen Akteur, in der Regel aber am Ort des Auftraggebers erbracht. Die örtliche Nähe ermöglicht Einblicke in die Leistungserstellungsvorgänge des Betreibers und schafft damit aufgrund der spontanen Abstimmungsmöglichkeiten unter Umständen die Voraussetzung, Risiken deutlicher als beim klassischen Outsourcing zu reduzieren. Durch die Installation des Betreibermodells wird das Ausführen spezieller Prozesse aufgegeben, was zu Kompetenzverlust in diesem Feld und möglicherweise sowohl zu operativen als auch zu strategischen Abhängigkeiten vom Betreiber führt. Ferner können Verbesserungs- und Innovationspotenziale nicht mehr unmittelbar aus eigenen Erfahrungen im Umgang mit der Maschine abgeleitet werden. Gelingt es, einen systematischen Informations- und Erfahrungsaustausch zu etablieren, kann dieser Nachteil abgeschwächt werden. <?page no="174"?> www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden 4 Marketing und Vertrieb Die erfolgreiche Entwicklung und Vermarktung von Produkten und Dienstleistungen kann nur gelingen, wenn Unternehmen sowohl die Markt- und Wettbewerbsbedingungen als auch die Anforderungen, Präferenzen und Verhaltensweisen von Kunden richtig einschätzen. Die Notwendigkeit, nahezu alle Unternehmensaktivitäten an externen Faktoren auszurichten, resultiert aus strukturellen Veränderungen der nationalen und internationalen Märkte, die sich vielfach zu wettbewerbsintensiven Käufermärkten gewandelt haben. Das heißt, in den meisten Branchen und Industrien liegt ein Überangebot an Waren unterschiedlicher Unternehmen vor, aus dem Konsumenten gemäß ihren jeweiligen Kosten-Nutzen-Überlegungen das für sie beste Angebot auswählen können. Die Verhandlungsmacht liegt insofern immer häufiger bei den Abnehmern und immer seltener bei den Herstellern von Produkten oder den Anbietern von Dienstleistungen. Man stelle sich beispielsweise das mannigfaltige Sortiment eines Drogeriemarktes vor: Wenn man nicht bereits vor dem Kauf die Entscheidung getroffen hat, welchen Deo-Roller, welche Haarspülung oder welche Zahnpasta man kaufen möchte, wird sich der Auswahlprozess aufgrund der Fülle an Alternativprodukten recht zeitintensiv gestalten. In den absatzorientierten Unternehmensbereichen muss man demnach ein detailliertes Verständnis der externen Markt- und der internen Unternehmensfaktoren entwickeln, um für Kunden ein passgenaues Angebot erstellen zu können, das zielgruppengerecht kommuniziert und über geeignete Verkaufskanäle zu attraktiven Preisen vertrieben werden sollte. Die Analyse der beschriebenen Rahmenbedingungen, die Entwicklung einer darauf basierenden Strategie und die Planung entsprechender Aktivitäten und Kontrollmaßnahmen sind die wesentlichen Bestandteile des so genannten Marketingmanagementprozesses, der in Abbildung 98 im Überblick dargestellt ist. 253 Diesem Prozess kann man zahlreiche betriebswirtschaftliche Methoden zuordnen, wobei die wesentlichen in den folgenden Kapiteln erläutert werden. Der Marketingmanagementprozess beginnt mit grundlegenden Überlegungen zum Kaufverhalten von Konsumenten und Organisationen - hier als theoretische Perspektive bezeichnet. Es geht also um die Frage, wie Individuen und Unternehmen Informationen suchen, Alternativen bewerten, Kaufentscheidung treffen und diese nachträglich beurteilen. Zur Erklärung des Verhaltens nehmen Marketingexperten unter anderem Einstellungen, Werthaltungen und Motive in den Blick. Zur Ermittlung der Beziehungen zwischen Einstellungen, Werthaltungen und Motiven eines Konsumenten und den Eigenschaften eines Produktes oder einer Dienstleistung kann man zum Beispiel auf die so genannte Means-End-Analyse und das damit verbundene Ladderingverfahren zurückgreifen. Interessiert man sich demgegenüber für das Kaufverhalten von Organisationen, würde sich die Buying-Center-Analyse als betriebswirtschaftliche Methode anbieten. Im Mittelpunkt der zweiten Phase des Marketingmanagementprozesses stehen die Marktforschung sowie das strategische und operative Marketing. Hier geht es unter anderem um die Identifikation, Analyse und Gruppierung relevanter Kunden, um die Ermittlung von Produktpräferenzen oder Zahlungsbereitschaften sowie um das Verständnis der Anforderungen von Kunden an Unternehmen. Die 253 Zum Marketingmanagementprozess vergleiche Homburg (2012, S. 11 ff). <?page no="175"?> 176 4 Marketing und Vertrieb www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden Kundenanalyse, die Conjoint-Analyse und die Kundenzufriedenheitsanalyse liefern die relevanten Informationen, die notwendig sind, um erfolgversprechende Marketingstrategien zu entwickeln. Wesentlicher Bestandteil des operativen Marketings ist schließlich der so genannte Marketingmix, der üblicherweise in die 4P, also in die Produkt-, Preis-, Vertriebs- und Kommunikationspolitik unterteilt wird. Produkte müssen jedoch nicht nur entwickelt, sondern auch verkauft werden. Insofern sind zur erfolgreichen Umsetzung einer Marketingkonzeption auch die Aspekte des Verkaufens und Verhandelns in den Blick zu nehmen. Bewährt haben sich in diesem Zusammenhang die OPALbeziehungsweise die Harvard-Methode. Abbildung 98: Marketingmanagementprozess 254 Die dritte Phase des Marketingmanagementprozesses umfasst schließlich unternehmensinterne Aspekte: das Marketingcontrolling und die Marketingorganisation. Das Marketingcontrolling beschäftigt sich vorwiegend mit der Messung der Effektivität des Marketings. Das heißt, es geht um die Überprüfung der Ziele von Marketingaktivitäten wie die Steigerung der Markenbekanntheit eines Produktes, die Verbesserung des Unternehmensimages oder die Gewinnung und Bindung von Kunden. Als betriebswirtschaftliche Methode wird im Folgenden die Kundenwertanalyse erörtert, mit deren Hilfe die Profitabilität bestehender und das Umsatzpotenzial aktueller und zukünftiger Kunden bestimmt werden können. Fragen der Marketingorganisation beziehen sich schließlich auf das erforderliche Organisationssystem, das zur Durchsetzung einer marktorientierten Unternehmensführung entwickelt werden muss. Hierbei geht es sowohl um die Integration der Marketingaufgaben in die Aufbau- und Ablauforganisation eines Unternehmens als auch um die Koordination aller marketingrelevanten Bereiche wie Marktforschung, Produktentwicklung, Preisgestaltung oder Verkaufsförderung. Die organisatorische Perspektive und die entsprechenden betriebswirtschaftlichen Methoden stehen im Mittelpunkt von Kapitel 7. 254 Modifiziert nach Homburg (2012, S. 15). Grundlagen (I) Theoretische Perspektive Unternehmensinterne Perspektive (III) Marketingcontrolling Marketingorganisation Unternehmensexterne Perspektive (II) Strategisches Marketing Operatives Marketing Marktforschung <?page no="176"?> 4.1 4P des Marketings 177 www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden 4.1 4P des Marketings Problemstellung: Überprüfung bestehender und Entwicklung neuer Marketingmaßnahmen in den Bereichen Produkt, Preis, Vertrieb und Kommunikation Zielgruppe: Marketing- und Vertriebsverantwortliche, Produktmanager, Preismanager, Vertriebsmanager, Kommunikationsverantwortliche Voraussetzungen: Vorliegen einer definierten Unternehmens- und Marketingstrategie und daraus abgeleiteter Marketingziele sowie zusammenhängende Betrachtung und Gestaltung der vier Dimensionen Zielsetzung der 4P des Marketings Eine wohl durchdachte Marketingkonzeption befasst sich nicht nur mit den Erwartungen, Präferenzen und Anforderungen der Kunden, sondern auch mit den Wettbewerbern 255 und den unternehmensspezifischen Erfolgsfaktoren. Die im Rahmen der Marktforschung analysierten unternehmensexternen und unternehmensinternen Aspekte dienen als Informationsbasis für Entscheidungen über Marketingziele und Marketingstrategien, die schließlich mit Programmen umgesetzt werden. Dabei kommen Marketinginstrumente zum Einsatz, die der Gestaltung von Märkten beziehungsweise der Einflussnahme auf Märkten dienen. Die inhaltlich, zeitlich und räumlich aufeinander abzustimmenden Instrumente werden im Rahmen des Konsumgütermarketing in vier Bereiche - in die so genannten 4P - eingeteilt. 256 Diese bilden die Hauptelemente des Marketingmix, mit dessen Hilfe ein attraktives Angebot für aktuelle oder potenzielle Kunden erstellt wird. Die vier Instrumente des Marketingmix sind Product, Price, Place und Promotion, die im deutschsprachigen Kontext als Produkt-, Preis-, Vertriebs- und Kommunikationspolitik bezeichnet werden. 257 Neben diesen 4P sind in den vergangenen Jahren weitere Instrumente entstanden, die vor allem im Dienstleistungsmarketing eine wichtige Rolle spielen. Insofern wird im Dienstleistungsbereich recht häufig eine Erweiterung des Marketingmix um folgende Komponenten vorgenommen: People, Processes und Physical Facilities, die auch mit den Begriffen Personalpolitik, Prozesspolitik und Ausstattungspolitik gekennzeichnet werden. Mit dem 7P-Ansatz wird den konstitutiven Merkmalen von Dienstleistungen Rechnung getragen wie der Immaterialität und Nichtlagerfähigkeit sowie der Kundenbeteiligung bei der Dienstleistungserstellung. 258 255 Trout (2004, S. 62) spricht in diesem Zusammenhang von „Marketing als Kriegsführung“ und weist darauf hin, dass viele Unternehmen die Kundenorientierung überbetonen und gleichzeitig den Blick auf die Konkurrenz vernachlässigen. 256 Der entsprechende Systematisierungsvorschlag geht auf McCarthy (1960) zurück. Siehe aktuell zum Beispiel Becker (2009), Bruhn (2010), Homburg (2012a, 2012b), Kotler, Keller & Bliemel (2008), Meffert, Burmann & Kirchgeorg (2012) und Sander (2011). 257 Vergleiche Meffert, Burmann & Kirchgeorg (2012, S. 22). 258 Vergleiche Meffert & Bruhn (2009, S. 243 f) und Pepels (2012, S. 1151 ff). <?page no="177"?> 178 4 Marketing und Vertrieb www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden Im Sinne einer betriebswirtschaftlichen Methode dienen die im Folgenden näher beschriebenen 4P des Marketings zur Überprüfung bestehender und zur Konzipierung neuer Marketingmaßnahmen - insbesondere mit Blick auf die Faktoren Vollständigkeit, Konsistenz und inhaltliche Stimmigkeit. 259 Beschreibung der 4P des Marketings Das zentrale Element des Marketingmix ist das Produkt, also das konkrete, materielle oder immaterielle Angebot eines Unternehmens auf dem Markt. Die Produktpolitik umfasst alle Maßnahmen, die dem Aufbau, der Erhaltung und der Veränderung des Produktangebotes dienen. Insofern sind produktpolitische Entscheidungen in den Bereichen Produktinnovation, Produktvariation, Produktdifferenzierung und Produkteliminierung sowie mit Blick auf das Management von Marken zu treffen. Für die Existenz und die erfolgreiche Entwicklung eines Unternehmens ist die kunden- und konkurrenzorientierte Zusammensetzung des Angebotsprogramms von großer Wichtigkeit. Zudem haben sich die anderen Teilbereiche des Marketingmix an den im Absatzmarkt angebotenen Leistungen des Unternehmens zu orientieren. Preis-, Vertriebs- oder Kommunikationsentscheidungen sind nicht isoliert, sondern auf der Basis der mit dem Produkt verbundenen Nutzenversprechen und mit Blick auf die Erklärungsbedürftigkeit oder die Emotionalisierbarkeit des Produktes zu treffen. 260 Demnach erscheint es berechtigt, „die Produktpolitik als das Herz des Marketings zu bezeichnen“ 261 . Im Mittelpunkt der Preispolitik stehen Entscheidungen, die das zu entrichtende Entgelt für ein Produkt und mögliche Preisdifferenzierungen sowie Rabatte und Kredite umfassen. Grundsätzlich stellt der Preis ein vom Kunden zu erbringendes Opfer dar, das in Relation zur Produktleistung beziehungsweise dem damit verbundenen Nutzen gesetzt wird. Insofern ist der Preis eines Produktes nicht der einzige kaufentscheidende Faktor, sondern nur ein Element im Rahmen von Kosten-Nutzen-Vergleichen des Kunden. 262 Das Preismanagement ist eine vielfach vernachlässigte, aber zunehmend wichtiger werdende Kompetenz eines Unternehmens, da Preise mit Blick auf die Profitabilität einen bedeutsamen Stellhebel darstellen. 263 Letzteres trifft auch für Kosten zu. Die Unternehmenspraxis zeigt jedoch, dass Kosten über verschiedene Maßnahmen in den vergangenen Jahren - zum Teil mit Hilfe von Unternehmensberatern - optimiert wurden, während bei der Bestimmung und Festsetzung von Preisen häufig noch antiquierte Verfahren zum Einsatz kommen und potenzielle Margen verschenkt werden. Ziel der Vertriebspolitik ist es, die Produkte eines Unternehmens im Markt, das heißt, am Ort und zum Zeitpunkt der Nachfrage, in der gewünschten Qualität und Menge zu angemessenen Konditionen verfügbar zu machen. Um dies zu gewährleisten, müssen zahlreiche Entscheidungen getroffen werden wie die Wahl der Vertriebskanäle und Vertriebspartner oder die Gestaltung der Marketinglogistik. Letzteres wird auch als 259 Vergleiche Schawel & Billing (2011, S. 218). 260 Vergleiche Homburg (2012b, S. 539 ff). 261 Froböse & Kaapke (2000, S. 171). 262 Vergleiche Kirsch & Müllerschön (2009, S. 155). 263 Vergleiche Rathnow (2010, S. 201). <?page no="178"?> 4.1 4P des Marketings 179 www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden physische Distribution bezeichnet und bezieht sich auf den Transfer der Güter vom Produzenten zum Konsumenten. 264 Im Unterschied zu preispolitischen Entscheidungen können vertriebspolitische Maßnahmen in der Regel nicht kurzfristig geändert werden, da die Beziehungen zu Vertriebspartnern und so genannten Key Accounts häufig strategischer Natur sind. Nachdem die Produkte konzipiert und produziert, Preise festgelegt und Vertriebsaktivitäten definiert wurden, kommt es nun darauf an, die Vorzüge der eigenen Leistung aktuellen und potenziellen Abnehmern bekannt zu machen. Dies geschieht im Rahmen der vierten Komponente des Marketingmix - der Kommunikationspolitik. Die auf den Markt gerichteten Botschaften sollen jedoch nicht nur informieren, sondern auch den Kaufprozess und die damit verbundenen Werte, Einstellungen und Präferenzen der Kunden zielgerichtet beeinflussen. Hierzu wird auf traditionelle Instrumente wie Werbung, Verkaufsförderung oder Öffentlichkeitsarbeit, aber auch auf neuere Formen wie Sponsoring, Product Placement oder Direktmarketing zurückgegriffen. 265 Abbildung 99: Das marketingpolitische Instrumentarium Die beschriebenen Elemente des Marketingmix sind in Abbildung 99 überblicksartig dargestellt und werden im Folgenden näher spezifiziert. Anwendungsbereich und Anwendungsprozess Die operative Marketinggestaltung und Marketingumsetzung erfolgt im Anschluss an die strategische Unternehmens- und Marketingplanung und die daraus abgeleiteten Marketingziele. Orientiert an diesen Zielen und den Bedürfnissen der Kunden wird das Angebot im Rahmen der Produktpolitik gestaltet. Dabei sind zunächst Fragen nach der Marktpräsenz zu klären: Sollen neue Produkte entwickelt und in den Markt eingeführt 264 Vergleiche Homburg (2012b, S. 540) und Kirsch & Müllerschön (2009, S. 162). 265 Vergleiche Bruhn (2013a) und Schweiger & Schrattenecker (2009, S. 115 ff). Produktmix Preismix Kommunikationsmix Marketingmix Unternehmensstrategie Marketing- und Vertriebsstrategie Produktpolitik Produktinnovation Produktvariation Produktdifferenzierung Produkteliminierung … Preispolitik Preise Preisdifferenzierung Skonti Rabatte … Kommunikationspolitik Mediawerbung Öffentlichkeitsarbeit Sponsoring Direktmarketing … Vertriebspolitik Distributionskanäle Distributionsorgane Distributionslogistik E-Commerce … Vertriebsmix <?page no="179"?> 180 4 Marketing und Vertrieb www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden werden, oder besteht die Notwendigkeit, etablierte Produkte zu variieren und zu differenzieren oder aufgrund rückläufiger oder negativer Deckungsbeiträge aus dem Produktprogramm zu eliminieren? Sofern eine Neuproduktentwicklung und Neuprodukteinführung geplant ist, kann auf etablierte Methoden des Innovationsmanagements zurückgegriffen werden. Zur Generierung von Ideen liegen eine Reihe von Kreativitätstechniken wie Brainstorming oder Brainwriting vor, während sich für eine Konkretisierung von Produktideen zum Beispiel die Conjoint-Analyse eignet. Steht im Mittelpunkt der Überlegungen zur Marktpräsenz die Anpassung des Angebotes, um beispielsweise mehr Kundennutzen zu stiften, kann zwischen Produktvariation, Produktdifferenzierung und Produkteliminierung unterschieden werden. Dabei werden entweder auf dem Markt etablierte Produkte unter Beibehaltung der Grundfunktionen verändert oder um verschiedene Ausführungsvarianten ergänzt. Im Gegensatz zur Produktvariation und Produktdifferenzierung werden bei der Produkteliminierung Produkte aus dem Markt genommen, die sich zum Beispiel am Ende des Produktlebenszyklus befinden oder sich als Flop erwiesen haben. Im Anschluss an die Entscheidungen zur Marktpräsenz ist zu bestimmen, wie die Produktgestaltung erfolgen soll. Diese umfasst insbesondere die Aspekte Qualität, Design, Verpackung und Markierung. Letztere zielt als Maßnahme der Markenpolitik darauf, durch die Verwendung von Wort- oder Bildmarken das Produkt unverwechselbar zu machen. Zudem ist bei der Produktgestaltung zu berücksichtigen, welchen Kernnutzen das Produkt bietet und wie dieser durch Zusatzeigenschaften aufgeladen werden kann, um ein Alleinstellungsmerkmal beziehungsweise eine Unique Selling Proposition - häufig mit USP abgekürzt - aufzubauen. 266 In Abstimmung mit den produktpolitischen Entscheidungen erfolgen die Preisfindung und die Gestaltung des Rabatt- und Bonussystems. Grundsätzlich sind die Marktform und die Marktbedingungen, die in einer Volkswirtschaft vorherrschen, maßgebend für die Preisbildung. Zudem ist die Wahl der Preisstrategie nicht autonom, sondern in Abhängigkeit von der Positionierung des entsprechenden Produktes zu treffen. Eine Promotionspreispolitik wird man für Massen- oder Standardprodukte verfolgen, die prinzipiell austauschbar sind und bei deren Kauf ein niedriger Preis der entscheidende Faktor ist. Bei der Wahl dieser Strategie besteht die Gefahr, dass Qualitätsirradiationen auftreten. Das heißt, der Käufer wird auf der Grundlage eines niedrigen Preises auf eine gleichermaßen niedrige Qualität schließen. 267 Insofern ist sicherzustellen, dass die Qualität der Produkte überprüfbar ist beziehungsweise mit Hilfe von Zertifikaten und Gütesiegeln bestätigt wird. Für Produkte mit einem überdurchschnittlichen Image und Qualitätsniveau kann eine Prämienpreispolitik gewählt werden, die durch dauerhaft hohe Preise gekennzeichnet ist. Dabei ist zu berücksichtigen, dass der gesamte Marketingmix auf die Hochpreisstrategie abgestimmt werden muss, um Kunden ein kohärentes Bild zu vermitteln. Dies geschieht beispielsweise durch spezielle Werbeaktivitäten und Vertriebsmaßnahmen oder einen exklusiven Service. Weitere preisstrategische Alternativen beziehen sich auf die Frage, wie die Preise im Zeitablauf angepasst werden. Hierbei wird zwischen einer Abschöpfungsbeziehungsweise Skimmingstrategie und einer Durchsetzungsbeziehungsweise Penetrationsstrategie unterschieden. Das Skimming ist durch einen hohen Markteinführungspreis gekennzeichnet, um einen 266 Vergleiche Homburg (2012b, S. 544 ff). 267 Zu Irradiationseffekten siehe Wiswede (2012, S. 287). <?page no="180"?> 4.1 4P des Marketings 181 www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden möglichst großen Teil der Konsumentenrente abzuschöpfen, bevor die Preise gesenkt und weitere Kundengruppen erschlossen werden. Demgegenüber wird mit der Penetrationsstrategie das Ziel verfolgt, Märkte mit zunächst niedrigen Preisen zu adressieren, um Marktanteile zu gewinnen. Neben diesen Preisabfolgestrategien und den oben skizzierten Preispositionierungsstrategien können noch Preisdifferenzierungsstrategien unterschieden werden. So ist beispielsweise festzulegen, ob Preise in Abhängigkeit vom Verkaufsort und Verkaufszeitpunkt oder mit Blick auf demografische Aspekte variieren sollen. Im Rahmen dieser Überlegungen steht ebenfalls das Kalkül im Mittelpunkt, unterschiedliche Zahlungsbereitschaften auszunutzen und möglichst maximale Gewinnpotenziale abzuschöpfen. 268 Zur Bestimmung des optimalen Vertriebsmix ist zunächst die Frage zu klären, ob unternehmensinterne oder unternehmensexterne Organe den Vertrieb übernehmen sollen. Unternehmensinterne Vertriebsorgane sind der aus eigenen Mitarbeitern bestehende Außen- und Innendienst, während unternehmensexterne Vertriebsorgane Vertragshändler und Franchisepartner oder Absatzhelfer und Absatzmittler sein können. Die Entscheidung für einen direkten oder indirekten Absatzweg ist an verschiedene Voraussetzungen der jeweiligen Branche und der berücksichtigen Produkte gekoppelt. Gleichwohl kann festgehalten werden, dass Industriegüter typischerweise direkt und Konsumgüter zumeist indirekt vertrieben werden. 269 Neben der Festlegung der Vertriebsorgane und Vertriebswege ist zu entscheiden, ob, inwieweit und in welchen Bereichen mit Vertriebspartnern kooperiert werden soll. Schließlich ist die Vertriebsbeziehungsweise Marketinglogistik zu definieren, in deren Mittelpunkt Fragen der Absatzlagergestaltung und des Transportes stehen. Die entsprechenden Entscheidungen sind insofern von großer Relevanz, als sie die Liefer- und Servicebereitschaft eines Unternehmens maßgeblich bestimmen. 270 In Zeiten gesättigter Märkte und zunehmend homogener Produkte kommt den kommunikationspolitischen Maßnahmen eine immer größere Bedeutung zu. Die gestiegene Relevanz ist unter anderem ablesbar an den Werbeinvestitionen und den Daten zur Werbedynamik. 271 Mit Fragen der Mittelbereitstellung startet auch der kommunikationspolitische Planungsprozess, nachdem die entsprechenden Ziele und Zielgruppen definiert wurden. Daran anknüpfend wird der Kommunikationsauftritt gestaltet, der Kunden nicht nur aktivieren und interessieren, sondern zum Kauf animieren soll. Hierzu liegen zahlreiche Instrumente vor, die mit Blick auf die jeweils verfolgten Ziele auszuwählen sind und eine effiziente Ansprache der Zielgruppe ohne signifikante Streuverluste gestatten sollen. Schließlich sind Kennzahlen zur Erfolgsmessung der geplanten Maßnahmen zu entwickeln, um nach erfolgreicher Umsetzung die eingetretenen Effekte bestimmen zu können. Eine zielgerichtete Evaluation kann in Zeiten knapper Budgets wichtige Hinweise liefern, wie die Mittel mit dem größtmöglichen Nutzen eingesetzt werden können. 272 268 Vergleiche Homburg (2012b, S. 650 ff). 269 Zu den Besonderheiten des Industriegütermarketing siehe Kuhn & Zajontz (2011). 270 Vergleiche Homburg (2012b, S. 848 ff) und Homburg, Schäfer & Schneider (2010, S. 49 ff). 271 Siehe im Detail Zentralverband der deutschen Werbewirtschaft (2011). 272 Vergleiche Homburg (2012b, S. 746 ff) und im Überblick Bruhn (2013a). <?page no="181"?> 182 4 Marketing und Vertrieb www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden Weiterführende Hinweise Ob ein gewählter Marketingmix zum Erfolg führt oder nicht, entscheiden die Kunden und deren Wahrnehmung der Chancen und Risiken, die mit einem Produkt oder einer Dienstleistung verbunden sind. Insofern sollten sich Unternehmen als kundenschaffende und Kundenwünsche befriedigende Organisationen betrachten und nicht als Hersteller von Produkten. Zudem erscheint es erforderlich, die getroffenen Marketingentscheidungen in regelmäßigen Abständen durch Ergebniskontrollen hinsichtlich Sinnhaftigkeit und Zielführung zu prüfen, um bei Soll-Ist-Abweichungen neue Strategien festzulegen und verbesserte Maßnahmen zu ergreifen. Nur so können Unternehmen dauerhaft am Markt erfolgreich agieren. 4.2 Kundenanalyse Problemstellung: Identifizierung und Gruppierung potenzieller Kunden und Auswahl geeigneter Kundensegmente zur spezifischen Marktbearbeitung Zielgruppe: Marketing- und Vertriebsverantwortliche, Produktmanager, Produktentwickler, Preismanager, Kommunikationsverantwortliche Voraussetzungen: Beschaffung von Markt-, Kunden-, Wettbewerbs- und Unternehmensdaten auf der Basis von Primär- und Sekundäranalysen Zielsetzung der Kundenanalyse Die beschriebenen Elemente des Marketingmix - die Produkt-, Preis-, Vertriebs- und Kommunikationspolitik - können einheitlich, das heißt zielgruppenübergreifend gestaltet werden. Dabei würde man von der Annahme ausgehen, dass Konsumenten durch vergleichbare Anforderungen, Präferenzen und Verhaltensweisen charakterisiert sind und demnach undifferenziert behandelt werden können. Gleichwohl sind die meisten Branchen durch heterogene Zielgruppen gekennzeichnet, die jeweils typische Motiv- und Konsumstrukturen aufweisen. Daraus resultiert die Notwendigkeit, den gesamten Marketingmix nicht standardisiert, sondern zielgruppenspezifisch auszurichten, um Unternehmen zum Erfolg zu führen. Für eine zielgruppenspezifische Gestaltung ist es erforderlich, die Kunden zu identifizieren und in homogene Gruppen einzuteilen, bevor diese mit differenzierten Angeboten angesprochen werden können. Dieses Ziel verfolgt die Kundenanalyse. Sie bildet den Ausgangspunkt aller Marketing- und Vertriebsaktivitäten und ist Voraussetzung für die erfolgreiche Positionierung von Unternehmen, Geschäftseinheiten, Produkten oder Marken. Eine systematische Positionierung erscheint insofern wichtig, als Marketing nicht nur ein Wettstreit der Produkte, sondern auch ein Wettstreit der Wahrnehmungen ist. Demnach ist nicht alleinentscheidend, der Beste auf dem Markt, sondern vielmehr „der Erste im Kopf der Verbraucher zu sein“ 273 . 273 Ries & Ries (2003, S. 369). Siehe auch Ries & Trout (2001, 2012). <?page no="182"?> 4.2 Kundenanalyse 183 www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden Beschreibung der Kundenanalyse Im Rahmen der Kundenanalyse werden folgende drei Fragen geklärt: Welche Zielgruppen können und wollen wir erreichen? Welche Kundensegmente sind die attraktivsten? Welche Kundengruppen sollen im Fokus unserer Marketingaktivitäten stehen? Die Beantwortung dieser drei Fragen steht im Mittelpunkt der weiteren Ausführungen, während die Frage nach dem gezielten Einsatz der Marketinginstrumente für ein ausgewähltes Kundensegment ausgeklammert bleibt. Diese Frage fällt in den Bereich der Kundensegmentbearbeitung und nicht in jenen der Kundenanalyse. Abbildung 100: Beispielhafte Segmentierungskriterien 274 Zur Beantwortung der ersten Frage - „Welche Zielgruppen können und wollen wir erreichen? “ -, ist zunächst eine Marktabgrenzung vorzunehmen. Das heißt, es ist der relevante Markt zu bestimmen, der mit Marketingaktivitäten bearbeitet werden soll. Hierzu können verschiedene Abgrenzungsmerkmale herangezogen werden wie der sachliche oder emotionale Nutzen eines Produktes, die Bedürfnisse und Wünsche von Kunden oder das Volumen und Risiko eines Marktes. Die Festlegung des relevanten Marktes auf der Basis der genannten Kriterien bildet die Grundlage für eine systematische Betrachtung der Kundengruppen. Dabei werden nicht nur ökonomische, sondern auch psychologische und demografische Merkmale mit dem Ziel berücksichtigt, die Gesamtheit der Kunden des relevanten Marktes in Gruppen einzuteilen und diese möglichst präzise zu beschreiben. Dies ist erforderlich, um im Anschluss an die Kundenanalyse die einzelnen Marketinginstrumente passgenau auszuwählen. Insofern sind die aktuellen und potenziellen Kunden so zu gruppieren, dass die Unterschiede zwischen den Mitgliedern einer Gruppe möglichst gering sind, während die Unterschiede zwischen den Gruppen möglichst groß sein sollten. Anders ausgedrückt: Innerhalb einer Gruppe sollten zum Beispiel die Kaufeinstellungen und Konsumgewohnheiten sehr ähnlich sein, sich jedoch deutlich von den Kaufeinstellun- 274 Vergleiche Bruhn (2010, S. 60) und Homburg (2012a, S. 138). Demografische Kriterien Geschlecht Alter Familienstand Wohnort Firmensitz Sozioökonomische Kriterien Einkommen Ausbildung Beruf Nutzenkriterien Preisnutzen Qualitätsnutzen Imagenutzen Servicenutzen Segmentierungskriterien Verhaltenskriterien Einkaufsstättenwahl Produktwahl Kaufhäufigkeit Preissensitivität Einstellungen Präferenzen Motive Soziale Schicht Kaufkraft <?page no="183"?> 184 4 Marketing und Vertrieb www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden gen und Konsumgewohnheiten anderer Gruppen unterscheiden. Zur Bildung homogener Segmente, die untereinander möglichst heterogen sein sollten, können die in Abbildung 100 dargestellten Kriterien herangezogen werden. 275 Bei der Auswahl der für die Kundensegmentierung berücksichtigten Kriterien ist darauf zu achten, dass diese die folgenden methodischen Anforderungen erfüllen: 276 Kaufverhaltensrelevanz: Die berücksichtigten Kriterien sollten in einem direkten Zusammenhang mit dem aktuellen oder zukünftigen Kaufverhalten stehen. Operationalisierbarkeit: Es sollten Kriterien ausgewählt werden, deren Messbarmachung möglich ist. Zeitliche Stabilität: Die Segmente sollten auf der Basis von Kriterien gebildet werden, die im Zeitablauf eine gewisse Konstanz aufweisen. Ansprechbarkeit: Die Kriterien sollten zu Segmenten führen, deren Mitglieder man prinzipiell erreichen und differenziert ansprechen kann. Wirtschaftlichkeit: Es sollten Kriterien zur Gruppenbildung herangezogen werden, die dazu beitragen, dass der Segmentierungsaufwand in einem sinnvollen Verhältnis zum Segmentierungsnutzen steht. Die Kundensegmentierung offenbart Chancen und Risiken für Unternehmen und zeigt auf, welche Möglichkeiten für standardisierte oder differenzierte Angebote existieren. Daran anknüpfend ist die Frage zu beantworten, welche Kundensegmente die attraktivsten sind und welche bearbeitet werden sollen. Bei der Bewertung und Auswahl der Segmente werden Kriterien wie Segmentgröße, Segmentpotenzial und Segmentwachstum sowie die Wettbewerbssituation, mögliche Synergieeffekte und die Zielsetzungen des Unternehmens berücksichtigt. Auf dieser Basis werden Zielkunden definiert, und es wird die dritte Frage der Kundenanalyse beantwortet und bestimmt, ob einzelne Kundengruppen in den Mittelpunkt der Marketingaktivitäten gerückt werden sollen, oder ob ein Angebot für den gesamten relevanten Markt unterbreitet wird. Bei einer differenzierten Vorgehensweise werden für die als attraktiv eingestuften Kundensegmente spezielle Programme beziehungsweise ein spezieller Marketingmix entwickelt. Demgegenüber ist eine undifferenzierte Kunden- und Marktbearbeitung dadurch gekennzeichnet, dass die Differenzen zwischen den einzelnen Zielsegmenten unberücksichtigt bleiben und Unternehmen ein standardisiertes Angebot vorlegen. Welche Vorgehensweise gewählt werden sollte, kann nicht grundsätzlich entschieden werden. Beide Strategien weisen Vor- und Nachteile auf, die im Einzelfall gegeneinander abzuwägen sind. So können bei einer differenzierten Marktbearbeitung in der Regel höhere Gesamtumsätze erzielt werden. Gleichwohl entstehen durch eine größere Produkt-, Service- und Vertriebsvielfalt auch höhere Kosten. Das Gegenteil ist bei der undifferenzierten Marktbearbeitung der Fall, die sich mit Blick auf die Kosten als vergleichsweise effizient erweist. Allerdings ist die Frage zu stellen, ob große Kundensegmente tatsächlich derart homogen sein können, dass ein standardisierter Marketingmix geeignet ist. 277 275 Vergleiche Kotler, Armstrong, Wong & Saunders (2011, S. 453). 276 Vergleiche Kuß & Tomczak (2007, S. 94) und Meffert, Burmann & Kirchgeorg (2012, S. 194). 277 Vergleiche Kotler, Keller & Bliemel (2008, S. 387 ff) und Runia, Wahl, Geyer & Thewißen (2011, S. 121 f). <?page no="184"?> 4.2 Kundenanalyse 185 www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden Anwendungsbereich und Anwendungsprozess Eine Kundenanalyse wird immer dann durchgeführt, wenn Unternehmen Informationen für Marketingentscheidungen benötigen. Dabei werden in einem ersten Schritt Segmentierungskriterien ausgewählt, mit deren Hilfe die aktuellen und potenziellen Kunden in Gruppen unterteilt werden. Die Segmentierung in trennscharfe Gruppen wird allerdings immer schwieriger, da der „hybride Konsument“ 278 kaum noch präzise gefasst werden kann. Auf der Basis gesamtgesellschaftlicher Verschiebungen hat sich der typische Zusammenhang zwischen sozioökonomischer Verortung, Habitus, Geschmack, Lebensstil und Kaufverhalten zunehmend aufgelöst, da insbesondere in den durch Bildungsexpansion und Wohlstandsanstieg breiter gewordenen Mittelschichten bislang als inkompatibel eingestufte Konsumkombinationen Realität geworden sind. Die Tatsache, dass Oper und Fußball, KaDeWe und Aldi oder Hugo Boss und C&A nicht mehr länger Gegensatzpaare, sondern die beiden Seiten derselben Medaille darstellen, kann mit dem Begriff der „Allesfresser-Hypothese“ 279 umschrieben werden. Damit wird angezeigt, dass immer mehr Bevölkerungsgruppen immer häufiger verschiedenartige Güter kombinieren. Lebens- und Konsumstile vermischen sich und die Grenzen verschwimmen, indem man sich beispielsweise nachmittags bei Currywurst und Pommes „cheap and common“ 280 gibt, jedoch abends im Sternerestaurant in die Welt der Schönen und Reichen abtaucht. 281 Ungeachtet dieser Schwierigkeiten, sind Segmentierungsvariablen mit Blick auf die bereits erwähnten methodischen Anforderungen zum Beispiel im Rahmen von Workshops und Experteninterviews auszuwählen und entsprechende empirische Daten zu erheben. Diese werden einer Clusteranalyse unterzogen, um homogene Zielsegmente zu erhalten. 282 Die einzelnen Cluster, die durch spezifische Merkmalskombinationen gekennzeichnet sind, werden in einem weiteren Schritt hinsichtlich der vorherrschenden Präferenzen, Werthaltungen und Anforderungen analysiert. Hierbei können verschiedene Methoden wie die Conjoint-, Means-End- oder Kano-Analyse zum Einsatz kommen, die in den Kapiteln 4.4, 4.5 und 4.6 ausführlich diskutiert werden. Darüber hinaus sind weitere Fragen an die Cluster zu richten, um in Erfahrung zu bringen, wie der Kaufprozess abläuft, wer diesen beeinflusst oder wer über den Kaufabschluss entscheidet. Informationsquellen können der Vertrieb oder das Key Account Management und Kundenbefragungen sein. Vor der Auswahl der lohnenden Kundensegmente werden deren Attraktivität und Eignung zum Beispiel anhand des Absatzpotenzials und des Segmentwachstums bewertet. Zudem werden der tatsächliche und der empfundene Kundennutzen eines Produktes oder einer Dienstleistung je Segment im Rahmen von empirischen Studien analysiert, um eine Einschätzung zu erhalten, in welcher Kundengruppe welche Art von Nutzen in welcher Höhe gestiftet wird. Auf der Basis von Wettbewerbsanalysen 278 Holland (2009, S. 139). 279 Hartmann (1999, S. 128). 280 Neckel (1998, S. 210). 281 Zur Pluralisierung der Lebensstile und Lebensläufe vergleiche Nagel (2003, S. 91). 282 Vergleiche Bortz & Schuster (2010, S. 453). <?page no="185"?> 186 4 Marketing und Vertrieb www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden wird schließlich ermittelt, in welchen Segmenten vergleichsweise geringe Konkurrenz vorherrscht und in welchen der Wettbewerb sehr intensiv ist. Abbildung 101 illustriert den beschriebenen Segmentierungsprozess, an dessen Ende die Auswahl der Zielsegmente steht. Die Festlegung der Kundencluster ergibt sich durch eine integrative Betrachtung der einzelnen Prozessschritte. Das heißt, Entscheidungen für oder gegen die Bearbeitung eines Kundensegmentes werden nicht auf der Basis einer einzelnen Analyse getroffen. Segmente können zum Beispiel ein großes Absatzpotenzial und geringen Wettbewerb aufweisen und sich dennoch nicht für zielgerichtete Marketingmaßnahmen eignen. Andererseits müssen Cluster mit geringem Potenzial und Wachstum, aber intensivem Wettbewerb nicht zwingend unberücksichtigt bleiben. Entscheidend für eine geeignete Segmentauswahl ist vielmehr eine kombinierte Berücksichtigung der Kundenspezifika, der Segmentgröße, des Kundennutzens und der Wettbewerbssituation. 283 Abbildung 101: Prozess der Markt- und Kundensegmentierung Sind die Zielsegmente definiert, ist abschließend festzulegen, ob sich ein Unternehmen - zum Beispiel aufgrund begrenzter ökonomischer und personeller Ressourcen oder auf der Grundlage spezifischer Positionierungsüberlegungen - auf ein einzelnes Segment konzentrieren sollte. Die Strategie der Konzentration auf eine bestimmte Kundengruppe bietet den Vorteil, dass Arbeitsabläufe aufgrund der Spezialisierung effizient gestaltet und exklusive Kundenbeziehungen aufgebaut werden können. Nachteilig wirkt sich die Fokussierung auf eine Zielgruppe aus, wenn Kunden ihre Präferenzen ändern oder aufgrund neuer Technologien zu alternativen Produkten abwandern. Eine partielle Spezialisierung gleicht durch eine Bearbeitung mehrerer Zielsegmente diese Nachteile und die damit verbundenen Risiken aus. Der Wegfall einer Kundengruppe kann in diesem Fall durch die anderen kompensiert werden. Unternehmen haben auch die Möglichkeit, die Strategie der Produktspezialisierung zu verfolgen. Hierbei konzentrieren sich Anbieter auf die Vermarktung eines einzelnen Produktes an heterogene Zielgruppen. Schließlich können Unternehmen einen Markt und die entsprechenden Segmente auch zur Gänze abdecken, indem sie ihr marketingpolitisches Instrumentarium differenziert oder undifferenziert ausgestalten. 284 283 Vergleiche Kotler, Keller & Bliemel (2008, S. 387 ff). 284 Vergleiche Kotler, Keller & Bliemel (2008, S. 388). Auswahl der Segmentierungskriterien Bestimmung der Segmentgröße Analyse des Kundennutzens Identifikation der Wettbewerber Auswahl Zielsegment -- - + - ++ + + - ++ ++ + ++ - ++ + - -- -- Demografische Kriterien Geschlecht Alter Familienstand Wohnort Firmensitz Sozioökonomische Kriterien Einkommen Ausbildung Beruf Verhaltenskriterien Einkaufsstättenwahl Produktwahl Kaufhäufigkeit Preissensitivität Nutzenkriterien Preisnutzen Qualitätsnutzen Imagenutzen Servicenutzen Segmentierungskriterien Einstellungen Präferenzen Motive Soziale Schicht Kaufkraft <?page no="186"?> 4.3 Kundenwertanalyse 187 www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden Weiterführende Hinweise Eine Quelle nachhaltiger Wettbewerbsvorteile liegt in der Fähigkeit eines Unternehmens, seine Kunden genau zu kennen und die Angebote zielgruppenorientiert anzubieten. Zielgruppenorientierung bedeutet dabei, die optimale Anzahl an Kundengruppen effizient und anforderungsgerecht zu bearbeiten und nicht den Fehler einer „Übersegmentierung“ oder einer „Überkonzentration“ zu begehen. 285 Denn sowohl eine zu feine Untergliederung des Marktes als auch eine zu enge Ausrichtung des Marketingprogramms an zu wenigen Kunden birgt Risiken mit Blick auf die Profitabilität und die langfristige Überlebenssicherung eines Unternehmens. Eine entsprechende Balance ist demnach anzustreben. Hierbei bietet die Kundenanalyse und die damit verknüpften, weitergehenden Methoden zahlreiche Anhaltspunkte und Hilfestellungen, indem Kunden identifiziert, analysiert und gruppiert werden, bevor eine Festlegung der Wettbewerbsposition und des Leistungsprogramms erfolgt. 4.3 Kundenwertanalyse Problemstellung: Bestimmung der Bedeutung aktueller und zukünftiger Kunden für den wirtschaftlichen Erfolg eines Unternehmens Zielgruppe: Marketing- und Vertriebscontroller, Produktmanager, CRM- Verantwortliche, Vertriebsmitarbeiter, Key Account Manager Voraussetzungen: Präzise, zeitnahe und gut strukturierte Umsatz-, Deckungsbeitrags-, Kosten- und Potenzialinformationen je Kunde Zielsetzung der Kundenwertanalyse Das Konzept der marktorientierten Unternehmensführung 286 rückt den Kunden in den Mittelpunkt marketingstrategischer und marketingpolitischer Entscheidungen. Zur Begründung wird darauf verwiesen, dass der Kunde ein zentraler Erfolgsfaktor sei, da dieser mit seiner Entscheidung für oder gegen den Kauf einer Leistung den Erfolg oder Misserfolg eines Unternehmens maßgeblich bestimmt. Die Bedeutung der Kunden für den Unternehmenserfolg stellt keine neue Erkenntnis dar, sondern wurde bereits in zahlreichen Studien belegt. 287 Gleichwohl hängt das Wohl und Wehe eines Unternehmens nicht von einer möglichst großen Anzahl an Kunden, sondern von den richtigen Kunden ab. Demnach ist nicht nur die Quantität, sondern auch die Qualität entscheidend. An diesem Punkt setzt die Kundenwertanalyse an, die ursprünglich von Banken und Versicherungen zur Messung des Wertes von Kunden verwendet wurde. Mittlerweile zählen Kundenwertberechnungen als Bestandteil des Customer Relationship 285 Lippold (2012, S. 81). 286 Siehe zum Beispiel Homburg (2012), Meffert, Burmann & Kirchgeorg (2012) oder Winkelmann (2010). 287 Bereits in den 1980er-Jahren haben sich Peters & Waterman (1982) auf die Suche nach den Gründen für unternehmerische Spitzenleistungen gemacht und die Wichtigkeit der Kunden herausgestellt. Siehe im Überblick auch Günter & Helm (2006). <?page no="187"?> 188 4 Marketing und Vertrieb www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden Managements - in der Regel mit CRM abgekürzt - in nahezu allen Branchen zum Methodenrepertoire von Produkt- oder Marketingmanagern. Ziel der Kundenwertanalyse ist die Bestimmung der Profitabilität bestehender und des Umsatzpotenzials aktueller und zukünftiger Kunden. Insofern dient die Methode sowohl der Berechnung des gegenwärtigen als auch des zukünftigen Kundenwertes. Dabei werden verschiedene Bestimmungsfaktoren berücksichtigt, die in monetäre und nicht-monetäre unterteilt werden können. Erstere umfassen Aspekte wie Umsätze, Deckungsbeiträge oder Kosten, während nicht-monetäre Determinanten des Kundenwertes zum Beispiel Entwicklungs-, Referenz- oder Kooperationspotenziale darstellen. Bei den letztgenannten, vor allem im Business-to-Business-Bereich berücksichtigen Kriterien handelt es sich um Potenzialmerkmale. Das heißt, es werden nicht bereits realisierte, sondern in Zukunft erwartete Wertbeiträge in den Blick genommen. Von Entwicklungspotenzialen ist die Rede, wenn von einem Kunden erwartet wird, dass dieser auf seinen bestehenden Absatzmärkten weiter wachsen und neue Märkte erschließen kann. Referenzpotenziale umfassen die Möglichkeiten eines Kunden, Weiterempfehlungen auszusprechen und diese breit zu streuen. Kunden weisen schließlich Kooperationspotenziale auf, wenn sie bereit und in der Lage sind, mit einem Hersteller zusammenzuarbeiten, um beispielsweise Synergien zu realisieren oder Innovationen anzustoßen. 288 Beschreibung der Kundenwertanalyse Zur Generierung von profitablem Wachstum ist es erforderlich, Kunden als Ertrags- und Kostentreiber zu betrachten, die mit Blick auf ihre jeweiligen Erfolgsbeiträge differenziert ausgewählt und behandelt werden sollten. Das heißt, nicht jeder Kunde ist es wert, akquiriert oder gebunden zu werden, und nicht allen Kunden ist ein identischer Service zu gewähren. Kundenwertanalysen geben zuverlässige und unverzichtbare Antworten auf die Frage nach den richtigen Kunden und schaffen die notwendigen Voraussetzungen für eine zielgruppenspezifische Gestaltung des Marketingmix. Zur Ermittlung des Kundenwertes stehen verschiedene Verfahren zur Verfügung, die isoliert oder kombiniert angewendet werden können: Mit Hilfe der ABC-Analyse werden Kunden unter Berücksichtigung des Umsatzes oder des Deckungsbeitrages in Klassen eingeteilt. Die in den 1950er-Jahren entwickelte und auf der Pareto-Regel aufbauende Analyse unterscheidet Kunden gemäß ihrem Wertanteil in A-, B- und C-Kunden. Typischerweise zeigt sich dabei, dass A-Kunden 70 Prozent des Umsatzes generieren, obgleich sie nur 20 Prozent aller Kunden ausmachen. B- Kunden stehen für 25 Prozent des Umsatzes, während sie etwa 30 Prozent aller Kunden repräsentieren. Die verbleibenden 50 Prozent der Kunden erbringen schließlich nur 5 Prozent des Umsatzes. Die Analyse veranschaulicht, welche Kunden wirtschaftlich wichtig und welche weniger wichtig sind. Diese Erkenntnis wird beispielsweise zur Definition so genannter Service Level Agreements genutzt, in deren Rahmen Mindestbestellmengen, Lieferzeiten oder Preisdifferenzierungen festgelegt werden. Dabei ist zu beachten, dass eine reine Umsatzbetrachtung zu Fehlentscheidungen beim Kundenmanagement führen kann, da zum Beispiel A-Kunden aufgrund des größeren Betreuungs- und des daraus resultierenden erhöhten Kostenaufwandes unprofitabel sein können. Insofern sollte man die Umsatzklassifikation um eine Profitabilitätsklassifikation ergänzen. 289 288 Vergleiche Helm & Günter (2006, S. 5 ff). Weitere Hinweise finden sich bei Tomczak & Rudolf-Sipötz (2006, S. 130 ff). 289 Vergleiche Helm & Günter (2006, S. 15) und Homburg (2012, S. 1178 ff). <?page no="188"?> 4.3 Kundenwertanalyse 189 www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden Eine weitere Möglichkeit zur Analyse des Kundenwertes stellen Kundendeckungsbeitragsrechnungen dar, die detaillierter und aussagekräftiger sind als ABC-Analysen. Dabei werden die von einem Kunden erzielten Erlöse den entsprechenden Kosten gegenübergestellt. Tabelle 1 illustriert das mehrstufige Vorgehen und zeigt, dass ein zunächst positiver Deckungsbeitrag I zum Beispiel durch häufige Bestellungen von kleinen Mengen zu einem negativen Deckungsbeitrag II führen kann. Als Reaktion könnten das Marketing- und Vertriebscontrolling beispielsweise Mindestbestellmengen oder Preisaufschläge für geringe Absatzvolumina festlegen. 290 Kunden-Bruttoerlöse pro Periode Erlösschmälerungen = Kunden-Nettoerlöse pro Periode Kosten der vom Kunden bezogenen Produkte (variable Stückkosten laut Produktkalkulation, multipliziert mit den Kaufmengen) = Kundendeckungsbeitrag I eindeutig kundenbedingte Auftragskosten (zum Beispiel Versandkosten) = Kundendeckungsbeitrag II eindeutig kundenbedingte Besuchskosten (zum Beispiel Kosten der Anreise zum Kunden) sonstige relative Einzelkosten des Kunden pro Periode (zum Beispiel Gehalt eines speziell zuständigen Key Account Managers, Mailing-Kosten, Werbekostenzuschüsse, Listungsgebühren) = Kundendeckungsbeitrag III Tabelle 1: Aufbau einer Kundendeckungsbeitragsrechnung 291 Der Customer Lifetime Value stellt eine zukunftsorientierte Wirtschaftlichkeitsbewertung dar, die allerdings nur bei langfristig angelegten Geschäftsbeziehungen sinnvoll angewendet werden kann. Dieses Verfahren betrachtet Kunden als Investitionsobjekte und prüft, inwiefern eine Kundenbeziehung über verschiedene Perioden erfolgsträchtig ist. Zur Bestimmung des Kundenlebenszeitwertes müssen Informationen über die erwarteten Einzahlungen und Auszahlungen einzelner Kunden vorliegen, die aufgrund des langen Planungshorizontes häufig schwer zu beschaffen und mit deutlichen Unsicherheiten behaftet sind. 292 290 Vergleiche Helm & Günter (2006, S. 20). 291 Vergleiche Günter & Helm (2011, S. 279). 292 Vergleiche Homburg (2012, S. 1192). <?page no="189"?> 190 4 Marketing und Vertrieb www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden In der Praxis erfreuen sich auch so genannte Punktbewertungsverfahren beziehungsweise Scoring-Modelle großer Beliebtheit. Dabei sind zunächst die für ein Unternehmen wesentlichen Kundenmerkmale auszuwählen, die sowohl quantitativer Natur wie Umsatz oder Deckungsbeitrag als auch qualitativer Natur wie Kaufhäufigkeit oder Kundenloyalität sein können. In einem zweiten Schritt werden für die ausgewählten Merkmale Gewichtungsfaktoren bestimmt, welche die relative Bedeutung der Kriterien für den Kundenwert zum Ausdruck bringen. Daran anknüpfend werden alle Kunden anhand der ausgewählten und gewichteten Merkmale bewertet und ein Gesamtscore gebildet. Dieser Gesamtscore - also die Summe der gewichteten Punkte pro Kunde - spiegelt den Kundenwert wider, der mit Blick auf die weitere Gestaltung der Kundenbeziehung wichtige Anhaltspunkte bietet. 293 Eine modifizierte Form des Scoring-Modells stellt der RFMV-Ansatz dar, der vor allem im Handelsbereich verbreitet ist. Hierbei werden die Kriterien Recency, Frequency und Monetary Value zur Ermittlung des Kundenwertes herangezogen. Diese drei Merkmale - Zeitpunkt des letzten Kaufes, Häufigkeit des Einkaufes und erwarteter Umsatz - eignen sich vor allem im Business-to-Consumer- Bereich, in dem Kaufpräferenzen, Kaufzyklen und Kaufmengen in besonderem Maße durch zielgerichtete Marketingmaßnahmen beeinflusst werden können. 294 Zur Bewertung von Kunden kann schließlich auch auf die Portfoliomethode zurückgegriffen werden. Kundenportfolios sind zweidimensional aufgebaut, wobei sich eine Achse auf die Attraktivität der Kunden bezieht, während die andere zum Beispiel den kundenbezogenen Marktanteil repräsentiert. Sowohl die Erstellung als auch die Interpretation der Vier- oder Neun-Felder-Kundenportfolios erfolgt analog zu den bekannten BCG- 295 oder McKinsey-Matrizen, in deren Rahmen jeweils Geschäftseinheiten analysiert werden. Insofern sind die Betrachtungsobjekte - zum Beispiel Kunden, Produkte oder Geschäftseinheiten - eindeutig zu definieren und voneinander abzugrenzen, um Normstrategien isoliert ableiten zu können. 296 Anwendungsbereich und Anwendungsprozess Die beschriebenen Verfahren zur Messung des Kundenwertes weisen sowohl Vorals auch Nachteile auf, die im Einzelfall gegeneinander abzuwägen sind. In der Praxis hat sich gezeigt, dass eine Kombination aus Scoring-Modell und Kundenportfolio sehr gute Ergebnisse liefert. Daher werden im Folgenden diese beiden Methoden in den Mittelpunkt gerückt, während die ABC-Analyse, die Kundendeckungsbeitragsrechnung und der Customer Lifetime Value unberücksichtigt bleiben. Zur Ermittlung der Attraktivität von Kunden kann zunächst auf das Scoring-Modell zurückgegriffen werden. Folgende Schritte werden dabei durchlaufen: 297 293 Vergleiche Helm & Günter (2006, S. 17). 294 Vergleiche im Überblick Homburg, Schäfer & Schneider (2010, S. 190 f) sowie Winkelmann (2010, S. 327). 295 Das Akronym BCG steht für Boston Consulting Group, eine der größten internationalen Managementberatungsgesellschaften. 296 Vergleiche Homburg (2012, S. 1180 f) und Winkelmann (2010, S. 328). 297 Vergleiche im Überblick Hungenberg (2010, S. 71 f). <?page no="190"?> 4.3 Kundenwertanalyse 191 www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden Zunächst ist zu bestimmen, welche monetären und nicht-monetären Kriterien zur Kundenbewertung berücksichtigt werden sollen. Die entsprechende Auswahl kann im Rahmen von Expertengesprächen oder Befragungen von Branchenkennern getroffen werden sowie in Anlehnung an die von Wettbewerbern verwendeten Merkmale. Dabei ist darauf zu achten, dass die Kriterien überschneidungsfrei sind und dass eine gewisse Anzahl nicht überschritten wird - empfehlenswert sind maximal zehn Merkmale -, um die Modellkomplexität nicht unnötig in die Höhe zu treiben. Die Bewertungskriterien sind in einem nächsten Schritt zu gewichten. Die Gewichtungsfaktoren, deren Summe 1 beziehungsweise 100 Prozent ergeben muss, sollten gemäß der Relevanz des jeweiligen Merkmals und möglichst objektiv festgelegt werden. Das heißt, subjektive Vorlieben oder Entscheidungsmacht aufgrund der Über- oder Unterstellung in einer Unternehmenshierarchie sollten bei der Bestimmung sowohl der Kriterien als auch der Gewichtungsfaktoren keine Rolle spielen. Für alle Kriterien ist eine einheitliche Ratingskala zu erstellen und zu verwenden, die eine Bewertung der Kunden zum Beispiel anhand von fünf oder sieben Schritten gestattet. Dabei ist ebenfalls auf eine Auswertung im Team zu achten, um mögliche subjektive Verzerrungen zu vermeiden. Abschließend ist ein Gesamtwert je Kunde zu berechnen, der sich aus der Summation der einzelnen, mit dem Gewichtungsfaktor multiplizierten Kriterienbewertungen ergibt. Kunden mit den höchsten Scoring-Werten gelten als besonders attraktiv, während jene mit unterdurchschnittlichen Bewertungen als wenig bedeutsam eingestuft und gegebenenfalls aus dem Kundenportfolio eliminiert werden. Scoring-Modelle lassen sich relativ schnell erstellen und liefern wichtige Hinweise für die Gestaltung des Kundenmanagements. Gleichwohl stellen die Subjektivität bei der Auswahl und Bewertung der Kriterien und der Informationsverlust durch die Verdichtung der berücksichtigten Aspekte in einer Kennzahl nicht zu vernachlässigende Nachteile dar. Diese können durch eine Ergänzung des Scoring-Modells durch ein Kundenportfolio zumindest teilweise ausgeglichen werden. Das Kundenportfolio kann sowohl im Business-to-Consumerals auch im Businessto-Business-Bereich angewendet werden. In Abhängigkeit von der Anzahl der zu berücksichtigenden Kunden werden diese entweder einzeln oder in Gruppen analysiert. Typischerweise wird das Portfolio anhand der Dimensionen Kundenattraktivität und Anbieterposition aufgespannt, die aus mehreren Kriterien gebildet werden. Dabei werden die Merkmale Bedarfsvolumen, Wachstumspotenzial und Preisniveau sowie Referenz- oder Kooperationspotenziale und die strategische Bedeutung zur Kundenattraktivität verdichtet, während der so genannte Bedarfsdeckungsanteil Auskunft darüber gibt, wie stark die Position eines Herstellers oder Dienstleisters bei den Kunden ist. 298 Investiert ein Chemieunternehmen beispielsweise 5 Millionen Euro pro Jahr in Unternehmensberater, beläuft sich der Bedarfsdeckungsanteil einer Unternehmensberatung auf 10 Prozent, wenn diese pro Jahr Projekte im Wert von 500.000 Euro an das Chemieunternehmen verkauft. In diesem Fall wäre der kundenbezogene Marktanteil aus Sicht der Unternehmensberatung relativ gering, da das Chemieunternehmen 90 Prozent seines Bedarfs über andere Beratungsgesellschaften deckt. Welche Position das Chemieunternehmen im Kundenportfolio der Unternehmensberatung einnimmt 298 Vergleiche Homburg (2012, S. 1180 ff). <?page no="191"?> 192 4 Marketing und Vertrieb www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden und welche Maßnahmen zu ergreifen sind, kann in folgenden Schritten bestimmt werden: 299 Zur Aufstellung eines Kundenportfolios sind zunächst die Kundenbewertungskriterien festzulegen und zu operationalisieren. Die Merkmale können mit Gewichtungsfaktoren versehen werden, sofern diese - aus Sicht des Anbieterunternehmens - von unterschiedlicher Relevanz für die Kundenbewertung sind. Im zweiten Schritt werden die Kunden bewertet und die Koordinaten für die vertikale und horizontale Achse des Portfolios durch Addition der Einzelwerte für die Dimensionen Kundenattraktivität und Anbieterposition berechnet. Die Gesamtwerte dienen schließlich zur Aufstellung des Kundenportfolios, das Auskunft darüber gibt, welche Kunden Star-, Fragezeichen-, Ertrags- oder Mitnahmekunden sind und welche Strategien daraus resultieren. Abbildung 102 zeigt das Kundenportfolio der erwähnten Unternehmensberatung, die folgenden Normstrategien folgen kann: Starkunden sind intensiv zu betreuen und zu bearbeiten, um weitere Wachstumspotenziale zu realisieren. Ertragskunden sollten mit reduziertem Aufwand auf gleichbleibendem Niveau gehalten werden, während Mitnahmekunden keine besondere Wertschätzung erfahren und gegebenenfalls aus dem Portfolio verschwinden. Fragezeichenkunden sind schließlich differenziert zu bearbeiten. Aufgrund der vergleichsweise geringen Anbieterposition ist für jeden einzelnen Kunden zu prüfen, ob sich eine Investition in Marketingmaßnahmen lohnt und ob die Kunden zu Stars entwickelt werden können. Im positiven Fall dürften die Aufwendungen für Kundenbearbeitung, Kundenentwicklung und Kundenbetreuung in einer ähnlichen Größenordnung liegen wie bei Starkunden. 300 Abbildung 102: Kundenportfolio am Beispiel einer Unternehmensberatung 299 Vergleiche im Überblick Homburg, Schäfer & Schneider (2010, S. 193 ff). 300 Vergleiche Sander (2011, S. 834 f). Starkunden Ertragskunden Mitnahmekunden Fragezeichenkunden niedrig hoch niedrig hoch - Anbieterposition - - Kundenattraktivität - Kunde 1 Kunde 3 Kunde 8 Kunde 2 Kunde 5 Kunde 9 Kunde 6 Kunde 7 Kunde 4 Kunde 10 Kunde 11 <?page no="192"?> 4.4 Conjoint-Analyse 193 www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden Eine Kombination aus Scoring-Modell und Kundenportfolio bietet eine mehrdimensionale Kundenbewertung, in die sowohl quantitative und qualitative als auch zukunftsbezogene Kriterien einfließen. Insgesamt wird damit die Grundlage geschaffen, Kundenbeziehungen wertschöpfend zu gestalten und begrenzte Marketing- und Vertriebsbudgets effizient einzusetzen. Weiterführende Hinweise Die Kundenwertanalyse ist ein wichtiges Steuerungsinstrument im Kundenmanagement, da mit ihrer Hilfe die Bedeutung von Kunden transparent gemacht werden kann. Dies ist insofern wichtig, als in der Praxis zum Teil unnötige Komplexität aufgebaut und an unprofitablen Kunden festgehalten wird. Dies geschieht teilweise aus Unwissenheit, teilweise aber auch bewusst, da man liebgewonnene oder selbst akquirierte Kunden ungern abstoßen möchte. In diesen und in weiteren Fällen bietet die Kundewertanalyse die Chance, unrentable Kunden zu identifizieren und Maßnahmen abzuleiten, wie die Profitabilität verbessert werden kann - zum Beispiel durch die Einrichtung eines Kundenservice-Centers als Ersatz für die Außendienstbetreuung von C- Kunden oder durch die elektronische Anbahnung und Abwicklung von Geschäften im Rahmen des E-Commerce. 4.4 Conjoint-Analyse Problemstellung: Bestimmung der Bedeutung einzelner Produkteigenschaften für das Zustandekommen einer Gesamtpräferenz aus Kundensicht und Messung entsprechender Zahlungsbereitschaften Zielgruppe: Marketingverantwortliche, Marktforscher, Produktentwickler, Produktmanager, Preismanager Voraussetzungen: Bekanntheit kaufrelevanter Merkmalsausprägungen, die vergleichbar, substituierbar und prinzipiell unabhängig voneinander sein müssen Zielsetzung der Conjoint-Analyse In den Augen der Kunden stellen Güter keine in sich geschlossenen Zweck-Mittel- Komplexe, sondern Bündel aus Merkmalskombinationen dar. Die einzelnen Produktmerkmale oder Produktattribute wie Marke, Design, Leistung, Qualität, Verpackung oder Preis stehen in einem Zusammenhang mit den Präferenzen der Konsumenten. Diese Präferenzen aufzudecken und für die Gestaltung der Produkt- oder der Preispolitik nutzbar zu machen, ist das Ziel der Conjoint-Analyse, die auch als „Trade-Off- Analyse, Verbundmessung oder konjunktive Analyse“ 301 bezeichnet wird. Dabei geht es weniger um die Ermittlung einer Globalpräferenz für ein Gesamtprodukt, sondern vielmehr um die Erkenntnis, wie aktuelle oder potenzielle Kunden einzelne Produktprofile beziehungsweise Produktalternativen bewerten und welchen Beitrag diese Einzelmerkmale zum Gesamtnutzen eines Produktes leisten. 302 Als eine Methode der 301 Klein (2002, S. 7). 302 Vergleiche Homburg (2012b, S. 405), Sander (2011, S. 217), Teichert, Sattler & Völckner (2008, S. 653) sowie im Überblick Backhaus, Erichson, Plinke & Weiber (2011). <?page no="193"?> 194 4 Marketing und Vertrieb www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden indirekten Präferenzmessung eignet sich die Conjoint-Analyse vor allem mit Blick auf komplexe beziehungsweise extensive Kaufentscheidungssituationen, die durch „ein hohes kognitives und hohes emotionales Involvement“ 303 der Konsumenten gekennzeichnet sind. 304 Obgleich die Conjoint-Analyse mittlerweile zum Standardrepertoire der empirischen Markt- und Sozialforschung zählt, fristete sie in der Betriebswirtschaftslehre lange Zeit ein Schattendasein. Nach der Vorstellung der mathematischen Grundlagen des Conjoint-Measurements im Jahr 1964, 305 fand die Methode erst ab 1971 auch im Marketing und in der Marktforschung 306 zunehmende Verbreitung. Beschreibung der Conjoint-Analyse Die Conjoint-Analyse ist ein multivariates Verfahren zur Dekomposition globaler Präferenzurteile. Das heißt, Präferenzen werden im Rahmen der klassischen Conjoint- Analyse indirekt - also dekompositionell - erfasst. Dabei bewerten die Befragungsteilnehmer im Unterschied zu kompositionellen Verfahren nicht eine Eigenschaft isoliert, sondern ein bestimmtes Produkt ganzheitlich. Auf der Grundlage der Gesamtbeurteilung wird auf die Bedeutung der für das Produkt konstitutiven Eigenschaften und deren Ausprägungen geschlossen. Darauf lässt sich auch der Name des Verfahrens zurückführen, da die Produktbewertung beziehungsweise das Gesamtnutzenurteil auf die einzelnen Produktattribute dekomponiert werden. Der große Vorteil der dekompositionellen gegenüber den kompositionellen Verfahren besteht darin, dass Befragungsteilnehmer Eigenschaften in ihrer Wichtigkeit im Allgemeinen valider und realitätsadäquater einstufen. 307 Ein Beispiel: Die von Apple produzierten iPods zeichnen sich durch verschiedene Attribute aus. Die Geräte unterscheiden sich sowohl hinsichtlich Größe und Farbe, als auch mit Blick auf Design, Speicherkapazität und Preis. Dabei können die einzelnen iPod-Eigenschaften unterschiedliche Ausprägungen annehmen: Größe (iPod shuffle, iPod nano, iPod classic, iPod touch), Farbe (zum Beispiel schwarz, weiß, silber), Design (zum Beispiel kein Display, Display, Retina Display), Speicherkapazität (zum Beispiel 2 GB, 8 GB, 64 GB, 160 GB) und Preis (zum Beispiel 49 €, 129 €, 229 €, 389 €). Apple-Kunden entscheiden sich beim Kauf eines iPods für eine bestimmte Kombination dieser Merkmalsausprägungen - zum Beispiel für den iPod touch in schwarz mit Retina Display und einer Speicherkapazität von 64 GB für 389 €. Aus der Sicht von Apple könnte es nun von Interesse sein, wie sich die beschriebenen Ausprägungen der Produkteigenschaften Größe, Farbe, Design, Speicherkapazität und Preis im Rahmen des Kaufprozesses zueinander verhalten. Ist für den Kunden die Farbe entscheidend oder die Art des Displays, und werden zum Beispiel kleine Geräte positiver bewertet als große? Für solcherart Fragestellungen kann auf die Conjoint-Analyse zurückgegriffen werden. Denn auf der Grundlage der Annahme, dass sich der Gesamtnutzen eines 303 Homburg (2012a, S. 40). 304 Vergleiche Bea, Helm & Schweitzer (2009, S. 286). 305 Siehe Luce & Tukey (1964). 306 Siehe Green & Rao (1971). 307 Vergleiche Fantapié Altobelli (2011, S. 333 f) und Klein (2002, S. 7 f). <?page no="194"?> 4.4 Conjoint-Analyse 195 www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden Produktes als Summe der Nutzenwerte der berücksichtigten Eigenschaften ergibt, kann mit Hilfe der Conjoint-Analyse die aus Kundensicht optimale Zusammenstellung von Eigenschaftsausprägungen bestimmt werden. Üblicherweise kommt die Conjoint-Analyse im Marketing nicht nur bei der Entwicklung, Bewertung und Einführung von Produktkonzepten zur Anwendung, sondern auch bei Fragen des Preismanagements, um zum Beispiel Preis-Absatz-Funktionen zu schätzen oder um Zahlungsbereitschaften von Kunden zu ermitteln. 308 Anwendungsbereich und Anwendungsprozess Im Rahmen der Conjoint-Analyse werden Abhängigkeiten zwischen Variablen untersucht. Sie wird daher auch als dependenzanalytisches Verfahren bezeichnet. Die abhängige Variable wie der Gesamtnutzen eines iPods ist dabei in der Regel metrisch skaliert, wobei auch ein ordinales Skalenniveau möglich ist. Demgegenüber besteht hinsichtlich der unabhängigen Variablen wie Größe, Farbe, Design, Speicherkapazität und Preis eines iPods Flexibilität, da die unabhängigen Variablen sowohl nominal, ordinal als auch metrisch skaliert sein können. 309 Abbildung 103: Ablauf einer Conjoint-Analyse 310 Unabhängig vom Skalenniveau muss man vor der Durchführung einer Conjoint- Analyse die relevanten Produktmerkmale und deren Ausprägungen festlegen, wobei darauf zu achten ist, dass die Anzahl der berücksichtigen Eigenschaften nicht zu umfangreich ausfällt. Es wird empfohlen, „maximal 6 Attribute mit jeweils etwa 4 bis 5 Ausprägungen zu analysieren“ 311 . Anknüpfend an die Festlegung der Merkmale und Merkmalsausprägungen wird das Erhebungsdesign bestimmt, bevor die eigentliche Datenerhebung, die Schätzung der Nutzenwerte und die Interpretation der Ergebnisse erfolgen. Abbildung 103 illustriert den Ablauf einer Conjoint-Analyse. 308 Vergleiche Sander (2011, S. 217). 309 Vergleiche Grunwald & Hempelmann (2012, S. 82) und Klein (2002, S. 11). 310 Vergleiche Homburg (2012b, S. 406) und Sander (2011, S. 217). 311 Klein (2002, S. 14). Festlegung der Merkmale und der Merkmalsausprägungen Festlegung des Erhebungsdesigns Bewertung der Stimuli durch die Befragten Schätzung der Nutzenwerte Interpretation der Ergebnisse <?page no="195"?> 196 4 Marketing und Vertrieb www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden Bei der Festlegung des Erhebungsdesigns ist zunächst über die Art der verwendeten Stimuli zu entscheiden, die den Befragten zur Bewertung vorgelegt werden. Zur Auswahl stehen die Profilmethode und die Zwei-Faktor-Methode. Im Rahmen der Profilmethode werden die Probanden mit Produktprofilen konfrontiert, die eine Kombination der definierten Merkmale mit jeweils einer dazugehörigen Ausprägung darstellen. Ein Produktprofil wäre zum Beispiel ein iPod touch in schwarz mit Retina Display und einer Speicherkapazität von 64 GB für 389 €. Bei der auch als Trade-Off-Methode bezeichneten Zwei-Faktor-Methode bewerten die Probanden nicht Produktprofile, sondern alle Ausprägungen von zwei in Matrizen gegenübergestellten Attributen. So müssten beispielsweise die Apple-Probanden die Merkmale Größe und Farbe mit den entsprechenden Ausprägungen in einer so genannten Trade-Off-Matrix beurteilen. 312 In der Praxis kommt nahezu ausschließlich die Profilmethode zur Anwendung, da diese präzisere Daten liefert und eine höhere externe Validität aufweist. 