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Risikomanagement

Eine Einführung mit Anwendungen in Excel

0301
2014
978-3-8385-8572-7
978-3-8252-8572-2
UTB 
Kirsten Wüst

In einem Unternehmen tauchen immer wieder unterschiedliche Finanzrisiken auf. Kirsten Wüst zeigt, wie diese sinnvoll gemanagt werden können und geht speziell auf das Markt-, Kredit-, Liquiditäts- und das operationelle Risiko ein. Sie erläutert Instrumente zur Steuerung auf und systematisiert alle wichtigen quantitativen Bestimmungsmöglichkeiten von Risiken. Im Vordergrund des Buches steht vor allem der Lern- und Übungsaspekt, so dass Studierende das Erlernte selbst anwenden und verstehen können.

<?page no="1"?> Eine Arbeitsgemeinschaft der Verlage Böhlau Verlag · Wien · Köln · Weimar Verlag Barbara Budrich · Opladen · Toronto facultas.wuv · Wien Wilhelm Fink · Paderborn A. Francke Verlag · Tübingen Haupt Verlag · Bern Verlag Julius Klinkhardt · Bad Heilbrunn Mohr Siebeck · Tübingen Nomos Verlagsgesellschaft · Baden-Baden Ernst Reinhardt Verlag · München · Basel Ferdinand Schöningh · Paderborn Eugen Ulmer Verlag · Stuttgart UVK Verlagsgesellschaft · Konstanz, mit UVK / Lucius · München Vandenhoeck & Ruprecht · Göttingen · Bristol vdf Hochschulverlag AG an der ETH Zürich <?page no="2"?> Kirsten Wüst Risikomanagement Eine Einführung mit Anwendungen in Excel UVK Verlagsgesellschaft mbH · Konstanz und München <?page no="3"?> Prof. Dr. Kirsten Wüst lehrt an der Hochschule Pforzheim. Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über <http: / / dnb.ddb.de> abrufbar. Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. © UVK Verlagsgesellschaft mbH, Konstanz und München 2014 Einbandgestaltung: Susanne Fuellhaus, Konstanz Cover-Illustration: © rangizzz · Fotolia.com Karikaturen: Jürgen Stephan (Stephan Kommunikationsdesign · Werderstraße 43 · 76137 Karlsruhe) Druck und Bindung: fgb · freiburger graphische betriebe, Freiburg UVK Verlagsgesellschaft mbH Schützenstraße 24 · 78462 Konstanz Tel. 07531-9053-0 · Fax 07531-9053-98 www.uvk.de UTB-Nr. 8572 ISBN 978-3-86764-8572-2 <?page no="4"?> www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement Vorwort Das vorliegende Lehrbuch stellt eine Einführung in das Risikomanagement von Banken für Bachelor- und Masterstudierende aus volks- und betriebswirtschaftlichen Studiengängen sowie interessierte Praktiker dar. Der didaktische Leitgedanke war es, ein Gleichgewicht zwischen inhaltlicher Tiefe und einer einfachen Darstellung durch eine zielpublikumsnahe Sprache und eine Auflockerung des Textes mit vielen Beispielen zu finden. Dabei wurde keine „vollständige“ Ausschöpfung des Themas angestrebt, vielmehr sollte die Auswahl der Themen für die wichtigsten Arten von Risiken sensibilisieren und Methoden für ihre Messung bereitstellen. Der Schwerpunkt des Lehrbuches liegt auf der Quantifizierung, d.h. der Berechnung unterschiedlicher Arten von Risiken. Ziel des Buches ist es, den Leser in die Lage zu versetzen, die vorgestellten Konzepte und Methoden selbst für gegebene Portfolios anwenden zu können. In dem Bemühen, dieses Ziel zu erreichen, liegt diesem Lehrbuch folgender didaktischer Aufbau zugrunde: Jedem Kapitel sind Lernziele vorangestellt. Diese bereiten den Leser bei der ersten Durchsicht eines Kapitels mental auf die zu lernenden Aspekte vor. Nach der Bearbeitung des Kapitels kann der Leser zurückblättern und im Selbsttest überprüfen, ob die vorgestellten Ziele erreicht wurden. Jedes Kapitel wird durch ein Alltagsbeispiel eingeführt. In diesem werden Risiken auf einer wenig abstrakten Ebene thematisiert. Viele Beispiele, die im Schwierigkeitsgrad variieren, erleichtern das Verständnis der theoretischen Konzepte. Einzelne Beispiele werden dabei im Laufe der Kapitel fortgeführt und so weiterentwickelt. Zum Teil werden reale, im Internet frei verfügbare, historische Datensätze verwendet. Glossareinträge können bequem mittels QR-Codes abgerufen werden. Sie finden sich aber auch unter http: / / www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement. Einige Beispiele enthalten Excel-Implementierungen für quantitative Konzepte. Die Anwendung der Konzepte in Excel fördert meiner Meinung nach das Verständnis der Theorie in großem Maße. In eigenen Veranstaltungen berichten gerade auch die Studierenden, dass bei der Umsetzung in Excel „der Groschen gefallen ist“. Details, die bei der Bearbeitung der Theorie zunächst übersehen wurden, werden dem Anwender in vielen Fällen erst bei der praktischen Umsetzung bewusst. Der größte Lerneffekt wird dabei mit einer eigenen Implementierung erreicht. Dazu können die im Text besprochenen Excel-Anwendungen nachprogrammiert werden. Zusätzlich werden ergänzende Aufgaben zur Programmierung bereitgestellt. Es sollte versucht werden, die Aufgaben zunächst selbstständig zu lösen. Auf der Webseite http: / / www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement können im Anschluss Lösungsvorschläge zum Vergleich herangezogen werden. Die Musterlösungen enthalten Eingabefelder, die veränderbar sind. Diese sind farblich hellblau hervorgehoben. Auf diese Weise können die Auswirklungen unterschiedlicher Eingabeparameter verglichen werden. Das Buch ist als Einführung in die Quantifizierung von Risiken gedacht. Es wurde daher versucht, die mathematischen Anforderungen, aber auch die Argumentation <?page no="5"?> 6 Vorwort www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement bewusst einfach zu halten. Dennoch kommt ein quantitatives Buch nicht ohne Formeln und mathematische Herleitungen aus. Alle für das Verständnis wichtigen Grundlagen - vor allem auch aus der Statistik - werden im Text selbst gelegt. Schwierigere Konzepte werden in Exkursen erläutert. Die Exkurse gehen dabei in den meisten Fällen über das notwendige zu erlernende Grundwissen hinaus. In der Regel wird für den Anwender daher nur das Ergebnis eines Exkurses für das weitere Verständnis relevant sein, der Exkurs selbst liefert über die Grundkonzepte hinausgehendes Hintergrundwissen. Eine etwas ausführlichere Statistikeinheit zum Arbeiten mit Normalverteilungen wurde in den Anhang verschoben. Am Ende jedes Kapitels stehen eine Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse sowie Hinweise zu ergänzender und weiterführender Literatur. Einfache - als Multiple Choice ausgestaltete - Kontrollfragen sowie Aufgaben, die „per Hand“ oder in Excel auszuführen sind, dienen der weiteren Vertiefung des Stoffes. Auf der Webseite http: / / www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement wird zusätzliches Material bereitgestellt. Insbesondere sind hier die vollständigen Implementierungen der Excel-Beispiele im Text und in den Aufgaben zu finden. Zusätzlich wird ein Erratum noch verbliebene Fehler korrigieren. Eine Erläuterung des Aufbaus soll helfen, durch das Buch zu navigieren. Die einzelnen Kapitel bauen dabei in den Kapiteln 1 bis 6 aufeinander auf und sollten daher auch in der angegebenen Reihenfolge bearbeitet werden. Sind die Methoden der Kapitel 2 bis 6 aber erlernt, können die Kapitel 7 bis 9 anschließend in beliebiger Reihenfolge bearbeitet werden (s. Abb. 0.1). Die Einführung motiviert die Beschäftigung mit Risiken im Allgemeinen sowie speziell im Bankensektor und diskutiert den Begriff des Risikos. Ein kurzer Abriss der Geschichte der Bankenaufsicht wird gegeben. Rendite und Risiko gehen Hand in Hand. Zunächst werden in Kapitel 2 daher verschiedene Arten der Renditeberechnung hergeleitet sowie ihre Eigenschaften erläutert. Die Diskussion einiger „klassischer“ Risikomaße in Kapitel 3 mit ihren Vor- und Nachteilen führt dann zu dem Schwerpunkt des Buches in Kapitel 4, der Einführung der Risikomaße des Value at Risk und des Expected Shortfall. Die Darstellung erfolgt anhand von Marktpreisrisiken. Kapitel 5 beschäftigt sich mit Wertänderungen von Finanzinstrumenten, die nichtlinear von den ihnen zugrunde liegenden Risikofaktoren abhängen. Exemplarisch werden Aktienoptionen in Abhängigkeit von der Veränderung der Aktienrendite und Kurse von Anleihen in Abhängigkeit von Zinsänderungen behandelt. Kapitel 6 führt Methoden zur Value-at- Risk-Berechnung bzw. der Berechnung des Expected Shortfall von Portfolios ein. Die Varianz-Kovarianz-Methode sowie die Simulationsmethoden „Historische Simulation“ und „Monte-Carlo-Simulation“ werden in Kapitel 6 vor allem für Portfolios vorgestellt. Alle Methoden können allerdings auch für ein einzelnes Finanzinstrument angewendet werden, das nur von einem Risikofaktor abhängt. Dennoch erkennt man die Mächtigkeit der Methoden vor allem dann, wenn mehrere Risikofaktoren relevant sind. Auch die in Kapitel 6 vorgestellten Portfoliomethoden werden zunächst für das Marktpreisrisiko erläutert. Die Methoden werden in den Kapiteln 7 bis 9 aber auch für die Quantifizierung weiterer Risiken verwendet. Kapitel 7 geht auf das Kreditrisiko ein. In Kapitel 8 werden Liquiditätsrisiken thematisiert. Kapitel 9 führt in die Quantifizierung operationeller Risiken ein. <?page no="6"?> Vorwort 7 Abb. 0.1 Inhaltlicher Zusammenhang der einzelnen Kapitel Abschließend möchte ich allen danken, die mir bei der Erstellung des Manuskripts geholfen haben. Meinem Kollegen und besten Freund Bernd Kuppinger danke ich fürs Korrekturlesen, aber vor allem für die stetige Motivation und Aufmunterung. Meine Kollegen Urban Bacher, Hanno Beck, Thomas Cleff, Torben Kuhlenkasper und Wolfgang Schäfer sowie Kay Hayen und Sorana Sarbu gaben mir wertvolle Tipps und Hinweise. Sascha Amnoneit und Sabrina Faas haben mich bei der Aufbereitung der Excel- Dateien unterstützt. Mein Dank gilt auch dem UVK-Verlag für die Aufnahme des Titels ins Verlagsprogramm und insbesondere Herrn Dr. Jürgen Schechler für die freundliche Betreuung. Meinem Mann Volker und meinen Kindern Ann-Sophie und Mael ganz herzlichen Dank für ihr Verständnis in den „heißen Phasen“ des Schreibens. Weingarten, im Dezember 2013 Kirsten Wüst <?page no="8"?> www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement Inhalt Vorwort.................................................................................................................. 5 Notationen und Abkürzungen............................................................................. 13 1 Einführung........................................................................................... 17 1.1 Risikobegriff........................................................................................................... 19 1.2 Risikokategorien .................................................................................................... 21 1.3 Bankenaufsicht ...................................................................................................... 22 1.4 Literatur .................................................................................................................. 25 2 Rendite .................................................................................................27 2.1 Lernziele ................................................................................................................. 27 2.2 Einführung ............................................................................................................. 28 2.3 Vermögenswerte.................................................................................................... 28 2.4 Diskrete Rendite .................................................................................................... 29 2.5 Stetige Rendite ....................................................................................................... 36 2.6 Umrechnung von diskreten und stetigen Renditen ......................................... 44 2.7 Erwartete Rendite ................................................................................................. 45 2.8 Diskrete oder stetige Rendite? ............................................................................ 46 2.9 Zusammenfassung ................................................................................................ 47 2.10 Literatur .................................................................................................................. 48 2.11 Kontrollfragen ....................................................................................................... 49 2.12 Aufgaben ................................................................................................................ 50 3 … und Risiko .......................................................................................53 3.1 Lernziele ................................................................................................................. 53 3.2 Einführung ............................................................................................................. 53 3.3 Maximaler Verlust ................................................................................................. 55 3.4 Varianz und Standardabweichung ...................................................................... 56 3.5 Downside-Varianz und Downside-Standardabweichung ..................................... 62 3.6 Downside-Wahrscheinlichkeit................................................................................ 65 3.7 Zusammenfassung ................................................................................................ 66 3.8 Literatur .................................................................................................................. 66 <?page no="9"?> 10 www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement 3.9 Kontrollfragen ....................................................................................................... 67 3.10 Aufgaben ................................................................................................................ 67 4 Value at Risk und Expected Shortfall .................................................69 4.1 Lernziele ................................................................................................................. 69 4.2 Einführung ............................................................................................................. 69 4.3 Definition und Parameter des Value at Risk ..................................................... 72 4.4 Value at Risk als Quantil....................................................................................... 74 4.5 Ermittlung des Value at Risk ............................................................................... 78 4.6 Backtesting ................................................................................................................ 92 4.7 Beurteilung des Value at Risk .............................................................................. 93 4.8 Expected Shortfall ..................................................................................................... 98 4.9 Value at Risk oder Expected Shortfall? ................................................................ 103 4.10 Zusammenfassung .............................................................................................. 105 4.11 Literatur ................................................................................................................ 105 4.12 Kontrollfragen ..................................................................................................... 107 4.13 Aufgaben .............................................................................................................. 108 5 Value at Risk für nichtlineare Preisfunktionen ..................................111 5.1 Lernziele ............................................................................................................... 111 5.2 Einführung ........................................................................................................... 112 5.3 Optionen............................................................................................................... 114 5.4 Anleihen................................................................................................................ 126 5.5 Zusammenfassung .............................................................................................. 138 5.6 Literatur ................................................................................................................ 138 5.7 Kontrollfragen ..................................................................................................... 140 5.8 Aufgaben .............................................................................................................. 141 6 Methoden zur Value-at-Risk-Bestimmung von Portfolios ............... 143 6.1 Lernziele ............................................................................................................... 143 6.2 Einführung ........................................................................................................... 144 6.3 Korrelation ........................................................................................................... 145 6.4 Klassifizierung der Verfahren zur Value-at-Risk-Bestimmung..................... 151 6.5 Varianz-Kovarianz-Methode............................................................................. 152 6.6 Simulationsmethoden ......................................................................................... 161 <?page no="10"?> 11 www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement 6.7 Zusammenfassung .............................................................................................. 196 6.8 Literatur ................................................................................................................ 197 6.9 Kontrollfragen ..................................................................................................... 198 6.10 Aufgaben .............................................................................................................. 199 7 Kreditrisiko ........................................................................................ 201 7.1 Lernziele ............................................................................................................... 201 7.2 Einführung ........................................................................................................... 202 7.3 Begriff und Besonderheiten des Kreditrisikos ............................................... 203 7.4 Ratings, Ausfallwahrscheinlichkeiten und Recovery Rates................................. 208 7.5 Bankaufsichtsrechtliche Behandlung des Kreditrisikos ................................ 215 7.6 Kreditrisikomodelle ............................................................................................ 216 7.7 Zusammenfassung .............................................................................................. 238 7.8 Literatur ................................................................................................................ 238 7.9 Kontrollfragen ..................................................................................................... 241 7.10 Aufgaben .............................................................................................................. 242 8 Liquiditätsrisiko.................................................................................245 8.1 Lernziele ............................................................................................................... 245 8.2 Einführung ........................................................................................................... 245 8.3 Bankaufsichtsrechtliche Behandlung des Liquiditätsrisikos ......................... 248 8.4 Klassifizierung von Liquiditätsrisiken.............................................................. 249 8.5 Messung von Liquiditätsrisiken ........................................................................ 252 8.6 Zusammenfassung .............................................................................................. 263 8.7 Literatur ................................................................................................................ 264 8.8 Kontrollfragen ..................................................................................................... 265 8.9 Aufgaben .............................................................................................................. 265 9 Operationelles Risiko ........................................................................267 9.1 Lernziele ............................................................................................................... 267 9.2 Einführung ........................................................................................................... 268 9.3 Management operationeller Risiken ................................................................. 271 9.4 Bankaufsichtsrechtliche Behandlung operationeller Risiken ....................... 272 9.5 Quantifizierung des operationellen Risikos .................................................... 273 9.6 Zur Schwierigkeit der Datenbasis..................................................................... 287 <?page no="11"?> 12 9.7 Zusammenfassung .............................................................................................. 288 9.8 Literatur ................................................................................................................ 289 9.9 Kontrollfragen ..................................................................................................... 290 9.10 Aufgaben .............................................................................................................. 291 10 Anhang ...............................................................................................293 10.1 Zufallsvariablen ................................................................................................... 293 10.2 Normalverteilung ................................................................................................ 295 10.3 Literatur ................................................................................................................ 305 11 Lösungen ...........................................................................................307 Stichwortverzeichnis .......................................................................................... 321 <?page no="12"?> www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement Notationen und Abkürzungen Notation Bedeutung Fehlerwahrscheinlichkeit, Faktor im Basisindikatoransatz Beta-Faktor im Standardansatz (operationelles Risiko) Gamma-Faktor im internen Bemessungsansatz Delta (z.B. einer Option), Differenz Parameter für die exponentielle Gewichtung von Daten, Parameter der Poissonverteilung μ Erwartungswert Standardabweichung d Downside-Standardabweichung Dichte der Standardnormalverteilung Verteilungsfunktion der Standardnormalverteilung Korrelationskoeffizient Tab. 0.1 Griechische Notationen Notation Bedeutung BAS Bid-Ask-Spread BW Barwert c Preis eines Calls C Kurs einer Anleihe Cov Kovarianz CVaR Credit Value at Risk D Dividende, Duration EaD Exposure at Default EI Exposure Indicator EK Eigenkapital <?page no="13"?> 14 www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement ES Expected Shortfall f Dichte einer Zufallsvariablen F Verteilungsfunktion einer Zufallsvariablen GI Gross Income k Multiplikationsfaktor beim Backtesting K Nennwert einer Anleihe, Ausübungskurs einer Option L, L T Linke untere Dreiecksmatrix, Transponierte Ladj-VaR Liquiditätsadjustierter Value at Risk LaR Liquidity at Risk LGD Loss Given Default LGE Loss Given Event LK Liquiditätskosten LVaR Liquidity Value at Risk n Anzahl (je nach Kontext) p Sicherheitsniveau, Wahrscheinlichkeit, Preis eines Puts P Preis einer Anleihe p.a. per anno (pro Jahr) PD Probability of Default r risikoloser Zinssatz r (d), r (s) diskrete Rendite, stetige Rendite R Korrelationsmatrix, rechte, obere Dreiecksmatrix RR Recovery Rate S aktueller Aktienkurs t Index für die Zeit T Zeitspanne u Schwellenwert in der Extremwerttheorie V Vermögenswert <?page no="14"?> 15 VaR Value at Risk w Gewicht z -Quantil der Standardnormalverteilung Z Zahlung Tab 0.2 Weitere Notationen Abkürzung Bedeutung AMA Advanced measurement approach - fortgeschrittener Messansatz BaFin Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht BIA Basis-Indikator-Ansatz EU Europäische Union EZB Europäische Zentralbank IRB Internal Ratings Based KWG Gesetz über das Kreditwesen LiqV Liquiditätsverordnung OTC Over the Counter SA Standardansatz SolvV Solvabilitätsverordnung Tab. 0.3 Abkürzungen <?page no="16"?> www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement 1 Einführung „Nichts geschieht ohne Risiko, aber ohne Risiko geschieht auch nichts.“ Walter Scheel Beispiel 1.1 Ihre Tante Patricia ist amerikanophil. Auf einer USA-Rundreise hat sie in einer Shopping Mall eine Basket Company entdeckt und möchte diese Idee nun in Deutschland nachahmen. Zu Geburtstagen, Hochzeiten oder sonstigen feierlichen Anlässen sollen ihre Kunden sich einen Geschenkkorb erstellen lassen können, der aber nicht die übliche Sektflasche und langweilige Wurstauswahl enthält, sondern ein individuelles Thema hat. So soll es Körbe für spezielle Anlässe wie Hochzeiten oder die Geburt eines Kindes geben, Körbe, die ein bestimmtes Hobby repräsentieren oder Körbe, die eine bestimmte Region oder ein Land zum Inhalt haben. Je nachdem, was für den Beschenkten besonders bedeutsam ist. Für Werbezwecke hat sie z.B. schon einen Spanienkorb erstellt, der mit Jamón Serrano, Queso Manchego, Turron, Sherry und anderen Leckereien gefüllt ist, aber auch Kastagnetten und einen Bildband enthält. Ihre Tante sprüht vor Ideen. Aber auf einmal kommen ihr Zweifel. Beinhaltet das Ganze nicht ein zu hohes Risiko? Was ist, wenn ihre Idee in Deutschland überhaupt nicht gut ankommt? Was, wenn die Produkte, die sie im Ausland beziehen will, aufgrund der Wechselkurse so teuer werden, dass der Preis für ihre Körbe deutlich zu hoch wird? Was ist, wenn Ihre Tante auf den Kosten sitzen bleibt, weil ihre Kunden Aufträge erteilen und dann doch noch abspringen? <?page no="17"?> 18 1 Einführung www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement Oder eine Lieferung erhalten, aber dann nicht zahlen können? Und was ist, wenn es gut läuft? Ist das auch ein Risiko? Unternehmerisches Handeln ist unweigerlich mit Risiken verbunden. Da die Folgen unternehmerischer Entscheidungen erst in zukünftigen Zeitpunkten sichtbar werden, können sie nicht sicher vorhergesehen werden. Wollte ein Unternehmer kein Risiko eingehen, dürfte er nichts produzieren und keine Dienstleistungen anbieten. Er wird das Risiko abschätzen und überlegen, ob er es tragen kann. Fortführung von Beispiel 1.1 Nach einem Ferienjob haben Sie keine Zeit mehr, Ihre sauer verdienten 2.500 € in einen wohlverdienten Urlaub zu stecken, weil in ein paar Tagen die Uni wieder anfängt. Sie wollen daher Ihr Geld bis zum nächsten Jahr anlegen. Da wird dann gechillt statt gearbeitet. Sie überlegen, ob Sie Ihr Geld Ihrer Tante für deren Geschäftsidee überlassen. Sie könnte ein bisschen Startkapital gut brauchen und würde immerhin 4 % Zinsen im Jahr zahlen. Aber irgendwie ist Ihnen dabei ein bisschen mulmig zumute. Nichts gegen Ihre Tante, die ist ja nett und bestimmt auch geschäftstüchtig, aber auf den Urlaub im nächsten Jahr wollen Sie auf keinen Fall verzichten. Sie beschließen, Ihr Geld lieber auf die Bank zu bringen. Dort bekommen Sie zwar nur 1 % Zinsen im Jahr, Sie haben aber ein sichereres Gefühl. Und Ihre Tante kann ja wiederum bei der Bank einen Kredit aufnehmen. Doch auf einmal stocken Sie kurz. Wenn Ihre Tante den Kredit bei der Bank aufnimmt, bei der Sie das Geld angelegt haben, übernehmen dann am Ende nicht Sie selbst das Risiko? Sie haben ja Ihr Geld angelegt und Ihre Tante hat welches aufgenommen. Genauso als würden Sie beide einen direkten Vertrag miteinander eingehen. Nur ist jetzt die Bank zwischengeschaltet. Sie beschließen, sich das nochmal in einer ruhigen Minute zu überlegen, warum Ihr eigenes Risiko auf diese Weise reduziert wird und wie das bei einer Bank mit dem Management von Risiken funktioniert. Für Banken sind Risiken in verstärktem Maße relevant. Neben der Losgrößentransformation und der Fristentransformation (s. Abschnitt 1.3) stellt die Risikotransformation eine der drei Funktionen von Banken in einer Volkswirtschaft dar. Banken vermitteln dabei zwischen Sparern, die ihr Geld anlegen und Kreditnehmern, die Geld aufnehmen wollen. Würde ein Anleger mit einem Kreditnehmer unmittelbar einen Vertrag eingehen, wäre das Risiko eines Kreditausfalls und damit eines Verlustes seines angelegten Geldes sehr hoch. Insbesondere würde der Anleger bei einem Ausfall des Kreditnehmers je nach Besicherung eventuell sein ganzes angelegtes Geld verlieren. Durch die Zwischenschaltung der Banken wird dieses Risiko für die Geldgeber reduziert. Die Risikoreduktion wird vor allem aufgrund von Diversifikationseffekten erreicht. Die Bank geht nicht nur mit einem einzelnen Kreditnehmer Verträge ein, sondern mit vielen unterschiedlichen Vertragspartnern. Fallen nun einer oder wenige der Kreditnehmer aus, so erleidet die Bank nur einen Verlust in Höhe eines Bruchteils des für Kredite ausgegebenen Betrags. Würde ein einzelner Anleger auf diese Art diversifizierte Anlagen betreiben, würde ihm so auch nur ein Bruchteil seines angelegten Betrags ausfallen. Legt der Anleger sein Geld bei einer Bank an, kommt für ihn aber noch die Intermediärhaftung als Sicherheit hinzu. Die Bank haftet mit ihrem Eigenkapital für Verluste. Hinzu kommen externe Haftungsträger, wie Einlagensicherungsfonds, die zusätzlich für Kundenverbindlichkeiten einstehen (Bitz und Stark, 2008, S. 10). Des Weiteren ist eine Bank durch ihre Spezialisierung auf Finanzgeschäfte besser als eine <?page no="18"?> 1.1 Risikobegriff 19 www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement einzelne Person in der Lage, eingegangene Risiken zu erkennen und zu begrenzen (Bitz, 2006, S. 22). Dazu braucht sie ein funktionierendes Risikomanagementsystem. Die Methoden, die Banken anwenden, um ihre eingegangenen Risiken zu quantifizieren und so auch steuern zu können, sollen in diesem Buch skizziert werden. Dabei liegt der Schwerpunkt des Lehrbuches auf typischen Risiken im Bankensektor. Die vorgestellten Methoden lassen sich aber auch in Bereichen anwenden, die mehr oder weniger weit vom Finanzsektor entfernt sind. Finanzrisiken spielen auch im Unternehmensbereich eine große Rolle. So bestand bei dem Kleinunternehmen der Tante in Beispiel 1.1 das Risiko, dass die Kunden ihre Zahlungsverpflichtungen nicht erfüllten, d.h. es existierte ein Ausfall- oder Kreditrisiko. Ferner lagen Fremdwährungsrisiken vor, da Lieferungen in fremder Währung bezahlt werden mussten oder Forderungen von Kunden in fremder Währung beglichen wurden. Unternehmensspezifische Risiken wie Beschaffungs- oder Absatzrisiken werden in diesem Buch aber nicht behandelt. 1.1 Risikobegriff Die Entscheidungstheorie differenziert zwischen Entscheidungen unter Sicherheit und Entscheidungen unter Unsicherheit. Die meisten unternehmerischen Entscheidungen zeigen ihre Auswirkungen erst in zukünftigen Zeitpunkten. Da über die zukünftige Entwicklung der die Entscheidung beeinflussenden Parameter aber in den seltensten Fällen vollständige Informationen vorliegen, sind Entscheidungen relativ selten Entscheidungen unter Sicherheit. Die meisten Entscheidungen sind hingegen Entscheidungen unter Unsicherheit. Es besteht die Möglichkeit, dass Parameter, die zum Erfolg oder Misserfolg der Entscheidung beitragen, vom erwarteten Wert abweichen. Entscheidungen unter Unsicherheit werden in der Entscheidungstheorie noch einmal in Entscheidungen unter Ungewissheit und Entscheidungen unter Risiko unterteilt. Entscheidungen unter Ungewissheit liegen dann vor, wenn keine Wahrscheinlichkeiten für die verschiedenen möglichen Ausgänge einer Situation angegeben werden können. Bei einer Entscheidung unter Risiko liegen hingegen subjektive oder objektive Eintrittswahrscheinlichkeiten für mögliche Entwicklungen vor (vgl. Laux, Gillenkirch und Schenk-Mathes, 2012, S. 33). Die Bezeichnung „unter Risiko“ wird hierbei aber unabhängig vom Ausgang der Entscheidung gewählt. Es sind positive wie auch negative Entwicklungen eingeschlossen. Auch wenn man bei einer unsicheren Entscheidung nur Gewinne machen kann, wenn auch in unterschiedlicher Höhe, wird man, solange Wahrscheinlichkeiten für die Ausgänge bekannt sind, von einer „Entscheidung unter Risiko“ sprechen. Die Entscheidungstheorie liefert also implizit eine neutrale Definition des Begriffes „Risiko“. Auch in der mathematischen Theorie wird meist eine neutrale Definition von Risiko zugrunde gelegt. Das klassische Risikomaß der Standardabweichung behandelt Risiko als Abweichung von einem erwarteten Wert (s. Abschnitt 3.4). Diese Abweichung kann negativ oder positiv sein. In unserem Alltag bewerten wir Risiko allerdings eher als die Möglichkeit einer negativen Entwicklung. Bei eigenen Versuchen, Studierende den Begriff des Risikos definieren zu lassen, fasste die Mehrheit der Studierenden Risiko als negativen Ausgang einer Entscheidung auf. Interessanterweise trat dieses umso stärker auf, je niedriger das <?page no="19"?> 20 1 Einführung www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement Semester war, in dem die Studierenden eingeschrieben waren, d.h. je weniger die Studierenden bereits in ihrer akademischen Ausbildung mit mathematischen oder entscheidungstheoretischen Begriffen des Risikos konfrontiert worden waren. Dass wir „Risiko“ intuitiv als negativ empfinden, wird schon durch die Existenz des Gegensatzpaars „Risiko - Chance“ im sprachlichen Gebrauch belegt. Wäre der Begriff „Risiko“ neutral, bräuchte er kein Gegenteil. Risiken werden im Sprachgebrauch als mögliche negative Entwicklung gesehen und den als positiv beurteilten Chancen gegenüber gestellt. Dabei kommt es bei der Definition auf die Perspektive an. Wenn man eine Bergtour geplant hat und die geplante Tour bei Regen im wahrsten Sinne des Wortes ins Wasser fallen würde, dann sieht man das Ereignis „Regen“ als Risiko an. Für die Natur mag der Regen andererseits wichtig sein. Der Landwirt sieht den Regen daher eventuell positiv. Er spricht aber auch nicht von dem Risiko, sondern von der Chance, dass es regnet. Das sprachliche Gegensatzpaar „Risiko - Chance“ findet sich auch im gesetzlichen Kontext. In der gesetzlichen Verankerung des KonTrag, des Gesetzes zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich, das die Einrichtung eines Risikofrüherkennungssystems für Aktiengesellschaften, aber auch Unternehmen anderer Gesellschaftsformen zum Ziel hat, heißt es in § 289 Abs. 1 Satz 4 HGB: „Ferner ist im Lagebericht die voraussichtliche Entwicklung mit ihren wesentlichen Chancen und Risiken zu beurteilen und zu erläutern; zugrunde liegende Annahmen sind anzugeben“ sowie in § 317 Abs. 2 Satz 2 HGB: „Dabei ist auch zu prüfen, ob die Chancen und Risiken der künftigen Entwicklung zutreffend dargestellt sind.“ Das Gabler Wirtschaftslexikon (Springer Gabler Verlag, URL) definiert Risiko als die „Kennzeichnung der Eventualität, dass mit einer (ggf. niedrigen, ggf. auch unbekannten) Wahrscheinlichkeit ein (ggf. hoher, ggf. in seinem Ausmaß unbekannter) Schaden bei einer (wirtschaftlichen) Entscheidung eintreten oder ein erwarteter Vorteil ausbleiben kann.“ Risiko wird in dieser Einführung ebenfalls als möglicher, negativer Ausgang einer Entscheidung definiert. Definition 1.1: Risiko bezeichnet die Möglichkeit, dass mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit eine negative Entwicklung eintreten kann. Die Definitionen des Risikos unterscheiden sich dahingehend, ob sie nur negative Ereignisse einbeziehen oder ob sie neutral bleiben und negative und positive Entwicklungen in der Definition berücksichtigt werden. Allen Definitionen ist aber gemeinsam, dass von Risiko als einer Möglichkeit, einer Eventualität oder einer Wahrscheinlichkeit gesprochen wird. Die Möglichkeit eines Schadens oder eines Verlustes ist das Risiko, nicht der Schaden oder der Verlust selbst. Der Begriff des Risikos ist in die Zukunft gerichtet, deren Ausgang noch offen ist. Tritt dann tatsächlich ein Schaden oder ein Verlust ein, so sprechen wir davon, dass das Risiko „schlagend“ geworden ist. Beispiel 1.2 (Fortführung von Beispiel 1.1) Wenn Sie es doch nicht übers Herz bringen und Ihrer Tante Ihr Geld unmittelbar überlassen, weil Sie ihr damit signalisieren wollen, dass Sie an ihre Geschäftsidee glauben, dann gehen Sie das Risiko ein, dass Ihr Kredit ausfällt. Nach einem Jahr <?page no="20"?> 1.2 Risikokategorien 21 www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement entscheidet es sich. Entweder Sie können Ihren wohlverdienten Urlaub genießen oder Ihre Tante ist nicht in der Lage, Ihnen Ihr Geld zurückzuzahlen. Dann ist Ihr Risiko schlagend geworden. Sie können sich aber damit trösten, dass Sie ein guter Familienmensch sind. 1.2 Risikokategorien Abb. 1.1 Risiken im Bankwesen Abb. 1.1 systematisiert die bei Banken auftretenden Risiken. Dabei lassen sich die Risiken in eine Gruppe von durch den Finanzbereich induzierten Finanzrisiken und operationelle Risiken unterteilen. Finanzrisiken unterteilen sich in Marktpreisrisiken, Kreditrisiken und Liquiditätsrisiken. Das Marktpreisrisiko stellt das Risiko von Verlusten im Portfolio der Bank aufgrund von Änderungen der Marktpreise dar. Marktpreise können dabei Kurse von Aktien sein, Zinssätze, Wechselkurse oder Rohstoffpreise. Entsprechend lässt sich das Marktpreisrisiko weiter in das Aktienkursrisiko, Zinsrisiko, Wechselkursrisiko - auch Fremdwährungs- oder FX-Risiko genannt - und Rohstoffrisiko unterteilen. Der Wert eines Finanzprodukts kann natürlich auch von mehreren Marktpreisen abhängen, so dass für dieses Finanzprodukt mehrere Marktpreisrisiken relevant sind. Die verschiedenen, den Wert des Finanzprodukts beeinflussenden Faktoren, werden auch als Risikofaktoren bezeichnet. Beispiel 1.3 Ihre amerikanophile Tante hält bereits seit einiger Zeit ein kleines Portfolio USamerikanischer Aktien. Für sie besteht gleichzeitig ein Aktienkurswie auch ein Fremdwährungsrisiko. Der Wert des Portfolios Ihrer Tante hängt von den Aktienkursen der verschiedenen im Portfolio gehaltenen Aktien sowie vom EUR-USD- Wechselkurs ab. <?page no="21"?> 22 1 Einführung www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement Das Kreditrisiko ist das Risiko von Verlusten, die aus der Kreditvergabe resultieren. Dieses kann im engeren Sinne als Ausfallrisiko, d.h. als das Risiko, dass ein Schuldner seinen Zahlungsverpflichtungen nicht nachkommen kann, definiert werden. Im weiteren Sinne wird darunter aber auch das Bonitätsrisiko, d.h. das Risiko einer Wertminderung der ausgegebenen Kredite aufgrund einer Bonitätsverschlechterung des Schuldners gesehen. Das Liquiditätsrisiko bezeichnet das Risiko, Zahlungsverpflichtungen nicht uneingeschränkt und fristgerecht nachkommen zu können. Das Liquiditätsrisiko lässt sich in verschiedene Unterrisiken aufteilen. Es beinhaltet u.a. das Refinanzierungsrisiko im engeren Sinn, das die Gefahr bezeichnet, dass eine Bank nicht oder nur zu einem gegenüber dem Marktzinssatz erhöhten Zinssatz in der Lage ist, sich Geldmittel zur Refinanzierung zu beschaffen. Das Marktliquiditätsrisiko drückt das Risiko aus, dass Finanzinstrumente nur zu einem geringeren als dem erwarteten Preis am Markt verkauft werden können. Für operationelle Risiken gilt die Definition des Basler Ausschusses für Bankenaufsicht (SolvV, § 269) als Konsens, dass diese „die Gefahr von Verlusten, die infolge der Unangemessenheit oder des Versagens von internen Verfahren, Menschen und Systemen oder in Folge externer Ereignisse eintreten“ bezeichnen. Sie ergeben sich aus dem operativen Geschäft der Bank. 1.3 Bankenaufsicht Banken haben eine besondere volkswirtschaftliche Bedeutung. Sie vermitteln durch ihre drei Transformationsfunktionen zwischen Sparern und Investoren. Über die Losgrößentransformation koordinieren Banken das Angebot kleiner Spareinlagen und die Nachfrage nach größeren Krediten. Durch die Fristentransformation erfolgt ein Ausgleich zwischen Anlegern, die ihr Geld eher kurzfristig anlegen möchten oder sogar jederzeit über ihr Kapital verfügen können wollen, und Kreditnehmern, die langfristig Geld aufnehmen möchten. Durch die bereits angesprochene Risikotransformation koordiniert die Bank die unterschiedliche Risikobereitschaft von Sparern und Investoren. Für die Stabilität des Bankwesens ist das Vertrauen der Marktteilnehmer essentiell. Nicht erst seit der Finanzkrise 2007/ 2008 ist klar, dass Insolvenzen einzelner Banken aufgrund des einhergehenden Vertrauensverlusts und der internationalen Verflechtungen zu großen Erschütterungen des gesamten Finanzsystems führen können. Es ist daher das Ziel der Bankenaufsicht, die Funktionsfähigkeit des Banksystems aufrechtzu erhalten. In Deutschland bildete als Folge der Schließung der Danatbank das „Reichsgesetz über das Kreditwesen“, das im Dezember 1934 in Kraft trat, die erste gesetzliche Grundlage der Bankenaufsicht. Es wurde 1962 durch das noch heute bestehende „Gesetz über das Kreditwesen“ (KWG) ersetzt. Die Bankenaufsicht wird in Deutschland von der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) in Zusammenarbeit mit der Deutschen Bundesbank ausgeübt. Ab Ende 2014 werden große Banken in der Europäischen Union (EU) von der Europäischen Zentralbank (EZB) beaufsichtigt. <?page no="22"?> 1.3 Bankenaufsicht 23 www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement Der Basler Ausschuss für Bankenaufsicht hat zum Ziel, die Bankenregulierung europäisch und international zu harmonisieren. Er wurde im Jahr 1974 von den Zentralbanken der G10-Staaten gegründet, nachdem das Bankhaus Herstatt aufgrund von Devisengeschäften Insolvenz anmelden musste. Der Basler Ausschuss erarbeitet Empfehlungen, die rechtlich nicht bindend sind, aber auch von Staaten in nationales Recht umgesetzt wurden, die nicht zu den Mitgliedsländern des Ausschusses gehörten. Der im Jahr 1988 fertiggestellte Basler Akkord, der unter dem Namen „Basel I“ bekannt wurde, stellt vor allem Bedingungen an die Eigenkapitalausstattung von Banken. Banken benötigen ausreichendes Eigenkapital, um mögliche Verluste aus Kreditengagements aufzufangen und ihre Zahlungsfähigkeit zu erhalten. Dabei ist die Höhe des vorzuhaltenden Eigenkapitals abhängig von den Risiken, die eine Bank eingeht. In Deutschland wurde der Basler Akkord durch den „Grundsatz I über die Eigenmittel der Institute“ in nationales Recht umgesetzt. „Das Verhältnis zwischen dem haftenden Eigenkapital eines Instituts […] und seinen gewichteten Risikoaktiva darf 8 v.H. täglich zum Geschäftsschluß nicht unterschreiten“ (Grundsatz I, § 2, Abs. 1). Der Schwerpunkt des Basler Akkords lag dabei auf der Eigenkapitalunterlegung von Kreditrisiken, wobei diese nach einem nach Schuldnergruppen (Staaten, Banken, Unternehmen und sonstige Schuldner) geordneten System mit festen Prozentsätzen gewichtet wurden. Die „Änderung der Eigenkapitalvereinbarung zur Einbeziehung der Marktrisiken“ (Basler Ausschuss für Bankenaufsicht, 1996) und die erste europäische Kapitaladäquanzrichtlinie führten zu einer Neufassung des Grundsatzes I, die am 1.10.1998 in Kraft trat. Nach dem neuen Grundsatz I waren auch Marktpreisrisiken mit Eigenkapital zu unterlegen (vgl. Deutsche Bundesbank, 1998). Für Währungs-, Rohstoff-, Zins- und Aktienrisiken wurden detaillierte Eigenkapitalanforderungen dargelegt. Auch Optionsrisiken wurden einbezogen. Neben den Standardverfahren zur Eigenkapitalunterlegung von Marktpreisrisiken wurden durch den neuen Grundsatz I nun aber auch „geeignete eigene Risikomodelle“, sogenannte interne Modelle, zur Messung der Marktpreisrisiken zugelassen, die, wenn sie bestimmte qualitative und quantitative Bedingungen erfüllten, auch zur Eigenkapitalunterlegung anerkannt wurden. Hierbei wurde explizit die Ermittlung eines Value at Risk gefordert. Die Kritik an „Basel I“ - insbesondere an der unzureichenden Differenzierung der Kreditrisiken - führte zu neuen Konsultationsprozessen. Als Ergebnis veröffentlichte der Basler Ausschuss am 10. Juni 2004 unter dem Namen „Basel II“ das Konsultationspapier „Internationale Konvergenz der Kapitalmessung und Eigenkapitalanforderungen - Überarbeitete Rahmenvereinbarung“ (Basler Ausschuss für Bankenaufsicht, 2004). Dieses basiert auf dem sogenannten Drei-Säulen-Prinzip. Die erste Säule enthält quantitative Mindestanforderungen für Kredit-, Markt-, und operationelle Risiken. Sie basiert dabei auf der bereits im ersten Basler Akkord geforderten 8 %-igen Eigenkapitalunterlegung risikogewichteter Aktiva. Dabei ergeben sich Neuerungen zu „Basel I“ in der Bewertung des Kreditrisikos. Waren in „Basel I“ Schuldnergruppen feste Risikogewichte zugeordnet, ist für das Risikogewicht nach „Basel II“ das Rating (s. Abschnitt 7.4.1) des Schuldners ausschlaggebend. Dieses kann im Standardansatz durch externe Rating-Agenturen vorgegeben sein oder bei Verwendung des internen Rating-Ansatzes durch ein institutsinternes Rating erfolgen. Neu kommen zum ersten Mal Anforderungen an die Messung und Eigenkapitalunterlegung von operationellen Risiken hinzu. Die von „Basel II“ definierten Mindestkapitalanforderungen werden in Deutschland in der Solvabilitätsverordnung (SolvV) in nationales <?page no="23"?> 24 1 Einführung www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement Recht umgesetzt. Die Solvabilitätsverordnung löste den bis dahin geltenden Grundsatz I mit Wirkung zum 1.1. 2007 ab. Die Anforderungen an das Liquiditätsrisiko werden in dem Regelwerk von „Basel II“ nur sehr rudimentär beschrieben. Die zweite Säule von „Basel II“ stellt Anforderungen an aufsichtsrechtliche Prüfverfahren, den sogenannten Supervisory Review and Evaluation Process. Durch diese gegenüber dem ersten Basler Akkord neu auftretende qualitative Komponente der Bankenaufsicht sollen die institutseigenen Verfahren zur Risikoüberwachung und -steuerung verbessert werden. Die dritte Säule der Marktdisziplin enthält Offenlegungsanforderungen aus den vier Feldern „Anwendungsbereich der Eigenkapitalvorschriften“, „Eigenkapitalstruktur“, „Eigenkapitalausstattung“ und „Eingegangene Risiken und ihre Beurteilung“ (Basler Ausschuss für Bankenaufsicht, 2004, Teil 4, II, A-D). Als Folge der Subprime-Krise 2007/ 2008 geriet neben den Banken selbst und den Rating-Agenturen auch die Bankenaufsicht in die Kritik. Speziell wurden zu geringe Eigenkapitalvorschriften, aber auch die prozyklische Wirkung von „Basel II“ kritisiert. Durch die Kopplung der möglichen Kreditvergabe an das Eigenkapital und die Bilanzierung von Wertpapieren zu Marktpreisen konnten in wirtschaftlichen Hochphasen aufgrund der Ausweitung des Eigenkapitals bei zu einem hohen Wert bilanzierten Wertpapieren einerseits verstärkt Kredite begeben werden. In der Krise kam es aufgrund von Kreditausfällen und Wertminderungen der zu Marktpreisen bilanzierten Wertpapiere andererseits zu einer Aufzehrung des Eigenkapitals, so dass weniger Kredite vergeben werden konnten. Dieses führte zu einer Verschärfung der Krise. Nach zahlreichen, als Folge der Krise verfassten Regelungen, die über „Basel II“ hinausgingen, wurde daher am 16.10.2010 das unter dem Namen „Basel III“ bekannt gewordene neue Regelwerk „Basel III: Ein globaler Regulierungsrahmen für widerstandsfähigere Banken und Bankensysteme“ (Basler Ausschuss für Bankenaufsicht, 2010) veröffentlicht. Etwas weiter wird der Begriff „Basel III“ auch für die Gesamtheit an Regelungen seit der Veröffentlichung des Regelwerks von „Basel II“ verwendet. Der Schwerpunkt der Neuerungen besteht in einer quantitativen und qualitativen Verbesserung der Eigenkapitalstruktur. Die Kernkapitalquote wird stufenweise bis 2019 von 4 % auf 6 % erhöht, daneben müssen Banken und Sparkassen Kapitalpuffer vorhalten, die auch aus hartem Eigenkapital ( QR-Glossar) bestehen müssen. Im Jahr 2019 muss ein Kreditinstitut mindestens 10,5 % Eigenkapital vorweisen, davon 8,5 % hartes Eigenkapital. Des Weiteren ist ein antizyklisches Kapitalpolster, das zwischen 0% und 2,5% der risikogewichteten Aktiva liegt, in Zeiten guter wirtschaftlicher Entwicklung aufzubauen, „wenn sich die Ansicht durchsetzt, dass exzessives Kreditwachstum mit einem Anstieg systemweiter Risiken verbunden ist“ (Basler Ausschuss für Bankenaufsicht, 2010). Der antizyklische Puffer kann aus hartem oder weichem Kernkapital bestehen und soll in Zeiten des konjunkturellen Aufschwungs eine massive Kreditausweitung verhindern. Neben den erhöhten Anforderungen an das Eigenkapital von Banken liegt ein weiterer Schwerpunkt von „Basel III“ in Anforderungen an das bis zur Finanzkrise von 2007/ 2008 wenig regulierte Liquiditätsrisiko. In den einzelnen Kapiteln werden bankaufsichtsrechtlich zur Eigenkapitalunterlegung akzeptierte Ansätze zwar angesprochen, der Schwerpunkt liegt hier aber nicht auf einer detaillierten Beschreibung der Verfahren. Vielmehr sollen die grundlegenden Ideen <?page no="24"?> 1.4 Literatur 25 www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement unterschiedlicher Methoden zur Quantifizierung von Risiken deutlich werden, auch wenn diese nur einer internen Berechnung und Steuerung von Risiken dienen mögen. 1.4 Literatur 1.4.1 Im Text zitierte Literatur Bitz, M. (2006): Banken als Einrichtungen zur Risikotransformation, Diskussionsbeitrag Nr. 389, URL: https: / / www.fernuni-hagen.de/ csf/ download/ diskussionsbeitrag_nr_389.pdf (Stand: 7.12.2013). Bitz, M. & Stark, G. (2008): Finanzdienstleistungen: Darstellung, Analyse, Kritik. München: Oldenbourg. Basler Ausschuss für Bankenaufsicht (1996): Änderung der Eigenkapitalvereinbarung zur Einbeziehung von Marktrisiken, URL: http: / / www.bis.org/ publ/ bcbs24ade.pdf (Stand: 7.12.2013). Basler Ausschuss für Bankenaufsicht (2004): Internationale Konvergenz der Kapitalmessung und Eigenkapitalanforderungen, Überarbeitete Rahmenvereinbarung, URL: http: / / www.bundesbank.de/ Redaktion/ DE/ Downloads/ Kerngeschaeftsfelder/ Bank enaufsicht/ Gesetze_Verordnungen_Richtlinien/ rahmenvereinbarung_baseler _eigenkapitalempfehlung_200406.pdf? __blob=publicationFile (Stand: 7.12.2013). Basler Ausschuss für Bankenaufsicht (2010): Basel III: Ein globaler Regulierungsrahmen für widerstandsfähigere Banken und Bankensysteme, URL: http: / / www.bis.org/ publ/ bcbs189_de.pdf (Stand: 7.12.2013) Deutsche Bundesbank (1998): Der neue Grundsatz I, Monatsbericht Mai 1998, S. 67-76. Grundsätze über die Eigenmittel und die Liquidität der Institute (Grundsatz I und Grundsatz II), vom 20. Januar 1969, zuletzt geändert m Wv 1.10.1998 durch Bek. Vom 29.10.1997 (BAz. Nr. 210), in: Bankrecht (1998), 27. Aufl., Beck-Texte. Handelsgesetzbuch (HGB), BGBl. III, 4100-1, zuletzt geändert: 4.10.2013 (BGBl. I S. 3746), URL: http: / / www.gesetze-im-internet.de/ hgb/ (Stand: 7.12.2013). Laux, H., Gillenkirch, R. & Schenk-Mathes, H. (2012): Entscheidungstheorie, 8. Aufl., Berlin: Springer. Springer Gabler Verlag (Herausgeber) (URL): Gabler Wirtschaftslexikon, Stichwort: Risiko, URL: http: / / wirtschaftslexikon.gabler.de/ Archiv/ 6780/ risiko-v14.html (Stand: 7.12.2013). Verordnung über die angemessene Eigenmittelausstattung von Instituten, Institutsgruppen und Finanzholding-Gruppen (Solvatibilitätsverordnung, SolvV) vom 1. Januar 2007, zuletzt geändert: 19.12.2012, BGBl I S. 2796, URL: http: / / www.gesetze-iminternet.de/ solvv/ index.html (Stand: 7.12.2013). <?page no="25"?> 26 1 Einführung 1.4.2 Ergänzende und weiterführende Literatur Grieser, S.G., Heemann, M. (Hrsg.) (2011): Bankenaufsicht nach der Finanzmarktkrise, Frankfurt: Bankakademie-Verlag. Hofmann, G. (Hrsg.) (2007): Basel II und MaRisk - Regulatorische Vorgaben, bankinterne Verfahren, Risikomanagement, Frankfurt: Bankakademie-Verlag. Lessenich, P. (2013): Basel III: Die neuen Eigenkapital- und Liquiditätsregeln für Banken, Hamburg: Diplomica-Verlag. Waschbusch, G. (2000): Bankenaufsicht: Die Überwachung der Kreditinstitute und Finanzdienstleistungsinstitute nach dem Gesetz über das Kreditwesen, München: Oldenbourg. <?page no="26"?> www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement 2 Rendite 2.1 Lernziele Nach der Bearbeitung dieses Kapitels sollten Sie die diskrete Rendite berechnen können wissen, dass die Summe diskreter Renditen für Teileinheiten einer Periode nicht die Gesamtrendite der Periode ergibt und dass daher im zeitlichen Kontext durchschnittliche diskrete Renditen nicht über arithmetische Mittelwerte berechnet werden können das geometrische Mittel diskreter Renditen bestimmen können die stetige Rendite berechnen können und als Approximation an die diskrete Rendite verstehen wissen, dass die Summe stetiger Renditen für Teileinheiten einer Periode die Gesamtrendite der Periode ergibt und dass daher im zeitlichen Kontext durchschnittliche stetige Renditen über arithmetische Mittelwerte berechnet werden können wissen, dass für kleine Renditen die Abweichung der stetigen von der diskreten Rendite gering ist diskrete Renditen in stetige Renditen umrechnen können und umgekehrt wissen, dass sich für diskrete Renditen die Portfoliorendite über das gewichtete Mittel der Einzelrenditen ergibt, für stetige Renditen aber nicht wissen, dass eher stetige als diskrete Renditen über eine Normalverteilung modelliert werden können bei einer gegebenen diskreten Wahrscheinlichkeitsverteilung die erwartete Rendite berechnen können. <?page no="27"?> 28 2 Rendite www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement 2.2 Einführung Beispiel 2.1 Ihr Freund Benni hat 10.000 € von einem verschollenen Onkel geerbt. Er erfüllt sich einen Traum und investiert das Geld in ein Bio-Fast-Food-Mobil, in dem er und seine Freundin neben dem Studium gesunde Wraps, Baguettes und frisch gepresste Obstsäfte verkaufen. Sie beraten ihn ein bisschen mit den Finanzen. Im ersten Jahr machen Benni und seine Freundin einen Reingewinn von 2.000 €. Benni ist zufrieden, eine Rendite von 20 %. Seine Freundin und er stecken das gesamte Geld in ihren Bus und kaufen einen zusätzlichen Kühlschrank und eine Gasplatte. Im zweiten Jahr machen die beiden nur noch einen Gewinn von 600 €, von dem sie eine Warmhalteplatte erstehen. Benni und seine Freundin sind etwas genervt über die vergleichsweise geringe Rendite von 5 % (600 €/ 12.000 €). Und Benni wundert sich. Jetzt hat er doch insgesamt einen Gewinn von 2.600 € erwirtschaftet, also 26 % des in das Unternehmen investierten Kapitals. Das entspricht aber nicht der Summe aus 20 % und 5 %. Sie verdrehen die Augen, kaufen sich einen Bioburger und beschließen, nochmal ganz vorn anzufangen mit Ihren Erklärungen. 2.3 Vermögenswerte Definition 2.1: Der Vermögenswert V t ist der Wert einer Kapitalanlage am Ende der Periode t. Der Index t bezeichnet die Zeit (engl. time). Er kann dabei Jahre angeben, aber auch Quartale, Monate, Tage etc. Bemerkung 2.1: V t steht für den Vermögenswert am Ende der t-ten Periode, V t-1 für den Vermögenswert am Ende der (t-1)-ten Periode. Das Ende einer Periode soll dabei mit dem Beginn der Folgeperiode identisch sein. So entspricht V t-1 auch dem Vermögenswert am Beginn der t-ten Periode. 1 1 Dieses ist bei Börsenkursen nicht unbedingt der Fall. Die Eröffnungskurse des Folgetages an einer Börse können durchaus von den Schlusskursen des Vortages an derselben Börse abweichen. Zur Vereinfachung gehen wir in den Beispielen aber von übereinstimmenden Eröffnungs- und Schlusskursen aus. <?page no="28"?> 29 2 Rendite www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement 2.4 Diskrete Rendite 2.4.1 Diskrete Verzinsung/ Wertänderung Beispiel 2.2 Sie legen am 1.1.2013 einen Betrag von 100 € an. Ihre Bank bietet Ihnen eine Verzinsung zu 10 % p.a., Zinszahlungstermine sind jeweils am 31.12. eines jeden Jahres. Definition 2.2: Ein Zinszahlungstermin ist der Zeitpunkt, an dem die vereinbarten Zinsen gezahlt bzw. gutgeschrieben werden. Eine Zinsperiode ist der Zeitraum zwischen zwei Zinszahlungsterminen. Die Zinsperiode beträgt in Beispiel 2.2 ein Jahr. Es sind aber auch halbjährige, quartalsweise, d.h. vierteljährige oder monatliche Zinsperioden üblich. Definition 2.3: Eine diskrete Verzinsung liegt vor, wenn die Zinsperioden eine von null verschiedene, positive Länge besitzen und nur am Ende der Zinsperiode eine Zinszahlung erfolgt. ) ( d t r sei der Zinssatz der t-ten Periode. Dann ergibt sich der Vermögenswert am Ende der Periode bei der diskreten Verzinsung zu (2.1) ). 1 ( ) ( 1 d t t t r V V Der Faktor ) 1 ( ) ( d t r wird Aufzinsungsfaktor der Periode t genannt. Fortführung von Beispiel 2.2 Am 31.12.2013 haben Sie 100 €·(1+0,1) = 110 € auf Ihrem Konto. Bemerkung 2.2: Während man für verzinsliche Finanzprodukte von einer diskreten Verzinsung redet, bezeichnet man diese bei Aktien und anderen Finanzprodukten eher als diskrete Wertänderung. Diese kann auch negativ sein. Statt von Zinsperioden spricht man in diesem Fall allgemein von Perioden. Bemerkung 2.3: Es seien , ) ( d i r i=t-n, …, t die Zinssätze - oder allgemeiner die Wertänderungen - für n aufeinanderfolgende Perioden. Dann ergibt sich aus dem angelegten Vermögen V t-n-1 nach n Perioden der Vermögenswert V t zu (2.2) ). 1 ( ... ) 1 ( ) 1 ( ) ( ) ( 1 ) ( 1 d t d n t d n t n t t r r r V V <?page no="29"?> 30 2 Rendite www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement Beispiel 2.3 Am 1.1.2010 haben Sie 1.000 € in Wertpapiere investiert. Diese erlebten Wertänderungen von 10 % im ersten Jahr, -2 % im zweiten Jahr und 8 % im dritten Jahr. Am Ende des dritten Jahres, d.h. Ende 2012, hatten Ihre Wertpapiere demnach einen Wert von €. 24 , 164 . 1 ) 08 , 0 1 ( ) 02 , 0 1 ( ) 1 , 0 1 ( € 000 . 1 2012 V Fortführung von Beispiel 2.1 Verzinst man die 10.000 €, die Benni und seine Freundin in das Bio-Fast-Food-Mobil gesteckt haben, ein Jahr lang mit 20 % und ein weiteres Jahr mit 5 %, so erhält man am Ende des zweiten Jahres €, 600 . 12 ) 05 , 0 1 ( ) 2 , 0 1 ( € 000 . 10 2 V d.h. die 12.600 €, die jetzt in dem Bio-Mobil stecken. 2.4.2 Von der diskreten Verzinsung zur diskreten Rendite In Abschnitt 2.4.1 waren wir von bekannten Wertänderungen ausgegangen und hatten daraus den Vermögensendwert bestimmt. Kennt man hingegen nur die Vermögenswerte selbst, so lassen sich aus diesen umgekehrt auch die Wertänderungen berechnen. Beispiel 2.4 Sie haben gestern eine Absolut-Gut-Aktie gekauft, die 50 € gekostet hat. Absolut- Gut notiert heute an der Börse zu 60 €. Sie schauen zuerst einmal nach der absoluten Veränderung des Wertes Ihrer Aktie und freuen sich, dass Sie 60 € - 50 € = 10 € „verdient“ haben. Definition 2.4: Die absolute Wertänderung eines Vermögenswertes V in Periode t beträgt (2.3) 1 t t V V V . Fortführung von Beispiel 2.4: 10 € hat aber auch Ihre Freundin Lena „verdient“, die gestern eine Be-Rel-Aktie zu einem Kurs von 100 € gekauft hat. Die Be-Rel-Aktie notiert heute an der Börse zu 110 €. Die absolute Wertänderung der Be-Rel-Aktie ist die gleiche wie die Ihrer Absolut-Gut-Aktie. Trotzdem ärgert sich Ihre Freudin ein wenig. Sie schmollt, weil sie denkt, dass sie ihre 100 € lieber in zwei Aktien von Unternehmen Absolut-Gut hätte anlegen sollen. Dann hätten ihre Aktien heute einen Wert von 120 €. Die absolute Wertänderung ist also nicht wirklich relevant. Interessanter für Sie - und Ihre Freundin - ist, welche Wertänderung relativ zum investierten Betrag ent- <?page no="30"?> 2.4 Diskrete Rendite 31 www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement steht. Sie beziehen die absolute Wertänderung auf Ihren Einsatz. Für die Absolut- Gut-Aktie haben Sie , 2 , 0 € 50 € 10 d.h. eine 20 %-ige Steigerung Ihres Wertes erzielt. Das ist die relative Wertänderung oder diskrete Rendite Ihrer Aktie. Ihre Freundin erzielte mit der Be-Rel-Aktie nur eine diskrete Rendite von , 1 , 0 € 100 € 10 d.h. einen Wertgewinn von 10 %. Für einen Tag ist das immer noch sehr ordentlich. Definition 2.5: Die relative Wertänderung oder diskrete Rendite ) ( d t r berechnet sich zu (2.4) 1 1 ) ( t t t d t V V V r , d.h. die absolute Wertänderung 1 t t V V wird auf den zu Beginn der Periode eingesetzten Betrag 1 t V bezogen. In Formel (2.4) erscheint der eingesetzte Betrag 1 t V im Zähler und Nenner, so dass die Formel umgestellt werden kann zu (2.5) . 1 1 ) ( t t d t V V r Diese Form der diskreten Rendite erhält man ebenfalls, wenn man Formel (2.1) der diskreten Verzinsung nach der Wertänderung ) ( d t r auflöst, denn es gilt . 1 ) 1 ( 1 ) ( ) ( 1 t t d t d t t t V V r r V V Fortführung von Beispiel 2.4: Formel (2.5) lässt sich in Beispiel 2.4 so interpretieren, dass Sie heute ja 60 €/ 50 € = 1,2, d.h. 120 % Ihres eingesetzten Vermögens von 50 € in Absolut- Gut-Aktien halten. Ziehen Sie die 100 %, die Sie eingesetzt haben, wieder ab, kommen Sie auch auf Ihre diskrete Rendite von 20 %. <?page no="31"?> 32 2 Rendite www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement Exkurs 2.1 Aktienrenditen bei zwischenzeitigen Zahlungen Die Formeln (2.4) und (2.5) geben die Wertentwicklung von Vermögensgegenständen an, bei denen zwischen Anlagezeitpunkt und Betrachtungszeitpunkt keine Zahlungen erfolgen. Fallen während der Anlageperiode zwischenzeitlich Zahlungen an, so ändert sich die Berechnung. Beispiel 2.5 Vor einem Jahr haben Sie je eine All-For-Us-Aktie und eine Bits-For-You-Aktie zum Kurs von je 100 € gekauft. Heute notiert die All-For-Us-Aktie zu 110 €, die Bits-For-You-Aktie zu 105 €. Allerdings hat die Bits-For-You-Aktie vor zwei Monaten eine Dividende von 5 € ausbezahlt, die Sie in Ihr Sparschwein gesteckt haben. Die All-For-Us-Aktie hat eine diskrete Rendite von 110 €/ 100 €-1=10 %. Aus den am Markt beobachtbaren Börsenkursen der Bits-For-You-Aktie lässt sich nur eine Wertsteigerung von 105 €/ 100 €-1=5 % ablesen. Die Dividende geht aber in Ihre Rendite mit ein, da Sie zusätzlich zum Aktienwert von 105 € ja noch 5 € im Sparschwein haben. Insgesamt beträgt Ihre Rendite so (105 €+5 €)/ 100 €- 1=10 %. Die diskrete Rendite bei Zahlung einer Dividende D innerhalb der t-ten Periode lässt sich also zu (2.6) 1 1 ) ( t t t d t V D V V r . berechnen. Beide Aktien haben in Beispiel 2.5 die gleiche Rendite. Der Unterschied im Kurs von 110 € der All-For-Us-Aktie und 105 € der Bits-For-You-Aktie resultiert aus einem Kursabschlag nach der Dividendenzahlung der Bits-For-You-Aktie. Der Kurs der Bits-For-You-Aktie ging am Aktienmarkt zu diesem Zeitpunkt um die gezahlte Dividende zurück. Die reine Betrachtung der durch die Aktienkurse widergespiegelten Kurssteigerung weist daher eine zu niedrige Rendite aus. Um aus den an der Börse notierten Kursen die wahren Renditen ermitteln zu können, müssen Kurse daher bereinigt werden, d.h. um die Effekte von Dividendenzahlungen, aber auch von z.B. Aktiensplits, Kapitalerhöhungen, etc. korrigiert werden (vgl. Sauer, 1991). Die meisten im Netz frei verfügbaren historischen Aktienkurse werden unbereinigt geliefert. Ein zusätzlicher bereinigter Schlusskurs für historische Daten ist z.B. auf www.finance.yahoo.com zu finden. Aus diesem können leicht auch bereinigte Eröffnungskurse, etc. berechnet werden. Wir gehen im Weiteren davon aus, dass alle gegebenen Kurse in den Beispielen und Aufgaben bereinigt sind und die Rendite somit durch Formeln (2.4) bzw. (2.5) gegeben ist. <?page no="32"?> 33 2 Rendite www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement 2.4.3 Durchschnittliche diskrete Rendite Beispiel 2.6 Gegeben seien die in Tab. 2.1 gezeigten Schlusskurse einer Aktie der High-Fly-AG. Nach Bemerkung 2.1 sollen die Eröffnungskurse der nächsten Periode jeweils den Schlusskursen der Vorperiode entsprechen, so dass der für Dezember 2011 aufgeführte Schlusskurs den Eröffnungskurs für Januar 2012 darstellt, usw. Nach Formel (2.4) ergeben sich die in der vierten Spalte gezeigten diskreten Monatsrenditen. Periode Wert der Aktie Vt Monatsrendite ) ( d t r ) ( d t r in % Dezember 2011 500 € - - Januar 2012 525 € (525 €-500 €)/ 500 €=0,05 5 % Februar 2012 577,50 € (577,50 €-525 €)/ 525 €=0,1 10 % März 2012 693 € (693 €-577,50 €)/ 577,50 €=0,2 20 % Tab. 2.1 Diskrete monatliche Renditen der High-Fly-AG Bestimmt man nach derselben Formel (2.4) eine Rendite für das gesamte erste Quartal, so ergibt sich eine Quartalsrendite von (693 €-500 €)/ 500 €=38,6 %. Dabei fällt auf, dass die Summe der diskreten Monatsrenditen nicht der Quartalsrendite entspricht. Dass die Summe der diskreten Renditen der Teilperioden - in Beispiel 2.6 der Monate Januar bis März - nicht der Gesamtrendite der Periode - in Beispiel 2.6 des ersten Quartals - entspricht, mag zunächst verwundern (s. auch Beispiel 2.1). Der Vermögenswert von 693 € ergibt sich aber nach Formel (2.2) ja aus der Multiplikation der Aufzinsungsfaktoren, d.h. 500 €·(1+0,05)·(1+0,1)·(1+0,2)=693 €. Nicht die Summe der Renditen bestimmt die Gesamtrendite, sondern das Produkt der Aufzinsungsfaktoren einzelner Perioden ergibt den Aufzinsungsfaktor für den gesamten betrachteten Zeitraum. Aus diesem kann durch Subtraktion von eins wiederum die Gesamtrendite gebildet werden. Die Summe der diskreten Renditen ergibt nur dann ökonomisch einen Sinn, wenn die Wertsteigerungen am Ende einer Periode jeweils entnommen werden - bzw. Wertverminderungen ausgeglichen werden. In Beispiel 2.6 müsste man also in jedem Monat neu mit einem Kapital von 500 € starten. Dieses ist aber praktisch wenig relevant. In einer Aktie können Kursgewinne z.B. gar nicht entnommen werden, da Stückelungen von Aktien nicht möglich sind. Ökonomisch relevanter ist daher der Fall, dass Erträge in die Kapitalanlage reinvestiert werden bzw. Verluste nicht ausgeglichen werden. In diesem Fall hat die Summe der diskreten Renditen aber keine ökonomische Bedeutung. Dieses ist deshalb ärgerlich, weil man z.B. gerne angeben würde, was denn die monatliche Durchschnittsrendite für die Monate Januar bis März ist. Da die Summenbildung für diskrete Renditen aber nicht sinnvoll ist, lässt sich eine Durchschnittsrendite nicht über das arithmetische Mittel der Monatsrenditen bestimmen. Das arithmetische Mittel teilt ja die Summe der Monatsrenditen durch die Anzahl der Perioden. <?page no="33"?> 34 2 Rendite www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement Vielmehr muss für diskrete Renditen eine durchschnittliche Rendite im zeitlichen Kontext, d.h. die durchschnittliche Rendite aufeinanderfolgender Perioden, über das geometrische Mittel der Aufzinsungsfaktoren bestimmt werden. Nach Formel (2.2) bestimmt sich der Endwert nach n Perioden als das Produkt des eingesetzten Kapitals und den Aufzinsungsfaktoren zu (2.7) ). 1 ( ... ) 1 ( ) 1 ( ) ( ) ( 1 ) ( 1 d t d n t d n t n t t r r r V V Es wird nun die durchschnittliche Rendite ) ( d t r gesucht, für die - bei einer Verzinsung über n Perioden - der gleiche Endwert V t erzielt wird. Es soll gelten (2.8) . ) 1 ( ) ( 1 n d n t t r V V Gleichsetzen der rechten Seiten von (2.7) und (2.8) und Auflösen ergibt die durchschnittliche diskrete Rendite . ) ( d r Definition 2.6: Die im zeitlichen Sinne durchschnittliche diskrete Rendite ) ( d r der n Renditen ) ( d n t r ,…, ) ( d t r wird berechnet, indem man von dem geometrischen Mittel der Aufzinsungsfaktoren ), 1 ( ) ( d n t r …, ) 1 ( ) ( d t r eins subtrahiert, d.h. es gilt (2.9) . 1 ) 1 ( ... ) 1 ( ) 1 ( ) ( ) ( 1 ) ( ) ( n d t d n t d n t d r r r r Fortführung von Beispiel 2.6: In Beispiel 2.6 berechnet sich die durchschnittliche Monatsrendite für die Monate Januar bis März zu %. 49 , 11 1149 , 0 1 386 , 1 1 ) 2 , 0 1 ( ) 1 , 0 1 ( ) 05 , 0 1 ( 3 3 ) ( d r Verzinst man die Anfang Januar angelegten 500 € drei Monate lang mit einem Monatszinssatz von 11,49 %, so erhält man €. 693 ) 1149 , 0 1 ( € 500 3 3 V 2.4.4 Zeitliche Umskalierung diskreter Renditen Für bestimmte Perioden angegebene Renditen können auch auf einen anderen Zeitraum umgerechnet werden. Beispiel 2.7 Die diskrete Monatsrendite betrage 0,5 %. Damit ergibt sich aus einem zu Beginn des Jahres angelegten Betrag V 0 am Ende des Jahres . 005 , 0 1 12 0 Jahr 1 V V <?page no="34"?> 2.4 Diskrete Rendite 35 www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement Der Endwert soll derselbe sein, wenn das Ausgangskapital ein Jahr lang mit der Jahresrendite verzinst wird, d.h. . 1 ) ( Jahr 1 0 Jahr 1 d r V V Für die Jahresrendite erhält man %. 17 , 6 0617 , 0 1 005 , 0 1 12 ) ( Jahr 1 d r Bemerkung 2.4: Sind diskrete Renditen für eine Periode einer Länge T gegeben, so gilt für die diskrete Rendite einer Periode, die n·T Zeiteinheiten lang ist, (2.10) . 1 1 ) ( ) ( n d T d T n r r Bemerkung 2.5: Ein Jahr wird üblicherweise mit 250 Bankarbeitstagen angesetzt. Beispiel 2.8 Eine diskrete Tagesrendite von 0,02 % entspricht einer diskreten Jahresrendite von %. 13 , 5 0513 , 0 1 0002 , 0 1 250 ) ( Jahr 1 d r Umgekehrt lässt sich eine diskrete Jahresrendite von 8 % in eine diskrete Tagesrendite von % 0308 , 0 000308 , 0 1 08 , 0 1 250 1 ) ( Tag 1 d r umrechnen. Bemerkung 2.6: Wenn man eine gegebene Rendite auf ein Jahr umrechnet, spricht man von einer Annualisierung der Rendite. 2.4.5 Portfolioadditivität diskreter Renditen Ein Vorteil diskreter Renditen ist, dass bei der Bildung eines Portfolios die Portfoliorendite dem gewichteten Mittel der Einzelrenditen entspricht. Es seien n Finanzprodukte gegeben, die mit den Gewichten w i , i=1,…,n im Portfolio enthalten sind. Die Gewichte summieren dabei zu eins. Die Finanzprodukte haben die Renditen , ) ( d i r i=1,…,n. Dann gilt für die diskrete Portfoliorendite <?page no="35"?> 36 2 Rendite www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement (2.11) . ) ( 1 ) ( Portfolio d i n i i d r w r Beispiel 2.9 Gegeben seien die in Tab. 2.2 gezeigten Kurse zweier Aktien zum Zeitpunkt t=0 und zum Zeitpunkt t=1. Wert zum Zeitpunkt t=0 Wert zum Zeitpunkt t=1 ) ( d r Aktie A 50 € 60 € (60 €/ 50 € - 1)=20 % Aktie B 100 € 110 € (110 €/ 100 € - 1)=10 % Portfolio 150 € 170 € (170 €/ 150 € - 1)=13,33 % Tab. 2.2 Portfoliorendite diskreter Renditen Ermittelt man die Portfoliorendite nach Formel (2.5) über die Vermögenswerte, so erhält man 170 €/ 150 € - 1=13,33 %. Die gleiche Portfoliorendite erhält man aber auch durch eine Gewichtung der Einzelrenditen. Das Portfolio besteht im Ausgangszeitpunkt zu einem Drittel (w 1 =50 €/ 150 €=1/ 3) aus Aktie A und zu zwei Dritteln (w 2 =100 €/ 150 €=2/ 3) aus Aktie B. Das gewichtete Mittel der Renditen der einzelnen Aktien ergibt daher %. 33 , 13 % 10 3 2 % 20 3 1 ) ( Portfolio d r 2.4.6 Fehlende Normalverteilung diskreter Renditen Die Annahme einer Normalverteilung lässt sich für diskrete Renditen nicht gut rechtfertigen. Die diskrete Rendite ist u.a. nach unten beschränkt. Da man höchstens 100 % des eingesetzten Kapitals verlieren kann, ist -1 der kleinste Wert, der bei diskreten Renditen auftritt. Normalverteilte Zufallsvariablen haben aber einen unbegrenzten Wertebereich. 2.5 Stetige Rendite 2.5.1 Stetige Verzinsung/ Wertänderung Beispiel 2.10 Sie wollen 100 € anlegen und der Jahreszinssatz betrage bei allen Banken 10 % p.a. Die A-Bank bietet Ihnen eine jährliche Gutschrift der Zinsen am Ende des Jahres. Sie erhalten damit nach einem Jahr €. 110 ) 1 , 0 1 ( € 100 1 V <?page no="36"?> 2.5 Stetige Rendite 37 www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement Nun wirbt die B-Bank mit quartalsweiser Verzinsung, d.h. einer Zinsgutschrift alle drei Monate. Natürlich erhalten Sie im Quartal nicht den vollen Zinssatz von 10 %, es wird Ihnen der linear proportionale Zinssatz ( QR-Glossar) von 10 %/ 4=2,5 % im Quartal gutgeschrieben. Nach einem Jahr beträgt Ihr Vermögenswert dann €. 38 , 110 ) 025 , 0 1 ( ) 025 , 0 1 ( ) 025 , 0 1 ( ) 025 , 0 1 ( € 100 1 V Ihr Kontostand ist nach einem Jahr höher, als wenn Sie Ihr Geld bei der A-Bank angelegt hätten. Sie bekommen ja bereits nach einem halben Jahr Zinsen auf die Zinsen, die Ihnen nach einem Vierteljahr gut geschrieben wurden, usw. Wenn wir jetzt noch Angebote der C-Bank, die eine monatliche Zinsgutschrift bietet und der D-Bank, die mit einer täglichen Zinsgutschrift wirbt, usw. vergleichen, so ergibt sich das Bild in Tab. 2.3. Zinsgutschrift Häufigkeit m der Verzinsung im Jahr Endwert jährlich 1 110 € quartalsweise 4 110,38 € monatlich 12 110,47 € täglich 365 110,52 € stündlich 8760 110,52 € stetig 110,52 € Tab. 2.3 Endwert bei einer Anlage von 100 € zu einem Jahreszinssatz von 10 % p.a. bei unterschiedlicher Anzahl m von Zinszahlungsterminen im Jahr Bei m Zinsperioden im Jahr bekommen Sie m-Mal im Jahr Zinsen, Ihr Zinssatz pro Periode beträgt aber nur noch 10 %/ m. Nach einem Jahr haben Sie einen Endwert von (2.12) m m V 1 , 0 1 € 100 1 auf dem Konto. Die stetige Verzinsung ergibt sich nun, wenn man - zumindest gedanklich - immer mehr Perioden pro Jahr zulässt, die Anzahl m von Zinsperioden also gegen unendlich strebt. In Formel (2.12) ist demnach ein Grenzwert zu bilden. Für die stetige Verzinsung gilt €. 52 , 110 € 100 1 , 0 1 € 100 lim 1 , 0 1 e m V m m <?page no="37"?> 38 2 Rendite www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement Definition 2.7: Eine stetige Verzinsung liegt vor, wenn Zinsen in jedem Moment gutgeschrieben werden, d.h. zwischen den Zinsgutschriften nur infinitesimal ( QR-Glossar) kleine Zeiteinheiten vergehen. Der Endwert V t eines Anlagebetrags V t-1 zum Zinssatz r (s) bestimmt sich bei der stetigen Verzinsung zu (2.13) . ) ( 1 s r t t e V V Bemerkung 2.7: Legt man ein Kapital V t-n-1 für n Perioden an, so ergibt sich der Vermögenswert V t am Ende der n-ten Periode bei der stetigen Verzinsung zu (2.14) , ... ) ( ) ( 1 ) ( ) ( ) ( 1 ) ( ... 1 1 s t s n t s n t s t s n t s n t r r r n t r r r n t t e V e e e V V wobei , ) ( s i r i=t-n, …, t die stetigen Wertänderungen für das Jahr i bezeichnen. Aus der Herleitung in Beispiel 2.10 wird klar, dass die stetige Verzinsung für Kontoanlagen ein theoretisches Konzept ist. Keine Bank würde jede Nanosekunde - und häufiger - Zinsen gutschreiben. Der Verwaltungsaufwand wäre viel zu hoch. Dennoch sieht man am Beispiel ganz gut, dass die stetige Verzinsung eine gute Annäherung an realistische Verzinsungsmodelle ist. Zwischen der stetigen Verzinsung und einer täglichen Zinsgutschrift kann man in Tab. 2.3 keinen Unterschied mehr erkennen, der Unterschied tritt erst in den hinteren Nachkommastellen auf. Und auch der Unterschied zu einer quartalsweisen oder auch jährlichen Verzinsung ist nicht hoch. Dieses gilt umso mehr, wenn die Jahreszinssätze recht klein sind. 2 Man kann die stetige Verzinsung daher gut als Approximation verwenden. Das wird man dann machen, wenn sie, obwohl sie Abweichungen gegenüber der wahren Verzinsung aufweist, andere Vorteile bietet (s.u.). Für Aktien - und andere börsennotierte Finanzprodukte - hingegen ist die stetige Wertänderung, bzw. eine stetige Rendite, von vorne herein eine sinnvolle Modellierung. Aktienkurse können sich an der Börse in jedem Moment ändern, da Kurse ständig neu notiert werden. Dieses entspricht einer dauernden Gutschrift bzw. einem Abzug der Wertänderungen der Aktie. 2.5.2 Von der stetigen Verzinsung zur stetigen Rendite Die stetige Rendite ist das Pendant zur stetigen Verzinsung im Renditebereich. Man erhält sie als Grenzwert der diskreten Rendite, wenn man den Anlagezeitraum immer weiter verkürzt und die Erträge wiederum in die gleiche Anlageform investiert. Formal kann man sie durch Auflösen von Formel (2.13) nach der Wertänderung ) ( s t r bestimmen. 2 Bei höheren Nominalbeträgen ist der absolute Unterschied naturgemäß höher. <?page no="38"?> 2.5 Stetige Rendite 39 www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement Definition 2.8: Die stetige Rendite ) ( s t r ist definiert als (2.15) . / ln 1 ) ( t t s t V V r Die stetige Rendite ist stets kleiner oder gleich der diskreten Rendite, d.h. , 1 ln ) ( 1 1 ) ( d t t t t t s t r V V V V r da 1 ln x x ist (s. Abb. 2.1), wobei die Gleichheit bei einer Rendite von 0 % gilt. Abb. 2.1 Zusammenhang zwischen diskreter und stetiger Rendite Für kleine Vermögensänderungen ist die stetige Rendite eine gute Annäherung an die diskret definierte Rendite. Beispielsweise liegt die Abweichung für Renditen im Bereich [-2 %; +2 %] unter 0,02 Prozentpunkten. Bei größeren Vermögensänderungen werden auch die Abweichungen zur diskreten Rendite groß (s. Abb. 2.1). 2.5.3 Durchschnittliche stetige Rendite Beispiel 2.11 (Fortführung von Beispiel 2.4) Berechnet man die Vermögensänderungen der High-Fly-Aktien aus Beispiel 2.4 über stetige Renditen so erhält man das in Tab. 2.4 gezeigte Bild. Vergleicht man diese Renditen mit den diskreten Renditen in Tab. 2.1, so erkennt man, dass die Abweichungen nur für hohe Renditen groß sind. Im Januar beträgt der Unterschied zwi- <?page no="39"?> 40 2 Rendite www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement schen stetiger Rendite von 4,9 % und diskreter Rendite von 5 % nur 0,1 %. Im März ist die Abweichung zwischen der stetigen Rendite von 18,2 % und der diskreten Rendite von 20 % mit 1,8 Prozentpunkten aber deutlich höher. Periode Wert der Aktie Vt Monatsrendite ) ( s t r ) ( s t r in % Dezember 2011 500 € - - Januar 2012 525 € ln(525 €/ 500 €)=0,049 4,9 % Februar 2012 577,50 € ln(577,50 €/ 525 €)=0,095 9,5 % März 2012 693 € ln(693 €/ 577,50 €)=0,182 18,2 % Tab. 2.4 Stetige monatliche Renditen der High-Fly-AG Für die Quartalsrendite ergibt sich ein Wert von ln(693€/ 500€)=32,6 %. Es fällt auf, dass die stetige Quartalsrendite der Summe der stetigen Monatsrenditen entspricht, da 4,9 %+9,5 %+18,2 %=32,6 % ergibt. Der in Beispiel 2.11 gezeigte Zusammenhang ist ein allgemeiner Vorteil stetiger Renditen. Die Summe der stetigen Renditen der Teilperioden ergibt die stetige Rendite der Gesamtperiode. Dieses liegt formal an den Logarithmusgesetzen. Fortführung von Beispiel 2.11 Addiert man die stetigen Monatsrenditen in Beispiel 2.11, so erhält man , € 500 € 693 ln € 50 , 577 € 693 € 525 € 50 , 577 € 500 € 525 ln € 50 , 577 € 693 ln € 525 € 50 , 577 ln € 500 € 525 ln d.h. die stetige Quartalsrendite. Da die Summe der Renditen einzelner Teilperioden die Gesamtrendite ergibt, lässt sich eine durchschnittliche Rendite im Fall stetiger Renditen über das einfachere arithmetische Mittel berechnen. Dieses lässt sich allgemein aus der stetigen Verzinsung herleiten. Nach Formel (2.14) beträgt der Endwert nach n Perioden bei der stetigen Verzinsung (2.16) . ) ( ) ( 1 ) ( ... 1 s t s n t s n t r r r n t t e V V <?page no="40"?> 2.5 Stetige Rendite 41 www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement Bei n-periodiger Verzinsung mit der durchschnittlichen Rendite ) ( s r soll der gleiche Endwert V t erzielt werden. Es soll gelten (2.17) . ) ( ) ( ) ( ) ( 1 ... 1 s s s s r n n t r r r n t t e V e V V Gleichsetzen der rechten Seiten von (2.16) und (2.17) und Auflösen nach ) ( s r ergibt die über das arithmetische Mittel definierte durchschnittliche stetige Rendite. Definition 2.9: Die im zeitlichen Sinn durchschnittliche stetige Rendite errechnet sich über das arithmetische Mittel der stetigen Renditen ) ( s n t r ,…, ) ( s t r zu (2.18) . ... ) ( ) ( 1 ) ( ) ( n r r r r s t s n t s n t s Fortführung von Beispiel 2.11 Die durchschnittliche stetige Monatsrendite ergibt sich in Beispiel 2.11 zu 32,6 %/ 3 = 10,87 %. Führt man 3 Monate lang eine stetige Verzinsung mit der stetigen Durchschnittsrendite von 10,87 % pro Monat durch, so erhält man - bis auf Rundung - einen Vermögenswert von €. 693 € 500 1087 , 0 3 e V 2.5.4 Zeitliche Umskalierung stetiger Renditen Die Umskalierung stetiger Renditen im zeitlichen Kontext ist sehr einfach möglich. Beispiel 2.12 Die stetige Monatsrendite betrage 0,5 %. Damit entstehen aus einem zu Beginn eines Jahres angelegten Betrag V 0 am Ende des Jahres nach Formel (2.14) . 005 , 0 12 0 Jahr 1 e V V Verzinst man das Ausgangskapital ein Jahr lang mit einer annualisierten Rendite, so soll sich der gleiche Endwert ergeben, d.h. . ) ( 1 0 Jahr 1 s Jahr r e V V Für die stetige Jahresrendite erhält man %. 6 % 5 , 0 12 ) ( Jahr 1 s r <?page no="41"?> 42 2 Rendite www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement Bemerkung 2.8: Sind stetige Renditen für eine Periode einer Länge T gegeben, so gilt für die stetige Rendite einer Periode, die n·T Zeiteinheiten lang ist, (2.19) . ) ( ) ( s T s T n r n r Beispiel 2.13 (Fortführung von Beispiel 2.8) Eine stetige Tagesrendite von 0,02 % entspricht einer stetigen Jahresrendite von 250·0,02 %=5 %. Umgekehrt entspricht eine stetige Jahresrendite von 8 % einer stetigen Tagesrendite von 8 %/ 250=0,032 %. 2.5.5 Fehlende Portfolioadditivität stetiger Renditen Stetige Renditen haben den Nachteil, dass bei der Bildung eines Portfolios die Portfoliorendite nicht dem gewichteten Mittel der Einzelrenditen entspricht. Beispiel 2.14 (Fortführung von Beispiel 2.9) Tab. 2.5 zeigt noch einmal die in Tab. 2.2 gegebenen Kurse zweier Aktien zum Zeitpunkt t=0 und zum Zeitpunkt t=1. Wert zum Zeitpunkt t=0 Wert zum Zeitpunkt t=1 ) ( s r Aktie A 50 € 60 € ln(60 €/ 50 €)=18,23 % Aktie B 100 € 110 € ln(110 €/ 100 €)=9,53 % Portfolio 150 € 170 € ln(170 €/ 150 €)=12,52 % Tab. 2.5 Portfoliorendite stetiger Renditen Wie in Beispiel 2.9 besteht das Portfolio zu einem Drittel aus Aktie A und zu zwei Dritteln aus Aktie B. Rechnet man mit stetigen Renditen, so entspricht das gewichtete Mittel der Renditen der einzelnen Aktien mit % 43 , 12 % 53 , 9 3 2 % 23 , 18 3 1 aber nicht der stetigen Portfoliorendite von ln(170 €/ 150 €)=12,52 %. Für stetige Renditen gilt vielmehr (2.20) . ln ) ( 1 ) ( Portfolio s i r n i i s e w r Fortführung von Beispiel 2.14 Formel (2.20) ergibt für die Aktien in Beispiel 2.14 %. 