Finanzmärkte
Grundlagen, Instrumente, Zusammenhänge
1001
2014
978-3-8385-8608-3
UTB
Prof. Dr. Klaus Spremann
Prof. Dr. Pascal Gantenbein
Finanzmärkte sind inzwischen zu einem bedeutenden Phänomen der modernen Gesellschaft geworden. Märkte für Kapital, also für Finanzkontrakte, stehen im Herzen der Finanzwirtschaft eines jeden Landes. Finanzmärkte stehen allen Anlegern offen. Und nur durch diese Offenheit gegenüber der Allgemeinheit können die Mittel zusammenkommen, die von den Unternehmen und vom Staat für Investitionen benötigt werden.
Die Autoren bieten in diesem Lehrbuch eine sehr verständliche Einführung und behandeln grundlegende Fragen, um das Verständnis für die komplexen Zusammenhänge zu ermöglichen:
Warum gibt es überhaupt Finanzmärkte?
Wer sind die wichtigen Teilnehmer an diesen Märkten?
Nach welchen Gesichtspunkten bilden sie ihre Portfolios?
Welches sind die wichtigen Märkte für Zinsinstrumente und für Aktien?
Welche wichtigen Eigenschaften haben Derivate wie Swaps, Futures und Optionen?
<?page no="1"?> Eine Arbeitsgemeinschaft der Verlage Böhlau Verlag · Wien · Köln · Weimar Verlag Barbara Budrich · Opladen · Toronto facultas.wuv · Wien Wilhelm Fink · Paderborn A. Francke Verlag · Tübingen Haupt Verlag · Bern Verlag Julius Klinkhardt · Bad Heilbrunn Mohr Siebeck · Tübingen Nomos Verlagsgesellschaft · Baden-Baden Ernst Reinhardt Verlag · München · Basel Ferdinand Schöningh · Paderborn Eugen Ulmer Verlag · Stuttgart UVK Verlagsgesellschaft · Konstanz, mit UVK / Lucius · München Vandenhoeck & Ruprecht · Göttingen · Bristol vdf Hochschulverlag AG an der ETH Zürich UTB <?page no="2"?> Klaus Spremann / Pascal Gantenbein Finanzmärkte Grundlagen, Instrumente, Zusammenhänge 3., überarbeitete Auflage UVK Verlagsgesellschaft mbH · Konstanz mit UVK/ Lucius · München <?page no="3"?> Anschriften der Verfasser: Professor Dr. Dr.h.c. Klaus Spremann und Professor Dr. Pascal Gantenbein, MRICS. Klaus Spremann ist Professor Emeritus der Universität St.Gallen und dort dem Schweizerischen Institut für Banken und Finanzen verbunden, Rosenbergstrasse 52, CH-9000 St.Gallen, Schweiz. Pascal Gantenbein ist Ordinarius für Finanzmanagement an der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Universität Basel und Inhaber der Henri-B.- Meier-Stiftungsprofessur, Peter Merian-Weg 6, CH-4002 Basel. E-Mail: klaus.spremann@unisg.ch und pascal.gantenbein@unibas.ch Online-Angebote oder elektronische Ausgaben sind erhältlich unter www.utb-shop.de. Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über <http: / / dnb.ddb.de> abrufbar. Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. © UVK Verlagsgesellschaft mbH, Konstanz und München 2014 Einbandgestaltung: Atelier Reichert, Stuttgart Coverbild: womue - Fotolia.com Druck und Bindung: fgb · freiburger graphische betriebe, Freiburg UVK Verlagsgesellschaft mbH Schützenstr. 24 · 78462 Konstanz Tel. 07531-9053-0 · Fax 07531-9053-98 www.uvk.de UTB-Nr. 8516 ISBN : 978-3-8252-8608-8 <?page no="4"?> Zu diesem Buch Finanzmärkte stehen im Zentrum der Finanzwirtschaft (Finance), die zusammen mit BWL und VWL die großen Teilgebiete der Wirtschaftswissenschaften darstellen. Finanzmärkte bewerkstelligen drei Grundfunktionen: Erstens bringen sie Anleger und Finanzinvestoren einerseits und die sich finanzierenden Unternehmungen und den Staat andererseits zusammen. Dieser Kapitalallokation dienen vorrangig Anleihen und Aktien. Zweitens ermöglichen Finanzmärkte den Transfer von Risiken, und zwar vor allem mit Futures und Optionen. Der Risikoallokation dient indessen auch die Bildung diversifizierter Portfolios. Drittens wird durch die Preisbildung an den Finanzmärkten gezeigt, wie die Allgemeinheit der am Marktgeschehen teilnehmenden Personen und Finanzinstitutionen die wirtschaftliche Zukunft aktuell einschätzt und bewertet. Die Informationserzeugung findet besonders gut in den Märkten für Derivate und für Swaps statt. Die drei Grundfunktionen der Kapitalallokation, des Risikotransfers und der Informationserzeugung stehen im Mittelpunkt einer jeden Befassung mit Finanzmärkten. Dazu gehören die Betrachtung der wichtigsten, an diesen Märkten gehandelten Positionen sowie ein Studium des Verhaltens und der Entscheidungen der Marktteilnehmer. An den Finanzmärkten nehmen private und institutionelle Finanzinvestoren teil, Unternehmen und der Staat, sowie spezielle Akteure wie Asset-Manager, Portfolio-Manager, Broker, Makler, Market-Maker, Arbitrageure, Hedgefonds-Manager und so fort. Natürlich sollen die drei Grundfunktionen - Kapitalallokation, Risikotransfers und Informationserzeugung - in möglichst „guter“ Art und Weise ausgeführt werden. Was sich hinter diesem Attribut verbirgt sind verschiedene Wünsche, die an die Einrichtungen, an die Intermediation, an die Organisation gestellt werden: Die Finanzmärkte sollten der Allgemeinheit offenstehen, die Kosten für Transaktionen sollten gering sein, der Handel sollte fair verlaufen, und es sollten jederzeit Käufe und Verkäufe finanzieller Positionen möglich sein, ohne dass es lange Wartezeiten gibt. Deshalb unterliegen Banken, Versicherungen, Börsenorganisationen einem ständigen Druck, Verbesserungen bei den Instrumenten und den Abläufen zu verwirklichen. Dennoch gibt es immer wieder Gründe für private Transfers, wie beispielsweise der Begriff Private-Equity zeigt, die an den Börsen vorbei gehen. Dennoch werden die Finanzmärkte in ihrer Vielfalt durch die Börse repräsentiert, so wie das Geld die Finanzwirtschaft symbolisiert. In Finanzmärkten werden „finanzielle Positionen“ getauscht, das sind Ansprüche auf Zahlungen, die in der Zukunft erfolgen sollen. Die Höhen und Zeitpunkte der Zahlungen können fest geschrieben werden wie bei einem Kredit oder bei einer Anleihe. Sie können indessen auch von Entwicklungen abhängen, die im Augenblick noch unsicher sind. Dazu gehören die Aktien. Einige finanzielle Positionen bieten Wahlrechte, wie das bei Optionen der Fall ist. Selbstverständlich werden an den Finanzmärkten auch Bündel oder Aggregate getauscht, so beispielsweise Pakete von Beteiligungen an Unternehmungen. Einige der gehandelten Instrumente werden „künstlich“ geschaffen, um einem ganz speziellen Bedarf entgegen zu kommen. Dazu gehören Strukturierte Produkte. <?page no="5"?> 6 Alle diese finanziellen Positionen werden am besten durch das Wertpapier repräsentiert. Wertpapiere sind verbriefte Finanzkontrakte. Der Kredit wird als Anleihe (Rente) verbrieft, die Beteiligung an einer Unternehmung als Aktie. Wertpapiere werden nach ihrer ersten Einführung (Platzierung) durch die ausgebenden Instanzen (Emittenten) entweder an den Börsen öffentlich (public) gehandelt oder direkt zwischen zwei Handelspartnern übertragen. Wie gesagt laufen nicht alle Transaktionen über Börsen ab. Finanzmärkte bedienen sich ebenso der Intermediation durch Banken und Versicherungen, und vielfach finden sich Handelspartner direkt (private), um bilateral Verträge zu schließen. Termingeschäfte, Renten, Aktien, Börsen und Banken gibt es bereits seit Jahrhunderten. Doch in den letzten Jahrzehnten haben die Beträge, die Anzahl von Transaktionen und die Breite und Tiefe der verfügbaren Instrumente und Vertragstypen stark zugenommen. Dadurch ist das Finanzgeschehen in der Wirtschaft allgegenwärtig und findet auch in der Gesellschaft große Aufmerksamkeit. Die Finance hat enorme praktische Bedeutung nicht nur, weil das Verständnis der Finanzmärkte grundlegend für die Arbeit in Banken, Versicherungen sowie den diversen weiteren Einrichtungen im Finanzsektor ist. Finanzmärkte stehen ebenso im Zentrum von Unternehmensfinanzierung und Investition. Damit strahlt die Finance auf die Investition und somit weiter auf die Produktion, die Distribution und die Schaffung von Arbeitsplätzen aus. Weiter ist die Gestaltung und Organisation wirtschaftlicher Aktivitäten vom Geschehen an den Finanzmärkten abhängig, weil das Finanzmarktgeschehen eben diese Themen beeinflusst. Stichworte sind der Verkauf von Unternehmungen, Verschmelzungen, Akquisitionen und die Reorganisation. Letztlich geht von den Finanzmärkten eine Steuerung der gesamten Wirtschaft aus. Der Grund für diese breite Bedeutung der Finanzwirtschaft im Gesamtbereich des Wirtschaftens liegt in der Ausstrahlungskraft der Finanzmärkte auf die Realwirtschaft. Die Höhe der Zinsen, die an den Börsen gebildeten Erwartungen, die Kosten für die Risikoabsicherung als Ergebnisgrößen des Handelns und Aushandelns wirken auf Investitionen, und zwar nicht nur auf Finanzinvestitionen, sondern ebenso auf solche der Realwirtschaft. Selbstverständlich gibt es nicht nur eine Wirkung der Finanzwirtschaft auf die Realwirtschaft, sondern ebenso eine Wirkung der Realwirtschaft auf die Finanzwirtschaft. Doch die Frage bei einer wechselseitigen Beziehung ist immer, ob eine Seite die andere dominiert. Vor Jahrzehnten war allein die Realwirtschaft groß und dominant, während die Finanzwirtschaft damals noch klein und gleichsam folgsam war. Heute ist indessen die Finanzwirtschaft groß. Die dortigen Transaktionen entfalten ein Eigenleben, das sich zu einem guten Teil allein aus den finanziellen Zielen der Finanztransakteure selbst ergibt und nur hier und da noch mit der Realwirtschaft in Einklang steht. Bei der angesprochenen Wechselwirkung dominiert heute klar die Finanzwirtschaft. Arbeitsplätze finden sich in Banken und Versicherungen, in den Börsenorganisationen, bei Asset Managern, in Consultingfirmen sowie in den Unternehmen (dort vor allem in den Bereichen für Corporate Finance - Unternehmensfinanzierung), sowie bei staatlichen Einrichtungen und schließlich bei den Medien. In allen diesen Positionen ist die Kenntnis der grundlegenden Fakten und der Funktionsweise von Finanzmärkten eine zentrale Voraussetzung. Auf diese Bedeutung antwortend, haben Schulen und Universitäten in den letzten Jahrzehnten die Lehre von der Finanzwirtschaft (Finance) neu gewichtet und ausgebaut. <?page no="6"?> 7 Dieses Buch führt in die Finanzmärkte und damit in das Zentrum der Finance ein. Das Lehrbuch ist für Studierende in den Anfangssemestern geschrieben. Die Orientierung an Lernzielen folgt dem üblichen Aufbau der Lehrveranstaltungen auf der Bachelor-Stufe. Außerdem ist das Buch für die Executive Education gedacht. Fragen mit Antworten bereiten auf die Prüfungen vor. Das Glossar am Buchende zeigt die Begriffe, die das Buch vermittelt, und unterstützt die Lernkarten. Die Autoren freuen sich über die positive Aufnahme der ersten und zweiten Auflage. In der vorliegenden 3. Auflage wurden Korrekturen und Verbesserungen am Text angebracht. Vor allem sind Daten und Informationen aktualisiert. Die Abbildungen wurden auf den neuesten Stand gebracht. Diese Auflage enthält auch ein neues Kapitel über Finanzkrisen. Das Glossar für das Lernen der Grundbegriffe und die Liste der Fragen wurden erweitert. Wo die Antwort sich nicht bereits aus dem Text ergibt, sind die Lösungen angegeben. Die Fragen unterstützen eine wirksame Kontrolle der Lernziele. Das nachstehende Inhaltsverzeichnis zeigt die behandelten Themen im Einzelnen. Sie sind auch an anderen Schulen und Universitäten üblich: Sie reichen von einer einführenden Darstellung der Finanzmärkte über Banken und Börsen zu Themen wie Rendite, Portfolio und Kapitalstruktur. Es folgen die Kapitel über Zinsinstrumente (Anleihen, Renten), Aktien, und Derivate wie Swaps, Futures und Optionen. Das Kapitel 14 behandelt Finanzkrisen. Jedes Kapitel eignet sich für eine Doppelstunde im Hörsaal. Eine Konklusion (Kapitel 15) nennt die wichtigsten Aussagen, enthält die Verzeichnisse sowie das als Lernkasten gedachte Glossar. St. Gallen und Basel, August 2014 K. Spremann und P. Gantenbein <?page no="8"?> Inhalt 1. Kapitel: Finanzwirtschaft ............................................................................................... 15 1.1 Realkapital und Finanzkapital .................................................................................................. 16 1.1.1 Realwirtschaft, Märkte und Geld ............................................................................... 16 1.1.2 Geld ................................................................................................................................ 17 1.1.3 Eigen- und Fremdkapital............................................................................................. 19 1.2 Finanzierung ............................................................................................................................... 21 1.2.1 Außen- und Innenfinanzierung ................................................................................ 21 1.2.2 Einfluss der Gesamtsituation .................................................................................... 23 1.3 Kapitalallokation ........................................................................................................................ 24 1.3.1 Finanzierungsbedarf ................................................................................................... 24 1.3.2 Anlagewunsch ............................................................................................................. 25 1.3.3 Wertpapiere ................................................................................................................. 25 1.4 Fazit des Kapitels Finanzwirtschaft ............................................................................................ 27 1.4.1 Zusammenfassung ...................................................................................................... 27 1.4.2 Lernpunkte .................................................................................................................. 27 1.4.3 Erwähnte Personen .................................................................................................... 28 1.4.4 Schlüsselbegriffe.......................................................................................................... 28 1.4.5 Fragen zur Lernstandskontrolle................................................................................ 28 2. Kapitel: Liquidität und Effizienz................................................................................... 29 2.1 Liquidität ..................................................................................................................................... 30 2.1.1 Liquidität und Kapitalismus ...................................................................................... 30 2.1.2 Ein Gedankenexperiment.......................................................................................... 31 2.2 Informationserzeugung ............................................................................................................. 34 2.2.1 Primärmarkt und Sekundärmarkt ............................................................................. 34 2.2.2 Allgemeine Informationen als Basis für Entscheidungen ..................................... 36 2.3 Drei Leistungen idealer Finanzmärkte .................................................................................... 38 2.3.1 Arbitragefreiheit .......................................................................................................... 38 2.3.2 Vollständigkeit und „Thickness“ .............................................................................. 40 2.3.3 Informationseffizienz ................................................................................................. 42 2.4 Fazit zum Kapitel Liquidität und Effizienz................................................................................ 44 2.4.1 Zusammenfassung ...................................................................................................... 44 2.4.2 Lernpunkte .................................................................................................................. 45 2.4.3 Erwähnte Personen .................................................................................................... 45 2.4.4 Schlüsselbegriffe.......................................................................................................... 45 2.4.5 Fragen zur Lernstandskontrolle................................................................................ 45 <?page no="9"?> 10 Inhal 3. Kapitel: Banken und Börsen.......................................................................................... 47 3.1 Intermediäre ............................................................................................................................... 48 3.1.1 Transaktionskosten..................................................................................................... 48 3.1.2 Finanzintermediäre ..................................................................................................... 50 3.1.3 Börsen........................................................................................................................... 51 3.1.4 Makler und Market-Maker......................................................................................... 54 3.1.5 Laufzeiten .................................................................................................................... 56 3.1.6 Nochmals: Private versus Public .............................................................................. 58 3.2 Wichtige Handelsplätze............................................................................................................. 60 3.2.1 Großbritannien............................................................................................................ 60 3.2.2 USA............................................................................................................................... 61 3.2.3 Deutschland................................................................................................................. 62 3.2.4 Schweiz......................................................................................................................... 63 3.2.5 Weltweite Entwicklung ab 1970 ............................................................................... 63 3.2.6 Clearing und Settlement............................................................................................. 65 3.3 Fazit des Kapitels Banken und Börsen........................................................................................ 66 3.3.1 Zusammenfassung ...................................................................................................... 66 3.3.2 Lernpunkte .................................................................................................................. 67 3.3.3 Erwähnte Personen .................................................................................................... 67 3.3.4 Schlüsselbegriffe.......................................................................................................... 67 3.3.5 Fragen zur Lernstandskontrolle................................................................................ 67 4. Kapitel: Dominanz der Finanzwirtschaft? ..................................................................... 69 4.1 Größe der Finanzmärkte........................................................................................................... 69 4.1.1 Drei Gründe für die Entwicklung ............................................................................ 69 4.1.2 Messung der Größe der Finanzmärkte .................................................................... 70 4.2 Drei Phasen ................................................................................................................................ 71 4.2.1 Phase I .......................................................................................................................... 71 4.2.2 Phase II ........................................................................................................................ 72 4.2.3 Phase III....................................................................................................................... 74 4.3 Fazit zum Kapitel Dominanz der Finanzwirtschaft? ................................................................... 75 4.3.1 Zusammenfassung ...................................................................................................... 75 4.3.2 Lernpunkte .................................................................................................................. 75 4.3.3 Erwähnte Personen .................................................................................................... 76 4.3.4 Schlüsselbegriffe.......................................................................................................... 76 4.3.5 Fragen zur Lernstandskontrolle................................................................................ 76 5. Kapitel: Die Rendite ...................................................................................................... 77 5.1 Zufall ........................................................................................................................................... 78 5.1.1 Zinsniveau und Rendite ............................................................................................. 78 5.1.2 Empirie......................................................................................................................... 80 5.2 Renditeerwartung und Risiko................................................................................................... 83 5.2.1 Verteilungsparameter ................................................................................................. 83 5.2.2 Risiko ............................................................................................................................ 85 <?page no="10"?> Inhalt 11 5.2.3 Risikoprämie ................................................................................................................ 86 5.3 Fazit des Kapitels Die Rendite.................................................................................................... 89 5.3.1 Zusammenfassung ...................................................................................................... 89 5.3.2 Lernpunkte .................................................................................................................. 89 5.3.3 Erwähnte Personen .................................................................................................... 89 5.3.4 Schlüsselbegriffe.......................................................................................................... 89 5.3.5 Fragen zur Lernstandskontrolle................................................................................ 90 6. Kapitel: Portfolio-Selektion............................................................................................ 91 6.1 Moderne Portfolio Theorie (MPT) ......................................................................................... 92 6.1.1 Kapitalanbieter: Portfolio, Kapitalverwender: Kapitalstruktur ............................ 92 6.1.2 Portfolio-Selektion...................................................................................................... 93 6.1.3 Risk-Return-Diagramm.............................................................................................. 94 6.1.4 James Tobin................................................................................................................. 98 6.1.5 Anlageberatung, Portfoliomanagement und Investmentfonds .......................... 101 6.1.6 Folgen für die Vermögensverwaltung.................................................................... 101 6.2 Fazit des Kapitels Portfolio-Selektion ........................................................................................ 104 6.2.1 Zusammenfassung .................................................................................................... 104 6.2.2 Lernpunkte ................................................................................................................ 104 6.2.3 Erwähnte Namen...................................................................................................... 105 6.2.4 Schlüsselbegriffe........................................................................................................ 105 6.2.5 Fragen zur Lernstandskontrolle.............................................................................. 105 7. Kapitel: Die Kapitalstruktur..........................................................................................107 7.1 Unternehmensfinanzierung .................................................................................................... 108 7.1.1 Sollten Kapitalverwender diversifizieren? ............................................................. 108 7.1.2 Irrelevanz der Kapitalstruktur: Modigliani und Miller......................................... 110 7.1.3 Leverage-Effekt.........................................................................................................111 7.1.4 Voraussetzungen....................................................................................................... 114 7.2 Tradeoff, Agency und Hackordnung .................................................................................... 115 7.2.1 Tradeoff-Ansatz ........................................................................................................ 115 7.2.2 Agency-Theorie: Jensen und Meckling .................................................................. 117 7.2.3 Hackordnung: Myers und Majluf ........................................................................... 119 7.3 Fazit zum Kapitel Die Kapitalstruktur ..................................................................................... 120 7.3.1 Zusammenfassung .................................................................................................... 120 7.3.2 Lernpunkte ................................................................................................................ 121 7.3.3 Erwähnte Namen...................................................................................................... 122 7.3.4 Schlüsselbegriffe........................................................................................................ 122 7.3.5 Fragen zur Lernstandskontrolle.............................................................................. 122 8. Kapitel: Zinsinstrumente ..............................................................................................123 8.1 Arten von Zinsinstrumenten.................................................................................................. 123 8.1.1 Schuldner und Klauseln im Kreditvertrag............................................................. 123 8.1.2 Zerobonds und Perpetuals ...................................................................................... 125 <?page no="11"?> 12 Inhalt 8.1.3 Floating Rate Notes (FRN) ..................................................................................... 127 8.1.4 Eurobonds ................................................................................................................. 128 8.1.5 Wandelanleihen (Convertibles) ............................................................................... 129 8.1.6 Inflation-Linked-Bonds ........................................................................................... 131 8.2 Zinsstruktur und ihre Determinanten................................................................................... 133 8.2.1 Determinanten der Zinsstruktur und Zinsstrukturtypen .................................... 133 8.2.2 Determinanten .......................................................................................................... 136 8.2.3 Bewertung von Zinsinstrumenten.......................................................................... 137 8.3 Geldpolitik, Inflation und Deflation ..................................................................................... 139 8.3.1 Geldpolitik ................................................................................................................. 139 8.3.2 Inflation...................................................................................................................... 141 8.3.3 Deflation .................................................................................................................... 144 8.4 Fazit des Kapitels Zinsinstrumente ........................................................................................... 145 8.4.1 Zusammenfassung .................................................................................................... 145 8.4.2 Lernpunkte ................................................................................................................ 145 8.4.3 Erwähnte Personen .................................................................................................. 146 8.4.4 Schlüsselbegriffe........................................................................................................ 146 8.4.5 Fragen zur Lernstandskontrolle.............................................................................. 147 9. Kapitel: Das Zinsrisiko .................................................................................................149 9.1 Duration .................................................................................................................................... 149 9.1.1 Kursrisiko................................................................................................................... 149 9.1.2 Die Duration ............................................................................................................. 151 9.1.3 Zinsswaps................................................................................................................... 154 9.1.4 Tom-Next-Index-Swaps .......................................................................................... 155 9.1.5 Zinsterminkontrakte................................................................................................. 156 9.2 Zinsen und Wechselkurse....................................................................................................... 157 9.2.1 Paritätstheoreme .......................................................................................................157 9.2.2 Aufwertungen und Abwertungen ........................................................................... 159 9.3 Kreditrisiken ............................................................................................................................. 161 9.3.1 Default........................................................................................................................ 161 9.3.2 Basel II und III.......................................................................................................... 164 9.3.3 Kreditderivate............................................................................................................ 166 9.4 Fazit zum Kapitel Das Zinsrisiko ............................................................................................ 167 9.4.1 Zusammenfassung .................................................................................................... 167 9.4.2 Lernpunkte ................................................................................................................ 168 9.4.3 Erwähnte Personen .................................................................................................. 169 9.4.4 Schlüsselbegriffe........................................................................................................ 169 9.4.5 Fragen zur Lernstandskontrolle.............................................................................. 