313 In einem nächsten Schritt ist zu bestimmen, wie die Stimuli den Befragten präsentiert werden. Für gewöhnlich erfolgt dies mit Hilfe von Profilkarten, wobei immer häufiger computergestützt vorgegangen wird. Die Verwendung von Bildern, Filmen und Geräuschen bietet den Vorteil, dass schwer beschreibbare Eigenschaften wie bestimmte Designaspekte auch zum Gegenstand der Bewertung gemacht werden können. 314 Abbildung 104: Beispielhafte Teilnutzenwerte für einen Probanden Die Schätzung der Nutzenwerte stellt den Kern der Conjoint-Analyse dar, da die globalen Präferenzurteile in Teilnutzenwerte für die einzelnen Merkmalsausprägungen dekomponiert werden sollen, um die Wichtigkeit der Attribute für die Generierung von Kundennutzen bestimmen zu können. Die Parameterschätzung kann über ver- 312 Vergleiche Homburg (2012b, S. 407 f). 313 Vergleiche Teichert, Sattler & Völckner (2008, S. 671 f). 314 Vergleiche Homburg (2012b, S. 408 f) und Klein (2002, S. 24). 0 5 10 15 20 25 30 35 40 shuffle nano classic touch Teilnutzenwerte „Größe“ 0 5 10 15 20 25 30 35 40 schwarz weiß silber Teilnutzenwerte „Farbe“ 0 5 10 15 20 25 30 35 40 kein Display Display Retina Display Teilnutzenwerte „Design“ 0 5 10 15 20 25 30 35 40 2 GB 8 GB 64 GB 160 GB Teilnutzenwerte „Speicherkapazität“ <?page no="196"?> 4.4 Conjoint-Analyse 197 www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden schiedene Verfahren erfolgen, die im Ergebnis eine Schätzung der Teilnutzenwerte und der daraus resultierenden Gesamtnutzenwerte auf Gesamtstichproben-, Teilstichproben- oder Individualebene liefern. 315 Auf der Basis einer individuellen Auswertung erhält man Daten für jeden einzelnen Befragungsteilnehmer. Die in Abbildung 104 dargestellten Teilnutzenwerte lassen erkennen, welche Nutzenvariationen bestimmte Merkmalsausprägungen mit sich bringen: So wird deutlich, dass für den Probanden die Ausprägung 8 GB einen höheren Nutzen stiftet als die Ausprägung 2 GB und sich ein weiterer Nutzenzuwachs bei einer Erhöhung auf 64 GB ergibt. Demgegenüber führt eine Steigerung der Speicherkapazität auf 160 GB zu keinem Nutzenzuwachs, sondern sogar zu einem deutlichen Nutzenrückgang. Die Teilnutzenwerte für die vier Produktmerkmale Größe, Farbe, Design und Speicherkapazität können nun zur Berechnung des Gesamtnutzenwertes eines Produktprofiles herangezogen werden: Für das Produktprofil iPod touch in schwarz mit Retina Display und einer Speicherkapazität von 64 GB würde sich zum Beispiel ein Wert von 11 + 5 + 35 + 30 = 81 Nutzeneinheiten ergeben. Merkmal absolute Wichtigkeit relative Wichtigkeit Größe 20 - 7 = 13 13 / 95 x 100% = 13,7% Farbe 34 - 5 = 29 29 / 95 x 100% = 30,5% Design 35 - 3 = 32 32 / 95 x 100% = 33,7% Speicherkapazität 30 - 9 = 21 21 / 95 x 100% = 22,1% Summe 95 100% Tabelle 2: Absolute und relative Wichtigkeiten der iPod-Merkmale Die Bedeutung der Produktmerkmale für die Realisierung von Kundennutzen kann nicht direkt anhand der einzelnen Teilnutzenwerte abgelesen werden, da diese nicht normiert und somit inhaltlich bedeutungslos sind. Vielmehr müssen Vergleiche zwischen den einzelnen Ausprägungen eines Merkmals und deren Teilnutzenwerten angestellt werden, um die Wichtigkeit eines Attributes zu bestimmen. Hierzu wird auf die Spanne der Teilnutzenwerte zurückgegriffen, die Auskunft darüber gibt, ob aus der Änderung einer Ausprägung eine Variation des wahrgenommenen Gesamtnutzens resultiert. Eine geringe Spannweite der Teilnutzenwerte weist demnach auf eine geringe Wichtigkeit eines Attributes hin, während eine große Spannweite gegenteilig zu interpretieren ist. 316 Ein Beispiel: Für das in Abbildung 104 und in Tabelle 2 aufgeführte Merkmal Größe des iPods ergibt sich aus der Differenz des maximalen und des minimalen Teilnutzenwertes eine Spannweite von 13, während das Merkmal Design eine Spannweite von 32 aufweist. 315 Vergleiche Klein (2002, S. 25 ff) und Teichert, Sattler & Völckner (2008, S. 676 ff). 316 Vergleiche Klein (2002, S. 28). <?page no="197"?> 198 4 Marketing und Vertrieb www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden Um schließlich die relative Bedeutung der Produktmerkmale für eine Präferenzveränderung beim Kunden zu bestimmen, werden die einzelnen Spannweiten durch die über alle Attribute ermittelten Spannweitensummen dividiert. 317 Die Auswertung in Tabelle 2 zeigt, dass für den hier betrachteten Probanden sowohl das Design als auch die Farbe des iPods die wichtigsten Nutzenkomponenten darstellen. Ein wesentlicher Nachteil der hier vorgestellten traditionellen Conjoint-Analyse ist, dass Befragungsteilnehmer nur eine überschaubare Anzahl kaufrelevanter Produktmerkmale bewerten können, obgleich die typischerweise für dieses Verfahren geeigneten extensiven Kaufentscheidungssituationen durch eine Vielzahl von Einflussfaktoren gekennzeichnet sind. Um diesen und weitere Mängel der traditionellen Conjoint- Analyse auszugleichen, wurden neue Varianten und Methoden entwickelt wie die Hybride beziehungsweise die Adaptive und die Choice-based Conjoint-Analyse. 318 Weiterführende Hinweise Bei der Messung von Produktpräferenzen oder Zahlungsbereitschaften und der Ableitung von Maßnahmen ist zu berücksichtigen, dass diese von zahlreichen Faktoren determiniert werden. Kaufpräferenzen sind zum Beispiel in einem direkten Zusammenhang mit Kontextfaktoren, der Verfügbarkeit von Vergleichsprodukten, der Konfrontation mit Marketingbotschaften und zum Teil aber auch mit irrationalen Einschätzungen, Erwartungen, Emotionen und Abwägungen 319 zu sehen. Insofern sind allzu weitreichende Veränderungsmaßnahmen auf der Basis von Conjoint-Ergebnissen zumindest mit Vorsicht anzugehen. Denn ermittelte Präferenzen und daraus abgeleitete Wichtigkeiten für bestimmte Produktalternativen stehen nicht in einem kausalen Zusammenhang mit tatsächlichen Kaufentscheidungen. Kaufentscheidungen werden vielmehr in Abhängigkeit von ökonomischen, psychologischen und sozialen Einflussfaktoren getroffen, die kaum auf der Basis einer einzelnen Methode konzipiert und analysiert werden können. 4.5 Means-End-Analyse und Ladderingverfahren Problemstellung: Analyse der Bedeutung persönlicher Ziele, Motive und Werte für das Kaufverhalten und deren Verknüpfung mit Produkteigenschaften Zielgruppe: Marketingverantwortliche, Marktforscher, Produktentwickler, Produktmanager Voraussetzungen: Erfahrung mit qualitativen Erhebungsmethoden, erfahrene und geschulte Interviewer und Vorhandensein ausreichender Ressourcen für Datengewinnung und Datenauswertung 317 Vergleiche Klein (2002, S. 29). 318 Vergleiche im Überblick Fantapié Altobelli (2011, S. 342 f) und Klein (2002, S. 35 ff). 319 Siehe hierzu die verhaltensökonomischen Arbeiten von Ariely (2008, 2011). <?page no="198"?> 4.5 Means-End-Analyse und Ladderingverfahren 199 www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden Zielsetzung der Means-End-Analyse und des Ladderingverfahrens Erfolge in wettbewerbsintensiven Käufermärkten erzielen nur jene Anbieter, die ihre Produkt- und Serviceleistung nachfrageadäquat ausgestalten. Dabei sind nicht nur einzelne Nutzenkomponenten eines Produktes, sondern auch Motive und Werthaltungen der Konsumenten zu berücksichtigen, die das Kaufverhalten nachhaltig beeinflussen. Die Bedürfnisse und Werte von Konsumenten sind jedoch nicht statisch, sondern Veränderungen unterworfen, die auf gesellschaftlicher Ebene mit Begriffen wie Individualisierung 320 , Postmodernisierung 321 oder schlicht Wertewandel 322 umschrieben werden. Zur Ermittlung der korrelativen Beziehungen zwischen den dynamischen Werthaltungen und Motiven eines Konsumenten und den Eigenschaften eines Produktes oder einer Dienstleistung kann auf die in der US-amerikanischen Markt- und Werbeforschung entwickelte Means-End-Analyse zurückgegriffen werden. 323 Der auf den Erkenntnissen der Kognitionspsychologie aufbauende und auf den Lerntheoretiker Tolman 324 zurückgehende Ansatz lässt sich empirisch greifbar machen, indem bestimmte Fragetechniken im Rahmen von Tiefeninterviews zur Anwendung kommen. Eine spezifische, qualitative Interviewform ist das Ladderingverfahren, mit dessen Hilfe die Ziel-Mittel-Beziehungen der Konsumenten aufgedeckt werden. Durch stufenweise präzisiertes Nachfragen wird ermittelt, warum bestimmte Produkteigenschaften für den Konsumenten wichtig sind und mit welchen Werten und Bedürfnissen diese zusammenhängen. Insofern eignet sich das Verfahren zur Kundensegmentierung, zur Bewertung von Produkten und Marken sowie zur Entwicklung und Analyse von kommunikationspolitischen Maßnahmen. 325 Beschreibung der Means-End-Analyse und des Ladderingverfahrens Kernelement des Means-End-Modells ist die Annahme, dass Konsumenten Produkt- oder Dienstleistungselemente als Mittel - also als Means - verwenden, um bestimmte Bedürfnisse zu befriedigen oder Ziele - also Ends - zu erreichen. Die Aufdeckung dieser Ziel-Mittel-Verknüpfungen, die im Rahmen von Lernprozessen entstanden sind, ist bei der Gestaltung der Produkt- und der Kommunikationspolitik von zentraler Bedeutung. Denn auf der Basis der sichtbar gemachten inneren Strukturen wird deren hierarchische Anordnung deutlich, die in Form von Means-End-Ketten zum Beispiel bei der Konzipierung von Innovationen oder bei der Positionierung bestehender Produkte wertvolle Hinweise bietet. 326 320 Siehe Beck (1983, 1986) und Beck & Beck-Gernsheim (1994, 2002). 321 Siehe Bauman (1995). 322 Siehe Inglehart (1995, 1998). 323 Vergleiche Homburg (2012b, S. 35 f) und im Überblick Reynolds & Olson (2001) und Walker & Olson (1991). 324 Siehe Tolman (1932). 325 Vergleiche Fantapié Altobelli (2011, S. 88 f), Fantapié Altobelli & Hoffmann (2011, S. 246 f) und Kroeber-Riel, Weinberg & Gröppel-Klein (2009, S. 183 ff). 326 Vergleiche Homburg (2012b, S. 35). <?page no="199"?> 200 4 Marketing und Vertrieb www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden Bei der Repräsentation der kognitiven Strukturen in Form von Means-End-Ketten können sechs Kategorien unterschieden werden, welche die Eigenschaften des Produktes, dessen Nutzenkomponenten und die damit verknüpften Werthaltungen widerspiegeln. Wie in Abbildung 105 aufgeführt, werden die Eigenschaften eines Produktes in konkrete und abstrakte unterteilt. Ein Custom Fit Innenschuh eines Skistiefels wäre eine konkrete Eigenschaft, die objektiv beobachtbar ist und die physikalisch-chemischtechnische Beschaffenheit des Konsumartikels beschreibt. Eine gute Passform und ein ansprechendes Design stellen abstrakte Attribute dar, die rein gedanklich vorhanden sind und subjektiv wahrgenommen werden. Der funktionale Nutzen, zum Beispiel die Möglichkeit, schnell und sicher zu fahren, ergibt sich aus den physikalisch-chemischtechnischen Eigenschaften des Produktes. Demgegenüber werden Nutzenkomponenten wie schmerzfreie und entspannte Füße nach dem Training als sozial oder psychisch bezeichnet, sofern sie keine Rolle für die Funktionstüchtigkeit des Gutes spielen und vorwiegend die Psyche oder das Umfeld des Konsumenten tangieren. Schließlich wird zwischen instrumentalen und terminalen Werthaltungen beziehungsweise Zielen des Konsumenten unterschieden, welche den Kauf oder Nicht-Kauf eines Produktes maßgeblich beeinflussen. Dabei verkörpern instrumentale Werte erstrebenswerte Verhaltensweisen wie körperliche Fitness und terminale Werte übergeordnete Lebensziele wie Selbstbewusstsein oder soziale Anerkennung. 327 Abbildung 105: Means-End-Modell am Beispiel eines Skischuhs 328 Abbildung 105 illustriert die beschriebenen Zusammenhänge am Beispiel eines Skischuhs. Die aufgezeigten Beziehungen zwischen Produkteigenschaften und persönlichen Werthaltungen und Zielen können mit Hilfe der Methoden der qualitativen Marktforschung rekonstruiert und visualisiert werden. Dabei hat sich vor allem das auf den Arbeiten von Reynolds und Gutman basierende Ladderingverfahren bewährt, 329 das auch als Leitertechnik bezeichnet wird. Im Folgenden wird erläutert, wie mit Hilfe dieser Technik die Determinanten menschlichen Handelns entschlüsselt werden können. 327 Vergleiche Bauer & Huber (2008, S. 966 f) und Gruber, Voss, Balderjahn & Reppel (2009, S. 571 f). 328 Zu den Grundelementen des Means-End-Modells vergleiche Bauer & Huber (2008, S. 966) und im Überblick Walker & Olson (1991). 329 Siehe Reynolds & Gutman (1988). Konkrete Eigenschaften Abstrakte Eigenschaften Funktionale Konsequenzen Soz./ Psych. Konsequenzen Instrumentale Werte Terminale Werte Eigenschaften Nutzenkomponenten Werthaltungen Custom Fit Innenschuh Gute Passform und gutes Design Schnelles und sicheres Fahren Entspannte Füße nach dem Training Körperliche Fitness Selbstbewusstsein und Anerkennung <?page no="200"?> 4.5 Means-End-Analyse und Ladderingverfahren 201 www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden Anwendungsbereich und Anwendungsprozess Die Standardfrage, um „Landkarten der Kognition“ 330 sichtbar zu machen, lautet: „Warum ist das wichtig für Sie? “ Die Gründe, die dafür verantwortlich sind, dass eine Produkteigenschaft oder eine Nutzenkomponente für einen Konsumenten bedeutsam sind, werden iterativ aufgedeckt. Das heißt, im Rahmen von Interviews werden die Eigenschaften-Nutzen-Werte-Assoziationen schrittweise identifiziert, indem man wie auf einer Leiter zu den zentralen Bestimmungsgründen des Verhaltens hinaufsteigt. Üblicherweise läuft das Ladderingverfahren in drei Schritten ab: 331 In einem ersten Schritt werden die zentralen Eigenschaften eines Produktes oder einer Dienstleistung und deren Relevanz mit Hilfe eines Fragebogens oder Interviews erfasst. Die ermittelten Produktmerkmale stellen den Ausgangspunkt für die sich anschließenden Ladderinginterviews dar. Um eine Reihung der Attribute zu realisieren, kommen Rankingverfahren zum Einsatz, in denen Probanden Eigenschaften benennen und Begründungen für die jeweilige Einstufung liefern. Auf der Grundlage der ermittelten Produkteigenschaften, werden in einem zweiten Schritt die mit den Attributen verbundenen Assoziationen hinterfragt. Ziel ist zu bestimmen, welche Erwartungen die Gesprächspartner mit der Nutzung eines Produktes verbinden und welche Werthaltungen hinter den erwarteten Nutzenkomponenten liegen. Bildlich gesprochen kann ein Ladderinginterview mit dem Schälen einer Zwiebel verglichen werden, indem man Schicht für Schicht zum Kern vordringt. 332 So würde ein Ladderinginterview zum Thema Skischuhe zum Beispiel mit der Frage beginnen: „Was ist Ihnen beim bevorstehenden Skistiefelkauf wichtig? “ Eine mögliche Antwort des Probanden könnte sein: „Ich möchte einen Skischuh, der bequem ist und gut aussieht.“ Der Interviewer würde fortfahren mit der Frage: „Was ist Ihnen sonst noch wichtig? “ Der Proband würde beispielsweise erwidern: „Er sollte mir die Möglichkeit bieten, jeden Tag ohne Schmerzen trainieren zu können.“ Auf die weitere Frage: „Warum ist Ihnen das wichtig? “, könnte geantwortet werden: „Damit ich meine Ausdauer und Kraft systematisch verbessern kann.“ Der Interviewer könnte mit folgender Frage in tiefere Schichten vordringen: „Warum ist es Ihnen wichtig, ausdauernd und kraftvoll zu sein? “ Weitere Antworten und Fragen würden folgen, bis die tiefste Antwortebene erreicht ist und die Hauptmotive offengelegt sind, die zu einer Kaufentscheidung beitragen. Der beschriebene Prozess des Tiefeninterviews kann Schwierigkeiten bei der Umsetzung aufweisen, da Probanden die Konsequenzen ihres Handelns zum Zeitpunkt der Befragung noch nicht hinterfragt und somit nicht kognitiv präsent haben. Zudem setzen sehr persönliche Fragen eine große Antwortbereitschaft und Vertrauen zum Interviewer voraus. Insofern empfiehlt es sich, im Rahmen von Ladderinginterviews Konsumenten in die konkrete Produktnutzungssituation zu versetzen oder Fragen zu stellen, in deren Mittelpunkt nicht Begründungen für ein Handeln, sondern Hinweise stehen, warum etwas nicht getan wird. Fragen können auch in der dritten Person gestellt werden, um 330 Herrmann (1996, S. 11). 331 Vergleiche im Überblick Fantapié Altobelli (2011, S. 88 ff) und Liebel (2011, S. 480 f). 332 Die Zwiebel-Metapher stammt von Gengler, Mulvey & Oglethorpe (1999). <?page no="201"?> 202 4 Marketing und Vertrieb www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden Antworthemmungen aufzulösen. Demnach würden vom Interviewer Antworten provoziert, die von Freunden oder Bekannten des Konsumenten gegeben werden könnten. Die Aufbereitung der idealtypischen oder mit Hilfe der oben genannten Techniken gewonnenen Ergebnisse erfolgt in einem dritten Schritt, um die Means-End-Ketten zu konstruieren. Auf der Basis einer qualitativen Inhaltsanalyse werden die Antworten strukturiert und kategorisiert und den einzelnen Bereichen des Means-End-Modells zugeordnet. Auf diese Weise wird der inhaltliche Zusammenhang zwischen konkreten Produktattributen und terminalen Werten beziehungsweise Bedürfnissen transparent. Weiterführende Hinweise Die Means-End-Analyse und das Ladderingverfahren eignen sich, um Produkte zielgruppenspezifisch zu gestalten und zu positionieren. Die Aufdeckung von Motivationsstrukturen ermöglicht es Herstellern und Dienstleistern, Licht in das kognitive Netz von Konsumenten zu bringen, in dem Produkte, Marken und Botschaften über individuelle Assoziationen verankert sind. 333 Gleichwohl ist die Durchführung und Umsetzung in der Praxis sehr aufwändig und voraussetzungsreich. Ungeachtet dessen stellt das Verfahren - mittlerweile - eine Standardmethode in der Marktforschung dar, und es haben sich in jüngster Zeit neue Anwendungsbereiche und Spielarten entwickelt. Das Ladderingverfahren wird längst nicht mehr nur in Form von persönlichen Tiefeninterviews umgesetzt. Vielmehr kommen inzwischen auch Ladderingfragebögen zur Anwendung, und es existieren Vorschläge und Beispiele, wie beide Verfahren online umgesetzt werden können. 334 4.6 Kundenzufriedenheitsanalyse Problemstellung: Bestimmung, Gruppierung und Bewertung kundenspezifischer Produktanforderungen und Messung des Einflusses der entsprechenden Anforderungen auf die Kundenzufriedenheit Zielgruppe: Marketing- und Vertriebsverantwortliche, Marktforscher, Vertriebsmitarbeiter, Key Account Manager Voraussetzungen: Erfahrung mit qualitativen und quantitativen Erhebungsmethoden und Verfügbarkeit einer repräsentativen Kundengruppe Zielsetzung der Kundenzufriedenheitsanalyse Kundenzufriedenheit entsteht in einem mehrstufigen, durch Marketingaktivitäten begleiteten Prozess, der als Erfolgskette 335 bezeichnet wird. Kunden sind vor allem dann zufrieden, wenn ihre Erwartungen erfüllt oder sogar übertroffen werden. Voraussetzung für die Erfüllung der Bedürfnisse und Wünsche der Kunden hinsichtlich der Produkt- oder Dienstleistungsqualität ist die Kenntnis der entsprechenden Erwartun- 333 Vergleiche Meffert, Burmann & Kirchgeorg (2012, S. 169 f). 334 Zum Online Laddering siehe im Überblick Gruber, Voss, Balderjahn & Reppel (2009). 335 Siehe Bruhn & Homburg (2010). <?page no="202"?> 4.6 Kundenzufriedenheitsanalyse 203 www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden gen, die empirisch ermittelt werden können. Geht man davon aus, dass Kundenzufriedenheit die Differenz aus vom Kunden erwarteter und vom Hersteller beziehungsweise Dienstleister erbrachter Leistung ist, wird deutlich, dass eine adäquate Methode zur Kundenzufriedenheitsanalyse - wie in Abbildung 106 dargestellt - bei den Erwartungen starten muss. Das Wissen über grundlegende Mechanismen, die das Maß an Zufriedenheit beziehungsweise Unzufriedenheit bei den Kunden bestimmen, schließt die Kenntnis mit ein, dass Erwartungen nicht statisch sind, sondern sich im Zeitverlauf verändern. Ein Service, der Kunden zu einem bestimmten Zeitpunkt begeistert hat, wird in der Folgezeit nicht mehr identische emotionale und kognitive Reaktionen auslösen. Der Kunde hat sich an die Leistung gewöhnt und setzt diese bei weiteren Konsumentscheidungen voraus. Insofern verwundert es, dass zahlreiche Kundenzufriedenheitsbefragungen und die dabei berücksichtigten Kriterien zum Teil über mehrere Jahre unverändert bleiben und somit wohl kaum zu validen empirischen Ergebnissen führen. Abbildung 106: Kundenerwartungen, Kundenzufriedenheit und Erfolg 336 Einen Ansatz zur Klassifikation der Anforderungen von Kunden an Unternehmen hat Kano 337 vorgelegt, der zwischen Basis-, Leistungs- und Begeisterungsfaktoren unterscheidet. Das Ziel der in Abbildung 107 aufgeführten Kano-Analyse besteht darin, den Einfluss von Produkt- oder Dienstleistungsmerkmalen auf die Kundenzufriedenheit zu ermitteln und hinsichtlich ihrer Bedeutung zu priorisieren. Mit dieser Differenzierung trägt Kano dem Umstand Rechnung, dass erfüllte Erwartungen nicht unmittelbar zu Zufriedenheit führen müssen. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn es sich um Aspekte handelt, die der Kunde zwingend voraussetzt und als Hygienefaktoren 338 betrachtet. Eine Erfüllung der Kundenanforderung führt hier lediglich zur Nicht- Unzufriedenheit. 336 Vergleiche Beutin (2008, S. 814) und Kordupleski, Rust & Zahorik (1994, S. 70). 337 Siehe Kano (1984) und im Überblick Sauerwein (2000) und Sauerwein, Bailom, Matzler & Hinterhuber (1996). 338 Auf der Basis von Studien zur Arbeitsmotivation entwickelte Herzberg (1968) die Zweifaktorenthorie - auch Motivator-Hygiene-Theorie. Diese postuliert, dass Arbeitszufriedenheit nicht als ein Kontinuum zu betrachten ist, welches von den Extrempolen Unzufriedenheit und Zufriedenheit gerahmt wird. Vielmehr sind Faktoren zu unterscheiden, die lediglich zur Nicht-Unzufriedenheit beitragen - die so genannten Hygienefaktoren -, während andere - die so genannten Motivatoren - Zufriedenheit bedingen können (siehe auch Herzberg, Mausner & Snyderman 1993). Kundenerwartungen Ermittlung der Kundenerwartungen Erfüllung der Kundenerwartungen Kundenzufriedenheit Kundenbindung Unternehmerischer Erfolg / Wachstum <?page no="203"?> 204 4 Marketing und Vertrieb www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden Beschreibung der Kundenzufriedenheitsanalyse Der angenommene Zusammenhang zwischen Kundenerwartungen und Kundenzufriedenheit wird mit Hilfe folgender Unterteilung erklärt: 339 Basisfaktoren stellen jene Produkt- oder Dienstleistungsattribute dar, die Unzufriedenheit auslösen, wenn sie nicht den Erwartungen entsprechend erfüllt beziehungsweise wahrgenommen werden. Die Erfüllung dieser Muss-Kriterien trägt hingegen nicht zur erhöhten Zufriedenheit bei, sondern führt lediglich zur Nicht-Unzufriedenheit. Ein aufgeräumtes und sauberes Zimmer oder ein freundlicher Empfang beim Einchecken dürften beispielsweise als Basisfaktoren von Hotelkunden betrachtet werden. Produkteigenschaften, die sowohl zu Zufriedenheit führen, wenn die Erwartungen des Kunden übertroffen werden, als auch zu Unzufriedenheit, wenn die Erwartungen des Kunden unerfüllt bleiben, bezeichnet Kano als Leistungsfaktoren. Qualitativ gutes Essen im Hotelrestaurant, schnelle Buchungsabwicklung und die Möglichkeit, Bonuspunkte sammeln zu können, dürften dieser Kategorie zuzurechnen sein. Abbildung 107: Kano-Modell der Kundenzufriedenheit 340 Die Besonderheit von Begeisterungsfaktoren besteht darin, dass deren Nichterfüllung keine Unzufriedenheit auslöst. Gleichwohl stellt das Vorhandensein einen wichtigen Differenzierungsfaktor im Hyperwettbewerb 341 dar, der von den Kunden jedoch nicht antizipiert und artikuliert wird und auch nicht als Ersatz für fehlende Basisfaktoren dienen kann. Begeisterung stellt sich erst bei Eintreten eines nicht erwarteten Services oder einer nicht erwarteten Produkteigenschaft ein und kann aufgrund der kognitiven Nicht-Präsenz im Voraus nur mit einigen methodischen Kniffen empirisch ermittelt werden. Hotelkunden dürften sich zum Beispiel über einen frei verfügbaren Internet- 339 Vergleiche im Überblick Hinterhuber, Handlbauer & Matzler (2003, S. 16 f). 340 Hinterhuber, Handlbauer & Matzler (2003, S. 17). 341 Siehe D’Aveni (1994) und Trout, Rivkin & Wied (2009). Kunde sehr zufrieden (begeistert) Kunde sehr unzufrieden (enttäuscht) Erwartungen nicht erfüllt Erwartungen übertroffen Indifferenzzone Leistungsfaktoren Begeisterungsfaktoren Basisfaktoren <?page no="204"?> 4.6 Kundenzufriedenheitsanalyse 205 www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden zugang auf ihrem Zimmer, einen kostenlosen Gepäcktransport-Service zum Flughafen oder über regelmäßige Upgrades in bessere Zimmerkategorien begeistert zeigen, in denen ihnen Getränke, Obst und weitere spezielle Angebote und Aufmerksamkeiten zur freien Verfügung stehen. Anwendungsbereich und Anwendungsprozess Ausgangspunkt der Kano-Analyse sind Informationen zu den Stärken, Schwächen, Problemen und Verbesserungen eines Produktes oder einer Dienstleistung, die für gewöhnlich im Rahmen von teilstandardisierten Interviews bestimmt werden. Auf der Basis der ermittelten kaufentscheidenden Faktoren wird ein Fragebogen konstruiert, der für jede Eigenschaft mindestens eine funktionale und eine dysfunktionale beziehungsweise eine positiv- und eine negativ-gerichtete Frage enthält. Ein Beispiel: Kunden können im Rahmen einer systematischen Kundenzufriedenheitsanalyse einer international agierenden Hotelkette in funktionaler beziehungsweise positiver Form mit der Frage konfrontiert werden: „Wenn unser Hotel einen kostenlosen und unbegrenzten Internetzugang für alle Gäste zur Verfügung stellt, wie denken Sie darüber? “ Die Antwort eines Kunden lautet vielleicht: „Das würde mich sehr freuen.“ In dysfunktionaler beziehungsweise negativer Form könnte gefragt werden: „Wenn unser Hotel keinen kostenlosen und unbegrenzten Internetzugang für alle Gäste zur Verfügung stellt, wie denken Sie darüber? “ Angekreuzt wird beispielsweise: „Das könnte ich eventuell in Kauf nehmen.“ Aus der Kombination der Antworten in den Zeilen und Spalten der Auswertungstabelle von Tabelle 3 würde sich ein Eintrag in der Kategorie B ergeben, womit für das Hotelmanagement deutlich wäre, dass das Vorhandensein eines kostenlosen Internetzugangs einen Begeisterungsfaktor darstellt. Fällt die Kombination der Antworten hingegen in die Kategorie L oder G, dann wäre die Eigenschaft ein Leistungsbeziehungsweise ein Grundfaktor 342 . Wenn sich aus der Auswertungstabelle die Kombination I ergibt, bedeutet dies, dass das Merkmal für den Kunden irrelevant ist. Aus der Kategorie E ist zu schließen, dass der Kunde die Eigenschaft nicht wünscht oder sogar das Gegenteil erwartet. Kategorie U steht schließlich für unbrauchbare Ergebnisse, die nur zustande kommen, wenn Fragen missverständlich gestellt wurden. 343 Gemäß dem beschriebenen und in Tabelle 3 illustrierten Procedere werden alle Antworten auf die funktional und dysfunktional formulierten Fragen in eine Auswertungs- und in eine Ergebnistabelle übertragen. Letztere kann sowohl absolute als auch relative Häufigkeiten enthalten und bietet einen ersten Überblick über die vom Kunden als relevant eingestuften Produkteigenschaften. 342 Der Begriff Grundfaktor wird hier und in den Auswertungs- und Ergebnistabellen synonym mit dem Begriff Basisfaktor verwendet und mit G gekennzeichnet, um die Basisfaktoren eindeutig von den Begeisterungsfaktoren B abzugrenzen. 343 Siehe im Überblick Bailom, Tschemernjak, Matzler & Hinterhuber (1998), Matzler, Sauerwein & Stark (2009) und Sauerwein, Bailom, Matzler & Hinterhuber (1996). <?page no="205"?> 206 4 Marketing und Vertrieb www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden 1. Fragebogen Funktionale Form der Frage Wenn unser Hotel einen kostenlosen und unbegrenzten Internetzugang für alle Gäste zur Verfügung stellt, wie denken Sie darüber? Das würde mich sehr freuen. Das setze ich voraus. Das ist mir egal. Das könnte ich eventuell in Kauf nehmen. Das würde mich sehr stören. Dysfunktionale Form der Frage Wenn unser Hotel keinen kostenlosen und unbegrenzten Internetzugang für alle Gäste zur Verfügung stellt, wie denken Sie darüber? Das würde mich sehr freuen. Das setze ich voraus. Das ist mir egal. Das könnte ich eventuell in Kauf nehmen. Das würde mich sehr stören. 2. Auswertungstabelle Produkteigenschaft Dysfunktional 1 2 3 4 5 Funktional 1 U B B B L 2 E I I I G 3 E I I I G 4 E I I I G 5 E E E E U 3. Ergebnistabelle Kategorie Produkteigenschaft B L G I E U Internetzugang 1 ... B = Begeisterungsfaktor, L = Leistungsfaktor, G = Grundfaktor, I = Indifferent, E = Entgegengesetzt, U = Unbrauchbar Tabelle 3: Das Auswertungsprocedere der Kano-Analyse 344 In einem nächsten Schritt bestimmt man, welche der als Basis-, Leistungs- und Begeisterungsfaktoren klassifizierten Merkmale die Kundenzufriedenheit am stärksten beeinflussen. Hierbei wird auf ein Zufriedenheitsbeziehungsweise Unzufriedenheitsmaß 344 Vergleiche Bailom, Tschemernjak, Matzler & Hinterhuber (1998, S. 54). <?page no="206"?> 4.6 Kundenzufriedenheitsanalyse 207 www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden zurückgegriffen, das für alle empirisch ermittelten Erwartungen die Anzahl der Nennungen, differenziert nach Grundbeziehungsweise Basis-, Leistungs-, Begeisterungs- und Indifferenzfaktoren in Beziehung setzt. Der positive Zufriedenheitskoeffizient kann Werte zwischen 0 und 1, der negative von 0 bis -1 annehmen. Zur Berechnung der beiden Koeffizienten werden die in der Ergebnistabelle von Tabelle 3 zusammengestellten absoluten Häufigkeiten und die Formel aus Tabelle 4 verwendet. Ausmaß der Zufriedenheitsstiftung Ausmaß der Unzufriedenheitsstiftung (B + L) / (B + L + G + I) (L + G) / (B + L + G + I) x (-1) B = Begeisterungsfaktor, L = Leistungsfaktor, G = Grundfaktor, I = Indifferenzfaktor Tabelle 4: Das Zufriedenheits- und Unzufriedenheitsmaß 345 Hat die Frage nach dem kostenlosen Internetzugang im Hotel zum Beispiel ergeben, dass die Antworten von 14 Probanden als B, von 3 Probanden als L und von 2 Probanden als G klassifiziert werden können, errechnen sich folgende Koeffizienten: Der Zufriedenheitswert beträgt rund 0,89, während das Unzufriedenheitsmaß bei etwa -0,26 liegt. Beide Werte dienen der grafischen Darstellung des Faktors kostenloser Internetzugang in Abbildung 108 und bestimmen dessen Bedeutung für die Kundenzufriedenheit im Vergleich zu den weiteren empirisch ermittelten Kriterien. Abbildung 108: Beispielhafte Darstellung der Zufriedenheits- und Unzufriedenheitsmaße Abbildung 108 illustriert an einem selbst gewählten Beispiel, welche Produktmerkmale in welchem Bereich liegen und welchen Einfluss sie auf die Zufriedenheit beziehungs- 345 Vergleiche Sauerwein, Bailom, Matzler & Hinterhuber (1996, S. 322). Bereich der Begeisterungsfaktoren Bereich der Leistungsfaktoren Bereich der Basisfaktoren 0,0 -0,2 -0,4 -0,6 -0,8 -1,0 0,0 0,2 0,4 0,6 0,8 1,0 12 10 8 3 2 1 13 4 6 15 5 7 9 11 14 1 = Kostenloser Internetzugang 2 = Gepäcktransport-Service 3 = Kostenlose Minibar-Nutzung 4 = Qualität des Essens 5 = Bonuspunktesystem 6 = Sauberkeit der Zimmer 7 = Preis-/ Leistungsverhältnis 8 = Ausstattung des Hotels 9 = Distanz zum Flughafen 10 = Erlebnisangebote 11 = Buchungsabwicklung 12 = Getrennte Frühstücksräume 13 = Wäscherei-Service 14 = Vielfältiges Gastronomieangebot 15 = Freundlichkeit des Personals <?page no="207"?> 208 4 Marketing und Vertrieb www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden weise Unzufriedenheit der befragten Kunden ausüben. Die Kriterien 1, 2 und 3 stellen Begeisterungsmerkmale dar. Alle anderen Kriterien sind Leistungsanforderungen - mit Ausnahme der Faktoren 6 und 15, die sich als Basisfaktoren erweisen. Weiterführende Hinweise Die Kano-Analyse bietet den großen Vorteil, nicht nur typische Kundenzufriedenheitskriterien zu überprüfen, sondern jene Faktoren zu isolieren, die in jedem Fall angeboten beziehungsweise den Erwartungen der Kunden entsprechend erfüllt werden müssen. Damit bietet die Kano-Analyse Anhaltspunkte, an welchen Stellen Unternehmen investieren sollten und an welchen gegebenenfalls Aufwand und Kosten reduziert werden können. Denn Basisfaktoren müssen nur erfüllt, nicht jedoch übererfüllt werden. Entscheidend für den Erfolg von Produkten oder Dienstleistungen und damit für die Generierung von Wachstum ist, inwiefern es in der Praxis gelingt, die identifizierten Faktoren mit Hilfe geeigneter Maßnahmepläne zu institutionalisieren. Zudem ist zu prüfen, ob bestimmte Produktattribute überhaupt angeboten werden können oder sollen. Der Schritt vom Ist-Zustand zum empirisch ermittelten Ideal erfordert klare Ziele und Prioritäten, umgesetzt in einem Veränderungsbeziehungsweise Aktivitätenprogramm. Insofern stellt die Kano-Analyse die notwendige, die Implementierung und die Kontrolle der erforderlichen Maßnahmen jedoch die hinreichenden Bedingungen für Kundenzufriedenheit dar. 4.7 Buying-Center-Analyse Problemstellung: Analyse des Kaufverhaltens einer Organisation und Identifikation aller damit verbundenen Personen, Rollen und Prozesse Zielgruppe: Marketing- und Vertriebsverantwortliche, Vertriebsmitarbeiter, Außendienstmitarbeiter, Key Account Manager, Business Development Manager und weitere Experten aus den jeweils relevanten Fachbereichen Voraussetzungen: Beschaffung von Daten zu Personen, Rollen und Prozessen der Zielorganisation auf der Basis von Kundennähe und Kundenvertrauen Zielsetzung der Buying-Center-Analyse Die Analyse von Kaufentscheidungen und damit verknüpften Bestimmungsfaktoren stellt einen zentralen Bereich der Marketingforschung dar. Eine Vielzahl von Studien im Business-to-Consumer-Bereich zeigt, in welche Phasen der Kaufprozess von Konsumenten eingeteilt werden kann und welche Einflüsse bedeutsam sind. Ausgangspunkt einer Kaufentscheidung ist ein Bedürfnis, das aus der Diskrepanz zwischen der aktuellen und der gewünschten Situation resultiert. Konsumenten machen sich vor diesem Hintergrund auf die Suche nach Informationen über Hersteller oder Produkte, um die Diskrepanz - zum Beispiel zwischen Immobilität und dem Wunsch nach Mobilität - aufzulösen. Bei der Suche nach einem Mobilitätsprodukt - zum Beispiel einem Auto, einem Fahrrad oder einer Jahreskarte für die Straßenbahn - stoßen sie auf eine Reihe von Alternativen, die sie bewerten und in eine Rangfolge bringen, bevor sie eine Kaufentscheidung treffen. Nach dem Kauf verarbeiten Konsumenten die Informatio- <?page no="208"?> 4.7 Buying-Center-Analyse 209 www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden nen und Erfahrungen im Sinne eines Soll-Ist-Vergleiches und nehmen eine Gesamtbewertung vor, die zukünftige Kaufentscheidungen beeinflusst. Im Unterschied zum Business-to-Consumer-Bereich werden im Business-to-Business- Bereich Kaufentscheidungen nicht von einzelnen Personen, sondern von Gruppen getroffen, und auch die Phasen des Kaufbeziehungsweise Beschaffungsprozesses unterscheiden sich. Vor allem in neuartigen, komplexen oder sehr wichtigen Beschaffungssituationen sind mehrere Personen an einer Entscheidung - zum Beispiel der Auswahl eines Lieferanten oder Logistikdienstleisters - beteiligt. Diese Personen nehmen unterschiedliche Rollen ein, die in der Regel mit ihren jeweiligen Funktionen im Unternehmen korrespondieren. Ein solches Gremium aus verschiedenen Personen und Rollen wird als Buying-Center bezeichnet. Buying- oder Einkaufscenter sind in einer Unternehmensorganisation nicht formal und dauerhaft verankert, sondern bilden sich zeitlich befristet. Für den Verkäufer ergibt sich daraus die Schwierigkeit, nicht nur die Bedürfnisse und Wünsche eines Zielkunden ermitteln zu müssen, sondern sowohl die Besonderheiten der Beschaffungssituation und der Entscheidungsstrukturen als auch die heterogenen Präferenzen aller Buying-Center-Mitglieder im Blick zu haben. Dem Selling-Center als Gegenstück zum Buying-Center kommt demnach die wichtige Aufgabe zu, das Einkaufsgremium systematisch zu analysieren, um die eigenen Marketing- und Vertriebsmaßnahmen so auszurichten, dass sich ein Verkaufserfolg einstellt. Das Ziel der Buying-Center-Analyse besteht insofern darin, Informationen zu sammeln und zu verdichten, um die Strukturen und Prozesse der organisationalen Kaufentscheidung transparent und die Präferenzen und Motive der beteiligten Akteure verständlich zu machen. 346 Beschreibung der Buying-Center-Analyse Das Kaufverhalten von Organisationen und Konsumenten unterscheidet sich nicht nur hinsichtlich der Anzahl der am Kaufprozess beteiligten Personen, sondern auch mit Blick auf den Formalisierungsgrad. Das heißt, Kaufentscheidungen folgen in Organisationen zumeist klaren Regeln und Verfahrensvorschriften, deren Kenntnis für Verkäufer insofern von Bedeutung ist, als Angebote entsprechend gestaltet und vorgelegt werden müssen. Weitere Besonderheiten des organisationalen Kaufverhaltens sind in Abbildung 109 zusammengefasst. Neben den aufgeführten Merkmalen ist für das Verständnis des Buying-Centers vor allem die Kenntnis der Akteure und der Prozesse sowie der Kriterien wichtig, die Organisationen beim Kauf von Werkstoffen, Betriebsmitteln, Dienstleistungen oder anderen Gütern berücksichtigen. Einem Buying-Center gehören Personen und Teileinheiten einer Organisation an, die nach Webster und Wind die folgenden fünf Rollen einnehmen: 347 Als Nutzer bezeichnet man Personen, welche die Güter oder Dienstleistungen nach dem Kauf verwenden und daher häufig Initiatoren der Beschaffung sind. Die Rolle des Nutzers haben beispielsweise Marketing- oder Controllingleiter inne, wenn eine neue Software zur Analyse von Marktforschungsdaten beschafft beziehungsweise eine Beratungsgesellschaft zur Konzipierung und Implementierung einer Balanced Scorecard beauftragt wird. 346 Vergleiche Vitale, Giglierano & Pfoertsch (2011, S. 56 f). 347 Vergleiche Webster & Wind (1972, S. 77 ff). <?page no="209"?> 210 4 Marketing und Vertrieb www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden Organisationsmitglieder, die auf den Beschaffungsprozess einwirken, indem sie an der Produktspezifikation mitarbeiten oder alternative Lösungen vorschlagen, werden Beeinflusser genannt. In der Regel üben Entwicklungs- oder Produktionsingenieure, aber auch unternehmensexterne Personengruppen wie Berater einen Einfluss auf die Kaufentscheidung aus. Abbildung 109: Typische Merkmale des organisationalen Kaufverhaltens 348 Einkäufer sind befugt, Kaufverträge vorzubereiten und Lieferanten auszuwählen. Typischerweise handelt es sich hierbei um Personen aus der Beschaffungsabteilung. Von Entscheidern ist die Rede, wenn Personen über Machtbefugnisse verfügen, um Angebote auszuwählen und den Kauf abzuschließen. Wenn es sich um wichtige Investitionen oder Projekte handelt, übernimmt diese Rolle häufig ein Mitglied der Geschäftsführung. Mitglieder des Buying-Centers, die Informationen aufnehmen, filtern und steuern, werden Informationsselektierer genannt. Diese Gruppe kann aus Chefsekretärinnen, Assistenten von Entscheidungsträgern oder Mitarbeitern der Einkaufsabteilung bestehen, die darüber entscheiden, welche Informationen in welcher Form an wen weitergeleitet werden. Obgleich diese Personen häufig keine Leitungspositionen innehaben, ist deren Einfluss auf die Kaufentscheidung nicht zu unterschätzen. Marketing- und Vertriebsverantwortliche sollten nicht nur die beschriebenen Akteure, sondern auch die unternehmensinternen Prozesse des potenziellen Käufers kennen, um Marketingmix-Strategien entsprechend zu gestalten. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Kaufentscheidungen von Organisationen im Allgemeinen rationaler, systematischer und langwieriger sind als bei Konsumenten. Folgende Phasen können dabei im beschaffenden Unternehmen unterschieden werden: Zunächst erfolgt die Bedarfserkennung eines Unternehmens, die durch interne oder externe Anregungen initiiert 348 Vergleiche Homburg (2012, S. 140 ff). Langfristigkeit der Geschäftsbeziehung Hoher Formalisierungsgrad Hoher Individualisierungsgrad Multiorganisationalität Hoher Grad der Interaktion Multipersonalität (Buying Center) Organisationales Kaufverhalten Abgeleiteter Charakter der Nachfrage Besondere Bedeutung von Dienstleistungen <?page no="210"?> 4.7 Buying-Center-Analyse 211 www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden wird, bevor Produkte oder Dienstleistungen und die damit verbundenen Leistungseigenschaften spezifiziert werden. Die Suche nach geeigneten Lieferanten und das Einholen von Angeboten schließt sich an. Danach wird eine Vorauswahl der Anbieter zum Beispiel mit Hilfe von Scoring-Modellen vorgenommen, auf deren Basis geeignete Kandidaten ausgewählt und zu Verhandlungen eingeladen werden. Die Verhandlungsphase schließt mit einem Vertrag ab, in dem die Rahmenbedingungen der Leistungserbringung und Leistungsbewertung aufgeführt werden. 349 Jede dieser Phasen kann durch das anbietende Unternehmen mit entsprechenden Maßnahmen beeinflusst werden. Wichtig für den Verkäufer ist, die beteiligten Personen je Prozessschritt, deren Rollen und die für die Entscheidungsfindung relevanten Kriterien des Business-to- Business-Kunden zu kennen. Insofern sind im Rahmen der Buying-Center-Analyse auch Aspekte wie Qualität, Kosten, Lieferbedingungen, Renommee oder Referenzen zu berücksichtigen und zu analysieren, welche Bedeutung den einzelnen Kriterien aus der Sicht des potenziellen Kunden zukommt. Anwendungsbereich und Anwendungsprozess Bei der Neukundengewinnung, der Akquisition von Projekten oder generell bei industriellen Absatzentscheidungen ist die Buying-Center-Analyse eine notwendige Voraussetzung für den Verkaufserfolg. Dabei gilt es, nicht nur den Einkäufer im Blick zu haben, sondern die verschiedenen Mitglieder des Buying-Centers mit ihren zum Teil recht unterschiedlichen Ansprüchen, Erwartungen und Motiven zu verstehen. Folgende Aspekte sind Bestandteil einer umfassenden Buying-Center-Analyse: Buying-Center-Mitglieder und Rollen bei der Entscheidungsfindung, konformes und non-konformes Rollenverhalten der Buying-Center-Mitglieder, Beziehungsnetz und Machtstrukturen des Buying-Centers, Entscheidungsfindungsprozess und Entscheidungsfindungsteilschritte, Beschaffungskriterien und Nutzenerwartungen, Beurteilung der Leistungsfähigkeit des Anbieters durch das Buying-Center. Diese sechs Themenbereiche sind im Idealfall zur Gänze zu bearbeiten. Dies ist jedoch nicht immer möglich, da zum Beispiel bei großen oder komplex strukturierten Nachfrageorganisationen Informationen nur schwer beschafft oder Kontakte nur zu einer begrenzten Zahl an Buying-Center-Mitgliedern aufgebaut werden können. Die in Tabelle 5 aufgeführten, beispielhaften Leitfragen sollen dabei helfen, möglichst vielfältige Hinweise zu den skizzierten sechs Themenbereichen zu sammeln, um Buying-Center- Verhandlungen erfolgreich zu gestalten. Die Einkaufsgruppe dürfte sich je nach Ausschreibung oder Projekt immer wieder neu zusammensetzen, auch wenn es sich um einen identischen Kunden handelt. Insofern ist es empfehlenswert, Entscheidungen nicht auf der Basis zurückliegender Analysen zu treffen, sondern die aufgeführten Leitfragen zu nutzen, um vor jedem potenziellen Verkauf alle relevanten Informationen zu beschaffen, um die Käufer in Unternehmen und Organisationen vom eigenen Angebot zu überzeugen. 349 Vergleiche Lippold (2012, S. 60 f). <?page no="211"?> 212 4 Marketing und Vertrieb 350 In Anlehnung an Homburg (2012, S. 1029 f). www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden Buying-Center-Mitglieder und Rollen bei der Entscheidungsfindung Welche Personen sind Teil des Buying-Centers und welche Rollen nehmen sie ein? Setzt sich das Buying-Center aus unternehmensinternen und -externen Personen zusammen? Welche Personen treffen die kaufmännische und welche die fachliche Entscheidung? Wer nutzt das Produkt beziehungsweise die Dienstleistung? Wer verfügt über das Budget? Konformes und non-konformes Rollenverhalten der Buying-Center-Mitglieder Welchen fachlichen Hintergrund haben die einzelnen Buying-Center-Mitglieder? Können sich die Rollen im Verlauf des Entscheidungsprozesses verändern? Welche Partikularinteressen verfolgen die einzelnen Buying-Center-Mitglieder? Welche Themen haben die einzelnen Personen aktuell auf ihrer Agenda? Welche Personen sind offen für geschäftliche und private Themen und welche nicht? Beziehungsnetz und Machtstrukturen des Buying-Centers Wie sind die Machtverhältnisse im Buying-Center? Welche Personen dominieren die Beschaffungsentscheidung? Warum? Sind die Mitglieder des Buying-Centers vernetzt? Kreuzen sich aktuell die Karrierepfade von einzelnen Personen des Buying-Centers? Entscheidungsfindungsprozess und Entscheidungsfindungsteilschritte Sind die Beschaffungsprozesse formalisiert? Welche Personen sind je Prozessschritt zu kontaktieren oder zu informieren? Müssen Genehmigungen zur Kontaktaufnahme mit Ansprechpartnern eingeholt werden? In welcher Phase des Prozesses treten die Mitglieder des Buying-Centers auf? Beschaffungskriterien und Nutzenerwartungen Existieren Preferred Supplier-Kriterien und wie lauten die Sollwerte? Welche Bedeutung kommt den Kriterien Qualität, Preis und Lieferbedingungen zu? Welche Basis-, Leistungs- und Begeisterungsfaktoren muss das Produkt erfüllen? Wie viele Wettbewerbsangebote werden eingeholt? Welche Qualität oder welche Preise bieten die Wettbewerber? Welchen fachlichen oder emotionalen Nutzen bietet der Anbieter den einzelnen Personen? Wie hilft der Anbieter den Personen, im eigenen Unternehmen gut dazustehen? Beurteilung der Leistungsfähigkeit des Anbieters durch das Buying-Center Wie nehmen die Mitglieder des Buying-Centers die Leistung des Anbieters wahr? Wie wird die Leistung des Anbieters im Vergleich zum Wettbewerb beurteilt? Welche Personen treten als Förderer oder Befürworter des Anbieters auf? Welche Personen treten als Bremser oder Saboteure des Anbieters auf? Tabelle 5: Leitfragen zur Buying-Center-Analyse 350 <?page no="212"?> 4.8 Lösungsorientiertes Verkaufen: OPAL-Methode 213 www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden Weiterführende Hinweise In einigen Arbeiten zum Industriegütermarketing wird auf die Unzulänglichkeiten der Buying-Center-Analyse hingewiesen, die den Anforderungen eines sich rasch wandelnden, internationalen Business-to-Business-Umfeldes nicht mehr gerecht werde. 351 In diesem Zusammenhang wird auf Strukturmodelle oder Interaktionsansätze verwiesen, die aufgrund ihrer Komplexität und ihres zum Teil heuristischen Charakters für praktische Vertriebsfragen allerdings nur begrenzt geeignet sind. Zudem ist fraglich, inwiefern der Soziologie entlehnte Milieu- oder Lebensstilansätze neue Erkenntnisse liefern, da diese letztlich auch in einer Beschreibung von Clustern beziehungsweise Typologien gipfeln, die freilich von Unternehmen zu Unternehmen unterschiedlich ausgeprägt sind, aber für den Praktiker nur einen bescheidenen Erkenntnisgewinn bei der Analyse eines industriellen Zielkunden bieten. Insofern bleibt es für Außendienstmitarbeiter oder Key Account Manager sowohl in der Akquisitionsphase, als auch bei der Kundenentwicklung und Kundenbindung unerlässlich, Kontakte zu einer Vielzahl von Ansprechpartnern in einem Unternehmen aus unterschiedlichen Bereichen zu pflegen und nicht aufgrund der jeweiligen Rolle oder Funktion ein bestimmtes Entscheidungsverhalten vorauszusetzen. Vielmehr ist hinter die Buying-Center-Rolle zu blicken, um im Sinne eines sozialwissenschaftlichen Ansatzes konformes und non-konformes Rollenverhalten zu identifizieren. In der Praxis sollten nicht wenige Personen eines Unternehmens sehr oft kontaktiert, sondern eine Vielzahl von potenziellen Buying-Center-Mitgliedern in das Besuchsmodell aufgenommen werden. Als wichtige Steuerungsgröße im Vertrieb wäre demnach die Anzahl der kontaktierten und im Detail analysierten Buying-Center- Mitglieder in Ergänzung zu den etablierten Kennzahlen 352 zu berücksichtigen. 4.8 Lösungsorientiertes Verkaufen: OPAL-Methode Problemstellung: Kunden- und lösungsorientiertes Gestalten von Verkaufsgesprächen durch Identifikation kundenspezifischer Probleme, Wünsche und Nutzenerwartungen Zielgruppe: Vertriebsleiter, Vertriebsmitarbeiter, Außendienstmitarbeiter, Key Account Manager, Business Development Manager Voraussetzungen: Grundkenntnisse in professioneller Gesprächsführung Zielsetzung der OPAL-Methode Produkte und Dienstleistungen müssen nicht nur konzipiert und an den Bedürfnissen und Wünschen von Kunden ausgerichtet, sondern auch verkauft werden. Verkaufen heißt in der Praxis vielfach, aktuellen oder potenziellen Kunden das Produktportfolio eines Anbieters durch Vertriebsmitarbeiter vorzustellen und darauf zu hoffen, dass dieses Interesse weckt und die Kunden zum Kauf veranlasst. Insofern werden Kunden in Verkaufsgesprächen teilweise mit für sie irrelevanten Informationen konfrontiert, da es Ver- 351 Vergleiche zum Beispiel Kuhn & Zajontz (2011, S. 48 f). 352 Siehe hierzu Schneider & Hennig (2008). <?page no="213"?> 214 4 Marketing und Vertrieb www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden käufer versäumen, Fragen zu stellen anstatt Produktkataloge zu illustrieren oder Powerpoint-Folien durchzuklicken. Erfahrungen aus der Vertriebspraxis belegen, dass selbst langjährige Außendienstmitarbeiter oder Key Account Manager mehr Aussagen treffen als Fragen stellen und damit einer Produktgegenüber einer Kundenorientierung den Vorzug geben. Gleichwohl sollte es das Ziel sein, das Gespräch durch Fragen zu führen und an Kundencharakteristika und Kundenproblemen auszurichten, um auf diese Weise alle für den Verkaufserfolg wesentlichen Informationen zu sammeln. Dies ist insofern bedeutsam, als Kunden - vor allem im Business-to-Business-Bereich - nicht nur auf sie zugeschnittene Produkte und Dienstleistungen, sondern auch eine individualisierte Ansprache im Akquisitionsbeziehungsweise Verkaufsgespräch erwarten. Der Mangel an Kundenorientierung und Kenntnissen über mögliche Probleme und Nutzenerwartungen der potenziellen Nachfrager kann durch zielgerichtete Frage- und Gesprächsführungsmethoden ausgeglichen werden. Ziel der im Folgenden skizzierten OPAL-Methode ist es, das Verkaufsgespräch kundenorientiert zu gestalten, indem auf der Basis von Orientierungs-, Problem- und Auswirkungsfragen mögliche Lösungen in den Mittelpunkt gerückt werden. Beschreibung der OPAL-Methode Kunden wollen in der Regel keine Produkte, sondern Lösungen erwerben. Insofern sollten Verkaufsgespräche zunächst Probleme aufdecken und Bedürfnisse wecken, bevor Produkte beziehungsweise Lösungen vorgestellt werden. Hierzu bietet sich eine von Rackham entwickelte Methode an, in deren Mittelpunkt so genannte SPIN-Fragen stehen, die im Verlauf des Verkaufsprozesses abgearbeitet werden. Das Akronym SPIN steht für Situation questions, Problem questions, Implication questions und Need payoff questions. 353 Im deutschsprachigen Kontext ist nicht von SPIN, sondern von OPAL die Rede. Die einzelnen Buchstaben verweisen auf O Orientierungsfragen, P Problemfragen, A Auswirkungsfragen, L Lösungsfragen. Diese vier Fragetypen werden angewendet, um Kunden durch einen systematischen und sequenziellen Reflexionsprozess zu leiten, an dessen Ende im Idealfall ein Verkaufserfolg steht. 354 Ein lösungsorientiertes Verkaufsgespräch eines IT-Dienstleisters beginnt mit Orientierungsfragen, die sowohl zur Kontaktanbahnung gestellt werden, als auch um Informationen über die aktuelle Situation des Kunden und das entsprechende Unternehmen zu erhalten. Fragen wie „Welche Software haben Sie im Einsatz? “, „Nutzen Sie elektronische Bestellplattformen? “ oder „Welche Wachstumsziele verfolgen Sie in Ihrem Bereich? “ geben dem Verkäufer erste Anhaltspunkte über mögliche Bedarfe des Kunden. Die entsprechenden Antworten bilden die Grundlage für weiterführende Problemfragen, die darauf abzielen, Schwierigkeiten oder Unzufriedenheiten des Kunden und implizite Bedürfnisse aufzudecken. Beispiele für Problemfragen sind: „Bietet Ihnen die Software 353 Siehe Rackham (1988). 354 Vergleiche im Überblick Rentzsch (2008, S. 106 f). <?page no="214"?> 4.8 Lösungsorientiertes Verkaufen: OPAL-Methode 215 www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden alle erforderlichen Anwendungen? “, „Laufen die Programme stabil? “ oder „Wie zufrieden sind Sie mit dem Service Ihres IT-Dienstleisters? “ Vor dem Hintergrund der gegebenen Antworten begehen Verkäufer häufig den Fehler, Fragen zu den Konsequenzen der beschriebenen Probleme zu überspringen und umgehend Lösungen für den vermeintlichen oder tatsächlich artikulierten Bedarf anzubieten. Dabei übersehen sie, dass es sinnvoller und erfolgversprechender ist, Kunden zunächst die Tragweite von Problemen für das Unternehmen oder einen funktionalen Bereich selbst erkennen zu lassen und Bedürfnisse durch zielgerichtete Fragen zu verstärken. Insofern sollten nach der Aufdeckung von Problemen Auswirkungsfragen gestellt werden, die Informationen über mögliche Folgen von Kundenproblemen geben. So könnte beispielsweise gefragt werden: „Welche Kosten verursacht der Ausfall von Programmen? “, „Führen lange Anfahrtszeiten des Kundendienstes zum Ausfall von Maschinen und damit zu Produktionsengpässen? “ und „Was würde passieren, wenn diese Probleme nicht gelöst werden? “ Während Auswirkungsfragen dem Kunden helfen, Probleme präzise zu erfassen, zu durchdringen und deren Ernsthaftigkeit bewusst zu machen, rücken Lösungsfragen die Bedeutung und den Nutzen einer Lösung in den Mittelpunkt. „Würde eine andere Software stabiler laufen? “ oder „Könnte ein neuer IT-Dienstleister aktuelle Engpässe beseitigen? “ Die entsprechenden Antworten liefern Hinweise, inwiefern der Kunde offen für Änderungen ist und in welcher Form Angebote unterbereitet werden können. Zudem bietet diese Art der Gesprächsführung den großen Vorteil, dass der Kunde - durch Fragen geleitet - mögliche Lösungen und deren Nutzen selbst entwickelt und diese daher positiver bewertet, als wenn sie durch einen Verkäufer oder Berater präsentiert worden wären. Auch dieser psychologisch begründbare Umstand spricht für die beschriebene Frage- und Gesprächsmethode und gegen einen produktorientierten Verkaufsansatz, der Kunden bevormundet und diese nicht als Teil eines interdependenten Prozesses betrachtet. Anwendungsbereich und Anwendungsprozess Kunden kaufen nur, wenn sie mit Problemen konfrontiert werden, deren Lösung ökonomischen, sozialen oder psychischen Nutzen stiftet. Insofern sind im Rahmen eines Verkaufsgespräches Probleme und mögliche Nutzendimensionen zu identifizieren und Lösungsvorschläge zu erarbeiten. Der eigentliche OPAL-Prozess beginnt jedoch schon vor dem Akquisitionsgespräch, indem Informationen über den Zielkunden zusammengestellt werden. Die einzelnen Prozessschritte lauten demnach wie folgt: 355 Informationen über den Zielkunden sammeln, Orientierung über die Situation des Kunden verschaffen, Probleme des Kunden aufdecken und Problembewusstsein schärfen, Auswirkungen der Probleme bewusst machen und Bedürfnisse verstärken, Lösungen beziehungsweise Produkte anbieten. Ein Beispiel: Ein international tätiger Kaffeeproduzent verwendet in seiner in Deutschland ansässigen Kaffeerösterei Maschinen, mit deren Hilfe Kaffeebohnen vor der Röstung von Unreinheiten und Fremdkörpern befreit werden. Ein Anbieter dieser 355 Vergleiche im Überblick Rentzsch (2008, S. 98 ff). <?page no="215"?> 216 4 Marketing und Vertrieb www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden Geräte beziehungsweise Anlagen möchte mit dem Produktionsleiter des Kaffeeunternehmens ins Gespräch kommen, um mögliche Verkaufsoptionen auszuloten. In einem ersten Schritt wird sich der Verkäufer einen Überblick über das Unternehmen verschaffen, indem er alle relevanten und verfügbaren Informationen sammelt und verdichtet, um das Gespräch optimal vorzubereiten. Darauf aufbauend wird er eine Gesprächsstrategie entwickeln und versuchen, mögliche Kundenprobleme, Auswirkungen und Nutzenerwartungen zu antizipieren. Zudem wird sich der Verkäufer geeignete Orientierungsfragen notieren, um das Gespräch beispielsweise wie folgt zu beginnen: Verkäufer: Welche Mengen Kaffeebohnen werden an diesem Standort pro Tag gereinigt und verarbeitet? Produktionsleiter: Unsere Reinigungsanlagen verarbeiten pro Tag etwa 20 Tonnen Rohkaffee. Verkäufer: Welche Maschinen setzen Sie für die Reinigung ein? Produktionsleiter: Wir haben uns vor einigen Jahren für einen asiatischen Hersteller entschieden. Verkäufer: Wie erfolgen die Qualitätskontrollen? Produktionsleiter: Im Anschluss an den Reinigungsprozess werden alle Kaffeebohnen über optische Sensoren kontrolliert und gegebenenfalls weitere Fremdkörper aussortiert, bevor die Bohnen für den eigentlichen Röstvorgang vorbereitet werden. In einem nächsten Schritt sollte der Verkäufer versuchen, Kundenprobleme und damit verbundene Lösungsbedürfnisse zu identifizieren. Folgende Problemfragen könnten gestellt werden: Verkäufer: Was passiert, wenn die Qualität nicht in Ordnung ist? Produktionsleiter: Dann muss der Reinigungsprozess wiederholt werden oder die Ausschussmenge erhöht sich. Verkäufer: Wie viel Ausschuss produzieren Sie denn pro Tag? Produktionsleiter: Ich kann Ihnen keine exakte Zahl nennen. Aber es entstehen schon erhebliche Kosten. Der Verkäufer ist nun an einem Punkt angelangt, an dem er ein mögliches Problem - eine gegebenenfalls zu hohe Ausschussmenge - weiter vertiefen kann. Zudem sollte er in Erfahrung bringen, wie bedeutsam das Problem ist und ob daraus ein Kaufbedürfnis resultiert. Durch Auswirkungsfragen kann es dem Verkäufer gelingen, entsprechende Antworten zu provozieren und zu ermitteln, ob ein Bedürfnis existiert, wie groß dieses ist und ob der Nutzen einer neuen Maschine in den Augen des Produktionsleiters die damit verbundenen Kosten übersteigt. Damit würde die Möglichkeit für den Verkauf seines Produktes geschaffen. Der Verkäufer fragt weiter: Verkäufer: Haben Sie durch den Ausschuss Probleme, Ihre Produktions- und Qualitätsziele zu erreichen? Produktionsleiter: Bislang konnte ich diese immer erreichen, aber um unsere aggressiven Wachstumsziele zu realisieren, müssen wir uns hier verbessern. Verkäufer: Würde es Ihnen helfen, wenn Sie eine Anlage zur Verfügung hätten, die den Reinigungsprozess deutlich zuverlässiger gestaltet? Produktionsleiter: Damit wäre mir sicherlich geholfen. <?page no="216"?> 4.8 Lösungsorientiertes Verkaufen: OPAL-Methode 217 www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden Die Reaktionen des Produktionsleiters lassen vermuten, dass der Verkäufer auf einem guten Weg ist, für seine Maschine einen neuen Kunden zu akquirieren. Die beispielhafte Antwort auf die Lösungsfrage „Würde es Ihnen helfen, wenn Sie eine Anlage zur Verfügung hätten, die den Reinigungsprozess deutlich zuverlässiger gestaltet? “ zeigt, dass der Produktionsleiter den Nutzen einer neuen Anlage erkennt und offen für eine weiterführende Diskussion ist. Die nächste Phase des Gespräches sollte der Verkäufer durch weitere Fragen steuern und versuchen, die Bedürfnislücke - also die Differenz zwischen Ist-Zustand und gewünschtem Ideal - dem Kunden noch bewusster zu machen und gegebenenfalls zu vergrößern. Sobald der Produktionsleiter sein Bedürfnis explizit macht, kann der Verkäufer seine Lösung anbieten, die Vorzüge des Produktes herausstellen und den Kunden überzeugen, dass ein Kauf sinnvoll ist. Abbildung 110: Die OPAL-Methode in einfachen und in komplexen Verkaufssituationen 356 Die skizzierte OPAL-Methode eignet sich sowohl in einfachen als auch in komplexen Verkaufssituationen. Der Unterschied besteht darin, dass in einfachen Verkaufssituationen - zum Beispiel beim Kauf neuer Joggingschuhe - eine Lösung bereits angeboten werden kann, wenn der Kunde ein Bedürfnis andeutet. Demgegenüber kommt in komplexen Verkaufssituationen den Auswirkungs- und Lösungsfragen eine größere Bedeutung zu, da beispielsweise beim Kauf eines neuen Maschinenparks das explizit formulierte Bedürfnis vor der Produktdarbietung abgewartet werden sollte. Die Unterschiede der beiden Verkaufssituationen illustriert Abbildung 110. Weiterführende Hinweise Kunden wollen zu einem Kauf nicht gedrängt, überredet oder verleitet werden, sondern Lösungen für ihre Probleme erhalten. Letztere sind Kunden teilweise nicht oder nicht in ihrer vollen Tragweite bewusst. Daher empfiehlt es sich, Kunden durch gezielte Fragen selbst erkennen zu lassen, welche Probleme sie haben, wie bedeutsam diese sind, welche Produkte sich zur Lösung eignen und welchen Nutzen diese stiften. Insofern folgt das lösungsbeziehungsweise kundenorientierte Verkaufen der Maxime: 356 Modifiziert nach Rentzsch (2008, S. 110). Einfache Verkaufssituation Komplexe Verkaufssituation Orientierungsfragen Problemfragen Auswirkungsfragen Lösungsfragen Lösung / Produkt anbieten Implizites Bedürfnis Explizites Bedürfnis <?page no="217"?> 218 4 Marketing und Vertrieb www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden Probleme identifizieren und Bedürfnisse generieren statt Produkte präsentieren. Hierzu eignet sich insbesondere die OPAL-Methode als Gesprächs- und Fragetechnik, wobei die Anwendung keine Verkaufsgarantie bietet. Sie stellt lediglich ein Rahmenkonzept dar, das es ermöglicht, Kunden auf dem Weg zu einer Problemlösung schrittweise zu begleiten und Vertrauen als Voraussetzung für eine erfolgreiche Kundenbeziehung zu schaffen. 4.9 Sachbezogenes Verhandeln: Harvard-Methode Problemstellung: Partnerschaftliche Entwicklung eines fairen und als Win-win empfundenen Interessenausgleichs in Verhandlungssituationen Zielgruppe: Geschäftsführer, Einkaufsleiter, Einkäufer, Vertriebsleiter, Vertriebsmitarbeiter, Außendienstmitarbeiter, Key Account Manager, Business Development Manager Voraussetzungen: Grundkenntnisse in professioneller Gesprächsführung und die Fähigkeit zur empathischen und vorurteilsfreien Kommunikation Zielsetzung der Harvard-Methode Verhandlungssituationen sind Teil des privaten, geschäftlichen und politischen Alltags. Wir verhandeln mit Freunden oder Ehepartnern über das nächste Urlaubsziel und mit Vorgesetzten über Gehaltserhöhungen. Arbeitnehmervertreter verhandeln mit Arbeitgebern über die Gestaltung von Tarifverträgen, Ein- und Verkäufer über den angemessenen Produktpreis und die Euro-Finanzminister über die Aufstockung des Rettungsschirmes für krisengeschüttelte Mitgliedsländer. Im Kern geht es in diesen Verhandlungen um die Bündelung unterschiedlicher Interessen und Sichtweisen, mit dem Ziel, eine Übereinkunft zu erreichen, die für alle Beteiligten zufriedenstellend ist. Verhandlungen führen jedoch häufig zu keinen oder nur zu suboptimalen Ergebnissen, da Verhandlungspartner entweder versuchen, eigene Positionen durchzusetzen und kompromisslos zu verteidigen oder zu nachgiebig sind und eigene Interessen zurückstellen. Beide Verhandlungsarten - sowohl die „harte“ als auch die „weiche“ 357 - vergrößern Konflikte, da es jeweils Sieger und Besiegte gibt. Bei der Verfolgung einer Gewinn-Verlust-Strategie werden die Parteien so lange wettstreiten, bis ein Verhandlungspartner auf der Grundlage kommunikativer oder argumentativer Überlegenheit oder aufgrund von Macht oder Drohungen gewinnt. Zurück bleiben ein Verlierer und gegebenenfalls Rachegelüste. Bei der Verfolgung einer Verlust-Verlust-Strategie werden persönliche Konflikte vermieden und faule Kompromisse eingegangen, um die Beziehung nicht zu gefährden oder Harmonie sicherzustellen. Zurück bleiben zwei Verlierer, da faule Kompromisse in der Regel Nachteile für beide Verhandlungsseiten bieten. 358 357 Vergleiche Fisher, Ury & Patton (2004, S. 20). 358 Vergleiche Fisher, Ury & Patton (2004, S. 19 ff). <?page no="218"?> 4.9 Sachbezogenes Verhandeln: Harvard-Methode 219 www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden Einen Weg aus dem Dilemma zwischen hartem und weichem Verhandeln - und den entsprechenden Mischformen - haben Fisher und Ury in ihrem Harvard-Konzept beschrieben, das auch als Methode des sachbezogenen Verhandelns bezeichnet wird. Ausgangspunkt der Methode war das in den 1980er-Jahren in den USA gestartete Harvard Negotiation Project, in dessen Mittelpunkt die Erforschung verbesserter Verhandlungstechniken und Verhandlungsstrategien stand. 