52 , 12 % 53 , 9 3 2 % 23 , 18 3 1 ln ) ( Portfolio s r <?page no="42"?> 2.5 Stetige Rendite 43 www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement Dieses stimmt mit der über die Vermögenswerte des Portfolios berechneten Portfoliorendite von 12,52 % überein. Die fehlende Portfolioadditivität ist ein großer Nachteil stetiger Renditen, da man bei der Portfoliobildung Rendite und Risiko des gesamten Portfolios aus den Parametern der einzelnen im Portfolio enthaltenen Produkte berechnen möchte (s. Abschnitt 6.5.1). Das gewichtete Mittel der Einzelrenditen aus Formel (2.11) bildet aber auch bei stetigen Renditen eine Approximation an die Portfoliorendite. Das ist besonders bei kleinen Renditen der Fall. Beispiel 2.15 Tab. 2.6 zeigt die Renditen der Aktien C und D zum Zeitpunkt t=0 und zum Zeitpunkt t=1. Wert zum Zeitpunkt t=0 Wert zum Zeitpunkt t=1 R Aktie C 50 € 52,50 € ln(52,50 €/ 50 €)=4,88 % Aktie D 100 € 102 € ln(102 €/ 100 €)=1,98 % Portfolio 150 € 154,50 € ln(154,50 €/ 150 €)=2,956 % Tab. 2.6 Portfoliorendite bei (kleinen) stetigen Renditen Das Portfolio besteht wiederum zu einem Drittel aus einer Aktie, hier der Aktie C und zu zwei Dritteln aus einer zweiten Aktie, hier Aktie D. Gewichtet man die stetigen Einzelrenditen nach Formel (2.11), so erhält man %. 946 , 2 % 98 , 1 3 2 % 88 , 4 3 1 Eine Abweichung zur über die Vermögenswerte berechneten Portfoliorendite von 2,956 % ergibt sich erst in der zweiten Nachkommastelle. 2.5.6 Normalverteilung stetiger Renditen Verliert man sein gesamtes eingesetztes Kapital, so beträgt die stetige Rendite minus unendlich. Die stetige Rendite besitzt demnach nicht den Nachteil eines beschränkten Wertebereichs wie die diskrete Rendite. Empirisch lässt sich außerdem nachweisen, dass die Verteilungen stetiger Renditen eher durch Normalverteilungen modelliert werden können als diejenigen diskreter Renditen (vgl. z.B. Fischer, 2001, S. 69). Die Modellierbarkeit stetiger Renditen durch eine Normalverteilung ist ein bedeutender Vorteil, da die Normalverteilung eine leicht verständliche und leicht an die Daten anzupassende Verteilung darstellt. Zur Anpassung der Renditen durch eine Normalverteilung müssen nur deren Erwartungswert und Standardabweichung geschätzt werden, da die Normalverteilung durch diese beiden Parameter vollständig bestimmt ist. <?page no="43"?> 44 2 Rendite www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement 2.6 Umrechnung von diskreten und stetigen Renditen Es lässt sich fragen, wie diskrete und stetige Renditen zusammenhängen. Welche diskrete Rendite muss erzielt werden, um den gleichen Endwert wie bei einer stetigen Verzinsung zu erhalten? Oder andersrum! Wie hoch muss die stetige Rendite sein, damit sich der gleiche Endwert wie bei der Verzinsung mit der diskreten Rendite einstellt? Aus Formel (2.2) ergibt sich der Endwert V t eines Vermögenswertes bei einperiodiger Verzinsung mit der diskreten Rendite ) ( d t r zu ), 1 ( ) ( 1 d t t t r V V während aus Formel (2.13) der Endwert über die stetige Verzinsung mit der stetigen Rendite ) ( s t r in derselben Periode zu ) ( 1 s t r t t e V V führt. Da der Endwert V t bei beiden Berechnungen gleich hoch sein soll, setzen wir die rechten Seiten gleich. . ) 1 ( ) ( 1 ) ( 1 s t r t d t t e V r V Auflösen ergibt für die diskrete Rendite (2.21) . 1 ) ( ) ( s t r d t e r Für die stetige Rendite ergibt sich (2.22) ). 1 ln( ) ( ) ( d t s t r r Beispiel 2.16 Die diskrete Verzinsung mit einer diskreten Rendite von 20 % (Märzrendite in Beispiel 2.6) ergibt denselben Endwert wie die stetige Verzinsung mit der stetigen Rendite (Märzrendite in Beispiel 2.11) von %. 23 , 18 1823 , 0 ) 2 , 0 1 ln( ) ( s r Wie oben dargelegt, kann man eine durchschnittliche diskrete Rendite im zeitlichen Kontext nicht sinnvoll über das arithmetische Mittel berechnen. Die Berechnung erfolgt vielmehr über das geometrische Mittel. Man kann sich aber auch so behelfen, dass man das arithmetische Mittel der stetigen Renditen berechnet und dieses dann im Nachhinein in eine durchschnittliche diskrete Rendite umrechnet. Beispiel 2.17 Die durchschnittliche stetige Rendite in Beispiel 2.11 war durch 10,87 % gegeben. Die Umrechnung in eine durchschnittliche diskrete Rendite ergibt <?page no="44"?> 2.7 Erwartete Rendite 45 www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement 1148 , 0 1 1087 , 0 ) ( e r d d.h. 11,48 %. Der Unterschied zu den in Beispiel 2.6 ermittelten 11,49 % geht auf Rundungen in der Darstellung zurück. 2.7 Erwartete Rendite Die bisherigen Überlegungen waren für bereits beobachtete Renditen erfolgt. Wollen wir die Wertentwicklung eines Finanzprodukts für die Zukunft prognostizieren, so modellieren wir die Rendite als eine zufällige Größe. Die Zufallsvariable (s. Anhang, Abschnitt 10.1), die hier die Rendite modelliert, sei mit R notiert. Die Zufallsvariable kann verschiedene Ausprägungen r i , i=1,2,… annehmen. Nicht so sehr der einzelne Wert, sondern die erwartete Rendite ist entscheidend. Die erwartete Rendite wird mit μ bezeichnet. 2.7.1 Daten in Urlistenform Sind die Daten als sogenannte Urliste gegeben, d.h. hat man n einzelne Renditewerte r i , i=1,…,n vorliegen, so wird man für jeden der gegebenen Werte die gleiche Wahrscheinlichkeit des Auftretens annehmen. Ein Schätzer für die erwartete Rendite μ ergibt sich daher als arithmetisches Mittel zu (2.23) n r r r r n r n n i i ... 1 2 1 1 . Das arithmetische Mittel schätzt die erwartete Rendite μ der Verteilung, aus der die Daten stammen. Diesen Weg wird man dann wählen, wenn man für die Rendite keine Wahrscheinlichkeitsverteilung annehmen kann. Im Finanzkontext greift man in diesem Fall in der Regel auf historische Daten zurück. Dabei unterstellt man, dass jede historisch aufgetretene Rendite mit der gleichen Wahrscheinlichkeit 1/ n auch in der nächsten Periode auftreten kann. Das in Formel (2.23) gegebene arithmetische Mittel wird auch als Mittelwert der Renditen r i , i=1,…,n bezeichnet. 2.7.2 Diskrete Wahrscheinlichkeitsverteilung Kann man die Rendite als eine Zufallsvariable R mit einer diskreten Wahrscheinlichkeitsverteilung modellieren, d.h. werden die Ausprägungen r i der Zufallsvariablen mit den Wahrscheinlichkeiten p i für i=1, 2, … angenommen, so ist die erwartete Rendite durch (2.24) i i p r gegeben. Der Erwartungswert der Rendite beschreibt den gewichteten Mittelwert aller möglichen Renditen, wobei die Gewichte durch die Wahrscheinlichkeiten der Renditen gegeben sind. <?page no="45"?> 46 2 Rendite www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement Beispiel 2.18 Sie halten ein Aktienpaket im Wert von 10.000 €. Für das nächste Jahr denken Sie, dass die Rendite Ihres Portfolios folgende Ausprägungen annehmen kann. Rendite -15 % 5 % 20 % 40 % Wahrscheinlichkeit 10 % 50 % 30 % 10 % Tab. 2.7 Diskrete Rendite-Wahrscheinlichkeitsverteilung eines Portfolios Als erwartete Rendite erhalten Sie demnach %. 11 10 , 0 % 40 30 , 0 % 20 50 , 0 % 5 10 , 0 %) 15 ( Bemerkung 2.9: Formeln (2.23) und (2.24) lassen sich für diskrete und für stetige Renditen anwenden. Dabei ist zu beachten, dass für diskrete Renditen die erwartete Rendite in Formel (2.23) nicht die im zeitlichen Sinne durchschnittliche Rendite der beobachteten vergangenen Daten darstellt. Diese wird nach wie vor durch das geometrische Mittel gebildet. Vielmehr werden die vergangenen Daten alle als mögliche Renditen für die nächste Periode angesehen und aus ihnen dann ein arithmetisches Mittel als stochastischer Mittelwert gebildet. Man kann sich den Unterschied zwischen der Durchschnittsbildung im zeitlichen Sinn und der Mittelwertsbetrachtung im stochastischen Sinn vorstellen wie den Unterschied zwischen einer Hintereinanderschaltung und einer Parallelschaltung. Die diskreten Renditen an aufeinanderfolgenden Perioden in der Vergangenheit sind hintereinandergeschaltet. Es muss erst eine Periode vergehen, in der eine bestimmte Rendite erzielt wird, bevor die nächste beginnt. Vermögenswerte in aufeinanderfolgenden Perioden ergeben sich aus dem Produkt der Aufzinsungsfaktoren. Der Mittelwert der Renditen muss daher über das geometrische Mittel der Aufzinsungsfaktoren gebildet werden. Im Gegensatz dazu kann man sich bei den mit gewissen Wahrscheinlichkeiten für eine zukünftige Periode gegebenen diskreten Renditen eine Parallelschaltung von Renditen vorstellen. Alle diese Renditen stellen mögliche Renditen für ein und dieselbe zukünftige Periode dar. Sie müssen nicht hintereinander durchlaufen werden. Ein erwarteter Wert kann über das arithmetische Mittel gebildet werden. Für stetige Renditen fällt die Berechnung bei beiden Herangehensweisen zusammen. 2.8 Diskrete oder stetige Rendite? Wie wir gesehen haben, stellt sich keine der Methoden zur Berechnung der Rendite als die eindeutig bessere dar. Beide haben ihre Vor- und Nachteile (s.Tab. 2.8). <?page no="46"?> 2.9 Zusammenfassung 47 www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement diskrete Rendite stetige Rendite intuitiv verständlich (+) intuitiv nicht verständlich (-) zeitliche Umskalierung „kompliziert“ (- ) zeitliche Umskalierung einfach möglich (+) Anpassung mit einer Normalverteilung nur begrenzt möglich (-) bessere Anpassbarkeit durch eine Normalverteilung (+) Portfolioadditivität (+) fehlende Portfolioadditivität (-) Tab. 2.8 Eigenschaften diskreter und stetiger Renditen Ob wir für die Berechnungen des Risikos im Folgenden diskrete oder stetige Renditen verwenden, werden wir daher von der Art der Datenbasis abhängig machen. Will man für die Renditen eine Normalverteilung voraussetzen (z.B. in Abschnitt 4.5.3), so verwenden wir stetige Renditen, da stetige Renditen besser durch Normalverteilungen modelliert werden können (zu Grenzen der Normalverteilung s. Exkurs 4.5). Konsequenterweise wählen wir diesen Weg auch für Portfolios im Varianz-Kovarianz-Ansatz in Abschnitt 6.5 oder bei der Monte-Carlo-Simulation in Abschnitt 6.6.3, bei denen für die Risikofaktoren eines Portfolios eine gemeinsame Normalverteilung vorausgesetzt wird. Das gewichtete Mittel der Einzelrenditen kann hier dann als Approximation an die Portfoliorendite gesehen werden. Werden keine Normalverteilungsannahmen getroffen, sondern arbeitet man z.B. mit empirischen Verteilungen, so lassen sich die zu bestimmenden Risikomaße auch für die intuitiver verständliche diskrete Rendite berechnen. Dieses ist z.B. in den Abschnitten 4.5.1 und 4.5.2 der Fall oder auch bei der historischen Simulation in Abschnitt 6.6.2. In der Notation wird im weiteren Verlauf der Ausführungen nur der Buchstaben r zur Bezeichnung der Rendite verwendet. Dabei sei die Notation unabhängig davon, ob die diskrete oder die stetige Rendite bezeichnet wird. Welche Rendite angewandt wird, geht jeweils aus dem Kontext hervor. 2.9 Zusammenfassung Die diskrete Rendite ist die prozentuale Wertänderung eines Vermögenswertes. Die Summe diskreter Renditen für Teileinheiten einer Periode ergibt nicht die Gesamtrendite der Periode. Die durchschnittliche diskrete Rendite im zeitlichen Sinn kann daher nicht über ein arithmetisches Mittel berechnet werden. Die durchschnittliche diskrete Rendite im zeitlichen Sinn wird über das geometrische Mittel der Aufzinsungsfaktoren bestimmt. Stetige Renditen bilden eine Approximation für diskrete Renditen. Sie sind der Grenzwert der diskreten, auf eine Periode hochgerechneten, Renditen bei immer stärkerer Verkürzung des Anlagezeitraumes und Wiederinvestition aller Erträge. <?page no="47"?> 48 2 Rendite www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement Die Summe stetiger Renditen für Teileinheiten einer Periode ergibt die stetige Gesamtrendite der Periode. Für die durschnittliche stetige Rendite im zeitlichen Sinn kann daher ein arithmetischer Mittelwert berechnet werden. Für kleine Renditen ist die Abweichung zwischen diskreter und stetiger Rendite gering, für hohe Renditen ist diese Abweichung hoch. Liegen kleine Renditen vor, können diskrete und stetige Renditen daher wechselseitig als Approximation füreinander verwendet werden. Stetige Renditen können eher als normalverteilt modelliert werden als diskrete Renditen. Für diskrete Renditen ergibt sich die Portfoliorendite aus dem gewichteten Mittel der Einzelrenditen. Für stetige Renditen ist dieses nicht der Fall. 2.10 Literatur 2.10.1 Im Text zitierte Literatur Fischer, B.R. (2010): Performanceanalyse in der Praxis, 3. Aufl., München: Oldenbourg. Sauer, A. (1991): Die Bereinigung von Aktienkursen - Ein kurzer Überblick über Konzept und praktische Umsetzung. Diskussionspapier, Universität Karlsruhe. URL: http: / / finance.fbv.kit.edu/ download/ docber.pdf (Stand: 3.9.2013). 2.10.2 Ergänzende und weiterführende Literatur Drobetz, W., (2003). Statistische Eigenschaften von Finanzmarkt-Zeitreihen, Universität Basel, URL: http: / / wwz.unibas.ch/ fileadmin/ wwz/ redaktion/ cofi/ A._Lehre/ A._HS08/ F._General_Lecture_Notes/ 01-01.pdf (Stand: 7.12.2013). Dorfleitner, G. (2002): Stetige versus diskrete Renditen: Überlegungen zur richtigen Verwendung beider Begriffe in Theorie und Praxis. In: Kredit und Kapital 35, S. 216-241. Wüst, K. (2006): Finanzmathematik - Vom klassischen Sparbuch zum modernen Zinsderivat, Wiesbaden: Gabler. <?page no="48"?> 2.11 Kontrollfragen 49 www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement 2.11 Kontrollfragen 1. Die diskrete Rendite ist immer kleiner oder gleich der stetigen Rendite. größer oder gleich der stetigen Rendite. 2. Das arithmetische Mittel der Renditen ist sinnvoll zur Berechnung der im zeitlichen Sinn durchschnittlichen diskreten Rendite stetigen Rendite. 3. Die stetige Rendite ist eine gute Approximation an die diskrete Rendite für kleine Renditewerte große Renditewerte. 4. Hat man aus Börsendaten eine durchschnittliche stetige Tagesrendite ermittelt, so wird diese annualisiert, indem man sie mit 365 multipliziert mit 250 multipliziert durch 250 teilt durch 365 teilt. 5. Welche Renditen können eher als normalverteilt modelliert werden? Diskrete Renditen? Stetige Renditen? 6. Für welche Renditen ergibt sich die Portfoliorendite aus dem gewichteten Mittel der Einzelrenditen? Diskrete Renditen? Stetige Renditen? <?page no="49"?> 50 2 Rendite www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement 2.12 Aufgaben Aufgabe 2.1 Sie haben zum Dezemberschlusskurs von 100 € eine Aktie der Be-Moderate-AG gekauft. Tab. 2.9 zeigt die Kursentwicklung in den sechs Monaten nach dem Kauf. Periode Wert der Aktie Vt Dezember 100 € Januar 105 € Februar 102 € März 108 € April 112 € Mai 106 € Juni 107 € Tab. 2.9 Schlusskurse der Be-Moderate-AG a) Berechnen Sie die diskreten Monatsrenditen der Monate Januar bis Juni! b) Berechnen Sie die stetigen Monatsrenditen der Monate Januar bis Juni! c) Wie hoch ist die durchschnittliche diskrete Monatsrendite? d) Wie hoch ist die durchschnittliche stetige Monatsrendite? e) Geben Sie für die durchschnittlichen Renditen die annualisierte stetige Monatsrendite und die annualisierte diskrete Monatsrendite an! Aufgabe 2.2 Unter „Aufgabe 2.2.xls“ finden Sie die bereinigten Schlusskurse der Adidas-AG des Zeitraums 3.9.2012 bis 2.9.2013. a) Berechnen Sie die diskreten Monatsrenditen der Aktie! b) Berechnen Sie die stetigen Monatsrenditen der Aktie! c) Wie hoch ist die durchschnittliche diskrete Monatsrendite? d) Wie hoch ist die durchschnittliche stetige Monatsrendite? e) Rechnen Sie die durchschnittliche stetige Rendite in eine durchschnittliche diskrete Rendite um und vergleichen Sie Ihr Ergebnis mit c)! <?page no="50"?> 2.13 Aufgaben 51 Aufgabe 2.3 In der Excel-Datei „Aufgabe 2.3.xls“ finden Sie Schlusskurse des Dax vom 31.10.2003 bis zum 1.11.2013. Überprüfen Sie grafisch, ob sich die stetigen Renditen durch eine Normalverteilung anpassen lassen. Unterteilen Sie dafür den Wertebereich, in dem die Renditen liegen, in gleich große Intervalle und zählen Sie, wie viele Renditewerte in die Intervalle fallen. Passen Sie eine Normalverteilung an die Renditen an, deren Erwartungswert der Mittelwert der empirischen Renditen und deren Standardabweichung die über STABWN() berechnete Standardabweichung der empirischen Renditen ist. Was ist an der Modellierung der Renditen durch eine Normalverteilung problematisch? Aufgabe 2.4 Tab. 2.10 zeigt die Renditen der Aktien der Up-AG und der Down-AG zum Zeitpunkt t=0 und zum Zeitpunkt t=1. Wert zum Zeitpunkt t=0 Wert zum Zeitpunkt t=1 Aktie Up-AG 80 € 88 € Aktie Down-AG 320 € 304 € Tab. 2.10 Renditen der Aktien der Up-AG und der Down-AG a) Vollziehen Sie an den Renditen der Up-AG und der Down-AG nach, dass für diskrete Renditen die Portfolioadditivität gilt! b) Zeigen Sie zusätzlich, dass stetige Renditen nicht portfolioadditiv sind! <?page no="52"?> www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement 3 … und Risiko 3.1 Lernziele Nach der Bearbeitung dieses Kapitels sollten Sie wissen, dass bei der Wahl einer Anlageform nicht nur die erwartete Rendite in die Entscheidung eingeht unterschiedliche Maße zur Quantifizierung des Risikos eines Finanzprodukts nennen können den maximalen Verlust bestimmen können die Standardabweichung bei gegebenen empirischen Daten und bei Vorliegen einer diskreten Wahrscheinlichkeitsverteilung berechnen können die Idee von Downside-Risikomaßen verstanden haben und die Downside-Varianz, Downside-Standardabweichung und Downside-Wahrscheinlichkeit bei empirischen Daten und diskreten Wahrscheinlichkeitsverteilungen berechnen können Vor- und Nachteile aller vorgestellen Risikomaße angeben können. 3.2 Einführung Beispiel 3.1 Ihre Oma schenkt Ihnen 1.000 €. Sie macht Ihnen aber zur Bedingung, dass Sie das Geld für ein Jahr in Aktien anlegen sollen. Ihre Oma liebt klare Verhältnisse und möchte, dass Sie das Geld in nur einer Aktie anlegen und entweder für die gesamten 1.000 € Aktien eines Dax-Unternehmens oder eines Start-up-Unternehmens kaufen. Es gebe nur die Möglichkeiten, dass die Konjunktur „gut“ oder „schlecht“ läuft. Beide Szenarien seien mit 50 % gleich wahrscheinlich. Tab. 3.1 zeigt die möglichen Renditeentwicklungen der beiden Aktienanlagen bei guter und schlechter Konjunktur. <?page no="53"?> 54 3 … und Risiko www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement Unternehmen Konjunktur Erwartungswert schlecht (p=0,5) gut (p=0,5) Dax -2 % 4 % 1 % Start-up -12 % 14 % 1 % Tab. 3.1 Entscheidung zwischen zwei Anlagen Über Formel (2.24) lässt sich die erwartete Rendite des Dax-Unternehmens zu % 1 %) 2 ( 5 , 0 % 4 5 , 0 Dax und die des Start-up-Unternehmens zu ebenfalls % 1 %) 12 ( 5 , 0 % 14 5 , 0 up Start bestimmen. Die erwartete Rendite ist in beiden Fällen gleich hoch. Ist es also egal, für welche Anlageform Sie sich entscheiden? Die erwartete Rendite ist ein theoretischer Wert. Ein erwarteter Wert. Wir können uns das auch so vorstellen, dass wir, wenn wir 100 Jahre lang jeweils 1.000 € zu Beginn des Jahres in der gewählten Aktie anlegen, wir im Mittel eine Rendite von 1 % pro Jahr erhalten. Nun hatte die Oma ja aber nur gefordert, dass Sie das Geld für ein Jahr anlegen. Danach können Sie damit machen, was Sie wollen und das Geld ausgeben. Für das eine, das erste Jahr der Anlage, muss die Rendite aber nicht unbedingt 1 % p.a. sein. Das geht in diesem Fall auch gar nicht. Wir haben ja angenommen, dass es nur zwei Möglichkeiten einer Entwicklung gibt, nämlich entweder, dass die Konjunktur gut oder dass sie schlecht läuft. Also hat man beim Dax-Unternehmen entweder +4 % oder -2 % Rendite und beim Start-up-Unternehmen entweder +14 % oder -12 % Rendite. Beim Dax-Unternehmen ist der mögliche Gewinn moderat, dafür sind auch die möglichen Verluste überschaubar. Beim Start-up-Unternehmen erzielen Sie entweder einen sehr hohen Gewinn oder aber Sie haben Pech und realisieren einen hohen Verlust. Nicht nur der Erwartungswert ist für die Entscheidung relevant. Hinzu kommt noch eine unterschiedliche Ausgestaltung des Risikos beider Anlagen. Intuitiv haben Sie das Gefühl, dass das Start-up-Unternehmen das höhere Risiko hat. Wie lässt sich dieses nun fassen, wie kann man es quantifizieren? Bemerkung 3.1: Die in diesem Kapitel vorgestellten Risikomaße werden anhand von Renditen definiert. Wir bezeichnen die als Zufallsvariable modellierte Rendite mit R, die möglichen Ausprägungen der Rendite mit r. Die Renditen seien in <?page no="54"?> 3.3 Maximaler Verlust 55 www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement diesem Kapitel durchgehend für ein Jahr gegeben, es wird aber hier auf die Angabe „p.a.“ verzichtet. Die vorgestellten Maße sind ebenso auf andere Risikofaktoren oder auf die absoluten Werte eines Finanzprodukts anwendbar, die Einführung anhand der Rendite anstelle einer abstrakten Zufallsvariable erscheint aber leichter verständlich. 3.3 Maximaler Verlust Definition 3.1: Der maximale Verlust bezeichnet die stärkste mögliche negative Rendite eines Finanzprodukts. Sind für das Finanzprodukt nur positive Renditen möglich, wird der maximale Verlust null gesetzt. Bemerkung 3.2: Ein Verlust bezeichnet eine negative Wertentwicklung. Er wird aber als Absolutbetrag ausgedrückt, das negative Vorzeichen wird bei seiner Nennung „weggelassen“. Es schwingt in dem Wort Verlust sozusagen mit. Wir sprechen von Wertänderungen, wenn das Vorzeichen mitgeführt wird. Der maximale Verlust eines Finanzprodukts, dessen Rendite als Zufallsvariable R mit den Ausprägungen r i , i=1,…,n modelliert ist, wird daher durch (3.1) } 0 }, { min max{ ,..., 1 i n i r gegeben. Durch die Minimumsbildung wird die am stärksten negative Rendite ermittelt. Das Minuszeichen vor dem Minimum erzeugt aus der stärksten negativen Rendite eine positive Zahl. Waren die Renditen zuvor aber alle positiv, so ist das Minimum der Renditen ebenfalls positiv. Durch das Minuszeichen entsteht ein negativer Wert. Das Maximum einer negativen Zahl und Null ergibt dann Null. Fortführung von Beispiel 3.1 Beim Dax-Unternehmen in Beispiel 3.1 erleiden Sie einen maximalen Verlust von 2 %. Investieren Sie in das Start-up-Unternehmen und die Konjunktur läuft schlecht, so haben Sie dort einen maximalen Verlust von 12 %. 3.3.1 Vorteile Der maximale Verlust gibt an, welcher Prozentsatz des investierten Kapitals im schlimmsten Fall verloren gehen kann. Er ist damit sehr leicht zu interpretieren. Das Risikomaß des maximalen Verlustes berücksichtigt zudem nur negative Wertänderungen. Es misst daher das Risiko in der Definition einer negativen Entwicklung, die von den meisten Menschen am ehesten akzeptiert werden kann (s. Abschnitt 1.1). <?page no="55"?> 56 3 … und Risiko www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement 3.3.2 Nachteile Allerdings bezieht das Risikomaß des maximalen Verlustes überhaupt nicht mit ein, wie wahrscheinlich der maximale Verlust ist. In Beispiel 3.1 war die Wahrscheinlichkeit, dass der maximale Verlust eintritt, 50 % und damit sehr hoch. Läge die Wahrscheinlichkeit für eine schlechte Konjunktur aber nur bei 5 % oder sogar nur bei 0,1 % (s. Beispiel 3.2), so wäre die Höhe des maximalen Verlustes immer noch dieselbe. Damit wäre auch das ausgewiesene Risiko jeweils gleich hoch. Dieses widerspricht unserer Vorstellung von Risiko, nach der Risiko die Wahrscheinlichkeit einer negativen Entwicklung bezeichnet (s. Definition 1.1). Die Höhe der Wahrscheinlichkeit sollte daher auch in die Quantifizierung des Risikos mit eingehen. Beispiel 3.2 (Fortführung von Beispiel 3.1) Tab. 3.2 zeigt wiederum die möglichen Renditeentwicklungen des Dax- und des Start-up-Unternehmens bei guter und schlechter Konjunktur. Diese sind gegenüber Tab. 3.1 gleich geblieben. Allerdings liege die Wahrscheinlichkeit für eine schlechte Konjunktur nun bei nur 0,1 %, diejenige für eine gute Konjunktur entsprechend bei 99,9 %. Unternehmen Konjunktur schlecht (p=0,001) gut (p=0,999) Dax -2 % 4 % Start-up -12 % 14 % Tab. 3.2 Entscheidung zwischen zwei Anlagen bei kleiner Wahrscheinlichkeit für einen schlechten Konjunkturverlauf Der maximale Verlust liegt auch bei der Situation in Tab. 3.2 für das Dax- Unternehmen bei 2 % und für das Start-up-Unternehmen bei 12 %. Die meisten Anleger würden aber bei einer Situation wie in Tab. 3.2 dargestellt anders entscheiden als bei der Situation in Tab. 3.1 mit einer Wahrscheinlichkeit von 50 % für eine schlechte Konjunktur. 3.4 Varianz und Standardabweichung Die Standardabweichung ist das traditionelle Risikomaß im Finanzbereich. Ihre Anwendung geht zurück auf Arbeiten von Markowitz (1952, 1959) und Tobin (1958) zur Portfoliotheorie ( QR-Glossar). Im Gegensatz zu Risikomaßen wie dem maximalen Verlust bezieht die Standardabweichung die Wahrscheinlichkeiten der möglichen Entwicklungen mit in die Berechnung des Risikos ein. Definition 3.2: Die Standardabweichung ist die Wurzel aus der Varianz der die Rendite modellierenden Zufallsvariablen. Die Varianz wiederum mittelt die quadratischen Abweichungen der möglichen Ausprägungen der Rendite von der erwarteten Rendite. <?page no="56"?> 3.4 Varianz und Standardabweichung 57 www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement Varianz und Standardabweichung messen die Abweichungen vom Erwartungswert der Rendite. Allein ein sicheres Ereignis, d.h. ein immer gleich hohes Ergebnis, erhält den Wert von null zugewiesen, spiegelt also kein Risiko wider. Beide Risikomaße sind von der Lage der Verteilung selbst unabhängig, sie geben die Schwankung der Renditen an. Bemerkung 3.3: Bei Risikofaktoren im Finanzbereich, z.B. der Rendite einer Aktie oder einem Wechselkurs, spricht man bei der Schwankung des Risikofaktors auch von der Volatilität. Sie wird klassisch durch die Standardabweichung gemessen. Dabei ist die Volatilität immer annualisiert - d.h. auf ein Jahr bezogen - angegeben, während die Standardabweichung auch als Schwankung z.B. täglicher Renditen angegeben werden kann. 3.4.1 Daten in Urlistenform Hat man n Renditewerte r i , i=1,…,n gegeben, so errechnet sich die mittlere Rendite nach Formel (2.23) als arithmetischer Mittelwert zu n i i r n r 1 1 . Die Varianz 2 erhält man, indem man die quadratischen Abweichungen von der mittleren Rendite wiederum mittelt, d.h. durch (3.2) n i i r r n 1 2 2 . 1 Die Standardabweichung ist die positive Wurzel aus der Varianz, d.h. (3.3) . 1 1 2 2 n i i r r n Beispiel 3.3 Folgende Werte für die Renditen der letzten fünf Jahre seien gegeben: -4 %, -1 %, 0 %, 2 %, 18 %. Die Renditewerte werden als gleichwahrscheinliche Möglichkeiten für die Rendite des nächsten Jahres betrachtet. Der Mittelwert der historischen Renditen beträgt %. 3 %) 18 % 2 % 0 % 1 % 4 ( 5 1 r Damit ergibt sich für die Varianz . (%) 60 %) 3 % 18 ( %) 3 % 2 ( %) 3 % 0 ( %) 3 % 1 ( %) 3 % 4 ( 5 1 2 2 2 2 2 2 2 <?page no="57"?> 58 3 … und Risiko www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement Die Standardabweichung beträgt dementsprechend %. 75 , 7 (%) 60 2 3.4.2 Diskrete Wahrscheinlichkeitsverteilung Modelliert man die Rendite über eine Zufallsvariable R, die die Ausprägungen r i , i=1,2,… mit den Wahrscheinlichkeiten p i , i=1,2,… annehmen kann, so war der Erwartungswert der Zufallsvariablen nach Formel (2.24) als i i i r p gegeben. Die Varianz lässt sich dann durch (3.4) 2 2 ) ( i i i r p berechnen. Die Standardabweichung ergibt sich nach wie vor aus der Wurzel aus der Varianz. Beispiel 3.4 (Fortsetzung von Beispiel 3.1) In Beispiel 3.1 erhält man mit den Wahrscheinlichkeiten aus Tab. 3.1 die bereits berechneten Erwartungswerte von 1 % für beide Unternehmen. Als Standardabweichung für das Dax-Unternehmen ergibt sich %. 3 %) 1 % 4 ( 5 , 0 %) 1 % 2 ( 5 , 0 2 2 2 Dax Dax Für das Start-up-Unternehmen beträgt die Standardabweichung hingegen %. 13 %) 1 % 14 ( 5 , 0 %) 1 % 12 ( 5 , 0 2 2 2 Up Start Up Start Gemessen an der Standardabweichung hat das Start-up-Unternehmen ein mehr als viermal so hohes Risiko wie das Dax-Unternehmen. Beispiel 3.5 (Fortsetzung von Beispiel 3.2) Da die Standardabweichung die Wahrscheinlichkeiten für die einzelnen Werte berücksichtigt, ergibt sich für die Situation in Tab. 3.2 ein ganz anderes Bild. Mit den kleineren Wahrscheinlichkeiten für Verluste erhält man für das Dax-Unternehmen eine erwartete Rendite von % 994 , 3 %) 2 ( 001 , 0 % 4 999 , 0 Dax <?page no="58"?> 3.4 Varianz und Standardabweichung 59 www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement und damit eine Standardabweichung von % 1896 , 0 %) 994 , 3 % 2 ( 001 , 0 %) 994 , 3 % 4 ( 999 , 0 2 2 2 Dax . Für das Start-up-Unternehmen erhält man eine erwartete Rendite von % 974 , 13 %) 12 ( 001 , 0 % 14 999 , 0 Up Start und eine Standardabweichung von %. 8218 , 0 %) 974 , 13 % 12 ( 001 , 0 %) 974 , 13 % 14 ( 999 , 0 2 2 2 Up Start Die Standardabweichung des Start-up-Unternehmens ist immer noch gut viermal so hoch wie diejenige des Dax-Unternehmens. Dennoch ist der absolute Wert des Risikomaßes „Standardabweichung“ bei dem Start-up-Unternehmen nun recht klein. Viele Anleger würden daher in diesem Fall überlegen, ob sie für die höhere erwartete Rendite des Start-up-Unternehmens das etwas erhöhte Risiko nicht doch in Kauf nehmen wollen. Bemerkung 3.4: Hat man stetige Renditen vorliegen, lässt sich die Standardabweichung ähnlich der Renditen selbst (s. Abschnitt 2.5.4) zeitlich umskalieren. Für die Umskalierung starten wir zunächst mit der Varianz. Für die Varianz 2 der Summe zweier Zufallsvariablen R 1 und R 2 gilt ). , ( 2 ) ( ) ( ) ( 2 1 2 2 1 2 2 1 2 R R Cov R R R R Man nimmt vereinfachend an, dass die Renditen zweier Perioden unkorreliert sind. Damit ist ihre Kovarianz null und die Varianz der Summe zweier Zufallsvariablen vereinfacht sich zur Summe der Varianzen ). ( ) ( ) ( 2 2 1 2 2 1 2 R R R R Gleiches gilt für die Varianz der Rendite von N Teilperioden. Es ist N i i N i i R R 1 2 1 2 ), ( und damit die Varianz für N Perioden der Länge T das N-fache der Varianz einer Periode . 2 2 T T N N Geht man nun, indem man auf beiden Seiten die Wurzel zieht, zur Standardabweichung über, so erhält man <?page no="59"?> 60 3 … und Risiko www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement (3.5) . T T N N Bemerkung 3.5: Skaliert man eine Standardabweichung auf ein Jahr um, so spricht man von der Annualisierung der Standardabweichung. Beispiel 3.6 Die tägliche Standardabweichung der stetigen Renditen der Schwank-AG beträgt 2 %. Dann lässt sich die annualisierte Standardabweichung für ein Jahr zu % 62 , 31 % 2 250 250 Tag 1 Jahr 1 berechnen. Bemerkung 3.6: Formel (3.5) gilt so nur für die Standardabweichungen stetiger Renditen, da nur für diese die Summe der Renditen der Teilperioden die Rendite der Gesamtperiode ergibt. Für kleine Renditen lässt sich die Umskalierung in Formel (3.5) aber auch bei der Verwendung diskreter Renditen verwenden. Sie gilt dann aber nur approximativ. 3.4.3 Vorteile Die Standardabweichung hat einige - eher technische - Vorteile. Sie erfüllt eine Reihe von Anforderungen, die man an Risikomaße stellen kann, wie sie durch das Axiomensystem für Risikomaße von Pedersen und Satchell (1998) gegeben sind. Insbesondere ist sie subadditiv (s. auch Abschnitt 4.7.2.1), d.h. das durch die Standardabweichung gemessene Risiko eines Portfolios ist kleiner oder gleich der Summe der Risiken der einzelnen Finanzprodukte im Portfolio. Dieses spiegelt den Diversifikationseffekt bei der Portfoliobildung wider. Des Weiteren lässt sich die Standardabweichung eines Portfolios unmittelbar aus den Standardabweichungen und Korrelationen der einzelnen Titel im Portfolio bestimmen (s. Formel (6.8)). 3.4.4 Nachteile 3.4.4.1 Schwere Interpretierbarkeit Trotz ihrer weiten Verbreitung ist die Standardabweichung nicht unproblematisch. Ein Nachteil der Standardabweichung liegt darin, dass sie schlecht zu interpretieren ist. Wer kann sich schon etwas unter mittleren quadratischen Abweichungen vorstellen? Und dann auch noch aus der Wurzel daraus? Eine leicht zu verstehende Interpretationsmöglichkeit ist für normalverteilte Zufallsvariablen gegeben. Ist eine Zufallsvariable normalverteilt, so beträgt die Wahrschein- <?page no="60"?> 3.4 Varianz und Standardabweichung 61 www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement lichkeit, dass ihre Realisationen in ein Intervall von zwei Standardabweichungen um ihren Erwartungswert fallen, 95 %. Für Zufallsvariablen, die nicht normalverteilt sind, lässt sich nur eine untere Schranke für diese Wahrscheinlichkeit angeben, die Prozentangabe selbst trifft nicht mehr unbedingt zu. Sinnvoll zu interpretieren sind Varianz und Standardabweichung daher bei allgemeinen Verteilungen nur im Vergleich. Die Aktie des Start-up-Unternehmens hat eine höhere Standardabweichung als die des Dax-Unternehmens, also ist sie riskanter. Die Angabe einer Standardabweichung allein, ohne einen Referenzwert, ist schwer zu deuten. 3.4.4.2 Berücksichtung von Abweichungen „nach oben“ und „nach unten“ Ein zweiter Kritikpunkt liegt darin, dass die Varianz und damit auch die Standardabweichung Abweichungen vom Erwartungswert berücksichtigen, die nach oben und nach unten gerichtet sind. Das Risikomaß wird größer, wenn es möglich ist, einen sehr hohen Gewinn zu machen, der stark vom erwarteten Wert abweicht. Das entspricht aber nicht unserem intuitiven Verständnis von Risiko (s. Abschnitt 1.1). Gegen einen hohen unerwarteten Gewinn würde man nicht versuchen sich zu schützen. Risiko empfinden wir eher als die negative Abweichung von dem, was wir erwarten. Das wird in der Standardabweichung aber nicht widergespiegelt. Beispiel 3.7 (Fortsetzung von Beispiel 3.1) Wir betrachten nun bei unserem Ausgangsbeispiel zwei verschiedene Dax- Unternehmen. Beide verlieren bei einer schlechten Konjunktur 2 % an Wert, bei einer guten Konjunktur erzielt aber das zweite Unternehmen eine positive Rendite von 12 %, während das erste Unternehmen weiterhin eine Rendite von 4 % erzielt. Unternehmen Konjunktur Erwartungswert schlecht (p=0,5) gut (p=0,5) Dax-Unternehmen 1 -2 % 4 % 1 % Dax-Unternehmen 2 -2 % 12 % 5 % Tab. 3.3 Entscheidung zwischen zwei Dax-Unternehmen Das erste Dax-Unternehmen hat weiterhin eine erwartete Rendite von 1 % bei einer Standardabweichung von 3 %. Bei dem zweiten Dax-Unternehmen steigt die erwartete Rendite auf 5 %, die Standardabweichung liegt nun bei %. 7 %) 5 % 2 ( 5 , 0 %) 5 % 12 ( 5 , 0 2 2 2 Unt.2 Dax Betrachtet man die Situation in Tab. 3.3 ohne auf die Standardabweichung zu schauen, sollte jeder Anleger sich für das zweite Dax-Unternehmen entscheiden. Bei schlechter Konjunktur sind die Verluste genauso hoch wie beim ersten Dax- Unternehmen. Läuft die Konjunktur aber gut, so erzielt man eine wesentlich höhere Rendite mit dem zweiten Unternehmen. In allen Situationen ist man mit einer Ent- <?page no="61"?> 62 3 … und Risiko www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement scheidung für das zweite Unternehmen mindestens genauso gut dran wie bei einer Wahl des ersten Unternehmens. Vergleicht man hingegen das Risiko der Anlagen anhand der Standardabweichungen, so würde man sagen, dass das zweite Dax-Unternehmen mit einer Standardabweichung von 7 % deutlich riskanter als das erste Dax-Unternehmen mit einer Standardabweichung von 3 % ist. Ein risikoscheuer Anleger ( QR-Glossar) würde daher eventuell trotz der höheren Rendite auf die objektiv bessere zweite Anlagemöglichkeit verzichten. Die höhere Standardabweichung des zweiten Dax-Unternehmens ergab sich allerdings rein aus der Chance auf höhere Renditen. 3.5 Downside-Varianz und Downside-Standardabweichung Wie in Abschnitt 1.1 dargestellt, widerspricht der Einbezug positiver Abweichungen vom Lageparameter eher unserem alltäglichen Risikoverständnis. Eine Alternative zu den Schwankungsmaßen Varianz und Standardabweichung stellen daher die Downside- Varianz 3 und Downside-Standardabweichung dar, die wie auch die Downside-Wahrscheinlichkeit im folgenden Abschnitt 3.6 zu den sogenannten Downside-Risikomaßen gehören. Downside-Risikomaße konzentrieren sich auf das „untere“ Ende einer Verteilung, d.h. vor allem auf negative oder geringe Renditen. Definition 3.3: Die Downside-Varianz mittelt quadratische Abweichungen von der erwarteten oder einer vorgegebenen Rendite. Die Abweichugen werden nur dann einbezogen, wenn sie die erwartete oder vorgegebene Rendite unterschreiten, ansonsten werden sie null gesetzt. Die Downside-Standardabweichung ist die positive Wurzel aus der Downside-Varianz. 3.5.1 Daten in Urlistenform Die Downside-Varianz der Renditewerte r i , i=1,…,n wird zu (3.6) n i i r d r r n 1 2 2, ) 0 , min( 1 berechnet. 3 Im Deutschen wird in der Literatur statt von der Downside-Varianz und der Downside- Wahrscheinlichkeit eher von der Shortfall-Varianz und der Shortfall-Wahrscheinlichkeit gesprochen. Hingegen spricht man von Downside-Risikomaßen. Um einen weiteren - ebenfalls englischen - Begriff zu vermeiden, werden hier nur die Begriffe Downside-Varianz, Downside-Standardabweichung und Downside-Wahrscheinlichkeit verwendet. <?page no="62"?> 3.5 Downside-Varianz und Downside-Standardabweichung 63 www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement Die Downside-Varianz gibt die mittlere quadratische Abweichung aller Werte an, die negativ vom Erwartungswert abweichen. Ist der ursprüngliche Wert größer als der Erwartungswert, so wird er null gesetzt. Die Downside-Standardabweichung entspricht der positiven Wurzel aus der Downside- Varianz, d.h. (3.7) 2 , , r d r d . Beispiel 3.8 (Fortführung von Beispiel 3.3) Es seien wie in Beispiel 3.3 folgende stetige Renditen gegeben: -4 %, -1 %, 0 %, 2 %, 18 %. Es wurde bereits in Beispiel 3.3 gezeigt, dass der Mittelwert 3 % beträgt. Für die Berechnung der Downside-Varianz werden jetzt nur Abweichungen in die Berechnung aufgenommen, bei denen der Ausgangswert kleiner als der Mittelwert ist. Alle anderen Abweichungen werden null gesetzt. Hier übersteigt nur die Rendite von 18 % die mittlere Rendite von 3 %. Die Downside-Varianz ergibt sich demnach zu . % 15 % 0 %) 3 % 2 ( %) 3 % 0 ( %) 3 % 1 ( %) 3 % 4 ( 5 1 2 2 2 2 2 2 2 ,r d Die Downside-Standardabweichung beträgt dementsprechend %. 87 , 3 % 15 ,r d Bemerkung 3.7: Die Downside-Varianz kann statt der Abweichungen vom Erwartungswert auch die Abweichungen von einem beliebig vorgegeben Referenzwert r min messen, d.h. n i i r d r r n 1 2 min 2 , ) 0 , min( 1 min . Der Wert r min lässt sich dann als geforderte Mindestrendite interpretieren. Ist der Referenzwert nicht explizit benannt, wird davon ausgegangen, dass Abweichungen vom Erwartungswert gebildet werden. Beispiel 3.9 (Fortführung von Beispiel 3.8) Wenn man in Beispiel 3.8 eine Mindestrendite von 1 % fordert, so ergibt sich die Downside-Varianz zu , % 6 % 0 % 0 %) 1 % 0 ( %) 1 % 1 ( %) 1 % 4 ( 5 1 2 2 2 2 2 2 2 , min r d die Downside-Standardabweichung entsprechend zu <?page no="63"?> 64 3 … und Risiko www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement %. 45 , 2 % 6 min ,r d 3.5.2 Diskrete Wahrscheinlichkeitsverteilung Modelliert man die Rendite über eine Zufallsvariable R, die die Ausprägungen r i , i=1,2,… mit den Wahrscheinlichkeiten p i , i=1,2,… annehmen kann, so erhält man für die Downside-Varianz i i i d r p , ) 0 , min( 2 2 , wobei . i i i r p Bemerkung 3.8: Auch für diskrete Verteilungen lässt sich als Referenzwert eine geforderte Mindestrendite anstelle des Erwartungswertes verwenden, so dass n i i i r d r r p 1 2 min 2 , ) 0 , min( min . Beispiel 3.10 (Fortsetzung von Beispiel 3.7) Für die Dax-Unternehmen aus Beispiel 3.7 fordern wir eine Mindestrendite von 1 %. Für beide Unternehmen liegt die Rendite bei guter Konjunktur über der geforderten Mindestrendite. Daher beträgt für beide Unternehmen die Downside-Varianz . (%) 5 , 4 ) 0 ( 5 , 0 %) 1 % 2 ( 5 , 0 2 2 2 2 , d und damit die Downside-Standardabweichung %. 12 , 2 % 5 , 4 , d Das durch die Downside-Standardabweichung gemessene Risiko ist für beide Unternehmen gleich hoch. Dieses spiegelt die Tatsache besser wider, dass eine Verlustsituation für beide Unternehmen gleich stark ausgeprägt ist. 3.5.2.1 Vorteile Downside-Varianz und Downside-Standardabweichung beziehen nur negative Abweichungen von einem Referenzwert in die Risikobildung ein. Dieses entspricht eher dem alltäglichen Risikoverständnis als die Berücksichtigung von positiven und negativen Abweichungen. <?page no="64"?> 3.6 Downside-Wahrscheinlichkeit 65 www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement 3.5.2.2 Nachteile Der alleinige Einbezug negativer Abweichungen von einem Referenzwert ändert nichts an der Tatsache, dass ein Mittel aus quadratischen Abweichungen schwer interpretierbar ist. Downside-Varianz und Downside-Standardabweichung können daher nur im Vergleich gedeutet werden. 3.6 Downside-Wahrscheinlichkeit Definition 3.4: Die Downside-Wahrscheinlichkeit gibt die Wahrscheinlichkeit ) ( x R P an, dass die als Zufallsvariable modellierte Rendite R einen vorgegebenen Wert x nicht überschreitet. Die Downside-Wahrscheinlichkeit misst die Wahrscheinlichkeit, dass die Ausprägungen einer Zufallsvariable kleiner oder gleich dem vorgegebenen Wert x bleiben. Sie entspricht daher dem Wert der Verteilungsfunktion an der Stelle x. Der Wert x kann frei gewählt werden. Beispiel 3.11 Bei den in Beispiel 3.3 dargestellten Werten -4 %, -1 %, 0 %, 2 %, 18 % entspricht die Downside-Wahrscheinlichkeit, mit der der Wert 1 % nicht überschritten wird, %, 60 5 3 %) 1 (R P da drei von fünf möglichen, gleichwahrscheinlichen Werten kleiner oder gleich eins sind. Mit 60 % Wahrscheinlichkeit liegt die Rendite des nächsten Jahres unter 1 %. 3.6.1 Vorteile Die Downside-Wahrscheinlichkeit ist als Wahrscheinlichkeit, dass ein vorgegebener Wert nicht überschritten wird, sehr leicht zu interpretieren. 3.6.2 Nachteile Die Grenze, für die die Unterschreitenswahrscheinlichkeit ermittelt werden soll, muss bekannt sein. Eventuell möchte man anders herum vorgehen und die Wahrscheinlichkeit vorgeben, mit der eine Unterschreitung einer noch zu bestimmenden Grenze akzeptiert werden kann. Diese Idee führt zur Definition des Value at Risk (s. Kapitel 4). <?page no="65"?> 66 3 … und Risiko www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement 3.7 Zusammenfassung Die erwartete Rendite reicht zur Beurteilung einer Anlagemöglichkeit nicht aus. Der maximale Verlust ist einfach zu berechnen und zu interpretieren. Er bezieht jedoch keine Wahrscheinlichkeiten für das Auftreten des schlimmstmöglichen Ausgangs mit ein. Die Varianz ist das Mittel der quadratischen Abweichungen vom Mittelwert, die Standardabweichung die positive Wurzel aus der Varianz. Die Standardabweichung ist ein klassisches Risikomaß für Finanzprodukte. Die Standardabweichung bezieht auch Abweichungen „nach oben“ in die Berechnung des Risikomaßes mit ein, die in der Regel als positiv empfunden werden. Downside-Risikomaße berücksichtigen bei ihrer Berechnung nur Abweichungen „nach unten“, die vom Anleger als negativ empfunden werden. 3.8 Literatur 3.8.1 Im Text zitierte Literatur Markowitz, H.M. (1952): Portfolio Selection, Journal of Finance 7, S. 77-91. Markowitz, H.M. (1959): Portfolio Selection: Efficient Diversification of Investment, Yale University Press, New Haven. Pedersen, C.S. & Satchell, S.E. (1998): An extended family of financial risk measures, Geneva Papers on Risk and Insurance Theory 23, S. 89-117. Tobin, J. (1958): Liquidity preference as a behavior towards risk, Review of Economic Studies 25, S. 65-86. 3.8.2 Ergänzende und weiterführende Literatur Cleff, T. (2008): Deskriptive Statistik und moderne Datenanalyse, 2. Aufl., Wiesbaden: Gabler. Cottin, C., Döhler, S. (2009): Risikoanalyse - Modellierung, Beurteilung und Management von Risiken mit Praxisbeispielen, Wiesbaden: Vieweg & Teubner. Gleißner, W. (2011): Quantitative Verfahren im Risikomanagement: Risikoaggregation, Risikomaße und Performancemaße, Der Controlling-Berater, Band 16, S. 179-204. <?page no="66"?> 3.9 Kontrollfragen 67 www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement 3.9 Kontrollfragen 1. Die Standardabweichung berücksichtigt die Wahrscheinlichkeiten für die unterschiedlichen Entwicklungen eines Finanzprodukts berücksichtigt nicht die Wahrscheinlichkeiten für die unterschiedlichen Entwicklungen eines Finanzprodukts. 2. Die Downside-Standardabweichung (Referenzwert: Erwartungswert) ist immer größer oder gleich der Standardabweichung kleiner oder gleich der Standardabweichung. 3. Einfach zu interpretieren sind folgende Risikomaße maximaler Verlust Standardabweichung Downside-Standardabweichung Downside-Wahrscheinlichkeit. 3.10 Aufgaben Aufgabe 3.1 Sie haben lange die Jahresberichte und Bilanzen des Unternehmens Notbad studiert und sind zu dem Schluss gekommen, dass für das nächste Jahr folgende Renditeergebnisse mit den jeweils angegebenen Wahrscheinlichkeiten für Notbad möglich sind. Rendite Wahrscheinlichkeit 40 % 0,03 25 % 0,08 10 % 0,2 2 % 0,3 0 % 0,2 -5 % 0,12 -10 % 0,07 Tab. 3.4 Diskrete Wahrscheinlichkeitsverteilung der Renditen des Unternehmens Notbad <?page no="67"?> 68 3 … und Risiko a) Berechnen Sie die erwartete Rendite für das nächste Jahr! b) Geben Sie den maximalen Verlust an! c) Berechnen Sie die Standardabweichung der Renditeentwicklungen! Warum verzerrt die Standardabweichung in diesem Beispiel den Eindruck vom Risiko, in das Unternehmen Notbad zu investieren? d) Berechnen Sie die Downside-Standardabweichung! e) Geben Sie die Downside-Wahrscheinlichkeit zu einer Renditesteigerung von 2 % an! Aufgabe 3.2 Verwenden Sie erneut die bereinigten Schlusskurse der Aktie der Adidas-AG des Zeitraums 3.9.2012 bis 2.9.2013 aus „Aufgabe 2.2.xls“. Ermitteln Sie folgende Risikomaße für die Aktie: a) Maximaler Verlust b) Standardabweichung c) Downside-Standardabweichung! <?page no="68"?> www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement 4 Value at Risk und Expected Shortfall 4.1 Lernziele Nach der Bearbeitung dieses Kapitels sollten Sie den Value at Risk definieren können erklären können, welchen Einfluss die Parameter Konfidenzniveau und Haltedauer auf die Höhe des Value at Risk haben den Value at Risk für empirische Daten und diskrete Verteilungen rechnerisch und grafisch bestimmen können den Value at Risk für normalverteilte Daten berechnen können die Idee des Backtesting verstanden haben Vor- und Nachteile des Value at Risk an Beispielen erläutern können den Expected Shortfall als mögliche Erweiterung zur Messung von Verlusten, die größer als der Value at Risk sind, kennen den Expected Shortfall für diskrete Verteilungen berechnen können. 4.2 Einführung Beispiel 4.1 Sie organisieren eine Studiparty für die neuen Erstsemester. Die Location haben Sie schon gemietet und die Deko entworfen. Sie rechnen mit 400 Studierenden, es können aber auch ein paar mehr oder weniger werden. Da Sie nur Studierende und Pro- <?page no="69"?> 70 4 Value at Risk und Expected Shortfall www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement fessoren Ihrer Hochschule einlassen, errechnen Sie eine absolute Maximalanzahl von 4.000 Gästen. Bisher haben Sie 2.500 Flaschen Bier eingekauft. Jetzt überlegen Sie, ob diese Menge an Bier reicht. Sie kalkulieren im Schnitt mit drei Flaschen Bier pro Person, werden aber, da Sie keinen Ärger bekommen wollen, auf keinen Fall mehr als sechs Flaschen Bier pro Person abgeben. Wenn die Getränke nicht ausreichen, müssen Sie Bier des an Ihre Partylocation angrenzenden Restaurants ausschenken. Da das Restaurant einen um einen Euro höheren Preis von Ihnen verlangt als Sie von den Studis, machen Sie in diesem Fall Verluste. Wenn Sie zu hohe Bierreserven haben, entsteht Ihnen zwar kein monetärer Verlust, da Sie genügend Abnehmer unter den Studis haben, die Ihnen das Bier zum Einkaufspreis abkaufen. Sie haben aber unnötigen Aufwand, da Sie das Bier ja beim Kauf schleppen und dann wieder zum Abnehmer transportieren müssen. Das wollen Sie so gut es geht vermeiden. Aufgrund Ihrer Annahmen gehen Sie von einem erwarteten Bierverbrauch von 400 Personen· 3 Flaschen Bier/ Person = 1.200 Flaschen Bier aus. Dafür reichen die schon erstandenen 2.500 Flaschen also locker aus. Ihnen ist aber bewusst, dass die Besucherzahl und damit der Bierkonsum bei solchen Partys stark schwanken kann. Sie wollen daher Ihr Verlustrisiko kalkulieren. Sie überlegen nur noch, welches Risikomaß Sie für Ihre Kalkulation verwenden wollen. Eine Standardabweichung von Bierflaschen ist Ihnen zu kompliziert zu interpretieren. Den Maximalverbrauch zu ermitteln, kommt Ihnen zu pessimistisch vor. In diesem Fall müssten Sie ja für 4.000 Personen Bier in der maximalen Abgabemenge von 6 Flaschen Bier/ Person bereitstellen, d.h. Sie müssten 24.000 Flaschen Bier liefern können. Da Sie bereits 2.500 Flaschen eingekauft haben und jede zusätzliche Flasche, die Sie am Abend der Party nachkaufen, einen Euro Verlust bedeutet, machen Sie maximal einen Verlust von 21.500 €. Oder Sie kaufen eben im Vorfeld noch 21.500 Flaschen dazu. Das kommt Ihnen übertrieben vor. Sie sagen sich, dass man nicht immer zu 100 % sicher sein kann. Und dass es wohl sowieso nur einmal in einer Ewigkeit vorkommt, dass wirklich alle Profs und Studis Ihrer Hochschule zu einer Party kommen. Sie überlegen daher, dass Sie keine 100 %-ige Sicherheit haben wollen, dass der Bedarf nach Bier von Ihrem Vorrat gedeckt wird. Es reicht Ihnen eine recht hohe Sicherheit, die aber kleiner als 100 % sein darf. Sie wählen eine Sicherheit von 95 %. Aus Nachfragen bei Teams, die vor Ihnen Hochschulevents organisiert haben, wissen Sie, dass in der Vergangenheit in 95 % der Fälle 3.000 Flaschen bei Hochschulpartys ausgereicht haben. Nur bei fünf von 100 Partys war der Bedarf einmal höher. Mit 95 % Wahrscheinlichkeit müssen Sie nicht mehr als 500 Flaschen vom Restaurant nebenan dazu kaufen. Ihr Verlust ist mit 95 % Wahrscheinlichkeit auf 500 € beschränkt. Sicherheitshalber kaufen Sie aber nun doch vorher noch 500 Flaschen. Demnach machen Sie mit 95 % Wahrscheinlichkeit keinen Verlust. Nur in 5 % der Fälle kann der Bierbedarf noch über 3.000 Flaschen hinausgehen und Sie realisieren den entsprechenden monetären Verlust. In Beispiel 4.1 haben Sie eine Value-at-Risk-Betrachtung gemacht, ohne sie noch so zu nennen. Den maximalen Bierverbrauch anzunehmen, erschien Ihnen als zu pessimistisch. Der maximale Verlust ist einfach zu berechnen und vor allem einfach zu interpretieren. Wie wir aber in Beispiel 3.2 gesehen haben, bezieht er keine Wahrscheinlich- <?page no="70"?> 4.2 Einführung 71 www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement keiten mit ein. Ob in Beispiel 4.1 bei einem von 100 Festen ein Verbrauch von 24.000 Flaschen auftritt oder bei jedem zweiten Fest, der errechnete Maximalverlust von 21.500 € bleibt immer gleich hoch. Die klassische Standardabweichung bezieht Wahrscheinlichkeiten für Gewinne und Verluste in die Berechnung mit ein. Ihr Nachteil besteht aber darin, dass Gewinne nicht als Risiko empfunden werden, trotzdem aber in die Berechnung eingehen (s. Beispiel 3.7). Ein weiterer schwerwiegender Nachteil ist, dass die Standardabweichung für sich genommen schwer zu interpretieren ist. Dieses gilt genauso für die Downside- Standardabweichung. Zwar werden bei der Downside-Standardabweichung nur Verluste in die Berechnung einbezogen, dennoch ist auch ihr Wert aufgrund ihrer Definition über quadratische Abweichungsquadrate recht schwer interpretierbar. Das Risikomaß des Value at Risk (VaR) bezieht einerseits die Wahrscheinlichkeiten für Verluste in einem Finanzprodukt oder einem Finanzportfolio mit ein. Andererseits ist der Value at Risk eine direkte Verlustgröße, d.h. nur negative Entwicklungen beeinflussen die Höhe des Risikomaßes. Zum dritten - und diese Eigenschaft ist auch nicht zu unterschätzen - ist er leicht zu interpretieren. Exkurs 4.1 Value at Risk aus bankaufsichtsrechtlicher Sicht Value-at-Risk-Modelle erlangten eine verstärkte Bedeutung durch die „Änderung der Eigenkapitalvereinbarung zur Einbeziehung von Marktrisiken“ (Basler Ausschuss für Bankenaufsicht, 1996a). Zu der bankaufsichtsrechtlich geforderten Eigenkapitalunterlegung des Kreditrisikos waren nun auch Marktpreisrisiken, genauer „Risiken aus Zinsinstrumenten und Aktien im Handelsbestand“ sowie „Fremdwährungsrisiken und Rohstoffrisiken in der gesamten Bank“ (ebda., S. 1) mit Eigenkapital zu unterlegen. Gleichzeitig wurden für die Eigenkapitalunterlegung aber „interne Risikomanagement-Modelle“ (ebda., S. 4) zugelassen, wobei Value-at-Risk-Modelle als „einseitiges Prognoseintervall mit einem Wahrscheinlichkeitsniveau in Höhe von 99 v.H.“ (ebda., S. 5) explizit gefordert wurden. Banken müssen auf täglicher Basis Eigenkapitalanforderungen erfüllen, die dem höheren der beiden folgenden Werte entspricht: i) dem Value-at-Risk-Wert des Vortages VaR t-1 ii) dem Durchschnitt der täglichen Value-at-Risk-Werte der letzten 60 Geschäftstage, multipliziert mit einem Multiplikationsfaktor. Der Multiplikationsfaktor k beträgt mindestens drei und kann je nach der durch ein Backtesting (vgl. Abschnitt 4.6) gemessenen Qualität des Value-at-Risk-Modells bis auf vier angehoben werden (ebda, 1996, S. 46). Die Eigenkapitalanforderung EK beträgt somit (4.1) 60 1 1 60 1 ; max i i t t t VaR k VaR EK . <?page no="71"?> 72 4 Value at Risk und Expected Shortfall www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement 4.3 Definition und Parameter des Value at Risk Definition 4.1: Der Value at Risk (VaR) bezeichnet den minimalen nichtnegativen Verlust, der mit einer vorgegebenen Wahrscheinlichkeit p innerhalb einer bestimmten Zeitspanne nicht überschritten wird (vgl. z.B. Huschens, 2000, S. 24). Beispiel 4.2 (Fortführung von Beispiel 4.1) In Beispiel 4.1 haben Sie errechnet, dass mit 95 % Wahrscheinlichkeit der Bedarf an Bierflaschen 3.000 Flaschen nicht überschreitet. Da Sie 2.500 Flaschen gekauft haben und jede zusätzliche nachgefragte Flasche für Sie einen Verlust von einem Euro bedeutet, liegt Ihr Value at Risk bei 500 €. Mit 95 % Wahrscheinlichkeit machen Sie keinen höheren Verlust als 500 €. Nachdem Sie 500 Flaschen nachgekauft haben, machen Sie mit 95 % Wahrscheinlichkeit gar keinen Verlust mehr. Beispiel 4.3 Ist der Value at Risk zu einer Wahrscheinlichkeit p=0,95 und einer Haltedauer von einem Tag in einem Portfolio 250.000 €, so bedeutet dieses, dass mit einer Wahrscheinlichkeit von 95 % der Verlust des Portfolios innerhalb von einem Tag 250.000 € nicht übertrifft. Bemerkung 4.1: Der Value at Risk bezeichnet einen Verlust, d.h. eine negative Wertentwicklung. Er wird aber als Absolutbetrag ausgedrückt, das negative Vorzeichen wird bei seiner Nennung „weggelassen“. Es schwingt sozusagen in dem Wort „Verlust“ mit. Erhält man mit der vorgegebenen Wahrscheinlichkeit p keine schlechtere Wertentwicklung als einen positiven Gewinn, so wird der Value at Risk null gesetzt. Dieses ist in Definition 4.1 durch den Begriff des „nichtnegativen Verlustes“ aufgenommen (vgl. Huschens, 2000, S. 17). Beispiel 4.4 Ein Indexzertifikat zahle nach einem Jahr 60 % des Indexzuwachses, wenn der Index gestiegen ist. Es bietet aber eine Mindestverzinsung des eingesetzten Kapitals von 1 % p.a., wenn der Index fällt. In 95 % der Fälle wird dann der Wertzuwachs der Anlage nicht unter 1 % p.a. liegen. Er liegt ja sogar in 100 % der Fälle nicht unter 1 % p.a. Der Value at Risk wird in einem solchen Fall null gesetzt. 4.3.1 Konfidenzniveau Die vorgegebene Wahrscheinlichkeit p, mit der der durch den Value at Risk angegebene Verlust nicht überschritten wird, wird als Konfidenzniveau oder auch Sicherheitsniveau bezeichnet. Übliche Werte für das Konfidenzniveau sind 95 %, 99 % oder <?page no="72"?> 4.3 Definition und Parameter des Value at Risk 73 www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement 99,9 %. Der Basler Ausschuss für Bankenaufsicht (1996a, B4.b, S. 46) fordert für den Ausweis von Marktpreisrisiken ein Konfidenzniveau von 99 %. Für Kreditrisiken und operationelle Risiken wird ein Konfidenzniveau von 99,9 % gefordert (Basler Ausschuss für Bankenaufsicht, 2004, § 667). Je höher das Konfidenzniveau ist, desto sicherer ist man, dass noch höhere Verluste, als sie durch den Value at Risk ausgewiesen werden, nicht auftreten. Mit wachsendem Konfidenzniveau wird daher der Wert des Value at Risk entsprechend ansteigen. Beispiel 4.5 (Fortführung von Beispiel 4.3) Der Value at Risk des Portfolios in Beispiel 4.3 zu einem Sicherheitsniveau von p=0,99 und einer Haltedauer von einem Tag könnte so beispielsweise bei 375.000 € liegen. Mit einer Wahrscheinlichkeit von 99 % überschreitet der Verlust des Portfolios innerhalb von einem Tag nicht die Grenze von 375.000 €. Die Gegenwahrscheinlichkeit =1-p zum Konfidenzniveau p bezeichnet man auch als Verlustwahrscheinlichkeit oder Fehlerwahrscheinlichkeit. Mit der Wahrscheinlichkeit kann ein Verlust auftreten, der höher ist als derjenige, der durch den Value at Risk angegeben wird. Wie hoch die Verluste im Endeffekt ausfallen, wenn der Value at Risk überschritten wird, lässt sich nicht sagen. Man weiß einzig und allein, dass die Wahrscheinlichkeit für diese Verluste - abhängig vom Konfidenzniveau - klein ist. Beispiel 4.6 (Fortführung von Beispiel 4.5) In Beispiel 4.5 lag der Value at Risk zum Konfidenzniveau von 99 % bei 375.000 €. Demnach treten nur mit 1 % Wahrscheinlichkeit Verluste auf, die größer als 375.000 € sind. Über die Höhe der Verluste lässt sich in diesem Fall nichts sagen. Die Verluste können nur knapp höher als 375.000 € sein und z.B. bei 500.000 € liegen. Sie können aber auch beliebig über 375.000 € hinausgehen und z.B. 10 Millionen Euro betragen. 4.3.2 Zeithorizont Die Zeitspanne, die in die Definition des Value at Risk eingeht, wird auch als Zeithorizont oder Haltedauer bezeichnet. Die Haltedauer wird dabei meist als die Zeit angenommen, die zur Auflösung des Portfolios benötigt würde. Der Basler Ausschuss für Bankenaufsicht fordert für den Ausweis von Marktpreisrisiken für Portfolios eine Haltedauer von zehn Tagen (Basler Ausschuss für Bankenaufsicht, 1996a, B4.c, S. 45). Alternativ kann ein Ein-Tages-Value-at-Risk geschätzt werden und auf zehn Tage hochskaliert werden (s. Exkurs 4.4). Marktpreisportfolios, die z.B. Aktien, Anleihen, Fremdwährungsprodukte, etc. enthalten, sind typischerweise schnell auflösbar. Der Zeithorizont für Kreditrisiken und operationelle Risiken liegt bei einem Jahr. Ein Kreditportfolio kann aufgrund langer Laufzeiten der Kredite nur sehr schwer aufgelöst werden. Je höher die Haltedauer ist, desto eher können auch hohe Verluste auftreten. Der Value at Risk steigt daher mit zunehmender Haltedauer. <?page no="73"?> 74 4 Value at Risk und Expected Shortfall www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement 4.4 Value at Risk als Quantil Der Value at Risk gehört zu den Downside-Risikomaßen. Er ist eng mit der Downside- Wahrscheinlichkeit verwandt. Bei der Downside-Wahrscheinlichkeit wird die Wahrscheinlichkeit gesucht, mit der ein bestimmter Wert x nicht unterschritten wird. Dieses entspricht der Verteilungsfunktion der Wertänderungen an der Stelle x. Beim Value at Risk geht man umgekehrt vor. Die Wahrscheinlichkeit p wird vorgegeben und man sucht den Verlust, der mit der vorgegebenen Wahrscheinlichkeit p nicht überschritten wird, d.h. den Wert der Verteilung der Wertänderungen, der mit der Wahrscheinlichkeit p nicht unterschritten wird. Dieses ist statistisch die Definition des (1-p)-Quantils oder -Quantils der Gewinn- und Verlustverteilung. Da der Value at Risk eine nichtnegative Größe ist, wird von dem gefundenen meist negativen Wert der Betrag gebildet, d.h. das negative Vorzeichen weggelassen. Ist der Wert, der mit der Wahrscheinlichkeit p nicht unterschritten wird, von vorneherein positiv, wird der Value at Risk null gesetzt. Der Value at Risk entspricht - bis auf die selten auftretende Ausnahme des Nullsetzens - einem Quantil, hat aber einen eigenen Namen. Exkurs 4.2 geht auf den Begriff der Verteilungsfunktion und auf die aus ihr bestimmbaren Quantile ein. Exkurs 4.2 Verteilungsfunktion und Quantile Verteilungsfunktion Der Wert der Verteilungsfunktion F(x) einer Zufallsvariablen X ist definiert als die Wahrscheinlichkeit, mit der die Zufallsvariable X einen Wert annimmt, der kleiner oder gleich x ist. Den Begriff der Verteilungsfunktion wollen wir zunächst an Beispielen veranschaulichen, die nicht aus dem Finanzbereich stammen. Bezeichne X die in Beispiel 4.1 diskutierte Nachfrage nach Bier auf einer Studiparty. Wenn die Verteilungsfunktion von X an der Stelle 2.000 Flaschen den Wert 0,74 annimmt, d.h. F(2.000 Flaschen)=0,74 ist, so bedeutet dieses, dass in 74 % der Studipartys 2.000 Flaschen oder weniger nachgefragt werden. In einem weiteren Beispiel sei X die Punktezahl in einer Klausur, bei der man maximal 100 Punkte erzielen konnte. Ist F(80 Punkte)=0,94, so bedeutet dieses, dass 94 % der Klausurschreibenden 80 Punkte oder weniger in der Klausur erzielt haben (s. Abb. 4.1). Nur 6 % der Studierenden haben mehr als 80 Punkte bekommen. Die Verteilungsfunktion ist eine monoton steigende Funktion. Am Beispiel der Punktzahl kann man sich dieses z.B. leicht erklären, da eine höhere Punktzahl ja immer von genauso vielen oder mehr Studierenden erreicht wird als eine niedrigere Punktzahl. Die Monotonie sieht man beispielhaft an der Verteilungsfunktion in Abb. 4.1. <?page no="74"?> 4.4 Value at Risk als Quantil 75 www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement Für diskrete Zufallsvariablen entsteht die Verteilungsfunktion aus den kumulierten Wahrscheinlichkeiten. Um den Wert der Verteilungsfunktion an einer Stelle x zu erhalten, summiert man die Wahrscheinlichkeiten aller Ausprägungen auf, die kleiner oder gleich x sind. Die entstehende Funktion ist für eine diskrete Zufallsvariable eine Treppenfunktion. Eine Funktion kann allerdings keine vertikalen Abschnitte enthalten, dann wäre der Funktionswert nicht mehr eindeutig. Streng genommen wäre die Funktion daher nicht als Treppe zu zeichnen, sondern als Art „schwebende Treppe“ ohne Verbindungslinien. Für das Auge - und die Ermittlung des Value at Risk - sind Verbindungslinien aber hilfreich und werden daher im Folgenden gestrichelt als Hilfslinien gezeichnet. Die Verteilungsfunktion ist rechtsseitig stetig, sie nimmt an der Sprungstelle den Wert der „höheren Treppenstufe“ an. Abb. 4.1 Verteilungsfunktion der Punkte in einer Klausur; F(80)=0,94. Für eine stetige Zufallsvariable wird auch die Verteilungsfunktion eine stetige Funktion. Um wieder auf den Finanzbereich zurückzukommen, sei X nun die Rendite einer Aktie. Gilt F(10 %)=0,7, so erzielt die Aktie mit einer Wahrscheinlichkeit von 70 % eine Rendite von 10 % oder weniger. In diesem Bereich liegen dann auch die Verluste, die die Aktie erzielt, d.h. die negativen Renditen. Auch diese sind kleiner als eine Rendite von 10 %. Quantile Der Wert der Verteilungsfunktion F(x) gibt, wie in Abb. 4.1 beispielhaft für die Punktzahl x=80 gezeigt, den Anteil der Grundgesamtheit an, der für ein gegebenes Merkmal eine Ausprägung von x oder kleiner hat. Man sucht also eine Wahrscheinlichkeit. Oft will man aber auch umgekehrt vorgehen und die Wahrschein- <?page no="75"?> 76 4 Value at Risk und Expected Shortfall www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement lichkeit vorgeben. 4 Man sucht dann den x-Wert, unter dem mit der vorgegebenen Wahrscheinlichkeit die Ausprägungen in der Stichprobe liegen. Diesen x- Wert nennt man das -Quantil der Verteilung. Um noch einmal das Beispiel der Klausurpunkte aufzugreifen, kann man sich z.B. fragen, wie viele Punkte 40 % der Teilnehmer höchstens erreicht haben. Man hat den Wert der Verteilungsfunktion, hier F(x)=0,4, vorgegeben und sucht nun den zugehörigen x-Wert, d.h. das 40 %-Quantil. Grafisch kann man so vorgehen, dass man eine horizontale Verbindung von 0,4 auf der Ordinate (y-Achse) zur Verteilungsfunktion zieht und das Quantil durch ein senkrechtes Lot auf die Abszisse (x-Achse) bestimmt (s. Abb. 4.2). Im Beispiel beträgt das 40 %-Quantil 34 Punkte, d.h. 40 % der Studierenden hatten in der Klausur 34 Punkte oder weniger. Abb. 4.2 Grafische Bestimmung des 40 %-Quantils aus der Verteilungsfunktion der Punkte in einer Klausur Allgemein ist das -Quantil als derjenige Wert x definiert, für den mindestens ein Anteil kleiner oder gleich x und mindestens ein Anteil (1- ) größer oder gleich x ist, d.h. (4.2) Anteil(x-Werte x ) und Anteil(x-Werte x ) 1- (vgl. Fahrmeir et al., 2001, S. 62). Das Quantil x selbst zählt bei der Anteilsbildung zu beiden Seiten mit. Die Summe der Wahrscheinlichkeiten „beider Seiten“ kann daher 100 % überschreiten. Bei der Berechnung des Value at Risk sucht man einen Wert der Verluste, der von 100·p % der Ausprägungen nicht überschritten wird. Oder umgekehrt ausgedrückt, der nur von höchstens 100·(1-p) %=100· % der Ausprägungen überschritten wird. Es 4 Das Quantil wird hier als -Quantil anstelle des p-Quantils eingeführt, da der Value at Risk zum Konfidenzniveau p das -Quantil der Verteilung darstellt. <?page no="76"?> 4.4 Value at Risk als Quantil 77 www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement darf nur in höchstens 100· % der Fälle ein größerer Verlust auftreten. Ein größerer Verlust ist aber ein Wert, der weiter links auf der x-Achse liegt. Je kleiner, d.h. je negativer ein Wert ist, umso größer ist ja der Verlust, den er bezeichnet. Wir suchen daher den Wert auf der x-Achse, für den 100· % der anderen Werte kleiner sind. Das ist genau das -Quantil, d.h. das Quantil, das zur Fehlerwahrscheinlichkeit =(1-p) passt. Ist der gefundene Wert negativ, so wird er negiert, um den Value at Risk zu erhalten. Ist er positiv, so wird der Value at Risk null gesetzt. Es gilt ). 0 , max( 1 x VaR VaR p Durch das Negieren des Quantils wird aus einem negativen Quantil ein als positive Zahl angegebener Value at Risk. Beispiel 4.7 Abb. 4.3 zeigt die Verteilungsfunktion der möglichen Gewinne und Verluste eines Portfolios für den nächsten Tag. Es soll der Value at Risk zu einem Konfidenzniveau von 95 % ermittelt werden, d.h. es ist der Wert zu suchen, den die Verluste mit 95 % Wahrscheinlichkeit nicht überschreiten. 5 % der Verluste dürfen größer sein als der gesuchte Wert, d.h. die Wertänderungen dürfen noch stärker negativ sein als der zu ermittelnde Value at Risk. Das 5 %-Quantil der Verteilungsfunktion der Wertänderungen liegt bei -172 €. Der Value at Risk beträgt damit 172 €. Abb. 4.3 Value at Risk zum Konfidenzniveau p als (1-p)-Quantil der Verteilungsfunktion (hier: p=0,95) Mit einer Wahrscheinlichkeit von 95 % ist ein möglicher Verlust nicht größer als 172 €. <?page no="77"?> 78 4 Value at Risk und Expected Shortfall www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement 4.5 Ermittlung des Value at Risk Bei der Ermittlung des Value at Risk geht es immer um das Aufstellen einer Verteilungsfunktion und das Ablesen des entsprechenden (1-p)-Quantils. Je nachdem, in welcher Form Daten über Gewinne und Verluste vorliegen bzw., ob Angaben über die theoretische Wahrscheinlichkeitsverteilung der Gewinne und Verluste gemacht werden können, unterscheidet sich die praktische Vorgehensweise bei der Erstellung der Verteilung aber leicht. Wir führen die Value-at-Risk-Bestimmung zunächst für eine Urliste historischer Werte ein, gehen dann auf das Vorliegen einer allgemeinen diskreten Verteilung ein und bestimmen schließlich den Value at Risk für normalverteilte Daten. Bemerkung 4.2: Der Value at Risk wird aus einer Verteilungsfunktion ermittelt. In vielen Fällen wird man die Verteilungsfunktion der zukünftigen Gewinne und Verluste eines Finanzinstruments oder Finanzportfolios aber nicht genau kennen. Man behilft sich damit, dass man sie empirisch aus historischen Daten schätzt oder dass man eine Modellierung der Verteilungsfunktion wählt. In beiden Fällen ist die Verteilungsfunktion selbst geschätzt. Auch aus der Verteilungsfunktion ermittelte Werte stellen daher Schätzwerte dar. Man müsste daher korrekter von der Schätzung als der Berechnung des Value at Risk sprechen. Wir behalten dieses im Hinterkopf, auch wenn wir in der Folge davon sprechen, dass wir den Value at Risk aus einer gegebenen Verteilung berechnen bzw. ermitteln. Der Value at Risk kann in Geldeinheiten angegeben werden oder auch als prozentualer Verlust, der mit einer gegebenen Konfidenzwahrscheinlichkeit nicht überschritten wird. In der Praxis ist es üblicher, den Value at Risk der Renditen zu berechnen. Bemerkung 4.3: Die Ermittlung des Value at Risk über Renditen eignet sich vor allem bei der Verwendung historischer Daten eher als die Ermittlung über in Geldeinheiten gemessene Wertverluste, da Renditen besser als stationärer Prozess modelliert werden können. Das bedeutet, dass sie im Zeitverlauf eher einen konstanten Erwartungswert und eine konstante Varianz haben als in Geldeinheiten gemessene Werte. Zum Beispiel hatte der Dax Ende 1960 einen Stand von 534,09 Punkten, Ende 2007 einen Stand von 8.067,32 Punkten (Boerse.de, URL). Die absoluten Kursschwankungen werden aber bei einem Stand von 8.000 Punkten höher ausfallen als bei einem Kurs von ca. 500 Punkten. Für die prozentualen Veränderungen kann man eher ein einheitliches Niveau annehmen. Ist V 0 der aktuelle Wert eines Finanzportfolios, so lässt sich aus dem prozentual angegebenen Value at Risk im Nachhinein aber eine Umrechnung in einen in Geldeinheiten angegebenen Value at Risk vornehmen, der mit der gleichen gegebenen Wahrscheinlichkeit nicht überschritten wird. Dabei kommt es darauf an, ob der Value at Risk für diskrete oder stetige Renditen berechnet wurde. Hat man einen Value at Risk VaR disk. Rendite,p zum Konfidenzniveau p für diskrete Renditen vorliegen, so hat man am Ende des Betrachtungszeitraums ein Vermögen, das nicht kleiner ist als <?page no="78"?> 4.5 Ermittlung des Value at Risk 79 www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement ). 1 ( p Rendite, disk. 0 VaR V Dabei ist in der Klammer das Minuszeichen zu verwenden, da der Value at Risk als positive Zahl angegeben wird, aber einen Verlust ausdrückt. Das Finanzportfolio verliert mit der gegebenen Wahrscheinlichkeit p nicht mehr als (4.3) p Rendite, disk. 0 p Rendite, disk. 0 0 p ten, Geldeinhei ) 1 ( VaR V VaR V V VaR an Wert. Beispiel 4.8 Der Value at Risk zu einem Konfidenzniveau p von 95 % und einer Haltedauer von zehn Tagen wurde für die diskreten Renditen eines Portfolios zu 6,5 % ermittelt. Das Portfolio hat einen aktuellen Wert von 100.000 €. Dann beträgt der in Euro umgerechnete Value at Risk €. 500 . 6 % 5 , 6 € 000 . 100 p ten, Geldeinhei VaR Das Portfolio verliert mit 95 % Wahrscheinlichkeit innerhalb von zehn Tagen nicht mehr als 6.500 € an Wert. Analog kann man für stetige Renditen vorgehen. VaR stet. Rendite, p bezeichne den für die stetigen Renditen berechneten Value at Risk zum Konfidenzniveau p. Dann ist das in Geldeinheiten gemessene Vermögen am Ende des Betrachtungszeitraums mit der Wahrscheinlichkeit p nicht kleiner als . p Rendite, stet. 0 VaR e V Damit beträgt der in Geldeinheiten gemessene Value at Risk zu dem Konfidenzniveau p (4.4) ). 1 ( p Rendite, stet. p Rendite, stet. 0 0 0 p ten, Geldeinhei VaR VaR e V e V V VaR Beispiel 4.9 (Fortführung von Beispiel 4.8) Für das Portfolio in Beispiel 4.8 wurde auch für die stetigen Renditen ein Value at Risk bestimmt. Dieser betrug 6,721 %. Bei dem aktuellen Wert des Portfolios von 100.000 € beträgt der in Euro umgerechnete Value at Risk €. 500 . 6 ) 1 ( € 000 . 100 06721 , 0 p ten, Geldeinhei e VaR Bemerkung 4.4: Prinzipiell kann der Value at Risk genauso für diskrete wie für stetige Renditen berechnet werden. Die Entscheidung hängt davon ab, für welche Renditen eine Verteilung modelliert werden kann. Betrachtet man historische Daten, so lassen sich aus diesen sowohl diskrete als auch stetige Renditen berechnen. Da diskrete Renditen intuitiver verständlich sind, verwenden wir in diesem Fall diskrete Renditen. Werden die Renditen durch normalverteilte Zufallsvariablen beschrieben, so verwenden wir hingegen stetige Renditen, da diese besser durch eine Normalverteilung angepasst werden können (s. Abschnitt 2.5.6). <?page no="79"?> 80 4 Value at Risk und Expected Shortfall www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement 4.5.1 Daten in Urlistenform Will man das Risiko eines Finanzprodukts ermitteln, so fehlen oft Informationen über die genaue Verteilung der Risikoparameter, wie z.B. der Aktienkurse, der Zinssätze usw. Hingegen hat man aus der Vergangenheit häufig historische Daten vorliegen. Aus diesen lässt sich eine empirische Verteilung der Wertänderungen des Finanzprodukts ermitteln. Geht man davon aus, dass die Daten die mögliche Verteilung für zukünftige Entwicklungen adäquat abbilden, so kann man die empirische Verteilung als Schätzung der zugrunde liegenden wahren Verteilung verwenden. In diesem Abschnitt betrachten wir alle Wertänderungen der empirischen Verteilung als gleichwahrscheinliche Möglichkeiten für die Zukunft. Der Value at Risk lässt sich dann leicht durch einfaches „Abzählen“ bestimmen. 5 Beispiel 4.10 Es sei der 3.10.2012. Sie möchten das Risiko eines Portfolios, das nur aus Aktien der Adidas AG besteht, ermitteln. Datum Eröffnungskurs Rendite 1 03.10.2012 64,39 € (64,39 €-65,25 €)/ 65,25 €=-1,32 % 2 02.10.2012 65,25 € 1,54 % 3 01.10.2012 64,26 € 0,25 % 4 28.09.2012 64,10 € -1,64 % 5 27.09.2012 65,17 € 0,77 % 6 26.09.2012 64,67 € 0,22 % . . . 100 17.05.2012 61,30 € (61,30 €-60,69 €)/ 60,69 €=1,01 % 101 16.05.2012 60,69 € - Tab. 4.1 Historische Kurse und Renditen der Aktie der Adidas AG (Yahoo! Finanzen, URL) Sie kennen die theoretische Verteilung der Rendite der Adidas-Aktien nicht. Dafür haben Sie Daten zur Verfügung, die den Verlauf des Kurses der Adidas-AG in den letzten Jahren zeigen. Aus diesen können Sie tägliche diskrete Renditen berechnen 5 Es lassen sich allerdings auch unterschiedliche Gewichtungen bilden, je nachdem wie weit die Daten in die Vergangenheit reichen (vgl. Abschnitt 6.6.2.4). <?page no="80"?> 4.5 Ermittlung des Value at Risk 81 www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement (s. Abschnitt 2.5.2). Sie betrachten zunächst der Einfachheit halber nur die 100 aktuellsten Tagesrenditen. Dazu verwenden Sie die Eröffnungskurse der 101 letzten Tage (s. Tab. 4.1). Die Renditen in Tab. 4.1 sind unsortiert. Um den Wert herauszufinden, den die Renditen in 95 % der Fälle nicht unterschreiten, müssen wir sie daher zunächst ordnen. Die in aufsteigender Reihenfolge geordneten Renditen sind in Tab. 4.2 zu finden. 6 Datum Wertänderung Wahrscheinlichkeit kum. W’keit F(x) 1 04.06.2012 -5,64 % 0,01 0,01 2 29.06.2012 -4,43 % 0,01 0,02 3 12.06.2012 -3,03 % 0,01 0,03 4 09.07.2012 -2,43 % 0,01 0,04 5 22.06.2012 -2,26 % 0,01 0,05 6 18.05.2012 -1,99 % 0,01 0,06 . . . 98 20.07.2012 3,23 % 0,01 0,98 99 18.06.2012 3,94 % 0,01 0,99 100 22.05.2012 4,04 % 0,01 1 Tab. 4.2 Geordnete Tagesrenditen der Aktie der Adidas AG Der Value at Risk zu einem Sicherheitsniveau von 95 % lässt sich als Betrag des sechstschlechtesten Wertes ablesen. Er beträgt 1,99 %. Nur in fünf von 100 Fällen ist der Verlust in Ihrem Portfolio größer als 1,99 %. Mit 95 % Wahrscheinlichkeit, 6 Da in Tab. 4.1 die „Zwischenwerte“ zwischen dem 18.5.2012 und dem 25.9.2012 ausgeblendet sind, finden sich die Renditen aus Tab. 4.1 in Tab. 4.2 nicht unbedingt wieder. Tab. 4.2 enthält nur die am stärksten negativen Tagesrenditen und die am stärksten positiven Renditen. Die vollständigen nach Datum und nach Höhe der Rendite sortierten Daten finden sich unter „Beispiel 4.10.xls“. <?page no="81"?> 82 4 Value at Risk und Expected Shortfall www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement d.h. in den Fällen sechs bis hundert, ist Ihr Verlust nicht größer als 1,99 %, sondern Sie werden einen kleineren Verlust oder sogar einen Gewinn erzielen. Da in Beispiel 4.10 das Ergebnis von 5 % von 100 Werten genau 5 ergibt, kann man das 5 %-Quantil nach statistischer Definition irgendwo zwischen dem fünft- und sechstschlechtesten Wert ablesen. Dieses liegt an der Definition des -Quantils als demjenigen Wert x , für den mindestens ein Anteil kleiner oder gleich x ist und mindestens ein Anteil (1- ) größer oder gleich x ist. Das Quantil selbst wird dabei zu beiden Seiten mitgezählt (s. Exkurs 4.2). Für die Definition des Value at Risk sollte allerdings eine eindeutige Wahl getroffen werden. Exkurs 4.3 Zur Wahl des Value at Risk bei Uneindeutigkeit des Quantils Liegt wie in Beispiel 4.10 eine Uneindeutigkeit des Quantils vor, so hängt die Entscheidung für den Wert des Value at Risk von der Zielsetzung, die von der Quantifizierung des Risikos verfolgt wird, ab. Eine Möglichkeit der Entscheidung wäre eine konservative Wahl des Value at Risk, d.h. ein eher hoher Ausweis des Risikos, um eine zusätzliche Sicherheit zu erzielen, dass die Verluste nicht noch höher als das ausgewiesene Risikomaß werden. In diesem Fall würde man den fünftschlechtesten Wert der Verteilung wählen, da dieser den höheren möglichen Verlust bezeichnet. Der ermittelte Value at Risk läge in Beispiel 4.10 dann bei 2,26 %. Dieser Wert entspricht der Definition (4.2) des 5 %-Quantils. 5 % der Werte sind kleiner oder gleich dem fünften Wert von -2,26 %, da man diesen Wert bei der Anteilsbildung mitzählen kann. 96 % und damit „mindestens 95 %“ sind größer oder gleich dem fünften Wert. Die Alternative liegt in der nicht-konservativen Wahl des sechstschlechtesten Wertes. Auch diese Wahl entspricht der Definition (4.2) des 5 %-Quantils. 6 % - und damit mindestens 5 % - der Werte sind kleiner oder gleich dem sechsten Wert von -1,99 %. 95 % der Werte sind größer oder gleich dem sechsten Wert. Durch die Wahl des sechsten Wertes wird der Value at Risk niedriger ausgewiesen. In Beispiel 4.10 liegt er so bei 1,99 %, während die konservativere Wahl einen Wert von 2,26 % ergibt. Banken kommt die nicht-konservative Wahl insofern entgegen, als die Höhe der bankaufsichtsrechtlichen Eigenkapitalanforderungen vom Value at Risk abhängt. Die Wahl des niedrigeren Wertes ist aber insofern gerechtfertigt, als der so ausgewiesene Wert tatsächlich auch den Kapitalbetrag anzeigt, den die Bank mit der im Value at Risk angegebenen Sicherheitswahrscheinlichkeit höchstens aufbringen muss, um einen Verlust, der mit 100·p % Wahrscheinlichkeit nicht überschritten wird, abzudecken. Wir wählen den Value at Risk im weiteren Verlauf des Buches nicht-konservativ, d.h. wählen den niedrigsten möglichen Ausweis des Risikos. Diese Wahl spiegelt sich in Definition 4.1 in der Spezifizierung des „minimalen“ Verlustes wider. Grafisch wird dieses in Abb. 4.4 veranschaulicht. <?page no="82"?> 4.5 Ermittlung des Value at Risk 83 www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement Abb. 4.4 Ausschnitt der Verteilungsfunktion der Renditen der Adidas-AG-Aktie (100 Datenpunkte, Zeitraum: 16.05.-3.10.2012), nicht-konservative Wahl des Value at Risk Die Verteilungsfunktionen von diskreten Wahrscheinlichkeitsverteilungen sind Treppenfunktionen. Die grafische Bestimmung des Value at Risk erfolgt, indem man „von links“ eine Linie auf Höhe der Fehlerwahrscheinlichkeit zieht, bis „es nicht mehr weiter geht“, weil einem eine „vertikale“ Hilfslinie der Verteilungsfunktion „den Weg versperrt“. Im Beispiel liegt dieser Wert bei -1,99 %, der Value at Risk beträgt demnach 1,99 %. Die nicht-konservative Wahl bedeutet dabei, dass man auf der waagrechten Verbindungslinie der Verteilungsfunktion noch so lange weiterlaufen kann, bis die Funktion einen weiteren Schritt nach oben macht und über die vorgegebene Fehlerwahrscheinlichkeit springt. Beispiel 4.11 Wären in Tab. 4.2 nur 90 Werte gegeben - und wir nehmen einmal an, dass die zehn höchsten Renditen fehlen, - so ergeben 5 % von 90 Werten 4,5. In diesem Fall ist das Ergebnis auf 5 aufzurunden und der entsprechende fünfte Wert der geordneten Liste als Quantil zu wählen. Es sind nämlich die ersten fünf Werte, d.h. 5/ 90=5,56 % - d.h. mindestens 5 % - der Werte kleiner oder gleich -2,26 % und der fünfte bis zum letzten Wert, d.h. 85/ 90=95,56 % größer oder gleich -2,26 %. Der Value at Risk zu einem Konfidenzniveau von 95 % wird damit mit 2,26 % ausgewiesen. Grafisch würde die Verteilungsfunktion Sprünge der Höhe 1/ 90=0,011 machen (s. Abb. 4.4). Bei dem Wert -2,26 % springt die Verteilungsfunktion von 4,44 % auf ein Niveau von 5,56 %. Mit 95 % - und sogar mit 95,56 % - Wahrscheinlichkeit macht man keinen Verlust, der 2,26 % übersteigt. <?page no="83"?> 84 4 Value at Risk und Expected Shortfall www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement Abb. 4.5 Ausschnitt der Verteilungsfunktion von 90 Renditewerten (für das fiktive Beispiel wurden die 10 höchsten Renditen der Adidas-AG-Aktie im Zeitraum 16.5. - 3.10.2012 weggelassen) Wenn wir die Erkenntnisse aus Beispiel 4.10 und Beispiel 4.11 verallgemeinern, so besteht der erste Schritt in der Value-at-Risk-Bestimmung bei gleichwahrscheinlichen Wertänderungen x 1 , … , x n darin, die auftretenden Wertänderungen zu ordnen. Man erhält eine geordnete Liste x <1> , …,x <n> , wobei x <1> die kleinste, x <2> die zweitkleinste usw. und x <n> die größte der ursprünglichen Wertänderungen angibt. Aus dieser geordneten Liste kann man den Value at Risk zu einem Konfidenzniveau von p und damit einem Fehlerniveau =(1-p) über (4.5) 0 , max 1 1 n p x VaR VaR bestimmen, wobei die Gauß-Klammer [n· ] für die größte ganze Zahl steht, die kleiner oder gleich n· ist. Fortführung von Beispiel 4.10 und Beispiel 4.11 In Beispiel 4.10 und Beispiel 4.11 wurde der Value at Risk jeweils zu einem Konfidenzniveau von p=0,95 gesucht. Die Fehlerwahrscheinlichkeit betrug demnach =0,05. In Beispiel 4.10 war n=100 und damit n· =100·0,05=5, d.h. ganzzahlig. Die Gauß-Klammer einer ganzzahligen Zahl entspricht aber der Zahl selbst. Somit war [n· ]+1=6 und es wurde die sechste Wertänderung aus der geordneten Liste der Gewinne und Verluste gewählt. In Beispiel 4.11 war n=90. Für n· =90·0,05=4,5 ergab sich so ein nichtganzzahliger Wert. Die größte ganze Zahl, die kleiner als n· =4,5 ist, ist 4, so dass hier [n· ]+1=5 ist und der fünfte Wert der geordneten Renditen für den Value at Risk ausgewiesen wurde. <?page no="84"?