169 10. Kapitel: Aktien............................................................................................................. 171 10.1 Rechtsformen und Aktien ...................................................................................................... 171 10.1.1 Eigner und Fremde................................................................................................... 171 10.1.2 Rechtsformen und Arten von Aktien .................................................................... 173 <?page no="12"?> Inhalt 13 10.2 Risikofaktoren ....................................................................................................................... 175 10.2.1 Benjamin Graham ............................................................................................... 175 10.2.2 Nochmals Harry Markowitz und James Tobin ............................................... 178 10.2.3 Mehrere Risikofaktoren ...................................................................................... 181 10.2.4 Institutionelle Vermögensverwaltung ............................................................... 183 10.3 Fazit des Kapitels Aktien ..................................................................................................... 185 10.3.1 Zusammenfassung............................................................................................... 185 10.3.2 Lernpunkte ........................................................................................................... 185 10.3.3 Erwähnte Personen ............................................................................................. 186 10.3.4 Schlüsselbegriffe .................................................................................................. 186 10.3.5 Fragen zur Lernstandskontrolle......................................................................... 186 11. Kapitel: Faktormodelle ................................................................................................187 11.1 Grundlagen............................................................................................................................ 187 11.1.1 Wozu Faktormodelle? ......................................................................................... 187 11.1.2 Indizes ................................................................................................................... 188 11.1.3 Einfaktor-Modell ................................................................................................. 190 11.2 Das CAPM ............................................................................................................................ 191 11.2.1 Zum Capital Asset Pricing Model (CAPM) ..................................................... 191 11.2.2 CAPM und SML .................................................................................................. 192 11.2.3 Wie gut beschreibt das CAPM die Realität? .................................................... 195 11.3 Zum Verhältnis von Aktien- und Bondmärkten.............................................................. 197 11.3.1 Veränderungen der Relation zwischen Aktien und Bonds ............................ 197 11.3.2 Decoupling zwischen Aktien und Bonds ......................................................... 200 11.4 Fazit zum Kapitel Faktormodelle .......................................................................................... 201 11.4.1 Zusammenfassung ........................................................................................... 201 11.4.2 Lernpunkte ........................................................................................................ 202 11.4.3 Erwähnte Personen.......................................................................................... 203 11.4.4 Schlüsselbegriffe ............................................................................................... 203 11.4.5 Fragen zur Lernstandskontrolle ..................................................................... 203 12. Kapitel: Swaps, Futures, Optionen ............................................................................ 205 12.1 Hedging.................................................................................................................................. 205 12.1.1 Die Kapitalanlage ausklammern..................................................................... 205 12.1.2 Swaps, Futures, Optionen............................................................................... 207 12.2 Swaps und Terminkontrakte ............................................................................................... 209 12.2.1 Zinsswaps ............................................................................................................. 209 12.2.2 Währungsswaps ................................................................................................... 210 12.2.3 Terminkontrakte .................................................................................................. 211 12.3 Optionen................................................................................................................................ 214 12.3.1 Das Wahlrecht...................................................................................................... 214 12.3.2 Black-Scholes-Formel ......................................................................................... 214 12.4 Fazit des Kapitels Swaps, Futures, Optionen ......................................................................... 218 <?page no="13"?> 14 Inhalt 12.4.1 Lernpunkte ........................................................................................................... 219 12.4.2 Erwähnte Personen ............................................................................................. 220 12.4.3 Schlüsselbegriffe .................................................................................................. 220 12.4.4 Fragen zur Lernstandskontrolle......................................................................... 220 13. Kapitel: Financial Engineering ...................................................................................221 13.1 Strukturierte Produkte ......................................................................................................... 222 13.1.1 Stile und Themen als Produkt............................................................................ 222 13.1.2 Zertifikate, Kapitalschutz und Maximalrendite ............................................... 223 13.2 Hedge-Funds......................................................................................................................... 224 13.3 Fazit zum Kapitel Financial Engineering............................................................................... 225 13.3.1 Zusammenfassung............................................................................................... 225 13.3.2 Lernpunkte ........................................................................................................... 225 13.3.3 Erwähnte Personen ............................................................................................. 226 13.3.4 Schlüsselbegriffe .................................................................................................. 226 13.3.5 Fragen zur Lernstandskontrolle......................................................................... 226 14. Kapitel: Finanzkrisen ................................................................................................. 227 14.1 Krisen ..................................................................................................................................... 227 14.1.1 Eine Begriffsfindung ........................................................................................... 227 14.1.2 Von Störung zu Katastrophe ............................................................................. 228 14.1.3 Vier Beispiele für Finanzkrisen der Stärke 1.................................................... 230 14.2 Globale und tiefere Krisen.................................................................................................. 233 14.2.1 Krisen der Stärke 2 .............................................................................................. 233 14.2.2 Eine Krise der Stärke 3 ....................................................................................... 236 14.3 Ursachenforschung .............................................................................................................. 238 14.3.1 „Boom and Bust“ ................................................................................................ 238 14.3.2 Marx, Keynes und Minsky.................................................................................. 239 14.4 Fazit zum Kapitel Finanzkrisen............................................................................................ 241 14.4.1 Zusammenfassung............................................................................................... 241 14.4.2 Lernpunkte ........................................................................................................... 242 14.4.3 Erwähnte Namen ................................................................................................ 242 14.4.4 Schlüsselbegriffe .................................................................................................. 242 14.4.5 Fragen zur Lernstandskontrolle......................................................................... 243 15. Konklusion zum Thema Finanzmärkte..................................................................... 245 15.1 Drei Hauptbotschaften ........................................................................................................ 246 15.2 Literatur ................................................................................................................................. 247 15.3 Glossar als Lernkasten ......................................................................................................... 248 Register............................................................................................................................ 263 <?page no="14"?> 1. Kapitel: Finanzwirtschaft Der Tausch wird durch Geld erleichtert, und die Produktion wird durch Investitionen gefördert. So finden sich das Geld, Investitionen und die Suche nach Personen, die die Investitionen finanzieren können, letztlich also das Kapital, bereits seit früher Menschheitsgeschichte. Geld und Kapital repräsentieren die Finanzwirtschaft. Im Kern der Finanzwirtschaft stehen „finanzielle Positionen“, worunter Ansprüche und Forderungen auf Zahlungen zu verstehen sind, die der Berechtigte in der Zukunft erhalten sollte. Grundlage für diese späteren Zahlungen sind Verträge, eben „Finanzkontrakte“. Bei diesen Verträgen verpflichtet sich die eine Seite, die Zahlungen zu leisten, während die andere Vertragspartei in den Genuss der finanziellen Position gelangt. Solche Positionen kann kaufen, wer die späteren Zahlungen gern erhalten möchte. Ebenso können die Finanzkontrakte erstmals unterzeichnet werden, und die Positionen können vielfach auch weiterverkauft werden. Zu diesen „Transaktionen“ sind Einrichtungen wie Banken und Versicherungen bereit, oder sie finden über Finanzmärkte wie etwa einen Börsenhandel statt. Grundfunktionen der Finanzmärkte Wie bewerkstelligt? Kapitalallokation durch Zusammenbringen von Anlegern / Finanzinvestoren mit Kapitalverwendern (Unternehmungen, Staat) Risikotransfer durch Diversifikation und besondere Instrumente wie Termingeschäfte, Futures und Optionen Informationserzeugung durch laufenden Handel und aktuelle Preisstellung Finanzmärkte leisten drei Grundfunktionen: Erstens bringen sie Anleger und Finanzinvestoren einerseits und die sich finanzierenden Unternehmungen und den Staat andererseits zusammen. Dieser Kapitalallokation dienen vorrangig Anleihen und Aktien. Zweitens ermöglichen Finanzmärkte den Transfer von Risiken, und zwar vor allem mit Futures und Optionen. Der Risikoallokation dient indessen auch die Bildung diversifizierter Portfolios. Drittens wird durch die Preisbildung an den Finanzmärkten gezeigt, wie die Allgemeinheit der am Marktgeschehen teilnehmenden Personen und Finanzinstitutionen die wirtschaftliche Zukunft aktuell einschätzt und bewertet. Die Informationserzeugung findet besonders gut in den Märkten für Derivate und für Swaps statt. <?page no="15"?> 16 1 Kapitel: Finanzwirtschaft 1.1 Realkapital und Finanzkapital 1.1.1 Realwirtschaft, Märkte und Geld Das Schlaraffenland gibt es nur im Märchen. In der Realität haben die Menschen zu arbeiten. Sie müssen Güter und Dienstleistungen erst herstellen (produzieren), bevor diese dann genutzt und verbraucht (konsumiert) werden können. Dazu setzen die Menschen Zeit und Arbeitskraft, Rohstoffe und andere Produktionsfaktoren ein. Vielfach wird dabei die Ökologie belastet. Also werden auch Wasser, Luft und die Natürlichkeit der Umwelt „als Input bei der Produktion eingesetzt“ - dies ungeachtet der Tatsache, dass auch der Konsum vielfach von Umweltbelastungen begleitet ist. Das Ziel all dieser produktiven Aktivitäten ist zunächst die Befriedigung der elementaren Bedürfnisse der Menschen: Nahrung, Wohnen, Schutz. Hinzu tritt die Gewährleistung der Grundversorgung in der Gesellschaft: Infrastruktur, Gesundheitswesen, Sicherheit. Sodann geht es um die Herstellung von Gütern, die über das Notwendige und Elementare hinausgehend als nützlich und wünschenswert erlebt werden: Güter, die uns Freude bereiten, so wie ein Mobiltelefon und ein Auto, Güter, die den sozialen Status zeigen oder der Selbstentwicklung der Persönlichkeit dienen. Die eben angesprochenen Stufen der Bedürfnispyramide gehen auf den Psychologen A BRAHAM M ASLOW (1908-1970) zurück. Die realwirtschaftliche Tätigkeit der Produktion und Distribution von Gütern ist praktisch durch zwei Besonderheiten geprägt. Erstens kommt Geld ins Spiel, zweitens sind Investitionen verlangt. Durch diese beiden Besonderheiten wird es nötig, die realwirtschaftliche Seite unseres Wirtschaftslebens der - Produktion und Distribution von Gütern - durch eine finanzwirtschaftliche Seite - Geld, Investitionen, Kapital - zu ergänzen. Zur ersten Besonderheit, der Spezialisierung und Arbeitsteilung: Wer eine gewisse Funktion übernimmt, entdeckt schnell das Lernen im eigenen Bereich, den Vorteil der Konzentration auf wenige Arbeitsschritte sowie den Vorzug der Produktion im großen Stil. All das setzt Spezialisierung voraus. Die Fokussierung auf eine oder einige wenige Funktionen - Beschränkung auf Kernkompetenzen - bringt fast immer Vorteile mit sich. Die Spezialisierungsvorteile stellen sich beim einzelnen Menschen ein, etwa beim Handwerk oder bei Dienstleistungen. Ebenso wirken sie bei größeren wirtschaftlichen Einheiten auf der Ebene einer Unternehmung oder einer vielgliedrigen Organisation. Spezialisierung und Arbeitsteilung setzen natürlich voraus, dass anschließend getauscht werden kann. Unser Wirtschaftsleben beruht daher seit Jahrtausenden auf Austauschbeziehungen. Vermutlich standen Geschenke am Anfang, später wurde gehandelt, und noch später wurde zugewiesen. Wären wir wirtschaftlich isoliert und könnten Güter nicht mit anderen Menschen tauschen, dann müssten wir sämtliche Funktionen ausführen und alle Güter selbst produzieren. Der Begründer der ökonomischen Klassik, A DAM S MITH (1723-1790), hat die Spezialisierung, die Arbeitsteilung und den Gütertausch in den Mittelpunkt der Wirtschaftswissenschaften gerückt. S MITH erkannte in Arbeitsteilung und Gütertausch die wichtigste Quelle des Wohlstands der Völker. Er kritisierte damit die Sicht des Merkantilismus, eine Nation könne sich nur dadurch und insoweit bereichern, als sie einer anderen entsprechendes wegnimmt. Der freie Tausch und die damit verbundene Marktentwicklung schaffen Wertvolles. <?page no="16"?> 1.1 Realkapital und Finanzkapital 17 In der Tat gelingt der Handel am besten über einen freien Markt. Schon weniger gut funktioniert die Allokation oder Verteilung über eine zentrale Bürokratie, die Zuweisungen vornimmt oder starre Regeln befolgt. Auch die Empathie als Grundlage für die Güterverteilung funktioniert nicht überall. Sie dominiert zwar innerhalb einer Familie, doch auf der Ebene einer ganzen Volkswirtschaft kann die Arbeitszuweisung und die Güterverteilung nicht primär an Sympathien ausgerichtet werden. Der Markt ist ein Verfahren für die Allokation, das auf dem Vergleich beruht. Zahllose ähnliche Tauschwünsche und Tauschhandlungen können allgemein beobachtet werden, so dass sich am Ende einheitliche Tauschrelationen, Preise, bilden. Die Preise sind so, dass bei ihnen Angebot und Nachfrage übereinstimmen (Markträumung) und sie vielleicht sogar noch einige weitere Eigenschaften aufweisen. Die Preise drücken die Werte aus, die in der Gesellschaft den gehandelten Objekten zukommen (Tauschwertbegriff). Wertvoll ist, so erklärt das Lexikon, was im Prozess der Läuterung der gesellschaftlichen Entwicklung mehrheitlich von den Menschen gewünscht wird. So drücken sich das Ausmaß des Wunsches und sodann das Wertvolle in Preisen aus. 1.1.2 Geld Jedes Marktgeschehen wird durch Geld erleichtert. An die Stelle des Naturaltauschs tritt bei Geld das Kaufen und Verkaufen von Gütern. Wir bemühen uns, auch bei Finanzmärkten nicht mehr „vom Tausch“ zu sprechen, sondern vom Kauf beziehungsweise Verkauf von Positionen, von Rechten und Ansprüchen aus Verträgen oder Kontrakten. Diese Positionen beziehen sich auf zukünftige Zahlungen. Die enorme Bedeutung von Geld ergibt sich mithin aus der arbeitsteiligen Wirtschaftsorganisation, und bei finanziellen Positionen zusätzlich aus der Tatsache, dass Rechte und Ansprüche sich auf Zahlungen beziehen. Geld erfüllt vier Funktionen. Es legt eine Recheneinheit fest. Geld definiert zudem einen über die Zeit hinweg gültigen Standard. Mit Geld können Zahlungen vorgenommen werden, wie sie als Begleiterscheinung von Käufen und Verkäufen auftreten. Nicht zuletzt kann Geld dazu dienen, Werte aufzubewahren. Der Schriftsteller N ORMAN A N- GELL (1874-1967) reimte: Money is a matter of functioning four, a medium, a measure, a standard, a store. Mit dem Geld ist eine Grundlage für die finanzielle Seite des Wirtschaftslebens geschaffen. So ist das Geld das Symbol der Finanzwelt schlechthin. Als zweite Besonderheit bei der realwirtschaftlichen Tätigkeit der Produktion und Distribution von Gütern wurde der Einsatz von Investitionsgütern genannt. Für die Transformationen in der Realwirtschaft lohnt es sich, Vorbereitungen zu treffen, bevor die Produktion oder Distribution begonnen wird. Einrichtungen und Wissen müssen geschaffen sein. Eine gewisse Industrialisierung ist förderlich. Die Vorbereitungen haben den Charakter von Investitionen: Sie verlangen jetzt den Einsatz von Ressourcen, von Zeit und von Gütern, und sie führen erst im folgenden Zeitraum oder in der weiteren Zukunft, also später, zu Vorteilen. Investieren heißt, heute auf Ressourcen zu verzichten - damit vor allem den heutigen Konsum zu reduzieren - um dafür wirtschaftliche Vorteile zu späteren Zeitpunkten erwarten zu können. <?page no="17"?> 18 1 Kapitel: Finanzwirtschaft Ohne Investitionen ist Wirtschaften unvorstellbar. Schon die legendäre Figur Robinson Crusoe im Roman von D ANIEL D EFOE (1660-1731) überlegte, wie viel der Zeit für direkten Konsum (Ernte von Bananen und Freizeit) und wie viel Zeit und Mühe für Arbeitsvorbereitungen (Saat) und die Schaffung von Produktionseinrichtungen (Werkzeugen) verwendet werden sollte. Auch im Handwerk und bei Dienstleistungen unserer Zeit müssen Betriebsstätten und Büros, Fahrzeuge, Computer und andere Werkzeuge bereit gestellt sein, bevor Aufträge für Kunden ausgeführt werden können. Größere Projekte verlangen „Arbeitsvorbereitungen“, die Millionen oder sogar Milliarden kosten. Die Entwicklung des Airbus A 380 hat 12 Milliarden Euro gekostet, eines der Flugzeuge kostet 385 Millionen. Die für die Produktion im Vorfeld bereitgestellten Ressourcen werden als Realkapital bezeichnet. Das Realkapital umfasst erstens Einrichtungen, Vorräte, und damit greifbare Gegenstände, die der Produktion über eine gewisse Zeit hinweg nützlich sind. Dieses greifbare Realkapital wird als Sachkapital bezeichnet. Zweitens gehören zum Realkapital abstrakte Einrichtungen wie eine Entwicklung, eine gute Organisation, die Kundenkartei, Know-how, Reputation, Bekanntheit und der Markenname. Das abstrakte Realkapital hat oft den Charakter von Wissenskapital. In vielen Bereichen wird heute das Wissenskapital sogar als wichtiger und wertvoller als das Sachkapital angesehen. Jedenfalls sind Investitionen vielfach recht umfangreich. Innovationen, der technische Fortschritt, die Industrialisierung und die Tatsache, dass die Arbeitsteilung heute nicht nur regional sondern global stattfindet, haben zu sehr großen Unternehmen geführt. Sie verfügen über Realkapital, das über die Jahre der Unternehmensentwicklung hinweg einen investiven Einsatz von Milliarden Euro verlangt hat. Die wertvollsten Unternehmen haben in ihrem Eigentum die Ergebnisse von Investitionen im Gesamtwert von bis etwa 1000 Milliarden Euro. Im Regelfall sind diese Beträge nicht von einer einzelnen Person aufgebracht worden. Auch ein kleiner Betrieb verlangt vielfach Investitionen, die nicht mehr von einer einzigen Person aufgebracht werden. Dann muss diejenige Person, die einen Geschäftsplan aufstellt, umsetzt und dazu realwirtschaftlich investieren möchte - kurz als Unternehmer oder Manager angesprochen - andere Personen finden, die bereit sind, die geplanten Investitionen mit ihren Mitteln zu ermöglichen. Diese anderen Personen werden nicht das benötigte Sach- oder Wissenskapital überlassen. In der arbeitsteiligen Geldwirtschaft werden sie dem Unternehmer oder Manager Geld zur Verfügung stellen. Dieser wird das Geld investieren, also damit das benötigte Realkapital beschaffen: Entwicklungsarbeiten bezahlen, eine Organisation aufbauen, den Markt bearbeiten. Im Gegenzug zu dieser Überlassung von Geld erhalten die Personen später einmal Geldbeträge zurück, aber eben erst in der Zukunft. Damit werden sie zu Geldanlegern, zu Finanzinvestoren, oder zu Gebern von Kapital. Die Zukunft ist immer unsicher. So sind auch die späteren Zahlungsrückflüsse unsicher, die Finanzinvestoren oder Kapitalgeber erwarten. Deshalb erhalten sie gewisse Rechte, um ihre Ansprüche und Forderungen auf die späteren Rückflüsse in der Unternehmung durchsetzen, kontrollieren und beeinflussen zu können. Der Unternehmer oder Manager unterschreibt, er firmiert diese Ansprüche und Forderungen im Namen der Unternehmung. Es werden also Vereinbarungen getroffen, Verträge geschlossen: Finanzie- <?page no="18"?> 1.1 Realkapital und Finanzkapital 19 rungsverträge oder Finanzkontrakte geschrieben: Der Unternehmer oder Manager erhält Geld und räumt Ansprüche ein. So können anschießend Realinvestitionen getätigt werden. Die Finanzinvestoren, Anleger oder Geldgeber erhalten die Rechte, Ansprüche und Forderungen. Anders ausgedrückt: Der Manager hat Rechte verkauft. Der Verkauf von Rechten heißt Finanzierung. Die Rechte oder die finanzielle Position, die Finanzkontrakte vertraglich regeln, werden kurz als Kapital angesprochen. Bei Kapital, das später auf Kapitalmärkten getauscht wird, handelt es sich also um Positionen, Rechte und Ansprüche aus Verträgen, die zukünftige Zahlungen vorsehen. Jeder dieser Verträge hat zwei Seiten, den Anleger oder Kapitalgeber einerseits und den Kapitalnehmer oder Kapitalverwender (der ein Vorhaben finanziert) andererseits. Um dieses Kapital vom Realkapital zu unterscheiden, wird es als Finanzkapital bezeichnet. Finanzkapital kann ebenso wie Realkapital als Ergebnis einer Investition betrachtet werden. Beim Finanzkapital sind es die Anleger oder Kapitalgeber, die heute auf Zahlungsmittel (und damit vor allem auf Konsum) verzichten und dafür Rechte, Ansprüche und Forderungen erhalten. Aufgrund derer werden sie spätere Rückflüsse von Zahlungsmitteln erhalten. Merkpunkte 1. Ohne Finanzkapital hätte der Betrieb, die Unternehmung oder die Institution nicht die sinnvollerweise geplanten wirtschaftlichen Entwicklungen. 2. Niemand kann die wirtschaftlichen Vorteile des Realkapitals akzeptieren und gleichzeitig den früheren Konsumverzicht der Kapitalgeber leugnen. Niemand darf sich das Kapital aus der Wirtschaft einfach wegdenken. Folglich gibt es immer offene Forderungen und Ansprüche seitens der Anleger, die noch nicht erfüllt sind. Es gibt immer Kapital, Finanzierungsverträge, die noch nicht vollständig abgewickelt sind. Ein Teil der Vorteile, die mit dem Einsatz von Realkapital verbunden sind, geht mithin an die Anleger oder (früheren) Geber des Finanzkapitals: Die Unternehmung zahlt Zinsen. Ab und zu erhalten die Kapitalgeber eine Ausschüttung. 3. Welcher Teil das genau ist, der ihnen zukommt, und welche rechtlichen Möglichkeiten sie als Kapitalgeber haben, ihre Forderungen und Ansprüche durchzusetzen, hängt von der (rechtlichen) Ausgestaltung des Finanzierungsvertrags ab. 1.1.3 Eigen- und Fremdkapital Finanzkontrakte können - unsere Wirtschaftsordnung folgt dem Prinzip der Vertragsfreiheit -verschiedenste Ausgestaltungen haben. Ihnen gemein ist, dass der Anleger, Finanzinvestor oder Kapitalgeber zunächst Zahlungsmittel (Geld) überlässt und dafür Rechte, Ansprüche und Forderungen erhält, aus denen ihm später Zahlungsmittel zurückfließen. Bei aller Vertragsfreiheit haben sich im Wirtschaftsleben indes gewisse Grundtypen bewährt. Die Mühe und Zeit mit der vertraglichen Aushandlung wird natürlich deutlich geringer, wenn sich beide Vertragsseiten an solche Grundtypen halten. Zu diesen Grundtypen von Finanzverträgen gehören erstens der Kredit (Fremdkapital oder angelsächsisch Debt) und zweitens die Beteiligung am Geschäft oder der Unternehmung (Eigenkapital oder Equity). <?page no="19"?> 20 1 Kapitel: Finanzwirtschaft Abb. 1: Realkapital und Finanzkontrakte: Die Unternehmung hat ihr Realkapital (Sach- und Wissenskapital) finanziert und dazu Finanzkontrakte (Eigen- und Fremdkapital) abgeschlossen. Eigenkapital (Equity) stellt jene Form des Finanzkapitals dar, das den Finanzinvestoren gewisse Eigentumsrechte am Kapitalverwender (Unternehmung) verschafft. Die Unternehmung zahlt das eingelegte Beteiligungskapital typischerweise nicht zurück; der Finanzkontrakt hat eine unbeschränkte Laufzeit (wenngleich das Kapital einer Unternehmung herabgesetzt werden kann). Der Kapitalgeber hat keinen der Höhe nach festgelegten Anspruch auf Zinszahlungen, doch einen grundsätzlichen Entscheid, ob Gewinne als Dividende ausgeschüttet werden sollen. Damit wird das Eigenkapital zum auf Dauer angelegten finanziellen Träger der unternehmerischen Risiken. Fremdkapital (Debt) begründet gegenüber dem Kapitalnehmer eine Forderung und zwar sowohl hinsichtlich des Rückzahlungszeitpunkts des überlassenen Geldbetrags als auch in Bezug auf periodische Zinszahlungen. Der Schuldner (zum Beispiel eine Unternehmung) muss die Forderungen der Fremdkapitalgeber erfüllen, bevor Zahlungen an die Eigenkapitalgeber oder Entnahmen oder Ausschüttungen an sie erfolgen dürfen. Da bei Fremdkapital sowohl die Zahlungszeitpunkte als auch die Zahlungsbeträge im Voraus fixiert werden, stellt es im Vergleich zum Eigenkapital die sicherere Anlageform dar. Diese beiden Grundtypen von Finanzkontrakten werden uns im Buch begleiten. Rechtliche Rahmenbedingungen, so etwa Rechtsformen für Unternehmen helfen, die weiteren Bedingungen dieser Finanzkontrakte im Detail zu regeln. Weil Kredite nützlich sind und verlangt werden, gibt es Banken. Sie nehmen Spargelder von Kunden für eine sichere Verwahrung entgegen und stellen dem Staat, den Unternehmen und privaten Haushalten Kredite zur Verfügung. Im Zusammenhang mit den Finanzverträgen muss bereits ein Rechtssystem entwickelt sein. Insbesondere gibt es Rechtsformen für Unternehmen. Zudem gibt es Gesetze für den Fall, dass Forderungen nicht erfüllt werden, so etwa ein Konkursrecht. <?page no="20"?> 1.2 Finanzierung 21 Merkpunkte 1. Die realwirtschaftliche Seite der Wirtschaftswissenschaften zeichnet die Welt der Arbeit, der Produktion und Distribution von Gütern, sowie der Schaffung von Realkapital (Sachkapital, Wissenskapital) durch Investitionen. Beim Realkapital geht es nicht nur um konkrete Ressourcen (Sachkapital) sondern auch um abstrakte Ressourcen (Wissenskapital). 2. Neben der realwirtschaftlichen Ebene gibt es eine finanzwirtschaftliche Seite des Wirtschaftens. Zu ihr gehören Geld (Recheneinheit, Standard, Zahlungsmittel und Wertaufbewahrung) sowie die rechtliche Möglichkeit, Verträge, Finanzkontrakte frei abschließen zu können, etwa in der Form von Krediten (Fremdkapital) oder als Beteiligungen (Eigenkapital). 1.2 Finanzierung 1.2.1 Außen- und Innenfinanzierung Die Schaffung von Realkapital (wie der Kauf von Maschinen, die Akquisition einer ganzen Unternehmung, eine Produktentwicklung, der Aufbau von Bekanntheit durch Werbung) verlangen eine entsprechende Finanzierung. Ein Unternehmer oder Manager, der investieren möchte, muss daher Kapitalgeber finden und mit ihnen Finanzkontrakte abschließen. Mit dem Abschluss solcher Finanzkontrakte fließt dem Kapitalverwender (Unternehmer, Manager, der Unternehmung) Geld zu. Dies entweder als Kreditbetrag (Fremdkapital) oder als Einlage bei einer Beteiligung (Eigenkapital). Außenfinanzierung ist der Abschluss neuer Finanzkontrakte, das Entgegennehmen von Kreditbeträgen oder von Einlagen unter Abgabe von Rechten an die neuen Kapitalgeber. Hierunter fallen die Aufnahme eines neuen Kredits, die Erhöhung des Eigenkapitals gegen Einlage oder die Aufnahme neuer Gesellschafter. Ebenso fallen unter Außenfinanzierung die Ausgabe von Anleihen oder die von Aktien über eine Emission. Erweiterungen des Realkapitals (etwa einer Unternehmung) verlangen im Regelfall eine Außenfinanzierung, also eine Finanzierung durch den Abschluss neuer Finanzkontrakte. Der Abschluss neuer Finanzkontrakte ist typisch für den Gründungsvorgang einer Unternehmung sowie für größere Erweiterungen, die den angesprochenen (neuen) Kapitalgebern eigens präsentiert werden, um deren Zustimmung und vor allem deren Geld zu erhalten. Die Frage lautet, ob die Außenfinanzierung der einzige Weg ist, Realinvestitionen zu ermöglichen. Anders ausgedrückt: Kann eine Unternehmung auch Investitionen tätigen, ohne dass neue Finanzierungsverträge abgeschlossen werden müssen? Das ist in der Tat möglich, vor allem wenn die Unternehmung aus dem Absatzprozess Umsatzerlöse erzielen kann, die nicht sämtlich für den Kauf von Produktionsfaktoren, für Löhne und für die Bedienung der laufenden Finanzierungsverträge ausbezahlt werden müssen. Die Unternehmung kann dann die geplanten Investitionen aus eigenen Mitteln, gleichsam „aus eigener Finanzkraft“ bezahlen. <?page no="21"?