359 Ziel der Methode des sachbezogenen Verhandelns ist es, auf der Basis einer Gewinn-Gewinn-Philosophie einen sach- und nutzenorientierten Interessenausgleich zwischen Verhandlungspartnern herzustellen, ohne persönliche Beziehungen oder partnerschaftliche Strukturen zu gefährden. Dabei wird davon ausgegangen, „dass Verhandlungspartner das beste Ergebnis erzielen, wenn sie die Interessen der jeweiligen Gegenseite verstehen und gemeinsam eine Lösung erarbeiten, die die Interessen beider Seiten so weit wie möglich beinhaltet“ 360 . Beschreibung der Harvard-Methode Verhandeln ist eine kommunikative Tätigkeit, in deren Rahmen Akteure versuchen, trotz unterschiedlicher Bedürfnisse, Sichtweisen und Meinungen zu einer gemeinsamen Lösung zu gelangen. Zwei wesentliche Charakteristika von Verhandlungssituationen sind Interdependenz und Interessendifferenz. Das heißt, Verhandlungspartner sind zum einen voneinander abhängig und aufeinander angewiesen, um ein Resultat zu erzielen. Zum anderen verfolgen die Verhandlungspartner häufig unterschiedliche Ziele, die zunächst offen gelegt und verstanden werden müssen, bevor Möglichkeiten für eine Übereinkunft diskutiert werden können. Verhandlungen spielen sich insofern nicht nur auf einer Sach-, sondern auch auf einer Prozessebene ab, da es sowohl um die Frage des Gegenstandes als auch um die Frage geht, wie mit dem Gegenstand umgegangen werden soll. Letzteres kann positions- oder sachbezogen erfolgen. Beim positionsbezogenen Verhandeln nehmen die Verhandlungspartner klare Positionen ein und versuchen diese mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln zu verteidigen. Ein- und Verkäufer verhandeln beispielsweise positionsbezogen, wenn der Einkäufer gleich zu Beginn des Gespräches einen Rabatt von 15 Prozent einfordert, während der Verkäufer im Gegenzug maximal 5 Prozent in Aussicht stellt. Dieses Feilschen um Positionen, das man von orientalischen Basaren kennt, ist im industriellen Umfeld oftmals ineffizient und verstellt den Blick für mögliche Lösungsalternativen, da sich das Ego der verhandelnden Person mit der vertretenen Position identifiziert und zu einem späteren Zeitpunkt - aufgrund der Gefahr des Gesichtsverlustes - kaum davon abweichen wird. 361 Sachbezogenes Verhandeln beziehungsweise Verhandeln nach der Harvard-Methode bietet gegenüber dem positionsbezogenen Verhandeln zahlreiche Vorteile und die Chance, eine Win-win-Situation für alle Beteiligten zu schaffen. Folgende Grundprinzipien sind kennzeichnend für das Harvard-Konzept: 362 359 Siehe hierzu Fisher & Ury (1982). 360 Fisher & Shapiro (2007, S. 8). 361 Vergleiche Fisher, Ury & Patton (2004, S. 25 ff). 362 Vergleiche im Überblick Fisher, Ury & Patton (2004, S. 43 ff). <?page no="219"?> 220 4 Marketing und Vertrieb www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden Menschen und Probleme sind getrennt voneinander zu behandeln. Interessen und nicht Positionen sind in den Mittelpunkt zu stellen. Vor einer Entscheidung sind verschiedene Optionen zu entwickeln. Die Optionen und das Ergebnis sind anhand neutraler Kriterien zu bewerten. Das erste Prinzip bezieht sich auf die Tatsache, dass Verhandlungspartner rationale und emotionale Wesen sind, die sowohl von Argumenten als auch von Gefühlen geleitet werden. Beide Aspekte werden in Verhandlungen häufig vermischt - mit dem Ergebnis, dass Beziehungsprobleme die zur Diskussion stehenden Sachprobleme überlagern. Daher sollten mögliche Beziehungsprobleme bearbeitet werden, bevor das objektive Sachproblem thematisiert wird, um eine vertrauensvolle Verhandlungssituation zu schaffen, auf deren Grundlage Verteilungskämpfe vermieden werden können, die im Allgemeinen mit Gewinn-Verlust-Resultaten enden. Wichtige Voraussetzungen zur Thematisierung von Beziehungsproblemen sind die wechselseitige Akzeptanz der Verhandlungspartner und eine effektive Kommunikation - also die Fähigkeit, verbale und nonverbale Botschaften richtig kodieren und dekodieren zu können. Der zweite Aspekt weist auf die Notwendigkeit hin, Verhandlungen nicht durch die Einnahme von Positionen in ihrem Verlauf und Ergebnis zu behindern. So dürfte beispielsweise die Verhandlung über den angemessenen Tagessatz eines Unternehmensberaters gleich zu Beginn ins Stocken geraten, wenn der Berater die Forderung „mindestens 1.500 Euro“ und der Einkäufer „höchstens 1.000 Euro“ formulieren würden. Sinnvoller wäre es, wenn die Verhandlungspartner die hinter Positionen liegenden Interessen aufdeckten: Warum ist es dem Einkäufer wichtig, einen bestimmten Tagessatz nicht zu überschreiten? Welche Interessen liegen hinter dieser Position? Welche Bedeutung hat das Erreichen dieses Zieles für den Einkäufer? Welche Interessen verfolgt der Unternehmensberater und warum? Bei der Aufdeckung von Interessen geht es nicht um das Ausräumen von Interessenkonflikten, die Gegenstand der meisten Verhandlungen sind, sondern um das Verstehen und Respektieren von Präferenzen und die Vorbereitung einer Diskussion über Wahlmöglichkeiten. Sachbezogenes Verhandeln versucht, einen Wettstreit der Argumente, Weltsichten und Glaubenssätze zu vermeiden, indem auf der Basis einer funktionierenden Verhandlungsbeziehung und divergierender Interessen Optionen entwickelt werden. Dieses dritte Prinzip setzt voraus, dass Verhandlungspartner bereit sind, Lösungsmöglichkeiten unverbindlich zu diskutieren und deren Nutzen abzuwägen. Dabei erkennen sie, dass der Verhandlungskuchen nicht begrenzt ist und zum Beispiel nicht durch die Summen 1.500 oder 1.000 Euro definiert wird, sondern dass Optionen wie eine langfristige Zusammenarbeit, eine an Erfolgskriterien gebundene Vergütung oder der Einsatz von Juniorberatern mögliche Verhandlungslösungen darstellen könnten. Das vierte Prinzip macht deutlich, dass Interessenkonflikte durch die Berücksichtigung neutraler Kriterien gelöst werden können. Das heißt, zur Bewertung der einzelnen Optionen werden allgemein gültige Normen, Rechtsgrundsätze oder Fairnessstandards herangezogen, die für alle Verhandlungspartner gültig und verbindlich sind. Auf diese Weise kann es gelingen, faire Lösungen zu entwickeln, die für beide Seiten Nutzen stiften, indem die jeweils zentralen Interessen befriedigt werden. Die Bewertung von Handlungsalternativen anhand von objektiven Kriterien bietet den Vorteil, dass Verhandlungspartner eine Lösung erarbeiten und nicht um eine Lösung feilschen, die zu Beginn des Gespräches zum Beispiel in Form von Positionen - 1.500 oder 1.000 Euro <?page no="220"?> 4.9 Sachbezogenes Verhandeln: Harvard-Methode 221 www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden - artikuliert wird. Der Prozess des Erarbeitens von Lösungen ermöglicht es, „hart in der Sache, aber weich gegenüber den Menschen“ 363 zu sein. Diesem Grundsatz folgt das Harvard-Konzept, das sich in zahlreichen ökonomischen und politischen Verhandlungssituationen bewährt hat und im Folgenden an einem konkreten Beispiel dargestellt wird. Anwendungsbereich und Anwendungsprozess Ein promovierter Bereichsleiter eines internationalen Konsumgüterkonzerns plant, die Branche zu wechseln und seine Leidenschaft für Forschung und Lehre durch eine Bewerbung an einer renommierten privaten Hochschule umzusetzen. Die erste Phase des Bewerbungsprozesses und der Berufungsvortrag verlaufen vielversprechend. Lediglich die Gespräche über die zukünftige Vergütung führen sowohl auf Seiten der Hochschulleitung als auch auf Seiten des Bewerbers zu Irritationen. Ein abschließendes Treffen zwischen dem Hochschulpräsidenten und dem Bewerber aus der Industrie soll Klarheit bringen, ob beide Verhandlungspartner zu einer Lösung kommen oder ob eine Zusammenarbeit an den unterschiedlichen Gehaltsvorstellungen scheitert. Unter Berücksichtigung der Prinzipien der Harvard-Methode würde das Verhandlungsgespräch in folgenden, in Abbildung 111 skizzierten Schritten ablaufen: 364 In einem ersten Schritt werden vor der Thematisierung des Sachproblems mögliche Beziehungsprobleme angesprochen, transparent gemacht und sofern möglich gelöst. Dies ist erforderlich, da die oben erwähnten wechselseitigen Irritationen die Diskussion über das Sachproblem überlagern würden. Der Bewerber kann dies vermeiden, indem er beispielsweise zu Beginn des Treffens seine Wahrnehmung der Situation mit folgender Aussage zum Ausdruck bringt: „In unseren zurückliegenden Gesprächen hatte ich den Eindruck, dass das Thema Gehalt zu Irritationen geführt hat. Hatten Sie einen ähnlichen Eindruck? “ Sollte der Hochschulpräsident bereit sein, die Frage zu beantworten und seine Wahrnehmung der Situation zu artikulieren, besteht die Möglichkeit, Unterschiede und Gemeinsamkeiten zu verstehen und auf dieser Basis gegenseitiges Vertrauen aufzubauen. Das Thematisieren von Beziehungsproblemen und Wahrnehmungen veranlasst Verhandlungspartner häufig zu positionsbezogenen Aussagen. So könnte der Hochschulpräsident die Meinung vertreten: „Sie müssen verstehen, dass Hochschulen ein anderes Gehaltsgefüge als Industrieunternehmen haben und daher gewisse Grenzen nicht überschreiten können.“ Der Bewerber würde zum Beispiel erwidern: „Ungeachtet dessen muss ich sicherstellen, dass meine Gehaltseinbußen bei der Annahme einer Professur möglichst gering bleiben.“ Ein Abdriften in einen positionsbezogenen Verhandlungsstil kann vermieden werden, indem die Verhandlungspartner in einem zweiten Schritt versuchen, hinter Positionen liegende Interessen zu erkennen und auszutauschen, um anschließend Lösungsmöglichkeiten für disparate Präferenzen zu erarbeiten. Der Hochschulpräsident dürfte beispielsweise daran interessiert sein, die Gehaltsstruktur seiner Hochschule nicht aus dem Gleichgewicht zu bringen, den Bewerber anhand von Leistungskriterien zu vergüten und sein Verlustrisiko möglichst gering zu halten. Hinter der Position des promovierten Bereichsleiters, Gehaltseinbußen zu minimieren, 363 Fisher, Ury & Patton (2004, S. 21). 364 Vergleiche zu den einzelnen Prozessschritten Fisher & Shapiro (2007, S. 263 f). <?page no="221"?> 222 4 Marketing und Vertrieb www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden verbirgt sich unter Umständen nicht nur der Wunsch nach einer angemessenen Vergütung, sondern auch das Interesse an einer langfristigen Beschäftigungsperspektive und an Zusagen, die geplanten Lehr- und Forschungsaktivitäten durchführen zu können und hierfür gegebenenfalls Unterstützung durch einen Mitarbeiter zu erhalten. Abbildung 111: Die sechs Elemente erfolgreicher Verhandlungen Auf der Grundlage aufgedeckter Interessen werden in einem dritten Schritt Optionen entwickelt, um sowohl die Interessen des Hochschulpräsidenten als auch jene des Bewerbers optimal - im Sinne einer Win-win-Situation - befriedigen zu können. Die einzelnen Handlungsalternativen werden in einem vierten Schritt anhand von Fairnessstandards bewertet, um sicherzustellen, dass wechselseitig akzeptierte, objektive Kriterien und nicht manipulative Gesprächsführungstechniken, Tricks oder Finten einer Verhandlungslösung zugrunde liegen. Verhandlungen müssen nicht zu einem positiven Ergebnis führen, denn beide Verhandlungsparteien haben das Recht, das potenzielle Verhandlungsergebnis mit verfügbaren Alternativen zu vergleichen und abzuwägen, wie entschieden werden soll. Der promovierte Bereichsleiter, der eine Professur ergattern möchte, könnte die Verhandlungsübereinkunft mit dem Hochschulpräsidenten mit seiner besten Ausweichalternative vergleichen - zum Beispiel einer Professur an einer staatlichen oder einer ausländischen Hochschule -, bevor er eine Entscheidung trifft. Die Ausweichalternative, die im englischsprachigen Kontext als BATNA - als Best Alternative To a Negotiated Agreement - bezeichnet wird, sollte nicht zum Aufbau einer Drohkulisse genutzt werden. Mögliche Handlungsalternativen können aber zur Sprache kommen, um die Diskussion über Optionen neu anzuregen. Verhandlungspartner stimmen in einem letzten Schritt einer Verhandlungsübereinkunft zu, wenn die jeweils verfügbaren BATNAs schlechter sind und wenn das verhandelte Ergebnis realisierbar, verbindlich und für beide Seiten fair ist. (1) Beziehung (2) Interessen (3) Optionen (4) Fairnessstandards (6) Zusagen (5) BATNA <?page no="222"?> 4.9 Sachbezogenes Verhandeln: Harvard-Methode 223 Weiterführende Hinweise Die Methode des sachbezogenen Verhandelns kann prinzipiell in allen Verhandlungssituationen angewendet werden. Dabei hat es sich als sinnvoll erwiesen, bereits im Vorfeld einer Verhandlung die einzelnen Prozessschritte gedanklich durchzuspielen, um sich der eigenen Interessen und BATNAs bewusst zu werden und um die möglichen Interessen oder BATNAs der Verhandlungspartner zu antizipieren. Durch eine systematische und an den sechs Elementen erfolgreicher Verhandlungen orientierte Vorbereitung wird die Chance auf eine für beide Seiten zufriedenstellende Lösung vergrößert. Ungeachtet aller vorbereitenden Schritte und methodischen Reflexionen stößt man in der Praxis immer wieder auf schwierige Verhandlungspartner, die aus Furcht, Misstrauen oder falsch verstandenem Konkurrenzverhalten nicht kooperieren können oder wollen. Auch wenn es für diese schwierigen Verhandlungssituationen kein Patentrezept gibt, kann unter Berücksichtigung der zentralen Aspekte der Harvard-Methode eine Annäherung erzielt werden, indem man zum Beispiel die Wahrnehmungen und Interessen aufdeckt, die hinter einer Sieger-Verlierer-Mentalität stecken. Zudem kann man im Rahmen der Diskussion über Optionen den Versuch unternehmen, das Spiel der Gegenseite zu ändern und einen einheitlichen Rahmen und damit verbundene Regeln zu finden. Schließlich kann man auch die in Kapitel 4.8 diskutierte OPAL- Methode anwenden, um die Gegenseite beispielsweise erkennen zu lassen, welche Auswirkungen ein negatives Verhandlungsergebnis hätte. <?page no="224"?> www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden 5 Strategische Analyse Strategien fallen nicht vom Himmel, sondern müssen entwickelt werden. 365 Sie sind wegweisend für die Zukunft eines Unternehmens, da sie beschreiben, was zu tun ist, um ein vorgegebenes Ziel zu erreichen. Wie sollen beispielsweise traditionelle Automobilhersteller angesichts des wachsenden Umweltbewusstseins breiter Bevölkerungsschichten vorgehen, um weiterhin erfolgreich zu sein? Durch welche Strategie kann ein Computerhersteller sinkende Umsätze im Hard- und Softwaregeschäft ausgleichen und den Markt für Unterhaltungselektronik besetzen? Was sollte eine Hochschule tun, um die Organisation langfristig auf Erfolg auszurichten: den Fokus auf industrielle Forschung oder auf herausragende Lehre richten und eher Bachelor- oder Masterstudiengänge anbieten? All diese Fragen verweisen auf Maßnahmen zur Erreichung von Zielen und damit auf die Entwicklung und Veränderung von Unternehmen. Die Definition und Umsetzung möglichst zielgerichteter und koordinierter strategischer Aktivitäten basieren auf einem systematischen Analyse- und Planungsprozess. Im Rahmen dieses Prozesses wird die Ausgangssituation von Unternehmen bestimmt, indem man vor dem Hintergrund der Vision und Mission die Chancen und Risiken des Umfeldes sowie die Stärken und Schwächen des Unternehmens untersucht. Wie in Abbildung 112 dargestellt, bildet die Umfeldbeziehungsweise externe Analyse und die Unternehmensbeziehungsweise interne Analyse das Herzstück der Strategieentwicklung. Abbildung 112: Prozess der strategischen Analyse, Planung, Umsetzung und Kontrolle Die externe Analyse verfolgt das Ziel, alle relevanten Umweltbedingungen zu identifizieren, um Produkte, Dienstleistungen und Prozesse eines Unternehmens an die Markt-, 365 Zur Kritik an der Vorstellung, dass Strategien Ergebnis eines rational-analytischen Entwicklungsprozesses sind, vergleiche zum Beispiel Mintzberg, Ahlstrand & Lampel (2012). Externe Analyse Aggregation (SWOT) Interne Analyse Strategieimplementierung Vision, Mission Gesamtunternehmensstrategie Geschäftsbereichsstrategie Funktionalstrategie Strategieerfolgskontrolle Rückkopplung (Feedback) (1) Strategische Analyse (2) Strategische Planung (3) Strategische Umsetzung (4) Strategische Kontrolle <?page no="225"?> 226 5 Strategische Analyse www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden Wettbewerbs- und Kundenspezifika anzupassen. Mit Hilfe der im Folgenden diskutierten Umwelt-, Branchenstruktur- oder Wettbewerbsvorteilsanalyse und der in Kapitel 4 beschriebenen Kundenanalyse kann man Chancen und Risiken sowie die Position eines Unternehmens im Markt, in der Branche und gegenüber Wettbewerbern und Kunden bestimmen. Welche Bedingungen man dabei als Chance und welche als Risiko klassifiziert, hängt unmittelbar von den internen Stärken und Schwächen eines Unternehmens ab. Stehen einer Organisation beispielsweise umfangreiche personelle und finanzielle Ressourcen zur Verfügung, können gegebenenfalls Umweltrisiken ausgeglichen und existierende Chancen genutzt werden. Inwiefern dies möglich ist, zeigen die Ergebnisse der Unternehmensbeziehungsweise internen Analyse. Die interne Analyse nimmt Ressourcen, Fähigkeiten und Kompetenzen eines Unternehmens in den Blick, identifiziert Stärken und Schwächen und bietet die Chance, in Abstimmung mit den Umweltbedingungen Maßnahmen zur Verbesserung der strategischen Position abzuleiten. Die Wertketten-, Produktlebenszyklus- oder Erfahrungskurvenanalyse, die in der zweiten Hälfte dieses Kapitels vorgestellt werden, liefern die erforderlichen Informationen, um interne Probleme aufzudecken und deren Ursachen zu ermitteln. Die Methoden zeigen, welche Prozesse, Wertschöpfungsstufen oder Portfolioelemente im Vergleich zum Wettbewerb und mit Blick auf die Anforderungen von Kunden optimiert werden müssen. Die Ergebnisse der externen und internen Betrachtung werden mit einer SWOT-Analyse zusammengeführt und in strategische Handlungsoptionen übersetzt. Die SWOT-Analyse bildet insofern die Brücke zwischen strategischer Analyse, strategischer Planung und Strategieformulierung. Anknüpfend an die Entwicklung von Unternehmens-, Geschäftsbereichs- oder Funktionalstrategien sind diese umzusetzen und im Unternehmen zu implementieren. Das heißt, die Strategie muss in Teilstrategien und Einzelmaßnahmen zerlegt, die Organisation für die Implementierung vorbereitet und das erforderliche Personal bereitgestellt werden. Ein wesentlicher Erfolgsfaktor ist dabei die adäquate Kommunikation der Strategie auf allen Unternehmensebenen, da man alle betroffenen Mitarbeiter mit den entsprechenden Zielen und Aktivitäten vertraut machen sollte, um Motivation und Veränderungswillen zu schaffen. Schließlich ist der Erfolg einer Strategie bereits im Verlauf der Umsetzung mit Hilfe geeigneter Methoden und Techniken zu überprüfen, um bei Fehlentwicklungen oder geänderten Marktbedingungen gegensteuern zu können. Die Erfahrungen mit der so genannten New Economy sowie mit der jüngsten Finanzkrise haben eindrucksvoll belegt, dass eine Durchführungs- und Prämissenkontrolle sowie eine kontinuierliche Kontrolle der strategischen Potenziale erforderlich sind, damit Unternehmen auf dem Weg von der Strategieentwicklung zur Strategieumsetzung nicht ins Stocken oder in Schieflage geraten. Insofern sollten alle vier Phasen des Strategieprozesses gleichermaßen berücksichtigt und mit Hilfe bewährter betriebswirtschaftlicher Methoden ausgestaltet werden: Zielbildung und strategische Analyse, Strategische Planung, Strategieumsetzung, Strategische Kontrolle. Im Mittelpunkt des vorliegenden Kapitels stehen Methoden, die der ersten Phase zugeordnet werden können, während Kapitel 6 Methoden der strategischen Planung, der Strategieumsetzung und der strategischen Kontrolle beinhaltet. <?page no="226"?> 5.1 Umweltanalyse 227 www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden 5.1 Umweltanalyse Problemstellung: Identifikation und Analyse aktueller und potenzieller Makrobedingungen und Trends zur Bestimmung der Attraktivität nationaler und internationaler Märkte Zielgruppe: Marketing- und Internationalisierungsverantwortliche, Marktforscher, Business Development Manager Voraussetzungen: Beschaffung von Primär- und Sekundärdaten zu politischen, ökonomischen, sozio-kulturellen und technologischen Einflussfaktoren Zielsetzung der Umweltanalyse In den zurückliegenden Jahren hat sich das wirtschaftliche Umfeld von Unternehmen verändert, indem eine nationale Grenzen überwindende Wirtschaftsordnung mit international vernetzten Märkten entstanden ist. Dieser Prozess, der mit Stichworten wie Globalisierung 366 und Internationalisierung charakterisiert wird, stellt Unternehmen vor neue Herausforderungen. Insbesondere Exportnationen wie Deutschland sehen sich mit neuen Marktstrukturen und Marktteilnehmern konfrontiert, die längst nicht mehr nur national, sondern international und global miteinander konkurrieren. Insofern hängt der Unternehmenserfolg immer mehr davon ab, in den Boomregionen der Weltwirtschaft - zum Beispiel in den Wachstumsmärkten in Brasilien, Russland, Indien oder China - präsent zu sein 367 und gleichzeitig die Wettbewerbsposition auf heimischen Märkten zu sichern. Voraussetzung für derartige Internationalisierungs- und Positionierungsstrategien ist die genaue Kenntnis der Chancen und Risiken der jeweiligen Zielmärkte sowie der ökonomischen, politischen, gesellschaftlichen oder kulturellen Kräfte, die dort wirken. Ziel der Umweltbeziehungsweise der PESTEL-Analyse ist es, die Einflüsse eines Marktes und damit die Rahmenbedingungen eines Unternehmens auf einer Makroebene zu untersuchen. Die Informationen der globalen Umweltanalyse sind für die Wahl einer Strategie oder Strategienkombination relevant und dienen als erster Baustein bei der Strategieentwicklung. Neben der Analyse der Umwelt sind auch die internen Stärken und Schwächen eines Unternehmens in den Blick zu nehmen, die als zweiter Baustein der Strategieentwicklung Auskunft darüber geben, ob Unternehmen die Ressourcen besitzen, die selbst gesteckten Ziele in den jeweiligen Umwelten zu erreichen. 368 Hierzu kann zum Beispiel auf die in den Kapiteln 5.6 und 5.8 diskutierten Methoden der Wertketten- oder der Produktlebenszyklusanalyse zurückgegriffen werden. 366 Zu den Theorien der Globalisierung siehe zum Beispiel Rehbein & Schwengel (2008). 367 Neben den BRIC-Ländern - Brasilien, Russland, Indien und China - rückten in jüngerer Vergangenheit immer mehr die so genannten MIST-Länder - Mexiko, Indonesien, Südkorea und die Türkei - aufgrund der beachtlichen Steigerungsraten der jeweiligen Bruttoinlandsprodukte in den Mittelpunkt des Interesses. 368 Vergleiche Müller-Stewens & Lechner (2011, S. 154 ff). <?page no="227"?> 228 5 Strategische Analyse www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden Beschreibung der Umweltanalyse Im Rahmen der strategischen Analyse versuchen Unternehmen, alle relevanten Informationen mit dem Ziel zu beschaffen, eine Strategie zu formulieren und auszuwählen, mit deren Hilfe eine Anpassung des Unternehmens an die Umwelt erzielt werden kann. Dieser so genannte Strategie-Fit stellt eine wesentliche Voraussetzung für die langfristige Überlebenssicherung von Organisationen dar. Damit dies gelingt, ist in einem ersten Schritt eine Umweltanalyse durchzuführen, die in zwei Stufen unterteilt werden kann: Auf der ersten Stufe ist die globale Umweltanalyse angesiedelt, die allgemeine Umweltfaktoren zum Gegenstand hat, während die spezifische Umweltanalyse auf der zweiten Stufe die so genannte Aufgabenumwelt eines Unternehmens wie Lieferanten, Kunden oder Wettbewerber in den Blick nimmt. Bei der PESTEL-Analyse handelt es sich um eine globale Umweltanalyse, in deren Rahmen das Umfeld von Unternehmen in die Bereiche Politik, Wirtschaft, Soziokultur, Technologie, Ökologie und Recht unterteilt wird, wobei sich das Akronym PES- TEL aus den Anfangsbuchstaben der englischsprachigen Umfeldfaktoren Political, Economic, Sociocultural, Technological, Ecological und Legal ableitet. In der Praxis wird die Untersuchung des unternehmensrelevanten Umfeldes häufig nur als PEST-Analyse durchgeführt, wobei sich in vielen Fällen gezeigt hat, dass eine Erweiterung um ökologische und rechtliche Faktoren sinnvoll ist, um ein vollständiges Bild der Rahmenbedingungen und Trends zu erhalten, welche die Möglichkeiten der Geschäftstätigkeit von Unternehmen beeinflussen. 369 Die Faktoren der globalen Umweltanalyse bilden einen Handlungsrahmen, an den sich Unternehmen anpassen müssen, da dieser durch aktive Maßnahmen nur unwesentlich beeinflusst werden kann. Die einzelnen, von Farmer und Richman 370 in die Diskussion gebrachten und in Abbildung 113 aufgeführten PESTEL-Aspekte können wie folgt beschrieben werden: 371 Politische Umweltfaktoren beeinflussen Unternehmen auf vielfältige Weise und umfassen Aspekte wie die Stabilität eines staatlichen Systems und seiner Organe, politische Ideologien und wirtschaftspolitische Grundsätze. Bei der Analyse internationaler Handlungsumwelten stellen insbesondere die Verlässlichkeit und Berechenbarkeit der politischen Akteure, Organisationen und Institutionen wichtige Rahmenbedingungen dar, die den Erfolg oder Misserfolg einer Strategie mitbestimmen. Ökonomische Umweltfaktoren beschreiben die Bedingungen auf den Güter- und Faktormärkten, also den Märkten für Waren, Dienstleistungen, Kapital und Arbeit. Um gesamtwirtschaftliche Entwicklungen zu bestimmen, werden Aspekte wie das Bruttoinlandsprodukt, die Bevölkerungsstruktur, die Inflationsrate, Wechselkurse, das Pro-Kopf-Einkommen, die Arbeitslosenquote, die Investitionsentwicklung und die öffentlichen Finanzen berücksichtigt. Soziokulturelle Umweltfaktoren können zum Teil direkt ermittelt, zum Teil jedoch nur indirekt erschlossen werden. Mit Hilfe empirischer Primär- oder Sekundäranalysen lassen sich beispielsweise die Konsumgewohnheiten, das Freizeitverhalten oder 369 Vergleiche Fink (2009, S. 251 ff) und Welge & Al-Laham (2012, S. 289 ff). 370 Siehe Farmer & Richman (1965). 371 Vergleiche Johnson, Scholes & Whittington (2011, S. 80). <?page no="228"?> 5.1 Umweltanalyse 229 www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden die Einstellungen gegenüber Produkten, Dienstleistungen oder Institutionen aufdecken. Demgegenüber entziehen sich Aspekte wie Werte, Normen und religiöse Überzeugungen oder Vorstellungen über Schönheit, Wahrheit, Gerechtigkeit und Freiheit einer direkten Bestimmung, da diese Faktoren - gemäß dem zur Erklärung kultureller Differenzen verwendeten Eisberg-Modell 372 - unsichtbar sind beziehungsweise unterhalb der Wahrnehmungsoberfläche liegen. Technologische Umweltfaktoren haben in der jüngeren Vergangenheit durch Innovationen in der Informations- und Kommunikationstechnologie an Bedeutung gewonnen und neue Möglichkeiten der Effizienzsteigerung geschaffen. Neben Veränderungen in der Mikroelektronik, der Biotechnologie, der Energiewirtschaft oder der Logistik üben auch Aspekte wie die Verfügbarkeit von Rohstoffen oder Infrastruktureinrichtungen und der Automatisierungs- und Technisierungsgrad eines Landes einen Einfluss auf die jeweilige Wertschöpfung von Unternehmen aus. Abbildung 113: Faktoren der globalen Umweltanalyse Ökologische Umweltfaktoren spielen für zahlreiche Unternehmen bislang nur eine untergeordnete Rolle. Kriterien wie Umweltverschmutzung, Klimaveränderung oder Ressourcenverfügbarkeit dürften jedoch in Zukunft bedeutsamer werden und Unternehmen dazu bewegen, umweltfreundliche Herstellungsverfahren und Produkte zu entwickeln. Organisationen, denen es gelingt, mit der begrenzten Ressource Umwelt effizient umzugehen und die sich vor dem Hintergrund eines gestiegenen Umweltbewusstseins als grünes Unternehmen positionieren, werden im nationalen und internationalen Kontext Wettbewerbsvorteile erzielen. Rechtliche Umweltfaktoren variieren national und international und stellen Restriktionen unternehmerischen Handelns dar. Dazu zählen beispielsweise Vorschriften, die bei der Unternehmensgründung und Unternehmensübernahme oder beim Unternehmenszusammenschluss berücksichtigt werden müssen. Weitere Aspekte werden durch die Steuer-, Tarif- und Beschäftigungsgesetze oder durch Wettbewerbsregelungen und Haftungsbestimmungen festgelegt. 372 Vergleiche zum Beispiel Rothlauf (2009, S. 25). Politische Umweltfaktoren Wirtschaftliche Umweltfaktoren Soziokulturelle Umweltfaktoren Technologische Umweltfaktoren Ökologische Umweltfaktoren Rechtliche Umweltfaktoren − Politische Stabilität − Wirtschaftspolitik − Wettbewerbspolitik − Handelsbeschränkungen − Subventionen − Wirtschaftswachstum − Inflationsrate − Wechselkurse − Pro-Kopf- Einkommen − Arbeitslosenquote − Konsumgewohnheiten − Lebensstile − Werte und Normen − Einstellungen − Religion − Informations- und Kommunikationssysteme − Rohstoffverfügbarkeit − Infrastruktur − Automatisierungsgrad − Produktentwicklungszeiten − Umweltverschmutzung − Energieverbrauch − Rohstoffausbeutung − Klimatische Bedingungen − Gesetzgebung − Steuerrichtlinien − Wettbewerbsregelungen − Handelsgesetze − Umweltauflagen Faktoren der globalen Umweltanalyse <?page no="229"?> 230 5 Strategische Analyse www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden Bei der Durchführung einer Umweltanalyse ist darauf zu achten, dass die einzelnen Faktoren mit Blick auf ihre Bedeutung und Wirkung analysiert und nicht nur beschrieben werden. Denn eine systematische Analyse unterscheidet sich von einer oberflächlichen Beschreibung vor allem hinsichtlich der Nutzbarkeit für die Strategieentwicklung. Mit Blick auf die Strategieentwicklung und Strategieformulierung und die unternehmensinternen Ressourcen sollten zudem Datenfriedhöfe vermieden und nur die relevanten unternehmensexternen Faktoren berücksichtigt werden. Bei der Trennung in relevante und irrelevante Umweltaspekte können die Unternehmensziele als Filter dienen, indem für die einzelnen Faktoren geprüft wird, ob deren aktuelle oder zukünftige Ausprägungen die Sach- oder Leistungsziele einer Organisation beeinflussen. Ist dies der Fall, sind die entsprechenden Faktoren als bedeutsam zu klassifizieren und in die Analyse aufzunehmen. 373 Anwendungsbereich und Anwendungsprozess Immer mehr Unternehmen sind nicht nur auf heimischen Märkten, sondern grenzüberschreitend tätig. Zur Auswahl der richtigen Zielmärkte kann erfahrungs- oder marktforschungsorientiert vorgegangen werden. Bei einer marktforschungsorientierten Marktauswahl werden die attraktivsten Auslandsmärkte in einem mehrstufigen Prozess ermittelt, an dessen Anfang die Umweltbeziehungsweise PESTEL-Analyse steht. 374 Verfolgt beispielsweise ein Unternehmen das Ziel, neue Absatzmöglichkeiten außerhalb des Heimatmarktes zu erschließen, können in einem ersten Schritt alle relevanten Umweltfaktoren ausgewählter Zielländer ermittelt und bewertet werden, um darauf aufbauend eine Grobauswahl zu treffen. Dieses Vorgehen schafft eine objektive und valide Entscheidungsgrundlage für die Geschäftsführung. Die PESTEL-Analyse für ein Unternehmen könnte dabei in folgenden Schritten ablaufen: Bestimmung aller Umweltfaktoren, die das Unternehmen beeinflussen, Priorisierung der berücksichtigten Umweltfaktoren, Festlegung von Gewichtungsfaktoren für die wichtigsten Umweltfaktoren, Auswertung der Umweltfaktoren und Bestimmung der attraktivsten Zielländer. Im ersten Schritt werden alle PESTEL-Aspekte für die einzelnen Länder gesammelt, die aktuell oder in Zukunft einen Einfluss auf ein Unternehmen ausüben. Diese werden in einem zweiten Schritt priorisiert, um Komplexität zu reduzieren, aber auch, um sicherzustellen, dass nur jene Faktoren Berücksichtigung finden, die den Unternehmenserfolg maßgeblich bestimmen. Die als wichtig klassifizierten Umweltfaktoren werden in einem dritten Schritt mit Gewichtungsfaktoren versehen, deren Summe 1 beziehungsweise 100 Prozent ergeben muss. Mit Hilfe der Gewichtungsfaktoren kann die Bedeutung der einzelnen Kriterien differenziert werden, da zum Beispiel soziokulturelle Aspekte für ein Unternehmen bedeutsam sein dürften, den Unternehmenserfolg jedoch nicht in gleicher Weise bestimmen wie ökonomische oder politische Faktoren. Die ausgewählten und mit Gewichtungsfaktoren versehenen PESTEL-Faktoren werden in einem letzten Schritt analysiert, um objektive Werte für die einzelnen Länder zu erhalten, die wiederum zur Bestimmung des attraktivsten Zielmarktes dienen. 373 Vergleiche Welge & Al-Laham (2012, S. 289). 374 Vergleiche Neubert (2006, S. 90 ff). <?page no="230"?> 5.1 Umweltanalyse 231 www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden Kriterien G Land 1 Land 2 Land 3 Land N B G x B B G x B B G x B B G x B Politische Umweltfaktoren Handelshemmnisse … Wirtschaftliche Umweltfaktoren Marktpotenzial … Soziokulturelle Umweltfaktoren Kommunikation / Sprache … Technologische Umweltfaktoren Anzahl Logistikdienstleister … Ökologische Umweltfaktoren Emissionsregelungen … Rechtliche Umweltfaktoren Besteuerungsrichtlinien … G = Gewichtungsfaktor; B = Bewertung (zum Beispiel: 1 = sehr gut und 5 = sehr schlecht); G x B = gewichtete Bewertung Tabelle 6: Beispielhafte PESTEL-Analyse zur Länderauswahl Tabelle 6 zeigt eine beispielhafte PESTEL-Analyse. Die aufgeführten Kriterien können weiter differenziert werden, indem man jeden Faktor beispielsweise in seiner aktuellen und in seiner prognostizierten Ausprägung betrachtet. Die PESTEL-Analyse bietet Unternehmen die Möglichkeit, eine Übersicht aller externen Einflussfaktoren zu erhalten. Zudem kann sie als Grundlage eines Marktinformationssystems dienen, welches im englischsprachigen Kontext als Market Monitoring System bezeichnet wird. Insofern ist es empfehlenswert, Umweltfaktoren aktueller und potenzieller Zielmärkte nicht nur bei Bedarf, sondern in definierten Zyklen zu erheben, zu dokumentieren und auszuwerten. Eine methodisch einheitliche und auf Kontinuität angelegte Erfassung markt- und wachstumsrelevanter Daten schafft die Voraussetzung für empirisch abgesicherte Länder- und Regionenvergleiche und damit die Chance, erfolgreiche Internationalisierungs- und Wachstumsstrategien zu entwickeln. <?page no="231"?> 232 5 Strategische Analyse www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden Weiterführende Hinweise Die globale Umweltanalyse ist eine Methode, die typischerweise in Kombination mit weiteren Methoden zur Anwendung kommt, da eine isolierte Betrachtung der Makrodaten nur begrenzt aussagekräftig ist. Die Aussagekraft wird in der Praxis noch weiter eingeschränkt, wenn zu viele Faktoren berücksichtigt und oberflächlich ausgewertet werden oder wenn die Bewertung erfahrungs- und nicht datenorientiert erfolgt. Bei korrekter Durchführung bietet die PESTEL-Analyse wertvolle Hinweise zur strategischen Ausgangslage von Unternehmen - insbesondere, wenn sie um eine Branchenstruktur- und um eine Wettbewerbsvorteilsanalyse ergänzt wird, die im Mittelpunkt der Kapitel 5.2 und 5.3 stehen. 5.2 Branchenstrukturanalyse Problemstellung: Identifikation und Analyse unternehmensexterner Einflussfaktoren zur Bestimmung der Attraktivität und Renditechancen einer Branche Zielgruppe: Marketing-, Vertriebs- und Internationalisierungsverantwortliche, Marktforscher, Business Development Manager Voraussetzungen: Beschaffung von Primär- und Sekundärdaten zu allen wettbewerbsrelevanten Aspekten eines abgegrenzten Geschäftsfeldes oder einer klar definierten Branche Zielsetzung der Branchenstrukturanalyse Wer sich in einem Markt erfolgreich positionieren will, darf das Augenmerk nicht nur auf die Kräfte des Makroumfeldes richten, die mit Hilfe der in Kapitel 5.1 diskutierten Umweltanalyse ermittelt werden können. Es sind auch die Kräfte des Mikroumfeldes wie Lieferanten, Kunden oder Wettbewerber zu untersuchen, welche die Attraktivität einer Branche maßgeblich bestimmen. Das heißt, vor der Entscheidung, in welchen Geschäftsfeldern ein Unternehmen tätig sein soll, ist zu klären, welche Rolle Lieferanten zukommt und ob diese in ausreichender Zahl und Qualität zur Verfügung stehen. Zudem ist zu prüfen, welchen Nutzen das Unternehmen für die Kunden stiftet und ob diese von dem Leistungsangebot Gebrauch machen werden. Die Möglichkeit, Gewinne zu erwirtschaften, hängt schließlich auch von der Art und Anzahl der Wettbewerber ab, die vergleichbare Produkte oder Dienstleistungen erstellen. Diese Faktoren - Lieferanten, Kunden und Wettbewerber - konstituieren die Branchenumwelt eines Unternehmens. Dabei wird unter einer Branche eine Gruppierung von Unternehmen verstanden, die Produkte herstellen, die aus Sicht des Kunden - wie in der Automobil- oder Elektronikbranche - einen ähnlichen Nutzen bieten und daher untereinander austauschbar sind oder - wie in der Chemie- oder Stahlbranche - vergleichbare Rohstoffe zur Produktion einsetzen. Das Ziel der Branchenstrukturanalyse besteht darin, die in einer Branche herrschenden Wettbewerbskräfte aufzudecken, um entscheiden zu können, in welchen Geschäftsfeldern ein Unternehmen, mit welchen Ressourcen und welcher Wettbewerbsstrategie vertreten sein will. 375 375 Vergleiche Grant (2010, S. 64 ff) und Thommen (2008, S. 110). <?page no="232"?> 5.2 Branchenstrukturanalyse 233 www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden Beschreibung der Branchenstrukturanalyse Die bekannteste und wohl einflussreichste Methode zur Untersuchung der Branchenstruktur stammt von Porter, der fünf Kräfte - die so genannten Five Forces - unterscheidet: 376 die Verhandlungsmacht der Zulieferer, die Bedrohung durch neue Wettbewerber, die Verhandlungsmacht der Abnehmer, der Einfluss von alternativen Produkten - also von so genannten Substitutionsgütern - und der Konkurrenzdruck unter den vorhanden Wettbewerbern im Markt. Ausgangspunkt des in Abbildung 114 dargestellten Five-Forces-Modells ist die Frage, wie attraktiv eine Branche ist und welche Renditechancen diese bietet. Dabei wird auf Überlegungen der Industrieökonomik zurückgegriffen: Ein Unternehmen schafft Wert, wenn Kunden einen Preis zu zahlen bereit sind, der die Herstellungskosten übersteigt. Der erzielbare Mehrwert ist jedoch nicht mit dem erzielbaren Gewinn gleichzusetzen - es sei denn, es handelt sich um einen monopolistischen Markt. In nicht-monopolistisch strukturierten Märkten beziehungsweise Branchen sind die Höhe und die Aufteilung des Mehrwerts davon abhängig, wie intensiv der Wettbewerb ist. Existiert eine Vielzahl von Konkurrenten wird der Kunde den größten Teil des Mehrwerts als Konsumentenrente erhalten, während die Produzentenrente entsprechend geringer ausfällt. Anders formuliert: Ein einzelner Telekommunikationsanbieter kann in einem monopolistischen Markt einen höheren Preis erzielen als in einem liberalisierten, in dem zahlreiche Anbieter um die Gunst der Kunden werben. Die Branchenrendite ist jedoch nicht nur vom Wettbewerb und der Kundennachfrage abhängig, sondern auch von der Verfügbarkeit von Ersatzprodukten und der Machtposition der Lieferanten. 377 Porter nutzt diese Erkenntnisse und kombiniert die einzelnen Faktoren in einem Fünf-Kräfte-Modell, dessen Elemente wie folgt beschrieben werden können: 378 Die Verhandlungsmacht der Zulieferer ist groß, wenn diese beispielsweise innovative Produkte oder Technologien anbieten, für die keine Substitute existieren. Eine gute Verhandlungsposition ergibt sich auch durch eine Konzentration der Lieferanten oder durch hohe Wechselkosten auf der Abnehmerseite. Demgegenüber steigen die Gewinnspielräume der Beschaffungsunternehmen mit der Verfügbarkeit von Alternativprodukten oder Alternativzulieferern, mit der Möglichkeit zur Rückwärtsintegration, indem unternehmerische Aktivitäten auf vorgelagerte Fertigungsstufen ausgedehnt und profitabel gestaltet werden oder durch einen Bedeutungsverlust der betroffenen Inputgüter im Rahmen der Wertschöpfung. Die Bedrohung durch neue Wettbewerber variiert mit der Höhe der Markteintrittsbarrieren und mit den erzielbaren Renditen in einer Branche. Das heißt, je geringer die Eintrittsbarrieren und je größer die Attraktivität einer Branche, desto wahrscheinlicher ist das Auftreten neuer Anbieter. Markteintrittsbarrieren stellen insofern einen wirksamen Schutz vor Neuankömmlingen dar, durch deren Aktivität die durchschnittlichen Gewinne der einzelnen Branchenunternehmen sinken würden. Typische Eintrittsbarrieren sind Economies of Scale, die sich aus hohen Produktionskapazitäten ergeben, der Zugang zu Lieferanten- und Vertriebsnetzen, eine hohe Kundenzufriedenheit und 376 Siehe Porter (2008). 377 Vergleiche Grant & Nippa (2006, S. 100 f). 378 Vergleiche im Überblick Fink (2009, S. 177 ff) und Johnson, Scholes & Whittington (2011, S. 87 ff). <?page no="233"?> 234 5 Strategische Analyse www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden Kundenloyalität oder die glaubhafte Drohung der bestehenden Konkurrenten, einen Markteintritt mit Preiskriegen oder aggressiven Marketingkampagnen zu beantworten. Eintrittsbarrieren können auch vom Gesetzgeber durch Patente oder Zölle geschaffen oder durch Deregulierung - wie in der jüngeren Vergangenheit in Deutschland in den Bereichen Telekommunikation, Energie und Verkehr - abgebaut werden. Abbildung 114: Five-Forces-Modell 379 Die Verhandlungsmacht der Abnehmer ergibt sich aufgrund ähnlicher Faktoren wie bei den Zulieferern: Der Gewinnspielraum von Unternehmen reduziert sich, wenn Abnehmer konzentriert auftreten und wenn Substitute verfügbar oder die Wechselkosten gering sind. Demgegenüber sinkt der Einfluss der Abnehmer, wenn Anbieter zum Beispiel Möglichkeiten der Vorwärtsintegration nutzen und ihre Wertschöpfungskette verlängern und sich in Richtung Endverbraucher bewegen können. Bei der Analyse der Abnehmermacht ist zu unterscheiden, ob es sich um Käufer auf einer Zwischenstufe der Branchenwertkette oder um Endverbraucher handelt. Letztere verfügen im Allgemeinen über weniger Verhandlungsmacht als Zwischenhändler oder weiterverarbeitende Unternehmen im Business-to-Business-Bereich. Die Industriegeschichte hält zahlreiche Beispiele bereit, die den Einfluss von alternativen Produkten verdeutlichen: So verdrängte beispielsweise die Compact Disc ab den 1980er-Jahren die Audiokassette, während die Umsätze von Compact Discs seit einigen Jahren aufgrund der zunehmenden Nutzung von Musik aus dem Internet im MP3- Format rückläufig sind. Die Bedrohung durch Substitutionsgüter ist besonders groß, wenn diese leicht zugänglich sind und einen vergleichbaren oder sogar einen höheren Kundennutzen bei ähnlichen Kosten aufweisen. Die Wettbewerbsrivalität beziehungsweise der Konkurrenzdruck unter den vorhandenen Wettbewerbern im Markt werden durch die beschriebenen und in Abbildung 114 mit Pfeilen versehenen Faktoren beeinflusst. Die Wettbewerbsrivalität wird zudem durch weitere Aspekte wie das Wachstum einer Branche oder die Kapazitätsauslastung be- 379 Modifiziert nach Porter (2004, S. 51). Verhandlungsmacht der Zulieferer Bedrohung durch neue Konkurrenten Bedrohung durch Substitutionsgüter Verhandlungsmacht der Abnehmer Wettbewerbsrivalität <?page no="234"?> 5.2 Branchenstrukturanalyse 235 www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden stimmt. Sind zum Beispiel die Wachstumsraten einer Branche gering, steigt der Wettbewerb. Preiskämpfe und sinkende Margen sind die Folge. Ähnliche Effekte können sich in schrumpfenden Branchen ergeben, in denen Kapazitäten frei werden und die Wettbewerbsdynamik verschärfen, da Unternehmen mit allen Mitteln versuchen, ihre Marktanteile zu verteidigen. 380 Anwendungsbereich und Anwendungsprozess Die Branchenstrukturanalyse als spezifische Umweltanalyse beantwortet die Frage, welche Branchen attraktiv sind und Gewinnpotenziale versprechen. Zur Bewertung der Attraktivität einer Branche kann in folgenden Schritten vorgegangen werden: Ermittlung der wettbewerbsbestimmenden Faktoren und der jeweiligen Treiber, Bewertung, Gewichtung und Priorisierung der Treiber, Bestimmung der Möglichkeiten zur aktiven Einflussnahme auf die Branchensituation, Gesamtbeurteilung der Branchenattraktivität und Ableitung von Konsequenzen. In einem ersten Schritt werden die Treiber der Porter’schen fünf Kräfte auf der Basis von zum Beispiel unternehmensinternen und unternehmensexternen Daten oder durch Kunden- und Expertengespräche ermittelt. Auf diese Weise erhält man einen Überblick über die Bestimmungsgründe der Branchenstruktur, die den Branchenwettbewerb beeinflussen, der wiederum dafür verantwortlich ist, welche Renditen in einer Branche erzielt werden können. Ein Unternehmen wird unter anderem die Gefahr der Vorwärtsintegration von Zulieferern, das Preis-Leistungs-Verhältnis von Ersatzprodukten, die Umstellungskosten der Abnehmer und absolute Kostenvorteile neuer Konkurrenten aus Niedriglohnländern sowie das Branchenwachstum und die strategischen Unternehmensinteressen der aktuellen Wettbewerber berücksichtigen. Die genannten Treiber werden in einem nächsten Schritt anhand von Kriterien bewertet, gewichtet und priorisiert, um aus den vielfältigen und umfassenden Informationen die relevanten als Entscheidungsgrundlage für das Unternehmen auszuwählen. Branchenstrukturen sind nicht starr, sondern können durch gezielte Maßnahmen der einzelnen Akteure verändert werden. Insofern sind in einem dritten Schritt die Einflussmöglichkeiten eines Unternehmens in den Blick zu nehmen und zu entscheiden, welche Wettbewerbskräfte in welcher Form durch die Nutzung interner Stärken und durch den Abbau interner Schwächen modifiziert werden können. Hierbei wird auf Methoden und Daten der Unternehmensanalyse zurückgegriffen, die in den Kapiteln 5.6 bis 5.9 erörtert werden. Aus den gewonnenen Erkenntnissen kann schließlich die Attraktivität einer Branche abgeleitet und bestimmt werden, unter welchen Bedingungen das Erzielen von Wettbewerbsvorteilen möglich ist. Die Five-Forces-Analyse bietet den großen Vorteil, die Struktur und Stärke des Wettbewerbs in einer Branche und damit die Chancen und Risiken eines Marktes transpa- 380 Der ehemalige CEO von Intel, Andrew Grove, erweiterte das Five-Forces-Konzept um eine weitere Kraft: die Stärke von Komplementärprodukten. Grove war der Auffassung, dass Branchenstruktur und Branchenrentabilität auch von den Anbietern von Komplementärprodukten bestimmt würden, da diese aufgrund ihrer wertstiftenden Funktion zur Befriedigung von Kundenbedürfnissen beitragen (vergleiche Jones & Hill 2013, S. 60). <?page no="235"?> 236 5 Strategische Analyse www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden rent zu machen. Ein Nachteil der Methode ist, dass sie nur in Ergänzung mit weiteren Umwelt- und Unternehmensanalysen zu tragfähigen Aussagen für die Strategieentwicklung und Strategieformulierung führt. Denn „sie liefert … lediglich eine Momentaufnahme der aktuellen Situation der untersuchten Wettbewerbskräfte“ 381 . Zur umfassenden Beurteilung der Wettbewerbsbedingungen und zur Ableitung von Konsequenzen für die zukünftigen Branchenaktivitäten eines Unternehmens muss die Five-Forces- Analyse um Methoden erweitert werden, mit deren Hilfe die Dynamik von Branchen abgebildet werden kann. Hierzu eignen sich beispielsweise Lebenszyklusmodelle, welche die Phasen Entstehung, Wachstum, Reife, Sättigung und Degeneration von Branchen unterscheiden und die Möglichkeit bieten, Wettbewerbsstrukturen im Zeitablauf zu bestimmen und zukünftige Bedingungen zu antizipieren. Allerdings erweist sich die Anwendung des Branchenlebenszykluskonzeptes in der Praxis als schwierig, da Entwicklungsphasen in der Realität keinem idealtypischen Muster folgen und sowohl Sprünge als auch Verzögerungen aufweisen. Das heißt, eine Branche kann vor Erreichen der Reifephase verschwinden oder durch eine verlängerte Wachstumsphase mit verschiedenen Wellenbewegungen gekennzeichnet sein. 382 Einen Ausweg aus dem beschriebenen Dilemma zwischen statischer Betrachtung einerseits und Lebenszyklusmodellierung andererseits bietet die komparative Branchenstrukturanalyse, die auf eine Einteilung in Lebensphasen verzichtet, aber dennoch dynamische Aspekte der Wettbewerbsstruktur berücksichtigt. Ein Beispiel: Abbildung 115 zeigt die Entwicklung einer Branche, in der zum Zeitpunkt t 1 die Wettbewerbskräfte gering und das Renditepotenzial gut ausgeprägt sind - ablesbar an der großen Fläche, die von der durchgezogenen Linie zwischen den Achsen gebildet wird. Zum Zeitpunkt t 2 , der beispielsweise drei Jahre in der Zukunft liegt, wird von einer Veränderung der Triebkräfte des Wettbewerbs ausgegangen. Die Prognose zeigt, dass sowohl die Macht der Zulieferer und Abnehmer als auch die Wettbewerbsrivalität und die Bedrohung durch neue Konkurrenten zunehmen werden, während die Attraktivität der Branche - zum Beispiel für Neueinsteiger - abnimmt. Die von der gestrichelten Linie umschlossene Fläche illustriert das deutlich gesunkene Gewinnpotenzial im Vergleich zum Zeitpunkt t 1 und das damit verbundene Risiko für Unternehmen, Ressourcen in dieser Branche einzusetzen. 383 Die komparative Five-Forces-Analyse erweitert die statische Betrachtung von Wettbewerbsstrukturen in einer Branche um eine Lebensverlaufsperspektive. Sie vermeidet jedoch die methodischen Fallstricke, die mit einer Lebensphaseneinteilung und den daraus resultierenden strategischen Implikationen verbunden sind. Obgleich der prognostische Wert der komparativen Five-Forces-Analyse überschaubar ist, bietet die Methode wertvolle Anhaltspunkte, welche Chancen und Gefahren im Umfeld existieren und wie sich diese im Zeitablauf verändern. 381 Fink (2009, S. 179). 382 Vergleiche Fink (2009, S. 179 f). 383 Vergleiche Johnson, Scholes & Whittington (2011, S. 100 f). <?page no="236"?> 5.2 Branchenstrukturanalyse 237 www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden Abbildung 115: Dynamische Analyse der Branchenstruktur 384 Weiterführende Hinweise Unternehmen sind in eine Makro- und in eine Mikroumwelt eingebettet, die im Rahmen der strategischen Analyse mit ihren jeweiligen Bedingungen, Strukturen und Kräften in den Blick genommen werden. Die Branchenstrukturanalyse im Sinne der Five Forces von Porter bietet die Möglichkeit, die Wirkungszusammenhänge einzelner Branchenfaktoren aufzudecken und Wettbewerbsstrategien zu entwickeln. So können Unternehmen zum einen die Rahmenbedingungen als gegeben hinnehmen und Nischen- oder Spezialstrategien verfolgen. Zum anderen können sie versuchen, Einfluss auf die Wettbewerbskräfte zu nehmen und deren Gleichgewicht zu verschieben. Unternehmen können schließlich Veränderungen der Kräfteverhältnisse prognostizieren und Maßnahmen darauf ausrichten. Auf diese Weise können sie strategische Lücken im Umfeld nutzen, die von Konkurrenten noch nicht beachtet werden. Kim und Mauborgne sprechen in diesem Zusammenhang von „blauen Ozeanen“ 385 - also von Markt- oder Branchensegmenten mit wenig Wettbewerb, die darauf warten, erschlossen zu werden. 384 Modifiziert nach Johnson, Scholes & Whittington (2011, S. 100). 385 Siehe Kim & Mauborgne (2005). Wettbewerbsrivalität Bedrohung durch neue Konkurrenten Abnehmermacht Zulieferermacht Bedrohung durch Substitutionsgüter hoch hoch hoch hoch hoch gering gering gering gering gering t 1 t 2 <?page no="237"?> 238 5 Strategische Analyse www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden 5.3 Wettbewerbsvorteilsanalyse Problemstellung: Untersuchung und Verbesserung der strategischen Position eines Unternehmens oder eines Geschäftsbereiches Zielgruppe: Geschäftsführer, Geschäftsbereichs- und Abteilungsleiter, Marketing- und Vertriebsverantwortliche, Marktforscher Voraussetzungen: Zugang zu Markt-, Kunden-, Wettbewerbs- und Kompetenzdaten im Rahmen von Primär- und Sekundäranalysen Zielsetzung der Wettbewerbsvorteilsanalyse Eine freie oder soziale Marktwirtschaft lebt und profitiert vom Wettbewerb. Dieser trägt unter anderem dazu bei, dass bedarfsgerechte Produkte angeboten, Produktionsfaktoren optimal genutzt und Innovationen gefördert werden. Die kontinuierlich voranschreitende „schöpferische Zerstörung“ 386 - womit die Verdrängung alter durch neue ökonomische Strukturen gemeint ist - zwingt Unternehmen zur Flexibilität und zur Anpassung eigener Produkte und Prozesse an die Erfordernisse des Marktes. Bei der Verfolgung des Zieles, wettbewerbsfähig zu sein und zu bleiben, rücken vor allem die Betrachtung und Bewertung von Konkurrenzunternehmen und deren Stärken und Schwächen in den Mittelpunkt. Im Rahmen einer Konkurrentenanalyse werden die Ziele, Strategien und Ressourcen von Wettbewerbern anhand von Checklisten untersucht, um die strategische Position der Konkurrenten zu bestimmen. Diese Form der Wettbewerbsbetrachtung liefert wie die in Kapitel 5.2 vorgestellte Branchenstrukturanalyse wichtige Daten über die Aufgabenumwelt beziehungsweise die spezifische Umwelt eines Unternehmens. Die Wettbewerbsanalyse bietet allerdings keine Anhaltspunkte, welche Vorteile das eigene Unternehmen gegenüber den wichtigsten Konkurrenten besitzt. Hierzu muss die isolierte Betrachtung des Wettbewerbs um eine Betrachtung des Marktes und der unternehmensinternen Kompetenzen erweitert werden. Das ist das Ziel der Wettbewerbsvorteilsanalyse, die insofern eine Kombination aus Markt-, Wettbewerbs- und Kompetenzanalyse darstellt. Sie geht über die Betrachtung des Wettbewerbs hinaus, indem sie unter Berücksichtigung der Anforderungen des Umfeldes die Stärken und Schwächen von Konkurrenten ins Verhältnis zu den Stärken und Schwächen des eigenen Unternehmens setzt. Auf der Basis der ermittelten Vor- und Nachteile eines Unternehmens oder einer Geschäftseinheit können Veränderungsmaßnahmen definiert und die Positionierung verbessert werden. 387 Beschreibung der Wettbewerbsvorteilsanalyse Die Wettbewerbsvorteilsanalyse ist eine betriebswirtschaftliche Methode, welche die Ergebnisse verschiedener Instrumente nutzt, um Aussagen über strategische Vor- und Nachteile zu treffen. Dabei wird unter einem Wettbewerbsvorteil eine Leistung eines Unternehmens verstanden, die zum einen vom Kunden wahrgenommen und von diesem als bedeutsam eingestuft wird und zum anderen besser als die Leistung der Konkurrenz und möglichst dauerhaft, das heißt, nicht kurzfristig imitierbar ist. Zur 386 Zu Begriff und Konzept der „schöpferischen Zerstörung“ siehe Schumpeter (2006). 387 Vergleiche Bea & Haas (2013, S. 125 f) und Welge & Al-Laham (2012, S. 348 ff). <?page no="238"?> 5.3 Wettbewerbsvorteilsanalyse 239 www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden Ermittlung von Wettbewerbsvorteilen reicht es gemäß dieser Definition nicht aus, Profile von Konkurrenten anhand von Kriterien wie Umsatz, Marktanteil, Profitabilität, Qualität oder Bekanntheit zu erstellen. Vielmehr sind neben den zentralen Wettbewerbern auch die Besonderheiten des Marktes und die Anforderungen der Kunden sowie die unternehmensspezifischen Kompetenzen in den Blick zu nehmen. Denn erst die systematische Verknüpfung externer und interner Potenziale ermöglicht es, die Position des eigenen Unternehmens präzise zu bestimmen. Dieses Vorgehen schützt vor strategischen Fehlschlüssen, die sich in der Praxis dadurch ergeben, dass von einer objektiv überlegenen Produktqualität - die zum Beispiel durch Produkttests unabhängiger Institute bestimmt werden kann - fälschlicherweise auf einen Wettbewerbsvorteil geschlossen wird. Ein Blick in die Erfolgs- und Misserfolgsgeschichten von Unternehmen und Produkten der jüngeren Vergangenheit zeigt, dass der Markt beziehungsweise die Kunden und nicht das Unternehmen oder Gütesiegel bestimmen, was als Vorteil und was als Nachteil zu werten ist. Erst wenn Kunden eine Leistung erkennen und schätzen, besteht die Möglichkeit, einen Vorsprung zu erzielen und zu nutzen. Der erste Teil der Wettbewerbsvorteilsanalyse besteht demnach darin, die Anforderungen des Marktes zu ermitteln. Dabei kann beispielsweise auf vorliegende Ergebnisse von Kundenzufriedenheitsanalysen zurückgegriffen werden, die Auskunft darüber geben, welche Eigenschaften besonders wichtig und welche weniger wichtig sind. Leistungskriterien können zum Zweck der Durchführung einer Wettbewerbsvorteilsanalyse auch in einer eigenständigen empirischen Studie erhoben und aus Sicht der Kunden bewertet werden. Hierbei sind zunächst die relevanten Markt- und Kundensegmente festzulegen und entsprechend geeignete Stichproben zu ziehen. Als Ergebnis von Primärerhebungen erhält man eine Liste von Erfolgsfaktoren beziehungsweise Anforderungen des Marktes, deren Rangfolge aus Kundensicht festgelegt werden sollte. Auf diese Weise wird man dem Anspruch gerecht, nur jene Faktoren beim Vergleich des eigenen Unternehmens mit dem Wettbewerb zu betrachten, die in der Wahrnehmung der Kunden erfolgskritisch sind. Neben der Bestimmung und Bewertung der Anforderungen des Marktes werden die relevanten Wettbewerber identifiziert und hinsichtlich ihrer Bedeutung klassifiziert. Dabei kann sowohl auf Primärals auch auf Sekundärquellen zurückgegriffen werden. Primärquellen stellen zum Beispiel Branchenverbände, Messen, gemeinsame Lieferanten oder Kunden dar. Sekundärquellen - also bereits vorhandene und nicht erst neu zu beschaffende Informationen - können vorliegende Studien, Internetseiten von Unternehmen, Jahresberichte oder Daten statistischer Bundes- und Landesämter sein. Neben den aktuellen Konkurrenten sollten auch zukünftige Wettbewerber in die Analyse einbezogen werden, um sicherzustellen, dass die Ergebnisse das relevante Konkurrenzumfeld widerspiegeln. Die relative Bedeutung der berücksichtigten Konkurrenten ergibt sich aus den Einzelergebnissen für die im ersten Schritt ermittelten Anforderungen des Marktes. Das heißt, für alle Wettbewerber werden Daten für alle Erfolgsfaktoren ermittelt, um anschließend das eigene Unternehmen mit dem jeweils besten Konkurrenten je Kriterium vergleichen zu können. Der dritte Teil der Wettbewerbsvorteilsanalyse besteht schließlich darin, die Leistungen des eigenen Unternehmens gegen die Marktanforderungen zu bewerten. Dies sollte aus Sicht der Kunden und nicht im Rahmen von unternehmensinternen Experteninterviews oder Workshops erfolgen. Letztere Variante kann gewählt werden, wenn Kundendaten nicht zur Verfügung stehen. Gleichwohl sind im Rahmen einer rein internen <?page no="239"?> 240 5 Strategische Analyse www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden Bewertung die mangelnde Objektivität und gegebenenfalls auch die mangelnde Reliabilität der Ergebnisse zu beachten. Auf dieser Datenbasis sollte die Formulierung von Strategien daher nur mit Vorsicht erfolgen. Insofern sollten Unternehmen alle erforderlichen Anstrengungen unternehmen, um die eigene Position markt-, kunden- und wettbewerbsorientiert zu bestimmen. Anwendungsbereich und Anwendungsprozess Die Wettbewerbsvorteilsanalyse kommt immer dann zur Anwendung, wenn die strategische Position eines Unternehmens oder eines Geschäftsbereiches untersucht und verändert werden soll. Obgleich sie den Methoden der Umweltanalyse zuzuordnen ist, erfordert ihre Durchführung auch einen Rückgriff auf Daten, die im Rahmen der Unternehmensanalyse gewonnen werden. So müssen neben Marktdaten zum Beispiel Informationen über interne Stärken und Schwächen beziehungsweise zentrale Kompetenzen vorliegen. Am Beispiel der Wettbewerbsvorteilsanalyse zeigt sich idealtypisch, dass betriebswirtschaftliche Methoden nicht nur isoliert zu betrachten und anzuwenden sind, sondern in der Praxis häufig erst kombiniert den gewünschten Nutzen stiften. Folgende Schritte sind bei einer Wettbewerbsvorteilsanalyse zu berücksichtigen: Bestimmung der Erfolgsfaktoren beziehungsweise Anforderungen des Marktes, Identifikation der gegenwärtigen und potenziellen Wettbewerber, Bewertung der Leistung des eigenen Unternehmens aus Kundensicht, Bewertung der Leistungen der Wettbewerber aus Kundensicht, Ermittlung der relativen Unternehmensleistung. Die Wettbewerbsvorteilsanalyse beginnt mit einer empirischen Bestimmung der wichtigsten Erfolgsfaktoren aus Marktsicht. Dabei ist zu prüfen, welche Anforderungen Kunden an die entsprechenden Produkte stellen. Diese können Preis-, Qualitäts-, Service-, Design- oder Imageaspekte sein. Die Daten sollten im Markt, also primär erhoben werden - idealerweise über schriftliche Fragebögen, persönliche Interviews oder Online-Surveys -, um subjektive Verzerrungen zu vermeiden, die bei unternehmensintern erstellten Anforderungslisten vielfach auftreten. Die Bedeutung der Merkmale wird mit Hilfe einer Likert-Skala gemessen, die zum Beispiel in sechs Stufen von „sehr wichtig“ bis „sehr unwichtig“ reicht. Auf diese Weise erhält man aus einer Vielzahl von Merkmalen eine Liste der wesentlichen Erfolgsfaktoren, welche die Basis für die sich anschließenden Vergleiche bildet. Bei Bedarf kann man auch mehr als die in Abbildung 116 aufgeführten Eigenschaften berücksichtigen. Allerdings sollte man beachten, dass die Komplexität der Methode mit zunehmender Anzahl an Merkmalen steigt, während gleichzeitig Übersichtlichkeit und Trennschärfe abnehmen. Im zweiten Schritt werden die wichtigsten gegenwärtigen und potenziellen Wettbewerber identifiziert. Dabei sollte man nur jene Konkurrenten in die Analyse einbeziehen, die vergleichbare Produkte, Zielgruppen und Strategien aufweisen, um den Arbeitsaufwand überschaubar zu halten und um die relative Leistungsbewertung auf ähnlich positionierte Unternehmen zu beschränken. An die Identifikation der wichtigsten Wettbewerber schließt sich die Bewertung der Leistungskriterien für das eigene Unternehmen an. Wie in Abbildung 116 aufgeführt, prüft man empirisch, wie das Unternehmen oder einzelne Geschäftsbereiche hinsichtlich der Eigenschaften 1 bis 6 auf einer Skala von „sehr gut“ bis „sehr schlecht“ abschneiden. Im vorliegenden Beispiel zeigt die Bestimmung der absoluten Wettbewerbs- <?page no="240"?> 5.3 Wettbewerbsvorteilsanalyse 241 www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden leistung aus Marktsicht, dass die Eigenschaften 1 und 3 sehr positiv bewertet werden, während Eigenschaft 5 im Negativbereich liegt. Diese Daten geben erste Anhaltspunkte über die Leistungsfähigkeit des eigenen Unternehmens, lassen den Wettbewerb jedoch unberücksichtigt und sind daher wenig aussagekräftig. Demzufolge sind in einem vierten Schritt die Leistungen der Wettbewerber mit Blick auf die berücksichtigten Eigenschaften zu analysieren. Auf diese Weise erhält man für alle relevanten Konkurrenten Vergleichsdaten und kann zudem bestimmen, welches Unternehmen bei welchem Merkmal die Benchmark darstellt. Diese Informationen sind für den letzten Schritt der Wettbewerbsvorteilsanalyse erforderlich, in dem die relative Unternehmensleistung berechnet wird. Abbildung 116: Durchführung einer Wettbewerbsvorteilsanalyse 388 Ein Beispiel: Abbildung 116 zeigt, dass Eigenschaft 1 - beispielsweise die Qualität der Produkte - den befragten Kunden mit einem Wert von 4,5 sehr wichtig ist. Zudem illustriert der mittlere Teil der Abbildung, dass die Bewertung der Produktqualität des eigenen Unternehmens mit einem Wert von 4 sehr positiv ausfällt. Die relative Leistung für die Produktqualität wird schließlich ermittelt, indem die Leistung des eigenen Unternehmens mit der Leistung des besten Wettbewerbers - der so genannten Benchmark - verglichen wird. Im hier gewählten Beispiel ergibt sich für Eigenschaft 1 eine relative Leistung mit dem Wert 2 gemäß folgender Formel: Bewertung des eigenen Unternehmens minus Bewertung des besten Wettbewerbers gleich Wettbewerbsposition. Die im rechten Teil von Abbildung 116 dargestellte Matrix verknüpft insofern die Wichtigkeit eines Merkmals mit der relativen Leistung eines Unternehmens oder Geschäftsbereiches. Die Wichtigkeit der Produktqualität legt mit einem Wert von 4,5 den y-Achsenabschnitt fest, während die relative Leistung mit einem Wert von 2 den x- Achsenabschnitt bestimmt. Auf vergleichbare Weise können alle Erfolgsfaktoren in eine Matrix mit vier Quadranten eingeordnet und Normstrategien für das betrachtete Unternehmen abgeleitet werden. Die in Abbildung 117 skizzierten Ergebnisse der Wettbewerbsvorteilsanalyse lassen sich wie folgt interpretieren: Hinsichtlich der Merkmale 1 und 3 verfügt das betrachtete 388 Siehe hierzu auch das Comstrat-System von Simon & von der Gathen (2010, S. 210). Eigenschaft 1 Eigenschaft 2 Eigenschaft 3 Eigenschaft 4 Eigenschaft 5 Eigenschaft 6 0 1 2 3 4 5 Eigenschaft 1 Eigenschaft 2 Eigenschaft 3 Eigenschaft 4 Eigenschaft 5 Eigenschaft 6 0 1 2 3 4 5 0 +5 -5 3 5 1 relative Leistung Wichtigkeit 1 2 3 4 5 6 (1) Erfolgsfaktoren / Anforderungen des Marktes (2) Absolute Wettbewerbsleistung aus Marktsicht (3) Relative Leistung im Wettbewerbsumfeld (im Vergleich zur Benchmark) Rating UN - Benchmark = Wettbewerbsposition <?page no="241"?> 242 5 Strategische Analyse www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden Unternehmen über einen strategischen Wettbewerbsvorteil. Das heißt, die Leistung ist aus Kundensicht wichtig und besser als die Benchmark. Das Unternehmen sollte daher versuchen, diese Anforderungen auch in Zukunft zu erfüllen, um weiterhin wettbewerbsfähig zu sein. Zudem sollte das Unternehmen strategische Wettbewerbsnachteile ausgleichen - also jene Kriterien optimieren, die Konkurrenten besser erfüllen und die den Kunden wichtig sind, wie beispielsweise Merkmal 2. Abbildung 117: Bewertung der Wettbewerbsvorteilsanalyse 389 Bei den Merkmalen 4, 5 und 6 handelt es sich um Anforderungen des Marktes, die den Kunden weniger wichtig sind. Dennoch sind auch für diese Kriterien Maßnahmen zu ergreifen: Die auf das Merkmal 6 bezogenen Aufwendungen können entweder reduziert werden, da ein Overperforming nicht zu strategischen Wettbewerbsvorteilen führt, oder sie sind zu erhöhen, um zum Beispiel mit Hilfe kommunikationspolitischer Aktivitäten die Bedeutung des Kriteriums in der Wahrnehmung der Kunden zu steigern. Die Leistung hinsichtlich der Merkmale 4 und 5 ist schließlich zu stabilisieren. Zudem sollte der Markt kontinuierlich mit Blick auf Veränderungen analysiert werden, da Verschiebungen auf der Wichtigkeitsskala bei gleichbleibender relativer Leistung zu Wettbewerbsnachteilen des eigenen Unternehmens führen. Weiterführende Hinweise Die Wettbewerbsvorteilsanalyse stellt eine Methode dar, mit deren Hilfe sowohl unternehmensexterne als auch unternehmensinterne Informationen zusammengefasst und in einer Matrix verdichtet werden können. Dieses Vorgehen, Wettbewerbsmerkmale aus Kundensicht nach Wichtigkeit und Leistungsfähigkeit zu differenzieren, bietet die Chance, aktuelle oder zukünftige Geschäftsaktivitäten nutzenorientiert zu gestalten und sicherzustellen, dass ein Unternehmen mindestens einen Wettbewerbsvorteil aufweist. Die üblicherweise in Anschlag gebrachten Normstrategien sind einfach zu visualisieren und zu interpretieren. Allerdings sollte bei der Anwendung der Wettbewerbsvorteilsanalyse berücksichtigt werden, dass eine Verdichtung von Informationen in einer Matrix stets mit Komplexitätsreduktion und einer vereinfachten Abbildung der Wirklichkeit einhergeht. Zudem sollte man den Aufwand bei der Datenerhebung nicht unterschätzen. Die erforderlichen Ressourcen, Instrumente und Stichproben sind daher sorgfältig zu planen und auszuwählen. 