> 4.5 Ermittlung des Value at Risk 85 www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement 4.5.2 Diskrete Wahrscheinlichkeitsverteilung In Abschnitt 4.5.1 haben wir empirische Daten in Urlistenform untersucht. Wir konnten diese als diskrete Wahrscheinlichkeitsverteilung auffassen, bei der jede Ausprägung gleich wahrscheinlich ist. Bei einer allgemeinen diskreten Wahrscheinlichkeitsverteilung können die Werte mit unterschiedlichen Wahrscheinlichkeiten auftreten. Manche kommen häufiger vor, andere weniger häufig. In vielen Fällen könnte man auch diese Werte in eine Liste umschreiben, bei der jeder einzelne Wert mit der gleichen Wahrscheinlichkeit auftritt, indem man die Werte in der Liste anteilig so oft aufführt, wie die diskrete Wahrscheinlichkeitsverteilung es vorgibt. 7 Beispiel 4.12 Eine Aktie habe die in Tab. 4.3 angegebene diskrete Wahrscheinlichkeitsverteilung. Rendite -20 % -5 % +2 % +15 % Wahrscheinlichkeit 0,1 0,3 0,5 0,1 Tab. 4.3 Einfache diskrete Wahrscheinlichkeitsverteilung der Renditen einer Aktie Die Wahrscheinlichkeitstabelle kann man in Listenform umschreiben, bei der alle Ausprägungen gleichwahrscheinlich sind: -20 %, -5 %, -5 %, -5 %, +2 %, +2 %, +2 %, +2 %, +2 %, +15 %. Jeder einzelne Wert wird mit einer Wahrscheinlichkeit von 0,1 realisiert. Da aber -5 % in drei von zehn Fällen auftritt, hat -5 % eine Wahrscheinlichkeit von 0,3. Entsprechend kommt +2 % fünfmal vor und hat eine Wahrscheinlichkeit von 0,5. Aus der Listenform mit gleichwahrscheinlichen Werten lässt sich der Value at Risk, wie in Abschnitt 4.5.1 diskutiert, wieder durch Abzählen ermitteln. Man kann den Value at Risk aber auch direkt aus der Verteilungsfunktion der diskreten Wahrscheinlichkeitsverteilung ablesen. Diesen Weg haben wir auch bei den gleichwahrscheinlichen Daten aus Abschnitt 4.5.1 schon angedeutet. Die Verteilungsfunktion wird wiederum über die kumulierten, d.h. die aufaddierten Wahrscheinlichkeiten gebildet. Den Value at Risk zu p=1kann man aus der Verteilungsfunktion als den Wert ermitteln, an dem die Fehlerwahrscheinlichkeit zum ersten Mal überschritten wird. Beispiel 4.13 Die in Euro notierten Wertänderungen X eines Wertpapieres haben die in Tab. 4.4 angegebene Wahrscheinlichkeitsverteilung. 7 Diese dargestellte Vorgehensweise funktioniert nur, wenn alle Wahrscheinlichkeiten rationale Zahlen sind. <?page no="85"?> 86 4 Value at Risk und Expected Shortfall www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement Wertänderungen -25 € -14 € -12 € -6 € 0 € 4 € 8 € 12 € 16 € W’keit P(X=x) 0,01 0,02 0,04 0,20 0,30 0,25 0,11 0,05 0,02 Vert.fkt. F(x) 0,01 0,03 0,07 0,27 0,57 0,82 0,93 0,98 1 Tab. 4.4 Wahrscheinlichkeitsverteilung und Verteilungsfunktion der Wertänderungen eines Wertpapiers Aus der in der dritten Zeile von Tab. 4.4 angegebenen Verteilungsfunktion kann der Value at Risk abgelesen werden. Der Value at Risk zu einem Konfidenzniveau von 95 % liegt bei 12 €. In 95 % der Fälle wird ein Verlust von 12 € nicht überschritten. Er wird sogar in 97 % der Fälle nicht überschritten, denn 97 % der Werte betragen -12 €, -6 €, 0 € oder sind sogar positiv. Nur in 3 % der Fälle tritt ein größerer Verlust als 12 €, nämlich ein Verlust von 14 € oder 25 €, auf. Ein Verlust von 6 € würde hingegen noch in 7 % der Fälle überschritten und demnach nur in 93 % der Fälle „nicht überschritten“. Der Value at Risk wird deshalb zu 12 € berechnet, da er der kleinste Verlust ist, der mit 95 % Wahrscheinlichkeit nicht überschritten wird. Grafisch lässt sich der Value at Risk wiederum bestimmen, indem man auf der Höhe des Fehlerniveaus =(1-p) von links eine horizontale Linie auf die Verteilungsfunktion zieht und den zugehörigen Wert auf der Abszisse abliest. Beispiel 4.14 (Fortführung von Beispiel 4.13) Abb. 4.6 zeigt die Verteilungsfunktion des Wertpapiers aus Beispiel 4.13. Zeichnet man eine waagrechte Verbindungslinie in Höhe der Fehlerwahrscheinlichkeit von 5 %, so stößt diese bei einer Wertänderung von -12 € auf eine vertikale Hilfslinie der Verteilungsfunktion. An diesem Punkt springt die Verteilungsfunktion auf 7 %, d.h. über die Fehlerwahrscheinlichkeit von 5 %. Demnach liegt der Value at Risk zu einem Konfidenzniveau von 95 % bei 12 €. <?page no="86"?> 4.5 Ermittlung des Value at Risk 87 www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement Abb. 4.6 Verteilungsfunktion der diskreten Wahrscheinlichkeitsverteilung aus Beispiel 4.13 Trifft die waagrechte Verbindungslinie auf ein horizontales Stück der Verteilungsfunktion, so kann theoretisch wieder jeder der Werte auf dem horizontalen Abschnitt der Verteilungsfunktion als Value at Risk angegeben werden. Wir wählen hier wiederum in Übereinstimmung mit Definition 4.1 den minimalen Verlust, d.h. den Wert, der am weitesten rechts auf der Abszisse liegt, als Value at Risk. Werte, die rechts auf der Abszisse liegen, aber noch negativ sind, haben den kleineren Absolutwert, stehen also für kleinere Verluste. Fortführung von Beispiel 4.13 Will man einen Value at Risk zu p=99 % ermitteln, so liegt die Fehlerwahrscheinlichkeit bei 1 %, d.h. =0,01. Die Waagrechte auf der Höhe von 0,01 trifft die Verteilungsfunktion bei dem Teilstück, das zwischen einem Verlust von 25 € und 14 € horizontal verläuft. Jeder Wert zwischen 14 € und 25 € würde die Bedingung erfüllen, dass in 99 % der Fälle der Verlust nicht höher als der ausgewiesene Wert ist. Nach unserer Definition des Value at Risk als des minimalen Verlustes, der mit 99 % Wahrscheinlichkeit nicht überschritten wird, bestimmen wir den Value at Risk aber zu 14 € (s. auch Exkurs 4.3). 4.5.3 Stetige Wahrscheinlichkeitsverteilung Beim parametrischen Ansatz ( QR-Glossar) der Value-at-Risk-Ermittlung werden für die betrachteten Zufallsvariablen, z.B. die Rendite, Verteilungsannahmen getroffen. Hierbei wird eine gängige, meist stetige, Verteilung an die Daten angepasst. Im Prinzip ändert sich die Vorgehensweise bei der Bestimmung des Value at Risk nicht, wenn statt einer diskreten Verteilung für die Rendite eine stetige Verteilung vorliegt. Auch hier bestimmt man das -Quantil der Verteilung, d.h. den Wert, unter dem 100· % der Ausprägungen liegen. Dieses kann grafisch oder numerisch erfolgen. <?page no="87"?> 88 4 Value at Risk und Expected Shortfall www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement Die wichtigste stetige Verteilung ist die Normalverteilung. Eine Einführung in das Rechnen mit Normalverteilungen findet sich im Anhang in Abschnitt 10.2. Die Berechnung der Quantile und damit des Value at Risk ist für die Normalverteilung besonders einfach. Wie in Abschnitt 2.5.6 erwähnt, können empirische stetige Renditen besser als diskrete Renditen durch eine Normalverteilung modelliert werden. Wir werden daher in diesem Abschnitt von der Verwendung stetiger Renditen ausgehen. 8 Beispiel 4.15 Die tägliche in Euro gemessene stetige Rendite einer Aktie sei standardnormalverteilt mit Mittelwert 0 % und Standardabweichung 1 %. Es wird der Value at Risk zu einem Konfidenzniveau von 95 % gesucht. 5 % der möglichen Verluste dürfen den gesuchten Value at Risk überschreiten. Es wird demnach das 5 %-Quantil einer standardnormalverteilten Zufallsvariable gesucht. Dieses liegt bei -1,645 %. Der Value at Risk zu einem Konfidenzniveau von 95 % beträgt so 1,645 %. Abb. 4.7 Value at Risk zum Niveau p=0,95 einer standardnormalverteilten Zufallsvariable In Beispiel 4.15 wurde der Value at Risk einer Aktie für den Fall berechnet, dass die Rendite der Aktie als standardnormalverteilt modelliert werden konnte. Die Rendite hatte einen Mittelwert von null und eine Standardabweichung von eins. In den meisten Fällen wird die Rendite aber nicht standardnormalverteilt sein. Der Anleger hofft ja gerade, dass er eine erwartete Rendite erzielt, die positiv ist, er daher im Mittel einen Gewinn macht. Auch die Standardabweichung wird nicht immer eins sein. In Abschnitt 10.2.2 wird Merksatz 10.1 für die Transformation von normalverteilten Zufallsvariablen in standardnormalverteilte Zufallsvariablen sowie Merksatz 10.2 für die Rücktransformation von Quantilen einer Standardnormalverteilung in Quantile einer beliebigen Normalverteilung hergeleitet. Merksatz 4.1 gibt die Ergebnisse für die Berechnung des Value at Risk wieder. 8 Zu Grenzen der Normalverteilungsannahme s. Exkurs 4.5 <?page no="88"?> 4.5 Ermittlung des Value at Risk 89 www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement Merksatz 4.1 Kann die Rendite X eines Finanzprodukts durch eine N(μ, )- Verteilung modelliert werden, so beträgt sein Value at Risk zum Konfidenzniveau p=1- (4.6) sonst 0 0 |, | 1 z z VaR VaR p wobei z das -Quantil der Standardnormalverteilung ist. Beispiel 4.16 Die tägliche Rendite einer Aktie sei normalverteilt mit Mittelwert 0,5 % und Standardabweichung 1 %. Merksatz 4.1 ergibt für den Value at Risk zu einem Konfidenzniveau von 95 % %. 145 , 1 % 5 , 0 ) 645 , 1 ( % 1 95 , 0 VaR Mit einer Wahrscheinlichkeit von 95 % sind die Verluste in der Aktie bis zum nächsten Tag nicht höher als 1,145 %. Bemerkung 4.5 Ein positiver Erwartungswert μ verringert den Value at Risk. Die Normalverteilungskurve verschiebt sich bei einem positiven Erwartungswert nach rechts. Die Grenze, die mit einer Wahrscheinlichkeit von p nicht unterschritten wird, verschiebt sich so ebenfalls nach rechts. Beispiel 4.17 Sie halten Anteile eines Zertifikats des FunXX, eines Indizes für Aktien von Vergnügungsparks. Für das Indexzertifikat nehmen Sie eine jährliche Rendite von 5 % p.a. bei einer Standardabweichung von 17 % p.a. an. Bei einer Haltedauer von einem Jahr liegt Ihr Value at Risk zu einem Konfidenzniveau von 95 % bei %. 97 , 2 2 % 5 ) 645 , 1 ( % 17 95 , 0 VaR Mit einer Wahrscheinlichkeit von 95 % verlieren Sie innerhalb eines Jahres nicht mehr als 22,97 %. Exkurs 4.4 Zeitliche Umskalierung des Value at Risk In Merksatz 4.1 müssen der Zeithorizont für die Value-at-Risk-Berechnung und die zeitliche Dimension der Parameter μ und „zusammenpassen“. Wird der Value at Risk in Formel (4.6) für einen Tag berechnet, so sind auch μ und als Erwartungswert und Standardabweichung der täglichen Renditen anzugeben. Stimmen der Zeithorizont des Value at Risk und der Parameter nicht überein, so <?page no="89"?> 90 4 Value at Risk und Expected Shortfall www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement können Erwartungswert μ und Standardabweichung umskaliert werden. Es wird dabei vorausgesetzt, dass die Parameter μ und über die Zeit konstant sind. Wir gehen davon aus, dass die Parameter für Renditeänderungen von Perioden der Länge T gegeben sind. Wir wollen den Value at Risk für eine Periode berechnen, die eine Länge N·T besitzt. Da wir von stetigen Renditen ausgehen, entspricht die Rendite über N·T nach Formel (2.19) der Summe der N Renditen der Teilperioden. Daher ist die Umrechnung des Erwartungswertes einfach. Erwartet man in einer Teilperiode eine Rendite von μ, so erwartet man in N Teilperioden eine Rendite, die N-mal so hoch ist, d.h. . T T N N Sind die Renditen zwischen den Teilperioden unabhängig voneinander, so gilt für die Standardabweichung nach Formel (3.5) . T T N N In Formel (4.6) lassen sich μ und durch die für die Periode der Länge N·T errechneten Parameter ersetzen und man erhält für den Value at Risk (4.7) sonst 0 0 |, | , 1 T T T T T N N z N N z N VaR , wobei z das -Quantil der Standardnormalverteilung ist. Beispiel 4.18 Gegeben sei eine erwartete Rendite einer Aktie von 0,03 % pro Tag bei einer Standardabweichung von 1,9 %. Sie wollen aber den Value at Risk mit einem Zeithorizont von zehn Tagen berechnen. Das Konfidenzniveau betrage 95 %. Erwartet man an einem Tag eine Rendite von 0,03 %, so beträgt die erwartete Rendite für zehn Tage %. 3 , 0 % 03 , 0 10 Tage 10 Die Standardabweichung für zehn Tage ergibt sich zu %. 01 , 6 % 9 , 1 10 Tage 10 Der Value at Risk zu einem Konfidenzniveau von 95 % bei einer Haltedauer von zehn Tagen beträgt %. 58 , 9 % 3 , 0 ) 645 , 1 ( % 01 , 6 % 03 , 0 10 ) 645 , 1 ( % 9 , 1 10 Tage 10 , 95 , 0 VaR <?page no="90"?> 4.5 Ermittlung des Value at Risk 91 www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement Beispiel 4.19 Eine Aktie habe eine jährliche erwartete Rendite von 6 % bei einer Standardabweichung von 25 % pro Jahr. Sie wollen wiederum den Value at Risk mit einem Zeithorizont von zehn Tagen berechnen. Da ein Jahr mit 250 Bankarbeitstagen angesetzt wird, beträgt die tägliche erwartete Rendite % 024 , 0 % 6 250 1 Tag 1 und die Standardabweichung für einen Tag %. 5811 , 1 % 25 250 1 Tag 1 Der Value at Risk zum Konfidenzniveau von 95 % bei einem Zeithorizont von zehn Tagen liegt bei %. 985 , 7 % 024 , 0 10 ) 645 , 1 ( % 5811 , 1 10 Tage 10 , 95 , 0 VaR Selbstverständlich braucht man die erwarteten Tagesparameter nicht explizit zu bestimmen, sondern kann in Formel (4.7) für N auch 10/ 250 einsetzen, denn zehn Bankarbeitstage sind 10/ 250 eines Jahres. Es ergibt sich natürlich dasselbe Ergebnis von %. 985 , 7 % 6 250 10 ) 645 , 1 ( % 25 250 10 Tage 10 , 95 , 0 VaR Beispiel 4.20 (Fortführung von Beispiel 4.17) Sie wollen nun für Ihr Indexzertifikat des FunXX aus Beispiel 4.17 den Value at Risk zu einem Konfidenzniveau von 95 % bei einer Haltedauer von zehn Tagen bestimmen (erwartete Rendite: 5 % p.a., Standardabweichung: 17 % p.a.). Dieser beträgt %. 39 , 5 0539 , 0 05 , 0 250 10 ) 645 , 1 ( 17 , 0 250 10 Tage 10 , 95 , 0 VaR Mit einer Wahrscheinlichkeit von 95 % verlieren Sie innerhalb von zehn Tagen nicht mehr als 5,39 %. Bemerkung 4.6 In Exkurs 4.4 wurde die Unabhängigkeit der Renditen verschiedener Zeiträume, d.h. z.B. verschiedener Tage, vorausgesetzt. Diese ist aber nicht immer gegeben. Oft sind Renditen autokorreliert ( QR-Glossar). Formel (4.7) unterschätzt in diesem Fall den Value at Risk. Es lassen sich Korrekturfaktoren für autokorrelierte Renditen berechnen (vgl. Hull, 2011, S. 198). <?page no="91"?> 92 4 Value at Risk und Expected Shortfall www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement 4.6 Backtesting Value-at-Risk-Angaben stellen Prognosen für einen zukünftigen möglichen Verlust dar. Wäre die zukünftige Verteilung der Gewinne und Verluste mit Sicherheit bekannt, könnte der Value at Risk exakt berechnet werden. Da die Verteilung aber selbst geschätzt werden muss (s. Abschnitt 4.4) - z.B. durch die Verwendung historischer Daten oder durch die noch zu behandelnden Monte-Carlo-Simulationen - ist auch der ermittelte Value at Risk ein Schätzwert. Dieser ist mit Unsicherheit behaftet. Eventuell werden bei der Modellierung die „wahren“ Value-at-Risk-Werte daher systematisch über- oder unterschätzt. Um dieses zu testen, kann man ein sogenanntes Backtesting durchführen. Durch den Value at Risk wird geschätzt, welcher Verlust in einem Portfolio in 100·p % der Fälle während der Haltedauer des Portfolios nicht überschritten wird. Am Ende der Haltedauer kann man den wirklich aufgetretenen Verlust des Portfolios mit dem zuvor geschätzten Wert vergleichen. Diesen Vergleich tätigt man für jede neue Valueat-Risk-Prognose. Die real auftretenden Verluste sollten dann nicht in wesentlich mehr als 100·(1-p) % der Fälle größer als die prognostizierten Verluste sein. Beispiel 4.21 (Fortführung von Beispiel 4.1) Inzwischen haben Sie schon 100 Partys organisiert. Nur viermal lag der Bierverbrauch über dem von Ihnen jeweils geschätzten Value-at-Risk-Verbrauch, den Sie zu einer Konfidenzwahrscheinlichkeit von 95 % bestimmt hatten. Obwohl Sie eine Fehlerwahrscheinlichkeit von 5 % zugelassen hatten, war Ihr realer Verlust nur in 4 % der Fälle höher als der prognostizierte Value at Risk. Nach Ihrem Backtesting deutet momentan nichts darauf hin, dass Ihre Value-at-Risk-Betrachtungen den Bierbedarf systematisch als zu niedrig einschätzen. 4.6.1 Behandlung von Ausnahmen im Backtesting In Beispiel 4.21 wurde vermutet, dass das Risiko-Modell, das nur in vier von 100 Fällen den Value at Risk zu einem Konfidenzniveau von 95 % nicht richtig prognostiziert hat, nicht fehlerhaft ist. Tatsächlich kann es aber vorkommen, dass auch bei einem nicht fehlerhaften Modell zufällig einmal in sieben von 100 Fällen das Backtesting fehlschlägt. Erst im langfristigen Verlauf wird sich bei einem ganz korrekt prognostizierenden Modell die Anzahl der Fehler bei 5 % einpendeln. Andersrum kann es aber auch sein, dass ein tatsächlich fehlerhaftes Modell zufällig nur in drei von 100 Fällen einen Backtesting-Fehler ergibt und man es daher zu Unrecht als nicht-fehlerhaft einstuft. Der Basler Ausschuss für Bankenaufsicht versucht diese statistischen Fehler erster und zweiter Art ( QR-Glossar) durch ein Ampelsystem abzubilden (Basler Ausschuss für Bankenaufsicht, 1996b, S. 6 ff.) Das Backtesting einer Bank ist so zu implementieren, dass es Abweichungen der tatsächlichen Verluste von den durch den Value at Risk prognostizierten Verlusten der letzten 250 Bankarbeitstage zählt. Wie in Abschnitt 4.3.1 erläutert wird für das Marktpreisrisiko vonseiten der Bankenaufsicht ein Konfidenzniveau von 99 % gefordert. Es wären im Backtesting daher 1 % an Ausnahmen, d.h. 2,5 Ausnahmen zulässig. Dennoch können auch hier zufällig einmal mehr als zwei Ausnahmen in 250 Bankarbeitstagen auftreten. Wenn null bis vier Fehler auftreten, <?page no="92"?> 4.7 Beurteilung des Value at Risk 93 www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement wird das Modell als fehlerfrei angenommen, es wird in die grüne Zone eingeordnet und es erfolgt kein Aufschlag des Multiplikationsfaktors für die Eigenkapitalunterlegung (s. Abschnitt 4.2). Zwischen fünf und neun Ausnahmen beim Backtesting führen zu einer Einordnung in die gelbe Zone und einem mit der Fehleranzahl wachsenden Aufschlag des Multiplikationsfaktors, bei zehn oder mehr Ausnahmen erfolgt eine Einstufung in die rote Zone und ein Aufschlag des Multiplikationsfaktors um eins auf einen Multiplikationsfaktor von vier. Die Bank wird außerdem aufgefordert, ihr Risikomodell zu verbessern. 4.6.2 Reale vs. hypothetische Veränderungen eines Portfolios Während der Zeitspanne, für die der Value at Risk berechnet wurde, kann sich ein Portfolio durch Umschichtungen in seiner Zusammensetzung verändern. Werden so mögliche Verluste vermieden oder durch Gewinne, z.B. durch Provisionen abgemildert, so kann es sein, dass der tatsächliche Verlust kleiner als der prognostizierte Verlust wird, das Backtesting also „gut gegangen“ ist, obwohl dieses bei konstanter Zusammensetzung des Portfolios nicht der Fall gewesen wäre. Eine alternative Möglichkeit ein Backtesting durchzuführen besteht daher darin, zu berechnen, wie sich der Wert des Portfolios hypothetisch entwickelt hätte, wenn die Zusammensetzung des Portfolios so geblieben wäre, wie sie bei der Prognose des Value at Risk war. Die Güte der Prognose sollte über ein solches sogenanntes Clean Backtesting beurteilt werden (Franke, Härdle und Hafner, 2004, S. 293). Vonseiten der Bankenaufsicht wird „nahe [gelegt], die notwendigen Vorkehrungen zu treffen, um Backtesting sowohl anhand hypothetischer als auch anhand tatsächlicher Handelsergebnisse durchführen zu können“ (Basler Ausschuss für Bankenaufsicht, 1996b, S. 4). Das Backtesting soll für Ein-Tages-Zeiträume durchgeführt werden, da bei der Betrachtung tatsächlicher Handelsergebnisse für kurze Perioden die Veränderungen im Portfolio relativ gering sind. Die Veränderungen sind dann auch mit einem prognostizierten Value at Risk auf Ein-Tages-Basis zu vergleichen, so dass aufsichtsrechtlich für das Marktpreisrisiko täglich ein Zehn-Tages-Value-at-Risk für die Eigenkapitalunterlegung sowie ein Ein-Tages-Value-at-Risk für die Validierung des Messmodells bestimmt werden muss. Allerdings kann für die Eigenkapitalunterlegung auch ein Value at Risk, der für eine Haltedauer von einem Tag bestimmt wurde, auf eine Haltedauer von zehn Tagen hochskaliert werden. 4.7 Beurteilung des Value at Risk 4.7.1 Vorteile Der Hauptvorteil des Value at Risk besteht in seiner einfachen Interpretierbarkeit. Er beschreibt, mit welcher Wahrscheinlichkeit Verluste in einem Finanzinstrument oder einem Portfolio einen bestimmten Wert nicht überschreiten. Man braucht kein Mathematiker zu sein, um diese Definition zu verstehen. Dieser Vorteil ist nicht zu unterschätzen. Neben der guten Interpretierbarkeit ist meist auch eine einfache Berechnung möglich. <?page no="93"?> 94 4 Value at Risk und Expected Shortfall www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement Außerdem kann man das Modell, mit dem der Value at Risk prognostiziert wurde, durch ein Backtesting (s. Abschnitt 4.6) leicht überprüfen. Zudem ist der Value at Risk ein Downside-Risikomaß, er bezieht sich also nur auf Verluste. 4.7.2 Nachteile Der Value at Risk hat vor allem zwei schwerwiegende Nachteile. Zum einen ist er nicht subadditiv. Zum anderen macht er keine Aussage darüber, was passiert, wenn die Verluste die durch den Value at Risk angegebene Schranke überschreiten. 4.7.2.1 Fehlende Subadditivität Subadditivität bezeichnet eine Eigenschaft eines Risikomaßes bei der Bildung von Portfolios. Hat man zwei Portfolios vorliegen, deren Einzelrisiken bekannt sind, so soll das Gesamtrisiko, wenn man beide Portfolios zu einem Portfolio zusammenlegt, die Summe der Einzelrisiken nicht überschreiten. Damit soll das Risikomaß die Tatsache ausdrücken, dass durch verschiedene Produkte im Portfolio ein Diversifikationseffekt erzielt werden kann. Diese Eigenschaft wird vom Risikomaß Value at Risk zwar in vielen Fällen erfüllt, es lassen sich aber Gegenbeispiele finden (s. Beispiel 4.22). 9 Beispiel 4.22 Sie haben zwei Finanzanlagen A und B. In jeder ist ein Verlust von 100 € mit einer Wahrscheinlichkeit von 4 % möglich, während mit 96 % Wahrscheinlichkeit gar kein Verlust auftritt. Beide Finanzanlagen verhalten sich unabhängig voneinander. Wertänderung x W‘keit P(X=x) F(x) -100 € 0,04 0,04 0 € 0,96 1 Tab. 4.5 Verteilungsfunktion jeder der einzelnen Finanzanlagen A oder B Will man für jede einzelne der Anlagen einen Value at Risk mit einem Konfidenzniveau von 95 % berechnen, so beträgt dieser null Euro, da der Sprung der Verteilungsfunktion über die 5 %-Schranke bei einem Verlust von null Euro stattfindet. Damit ist auch die Summe der Value-at-Risk-Maße beider Finanzanlagen null. Führt man jetzt die Anlagen A und B zu einem Portfolio zusammen, so lässt sich berechnen, mit welchen Wahrscheinlichkeiten Verluste im Portfolio auftreten. Da beide Anlagen unabhängig sind, kann man die gemeinsamen Wahrscheinlichkeiten 9 Subadditivität ist neben der Monotonie, der positiven Homogenität und der Translationsinvarianz eine von vier Eigenschaften, die von einem „kohärenten“ Risikomaß gefordert wird (Artzner et al., 1999). Der Value at Risk erfüllt alle Eigenschaften bis auf die Subadditivität und ist damit nicht kohärent. <?page no="94"?> 4.7 Beurteilung des Value at Risk 95 www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement für Verluste im Portfolio als Produkt der Einzelwahrscheinlichkeiten für A und B angeben. Es gilt P(„Verlust aus A ist 100 €“ und „Verlust aus B ist 100 €“) = P(„Verlust aus A ist 100 €“) · P(„Verlust aus B ist 100 €“) = 0,04·0,04 = 0,0016. Die Wahrscheinlichkeit für einen Verlust von 200 € im Portfolio beträgt 0,16 %. Genauso kann man die Wahrscheinlichkeiten für die anderen Möglichkeiten von Verlusten berechnen. Es gilt P(„Verlust aus A ist 100 €“ und „Verlust aus B ist 0 €“) = P(„Verlust aus A ist 100 €“) · P(„Verlust aus B ist 0 €“) = 0,04·0,96 = 0,0384 und genauso P(„Verlust aus A ist 0 €“ und „Verlust aus B ist 100 €“) = P(„Verlust aus A ist 0 €“) · P(„Verlust aus B ist 100 €“) = 0,96·0,04 = 0,0384. Insgesamt ist damit die Wahrscheinlichkeit für einen Verlust von 100 € aus einer der Anlagen 2·3,84 %=7,68 %. Schließlich beträgt die Wahrscheinlichkeit für einen Verlust von 0 € P(„Verlust aus A ist 0 €“ und „Verlust aus B ist 0 €“) = P(„Verlust aus A ist 0 €“) · P(„Verlust aus B ist 0 €“) = 0,96·0,96 = 0,9216. Die Verteilungsfunktion F(x) der Wertänderungen des Portfolios ist in Tab. 4.6 gegeben. Wertänderung x W‘keit P(X=x) F(x) -200 € 0,0016 0,0016 -100 € 0,0768 0,0884 0 € 0,9216 1 Tab. 4.6 Verteilungsfunktion der Wertänderungen eines Portfolios aus zwei Finanzanlagen A und B Der Value at Risk des Portfolios zu einem Konfidenzniveau von 95 % beträgt daher 100 €, da die Verteilungsfunktion F(x) die Fehlerwahrscheinlichkeit von 5 % bei einem Verlust von 100 € überschreitet. Die Summe der einzelnen Value-at-Risk-Maße der Finanzanlagen A und B war aber null. Das Risiko des Portfolios ist somit größer <?page no="95"?> 96 4 Value at Risk und Expected Shortfall www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement als die Summe der Einzelrisiken. Die Subadditivität des Risikomaßes Value at Risk ist nicht gegeben. 4.7.2.2 Fehlende Aussage über Verluste in den Tails der Verteilung Der schwerwiegendste Nachteil des Value at Risk liegt darin, dass durch ihn keine Aussage gemacht werden kann, was passiert, wenn die Verluste die durch ihn angegebene Schranke überschreiten. Dieses resultiert aus seiner Definition. Der Value at Risk gibt die Verlustgrenze an, die mit einer gegebenen Wahrscheinlichkeit p nicht überschritten wird. Es handelt sich dabei um einen Punkt der Verteilung. Was aber in den restlichen 100 (1-p) % der Fälle geschieht, davon ist nichts bekannt. Dementsprechend können die möglichen Verluste jenseits des Value at Risk recht nah am Value at Risk liegen oder sie können ihn um einiges überschreiten. Beispiel 4.23 Sie haben zwei Wertpapiere vorliegen, deren mögliche Gewinne und Verluste in Tab. 4.7 gegeben sind. Wertpapier High-Risk unterscheidet sich einzig und allein in den höchsten Verlusten von Wertpapier Low-Risk. Diese sind jeweils um das Zehnfache höher. Wertpapier Low-Risk -50 € -20 € -10 € -5 € 0 € 10 € 20 € Wertpapier High-Risk -500 € -200 € -100 € -5 € 0 € 10 € 20 € Wahrscheinlichkeit 0,01 0,01 0,03 0,25 0,4 0,2 0,1 kumulierte W‘keit 0,01 0,02 0,05 0,30 0,7 0,9 1 Tab. 4.7 Wahrscheinlichkeitsverteilung der Wertänderungen von zwei Wertpapieren Der Value at Risk zu 95 % ist bei beiden Wertpapieren gleich hoch. Bei beiden Papieren wird ein Verlust von 5 € in 95 % der Fälle nicht überschritten. Wenn diese Grenze jedoch überschritten wird, so sind die Verluste bei Wertpapier High-Risk deutlich höher. 4.7.3 Weitere Aspekte Die häufig zu hörende Kritik, dass für die Berechnung des Value at Risk von normalverteilten Daten ausgegangen wird, die zugrunde liegenden Risikofaktoren aber nicht normalverteilt sind, betrifft nicht das Risikomaß Value at Risk als solches, sondern seine Anwendung. Der Value at Risk kann für jede Verteilung berechnet werden. Wir haben dieses bereits für diskrete Verteilungen gesehen. Er kann aber auch für von der Normalverteilung abweichende stetige Verteilungen angewendet werden. In diesem Fall ist dementsprechend das Quantil einer Verteilung zu bestimmen, die besser an die Daten angepasst ist als eine Normalverteilung. Der Grund für die trotz Mängeln in der Datenanpassung häufige Verwendung der Normalverteilung in der Praxis liegt in ihrer einfachen Handhabbarkeit. <?page no="96"?> 4.7 Beurteilung des Value at Risk 97 www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement Exkurs 4.5 Zu Grenzen der Normalverteilungsannahme In der praktischen Anwendung der Value-at-Risk-Berechnung wird sehr häufig eine Normalverteilung der Daten vorausgesetzt. Finanzdaten sind aber oft nicht normalverteilt. Auf der einen Seite „weisen sie mehr Masse in den Enden der Verteilung auf“, d.h. die Wahrscheinlichkeit, dass man einen sehr hohen oder sehr niedrigen Wert erhält, ist höher, als es bei einer Normalverteilung der Fall sein dürfte. Man spricht dabei von fat tails der Verteilung. Auf der anderen Seite sind Werte im „mittleren Bereich“ der Verteilung häufiger als sie es bei einer Normalverteilung sein sollten. Finanzdaten haben eine steilgipfligere Verteilung als es die Normalverteilung ist, man nennt dieses eine leptokurtische Verteilung. Abb. 4.8 Leptokurtische Verteilung mit fat tails im Vergleich zu einer Normalverteilung Für die Value-at-Risk-Betrachtung sind es gerade die fat tails der Finanzdaten, die zu Problemen führen. Um den Value at Risk zu schätzen, werden Quantile bestimmt. Und zwar die „kleinen“ Quantile der Verteilung, wie etwa das 0,1 %- Quantil, das 1 %-Quantil oder das 5 %-Quantil. Man hält sich bei der Bestimmung des Value at Risk also im linken tail, d.h. im linken Ende der Verteilung auf. Wenn man nun zur Bestimmung des Value at Risk Quantile der Normalverteilung verwendet, die Verteilung aber fat tails hat, sehr kleine Werte daher viel wahrscheinlicher als bei der Normalverteilung sind, dann bestimmt man den Value at Risk zu weit „rechts“. Das Risiko wird somit unterschätzt. Der wahre Value at Risk läge eigentlich viel weiter links, d.h. er wäre viel höher als er durch die Normalverteilung geschätzt wurde. <?page no="97"?> 98 4 Value at Risk und Expected Shortfall www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement Die Extremwerttheorie (vgl. allgemein zur Extremwerttheorie Embrechts, Klüppelberg und Mikosch, 1997) passt eine andere Verteilung als die Normalverteilung an die Daten an. Dabei werden nur die Enden der Verteilung angepasst, die aber aufgrund der Betrachtung kleiner Quantile für die Value-at-Risk- Bestimmung auch allein relevant sind. Technisch geht man mit der sogenannten Peaks-Over-Threshold-Methode dabei so vor, dass man Schwellenwerte u bestimmt und für die Exzesse, d.h. die Höhe der möglichen Überschreitungen der Schwelle, eine verallgemeinerte Pareto-Verteilung anpasst. Die konkrete Bestimmung der Pareto-Verteilung geht über die Möglichkeiten dieser Einführung hinaus, es erfolgt nur eine ganz kurze qualitative Skizzierung des Vorgehens. Die die Pareto-Verteilung bestimmenden Parameter müssen aus den Daten geschätzt werden. Hierzu liegen verschiedene Schätzmethoden vor, wie die Maximum-Likelihood-Methode oder die Methode der kleinsten Quadrate sowie eine Reihe weiterer Verfahren (vgl. z.B. Zeranski, 2005). Die Schätzungen sind auf ihre Anpassungsgüte zu überprüfen. Aus dem Quantilsschätzer der resultierenden Pareto-Verteilung ergibt sich schließlich der Value at Risk (vgl. Klüppelberg, 2002, S. 11). 4.8 Expected Shortfall Ein Risikomaß, das auf der Definition des Value at Risk aufbaut, aber die Verluste, die über den Value at Risk hinausgehen, mit einbezieht, ist der Expected Shortfall. Der Expected Shortfall überwindet die Nachteile des Value at Risk. Er bezieht aufgrund seiner Definition auch die Informationen im linken Ende der Verteilung mit ein. Der Expected Shortfall erfüllt zudem alle Bedingungen an ein kohärentes Risikomaß, insbesondere ist er subadditiv (vgl. Artzner et al., 1999). Definition 4.2 Zu vorgegebener Fehlerwahrscheinlichkeit gibt der Expected Shortfall den erwarteten Verlust unter der Bedingung an, dass die Verluste zu den 100· % größten Verlusten gehören. 10 Value at Risk und Expected Shortfall gehören daher zusammen. Während der Value at Risk danach fragt, welcher Verlust nur in höchstens 100 · % der Fälle überschritten wird, geht der Expected Shortfall der Frage nach, „was der erwartete Verlust in den 100· % verlustreichsten Fälle im Portfolio“ (Acerbi und Tasche, 2002) ist. 10 Oft wird der Expected Shortfall auch als die mittlere Verlusthöhe für den Fall, dass die Verluste den Value at Risk überschreiten, definiert. Diese Definition ist leichter verständlich, aber für diskrete Verteilungen zum Teil ungenau, da in die Berechnung auch Verluste eingehen, die den Value at Risk nicht überschreiten, sondern die Höhe des Value at Risk selbst aufweisen (s. Beispiel 4.26 und Beispiel 4.27). Exkurs 4.6 Extremwerttheorie <?page no="98"?> 4.8 Expected Shortfall 99 www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement Beispiel 4.24 (Fortführung von Beispiel 4.1) Zusätzlich zum Bierbedarf für Ihre Erstsemesterparty ermitteln Sie aus den Erfahrungen bei den letzten 100 Partys, dass der Bedarf an Colaflaschen in 95 % der Fälle 1.200 Flaschen nicht übersteigt. Ihr Value at Risk zu einem Konfidenzniveau von 95% beträgt 1.200 Flaschen. Nur bei fünf vergangenen Partys war der Colaverbrauch höher, nämlich einmal bei 1.300 Flaschen, zweimal bei 1.500 Flaschen und je einmal bei 1.650 und 1.850 Flaschen. Wenn der Bedarf also einmal die 95 %-Grenze überschritten hatte, so lag er im Mittel bei 560 . 1 850 . 1 650 . 1 500 . 1 500 . 1 300 . 1 5 1 Cola-Flaschen. Dieses ist eine Schätzung für Ihren Expected-Shortfall-Bedarf. 4.8.1 Diskrete Wahrscheinlichkeitsverteilung Beispiel 4.25 (Fortführung von Beispiel 4.23) Für die in Tab. 4.7 dargestellten beiden Wertpapiere ergab sich der Value at Risk zu einem Konfidenzniveau von 95 % jeweils zu 5 €. Schaut man sich die 5 % größten Verluste an, so liegen diese für das Wertpapier Low-Risk in je einem Fünftel (0,01/ 0,05) der Fälle bei 50 € und bei 20 € sowie in drei Fünfteln (0,03/ 0,05) der Fälle bei 10 €. Der Expected Shortfall ergibt sich demnach zu €. 20 € 10 05 , 0 03 , 0 € 20 05 , 0 01 , 0 € 50 05 , 0 01 , 0 95 , 0 , Risk Low ES Für das zweite Wertpapier erhalten wir €. 200 € 100 05 , 0 03 , 0 € 200 05 , 0 01 , 0 € 500 05 , 0 01 , 0 95 , 0 , Risk High ES Bei gleichem Value at Risk ergibt sich ein zehnmal so hoher Expected Shortfall für das Wertpapier High-Risk. Der Expected Shortfall spiegelt die Tatsache besser wider, dass, wenn Verluste auftreten, diese auch groß sein können. In Beispiel 4.25 hatten wir insofern Glück, als dass die 5 % höchsten Verluste genau von den drei Verlusten ausgeschöpft wurden, die größer als der Value at Risk waren. Die diskrete Verteilungsfunktion besaß ein horizontales Teilstück bei dem Niveau . Das muss bei diskreten Verteilungsfunktionen nicht immer der Fall sein. <?page no="99"?> 100 4 Value at Risk und Expected Shortfall www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement Für das in Beispiel 4.13 betrachtete Wertpapier erfolgt bei einem Verlust von 12 € ein Sprung der Verteilungsfunktion über den Wert von 5 % hinaus. Die Verteilungsfunktion springt von 3 % auf 7 %. Wertänderungen -25 € -14 € -12 € -6 € 0 € 4 € 8 € 12 € 16 € W‘keit 0,01 0,02 0,04 0,20 0,30 0,25 0,11 0,05 0,02 kum. W’keit 0,01 0,03 0,07 0,27 0,57 0,82 0,93 0,98 1 Tab. 4.8 Wahrscheinlichkeitsverteilung und kumulierte Wahrscheinlichkeiten der Wertänderungen eines Wertpapiers Um die höchsten Verluste in die Erwartungswertbildung einzubeziehen, deren Wahrscheinlichkeiten zusammengenommen genau 5 % ergeben, muss daher ein Teil des Value at Risk von 12 € selbst in die Erwartungswertbildung einbezogen werden. Man geht so vor, dass man den Value at Risk von 12 € zu dem Anteil einbezieht, der noch zu den unteren 5 % „gerechnet werden“ kann. Von dem Wert der Verteilungsfunktion bei einem Verlust von 14 € von 3 % fehlen nur 2 % bis zur 5 %-Schranke. Die 4 % Wahrscheinlichkeit, die der Value at Risk von 12 € annehmen kann, wird in 2 %, die in die Erwartungswertbildung mit eingehen, und 2 % Wahrscheinlichkeit, die darin nicht eingehen, aufgeteilt. Wertänderungen -25 € -14 € -12 € W‘keit 0,01 0,02 0,02 kum. W’keit 0,01 0,03 0,05 Tab. 4.9 Anteil der Wahrscheinlichkeiten aus Tab. 4.8, die in die Berechnung des Expected Shortfall eingehen Aus den in Tab. 4.9 gegebenen Wahrscheinlichkeiten werden mit Hilfe der Division durch die Fehlerwahrscheinlichkeit von 0,05 bedingte Wahrscheinlichkeiten. Es wird ermittelt, welche Anteile auf die einzelnen Ausprägungen fallen, wenn man weiß, dass die Werte unterhalb der 5 %-Grenze liegen. So tritt in 20 % der unteren 5 % der Fälle (0,01/ 0,05=20 %) ein Verlust von 25 € auf, in 40 % (0,02/ 0,05) der Fälle ein Verlust von 14 € und in weiteren 40 % der Fälle ein Verlust von 12 €. Für unser Wertpapier erhalten wir €. 40 , 15 € 12 05 , 0 02 , 0 € 14 05 , 0 02 , 0 € 25 05 , 0 01 , 0 95 , 0 ES Alternativ kann man natürlich auch so vorgehen, dass man zunächst die gesamte Wahrscheinlichkeit, mit der der Wert des Value at Risk angenommen wird, in die Berechnung einbezieht und anschließend den „zu viel berechneten Anteil“ wieder abzieht. Man erhält so ebenfalls Beispiel 4.26 (Fortführung von Beispiel 4.13) <?page no="100"?> 4.8 Expected Shortfall 101 www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement €. 40 , 15 € 12 05 , 0 02 , 0 € 12 05 , 0 04 , 0 € 14 05 , 0 02 , 0 € 25 05 , 0 01 , 0 95 , 0 ES Verallgemeinern wir Beispiel 4.25 und Beispiel 4.26, so kommen wir zu folgender Formel (vgl. Acerbi und Tasche, 2002, S. 6) für den Expected Shortfall bei diskreten Verteilungen (4.8) . ) ( ) ( ) ( 1 1 1 1 1 VaR F VaR x x X P ES VaR x Formel (4.8) sieht kompliziert aus. Sie drückt aber nur das aus, was wir in Beispiel 4.25 und Beispiel 4.26 gesehen haben. In der an erster Stelle stehenden Summe wird über alle Verluste, die größer oder gleich dem Value at Risk sind - also über alle negativen Wertentwicklungen, die kleiner oder gleich dem negierten Value at Risk sind - gemittelt. Das negative Vorzeichen bei (-x) wird benötigt, weil über Verluste gemittelt wird, der Expected Shortfall aber im Endeffekt eine positive Größe darstellen soll. Die Verluste werden mit den bedingten Wahrscheinlichkeiten P(X=x)/ gewichtet. Überschreitet die Verteilungsfunktion ) ( 1 VaR F am Value at Risk die Fehlerwahrscheinlichkeit , so muss der überschüssige Anteil wie in Beispiel 4.26 wieder abgezogen werden. Dieses erfolgt im zweiten Summanden in der Klammer. Auch in Beispiel 4.25 könnten wir zunächst den Value at Risk von 12 € in die Summenbildung mit einbeziehen. Er wird dann durch den zweiten Summanden ) ) ( ( 1 1 VaR F VaR wieder abgezogen. Somit gilt Formel (4.8) auch für den Spezialfall, dass die Verteilungsfunktion in Höhe ein horizontales Teilstück besitzt. Fortführung von Beispiel 4.25 Für das Wertpapier Low-Risk aus Beispiel 4.25 erhält man nach Formel (4.8) für den Expected Shortfall €. 20 € 10 03 , 0 € 20 01 , 0 € 50 01 , 0 05 , 0 1 05 , 0 3 , 0 € 5 € 5 25 , 0 € 10 03 , 0 € 20 01 , 0 € 50 01 , 0 05 , 0 1 95 , 0 , Risk Low ES Für das Wertpapier High-Risk kann man analog verfahren. Bemerkung 4.7: Formel (4.8) vereinfacht sich bei diskreten Verteilungsfunktionen, bei denen die Verteilungsfunktion an einer Stelle genau den Wert annimmt, zu <?page no="101"?> 102 4 Value at Risk und Expected Shortfall www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement (4.9) . ) ( ) ( 1 1 1 VaR x x x X P ES 4.8.2 Daten in Urlistenform Das in Abschnitt 4.8.1 beschriebene Vorgehen kann auch angewendet werden, wenn die Daten in Urlistenform vorliegen. Ist n· ganzzahlig, so wird für den Expected Shortfall der Mittelwert der n· höchsten Verluste, die alle größer als der Value at Risk sind, berechnet. Ist n· nicht ganzzahlig, so wird vom Value at Risk noch ein Anteil in die Mittelwertbildung einbezogen, so dass wiederum über 100· % der Werte gemittelt wird. Beispiel 4.27 Sie haben 100 Wertänderungen, die bereits geordnet vorliegen. Diese betragen -100 €, -99 €, -98 €, -97 €, -96 €, -95 € usw. Der Value at Risk zu einem Konfidenzniveau von 95 % liegt bei 95 €. In 95 % der Fälle wird ein Verlust von 95 € nicht überschritten. Die 5 % schlechtesten Wertänderungen betragen -100 €, -99 €, -98 €, -97 €, -96 €. Formel (4.8) ergibt für den Expected Shortfall € 98 05 , 0 06 , 0 € 95 01 , 0 € 95 01 , 0 € 96 01 , 0 € 97 01 , 0 € 98 01 , 0 € 99 01 , 0 € 100 05 , 0 1 1 ES Da in diesem Fall genau =5 % der Wertänderungen den Value at Risk überschreiten, lässt sich die Berechnung des Expected Shortfall vereinfachen. Man kann hier den Mittelwert der Verluste, die größer als der Value at Risk sind, bilden, d.h. €. 98 € 96 € 97 € 98 € 99 € 100 5 1 95 , 0 ES Haben Sie nun 105 Werte vorliegen und zwar die oben gegebenen von -100 €, -99 €, -98 €, -97 €, -96 €, -95 € usw. ergänzt um fünf Gewinnwerte, so ist 105·5 % =5,25. Für den Value at Risk wird nach Formel (4.5) jetzt ebenfalls der Wert 95 € gewählt. Allerdings geht dieser noch in die Bildung des Expected Shortfall ein, da 95 € noch zu einem Anteil zu den unteren 5 % der Verteilung gehört. Formel (4.8) ergibt so für den Expected Shortfall €. 86 , 97 05 , 0 105 6 € 95 105 1 € 95 105 1 € 96 105 1 € 97 105 1 € 98 105 1 € 99 105 1 € 100 05 , 0 1 1 ES <?page no="102"?> 4.9 Value at Risk oder Expected Shortfall? 103 www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement 4.8.3 Stetige Wahrscheinlichkeitsverteilung Für Daten mit einer stetigen Wahrscheinlichkeitsverteilung tritt der Fall, dass die Verteilungsfunktion an der Stelle des Value at Risk über die Fehlerwahrscheinlichkeit hinausgeht, nicht auf. Es kann so der Erwartungswert aller Verluste, die größer oder gleich dem Value at Risk sind, gebildet werden. Die Erwartungswertbildung entspricht der Berechnung des Integrals (4-10) 0 1 . du VaR ES u Für eine normalverteilte Zufallsvariable Z~N(μ, ) ergibt sich (4-11) , ) ( 1 1 z ES wobei (z) die Dichte der Standardnormalverteilung ist. Sie wird am (1- )-Quantil der Standardnormalverteilung ausgewertet. (vgl. Albrecht, 2003, S. 31 ff.) Beispiel 4.28 Die jährliche Rendite eines Wertpapiers sei normalverteilt mit einem Erwartungswert μ von 6 % und einer Standardabweichung von 30 %. Das Konfidenzniveau betrage 95 %. Der Value at Risk errechnet sich demnach zu %. 35 , 43 4335 , 0 06 , 0 ) 645 , 1 ( 30 , 0 95 , 0 z VaR Der Expected Shortfall ergibt %. 88 , 55 5588 , 0 06 , 0 05 , 0 ) 645 , 1 ( 3 , 0 95 , 0 ES In 5% der Fälle kann der Verlust im Wertpapier innerhalb eines Jahres 43,35 % überschreiten. Er beträgt dann im Mittel 55,88 %. 4.9 Value at Risk oder Expected Shortfall? Der Expected Shortfall überwindet den Nachteil des Value at Risk, alle Verluste, die über einen bestimmten Verlust hinausgehen, zu ignorieren. Er ist zudem subadditiv. Zudem ist der Expected Shortfall schwieriger zu interpretieren als der Value at Risk und, wie wir gesehen haben, auch schwieriger zu berechnen. In dem vom Basler Ausschuss für Bankenaufsicht im Mai 2012 vorgestellten Konsultationspapier „Fundamental review of the trading book“ wird zum ersten Mal auch von bankaufsichtsrechtlicher Seite ein Wechsel von Value-at-Risk-Modellen zu Modellen, die den Expected Shortfall als Risikomaß verwenden, vorgeschlagen. So heißt es dort unter der Überschrift „Moving from Value at Risk to Expected Shortfall“: <?page no="103"?> 104 4 Value at Risk und Expected Shortfall www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement „A number of weaknesses have been identified with using Value-at-Risk (VaR) for determining regulatory capital requirements, including its inability to capture ‘tail risk’. For this reason, the Committee has considered alternative risk metrics, in particular Expected Shortfall (ES). ES measures the riskiness of a position by considering both the size and the likelihood of losses above a certain confidence level. In other words, it is the expected value of those losses beyond a given confidence level. The Committee recognises that moving to ES could entail certain operational challenges; nonetheless it believes that these are outweighed by the benefits of replacing VaR with a measure that better captures tail risk.“ (Basler Ausschuss für Bankenaufsicht, 2012, S. 3) In der Überarbeitung des Konsultationspapiers „Fundamental review of the trading book: A revised market risk framework“ vom Oktober 2013 wird diese Ansicht konkretisiert. „The Committee has agreed to use a 97.5% ES for the internal models-based approach“ (Basler Ausschuss für Bankenaufsicht, 2013, S. 3). Ein Konfidenzniveau von 97,5 % für den Expected Shortfall ergebe ein vergleichbares zu unterlegendes Risiko wie ein Value at Risk zu einem Konfidenzniveau von 99 %. Auf der anderen Seite reagiert das Maß des Expected Shortfall aber, wenn die Verlustmöglichkeiten jenseits des Value at Risk sehr hoch sind. Für das interne Berichtswesen einer Bank ist eine Entscheidung für eines der beiden Risikomaße aber nicht zwingend notwendig. Eine gemeinsame Berichterstattung beider Parameter - eventuell zu beiden von der Bankenaufsicht vorgeschlagenen Konfidenzniveaus, d.h. zu 97,5 % und zu 99 % - erscheint hingegen sinnvoll. Wie wir gesehen haben, wird der Value at Risk, je nachdem in welcher Form die Verteilung der Daten gegeben ist, sogar benötigt, um den Expected Shortfall zu berechnen. Der Expected Shortfall, der Aussagen über erwartete Verluste jenseits des Value at Risk zulässt, sollte nach Meinung der Autorin nicht ohne den leicht zu interpretierenden Value at Risk selbst berichtet werden. Im weiteren Verlauf dieses Buches liegt daher der Fokus auch auf beiden Parametern. Beispiel 4.29 (Fortführung von Beispiel 4.28) Für das Wertpapier aus Beispiel 4.28, dessen Rendite normalverteilt mit einem Erwartungswert μ von 6 % und einer Standardabweichung von 30 % war, beträgt der Value at Risk zu einem Konfidenzniveau von 99 % %. 78 , 63 6378 , 0 06 , 0 ) 326 , 2 ( 3 , 0 99 , 0 VaR Der Expected Shortfall ergibt %. 13 , 64 6413 , 0 06 , 0 025 , 0 ) 96 , 1 ( 3 , 0 975 , 0 ES Der Value at Risk zu einem Konfidenzniveau von 99 % in Höhe von 63,78 % und der Expected Shortfall zu einem Konfidenzniveau von 97,5% in Höhe von 64,13 % geben ein ähnliches Risikoniveau an. <?page no="104"?> 4.10 Zusammenfassung 105 www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement 4.10 Zusammenfassung Der Value at Risk gibt den minimalen nichtnegativen Verlust an, der mit einer vorgegebenen Wahrscheinlichkeit p innerhalb einer bestimmten Zeitspanne nicht überschritten wird. Mit zunehmendem Sicherheitsniveau und zunehmendem Zeithorizont wird der Wert des Value at Risk größer. Für diskrete Verteilungen ergibt sich der Value at Risk als der Wert, an dem die Verteilungsfunktion der Verluste und Gewinne das Niveau der Fehlerwahrscheinlichkeit überschreitet. Für normalverteilte Daten lässt sich für den Value at Risk eine einfache Formel herleiten. Bei der Modellierung der Rendite über eine Normalverteilung kann der Value at Risk für unterschiedliche Zeiträume umskaliert werden. Die Güte eines Value-at-Risk-Modells kann durch ein Backtesting überprüft werden. Der Value at Risk ist leicht interpretierbar, hat aber die Nachteile, dass er nicht subadditiv ist und keine Aussagen darüber macht, wie sich die Verluste eines Portfolios verhalten, wenn der Value at Risk überschritten wird. Der Expected Shortfall überwindet die Nachteile des Value at Risk. Er ist subadditiv und gibt den erwarteten Verlust für den Fall an, dass die Verluste größer als der Value at Risk sind. 4.11 Literatur 4.11.1 Im Text zitierte Literatur Acerbi, C. & Tasche, D. (2002): On the coherence of Expected Shortfall. Journal of Banking & Finance, 26(7), S. 1487-1503. Albrecht, P. (2003): Zur Messung von Finanzrisiken, Mannheimer Manuskripte zu Risikotheorie, Portfoliomanagement und Versicherungswirtschaft, Nr. 143. Artzner, P., Delbaen, F., Eber, J. & Heath, D. (1999): Coherent measure of risk. Mathematical Finance, 9 (3), S. 203-228. Basler Ausschuss für Bankenaufsicht (1996a): Änderung der Eigenkapitalvereinbarung zur Einbeziehung von Marktrisiken, URL: http: / / www.bis.org/ publ/ bcbs24ade.pdf (Stand: 7.12.2013). Basler Ausschuss für Bankenaufsicht (1996b): Aufsichtliches Rahmenkonzept für Backtesting (Rückvergleiche) bei der Berechnung des Eigenkapitalbedarfs zur Unterlegung des Marktrisikos mit bankeigenen Modellen, URL: http: / / www.bis.org/ publ/ bcbs22de.pdf (Stand: 12.3.2013). Basler Ausschuss für Bankenaufsicht (2004): Internationale Konvergenz der Kapitalmessung und Eigenkapitalanforderungen, Überarbeitete Rahmenvereinbarung, URL: http: / / www.bundesbank.de/ Redaktion/ DE/ Downloads/ Kerngeschaeftsfelder/ Bank enaufsicht/ Gesetze_Verordnungen_Richtlinien/ rahmenvereinbarung_baseler _eigenkapitalempfehlung_200406.pdf? __blob=publicationFile (Stand: 7.12.2013). <?page no="105"?> 106 4 Value at Risk und Expected Shortfall Basler Ausschuss für Bankenaufsicht (2012): Fundamental review of the trading book, URL: http: / / www.bis.org/ publ/ bcbs219.pdf (Stand: 10.3.2013). Basler Ausschuss für Bankenaufsicht (2013): Fundamental review of the trading book: A revised market risk framework, URL: https: / / www.bis.org/ publ/ bcbs265.pdf (Stand: 7.12.2013). Boerse.de (URL): Dax, URL: http: / / www.boerse.de/ historische-kurse/ DAX/ DE0008469008 (Stand: 7.12.2013). Embrechts P., Klüppelberg, C. & Mikosch, T. (1997): Modelling Extremal Events for Insurance and Finance. Applications of Mathematics, Stochastic Modelling and Applied Probability, Berlin: Springer. Fahrmeir, L., Künstler, R., Pigeot, I. & Tutz, G. (2001): Statistik, Der Weg zur Datenanalyse, 3. Auflage, Berlin: Springer. Franke, J., Härdle, W. & Hafner, C. (2004): Einführung in die Statistik der Finanzmärkte, Berlin: Springer. Hull, J. (2011): Risikomanagement - Banken, Versicherungen und andere Finanzinstitutionen, 2. Auflage, München: Pearson. Huschens, S. (Hrsg.) (2000): Value-at-Risk-Schlaglichter, URL: http: / / wwqvs.file3.wcms.tu-dresden.de/ publ/ schlag.pdf (Stand 7.12.2013). Klüppelberg, C. (2002): Risk Management with Extreme Value Theory, Sonderforschungsbereich 386, Paper 270, URL: http: / / epub.ub.uni-muenchen.de/ (Stand 16.9.2013). Yahoo! Finanzen (URL): Adidas AG, URL: http: / / de.finance.yahoo.com/ q/ hp? s=ADS.DE&d=9&e=5&f=2012&g=d&a=0&b= 1&c=2003&z=66&y=66 (Stand 7.12.2013). Zeranski, S. (2005): Liquidity at Risk zur Steuerung des liquiditätsmäßig-finanziellen Bereiches von Kreditinstituten, Chemnitz: Gesellschaft für Unternehmensrechnung und Controlling. 4.11.2 Ergänzende und weiterführende Literatur Bessis, J. (1998): Risk Management in Banking, Chichester: Wiley. Cottin, C., Döhler, S. (2009): Risikoanalyse - Modellierung, Beurteilung und Management von Risiken mit Praxisbeispielen, Wiesbaden: Vieweg&Teubner. Jorion, P. (2007): Value at Risk - The New Benchmark for Managing Financial Risks, 3. Auflage, New York: McGraw-Hill. Wolke, T. (2007): Risikomanagement, München: Oldenbourg. <?page no="106"?> 4.12 Kontrollfragen 107 4.12 Kontrollfragen 1. Der Value at Risk eines Finanzportfolios zu einem Konfidenzniveau von 99 % ist kleiner als der Value at Risk des Portfolios zu 95 % größer als der Value at Risk des Portfolios zu 95 %. 2. Trifft man bei der grafischen Bestimmung des Value at Risk auf einen horizontalen Abschnitt der Verteilungsfunktion, so wird für die Angabe des Value at Risk der x-Wert gewählt, der den am weitesten links liegenden Wert des horizontalen Abschnitts markiert der x-Wert gewählt, der in der Mitte des horizontalen Abschnitts liegt der x-Wert gewählt, der am weitesten rechts liegt. 3. Das Backtesting eines Value-at-Risk-Modells zu einem Konfidenzniveau von 99 % gilt dann als erfolgreich, wenn der prognostizierte Value-at-Risk-Wert in genau =1 % der 250 dem Test zugrunde liegenden Tage vom real aufgetretenen Verlust überschritten wird der prognostizierte Wert in genau =1 % der 250 dem Test zugrunde liegenden Tage vom real aufgetretenen Verlust unterschritten wird der prognostizierte Wert bei bis zu vier Tagen, die dem Test zugrunde liegen, vom real aufgetretenen Verlust überschritten wird. 4. Der Expected Shortfall ist subadditiv monoton kohärent. <?page no="107"?> 108 4 Value at Risk und Expected Shortfall www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement 4.13 Aufgaben Aufgabe 4.1 Gegeben ist folgende Wahrscheinlichkeitsverteilung für die Wertänderungen einer Geldanlage. Wertänderungen -250 € -200 € -150 € -50 € 0 € 50 € 150 € W’keit P(X=x) 0,01 0,02 0,02 0,22 0,45 0,25 0,03 Tab. 4.10 Wahrscheinlichkeitsverteilung der Wertänderungen einer Geldanlage a) Wie hoch ist der Value at Risk zu einem Konfidenzniveau von 90 %? b) Wie hoch ist der Value at Risk zu einem Konfidenzniveau von 95 %? c) Wie hoch ist der Expected Shortfall zu einem Konfidenzniveau von 95 %? Aufgabe 4.2 Die stetige Rendite einer Aktie könne als normalverteilt mit einem Erwartungswert von 7 % im Jahr und einer Standardabweichung von 15 % im Jahr modelliert werden. a) Berechnen Sie den Value at Risk der Aktie zu einem Konfidenzniveau p von 95 % und einer Haltedauer von zehn Tagen als prozentualen Wert! b) Die Aktie habe heute einen Kurs von 180 €. Berechnen Sie den Value at Risk der Aktie zu einem Konfidenzniveau p von 95 % und einer Haltedauer von zehn Tagen in absoluten Geldbeträgen! Aufgabe 4.3 Erstellen Sie eine Excel-Tabelle, in der Sie den Value at Risk eines Finanzinstruments ermitteln, dessen Rendite durch eine normalverteilte Zufallsvariable modelliert ist! Lassen Sie dazu als Parameter das Konfidenzniveau p, die erwartete Rendite , die Standardabweichung und den Zeithorizont N variabel! Kontrollieren Sie mit Ihrer Anwendung das Ergebnis von Aufgabe 4.2! Aufgabe 4.4 In der Excel-Datei „Aufgabe 4.4.xls“ finden Sie die bereinigten Schlusskurse der BASF vom 29.6.2012 bis zum 1.7.2013. Vergleichen Sie anhand der Daten die Schätzung des Value at Risk mit einem Zeithorizont von einem Tag a) anhand der empirischen Verteilung nach Abschnitt 4.5.1 b) und über die Anpassung einer Normalverteilung an die Daten! <?page no="108"?> 4.14 Aufgaben 109 Überlegen Sie, welche Renditen Sie berechnen, um die Aufgabenteile a) und b) vergleichbar zu machen! Lassen Sie das Konfidenzniveau p für den Value at Risk variabel! c) Vergleichen Sie die Ergebnisse beider Schätzungen, indem Sie für das Konfidenzniveau verschiedene Werte wählen (z.B. p=0,9, p=0,95, p=0,99 und p=0,999). Was folgern Sie aus dem Vergleich? Aufgabe 4.5 Erstellen Sie in Excel zwei mögliche Gewinn- und Verlustverteilungen aus 100 gleich wahrscheinlichen Einzelrenditen, die den gleichen Value at Risk zu einem Konfidenzniveau von 95 % haben, deren Expected Shortfall sich aber deutlich unterscheidet. Aufgabe 4.6 Nehmen Sie an, die Rendite eines Portfolios sei normalverteilt. Erstellen Sie eine Excel-Tabelle, in der Sie den Value at Risk des Portfolios zu einem Konfidenzniveau von 99 % berechnen sowie dessen Expected Shortfall zu einem Konfidenzniveau von 97,5 %. Lassen Sie die erwartete Rendite und die Standardabweichung des Portfolios variabel und probieren Sie den Effekt unterschiedlicher Werte für die erwartete Rendite und die Standardabweichung auf die Risikomaße aus! <?page no="110"?> www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement 5 Value at Risk für nichtlineare Preisfunktionen 5.1 Lernziele Nach der Bearbeitung dieses Kapitels sollten Sie die allgemeine Problematik nichtlinearer Preisfunktionen verstanden haben Optionen und Anleihen als Beispiele für Produkte mit nichtlinearer Preisfunktion kennen wissen, was eine Call- und eine Put-Option sind die Auszahlung von Optionen am Ausübungstermin berechnen können zwischen innerem Wert und Zeitwert einer Option unterscheiden können den Preis einer Option bestimmen können den Value at Risk einer Option exakt und näherungsweise bestimmen können wissen, was eine Zinsstrukturkurve ist und verschiedene Arten von Zinsstrukturkurven benennen können den Barwert einer Zahlung sowie eines Zahlungsstroms und damit den Preis einer Anleihe berechnen können den Value at Risk einer Anleihe exakt und näherungsweise bestimmen können die Duration einer Anleihe berechnen und interpretieren können. 8 <?page no="111"?> 112 5 Value at Risk für nichtlineare Preisfunktionen www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement 5.2 Einführung Beispiel 5.1 Inzwischen haben Sie schon etwas mehr Erfahrung mit der Organisation von Hochschulfesten. Ihre Partys waren immer gut besucht. Für das bevorstehende Herbstfest haben Sie deshalb 5.000 Flaschen Bier gekauft. Im Einkauf haben Sie dabei einen Euro pro Flasche bezahlt. Natürlich kann es sein, dass nicht alle Flaschen auf der Party verkauft werden, Sie haben vorausschauend für etwas mehr Bier gesorgt, als Sie erwarten abzusetzen. Das Bier, das nicht verkauft wird, können Sie dem Lieferanten nach dem Fest wieder verkaufen. Allerdings ist er ein bisschen ein Mathefreak - und ein Spaßvogel. Sie können immer nur Anzahlen von Flaschen zurückgeben, die Vielfache von Hundert sind. Der Lieferant hat mit Ihnen vereinbart, dass der Preis, den er zahlt, 100 € mal der Wurzel aus diesen Vielfachen von Hundert beträgt. Geben Sie 100 Flaschen zurück, bekommen Sie genau 100 €. Geben Sie 200 Flaschen zurück, bekommen Sie 100 € mal der Wurzel aus zwei, d.h. 141 € zurück usw. Der Verlust, den Sie machen, lässt sich als folgende Verlustfunktion V schreiben (5.1) ) ( € 100 € 100 € 100 ) ( x x x x x V , wobei x die Vielfachen von 100 Flaschen sind. Den ersten Term in Formel (5.1) von 100 €·x haben Sie beim Kauf für die Flaschen bezahlt, den zweiten Teil bekommen Sie zurück. Die Differenz beschreibt entsprechend den Verlust, den Sie machen. Zwei Stunden vor Ende der Feier versuchen Sie, die Lage zu überblicken. Sie sind sich sicher, dass auf jeden Fall 300 Flaschen übrig bleiben. Diese geben Sie deshalb auch bereits jetzt schon zurück. Sie haben damit bereits einen Verlust von € 79 , 126 3 € 100 € 300 realisiert. Wenn jetzt allerdings schlagartig alle Gäste gehen, kann Ihr Verlust auch noch deutlich höher ausfallen. Sie gehen aber davon aus, dass mit einer Wahrscheinlichkeit von 95 % nicht mehr als weitere 600 Flaschen zusätzlich zu den bereits zurückgegebenen 300 Flaschen übrig bleiben. Der monetäre Verlust, der erlitten werden kann, hängt hier nichtlinear vom Risikofaktor, in diesem Fall der Anzahl der nicht verkauften Bierflaschen, ab. Bei einem linearen Verlauf hätte man einfach die Schätzung für den „Value at Risk“ der übrig gebliebenen Flaschen mit einem Faktor multiplizieren können, um einen in Geldeinheiten errechneten Value at Risk zu erhalten. Macht man pro Flasche z.B. 1 € Verlust, so macht man mit 600 zusätzlichen Flaschen eben 600 weitere Euro Verlust. Durch den nichtlinearen Verlauf ist die Berechnung nicht ganz so einfach. Sie haben nun zwei Möglichkeiten. Die erste Möglichkeit liegt in einer exakten Berechnung. Sie können den Verlust bei Rückgabe von 900 Flaschen dem Verlust bei <?page no="112"?> 5.2 Einführung 113 www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement Rückgabe von 300 Flaschen gegenüberstellen. Geben Sie 900 Flaschen zurück, machen Sie einen Verlust von €. 600 9 € 100 € 900 Der Verlust von 126,79 € bei der Rückgabe von 300 Flaschen war schon realisiert. Aus jetziger Sicht gibt die Differenz von 600 € - 126,79 € = 473,21 € daher den zusätzlichen Verlust an, der mit 95 % Wahrscheinlichkeit nicht überschritten wird. Die Vorgehensweise kann man sich in Abb. 5.1 als ein „Entlanglaufen“ auf der durchgezogenen Linie der Verlustfunktion vorstellen. Abb. 5.1 Verlust bei der Rückgabe von Bierflaschen und Tangente im Punkt „300 Flaschen“ Als zweite Möglichkeit kann man versuchen, den nichtlinearen Verlauf der Verlustfunktion zu linearisieren, indem man „im Punkt 300 Flaschen“ eine Tangente an die Verlustfunktion anlegt. Deren Steigung multipliziert mit der Differenz - dem Delta - von 600 Flaschen, die Sie eventuell zusätzlich zu den schon abgeschriebenen 300 Flaschen nicht verkaufen, ergibt eine Schätzung für den wahren Verlust. Zur Bestimmung der Tangente bilden Sie im Punkt 300 Flaschen die Ableitung der Verlustfunktion (5.1). Es gilt , 2 1 1 € 100 ) ( ' x x V und damit €. 13 , 71 3 2 1 1 € 100 ) 3 ( ' V <?page no="113"?> 114 5 Value at Risk für nichtlineare Preisfunktionen www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement Pro 100 nichtverkaufter Flaschen steigt der Verlust um 71,13 €. Eine linearisierte Schätzung für den Verlust, wenn Sie zusätzlich 600 Flaschen übrig behalten, erhalten Sie daher, indem Sie die Steigung der Tangente mit den zusätzlich nicht verkauften Flaschen multiplizieren. Der Verlust liegt näherungsweise bei 6·71,13 € = 426,49 €. Bei dieser Art der Berechnung bewegt man sich nicht auf der Verlustfunktion selbst, sondern auf der Tangente (s. die gestrichelte Linie in Abb. 5.1). Gegenüber dem wahren Verlust von 473,21 € unterschätzt die Linearisierung den Verlust um fast 50 €. Die Verlustfunktion in Beispiel 5.1 hängt nichtlinear vom Risikofaktor, d.h. hier der Anzahl der zurückzugebenden Bierflaschen ab. Dadurch lässt sich der „Value at Risk“ für die Bierflaschen nicht sofort in einen monetären Value at Risk umrechnen. Beispiel 5.1 zeigt aber die zwei möglichen Herangehensweisen bei nichtlinearen Abhängigkeiten der Preisfunktion von den Risikofaktoren. Eine exakte Berechnung ermittelt den hypothetischen Verlust, wenn sich die Risikofaktoren so zu Ungunsten des Produktes - oder hier der Situation - verändert haben, dass mit vorgegebener Konfidenzwahrscheinlichkeit p keine „schlimmere“ Veränderung auftritt. Bei einer näherungsweisen Berechnung linearisiert man die vorliegende Preisfunktion - bzw. hier die Verlustfunktion - und nähert den Value at Risk so an. Diese Vorgehensweise kann auch bei allen Finanzprodukten gewählt werden, die nichtlinear von den zugrunde liegenden Risikofaktoren abhängen. Allerdings funktionieren die dargestellten Verfahren nur bei monotonen Verläufen der Preisfunktionen. Bei nichtmonotonen Zusammenhängen kann es passieren, dass der Verlust wieder geringer wird, wenn der Risikofaktor weiterwächst. Wir beschränken uns daher hier auf monotone nichtlineare Funktionen. Für nichtmonotone nichtlineare Funktionen kann der Value at Risk mit Simulationsmethoden (s. Abschnitt 6.6) bestimmt werden. In diesem Kapitel soll beispielhaft der Value at Risk für zwei große Klassen von Finanzprodukten hergeleitet werden, deren Preise nichtlineare Funktionen der Risikofaktoren sind. So hängen Aktienoptionen nichtlinear vom Aktienkurs ab. Anleihen sind nichtlineare Funktionen vom Zinssatz. 5.3 Optionen Wie der Name impliziert, liefert eine Option ihrem Inhaber eine Möglichkeit, genauer gesagt ein Recht, etwas zu tun, ohne, dass er aber verpflichtet ist, dieses Recht auszuüben. Bei amerikanischen Optionen kann das Optionsrecht während der gesamten Laufzeit der Option zu einem beliebigen Zeitpunkt ausgeübt werden. Europäische Optionen hingegen haben als einzigen Ausübungszeitpunkt das Ende der Laufzeit der Option. Optionen beziehen sich auf einen bestimmten Basiswert, ein sogenanntes Underlying. Das kann z.B. eine Aktie sein, ein Index oder auch ein Zinssatz. Es gibt sehr viele verschiedene Arten von Optionen. Standardoptionen, sogenannte Plain-Vanilla-Optionen ( QR-Glossar), werden häufig gehandelt und haben eine vergleichsweise einfache Struktur. Neben den Standardoptionen gibt es die unterschiedlichsten exotischen Optionen mit den verschiedensten Auszahlungsprofilen. <?page no="114"?> 5.3 Optionen 115 www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement Unabhängig davon, wann eine Option ausgeübt werden darf, kann sie aber auch vor dem Ausübungstermin gehandelt, d.h. verkauft oder gekauft, werden. Sie hat, wie eine Aktie auch, einen gewissen Marktwert. Wie man diesen ermittelt, diskutieren wir beispielhaft in Abschnitt 5.3.1 und Abschnitt 5.3.2. Der Handel kann als Over-the-counter- Handel (OTC-Handel, QR-Glossar) direkt zwischen zwei Vertragspartnern stattfinden. Durch den direkten Kontakt von Käufer und Verkäufer können diese Optionen individuell gestaltet werden. Standardisierte Optionen werden an Terminbörsen wie z.B. der Eurex gehandelt. Im Folgenden beschränken wir uns auf die Darstellung von Aktienoptionen europäischen Typs und nehmen dabei für die Standardoptionen Call und Put die Ermittlung eines Value at Risk vor. Auf andere Optionen mit monotoner Preisfunktion lassen sich die Konzepte übertragen. 5.3.1 Call-Option Definition 5.1 Bei einer Call-Aktienoption, einer Kaufoption, hat der Besitzer der Option das Recht, das Underlying, d.h. die zugrunde liegende Aktie, zu einem bestimmten Zeitpunkt in der Zukunft (Ausübungszeitpunkt) zu einem bereits heute festgelegten Preis (Ausübungspreis, Basispreis oder Strike-Preis) zu kaufen. Beispiel 5.2 Der Kurs der Hamburg-Vor-Aktie stehe heute bei 100 €. Sie kaufen eine Call- Option mit einem Basispreis von 105 € und einem Ausübungszeitpunkt in einem Jahr. Ihr Call gibt Ihnen das Recht, die Aktie in einem Jahr zu einem Preis von 105 € zu kaufen, unabhängig davon, wie der Aktienkurs am Markt in einem Jahr sein wird. Um zu wissen, ob sich der Kauf der Option gelohnt hat, muss man die Option an ihrem Ausübungstermin betrachten. Zum Ausübungszeitpunkt in einem Jahr liege der Kurs der Hamburg-Vor-Aktie bei 109 €. Sie würden nun Ihre Call-Option ausüben und die Aktie zu den vereinbarten 105 € kaufen. Sie können die Hamburg- Vor-Aktie nun entweder in Ihrem Portfolio halten oder sie für 109 € am Markt verkaufen. Sie haben dann einen „Brutto“-Gewinn von 4 € realisiert. Allerdings hatte Ihre Option natürlich auch ihren Preis, Sie haben für die Option eine Prämie gezahlt. Diese müssen Sie von Ihren 4 € abziehen, um den Nettogewinn zu erhalten. Liegt der Kurs der Hamburg-Vor-Aktie in einem Jahr bei 102 €, werden Sie Ihre Option verfallen lassen. Sie werden die Aktie lieber am Markt für 102 € kaufen, als Ihr Recht zu nutzen, sie für 105 € zu erwerben. Sie hatten aber dennoch für die Option eine Prämie gezahlt, diese erhalten Sie nicht zurück. Sie müssen den Verlust Ihres gesamten investierten Betrags hinnehmen. Im Folgenden bezeichnen wir mit S den aktuellen Aktienkurs, K sei der Ausübungskurs der Option, r der risikolose Zinssatz ( QR-Glossar), z.B. ein Geldmarktsatz, T die Restlaufzeit bis zur Ausübung der Option und die Volatilität des Aktienkurses. <?page no="115"?> 116 5 Value at Risk für nichtlineare Preisfunktionen www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement 5.3.1.1 Innerer Wert Der innere Wert einer Option bezeichnet den Wert der Option am Ausübungstermin, d.h. bei einer Restlaufzeit von T=0. Die gestrichelte Linie in Abb. 5.2 zeigt den inneren Wert der Option aus Beispiel 5.2. Liegt der Aktienkurs S, den man am Markt zahlen muss, am Ausübungstag unter dem Basispreis K, so wird man sein Recht, die Aktie zum Basispreis zu kaufen, verfallen lassen. Dann kauft man die Aktie lieber am Markt. Die Option hat daher einen Wert von 0 €. Übersteigt der Aktienkurs hingegen den Basispreis, so kann man durch Ausübung der Option die Differenz zwischen Marktpreis der Aktie und Basispreis realisieren. Der Wert der Option steigt für Aktienkurse über dem Ausübungskurs linear an. Der innere Wert der Call-Option lässt sich daher als (5.2) Innerer Wert Call ) 0 , max( K S ausdrücken. Abb. 5.2 Optionswert eines Calls in Abhängigkeit von der Zeit bis zum Ausübungszeitpunkt (K=105 €, r=3 % p.a., =0,15 p.a.) 5.3.1.2 Zeitwert und Gesamtwert Zum inneren Wert der Option kommt aber noch ein Zeitwert hinzu. Ist der Ausübungstag der Option noch nicht erreicht, sondern liegt z.B. erst in einem Vierteljahr (graue durchgezogene Linie in Abb. 5.2) oder in einem Jahr (schwarze durchgezogene Linie in Abb. 5.2), so kann sich der Aktienkurs bis zur Ausübung noch zugunsten des Optionsbesitzers verändern. Der Zeitwert der Call-Option ist daher positiv. Bei konstantem Aktienkurs fällt er, je stärker die Zeit voranschreitet, d.h. je geringer die Restlaufzeit der Option wird. <?page no="116"?> 5.3 Optionen 117 www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement Der Optionspreis, d.h. die Prämie, die für die Option zu zahlen ist, setzt sich aus innerem Wert und Zeitwert zusammen. Der gesamte Call-Preis c lässt sich über die Black- Scholes-Formel zu (5.3) ) ( ) ( 2 1 d e K d S c rT mit T T r K S d 2 ln 2 1 und T d d 1 2 bestimmen. Dabei ist die Verteilungsfunktion der Standardnormalverteilung. Die Werte der Verteilungsfunktion können in Tab. 10.2 abgelesen werden. Exkurs 5.1 Black-Scholes-Formel und innerer Wert einer Option Da der Zeitwert der Call-Option umso mehr sinkt, je näher der Ausübungstag heranrückt, sollte sich der über die Black-Scholes-Formel errechnete Wert der Option im Laufe der Zeit immer mehr ihrem inneren Wert annähern. Dazu muss man drei Fälle betrachten: 1. Ist der Aktienkurs S größer als der Ausübungskurs K, so ist ln(S/ K) größer als null. Strebt die Restlaufzeit T gegen Null, so gilt 0 2 0 1 0 0 0 2 ln lim lim T T T r T K S d T T sowie . lim lim lim 1 0 1 0 2 0 d T d d T T T Damit konvergiert die Verteilungsfunktion der Standardnormalverteilung aber an den Stellen d 1 und d 2 jeweils gegen eins und es gilt somit . ) ( ) ( lim lim 2 1 0 0 K S d e K d S c rT T T 2. Ist der Aktienkurs S kleiner als der Ausübungskurs K, so ist ln(S/ K) kleiner als null. Somit gilt für den Grenzwert von d 1 . 2 ln lim lim 0 2 0 1 0 0 0 T T T r T K S d T T <?page no="117"?> 118 5 Value at Risk für nichtlineare Preisfunktionen www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement Damit konvergiert auch d 2 gegen minus unendlich und die Verteilungsfunktion konvergiert an den Stellen d 1 und d 2 gegen Null. Damit ist aber der Grenzwert des Optionspreises . 0 ) ( ) ( lim lim 2 1 0 0 d e K d S c rT T T 3. Entspricht der aktuelle Aktienkurs S dem Ausübungskurs K, d.h. gilt S=K, so gilt für T 0 . 0 ) 0 ( ) 0 ( lim 0 S S c T Dementsprechend ergibt sich bei einer Restlaufzeit T=0 der innere Wert der Call-Option als Grenzwert aus Formel (5.2). Beispiel 5.3 Sie halten eine Call-Option auf eine Aktie der Kölner-Seit-AG mit Basispreis 105 € und Ausübungszeitpunkt in genau einem Jahr (T=1). Der Ein-Jahres-Geldmarktsatz liege bei 3 % p.a., die Volatilität der Aktie bei 15 % p.a. Der aktuelle Kurs der Kölner-Seit-AG beträgt 104 €. Die Hilfsgrößen d 1 und d 2 ergeben sich zu 2112 , 0 1 15 , 0 1 2 15 , 0 03 , 0 € 105 € 104 ln 2 1 d und . 0612 , 0 1 15 , 0 2112 , 0 2 d Damit beträgt der Wert Ihres Calls €. 26 , 7 5244 , 0 € 105 5836 , 0 € 104 ) 0612 , 0 ( € 105 ) 2112 , 0 ( € 104 1 03 , 0 1 03 , 0 e e C Der Optionspreis von 7,26 € besteht rein aus dem Zeitwert der Option, der innere Wert der Option ist Null, da der aktuelle Kurs mit 104 € kleiner als der Ausübungskurs von 105 € ist. Der hohe Zeitwert resultiert daraus, dass der Kurs der Kölner- Seit-Aktie in der Nähe des Ausübungskurses der Option liegt und die Zeit bis zur Ausübung noch ein ganzes Jahr beträgt. Bemerkung 5.1: Man kann den Wertebereich einer Option in drei Bereiche einteilen. Dabei sagt man, die Option sei „aus dem Geld“, wenn sie keinen inneren Wert besitzt. Für eine Call-Option bedeutet dieses, dass der aktuelle Marktpreis der Aktie unter dem Ausübungspreis liegt. Die Call-Option ist hingegen „im Geld“, wenn der Marktpreis der Aktie größer als der Ausübungspreis der Option ist. Wenn man die Option im aktuellen Zeitpunkt ausüben könnte, hätte man einen Vorteil. Die Option ist „am Geld“, wenn der Marktpreis der Aktie dem Ausübungspreis entspricht oder in der Nähe des Ausübungspreises liegt. <?page no="118"?> 5.3 Optionen 119 www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement Beispiel 5.4 (Fortführung von Beispiel 5.2) Die Call-Option auf die Hamburg-Vor-Aktie aus Beispiel 5.2 mit Ausübungspreis 105 € ist „aus dem Geld“, wenn der aktuelle Kurs der Hamburg-Vor-Aktie kleiner als 105 € ist, sie ist bei einem Marktpreis von 105 € „am Geld“ und für einen Aktienkurs, der größer als 105 € ist, ist sie „im Geld“ (s. auch Abb. 5.2). 5.3.2 Put-Option Definition 5.2 Bei einer Put-Aktienoption (Verkaufsoption) hat der Besitzer der Option das Recht, die der Option zugrunde liegende Aktie zu einem bestimmten Zeitpunkt (Ausübungszeitpunkt) zu einem bereits heute festgelegten Preis (Ausübungspreis, Basispreis oder Strike-Preis) zu verkaufen. Beispiel 5.5 Der Kurs der Hamburg-Vor-Aktie stehe heute wiederum bei 100 €. Sie kaufen eine Put-Option auf die Hamburg-Vor-Aktie mit einem Basispreis von 95 €. Der Put gibt Ihnen das Recht, die Aktie in einem Jahr zu einem Preis von 95 € zu verkaufen, unabhängig davon, wie der Aktienkurs am Markt in einem Jahr sein wird. Sie werden Ihr Recht in einem Jahr nur ausüben, wenn der Kurs der Aktie zu diesem Zeitpunkt unter 95 € liegt. Liegt der Aktienkurs z.B. bei 90 €, so können Sie eine Hamburg-Vor-Aktie am Markt für 90 € kaufen und diese aufgrund Ihrer Put-Option zu 95 € verkaufen und so die Differenz von 5 € als Bruttogewinn realisieren. Oder Sie verkaufen eine Hamburg-Vor-Aktie aus Ihrem Portfolio, die Sie eventuell nicht mehr im Portfolio halten wollen. Auch dann machen Sie einen Gewinn von 5 € gegenüber einem Verkauf auf dem freien Markt. Liegt der Kurs der Hamburg-Vor-Aktie am Markt hingegen bei 100 €, so werden Sie Ihre Option nicht ausüben. Wenn Sie die Aktie im Portfolio halten und sie verkaufen möchten, wollen Sie ja lieber 100 € für Ihre Aktie erhalten, als die in der Option vereinbarten 95 €. Haben Sie die Aktie nicht im Portfolio, kaufen Sie sie aber erst recht nicht am Markt für 100 €, um sie dann für 95 € durch die Ausübung Ihres Puts zu verkaufen. Ihre Option und damit die Prämie, d.h. der Preis, den Sie beim Kauf der Option bezahlt haben, verfällt daher wertlos. 5.3.2.1 Innerer Wert Bei der Verkaufsoption ist der innere Wert der Option null, wenn der Ausübungskurs vom aktuellen Kurs überschritten wird. In diesem Fall verkauft man lieber zum Marktpreis. Unterhalb des Ausübungskurses ist der innere Wert positiv. Er ist umso höher, desto stärker der aktuelle Aktienkurs den Ausübungskurs unterschreitet. Es gilt (5.4) Innerer Wert Put ). 0 , max( S K <?page no="119"?> 120 5 Value at Risk für nichtlineare Preisfunktionen www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement Der innere Wert der Put-Option aus Beispiel 5.5 ist in Abb. 5.3 durch die gestrichelte Linie markiert. Abb. 5.3 Optionswert eines Puts in Abhängigkeit von der Zeit bis zum Ausübungszeitpunkt (K=95 €, r=3 % p.a., =0,15 p.a.) 5.3.2.2 Zeitwert und Gesamtwert Zu dem inneren Wert kommt auch beim Put der Zeitwert der Option dazu. Allerdings ist der Zeitwert bei Verkaufsoptionen teilweise auch negativ. Das kann man sich am besten an einem Aktienkurs von 0 € - oder zumindest ganz nahe an 0 € - veranschaulichen. In diesem Fall entspricht der innere Wert genau dem Ausübungskurs K. Weiter kann der Aktienkurs aber nicht mehr sinken, d.h. eine Verbesserung des Optionswertes ist nicht mehr möglich. Der Aktienkurs kann nur wieder ansteigen, so dass in diesem Fall die Verkaufsoption aber an Wert verliert. Da bis zu einem bestimmten Aktienkurs das Risiko, dass der Kurs steigt, gegenüber der Chance, dass er fällt, überwiegt, ist der Zeitwert der Verkaufsoption von null bis zu dem so definierten Aktienkurs negativ und daher der Preis der Option in diesem Bereich kleiner als ihr innerer Wert (s. Abb. 5.3). Die Black-Scholes-Formel liefert für den Optionspreis p der europäischen Put-Option den Wert (5.5) ) ( ) ( 1 2 d S d e K p rT wobei weiterhin <?page no="120"?> 5.3 Optionen 121 www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement T T r K S d 2 ln 2 1 und T d d 1 2 sind. Beispiel 5.6 Der Ausübungszeitpunkt einer Put-Option auf die Frankfurt-Ran-Aktie mit Basispreis 95 € liegt in einem Jahr, d.h. T=1. Der Ein-Jahres-Geldmarktsatz liege bei 3 % p.a. Der aktuelle Kurs der Frankfurt-Ran-Aktie beträgt 98 €, die Volatilität der Aktie betrage 15 % p.a. Die Hilfsgrößen d 1 und d 2 ergeben sich zu 4823 , 0 1 15 , 0 1 2 15 , 0 03 , 0 € 95 € 98 ln 2 1 d und . 3323 , 0 1 15 , 0 4823 , 0 2 d Damit gilt für den Preis des Puts €. 25 , 3 3148 , 0 € 98 3698 , 0 € 95 ) 4823 , 0 ( € 98 ) 3323 , 0 ( € 95 1 03 , 0 1 03 , 0 e e p Der Optionspreis von 3,25 € ist der reine Zeitwert der Option, der innere Wert der Option ist null, da der aktuelle Kurs mit 98 € größer als der Ausübungskurs von 95 € ist. Die Option ist „aus dem Geld“. Bemerkung 5.2: Eine Put-Option ist „aus dem Geld“, wenn der Marktpreis höher als der Ausübungspreis ist, da man die zugrunde liegende Aktie am Markt verkaufen würde und das Recht, sie zum Ausübungspreis zu verkaufen, verfallen lassen würde. Die Put-Option ist hingegen „im Geld“, wenn der Marktpreis der Aktie kleiner als der Ausübungspreis der Option ist. Wenn man die Option im vorliegenden Zeitpunkt ausüben dürfte, würde man so durch das Ausüben der Option einen Vorteil haben. Die Option ist „am Geld“, wenn der Marktpreis der Aktie dem Ausübungspreis entspricht oder in der Nähe des Ausübungspreises liegt. 5.3.3 Value at Risk von Optionen Wie wir bereits gesehen haben, hängt der Wert einer Option von verschiedenen Parametern ab: dem Aktienkurs S, dem risikofreien Zinssatz r, der Volatilität der Aktie und der Zeit T bis zum Ausübungstermin. Die Zeit ist eine feste, deterministische Größe. Zinssatz und Volatilität der Aktie schwanken zwar im Zeitverlauf, d.h. sie sind <?page no="121"?> 122 5 Value at Risk für nichtlineare Preisfunktionen www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement stochastisch. Zur Vereinfachung kann man aber - zunächst 11 - davon ausgehen, dass sie in dem betrachteten Zeitraum nicht zu stark schwanken und sie deshalb als konstant annehmen. Damit ist der Aktienkurs der ausschlaggebende Risikofaktor für den Optionspreis. Dabei verläuft der Wertverlust in der Option bei Wertänderungen der Aktie nicht linear (vgl. Abb. 5.2 und Abb. 5.3). So kann z.B. eine Call-Option, die „aus dem Geld“ ist, d.h. bei der der aktuelle Kurs der zugrunde liegenden Aktie unter dem Ausübungspreis liegt, kaum noch an Wert verlieren. Auch wenn der Aktienkurs stark einbricht. Dieses liegt daran, dass die Option sowieso schon wenig wert ist. Notiert die Aktie hingegen „am Geld“ oder „im Geld“, so sieht es ganz anders aus. Je stärker die Aktie „im Geld“ notiert, je weiter also der Aktienkurs über dem Ausübungskurs liegt, desto stärker übertragen sich Kursverluste aus der Aktie auch auf die Option. Analoge Betrachtungen kann man für die Put-Option durchführen. Wie lässt sich der Value at Risk der Option berechnen? Da der Aktienkurs der ausschlaggebende Risikofaktor ist, fragt man sich zunächst, welche Veränderung der Aktie zu einem Wertverlust der Option führt. Dieses ist bei der Call-Option bei einem Kursrückgang der Fall, bei der Put-Option bei einem Kursgewinn der Aktie. Bei vorgegebenem Konfidenzniveau p lässt sich so die für die Option gravierendste Kursänderung der Aktie betrachten. Dabei ist zu beachten, dass die so ermittelte Kursänderung mit dem herkömmlich für eine Aktie bestimmten Value at Risk übereinstimmt, wenn es sich um eine Call-Option handelt, da man bei einem Call einen Kursverlust erleidet, wenn man einen Kursverlust in der zugrunde liegenden Aktie erleidet. Da ein Put aber bei einem Kursgewinn der Aktie einen Verlust erleidet, kann man bei der berechneten Veränderung der Aktie nicht klassisch von einem Value at Risk sprechen. Wir setzen daher die Notation in Hochkommata und bezeichnen mit „VaR p (Aktie)“ den Kursanstieg in der Aktie, der mit einer Wahrscheinlichkeit von p nicht überschritten wird. Wie bei der Verlustfunktion von zurückgegebenen Bierflaschen in Beispiel 5.1 lassen sich auch für Optionen zwei Methoden zur Bestimmung des Value at Risk anwenden. Die exakte Berechnung des Kursverlustes der Option und eine näherungsweise Berechnung durch eine Linearisierung der Preisfunktion der Option. 5.3.3.1 Exakte Berechnung Bei der exakten Berechnung ermittelt man zunächst den Kurs, den die Aktie mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit nicht unterschreitet (Call) bzw. überschreitet (Put). Anschließend berechnet man für den so ermittelten Aktienkurs den Verlust in der Option. Beispiel 5.7 (Fortführung von Beispiel 5.3) Der Kurs der Kölner-Seit-Aktie stehe heute bei 104 €. Die von Ihnen neu erstandene Call-Option auf die Kölner-Seit-Aktie hat einen Ausübungskurs von 105 €, sie kann in drei Monaten ausgeübt werden (Volatilität: 15 % p.a., risikoloser Zinssatz 3 % 11 Mit Hilfe der Simulationsverfahren der historischen Simulation und der Monte-Carlo- Simulation (Abschnitt 6.6) lassen sich auch mehrere Risikofaktoren berücksichtigen. <?page no="122"?> 5.3 Optionen 123 www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement p.a., erwartete stetige Rendite der Aktie: 3 % p.a. 12 ). Es soll der Value at Risk der Call-Option zum Konfidenzniveau 95 % bei einer Haltedauer von einem Monat berechnet werden. Über Formel (5.3) bestimmt sich der jetzige Wert des Calls zu €. 01 , 3 4741 , 0 € 105 5039 , 0 € 104 ) 0651 , 0 ( € 105 ) 0099 , 0 ( € 104 25 , 0 03 , 0 25 , 0 03 , 0 e e c Der Call macht einen Verlust, wenn der Aktienkurs fällt. Um den Verlust in der Call-Option zu bestimmen, ermitteln wir daher zunächst den Wert der Aktie, unter den diese mit 95 % Wahrscheinlichkeit im nächsten Monat nicht fällt. Der Wertverlust ist nach Formel (4.7) durch % 87 , 6 0687 , 0 03 , 0 12 / 1 15 , 0 ) 645 , 1 ( 12 / 1 , 1 N z N VaR N gegeben. Da die erwartete Rendite als stetige Rendite angegeben war, ist auch der Wertverlust von 6,87 % ein stetiger Wertverlust. Bei einem Value at Risk von 6,87 %, fällt der Aktienkurs mit einer 95 %-igen Wahrscheinlichkeit in einem Monat von 104 € daher nicht unter €. 10 , 97 € 104 0687 , 0 e In einem Monat hat die Option nur noch eine Restlaufzeit von 2 Monaten. Der Wert der Option bei einem dann herrschenden Kurs in der Aktie von 97,10 € würde daher auf € 35 , 0 0,110 € 105 0,122 € 10 , 97 ) -1,226 ( € 105 ) -1,165 ( € 10 , 97 16667 , 0 03 , 0 16667 , 0 03 , 0 e e c fallen. Damit beträgt der Value at Risk der Option zu einem Konfidenzniveau von 95 % und einer Haltedauer von einem Monat €. 66 , 2 € 35 , 0 € 01 , 3 ) ( Monat 1 , 95 , 0 c VaR 5.3.3.2 Näherungsweise Berechnung Zur näherungsweisen Berechnung linearisieren wir das Auszahlunsprofil der Option im aktuellen Aktienkurs durch eine Tangente. Die Steigung der Tangente ist durch die 12 Unter der Annahme einer risikoneutralen Bewertung ( QR-Glossar) der Option muss die erwartete stetige Rendite der Aktie dem risikolosen Zinssatz entsprechen (Hull, 2006, S. 304). <?page no="123"?