> 22 1 Kapitel: Finanzwirtschaft Abb. 2: Finanzierungsarten. Unternehmen wachsen also nicht nur durch den außenfinanzierten Erwerb und Aufbau von Realkapital. Die „Finanzkraft“ wird aus verschiedenen Quellen genährt. Eine sind Abschreibungen, eine andere Gewinne. Die Gewinne einer Unternehmung werden in der Regel nicht vollständig an die Eigenkapitalgeber ausgeschüttet. Ein Teil wird einbehalten (thesauriert). Zudem fließen der Unternehmung Erträge zu, vor allem aus dem Verkauf von Erzeugnissen, denen nicht in gleicher Höhe bare Aufwendungen gegenüberstehen. Dazu gehören vor allem Abschreibungen, die zwar Aufwand sind, aber eben ein unbarer Aufwand. Im Verlauf eines Jahres erhöht sich durch Abschreibungen (und andere Maßnahmen) der Bestand an Zahlungsmitteln, die im Rechnungswesen nicht als Gewinn dargestellt werden. Auch diese Zahlungsmittel können vom Unternehmen, ebenso wie thesaurierte Gewinne, für Realinvestitionen verwendet werden - aus didaktischen Gründern wollen wir übersehen, dass Unternehmen ebenso Finanzinvestitionen tätigen können. Man spricht in diesen Fällen von Innen- oder Selbstfinanzierung (und nicht mehr von Außenfinanzierung, dem Abschluss neuer Finanzkontrakte). Die Innenfinanzierung wird möglich, weil die Eigenkapitalgeber (einer Kapitalgesellschaft) nicht einfach die gesamten Zahlungsmittel entnehmen dürfen, die im Verlauf des Jahres „hereinkommen und die Kasse füllen“. Manager bevorzugen natürlich die Innenfinanzierung. Hier müssen sie nicht neue Kapitalgeber ansprechen, ihnen Pläne vorlegen und um Zustimmung bitten. Gleichsam ohne besondere Kontrolle können Manager die durch Innenfinanzierung bereitstehenden Gelder ausgeben, wie sie es für richtig halten. Der Vergleich von Außen- und Innenfinanzierung gibt immer wieder Anlass für die Frage, wie wirksam die Kontrolle des Managements der Unternehmen ist. In wie weit in einer Wirtschaft Außenfinanzierung wichtig ist (und daher externe und neue Kapitalgeber gut angesprochen und behandelt werden sollten) oder in welchem Umfang die vom Management erwünschten Investitionen allein durch Innenfinanzierung möglich werden - ein Manager meinte einmal: „wir haben unser Kapital schon und brauchen die Kapitalgeber nicht mehr“ - hängt von mehreren Faktoren ab. Ein Faktor ist die Phase, in der sich eine Unternehmung befindet. Unternehmen in der Gründungsphase und solche in Phasen der Geschäftserschließung und starker Geschäftsausweitung mit erst noch zu bewältigender Marktentwicklung, die sich also noch nicht so <?page no="22"?> 1.2 Finanzierung 23 gut in den angestrebten oder erst noch zu schaffenden Produktmärkten etablieren konnten und daher vergleichsweise geringe Umsatzerlöse haben, benötigen Finanzierungen von außen. Sind Unternehmen in ihren Produktmärkten hingegen bereits wohl etabliert und wachsen nicht mehr so stark, dann reicht oft die Innenfinanzierung, um Ersatzinvestitionen und gewisse Erweiterungsinvestitionen zu finanzieren. 1.2.2 Einfluss der Gesamtsituation Ein zweiter Faktor, der die Gewichtung von Außen- und Innenfinanzierung bestimmt, ist durch die jeweiligen Konditionen oder Kapitalkosten bestimmt. Sie hängen nicht zuletzt von der steuerlichen Behandlung ab, weshalb auch der Staat Einfluss darauf nehmen kann, ob und in welchem Umfang die Unternehmen die eine oder andere Finanzierungsart vorziehen. Beispielsweise kann der Staat die Innenfinanzierung fördern, etwa durch Abschreibungsmöglichkeiten. Bei der Außenfinanzierung kann der Kreis der Kapitalgeber weiter gezogen werden: So könnte durch gesamtwirtschaftlich wirkende Maßnahmen die Außenfinanzierung für ausländische Finanzinvestoren attraktiver gestaltet werden. Schließlich könnte auch das Investitionsbudget verkleinert und damit der Finanzierungsbedarf reduziert werden. Für diese drei Wege gibt es durchaus Beispiele: 1. Steuerliche Förderung der Innenfinanzierung: Die Innenfinanzierung der deutschen Unternehmen in den Jahren des Wirtschaftswunders 1950 bis 1960 wurde durch gesetzliche Maßnahmen gefördert, weil das im Wirtschaftsaufschwung benötigte hohe Kapital nicht über Außenfinanzierung hätte aufgebracht werden können. Denn die Menschen in Deutschland hatten kein Geld gehabt, um Unternehmen zu finanzieren, und ausländische Investoren machten einen großen Bogen um das Deutschland der frühen Nachkriegsjahre. 2. Außenfinanzierung , aber mit Finanzinvestoren aus dem Ausland: Die Republik Österreich wollte um 1970 Infrastruktur aufbauen: Autobahnen, Universitäten, Forschungszentren sollten errichtet werden. Österreich wollte Staatsanleihen ausgeben, doch die Bevölkerung Österreichs hatte kein Geld. Denn die Einkommen waren gering, die Steuern hoch, und die Familien mussten für Wohnraum sorgen. So war der österreichische Staat gezwungen, das Kapital im Ausland aufzunehmen. Österreich gab auf US-Dollar lautende Bonds aus. Sie wurden von Finanzinvestoren aus den USA, Japan und der Schweiz gezeichnet. 3. Reduktion des Finanzierungsbedarfs: In den Jahren um 1980 dachten Manager in den USA, sie könnten Eigenkapitalgeber und Banken vernachlässigen, weil die Innenfinanzierung völlig genügte, Ersatzinvestitionen zu tätigen. Gelegentlich kam es damals vor, dass das Potenzial an Innenfinanzierung - eben weil keine neuen Finanzverträge explizit abgeschlossen werden mussten und die Kontrolle des Managements schwach war - für nicht rentable Investitionen verwendet wurde. Das löste massive Kritik bei den Aktionären aus. Um 1980 kam Kritik an unrentablen, innenfinanzierten Investitionen der Unternehmungen auf und der Shareholder-Value-Gedanke entstand. Die Aktionäre erinnerten auf den Hauptversammlungen daran, dass die Entscheidung über die Gewinnausschüttung (und damit das Potential für die Innenfinanzierung) ihnen zukommt. Sie betonten, dass Unternehmen die Gewinne ausschütten sollten, falls sie in ihren angestammten Geschäftsfeldern keine rentablen Investitionsprojekte sehen. Die Aktionäre würden das Geld nehmen, um mit ihren diversifizierten Portfolios die marktübliche Rendite zu erzielen. <?page no="23"?> 24 1 Kapitel: Finanzwirtschaft Diese Sicht wurde von M ICHAEL J ENSEN als These des Freien Cashflows bezeichnet. Diese These verlangt: Unternehmungen sollten liquide Mittel ausschütten, sofern die Aktionäre diese rentabler anlegen können als die Unternehmung selbst. Das war zum Beispiel in der Tabakindustrie der Fall. Sie konnte in ihren angestammten Geschäftsfeldern nicht jene Rendite erzielen, die Aktionäre mit einem diversifizierten Portfolio als marktgerecht erwarten konnten. 1.3 Kapitalallokation 1.3.1 Finanzierungsbedarf Ist die Wirtschaft als Ganzes überhaupt in der Lage, so viel Finanzkapital aufzubringen, dass die realwirtschaftliche Seite - Unternehmen und Staat - das nach ihren Planungen benötigte Realkapital finanzieren kann? Letztlich ist dazu verlangt, dass die Menschen hinreichend viel sparen, also derzeit auf Konsum verzichten und den Konsum zeitlich verschieben, oder dass Kapital vom Ausland hereinkommt. Ein paar Reiche genügen aber nicht. Alle Spargelder, auch die Beträge der „kleinen Leute“, müssen irgendwie eingesammelt und den Unternehmen und dem Staat zugeleitet werden. Angesichts der enormen Zunahme an benötigtem Realkapital in der modernen Welt würde es bei weitem nicht ausreichen, wenn nur die Reichsten sich als Finanzinvestoren betätigten, die übrige Bevölkerung aber davon ausgeschlossen bliebe, der Wirtschaft Geld zu überlassen. Eine Rechnung: Die Sparquote der Deutschen liegt bei rund 10% des verfügbaren Einkommens. Das Geldvermögen der privaten Haushalte in Deutschland ist 2010 auf 4,9 Billionen Euro gestiegen (womit rund 10 Unternehmen wie Apple oder Exxon gekauft oder 400 Entwicklungen wie die des Airbus A 380 bezahlt werden könnten). Nun gibt es in der ganzen Welt 1226 Dollar-Milliardäre mit einem Finanzvermögen von zusammen 4,6 Billionen Dollar. Dem Bruttoinlandsprodukt (BIP) nach hat Deutschland einen Anteil von rund 4% in der Welt. Würden die Dollar-Milliardäre überall in der Welt investieren, und zwar proportional zum jeweiligen BIP, dann entfielen auf Deutschland lediglich 184 Milliarden Dollar oder 140 Milliarden Euro. Die Superreichsten würden also nur 3% dessen aufbringen, was die Deutschen in ihrer Gesamtheit anlegen können. Aufgrund dieser Relationen wird deutlich: Der hohe Bedarf an Realkapital der Wirtschaft verlangt es, auch die „Spargroschen der kleinen Leute“ der Wirtschaft zuzuführen. Dazu sind ein leistungsfähiges Bankensystem und Finanzmärkte erforderlich. Außerdem darf nicht nur an das Inland gedacht werden. Gerade wenn Inländer wenig sparen - vielleicht weil sie aufgrund geringer Einkommen wenig sparen können oder weil aufgrund der Bevölkerungsstruktur nur eine geringe Sparneigung besteht und alle konsumieren wollen - müssen ausländische Kapitalgeber eingeladen werden, Kredite zu geben und Beteiligungen zu erwerben. Wäre das in einer sich dem Ausland gegenüber verschließenden Welt nicht möglich, könnte die Realwirtschaft nur in geringerem Umfang das gewünschte <?page no="24"?> 1.3 Kapitalallokation 25 Realkapital beschaffen. Weniger Erfindungen könnten umgesetzt werden. Weniger Arbeitsplätze würden geschaffen. Die Infrastruktur könnte nicht erneuert werden. Das Wachstum der volkswirtschaftlichen Leistung wäre geringer - zum Nachteil aller. Die Öffnung für Kapital ist letztlich notwendig, um Arbeitsplätze zu schaffen und zu sichern. 1.3.2 Anlagewunsch Doch der Finanzierungsbedarf der modernen Wirtschaft ist nur eine Seite. Die andere Seite ist der Anlagewunsch der Menschen. Die Menschen sparen, vor allem um für ihr Alter privat vorzusorgen. Früher standen ihnen dazu nur wenige Instrumente und Wege für die Anlage von Spargeldern offen: Sie konnten ein Haus bauen, die Ausbildung der Kinder bezahlen, haltbare Gegenstände (Möbel, Kunst, Schmuck) sammeln und Goldmünzen horten. Diese traditionellen Anlageformen haben bekanntlich Nachteile. Die Menschen konnten im Alter oft weder das Mobiliar noch die angesammelten Kunstgegenstände verkaufen, weshalb diese Wertgegenstände ihren wichtigsten Zweck nicht erfüllten. Gelegentlich kümmern sich auch die Jüngeren später wenig um ihre Eltern. Um die Altersvorsorge zu erleichtern und wirksamer zu gestalten, wurden in fast allen Ländern staatliche Renten- und Pensionsversicherungen eingerichtet. Doch die staatlichen Systeme können nur einen Teil der später benötigten Versorgung sichern. Die drei wichtigsten Gründe sind erstens die demografische Entwicklung (wenig neue Beitragszahler, hoher Alterslastquotient), zweitens die längere Lebensdauer der Versicherten, drittens hohe Ansprüche nach frühzeitiger Pensionierung. Die staatlichen Altersversorgungssysteme müssen daher durch Formen privater Vorsorge ergänzt werden. Bei der privaten Altersvorsorge sind Anlagen bei Banken und Versicherungen sowie der Kauf von Wertpapieren besser als der Kauf von Mobiliar und von Kunst, da Finanzkontrakte ganz direkt die zeitliche Verfügbarkeit von Geld regeln. Mobiliar und Kunst kann auch nicht immer so leicht verkauft werden wie ein Wertpapier. Finanzkontrakte bewirken also, dass der Anleger Geld erhält, ohne dass ein Umweg über den Kauf und Verkauf von Immobilien, Mobiliar und Kunst verlangt ist. Jedenfalls besteht heute parallel zum Finanzierungsbedarf der Wirtschaft ein hoher Anlagebedarf der Bevölkerung. Merkpunkt: Eine erste Grundfunktion, die von der Finanzwirtschaft erfüllt werden soll, ist die Allokation von Kapital. Die für die Finanzierung des Realkapitals (Unternehmen, Staat) benötigten Gelder müssen aufgebracht werden. Gleichzeitig muss der Wunsch privater Sparer, Geld anlegen zu können, verwirklicht werden. Die einen benötigen Geld heute und geben es morgen mit Zins zurück oder bieten eine rentable Anlage (Unternehmen, Staat). Die anderen können heute Geld überlassen und verlangen, den Einsatz morgen zurück zu erhalten, am besten verzinst oder mit einer gewissen Rentabilität (private Anlegerschaft, Versicherungen, Pensionskassen). 1.3.3 Wertpapiere Die Kapitalallokation hat in der modernen Wirtschaft inzwischen eine enorme Dimension und stellt daher eine „gigantische volkswirtschaftliche Aufgabe“ dar. Dabei soll diese erste Grundfunktion der Finanzmärkte nach wirtschaftlichen Überlegungen und Kriterien <?page no="25"?> 26 1 Kapitel: Finanzwirtschaft gelöst werden. Dazu sollte die Kapitalallokation mit einer gewissen Leichtigkeit erfolgen können, es sollte Transparenz herrschen, Offenheit gegenüber allen transaktionswilligen Parteien, Fairness, und so fort. Diese Eigenschaften stellen sich nicht von allein ein. Einrichtungen sind verlangt, Organisation müssen geschaffen werden, die bei der Kapitalallokation helfen und dazu beitragen, ihr die gewünschten Eigenschaften wie Leichtigkeit, Fairness, Transparenz zu verleihen. Zu den Einrichtungen, die die Kapitalallokation vornehmen, wurden bereits Banken erwähnt. Sie nehmen Einlagen entgegen und geben Kredite. Hinzu treten Versicherungen und Pensionskassen. Sie nehmen Prämien und Beiträge ihrer Kunden entgegen, legen sie als Finanzkapital an und zahlen später Leistungen aus. Banken und Versicherungen sind Mittelsmänner (Intermediäre), die zwischen dem Finanzierungswunsch der Unternehmen und des Staats sowie dem Anlagewunsch der Menschen stehen. Banken und Versicherungen beschränken sich meistens auf Fremdkapital. Sie versprechen ihrer Kundschaft Leistungen in festgeschriebener Höhe zu klar verpflichtenden Zeitpunkten. Entsprechend legen sie Mittel zu festen Konditionen an. Banken und Versicherungen vermitteln im Allgemeinen kein Eigenkapital. Da die Institutionen der Finanzwirtschaft sicher sein sollen, dürfen Banken und Versicherungen nicht alle eingesammelten Gelder nur einer einzigen Unternehmung oder einem einzigen kommunalen Haushalt zur Verfügung stellen. Sie würden dann ein Klumpenrisiko eingehen. Banken und Versicherungen müssen das Finanzkapital, das sie geben, streuen. Zugleich müssen sie wählerisch sein und die Schuldner, denen sie Kredite geben, selektieren. Andernfalls würden diejenigen leiden, die Einlagen tätigen. Das bedeutet, dass Banken einer einzelnen Unternehmung und einem staatlichen Haushalt nur einen vergleichsweise geringen Teil des Geldes zur Verfügung stellen. Die Deutsche Bank beispielsweise hat eine Bilanzsumme von rund 2000 Milliarden Euro, und ein großer, an eine einzelne Unternehmung gegebener Kredit, hat die Größenordnung von einer Milliarde Euro. Die Deutsche Bank muss, wie andere Banken auch, auf die Diversifikation ihres Kreditportfolios achten. Der Finanzierungsbedarf einer großen Unternehmung oder der des ganzen Staates sprengt die Möglichkeiten einer einzigen Bank und selbst die einer Gruppe von Banken. Von daher ist es nicht treffend, sich die Finanzwirtschaft so vorzustellen, dass auf der einen Seite Millionen von inländischen und ausländischen Anlegern stehen, auf der anderen Seite Tausende von Unternehmen sowie der Staat mit ihren jeweiligen Finanzierungswünschen, und in der Mitte als Intermediäre vielleicht zehn Banken und Versicherungen. Zudem wäre eine solche Struktur der Finanzwirtschaft zu starr und aus gesamtwirtschaftlicher Sicht zu teuer. In vielen Ländern ergänzen deshalb Märkte die von Banken und Versicherungen geleistete Intermediation. An diesen Finanzmärkten werden Wertpapiere und andere Finanzkontrakte gehandelt. An die Stelle der Aufnahme eines Bankkredits tritt die Ausgabe von Anleihen, und anstatt eine Einlage bei einer Bank vorzunehmen, kauft ein Sparer, Anleger oder Finanzinvestor Anleihen. <?page no="26"?> 1.4 Fazit des Kapitels Finanzwirtschaft 27 Die erste Grundaufgabe der Kapitalallokation - sowohl den Finanzierungswunsch der Unternehmen und des Staats als auch den Anlagewunsch der Menschen zu erfüllen - kann nicht nur von Intermediären (Banken und Versicherungen) bewältigt werden. Ergänzend dazu tritt der Markt, konkret die Börse. Die Finanzmärkte ermöglichen folglich einen deutlichen Schritt hin zu einer leichten und effizienten intertemporalen Allokation der Ressourcen bei geringen Transaktionskosten. 1.4 Fazit des Kapitels Finanzwirtschaft 1.4.1 Zusammenfassung Dieses Kapitel rückt die Bedeutung von Geld und Kapital in den Mittelpunkt. Geld erfüllt vier Funktionen. Es legt eine Recheneinheit fest. Geld definiert zudem einen über die Zeit hinweg gültigen Standard. Mit Geld können Zahlungen vorgenommen werden, wie sie als Begleiterscheinung von Käufen und Verkäufen auftreten. Nicht zuletzt kann Geld dazu dienen, Werte aufzubewahren. Kapital gibt es in der Form von Realkapital, sei es konkret und tangibel (wie eine Maschine) oder abstrakt und intangibel (wie etwa der Markenname). Ebenso gibt es Kapital in Form von Finanzkapital. Gemeint sind Rechtspositionen, Ansprüche auf zukünftige Zahlungen, deren Grundlage ein Vertrag, ein Finanzkontrakt ist. Seit geraumer Zeit werden Finanzkontrakte rechtlich so gestaltet, dass sie leicht übertragen werden können (Fungibilität). Diese Entwicklung führt zum Wertpapier und zur Entstehung von Börsen. Der enorme Kapitalbedarf, ausgelöst durch das in der industriellen Gesellschaft benötigte Realkapital, kann letztlich nur durch Finanzmärkte aufgebracht werden, nicht mehr durch Banken. Eine Triebkraft der Entwicklung von Börsen ist der Wunsch der Finanzinvestoren nach Liquidität. Finanzmärkte erfüllen drei Grundfunktionen: sie bewerkstelligen die Kapitalallokation, gestatten den Risikotransfer und damit eine bessere Risikoallokation, und sie erzeugen Informationen. Hinsichtlich der Kapitalallokation stehen Finanzinvestoren (mit ihrem Anlagewunsch) den Finanziers in Unternehmungen und beim Staat (mit ihrem Kapitalbedarf) gegenüber. Unternehmen unterscheiden Eigen- und Fremdfinanzierung, sowie Außen- und Innenfinanzierung. 1.4.2 Lernpunkte 1. Die Realwirtschaft bezieht sich auf den wirtschaftlichen Einsatz konkreter Ressourcen wie Zeit, Rohstoffe, Material zur Produktion und Distribution von Gütern und Dienstleistungen. Zur Produktion und Distribution wird Realkapital benötigt - also Sachkapital (Maschinen, Einrichtungen) und Wissenskapital (Know-how, Bekanntheit, Organisation) - das finanziert werden muss. 2. Finanzierung ist der Verkauf von Rechten: Der Kapitalgeber überlässt dem Kapitalverwender Geld und erhält Ansprüche auf spätere Rückflüsse. Die Finanzwirtschaft beruht auf Verträgen, auf Finanzkontrakten, in denen Ansprüche auf zukünftige Ergebnisse vereinbart werden. <?page no="27"?> 28 1 Kapitel: Finanzwirtschaft 3. Zwei Grundformen für das Finanzkapital - Verträge zwischen einem Kapitalgeber und einem Kapitalnehmer - sind das Eigenkapital (Beteiligungskapital) und das Fremdkapital (Forderungskapital). 4. Wünschenswert, zunächst für die Kapitalgeber, ist die jederzeitige Möglichkeit, die Ansprüche weitergeben zu können, verkaufen zu können. Um diesem Wunsch entgegen zu kommen, wird der Finanzkontrakt rechtlich übertragbar (fungibel) gestaltet, in die Form eines Wertpapiers gebracht (Verbriefung) und der Handel durch entsprechende Organisationen (Börsen) begünstigt. Die so erzeugte Liquidität bewirkt, dass sich der Kapitalgeber mit einer etwas geringeren Rendite zufrieden gibt. Dadurch sinken die Kapitalkosten für den Kapitalverwender. Liquidität im Finanzbereich erhöht die Wohlfahrt. 1.4.3 Erwähnte Personen A DAM S MITH , M ICHAEL J ENSEN , D ANIEL D EFOE . 1.4.4 Schlüsselbegriffe Aktie, Allokation der Ressourcen, Anlagewunsch, Anleihe, Außenfinanzierung, Eigenkapital, Finanzkapital, Finanzierungsbedarf, Fremdkapital, Fungibilität, Geld, Innenfinanzierung, Kapital, Kredit, Liquidität, Realkapital, Realwirtschaft, These des Freien Cashflows, Wertpapier, Wissenskapital. 1.4.5 Fragen zur Lernstandskontrolle 1. Geben Sie eine stichwortartige Charakterisierung der realwirtschaftlichen Seite der Wirtschaftswissenschaften und stellen Sie ihr die finanzwirtschaftliche Seite gegenüber, wozu sie „Geld“ und „Kapital“ definieren! [Antwort: Abschnitt 1.1.3] 2. Charakterisieren Sie Eigen- und Fremdkapital! [Antwort: Abschnitt 1.1.3] 3. Unterscheiden Sie Außen- und Innenfinanzierung einer Unternehmung. Gehen Sie auf drei Beispiele näher ein, die unterschiedliche Gewichtungen von Außen- und Innenfinanzierung illustriert haben: 1. Die Kapitalknappheit in Deutschland um 1960, Die Finanzierung von Infrastruktur in Österreich um 1970, der verringerte Kapitalbedarf amerikanischer Unternehmungen um 1980! [Antwort: Abschnitt 1.2.2] 4. Wann und warum kam der „Shareholder-Value-Gedanke auf ? Was besagt die These des Freien Cashflows und wer hat sie aufgestellt? [Antwort: Abschnitt 1.2.2] 5. Banken und Versicherungen sind Mittelsmänner (Intermediäre), die zwischen dem Finanzierungsbedarf (Unternehmungen, Staat) und den Anlagewünschen der Menschen stehen. Wie können bei dieser Allokationsaufgabe Transaktionskosten gesenkt werden? [Antwort: Abschnitt 1.3.3] <?page no="28"?> 2. Kapitel: Liquidität und Effizienz Werden die finanziellen Positionen als Wertpapiere verbrieft, können sie leichter übertragen werden. Gelegentliche Käufe oder Verkäufe können sich zu einem lebendigen Handel für Wertpapiere ausweiten. Mit Unterstützung effizienter Handelsplattformen in den modernen Börsenorganisationen können die Transaktionen schnell und mit geringen Transaktionskosten erfolgen. Grundfunktionen der Finanzmärkte Leistungen der Finanzmärkte Kapitalallokation Geringe Transaktionskosten und hohe Liquidität Risikotransfer Arbitragefreiheit sowie dicke, breite Abstützung der Preisbildung Informationserzeugung Informationseffizienz So bieten Finanzmärkte einige erwünschte Leistungen: Vor allem erzeugen Finanzmärkte Liquidität (Abschnitt 2.1): Käufe oder Verkäufe von finanziellen Positionen können praktisch ohne zeitliche Verzögerung und ohne nennenswerte Aufschläge oder Abschläge beim Preis realisiert werden. Sodann sind nicht nur die einzelnen Teilmärkte geräumt, sondern die dort sich einstellenden Preise sind frei von Arbitrage. Dies, weil die Finanzmärkte für die meisten Positionen „breit“ („thick“) sind und es in der Regel mehrere Wege gibt, eine finanzielle Position zu erreichen. Alle diese Wege haben Kosten in derselben Höhe. Durch diese Zusammenhänge und die Arbitragefreiheit ist die Preisbildung in Finanzmärkten „gut verankert“, oder wie auch gesagt wird, „breit abgestützt“. Letztlich hängen die Preise für zukünftige Zahlungen natürlich davon ab, wie die wirtschaftliche Zukunft eingeschätzt wird (Abschnitt 2.2). Die Preise fassen daher zusammen, wie diejenigen, die an den Finanzmärkten aktiv teilnehmen, diese wirtschaftliche Zukunft einschätzen. Bei dieser Informationserzeugung sind die Finanzmärkte recht leistungsfähig. Kurz gesagt, die Finanzmärkte sind bei der Erzeugung von Informationen über die allgemeine Einschätzung der wirtschaftlichen Zukunft „effizient“. Auch diese „Informationseffizienz“ ist eine höchst erwünschte Leistung der Finanzmärkte. <?page no="29"?> 30 2 Kapitel: Liquidität und Effizienz 2.1 Liquidität 2.1.1 Liquidität und Kapitalismus Eine ausgesprochen erwünschte Eigenschaft, die Finanzmärkte haben sollten, ist diese: Es sollten kaum Wartezeiten für Personen entstehen, die eine finanzielle Position verkaufen oder kaufen wollen. Außerdem soll durch den Kauf oder Verkauf auch einer nicht ganz kleinen Position die typischerweise durch Transaktionen bewirkte Preisveränderung gering bleiben. Kaufbedingte Aufschläge gegenüber dem derzeitigen Preis und verkaufsbedingte Preisabschläge sollten klein sein. Beim börsentäglichen Handel von Anleihen und von Aktien entstehen in der Tat kaum Wartezeiten. Wenn es sich um Wertpapiere handelt, die sich in großen Volumina in Umlauf befinden, dann sind auch die handelsbedingten Kursänderungen praktisch vernachlässigbar. Unter Liquidität wird die Leichtigkeit verstanden, mit der ein Wertpapier wie eine Anleihe oder eine Aktie oder allgemeiner eine Vermögensposition (ein Asset) verkauft und gekauft werden kann. Die Leichtigkeit zeigt sich erstens in einer geringen Wartedauer bis zur Ausführung eines Transaktionswunsches und zweitens in einer vergleichsweise geringen Preisänderung (Abschlag bei Verkauf, Aufschlag bei Kauf), zu der ein Transaktionswunsch dann tatsächlich ausgeführt werden kann. Die Liquidität ist ein Vorteil, den zunächst die Anleger schätzen. Wenn die sonstigen Konditionen wie Rendite und Risiko gleich sind, dann ziehen Anleger eine liquide Geldanlage einer Kapitalanlage vor, von der sie sich vor der geplanten Beendigung nicht oder nur nach einer Wartezeit beziehungsweise mit einem Kursabschlag trennen können. Um den Vorteil der Liquidität zu veranschaulichen, wird einem Gedankenexperiment gefolgt. Zur Vorbereitung wird ein Blick auf die Finanzwirtschaft in Kuba geworfen. Der Entwicklungsstand einer Finanzwirtschaft ohne ausgebaute Finanzmärkte, ohne Wertpapiere und ohne Märkte für Anleihen und Aktien, ist in solchen Ländern anzutreffen, die sich dezidiert als nicht-kapitalistisch ansehen. Dazu gehört Kuba. Auch in diesem Land der Karibik gibt es eine Finanzwirtschaft mit Geld, Krediten und Banken. Doch in Kuba gibt es keine Börse. Selbstverständlich hat sich in Kuba eine arbeitsteilige Realwirtschaft (mit den Schwerpunkten Landwirtschaft und Tourismus) entfalten können. Es gibt Märkte für Güter und selbstverständlich gibt es Geld. Die Währung ist der Pesos. Ausländer müssen mit dem Peso Convertible bezahlen, den zu erhalten staatlichen Kontrollen unterliegt. Sodann gibt es in Kuba Realkapital: Dazu gehören Land, Hotelgebäude und Wissen. Für die kubanischen Betriebe sind zudem gewisse rechtliche Rahmenbedingungen geschaffen worden, die sie mit den Unternehmen in Deutschland, den USA und Japan durchaus vergleichbar macht. Diese Rahmenbedingungen erkennen den Investitionsvorgang und damit das Finanzkapital an. Es gibt also Privateigentum an Kapital. Kubanische Banken geben Kredite, und es gibt Personen, die aufgrund ihres Einsatzes im Unternehmen rechtlich ähnlich gestellt sind wie die Eigentümer oder Gesellschafter einer Unternehmung in Deutschland oder in den USA. Richtig ist, dass viele Banken und Unternehmen in Kuba den Staat als Eigentümer haben, doch gibt es auch in anderen Ländern Einrichtungen mit wirtschaftlicher Leistungsabgabe, bei denen der Staat als alleiniger oder teilweiser Kapitalgeber fungiert. <?page no="30"?> 2.1 Liquidität 31 Die kubanischen Unternehmen werden (mit Akzenten) nach denselben wirtschaftlichen Grundsätzen geführt wie anderswo. In Kuba sprechen Regierungsvertreter immer wieder ausländische potentielle Kapitalgeber an und laden sie dazu ein, sich mit einer Direktinvestition an einer Unternehmung zu beteiligen. Der Finanzkontrakt wird in Havanna notariell beurkundet. Die Eigenkapitalgeber haben dieselbe Rolle wie der Gesellschafter einer GmbH. Wenn der ausländische Finanzinvestor neben Geld abstraktes Realkapital mitbringt und technologisches Wissen zur Verfügung stellt, dann ist er als Kapitalgeber in Kuba erst recht willkommen und kommt in den Genuss von Vorteilen. Doch eine Möglichkeit gibt es in Kuba nicht: Der Kapitalgeber kann zwar seine Beteiligung grundsätzlich einer anderen Person verkaufen, ähnlich wie GmbH-Anteile übertragen werden können. Die Regierung sieht das aber ungern und behindert einen Verkauf von Beteiligungsrechten, besonders wenn er als „kapitalistische Spekulation“ verstanden werden könnte. Deshalb sind die Übertragung und der Verkauf einer Unternehmensbeteiligung praktisch erst nach vielen Jahren möglich. Entsprechend ist der Finanzvertrag in Kuba nicht verbrieft. Er hat nicht die Form eines Wertpapiers, das der Inhaber ohne weitere Gründe angeben zu müssen börsentäglich verkaufen könnte. Im Unterschied dazu ist es in Ländern wie Deutschland oder den USA weit verbreitet, Finanzkapital in die Form von Wertpapieren zu bringen, um die leichte Übertragbarkeit (Fungibilität) zu begünstigen. In diesen Ländern sind die Börsen entwickelt. In Kuba gibt es weder Wertpapiere noch Börsen. Die kapitalistische Wirtschaftsordnung ist also weder dadurch gekennzeichnet, dass es Märkte (für Produkte) gibt, noch dass es Geld gibt, noch dadurch, dass es Finanzkontrakte wie Kredite und Beteiligungen gibt. Denn Märkte, Geld, Finanzkontrakte und Banken gibt es überall. Die kapitalistische Wirtschaftsordnung ist nicht dadurch gekennzeichnet, dass private Kapitalgeber, die an einem Geschäft beteiligt sind, in dieses Geschäft mit Entscheidungen eingreifen können. Unternehmerisches Denken gibt es auch in Kuba. Das vorrangige Merkmal des Kapitalismus ist, dass die als Kapital bezeichneten Finanzverträge in überwiegendem Umfang die Form eines Wertpapiers haben, verbrieft sind und an Börsen gehandelt werden. Die Finanzmärkte sind im Kapitalismus frei: Der Staat verzichtet auf Einflussnahme in jenen Bereichen der Wirtschaftstätigkeit, die ebenso gut oder vielleicht sogar noch besser von privater Seite frei gestaltet werden können. Kurz: Der Kapitalismus als Wirtschaftsordnung ist durch Wertpapiere und freien Handel an Börsen gekennzeichnet, also durch die leichte Übertragbarkeit finanzieller Positionen. Wenn zwar eine Finanzwirtschaft mit Banken, mit Krediten und mit Unternehmensbeteiligungen gegeben ist, nicht aber ein freier Handel mit Wertpapieren an Börsen, dann liegt keine als kapitalistisch zu bezeichnende Wirtschaftsordnung vor. 2.1.2 Ein Gedankenexperiment Warum gibt es in Ländern wie Deutschland und den USA Wertpapiere und Börsen? Hierzu nun das Gedankenexperiment: Stellen Sie sich, liebe Leserin und lieber Leser, einmal vor, Sie hätten 50 Tausend Euro anzulegen, zunächst für eine unbestimmte Zeitdauer. Sie haben sich überlegt, eine Beteiligung an einer Ziegelei zu erwerben. Über das Internet erfahren Sie <?page no="31"?> 32 2 Kapitel: Liquidität und Effizienz von zwei Ziegeleien, die ihr Eigenkapital aufstocken wollen, um Erweiterungsinvestitionen zu finanzieren. Eine ist in Frankreich, die andere befindet sich in Kuba. Die weitere Informationsbeschaffung zeigt, dass sich die Ziegeleibetriebe wie eineiige Zwillinge gleichen. Nicht nur sind die Brennöfen identisch. Beide Ziegeleien haben dieselbe Anzahl von Arbeitsplätzen und praktisch identische Geschäftspläne. Beide verschiffen die Ziegel weltweit und verkaufen sie zu den auf den Weltmärkten geltenden Preisen für Baumaterialien. Beide Ziegeleien suchen neues Eigenkapital, und beide lassen aufgrund ihrer Geschäftspläne eine Rendite von 10% erwarten. Weiter nehmen wir in unserem Gedankenexperiment an, dass Länderrisiken nicht in die Entscheidung hinein spielen, sie sollen durch entsprechende staatliche Garantien ausgeschlossen sein. Der einzige Unterschied, der zwischen der Beteiligung in Frankreich und der in Kuba bleibt, ist die Leichtigkeit beziehungsweise Unmöglichkeit, die Beteiligung morgen oder nächsten Monat oder in einem Jahr weiterzugeben. Wo würden Sie Ihr Geld anlegen? Bei der französischen Ziegelei hat die Beteiligung die Form einer Aktie. Aktien können jederzeit an der Börse verkauft werden, wo sich immer Kaufinteressenten finden. Transaktionskosten sind gering. Die in die Form der Aktie gekleidete Beteiligung ist in hohem Maß liquide. Die Beteiligung an der kubanischen Ziegelei wird als lang laufender, notariell beurkundeter Vertrag behandelt. Als Finanzinvestor müssten Sie, wenn Sie sich von der Beteiligung irgendwann trennen wollten, selbst einen Käufer suchen, dann müssten Sie die andere Vertragsseite - die kubanischen Manager, die die Ziegelei vertreten - überzeugen, der Weitergabe der Beteiligung zuzustimmen. Wenn das gelingt, kommen als Nachteile hinzu, dass die Übertragung und notarielle Beurkundung Zeit kosten und mit Gebühren verbunden sind. Die Transaktionskosten sind hoch. Deshalb ist die kubanische Beteiligung wenig liquide. Aufgrund des Unterschieds hinsichtlich der Liquidität - wie besprochen soll das der einzige Unterschied sein - dürften Sie sich wohl für die Beteiligung an der französischen Ziegelei entscheiden. Die kubanische Ziegelei erkennt, dass sie keine Chance hat, Kapital aufzunehmen. Die kubanischen Manager kontaktieren Sie und fragen, wie hoch die zu erwartende Rendite für Sie sein müsse, damit Sie sich doch noch dazu bewegen lassen, Ihr Geld der kubanischen Firma zur Verfügung zu stellen. Vielleicht denken Sie, dass der Nachteil der geringen Liquidität mit einer Zusatzrendite von 3% abgegolten werden müsse und antworten: „Angesichts der 10% Renditeerwartung für die liquide Anlage in die französischen Aktien müssten es schon 13% sein, die ich für die wenig liquide Anlage in die kubanische Firma erwarten können müsste, um sie zu berücksichtigen. Bei 14% oder 15% Renditeerwartung würde ich klar zugunsten der Anlage in Kuba entscheiden.