389 Modifiziert nach Simon & von der Gathen (2010, S. 214). Strategischer Wettbewerbsnachteil Strategischer Wettbewerbsvorteil Strategische Irrelevanz Strategische Übererfüllung 0 +5 -5 3 5 1 relative Leistung Wichtigkeit 1 2 3 4 5 6 (im Vergleich zur Benchmark) Rating UN - Benchmark = Wettbewerbsposition <?page no="242"?> 5.4 Stakeholderanalyse 243 www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden 5.4 Stakeholderanalyse Problemstellung: Umfassende Analyse der Unternehmens-, Geschäftsbereichs- oder Projektumwelt und Identifikation zentraler Interessengruppen Zielgruppe: Geschäftsbereichs- und Abteilungsleiter, Marktforscher, Projektleiter, Projektmitarbeiter Voraussetzungen: Kenntnis aktueller und potenzieller Interessengruppen und Beschaffung von Informationen zu deren Ansichten, Erwartungen und Einflussmöglichkeiten Zielsetzung der Stakeholderanalyse Die Umwelt von Unternehmen lässt sich in verschiedene Segmente unterteilen, die man je nach Erkenntnisinteresse mit Hilfe der PESTEL-, der Branchenstruktur- oder der Wettbewerbsanalyse untersuchen kann. 390 Neben globalen Umweltfaktoren, Branchenkräften und Konkurrenten kann man weitere Gruppierungen und Akteure berücksichtigen, die ebenfalls einen wesentlichen Einfluss auf den unternehmerischen Planungs-, Entscheidungs- und Umsetzungsprozess ausüben. Dabei handelt es sich um so genannte Interessen- oder Anspruchsgruppen, die auch als Stakeholder 391 bezeichnet werden: Aktionäre, Mitarbeiter, Kunden und Lieferanten oder Banken, Finanzbehörden und Umweltverbände beeinflussen den Erfolg eines Unternehmens, indem sie die Realisierung von Zielen unterstützen, behindern oder boykottieren können. Ziel der Stakeholderanalyse ist es, die Beziehungen des Unternehmens zu diesen Gruppierungen zu untersuchen, deren Macht zu bestimmen und Interessenkonflikte aufzudecken, um tragfähige Strategien im Umgang mit den wesentlichen Stakeholdern zu entwickeln. 392 Ein systematisches Stakeholdermanagement setzt insofern voraus, dass man eine breitere Perspektive als bei anderen betriebswirtschaftlichen Methoden einnimmt und die Unternehmensumwelt zunächst mit einem Weitwinkel- und nicht mit einem Teleobjektiv betrachtet. Der Stakeholderansatz kommt jedoch nicht nur bei der strategischen Analyse und Planung, sondern auch im Projekt- oder Changemanagement zum Einsatz, um die erfolgskritischen Akteure zu identifizieren und diese in den unternehmensbezogenen Wachstums- und Veränderungsprozess einzubeziehen. Beschreibung der Stakeholderanalyse Stakeholder sind Gruppen oder Individuen, die berechtigte Ansprüche an Unternehmen stellen. Diese können sehr heterogen sein, da interne Stakeholder wie Eigentümer oder Mitarbeiter und externe Stakeholder wie Fremdkapitalgeber oder Kunden verschiedenartige Interessen verfolgen und betriebliche Entscheidungen daher in unterschiedlichem Maße beeinflussen können. So streben zum Beispiel Anteilseigner nach Verzinsung des eingesetzten Kapitals, Mitarbeiter nach Arbeitsplatzsicherheit, Banken nach vertragsgemäßer Tilgung und Kunden nach Produkten mit einem guten Preis- 390 Zu den einzelnen Methoden siehe die Kapitel 5.1, 5.2 und 5.3. 391 Zur Entwicklung des Stakeholderansatzes siehe vor allem Freeman (1984). 392 Vergleiche Bea & Haas (2013, S. 112 f). <?page no="243"?> 244 5 Strategische Analyse www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden Leistungs-Verhältnis. 393 Als offene, dynamische und marktgerichtete soziale Systeme stehen Unternehmen mit ihrer Umwelt in wechselseitigem Austausch und müssen zur langfristigen Überlebenssicherung die Interessenpluralität der zentralen Bezugsgruppen ausgleichen. Das heißt, die einzelnen Gruppen müssen mit ihren disparaten Interessen identifiziert, untersucht und bewertet werden, um darauf aufbauend geeignete Maßnahmen abzuleiten. Das ist die Aufgabe der Stakeholderanalyse. In deren Mittelpunkt steht die Frage, welche Umweltaspekte man bei der Wahl und Umsetzung der Unternehmensstrategie berücksichtigen sollte und wie bedeutsam die Einflussmöglichkeiten der Bezugs-, Interessen- und Anspruchsgruppen im Einzelnen sind. Abbildung 118 illustriert am Beispiel einer Hochschule ein typisches Stakeholdernetz. Die einzelnen Gruppierungen werden hinsichtlich der Kategorien Beziehungsintensität und Bedeutung kategorisiert, indem man jene Stakeholder nahe des Zentrums platziert und mit großen Kreisen versieht, deren Beziehung zur Hochschule eng und deren Bedeutung groß ist. Diese Einteilung versetzt die Hochschulleitung in die Lage, begrenzte Mittel und Kapazitäten zielgerichtet zu allokieren, um die Ansprüche der wesentlichen Bezugsgruppen zu erfüllen. Abbildung 118: Beispielhafte Stakeholder einer Hochschule 394 Welche Stakeholder jeweils berücksichtigt werden, ist abhängig von der Betrachtungsebene: So können die strategische Analyse und Planung aus der Perspektive des gesamten Unternehmens oder mit Blick auf einzelne Geschäftsbereiche oder funktionale Einheiten wie Beschaffung oder Vertrieb erfolgen. Zudem kann es vor Beginn oder im Verlauf von Projekten sinnvoll sein, interne Einflussnehmer zu identifizieren und deren Machtpotenzial zu bestimmen, um Aktivitäten für den Projekterfolg abzuleiten. Insgesamt haben die Anzahl und Komplexität der internen und externen Stakeholder in den letzten Jahren zugenommen. Vor allem global agierende Unternehmen sehen sich mit einer Vielzahl von nationalen und internationalen Anspruchsgruppen kon- 393 Vergleiche Wöhe & Döring (2013, S. 51). 394 Modifiziert nach Kreuzer (2005, S. 19). Hochschule Mitarbeiter Studierende Bewerber Lehrkräfte Absolventen Eltern Partnerhochschulen Staat Wirtschaft <?page no="244"?> 5.4 Stakeholderanalyse 245 www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden frontiert, die zum Teil länderübergreifend koordiniert werden müssen. Daraus resultiert nicht nur die Notwendigkeit zu detaillierter Analyse, sondern auch die Herausforderung, adäquat mit neuen Interessengruppen zu interagieren und entsprechende Kommunikationsinstrumente auszuwählen beziehungsweise zu entwickeln. 395 Anwendungsbereich und Anwendungsprozess Die Ermittlung des Einflusses von internen und externen Stakeholdern auf die Unternehmensführung und die Analyse der Erwartungshaltungen und Besonderheiten sowie des entsprechenden Beziehungsgeflechtes laufen in folgenden Schritten ab: 396 Zunächst werden die innerhalb und außerhalb des Unternehmens existierenden Gruppen identifiziert, die als interne und externe Stakeholder bezeichnet werden. Interne Stakeholder wie Anteilseigner oder Mitarbeiter üben einen direkten Einfluss auf den unternehmerischen Zielbildungs-, Planungs-, Entscheidungs- und Umsetzungsprozess aus. Demgegenüber ist der Einfluss von externen Stakeholdern wie Banken, Lieferanten oder Gewerkschaften meist nur indirekt. Die direkten und indirekten Einflussmöglichkeiten und die entsprechenden Beziehungen werden aufgedeckt, um diese in einer Stakeholderlandkarte oder einem Stakeholdernetz zu visualisieren. Veränderungen im Unternehmensumfeld werden in einem nächsten Schritt in den Blick genommen. So kann sich zum Beispiel das Beziehungsnetz einer Hochschule aufgrund demografischer Entwicklungen oder aufgrund des Trends zu internationalen und praxisorientierten Studiengängen ändern. Mögliche Konsequenzen der aufgedeckten Umweltveränderungen werden in einem dritten Schritt analysiert und prognostiziert. So könnte die Anzahl von Studienbewerbern aufgrund sinkender Geburtenraten zurückgehen oder die Bedeutung von Partnerhochschulen und Wirtschaftsunternehmen angesichts der zunehmenden Internationalisierung von Bachelor- und Masterprogrammen und der verstärkten Nachfrage nach Theorie und Praxis integrierenden Bildungsangeboten zunehmen. Zudem könnte der Einfluss von Eltern auf Duale Hochschulen, Fachhochschulen und Universitäten steigen, sofern immer häufiger Abiturienten aufgrund verkürzter Schulzeiten ein Studium noch vor Erreichen der Volljährigkeit beginnen. Die gewonnenen Erkenntnisse werden in einem letzten Schritt genutzt, um Chancen und Risiken - zum Beispiel für die hier betrachtete Hochschule - zu bestimmen. Eine systematische Chancen-Risiken-Betrachtung bildet schließlich die Basis für die Suche, Entwicklung und Implementierung geeigneter Strategien im Umgang mit den relevanten Stakeholdern. Interne und externe Anspruchsgruppen sind sowohl für Unternehmen und Geschäftsbereiche erfolgskritisch, als auch für Veränderungsmaßnahmen und Projekte in Organisationen. Insofern kann eine Stakeholderanalyse nicht nur im Rahmen des strategischen Managements zur Anwendung kommen, sondern auch wenn es um die Einführung eines neuen IT-Systems, die Entwicklung innovativer Produkte oder die Eingliederung akquirierter Unternehmen im Rahmen von M&A-Projekten geht. Auch in diesen Fällen ist es wichtig, Interessen und Einflussmöglichkeiten jener Akteure zu 395 Vergleiche zum letztgenannten Aspekt Bruhn (2013a, S. 587 ff). 396 Vergleiche Bea & Haas (2013, S. 113). <?page no="245"?> 246 5 Strategische Analyse www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden erfassen, die von den beschriebenen Entscheidungen betroffen sind und diese durchsetzen oder blockieren können. Die Vorgehensweise einer Stakeholderbetrachtung im Rahmen des Change- oder Projektmanagements orientiert sich ebenfalls an den Aspekten Identifikation, Analyse, Prognose und Bewertung. Die Durchführung weist allerdings einige Besonderheiten auf, die im Folgenden beschrieben werden: Die internen und externen Projektstakeholder werden in einem ersten Schritt identifiziert. Das heißt, es werden Akteure bestimmt, welche die Initiierung, Durchführung und Umsetzung von Projekten beziehungsweise Projektergebnissen beeinflussen können. Dabei sind vor allem jene Stakeholder in den Blick zu nehmen, die einem geplanten Projekt kritisch oder sogar ablehnend gegenüberstehen. Das Commitment der relevanten Projektstakeholder sowie deren Interessen und Motivstrukturen werden in einem zweiten Schritt - zum Beispiel im Rahmen von explorativen oder teilstandardisierten Interviews - aufgedeckt. Dabei zeigt sich, dass es Saboteure, Pessimisten, Unbeteiligte, Veränderungsverantwortliche oder Meister des Wandels - so genannte Change Champions - gibt. Abbildung 119 illustriert mögliche Stakeholdertypen, die sich hinsichtlich ihres Aktivitätsniveaus unterscheiden: Demnach sind Saboteure aktiver in der Durchsetzung ihrer Interessen, als beispielsweise stille Zweifler oder Optimisten und daher - im positiven wie im negativen Sinne - bedeutsamer für den Projekterfolg. Abbildung 119: Stakeholdertypisierung Im dritten Schritt werden die typisierten Stakeholder anhand der Kriterien Betroffenheit und Einflussmöglichkeit in eine Matrix eingeordnet und danach differenziert, welchem Typ sie aktuell entsprechen beziehungsweise in Zukunft entsprechen sollten. Ein Beispiel: Abbildung 120 zeigt, dass Stakeholder 1 aufgrund seiner hierarchischen Position über großen Einfluss verfügt und von den geplanten Veränderungen in hohem Maße betroffen wäre. Ferner ist erkennbar, dass er dem Projekt aktuell pessimistisch gegenübersteht, es aber mit Blick auf den Projekterfolg wichtig wäre, ihn in die Position eines positiv agierenden Veränderungsverantwortlichen zu entwickeln. Auf Basis der gewonnenen Erkenntnisse werden schließlich Maßnahmen abgeleitet und Aktivitätenpläne für alle relevanten Stakeholder erstellt, um diese in die ge- Aktivitätsniveau Saboteur Zyniker Pessimist Stiller Zweifler Stiller Befürworter Optimist Veränderungsverantwortlicher Change Champion Unbeteiligter Aktivitätsniveau Negative Grundhaltung Positive Grundhaltung <?page no="246"?> 5.4 Stakeholderanalyse 247 www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden wünschten Soll-Positionen zu bringen, womit die Voraussetzungen für ein erfolgreiches Projekt geschaffen werden. Ein systematisches und aktives Stakeholdermanagement ist sowohl im Kontext eines Projektes als auch mit Blick auf die Entwicklung von Unternehmens- oder Geschäftsbereichsstrategien erforderlich. Denn der Erfolg eines Projektes oder eines Unternehmens hängt in hohem Maße davon ab, inwiefern es den Führungskräften gelingt, Einstellungen und Erwartungen der Interessenträger zu priorisieren und auszubalancieren, um Austauschbeziehungen nutzenstiftend zu gestalten. 397 Abbildung 120: Stakeholdermatrix Weiterführende Hinweise Die Entwicklung von Unternehmens- und Projektstrategien und entsprechenden Kommunikationsmaßnahmen setzt die Kenntnis der Stakeholdererwartungen voraus. Die Bedeutung dieser Erwartungen für die Unternehmensführung hat in den vergangenen Jahren insofern zugenommen, als das System Wirtschaft in zunehmendem Maße mit den Systemen Politik, Recht oder Wissenschaft gekoppelt ist und auf der Basis neuer Kommunikationstechnologien vor großen Herausforderungen steht. Zentrale Bedürfnisse der Stakeholder sind demnach nicht nur zu analysieren, sondern auch zu antizipieren, um für Worst-Case-Szenarien vorbereitet zu sein, wie sie BP, Toyota oder Siemens aufgrund von Unfällen, Fertigungsmängeln oder Schmiergeldzahlungen in den vergangenen Jahren erlebt haben. Unternehmen sollten sich daher nicht nur auf ihre Kunden konzentrieren, sondern auch ein aktives Stakeholdermanagement praktizieren, um ein erfolgreiches Fortbestehen von Unternehmen und Marken zu gewährleisten. 397 Vergleiche Thommen & Achleitner (2012, S. 58). niedrig hoch niedrig hoch - Betroffenheit - - Einflussmöglichkeiten - Stakeholder 1 Ist: Pessimist Soll: Veränderungsverantwortlicher Stakeholder 3 Ist: Unbeteiligter Soll: Change Champion Stakeholder 5 Ist: Stiller Zweifler Soll: Stiller Befürworter Stakeholder 6 Ist: Pessimist Soll: Unbeteiligter Stakeholder 7 Ist: Saboteur Soll: Stiller Zweifler Stakeholder 4 Ist: Zyniker Soll: Veränderungsverantwortlicher Stakeholder 2 Ist: Stiller Zweifler Soll: Beteiligter <?page no="247"?> 248 5 Strategische Analyse www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden 5.5 Benchmarking Problemstellung: Identifikation und Umsetzung von Verbesserungsmöglichkeiten auf der Basis eines systematischen Vergleiches von Geschäftsfeldern, Funktionsbereichen, Prozessen oder Produkten mit Spitzenunternehmen Zielgruppe: Geschäfts- und Funktionsbereichsleiter, Marktforscher und Experten aus den jeweils betroffenen funktionalen Bereichen Voraussetzungen: Zugang zu Funktions-, Prozess-, Methoden- oder Produktinformationen ausgewählter Referenzunternehmen und eindeutige Abgrenzbarkeit des Untersuchungsobjektes Zielsetzung des Benchmarking Die Ermittlung von Stärken und Schwächen eines Unternehmens stellt einen wichtigen Bestandteil des strategischen Analyseprozesses dar. Hierzu kann auf eine Vielzahl von Methoden zurückgegriffen werden - zum Beispiel auf die Wertketten-, Lebenszyklus- oder Produktdeckungsbeitragsanalyse. Allerdings reicht es nicht aus, den Fokus auf das eigene Unternehmen zu richten und Stärken und Schwächen zu ermitteln, sondern Ressourcen und Kompetenzen einer Organisation müssen auch mit jenen des Wettbewerbs verglichen werden, um Anhaltspunkte für erforderliche Veränderungen zu erhalten. Eine Methode, die es ermöglicht, die eigene Marktposition und mögliche Leistungsdefizite durch einen systematischen Vergleich zu bestimmen, ist das Benchmarking. Dabei werden betriebliche Funktionen, Prozesse, Methoden und Produkte mit den Branchenbesten beziehungsweise mit Weltklassestandards verglichen, um auf der Basis von Leistungsdifferenzen Aktivitäten und Maßnahmen mit dem Ziel zu definieren, selbst die Benchmark - also der Beste der Besten - zu werden. 398 Beschreibung des Benchmarking Der Begriff Benchmark bezeichnet einen Referenzpunkt der besten Industriepraktiken, der als Zielgröße für Verbesserungsmaßnahmen herangezogen werden kann, während Benchmarking den Prozess des Vergleichens mit erfolgreichen Wettbewerbern oder Marktführern unter Berücksichtigung der als relevant eingestuften Referenzwerte kennzeichnet. Als betriebswirtschaftliche Methode ist das Benchmarking etwa seit den 1980er-Jahren etabliert, nachdem der US-amerikanische Kopiergerätehersteller Xerox diesen Ansatz nach schwierigen Jahren der Marktanteilsverluste auf seinem Weg zurück an die Branchenspitze im eigenen Unternehmen etablierte und zum wesentlichen Bestandteil der Unternehmenskultur ausbaute. Xerox ermittelte im Wettbewerbsumfeld ähnliche Prozesse und Methoden und suchte nach besten Werten, um sich mit diesen zu vergleichen. Das Benchmarking hatte dabei drei Zielrichtungen, die auch heute noch relevant für entsprechende Vergleichsstudien sind: Zum einen wurden alle kundennahen Prozesse und Dienstleistungen sowie die jeweiligen Produktqualitäten in den Blick genommen. Zum anderen standen die Verbesserung des Unternehmenswertes und der Profitabilität zum Beispiel durch Kostensenkungen und Umsatzsteigerungen im Mittelpunkt. Schließlich wurden Zielwerte herangezogen, um die Innovationskraft des 398 Vergleiche Welge & Al-Laham (2012, S. 402 f). <?page no="248"?> 5.5 Benchmarking 249 www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden Unternehmens durch ein optimiertes Management der Ideenentwicklung und Ideenumsetzung zu erhöhen. 399 Benchmarking-Objekte Funktionen Prozesse Methoden Produkte Benchmarking-Zielgrößen Kosten Qualität Zeit Kundenzufriedenheit Benchmarking-Formen Internes Benchmarking Konkurrenzorientiertes Benchmarking Brancheninternes Benchmarking Branchenübergreifendes Benchmarking Tabelle 7: Benchmarking-Objekte, Benchmarking-Zielgrößen und Benchmarking-Formen Vor der Durchführung einer Benchmarking-Studie muss man zunächst Entscheidungen hinsichtlich der Benchmarking-Objekte, der Benchmarking-Zielgrößen und der Benchmarking-Formen treffen. Tabelle 7 zeigt, dass die Benchmarking-Objekte Funktionen, Prozesse, Methoden oder Produkte des Unternehmens sein können. Typischerweise werden jene Objekte ausgewählt, die Leistungsdefizite aufweisen und denen eine wichtige Rolle bei der Schaffung von Wettbewerbsvorteilen zukommt. Benchmarking-Zielgrößen sind zum Beispiel Personal-, Material- und Produktionskosten oder Qualitätsaspekte wie Ausschuss- und Reklamationsquoten. Die Zielgröße Zeit umfasst Prozesskennzahlen wie Durchlauf-, Bearbeitungs-, Liege- und Wartezeiten oder die Termintreue, während kundenbezogene Ziele die Kundenzufriedenheit oder die Wiederkaufsrate darstellen können. Unternehmen ziehen zu Vergleichszwecken recht häufig eigene Unternehmensbereiche oder Tochtergesellschaften heran. Diese als internes Benchmarking bezeichnete Form bietet den Vorteil, dass die Datenerhebung effizient und kostengünstig erfolgt. Allerdings werden hierbei oft keine optimalen Lösungen und echte Best Practices gefunden, da die interne Überprüfung von Leistungsstandards eine Variante des Qualitätsmanagements und keine zielgerichtete Wettbewerbsanalyse ist. Eine weitere Benchmarking-Form stellt der Vergleich mit externen Partnern dar, wobei entweder direkte Konkurrenten beziehungsweise beste Wettbewerber oder im Rahmen des brancheninternen Benchmarking Standards eines Unternehmens mit der gesamten Branche verglichen werden. Branchenübergreifendes Benchmarking stellt die Leistung eines Unternehmens den besten Organisationen verschiedener Branchen und Märkte gegenüber, um auf diese Weise nicht nur Verbesserungspotenziale, sondern auch Innovationsmöglichkeiten durch einen Blick über den Tellerrand zu ermitteln. 400 Die Wahl der richtigen Benchmarking-Form kann anhand verschiedener Kriterien getroffen werden. Je nach Zeitrahmen, Informationsbedarf und Ergebniserwartung eignen sich entweder das interne oder die verschiedenen Formen des externen Benchmarking. Müssen beispielsweise in kurzer Zeit Ergebnisse vorgelegt werden, ist ein 399 Vergleiche im Überblick Zairi (1998, S. 5 ff). 400 Vergleiche Alter (2011, S. 139 ff). <?page no="249"?> 250 5 Strategische Analyse www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden internes Benchmarking einem branchenübergreifenden vorzuziehen, da Letzteres bei detaillierter Durchführung mehrere Monate in Anspruch nehmen kann. Werden vielfältige und vor allem wettbewerbsbezogene Informationen benötigt, sind externe Formen zu präferieren. Schließlich können die einzelnen Formen mit Blick auf die zu erwartenden Ergebnisse differenziert werden: Das interne Benchmarking bietet Anhaltspunkte für Detailverbesserungen, während das konkurrenzorientierte und das brancheninterne Benchmarking Wege aufzeigen, wie ein Unternehmen zu den Besten der Branche aufschließen kann. Das branchenübergreifende Benchmarking bietet darüber hinaus Anregungen, die zur Änderung der Regeln der Wertschöpfung und des eigenen Marktauftritts genutzt werden können. 401 So hat beispielsweise Henry Ford die Idee der modernen Fließbandfertigung im Automobilbau wohl auch verschiedenen Besuchen in einer Großschlachterei zu verdanken, in der er beobachtete, wie an Haken fixierte Schweinehälften von Arbeiter zu Arbeiter weitergeschoben wurden. 402 Anwendungsbereich und Anwendungsprozess Benchmarking ist keine isolierte Methode, sondern Teil einer Managementphilosophie, in deren Mittelpunkt das ständige Streben nach Verbesserungen steht. Die Anwendung des Benchmarking und die Umsetzung der Benchmarking-Ergebnisse setzen eine flexible Organisation und Veränderungsbereitschaft voraus. Zudem ist es erforderlich, dass valide Daten vorliegen, die mit angemessenem Aufwand erhoben werden können. Grundsätzlich vollziehen sich Benchmarking-Studien in den in Abbildung 121 illustrierten fünf Phasen: 403 In der Planungsphase werden die generelle Zielsetzung und die weiteren Rahmenbedingungen des Benchmarking definiert. Das heißt, es werden die Benchmarking- Objekte und die Benchmarking-Zielgrößen ausgewählt und festgelegt, welche Benchmarking-Partner als Vergleichsgruppe dienen sollen. Im Mittelpunkt von Benchmarking-Projekten stehen häufig Unternehmensbereiche mit großem Verbesserungspotenzial oder mit erfolgskritischen Prozessabläufen wie sie in den kundennahen Wertkategorien Marketing, Vertrieb und Service zu finden sind. Zur Auswahl der Benchmarking-Objekte und der Benchmarking-Formen wird vielfach auf das Konzept der Wertkette zurückgegriffen. So hat Xerox zur Festlegung und Systematisierung der Benchmarking-Objekte primäre und sekundäre Wertschöpfungsaktivitäten 404 unterschieden und den einzelnen Bereichen Benchmarking-Partner zugeordnet. Die primären Aktivitäten Marketing, Vertrieb und Ausgangslogistik wurden beispielsweise mit den Unternehmen Procter & Gamble und L.L. Bean verglichen, während in den sekundären Bereichen Rechnungswesen und IT-Infrastruktur American Express und Deere als Vergleichsmaßstab dienten. In der Praxis werden nicht immer Vergleichspartner mit Weltklassestatus herangezogen, da diese oft nicht zugänglich und deren Daten schwer zu beschaffen sind. Wichtig ist jedoch, dass die ausgewählten Partner hinsichtlich der zentralen konstitutiven Merkmale wie Größe oder Rechtsform vergleichbar sind und 401 Vergleiche zu den einzelnen Formen im Überblick Harrington & Harrington (1996). 402 Vergleiche Siebert & Kempf (2008, S. 10). 403 Vergleiche zu den einzelnen Phasen im Überblick Fiedler & Gräf (2012, S. 264 ff) und Welge & Al-Laham (2012, S. 404 ff). 404 Vergleiche hierzu Kapitel 5.6, in dem die Wertkettenanalyse von Porter erläutert wird. <?page no="250"?> 5.5 Benchmarking 251 www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden mit Blick auf die zu analysierenden Ziele wie Kosten oder Qualität ein höheres Leistungsniveau als das eigene Unternehmen aufweisen. In der zweiten Phase eines Benchmarking-Projektes werden die erforderlichen Daten zunächst intern erhoben, um die Basis für sich anschließende Vergleiche zu schaffen. 405 Bei der Ermittlung der Leistungsgrößen für das eigene Unternehmen ist darauf zu achten, dass die Daten verfügbar, aktuell und nachvollziehbar sind, um diese bei Bedarf replizieren zu können. Daten des Benchmarking-Partners lassen sich sowohl über Beratungsunternehmen und Marktforschungsinstitute beziehen als auch über verschiedene Erhebungsmethoden selbst beschaffen. Hierbei eignen sich sowohl die bekannten Verfahren der Primärforschung wie persönliche Interviews oder Fragebögen als auch Sekundäranalysen von Jahresberichten oder Branchenreports. Abbildung 121: Prozessschritte einer Benchmarking-Studie Die Phase der Datenauswertung gliedert sich in einen deskriptiven und in einen analytischen Teil. Zunächst werden die Messergebnisse einander gegenübergestellt, um Leistungslücken des eigenen Unternehmens zu erkennen. Die Werte des Benchmarking-Partners können dabei als zu erreichende Sollwerte festgelegt und hinsichtlich ihrer Bedeutung in eine Rangfolge gebracht werden. An die Beschreibung beziehungsweise Deskription der Daten schließt sich die Analyse der Gründe für die entsprechenden Differenzen an, deren Kenntnis erst eine sachgerechte Interpretation der Ergebnisse und eine Ableitung von Maßnahmen ermöglicht. Das ausgewertete Zahlenmaterial dient als Ausgangspunkt für einen schrittweisen Abbau von Leistungsdefiziten, indem realistische Ziele und Maßnahmen definiert und gemäß ihrer Wichtigkeit und Dringlichkeit priorisiert werden. Dabei ist darauf zu achten, dass die geplanten Verbesserungen messbar sind und anhand von Kennzahlen bewertet werden können. Neben der Notwendigkeit zur Erstellung eines Kennzahlensystems ist die 405 Gelegentlich steht die Erhebung von Kenngrößen im Mittelpunkt von Benchmarking- Studien. Eine zu starke Fokussierung auf Kennzahlen verstellt jedoch den Blick auf Prozesse und Abwicklungsarten des Unternehmens, das als Vergleichspunkt gewählt wurde. Durch das Abschauen und anschließende Anpassen alternativer Ablaufformen können allerdings Wettbewerbsvorteile entstehen, die auf andere Weise kaum zu erzeugen gewesen wären. (1) Planung (2) Datenerhebung (3) Datenauswertung (4) Umsetzung (5) Erfolgskontrolle Bestimmung der Benchmarking- Objekte Festlegung der Benchmarking- Ziele Auswahl der Benchmarking- Formen Datenerhebung im eigenen Unternehmen Datenerhebung beim Benchmarking- Partner Bestimmung und Beschreibung der Leistungslücke Analyse der Gründe für die Leistungsdifferenzen Entwicklung eines Ziel- und Maßnahmenplans Erstellung von Kennzahlen Akzeptanz der Mitarbeiter schaffen Soll-Ist- Vergleiche Korrektur des Maßnahmenplans Ableitung von weiterführenden Aktivitäten Wiederholung des Benchmarking Benchmarking-Verhaltensregeln <?page no="251"?> 252 5 Strategische Analyse www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden Umsetzungsphase auch durch Veränderungsmaßnahmen auf Mitarbeiterebene gekennzeichnet. Diese sind in den Prozess zu integrieren, um Akzeptanz als Voraussetzung für die Initiierung und Implementierung von Veränderungen zu schaffen. In einem letzten Schritt unterzieht man die durchgeführten Aktivitäten einer Erfolgskontrolle, um daraus Rückschlüsse für erforderliche Anpassungen abzuleiten. Demnach ist Benchmarking keine Methode, die einmal angewendet und wie ein Projekt abgeschlossen wird. Benchmarking ist vielmehr ein permanenter Prozess des Vergleichens und Messens, in dessen Mittelpunkt die Schaffung und Erhaltung von Wettbewerbsvorteilen steht. Bei der Durchführung von Benchmarking-Studien sind bestimmte Verhaltensregeln einzuhalten, die unter anderem das International Benchmarking Clearinghouse des American Productivity and Quality Center aufgestellt hat. Diese sehen zum Beispiel vor, dass Daten legal beschafft und nur für unternehmensinterne Zwecke verwendet werden sollen. Weitere Elemente des so genannten Code of Conduct sind Vertraulichkeit und Gegenseitigkeit, womit angezeigt wird, dass die Benchmarking-Partner keine Informationen an Dritte weitergeben und untereinander vergleichbare Daten austauschen sollen. Hierdurch soll sichergestellt werden, dass kein Projektpartner durch Datenmissbrauch oder durch das Zurückhalten von Informationen geschädigt beziehungsweise benachteiligt wird. 406 Weiterführende Hinweise Der Vergleich mit den Besten bietet zahlreiche Anhaltspunkte, wie Produkte, Prozesse oder Methoden ausgestaltet werden können. Allerdings sollten Unternehmen der Versuchung widerstehen, erfolgreiche Praktiken zu kopieren oder sich an Zielgrößen zu orientieren, die den eigenen Ressourcen und Fähigkeiten nicht entsprechen. Vielmehr kommt es darauf an, Stärken aus- und zentrale Schwächen abzubauen, ohne die Veränderungsmaßnahmen dem Diktat der Benchmark zu unterwerfen. So wie es für einen schlechten Mathematikschüler wenig zielführend ist, sich an dem Klassen- oder Jahrgangsbesten in Mathematik auszurichten, so wenig erfolgversprechend ist es für Unternehmen, Benchmarking-Daten als handlungsbestimmende und unbedingt zu erreichende Sollwerte zu betrachten. Die Ergebnisse von Benchmarking-Projekten bieten die Möglichkeit, von anderen zu lernen und die Ursachen der Leistungsunterschiede im Lichte der eigenen Stärken und Schwächen und vor dem Hintergrund der Bedürfnisse und Erwartungen der Kunden zu analysieren. In diesem Sinne sollten Unternehmen Benchmarking-Ergebnisse als Informations-, Orientierungs- und Lerngröße betrachten 407 und nicht als generellen Erfolgsmaßstab oder zu kopierende Praxis. 406 Vergleiche Stapenhurst (2009, S. 276 ff). 407 Zur Thematik des Benchmarking als Initialzündung für Innovationsprozesse und zum Themenfeld der Kopplung von Benchmarking und Kreativitätstechniken vergleiche Mieke & Wikarski (2011). <?page no="252"?> 5.6 Wertkettenanalyse 253 www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden 5.6 Wertkettenanalyse Problemstellung: Analyse aller Funktionen und Aktivitäten eines Unternehmens zur Bestimmung der jeweiligen Wertbeiträge und Wettbewerbsvorteile und entsprechender Verbesserungspotenziale Zielgruppe: Geschäfts- und Funktionsbereichsleiter, Controller und Experten aus den jeweils betroffenen funktionalen Bereichen Voraussetzungen: Sachlogische Untergliederung der Gesamtleistung eines Unternehmens in wertschöpfende und unterstützende Teilleistungen Zielsetzung der Wertkettenanalyse Wettbewerbsvorteile entstehen, wenn Unternehmen den Abnehmern Produkte und Dienstleistungen bieten, die unter Kosten-Nutzen-Gesichtspunkten jenen der Konkurrenz überlegen sind. Damit Produkte und Dienstleistungen erfolgreich am Markt platziert werden können, sind sowohl Kunden und Wettbewerber als auch Stärken und Schwächen eines Unternehmens zu betrachten. Insofern ist die Umweltanalyse, die unter Rückgriff auf die PESTEL-, Branchenstruktur-, Wettbewerbsvorteils- und Stakeholderanalyse durchgeführt werden kann, durch eine Unternehmensanalyse zu ergänzen. Während die in Kapitel 5.5 diskutierte Methode des Benchmarking Umwelt- und Unternehmensaspekte verbindet, richtet die Wertkettenanalyse den Blick zunächst nach innen - auf die strategischen Fähigkeiten eines Unternehmens. Gemäß dem ressourcenorientierten Ansatz 408 sind es eben jene internen Fähigkeiten und Kompetenzen und deren effiziente Kombination, welche die Wettbewerbsfähigkeit und damit den Unternehmenserfolg bestimmen. Eine Methode zur Aufdeckung und systematischen Betrachtung von internen Stärken und Schwächen einer Organisation ist die Wertkettenanalyse. Sie liefert wichtige Informationen für die strategische Analyse und Planung, indem sie aufzeigt, welche unternehmensinternen Aktivitäten Wert stiften und damit zur Erzielung von Wettbewerbsvorteilen beitragen. Dabei wird unter einem Wettbewerbsvorteil eine im Vergleich zur Konkurrenz überlegene Leistung verstanden, die vom Kunden wahrgenommen und als relevant eingestuft wird und dauerhaft, das heißt nicht-imitierbar ist. Die Wertkettenanalyse bietet darüber hinaus Anhaltspunkte, wie die Ressourcen und Kompetenzen eines Unternehmens entwickelt beziehungsweise verbessert werden können, um den Kunden mehr Wert zu liefern. Schließlich hilft sie auch, die Frage nach der betriebswirtschaftlich sinnvollen Wertschöpfungstiefe zu beantworten und zu entscheiden, welche Funktionen oder Bereiche im Unternehmen gehalten, welche integriert und welche ausgelagert werden sollen. 409 408 Der ressourcenorientierte Ansatz, auch als Resource-Based-View bezeichnet, wurde von Wernerfelt (1984) in die Diskussion gebracht. Im Gegensatz dazu sieht der marktorientierte Ansatz, auch Market-Based-View genannt, den Erfolg von Unternehmen vor allem durch externe Faktoren begründet. Siehe hierzu auch Hieke (2009) und Rothfuss (2009). 409 Vergleiche Grant (2010, S. 131 ff) und Müller-Stewens & Lechner (2011, S. 201 f). <?page no="253"?> 254 5 Strategische Analyse www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden Beschreibung der Wertkettenanalyse Die Wertkette beziehungsweise Wertschöpfungskette bringt alle Funktionen und Aufgaben eines Unternehmens in eine geordnete Abfolge, die im Allgemeinen mit der Bereitstellung des Ausgangsmaterials beginnt und beim Kundenservice endet. Diese sachlogische und prozessuale Unterteilung der betrieblichen Transformationsschritte bietet die Möglichkeit, jede Teilfunktion auf ihren Wertschöpfungsbeitrag und auf mögliche Wettbewerbsvorteile hin zu untersuchen. Dieser Grundgedanke wurde insbesondere von Porter entwickelt, 410 der in seinen Arbeiten darauf hingewiesen hat, dass die Ursachen von Wettbewerbsvorteilen erst deutlich werden, wenn die Gesamtleistung eines Unternehmens in Teilleistungen untergliedert wird. Insofern schlägt er zur Analyse der Wertkette vor, primäre und sekundäre Aktivitäten zu unterscheiden. Die auch als Kern- und Unterstützungsfunktionen bezeichneten und in Abbildung 122 dargestellten Tätigkeiten können wie folgt beschrieben werden: 411 Zu den primären Aktivitäten zählen die Bereiche Eingangslogistik, Produktion, Ausgangslogistik, Marketing, Vertrieb und Kundenservice. Diese Aktivitäten tragen zur eigentlichen Leistungserstellung bei, indem die Waren zunächst erhalten, gelagert und verteilt werden, bevor im Rahmen der Produktion die Umwandlung der Ausgangsstoffe in Produkte oder Dienstleistungen erfolgt. Die Ausgangslogistik umfasst Tätigkeiten wie die Lagerung und Weiterleitung der fertigen Produkte, während die Bereiche Marketing, Vertrieb und Kundenservice unter anderem für die Gestaltung des Marketingmix, den Verkauf und die Wartung von Anlagen oder Geräten verantwortlich sind. Abbildung 122: Wertkette nach Porter Die sekundären Aktivitäten unterstützen die Erstellung von Produkten oder Dienstleistungen und gewährleisten das unternehmerische Handeln, ohne jedoch selbst eine Wertschöpfung zu bewirken. Sie umfassen laut Porter die Beschaffung, die Entwicklung von Technologien, die Personalwirtschaft und die Unternehmensinfrastruktur. Bei der Beschaffung handelt es sich um Tätigkeiten, welche die Primäraktivitäten mit allen erforderlichen Ressourcen versorgen, während die Technologieentwicklung zum Beispiel durch produktbezogene Forschungsleistungen oder die Entwicklung von IT- Systemen gekennzeichnet ist. Die Personalwirtschaft und die Unternehmensinfrastruk- 410 Siehe hierzu Porter (2010). 411 Vergleiche im Überblick Macharzina & Wolf (2012, S. 311). Gewinn Primäre Aktivitäten Sekundäre Aktivitäten Eingangslogistik Produktion Ausgangslogistik Marketing & Vertrieb Kundenservice Personalwirtschaft Technologieentwicklung Beschaffung Unternehmensinfrastruktur <?page no="254"?> 5.6 Wertkettenanalyse 255 www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden tur sind im Allgemeinen nicht nur mit einzelnen, sondern mit allen primären Wertschöpfungsaktivitäten verbunden, indem Mitarbeiter rekrutiert, eingestellt, vergütet, entwickelt und betreut sowie typische Managementaufgaben wie Planung, Führung und Kontrolle übernommen oder das Finanz- und Rechnungswesen bereitgestellt werden. In der Praxis entsprechen die Wertketten in den seltensten Fällen dem in Abbildung 122 aufgeführten generischen Modell von Porter, da zum Beispiel die sekundären Aktivitäten in Abhängigkeit von den primären festgelegt werden, die sich wiederum von Unternehmen zu Unternehmen und von Branche zu Branche unterscheiden können. Gleichwohl stellt die Wertkettenanalyse eine etablierte Methode dar, um den Beitrag der jeweils relevanten Unternehmensaktivitäten zur Wertschöpfung zu ermitteln. Dabei wird unter Wertschöpfung der von einem Unternehmen geschaffene Wertzuwachs verstanden, der sich aus der Differenz aus dem Wert des Endproduktes und dem Wert der Eingangsgrößen ergibt. Die Ergebnisse der Wertkettenanalyse können genutzt werden, um Bereiche mit Defiziten in Bezug auf Kosten oder Wert zu optimieren oder um Überlegungen anzustellen, welche Aktivitäten ein- oder ausgegliedert werden sollen. Abbildung 123: Beispielhaftes Wertschöpfungsnetz einer Branche Die Wertschöpfungskette eines Unternehmens ist nicht nur isoliert, sondern auch im Verbund mit den Wertschöpfungsketten vor- und nachgelagerter Organisationen zu betrachten. Denn die Wertkette eines einzelnen Unternehmens umfasst in der Regel nicht alle Aktivitäten von der Rohstoffgewinnung bis zur Auslieferung an den Endkunden. Vielmehr bilden mehrere Unternehmen ein so genanntes Wertschöpfungsnetz, in dem Produkte und Dienstleistungen durch das Zusammenspiel einer Vielzahl von Organisationen erstellt werden. 412 Wie in Abbildung 123 verdeutlicht, ist es für Unternehmen entscheidend, nicht nur die innerhalb der eigenen Grenzen durchgeführten Aktivitäten zu analysieren, sondern die gesamte Industriebeziehungsweise Branchenwertkette zu verstehen und abzuleiten, wie die eigene Position in diesem Netz verbessert werden kann. Denn innerhalb eines Wertschöpfungsnetzes gibt es mit Blick 412 Vergleiche Corsten & Corsten (2012, S. 86) und Kotler, Armstrong, Wong & Saunders (2011, S. 78 f). Wertkette eines Unternehmens Wertketten der Zulieferer der Zulieferer Wertketten der Zulieferer Wertketten der Abnehmer Wertketten der Abnehmer der Abnehmer <?page no="255"?> 256 5 Strategische Analyse www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden auf Umsätze, Kosten und Gewinne zum Teil erhebliche Differenzen. Insofern stellt sich die Frage, in welchen Bereichen des Wertschöpfungsnetzes die größten Gewinnpotenziale vorhanden sind, welche Aktivitäten selbst durchgeführt oder kostengünstigeren Produzenten überlassen werden sollen und mit welchen Unternehmen Kooperationen sinnvoll sein können. So haben zum Beispiel die Entscheider in der Automobilindustrie erkannt, dass eine so genannte Vorwärtsintegration, also die Ausdehnung der Wertkette auf nachgelagerte Fertigungsstufen, gewinnbringend ist, indem sie die ursprünglich auf den Bau eines Automobils beschränkte Wertkette um Werkstätten, Vermietungen und Finanzdienstleistungen erweitert haben. Anwendungsbereich und Anwendungsprozess Die Wertkettenanalyse findet vor allem Anwendung, wenn es um die Identifikation von aktuellen oder potenziellen Wettbewerbsvorteilen oder um die Entscheidung der Eingliederung oder Auslagerung von Unternehmensbereichen geht. Dabei stehen insbesondere Kosten und Differenzierungsfaktoren im Mittelpunkt der Analyse, die in folgenden Schritten durchgeführt werden kann: 413 Darstellung und Beschreibung der primären und sekundären Aktivitäten, Identifikation der Kosten und Kostentreiber je Wertkettenbereich, Bestimmung der Differenzierungsfaktoren je Wertkettenbereich, Vergleich der eigenen Wertkette mit den Wertketten der Konkurrenz, Ableitung von Veränderungsmaßnahmen und Verbesserungsmöglichkeiten. Die Analyse beginnt mit einer Darstellung und Beschreibung der Wertkette des eigenen Unternehmens. Dabei kann zunächst auf Informationen zur Aufbau- und zur Ablauforganisation zurückgegriffen werden, die wichtige Anhaltspunkte liefern, wie die Strukturen und Prozesse des Unternehmens gestaltet sind. Daran anknüpfend werden in Orientierung an Porter’s Modell alle wertschöpfungsrelevanten Aktivitäten identifiziert, in Gruppen eingeteilt und einem Primärbereich zugeordnet. So können beispielsweise auf der Basis einer Liste aller produktionsbezogenen Aktivitäten Gruppen wie Lackierung oder Endmontage gebildet werden, die wiederum der in Abbildung 122 aufgeführten Primäraktivität Produktion angehören. Auf diese Weise gelingt es, alle betrieblichen Aktivitäten zu berücksichtigen, zu kategorisieren und in ein übersichtliches System zu überführen. Neben den Primäraktivitäten sollten auch die Sekundäraktivitäten Beachtung finden, indem alle relevanten Unterstützungsleistungen ermittelt, gebündelt und den entsprechenden Kategorien Unternehmensinfrastruktur, Personalwirtschaft, Technologieentwicklung oder Beschaffung zugeordnet werden. Dabei zeigt die Praxis, dass sich sowohl die Wertketten von Produktions-, Dienstleistungs- oder Handelsunternehmen als auch die Verknüpfungen und Verflechtungen zwischen den einzelnen Aktivitäten zum Teil erheblich unterscheiden. Je nach Branche weisen die Wertketten unterschiedliche Schwerpunkte auf. Welche Aktivitäten tatsächlich erfolgskritisch sind, kann zum Beispiel anhand der Anteile der Aktivitäten an den Gesamtkosten oder mit Blick auf die Anteile der Aktivitäten an der Gesamtwertschöpfung bestimmt werden. Die Analyse der Beziehungen zwischen den Wertaktivitäten zeigt schließlich, wie beispielsweise Produktionsplanung und Materialbeschaffung oder Absatzpotenzialbestimmung und 413 Vergleiche im Überblick Welge & Al-Laham (2012, S. 365 ff). <?page no="256"?> 5.6 Wertkettenanalyse 257 www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden Lagerbestände zusammenhängen und wie durch eine Optimierung dieser Verknüpfungen zwischen Produktion und Beschaffung beziehungsweise zwischen Marketing und Ausgangslogistik Kosten reduziert und Wettbewerbsvorteile aufgebaut werden können. In einem zweiten Schritt werden jeder Wertaktivität Kosten zugeordnet und die Gesamtkosten der Wertkette bestimmt. Diese Daten liefern erste Hinweise über Kostenvorteile oder Kostennachteile eines Unternehmens und dienen als Grundlage für die anschließende Strategiewahl, wobei die Umsetzung in der Praxis häufig durch die Tatsache erschwert wird, dass Kosten nach Kostenstellen und nicht nach Wertaktivitäten differenziert vorliegen. Für die einzelnen Wertaktivitäten werden zudem Kostentreiber ermittelt und deren mögliche Entwicklung prognostiziert, um Maßnahmen zur Verbesserung der Kostenposition abzuleiten. Die Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen wird nicht nur durch deren Kostenstruktur, sondern auch durch Differenzierungsfaktoren beeinflusst, die im dritten Schritt betrachtet werden. Die für die einzelnen Wertaktivitäten analysierten Differenzierungsfaktoren stellen Möglichkeiten eines Unternehmens dar, sich von Konkurrenten abzuheben und Kunden einen höheren Nutzen als der Wettbewerb zu bieten. Die Untersuchung der Differenzierungsfaktoren beginnt daher mit einer Kundenwertanalyse und einer Betrachtung des Kaufverhaltens und der Bedingungen für Kundenzufriedenheit und Kundenbindung. Im Anschluss an die Bestimmung der Kunden und der kaufentscheidenden Faktoren können die einzelnen Wertaktivitäten nach Faktoren durchsucht werden, die entsprechende Differenzierungsvorteile bieten beziehungsweise den Kaufkriterien der Kunden entsprechen. Schließlich ist zu prüfen, ob die Differenzierungskosten geringer sind als der Betrag, den der Kunde für den Erhalt einer einzigartigen Leistung zu zahlen bereit ist. Ist dies nicht der Fall - übersteigen also die Differenzierungskosten die Zahlungsbereitschaft der Kunden - sind entsprechende Maßnahmen zu ergreifen, um kostenbezogene Wettbewerbsnachteile auszugleichen. In einem vierten Schritt wird die eigene Wertkette mit den Wertketten konkurrierender Unternehmen verglichen. Dieser Vergleich wird im Allgemeinen nicht erst angestellt, nachdem die beschriebenen Schritte 1 bis 3 zur Gänze durchgeführt wurden. Wettbewerbsvergleiche sind in der Praxis vielmehr parallel zur Identifikation der Kosten und Kostentreiber und der Bestimmung der Differenzierungsfaktoren vorzunehmen. In einem letzten Schritt wird man schließlich Handlungsempfehlungen ableiten, wie die Wertkette strategisch entwickelt und die Wettbewerbsfähigkeit verbessert werden kann, indem eine Bündelung der zur Verfügung stehenden Ressourcen eines Unternehmens auf die erfolgskritischen Aktivitäten erfolgt. Weiterführende Hinweise Die Wertkettenanalyse ist eine fundierte Methode zur Identifikation von Stärken und Schwächen eines Unternehmens, deren Ursachen entweder kosten- oder differenzierungsbezogen sind. Die Schwierigkeiten bei der Anwendung bestehen vor allem in der Zuordnung der Kosten zu den einzelnen Wertaktivitäten und in der Beschaffung der für Wettbewerbsvergleiche erforderlichen Daten. Ungeachtet dieser Herausforderungen bietet die Wertkettenanalyse einen detaillierten und aktivitätsorientierten Einblick in den gesamten Wertschöpfungsprozess. Dabei zeigt sich, dass die Umwelt nur ein erfolgskritischer Faktor ist. Weitere erfolgskritische Faktoren sind die Strukturen, Prozesse, Systeme und Ressourcen, also die Fähigkeiten und Möglichkeiten eines Unter- <?page no="257"?> 258 5 Strategische Analyse www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden nehmens und seiner Mitarbeiter. Insofern lautet die Frage bei der Strategiearbeit nicht Umwelt- „oder“ Ressourcenorientierung - wie sie der Market-Based-View beziehungsweise der Resource-Based-View nahelegen -, sondern Umwelt- „und“ Ressourcenorientierung. Im Folgenden werden daher weitere Methoden der internen Analyse von Unternehmen vorgestellt, die in Kombination mit den bereits diskutierten Methoden der externen Analyse die Grundlagen für die Entwicklung, Formulierung und Umsetzung erfolgreicher Strategien schaffen. 5.7 7S-Modell Problemstellung: Identifikation und Bewertung unternehmensspezifischer Erfolgsfaktoren und entsprechender Wechselwirkungen sowie Ableitung von Verbesserungsmaßnahmen Zielgruppe: Geschäfts- und Funktionsbereichsleiter sowie Führungskräfte und Experten aus unterschiedlichen funktionalen Bereichen Voraussetzungen: Beschaffung relevanter Informationen zur Bewertung der sieben Faktoren und zur Analyse der jeweiligen Beziehungen und Abhängigkeiten unter Rückgriff auf weitere Methoden der Unternehmensanalyse Zielsetzung des 7S-Modells Die Suche nach dem Schlüssel des Erfolges von Unternehmen war bereits mehrfach Gegenstand empirischer Studien. Diese haben im Wesentlichen gezeigt, dass es nicht einen generischen Faktor gibt, der ursächlich für die Entstehung von Spitzenleistungen verantwortlich gemacht werden kann. Die verschiedenen Versuche, die „Unternehmens-DNA“ 414 zu entschlüsseln, belegen vielmehr, dass wirtschaftlicher Erfolg das Resultat eines geordneten Zusammenspiels einer Vielzahl quantitativer und qualitativer Faktoren ist. Bei der Suche nach allgemeingültigen und kulturübergreifenden Erfolgsfaktoren haben die McKinsey-Berater Pascale und Athos Vergleiche zwischen japanischen und nordamerikanischen Managementmethoden, Führungsstilen und Organisationsformen angestellt, während ihre Kollegen Peters und Waterman erfolgreiche US- Unternehmen wie IBM, HP oder 3M analysierten. 415 Die Ergebnisse dieser zu Beginn der 1980er-Jahre vorgelegten Studien führten zur Entwicklung des so genannten 7S-Modells. In diesem Modell werden sieben erfolgsrelevante Aspekte unterschieden, welche die untersuchten Spitzenunternehmen in besonderem Maße kennzeichneten. Pascale und Athos sowie Peters und Waterman ermittelten, dass Unternehmen vor allem dann erfolgreich sind, wenn sie das Augenmerk nicht nur auf die Strategie, sondern gleichermaßen auf Managementpraktiken und Ressourcen des Unternehmens richten. Das 7S-Modell bietet jedoch nicht nur eine empirisch-fundierte Erklärung für Spitzenleistungen, sondern stellt auch eine Methode der internen strategischen Analyse dar, mit deren Hilfe Schwachstellen im Unternehmen aufgedeckt und Abhän- 414 Siehe Neilson & Pasternack (2006). 415 Siehe Pascale & Athos (1981) und Peters & Waterman (1982). <?page no="258"?> 5.7 7S-Modell 259 www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden gigkeiten zwischen den Erfolgsfaktoren überprüft werden können. Im Rahmen der ganzheitlichen Betrachtung eines Unternehmens werden sowohl quantitative beziehungsweise harte als auch qualitative beziehungsweise weiche Faktoren berücksichtigt. Insofern stellt das 7S-Modell eine Methode zur Diagnose, Entwicklung und Veränderung von Organisationen und deren zentralen Erfolgsgrößen dar. Beschreibung des 7S-Modells Die sieben Faktoren des McKinsey-Modells bilden das Grundgerüst eines erfolgreichen Unternehmens, das sowohl Ausgangspunkt für die Schaffung von Wettbewerbsvorteilen als auch Ansatzpunkt zur Durchführung von Organisations- und Schwachstellenanalysen ist. In Abbildung 124 sind die sieben Faktoren des Modells aufgeführt, die alle mit dem Buchstaben S beginnen - daher der Name 7S-Modell. Neben den drei harten Faktoren Strategy, Structure und Systems werden vier weiche Faktoren - Skills, Staff, Style und Shared Values - unterschieden. Während die harten Faktoren kurzfristig neuen Umweltbedingungen und Unternehmenssituationen angepasst werden können, stellen die weichen Faktoren eher zählebige und langfristig orientierte Erfolgskomponenten dar, die durch Konkurrenten nur schwer imitierbar sind und daher in besonderem Maße zur Differenzierung vom Wettbewerb beitragen. Die einzelnen Faktoren des 7S-Modells lassen sich wie folgt beschreiben: 416 Strategy: Mit dem Begriff der Strategie werden alle Maßnahmen zur langfristigen Existenzsicherung eines Unternehmens gekennzeichnet. In diesem Sinne befasst sich das strategische Management mit der Entwicklung, dem Ausbau und dem Erhalt bestehender und neuer Erfolgspotenziale. Dabei wird unter einem Erfolgspotenzial eine wettbewerbs- und kundenrelevante Fähigkeit verstanden, die dauerhafte Gewinne ermöglicht. Strategien lassen sich nach unterschiedlichen Kriterien einteilen und können gemäß dem organisatorischen Geltungsbereich zum Beispiel in Unternehmens-, Geschäftsfeld- und Funktionalstrategien differenziert werden. Unternehmensstrategien legen die Struktur einer Organisation fest und bestimmen, welche Märkte mit welchen Leistungen bearbeitet werden sollen. In Ergänzung zu der Definition des „Wo“ und „Was“ beantworten Geschäftsfeldstrategien die Frage nach dem „Wie“, indem sie Aussagen darüber treffen, mit welchen Maßnahmen Geschäftsfelder gegenüber Kunden und Wettbewerbern positioniert werden können. Funktionalstrategien beziehen sich schließlich auf Teilbereiche wie Beschaffung, Produktion oder Absatz und unterstützen durch zielorientierte Aktivitäten die erfolgreiche Realisierung der übergeordneten Geschäftsfeld- und Unternehmensstrategien. Structure: Die Struktur eines Unternehmens legt fest, wie betriebliche Handlungen gegliedert und geordnet werden. Sie bestimmt damit die Hierarchie, die Entscheidungsbefugnisse und Verfahrensregeln sowie die Verteilung von Aufgaben auf Stellen. Ziel der Strukturierung ist, durch Koordination der Abteilungen, Stellen und Aufgaben Effizienzverluste bei der Zielbearbeitung und Zielerreichung zu minimieren, die in Organisationen durch Nicht-Wissen oder Nicht-Können, also durch Informations- oder Kompetenzdefizite entstehen. Mit dem harten Faktor Struktur wird sowohl die Koordination innerhalb eines Unternehmensbereiches als auch die Koordination zwischen Unternehmensbereichen oder Tochtergesellschaften beschrieben. 416 Vergleiche im Überblick Siedenbiedel (2008, S. 173 ff). <?page no="259"?> 260 5 Strategische Analyse www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden Systems: Die Strategie und die Struktur müssen über Prozesse und Programme umgesetzt beziehungsweise zum Leben erweckt werden. Insofern sind ablauforganisatorische Aspekte, Konzepte der Planung und Kontrolle oder Technologien zur Steuerung von Informationen, Kennzahlen und Mitarbeitern erforderlich, die im 7S-Modell als Systeme bezeichnet werden. Dabei handelt es sich ebenfalls um einen harten Faktor, da die genannten Kriterien messbar sind und von den Mitgliedern einer Organisation als objektive Wirklichkeit wahrgenommen werden. Skills: Mit dem Begriff Skills werden die Kernkompetenzen eines Unternehmens beschrieben. Diese spezifischen Fähigkeiten einer Organisation sind den Kunden häufig bekannt und entscheiden über Erfolg oder Misserfolg eines Unternehmens. So liegen beispielsweise die Skills der deutschen Automobilhersteller in der Entwicklung und Fertigung von Pkw, während sie bei deutschen Banken im Bereich des Vertriebs und in der Vermögensverwaltung zu suchen sind. Ausgangspunkt einer systematischen Analyse der Skills sind Fragen nach dem derzeitigen Vorhandensein und der zukünftigen Entwicklung von Kernkompetenzen sowie nach den aktuellen und sich wandelnden Anforderungen des Marktes. Abbildung 124: Das McKinsey-7S-Modell 417 Staff: Im Unterschied zu den spezifischen Fähigkeiten einer Organisation werden mit dem Faktor Staff die individuellen Fähigkeiten der Mitarbeiter und deren Entwicklung, Förderung und Erhalt durch personalpolitische Maßnahmen gekennzeichnet. Letztere sind insofern bedeutsam, als nicht nur das Sach- und Sozialkapital, sondern auch das Humankapital eine notwendige Bedingung der Überlebensfähigkeit von Unternehmen darstellt. Style: Führungs- und Arbeitsstile, Umgangs- und Verhaltensformen sowie Werte und Normen bestimmen die als Style bezeichnete Kultur eines Unternehmens. Dabei kann 417 Modifiziert nach Pascale & Athos (1981, S. 93). Harte Faktoren Weiche Faktoren Shared Values Ziel- und Wertesystem Skills Fähigkeiten Strategy Strategie Structure Organisationsstruktur Systems Controllingsysteme Style Führungsstil Staff Mitarbeiter <?page no="260"?> 5.7 7S-Modell 261 www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden zwischen der geplanten und der gelebten Kultur unterschieden werden. Das heißt, neben der für alle Mitarbeiter offiziell gültigen Soll-Kultur gibt es vielfach eine hiervon abweichende Ist-Kultur, in der beispielsweise unerlaubte Absprachen, Bestechungen oder Mobbing auftreten und gegen Vorschriften und Werthaltungen verstoßen wird. Shared Values: Die beschriebenen harten und weichen Faktoren werden durch eine Vision und Mission und durch gemeinsame Ziele verbunden, die Identifikationsmöglichkeiten für alle Mitarbeiter darstellen. Die den Zielen übergeordnete Vision und Mission dienen als unternehmensbezogener Kitt, indem sie sowohl Aussagen über zukünftige Wunschzustände 418 treffen als auch Begründungen für die Existenz eines Unternehmens liefern und somit integrative Wirkung entfalten. Anwendungsbereich und Anwendungsprozess Weder Pascale und Athos noch Peters und Waterman haben präzise Hinweise geliefert, wie das 7S-Modell bei der Analyse und Gestaltung von Organisationen angewendet werden soll. Unterbelichtet lassen sie auch, wie die Wechselwirkungen zwischen den einzelnen Faktoren aufgedeckt und Verbesserungen initiiert werden können. Ungeachtet dessen haben sich vor allem in der Praxis von Unternehmensberatern zahlreiche Anwendungsmöglichkeiten und Umsetzungsideen ergeben. Demnach kann eine Unternehmensanalyse auf der Basis des 7S-Modells in folgenden Schritten durchgeführt werden: 419 Analyse der harten und weichen Faktoren, Bestimmung der Wechselwirkungen zwischen den Faktoren, Priorisierung des Entwicklungsbedarfs und Ableitung von Konsequenzen. Die Analyse der harten und weichen Faktoren erfolgt unter Berücksichtigung von Leitfragen. Hinsichtlich der harten Faktoren Strategy, Structure und Systems kann zum Beispiel ermittelt werden, wie man der Konkurrenz begegnen will, ob die Strukturen flexibel und die Entscheidungswege effizient sind und ob das Management durch geeignete Prozesse und Informationstechnologien unterstützt wird. Mögliche Fragen zur Untersuchung der weichen Faktoren Skills, Staff und Style könnten beispielsweise sein: Welche Kompetenzen sind entscheidend für den Erfolg des Unternehmens? Welche Mitarbeiter werden aktuell und welche in Zukunft benötigt? Welcher Führungsstil und welche Formen der Zusammenarbeit werden gepflegt? Die verbindenden Shared Values lassen sich schließlich analysieren, indem nach der unternehmensweiten Bekanntheit der Vision und Mission gefragt und überprüft wird, ob diese dem Selbstverständnis der Mitarbeiter entsprechen und ob die daraus abgeleiteten Ziele konsistent und auf die übrigen Faktoren abgestimmt sind. Nach der inhaltlichen Untersuchung der sieben Erfolgsdimensionen anhand eines Fragenkataloges wird eine Matrix zur Bestimmung der Wechselwirkungen zwischen den Faktoren erstellt. Die Matrix illustriert nicht nur Beziehungen und Abhängigkeiten, sondern hilft auch bei der Ermittlung von Konflikten zwischen den einzelnen harten und weichen Faktoren, die dazu führen, dass sowohl das Modell als auch das Unter- 418 Kotler, Keller, Brady, Goodman & Hansen (2009, S. 88) bezeichnen die Vision als einen „almost impossible dream“. 419 Vergleiche im Überblick Kerth, Asum & Stich (2011, S. 66 ff). <?page no="261"?> 262 5 Strategische Analyse www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden nehmen im Ungleichgewicht sind. Wie in Abbildung 125 dargestellt, sollten alle denkbaren Kombinationen zwischen den Faktoren berücksichtigt und Beziehungen, Konflikte und mögliche Lösungen benannt werden. Ein Beispiel: Bei der Kombination der Faktoren Strategy und Staff könnte sich zeigen, dass die Strategie sehr ambitioniert ist, aber nicht ausreichend an alle Mitarbeiter kommuniziert wurde. Zudem könnte die Analyse ergeben, dass die Mitarbeiterzufriedenheit gering und die Fluktuation hoch ist. Mögliche Lösungen könnten eine verbesserte Kommunikation der unternehmerischen Ziele und Strategien sowie Maßnahmen zur Mitarbeiterbindung und -rekrutierung sein. Abbildung 125: Matrix zur Bestimmung der Wechselwirkungen zwischen den Faktoren In einem letzten Schritt ist der aus der Matrix abgeleitete Entwicklungsbedarf zu bestimmen, indem die ermittelten Konflikte und Lösungsmöglichkeiten hinsichtlich ihrer Bedeutung für die Strategieumsetzung priorisiert werden. Dabei ist zu entscheiden, ob die Faktoren der angestrebten Strategie angepasst werden sollen oder ob die Strategie mit Blick auf die zur Verfügung stehenden Ressourcen modifiziert werden muss. Für gewöhnlich kommen bei der Beantwortung dieser Fragen weitere Methoden zur Anwendung, da die entsprechenden Entscheidungen im Allgemeinen mit weitreichenden Konsequenzen verbunden sind. Weiterführende Hinweise Das 7S-Modell stellt eine pragmatische Methode zur Analyse, Planung und Implementierung von Verbesserungsmaßnahmen dar, in deren Rahmen nicht nur die lange Zeit dominierenden harten, sondern auch weiche Faktoren berücksichtig werden. Gemäß dem 7S-Modell zeichnet sich erfolgreiche Unternehmensführung dadurch aus, dass die sieben Dimensionen gleichermaßen beachtet, aufeinander abgestimmt und in ein Gleichgewicht gebracht werden. Unklar bleibt, ob dadurch nachhaltige Erfolge erzielt werden können oder ob weitere Faktoren wie Innovations- und Veränderungsfähigkeit oder Marktorientierung für Spitzenleistungen relevant wären. Neben diesem Kritikpunkt der Konzentration auf ausgewählte Aspekte, die zufälligerweise alle mit dem Buchstaben „S“ beginnen, wird ferner darauf hingewiesen, dass das Modell statisch sei … … … … … … Strategy Structure Systems Skills Staff Style Shared Values Shared Values Style Staff Skills Systems Structure Strategy … … … … … … … … … … … … … … … <?page no="262"?> 5.8 Produktlebenszyklusanalyse 263 www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden und keine Aussagen zulasse, wie Unternehmen in Zeiten des Hyperwettbewerbs 420 geführt werden müssen. Ungeachtet der Relevanz und Validität dieser und weiterer Schwächen stellt das 7S-Modell einen sinnvollen Startpunkt zur Unternehmensanalyse dar. Da es wie die meisten betriebswirtschaftlichen Methoden in der Praxis nur Teillösungen bietet, sind weitere Konzepte anzuwenden und deren Ergebnisse zu verknüpfen, um bei der Strategieentwicklung möglichst alle blinden Flecken zu beseitigen und ein einheitliches Bild zu erhalten. 5.8 Produktlebenszyklusanalyse Problemstellung: Analyse und Planung des Produktionsprogramms und darauf abgestimmter, phasengerechter Einsatz der Marketinginstrumente Zielgruppe: Marketing- und Vertriebsverantwortliche, Produktmanager, Produktcontroller Voraussetzungen: Beschaffung relevanter Produkt-, Kunden- und Marktdaten und Verfügbarkeit von Ressourcen und Möglichkeiten zur Entwicklung geeigneter Marketingaktivitäten Zielsetzung der Produktlebenszyklusanalyse Die Aufgabe der Unternehmensanalyse besteht darin, Stärken und Schwächen eines Unternehmens zu ermitteln. Hierzu kann auf verschiedene betriebswirtschaftliche Methoden zurückgegriffen werden, die je unterschiedliche Perspektiven einnehmen: Während die Wertkettenanalyse Ursachen für Wettbewerbsvorteile und das 7S-Modell quantitative und qualitative Erfolgsdimensionen betrachten, nimmt die Produktlebenszyklusanalyse ihren Ausgangspunkt bei den Produkten beziehungsweise Dienstleistungen eines Unternehmens. Produkte und Dienstleistungen stiften Nutzen für die jeweiligen Kunden, wobei die Nutzenerwartungen der Abnehmer Veränderungen unterworfen sind. Durch das Auftreten neuer Anbieter mit zum Beispiel innovativen Produkten, neuen Vertriebswegen oder verbesserten Serviceleistungen wandeln sich die Erwartungen und Anforderungen der Kunden und damit deren Nachfrage. Das heißt, Markt- und Angebotsveränderungen bewirken im Allgemeinen, dass neue Produkte stärker und etablierte Produkte mit vergleichbaren Nutzenversprechen weniger nachgefragt werden. Insofern lässt sich empirisch zeigen, dass Produkte eine Entwicklung durchlaufen, die im Rahmen der Produktlebenszyklusanalyse beschrieben und erklärt wird. Das Ziel dieser Methode ist demnach, Absatz-, Umsatz- oder Gewinnveränderungen eines Produktes im Zeitablauf zu betrachten, um Schwächen im Produktprogramm aufzudecken und um Rückschlüsse für die Entwicklung von Marktstrategien und für die Gestaltung des Produkt-Markt-Mix zu ziehen. Die Kenntnis der Differenz zwischen den Angeboten des Unternehmens und den Anforderungen des Marktes schafft insofern die Voraussetzung zur Optimierung des Marketingmix und zur zielgruppenbeziehungsweise marktsegmentspezifischen Ausrichtung des Produktportfolios. Ergänzt werden kann die Methode um eine Betrachtung der Lebenszyklen von Branchen, 420 Siehe D’Aveni (1994) und Trout, Rivkin & Wied (2009). <?page no="263"?> 264 5 Strategische Analyse www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden Märkten oder Technologien, um für die Strategiearbeit ein detailliertes Bild sowohl der Mikroals auch der Makrobedingungen zu erhalten. 421 Beschreibung der Produktlebenszyklusanalyse Unter einem Produktlebenszyklus versteht man die Summe aller Phasen beziehungsweise Entwicklungsabschnitte, die ein Produkt von der Entstehung bis zur Eliminierung durchläuft. Dabei werden typischerweise die Zeit als unabhängige Variable und Umsatz, Absatz, Gewinn oder Kosten als abhängige Variablen betrachtet. Analog zu biologischen Organismen ist das Leben von Produkten endlich und in folgende Abschnitte unterteilbar: 422 Produktentwicklung, Markteinführung, Wachstum, Reife, Sättigung und Degeneration. Die Betrachtung des Produktlebenszyklus und der genannten sechs Phasen 423 ermöglicht Aussagen über die Anforderungen des Marktes, die sich durch politische, rechtliche, ökonomische, soziale oder technologische Bedingungen ändern können. Diese sind im Detail zu analysieren und - wenn möglich - zu antizipieren, um das Produktprogramm entsprechend zu gestalten. Die in Abbildung 126 illustrierten Abschnitte sind jedoch nicht nur für Produkte charakteristisch, sondern auch für Modetrends oder Lebensstile. Auch diese verändern sich im Verlauf der Zeit: Sie entstehen, finden wachsenden Zulauf, erleben Höhepunkte, stagnieren und werden schließlich durch Neues verdrängt. Obgleich die Entwicklungsabschnitte hinsichtlich Verlauf und Dauer recht unterschiedlich ausgeprägt sein können, weisen sie eine typische Reihenfolge und die nachstehenden Besonderheiten auf: Entwicklungsphase: Die erste Phase ist durch die Entwicklung des Produktes gekennzeichnet, die mit der Ideengewinnung und Ideenkonkretisierung beginnt und mit der Produktrealisierung endet. In diesem Entwicklungsabschnitt fallen keine Umsätze, aber bereits erhebliche Kosten an. Neben den reinen Entwicklungskosten entstehen durch Produkt- und Markttests oder Kundenwert- und Kundenpräferenzanalysen zusätzliche Aufwendungen, die durch Erträge beziehungsweise Einnahmen anderer Produkte gedeckt werden müssen. Einführungsphase: An die erfolgreiche Entwicklung eines Produktes schließt sich die Phase der Einführung in den relevanten Markt an. Recht häufig werden Produkte zunächst nur in einer Basisversion angeboten, bevor im weiteren Verlauf neue Varianten und Differenzierungen entstehen. Die erste Marktphase zeichnet sich durch langsam steigende Absätze bei immer noch recht hohen Kosten aus. Vielfach werden in 421 Vergleiche Bea & Haas (2013, S. 134 ff) und Welge & Al-Laham (2012, S. 357 ff). 