> 124 5 Value at Risk für nichtlineare Preisfunktionen www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement Ableitung des Optionspreises (Formeln (5.3) und (5.5)) nach dem Aktienkurs S, dem sogenannten Optionsdelta ( QR-Glossar), definiert. Dieses beträgt für den Call (5.6) ) ( 1 d S c c und für den Put 13 (5.7) , 1 ) ( ) ( 1 1 d d S p p wobei d 1 analog zu Formel (5.3) definiert ist und die Verteilungsfunktion der Standardnormalverteilung angibt (Hull, 2006, S. 423). Abb. 5.4 Optionspreis c und Tangente im Aktienkurs S=104 € Pro Euro, den der Call (Put) sich im Wert ändert, ändert sich die Option um c ( p) Einheiten. Will man jetzt die näherungsweise Änderung des Optionspreises bei einer Änderung des Aktienkurses ermitteln, so braucht man die Änderung des Aktienkurses daher nur mit dem Optionsdelta zu multiplizieren. Dieses entspricht einem „Entlanglaufen“ auf der Tangente. Es gilt (5.8) ) Aktie ( ) ( ) Aktie ( ) ( 1 1 1 1 VaR d VaR c c VaR und (5.9) )" Aktie ( " ) 1 ) ( ( )" Aktie ( " ) ( 1 1 1 1 VaR d VaR p p VaR . 14 13 Die Formeln für die Optionsdeltas gelten so nur für dividendenlose Aktien. Bei Aktien, die eine Dividendenrendite r div erzielen, müssen die in Formeln (5.6) und (5.7) angegebenen Optionsdeltas noch mit r div abgezinst werden (Hull, 2006, S. 424). <?page no="124"?> 5.3 Optionen 125 www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement Fortführung von Beispiel 5.7 Da der Kurs der Kölner-Seit-Aktie bei 104 € liegt, hat der Call (K=105 €, T=0,25 Jahre) auf die Kölner-Seit-Aktie den oben berechneten Preis von 3,01 €. Das Delta der Option im Punkt 104 € beträgt . 504 , 0 25 , 0 15 , 0 25 , 0 2 15 , 0 03 , 0 € 105 € 104 ln ) ( 2 1 d S c Bei einem Value at Risk der Aktie von 6,87 % (s. Beispiel 5.7), d.h. einem Verlust in der Aktie, der mit 95 % Wahrscheinlichkeit nicht größer als 6,87 % ist, verliert die Aktie nach Formel (4.4) in Geldeinheiten € 90 , 6 € 10 , 97 € 104 € 104 € 104 0687 , 0 e an Wert. Der Value at Risk in der Call-Option lässt sich daher näherungsweise zu € 48 , 3 € 90 , 6 504 , 0 ) ( Monat 1 , 95 , 0 c VaR bestimmen. Beispiel 5.7 macht allerdings deutlich, dass die Näherungslösung keine gute Annäherung an den wahren Preisverlust in der Option liefert, wenn man sich zu weit „vom Ausgangspunkt“ entfernt, d.h. wenn die Änderungen des Aktienkurses der zugrunde liegenden Aktie hoch sind. In der Fortführung von Beispiel 5.7 wird über die lineare Näherung durch die Tangente ein Value at Risk in der Option von 3,48 € berechnet, obwohl die Option nur einen Wert von 3,01 € hat. Es könnten daher eigentlich auch nur maximal 3,01 € Verlust auftreten. Das Risiko wird durch die lineare Näherung demnach überschätzt (s. auch Abb. 5.4). Jetzt kann man sich fragen, warum man den zweiten Weg über die Tangente überhaupt wählen sollte, wenn die erste Berechnung auch nicht schwieriger, aber ganz genau war. Bei einer einzigen Option im Portfolio macht das auch keinen Sinn. Relevant wird der Ansatz erst, wenn mehrere Produkte im Portfolio enthalten sind und der Varianz- Kovarianz-Ansatz zur Ermittlung des Value at Risk gewählt wird (s. Abschnitt 6.5). Die Darstellung erfolgte aus didaktischen Gründen zunächst an einem einzelnen Produkt. 14 Da das Delta des Puts negativ ist, muss für den als positive Größe definierten Value at Risk der Betrag genommen werden. <?page no="125"?> 126 5 Value at Risk für nichtlineare Preisfunktionen www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement 5.4 Anleihen Beispiel 5.8 Oma Meier ist risikoscheu. Von Aktien hält sie gar nichts. Normalerweise braucht sie sich auch nicht um eine Geldanlage zu kümmern. Sie ist froh, wenn das Geld für den Alltag reicht. Nun hat sie aber fünf Richtige im Lotto gehabt und ist auf einen Schlag um 10.000 € reicher. Sie möchte ihr Geld festverzinslich anlegen. Dass ein Sparbuch nicht mehr die beste Alternative ist, das haben ihr ihre Enkel schon oft genug erzählt. Also kauft sie eine Bankanleihe mit einer Laufzeit von vier Jahren und einem Kuponzinssatz von 3 % p.a. Sie ist sehr zufrieden. Ein Jahr später stellt sie jedoch fest, dass dieselbe Bank für vergleichbare Anleihen nun 4 % Zinsen im Jahr zahlt. Jetzt ärgert sich Oma Meier doch. Hätte sie ihr Geld zunächst nur für ein Jahr angelegt, hätte sie heute eine Bankanleihe kaufen können, die ihr eine deutlich höhere Verzinsung geboten hätte. Sie hätte dann 400 € statt 300 € im Jahr an Zinsen erhalten. Als sie sich erkundigt, ob sie nicht einfach ihre Bankanleihe verkaufen und ihr Geld neu anlegen kann, merkt Oma Meier, dass sie nun keine 10.000 € für ihre Anleihe mehr erhalten würde. Oma Meier tröstet sich damit, dass sie bei einer Anlage in Aktien eventuell einen deutlich höheren Verlust hätte verkraften müssen. Sie sieht aber jetzt ein, dass selbst die Anlage in festverzinsliche Wertpapiere ein Risiko in sich trägt. Anleihen gelten als risikoarme Anlageform. Während eine Aktie eines Unternehmens dem Käufer ein Miteigentum gewährt, ist die Begebung einer Anleihe für ein Unternehmen eine Form der Fremdfinanzierung. Der Kauf einer Anleihe entspricht daher der Vergabe eines Kredits an das Unternehmen. Sieht man vom Kreditrisiko (s. Kapitel 7) ab, so erhält der Käufer am Ende der Laufzeit den Nennbetrag der Anleihe zurück. Er hat zusätzlich Anspruch auf Zinszahlungen als Entgelt für die Überlassung des Kapitals. Durch das in der Anleihe verbriefte Recht auf Rückzahlung von Nennbetrag und Zinszahlungen sind Anleihen im Vergleich zu Aktien relativ risikoarm. Abhängig vom Zinsniveau können sie jedoch auch Kursverluste erleiden - aber auch Kursgewinne verzeichnen. Anders als Kredite werden Anleihen öffentlich begeben 15 , so dass auch Privatpersonen dem Emittenten, d.h. dem Herausgeber der Anleihe, Geld überlassen können. Anleihen werden an Börsen oder im individuellen OTC-Handel ( QR-Glossar) gehandelt. Sie können von Unternehmen, Banken oder der öffentlichen Hand begeben werden. Es gibt die unterschiedlichsten Ausgestaltungsformen für Anleihen. Diese unterscheiden sich hauptsächlich in Bezug auf ihre Verzinsung. Standardanleihen haben einen festen Zinssatz, den sogenannten Kuponzinssatz. Dieser wird während der Laufzeit an den Zinszahlungsterminen ausbezahlt. Eine Nullkuponanleihe, auch Zero-Bond genannt, zahlt hingegen während der Laufzeit keine Kuponzinsen aus. Stattdessen wird die Nullkuponanleihe zu einem Kurs unter 100 % gehandelt, am Ende der Laufzeit zahlt sie den Nennwert, d.h. 100 %, aus. Bei Anleihen, die mit einem variablen Zinssatz ausgestattet sind, passt sich der Zinssatz während der Laufzeit einem Referenz- 15 Eine Ausnahme bilden sogenannte Privatplatzierungen, bei denen nur ein kleiner Käuferkreis direkt angesprochen wird. <?page no="126"?> 5.4 Anleihen 127 www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement zinssatz, z.B. dem Euribor ( QR-Glossar), an. Zusätzlich gibt es heute die unterschiedlichsten strukturierten Anleihen, bei denen derivative Elemente, wie z.B. Zinsderivate in Form von Caps ( QR-Glossar) oder Floors ( QR-Glossar) enthalten sind. Wir beschränken uns in diesem Abschnitt auf Nullkuponanleihen und festverzinsliche Anleihen. 5.4.1 Zinssätze 5.4.1.1 Kuponzinssatz vs. Marktzinssatz Eine Festzinsanleihe ist mit einem Kuponzinssatz ausgestattet. Der Begriff hat sich aus der Zeit gehalten, als Anleihen noch physisch in gedruckter Form ausgegeben wurden und der Erhalt der Zinszahlungen durch Abgabe von an dem Wertpapier befindlichen Kupons ( QR-Glossar) geleistet wurde. Den Kuponzinssatz kann man auch als Nominalzinssatz der Anleihe bezeichnen. Während der Kuponzinssatz für die Laufzeit der Anleihe fest bleibt, ändern sich am Markt aber die Zinsen. Die Marktzinsen ergeben sich am Geldmarkt aus Angebot und Nachfrage. Folglich kann es passieren, dass Marktzinssatz und Kuponzinssatz voneinander abweichen (s. Beispiel 5.8). Dadurch kommt es zu Kursschwankungen der Anleihe. Es gibt unterschiedliche Marktzinssätze, je nachdem in welchem Anleihesegment man sich befindet. So stellen sich z.B. Marktzinsen für Staatsanleihen heraus, für Pfandbriefe oder für Unternehmensanleihen. Auch diese können noch einmal nach ihrer Bonität unterteilt werden. Bei schlechterer Bonität ist im höheren vom Emittenten zu zahlenden Zinssatz ein Risikozuschlag für das vom Käufer getragene Ausfallrisiko der Anleihe enthalten. Je besser die Bonität eines Emittenten - bzw. einer Emission - ist, desto geringer ist der Zinssatz, der für diese Anleihen gezahlt wird. Für Bundesanleihen liegen die Marktzinsen z.B. unter denjenigen für Pfandbriefe etc. Es existiert demnach nicht nur ein Zinssatz, sondern es gibt eine Vielzahl von Marktzinsen. 5.4.1.2 Zinsstrukturkurve Die Höhe des Zinssatzes hängt auch von der Laufzeit der Anlage ab. Die Zinsstruktur - oder auch Zinsstrukturkurve - veranschaulicht die Abhängigkeit des Zinssatzes von der Restlaufzeit einer Anlage. Sie zeigt, welche Zinsen für Nullkuponanleihen mit einer Laufzeit von einem Jahr, von zwei Jahren etc. gelten. Diese Zinssätze nennt man auch Zerozinssätze ( QR-Glossar). Die Zinsstrukturkurve gilt immer für ein gegebenes festes Datum (z.B. 31. Juli 2013, s. Abb. 5.5). Bis zum nächsten Tag oder - wenn man längere Zeitspannen im Auge hat - bis zum nächsten Monat kann sich die ganze Zinsstrukturkurve verändern. Sie kann z.B. Parallelverschiebungen erfahren, wobei sich die Zinssätze für alle Restlaufzeiten gleichzeitig um dieselben Prozentpunkte ändern, so dass sich die gesamte Kurve parallel nach oben oder nach unten verschiebt. Die Zinsstrukturkurve kann sich aber auch drehen, wenn z.B. die Zinssätze für kurze Restlaufzeiten steigen, die für lange Restlaufzeiten aber sinken, so dass die Zinsstrukturkurve flacher wird. Oder die Zinsstrukturkurve wird steiler, wenn für kurze Restlaufzeiten geringere Zinsen und für längere Laufzeiten höhere Zinsen bezahlt werden als in der Vorperiode. <?page no="127"?> 128 5 Value at Risk für nichtlineare Preisfunktionen www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement Abb. 5.5 Zinsstrukturkurve vom 31.7.2013 für börsennotierte Bundeswertpapiere und Pfandbriefe (Hypothekenpfandbriefe und öffentliche Pfandbriefe) - eigene Darstellung nach Daten der Deutschen Bundesbank (Deutsche Bundesbank, URL) Betrachtet man die Zinsstrukturkurve für einen festen gegebenen Zeitpunkt, so können für längere Laufzeiten meist auch höhere Zinssätze erwartet werden. Man spricht dann von einer normalen Zinsstrukturkurve (s. Abb. 5.5). Haben Anleihen mit kurzen Laufzeiten höhere Zinssätze als langfristige Anleihen, so liegt eine inverse Zinsstrukturkurve vor. Dieses tritt dann auf, wenn die Marktteilnehmer erwarten, dass die Zinsen insgesamt fallen werden. Es entsteht dann eine hohe Nachfrage nach langfristigen Anlageprodukten, durch die die Zinsen im langfristigen Bereich gesenkt werden. Der Spezialfall einer flachen Zinsstrukturkurve mit genau gleichen Zinssätzen für unterschiedliche Laufzeiten kommt in der Praxis in Reinform so nicht vor, wird aber aus didaktischen Gründen zur Vereinfachung von Rechnungen oft angewendet. In der Praxis können neben diesen drei Grundformen auch gemischte Formen auftreten, wie z.B. hohe Zinssätze für sehr kurze Laufzeiten, z.B. bis 1 Jahr, recht niedrige Zinssätze im mittelfristigen Bereich und wieder ansteigende Zinssätze für langfristige Anleihen (s. Abb. 5.6). <?page no="128"?> 5.4 Anleihen 129 www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement Abb. 5.6 Zinsstrukturkurve vom 30.3.2008 für börsennotierte Bundeswertpapiere und Pfandbriefe (Hypothekenpfandbriefe und öffentliche Pfandbriefe) - eigene Darstellung nach Daten der Deutschen Bundesbank (Deutsche Bundesbank, URL) 5.4.2 Kursberechnung Aufgrund divergierender Kupon- und Marktzinsen weicht der aktuelle Preis einer Anleihe meist von ihrem Nennwert ab. Definition 5.3: Das Verhältnis von aktuellem Wert und Nennwert einer Anleihe bezeichnet man als Kurs C. Der Kurs wird in Prozent angegeben. Da eine Anleihe am Ende ihrer Laufzeit immer ihren Nennwert zurückzahlt, besteht der Wert der Anleihe am Laufzeitende in eben diesem Nennwert. Die Anleihe hat dann einen Kurs von 100 %. Je kürzer die Restlaufzeit wird, desto mehr nähert sich der Kurs daher den 100 % an. Bei langen Restlaufzeiten kann er aber durchaus von 100 % abweichen. Ist der Kurs kleiner als 100 %, so sagt man, dass die Anleihe „unter pari“ notiert. Entspricht der Kurs genau 100 %, so notiert sie „zu pari“. Liegt er über 100 %, wird das Wertpapier „über pari“ gehandelt. Beispiel 5.9 Eine Anleihe mit einem Nennwert von 10.000 € und einer Restlaufzeit von drei Jahren hat einen Kurs von 105 %. Sie notiert „über pari“. Will man die Anleihe erwerben, muss man 10.000 €·105 % = 10.500 € bezahlen. Am Ende der Restlaufzeit von drei Jahren bekommt man nur den Nennwert von 10.000 € zurück. Der Preisaufschlag resultiert daraus, dass die Anleihe höhere Kuponzinsen zahlt, als sie am Markt für vergleichbare Anleihen momentan gezahlt werden. <?page no="129"?> 130 5 Value at Risk für nichtlineare Preisfunktionen www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement 5.4.2.1 Nullkuponanleihe Eine Nullkuponanleihe zahlt am Ende der Laufzeit den Nennwert der Anleihe aus. Während der Laufzeit werden keine Kuponzinsen bezahlt. Die Anleihe wird daher vor Ende der Laufzeit immer „unter pari“ gehandelt. Ihren aktuellen Wert ermittelt man, indem man den Nennwert auf das aktuelle Datum abzinst und so den Barwert ( QR- Glossar), d.h. den heutigen Wert der Nullkuponanleihe bestimmt. Der Barwert entspricht dem fairen Preis der Anleihe. Beispiel 5.10 Sie besitzen eine Nullkuponanleihe mit einem Nennwert von 1.000 € und einer Restlaufzeit von genau einem Jahr. Der Ein-Jahres-Zerozinssatz liegt bei 5 % p.a. Ihre Anleihe hat heute einen Preis P von € 38 , 952 05 , 1 € 000 . 1 P und dementsprechend einen Kurs C von %. 238 , 95 € 000 . 1 € 38 , 952 C Sie können Ihre Anleihe für 952,38 € verkaufen. Dieser Preis ist fair. Wenn Sie die 952,38 €, die Sie erhalten, nämlich wiederum zum Zinssatz von 5 % p.a. anlegen, erhalten Sie nach einem Jahr €. 000 . 1 05 , 1 € 38 , 952 Sie bekommen denselben Geldwert, den Sie erhalten hätten, wenn Sie Ihre Nullkuponanleihe einfach noch ein weiteres Jahr in Ihrem Depot gehalten hätten. Der Nennwert der Nullkuponanleihe wird nach einer Laufzeit von n Jahren ausgezahlt. Wir bezeichnen ihn mit Z n . Der n-Jahres-Zerozinssatz r n lässt sich aus der Zinsstrukturkurve ablesen. Dann ergibt sich allgemein der Preis P der Nullkuponanleihe zu (5.10) n n n r Z P ) 1 ( und damit der Kurs C der Anleihe zu (5.11) . ) 1 ( % 100 % 100 ) 1 ( n n n n n n r Z r Z C <?page no="130"?> 5.4 Anleihen 131 www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement Beispiel 5.11 Sie möchten eine Nullkuponanleihe mit einem Nennwert von 1.000 € und einer Restlaufzeit von vier Jahren kaufen. Der Zerozinssatz für vier Jahre liege bei 6 % p.a. Dann hat Ihre Anleihe heute einen Preis von € 09 , 792 ) 06 , 0 1 ( € 000 . 1 4 P und einen Kurs von %. 209 , 79 ) 06 , 0 1 ( % 100 4 C 5.4.2.2 Standardanleihe (festverzinsliche Anleihe) Eine Standardanleihe ist mit einem Kuponzinssatz ausgestattet. Daher werden bei ihr, zusätzlich zu der Zahlung des Nennbetrags am Ende der Laufzeit, bereits während der Laufzeit Zinszahlungen fällig. Die Zinszahlungen erfolgen an den Zinszahlungsterminen am Ende jeder Zinsperiode. Es ergibt sich so ein Zahlungsstrom ( QR-Glossar) aus Kuponzahlungen und Rückzahlung des Nennbetrags. Jede einzelne Zahlung des Zahlungsstroms kann als einzelner Zerobond betrachtet werden. So kann für jede einzelne Zahlung nach Formel (5.10) ein Barwert ermittelt werden, indem diese mit dem Zerozinssatz abgezinst wird, dessen Laufzeit mit dem Zeithorizont der Zahlung kongruent ist. Der Preis der Anleihe ergibt sich, indem man die Barwerte aller aus der Anleihe entstehenden Zahlungen addiert. Es ist demnach (5.12) n j j j j n n n r Z r Z r Z r Z P 1 2 2 2 1 1 , ) 1 ( ) 1 ( ... ) 1 ( 1 wobei Z j die Zahlungen am Ende von Jahr j 16 , und r j die Zerozinssätze für die Laufzeiten von jeweils j Jahren sind. Beispiel 5.12 (Fortführung von Beispiel 5.8) Oma Meiers Bankanleihe läuft noch drei Jahre. Oma bekommt daher noch zwei Jahre lang Zinsen in Höhe von 300 €, am Ende des dritten Jahres bekommt sie den Nennwert der Anleihe von 10.000 € und die 300 € Zinsen für das letzte Jahr der Anlage. Der Zahlungsstrom ihrer Anleihe ist in Tab. 5.1 dargestellt. 16 Zinsperioden können auch kürzer als ein Jahr (z.B. ein Halbjahr oder ein Quartal) sein. Wir beschränken uns in der Darstellung des Preises aber auf jährliche Zahlungen. Zusätzlich berechnen wir den Preis nur zu Beginn der Laufzeit der Anleihe oder unmittelbar nach einer Zinszahlung. <?page no="131"?> 132 5 Value at Risk für nichtlineare Preisfunktionen www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement Jahr 1 2 3 Zahlungen Z 300 € 300 € 10.300 € Tab. 5.1 Zahlungsstrom von Oma Meiers Bankanleihe mit einer Restlaufzeit von drei Jahren Der Ein-Jahres-Zerozinssatz betrage 3,5 % p.a., der Zwei-Jahres-Zerozinssatz 4 % p.a. und der Drei-Jahres-Zerozinssatz 4,5 % p.a. Der Preis P von Oma Meiers Anleihe ergibt sich damit zu . € 9.593,08 045 , 1 € 300 . 10 04 , 1 € 300 035 , 1 € 300 3 2 P Wollte Oma Meier ihre Bankanleihe heute verkaufen, könnte sie einen Preis von 9.593,08 € fordern. Im weiteren Verlauf des Kapitels nehmen wir eine konstante Zinsstrukturkurve mit einem einheitlichen Zinssatz für alle Laufzeiten an. Der Preis eines festverzinslichen Wertpapiers ist dann eine monoton fallende Funktion des Zinssatzes. Bei einem Zinssatz von 0 % ergibt sich der Barwert des Wertpapiers aus der Summe seiner Rückzahlungen. In diesem Fall werden die Rückzahlungen nicht abgezinst und haben heute den gleichen Wert wie in der Zukunft. Liegt hingegen ein positiver Zinssatz vor, so werden die zukünftigen Zahlungen umso stärker abgezinst, je höher der Zinssatz ist. Der Barwert - und damit der Preis eines Wertpapiers - fällt mit dem Zinssatz. Der Anleihepreis verläuft aber nicht linear. Er ist vielmehr eine konvex fallende Funktion des Zinssatzes (s. Abb. 5.7). Beispiel 5.13 (Fortführung von Beispiel 5.8 und Beispiel 5.12) Wir nehmen jetzt an, dass statt der normalen Zinsstrukturkurve in Beispiel 5.12 eine flache Zinsstrukturkurve vorliegt und für Nullkuponanleihen beliebiger Laufzeit der Zinssatz jeweils 4 % p.a. beträgt. Oma Meiers Anleihe hat dann heute einen Preis P von €. 49 , 722 . 9 04 , 1 € 300 . 10 04 , 1 € 300 04 , 1 € 300 3 2 P Abb. 5.7 zeigt, wie sich der Preis von Oma Meiers Anleihe ändert, wenn der Marktzinssatz sich ändert. 17 Der Nominalwert der Rückzahlungen beträgt 10.900 €, darin sind die Zinszahlungen von dreimal 300 € sowie der Nennwert in Höhe von 17 Dabei ist unterstellt, dass sich die gesamte flache Zinsstrukturkurve nach oben oder nach unten verschiebt, d.h. die Zinsen für alle Laufzeiten sich gleichförmig ändern. <?page no="132"?> 5.4 Anleihen 133 www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement 10.000 € enthalten. Dieses wäre der hypothetische Preis der Anleihe bei einem Zinssatz von 0 % p.a. Für einen Zinssatz von 4 % p.a. hatten wir den Preis der Anleihe zu 9.722,49€ bestimmt. In der Abbildung sind auch unrealistisch hohe Zinssätze von bis zu 100 % aufgenommen, um den konvexen Verlauf des Anleihepreises optisch kenntlich zu machen. Zusätzlich enthält Abb. 5.7 eine Tangente im Punkt r=4 % p.a. zur linearisierten Berechnung des Verlustes von Oma Meiers Anleihe. Abb. 5.7 Preis P einer Anleihe (Nennwert: 10.000 €, Laufzeit: 3 Jahre, Kuponzinssatz: 3 % p.a.) in Abhängigkeit vom Marktzinssatz r (Zinsbereich von 0 % bis 100 %), Tangente im Punkt r=4 % 5.4.3 Value at Risk von Anleihen Für die Berechnung des Value at Risk einer Anleihe hat man wieder die zwei Möglichkeiten der exakten und der näherungsweisen Berechnung. 5.4.3.1 Exakte Berechnung Für die exakte Berechnung des Value at Risk von Produkten, deren Preisfunktion nichtlinear, aber monoton, vom Risikofaktor abhängt, muss man zunächst betrachten, bei welcher Änderung des Risikofaktors ein Verlust auftritt. Anleihen erleiden einen Kursverlust, wenn der Marktzinssatz steigt. Es muss daher zunächst ermittelt werden, welche Zinssteigerung mit einer vorgegebenen Wahrscheinlichkeit p=1nicht überschritten wird, d.h. so etwas wie ein Value at Risk für die Zinssteigerung ermittelt werden. Diese Zinssteigerung sei mit „VaR 1- (r)“ bezeichnet. Der Kurs des Wertpapiers bei dem so ermittelten Zinssatz kann dann dem heutigen Kurs der Anleihe gegenübergestellt werden und man erhält den Value at Risk für die Anleihe. <?page no="133"?> 134 5 Value at Risk für nichtlineare Preisfunktionen www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement Beispiel 5.14 (Fortführung von Beispiel 5.8 und Beispiel 5.13) Oma Meiers Anleihe hat bei dem aktuellen, für alle Laufzeiten geltenden Zinssatz von 4 % p.a. einen Wert von 9.722,49 €. Oma denkt, sie kenne sich gut mit volkswirtschaftlichen Entwicklungen aus und vermutet, dass der Marktzinssatz mit 95 % Wahrscheinlichkeit in zehn Tagen nicht über 5 % p.a. ansteigen wird. Daraus möchte sie den Value at Risk ihrer Anleihe bestimmen. Der Zahlungsstrom von Oma Meiers Bankanleihe bleibt auch bei verändertem Marktzinssatz gleich. Sie erhält weiterhin zwei Jahre lang 300 € und am Ende des dritten Jahres den Nennwert der Anleihe von 10.000 € und die 300 € Zinsen für das letzte Jahr. Bei einem Zinssatz von 5 % p.a. sind diese Zahlungen heute € 9.455,35 05 , 1 € 300 . 10 05 , 1 € 300 05 , 1 € 300 3 2 P wert. Oma Meiers Anleihe würde demnach mit 95 % Wahrscheinlichkeit keine höhere Wertänderung als €. 14 , 267 € 49 , 722 . 9 € 35 , 455 . 9 P erfahren. Der Value at Risk der Anleihe zu einem Konfidenzniveau von 95 % bei einer Haltedauer von zehn Tagen beträgt so 267,14 €. Die Vorgehensweise entspricht einem „Entlanglaufen“ auf der Preisfunktion der Anleihe (durchgezogene Linie in Abb. 5.7). 5.4.3.2 Näherungsweise Berechnung Für die näherungsweise Berechnung wird eine Linearisierung des Anleihekurses durch eine Tangente vorgenommen. Dieses geschieht bei dem aktuellen Marktzinssatz in dem Punkt auf der Preisfunktion, der den aktuellen Anleihepreis beschreibt. Die Valueat-Risk-Berechnung entspricht dann einer Bewegung auf der Tangente (s. Abb. 5.7, gestrichelte Linie). In Abb. 5.7 wird ersichtlich, dass der Wert auf der Tangente keine gute Näherung an den Anleihewert darstellt, wenn die Zinssätze sich weit vom Ausgangswert entfernen. Sind sie allerdings in der Nähe des Ausgangswertes - von in diesem Fall 4 % p.a. - so deutet Abb. 5.8 an, dass eine lineare Näherung durch die Tangente den wahren Anleihewert recht gut wiedergibt. <?page no="134"?> 5.4 Anleihen 135 www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement Abb. 5.8 Preis einer Anleihe (Nennwert: 10.000 €, Laufzeit: 3 Jahre, Kuponzinssatz: 3 % p.a.) in Abhängigkeit vom Marktzinssatz r (Zinsbereich von 0 % bis 10 %), Tangente im Punkt r=4 % Zur Bestimmung der Tangente ist zunächst die Steigung des Anleihepreises bei dem aktuellen Zinssatz r 0 zu ermitteln, d.h. die partielle Ableitung (5.13) 0 r r P zu bestimmen. Aus Formel (5.12) für den Preis P der Anleihe kann die Ableitung des Anleihepreises nach dem Zinssatz zu (5.14) n t t t n t t t n n n j j j r Z t r r Z t r Z n r Z r Z r Z r r P 1 1 1 1 3 2 2 1 1 1 ) 1 ( 1 1 1 ... 1 2 1 ) 1 ( berechnet werden. Ändert sich der Zinssatz r um r Prozentpunkte, so erhält man die Änderung P des Anleihepreises, indem man die Steigung im aktuellen Zinssatz mit der Zinsänderung multipliziert, d.h. (5.15) , 0 r r P P r <?page no="135"?> 136 5 Value at Risk für nichtlineare Preisfunktionen www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement wobei r= r 1 - r 0 die Änderung des aktuellen Zinssatzes r 0 auf den zukünftigen Zinssatz r 1 bezeichnet. Die Anleihe macht dann einen Verlust, wenn der Zinssatz steigt. Mit "VaR 1- (r)" als der Zinssteigerung, die mit einer Wahrscheinlichkeit von p=1nicht überschritten wird, ergibt sich daher der Value at Risk der Anleihe zu (5.16) . )" ( " ) ( , 1 , 1 0 r VaR r P P VaR N r N Für die Ableitung des Anleihekurses ist Formel (5.14) einzusetzen. Beispiel 5.15 (Fortführung von Beispiel 5.14) Wir nehmen an, Oma Meier hat mit ihren volkswirtschaftlichen Prognosen recht und der Zinssatz steigt mit einer Wahrscheinlichkeit von 95 % in zehn Tagen nicht über 5 % p.a., d.h. nicht um mehr als einen Prozentpunkt von den heute herrschenden 4 % p.a. Der „Value at Risk“ für den Zinssatz beträgt also einen Prozentpunkt. Um den Value at Risk für Oma Meiers Bankanleihe zu bestimmen, ermitteln wir zunächst die Steigung des Anleihepreises im Punkt 4 % p.a. Diese beträgt nach Formel (5.14) € 21 , 224 . 27 04 , 1 € 300 . 10 3 04 , 1 € 300 2 04 , 1 € 300 1 04 , 1 1 1 3 1 2 1 1 ) 1 ( 1 3 2 3 2 2 1 r Z r Z r Z r r P n Damit ergibt sich für den Value at Risk der Anleihe zu einem Konfidenzniveau von 95 % und einer Haltedauer von zehn Tagen €. 24 , 272 01 , 0 € 21 , 224 . 27 ) ( Tage 10 , 95 , 0 P VaR Aufgrund der relativ geringen Zinsänderung liegt der über den näherungsweisen Ansatz berechnete Wertverlust nah bei dem in Beispiel 5.14 bestimmten exakten Wertverlust von 267,14 €. Exkurs 5.2 Duration Die so genannte Macauley-Duration D ist definiert als (5.17) T t t t T t t t T t t t r Z r Z t P r Z t D 1 1 1 ) 1 ( ) 1 ( ) 1 ( <?page no="136"?> 5.4 Anleihen 137 www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement Die Duration gibt die mittlere Kapitalbindungsdauer an. Sie ist eine Zeitgröße. Die Rücklaufzeiten t werden mit den abgezinsten Zahlungen Z t / (1+r) t gewichtet. Indem die Gewichte durch den gesamten Anleihepreis, d.h. die Summe der abgezinsten Zahlungen dividiert werden, erreicht man, dass diese zu eins summieren. Beispiel 5.16 (Fortführung von Beispiel 5.14) Die mittlere Bindungsdauer des Kapitals von Oma Meiers Bankanleihe mit Kuponzinssatz von 3 % p.a. und Restlaufzeit von drei Jahren beträgt . 9121 , 2 € 49 , 722 . 9 € 18 , 313 . 28 € 49 , 722 . 9 04 , 1 € 300 . 10 3 04 , 1 € 300 2 04 , 1 € 300 1 ) 1 ( 3 2 3 1 P r Z t D t t t Im Schnitt erhält Oma Meier ihr investiertes Kapital nach 2,91 Jahren wieder zurück. Bei Nullkuponanleihen entspricht die Duration der Laufzeit der Anleihe (s. Aufgabe 5.7). Besitzt eine Anleihe Kuponzahlungen, so wird die mittlere Kapitalbindungsdauer, die die Duration angibt, kleiner. Das Geld „fließt früher zurück“. Dieses ist umso stärker der Fall, je höher der Kuponzinssatz ist (s. Aufgabe 5.8). Vergleicht man Formel (5.14) und Formel (5.17), so fällt auf, dass die Duration und die Ableitung des Anleihepreises nach dem Zinssatz zusammenhängen. Es gilt nämlich n t t t P D r r Z t r r P 1 , 1 1 1 ) 1 ( 1 d.h. . 1 1 P D r r P Damit lässt sich Formel (5.16) für den Value at Risk der Anleihe umstellen zu (5.18) )". ( " 1 1 ) ( , 1 , 1 r VaR P D r P VaR N N Beispiel 5.17 (Fortführung von Beispiel 5.15 und Beispiel 5.16) Der Value at Risk von Oma Meiers Bankanleihe lässt sich mit Hilfe der Duration zu € 24 , 272 01 , 0 € 49 , 722 , 9 9121 , 2 04 , 0 1 1 ) ( Tage 10 , 95 , 0 P VaR berechnen. Es ergibt sich derselbe Wert wie in Beispiel 5.15. <?page no="137"?> 138 5 Value at Risk für nichtlineare Preisfunktionen www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement 5.5 Zusammenfassung Calls (Puts) geben dem Besitzer das Recht, ein Underlying an einem bestimmten zukünftigen Termin zu einem vorher fixierten Preis zu kaufen (zu verkaufen). Der innere Wert einer Option stellt ihren Wert am Ausübungszeitpunkt dar. Vor dem Ausübungszeitpunkt kommt zu dem Preis der Option noch der Zeitwert hinzu. Der Zeitwert eines Calls ist immer positiv. Er fällt, je weiter die Zeit zum Ausübungszeitpunkt hin fortschreitet. Bei Puts kann der Zeitwert bei geringen Aktienkursen auch negativ sein. Der Preis der Option ist in diesen Fällen geringer als ihr innerer Wert. Der Optionspreis für europäische Call- oder Put-Optionen ergibt sich über die Black-Scholes-Formel. Eine Optionspreisänderung kann exakt über die Differenz der Optionspreise bei zwei unterschiedlichen Aktienkursen berechnet werden. Näherungsweise erfolgt die Ermittlung der Optionspreisänderung über das Delta der Option, das mit der Aktienkursänderung multipliziert wird. Eine Zinsstrukturkurve beschreibt die Abhängigkeit der Zinssätze von der Restlaufzeit von Anleihen eines bestimmten Anleihesegments. Bei einer normalen Zinsstruktur sind die gezahlten Zinssätze bei Anleihen mit höheren Restlaufzeiten höher als bei Anleihen mit kurzen Restlaufzeiten. Eine Zinsstrukturkurve ist eine Momentaufnahme, die gesamte Kurve kann sich im Zeitverlauf ändern. Der Preis einer Anleihe ergibt sich aus dem Barwert des in der Zukunft erwarteten Zahlungsstroms aus Kuponzahlungen und Rückzahlung des Anleihenennbetrags. Eine Änderung des Anleihepreises kann exakt über die Differenz der Anleihepreise bei zwei unterschiedlichen Zinssätzen berechnet werden. Die Duration gibt die mittlere Bindungsdauer des in eine Anleihe investierten Kapitals an. Näherungsweise kann der Value at Risk einer Anleihe aus der Duration bestimmt werden. 5.6 Literatur 5.6.1 Im Text zitierte Literatur Deutsche Bundesbank (URL): Makroökonomische Zeitreihen, URL: http: / / www.bundesbank.de/ Navigation/ DE/ Statistiken/ Zeitreihen_Datenbanken/ Makrooekonomische_Zeitreihen/ makrooekonomische_zeitreihen_node.html (Stand 7.12.2013). Hull, J. C. (2006): Optionen, Futures und andere Derivate, 6. Aufl., München: Pearson. <?page no="138"?> 5.6 Literatur 139 5.6.2 Ergänzende und weiterführende Literatur Biermann, B. (2002): Die Mathematik von Zinsinstrumenten, 2. Aufl., München: Oldenbourg. Bloss, M. (2008): Derivate - Handbuch für Finanzintermediäre und Investoren, München: Oldenbourg. Deutsch, H.-P. (2001): Derivate und Interne Modelle - Modernes Risikomanagement, 2., überarbeitete Auflage, Stuttgart: Schäffer-Poeschel-Verlag. Hewicker, H. & Cremers, H. (2011): Modellierung von Zinsstrukturkurven, Working paper series, Frankfurt School of Finance & Management, No. 165, URL: http: / / www.frankfurt-school.de/ clicnetclm/ fileDownload.do? goid=000000 301864A B4 (Stand 8.9.2013). Kremer, J. (2011): Portfoliotheorie, Risikomanagement und die Bewertung von Derivaten, 2. Aufl., Heidelberg: Springer. Spremann, K. & Gantenbein, P. (2007): Zinsen, Anleihen, Kredite, 4. Aufl, München: Oldenbourg. Stulz, R.M. (2003): Risk Management and Derivatives, Mason: South-Western. <?page no="139"?> 140 5 Value at Risk für nichtlineare Preisfunktionen www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement 5.7 Kontrollfragen 1. Der Preis eines Calls ist immer kleiner oder gleich seinem inneren Wert. größer oder gleich seinem inneren Wert. genauso groß wie sein innerer Wert. 2. Für einen Put nimmt der Wert umso mehr zu, je weiter der aktuelle Kurs der zugrunde liegenden Aktie unter dem Basispreis des Puts liegt. über dem Basispreis des Puts liegt. Der Preis des Puts ist maximal, wenn der aktuelle Kurs der zugrunde liegenden Aktie dem Basispreis entspricht. 3. Der Zeitwert eines Puts kann für sehr niedrige Kurse der zugrunde liegenden Aktie negativ sein. für sehr hohe Kurse der zugrunde liegenden Aktie negativ sein. nie negativ sein. 4. Bei der näherungsweisen Berechnung des Value at Risk von Calls, Puts und auch Anleihen über eine Linearisierung wird der wahre Value at Risk immer überschätzt. immer unterschätzt. je nach Verlauf der Preisfunktion mal über- und mal unterschätzt. 5. Bei gleichbleibendem Nennbetrag und gleichbleibender Laufzeit einer Anleihe wird die Duration mit zunehmendem Kuponzinssatz größer. kleiner. ändert sich nicht. <?page no="140"?> 5.8 Aufgaben 141 www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement 5.8 Aufgaben Aufgabe 5.1 Berechnen Sie den Wert der Call-Option mit Basispreis 105 € aus Beispiel 5.2, wenn der Aktienkurs der Hamburg-Vor aktuell bei 100 € notiert. Die Volatilität der Hamburg-Vor liege bei 25 % p.a., der risikolose Zinssatz bei 3 % p.a. Die Restlaufzeit der Option betrage a) ein Jahr b) drei Monate c) einen Monat. Aufgabe 5.2 Berechnen Sie den Optionspreis für die Call-Option auf die Kölner-Seit-Aktie aus Beispiel 5.3 (Basispreis 105 €, Volatilität der Aktie: 15 %, Ein-Jahres-Geldmarktsatz 3 % p.a.), bei der die Restlaufzeit der Option ein Jahr beträgt und der Aktienkurs a) mit 95 € „aus dem Geld“ b) mit 115 € „im Geld“ notiert. Aufgabe 5.3 Erstellen Sie eine Excel-Awendung, in der Sie den Wert eines Calls und eines Puts bei Angabe des aktuellen Kurses S der Aktie, des Ausübungskurses K, der Volatilität der Aktie, des risikolosen Zinssatzes r und der Zeit bis zur Ausübung T berechnen. Aufgabe 5.4 Erstellen Sie zwei Excel-Tabellen, in denen Sie Grafiken ähnlich denen aus Abb. 5.2 und Abb. 5.3 erzeugen, d.h. in denen die Optionswerte eines Calls und eines Puts einer Aktie bei verschiedenen Laufzeiten der Optionen über dem aktuellen Kurs der Aktie dargestellt werden. Halten Sie den risikolosen Zinssatz, die Volatilität der Aktie und die Zeit bis zur Ausübung der Optionen variabel, so dass Sie den Effekt der Parameter durch Einsetzen unterschiedlicher Werte nach dem Lösen der Aufgabe austesten können! Aufgabe 5.5 Berechnen Sie den Wert einer Put-Option, deren Ausübungskurs 100 € beträgt. Die Volatilität der zugrunde liegenden Aktie betrage 20 % p.a., der risikolose Zinssatz 4 % p.a. Die Option habe eine Restlaufzeit von einem halben Jahr. Die Aktie notiere mit a) 90 € „im Geld“ b) 105 € „aus dem Geld“. <?page no="141"?> 142 5 Value at Risk für nichtlineare Preisfunktionen Aufgabe 5.6 Der Kurs der Frankfurt-Ran-Aktie stehe heute bei 90 €. Sie haben eine Put-Option auf die Frankfurt-Ran-Aktie mit einem Ausübungskurs von 95 € gekauft. Diese kann in drei Monaten ausgeübt werden (Volatilität: 15 % p.a., risikoloser Zinssatz 3 % p.a., erwartete stetige Rendite der Aktie: 3 % p.a.). Berechnen Sie den Value at Risk der Put- Option zum Konfidenzniveau 95 % bei einer Haltedauer von einem Monat a) exakt b) näherungsweise. Aufgabe 5.7 Oma Meiers englischer Bridgefreund James besitzt eine Nullkuponanleihe, die in drei Jahren den Nennbetrag von 10.000 € auszahlt. Wie hoch ist die Duration von James (Zero-)Bond (Nullkuponanleihe)? Aufgabe 5.8 Wir betrachten eine fiktive Anleihe, die einen Kuponzinssatz von 100 % p.a. zahlt und eine Laufzeit von 3 Jahren hat. Der Marktzinssatz liege weiterhin bei 4 % p.a. Wie hoch ist bei dieser fiktiven Anleihe die Duration? <?page no="142"?> www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement 6 Methoden zur Value-at-Risk-Bestimmung von Portfolios 6.1 Lernziele Nach der Bearbeitung dieses Kapitels sollten Sie: den Begriff der Korrelation erklären können die Korrelation zwischen den Renditen zweier Anlageprodukte berechnen können Verfahren zur Berechnung des Value at Risk für Portfolios klassifizieren können aus den Erwartungswerten, Standardabweichungen und Korrelationen der Renditen einzelner Produkte im Portfolio den Portfolioerwartungswert und die Portfoliostandardabweichung berechnen können den Value at Risk eines Portfolios bei angenommener gemeinsamer Normalverteilung berechnen können beispielhaft den Unterschied einer analytischen Berechnung und einer Berechnung über ein Simulationsverfahren erläutern können die Idee der historischen Simulation nachvollziehen können eine historische Simulation für ein gegebenes Portfolio schrittweise durchführen können Vor- und Nachteile der historischen Simulation kennen das Verfahren der Gewichtung vergangener Daten beschreiben können wissen, wie man gleichverteilte und normalverteilte Zufallsvariablen am Rechner erzeugt <?page no="143"?> 144 6 Methoden zur Value-at-Risk-Bestimmung von Portfolios www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement korrelierte Zufallsvariablen erzeugen können die Monte-Carlo-Simulation zur Bestimmung des Value at Risk eines einfachen Portfolios anwenden können Vor- und Nachteile der Monte-Carlo-Simulation kennen. 6.2 Einführung Beispiel 6.1 Nachdem Sie immer mal wieder eine Party organisiert haben (vgl. Beispiel 3.1) und es ganz gut geklappt hat, überlegen Sie, neben dem Studium in das Eventmanagement einzusteigen. Mit der Ermittlung des Risikos Ihrer Veranstaltungen sind Sie auch mittlerweile vertraut, Sie können das Risiko einer einzelnen Veranstaltung inzwischen ganz gut auch monetär quantifizieren. Im Moment läuft das Geschäft sehr gut, so dass Sie zurzeit gleichzeitig ein Open-Air-Konzert auf einem Sportplatz und eine Ü-30-Party in einem alten Bahnhof organisieren. Beides am gleichen Tag. Für das Open-Air-Konzert haben Sie einen Value at Risk von 10.000 € ermittelt, für die Ü-30-Party einen Value at Risk von 5.000 €. Jetzt kommen Sie ins Grübeln, ob die Risiken nicht doch ein bisschen hoch sind. Ein Risiko von 15.000 € für einen einzigen Tag? Ok, als Art Verlustobergrenze mit der von Ihnen vorgegebenen Wahrscheinlichkeit, aber dennoch. Plötzlich fällt Ihnen aber etwas auf. Vielleicht ergibt sich ja insgesamt gar nicht die Summe der Risiken für Ihre zwei Veranstaltungen. Das größte Risiko bei der Open-Air-Veranstaltung liegt ja darin, dass es regnet und viel weniger Leute kommen als erwartet. Aber vielleicht gehen die ja dann, wo sie schon einmal in Weggehlaune sind, zur Ü-30-Party. Die ist ja überdacht. Und wenn die Sonne nur so vom Himmel knallt, hmm, dann gehen vielleicht wenige in den hippen, aber doch dunklen alten Bahnhof. Dafür aber zum Open-Air-Fest. Wenn Sie bei der einen Veranstaltung Verluste machen, läuft es eventuell bei der anderen gut und Sie machen dort Gewinne und umgekehrt. War es nicht das, was Ihr Prof an der Uni immer als negative Korrelation bezeichnet hat? Vielleicht liegt Ihr Risiko ja gar nicht bei 15.000 €, sondern eventuell noch unter den Einzelrisiken, d.h. unter 10.000 €, vielleicht sogar unter 5.000 €. Damit wäre es dann sogar besser, beide Veranstaltungen zu organisieren, als nur eine alleine. In den Kapiteln 4 und 5 haben wir uns mit der Messung des Value at Risk eines einzelnen Finanzprodukts beschäftigt, dessen Wert von einem einzigen Risikofaktor abhing. Das konnten eine einzelne Aktie oder eine Option sein, deren Wert vom Aktienkurs abhing oder eine Anleihe, deren Wert sich mit dem zugrunde liegenden Zinssatz änderte. In der Regel hält ein Investor aber nicht nur ein einzelnes Produkt, sondern ein Portfolio mit ganz unterschiedlichen Finanzprodukten, die von verschiedenen Risikofaktoren abhängen. Das können Aktien verschiedener Unternehmen, Branchen und Länder sein. Das Portfolio kann sich aber auch aus ganz unterschiedlichen Finanzinstrumenten zusammensetzen, d.h. zu einem eventuellen Anteil in Aktien können noch verzinsliche Wertpapiere wie Staats- oder Unternehmensanleihen kommen, Fremdwährungspositionen, Derivate etc. <?page no="144"?> 6.3 Korrelation 145 www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement Wie gestaltet sich das Risiko eines Portfolios, wenn die Risiken der einzelnen Produkte im Portfolio bekannt sind? Werden die Risiken der Einzelprodukte einfach addiert, um so das Risiko des Portfolios zu erhalten? Das wäre zumindest schön einfach. Die gute Nachricht ist: Wenn man die Summe der Einzelrisiken bildet, dann hat diese zumindest auch eine gewisse Bedeutung. Sie ist für viele Risikomaße eine obere Schranke für das Risiko des gesamten Portfolios. Größer als diese Summe der Einzelrisiken sollte das Risiko des Portfolios als Einheit nicht werden. 18 Aber es gibt sozusagen noch eine bessere Nachricht: Das Risiko des Portfolios ist meist wesentlich kleiner als die Summe der Risiken aller seiner Teile. Dieses nennt man den Diversifikationseffekt. Verschiedene Produkte können sich unterschiedlich entwickeln. Verliert das eine zu einem Zeitpunkt an Wert, mag das andere zum selben Zeitpunkt an Wert gewinnen. Indem man nicht nur in ein Produkt investiert, sondern in verschiedene, verringert man sein Gesamtrisiko. Zur Quantifizierung dieses Effekts muss man die Korrelationen der Finanzinstrumente im Portfolio kennen. 6.3 Korrelation Die Korrelation zwischen zwei Zufallsvariablen drückt aus, wie groß die Stärke des Zusammenhangs beider Variablen ist. Die Korrelation wird durch den Korrelationskoeffizienten gemessen, der Werte zwischen -1 und +1 annehmen kann. Ein Wert von -1 drückt einen perfekt negativen Zusammenhang aus, d.h. die Zufallsvariablen verhalten sich vollständig gegenläufig. Bei einer perfekt positiven Korrelation von +1 verhalten sich die Zufallsvariablen vollständig gleichläufig. Eine positive Korrelation (0< 1) zwischen den als Zufallsvariablen modellierten Renditen R x und R y zweier Aktien liegt dann vor, wenn die Renditen R x tendenziell immer dann überproportional hoch (niedrig) sind, wenn dieses auch für die Renditen R y gilt. Eine negative Korrelation (-1 <0) findet sich hingegen, wenn die Renditen R x tendenziell klein sind, während die Renditen R y überproportional hoch sind und umgekehrt (s. Abb. 6.1). Je ausgeprägter dieses Verhalten ist, desto stärker ist die Korrelation. Ist die Korrelation =0, so sind die Renditen vollständig unabhängig voneinander. 18 Wir haben allerdings gesehen, dass diese Forderung der Subadditivität, die man an ein Risikomaß stellen kann, gerade für den Value at Risk nicht immer gegeben ist. Man kann Gegenbeispiele finden, so dass die Summe der durch den Value at Risk gemessenen Einzelrisiken das Portfoliorisiko überschreitet (s. Abschnitt 4.7.2.1). Für den Expected Shortfall ist die Bedingung der Subadditivität erfüllt. Das durch den Expected Shortfall gemessene Portfoliorisiko ist nach oben durch die Summe der Einzelrisiken beschränkt. <?page no="145"?> 146 6 Methoden zur Value-at-Risk-Bestimmung von Portfolios www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement Abb. 6.1 Negative Korrelation der Renditen R x und R y zweier Aktien mit den Ausprägungen r x,i , i=1, …, n und r y,i , i=1, …, n 6.3.1 Daten in Urlistenform Hat man n Datenpaare (r x,1 , r y,1 ), …, (r x,n , r y,n ) der als Zufallsvariablen modellierten Renditen R x und R y gegeben, so beträgt der empirische Korrelationskoeffizient von Bravais-Pearson (6.1) , 1 1 1 ) , ( ) , ( 1 2 , 1 2 , 1 , , n i i y n i i x n i y i y x i x y x y x y x r r n r r n r r r r n R R Cov R R wobei x r und y r die Mittelwerte sowie x und y die nach Formel (3.2) ermittelten empirischen Standardabweichungen von R x und R y sind. Der für die Quantifizierung der Korrelation verwendete Bravais-Pearson-Korrelationskoeffizient in Formel (6.1) misst dabei die Stärke des linearen Zusammenhangs zweier Zufallsvariablen. Es wird ermittelt, zu welchem Grad die durch die Datenpaare (r x,i , r y,i ), i=1,…,n beschriebenen Punkte auf einer Geraden liegen. Der Zähler in Formel (6.1) definiert die empirische Kovarianz zwischen R x und R y . Sie misst die gemeinsame Schwankung der Zufallsvariablen R x und R y . Aus dem Wert der Kovarianz kann zunächst nur entnommen werden, ob der Zusammenhang zwischen R x und R y positiv oder negativ ist. Erst durch das Teilen durch die Standardabweichungen von R x und R y findet eine Normierung auf den Bereich von -1 bis +1 statt. <?page no="146"?> 6.3 Korrelation 147 www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement Beispiel 6.2 Sie besitzen zwei Aktien, die in vier aufeinanderfolgenden Jahren folgende Renditen r x,i und r y,i , i=1,…,4 erreicht haben. Jahr i x r , i y r , x i x r r , y i y r r , ) ( ) ( , , y i y x i x r r r r 2 , ) ( r r i x 2 , ) ( r r i y 1 2 % 4 % 1 % 2 % 2 % 2 1 % 2 4 % 2 2 1 % 2 % 0 % 0 % 0 % 2 0 % 2 0 % 2 3 -2 % -4 % -3 % -6 % 18 % 2 9 % 2 36 % 2 4 3 % 6 % 2 % 4 % 8 % 2 4 % 2 16 % 2 MW 1 % 2 % 7 % 2 3,5 % 2 14 % 2 Tab. 6.1 Berechnung der Korrelation zweier Aktien (MW = Mittelwert) Zur Berechnung der Korrelation müssen Sie zunächst die Mittelwerte 19 der Renditen bilden. Diese liegen für die erste Aktie bei 1 % im Jahr und für die zweite Aktie bei 2 % im Jahr. In der dritten und vierten Spalte werden die Abstände der jährlichen Renditen vom Mittelwert der Renditen berechnet. Die fünfte Spalte berechnet die gemischten Produkte dieser Abstände. 20 Die Kovarianz der Renditen beträgt 7 % 2 . Zur Normierung muss durch die Standardabweichungen geteilt werden. In den letzten beiden Spalten findet sich in der letzten Zeile die Berechnung der Varianz der Renditen als Mittelwert der Abweichungsquadrate. Durch Wurzelbildung lässt sich die Standardabweichung ermitteln. Somit ergibt sich für die Korrelation . 1 % 14 % 5 , 3 % 7 1 1 1 ) , ( 2 2 2 1 2 , 1 2 , 1 , , n i i y n i i x n i y i y x i x y x r r n r r n r r r r n R R Es liegt demnach eine perfekt positive Korrelation der Renditen R x und R y vor. Dieses kann man den Daten auch bereits „ansehen“. Zeichnet man die Daten in ein Streudiagramm, liegen die Renditen vollständig auf einer Geraden (s. Abb. 6.2). 19 Die Berechnung kann sowohl für diskrete als auch für stetige Renditen durchgeführt werden. Allerdings darf bei der Verwendung diskreter Renditen der arithmetische Mittelwert im stochastischen Sinn - wie er für die Berechnung der Korrelation benötigt wird - wiederum nicht mit der durchschnittlichen Rendite im zeitlichen Sinn verwechselt werden (vgl. Bemerkung 2.9). 20 Da zwei in Prozent gemessene Differenzen multipliziert werden, ist die Dimension des Produktes Prozent im Quadrat. <?page no="147"?> 148 6 Methoden zur Value-at-Risk-Bestimmung von Portfolios www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement Abb. 6.2 Perfekt positive Korrelation der Renditen in Beispiel 6.2 6.3.2 Diskrete Wahrscheinlichkeitsverteilung Sind die Renditen R x und R y über Zufallsvariablen modelliert, die eine gemeinsame diskrete Wahrscheinlichkeitsverteilung besitzen, wobei p ij die Wahrscheinlichkeit bezeichnet, dass die Zufallsvariable R x den Wert r x,i , i=1,…,n und gleichzeitig die Zufallsvariable R y den Wert r y,j , j=1,…,n annimmt, so ergibt sich die Korrelation von R x und R y zu (6.2) . ) , ( ) , ( 1 2 , , 1 2 , , 1 1 , , n j x j y j n i x i x i n i n j y j y x i x ij y x y x y x r p r p r r p R R Cov R R Dabei sind μ x und μ y die über Formel (2.24) berechneten Erwartungswerte von X und Y und x und y die Standardabweichungen von X und Y (Formel (3.4)). Ferner ist p i,. die Wahrscheinlichkeit, dass R x den Wert r x,i annimmt, unabhängig davon, welchen Wert R y besitzt. Genauso ist p .,j die Wahrscheinlichkeit, dass R y den Wert r y,j annimmt, unabhängig davon, welchen Wert R x annimmt. Man bezeichnet p i,. , i=1,…n und p .,j , j=1,…n als die Randverteilungen der gemeinsamen Verteilung von R x und R y . 6.3.3 Korrelationsmatrix Hat man n Zufallsvariablen gegeben, so lassen sich die zwischen ihnen bestehenden n 2 Korrelationen in einer nxn-Korrelationsmatrix schreiben. Der Eintrag i,j in der i-ten Zeile und der j-ten Spalte gibt dabei die Korrelation zwischen der i-ten und der j-ten Zufallsvariable an (s. Formel (6.3)). <?page no="148"?> 6.3 Korrelation 149 www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement (6.3) 1 ... 1 ... ... ... ... ... ... ... 1 ... 1 1 , 2 , 1 , , 1 2 , 1 1 , 1 , 21 1 , 2 1 , 2 , 1 1 , 1 2 , 1 n n n n n n n n n n n n Die Korrelationsmatrix ist symmetrisch, da die Korrelation zwischen Zufallsvariable i und Zufallsvariable j dieselbe ist wie diejenige zwischen Zufallsvariable j und Zufallsvariable i, d.h. i,j = j,i . Da eine Zufallsvariable mit sich selbst immer vollständig positiv korreliert ist, gilt i,i = 1. Beispiel 6.3 Sie halten Aktien der Siemens AG, der Deutschen Bank AG und der Allianz AG im Portfolio. Es treten drei unterschiedliche Korrelationen auf, diejenige zwischen Siemens und der Deutschen Bank ( 1,2 ), die zwischen Siemens und der Allianz AG ( 1,3 ) und diejenige zwischen der Deutschen Bank und der Allianz AG ( 2,3 ). Die Korrelationsmatrix ist durch 1 1 1 2 , 3 1 , 3 3 , 2 1 , 2 3 , 1 2 , 1 gegeben. Es reicht die Angabe der Korrelationen über der Hauptdiagonalen, da die Korrelationsmatrix symmetrisch ist. Je mehr Finanzprodukte im Portfolio gehalten werden, desto stärker wächst die Zahl der Korrelationen. In Beispiel 6.8 lagen bei den drei Aktien der Siemens AG, der Deutschen Bank AG und der Adidas AG drei Korrelationen vor. Nimmt man jetzt eine weitere Aktie, z.B. die der SAP AG hinzu, so steigt die Anzahl der Korrelationen, die man kennen muss, schon auf sechs. Man braucht die Korrelation zwischen Siemens und der Deutschen Bank, zwischen Siemens und Adidas sowie zwischen Siemens und SAP, dann diejenige zwischen der Deutschen Bank und Adidas und der Deutschen Bank und SAP und schließlich die Korrelation zwischen Adidas und SAP. Allgemein wächst die Anzahl der Korrelationen, die man kennen und eventuell aus historischen Daten schätzen muss, quadratisch mit der Anzahl n der Produkte im Portfolio an. Es werden jeweils (6.4) 2 2 n n Korrelationen benötigt. <?page no="149"?> 150 6 Methoden zur Value-at-Risk-Bestimmung von Portfolios www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement Beispiel 6.4 Formel (6.4) für die Anzahl an benötigten Korrelationen der in einem Portfolio befindlichen Finanzprodukte lässt sich beispielhaft an einem Portfolio mit sechs Finanzprodukten plausibilisieren. Die Korrelationsmatrix der Renditen der Finanzprodukte ist gegeben durch . 1 1 1 1 1 1 5 , 6 4 , 6 3 , 6 2 , 6 1 , 6 6 , 5 4 , 5 3 , 5 2 , 5 1 , 5 6 , 4 5 , 4 3 , 4 2 , 4 1 , 4 6 , 3 5 , 3 4 , 3 2 , 3 1 , 3 6 , 2 5 , 2 4 , 2 3 , 2 1 , 2 6 , 1 5 , 1 4 , 1 3 , 1 2 , 1 Insgesamt hat man in einer Korrelationsmatrix bei n Zeilen und Spalten n 2 Korrelationen. Im gegebenen Fall sind dieses 36 (=6 2 ) Stück. Von diesen kann man die Korrelationen auf der Hauptdiagonalen abziehen. Dann sind nur noch n 2 -n Korrelationen übrig. Bei sechs Produkten sind das 30 (=36-6) Korrelationen. Aufgrund der Symmetrie der Korrelationsmatrix benötigt man aber nur die obere Hälfte an Korrelationen, da damit sofort auch die untere Hälfte bekannt ist. Es werden daher (n 2 -n)/ 2, bei sechs Finanzprodukten demnach 15 (=(36-6)/ 2) Korrelationen benötigt. Sind zusätzlich zu den Korrelationen auch die Standardabweichungen der Renditen der einzelnen Produkte im Portfolio gegeben, so lässt sich die Korrelationsmatrix als Varianz-Kovarianz-Matrix schreiben, indem man jeden Eintrag in Zeile i und Spalte j mit den zugehörigen Standardabweichungen i und j multipliziert. Daraus ergeben sich die Kovarianzen (6.5) . ) , ( , , j i j i j i j i R R Cov Cov Auf der Hauptdiagonalen erhält man die Varianzen der Renditen, da . 1 ) , ( 2 , i i i i i i i R R Cov Cov Insgesamt ergibt sich die Varianz-Kovarianz-Matrix (6.6) . ... ... ... ... ... ... ... ... ... 2 1 , 2 , 1 , , 1 2 1 2 , 1 1 , 1 , 2 1 , 2 2 2 1 , 2 , 1 1 , 1 2 , 1 2 1 n n n n n n n n n n n n n n Cov Cov Cov Cov Cov Cov Cov Cov Cov Cov Cov Cov <?page no="150"?> 6.4 Klassifizierung der Verfahren zur Value-at-Risk-Bestimmung 151 www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement 6.4 Klassifizierung der Verfahren zur Value-at-Risk-Bestimmung Verfahren zur Risikomessung können auf zwei Arten klassifiziert werden (s. Abb. 6.3). Zunächst kann man unterscheiden, ob die Ermittlung des Risikos analytisch, d.h. rechnerisch, oder durch eine Simulation erfolgt. Zusätzlich kann danach differenziert werden, ob für die Daten eine Verteilungsannahme getroffen werden kann oder nicht. Voraussetzung für die analytische Berechenbarkeit ist immer das Vorliegen einer Verteilung bzw. zumindest die Annahme einer bestimmten Verteilung, wenn diese die wahre Verteilung der Daten eventuell auch nur approximativ widerspiegelt. Bei der Varianz-Kovarianz-Methode wird eine gemeinsame Normalverteilung der Risikofaktoren angenommen, aus der der Value at Risk berechnet wird. Lässt sich keine Verteilungsannahme treffen, so kann der Value at Risk analytisch auch nicht berechnet werden. Wird das Risikomaß mit Hilfe von Simulationen bestimmt, so bieten sich die historische Simulation und die Monte-Carlo-Simulation an. Bei der historischen Simulation werden keine Annahmen über die Verteilung der Risikofaktoren gemacht. Vielmehr werden auf Basis der empirischen Veränderungen der Risikofaktoren in der Vergangenheit mögliche Wertänderungen des Portfolios bis zum Ende des Zeithorizonts simuliert. Bei der Monte-Carlo-Simulation tätigt man Verteilungsannahmen für die Entwicklung der Risikofaktoren in der Zukunft. Man simuliert die Risikofaktoren nach dieser Verteilung und bewertet damit das Portfolio. Für die Monte-Carlo-Simulation kann man beliebig viele Simulationen durchführen. Beiden Simulationsmethoden ist gemeinsam, dass über die Simulationen eine Verteilung gleichwahrscheinlicher Portfoliowerte generiert wird, über die verschiedene Risikoparameter wie auch der Value at Risk und der Expected Shortfall bestimmt werden können. Abb. 6.3 Klassifikation der gängigen Value-at-Risk-Verfahren nach der Art der Berechnung und dem Vorliegen von Informationen über die Verteilung der Risikofaktoren <?page no="151"?> 152 6 Methoden zur Value-at-Risk-Bestimmung von Portfolios www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement Bemerkung 6.1: Die in diesem Kapitel vorgestellten Verfahren können nicht nur für Portfolios, sondern auch für einzelne Finanzinstrumente angewendet werden. Die Varianz-Kovarianz-Methode vereinfacht sich für ein einzelnes Finanzinstrument zu der in Abschnitt 4.4.3 eingeführten Vorgehensweise für die Bestimmung des Value at Risk bei Vorliegen einer Normalverteilung. Auch Simulationen können für einzelne Anlageprodukte getätigt werden. 6.5 Varianz-Kovarianz-Methode Die Varianz-Kovarianz-Methode ist eine analytische Methode, bei der für die Renditen verschiedener Produkte im Portfolio eine gemeinsame Normalverteilung angenommen wird. Sind die Erwartungswerte und Standardabweichungen der einzelnen Renditen sowie die Korrelationen zwischen ihnen bekannt, d.h. kennt man die Varianz- Kovarianz-Matrix der Produkte im Portfolio, so lassen sich auch für die Portfoliorendite als Ganzes Erwartungswert und Standardabweichung bestimmen. Hat man diese berechnet, so können aufgrund der angenommenen gemeinsamen Normalverteilung Formeln (4.6) und (4.7) für den Value at Risk für normalverteilte Daten angewandt werden. 6.5.1 Portfolioparameter 6.5.1.1 Portfolio mit zwei Finanzprodukten Zunächst schauen wir uns ein Portfolio mit zwei Finanzprodukten an. Die Renditen seien durch die Zufallsvariablen R 1 und R 2 modelliert. Das Portfolio muss dabei nicht notwendigerweise „fifty-fifty“ aufgeteilt sein. Vielmehr können allgemeine Gewichte w 1 für das erste Produkt und w 2 für das zweite Produkt verwendet werden. In der Summe müssen die Gewichte w 1 und w 2 100 % ergeben, d.h. w 1 +w 2 =1. Das im Portfolio eingesetzte Kapital wird also vollständig auf die zur Verfügung stehenden Produkte aufgeteilt. Beispiel 6.5 Niklas hält in seinem Portfolio w 1 =30 % Aktien der Daimler AG und w 2 =70 % Aktien der Siemens AG. Elise ist risikoaverser und hat ihr Portfolio aus w 1 =5 % eines Indexzertifikats auf den Dax und w 2 =95 % deutscher Staatsanleihen aufgeteilt. Die erwartete Rendite von R 1 sei μ 1 , diejenige von R 2 sei μ 2 . Die Standardabweichungen der Renditen betragen 1 und 2 . Die Korrelation zwischen beiden Renditen sei 1,2 . Dann ergibt sich die erwartete Rendite des Portfolios P zu (6.7) . 2 2 1 1 w w P und die Standardabweichung der Portfoliorendite zu (6.8) . 2 2 , 1 2 1 2 1 2 2 2 2 2 1 2 1 2 w w w w P P <?page no="152"?> 6.5 Varianz-Kovarianz-Methode 153 www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement Bemerkung 6.2: Die Formeln für die Portfolioparameter dieses Abschnitts gelten so streng genommen nur für diskrete Renditen. In Abschnitt 2.5.5 hatten wir bereits die fehlende Portfolioadditivität stetiger Renditen diskutiert. Allerdings wurde dort auch bereits erwähnt, dass sich für kleine Renditen auch bei der Verwendung stetiger Renditen die Portfoliorendite näherungsweise als gewichtetes Mittel der Einzelrenditen ergibt. Da für die Varianz-Kovarianz-Methode eine gemeinsame Normalverteilung der Renditen vorausgesetzt wird und stetige Renditen eher durch eine Normalverteilung anpassbar sind (s. Abschnitt 2.5.6), verwenden wir im weiteren Verlauf des Abschnitts 6.5 stetige Renditen. Die Formeln (6.7) und (6.8) sowie (6.9) und (6.10) in Abschnitt 6.5.1.2 gelten in diesem Fall nur approximativ. Bemerkung 6.3: Die Bestimmung des Portfolioerwartungswertes als gewichtetes Mittel der einzelnen Erwartungswerte in Formel (6.7) ist intuitiv eingängig. Schwerer nachzuvollziehen ist Formel (6.8) für die Standardabweichung der Rendite des Portfolios. Ein „Gefühl“ für die Formel lässt sich entwickeln, wenn man aus gegebenen Einzelrenditen zweier Aktien in mehreren Perioden auf zwei verschiedene Arten die Standardabweichung des Portfolios berechnet. Zunächst über Formel (6.8) und dann aber auch, indem man die Portfoliorendite pro Periode berechnet und aus dieser dann die Standardabweichung des Portfolios über alle Perioden ermittelt. Man sieht so, dass die Formel immer auf dasselbe Ergebnis führt wie die „manuelle“ Berechnung (s. Aufgabe 6.2). Beispiel 6.6 Sie besitzen Anteile in Höhe von 1.000 € des Indexzertifikats auf den Vergnügungsparkindex FunXX, der eine jährliche Rendite von 5 % p.a. bei einer Standardabweichung von 17 % p.a. hat (s. Beispiel 4.17). Nun haben Sie im Internet herausgefunden, dass die Aktie des Kinderbuchverlags Reading Kids eine Korrelation von nahe Null mit dem FunXX besitzt. Die Aktie der Reading Kids habe dabei eine erwartete Rendite von 7,5 % p.a. bei 25 % p.a. Standardabweichung. Sie kaufen Reading-Kids- Aktien im Wert von ebenfalls 1.000 €. 21 Dadurch haben Sie für das Indexzertifikat und die Aktie die gleichen Gewichte von jeweils 50 % im Portfolio. Der Erwartungswert der Portfoliorendite liegt nach Formel (6.7) bei %. 25 , 6 0625 , 0 075 , 0 5 , 0 05 , 0 5 , 0 2 2 1 1 w w P Durch die Korrelation von null verringert sich die Portfoliostandardabweichung gemäß Formel (6.8) zu 21 Wir gehen für die Einfachheit der Beispiele davon aus, dass Aktien beliebig stückelbar sind. <?page no="153"?> 154 6 Methoden zur Value-at-Risk-Bestimmung von Portfolios www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement . 1521 , 0 0 25 , 0 17 , 0 5 , 0 5 , 0 2 25 , 0 5 , 0 17 , 0 5 , 0 2 2 2 2 2 P P Die Portfoliostandardabweichung von 15,21 % ist geringer als jede der einzelnen Standardabweichungen. Bemerkung 6.4: In Beispiel 6.6 wurde die Portfoliostandardabweichung kleiner als jede der Standardabweichungen der im Portfolio enthaltenen Finanzinstrumente. Das durch die Standardabweichung gemessene Risiko im Portfolio war also kleiner als die gewichtete Summe der Einzelrisiken. Dieser Diversifikationseffekt trat bereits bei Unabhängigkeit der Einzelrenditen auf. Sind die Renditen unabhängig, verhalten sie sich teilweise gegenläufig, teilweise gleichläufig. Durch das partielle gegenläufige Verhalten kann es sein, dass sich die Risiken im Portfolio gegenüber den Einzelrisiken reduzieren. Dieser Effekt kann sogar bei positiven Korrelationen auftreten, er wird aber immer schwächer, je stärker positiv die Korrelation wird. Treten negative Korrelationen auf, so wird der Diversifikationseffekt stärker, je stärker negativ die Korrelation ist. Bei einer perfekt negativen Korrelation kann das durch die Standardabweichung gemessene Risiko bei einer geeigneten Mischung der Finanztitel im Portfolio null werden, wenn nämlich 0 ) 1 ( 2 2 2 1 1 2 2 2 1 1 2 1 2 1 2 2 2 2 2 1 2 1 w w w w w w w w P ist. Da 1 2 1 w w ist, gilt dieses für 2 1 2 1 w und damit . 2 1 1 2 w Beispiel 6.7 Die Aktien der Hü AG und der Hott AG sind perfekt negativ korreliert mit einer Korrelation von -1. Die Hü AG hat eine erwartete Rendite von 5 % p.a. und eine Standardabweichung von 10 % p.a., die Hott AG eine erwartete Rendite von 10 % p.a. und eine Standardabweichung von 20 % p.a. Sie mischen Ihr Portfolio so, dass es 3 2 2 , 0 1 , 0 2 , 0 2 1 2 1 w Anteile der Hü AG und 3 1 2 , 0 1 , 0 1 , 0 2 1 1 2 w <?page no="154"?> 6.5 Varianz-Kovarianz-Methode 155 www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement Anteile der Hott AG enthält. Dann ergibt sich für Ihr Portfolio eine erwartete Rendite von , 0667 , 0 1 , 0 3 1 05 , 0 3 2 2 2 1 1 w w P die Standardabweichung ergibt aber einen Wert von . 0 ) 1 ( 2 , 0 1 , 0 3 1 3 2 2 2 , 0 3 1 1 , 0 3 2 2 2 2 2 P Sie können mit Ihrem Portfolio ohne Risiko eine erwartete Rendite von 6,67 % p.a. erzielen. 6.5.1.2 Portfolio mit beliebiger Anzahl an Finanzprodukten Die Formeln (6.7) für die erwartete Portfoliorendite und (6.8) für die Portfoliostandardabweichung können leicht auch auf den Fall mehrerer Finanzprodukte im Portfolio übertragen werden. Es seien n Finanzprodukte mit den erwarteten Renditen 1 bis n und den Standardabweichungen 1 bis n mit den Gewichten w 1 bis w n im Portfolio enthalten. Die Gewichte summieren zu 100 %, d.h. n i i w 1 1 . Dann errechnet sich die erwartete Rendite des Portfolios zu (6.9) . 1 n i i i P w Zusätzlich seien die Korrelationen i,j , i,j=1,…,n der Renditen der Finanzprodukte gegeben. Die Standardabweichung des Portfolios ergibt sich dann zu (6.10) . , 1 , , 1 2 2 2 n j i j i j i j i j i n i i i P P w w w In der ersten Summe in Formel (6.10) wird ein gewichtetes Mittel der einzelnen Varianzen der Finanzprodukte ermittelt. Die zweite Summe in Formel (6.10) erstreckt sich über alle Kombinationen von i und j, bei denen i nicht gleich j ist. In der nxn- Korrelationsmatrix aus Formel (6.3) sind das alle Einträge der Matrix, die nicht auf der Diagonalen liegen. <?page no="155"?> 156 6 Methoden zur Value-at-Risk-Bestimmung von Portfolios www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement Bemerkung 6.5 Formel (6.8) ist ein Spezialfall von Formel (6.10) für nur zwei Anlagen. Man erhält bei zwei Finanzprodukten aus Formel (6.10) , 2 2 , 1 2 1 2 1 2 2 2 2 2 1 2 1 1 , 2 1 2 1 2 2 , 1 2 1 2 1 2 2 2 2 2 1 2 1 2 , 1 , , 2 1 2 2 2 w w w w w w w w w w w w w j i j i j i j i j i i i i P P d.h. Formel (6.8). Bemerkung 6.6 Die beiden Summen unter der Wurzel in Formel (6.10) lassen sich auch zu einer Summe zusammenfassen, indem man schreibt (6.11) . 1 , , 2 n j i j i j i j i P P w w Für gleiche Indizes i=j erhält man 2 2 1 i i i i i i w w w , d.h. die erste Summe aus Formel (6.10). Beispiel 6.8 (Fortführung von Beispiel 6.3) Sie halten weiterhin Ihr Portfolio aus Aktien der Siemens AG, der Deutsche Bank AG und der Allianz AG. Diese besitzen die in Beispiel 6.3 gegebene Korrelationsmatrix. Die Aktien haben die erwarteten Renditen 1 (Siemens AG), 2 (Deutsche Bank AG) und 3 (Allianz AG) und die Standardabweichungen 1 , 2 und 3 . Die Portfoliovarianz lässt sich über Formel (6.10) zu 3 , 2 3 2 3 , 1 3 1 2 , 1 2 1 2 3 2 2 2 1 2 , 3 2 3 1 , 3 1 3 3 , 2 3 2 1 , 2 1 2 3 , 1 3 1 2 , 1 2 1 2 3 2 2 2 2 2 1 2 2 9 2 9 2 9 2 9 1 9 1 9 1 3 1 3 1 3 1 3 1 3 1 3 1 3 1 3 1 3 1 3 1 3 1 3 1 3 1 3 1 3 1 P berechnen. Für die Standardabweichung zieht man entsprechend die Wurzel. Sind die Gewichte w i , i=1,…,n nicht explizit vorgegeben, müssen Sie zunächst aus den Werten der einzelnen Produkte in Relation zum gesamten Portfoliowert bestimmt werden. <?page no="156"?> 6.5 Varianz-Kovarianz-Methode 157 www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement Beispiel 6.9 Die Sunshine AG, die Sonnencreme, und die Rainman Inc., die Regenjacken verkauft, haben eine Korrelation von -0,7. Dabei besitzt die Sunshine AG eine erwartete Rendite von 8 % p.a. sowie eine Standardabweichung von 30 % p.a., die Rainman Inc. eine erwartete Rendite von 5 % p.a. sowie eine Standardabweichung von 20 % p.a. Der Kurs der Sunshine AG stehe momentan bei 75 €, derjenige der Rainman Inc. bei 105 €. Sie halten von beiden Unternehmen je eine Aktie. Insgesamt hat Ihr Portfolio momentan einen Wert von 180 € (=75 €+105 €). Dabei hat die Sunshine-AG-Aktie einen Anteil von 41,67 % (=75 €/ 180 €) und die Aktie der Rainman Inc. einen Anteil von 58,33 % (=105 €/ 180 €). Mit diesen Gewichten können Sie den Erwartungswert des Portfolios 0625 , 0 05 , 0 5833 , 0 08 , 0 4167 , 0 P und die Standardabweichung 0939 , 0 ) 7 , 0 ( 2 , 0 3 , 0 5833 , 0 4167 , 0 2 2 , 0 5833 , 0 3 , 0 4167 , 0 2 2 2 2 P bestimmen. 6.5.2 Berechnung des Value at Risk Hat man die Parameter des Portfolios ermittelt, kann man den Value at Risk berechnen, indem man die Portfolioparameter in die analytische Formel für die Value-at-Risk- Berechnung bei gegebener Normalverteilung (Formeln (4.6) und (4.7)) einsetzt. Beispiel 6.10 (Fortführung von Beispiel 6.6) Für Ihr Portfolio, das zur Hälfte aus dem FunXX-Indexzertifikat und zur anderen Hälfte aus Reading-Kids-Aktien besteht, hatten Sie eine Portfoliorendite von 6,25 % p.a. bei einer Standardabweichung von 15,21 % p.a. berechnet. Der Value at Risk zu einem Konfidenzniveau von 95 % und einer Haltedauer von zehn Tagen ergibt sich somit zu %. 75 , 4 % 25 , 6 250 10 % 21 , 15 ) 645 , 1 ( 250 10 Tage 10 , 95 , 0 VaR Durch die Portfoliobildung wird der Value at Risk geringer als in dem Fall, in dem Sie ausschließlich Anteile des FunXX gehalten haben (s. Beispiel 4.20). <?page no="157"?> 158 6 Methoden zur Value-at-Risk-Bestimmung von Portfolios www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement Beispiel 6.11 (Fortführung von Beispiel 6.9) Ihr Portfolio aus einer Aktie der Sunshine AG und einer Aktie der Rainman Inc. besaß eine erwartete Rendite von 6,25 % p.a. bei einer Standardabweichung von 9,39 % p.a. Damit liegt Ihr Value at Risk zu einem Konfidenzniveau von 99 % bei %. 12 , 4 0412 , 0 0625 , 0 250 10 0939 , 0 ) 326 , 2 ( 250 10 Tage 10 , 99 , 0 VaR In einem Zeitraum von zehn Tagen verlieren Sie mit 99 % Wahrscheinlichkeit nicht mehr als 4,12 % in Ihrem Portfolio. Bemerkung 6.7 Aus Formel (6.8) ergibt sich, dass die Portfoliostandardabweichung . 2 2 , 1 2 1 2 1 2 2 2 2 2 1 2 1 w w w w P für =1 am größten wird, da die Gewichte w 1 und w 2 und die Standardabweichungen 1 und 2 positiv sind. Setzt man =1 ein, so ergibt sich für die Standardabweichung , 1 2 2 2 1 1 2 2 2 1 1 2 1 2 1 2 2 2 2 2 1 2 1 w w w w w w w w P d.h. die Standardabweichung des Portfolios entspricht dem gewichteten Mittel der einzelnen Standardabweichungen. Die Risiken werden proportional zu ihren Gewichten im Portfolio aufaddiert. Damit ist bei der Verwendung der Varianz-Kovarianz-Methode und der dabei angenommenen gemeinsamen Normalverteilung die Subadditivität des Value at Risk doch gegeben. Das Risiko eines Portfolios - gemessen durch den mit der Varianz-Kovarianz-Methode ermittelten Value at Risk - wird nie größer sein als die Summe der Einzelrisiken im Portfolio. 6.5.3 Delta-Normal-Methode In der bisher vorgestellten Version wurde die Varianz-Kovarianz-Methode nur für Aktien vorgestellt. Für ein Portfolio aus Aktien sind die Aktienkurse aber selbst die Risikofaktoren. Betrachten wir beispielhaft ein Portfolio, das nur eine einzelne Aktie A enthält. Die Wertänderung des Portfolios, d.h. die Rendite des Portfolios entspricht in diesem Fall eins zu eins der Wertänderung des Risikofaktors, d.h. der Rendite der Aktie A. Daher überträgt sich der Value at Risk des Risikofaktors auf den Value at Risk des Portfolios. <?page no="158"?> 6.5 Varianz-Kovarianz-Methode 159 www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement Das ist nicht immer so. Hat man z.B. eine Option auf die Aktie A im Portfolio, so ist auch für diese Option der Kurs der Aktie A der Risikofaktor. Ändert sich der Kurs von A, so ändert sich auch der Optionspreis. Allerdings verläuft diese Änderung, wie wir in Abschnitt 5.3.3 gesehen haben, nicht linear. Die Optionspreisänderung kann allerdings näherungsweise über das Delta der Option als lineare Funktion von der Aktienkursänderung angegeben werden. Beispiel 6.12 zeigt, wie die Varianz-Kovarianz- Methode für ein Portfolio, das ein nichtlinear vom Risikofaktor abhängendes Produkt - hier eine Option - enthält, angewendet werden kann. Da die hier vorgestellte Varianz-Kovarianz-Methode nur die Deltas, d.h. die ersten Ableitungen nach den Risikofaktoren, berücksichtigt, wird sie auch Delta-Normal-Methode genannt. Voraussetzung für die Anwendung der Methode ist eine gemeinsame Normalverteilung der Risikofaktoren. Beispiel 6.12 (Fortführung von Beispiel 6.9) Sie halten eine Aktie der Sunshine AG, sowie eine Call-Option auf die Rainman Inc. Der Kurs der Aktie der Sunshine AG (erwartete Rendite: 8 % p.a., Standardabweichung: 30 % p.a.) beträgt momentan 75 €, der Kurs der Aktie der Rainman Inc. (erwartete Rendite: 5 % p.a., Standardabweichung: 20 % p.a.) liegt bei 105 €. Die Korrelation der Aktien beträgt -0,7. Die Option auf die Aktie der Rainman Inc. hat einen Ausübungspreis von 102 € und eine Restlaufzeit von drei Monaten. Der risikolose Zinssatz liege bei 5 % p.a. Sie wollen den Value at Risk Ihres Portfolios zu einem Sicherheitsniveau von 95 % bei einer Haltedauer von zehn Tagen berechnen. Wiederum müssen Sie zuerst bestimmen, welchen Anteil die einzelnen Produkte an Ihrem Portfolio haben. Nach Formel (5.3) hat die Call-Option den Preis ) ( € 102 ) ( € 105 ) ( ) ( 2 25 , 0 05 , 0 1 2 1 d e d d e K d S c T r mit 0,4649 25 , 0 2 , 0 25 , 0 2 2 , 0 05 , 0 € 102 € 105 ln 2 ln 2 2 1 T T r K S d und . 0,3649 25 , 0 2 , 0 0,4649 2 d Damit beträgt der Wert des Calls €. 58 , 6 ) 3649 , 0 ( € 102 ) 4649 , 0 ( € 105 25 , 0 05 , 0 e c Da Sie eine Sunshine-AG-Aktie im Wert von 75 € und eine Call-Option im Wert von 6,58 € halten, hat Ihr Portfolio somit einen Wert von 81,58 €. Die Aktie hat einen <?page no="159"?> 160 6 Methoden zur Value-at-Risk-Bestimmung von Portfolios www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement Anteil von 91,9 % (=75 €/ 81,58 €) und die Call-Option einen Anteil von 8,1 % (=6,58 €/ 81,58 €) am Portfoliowert. Bei der Ermittlung des Erwartungswertes und der Standardabweichung des Portfolios müssen Sie beachten, dass die Option sich nur mit dem Faktor ihres Deltas ändert. Pro Prozentpunkt Änderung der Aktie ändert sich die Option nur um Delta Prozent. Das Delta der Option beträgt . 68 , 0 ) 4649 , 0 ( ) ( 1 d Der Erwartungswert und die Standardabweichung der Aktie der Rainman Inc. gehen also jeweils nur mit dem Faktor =0,68 in die Portfolioparameter ein. Der Erwartungswert des Portfolios lässt sich so zu 0763 , 0 05 , 0 68 , 0 081 , 0 08 , 0 919 , 0 P berechnen. Die Standardabweichung ergibt . 264 , 0 ) 7 , 0 ( 2 , 0 68 , 0 3 , 0 081 , 0 919 , 0 2 2 , 0 68 , 0 081 , 0 3 , 0 919 , 0 2 2 2 2 2 P Damit beträgt die prozentuale Änderung des Portfolios %. 38 , 8 0838 , 0 0763 , 0 250 10 264 , 0 ) 645 , 1 ( 250 10 Tage 10 , 95 , 0 VaR In einem Zeitraum von zehn Tagen verlieren Sie mit 95 % Wahrscheinlichkeit nicht mehr als 8,38 % in Ihrem Portfolio. In Geldeinheiten umgerechnet verlieren Sie so mit 95 % Wahrscheinlichkeit nicht mehr als €. 56 , 6 ) 1 ( € 58 , 81 0838 , 0 e Bemerkung 6.8: Wie wir in Abschnitt 5.3.3 gesehen haben, ist die Approximation über die Deltas einer Option aber nur in der Nähe des aktuellen Aktienkurses gut. Für große Änderungen des Aktienkurses ergeben sich über die Delta- Methode Verzerrungen. Eine Möglichkeit, diese Verzerrungen zu verkleinern, ist der Delta-Gamma-Ansatz (vgl. z.B. Hull, 2011, S. 344 ff.), der zweite Ableitungen der Finanzinstrumente nach den Risikofaktoren berücksichtigt. <?page no="160"?> 6.6 Simulationsmethoden 161 www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement 6.6 Simulationsmethoden 6.6.1 Einführung Beispiel 6.13 Stellen Sie sich vor, Sie gehen zum Shoppen in die Stadt und bummeln durch die Fußgängerzone. Auf einmal kommt jemand auf Sie zu, ein bisschen heruntergekommen, mit Schlapphut und einem Würfelbecher in der Hand. Er hat drei Würfel dabei und bietet Ihnen ein Spiel an, bei dem Sie 100 € gewinnen, wenn Sie eine „Straße“ würfeln, die drei Würfel also eine aufsteigende Zahlenfolge bilden. Wenn Sie keine „Straße“ würfeln, bekommen Sie nichts. Der Spieleinsatz beträgt 5 €. Wagen Sie ein Spiel? Der Typ bietet Ihnen auch an, zu spielen, so oft Sie wollen. Gehen Sie jetzt darauf ein? Irgendwie sieht diese Gestalt ja fragwürdig aus, so dass Sie sich intuitiv abwehrend verhalten. Aber dann fangen Sie an zu überlegen, ob man nicht irgendwie bestimmen kann, ob sich so ein Spiel nicht „rechnen“ könnte. Sie bitten um Bedenkzeit. In Ihren Hirnwindungen kramen Sie alles an Kombinatorikkenntnissen zusammen, was Sie in Ihrem Studium gelernt haben. Zunächst überlegen Sie einmal, wie viele verschiedene Würfelergebnisse es bei drei Würfeln geben kann. Da man mit einem Würfel sechs verschiedene Zahlen würfeln kann, sind es bei zwei Würfeln schon 36 (=6·6) mögliche Würfelergebnisse. Dabei zählen Sie z.B. eine Fünf auf dem ersten Würfel und eine Eins auf dem zweiten Würfel als anderes Ergebnis als eine Eins auf dem ersten und eine Fünf auf dem zweiten Würfel. Mit drei Würfeln haben Sie dann 216 (=6·36) mögliche Ergebnisse, die Sie erzielen können. Sie wollen noch ausrechnen, in wie vielen Fällen Sie denn in den Genuss der 100 € kommen, d.h. in wie vielen Fällen eine Straße gewürfelt wird. Sie überlegen, dass es ja vier verschiedene Straßen gibt, die Straße „1-2-3“, die Straße „2-3-4“, die Straße „3-4-5“ und die Straße „4-5-6“. Für jede dieser Straßen gibt es sechs Möglichkeiten. Das kann man z.B. an der ersten Straße „1-2-3“ sehen, die erreicht man über „1-2-3“, „1-3-2“, „2-3-1“, „2-1-3“, „3-1-2“ und „3-2-1“. Genauso kann man für die anderen Straßen vorgehen. Man hat daher 24 (=6·4) Möglichkeiten für Straßen bei 216 Möglichkeiten mit drei Würfeln beliebige Ergebnisse zu erzielen. Folglich bekommt man mit einer Wahrscheinlichkeit von 11,11 % (=24/ 216) den Gewinn von 100 €. Das Ganze „rechnet“ sich also. Wenn Sie hundertmal spielen, gewinnen Sie im Schnitt elf Mal, machen also einen Gewinn von 1.100 €. Sie haben dann aber nur 500 € eingesetzt, das ergibt einen durchschnittlichen Nettogewinn von 600 €. Jetzt kommen Ihnen Zweifel, ob Sie sich nicht verrechnet haben. Die absolute Leuchte waren Sie in Mathe schließlich auch nie, eher so guter Durchschnitt. Sie würden Ihr Ergebnis gerne noch einmal kontrollieren. Ihnen fällt ein, dass Sie das Spiel ja auch einfach ausprobieren könnten. Sie bitten um noch mehr Bedenkzeit. Am einfachsten wäre es natürlich, wenn Sie wirklich hundertmal würfelten und dann abzählten, wie oft Sie eine „Straße“ hatten. Das trauen Sie sich mit dem Halbganoven im Rücken jetzt aber doch nicht. Außerdem ist es ein bisschen aufwendig und dauert zu lange. Sie sind aber schließlich ein Excel-Fan und holen Ihr iPad raus. Die Formel, wie Sie aus drei Zahlen von eins bis sechs feststellen, ob eine „Straße“ <?page no="161"?> 162 6 Methoden zur Value-at-Risk-Bestimmung von Portfolios www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement dabei ist, haben Sie schnell programmiert. Nun wollen Sie dem Rechner das Würfeln überlassen. Der Computer kann aber natürlich nicht wirklich würfeln. Was er aber kann, ist Zufallszahlen erzeugen, die eine bestimmte Verteilung haben. Excel kann zunächst nur Zufallszahlen generieren, die zwischen null und eins gleichverteilt sind. Wenn man in Excel „=Zufallszahl()“ eingibt, bekommt man eine Zahl zwischen null und eins heraus, wobei jede Zahl zwischen null und eins gleichwahrscheinlich ist. 22 Andere Verteilungen können aus dieser Gleichverteilung durch Transformation gewonnen werden. Sie wollen die vom Rechner erzeugten Zufallszahlen von null bis eins also irgendwie auf die natürlichen Zahlen von eins bis sechs transformieren. Dazu müssen Sie dem Rechner sozusagen beibringen, welche der Zahlen von null bis eins eine gewürfelte Eins sein sollen, welche eine Zwei usw. Das lässt sich einfach bewerkstelligen, indem man das Intervall von null bis eins in sechs gleich lange Stücke unterteilt. Das erste Stück reicht dann von null bis 1/ 6, das zweite von 1/ 6 bis 2/ 6 usw. Fällt die auf [0,1] gleichverteilte Zahl in das erste Teilstück, das von null bis 1/ 6 reicht, so sagen Sie, Sie hätten eine Eins gewürfelt. Fällt es in das zweite Teilstück haben Sie eine Zwei gewürfelt usw. In Excel kann man dies durch eine geschachtelte Wenn-Bedingung 23 erreichen (s. Abb. 6.4). Abb. 6.4 Erzeugung diskreter gleichverteilter Zufallszahlen von eins bis sechs (Würfel) aus auf [0,1] gleichverteilten Zufallszahlen in Excel Auf diese Weise implementieren Sie drei gleichverteilte Zufallsvariablen über den Befehl Zufallszahl() und transformieren diese auf drei Würfelergebnisse. Abb. 6.5 zeigt einen möglichen Ausgang des Würfelexperiments am Rechner. Die Zufallszahlen in Spalten A bis C sind auf [0,1] gleichverteilt, während die Spalten D bis F die 22 Es erscheint paradox, mit einem Computer Zufallszahlen berechnen zu wollen, da ein Computer feste Rechenvorschriften braucht, um zu arbeiten. Dieses widerspricht dem Prinzip des Zufalls. Man hat aber Verfahren entwickelt, die sogenannte Pseudozufallszahlen erzeugen, die sich wie echte Zufallszahlen verhalten (vgl. Runzheimer, 1988, S. 33 ff.). 23 Gleichverteilte diskrete Zufallsvariablen wie hier die Zahlen von eins bis sechs eines fairen Würfels lassen sich in Excel leichter durch eine Multiplikation der auf [0,1] gleichverteilten, standardmäßig implementierten Zufallsvariablen und eine anschließende Abrundung generieren. Für den Würfel erzielt „GANZZAHL(ZUFALLSZAHL()*6)+1“ das gewünschte Ergebnis. Das in Beispiel 6.13 angedeutete Verfahren funktioniert aber auch, wenn die Ausprägungen der zu erzeugenden diskreten Zufallsvariablen nicht mehr gleichwahrscheinlich sind (s. Abschnitt 6.6.3.4). <?page no="162"?> 6.6 Simulationsmethoden 163 www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement Würfelergebnisse anzeigen. In Spalte G ist die Abfrage auf eine Straße implementiert. Abb. 6.5 Mögliche Realisationen von drei Würfeln und Kontrolle, ob eine Straße vorliegt In den Zeilen kann man verschiedene Würfelergebnisse abspeichern, etwa 1.000 Stück oder auch 10.000 Stück. Es fehlt nur noch, die „Straßen“ abzuzählen und Ihre Häufigkeit als Schätzung für die Wahrscheinlichkeit zu bestimmen, indem man durch die Anzahl der „Würfe“ teilt. In der Datei „Beispiel 6.13.xls“ kann das Würfeln mit Hilfe des Rechners noch einmal nachvollzogen werden. Als Ergebnis können z.B. einmal 10,86 % herauskommen, ein anderes Mal 11,23 %. Sie wissen jetzt aber, dass die Größenordnung Ihrer Rechnung, bei der Sie das exakte Ergebnis von 11,11 % herausbekommen hatten, wohl stimmt. Beispiel 6.13 illustriert den Unterschied zwischen einer analytischen Methode, bei der die Lösung berechnet wird und einer Simulationsmethode, bei der eine Lösung durch „Würfeln“ bestimmt wird. In der Simulation wurden Anteile durch Abzählen bestimmt. Wir haben diesen Anteil als den Prozentsatz von Straßen bei einem Simulationsdurchgang definiert. Führt man die Simulation oft durch, d.h. wiederholt man die 1.000 Würfe z.B. wiederum 100 Mal, so lässt sich eine ganze Verteilung von Treffern generieren. Auf diese Weise kann neben der erwarteten Häufigkeit für eine Straße auch bestimmt werden, in welchem Bereich die Trefferquote bei den 100 Simulationsergebnissen schwankt, man kann die Standardabweichung berechnen oder Quantile. Das würde auf analytischem Weg eventuell schon schwerer fallen. Die Simulation hat dann eindeutig Vorteile, wenn die analytischen Berechnungen komplexer werden. Auf der anderen Seite steht die Tatsache, dass ein Simulationsergebnis nicht so exakt ist wie das berechnete Ergebnis. Mit z.B. 11,23 % simulierter Trefferquote sind Sie von den exakten 11,11 % ein wenig entfernt. Die Genauigkeit lässt sich durch die Anzahl an Simulationen allerdings steigern. Zudem könnten Sie ein Konfidenzintervall ( QR-Glossar) errechnen, innerhalb dessen der wahre zu schätzende Wert mit einer gewissen Genauigkeit liegt. Fortführung von Beispiel 6.13 Um eine gewisse Sicherheit zu haben, in welchem Bereich der wirkliche Anteil an „Straßen“ liegt, möchten Sie für Ihr Würfelergebnis ein Konfidenzintervall zu einer Sicherheitswahrscheinlichkeit von 95 % berechnen. Haben Sie etwa mit 10.000 Simulationen ein Ergebnis von 11,23 % „Straßen“ erhalten, so wird ein Konfidenzintervall, das hier von 10,61 % bis 11,85 % reicht, mit einer Wahrscheinlichkeit von 95 % den „wahren“ Anteil der Straßen enthalten. Wenn Ihnen diese Genauigkeit noch nicht reicht, müssen Sie mehr Simulationen durchführen. <?page no="163"?> 164 6 Methoden zur Value-at-Risk-Bestimmung von Portfolios www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement Simulationsmethoden unterscheiden sich danach wie die Verteilung der „Würfel“ generiert wird. Für die Anwendung zur Berechnung des Value at Risk sind die „Würfel“ die Änderungen der Risikofaktoren eines Portfolios. Dieses können Aktienrenditen sein, Änderungen von Zinssätzen, Änderungen von Wechselkursen oder Ähnliches. Bei der historischen Simulation wird die Verteilung der Risikofaktoren aus Änderungen in den historischen Daten generiert, es wird ein nichtparametrischer Ansatz ( QR-Glossar) gewählt, bei dem keine Annahmen über die zugrunde liegende Verteilung getroffen werden. Bei der Monte-Carlo-Simulation hingegen wählt man einen parametrischen Ansatz QR-Glossar, d.h. man trifft Annahmen über die Art der Verteilung, indem man z.B. eine Normalverteilung unterstellt und schätzt nur noch die Parameter, die die Verteilung bestimmen, aus den historischen Daten. 24 6.6.2 Historische Simulation 6.6.2.1 Idee Beispiel 6.14 Eigentlich laufen Sie selbst ja lieber dauernd mit Ihrem iPod herum. CDs hören nur noch Ihre Eltern. Platten, was war das nochmal? Vor ungefähr einem Jahr haben Sie aber zufällig in der Zeitung gelesen, dass eine alte Beatles-Schallplatte für 19.201 Pfund über den Ladentisch gegangen ist (Die Welt, URL). Da ist Ihnen doch schlagartig wieder der Dachspeicher Ihrer Eltern eingefallen und Sie haben ausgiebig dort gegruschtelt. Leider konnten Sie Ihren Eltern nur zwei Platten abschwatzen, aber das waren dafür gute. Eine Single von den Rolling Stones und das Second Album der Beatles. Seit einem Jahr verfolgen Sie nun die Preise der Vinylscheiben in Ihrem Portfolio auf eBay und stellen fest, dass die ganz schön schwanken. Heute ist Ihre Beatles-LP 193 € wert, die Rolling-Stones-Single 144 €. Sie erinnern sich an Ihre Risikomanagement-Vorlesung und wollen den Value at Risk bestimmen. Sie wollen also ermitteln, welchen Verlust Sie mit einer Wahrscheinlichkeit von 95 % bis zum morgigen Tag höchstens machen. Dazu, denken Sie, kann Ihnen die Vergangenheit recht behilflich sein. Wenn die Wertverluste und -gewinne Ihrer Scheiben in der Vergangenheit immer einer gewissen Verteilung unterlagen, vielleicht tun sie das ja auch in der Zukunft so. In einem ersten Schritt suchen Sie Ihre Daten zusammen und schauen nach den Preisen für die Platten in Ihrem Plattenportfolio an jedem Tag des vergangenen Jahres (s. Tab. 6.2). 