“ Nun sind Sie nicht allein auf der Welt, und andere Finanzinvestoren denken genau wie Sie. Wo es möglich ist, 10% für eine liquide Anlage zu erhalten, müssen bei nicht-liquiden Anlagen, sofern alle anderen Kriterien in gleicher Weise erfüllt sind, vielleicht 13% oder mehr geboten werden, damit sie nicht von vornherein abgelehnt werden. So geht der Manager der kubanischen Ziegelei zu seinen Direktoren und Abteilungsleitern und erklärt: „Um weiter bestehen zu können, müssen wir in Realkapital investieren. Wir benötigen das Kapital für die Finanzierung. Wir könnten Kapital bekommen, sofern wir <?page no="32"?> 2.1 Liquidität 33 wenigstens 13% bieten.“ Alle stimmen zu, und der kubanische Manager fährt fort: „Die Kapitalgeber geben sich natürlich mit einem bloßen Versprechen, dass sie schon 13% erhalten werden, nicht zufrieden. Sie wollen diese Renditeerwartung im Geschäftsplan begründet sehen. Intern müssen wir in unseren Kalkulationen so rechnen, dass uns das Kapital 13% kostet. Wir haben eben höhere Kapitalkosten als Unternehmen in Ländern mit liquiden Finanzkontrakten.“ Daher wird überlegt, wie der Geschäftsplan geändert werden kann, dass die Eigenkapitalgeber anstatt von 10% die aufgrund der Illiquidität erforderlichen 13% Rendite erwarten können. Die Preise für die Erzeugnisse können nicht erhöht werden, da sie durch den Absatzmarkt gegeben sind. Am Ende wird nur eine Möglichkeit gefunden: Die Arbeiter der kubanischen Ziegelei müssen sich mit weniger Lohn zufrieden geben. Anders ausgedrückt: Die fehlende Liquidität der Finanzkontrakte in Kuba verursacht einen Wohlfahrtsverlust für das Land. Wäre es möglich, den Finanzkontrakten die Form von Wertpapieren zu verleihen und gut funktionierende Börsen zu etablieren, würde mit der so geschaffenen Liquidität ein Wohlfahrtsgewinn einher gehen. Die Kapitalkosten würden sinken. Der Prozess, Finanzverträge leicht übertragbar zu gestalten, besteht darin, sie als Wertpapier zu verbriefen und gut funktionierende Börsen in Gang zu bringen. Dieser Vorgang wird als Verbriefung oder auch als Securitization angesprochen - im Angelsächsischen wird das Wertpapier als Security bezeichnet. Die Verbriefung stellt den Königsweg zu höherer Liquidität dar. Nach der vorangegangenen Charakterisierung des Kapitalismus als Wirtschaftsordnung, in der Wertpapiere und Börsen geschaffen werden, kommt der Kapitalismus einer Wirtschaftsordnung gleich, in der durch Instrumente und Handelsorganisationen versucht wird, Liquidität zu schaffen. Die Verbriefung, die dadurch und durch Börsen erreichbare Liquidität - die kapitalistische Wirtschaftsordnung - verhilft demnach zu mehr und allgemeinem Wohlstand. Unternehmen können leichter Kapital erhalten, mehr investieren, mehr Arbeitsplätze schaffen, und letztlich ist die von den Finanzinvestoren geforderte Rendite geringer. Dadurch bleiben den Unternehmen mehr Mittel, um gute Löhne zu bezahlen. Aus dem genannten Grund - höhere Liquidität der Finanzierungskontrakte geht einher mit sinkenden Kapitalkosten und einem Wohlfahrtsgewinn für das Land - haben sich in vielen Ländern Märkte für übertragbar gestaltetes Finanzkapital entfaltet, eben Finanzmärkte. Merkpunkte 1. Damit Finanzkontrakte überhaupt weitergegeben werden können, müssen sie übertragbar (fungibel) sein. Insbesondere muss der Kapitalverwender damit einverstanden sein, dass der Inhaber der Rechte und Ansprüche, die er zu erfüllen hat, wechselt. 2. Die Fungibilität wird durch eine Verbriefung als Wertpapier erleichtert. Die wichtigsten Wertpapiere verbriefen entweder Kreditverträge (Fremdkapital) und werden dann als Anleihen, Renten oder Obligationen (angelsächsisch Bonds) bezeichnet. Oder sie verbriefen Beteiligungen (Eigenkapital, Share) in der Form der Aktie (Stock). 3. Wenn die Verbriefung als Wertpapier gelungen ist, dann muss noch das Marktgeschehen geeignet gestaltet werden. Ein Markt kann entstehen, wenn sehr viele Finanzverträ- <?page no="33"?> 34 2 Kapitel: Liquidität und Effizienz ge desselben Typs angeboten und nachgefragt werden. Diese Situation ist bei Anleihen und bei Aktien der Fall, besonders wenn es um Anleihen mit großem Volumen und um Aktien großer Gesellschaften geht. Der Handel für solche Wertpapiere kann dann sehr stark organisiert sein und konkret in einer Börse ablaufen. 2.2 Informationserzeugung 2.2.1 Primärmarkt und Sekundärmarkt Man könnte nun denken, dass Finanzmärkte die das Kapital anbietenden Anleger einerseits und die das Kapital nachfragenden Unternehmen und den Staat andererseits börsentäglich von Neuem zusammenführen. Das Zusammenführen dieser beiden Parteien (Emittenten, Anleger) geschieht aber bei neuen Wertpapieren nur einmal, und zwar bei der Emission, also bei der Börseneinführung neuer Anleihen und neuer Aktien. Hier sind die Unternehmen oder der Staat die Emittenten. Sie bieten der Anlegerschaft an, neue Aktien und neue Anleihen zu kaufen (oder sich zum Kauf zu verpflichten, zu zeichnen). Diese Vorgänge zeigen sich beim Börsengang eines Unternehmens, einem Initial Public Offering (IPO) sowie bei der Emission einer Anleihe. Das Geld fließt den Unternehmen und dem Staat zu. Dann ziehen sich die Emittenten (Unternehmen, Staat) vom Marktgeschehen zurück. Bei einer Emissionen oder einem Börsengang stellen beide Seiten (Emittenten sowie Zeichner) Vergleiche an. Das heißt, eine jede Emission und ein jeder Börsengang laufen in einer marktähnlichen Umgebung ab. Sie wird als Primärmarkt bezeichnet. Abb. 3: Zeitablauf vor einem IPO und kurz danach. Diejenigen Anleger, die am Primärmarkt gezeichnet haben und denen die neuen Wertpapiere zugeteilt worden sind, können als Eigentümer der Wertpapiere diese dann an andere Anleger verkaufen. Dieser sich an die Börseneinführung anschließende Handel ist jener, der üblicherweise als Börsengeschehen angesehen wird. Auch hier werden natürlich Ver- Genaue Evaluation und Entwicklung / Consulting Vorbereitung auf den Börsengang Marketing Roadshow 6 Monate bis 2 Jahre 3 Monate 1 Monat 1 Monat Unterstützung an der Börse . . . Screening möglicher Unternehmen und Unterzeichnung eines Letter of Intent (LOI) <?page no="34"?> 2.2 Informationserzeugung 35 gleiche angestellt, und die Börse unterstützt diese durch Transparenz hinsichtlich der Situation von Angebot (bisheriger Anleger) und Nachfrage (neuer Anleger). Dieses Finanzmarktgeschehen macht den Sekundärmarkt aus. Der Primärmarkt wird durch Investmentbanken geführt, die für einen Emittenten (Kapitalverwender) die Aufgabe übernehmen, die neuen Aktien oder die neuen Anleihen anzubieten. Die Investmentbanken sprechen bereits im Vorfeld private und institutionelle Anleger an, um sie als Finanzinvestoren zu gewinnen. Meistens gibt die Investmentbank dem Emittenten die Garantie (sie unterschreibt dieses Versprechen, weshalb es als Underwriting bezeichnet wird), dass das gesamte Volumen neuer Wertpapiere bei Finanzinvestoren untergebracht werden kann. Notfalls, wenn zu wenige Finanzinvestoren zeichnen, werden die Anleihen oder die Aktien von der Investmentbank selbst für einige Zeit „in die eigenen Bücher“ genommen und als Eigenbestand gehalten. Das ist eine wichtige Dienstleistung, für welche die Emittenten entsprechend bezahlen müssen. Einige der Emittenten verzichten auf die Dienste der Investmentbanken. Sie versuchen dann eine Kapitalaufnahme mittels von Privat-Platzierungen, etwa Platzierungen über das Internet. Bei einigen Staatspapieren sowie bei kurzfristigen Geldmarkt-Buchforderungen übernimmt oft das Schatzamt des Staates selbst die Platzierung und wendet sich direkt an die interessierte Öffentlichkeit von Anlegern, ohne den teuren Weg über die Intermediation einer Investmentbank einzuschlagen. Merkpunkte 1. Der Emissionsvorgang oder die Börseneinführung neuer Wertpapiere läuft in einer marktähnlichen Weise ab: Es gibt zahlreiche Vergleiche mit anderen Emissionen. So kann hier von einem Markt gesprochen werden. Der Markt für die Neueinführung von Wertpapieren ist der Primärmarkt. 2. Von einem Sekundärmarkt oder Sekundärhandel spricht man, wenn bereits im Markt vorhandene Papiere getauscht werden. 3. Während sich auf dem Primärmarkt bei der Börseneinführung die Personen mit Anlagewunsch und die Personen mit Finanzierungsbedarf (Emittenten) gegenüberstehen, ist das nach der Emission beim sich anschließenden Handel mit den bereits eingeführten Wertpapieren anders. Auf diesem Sekundärmarkt stehen die bisherigen Halter von Wertpapieren neuen Haltern gegenüber. Der Kauf und Verkauf von Wertpapieren, die bereits früher in den Handel aufgenommen worden sind, spielt sich innerhalb der Gruppe der Anleger oder Finanzinvestoren ab - die eigentlichen Verwender des Kapitals oder Emittenten der Wertpapiere bleiben unbeteiligt draußen. Die Tatsache, dass durch den Sekundärmarkt die eigentlichen Kapitalverwender kein neues Geld erhalten, hat oft für Unverständnis gesorgt. Es heißt dann, die Börse sei ein reines Spielkasino, das weder den das Kapital benötigenden Unternehmen noch dem Staat etwas nütze. Der Handel im Sekundärmarkt ist durch starken Wettbewerb, Hektik und die schnelle Reaktion auf neue Informationen geprägt: Preise werden augenblicklich bekannt gegeben, und jedermann kann Wertpapiere bieten und nachfragen. Das aktuelle Orderbuch listet die gerade eingegebenen und noch nicht verwirklichten Transaktionswünsche auf. Das Orderbuch ist eingetragenen und an der Börse zugelassenen Personen zugänglich. <?page no="35"?> 36 2 Kapitel: Liquidität und Effizienz Der Handel im Sekundärmarkt erzeugt jedoch Liquidität. Wenn Finanzkontrakte Liquidität aufweisen, dann begnügen sich die Kapitalgeber mit einer geringeren Rendite (wie unser Gedankenexperiment illustrierte). Aufgrund der geringeren Rendite hat der Kapitalverwender (Unternehmung, Staat) einen Vorteil in Form geringerer Kapitalkosten. Welches sind die Vorteile geringerer Kapitalkosten? Von den mit dem finanzierten Realkapital erwirtschafteten Ergebnissen muss weniger an die Kapitalgeber abgezweigt werden, da sie sich mit weniger zufrieden geben. Das wirkt wie ein Paradoxon: Wer sozial eingestellt und am Schutz der Umwelt interessiert ist, vielleicht der kapitalistischen Wirtschaftsordnung kritisch gegenübersteht, der sollte eigentlich für die Verbriefung und die Einrichtung von Börsen als Grundlage für die Schaffung von Liquidität votieren. Denn durch die Liquidität wird es leichter und günstiger, Finanzierungen für die Realwirtschaft zu erhalten. Ein größerer Teil der in der Realwirtschaft erzielten Ergebnisse kann folglich an die Mitarbeiterschaft als Löhne weitergegeben werden, und ein höherer Teil kann für den Schutz der Umwelt verwendet werden. Mit der Liquidität hängt eine zweite positive Eigenschaft zusammen, die Finanzmärkte bieten. Liquidität bedeutet, dass die Transaktionskosten gering sind. Bei geringen Transaktionskosten kann jedermann ein Portfolio aus verschiedensten Wertpapieren zusammenstellen. Es ist für Anleger daher leichter möglich, den Gesamtbetrag auf unterschiedlichste Wertpapiere zu streuen. Das heißt, es kann leichter auf Diversifikation geachtet werden. Bei der Portfolio-Selektion steht die Diversifikation von Risiken im Vordergrund, weshalb Finanzmärkte auf diese Weise eine bessere Allokation der Risiken erlauben. Sind hingegen (in einer Welt ohne fungible Finanzkontrakte) die Transaktionskosten hoch, dann wird jeder Anleger sich auf eine einzige oder einige wenige Anlagen konzentrieren, um Transaktionskosten zu reduzieren. Die Bildung eines gut diversifizierten Portfolios wäre bei hohen Transaktionskosten zu teuer. Als zweite, günstige Eigenschaft ist demnach die Allokation der Risiken hervorzuheben. 2.2.2 Allgemeine Informationen als Basis für Entscheidungen Über die Erzeugung von Liquidität und die gute Allokation von Kapital und Risiken hinaus bieten Finanzmärkte eine Informationsverarbeitung. Natürlich eignen sich Finanzmärkte hervorragend für Wetten über den weiteren wirtschaftlichen Verlauf. Jeder darf mit wetten, doch muss man sein eigenes Geld setzen, um Information einzubringen. Das ist doch anders, als wenn ein Professor ein Gutachten verfasst aber letztlich nicht für die Richtigkeit seiner Aussagen haften muss. Im Finanzmarkt kann jemand viel Geld gewinnen, wenn er oder sie auf Informationen setzt, die sich später als richtig herausstellen. Gleichermaßen kann im Finanzmarkt jede Person verlieren, wenn sie auf Althergebrachtes setzt und sich wenig darum kümmert, ob die Welt inzwischen weitergegangen ist. Dabei ist es so, dass jene, die eigenständig Informationen beschaffen und verarbeiten, einem hohen Leistungsdruck ausgesetzt sind: Diejenigen, die bei der Informationsbeschaffung und der Informationsverarbeitung gut sind, ringen mit denjenigen, die das noch besser und schneller machen. Auf diese Weise drückt <?page no="36"?> 2.2 Informationserzeugung 37 das Handelsgeschehen über die Preise schnellstens all die Information aus, die eine Zusammenfassung, ein Aggregat wiederum jener Informationen darstellt, aufgrund derer diejenigen tatsächlich entschieden haben, die Transaktionen vorgenommen haben. Durch den eben angesprochenen Leistungsdruck dürften die Informationen der einzelnen Investoren und Financiers korrekt sein und schnell in Handel umgesetzt werden. Entsprechend vermitteln die Preise ein Aggregat, das korrekt und praktisch ohne zeitliche Verzögerung diese Informationen zusammenfasst. Es wird also nicht passieren, dass die Beurteilung und Bewertung einer Unternehmung vielleicht schon längst passé ist und sich der Aktienkurs dennoch nicht bewegt. Ebenso wird es an den Finanzmärkten nicht passieren, dass die Zinsen steigen, dass also höher verzinste Anlagemöglichkeiten in Kürze möglich sind, und die laufenden Anleihen mit ihrem für die gesamte Laufzeit festgeschriebenen Kupon immer noch zum alten Kurs gehandelt werden. Die Finanzmärkte bieten aggregierte Informationen über die allgemeine Einschätzung der wirtschaftlichen Zukunft in korrekter und stets aktueller Weise. Diese Informationen drücken sich in den Kursen oder Preisen der Wertpapiere aus. Nun kann eine einzelne Person immer eine persönliche Sicht der Dinge haben. Oft werden Querdenker gelobt. Doch wer Entscheidungen über große Ressourcen trifft oder über die Gelder von Kunden und dann Rechenschaft abgeben sollte, der wird sich an den allgemeinen Informationsstand halten und es meiden, irgendeiner Anekdote oder einem Tipp höheres Gewicht beizumessen. Die Manager von Unternehmen und der Staat sind daher gut beraten, wenn sie die Informationsquelle, die Finanzmärkte bieten, bei Entscheidungen nutzen und diesen Informationen letztlich Folge leisten. So kommt es, dass bei den Investitionsentscheidungen der Unternehmen „die Sicht der Finanzmärkte“ hineinspielt. Weil die Finanzmärkte aktuell und gut über die allgemein geteilten Einschätzungen der wirtschaftlichen Zukunft informieren, nimmt die Entscheidungsqualität der Unternehmungen und des Staates zu. Beispiel: Eine Unternehmerin möchte ein Projekt angehen, das eine Rendite von 6% erwarten lässt. Das Projekt gefällt ihr, und sie möchte keine weitere Projektbeurteilung erhalten. Doch an den Finanzmärkten ist durch das Angebot und die Nachfrage nach Kapital die Situation entstanden, dass bei vergleichbarem Risiko 8% Rendite erwartet werden können. Die Unternehmerin sollte sich von den Finanzmärkten belehren lassen, dass ihr Projekt zu wenig Rendite bietet. Merkpunkte 1. Erinnern wir uns an die genannten Quellen für die gesamtwirtschaftliche Wohlfahrt (Spezialisierung und Arbeitsteilung sowie der Einsatz von Realkapital). Mit den zusätzlichen Vorteilen, die Finanzmärkte bieten, sind insgesamt drei Quellen für den „Wohlstand der Nationen“ ausfindig gemacht. Hier sind sie nochmals zusammengestellt: 2. Die Spezialisierung und Arbeitsteilung mit anschließendem Tausch, die Gestaltung dieses Tauschs durch Märkte und die Erleichterung des Marktgeschehens durch die Einführung von Geld. <?page no="37"?> 38 2 Kapitel: Liquidität und Effizienz 3. Der Einsatz von Realkapital, die Einführung von Finanzverträgen zur Finanzierung des Realkapitals und das Bankensystem zur Unterstützung der Abschlüsse von Finanzverträgen. 4. Die Verbriefung von Finanzverträgen als Wertpapiere und die Schaffung von Märkten, eben Finanzmärkten, für den Handel mit diesen Wertpapieren: Die Liquidität reduziert die Kapitalkosten, diversifizierte Portfolios verbessern die Risikoallokation, und die an den Finanzmärkten erzeugten aktuellen Informationen verhelfen zu besseren Entscheidungen in der Realwirtschaft. 2.3 Drei Leistungen idealer Finanzmärkte 2.3.1 Arbitragefreiheit Es gibt immer Unterschiede zwischen dem idealen Markt, so wie er in der Volkswirtschaftslehre als Modell gezeichnet wird, und den konkreten Finanzmärkten des Wirtschaftslebens. Deshalb wurde von marktähnlichen Abläufen gesprochen. Selbst wenn die einem Markt zugedachten Funktionen in der Wirklichkeit recht gut ausgeführt werden, bleiben gewisse Unterschiede zum Ideal. Welche Eigenschaften sollte dann ein Finanzmarkt aufweisen? Viele Experten würden zunächst fordern, der Markt solle für einen Ausgleich von Angebot und Nachfrage sorgen (Markträumung). Geschieht das, sei er im Gleichgewicht. Doch allein die Markträumung ist etwas wenig. Es könnte bei diesem Gleichgewichtsbegriff durchaus sein, dass zwar alle Anbieter und Nachfrager, deren Transaktionswünsche ausgeführt werden, zufrieden sind, ruhig werden und keine weiteren Transaktionswünsche mehr äußern. Aber trotzdem könnten noch Arbitrageure auftreten um mit einer Sequenz von Transaktionen Verbesserungen für sich zu erreichen. Dann wäre der Finanzmarkt zwar „geräumt“, aber nicht frei von Arbitragemöglichkeiten. Ein Arbitrageur versucht, durch Sequenzen oder Kombinationen von Transaktionen, etwa durch Zusammenlegen einiger Kontrakte oder durch Auftrennung eines Kontraktes in Komponenten, noch einen Gewinn zu erzielen, und zwar ohne Kapital einzusetzen und ohne Risiken einzugehen. Arbitrage soll mit einem Zahlenbeispiel am Devisenmarkt erklärt werden: Es werden Dollar, Euro und Yen gehandelt. Die Marktteilnehmer äußern ihre Wünsche, es kommt zu Transaktionen. Der Markt wird schließlich geräumt, alle Marktteilnehmer scheinen zufrieden zu sein. Es haben sich beispielsweise diese Preise eingestellt: 1 Euro kostet 1,30 Dollar, 1 Euro kostet 120 Yen und ein 1 Dollar kostet 90 Yen. Der Markt ist also geräumt. Beispielsweise gab es Personen, die Dollar gegen Euro kaufen oder verkaufen wollen. Diese Personen kennen ihre persönliche Situation und beobachten den Marktpreis: 1 Euro zu 1,30 Dollar. Niemand von ihnen möchte nun noch kaufen oder verkaufen. Die Preise der anderen Währungen (darunter Yen) beobachten sie nicht. Der EUR-USD-Markt ist geräumt. Ganz ähnlich mit den anderen Währungspaaren. So gab es <?page no="38"?> 2.3 Drei Leistungen idealer Finanzmärkte 39 Personen, die stets Yen kauften und mit Euro bezahlten. Nun kosten 120 Yen 1 Euro, das heißt, 100 Yen kosten 83,33 Eurocent, womit diese Personen keine weitere Nachfrage nach Yen äußern. Der Markt ist geräumt. Arbitrageure beobachten nun nicht nur zwei, sondern gleichzeitig drei (und mehr) Währungen und überprüfen mehrere Währungsparitäten parallel. Dann rechnen sie nach, ob durch eine Kombination mehrerer Transaktionen in mehreren Währungen oder durch eine Sequenz von Transaktionen ein „Ungleichgewicht“ bei den Währungsparitäten ausgenutzt werden kann. Bei den gegebenen Zahlen erkennt ein Arbitrageur diese Möglichkeit, Gewinn zu erzielen: Der Arbitrageur sieht, dass zwar 1 Euro gegen 1,30 Dollar getauscht werden kann, doch aufgrund der anderen beiden Paritäten könnten 1 Euro gegen 120 Yen und 1,30 Dollar gegen 1,30 · 90 = 117 Yen getauscht werden. Das ist ein Ungleichgewicht. Der Arbitrageur kauft 13 Dollar und verspricht, sogleich mit 1170 Yen zu bezahlen. Er besorgt sich die 1170 Yen, indem er mit 1170/ 120 = 9,75 Euro zu zahlen verspricht. Die 9,75 Euro besorgt sich der Arbitrageur schnell, indem er die gerade gekauften 13 Dollar nimmt und in Euro tauscht. Dafür erhält er 10 Euro. Also hat er 25 Eurocent gewonnen. Er musste keine eigenen Mittel einsetzen, um den Gewinn zu erhalten. Es gab für ihn keine Risiken. Der Arbitragegewinn wird folglich im Jargon als Free Lunch bezeichnet. Arbitrage ist ein Esel, der Golddukaten scheißt. Wohl alle Forscher würden darin übereinstimmen: Ein Finanzmarkt ist erst dann im Gleichgewicht, wenn er nicht nur geräumt, sondern darüberhinausgehend auch arbitragefrei ist. Das bedeutet: Es ist durch Kombinieren diverser Finanzkontrakte, eventuell unter Einschluss von Leerverkäufen, nicht möglich, ganz ohne Einsatz und ohne Risiko etwas zu verdienen. Die Gleichgewichtsbedingung der Arbitragefreiheit verlangt dies: Wenn Kontrakt A im Markt den Preis 5 hat, Kontrakt B den Preis 4 hat, und wenn die Kombination aus A und B identisch ist mit Kontrakt C, dann muss Kontrakt C den Preis 9 haben. Gleichermaßen ist es im Gleichgewicht (Arbitragefreiheit) nicht möglich, Finanzkontrakte zu zerlegen und dabei ohne Einsatz und ohne Risiko Geld zu erhalten. Wenn sich Kontrakt D in Kontrakte E und F zerlegen lässt, dann muss im arbitragefreien Finanzmarkt der Kontrakt D einen Preis haben, der exakt der Summe der Preise der Kontrakte E und F entspricht. Finanzmärkte sind in der Realität praktisch immer arbitragefrei. Sie bieten allenfalls sehr kurzfristig gewisse Möglichkeiten zu Arbitrage. Daher ist die Annahme, Finanzmärkte seien arbitragefrei, durchaus konform mit der Wirklichkeit. Das Konzept der Arbitragefreiheit wird jedoch weniger bei Gütermärkten diskutiert, weil bei Transaktionen auf Gütermärkten immer gewisse Transaktionskosten anfallen. Auch wenn die Preise eine Arbitrage zuließen, kann sie in der Praxis wegen der meist hohen Transaktionskosten nicht ausgenützt werden. Weil in Finanzmärkten die Transaktionskosten sehr gering sind, lassen sich leicht auch Sequenzen von Transaktionen verwirklichen. Daher spielt das Thema, ob ein Markt arbitragefrei ist oder nicht, bei Finanzmärkten eine große Rolle, während es bei Gütermärkten nur eine geringe praktische Bedeutung besitzt. <?page no="39"?> 40 2 Kapitel: Liquidität und Effizienz 2.3.2 Vollständigkeit und „Thickness“ Nach Arbitragefreiheit und Informationseffizienz ist eine weitere Eigenschaft, die von Finanzmärkten gewünscht wird, deren Vollständigkeit. Sie ist gegeben, wenn es für alles Denkbare einen passenden Finanzkontrakt gibt. Wenn jemand sich gern gegen einen Preisverfall bei Rohöl absichern möchte, soll es dazu einen passenden Vertrag geben. Wenn jemand auf den Ausgang politischer Wahlen spekuliert, soll es einen Finanzkontrakt geben, der dies bewerkstelligt. Ein vollständiger Markt zeichnet sich dadurch aus, dass es für alle denkbaren Zustände, in denen sich morgen unsere Welt befinden könnte, Verträge gibt, die einen Euro bieten, falls dieser Zustand eintritt, und dass alle diese Verträge Preise haben. Die Realität zeigt, dass Finanzmärkte ziemlich vollständig sind. So sind in den Finanzmärkten Wetten möglich, die über den Ausgang von Wahlen geschlossen werden. Katastrophen- Bonds (Cat Bonds) werden ausgegeben, die den Partnern des Finanzkontrakts bei bestimmten Naturereignissen eine Zahlung leisten beziehungsweise eine Zahlung erlassen. Credit Default Swaps leisten dies im Fall von Kreditausfällen (Defaults). Neue Investmentfonds decken Micro Finance ab, und so fort. Die Vollständigkeit ergibt sich aus der Innovation der Investmentbanken. Kaum wird ein neues Ereignis denkbar oder erhält mediale Aufmerksamkeit, so etwa die Nahrungsmittelversorgung in den Entwicklungsländern, entwerfen Investmentbanken passende Strukturierte Produkte und bieten sie den Finanzinvestoren an. Als Market-Maker gestalten die Investmentbanken auch einen Handel in den von ihnen ausgegebenen Strukturierten Produkten. Da kann es nicht ausbleiben, dass es irgendwann verschiedenste Kontrakte gibt, die in Kombination auf dieselbe Position führen. Beispiel 1: Eine Person möchte Geld auf drei Jahre in einer Anleihe anlegen. Stattdessen könnte die Person ihr Geld nur auf zwei Jahre anlegen und zugleich ein Termingeschäft abschließen (Preisbildung und Abschluss heute), bei dem der in zwei Jahren frei werdende Geldbetrag für das dritte Jahr angelegt wird. Beispiel 2: Eine Person möchte einen Dollarbetrag in Euro tauschen. Sie könnte direkt Euro gegen Dollar kaufen. Stattdessen könnte sie mit ihren Dollar zuerst Yen kaufen und diese dann in Euro tauschen. An den Finanzmärkten führen meistens mehrere Wege nach Rom. Die Wirkungen der meisten Finanzkontrakte können durch Kombinationen anderer Finanzkontrakte ersetzt werden. Dann müssen diese verschiedenen Wege für Finanzinvestoren alle denselben Geldeinsatz verlangen, also denselben Preis haben. Denn andernfalls würden die Finanzinvestoren alle denselben Weg wählen, und die Teilmärkte für die Instrumente der anderen Kombinationen, die zur selben Finanzposition führen, würden austrocknen. Einige würden sehen, dass Arbitrage möglich ist: Sie würden die betrachtete Finanzposition auf einem (dem günstigeren Weg) erwerben und auf dem Weg mit dem höheren Preis verkaufen. Mithin gibt es an den Finanzmärkten im Allgemeinen mehrere Wege, die zu einer gewissen Finanzposition führen, also zu gewissen Zahlungen in der Zukunft, die hinsichtlich aller relevanten Merkmale wie Zeitpunkte und Höhen der Zahlungen und Risiken völlig über- <?page no="40"?> 2.3 Drei Leistungen idealer Finanzmärkte 41 einstimmen. Arbitragefreiheit vorausgesetzt, haben alle diese Wege denselben Preis, keiner kann günstiger oder teurer als ein anderer sein. Merkpunkt: Wenn es mehrere Wege, Transaktionen, oder Sequenzen von Transaktionen gibt, die alle auf identische Finanzpositionen führen, dann müssen sie, weil der Markt als arbitragefrei anzunehmen ist, alle denselben Preis haben. Damit sind die Preise für Transaktionen, Wertpapiere, Finanzpositionen aneinander gebunden. Dies wird auch so ausgedrückt: Die Preise für einen Kontrakt sind in den Preisen anderer Kontrakte verankert. Dadurch hängt die Preisbildung in einem Teilmarkt (etwa dem Handel von EUR und USD) auch von der Preisbildung in anderen Teilmärkten ab (wie etwa dem Handel von YEN und USD sowie dem Handel von EUR und YEN). Aufgrund der gegenseitigen Verankerung gewinnt die Preisbildung an Sicherheit. Beispielsweise hängt die im Teilmarkt EURUSD gefundene Währungsparität nicht nur vom Angebot und der Nachfrage seitens jener Akteure ab, die EUR verkaufen beziehungsweise kaufen und in USD abrechnen wollen. Die Währungsparität EURUSD hängt ebenso von Angebot und Nachfrage in den anderen Teilmärkten für Währungen ab. Dadurch ist die Preisfindung breit abgestützt. Weist ein Finanzmarkt viele solche Substitutionsmöglichkeiten auf, dann ist er nicht dünn, sondern wird als dick („thick“) angesehen. Finanzmärkte sind für die meisten Finanzpositionen breit und zusammenhängend. Wir werden noch besprechen, dass die finanziellen Positionen, die einem Inhaber durch Optionen verschafft werden, ebenso durch Portfolios aus anderen Kontrakten nachgebildet oder repliziert werden können. Infolgedessen kann der Preis für die Option aus den Preisen dieser Replikationsportfolios abgeleitet werden. Die Finanzposition der Option kann abgeleitet werden, sie ist ein Derivat. Selbstverständlich gibt es auch gewisse, recht spezielle Vermögenspositionen, die nicht oder nicht so einfach durch Kombinationen anderer Positionen substituiert werden können. Ein Beispiel dafür ist Gold. Der Preis für Gold ist praktisch nirgendwo verankert. Man kann nicht einmal sagen, er solle mit dem Preis für Silber zusammenhängen. Im Sinn der eben eingeführten Sprechweise ist der Markt für Gold dünn (auch wenn vielleicht die Handelsvolumina hoch sein mögen). Daher hat Gold den Preis oder den Wert, der sich aus der augenblicklichen Nachfrage und dem augenblicklichen Angebot nach Gold ergibt. Die Preise für andere Vermögenspositionen spielen da nicht hinein. An dieser Stelle kann eine Aussage über den Preis getroffen werden, zu dem Finanzinvestoren bereit sind, ein Wertpapier zu kaufen. Denn für zahlreiche Anleihen oder sogar auch Aktien gibt es perfekte Substitute oder zumindest nahe Alternativen. Wer Interesse am Kauf einer Anleihe oder einer Aktie hat, wird sich daher fragen, welche Zahlungen das Wertpapier seinem Inhaber ab jetzt bringen dürfte. Es kommt bei der Bewertung also zuvorderst auf die Zahlungen an, die das Wertpapier in Zukunft abwirft. Diese Zahlungen wird der Kaufinteressent mit den Preisen anderer Kapitalanlagen und den von diesen erzeugten Zahlungen vergleichen. An zweiter Stelle kommt es bei der Bewertung einer Anleihe oder Aktie mithin auf die Alternativen an, die es im Markt gibt. Jeder Kaufinteressent bewertet eine Anleihe oder Aktie relativ zu diesen Alternativen. Bei diesem Vergleich wird der Kaufinteressent sich an gewisse Kennzahlen halten, um die Finanzposition besser in ihren Eigenschaften zu charakterisieren. Dazu gehören die erwar- <?page no="41"?> 42 2 Kapitel: Liquidität und Effizienz tete Rendite und das Ausmaß von Unsicherheit. Selbstverständlich werden Kaufinteressenten darauf achten, die erwarteten Renditen von Kapitalanlagen nur dann einander gegenüberzustellen, wenn sie ein vergleichbares Risiko aufweisen. Der Wert einer Finanzposition wird erstens durch die in der Zukunft erzeugten Zahlungen begründet, also die Höhen der Zahlungen, die Zahlungszeitpunkte und die Risiken sowie zweitens durch die Preise für perfekte Substitute oder ähnliche Alternativen. 2.3.3 Informationseffizienz Finanzmärkte stellen mit den erzeugten Preisen oder Kursen nützliche Informationen zur Verfügung. Diese Informationen sind aus der Zusammenfassung aller Transaktionen entstanden. Die von den Finanzmärkten bewerkstelligte Informationsverarbeitung soll möglichst korrekt, schnell und leicht von statten gehen. Eine Eigenschaft, die Finanzmärkte haben sollten, ist also die Effizienz bei der Informationsverarbeitung oder kurz die Informationseffizienz. In einem informationseffizienten Markt kann aus den Preisen sehr viel darüber abgelesen werden, was die Allgemeinheit der Transakteure erwartet, wie sie Positionen einschätzen, welche zukünftigen Entwicklungen sie prognostizieren und so fort. Die Preise in einem informationseffizienten Markt spiegeln daher stets aktuell und unverzerrt die allgemeinen Erwartungen aller Marktteilnehmer. Wie schon gesagt, kann eine einzelne Person immer anders denken als die Allgemeinheit. Es mag auch unterhaltend sein, kleinere Beträge bei einem Glückspiel zu setzen, ein Spielcasino zu besuchen, oder eine Wettposition einzunehmen. Doch wenn es um viel Geld geht, vielleicht sogar um das Geld von Kunden, denen Rechenschaft gegeben werden muss, sollten Finanzentscheidungen getroffen werden, die mit dem Informationsstand der Allgemeinheit harmonieren. Für Entscheidungen und Bewertungen hat größere Bedeutung, was die an den Finanzmärkten Teilnehmenden in ihrer Gesamtheit denken. Die großen Investoren sind Finanzinstitutionen (Banken, Versicherungen, Pensionsfonds), die das Geld der Kundschaft anlegen und der Kundschaft Rechenschaft gegeben müssen. Da ist verlangt, dass sie Best-Practices, anerkannten Methoden und allgemeinen Einschätzungen gefolgt sind, und nicht einem spontanen, persönlichen Einfall. Informationseffiziente Märkte bieten von daher genau die Informationen, die jemand benötigt, um in Harmonie mit der allgemeinen Einschätzung zu handeln. Das ist wohl eine kluge und erfolgversprechende Strategie - auch wenn immer wieder Anekdoten berichten, dass ein Querdenker durch Glück zu Erfolg gekommen ist. Informationseffiziente Märkte bieten in diesem Sinn die Grundlagen für „richtige“ Entscheidungen, das heißt, für Entscheidungen, die einer Entscheidungsfindung folgen, die unter Experten als gut fundiert beurteilt wird. Die Entscheidungsfindung sollte dazu wissenschaftliche Erkenntnisse verwenden, Best-Practices folgen, und vor allem sollte sie korrekte und möglichst umfassende Informationen zur Sache berücksichtigen. In finanziellen Dingen können solchermaßen gute Entscheidungen getroffen werden, indem den von Finanzmärkten erzeugten Preissignalen gefolgt wird - sofern die Fi- <?page no="42"?