422 Vergleiche im Überblick Helm (2006, S. 300 ff), Kotler, Armstrong, Wong & Saunders (2011, S. 666 ff) und Sander (2011, S. 328 ff). 423 Theorie und Praxis kennen auch andere Phasenabgrenzungen (vergleiche Höft 1992). <?page no="264"?> 5.8 Produktlebenszyklusanalyse 265 www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden der ersten Hälfte dieses Entwicklungsabschnittes aufgrund hoher Aufwendungen für Marketing und Vertrieb Verluste erwirtschaftet. Denn zum einen müssen Kunden auf Produkte aufmerksam gemacht und informiert sowie zum Kauf animiert werden. Zum anderen müssen Händler zur Aufnahme der Produkte in das Sortiment bewegt und deren Lagerbestände gegebenenfalls vorfinanziert werden. Bei der Wahl der geeigneten Marketingstrategie bestehen zahlreiche Freiheitsgrade hinsichtlich der Preis-, der Kommunikations- und der Vertriebspolitik. Je nach Marktsituation können - wie in Kapitel 4.1 beschrieben - zum Beispiel eine Skimming- oder eine Penetrationsstrategie verfolgt, aufwändige oder einfache kommunikationspolitische Maßnahmen ergriffen und direkte oder indirekte Vertriebswege festgelegt werden. Wachstumsphase: Wenn Unternehmen in der Lage sind, Produkte anzubieten, die nicht nur die so genannten Early Adopter, sondern auch weitere Käufer begeistern, werden sie nach einer Einführungsin eine Wachstumsphase eintreten. Diese ist durch deutlich steigende Absatzzahlen und Gewinne und die Herausforderung gekennzeichnet, Markteintrittsbarrieren aufzubauen. Denn die Erfolge des Marktpioniers werden neue Wettbewerber anlocken, die auf der Basis beobachteter Markt- und Kundenreaktionen den Versuch unternehmen, sich mit vergleichbaren oder verbesserten Angeboten zu positionieren. Insofern kommt es in diesem Stadium darauf an, Produktvarianten einzuführen, Preise zu differenzieren oder Vertriebskanäle zu erweitern, um den aktuellen und potenziellen Kunden einen größeren Mehrwert zu bieten als die Konkurrenz. Abbildung 126: Idealtypischer Lebenszyklus eines Produktes Reifephase: Zu Beginn der Reifephase steigen die Absätze weiter und es werden signifikante Gewinne erzielt. Gleichwohl werden in der zweiten Hälfte dieses üblicherweise recht langen Stadiums die ersten Anzeichen einer Marktsättigung erkennbar. Das Wachstum verlangsamt sich, während Unternehmen im Allgemeinen versuchen, durch gesteigerte Marketingaufwendungen und das Erschließen neuer Marktsegmente diesem Trend zu begegnen. Die entsprechenden Marketingaktivitäten führen in Kombination mit dem weiter steigenden Wettbewerbsdruck bei den meisten Anbietern zu Gewinnstagnationen oder sogar zu Gewinnrückgängen. Infolgedessen scheiden finanzschwache Konkurrenten schrittweise aus dem Marktgeschehen aus. Absatz und Gewinn Zeit Einführung Wachstum Reife Sättigung Degeneration Entwicklung Absatz Gewinn <?page no="265"?> 266 5 Strategische Analyse www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden Sättigungsphase: In der Sättigungsphase erreicht der Absatz ein Plateau und die Gewinne brechen zum Teil deutlich ein. Daher beginnen Unternehmen - zum Teil noch vor Beginn der Degenerationsphase -, schwache Produkte aus dem Portfolio zu entfernen und starke Produkte zum Beispiel durch einen Relaunch wieder auf Erfolgsbeziehungsweise Wachstumskurs zu bringen. Degenerationsphase: Im letzten Abschnitt sinken sowohl Absätze als auch Gewinne, und das Produkt wird aufgrund technischer Unterlegenheit oder veränderter Käuferbedürfnisse nur noch in begrenzten Varianten angeboten oder vom Markt genommen. Die Werbeausgaben werden auf ein Minimum reduziert oder eingestellt - es sei denn, eine Wiederbelebung des Produktes im Sinne eines Relaunch erscheint aufgrund der spezifischen Marktkonstellation erfolgversprechend. Schwache Produkte werden in der Praxis teilweise auch unverändert weitergeführt, wenn diese beispielsweise zum Image eines Anbieters beitragen oder wenn das Management davon ausgeht, dass sich nach dem Rückzug zentraler Wettbewerber neue Absatzmöglichkeiten ergeben. Anwendungsbereich und Anwendungsprozess Die Durchführung einer Produktlebenszyklusanalyse setzt die Verfügbarkeit relevanter Produkt-, Kunden- und Marktdaten voraus. Dabei kann sowohl auf Primärals auch auf Sekundärquellen zurückgegriffen werden. Im ersten Fall dienen vergangenheitsorientierte Absatz- oder Umsatzzahlen und zukunftsorientierte Planwerte von Vertriebs- und Marketingexperten des eigenen Unternehmens als zentrale Inputvariablen. Im zweiten Fall werden Marktforschungsstudien, Branchenanalysen und Trendprognosen zu Rate gezogen. Im Idealfall basiert eine Produktlebenszyklusanalyse auf verschiedenen Datenquellen, um die eigenen Produkte möglichst präzise in entsprechende Entwicklungsphasen einzuteilen und um erfolgversprechende Marketingmaßnahmen abzuleiten. Die Anwendung der Methode erfolgt typischerweise in drei Schritten: Sammlung und Validierung aller relevanten Produkt-, Kunden- und Marktdaten, Auswertung und Interpretation des primären und sekundären Zahlenmaterials, Bestimmung zukünftiger Kunden- und Marktentwicklungen. Zunächst ist zu klären, welche Daten, in welchen Unternehmensbereichen, auf welchem Detailniveau vorliegen. Vergangenheits- und gegenwartsbezogene Zahlen sind üblicherweise im Marketing und Vertrieb oder im Produktmanagement und Controlling zu finden. Diese müssen gesammelt und validiert und danach differenziert werden, ob es sich zum Beispiel um Umsatzzahlen für einzelne Produkte und ganze Produktkategorien oder um Kundenzufriedenheits- und Kundenabwanderungsdaten handelt. Ergänzt werden die intern verfügbaren Zahlen um Sekundärinformationen, die beispielsweise Auskunft über Trends oder sich abzeichnende Technologieveränderungen geben. Die primären und sekundären Quellen werden schließlich ausgewertet und um Ergebnisse unternehmensinterner Szenarioanalysen erweitert, um ein möglichst umfassendes Bild vergangener, aktueller und zukünftiger Entwicklungen zu erhalten. Auf dieser Basis können Lebenszyklen bestimmt, Normstrategien abgeleitet und Produkte gemäß ihrem jeweiligen Alter und ihrer jeweiligen Position im Lebenszyklus bearbeitet werden. Zur Produktprogrammplanung kommt die Lebenszyklusanalyse in der Praxis jedoch kaum isoliert zur Anwendung. Vielmehr wird sie in der Regel um betriebswirtschaftliche Methoden wie die Conjoint-, Kundenzufriedenheits- oder Wettbewerbsvorteilsanalyse ergänzt, die in den Abschnitten 4.4, 4.6 und 5.3 ausführlich diskutiert werden. <?page no="266"?> 5.9 Erfahrungskurvenanalyse 267 www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden Weiterführende Hinweise Seit einigen Jahren ist der Trend zu beobachten, dass Marktzyklen von Konsumgütern kürzer werden, während sich Forschungs- und Entwicklungsphasen teilweise verlängert haben. Dadurch entstehen neue Herausforderungen für die Produktprogrammplanung und die Entwicklung von Produktstrategien. So haben in der jüngeren Vergangenheit zum Beispiel namhafte Unternehmen der Chemie- und Pharmaindustrie auf die Tendenz zu kürzeren Markt- und längeren Entwicklungszyklen reagiert, indem sie innovative Unternehmen mit einer gut gefüllten Pipeline übernommen und dadurch Schwächen in der Entwicklung eigener Produkte ausgeglichen haben. Zur Identifikation dieser und ähnlicher Handlungsoptionen kann unter anderem auf die Produktlebenszyklusanalyse zurückgegriffen werden. Mit Hilfe dieser Methode lassen sich absatzpolitische Maßnahmen optimieren und Produkte zielgruppengerecht positionieren. Allerdings sind bei der Anwendung folgende Hauptkritikpunkte zu beachten, die sich vor allem gegen den Phasenverlauf und die Phasenlänge richten: Die Produktlebenszyklusanalyse geht von einem quasi naturgesetzlichen Phasenverlauf aus, der in Abbildung 126 beschrieben ist. In der Praxis können sich jedoch davon abweichende Verläufe ergeben, indem beispielsweise Phasen übersprungen oder die Länge der Phasen ausgedehnt werden. Für Produktmanager ergibt sich daraus die Schwierigkeit, präzise Verläufe zu prognostizieren und das Produktprogramm entsprechend auszurichten. Vielfach gelingt es erst im Nachhinein, den Lebenszyklus zu beschreiben und deutlich zu machen, welche Maßnahmen man hätte ergreifen sollen. Diese methodische Schwäche lässt sich kompensieren, indem man in der Praxis betriebswirtschaftliche Methoden nicht isoliert, sondern kombiniert anwendet und zentrale Weichenstellungen erst auf der Basis entsprechend fundierter Kombinationsanalysen vornimmt. 5.9 Erfahrungskurvenanalyse Problemstellung: Analyse und Prognose des Zusammenhangs zwischen Stückkosten und Produktionsmengen zur Bestimmung von Kostensenkungspotenzialen und Marktanteilssteigerungsmöglichkeiten sowie zur Auswahl geeigneter Strategietypen Zielgruppe: Produktionsleiter, Produktionscontroller, Marktforscher, Produktmanager Voraussetzungen: Beschaffung von Herstellungskosten für abgrenzbare Produkte und Zugang zu internen oder externen Vergleichsdaten Zielsetzung der Erfahrungskurvenanalyse Erfolgreiche Unternehmen zeichnen sich nicht zuletzt dadurch aus, dass sie auf der Grundlage empirischer Erfahrungen klare Strategien entwickeln und diese konsequent umsetzen. Dabei gelingt es ihnen, Lücken zwischen Planung und Ausführung gering zu halten und Kosten effektiv zu managen. Die Bedeutung von Erfahrungen im Rahmen wertschöpfender Aktivitäten wurde bereits in den 1930er-Jahren in der Flugzeugindustrie erkannt, während die Wichtigkeit eines effektiven Kostenmanagements insbesondere in der jüngeren Vergangenheit in den Mittelpunkt gerückt ist, da unternehmerische Entscheidungen zunehmend an Wirtschaftlichkeitskennziffern ausgerichtet <?page no="267"?> 268 5 Strategische Analyse www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden werden. Beide Aspekte, Erfahrungen und Kosten, bilden die Grundlage des so genannten Erfahrungskurvenkonzeptes, das eine Erweiterung des Lernkurveneffektes darstellt. Der Lernkurveneffekt wurde bei der Produktion von Flugzeugen in den USA erstmalig 1936 festgestellt. 424 Es zeigte sich, dass mit zunehmender Produktionsmenge die Produktionszeiten pro Stück zurückgingen. Dies wurde darauf zurückgeführt, dass Menschen bei wiederholter Ausführung gleichartiger Tätigkeiten nicht nur weniger Fehler machen, sondern auch schneller sind. Bezug nehmend auf diese und weitere Erkenntnisse der Lern- und Arbeitspsychologie wurde für die Korrelation zwischen Fertigungszeit und Fertigungsmenge der Begriff Lernkurveneffekt eingeführt. Diesen Effekt brachte in den 1960er-Jahren die Boston Consulting Group - heute eine der größten Managementberatungsgesellschaften weltweit - in Zusammenhang mit der Entwicklung der Wertschöpfungskosten. Diese sind insofern bedeutsam, als sie in einem direkten Zusammenhang mit der Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen stehen. Anders formuliert: Je effizienter das Kostenmanagement eines Unternehmens, desto größer die Chance, Vorteile gegenüber Konkurrenten zu erzielen. Wie aber und in welchem Umfang können Kosten gesenkt werden? Antworten auf diese Frage bietet das Erfahrungskurvenkonzept: Demnach können in schnell wachsenden beziehungsweise ungesättigten Märkten Marktanteile durch eine Erhöhung der Ausbringungsmenge erzielt werden, die wiederum zu einer Reduktion der Stückkosten führt. Zur Planung und Umsetzung der auf diese Weise erzielten Wettbewerbsvorteile kann die Erfahrungskurvenanalyse herangezogen werden. Als eine Methode der Unternehmensanalyse kommt sie vor allem auf Geschäftsbereichsebene zum Einsatz, wenn es um die Frage der Erzielung weiterer Marktanteile und um die Senkung von Kosten beziehungsweise um die Wahl der richtigen Strategie und um die angemessene Allokation von Ressourcen geht. 425 Beschreibung der Erfahrungskurvenanalyse Das Konzept der Erfahrungskurve besagt, dass mit einer Verdoppelung der kumulierten Produktionsmenge die inflationsbereinigten Stückkosten um einen konstanten Prozentsatz sinken können, der je nach Branche und Marktsituation zwischen 20 und 30 Prozent liegt. Die in Abbildung 127 dargestellte und empirisch belegte Kostenentwicklung bezeichnet man als Erfahrungskurve, die allerdings nicht den Charakter eines Gesetzes 426 hat - wie vielfach postuliert wird -, sondern vielmehr Potenziale aufzeigt, die durch Rationalisierung, Standardisierung und Automatisierung genutzt werden können. Die Stückkosten umfassen dabei nicht nur Produktionskosten, sondern auch Kosten für Beschaffung, Marketing oder Vertrieb. Deren Rückgang kann unter Verweis auf folgende Faktoren erklärt werden: 427 424 Siehe Wright (1936). 425 Vergleiche Jones & Hill (2013, S. 123 f) und Müller-Stewens & Lechner (2011, S. 259 f). 426 Von einem Gesetz spricht man, wenn eine wissenschaftliche Aussage generelle Gültigkeit besitzt (vergleiche im Überblick Schnell, Hill & Esser 2011). Obgleich das Erfahrungskurvenkonzept über einen gewissen „Bewährungsgrad“ (Popper 1994, S. 198) verfügt, kann im engen Sinne nicht von einem statistischen und erst recht nicht von einem deterministischen Gesetz gesprochen werden, da bislang nicht verlässlich nachgewiesen wurde, dass die Ergebnisse des Erfahrungskurvenkonzeptes raum-zeitlich ungebunden sind. 427 Vergleiche im Überblick Bea & Haas (2013, S. 138 ff). <?page no="268"?> 5.9 Erfahrungskurvenanalyse 269 www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden Die bereits beschriebenen Lerneffekte, die sich durch die wiederholte Ausführung von gleichartigen Tätigkeiten ergeben, führen zu einer Verbesserung von Fertigungszeit und Fertigungsqualität und damit zu einer Kostenreduktion. Neben der durch Lernen verursachten Kostendegression wirken sich technologische Verbesserungen der Anlagen oder der Materialien, aber auch Prozess- und Produktstandardisierungen positiv auf die Kostensituation aus. Diesen Effekt nutzt beispielsweise die Automobilindustrie schon seit einigen Jahren, indem verschiedene Pkw-Modelle auf identischen Plattformen gefertigt werden. Insbesondere der Volkswagen-Konzern versucht, die Plattformstrategie durch weitergehende Standardisierungen zu perfektionieren. So sollen mit der Einführung des modularen Querbaukastensystems Kosten-, Flexibilitäts- und Qualitätsvorteile gegenüber Toyota und General Motors erzielt werden, damit VW zum größten Autohersteller der Welt aufsteigen kann. Abbildung 127: Schematische Darstellung der Erfahrungskurve Eine Erhöhung der Produktionsmenge bietet die Chance, Größenvorteile - so genannte Economies of Scale - zu nutzen. Dieser aus der Massenproduktion bekannte Umstand besagt, dass eine Ausdehnung des Outputs mit gesteigerter Macht auf den Beschaffungsmärkten, mit Fixkostendegressionen und wirtschaftlicheren Produktionsverfahren einhergeht. Das heißt, eine vergrößerte Nachfrage nach Inputfaktoren führt in der Regel zu günstigeren Einkaufskonditionen. Zudem können Fixkosten bei größeren Ausbringungsmengen auf mehr Produkteinheiten verteilt und somit die Kosten pro Einheit reduziert werden. Schließlich ermöglichen erhöhte Stückzahlen eine Umstellung auf effizientere Fertigungsverfahren, wie die von Taylor entwickelte und von Ford umgesetzte Fließbandfertigung, welche die Einzel- oder Werkstattfertigung ablöste. Auch Verbundvorteile - so genannte Economies of Scope - können als Folge zunehmender Produktionsmengen realisiert werden. Darunter sind Synergien innerhalb eines Unternehmens oder zwischen verbundenen Unternehmen zu verstehen, die sich ergeben, wenn die Kosten für die gleichzeitige Herstellung von Produkten geringer sind, als die Kosten für die getrennte Produktion der einzelnen Güter. Kumulierte Ausbringungsmenge Stückkosten <?page no="269"?> 270 5 Strategische Analyse www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden Die strategische Bedeutung des Erfahrungskurvenkonzeptes besteht vor allem darin, dass Kostensenkungspotenziale ausgelotet, Marktpreise prognostiziert, Make-or-Buy- Entscheidungen abgewogen und Time-to-Market-Strategien festgelegt werden können. Insbesondere mit Blick auf das Timing des Markteintritts oder der Marktausweitung wird deutlich, dass sich bei der Verfolgung einer Pionier- oder First-Mover-Strategie schneller Bekanntheits-, Image- oder Erfahrungskurveneffekte einstellen, als bei der Verfolgung einer Nachzügler- oder Follower-Strategie. Unternehmen sollten insofern versuchen, auf wachsenden Märkten schnell einen großen Marktanteil zu erzielen, indem sie die Ausbringungsmenge erhöhen und auf diese Weise Stückkosten reduzieren und rentable Ergebnisse erwirtschaften. Diese Logik des Erfahrungskurvenkonzeptes fasst Abbildung 128 zusammen. Abbildung 128: Logik des Erfahrungskurvenkonzeptes 428 Allerdings ist zu berücksichtigen, dass sowohl auf nationalen als auch auf internationalen Märkten die Nachfrage nach Massenprodukten zurückgeht und Kunden immer häufiger individualisierte Angebote erwarten, die nur in kleinen Stückzahlen bereitgestellt werden. Insofern ist vor der Anwendung dieser Methode zu fragen, in welchen Kunden- und Marktsegmenten sowie in welchem Umfang die Voraussetzungen für die Realisierung von Erfahrungskurvenvorteilen überhaupt noch gegeben sind. 429 Anwendungsbereich und Anwendungsprozess Die Erfahrungskurvenanalyse unterscheidet sich von anderen betriebswirtschaftlichen Methoden, da sie nur Anhaltspunkte für die beschriebenen Maßnahmen bietet, nicht jedoch ein standardisiertes Anwendungsprocedere zur Generierung von Marktanteilen und damit verbundenen Stückkostenreduktionen bereitstellt. Ungeachtet dessen hat sich in der Praxis folgende Vorgehensweise als sinnvoll erwiesen: 430 Der erste Schritt der Erfahrungskurvenanalyse besteht in der Festlegung des Untersuchungsgegenstandes. Das heißt, es ist präzise zu bestimmen, für welche Produkte oder Produktbereiche Marktanteilsausweitungen durch steigende Produktionsvolumina und damit verbundene Kostendegressionen erreicht werden sollen. Die in Betracht kommenden Produkte müssen homogene Herstellungsverfahren und Herstellungsprozesse aufweisen, um die korrelative Kette aus Erfahrungen, Kosten und Marktanteilen bestimmen zu können. Insofern eignet sich ein heterogenes Produktportfolio in aller Regel nicht für die Erfahrungskurvenanalyse - insbesondere dann nicht, wenn die 428 Corsten & Corsten (2012, S. 108). Siehe hierzu auch das PIMS-Projekt - im englischsprachigen Kontext als Profit Impact of Market Strategies bekannt -, in dessen Rahmen empirisch belegt wurde, dass eine positive Korrelation zwischen Marktanteil und Rentabilität besteht (vergleiche Buzzell & Gale 1987). 429 Vergleiche Bea & Haas (2013, S. 141). 430 Vergleiche im Überblick Kerth & Asum (2008, S. 22 ff). Größter Marktanteil Höchste kumulierte Menge Niedrigste Stückkosten Höchste Rentabilität <?page no="270"?> 5.9 Erfahrungskurvenanalyse 271 www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden Einzelprodukte auf unterschiedliche Märkte und Kunden ausgerichtet sind und die Produktionsabläufe nur geringe Ähnlichkeiten aufweisen. Umgekehrt können Erfahrungen mit einem Produkt auf andere Produkte übertragen werden, sofern diese hinsichtlich der Kriterien Produktion und Markt vergleichbar sind. In einem zweiten Schritt werden Ist-Werte für die ausgewählten Produkte oder Produktbereiche bestimmt. Die Höhe und die Besonderheiten der entsprechenden Stückkosten müssen im Detail analysiert werden. Das heißt, es sind nicht nur die reinen Kosten, sondern auch deren zeitlicher Verlauf seit der Markteinführung des Produktes in Relation zur Produktionsmenge in den Blick zu nehmen. Demnach würde zum Beispiel ein Tablet-PC-Hersteller nicht nur die Stückkosten zu einem bestimmten Zeitpunkt ermitteln, sondern auch prüfen, wie lange das Produkt bereits auf dem Markt ist und welche Änderungen sich mit steigender Ausbringungsmenge ergeben haben. Auf diese Weise würde man für die Tablet-PCs nicht nur präzise Daten zur Bestimmung der Ausgangssituation erhalten, sondern auch Informationen darüber, ob der relevante Markt noch aufnahmefähig für weitere Mengen ist. Wäre dies nicht der Fall, dürften die Spielräume zur Erzielung weiterer Kostenvorteile gering sein. Die im nächsten Schritt beschriebene Planung der Zielwerte sollte entsprechend zurückhaltend erfolgen. Die Berechnung möglicher Sollwerte basiert für gewöhnlich auf Schätzungen. Hierzu werden in einem dritten Schritt beispielsweise technische Verbesserungen, Prozessoptimierungen oder geänderte Arbeitsabläufe in Betracht gezogen, um die jeweiligen Effekte für die Stückkostenentwicklung zu quantifizieren. Ziel ist es, die potenziell geringsten Stückkosten zu bestimmen und diese als zu erreichende Sollwerte zu definieren. Dabei werden auch Branchen- und Benchmarkingdaten oder Erfahrungswerte aus anderen Geschäftsbereichen herangezogen, um die Sollwerte nicht nur an internen, sondern auch an externen Faktoren auszurichten. In einem letzten Schritt werden Aktivitäten festgelegt, um die Differenz zwischen Ist- und Sollwerten auszugleichen. Die gewünschten Kostendegressionseffekte stellen sich insbesondere dann ein, wenn die Aktionsprogramme kontinuierlich aktualisiert und neuen Rahmenbedingungen angepasst werden. Hierzu kann auf verschiedene Methoden wie das Benchmarking, die Wertketten- oder die Produktlebenszyklusanalyse zurückgegriffen werden, die im Mittelpunkt der Kapitel 5.5, 5.6 und 5.8 stehen. Entscheidend ist, dass die zentralen Hebel zur Kostenoptimierung identifiziert, mit Aktivitäten adressiert und mit Hilfe von Plänen und Kennzahlen überwacht werden, um weitere Absatzmengen und damit verbundene Kostenvorteile zu erzielen. Weiterführende Hinweise Kosteneffizienz stellt die Basis für Wettbewerbsvorteile dar. Dies gilt insbesondere für Branchen, in denen kaum oder keine Möglichkeiten bestehen, sich durch Produktdifferenzierung von Konkurrenten abzuheben. Insofern ist die Untersuchung von Kostenvorteilen im Rahmen der strategischen Analyse von besonderer Bedeutung. Dabei können auf der Basis der Erfahrungskurve folgende Kostentreiber näher betrachtet werden: Lern-, Skalen- und Verbundeffekte sowie Technologie- und Standardisierungseffekte. Will man nicht nur Hinweise auf Kostensenkungspotenziale ermitteln, sondern auch die Kostenposition eines Unternehmens ganzheitlich bestimmen, sind weitere Methoden zu berücksichtigen. Denn die Erfahrungskurvenanalyse eignet sich nur in begrenztem Maße, wenn die gesamte Wertschöpfungskette mit allen assoziierten <?page no="271"?> 272 5 Strategische Analyse Kosten im Mittelpunkt des Interesses steht. Hierfür sollte eher auf den in Kapitel 5.6 beschriebenen Ansatz von Porter zurückgegriffen beziehungsweise dieser mit der Erfahrungskurvenanalyse kombiniert werden. <?page no="272"?> www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden 6 Strategische Planung, Umsetzung und Kontrolle Strategien müssen nicht nur analysiert, sondern auch geplant, umgesetzt und kontrolliert werden. Die Aspekte der Planung, Umsetzung und Kontrolle wurden allerdings lange Zeit gegenüber dem Aspekt der Analyse vernachlässigt. Dies lag zum einen daran, dass man bei der strategischen Analyse auf einen größeren Fundus an Methoden und Techniken als bei der strategischen Planung, Umsetzung und Kontrolle zurückgreifen konnte, die zudem in der Handhabung recht einfach waren. Zum anderen erforderte und erfordert vor allem die strategische Umsetzung mehr operatives Know-how und die Fähigkeit, Allgemeines in Spezielles übersetzen zu können. Schließlich wird das Thema der strategischen Umsetzung und Kontrolle häufig unter dem Gesichtspunkt der Performance- Messung betrachtet und demnach auf Messgrößen und Messkriterien reduziert. Obgleich die Strategieimplementierung nicht ohne Kennzahlen auskommt, sollten diese nicht alleiniger Bestandteil der letzten Phase des strategischen Managementprozesses sein. Im Mittelpunkt der Strategieimplementierung sollten vielmehr die Priorisierung, Strukturierung und Abstimmung aller Maßnahmen inklusive deren Überprüfung stehen. Anders formuliert: Wesentliches Kennzeichen der strategischen Umsetzungs- und Kontrollphase ist ein systematisches und zielgrößengesteuertes Aktivitätenmanagement auf allen Ebenen der Unternehmensorganisation und nicht nur Kennzahlenhuberei. Die Planung und Umsetzung von Strategien in operatives Handeln erfolgt auf verschiedenen Ebenen. Je nachdem ob eine Unternehmens-, eine Geschäftsbereichs- oder eine Funktionalstrategie implementiert werden soll, stehen unterschiedliche Perspektiven im Mittelpunkt. Auf der obersten Strategieebene wird entschieden, in welchen Geschäftsfeldern das Unternehmen tätig sein möchte und ob eine Wachstums-, eine Stabilisierungs- oder eine Desinvestitionsstrategie verfolgt werden soll. Auf Geschäftsbereichsebene wird festgelegt, wie man sich gegenüber Kunden und Wettbewerbern positionieren will und welche Ressourcen hierzu genutzt werden können. Funktionalstrategien stellen schließlich Konkretisierungen unter anderem in den Bereichen Forschung, Entwicklung, Beschaffung, Produktion oder Marketing dar und machen deutlich, welchen Beitrag die funktionalen Bereiche zur Umsetzung der übergeordneten Strategien leisten können. Entscheidend für die Kontrolle der einzelnen Strategietypen ist deren Evaluier- und Messbarkeit. Das heißt, strategische Aktivitäten und Programme müssen prinzipiell überprüfbar sein, wobei sich die Überprüfung im Sinne einer Planbeziehungsweise Durchführungskontrolle auf die definierten Ziele und Meilensteine oder im Sinne einer Prämissenkontrolle auf die Gültigkeit der gesetzten Annahmen beziehen kann. Entsprechend der Konzeption dieses Buches bleiben im Folgenden strategische Planungs-, Umsetzungs- und Kontrollansätze unberücksichtigt, die den Charakter von Denkmodellen oder Heuristiken haben und nicht in einzelne Anwendungsschritte zerlegt beziehungsweise als betriebswirtschaftliche Methode betrachtet werden können. Demnach wird man einige Werkzeuge nicht finden, die in einschlägigen Strategielehrbüchern und Management-Toolboxen zum Teil einen prominenten Platz einnehmen. Das Kapitel beginnt mit der SWOT-Analyse, die zwar teilweise dem Bereich der strategischen Analyse zugeordnet wird, aber gemäß der hier vertretenen Auffassung die Brücke zwischen strategischer Analyse einerseits und strategischer Planung und Umsetzung andererseits schlägt und insofern den Anfang der Planungsmethoden bildet. <?page no="273"?> 274 6 Strategische Planung, Umsetzung und Kontrolle www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden 6.1 SWOT-Analyse Problemstellung: Identifikation des strategischen Handlungsbedarfs eines Unternehmens oder einer Geschäftseinheit und Ableitung strategischer Optionen und Aktivitäten Zielgruppe: Geschäftsführer, Geschäftsbereichsleiter, Marktforscher, Business Development Manager Voraussetzungen: Beschaffung von Informationen zu Stärken und Schwächen eines Unternehmens und zu Chancen und Risiken des Umfeldes sowie Methoden-Know-how und klare Abgrenzung des Untersuchungsobjektes Zielsetzung der SWOT-Analyse Die in Kapitel 5 beschriebenen Methoden der strategischen Analyse haben zum Ziel, alle erforderlichen Informationen für die Ableitung strategischer Optionen bereitzustellen. So liefern die Methoden der Umweltanalyse Daten über Chancen und Risiken im Umfeld, während die Methoden der Unternehmensanalyse Stärken und Schwächen eines Unternehmens oder Geschäftsbereiches aufdecken. Die einzelnen externen und internen Informationen stiften isoliert betrachtet nur begrenzten Nutzen. Für die Entwicklung tragfähiger Strategien müssen sie zusammengeführt und unter Berücksichtigung der jeweiligen Wechselbeziehungen ausgewertet werden. Ein geeignetes Hilfsmittel, die in der Situationsanalyse gewonnenen Daten für die Strategiearbeit zu bündeln, ist die so genannte SWOT- oder Stärken-Schwächen-Chancen-Risiken-Analyse. 431 Im Rahmen dieser Analyse werden die erfolgskritischen Faktoren identifiziert und systematisch ausgewertet. Die Durchführung einer SWOT-Analyse setzt insofern das Vorhandensein unternehmensexterner und unternehmensinterner Informationen voraus, die mit Hilfe anderer Methoden gesammelt wurden. Denn die SWOT-Analyse ist keine Methode zur Informationsgewinnung, sondern ein strategisches Instrument zur Informationsverdichtung, -verarbeitung und -auswertung. Beschreibung der SWOT-Analyse Seit vielen Jahrzehnten wird in der Entwicklungspsychologie und in der Sozialisationsforschung darüber gestritten, ob interne Faktoren wie die genetische Ausstattung eines Menschen oder externe Faktoren wie Familie, Schule oder Freundesgruppe die Fähigkeiten eines Individuums stärker beeinflussen. Diese so genannte Anlage-Umwelt- Debatte 432 fand ihren Ursprung bereits in der Antike und prägte das Denken ganzer Forschergenerationen. Nicht ganz so weit zurück reicht die innerhalb der Betriebswirtschaftslehre geführte Kontroverse, ob die Ressourcen eines Unternehmens - also interne Faktoren - oder die Bedingungen der Umwelt - also externe Faktoren - den Erfolg von Unternehmen bestimmen. Folgt man den Argumenten des Resource- 431 Das von der Harvard Business School in die Diskussion gebrachte Akronym SWOT steht für Strengths, Weaknesses, Opportunities und Threats und bezieht sich demnach auf Stärken und Schwächen eines Unternehmens sowie auf existierende Chancen und Risiken in den jeweiligen Unternehmensumwelten. 432 Siehe zum Beispiel Berk (2011). <?page no="274"?> 6.1 SWOT-Analyse 275 www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden Based-View, dann stellen vor allem organisatorische, finanzielle oder humane Ressourcen zentrale Quellen des Erfolges dar. Demgegenüber postuliert der Market-Based- View, dass die Konkurrenzsituation und die eigene Wettbewerbsposition erfolgskritisch sind. Diese beiden Ansätze des strategischen Managements scheinen auf den ersten Blick unvereinbar, obwohl sie sich auf den gleichen Gegenstand beziehen - nämlich auf die Frage, was Unternehmen erfolgreich macht. Bei der Beantwortung dieser Frage hat sich in der jüngeren Vergangenheit die Überzeugung durchgesetzt, dass Ressourcen und Umweltfaktoren gleichermaßen betrachtet und im Zusammenspiel analysiert werden müssen. Als methodische Klammer dient dabei das SWOT- Konzept: Diese betriebswirtschaftliche Methode setzt die Elemente des ressourcenorientierten Ansatzes - interne Stärken und Schwächen - mit umweltorientierten Aspekten - externe Chancen und Risiken - in Beziehung und überwindet auf diese Weise die vermeintliche Unvereinbarkeit der Betrachtungsweisen. 433 Abbildung 129: SWOT-Matrix Das SWOT-Konzept verzahnt die strategische Analyse mit der strategischen Planung und der strategischen Umsetzung. Daher steht diese Methode auch am Anfang des vorliegenden Kapitels und wurde nicht - wie zum Teil in anderen Publikationen - den strategischen Analysemethoden zugeordnet. Die SWOT-Analyse bietet zum Beispiel die Möglichkeit, strategische Lücken auf der Basis umfangreicher Daten zu erkennen und mit Hilfe geeigneter Maßnahmen zu adressieren. Strategische Lücken, also Geschäftschancen, welche die Konkurrenz bislang nicht oder nur unzureichend nutzt, werden durch die Verknüpfung interner und externer Faktoren aufgedeckt. Aus der Verknüpfung ergeben sich die in Abbildung 129 dargestellten vier Gruppen von Strategien: SO-Strategien rücken die Stärken eines Unternehmens in den Mittelpunkt und zielen darauf ab, Chancen im Umfeld wahrzunehmen. ST-Strategien geben Antworten auf die Frage, inwiefern externe Bedrohungen durch den Einsatz interner Stärken gemildert oder neutralisiert werden können. Die Kombination von Schwächen und Chancen führt zu WO-Strategien, deren Ziel es ist, durch einen Abbau von Schwächen 433 Vergleiche Hieke (2009, S. 71 f). Opportunities … … … Threats … … … Strengths … … … (I) SO-Strategien Stärken des Unternehmens sollen genutzt werden, um Chancen im Umfeld wahrzunehmen (II) ST-Strategien Stärken des Unternehmens sollen eingesetzt werden, um Bedrohungen im Umfeld zu mildern / zu neutralisieren Weaknesses … … … (III) WO-Strategien Schwächen des Unternehmens sollen abgebaut werden, um Chancen im Umfeld zu nutzen (IV) WT-Strategien Schwächen des Unternehmens sollen abgebaut werden, um Bedrohungen im Umfeld zu reduzieren <?page no="275"?> 276 6 Strategische Planung, Umsetzung und Kontrolle www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden die positiven Möglichkeiten des Umfeldes zu nutzen. WT-Strategien kommt schließlich eine große Bedeutung zu, da hier Schwächen auf Gefahren treffen. Insofern müssen Verteidigungsmaßnahmen entwickelt werden, die Aussagen darüber enthalten, wie durch einen Abbau von Schwächen Gefahren im Unternehmensumfeld reduziert werden können. Die integrierte Betrachtung der zentralen Umwelt- und Unternehmensfaktoren ermöglicht die Ableitung zahlreicher strategischer Optionen, die hinsichtlich ihrer Bedeutung priorisiert werden müssen, da nur die wichtigsten, potenziell erfolgswirksamen und auch realisierbaren SO-, ST-, WO- und WT-Strategien mit Aktivitäten und Kennzahlen hinterlegt werden sollten. 434 Anwendungsbereich und Anwendungsprozess Die Bestimmung möglicher Handlungsoptionen erfolgt auf der Grundlage von Daten, die mit Hilfe einer Vielzahl unterschiedlicher Methoden gewonnen werden. Insgesamt kann man folgende fünf Schritte im Rahmen einer SWOT-Analyse unterscheiden: Identifikation unternehmensexterner Chancen und Gefahren, Identifikation unternehmensinterner Stärken und Schwächen, Priorisierung der einzelnen Umwelt- und Unternehmensfaktoren, Integrierte Betrachtung der priorisierten Faktoren im Rahmen der SWOT-Matrix, Ableitung, Priorisierung und Umsetzung strategischer Handlungsmöglichkeiten. Zunächst sind beispielsweise unter Rückgriff auf die Umwelt-, Branchenstruktur-, Wettbewerbs-, Stakeholder- und Benchmarkinganalyse alle relevanten Umfeldfaktoren zu bestimmen. Diese in Kapitel 5 vorgestellten Methoden liefern ein detailliertes Bild über Chancen und Gefahren, mit denen ein Unternehmen direkt oder indirekt konfrontiert ist beziehungsweise in Zukunft konfrontiert sein könnte. Zusätzlich kann man spezifische Kundeninformationen berücksichtigen, die beispielsweise die Means- End- oder die Kundenzufriedenheitsanalyse liefern. Die einzelnen Informationen werden dokumentiert und gegebenenfalls in Gruppen eingeteilt, um zum Beispiel allgemeine Marktvon Kunden- oder Wettbewerbsdaten abzugrenzen. Die Wertketten-, Produktlebenszyklus- und Erfahrungskurvenanalyse sowie das 7S- Modell stellen Informationen zu Stärken und Schwächen eines Unternehmens bereit. Analog zur Synopse externer Chancen und Gefahren werden die internen Daten zusammengetragen und in Stärken-Schwächen-Profilen verdichtet. Stärken können beispielsweise das Leistungsangebot, die Produktqualität oder der Kundenservice und Schwächen die Eigenkapitalausstattung, das Preismanagement oder die Mitarbeiterfluktuation sein. Die Fülle an umwelt- und unternehmensbezogenen Daten muss man in der Regel durch Priorisierung reduzieren. Das heißt, es werden nicht alle in den Schritten 1 und 2 identifizierten Informationen im Rahmen der integrierten Betrachtung externer und interner Faktoren berücksichtigt, sondern nur die wesentlichen und erfolgskritischen. Diese werden aufbereitet und in einem nächsten Schritt in die SWOT-Matrix eingetragen, die von einer Umwelt- und einer Unternehmensachse gebildet wird. In einem letzten Schritt werden die priorisierten Stärken und Schwächen mit den entsprechenden Chancen und Gefahren kombiniert und strategische Optionen analog der 434 Vergleiche Dillerup & Stoi (2013, S. 271 ff). <?page no="276"?> 6.1 SWOT-Analyse 277 www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden Opportunities Steigender Beratungsbedarf Sicherheits-/ Qualitätsbewusstsein Nachfrage nach Engineering Neukunden ohne Standortbetreuung Threats Schwankungen im Projektgeschäft Preisdumping von Wettbewerbern Gestiegene Kundenanforderungen Neue Wettbewerber Strengths Qualitäts- und Technologieführer Internationale Projekterfahrung Effiziente Geschäftsprozesse IT-Plattform für Datenmanagement (I) SO-Strategien Nutzung existierender Teilprodukte als Türöffner bei Neukunden Vermarktung der umfangreichen Anlagenexpertise entlang der gesamten Wertschöpfungskette (II) ST-Strategien Akquisition kleiner Wettbewerber zur Erweiterung des Produktportfolios Erschließung neuer Märkte (Belgien, Niederlande, China) Weaknesses Begrenzte personelle Ressourcen Marketing- und Vertriebsaktivitäten Hohe Personalkosten Unvollständiges Produktportfolio (III) WO-Strategien Professionalisierung von Marketing und Vertrieb durch Änderung der Aufbau- und Ablauforganisation Rekrutierung von Prüfingenieuren Regionenspezifische Erweiterung des Produktportfolios (IV) WT-Strategien Entwicklung eines flexiblen Preismanagementsystems Einführung von Value Pricing Entwicklung eines Systems zur Steuerung von Auslastungsspitzen Darstellung in Abbildung 129 entwickelt. Dabei kann es passieren, dass man zu viele Handlungsmöglichkeiten bestimmt, die unter anderem aufgrund fehlender Ressourcen nicht zur Gänze verfolgt werden können. Daher sollte man die einzelnen Optionen in eine Rangfolge bringen, um die Implementierung unter den jeweils gegebenen Bedingungen optimal zu gestalten. Zur Bewertung kann auf Scoring-Modelle beziehungsweise Nutzwertanalysen zurückgegriffen werden, die trotz ihres subjektiven Charakters wertvolle Hilfestellungen bei entsprechenden Entscheidungsproblemen bieten. Abbildung 130: Beispielhafte SWOT-Analyse eines Dienstleistungsunternehmens Abbildung 130 illustriert die Ergebnisse einer SWOT-Analyse eines Chemiedienstleisters. Das Unternehmen bietet Dienstleistungen entlang der gesamten Wertschöpfungskette von Produktionsanlagen, die sowohl die Aspekte Sicherheit und Umweltschutz als auch die Bereiche Standortplanung und Standortmanagement umfassen. Aus der Kombination der Stärken und Schwächen sowie Chancen und Risiken ergeben sich handlungsorientierte Aussagen, die mit konkreten Aktivitäten hinterlegt werden können. Ein Beispiel: Die ST-Strategie „Akquisition kleiner Wettbewerber zur Erweiterung des Produktportfolios“ lässt sich beispielsweise in Maßnahmen wie das Identifizieren geeigneter Übernahmekandidaten und die Durchführung einer Sorgfältigkeitsprüfung bei den als geeignet eingestuften Zielobjekten übersetzen. Im Kontext von Unternehmensübernahmen spricht man diesbezüglich von der so genannten Due Diligence. 435 Dabei handelt es sich um eine Detailprüfung insbesondere der wirtschaftlichen, rechtlichen oder technischen Verhältnisse eines potenziellen Übernahmekandidaten. Die damit verbundenen Aktivitäten können in weitere Teilprojekte mit entsprechenden Verantwortlichkeiten zerlegt werden, um auf diese Weise sicherzustellen, dass die gewünschte strategische Option nicht nur als analytisches Substrat auf dem Papier existiert, sondern in der Praxis seine Umsetzung findet. 435 Siehe zum Beispiel Jansen (2008) oder Wirtz (2012). <?page no="277"?> 278 6 Strategische Planung, Umsetzung und Kontrolle www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden Weiterführende Hinweise Bei der SWOT-Analyse handelt es sich um eine bekannte und in der Praxis bewährte Methode des strategischen Managements, die ihre volle Wirkung allerdings nur dann entfaltet, wenn sie in analytischer und nicht in deskriptiver Hinsicht angewendet wird. Das heißt, das Auflisten von Stärken, Schwächen, Chancen und Risiken in einer Vier- Felder-Matrix erfüllt lediglich den Zweck der Beschreibung eines bestimmten Status quo, stellt aber noch keine SWOT-„Analyse“ dar. Anhaltspunkte für konkrete Handlungsmöglichkeiten und deren Umsetzung erhält man nur, wenn man über die Beschreibung der einzelnen Sachverhalte hinausgeht und die jeweiligen Faktoren einer Kombinationsanalyse unterzieht. Dabei sind die erzielten Ergebnisse trotz des Bemühens um analytische Stringenz in aller Regel nicht objektiv, da die Auswahl, Priorisierung und Verknüpfung der Umwelt- und Unternehmensaspekte subjektiven Einschätzungen und Bewertungen unterliegen. Das Gütekriterium Objektivität lässt sich jedoch verbessern, indem man im Vorfeld der SWOT-Analyse auf die in diesem Buch beschriebenen betriebswirtschaftlichen Methoden zurückgreift und die entsprechenden Daten als Grundlage für die Strategieentwicklung und Strategieumsetzung nutzt. 6.2 Marktwachstum-Marktanteil-Portfolio: BCG-Matrix Problemstellung: Beschreibung und Bewertung der strategischen Situation eines Unternehmens und Ableitung entsprechender Normstrategien zur finanziellen Ausbalancierung des Gesamtportfolios Zielgruppe: Geschäftsführer, Geschäftsbereichsleiter, Controller, Marktforscher, Produktprogrammplaner, Portfoliomanager Voraussetzungen: Vorliegen einer Liste differenzierter Geschäftsfelder und Zugriff auf Marktwachstumsdaten der einzelnen Geschäftsfelder und auf Marktanteile des eigenen Unternehmens und der größten Wettbewerber Zielsetzung der BCG-Matrix Das Thema der privaten Geldanlage hat in der jüngeren Vergangenheit für viele Menschen an Bedeutung gewonnen. Hierfür verantwortlich sind unter anderem die steigende Lebenserwartung in Deutschland und die Schwierigkeit der gesetzlichen Rentenversicherung, die finanzielle Absicherung im Alter zu gewährleisten. Daher machen sich nicht nur institutionelle, sondern auch immer mehr private Anleger Gedanken, in welche Wertpapiere sie investieren sollen und wie eine optimale Mischung unter Berücksichtigung der Verlustrisiken einerseits und der Renditechancen andererseits gefunden werden kann. Antworten auf die Frage nach einer effizienten Zusammensetzung des Investitionsportfolios bietet die in den 1950er-Jahren von dem Nobelpreisträger Markowitz begründete Portefeuille-Theorie. 436 In deren Mittelpunkt steht nicht die Bewertung jeder einzelnen Anlage, sondern das Bemühen, das aus Aktien oder Wertpapieren gebildete Gesamtportfolio zu optimieren. Diesen Grundgedanken hat die 1963 gegründete Boston Consulting Group Ende der 1960er-Jahre auf das strategische 436 Siehe Markowitz (1952). <?page no="278"?> 6.2 Marktwachstum-Marktanteil-Portfolio: BCG-Matrix 279 www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden Management übertragen. Die US-amerikanische Beratungsgesellschaft entwickelte einen Ansatz, in dessen Rahmen Unternehmen als Portfolio unterschiedlicher Geschäftsfelder betrachtet werden. Analog zu Investitionsentscheidungen von Privatpersonen müssen Geschäftsführer festlegen, in welche Bereiche investiert und aus welchen Bereichen Geld abgezogen werden soll. Dabei werden Geschäftsfelder wie Investitionsobjekte betrachtet, die in das Portfolio aufgenommen und entwickelt und aus diesem gegebenenfalls wieder entfernt werden können, wenn die gewünschten Erträge ausbleiben. Ziel der Portfolioanalyse ist es zu bestimmen, welche Kombination von Geschäftsfeldern für das Unternehmen optimal ist und welchen Bereichen Ressourcen zugeordnet werden sollen. Dabei handelt es sich typischerweise um Geschäftsfelder mit günstigen Marktaussichten, in denen Unternehmen existierende Stärken gewinnbringend einsetzen können. Verfolgt man das beschriebene Ziel der Bewertung und optimalen Gestaltung einzelner Geschäftsfelder, kann man auf das von der Boston Consulting Group entwickelte Marktwachstum-Marktanteil-Portfolio zurückgreifen, das auch als BCG-Matrix bezeichnet wird. 437 Beschreibung der BCG-Matrix 437 Vergleiche Fink (2004b, S. 28). 438 Modifiziert nach Macharzina & Wolf (2012, S. 356). Portfolioanalysen verfolgen das Ziel, Produkt-Markt-Strategien zu entwickeln und zu bestimmen, wie Ressourcen möglichst gewinnbringend eingesetzt werden können. Abbildung 131 illustriert, dass man beim Aufbau von Portfolios stets eine Umwelt- und eine Unternehmensvariable berücksichtigt und die Geschäftsfelder anhand dieser Variablen bewertet und im Koordinatensystem entsprechend positioniert. Das in Abbildung 131 mit GF 1 abgekürzte Geschäftsfeld 1 würde sich demnach auf einem stark wachsenden Markt befinden, aber nur über einen geringen Marktanteil verfügen, sofern man als Umweltvariable das Marktwachstum und als Unternehmensvariable den Marktanteil betrachtet. Der zweidimensionalen Matrix kann man jedoch nicht nur die Umwelt-Unternehmens-Positionierung der Geschäftsfelder entnehmen, sondern man Abbildung 131: Grundaufbau von Unternehmensportfolios 438 niedrig hoch niedrig hoch - Unternehmensvariable - - Umweltvariable - GF 6 GF 1 GF 3 GF 2 GF 5 GF 7 GF 8 GF 4 GF 9 <?page no="279"?> 280 6 Strategische Planung, Umsetzung und Kontrolle www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden kann auch deren Bedeutung anhand der Kreisgrößen abschätzen. Je größer die Kreise, desto höher der Umsatz des jeweiligen Geschäftsfeldes in Relation zum Gesamtumsatz des Unternehmens. Diesem Ist-Portfolio wird in der Praxis im Allgemeinen ein Ziel- Portfolio gegenübergestellt, um deutlich zu machen, in welche Richtung sich die betrachteten Geschäftsfelder entwickeln sollten. Diese Art der Portfolioanalyse kommt immer dann zur Anwendung, wenn Planungsentscheidungen nicht isoliert für ein einzelnes Geschäftsfeld oder ein einzelnes Produkt getroffen werden sollen. Für diese Fälle könnte man zum Beispiel auf die Kapitalwertmethode zurückgreifen, die auch als Net Present Value-Verfahren bekannt ist, um den Nutzen einer potenziellen Investition zu bestimmen. Sind hingegen das Wechselspiel mehrerer Planungsobjekte und eine mögliche Risikostreuung von Interesse, eignet sich für die Strategiearbeit vor allem die Portfolioanalyse. Dabei ist festzulegen, welche Bereiche des Unternehmens in die Betrachtung einbezogen und auf welche Bereiche der Umwelt ausgerichtet werden sollen. Typischerweise werden Produkte zu strategischen Geschäftseinheiten zusammengefasst, die auf strategische Geschäftsfelder ausgerichtet sind. Die durch Segmentierung der Umwelt entstehenden strategischen Geschäftsfelder dienen schließlich als Planungsobjekte im Rahmen der Portfolioanalyse. Diese Objekte werden sowohl unter Risikoals auch unter Ertragsgesichtspunkten im Überblick betrachtet und mit Aktivitäten hinterlegt, um Synergien zu nutzen und um die langfristige Überlebenssicherung des Unternehmens zu gewährleisten. 439 Bei der BCG-Matrix handelt es sich um das vermeintlich bekannteste und am häufigsten angewendete absatzmarktorientierte Portfoliokonzept, dessen Zielgröße der Cashflow ist. Beim Aufbau der Matrix werden eine Umwelt- und eine Unternehmensdimension berücksichtigt: das Marktwachstum und der relative Marktanteil. Das Marktwachstum repräsentiert die Chancen in der Umwelt, während der relative Marktanteil als Indikator für die Stärken des Unternehmens dient. Gemessen wird das Wachstum eines Marktes unter Berücksichtigung von Umsatz- oder Absatzraten, während sich der relative Marktanteil als Quotient aus dem eigenen Marktanteil und dem Marktanteil des stärksten Wettbewerbers ergibt. Zur Bestimmung der Marktstellung eines Unternehmens wird nicht der absolute, sondern der relative Marktanteil herangezogen, da „der absolute Marktanteil für sich genommen, vor allem solange er unter 50 Prozent liegt, keine hinreichende Aussage über das Verhältnis der eigenen Stärke auf einem Markt im Vergleich zur Konkurrenz erlaubt“ 440 . Die theoretisch-methodische Grundlage der BCG-Matrix bilden das Lebenszykluskonzept und die Erfahrungskurve, die in den Kapiteln 5.8 und 5.9 ausführlich beschrieben werden. Produkte oder Märkte entstehen, wachsen, reifen, altern und verschwinden gegebenenfalls wieder. In Abhängigkeit vom jeweiligen Lebenszyklus ergeben sich Chancen und Risiken für Unternehmen in Bezug auf die geplanten Investitionsentscheidungen. Aus dieser Erkenntnis leitet sich der umweltbezogene Erfolgsfaktor Marktwachstum ab. Demgegenüber ergibt sich der unternehmensbezogene Erfolgsfaktor Marktanteil aus der Logik der Erfahrungskurve, die besagt, dass auf der Basis von Erfahrungen effiziente Strukturen aufgebaut, Produktionsmengen erhöht, Stückkosten gesenkt und Marktanteile hinzugewonnen werden können. Unter Berücksichtigung dieser beiden Indikatoren kann man die BCG- Matrix erstellen, sofern Geschäftsfelder mit klar abgegrenzten Marktsegmenten vorlie- 439 Vergleiche Bea & Haas (2013, S. 143 f) und Macharzina & Wolf (2012, S. 354 ff). 440 Fink (2009, S. 203). <?page no="280"?> 6.2 Marktwachstum-Marktanteil-Portfolio: BCG-Matrix 281 www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden gen, die unabhängig gegenüber anderen Geschäftsfeldern sind. Ausgehend von der Position einzelner Geschäftsfelder oder Produkte können Handlungsempfehlungen beziehungsweise Normstrategien für die in Abbildung 132 dargestellten Question Marks, Stars, Cash Cows und Poor Dogs abgeleitet werden. 441 Abbildung 132: BCG-Matrix Question Marks sind Geschäftsfelder, die einen geringen Marktanteil aufweisen, aber auf wachsenden Märkten positioniert sind. Meist handelt es sich um innovative Produkte, die bezuschusst werden müssen, um sich mittelfristig in Starprodukte zu verwandeln. Das heißt, diese Geschäftsfelder zeichnen sich durch einen hohen Finanzbedarf für Forschung, Entwicklung und Markteintritt aus, der durch andere Geschäftsfelder mit einem positiven Cashflow gedeckt werden muss. Stars sind Zukunfts- oder Hoffnungsprodukte eines Unternehmens, die auf attraktiven Märkten hohe Marktanteile erreicht haben. Erhalt und Ausbau der Wettbewerbsstärke erfordern allerdings Finanzmittel, welche diese Geschäftsfelder nur zum Teil selbst generieren. Insofern befindet sich der Netto-Cashflow bei Starprodukten in der Regel im Gleichgewicht, da sich der erwirtschaftete und der für Reinvestitionsmaßnahmen erforderliche Cashflow die Waage halten. Cash Cows sind Geschäftsfelder mit Zahlungsüberschüssen, da sie aufgrund der guten Wettbewerbsposition solide interne Finanzquellen darstellen, aufgrund des geringen Marktwachstums jedoch kaum Investitionen binden. Das heißt, für Cash- Geschäftsfelder sollten zum Beispiel nur jene produkt- oder kommunikationspolitischen Maßnahmen ergriffen werden, die zur Nutzung vorhandener Potenziale zwingend erforderlich sind, damit ausreichend Mittel für Nachwuchs- oder Hoffnungsprodukte - also Question Marks und Stars - zur Verfügung stehen. Poor Dogs sind Geschäftsfelder, die nur geringe positive oder sogar negative Cashflows erwirtschaften, da sie auf Märkten mit geringem Wachstum positioniert sind und nur über niedrige relative Marktanteile verfügen. 441 Vergleiche Fink (2009, S. 201 ff) und Müller-Stewens & Lechner (2011, S. 285). niedrig hoch niedrig hoch relativer Marktanteil - - Marktwachstum - Question Marks Stars Poor Dogs Cash Cows <?page no="281"?> 282 6 Strategische Planung, Umsetzung und Kontrolle www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden Die in Abbildung 132 dargestellte Matrix impliziert einen bestimmten Entwicklungsverlauf für die einzelnen Geschäftsfelder und die damit verbundenen Normstrategien: Durch Innovationen entstehen Question Marks, die sich in der Einführungs- oder Wachstumsphase befinden und für die eine Offensivstrategie empfohlen wird, sofern keine Indikatoren auf einen möglichen Misserfolg hinweisen. Eine Investitionsstrategie sollte für Stars verfolgt werden, um den hohen Marktanteil zu stabilisieren oder auszubauen, damit aus Wachstumsprodukten zukünftige Cashlieferanten werden. Für als Cash Cows klassifizierte Geschäftsfelder eignet sich eine Abschöpfungsstrategie, während man für Poor Dogs, die sich in der Sättigungs- oder Degenerationsphase befinden, eine Desinvestitionsstrategie entwickeln sollte, um den Anteil negativer Cashflows im Unternehmen möglichst gering zu halten. 442 Anwendungsbereich und Anwendungsprozess Die BCG-Matrix kommt vor allem in Mehrproduktunternehmen zur Anwendung, in denen Produkte zu strategischen Geschäftseinheiten gebündelt und auf strategische Geschäftsfelder ausgerichtet werden. Daher ist es zunächst erforderlich, strategische Geschäftsfelder zu definieren und voneinander abzugrenzen. Darüber hinaus sind weitere Schritte bei der Erstellung und Auswertung der BCG-Matrix zu berücksichtigen. Insgesamt gliedert sich das Vorgehen in folgende Abschnitte: 443 Abgrenzung strategischer Geschäftsfelder, Bestimmung des Marktwachstums und des relativen Marktanteils, Positionierung der strategischen Geschäftsfelder in der BCG-Matrix, Beschreibung der BCG-Matrix und Ableitung von Normstrategien. Zahlreiche Unternehmen sind so organisiert, dass der gesamte Tätigkeitsbereich in Produktgruppen oder Geschäftseinheiten gegliedert ist, die auf unterschiedliche Märkte ausgerichtet sind. Damit sind die Grundvoraussetzungen zur Anwendung der BCG- Matrix gegeben. Ist dies nicht der Fall, müssen strategische Geschäftseinheiten zunächst gebildet und strategische Geschäftsfelder eindeutig abgegrenzt werden. Zur Abgrenzung können Markt- und Unternehmensbedingungen als Kriterien herangezogen werden. Bedingungen des Marktes sind die Kunden- und die Wettbewerbssituation, die man anhand der Dimensionen Kundengruppe, Kundenbedürfnis und Konkurrenz bestimmen kann. Ein Sportartikelhersteller sieht sich zum Beispiel mit dem Kundenbedürfnis „professionelles Schuhwerk“ konfrontiert und kann daraus für die Kundengruppe der „Läufer“ das Geschäftsfeld „Joggingschuhe“ oder für die Kundengruppe der „Skifahrer“ das Geschäftsfeld „Skistiefel“ unter Berücksichtigung der jeweiligen Wettbewerbsbedingungen ableiten. Neben den Marktbedingungen sind auch die Bedingungen des Unternehmens, also die Planungs-, Budgetierungs- oder organisatorischen Besonderheiten, in den Blick zu nehmen. In Abhängigkeit von den Marktbedingungen und den damit verbundenen strategischen Geschäftsfeldern werden organisatorische Einheiten gebildet, um Zuständigkeiten klar zu regeln und um Ressourcen eindeutig zuteilen zu können. Kurz: Es ist zu bestimmen, welche interne strategische Geschäftseinheit für welches externe strategische Geschäftsfeld zuständig sein soll. 442 Vergleiche Welge & Al-Laham (2012, S. 477 f). 443 Vergleiche im Überblick Bea & Haas (2013, S. 146 ff). <?page no="282"?> 6.2 Marktwachstum-Marktanteil-Portfolio: BCG-Matrix 283 www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden Zum Aufbau der BCG-Matrix werden Daten für die Marktattraktivität und für die Wettbewerbsstärke benötigt. Als Indikator für die Marktattraktivität dient das Marktwachstum, das als Zunahme des Umsatzes aller Anbieter in einem Geschäftsfeld operationalisiert wird. Die Trennung zwischen langsam und schnell wachsenden Produkt- Markt-Segmenten wird gezogen, indem man zum Beispiel die durchschnittliche Wachstumsrate einer Branche als Trennlinie definiert, oder indem man das gewichtete arithmetische Mittel der Wachstumsraten aller betrachteten Geschäftsfelder berücksichtigt. In jedem Fall stellen die Werte der vertikalen Achse Prozentwerte dar, wobei die Trennlinie auch beim Wert 0 liegen kann, wenn man unter Rekurs auf das Branchenlebenszykluskonzept davon ausgeht, dass Geschäftsfelder in der Einführungs- oder Wachstumsphase Werte größer 0 und Geschäftsfelder am Ende der Sättigungs- oder in der Degenerationsphase Werte kleiner 0 annehmen. Als Indikator für die Wettbewerbsstärke dient der relative Marktanteil, der auf der horizontalen Achse abgetragen wird und sich aus dem Verhältnis des eigenen Marktanteils und des Marktanteils des stärksten Wettbewerbers ergibt. Werte von 1 bedeuten, dass der eigene Marktanteil und der des stärksten Konkurrenten identisch sind, während Werte kleiner 1 deutlich machen, dass man weniger Umsätze erwirtschaftet hat als der größte Wettbewerber. Für gewöhnlich wird die Trennlinie bei 1,5 gezogen, da die Erkenntnisse der Boston Consulting Group darauf hindeuten, dass der eigene Marktanteil mindestens 50 Prozent über jenem des stärksten Konkurrenten liegen sollte, damit dauerhaft positive Cashflows erwirtschaftet werden. In einem nächsten Schritt werden die einzelnen Geschäftsfelder unter Berücksichtigung der oben beschriebenen Kriterien in die Matrix eingetragen. Zum Teil ist dies exakt möglich, sofern eindeutige Werte für die vertikale und die horizontale Achse vorliegen. Ist dies nicht der Fall, werden die Geschäftsfelder nur einem Bereich und nicht einer exakten, aus zwei Koordinaten bestehenden Position zugeordnet. Im letzten Schritt wird die Matrix unter Hinweis auf Implikationen für die weitere Strategiearbeit beschrieben und mögliche Normstrategien abgeleitet. Das heißt, es wird ausgehend von dem Ist-Portfolio ein Ziel-Portfolio festgelegt, das mit konkreten Aktivitäten, Sollwerten und Kennzahlen verknüpft wird. Weiterführende Hinweise Portfolioanalysen erfreuen sich in der unternehmerischen Praxis großer Beliebtheit, da sie einfach zu erstellen sind und komplexe Sachverhalte verständlich illustrieren. Die Einfachheit der Anwendung und Auswertung sollte jedoch nicht zum Anlass genommen werden, mit den Ergebnissen dieser betriebswirtschaftlichen Methode unkritisch umzugehen. Insbesondere die Normstrategien sollten nicht als in jedem Fall verbindliche Umsetzungsregeln missverstanden, sondern als „Handlungsanregungen“ 444 interpretiert werden. Das heißt, es ist im Einzelfall zu prüfen, welche Wechselwirkungen zwischen den Geschäftsfeldern existieren. So können zum Beispiel Poor Dogs für das Image eines Unternehmens oder für die Markenkommunikation durchaus eine wichtige Rolle spielen, auch wenn sie sich auf schrumpfenden Märkten und mit negativen Cashflows bewegen. In diesen Fällen wäre eine Desinvestitionsstrategie zumindest zu überdenken, indem die Kosten des Ver- 444 Müller-Stewens & Lechner (2011, S. 289). <?page no="283"?> 284 6 Strategische Planung, Umsetzung und Kontrolle www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden bleibs im Portfolio möglichen Nutzenaspekten systematisch gegenübergestellt werden, um weitreichende unternehmerische Entscheidungen nicht von der Einteilung in vier Felder und von damit assoziierten Normaktivitäten abhängig zu machen. 6.3 Marktattraktivität-Wettbewerbsstärke-Portfolio: McKinsey- Matrix Problemstellung: Beschreibung und Bewertung der strategischen Situation eines Unternehmens und Ableitung entsprechender Normstrategien zur finanziellen Ausbalancierung des Gesamtportfolios Zielgruppe: Geschäftsführer, Geschäftsbereichsleiter, Controller, Marktforscher, Produktprogrammplaner, Portfoliomanager Voraussetzungen: Vorliegen einer Liste differenzierter Geschäftsfelder und Zugriff auf Daten zur mehrdimensionalen Bestimmung der Marktattraktivität und der Wettbewerbsstärke eines Unternehmens Zielsetzung der McKinsey-Matrix Der in Kapitel 6.2 erläuterte Portfolioansatz der Boston Consulting Group klassifiziert Produktgruppen beziehungsweise Geschäftsbereiche eines Unternehmens anhand von zwei Faktoren: dem Marktwachstum und dem relativen Marktanteil. Dieser in den 1960er-Jahren entwickelte Ansatz erschien vielen multidivisional organisierten Unternehmen attraktiv. Auch der US-amerikanische Mischkonzern General Electric spielte im Verlauf der 1970er-Jahre mit dem Gedanken, die strategische Planung und Umsetzung auf der Basis entsprechender Methoden zu gestalten. Allerdings war das General Electric-Management der Überzeugung, dass zum Aufbau einer Portfoliomatrix nicht nur zwei, sondern mehrere Indikatoren herangezogen werden sollten, um sowohl Umweltals auch Unternehmensbedingungen in ihrer Komplexität und Interdependenz zu erfassen und Geschäftsfelder adäquat zu positionieren. Ein erweitertes Portfoliokonzept sollte im Auftrag von General Electric die 1926 in Chicago gegründete Unternehmens- und Strategieberatung McKinsey entwickeln. Der für die strategische Unternehmensführung neu konzipierte Ansatz wurde in der Folge als Marktattraktivität-Wettbewerbsstärke-Portfolio beziehungsweise als McKinsey-Matrix bekannt. Ziel dieser betriebswirtschaftlichen Methode ist es, Umwelt- und Unternehmensanalyse zu verbinden, um zu ermitteln, mit welchen Produkt-Markt-Kombinationen strategische Erfolge erzielt werden können. Im Gegensatz zum BCG-Portfolio entwickelte McKinsey eine Neun-Felder-Matrix und berücksichtigte als Zielgröße nicht den Cashflow, sondern den Return on Investment, der sich als Quotient aus Gewinn und Gesamtkapital ergibt und häufig mit RoI abgekürzt wird. 445 Beschreibung der McKinsey-Matrix Die von McKinsey in die Diskussion gebrachte Methode zielt wie andere Portfoliokonzepte darauf ab, Antworten auf folgende Fragen zu geben: Ist das Gesamtportfolio eines Unternehmens ausgewogen? Welche Strategien sollen für einzelne Geschäftsfelder verfolgt und welche Zielwerte sollen erreicht werden? Und: Wie und in welchem 445 Vergleiche Grant & Nippa (2006, S. 599 ff). <?page no="284"?> 6.3 Marktattraktivität-Wettbewerbsstärke-Portfolio: McKinsey-Matrix 285 www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden Umfang sollen Ressourcen auf die jeweiligen Geschäftsfelder verteilt werden, um größtmögliche Unternehmensgewinne zu erwirtschaften? Zur Beantwortung dieser Fragen werden externe und interne Faktoren berücksichtigt und zu zwei Dimensionen aggregiert: dem Umweltindikator Marktattraktivität und dem Unternehmensindikator Wettbewerbsstärke. Die Attraktivität eines Marktes wird gemessen, indem marktpotenzialbezogene Variablen sowie Informationen der PEST- und Five-Forces-Analyse herangezogen werden, die im Mittelpunkt der Kapitel 5.1 und 5.2 stehen. Das heißt, im Unterschied zur BCG-Matrix wird die Umweltachse nicht auf der Basis nur einer Variablen, sondern unter Berücksichtigung von Kriterien wie Marktvolumen, Marktwachstum und Branchenkräften sowie politischen, ökonomischen oder technologischen Umfeldbedingungen gebildet. Dabei werden die einzelnen Faktoren der Marktattraktivität bewertet und mit Blick auf ihre Bedeutung gewichtet. Die Wettbewerbsstärke wird operationalisiert, indem unmittelbar beeinflussbare Kriterien wie das Forschungs-, Beschaffungs-, Produktions- oder Vertriebspotenzial sowie die organisatorische oder personalwirtschaftliche Situation eines Unternehmens untersucht werden. Auch die internen Stärken und Schwächen werden mit Hilfe von Skalen gemessen und mit Gewichtungsfaktoren versehen, um einen Gesamtwert für jedes einzelne Geschäftsfeld zu erhalten, der zur Positionierung in der Neun-Felder-Matrix dient. 446 Abbildung 133: McKinsey-Matrix Beide Achsen der in Abbildung 133 dargestellten McKinsey-Matrix beziehen sich auf die wesentlichen Quellen der Rentabilität, die über das oben beschriebene Vorgehen ganzheitlich erfasst werden können. Dabei werden die Marktattraktivität und die Wettbewerbsstärke jeweils in drei Bereiche - „gering“, „mittel“ und „hoch“ - eingeteilt. Auf diese Weise entsteht ein differenzierteres Bild als bei der BCG-Matrix, da sich nicht nur vier mehr oder weniger klar interpretierbare Pole, sondern auch Mittelberei- 446 Vergleiche Fink (2004c, S. 54 ff). gering hoch gering hoch relative Wettbewerbsstärke - - Marktattraktivität mittel mittel Investition Investition Investition Abschöpfung Abschöpfung Abschöpfung Selektion Selektion Selektion <?page no="285"?> 286 6 Strategische Planung, Umsetzung und Kontrolle www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden che ergeben, die ein selektives Vorgehen erfordern. Die einzelnen Geschäftsfelder werden anhand der ermittelten Werte in die Matrix eingeordnet und in Abhängigkeit von ihrer Lage mit Normstrategien verknüpft: Geschäftsfelder, die in der Matrix oben rechts eingestuft sind, weisen ein gutes Return on Investment-Potenzial auf und sollten daher im Sinne einer Wachstumsbeziehungsweise Investitionsstrategie ausgebaut werden. Im Bereich unten links in der Matrix befinden sich Geschäftsfelder, die sowohl hinsichtlich der Marktattraktivität als auch mit Blick auf die Wettbewerbsstärke geringe Werte erzielen. Investitionen sollten daher vermieden und eine Abschöpfungsbeziehungsweise Desinvestitionsstrategie verfolgt werden. Geschäftsfelder, die im mittleren Wertebereich liegen, sind weder auszubauen, noch zu ernten. Vielmehr sollte man sie zunächst im Portfolio halten und beobachten, wie sie sich im Zeitablauf entwickeln. Sollte sich ein positiver Trend abzeichnen, wäre eine Offensivstrategie zu implementieren. Im umgekehrten Fall würde man eine Defensivstrategie präferieren. 