24 Annahmen über die Verteilungsparameter können alternativ auch aufgrund von Expertenschätzungen oder Literaturangaben getroffen werden. Eine Schätzung aus historischen Daten ist aber die am häufigsten angewendete Methode. <?page no="164"?> 6.6 Simulationsmethoden 165 www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement Tag Beatles-LP Rolling-Stones-Single Portfoliowert 365 193 € 144 € 337 € 364 193 € 142 € 335 € 363 194 € 142 € 336 € . . . 87 € 46 € 133 € 3 91 € 47 € 138 € 2 86 € 46 € 132 € 1 84 € 44 € 128 € 0 85 € 46 € 131 € Tab. 6.2 Historische Preise eines Plattenportfolios Jetzt interessieren Sie sich ja gar nicht so für die Preise der guten Stücke selber, sondern dafür, ob Sie mit Ihren Platten von Tag zu Tag Verluste oder Gewinne gemacht haben. Diese Wertänderungen können Sie entweder direkt in Euro, d.h. in absoluten Geldbeträgen, angeben oder in Prozent. Da es einfacher ist, beginnen Sie mal mit den absoluten Veränderungen und schreiben sich diese auf. 25 Dabei interessiert jeweils die Veränderung vom weiter entfernt liegenden Tag zum nächsten. Sie ermitteln daher Wertänderungen von gestern auf heute, von vorgestern auf gestern usw. Von Tag 0 auf Tag 1 in der Vergangenheit ist der Preis der Beatles-LP z.B. von 85 € auf 84 € gefallen, die Veränderung beträgt 84 €-85 €=-1 €. Die Rolling-Stones- Single hat vom Tag 0 auf den Tag 1 ebenfalls einen Verlust gemacht, sie hat eine Wertänderung von -2 € zu verzeichnen. Ihr Portfolio als Ganzes hat vom Tag 0 auf den Tag 1 eine Wertänderung von -3 € zu verzeichnen gehabt. Von gestern (Tag 364) auf heute (Tag 365) hat sich der Preis der Beatles-LP nicht verändert, während der Preis der Rolling-Stones-Single um 2 € angestiegen ist. Die Portfoliowertänderung beträgt von gestern auf heute demnach 2 €. (s. Tab. 6.3) 25 Prozentuale Veränderungen sind allerdings eher repräsentativ für die Zukunft (vgl. Huschens, 2000 und Abschnitt 6.6.2.5). Wenn Ihre Platten jetzt dreimal so viel wert sind wie vor einem Jahr, werden die absoluten Veränderungen wahrscheinlich auch stärker sein. Wir verwenden absolute Änderungen rein aus didaktischen Gründen, da sich die Berechnungen ohne Taschenrechner durchführen lassen und so besser nachzuvollziehen sind. <?page no="165"?> 166 6 Methoden zur Value-at-Risk-Bestimmung von Portfolios www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement Tag Beatles-LP Rolling-Stones-Single Portfoliowert Preis Veränd. Preis Veränd. Preis Veränd. 365 193 € 0 € 144 € 2 € 337 € 2 € 364 193 € -1 € 142 € 0 € 335 € -1 € 363 194 € 142 € 336 € . . . 87 € -4 € 46 € -1 € 133 € -5 € 3 91 € 5 € 47 € 1 € 138 € 6 € 2 86 € 2 € 46 € 2 € 132 € 4 € 1 84 € -1 € 44 € -2 € 128 € -3 € 0 85 € 46 € 131 € Tab. 6.3 Preisänderungen im Plattenportfolio Insgesamt hat Ihre kleine Plattensammlung mal Gewinne und mal Verluste gemacht. Diese wollen Sie jetzt übersichtlicher auflisten und erstellen eine Verteilung. Dazu ordnen Sie die Veränderungen für Ihr gesamtes Plattenportfolio vom größten Verlust zum größten Gewinn an. Sie zählen ab, welche Wertänderung wie oft vorkam und beziehen dieses auf die Anzahl von 365 Beobachtungen. Zusätzlich bilden Sie aus den kumulierten Häufigkeiten die Verteilungsfunktion (s. Tab. 6.4). Aus Tab. 6.4 lässt sich der Value at Risk - wie in Abschnitt 4.5.2 beschrieben - ablesen. Der Sprung über die 5 %-Grenze der Wahrscheinlichkeit findet bei einem Verlust von 4 € statt. Wenn man davon ausgeht, dass die Verteilung der Gewinne und Verluste der Vergangenheit eine Verteilung möglicher zukünftiger Gewinne und Verluste darstellt, so wird mit einer Wahrscheinlichkeit von 95 % ein Verlust von 4 € innerhalb des nächsten Tages nicht überschritten. Dieser wird sogar mit 96,4 % Wahrscheinlichkeit nicht überschritten. Einen höheren Verlust als 4 € macht man nur mit einer Wahrscheinlichkeit von 3,6 %. Das gleiche Ergebnis hätten Sie auch herausgefunden, wenn Sie alle Angaben für die Wertänderungen des Vinyl-Portfolios hergenommen und aufsteigend sortiert hätten. 5 % von 365 Werten sind 18,25. Aufgerundet ergibt sich 19. Zählen wir von dem schlimmsten Verlust an die Fälle ab, dann ergibt sich beim 19. Wert ebenfalls ein Verlust von 4 €, der von uns ermittelte Value at Risk (zur Bestimmung des Value at Risk aus einer Urliste von empirischen Werten s. Abschnitt 4.5.1). <?page no="166"?> 6.6 Simulationsmethoden 167 www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement Portfoliowertänderung Anzahl Häufigkeit Verteilungsfunktion -7 € 1 0,27 % 0,3 % -6 € 1 0,27 % 0,5 % -5 € 11 3,01 % 3,6 % -4 € 11 3,01 % 6,6 % -3 € 30 8,22 % 14,8 % -2 € 34 9,32 % 24,1 % -1 € 41 11,23 % 35,3 % 0 € 43 12,05 % 47,4 % 1 € 45 12,33 % 59,7 % 2 € 56 15,34 % 75,1 % 3 € 44 12,05 % 87,1 % 4 € 21 5,75 % 92,9 % 5 € 15 4,11 % 97,0 % 6 € 8 2,19 % 99,2 % 7 € 3 0,82 % 100,0 % Tab. 6.4 Verteilung der Wertänderungen im Plattenportfolio Gutgläubig wie Sie sind, gehen Sie davon aus, dass sich die Ereignisse immer so wiederholen, wie sie auch in der Vergangenheit passiert sind, also davon, dass Ihre Verteilung in der Zeit konstant bleibt. Was Sie gemacht haben, war eine historische Simulation. Sie haben die Wertänderung der Vergangenheit als Indikator für die zukünftige Wertänderung hergenommen. Damit haben Sie eine Schätzung für Ihr Risiko. Mit einer Wahrscheinlichkeit von 95 % verlieren Sie von heute auf morgen nicht mehr als 4 € in Ihrem Plattenbestand. Bemerkung 6.9: Ermittelt man den Value at Risk eines Portfolios mit Hilfe der historischen Simulation an verschiedenen aufeinanderfolgenden Zeitpunkten, so verschiebt sich die Datenbasis jeweils um einen Wert. Die Daten des aktuellsten Zeitpunktes kommen hinzu, während die Daten des am weitesten in die Vergangenheit reichenden Zeitpunktes aus der Datenbasis herausfallen. <?page no="167"?> 168 6 Methoden zur Value-at-Risk-Bestimmung von Portfolios www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement 6.6.2.2 Generelles Vorgehen Beispiel 6.14 war recht einfach. Zunächst einmal war das Portfolio mit nur zwei Schallplatten sehr klein. Eine Erweiterung auf sehr viele Platten im Beispiel bzw. auf viele Finanzprodukte in einem Portfolio ist aber ohne Weiteres analog möglich. Die Änderung des Portfoliowertes entsprach aber zusätzlich der Summe der Änderungen der Risikofaktoren, d.h. der Werte der einzelnen Schallplatten. Für jede einzelne Schallplatte war dabei nur ein Risikofaktor relevant, der Preis der Platte. Dieser bestimmte auch in linearer Weise den Wert des Portfolios. Wollte man den Wert der Platte von morgen ermitteln, musste man die mögliche Änderung des Preises nur zu dem heutigen Preis addieren. Eine lineare Operation. Das ist nicht immer so. Hat man man z.B. eine Null-Kupon-Anleihe im Portfolio, dann hängt deren Preis vom aktuellen Zero-Zinssatz ab. Wie wir in Abschnitt 5.4 gesehen haben, ist der Preis einer Anleihe aber nichtlinear vom Zinssatz abhängig. Die Änderung des Preises der Anleihe kann daher auch nicht linear aus der Änderung des Zinssatzes bestimmt werden. Vielmehr geht man hier so vor, dass man den simulierten Zinssatz in die nichtlineare Preisformel für die Anleihe einsetzt und so einen simulierten Preis erhält. Man kann dieses für alle Simulationen wiederholen. In jedem Schritt bewertet man die Anleihe komplett neu (s. Beispiel 6.15). Das allgemeine Vorgehen ist damit wie folgt: 1. Schritt: Definition der k Risikofaktoren r i, i=1,…,k im Portfolio (z.B. Aktienkurse, Zinssätze, Wechselkurse etc.) und Bereitstellung der historischen Daten für die Risikofaktoren für einen angemessenen Zeitraum (s. Abschnitt 6.6.2.4). Es stehen n+1 Daten zur Verfügung. Wir bezeichnen den am weitesten in der Vergangenheit liegenden Zeitpunkt als t=0, den aktuellsten Zeitpunkt als t=n. Zudem wird der aktuelle Portfoliobarwert als Funktion ) ,..., ( , , 1 n k n r r BW berechnet. 2. Schritt: Berechnung der a) absoluten Veränderungen k i n t r r t i t i ,..., 1 , ,..., 1 , 1 , , b) oder relativen Veränderungen k i n t r r r t i t i t i ,..., 1 , ,..., 1 , 1 , 1 , , der Risikofaktoren r i, i=1,...,k. Man erhält n Veränderungen. 3. Schritt: Simulation der Risikofaktoren durch a) Addition der n Veränderungen der Risikofaktoren in der Vergangenheit (Schritt 2) auf die heutigen Werte (am Zeitpunkt t=n) der Risikofaktoren r i,n, i=1,…, k bei Verwendung absoluter Veränderungen: <?page no="168"?> 6.6 Simulationsmethoden 169 www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement k i n t r r r r t i t i n i t i ,.., 1 , ,.., 1 ), ( ~ 1 , , , , b) Multiplikation der heutigen Werte (am Zeitpunkt t=n) der Risikofaktoren r i,n, i=1,...,k mit den aus den relativen Veränderungen der Risikofaktoren in der Vergangenheit (Schritt 2) ermittelten Aufzinsfaktoren bei relativen Veränderungen: k i n t r r r r r t i t i t i n i t i ,..., 1 , ,..., 1 , 1 ~ 1 , 1 , , , , Man erhält n Sätze von simulierten Risikofaktoren . ,...., 1 , ,.... 1 , ~ , k i n t r t i 4. Schritt: Bewertung des Portfolios mit den n Sätzen simulierter Risikofaktoren aus Schritt 3. Man erhält n mögliche Portfoliowerte . ,..., 1 ), ~ ,..., ~ ( , , 1 n t r r BW t k t 5. Schritt: Bildung der Differenz der simulierten Portfoliowerte aus Schritt 4 und dem aktuellen Portfoliowert. Man erhält n mögliche Gewinne oder Verluste . ,..., 1 ), ,..., ( ) ~ ,..., ~ ( , , 1 , , 1 n t r r BW r r BW n k n t k t 6. Schritt: Ermittlung einer Wahrscheinlichkeitsverteilung aus den Gewinnen und Verlusten in Schritt 5 und Ablesen des Value at Risk zum gewünschten Konfidenzniveau. Beispiel 6.15 Ein Portfolio enthalte eine US-Dollar-Position in Höhe von 5.000 $ sowie eine Anleihe mit einer Restlaufzeit von einem Jahr und einem Kuponzinssatz von 4 % p.a. Heute sei der 9. März 2012. Es soll ein Value at Risk zu einem Konfidenzniveau von 99 % für einen Zeithorizont von einem Tag berechnet werden, d.h. es ist zu ermitteln, welcher Verlust mit einer Wahrscheinlichkeit von 99 % vom 9. auf den 10. März 2012 nicht überschritten wird. 1. Schritt: Der Wert der Fremdwährungsposition hängt vom EUR/ USD-Wechselkurs (Risikofaktor r 1 ) ab. Der Kurs und damit der Preis der Anleihe hängt von dem aktuellen Ein-Jahreszinssatz (Risikofaktor r 2 ) ab. Am 9. März 2012 erhielt man für einen Euro 1,313 $ (Ariva.de, URL), der Ein- Jahreszinssatz betrug 1,35 % p.a. (Deutsche Bundesbank, URL). Wir verwenden hier Daten für Hypothekenpfandbriefe und öffentliche Pfandbriefe. Die US-Dollar-Position von 5.000 $ hat einen Wert von €. 08 , 808 . 3 € / $ 313 , 1 $ 000 . 5 <?page no="169"?> 170 6 Methoden zur Value-at-Risk-Bestimmung von Portfolios www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement Der Preis einer Anleihe ergibt sich, indem man den Barwert der Rückzahlungen bestimmt. Die betrachtete Anleihe hat nur noch eine Restlaufzeit von einem Jahr. In einem Jahr wird daher der Nominalbetrag von 1.000 € zurückgezahlt, zusätzlich der für ein Jahr angefallenen Zinsen in Höhe von 40 €. Es erfolgt demnach eine Zahlung von 1.040 €. Diese ist mit dem aktuellen Zinssatz von 1,35 % p.a. auf heute abzuzinsen. Der Preis der Anleihe beträgt €. 15 , 026 . 1 0135 , 0 1 € 040 . 1 Insgesamt ergibt sich am 9. März 2012 somit ein Portfoliowert von €. 22 , 834 . 4 € 15 , 026 . 1 € 08 , 808 . 3 2. Schritt: Historische Daten für den EUR/ USD-Wechselkurs und den Ein- Jahreszinssatz werden für die letzten 501 Tage - dieses entspricht einem Zeitraum vom 31.3.2010 bis zum 9.3.2012 - tabellarisch dargestellt (s. Tab. 6.5). Es werden die täglichen absoluten 26 Veränderungen des EUR/ USD-Wechselkurses r 1,t - r 1,t-1 und des Ein-Jahreszinssatzes r 2,t - r 2,t-1 berechnet. Datum t EUR/ USD- Wechselkurs r 1,t Differenz r 1,t -r 1,t-1 Ein-Jahreszinssatz r 2,t Differenz r 2,t -r 2,t-1 09.03.2012 500 1,313 -0,014 1,35 % 0 % 08.03.2012 499 1,327 0,012 1,35 % -0,01 % 07.03.2012 498 1,315 0,004 1,36 % 0 % 06.03.2012 497 1,311 -0,011 1,36 % 0 % 05.03.2012 496 1,322 0,002 1,36 % -0,02 % . . . . . . . . . . . 01.04.2010 1 1,359 0,008 1,25 % -0,03 % 31.03.2010 0 1,351 1,28 % Tab. 6.5 Historische Simulation - Portfolio mit einer USD-Position und einer Anleihe - Schritt 2 (Quelle: Ariva.de (URL), Deutsche Bundesbank (URL)) 26 Die Verwendung absoluter Veränderungen dient der besseren Nachvollziehbarkeit des Beispiels. <?page no="170"?> 6.6 Simulationsmethoden 171 www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement 3. Schritt: Mit den gegebenen historischen Veränderungen der Risikofaktoren von einem Tag zum nächsten in der Vergangenheit werden mögliche Fremdwährungskurse und Zinssätze für den morgigen Tag simuliert. Dazu addiert man die historischen Veränderungen jeweils zum aktuellen Risikofaktor des 9. März 2012 (s. Tab. 6.6). Man erhält dann 500 mögliche Werte für den 10. März 2012. Sim. FX- Kurs r 1,t Differenz r 1,t -r 1,t-1 sim. Kurs t r , 1 ~ Zinssatz r 2,t Differenz r 2,t -r 2,t-1 sim. Zinssatz t r , 2 ~ 500 1,313 -0,014 1,313-0,014=1,299 1,35 % 0 % 1,35 %+0 %=1,35 % 499 1,327 0,012 1,313+0,012=1,325 1,35 % -0,01 % 1,35 %-0,01 %=1,34 % 498 1,315 0,004 1,313+0,004=1,317 1,36 % 0 % 1,35 %+0 %= 1,35 % 497 1,311 -0,011 1,313-0,011=1,302 1,36 % 0 % 1,35 %+0 %= 1,35 % 496 1,322 0,002 1,313+0,002=1,315 1,36 % -0,02 % 1,35 %-0,02 %=1,33 % . 1,320 . . 1,38 % . . . . . . . . . 1 1,359 0,008 1,313+0,008=1,321 1,25 % -0,03 % 1,35 %-0,03 %=1,32 % Tab. 6.6 Historische Simulation - Portfolio mit einer USD-Position und einer Anleihe - Schritt 3 4. Schritt: Das Portfolio wird mit den simulierten Wechselkursen und Zinssätzen neu berechnet. Die Berechnung erfolgt vollständig analog zur Berechnung für die aktuellen Werte der Risikofaktoren in Schritt 1. Als Beispiel ergibt sich für die erste Simulation (unterste Zeile der Tabelle) mit dem simulierten EUR/ USD- Wechselkurs von 1,321 ein in Euro umgerechneter Wert der Fremdwährungsposition von € 01 , 785 . 3 € / $ 321 , 1 $ 000 . 5 und mit einem simulierten Zinssatz von 1,32 % p.a. ein Anleihekurs von €. 45 , 026 . 1 0132 , 0 1 € 040 . 1 Damit beträgt der Wert des Portfolios 3.785,01 € + 1.026,45 € = 4.811,46 €. Entsprechend berechnet man die Portfoliowerte für die simulierten Sätze an Risikofaktoren in den anderen Simulationen. Es ergeben sich die Ergebnisse in Tab. 6.7. <?page no="171"?> 172 6 Methoden zur Value-at-Risk-Bestimmung von Portfolios www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement Sim. sim. FX-Kurs t r , 1 ~ Wert der USD- Position sim. Zinssatz t r , 2 ~ Wert der Anleihe Portfoliowert 500 1,299 3849,11 € 1,35 % 1026,15 € 4875,26 € 499 1,325 3773,58 € 1,34 % 1026,25 € 4799,83 € 498 1,317 3796,51 € 1,35 % 1026,15 € 4822,65 € 497 1,302 3840,25 € 1,35 % 1026,15 € 4866,39 € 496 1,315 3802,28 € 1,33 % 1026,35 € 4828,63 € . . . . . . . . . . . . 1 1,321 3785,01 € 1,32 % 1026,45 € 4811,46 € Tab. 6.7 Historische Simulation - Portfolio mit einer USD-Position und einer Anleihe - Schritt 4 5. Schritt: Im vierten Schritt hat man 500 mögliche Portfoliowerte für den nächsten Tag ermittelt. Da man sich aber für das Risiko eines Verlustes bis zum nächsten Tag interessiert, muss man nun noch die Veränderungen, die sich dadurch für den Wert des Portfolios vom 9. März auf den 10. März ergeben würden, ermitteln. So ist z.B. für die erste Simulation von dem simulierten Portfoliowert von morgen von 4.811,46 € aus Schritt 4 der aktuelle, in Schritt 1 ermittelte Portfoliowert von 4.834,22 € abzuziehen. Man erhält 4.811,46 € - 4.834,22 € = -22,76 €. So verfährt man für alle Simulationen. Sim. simulierter Portfoliowert Gewinn/ Verlust 500 4875,26 € 4875,26 € - 4.834,22 € = 41,04 € 499 4799,83 € 4799,83 € - 4.834,22 € = -34,39 € 498 4822,65 € 4822,65 € - 4.834,22 € = -11,57 € 497 4866,39 € 4866,39 € - 4.834,22 € = 32,17 € 496 4828,63 € 4828,63 € - 4.834,22 € = -5,59 € . . . 1 4811,46 € 4811,46 € - 4.834,22 € = -22,76 € Tab. 6.8 Historische Simulation - Portfolio mit einer USD-Position und einer Anleihe - Schritt 5 <?page no="172"?> 6.6 Simulationsmethoden 173 www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement 6. Schritt: Aus den im fünften Schritt gewonnenen simulierten Gewinnen und Verlusten für das Portfolio wird durch Sortieren vom höchsten Verlust zum höchsten Gewinn eine empirische Verteilung ermittelt. (s. Tab. 6.9). Sim. Verluste/ Gewinne W‘keit kum. W’keit F(x) 64 -82,59 € 0,2 % 0,2 % 405 -82,29 € 0,2 % 0,4 % 301 -79,51 € 0,2 % 0,6 % 393 -71,05 € 0,2 % 0,8 % 202 -65,76 € 0,2 % 1,0 % 143 -63,06 € 0,2 % 1,2 % . . . 280 85,91€ 0,2 % 99,6 % 407 89,14 € 0,2 % 99,8 % 93 92,29 € 0,2 % 100,0 % Tab. 6.9 Empirische Verteilung der Gewinne und Verluste der historischen Simulation für ein Portfolio mit einer USD-Position und einer Anleihe Da jede der vergangenen Wertänderungen als gleichwahrscheinlich angenommen wurde, hat das Ergebnis jeder der 500 Simulationen die gleiche Wahrscheinlichkeit des Auftretens von 1/ 500=0,2 %. Es kann natürlich sein, dass sich bei mehreren Simulationen die gleichen Veränderungen des Portfoliowertes ergeben, so dass bei einer Anordnung der Gewinne und Verluste einige Wertänderungen mit einer Wahrscheinlichkeit vorkommen, die ein Vielfaches von 0,2 % ist. In diesem Fall kann man aber auch so vorgehen, dass man die Wahrscheinlichkeiten nicht zusammenfasst, sondern die Veränderungen, auch wenn sie gleich sind, mehrfach mit der gleichen Wahrscheinlichkeit aufführt. 1 % von 500 Werten entspricht genau fünf Werten. Da der Value at Risk den minimalen Verlust darstellt, der mit - in diesem Fall - 99 % Wahrscheinlichkeit nicht überschritten wird, reicht es, den Betrag des sechsten Wertes der empirischen Verteilung zu wählen (s. Abschnitt 4.5.2), denn 495 der Werte, d.h. 99 % der Werte überschreiten diesen Verlust nicht. Der Value at Risk zu 99 % Konfidenzscheinlichkeit liegt bei 63,06 €. Der Expected Shortfall beträgt als Mittel über die 1 % höchsten Verluste 76,24 €. Die Berechnung kann in „Beispiel 6.15.xls“ nachvollzogen werden. <?page no="173"?> 174 6 Methoden zur Value-at-Risk-Bestimmung von Portfolios www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement 6.6.2.3 Vor- und Nachteile der historischen Simulation Vorteile Keine Verteilungsannahmen Ein Vorteil der historischen Simulation ist, dass vorher nicht bekannt sein muss, welche Verteilung den Gewinnen und Verlusten zugrunde liegt. Diese ergibt sich empirisch, indem die Wertänderungen der Vergangenheit als mögliche Wertänderungen der Zukunft verwendet werden. Es muss daher keine Normalverteilung oder eine sonstige spezielle Verteilung angenommen werden. Man „zählt“ vielmehr das -Quantil nur „ab“, man muss es nicht berechnen oder in einer Tabelle nachschlagen. Insbesondere funktioniert das Verfahren auch dann, wenn Verteilungen vorliegen, die sogenannte fat tails besitzen, d.h. bei denen die Wahrscheinlichkeit für hohe Verluste und/ oder hohe Gewinne deutlich höher ist als bei einer Normalverteilung (s. Abb. 4.8). Fat tails treten gerade bei Finanzdaten häufig auf. Korrelationen gehen implizit ein Da man bei der historischen Simulation keine Verteilung und demnach auch keine gemeinsame Verteilung der Risikofaktoren kennen muss, braucht man auch die Korrelationen der verschiedenen Risikofaktoren untereinander nicht explizit zu kennen. Dadurch, dass man von allen Risikofaktoren die Änderungen zwischen den gleichen Zeitpunkten als Datensatz verwendet, gehen Korrelationen aber implizit ein. So kann es in Beispiel 6.14 sein, dass die Preisänderungen der Schallplatten stark positiv korreliert sind, wenn Schallplatten als solche manchmal in und manchmal out sind und dann immer entweder alle Platten im Preis steigen, wenn sie gerade in sind, oder fallen, wenn jeder Platten doof findet. Oder es kann auch sein, dass der Preis der Beatles negativ mit dem Preis der Rolling Stones korreliert ist, wenn nämlich die Mode entweder zu den Beatles umschwenkt und keiner mehr die Stones kaufen will, so dass der Preis der Beatles-LPs steigt und der der Stones fällt oder umgekehrt. In Tab. 6.3 sieht man z.B. in den ersten Tagen, dass der Preis der Stones-Single tendenziell steigt, wenn der Preis der Beatles-Platte steigt. Wenn der Preis fällt, fällt er tendenziell für beide Platten. Dieses berücksichtigen wir aber implizit, wenn wir jeweils die Preisänderung beider Platten an den gleichen Tagen betrachten und das Risiko des Portfolios als Ganzes berechnen. Vollständige Bewertung des Portfolios Bei der historischen Simulation werden die wahren Marktpreise für die im Portfolio enthaltenen Instrumente errechnet. Beispiel 6.15 macht dieses deutlich. Bei jeder Simulation wird der simulierte Zinssatz in die Formel für den Preis der Anleihe eingesetzt. Es ergibt sich der Marktpreis der Anleihe, wenn die Zinsen sich nach der Verteilung der Zinsänderungen in der Vergangenheit ändern. Grafisch läuft man so „auf der Preiskurve entlang“ und bestimmt den neuen möglichen Preis, statt sich wie bei der Delta-Normal-Methode des Varianz-Kovarianz-Ansatzes auf einer Tangente zu bewegen und die Wertänderung des Portfolios approximativ zu berechnen. <?page no="174"?> 6.6 Simulationsmethoden 175 www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement Leichte Implementierung Das Prinzip der historischen Simulation ist leicht zu verstehen und es ist auch einfach zu implementieren. Nachteile Vergangenheit muss Zukunft nicht widerspiegeln Ein allgemeiner Nachteil der Verwendung historischer Daten liegt in der Tatsache, dass es nicht „immer so weiter gehen muss“. Obwohl bei der historischen Simulation keine explizite Verteilung der Daten angenommen wird, wird implizit davon ausgegangen, dass die zukünftige Verteilung der vergangenen empirischen Verteilung entspricht, dass die Verteilung also konstant in der Zeit ist (vgl. Manganelli und Engle, 2001, S. 10). In der Zukunft können aber andere Szenarien möglich sein als die Vergangenheit sie gezeigt hat. Diese werden durch die historischen Daten nicht widergespiegelt. Dadurch werden Risiken unterschätzt, wenn es an den Finanzmärkten „eine Zeit lang ruhig gelaufen ist“ und man nur einen relativ kurzen Zeitraum in die Datenhistorie einbezogen hat. Hohe Varianz der Quantile Für die Value-at-Risk-Berechnung werden vorwiegend die „kleinen“ Quantile einer Verteilung bestimmt, wie das 5 %-Quantil, das 1 %-Quantil oder das 0,1 %-Quantil. Diese sind bei einer geringen Menge an Daten aber sehr volatil. Beispiel 6.16 Sie würfeln 100 Mal mit einem auf dem Rechner implementierten Würfel, dessen Zahlen „normalverteilt“ sind, wobei Sie die Ergebnisse aber auf ganze Zahlen runden. Sie stellen eine Standardabweichung von 40 ein, so dass in 95 % der Fälle die Werte zwischen -80 und +80 liegen. Allerdings können die Werte auch mal darüber oder darunter liegen. Sie wollen das 1 %-Quantil bestimmen und wählen es gemäß unserer Definition des Value at Risk als zweitschlechtesten Wert der 100 Würfelergebnisse. Wenn Sie das erste Mal 100 Mal würfeln, kann es sein, dass der zweitschlechteste Wert -87 ist, beim zweiten Mal vielleicht -98, beim dritten Mal -69. Das Ergebnis schwankt stark. Sie können dieses in der Excel-Datei „Beispiel 6.16.xls“ selbst ausprobieren. „Mittlere Quantile“ wie der Median schwanken nicht so stark. Exkurs 6.1 Konfidenzintervalle von Quantilen Für den über die historische Simulation bestimmten Value at Risk, der ja nur eine Schätzung des „wahren“ Value at Risk darstellt, lässt sich ein Konfidenzintervall erstellen. Wird der Value at Risk VaR 1zu einem Sicherheitsniveau p=1ge- <?page no="175"?> 176 6 Methoden zur Value-at-Risk-Bestimmung von Portfolios www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement schätzt, so liegt der wahre Value at Risk mit 95 % Wahrscheinlichkeit in einem 95 %-Konfidenzintervall 27 (6.12) , ) 1 ( ) ( 1 96 , 1 ; ) 1 ( ) ( 1 96 , 1 1 1 n x f VaR n x f VaR wobei f(x) die Dichte einer Verteilungsfunktion ist, die die empirischen Daten gut anpasst und deren Quantile bekannt sind, und x das -Quantil der so angepassten Verteilung ist (vgl. Kendall und Stuart, 1972 zitiert nach Hull, 2011, S. 303). Nehmen wir an, wir hätten beim „Würfeln“ in Beispiel 6.16 einmal als zweitschlechtesten Wert den Wert -85 erhalten, d.h. unser Value at Risk zum Sicherheitsniveau von 99 % wäre zu 85 bestimmt worden. Da wir aus einer Normalverteilung mit Mittelwert null und Standardabweichung 40 gewürfelt haben, lässt sich f(x ) als 1 %-Quantil der N(0,40)-Verteilung zu -2,326·40=-93,05 bestimmen. f(-93,05) beträgt 0,0006668 28 , so dass sich ein 95 %-Konfidenzintervall für den wahren Value at Risk ergibt als ) 2 , 114 ; 8 , 55 ( 100 01 , 0 99 , 0 000667 , 0 1 96 , 1 85 ; 100 01 , 0 99 , 0 000667 , 0 1 96 , 1 85 ergibt. Mit einer Wahrscheinlichkeit von 95 % liegt der wahre Value at Risk in einem Bereich von 55,8 bis 114,2, d.h. einem sehr breiten Bereich um den Schätzwert von 85 Einheiten herum. Die Ungenauigkeit der Schätzung resultiert daraus, dass wenige Daten in den Enden der Verteilung liegen. Dadurch wird der Wert f(x) klein und 1/ f(x) groß. Hätten wir einen Würfel, bei dem die Ergebnisse von -100 bis 100 gleichverteilt sind, so wäre die an die Daten angepasste Verteilung eine Gleichverteilung und f(x) daher für jedes Quantil gleich groß. Hier sind es eher die mittleren Quantile, wie z.B. der Median, die stark streuen, da der Term n ) 1 ( 27 Konfidenzintervalle zu Sicherheitsniveaus 1- , die von 95 % abweichen, können gebildet werden, indem die Zahl 1,96 in Formel (6.12) durch das (1- / 2)-Quantil der Normalverteilung ersetzt wird. Die Formel wird hier für ein konstantes Sicherheitsniveau von 95 % im Konfidenzintervall gezeigt, um die Gefahr der Verwechslung der unterschiedlichen Sicherheitsniveaus von Value-at-Risk-Schätzung und Konfidenzintervall für den Value at Risk zu verringern. 28 Der Wert lässt sich in Excel über Normvert (-93,05; 0; 40; Falsch) ermitteln. „Falsch“ steht dafür, dass der Wert der Dichte ermittelt wird. Im Unterschied dazu würde „Wahr“ den Wert der Verteilungsfunktion an der Stelle -93,05 liefern. <?page no="176"?> 6.6 Simulationsmethoden 177 www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement für =0,5 am größten wird. Auch dieses lässt sich in der Datei „Beispiel 6.16.xls“ nachvollziehen. Hoher Aufwand der Datenhaltung Für die historische Simulation muss man die Gesamtheit der historischen Risikofaktoren speichern. Der Unterschied zum Varianz-Kovarianz-Ansatz sei an einem Portfolio, das von zwei Risikofaktoren abhängig ist, erklärt. Bei der Verwendung des Varianz- Kovarianz-Ansatzes braucht man für ein von zwei Risikofaktoren abhängiges Portfolio nur fünf Angaben zur Berechnung des Value at Risk. Die Erwartungswerte der Risikoparameter, ihre Varianzen sowie die Korrelation beider Parameter. Diese werden zwar zumeist auch aus historischen Werten ermittelt, jedoch müssen die historischen Werte nicht mehr gespeichert werden, wenn Erwartungswerte, Varianzen und Korrelationen erst einmal geschätzt sind. Für die historische Simulation braucht man jeweils alle Daten der Risikoparameter, um neue Bewertungen vornehmen zu können. Verwendet man 500 Simulationen, d.h. Daten von 501 Tagen, so sind bei einem Portfolio mit zwei Risikoparametern schon 1002 Werte zu speichern. Bei den heutigen Speicherkapazitäten ist dieses aber - selbst bei größeren Portfolios - ein untergeordnetes Problem. Änderungen der Volatilität werden zu spät in den Daten widergespiegelt Sind die Parameter eines Portfolios sehr volatil, so steigt das Risiko eines Verlustes an. Es kann ja zu stärkeren positiven, aber auch negativen Ausschlägen kommen. Die Volatilität, d.h. die Schwankung der Risikoparameter, kann sich aber im Zeitablauf ändern. War die jüngere Vergangenheit eher ruhig, d.h. die Volatilität der Parameter gering, so liegt auch in den Daten der historischen Simulation eine entsprechend geringere Volatilität vor. Steigt sie nun, z.B. in einer Finanzkrise, an, reflektieren die Daten dieses noch nicht. Es braucht ja eine Zeit, bis neuere Informationen in denjenigen Daten enthalten sind, die für die historische Simulation verwendet werden, da das Zeitfenster sich jeden Tag nur um einen Datenpunkt verschiebt. Über die historische Simulation wird auch bei inzwischen angestiegener Volatilität am Markt ein relativ geringes Risiko ausgewiesen. Das wahre Risiko wird also unterschätzt. Umgekehrt wird das Risiko überschätzt, wenn die Daten hohe Volatilitäten ausweisen und die Situation am Markt auf einmal ruhiger wird. 6.6.2.4 Wahl des Zeitfensters Bei der Wahl des Zeitraums, in dem man bei der historischen Simulation Daten wählt, liegen zwei konkurrierende Ziele vor. Einerseits ist man bestrebt, möglichst viele Daten einzubeziehen, den Zeitraum also recht groß zu wählen, um eine angemessene Stichprobe zu erhalten. Ist die Anzahl n der in der Stichprobe betrachteten Datenpunkte zu klein, so ist die Varianz in den zu bestimmenden Quantilen sehr hoch (s. Abschnitt 6.6.2.3). Andererseits bedeutet eine große Stichprobe bei der historischen Simulation, dass man Daten wählt, die in der Vergangenheit weit zurückliegen. Es besteht die Gefahr, dass diese nicht mehr repräsentativ für die Gegenwart sind. <?page no="177"?> 178 6 Methoden zur Value-at-Risk-Bestimmung von Portfolios www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement Eine gängige Wahl ist diejenige von 500 Simulationen (vgl. Hull, 2011, S. 298). Hierzu werden 501 historische Daten benötigt. So erhält man dann durch die Differenzenbildung 500 Veränderungen der Risikofaktoren. Da man für ein Jahr 250 Bankarbeitstage ansetzt, entsprechen 500 Simulationen der Verwendung historischer Daten von zwei Jahren. Auch ein Zeitfenster von nur einem Jahr und daraus resultierend 250 Veränderungen von Risikofaktoren wird in der Praxis häufig angewandt. Ein Versuch, die Widersprüchlichkeit von großer Datenbasis und möglichst aktuellen Daten aufzuheben, stellt eine Gewichtung der Daten dar. Statt jeden der verwendeten n Datenpunkte gleich zu behandeln und ihm dadurch das Gewicht 1/ n zuzuordnen, bekommen aktuellere Werte ein höheres Gewicht und Werte, die weiter in der Vergangenheit zurückliegen, ein kleineres Gewicht. Boudouck et al. (1998) schlagen hierfür eine exponentielle Gewichtung vor. Die aktuellste Veränderung - vom Vortag auf heute - der Datenpunkte hat ein Gewicht . Die zweitaktuellste Veränderung - von vorgestern auf gestern - bekommt dann ein Gewicht, das das -fache des ersten Wertes ist, d.h. · . Der Faktor ist dabei kleiner als eins, so dass das Gewicht der zweiten Beobachtung kleiner als das der ersten Beobachtung wird. Die drittaktuellste Veränderung erhält ein Gewicht von · 2 usw., die kaktuellste Veränderung ein Gewicht von · k-1 . Alle Gewichte müssen weiterhin zu eins summieren, so dass bei n Beobachtungen (6.13) 1 0 1 n k k gelten muss. Die Summe in Formel (6.13) lässt sich mit der geometrischen Reihe ( QR-Glossar) umformen. Bei gegebenem lässt sich so das zu wählende Anfangsgewicht zu (6.14) n n k n k 1 1 1 1 1 1 0 berechnen. Beispiel 6.17 Wir wählen z.B. = 0,99. Liegen 500 Datenpunkte vor, so ist . 01006614 , 0 99 , 0 1 99 , 0 1 1 1 500 n Im Vergleich zur Gleichgewichtung bei 500 Datenpunkten, d.h. einem Gewicht von konstant 0,002 (=1/ 500), ist das Gewicht des aktuellsten Datums fünfmal so hoch. Die hundertaktuellste Beobachtung hat ein Gewicht von , 00372 , 0 99 , 0 01006614 , 0 99 99 <?page no="178"?> 6.6 Simulationsmethoden 179 www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement d.h. ist nur noch ein Drittel des Gewichts der aktuellsten Veränderung groß. Die letzte Veränderung, d.h. diejenige, die am weitesten in der Vergangenheit liegt, hat ein Gewicht von , 000067 , 0 99 , 0 01006614 , 0 499 499 d.h. ihr Gewicht entspricht nur noch weniger als einem Prozent des Gewichts der aktuellsten Beobachtung. Auf diese Weise kann man Werte verwenden, die weit in die Vergangenheit zurückreichen. Diese werden entsprechend geringer gewichtet je weiter sie zurückliegen, gehen aber immer noch in die Berechnung mit ein. So können extreme Ereignisse, auch wenn sie sich vor langer Zeit ereignet haben, immer noch einen gewissen Einfluss auf die Risikobestimmung ausüben. Schwierig ist die Wahl von . Bei kleinen Werten von wird der aktuellste Wert sehr stark gewichtet, das Gewicht fällt dann sehr rasch. Schon bei einem von 0,95 und 500 Datenpunkten bekommt der aktuellste Wert ein Gewicht von 5 %, der hundertste hat ein Gewicht von 0,03 %, der 250. Wert hat nur noch ein Gewicht von 0,00001 %. Üblicherweise werden für Werte verwendet, die größer als 0,99 sind. Je stärker sich der Eins annähert, desto stärker ähneln die Gewichte denen bei einer Gleichgewichtung der Daten. Durch die Gewichtung können sich Verschiebungen im Value at Risk gegenüber einer Gewichtung mit gleich großen Gewichten ergeben. Beispiel 6.18 (Fortführung von Beispiel 6.15) Sie wollen den Value at Risk Ihres Portfolios aus Beispiel 6.15 mit der historischen Simulation mit exponentieller Gewichtung berechnen. Das Konfidenzniveau beträgt 99 %, der Zeithorizont einen Tag. Als wählen Sie für die Gewichtung der Datenpunkte 0,99. Sim. simulierter Portfoliowert Gewinn/ Verlust gegenüber aktuellem Portfoliowert Gewicht 500 4875,26 € 4875,26 € - 4.834,22 € = 41,04 € 1,01 % 499 4799,83 € 4799,83 € - 4.834,22 € = -34,39 € 1,00 % 498 4822,65 € 4822,65 € - 4.834,22 € = -11,57 € 0,99 % 497 4866,39 € 4866,39 € - 4.834,22 € = 32,17 € 0,98 % 496 4828,63 € 4828,63 € - 4.834,22 € = -5,59 € 0,97 % . . . . 1 4811,46 € 4811,46 € - 4.834,22 € = -22,76 € 0,01 % Tab. 6.10 Historische Simulation - Portfolio mit einer Anleihe und einer USD-Position mit exponentieller Gewichtung ( =0,99) <?page no="179"?> 180 6 Methoden zur Value-at-Risk-Bestimmung von Portfolios www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement Tab. 6.10 zeigt die Gewinne und Verluste gegenüber dem aktuellen Portofoliowert von 4.834,22 € sowie die Gewichte des jeweiligen Datenpunktes. Die größten Verluste treten an den gleichen Zeitpunkten auf wie bei der Gewichtung mit 1/ n in Beispiel 6.15, denn die Ausprägungen der Risikofaktoren in der Vergangenheit haben sich ja nicht geändert. Nur die Gewichte sind nun anders. Es ergibt sich demnach gegenüber Beispiel 6.15 eine unterschiedliche Verteilungsfunktion F(x) (s. Tab. 6.11). Sim. Verluste/ Gewinne Gewicht kum. W’keit F(x) 64 -82,59 € 0,01 % 0,01 % 405 -82,29 € 0,39 % 0,40 % 301 -79,51 € 0,14 % 0,54 % 393 -71,05 € 0,34 % 0,88 % 202 -65,76 € 0,05 % 0,93 % 143 -63,06 € 0,03 % 0,96 % 335 -57,44 € 0,19 % 1,15 % . . 280 85,91€ 0,11 % 99,59 % 407 89,14 € 0,40 % 99,98 % 93 92,29 € 0,02 % 100,00 % Tab. 6.11 Empirische Verteilung der Gewinne und Verluste einer historischen Simulation mit exponentieller Gewichtung ( =0,99) Der Value at Risk zu einem Konfidenzniveau von 99 % liegt nun bei 57,44 €, denn bei dem Verlust von -57,44 € überschreitet die Verteilungsfunktion die 1 %-Grenze. Bei den stärksten Verlusten sind einige dabei, die bei Veränderungen der Risikofaktoren auftreten, wie sie an Daten, die recht weit in der Vergangenheit liegen, passiert sind (Zeitpunkte 64, 143 und 202). Da die Gewichte der weniger aktuellen Veränderungen nun kleiner sind, gehen so mehr Ausprägungen in die Summe der Gewichte ein als bei einer Gleichgewichtung. Die 1 %-Grenze wird dadurch bei einem Wert überschritten, der weiter rechts auf dem Zahlenstrahl liegt. In der Datei „Beispiel 6.18.xlsm“ können Sie den Effekt von auf die Höhe des Value at Risk ausprobieren. Zusätzlich wird der Expected Shortfall berechnet. <?page no="180"?> 6.6 Simulationsmethoden 181 www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement 6.6.2.5 Relative oder absolute Veränderungen der Risikofaktoren Verwendet man relative oder absolute Veränderungen der Risikofaktoren, so führt dieses schon bei einfachen Portfolios zu unterschiedlichen simulierten Verteilungen der Portfolioveränderungen und damit auch zu einem unterschiedlichen Ausweis des Value at Risk. Wir haben die absoluten Veränderungen in Beispiel 6.13 und Beispiel 6.15 deshalb verwendet, weil man die Differenzenbildung für die Berechnung absoluter Veränderungen besser nachvollziehen kann als die Berechnung relativer Veränderungen. Der Grund war eher didaktischer Natur. Dennoch ist klar, dass bei den Schallplatten aus Beispiel 6.13 Veränderungen von z.B. 2 € bei einem Startwert von 85 €, bzw. 46 € stärker ins Gewicht fallen, als wenn sich die Preise bis zum heutigen Zeitpunkt verdoppelt oder verdreifacht haben. Eine Berechnung relativer Veränderungen wäre daher sinnvoller. Auch viele empirische Studien belegen, dass relative Veränderungen eher als repräsentativ für die Zukunft anzusehen sind (vgl. Huschens, 2000) und deshalb die Verwendung relativer Veränderungen für die Simulation der Risikofaktoren vorzuziehen ist. 6.6.3 Monte-Carlo-Simulation 6.6.3.1 Einführung Unter dem Begriff Monte-Carlo-Methode wird eine ganze Reihe unterschiedlicher Verfahren zusammengefasst, wie z.B. Verfahren zur Bestimmung komplexer Integrale oder Differentialgleichungen oder Verfahren zum Erzeugen von Zufallsstichproben. Der Begriff „Monte Carlo“ deutet an, dass es sich um ein Verfahren handelt, bei dem der Zufall eine Rolle spielt, so wie es auch bei den Roulettespielen im Casino von Monte Carlo der Fall ist. Wir konzentrieren uns hier auf Anwendungen der Monte- Carlo-Simulation im Finanzbereich. Im Gegensatz zur historischen Simulation geht man bei der Monte-Carlo-Simulation davon aus, dass die Verteilung der zugrunde liegenden Variablen bekannt ist. In Beispiel 6.13 haben wir bereits eine Monte-Carlo-Simulation durchgeführt. Die Verteilung der Würfel war hier natürlich tatsächlich bekannt, jede Augenzahl hatte die gleiche Wahrscheinlichkeit von 1/ 6. Diese diskrete Verteilung konnte durch Transformation mittels in Excel standardmäßig implementierter gleichverteilter Zufallsvariablen erzeugt werden. 6.6.3.2 Generierung gleichverteilter Zufallsvariablen In Beispiel 6.13 wurden bereits gleichverteilte Zufallszahlen über Excel generiert. Der Befehl „Zufallszahl()“ erzeugt eine auf dem Intervall [0; 1] gleichverteilte Zufallsvariable. Bei jeder erneuten Berechnung in Excel wird dabei eine neue Ausprägung der Zufallsvariable „gewürfelt“. Eine neue Berechnung kann auch durch die Funktionstaste F9 ausgelöst werden. <?page no="181"?> 182 6 Methoden zur Value-at-Risk-Bestimmung von Portfolios www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement Gleichverteilte Zufallsvariablen können auf diskrete Zufallsvariablen transformiert werden. Sie können aber sogar auch zur Generierung von stetigen Zufallsvariablen benutzt werden. 6.6.3.3 Generierung normalverteilter Zufallsvariablen Verwendung eines Excel-Add-Ins Normalverteilte Zufallsvariablen lassen sich in Excel leicht über den Menüpunkt „Zufallszahlengenerierung“ des Add-Ins „Analyse-Funktionen“ generieren. Dazu muss das Add-In über Excel-Optionen aktiviert werden, die „Analyse-Funktionen“ sind dann auf dem Tabellenblatt „Daten“ vorhanden. Nach Auswahl der Option „Zufallszahlengenerierung“ erscheint das in Abb. 6.6 dargestellte Fenster. Es kann zwischen verschiedenen Verteilungen ausgewählt werden. Wählt man wie in Abb. 6.6 eine Normalverteilung aus, die in Excel als „Standard“ bezeichnet wird, so lassen sich die Parameter der Normalverteilung, d.h. der Mittelwert und die Standardabweichung angeben. Abb. 6.6 Erzeugung einer normalverteilten Zufallsvariable über das Add-In „Analyse- Funktionen - Zufallszahlengenerierung“ in Excel Es können mehrere normalverteilte Variablen erzeugt werden, wobei diese dann aber alle die gleichen Parameter haben. Es werden so viele Spalten erzeugt, wie im Eingabefeld „Anzahl der Variablen“ angegeben ist. Das Feld „Anzahl der Zufallszahlen“ gibt die Anzahl der Realisationen pro Variable an. Diese werden in den Zeilen abgebildet. Ein Vorteil der Generierung von Zufallszahlen über ein Add-In liegt darin, dass es menügesteuert ist und daher keine Formeln programmiert werden müssen. Dadurch ist die Verwendung des Add-Ins eventuell auch weniger fehleranfällig als eine eigene Programmierung. Ein Nachteil besteht allerdings darin, dass das Add-In bei jedem neuen „Würfeln“, d.h. bei einer erneuten Simulation, erneut aufgerufen werden muss. Das Drücken der Funktionstaste F9 führt nicht zur Generierung neuer Zufallszahlen. <?page no="182"?> 6.6 Simulationsmethoden 183 www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement Transformation aus gleichverteilten Zufallsvariablen Exkurs 6.2 zeigt die Transformation von den standardmäßig implementierten gleichverteilten Zufallsvariablen auf normalverteilte Zufallsvariablen. Auf diese Weise implementierte Zufallsvariablen können durch F9 aktualisiert werden. Exkurs 6.2 Erzeugung von normalverteilten Zufallszahlen Box-Muller-Methode Das gängigste Verfahren zur Erzeugung normalverteilter Zufallsvariablen ist die Box-Muller-Methode (Box und Muller, 1958). Für die Box-Muller-Methode braucht man zwei unabhängige gleichverteilte Zufallszahlen, die in Excel in zwei Zellen über die Funktion „=Zufallszahl()“ erzeugt werden. Wir nennen sie A1 und A2 und schreiben sie in Excel auch in die Zellen A1 und A2. Um anschließend zwei standardnormalverteile Zufallszahlen B1 und B2 zu erhalten, müssen A1 und A2 transformiert werden. Dazu schreibt man in zwei weitere Zellen: ) 2 2 cos( ) 1 ln( 2 1 A A B und ) 2 2 sin( ) 1 ln( 2 2 A A B . In Excel sieht dieses entsprechend so aus wie in Abb. 6.7 dargestellt. Die zwei Zahlen B1 und B2 sind jetzt Realisationen von zwei Zufallsvariablen, die standardnormalverteilt und unabhängig voneinander sind. Die Box-Muller-Methode generiert immer zwei standardnormalverteilte Zufallsvariablen auf einmal. Natürlich kann man das auch unterbinden, indem man nur die Formel für B1 programmiert und diejenige für B2 auslässt. Zwei in verschiedenen Zellen erzeugte gleichverteilte Zufallsvariablen - hier A1 und A2 - werden aber auf jeden Fall - auch für die Erzeugung nur einer Zufallsvariable - benötigt. Abb. 6.7 Erzeugung von zwei standardnormalverteilten Zufallsvariablen in Excel Will man mehrere Realisationen der Zufallsvariablen „würfeln“, so ist es sinnvoller, die Zufallsvariablen in Spalten anzuordnen. Weitere Berechnungen können dann in den Spalten rechts von den generierten Zufallszahlen ausgeführt werden. Auf diese Weise kann man die Formeln in Excel auch einfach durch „Ziehen“ auf viele Zeilen anwenden. Abb. 6.8 zeigt Simulationen der stetigen Rendite und des zugehörigen Aktienkurses einer Aktie mit bekannter erwarteter Rendite 5 % p.a. und Standardabweichung 30 % p.a. nach einem Jahr. Es wird von einem Aktienkurs von 100 € zu Beginn des Jahres ausgegangen. Die ersten vier Spalten dienen allein der Erzeugung der Zufallsvariablen. Dabei sind die Zufallszahlen in den Spalten A und B gleichverteilt, diejenigen in Spalten C und D standardnormalverteilt. Nur eine der normalverteilten Zufallsvariablen (hier Spalte C) wird für die Transformation in eine normalverteilte Zufallsvariable mit Erwartungswert 5 % p.a. und Standardabweichung 30 % p.a. benötigt (zur Transformation s. Abschnitt 10.2.2). Da <?page no="183"?> 184 6 Methoden zur Value-at-Risk-Bestimmung von Portfolios www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement eine stetige Rendite simuliert wurde, wird der Aktienkurs in Spalte E über die stetige Verzinsung ermittelt. Abb. 6.8 Simulationen der Aktienkursentwicklung nach einem Jahr mit normalverteilten stetigen Renditen (erwartete Rendite: 0,05; =0,3, heutiger Kurs S=100 €) mit Hilfe der Box-Muller-Methode Abb. 6.9 zeigt mögliche Realisationen der Zufallsvariablen, d.h. der „Würfelergebnisse“ des Computers. Bei einer erneuten Berechnung durch Drücken der Funktionstaste F9 sehen die Ergebnisse anders aus, da die Spalten A bis D zufällig sind. Die Zahlen sind daher nicht reproduzierbar. Abb. 6.9 Verschiedene mögliche Realisationen der Aktienkursentwicklung nach einem Jahr mit normalverteilten stetigen Renditen (erwartete Rendite: 0,05; =0,3, heutiger Kurs S=100 €) Inversionsmethode Bei der Inversionsmethode arbeitet man mit der Quantilsfunktion der zu generierenden Verteilung. Diese gibt zu einer vorgegebenen Wahrscheinlichkeit zwischen 0 und 1 an, wie groß das zugehörige Quantil ist. Die Inversionsmethode kann daher für beliebige Verteilungen verwendet werden, deren Quantilsfunktion implementierbar ist. Wir führen das Verfahren für die Generierung normalverteilter Zufallsvariablen ein und betrachten daher die Quantilsfunktion der Standardnormalverteilung. Diese ergibt z.B. zu dem Wert 0,5 den Funktionswert 0, da 50 % der Werte einer Standardnormalverteilung kleiner oder gleich 0 sind. Die Quantilsfunktion zu 0,95 ergibt 1,645, da 95 % der Werte einer Standardnormalverteilung kleiner oder gleich 1,645 sind. Ist nun der x-Wert, an dem man die Quantilsfunktion der Standardnormalverteilung auswertet, eine gleichverteilte Zufallsvariable, so ist der Funktionswert standardnormalverteilt (vgl. z.B. Kolonko, 2008). Macht man die Berechnungen „auf dem Papier“, so ist dieses eine schwierige Methode, da die Quantile nicht berechenbar sind, sondern aus Tabellen abgelesen werden müssen. In Excel ist die Inversionsmethode jedoch leicht implementierbar, da mit dem Befehl „Norminv(Wahrscheinlichkeit, Mittelwert, Standardabweichung)“ die Quantile der Normalverteilung zu einer vorgegebenen Wahrscheinlichkeit bestimmt werden können. Als Wahrscheinlichkeit geben wir dabei die Realisationen einer durch <?page no="184"?> 6.6 Simulationsmethoden 185 www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement „Zufallszahl()“ erzeugten, auf [0,1] gleichverteilten Zufallsvariablen an. Im Befehl „Norminv“ können ein Mittelwert und eine Standardabweichung für die normalverteilte Zufallszahl, die wir erzeugen wollen, angegeben werden. Für eine standardnormalverteilte Zufallszahl geben wir einen Mittelwert von null und eine Standardabweichung von eins ein. Abb. 6.10 zeigt die Generierung einer normalverteilten stetigen Rendite mit der Inversionsmethode. Abb. 6.10 Simulationen der Aktienkursentwicklung nach einem Jahr mit normalverteilten stetigen Renditen (erwartete Rendite: 0,05; =0,3, heutiger Kurs S=100 €) mit Hilfe der Inversionsmethode Beispiel 6.19 Sie möchten den in Beispiel 5.7 errechneten Value at Risk einer Call-Option zum Konfidenzniveau von 95 % bei einer Haltedauer von einem Monat mit der Monte- Carlo-Simulation überprüfen. Die Call-Option lief auf die Kölner-Seit-Aktie mit einem heutigen Kurs von 104 €, einem Ausübungskurs von 105 € und einem Ausübungsdatum von drei Monaten. Die erwartete stetige Rendite der Kölner-Seit- Aktie beträgt 3 % p.a., die Volatilität 15 % p.a. und der risikolose Zinssatz 3 % p.a. Zunächst berechnen Sie den heutigen Preis Ihres Calls. Dieser liegt, wie bereits in Beispiel 5.7 berechnet, bei 3,01 €. Für die Monte-Carlo-Simulation simulieren Sie den Aktienkurs am Ende der Haltedauer von einem Monat. Die stetige Rendite wird als normalverteilt modelliert, Sie implementieren für sie eine normalverteilte Zufallsvariable mit Erwartungswert 12 03 , 0 und Standardabweichung . 12 15 , 0 Haben Sie eine Rendite r simuliert, können Sie den simulierten Aktienkurs durch r e S € 104 1 berechnen. Diese Simulation können sie n-mal, z.B. 10.000-mal, ausführen. Für jeden simulierten Aktienkurs errechnen Sie dann den Wert der Option in einem Mo- <?page no="185"?> 186 6 Methoden zur Value-at-Risk-Bestimmung von Portfolios www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement nat. Die Option hat dann noch eine Restlaufzeit von zwei Monaten. Die übrigen Parameter bleiben konstant. In der ersten Simulation wird z.B. ein Aktienkurs von 113,92 € simuliert. Die Option mit einer Restlaufzeit von zwei Monaten und einem Ausübungskurs von 105 € hat dann einen Wert von 9,68 €. In der zweiten Simulation wird ein Aktienkurs von 101,64 € erzeugt. Die Option hätte damit einen Wert von 1,35 €. So berechnen Sie die 10.000 möglichen Optionspreise für das Ende der Haltedauer des Portfolios von einem Monat. Aus den 10.000 möglichen Optionspreisen bestimmen Sie dann die 10.000 möglichen Abweichungen zu dem heutigen Optionspreis von 3,01 €. So ergibt z.B. die erste Simulation, bei der Sie einen Optionspreis von 9,68 € simuliert hatten, eine Wertänderung von 9,68 € - 3,01 €= 6,67 €. In der zweiten Simulation haben Sie eine Wertänderung von 1,35 € - 3,01 € = -1,66 € zu verzeichnen etc. Da Sie den Value at Risk zu einem Konfidenzniveau von 95 % ermitteln wollen, bestimmen Sie das 5 %-Quantil der 10.000 Wertänderungen. Dieses ist die Wertänderung, die bei den aufsteigend sortierten Werten an 501. Stelle steht. Die Monte- Carlo-Simulation einschließlich der Berechnung des Expected Shortfall ist in „Beispiel 6.19.xls“ implementiert. Die Ergebnisse schwanken von Simulationslauf zu Simulationslauf, liegen aber in der Größenordnung von 2,66 € oder 2,67 €. Sie erhalten so ein Ergebnis wie es in Beispiel 5.7 analytisch berechnet wurde. Bemerkung 6.10: Für den in Beispiel 6.19 ermittelten Value at Risk lässt sich aufgrund der Nichtlinearität der Optionspreisformel nicht unmittelbar ein Konfidenzintervall bestimmen. Praktisch kann man so vorgehen, dass man die n Simulationen vielfach durchführt, z.B. 100 Simulationsläufe mit je n Simulationen macht. Man erhält dann kein Konfidenzintervall, aber einen gewissen Referenzbereich für das Ergebnis der Simulationen. Wenn dieses zu breit erscheint, die Simulationsergebnisse also zu stark streuen, dann muss die Anzahl n der Simulationen pro Simulationslauf erhöht werden. 6.6.3.4 Generierung diskreter Zufallsvariablen Diskrete Zufallsvariablen lassen sich über ein Excel-Add-In erzeugen oder durch ein Mapping aus gegebenen in Excel implementierten Zufallsvariablen generieren. Beispiel 6.20 Zur Illustrierung der verschiedenen Methoden sei folgende einfache diskrete Wahrscheinlichkeitsverteilung zu erzeugen (s. Tab. 6.12). <?page no="186"?> 6.6 Simulationsmethoden 187 www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement x P(X = x) F(x)=P(X x) 1 0,3 0,3 2 0,5 0,8 3 0,2 1 Tab. 6.12 Einfache diskrete Wahrscheinlichkeitsverteilung Verwendung eines Excel-Add-Ins Das Add-In „Analyse-Funktionen“ kann auch zur Generierung einer diskreten Wahrscheinlichlichkeitsverteilung verwendet werden (s. Abb. 6.11). Es ist dazu ein Bereich, hier der Bereich von E7 bis F9, anzugeben, in dem die diskrete Verteilung (s. Tab. 6.12) aufgeführt ist. Es werden 100 Realisationen einer Variablen ab der Zelle B6 ausgegeben. Abb. 6.11 Verwendung der Zufallszahlengenerierung in Excel Die Vorgehensweise kann in der Datei „Beispiel 6.20.xls“ ausprobiert werden. Mapping einer gleichverteilten Zufallsvariable Die Generierung einer Verteilung über das Excel-Add-In „Analyse-Funktionen“ hat den schon diskutierten Nachteil, dass eine Aktualisierung durch die Funktionstaste F9 nicht möglich ist. Wird die diskrete Verteilung durch ein Mapping gebildet, ist eine Aktualisierung durch F9 möglich. Ein Mapping ist dabei eine spezielle Transformation einer Ausgangszufallsvariablen auf eine diskrete Zufallsvariable, bei der Bereiche der Ausgangsvariable auf die Ausprägungen der diskreten Verteilung abgebildet werden. Für eine auf [0,1] gegebene Gleichverteilung ist ein solches Mapping auf eine beliebige diskrete Verteilung mit endlich vielen Ausprägungen leicht möglich. Man teilt das In- <?page no="187"?> 188 6 Methoden zur Value-at-Risk-Bestimmung von Portfolios www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement tervall zwischen null und eins so in kleine Teilintervalle auf, dass die Wahrscheinlichkeit für die gleichverteilte Zufallsvariable in diese Intervalle zu fallen, gerade den vorgegebenen Wahrscheinlichkeiten der diskreten Verteilung entspricht. Auf dem Rechner simulieren wir eine zwischen null und eins gleichverteilte Zufallsvariable Y. Wir transformieren die Zufallsvariable Y in die Variable X aus Tab. 6.12, indem wir folgende Zuordnung treffen: Wenn Y zwischen 0 und 0,3 fällt, so sagen wir, das Ergebnis von X entspricht einer Eins. Ist Y größer als 0,3, aber kleiner oder gleich 0,8, so sei das Ergebnis von X eine Zwei. Würfeln wir mit Y schließlich eine Zahl zwischen 0,8 und 1, so habe X den Wert drei (s.Tab. 6.13). Y fällt nämlich mit 30 % Wahrscheinlichkeit in den Bereich [0; 0,3], damit hat X mit 30 % Wahrscheinlichkeit die Ausprägung Eins. Y fällt mit 50 % Wahrscheinlichkeit in den Bereich (0,3; 0,8], X hat so mit 50 % Wahrscheinlichkeit die Ausprägung Zwei. Da Y mit 20 % Wahrscheinlichkeit in den Bereich (0,8; 1] fällt, hat X mit 20 % Wahrscheinlichkeit die Ausprägung Drei. Die obere Grenze der Intervalle, die wir für die Zuordnung gewählt haben, entspricht also jeweils dem Wert der Verteilungsfunktion (s. Spalte 3 in Tab. 6.12). y x [0; 0,3] 1 (0,3; 0,8] 2 (0,8; 1] 3 Tab. 6.13 Transformation einer gleichverteilten Zufallsvariable Y in eine Zufallsvariable X mit der in Tab. 6.12 gegebenen diskreten Verteilung In Excel kann man diese Transformation leicht durch geschachtelte Wenn- Beziehungen vornehmen. Ist die gleichverteilte Zufallsvariable kleiner oder gleich 0,3, wird eine Eins zugewiesen, sonst wird erneut abgefragt. In dem Fall, dass die Wenn- Bedingung nicht zutrifft, ist die gleichverteilte Zufallsvariable ja bereits größer als 0,3 und es muss nur noch abgefragt werden, ob sie kleiner oder gleich 0,8 ist. In diesem Fall wird eine Zwei zugewiesen. Ansonsten, d.h. wenn Y zwischen 0,8 und 1 fällt, wird eine Drei zugewiesen (s. Abb. 6.12). Abb. 6.12 Erzeugung der in Tab. 6.12 gegebenen diskreten Verteilung aus einer Gleichverteilung Abb. 6.13 zeigt mögliche Realisationen der so erzeugten Gleichverteilung in Spalte A und der diskreten Verteilung in Spalte B. <?page no="188"?> 6.6 Simulationsmethoden 189 www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement Abb. 6.13 Mögliche Realisationen für die Programmierung in Abb. 6.12 Die Werte sind dabei bei jeder Berechnung verschieden, sie sind eben zufällig. Das Mapping einer gleichverteilten Zufallsvariable auf die in Tab. 6.12 gegebene diskrete Zufallsvariable ist ebenfalls in „Beispiel 6.20.xls“ implementiert. Mapping einer normalverteilten Zufallsvariable Das Mapping von Zufallszahlen auf eine Zufallszahl mit diskreter Verteilung lässt sich auch für andere Verteilungen als eine Gleichverteilung durchführen. Hat man eine normalverteilte Zufallsvariable Y vorliegen und will sie auf die in Tab. 6.12 gegebene diskrete Verteilung abbilden, so geht man ähnlich vor wie bei einer gleichverteilten Ausgangszufallsvariablen. Wieder muss man sicherstellen, dass die Wahrscheinlichkeiten der Bereiche, in die Y unterteilt wird, den vorgegebenen diskreten Wahrscheinlichkeiten entsprechen. Grafisch kann man dieses erreichen, indem man der Eins 30 % der Fläche unter der Dichtekurve der Normalverteilung zuordnet, der Zwei 50 % und der Drei die verbleibenden 20 % der Fläche (s. Abb. 6.14). 29 Abb. 6.14 Mapping einer standardnormalverteilten Zufallsvariable auf die in Tab. 6.12 gegebene diskrete Verteilung 29 Das Mapping wird hier für den Spezialfall einer Standardnormalverteilung durchgeführt, kann aber auch für eine beliebige Normalverteilung angewandt werden. <?page no="189"?> 190 6 Methoden zur Value-at-Risk-Bestimmung von Portfolios www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement Für die Umsetzung in Excel interessieren die Werte auf der x-Achse, d.h. die Grenze zwischen z.B. der Zuordnung zu einer Eins und einer Zwei. Wir wollen also wissen, unter welchem Wert auf der x-Achse 30 % der Werte einer Normalverteilung bleiben. Das ist aber genau das 30 %-Quantil der Normalverteilung. In Excel ist es durch die Funktion Norminv(0,3; 0; 1) zu ermitteln. Für die Grenze zwischen der Zwei und der Drei müssen wir das 80 %-Quantil der Normalverteilung bestimmen. Denn Werte, die größer als das 30 %-Quantil, aber kleiner als das 80 %-Quantil sind, treten ja mit einer Wahrscheinlichkeit von 50 % auf, d.h. der Wahrscheinlichkeit für eine Zwei. Abb. 6.15 zeigt das Mapping einer standardnormalverteilten Zufallsvariable auf die in Tab. 6.12 gegebene diskrete Verteilung. Abb. 6.15 Erzeugung der in Tab. 6.12 gegebenen diskreten Verteilung aus einer Standardnormalverteilung In Abb. 6.16 sind einige mögliche Realisationen der in Abb. 6.15 implementierten Zufallsvariablen gezeigt. Abb. 6.16 Mögliche Realisationen für die Programmierung in Abb. 6.15 Auch das Mapping einer standardnormalverteilten Zufallsvariable auf die in Tab. 6.12 gegebene diskrete Zufallsvariable findet sich in „Beispiel 6.20.xls“. 6.6.3.5 Monte-Carlo-Simulation für Portfolios Ein Portfolio von verschiedenen Anlageprodukten ist in der Regel von einer Vielzahl von Risikofaktoren abhängig. Unterstellt man - indem man das Risiko über eine Monte-Carlo-Simulation bewertet -, dass man die gemeinsame Verteilung der Risikofaktoren kennt, so muss man auch die Korrelationen der Risikofaktoren berücksichtigen. Exkurs 6.3 stellt dar, wie man aus unabhängigen normalverteilten Zufallsvariablen korrelierte Zufallsvariablen erzeugt. Exkurs 6.3 Generierung korrelierter Zufallsvariablen Sind X 1 und X 2 unabhängige, standardnormalverteilte Zufallsvariablen, so erhält man durch <?page no="190"?> 6.6 Simulationsmethoden 191 www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement (6.15) 2 2 1 2 1 1 1 X X Y X Y mit der Korrelation korrelierte, normalverteilte Zufallsvariablen Y 1 und Y 2 . In einem weiteren Schritt können Y 1 und Y 2 so transformiert werden, dass sie die erwarteten Renditen μ 1 und μ 2 und die Volatilitäten 1 und 2 erhalten. Dieses Verfahren lässt sich für mehr als zwei Zufallsvariablen verallgemeinern. Um korrelierte Zufallsvariablen zu erzeugen, nimmt man eine Cholesky- Zerlegung der nxn-Korrelationsmatrix R vor. Die Cholesky-Zerlegung erzeugt aus einer symmetrischen 30 Matrix eine Dreiecksmatrix L, die nur Einträge auf und unter der Diagonalen enthält. Die Werte über der Diagonalen sind Null. Multipliziert man diese linke untere Dreiecksmatrix L mit ihrer Transponierten L T ( QR-Glossar), so ergibt sich wieder die Korrelationsmatrix, d.h. L · L T = R. Durch Multiplikation eines Zeilenvektors von unabhängigen, normalverteilten Zufallsvariablen mit der Transponierten L T erhält man einen Zeilenvektor korrelierter Zufallsvariablen. Dieser besitzt die Korrelationen, die durch die ursprüngliche Korrelationsmatrix R vorgegeben waren. Die Cholesky-Zerlegung erfolgt dabei Spalte für Spalte. Die Einträge l ij der unteren Dreiecksmatrix erhält man über (6.16) j i l l r l j i l r j i l j k jk ik ij jj i k ik ii ij , 1 , , 0 1 1 1 1 2 Es ist einfach zu zeigen, dass Formel (6.15) ein Spezialfall der Cholesky- Zerlegung in (6.16) für eine 2x2-Korrelationsmatrix ist. Im Fall zweier Zufallsvariablen mit Korrelation vereinfacht sich die Korrelationsmatrix R zu 1 1 R . Die Cholesky-Zerlegung aus (6.16) ergibt nacheinander 30 Die Matrix muss zusätzlich positiv definit sein. Es soll hier auf die Eigenschaft der positiven Definitheit nicht näher eingegangen werden und im weiteren Verlauf vorausgesetzt werden, dass die betrachteten Korrelationsmatrizen positiv definit sind. <?page no="191"?> 192 6 Methoden zur Value-at-Risk-Bestimmung von Portfolios www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement 2 22 21 11 1 , , 1 1 l l l und damit . 1 0 1 2 L Hat man nun unabhängige Zufallsvariablen X 1 und X 2 , so ergibt . 1 , 1 0 1 , , , 2 2 1 1 2 2 1 2 1 2 1 X X X X X L X X Y Y T den in Formel (6.15) gegebenen Vektor korrelierter Zufallsvariablen. Beispiel 6.21 Wir betrachten erneut das in Beispiel 6.15 beschriebene Portfolio, das eine Anleihe mit einer Restlaufzeit von einem Jahr und einem Kuponzinssatz von 4 % p.a. sowie eine US-Dollar-Position in Höhe von 5.000 $ enthält. In Beispiel 6.15 hatten wir das Risiko dieses Portfolios mit der historischen Simulation bewertet. Jetzt wollen wir zum Vergleich eine Bewertung mit der Monte-Carlo- Simulation vornehmen. Wir gehen wieder davon aus, dass heute der 9. März 2012 ist und ein Value at Risk zu einem Konfidenzniveau von 99 % für einen Zeithorizont von einem Tag berechnet werden soll. Das Portfolio hängt vom aktuellen Ein-Jahreszinssatz (Risikofaktor r 1 ) und vom EUR/ USD-Wechselkurs (Risikofaktor r 2 ) ab. Der Ein-Jahreszinssatz betrug am 9. März 2012 1,35 % p.a., für einen Euro erhielt man 1,313 $. Um die Monte-Carlo- Simulation durchführen zu können, gehen wir davon aus, dass die Änderungen sowohl des Zinssatzes als auch des EUR/ USD-Wechselkurses normalverteilt sind. Die für die Modellierung der normalverteilten Veränderungen benötigten Parameter, d.h. den Erwartungswert und die Standardabweichung der Veränderungen beider Risikofaktoren, sowie die gemeinsame Korrelation der Veränderungen schätzen wir auf Basis historischer Daten. Dazu können wir die Daten aus Beispiel 6.15 verwenden. Für die tägliche Veränderung des Ein-Jahreszinssatzes erhält man einen Erwartungswert von 0,0001 % und eine Standardabweichung von 0,0177 %, für die tägliche Veränderung des EUR/ USD-Kurses einen Erwartungswert von -0,0001 und eine Standardabweichung von 0,0099. Die Korrelation beider Parameter beträgt 0,13. <?page no="192"?> 6.6 Simulationsmethoden 193 www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement Pro Simulationsschritt erzeugen wir zwei normalverteilte unabhängige Zufallsvariablen. Diese Zufallsvariablen transformieren wir auf korrelierte normalverteilte Zufallsvariablen (Abb. 6.17 zeigt die Implementierung in Excel). Abb. 6.17 Erzeugung von korrelierten Zufallsvariablen zur Simulation der Veränderungen zweier Risikofaktoren Die auf diese Weise simulierten Veränderungen des EUR/ USD-Kurses in Spalte E und des Ein-Jahreszinssatzes in Spalte F werden zu den aktuellen Werten der Risikofaktoren addiert, so dass sich simulierte Risikofaktoren für den nächsten Tag ergeben. Nehmen wir an, der Rechner habe in der ersten Simulation folgende Veränderungen für die Risikofaktoren „gewürfelt“: für den EUR/ USD-Kurs eine Veränderung um 0,013 und für den Ein-Jahreszinssatz eine Veränderung von -0,0026 %. Dann ergibt sich ein simulierter EUR/ USD-Kurs von 1,313+0,013 = 1,326 und ein simulierter Ein-Jahreszinssatz von 1,35 %-0,0026 %=1,3474 %. Mit den so simulierten Risikofaktoren bewertet man die USD-Position und die Anleihe. Dann erhält man für die Dollarposition einen in Euro gemessenen Wert von € 68 , 770 . 3 € / $ 321 , 1 $ 000 . 5 und für die Anleihe einen Wert von €. 17 , 0261 . 1 013474 , 0 1 € 040 . 1 Damit beträgt der Wert des Portfolios 1.026,17 € + 3.770,68 € = 4796,85 € und damit die Veränderung des Portfoliowertes in Bezug zum aktuellen Portfoliowert 4796,85 € - 4834,22 €=-37,37 €. Abb. 6.18 zeigt die Implementierung der Berechnungen in Excel. <?page no="193"?> 194 6 Methoden zur Value-at-Risk-Bestimmung von Portfolios www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement Abb. 6.18 Berechnung des Portfoliowertes und des Gewinns bzw. Verlustes gegenüber dem aktuellen Wert Auf diese Art kann man wiederum n Simulationen durchführen. Wir wählen in diesem Beispiel n=10.000. In einem letzten Schritt werden - genau wie bei der historischen Simulation - die Gewinne und Verluste aufsteigend sortiert und der Value at Risk als Quantil einer Liste von Werten (s. Abschnitt 4.5.1) bestimmt. 1 % von 10.000 Simulationen sind 100. Damit wählt man für den Value at Risk zum Konfidenzniveau 99 % den 101. Wert in der geordneten Liste. Das Ergebnis hängt wieder vom Simulationslauf ab. Es kann einmal 64,35 € betragen, einmal 64,71 €. Es weicht von dem in Beispiel 6.15 über die historische Simulation ermittelten Ergebnis von 63,06 € leicht ab. Diese Abweichung kann daher rühren, dass die Veränderungen der Risikofaktoren durch eine Normalverteilung nicht adäquat angenähert werden. Sie kann aber auch an der hohen Volatilität der Quantile bei historischen Simulationen mit geringer Simulationsanzahl liegen (vgl. Exkurs 6.1). In der Datei „Beispiel 6.21.xls“ kann die Vorgehensweise noch einmal nachvollzogen werden. Beispiel 6.22 In Beispiel 6.12 hatten wir den Value at Risk eines Portfolios bestehend aus einer Aktie der Sunshine AG (erwartete Rendite: 8 % p.a., Standardabweichung: 30 % p.a., heutiger Kurs S=75 €) sowie einer Call-Option auf die Rainman Inc. (erwartete Rendite: 5 % p.a., Standardabweichung: 20 % p.a., heutiger Kurs S=105 €, Korrelation Sunshine AG - Rainman Inc.: -0,7) mit Hilfe der Varianz-Kovarianz-Methode berechnet. Das Konfidenzniveau lag bei 95 %, die Haltedauer des Portfolios betrug zehn Tage. Die Option hatte einen Ausübungspreis von 102 € bei einer Restlaufzeit von drei Monaten, der risikolose Zinssatz betrug 5% p.a. Die Berechnung sei durch eine Monte-Carlo-Simulation überprüft. Mit der Monte- Carlo-Simulation werden die Aktienkurse am Ende der Haltedauer des Portfolios simuliert. Für jeden der simulierten Kurse der Rainman Inc. wird ein Optionspreis berechnet. So ergibt sich ein simulierter Wert des gesamten Portfolios, aus dem sich mögliche Gewinne und Verluste des Portfolios, die nicht auf Näherungen basieren, gewinnen lassen, in dem man von den simulierten Portfoliowerten den aktuellen Portfoliowert abzieht. Der über die Monte-Carlo-Simulation berechnete Value at Risk des Portfolios, der je nach Simulationslauf um 4,30 € schwankt, weicht daher von dem über die Näherung duch die Varianz-Kovarianz-Methode in Beispiel 6.12 angegebenen Value at Risk <?page no="194"?> 6.6 Simulationsmethoden 195 www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement von 6,56 € ab. Er bildet das „wahre“ Risiko eines Verlustes besser ab als die analytische Näherung. Die Monte-Carlo-Simulation für das Portfolio aus Aktie und Call-Option ist in „Beispiel 6.22.xls“ implementiert. 6.6.3.6 Vor- und Nachteile der Monte-Carlo-Simulation Vorteile Vollständige Bewertung des Portfolios Wie bei der historischen Simulation nimmt auch die Monte-Carlo-Simulation eine Bewertung des Portfolios zu Marktpreisen vor. Die Risikofaktoren werden simuliert und in die Bewertungsformeln der im Portfolio enthaltenen Instrumente eingesetzt. Dadurch erhält man die wirklichen Werte der Instrumente, wenn sich die Risikofaktoren so entwickeln wie simuliert. Wie auch bei der historischen Simulation braucht man daher keine Approximationen vorzunehmen. Der einzige Unterschied zur historischen Simulation besteht in der Art, wie die Simulation der Risikofaktoren erfolgt. Große Anzahl von Simulationen leicht möglich Im Gegensatz zur historischen Simulation erlaubt es die Monte-Carlo-Simulation, beliebig viele Simulationen durchzuführen, um die statistische Genauigkeit der geschätzten Risikoparameter zu erhöhen. Limitationen bestehen in Excel nur in der Größe eines Tabellenblattes und in der Reduktion der Rechengeschwindigkeit bei einer großen Anzahl von Simulationen. Die Größeneinschränkung lässt sich aber durch eine Programmierung, z.B. in Visual Basic, bereits beheben. Auch die Rechengeschwindigkeit bedeutet bei der heutigen Leistungsfähigkeit der Prozessoren kaum eine Einschränkung. Nachteile Verteilungsannahmen müssen getroffen werden Zur Simulation zukünftiger Risikoparameter muss bei der Monte-Carlo-Simulation eine Verteilungsannahme getroffen werden. Dadurch enthält die Monte-Carlo-Simulation ein Modellrisiko, das darin besteht, dass die „wahre“ Verteilung von der für die Simulation verwendeten Verteilung abweichen kann. Dieses ist z.B. dann der Fall, wenn man für die Simulation von einer Normalverteilung der Parameter ausgeht, diese aber tatsächlich nicht normalverteilt sind. Allerdings beschränkt sich die Monte-Carlo- Simulation nicht auf die Verwendung von Normalverteilungen. Es können beliebige andere Verteilungen verwendet werden. Allerdings sind normalverteilte Zufallsvariablen leicht zu implementieren, weswegen wir in dieser Einführung auch häufig auf normalverteilte Parameter zurückgreifen. <?page no="195"?> 196 6 Methoden zur Value-at-Risk-Bestimmung von Portfolios www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement 6.7 Zusammenfassung Verfahren zur Ermittlung des Value at Risk können in analytische Verfahren (Varianz-Kovarianz-Methode) und Simulationsmethoden (historische Simulation und Monte-Carlo-Simulation) aufgeteilt werden. Bei der Varianz-Kovarianz-Methode wird eine gemeinsame Normalverteilung der Renditen aller im Portfolio vorhandenen Anlageprodukte angenommen. Die Portfolioparameter Erwartungswert und Standardabweichung lassen sich über die Erwartungswerte, Standardabweichungen und Korrelationen der Einzelrenditen bestimmen. Simulationen erlauben die Lösung von Problemen, deren analytische Berechnung komplex oder unmöglich ist. Bei der historischen Simulation wird aus den Veränderungen der Risikofaktoren eines Portfolios in der Vergangenheit die Veränderung der Risikofaktoren für die Zukunft simuliert. Durch Berechnung der Portfoliowerte mit den simulierten Risikofaktoren kann eine mögliche Gewinn- und Verlustverteilung für die Zukunft erstellt werden. Um den Value at Risk eines Portfolios zu bestimmen, kann man mögliche Gewinne und Verluste des Portfolios simulieren. Der Value at Risk zum Konfidenzniveau p ergibt sich als (1-p)-Quantil der entstehenden Verteilung der Gewinne und Verluste. Da Vergangenheitsdaten verwendet werden, kommt die historische Simulation ohne Verteilungsannahmen aus. Insbesondere werden auch keine Korrelationen zwischen den Variablen benötigt. Die Korrelation ist aber implizit in den Daten enthalten. Bei der Auswahl des Zeitfensters bei der historischen Simulation gilt es, einen Kompromiss zwischen einer großen Anzahl n von Daten für eine hohe statistische Genauigkeit und möglichst hoher Aktualität der Daten zu erzielen. Durch die exponentielle Gewichtung bekommen Daten, die weit in die Vergangenheit zurückreichen, ein kleineres Gewicht als aktuelle Daten. Dadurch kann man das Zeitfenster der Daten weiter in die Vergangenheit hineinreichen lassen - und damit die Datenbasis erhöhen - als bei einer Gleichgewichtung der Daten. Für die Monte-Carlo-Simulation muss die Verteilung der verwendeten Risikofaktoren bekannt sein oder in einem Modell angenommen werden. Der Excel-Befehl „Zufallszahl()“ erzeugt auf [0,1] gleichverteilte Zufallszahlen. Normalverteilte Zufallsvariablen können durch das Add-In „Analyse-Funktionen“ bestimmt werden. Hierbei ist keine erneute Berechnung durch F9 möglich. Zwei gleichverteilte Zufallszahlen kann man durch die Box-Muller-Methode in zwei standardnormalverteilte Zufallsvariablen transformieren. Wendet man bei der Inversionsmethode die Quantilsfunktion einer beliebigen stetigen Ausgangsverteilung auf eine gleichverteilte Zufallsvariable an, so erhält man eine Zufallsvariable, die verteilt ist wie die Ausgangsverteilung. Über ein Mapping lassen sich sowohl gleichverteilte als auch normalverteilte Ausgangszufallsvariablen auf eine Zufallsvariable mit einer diskreten Verteilung abbilden. Über eine Cholesky-Zerlegung der Korrelationsmatrix lassen sich unabhängige Zufallsvariablen in korrelierte Zufallsvariablen transformieren. <?page no="196"?> 6.8 Literatur 197 www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement Bei der Bestimmung des Value at Risk über Monte-Carlo-Simulationen werden Marktpreise der im Portfolio enthaltenen Produkte berechnet. Für die Monte-Carlo- Simulation ist eine beliebig große Anzahl von Simulationen möglich. Bei der Berechnung des Value at Risk über die Monte-Carlo-Simulation müssen Verteilungsannahmen für die Risikofaktoren getroffen werden. Dadurch entsteht ein Modellrisiko. 6.8 Literatur 6.8.1 Im Text zitierte Literatur Ariva.de (URL): EUR/ USD (Euro/ US-Dollar), URL: http: / / www.ariva.de/ eurodollar-kurs/ historische_kurse (Stand: 7.12.2013) Box, G. E. P. & Muller, M. E. (1958): A note on the generation of random normal deviates. Annals of Mathematical Statistics, 29(2), S. 610-611. Deutsche Bundesbank (URL): Zeitreihe BBK01.WT3311: Zinsstrukturkurve (Svensson-Methode) / Hypothekenpfandbriefe und Öffentliche Pfandbriefe / 1,0 Jahr(e) RLZ / Tageswerte, URL: http: / / www.bundesbank.de/ Navigation/ DE/ Statistiken/ Zeitreihen_Datenbanken/ Makrooekonomische_Zeitreihen/ its_details_value_ node.html? tsId=BBK01.WT3311&dateSelect=2012 (Stand: 7.12.2013) Die Welt (URL): Schallplatten können Beatles-Fans reich machen, URL: http: / / www.welt.de/ finanzen/ geldanlage/ article12812143/ Schallplatten-koennen- Beatles-Fans-reich-machen.html, Artikel vom 14.3.2011 (Stand: 30.11.2013) Hull, J. (2011): Risikomanagement - Banken, Versicherungen und andere Finanzinstitutionen, 2. Auflage, München: Pearson. Huschens, S. (2000): Value-at-Risk-Berechnung durch historische Simulation, Dresdner Beiträge zu Quantitativen Verfahren, 30/ 00. Kendall, M.G. & Stuart A. (1972): The Advanced Theory of Statistics, Vol. 1: Distribution Theory, 4. Aufl., London: Charles Griffin and Co. Kolonko, M. (2008): Stochastische Simulation - Grundlagen, Algorithmen und Anwendungen, Wiesbaden: Springer. Manganelli, S. & Engle, R. F. (2001): Value at Risk models in finance, Working Paper Series 075, European Central Bank. Runzheimer, B. (1988): Operations Research II - Methoden der Entscheidungsvorbereitung bei Risiko, 2. Aufl., Wiesbaden: Gabler. 6.8.2 Ergänzende und weiterführende Literatur Boudoukh, J., Richardson, M. P. & Whitelaw, R. F. (1998): The Best of Both Worlds: A Hybrid Approach to Calculating Value at Risk, Risk, 11, S.64-67. <?page no="197"?> 198 6 Methoden zur Value-at-Risk-Bestimmung von Portfolios www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement 6.9 Kontrollfragen 1. Welche Aussage bezüglich der Vorteile der historischen Simulation ist falsch? Korrelationen müssen nicht geschätzt werden, sie werden aber dennoch implizit berücksichtigt. Es muss keine Verteilung angenommen werden. Fat tails werden im Gegensatz zum analytischen Ansatz berücksichtigt. Bei stark volatilen Märkten in der Vergangenheit liefert die historische Simulation genaue Ergebnisse. 2. Was ist einer der Hauptkritikpunkte an der historischen Simulation? Die Daten sind nur sehr schwer zu beschaffen. Es handelt sich um ein komplexes Verfahren. Es werden Vergangenheitsdaten verwendet, um zukünftige Werte zu prognostizieren. 3. Durch eine Hinzunahme weiterer Daten in die Datenbasis wird die hohe Varianz der Quantile bei der historischen Simulation erhöht verringert überhaupt nicht verändert. 4. Welches Ziel wird verfolgt, wenn bei der historischen Simulation die einzelnen Gewinne und Verluste gewichtet werden? Aktuellere Daten werden weniger stark gewichtet und dadurch weniger stark berücksichtigt. Aktuellere Daten werden stärker gewichtet und dadurch stärker berücksichtigt. Die Daten werden gleichgewichtet und daher alle gleich stark berücksichtigt. 5. Die Monte-Carlo-Simulation ersetzt die rechnerische Lösung ist eine Alternative zur analytischen Lösung, wenn die rechnerische Lösung zu schwierig ist oder ein Problem rechnerisch nicht lösbar ist. <?page no="198"?> 6.10 Aufgaben 199 www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement 6. In Excel muss man alle Zufallszahlen als gleichverteilt ansehen kann man normalverteilte Zufallszahlen durch Transformation erzeugen. 7. Mit der Monte-Carlo-Simulation kann man verschiedene Parameter einer Verteilung, wie z.B. auch Quantile berechnen nur Mittelwerte bestimmen. 6.10 Aufgaben Aufgabe 6.1 In der Excel-Datei „Aufgabe 6.1.xls“ sind historische Daten der Volkswagen AG und der SAP AG des Zeitraums 25.6.2012 bis 25.6.2013 gegeben. Berechnen Sie die Korrelation zwischen den Renditen beider Aktien und veranschaulichen Sie diese grafisch! Aufgabe 6.2 In der Excel-Datei „Aufgabe 6.2.xls“ finden Sie die Renditen zweier fiktiver Wertpapiere aus sechs aufeinanderfolgenden Jahren. Veranschaulichen Sie sich Formeln (6.7) und (6.8) für die Parameter eines Portfolios, indem Sie a) pro Jahr die Portfoliorendite berechnen und aus den sechs Portfoliorenditen die erwartete Portfoliorendite und die Portfoliostandardabweichung berechnen! b) die erwartete Rendite und die Standardabweichung jedes Wertpapiers sowie die zwischen den Wertpapieren bestehende Korrelation berechnen und die erwartete Portfoliorendite und die Portfoliostandardabweichung über Formeln (6.7) und (6.8) bestimmen! Aufgabe 6.3 Heute sei der 25.6.2013. Verwenden Sie die Daten aus „Aufgabe 6.1.xls“ und berechnen Sie für ein Portfolio, das aus einer Aktie der Volkswagen AG und einer Aktie der SAP AG besteht, den Value at Risk für einen Zeithorizont von einem Tag und ein Konfidenzniveau von 95 % a) mit einer historischen Simulation b) mit der Varianz-Kovarianz-Methode, d.h. über die Anpassung einer gemeinsamen Normalverteilung an die Daten! <?page no="199"?> 200 6 Methoden zur Value-at-Risk-Bestimmung von Portfolios Aufgabe 6.4 Bestimmen Sie den Value at Risk zu einem Konfidenzniveau von 95 % und einer Haltedauer von einem Monat für die Put-Option aus Aufgabe 5.6 (aktueller Aktienkurs: 90 €, Ausübungskurs: 95 €, Volatilität: 15 %, risikoloser Zinssatz: 3 % p.a., erwartete stetige Rendite: 3 % p.a., Ausübungszeitpunkt: in 3 Monaten) mit einer Monte-Carlo- Simulation! Aufgabe 6.5 Sie besitzen eine Anleihe mit einem Nennwert von 1.000 €, einem Kuponzinssatz von 5 % und einer Restlaufzeit von drei Jahren. Der aktuelle Marktzinssatz liege bei 4 % p.a. Die Zinsstrukturkurve sei flach, d.h. der Zinssatz von 4 % p.a. gilt für alle Laufzeiten. Auch in den nächsten Monaten wird die Zinsstrukturkurve flach bleiben. Die Änderung des Zinssatzes innerhalb eines Monats sei normalverteilt mit einem Erwartungswert von 0,2 % und einer Standardabweichung von 2 %. Ermitteln Sie mit der Monte-Carlo-Simulation den Value at Risk Ihrer Anleihe bei einer Haltedauer von einem Monat und einem Konfidenzniveau von 95 %. Ignorieren Sie dabei, dass sich innerhalb dieses Monats die Restlaufzeit der Anleihe verkürzt! Gehen Sie weiterhin von einer Restlaufzeit von drei vollen Jahren aus! Führen Sie 1.000 Simulationen durch! <?page no="200"?> www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement 7 Kreditrisiko 7.1 Lernziele Nach der Bearbeitung dieses Kapitels sollten Sie das Kreditrisiko im engeren und weiteren Sinne definieren können wissen, dass Verluste aus Kreditrisiken nicht normalverteilt sind zwischen dem erwarteten und unerwarteten Verlust unterscheiden können und wissen, dass der erwartete Verlust bereits in den Zinssatz des Kredits eingerechnet ist wissen, was Rating-Klassen sind und wie Ausfallwahrscheinlichkeiten für diese bestimmt werden verstehen, wie Bonitätsveränderungen in Migrationswahrscheinlichkeiten abgebildet werden wissen, was Recovery Rates sind und dass diese nicht von den Ausfallwahrscheinlichkeiten unabhängig sind den Marktwert eines Kredits über den risikolosen Zinssatz und den Credit Spread seiner Rating-Klasse bestimmen können zwischen Default-Mode- und Mark-to-Market-Modellen unterscheiden können für Default-Mode- und Mark-to-Market-Modelle eine Quantifizierung des erwarteten und unerwarteten Verlustes durch eine analytische Berechnung und eine Monte- Carlo-Simulation vornehmen können. <?page no="201"?> 202 7 Kreditrisiko www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement 7.2 Einführung Beispiel 7.1 Sie haben es sich zum Hobby gemacht, ehemaligen Schulkollegen, die in finanziellen Schwierigkeiten sind, mit Krediten geringen Volumens aus der Patsche zu helfen. Auch Ihre Freunde Yannick und Zachary sind in die Kreditvergabe eingestiegen. Jeder von Ihnen dreien arbeitet selbstständig. Manchmal handeln Sie aber auch mit Krediten und der eine kauft den ausstehenden Kredit eines anderen und umgekehrt. Vor einem Jahr haben Sie an Anton und Bastian je einen Kredit über 10.000 € gegeben. Beide Kredite sollten zwei Jahre lang laufen, sie sollten endfällig getilgt werden, wobei die Zinszahlungen aber jährlich innerhalb der Laufzeit des Kredits geleistet werden sollten. In Ihrem internen Bewertungssystem von Schuldnern, in dem Sie die Kategorien „1a - sehr guter Schuldner“, „gute 2 - guter Schuldner“, „3 - mittelmäßiger Schuldner“ und „4 minus - sieht schlecht aus mit dem Schuldner“ eingerichtet haben, hatten Anton und Bastian zu Beginn der Laufzeit ihrer Kredite vor zwei Jahren beide die Bewertung „gute 2 - guter Schuldner“. Mit beiden Schuldnern haben Sie einen Zinssatz von 5 % p.a. ausgemacht, der Marktzinssatz für risikolose Anlagen lag bei 3 % p.a. Dem internen Bewertungssystem folgen auch Yannick und Zachary. Inzwischen, ein Jahr später, ist klar, dass Anton pleite ist. Er kann weder den Kreditbetrag noch die Zinsen begleichen. Für ihn haben Sie somit einen Zahlungsausfall von 500 € heute und 10.500 € in einem Jahr zu verzeichnen. Aber auch bei Bastian sieht es nicht gut aus. Er zahlt zwar heute noch die 500 € für die Zinsen des ersten Jahres zurück. Aufgrund einer Verkettung von Zwischenfällen ist er aber in die Kategorie „4 minus - sieht schlecht aus mit dem Schuldner“ abgerutscht. Von Schuldnern dieser Kategorie verlangen Sie normalerweise einen Zinssatz von 25 % p.a. Bastian zahlt aber natürlich weiterhin nur die vereinbarten 5 % p.a. Das haben Sie ja vertraglich mit ihm ausgemacht. Es ist Ihnen zu riskant, den Kredit an Bastian weiter zu halten. Sie wollen ihn an Yannick oder Zachary verkaufen. Die beiden sind nun aber nicht mehr bereit, Ihnen die volle Kreditsumme von 10.000 € zu bezahlen, da es in den Sternen steht, ob Bastian diese in einem Jahr zurückzahlen kann. Sie zahlen nur noch den Marktwert des Kredits in Höhe von € 400 . 8 25 , 1 € 500 . 10 , der sich ergibt, wenn man die ausstehende Zahlung von Bastian zum Marktzinssatz für „4 minus - sieht schlecht aus mit dem Schuldner“-Schuldner abzinst. Wenn einer von ihnen nämlich heute einen Kredit von 8.400 € an einen „4 minus - sieht schlecht aus mit dem Schuldner“-Schuldner vergeben würde, würde er mit diesem ja einen Zinssatz von 25 % p.a. ausmachen. Nach einem Jahr erhielte er dann <?page no="202"?