> 2.3 Drei Leistungen idealer Finanzmärkte 43 nanzmärkte informationseffizient sind. Ein Investor oder ein Finanzier kann, auf die Finanzmärkte blickend, gute Entscheidungen finden, und zwar ohne noch andere Informationsquellen zu aktivieren oder andere Einzelpersonen zu befragen. Von daher darf gesagt werden, dass in informationseffizienten Märkten alle Teilnehmenden denselben Informationsstand haben. Denn da die Preise öffentlich sind, haben in einem informationseffizienten Markt alle einen gleich guten Informationsstand. Zudem kann niemand eine andere Person übervorteilen, nur weil sie vielleicht anderes Wissen hat (mit Ausnahme von Insidern, die zuverlässige Kenntnisse haben, die noch nicht in den Markt getragen worden sind). Auch in einem informationseffizienten Markt kann jemand andere Erwartungen haben, doch meistens sind diese persönlichen Einschätzungen nicht so breit und objektiv verankert wie die Zusammenfassung des Wissens aller Transakteure, die von den Preisen vermittelt wird. In der Folge kann jeder Investor oder Finanzier kaufen und verkaufen, auch ohne persönlich noch weiter nachzurechnen. Der informationseffiziente Markt schützt daher jene, die sich nicht mehr eigenständig informieren. Auch jene Personen, die sich weniger gut auskennen und die sich nicht ausführlich mithilfe anderer Informationsquellen unterrichten, können daher kaufen und verkaufen wie sie es gerade wünschen. Sie können stets darauf vertrauen, dass sie aufgrund ihres mutmaßlich geringen persönlichen Wissens keine Nachteile im Markt haben. Abb. 4: Markteffizienz: Wenn die Markt-Effizienz-Hypothese (MEH) gültig ist, dann können Informierte, Halbinformierte und Uninformierte alle dasselbe Anlageergebnis erwarten. Besonders wenn der Finanzmarkt für das Publikum geöffnet werden soll, ist Informationseffizienz wichtig. Denn dem Publikum muss die Angst genommen werden, von Personen übervorteilt werden zu können, die mehr wissen könnten. Die Forschung zeigt, dass viele Finanzmärkte informationseffizient sind oder dem Ideal der Informationseffizienz recht nahe kommen. Die Informationseffizienz bedeutet, dass neue Nachrichten über die wirtschaftliche Zukunft sich praktisch sofort und korrekt in den Kursen niederschlagen. Gelegentlich stehen die Termine fest, zu denen neue Nachrichten eintreffen werden, doch der Inhalt der Meldungen ist vorher nicht bekannt. Das ist zum Beispiel so bei Sitzungen der Gouverneure einer Zentralbank oder bei den regelmäßigen Publikationen von Wirtschafts- Uninformierte: kein Aufwand und quasi zufällige Anlage Güte der Informationsbeschaffung, Ausgereiftheit der Anlagestrategie Ergebnis Halbinformierte Informierte <?page no="43"?> 44 2 Kapitel: Liquidität und Effizienz daten wie Arbeitslosigkeit durch die statistischen Ämter. Vielfach ist nicht einmal der Termin bekannt, zu dem Nachrichten eintreffen und daher völlig überraschen. Wirklich neue Nachrichten sind in ihrem Inhalt und dem Zeitpunkt wie den Umständen ihres Eintreffens überraschend. Die Empirie zeigt, dass sich in der Wirkung die Kurse nicht in völliger Ungewissheit verändern, sondern eher durch Zufallsprozesse beschrieben werden können. Gleichsam folgen dem Zufallsprozess der Meldungen dann auch die Preise an einem informationseffizienten Markt einem Zufallsprozess. Welche Parameter die Wahrscheinlichkeitsverteilung bestimmen, kann durch empirische Beobachtungen geschätzt werden. 2.4 Fazit zum Kapitel Liquidität und Effizienz 2.4.1 Zusammenfassung Liquidität in einem Marktsegment heißt, dass die betreffenden Wertpapiere praktisch ohne Wartezeit und ohne große, durch die Transaktion bewirkte Preisänderung, gekauft oder verkauft werden können. Zwischen Liquidität und dem Kapitalismus besteht ein Zusammenhang. Auch in „anti-kapitalistischen“ Wirtschaften gibt es Realkapital und Eigentum an Produktivvermögen, und es bestehen Verträge, die dies alles regeln. Doch sie sind kaum übertragbar und schon kaum werden Finanzkontrakte als Wertpapiere an einer Börse gehandelt. Symbol des Kapitalismus sind weder Unternehmung noch Unternehmertum, sondern die Börse und die Liquidität. Ein Gedankenexperiment (Ziegeleien in Kuba und in Frankreich) verdeutlicht, dass durch die Liquidität die Kapitalkosten sinken und so auch den Arbeitenden Vorteile entstehen. Im Hinblick auf die Verbriefung (Securitization) müssen Primärmarkt und Sekundärmarkt unterschieden werden. Wer von „Finanzmärkten“ spricht, denkt oftmals nur an den liquiden Handel am Sekundärmarkt. Dort zeigen sich wünschenswerte Leistungen der Märkte: Nicht nur sind die einzelnen Marktsegmente jeweils geräumt. Durch die Verbindungen breit abgestützter Märkte - viele Wege führen nach Rom - gibt es schnell keine Arbitragemöglichkeiten mehr. Die Arbitragefreiheit hat enorme Bedeutung für die Bewertung - alle Wege nach Rom kosten dasselbe. Ein Wertpapier kann durch Kombinationen oder Portfolios anderer Wertpapiere nachgebildet, repliziert werden. Vor allem stärkt die Liquidität die Schnelligkeit und Korrektheit, mit der ein Markt Informationen verarbeitet. Die meisten Finanzmärkte sind zudem informationseffizient. Sie erzeugen Informationen darüber, wie die Investoren allgemein die wirtschaftliche Zukunft einschätzen. Die Information darüber, wie die Allgemeinheit denkt, ist wichtig für den einzelnen Investor. Denn aus guten Gründen wird auch der Einzelne bei seinen Entscheidungen die Einschätzungen der Allgemeinheit als Informationsbasis nehmen. <?page no="44"?> 2.4 Fazit zum Kapitel Liquidität und Effizienz 45 2.4.2 Lernpunkte 1. Wie Liquidität definiert ist: Orderwünsche werden schnell ausgeführt, bei Verkauf entstehen kaum Preisabschläge, bei Kauf keine nennenswerten Preiszuschläge. 2. Wie ein Gedankenexperiment (Kuba, Frankreich) den Wert von Liquidität zeigt. 3. Was Arbitragefreiheit bedeutet: Zwar können Finanzpositionen durchaus auf verschiedenen Wegen (durch Sequenzen von Transaktionen und Portfolios aus Finanzkontrakten) erzeugt werden, doch alle Wege haben exakt übereinstimmende Preise. 4. a) Warum Finanzmärkte darüber informieren, wie die am Marktgeschehen aktiv Teilnehmenden zusammen genommen die im Hinblick auf die gehandelten Finanzpositionen relevante Zukunft einschätzen. b) Warum Investoren gut beraten sind, wenn sie ihre eigenen Entscheidungen in Harmonie mit diesen allgemein geteilten Einschätzungen treffen. c) Dass in informationseffizienten Märkten diese benötigte Entscheidungsbasis schnell und korrekt über die Preise zur Verfügung steht. d) Dass deshalb in informationseffizienten Märkten zu allen Zeitpunkten alle Teilnehmenden eine gleich gute Informationsbasis haben. 2.4.3 Erwähnte Personen - 2.4.4 Schlüsselbegriffe Breit abgestützte Preise, Derivat, Free Lunch, Fungibilität, Liquidität, Kapitalismus, Kapitalkosten, Informationsverarbeitung, Informationseffizienz, Initial Public Offering (IPO), Orderbuch, Primärmarkt, Replikation, Replikationsportfolio, Securitization, Sekundärmarkt, Underwriting, Verbriefung, Vollständigkeit. 2.4.5 Fragen zur Lernstandskontrolle 1. Erläutern Sie, wie bei einer Verbriefung die Fungibilität verbessert und die Transaktionskosten gesenkt werden. Definieren Sie die Liquidität! In wiefern kann das Streben nach Fungibilität und Liquidität finanzieller Positionen als Merkmal des Kapitalismus verstanden werden? [Antwort: Abschnitt 2] 2. Erläutern Sie mit dem vorgeführten Gedankenexperiment, dass durch eine Senkung der Kapitalkosten Vorteile für alle gesellschaftlichen Gruppen, Arbeitnehmer eingeschlossen, möglich sind. [Antwort: Abschnitt 2] 3. Finanzmärkte sind oft „vollständig“ und „dick“ („thick“), und nur vereinzelte spezielle Segmente sind „dünn“. Was verbirgt sich hinter diesen Begriffen? In einem „dicken“ bzw. breit zusammenhängenden Markt, „führen viele Wege nach Rom.“ Preise seien dann „gut verankert“ und „breit abgestützt.“ Was ist damit gemeint? [Antwort: Abschnitt 2] <?page no="45"?> 46 2 Kapitel: Liquidität und Effizienz 4. Unterscheiden Sie Vorgänge am Primärmarkt von Transaktionen am Sekundärmarkt. Was passiert bei einer Börseneinführung, was passiert bei einem IPO? Was wird mit „Underwriting“ bezeichnet? [Antwort: Abschnitt 1.3.3] 5. Was wird unter Informationseffizienz verstanden? Warum ist diese Eigenschaft erwünscht? [Antwort: Abschnitt 1.3.3] <?page no="46"?> 3. Kapitel: Banken und Börsen Wirtschaftliche Kooperation, insbesondere die Kooperation zwischen einem Kapitalgeber und einem Kapitalverwender, kann grundsätzlich über alle Organisationsformen bewerkstelligt werden. Diese umfassen den Markt, die Hierarchie, die Bürokratie und die Familie. Der Markt beruht auf Vergleichen und auf dem Prinzip der freien Wahl des Partners. Die Hierarchie beruht auf einer Pyramide von Stellen, die Arbeitsschritte ausführen und dabei die Anweisungen der übergeordneten Stellen befolgen. Die Bürokratie befolgt Regeln und Gesetze, die umgesetzt werden. Und die Familie handelt aufgrund der Empathie im Kreis der Familienmitglieder. Welche der Organisationsformen sich für die Weitergabe finanzieller Positionen eignet, hängt von den jeweiligen Stärken und Schwächen ab, vor allem auch von den Kosten, zu denen Transaktionen bewerkstelligt werden. Für Finanzkontrakte kommen in erster Linie der Markt sowie Hierarchien in Frage. Der Markt wird durch die Börse symbolisiert, während die Hierarchien durch Banken repräsentiert werden, die eine „Intermediation“ zwischen Kapitalgeber und Kapitalnehmer vornehmen (Abschnitt 3.1). Organisationsform Entscheidungsfindung Markt Hierarchie Bürokratie Familie Vergleiche Autorität der Hierarchiespitze Befolgung von Regeln und Gesetzen Empathie Die Nachzeichnung von Höhepunkten in der historischen Entwicklung der Finanzmärkte in England, in den USA, in Deutschland und in der Schweiz zeigt die wechselvolle Geschichte, der die Finanzwirtschaft ausgesetzt war. Insgesamt sind die Finanzmärkte enorm gewachsen (Abschnitt 3.2). Die Größe der Finanzmärkte (Abschnitt 3.3) kann absolut als Gesamtbetrag definiert werden, also als Gesamtwert der laufenden und noch nicht abgewickelten Ansprüche auf Zahlungen. Die Größe kann auch relativ als Größenverhältnis zwischen Finanzmarkt und Realwirtschaft ausgedrückt werden, gemessen durch die so genannte Finanztiefe. Der Gesamtbetrag laufender Anleihen und der Gesamtwert von Aktien beliefen sich per 2012 gemäß einer Untersuchung des McKinsey Global Institute auf rund 225 Billionen Dollar. Er ist damit etwa 60 mal so groß wie die gesamte Wirtschaftsleistung in Deutschland - das Bruttoinlandsprodukt betrug 2736 Milliarden Euro (2013). Anschaulich gesprochen: Die Deutschen müssten über 60 Jahre hinweg ihre gesamte Wirtschaftsleistung hergeben, um die weltweit bestehenden finanziellen Ansprüche und Forderungen zu erfüllen. Die Finanztiefe wird als Summe weltweiter Schulden plus weltweiter Werte der Aktien von Unterneh- <?page no="47"?> 48 3 Kapitel: Banken und Börsen men geteilt durch die globale Wirtschaftsleistung definiert. Die (weltweite) Finanztiefe beträgt 356%. Die globalen Finanzmärkte sind demnach fast viermal so groß wie die weltweite Realwirtschaft. Abb. 5: Finanzmärkte: Der Devisenmarkt, der Markt für Swaps und die Finanzmärkte für Anleihen, Aktien und für Derivate hängen zusammen. Eigene Berechnungen auf Basis folgender Quellen: BIS Quarterly Review, December 2012, Statistical Annex; McKinsey Global Institute: Global Capital Markets 2013. Diese Größenverhältnisse sagen etwas über die Wechselwirkungen zwischen Finanzwirtschaft und Realwirtschaft aus. Wie immer bei einer beidseitigen Einflussnahme stellt sich die Frage, ob und wenn ja welche Seite die andere dominiert. Diese Frage hat zu unterschiedlichen Phasen der Entwicklung der Finanzmärkte ihre jeweiligen Antworten gefunden. Anfangs hatte die Finanzwirtschaft wohl die Rolle eines Dieners der Realwirtschaft, doch inzwischen wirkt die Finanzwirtschaft mächtiger. 3.1 Intermediäre 3.1.1 Transaktionskosten In der Volkswirtschaftslehre wird oft gefragt, mit welchen Maßnahmen die drei eben besprochenen Eigenschaften - Arbitragefreiheit, Informationseffizienz, Vollständigkeit - begünstigt oder erreicht werden können. Dahinter steht eine große Aufgabe für die Wirtschaftspolitik und die Gestaltung der Instanzen in der Finanzwirtschaft. Denn in der Wirklichkeit gibt es hier und da Marktunvollkommenheiten. Die Gründe liegen in der doch ab Zinsderivate Währungsderivate Commodityderivate Aktienderivate Credit Default Swaps Internationale Geldströme aufgrund Export und Import von Gütern und Diensten Geldströme für internationalen Kauf und Verkauf von Aktien Geldströme für internationalen Kauf und Verkauf von Bonds und Geldmarktpapieren Aktien und Immobilienwertpapiere Geld- und Kapitalmarkt Optionen, Futures, Rohstoffe Devisenmarkt- Internationale Kapitalströme Euro 5 Billionen p.a. Kapitalmarkt: Euro 130 Billionen Aktienmarkt: Euro 43 Billionen Nominalvolumen Euro 450 Billionen, davon Bruttomarktvolumen (= effektiv geleistete Zahlungen): Euro 20 Billionen <?page no="48"?> 3.1 Intermediäre 49 und zu vorhandenen Marktmacht einzelner Akteure, in Transaktionskosten, in einer gewissen Intransparenz und in Verhaltensrisiken. Viele dieser Unvollkommenheiten lassen sich in einem allgemeinen Sinn als das Vorhandensein von Transaktionskosten sehen und unter diesem Begriff subsumieren. R ONALD C OASE hatte 1937 erkannt, dass Tauschhandlungen auf realen Märkten nicht reibungslos ablaufen. C OASE hatte von den Kosten der Marktbenutzung gesprochen, doch heute ist der Begriff der Transaktionskosten üblicher. Transaktionskosten entstehen bei verschiedenen Schritten. Zunächst müssen sich die Akteure über Handelsmöglichkeiten orientieren. Es entstehen Such- und Informationskosten für das Finden geeigneter Gegenparteien. Parallel dazu müssen übliche und faire Tauschrelationen bestimmt und Bewertungen vorgenommen werden. Dann beginnt die Vertragsarbeit, die heute ohne Begleitung durch Rechtsanwälte zu riskant wäre. Es entstehen also Verhandlungskosten (für das Aushandeln der Vertragsbedingungen). Anschließend entstehen Kontrollkosten für die Überwachung der Einhaltung der Vertragsbestimmungen sowie allenfalls Kosten für Reorganisationen oder die Vollstreckung. Die Transaktionskosten hängen von der Form und der Organisation der Abwicklung von Geschäften ab. Wer etwa Geschäfte nur im Clan schließt, hat zwar geringe Suchkosten, weil er seine Freunde schon kennt. Aber freie Verhandlungen sind im Clan vielleicht nicht möglich. Wer nur mit „absolut zuverlässigen“ Partnern Verträge schließt, hat vielleicht geringere Kontrollkosten, doch möglicherweise sind die Gesamtkonditionen wenig attraktiv. Deshalb ist bei gewissen Transaktionen der offene Markt keine überlegene Organisation. An seine Stelle treten dann andere Organisationsformen, so etwa eine Hierarchie, eine Bürokratie, oder eine Abwicklung in einer einem Club oder einer Familie ähnlichen Umgebung. C OASE argumentiert, dass Transaktionskosten ein Grund für die Existenz von Unternehmen sind. Unternehmen können durch eine hierarchische interne Koordination die Anzahl der ansonsten erforderlichen Verträge beträchtlich reduzieren. Anders als wenn für jede Transaktion, für jeden Arbeitsschritt ein separater Vertrag mit den individuellen Leistungsträgern abzuschließen wäre, sind bei Unternehmungen lediglich Arbeitsverträge und im Übrigen Weisungen nötig. Durch die längerfristige vertragliche Integration der Tauschpartner bei einer Unternehmung lassen sich der Verhandlungsaufwand sowie die Anzahl der Einzelkontrakte reduzieren. Aufgrund einer geringeren Anzahl von Vertragsbeziehungen wickeln Unternehmen - oder generell: hierarchisch organisierte Institutionen - bestimmte Transaktionen effizienter ab als der Markt. Die Unternehmung stellt in diesem Licht einen Kern gerade nicht mehr marktfähiger Kooperationskontrakte dar. Folglich kommt es zu hierarchisch organisierten Einrichtungen, weil diese mit der Reduktion des Koordinationsaufwandes eine Effizienzsteigerung gegenüber einem Markt mit sich bringen. <?page no="49"?> 50 3 Kapitel: Banken und Börsen Aus dieser institutionsökonomischen Sicht existieren Unternehmen, weil sie bestimmte Transaktionen zu geringeren Kosten koordinieren können als dies im Markt oder in anderen Koordinationsmechanismen möglich wäre. Wieso aber werden die Unternehmen dann nicht immer größer und lösen den Markt als Koordinationsmechanismus vollständig ab? C OASE gab diese Erklärung: Auch innerhalb von Organisationen wie Unternehmen gibt es gewisse Koordinationskosten, und sie wachsen mit der Größe der Institution überproportional. Daher gibt es für jede Institution eine optimale Größe. Die nach der Institutionenökonomik optimale Größe ist dadurch charakterisiert, dass die Grenzkosten der internen Koordination in der Institution gleich hoch sind wie die durch den Einsatz der Hierarchie eingesparten Kosten der Marktbenutzung. 3.1.2 Finanzintermediäre Diese Argumentation gilt ebenso für Finanzmärkte, denn in Finanzmärkten entstehen auch gewisse Transaktionskosten. Dann können sich solche Intermediäre herausbilden, die zu einer Verringerung der Kosten der Marktbenutzung führen. Sie ersetzen in einem gewissen Bereich den freien Tausch durch eine Institution. Die Nutzung der von den Intermediären angebotenen Leistung lohnt sich, so lange deren Kosten tiefer sind im Vergleich zu jenen der direkten Koordination zwischen Anbietern und Nachfragern. Finanzintermediäre übernehmen die folgenden Aufgaben: 1. Allokation kontraktwilliger Interessenten: Suche und Selektion von kapitalnachfragenden Unternehmen und kapitalanbietenden Sparern. 2. Gestaltung der Vertragsinhalte, Bestimmung der Preise und Abgabe von Garantien. 3. Unterstützung der Vertragsausführung und Vertragsüberwachung, insbesondere bei längerfristigen Vertragsbeziehungen wie Kreditverträgen oder Versicherungsverträgen. Darüber hinaus nehmen Intermediäre gewisse Transformationen vor, also kleinere Produktionsschritte. Dazu gehört etwa die Bereitstellung von Informationen. Der Vorteil der Intermediation gegenüber einem freien Markt ergibt sich vor allem in Situationen, in denen die Anzahl kontraktwilliger Interessenten keinen Markt gestattet und ein solcher sich nicht bilden könnte - was zum Beispiel auf einem regional engen Immobilienmarkt der Fall ist, oder in denen angesichts von Verschiedenheiten die Kosten der Commoditisierung - eine Voraussetzung für das Marktgeschehen - zu hoch sind, und wo durch Informationsasymmetrien (Moral Hazard, Adverse Selektion) ein Markt zusammenbrechen würde, oder in denen ein Markt zu Preisen mit geringem Informationsgehalt führen würde (weil Qualitätsinformationen wichtig sind), sowie in Fällen, wo eine schnelle Allokation nicht verlangt wird (etwa beim Verkauf einer Familienunternehmung, wo der verkaufende Gründer vielleicht mehr Bedeutung auf die Weiterführung seines Lebenswerks als auf den erzielten Verkaufspreis und eine schnell ausgeführte Transaktion legt). <?page no="50"?> 3.1 Intermediäre 51 Abb. 6: Nicht alle Wertpapiere werden von privaten Personen im Rahmen der Vermögensverwaltung gehalten. Der große Teil aller Wertpapiere wird als Finanzvermögen von Unternehmen gehalten. Wichtige Intermediäre in der Finanzwirtschaft sind Banken. Banken ermöglichen Kunden den Zugang auf Finanzmärkte, sie wirken als Broker. In gewissen Bereichen wirken sie als Makler und bringen transaktionsbereite Parteien zusammen. Außerdem wirken Banken bei gewissen Finanzkontrakten als Market-Maker, und zwar bei langfristigen und wenig liquiden Kontrakten; so etwa im Kreditgeschäft. Im Kredit- oder Kommerzgeschäft nehmen Banken zudem gewisse Veränderungen an den Kontrakten vor. Die wichtigsten Transformationen einer Bank sind: Durch die Entgegennahme von Spargeldern in kleinen Beträgen und deren Ausleihe in größeren Kreditbeträgen vollzieht die Bank eine Transformation der Losgrößen der einbezahlten und ausgeliehenen Beträge. Die Bank hat kleine und große Kunden. Hinsichtlich der Laufzeit stimmen die Wünsche von Anlegern und Kreditnehmern selten direkt überein. Häufig haben Sparer eine Präferenz für eine kurze Anlagedauer - weil Privatpersonen in ihrem Leben immer mit Überraschungen konfrontiert werden, in denen sich unvorhergesehener Geldbedarf ergeben kann. Dagegen ziehen die Kreditnehmer längere Laufzeiten vor, da so ihre Planung erleichtert wird. Die Banken nehmen daher typischerweise kurz laufende Gelder entgegen und transformieren sie in Kredite längerer Vertragslaufzeit. Man spricht von einer Fristentransformation. Durch das eigene Engagement in der Kreditvergabe haben die Banken ein großes Interesse an einer effizienten Überwachung der Einhaltung von Vertragsbestimmungen. Durch dieses Monitoring der eingegangenen Kontrakte und durch Selektion der Kreditnehmer transformieren die Banken letztlich die geringere Bonität der Kreditnehmer in eine hohe Bonität der Bank. 3.1.3 Börsen Die Finanz- oder Kapitalmärkte eines Wirtschaftsraumes umfassen alle wirtschaftlich organisierten Formen und Einrichtungen für die Weitergabe von Finanzkontrakten (Kapital) in einer dem Markt ähnlichen Weise. Hinzu kommen Märkte für Instrumente, durch die vor- Vermögensverwaltung Von Unternehmen gehalten Euro 160 Billionen Geld- und Kapitalmarkt Aktien und Immobilienwertpapiere Euro 40 Billionen, davon 8 Billionen Offshore 32 Billionen Onshore <?page no="51"?> 52 3 Kapitel: Banken und Börsen nehmlich die Risikoweitergabe ermöglicht wird. Ferner gibt es Instrumente, Transaktionen, Stile und Handelsformen, bei denen die Informationserzeugung im Vordergrund steht. Wie bereits erwähnt, gibt es neben dem Markt andere Organisationsformen, so etwa die Hierarchie (eine Person an der Spitze entscheidet), ein Regelsystem (es geht formal wie in einer Bürokratie zu), oder die Familie (Empathie und Zugehörigkeit sind entscheidend). Eine dem Markt ähnliche Weise bedeutet, dass die Formen und Einrichtungen für die Weitergabe von Kapital weder einer Hierarchie gleichen, noch einer Bürokratie (auch wenn Finanzmärkte reguliert werden), und es geht auch nicht besonders familiär zu. Ein Markt bedeutet daher: Jede Person hat Zugang und kann in freien Kontakt mit anderen treten, die Abschlüsse werden Dritten gegenüber weitgehend transparent, es kann auch von dem Marktgeschehen fern stehenden Personen gut verglichen werden. Die Marktteilnehmer handeln nicht aufgrund von Sympathien und familiären Bindungen nur mit bestimmten Partnern aus dem Clan. Im Markt kann niemand anderen willkürlich Bedingungen auferlegen und Vorgaben machen. Die Definition der Finanzmärkte ist weit gefasst. Hierunter fallen die Märkte für Wertpapiere ebenso wie die Märkte für den Kauf oder Verkauf ganzer Unternehmen. Auch die Märkte für Währungen, für Termingeschäfte und andere Finanzkontrakte sind Finanzmärkte. In diesem allgemeinen Sinn sind Finanzmärkte nicht allein jene Märkte, die aus dem Börsenhandel mit Anleihen und Aktien bestehen. Es ist nützlich, Teilmärkte zu definieren und einzeln zu betrachten. Oft haben sich die Kapitalverwender und Risikomanager spezialisiert und beobachten nur einen einzelnen Teilmarkt. Gleiches gilt für Anleger. Es gibt es viele Privatpersonen, die zwar Anleihen kaufen, nicht aber Aktien. Dennoch hängen die Teilmärkte zusammen: Die Konditionen an diesen Teilmärkten entstehen nicht losgelöst voneinander. Deshalb wird einmal von dem Finanzmarkt gesprochen (um auf einen Teilmarkt zu verweisen), ein andermal wird von den Finanzmärkten gesprochen (um Zusammenhänge zu betonen, die sie untereinander haben). Für die Definition der sinnvollerweise betrachteten Teilmärkte bieten sich verschiedene Kriterien an. Märkte für die Allokation von Kapital und Märkte für die Allokation von Risiken zu unterscheiden, ist ein erster Schritt. Bei den Märkten für die Allokation von Kapital ist es sinnvoll, Eigen- und Fremdkapital als die beiden Grundtypen von Finanzkontrakten zu unterscheiden. Eine weitere Unterscheidung betrifft die Frage, ob der jeweilige Finanzkontrakt die Form eines Wertpapiers aufweist oder nicht. Dieses Kriterium führt auf eine Unterscheidung nach dem Organisationsgrad des betreffenden Finanzmarktes. So können Käufe und Verkäufe ganz frei vereinbart werden, ohne dass es dazu feste Orte, Zeiten und Rituale geben muss. Hier treffen sich Käufer und Verkäufer direkt, ohne Hilfe Dritter. Ebenso kann der Handel durch Mittelsmänner begleitet werden, die etwa die Dienste eines Maklers erbringen. Die Makler sind oft weitgehend frei. Sie sind nur gewissen Standesregeln unterworfen, beachten Best-Practices und die Berufsethik. Schließlich können die Käufe und Verkäufe nach klaren Prozeduren in Börsen ablaufen. Börsen haben einen sehr hohen Organisationsgrad. Deshalb folgt der Handel in Börsen klaren Regeln, wenngleich er ansonsten frei ist, wie es die Idee des Markts erfordert. Außerdem sind Börsen beaufsichtigt, und eine hierarchisch übergeordnete Stelle kann zum Beispiel den Handel unterbrechen. <?page no="52"?> 3.1 Intermediäre 53 Die drei bekanntesten Börsen sind die für die Aktien großer Unternehmen (Blue Chips), die für Staatsanleihen (Sovereign Debt) sowie die für von Unternehmen ausgegebene Anleihen (Corporate Debt). Die Grundidee der Börse zielt auf die Schnelligkeit der Transaktion ab. Das begünstigt die Erzeugung aktueller Informationen. Um Schnelligkeit zu erreichen, wird der Handel so gestaltet, dass langwierige Erklärungen und Rückfragen nicht erforderlich sind. Damit ist ein Problem verbunden: Man muss sich kennen - und dennoch soll die Börse allen offenstehen. Deshalb werden zum direkten Handel nur professionelle Händler zugelassen, die Gewähr bieten, dass ihre Offerten auch verbindlich sind. Das Publikum, also alle Personen, die keine Zulassung als Händler an der Börse haben, muss Transaktionswünsche über die zugelassenen Händler eingeben. Der Handel an den Börsen findet räumlich konzentriert oder in einem Computersystem statt. Zum Handel sind ausschließlich standardisierte und damit homogene Wertpapiere zugelassen. Zudem werden gelegentlich nur Vielfache gewisser Losgrößen (Tick) gehandelt. Deshalb kennt jeder Anbieter und Nachfrager die Eigenschaften der zum Handel zugelassenen Wertpapiere. Weitere Informationen über die jeweiligen Merkmale der Wertpapiere zu geben, ist nicht erforderlich. Wichtig an Börsen sind die augenblicklichen Kurse und eventuell Informationen über die augenblicklichen Volumina von Angebot und Nachfrage. Läuft der Handel in einem Raum ab, sieht jeder Händler die Gebote der anderen Händler. Mit dem Computer wird ein Orderbuch geführt. Eine Börsenorganisation erbringt verschiedene Dienstleistungen: 1. Informationsbereitstellung: Zunächst muss sie die möglichen Marktteilnehmer über das Angebot und die Nachfrage sowie über das aktuelle Kursniveau informieren, und sie muss Dritten die aktuellen Informationen zur Verfügung stellen. 2. Allokationsfindung: Dann soll durch eine geeignete Zuordnung von Angebot und Nachfrage nach Wertpapieren ein Kurs gefunden werden, bei dem der Markt zum Ausgleich kommt, also geräumt wird. Die entsprechenden Tauschhandlungen müssen „fixiert“ und notiert werden: Clearing. 3. Abwicklung: Schließlich muss die Börse alle vereinbarten Tauschgeschäfte ausführen und abwickeln: Settlement. Für die Ablauforganisation der Allokationsfindung gibt es Vorbilder. Eines ist das der Auktion. Alle Transaktionswünsche werden zunächst gesammelt. Mit Schluss der Frist, innerhalb der Gebote vorgelegt werden dürfen, ermittelt ein Auktionator aus den eingegangenen Meldungen denjenigen Preis, zu dem sich Angebot und Nachfrage ausgleichen (Markträumung). Mit diesem Preis ist zugleich bestimmt, welche der gemeldeten Transaktionswünsche zur Ausführung kommen und welche nicht. Die Auktion hat den Vorteil, dass wie im idealen Markt ein einziger Preis zustande kommt, zu dem dann alle Transaktionen ausgeführt werden. Um nach diesem Modell der Auktion vorzugehen, sollten die hereinkommenden Transaktionswünsche einige Zeit gesammelt werden, so dass erst nach Ende dieser Zeitspanne der Marktausgleich stattfindet. Ist die <?page no="53"?> 54 3 Kapitel: Banken und Börsen Zeit für die Eingabe von Transaktionswünschen lang, können höhere Anzahlen von Orders gesammelt werden. Auf diese Weise hat der dann bestimmte Preis eine breite Basis. Der Nachteil einer langen Zeit bis zur Preisbestimmung bei Auktionsende besteht darin, dass ein Transaktionswunsch nicht sofort nach Eingabe ausgeführt werden kann, sondern eben erst am Ende der Frist. Das ist abträglich hinsichtlich des Wunsches nach jederzeitiger Ausführbarkeit von Käufen und Verkäufen (Liquidität). Außerdem fördert es wenig die Grundfunktion eines Markts, aktuelle Informationen zu erzeugen. Wird die Frist aber kurz gewählt, um die Wartezeit bis zur Ausführung von Transaktionswünschen zu verringern, dann gibt es vielleicht in jedem Zeitfenster nur einige wenige Transaktionswünsche, einmal vielleicht sogar nur Nachfrager, ein andermal nur Anbieter von Wertpapieren. Damit wären die Preise einer großen Zufälligkeit ausgesetzt. Die Informationserzeugung der Börse würde leiden. Die Verfahren, die zur Allokation von Transaktionswünschen verwendet werden, müssen also diese Aspekte abwägen. In dem als Market Microstructure bezeichneten Forschungsgebiet werden verschiedene Organisationsformen für den Handel untersucht. 3.1.4 Makler und Market-Maker Die Börse eignet sich weniger gut für einzelne, heterogene Finanzkontrakte. Wenn es zu viele verschiedene Kontraktarten gibt oder die Handelsvolumina gering sind, müssen andere Formen für den marktähnlichen Handel gefunden werden. Vielfach bietet sich ein Handel über den Tisch (Over The Counter, OTC) an. Um einen Tisch stehen verschiedene, am jeweiligen Finanzkontrakt interessierte Personen und sprechen miteinander. Doch sie stehen, sie sitzen nicht. Jedermann kann hinzutreten oder auch weggehen. Neben dem Anbieter oder Emittenten und dem Nachfrager gehören dazu vor allem Market-Maker. Sie würden bei ungewöhnlichen Preisen selbst in das Geschäft einsteigen. Oft ist beim Over- The-Counter-Handel (OTC-Handel) die eine Partei eine Investmentbank, die auf Wunsch eines Kunden in einen Finanzkontrakt eintritt oder diesen eigens unterschreibt. Heute kann diese Kommunikation elektronisch umgesetzt werden, so dass eine physische Präsenz nicht verlangt wird. grosse Homogenität (Commodities) und reversible Kontrakte Abb. 7: Intermediationstypen. geringes Transaktionsvolumen hohes Transaktionsvolumen grosse Heterogenität und irreversible Kontrakte bilaterale Partnersuche Makler Markt Market Maker Consultants interne Koordination <?page no="54"?