447 Anwendungsbereich und Anwendungsprozess Die McKinsey-Matrix wird in einem mehrstufigen Verfahren entwickelt, in dessen Mittelpunkt zwei gewichtete Kriterienkataloge mit wechselseitigen Abhängigkeiten stehen. Folgende Schritte sind bei der Anwendung zu berücksichtigen: 448 Abgrenzung strategischer Geschäftsfelder, Bestimmung der Marktattraktivität und der Wettbewerbsstärke, Positionierung der strategischen Geschäftsfelder in der McKinsey-Matrix, Beschreibung der McKinsey-Matrix und Ableitung von Normstrategien. Die meisten Großunternehmen sind so organisiert, dass der gesamte Tätigkeitsbereich in Produktgruppen oder Geschäftseinheiten gegliedert ist, die auf unterschiedliche Märkte ausgerichtet sind. Damit erfüllen diese Unternehmen die Grundvoraussetzung zur Anwendung der McKinsey-Matrix. Ist dies nicht der Fall, müssen in einem ersten Schritt strategische Geschäftseinheiten gebildet und strategische Geschäftsfelder eindeutig abgegrenzt werden. Um Redundanzen zu vermeiden, sei an dieser Stelle auf die entsprechenden Ausführungen in Kapitel 6.2 zur BCG-Matrix verwiesen. Dort finden sich Hinweise, wie man strategische Geschäftseinheiten und Geschäftsfelder definieren und abgrenzen kann. Die Bestimmung der Marktattraktivität beginnt mit der Auswahl geeigneter Indikatoren, die in folgende Gruppen eingeteilt werden können: Marktpotenzial, Branchenstruktur und Umfeldbedingungen. Das Marktpotenzial bezeichnet die theoretisch möglichen Absatzmengen in einem definierten Markt, während das Marktvolumen die tatsächlich realisierten Absätze oder Umsätze in einem festgelegten Zeitraum darstellt. Bildet man den Quotient aus Marktvolumen und Marktpotenzial, erhält man den Sättigungsgrad, der Auskunft darüber gibt, welche Wachstumsmöglichkeiten in einem Markt oder Geschäftsfeld aktuell existieren. Um die zukünftigen Expansionschancen zu bestimmen, sollte als weiterer Indikator das Marktwachstum berücksichtigt werden, das Aussagen über die Position im Lebenszyklus und damit über die Attraktivität eines Marktes gestattet. Märkte, die sich in der Einführungs- oder Wachstumsphase befinden, 447 Vergleiche Bea & Haas (2013, S. 156 ff). 448 Vergleiche im Überblick Bea & Haas (2013, S. 156 ff) und Fink (2009, S. 212 ff). <?page no="286"?> 6.3 Marktattraktivität-Wettbewerbsstärke-Portfolio: McKinsey-Matrix 287 www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden weisen typischerweise höhere Wachstumsraten auf als Märkte in der Sättigungs- oder Degenerationsphase. Erstere sind attraktiver und somit positiver zu bewerten. 449 Modifiziert nach Fink (2009, S. 214). Abbildung 134: Bestimmung der Marktattraktivität 449 Die zweite Indikatorengruppe nimmt die Renditechancen einer Branche in den Blick. In Anlehnung an den von Porter entwickelten und in Kapitel 5.2 vorgestellten Five- Forces-Ansatz werden Lieferanten, Kunden, neue Wettbewerber, alternative Produkte und der Konkurrenzdruck unter den vorhanden Wettbewerbern untersucht. Die Attraktivität eines Marktes wird schließlich auch von allgemeinen Umfeldbedingungen - so genannten Makrofaktoren - beeinflusst, die sich in ökonomische, politische, rechtliche, technologische und soziokulturelle Aspekte kategorisieren lassen. So können beispielsweise hohe Arbeitslosenquoten, staatliche Eingriffe und Gesetze, mangelhafte Infrastrukturbedingungen oder gesamtgesellschaftliche Trends wie der demografische Wandel die Rentabilitätschancen in einzelnen Geschäftsfeldern nachhaltig beeinträchtigen. Die Indikatoren der drei genannten Gruppen werden nach ihrer Auswahl und Definition gewichtet, wobei die Gewichtungsfaktoren den relativen Beitrag der Kriterien zur Gesamtattraktivität zum Ausdruck bringen und in Summe 1 beziehungsweise 100 Prozent ergeben müssen. Daran anknüpfend wird für alle Indikatoren eine einheitliche Ratingskala erstellt und zur Bewertung verwendet, die beispielsweise von „0 = sehr geringe Attraktivität“ bis „10 = sehr hohe Attraktivität“ reicht. Abschließend berechnet man wie in Abbildung 134 dargestellt einen Gesamtwert für jedes Geschäftsfeld, der sich aus der Summation der einzelnen, mit den Gewichtungsfaktoren multiplizierten Indikatorenbewertungen ergibt. Der solcherart bestimmte Wert spiegelt die Gesamtattraktivität eines Geschäftsfeldes wider und dient zur Positionierung in die Matrixkategorien „gering“, „mittel“ und „hoch“. Indikatoren der Marktattraktivität Marktpotenzial Marktvolumen Marktwachstum Sättigungsgrad Branchenstruktur Lieferanten Kunden Neue Wettbewerber Alternativprodukte Konkurrenzdruck Umfeldbedingungen Ökonomie Politik Recht Technologie Soziokultur Summe Bewertung (B) gering mittel hoch 0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 Gewichtung (G) 25% 05% 10% 10% 50% 10% 20% 05% 05% 10% 25% 05% 05% 05% 05% 05% 100% Marktattraktivität (B X G) GF1 GF2 GF3 (0,25) 0,15 0,10 0,00 (1,10) 0,10 0,40 0,15 0,15 0,30 (0,40) 0,05 0,10 0,10 0,05 0,10 1,75 (1,10) 0,20 0,40 0,50 (3,10) 0,60 1,40 0,35 0,25 0,50 (1,20) 0,25 0,25 0,25 0,20 0,25 5,40 (2,25) 0,45 1,00 0,80 (3,60) 0,80 1,20 0,30 0,40 0,90 (2,40) 0,50 0,45 0,45 0,50 0,50 8,25 GF1 GF2 GF3 GF = Geschäftsfeld <?page no="287"?> 288 6 Strategische Planung, Umsetzung und Kontrolle www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden Die Bestimmung der Wettbewerbsstärke erfolgt unter Berücksichtigung interner Stärken und Schwächen eines Unternehmens, die man entweder als Erfolgs- oder als Misserfolgspotenziale interpretieren kann. Inwiefern aus einem Erfolgspotenzial ein Wettbewerbsvorteil wird, hängt davon ab, ob die entsprechende Stärke vom Kunden wahrgenommen und von diesem als bedeutsam eingestuft wird und zur möglichst dauerhaften Überlegenheit gegenüber Konkurrenten beiträgt. Anders formuliert: Kunden bestimmen, ob Unternehmen Wettbewerbsvorteile haben, die im McKinsey-Portfolio als Indikatoren der Wettbewerbsstärke dienen. Vorteile können sich prinzipiell entlang der gesamten Wertschöpfungskette ergeben: im Forschungs- und Entwicklungsbereich, in der Beschaffung, Produktion und Distribution oder aufgrund der finanziellen, personellen und technischen Situation eines Unternehmens. Die entsprechenden Wertkettenkriterien werden analog zur Beurteilung der Marktattraktivität ausgewählt, gewichtet und auf einer Skala von „0 = sehr schwach“ bis „5 = sehr stark“ sowohl für das eigene Unternehmen als auch für den stärksten Konkurrenten - die so genannte Benchmark - bewertet. Auf der Basis dieser Daten kann man die relative Wettbewerbsposition ermitteln, indem man die Bewertungen des eigenen Unternehmens mit den Bewertungen der Benchmark vergleicht beziehungsweise diese voneinander subtrahiert. So ergibt sich in Abbildung 135 zum Beispiel eine relative Wettbewerbsposition für den Faktor Beschaffung von -3, den man auf einer von -5 bis +5 reichenden Skala als schwach und somit als Wettbewerbsnachteil einstufen würde. Abschließend berechnet man einen Gesamtwert für die Wettbewerbsstärke, der sich aus der Summation der einzelnen, mit den Gewichtungsfaktoren multiplizierten Wettbewerbspositionswerten ergibt. 450 Modifiziert nach Fink (2009, S. 216). Abbildung 135: Bestimmung der Wettbewerbsstärke 450 Im nächsten Schritt werden die strategischen Geschäftsfelder unter Berücksichtigung der berechneten Gesamtwerte für die Marktattraktivität und die relative Wettbewerbsstärke in die McKinsey-Matrix eingetragen und beschrieben. Je nach eingenommener Position in der in Abbildung 133 dargestellten Matrix, kann man in einem letzten Schritt für jedes Geschäftsfeld die bereits erwähnten Normstrategien der Investition, Selektion oder Abschöpfung ableiten und entsprechende Maßnahmen initiieren, die mit geeigneten Kennzahlen hinterlegt werden sollten. Indikatoren der Wettbewerbsstärke Wertkettenbereiche Forschung & Entwicklung Beschaffung Produktion Distribution Finanzen Personal Technologie Summe X X X X X X Relative Wettbewerbsposition (W) schwach mittel stark 5 4 3 2 1 0 1 2 3 4 5 X GF1 = Geschäftsfeld 1 ----- SW = Stärkster Wettbewerber Gewichtung (G) 25% 10% 10% 15% 10% 10% 20% 100% Relative Wettbewerbsstärke (W X G) 1,00 0,30 0,20 0,30 0,10 0,30 0,40 1,00 Bewertung stark 0 1 2 3 4 5 schwach GF1 SW <?page no="288"?> 6.4 Wachstumsstrategien 289 www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden Weiterführende Hinweise Das McKinsey-Portfolio ist eine fundierte, aber auch eine komplexe betriebswirtschaftliche Methode. Die Fundierung besteht vor allem in der Kombination unterschiedlicher theoretischer Ansätze und der mehrdimensionalen Bestimmung von Marktattraktivität und Wettbewerbsstärke. Die Komplexität ergibt sich insbesondere durch die Berücksichtigung einer Vielzahl von Ursache-Wirkungs-Zusammenhängen, die sich allerdings von Geschäftsfeld zu Geschäftsfeld unterscheiden können. Insofern ist es kaum möglich, auf standardisierte oder universell gültige Kriterienlisten zurückzugreifen und diese im Unternehmensverbund mehrfach zu verwenden. Vielmehr muss man in Abhängigkeit der betrachteten Geschäftsfelder die jeweils relevanten Indikatoren immer wieder neu identifizieren, auswählen, messen und gewichten. Dieses Vorgehen ist nicht nur aufwändig, sondern impliziert auch eine gewisse Scheinobjektivität. Denn sowohl die Kriterienwahl als auch die Ermittlung der Werte und Gewichtungsfaktoren spiegeln vielfach eher die Vorstellungen der am Prozess beteiligten Manager wider, als die tatsächlichen Verhältnisse im betrachteten Markt. Ist man sich dieser Schwächen bewusst und nutzt man im Rahmen der Strategiearbeit nicht nur die McKinsey-Matrix, sondern ergänzende Methoden, dann dürfte man in der Lage sein, die Positionierung von Geschäftsfeldern und die Priorisierung von Investitionen verlässlich zu gestalten. 6.4 Wachstumsstrategien Problemstellung: Analyse, Planung und Umsetzung von Wachstumsmöglichkeiten auf der Basis von vier generischen Produkt-Markt-Kombinationen Zielgruppe: Geschäftsführer, Geschäftsbereichsleiter, Marktforscher, Business Development Manager Voraussetzungen: Beschaffung detaillierter Markt-, Wettbewerbs-, Kunden- und Potenzialinformationen und klare Abgrenzung der zu analysierenden Produkt-Markt-Felder Zielsetzung der Wachstumsstrategien Strategien werden in Unternehmen auf unterschiedlichen organisatorischen Ebenen und mit unterschiedlichen Zielsetzungen entwickelt: Strategien auf Unternehmensebene beantworten die Frage, welche Branchen gewählt und mit welcher Stoßrichtung sie bearbeitet werden sollen. Strategien auf Geschäftsbereichsebene rücken mit Blick auf die jeweils in Betracht kommenden Branchen die Identifizierung und Realisierung von Wettbewerbsvorteilen in den Mittelpunkt. Strategien auf Funktionsbereichsebene enthalten schließlich Aussagen darüber, wie Beschaffung, Produktion, Marketing oder Vertrieb die Umsetzung der Unternehmens- und Geschäftsbereichsstrategien unterstützen können. Diese Strategiekaskade von der Unternehmensspitze, über Geschäftsbereiche bis hinunter zu den einzelnen funktionalen Bereichen bildet das Herzstück des strategischen Managements. Sie beginnt in der Regel mit der Branchenwahl und der Entscheidung, ob das Unternehmen auf Wachstum, Stabilisierung oder Desinvestition ausgerichtet werden soll. In Abhängigkeit von der gewählten Unternehmensstrategie können Geschäftsfelder definiert und Ressourcen allokiert werden. <?page no="289"?> 290 6 Strategische Planung, Umsetzung und Kontrolle www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden Befindet sich ein Unternehmen auf Märkten mit abnehmender Attraktivität und geringen Wettbewerbsvorteilen, empfiehlt sich eine Desinvestitionsstrategie in Form eines stufenweisen Rückzugs beziehungsweise einer Liquidation. Ziel kann es aber auch sein, die aktuelle Position durch eine Stabilisierungsstrategie zu halten und zu sichern, um Risiken zu vermeiden und Märkte zu beobachten. Bieten sich beispielsweise Möglichkeiten für eine Offensive, sollte das Unternehmen auf Wachstum ausgerichtet werden, um Absätze, Umsätze oder Marktanteile zu steigern. Vor dem Hintergrund von Chancen und Risiken sind geeignete Produkt-Markt-Kombinationen festzulegen. Dabei kann man auf den klassischen Ansatz von Ansoff zurückgreifen, der ein Schema entwickelt hat, das auch als Produkt-Markt- oder Ansoff-Matrix bezeichnet wird. 451 Ziel der Methode ist es, mögliche Wachstumsalternativen aufzuzeigen, die in der Marktdurchdringung, Marktentwicklung, Produktentwicklung oder Diversifikation bestehen. Welche strategische Option im Einzelfall gewählt wird, hängt nicht zuletzt von den Erfahrungen des Unternehmens mit bestimmten Produkten und Märkten, den Anpassungsmöglichkeiten der internen Wertschöpfung sowie den Wettbewerbsbedingungen in der jeweiligen Branche ab. 452 Beschreibung der Wachstumsstrategien Die Ansoff-Matrix ist ein Werkzeug zur Planung von Wachstumsstrategien, die mittels einer Produkt- und einer Marktachse differenziert werden. Wie in Abbildung 136 dargestellt, ergeben sich aus der Betrachtung von aktuellen und neuen Produkten einerseits und aktuellen und neuen Märkten andererseits vier strategische Optionen und damit verknüpfte Handlungsempfehlungen: 453 Bei der Strategie der Marktdurchdringung erfolgt das Wachstum mit bestehenden Produkten auf bisherigen Märkten, indem Absatzmengen beziehungsweise Marktanteile erhöht werden. Hierzu sind Maßnahmen erforderlich, die darauf abzielen, die Nutzung eines Produktes bei bestehenden Kunden zu intensivieren und Neukunden anzusprechen. Durch Produktverbesserungen, die Einführung von Zusatzangeboten oder geänderte Verpackungsgrößen im Sinne eines „10 Prozent mehr zum gleichen Preis“ können Märkte intensiver bearbeitet und bestehende Kundenpotenziale ausgeschöpft werden. Zudem eignen sich Preissenkungen und Preisdifferenzierungen, um Neukunden zu akquirieren beziehungsweise abzuwerben. Im hart umkämpften Telekommunikationsmarkt können zum Beispiel Sonderangebote für Telefon-Internet-TV-Pakete unterbreitet oder attraktive Flatrates für die so genannten „Digital Natives“ 454 eingeführt werden - also für jene Personen, die mit Internet, iPod & Co. aufgewachsen sind und als intensive Mediennutzer gelten. Marktdurchdringung umfasst schließlich auch produkt-, preis-, vertriebs- oder kommunikationspolitische Maßnahmen, die auf bisherige Nichtnutzer gerichtet sind und diese zum Kauf animieren sollen. Wachstum kann auch durch Marktentwicklung erzielt werden, indem man mit bestehenden Produkten neue Märkte erschließt, auf denen lukrative Absatzchancen existieren. 451 Siehe Ansoff (1988). 452 Vergleiche Grant & Nippa (2006, S. 44 ff). 453 Vergleiche im Überblick Bea & Haas (2013, S. 174 ff). 454 Prensky (2001, S. 1). <?page no="290"?> 6.4 Wachstumsstrategien 291 www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden Hierbei gilt es, kulturelle Besonderheiten und landestypische Anforderungen sowie Wünsche und Vorstellungen der potenziellen Zielgruppen zu berücksichtigen. Marktentwicklung impliziert jedoch nicht nur die geografische Ausdehnung des Leistungsangebotes im Sinne einer Internationalisierungsstrategie 455 , sondern auch die Bearbeitung neuer Segmente oder Nutzer. So haben sich beispielsweise Hochschulen in den vergangenen Jahren für neue Zielgruppen geöffnet, indem sie Studiengänge für Senioren oder Vorlesungen für Kinder in das Programm genommen haben. Auch in diesen Fällen wäre es wenig erfolgversprechend, traditionelle Produkte oder Dienstleistungen unverändert anzubieten. Vielmehr ist ein gewisses Maß an Produktentwicklung mit Blick auf die jeweiligen Nutzer - hier: Senioren und Kinder - erforderlich, um deren Konsumbedürfnisse zu befriedigen und um diese zu loyalen Kunden zu machen. Abbildung 136: Ansoff-Matrix 456 Von Produktentwicklung im engen Sinne ist die Rede, wenn deutlich modifizierte oder neue Produkte auf bestehenden Märkten angeboten werden. Diese Strategie ist typischerweise riskanter und teurer als die Strategien der Marktdurchdringung und Marktentwicklung, da Unternehmen Innovationen planen, konzipieren, testen und realisieren müssen und sich dabei nicht nur mit Blick auf das Projektmanagement, sondern auch in technologischer Hinsicht recht häufig auf unbekanntes Terrain begeben. Die Entwicklung von der Kassette über die Compact Disc zu MP3-Systemen kann als Beispiel für Produktentwicklungen auf vergleichbaren Märkten und für die Schwierigkeiten von Unternehmen dienen, sich neue Technologien anzueignen und diese erfolgreich zu vermarkten. So war beispielsweise Sony mit dem Walkman einst der Star unter den Anbietern tragbarer Musikabspielgeräte. Eine Position, die heute Apple mit den diversen iPods einnimmt. Risiken im Management von Innovationen ergeben sich auch mit Blick auf die Faktoren Qualität, Zeit und Kosten. Die Entwicklung neuer Arzneimittel, Flugzeugtypen oder Elektromotoren ist häufig durch Kostensteigerungen, Qualitäts- und Lieferprobleme oder Fehler im Projektmanagement gekennzeichnet, die das wirtschaftliche Ergebnis eines Unternehmens nachhaltig beeinträchtigen können. Noch schwieriger und komplexer ist die Strategie der Diversifikation, da Unternehmen mit neuen Produkten auf unbekannten Märkten Wachstum anstreben. Dabei kann man eine horizontale, eine vertikale und eine laterale Diversifikation unterscheiden: Von horizontaler Diversifikation ist die Rede, wenn das Leistungsprogramm um Produkte erweitert wird, die sich auf identischer Wertschöpfungsstufe befinden. Dies ist bei- 455 Internationalisierungsstrategien werden in Kapitel 6.5 ausführlich beschrieben. 456 Modifiziert nach Ansoff (1988, S. 109). Aktuelle Märkte Neue Märkte Aktuelle Produkte Marktdurchdringung Marktentwicklung Neue Produkte Produktentwicklung Diversifikation <?page no="291"?> 292 6 Strategische Planung, Umsetzung und Kontrolle www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden spielsweise der Fall, wenn ein Automobilhersteller auch Lastkraftwagen oder Motorräder produziert. Vertikale Diversifikation liegt vor, wenn ein Unternehmen Leistungen vor- oder nachgelagerter Fertigungsstufen in das Angebot aufnimmt - also Rückwärts- oder Vorwärtsintegration betreibt. Von Rückwärtsintegration spricht man, wenn ein Automobilhersteller vorgelagerte Wertschöpfungsstufen zum Beispiel durch die Produktion von Autoreifen übernimmt. Bei der Vorwärtsintegration wird der Automobilhersteller demgegenüber nachgelagerte Wirtschaftsstufen wie Finanz- oder Versicherungsdienstleistungen aufnehmen. Die Erweiterung des Produktionsprogramms um artfremde Produkte bezeichnet man schließlich als laterale Diversifikation, mit der - neben dem Streben nach Wachstum - zumeist das Ziel der Risikostreuung verfolgt wird. So dehnte die heutige Daimler AG in den 1980er- und 1990er-Jahren das Unternehmensportfolio auf die Bereiche Elektronik, Luftfahrt und Dienstleistungen aus, um einen integrierten Technologiekonzern zu schaffen, mit dessen Hilfe man sich von Nachfrageschwankungen im Automobilbereich unabhängiger und damit krisenfester machen wollte. Die Geschichte zeigt jedoch - ohne Berücksichtigung aller denkbaren Ursachen -, dass diese Strategie im vorliegenden Fall in Summe eher zur Wertvernichtung denn zur Wertschaffung geführt hat. Anwendungsbereich und Anwendungsprozess Die Ansoff-Matrix liefert als betriebswirtschaftliche Methode konkrete Anhaltspunkte für Wachstumsmöglichkeiten. Dabei ist die Anwendung insofern voraussetzungsreich, als Informationen zu unternehmensinternen Stärken und Schwächen sowie zu unternehmensexternen Chancen und Risiken vorliegen müssen, die in der in Kapitel 6.1 beschriebenen SWOT-Analyse gebündelt werden können. Die Vorgehensweise kann man in folgende vier Phasen gliedern: 457 Analyse der internen und externen Ist-Situation, Beschreibung strategischer Wachstumsoptionen, Auswahl einer geeigneten Wachstumsstrategie, Ableitung konkreter Aktivitäten und Verantwortlichkeiten. Die Erstellung einer Produkt-Markt-Matrix setzt in einem ersten Schritt die detaillierte Analyse des aktuellen Produkt-Markt-Umfeldes voraus. Die Ist-Situation kann bestimmt werden, indem man auf die in den Kapiteln 5.1 bis 5.9 erörterten Methoden zurückgreift, entsprechende Daten zur Unternehmens- und Umweltsituation ermittelt und diese in einer SWOT-Analyse aggregiert. Erst die genaue Kenntnis situativer Faktoren erlaubt es, erfolgversprechende Wachstumsstrategien zu erarbeiten. Insofern sollte man in der unternehmerischen Praxis dieser aufwändigen, aber in vielerlei Hinsicht nutzenstiftenden Phase besondere Beachtung schenken. In einem zweiten Schritt werden die Wachstumsoptionen beschrieben, indem die Ansoff-Matrix mit individuellen Unternehmensdaten gefüllt wird. Das heißt, die vier generischen Wachstumsstrategien der Marktdurchdringung, Marktentwicklung, Produktentwicklung und Diversifikation werden aus Sicht des betrachteten Unternehmens spezifiziert, um in einem dritten und vierten Schritt festlegen zu können, welche strategische Option unter den gegebenen Bedingungen sinnvoll ist und welche Maßnahmen zur Umsetzung erforderlich wären. 457 Vergleiche im Überblick Kerth, Asum & Stich (2011, S. 178 ff). <?page no="292"?> 6.4 Wachstumsstrategien 293 www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden Zur Auswahl einer geeigneten Wachstumsstrategie kann man Punktbewertungsverfahren beziehungsweise Scoring-Modelle nutzen. Dabei werden die einzelnen Ansoff- Strategien vor dem Hintergrund der analysierten Rahmenbedingungen untersucht. Das heißt, die Stärken und Schwächen eines Unternehmens sowie die Chancen und Risiken werden mit Blick auf ihre jeweilige Bedeutung zunächst gewichtet. Daran anknüpfend werden die vier Ansoff-Strategien anhand der berücksichtigten und gewichteten Merkmale bewertet und eine Gesamtpunktzahl ermittelt. So würde man zum Beispiel bestimmen, ob die Stärken im Forschungs- und Entwicklungsbereich oder bei der Kundenansprache bei der Marktdurchdringung, Marktentwicklung, Produktentwicklung oder der Diversifikation zielgerichteter eingesetzt werden können. Entsprechend würden sich die jeweiligen Punktwerte je Strategie unterscheiden. Die Summe aller Teilpunktwerte bildet schließlich die Grundlage zur Auswahl einer Wachstumsstrategie, für die im letzten Schritt ein Implementierungsplan entwickelt wird, der in ein übergeordnetes Kontroll- und Steuerungssystem 458 integriert werden sollte. Weiterführende Hinweise Bei der Ansoff-Matrix handelt es sich um eine einfache und pragmatisch anzuwendende betriebswirtschaftliche Methode, mit deren Hilfe Ideen zur Wachstumsgenerierung entwickelt und entsprechende Handlungsoptionen ausgelotet werden können. Obgleich die Ansoff-Matrix ein seit Jahrzehnten bekanntes und recht häufig genutztes Instrument der Strategieplanung und Strategieumsetzung darstellt, sollen die Nachteile nicht unerwähnt bleiben: Die Methode rückt absatzorientierte Wachstumsstrategien in den Mittelpunkt, lässt jedoch unbeantwortet, wie neue Zielmärkte ausgewählt und erschlossen werden können. Auch mit Blick auf die Produktebene versäumt es Ansoff darzulegen, wie man neue Produkte entwickeln und positionieren kann. Unberücksichtigt bleiben unter anderem auch Kunden und Wettbewerber und deren potenzielle Reaktionen auf Strategien wie Marktdurchdringung oder Diversifikation. Das Thema Wachstum wird schließlich sehr einseitig betrachtet, da vor allem eine Umsatzperspektive eingenommen wird. Kostenvorteile durch eine effiziente Wertschöpfung oder entsprechende Beschaffungsstrategien werden nicht thematisiert, obwohl zum Beispiel Global Sourcing ein wichtiger Stellhebel bei der Optimierung der Inputfaktoren und damit der Profitabilität eines Unternehmens ist. Unter Berücksichtigung der Stärken und Schwächen der Produkt-Markt-Matrix kann zusammenfassend festgehalten werden, dass Ansoff generische Leitlinien für Wachstum aufzeigt, diese jedoch mit Hilfe weiterer Methoden detailliert werden müssen, um spezifische Strategien zu entwickeln. 458 Vergleiche zum Beispiel Kapitel 6.7. Ausführliche Hinweise zu den Themen Strategiekontrolle und Strategiekontrollsysteme, die häufig mit dem Begriff Performance-Messung zusammengefasst werden, finden sich bei Müller-Stewens & Lechner (2011, S. 575 ff) und Welge & Al-Laham (2012, S. 791 ff). <?page no="293"?> 294 6 Strategische Planung, Umsetzung und Kontrolle www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden 6.5 Internationalisierungsstrategien Problemstellung: Analyse und Auswahl potenzieller Zielmärkte sowie Planung und Umsetzung von Markteintrittsstrategien und Marktbearbeitungsplänen Zielgruppe: Geschäftsführer, Geschäftsbereichsleiter, Marketing- und Internationalisierungsverantwortliche, Marktforscher, Business Development Manager Voraussetzungen: Beschaffung von Umwelt- und Unternehmensdaten auf der Basis von Primär- und Sekundäranalysen Zielsetzung der Internationalisierungsstrategien In den letzten Jahrzehnten hat sich das Umfeld von Unternehmen nachhaltig verändert, da eine neue, die nationalen Grenzen überwindende Wirtschaftsordnung entstanden ist. Die Vernetzung der Weltwirtschaft war zugleich Voraussetzung und Folge weiterer Entwicklungen in Politik, Technik und Gesellschaft, die in Summe zu einem neuen Phänomen geführt haben, der so genannten Globalisierung. Die mit diesem Begriff umschriebene internationale Verflechtung und Interdependenz von Märkten, Menschen und Maschinen stellt Unternehmen vor neue Herausforderungen: So sehen sich nicht zuletzt deutsche Unternehmen vor dem Hintergrund stagnierender Heimatmärkte, eines wachsenden Wettbewerbs- und Kostendrucks und sich stetig verkürzender Innovations- und Produktlebenszyklen gezwungen, neue Wachstumspotenziale auszuloten. Neben der Durchdringung angestammter Märkte und der Beschleunigung von Innovationsprozessen, wird die Nutzung von Wachstumschancen auf internationalen Märkten zu einer strategischen Option. Die mit der Globalisierung einhergehende Liberalisierung schafft dabei die Voraussetzung, dass Unternehmen an den Entwicklungspotenzialen so genannter Emerging Markets partizipieren können. Damit grenzüberschreitende Aktivitäten erfolgreich verlaufen, sind Internationalisierungsstrategien zu entwickeln. Diese setzen sowohl die Kenntnis als auch die adäquate Anwendung einer Vielzahl von Methoden voraus. Insofern ist es das Ziel des hier beschriebenen Ansatzes darzulegen, wie Wachstumsfelder identifiziert, Markteintrittsszenarien verglichen, Markteintrittsstrategien definiert und Marktbearbeitungspläne erstellt werden können. Beschreibung der Internationalisierungsstrategien Grenzüberschreitende Aktivitäten sind - unabhängig von der Zielsetzung - mit Chancen und Risiken verbunden, die einer systematischen Analyse bedürfen, um eine profitable Marktbearbeitung zu gewährleisten. Die Risiken reichen von einer unvollständigen Berücksichtigung politischer, rechtlicher oder kultureller Rahmenbedingungen über ungenügende Kenntnisse der Markt-, Wettbewerbs- und Kundenbedingungen bis zu Fehleinschätzungen der tatsächlich vorhandenen Fähigkeiten, Kompetenzen und Ressourcen eines Unternehmens. Zudem ergeben sich operationale Herausforderungen bei der Umsetzung der Markteintritts- und Marktbearbeitungsstrategien - zum Beispiel beim Aufbau von Vertriebsorganisationen und Lieferantennetzen oder bei der Integration von Auslandsgesellschaften in die Strukturen und Prozesse des Mutterunternehmens. Diese und weitere Risiken können abgeschwächt werden, indem man <?page no="294"?> 6.5 Internationalisierungsstrategien 295 www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden zunächst die Beweggründe und die Grundorientierung der Internationalisierung bewusst macht und darauf aufbauend die Stoßrichtung der Internationalisierung adäquat bestimmt. 459 Bei der Ausdehnung wirtschaftlicher Aktivitäten über Ländergrenzen hinweg agieren Unternehmen entweder aktiv oder reaktiv. Das heißt, die Beweggründe der Internationalisierung können zum einen in der aktiven Verfolgung von Umsatz-, Kundengewinnungs- oder Kostenzielen liegen. Zum anderen können sie aber auch nur eine Reaktion auf gesättigte Heimatmärkte oder auf Expansionsbestrebungen von Großkunden sein, denen man in bestimmte Länder folgen muss. Die Ziele der Internationalisierung und deren Umsetzung werden zudem durch die Unternehmenskultur bestimmt, die Perlmutter in seinem EPRG-Modell beschrieben hat. 460 Das Akronym EPRG steht für eine ethnozentrische, polyzentrische, regiozentrische oder geozentrische Grundorientierung. Abbildung 137: EPRG-Modell 461 Wie in Abbildung 137 dargestellt, folgen ethnozentrische Unternehmen dem Grundsatz, dass Führungsstile, Managementtechniken oder Steuerungsinstrumente bei der Übertragung von der Mutterauf die Tochtergesellschaften nicht angepasst werden müssen. Demgegenüber ist in polyzentrischen Unternehmen die Überzeugung vorherrschend, dass Einstellungen und Verhaltensweisen in verschiedenen Ländern sehr unterschiedlich sind und somit Managementkonzepte gastlandspezifisch entwickelt werden müssen. Die Besetzung des Managements sollte daher mit heimischen Führungskräften erfolgen. Das regiozentrische Führungskonzept unterstellt die Existenz homogener Ländergruppen, in denen einheitliche Strategien verfolgt werden können, während geozentrische Unternehmen durch die Integration aller Gesellschaften global 459 Vergleiche Nagel (2007a, S. 2 f). 460 Siehe Perlmutter (1969). 461 Modifiziert nach Kutschker & Schmid (2011, S. 296). Ethnozentrisch Polyzentrisch Regiozentrisch Geozentrisch = Mutterunternehmen = Tochtergesellschaft = Managementtechniken/ -methoden, Führungsstile <?page no="295"?> 296 6 Strategische Planung, Umsetzung und Kontrolle www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden ausgerichtet sind. Das EPRG-Paradigma geht davon aus, dass die Art und Weise, wie Unternehmen internationalisieren und wie Organisationsstrukturen, Entscheidungsprozesse und Kommunikationswege gestaltet werden, davon abhängen, ob das Management stammland-, gastland-, ländergruppen- oder globalorientiert ist. Insofern bilden die Internationalisierungsmotivation und die Internationalisierungsphilosophie die Grundlage der Entwicklung grenzüberschreitender Strategien. 462 Bevor Internationalisierungsstrategien formuliert und umgesetzt werden können, sind zunächst potenzielle Zielmärkte auszuwählen und im Detail zu untersuchen. Hierbei kann man die in Kapitel 5 beschriebenen Methoden der Unternehmens- und Umweltanalyse heranziehen und die entsprechenden Daten zu internen Stärken und Schwächen und externen Chancen und Risiken für die Bestimmung geeigneter Zielmärkte nutzen. Die Auswahl eines Ländermarktes orientiert sich insbesondere an den Kriterien Attraktivität, Risiko und Eintrittsbarrieren. Das heißt, aus einer Liste von potenziellen Zielregionen werden jene herausgefiltert, die eine möglichst positive Rendite bei gleichzeitig geringen Investitionsrisiken versprechen und die nicht durch rechtliche Restriktionen, wettbewerbsbestimmende Know-how-Vorteile heimischer Unternehmen oder begrenzte Zugänge zu Kapital, Rohstoffen und Arbeitskräften gekennzeichnet sind. Steht der Zielmarkt fest, in den internationalisiert werden soll, ist in einem nächsten Schritt - zum Beispiel auf der Basis einer SWOT-Analyse - die Form des Markteintritts zu bestimmen. In Abhängigkeit von den Kapital- und Managementleistungen, die im Stammland und im Gastland erbracht werden sollen, kann man zwischen folgenden Alternativen der Internationalisierung wählen: Export, Lizenzierung, Franchising, Joint Venture, Auslandsniederlassung, Auslandsproduktion und Tochtergesellschaft. Dabei verändern sich der Grad der Kapital- und Managementleistungen und das Risiko der Internationalisierung wie folgt: Beim risikoarmen Export werden nahezu alle Kapital- und Managementleistungen im Stammland erbracht. Diese Leistungen nehmen von der Lizenzvergabe bis zur Auslandsproduktion im Gastland graduell zu und liegen bei der Markteintrittsform der Tochtergesellschaft bei 100 Prozent. Mit der Zunahme der Kapital- und Managementleistungen im Zielmarkt steigen auch die Risiken, gegen die sich Unternehmen mit Hilfe geeigneter Maßnahmen absichern müssen. Neben Aussagen zu Zielmärkten, Markteintrittsformen und damit verbundenen Chancen und Risiken sollten Internationalisierungsstrategien auch Hinweise zur zeitlichen Gestaltung grenzüberschreitender Aktivitäten umfassen. Insofern müssen Unternehmen auch festlegen, ob sie als Pionier oder als Nachzügler in verschiedene Märkte eintreten und diese nacheinander oder gleichzeitig bearbeiten wollen. Entsprechend sind First-Mover- oder Followerbeziehungsweise Wasserfall- oder Sprinklerstrategien zu entwickeln. Bestandteil von Internationalisierungsstrategien sind schließlich auch Überlegungen, wie das über verschiedene Länder und Kontinente verteilte Geflecht von Gesellschaften und Beteiligungen koordiniert, gesteuert und überwacht werden kann. Internationalisierungsstrategien bestehen somit aus Zielmarkt-, Markteintritts-, Timing- und Koordinationsstrategien. 463 462 Vergleiche Perlitz & Schrank (2013, S. 81 ff). 463 Zu den Entscheidungsfeldern der Internationalisierung und zu entsprechenden Fallstudien und Fallbeispielen vergleiche im Überblick Schmid (2013b, S. 10 ff und 2013a). <?page no="296"?> 6.5 Internationalisierungsstrategien 297 www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden Anwendungsbereich und Anwendungsprozess Unternehmen internationalisieren in der Regel schrittweise - insbesondere, wenn die Internationalisierungsbemühungen absatzorientiert sind. Wesentliche Voraussetzungen, um auf internationalen Märkten lukrative Wachstumssegmente zu identifizieren und die Marktbearbeitung darauf auszurichten, sind methodische Kenntnisse, personelle Ressourcen und valide Marktdaten. Das in Abbildung 138 skizzierte integrative Internationalisierungsmodell stellt einen ganzheitlichen Ansatz dar, der den komplexen Prozess der Internationalisierung in vier Phasen gliedert, die durch unterschiedliche Fragestellungen und Herausforderungen gekennzeichnet sind: 464 Auswahl und Bewertung potenzieller Zielmärkte, Analyse des Eintritts in definierte Zielmärkte, Entwicklung von Markteintrittsstrategien, Erstellung eines Businessplans. Ausgehend von den unternehmensspezifischen Zielsetzungen werden in einem ersten Schritt internationale Wachstumsfelder identifiziert, bewertet und priorisiert, indem man auf der Basis einer globalen Umweltanalyse zunächst die wesentlichen politischen, rechtlichen, ökonomischen, soziokulturellen und technologischen Faktoren in den Blick nimmt. Diese so genannten PEST-Faktoren werden für alle potenziellen Zielmärkte der Long List ermittelt und mit Gewichtungsfaktoren versehen, welche die relative Bedeutung der Kriterien für die Marktattraktivität zum Ausdruck bringen. Für die in Betracht gezogenen Regionen, Länder oder Segmente werden anhand der ausgewählten und gewichteten Merkmale Bewertungen vorgenommen und ein Gesamtscore gebildet. Dieser Gesamtscore - also die Summe der gewichteten Punkte pro Region, Land oder Segment - spiegelt die allgemeine Markteintrittsattraktivität wider und ermöglicht es, aus der Vielzahl potenzieller Wachstumsfelder jene herauszufiltern, die tatsächlich interessant sind und detaillierter untersucht werden sollen. Im zweiten Schritt wird für die Zielmärkte der Short List eine spezifische Umweltanalyse durchgeführt. Das heißt, die so genannte Aufgabenumwelt eines Unternehmens - wie Lieferanten, Kunden oder Wettbewerber - wird in Kombination mit den internen Fähigkeiten, Kompetenzen und Ressourcen betrachtet, um bestimmen zu können, welcher Markt das größte Potenzial verspricht. Methodisch werden in dieser Phase bewährte Instrumente wie die Branchenstruktur- und Wettbewerbsvorteilsanalyse oder das 7S- und Erfahrungskurvenmodell genutzt und deren Ergebnisse in einer SWOT- Analyse gebündelt, um strategische Optionen abzuleiten. Dieses Vorgehen erlaubt es, die Makro- und Mikrobedingungen und die damit verbundenen Marktrisiken zuverlässig zu beurteilen, eine finale Zielmarktauswahl zu treffen und den richtigen Weg für den entsprechenden Markteintritt zu wählen. Im Mittelpunkt der dritten Phase stehen die Planung und Umsetzung der Markteintrittsstrategie, die - in Anlehnung an das „genetische Modell der Internationalisierung“ 465 - verschiedene Formen annehmen kann. Je nachdem, ob als Markteintrittsform Export, Lizenzierung, Franchising, ein Joint Venture oder eine Tochtergesell- 464 Vergleiche im Überblick Nagel (2007a). 465 Gelbrich & Müller (2011, S. 495). <?page no="297"?> 298 6 Strategische Planung, Umsetzung und Kontrolle www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden schaft gewählt wird, unterscheidet sich der Anteil der im Inland beziehungsweise Ausland erbrachten Kapital- und Managementleistungen sowie das damit verbundene Risiko. Parallel zu der gewählten Strategie sind auch die unternehmerischen Strukturen, Prozesse und Organisationsformen im Stamm- und im Gastland aufeinander abzustimmen und ein Businessplan zu erstellen, der im Mittelpunkt der letzten Phase steht. Abbildung 138: Ein integratives Internationalisierungsmodell Das integrative Internationalisierungsmodell nutzt bewährte betriebswirtschaftliche Methoden, um bei grenzüberschreitenden Aktivitäten das Risiko eines Fehlschlages zu minimieren. Dazu trägt auch der letzte Schritt bei, indem ein Businessplan für die gewählte Markteintrittsform entwickelt wird. Dieser enthält alle relevanten Markt-, Kunden- und Wettbewerbsinformationen, die gewählte Marketing- und Vertriebsstrategie, die Finanz- und Investitionsplanung sowie weitere Angaben zu Standorten, Rechtsformen oder Kooperationspartnern. Für zahlreiche Unternehmen ist vor allem der Aufbau neuer oder die Verlagerung bestehender Produktionsstandorte ein relevantes Thema. Treiber dieser Entwicklung sind sowohl der Wunsch nach Erschließung neuer Absatzmärkte als auch das Streben nach Kosteneinsparungen. Von großer Bedeutung ist es daher, nicht nur einen geeigneten Zielmarkt, sondern innerhalb des jeweiligen Zielmarktes auch den optimalen Standort zu finden. Im Businessplan werden insofern auch Aspekte wie die Verfügbarkeit und Kosten von Grundstücken, die Logistikinfrastruktur, das Arbeitskräftepotenzial, die Wohnsituation von Expatriates oder die Höhe der operativen Kosten berücksichtigt. Denn die Erfahrung zeigt, dass umfassende Analysen notwendig sind, um einen reibungslosen und erfolgreichen Auswahlprozess für expansive Unternehmen zu gewährleisten. Weiterführende Hinweise Die Identifikation von attraktiven Wachstumsfeldern stellt eine wesentliche Voraussetzung für Unternehmen dar, um Umsatzziele zu erreichen oder globale Strategien umzusetzen. Hat man potenzielle Zielmärkte identifiziert, müssen diese noch priorisiert und im Detail analysiert werden. Die Identifikation, Auswahl und Analyse setzen die Kenntnis einer Vielzahl von betriebswirtschaftlichen Methoden voraus, um erfolgver- Phase II Markteintrittsanalyse Phase III Markteintrittsstrategie Phase I Marktauswahl/ -bewertung Phase IV Businessplan-Entwicklung Makro-/ Mikroumwelt Fähigkeiten/ Kompetenzen SWOT Markt Kunden Wettbewerb Gesetze Markteintrittsformen Finanzen/ Konsequenzen Export Franchising Tochtergesellschaft Lizenzierung Joint Venture … Potenzielle Märkte Potenzielle Segmente Bewertung & Auswahl Businessplan Strategie Vertrieb Recht Marketing Finanzen … Standortwahl Partnerwahl Chancen identifiziert Markt/ Märkte ausgewählt Eintrittsmodus festgelegt Plan erstellt <?page no="298"?> 6.6 Gewinnschwellenanalyse 299 www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden sprechende Internationalisierungsstrategien entwickeln und implementieren zu können. Methodisches Know-how ist allerdings nur eine Bedingung, um grenzüberschreitend erfolgreich zu sein. Erforderlich sind zudem Offenheit, Respekt und Verständnis für kulturelle Unterschiede, deren adäquate Berücksichtigung sich recht häufig als Schlüssel zu einem neuen Markt erweist. 466 6.6 Gewinnschwellenanalyse Problemstellung: Planung profitabler Investitionen und Bestimmung gewinnorientierter Absatzmengen und Preise Zielgruppe: Geschäftsführer, Geschäftsbereichsleiter, Controller, Produktprogrammplaner, Produktmanager, Projektleiter Voraussetzungen: Zugang zu quantifizierbaren Kosten- und Erlösverläufen und Informationen zu vorhandenen Produktionskapazitäten Zielsetzung der Gewinnschwellenanalyse Zur Erreichung unternehmerischer Ziele ist es erforderlich, Investitionen optimal zu planen. Das heißt, potenzielle Ein- und Auszahlungen beziehungsweise Erlöse und Kosten sind vor der Umsetzung von Wachstums-, Internationalisierungs- oder Produktstrategien klar zu beziffern, um den Zeitpunkt zu bestimmen, ab dem Gewinn erwirtschaftet wird. Ziel der auch als Break-even-Analyse bezeichneten Methode ist die Ermittlung der Gewinnschwelle eines Unternehmens oder einzelner Produkte. An dieser Schwelle sind Kosten und Erlöse gleich hoch, während oberhalb des Breakeven-Punktes Gewinne und unterhalb Verluste erwirtschaftet werden. Hat man den in Abbildung 139 dargestellten Verlauf bestimmt, kann man entscheiden, ob sich eine Investition lohnt oder nicht. Entwickelt ein Unternehmen beispielsweise neue Produkte, kann mit Hilfe der Gewinnschwellenanalyse eine Auswahl getroffen und der Erfolg einzelner Produkte vorhergesagt werden. Voraussetzung ist indes, dass die Kosten- und Erlösverläufe quantifizierbar sind. 467 Beschreibung der Gewinnschwellenanalyse Die Gewinnschwellenanalyse ist eine seit langem bekannte und bewährte betriebswirtschaftliche Methode. Sie kommt immer dann zum Einsatz, wenn beantwortet werden soll, ob und ab wann sich Ausgaben lohnen. Typische Anwendungsfelder sind der Vergleich von Investitionsprojekten oder die gewinnorientierte Preisfindung. Im ersten Fall liefert die Analyse eine Antwort auf die Frage, bei welchen Mengen die Gewinne von verschiedenen Investitionen gleich groß sind. Im zweiten Fall wird zum Beispiel für ein neues Produkt der optimale Markteinführungspreis aus dem gewünschten Gewinnziel abgeleitet. Hierzu müssen neben dem Gewinnziel der Verlauf der Gesamtkosten und die maximalen Produktionskapazitäten des Unternehmens bekannt sein. Lie- 466 Zur Bedeutung des Faktors Kultur und einer entsprechend adäquaten interkulturellen Kommunikation vergleiche Müller & Gelbrich (2014). 467 Vergleiche Horváth (2011, S. 428 ff). <?page no="299"?> 300 6 Strategische Planung, Umsetzung und Kontrolle www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden gen diese Informationen vor, bietet die Gewinnschwellenanalyse die Möglichkeit, die Zusammenhänge zwischen Gewinnzielen, Produktionsmengen, Preisen und Kosten aufzudecken. Somit kann man unter anderem folgende Fragen beantworten: Welcher Preis ist bei einer prognostizierten Absatzmenge X optimal? Welche Preisspielräume können zur Marktpositionierung genutzt werden? Oder: Ab welcher minimalen Absatzmenge tritt bei gegebenen Bedingungen ein Verlust ein? Abbildung 139: Gewinnschwellenanalyse 468 Der große Nachteil der gewinnorientierten Preisbestimmung mit Hilfe der Gewinnschwellenanalyse besteht darin, dass Ursache-Wirkungs-Verhältnisse zirkulär betrachtet werden. Das heißt, der Preis wird auf der Grundlage einer geplanten Absatzmenge festgelegt, obwohl man weiß, dass die Absatzmengen der meisten Produkte vom Preis abhängen. Unberücksichtigt bleiben die Kunden mit ihren Präferenzen und Nutzenerwartungen. Aus dem Preismanagement ist bekannt, dass man den Wert bei der Preisfestlegung berücksichtigen sollte, den Kunden einzelnen Produkten oder Marken zuschreiben. Erfolgt die Orientierung ausschließlich an den oben skizzierten Zusammenhängen, kann es passieren, dass man zu niedrige Preise veranschlagt, obwohl Kunden bereit wären, mehr für ein Produkt zu bezahlen. Insofern sollte man die gewinn- oder kostenorientierte Perspektive um Methoden der nachfrage- oder konkurrenzorientierten Preisbestimmung ergänzen. 469 Anwendungsbereich und Anwendungsprozess Die Gewinnschwellenanalyse findet immer dann Anwendung, wenn Preise, Mengen und Kosten im Voraus geplant oder zumindest geschätzt werden können. Die jeweiligen Kosten und Erlöse sollten dabei zeitpunktbezogen vorliegen, damit man diese einander gegenüberstellen und valide Aussagen ableiten kann. Beim Vergleich von Investitionsprojekten hat sich folgendes Vorgehen bewährt: 470 468 Modifiziert nach Vahs & Schäfer-Kunz (2012, S. 503). 469 Vergleiche Thommen & Achleitner (2013, S. 243). 470 Vergleiche im Überblick Kerth & Asum (2008, S. 271 f). Ausbringungsmenge Erlöse Kosten Gewinn Verlust Break-even-Point Erlöse Kosten <?page no="300"?> 6.6 Gewinnschwellenanalyse 301 www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden Bestimmung der Kostenverläufe, Bestimmung der Erlösverläufe, Erstellung des Gewinnschwellendiagramms. In einem ersten Schritt werden die Kosten ermittelt, die sich bei den jeweiligen Investitionen ergeben. Dabei ist eine Trennung in variable und fixe Kosten vorzunehmen. Variable Kosten sind jene, die sich bei einer Erhöhung oder Verringerung der Produktionsbeziehungsweise Absatzmenge verändern. Man bezeichnet sie daher auch als mengenabhängige Kosten. Im Produktionsbetrieb stellen zum Beispiel Fertigungsmaterial- oder Fertigungslohnkosten variable Kosten dar. Im Gegensatz dazu sind fixe Kosten unabhängig von der Produktionsbeziehungsweise Ausbringungsmenge. Sie fallen selbst dann an, wenn nichts produziert wird. Zu den fixen Kosten zählen beispielsweise Gehälter oder Mieten für Büros und Lagerräume. In der einfachsten Variante der Gewinnschwellenanalyse geht man von einem linearen Zusammenhang zwischen Ausbringungsmengen, Preisen und Kosten aus. Man unterstellt, dass die Preise unabhängig von der verkauften Menge konstant bleiben. Identisches gilt für die variablen Stückkosten je erzeugter Mengeneinheit. Auch hier nimmt man konstante Werte in die Analyse auf, wenngleich die variablen Stückkosten mit veränderten Mengeneinheiten üblicherweise variieren. In einem zweiten Schritt werden die potenziellen Erlöse geschätzt. Hierbei wird in der Regel mit Prognoseverfahren gearbeitet, um möglichst realistische Werte zu erhalten. Die einzelnen Werte sollten für die gleichen Zeitintervalle ermittelt werden, wie die Kosten. Hat man die Kosten und Erlöse in gleiche Zeitabschnitte unterteilt, kann man in einem dritten Schritt die einzelnen Zahlenreihen gegenüberstellen und das Gewinnschwellendiagramm erstellen. Hierzu ist keine Spezialsoftware erforderlich, da sowohl die Aufbereitung der Kosten und Erlöse als auch die Visualisierung mit Hilfe einer Break-even-Grafik mit jedem handelsüblichen Tabellenkalkulationsprogramm vorgenommen werden können. Weiterführende Hinweise Zahlreiche betriebswirtschaftliche Methoden sind einfach in der Anwendung und liefern mit geringem Aufwand übersichtliche Ergebnisse. Dies gilt auch für die Gewinnschwellenanalyse. Sie bietet pragmatische Hilfestellung bei Gewinn-, Preis- und Investitionsentscheidungen, sofern die erforderlichen Daten verfügbar sind. Allerdings handelt es sich um ein statisches und in Teilen wirklichkeitsfernes Verfahren. Insofern sollte man die Break-even-Analyse in der Praxis eher als Überblicksdenn als Entscheidungsfindungsmethode verwenden. Zur Unternehmensplanung sollten ergänzende Managementkonzepte berücksichtigt werden, die zum Teil komplexer, methodisch aber auch valider sind. <?page no="301"?> 302 6 Strategische Planung, Umsetzung und Kontrolle www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden 6.7 Balanced Scorecard Problemstellung: Umsetzung von Strategien in konkrete, operative Aktivitäten durch eine systematische Abstimmung von Zielen, Kennzahlen, Vorgaben und Maßnahmen Zielgruppe: Geschäftsführer, Geschäftsbereichs- und Funktionsbereichsleiter, Controller und Experten aus den jeweils betroffenen Fachbereichen Voraussetzungen: Ausformulierte Unternehmens-, Geschäftsbereichs- oder Funktionsbereichsstrategie, Schaffung einer Projektorganisation und Bereitschaft des Managements zur konsequenten und nachhaltigen Implementierung Zielsetzung der Balanced Scorecard Unternehmen entwickeln Strategien, um Ziele wie Wachstum oder Markterschließung zu erreichen und sich vom Wettbewerb abzuheben. Eine ausgefeilte Unternehmensstrategie stellt dabei eine notwendige, nicht jedoch eine hinreichende Bedingung für Erfolg dar. Das heißt, die beste Unternehmensstrategie bleibt wirkungslos, sofern sie nicht effektiv kommuniziert und umgesetzt wird. Unternehmen müssen daher bestrebt sein, Strategien in operatives Handeln zu überführen, um auf diese Weise Wettbewerbsvorteile zu erzielen. Eine seit rund 25 Jahren bekannte Methode, um Strategien in Aktivitäten zu übersetzen, ist die Balanced Scorecard. Mit ihrer Hilfe werden Vision, Mission und Strategie eines Unternehmens in Ziele, Kennzahlen und Maßnahmen heruntergebrochen und damit greifbar und messbar gemacht. Dabei gibt die Vision eine Antwort auf die Frage „wo ein Unternehmen hin will“, 471 während die Mission beschreibt, „warum ein Unternehmen existiert“. Die Strategie stellt schließlich einen „Spielplan“ dar, der mit der Balanced Scorecard implementiert, kontrolliert und gesteuert werden kann. Durch das Herunterbrechen übergeordneter Ziele in Geschäfts- oder Funktionsbereichsziele kann man den Strategiebeitrag jedes einzelnen Mitarbeiters deutlich machen und auf diese Weise Verständnis und Motivation für Veränderungen schaffen. Diese Transparenz hilft Mitarbeitern, ihre Ressourcen zu fokussieren und alle Aktivitäten auf die Strategieumsetzung zu konzentrieren. Die Transparenz der Ziele und der dahinterliegenden Strategien erleichtert zudem die Kommunikation mit weiteren Stakeholdern wie Kapitalgebern, Gewerkschaften, Kunden oder Lieferanten. Die Balanced Scorecard ist nicht zuletzt aufgrund ihrer Übersichtlichkeit und ihres praktischen Nutzens eine vielbeachtete betriebswirtschaftliche Methode. Dies dokumentiert sowohl die Vielzahl an wissenschaftlichen Publikationen als auch deren Verbreitung in Klein-, Mittel- und Großunternehmen, die in den letzten Jahren unter anderem durch Beratungsgesellschaften forciert wurde. 472 471 Kotler, Keller, Brady, Goodman & Hansen (2009, S. 88) bezeichnen die Vision als einen „almost impossible dream“. 472 Vergleiche im Überblick Horváth & Partners (2004). <?page no="302"?> 6.7 Balanced Scorecard 303 www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden Beschreibung der Balanced Scorecard Die Balanced Scorecard wurde zu Beginn der 1990er Jahre von Kaplan und Norton entwickelt. Sie wandten sich mit ihrem Konzept gegen die damals dominierenden rein finanzwirtschaftlich ausgerichteten Managementsysteme, die zur Planung und Steuerung ausschließlich Messgrößen wie Cashflow, Umsatzwachstum oder Eigenkapitalrentabilität berücksichtigten. Kaplan und Norton waren der Auffassung, dass zur Strategieumsetzung ein ausgewogenes Bündel aus monetären und nicht-monetären Kennzahlen erforderlich sei. Daher führten sie die Bezeichnung Balanced Scorecard ein, um deutlich zu machen, dass es sich um ein ausgewogenes Kennzahlensystem handelt, das unterschiedliche Perspektiven verbindet: Finanzen, Prozesse, Potenziale und Kunden. In Abbildung 140 sind die vier von Kaplan und Norton berücksichtigten Perspektiven oder Betrachtungsweisen aufgeführt, die Antworten auf folgende Fragen geben: 473 „Was wollen oder müssen wir in finanzieller Hinsicht erreichen? “ Die Finanzperspektive verweist somit auf die monetären Konsequenzen der Strategieumsetzung und umfasst typischerweise Ziele, die mit den Erwartungen der zentralen Stakeholder eines Unternehmens korrespondieren. So sind beispielsweise Anteilseigner an Ertragswachstum oder einer möglichst hohen Verzinsung des eingesetzten Kapitals interessiert. „In welchen Unternehmensbereichen müssen wir besondere Leistungen erbringen? “ Die Prozessperspektive bezieht sich auf interne Abläufe, die für die Implementierung der Unternehmensstrategie und die Verwirklichung finanzieller Ziele erfolgskritisch sind. Die gesamte Wertschöpfungskette kann man zum Beispiel in Innovations-, Produktions- und Absatzprozesse gliedern und Kennzahlen wie Produktentwicklungszeiten und Produktivität oder Ausschussraten und Prozesskosten heranziehen. „Wie können wir uns verbessern und zusätzlichen Wert schaffen? “ Die Potenzialperspektive beschreibt die Bedingungen, die gegeben sein müssen, damit die Ziele der anderen drei Perspektiven erreicht werden. Dabei spielen beispielsweise die Qualifizierung und Motivation von Mitarbeitern oder die Leistungsfähigkeit des Informationssystems eine wesentliche Rolle. „Wie bewerten uns unsere aktuellen Kunden? “ Im Mittelpunkt der Kundenperspektive stehen die Erfüllung der Kundenanforderungen und die damit verknüpfte Kundenzufriedenheit. Sie umfasst Größen wie Abwanderungs- oder Wiederkaufsraten und Lieferqualität oder Reklamationsquoten. Die einzelnen Perspektiven des hier skizzierten Grundmodells sind gleichgewichtig und gleichbedeutend. Das heißt, mit ihnen soll ein verengter Blick auf das Unternehmen vermieden werden, der sich zwangsläufig ergibt, wenn das Management beispielsweise zu stark kundenorientiert oder zu stark prozessorientiert ist. In beiden Fällen führt die einseitige Betrachtungsweise zu Ungleichgewichten. Im ersten Fall würden monetäre Ziele und im zweiten Fall markt- oder wettbewerbsorientierte Ziele vernachlässigt. Die vier klassischen Betrachtungsweisen können je nach Branche reduziert oder erweitert werden, um die Balanced Scorecard den spezifischen Anforderungen und Bedürf- 473 Vergleiche Grant & Nippa (2006, S. 85 ff) und Horváth & Partners (2004, S. 2 ff). <?page no="303"?> 304 6 Strategische Planung, Umsetzung und Kontrolle www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden nissen von Unternehmen anzupassen. Grundsätzlich gilt jedoch, dass die einzelnen Perspektiven und deren Ziele, Kennzahlen, Vorgaben und Maßnahmen nicht unverbunden nebeneinander stehen, sondern über Ursache-Wirkungs-Ketten verknüpft werden, um auf der Basis von Korrelationsanalysen die wesentlichen Zusammenhänge deutlich zu machen. Das Ergebnis einer entsprechenden Verknüpfung könnte zum Beispiel sein, dass mit einer Verbesserung der Fremdsprachenkenntnisse von Mitarbeitern auf der Potenzialebene, Veränderungen auf der Prozess- und Kundenebene korrelieren, die wiederum mit einer Optimierung des Return on Capital Employed - kurz: ROCE - auf der Finanzebene zusammenhängen. Insofern legt man für jede Perspektive zunächst strategische Ziele fest, die sich aus der Vision und der Strategie ableiten. Dann definiert man Kennzahlen beziehungsweise Messgrößen, benennt Vorgaben beziehungsweise Zielwerte, um schließlich Maßnahmen zu bestimmen, mit deren Hilfe die Strategie zum Leben erweckt werden kann. Dieses Vorgehen führt im Idealfall zu einer Umsetzung der Vision, Mission und Strategie eines Unternehmens unter Beteiligung aller Mitarbeiter. Abbildung 140: Die vier Perspektiven der Balanced Scorecard 474 Zahlreiche Studien belegen, dass sich die Balanced Scorecard als betriebswirtschaftliche Methode zur Leistungsmessung und Strategierealisierung bewährt hat. Eine Untersuchung von mehr als 100 Klein-, Mittel- und Großunternehmen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz zeigt, dass Unternehmen hinsichtlich Umsatz und Gewinn erfolgreicher als ihre Wettbewerber sind, wenn sie die Balanced Scorecard zur Planung, Steuerung und Strategieumsetzung einsetzen. Die Studie zeigt auch, dass sich die Balanced Scorecard-Anwendung positiv auf die Kunden- und Mitarbeiterzufriedenheit sowie auf die Qualität und auf weitere Kennzahlen wie Kostensenkung oder Marktanteile auswirkt. 475 Allerdings muss man darauf hinweisen, dass diese Studien fast ausnahmslos von Unternehmensberatungen stammen, die zumindest im Verdacht stehen, mit entsprechend positiven Ergebnissen ihr Beratungsgeschäft ankurbeln zu wollen. 474 Modifiziert nach Kaplan & Norton (1997, S. 9). 475 Vergleiche Horváth & Partners (2004, S. 13 ff). Finanzperspektive Ziel Kennzahl Vorgabe Maßnahme Kundenperspektive Ziel Kennzahl Vorgabe Maßnahme Prozessperspektive Ziel Kennzahl Vorgabe Maßnahme Potenzialperspektive Ziel Kennzahl Vorgabe Maßnahme Vision und Strategie <?page no="304"?> 6.7 Balanced Scorecard 305 www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden Anwendungsbereich und Anwendungsprozess Die Entwicklung einer Balanced Scorecard setzt zunächst Klarheit darüber voraus, ob eine Unternehmens-, eine Geschäftsbereichs- oder eine Funktionsbereichsscorecard entwickelt werden soll. Zudem müssen die strategischen Grundlagen geklärt und der organisatorische Rahmen geschaffen werden. Das heißt, Vision und Mission sollten definiert und die Projektorganisation und die zu verwendenden Methoden festgelegt worden sein. Sind diese Vorarbeiten erledigt, kann man mit der Entwicklung der Balanced Scorecard beginnen, die sich in sechs Phasen gliedert: 476 Perspektiven und deren Rangfolge festlegen, Ziele ableiten, Ursache-Wirkungs-Beziehungen aufbauen, Kennzahlen auswählen, Vorgaben beziehungsweise Sollwerte bestimmen, Maßnahmen definieren. In einem ersten Schritt muss man entscheiden, welche Perspektiven berücksichtigt werden sollen. Zahlreiche Unternehmen greifen auf die klassischen Betrachtungsweisen Finanzen, Prozesse, Potenziale und Kunden zurück, obgleich sich je nach Branche weitere anbieten, wie eine Zuliefererperspektive für einen Automobilhersteller, eine Risikoperspektive für eine Bank oder eine Umweltperspektive für ein Energieunternehmen. Nach Auswahl der Perspektiven ist deren Rangfolge zu bestimmen, um deutlich zu machen, welche Abhängigkeiten zwischen den Betrachtungsweisen existieren und welche Perspektive am Ende der Wirkungskette steht. Dies dürfte in den meisten Fällen die Finanzperspektive sein, wobei die Scorecard je nach Unternehmen und Branche auch anders aufgebaut sein kann. Hat man den organisatorischen und strategischen Rahmen sowie die Balanced Scorecard-Grundarchitektur - also die Perspektiven und Hierarchien - festgelegt, werden aus der Strategie Ziele abgeleitet. Nach Ansicht von Kaplan und Norton ist es dabei sinnvoll, nicht mehr als fünf Ziele je Perspektive aufzunehmen, um das System flexibel und überschaubar zu halten. Gemäß dem Grundsatz: „Twenty is Plenty.“ 477 Typische Finanzziele sind zum Beispiel Umsatz- und Profitabilitätsverbesserung oder Kostensenkung. Mit Blick auf die internen Prozesse wird man unter anderem Ziele wie Standardisierung, Qualitätssicherung oder die Reduktion von Produktentwicklungszeiten verfolgen. Verbesserte Fremdsprachenkenntnisse und Mitarbeiterzufriedenheitswerte oder die Verringerung der Mitarbeiterfluktuation stellen Ziele zur Förderung der unternehmensbezogenen Potenziale dar, während die Optimierung von Kundenbindung und Kundenzufriedenheit oder die Steigerung des Bekanntheitsgrades typische Ziele im Bereich der Kundenperspektive sind. Im dritten Schritt werden die Ursache-Wirkungs-Beziehungen zwischen den einzelnen strategischen Zielen mit Hilfe so genannter Strategy Maps aufgedeckt. Die Strategy Maps oder Ursache-Wirkungs-Diagramme illustrieren auf der Basis von Korrelationsanalysen die Bedeutung einzelner Ziele und Zielkategorien für die Erreichung über- 476 Vergleiche im Überblick Horváth & Partners (2004, S. 167 ff). 477 Horváth & Partners (2004, S. 53). <?page no="305"?> 306 6 Strategische Planung, Umsetzung und Kontrolle www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden geordneter Finanzziele. Anders formuliert: Man unterteilt alle Ziele in unabhängige und abhängige und visualisiert wie in Abbildung 141 den jeweiligen Einfluss durch Pfeile. Ziele, die nicht in einer Kette mit anderen Zielen verknüpft werden können, sollten überprüft und gegebenenfalls vernachlässigt oder ersetzt werden, da sie offensichtlich nicht zur erfolgreichen Strategieumsetzung beitragen. Abbildung 141: Beispielhafte Strategy Map Im nächsten Schritt werden Kennzahlen ausgewählt, um Ziele zu operationalisieren und zu messen. Dabei ist sicherzustellen, dass jedes Ziel durch mindestens eine Kennzahl repräsentiert wird. Typischerweise legt man in der Praxis zunächst mehrere Kennzahlen für ein Ziel fest, um dann eine Reduktion auf die wirklich wichtigen zum Beispiel anhand der Kriterien Aufwand beziehungsweise Nutzen oder Machbarkeit beziehungsweise Beeinflussbarkeit vorzunehmen. Für jede Kennzahl wird zudem bestimmt, in welchen Zeitabständen diese berechnet werden soll und wer hierfür die Verantwortung trägt. Auf diese Weise wird die Balanced Scorecard und damit die Strategie in den Arbeitsalltag der Mitarbeiter integriert und die Grundlage für eine erfolgreiche Umsetzung geschaffen. Hat man Ziele und dazugehörige Kennzahlen festgelegt, müssen in einem fünften Schritt Vorgaben oder Sollwerte definiert werden. Die Sollwerte gehen in Zielvereinbarungen mit Führungskräften ein und können durch eine weitere Zerlegung in Teilziele und Teilsollwerte auf weitere Mitarbeiter übertragen werden. Somit wird die Balanced Scorecard zu einem Instrument, das alle Akteure eines Unternehmens einbezieht und den individuellen Beitrag zur Umsetzung von Vision, Mission und Strategie sichtbar macht. Für das Potenzialziel „Fremdsprachenkenntnisse verbessern“ mit der entsprechenden Kennzahl „Prüfungsergebnisse“ könnte man als Sollwert zum Beispiel das Potenziale Prozesse Kunden Finanzen Aktive Personalentwicklung Innovative und motivierende Arbeitsumwelt Englische Sprachkenntnisse Internationale Managementfähigkeiten Aufbau von Markt- und Kundenwissen Identifikation von Wachstumsmärkten Erhöhung des Produktnutzens für Kunden Einführung innovativer Produkte und Dienstleistungen Verbesserung der Kundenbeziehungen Entwicklung von Key Accounts Umsatzwachstum EBIT-Wachstum Verbesserung der Profitabilität (ROCE) <?page no="306"?> 6.7 Balanced Scorecard 307 „Bestehen des TOEFL-Tests“ 478 mit einer festgelegten Punktzahl heranziehen. Für das Finanzziel „Profitabilität steigern“ mit der entsprechenden Kennzahl „Return on Capital Employed“ - kurz: ROCE - könnte als Sollwert beispielsweise „> 20 Prozent“ dienen. 479 Im letzten Schritt muss man schließlich Maßnahmen definieren, um Sollwerte zu erreichen und Ziele umzusetzen. Die einzelnen Maßnahmen beziehungsweise Aktivitäten können Projekten und weiteren Tätigkeiten innerhalb und außerhalb des Tagesgeschäftes zugeordnet werden. Auch hier ist in der Praxis eine Priorisierung vorzunehmen, da in der Regel nicht ausreichende personelle und finanzielle Ressourcen zur Verfügung stehen, um alle geeigneten Maßnahmen in Angriff zu nehmen. Weiterführende Hinweise Bei der Balanced Scorecard handelt es sich um eine betriebswirtschaftliche Methode zur kennzahlenbasierten Unternehmenssteuerung. Mit der Balanced Scorecard werden Strategien in Aktivitäten übersetzt, nicht jedoch neue Strategien entwickelt. Als ausgewogenes Controllinginstrument mit koordinierender Wirkung hat sich der Ansatz in der Praxis vielfach bewährt. Allerdings ist die erfolgreiche Anwendung an einige Bedingungen geknüpft: Das Herunterbrechen von Zielen von der obersten bis zur untersten Hierarchieebene setzt effiziente Management- und Planungsprozesse voraus. Vision, Mission und Strategie müssen definiert, und die einzelnen methodischen Schritte müssen bekannt sein. Zudem ist zur Entwicklung und Umsetzung einer Balanced Scorecard ein Mindestmaß an Erfahrung mit strategischen Managementinstrumenten erforderlich. Schließlich sollte das Top Management die Anwendung nicht nur befürworten, sondern die konsequente Implementierung nachhaltig unterstützen und vorantreiben. Anderenfalls wird die Balanced Scorecard zunächst erhebliche Ressourcen binden, dann nicht die gewünschten Erfolge bringen, um schließlich ein Schattendasein neben dem herkömmlichen Berichtswesen zu führen. 478 TOEFL steht für Test of English as a Foreign Language. Hierbei handelt es sich um einen standardisierten und weit verbreiteten Sprachtest, der unter anderem von Hochschulen als Zulassungsvoraussetzung für internationale Studiengänge genutzt wird. 479 Für weitere Beispiele vergleiche Nagel & Wimmer (2009). <?page no="308"?> www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden 7 Organisation Organisationen sind allgegenwärtig. Wir bewegen uns täglich in ihnen oder sind aktiver Bestandteil von ihnen. Sie dienen der Lösung von Problemen und vermögen Komplexität zu reduzieren, auch wenn sie uns manchmal undurchsichtig und chaotisch erscheinen. Im sozialwissenschaftlichen beziehungsweise betriebswirtschaftlichen Sinne stellen Organisationen Gebilde dar, in die man auf freiwilliger Basis und typischerweise aufgrund von Verträgen ein- und austreten kann, die eine Person nur teilweise vereinnahmen, 480 deren Mitglieder prinzipiell austauschbar sind und die über eine Hierarchie verfügen. Insofern unterscheiden sich Organisationen von Familien, Gruppen, Netzwerken oder Märkten. Organisationen schaffen Ordnung, indem sie Strukturen und Abläufe festlegen und solcherart ein System zweckrationalen Handelns bilden. Je nach Perspektive kann man Organisationen institutionell, instrumentell oder prozessorientiert betrachten. Im ersten Fall geht man davon aus, dass Unternehmen Organisationen sind, im zweiten Fall, dass Unternehmen Organisationen - wie ein Instrument oder Werkzeug - nutzen, während im Mittelpunkt einer prozessorientierten Betrachtungsweise die Überzeugung steht, dass in Unternehmen Organisation stattfindet. 