> 7.3 Begriff und Besonderheiten des Kreditrisikos 203 www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement € 500 . 10 25 , 1 € 400 . 8 zurück. Genau die Summe, die Bastian ja auch nach einem Jahr hätte zurückzahlen sollen. 7.3 Begriff und Besonderheiten des Kreditrisikos 7.3.1 Definitionen Das Kreditrisiko kann im engeren und weiteren Sinne definiert werden. Definition 7.1: Das Kreditrisiko im engeren Sinne, das Ausfallrisiko, bezeichnet das Risiko, dass ein Schuldner seinen Zahlungsverpflichtungen (Zins- und Tilgungszahlungen) nicht vollständig oder nicht termingerecht nachkommen kann (vgl. Hartmann-Wendels, Pfingsten und Weber, 2007, S. 439). Nach Definition 7.1 ist auch ein Zahlungsverzug als Verlust aus dem Kreditrisiko im engeren Sinn zu werten. Ein Zahlungsverzug kann als Verlust durch die fehlenden Erträge aus der Wiederanlage des Kapitals gesehen werden. Um für die Quantifizierung eine klarere Eingrenzung vornehmen zu können, definieren wir das Kreditrisiko in diesem Abschnitt noch enger. Definition 7.2: Das Kreditrisiko im engen Sinne soll hier das Risiko bezeichnen, dass ein Schuldner seinen Zahlungsverpflichtungen nicht oder nicht vollständig nachkommen kann. 31 Beispiel 7.2 (Fortführung von Beispiel 7.1) Anton kann seinen Kredit weder tilgen noch seinen Zinsverpflichtungen nachkommen. Sein Kredit ist ausgefallen. Für Sie als Gläubiger ist das Kreditrisiko im engeren Sinne schlagend geworden. Definition 7.3: Das Kreditrisiko im weiteren Sinne, auch Bonitätsrisiko oder Migrationsrisiko genannt, bezeichnet das Risiko, dass ein Schuldner in seiner Bonität herabgestuft wird. Das Kreditrisiko im weiteren Sinne führt über die Herabstufung der Bonität des Schuldners zu einem Wertverlust des Kredits. Dieses wird vor allem dann deutlich, wenn Kredite gehandelt werden. Insbesondere trifft dieses auf börsengehandelte Anleihen zu, die einen Kredit an den Emittenten der Anleihe darstellen. Wird der Emit- 31 Das nicht vollständige Nachkommen der Zahlungsverpflichtungen, wie in Definition 7.1 aufgeführt, kann bei der Quantifizierung als Zahlungsausfall mit einer Recovery Rate (s. Abschnitt 7.4.1.3) behandelt werden. <?page no="203"?> 204 7 Kreditrisiko www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement tent in der Bonität herabgestuft, wollen weniger Investoren die Anleihe, die nun ein höheres Ausfallrisiko beinhaltet, kaufen. Ein potenzieller Käufer ist nur noch bereit, die Anleihe zu einem niedrigeren Kurs zu kaufen, so dass das höhere Ausfallrisiko, das er eingeht, durch eine entsprechend höhere Rendite kompensiert wird. Beispiel 7.3 (Fortführung von Beispiel 7.1) In Bastians Fall ist das Kreditrisiko im weiteren Sinne schlagend geworden. Durch die Herabstufung seiner Bonität auf „4 minus - sieht schlecht aus mit dem Schuldner“ ist der Marktwert seines Kredits deutlich von 10.000 € auf 8.400 € gefallen. Das Kreditrisiko im engen Sinn stellt einen Spezialfall des Kreditrisikos im weiteren Sinne dar. Der Ausfall eines Kredits kann als eine Herabstufung des Kreditnehmers auf Zahlungsunfähigkeit gesehen werden. In den noch vorzustellenden Rating-Klassen (s. Abschnitt 7.4) der Rating-Agenturen gibt es so auch das Rating „D“ für Default, d.h. die Zahlungsunfähigkeit des Kreditnehmers. Definition 7.4: Das Exposure at Default (EaD) gibt die zum Zeitpunkt des Kreditausfalls offene erwartete Höhe der Forderung an. Das Exposure at Default wird im Allgemeinen als noch nicht getilgter Kreditbetrag zuzüglich offener Kreditlinien verstanden, da davon ausgegangen wird, dass ein Schuldner kurz vor einer Zahlungsunfähigkeit versucht, alle Kreditlinien auszuschöpfen, um die Zahlungsunfähigkeit zu verzögern. Beispiel 7.4 (Fortführung von Beispiel 7.1) Für Anton beträgt das Exposure at Default 10.500 €. Der in einem Jahr anfallende Betrag von 10.500 € aus Kredittilgung und den dann noch offenen Zinsen hat einen Barwert von 10.000 €. Anton kann aber schon die heutige Zinszahlung von 500 € nicht begleichen, so dass sein Exposure at Default insgesamt 10.500 € beträgt. 7.3.2 Verteilung von Kreditrisiken Anders als bei Marktpreisrisiken ist die Verteilung von Kreditrisiken nicht symmetrisch. Am einfachsten sieht man das, wenn man von einem einzigen Kredit ausgeht (s. Beispiel 7.5) und zunächst nur das Kreditrisiko im engen Sinne betrachtet. Fällt der Kredit aus, so soll er vollständig ausfallen. Beispiel 7.5 Sie haben einem Freund einen Kredit über 100 € gegeben. Der Kredit habe einen Kreditzinssatz von 5 % p.a. Nennwert und Zinssatz sind in einem Jahr zurückzuzahlen. Die Wahrscheinlichkeit für eine Zahlungsunfähigkeit des Kreditnehmers liege bei 10 %. Wenn der Kredit ausfällt, so gibt es keine Möglichkeit, auf Sicherheiten zurückzugreifen. Betrachtet man das Kreditrisiko im engen Sinne, so gibt es nur zwei Alternativen. Entweder der Kredit wird ordnungsgemäß bedient, d.h. es ergibt sich ein Verlust von 0 €. Oder der Schuldner wird zahlungsunfähig und kann den Kredit nicht zurückzahlen. Dann entsteht dem Kreditgeber ein Verlust in Höhe von 105 € (s. Abb. 7.1). <?page no="204"?> 7.3 Begriff und Besonderheiten des Kreditrisikos 205 www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement Abb. 7.1 Verteilung der möglichen Wertänderung eines Kredits in Höhe von 100 €, Kuponzinssatz 5 % p.a., Laufzeit: 1 Jahr, Ausfallwahrscheinlichkeit: 10 % Die Verteilung ist offensichtlich nicht symmetrisch. Sie ist deutlich rechtssteil und damit linksschief ( QR-Glossar). Mit einer recht großen Wahrscheinlichkeit fällt der Kredit nicht aus. Dann ist der Ihnen entstehende Verlust Null. Mit einer relativ geringen Wahrscheinlichkeit fällt der Kredit jedoch aus. In diesem Fall ist der Verlust aber hoch, der gesamte Kreditbetrag einschließlich der Zinsen geht Ihnen verloren. Diese extreme Situation ändert sich ein wenig, wenn man ein Portfolio mit mehreren Krediten betrachtet. Beispiel 7.6 (Fortführung von Beispiel 7.5) Nun vergeben Sie an zehn Ihrer Freunde Kredite. Alle Kredite sind genauso ausgestattet wie in Beispiel 7.5 (Nennwert: 100 €, Kreditzinssatz 5 %, Laufzeit 1 Jahr). Für jeden Ihrer Freunde beträgt die Wahrscheinlichkeit, dass er den Kredit nicht zurückzahlen kann, 10 %. Wir betrachten hier die Situation, dass der Ausfall des Kredites einer Ihrer Freunde unabhängig davon ist, ob der Kredit eines anderen Freundes ausgefallen ist oder nicht. Da Sie nun zehn Kredite vergeben haben, ist die Situation nicht mehr so extrem wie in Beispiel 7.5. Es muss nicht so sein, dass Sie entweder gar keinen Verlust oder einen Verlust in Höhe des Gesamtbetrags (1000 € plus den Zinsen von 50 €) verzeichnen müssen. Es kann auch sein, dass nur einer der zehn Kredite ausfällt, oder zwei oder drei etc. Da die Kreditausfälle untereinander unabhängig sind, ist die Zahl möglicher Ausfälle binomialverteilt. Auch ohne die Verteilung zu berechnen 32 , kann man intuitiv einsehen, dass es bei kleinen Wahrscheinlichkeiten für den einzelnen Kreditausfall häufiger vorkommen 32 Ist X die Zufallsvariable, die die Anzahl von unabhängigen Schadensfällen zählt, so beträgt die Wahrscheinlichkeit, dass genau k Schadensfälle eintreten, <?page no="205"?> 206 7 Kreditrisiko www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement wird, dass kein Kredit ausfällt, oder eventuell nur ein oder zwei Kredite, als dass acht, neun oder zehn Kredite ausfallen. Abb. 7.2 zeigt die Verteilung der Schadensfälle. Um die Schadenshöhe zu erhalten, müsste man die Anzahl der Schadensfälle noch mit dem ausfallenden Betrag pro Kredit, in unserem Fall 105 €, multiplizieren. Abb. 7.2 Verteilung der Schadensfälle bei zehn unabhängigen Krediten, Laufzeit: 1 Jahr, Ausfallwahrscheinlichkeit pro Kredit: 10 % Auch hier erkennt man die Linksschiefe der Verteilung. 33 Kleine Verluste bei z.B. keinem oder einem Kreditausfall treten sehr häufig auf, hohe Verluste nur mit sehr kleinen Wahrscheinlichkeiten. Diese sind hier mit dem Auge gar nicht mehr ablesbar, da ihre Wahrscheinlichkeiten so gering sind. 7.3.3 Erwarteter und unerwarteter Verlust Jeder Bank ist bewusst, dass ein Kredit, den sie vergibt, auch ausfallen kann. Die Verluste, die die Bank aus statistischen Erfahrungen erwartet, kalkuliert sie bei der Preisk n k p p k n k X P ) 1 ( ) ( , wobei p die Wahrscheinlichkeit des Ausfalls eines Kredits bezeichnet und n die Anzahl der ausgegebenen Kredite. 33 Bei sehr vielen unabhängigen Krediten strebt die Verteilung der Schadensfälle aufgrund des zentralen Grenzwertsatzes gegen eine Normalverteilung, die eine symmetrische Verteilung ist (vgl. z.B. auch Albrecht, 2005, S. 38). In der Praxis ist der Ausfall von Krediten untereinander aber nicht unabhängig. Sind Kreditausfälle korreliert, so ergeben sich die vorgestellten Verteilungsmuster wie in Abb. 7.1 bei einer vollständig positiven Korrelation ( =1) oder in Abb. 7.2 bei positiven Korrelationen, die kleiner als Eins sind, auch für hohe Anzahlen von Krediten. <?page no="206"?> 7.3 Begriff und Besonderheiten des Kreditrisikos 207 www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement kalkulation ihrer Kredite bereits ein. Sie wird den Zinssatz, den sie vom Kreditnehmer fordert, an seine Ausfallwahrscheinlichkeit anpassen. Die Bankenaufsicht erkennt daher an, dass erwartete Verluste nicht zusätzlich mit Eigenmitteln zu unterlegen sind. Zu unterlegen ist das Risiko, dass der wahre Verlust über den erwarteten Verlust hinausgeht (vgl. Hull, 2011, S. 279). Das eigentliche Risiko eines Kreditportfolios besteht darin, dass der Verlust wesentlich höher als der erwartete Verlust ist. Die eingepreisten Risikoaufschläge im Kreditportfolio reichen dann nicht mehr aus, um den Verlust abzudecken. Daher ist eine Hinterlegung dieser unerwarteten Verluste mit Eigenkapital gefordert. Nach dem Basler Ausschuss für Bankenaufsicht (1999, S. 14) bezeichnet das ökonomische Kapital die Differenz des Value at Risk bei vorgegebenem Konfidenzniveau zum erwarteten Verlust. Das ökonomische Kapital ist mit Eigenkapital zu unterlegen. Es wird oft auch als Credit Value at Risk (CVaR) bezeichnet. Zu gegebenem Konfidenzniveau p bezeichnet auch in diesem Abschnitt der Value at Risk weiterhin das (1-p)-Quantil, das mit 100·p % Wahrscheinlichkeit nicht überschritten wird. Die Differenz zum erwarteten Verlust wird als Credit Value at Risk bezeichnet und ist vom Value at Risk zu unterscheiden (s. Abb. 7.3). Abb. 7.3 Erwarteter Verlust, Value at Risk und Credit Value at Risk eines Kreditportfolios (Eigene Darstellung in Anlehnung an Hartmann-Wendels, Pfingsten und Weber, 2007) <?page no="207"?> 208 7 Kreditrisiko www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement 7.4 Ratings, Ausfallwahrscheinlichkeiten und Recovery Rates 7.4.1 Rating-Systeme Ein Rating drückt die „Meinung eines spezialisierten Finanzintermediärs - der Rating- Agentur - hinsichtlich der Bonität eines Schuldners als seiner Fähigkeit und Willigkeit seinen Zahlungsverpflichtungen aus der Begebung von Schuldverschreibungen vollständig und termingerecht nachzukommen“ (Everling und Schneck, 2004, S. 27) aus. Dabei kann die Beurteilung als externes Rating durch darauf spezialisierte Rating- Agenturen wie z.B. Standard & Poor’s, Moody’s oder Fitch erfolgen. Neben dem externen Rating kann eine Bank aber auch nach eigenen Kriterien eine Einstufung der Kreditwürdigkeit ihrer Schuldner durchführen. Man spricht dann von einem internen Rating (eine einfache Anwendung eines internen Ratings wurde in Beispiel 7.1 gezeigt). Standard & Poor’s Moody’s Fitch AAA Aaa AAA AA Aa AA A A A BBB Baa BBB BB Ba BB B B B CCC Caa CCC CC Ca CC (C - nur bei Emissionen) Ca C D C DDD/ DD/ D Tab. 7.1 Langfristige Rating-Klassen der drei Rating-Agenturen Standard & Poor’s, Moody’s und Fitch Man unterscheidet Emittenten-Ratings, die sich auf die Zahlungsfähigkeit des Emittenten beziehen, von Emissions-Ratings, die sich auf bestimmte Wertpapiere oder Klassen von Wertpapieren beziehen. Für die Ermittlung des Emittenten-Ratings werden sowohl eine Länderanalyse, als auch eine Branchen- und Wettbewerbsanalyse sowie eine Unternehmensanalyse durchgeführt. Die Beurteilung erfolgt nach qualitativen und quantitativen Maßstäben. Qualitativ wird dabei z.B. die Wettbewerbs- und die rechtliche Situation des Emittenten analysiert. Grundlage der quantitativen Beurteilung sind Jahresabschlüsse, aus denen Kennzahlen ermittelt werden, die in die Rating-Beurteilung einfließen. In die Vergabe eines Emissions-Ratings gehen zusätzlich Charakteristika der Emission selbst, wie Sicherheiten und deren Erst- oder Nachrangigkeit, in die Bewertung mit ein (vgl. Ott, 2011). <?page no="208"?> 7.4 Ratings, Ausfallwahrscheinlichkeiten und Recovery Rates 209 www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement Resultat des Rating-Prozesses ist die Einteilung der Emittenten bzw. Emissionen nach einer Rangfolge ähnlich einem Schulnotensystem. So entsteht eine ordinale Rating- Skala, woraus u.a. folgt, dass der Abstand zwischen zwei Rating-Klassen für je zwei nebeneinander liegende Klassen nicht gleich ist. Tab. 7.1 zeigt die Einteilung in Rating- Klassen der drei Rating-Agenturen Standard & Poor’s, Moody’s und Fitch. Erst die Definition der in Tab. 7.1 aufgeführten Symbole erlaubt Informationen über die Schuldner der Rating-Klasse. Diese reichen von „AAA - Höchste Qualität - minimales Kreditrisiko“ über „B - Zahlungsfähigkeit besteht noch, aber bei negativen Entwicklungen ist eine Beeinträchtigung der Zahlungsfähigkeit wahrscheinlich“ bis zu „D - Ausfall“. Bis auf die niedrigen Rating-Klassen stimmen die Einteilungen der Rating-Agenturen Standard & Poor’s, Moody’s und Fitch überein. Die Rating-Agentur Fitch unterteilt die Rating-Klasse Default noch einmal nach der erwarteten Rückzahlungsquote. Standard & Poor’s Rating-Skala für Emittenten ist um die niedrigste „C“-Rating-Klasse gekürzt, diese wird bei der Erteilung des Emissions-Ratings nur für nachrangige Obligationen vergeben (vgl. Ott, 2011, S.20). Die in Tab. 7.1 angegebenen Rating-Klassen werden zusätzlich durch ein Plus- oder Minuszeichen (Standard & Poor’s und Fitch) oder eine Zahl von eins bis drei (je kleiner die Zahl, desto besser die Rating-Klasse; Moody’s) feiner untergliedert. Hiervon ausgenommen sind die Ratings der „C“-Kategorie und der Default-Klasse. Tab. 7.1 zeigt langfristige Ratings. Diese werden für Emissionen vergeben, die eine Laufzeit von mehr als einem Jahr besitzen. Handelt es sich um ein Emittenten-Rating, wird die auf lange Frist zu erwartende Zahlungsfähigkeit des Emittenten beurteilt. Hiervon unterscheiden sich kurzfristige Ratings. Diese beziehen sich für Emittenten auf die kurzfristige Kreditwürdigkeit. Für Emissionen werden sie für Papiere vergeben, die eine Laufzeit von höchstens einem Jahr besitzen. Die Kürzel für kurzfristige Rating- Klassen unterscheiden sich für die bessere Differenzierbarkeit von den langfristigen Namen der Rating-Klassen. Sie unterscheiden sich auch stärker zwischen den drei hier aufgeführten Rating-Agenturen. Die Prüfung der Bonität eines Emittenten oder einer Emission ist ein kontinuierlicher Prozess. Änderungen der Situation und damit der Kreditwürdigkeit des Emittenten können zu Anpassungen des Ratings führen. Verbessert sich die Bonität des Emittenten, so wird er in der Rating-Klasse hochgestuft, man spricht auch von einem Upgrade, verschlechtert sie sich, so wird der Emittent herabgestuft, es erfolgt ein Downgrade. Exkurs 7.1 Kritik an den Rating-Agenturen Nach der Finanzkrise 2007/ 2008 kamen neben den Banken auch die Rating- Agenturen verstärkt in die öffentliche Kritik. Ihnen wurde vorgeworfen, die Finanzkrise durch zu optimistische Bewertungen von Kreditverbriefungen mit ausgelöst zu haben. Die Hauptkritikpunkte an dem System der Rating-Agenturen liegen dabei in der Konzentration des Marktanteils auf wenige Agenturen sowie dem Interessenskonflikt der Agenturen. Obwohl weltweit nach Angaben des Basler Ausschusses (2000) 150 Rating- Agenturen operieren, halten die drei größten Rating-Agenturen Standard & Poor’s, <?page no="209"?> 210 7 Kreditrisiko www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement Moody’s und Fitch zusammen ca. 95% des Marktanteils, ca. 80% fallen dabei auf die beiden Agenturen Standard & Poor’s und Moody’s (vgl. Emmenegger, 2006). Die oligopole Struktur des Marktes birgt aber einmal die Gefahr überhöhter Rating-Gebühren, da die Notwendigkeit einer effizienten Gebührengestaltung nicht gegeben ist. Zusätzlich können die Agenturen für die Auftraggeber die Bedingungen diktieren und so z.B. die Vergabe eines für den Auftraggeber notwendigen Ratings von Folgeverträgen abhängig machen. Hauptkritikpunkt am bestehenden Rating-System sind die Interessenskonflikte, denen die Agenturen unterliegen. Der Schuldner, d.h. das zu bewertende Unternehmen oder der zu bewertende Staat zahlt die Agentur für die Erstellung des Ratings. Dieses birgt die Gefahr von zu günstigen Bewertungen. Obwohl Rating- Agenturen theoretisch befürchten müssen, dass „Gefälligkeits-Ratings“ langfristig durch die Realität am Markt aufgedeckt werden und dieses ihrer Reputation schadet, haben sie durch die oligopole Struktur des Rating-Systems keine Konsequenzen zu befürchten (vgl. Beck und Wienert, 2010). Ein weiterer Interessenskonflikt der Agenturen liegt in der Tatsache, dass diese nicht nur Ratings für Schuldner erstellen, sondern teilweise Beratungsverträge mit denselben Schuldnern bestehen (vgl. Emmenegger, 2006). Die 2009 in Kraft getretene „Verordnung Nr. 1060/ 2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. September 2009 über Rating-Agenturen“ (Europäische Union, 2009) und die 2013 veröffentlichte „Verordnung zur Änderung der Verordnung Nr. 1060/ 2009 über Rating-Agenturen“ (Europäische Union, 2013) sehen eine Vermeidung der Interessenskonflikte von Schuldnern und Agenturen für in der EU agierende Agenturen vor. Eine gleichzeitige Beratung und Bewertung soll ausgeschlossen werden. Die Methoden bei der Erstellung der Ratings sollen regelmäßig überprüft und transparent gehalten werden. Eine stärkere Regulierung der Rating-Agenturen wird gefordert. Es wird ein Rotationssystem diskutiert, das dazu dienen soll, die Unparteilichkeit der Agenturen zu bewahren. 7.4.1.1 Ausfallwahrscheinlichkeiten Ziel des Rating-Prozesses ist die Angabe einer durchschnittlichen Ausfallwahrscheinlichkeit (engl. PD für Probability of Default) für die Rating-Klasse, d.h. der Wahrscheinlichkeiten, dass ein Kreditnehmer, der sich am Anfang des Zeitraumes, auf den sich die Ausfallwahrscheinlichkeit bezieht, in einer bestimmten Rating-Klasse befindet, innerhalb dieses Zeitraumes ausfällt und seinen Zahlungsverpflichtungen nicht mehr nachkommen kann. Ausfallwahrscheinlichkeiten ändern sich im Laufe der Zeit. Tab. 7.2 zeigt die Ausfallwahrscheinlichkeiten von Unternehmen in den Jahren 2005 bis 2011. Deutlich ist der Anstieg der Ausfallwahrscheinlichkeiten während der Finanzkrise in den Jahren 2008 und 2009 zu erkennen. Auch Unternehmen, die mit „AA“ oder „A“ ein gutes Rating hatten, hatten stärker mit Zahlungsschwierigkeiten zu kämpfen als in „ruhigeren Zeiten“. Der Anteil der Unternehmen der Rating-Klasse „C“, die ihren Zahlungsverpflichtungen nicht mehr nachkommen konnten, stieg deutlich an. Im Jahr 2009 waren fast die Hälfte der „C“-bewerteten Unternehmen nicht mehr fähig, ihre Zahlungsverpflichtungen zu erfüllen. <?page no="210"?> 7.4 Ratings, Ausfallwahrscheinlichkeiten und Recovery Rates 211 www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement Jahr AAA AA A BBB BB B C 2005 0.00 % 0.00 % 0.00 % 0.07 % 0.20 % 1.73 % 9.02 % 2006 0.00 % 0.00 % 0.00 % 0.00 % 0.30 % 0.81 % 12.38 % 2007 0.00 % 0.00 % 0.00 % 0.00 % 0.19 % 0.25 % 14.95 % 2008 0.00 % 0.38 % 0.38 % 0.48 % 0.78 % 4.00 % 26.00 % 2009 0.00 % 0.00 % 0.22 % 0.54 % 0.73 % 10.43 % 48.68 % 2010 0.00 % 0.00 % 0.00 % 0.00 % 0.55 % 0.81 % 22.07 % 2011 0.00 % 0.00 % 0.00 % 0.07 % 0.00 % 1.50 % 15.94 % Tab. 7.2 Ein-Jahres-Ausfallwahrscheinlichkeiten für Unternehmen (globale Auswertung) in den Jahren 2005 bis 2011 34 (Quelle: Standard & Poor’s, 2011) Tab. 7.3 zeigt den langfristigen Durchschnitt (über die Jahre 1981 bis 2011) der Ein- Jahres-Ausfallwahrscheinlichkeiten für Unternehmen. AAA AA A BBB BB B C Ø (1981- 2011) 0.00 % 0.02 % 0.08 % 0.24 % 0.89 % 4.48 % 26.82 % Tab. 7.3 Durchschnitt der Ein-Jahres-Ausfallwahrscheinlichkeiten für Unternehmen (globale Auswertung) der Jahre 1981 bis 2011 (Quelle: Standard & Poor’s, 2011) Ausfallwahrscheinlichkeiten können historisch ermittelt werden, indem gezählt wird, wie viele der in einer Rating-Klasse beobachteten Unternehmen innerhalb eines vorgegebenen Zeitraumes wirklich ausgefallen sind. So wurde in Tab. 7.3 für den Zeitraum von einem Jahr eine durchschnittliche Ausfallwahrscheinlichkeit aus den in den Jahren 1981 bis 2011 erfolgten Unternehmensausfällen ermittelt. Ein Nachteil der Ermittlung der Ausfallwahrscheinlichkeiten aus historischen Daten liegt - wie allgemein bei der Verwendung historischer Daten - in dem Vergangenheitsbezug der geschätzten Werte. Verhält sich die Zukunft anders als die Vergangenheit, so wird dieses durch die historische Schätzung nicht erfasst. Alternativen zur historischen Schätzung von Ausfallwahrscheinlichkeiten stellen die implizite Berechnung der Ausfallwahrscheinlichkeiten aus den Credit Spreads von Anleihen oder optionspreistheoretische Modelle dar. Die Schätzung aus Credit Spreads geht von der Annahme aus, dass die Ausfallwahrscheinlichkeit einer Anleihe vom Markt bereits in den Preis der Anleihe eingerechnet wurde. Aus dem Spread (s. Abschnitt 7.4.1.4) und der Recovery Rate lässt sich daher die Ausfallwahrscheinlichkeit der Anleihe 34 Die Rating-Klassen „CCC“, „CC“ und „C“ werden von Standard & Poor’s bei der Veröffentlichung von Ausfallwahrscheinlichkeiten und Transitionsmatrizen zu einer Rating-Klasse zusammengefasst. <?page no="211"?> 212 7 Kreditrisiko www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement berechnen (vgl. Hull, 2011, S. 359). Optionspreistheoretische Modelle beziehen sich auf den Wert des Eigenkapitals eines Unternehmens zu einem gegebenen Zeitpunkt und schätzen aus diesem dessen Ausfallwahrscheinlichkeit (vgl. Hull, 2011, S. 367). 7.4.1.2 Übergangsmatrix Ausfallwahrscheinlichkeiten sind eine Kenngröße des Kreditrisikos im engen Sinn, bei dem nur die Zahlungsunfähigkeit eines Kreditnehmers betrachtet wird. Verwendet man aber die Definition des Kreditrisikos im weiteren Sinn und bewertet ein Kreditportfolio zu Marktpreisen, so braucht man für die Quantifizierung des Kreditrisikos auch eine erweiterte Anzahl von Kenngrößen. Definition 7.5: Eine Übergangsmatrix (auch Migrationsmatrix oder Transitionsmatrix) gibt die Wahrscheinlichkeiten an, mit denen eine Anleihe innerhalb eines bestimmten Zeitraums von einer Rating-Kategorie in eine andere wechselt, bzw. in ihrer ursprünglichen Rating-Kategorie verbleibt. Tab. 7.4 zeigt eine aus Daten von Standard & Poor’s generierte Übergangsmatrix für den Zeithorizont eines Jahres. In den Zeilen stehen die Ratings am Beginn des Jahres, in den Spalten findet man das mögliche Rating am Ende des Jahres. Am Ende des Jahres ist es auch möglich, dass die Anleihe ganz ausgefallen ist, d.h. dass sie in die Rating- Kategorie „D“ (Default) fällt. Auf der „Diagonalen“ 35 kann man die Wahrscheinlichkeiten für einen Verbleib in der ursprünglichen Rating-Kategorie ablesen. Von/ Nach AAA AA A BBB BB B C D AAA 90,24 % 8,99 % 0,56 % 0,05 % 0,08 % 0,03 % 0,05 % 0,00 % AA 0,58 % 90,03 % 8,65 % 0,56 % 0,06 % 0,08 % 0,02 % 0,02 % A 0,04 % 2,00 % 91,58 % 5,71 % 0,40 % 0,17 % 0,02 % 0,08 % BBB 0,01 % 0,13 % 3,89 % 90,69 % 4,18 % 0,68 % 0,16 % 0,26 % BB 0,02 % 0,04 % 0,18 % 5,81 % 84,15 % 7,97 % 0,83 % 1,00 % B 0,00 % 0,05 % 0,15 % 0,25 % 6,31 % 83,16 % 5,01 % 5,07 % C 0,00 % 0,00 % 0,20 % 0,30 % 0,91 % 15,96 % 51,31 % 31,32 % Tab. 7.4 Ein-Jahres-Übergangsmatrix für Unternehmen (globale Auswertung) der Jahre 1981-2011 (vgl. Standard & Poor’s 36 , 2011) 35 Eine Übergangsmatrix ist nicht quadratisch, da ein zu Beginn des Jahres bereits ausgefallener Kontrahent nicht mehr hochgestuft werden kann. Sie besitzt daher eine Zeile weniger als Spalten. Mit der „Diagonalen“ ist die Diagonale der 7x7-Teilmatrix „AAA“ bis „C“, d.h. der Übergangsmatrix ohne die letzte Spalte, gemeint. 36 Die von Standard & Poor’s angegebene Übergangsmatrix enthält am Ende des Betrachtungshorizonts von einem Jahr Unternehmen ohne Rating, die am Anfang des <?page no="212"?> 7.4 Ratings, Ausfallwahrscheinlichkeiten und Recovery Rates 213 www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement Beispiel 7.7 Eine Anleihe, die zu Beginn eines Jahres mit „A“ bewertet wurde, hat eine 91,58 %ige Chance, auch am Ende des Jahres mit „A“ bewertet zu werden. Ihre Chancen, in der Bonität hochgestuft zu werden, liegen bei 2,04 %. Dabei wird sie mit 2 % Wahrscheinlichkeit am Ende des Jahres ein „AA“-Rating haben, mit 0,04 % Wahrscheinlichkeit ein „AAA“-Rating. Hingegen liegt das Risiko für die „A“-Anleihe, herabgestuft zu werden, bei 6,38 %. Dabei wird sie mit 5,71 % Wahrscheinlichkeit innerhalb eines Jahres nur eine Stufe auf „BBB“ herabgestuft, mit 0,4 % Wahrscheinlichkeit um zwei Stufen auf „BB“ usw. Sie besitzt auch eine 0,08 %-ige Wahrscheinlichkeit, innerhalb eines Jahres vollständig auszufallen. 7.4.1.3 Recovery Rates/ Loss Given Default Fällt ein Kredit aus, ist es für den Kreditgeber von Interesse, in wie weit er aus der Verwertung von Sicherheiten und sonstigen Rechten noch auf zumindest einen Teil seiner Forderung zurückgreifen kann. Diesen Anteil nennt man die Recovery Rate (RR). Der nicht über die Recovery Rate einholbare Betrag stellt den tatsächlichen Verlust des Kreditgebers dar, er wird als Loss Given Default (LGD=1-RR) oder Verlustquote bezeichnet. Recovery Rates variieren je nach Besicherung und Erst- oder Nachrangigkeit der Forderung. Dabei verändern sich Ausfallwahrscheinlichkeiten und Recovery Rates nicht unabhängig voneinander. Vielmehr sinkt der verwertbare Anteil einer Forderung mit zunehmender Ausfallwahrscheinlichkeit, Recovery Rate und Ausfallwahrscheinlichkeit sind negativ miteinander korreliert. Umgekehrt sind der Loss Given Default und die Ausfallwahrscheinlichkeit also positiv korreliert. Je höher die Ausfallwahrscheinlichkeit ist, desto höher ist auch der Anteil des Kreditbetrags, der nicht mehr einholbar ist. Empirisch lassen sich Regressionsfunktionen aufstellen, die die Recovery Rate aus der Ausfallwahrscheinlichkeit prognostizieren (vgl. Emery et al., 2008, S. 10). 7.4.1.4 Credit Spreads In Beispiel 7.1 hatten Sie als Kreditgeber für Schuldner der schlechtesten Rating-Klasse einen Zinssatz von 25 %, d.h. einen Zinssatz, der 22 Prozentpunkte über dem Marktzinssatz lag, gefordert. Den höheren Zinssatz forderten Sie als Kompensation für die Übernahme des Kreditrisikos eines Schuldners, der laut der Rating-Einteilung kurz vor der Insolvenz stand. Definition 7.6: Ein Credit Spread bezeichnet einen Renditezuschlag, der als Kompensation für die Übernahme des Ausfallrisikos bei Anleihen bezahlt wird. Jahres noch in die in den Zeilen angegebenen Rating-Klassen gefallen sind. Die Unternehmen ohne Rating wurden proportional zu den Migrationswahrscheinlichkeiten auf die Rating-Klassen verteilt. <?page no="213"?> 214 7 Kreditrisiko www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement Je niedriger die Rating-Klasse ist, in die ein Schuldner fällt, desto höher ist der Credit Spread, den er zu zahlen hat. Wird ein Schuldner von einer ursprünglich höheren in eine niedrigere Rating-Klasse eingestuft, so fällt der Marktwert seines Kredits (s. Beispiel 7.1). Umgekehrt kann der Marktwert eines Kredits aber auch steigen, wenn ein Schuldner in seinem Rating hochgestuft wird. In einem Portfolio mit marktgehandelten Krediten bzw. Anleihen kann es entgegen einem klassischen Kreditportfolio, bei dem die Kredite bis zur Endfälligkeit im Portfolio gehalten werden, auch Gewinne geben. Beispiel 7.8 Es gelten folgende Spreads gegenüber einer risikolosen Anlage. Rating Spread AAA 0,0 % AA 0,5 % A 1 % BBB 2 % BB 5 % B 10 % C 20 % Tab. 7.5 Credit Spreads gegenüber einer Anlage in einer risikolosen Anleihe Wir nehmen an, dass die Zinsstrukturkurven und die Spreads über die Zeit konstant sind. Der risikolose Zinssatz liege bei 4 % p.a. Sie besitzen drei Nullkuponanleihen (s. Abschnitt 5.4.2.1), eine der Daimler AG mit der Rating-Klasse „A“ (Daimler, URL), eine der Telekom der Rating-Klasse „BBB“ (Telekom, URL) und eine der Kuka-AG der Rating-Klasse „BB“ (Kuka, URL). Alle drei Nullkuponanleihen haben einen Nennwert von 1.000 € und eine Restlaufzeit von drei Jahren. Die Anleihen haben heute Marktwerte von € 62 , 839 ) 02 , 0 04 , 0 1 ( € 000 . 1 €, 84 , 863 ) 01 , 0 04 , 0 1 ( € 000 . 1 3 3 Telekom Daimler BW BW und €. 18 , 772 ) 05 , 0 04 , 0 1 ( € 000 . 1 3 Kuka BW <?page no="214"?> 7.5 Bankaufsichtsrechtliche Behandlung des Kreditrisikos 215 www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement 7.5 Bankaufsichtsrechtliche Behandlung des Kreditrisikos Kern des Basler Akkord („Basel I“) war die Forderung, dass 8 % der gewichteten Risikoaktiva mit haftendem Eigenkapital zu unterlegen waren (Grundsatz I, § 2, Abs. 1). Dabei wurden die Risikogewichte nach einem nach Schuldnergruppen geordneten System mit festen Prozentsätzen festgelegt (s. Tab. 7.6). Schuldner Risikogewicht (OECD)-Staaten 0 % Kreditinstitute (Sitz OECD) 20 % Grundpfandrechtlich gesicherte Kredite 50 % Nichtbanken 100 % Tab. 7.6 Ausgewählte Risikogewichte von Risikoaktiva nach „Basel I“ (Grundsatz I) Beispiel 7.9 Die Amigo-Bank hat mexikanische Staatsanleihen in Höhe von 1 Mio. € gekauft sowie einen Kredit über 500.000 € an die BMW AG vergeben. Nach „Basel I“ musste die Amigo-Bank für die Mexiko-Anleihe kein Eigenkapital unterlegen. Für den Kredit an die BMW AG musste sie Eigenkapital in Höhe von € 000 . 40 € 000 . 500 1 08 , 0 BMW EK vorhalten. Durch die festen Risikogewichte für die in „Basel I“ definierten Schuldnergruppen erfolgte eine sehr pauschale Gewichtung. Für OECD-Staaten musste in keinem Fall Eigenkapital unterlegt werden, während das Risikogewicht für sehr gute Unternehmen z.B. immer pauschal 100 % betrug. Nach „Basel II“ ist das Rating des Schuldners für das Risikogewicht ausschlaggebend. Dieses kann im Standardansatz durch externe Rating-Agenturen vorgegeben sein. Es ergeben sich dabei standardisierte Risikogewichte, die aber nun nach Rating-Klassen unterteilt sind (s. Tab. 7.7). <?page no="215"?> 216 7 Kreditrisiko www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement Schuldner AAA bis AAA- A+ bis A- BBB+ bis BBB- BB+ bis BB- B+ bis Bunter Bohne Rating Staaten 0 % 20 % 50 % 100 % 100 % 150 % 100 % KI (Option 1) 20 % 50 % 100 % 100 % 100 % 150 % 100 % KI (Option 2) 20 % 50 % 50 % 100 % 100 % 150 % 50 % Nichtbanken 20 % 50 % 100 % 100 % 150 % 150 % 100 % Tab. 7.7 Risikogewichtung im Standardansatz nach „Basel II“ (Basler Ausschuss für Bankenaufsicht, 2004, S. 22 ff.) Beispiel 7.10 (Fortführung von Beispiel 7.9) Mexiko hatte im Dezember 2013 ein Moody’s-Rating von „Baa“ (Countryeconomy, URL). Dieses entspricht nach Tab. 7.1 einem Standard&Poor’s-Rating von „BBB“. Die BMW AG hatte zum selben Zeitpunkt ein von Standard & Poor’s vergebenes langfristiges Rating von „A“ (BMW Group, URL). Für die mexikanischen Staatsanleihen mit einem Volumen von 1 Mio. € muss die Amigo-Bank nach dem Standardansatz von „Basel II“ zu diesem Zeitpunkt daher €, 000 . 40 € 000 . 000 . 1 5 , 0 08 , 0 Mexiko EK für den Kredit an die BMW-AG nur noch € 000 . 20 € 000 . 500 5 , 0 08 , 0 BMW EK unterlegen. Zusätzlich zum Standardansatz kann auch der auf internen Ratings basierende Ansatz (IRB-Ansatz) zur Ermittlung des erforderlichen Eigenkapitals verwendet werden. Bei diesem Ansatz wird den Banken erlaubt, Ausfallwahrscheinlichkeiten (s. Abschnitt 7.4.1.1) ihrer Schuldner selbst zu schätzen. Bei dem fortgeschrittenen Ansatz können auch der Loss Given Default (s. Abschnitt 7.4.1.3) und die effektive Restlaufzeit der Kredite institutsintern geschätzt werden. Im Folgenden werden allgemein Kreditrisikomodelle vorgestellt, die zur internen Bestimmung des Kreditrisikos einer Bank verwendet werden. 7.6 Kreditrisikomodelle Je nachdem, auf welche der eingeführten Definitionen des Kreditrisikos in Abschnitt 7.3 man abstellt, unterscheidet sich auch die Quantifizierung des Kreditrisikos. <?page no="216"?> 7.6 Kreditrisikomodelle 217 www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement Sogenannte Default-Mode-Modelle verwenden die Definition des Kreditrisikos im engen Sinn. Es wird nur zwischen den Zuständen „Ausfall des Kredits“ und „kein Ausfall des Kredits“ unterschieden. Ein teilweiser Ausfall eines Kredits wird durch eine Recovery Rate abgebildet. Default-Mode-Modelle „passen“ sozusagen zu dem klassischen Kreditgeschäft, bei dem ein Kredit vergeben und bis zum Ende der Laufzeit gehalten wird - eine sogenannte „Buy-and-Hold-Strategie“ ( QR-Glossar). Das Kreditportfoliomodell CreditRisk+™ der Credit Suisse Financial Products (Credit Suisse Financial Products, 1997) arbeitet als Default-Mode-Modell. CreditRisk+™ erlaubt die analytische Berechnung des Ausfallrisikos eines Kreditportfolios und modelliert dabei Korrelationen von Ausfällen sowie zeitabhängige Ausfallwahrscheinlichkeiten. Wir werden hier nicht näher auf die CreditRisk+™-Modellierung eingehen, die für diese Einführung zu komplex ist, sondern beschränken uns auf die Berechnung des Kreditrisikos für unabhängige Kreditausfälle und für im betrachteten Zeithorizont bekannte, konstante Ausfallwahrscheinlichkeiten. Auf der anderen Seite stehen Mark-to-Market-Modelle, die das Kreditportfolio zu Marktpreisen bewerten. Die Marktpreise der Kredite können durch Rating-Änderungen schwanken. Es liegt hier die Definition des Kreditrisikos im weiteren Sinn zugrunde. Das bekannteste kommerziell vertriebene Mark-to-Market-Modell ist das Kreditportfoliomodell CreditMetrics™ (Gupton, Finger und Bhatia, 2007), das 1997 von JP Morgan entwickelt wurde. CreditMetrics™ arbeitet dabei mit Monte-Carlo-Simulationen. Abschnitt 7.6.2 für eine Anleihe und vor allem für ein Kredit-/ Anleihenportfolio lehnt sich dabei an die CreditMetrics™-Modellierung an. Das Mark-to-Market-Modell wurde für extern bewertete Kontrahenten und Emissionen entwickelt. Es kann aber auch für interne Ratings verwendet werden, wenn für diese auch Übergangsmatrizen geschätzt werden. Bei einem einzigen Kredit oder einer kleinen Anzahl von Krediten und Anleihen im Portfolio kann das Kreditrisiko für beide Modelle analytisch berechnet werden. Steigt die Anzahl der Finanztitel im Portfolio, wird eine analytische Berechnung schwerer möglich sein. Es kann dann eine Bestimmung des Kreditrisikos mit Hilfe einer Simulation vorgenommen werden. Sowohl durch die analytische als auch durch die Simulationsmethode können der erwartete und der unerwartete Verlust bestimmt werden. Abb. 7.4 zeigt die Struktur, nach der die Quantifizierung des Kreditrisikos in diesem Kapitel dargestellt wird. <?page no="217"?> 218 7 Kreditrisiko www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement Abb. 7.4 Übersicht über die Methoden zur Quantifizierung des Kreditrisikos in diesem Kapitel 37 7.6.1 Default-Mode-Modell 7.6.1.1 Kreditrisiko eines Kredits/ einer Anleihe Analytische Bestimmung Bei Default-Mode-Modellen betrachtet man nur die Möglichkeiten, dass ein Kredit ausfällt oder nicht ausfällt. Entsprechend benötigt man vor allem die Ausfallwahrscheinlichkeit PD des Kredits. Wenn der Kredit ausfällt, kommt es darauf an, wie hoch die offene Position, das Exposure at Default (EaD) (s. Abschnitt 7.3.1), für die Bank ist. Es macht einen Unterschied, ob der Kredit fast vollständig getilgt ist oder ob noch die volle Kreditsumme aussteht. Für die Bank ist es weiterhin von Interesse, welcher Anteil der Forderung als Loss Given Default (LGD) (s. Abschnitt 7.4.1.3) tatsächlich ausfällt, da aus der Verwertung von Sicherheiten nicht das gesamte Exposure at Default zurückgewonnen werden kann. Der erwartete Verlust E(V) ergibt sich, indem man den effektiv nicht mehr wiedereinbringbaren Betrag des Kreditexposures (LGD·EaD) mit der Ausfallwahrscheinlichkeit multipliziert, d.h. (7.1) . ) ( EaD LGD PD V E 37 Für eine Anleihe/ einen Kredit ist eine Simulation im Default-Mode-Modell zwar möglich, aber nicht sinnvoll. Daher wird die Verbindungslinie in diesem Fall gestrichelt gezeichnet. <?page no="218"?> 7.6 Kreditrisikomodelle 219 www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement Beispiel 7.11 Klammingers haben einen Kredit über 300.000 € für ihr Haus aufgenommen. Inzwischen haben sie zwar 50.000 € der Kreditsumme getilgt, aber der Marktwert ihres Hauses hat sich aufgrund einer nah vorbeiführenden neu gebauten Umgehungsstraße auf 200.000 € reduziert. Für die Familie Klamminger beträgt die Wahrscheinlichkeit für den Ausfall des Kredits aufgrund eines inzwischen unsicheren Arbeitsverhältnisses 15 %. Das Exposure at Default beläuft sich für den Kredit noch auf 250.000 €. Da im Falle eines Kreditausfalls das Haus als Sicherheit verwertet werden könnte, beträgt die Recovery Rate 80 %, als Wert des Hauses von 200.000 € in Bezug auf den ausstehenden Kreditbetrag von 250.000 €. Der Loss Given Default liegt demnach bei 20 % von 250.000 €, d.h. bei 50.000 €. Der erwartete Verlust der Bank für das Engagement der Familie Klamminger ergibt sich so zu €. 500 . 7 € 000 . 250 2 , 0 15 , 0 ) (V E Bemerkung 7.1: Formel (7.1) impliziert, dass nur der Ausfall des Kredites selbst unsicher ist, nicht aber das Exposure at Default EaD und der Loss Given Default LGD. Es ergibt sich so eine Vereinfachung der realen Situation. Modelliert man das Exposure at Default und den Loss Given Default ebenfalls stochastisch und nimmt diese untereinander und von der Probability of Default als unabhängig an, so kann Formel (7.1) wie angegeben verwendet werden, indem man statt EaD und LGD die Erwartungswerte E(EaD) und E(LGD) einsetzt, d.h. es gilt (7.2) ). ( ) ( ) ( EaD E LGD E PD V E Wie bereits diskutiert, sind das Exposure at Default (Abschnitt 7.3.1) und der Loss Given Default (Abschnitt 7.4.1.3) aber nicht von der Ausfallwahrscheinlichkeit unabhängig. Dadurch ist der reale erwartete Verlust höher als er von der vereinfachenden Formel (7.2) angenommen wird. Um den unerwarteten Verlust zu bestimmen, muss zunächst der Value at Risk berechnet werden. Der Value at Risk ist für nur einen Kredit zwar nicht sehr aussagekräftig, aber einfach zu bestimmen. Er liegt bei einer akzeptierten Fehlerwahrscheinlichkeit im Value at Risk bis zur Höhe der Ausfallwahrscheinlichkeit in dem bei Ausfall verlorenen Betrag. Bei einer höheren Fehlerwahrscheinlichkeit beträgt er null. Der durch den unerwarteten Verlust gemessene Credit Value at Risk ergibt sich dann durch Subtraktion des erwarteten Verlustes vom Value at Risk. Beispiel 7.12 (Fortführung von Beispiel 7.11) Der Value at Risk zu einem Konfidenzniveau von 99 % beträgt für Klammingers Kredit 50.000 € (Loss Given Default). Mit 99 % Wahrscheinlichkeit - und sogar mit 100 % Wahrscheinlichkeit - beträgt der Verlust nicht mehr als 50.000 €. Auch für <?page no="219"?> 220 7 Kreditrisiko www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement ein Konfidenzniveau von 90 % und sogar für ein Konfidenzniveau von 85 %, d.h. eine Fehlerwahrscheinlichkeit =15 %, wäre der Value at Risk noch 50.000 €. Der unerwartete Verlust, d.h. der Credit Value at Risk, ergibt sich entsprechend zu CVaR = 50.000 € - 7.500€ = 42.500 €. Erst zu einem Konfidenzniveau unter 85 % ist der Value at Risk Null. Betrachtet man z.B. ein Konfidenzniveau von 80 %, so hat man mit 80 % Wahrscheinlichkeit ja keinen Verlust. In der Restwahrscheinlichkeit von 20 % ist die Ausfallwahrscheinlichkeit des Kredits von 15 % enthalten. Bestimmung per Simulation Da die analytische Bestimmung für nur einen einzigen Titel im Kreditportfolio sehr einfach ist, wird für diesen Fall auf die Bestimmung per Simulation verzichtet. Durch die Simulation würden die berechneten Ergebnisse ungenauer, ohne dass dieses durch eine leichtere Berechnung aufgewogen würde. Eine Simulation lässt sich natürlich trotzdem, z.B. zu Übungszwecken, durchführen. 7.6.1.2 Kreditrisiko eines Kreditportfolios Analytische Bestimmung Sind in einem Portfolio n verschiedene Kredite enthalten, so ergibt sich der erwartete Verlust als Summe der erwarteten Verluste der einzelnen Kredite, d.h. (7.3) , ) ( 1 n i i i i EaD LGD PD V E wobei PD i , LGD i und EaD i jeweils die Ausfallwahrscheinlichkeit, der Loss Given Default und das Exposure at Default des i-ten Kredits im Portfolio sind. Um den unerwarteten Verlust zu bestimmen, braucht man die Verlustverteilung des Portfolios und dafür die gemeinsamen Ausfallwahrscheinlichkeiten der Kredite. Wir betrachten hier für die analytische Bestimmung nur den Fall, dass die Kredite unabhängig voneinander sind. Die gemeinsame Ausfallwahrscheinlichkeit ergibt sich dann als Produkt der einzelnen Ausfallwahrscheinlichkeiten der Kredite. Genauso kann man für die anderen möglichen Kombinationen von Ausfällen einer oder mehrerer Kredite und dem Nichtausfall der anderen Kredite Wahrscheinlichkeiten berechnen. Aus den gemeinsamen Wahrscheinlichkeiten und dem korrespondierenden Verlust lässt sich eine gemeinsame Verlustverteilung erstellen. Beispiel 7.13 In einem Portfolio halten Sie eine „BB“-Anleihe, die als Nullkuponanleihe ausgestaltet ist, mit einem Nennwert von 100 € und eine „C“-Nullkuponanleihe mit einem Nennwert von 200 €. Aus Tab. 7.4 entnehmen Sie, dass die „BB“-Nullkuponanleihe eine Ausfallwahrscheinlichkeit von 1 % und die „C“-Anleihe eine Ausfallwahrscheinlichkeit von 31,32 % besitzt. Die Ausfälle der Anleihen seien unabhängig voneinander. Wir gehen für die Übersichtlichkeit des Beispiels davon aus, dass im <?page no="220"?> 7.6 Kreditrisikomodelle 221 www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement Falle eines Ausfalls die Recovery Rate gleich null ist, d.h. der Nennwert der Anleihen vollständig ausfällt. Der erwartete Verlust errechnet sich aus der Summe der einzelnen erwarteten Verluste zu (7.4) €. 64 , 63 € 200 % 100 % 32 , 31 € 100 % 100 % 1 ) (V E Für die Ermittlung der Portfolioverlustverteilung erhält man die gemeinsamen Ausfallwahrscheinlichkeiten bei angenommener Unabhängigkeit der Ausfälle aus dem Produkt der Einzelwahrscheinlichkeiten zu (7.5) P(„BB“-Anleihe fällt aus und „C“-Anleihe fällt aus) = P(„BB“-Anleihe fällt aus) · P(„C“-Anleihe fällt aus) = 1 %·31,32 % = 0,31 %. Genauso lassen sich Wahrscheinlichkeiten für die drei anderen Möglichkeiten bilden, nämlich, dass erstens die „BB“-Anleihe ausfällt, die „C“-Anleihe aber nicht, zweitens die „BB“-Anleihe nicht ausfällt, die „C“-Anleihe aber schon, oder drittens beide Nullkuponanleihen ausfallen. Dabei sind die Wahrscheinlichkeiten dafür, dass die Anleihen nicht ausfallen, als Gegenwahrscheinlichkeit zur Ausfallwahrscheinlichkeit zu berechnen. Im ersten Fall erhält man P(„BB“-Anleihe fällt aus und „C“-Anleihe fällt nicht aus) = P(„BB“-Anleihe fällt aus) · P(„C“-Anleihe fällt nicht aus) = 1 %·(100 %-31,32 %) = 0,69 %, im zweiten Fall P(„BB“-Anleihe fällt nicht aus und „C“-Anleihe fällt aus) = P(„BB“-Anleihe fällt nicht aus) · P(„C“-Anleihe fällt aus) = (100 %-1 %)·31,32 % = 31,01 %, und in dem Fall, dass keine der Anleihen ausfällt, P(„BB“-Anleihe fällt nicht aus und „C“-Anleihe fällt nicht aus) = P(„BB“-Anleihe fällt nicht aus) · P(„C“-Anleihe fällt nicht aus) = (100 %-1 %)·(100 %-31,32 %) = 67,99 %. Die Ergebnisse lassen sich als Matrix (s. Tab. 7.8) darstellen: <?page no="221"?> 222 7 Kreditrisiko www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement „BB“/ “C“ kein Ausfall Ausfall kein Ausfall 67,99 % 31,01 % Ausfall 0,69 % 0,31 % Tab. 7.8 Gemeinsame Ausfallwahrscheinlichkeiten der „BB“-Anleihe (Zeilen) und der „C“-Anleihe (Spalten) Gleichzeitig weiß man, welche Verluste bei den in Tab. 7.8 dargestellten Situationen auftreten können. Wenn beide Anleihen ausfallen, hat man einen Verlust von 100 € + 200 € = 300 € (d.h. eine Wertänderung von -300 €) etc. (s. Tab. 7.9) „BB“/ “C“ kein Ausfall Ausfall kein Ausfall 0 € -200 € Ausfall -100 € -300 € Tab. 7.9 Mögliche Wertänderungen des Portfolios aus dem Ausfall der „BB“-Anleihe (Zeilen) und der „C“-Anleihe (Spalten) Durch Kombination der Tabellen Tab. 7.8 und Tab. 7.9 lässt sich eine Verteilungsfunktion der Verluste herleiten. Mit 0,31 % Wahrscheinlichkeit fallen beide Anleihen aus und der Verlust ist 300 €. Mit 31,32 % (=0,31 %+31,01 %) Wahrscheinlichkeit ist der Verlust größer oder gleich 200 € (bzw. die Wertänderung kleiner oder gleich -200 €) etc. (s. Tab. 7.10). Wertänderung x Wahrscheinlichkeit P(X=x) F(x) -300 € 0,31 % 0,31 % -200 € 31,01 % 31,32 % -100 € 0,69 % 32,01 % 0 € 67,99 % 100,00 % Tab. 7.10 Verteilungsfunktion der Wertänderungen aus dem Ausfall der „BB“-Anleihe und der „C“-Anleihe Auch aus der gemeinsamen Verteilung der Wertänderungen des Portfolios lässt sich der erwartete Verlust bestimmen. Er ergibt sich als mit den Wahrscheinlichkeiten des Ausfalls gewichtetes Mittel der einzelnen möglichen Verluste, d.h. €. 64 , 63 % 99 , 67 € 0 % 69 , 0 € 100 % 01 , 31 € 200 % 31 , 0 € 300 ) (V E Selbstverständlich ergibt sich dasselbe Ergebnis wie in (7.4). Für den unerwarteten Verlust lassen sich aus der Verteilungsfunktion zunächst wie gewohnt Value-at-Risk-Werte ablesen. Der Value at Risk zu einem Konfidenzniveau <?page no="222"?> 7.6 Kreditrisikomodelle 223 www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement von 99 % liegt hier z.B. bei einem Verlust von 200 €, da in 99 % der Fälle der Verlust nicht größer als 200 € sein wird. Damit beträgt der Credit Value at Risk €. 36 , 136 € 64 , 63 € 200 99 , 0 CVaR Der Expected Shortfall zu einem Konfidenzniveau von 99 % ergibt sich nach Formel (4.8) zu €. 231 €) 200 % 32 , 30 € 200 % 01 , 31 € 300 % 31 , 0 ( % 1 1 ES Die in Beispiel 7.13 dargestellte Vorgehensweise lässt sich auch für Portfolios mit mehr als zwei Anleihen anwenden. Es ist hier keine Darstellung als Matrix wie in den Tabellen Tab. 7.8 und Tab. 7.9 mehr möglich, da die Matrizen bei n Anleihen n-dimensional würden. Man kann sich aber damit behelfen, dass man alle Kombinationen von Ausfallmöglichkeiten in den Zeilen einer Tabelle auflistet (s. Aufgabe 7.1). Bestimmung per Simulation Bei der Bestimmung des Risikos eines Kreditportfolios mit dem Default-Mode-Modell durch Simulation wird für jede Anleihe durch eine auf dem Rechner implementierte Zufallsvariable „gewürfelt“, ob diese ausfällt oder nicht. Pro Simulationsschritt hat man dadurch eine mögliche Realisierung eines Verlustes und kann, indem man viele Simulationsschritte macht, eine Verlustverteilung erzeugen. Die Verteilung der Rating-Änderungen ist diskret. Sie ist bei Default-Mode-Modellen sogar dichotom, d.h. es gibt nur zwei mögliche Zustände, die auftreten können, ein Ausfall des Kredits oder kein Ausfall des Kredits. Zufallsvariablen mit diskreten Verteilungen können über ein Excel-Add-In oder ein Mapping von Zufallsvariablen generiert werden (s. Abschnitt 6.6.3.4). Beispiel 7.14 (Fortführung von Beispiel 7.13) Wie in Beispiel 7.13 besitzen Sie ein Portfolio mit einer „BB“-Nullkuponanleihe (Nennwert: 100 €, Ausfallwahrscheinlichkeit: 1 %) und einer „C“-Nullkuponanleihe (Nennwert: 200 €, Ausfallwahrscheinlichkeit: 31,32 %). Die Kreditausfälle seien wiederum unabhängig voneinander, die Recovery Rate beim Ausfall eines Kredits null. Da Unabhängigkeit der Kreditausfälle angenommen wurde, können Sie pro Simulationsschritt zwei unabhängige gleichverteilte Zufallsvariablen in Excel simulieren und diese auf sogenannte Null-Eins-Variablen mappen. Die neuen Variablen werden eins, wenn die jeweilige Anleihe ausfällt, und null, wenn sie nicht ausfällt. Dazu werden in Excel erzeugte gleichverteilte Zufallsvariablen nach der in Abschnitt 6.6.3.4 beschriebenen Methode auf eins abgebildet, wenn die Realisation der gleichverteilten Zufallsvariable kleiner oder gleich der Ausfallwahrscheinlichkeit bleibt, und auf null, wenn die Realisation der gleichverteilten Zufallsvariable die Ausfallwahrscheinlichkeit übersteigt (s. Abb. 7.5). Null-Eins-Variablen können direkt zur Verlustbestimmung verwendet werden, indem man sie mit dem Nennwert der Anleihe multipliziert. Fällt die Anleihe aus, d.h. nimmt die Null-Eins-Variable den Wert eins an, fällt der gesamte Nennwert aus. <?page no="223"?> 224 7 Kreditrisiko www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement Fällt die Anleihe nicht aus, ergibt die Multiplikation von null mit dem Nennwert einen Verlust von null (s. Abb. 7.5, Spalte F). Abb. 7.5 Mapping zweier Zufallszahlen auf Null-Eins-Zufallsvariablen (1-„Ausfall“, 0-„kein Ausfall“) Auf diese Art können in den Zeilen eines Excel-Tabellenblattes eine große Anzahl n von Simulationen ausgeführt werden. Abb. 7.6 zeigt einen Ausschnitt aus den möglichen Realisierungen der in Abb. 7.5 programmierten Zufallsvariablen. Abb. 7.6 Ausschnitt aus der Monte-Carlo-Simulation in einem Portfolio mit zwei Nullkuponanleihen Durch Abzählen der Wertänderungen lässt sich eine Verteilung generieren. Abb. 7.7 zeigt die Programmierung der Verteilungsfunktion in Excel sowie eine mögliche Realisierung der Verteilungsfunktion. Da es sich um eine Simulation handelt, ist die Verteilungsfunktion selbst zufällig. Sie wird bei jedem neuen Simulationslauf leicht unterschiedlich ausfallen. Abb. 7.7 Einfache Verteilungsfunktion in Excel - Implementierung und mögliche Realisierung Aus der Verteilungsfunktion kann man analog zu Beispiel 7.13 den erwarteten Verlust, den Credit Value at Risk und den Expected Shortfall ermitteln. Die vollständige Programmierung des Beispiels findet sich in „Beispiel 7.14.xls“. <?page no="224"?> 7.6 Kreditrisikomodelle 225 www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement Bemerkung 7.2: In Beispiel 7.14 wurde die Unabhängigkeit der Ausfälle der Anleihen im Portfolio angenommen. Tatsächlich ist diese Annahme aber unrealistisch. Aufgrund von Verflechtungen von Unternehmen und Banken untereinander sind die Ausfälle von Krediten in der Regel positiv korreliert. Die gemeinsame Ausfallwahrscheinlichkeit zweier Kredite lässt sich dadurch aber nicht mehr so einfach wie in Formel (7.5) über das Produkt der Einzelwahrscheinlichkeiten bestimmen. Zudem sind Ausfallkorrelationen zweier Schuldner - d.h. die Wahrscheinlichkeiten, dass ein Schuldner ausfällt, vorausgesetzt, dass der andere Schuldner ausgefallen ist - empirisch nicht einfach zu ermitteln, da Ausfälle einmalige Ereignisse sind. Man behilft sich daher bei Krediten an börsennotierte Unternehmen oder Anleihen von diesen mit den Assetkorrelationen der Aktien des Unternehmens oder der Anleihen selbst. Diese lassen sich aus den Kursschwankungen der Aktien oder Anleihen leicht berechnen. Die ermittelten Assetkorrelationen lassen sich anschließend in Ausfallkorrelationen umrechnen. Für die Ermittlung des Kreditrisikos über den Weg der Simulation verwendet man direkt die Anleihenbzw. Aktienkorrelation, um zwei korrelierte Zufallsvariablen zu erzeugen, die man dann auf die Ausfallverteilungen abbildet. Dieser Schritt kann als Spezialfall der bei den Mark-to-Market-Modellen in Abschnitt 7.6.2 gezeigten Monte-Carlo-Simulation bei korrelierten Krediten angesehen werden. 7.6.2 Mark-to-Market-Modell In Mark-to-Market-Modellen werden Kredite zu Marktpreisen bewertet. Der Marktpreis eines Kredits ergibt sich dabei dadurch, dass zukünftige Zahlungen aus dem Kredit mit dem für die Rating-Klasse des Kreditnehmers fairen Zins, d.h. dem risikolosen Zinssatz zuzüglich des Credit Spreads der Rating-Klasse, abgezinst werden. Durch einen Wechsel der Rating-Klasse kommt es so zu Marktpreisänderungen. Ein Risiko liegt nicht mehr nur im Ausfall des Kredits, sondern auch in einem Marktwertverlust aufgrund von Rating-Abstufungen. Bemerkung 7.3: Das Mark-to-Market-Modell wird in den Beispielen dieses Abschnitts anhand von Anleihen dargestellt. Es mag daher so erscheinen, als sei ein externes Rating Voraussetzung für die Anwendung des Modells. Dieses ist aber nicht der Fall. Die Methode kann auch bei Vorliegen interner Ratings angewandt werden. 7.6.2.1 Kreditrisiko eines Kredits/ einer Anleihe Analytische Bestimmung Beispiel 7.15 Sie haben eine Anleihe gekauft, deren Emittent das Rating „A“ besitzt. Die Anleihe hat einen Nennwert von 100 € und zahlt einen Kuponzinssatz von 5 % p.a. Sie besitzt eine Restlaufzeit von drei Jahren. Der aktuelle risikolose Zinssatz liegt bei 4 % <?page no="225"?> 226 7 Kreditrisiko www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement p.a. Wir nehmen eine konstante Zinskurve an. Weiterhin gelten die Credit Spreads aus Tab. 7.5. Fällt die Anleihe aus, so habe sie eine Recovery Rate von 40 %. Sie wollen den erwarteten Wert Ihrer Anleihe in einem Jahr berechnen sowie den Credit Value at Risk zu einem Konfidenzniveau von 99 % und den Expected Shortfall zu einem Konfidenzniveau von ebenfalls 99 % bestimmen. In einem Jahr hat Ihre Anleihe eine Restlaufzeit von zwei Jahren. Sie erhalten am Ende des ersten Jahres der noch verbleibenden Restlaufzeit 5 € als Zinszahlung, nach dem Ende der Laufzeit 105 €, d.h. den Nennwert und die Zinszahlung für das letzte Jahr. Wenn die Anleihe in einem Jahr immer noch ein Rating von „A“ besitzt, so hat sie dann einen Barwert von (7.6) €. 100 ) 01 , 0 04 , 0 1 ( € 105 ) 01 , 0 04 , 0 1 ( € 5 2 A BW Ändert sich ihr Rating aber auf z.B. „BB“, so sinkt der Wert der Anleihe auf (7.7) €. 96 , 92 ) 05 , 0 04 , 0 1 ( € 105 ) 05 , 0 04 , 0 1 ( € 5 2 BB BW Aufgrund der Rating-Verschlechterung erfährt die Anleihe eine Wertänderung von €. 04 , 7 € 100 € 96 , 92 Diese Berechnung kann für jede mögliche Rating-Änderung bis zum Ende des Jahres durchgeführt werden. Die ausstehenden Zahlungen werden mit dem für die Rating-Klasse gültigen Zinssatz diskontiert, der sich aus dem risikolosen Zinssatz zuzüglich des Credit Spreads berechnet (s. Tab. 7.11). Es ergibt sich jeweils der Barwert (Spalte 3) bei Hoch- oder Herabstufung der Anleihe sowie die Wertänderung gegenüber einem Verbleib in der ursprünglichen Rating-Klasse (Spalte 4). Zusätzlich sind in Tab. 7.11 die Wahrscheinlichkeiten für eine Rating-Änderung angegeben. Diese sind aus der Übergangsmatrix in Tab. 7.4 für eine Anleihe, die am Anfang des Jahres ein Rating von „A“ hatte, übernommen. Die Zeile für die Rating-Klasse „A“ aus Tab. 7.4 wurde dabei einfach transponiert ( QR-Glossar). Tab. 7.11 liefert so eine Wahrscheinlichkeitsverteilung für die Barwerte der Anleihe in einem Jahr. Aus dieser Wahrscheinlichkeitsverteilung lassen sich unterschiedliche Parameter berechnen. <?page no="226"?> 7.6 Kreditrisikomodelle 227 www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement Rating Zinssatz Anleihenwert (BW) Wertänderung gegenüber Verbleib in Klasse „A“ Wahrscheinlichkeit kumulierte Wahrscheinlichkeit D - 40,00 € 38 -60,00 € 0,08 % 0,08 % C 24 % 72,32 € -27,68 € 0,02 % 0,10 % B 14 % 85,18 € -14,82 € 0,17 % 0,27 % BB 9 % 92,96 € -7,04 € 0,4 % 0,67 % BBB 6 % 98,17 € -1,83 € 5,71 % 6,38 % A 5 % 100,00 € 0,00 € 91,58 % 97,96 % AA 4,5 % 100,94 € 0,94 € 2 % 99,96 % AAA 4 % 101,89 € 1,89 € 0,04 % 100 % Tab. 7.11 Mögliche Werte der „A“-Anleihe in einem Jahr Als erstes kann man den erwarteten Wert der Anleihe in einem Jahr ermitteln. Dieser ergibt sich als mit den Wahrscheinlichkeiten gewichtete Summe der Barwerte. €. 81 , 99 € 40 % 08 , 0 € 32 , 72 % 02 , 0 € 18 , 85 % 17 , 0 € 96 , 92 % 4 , 0 € 17 , 98 % 71 , 5 € 100 % 58 , 91 € 94 , 100 % 2 € 89 , 101 % 04 , 0 ) (BW E Die erwartete Wertänderung der Anleihe erhält man so als Differenz des erwarteten Barwertes zu dem Wert, den die Anleihe gehabt hätte, wenn sie ihr Rating beibehalten hätte, d.h. hier 99,81 € - 100 € = -0,19 €. Der erwartete Verlust E(V) ist das Negative der erwarteten Wertänderung, d.h. € 19 , 0 € 81 , 99 - € 100 € 100 - € 81 , 99 ) (V E . 39 Über Tab. 7.11 lässt sich aber auch der unerwartete Verlust, der aus einer Abwertung resultieren kann, quantifizieren. Der Value at Risk zu einem Konfidenzniveau von 99 % und einem Zeithorizont von einem Jahr, gibt den Verlust an, den die Anleihe in 99 % der Fälle nicht übersteigt. Dieses ist bei einer Abwertung der Anleihe auf „BBB“ der Fall. Man erkennt dieses daran, dass der Sprung der Verteilungsfunktion der Wertänderungen (Tab. 38 Erfolgt ein Ausfall der Anleihe, erhalten Sie 40 % des Nominalwertes der Anleihe aus der Verwertung von Sicherheiten. Diese müssen nicht mehr abgezinst werden, es wird davon ausgegangen, dass der Betrag genau am Berechnungstermin zurückfließt. 39 Ergibt sich für den erwarteten Verlust ein negativer Wert, so ist dieser als erwarteter Gewinn zu interpretieren. <?page no="227"?> 228 7 Kreditrisiko www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement 7.11, Spalte 6 kumulierte Wahrscheinlichkeit) über die 1 %-Grenze in der Klasse „BBB“ erfolgt. In insgesamt % 33 , 99 % 5,71 % 91,58 % 2 % 04 , 0 ) " BBB (" ) " A (" ) " AA (" ) " AAA (" P P P P der Fälle, d.h. mit mehr als 99 % Wahrscheinlichkeit, behält die Anleihe ihr Rating von „A“, wird hochgestuft oder wird auf „BBB“ herabgestuft. Nur in % 67 , 0 % 0,08 % 0,02 % 17 , 0 % 4 , 0 ) " D (" ) " C (" ) " B (" ) " BB (" P P P P der Fälle, d.h. mit weniger als 1 % Wahrscheinlichkeit, erhält sie nach einem Jahr ein schlechteres Rating als „BBB“. Der Value at Risk zu einem Konfidenzniveau von 99 % entspricht daher dem Barwertverlust bei einer Abstufung auf „BBB“, d.h. (7.8) €. 83 , 1 | € 100 € 17 , 98 | Jahr 1 , 99 , 0 VaR 40 Der Credit Value at Risk ergibt sich wiederum, indem man den erwarteten Verlust vom Value at Risk abzieht, d.h. €. 64 , 1 € 19 , 0 € 83 , 1 Jahr 1 , 99 , 0 CVaR Aus der Verteilung in Tab. 7.11 lässt sich aber auch der Expected Shortfall, d.h. der erwartete Verlust unter der Bedingung, dass der Verlust zu den 1 % höchsten Verlusten gehört, berechnen. Nach Formel (4.8) ergibt sich für den Expected Shortfall €. 29 , 11 €) 17 , 98 € 100 ( % 38 , 5 €) 17 , 98 € 100 ( % 71 , 5 €) 96 , 92 € 100 ( % 4 , 0 €) 18 , 85 € 100 ( % 17 , 0 €) 32 , 72 € 100 ( % 02 , 0 €) 40 € 100 ( % 08 , 0 % 1 1 Bestimmung per Simulation Auch bei den Mark-to-Market-Modellen ist die Berechnung des erwarteten und unerwarteten Verlustes für nur eine Anleihe im Portfolio analytisch ohne Weiteres möglich. Wir wollen hier dennoch eine Monte-Carlo-Simulation für eine Anleihe durchführen, um die Idee des Mapping noch einmal an einer einfachen Situation einüben zu können. Um eine Simulation vornehmen zu können, brauchen wir eine Zufallsvariable, deren Verteilung die Bonitätsveränderungen der Anleihe im Portfolio widerspiegelt. Diese Verteilung ist diskret (s. z.B. Tab. 7.11, Spalte 4). Wie in Abschnitt 6.6.3.4 beschrieben, 40 Sollte eine Hochstufung der Anleihe mit einer höheren Wahrscheinlichkeit als dem Konfidenzniveau erfolgen, so ergäbe sich in Formel (7.8) innerhalb des Betrags ein negativer Wert, d.h. ein Gewinn. Der Value at Risk ist in diesem Fall null zu setzen. Dieses wäre aber nur bei in der Praxis nicht verwendeten sehr kleinen Konfidenzniveaus der Fall. <?page no="228"?> 7.6 Kreditrisikomodelle 229 www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement nehmen wir ein Mapping einer in Excel standardmäßig implementierten gleichverteilten Zufallsvariable auf die Verteilung der Rating-Klassen vor. Das Vorgehen bei der Monte-Carlo-Simulation ist pro durchgeführten Simulationsschritt wie folgt: 1. Würfeln einer gleichverteilten Zufallsvariablen 2. Mapping der gleichverteilten Zufallsvariablen auf die Migrationswahrscheinlichkeiten der vorliegenden Anleihe 3. Ermittlung des Spreads bei dem in 2. ermittelten Rating 4. Bewertung der Anleihe mit dem spreadadjustierten Marktzins - vgl. Formel (7.7) 5. Ermittlung der Wertänderung gegenüber einem Verbleib in der ursprünglichen Rating-Klasse Diese Simulationsschritte werden n-mal ausgeführt. Man erhält n mögliche Gewinne oder Verluste, die innerhalb eines Jahres mit der Anleihe gemacht werden können. Dadurch ergibt sich demnach eine Gewinn- und Verlustverteilung. Aus dieser Verteilung können die gewünschten Parameter der Verteilung (erwarteter Verlust, Value at Risk und Expected Shortfall) ermittelt werden. Beispiel 7.16 (Fortführung von Beispiel 7.15) Für die Anleihe in Beispiel 7.15 soll das Kreditrisiko über eine Monte-Carlo- Simulation bestimmt werden. D C B BB BBB A AA AAA WK 0,08 % 0,02 % 0,17 % 0,40 % 5,71 % 91,58 % 2,00 % 0,04 % kum. WK 0,08 % 0,10 % 0,27 % 0,67 % 6,38 % 97,96 % 99,96 % 100 % Tab. 7.12 Migrationswahrscheinlichkeiten und kumulierte Migrationswahrscheinlichkeiten für einen „A“-Emittenten Die Migrationswahrscheinlichkeiten der „A“-Anleihe lassen sich aus Tab. 7.4 ablesen. In Tab. 7.12 sind diese noch einmal in „umgekehrter Reihenfolge“ 41 aufgeführt. Zusätzlich sind die kumulierten Wahrscheinlichkeiten angegeben. Die kumulierte Wahrscheinlichkeit bei „BB“ von 0,67 % bedeutet dabei z.B., dass mit einer Wahrscheinlichkeit von 0,67 % die „A“-Anleihe am Ende eines Jahres auf ein Rating von „BB“ oder schlechter herabgestuft wurde. 41 Für das Mapping der Zufallsvariablen ist es nicht notwendig, die Migrationswahrscheinlichkeiten umzusortieren. Man kann die Hochstufung zu „AAA“ auch links anordnen, solange die Wahrscheinlichkeit ein „AAA“ zu bekommen bei dem Mapping bei 0,04 % bleibt. Üblicherweise bildet man die „sehr kleinen“ Werte der Ausgangszufallsvariable aber auf den Default (D) der Anleihe und „große“ Werte auf eine Hochstufung des Ratings ab. Es hat sich daher eine Anordnung von „D“ bis „AAA“ eingebürgert. <?page no="229"?> 230 7 Kreditrisiko www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement Das Mapping erfolgt in Excel über eine mehrfach verschachtelte „Wenn-Beziehung“. Wird in Spalte B mit „Zufallszahl()“ eine zwischen null und eins gleichverteilte Zufallszahl erzeugt, so kann man über =WENN(B2<0,08 %; "D"; WENN(B2<0,1 %; "C"; WENN(B2<0,27 %; "B"; WE NN(B2<0,67 %; "BB"; WENN(B2<6,38 %; "BBB"; WENN(B2<97,96 %; "A"; WE NN(B2<99,96 %; "AA"; "AAA"))))))) die in Tab. 7.12 gezeigten Migrationswahrscheinlichkeiten erzeugen. Aus dem so „gewürfelten“ Rating der Anleihe in einem Jahr lassen sich in Excel über einen „SVerweis“ die Credit Spreads ermitteln und die zukünftigen Zahlungen aus der Anleihe mit dem so ermittelten risikoadjustierten Zinssatz abzinsen. Abb. 7.8 Ausschnitt aus einer Monte-Carlo-Simulation für den Wert einer „A“-Anleihe in einem Jahr Die erwartete Wertänderung ergibt sich als Mittelwert der Gewinne und Verluste (Abb. 7.8, Spalte F), der erwartete Verlust, indem die erwartete Wertänderung negiert wird (Multiplikation mit -1). Der erwartete Verlust liegt je nach Simulationslauf bei Werten um 0,18 €. Für die Ermittlung des unerwarteten Verlustes ist aus den Gewinnen und Verlusten durch Sortieren wieder eine Verteilungsfunktion zu ermitteln. Die Ermittlung des Value at Risk und Credit Value at Risk erfolgt analog zu Beispiel 7.14 oder durch Ermittlung des empirischen Quantils durch Abzählen innerhalb der sortierten Wertänderungen (s. Abschnitt 4.5.1). Der Value at Risk zu einem Konfidenzniveau von 95 % liegt bei 1,83 €, damit beträgt der Credit Value at Risk je nach Simulationslauf um die 1,65 €. Der Expected Shortfall kann empirisch als Betrag des Mittelwerts der 5 % negativsten Wertänderungen bestimmt werden. Er liegt bei 4,03 €. Die vollständige Programmierung des Beispiels findet sich in „Beispiel 7.16.xls“. Statt des Mappings einer gleichverteilten Zufallsvariable auf die diskrete Ausfallwahrscheinlichkeit der Anleihe, kann auch ein Mapping einer normalverteilten Zufallsvariablen auf die Ausfallwahrscheinlichkeiten vorgenommen werden. Fortführung von Beispiel 7.16 Die Rating-Veränderungen der „A“-Anleihe aus Beispiel 7.15 sollen nun durch das Mapping einer normalverteilten Zufallsvariable auf die Migrationswahrscheinlichkeiten der Anleihe abgebildet werden. <?page no="230"?> 7.6 Kreditrisikomodelle 231 www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement Die Migrationswahrscheinlichkeiten der „A“-Anleihe sind in Tab. 7.13 gemeinsam mit den kumulierten Wahrscheinlichkeiten und den zugehörigen Quantilen der Normalverteilung angegeben. D C B BB BBB A AA AAA WK 0,08 % 0,02 % 0,17 % 0,40 % 5,71 % 91,58% 2,00 % 0,04 % kum. WK 0,08 % 0,10 % 0,27 % 0,67 % 6,38 % 97,95% 99,96% 100 % Quantil -3,16 -3,09 -2,78 -2,47 -1,52 2,04 3,29 Tab. 7.13 Migrationswahrscheinlichkeiten und kumulierte Migrationswahrscheinlichkeiten eines „A“-Emittenten und zugehörige Quantile der Normalverteilung In der dritten Zeile von Tab. 7.13 ist das Mapping der Rating-Klassen auf eine Normalverteilung vorgenommen. Die Standardnormalverteilung bleibt in 0,08 % der Fälle unter dem Wert -3,16. Erzielt man bei der Simulation mit der normalverteilten Zufallsvariable einen Wert, der unter -3,16 liegt, so sagt man, die Anleihe sei in diesem Simulationsschritt ausgefallen. Mit 0,1 % Wahrscheinlichkeit liegt eine standardnormalverteilte Zufallsvariable unter -3,09. Demnach liegt sie mit 0,02 % Wahrscheinlichkeit zwischen -3,16 und -3,09. Dementsprechend geht man, wenn die Zufallsvariable in den Bereich -3,16 bis -3,09 gefallen ist, von einer Herabstufung auf „C“ aus etc. Das Mapping ist grafisch noch einmal in Abb. 7.9 dargestellt. Abb. 7.9 Mapping einer standardnormalverteilten Zufallsvariable auf die Migrationswahrscheinlichkeiten einer „A“-Anleihe 7.6.2.2 Kreditrisiko eines Kreditportfolios Analytische Bestimmung Für die analytische Bestimmung des Kreditrisikos eines Kreditportfolios muss man die gemeinsamen Migrationswahrscheinlichkeiten der Anleihen im Portfolio kennen. Kann <?page no="231"?> 232 7 Kreditrisiko www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement man Unabhängigkeit der Rating-Migrationen voraussetzen, so lassen sich die gemeinsamen Migrationswahrscheinlichkeiten aus den Migrationswahrscheinlichkeiten der einzelnen Anleihen erzeugen. Wir setzen in diesem Abschnitt Unabhängigkeit der Rating-Migrationen voraus und gehen bei der Bestimmung des Kreditrisikos durch Simulation auf korrelierte Rating-Migrationen ein. Beispiel 7.17 Sie kaufen zu Ihrer „A“-Anleihe aus Beispiel 7.15 noch eine Anleihe eines „BBB“- Emittenten hinzu. Die „BBB“-Anleihe zahle einen Kuponzinssatz von 6 % p.a., sie besitze eine Recovery Rate von 30 %. Die „A“-Anleihe hat die aus Tab. 7.4 bekannten Migrationswahrscheinlichkeiten (s. Tab. 7.14). Nach AAA AA A BBB BB B C D A 0,04 % 2,00 % 91,58 % 5,71 % 0,40 % 0,17 % 0,02 % 0,08 % Tab. 7.14 Migrationswahrscheinlichkeiten für einen „A“-Emittenten Die „BBB“-Anleihe besitzt entsprechend die „BBB“-Migrationswahrscheinlichkeiten aus der Übergangsmatrix (s. Tab. 7.15). Nach AAA AA A BBB BB B C D BBB 0,01 % 0,13 % 3,89 % 90,69 % 4,18 % 0,68 % 0,16 % 0,26 % Tab. 7.15 Migrationswahrscheinlichkeiten für einen „BBB“-Emittenten Aufgrund der vorausgesetzten Unabhängigkeit der Rating-Änderungen ergibt sich die gemeinsame Rating-Änderung wiederum als das Produkt beider Rating- Änderungen (s. auch Abschnitt 7.6.1.2). So gilt z.B. für die gemeinsame Änderung des Ratings beider Anleihen auf „BB“ P(„A“ ändert sich auf „BB“ und „BBB“ ändert sich auf „BB“) = P(„A“ ändert sich auf „BB“) · P(„BBB“ ändert sich auf „BB“) = 0,4 %·4,18 % = 0,0167 %. Um die gemeinsame Verteilung der Ratings beider Anleihen zu erhalten, muss jede Kombination möglicher Rating-Veränderungen betrachtet werden (Tab. 7.16). <?page no="232"?> 7.6 Kreditrisikomodelle 233 www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement Anleihe BBB AAA AA A BBB BB B C D Anleihe A AAA 0,00 % 0,00 % 0,00 % 0,04 % 0,00 % 0,00 % 0,00 % 0,00 % AA 0,00 % 0,00 % 0,08 % 1,81 % 0,08 % 0,01 % 0,00 % 0,01 % A 0,01 % 0,12 % 3,56 % 83,05 % 3,83 % 0,62 % 0,15 % 0,24 % BBB 0,00 % 0,01 % 0,22 % 5,18 % 0,24 % 0,04 % 0,01 % 0,01 % BB 0,00 % 0,00 % 0,02 % 0,36 % 0,02 % 0,00 % 0,00 % 0,00 % B 0,00 % 0,00 % 0,01 % 0,15 % 0,01 % 0,00 % 0,00 % 0,00 % C 0,00 % 0,00 % 0,00 % 0,02 % 0,00 % 0,00 % 0,00 % 0,00 % D 0,00 % 0,00 % 0,00 % 0,07 % 0,00 % 0,00 % 0,00 % 0,00 % Tab. 7.16 Gemeinsame Wahrscheinlichkeiten für eine Rating-Veränderung einer „A“- Anleihe (Zeilen) und einer „BBB“-Anleihe (Spalten) Der oben exemplarisch ausgerechnete Wert einer Verschlechterung beider Anleihen auf „BB“ findet sich in der Zeile „BB“ und der Spalte „BB“ mit 0,02 %. Rating Zinssatz Anleihewert Wertänderung gegenüber Verbleib in Klasse „BBB“ Wahrscheinlichkeit kumulierte Wahrscheinlichkeit D - 30,00 € -70,00 € 0,26 % 0,26 % C 24 % 73,78 € -26,22 € 0,16 % 0,42 % B 14 % 86,83 € -13,17 € 0,68 % 1,10 % BB 9 % 94,72 € -5,28 € 4,18 % 5,28 % BBB 6 % 100,00 € 0,00 € 90,69 % 95,97 % A 5 % 101,86 € 1,86 € 3,89 % 99,86 % AA 4,5 % 102,81 € 2,81 € 0,13 % 99,99 % AAA 4 % 103,77 € 3,77 € 0,01 % 100,00 % Tab. 7.17 Mögliche Werte der „BBB“-Anleihe in einem Jahr Die „A“-Anleihe erfährt bei Migrationen in einem Jahr die in Tab. 7.11, Spalte 4 gezeigten Wertänderungen. Analog ergeben sich für die „BBB“-Anleihe bei Rating- Veränderungen die in Tab. 7.17 angeführten Anleihewerte. <?page no="233"?> 234 7 Kreditrisiko www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement Zur Bestimmung der Verteilung der Wertänderungen des Portfolios sind nun für jede Kombination aus Rating-Veränderungen beider Anleihen die Barwertänderungen des Portfolios zu bestimmen. So wird z.B. bestimmt, welchen Verlust das Portfolio erleidet, wenn die „A“-Anleihe und die „BBB“-Anleihe ganz ausfallen, wenn die „A“-Anleihe auf „C“ abgestuft wird und die „BBB“-Anleihe ausfällt etc. Dieses ermittelt man als Summe der Wertänderung in Tab. 7.11 und Tab. 7.17 für alle 64 (=8·8) Kombinationen (s. Tab. 7.18). Anleihe BBB AAA AA A BBB BB B C D Anleihe A AAA 5,7 € 4,7 € 3,7 € 1,9 € -3,4 € -11,3 € -24,3 € -68,1 € AA 4,7 € 3,7 € 2,8 € 0,9 € -4,3 € -12,2 € -25,3 € -69,1 € A 3,8 € 2,8 € 1,9 € 0,0 € -5,3 € -13,2 € -26,2 € -70,0 € BBB 1,9 € 1,0 € 0,0 € -1,8 € -7,1 € -15,0 € -28,1 € -71,8 € BB -3,3 € -4,2 € -5,2 € -7,0 € -12,3 € -20,2 € -33,3 € -77,0 € B -11,0 € -12,0 € -13,0 € -14,8 € -20,1 € -28,0 € -41,0 € -84,8 € C -23,9 € -24,9 € -25,8 € -27,7 € -33,0 € -40,9 € -53,9 € -97,7 € D -56,2 € -57,2 € -58,1 € -60,0 € -65,3 € -73,2 € -86,2 € -130 € Tab. 7.18 Portfoliowertänderung für Rating-Migrationen einer „A“-Anleihe (Zeilen) und einer „BBB“-Anleihe (Spalten) 42 Die Tabellen Tab. 7.16 und Tab. 7.18 können nun zusammengeführt werden. Dabei werden die Barwertänderungen gegenüber einem Verbleiben der Anleihen in ihren Rating-Klassen aus Tab. 7.18 zunächst sortiert. Für jede Barwertänderung wird dann ermittelt, bei welchen Rating-Veränderungen diese stattgefunden hat. Die zugehörige gemeinsame Migrationswahrscheinlichkeit wird in Tab. 7.16 abgelesen. Als letzter Schritt wird die Verteilungsfunktion für den Verlust (bzw. Gewinn) berechnet (Tab. 7.19, Spalte 5). 42 Aus Platzgründen wird nur eine Nachkommastelle gezeigt. <?page no="234"?> 7.6 Kreditrisikomodelle 235 www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement Portfoliowertänderung Ratingveränderung „A“ Ratingveränderung „BBB“ Wahrscheinlichkeit kumulierte Wahrscheinlichkeit -130,0 € D D 0,00 % 0,00 % -97,7 € C D 0,00 % 0,00 % -86,2 € D C 0,00 % 0,00 % . . . . . -14,8 € B BBB 0,15 % 0,72 % -13,2 € A B 0,62 % 1,35 % -13,0 € B A 0,01 % 1,35 % . . . . . 4,7 € AA AAA 0,00 % 100,00 % 5,7 € AAA AAA 0,00 % 100,00 % Tab. 7.19 Auszug aus der Verteilung möglicher Portfoliowertänderungen in einem Jahr Über die Verteilungsfunktion bestimmt sich die erwartete Wertänderung wiederum durch Gewichtung der Gewinne und Verluste mit den Wahrscheinlichkeiten ihres Auftretens 43 zu €. 65 , 0 % 000004 , 0 € 7 , 5 ... % 000052 , 0 € 7 , 97 % 000208 , 0 € 130 Der erwartete Verlust errechnet sich als das Negative der erwarteten Wertänderung zu 0,65 €. Der Value at Risk zu einem Konfidenzniveau von 99 % ergibt sich bei dem Sprung der Verteilungsfunktion über die Fehlerwahrscheinlichkeit von 1 % bei einem Verlust von 13,17 €. Damit beträgt der unerwartete Verlust, d.h. der Credit Value at Risk zu 99 % €. 52 , 12 € 65 , 0 € 17 , 13 99 , 0 CVaR 43 In Tab. 7.19 sind die Wahrscheinlichkeiten mit nur zwei Nachkommastellen angegeben. Zur korrekten Bestimmung sind aber die ungerundeten Wahrscheinlichkeiten zu verwenden, da hohe Verluste mit zwar kleinen Wahrscheinlichkeiten auftreten, die aber größer als null sind. <?page no="235"?> 236 7 Kreditrisiko www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement Die vollständige Berechnung einschließlich der Berechnung des Expected Shortfall findet sich in „Beispiel 7.17.xls“. Bestimmung per Simulation Das Portfolio in Beispiel 7.17 enthielt nur zwei Anleihen. Trotzdem ergab sich schon eine Matrix gemeinsamer Ausfallwahrscheinlichkeiten mit 64 (=8·8) Einträgen. Hätte das Portfolio drei Anleihen, z.B. eine zusätzliche Anleihe der Rating-Klasse „AA“, kommt noch einmal der Faktor acht dazu, denn für jede der acht möglichen Rating- Änderungen der dritten Anleihe haben die beiden anderen Anleihen die 64 schon errechneten Möglichkeiten einer Rating-Kombination nach einem Jahr. Insgesamt ergeben sich für drei Anleihen 512 (=8·8·8) mögliche Rating-Kombinationen. Bei n Anleihen im Portfolio erhöht sich die Anzahl an Kombinationen dementsprechend auf 8 n Möglichkeiten. Bei hundert Instrumenten im Portfolio wäre das schon eine Anzahl an Kombinationen, die - großzügig abgerundet - einer Zwei mit 90 Nullen entspricht. Eine sehr große Zahl! Aber dieses ist nicht der einzige Grund, aus dem man auf eine analytische Berechnung über die gemeinsamen Wahrscheinlichkeiten für Rating-Veränderungen und die Verlustverteilung des Portfolios verzichtet und stattdessen eine Bestimmung des Risikos per Simulation vornimmt. In Beispiel 7.17 hatten wir angenommen, dass die Rating- Veränderungen der einzelnen Anleihen unabhängig voneinander stattfinden. Nicht erst seit der Finanzkrise im Jahr 2008 weiß man aber, dass Rating-Veränderungen in der Finanzwelt nicht voneinander unabhängig sind. Aufgrund der Verflechtung der Finanzmärkte bestehen große Abhängigkeiten. Wenn eine Bank viele Kredite an ein Unternehmen oder eine andere Bank begeben hat und diese Kreditnehmer herabgestuft werden oder sogar ausfallen, muss die kreditgebende Bank große Verluste hinnehmen und ist vielleicht sogar ihrerseits von der Insolvenz bedroht. Sie wird daher eventuell auch im Rating herabgestuft werden. Daher müssten statt der in Tab. 7.16 als Produkt aus den Einzelwahrscheinlichkeiten berechneten Wahrscheinlichkeiten für Rating-Veränderungen eigentlich gemeinsame Migrationswahrscheinlichkeiten angesetzt werden, die diesen Abhängigkeiten der Rating-Veränderungen untereinander Rechnung tragen. Diese gemeinsamen Migrationswahrscheinlichkeiten kennt man aber selten. Zwar können auch gemeinsame Migrationswahrscheinlichkeiten empirisch geschätzt werden. Dazu sind aber sehr umfangreiche Datensätze nötig. Man behilft sich oft so, dass Korrelationen zwischen den Anleihen berücksichtigt werden. Diese können z.B. aus der Entwicklung von Anleihekursen empirisch gewonnen werden. Hat man mehrere Anleihen im Portfolio, so erzeugt man in der Simulation für jede Anleihe eine Zufallsvariable. Um die Korrelation zwischen den Anleihen abzubilden, ist es dabei sinnvoll, zunächst normalverteilte Zufallsvariablen zu generieren. Für diese lässt sich über eine Transformation leicht eine Korrelation erzeugen (s. Exkurs 6.3). Man hat dann korrelierte normalverteilte Variablen vorliegen. Die so entstehenden korrelierten Zufallsvariablen werden anschließend auf die gegebenen diskreten Migrationswahrscheinlichkeiten der Anleihen abgebildet (s. Abschnitt 6.6.3.4). Es seien nun k Kredite und/ oder Anleihen im Portfolio. Führt man eine Simulation in Excel durch, so gestaltet sich das Vorgehen pro in den Zeilen durchgeführtem Simulationsschritt wie folgt: <?page no="236"?> 7.6 Kreditrisikomodelle 237 www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement 1. Generierung von k standardnormalverteilten Zufallsvariablen wie in Exkurs 6.2 beschrieben (Spalten 1 bis k) 2. Transformation auf k korrelierte Zufallsvariablen wie in Exkurs 6.3 beschrieben (Spalten k+1 bis 2k) 3. Mapping der korrelierten normalverteilten Zufallsvariablen auf die Migrationswahrscheinlichkeiten der vorliegenden Anleihen wie in Abschnitt 6.6.3.4 beschrieben (Spalten 2k+1 bis 3k) 4. Ermittlung der Spreads bei den in Schritt 3 ermittelten Ratings (Spalten 3k+1 bis 4k) 5. Bewertung der Kredite und Anleihen mit den spreadadjustierten Marktzinsen (Spalten 4k+1 bis 5k) 6. Ermittlung einer Wertänderung des gesamten Kreditportfolios gegenüber einem Verbleib aller Kredite in den ursprünglichen Rating-Klassen (Spalte 5k+1) Beispiel 7.18 (Fortführung von Beispiel 7.17) Wir betrachten dasselbe Portfolio aus einer „A“- und einer „BBB“-Anleihe wie in Beispiel 7.17. Der erwartete und unerwartete Verlust des Portfolios sind nun mit einer Monte-Carlo-Simulation zu bestimmen. Die Korrelation der Anleihen wurde aus historischen Daten zu 0,85 bestimmt. Die ersten beiden Schritte des Vorgehens bei einer Monte-Carlo-Simulation sind in Abb. 7.10 zu sehen. Dabei befindet sich die Korrelation in Zelle R2. Abb. 7.10 Erzeugung von zwei korrelierten Zufallsvariablen in einer Monte-Carlo-Simulation Für die in den Spalten D und E implementierten korrelierten Zufallsvariablen wird ein Mapping auf die Migrationswahrscheinlichkeiten vorgenommen (s. Abschnitt 6.6.3.4). Des Weiteren erfolgt pro Anleihe die Ermittlung des Credit Spreads aus dem simulierten Rating am Ende des Jahres sowie eine Bewertung der zukünftigen Cashflows mit dem risikoadjustierten Zinssatz. Aus der Summe der Anleihewerte abzüglich des Wertes der Anleihen, wenn sich ihr Rating nicht ändert, erhält man die in diesem Simulationsschritt simulierte Portfoliowertänderung. Aus den Wertänderungen aller Simulationsschritte wird wiederum eine Verteilung generiert. Stellen wir in der Anwendung eine Korrelation von null ein, setzen also die Unabhängigkeit der Anleihen voraus, so erhalten wir für den erwarteten Verlust Werte in der Größenordnung von 0,68 € - je nach Simulation. Der Value at Risk zu 99 % hat denselben Wert von 13,17 € wie bei der analytischen Berechnung in Beispiel 7.17. Haben die Anleihen aber eine Korrelation von 0,85, so steigt der unerwartete Verlust. Der Value at Risk zu 99 % liegt in diesem Fall bei 15,01 €. Dementsprechend ändert sich der Credit Value at Risk auf €. 33 , 14 € 68 , 0 € 01 , 15 99 , 0 CVaR Die vollständige Implementierung des Beispiels findet sich in „Beispiel 7.18.xls“. <?page no="237"?> 238 7 Kreditrisiko www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement 7.7 Zusammenfassung Kreditrisiken können im engen Sinn als reines Ausfallrisiko und im weiteren Sinne als Gefahr einer Rating-Verschlechterung und damit einhergehender negativer Marktwertänderungen definiert werden. Default-Mode-Modelle quantifizieren das Kreditrisiko im engen Sinne, Mark-to-Market-Modelle bilden auch Bonitätsveränderungen mit ab. Kreditrisiken haben eine linksschiefe Verteilung, da mit einer hohen Wahrscheinlichkeit nur kleine Verluste auftreten, während die Wahrscheinlichkeit für hohe Verluste gering ist. Der erwartete Verlust aus einer Kreditvergabe wird von Banken bereits in den Zinssatz des Kredites einkalkuliert, nur der unerwartete Verlust ist mit Eigenkapital zu unterlegen. Er wird durch den Credit Value at Risk als Differenz aus Value at Risk und erwartetem Verlust gemessen. Externe und interne Ratings bringen Kreditnehmer in eine ordinale Rangfolge hinsichtlich der Wahrscheinlichkeit ihrer Zahlungsfähigkeit. Durch historische Daten oder über die Risiko-Spreads, die am Markt für Anleihen einer Rating-Klasse gefordert werden, werden den Rating-Klassen durchschnittliche Ausfallwahrscheinlichkeiten zugeordnet. Migrationsmatrizen zeigen die Wahrscheinlichkeiten, mit denen Emittenten innerhalb eines festgelegten Zeitraums von einer Rating-Klasse in eine andere wechseln bzw. ihr Rating beibehalten. Recovery Rates geben den Anteil eines Kredits an, der bei einem Ausfall des Kreditnehmers aus der Verwertung von Sicherheiten für den Kreditgeber noch einholbar ist. Recovery Rates schwanken wie Ausfallwahrscheinlichkeiten im Zeitverlauf und sind von diesen nicht unabhängig. Steigen die Ausfallwahrscheinlichkeiten, so sinken tendenziell die Recovery Rates. Ein Credit Spread gibt den Renditezuschlag an, den ein Anleger für die Übernahme des Kreditrisikos fordert. Durch Abzinsung mit dem risikoadjustierten Zinssatz aus risikolosem Marktzinssatz plus Credit Spread kann der faire Preis eines Kredits ermittelt werden. Für Default-Mode-Modelle und Mark-to-Market-Modelle kann jeweils eine Quantifizierung des Kreditrisikos auf analytischem Weg und über Simulationen vorgenommen werden. Bei vielen Krediten im Portfolio wird der Aufwand der analytischen Berechnung sehr hoch. Korrelationen sind einfacher über Simulationen abzubilden. 7.8 Literatur 7.8.1 Im Text zitierte Literatur Basler Ausschuss für Bankenaufsicht (1999): Credit Risk Modelling: Current Practices and Applications, URL: http: / / www.bis.org/ publ/ bcbs49.pdf (Stand 7.12.2013). Basler Ausschuss für Bankenaufsicht (2004): Internationale Konvergenz der Kapitalmessung und Eigenkapitalanforderungen, Überarbeitete Rahmenvereinbarung, URL: <?page no="238"?> 7.8 Literatur 239 www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement http: / / www.bundesbank.de/ Redaktion/ DE/ Downloads/ Kerngeschaeftsfelder/ Bank enaufsicht/ Gesetze_Verordnungen_Richtlinien/ rahmenvereinbarung_baseler _eigenkapitalempfehlung_200406.pdf? _blob=publicationFile (Stand: 7.12.2013). Beck, H. & Wienert, H. (2010): Brauchen wir eine europäische Rating-Agentur? Wirtschaftsdienst, 90(7), S. 464-469. BMW Group (URL): Fremdkapital und Rating. Ratings. URL: http: / / www.bmwgroup.com/ d/ 0_0_www_bmwgroup_com/ investor_relations/ frem dkapital_und_rating/ ratings.html (Stand 7.12.2013). Countryeconomy (URL): Rating: Mexico Credit Rating. URL: http: / / countryeconomy.com/ ratings/ mexico (Stand 7.12.2013). Credit Suisse Financial Products (1997): CreditRisk + - A Credit Management Framework, London. 