> 3.1 Intermediäre 55 Damit sich Käufer und Verkäufer überhaupt finden und zu einer Tauschvereinbarung gelangen, treten oft Makler oder Market-Maker unterstützend hinzu. Während Makler die Tauschparteien lediglich zusammenführen aber selbst keine der gehandelten Positionen übernehmen, ähnlich wie ein Heiratsmakler, führen Market-Maker selbst ein Lager, ähnlich wie ein Kunsthändler. Market-Maker sind dazu bereit, Positionen in den eigenen Bestand zu übernehmen und aus eigenem Bestand abzugeben, wenn dadurch das Handelsgeschehen erleichtert wird. Für die Dienstleistung, jederzeit transferbereit zu sein, lassen sich Market-Maker durch eine Spanne vergüten, die zwischen dem Preis, den sie für den Verkauf eines sich in ihren Händen befindlichen Wertpapiers verlangen (Briefkurs, Ask), und dem Preis besteht, den sie bei einem Ankauf eines Finanzkontrakts zahlen (Geldkurs, Bid). Trotz der im Vergleich zur Börse geringen Anzahl interessierter Parteien läuft der OTC-Handel nicht isoliert von dem Geschehen an den Börsen ab, weil stets der Vergleich mit den Kursen von Wertpapieren möglich ist und weil transaktionsbereite Market-Maker dabei stehen oder jederzeit hinzu kommen könnten. Alle diese Vergleiche fließen in die bilaterale Vertragsfindung beim OTC-Handel ein. So wird der Handel in Nebenwerten (Aktien kleinerer Gesellschaften) von darauf spezialisierten Banken als Market-Maker gestaltet. Gleiches gilt für den Handel mit Unternehmensanleihen (Corporate Bonds). Vor allem ist der Handel mit Devisen weltweit durch (einige wenige) Market-Maker gestaltet. Zahlreiche Optionsscheine und Strukturierte Produkte werden im OTC-Handel gekauft und verkauft (geschrieben). Ein weiteres Unterscheidungskriterium greift bei Anleihen. Es ist die Laufzeit. Fremdkapital-Kontrakte mit einer Laufzeit von weniger als einem Jahr werden am so genannten Geldmarkt gehandelt. Hier werden Wertpapiere und Noten (Bills) gehandelt, in denen der Schuldner (Staat, Bank, Unternehmung) dem Gläubiger (Bank, Unternehmung) Rückzahlung und Zins verspricht. Beispielsweise kann die BASF Schuldscheine ausgeben, die noch über 60 Tage laufen. Der Geldmarkt läuft zwischen den größeren Banken ab, auch die Zentralbank nimmt teil. Kleinere Banken, Unternehmen, Fondsgesellschaften und Versicherungen können über eine Bank Order aufgeben. Private Investoren haben weder direkte Zugangsmöglichkeit zum Geldmarkt noch können sie dort Order eingeben. Der vorrangige Zweck im Geldmarkt ist auch nicht die Kapitalanlage des Publikums, sondern der kurzfristige Liquiditätsausgleich der Banken und der großen Unternehmen. Der Kapitalmarkt zeichnet sich durch den Handel mit Anleihen und vertraglichen Laufzeiten von über einem Jahr aus. Der Kapitalmarkt ist in jenen Ländern lebendig, die ihre Infrastruktur über die Aufnahme von Fremdkapital finanzieren, wozu die Regierung Staatsanleihen ausgibt. In den europäischen Ländern finden sich hauptsächlich Staatsanleihen mit einer Laufzeit von bis zu zehn oder fünfzehn Jahren, in Einzelfällen auch mit Laufzeiten bis zu 50 Jahren. In den USA kann der Staat Bonds mit einer Laufzeit von 30 Jahren ausgeben. Die privaten und institutionellen Investoren kaufen sogar Bonds mit einer solch langen Laufzeit - Ausdruck des großen Vertrauens in die Fähigkeit und den Willen der amerikanischen Zentralbank, die Inflation unter Kontrolle halten zu können. Denn niemand würde dem Staat Geld zu einem festen Zinskupon geben, wenn zu befürchten wäre, dass der Staat über eine von ihm begünstigte Inflation nichts (an Kaufkraft) zurückgibt. <?page no="55"?> 56 3 Kapitel: Banken und Börsen Ein gut funktionierender Kapitalmarkt ist daher immer Ausdruck des Vertrauens der Finanzinvestoren in die Stabilität eines Landes. Läuft einmal der Handel mit Staatsanleihen, können am Kapitalmarkt auch Anleihen von Unternehmen sowie von anderen Einrichtungen ausgegeben werden. Zur Begriffsbestimmung: Mit dem Begriff Finanzmarkt wird ausgedrückt, 1. dass viele Finanzkontrakte heute in einem marktähnlichen Umfeld übertragbar sind und 2. dass sich durch Vergleiche Angebot und Nachfrage bilden, und 3. dass sich in einem mehr oder minder intensiven Handel Preise bilden. Dieser Begriff betrifft Wertpapiere, Börsen, den Transfer von Beteiligungen außerhalb von Börsen, vielleicht unter Vermittlung von Maklern. Dieser große Finanzmarkt besteht aus zahlreichen Teilmärkten und Segmenten, die zusammen als Finanzmärkte bezeichnet werden. Unter dem Kapitalmarkt wird nur der börsenähnlich organisierte Handel mit Anleihen einer Laufzeit von mehr als einem Jahr verstanden. Im Kapitalmarkt sind Banken, Versicherungen und das weitere Publikum aktiv. Der Kapitalmarkt ist also einer der Teilmärkte der Gruppe der Finanzmärkte. Abb. 8: Geldmarkt und Kapitalmarkt. 3.1.5 Laufzeiten Die im Kapitalmarkt aktiven Gruppen - Banken, Versicherungen und das weitere Anlegerpublikum wurden genannt - sind nicht alle bei allen Laufzeiten von Anleihen zu Transaktionen bereit: Im Segment kurzer Laufzeiten (ein bis drei Jahre) überlegen die Marktteilnehmer, welche Transaktionskosten der Handel verursacht. Für eine Emission entstehen einem Schuldner für die Ausgabe von Anleihen über eine Investmentbank vielleicht 5% des Volumens an Kosten. Wenn dann die Anleihe nur zwei Jahre läuft, erhöhen diese Ausgabekosten die gesamten Kapitalkosten. Ebenso werden Privatanleger überlegen, welche Kommissionen <?page no="56"?> 3.1 Intermediäre 57 sie für den Kauf einer Anleihe zahlen, und ob es nicht für eine Anlagedauer von einem Jahr oder von zwei Jahren günstigere Alternativen gibt, etwa Festgeld bei einer Bank. Im Segment mittlerer Laufzeit (etwa 5 Jahre Restlaufzeit) treten als Emittenten Unternehmen auf. Auf eine Frist von 5 Jahren, so denken viele Gläubiger, sollte der unternehmerische Schuldner seine Bonität erhalten. Deshalb sind den Unternehmen für diese Frist Kapitalaufnahmen günstig möglich. Als Käufer treten im mittleren Laufzeitsegment Privatanleger und Investmentfonds auf. Im Segment sehr langer Laufzeit (10 Jahre und mehr) tritt oft der Staat als Emittent auf. Ihm nimmt man als Gläubiger ab, dass er in 10 oder in 15 Jahren seine Schulden zurückzahlen kann. Ähnliches gilt für Unternehmen höchster Bonität und für Banken. Sie alle können sehr lang laufende Anleihen emittieren. Käufer der Langläufer sind Pensionskassen und Versicherungsgesellschaften, deren Kunden das Geld sehr langfristig zur Verfügung stellen. Im Kapitalmarkt wird des Weiteren nach den Emittenten unterschieden: Eine inländische Anleihe liegt vor, wenn der Emittent seinen Sitz in jenem Rechtsgebiet oder der Wirtschaftsunion hat, in dem die Anleihe emittiert wird. Bei einem ausländischen Emittenten spricht man von einer ausländischen Anleihe oder einem Foreign Bond. Wenn Siemens eine Anleihe in den USA ausgegeben hat, dann handelt es sich also dort um einen Foreign Bond. Selbstverständlich prüft das jeweilige Wirtschaftsministerium die Bonität und andere Merkmale des inländischen und des ausländischen Emittenten. Keine Nation möchte es im hauseigenen Kapitalmarkt mit schwarzen Schafen zu tun bekommen, durch die unter Umständen das Vertrauen in die Staatsanleihen leiden könnte. Für den Staat sind Steuern die eine, der Kapitalmarkt ist eine andere Geldquelle. Keine Regierung möchte, dass die zweite Geldquelle vergiftet wird. Sodann ist die Währung ein Unterscheidungsmerkmal: Stimmt die Währung von Anleihen mit der des Hoheitsgebietes überein, in dessen Rechtsraum sie gehandelt werden, wird von einem Inlandsmarkt gesprochen. Es ist dabei unerheblich, von welcher Nationalität der Emittent ist. Wenn eine in Frankfurt gehandelte Anleihe von Sony auf Euro lautet, dann gehört sie in Frankfurt dem Inlandsmarkt an. Wird eine zweite Anleihe von Sony, die auf Yen lautet, in Frankfurt gehandelt, dann gehört sie nicht dem Inlandsmarkt, sondern dem Segment „Ausland“ an. Um 1970 entstand die Praxis, für Finanzgeschäfte unregulierte und unbeaufsichtigte Bereiche zu suchen. Besonders die Erdölförderstaaten wollten Finanzgeschäfte zwar in US-Dollar abwickeln, aber sie wünschten, der Regulierung der USA dabei zu entgehen. Sie sind dazu nach England und auf die Kanalinseln gegangen. Dort waren Banken bereit, Dollaranlagen entgegen zu nehmen, und zwar in größeren Beträgen. Erstaunlicherweise haben die USA nicht versucht, große Finanzgeschäfte in Dollar außerhalb ihres Hoheitsgebiets zu unterbinden, doch haben Briten und Amerikaner viele gemeinsame Wurzeln. Diese Geschäfte haben sich bald zu regelrechten Märkten geweitet. Da die auf Dollar lautenden Geschäfte in Europa (also nicht in Amerika) abgewickelt wurden, sprach man von den Euromärkten. Heute wird mit Euromarkt jeder Geld- und Kapitalmarkt bezeichnet, der außerhalb des Landes der Währung und außerhalb der Regulierung und Aufsicht dieses Landes stattfindet. <?page no="57"?> 58 3 Kapitel: Banken und Börsen Wenn eine deutsche Unternehmung bei einem Broker in Guernsey Schweizerfranken anlegt, dann fällt dieses Geschäft ebenso unter den Begriff Euromarkt wie wenn sie Euro in Singapur anlegt oder Dollar in Hongkong. Euromärkte gibt es aber nicht überall. In Paris werden zwar kaum Finanzgeschäfte in Yen abgeschlossen, doch wenn das geschehen würde, hätten wir dort einen Euromarkt. Zwar kann man in Zürich große Geschäfte in Dollar oder in Euro abschließen, doch ist dieser Euromarkt deutlich kleiner als die Euromärkte in England und in Asien. Abb. 9: Klassifikation der Finanzmärkte. 3.1.6 Nochmals: Private versus Public Warum werden nicht alle Verträge im Leben übertragbar gestaltet? Wir wissen: Die beiden Grundtypen von Finanzkontrakten Eigenkapital und Fremdkapital können als Aktie beziehungsweise Anleihe verbrieft und als Wertpapier öffentlich gehandelt werden. Sie sind dann einer breiten Anlegerschaft zugänglich, die diese Instrumente für die Geldanlage wählen kann und dazu Portfolios zusammenstellt. Dem öffentlichen Zugang zu den Kapitalmärkten entsprechend wird das Attribut „public“ verwendet. Beide Typen von Finanzkontrakten können ebenso als kaum übertragbare, bilaterale Verträge abgeschlossen werden. In diesem Fall, der heute noch vorkommt, wird das Attribut „private“ vergeben. So wäre eine Beteiligung an einer GmbH ebenso Private Equity wie die Anteile an einer Personengesellschaft. Private Debt bezeichnet entsprechend einen bilateralen Kreditvertrag, etwa einen Bankkredit. Zuvor wurde ein klares Plädoyer für die Verbriefung von Kapital als Wertpapier und die Organisation des Handels in Börsen für Wertpapiere ausgesprochen: Aufgrund der von den Finanzinvestoren geschätzten Liquidität geht mit diesem Prozess eine Reduktion der Kapitalkosten einher. Breite Diversifikation ist möglich, die Teilnehmer an den Finanzmärkten können Portfolios bilden. Die Allokation der Risiken wird besser. Außerdem wurde die Informationserzeugung der Finanzmärkte als positiv für die Wohlfahrt dargestellt. Over the counter (OTC) (Devisen, strukturierte Produkte) Geldmarkt (Laufzeit < 1 Jahr) Primärmarkt (neue Kontrakte, IPO) Originäre Märkte (Basisinstrumente, Underlying) Inlandsmarkt (Währung der Jurisprudenz) Inländische Instrumente (Inländischer Emittent) Börsen (Aktien-, Obligationenbörse) Kapitalmarkt (Laufzeit > 1 Jahr) Sekundärmarkt (Handel) Derivative Märkte (abgeleitete Instrumente) Euromärkte (Drittwährung) Ausländische Instrumente (Ausländischer Emittent) <?page no="58"?> 3.1 Intermediäre 59 Von daher erscheinen Private Equity wie frühe, überkommene Formen der Beteiligung. Der Bankkredit (Private Debt) sieht wie eine überkommene Form des Forderungskapitals aus. Aber sind beide nur Relikte aus der Zeit, als es in der Finanzwirtschaft nur Banken aber keine Finanzmärkte gab? Dass die privaten Finanzkontrakte nicht unzeitgemäß sind, sollen zwei Punkte beleuchten. Erstens setzt die Verbriefung von Finanzverträgen und die Einführung in den Börsenhandel eine gewisse Größe voraus. Ein Volumen von 100 Millionen Euro wird als Mindestgröße für eine Emission betrachtet. Kleinere Beteiligungen und kleinere Kredite können gar nicht in die Form der Aktie oder Anleihe gebracht und an einer Börse gehandelt werden. Familienunternehmen und Ventures (Neugründungen) haben nicht die Möglichkeit, über die Finanzmärkte Kapital aufzunehmen. Sie sind daher auf Kapitalanleger angewiesen, die bereit sind, in wenig liquide Finanzkontrakte einzutreten. Oft ist es schwer für sie, Eigenkapitalgeber zu finden. Zudem sind sie auf Banken angewiesen. Abb. 10: Finanzkontrakte werden einerseits nach dem Typus (Eigen- oder Fremdkapital) eingeteilt, andererseits nach der Leichtigkeit der Übertragung der Rechte auf Dritte. Der zweite Grund betrifft die Frage, ob es aus ökonomischen Gründen nicht vielleicht doch sinnvoll ist, die vertragliche Beziehung zwischen Kapitalverwender und Kapitalanleger nicht ganz so lose zu gestalten. Denn in der Folge machen die Kapitalgeber natürlich Gebrauch von der Möglichkeit, Wertpapiere leicht verkaufen zu können. Immer weniger sind sie bereit, hinter dem Finanzvertrag eine langfristige Verbindung zu sehen, um die man sich besonders bemühen sollte. Wenn sich für Kapitalanleger Fragen oder Zweifel auftun, gehen sie nicht mehr zum Verwender des Kapitals (Unternehmung, Staat) um dort eine Klärung zu erfahren. Stattdessen trennen sie sich einfach durch Verkauf des Wertpapiers. Es kommt zur Abstimmung mit den Füßen. Nach wie vor gibt es aber Situationen, in denen eine für längere Zeit vorgesehene Bindung zwischen einem Kapitalgeber und dem Kapitalnehmer ökonomisch sinnvoll ist. Denn wenn eine Beziehung lange währt, ist man gern bereit, sich stärker um die andere Seite zu kümmern. Ökonomisch formuliert heißt das: Bei wenig liquiden und daher lange laufenden Verträgen sind beide Seiten bereit, in die Beziehung zu investieren. Der Kapitalverwender (Unternehmung) wird sich in gewissen Situationen wünschen, dass die Kapitalgeber nicht nur ihr Geld überlassen, sondern daneben ihr Wissen einbringen. Die Kapitalgeber könnten technologisches Wissen oder Expertise bei der Führung einbringen, Kenntnisse zur Wertpapiere, öffentlicher Handel, Märkte Forderungen (Debt) Privates Kapital, bilaterale Verträge, keine Fungibilität Beteiligungen (Equity) Aktien Anleihen Private Equity Bankkredit Darlehen Hybride, Mezzanine <?page no="59"?> 60 3 Kapitel: Banken und Börsen besseren Vermarktung von Produkten, und oft können sie Geschäftskontakte anbahnen. In solchen Fällen könnten die Kapitalgeber für die Bereitschaft und Fähigkeit, weitergehendes Wissen einzubringen, eigens belohnt werden. Für solche Situationen sind die privaten Formen von Finanzkapital nach wie vor angebracht, sofern der Vorteil der Langfristigkeit der Beziehung den Nachteil der mangelnden Liquidität kompensiert. Das ist heute vielfach der Fall. Deshalb finden sich beim Private Equity Ausprägungen wie etwa Venture Capital oder Restructuring Capital. Der Geber von Venture Capital soll nicht nur Geld geben und (besonders hohe) Risiken tragen, was die Rückflüsse betrifft. Er soll dem jungen Unternehmen mit Rat zur Seite stehen und die neue Firma begleiten. Ähnlich ist es mit dem Restructuring Capital. In der kritischen Zeit von Krisen und bei notwendigen Neuanfängen helfen Kapitalgeber wenig, die jeden Tag überlegen, ob sie sich nicht schnell durch einen Verkauf verabschieden sollen. Gefragt sind dann festere Beziehungen zwischen Kapitalgeber und Kapitalverwender. Außerdem gibt es Zwischenformen des Kapitals, die als Hybride oder Mezzanine bezeichnet werden. Hierunter fallen Kredite, die Eigentümer der Unternehmung geben, damit diese geringere Steuern auf den Gewinn entrichten muss, sowie Wandelanleihen, die als Anleihen emittiert werden, je nach Marktentwicklung aber von den Anlegern in Aktien umgewandelt werden können. 3.2 Wichtige Handelsplätze Im Folgenden skizzieren wir die historische Entwicklung an den Finanzplätzen London, New York, Frankfurt und Zürich. 3.2.1 Großbritannien Der erste Hinweis auf Handel mit Finanzkontrakten in London findet sich in der Kursliste von Aktien und Rohwaren aus dem Jahre 1698, die von J OHN C ASTAING geführt wurde. Zusammen mit dem Beginn des freien Aktienhandels durch eine Gruppe von Brokern markiert dies den Ursprung der London Stock Exchange. Der erste organisierte Handel begann dort 1801. Allerdings entsprechen die Kurse der gehandelten Kontrakte nicht immer ihren wahren, inneren Werten. Gelegentlich kommt es zu Preisentwicklungen, die nicht durch fundamentale Sachverhalte gerechtfertigt sind. Im Jahr 1720 platzte nach Paris in London die erste spekulative Preisblase (Bubble) mit dem Zusammenbruch der South Sea Company - wir behandeln diese Mississippi-Bubble in Kapitel 14. Übrigens erfasste England im Jahr 1845 eine zweite spekulative Bubble im Zusammenhang mit der Finanzierung der Eisenbahninfrastruktur. Wir machen von diesen Ereignissen 1720 beziehungsweise im Jahr 1845 einen Sprung: Im Jahr 1978 startet die London Stock Exchange (LSE), an der Kontrakte für die (spätere) Lieferung von Metallen gehandelt werden. Ein weiterer großer Schritt in der Börsengeschichte <?page no="60"?> 3.2 Wichtige Handelsplätze 61 in London war die Deregulierung, der so genannte Big Bang von 1986, die eine erleichterte Zulassung und eine bessere Transparenz brachte. Außerdem wurden eine neue Gebührenstruktur und die Möglichkeit zum Handel am Computer eingeführt. Der Derivatehandel hat seinen Ursprung in London genommen. Um 1570 wurde mit der Royal Exchange die erste Warenterminbörse der Welt gegründet, und 1982 kam es mit der Etablierung der London International Financial Futures and Options Exchange (LIFFE) zum organisierten Handel von Finanzderivaten. 3.2.2 USA In den USA erfolgte die erste große öffentliche Emission einer Anleihe im Jahre 1790, als die amerikanische Regierung 80 Millionen Dollar zur Refinanzierung des Revolutionskriegs (1775-1783) auflegte. Diese Emission war zugleich der Beginn der amerikanischen Kapitalmärkte. Der Grundstein für die New York Stock Exchange (NYSE) wurde 1792 mit einem Agreement gelegt: 24 Aktienhändler kamen an der Wall Street in New York überein, fortan eine gemeinsame Kommissionierungsbasis für Aktiengeschäfte anzuwenden. Die erste unter dem neuen Gebührenregime gehandelte und an der heutigen NYSE gelistete Aktie war übrigens jene der Bank of New York. Eine förmliche Organisation für den Handel wurde 1817 mit dem New York Stock & Exchange Board (NYS&EB) gegründet. Weitere Bedeutung als Finanzplatz erlangte New York durch die Emission von Bonds zur Finanzierung des Erie Canals, der 1825 eingeweiht wurde. Mit einem Kursverlust von 45% (infolge des Zusammenbruchs der Ohio Life Insurance & Trust Company) sah New York 1857 den ersten großen Börsencrash, 1907 folgte ein weiterer großer Einbruch. Im Jahr 1863 änderte die NYS&EB ihren Namen in New York Stock Exchange (NYSE) und verlegte 1903 ihren Sitz an den heutigen Standort in der Wall Street. Der Erste Weltkrieg (1914-1918) läutete eine Wende hinsichtlich der Geldströme zwischen Europa und den USA ein. Während sich die USA vor 1914 in Europa verschulden mussten und dazu Anleihen an der Börse in London emittierten, wurden ab 1918 vermehrt inländische und ausländische Bonds in den USA ausgegeben. Zudem kam es 1918 in den USA zu einem enormen Anstieg des Handels mit Aktien. New York löste London als bis dahin wichtigsten Finanzplatz ab. Der Aufstieg der Vereinigten Staaten von Amerika begann mit dem Zerfleischen Europas im Ersten Weltkrieg. Einen großen Einschnitt in der Börsengeschichte der USA stellt der Crash vom 24. Oktober 1929 dar. Der große Einbruch am ersten Tag des Kurseinbruches (Black Thursday) markierte den Beginn der Weltwirtschaftskrise. Eine der Ursachen, so weiß man heute, lag in der geringen Versorgung der Wirtschaft mit Geld aufgrund des damaligen Goldstandards: Die Zentralbank durfte Dollar nur ausgeben oder für Aufkäufe von Wertpapieren verwenden, wenn die neuen Dollar (wie die alten) zu wenigstens 60% durch Gold gedeckt waren. Weniger folgenreich war der Crash vom 19. Oktober 1987, als der Dow Jones Industrial Average mit einem Minus von 22,61% den (bisher) größten Verlust an einem einzigen Tag erlitt. Noch zu diesem Index, dem Dow Jones Industrial Average (DJIA): Er wurde 1896 von C HARLES D OW und seinem Arbeitskollegen E DWARD J ONES eingeführt und setzte sich <?page no="61"?> 62 3 Kapitel: Banken und Börsen damals aus 12 Aktien zusammen. Ab 1885 wurde über Kurse und über den Index im Customer’s Afternoon Letter, dem Vorläufer des The Wall Street Journal berichtet. Am 14. Januar 2000 erreichte der DJIA seinen bisherigen Höchststand bei 11.722,98 Punkten. Mit VimpelCom wurde 1996 die erste russische Unternehmung, mit DaimlerChrysler 1998 die erste deutsche Unternehmung an der NYSE gelistet. Mit der Entstehung von Aktiengesellschaften im 17. Jahrhundert begann der erste freie Handel von Beteiligungsrechten in Amerika. Die ersten organisierten Börsen waren aber nicht die für Aktien, sondern die für Warentermingeschäfte. Im Jahr 1848 wurde das Chicago Board of Trade (CBOT) gegründet, an dem Terminkontrakte auf Getreide gehandelt werden konnten. In den Jahren ab 1870 kamen neue Börsen für Terminkontrakte auf Agrarrohwaren hinzu, in New York 1870, in Kansas 1876 sowie in Winnipeg 1887. Das Spektrum an Basiswerten wurde mit dem 1936 eingeführten Terminhandel auf Soja an der CBOT sowie 1964 mit Terminkontrakten auf Lebendvieh erweitert. 3.2.3 Deutschland In Deutschland stand die Entwicklung von Handelsplätzen im Zusammenhang mit der kaiserlichen Vergabe des Rechts, Messen veranstalten zu dürfen. So erhielt ab 1330 die Stadt Frankfurt am Main das Privileg, eine Herbst- und eine Frühjahrsmesse durchführen zu können. Der Handel mit Waren zog den Geldverkehr nach sich. Weil das Europa jener Zeit in zahlreiche Währungsgebiete zergliedert war, wurde auf den Messen mit unterschiedlichsten Münzsorten bezahlt. Das gab Raum für Betrügereien, die dem Warenhandel abträglich waren. Um dieser negativen Entwicklung entgegen zu treten, taten sich 1585 Messekaufleute zusammen und legten Standards und einheitliche Wechselkurse fest. Diese Übereinkunft war der Ursprung der Frankfurter Wertpapierbörse. Hieran ist die Bedeutung der Ordnung und Regulierung für die Entwicklung von Finanzmärkten zu erkennen. Der erste amtliche Kurszettel in Frankfurt am Main erschien 1625 und erfasste die Durchschnittskurse von zwölf Geldsorten. Die Geschäfte konzentrierten sich zunächst auf Wechselgeschäfte mit Münzen sowie Wechselbriefen. Im späten 17. Jahrhundert kam der Handel mit Anleihen und Schuldscheinen hinzu, gegen Ende des 18. Jahrhunderts jener mit Staatspapieren. Bei der Platzierung einer Millionenanleihe für den deutschen Kaiser in Wien im Jahre 1779 wurden erstmals so genannte Partialobligationen ausgegeben: Um das damals hohe Volumen überhaupt unterbringen zu können, musste durch kleine Stückelung der Kreis möglicher Anleger weit gefasst werden. Auch in Deutschland leitete die industrielle Revolution den Beginn der Finanzierung von Unternehmen über die Ausgabe von Aktien und mithin den Aktienhandel ein. In Frankfurt am Main wurde die erste Aktie 1820 gehandelt, doch der Schwerpunkt der Geschäftstätigkeit blieb für Jahre der Handel mit Anleihen. Dazu gehörten internationale Staatspapiere und sogar amerikanische Bonds. Erst in den Gründerjahren um 1870 nahm der Aktienhandel deutlich zu. Maßgeblich dafür war die Kapitalnachfrage der neuen Unternehmen. Das Börsengesetz von 1896 führte zu einer einheitlichen Organisation der damals 29 deutschen Börsen. Im Ersten Weltkrieg verlor die Frankfurter Wertpapierbörse ihre frühere Bedeutung als internationaler Finanzplatz. Die Inflation von 1922/ 23, die Weltwirtschaftskrise von 1929 bis 1932 sowie die Kriegswirtschaft der Nationalsozialisten (Zweiter Weltkrieg 1939-1945) <?page no="62"?> 3.2 Wichtige Handelsplätze 63 schwächten die Bedeutung des Finanzplatzes von Frankfurt am Main zusätzlich. Erst mit der Währungsreform der Bundesrepublik Deutschland von 1948 und der Zulassung ausländischer Wertpapiere nach 1956 gewann die Frankfurter Wertpapierbörse wieder an Bedeutung. Im Jahr 1988 führte die Frankfurter Wertpapierbörse den Deutschen Aktienindex (DAX) ein und wurde 1993 zur Unternehmung Deutsche Börse AG. Im Jahr 1997 gelang mit der Einführung von Xetra der Übergang vom Parkettzum vollelektronischen Handel. 3.2.4 Schweiz In der Schweiz gab es im 17. Jahrhundert börsenähnliche Einrichtungen. Einen Beleg liefert die Sensalenordnung 1663 in Zürich. Die Sensale war eine Vereinigung von Geschäftsvermittlern. Es gab aber keinen Börsenzwang; der freie Handel war nach wie vor möglich. Die Etablierung von organisierten Börsen ist als Folge der industriellen Revolution in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts zu sehen. Die Industrialisierung, der Ausbau des Eisenbahnnetzes sowie der Bau von Staudämmen für die Elektrizitätserzeugung haben den Kapitalbedarf stark anwachsen lassen. Dieser Kapitalbedarf ließ sich über die herkömmliche Familiengesellschaft, die zumeist direkt von Banken Kredite erhielt, nicht mehr decken. Mit der Zunahme des Handels wuchs das Bedürfnis nach Liquidität der Beteiligungen und damit der Wunsch nach Börsen moderner Art, die in Genf (1850), Zürich (1873) und Basel (1876) entstanden. In Zürich wurde 1855 der Börsenverein gegründet und eine Freitagsbörse für den Handel von Obligationen (Anleihen) und Aktien eingerichtet. Diese Börse war Treffpunkt der Kaufleute aus der Textilindustrie und dem Seidenhandel. Ab 1869 erschien ein „Officielles Cursblatt“. Als Gründungsjahr der Zürcher Börse mit dem Ringhandel gilt 1873. Die Jahre nach 1880 waren durch viele Emissionen von Bank- und Bahnaktien geprägt. Der Handel war zunächst frei und unreguliert, bis 1884 ein Gesetz über die „Gewerbe der Effektensensale und Börsenagenten“ in Kraft trat und die Börsentätigkeit unter staatliche Aufsicht gestellt wurde. Mit dem Wertpapiergesetz von 1912 wurde die staatliche Kontrolle verstärkt. Der Börsencrash im Oktober 1929 in den USA hatte in der Schweiz nicht so starke Auswirkungen. Im Jahr 1996 wurde der Parketthandel abgeschafft und durch einen vollelektronischen Handel ersetzt. 3.2.5 Weltweite Entwicklung ab 1970 In der Zeit nach 1970 ist weltweit eine Vielzahl neuer Finanzprodukte geschaffen worden. Parallel dazu sind neue Handelsplätze entstanden, die in der Regel als Börsen organisiert sind. So kam es 1971 nach dem Aufbrechen des 1944 vereinbarten Systems fixer Wechselkurse von Bretton Woods zu einem plötzlichen Anstieg der Währungsrisiken und der Zinsänderungsrisiken. Die Folge war, dass bereits 1972/ 73 an der Chicago Mercantile Exchange (CME) der Handel mit sieben Währungsfutures ins Leben gerufen wurde. Im Jahr 1975 begann der Handel mit Zinsterminkontrakten - seit 1977 auf den Treasury-Bond lautend - am Chicago Board of Trade (CBOT). Die Jahre um 1980 waren durch eine Konsolidierung der Börsenlandschaft geprägt. Viele regionale Wertschriftenbörsen wurden zusammengelegt, um Börsen wenigstens nationaler Bedeutung zu schaffen. Erstmals ab 1980 wurden die Aktien aller Unternehmen eines Landes an einem einheitlichen Ort gehandelt. <?page no="63"?> 64 3 Kapitel: Banken und Börsen Einige der heute gebräuchlichen Aktienindizes gehen auf diese Zeit zurück. Die bekanntesten sind der Deutsche Aktienindex (DAX) von 1988, der Swiss Performance Index (SPI) von 1987, der Swiss Market Index (SMI) von 1988, der Compagnie des Agents de Change 40 Index (CAC40) in Paris von 1987 sowie der Austrian Traded Index (ATX) von 1991. Aus dieser Zeit datieren entsprechende Derivate (Optionen und Futures) auf die genannten Indizes. Der erste Aktienindex-Future wurde 1981 auf den Value Line Index am Kansas City Board of Trade (KCBT) gehandelt. Seit 1982 gibt es Futures auf den S&P 500 und seit 1990 auf den SMI. Ab 1990 wurden Kontrakte auf andere Basiswerte geschaffen, vorab auf Energie, auf Ausfallrisiken und auf Katastrophen. Der erste Handel mit solchen Kontrakten hatte bereits 1978 an der New York Mercantile Exchange (Nymex) gewisse Vorläufer. Seit 1996 sind an der Nymex Elektrizitätsderivate gelistet. Im Jahr 1997 wurde der Bankruptcy Index Future an der Chicago Mercantile Exchange (CME) als Basis für die Messung von Kreditausfällen etabliert. Zur Absicherung von Ausweitungen der Kredit-Spreads (Differenz der Rendite auf Anleihen geringerer Bonität zur Rendite von Anleihen höchster Bonität) gibt es seit 2000 Futures und Optionen auf Agency Notes der Hypothekaragentur Fannie Mae (FNMA, Federal National Mortgage Association). Abb. 11: Größte Börsen weltweit nach Marktkapitalisierung der gelisteten Unternehmen (Quelle: World Federation of Exchanges, 2013 und 2014). Der massive Kursrückgang zwischen 2000 bis 2003 und der damit zusammen hängende Anstieg der Unsicherheit haben an den Aktienmärkten einen großen Einfluss auf die Handelsvolumina gehabt. Im Gegensatz dazu konnten die Börsen für Derivate (Futures und Optionen) in dieser Zeit wachsende Umsatzzahlen vorweisen. Einen wesentlichen Grund hierfür stellt das Bedürfnis der privaten und institutionellen Anleger dar, ihre Portfolios gegen Kursverluste abzusichern. Stark entwickelt haben sich die Chicago Mercantile Exchange (CME) und das Chicago Board of Trade (CBOT). Auch die asiatischen Märkte konnten hohe Zuwachsraten verzeichnen. So verdrängte im Jahr 2001 die Korean Stock Exchange (KSE) die Eurex vom ersten auf den zweiten Platz. Die Eurex ist ein gemein- USD Mrd. USD Mrd. USD Mrd. Börse Ende 2011 Ende 2012 Ende 2013 NYSE Euronext (US) 11 796 14 086 17 950 NASDAQ OMX (US) 3 845 4 582 6 085 Japan Exchange Group na 3 681 4 543 London Stock Exchange Group 3 266 3 397 4 429 NYSE Euronext (Europe) 2 447 2 832 3 584 Hong Kong Exchanges 2 258 2 832 3 101 Shanghai SE 2 357 2 547 2 497 TMX Group 1 912 2 059 2 114 Deutsche Börse 1 185 1 486 1 936 SIX Swiss Exchange na 1 233 1 541 Marktkapitalisierung <?page no="64"?> 3.2 Wichtige Handelsplätze 65 schaftliches Unternehmen der Schweizer und der Deutschen Börse. Insgesamt zeigt sich, dass der elektronische Handel an verschiedenen Finanzplätzen zu einer Aufnahme ausländischer Marktteilnehmer geführt hat. Außerdem gibt es nun Börsenkooperationen, um einen Handel rund um die Uhr zu ermöglichen. Abb. 12: Größte Börsen weltweit nach Handelsvolumen (Quelle: World Federation of Exchanges, 2013 und 2014). 3.2.6 Clearing und Settlement Börsen als organisierte Marktplätze für Finanzkontrakte benötigen neben Einrichtungen zur Lösung der Informations- und Allokationsaufgabe geregelte Prozeduren für die Abwicklung der Transaktionen. Sie werden als Clearing und Settlement bezeichnet. Bis 1960 war es üblich, dass Wertpapiere physisch als Brief vom Verkäufer zum Käufer transportiert wurden. Mit der Ausweitung der Handelsvolumina wurde diese Form der Abwicklung umständlich, teuer und gefährlich. An der NYSE wurden um 1960 täglich zwischen 10 und 12 Millionen Aktien gehandelt, und jeden Tag transportierten Hunderte von Boten die entsprechenden Wertpapiere von einem Händlerhaus zum anderen durch die Wall Street. Es kam zu Verzögerungen in der Abwicklung, so dass die Börse jeden Mittwoch schließen musste und die Handelszeiten gekürzt wurden. Zur Lösung dieses Problems wurden verschiedene institutionelle Veränderungen eingeführt: Zunächst wurden zentrale Wertschriften-Sammelstellen gegründet, um die physischen Wertschriftentransporte auf ein Minimum zu reduzieren. Zwecks Ausgleich der Kauf- und Verkaufspositionen wurden Clearingsysteme eingerichtet: 1968 startete Euroclear mit Sitz in Brüssel, 1970 Cedel in Luxemburg, die SEGA (Schweizerische Effekten-Giro AG) in Zürich sowie 1973 die The Depository Trust Company (DTC) in New York. Das Netz umfasste weitere Clearingstellen wie die Kassenvereine in Deutschland und Sicovam in Frankreich. Diese Gemeinschaftswerke konnten ihren Zweck natürlich nur erfüllen, wenn sich die konkurrierenden Banken beteiligten und ihre Transaktionen über sie abwickelten. USD Mrd. USD Mrd. USD Mrd. Börse 2011 2012 2013 NYSE Euronext US 18 027 13 443 13 700 NASDAQ OMX US 12 724 9 784 9 585 Japan Exchange Group na 3 606 6 516 Shenzhen Stock Exchange 2 838 2 398 3 911 Shanghai Stock Exchange 3 658 2 630 3 785 London Stock Exchange Group 2 837 2 239 2 315 NYSE Euronext Europe 2 134 1 609 1 722 Deutsche Börse 1 758 1 301 1 383 Korea Exchange 2 029 1 589 1 334 TMX Group 1 542 1 361 1 333 Handelsvolumen <?page no="65"?> 66 3 Kapitel: Banken und Börsen Die Hauptfunktionen solcher Clearingorganisationen sind: 1. Die Abwicklung der Transaktionen (Settlement). 2. Die Aufbewahrung von Wertschriften (Custody). 