481 Unabhängig von der jeweils eingenommenen theoretischen Perspektive gilt, dass die Bildung, die Entwicklung und der Erhalt von Organisationen auf Ziele ausgerichtet sind, die in ihrer allgemeinsten Form mit Effektivität und Effizienz umschrieben werden können. Um eine effektive und effiziente Organisation zu etablieren, bedarf es jedoch nicht nur der Festlegung überprüfbarer Ziele, sondern auch der Analyse aktueller Bedingungen und der Umsetzung erforderlicher Maßnahmen. Hierzu kann auf betriebswirtschaftliche Methoden zurückgegriffen werden. Allerdings ergibt sich mit Blick auf das Thema Organisation die Besonderheit, dass vermeintlich geeignete Werkzeuge wie Projektmanagement, Qualitätsmanagement oder Lean Management umfassende Managementsysteme darstellen und demnach nicht in die Konzeption des vorliegenden Methodenhandbuches passen. Insofern beschränken sich die nachstehenden Ausführungen auf die Beschreibung des Prozess- und des Changemanagements. Geht man davon aus, dass Organisationen zur kundenorientierten Leistungserstellung beitragen sollen, dann ist der Blick zunächst auf die Abläufe zu richten, mit deren Hilfe ein Produkt erstellt und dem Kunden angeboten wird. Prozessmanagement überwindet dabei die zu eng ausgerichtete und isolierte Betrachtung einzelner Funktionen, indem das integrative Zusammenspiel wertschöpfender Aktivitäten analysiert und optimiert wird. Dieses Zusammenspiel ändert sich im Zeitablauf aufgrund unternehmensinterner und unternehmensexterner Einflussfaktoren. Insofern müssen Strukturen und Prozesse und die damit verknüpften Informations- und Kommunikationssysteme angepasst werden. Wie ein entsprechender Veränderungsprozess konzipiert, gesteuert und kontrolliert werden kann, wird anhand der Methode des Changemanagements verdeutlicht. 480 In diesem Zusammenhang wird auch von Partialinklusion gesprochen. Das heißt, eine Organisation hat nur einen begrenzten Zugriff auf Leib und Leben einer Person, während totale Institutionen wie Gefängnisse oder Psychiatrien ihre Mitglieder umfassend vereinnahmen. Daher spricht man hier von Totalinklusion (vergleiche hierzu Goffman 1973). 481 Vergleiche Bea & Göbel (2010, S. 3 ff). <?page no="309"?> 310 7 Organisation www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden 7.1 Prozessmanagement Problemstellung: Analyse, Planung, Dokumentation, Gestaltung und Steuerung wertschöpfender Aktivitäten im Unternehmen mit Blick auf die Zielgrößen Kosten, Zeit, Qualität und Kundenorientierung Zielgruppe: Projektleiter, Prozessverantwortliche Voraussetzungen: Zugang zu erforderlichen Ressourcen und Projektdokumentationen sowie eindeutig definierter Projektauftrag mit präzisen Zielvorgaben für das Projektteam Zielsetzung des Prozessmanagements In der Managementforschung sind in den letzten Jahren immer wieder neue Trends und Grundhaltungen entstanden. Einige haben sich als schnelllebige Modeerscheinungen, andere als langfristig gültige Basiskonzepte erwiesen. Ein erfolgversprechender Trend ist die so genannte Prozessorientierung, die erstens zur Kostensenkung, zweitens zur Schaffung von Wettbewerbsvorteilen und drittens zur Verzahnung aller wertschöpfenden Aktivitäten im Unternehmen beitragen soll, um Kunden bestmöglich mit Produkten und Dienstleistungen zu versorgen. Vor allem die Kundenorientierung und die Erfüllung entsprechender Kundenanforderungen stehen im Mittelpunkt prozessorientierter Ansätze. Dabei können Kunden sowohl unternehmensinterne als auch unternehmensexterne Leistungsempfänger sein. Diese internen oder externen Leistungsempfänger erwarten, dass die nachgefragte Leistung in der gewünschten Qualität und Zeit erbracht und zu angemessenen Preisen angeboten wird. Mit Hilfe effizienter Prozesse kann man Kundenanforderungen erfüllen, die Kundenzufriedenheit steigern und die betriebliche Wertschöpfung optimieren. Das sind die wesentlichen Ziele des prozessorientierten Managements, wobei man unter einem Prozess eine Menge von Tätigkeiten versteht, die in einer vorgegebenen Reihenfolge erledigt und teilweise durch Informationssysteme unterstützt werden. Prozesse stiften auf diese Weise Kundennutzen. Durch die zunehmende Arbeitsteilung in Unternehmen und das Zergliedern von Organisationen in Geschäftseinheiten, Funktionen, Abteilungen und Unterabteilungen werden eigentlich zusammengehörende Einzelaktivitäten auseinandergerissen, neu strukturiert und Schnittstellen geschaffen. An diesen Schnittstellen kommt es in der Regel zu Problemen: Missverständnisse bei der Übergabe, Zeitverzögerungen und Doppelarbeiten sowie Kompetenz- und Verantwortlichkeitsstreitigkeiten sind in der Praxis auftretende Phänomene arbeitsteiliger Organisationen. An diesem Punkt setzt das Prozessmanagement an. Es verfolgt das Ziel, interdependente Aktivitäten zu identifizieren, zu koordinieren und zu verbessern, um eine effiziente und kundenorientierte Leistungserstellung zu gewährleisten. 482 Beschreibung des Prozessmanagements Kundenanforderungen können nur erfüllt werden, wenn diese bekannt sind und mit Hilfe geeigneter Prozesse bearbeitet werden. Zur Ermittlung der Kundenanforderungen kann man auf zahlreiche betriebswirtschaftliche Methoden zurückgreifen, die unter 482 Vergleiche Bea & Göbel (2010, S. 393 ff) und Posluschny (2012, S. 11 ff). <?page no="310"?> 7.1 Prozessmanagement 311 www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden anderem in den Kapiteln 4.4, 4.5 und 4.6 vorgestellt werden. Zur Bestimmung einer geeigneten, kundenorientierten Folge von Aktivitäten kann man die Erkenntnisse des Prozessmanagements nutzen. Diese Erkenntnisse bestehen unter anderem darin, dass man die betriebliche Leistungserstellung durch Prozessinnovationen, Prozessverlängerungen oder -verkürzungen und durch den gezielten Abbau redundanter, fehlerhafter oder ineffizienter Prozesse verbessern kann. Rationalisierungsbemühungen setzen allerdings Transparenz darüber voraus, wo welche Leistung von wem mit welchem Aufwand und für welchen Kunden erstellt wird. Insofern ist zunächst zu bestimmen, was benötigt wird, um einen Prozess auszuführen. In diesem Zusammenhang spricht man vom so genannten Input, also von Leistungen vorgelagerter Prozesse. Dann ist die Sequenz von Arbeitsschritten zu betrachten, also der Prozess selbst, bevor man schließlich das Ergebnis des ausgeführten Prozesses, den so genannten Output, analysieren kann. Für gewöhnlich ist der Empfänger des Outputs ein anderer Prozess innerhalb oder außerhalb des Unternehmens. Diese Input-Prozess- Output-Sequenz ist dann effektiv und effizient, wenn die Kriterien Kosten, Zeit und Qualität in einem optimalen Verhältnis zueinander stehen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass nicht alle Prozesse die gleiche Bedeutung für den wirtschaftlichen Erfolg eines Unternehmens haben. Die Wahl des Detaillierungsgrades im Rahmen eines Prozessmanagementprojektes ist vielmehr davon abhängig, wie wichtig ein Prozess ist und wie umfangreich die gewünschte Optimierung ausfallen soll. Grundsätzlich können Prozesse in Organisationen in drei Hauptkategorien unterteilt werden: Managementbeziehungsweise Führungsprozesse steuern Kernprozesse in Unternehmen, um übergeordnete Ziele zu erreichen, wobei man in personenbezogene und sachbezogene Führungsprozesse unterscheidet. Operative beziehungsweise Kern- oder Geschäftsprozesse umfassen alle Aktivitäten, die mit der direkten Leistungserstellung für den Kunden verbunden sind. Sie sind in der Regel nicht imitier- und substituierbar und bilden somit die Grundlage für Wettbewerbsvorteile des Unternehmens. Unterstützungsprozesse stiften keinen unmittelbaren Nutzen für den Kunden, gewährleisten jedoch den reibungslosen Ablauf der Kernprozesse, indem sie im Hintergrund definierte Leistungen zur Verfügung stellen. Prozesse lassen sich jedoch nicht nur in unterschiedliche Kategorien einteilen, sondern auch hierarchisch ordnen. Wie in Abbildung 142 dargestellt, kann man folgende Hierarchieebenen unterscheiden: Hauptprozesse, Teilprozesse, Aktivitäten. Prozesse auf der obersten Ebene der Betrachtung von Unternehmensprozessen bezeichnet man als Hauptprozesse. Die Kundenakquise oder die Auftragsabwicklung stellen beispielsweise Hauptprozesse dar, die in Teilprozesse, also in seriell und parallel ablaufende Arbeitsschritte, Verzweigungen und Entscheidungen, zerlegt werden können. Ein Teilprozess im Rahmen der Kundenakquise wäre zum Beispiel die Angebotserstellung, während man die Warenauslieferung als einen Teilprozess der Auftragsabwicklung betrachten könnte. Auf der Ebene von Teilprozessen werden üblicherweise Prozessschritte sowie Rollen und Verantwortlichkeiten beschrieben. Mehrere Arbeits- <?page no="311"?> 312 7 Organisation www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden schritte können zu Aktivitäten zusammengefasst werden, die im Beschreibungsgrad detaillierter sind als Teilprozesse, da man neben Prozessschritten sowie Rollen und Verantwortlichkeiten auch die Unterstützung durch IT-Systeme oder Schnittstellen in den Blick nimmt. Die Detailbetrachtung auf Aktivitätenebene gestattet fundierte Analysen und entsprechende Optimierungen, da Zeiten und Kosten mit den Aktivitäten aller Prozessbeteiligten verknüpft und solcherart Schwachstellen und Verbesserungspotenziale aufgedeckt werden können. Abbildung 142: Hauptprozesse, Teilprozesse und Aktivitäten Prozesse können weiter klassifiziert werden, je nachdem, ob sie durch einen internen oder einen externen Kunden angestoßen werden, ob sie für die Kundenzufriedenheit wichtig oder unwichtig sind und ob es viele oder wenige Prozessbeteiligte gibt. Insbesondere die komplexen und kundenzufriedenheitsrelevanten Prozesse sollten im Mittelpunkt des Prozessmanagements stehen, da sie aufgrund der Vielzahl an Schnittstellen fehleranfällig, aber zugleich auch erfolgskritisch für Unternehmen sind. 483 Anwendungsbereich und Anwendungsprozess Prozesse werden üblicherweise im Rahmen von Projekten aufgenommen, analysiert, bewertet, erneuert, angepasst und eingeführt. Projekte unterscheiden sich von Routinetätigkeiten durch einen definierbaren Anfang und ein definierbares Ende sowie durch die Einmaligkeit der Bedingungen, die zum Beispiel in speziellen Zielvorgaben, zeitlichen, finanziellen und personellen Begrenzungen oder in spezifischen Organisationsformen bestehen. Der Auslöser von Prozessmanagementprojekten sind entweder interne oder externe Faktoren: Interne Faktoren wären beispielsweise ein Auftrag der Geschäftsleitung, Ideen von Mitarbeitern, die Notwendigkeit zur Kosteneinsparung oder zur Effizienzsteigerung sowie Defizite im Branchenvergleich. Externe Auslöser könnten Ausschreibungen von Kunden oder konkrete Kundenaufträge zur Durchführung von Prozessanalysen sein. 484 Unabhängig von den jeweils projektauslösenden 483 Vergleiche im Überblick Becker, Kugeler & Rosemann (2012). 484 Vergleiche im Überblick Bea, Scheurer & Hesselmann (2011). <?page no="312"?> 7.1 Prozessmanagement 313 www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden Faktoren laufen Prozessmanagementinitiativen typischerweise in den in Abbildung 143 dargestellten vier Phasen ab: In der Phase der Projektinitiierung geht es primär um die Schaffung bestmöglicher Rahmenbedingungen für das geplante Vorhaben. Insofern wird zunächst das Projektdesign detailliert, indem man die zu betrachtenden Prozesse identifiziert und alle vorhandenen Prozessbeschreibungen und Prozessdokumentationen sichtet und archiviert. In diesem Zusammenhang wird auch bestimmt, welche Mitarbeiter in der Ist-Aufnahme befragt werden sollen, um Prozesse gegebenenfalls bis auf Aktivitätenebene verstehen und modellieren zu können. Die Entwicklung einer Projektstruktur umfasst sowohl die Definition von Rollen und Verantwortlichkeiten im Projekt, als auch die Erstellung eines Prozesshandbuches und die Auswahl der Analysemethoden. Das Prozesshandbuch beinhaltet eine Beschreibung des relevanten Projektvokabulars und der Projektmethodologie sowie eine Übersicht über Umfang, Qualität und Form dokumentierter und zu dokumentierender Prozesse. Schließlich definiert man in dieser ersten Phase noch die Soll-Designkriterien und legt fest, mit welchen Softwarelösungen die Prozesse modelliert werden sollen. Diese Maßnahmen dienen der klaren Abgrenzung des Projektumfangs, der Schaffung von Transparenz über das Projektvorgehen und der Bereitstellung aller erforderlichen Materialien, Informationen und Werkzeuge zur Analyse bestehender und zum Design neuer Prozesse. Abbildung 143: Ablauf von Prozessmanagementprojekten Die Phase der Ist-Prozessanalyse beginnt mit der Auswahl der zu untersuchenden Hauptprozesse und der Festlegung, ob diese mit ihren jeweiligen Unterstützungsprozessen bis auf Teilprozessebene oder sogar bis auf Aktivitätenebene betrachtet werden sollen. Bei einer Detailbetrachtung auf Aktivitätenebene berücksichtigt man sowohl Rollen, Verantwortlichkeiten und die Systemunterstützung als auch den tatsächlich erbrachten beziehungsweise den gewünschten Output und alle relevanten Leistungsempfänger. Zur Aufnahme der Prozesse werden alle verfügbaren Informationen herangezogen und Dokumentationslücken im Rahmen von Interviews mit Bereichs- und Abteilungsleitern sowie Prozessverantwortlichen geschlossen. Zur Aufnahme und Dokumentation der Prozesse werden die in der ersten Phase beschriebenen Methoden und Vorlagen verwendet. Die aufgenommenen Prozesse werden insbesondere auf Basis der folgenden Aspekte bewertet: Komplexität, Effektivität, Effizienz, Leistungserbringung und Prozessverantwortung. Das heißt, man prüft, ob Prozesse doppelt vorhanden, unnötig komplex Phase II Ist-Prozessanalyse Phase III Soll-Prozessdesign Phase I Projektinitiierung Phase IV Umsetzungsplanung Detaillierung des Projektdesigns Sichtung vorliegender Dokumente und Informationen Entwicklung einer Projektstruktur Sichtung und Auswahl von Soll-Designkriterien Auswahl der zu analysierenden Hauptprozesse Ist-Aufnahme der ausgewählten Prozesse Bewertung der Ist- Prozesse Ermittlung von Verbesserungspotenzialen Ist-Prozessoptimierung Entwicklung von Soll-Prozessen Bestimmung von Prozessverantwortlichen Dokumentation der Soll-Prozessstruktur Abstimmung der Soll- Prozesse mit der Organisation Priorisierung der Umsetzungsmaßnahmen Entwicklung eines Implementierungsplanes Entwicklung eines Changemanagementkonzeptes <?page no="313"?> 314 7 Organisation www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden oder zu teuer sind, ob der Output den Wünschen der Leistungsempfänger entspricht und ob die Verantwortung klar geregelt ist. Auf Basis der Bewertung können Verbesserungs-, Komplexitätsreduktions- und Kosteneinsparpotenziale aufgezeigt und Maßnahmen mit kurz-, mittel- und langfristiger Wirkung identifiziert werden. Zur Ableitung von Optimierungspotenzialen kann man auf die in Abbildung 144 dargestellte 7R-Methode zurückgreifen. Mit Hilfe dieser Methode lassen sich Prozesse unter verschiedenen Gesichtspunkten betrachten: (1) Reassign rückt die Frage in den Mittelpunkt, ob die jeweilige Aktivität an andere Stellen delegiert oder ausgelagert werden kann. (2) Reduce verweist auf die Möglichkeit, die Durchführungshäufigkeit oder erforderliche Ressourcen zu reduzieren. (3) Relocate beinhaltet die Überlegung, inwiefern eine Aktivität näher an den Kunden gerückt und damit effektiver durchgeführt werden kann. (4) Resequence befasst sich mit dem „Wann“ beziehungsweise mit der zeitlichen Abfolge von Aktivitäten. (5) Retool fragt nach dem „Wie“ der Ausführung und insofern nach Optionen der Systemunterstützung oder der Automatisierung von Aktivitäten. (6) Reconfigure betrachtet Aktivitäten unter dem Gesichtspunkt der vollständigen Eliminierung oder der Konsolidierung, während (7) Rethink zum einen nach den Gründen fragt, warum Aktivitäten in der aktuellen Form durchgeführt werden, und zum anderen die Plausibilität dieser Gründe kritisch reflektiert. Abbildung 144: 7R-Methode Die besonderen Herausforderungen in der zweiten Phase bestehen in schwer zugänglichen oder bewusst zurückgehaltenen Ist-Dokumentationen, in der ungenauen Ermittlung von Prozesszeiten und daraus resultierenden fehlerhaften Kosten durch Verdeckung der wahren Nettoarbeitszeiten und in der zum Teil mangelnden Bereitschaft zur raschen Umsetzung identifizierter Verbesserungen. Insofern ist es erforderlich, alle relevanten Prozessbeteiligten in das Projekt zu integrieren, um die wesentlichen Informationen verfügbar zu machen. Der Aufbau eines systematischen Controllingsystems und die Festschreibung der Optimierungen in den individuellen Zielvereinbarungen der Prozessverantwortlichen erhöhen zudem die Veränderungsbereitschaft und die Rethink Retool Reconfigure Reassign Reduce Relocate Resequence <?page no="314"?> 7.2 Changemanagement 315 www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden Motivation, erforderliche Verbesserungen nicht nur auf dem Papier zu skizzieren, sondern tatsächlich in der Praxis anzustoßen. Im Mittelpunkt der Soll-Prozessdesignphase steht die Neugestaltung der ausgewählten und im Detail analysierten Prozesse. Die Soll-Prozessstruktur und die entsprechenden Rollen und Verantwortlichkeiten werden definiert und dokumentiert. Dabei ist es denkbar, nicht nur einen Soll-Prozess, sondern Soll-Prozessszenarien zu entwickeln und diese hinsichtlich der Kriterien Nutzen, Schnelligkeit und Implementierungskosten zu evaluieren und zu gewichten. Das Erstellen von Soll-Prozessszenarien ist vor allem im Rahmen internationaler Prozessmanagementprojekte erforderlich, da hier nicht nur personen- und systembezogene Aspekte, sondern auch rechtliche und kulturelle Besonderheiten in den einzelnen Ländergesellschaften in Erwägung gezogen werden müssen. Die wesentlichen Herausforderungen in dieser Phase bestehen in der Überwindung von Veränderungsresistenzen, in der systematischen Berücksichtigung parallel verlaufender Initiativen und Projekte und in der Befähigung der Mitarbeiter zur Soll- Prozessumsetzung. Meistern kann man diese Herausforderungen durch eine frühzeitige Einbindung der Stakeholder in das Projekt, um Erwartungen zu erkennen, die bei der Definition der Soll-Struktur berücksichtigt werden sollten. Zudem ist es sinnvoll, ein Integrationsmanagement zu etablieren, dessen Aufgabe darin besteht, Initiativen und Projekte abteilungs-, bereichs- und funktionsübergreifend zu betrachten. Schließlich sollte man Trainings- und Coachingmaßnahmen für alle betroffenen Mitarbeiter anbieten - nicht zuletzt, um zu vermeiden, dass Leistungsträger aus Sorge vor Veränderungen in der Organisation das Unternehmen verlassen. Die Phase der Umsetzungsplanung besteht im Wesentlichen aus der Priorisierung der Veränderungsmaßnahmen und der Ableitung von Detailaktivitäten sowie aus der Entwicklung eines Implementierungsplans. Mit Blick auf die Implementierung sind die benötigten Ressourcen, die erforderlichen Aktivitäten und die Rollen und Verantwortlichkeiten zu definieren. Zudem sollten mögliche Risiken identifiziert und mögliche Gegenmaßnahmen bestimmt und ein Changemanagementkonzept entwickelt werden. Weiterführende Hinweise Prozessorientierung bedeutet, dass man alle unternehmensinternen Abläufe aus der Sicht des Kunden sowie funktionsbeziehungsweise abteilungsübergreifend betrachtet. Damit diese Idee Wirklichkeit werden kann, benötigen Unternehmen auch eine prozessorientierte Organisation, die im Rahmen eines Veränderungsprozesses aufgebaut werden kann. Wie solche Veränderungsmaßnahmen entwickelt, gesteuert und umgesetzt werden können, illustriert Kapitel 7.2, das sich mit dem Thema Changemanagement befasst. 7.2 Changemanagement Problemstellung: Anpassung der Strukturen, Prozesse und Systeme sowie der Einstellungen und Verhaltensweisen der Mitarbeiter an geänderte Umwelt- und Unternehmensbedingungen und neue Unternehmensziele Zielgruppe: Projektleiter, Changemanagementverantwortliche Voraussetzungen: Ausformulierte Vision und eindeutig definierter Projektauftrag mit messbaren Zielvorgaben, Unterstützung durch das Management, Be- <?page no="315"?> 316 7 Organisation www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden schaffung von Informationen zu Veränderungswiderständen, erfahrener und anerkannter Projektleiter mit ausgeprägten Kommunikationsfähigkeiten Zielsetzung des Changemanagements Unternehmen sind soziale Systeme, die prinzipiell auf Dauer angelegt sind und daher stabil sein sollen. Stabilität wird erreicht, indem organisatorische Strukturen, Prozesse und Abläufe geschaffen werden, die einen Ordnungsrahmen bilden und Komplexität reduzieren. Im Rahmen der betrieblichen Tätigkeit sind Unternehmen jedoch nicht nur auf sich selbst, sondern auch auf die Umwelt bezogen, mit der sie permanent im Austausch stehen. So existieren vielfältige Wechselbeziehungen mit Kunden, Wettbewerbern oder anderen gesellschaftlichen Gruppen. Deren Anforderungen, Erwartungen und Einstellungen können sich im Laufe der Zeit ebenso ändern, wie die allgemeinen Marktbedingungen oder die technologischen Voraussetzungen. Dieser Wandel zwingt Unternehmen dazu, dynamisch, flexibel und veränderungsfähig zu sein. Anders formuliert: Neue Systemumwelten erfordern eine Anpassung der Systeminnenwelten - also eine Anpassung der Organisation, der Prozesse, der Kooperations- oder der Rechtsformen. Diese Veränderungen müssen systematisch geplant, umgesetzt und kontrolliert werden, damit Unternehmen ungeachtet der vielfältigen externen und internen Einflussfaktoren auf Erfolgskurs bleiben. Die Notwendigkeit zum organisatorischen Wandel hat in den vergangenen Jahren zugenommen, da zum einen der Wettbewerb in zahlreichen Branchen intensiver und gleichzeitig die Produktlaufzeiten kürzer geworden sind. Zum anderen haben weitere externe Einflussgrößen wie die Entstehung neuer Kundengruppen, das gestiegene Umweltbewusstsein breiter Bevölkerungsschichten, rechtliche Änderungen oder ethische Ansprüche an die Unternehmensführung an Bedeutung gewonnen. Die Ursachen des Wandels liegen jedoch nicht nur außerhalb der Unternehmen. Die Ursachen sind zum Teil auch unternehmensintern zu suchen, vor allem wenn bei der Verfolgung von Wachstumsstrategien Unternehmensakquisitionen in Betracht gezogen oder Unternehmenszusammenschlüsse realisiert werden. Infolgedessen ändern sich typischerweise Ziele und Strategien, aber auch Leitbilder, Führungsstile und Unternehmenskulturen. Innovationen in der Fertigung oder in der Informationstechnologie haben schließlich dazu geführt, dass virtuelles Arbeiten und das so genannte Home Office möglich wurden und Organisations- und Prozessverantwortliche völlig neue Strukturen aufbauen mussten. Alle Formen des durch externe und interne Faktoren verursachten Wandels fasst man mit dem Begriff des Changemanagements zusammen. Ziel des Changemanagements ist es, Unternehmen an neue Anforderungen anzupassen und einen System-Umwelt-Fit 485 herzustellen. Neben dem System-Umwelt-Fit ist auch ein System-System-Fit beziehungsweise ein Intra-System-Fit zu realisieren. Das heißt, die internen Einflussgrößen sind ebenfalls auf- und miteinander abzustimmen - wie die Organisation mit der Strategie und diese mit den Informationssystemen. 486 485 Die System-Umwelt-Fit-Hypothese entstammt dem situativen Ansatz, demzufolge man aus empirischen Daten ableitet, welche organisatorische Struktur zu welcher Umweltsituation passt, um folglich einen Fit zwischen Unternehmen und Umwelt herzustellen (vergleiche Vahs 2012, S. 43 ff). 486 Vergleiche Bea & Göbel (2010, S. 452 ff). <?page no="316"?> 7.2 Changemanagement 317 www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden Wie man die zentralen Kernvariablen eines Unternehmens gestalten und in Einklang bringen kann, macht zum Beispiel das 7S-Modell deutlich, das in Kapitel 5.7 vorgestellt wird. Insgesamt geht man im Rahmen des Changemanagements davon aus, dass Wandel nicht mehr die Ausnahme, sondern die Regel ist und Unternehmen demnach flexibel, innovativ und kundenorientiert organisiert, gesteuert und geführt werden müssen. Die besondere Herausforderung besteht dabei in der Einbeziehung der Beschäftigten, deren Veränderungsbereitschaft der zentrale Erfolgsfaktor aller Changemanagementmaßnahmen darstellt. Beschreibung des Changemanagements Changemanagement ist eine spezifische Form des geplanten Wandels, der die Reorganisation und die Organisationsentwicklung umfasst. Dabei versteht man unter Reorganisation die Änderung oder Neugestaltung von Strukturen und Prozessen mit dem Ziel, eine effektive Aufbau- und Ablauforganisation zu erhalten. Im Mittelpunkt der Organisationsentwicklung steht demgegenüber nicht nur die Restrukturierung, sondern auch und vor allem die Verhaltensänderung der Organisationsmitglieder. Changemanagement beinhaltet sowohl die Spezifika der Reorganisation als auch jene der Organisationsentwicklung und wird daher seit einigen Jahren als Oberbegriff für gezielte Unternehmensveränderungen in organisatorischer, prozessualer, technologischer, kultureller und verhaltensbezogener Hinsicht verwendet. 487 Die Ursprünge des Changemanagements liegen in den Forschungsarbeiten von Mayo, Roethlisberger und Dickson, die in den Hawthorne-Werken der Western Electric Company zwischen 1927 und 1932 die Auswirkungen der Veränderung von Arbeitsbedingungen auf die Arbeitsleistung untersuchten. Die Ergebnisse zeigen unter anderem, dass Arbeitsleistung und Zufriedenheit der Mitarbeiter stärker von der Aufmerksamkeit für die Beschäftigten und der Zugehörigkeit zu informellen Gruppen innerhalb der Organisation beeinflusst werden als zum Beispiel von Veränderungen der Lichtverhältnisse. Änderungen in Unternehmen kann man insofern nicht nur durch eine Modifikation der technisch-physikalischen Bedingungen herbeiführen, sondern man muss auch individuelle und zwischenmenschliche Aspekte berücksichtigen. Wandel setzt somit vor allem die Einbeziehung aller relevanten Akteure und die Überwindung von Änderungsbarrieren seitens der Organisationsmitglieder voraus, welche die Notwendigkeit von Veränderungen verstehen und akzeptieren müssen, bevor diese umgesetzt werden können. Diese Aspekte stehen im Mittelpunkt der Arbeiten von Lewin, der deutlich gemacht hat, wie man mit Trägheiten und Widerständen umgehen und Änderungsprozesse gestalten kann. Dabei unterscheidet er drei Phasen: Unfreezing, Moving und Freezing. In der Unfreezingbeziehungsweise Auftauphase muss das bestehende Gleichgewicht in Frage gestellt und die Bereitschaft für einen Wandel erzeugt werden. In der Movingbeziehungsweise Veränderungsphase werden neue Praktiken erprobt, Veränderungen initiiert und der Weg zu einem neuen Gleichgewicht beschritten. Die Freezingbeziehungsweise Stabilisierungsphase ist schließlich dadurch charakterisiert, dass neue Gewohnheiten entstehen sowie implementiert und eingefroren werden, um den gewünschten Änderungsprozess - zumindest vorläufig - abzuschließen. Insgesamt liegt dem Episodenschema von Lewin die Überzeugung zugrunde, dass sich Wandel zyk- 487 Vergleiche Bea & Göbel (2010, S. 484 ff) und Jones & Bouncken (2008, S. 598 ff). <?page no="317"?> 318 7 Organisation www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden lisch und am erfolgreichsten unter aktiver Beteiligung aller Betroffenen vollzieht. 488 Die zentrale und empirisch fundierte Idee des Konzeptes von Lewin kann man zusammenfassend in folgende Metapher kleiden: „Wer die Form eines gefrorenen Gutes verändern will, muss dieses dazu erst einmal auftauen, sonst bricht es entzwei. Sollen die neuen Formen Bestand haben, muss man sie in eine feste Form bringen.“ 489 Anwendungsbereich und Anwendungsprozess Als Reaktion auf sich kontinuierlich verändernde externe und interne Bedingungen wurden in jüngerer Vergangenheit vermehrt Changemanagementprojekte initiiert, die je nach Problemstellung zwar unterschiedlich ablaufen, aber üblicherweise die in Abbildung 145 dargestellten, generischen Phasen aufweisen: Durchführung einer Risiko- und einer Stakeholderanalyse, Entwicklung einer Veränderungsstrategie, Erstellung eines Kommunikations- und Umsetzungsplanes, Anpassung der Organisation, der Prozesse und der Technologien, Qualifizierung der Mitarbeiter. Ausgangspunkt und Auslöser von Changemanagementprojekten ist im Allgemeinen von außen oder innen erzeugter Druck auf das Management, der eine Veränderungsbereitschaft erzeugt. Der Wille der Führungskräfte, traditionelle Praktiken und Sichtweisen zu überdenken, neue Abläufe und Prozesse zu testen oder alternative Systeme und Strukturen in Erwägung zu ziehen sind ebenso Voraussetzungen erfolgreicher Changemanagementmaßnahmen wie das systematische Einbeziehen der Belegschaft im Sinne eines partizipativen Ansatzes. Letzteres ist insofern wichtig, als Wandel von den Mitarbeitern möglicherweise als Bedrohung wahrgenommen wird und Unsicherheit auslösen kann: Wenn sich Arbeitsaufgaben, Arbeitsabläufe oder Arbeitsverantwortliche ändern, reagieren Mitarbeiter recht häufig mit offenem oder verdecktem Widerstand, da sie das individuell Erreichte oder sogar den Arbeitsplatz insgesamt in Gefahr sehen. Insofern sollten in einem ersten Schritt personenbezogene und organisatorische Risiken aufgedeckt und nach Möglichkeit quantifiziert werden. An die Quantifizierung schließt sich die Risikobewertung an, in deren Rahmen das Ausmaß des Risikos für die gewünschte Veränderung bestimmt wird. Auf der Basis der Identifikation, Quantifizierung und Bewertung kann man schließlich geeignete Maßnahmen ableiten und einen Aktionsplan zur Reduzierung der Risiken entwickeln. In der ersten Phase von Changemanagementprojekten werden neben den aktuellen und potenziellen Risiken auch die zentralen Stakeholder analysiert. Dabei kommt es darauf an, jene Anspruchsgruppen ausfindig zu machen, die für das Projekt erfolgskritisch sind. Interessen und Einflussmöglichkeiten jener Akteure werden erfasst, die von den angestrebten Entscheidungen direkt oder indirekt betroffen sind und Veränderungen entweder unterstützen oder blockieren können. Die Vorgehensweise bei der Stakeholderbetrachtung orientiert sich ebenfalls an den Aspekten Identifikation, Quantifizierung und Bewertung. Ausführliche Hinweise zur Durchführung einer Stakeholderanalyse finden sich in Kapitel 5.4. 488 Vergleiche Schreyögg (2008, S. 403 ff). 489 Schreyögg (2008, S. 412). <?page no="318"?> 7.2 Changemanagement 319 www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden Abbildung 145: Ablauf von Changemanagementprojekten In einem zweiten Schritt wird eine Changemanagementstrategie entwickelt. Dabei stellen die Vision und Mission sowie die unternehmerischen Ziele den Überbau und die analysierten Risiken und Stakeholdererwartungen die Datengrundlage der abgeleiteten, spezifischen Veränderungsaktivitäten dar. In dieser Phase muss man entscheiden, welche Ressourcen für welche Aktionsfelder bereitgestellt werden sollen, damit der gewünschte Wandel eintreten kann. Die strategische Stoßrichtung sollte allen relevanten Organisationsmitgliedern zum Beispiel mit Hilfe einer Strategy Articulation Map transparent und verständlich gemacht werden. Dabei handelt es sich um eine grafische Darstellung der Ursache-Wirkungs-Beziehungen, die einer Strategie zugrunde liegen. Die Strategy Articulation Map ermöglicht es den Führungskräften, strategische Ziele und Maßnahmen zu erklären und den Beitrag jedes Mitarbeiters zur Strategieumsetzung herauszustellen. Auf diese Weise werden Betroffene zu Beteiligten, und die Veränderungsbereitschaft wird verbessert. Die entsprechenden Kommunikationsmaßnahmen und Umsetzungspläne werden in einem dritten Schritt entwickelt. In dieser Phase geht es nicht nur um die allgemeine, sondern um die spezifische Einbeziehung der Mitarbeiter. Das heißt, es werden konkrete Umsetzungsschritte, Methoden, Meilensteine und Verantwortlichkeiten definiert und ein detaillierter Projektplan erstellt. Spätestens an dieser Stelle versuchen Manager, so genannte Promotoren zu gewinnen. Promotoren sind Mitarbeiter, die zum Beispiel aufgrund ihrer fachlichen Qualifikation oder ihrer empathischen, den Kollegen zugewandten und fürsorglichen Art innerhalb von Teams hohes Ansehen genießen. Wenn sich Promotoren für die Einführung einer Neuerung aussprechen, wirken sie als Multiplikatoren in der Belegschaft und überzeugen Skeptiker üblicherweise schneller und nachhaltiger, als dies Vorgesetzten in der Regel gelingt. Die vierte Phase umfasst die organisatorische, prozessuale und technologische Anpassung und Neuausrichtung des Unternehmens. Geplante Veränderungen machen es häufig erforderlich, dass man die Aufbau- und die Ablauforganisation sowie Verfahren (1) Risiko- und Stakeholderanalyse (2) Veränderungsstrategie (3) Kommunikations- und Umsetzungsplan (4) Organisations-, Prozess- und Technologieanpassung (5) Mitarbeiterqualifizierung Changemanagement <?page no="319"?> 320 7 Organisation und Techniken der Beschaffung oder der Produktion modifiziert und neue Informations- und Kommunikationstechnologien einführt. Der gegenwärtige Arbeitsalltag ist im Allgemeinen gekennzeichnet durch die Nutzung von Mobiltelefonen, Computern und entsprechender Software sowie im Speziellen durch die zunehmende Verbreitung von internetbasierten Anwendungen, die von der Bankkontenverwaltung bis zum Cloud Computing reichen, womit das Zugreifen auf Speichersysteme oder einsatzfähige Software über ein Netz gemeint ist. Die Einführung entsprechender Hard- und Software hat in der jüngeren Vergangenheit die Wertschöpfungskette in nahezu allen Branchen und damit das Aufgabenspektrum der Mitarbeiter nachhaltig verändert. Damit alle Organisationsmitglieder in der veränderten Umgebung erfolgreich sein können, müssen in der fünften Phase Entwicklungs- und Trainingsprogramme konzipiert und umgesetzt werden. Wissen, Fähigkeiten und Kompetenzen der Mitarbeiter sind mit neuen Strukturen, Prozessen und Technologien in Einklang zu bringen. Das heißt, Changemanagementverantwortliche müssen den Mitarbeitern neue Organigramme und Abläufe vorstellen und die Besonderheiten neuer Tools und Systeme verständlich machen. Dabei ist stets der Nutzen der jeweiligen Veränderung vor dem Hintergrund der kommunizierten Ziele und Strategien herauszustellen, um Veränderungswiderstände möglichst gering zu halten. Im Sinne des 3-Phasen-Modells von Lewin müssen alte Gewohnheiten zunächst aufgebrochen werden, bevor man gewünschte Verhaltensweisen erproben und schließlich festigen kann. Weiterführende Hinweise Changemanagement wird recht häufig mit geplantem Wandel oder durch Anordnung initiierte Veränderungen gleichgesetzt. In Organisationen gibt es aber auch Tendenzen des ungeplanten Wandels. Ungeplanter Wandel bedeutet, dass Veränderungen verdeckt, unbewusst oder ungewollt ablaufen. Start-up-Unternehmen werden zum Beispiel im Rahmen ihrer Entwicklung nicht nur größer, sondern typischerweise auch formalistischer, wodurch sich neue Strukturen herausbilden, die zumeist nicht intendiert und systematisch geplant sind. Vielfach existieren auch heimliche Spielregeln, informelle Gruppen und so genannte Hidden Leaders, die ungeplanten Wandel anstoßen und forcieren können. Diese emergenten Prozesse in Unternehmen sollten ebenso wenig vernachlässigt werden wie die Bedeutung verhaltensorientierter oder kultureller Aspekte. Denn selten scheitern Changemanagementprojekte an der Umgestaltung der Aufbau- und Ablauforganisation, sondern viel häufiger an den beteiligten Menschen und den entsprechenden Normen, Werten und Verhaltensmustern, die sehr viel träger und widerstandsresistenter sind als Strukturen, Prozesse oder Technologien. <?page no="320"?> www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden Glossar ABC-Analyse: Die ABC-Analyse ist ein Verfahren zur Bestimmung relativer Wertbindungen. Ursprünglich wurde das Verfahren zur Analyse der Wertbindung in Lagerbeständen entwickelt. Die ABC-Analyse basiert auf der Beobachtung, dass meist nur ein kleiner Prozentsatz der Materialmengen einen großen Prozentsatz des Lagerbestandswertes bindet. Werden die drei Materialklassen A, B und C nach ihrem relativen Anteil am Wert des Gesamtbestandes unterschieden, ergibt sich beispielsweise folgendes Bild, wobei die prozentualen Angaben in Theorie und Praxis stark schwanken: A-Güter umfassen etwa 10 Prozent der Mengen und binden rund 80 Prozent des Wertes, B- Güter umfassen circa 20 Prozent der Mengen und binden etwa 15 Prozent des Wertes, C-Güter umfassen rund 70 Prozent der Mengen und binden circa 5 Prozent des Wertes. Nach Bedarf können weniger oder mehr Materialklassen gebildet werden. Ablauforganisation: Die Ablauforganisation ist neben der Aufbauorganisation ein Teilgebiet der Organisationslehre und stellt eine Prozessstrukturierung dar. Sie umfasst alle Regeln, Modelle, Instrumente und Prinzipien zur raumzeitlichen Strukturierung von Produktions- und Informationsprozessen und dient der Lösung von Reihenfolge-, Gruppierungs- und Transportproblemen. Absatzhelfer: Absatzhelfer sind alle unternehmensexternen Organe im Distributionssystem, die im Gegensatz zu den Absatzmittlern nicht Eigentümer der zu verkaufenden Produkte werden. Absatzpotenzial: Das Absatzpotenzial bezeichnet den maximal möglichen Absatz eines Produktes eines bestimmten Anbieters auf einem definierten Markt, der ein bestimmtes Marktpotenzial besitzt. Die Differenz zwischen aktuellem Absatzvolumen eines Anbieters und seinem Absatzpotenzial bezeichnet man als offenes Potenzial. Abschreibung: Eine Abschreibung ist der wertmäßige Maßausdruck für die Abnutzung wirtschaftlicher Güter. Abschreibungen können für Verbrauchsgüter wie Rohstoffe und für Gebrauchsgüter wie Maschinen vorgenommen werden. Abschreibungen sind sowohl in der pagatorischen Gewinn- und Verlustrechnung als auch in der kalkulatorischen Betriebsergebnisrechnung erfolgswirksam. AG: Die Aktiengesellschaft oder AG ist eine Rechtsform und zählt wie die GmbH zu den Kapitalgesellschaften. Sie ist eine Gesellschaft mit eigener Rechtspersönlichkeit, deren Grundkapital in Aktien zerlegt ist und die den Gläubigern nur mit dem Gesellschaftsvermögen haftet. Akquisition: Eine Akquisition ist der Erwerb eines anderen Unternehmens. Im Englischen werden Unternehmenszusammenschlüsse als Mergers and Acquisitions oder kurz als M&A bezeichnet. Analogiebildung: Durch Analogiebildung versuchen Akteure, Problemsituationen so zu verfremden, um in anderen (Wissenschafts-)Feldern Lösungsmuster zu entdecken, die von ihrer Grundlogik her auch im betrachteten Ursprungsfeld einsetzbar wären. Die Kreativitätstechnik Synektik nutzt dieses Vorgehen sehr intensiv. <?page no="321"?> 322 Glossar www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden Anlagevermögen: Für die Ausweisung von Vermögensgegenständen in der Bilanz wird zwischen Anlagevermögen und Umlaufvermögen unterschieden. Das Anlagevermögen bezeichnet dabei jenen Teil, der dazu geeignet ist, dem Geschäftsbetrieb auf Dauer zu dienen. Aufbauorganisation: Die Aufbauorganisation ist neben der Ablauforganisation ein Teilgebiet der Organisationslehre und stellt eine Potenzialstrukturierung dar. Die Aufbauorganisation umfasst alle Regeln, Maßnahmen, Modelle, Instrumente und Prinzipien zur hierarchischen Gestaltung von Stellen, Abteilungen, Bereichen oder ganzen Unternehmen. Auktion: Auktionen sind Marktveranstaltungen, bei denen zu veräußernde beziehungsweise zu erwerbende Leistungen zunächst dargeboten werden und anschließend der Verkauf an den Meistbietenden beziehungsweise der Kauf des niedrigstpreisigen Angebotes erfolgt. Auktionen werden als Vertriebs- und Einkaufsinstrument eingesetzt. BCG: Das Akronym BCG steht für Boston Consulting Group, eine der größten Managementberatungsgesellschaften weltweit. Benchmarking: Das Benchmarking, auch als Betriebsvergleich bezeichnet, ist ein Verfahren, bei dem Produkte, Methoden oder Prozesse der eigenen Unternehmung mit denen des Best-Practice-Unternehmens verglichen werden. Beschaffungsmanagement: Aufgabe des Beschaffungsmanagements ist die bedarfsgerechte und wirtschaftliche Verfügbarmachung von zur Leistungserstellung erforderlichen Gütern und Werkstoffen. Beschwerdemanagement: Beschwerdemanagement soll der Kundenzufriedenheit dienen und die Kundenbindung erhöhen. Unzufriedene Kunden sollen ihren Unmut nicht gegenüber Bekannten äußern, versuchsweise zu Wettbewerbern abwandern oder die Beziehung zum eigenen Unternehmen gar völlig abbrechen. Vielmehr soll darauf hingewirkt werden, dass sich Kunden offen und direkt beim Anbieter beschweren und mit dem Ablauf und dem Resultat ihrer Beschwerdeführung zufrieden sind. Bestände: Im Lager vorgehaltene Rohstoffe, Vor-, Zwischen- und Endprodukte werden als Bestände bezeichnet. Sie sind einerseits wegen ihrer Sicherungs- und Ausgleichsfunktion geschätzt, andererseits wegen ihrer Bestandskosten - insbesondere wegen ihrer Kapitalbindung - gefürchtet. Viele betriebswirtschaftliche Konzepte der jüngeren Vergangenheit zielen auf die Reduktion der Bestände ab. Betreiber: Häufig Hersteller von Produktionsanlagen, die diese nicht mehr traditionell verkaufen, sondern nach Übergabe der Anlage an den Kunden für den Betrieb der Anlage einschließlich Instandhaltung zuständig bleiben. Dies entlastet die Kunden des Maschinenherstellers von hohen Investitionssummen, von Tätigkeiten außerhalb des Kernkompetenzprofils und von einem Teil der Risiken. Betriebe: In der Betriebswirtschaftslehre wird als Betrieb die ökonomische, technische, soziale und umweltbezogene Einheit mit der Aufgabe der Bedarfsdeckung, mit selbstständigen Entscheidungen und mit eigenen Risiken bezeichnet. Betriebsmittel: Betriebsmittel sind materielle Güter, die neben anderen Elementarfaktoren wie menschliche Arbeitsleistung und Werkstoffe zur Produktion erforderlich sind: zum Beispiel Gebäude, Maschinen, Werkzeuge oder Einrichtungen. <?page no="322"?> Glossar 323 www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden Betriebswirtschaftliche Methode: Eine betriebswirtschaftliche Methode ist ein theoretisch fundiertes und praktisch erprobtes Hilfsmittel, das zur Lösung eines in der unternehmerischen Praxis auftretenden leistungswirtschaftlichen Problems beiträgt. Bilanz: Die Bilanz ist neben der Gewinn- und Verlustrechnung und dem Anhang - bei Kapitalgesellschaften - Bestandteil des Jahresabschlusses. Sie ist definiert als stichtagsbezogene Darstellung der betrieblichen Werte eines Unternehmens in Kontenform. Brainstorming: Das Brainstorming ist eine Kreativitätstechnik, die darauf abzielt, durch Schaffung bestimmter organisatorischer Bedingungen das kreative Potenzial und die Intuition von Einzelpersonen und Gruppen zu stimulieren. Dabei wird auf Erkenntnisse zurückgegriffen, die durch regelmäßige Beobachtung kreativer Personen in kreativen Situationen gewonnen wurden. Break-even-Analyse: Die Break-even-Analyse stellt ein Prognosemodell dar, das den Zweck verfolgt, für verschiedene Zielfunktionen unter bestimmten Bedingungen kritische Schwellenwerte zu berechnen, die als Break-even-Points bezeichnet werden. Diese entstehen im Rahmen der Investitionsplanung, wenn die Summe aus Kosten und Erlösen gleich ist. Bruttoinlandsprodukt: Das Bruttoinlandsprodukt oder Volkseinkommen ist die Summe der Erwerbs- und Vermögenseinkommen, welche die Inländer im Laufe eines Jahres aus dem In- und Ausland bezogen haben. Erwerbs- und Vermögenseinkommen sind vor allem Gehälter, Löhne, Mieten, Zinsen und Gewinne. Budget: Ein Budget, auch als Etat bezeichnet, ist eine operative Planungsgröße, die das monetäre Soll des folgenden Geschäftsjahres für bestimmte Organisationseinheiten bezüglich erwarteter Einnahmen und Ausgaben abbildet. Bündelung: Bündelung beschreibt die Zusammenfassung von Objekten. So versuchen Unternehmen eine Bündelung von zu beschaffenden Gütern, eine Zusammenfassung von Produktionsaufträgen und einen gemeinsamen Transport verschiedenartiger Objekte zu organisieren. Regelmäßig wird damit auf das Erschließen von größen- und mengenbedingten Kostenvorteilen abgestellt. Businessplan: Ein Businessplan ist ein zum Zeitpunkt der Unternehmensgründung schriftlich fixiertes Unternehmenskonzept in Form von Planzahlen für die nächsten drei bis fünf Jahre. Der Businessplan bildet die Ziele, die Strategie sowie die einzelnen Schritte zur Strategieimplementierung, insbesondere die erforderlichen personellen und finanziellen Ressourcen ab. Business Reengineering: Das Business Reengineering ist eine systematische Vorgehensweise zur Einführung einer Prozessorganisation. Business-to-Business: Der Business-to-Businessbeziehungsweise B2B-Begriff bezieht sich auf die Betrachtung von Organisationen als Nachfrager und nicht auf einzelne Konsumenten. Business-to-Consumer: Unter Business-to-Consumer beziehungsweise B2C werden alle Austauschprozesse verstanden, bei denen einem Unternehmen als Anbieter einer Leistung auf dem Markt der Endverbraucher als Nachfrager der Leistung gegenübersteht. Cashflow: Der Cashflow oder Zahlungsstrom ist eine Kenngröße, die den Mittelzufluss aus dem Unternehmen ermittelt und zur Analyse von Bilanzen und als Zielgröße bei <?page no="323"?> 324 Glossar www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden der Unternehmensführung eingesetzt werden kann. Er ist ein Maßstab für die Selbstfinanzierungskraft eines Unternehmens. Zu seiner Ermittlung kann die direkte und die indirekte Methode herangezogen werden. Changemanagement: Changemanagement ist die Gestaltung von Wandlungsprozessen in Organisationen. Es umfasst alle Aufgaben, Prozesse, Träger und Instrumente unternehmensbezogener Veränderungen und Entwicklungen. Clusteranalyse: Bei der Clusteranalyse handelt es sich um ein strukturentdeckendes Verfahren zur Gruppenbildung mit dem Ziel, Merkmale von Objekten so zusammenzufassen, dass möglichst gleichartige beziehungsweise homogene Gruppen entstehen. Die Varianz in einer Gruppe soll minimiert, die Varianz zwischen Gruppen jedoch maximiert werden. Co-Branding: Beim Co-Branding werden etablierte Marken für einen gemeinsamen Markenauftritt kombiniert, um einen gegenseitigen Imagetransfer zu erzielen und den Produktnutzen durch eine emotionale Komponente anzureichern. Wegen der damit verbundenen Möglichkeit, neue Absatzpotenziale zu schaffen, ist das Co-Branding eine immer häufiger anzutreffende Markenstrategie. Conjoint-Analyse: Unter dem Begriff Conjoint-Analyse werden Methoden der Präferenzanalyse verstanden, bei denen zumindest in einem Teilbereich die Präferenzen dekompositionell, das heißt indirekt erfasst werden. Dadurch erhalten Unternehmen Hinweise für die Planung ihrer Technologie- und Produktentwicklungen. Consulting: Consulting ist gleichbedeutend mit Unternehmensberatung. Die Aufgabe der Consultants besteht darin, Unternehmen auf bestimmten Gebieten zu beraten. Als Beratungsfelder kommen in Betracht: Organisationsentwicklung, strategische Planung, Entwicklung von Marketingkonzepten und Einführung von IT-Systemen. Controlling: Führung ist die zielorientierte Gestaltung von Unternehmen. Um dieser Aufgabe gerecht zu werden, bedient sich die Führung folgender Teilsysteme: Planung, Kontrolle, Organisation, Unternehmenskultur und Information. Diese verschiedenen Systeme der Führung müssen aufeinander abgestimmt werden. Dies ist die Aufgabe des Controllings. Dieses kann also folgendermaßen definiert werden: Controlling umfasst sämtliche Maßnahmen zur Koordination von Planung, Kontrolle, Organisation, Unternehmenskultur und Information. Corporate Identity: Corporate Identity, auch mit CI abgekürzt, bezeichnet das einheitliche Erscheinungsbild der Unternehmung nach außen, also die Repräsentanz der Unternehmung. Instrumente der CI sind unter anderem das Corporate Behaviour, also die Verhaltensweise der Mitarbeiter untereinander und nach außen, und das Corporate Design, also die Gestaltung des Erscheinungsbildes durch die Architektur des Gebäudes, die Gestaltung von Fuhrpark, Druckerzeugnissen, Messestand, Kleidung, Logo. Customer Relationship Management: Das Customer Relationship Management, häufig abgekürzt als CRM verwendet, bezeichnet ein kundenorientiertes, technologiegestütztes Managementkonzept mit der Absicht, langfristig profitable Kundenbeziehungen durch möglichst individuelle Marketing-, Vertriebs- und Servicekonzepte aufzubauen und zu festigen. Customer Value: Der Begriff Customer Value oder Kundenwert wird aus Kundensicht als Wertschätzung der Kunden definiert. Die gebräuchlichere Definition bezieht sich <?page no="324"?> Glossar 325 www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden auf die Unternehmenssicht und beschreibt den ökonomischen Wert von Kunden, Segmenten oder Geschäftsbeziehungen für das Unternehmen. DAX: DAX ist die Abkürzung von Deutscher Aktienindex. Er ist der Leitindex der Deutschen Börse und setzt sich aus den dreißig größten deutschen börsennotierten Aktiengesellschaften zusammen. Entscheidend für die Aufnahme einer Aktiengesellschaft in den DAX sind die Marktkapitalisierung und der Börsenumsatz. Der Streubesitz muss mindestens 10 Prozent betragen. Deckungsbeitragsrechnung: Deckungsbeiträge sind Systeme der Kosten- und Erlösrechnung auf Teilkostenbasis. Sie sind dadurch gekennzeichnet, dass ihnen in der Kostenträgerrechnung nur die variablen Kosten zugerechnet werden. In der Kostenträgerzeitrechnung werden den variablen Kosten die zugehörigen Erlöse gegenübergestellt. Delphi-Studie: Delphi-Studien sind Verfahren der Technologievorausschau und Zukunftsforschung. Sie bündeln in einem mehrstufigen Vorgehen Experteneinschätzungen, die auch unter Berücksichtigung der Zwischenergebnisse der Vorrunden erarbeitet werden. Dienstleistung: Bei einer Dienstleistung handelt es sich um ein immaterielles Gut. Als ein typisches Merkmal von Dienstleistungen wird die Gleichzeitigkeit von Produktion und Verbrauch angesehen. Differenzierung: Differenzierung ist eine der drei Wettbewerbsstrategien nach Porter. Die weiteren Wettbewerbsstrategien sind die Kostenführerstrategie und die Nischenstrategie. Das Ziel der Strategie der Differenzierung besteht in der Herstellung und dem Angebot eines Produktes, das sich in Qualität und Service von den Konkurrenzprodukten deutlich abhebt. Diffusion: Diffusion beschreibt, in welcher Art und Geschwindigkeit sich neuartige Lösungen - zum Beispiel in einem Markt - verbreiten. Diffusionsmodelle zeigen unterschiedliche typische Verlaufsmuster. Direktinvestition: Direktinvestition bezeichnet eine Form der Internationalisierung des Unternehmens beziehungsweise eine Markteintrittsstrategie in einen internationalen Markt. Das Mutterunternehmen stellt unternehmenseigene Ressourcen wie technologisches Know-how, Management-Know-how und Kapital für die Wertschöpfung in diesem Markt zur Verfügung, um zum Beispiel komparative Kostenvorteile zu nutzen, Handelshemmnisse zu umgehen oder größere Kundennähe zu erreichen. Direktmarketing: Direktmarketing umfasst sämtliche Maßnahmen der Kommunikationspolitik eines Unternehmens, die sich durch einen direkten Kontakt zum Endkunden auszeichnen und einen Dialog beziehungsweise eine Interaktion zwischen beiden Marktpartnern anstreben. Direktvertrieb: Unter Direktvertrieb wird der unmittelbare Verkauf von Produkten über eigenes Personal oder unter Zuhilfenahme von Absatzhelfern verstanden. Der Marktkanal wird dadurch stark verkürzt. Distributionslogistik: Die Distributionslogistik umfasst die Planung, Steuerung und Kontrolle aller Waren- und Informationsprozesse, die notwendig sind, um Güter von einem Industrie- oder Handelsunternehmen zu seinen Kunden zu überführen. Innerhalb des gesamtbetrieblichen Logistiksystems stellt die Distributionslogistik ein selbstständiges Teilsystem dar. <?page no="325"?> 326 Glossar www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden Diversifikation: Diversifikation ist die Ausdehnung des Tätigkeitsschwerpunkts einer Unternehmung auf verwandte oder vollkommen neue Leistungsbereiche und Märkte mit dem Ziel, durch eine verbesserte Anpassung an die veränderten Marktbedingungen eine Reduktion des Unternehmensrisikos und ein erhöhtes Wachstum zu erreichen. Dividende: Die Dividende ist der Teil des aus dem Bilanzgewinn an die Aktionäre verteilten Gewinnes. Sie wird in Euro pro Stück ausgedrückt. Die Hauptversammlung entscheidet über die Gewinnverwendung. Divisionale Organisation: Die divisionale Organisation wird auch als Geschäftsbereichsorganisation, Spartenorganisation oder Objektorganisation bezeichnet. Dow-Jones-Index: Der Dow Jones Industrial Average, auch Dow-Jones-Index genannt, ist ein Aktienindex für amerikanische Aktien. Er wurde 1896 von Charles Dow und Edward Jones eingeführt. Der Dow-Jones-Index ist einer der wichtigsten Indexe für amerikanische Aktien. Er wird als Durchschnitt der Preise von dreißig führenden Industrieaktien berechnet: Summe der Aktienkurse dividiert durch die Anzahl der Aktien. EBIT: EBIT steht für Earnings Before Interest and Taxes. Es stellt die betriebliche Ergebnisgröße unter Eliminierung von Zinsen und Steuern dar. Es ist eine Kennzahl zur Beurteilung von Profit Centern, da die Entscheidungen über die Finanzierung und auch die Steuerzahlungen nicht in den Kompetenzbereich der einzelnen Geschäftsbereiche, sondern der zentralen Einheit fallen. E-Commerce: E-Commerce ist die digitale Anbahnung und Abwicklung von Geschäften. E-Commerce ist ein Teilbereich des E-Business. Der Austausch von wirtschaftlichen Gütern gegen Entgelt erfolgt hierbei unter Einsatz eines computergestützten Netzwerkes, wobei nicht nur das Angebot, sondern auch die Inanspruchnahme elektronisch erfolgt. Economies of Scale: Die Economies of Scale oder Skaleneffekte bringen zum Ausdruck, dass mit zunehmender Ausbringungsmenge die durchschnittlichen fixen Kosten abnehmen. Die praktische Bedeutung der Economies of Scale besteht darin, dass eine Verbesserung der Beschäftigungssituation die Kosten günstig beeinflusst. Economies of Scope: Economies of Scope entstehen bei mehrfacher Nutzung von Erfahrung. Dabei findet eine Übertragung von Kernkompetenzen auf andere Bereiche statt. Beispiel: Ein Hersteller von Kohlekraftwerken erweitert seine Produktpalette um Fotovoltaik-Kraftwerke. Die praktische Bedeutung der Economies of Scope liegt in der horizontalen Diversifikation. Effektivität: Die Effektivität ist die Relation von aktuellem und erwünschtem Output. Sie kann als Leitlinie für langfristiges Handeln angesehen werden. Effektivität heißt, die richtigen Dinge tun. Effizienz: Die Effizienz misst das Verhältnis von aktuellem Output zu aktuellem Input. Sie kann als Kriterium für die kurzfristige Planung angesehen werden. Effizienz heißt, die Dinge richtig tun. Eigenkapital: Das Eigenkapital ist ein finanzieller Bestandsbegriff, der im betrieblichen Rechnungswesen neben dem Fremdkapital die Passivseite der Bilanz abbildet. Entsprechend der Kapitalherkunft ist das Eigenkapital die von den Eigentümern eines Unternehmens dauerhaft erbrachte Ausstattung an Mitteln. Bei einer bilanziellen Be- <?page no="326"?> Glossar 327 www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden trachtung zeigt diese reine Saldogröße die Differenz zwischen dem Wert des Vermögens und der Schulden. Eigenkapitalquote: Die Eigenkapitalquote stellt das Verhältnis von Eigenkapital zum Gesamtkapital dar. Je mehr Eigenkapital einer Unternehmung zur Verfügung steht, umso besser ist in der Regel die Bonität dieses Unternehmens. Emerging Market: Der Begriff Emerging Market steht für einen wirtschaftlich aufstrebenden Markt, wie er zum Beispiel durch hohe Wachstumsraten in Brasilien, Russland, Indien und China in den letzten Jahren entstanden ist. Emotion: Eine Emotion ist eine innere Empfindung, die angenehm oder unangenehm wahrgenommen wird, wie Freude, Angst oder Wut. Entwicklungsgesetze technischer Systeme: Teil der Theorie des erfinderischen Problemlösens nach Altschuller. Die Gesetze zeigen - technologiefeldunabhängig - grundlegende technologische Evolutionsmuster und entfalten so beispielsweise Auswirkungen auf Erfindertätigkeit und Technologievorausschau. E-Procurement: Mit E-Procurement wird die elektronische Beschaffung im Business-to- Business-Bereich des E-Commerce bezeichnet. Die Beschaffungsprozesse können sich auf Güter wie auch auf Dienstleistungen beziehen und werden häufig mit Hilfe des Internets abgewickelt. Erfahrungskurve: Eine Erfahrungs- oder Lernkurve erklärt den Zusammenhang zwischen menschlichen Erfahrungen aus wiederholter Tätigkeit und sinkenden Stückkosten. Der Grund dieses Erfahrungseffekts liegt im individuellen oder kollektiven Lernen der Beteiligten. Diese Kurve heißt daher auch Lernkurve. Erfinder: Erfinder sind Akteure, die durch kreativ-schöpferische Akte technische Neuerungen hervorbringen. Die Neuerungen sind technisch soweit qualifiziert, dass sie - vorausgesetzt, die technische Peripherie ist verfügbar - funktionsfähig wären und gehen damit über das Ideenstadium hinaus. Hochtechnologie- und Pionierunternehmen sind bemüht, Erfindern förderliche Rahmenbedingungen zur Verfügung zu stellen. Erfolg: Unter Erfolg wird allgemein das Ergebnis einer Aktivität verstanden. In der betriebswirtschaftlichen Terminologie ist der Erfolg ein Oberbegriff für den Gewinn und den Verlust, der im Jahresabschluss oder in der Kostenrechnung ermittelt wird. Expatriate: Ein Expatriate ist eine Person, die von einem Unternehmen für einen begrenzten Zeitraum in eine ausländische Niederlassung zur Übernahme bestimmter Aufgaben entsandt wird. Exploratives Interview: Das explorative Interview zählt zu den qualitativen Erhebungsmethoden. Schwierige oder komplexe Sachverhalte werden in einem freien und flexiblen Gespräch aufgearbeitet und möglichst zahlreiche Informationen gesammelt, ohne einem standardisierten Interviewleitfaden zu folgen. Externe Validität: Die Validität ist ein Kriterium für die Gültigkeit einer empirischen Untersuchung. Sie fragt danach, ob ein Verfahren auch tatsächlich das misst, was gemessen werden soll. Die externe Validität beschreibt, inwieweit die Ergebnisse einer Studie oder eines Experiments verallgemeinert werden können. Fabrik: Eine Fabrik ist ein Ort, an dem unter Einsatz von Produktionsfaktoren in arbeitsteiliger Weise industriell Güter produziert werden. <?page no="327"?> 328 Glossar www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden Fertigungstiefe: In einer industriellen Lieferkette wird das Verhältnis von Eigenfertigung zu Fremdfertigung Fertigungs- oder Produktionstiefe genannt. Industrieunternehmen können Fertigungsvorgänge, die zur Herstellung eines absatzreifen Produktes erforderlich sind, im eigenen Betrieb ausführen oder in fremden Betrieben ausführen lassen. Mengenmäßig wird die Fertigungstiefe durch den Anteil der eigen und der fremd gefertigten Fertigungsgänge am Gesamtfertigungsvolumen gemessen. First-In-First-Out: Bei der First-In-First-Outbeziehungsweise FIFO-Regel der Materialwirtschaft werden die zuerst eingelagerten Güter als Erste entnommen. Beispielsweise für verderbliche Waren kann dies ein sehr vorteilhaftes Prinzip sein. Im Rahmen der Auftragsplanung für die Produktion existiert eine äquivalente Prioritätsregel: First- Come-First-Serve, häufig mit FCFS abgekürzt. Fixkosten: Fixkosten sind derjenige Teil der Gesamtkosten, der während einer Planperiode durch Variation einer Kosteneinflussgröße wie Produktionsmenge oder Beschäftigung nicht verändert wird beziehungsweise werden kann. Fixkostendegression: Als Fixkostendegression wird der Sachverhalt bezeichnet, dass bei einem gegebenen Fixkostenblock F mit zunehmender Ausbringungsmenge A der rechnerisch auf die Produkteinheit bezogene Teil der Fixkosten F / A monoton sinkt. Forschung und Entwicklung: In Industrieunternehmen sind Forschung und Entwicklung, häufig mit F&E abgekürzt, Kernfunktionen des Innovationsbereiches. Forschen ist das nachprüfbare Suchen, Formulieren und Lösen von Grundproblemen nach wissenschaftlichen Methoden. Franchising: Beim Franchising handelt es sich um eine Form der vertikalen Kooperation im Marktkanal, bei dem Unternehmen - die so genannten Franchisegeber - den Absatz der Produkte beziehungsweise Dienstleistungen einer begrenzten Zahl von Vertragspartnern - so genannten Franchisenehmern - überlassen. Fremdkapital: Das Fremdkapital umfasst finanzielle Mittel, die von Gläubigern zur Verfügung gestellt werden und daher Verbindlichkeiten des Unternehmens darstellen. Nach der Eigenschaft des Gläubigers lässt sich das Fremdkapital unter anderem untergliedern in Bankkredite, Lieferantenkredite, Gesellschafterdarlehen und erhaltene Anzahlungen; nach der Fristigkeit in kurzfristiges, mittelfristiges und langfristiges Fremdkapital. Funktionale Organisation: Bei der funktionalen Organisation werden auf der zweiten Hierarchieebene gleichartige Funktionen beziehungsweise Verrichtungen zusammengefasst und zu deren Wahrnehmung auf organisatorische Einheiten übertragen. Bei der Auswahl dieser Funktionen richtet man sich am Leistungsprozess aus. Fusion: Eine Fusion liegt dann vor, wenn die sich verbindenden Unternehmen nicht nur ihre wirtschaftliche, sondern auch ihre rechtliche Selbstständigkeit verlieren. Gap-Analyse: Eine Lücke ist die Differenz zwischen der gewünschten Entwicklung eines Unternehmens, also der Zielprojektion, und der Status quo-Projektion, also der erwarteten Entwicklung ohne Ergreifen von Maßnahmen. Die Gapbeziehungsweise Lückenanalyse hat die Aufgabe, im Rahmen einer Ursachenforschung solche Strategien zu entdecken, die geeignet sind, die strategische Lücke zu schließen. <?page no="328"?> Glossar 329 www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden Gesetz: Von einem Gesetz spricht man, wenn eine wissenschaftliche Aussage generelle Gültigkeit besitzt. Das heißt, die Ergebnisse müssen raum-zeitlich ungebunden sein. Gewinn: Der Gewinn ist ein wesentlicher Bestandteil des unternehmerischen Zielsystems. Er wird grundsätzlich als Differenzgröße ermittelt. In der Gewinn- und Verlustrechnung wird der Gewinn als Differenz zwischen Ertrag und Aufwand ermittelt und als Jahresüberschuss bezeichnet. Globalisierung: Mit dem Begriff Globalisierung wird die zunehmende Vernetzung der Weltwirtschaft und die damit verknüpften Verflechtungen auf politischer, gesellschaftlicher und kultureller Ebene umschrieben. GmbH: Die Gesellschaft mit beschränkter Haftung oder GmbH ist wie die Aktiengesellschaft oder AG eine Gesellschaft mit eigener Rechtspersönlichkeit. Sie wurde ursprünglich für mittlere und kleinere Unternehmen geschaffen als einfachste und am wenigsten aufwändige Form der Kapitalgesellschaft. Going Public: Going Public ist der Gang an die Börse, auch als Initial Public Offering oder IPO bezeichnet. Dabei werden erstmals Aktien einer Aktiengesellschaft an der Börse platziert. Die Aktien können aus einer Kapitalerhöhung oder einer Abgabe von Anteilen des bisherigen Eigentümers stammen. Habitus: Der insbesondere in der Soziologie verwendete Begriff Habitus ist ein Ausdruck für das Auftreten oder Benehmen eines Menschen und somit für die Gesamtheit seiner Vorlieben und Gewohnheiten beziehungsweise für die Art des Verhaltens. Handel: Der Handel in seiner weit gefassten, funktionalen Sinndeutung beschäftigt sich mit dem Austausch von Gütern zwischen Wirtschaftsinstitutionen. Ihm kommt die Aufgabe zu, die zwischen Produktions- und Konsumvorgängen in räumlicher, zeitlicher, qualitativer und quantitativer Hinsicht bestehenden Spannungen auszugleichen. Haushalt: Betriebe werden in Unternehmen und Haushalte gegliedert. Ein Haushalt ist eine soziale, ökonomische, technische und umweltbezogene Einheit mit der Aufgabe der Eigenbedarfsdeckung, mit eigenen Entscheidungen und selbstständigen Risiken. Haushalte lassen sich weiter in private Haushalte wie Mehrpersonen- und Einpersonenhaushalte, Vereine oder Heime und in Öffentliche Haushalte wie Körperschaften, öffentliche Anstalten oder öffentlich-rechtliche Stiftungen unterteilen. Hermeneutik: Die Hermeneutik ist eine Technik zur Auslegung von Aussagen und Aussagensystemen. Sie wird auch als Kunstlehre des Verstehens oder - im Gegensatz zur erklärenden Methode der Naturwissenschaften - als verstehende Methode bezeichnet. Homo oeconomicus: Der Homo oeconomicus ist ein idealtypisches Modell vom wirtschaftenden Menschen. Der Homo oeconomicus wählt bei gegebenen Präferenzen und Restriktionen stets die Alternative, die ihm den höchsten materiellen Nutzen verspricht. Humankapital: Das Humankapital, auch als Humanvermögen bezeichnet, stellt den Wert der Ressource Arbeit dar. So wie in der Bilanz das materielle Vermögen in Form von Grundstücken und Maschinen erfasst und bewertet wird, soll auch das Vermögen, das in der Leistungsfähigkeit und Leistungsbereitschaft der Mitarbeiter steckt, bilanziert werden. <?page no="329"?