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Mai 2013 zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1060/ 2009 über Ratingagenturen, Amtsblatt der Europäischen Union, URL: http: / / gesetzgebung.beck.de/ news/ ratingverordnung-aenderung (Stand: 7.12.2013). Everling, O. & Schneck, O. (2004): Das Rating ABC, Köln. Grundsätze über die Eigenmittel und die Liquidität der Institute (Grundsatz I und Grundsatz II), vom 20. Januar 1969, zuletzt geändert m Wv 1.10.1998 durch Bek. vom 29.10.1997 (BAz. Nr. 210), in: Bankrecht (1998), 27. Aufl., Beck-Texte. Gupton, G.M., Finger, C.C. & Bhatia, M. (2007): CreditMetrics™ - Technical Document, RiskMetrics Group, (First published in 1997 by J.P. Morgan & Co). Hartmann-Wendels, T., Pfingsten, A. & Weber, M. (2007): Bankbetriebslehre, Berlin: Springer. Kuka AG (URL): Rating, URL: http: / / www.kuka-ag.de/ de/ investor_relations/ bonds/ rating/ (Stand: 7.12.2013). Ott, C. (2011): Der Informationsgehalt von Credit Ratings am deutschen Aktienmarkt: eine empirische Untersuchung. 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(2006): Kreditrisikomessung - Statistische Grundlagen, Methoden und Modellierung, Berlin: Springer-Verlag. <?page no="240"?> 7.9 Kontrollfragen 241 www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement 7.9 Kontrollfragen 1. Kreditrisiken sind nicht normalverteilt, weil man aus der Kreditvergabe keine Gewinne erzielen kann sind nicht normalverteilt, weil hohe Verluste eine kleine Wahrscheinlichkeit haben, während geringe Verluste eine hohe Wahrscheinlichkeit besitzen sind normalverteilt. 2. Der Credit Value at Risk entspricht dem Value at Risk im Kreditbereich entspricht dem erwarteten Verlust aus einem Kreditportfolio entspricht dem über den erwarteten Verlust hinausgehenden unerwarteten Verlust aus einem Kreditengagement und wird als Differenz von Value at Risk und erwartetem Verlust bestimmt. 3. Recovery Rates sind von den Ausfallwahrscheinlichkeiten unabhängig steigen an, wenn die Ausfallwahrscheinlichkeiten größer werden sinken, wenn die Ausfallwahrscheinlichkeiten größer werden. 4. Als Credit Spread wird die Streuung des Kreditrisikos der Renditezuschlag, den ein Anleger als Kompensation für die Übernahme von Ausfallrisiken fordert die Diversifikation von Risiken durch Kreditvergabe an Kreditnehmer unterschiedlicher Branchen verstanden. 5. Folgende Begriffe passen zusammen Kreditrisiko im engen Sinn, Ausfallwahrscheinlichkeit, Mark-to-Market- Modell Kreditrisiko im weiteren Sinn, Ausfallwahrscheinlichkeit, Mark-to-Market- Modell Kreditrisiko im engen Sinn, Übergangsmatrix, Mark-to-Market-Modell Kreditrisiko im weiteren Sinn, Übergangsmatrix, Mark-to-Market-Modell Kreditrisiko im engen Sinn, Ausfallwahrscheinlichkeit, Default-Mode-Modell. <?page no="241"?> 242 7 Kreditrisiko www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement 7.10 Aufgaben Aufgabe 7.1 Sie besitzen zwei Nullkuponanleihen mit folgenden Nennwerten, Ratings und Recovery Rates: 1.000 €, Rating „C“, 20 % Recovery Rate 5.000 €, Rating „B“, 40 % Recovery Rate Bestimmen Sie über ein Default-Mode-Modell analytisch den erwarteten Verlust! Verwenden Sie die Ausfallwahrscheinlichkeiten aus der Übergangsmatrix in Tab. 7.4! Aufgabe 7.2 Sie haben drei Nullkuponanleihen im Portfolio, die folgende Nennwerte und Ratings besitzen: 1.000 €, Rating „A“ 2.000 €, Rating „BB“ 3.000 €, Rating „C“ Bestimmen Sie über ein Default-Mode-Modell analytisch den erwarteten Verlust, die gemeinsame Verlustverteilung sowie den Value at Risk und den Credit Value at Risk zu einem Konfidenzniveau von 99 %! Gehen Sie davon aus, dass die Recovery Rates für alle Anleihen null sind! Lösen Sie die Aufgabe über eine Excel-Anwendung! Aufgabe 7.3 Eine Anleihe besitzt zu Beginn eines Jahres ein Rating von „BB“. Wie hoch sind ihre Chancen, hochgestuft zu werden bzw. ihr Rating zu behalten, und wie hoch ist ihr Risiko, herabgestuft zu werden? Verwenden Sie die Migrationswahrscheinlichkeiten aus der Übergangsmatrix in Tab. 7.4! Aufgabe 7.4 Eine Anleihe mit einem „A“-Rating habe einen Nennwert von 1.000 € und einen Kuponzinssatz von 4 % p.a. Ihre Restlaufzeit beträgt genau 2 Jahre. Der aktuelle Marktzinssatz betrage 2 % p.a. a) Wie hoch ist der Wert der Anleihe heute, wenn der aktuelle Spread für „A“- Anleihen 1 % p.a. beträgt? b) Welchen Wertverlust hat die Anleihe zu verzeichnen, wenn Sie auf ein Rating von „BB“ mit einem Spread von 5 % p.a. herabgestuft wird? <?page no="242"?> 7.10 Aufgaben 243 Aufgabe 7.5 Sie halten eine Anleihe (Nennwert: 1.000 €) mit einem „BBB“-Rating und wollen deren Kreditrisiko bei einem Betrachtungszeitraum von einem Jahr berechnen. Zu diesem Zeitpunkt hat die Anleihe noch eine Restlaufzeit von drei Jahren. Sie besitzt einen Kuponzinssatz von 7 % p.a. Der risikolose Zinssatz liege bei 2 % p.a. Es gelten die Ausfallwahrscheinlichkeiten in der Migrationsmatrix aus Tab. 7.4 sowie die Credit Spreads in Tab. 7.5. a) Erstellen Sie ein Mapping einer gleichverteilten Zufallsvariable auf die Migrationswahrscheinlichkeiten der „BBB“-Anleihe! b) Ermitteln Sie über eine Monte-Carlo-Simulation den erwarteten Verlust sowie den unerwarteten Verlust in Form des Credit Value at Risk zu einem Konfidenzniveau von 99 %! Aufgabe 7.6 Sie halten ein Portfolio mit einer „AA“- und einer „BB“-Anleihe. Die „AA“-Anleihe hat einen Kuponzinssatz von 2,5 % p.a., die „BB“-Anleihe einen Kuponzinssatz von 6 % p.a. Die Restlaufzeit beider Anleihen beträgt genau zwei Jahre. Die Recovery Rate der „AA“-Anleihe beträgt 40 %, die der „BB“-Anleihe 30 %. Erstellen Sie ein Excel- Programm, in dem man die Korrelation zwischen den Anleihen variabel einstellen kann und simulieren Sie den erwarteten Verlust und den Value at Risk zu einem Konfidenzniveau von 99 % in einem Mark-to-Market-Modell bei a) Unabhängigkeit der Migrationswahrscheinlichkeiten beider Anleihen, d.h. einer Korrelation von null b) einer Korrelation der Anleihen von 0,8! <?page no="244"?> www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement 8 Liquiditätsrisiko 8.1 Lernziele Nach der Bearbeitung dieses Kapitels sollten Sie Liquiditätsrisiken klassifizieren können den Unterschied zwischen subjektbezogenen und objektbezogenen Liquiditätsrisiken kennen und Beispiele nennen können den Liquidity at Risk empirisch anhand gegebener historischer Werte für autonome Zahlungssalden bestimmen können die Komponenten des Marktliquiditätsrisikos benennen können wissen, dass die Geld-Brief-Spanne vom zu handelnden Volumen abhängt die Erweiterung des Value at Risk zum liquiditätsadjustieren Value at Risk als Ergänzung um Liquiditätskosten bei der Veräußerung von Finanzinstrumenten verstehen und berechnen können. 8.2 Einführung Beispiel 8.1 Sie schulden Ihrem Freund 50 €. Sie haben versprochen, das Geld heute zurückzuzahlen. Außerdem haben Sie Hunger und Lust auf eine Pizza. Leider ist in Ihrem <?page no="245"?> 246 8 Liquiditätsrisiko www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement Portemonnaie kein einziger Cent. Sie machen sich also auf den Weg zum Geldautomaten Ihrer Bank. Zuerst schauen Sie sich Ihren Kontoauszug an. Sie haben gerade eine Gehaltszahlung bekommen und Ihr Konto zeigt einen Kontostand von 2.750 €. Sie beschließen 100 € abzuheben. Als Sie auf „Bestätigen“ klicken, erscheint die Meldung „Geldautomat vorübergehend außer Betrieb“. Da dieses der einzige Geldautomat in Ihrem Dorf ist und Sie heute weder Auto noch Fahrrad zur Verfügung haben, sieht es schlecht für Sie aus. Obwohl Sie eigentlich „solvent“ sind und genügend Geld auf dem Konto haben, haben Sie Liquiditätsprobleme und müssen sowohl Ihren Freund vertrösten als auch hungrig ins Bett gehen. Definition 8.1: Das Liquiditätsrisiko bezeichnet das Risiko, Zahlungsverpflichtungen nicht uneingeschränkt und fristgerecht nachkommen zu können. Risiken rücken oft erst dann in den Fokus der Aufmerksamkeit, wenn aus ihnen Verluste resultieren. Liquiditätsrisiken waren von vielen Anlegern lange Zeit als nachrangig eingestuft worden. Diese Wahrnehmung änderte sich mit der 2007 beginnenden Finanzkrise. Die Subprime-Krise wurde spätestens mit der Insolvenz von Lehman Brothers im September 2008 auch zu einer Liquiditätskrise. Aus Angst vor Insolvenzen ihrer Kontrahenten und einem dadurch bedingten möglichen Zahlungsausfall liehen Banken sich gegenseitig kein Geld mehr, sondern legten es bei den Zentralbanken an, so dass der Interbankenhandel fast zum Erliegen kam. Genau wie in Beispiel 8.1 für eine fiktive, private Situation angesprochen, ist auch die Unfähigkeit einer Bank oder eines Unternehmens, Zahlungsverpflichtungen nachzukommen, nicht mit Schwierigkeiten mit der Solvabilität der Bank gleichzusetzen. Die klassische Struktur einer Bank besteht darin, dass sie Kredite begibt. Diese haben zumeist längere Laufzeiten (z.B. fünf bis zehn Jahre). Sie bilden die Aktivseite der Bilanz einer Bank. Die Refinanzierung der Kredite, die auf der Passivseite der Bilanz steht, kann zum einen über Kundenspareinlagen erfolgen. Diese sind meist entweder jederzeit abrufbar, wie bei klassischen Sparbüchern oder Tagesgeldkonten, oder nur für relativ kurze Zeiten angelegt. Die Bank kann sich aber zum anderen auch am Interbankenmarkt refinanzieren. Auch dieses geschieht meist kurzfristig. Aus der so vorgenommenen Fristentransformation zwischen kurzfristigen Einlagen und langfristig ausgegebenen Krediten können sich für die Bank Liquiditätsschwierigkeiten ergeben. Beispiel 8.2 Die Simple-Bank habe 500.000 € eingezahltes Eigenkapital. Sie hat am 1. Februar 2013 Kredite in Höhe von 2,5 Mio. € vergeben. Alle Kredite haben zu diesem Zeitpunkt eine Restlaufzeit von fünf Jahren. Die Kredite sind durch private Spar- und Sichteinlagen in Höhe von 1,5 Mio. € und Interbankenkredite in Höhe von 1 Mio. € refinanziert. Die Interbankenkredite laufen genau einen Monat lang. Die Simple- Bank hat daher momentan Bargeld in Höhe von 500.000 €. Sie besitzt keine Liquiditätsschwierigkeiten (s. Abb. 8.1). <?page no="246"?> 8.2 Einführung 247 www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement Aktiv Passiv Bargeld (0,5 Mio. €) Interbankenkredite (1 Mio. €) Einlagen (1,5 Mio. €) Kredite (2,5 Mio. €) Eigenkapital (0,5 Mio. €) Abb. 8.1 Ausgangsbilanz der Simple-Bank Liquiditätsschwierigkeiten können bei der Simple-Bank nun aus zwei Gründen auftreten. Zum einen können die Interbankenkredite „wegbrechen“. Ist der 1 März gekommen, so müssen die 1 Mio. € Interbankenkredite, die am 1.Februar 2013 in der Bilanz standen, zurückbezahlt werden. Die Simple-Bank versucht jetzt neue Refinanzierungsmöglichkeiten am Interbankenmarkt zu nutzen, um weiterhin ihre Kredite auf der Aktivseite zu refinanzieren. Klappt dieses aber nicht, weil z.B. aufgrund von Gerüchten über die Simple-Bank selber oder aufgrund einer allgemeinen Vertrauenskrise am Interbankenmarkt, keine andere Bank der Simple-Bank Geld leihen will, so kommt die Simple-Bank in Zahlungsschwierigkeiten. Sie hat zwar noch einen Puffer von 500.000 € an Bargeld. Nachdem dieses für die Rückzahlung der Hälfte der Interbankenkredite verbraucht ist, bleibt ihr aber eine Finanzierungslücke von 500.000 € (s. Abb. 8.2). Sie kann die Hälfte der Interbankenkredite nicht zurückbezahlen. Aktiv Passiv Liquiditätslücke (0,5 Mio. €) Einlagen (1,5 Mio. €) Kredite (2,5 Mio. €) Eigenkapital (0,5 Mio. €) Abb. 8.2 Liquiditätsschwierigkeiten der Simple-Bank aufgrund von Engpässen am Interbankenmarkt Zum anderen kann die Simple-Bank aber auch deshalb in Zahlungsschwierigkeiten kommen, weil die privaten Sparer ihre Spareinlagen abziehen. „Normalerweise“ passiert das nicht in dem Umfang, dass alle Sparer auf einmal ihr Geld ausgezahlt bekommen wollen. Kommt es aber z.B. zu Gerüchten über Schwierigkeiten einer Bank, kann es passieren, dass erste Sparer ihr Geld abheben. Da die anderen Sparer nun Angst bekommen, dass die Bank zahlungsunfähig wird, versucht in der Folge jeder, sein Geld abzuheben. Es kann zu einem Bank Run ( QR-Glossar) kommen. <?page no="247"?> 248 8 Liquiditätsrisiko www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement Möglicherweise, z.B. wenn an den Gerüchten „gar nichts dran“ war, wird die Zahlungsunfähigkeit der Bank dann erst durch den Bank Run ausgelöst (s. Abb. 8.3). Aktiv Passiv Liquiditätslücke (1 Mio. €) Kredite (2,5 Mio. €) Interbankenkredite (1 Mio. €) Eigenkapital (0,5 Mio. €) Abb. 8.3 Liquiditätsschwierigkeiten der Simple-Bank aufgrund eines Bank Run In beiden Fällen hat die Bank keine Verluste erlitten. Ihr Eigenkapital bleibt unangetastet. Es ist allerdings langfristig in Krediten gebunden, die die Bank nicht liquidieren kann. Könnte die Simple-Bank nicht auf Offenmarktgeschäfte der EZB zurückgreifen, so könnte sie ihren kurzfristigen Zahlungsverpflichtungen nicht nachkommen. 8.3 Bankaufsichtsrechtliche Behandlung des Liquiditätsrisikos § 11 des Gesetzes über das Kreditwesen (Kreditwesengesetz, KWG) fordert, dass „die Institute […] ihre Mittel so anlegen, dass jederzeit eine ausreichende Zahlungsbereitschaft (Liquidität) gewährleistet ist.“ Die quantitative Ausgestaltung des § 11, KWG stellt in Deutschland die Liquiditätsverordnung (LiqV) dar, die zum 1.1.2007 den bis zu diesem Zeitpunkt geltenden Grundsatz II ablöste. § 2 der Liquiditätsverordnung definiert, dass ein Institut zahlungsfähig ist, „wenn die zu ermittelnde Liquiditätskennzahl den Wert eins nicht unterschreitet. Die Liquiditätskennzahl gibt das Verhältnis zwischen den im Laufzeitband 1 [täglich bis zu einem Monat, Anmerkung der Verfasserin] verfügbaren Zahlungsmitteln und den während dieses Zeitraumes abrufbaren Zahlungsverpflichtungen an“ (LiqV, § 2). Zusätzlich werden drei weitere Laufzeitbänder mit weiteren Beobachtungszahlen definiert. § 10 der Liquiditätsverordnung gestattet alternativ die „Verwendung von institutseigenen Liquiditätsrisikomess- und -steuerungsverfahren“, sofern das Institut, das diese Verfahren verwendet, gewisse Voraussetzungen erfüllt. Das Regelwerk von „Basel III“ konzentriert sich als Antwort auf die Finanzkrise von 2007/ 2008 verstärkt auch auf das Liquiditätsrisiko. In der „Internationale[n] Rahmenvereinbarung über Messung, Standards und Überwachung in Bezug auf das Liquiditätsrisiko“ (Basler Ausschuss für Bankenaufsicht, 2010) werden Kennzahlen definiert, die global gewährleisten sollen, dass ein Institut kurzfristig (Liquidity Coverage) bzw. längerfristig (Net Stable Funding Ratio) zahlungsfähig bleibt. <?page no="248"?> 8.4 Klassifizierung von Liquiditätsrisiken 249 www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement 8.4 Klassifizierung von Liquiditätsrisiken 8.4.1 Refinanzierungs- und Marktliquiditätsrisiko Bei der Betrachtung von Liquiditätsrisiken unterscheidet man zwischen dem Refinanzierungsrisiko und dem Marktliquiditätsrisiko. Dabei unterteilt man das Refinanzierungsrisiko noch weiter in das Refinanzierungsrisiko im engeren Sinn, das Terminrisiko und das Abrufrisiko (s. Abb. 8.4). Abb. 8.4 Ausprägungen des Liquiditätsrisikos Definition 8.2: Das Refinanzierungsrisiko resultiert daraus, dass es aufgrund von Fristeninkongruenzen zwischen langfristiger Geldanlage und kurzfristiger Geldaufnahme zu Liquiditätsengpässen kommen kann. Definition 8.3: Das Refinanzierungsrisiko im engeren Sinn bezeichnet die Gefahr, dass eine Bank nicht oder nur zu einem gegenüber dem Marktzinssatz erhöhten Zinssatz in der Lage ist, sich Geldmittel zur Refinanzierung zu beschaffen. In Beispiel 8.2 bestand das Refinanzierungsrisiko im engeren Sinn in der Gefahr, dass die Simple-Bank keine Interbankenkredite mehr aufnehmen konnte. Termin- und Abrufrisiken beziehen sich auf die Kundenseite der Bank. Definition 8.4: Das Terminrisiko bezeichnet die Gefahr, dass sich vonseiten der Schuldner Zahlungseingänge verzögern. Beispiele für Terminrisiken sind dabei die Verzögerung von Tilgungen von Krediten bei Banken oder verspätete Begleichungen von Forderungen aus Lieferung und Leistung bei produzierenden Unternehmen. <?page no="249"?> 250 8 Liquiditätsrisiko www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement Beispiel 8.3 Die Very-Simple-Bank hat 1 Mio. € Kundenkredite mit einer Laufzeit von einem Jahr mit Festgeldern in Höhe von ebenfalls 1 Mio. € fristenkongruent refinanziert. Sonstige Positionen bestehen in ihrer Bilanz nicht. Nach Ablauf der Laufzeit verzögert sich die Rückzahlung der Kredite aufgrund von Zahlungsschwierigkeiten der Kunden. Die Very-Simple-Bank hat nun ihrerseits Liquiditätsprobleme, da sie die Festgelder ihrer Anleger nicht zurückbezahlen kann. Definition 8.5: Das Abrufrisiko bezeichnet das Risiko, dass Zahlungsmittel unerwartet abgerufen werden. Das Abrufrisiko wird z.B. schlagend, wenn private Sparer ihre Einlagen in unerwartetem Ausmaß abheben. Im zweiten Teil von Beispiel 8.2 hatten die Privatkunden der Simple-Bank kollektiv ihre Einlagen abgehoben. Definition 8.6: Als Marktliquiditätsrisiko bezeichnet man das Risiko, dass Finanzinstrumente nur zu einem geringeren als dem erwarteten Preis verkauft werden können. Dabei besteht das Marktliquiditätsrisiko nur in dem Teil des Verlustes, der auf einer Erhöhung des Bid-Ask-Spreads (s. Abschnitt 8.5.2.2) aufgrund mangelnder Aufnahmefähigkeit des Marktes für das zu verkaufende Finanzinstrument beruht. Eine generelle Senkung des Preisniveaus ist Teil des Marktpreisrisikos. 8.4.2 Dispositiv vs. strukturell und subjektvs. objektbezogen Auf zeitlicher Basis lässt sich eine Klassifizierung in dispositives Liquiditätsrisiko für einen geringen Zeitrahmen und strukturelles Liquiditätsrisiko für ein Risiko mit längerem Zeitrahmen vornehmen. Für die Erfassung des dispositiven Liquiditätsrisikos können Zeitrahmen von einem Tag bis zu drei Monaten gewählt werden. Ein kongruenter Zeithorizont bei Value-at-Risk-Betrachtungen von Marktpreis- und Liquiditätsrisiken würde für eine Wahl eines Zeitraums von ein bis zehn Bankarbeitstagen sprechen (vgl. Pohl, 2008). Für die Messung des strukturellen Liquiditätsrisikos wird häufig ein Zeithorizont von einem Jahr gewählt. Die Betrachtung kann aber auch über ein Jahr hinaus ausgedehnt werden. Eine weitere Möglichkeit zur Klassifizierung ergibt sich durch die Einteilung in objektbezogenes und subjektbezogenes Liquiditätsrisiko (vgl. Pohl und Schierenbeck, 2009). Definition 8.7: Das objektbezogene Liquiditätsrisiko bezieht sich auf die Liquidität von Märkten oder die Liquidierbarkeit von Produkten. Bei der Betrachtung des objektbezogenen Liquiditätsrisikos geht es um die Geldnähe von Vermögensobjekten, also darum, wie schnell und wie problemlos, d.h. ohne nennenswerte Verluste, sich Vermögenswerte verkaufen lassen. <?page no="250"?> 8.4 Klassifizierung von Liquiditätsrisiken 251 www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement Definition 8.8: Das subjektbezogene Liquiditätsrisiko bezieht sich auf die Bank selbst. 44 Es bezeichnet das Risiko, dass die Bank nicht in der Lage ist, ihre Zahlungsverpflichtungen termingerecht erfüllen zu können. Wenn andere Refinanzierungsmöglichkeiten ausscheiden, kann es sein, dass bestehende Aktiva liquidiert werden müssen, um den Zahlungsmittelbedarf einer Bank sicherzustellen. Dabei besteht das Risiko, dass diese Aktiva nur zu einem geringeren als dem erwarteten Preis verkauft werden können. Damit ist das objektbezogene Liquiditätsrisiko ein Teil des subjektbezogenen Liquiditätsrisikos. Insgesamt muss für eine gesicherte dispositive Liquidität einer Bank für jeden Geschäftstag folgende Bedingung gelten (vgl. Pohl, 2008, S. 10): (8.1) Zahlungsmittelbestand + Liquidationserlöse + Refinanzierungsmittel Zahlungsmittelbedarf Der aktuelle Zahlungsmittelbestand zuzüglich der erzielbaren Erlöse aus der Veräußerung von Aktiva sowie dem Zahlungsstrom aus zusätzlichen Refinanzierungsmitteln muss den Zahlungsmittelbedarf übersteigen, damit ein Subjekt liquide ist. Beispiel 8.4 (Fortführung von Beispiel 8.1) Sie möchten bei Ihrem Freund aus Beispiel 8.1 mit Ihren geschuldeten 50 € nicht in Zahlungsverzug kommen. Ihr Zahlungsmittelbestand in Ihrem Portemonnaie liegt ja aber bei null Euro. Er kann auch über den Bankautomaten nicht erhöht werden. Ihre sonstige Refinanzierungsquelle, Ihre Oma, die Ihnen oft ein paar Euro zusteckt, ist gerade mit ihrem Gesangsverein am Titisee und kann Ihnen auch nicht aushelfen. In Ihrer Not fällt Ihnen ein, dass Sie Ihre Uhr verkaufen könnten. Da Sie aber schnell handeln müssen und in Ihrem Dorf auch nicht sehr viele potenzielle Interessenten auf der Straße sind, müssen Sie mit dem Preis stark heruntergehen, um die Uhr „zu Geld zu machen“. Zum Glück läuft Ihnen noch ein älterer Mann über den Weg, der Ihnen die Uhr für 100 € abkauft. Sie hatten diese aber vor Kurzem erst für 250 € gekauft. Immerhin haben Sie aber nun Ihr Liquiditätsproblem gelöst, Ihr Zahlungsmittelbedarf ist gedeckt. Sie haben jetzt sogar noch Liquiditätsreserven in Höhe von 50 € und können endlich Pizza essen gehen. 44 Das subjektbezogene Liquiditätsrisiko kann sich natürlich auch auf eine Person wie in unserem einleitenden Beispiel oder auf ein Unternehmen beziehen. Sprachlich bezieht sich der Text aber auf Banken. <?page no="251"?> 252 8 Liquiditätsrisiko www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement 8.4.3 Zahlungsstrombezogenes und erfolgswirksames Liquiditätsrisiko Mit Definition 8.1 haben wir das Liquiditätsrisiko zahlungsstrombezogen als das Risiko, Zahlungsverpflichtungen nicht fristgerecht nachkommen zu können, definiert. In Beispiel 8.4 haben wir aber gesehen, dass das Liquiditätsrisiko auch Auswirkungen auf Erfolgsgrößen haben kann. Wenn Sie Ihre Uhr aufgrund von Liquiditätsengpässen zu einem vom Marktpreis abweichenden Spottpreis verkaufen müssen, machen Sie einen Verlust. Für eine Bank kann es aufgrund der Refinanzierungsals auch der Marktliquiditätsrisiken zu erfolgswirksamen Effekten kommen. Kann die Bank Refinanzierungsmittel nur zu einem gegenüber dem Marktpreis erhöhten Zinssatz beschaffen, so entsteht für sie ein Aufwand. Dasselbe gilt, wenn sie Aktiva zu einem niedrigeren Preis als dem Marktpreis veräußern muss. Beispiel 8.5 (Fortführung von Beispiel 8.2) Aufgrund eines missverstandenen Gesprächs eines Angestellten der Simple-Bank mit dem Geschäftsführer der Fies-Kasse streuen sich im Bankensektor schnell Gerüchte, die Simple-Bank habe „faule Kredite“ in ihrem Depot. Zum Glück bekommen die privaten Anleger von den Gerüchten nichts mit. Dennoch: Als die Simple-Bank ihre Interbankenkredite in Höhe von 1 Mio. € für einen weiteren Monat verlängern will, ist keine Bank bereit, ihr Geld in Höhe des Marktzinses von 1 % p.a. zu leihen. Die Carpe-Diem-Bank nutzt die Gelegenheit und bietet der Simple-Bank einen Kredit über einen Monat in Höhe von 1 Mio. € zu einem Zinssatz von 3 % p.a. an. Um ihren Zahlungsbedarf zu decken, geht die Simple-Bank den Vertrag ein. Gegenüber einer „normalen“ Situation ohne Liquiditätsschwierigkeiten muss sie nun 2 % p.a. mehr an Zinsen zahlen. Sie hat daher für den nächsten Monat einen erhöhten Zinsaufwand von €. 67 , 666 . 1 12 1 02 , 0 € 000 . 000 . 1 Dieser Betrag stellt einen Verlust aus einem schlagend gewordenen erfolgswirksamen Liquiditätsrisiko dar. 8.5 Messung von Liquiditätsrisiken Die Messung des Liquiditätsrisikos richtet sich danach, ob das zahlungsstrombezogene Liquiditätsrisiko oder das erfolgswirksame Liquiditätsrisiko quantifiziert werden soll (s. Abb. 8.5). Dabei kann das zahlungsstrombezogene Liquiditätsrisiko durch den Liquidity at Risk, das erfolgswirksame Liquiditätsrisiko durch den liquiditätsadjustierten Value at Risk berechnet werden. <?page no="252"?> 8.5 Messung von Liquiditätsrisiken 253 www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement Abb. 8.5 Messung des Liquiditätsrisikos 8.5.1 Liquidity at Risk Das dispositive zahlungsstrombezogene Liquiditätsrisiko, d.h. das Risiko der Bank, Zahlungsverpflichtungen nicht termingerecht nachkommen zu können, kann in Verallgemeinerung zum Value at Risk durch den Liquidity at Risk (Zeranski, 2005) gemessen werden. Der Liquidity at Risk ist dabei keine Ertragsgröße wie der Value at Risk, er gibt keinen potenziellen Verlust an. Vielmehr ist er eine Zahlungsstromgröße. 45 Definition 8.9: Der Liquidity at Risk (LaR) bezeichnet die minimale nichtnegative Liquiditätsanforderung, die mit einer vorgegebenen Wahrscheinlichkeit p innerhalb einer bestimmten Zeitdauer nicht überschritten wird. Beispiel 8.6 Der Liquidity at Risk des Privatkundenbereiches einer Bank betrage bei einem Konfidenzniveau von 99 % für einen Tag 267.500 €. Daraus ergibt sich, dass es in dem Bereich „Privatkunden“ dieser Bank mit einer Wahrscheinlichkeit von 99 % innerhalb eines Tages zu keinem höheren Zahlungsmittelbedarf als 267.500 € kommt. Nur an durchschnittlich einem von 100 Tagen ist der Zahlungsmittelbedarf im Privatkundenbereich höher als 267.500 €. 8.5.1.1 Autonome Zahlungen Grundlage der Bestimmung des Liquidity at Risk sind die sogenannten autonomen Zahlungen (vgl. Pohl, 2008, S. 24, Zeranski, 2005, S. 86) bzw. der autonome Zahlungssaldo als Differenz aus autonomen Zahlungsmittelzuflüssen und autonomen Zahlungsmittelabgängen. Definition 8.10: Die autonomen Zahlungen einer Bank sind alle Einzahlungen und Auszahlungen der Bank, die nicht durch die Liquiditätssteuerung der Bank selbst beeinflusst werden. 45 Der Liquidity at Risk kann erfolgswirksam werden, wenn der durch ihn ermittelte Zahlungsbedarf zu einem höheren als dem Marktzinssatz geschlossen werden muss. Liquiditätsrisiko-Messung Liquidity at Risk (LaR) Liquiditätsadjustierter Value at Risk (Ladj-VaR) Messung des zahlungsstrombezogenen Liquiditätsrisikos Messung des erfolgswirksamen Marktliquiditätsrisikos <?page no="253"?> 254 8 Liquiditätsrisiko www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement Beispiel 8.7 Die Simple-Bank hat 500.000 € an Einlagen von Privatkunden aufgenommen. Alle Einlagen sind auf der Aktivseite der Bank in Krediten investiert. Am 15.2.2013 zahlt ein Kunde einen auslaufenden Kredit in Höhe von 30.000 € zurück. Am gleichen Tag möchte ein Sparer 100.000 € von seinem Konto abheben. Das Treasury ( QR- Glossar) der Bank, das neben der Steuerung von Zins- und Währungsrisiken auch für das Liquiditätsmanagement der Bank zuständig ist, nimmt daraufhin einen Interbankenkredit von 70.000 € auf, um die Finanzierungslücke auf der Passivseite zu schließen. Die Rückzahlung des Kredits in Höhe von 30.000 € stellt für die Bank einen autonomen Zahlungsmittelzufluss dar, das Abheben der 100.000 € durch den Sparer einen autonomen Zahlungsmittelabfluss. Der autonome Zahlungssaldo liegt daher bei 30.000 € - 100.000 € = -70.000 €. Die Aufnahme von 70.000 € ist keine autonome Zahlung. Sie wurde von der Bank getätigt, um die Liquidität des Instituts zu steuern. 8.5.1.2 Daten in Urlistenform Die Bestimmung des Liquidity at Risk (LaR) bei gegebenen historischen Daten in Urlistenform kann analog der Bestimmung des Value at Risk bei Vorliegen empirischer Daten in Urlistenform (s. Abschnitt 4.5.1) vorgenommen werden. Für die Bestimmung des Liquidity at Risk werden historische autonome Zahlungssalden der Bank herangezogen. Dabei wählt man die historischen Zeitperioden kongruent zum Zeithorizont bei der Berechnung des Liquidity at Risk. Berechnet man z.B. einen Liquidity at Risk für einen Zeithorizont von einem Tag, so wählt man auch die autonomen Zahlungssalden einzelner Tage. Ermittelt man den Liquidity at Risk für zehn Tage, so betrachtet man historische Zehn-Tageszahlungssalden etc. Durch Sortieren der Zahlungssalden und Bestimmung des -Quantils wird der Liquidity at Risk ermittelt. Beispiel 8.8 Die Simple-Bank hatte in der Vergangenheit die in Tab. 8.1 gezeigten autonomen Zahlungssalden. Beobachtung Datum autonomer Zahlungssaldo 1 03.10.2012 -2.300 € 2 02.10.2012 -235.900 € 3 01.10.2012 6.945 € . 100 15.05.2012 1.968 € Tab. 8.1 Historische autonome Zahlungssalden der Simple-Bank <?page no="254"?> 8.5 Messung von Liquiditätsrisiken 255 www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement Die autonomen Zahlungssalden in Tab. 8.1 sind unsortiert. Um den Liquidity at Risk ablesen zu können, müssen sie geordnet werden. Die geordneten autonomen Zahlungssalden sind in Tab. 8.2 zu finden. Da in Tab. 8.1 Zwischenwerte ausgeblendet sind, weil die Tabelle sonst zu lang würde, finden sich die Zahlungssalden aus Tab. 8.1 in Tab. 8.2 nicht unbedingt wieder. Tab. 8.2 enthält nur die am stärksten negativen autonomen Zahlungssalden einzelner Tage vom 15.5. bis 3.10.2012. Beobachtung Datum autonomer Zahlungssaldo 5 27.09.2012 -345.650 € 2 02.10.2012 -235.900 € 45 02.07.2012 -193.314 € 18 14.09.2012 -157.005 € 58 03.08.2012 -152.227 € 34 02.07.2012 -120.286 € 70 24.07.2012 -96.262 € 59 22.06.2012 -91.751 € . . . . . . . . . Tab. 8.2 Sortierte historische autonome Zahlungssalden der Simple-Bank Der Liquidity at Risk zu 95 % lässt sich als Betrag des sechsten Wertes der aufsteigend sortierten Zahlungssalden ablesen (vgl. Abschnitt 4.5.1). Mit einer Wahrscheinlichkeit von 95 % wird der Liquiditätsbedarf am nächsten Tag 120.286 € nicht übersteigen. Diskussion der Bestimmung des Liquidity at Risk über empirische Werte Eine empirische Bestimmung des Liquidity at Risk ist relativ einfach. Ihr Vorteil ist zudem, dass keine Annahmen über die Verteilung der zugrunde liegenden Größen, d.h. hier der autonomen Zahlungssalden, getroffen werden müssen. Sie unterliegt aber den schon in Abschnitt 6.6 diskutierten allgemeinen Nachteilen der Verwendung historischer Daten. 46 Die Volatilität in den Enden der empirischen Verteilung ist hoch (s. Exkurs 6.1). Value-at-Risk-Betrachtungen, bei denen kleine Quantile der Verteilung geschätzt werden, sind daher nicht sehr zuverlässig. In der Zukunft 46 Bei der Bestimmung des Value at Risk bzw. des Liquidity at Risk über die empirische Verteilung liegt gewissermaßen ein Spezialfall der historischen Simulation vor. <?page no="255"?> 256 8 Liquiditätsrisiko www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement kann auch bei gleichbleibender Verteilung sehr wohl ein höherer autonomer Zahlungsmittelbedarf auftreten, als er in der Vergangenheit beobachtet wurde. 8.5.1.3 Stetige Wahrscheinlichkeitsverteilung Ebenfalls analog zum Value at Risk (s. Abschnitt 4.5.3) kann der Liquidity at Risk über die Quantile der Normalverteilung bestimmt werden. Hierzu nimmt man an, dass die autonomen Zahlungssalden durch eine Normalverteilung angepasst werden können. Der Erwartungswert μ und die Standardabweichung der Normalverteilung werden dabei wieder aus den historischen Daten für die autonomen Zahlungssalden geschätzt. Der Liquidity at Risk zum Konfidenzniveau p=1wird dann als Quantil der so modellierten Verteilung abgelesen. Er beträgt (8.2) , sonst 0 0 |, | 1 z z LaR LaR p wobei z das -Quantil der Standardnormalverteilung ist (s. Tab. 10.2 ). Beispiel 8.9 Die täglichen autonomen Zahlungssalden der Very-Simple-Bank werden über eine Normalverteilung mit einem Erwartungswert von 0 € und einer Standardabweichung von 75.000 € modelliert. Der Liquidity at Risk zu einem Konfidenzniveau von 99 % liegt daher bei €, 174.375 € 0 € 000 . 75 325 , 2 99 , 0 LaR d.h. mit einer Wahrscheinlichkeit von 99 % wird ein autonomer Zahlungsmittelbedarf von 174.375 € nicht überschritten. Nur in 1 % der Fälle ist der Zahlungsmittelbedarf größer als 174.375 €. Diskussion der Bestimmung des Liquidity at Risk über die Normalverteilung Verschiedene Autoren (Süchting und Paul, 1998; Schulte und Horsch, 2002) halten die Normalverteilung für eine akzeptable Approximation an die Verteilung autonomer Zahlungssalden. Zeranski (2005) verwendet in seiner Dissertation hingegen eine Stichprobe täglicher autonomer Zahlungssalden von Januar 1999 bis Oktober 2001, für die eine Normalverteilung ausgeschlossen werden muss. Die Normalverteilung approximiert die empirische Verteilung gut im Zentrum, d.h. in der „Mitte“ der Verteilung rund um den Erwartungswert. In den Enden der Verteilung passt die Normalverteilung die Daten aber nicht gut an, da die empirische Verteilung dickere Enden hat. Es befinden sich mehr Daten in den Verteilungsenden als es unter der Normalverteilung zu vermuten wäre. Diese fat tails führen dazu, dass bei einer Bestimmung des Liquidity at Risk durch die Normalverteilung das Risiko unterschätzt wird. 8.5.1.4 Extremwerttheorie Zeranski (2005) schlägt speziell für die Ermittlung des Liquiditätsrisikos eine Alternative zur Berechnung des Liquidity at Risk zu den in den Abschnitten 8.5.1.2 und 8.5.1.3 dargestellten Vorgehensweisen vor. Die in der empirischen Verteilung nicht auftretenden, aber doch möglichen autonomen Zahlungsüberschüsse am linken Rand der Verteilung <?page no="256"?> 8.5 Messung von Liquiditätsrisiken 257 www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement werden mit der Peaks-Over-Threshold-Methode der Extremwerttheorie (s. Exkurs 4.5) mit Hilfe einer verallgemeinerten Paretoverteilung geschätzt. Dieser Ansatz vermeidet auf der anderen Seite den Nachteil der empirischen Verteilung, die den Value at Risk nur im Wertebereich der vorliegenden Daten schätzen kann. Auf der anderen Seite berücksichtigt der Ansatz über die Extremwerttheorie im Gegensatz zu einer Modellierung über die Normalverteilung aber die fat tails der autonomen Zahlungsüberschüsse. 8.5.2 Marktliquiditätsrisiko Unter der Liquidität eines Marktes - im Gegensatz zu einem einzelnen Subjekt - wird allgemein dessen Fähigkeit verstanden, Angebot und Nachfrage schnell zusammenzubringen. Durch einen einzelnen Geschäftsabschluss soll dabei der Marktpreis nicht nennenswert beeinflusst werden. Die Liquidität, d.h. die Aufnahmefähigkeit eines Marktes, hängt u.a. von dem Volumen der zu verkaufenden Position ab und dem Zeithorizont, innerhalb dessen der Verkauf vonstattengehen soll. Beispiel 8.10 (Fortführung von Beispiel 8.4) In Beispiel 8.4 hatte der Markt für Uhren in Ihrem Dorf nicht gerade eine hohe Liquidität. Da die Nachfrageseite für Uhren gering war und Sie, der Anbieter, Ihre Uhr schnell verkaufen mussten, brach der Marktpreis für Ihre Uhr von dem fairen Preis um die 250 € auf einen Preis von 100 € ein. 8.5.2.1 Market Maker Die Liquidität eines Marktes wird oft durch sogenannte Market Maker erhöht. Dieses sind Teilnehmer am Handel, die bereit sind, das auf dem Markt gehandelte Gut sowohl zu kaufen als auch zu verkaufen. Market Maker gleichen dadurch zeitweise Ungleichgewichte zwischen Angebot und Nachfrage aus. Sie stellen verbindlich einen Kaufkurs, zu dem sie bereit sind, das Marktgut (z.B. Aktien, Futures etc.) zu kaufen. Der Kaufkurs wird auch Geldkurs (oder Bid-Kurs) genannt. Auf der anderen Seite fordern Market Maker einen Verkaufskurs (auch Briefkurs oder Ask-Kurs), zu dem sie das Gut verkaufen. Als Market Maker treten meist Geschäftsbanken auf. Die Differenz zwischen dem Kauf- und dem Verkaufspreis wird Geld-Brief-Spanne (auch Bid-Ask-Spread) genannt. Den Preis in der Mitte zwischen Geld- und Briefkurs bezeichnet man als Mittelkurs (mid market price). Der Market Maker setzt den Briefkurs höher als den Geldkurs. Der Unterschied zwischen Geld- und Briefkurs wird als Kompensation dafür gesehen, dass der Market Maker bereit ist, zu kaufen bzw. zu verkaufen, und damit das Risiko eingeht, seine so erzeugten Positionen nicht mehr schließen zu können. Beispiel 8.11 Jeder, der schon einmal Devisen 47 gekauft hat, bevor er in den Urlaub gefahren ist, weiß, dass der Briefkurs über dem Geldkurs liegt. Wenn man vor dem Urlaub die 47 Eigentlich spricht man bei dem Kauf von Bargeld in fremden Währungen von Sorten, bei Devisen handelt es sich um in ausländischer Währung bestehende Forderungen (Schecks, bei ausländischen Banken gehaltene Bankguthaben etc.). Da sich umgangssprachlich der Begriff Devisen aber auch für Bargeld in fremder Währung etabliert hat, sprechen wir hier ebenfalls von Devisen. <?page no="257"?> 258 8 Liquiditätsrisiko www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement fremde Währung kauft, muss man den höheren Kurs bezahlen. Will man das Geld, das man im Urlaub nicht mehr ausgegeben hat, nach dem Urlaub wieder in Euro umtauschen, bekommt man den niedrigeren Kurs. Gibt es in einem Markt viele Market Maker, so sind ihre Preise aufgrund der unter den Market Makern bestehenden Konkurrenz sehr marktnah und die Geld-Brief-Spanne ist klein. 8.5.2.2 Komponenten des Marktliquiditätsrisiko Wie liquide ein Markt ist, lässt sich durch die vier Komponenten „Breite des Marktes“, „Tiefe des Marktes“, „Dauer der Ausführung eines Kauf- oder Verkaufsauftrags“ und „Erneuerungskraft des Marktes“ ausdrücken (vgl. Völker, Cremers und Panzer, 2012). Breite eines Marktes Die Breite eines Marktes wird durch die Geld-Brief-Spanne dargestellt. Diese gibt die Kosten für eine kurzfristige Liquidierung einer Position an. Ist die Geld-Brief-Spanne gering, deutet dieses auf eine hohe Liquidität des Marktes hin. Ist sie hoch, ist die Liquidität des Marktes gering. Die Liquidität eines Marktes hängt von seiner Struktur ab. Börsen ( QR-Glossar) (Aktienbörsen, Futuresbörsen etc.) sind üblicherweise sehr liquide, während dieses bei Over-the-Counter-Märkten ( QR-Glossar) nicht der Fall ist. Beispiel 8.12 Von dem Weltbestseller „In finsterer Nacht“ existieren nur wenige Hundert vom Autor signierte Exemplare. Buchliebhaber Buklaw, der gleichzeitig etwas von Finanzmärkten versteht, betätigt sich als Market Maker für den Bestseller und stellt verbindliche Kaufs- und Verkaufspreise. Seine Preise hängen selbstverständlich von der Marktlage ab und schwanken daher im Zeitverlauf. Anfang Dezember 2012 bietet er für den Kauf eines der handsignierten Bestseller 485 € (Geldkurs), er verkauft ihn für 515 € (Briefkurs). Die Geldbriefspanne liegt daher bei 30 € (=515 € - 485 €). Der Mittelkurs beträgt 500 €. Tiefe eines Marktes Die Tiefe des Marktes misst, welches Volumen gehandelt werden kann, ohne dass der Marktpreis sich verändert. Beispiel 8.13 (Fortführung von Beispiel 8.12) Ein kleiner Buchladen, der noch 50 signierte Bestseller „In finsterer Nacht“ auf Lager hat, sieht sich aufgrund der Konkurrenz durch den Internetbuchhandel gezwungen, seinen Laden aufzulösen. Er möchte alle signierten Bestseller verkaufen. Aufgrund der großen Order bricht der Geldkurs aber ein. Der Market Maker Buklaw hätte bis zu fünf Bücher zu einem Preis von 485 € gekauft, die Markttiefe betrug <?page no="258"?> 8.5 Messung von Liquiditätsrisiken 259 www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement damit fünf Bücher. Nimmt Buklaw aber 50 Bücher auf einen Schlag ab, bietet er nur noch 420 €. Er trägt ja das Risiko, dass er die Bücher nicht mehr verkaufen kann. Hätte der Market Maker statt der Verkaufsorder des Buchladens eine Kauforder über 50 Bücher auf einmal, so würde er 580 € pro Buch verlangen. Er müsste hohe Transaktionskosten auf sich nehmen, um viele Bücherliebhaber zu überreden, ihre Exemplare zu verkaufen. Abb. 8.6 Abhängigkeit der Geld-Brief-Spanne vom zu handelnden Volumen (eigene Darstellung nach Bangia et al., 1999) Das vom Volumen unabhängige Liquiditätsrisiko bis zur Tiefe des Marktes ist nur durch den Markt selbst gegeben. Man bezeichnet es auch als exogenes Marktliquiditätsrisiko (vgl. Pohl und Schierenbeck, 2009, S. 9). Es wird nur von der Breite des Marktes beeinflusst. Auf der anderen Seite steht das endogene Marktliquiditätsrisiko, das durch das Volumen der zu veräußernden Position bestimmt wird. Erneuerungskraft und Ausführungsdauer Die Erneuerungskraft eines Marktes drückt aus, wie schnell der Preis des Gutes nach einer Transaktion, die aufgrund eines hohen Volumens den Marktpreis beeinflusst hat, wieder zu einem fairen Preis zurückfindet. Beispiel 8.14 (Fortführung von Beispiel 8.13) Nachdem der kleine Buchladen 50 Exemplare des Bestsellers „In finsterer Nacht“ auf den Markt geworfen hat, dauert es ein paar Wochen, bis der Market Maker die Bücher abgesetzt hat und wieder einen Geldkurs von 485 € pro Buch bietet und einen Briefkurs von 515 € pro Buch fordert. <?page no="259"?> 260 8 Liquiditätsrisiko www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement Die Dauer der Ausführung eines Kauf- oder Verkaufsauftrags gibt die Zeit an, die von der Auftragserstellung bis zur Ausführung vergeht. 8.5.2.3 Quantifizierung des Marktliquiditätsrisikos Die meisten Modelle erfassen nur das exogene, vom Volumen unabhängige Liquiditätsrisiko. 48 Diese Vorgehensweise entspricht der Annahme, dass die Menge des zu verkaufenden Gutes im Verhältnis zum gesamten Handelsvolumen für das betreffende Gut klein ist. Daher wird in den betreffenden Modellen nur darauf geschaut, wie hoch die Geld-Brief-Spanne in dem zukünftigen Zeitpunkt, an dem verkauft werden soll, bei einem Volumen sein wird, das kleiner oder gleich der Tiefe des Marktes ist (s. Abb. 8.6). Diese Geld-Brief-Spanne wird dazu benutzt, den Value at Risk einer Position um das Liquiditätsrisiko zu erweitern. Die absolute Geld-Brief-Spanne (Bid-Ask-Spread) ist durch die Differenz aus Ask- (S ask ) und Bid-Kurs (S bid ) durch bid ask S S BAS abs gegeben. Die Liquiditätskosten LK für eine Liquidierung der Position betragen dabei die Hälfte des Bid-Ask-Spreads, d.h. ). ( 2 1 abs bid ask S S LK Die ganze Geld-Brief-Spanne muss gezahlt werden, wenn jemand ein Produkt kauft und sofort danach wieder verkauft. Bei der Liquidierung von Finanzpositionen geht es aber nur um den Verkauf einer Position, d.h. um den Abstand des Geldkurses von der Mitte der Geld-Brief-Spanne. Dieses entspricht gerade der halben Geld-Brief-Spanne. Beispiel 8.15 Die Liquiditätskosten des Buchladens in Beispiel 8.12 lagen bei 15 € pro Buch, da nur 485 € statt des mittleren Preises von 500 € pro Buch erzielt werden konnten, wenn man das Buch verkaufen wollte. Dieses entsprach der halben Geld-Brief- Spanne von 30 €. Den Mittelkurs von 500 € betrachtet man so implizit als den eigentlichen „Wert“ des Buches, von dem Geld- und Briefkurs aber abweichen. Meist wird der Value at Risk einer Position aber relativ, d.h. in Prozent vom absoluten Kurswert, berechnet. In diesem Fall sind auch relative Bid-Ask-Spreads sowie relative Liquiditätskosten sinnvoll. Dazu bezieht man den Bid-Ask-Spread auf den Mittelkurs. Der relative Bid-Ask-Spread beträgt . 2 / ) ( rel bid ask bid ask S S S S BAS 48 Wir beschränken uns in dieser Einführung auch auf das exogene Marktliquiditätsrisiko. Zum endogenen Marktliquiditätsrisiko vgl. Hisata und Yamai (2000). <?page no="260"?> 8.5 Messung von Liquiditätsrisiken 261 www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement Die relativen Liquiditätskosten liegen bei der halben Preisspanne bezogen auf den Mittelkurs, d.h. . 2 / ) ( 2 1 rel bid ask bid ask S S S S LK Beispiel 8.16 (Fortführung von Beispiel 8.15) Bezogen auf den Mittelkurs von 500 € haben Sie beim Verkauf eines einzelnen Bestsellers relative Liquiditätskosten von , 03 , 0 € 500 € 30 2 1 2 / €) 485 € 515 ( € 485 € 515 2 1 rel LK d.h. von 3 % des Mittelkurses von 500 €. 8.5.2.4 Liquiditätsadjustierter Value at Risk Eine Position kann bis zum Ende des Zeithorizonts der Betrachtung an Wert verlieren, weil der Marktwert sinkt. Dieses wird durch den Value at Risk gemessen. Wird sie zusätzlich während der Haltedauer oder am Ende der Haltedauer veräußert, so kommen die Kosten für die Liquidierung additiv hinzu. Es ergibt sich so der liquiditätsadjustierte Value at Risk (LAdj-VaR). Der liquiditätsadjustierte Value at Risk ist wie der Value at Risk eine Erfolgsgröße und bezieht sich auf Verluste, die die Bank aufgrund von Veräußerungen erleiden kann. Statische Betrachtung Bei der statischen Betrachtung geht man davon aus, dass der Bid-Ask-Spread bis zur möglichen Veräußerung einer Position konstant bleibt. Ist der Value at Risk selbst in absoluten Geldeinheiten gegeben, so beträgt der liquiditätsadjustierte Value at Risk zum Konfidenzniveau p ). ( 2 1 bid ask p p p S S VaR LK VaR VaR LAdj Wird der Value at Risk als relative Größe berechnet, ermittelt sich der relative liquiditätsadjustierte Value at Risk über . 2 / ) ( 2 1 bid ask bid ask p rel p p S S S S VaR LK VaR VaR LAdj Beispiel 8.17 Eine Aktie verliere mit 95 % Wahrscheinlichkeit innerhalb eines Tages nicht mehr als 2,45 % an Wert. Der Geldkurs der Aktie liege bei 39,50 €, der Briefkurs bei 40,50 €. Prozentual auf den Mittelkurs bezogen beträgt die Geld-Brief-Spanne daher %. 5 , 2 € 40 € 50 , 39 € 50 , 40 <?page no="261"?> 262 8 Liquiditätsrisiko www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement Damit betragen die relativen Liquiditätskosten, die für das Verkaufen der Position anfallen würden, %. 25 , 1 % 5 , 2 2 1 rel LK Der liquiditätsadjustierte Value at Risk mit einem Zeithorizont von einem Tag und einem Konfidenzniveau von 95 % beträgt somit %. 7 , 3 % 25 , 1 % 45 , 2 % 45 , 2 rel 95 , 0 LK VaR LAdj Mit 95 % Wahrscheinlichkeit verliert der Besitzer der Aktie innerhalb eines Tages nicht mehr als 3,7 %. Dieser Verlust bezieht die Liquiditätskosten, die aus einem möglichen Verkauf der Aktien resultieren, mit ein. Dynamische Betrachtung Die in Beispiel 8.17 dargestellte Vorgehensweise zum Einbezug der Liquiditätskosten geht davon aus, dass sich die Geld-Brief-Spanne während der Haltedauer des Portfolios nicht verändert. Das Verfahren ist in diesem Sinne statisch. Man kann den Ansatz erweitern, indem man die Möglichkeit zulässt, dass sich die Geld-Brief-Spanne ändert, d.h. ihrerseits stochastischen Schwankungen unterworfen ist. Die Idee ist, auch für die Liquiditätskosten einen Value-at-Risk-Wert anzusetzen. Nimmt man an, dass die Geld-Brief-Spanne eine Volatilität BAS hat, so erweitern sich die Liquiditätskosten zu BAS p bid ask bid ask z S S S S LK 2 / ) ( 2 1 rel , wobei p das Sicherheitsniveau anzeigt. Die Liquiditätskosten werden mit einer Wahrscheinlichkeit von p den Wert rel LK nicht übersteigen. 49 Der liquiditätsadjustierte Value at Risk beträgt somit . 2 / ) ( 2 1 BAS p bid ask bid ask p p z S S S S VaR VaR LAdj Beispiel 8.18 (Fortführung von Beispiel 8.17) 49 Für die mit einer Wahrscheinlichkeit p höchsten Kosten, die angenommen werden, wählt man das p-Quantil, also ein Quantil auf der „positiven Seite“ der Normalverteilung. Es handelt sich um Kosten, diese werden für ein positives Quantil maximal. <?page no="262"?> 8.6 Zusammenfassung 263 www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement Sie schätzen aus historischen Daten eine Volatilität der relativen Geld-Brief-Spanne von BAS =2 % für die Aktie aus Beispiel 8.17. Damit ergibt sich bei einer Sicherheitswahrscheinlichkeit von 95 % für die Liquiditätskosten ein Wert von . rel %. 54 , 4 % 2 645 , 1 % 25 , 1 2 / ) ( 2 1 BAS p bid ask bid ask z S S S S LK Der liquiditätsadjustierte Value at Risk beträgt so . % 99 , 6 % 54 , 4 % 45 , 2 % 45 , 2 . rel p LK VaR LAdj Mit einer Wahrscheinlichkeit von 95 % ist so der Verlust aus Marktpreisschwankungen inklusive der Liquiditätskosten bei einer möglichen Veräußerung innerhalb eines Tages nicht größer als 6,99 %. Durch die Berücksichtigung einer möglichen Schwankung der Geld-Brief-Spanne fällt der liquiditätsadjustierte Value at Risk deutlich höher aus als bei einer statischen Betrachtung. 8.6 Zusammenfassung Liquiditätsrisiken können in Refinanzierungs- und Marktliquiditätsrisiken unterteilt werden. Zahlungsstrombezogene Liquiditätsrisiken geben das Ausmaß des autonomen Zahlungsbedarfs an. Sie können durch den Liquidity at Risk (LaR) gemessen werden. Die Quantifizierung erfolgt analog zum Value at Risk, jedoch wird für den Liquidity at Risk die Verteilung autonomer Zahlungssalden herangezogen. Der Liquidity at Risk kann empirisch über historische Daten oder analytisch über die Approximation der autonomen Zahlungssalden durch eine Normalverteilung berechnet werden. Die Verteilung autonomer Zahlungssalden weist oft fat tails auf, die durch eine Normalverteilung nicht angemessen berücksichtigt werden. Eine Alternative zur Berechnung des Liquidity at Risk über die Normalverteilung stellt daher die Peaks-Over- Threshold-Methode der Extremwertstatistik dar. Die Marktliquidität wird von der Breite und Tiefe des Marktes, seiner Erneuerungskraft und der Dauer einer Orderausführung bestimmt. Die meisten Modelle zur Messung des Marktliquiditätsrisikos berücksichtigen nur das exogene, vom Volumen unabhängige Marktliquiditätsrisiko. Der liquiditätsadjustierte Value at Risk (Ladj-VaR) erweitert das Marktpreisrisiko um die möglichen Liquiditätskosten aufgrund eines Verkaufs der Position während des im Value at Risk angegebenen Zeithorizonts. <?page no="263"?> 264 8 Liquiditätsrisiko www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement 8.7 Literatur 8.7.1 Im Text zitierte Literatur Bangia, A., Diebod, F.X., Schuermann, T. & Stroughair, J.D. (1999): Modelling Liquidity Risk With Implications for Traditional Market Risk Measurement and Management, Working Paper 99-06, The Wharton School, University of Pennsylvania, Philadelphia. Basler Ausschuss für Bankenaufsicht (2010): Basel III: Ein globaler Regulierungsrahmen für widerstandsfähigere Banken und Bankensysteme, URL: http: / / www.bis.org/ publ/ bcbs189_ de.pdf (Stand: 7.12.2013). Grundsätze über die Eigenmittel und die Liquidität der Institute (Grundsatz I und Grundsatz II), vom 20. Januar 1969, zuletzt geändert m Wv 1.10.1998 durch Bek. Vom 29.10.1997 (BAz. Nr. 210), in: Bankrecht (1998), 27. Aufl., Beck-Texte. (Stand: 7.12.2013). Gesetz über das Kreditwesen (Kreditwesengesetz, KWG), in der Fassung der Bekanntmachung vom 09.09.1998 (BGBl. I S. 2776), zuletzt geändert durch Gesetz vom 28.08.2013 (BGBl. I S. 3395). Hisata, Y. & Yamai, Y. (2000): Research Toward the Practical Application of Liquidity Risk Evaluation Methods, Monetary and Economic Studies, S. 83-110. Liquiditätsverordnung, in der Fassung vom 14.12.2006 (BGBl. I S. 3117), zuletzt geändert durch Artikel 27 Absatz 14 des Gesetzes vom 4.07.2013 (BGBl. I S. 1981). Pohl, M. (2008): Das Liquiditätsrisiko in Banken - Ansätze zur Messung und ertragsorientierten Steuerung, Frankfurt am Main: Fritz Knapp Verlag. Pohl, M. & Schierenbeck, H. (2009): Die Berücksichtigung von Liquiditätsrisiken und Marktliquiditäten im Risikomanagement und Accounting, Union Investment, edition Risikomanagement 1.8. Schulte, M. & Horsch, A. (2002): Wertorientierte Banksteuerung II: Risikomanagement, Frankfurt am Main: Frankfurt School Verlag. Süchting, J. & Paul, S. (1998): Bankmanagement, 4. Aufl., Stuttgart: Schäffer-Poeschel- Verlag. Völker, F., Cremers, H. & Panzer, C. (2012): Integration des Marktliquiditätsrisikos in das Risikoanalysekonzept des Value at Risk, Frankfurt School-Working Paper Series, No. 198, URL: http: / / www.frankfurt-school.de/ clicnetclm/ fileDownload.do? goid= 000000421430AB4 (Stand: 7.12.2013). Zeranski, S. (2005): Liquidity at Risk zur Steuerung des liquiditätsmäßig-finanziellen Bereiches von Kreditinstituten, Chemnitz: Gesellschaft für Unternehmensrechnung und Controlling. 8.7.2 Ergänzende und weiterführende Literatur Bartetzky, P., Gruber, W. & Wehn, C. S. (2008): Handbuch Liquiditätsrisiko - Identifikation, Messung und Steuerung, Stuttgart: Schäffer-Poeschel-Verlag. <?page no="264"?> 8.8 Kontrollfragen 265 www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement Dürrnagel, C. (2011): Management des Liquiditätsrisikos in Banken: Analyse und Beurteilung der Methoden zur Liquiditätsrisikomessung unter Berücksichtigung bankaufsichtlicher Richtlinien, Hamburg: Diplomica Verlag. Seel, G. (2013): Das Liquiditätsrisiko der Banken in der Finanzkrise, Wiesbaden: Gabler. 8.8 Kontrollfragen 1. Das mit dem Liquidity at Risk gemessene Risiko ist eine Ertragsgröße eine Zahlungsstromgröße. 2. Das mit dem liquiditätsadjustierten Value at Risk gemessene Risiko ist eine Ertragsgröße eine Zahlungsstromgröße. 3. Das Marktliquiditätsrisiko wird durch autonome Zahlungssalden den Expected Shortfall die Geld-Brief-Spanne gemessen. 4. Die relativen Liquiditätskosten werden angegeben durch die gesamte Geld-Brief-Spanne die gesamte auf den Mittelkurs bezogene Geld-Brief-Spanne die halbe Geld-Brief-Spanne die halbe auf den Mittelkurs bezogene Geld-Brief-Spanne. 8.9 Aufgaben Aufgabe 8.1 In der Datei „Aufgabe 8.1.xls“ sind die fiktiven autonomen Zahlungssalden der Kreissparkasse Liquingen der letzten hundert Tage zu finden. Quantifizieren Sie das Liquiditätsrisiko mit Hilfe des Liquidity at Risk zu einem Konfidenzniveau von 95 % und einem Zeithorizont von einem Tag! Berechnen Sie analog zu Kapitel 4 einen Expected Shortfall für die autonomen Zahlungssalden, d.h. den erwarteten Zahlungsbedarf, unter der Bedingung, dass der Zahlungsbedarf zu den 5 % größten Zahlungsbedarfsfällen gehört. <?page no="265"?> 266 8 Liquiditätsrisiko Aufgabe 8.2 Die Little-Vol-Aktie habe einen Geldkurs von 47 € und einen Briefkurs von 53 €. Der Value at Risk zu einem Konfidenzniveau von 95 % und einer Haltedauer von zehn Tagen beträgt 10,1 %. Ermitteln Sie den liquiditätsadjustierten Value at Risk zu gleichem Konfidenzniveau und gleicher Haltedauer! Aufgabe 8.3 Sie modellieren nun die Geld-Brief-Spanne der Little-Vol--Aktie aus Aufgabe 8.3 stochastisch. Dazu haben Sie aus historischen Daten eine tägliche Volatilität der Geld- Brief-Spanne von 2 % ermittelt. Wie ändert sich der liquiditätsadjustierte Value at Risk zu einem Konfidenzniveau von 95 % und einer Haltedauer von zehn Tagen im Vergleich zu Aufgabe 8.2? <?page no="266"?> www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement 9 Operationelles Risiko 9.1 Lernziele Nach der Bearbeitung dieses Kapitels sollten Sie zeitgeschichtliche Beispiele für Verluste aus operationellen Risiken angeben können die durch den Basler Ausschuss definierten Kategorien für operationelle Risiken kennen und diese mit Beispielen unterlegen können den Basisindikatoransatz und den Standardansatz zur Quantifizierung des operationellen Risikos einer Bank anwenden können die Idee der Umskalierung des operationellen Risikos zwischen zwei Instituten verstanden haben das operationelle Risiko nach dem internen Bemessungsansatz berechnen können die Schadenshäufigkeit operationeller Risiken durch eine Poissonverteilung modellieren können die Schadenshöhe von Einzelschäden aus operationellen Risiken mit einer Lognormalverteilung ansetzen können Grenzen der Modellierung der Einzelschäden durch gängige Verteilungen kennen den Gesamtschaden aus operationellen Risiken mit einer Monte-Carlo-Simulation bestimmen können. <?page no="267"?> 268 9 Operationelles Risiko www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement 9.2 Einführung Beispiel 9.1 Ihr Hobby der Kleinkreditvergabe haben Sie inzwischen ein bisschen ausgebaut. Da Sie auch Kleinkredite an Studenten im Ausland vergeben, sind Sie zusätzlich ein wenig in den Handel mit Fremdwährungen eingestiegen. Dazu haben Sie stundenweise zwei Kommilitonen - Ulf und Vincent - eingestellt. Leider ist Ulf bei der Vergabe eines Kredits an einen Kunststudenten gar nicht aufgefallen, dass dieser keine laufenden Einnahmen hat. Ulf hat ihm trotzdem die beste Bonität „1a - sehr guter Schuldner“ ausgestellt. Inzwischen hat sich herausgestellt, dass der Kunststudent den Kredit nicht bedienen kann und sich Tilgungen immer wieder verzögern oder ganz ausfallen. Vincent hat hingegen versehentlich 10.000 $ an der Frankfurter Börse verkauft, statt sie zu kaufen. Bis Ihnen der Fehler auffällt, hat sich der Kurs stark zu Ihren Ungunsten entwickelt. Wenn Sie die Position wieder glatt stellen ( QR-Glossar) wollen, müssen Sie einen Verlust realisieren. Dass Vincent vor einem halben Jahr auf eigene Rechnung auf den Kurs des japanischen Yen spekuliert hat und kleinere Verluste über Kundenkonten ausgeglichen hat, ist Ihnen noch gar nicht aufgefallen. Zu allem Überfluss liegt Ihr kleines Büro, in dem Sie Ihre Geschäfte abwickeln, im Keller Ihrer Eltern. Der ist beim letzten Hochwasser aber leider nicht verschont geblieben. Zwar haben Sie Ihre Unterlagen retten können, aber die Rechner und die Büromöbel mussten ausgetauscht werden, ein Schaden von 25.000 €. Noch bevor das Wasser in Ihre Hobbybank schwappte, hatte ein hochwasserbedingter Stromausfall Ihre Geschäftstätigkeit lahmgelegt. Wie auch jede andere unternehmerische Tätigkeit schließt die Ausübung von Bankgeschäften immer auch Risiken mit ein, die nicht finanzwirtschaftlicher Natur sind, sondern aus dem operativen Geschäft der Bank resultieren. Beispiel 9.1 zeigt operationelle Risiken einer „Hobbybank“ auf, die Verluste halten sich entsprechend im Rahmen. Operationelle Risiken können in der realen Finanzwirtschaft aber zu sehr hohen Verlusten führen. Beispiel 9.2 Bekanntestes Beispiel für Verluste aus operationellen Risiken ist die Insolvenz der im Jahr 1762 gegründeten englischen Traditionsbank Barings. Der junge Händler Nick Leeson war zur Ausübung von Arbitragegeschäften nach Singapur geschickt worden, fing aber bald an, ohne Autorisierung mit Optionen und Futures zu spekulieren. Verluste verschleierte er durch die Einrichtung eines Fehlerkontos und die Fälschung von Dokumenten. Aufgrund der fehlenden Trennung zwischen Handel und Back-Office konnte er seine Verluste lange geheim halten. Im Jahr 1995 wurden die Verluste in Höhe von 827 Mio. GBP bekannt und die Barings Bank wurde für einen symbolischen Betrag von einem Pfund an die niederländische ING-Gruppe verkauft (vgl. Peachey, 2006, S. 74 ff.). Beispiel 9.3 Die WestLB verlor 2007 aufgrund von Spekulationsgeschäften auf Kursunterschiede zwischen Aktien und Optionen 600 Mio. € (FAZ, URL). <?page no="268"?> 9.2 Einführung 269 www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement Beispiel 9.4 Nach den furchtbaren Terroranschlägen auf das World Trade Center vom 11. September 2001 versuchten viele Banken, Notfallpläne anzuwenden und auf andere Büros auszuweichen. Verluste aus operationellen Risiken entstanden aufgrund der Sachschäden, aber auch aufgrund des in den Folgetagen des 11. September wegen eines zusammengebrochenen Telefon- und Servernetzes nur eingeschränkt möglichen Bankbetriebs mancher Institute. Die Bank of New York meldete Verluste in Höhe von 140 Mio. USD, Lehman Brother’s in Höhe von 71 Mio. USD (vgl. Peachey, 2006, S. 55 ff.). Beispiel 9.5 Im Jahr 2000 flog der Betrug der Firma Flowtex auf, die 3.000 Erdbohrmaschinen an Banken und Leasingfirmen verkaufte, von denen nur ca. 400 existierten. Die Bohrmaschinen wurden zurückgeleast, so dass Flowtex von der Konstruktion her einen nahezu unbesicherten Kredit in Höhe des Kaufpreises der Bohrmaschinen gewährt wurde. Trotz des hohen Volumens der Transaktion hatten die Banken die Verwendung der Mittel nicht sorgfältig genug geprüft (vgl. Peachey, 2006, S. 235 ff.). Das operationelle Risiko wurde lange Zeit als eine Art Restgröße definiert. Man ordnete alle Risiken dem operationellen Risiko zu, die sich nicht aus Kredit- oder Marktpreisrisiko ergaben. Eine Restgröße ist aber schwerlich messbar. Das Gesamtrisiko müsste bereits bekannt sein, damit die Restgröße, d.h. hier das operationelle Risiko, quantifiziert werden kann. Die großen Verluste aus operationellen Risiken, wie z.B. die Insolvenz der Barings Bank (Beispiel 9.2) oder die Verluste aufgrund der Anschläge des 11. September 2001 (Beispiel 9.4) führten aber zu einer Sensibilisierung für die Notwendigkeit der Steuerung und damit auch der Messung des operationellen Risikos. Damit wuchs auch das Bedürfnis einer positiven Definition. Der Basler Ausschuss für Bankenaufsicht definiert das operationelle Risiko (SolvV, § 269) wie folgt: Definition 9.1: Operationelles Risiko ist die Gefahr von Verlusten, die in Folge der Unangemessenheit oder des Versagens von internen Verfahren, Menschen und Systemen oder in Folge externer Ereignisse eintreten. Diese Definition schließt Rechtsrisiken ein, beinhaltet aber nicht strategische Risiken oder Reputationsrisiken. Die Definition des Basler Ausschusses für Bankenaufsicht stellt eine Art Konsens in der Diskussion über operationelle Risiken dar. Sie hat auch Eingang in die interne Definition vieler Banken gefunden. In den Sound Practices for the Management and Supervision of Operational Risks unterscheidet der Basler Ausschuss für Bankenaufsicht sieben Ereigniskategorien (risk event types) operationeller Risiken (vgl. Basler Ausschuss für Bankenaufsicht, 2003, § 5). Im Folgenden werden diese Kategorien mit den auch vom Basler Ausschuss angegebenen Beispielen aufgeführt. <?page no="269"?> 270 9 Operationelles Risiko www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement Kategorie Beispiele 1. Interner Betrug absichtliche Falschberichte über eingegangene Positionen Diebstahl vonseiten der Mitarbeiter Insiderhandel auf eigene Rechnung 2. Externer Betrug Raub Fälschung Scheckbetrug Schäden aufgrund von Computerviren- und Hackerangriffen 3. Beschäftigungspraxis und Sicherheit des Arbeitsplatzes Entschädigungsklagen von Angestellten Verletzung von Gesundheits- oder Sicherheitsbestimmungen organisierte Gewerkschaftsaktivitäten Klagen aufgrund von Diskriminierungen allgemeine Haftungsansprüche 4. Kunden, Produkte und Geschäftspraxis Verletzungen von Treuhänderpflichten Missbrauch von vertraulichen Kundeninformationen unzulässige Handelsaktivitäten im Namen der Bank Geldwäsche Handel mit nicht autorisierten Produkten 5. Sachschäden Terrorismus Vandalismus Erdbeben Feuer Überschwemmungen 6. Betriebsstörungen und Systemausfälle Hard- und Softwarefehler Telekommunikationsprobleme Stromausfälle 7. Abwicklung, Lieferung und Prozessmanagement Fehlbuchungen Fehler im Sicherungsmanagement unvollständige rechtliche Dokumentationen nicht genehmigter Zugriff auf Kundenkonten Lieferstreitigkeiten Tab. 9.1 Ereigniskategorien des operationellen Risikos nach dem Basler Ausschuss für Bankenaufsicht (eigene Übersetzung (vgl. Basler Ausschuss für Bankenaufsicht, 2003, § 5)) <?page no="270"?> 9.3 Management operationeller Risiken 271 www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement Beispiel 9.6 (Fortführung von Beispiel 9.1) Bei Ihrer Hobbybank sind Verluste aus operationellen Risiken im Prozessmanagement aufgetreten, wie bei der mangelhaften Prüfung der Kreditwürdigkeit eines potenziellen Kreditnehmers, aber auch dem Fehler eines Mitarbeiters des Handels. Ferner traten ein interner Betrug eines Mitarbeiters, eine Betriebsstörung aufgrund eines Stromausfalls sowie ein Sachschaden aufgrund einer Überschwemmung auf. 9.3 Management operationeller Risiken 9.3.1 Später Einbezug in das Risikomanagement Obwohl operationelle Risiken zu hohen Verlusten führen können, wurden sie lange Zeit anders als Kredit- und Marktpreisrisiken nicht in den Risikomanagementprozess einbezogen. Ein Grund lag sicher in der Besonderheit operationeller Risiken, dass diese nicht „bewusst“ eingegangen werden. Ihr Eingehen führt in der Regel - anders als bei Kredit- und Marktpreisrisiken - nicht zu der Chance auf einen Ertrag. Ein Hochwasser kann z.B. zu hohen Schäden an den Sachwerten einer Bank führen, das Ausbleiben des Hochwassers bedeutet für die Bank aber keinen Gewinn. Zwar existierte schon lange vor der Inkraftsetzung von „Basel II“ in einzelnen Bereichen des Bankwesens ein Bewusstsein für operationelle Risiken, z.B. im Bereich der IT- Sicherheit (Viren, Hackerangriffe etc.). Eine Steuerung der Risiken in einer Gesamtbanksicht fehlte aber. Auch bankaufsichtsrechtlich waren die Ansätze des Risikomanagements in den Mindestanforderungen an das Betreiben von Handelsgeschäften (Bundesaufsichtsamt für das Kreditwesen, 1995), den Mindestanforderungen an die Ausgestaltung der Internen Revision (Bundesaufsichtsamt für Kreditwesen, 2000) und die Mindestanforderungen an das Kreditgeschäft (Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht, 2002) zunächst eher qualitativ. Erst mit Inkrafttreten von „Basel II“ wurde eine Quantifizierung ebenso wie eine Unterlegung des operationellen Risikos mit Eigenkapital bankaufsichtsrechtlich bindend. Doch sprechen nicht nur rechtliche, sondern auch betriebswirtschaftliche Gründe für ein aktives Risikomanagement operationeller Risiken. Wie bei anderen Risiken auch, führt eine Reduktion der Risiken, tendenziell zu einer Reduktion der aus ihnen resultierenden Schäden und dadurch zu einer Kostenreduktion. Zusätzlich zu den direkten Kosten kann das Vertrauen der Kunden und des Marktes in die Bank durch Schäden aus operationellen Risiken stark beeinträchtigt werden. Eine Reduktion operationeller Risiken ist daher anzustreben (vgl. Steinhoff, 2008). 9.3.2 Abgrenzung zu anderen Risikoarten Operationelle Risiken und Marktpreis- oder Kreditrisiken können sehr stark verwoben sein. Eine Abgrenzung lässt sich aus Definition 9.1 herleiten, die operationelle Risiken als ursachenbezogen definiert, da sie „in Folge der Unangemessenheit oder des Versagens von internen Verfahren, Menschen und Systemen oder in Folge externer Ereignisse eintreten“ (SolvV, § 269, eigene Hervorhebung). Es ist also für die Klassifizierung darauf zu achten, welches Ereignis einen Verlust verursacht hat (vgl. Steinhoff, 2008, S. 14 ff.). <?page no="271"?> 272 9 Operationelles Risiko www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement Beispiel 9.7 Ein Kreditausfall des Kreditnehmers einer Bank wird als Verlust aus einem Kreditrisiko kategorisiert werden, wenn die Kreditvergabe sorgfältig durchgeführt wurde und zum Zeitpunkt der Vergabe keine Hinweise auf einen Ausfall bestanden. Wurde bei der Kreditvergabe aber auf notwendige Bonitäts- oder sonstige Prüfungen verzichtet (s. Beispiel 9.1 und Beispiel 9.5) oder wurde der Kreditbearbeiter sogar bestochen, um den Kredit zu günstigen Konditionen zu vergeben, so ist ein möglicher Kreditausfall als Verlust aus einem operationellen Risiko einzustufen. Zudem können z.B. externe Ereignisse entweder den Markt beeinflussen und damit zu einem Verlust aus Marktpreisrisiken führen oder zu Verlusten aus operationellen Risiken. Beispiel 9.8 Bei einem Erdbeben, einer Überschwemmung oder sonstigen Naturkatastrophen - oder auch Terroranschlägen - kann es zu direkten Sachschäden oder aber zu Verlusten aus einem eingeschränkt möglichen Geschäftsbetrieb kommen. Hier wird ein operationelles Risiko schlagend. Haben Marktteilnehmer, die aufgrund ihrer geografischen Distanz nicht unmittelbar von der Naturkatastrophe betroffen sind, allerdings offene Positionen - die sie in dieser Höhe auch halten dürfen 50 - und fallen aufgrund der Katastrophe die Kurse, so sind die daraus resultierenden Verluste als Verluste aus Marktpreisrisiken einzustufen. 9.4 Bankaufsichtsrechtliche Behandlung operationeller Risiken Die Unterlegung operationeller Risiken mit Eigenkapital wurde für Banken erst mit der Umsetzung von „Basel II“ bindend. Drei Verfahren werden dabei akzeptiert: der Basisindikatoransatz, der Standardansatz sowie fortgeschrittene Messansätze. 51 Um zur Eigenkapitalunterlegung anerkannt zu werden, müssen Banken je nach angewendetem Verfahren unterschiedliche qualitative Anforderungen erfüllen. Für die Anwendung des Basisindikatoransatzes (s. Abschnitt 9.5.1.1) sind dabei keine qualitativen Anforderungen an das Risikomanagement erforderlich. Wird statt des Basisindikatoransatzes aber der Standardansatz (s. Abschnitt 9.5.1.2) angewendet, so gibt 50 Im Falle von Nick Leeson und der Barings Bank führte das Erdbeben von Kobe zum Einbrechen des japanischen Nikkei und damit zu hohen Verlusten in Leesons Position. In diesem Fall können Leesons Verluste aber nicht als Verluste aus Marktpreisrisiken klassifiziert werden, da er nicht autorisiert war, die zugrunde liegenden Geschäfte zu tätigen. Es lag ein operationelles Risiko aufgrund nicht autorisierter Geschäfte vor. 51 Zusätzlich zu den von der Bankenaufsicht anerkannten Verfahren wird in Abschnitt 9.5.2 die Umskalierung zwischen den Risikoberechnungen unterschiedlicher Institute diskutiert. <?page no="272"?> 9.5 Quantifizierung des operationellen Risikos 273 www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement SolvV, § 276 vor, dass ein dokumentiertes System zur Steuerung operationeller Risiken vorliegen muss. Dieses muss regelmäßig intern oder extern geprüft werden. Die Ergebnisse der Berechnungen des operationellen Risikos müssen in den Risikomanagementprozess eingebunden sein und damit zur Überwachung und Steuerung des operationellen Risikos beitragen. Verantwortliche Stellen im Institut sind in den Prozess einzubeziehen. Ferner muss eine Datensammlung der aufgetretenen Verluste aus operationellen Risiken erstellt werden. Alternativ zu den Verfahren des Basisindikatoransatzes und des Standardansatzes können auch sogenannte fortgeschrittene Messansätze (s. Abschnitt 9.5.3) angewandt werden. Das Gesetz schreibt hier keinen bestimmten Ansatz vor. Es kommen aber zusätzlich zu den qualitativen Anforderungen durch den Standardansatz noch eine Reihe von hauptsächlich quantitativen Anforderungen an das Modell, die Datenbasis (s. Abschnitt 9.6), das Risikomesssystem etc. zur Geltung, die erfüllt werden müssen, damit der Messansatz zur Eigenkapitalhinterlegung von der Bankenaufsicht anerkannt wird (SolvV, §§ 273-293). So muss „der fortgeschrittene Messansatz […] die Haupttreiber des operationellen Risikos, welche die Form der Ränder der Verlustverteilungen beeinflussen, erfassen. Der Anrechnungsbetrag für das operationelle Risiko muss insbesondere potenziell schwerwiegende Verlustereignisse am Rande der Verlustverteilung abdecken und hinsichtlich seiner Solidität mit einem 99,9-prozentigen Konfidenzniveau bei einer einjährigen Halteperiode vergleichbar sein“ (SolvV, § 284 (3)), d.h. es ist ein Value at Risk zu einem Konfidenzniveau von 99,9 % mit einer Haltedauer von einem Jahr zu bestimmen. Das Verfahren muss als Datenbasis „interne Schadensdaten, externe Daten, Szenario- Analysen sowie institutsspezifische Geschäftsumfeld- und interne Kontrollfaktoren […] verwenden“ (SolvV, § 284 (1)). 9.5 Quantifizierung des operationellen Risikos Operationelle Risiken haben einen gänzlich anderen Charakter als Marktpreis- oder Kreditrisiken. Bei Marktpreis- und Kreditrisiken kann für die zugrunde liegenden Basiswerte ein Marktwert ermittelt werden. Damit ist es möglich das Risiko über die Veränderung des Marktwertes zu definieren. Für die von operationellen Risiken betroffenen Ereignisse kann hingegen kein Marktwert bestimmt werden. Es kann damit nicht ohne Weiteres auf bekannte Mess- und Steuerungsmethoden aus dem Marktpreis- und Kreditrisikobereich zurückgegriffen werden. Wie die Kategorisierung in Tab. 9.1 zeigt, umfasst der Begriff des operationellen Risikos sehr viele verschiedene Ereignisse. Auf der einen Seite befinden sich häufig auftretende Ereignisse, die aber zu kleineren Verlusten führen, sogenannte High-Frequency- Low-Impact-Verluste. Dieses können z.B. Fehlbuchungen sein, die häufig auftreten, aber im günstigsten Fall als Kosten nur den Verwaltungsaufwand der Rückbuchung und erneuten Buchung verursachen. Auf der anderen Seite stehen sehr seltene Ereignisse, die aber zu sehr hohen Schäden führen. Beispiele für diese Low-Frequency-High-Impact- Verluste sind die Verluste aufgrund von Erdbeben, Reaktorunfällen, Überschwemmungen oder Terroranschlägen, aber auch große Betrugsfälle oder Schädigungen durch Computerviren, die einen längerfristigen Geschäftsausfall bewirken (vgl. Stein- <?page no="273"?> 274 9 Operationelles Risiko www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement hoff, 2008, S. 33). Es sind gerade diese Verluste, die die Solvenz einer Bank gefährden können (s. Beispiel 9.2). Low-Frequency-High-Impact-Vorfälle ereignen sich - zum Glück - sehr selten. Ihre Problematik liegt daher aber auch darin, dass für sie historische Daten schlecht erfasst werden können. Ihr Spezifikum ist ihr meist einmaliges Auftreten. Eine quantitative Bestimmung des operationellen Risikos wird so erschwert (zum Problem der Datenbasis s. Abschnitt 9.6). 9.5.1 Indikatoransätze Indikatoransätze drücken das operationelle Risiko als Vielfaches bestimmter charakteristischer Kennzahlen der Bank, den sogenannten Indikatoren, aus. Sie unterstellen dabei einen linearen Zusammenhang zwischen den Indikatoren und dem operationellen Risiko. Die Indikatoren können dabei einfache Maßzahlen, wie die Anzahl an Mitarbeitern oder die Bilanzsumme der Bank sein. Zu diesen Verfahren zählen auch die von „Basel II“ akzeptierten Verfahren des Basisindikatoransatzes und des Standardansatzes. 9.5.1.1 Basisindikatoransatz Beim Basisindikatoransatz (BIA) wird das operationelle Risiko als konstanter Prozentsatz des Bruttoertrags GI (engl. Gross income) angesehen. 52 Wird für die Hinterlegung mit Eigenkapital der Basisindikatoransatz verwendet, so ist der Prozentsatz vom Basler Ausschuss zurzeit auf 15 % festgesetzt (SolvV, § 270). Für das operationelle Risiko ist als Eigenkapital damit GI GI EK 15 , 0 BIA zu hinterlegen, wobei der Bruttoertrag GI als der Durchschnitt der jährlichen Bruttoerträge der vergangenen drei Jahre errechnet wird. Dabei gehen nur positive Bruttoerträge in die Berechnung ein. Negative Bruttoerträge oder Bruttoerträge, die gleich null sind, werden nicht in die Mittelwertberechnung eingeschlossen. Das Bruttoergebnis selbst ist als das Zinsergebnis zuzüglich des zinsunabhängigen Ertrags definiert (SolvV, § 271). 9.5.1.2 Standardansatz Durch die für die gesamte Bank pauschale Wahl eines -Faktors von 15 % im Basisindikatoransatz werden die spezifischen Gegebenheiten einer Bank nicht ausreichend berücksichtigt. Eine Bank mag bei gleichen Erträgen eine deutlich riskantere Geschäftsstruktur haben als eine andere. Eine Erweiterung des Basisindikatoransatzes stellt daher der Standardansatz (SA) (SolvV, §§ 272-277) dar, bei dem die Gesamtbank in acht Geschäftsfelder aufgeteilt wird. Jedem Geschäftsfeld wird nun ein individueller Faktor zugeordnet, der von der Basler Kommission in Bezug auf den Standardansatz als Beta-Faktor ( ) bezeichnet wird (s. Tab. 9.2). 52 Der im Basisindikatoransatz von der Basler Kommission als bezeichnete Faktor ist vom gleichnamigen Fehlerniveau für die Berechnung des Value at Risk zu unterscheiden. <?page no="274"?> 9.5 Quantifizierung des operationellen Risikos 275 www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement Geschäftsfeld Beta-Faktor ( ) Unternehmensfinanzierung und -beratung 18 % Handel 18 % Zahlungsverkehr und Wertpapierabwicklung 18 % Depot- und Treuhandgeschäfte 15 % Firmenkundengeschäft 15 % Privatkundengeschäft 12 % Vermögensverwaltung 12 % Wertpapierprovisionsgeschäft 12 % Tab. 9.2 Betafaktoren pro Geschäftsfeld im Standardansatz Dabei berechnet sich die Kapitalanforderung im Jahr j aus der Summe der operationellen Risiken pro Geschäftsfeld. Es gilt j i i i j I G EK , 8 1 Jahr Anteil , SA . Die Bruttoerträge der einzelnen Geschäftsfelder i im Jahr j GI i,j werden dabei mit den Betafaktoren i der Geschäftsfelder aus Tab. 9.2 gewichtet. Durch das einfache Aufaddieren der Belastungen pro Geschäftsfeld können negative Bruttoerträge in einzelnen Geschäftsfeldern mit positiven Erträgen in anderen Geschäftsfeldern verrechnet werden. Die Eigenkapitalanforderung für operationelle Risiken ergibt sich aus dem Durchschnitt der Kapitalanforderungen der vergangenen drei Jahre, d.h. es wird über die Anforderungen aus dem vorvorletzten Jahr (Jahr-3), dem vorletzten Jahr (Jahr-2) und dem letzten Jahr (Jahr-1) gemittelt. Ist jedoch die Eigenkapitalanforderung eines Jahres negativ, so wird sie bei der Durchschnittsbildung null gesetzt, so dass das vorzuhaltende Eigenkapital sich als (9.1) 1 Jahr 3 Jahr , 8 1 1 Jahr 3 Jahr Jahr Anteil , SA Jahr , SA ) 0 , max( 3 1 ) 0 , max( 3 1 j j i i i J j j I G EK EK ergibt. Beispiel 9.9 Die Kreissparkasse Solidhausen ist eigentlich fast ausschließlich im Privatkundengeschäft tätig. Sie begibt Kredite an Häuslebauer und refinanziert sich über die Sparbücher und Tagesgeldkonten der Solidhausener. Seit einigen Jahren betreibt sie allerdings zusätzlich Eigenhandel und versucht sich im Handel mit Derivaten. Ihre Ertragssituation pro Geschäftsfeld ist in Tab. 9.3 aufgeführt. <?page no="275"?> 276 9 Operationelles Risiko www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement Jahr 2006 2007 2008 Privatkundengeschäft 50 40 40 Handel 20 10 -10 Gesamt 70 50 30 Tab. 9.3 Bruttoerträge (in Mio. €) der Kreissparkasse Solidhausen in den Jahren 2006 bis 2008 aufgeteilt nach Geschäftsfeldern der Bank Wendet die Sparkasse Solidhausen den Basisindikatoransatz an, so liegt ihr operationelles Risiko und dementsprechend ihr vorzuhaltendes regulatorisches Eigenkapital für das Jahr 2009 bei €. Mio. 5 , 7 3 € Mio. 30 € Mio. 50 € Mio. 70 15 , 0 2009 , BIA EK Bei der Verwendung des Standardansatzes ergeben sich für die letzten drei Jahre Eigenkapitalanteile j Jahr Anteil SA EK , von € Mio. 6 , 9 € Mio. 20 18 , 0 € Mio. 50 12 , 0 2006 Jahr Anteil , SA EK für das Jahr 2006, € Mio. 6 , 6 € Mio. 10 18 , 0 € Mio. 40 12 , 0 2007 Jahr Anteil , SA EK für das Jahr 2007 und € Mio. 3 €) Mio. 10 ( 18 , 0 € Mio. 40 12 , 0 2008 Jahr Anteil , SA EK für das Jahr 2008. Demnach beträgt das nach dem Standardansatz abgebildete operationelle Risiko und damit das für 2009 vorzuhaltende Eigenkapital €. Mio. 4 , 6 3 € Mio. 3 € Mio. 6 , 6 € Mio. 6 , 9 2009 , SA EK Bei Anwendung des Standardansatzes muss die Sparkasse Solidhausen gegenüber der Anwendung des Basisindikatoransatzes weniger Eigenkapital für das operationelle Risiko vorhalten, da ihre Erträge überwiegend aus Geschäftsfeldern stammen, die als weniger anfällig für operationelle Risiken eingestuft worden sind und daher ein geringeres Gewicht - gemessen durch den Beta-Faktor - besitzen. Je nach Verteilung der Bruttoerträge eines Instituts auf die einzelnen Geschäftsfelder kann es durch die Anwendung des Standardansatzes gegenüber der Anwendung des Basisindikatoransatzes zu einer Reduktion des regulatorisch notwendigen Eigenkapitals kommen (wie z.B. in Beispiel 9.9). Um den Standardansatz anwenden zu dürfen, muss eine Bank allerdings eine Reihe von Mindestanforderungen erfüllen (s. Abschnitt 9.4). Diese Mindestanforderungen stellen einen Aufwand dar, der in einzelnen Fällen die Vorteile aus einer eventuell geringeren Eigenkapitalanforderung nicht aufwiegen mag. Bei anderer Aufteilung auf die Geschäftsfelder ist allerdings auch eine Erhöhung des regulatorisch notwendigen Eigenkapitals bei der Anwendung des Standardansatzes möglich (s. Aufgabe 9.1). <?page no="276"?> 9.5 Quantifizierung des operationellen Risikos 277 www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement 9.5.2 Vergleich mit anderen Instituten Indikatoransätze sind sehr pauschal. Anspruchsvollere Methoden, wie die fortgeschrittenen Messansätze (s. Abschnitt 9.5.3) sind für viele Institute aber schwierig zu implementieren. Gerade kleinere Institute könnten daher auf die Idee kommen, die von größeren Instituten ermittelten Kennziffern für das operationelle Risiko auf ihr Institut umzuskalieren. Die Idee liegt darin, dass für ein Institut, das doppelt so viele Mitarbeiter hat, eventuell die Gefahr für einen Mitarbeiterfehler oder für interne Betrugsfälle auch ungefähr doppelt so hoch ist. Ähnlich könnte man für den Umsatz argumentieren. Shih et al. (2000) können diesen Zusammenhang für den Umsatz in einer empirischen Studie nicht vollständig bestätigen. Mit zunehmender durch den Umsatz gemessener Größe eines Unternehmens 53 wächst zwar die Höhe der Verluste aus operationellen Risiken, die Verlusthöhe V ist aber nicht linear vom Umsatz U abhängig. Shih et al. ermitteln den funktionalen Zusammenhang (9.2) , 232 , 0 U b V wobei b ein Parameter ist, der die Einflüsse auf die Verlusthöhe enthält, die nicht aus dem Umsatz resultieren. Der erwartete Verlust wächst nicht linear mit dem Umsatz, sondern proportional zur vierten Wurzel des Umsatzes. Aus Formel (9.2) lässt sich nun eine Umskalierung zwischen Firmen mit unterschiedlichem Umsatz vornehmen. Hat eine erste Firma einen Umsatz U 1 bei einem bekannten Verlust V 1 und eine zweite Firma einen Umsatz U 2 , so folgt aus 232 , 0 1 1 U b V und 232 , 0 2 2 U b V durch Umstellung 232 , 0 1 2 1 2 232 , 0 1 1 232 , 0 2 2 U U V V U V U V b . Der mögliche Verlust des zweiten Unternehmens kann so aus der - eventuell durch andere Methoden bestimmten - möglichen Verlusthöhe des ersten Unternehmens berechnet werden. Beispiel 9.10 Die Kleinhans GmbH hat einen Umsatz von 1 Mio. € im Jahr. Sie weiß, dass die Medium-AG einen Umsatz von 2 Mio. € im Jahr aufweist. Die Medium-AG hat ein operationelles Risiko von 30.000 € berechnet. Dann kann die Kleinhans GmbH ihr operationelles Risiko zu € 61 , 543 , 25 € Mio. 2 € Mio. 1 € 000 . 0 3 232 , 0 V schätzen. 53 Die Studie bezieht sich auf Unternehmen. Die Idee (wenn auch nicht unbedingt der quantitative funktionale Zusammenhang) kann aber genauso auf Banken übertragen werden. <?page no="277"?> 278 9 Operationelles Risiko www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement Das operationelle Risiko der Kleinhans GmbH ist zwar geringer als das der doppelt so umsatzstarken Medium-AG, es beträgt aber deutlich mehr als die Hälfte des Risikos der Medium-AG. Die Methode der Umskalierung ist eine einfache Methode, um eine erste Vorstellung von der Höhe des operationellen Risikos zu bekommen. Sie bezieht allerdings wie auch die vorgestellten Indikatormethoden die spezielle Risikostruktur eines Instituts nicht mit ein. Überspitzt gesagt: Wenn eine Bank direkt am Ufer der Elbe steht, sollte sie sich, was die operationellen Risiken aus Überschwemmungen angeht, vielleicht nicht mit einer Bank auf einem Berg vergleichen. 