3. Die Ausleihe von Wertpapieren (Securities Lending), 4. Der Zahlungsverkehr. Die nächste institutionelle Veränderung betraf die Abwicklung der Zahlungen. Kernstück war die Einführung der multilateralen Verrechnung der einzelnen Positionen (Multilateral Netting). Es war danach nicht mehr nötig, jede Transaktion einzeln abzuwickeln. Der Vorgang konnte sich fortan auf den Ausgleich der Saldi beschränken. Für eine lückenlose Abwicklung werden heute verschiedene Institutionen als Intermediäre eingeschaltet, so etwa die NSCC (National Securities Clearing Corporation) in New York, die seit 1999 mit der DTC unter dem Dach der DTCC (The Depository Trust & Clearing Corporation) zusammengefasst ist. Die NSCC funktioniert nach dem Prinzip eines Net Money Settlement Systems, saldiert also die Einzelzahlungen. Um die Transaktionsparteien gegen den gegenseitigen Ausfall zu schützen, tritt die NSCC bei allen Transaktionen als Gegenpartei ein. In den 1980er Jahren wurden die meisten Clearingorganisationen mit modernen Systemen zur Abwicklung internationaler Wertpapiertransaktionen ausgestattet. Die Leistungen umfassen die Abwicklung und Verwahrung nationaler und internationaler Wertpapiere. Im Gegensatz zum Net Settlement der NSCC betreibt die SIX in der Schweiz ein Online- Realtime-Abwicklungssystem. Die Transaktionen werden nicht saldiert, sondern ohne Zeitverzug abgewickelt. Entsprechend reduziert sich nicht nur die Abwicklungszeit, sondern auch das Gegenparteirisiko. 3.3 Fazit des Kapitels Banken und Börsen 3.3.1 Zusammenfassung Seit geraumer Zeit werden Finanzkontrakte rechtlich so gestaltet, dass sie leicht übertragen werden können (Fungibilität). Diese Entwicklung führt zum Wertpapier und zur Entstehung von Börsen. Eine Triebkraft dieser Entwicklung ist der Wunsch der Finanzinvestoren nach Liquidität. Zudem kann der enorme Kapitalbedarf, ausgelöst durch das in der modernen industriellen Gesellschaft benötigte Realkapital, letztlich nur durch Finanzmärkte aufgebracht werden. Finanzmärkte leisten drei Grundfunktionen: Sie erzeugen Liquidität, gestatten aufgrund der geringen Transaktionskosten die Portfoliobildung und damit eine bessere Allokation der Risiken, und sie erzeugen Informationen. Alles das bewirkt eine Steigerung der Wohlfahrt. Die Finanzwirtschaft hat im letzten Jahrhundert eine enorme Ausweitung erfahren (Erhöhung der Finanztiefe von weit unter 100% auf nunmehr fast 400%). Wir hatten drei Phasen unterschieden: In der ersten Phase war sie gleichsam ein bloßes Anhängsel der Realwirtschaft, die alles dominierte. Die zweite Phase ist durch den von S CHUMPETER gezeichneten Spaziergang beschrieben: Realwirtschaft und Finanzwirtschaft bewegen sich zusammen auf einem gemeinsamen Weg. In der dritten Phase steht das Geschehen in der Finanzwirtschaft im Mittelpunkt des Wirtschaftens schlechthin. In der Realwirtschaft werden die <?page no="66"?> 3.3 Fazit des Kapitels Banken und Börsen 67 Signale befolgt, die von den Finanzmärkten ausgehen. In der Finanzwirtschaft werden eigenständige wirtschaftliche Entscheidungen getroffen, die auf die Realwirtschaft ausstrahlen und diese lenken. 3.3.2 Lernpunkte 1. Die Realwirtschaft bezieht sich auf den wirtschaftlichen Einsatz konkreter Ressourcen wie Zeit, Rohstoffe, Material zur Produktion und Distribution von Gütern und Dienstleistungen. Zur Produktion wird Realkapital benötigt - also Sachkapital (Maschinen, Einrichtungen) und Wissenskapital (Know-how, Bekanntheit, Organisation) - das finanziert werden muss. Mit dem Begriff Finanzmarkt wird ausgedrückt, 1. dass viele Finanzkontrakte heute in einem marktähnlichen Umfeld übertragbar sind und 2. dass sich durch Vergleiche Angebot und Nachfrage bilden, und 3. dass sich in einem mehr oder minder intensiven Handel Preise bilden. Unter dem Kapitalmarkt wird der börsenähnlich organisierte Handel mit Anleihen einer Laufzeit von mehr als einem Jahr verstanden. 2. Die Lehre von den Institutionen zeigt, dass wirtschaftliche Kooperation und wirtschaftliche Austauschbeziehungen durch vier Organisationsformen bewerkstelligt werden können: Markt (Vergleiche), Hierarchie (Autorität), Bürokratie (Regeln), Familien (Empathie). 3. R ONALD C OASE hat als Argument für die Wahl der Organisationsform Transaktionskosten angeführt, Kosten für die Information, die Vertragsverhandlungen und die Überwachung der Ausführung. „Finanzmärkte“ können demnach erstens durch Intermediäre gemacht werden (Makler, Market-Maker) oder durch Börsen - Bürokratien und Familien scheiden aus. 4. Eine Börsenorganisation erbringt verschiedene Dienstleistungen: 1. Informationsbereitstellung: 2. Allokationsfindung und Clearing. 3. Abwicklung und Settlement. 3.3.3 Erwähnte Personen R ONALD C OASE , C HARLES D OW , E DWARD J ONES , J OSEPH S CHUMPETER 3.3.4 Schlüsselbegriffe Blue Chips, Börsen, Clearing, Custody, Gegenparteirisiko, Geldmarkt, Handelsplätze, Euromarkt, Finanzintermediäre, Kapitalmarkt, Langläufer, Laufzeiten, Makler, Market Maker, Securities Lending, Settlement, Sovereign Debt, Corporate Debt, Over The Counter (OTC), OTC-Handel, Transaktionskosten, Zahlungsverkehr. 3.3.5 Fragen zur Lernstandskontrolle 1. Bei der Nutzung des Marktes entstehen Transaktionskosten. Gehen Sie auf die drei Schritte der Information, der Verhandlung, der Kontrolle näher ein [Antwort: Abschnitt 3.1.1] und konkretisieren Sie diese Kosten für ein Beispiel, bei dem eine Person einer Unternehmung Fremdkapital überlässt. <?page no="67"?> 68 3 Kapitel: Banken und Börsen 2. Was wird unter „Clearing“ und was unter „Settlement“ verstanden und welche Transaktionskosten entstehen bei diesen Funktionen? [Antwort: Abschnitte 3.1.3 und 3.2.6] 3. a) Können die Kosten für Transaktionen, die über den Markt oder eine marktähnliche Organisationsform laufen, höher sein als die für interne Transaktionen innerhalb einer Unternehmung? [Antwort: Abschnitt 3.1.1]. b) Welcher Wissenschaftler hat argumentiert, dass sehr hohe Kosten der Marktnutzung einen Existenzgrund für die Bildung von Unternehmungen sein können? [Antwort: Abschnitt 3.1.1] 4. a) Worin unterscheiden sich Makler und Market-Maker? b) Wirken Banken, wenn sie Kredite geben, als Makler oder als Market-Maker? [Antwort: Abschnitte 3.1.2 und 3.1.4]. c) Auf welche Partei bezieht sich das Gegenparteirisiko, wenn der Finanzintermediär ein Makler beziehungsweise ein Market-Maker ist? 5. a) Unterscheiden Sie begrifflich Finanzmarkt, Kapitalmarkt, Geldmarkt, Inlandsmarkt, Euromarkt, Primärmarkt, Sekundärmarkt. [Antwort: Abschnitte 3.1.4 und 3.1.5]. b) Welches sind, dem Handelsvolumen nach, die größten Börsen? [Antwort: Abbildung 12] <?page no="68"?> 4. Kapitel: Dominanz der Finanzwirtschaft? Die Finanzmärkte haben sich, wie allgemein bekannt ist, vor allem in den letzten Jahrzehnten entwickelt und entfaltet (Abschnitt 4.1). Anfangs war das realwirtschaftliche Wachstum die treibende Kraft, später ist innerhalb der Finanzwirtschaft ein Eigenleben aufgekommen, bei dem die dort tätigen Menschen und Einrichtungen versuchen, Erfolg zu haben. Oft nehmen sie dabei nicht besonders Rücksicht auf das, was in der Realwirtschaft passiert (Abschnitt 4.2). Drei Phasen der Entwicklung Wie bewerkstelligt? Finanzen dienen der Realwirtschaft Finanzielle Vorgänge werden ebenso wie solche des Rechnungswesens als der Realwirtschaft dienende, untergeordnete Funktionen betrachtet. Finanzwirtschaft und Realwirtschaft stehen in wechselseitiger Beziehung lose miteinander verbunden (Schumpeter: Herr und Hund). Durch die Größe der Finanzwirtschaft in Relation zur Realwirtschaft haben beide die gleiche Einflusskraft. Die Finanzwirtschaft dominiert die Realwirtschaft. Die so genannte Finanztiefe beträgt einige hundert Prozent. 4.1 Größe der Finanzmärkte 4.1.1 Drei Gründe für die Entwicklung Der Begriff des Wirtschaftens kann nicht einzig als der haushälterische Umgang mit knappen Ressourcen - Arbeitszeit, Rohstoffe, Energie, Wissen - verstanden werden. Wirtschaften heißt, vor dem Hintergrund der Verwendung von Ressourcen, zu kooperieren. Die Kooperation verlangt, dass Verträge geschlossen und ausgeführt werden, und dass Institutionen gegründet werden, um wiederkehrende Kooperationen zu erleichtern. Bei diesen Verträgen und ihrer Abwicklung spielen Finanzkontrakte eine herausragende Rolle. Das Wirtschaftsleben umfasst daher neben der Realwirtschaft auch die Finanzwirtschaft. Finanzkontrakte sind immer wichtiger geworden, vor allem weil Realkapital immer bedeutsamer geworden ist: Es ist augenfällig, dass Realkapital bei der heutigen industriellen Produktion eine wichtigere Rolle spielt als im Handwerk vor 300 Jahren. Gründe sind der technische Fortschritt und der Größenvorteil weltweit tätiger Unternehmen. Um diese beiden Vorteile umzusetzen, sind aufwendigere Einrichtungen (Realkapital) für die Produktion erforderlich geworden. Daraus hat sich ein immer höherer Finanzierungsbedarf ergeben. Einrichtungen, <?page no="69"?> 70 4 Kapitel: Dominanz der Finanzwirtschaft? die den Abschluss und die Abwicklung von Finanzkontrakten erleichtern, sind Banken und andere Unternehmen und schließlich, in der modernen Welt, Finanzmärkte. Die große heutige Bedeutung der Finanzmärkte geht mithin auf drei Faktoren zurück: 1. Die Zunahme des Finanzierungsbedarfs: Durch das hohe Realkapital der modernen industriellen Welt sind Finanzkontrakte (Finanzkapital) immer wichtiger geworden. 2. Personen, die Geld anlegen, letztlich also Kapitalgeber, wünschen sich Liquidität, und sie wollen Portfolios bilden um zu diversifizieren. Sie ziehen mehrere Anleihen einem einzigen privaten, unkündbaren Kreditvertrag vor und mehrere Aktien einer einzigen, wenig übertragbaren Beteiligung. 3. Die Arbeitsteilung zwischen Kapitalgeber und Manager bedeutet, dass Kapitalgeber in den meisten Fällen eben nur Geld überlassen und sonst kaum Dienstleistungen (wie etwa Wissen) einbringen, so dass die Beziehung zwischen Kapitalgeber und Unternehmung recht lose gestaltet sein kann. Die Finanzwirtschaft ist mit der Realwirtschaft natürlich mehr oder weniger verbunden, vielleicht sogar gekoppelt oder verzahnt. Bei diesem letzten Bild der Verzahnung stellt sich die Frage, welches Zahnrad das andere treibt. Die Frage, ob die Realwirtschaft oder eher die Finanzwirtschaft die treibende Kraft ist, hat nicht zu allen Zeiten dieselbe Antwort gefunden. Wir wollen gleich anschließend drei Phasen der Entwicklung der Finanzwirtschaft unterschieden. Vor allem hängt die Frage, ob eine Seite die andere dominiert, von ihrer Größe ab. 4.1.2 Messung der Größe der Finanzmärkte Die Größe der Finanzmärkte kann absolut als Gesamtbetrag definiert werden oder relativ als Größenverhältnis zwischen Finanzmarkt und Realwirtschaft, gemessen durch die Finanztiefe. Der Gesamtbetrag (Daten von McKinsey & Co aus „Global Capital Markets 2013“) laufender Anleihen und der Gesamtwert von Aktien beträgt 225 Billionen Dollar (eine Billion = ein Tausend Milliarden = 10 12 , im englischen als Trillion bezeichnet). Dieser Gesamtbetrag hat sich bisher etwa alle zehn Jahre verdoppelt. Er ist damit etwa 60 mal so groß wie die gesamte Wirtschaftsleistung in Deutschland (Bruttoinlandsprodukt 2011 = 2736 Milliarden Euro = 3648 Milliarden Dollar). Anschaulich gesprochen: Die Deutschen müssten über rund 60 Jahre hinweg ihre gesamte Wirtschaftsleistung hergeben, um die weltweit bestehenden finanziellen Ansprüche und Forderungen zu erfüllen. Die Finanztiefe, definiert als Summe weltweiter Schulden plus weltweiter Werte der Aktien von Unternehmen geteilt durch die globale Wirtschaftsleistung (Summe der Bruttoinlandsprodukte der Nationen) beträgt 356%. In dem durch die Finanztiefe ausgedrückten Sinn sind die globalen Finanzmärkte fast viermal so groß wie die weltweite Realwirtschaft. Die Finanztiefe war früher geringer. Vor zwanzig Jahren lag sie bei 260%. Sie hat bisher mit jährlich 1,5% zugenommen - das ist der Geschwindigkeitsunterschied im Wachstum von Finanz- und Realwirtschaft. In zwanzig Jahren dürfte die Finanzwirtschaft fünfmal so groß sein wie (dann) die Realwirtschaft sein wird. <?page no="70"?> 4.2 Drei Phasen 71 Aufgrund dieses absoluten und relativen Größenverhältnisses ist die Wirkung der Finanzwirtschaft auf die Realwirtschaft kraftvoll und dominant. Bedeutung und breite Ausstrahlung der Finanzwirtschaft manifestieren sich in den zahlreichen, attraktiven und einflussreichen Arbeitsplätzen im Finanzbereich. In der Schweiz beispielsweise werden im Finanzsektor mit 12% aller Arbeitsplätze 20% der gesamtwirtschaftlichen Wertschöpfung des Landes erbracht. In den USA sind diese Zahlen ähnlich. Selbstverständlich gibt es Nationen, bei denen die Industrie ein größeres Gewicht besitzt (und der Finanzbereich teilweise unter staatlicher Führung steht), wie etwa in China. 4.2 Drei Phasen 4.2.1 Phase I Anfangs war es so, dass die Finanzwirtschaft, ihre Institutionen und ihre Instrumente von den Menschen eingerichtet wurden, um die Realwirtschaft zu unterstützen. Geld wäre demnach ein Schmiermittel, um Reibungen beim Gütertausch zu verringern. Banken wären als Kreditgeber dort tätig, wo Kredite für die Beschaffung von Realkapital benötigt werden. Eigenkapital gäbe es, wo unternehmerische Risiken zu tragen sind. Dies ist das Bild eines frühen Stadiums der Entwicklung der Finanzwirtschaft. Was in der Finanzwirtschaft geschieht, ist in dieser ersten Phase ein Abbild des realwirtschaftlichen Geschehens. Die Finanztiefe ist weit unter 100% und damit gering (sie war definiert als Summe weltweiter Schulden plus weltweiter Werte der Aktien von Unternehmen geteilt durch die globale Wirtschaftsleistung. Dominant im Wirtschaftsleben bleiben in dieser ersten Phase die Unternehmer und der Staat. Sie gestalten die Realwirtschaft nach eigenem Dünken und eigenen Visionen oder nach den Entscheidungen der Regierenden. Dass es in dieser Welt Banken und Kredite, Gesellschafter und Aktionäre gibt, ist durchaus akzeptiert, eben weil die Finanzwirtschaft der Realwirtschaft dient und ihren friktionslosen Ablauf erleichtert. Akzeptiert ist auch, dass Kapital etwas kostet: Kapitalgeber verlangen Rückflüsse für das überlassene Geld. Diese Tatsache muss der Manager in die Kalkulation der Geschäfte einfließen lassen. Insgesamt spielt die Finanzwirtschaft in diesem Entwicklungsstadium eine der Realwirtschaft klar untergeordnete Rolle. Vielleicht war diese erste Phase bei uns noch vor 50 Jahren zutreffend. Ebenso trifft das gezeichnete Bild der ersten Phase den heutigen Entwicklungsstand des chinesischen Finanzsystems. Es ist von Partei und Staat dominiert, und die staatliche Politik und ebenso die vom Staat gegebenen Informationen haben einen großen Einfluss auf das Geschehen an den chinesischen Finanzmärkten. Die Partei und der Staat nehmen so Einfluss, dass die Ziele der Realwirtschaft gefördert werden. Kapitalgeber sollen eine faire Rendite erhalten, doch es wird vermieden, dass die Finanzmärkte so groß und so frei werden, dass (internationale) Finanzinvestoren eines Tages von sich aus über den chinesischen Finanzmarkt Bedingungen stellen könnten, mit denen die Realwirtschaft eine (politisch vielleicht nicht erwünschte) Richtung einschlagen müsste. Wann hat die erste Phase begonnen? In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts schufen Skalenerträge in Industrie (Maschinenbau, Chemie) und Infrastruktur (Eisenbahnen) Nach- <?page no="71"?> 72 4 Kapitel: Dominanz der Finanzwirtschaft? frage nach neuen Formen der Aufbringung von Eigenkapital. Es mussten in bis dahin unbekannter Größenordnung finanzielle Ressourcen zusammengelegt werden. Dies war der Ursprung der Aktiengesellschaft. Ein Beispiel ist der ab 1825 zunächst noch privat finanzierte Bau von Eisenbahnstrecken. Mit der Schaffung von Bundesstaaten, der Harmonisierung von Rahmenbedingungen innerhalb der Nationalstaaten (Abbau von Zöllen), mit neuen Technologien und mit Größenvorteilen entstand das Bedürfnis, bestimmte Leistungen auf der Ebene des Gesamtstaates zu organisieren. Um 1870 herum traten viele Nationalstaaten selbst als Gründer großer Unternehmen auf. Die Staaten nahmen Fremdkapital auf. Da Banken Kredite in der benötigten Größenordnung nicht mehr geben konnten, wurden die Mittel über die Ausgabe von Staatsanleihen beschafft. 4.2.2 Phase II Die Finanzwirtschaft hat sich weiter entwickelt und ist in eine zweite Phase getreten. Der technische Fortschritt und die Globalisierung der Wirtschaft verlangen mehr Realkapital, sowohl als Sachwie auch als Wissenskapital. Der Kapitalbedarf der Wirtschaft steigt. Neue Risiken kommen hinzu: unternehmerische Risiken, Unsicherheiten hinsichtlich der Zinsentwicklung und der Veränderung der Währungsparitäten. Neue Instrumente sind verlangt, der Handel mit Terminkontrakten und Optionen nimmt zu. Immer mehr Finanzkontrakte werden als Anleihen und als Aktien verbrieft, der Börsenhandel nimmt in allen Segmenten zu. Mit der Entwicklung der Finanzmärkte werden wissenschaftliche Untersuchungen angeregt. Die im Finanzbereich tätigen Personen beginnen mit eigenen wirtschaftlichen Überlegungen. Sie handeln nicht mehr allein als Diener der Realwirtschaft, sondern sehen Chancen in der Weiterentwicklung des Finanzbereichs aus eigenem Antrieb. Sie ändern Portfolios ohne Rücksicht auf die Realwirtschaft, allein aus Überlegungen hinsichtlich Rendite, Risiko und Liquidität. Im Finanzbereich selbst beginnt eine vertiefte Arbeitsteilung, es gibt Spezialisierungsvorteile. Zudem gibt es Innovation. Neues kommt auf, Strukturierte Produkte, und es gibt neue Stile, um an Finanzmärkten aktiv zu werden. Dazu gehören Hedgefonds sowie der Computerhandel. Nicht zuletzt streben die Banken wie die anderen im Finanzbereich tätigen Firmen nach Gewinn. In dieser zweiten Entwicklungsphase der Finanzwirtschaft kommt dort immer mehr Eigenleben auf. Transaktionen setzen ein, die nur noch indirekt mit der Realwirtschaft zu tun haben oder durch Informationen aus der Realwirtschaft ausgelöst werden. Die Finanztransaktionen beziehen sich vermehrt auf andere finanzielle Positionen, Informationen und Erwartungen. Als Beispiels seien Derivate (Optionen, Futures) genannt, die als Basiswert ein anderes Wertpapier haben. Baskets werden geschaffen, die mehrere andere Wertpapiere enthalten. Auf Indizes werden Kontrakte bezogen. In dieser Phase gibt es geschäftliche Möglichkeiten nicht nur für Anleger und für jene, die ein Unternehmen finanzieren. Trader, Arbitrageure und Spekulanten nehmen finanzielle Positionen ein, ohne dass sie mit ihren Transaktionen im Sinn haben, die Realwirtschaft zu erleichtern und deren Realkapital zu finanzieren. Sie wollen im Finanzbereich Geld verdienen. Gleichfalls beginnen Banken und Versicherungen, sich als Intermediäre zwischen rein <?page no="72"?> 4.2 Drei Phasen 73 Abb. 13: Aktien, Bonds und Preisindex 1900 bis 2013. Wer zu Beginn des Jahres 1900 in der Schweiz 100 Franken in Aktien anlegte (und auch die Dividenden reinvestierte), hatte am Jahresende 2013, also 114 Jahre später, 170.871 Franken. Wer Obligationen für die Anlage wählte, kam bei Wiederanlage der ihm zugeflossenen Kuponzahlungen von 100 auf 19.740. Allerdings hat auch die Kaufkraft des Frankens etwas abgenommen. Der Preis des Warenkorbs stieg von 100 auf 1.242. Eigene Berechnungen aufgrund von Daten der Bank Pictet sowie von ELROY DIMSON und MIKE STAUN- TON (2005). finanziell orientierten Kunden und Partnern zu betätigen, ohne dass die Geschäfte einen direkten realwirtschaftlichen Grund haben. Zudem sind in dieser zweiten Phase auf einmal in der Realwirtschaft andere Menschen tätig als in der Finanzwirtschaft. In der Realwirtschaft handeln Manager und Unternehmer, und sie haben stets eine konstant vorsichtig optimistische Sicht der Zukunft - andernfalls würden sie die Produktion einstellen. Sie schätzen die weitgehende Konstanz der Wirtschaftsentwicklung deshalb, weil ihre Investitionen, eben das Realkapital, nicht über Nacht geändert oder verkauft werden kann. Es muss sich über einen Zeitraum mehrerer Jahre auszahlen. In der Finanzwirtschaft entscheiden hingegen Finanzinvestoren und Spekulanten, die einmal vor Optimismus überschäumen, ein andermal pessimistisch sind. Sie möchten Geld verdienen, doch was lockt, ist das schnelle Geld. So kommt es dazu, dass die Finanzwirtschaft und die Realwirtschaft nur noch lose zusammenhängen, nicht aber starr verbunden sind. Auf den Ökonomen J OSEPH S CHUM- PETER (1883-1950) geht das Gleichnis vom Herrn und dem Hund zurück, die miteinander spazieren gehen. Die Metapher beschreibt gut die zweite Entwicklungsphase. Der Herr (= Realwirtschaft) geht gleichmäßigen Schrittes seinen Weg und lässt sich nicht von dem ablenken, was es am Tag des Spaziergangs links und rechts zu sehen gibt. Der Hund (= Finanzwirtschaft) reagiert sensibel auf Einflüsse der Umwelt und bleibt mal hinter seinem Herrn zurück, mal springt er voran. 10 100 1'000 10'000 100'000 1'000'000 1900 1905 1910 1915 1920 1925 1930 1935 1940 1945 1950 1955 1960 1965 1970 1975 1980 1985 1990 1995 2000 2005 2010 Aktien: von 100 auf 170.871 Bonds: von 100 auf 19.740 Preisindex: von 100 auf 1.242 <?page no="73"?> 74 4 Kapitel: Dominanz der Finanzwirtschaft? Die Idee von S CHUMPETER ist, dass letztlich beide gemeinsam an das Ziel gelangen. Gleich müsste es in der Beziehung zwischen der Finanz- und der Realwirtschaft sein: Der Unternehmer hat Vertrauen in seine Pläne und Ideen, fühlt sich der Realwirtschaft verpflichtet - die Geschäftsidee, der Betrieb, die Produkte, die Kundschaft zählen - und nimmt sich Zeit. Gibt es etwas zu verbessern, werden die entsprechenden Schritte eingeleitet. Der Finanzinvestor ist demgegenüber scheu und schnell. An den Börsen stimmt er mit den Füßen ab. Zeichnet sich ein Nachteil ab, wird das Wertpapier sofort verkauft. Dadurch eilen die Börsen mal dem Wachstum der Realwirtschaft voran, mal bleiben sie zurück. Die Metapher von S CHUMPETER hat ihre Gültigkeit bei diesem Entwicklungsstand der Finanzwirtschaft (Phase II). Bei der wissenschaftlichen Untersuchung des Zusammenhangs zwischen Realwirtschaft und Finanzwirtschaft spielt der Zeithorizont eine wichtige Rolle. Da die Finanzwirtschaft eine höhere Reaktionsgeschwindigkeit als die Preise an den Güter- und Arbeitsmärkten hat, können die Finanzmärkte neue Informationen schneller ausdrücken als die Realwirtschaft. So eilen sie der Realwirtschaft voran. Ab und zu gibt es Kurssprünge, oder es kommt zu einem Überschießen (Overshooting) der Kurse. R UDIGER D ORNBUSCH (1942-2002) zeigte, dass gerade wegen der Langsamkeit der Realwirtschaft die Finanzmärkte durch übertriebene Kursreaktionen auf neue Informationen einen Ausgleich schaffen müssen. Das Überschießen dauert so lange, bis sich in der langsamen Realwirtschaft das neue Gleichgewicht eingestellt hat. Kurzfristig kann es also zu Inkongruenzen zwischen Realwirtschaft und Finanzwirtschaft kommen, während sich die Effekte langfristig ausgleichen dürften. Weil die Kurse sehr schnell auf neue Informationen reagieren, kann der Zusammenhang zwischen Realwirtschaft und Finanzwirtschaft nicht starr sein. Vielmehr handelt es sich um eine längerfristig gültige Identität. 4.2.3 Phase III In einer dritten Phase ist die Finanzwirtschaft sehr hoch entwickelt, die Finanztiefe beträgt inzwischen weit über 100%. Im Vergleich dazu ist die Realwirtschaft zurück gedrängt. Junge Berufsanfänger möchten eigentlich nur noch im Finanzbereich tätig sein; Arbeitsplätze in der Industrie erscheinen nicht mehr so attraktiv. Man kann nicht mehr von einer Partnerschaft zwischen Realwirtschaft und Finanzwirtschaft und von einem gemeinsamen Weg sprechen, den Herr und Hund noch im Gleichnis von S CHUMPETER gegangen sind. Wichtige wirtschaftliche Entscheidungen werden inzwischen allein in der Finanzwirtschaft getroffen, also von Banken, Versicherungen und den Teilnehmern an den Finanzmärkten. Die Realwirtschaft orientiert sich in dieser Phase in allen bedeutenden Dingen an Signalen, die von den Finanzmärkten ausgehen. Die Realwirtschaft ist mittlerweile zum Ausführenden von Entscheidungen geworden, die allein aufgrund von finanziellen Überlegungen in der Finanzwirtschaft getroffen werden. Jüngst beispielsweise wurden die Produktionspalette und die Absatzstrategie der Unternehmung Apple Inc., Cupertino, California, USA diskutiert. Die Kritik und Vorschläge wurden lautstark von Analysten und von Finanzfirmen weltweit formuliert. <?page no="74"?> 4.3 Fazit zum Kapitel Dominanz der Finanzwirtschaft? 75 In dieser dritten Phase zeigt sich somit immer mehr eine gewisse Rücksichtslosigkeit von in der Finanzwirtschaft aktiven Personen gegenüber der Realwirtschaft. Der Politiker F RANZ M ÜNTEFERING verglich Hedgefonds mit „Heuschrecken“, die ausschwärmen und Unternehmen überfallen könnten. Auch ganze Institutionen gehen immer größere Risikopositionen ein, um Chancen zu haben. Sie handeln nach dem Grundsatz, dass Gewinne privat bleiben und Verluste sozialisiert werden. Der Staat entdeckt zunehmend Einengungen seiner Entscheidungsfreiheit. Banken sind so groß, dass ihre Zahlungsschwierigkeiten eine Krise auslösen könnte, so dass sie davon ausgehen können, gerettet zu werden („too big to fail“). Gleichzeitig werden Finanzinformationen immer schonungsloser: Staaten werden als Schuldner einem Rating unterzogen, das die frühere Gnade und Großzügigkeit verloren hat zugunsten kritischer Schärfe, auch wenn das Rating verletzt und teuer zustehen kommt. 4.3 Fazit zum Kapitel Dominanz der Finanzwirtschaft? 4.3.1 Zusammenfassung Warum sind die Finanzmärkte „groß“ und so „dick“ („thick“) und warum so bedeutend geworden? Drei Gründe stehen im Vordergrund, nämlich die Zunahme des Finanzierungsbedarfs seitens der Realwirtschaft, der Wunsch der Anleger und Finanzinvestoren nach Liquidität und die Arbeitsteilung zwischen Kapitalgeber und Manager. Die Größe der Finanzmärkte kann absolut als Gesamtbetrag der offenen Positionen ausgedrückt werden und relativ durch die Finanztiefe. Die Finanztiefe setzt den Gesamtbetrag in Relation zum BIP. Hinsichtlich der Relation zwischen Finanzwirtschaft und Realwirtschaft wurden zwei Phänomene besprochen, das Overshooting (R UDIGER D ORNBUSCH ) sowie das Gleichnis vom Spaziergang des Herrn mit seinem Hund (J OSEPH S CHUMPETER ). Dabei können drei Entwicklungsstufen der Finanzmärkte unterschieden werden. In der ersten dienen die Finanzen der Realwirtschaft und sind ihr untergeordnet. Finanzielle Vorgänge werden ebenso wie solche des Rechnungswesens als der Realwirtschaft dienende, untergeordnete Funktionen betrachtet. In der zweiten Stufe sind Finanzwirtschaft und Realwirtschaft der Bedeutung nach gleichrangig. Durch die Größe der Finanzwirtschaft in Relation zur Realwirtschaft haben beide die gleiche Einflusskraft. Sie sind dabei in wechselseitiger Beziehung lose miteinander verbunden (Schumpeter: Herr und Hund). In der dritten Entwicklungsstufe dominiert die Finanzwirtschaft die Realwirtschaft durch die beträchtlichen Größenunterschiede. 4.3.2 Lernpunkte 1. Gründe für das Wachstum der Finanzmärkte liegen erstens im Wachstum der Realwirtschaft und zweitens in Vorteilen, die entstehen, wenn finanzielle Positionen über Märkte alloziert werden. Auch diese Vorteile haben das Wachstum und die Entfaltung der Finanzmärkte in Tiefe und Breite begünstigt. 2. Was Überschießen (Overshooting) bedeutet und was das Gleichnis vom Herrn und vom Hund besagt. <?page no="75"?> 76 4 Kapitel: Dominanz der Finanzwirtschaft? 3. Wie hoch heute der Gesamtbetrag der offenen Finanzpositionen ist (über 200 Billionen USD), wie groß die Finanztiefe ist (bald 400 Prozent) und welchen Geschwindigkeitsunterschied es in der Weiterentwicklung zwischen Finanzmärkten und Realwirtschaft gibt (um 1,5% wachsen die Finanzmärkte schneller). 4. Die Merkmale der drei, bei der Entwicklung der Finanzmärkte unterschiedenen Phasen. 4.3.3 Erwähnte Personen R UDIGER D ORNBUSCH , J OSEPH S CHUMPETER , F RANZ M ÜNTEFERING . 4.3.4 Schlüsselbegriffe Finanztiefe, Gesamtbetrag, Overshooting. 4.3.5 Fragen zur Lernstandskontrolle 1. Um die Größe von Finanzmärkten zu messen, werden der offene Gesamtbetrag und die Finanztiefe betrachtet. Wie ist die Finanztiefe definiert und wie groß ist sie? [Antwort: Abschnitt 4.1.2] 2. a) Inwiefern sind die Finanzmärkte insgesamt gesehen „breit“ oder „thick“? b) Welche Segmente der Finanzmärkte sind hingegen eher „isoliert“ und in diesem Sinn auch „dünn“? [Antworten: Abschnitt 4.3.1] 3. Richtig oder falsch? a) Wer von 1900 bis 1960 in der Schweiz Geld in Renten oder in Aktien angelegt hat, musste hinnehmen, dass über diese sechs Jahrzehnte hinweg sich die Renten besser entwickelt hatten als eine Anlage in Aktien. b) Ebenso waren von 1970 bis 1987 sowie von 1999 bis 2013 Aktien kaum besser als Renten. [Antworten: Abschnitt 4.2.2] 4. a) Was wird unter „Überschießen“ (R. Dornbusch) verstanden? b) Was besagt die in Kapitel 4 besprochene Metapher (J. Schumpeter) vom Spaziergang? c) Hat dieses Gleichnis in allen Phasen der Entfaltung von Finanzmärkten Gültigkeit? [Antworten: Abschnitt 4.2.2] 5. Im Kapitel 4 wurden drei Entwicklungsphasen der Finanzwirtschaft (in Relation zur Realwirtschaft) betrachtet. Geben Sie kurze Charakterisierungen der drei Phasen. [Antwort: Abschnitt 4.2] <?page no="76"?> 5. Kapitel: Die Rendite Die Rendite drückt für den Finanzinvestor aus, wie gut es gelungen ist, die Verfügbarkeit von Geld in der Zeit zu transformieren, wie gut es also gelungen ist, mit einer früheren Auszahlung eine spätere Einzahlung zu erhalten. So wie die Rendite vom Kapitalanleger erwünscht wird, so muss sich der Kapitalverwender anstrengen, sie zu erarbeiten und die entsprechenden Zahlungen zu leisten. Für jene, die Finanzmittel aufnehmen, erscheint die Rendite im Licht von Kosten. Rendite und Kapitalkosten sind insoweit zwei Blickrichtungen auf dieselbe Sache. Was eine zukünftige Periode betrifft, so sind erwartete oder versprochene Zahlungen natürlich immer mit gewissen Unsicherheiten verbunden. Bei Aktien hängt die Rendite ganz explizit vom weiteren wirtschaftlichen Erfolg der Unternehmung ab sowie davon, wie er allgemein eingeschätzt wird. Bei Anleihen, selbst bei Staatsanleihen, kann es immer zu einem Kreditereignis kommen, zu einem Default. Dabei kann es sich um eine Zahlungsstockung beim Schuldner handeln, um einen Ausfall des Kredits, oder sogar um einen Konkurs des privaten Schuldners oder bei Sovereign Debt um einen Staatsbankrott. Verteilungsparameter der Finanzanlage Formen Rendite Periodische Rendite und Kursänderungen eines Finanzinstruments Risiko Schwankungsrisiko der Rendite und Shortfall-Risiko Risikoprämie Zusatzrendite über den risikofreien Zinssatz hinaus als Kompensation für nicht diversifizierbare Risiken Diese Unsicherheiten (Abschnitt 5.1) haben zur Folge, dass zukünftige Renditen unsicher sind. Die Empirie zeigt, dass die Kursbildung an informationseffizienten Märkten einem Zufallsprozess folgt. Von daher können Renditen als Zufallsgrößen aufgefasst werden. Die Wahrscheinlichkeitsverteilung und die Parameter der Wahrscheinlichkeitsverteilung einer Rendite, vor allem der Erwartungswert und die Standardabweichung der Rendite, werden mit üblichen empirischen Methoden (Statistik und Analyse historischer Daten) geschätzt (Abschnitt 5.2). <?page no="77"?