> 330 Glossar www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden Immaterielle Vermögenswerte: Immaterielle Vermögenswerte sind in der Bilanz gesondert aufgeführte, nicht körperlich fassbare Vermögenswerte des Anlagevermögens, wie der Geschäftswert, Patente, Lizenzen oder Konzessionen. Implementierung: Unter Implementierung versteht man im Allgemeinen die Fähigkeit, angestrebte Ziele in entsprechende Ergebnisse umzusetzen. Implementierung umschreibt den Prozess der Durchführung beziehungsweise Umsetzung von Maßnahmen. Industrieökonomik: Als Industrieökonomik wird ein Teilgebiet der Volkswirtschaftspolitik bezeichnet, das theoretisch und empirisch die wettbewerbspolitischen Wechselbeziehungen zwischen Unternehmen und Märkten untersucht. Innovation: Als Innovation wird sowohl der Prozess, für welchen die Eigenschaft der Neuheit zutrifft, als auch sein Ergebnis bezeichnet. Innovationsmanagement: Für die Existenz und die Fortentwicklung eines Unternehmens sind Innovationen von so großer Bedeutung, dass sich die Erkenntnis durchgesetzt hat, Innovationsprozesse nicht dem Zufall zu überlassen, sondern sie als existenzsichernde Aufgabe in das Führungssystem zu integrieren. Insolvenz: Insolvenz ist die bei Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung einsetzende Folge nach der Insolvenzordnung. Insolvenzverfahren: Insolvenz führt zum Insolvenzverfahren, wenn ein Eröffnungsgrund vorliegt und die vorhandene Masse ausreicht, um die Verfahrenskosten zu decken. Insourcing: Insourcing ist das Gegenteil von Outsourcing. Nachdem Wertschöpfungsaktivitäten durch Outsourcing auf andere Unternehmen verlagert worden sind, kann es aufgrund schlechter Erfahrungen wie Qualitätsmängel sinnvoll sein, diese Aktivitäten wieder ins eigene Haus zurückzuholen. Instandhaltung: Instandhaltung umfasst alle Aktivitäten zur Erhaltung und Wiederherstellung der Funktionstüchtigkeit von Betriebsmitteln, insbesondere durch Inspektion, Wartung, Reparatur und Modernisierung. Internationalisierung: Internationalisierung beschreibt die Ausweitung des grenzüberschreitenden Warenverkehrs eines Unternehmens. Dabei ist häufig eine idealtypische Abfolge - Export, Lizenzierung, Franchising, Joint Venture, Auslandsniederlassung, Tochtergesellschaft - zu beobachten, die als genetisches Modell bezeichnet wird. Internationalisierungsstrategie: Die Internationalisierungsstrategie bezieht sich auf die grenzüberschreitende Bearbeitung des Marktes. Involvement: Involvement bezeichnet das Ausmaß an Aktivierung beziehungsweise die Motivstärke oder innere Ichbeteiligung eines Konsumenten bei der Suche, Aufnahme, Verarbeitung und Speicherung von Informationen. Im Marketing wird je nach Aktivierungszustand von Highbeziehungsweise Low-Involvement gesprochen. Irradiationseffekt: Irradiationen sind Verzerrungseffekte bei der Wahrnehmung von Informationen, wobei die Wahrnehmung einer Eigenschaft durch die Wahrnehmung einer anderen Eigenschaft eines Produktes beeinflusst wird. Jahresabschluss: Der Jahresabschluss ist die Darstellung der Vermögens-, Finanz- und Ertragslage eines Unternehmens bezogen auf ein Geschäftsjahr. Er setzt sich aus der <?page no="330"?> Glossar 331 www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden Bilanz, der Gewinn- und Verlustrechnung und bei Kapitalgesellschaften zusätzlich dem Anhang zusammen. Der Jahresabschluss muss nach den Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung aufgestellt werden sowie klar und übersichtlich sein. Jahresabschlussanalyse: Als Jahresabschlussanalyse werden alle Tätigkeiten der Informationsgewinnung und -auswertung aus dem Jahresabschluss und dem Lagebericht bezeichnet, die dazu dienen, Erkenntnisse über die Vermögens-, Finanz- und Ertragslage eines Unternehmens zu gewinnen. Für die Jahresabschlussanalyse wird vereinfachend häufig auch der Begriff Bilanzanalyse verwendet. Joint Venture: Das Joint Venture, auch als Gemeinschaftsunternehmen oder JV bezeichnet, entsteht durch Kooperation mehrerer Unternehmen in Form der Gründung einer Gesellschaft - einer gemeinsamen Tochter -, an der die kooperierenden Unternehmen gemeinsam beteiligt sind. Just in time: Just in time oder JIT ist ein Belieferungskonzept, bei dem das Vormaterial dem weiterverarbeitenden Unternehmen durch den Lieferanten so zur Verfügung gestellt wird, dass dieser keine bestandskostenintensive Lagerhaltung betreiben muss. Kaizen: Kaizen umfasst das permanente Überprüfen etablierter Arbeitsvorgänge und das ständige Verbessern der Vorgehensweisen durch die Mitarbeiter selbst. Kanban: Kanban ist ein dezentrales Steuerungssystem der Fertigung nach dem Hol- Prinzip beziehungsweise Pull-Prinzip unter Verwendung von Steuerungskarten. Es ist in Japan für die Programmtypen der Serien- und Massenfertigung sowie für die Organisationstypen der Fließfertigung entwickelt worden. Kapazität: Die Kapazität ist das Maß des Leistungspotenzials wirtschaftlicher oder technischer Ressourcen einer Periode. Kapitalwert: In Kapitalwertmodellen der Investitionsplanung ist ein Kapitalwert der Barwert - also der Gegenwartswert - der zukünftigen Einzahlungsüberschüsse eines Investitionsprojektes zum Bezugszeitpunkt. Käufermarkt: Ein Käufermarkt ist dadurch gekennzeichnet, dass sich die Käufer gegenüber den Verkäufern in der verhandlungstaktisch besseren Position befinden, da das Angebot die Nachfrage übersteigt. Den Engpassbereich einer Unternehmung bildet somit der Absatz. Kernkompetenz: Eine Kernkompetenz ist ein Bündel von spezifischen Fähigkeiten. Zusammen mit anderen Kernkompetenzen ist sie die Grundlage für die Kernprodukte und die darauf aufbauenden Endprodukte eines Unternehmens. Key Accounts: Vertriebspartner beziehungsweise Endabnehmer, die aufgrund ihres tatsächlichen oder potenziellen Einkaufsvolumens für ein Unternehmen von großer Bedeutung sind, werden als Schlüsselkunden beziehungsweise Key Accounts bezeichnet. Kognition: Eine Kognition ist ein gedanklicher oder rationaler Prozess, der sich auf die Informationsaufnahme, -beurteilung und -speicherung sowie auf die Verknüpfung dieser Inhalte zu einem System des Wissens bezieht. Kompetenzen: Eine Kompetenz bildet sich aus einem Set von Fähigkeiten. In der Kompetenzplanung müssen verschiedene Kompetenzarten wie fachliche, methodische oder soziale Kompetenz adressiert werden. Kompetenzaufbau erfordert in der Regel unterstützende Maßnahmen und beansprucht häufig einen längeren Zeitraum. <?page no="331"?> 332 Glossar www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden Kompetenzklassendiagramm: Instrument der Kompetenzplanung zur Erfassung und Strukturierung der erforderlichen Kompetenzen für ein Vorhaben und der Zuweisung der verschiedenen Kompetenzen zu einzelnen Organisationseinheiten. Konkurrenz: Bei der Bestimmung des relevanten Marktes stellt sich nicht nur die Frage nach der Zielgruppe für ein Produkt oder eine Dienstleistung, sondern auch die nach den (Produkt-)Alternativen beziehungsweise den entsprechenden Herstellern, die ein potenzieller Kunde in einem Kaufentscheidungsprozess in Erwägung ziehen könnte. Konsortium: Ein Konsortium ist eine Kooperation von Unternehmen, die das Ziel verfolgt, eine zeitlich befristete und inhaltlich abgegrenzte Aufgabe gemeinsam zu erfüllen. Der Begriff wird insbesondere dann verwendet, wenn sich Banken zur Wahrnehmung einer gemeinsamen Aufgabe zusammenschließen. Konsumentenrente: Unter Konsumentenrente versteht man denjenigen Betrag, den ein Nachfrager für eine bestimmte Marke eines Produktes weniger zu zahlen hat, als er aufgrund seiner Präferenzen zu zahlen bereit ist. Konzern: Der Konzernbegriff ist im Aktiengesetz definiert. Danach sind zwei Merkmale für den Konzern konstituierend: Der Konzern umfasst mehrere rechtlich selbstständige Unternehmen. Die Unternehmen sind unter einheitlicher Leitung zusammengefasst. Kooperation: Unter einer Kooperation versteht man die Zusammenarbeit zwischen mehreren Unternehmen auf einem bestimmten wirtschaftlichen Gebiet. Im Gegensatz zu den Konzernen und Fusionen wird die wirtschaftliche Selbstständigkeit lediglich in den von der Kooperation betroffenen Bereichen für die Dauer der Kooperation eingeschränkt. Korrelationsanalyse: Mit Hilfe einer Korrelationsanalyse lassen sich das Vorhandensein und die Stärke eines linearen Zusammenhangs zwischen zwei Variablen prüfen. Kosten: In der Betriebswirtschaftslehre sind Kosten und Erlöse die Grundbegriffe der kurzfristigen Erfolgsrechnung. Sie sind quantitative Begriffe und als solche Maßausdrücke von Güterverbrauch und Güterentstehung im Produktionsprozess des Unternehmens. Kostenführerschaft: Kostenführerschaft wird auch als Kostenführerstrategie oder Preisführerschaft bezeichnet. Die Kostenführerstrategie ist eine der drei Wettbewerbsstrategien nach Porter - neben der Differenzierungsstrategie und der Nischenstrategie. Kreativitätstechniken: Kreativitätstechniken sind Verfahren, die den Anwender beim Finden neuartiger Lösungen unterstützen sollen. Sie stimulieren das Denken abseits bekannter Lösungspfade. Populäre Werkzeuge sind etwa das Brainstorming und die Synektik. Kunde: Ein Kunde ist ein tatsächlicher oder potenzieller Nachfrager auf Märkten. Kunden können Einzelpersonen oder Institutionen sein. Demnach unterscheidet man im Marketing zwischen B2Cbeziehungsweise Business-to-Consumer-Marketing und B2Bbeziehungsweise Business-to-Business-Marketing. Kundenbeziehungsmanagement: Das Kundenbeziehungs- oder Customer Relationship Management bezeichnet ein kundenorientiertes, technologiegestütztes Managementkonzept mit der Absicht, langfristig profitable Kundenbeziehungen durch möglichst individuelle Marketing-, Vertriebs- und Servicekonzepte aufzubauen und zu festigen. <?page no="332"?> Glossar 333 www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden Kundenbindung: Kundenbindung beschreibt die Aufrechterhaltung einer Geschäftsbeziehung zwischen einem Anbieter und einem Kunden. Lagerhaltung: Lagerhaltung bezeichnet die gewollte oder ungewollte Aufbewahrung von Input- und Outputfaktoren in einem Unternehmen. Layoutplanung: Im Rahmen der Layoutplanung wird insbesondere die räumliche Anordnung der Betriebsmittel innerhalb der Fabrik entworfen. Dadurch werden maßgeblich die Größen Durchlaufzeit, Prozesseffizienz und Flexibilität der Fabrik bestimmt. Lead User: Lead User sind besonders versierte, häufig auch technisch befähigte, intensive Nutzer von Produkten. Werden sie in Entwicklungsprozesse für Nachfolge- und Ergänzungsprodukte einbezogen, entspringen daraus häufig besonders leistungsfähige Lösungen, weil auch latente Nutzerbedürfnisse Berücksichtigung finden. Lean Management: Als Lean Management werden alle Ziele, Maßnahmen, Instrumente, Prinzipien, Konzepte und Regeln einer ganzheitlichen Verschlankung der Wertschöpfungskette des Unternehmens verstanden. Leasing: Leasing ist ein Vertrag zwischen dem Leasinggeber und dem Leasingnehmer über die zeitweise Überlassung von beweglichen oder unbeweglichen Gegenständen gegen Entgelt. Lebensstil: Der Lebensstil beschreibt die Art und Weise, wie eine Person ihr Leben gestaltet, das heißt, wie sie zum Beispiel die verfügbare Zeit auf die Bereiche Arbeit und Freizeit aufteilt und welche Konsumgewohnheiten sie praktiziert. Lebenszyklus: Der Lebenszyklus ist ein Beschreibungsmodell, welches die Entwicklung der für ein Objekt charakteristischen Größen enthält. In der Betriebswirtschaftslehre versucht es unter anderem dafür zu sensibilisieren, dass Produkte und Technologien nach einem möglicherweise raschen Aufstieg - etwa gemessen in Anwendungszahl, Umsatz oder Gewinn - später einen Niedergang erleben werden. Leitbild: Das Leitbild eines Unternehmens enthält sowohl die Vision als auch grundlegende Wertvorstellungen und gibt Unternehmensangehörigen Orientierung. Leitungsspanne: Bei der Leitungsspanne, auch als Kontrollspanne bezeichnet, geht es um die Festlegung der Anzahl der einem Abteilungsleiter direkt unterstellten Mitarbeiter, mit denen ein Vorgesetzter optimal kommunizieren kann. Lieferanten: Lieferanten sind Akteure, welche andere Unternehmen mit benötigten Rohstoffen und Vorprodukten versorgen. Lieferkette: Die Lieferkette beschreibt ein organisationales Konstrukt, in dem ein Hersteller und seine verschiedenen Lieferanten, die auf unterschiedlichen Wertschöpfungsstufen angesiedelt sind, betrachtet werden. Durch zunehmende Produktkomplexität und abnehmende Fertigungstiefen kommt es zur Ausdifferenzierung von Lieferketten. Der Ansatz des Supply Chain Managements versucht die Lieferkette integriert zu steuern. Liquidität: Liquidität ist die Fähigkeit eines Unternehmens, seine Zahlungsverpflichtungen zu erfüllen. <?page no="333"?> 334 Glossar www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden Lizenz: Unter einer Lizenz versteht man die Überlassung eines geschützten Rechtes wie eines Patentes, eines Warenzeichens oder eines Gebrauchsmusters an einen Dritten, den so genannten Lizenznehmer. Logistik: Logistik beschreibt den marktorientierten Prozess der Planung, Abwicklung und Kontrolle des gesamten Material- und Erzeugnisflusses unter Berücksichtigung der damit einhergehenden Informationen zwischen dem Liefer- und Empfangspunkt entsprechend den Anforderungen des Kunden. Make-or-Buy: Bei Make-or-Buy beziehungsweise MoB-Entscheidungen geht es um die Wahl zwischen Eigenfertigung und Fremdbezug - heute auch als Outsourcing bezeichnet - eines Produktes oder einer Komponente. Mit der Entscheidung über Eigenfertigung und Fremdbezug werden Fertigungstiefe und Beschaffungsvolumen festgelegt. Management: Im angloamerikanischen Raum wird der Begriff Management für die Leitung eines Unternehmens verwendet. Dabei wird zwischen Management als Institution und Management als Funktion unterschieden. Management als Institution umfasst jene Personen, die in der Unternehmung leitende Aufgaben erfüllen. Management als Funktion bezieht sich auf Tätigkeiten, die von Führungskräften zu erbringen sind, wie Planung, Umsetzung und Kontrolle. Marke: In der betriebswirtschaftlichen wie auch der juristischen Betrachtungsweise ist mit dem Begriff Marke ein Warenzeichen verbunden, wobei auch Dienstleistungen unter einem geschützten Zeichen vertrieben werden können. Eine schutzfähige Marke kann aus Zeichen, Wörtern, Personennamen, Abbildungen, Buchstaben, Zahlen oder weiteren Symbolen bestehen. Im Marketing wird eine Marke als Vorstellungsbild in den Köpfen von Anspruchsgruppen betrachtet, das eine Identifikations- und Differenzierungsfunktion übernimmt und das Wahlverhalten prägt. Markenwert: Der Wert einer Marke hängt von verschiedenen Faktoren ab. Insbesondere sind hier die Markentreue der Kunden, die mit der Marke verbundenen Assoziationen und der Bekanntheitsgrad zu nennen. Eine starke Marke wird vom Unternehmen als eigener, so genannter immaterieller Vermögenswert angesehen, der auch in monetären Größen ausgedrückt werden kann. Market-Based-View: Der Market-Based-View ist ein Ansatz des strategischen Managements, in dessen Mittelpunkt der Markt und die Bedingungen der Umwelt stehen. Erfolge von Unternehmen werden demnach durch das wettbewerbliche Umfeld und die eigene Wettbewerbsposition bestimmt. Marketing: Marketing ist ein ganzheitlicher Prozess im Unternehmen, der unter Berücksichtigung der Bedürfnisse aktueller und potenzieller Nachfrager sowie des relevanten Konkurrenzangebotes alle Aktivitäten systematisch und auf der Grundlage von Marktinformationen so ausrichtet, dass übergeordnete Unternehmensziele und Marktziele erreicht werden können. Markt: Auf einem Markt treffen Angebot und Nachfrage zusammen, wodurch sich im Falle eines Tausches Preise bilden. Mindestvoraussetzung für das Entstehen eines Marktes ist eine potenzielle Tauschbeziehung: Das heißt, abgesehen vom Tauschmittel, muss es mindestens ein Tauschobjekt und mindestens einen Anbieter und mindestens einen Nachfrager geben. <?page no="334"?> Glossar 335 www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden Marktanteil: Aus der Gegenüberstellung von Nachfrage und Angebot im Markt ergibt sich das realisierte Kaufvolumen eines Produktes, auch Marktvolumen genannt. Dividiert man die Zahl an getätigten Absätzen eines bestimmten Unternehmens in einem Zeitraum durch das Marktvolumen, so erhält man den Marktanteil. Markteintritt: Der Markteintritt beinhaltet die Aufnahme von Aktivitäten in einem bisher noch nicht bearbeiteten Markt. Bei der Planung ist zu entscheiden, welche Märkte, zu welchem Zeitpunkt, mit welcher Geschwindigkeit und mit welcher Strategie bearbeitet werden sollen. Marktforschung: Unter Marktforschung versteht man die systematisch betriebene Analyse eines konkreten Marktes beziehungsweise Teilmarktes, einschließlich der Erfassung der Bedürfnisse aller Beteiligten unter Berücksichtigung vor allem externer Informationsquellen. Marktpotenzial: Das Marktpotenzial stellt das zu einem bestimmten Zeitpunkt theoretisch realisierbare Marktvolumen dar. Marktvolumen: Das Marktvolumen ist der von allen Anbietern zu einem bestimmten Zeitpunkt realisierte Absatz. Materialintensität: Die Materialintensität beschreibt, in welchem Ausmaß ein Unternehmen vorveredelte Produkte nutzt und damit im Umkehrschluss weniger Weiterverarbeitungsstufen im Unternehmen selbst realisiert. Sie wird in der Regel als Quotient aus Materialaufwand zum Umsatz beziehungsweise zu den Herstellkosten gebildet. In vielen Branchen steigen die Materialintensitäten kontinuierlich und verleihen somit der betrieblichen Funktion Einkauf mehr Gewicht. Materialwirtschaft: Materialwirtschaft als Aufgabenbereich der Betriebswirtschaft befasst sich mit der Sicherstellung der Versorgung eines Unternehmens mit direkten und indirekten Materialien. Matrixorganisation: Die Matrixorganisation ist ein zweidimensionales Organisationsmodell. Darin unterscheidet sie sich von der funktionalen Organisation, für die das Einlinienprinzip Gültigkeit hat. Die Mehrdimensionalität der Matrixorganisation liegt darin, dass die ausführenden organisatorischen Einheiten im Schnittpunkt zweier Dimensionen stehen. McKinsey: McKinsey ist eine internationale Unternehmens- und Strategieberatung, die sich gemäß ihrem Selbstverständnis als Generalist unter den Beratern versteht und stets die größten Unternehmen der Welt unter anderem bei Wachstums- oder Geschäftsentwicklungsprojekten unterstützt. Meilensteine: Meilensteine - im englischsprachigen Kontext: Milestones - sind Zwischenziele eines Ablaufprozesses. Sie dienen häufig als Sollwerte bei der Planfortschrittskontrolle. Die Meilensteintrendanalyse ist als Projektfortschrittskontrollinstrument auf selbige ausgerichtet. Mergers & Acquisitions: Die englischsprachigen Begriffe Mergers & Acquisitions, häufig mit M&A abgekürzt, stehen für Unternehmensfusionen und Unternehmensübernahmen im Rahmen entsprechender Projekte, in die typischerweise Investmentbanken, Unternehmensberatungen und Wirtschaftsprüfungsgesellschaften eingebunden sind. <?page no="335"?> 336 Glossar www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden Mobbing: Mobbing ist der andauernde Psychoterror von Gruppen oder Einzelpersonen gegen einen Mitarbeiter. Das Mobbing kann von Kollegen oder von Vorgesetzten ausgehen. Ziel ist die Demütigung und Isolierung des Mitarbeiters. Motiv: Ein Motiv bezeichnet eine überdauernde Disposition, sich auch in ferner Zukunft in einer bestimmten Art zu verhalten. Motiven sind typischerweise Mangelzustände eines Individuums zugeordnet. Motive spielen vor allem in der Konsumentenverhaltensforschung eine wesentliche Rolle. Multivariate Verfahren: Multivariate Verfahren werden in strukturprüfende und strukturentdeckende Verfahren eingeteilt. Zu den strukturprüfenden Verfahren gehören Methoden, die Zusammenhänge zwischen verschiedenen Variablen testen wie die Regressions- oder die Varianzanalyse. Hierbei wird zwischen abhängigen und unabhängigen Variablen unterschieden. Zu den strukturentdeckenden Verfahren zählen Methoden, die Zusammenhänge zwischen Variablen zu entdecken versuchen wie die Faktoren- oder die Clusteranalyse. Es erfolgt keine Zweiteilung in abhängige und unabhängige Variablen. Normstrategien: Normstrategien stellen aus der Portfolioanalyse abgeleitete typologische Raster beziehungsweise Verhaltensrichtlinien für die längerfristige Planung dar. Sie sind als Rahmenempfehlungen für die Ressourcenverteilung oder die Verwendung finanzieller Mittel zu betrachten. Nutzwertanalyse: Die Nutzwertanalyse, auch als Scoring-Modell bezeichnet, ist ein Verfahren zur Lösung eines Entscheidungsproblems, bei dem von einem Zielsystem auszugehen ist, das aus mehreren, teilweise qualitativen Zielen besteht. Objektivität: Die Objektivität ist ein Kriterium für den Grad der Unabhängigkeit von Messwerten vom Untersucher. Sie ist dann gegeben, wenn andere Untersuchungsleiter bei gleichen Messverfahren und vergleichbaren Probanden zu identischen Ergebnissen gelangen. Organigramm: Das Organigramm ist die grafische Darstellung der Organisationsstruktur. Es spiegelt vor allem die Art der Arbeitsteilung zwischen den Stellen und die Leitungsbeziehungen, also die Über- und Unterordnung von Stellen wider. Organisation: Unter Organisation wird die ordnende Gestaltung beziehungsweise Strukturierung von Potenzialen und Prozessen in Institutionen verstanden. Diese Institutionen können Unternehmen, Haushalte, Verbände, Kirchen, Heere, Theater, Museen, Schulen, Behörden und andere sein. Mit Organisation wird traditionell sowohl der Vorgang des Gestaltens - ein Unternehmen wird organisiert - als auch das Gestaltungsergebnis - ein Unternehmen hat eine Organisation - bezeichnet. Organisationsentwicklung: Die Organisationsentwicklung ist ein längerfristig angelegter, umfassender Entwicklungs- und Veränderungsprozess von Organisationen und der in ihnen tätigen Menschen. Outsourcing: Outsourcing ist ein Kunstwort aus den englischen Begriffen outside, resource und using. Outsourcing ist eine Strategie zur Reduktion der Fertigungstiefe durch den Bezug von Wertschöpfungsanteilen von anderen Unternehmen, also von außerhalb. Patente: Patente sind Schutzrechte, die dem Urheber einer neuen Lösung die exklusive Kommerzialisierung der Lösung ermöglichen. Offenlegungs- und Patentschriften enthalten Beschreibungen des neuartigen Konstruktes. <?page no="336"?> Glossar 337 www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden Patentanalyse: Die Patentanalyse erfasst durch intensive Recherche und das Durchdringen und Bewerten von Patenten technische Lösungsmöglichkeiten für etwaige Probleme. Sie wird beispielsweise im Rahmen der Technologievorausschau, der Konstruktion, der Vorbereitung von Lizenznahmen oder Unternehmenskäufen betrieben. Point of Sale: Unter den Bezeichnungen Point of Sale oder PoS beziehungsweise Point of Purchase oder PoP ist im engeren Sinne der Ort zu verstehen, an dem der Verkauf von Waren stattfindet beziehungsweise die Kaufentscheidung gefällt wird. Portfolio: Grafische Darstellung sowie Analyse- und Planungsrahmen, der zwei Dimensionen - in der Regel eine unternehmensinterne und eine unternehmensexterne - abbildet und das Einordnen von Objekten wie Produkten, Technologien oder Projekten erlaubt sowie das Ableiten von Stoßrichtungen durch das Bereithalten von Normstrategien unterstützt. Präferenz: Eine Präferenz bringt das Ausmaß zum Ausdruck, in dem eine Person während eines bestimmten Zeitraumes eine Alternative bevorzugt. Im Unterschied zu Einstellungen handelt es sich bei Präferenzen um die Einstellungsdifferenz zwischen mindestens zwei Alternativen. Preis: Der Preis eines Produktes oder einer Dienstleistung ist für einen Kunden das finanzielle Opfer, das er für den ihm gebotenen Produktnutzen erbringen muss. Der Preis stellt daher aus Kundensicht alle mit dem Kauf beziehungsweise der Nutzung verbundenen Ausgaben dar. Preis-Absatz-Funktion: Die Preis-Absatz-Funktion illustriert den Zusammenhang zwischen der vom Unternehmen beinflussbaren, marktgestaltenden Variablen Preis des Produktes und der Erwartungsgröße Absatz des Produktes in einer einfachen mathematischen Form. Im Allgemeinen besteht ein negativer Zusammenhang beziehungsweise ein negatives korrelatives Verhältnis. Preiselastizität: Die Preiselastizität der Nachfrage drückt die relative Veränderung der Nachfrage durch die relative Veränderung des Preises aus, wobei unterstellt wird, dass die Preisänderung nur infinitesimal ist. Bei linearen Preis-Absatz-Funktionen stellt der Elastizitätskoeffizient die Steigung der Funktion dar. Primärforschung: Primäre Marktforschung liegt vor, wenn Daten eigens für eine Untersuchung entweder direkt beschafft oder zum Beispiel in einer Befragung originär erhoben werden. Proband: Ein Proband ist eine Versuchsperson in der Marktforschung, die an einer Messung, einem Experiment oder einer Befragung teilnimmt. Problemlösungstechniken, analytische: Analytische Problemlösungstechniken bilden eine Gruppe von Verfahren, die durch weniger auf Kreativität, als mehr auf Systematik ausgelegtes Vorgehen versuchen, Herausforderungen auf jeweils neuartige Art und Weise zu begegnen. Ein bekanntes Instrument ist der morphologische Kasten. Product Placement: Werden in der Mediawerbung Marken eines Produktes nicht in Form von Werbespots präsentiert, sondern erscheinen sie zufällig in Spielfilmen oder Serien, so spricht man von Product Placement. Da der Werbezweck nicht oder nicht eindeutig erkennbar ist, wird Product Placement auch als Schleichwerbung bezeichnet. <?page no="337"?> 338 Glossar www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden Produkt: Ein Produkt ist das Ergebnis der Produktion und das Sachziel einer Unternehmung. Produkte können in materielle und immaterielle Güter unterteilt werden. Produktentwicklung: Produktentwicklung ist das Vorgehen zum Kreieren eines neuen Leistungsangebotes unter Festlegung der Merkmale und Eigenschaften der Leistung. Zum Bereitstellen verschiedener Produktfunktionen wird auf Technologien zurückgegriffen. Produktion: Unter Produktion werden Kombinations- und Transformationsprozesse verstanden, bei denen aus Produktionsfaktoren beziehungsweise Einsatzgütern durch Anwendung technischer, handwerklicher oder industrieller Verfahren Produkte beziehungsweise Ausbringungsgüter erzeugt werden. Produktionsfaktoren: Ein Produktionsfaktor ist ein Wirtschaftsgut, das als Einsatzgut oder Input in die Erstellung von Sachgütern und Dienstleistungen eingeht. Aus betriebswirtschaftlicher Sicht werden die Produktionsfaktoren in Materialien (Rohstoffe, Hilfsstoffe, Betriebsstoffe), menschliche Arbeitsleistung (ausführende und dispositive Arbeit), Leistungsabgaben von Potenzialgütern (Gebäude, Anlagen, Aggregate) und Energie unterteilt. Aus volkswirtschaftlicher Sicht werden die Produktionsfaktoren in Arbeit, Boden und Kapital gegliedert. Produktionsplanung und Produktionssteuerung: Als Produktionsplanung und Produktionssteuerung beziehungsweise PPS werden in einem Industrieunternehmen alle taktischoperativen Planungs- und Steuerungsaufgaben zusammengefasst, die einen (kosten-) optimalen Produktionsvollzug ermöglichen. Produktivität: Die Produktivität stellt eine Ausprägung von Wirtschaftlichkeit dar. Wirtschaftlichkeit ist das Verhältnis von Güterertrag zu Gütereinsatz. Wählt man als Output die produzierte Menge und als Input die Menge an Einsatzfaktoren, erhält man die Produktivität. Produzentenrente: Unter Produzentenrente versteht man die Differenz zwischen dem Preis, zu dem ein Anbieter aufgrund seiner Kosten noch bereit wäre, ein Gut herzustellen und zu verkaufen, und dem Marktpreis. Projekt: Ein Projekt ist ein Vorhaben, das sich durch die Merkmale zeitliche Befristung, Neuartigkeit, Einmaligkeit, Größe und Komplexität auszeichnet. Projektmanagement: Das Projektmanagement befasst sich sowohl mit der effizienten Abwicklung eines einzelnen Projektes wie auch mit der strategischen Unternehmensentwicklung durch Projekte. Projektorganisation: Die Projektorganisation ist eine auf die Anforderungen von Projekten ausgerichtete Organisation. Prozess: Ein Prozess ist eine Struktur von Tätigkeiten zur Hervorbringung eines gewünschten Ergebnisses. Prozessorganisation: Die Grundidee der Prozessorganisation besteht darin, kundenorientierte Prozesse als Gegenstand der Strukturierung von Unternehmen zu betrachten. Deshalb werden organisatorische Einheiten mit Prozessverantwortung geschaffen. Qualitätsmanagement: Unter Qualitätsmanagement ist ein Planungs- und Steuerungssystem zu verstehen, welches das Ziel verfolgt, für alle Produkte eine gewünschte Qualität herzustellen und nachhaltig zu sichern. Als Qualität eines Produktes ist eine Relation <?page no="338"?> Glossar 339 www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden zu verstehen, nach der die Produkteigenschaften bestimmten Anforderungen beziehungsweise Zielvorgaben entsprechen sollen. Querschnittsanalyse: Der Begriff Querschnittsanalyse bezeichnet ein empirisches Studiendesign. Querschnittsanalysen werden einmalig durchgeführt und messen verschiedene Elemente zum gleichen Zeitpunkt. Rationalisierung: Als Rationalisierung werden die Wahl und die Durchsetzung von Maßnahmen bezeichnet, die bei geänderten Wirtschaftsbedingungen eine verbesserte Zielerreichung bezwecken. Relaunch: Der Begriff Relaunch bezeichnet die Veränderung eines bereits im Markt etablierten Produktes mit dem Ziel, positive Absatzwirkungen zu erzielen. Reliabilität: Die Reliabilität ist ein Kriterium für die Zuverlässigkeit einer empirischen Untersuchung. Sie bezeichnet die Messgenauigkeit eines Verfahrens, unabhängig davon, welches Merkmal tatsächlich bestimmt wird. Rendite: Die Rendite oder Rentabilität ist eine spezifische Ausprägung der Wirtschaftlichkeit. Wählt man als Ergebnisgröße den Gewinn und setzt ihn ins Verhältnis zum Kapital, erhält man die Rendite. Reorganisation: Unter Reorganisation versteht man die geplante und in der Regel tiefgreifende und umfassende Änderung der Aufbauund/ oder der Ablauforganisation eines Unternehmens. Resource-Based-View: Der Resource-Based-View ist ein Ansatz des strategischen Managements, in dessen Mittelpunkt die Ressourcen eines Unternehmens stehen, die als Quelle des dauerhaften Erfolges eines Unternehmens gelten. Ressourcen: Ressourcen sind Speicher spezifischer Stärke, die es einem Unternehmen ermöglichen, sich in einer veränderlichen Umwelt erfolgreich zu positionieren und somit den langfristigen Unternehmenserfolg zu sichern. Return on Investment: Der Return on Investment, auch als RoI abgekürzt, ist der Quotient aus Gewinn und Gesamtkapital. Der RoI ist die Spitzenkennzahl des Du-Pont- Kennzahlensystems, in dem die Umsatzrentabilität und der Kapitalumschlag die Unterziele zur Verwirklichung des Oberzieles RoI sind. Risiko: Aus entscheidungstheoretischer Sicht sind Entscheidungen unter Risiko durch eine objektive Wahrscheinlichkeitsverteilung der unsicheren Ergebnisse gekennzeichnet. Roadmap: Roadmaps sind Darstellungen, die technologische Entwicklungspfade in die Zukunft zeigen. Sie enthalten in der Regel Informationen darüber, welche Objekte in der Zukunft verfügbar sein werden, wie diese mit anderen in Beziehung stehen und zu welchem Zeitpunkt auf sie zugegriffen werden kann. Rückwärtsintegration: Mit dem Begriff Rückwärtsintegration wird die Ausdehnung der Wertschöpfungskette eines Unternehmens auf vorgelagerte Fertigungsstufen bezeichnet, die bislang von Zulieferern abgedeckt wurden. Schwachstellenanalytik: Die Schwachstellenanalytik ist darauf angelegt, mittels strukturierter Datenauswertung in der Regel betriebsstättenübergreifend Maschinen und Anlagen mit erhöhter Störungshäufigkeit oder unzureichender Produktivität aufzuspüren. <?page no="339"?> 340 Glossar www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden Scoring-Modell: Ein Scoring-Modell, auch als Nutzwertanalyse bezeichnet, ist ein Verfahren zur Lösung eines Entscheidungsproblems, bei dem von einem Zielsystem auszugehen ist, das aus mehreren, teilweise qualitativen Zielen besteht. Sekundärforschung: Sekundärforschung ist die Gewinnung und Auswertung von bereits vorhandenem Datenmaterial, das für ähnliche oder andere Zwecke unternehmensintern oder unternehmensextern erhoben wurde. Shareholder: Ein Shareholder ist ein Anteilseigner. Shareholder Value: Der Shareholder Value, der dem Marktwert des Eigenkapitals entspricht, wird definiert als Unternehmenswert abzüglich Marktwert des Fremdkapitals. Skalenniveau: Die Qualität von Daten für statistische Analysen wird unter anderem durch das Skalenniveau beziehungsweise durch das Messniveau beeinflusst. Je nachdem, wie eine Eigenschaft zum Beispiel eines Produktes gemessen werden kann, lassen sich verschiedene Stufen unterscheiden: Nominalskala, Ordinalskala und metrische Skala. Das Skalenniveau bestimmt die Verwendung von statistischen Methoden - zum Beispiel multivariate Verfahren. Solidaritätszuschlag: Der Solidaritätszuschlag ist eine Ergänzungsabgabe zur Einkommensteuer und zur Körperschaftsteuer. Bemessungsgrundlage für den Solidaritätszuschlag ist die zu entrichtende Einkommensteuer beziehungsweise Körperschaftsteuer. Der Steuersatz beträgt 5,5 Prozent. Soziale Marktwirtschaft: Die Soziale Marktwirtschaft ist die Wirtschaftsordnung der Bundesrepublik Deutschland. Sie ist eine dezentral gelenkte Wirtschaftsordnung. Ihre geistigen Väter sind die Theoretiker Alfred Müller-Armack und Walter Eucken sowie der Wirtschaftspolitiker Ludwig Erhard. Spill-over-Effekt: Der Spill-over-Effekt ist ein Ausstrahlungseffekt. Im Marketing versteht man unter dem Spill-over-Effekt den Einfluss eines Produktes auf ein anderes. So kann sich beispielsweise der Misserfolg eines Produktes negativ auf das Sortiment eines Anbieters auswirken. Entsprechend positive Ausstrahlungseffekte sind bei einem positiven Image eines Produktes zu erwarten. Spin-off: Beim Spin-off wird ein Unternehmensteil aus dem Gesamtverband einer Aktiengesellschaft herausgelöst und rechtlich verselbstständigt. Die Aktionäre sind dann an beiden Gesellschaften beteiligt. Sponsoring: Beim Sponsoring erhalten Veranstaltungen oder Organisationen finanzielle Unterstützung durch ein Unternehmen mit dem Ziel, positive Assoziationen auf das Unternehmen zu übertragen und somit zu einem positiven Image beizutragen. Diese Form der Öffentlichkeitsarbeit wird je nach Einsatzbereich als Kultursponsoring, Umweltsponsoring oder Sportsponsoring bezeichnet. Stakeholder: Als Stakeholder können Bezugs-, Interessen- und Anspruchsgruppen bezeichnet werden, die von der Unternehmung betroffen sind. Strategische Allianz: Eine Strategische Allianz ist eine horizontale vertragliche Vereinbarung zwischen zwei oder mehreren Unternehmen zur Erzielung eines Wettbewerbsvorteils durch Kooperation ohne Gründung einer rechtlich selbstständigen Einheit. Strategisches Geschäftsfeld: Strategische Geschäftsfelder, auch als Strategic Business Areas bezeichnet, stellen die Planungseinheiten im Rahmen der strategischen Planung und <?page no="340"?> Glossar 341 www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden der Portfolioanalyse dar. Mit der Formulierung von strategischen Geschäftsfeldern wird das gesamte unternehmerische Tätigkeitsfeld in einzelne Aktionsbereiche zerlegt. Strategisches Management: Das strategische Management, auch als strategische Unternehmensführung bezeichnet, befasst sich mit der zielorientierten Gestaltung von Unternehmen unter strategischen, das heißt langfristigen, globalen, umweltbezogenen und entwicklungsorientierten Aspekten. Supply Chain Management: Als Supply Chain Management, auch als SCM bezeichnet, werden alle Maßnahmen der strategischen, taktischen und operativen Gestaltung der Güter- und Informationsflüsse einer Liefer-, Versorgungs- oder Wertschöpfungskette bezeichnet. Synergieeffekt: Unter einem Synergieeffekt versteht man die Tatsache, dass die Zusammenfassung bisher getrennter Bereiche mehr ist als die Summe der Teile. Durch die Zusammenfassung entstehen Verbundeffekte. Synergieeffekte können zum Beispiel im Absatzbereich durch die Ergänzung des Absatzprogramms auftreten. System: Ein System ist eine Gemeinschaft von Elementen, die miteinander in Beziehung stehen und sich zum Umfeld hin abgrenzen. Fabriken mit ihren Mitarbeitern und Maschinen können ebenso als Systeme aufgefasst werden wie Lieferketten mit ihren verschiedenen Produktions- und Logistikunternehmen. Szenarioanalyse: Die Szenarioanalyse ist eine Planungstechnik, die ausgehend von der Gegenwart die zukünftigen Entwicklungen eines Gegenstandes bei alternativen Rahmenbedingungen beschreibt. Mit Hilfe der Szenarioanalyse wird nicht das einzig richtige und exakte Bild der Zukunft ermittelt, sondern es werden bewusst mehrere alternative Zukunftsbilder - so genannte Szenarien - entworfen. Tarifvertrag: Ein Tarifvertrag ist ein schriftlich ausgehandelter Vertrag zwischen Arbeitgebern oder Arbeitgeberverbänden und den Gewerkschaften als Tarifvertragspartei für die Arbeitnehmer, in dem die Bedingungen von Arbeitsverhältnissen für einen festgelegten Zeitraum bestimmt werden. Taylorismus: Das Organisationsprinzip des Taylorismus geht auf den amerikanischen Ingenieur Frederick Winslow Taylor zurück. Taylor entwickelte das Scientific Management. Er schuf damit die wissenschaftlichen Grundlagen für die Gestaltung von Arbeitsprozessen. Team: Teams sind interdisziplinäre, aufgabenspezifisch gebildete Arbeitsgruppen. Sie bearbeiten in der Regel temporär ein Projekt. Technologie: Technologien sind das Wissen um naturwissenschaftlich-technische Wirkungszusammenhänge zur Lösung realer Probleme. Sie materialisieren sich in Form von Technik und basieren in der Regel auf Theorien. Teilstandardisiertes Interview: Teilstandardisierte Interviews, häufig auch als teilstrukturierte Interviews bezeichnet, zählen zu den qualitativen Erhebungsmethoden. Befragte werden mit offenen und geschlossenen Fragen zur Aufdeckung von Meinungen, Einstellungen und Motivstrukturen konfrontiert. Der Interviewleitfaden ist weniger verbindlich und zwingend einzuhalten als bei standardisierten Interviews und daher flexibler und dynamischer. <?page no="341"?> 342 Glossar www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden Total Cost of Ownership: Unter Total Cost of Ownership oder kurz TCO ist eine praktische Rechnung zu verstehen, welche die Summe der Kosten für die Anschaffung, den Betrieb, die Wartung und die Benutzerbetreuung einer IT-Komponente über die gesamte Nutzungsdauer erfasst. Diese Rechnung stellt die Vergleichbarkeit unterschiedlicher IT-Komponenten her und ermöglicht eine realistische Beurteilung ihrer Wirtschaftlichkeit. Toyota Produktionssystem: Toyota Produktionssystem oder TPS ist ein Bündel von Ansätzen, welches Verschwendung in der Produktion minimieren will. Unique Selling Proposition: Die Unique Selling Proposition eines Produktes oder einer Dienstleistung ist eine unverwechselbare, einzigartige Komponente des Produktnutzens für eine Zielgruppe im Sinne eines speziellen Wettbewerbsvorteils. Sie dient der eindeutigen Positionierung des Produktes und der Abgrenzung von der Konkurrenz. Unsicherheit: Allgemein bedeutet Unsicherheit, dass eine bestimmte Handlungsoption oder Entscheidung nicht ein determiniertes Ergebnis nach sich zieht, sondern dass das Ergebnis von Umweltzuständen abhängig ist. Unternehmen: Betriebe werden in Unternehmen und Haushalte gegliedert. Ein Unternehmen ist eine soziale, ökonomische, technische und umweltbezogene Einheit mit der Aufgabe der Fremdbedarfsdeckung, mit eigenen Entscheidungen und selbstständigen Risiken. Unternehmenskultur: Der Begriff Unternehmenskultur ist eine Sammelbezeichnung für alle in einem Unternehmen gepflegten, langfristig bewährten und überlieferten Verhaltensnormen, Wertüberzeugungen und Denkmuster. Unternehmensziele: Unternehmensziele sind aus der Unternehmensvision abgeleitete, präzisierte Ziele, das heißt, erwünschte zukünftige Zustände, die durch unternehmerische Maßnahmen erreicht werden sollen. Sie betreffen das gesamte Unternehmen und können gegebenenfalls in einzelne Geschäftsbereiche untergliedert sein. Innerhalb der Zielhierarchie stehen sie nach der Unternehmensvision. Validität: Die Validität ist ein Kriterium für die Gültigkeit einer empirischen Untersuchung. Sie fragt danach, ob ein Verfahren auch tatsächlich das misst, was gemessen werden soll. Variante: Varianten sind Objekte ähnlicher Form oder Funktion. Sie weisen in der Regel hohen Anteil gleicher Bauteile oder Bestandteile auf. Es existieren etwa Produktvarianten, aber auch Prozessvarianten. Variantenmanagement: Variantenmanagement plant und steuert im Wesentlichen den Umfang und die Art der im Unternehmen erzeugten (Produkt-)Varianten. Stoßrichtungen des Variantenmanagements bilden Variantengenerierung, Variantenbeherrschung, Variantenreduzierung und Variantenvermeidung. Verkaufsförderung: Verkaufsförderung oder Salespromotion ist ein Sammelbegriff für eine Vielzahl von kommunikativen Maßnahmen. Sie bildet neben der Öffentlichkeitsarbeit, der Mediawerbung und dem Direktmarketing einen zentralen Bereich der Kommunikationspolitik und wird unter anderem eingesetzt, um kurzfristig den Absatz eines Produktes zu steigern, mithin Verkaufsvorgänge effizienter zu gestalten. <?page no="342"?> Glossar 343 www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden Vorwärtsintegration: Mit dem Begriff Vorwärtsintegration wird die Ausdehnung der Wertschöpfungskette eines Unternehmens auf nachgelagerte Fertigungsstufen bezeichnet, die bislang von Abnehmern beziehungsweise Kunden des Unternehmens abgedeckt wurden. Werbemittel: Ein Werbemittel dient zur Übermittlung der Werbebotschaft, es ist deren objektive Ausdrucksform. Als Werbemittel kommen vor allem Anzeigen und Werbespots, aber auch Flyer, Plakate, Werbegeschenke, Leuchtschriften, Prospekte, Ausstellungsstücke, Beilagen und Vorführungen in Betracht. Werbeträger: Der Werbeträger ist das Medium, das die über ein Werbemittel kommunizierte Werbebotschaft an die Rezipienten überträgt. Als Werbeträger kommen zum Beispiel Zeitungen und Zeitschriften, Internet, Kino, Radio und Werbegeschenkartikel, aber auch Trikots von Sportlern und Banden in Fußballstadien in Betracht. Werbung: Werbung ist der Versuch der gezielten und bewussten Beeinflussung von Einstellungen und Handlungen ohne formellen Zwang und durch den Einsatz von Werbebotschaften in Werbemitteln. Werbung von Unternehmen zu kommerziellen Zwecken ist Bestandteil der Kommunikationspolitik und damit des Marketingmix. Werkstoffe: Werkstoffe - Rohstoffe, Hilfs- und Betriebsstoffe - sind Wirtschaftsgüter. Sie zählen zu den elementaren Produktionsfaktoren, auch Elementarfaktoren genannt. Wertanalyse: Die Wertanalyse ist eine Rationalisierungsmethode für die Planung und Kontrolle von Produktprogrammen und Prozessen, die auf einer systematischen Analyse der Funktionen und Kostenkontrolle beruht, um bisherige Produkte und Prozesse funktions- und kostenorientiert zu optimieren. Wertschöpfung: Die betriebliche Wertschöpfung ist der von einem Unternehmen erzeugte Wertzuwachs. Unternehmen berichten gelegentlich in ihrem Geschäftsbericht über ihre Wertschöpfung als Teil der gesellschaftsbezogenen Rechnungslegung. Wertstromanalyse: Die Wertstromanalyse ist ein Verfahren, welches darauf ausgerichtet ist, Verschwendung im Unternehmen zu lokalisieren und abzustellen. Durch eine symbolreiche, intuitiv verständliche Notation werden Prozesse beschrieben und Verschwendungsfelder visualisiert. Die Prozessaufnahme erfolgt in der Regel von hinten nach vorn, das heißt entgegen des Prozessrichtungssinns. Wettbewerb: Wettbewerb ist ein Wettkampf zwischen Unternehmen um die Präferenz der Nachfrager. Wettbewerbsvorteil: Wettbewerbsvorteile gegenüber anderen Unternehmen liegen dann vor, wenn im Rahmen der Konkurrentenanalyse festgestellt wird, dass die strategischen Erfolgsfaktoren gegenüber dem stärksten Wettbewerber mehr Stärken als Schwächen aufweisen. Win-win-Situation: Als Win-win-Situation wird ein Zustand bezeichnet, in dem für alle miteinander agierenden Akteure durch das Betreiben einer Aktion eine Verbesserung erzielt werden kann. Bei Vertragsgestaltungen, Netzwerkbildungen, Unternehmenszusammenschlüssen und ähnlichen Vorhaben wird auf das Gestalten von Win-win- Situationen hingewirkt. Wirtschaftlichkeit: Wirtschaftlichkeit liegt vor, wenn - wie im Maximumprinzip beschrieben - mit einem gegebenen Gütereinsatz ein maximaler Güterertrag erreicht oder - <?page no="343"?> 344 Glossar wie im Minimumprinzip beschrieben - ein gegebener Güterertrag mit einem minimalen Einsatz an Produktionsfaktoren realisiert wird. Yield-Management: Als Yield-Management wird die Strategie einer wechselnden nachfrageorientierten Preispolitik bei einer gegebenen Kapazität bezeichnet. Zeitstudien: Zeitstudien werden häufig nach dem REFA-Verfahren ausgeführt. Sie analysieren beispielsweise Bewegungsabläufe bei Beschickungsvorgängen an Maschinen oder bei Produktionstätigkeiten. Sie ermitteln auf diese Weise etwa Vorgabezeiten oder stellen wertschöpfende und nicht-wertschöpfende Prozessanteile gegenüber und decken Optimierungsbedarfe in der Arbeitsorganisation oder Auftragseintaktung auf. Zero Base Budgeting: Das Zero Base Budgeting ist ein Analyse- und Planungsverfahren, nach dem in Unternehmen und öffentlichen Verwaltungen die Gemeinkostenbereiche von der „Basis null“ aus geplant werden. Ziele: Ziele sind Aussagen über erwünschte Zustände, die als Ergebnisse von Entscheidungen eintreten sollen. Jedes Ziel ist durch den Zielinhalt, den Zeitbezug, den sachlichen Geltungsbereich und das Zielausmaß gekennzeichnet. Zielgruppe: Die Zielgruppe ist ein Marktsegment, auf das sich der Marketingmix und vor allem die Kommunikationspolitik eines Unternehmens ausrichten, weil es aufgrund der ablaufenden Kaufentscheidungsprozesse relativ homogene Bedarfe entwickelt. Zölle: Zölle sind Abgaben, die von einem Land bei der Einfuhr - so genannte Einfuhrzölle - oder bei der Ausfuhr - so genannte Ausfuhrzölle - erhoben werden. Zölle gehören nach § 3 Abgabenordnung zu den Steuern. Zukunftsforschung: Die Zukunftsforschung versucht, unter Nutzung wissenschaftlicher Methoden künftige Entwicklungen abzuschätzen und zu beschreiben. In der Regel werden mehrere mögliche Entwicklungspfade und Zukunftszustände aufgezeigt. <?page no="344"?> www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden Literaturverzeichnis Adam, D. (1990). Produktionsdurchführungsplanung. In H. Jacob (Hrsg.), Industriebetriebslehre. Handbuch für Studium und Praxis (4. Aufl., S. 673-918). Wiesbaden: Gabler. Adam, D. (1992). Fertigungssteuerung im Maschinebau auf der Basis Retrograder Terminierung. In K.W. Hansmann & A.W. Scheer (Hrsg.), Praxis und Theorie der Unternehmung. Produktion - Information - Planung. Herbert Jacob zum 65. Geburtstag (S. 13-38). Wiesbaden: Gabler. Aggteleky, B. (1990). Fabrikplanung. Band 2. Betriebsanalyse und Feasibility-Studie. Technischwirtschaftliche Optimierung von Anlagen und Bauten (2. Aufl.). München: Hanser. Al-Radhi, M. (1996). 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Perspektiven 304 Basisfaktor 204 BATNA 222 BCG-Matrix 278, 281, 285, 286 BCG-Portfolio 284 Beanspruchungs-Belastungs-Portfolio 83 Bedürfnis 199, 202, 208 Bedürfnislücke 217 Beeinflusser 210 <?page no="363"?> 364 Stichwortverzeichnis www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden Begeisterungsfaktor 204 Belastungsorientierte Auftragsfreigabe 144 Belegungsplan 150 Belieferung - bedarfssynchrone 120 Benchmark 241, 248, 288 Benchmarking 248 - brancheninternes 249 - branchenübergreifendes 249 - konkurrenzorientiertes 249 - unternehmensinternes 249 - Verhaltensregeln 252 Benchmarkinganalyse 276 Benchmarking-Formen 249 Benchmarking-Objekte 249 Benchmarking-Studie 251 Benchmarking-Zielgrößen 249 Beschaffung 6, 65, 119, 124, 132 Beschaffungsrisiko 85 Beschaffungsstrategie 66, 86, 293 Beschaffungsvolumen 85, 87 Bestände 120 Bestandskosten 82 Besuchsmodell 213 Betreiberkonzept 170 Betreibermodell 168, 169, 170 - Grundstruktur 170 Betriebswirtschaftliche Methode 5 Beurteilungskriterien 44 Beurteilungszielsystem 44 Bewährungsgrad 268 Bewertungskriterien 44 Bewertungskriterium 4 Bewertungsmethode 4 Bewertungsverfahren 128 Bieterkreis 101 Boston Consulting Group 268, 278, 284 BP 247 Brainstorming 25, 128, 131, 180 - Phasen 27 Brainwriting 25, 28, 180 Branche 232 Branchenlebenszykluskonzept 236 Branchenstrukturanalyse 232, 276, 297 - dynamische 237 - komparative 236 Branchenwertkette 255 Break-even-Analyse 299 Break-even-Punkt 299 BRIC-Länder 227 Bündelung 82, 95, 96, 97 Business Plan 298 Buying-Center 209 Buying-Center-Analyse 175, 208 - Leitfragen 212 C Cash Cow 281 Cashflow 280, 281 Change Champion 246 Changemanagement 162, 243, 246, 309, 315 Changemanagementprojekt 319 Clusteranalyse 185 <?page no="364"?> Stichwortverzeichnis 365 www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden Conjoint-Analyse 176, 180, 193 - adaptive 198 - choice-based 198 - hybride 198 Controllinginstrument 307 Cross Docking 114, 115, 116, 117 Customer Lifetime Value 189 Customer Relationship Management 188 D Daimler 292 Deere 250 Defensivstrategie 286 Degeneration 264 Delphi-Studie 17, 18, 19 Demand Net 68 Desinvestition 289 Desinvestitionsstrategie 273, 282, 286, 290 Dienstleistung - konstitutive Merkmale 177 Dienstleistungsmarketing 177 Digital Natives 290 Dilemma der Ablaufplanung 110 Direktmarketing 179 Diversifikation 290, 291, 292 - horizontale 291 - laterale 291 - vertikale 291 Due Diligence 277 Durchführungskontrolle 273 DWR 112 E Early Adopter 265 E-Commerce 193 Economies of Scale 23 , 269 Economies of Scope 269 Eigenerstellung 123 Eigenfertigung 72, 85 Einkauf 65 Einkäufer 210 Einkaufsportfolio 79, 80 Einkaufspreis 96 Einkaufspreissenkung 93 Eintrittsbarriere 296 Eisberg-Modell 229 Emerging Markets 294 Entscheider 210 Entwicklung 13 Entwicklungspotenzial 188 Entwicklungsprojekt 60 Entwicklungszyklus 267 EPRG-Modell 295 Erfahrung 268 Erfahrungskurve 268, 269, 280 Erfahrungskurvenanalyse 267, 276 Erfahrungskurvenmodell 297 Erfinderportfolio 48 Erfindertätigkeit 36 Erfolgsfaktor 240, 258 - qualitativer 259 - quantitativer 259 Erfolgskette 202 Erfolgspotenzial 259 <?page no="365"?> 366 Stichwortverzeichnis www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden Erlösverlauf 299, 301 Erwartung 177 thnozentrisch 295 Experte 17, 1 Expertenbefragung 17, 18, Expertenbefragungsformen 19 Expertenbefragungsprozess 20 Export 296, 297 F F&E 13 F&E-Programmportfolio 48 Fähigkeit 166 Faktormarkt 228 FCFS 111 Fehler 134 Fehlermöglichkeits- und Einflussanalyse 133 Fertigstellungszeitpunkt 149 Fertigungsverfahren 269 FFT 111 Finanzperspektive 303 First-Mover-Strategie 270, 296 Five-Forces-Modell 233, 234, 287 - komparatives 23 Fixkostendegression 269 FMEA 133, 134 Follower-Strategie 270, 296 Forschung 13 Forschung und Entwicklung 13, 124 Forschungs- und Entwicklungsaufwendung 42 Forschungs- und Entwicklungsmanagement 33 Forschungs- und Entwicklungsprojekt 47 Fortschrittzahlensystem 144 Frachtkosten 82 Frachtkosten-Bestandskosten- Portfolio 82 Frage - dysfunktionale 205 - funktionale 205 Franchising 296, 297 Freezing 317 Fremdbezug 72, 123 Führungsprozess 311 Funktion , 34, 125, 126, 135 Funktionalstrategie 226, 259, 273 Funktionsbereichsstrategie 289 G General Electric 284 General Motors 269 Genetisches Modell der Internationalisierung 297 eozentrisch 295 Gesamtnutzwert 46 Geschäftsbereich 284 Geschäftsbereichsstrategie 226, 273, 289 Geschäftseinheit 2 , 282, 286 Geschäftsfeld 279, 282, 28 , 286, 289 Geschäftsfeldplanung 57 Geschäftsfeldstrategie 259 Geschäftsprozess 311 Gesetz 36, 268 - deterministisches 268 - statistisches 268 <?page no="366"?> Stichwortverzeichnis 367 www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden Gesprächsführung - professionelle 213, 218 Gewinnschwelle 299 Gewinnschwellenanalyse 299, 300 Gewinn-Verlust-Strategie 218 GGB 111 Gleichteile 97 Global Sourcing 293 Globalisierung 227, 294 GRB 111 Gütermarkt 228 H Handeln - zweckrationales 309 Harvard Negotiation Project 219 Harvard-Methode 176, 218 Hauptprozess 311, 312 Heijunka 156 Heuristik 273 Hidden Leader 320 HP 258 Humankapital 260 Hygienefaktor 203 Hyperwettbewerb 204, 26 I IBM 258 Idee 2 Ideenfindung 32 Image 176 Implementierung 307 Individualisierung 96, 199 Industriegüter 181 Industriegütermarketing 181, 213 Industrieökonomik 233 Industriewertkette 255 Innovation 15, 163 Innovationsarten 16 Innovationsmanagement 6, 13, 44, 53, 61, 103, 180 Innovationsportfolio 47, 48 Innovationsprozess 16, 17 Innovationszyklus 294 Inspektion 160 Instandhaltung 160, 162 Integrativmethode 5 Intel 235 Interessenpluralität 244 Internationalisierung 227, 295 - aktive 295 - reaktive 295 Internationalisierungsmodell 297 - integratives 298 Internationalisierungsstrategie 169, 227, 23 , 291, 294 Investitionsportfolio 278 Investitionsstrategie 282, 286 Involvement 194 Irradiationseffekt 180 Ist-Prozessanalyse 313 J JIT 119 Joint Venture 296, 297 Just in sequence 120 119, 120, 121, 157 Just-in-time-Einführung 121 <?page no="367"?> 368 Stichwortverzeichnis www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden K Kaizen 157 Kanban 144, 145, 146, 157, 159 Kanban-Karte 145 Kano-Analyse 203, 206 Kano-Modell 204 Kapazitätsauslastung 148 Kapitalbindung 106, 117, 157 Kapitalbindungskosten 151 Kapitalwertmethode 2 Kaufentscheidung 175, 198 - extensive 194 Käufermarkt 175, 199 Kaufprozess 208 Kaufverhalten 175 - von Konsumenten 175, 209 - von Organisationen 175, 209 Kaufverhaltensrelevanz 184 Kennzahl 303, 306 - monetäre 303 - nicht-monetäre 303 Kennzahlensystem 303 Kernkompetenz 69, 70, 260 Kernprozess 311 KGB 111 Kommunikationspolitik 176, 179, 199 Kompetenz 123 Kompetenzanalyse 238 Kompetenzklassendiagramm 94, 164 Kompetenzportfolio 164 Kompetenz-Roadmap 164, 167 Komplementärprodukt 235 Konkurrentenanalyse 238 Konkurrenztechnologie 57 Konsignationslager 117, 119 - Abläufe 118 Konsument 175 - hybrider 185 Konsumentenrente 233 Konsumgüter 181 Konsumgütermarketing 177 Konsumstil 185 Kontrolle - strategische 225, 226, 273 Konzeptbewertung 105 Konzeptwettbewerb 102, 103 - Phasen 104 Kooperation 82 Kooperationsportfolio 81 Kooperationspotenzial 188 Koordinationsstrategie 296 Korrelationsanalyse 304, 305 Kosten 268 - fixe 301 - variable 301 Kostendruck 294 Kosteneinsparpotenzial 126 Kostenmanagement 267 Kostensenkung 96 Kostentreiber 257, 271 Kostenverlauf 299, 301 Kostenverlaufsdiagramm 72 KOZ 111, 112 KRB 111 <?page no="368"?> Stichwortverzeichnis 369 www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden Kreativitätstechnik 25, 26, 29, 128, 180 Kunde - Ertragskunde 192 - Fragezeichenkunde 192 - Mitnahmekunde 192 - Starkunde 192 Kundenanalyse 176, 182 Kundenanforderungen 310 Kundenbindung 176 Kundendeckungsbeitragsrechnung 189 Kundenerwartung 203 Kundengruppe 183 Kundennutzen 185 Kundenperspektive 303 Kundenportfolio 190, 192 Kundensegment 239 Kundensegmentierung 184, 186 - Anforderungen 184 - Kriterien 184 - Prozess 186 Kundenwertanalyse 176, 187 Kundenzufriedenheit 203, 204 Kundenzufriedenheitsanalyse 176, 202, 276 L L.L. Bean 250 Laddering 175, 198 - Online 202 Lagerbestände 117, 149 Lagerkosten 82, 115 Lageroptimierung 106 Lean Management 309 Lean Production 141 Lebenslauf 185 Lebensstil 185, 264 Lebenszyklus 41, 280 Lebenszykluskonzept 280 Lebenszyklusmodell 39, 236 Leistungsbeschreibung 99 Leistungsempfänger 310 - unternehmensexterner 310 - unternehmensinterner 310 Leistungsfaktor 204 Lerneffekt 271 Lernkurveneffekt 268 Liberalisierung 294 Lieferant 74, 85, 87, 88, 92, 100, 103, 114, 118, 120, 121, 126 Lieferantenanalyse 73 Lieferantenaudit 73, 76, 99 - innovationsbezogenes 75 Lieferantenbewertung 73, 88, 89, 90, 92, 105 - Prozess 90 Lieferantenentwicklung 91, 92, 94 Lieferantenerziehung 92 Lieferantenförderung 81, 91, 92, 94, 131 Lieferantenmacht 80, 81 Lieferantenportfolio 86, 87 Lieferkette 67, 118 Lieferkettenoptimierung 85 Likert-Skala 240 Liquiditätsengpass 171 <?page no="369"?> 370 Stichwortverzeichnis www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden Lizenzierung 296, 297 Logistik 65, 110, 115, 124 Logistikkosten 94 Losgröße 157 Lösungsfragen 214 Lösungsmuster 3 Lösungsraum 32, 126 LOZ 111 Lücke - strategische 275 M MAA 112 Make-or-Buy 68, 70, 76, 126, 131 Make-or-Buy-Entscheidung 68, 270 Make-or-Buy-Entscheidungsverfahren 70 Make-or-Buy-Portfolio 71 Makroumfeld 232 Makroumwelt 237 Management - strategisches 275, 278, 289 Managementfelder - innovationsbezogene 13 Managementforschung 310 Managementprozess 311 Marke 182 Markenbekanntheit 176 Markenmanagement 178 Markenpolitik 180 Market Monitoring System 23 Market-Based-View 253, 258, 275 Marketing 175 - operatives 175 - strategisches 175 Marketingcontrolling 176 Marketinginstrumente 177 Marketingkonzeption 177 Marketinglogistik 178 Marketingmanagementprozess 175, 176 Marketingmix 176, 177, 263 - zielgruppenspezifischer 182 - zielgruppenübergreifender 182 Marketingorganisation 176 Marketingstrategie 176, 177 Marketingziel 177 Markt 178 - relevanter 183, 271 Marktabgrenzung 183 Marktanalyse 238 Marktanteil 268, 270, 279 - absoluter 280 - relativer 280, 284 Marktattraktivität 283, 285, 286, 287 Marktattraktivität-Wettbewerbsstärke- Portfolio 284 Marktbearbeitung - differenzierte 184 - undifferenzierte 184 Marktbearbeitungsplan 294 Marktbearbeitungsstrategie 294 Marktdurchdringung 290, 292 Markteinführung 264 Markteinführungsprozess 61 Markteintrittsbarriere 23 , 265 Markteintrittsstrategie 294, 296 <?page no="370"?> Stichwortverzeichnis 371 www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden Markteintrittsszenario 294 Marktentwicklung 290, 292 Marktforschung 175, 176, 177 - qualitative 200 Marktinformationssystem 23 Marktorientierte Unternehmensführung 187 Marktorientierter Ansatz 253 Marktplatz 101 Marktpotenzial 286 Marktsättigung 265 Marktsättigungsgrad 286 Marktsegment 239 Marktsegmentierung 186 - Prozess 186 Marktsog 18, 48, 58 Marktstrategie 263 Marktvolumen 286 Marktwachstum 279, 280, 284, 286 Marktwachstum-Marktanteil-Portfolio 278 Marktwirtschaft - freie 238 - soziale 238 Marktzyklus 267 Materialfluss 65 Materialstruktur 85 Materialstrukturportfolio 85, 86 McKinsey-Matrix 284, 285, 286, 288, 289 McKinsey-Portfolio 289 Means-End-Analyse 175, 198, 276 Means-End-Modell 200 Mehrmaschinenbedienung 157 Meilensteintrendanalyse 60, 61 Meldebestand 146 Mengenbündelung 127 Merkmalsausprägung 3 Meta-Methode 59 Methode - betriebswirtschaftliche 5 Methodenbereich - betriebswirtschaftlicher 6 Methodenpluralismus 51 Mikroumfeld 232 Mikroumwelt 237 Mission 225, 261, 302 MIST-Länder 227 Moderator 26 Morphologischer Kasten 29, 30, 128, 131 Motiv 199 Motivator 203 Motivator-Hygiene-Theorie 203 Moving 317 ultidivisional 284 N Nachfragemacht 80, 81 Nachzügler 296 Nachzüglerstrategie 270 Net Present Value 2 Nischenstrategie 237 Normstrategie 49, 71, 85, 130, 241, 242, 266, 281, 282, 283, 286, 288 Nutzer 209 Nutzwertanalyse 43, 46, 128, 277 <?page no="371"?> 372 Stichwortverzeichnis www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden O Offensivstrategie 282, 286 Öffentlichkeitsarbeit 179 One-Piece-Flow 157 OPAL-Methode 176, 213, 223 Operationalisierbarkeit 184 Organisation 6, 175, 309 Organisationsentwicklung 317 Organisationsperspektive - institutionelle 309 - instrumentelle 309 - prozessorientierte 309 Orientierungsfragen 214 P Pareto-Regel 188 Partialinklusion 309 Patent 2 Patentanalyse 22, 23, 3 , 3 Patentanalyseprozess 23 Patentportfolio 48 Penetrationsstrategie 180, 265 People 177 Performance-Messung 273 Personalpolitik 177 PEST-Analyse 228 PESTEL-Analyse 227, 231 PEST-Faktoren 297 Physical Facilities 177 PIMS 270 Pionier 296 Pionierstrategie 270 Place 177 Plankontrolle 273 Planung - strategische 225, 226, 273, 275, 284 Plattformstrategie 269 olyzentrisch 295 oor Dog 281 Portefeuille-Theorie 278 Portfolio 47, 79 - absatzmarktorientiertes 280 - beschaffungsorientiertes 79 - innovationsbezogenes 47 - logistikorientiertes 79 - szenariofundiertes 51 Portfolioanalyse 279 Portfoliomatrix 284 Portfoliomethode 190 Portfoliotechnik 49 Positionierung 182 Positionierungsstrategie 227 Postmodernisierung 199 Potenzialbewertung 105 Potenzialperspektive 303 Präferenz 177, 194 Präferenzmessung - indirekte 19 Prämienpreispolitik 180 Prämissenkontrolle 273 Preis 89 Preisabfolgestrategie 181 Preis-Absatz-Funktion 195 Preisbestimmung - gewinnorientierte 300 <?page no="372"?> Stichwortverzeichnis 373 www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden - konkurrenzorientierte 300 - kostenorientierte 300 - nachfrageorientierte 300 Preisdifferenzierungsstrategie 181 Preisfindung - gewinnorientierte 299 Preisgestaltung 176 Preismanagement 178, 195 Preispolitik 176, 178 Preispositionierungsstrategie 181 Price 177 Primärforschung 251 Primärquelle 239 Prioritätsregel 110, 111, 112, 113 Problemfragen 214 Problemlösungstechnik - analytische 29 Problemlösungstechniken 26 Processes 177 Procter & Gamble 250 Product 177 Product Placement 179 Produkt 178 Produktalternative 30 Produktattribut 193 Produktdifferenzierung 178, 180 Produkteigenschaft - abstrakte 200 - konkrete 200 Produkteliminierung 178, 180 Produktentwicklung 176, 264, 290, 291, 292 Produktentwicklungsprozess 61 Produktfamilie 141 Produktgestaltung 180 Produktgruppe 284 Produktinnovation 178 Produktion 6, 123, 132, 138, 141, 153, 156, 162 Produktionsfaktor 124 Produktionskapazität 169 Produktionslayout 15 Produktionsmenge 268 Produktionsplanung 156 Produktionspotenzial 123 Produktionsprogramm 123 Produktionsprozess 123, 124 Produktionssteuerung 144 Produktionssystem 123, 137, 155, 158 Produktivität 160 Produktlebenszyklus 39, 180, 265, 294 Produktlebenszyklusanalyse 263, 276 Produkt-Markt-Kombination 284, 290 Produkt-Markt-Matrix 290 Produkt-Markt-Mix 263 Produkt-Markt-Strategie 279 Produktmerkmal 193 Produktpolitik 176, 178, 199 Produktportfolio 263 - heterogenes 270 Produktpräferenz 175 Produktprogramm 263 Produktprogrammplanung 267 Produktspezialisierung 186 Produktstandardisierung 269 Produktstrategie 267 <?page no="373"?> 374 Stichwortverzeichnis www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden Produktvariante 132 Produktvariation 178, 180 Produzentenrente 233 Profilmethode 196 Profit Impact of Market Strategies 270 Projekt 61, 312 Projektinitiierung 313 Projektmanagement 243, 246, 309 Projektstakeholder - externe 246 - interne 246 Promotion 177 Promotionspreispolitik 180 Promotor 319 Prozess 310 - emergenter 320 Prozessaktivität 312 Prozesshandbuch 313 Prozessinnovation 311 Prozessmanagement 309, 310 Prozessmanagementprojekt 313 Prozessperspektive 303 Prozesspolitik 177 Prozessstandardisierung 269 Prozessverkürzung 311 Prozessverlängerung 311 Prüfkriterien 75 Public Private Partnership 170 Publikation 22 Publikationsanalyse 22 Pufferlager 146 Punktbewertungsverfahren 190 Q Qualifikation 166 Qualifikationsanalyse 166 Qualifikationsmatrix 164, 165, 167 - Erstellung 166 Qualifikationsprofil 168 Qualität 89 Qualitätsirradiation 180 Qualitätsmanagement 309 Question Mark 281 R REFA 151, 152 REFA-Zeitschema 152 REFA-Zeitstudien 151, 153 - Schritte 153 Referenzpotenzial 188 egiozentrisch 295 Reife 264 Reihenfolge 112 Relaunch 266 Rentabilität 270 Reorganisation 317 Resource-Based-View 253, 258, 275 Ressource 123 essourcenorientierter Ansatz 253 Ressourcenstärke 49 etrograde Terminierung 148, 149 - Ablauf 149 Return on Capital Employed 304, 307 Return on Investment 284, 286 RFMV-Ansatz 190 Risiko 85, 87, 103, 135, 136 <?page no="374"?> Stichwortverzeichnis 375 www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden Risikoanalyse 135, 318 Risikobewertung 135 Risikoklasse 85 Risikoperspektive 305 Risikoportfolio 85 Roadmap 56, 58 - portfoliogestützte 60 - szenariobasierte 59 Roadmapping 55 - Prozess 57 ROCE 304, 307 RoI 284 RSU-Analyse 107 Rückwärtsintegration 233, 292 Rückwärtsterminierung 150 S Sättigung 264 chöpferische Zerstörung 238 Schwachstelle 137, 139 Schwachstellenanalyse 131, 137, 259 Schwachstellenanalytik 137, 138 - Prozess 139 Schwachstellenarten 138 Scoring-Modell 190, 191, 211, 277, 293 Segmentierungskriterien 183 Seiketsu 158 Seiri 158 Seiso 158 Seiton 158 Sekundäranalyse 251 Sekundärquelle 239 Selling-Center 209 Service 89 Service Level Agreement 188 Shared Values 261 Shitsuke 158 Siemens 247 Single Minute Exchange of Die 157 Skaleneffekt 271 Skills 260 Skimmingstrategie 180, 265 S-Kurve 39, 40, 41 S-Kurven-Analyseprozess 42 SMED 157 Soll-Prozessdesign 315 Sony 291 SO-Strategie 275 SPIN-Methode 214 Sponsoring 179 Sprinklerstrategie 296 Stabilisierung 289 Stabilisierungsstrategie 273, 290 Stabilität - zeitliche 184 Staff 260 Stakeholder 243, 302, 303, 318 - externe 243, 244 - internationale 244 - interne 243, 244 - nationale 244 Stakeholderanalyse 243, 276, 318 Stakeholdermanagement 243, 247 Stakeholdermatrix 247 Stakeholdernetz 244 Stakeholdertypisierung 246 <?page no="375"?> 376 Stichwortverzeichnis www.uvk-lucius.de/ bwl-methoden Standardisierung 95, 96, 146 Star 281 Stärken-Schwächen-Profil 276 Störfaktor 5 Störstellenanalytik 137 Störung 137, 160 Strategie 225, 273, 289, 302 - Analyse 225, 273, 275 - Entwicklung 225, 278 - Funktionsbereichsebene 289 - Geschäftsbereichsebene 289 - Implementierung 273 - Kontrolle 225, 273 - Planung 225, 273, 275, 284, 293 - Umsetzung 225, 273, 275, 278, 284, 293, 303 - Unternehmensebene 289 Strategie-Fit 228 Strategieumsetzung 226 Strategisches Management 289 Strategy 259 Strategy Articulation Map 319 Strategy Map 305, 306 Structure 259 ST-Strategie 275 Stückkosten 268 Style 260 Substitut 23 Supply Chain 115 Supply Chain Map 83, 84 SWOT-Analyse 274, 292, 296, 297 SWOT-Matrix 275 Synektik 32, 128, 131 - Grundprinzip 33 System - dynamisches 244 - externes 316 - internes 316 - marktgerichtetes 244 - offenes 244 - soziales 244, 316 Systems 260 System-System-Fit 316 System-Umwelt-Fit 316 SZ 11 Szenarioanalyse 53 Szenariotechnik 52, 53, 54 Szenariotrichter 53 T Team - crossfunktionales 9 Technologie 14, 56 Technologie- und Innovationsmanagement Technologiearten 14 Technologieattraktivität 49 Technologie-Controlling 15, 42 Technologiedruck 18, 48, 58 Technolo