9.5.3 Fortgeschrittene Messansätze Will ein Institut zur bankaufsichtsrechtlichen Unterlegung operationeller Risiken mit Eigenkapital einen fortgeschrittenen Messansatz (advanced measurement approach, AMA) anwenden, so schreibt das Gesetz kein bestimmtes Verfahren vor, sondern gibt „nur“ eine Reihe von qualitativen und quantitativen Anforderungen an das Modell vor (SolvV, §§ 273-293). Trotz der Offenheit der gesetzlichen Regelung bezüglich der Wahl des fortgeschrittenen Messansatzes haben sich drei Verfahren herauskristallisiert: der interne Bemessungsansatz, das Score-Card-Verfahren 54 und der Loss Distribution Approach (Verlustverteilungsansatz). 9.5.3.1 Risikozelle Das operationelle Risiko einer Bank ist sehr heterogener Natur. Die Risiken aus möglichen Naturkatastrophen müssen anders modelliert werden als eventuelle Verluste aus Fehlbuchungen. Für den internen Bemessungsansatz und den Loss Distribution Approach ist daher jeweils der Begriff der Risikozelle relevant. Eine Risikozelle ist dabei eine Kombination aus den acht für den Standardansatz definierten Geschäftsfeldern (s. Tab. 9.2) und den sieben vom Basler Ausschuss definierten Risikokategorien (s. Tab. 9.1). Es ergeben sich somit 56 Risikozellen, in denen das operationelle Risiko jeweils getrennt modelliert wird. Dadurch wird der heterogenen Struktur des Risikos in den Geschäftsbereichen und Risikokategorien Genüge getan. 9.5.3.2 Interner Bemessungsansatz Im internen Bemessungsansatz wird für jede Risikozelle ein erwarteter Verlust aus operationellen Risiken 56 ,..., 1 , ) ( i LGE P EI V E i i i i ermittelt. Dabei ist EI ein von der Bankenaufsicht zu genehmigender Exposure Indicator für die Risikozelle (Basler Ausschuss für Bankenaufsicht, 2001, S. 34), P die Wahrscheinlichkeit eines Ereignisses, das zu einem Verlust aus operationellem Risiko führt und LGE 54 Das Score-Card-Verfahren wird hier nicht diskutiert. <?page no="278"?> 9.5 Quantifizierung des operationellen Risikos 279 www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement (Loss Given Event) die Verlusthöhe im Falle eines Verlustes. Die beiden letztgenannten Größen werden aus internen Daten der Bank geschätzt. Die erwarteten Verluste pro Risikozelle werden mit Hilfe eines von der Bankenaufsicht zu genehmigenden Gammafaktors i multipliziert. Durch den Gammafaktor wird eine Umrechnung des erwarteten Verlustes auf den Value at Risk angestrebt. Sind die Risiken pro Risikozelle bestimmt, so entspricht das operationelle Risiko der Gesamtbank der Summe der in den einzelnen Risikozellen bestimmten Beträge. Beispiel 9.11 In der Sparkasse Hanebüchen wird im Geschäftsfeld Zahlungsverkehr in der Risikokategorie „Abwicklung, Lieferung und Prozessmanagement“ die Anzahl an Buchungen als Exposure Indicator festgelegt. Die Wahrscheinlichkeit für eine Fehlbuchung in diesem Bereich liegt bei 0,5 %. Im Jahr werden 5.000 Buchungen getätigt. Demnach treten im Jahr erwartungsgemäß 25 (=5.000·0,005) Fehlbuchungen auf. Der Verlust bei einer Fehlbuchung liegt bei 20 € pro Fehlbuchung. Dann beträgt der erwartete Verlust in der Risikozelle „Zahlungsverkehr/ Abwicklung, Lieferung und Prozessmanagement“ €. 500 € 20 005 , 0 000 . 5 ) ( LGE P EI V E Es wurde ein Gammafaktor von drei definiert, so dass das zu hinterlegende Eigenkapital für die betrachtete Risikozelle bei 1500 € (=3·500 €) liegt. Um das operationelle Risiko der Gesamtbank zu bestimmen, müssten zunächst noch die Anteile der anderen Risikozellen ermittelt werden. Die Multiplikation mit dem Gammafaktor soll den erwarteten auf den unerwarteten Verlust (99,9 %-Value at Risk) umrechnen. Dieser Ansatz impliziert aber, dass der Value at Risk linear vom erwarteten Verlust abhängt. Da dieses aber nicht gegeben ist (Zentraler Kreditausschuss, 2001), liegt in der vorgenommenen Umskalierung eine bedeutende Schwachstelle des internen Bemessungsansatzes. 9.5.3.3 Loss Distribution Approach Schäden aus operationellen Risiken ähneln den Schäden, die bei vielen Versicherungen auftreten. Sie sind selten. Wenn sie aber auftreten, kann ihre Höhe unter Umständen recht hoch sein. Daher lassen sich versicherungsmathematische Modelle auch für die Quantifizierung operationeller Risiken einsetzen. Der am häufigsten verwendete versicherungsmathematische Ansatz ist der Loss Distribution Approach (vgl. Albrecht, Schwake und Winter, 2007). Der Loss Distribution Approach erlaubt im Gegensatz zum internen Bemessungsansatz eine direkte Value-at-Risk-Berechnung. Auch für den Loss Distribution Approach erfolgt die Quantifizierung der operationellen Risiken zunächst pro Risikozelle, d.h. in jeder der 56 Kombinationen aus Geschäftsfeld und Risikokategorie einzeln. Eine analytische Bestimmung des Schadens ist nur für sehr einfache Verteilungen der Einzelschäden durchführbar. Es wird daher am häufigsten die in Abschnitt 6.6.3 vorgestellte Monte-Carlo-Simulation zur Bestimmung der Verlustverteilung verwendet. <?page no="279"?> 280 9 Operationelles Risiko www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement Dabei werden die Anzahl der Schäden pro Periode und die Schadenshöhe getrennt modelliert und als unabhängig voneinander betrachtet. Zusätzlich nimmt man an, dass die einzelnen Schadenshöhen unabhängig voneinander sind. Die Idee besteht darin, zunächst die Schadenshäufigkeit zu simulieren. Daraufhin erzeugt man zufällig so viele Schadenshöhen, wie es von der simulierten Schadenshäufigkeit vorgegeben wird. Schadenshäufigkeit Um die Anzahl der Ereignisse zu zählen, die innerhalb einer bestimmten Zeitspanne eintreten, wählt man typischerweise eine Poisson-Verteilung. Daher kann eine Poisson- Verteilung auch gut zur Modellierung der als Zufallsvariable N modellierten Schadenshäufigkeit innerhalb eines Zeitraums T angesetzt werden. Die Wahrscheinlichkeit, dass im Zeitraum T genau n Ereignisse, d.h. hier n Verluste auftreten, beträgt (9.3) P(n Verluste)= ! ) ( n T e n T , wobei ein Parameter ist, der die mittlere Schadenshäufigkeit pro Zeiteinheit angibt. Wählt man T=1, d.h. z.B. ein Jahr, so vereinfacht sich Formel (9.3) zu (9.4) P(n Verluste)= ! n e n . Beispiel 9.12 In der AMA-Bank sind im Geschäftsbereich „Firmenkundengeschäft“ in der Risikokategorie „Externer Betrug“ in den letzten zehn Jahren acht Schadensfälle aufgetreten. lässt sich so durch 8/ 10=0,8 Schadensfälle pro Jahr modellieren. Demnach ist z.B. die Wahrscheinlichkeit, dass im nächsten Jahr kein Schadensfall eintritt P(0 Verluste)= %. 44,93 0,4493 ! 0 8 , 0 8 , 0 0 8 , 0 e e Die Wahrscheinlichkeiten für einen Verlust im nächsten Jahr, zwei Verluste im nächsten Jahr etc. berechnet man analog. Tab. 9.4 zeigt die Wahrscheinlichkeiten für null bis fünf Verluste. Anzahl Verluste 0 1 2 3 4 5 … Wahrscheinlichkeit 0,4493 0,3595 0,1438 0,0383 0,0077 0,0012 … Tab. 9.4 Poisson-Verteilung mit =0,8; Wahrscheinlichkeiten für null bis fünf Verluste <?page no="280"?> 9.5 Quantifizierung des operationellen Risikos 281 www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement Die Wahrscheinlichkeit, dass sechs oder mehr Verluste bei der AMA-Bank auftreten, ergibt sich somit als Restwahrscheinlichkeit zu eins als P(6 oder mehr Verluste)=1-0,4493-0,3595-0,1438-0,0383-0,0077-0,0012=0,0002. 55 Erzeugung von Schadenshäufigkeiten in Excel (Add-In) In Excel lässt sich eine poissonverteilte Zufallsvariable wiederum durch das Add-In „Analyse-Funktionen-Zufallszahlengenerierung“ erzeugen. Der Parameter lässt sich dabei frei wählen. Es kann bestimmt werden, wie viele Variablen (Spalten) und wie viele Zufallszahlen (Zeilen) generiert werden sollen (s. Abb. 9.1). Abb. 9.1 Erzeugung einer poissonverteilten Zufallsvariablen über das Add-In „Analyse- Funktionen-Zufallszahlengenerierung“ in Excel Erzeugung von Schadenshäufigkeiten in Excel (Transformation) Alternativ können zur Generierung von poissonverteilten Schadenshäufigkeiten auch Formel (9.3) oder Formel (9.4) verwendet werden. Es wird eine Häufigkeitsverteilung erzeugt, aus der in Excel durch Transformation einer standardmäßig implementierten gleichverteilten Zufallsvariable eine poissonverteilte Zufallsvariable generiert wird. 55 Eine poissonverteilte Zufallsvariable kann Ausprägungen in beliebiger Höhe annehmen, auch wenn die Wahrscheinlichkeiten für diese immer kleiner werden. Verwendet man die Modellierung für eine Value-at-Risk-Bestimmung, so sind es gerade die hohen Schadenshäufigkeiten, die möglicherweise zu hohen Gesamtschäden in der Simulation führen (zu einer möglichen Vorgehensweise s. Beispiel ). <?page no="281"?> 282 9 Operationelles Risiko www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement Beispiel 9.13 (Fortführung von Beispiel 9.12) Es soll eine poissonverteilte Zufallsvariable mit mittlerer Schadenshäufigkeit =0,8 simuliert werden. Aus den Wahrscheinlichkeiten für einzelne Schadenshöhen ist zunächst die kumulierte Verteilungsfunktion zu erzeugen (s. Tab. 9.5). Anzahl Verluste 0 1 2 3 4 5 … Wahrscheinlichkeit 0,4493 0,3595 0,1438 0,0383 0,0077 0,0012 … Verteilungsfunktion 0,4493 0,8088 0,9526 0,9909 0,9986 0,9998 … Tab. 9.5 Verteilungsfunktion einer Poisson-Verteilung mit =0,8 Mit Hilfe der Verteilungsfunktion lässt sich eine auf [0,1] gleichverteilte Zufallsvariable nun in eine poissonverteilte Zufallsvariable transformieren. Immer wenn man mit der gleichverteilten Zufallsvariable eine Zahl zwischen null und 0,4493 erzeugt, weist man den Wert null zu. Würfelt man eine Zahl zwischen 0,4493 und 0,8088 weist man der zu erzeugenden poissonverteilten Zufallsvariable den Wert eins zu usw. Eine Schwierigkeit in der Implementierung liegt darin, dass eine poissonverteilte Zufallsvariable Ausprägungen in beliebiger Höhe annehmen kann. Unendliche Möglichkeiten lassen sich auf dem Rechner aber nicht implementieren. Eine Idee könnte darin bestehen, wie in Beispiel 9.12, alle Ausprägungen ab einer bestimmten Grenze - hier z.B. ab sechs - zusammenfassen und die Sechs als Anzahl der Schadensfälle anzusetzen, wenn die gleichverteilte Zufallsvariable einen Wert annimmt, der größer als 0,9998 ist. Bei der Value-at-Risk-Bestimmung sind es aber gerade die hohen Schadenshäufigkeiten, die möglicherweise zu hohen Gesamtschäden in der Simulation führen. Durch den Ansatz der unteren Grenze der nicht einzeln aufgeführten Möglichkeiten an Schadensanzahlen ab sechs würde man das Risiko so unterschätzen. Man kann sich damit behelfen, dass man in diesem Fall einen bedingten Erwartungswert ( QR-Glossar) ansetzt, d.h. die erwartete Schadensanzahl unter der Bedingung, dass eine bestimmte Grenze 56 angenommen oder überschritten wird. Für einen Wert =0,8 liegt dieser im Beispiel bei 6,12. Ein Ansatz einer Schadenshäufigkeit von sieben überschätzt so das Risiko eher, was für die Value-at-Risk- Berechnung als konservative Schätzung des Risikos einer Unterschätzung des Risikos vorzuziehen ist. Geht die gleichverteilte Zufallsvariable über 0,9998 hinaus, wird daher für die Schadenshäufigkeit ein Wert von sieben angesetzt. Die Implementierung ist in Abb. 9.2 gezeigt. 56 Idealerweise wählt man die Grenze abhängig vom Konfidenzniveau, für das der Value at Risk ausgerechnet werden soll. Beträgt das Konfidenzniveau 99,9 % und treten im Beispiel in 99,98 % fünf oder weniger Schadensfälle auf, so wird der Fehler durch das „Abschneiden“ der Verteilung bei sechs nicht mehr sehr hoch sein. <?page no="282"?> 9.5 Quantifizierung des operationellen Risikos 283 www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement Abb. 9.2 Erzeugung einer poissonverteilten Zufallsvariablen über die Transformation einer gleichverteilten Zufallsvariable Abb. 9.3 zeigt einige Ausprägungen der in Abb. 9.2 implementierten poissonverteilten Verlustanzahl. Abb. 9.3 Ausprägungen einer poissonverteilten Zufallsvariable bei Simulation in Excel Schadenshöhe Ist die Anzahl der Schäden für einen Simulationsschritt bestimmt, so muss für jeden einzelnen Schaden simuliert werden, wie hoch dieser sein kann. Für die Modellierung der Höhe des einzelnen Schadens ist eine Verteilung zu verwenden, bei der nur positive Werte auftreten können. Ein negativer Wert würde bei der Simulation eines Schadens einen Gewinn kennzeichnen - Gewinne können bei operationellen Risiken aber nicht auftreten. Die Verteilung sollte zusätzlich rechtsschief sein. Dieses spiegelt die Tatsache wider, dass es viele Verluste gibt, die relativ klein sind und einige wenige, deren Ausmaß aber sehr groß ist. Häufig verwendete Verteilungen für die Schadenshöhe sind die Lognormalverteilung (s. Exkurs 9.1), die Exponentialverteilung oder Paretoverteilungen ( QR-Glossar). Exkurs 9.1 Lognormalverteilung zur Modellierung der Schadenshöhe Ist Y eine normalverteilte Zufallsvariable mit Erwartungswert und Standardabweichung , d.h. Y~N( , ), so ist Y e X logarithmisch normalverteilt, d.h. X~LN( , ). Eine lognormalverteilte Zufallsvariable nimmt daher nur positive Werte an (Abb. 9.4). <?page no="283"?> 284 9 Operationelles Risiko www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement Abb. 9.4 Dichtefunktion einer lognormalverteilten Zufallsvariable X~LN(0,1) Der Erwartungswert E(X) und die Varianz Var(X) der Zufallsvariable X~LN( , ) sind gegeben durch 2 2 ) ( e X E und ). 1 ( ) ( 2 2 2 e e X Var Möchte man hingegen für die logarithmisch normalverteilte Zufallsvariable einen vorgegebenen Erwartungswert und eine bestimmte Varianz erzielen, so kann man das Gleichungssystem aus E(X) und Var(X) nach den Parametern und auflösen und erhält 1 ) ( ) ( ln 2 2 X E X Var und . 2 ) ( ln 2 X E Beispiel 9.14 Der Manager für operationelle Risiken der AMA-Bank will die Höhe der einzelnen möglichen Schäden der AMA-Bank in der Risikozelle „Firmenkundengeschäft/ Externer Betrug“ durch eine Lognormalverteilung modellieren. Er geht dabei von einem Erwartungswert der Schäden von 10.000 € und einer Standardabweichung von 3.000 € aus. Die Parameter und der Lognormalverteilung muss er daher zu 294 , 0 0862 , 0 0862 , 0 1 000 . 10 000 . 3 ln 2 2 2 und 167 , 9 2 0862 , 0 000 . 10 ln wählen. <?page no="284"?> 9.5 Quantifizierung des operationellen Risikos 285 www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement In Excel kann eine lognormalverteilte Zufallsvariable über die Inversionsmethode (s. Exkurs 6.2) generiert werden. „=Loginv(Zufallszahl(); 9,167; 0,294)“ liefert eine lognormalverteilte Zufallsvariable mit den oben errechneten Parametern (Abb. 9.5, Spalte B), deren Erwartungswert 10.000 € und deren Standardabweichung 3.000 € beträgt. Alternativ kann man eine normalverteilte Zufallsvariable erzeugen, z.B. über „y=Norminv(Zufallszahl(); 9,167; 0,294)“. Exp(y) liefert in Excel dann das gleiche Ergebnis (Abb. 9.5, Spalte D). Abb. 9.5 Zwei alternative Möglichkeiten (Zellen A und B vs. Zellen C und D) zur Generierung einer lognormalverteilten Zufallsvariablen (oben) und mögliche Ausprägungen (unten) Bemerkung 9.1: Prinzipiell könnte auch eine empirische Verteilung aus historischen Schadenshöhen für die Modellierung angesetzt werden. Dieses hätte allerdings den Nachteil, dass nur die Schadenshöhen zur Simulation verwendet würden, die historisch aufgetreten sind. Diesem Problem könnte man dadurch begegnen, dass man statt einer klassischerweise verwendeten Treppenfunktion für die empirische Verteilungsfunktion, die Werte der Verteilungsfunktion an den Sprungstellen verbindet, d.h. eine interpolierte, stetige Verteilungsfunktion erzeugt. Dennoch gibt es für eine so erzeugte Verteilungsfunktion einen maximalen in der Vergangenheit aufgetretenen Schadenswert. Es sind aber zukünftig auch Schäden möglich, die größer sind, als die in der Vergangenheit beobachteten Schäden (Steinhoff, 2008, S. 46). Für operationelle Risiken werden daher eher gängige theoretische Verteilungsfunktionen an die Daten angepasst, als dass die empirische Verteilungsfunktion verwendet wird. Gesamtschaden Um zu einer Verteilung des Gesamtschadens pro Risikozelle zu kommen, müssen Schadenshäufigkeiten und Schadenshöhen zusammengeführt werden. Pro Simulationsschritt, den man in Excel in einer Zeile abbildet, wird eine Ausprägung der Schadenshäufigkeit N simuliert. Anschließend simuliert man für denselben Simulationsschritt so viele Schäden wie durch die Schadenshäufigkeit angegeben sind und summiert diese zum Gesamtschaden. Dieses Vorgehen wiederholt man in den Zeilen eines Tabellenblatts für die Anzahl n von gewünschten Simulationen. Aus den n simulierten möglichen Gesamtschäden kann man dann eine Verteilung generieren, aus der man wie gewohnt Quantile zur Value-at-Risk-Bestimmung ablesen kann. <?page no="285"?> 286 9 Operationelles Risiko www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement Beispiel 9.15 (Zusammenführung von Beispiel 9.12 und Beispiel 9.14) Der Manager für operationelle Risiken der AMA-Bank modelliert für die Risikozelle „Firmenkundengeschäft/ Externer Betrug“ die Schadenshäufigkeit mit einer Poissonverteilung mit Parameter 0,8 und die Höhe der einzelnen möglichen Schäden durch die Lognormalverteilung in Beispiel 9.14. Er möchte den Value at Risk des operationellen Risikos für eine Konfidenzwahrscheinlichkeit von p=0,999 über eine Monte-Carlo-Simulation bestimmen. Er führt 10.000 Simulationen durch. Tab. 9.6 zeigt die Ergebnisse. Simulation N Schaden 1 Schaden 2 Schaden 3 Schaden 4 Gesamtschaden 1 2 11.816 € 10.633 € - - 22.449 € 2 0 - - - - 0 € 3 4 12.092 € 13.675 € 11.117 € 8.355 € 45.239 € 4 0 - - - - 0 € . . . . 9999 1 8.167 € - - - 8.167 € 10.000 2 12.184 € 8.540 € - - 20.725 € Tab. 9.6 Monte-Carlo-Simulation des operationellen Risikos Bei der ersten Simulation wurde vom Rechner für die Schadenshäufigkeit eine Zwei „gewürfelt“. Es werden daher zwei Schäden simuliert. Der Gesamtschaden des ersten Simulationsschritts ergibt sich als Summe über die beiden einzelnen Schäden. Für die folgenden Simulationen wird analog verfahren. Um den Value at Risk zum Konfidenzniveau 99,9 % ablesen zu können, müssen die Gesamtschäden geordnet werden. Der Value at Risk kann dann als elfter Wert in der absteigend sortierten Liste abgelesen werden. Der Risikomanager ermittelt einen Value at Risk von 52.916 €. Mit einer Wahrscheinlichkeit von 99,9 % betragen die operationellen Risiken in der gewählten Risikozelle nicht mehr als 52.916 €. Da es sich hier um einen simulierten Wert handelt, schwankt dieser natürlich, wenn man mehrfach hintereinander 10.000 Simulationsläufe ausführt. In „Beispiel <?page no="286"?> 9.6 Zur Schwierigkeit der Datenbasis 287 www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement 9.15.xls“ befinden sich die festen Daten der in Tab. 9.6 durchgeführten Simulation. 57 Sind die Gesamtschäden in jeder Risikozelle bestimmt, werden sie zum operationellen Risiko der Gesamtbank aufaddiert. Dieses impliziert eine Korrelation von eins zwischen den Risikozellen. Dadurch sind Diversifikationseffekte zwischen den Risikozellen nicht zu erzielen. Die Bankenaufsicht lässt allerdings die Verwendung von durch die Banken selbst bestimmten Korrelationen zu (SolvV, § 285). Diese können kleiner als eins ausfallen und somit zu einer eventuell niedrigeren Schätzung des Risikos führen. Zur Verwendung muss ein zuverlässiges System zur Bestimmung von Korrelationen vorliegen. Verschiedene Autoren weisen aber nach, dass der Eigenkapitalbedarf für das operationelle Risiko durch die Anwendung von Korrelationen zwischen den Risikozellen kaum geringer wird (Albrecht, Schwake und Winter, 2007, S. 32), so dass es fraglich ist, ob sich der Aufwand für ein wesentlich komplexeres Modell lohnt. 9.6 Zur Schwierigkeit der Datenbasis Um als fortgeschrittener Messansatz bankaufsichtsrechtlich anerkannt zu werden, muss ein Verfahren „interne Schadensdaten, externe Daten, Szenario-Analysen sowie institutsspezifische Geschäftsumfeld- und interne Kontrollfaktoren […] verwenden“ (SolvV, § 284 (1)). Die Güte der Daten bestimmt direkt auch die Güte der z.B. im Loss Distribution Approach modellierten Verteilungen und damit die Güte der Schätzung des Risikos durch den Value at Risk. Interne Datenbanken bilden naturgemäß das spezifische Risiko einer Bank am besten ab. Es existieren hier jedoch Probleme mit der Vollständigkeit. High-Frequency-Low- Impact-Verluste, die in einer Bank häufig vorkommen, werden möglicherweise in der Datenbank nicht adäquat abgebildet, da Mitarbeiter oder Abteilungen sich scheuen, Verluste aus eigenen Fehlern zuzugeben. Es wurde weiterhin schon diskutiert, dass Low-Frequency-High-Impact-Verluste so selten sind, dass sie in der Historie der Bank eventuell noch nicht aufgetreten sind, und daher nicht in die Datenbank eingehen. Ein mögliches Risiko kann so unterschätzt werden. Es sollten daher zusätzlich externe Daten von anderen Banken oder öffentlichen Datenpools (Steinhoff, 2008, S. 120) herangezogen werden. Allerdings ist darauf zu achten, dass die Verluste auf die Größe der Bank, die ihr operationelles Risiko berechnen möchte, umskaliert werden (s. Abschnitt 9.5.2). Externe Datenbanken haben aber ihrerseits den Nachteil, dass in ihnen hauptsächlich Verluste erfasst werden, die aufgrund ihrer Höhe zwangsweise an die Öffentlichkeit kommen. Vonseiten der Institute wird hingegen eher versucht, kleinere Verluste zu verschleiern. Diese werden nicht gemeldet. So sind in externen Datenbanken hohe Verluste überproportional vertreten, 57 Eine Programmierung des Loss Distribution Approach mit variablen zufälligen Daten wird in Aufgabe 9.6 vorgenommen. Die Lösung findet sich in der Datei „Lösung Aufgabe 9.6.xls“. <?page no="287"?> 288 9 Operationelles Risiko www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement so dass die operationellen Risiken bei Verwendung externer Datenbanken eher überschätzt werden. Interne und externe Datenbanken haben zudem den Nachteil, dass die in ihnen enthaltenen historischen Daten sich nur dann zur Prognose der Zukunft eignen, wenn sich die Gegebenheiten nicht geändert haben und z.B. die internen Abläufe eines Instituts konstant geblieben sind (Hofmann, 2002, S. 81). Verändern sich Prozesse und Umweltfaktoren, so ändern sich auch die operationellen Risiken. Szenarioanalysen sollten daher historische Datenquellen ergänzen und Schätzungen für mögliche hohe Verluste aus operationellen Risiken liefern. Hierzu können mit Hilfe von Expertenschätzungen durchschnittliche Verlusthöhen ermittelt werden oder Verlusthöhen, die mit vorgegebenen Wahrscheinlichkeiten nicht überschritten werden. An diese Schätzungen kann wiederum eine Verteilung angepasst werden, aus der durch Monte-Carlo-Simulation ein Value at Risk bestimmt werden kann (Hull, 2011, S.447). 9.7 Zusammenfassung Operationelle Risiken resultieren aus dem operativen Geschäft einer Bank als „Folge der Unangemessenheit oder des Versagens von internen Verfahren, Menschen und Systemen oder in Folge externer Ereignisse […]“. Indikatoransätze bringen das operationelle Risiko in Bezug zu einfachen Kennzahlen (Indikatoren) der Bank. Hierzu zählen auch die von der Bankenaufsicht zur Eigenkapitalunterlegung akzeptierten Verfahren des Basisindikatoransatzes (BIA) und des Standardansatzes (SA). Das operationelle Risiko eines Instituts wächst nicht linear mit dem Umsatz. Eine Risikozelle stellt eine Kombination aus Geschäftsbereich und Risikokategorie dar. Im internen Bemessungsansatz werden pro Risikozelle erwartete Verluste aus operationellen Risiken berechnet, die mit Hilfe eines von der Bankenaufsicht zu genehmigenden Gammafaktors zu einem dem Value at Risk vergleichbaren Wert umgerechnet werden. Im Loss Distribution Approach werden die Schadenshäufigkeit und die Schadenshöhe getrennt voneinander modelliert. Die Schadenshäufigkeit kann über eine poissonverteilte Zufallsvariable modelliert werden. Für die Schadenshöhe stehen verschiedene Verteilungen (z.B. die Lognormalverteilung) oder die Extremwerttheorie zur Verfügung. Der Gesamtschaden ist analytisch nur in Ausnahmefällen zu berechnen und wird daher häufig über eine Monte-Carlo-Simulation bestimmt. <?page no="288"?> 9.8 Literatur 289 www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement 9.8 Literatur 9.8.1 Im Text zitierte Literatur Albrecht, P., Schwake, E. & Winter, P. (2007): Quantifizierung operationeller Risiken: Der Loss Distribution Approach, German Risk and Insurance Review; 3, S. 1-45. Basler Ausschuss für Bankenaufsicht (2001): Working Paper on the Regulatory Treatment of Operational Risk, URL: http: / / www.bis.org/ publ/ bcbs_wp8.pdf (Stand: 15.7.2013). Basler Ausschuss für Bankenaufsicht (2003): Sound Practices for the Management and Supervision of Operational Risks. URL: http: / / www.bis.org/ publ/ bcbs91.pdf (Stand: 7.12.2013). Basler Ausschuss für Bankenaufsicht (2004): Internationale Konvergenz der Kapitalmessung und Eigenkapitalanforderungen, Überarbeitete Rahmenvereinbarung, URL: http: / / www.bundesbank.de/ Redaktion/ DE/ Downloads/ Kerngeschaeftsfelder/ Bank enaufsicht/ Gesetze_Verordnungen_Richtlinien/ rahmenvereinbarung_baseler _eigenkapitalempfehlung_200406.pdf? __blob=publicationFile (Stand: 7.12.2013). Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (2002): Mindestanforderungen an das Kreditgeschäft der Kreditinstitute (MaK), Rundschreiben 34/ 2002, vom 20.12.2002. Bundesaufsichtsamt für das Kreditwesen (1995): Verlautbarung über Mindestanforderungen an das Betreiben von Handelsgeschäften der Kreditinstitute (MaH), vom 23. Oktober 1995. Bundesaufsichtsamt für Kreditwesen (2000): Mindestanforderungen an die Ausgestaltung der Internen Revision der Kreditinstitute (MaIR), Rundschreiben 1/ 2000, vom 17.1.2000. FAZ (URL): Zerschlagung der West LB besiegelt, URL: http: / / www.faz.net/ aktuell/ wirtschaft/ landesbank-zerschlagung-der-west-lb-besiegelt-11572940.html (Artikel vom 20.12.2011, Stand: 12.7.2013). Hull, J. (2011): Risikomanagement - Banken, Versicherungen und andere Finanzinstitutionen, 2. Auflage, München: Pearson. Hofmann, M. (2002): Identifizierung, Quantifizierung und Steuerung operationeller Risiken in Kreditinstituten, Frankfurt am Main: Bankakademie Verlag GmbH. Peachey, A. N. (2006): Great Financial Disasters of Our Time, Neue Betriebswirtschaftliche Studienbücher, Bd. 21, Berlin: BWV - Berliner Wissenschafts-Verlag. Verordnung über die angemessene Eigenmittelausstattung von Instituten, Institutsgruppen und Finanzholding-Gruppen (Solvabilitätsverordnung, SolvV), vom 1. Januar 2007, zuletzt geändert: 19.12.2012, BGBl I S. 2796, URL: http: / / www.gesetze-iminternet.de/ solvv/ index.html (Stand: 7.12.2013). Steinhoff, C. (2008): Quantifizierung operationeller Risiken in Kreditinstituten - Eine Untersuchung unter besonderer Berücksichtigung von Szenarioanalysen im Rahmen von Verlustverteilungsmodellen, Göttingen: Cuvillier Verlag. Zentraler Kreditausschuss (Hrsg.) (2001): Stellungnahme des Zentralen Kreditausschusses zum Konsultationspapier des Basler Ausschusses zur Neuregelung der angemessenen Eigenkapitalausstattung von Kreditinstituten, vom 16. Januar 2001, Berlin. <?page no="289"?> 290 9 Operationelles Risiko www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement 9.8.2 Ergänzende und weiterführende Literatur Auer, M. (2008): Operationelles Risikomanagement bei Finanzinstituten: Risiken identifizieren, analysieren und steuern, Freiburg: Wiley. Dutta, K. & Perry, J. (2006): A Tale of Tails: An Empirical Analysis of Loss Distribution Models for Estimating Operational Risk Capital, Federal Reserve Bank of Boston. Kaiser, T. & Köhne M.F. (2007): Operationelle Risiken in Finanzinstituten: Eine praxisorientierte Einführung, 2. Aufl., Wiesbaden: Gabler. 9.9 Kontrollfragen 1. Durch den Standardansatz wird immer ein höheres operationelles Risiko wird immer ein geringeres operationelles Risiko wird je nach Aufteilung der Erträge auf die Geschäftsbereiche einer Bank ein höheres oder ein geringeres operationelles Risiko als im Basisindikatoransatz ausgewiesen. 2. Eine Bank B mit einem doppelt so hohen Umsatz wie eine Bank A hat tendenziell ein mehr als doppelt so hohes operationelles Risiko wie Bank A ein weniger als halb so hohes operationelles Risiko wie Bank A ein höheres operationelles Risiko als Bank A, das aber nicht doppelt so hoch ist wie das von Bank A ein geringeres operationelles Risiko als Bank A, das aber nicht halb so hoch ist wie das von Bank A. 3. Der Loss Distribution Approach ist ein Ansatz der als „fortgeschrittener Messansatz“ von „Basel II“ zur Unterlegung des operationellen Risikos mit Eigenkapital erlaubt ist ist ein Ansatz der als „fortgeschrittener Messansatz“ von „Basel II“ zur Unterlegung des operationellen Risikos mit Eigenkapital vorgeschrieben ist. <?page no="290"?> 9.10 Aufgaben 291 www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement 9.10 Aufgaben Aufgabe 9.1 Die Sparkasse Solidhausen aus Beispiel 9.9 ändert ab dem Jahr 2010 ihre Geschäftsstruktur. Sie handelt jetzt verstärkt mit Derivaten und reduziert das Privatkundengeschäft Jahr 2010 2011 2012 Privatkundengeschäft 10 20 5 Handel 60 30 25 Tab. 9.7 Bruttoerträge (in Mio. €) der Kreissparkasse Solidhausen in den Jahren 2010 bis 2012 aufgeteilt nach Geschäftsfeldern der Bank Ermitteln Sie das notwendige regulatorische Eigenkapital der Kreisparkasse Solidhausen für das Jahr 2013 bei Anwendung des Basisindikatoransatzes und des Standardansatzes! Vergleichen Sie die Ergebnisse untereinander und mit denen aus Beispiel 9.9! Aufgabe 9.2 Im Jahr 2013 läuft es für die Sparkasse Solidhausen gar nicht gut. Sie macht sowohl im Privatkundengeschäft als auch im Handel Verluste (s. Tab. 9.8). Jahr 2011 2012 2013 Privatkundengeschäft 20 5 -20 Handel 30 25 -20 Tab. 9.8 Bruttoerträge (in Mio. €) der Kreissparkasse Solidhausen in den Jahren 2011 bis 2013 aufgeteilt nach Geschäftsfeldern der Bank Ermitteln Sie das notwendige regulatorische Eigenkapital der Kreisparkasse Solidhausen für das Jahr 2014 bei Anwendung des Basisindikatoransatzes und des Standardansatzes! Vergleichen Sie die Vorgehensweise! Aufgabe 9.3 In der Excel-Datei „Aufgabe 9.3.xls“ sind die im Standardansatz verwendeten Betafaktoren pro Geschäftsfeld einer Bank sowie der Alpha-Faktor von 15 % des Basisindikatoransatzes hinterlegt. Berechnen Sie in Excel die notwendige Eigenkapitalunterlegung operationeller Risiken bei Anwendung des Basisindikatoransatzes sowie bei Anwendung des Standardansatzes! Vollziehen Sie anhand Ihrer Programmierung die Ergebnisse aus Beispiel 9.9 sowie aus Aufgabe 9.1 und Aufgabe 9.2 nach! <?page no="291"?> 292 9 Operationelles Risiko Aufgabe 9.4 In der Opti-Op-Bank sind in den letzten 30 Jahren 27 Schadensfälle aufgetreten. Die Schadenshäufigkeit wird als poissonverteilt modelliert. Erstellen Sie eine Tabelle mit den Wahrscheinlichkeiten für 0, 1 etc. Schadensfälle im Jahr! Aufgabe 9.5 Ferner lässt sich die Schadenshöhe der Einzelschäden in der Opti-Op-Bank durch eine lognormalverteilte Zufallsvariable modellieren. Ihr Erwartungswert liegt bei 20.000 €, die Standardabweichung bei 5.000 €. Ermitteln Sie die Parameter der Lognormalverteilung! Aufgabe 9.6 Erstellen Sie eine Datei, in der Sie den Value at Risk des Gesamtschadens aus operationellen Risiken für eine Risikozelle einer Bank mit Hilfe einer Monte-Carlo-Simulation berechnen! Modellieren Sie die Schadenshäufigkeit durch eine Poissonverteilung mit frei wählbarem Parameter und die einzelnen Schadenshöhen durch eine Lognormalverteilung! Berechnen Sie auf einem separaten Tabellenblatt die Parameter und der Lognormalverteilung, wenn der Erwartungswert und die Varianz der Schadenshöhen angegeben werden! Ermitteln Sie dann den Value at Risk zu einem Konfidenzniveau von 99,9 %, wobei Sie davon ausgehen, dass der Parameter der Poissonverteilung =0,9 ist, der Erwartungswert der Einzelschäden bei 20.000 € liegt und die Standardabweichung bei 5.000 € (s. Aufgabe 9.4 und Aufgabe 9.5)! <?page no="292"?> www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement 10 Anhang 10.1 Zufallsvariablen Definition 10.1: Eine Zufallsvariable ist eine Funktion, die einem Zufallsexperiment oder Zufallsprozess reelle Werte zuordnet, die sogenannten Realisierungen - oder auch Realisationen. Bemerkung 10.1: Zufallsvariablen werden mit Großbuchstaben bezeichnet, z.B. X oder Y, die zugehörigen Realisierungen mit kleinen Buchstaben. Bemerkung 10.2: Die Wahrscheinlichkeit, dass eine Zufallsvariable X eine Realisierung x annimmt, wird mit P(X=x) bezeichnet. Beispiel 10.1 Ein Spieler setzt beim Roulette zehnmal hintereinander auf „Rot“. X bezeichne die Anzahl der Male, bei denen die Kugel wirklich auf „Rot“ fällt. Die Wahrscheinlichkeit, dass die Kugel von zehn Spielen dreimal auf „Rot“ fällt, beträgt P(X=3)=0,13=13 %. 10.1.1 Diskrete Zufallsvariablen Definition 10.2: Eine Zufallsvariable X ist diskret, wenn sie nur endlich viele oder abzählbar unendlich viele Ausprägungen x i , i=1,2,… annehmen kann (vgl. Fahrmeir et al., 2001, S. 225). Beispiel 10.2 Nach einem Zufallsmechanismus werden 100 Haushalte ermittelt. Die Anzahl X der im Haushalt lebenden Kinder ist eine Zufallsvariable. Mögliche Ausprägungen sind die Null und die natürlichen Zahlen. <?page no="293"?> 294 10 Anhang www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement Die Wahrscheinlichkeitsverteilung einer diskreten Zufallsvariablen wird durch die Wahrscheinlichkeiten sonst 0 ,... 2 , 1 , ) ( i p x X P i i gegeben. Beispiel 10.3 Die Augenzahl X beim Würfeln mit einem fairen Würfel ist eine diskrete Zufallsvariable. Sie kann die Werte eins bis sechs annehmen. Jeder Wert ist gleichwahrscheinlich, d.h. es gilt . sonst 0 6 ,..., 1 , 6 1 ) ( i i X P 10.1.2 Stetige Zufallsvariablen Definition 10.3: Eine Zufallsvariable X ist stetig, wenn für ihre Ausprägungen alle Werte in einem Intervall [a, b], auf Teilen der reellen Achse oder auch auf der ganzen reellen Achse möglich sind. Beispiel 10.4 Die Körpergröße eines Erwachsenen kann als stetige Zufallsvariable X modelliert werden. Eine Person muss nicht entweder 1,70 m oder 1,71 m groß sein. Mit genauen Messmethoden wäre die Größe beliebig exakt messbar und die betreffende Person kann z.B. auch eine Körpergröße von 1,7054 m haben. Die Werte, die die Körpergröße annehmen kann, liegen in einem Intervall, das mit [0,5 m; 2,9 m] großzügig bemessen ist. Für eine stetige Zufallsvariable X gibt es eine Funktion f(x) 0, so dass für jedes Intervall [a, b] gilt (10.1) . ) ( ) ( b a dx x f b X a P Die Funktion f(x) heißt die Dichte von X (vgl. Fahrmeir et al., 2001, S. 269). Die gesamte von f(x) überdeckte Fläche hat den Wert Eins, d.h. es gilt (10.2) . 1 ) ( ) ( dx x f X P <?page no="294"?> 10 Anhang 295 www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement Der Wert der Verteilungsfunktion F(x)=P(X x), d.h. die Wahrscheinlichkeit, dass die Zufallsvariable X einen Wert annimmt, der kleiner oder gleich x ist, ergibt sich, indem man die Fläche unter der Dichte bis zu dem gesuchten Punkt x ermittelt, d.h. über (10.3) . ) ( ) ( ) ( x du u f x X P x F Exkurs 10.1 Wahrscheinlichkeit eines einzelnen Punktes einer stetigen Verteilung Ist die Zufallsvariable X stetig, so gilt für ein beliebiges Intervall [a, b] nach Formel (10.1) . ) ( ) ( b a dx x f b X a P Daraus lässt sich folgern, dass die Wahrscheinlichkeit eines Punktes P(X=c) aufgrund von 0 ) ( ) ( ) ( c c dx x f c X c P c X P sein muss, da das Integral über ein zu einem Punkt „zusammengeschrumpften“ Intervall null ist. Es ergibt sich nur noch ein „Strich“, der keine Fläche darstellt. Damit kann man einen einzelnen Punkt beliebig zu einem Intervall hinzunehmen oder ihn weglassen, die Fläche bleibt gleich groß. Es gilt somit ) ( ) ( c X P c X P und ). ( ) ( c X P c X P 10.2 Normalverteilung Die Normalverteilung ist die wichtigste, stetige Verteilung. Sie besitzt die Dichtefunktion (10.4) 2 2 2 ) ( 2 1 ) ( x e x f . An der Dichtefunktion (10.4) erkennt man, dass die Normalverteilung durch die Parameter μ und vollständig bestimmt ist. Dabei ist μ der Erwartungswert der Normalverteilung, die Standardabweichung. <?page no="295"?> 296 10 Anhang www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement Man schreibt X~N(μ, ) und sagt X besitzt eine Normalverteilung mit Erwartungswert μ und Standardabweichung . Beispiel 10.5 Die jährliche Rendite X einer Aktie sei durch eine normalverteilte Zufallsvariable X mit Erwartungswert μ =5 % und Standardabweichung =25 % beschrieben, d.h. X~N(5 %, 25 %). Die Wahrscheinlichkeit, dass die Aktie im nächsten Jahr eine Rendite hat, die zwischen 0 % und 20 % liegt, ist durch die Fläche unter der Dichtefunktion gegeben, die durch 0 % nach links und 20 % nach rechts begrenzt ist (Abb. 10.1). Abb. 10.1 Dichtefunktion der Rendite X~N(5 %; 25 %), schraffiert: Wahrscheinlichkeit, dass X zwischen 0 % und 20 % liegt Um diese Fläche zu bestimmen, müsste man die durch Formel (10.4) gegebene Dichtefunktion zwischen 0 % und 20 % integrieren, d.h. das Integral (10.5) % 20 % 0 % 20 % 0 %) 25 ( 2 %) 5 ( 2 2 % 25 2 1 ) ( %) 20 % 0 ( dx e dx x f X P x bestimmen. Das in Formel (10.5) dargestellte Integral über die Dichtefunktion der Normalverteilung sieht kompliziert aus. Man muss dieses Integral aber nicht berechnen. Es ist auch analytisch nicht zu berechnen, sondern muss numerisch durch Näherungsverfahren bestimmt werden. Für die Standardnormalverteilung (s. Abschnitt 10.2.1) gibt es Tabellen (s. Tab. 10.2), in denen Werte der Verteilungsfunktion abgetragen sind. Durch Transformation kann man hieraus auch Werte der Verteilungsfunktionen beliebiger Normalverteilungen berechnen. <?page no="296"?> 10 Anhang 297 www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement 10.2.1 Standardnormalverteilung Ist für eine normalverteilte Zufallsvariable der Erwartungswert μ=0 und die Standardabweichung =1, so spricht man von einer Standardnormalverteilung. Eine standardnormalverteilte Zufallsvariable wird oft mit Z notiert. Man schreibt dann Z~N(0,1). Die Dichtefunktion aus (10.4) vereinfacht sich im Fall einer Standardnormalverteilung zu (10.6) . 2 1 ) ( 2 2 x e x f Die Verteilungsfunktion der Standardnormalverteilung wird mit notiert. (z) gibt die Wahrscheinlichkeit an, dass eine standardnormalverteilte Zufallsvariable kleiner oder gleich z bleibt, d.h. (10.7) z x z dx e dx x f z Z P z . 2 1 ) ( ) ( ) ( 2 2 10.2.1.1 Bestimmung von Wahrscheinlichkeiten Das Integral in Formel (10.7) lässt sich mit Näherungsmethoden bestimmen. Tab. 10.2 in Abschnitt 10.2.3 zeigt auf diese Weise bestimmte Werte der Verteilungsfunktion (z) einer standardnormalverteilten Zufallsvariablen Z an ausgewählten Stellen z 0. Die Tabelle ist so aufgebaut, dass am linken Tabellenrand die Zahl vor dem Komma und die erste Nachkommastelle von z stehen, in der Kopfzeile die zweite Nachkommastelle von z. Im Inneren der Tabelle lässt sich dann der zugehörige Wert der Verteilungsfunktion (z) ablesen. Fall 1: P(Z z), z>0 Beispiel 10.6 Z sei eine standardnormalverteilte Zufallsvariable, d.h. Z~N(0,1). Es soll die Wahrscheinlichkeit P(Z 1,35) bestimmt werden, dass Z kleiner oder gleich 1,35 ist. In Tab. 10.2 sucht man die Zeile, die links durch 1,3 beschriftet ist, und geht dann so lange nach rechts, bis man in der am oberen Rand durch 0,05 gekennzeichneten Spalte angelangt ist. Es lässt sich ablesen, dass 9115 , 0 ) 35 , 1 ( ) 35 , 1 ( Z P ist. 91,15 % der Werte einer Standardnormalverteilung sind kleiner oder gleich 1,35. Beispiel 10.7 Für die standardnormalverteilte Zufallsvariable Z soll die Wahrscheinlichkeit P(Z 1,645) bestimmt werden. In Tab. 10.2 sind nur zwei Nachkommastellen für den Wert z, an dem die Verteilungsfunktion abgelesen werden kann, angegeben. Man behilft sich, indem man zwischen den angrenzenden Werten interpoliert. Da <?page no="297"?> 298 10 Anhang www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement (1,64)=0,9495 und (1,65)=0,9505, beträgt der Wert der Verteilungsfunktion in der Mitte zwischen 1,64 und 1,65 genau . 95 , 0 2 9505 , 0 9495 , 0 ) 645 , 1 ( Fall 2: P(Z > z), z>0 In der Tabelle der Standardnormalverteilung (Tab. 10.2) sind nur Werte für die „Wahrscheinlichkeit, dass ein kleinerer als ein bestimmter Wert z“ angenommen wird, verzeichnet. Dieses ist ja genau die Definition der Verteilungsfunktion. Insgesamt ist die Wahrscheinlichkeit, dass irgendein beliebiger Wert angenommen wird, aber Eins. Will man jetzt die Wahrscheinlichkeit, dass Z einen größeren Wert als z annimmt, ablesen, so kann man diese daher auch aus der Restwahrscheinlichkeit, d.h. über die Beziehung 1 ) ( ) ( z Z P z Z P berechnen. Es gilt dann ). ( 1 ) ( 1 ) ( z z Z P z Z P Beispiel 10.8 Z sei eine standardnormalverteilte Zufallsvariable. Es soll die Wahrscheinlichkeit P(Z>1,70) bestimmt werden, d.h. die Wahrscheinlichkeit, dass Z einen größeren Wert annimmt als 1,70. Es ist . 0446 , 0 9554 , 0 1 ) 70 , 1 ( 1 ) 70 , 1 ( 1 ) 70 , 1 ( Z P Z P 4,46 % der Werte einer N(0,1)-Verteilung sind größer als 1,70. Fall 3: P(Z -z), z>0 Tab. 10.2 enthält nur positive Werte, an denen die Verteilungsfunktion unmittelbar abgelesen werden kann. Um den Wert der Verteilungsfunktion an einem negativen Wert abzulesen, macht man sich die Symmetrie der Standardnormalverteilung zunutze. Für Z~N(0,1) entspricht die Wahrscheinlichkeit P(Z<-z), dass ein kleinerer als ein bestimmter Wert -z angenommen wird, der Wahrscheinlichkeit P(Z>z), dass ein größerer Wert als +z angenommen wird. Es gilt daher (10.8) ). ( 1 ) ( 1 ) ( ) ( ) ( z z Z P z Z P z Z P z Beispiel 10.9 Es gelte Z~N(0,1). Es soll die Wahrscheinlichkeit P(Z<-2) bestimmt werden. Wie aus Abb. 10.2 ersichtlich ist, stimmt die Wahrscheinlichkeit P(Z<-2) mit der Wahrscheinlichkeit P(Z>+2) überein. Es gilt daher <?page no="298"?> 10 Anhang 299 www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement . 0227 , 0 9773 , 0 1 ) 2 ( 1 ) 2 ( 1 ) 2 ( ) 2 ( Z P Z P Z P Abb. 10.2 Zur Bestimmung der Verteilungsfunktion an einem negativen Wert 2,27 % der Werte einer Standardnormalverteilung sind kleiner als -2. 10.2.1.2 Bestimmung von Quantilen In Abschnitt 10.2.1.1 haben wir gesehen, wie aus Tab. 10.2 Werte der Verteilungsfunktion der Standardnormalverteilung ermittelt werden. Der z-Wert, unter dem die Zufallsvariable bleiben sollte, war vorgegeben. Gesucht wurde die Wahrscheinlichkeit p, mit der dieser Wert nicht überschritten wird, d.h. P(Z z)=p. Man kann aber auch anders herum vorgehen und die Wahrscheinlichkeit p vorgeben. 58 Dann sucht man den Wert z, unter dem die Ausprägungen der Zufallsvariable mit der vorgegebenen Wahrscheinlichkeit p liegen, d.h. man sucht das p-Quantil. Das p- Quantil der Standardnormalverteilung wird mit z p bezeichnet. Fall 1: p-Quantile mit p 0,5 Beim Arbeiten mit der Tabelle ist die Vorgehensweise gegenüber der Bestimmung von Wahrscheinlichkeiten in Abschnitt 10.2.1.1 entsprechend invertiert. Zunächst wird die Wahrscheinlichkeit p in der Tabelle gesucht. Am oberen und linken Rand der Tabelle kann dann das p-Quantil abgelesen werden. Beispiel 10.10 Z sei eine standardnormalverteilte Zufallsvariable. Es ist der Wert zu bestimmen, unter dem die Zufallsvariable mit 70 % Wahrscheinlichkeit bleibt, d.h. für den gilt P(Z z)=0,7. Der gesuchte Wert z ist daher das 70 %-Quantil. In Tab. 10.2 lassen sich (0,52)= 0,6985 und (0,53)= 0,7019 ablesen. Das gesuchte Quantil liegt daher zwischen 0,52 und 0,53, eine lineare Interpolation ergibt einen Wert von etwa 0,524. 58 Dieses entspricht z.B. auch der Vorgehensweise bei der Bestimmung des Value at Risk. <?page no="299"?> 300 10 Anhang www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement Fall 2: p-Quantile mit p < 0,5 In Tab. 10.2 sind nur Werte der Verteilung abgetragen, die größer als 0,5 sind. Wie kann man Quantile zu Wahrscheinlichkeiten bestimmen, die kleiner als 50 % sind? Wieder nutzen wir die Symmetrie der Standardnormalverteilung um den Erwartungswert Null. 100·p % der Werte der Standardnormalverteilung liegen unter dem gesuchten Wert z p . Spiegelbildlich dazu liegen 100·(1-p) % der Werte unter dem (1-p)-Quantil und damit 100·p % über dem (1-p)-Quantil. Es gilt also, dass das p-Quantil gerade das Negative des (1-p)-Quantils ist, d.h. z p = -z 1-p (s. Abb. 10.3). Abb. 10.3 p-Quantil der Standardnormalverteilung mit p<0,5 Beispiel 10.11 Gesucht ist das 5 %-Quantil einer standardnormalverteilten Zufallsvariable. Zunächst ermitteln wir über die Tabelle das 95 %-Quantil zu 1,645. Das 5 %-Quantil entspricht daher -1,645. 5 % der Werte einer Standardnormalverteilung sind kleiner als -1,645, 5 % der Werte sind größer als +1,645. Wichtige Quantile Tab. 10.1 zeigt einige wichtige Quantile der Standardnormalverteilung. Wahrscheinlichkeit Name des Quantils Wert des Quantils 1 % z 0,01 -2,326 2,5% z 0,025 -1,96 5 % z 0,05 -1,645 10% z 0,10 -1,282 90 % z 0,90 1,282 95 % z 0,95 1,645 97,5 % z 0,975 1,96 99 % z 0,99 2,326 Tab. 10.1 Wichtige Quantile der Standardnormalverteilung <?page no="300"?> 10 Anhang 301 www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement 10.2.2 Transformation von Normalverteilungen Eine Standardnormalverteilung ist symmetrisch um ihren Erwartungswert von null und hat eine Standardabweichung von eins. Ändert sich der Erwartungswert, so verschiebt sich auch die Dichte der Normalverteilung entlang der Abszisse. Ist der Erwartungswert positiv, so verschiebt sich die gesamte Dichte nach rechts. Höhere Ergebnisse werden so wahrscheinlicher als bei einer Standardnormalverteilung. Ist der Erwartungswert negativ, so verschiebt sich die Dichte nach links. Es wird so wahrscheinlicher, dass kleinere und negative Ergebnisse auftreten (s. Abb. 10.4). Abb. 10.4 Dichtefunktion der Standardnormalverteilung (μ=0) sowie von Normalverteilungen mit Erwartungswert μ=-1 und μ=+1; für alle Dichtefunktionen ist die Standardabweichung =1 Ändert sich die Standardabweichung gegenüber der Standardabweichung von eins der Standardnormalverteilung, so wird die Dichtefunktion entweder flacher oder steiler. Ist die Standardabweichung größer als eins, d.h. ergibt sich eine größere Streuung als bei der Standardnormalverteilung, so ist die Dichtefunktion flacher. Für eine Standardabweichung, die kleiner ist als eins, wird die Dichtefunktion steiler als bei der Standardnormalverteilung. Die Streuung ist kleiner und deshalb konzentriert sich die Dichte auf einen kleineren Bereich (s. Abb. 10.5). Abb. 10.5 Dichtefunktion der Standardnormalverteilung ( =1) sowie von Normalverteilungen mit =2 und =0,5; für alle Dichten gilt μ=0 <?page no="301"?> 302 10 Anhang www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement 10.2.2.1 Bestimmung von Wahrscheinlichkeiten Für standardnormalverteilte Zufallsvariablen hatten wir Tab. 10.2 zur Bestimmung von Wahrscheinlichkeiten benutzt. Solche Tabellen existieren aber nicht für beliebige Erwartungswerte und Standardabweichungen. Besitzt eine Zufallsvariable einen Erwartungswert, der von null verschieden ist und/ oder eine Standardabweichung, die von eins verschieden ist, so muss diese Zufallsvariable so transformiert werden, dass sie wieder standardnormalverteilt ist. Hat sie dadurch nach der Transformation einen Erwartungswert von null und eine Standardabweichung von eins, so kann wiederum Tab. 10.2 zur Bestimmung von Wahrscheinlichkeiten und Quantilen benutzt werden. Beispiel 10.12 (Fortführung von Beispiel 10.5) X~N(5 %; 25 %) sei die durch eine Normalverteilung modellierte Rendite aus Beispiel 10.5. Jetzt können wir die Wahrscheinlichkeit berechnen, dass die Rendite im nächsten Jahr zwischen 0 % und 20 % bleibt. X ist zwar normalverteilt, aber nicht standardnormalverteilt, sondern zentriert um 5 % mit einer Standardabweichung von 25 %. Um zu erreichen, dass X um null zentriert ist, müssen wir die gesamte Verteilung entlang der Abszisse nach links in den Nullpunkt verschieben. Das erreichen wir, indem wir von X 5 % subtrahieren. Die so transformierte Zufallsvariable hat nun einen Erwartungswert von null, aber immer noch eine Standardabweichung von 25 %. Um zu einer Standardabweichung von eins zu kommen, müssen wir die Dichtefunktion noch stauchen. Das erreichen wir, indem wir X-5 % durch 25 % teilen. Die Zufallsvariable % 25 % 5 X Z ist nun standardnormalverteilt. Daher lässt sich Tab. 10.2 zur Bestimmung von Wahrscheinlichkeiten für Z benutzen. Es gilt . 723 , 0 ) 6 , 0 ( % 25 % 5 % 20 % 25 % 5 %) 5 % 20 % 5 ( %) 20 ( Z P X P X P X P Z Genauso lässt sich die Wahrscheinlichkeit für eine negative Rendite berechnen, d.h. . 421 , 0 ) 2 , 0 ( % 25 % 5 % 0 % 25 % 5 %) 0 ( Z P X P X P Damit ergibt sich die in Beispiel 10.5 gesuchte Wahrscheinlichkeit dafür, dass die Aktie im nächsten Jahr eine Rendite zwischen 0 % und 20 % hat, zu %. 2 , 30 302 , 0 421 , 0 723 , 0 % 0 % 20 %) 20 % 0 ( X P X P X P <?page no="302"?> 10 Anhang 303 www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement Merksatz 10.1 Wenn X eine N(μ, )-Verteilung besitzt, so ist die transformierte Zufallsvariable X Z standardnormalverteilt mit Erwartungswert null und Standardabweichung eins. 10.2.2.2 Bestimmung von Quantilen Durch eine Rücktransformation können aus den bekannten Quantilen der Standardnormalverteilung Quantile beliebiger Normalverteilungen bestimmt werden. Beispiel 10.13 (Fortführung von Beispiel 10.12) Es wird das 90 %-Quantil der Rendite X~N(5 %; 25 %) der Aktie aus Beispiel 10.12 gesucht, d.h. der Wert, den die Rendite mit einer Wahrscheinlichkeit von 90 % unterschreitet. Für die Standardnormalverteilung kennt man das 90 %-Quantil. Es liegt bei 1,282. Um von der Standardnormalverteilung wieder auf die gegebene N(5 %; 25 %)- Verteilung zu kommen, muss man die in Beispiel 10.12 unternommenen Transformationsschritte rückgängig machen. Da 9 , 0 9 , 0 x z ist, multipliziert man zunächst das 90 %-Quantil der N(0,1)-Verteilung mit 25 % und addiert dann 5 %, um das Quantil zu der gesuchten Ausgangsverteilung zu verschieben. Es ergibt sich ein 90 %-Quantil von %, 05 , 37 % 5 282 , 1 % 25 9 , 0 9 , 0 z x d.h. mit einer Wahrscheinlichkeit von 90 % ist die Rendite der Aktie im nächsten Jahr kleiner als 37,05 %. Merksatz 10.2 Besitzt X eine N(μ, )-Verteilung und bezeichnet z p das p-Quantil einer standardnormalverteilten Zufallsvariable Z, so ist das p-Quantil x p von X gegeben durch . p p z x <?page no="303"?> 304 10 Anhang www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement 10.2.3 Tabelle der Standardnormalverteilung z ,00 ,01 ,02 ,03 ,04 ,05 ,06 ,07 ,08 ,09 0,0 0,5000 0,5040 0,5080 0,5120 0,5160 0,5199 0,5239 0,5279 0,5319 0,5359 0,1 0,5398 0,5438 0,5478 0,5517 0,5557 0,5596 0,5636 0,5675 0,5714 0,5754 0,2 0,5793 0,5832 0,5871 0,5910 0,5948 0,5987 0,6026 0,6064 0,6103 0,6141 0,3 0,6179 0,6217 0,6255 0,6293 0,6331 0,6368 0,6406 0,6443 0,6480 0,6517 0,4 0,6554 0,6591 0,6628 0,6664 0,6700 0,6736 0,6772 0,6808 0,6844 0,6879 0,5 0,6915 0,6950 0,6985 0,7019 0,7054 0,7088 0,7123 0,7157 0,7190 0,7224 0,6 0,7258 0,7291 0,7324 0,7357 0,7389 0,7422 0,7454 0,7486 0,7518 0,7549 0,7 0,7580 0,7612 0,7642 0,7673 0,7704 0,7734 0,7764 0,7794 0,7823 0,7852 0,8 0,7881 0,7910 0,7939 0,7967 0,7996 0,8023 0,8051 0,8079 0,8106 0,8133 0,9 0,8159 0,8186 0,8212 0,8238 0,8264 0,8289 0,8315 0,8340 0,8365 0,8389 1,0 0,8413 0,8438 0,8461 0,8485 0,8508 0,8531 0,8554 0,8577 0,8599 0,8621 1,1 0,8643 0,8665 0,8686 0,8708 0,8729 0,8749 0,8770 0,8790 0,8810 0,8830 1,2 0,8849 0,8869 0,8888 0,8907 0,8925 0,8944 0,8962 0,8980 0,8997 0,9015 1,3 0,9032 0,9049 0,9066 0,9082 0,9099 0,9115 0,9131 0,9147 0,9162 0,9177 1,4 0,9192 0,9207 0,9222 0,9236 0,9251 0,9265 0,9279 0,9292 0,9306 0,9319 1,5 0,9332 0,9345 0,9357 0,9370 0,9382 0,9394 0,9406 0,9418 0,9430 0,9441 1,6 0,9452 0,9463 0,9474 0,9485 0,9495 0,9505 0,9515 0,9525 0,9535 0,9545 1,7 0,9554 0,9564 0,9573 0,9582 0,9591 0,9599 0,9608 0,9616 0,9625 0,9633 1,8 0,9641 0,9649 0,9656 0,9664 0,9671 0,9678 0,9686 0,9693 0,9700 0,9706 1,9 0,9713 0,9719 0,9726 0,9732 0,9738 0,9744 0,9750 0,9756 0,9762 0,9767 2,0 0,9773 0,9778 0,9783 0,9788 0,9793 0,9798 0,9803 0,9808 0,9812 0,9817 2,1 0,9821 0,9826 0,9830 0,9834 0,9838 0,9842 0,9846 0,9850 0,9854 0,9857 2,2 0,9861 0,9865 0,9868 0,9871 0,9875 0,9878 0,9881 0,9884 0,9887 0,9890 <?page no="304"?> 10 Anhang 305 www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement 2,3 0,9893 0,9896 0,9898 0,9901 0,9904 0,9906 0,9909 0,9911 0,9913 0,9916 2,4 0,9918 0,9920 0,9922 0,9925 0,9927 0,9929 0,9931 0,9932 0,9934 0,9936 2,5 0,9938 0,9940 0,9941 0,9943 0,9945 0,9946 0,9948 0,9949 0,9951 0,9952 2,6 0,9953 0,9955 0,9956 0,9957 0,9959 0,9960 0,9961 0,9962 0,9963 0,9964 2,7 0,9965 0,9966 0,9967 0,9968 0,9969 0,9970 0,9971 0,9972 0,9973 0,9974 2,8 0,9974 0,9975 0,9976 0,9977 0,9977 0,9978 0,9979 0,9980 0,9980 0,9981 2,9 0,9981 0,9982 0,9983 0,9983 0,9984 0,9984 0,9985 0,9985 0,9986 0,9986 3,0 0,9987 0,9987 0,9987 0,9988 0,9988 0,9989 0,9989 0,9989 0,9990 0,9990 3,1 0,9990 0,9991 0,9991 0,9991 0,9992 0,9992 0,9992 0,9992 0,9993 0,9993 3,2 0,9993 0,9993 0,9994 0,9994 0,9994 0,9994 0,9994 0,9995 0,9995 0,9995 3,3 0,9995 0,9995 0,9996 0,9996 0,9996 0,9996 0,9996 0,9996 0,9996 0,9997 3,4 0,9997 0,9997 0,9997 0,9997 0,9997 0,9997 0,9997 0,9997 0,9998 0,9998 3,5 0,9998 0,9998 0,9998 0,9998 0,9998 0,9998 0,9998 0,9998 0,9998 0,9998 3,6 0,9998 0,9999 0,9999 0,9999 0,9999 0,9999 0,9999 0,9999 0,9999 0,9999 3,7 0,9999 0,9999 0,9999 0,9999 0,9999 0,9999 0,9999 0,9999 0,9999 0,9999 3,8 0,9999 0,9999 0,9999 0,9999 0,9999 0,9999 0,9999 1,0000 1,0000 1,0000 3,9 1,0000 1,0000 1,0000 1,0000 1,0000 1,0000 1,0000 1,0000 1,0000 1,0000 Tab. 10.2 Tabelle der Standardnormalverteilung 10.3 Literatur Fahrmeir, L., Künstler, R., Pigeot, I. & Tutz, G. (2001): Statistik, Der Weg zur Datenanalyse, 3. Auflage, Berlin: Springer. <?page no="306"?> www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement 11 Lösungen Lösung zu den Kontrollfragen in Kapitel 2 1. b), 2. b), 3. a), 4. b), 5. b), 6. a) Lösung zu Aufgabe 2.1 a) und b) Die diskreten und stetigen Renditen sind in Tab. 11.1 gegeben: Periode Wert der Aktie Vt diskrete Rendite stetige Rendite Dezember 100 € Januar 105 € 5,00 % 4,88 % Februar 102 € -2,86 % -2,90 % März 108 € 5,88 % 5,72 % April 112 € 3,70 % 3,64 % Mai 106 € -5,36 % -5,51 % Juni 107 € 0,94 % 0,94 % Tab. 11.1 Kurse, diskrete und stetige Renditen der Be-Moderate-AG c) Die durchschnittliche diskrete Monatsrendite beträgt 01131 , 0 1 ) 0094 , 0 1 ( ) 0536 , 0 1 ( ) 037 , 0 1 ( ) 0588 , 0 1 ( ) 0286 , 0 1 ( ) 05 , 0 1 ( 6 ) ( d r d.h. 1,131 %. d) Die durchschnittliche stetige Monatsrendite beträgt , 01127 , 0 6 0094 , 0 0551 , 0 0364 , 0 0572 , 0 0290 , 0 0488 , 0 ) ( s r d.h. 1,127 %. e) Die annualisierte stetige Rendite erhält man, indem man die durchschnittliche stetige Monatsrendite mit zwölf multipliziert, d.h. %. 53 , 13 % 127 , 1 12 ) ( Jahr 1 s r Durch Umrechnung in eine diskrete Rendite lässt sich die annualisierte diskrete Rendite zu , 1449 , 0 1 1353 , 0 ) ( Jahr 1 e r d <?page no="307"?> 308 www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement d.h. 14,49 % bestimmen. Alternativ hätte man die annualisierte diskrete Rendite auch über Formel (2.10) zu % 49 , 14 1449 , 0 1 01131 , 0 1 12 ) ( Jahr 1 d r berechnen können. Lösung zu Aufgabe 2.2 Die Lösung findet sich in der Datei „Lösung Aufgabe 2.2.xls“. Lösung zu Aufgabe 2.3 Die Lösung findet sich in der Datei „Lösung Aufgabe 2.3.xls“. Lösung zu Aufgabe 2.4 a) Die Up-AG erfährt in der betrachteten Periode eine diskrete Rendite von %, 10 1 , 0 1 € 80 € 88 ) ( Up d r die Down-AG eine diskrete Rendite von %. 5 05 , 0 1 € 320 € 304 ) ( Down d r Das Portfolio hat zum Zeitpunkt t=0 einen Wert von 400 €. Die Aktie der Up-AG hat an diesem Wert einen Anteil von w 1 =1/ 5 (=80 €/ 400 €), diejenige der Down-AG einen Anteil w 2 =4/ 5 (=320 €/ 400 €). Berechnet man die Portfoliorendite, so kann man den Wert des Portfolios zum Zeitpunkt t=1 von 392 € auf den heutigen Wert des Portfolios von 400 € beziehen und erhält %. 2 02 , 0 1 € 400 € 392 ) ( Portfolio d r Alternativ lässt sich die Portfoliorendite über eine Gewichtung der Einzelrenditen der Aktien im Portfolio zu % 2 %) 5 ( 5 4 % 10 5 1 bestimmen. <?page no="308"?> Lösungen 309 www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement b) Für die stetige Rendite der Up-AG gilt %, 53 , 9 0953 , 0 € 80 € 88 ln ) ( s Up r für diejenige der Down-AG %. 13 , 5 0513 , 0 € 320 € 304 ln ) ( s Down r Die stetige Portfoliorendite lässt sich aus den Werten des Portfolios an den Zeitpunkten t=0 und t=1 zu % 02 , 2 0202 , 0 € 400 € 392 ln ) ( Portfolio s r bestimmen. Eine Gewichtung der Einzelrenditen mit den Anteilen im Portfolio ergibt %, 198 , 2 %) 13 , 5 ( 5 4 % 53 , 9 5 1 d.h. einen von der wahren Portfoliorendite abweichenden Wert. Lösung zu den Kontrollfragen in Kapitel 3 1. a), 2. b) 3. a), d) Lösung zu Aufgabe 3.1 a) Die erwartete Rendite für das nächste Jahr beträgt % 5 , 4 %) 10 ( 07 , 0 %) 5 ( 12 , 0 % 0 2 , 0 % 2 3 , 0 % 10 2 , 0 % 25 08 , 0 % 40 03 , 0 b) Der maximale Verlust liegt bei 10 %. c) Die Varianz der möglichen Renditen ergibt sich zu . (%) 95 , 108 %) 5 , 4 % 10 ( 07 , 0 %) 5 , 4 % 5 ( 12 , 0 %) 5 , 4 % 0 ( 2 , 0 %) 5 , 4 % 2 ( 3 , 0 %) 5 , 4 % 10 ( 2 , 0 %) 5 , 4 % 25 ( 08 , 0 %) 5 , 4 % 40 ( 03 , 0 2 2 2 2 2 2 2 2 2 Damit ist %, 44 , 10 (%) 95 , 108 2 <?page no="309"?> 310 en www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement d.h. die Standardabweichung für das Unternehmen Notbad liegt im nächsten Jahr bei 10,44 %. Die Standardabweichung wird von den hohen möglichen Gewinnen von 40 % und 25 % im nächsten Jahr „nach oben gezogen“. d) Für die Berechnung der Downside-Standardabweichung werden alle Renditen, die über der erwarteten Rendite von 4,5 % liegen, auf null gesetzt. Die Downside-Varianz ergibt daher . (%) 47 , 31 %) 5 , 4 % 10 ( 07 , 0 %) 5 , 4 % 5 ( 12 , 0 %) 5 , 4 % 0 ( 2 , 0 %) 5 , 4 % 2 ( 3 , 0 0 2 , 0 0 08 , 0 0 03 , 0 2 2 2 2 2 2 , d Die Downside-Standardabweichung liegt bei %. 61 , 5 (%) 47 , 31 2 e) Die Downside-Wahrscheinlichkeit, mit der eine Rendite von 2 % im nächsten Jahr nicht überschritten wird, beträgt , 69 , 0 3 , 0 2 , 0 12 , 0 07 , 0 %) 2 ( %) 0 ( %) 5 ( %) 10 ( %) 2 ( R P R P R P R P R P d.h. 69 %. Lösung zu Aufgabe 3.2 Die Lösung findet sich in der Datei „Lösung Aufgabe 3.2.xls“. Lösung zu den Kontrollfragen in Kapitel 4 1 b); 2 c); 3 c); 4 a) b) c) Lösung zu Aufgabe 4.1 Tab. 11.2 zeigt zusätzlich zur Wahrscheinlichkeitsverteilung die Verteilungsfunktion der Wertänderungen der gegebenen Geldanlage. Wertänderungen -250 € -200 € -150 € -50 € 0 € 50 € 150 € W’keit P(X=x) 0,01 0,02 0,02 0,22 0,45 0,25 0,03 Vert.fkt. F(x) 0,01 0,03 0,05 0,27 0,72 0,97 1 Tab. 11.2 Wahrscheinlichkeitsverteilung und Verteilungsfunktion der Wertänderungen der gegebenen Geldanlage <?page no="310"?> Lösungen 311 www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement a) Der „Sprung“ der Verteilungsfunktion über die Fehlerwahrscheinlichkeit =0,1 findet bei einer Wertänderung von -50 € statt. Der Value at Risk zu einem Konfidenzniveau von 90 % beträgt daher 50 €. b) Auch zu einem Konfidenzniveau von 95 % beträgt der Value at Risk hier 50 €. In 95 % der Fälle wird ein Verlust von 50 € nicht überschritten, er wird nur mit 5 % Wahrscheinlichkeit überschritten. Dadurch, dass die Verteilungsfunktion an der Stelle -150 € genau den Wert 0,05 annimmt und dann horizontal bis zur Wertänderung von -50 € verläuft, kann als Value at Risk die Wertänderung gewählt werden, die am weitesten rechts auf dem horizontalen Stück der Verteilungsfunktion liegt. Dieses ist bei -50 € der Fall, der Value at Risk beträgt 50 €. c) Der Expected Shortfall beträgt €. 200 € 150 01 , 0 € 200 03 , 0 € 250 01 , 0 05 , 0 1 95 , 0 ES Lösung zu Aufgabe 4.2 a) Das 0,95-Quantil der Standardnormalverteilung beträgt . 645 , 1 95 , 0 z Damit gilt für den Value at Risk zu einem Konfidenzniveau von 95 % und einer Haltedauer von zehn Tagen nach Formel (4.7) , 04655 , 0 07 , 0 250 10 ) 645 , 1 ( 15 , 0 250 10 | | Tage 10 , 95 , 0 T T N z N VaR d.h. der Value at Risk beträgt 4,655 %. b) In a) wurde ein Value at Risk für die stetige Rendite von 4,655 % berechnet. Damit beträgt der Value at Risk der Aktie in absoluten Geldbeträgen nach Formel (4.4) €. 19 , 8 ) 1 ( € 180 ) 1 ( 04655 , 0 0 ten Geldeinhei Rendite stet. e e V VaR VaR Mit einer Wahrscheinlichkeit von 95 % erleidet man in den nächsten zehn Tagen mit der Aktie keinen größeren Verlust als 8,19 €. Lösung zu Aufgabe 4.3 Die Lösung findet sich in der Datei „Lösung Aufgabe 4.3.xls“. Lösung zu Aufgabe 4.4 Die Lösung findet sich in der Datei „Lösung Aufgabe 4.4.xls“. Lösung zu Aufgabe 4.5 Die Lösung findet sich in der Datei „Lösung Aufgabe 4.5.xls“. <?page no="311"?> 312 ungen www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement Lösung zu Aufgabe 4.6 Die Lösung findet sich in der Datei „Lösung Aufgabe 4.6.xls“. Lösung zu den Kontrollfragen in Kapitel 5 1 b), 2 a), 3 a), 4 a), 5 a) Lösung zu Aufgabe 5.1 a) Die Hilfsparameter d 1 und d 2 bestimmen sich bei einer Restlaufzeit von einem Jahr zu 0,04984 1 25 , 0 1 2 25 , 0 03 , 0 € 105 € 100 ln 2 1 d und . 20016 , 0 1 25 , 0 04984 , 0 2 d Damit beträgt der Wert c des Calls €. 12 , 9 0,4207 € 105 0,5199 € 100 ) 20016 , 0 ( € 105 ) 0,04984 ( € 100 1 03 , 0 1 03 , 0 e e c b) Bei einer Restlaufzeit von drei Monaten (T=0,25) liegt der Wert des Calls bei €. 26 , 3 0,3472 € 105 0,3944 € 100 ) -0,3928 ( € 105 ) -0,2678 ( € 100 25 , 0 03 , 0 25 , 0 03 , 0 e e c b) Bei einer Restlaufzeit von nur einem Monat (T=0,08333) liegt der Wert nur noch bei €. 16 , 1 2490 , 0 € 105 2725 , 0 € 100 08333 , 0 03 , 0 e c Lösung zu Aufgabe 5.2 a) Notiert die Aktie mit 95 € „aus dem Geld“, so beträgt der Wert der Option €. 07 , 3 2938 , 0 € 105 3474 , 0 € 95 1 03 , 0 e c Der Betrag von 3,07 € ist der reine Zeitwert der Option, der innere Wert der Option beträgt null. <?page no="312"?> Lösungen 313 www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement b) Notiert die Option mit 115 € „im Geld“, so beträgt der Wert der Option €. 03 , 15 7678 , 0 € 105 8110 , 0 € 115 1 03 , 0 e c Der Preis von 15,03 € besteht aus dem inneren Wert von 115 € - 105 € = 10 € und dem Zeitwert von 5,03 €. Lösung zu Aufgabe 5.3 Die Lösung findet sich in „Lösung Aufgabe 5.3.xls“. Lösung zu Aufgabe 5.4 Die Lösung findet sich in „Lösung Aufgabe 5.4.xls“. Lösung zu Aufgabe 5.5 a) Bei einem aktuellen Aktienkurs von 90 € gilt 0,5329 5 , 0 2 , 0 5 , 0 2 2 , 0 04 , 0 € 100 € 90 ln 2 1 d und . 6743 , 0 5 , 0 2 , 0 5329 , 0 2 d Damit beträgt der Wert des Puts €. 24 , 10 ) 5329 , 0 ( 90 ) 6743 , 0 ( 100 5 , 0 04 , 0 e p b) Ist die Put-Option bei einem aktuellen Aktienkurs von 105 € „aus dem Geld“, so beträgt ihr Wert €. 89 , 2 ) 0,4157 ( 105 ) 0,5571 ( 100 5 , 0 04 , 0 e p Lösung zu Aufgabe 5.6 a) Über Formel (5.5) bestimmt sich der jetzige Wert des Puts zu € 42 , 5 720 , 0 € 90 745 , 0 € 95 ) 583 , 0 ( € 90 ) 658 , 0 ( € 95 25 , 0 03 , 0 25 , 0 03 , 0 e e p Der Put macht einen Verlust, wenn der Aktienkurs steigt. Um den Wert der Aktienrendite zu ermitteln, der mit 95 % Wahrscheinlichkeit im nächsten Monat nicht überschritten wird, muss statt des 5 %-Quantils in Formel (4.7) daher das 95 %-Quantil angesetzt werden. Es gilt <?page no="313"?> 314 ungen www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement %. 37 , 7 0737 , 0 03 , 0 12 / 1 15 , 0 645 , 1 12 / 1 )" Aktie ( " 95 , 0 , 95 , 0 N z N VaR N Der Aktienkurs steigt mit einer 95 %-igen Wahrscheinlichkeit in einem Monat von 90 € nicht über €. 89 , 96 € 90 0737 , 0 e In einem Monat hat die Put-Option nur noch eine Restlaufzeit von zwei Monaten. Der Wert der Option fällt demnach auf €. 34 , 1 332 , 0 € 89 , 96 355 , 0 € 95 ) 434 , 0 ( € 89 , 96 ) 373 , 0 ( € 95 1667 , 0 , 0 03 , 0 1667 , 0 03 , 0 e e p Damit verliert bei exakter Berechnung der Put mit einer Wahrscheinlichkeit von 95 % in einem Monat nicht mehr als 5,42 € - 1,34 € =4,08 € an Wert. b) Das Delta der Option im Punkt 90 € beträgt . 720 , 0 1 583 , 0 1 25 , 0 15 , 0 25 , 0 2 15 , 0 03 , 0 € 95 € 90 ln 1 ) ( 2 1 d S p Bei einem Value-at-Risk-Anstieg der Aktie von 7,37 % (s. Aufgabenteil a)), d.h. einem Kursanstieg in der Aktie, der mit 95 % Wahrscheinlichkeit nicht größer als 7,37 % ist, gewinnt die Aktie € 89 , 6 € 90 € 89 , 96 € 90 € 90 0737 , 0 e an Wert. Der Value at Risk in der Put-Option lässt sich daher näherungsweise zu € 96 , 4 € 89 , 6 720 , 0 ) ( 95 , 0 p VaR bestimmen. Die Näherungslösung überschätzt den wahren - in Aufgabenteil a) berechneten - Value at Risk. Lösung zu Aufgabe 5.7 Da die Nullkuponanleihe nur eine Zahlung im Zeitpunkt t=3 besitzt, kürzt sich der Preis der Anleihe und der Barwert der einzelnen Zahlung sozusagen heraus und man erhält eine Duration von . 3 ) 04 , 0 1 ( € 000 . 10 ) 04 , 0 1 ( € 000 . 10 3 ) 1 ( ) 1 ( 3 3 1 1 T t t t T t t t i Z i Z t D <?page no="314"?> Lösungen 315 www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement James’ Geld kommt „im Schnitt“ nach drei Jahren zurück, denn es gibt ja nur eine einzige Zahlung am Ende des dritten Jahres. Lösung zu Aufgabe 5.8 Aus der Anleihe resultieren Zahlungen von 10.000 € pro Jahr an Zinsen. Am Ende der Laufzeit erhält der Investor den Nennbetrag von 10.000 € und die Zinsen für das letzte Jahr von ebenfalls 10.000 € zurück. Die Zahlung am Ende des dritten Jahres beträgt also 20.000 €. Damit ist die Duration . 22 , 2 04 , 1 € 000 . 20 04 , 1 € 000 . 10 04 , 1 € 000 . 10 04 , 1 € 000 . 20 3 04 , 1 € 000 . 10 2 04 , 1 € 000 . 10 1 ) 1 ( ) 1 ( 3 2 3 2 1 1 T t t t T t t t i Z i Z t D Bei dem fiktiven Kuponzinssatz von 100 % fließt bei der betrachteten dreijährigen Anleihe das Kapital im Schnitt nach 2,22 Jahren zurück. Lösung zu den Kontrollfragen in Kapitel 6 1. d) 2. c) 3. b) 4. b) 5. b) 6. b) 7. a) Lösung zu Aufgabe 6.1 Die Lösung findet sich in „Lösung Aufgabe 6.1.xls“. Lösung zu Aufgabe 6.2 Die Lösung findet sich in „Lösung Aufgabe 6.2.xls“. Lösung zu Aufgabe 6.3 Die Lösung findet sich in „Lösung Aufgabe 6.3.xls“. Lösung zu Aufgabe 6.4 Die Lösung findet sich in „Lösung Aufgabe 6.4.xls“. Lösung zu Aufgabe 6.5 Die Lösung findet sich in „Lösung Aufgabe 6.5.xls“. <?page no="315"?> 316 ungen www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement Lösung zu den Kontrollfragen in Kapitel 7 1. b) 2. c) 3. c) 4. b) 5. d) und e) Lösung zu Aufgabe 7.1 Die „C“-Anleihe hat eine Ausfallwahrscheinlichkeit von 31,32 % sowie die gegebene Recovery Rate von 20 %. Ihr Loss Given Default liegt daher bei 80 %. Die „B“-Anleihe hat eine Ausfallwahrscheinlichkeit von 5,07 % sowie eine Recovery Rate von 40 %. Ihr Loss Given Default liegt bei 60 %. Daraus ergibt sich ein erwarteter Verlust des Portfolios von €. 66 , 402 € 000 . 5 6 , 0 0507 , 0 € 000 . 1 8 , 0 3132 , 0 EV Lösung zu Aufgabe 7.2 Die Lösung findet sich in der Datei „Lösung Aufgabe 7.2.xls“. Lösung zu Aufgabe 7.3 Die Anleihe behält mit einer Wahrscheinlichkeit von 84,15 % ihr Rating. Sie hat eine 6,05 %-ige Chance, hochgestuft zu werden, sowie eine 9,8 %-ige Wahrscheinlichkeit, herabgestuft zu werden. Die Wahrscheinlichkeit der Herabstufung schließt die 1 %-ige Wahrscheinlichkeit eines Ausfalls mit ein. Lösung zu Aufgabe 7.4 a) Die Anleihe hat heute einen Wert von €. 13 , 019 . 1 ) 01 , 0 02 , 0 1 ( € 040 . 1 ) 01 , 0 02 , 0 1 ( € 40 2 A BW b) Bei einer Herabstufung auf ein Rating von „BB“ mit einem Spread von 5 % p.a. hätte die Anleihe einen Wert von €. 76 , 945 ) 05 , 0 02 , 0 1 ( € 040 . 1 ) 05 , 0 02 , 0 1 ( € 40 2 BB BW Sie hätte damit einen Wertverlust von € 37 , 73 € 76 , 945 € 13 , 019 . 1 zu verzeichnen. Lösung zu Aufgabe 7.5 Die Lösung findet sich in der Datei „Lösung Aufgabe 7.5.xls“. <?page no="316"?> Lösungen 317 www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement Lösung zu Aufgabe 7.6 Die Lösung findet sich in der Datei „Lösung Aufgabe 7.6.xls“. Lösung zu den Kontrollfragen in Kapitel 8 1. b) 2. a) 3. c) 4. d) Lösung zu Aufgabe 8.1 Die Lösung findet sich in der Datei „Lösung Aufgabe 8.1.xls“. Lösung zu Aufgabe 8.2 Der Mittelkurs der Little-Vol--Aktie beträgt 50 €, die prozentualen Liquiditätskosten daher %. 6 € 50 € 47 € 53 2 1 rel LK Der liquiditätsadjustierte Value at Risk mit einem Zeithorizont von zehn Tagen zu einem Konfidenzniveau von 95 % hat daher eine Höhe von %. 1 , 16 % 6 % 1 , 10 Tage 10 , 95 , 0 Tage 10 , 95 , 0 LK VaR VaR LAdj Mit 95 % Wahrscheinlichkeit verliert die Little-Vol-Aktie innerhalb von zehn Tagen nicht mehr als 16,1 % an Wert. Diese Wertänderung schließt mögliche Verluste aus einer Veräußerung mit ein. Lösung zu Aufgabe 8.3 Da die Liquiditätskosten für eine Haltedauer von zehn Tagen berechnet werden sollen, ist die für einen Tag gegebene Volatilität der Geld-Brief-Spanne zunächst auf zehn Tage umzuskalieren. Es ergibt sich %. 32 , 6 % 2 10 Tage 10 , BAS Für die Liquiditätskosten erhält man bei einer Sicherheitswahrscheinlichkeit von 95 % daher einen Wert von . rel %. 4 , 16 % 32 , 6 645 , 1 % 6 LK Der liquiditätsadjustierte Value at Risk ergibt sich so zu %. 5 , 26 % 4 , 16 % 1 , 10 rel Tage 10 , 95 , 0 Tage 10 , 95 , 0 LK VaR VaR LAdj Mit einer Wahrscheinlichkeit von 95 % beträgt der Verlust aus Marktpreisschwankungen inklusive der Liquiditätskosten bei einer möglichen Veräußerung innerhalb von zehn Tagen nicht mehr als 26,5 %. <?page no="317"?> 318 ungen www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement Lösung zu den Kontrollfragen in Kapitel 9 1c) 2c) 3a) Lösung zu Aufgabe 9.1 Die gesamten Bruttoerträge der Kreisparkasse Solidhausen in den Jahren 2010 bis 2012 sind durch Tab. 11.3 gegeben. Jahr 2010 2011 2012 Bruttoerträge 70 50 30 Tab. 11.3 Gesamtbruttoerträge (in Mio. €) der Kreissparkasse Solidhausen in den Jahren 2010 bis 2012 Es ergibt sich daher für die Gesamtbank dieselbe Situation wie für die Jahre 2006 bis 2008 in Beispiel 9.9. Nach dem Basisindikatoransatz ist das regulatorische Eigenkapital für das Jahr 2013 daher mit € Mio. 5 , 7 € Mio. 50 15 , 0 3 € Mio. 30 € Mio. 50 € Mio. 70 15 , 0 2013 , BIA EK anzusetzen. Nach dem Standardansatz betragen die Eigenkapitalanteile pro Jahr € Mio. 12 € Mio. 60 18 , 0 € Mio. 10 12 , 0 2010 Jahr Anteil SA, EK für das Jahr 2010, € Mio. 8 , 7 € Mio. 30 18 , 0 € Mio. 20 12 , 0 2011 Jahr Anteil SA, EK für das Jahr 2011 und € Mio. 1 , 5 € Mio. 25 18 , 0 € Mio. 5 12 , 0 2012 Jahr Anteil SA, EK für das Jahr 2012. Somit beträgt das in 2013 vorzuhaltende Eigenkapital als Durchschnitt der Eigenkapitalanteile der Jahre 2010 bis 2012 €. Mio. 3 , 8 3 € Mio. 1 , 5 € Mio. 8 , 7 € Mio. 12 2013 , SA EK Dadurch, dass die Kreissparkasse in den Jahren 2010 bis 2012 stärker im riskanteren Handelsgeschäft tätig war und dort den überwiegenden Anteil ihrer Erträge erwirtschaftet hat, muss sie bei Anwendung des Standardansatzes mehr regulatorisches Eigenkapital vorhalten. Die Situation hat sich gegenüber Beispiel 9.9 gedreht. Lösung zu Aufgabe 9.2 Die Gesamtbruttoerträge der Kreisparkasse Solidhausen in den Jahren 2011 bis 2013 sind durch Tab. 11.4 gegeben. Jahr 2011 2012 2013 Bruttoerträge 50 30 -40 Tab. 11.4 Gesamtbruttoerträge (in Mio. €) der Kreissparkasse Solidhausen in den Jahren 2011 bis 2013 <?page no="318"?> Lösungen 319 www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement Nach dem Basisindikatoransatz ist daher für das Jahr 2014 ein Eigenkapital von € Mio. 6 € Mio. 40 15 , 0 2 € Mio. 30 € Mio. 50 15 , 0 2014 , BIA EK anzusetzen. Aufgrund des negativen Bruttoertrags in 2013 wird nur über die Erträge der Jahre 2011 und 2012 gemittelt. Die Eigenkapitalanteile pro Jahr waren in Aufgabe 9.1 nach dem Standardansatz für das Jahr 2011 mit 7,8 Mio. € und für das Jahr 2012 mit 5,1 Mio. € berechnet worden. Für das Jahr 2013 ergibt sich ein Eigenkapitalanteil von € Mio. 6 €) Mio. 20 ( 18 , 0 €) Mio. 20 ( 12 , 0 2013 Jahr Anteil SA, EK . Da der Eigenkapitalanteil in 2013 negativ ist, wird er bei der Mittelung null gesetzt. Somit beträgt das in 2013 vorzuhaltende Eigenkapital als Durchschnitt der Eigenkapitalanteile der Jahre 2011 bis 2013 für das Jahr 2014 € Mio. 3 , 4 3 € Mio. 0 € Mio. 1 , 5 € Mio. 8 , 7 2014 , SA EK . Das vorzuhaltende Eigenkapital bei Verwendung des Standardansatzes ist im Jahr 2014 nun geringer als bei Anwendung des Basisindikatoransatzes. Allerdings ist das Vorgehen zur Berechnung des Eigenkapitals auch insofern grundlegend verschieden als die Anwendung des Basisindikatoransatzes ein Teilen durch zwei vorschreibt, die des Standardansatzes ein Teilen durch drei. In der Solvabilitätsverordnung (SolvV, § 270) heißt es für den Basisindikatoransatz in Absatz (3): „Bei der Bestimmung des Dreijahresdurchschnitts des relevanten Indikators sind nur Jahreswerte mit positivem Wert zu berücksichtigen. Der Dreijahresdurchschnitt des relevanten Indikators berechnet sich als Summe der positiven Jahreswerte geteilt durch die Anzahl der positiven Jahreswerte.“ Teilen „durch die Anzahl der positiven Jahreswerte“ bedeutet aber ein Teilen durch twei. Für den Standardansatz ist in der überarbeiteten Rahmenvereinbarung „Internationale Konvergenz der Kapitalmessung und Eigenkapitalanforderungen“ (Basler Ausschuss für Bankenaufsicht, 2004) eine Formel zur Berechnung des Eigenkapitals vorgegeben (s. Formel (9.1)) 1 Jahr 3 Jahr , 8 1 1 Jahr 3 Jahr Jahr Anteil , SA Jahr , SA ) 0 , max( 3 1 ) 0 , max( 3 1 j j i i i J j j I G EK EK , in der explizit durch drei geteilt wird. In der Umsetzung der Richtlinien von „Basel II“ durch die Solvabilitätsverordnung (SolvV) wird diese Formel nicht mehr aufgeführt, sie wird aber in § 273 in Worte übersetzt. Dort heißt es in Absatz (3): „Ist die Summe der Teilanrechnungsbeträge aller Geschäftsfelder in einem Geschäftsjahr negativ, so ist dieser Wert für die Berechnung des Anrechnungsbetrags durch null zu ersetzen.“ Durch die unterschiedliche Behandlung wird bei negativen Bruttoerträgen der Ausweis des operationellen Risikos nach dem Standardansatz tendenziell geringer. <?page no="319"?> 320 ungen Lösung zu Aufgabe 9.3 Die Lösung findet sich in der Datei „Lösung Aufgabe 9.3.xls“. Lösung zu Aufgabe 9.4 Pro Jahr gab es in der Opti-Op-Bank im Durchschnitt =27/ 30=0,9 Schadensfälle. Nach Formel (9.4) lassen sich Wahrscheinlichkeiten für unterschiedliche Anzahlen von Verlusten berechnen. Es gilt P(0 Verluste)= 0,407, ! 0 9 , 0 9 , 0 0 9 , 0 e e P(1 Verlust)= 0,366, 9 , 0 ! 1 9 , 0 9 , 0 1 9 , 0 e e etc. (s. Tab. 11.5). Anzahl Verluste 0 1 2 3 4 … Wahrscheinlichkeit 0,407 0,366 0,165 0,049 0,011 … kum. Wahrsch. 0,407 0,772 0,937 0,987 0,998 … Tab. 11.5 Wahrscheinlichkeiten für null bis vier Verluste bei einer Poisson-Verteilung mit =0,9 Lösung zu Aufgabe 9.5 Für die Parameter der Lognormalverteilung gilt , 0606 , 0 1 000 . 20 000 . 5 ln 1 ) ( ) ( ln 2 2 2 2 X E X Var d.h. 246 , 0 0606 , 0 sowie . 873 , 9 2 0606 , 0 000 . 20 ln 2 ) ( ln 2 X E Lösung zu Aufgabe 9.6 Die Lösung findet sich in der Datei „Lösung Aufgabe 9.6.xls“. <?page no="320"?> www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement Stichwortverzeichnis Abrufrisiko 250 advanced measurement approach fortgeschrittener Messansatz Anleihe 126 festverzinsliche 131 Nullkupon- 130 Annualisierung Rendite 35 Standardabweichung 60 Arbitrage 268 Ask-Kurs Briefkurs Aufzinsungsfaktor 29 Ausfallwahrscheinlichkeit 210 Ausführungsdauer 259 Ausübungspreis 115, 119 Ausübungszeitpunkt 115, 119 Autonome Zahlungen 253 Bank Run 247 Bankenaufsicht 22 Barings Bank 268 Basel I 23, 215 Basel II 23, 215, 271, 272, 319 Basel III 24, 248 Basisindikatoransatz 274 Basispreis Ausübungspreis Betafaktor 275 Bid-Ask-Spread Geld-Brief-Spanne Bid-Kurs Geldkurs Black-Scholes 117, 120 Bonitätsrisiko Kreditrisiko im weiteren Sinn Briefkurs 257 Call 115 Credit Spreads 213 Credit Value at Risk 207, 219 CreditMetrics™ 217 CreditRisk+™ 217 Diversifikationseffekt 18, 60, 94, 145, 154, 287 Duration 136 Eigenkapital 18, 23, 71, 207, 215, 271, 274 Exposure at Default 204 Extremwerttheorie 98, 257 fat tail 97, 174, 256, 257 Fehlerwahrscheinlichkeit 73 fortgeschrittener Messansatz 278 Geld-Brief-Spanne 257, 260 Geldkurs 257 Gesamtschaden 285 Geschäftsfeld 274 Haltedauer 73 High-Frequency-Low-Impact-Verlust 273, 287 <?page no="321"?> 322 www.uvk-lucius.de/ wuest-risikomanagement innerer Wert 116, 117, 119 Intermediärhaftung 18 Interne Modelle 23 interner Bemessungsansatz 278 Kaufkurs 257 Konfidenzintervall 163, 175, 186 Konfidenzniveau 72 Kreditrisiko 201 im engen Sinn 203 im engeren Sinn 203 im weiteren Sinn 203 Kreditrisikomodelle Default-Mode- 217, 218 Mark-to-Market- 217, 225 Kuponzinssatz 127 Kurs 129 Liquiditätskosten 260 Liquiditätsrisiko 245 dispositives 250 objektbezogenes 250 strukturelles 250 subjektbezogenes 251 Liquidity at Risk 253 Lognormalverteilung 283 Loss Distribution Approach 278, 279 Loss Given Default 213 Low-Frequency-High-Impact-Verlust 273, 287 Mapping 228 Gleichverteilung auf diskrete Verteilung 187 Normalverteilung auf diskrete Verteilung 189 Market Maker 257 Markt -breite 258 Erneuerungskraft 259 -tiefe 258 Marktliquiditätsrisiko 249, 250, 257 endogenes 259 exogenes 259 Mid market price 257 Migrationsmatrix Übergangsmatrix Migrationsrisiko Kreditrisiko im weiteren Sinn Mittelkurs 257 Monte-Carlo-Simulation 151, 181, 190, 217, 228, 229, 279, 286 Multiplikationsfaktor 93 Normalverteilung 36, 43 Nullkuponanleihe 126 Option 114 amerikanisch 114 europäisch 114 OTC-Handel 115, 126 Peaks-Over-Threshold-Methode 257 Portfolioadditivität 35, 42 Put 119 Quantil 74, 75, 82, 299, 300, 303 Rating 208 extern 208 intern 208 <?page no="322"?> 323 Rating-Agentur 23, 208, 209 Recovery Rates 213 Refinanzierungsrisiko 249 im engeren Sinn 249 Rendite bei Zahlung von Dividenden 32 diskret 29, 31 stetig 36 Risikofaktor 21, 47, 57, 158, 168 Risikozelle 278 Schadenshäufigkeit 280 Schadenshöhe 283 Sicherheitsniveau Konfidenzniveau Standardansatz 274 Strike-Preis Ausübungspreis Szenarioanalyse 288 Terminrisiko 249 Transformation Fristen- 18, 22 Losgrößen- 18, 22 Risiko- 18, 22 Transformationsfunktionen 22 Transitionsmatrix Übergangsmatrix Übergangsmatrix 212 Umskalierung 277 Urliste 45, 57, 62, 80, 102, 254 Verkaufskurs 257 Verlustwahrscheinlichkeit 73 Vermögenswert 28 Verzinsung diskret 29 stetig 36 Wertänderung 36 absolut 30 relativ 31 Wertänderung 29 Zahlungsmittelbedarf 251 Zahlungsmittelbestand 251 Zahlungsverpflichtungen 246 Zeithorizont 73 Zeitwert 116, 120 Zero-Bond Nullkuponanleihe Zerozinssatz 127 Zinsperiode 29 Zinsstruktur Zinsstrukturkurve Zinsstrukturkurve 127 flach 128 invers 128 normal 128 Zinszahlungstermin 29 Zufallsvariable 293 diskret 293 stetig 294 <?page no="323"?> My WiWi Lex Lite Du sitzt in der Vorlesung und verstehst einen Begriff nicht? Keine Panik, denn was du (noch) nicht im Kopf hast, hast du ab sofort auf deinem Handy - dank des mobilen Nachschlagewerks My Wiwi Lex Lite. Diese kostenlose App erleichtert dir das Studium, indem sie die 500 wichtigsten Begriffe kurz und knapp erklärt. Dabei stehen die zentralen BWL- und VWL-Themen im Mittelpunkt. Wer die Grundbegriffe der Wirtschaftswissenschaften schnell nachschlagen oder sich auf eine Prüfung vorbereiten möchte, ist mit dieser App bestens bedient. Das virtuelle Nachschlagewerk ist für iPhone und iPad verfügbar. Zur Vertiefung gibt es diese App kostenpflichtig mit über 3.000 Begriffen. My WiWi Lex Lite Das mobile Wirtschaftslexikon für iOS, 500 Begriffe 2013, kostenfrei My WiWi Lex Das mobile Wirtschaftslexikon für iOS, 3.000 Begriffe 2013, € (D) 4,49 BWL-Training Im Buch lesen, am Bildschirm lernen - das interaktive Training zum UTB-Band »BWL mit App« von Gerald Pilz macht’s möglich. 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Lernkarten: einfach unterwegs lernen Lerntafeln: das Wichtigste auf sechs Seiten Lernbuch: Wissenslücken schnell erkennen www.fit-lernhilfen.de <?page no="325"?> www.uvk-lucius.de/ stressfreistudieren Barbara Krautz, Heike Schiebeck, Jörg Schülke Stressfrei studieren ohne Burnout 184 Seiten, broschiert ISBN 978-3-8252-3907-7 Auf Studierenden lastet ein hoher Druck: Eigene Wünsche erfüllen, die Eltern nicht enttäuschen und nebenbei Prüfungen im Akkord bestehen. All das kostet Kraft und kann bei zu großer Belastung in ein Burnout führen. Die Autoren sensibilisieren für das Krankheitsbild und die Phasen eines Burnouts. Zugleich vermitteln sie Techniken und Strategien, die Studierenden beim stressfreien Studium helfen. Ein Fragebogen gibt Auskunft über die eigene Burnout-Gefährdung und hilft, sich selbst besser einzuschätzen. Neben Übungen und zahlreichen Tipps sind wichtige Anlaufstellen, wie beispielsweise psychologische Beratungsstellen und psychosomatische Ambulanzen, im Serviceteil des Buches zu finden. Dieser Ratgeber richtet sich an Studierende aller Disziplinen. Bloß kein Stress! <?page no="326"?> Sie prägen seit Jahrhunderten die Welt der Ökonomie - die größten Ökonomen. Zu ihnen zählen unter anderem Adam Smith, Joseph A. Schumpeter, Friedrich A. von Hayek, John M. Keynes und Walter Eucken. In der UTB-Reihe »Die größten Ökonomen« stellen Ihnen renommierte Experten diese Vordenker vor. Sie konzentrieren sich dabei nicht nur auf das wissenschaftliche Schaffen dieser Persönlichkeiten. Vielmehr beleuchten sie auch die Menschen und den Kontext, in dem sie gearbeitet haben. Jeder Band mit tabellarischem Lebenslauf, kommentierten Literaturtipps, Zeittafel und Glossar. Heinz Kurz, Richard Sturn Die größten Ökonomen: Adam Smith 2012, 140 Seiten, br. ISBN 978-3-8252-3793-6 € (D) 12,99 / € (A) 13,40 freier Preis SFr 19,50 Jürgen Kromphardt Die größten Ökonomen: John M. Keynes 2012, 140 Seiten, br. ISBN 978-3-8252-3794-3 € (D) 12,99 / € (A) 13,40 freier Preis SFr 19,50 Nils Goldschmidt, Uwe Dathe Die größten Ökonomen: Walter Eucken 2012, 140 Seiten, br. ISBN 978-3-8252-3791-2 € (D) 12,99 / € (A) 13,40 freier Preis SFr 19,50 Hansjörg Klausinger Die größten Ökonomen: Friedrich A. von Hayek 2012, 140 Seiten, br. ISBN 978-3-8252-3792-9 € (D) 12,99 / € (A) 13,40 freier Preis SFr 19,50 Harald Hagemann Die größten Ökonomen: Joseph A. Schumpeter 2012, 140 Seiten, br. ISBN 978-3-8252-3795-0 € (D) 12,99 / € (A) 13,40 freier Preis SFr 19,50 www.die-groessten-oekonomen.de <?page no="327"?> www.europa-im-wuergegriff.de Gerald Pilz Europa im Würgegriff 200 Seiten ISBN 978-3-86764-422-8 Die täglichen Nachrichten über den aktuellen Krisenstand in europäischen Ländern sind für viele längst nicht mehr fassbar. 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