> 78 5 Kapitel: Die Rendite 5.1 Zufall 5.1.1 Zinsniveau und Rendite Angebot und Nachfrage von Finanzkontrakten hängen von mehreren Umständen und Faktoren ab: Vor allem kommt es darauf an, wie die wirtschaftliche Zukunft eingeschätzt wird. Wenn beispielsweise die Manager für ihre Unternehmungen Ertragschancen sehen, dann entscheiden sie, das Realkapital in ihrer Unternehmung aufzubauen. Sie wollen die Produktionskapazität ausbauen und Innovationen aufgreifen. Sie wollen investieren und möchten Kapital aufnehmen. Ähnliche Überlegungen werden in der Politik getroffen und bestimmen den Kapitalbedarf des Staates. Die Nachfrage nach Kapital steigt bei guten wirtschaftlichen Aussichten und bei Zuversicht. Manager und Unternehmer sind daher bereit, den Anlegern und Kapitalgebern attraktivere Konditionen zu bieten. Sie sind beim Fremdkapital bereit, höhere Zinsen zu zahlen, und beim Eigenkapital stellen sie höhere Renditen in Aussicht. Bei einer positiven Einschätzung der Zukunft werden also das Zinsniveau und die erwarteten Renditen steigen. Bei der Beurteilung der wirtschaftlichen Zukunft spielt hinein, wie sich die Demografie und das Einkommen der Bevölkerung entwickelt. Der Staat schätzt seinen Investitionsbedarf in Abhängigkeit der Bevölkerungsentwicklung als eine der Determinanten des Bedarfs an Infrastruktur. Die demografische Struktur gibt Hinweise über den Konsumbedarf, etwa seitens der älteren Menschen. Beim Kapitalangebot hat Einfluss, ob die Menschen überhaupt Geld haben, das sie anlegen können. Typischerweise haben sich in den entwickelten Ländern mit einer wohlhabenden Bevölkerung eher Börsen entwickelt als in den ärmeren Ländern. Schließlich kommt es auf die Situation an den ausländischen Finanzmärkten an: Ausländische Kapitalnachfrager könnten sich im Inland verschulden wollen; ausländische Finanzinvestoren könnten im Inland anlegen wollen. Für sie sind Konditionsunterschiede maßgebend, die Stabilität des Landes, die Zuverlässigkeit des Rechtssystems, die Währungskonstellation sowie die Freiheit und Offenheit bei Kapitaltransfers. Immer wieder gibt es hingegen Phasen, in denen die Menschen ihre Zukunft eher trüb einschätzen. Gibt es in der Realwirtschaft Überkapazitäten und wenig Innovationen, dann finden die Konsumenten oft, dass sie besser ihr Geld zusammen halten und nicht noch riskante Investments eingehen sollten. Da die Unsicherheit von den Kapitalgebern als hoch angesehen wird, schwindet die Bereitschaft, Risiken zu übernehmen. Finanzinvestoren versuchen dann, ihr Kapital in geldnahen Formen sicher zu halten. Die Unternehmen können nicht ihre Eigenkapitalbasis vergrößern. Zudem werden Unternehmen in solchen Situationen nicht viel investieren. Die Nachfrage nach Kapital bildet sich generell zurück. Bald entdeckt der Staat, dass auch er sparen sollte, und darauf kann sich die wirtschaftliche Situation weiter eintrüben. Die Einschätzungen der Zukunft beeinflussen die Renditen. Die Formel lautet: Gute Wirtschaftsperspektiven = steigende Zinsen und hohe Renditeerwartungen. Schlechte Wirtschaftsperspektiven = fallende Zinsen und geringe Renditeerwartungen. Zur Erinnerung: Die Rendite ist eine Kennzahl, die den Anlageerfolg eines Jahres in einer Zahl ausdrückt. Die einfache oder diskrete (weil auf zwei Zeitpunkte bezogene) Rendite r errechnet sich aus jenen Geldbeträgen, die dem Investor während des Jahres zufließen - sie <?page no="78"?> 5.1 Zufall 79 seien mit D bezeichnet, sowie der Differenz zwischen dem Kurs am Jahresende und dem Kurs am Jahresanfang, 1 t + t K K . Die Summe von Zahlung und Kursänderung wird durch den Anfangskurs dividiert: t +1 t t D + K K r = K . Der Inhaber einer Anleihe erhält die Kuponzahlung und dazu kann es eine Kursänderung geben. Um ein Zahlenbeispiel anzuführen: Wer für € 98 Euro eine Anleihe kauft - ein Jahr später steht ihr Kurs bei € 99,50 und zudem gab es zweimal im Jahr je € 1,50 an Kuponzahlungen - hat in dem betreffenden Jahr eine Rendite von 4,59%. Bei Anleihen haben die Kursänderungen vor allem drei Gründe: 1. Das allgemeine Zinsniveau kann sich ändern. Bei steigendem Zinsniveau ist die sich bereits im Sekundärmarkt befindende Anleihe mit dem zuvor festgeschriebenen Kupon weniger attraktiv. Ihr aktueller Kurs sinkt. 2. Die Bonität des Schuldners kann sich ändern. Sie kann sich verschlechtern oder verbessern. Eine sich verschlechternde Bonität ist bei unternehmerischen Schuldnern besonders dann zu befürchten, wenn sich die allgemeinen Wirtschaftsaussichten verdunkeln. 3. Sodann gibt es automatische Kursänderungen. Wenn der Tag der Rückzahlung der Anleihe näher rückt, geht der Kurs gegen ihren Nominalwert, der den Betrag der Rückzahlung beschreibt. Der Aktionär sieht die Rendite als Summe der Dividendenrendite und der relativen Kursveränderungen. Das sieht zunächst so aus als ob die Börsianer selbst über die Kursveränderungen entscheiden, weil die Kursbildung von Angebot und Nachfrage der Börsianer abhängt. Gelegentlich denken auch die Manager, sie hätten mit dem Geschehen an der Börse nichts weiter zu tun und sollten es daher auch nicht zur Kenntnis nehmen. Doch die Kursveränderungen der Aktien sind von Börsianern nicht hausgemacht. Bei den Kursveränderungen bei einer Aktie kommt es auf drei Punkte an: Wie schätzen die Marktteilnehmer allgemein den Wert der Unternehmung ein? Dabei kann sich mit jeder neuen Nachricht über die Unternehmung und ihr wirtschaftliches Umfeld die Bewertung ändern. Nachrichten hängen von dem ab, wie die Performance der Unternehmung in der Realwirtschaft aussieht, also von den Entscheidungen und von der Kommunikation des Managements. Die Preisbildung (Finden von Zinsniveau und von Rendite über die Kurse) an den Kapitalmärkten ist also vielfältigen Einflüssen ausgesetzt. Dazu gehören die generelle Einschätzung der Zukunft, die Demografie, und andere Einflussgrößen. Auch an den Börsen hängt die Kursentwicklung wie eben argumentiert wurde von den Fundamentaldaten ab und vom Strom der Nachrichten über fundamentale Sachverhalte. <?page no="79"?> 80 5 Kapitel: Die Rendite Abb. 14: Zinssätze in Deutschland 1980 bis 2014 (Datenquelle: Thomson Reuters Datastream). 5.1.2 Empirie Zinsniveau und die Renditen können sich im Zeitablauf also verändern, eben weil sich die Einschätzungen der Zukunft im Lauf der Zeit mit dem Aufkommen neuer Nachrichten verändern. Die Empirie zeigt, dass dies nicht auf eine „irgendwie unsichere“ Art geschieht, sondern dass sich die Renditen wie in einem Zufallsprozess verändern. Das heißt, die Rendite für einen gewissen, zukünftigen Zeitraum, kann als Zufallsgröße aufgefasst werden, die wiederum einer gewissen Wahrscheinlichkeitsverteilung folgt. Der Typ der Verteilung und die Parameter, allen voran der Erwartungswert und die Standardabweichung der Rendite werden mit empirischen Methoden geschätzt. Das heißt, es wird unterstellt, dass es keinen „Systembruch“ gegeben hat und die Renditen, die in der Vergangenheit zu beobachten waren, nach derselben Wahrscheinlichkeitsverteilung als Zufallsgrößen erzeugt worden sind. Zur Wahrscheinlichkeitsverteilung der Renditen wird vielfach die Normalverteilung unterstellt, und in der Tat sind viele, aber nicht alle historische Renditen hinlänglich gut mit dieser Verteilungsannahme beschrieben. Was die beiden genannten Parameter betrifft, so wird anstelle von „Erwartungswert der Rendite“ kurz Renditeerwartung oder noch kürzer Return gesagt. Die Standardabweichung der Rendite drückt hingegen das Risiko aus. Die Standardabweichung der Rendite wird im angelsächsischen kurz als Risk bezeichnet. Risk und Return sind also die beiden wichtigsten Parameter der Wahrscheinlichkeitsverteilung der zufälligen Rendite. Die zufällige Rendite kann Realisationen haben, die über oder unter der erwarteten Rendite liegen. Es muss mit umso größeren Abweichungen der später eingetretenen und dann 0% 2% 4% 6% 8% 10% 12% 14% 16% 1980 1982 1984 1986 1988 1990 1992 1994 1996 1998 2000 2002 2004 2006 2008 2010 2012 2014 GERMANY BENCHMARK BOND 10 YR (DS) - RED. YIELD GERMANY MONEY 1 M(DISC) - MIDDLE RATE GERMANY INTERBANK 5 MONTH - OFFERED RATE GERMANY INTERBANK 1 MONTH - OFFERED RATE <?page no="80"?> 5.1 Zufall 81 bekannten tatsächlichen Rendite von der Renditeerwartung gerechnet werden, je größer die Standardabweichung ist. Der Begriff des Risikos umfasst bei der wissenschaftlichen Behandlung des Finanzmarktgeschehens daher den Begriff der Chance sowie den der Verlustgefahr. Der Risikobegriff wird daher in der Finance anders gebraucht als in der Versicherungswirtschaft, wo Risiko die Wahrscheinlichkeit für einen Schaden bezeichnet. Abb. 15: Nominale und reale Vermögensentwicklung von Schweizer Aktien und Bonds (oben) sowie deren nominale Renditen (unten) im Zeitraum 1926-2013 (Datenquelle: Pictet 2014). Bild 15 zeigt die einfachen Jahresrenditen für Anleihen und für Aktien für den Zeitraum 1926-2013 und die Schweiz. Gezeigt sind nominale Renditen: es wird nicht gefragt, wie sich die Kaufkraft des Anlageergebnisses verändert hat. Es fällt auf, dass die Jahresrenditen für Aktien - es handelt sich um ein diversifiziertes Portfolio schweizerischer Aktien - deutlich stärker streuen als die für Anleihen: Immer wieder gab es deutliche Einbrüche mit Jahresrenditen von weniger als -20%. Zudem gab es bei Aktien auch kraftvolle Entwicklungen mit mehr als +40% Rendite. Die Streuung oder Standardabweichung der Jahresrenditen ist als recht groß zu bezeichnen. Ebenso fällt auf, dass auch die Jahresrenditen der Anleihen - wiederum ein Portfolio aus schweizerischen Obligationen - schwanken, wenngleich deutlich geringer als die von Aktien. Es gab sogar einzelne Jahre mit negativen Renditen für Obligationen. In jenen Jahren kam es zu Kursverlusten, die dem Betrage nach größer waren als die Kuponzahlungen. Für andere Länder sieht die historische Kursentwicklung ganz ähnlich aus. 100 1'000 10'000 100'000 Vermögensentwicklung Aktien Bonds Aktien real Bonds real -40% -20% 0% 20% 40% 60% 80% 1926 1929 1932 1935 1938 1941 1944 1947 1950 1953 1956 1959 1962 1965 1968 1971 1974 1977 1980 1983 1986 1989 1992 1995 1998 2001 2004 2007 2010 2013 Renditen Aktien Bonds <?page no="81"?> 82 5 Kapitel: Die Rendite Abb. 16: Histogramm der Jahresrenditen Aktien Schweiz 1900 bis 2013. Die Renditen schwanken bei Anleihen und noch deutlicher bei Aktien. Wir hatten bereits einige Faktoren erwähnt, die das fundamentale wirtschaftliche Umfeld beschreiben. Offensichtlich haben diese Faktoren bei Aktien einen größeren Einfluss auf die Rendite als bei Anleihen. Abb. 17: Die Anzahl der Jahre zwischen 1900 und 2013, in denen die Jahresrendite Anleihen (gepunktet) und die Jahresrendite Aktien (grau) in die verschiedenen Bereiche zu liegen kamen. 2004 1986 1980 1977 1976 1955 1952 1950 1947 1946 1944 1942 1937 2005 1933 2012 1997 1932 2006 2013 1993 1925 1998 2009 1985 2011 2010 1922 1996 2003 1975 1994 1984 1915 2000 1992 1995 1968 2008 1965 1969 1912 1999 1991 1989 1967 2002 1990 1964 2007 1956 1911 1982 1971 1988 1961 2001 1973 1957 1978 1940 1910 1979 1951 1972 1960 1987 1962 1981 1948 1963 1938 1909 1953 1945 1958 1983 1954 1974 1939 1970 1934 1943 1914 1908 1949 1923 1928 1959 1941 1931 1921 1966 1930 1907 1913 1906 1903 1916 1926 1927 1936 1920 1919 1935 1929 1900 1901 1905 1902 1904 1924 1918 1917 Bis -20% -20% bis -15% -15% bis -10% -10% bis -5% -5% bis 0% 0% bis 5% 5% bis 10% 10% bis 15% 15% bis 20% 20% bis 25% 25% bis 30% Über 30% 0 10 20 30 40 50 60 bis -20% -20% bis -15% -15% bis -10% -10% bis -5% -5% bis 0% 0% bis 5% 5% bis 10% 10% bis 15% 15% bis 20% 20% bis 25% 25% bis 30% über 30% Anzahl Jahre Bereiche <?page no="82"?> 5.2 Renditeerwartung und Risiko 83 5.2 Renditeerwartung und Risiko 5.2.1 Verteilungsparameter Aktien sind riskanter als Anleihen: Ihre Rendite lässt sich weniger genau vorhersehen. Ein Histogramm oder eine deskriptive Statistik verschafft zunächst einen Eindruck vom Verteilungstyp und liefert Schätzungen von Renditeerwartung und Risiko. So wird der Erwartungswert üblicherweise durch das arithmetische Mittel der Stichprobenrealisationen geschätzt - hier sind das die einfachen Jahresrenditen der letzten Jahre. Die Tabelle (Bild 18) zeigt für einige Länder die entsprechenden Verteilungsparameter. Die zugrunde gelegten Jahresrenditen für Aktien und für Anleihen wurden vor der Parameterschätzung noch inflationsbereinigt: Es sind also reale Jahresrenditen zugrunde gelegt. Diese Konzentration auf reale und nicht nominale Renditen ist bei internationalen Vergleichen üblich. Wird von den Zinssätzen - das sind „normale“ Größen - die jeweilige Rate der Geldentwertung (Inflationsrate) abgezogen, so entstehen die Realzinssätze. Nach einer Vorstellung von I RVING F ISHER sollten die Realzinssätze der verschiedenen Länder und Währungsgebiete in etwa übereinstimmen. Eine Alternative zur Betrachtung realer Renditen wäre, in einem Ländervergleich die nominalen Renditen in eine einheitliche Referenzwährung umzurechnen. Abb. 18: Die aufgrund der realen Jahresrenditen 1900-2011 geschätzten Verteilungsparameter von Aktien und Bonds für verschiedene Länder - Deutschland ohne die Jahre 1922-23 der Hyperinflation (Datenquelle: Credit Suisse Global Investment Returns Yearbook 2012). Die in Bild 18 angegebenen Verteilungsparameter der realen Renditen auf Aktien und auf Bonds sind in einer weit verbreiteten Art in Bild 19 grafisch präsentiert. Üblicherweise wird ein Diagramm gewählt, bei dem die Abszisse (x-Achse) die Standardabweichung der zufälligen Rendite darstellt (das Risk also), die Ordinate (y- Achse) den Erwartungswert der zufälligen Rendite, kurz die Renditeerwartung oder den Return. Dieses Diagramm wird uns bei der Behandlung der Portfolio-Selektion wieder begegnen (Folgekapitel 6). Es heißt Risk-Return-Diagramm. Arithmetisches Mittel reale Aktienrenditen Standardabweichung reale Aktienrenditen Arithmetisches Mittel reale Bondrenditen Standardabweichung reale Bondrenditen USA 6,2% 20,2% 2,0% 10,3% UK 5,2% 19,9% 1,5% 13,8% Schweiz 4,1% 19,7% 2,2% 9,3% Japan 3,6% 29,8% -1,1% 20,0% Deutschland 2,9% 32,2% -1,8% 15,6% Frankreich 2,9% 23,5% -0,1% 13,0% Australien 7,2% 18,2% 1,6% 13,2% Welt 5,4% 17,7% 1,7% 10,4% <?page no="83"?> 84 5 Kapitel: Die Rendite Abb. 19: Die Positionen der Parameter Standardabweichung (Abszisse) und Renditeerwartung (Ordinate) für Bonds (links unten) und Aktien (rechts oben) und die in der letzten Tabelle gezeigten Daten 1900-2011 (Datenquelle: Credit Suisse Global Investment Returns Yearbook 2012). Die Punkte in der Wolke links unten in Bild 19 entsprechen Bonds, die in der Punktewolke rechts oben sind die positionierten Aktien. Für drei Länder (D, USA, CH) sind die Positionen von Bonds und Aktien zudem durch eine gestrichelte Linie verbunden, und alle diese Linien führen von links unten nach rechts oben: Stets sind bei Aktien sowohl die Standardabweichung als auch die mittlere Rendite größer. Dass die Punktewolke für Bonds und die für Aktien nicht zu einem einzigen Punkt verschmelzen, führt auf die Vermutung, dass es noch weitere Faktoren gibt, die nationale Unterschiede erklären. Ein Hinweis: Der Bondmarkt in der Schweiz war wohl interessanter (hohe reale Rendite bei geringer Standardabweichung) als in anderen Ländern, weil die Schweiz schon seit Jahrzehnten einen gut entwickelten Bondmarkt aufweisen kann, dies wohl durch die stabile Währung begünstigt. Selbstverständlich wurde eine Vielzahl von theoretischen und empirischen Forschungen geleistet, durch die das grobe Grundmodell verfeinert werden konnte. Wir erwähnten als Hypothese bereits die Stabilität und den Entwicklungsstand des Kapitalmarkts eines Landes als Einflussfaktoren. Das sind im Übrigen Faktoren, die nicht so leicht und so schnell imitiert werden können. Eine weitere Hypothese lautet, dass größere und reifere Realwirtschaften (wie etwa die USA ab 1918 oder Großbritannien) höhere Aktienrenditen bei geringerem Risiko bieten. Durch solche Verfeinerungen des groben Modells der Zufallsziehung wird der Zufall aber nicht ausgeschaltet. In den verschiedenen verfeinerten Modellen wird postuliert, dass die Rendite im Jahr t nach wie vor zufällig ist, dass jedoch die Renditen der Jahre 1,2 ... , , t nicht alle aus demselben Zufallsexperiment gezogen werden. Vielmehr hängt die Wahrscheinlichkeitsverteilung der Rendite im Jahr t von verschiedenen Einflüssen und Faktoren ab, und diese waren im Jahr 1 t anders. Wir erwähnten als solche Faktoren die Entwicklung und Stabilität eines Finanzplatzes sowie die Größe der Realwirtschaft des entsprechenden Lan- 0% 2% 4% 6% 8% 10% 12% 0% 5% 10% 15% 20% 25% 30% 35% Rendite Standardabweichung D Aktien D Bonds US Aktien US Bonds CH Bonds CH Aktien J Aktien J Bonds <?page no="84"?> 5.2 Renditeerwartung und Risiko 85 des. Kennt man diese und andere Faktoren, dann kann die Wahrscheinlichkeitsverteilung der zufälligen Rendite etwas genauer bestimmt werden. Kennt man sie für das kommende Jahr 1 t + , so ist die Rendite zwar immer noch zufällig, doch können mit Hilfe der Faktoren die Parameter der Wahrscheinlichkeitsverteilung bestimmt werden, und sie sind wohl anders als im Jahr t . Stets bleibt bei solchermaßen verfeinerten Modellen die Tatsache, dass die betreffende Rendite zufällig ist. Nur weiß man über ihre Wahrscheinlichkeitsverteilung etwas mehr, man kennt ihre Parameter genauer, wenn die Faktoren und Ausgangsbedingungen sowie der entsprechende Zusammenhang bekannt sind. 5.2.2 Risiko Der Zufall erscheint den Finanzinvestoren als Risiko. Der Risikobegriff umfasst sowohl die Chance als auch die Verlustgefahr. Entsprechend darf das Risiko mit der Standardabweichung der Jahresrendite quantifiziert werden. Für den Investor stellen Aktien im Vergleich zu Bonds die riskantere Anlagealternative dar. Die Renditen für Aktien unterliegen stärkeren Schwankungen (Abweichungen von der prognostizierten Rendite) als die für Anleihen. Nun sind die Investoren risikoscheu (oder risikoavers) und erleben Risiko als Nachteil. Kann man das so sagen, wenn Risiko begrifflich Chancen und Verlustgefahr umfassen? Wieso ist es ein Nachteil, wenn es neben der Verlustgefahr Chancen gibt? Der Punkt ist, dass im persönlichen Nutzen die Chancen zwar positiv zur Kenntnis genommen werden, nicht aber so stark den Nutzen erhöhen, wie ihn die Verlustgefahren reduzieren. Denken Sie, liebe Leserin oder lieber Leser einmal, Sie hätten € 2.000 Euro für eine Reise zur Verfügung und schon alles geplant. Sie kommen mit dem Betrag gut über die Runden. Dann kommt eine Fee und sagt ihnen: „Spiele vor der Abfahrt in die Freien noch eine Lotterie und setze die € 2.000. Mit Wahrscheinlichkeit ½ erhöht Glück den Betrag auf € 2800, mit Wahrscheinlichkeit ½ reduziert Pech ihn auf € 1200.“ Wenn Sie diese Lotterie, obwohl die Gewinnchancen genauso hoch und wahrscheinlich sind wie der mögliche Verlust, ablehnen, dann sind Sie risikoavers. Risikoaverse Investoren verlangen eine Kompensation für das Tragen von Risiken. Anleihen sind weniger riskant als Aktien. Das bedeutet, dass die risikoaversen Finanzinvestoren bei Aktien eine höhere Kompensation erwarten als bei Anleihen. Folglich dürfte (zu Beginn eines jeden Jahres) die für Anleihen erwartete Rendite geringer sein als jene für Aktien. Denn, wie gesagt, haben Anleihen weniger riskante Renditen als Aktien. Es könnte sein, dass die Anleger für Anleihen eine Rendite von 5% erwarten und für Aktien eine Rendite von 9%. Für Anleihen wird es am Jahresende durchaus sein, dass die tatsächliche Rendite von der zu Jahresbeginn erwarteten Rendite in Höhe von 5% abweicht und vielleicht nur -5% beträgt, eventuell auch 15%. Diese Zahlen deuten auf eine Standardabweichung der Rendite hin, die der Größenordnung nach 10% beträgt oder etwas weniger. Für Aktien wird es am Jahresende durchaus sein, dass die tatsächliche Rendite von der zu Jahresbeginn erwarteten Rendite in Höhe von 9% abweicht und beispielsweise nur -11% <?page no="85"?> 86 5 Kapitel: Die Rendite oder vielleicht sogar 29% beträgt. Diese Zahlen deuten auf eine Standardabweichung der Rendite von Aktien hin, die der Größenordnung nach 20% beträgt. Das höhere Risiko der Aktien drückt sich also darin aus, dass in einem einzelnen Jahr oder in einzelnen Jahren eine Anlage in Aktien durchaus deutlich unterhalb der Erwartung liegende Ergebnisse aufweisen kann. Folglich kann, obwohl die Renditen von Anleihen schwanken, in einem Jahr, oder in einzelnen Jahren, die Aktienrendite geringer ausfallen als die von Anleihen. Eine Zusammenstellung einiger Risikobegriffe: Im Leben: Die Möglichkeit eines abträglichen Ausgangs wirtschaftlicher Aktivitäten. In der Versicherungswirtschaft: Die Wahrscheinlichkeit für einen Schaden. Im Finance: Abweichungen der zufälligen Rendite von ihrem Erwartungswert, gemessen durch die Standardabweichung - Chance und Verlustgefahr umfassend. Im Rechnungswesen: Möglichkeit, dass unerwartet Abschreibungen nötig werden, die den Bilanzlesern begründet werden müssen. 5.2.3 Risikoprämie Die erwartete Zusatzrendite von Aktien gegenüber Anleihen wird als Risikoprämie bezeichnet. Diese Renditedifferenz (im Angelsächsischen als Equity Premium bezeichnet) wird entweder als Differenz zwischen der erwarteten Aktienrendite und der erwarteten Rendite von Bonds mittlerer Laufzeit präzisiert - wir beziffern sie mit 9%-5% = 4% - oder als Differenz zwischen der erwarteten Aktienrendite und dem Zinssatz für einjährige Geldanlagen. Viele Investoren bilden Erwartungen aufgrund des Durchschnitts der vergangenen Renditen über einen längeren Zeitraum hinweg. Der historische Rückblick zeigt tatsächlich, dass Aktien in der Vergangenheit und über längere Zeiträume hinweg höhere Renditen gebracht haben als Anleihen. Der historische Renditeunterschied zwischen Aktien und Anleihen an den verschiedenen Finanzmärkten liegt wie gesagt im Bereich zwischen 4% und 5%. Viele Personen schließen von dieser in der Vergangenheit anzutreffenden Risikoprämie von 4% bis 5% auf die Zukunft und gehen ebenso für die kommenden Jahre von einer Risikoprämie in dieser Höhe aus. Das wäre auch korrekt, wenn unser Modell der Zufallsziehung die Realität beschreibt. Kennen wir aufgrund einer hinreichend großen Stichprobe die Urne, aus der Zufallszahlen gezogen werden, dann kennt man die Wahrscheinlichkeit, mit der etwas bei der nächsten Ziehung erscheint. Allerdings wurden Zweifel angemeldet, ob dieses Modell der Zufallsziehung nicht doch an seine Grenzen stößt. Die Zweifel haben mehrere Gründe. Einer ist der so genannte Survival Bias. Das ist die Verzerrung, dass man in der Rückblende nur jene Finanzplätze untersucht, die es immer noch gibt. Das sind gerade jene, die - aus welchen Gründen auch immer - bessere Renditen geboten haben. Wem nützt der Vergleich mit den Renditen in den USA, wenn man um 1910 gedacht hat, Südamerika sei die Zukunft und alles Geld in Argentinien investierte? Niemand wusste um 1910, dass einmal die US-Märkte als leuchtendes Vorbild dastehen würden und Argentinien zurückfallen würde? Ein Zweites ist, dass die historisch bestimmte Risikoprämie von 4% bis 5% aufgrund verschiedener weiterer ökonomischer Zusammenhänge als recht hoch erscheint. Hier wird von <?page no="86"?> 5.2 Renditeerwartung und Risiko 87 einem Rätsel, einem Risikoprämien-Puzzle gesprochen. Dieses Rätsel wurde von R AJNISH M EHRA und E DWARD C. P RESCOTT (1985) entdeckt. Um es zu lösen, wurden Ansätze entwickelt, nach denen die Erwartung hinsichtlich der zukünftigen Renditen nicht einzig an den historischen Renditen der Finanzmärkte festgemacht wird (finanzwirtschaftliche Schätzung). Es wird dann die Entwicklung der Realwirtschaft mit herangezogen. Das haben wir bisher nicht getan. Doch ist dies deutlich: Wer an einer GmbH beteiligt ist, bezieht letztlich Ausschüttungen und hat Teil an der Wertsteigerung, die die GmbH im Verlauf der Jahre erfährt. Die Wertsteigerung ist auf lange Sicht durch das Wachstum der Realwirtschaft gegeben. Von daher kann die Renditeerwartung für das kommende Jahr geschätzt werden, indem die Ausschüttung und das Wachstum der Wirtschaft geschätzt wird. Bei solchen realwirtschaftlichen Schätzungen der Renditeerwartung hat es den Anschein, als ob gerade die letzten fünfzig Jahre für den Aktienanleger besonders interessant gewesen sind. In den Jahren 1950-2000 muss es demnach gewisse positive „Besonderheiten” gegeben haben, die zu der doch recht hohen historischen Risikoprämie von 4% bis 5% führten. Indes ist nicht klar, welcher Natur diese Besonderheiten sind und ob sie sich für die kommenden Jahre ebenso einstellen werden oder eben der Vergangenheit angehören. Das Argument dieser realwirtschaftlichen Schätzmethode: Die Renditen der Finanzinstrumente sollten letztlich von den in der Realwirtschaft erwirtschafteten Ergebnissen abhängen. Nach der realwirtschaftlichen Schätzmethode ergibt sich die Aktienrendite aus der Dividendenrendite und der Wachstumsrate der Unternehmung. Das realwirtschaftliche Wachstum einer Unternehmung lässt sich aber nicht leicht messen. Daher weicht man häufig auf eine andere realwirtschaftliche Wachstumsgröße aus, etwa auf die gesamtwirtschaftliche Wachstumsrate. Entsprechende realwirtschaftliche Schätzungen zur Risikoprämie wurden von den Professoren E UGENE F AMA und K ENNETH F RENCH (2001) vorgestellt, die an der University of Chicago sowie in Dartmouth lehren und forschen. Sie gelangten zu überraschenden Ergebnissen: Ausgehend alleine von den historischen Renditen am US-Aktienmarkt ergibt sich für den Zeitraum von 1872 bis 2000 eine Überrendite von Aktien gegenüber Bonds (Risikoprämie) von 5,57%. Wird die Risikoprämie dagegen aufgrund der Realwirtschaft geschätzt, beträgt sie nur 3,54%. Der Unterschied zwischen beiden Schätzmethoden ist ziemlich genau 2%. Nach F AMA und F RENCH haben die Finanzmärkte eine höhere Rendite abgeworfen als realwirtschaftlich begründet ist. Weiter zeigt sich, dass dieser Unterschied nur auf die letzten fünfzig Jahre zurückzuführen ist. Während von 1872 bis 1950 die Realwirtschaft (mit einer Risikoprämie von 4,17%) und die Finanzwirtschaft (mit einer Risikoprämie von 4,40%) nahezu im Gleichschritt verlaufen sind, klafft ihre Entwicklung nach 1950 auseinander. In der Zeit von 1951 bis 2000 waren die Renditen am Aktienmarkt deutlich höher als aufgrund des Wachstums der Realwirtschaft hätte erwartet werden können. <?page no="87"?> 88 5 Kapitel: Die Rendite Dies deutet darauf hin, dass sich die Finanzmärkte in diesen fünfzig Jahren von der realen Wirklichkeit gelöst haben. Das, was die Unternehmen den Aktionären real geboten haben, ist geringer, als was sich die Aktionäre mit ihrem Aktienhandel an der Börse selbst geboten haben. Es wäre daher falsch, die hohen Aktienrenditen der Jahre 1951 bis 2000 ohne Korrektur für die Erwartungsbildung hinsichtlich zukünftiger Renditen zu übertragen. Weil die realwirtschaftliche Rendite tiefer ist, schließen F AMA und F RENCH , dass die Aktionäre ihre Renditeerwartung gegenüber dem Mittelwert der historischen Aktienrenditen um rund zwei Prozent nach unten korrigieren sollten. Angewandt auf die Verhältnisse im Schweizer Aktienmarkt läge dann die Renditeerwartung nicht bei den mit der finanzwirtschaftlichen Schätzung gefundenen 9%, sondern bei 7%. Zum Vergleich: Die realwirtschaftliche Rendite ergibt sich aus der Dividendenrendite und dem Unternehmenswachstum. Es ist realistisch, von einer Dividendenrendite von 2% bis 3% sowie von einem realen Wachstum der Unternehmen und der Realwirtschaft von rund 1,5% auszugehen. Bei einer Inflationsrate von 1,5% resultiert eine nominale Wachstumsrate von 3%. Wird die Dividendenrendite berücksichtigt, dann resultiert eine (realwirtschaftliche) Rendite von 5% bis 6%. Selbst die bereits nach unten korrigierte Zahl von 7,85% für die Renditeerwartung für Aktien erscheint aus Sicht dieser Überschlagsrechnung hoch. Die historischen Risikoprämien unterlagen über die Zeit hinweg also gewissen Veränderungen. P ETER L. B ERNSTEIN (2003) gelangt ebenso zu dem Ergebnis: Die hundert Jahre ab 1900 bis heute waren für Bonds genauso gut wie die zweihundert Jahre ab 1802. Die hundert Jahre ab 1900 waren aber für Aktien deutlich besser als die zweihundert Jahre ab 1802. Kurz: Die Börsen für Aktien haben sich etwa ab 1900 beflügelt. Diese „Höhenflüge“ stehen nicht mit der Realwirtschaft in Einklang. Das Gleichnis oder die Metapher von S CHUMPETER ist seit einiger Zeit nicht mehr gültig: Etwa um 1900, spätestens um 1950 hat sich der Hund von der ohnehin flexiblen Leine gelöst und ist davon gelaufen. Was sind die Gründe? Vielleicht sind es technologische Schübe (Wirtschaftswunder der Nachkriegszeit um 1960, IT etwa ab 1980), die Aktienkurse nach oben getrieben haben. Studien zeigen, dass die Risikoprämie von der Inflationsrate abhängt. So haben in den kriegs- und inflationsgeschüttelten Ländern Deutschland, Frankreich, Italien, Japan und Belgien die Renditen der Anleihen gelitten. Auch sonst lässt sich zeigen, dass Inflation nicht nur zu höheren nominalen Renditen führt, sondern häufig mit einer Reduktion der realen Renditen sowie mit einem Anstieg der Unsicherheit (Standardabweichung) einher geht. Länder mit geringer Inflation sind wohl eher stabile Länder, und die Stabilität begünstigt das Klima, in dem Investitionen gedeihen. In den Jahren von 1950 bis 1980 hatten viele Länder vergleichsweise hohe Inflationsraten, und in diesem Zeitraum konnte mit Anleihen kaum eine positive reale Rendite erzielt werden. Erst in den vergangenen Jahren seit 1980 mit relativ tiefer Inflation hat sich die früher sehr ausgeprägte Vorteilhaftigkeit von Aktien etwas zugunsten der Anleihen zurückgebildet. <?page no="88"?> 5.3 Fazit des Kapitels Die Rendite 89 Insgesamt scheint es, als ob die Risikoprämie, mit der in Zukunft gerechnet werden sollte, geringer als die aus der finanzwirtschaftlichen Schätzung stammenden 4% bis 5% ist. Aufgrund der realwirtschaftlichen Schätzung muss die Risikoprämie mit lediglich 2% bis 3% beziffert werden. 5.3 Fazit des Kapitels Die Rendite 5.3.1 Zusammenfassung Die Rendite fasst das Ergebnis einer Anlage in einer Zahl zusammen. Die Renditen für zukünftige Anlageperioden sind zufällig. Es ist nicht so, dass Experten die Kursentwicklung kennen würden und der Laie nicht. Die Renditen sind zufällig für jedermann. Die Erklärung dieses Sachverhaltes bietet die Markteffizienzthese. Die Verteilungsparameter der zufälligen Renditen können geschätzt werden. Ein recht einfacher Ansatz, das Modell der Zufallsziehung, geht davon aus, dass in jedem Jahr eine Rendite aus ein und derselben Verteilung gezogen wird. Dieses einfache Modell wurde verschiedentlich verbessert, indem weitere Faktoren, besonders solche, die aus der Realwirtschaft stammen, zur Schätzung der Renditeerwartung herangezogen werden. Üblicherweise werden für grafische Illustrationen die beiden wichtigsten Parameter der Renditeverteilung, der Erwartungswert und die Standardabweichung, in einem Diagramm positioniert. Die Standardabweichung kann dazu dienen, das Risiko zu messen. Aktien haben eine höhere Renditeerwartung und ein höheres Risiko als Bonds. Die Differenz zwischen der erwarteten Aktienrendite und der erwarteten Bondrendite (beziehungsweise dem Geldmarktzinssatz) wird als Risikoprämie bezeichnet. Die Risikoprämie liegt im Bereich zwischen 4% und 5% nach der finanzwirtschaftlichen Schätzmethode und zwischen 2% und 3% nach der realwirtschaftlichen Schätzmethode. 5.3.2 Lernpunkte 1. Renditen sind zufällig. Den Grund dafür gibt die Markteffizienz-These (MEH). 2. Wie die Risikoprämie definiert ist und wie sie gemessen werden kann, welche Schwierigkeiten man mit ihrer empirisch festgestellten Höhe hat. 5.3.3 Erwähnte Personen P ETER L. B ERNSTEIN , E UGENE F AMA , K ENNETH F RENCH , R AJNISH M EHRA , E DWARD C. P RESCOTT , J OSEPH S CHUMPETER . 5.3.4 Schlüsselbegriffe Default, Empirie, finanzwirtschaftliche Schätzung der Renditeparameter, Inflation, Kreditereignis, Markteffizienz, realwirtschaftliche Schätzung der Renditeparameter, Rendite, Renditeerwartung (Return), Risk-Return-Diagramm, Risiko (Risk), Risikofaktoren, Risikoprämie, Risikoprämien-Puzzle, Staatsbankrott, Survival Bias, Zinsniveau, Zufallsgröße. <?page no="89"?> 90 5 Kapitel: Die Rendite 5.3.5 Fragen zur Lernstandskontrolle 1. Jemand kauft im Wert von 100 Euro Anlagefonds, muss indes noch einen Verkaufsaufschlag von 5% zahlen. Nach 12 Monaten werden 2 Euro ausgeschüttet, und die Fondsanteile haben dann einen durch Verkauf realisierbaren Wert von 113 Euro. War die Rendite kleiner, größer oder gleich 10%? [Antwort: Die Formel in 5.1.1 liefert die Rendite 9,52%] 2. Nennen Sie drei Gründe für Kursänderungen bei Anleihen! [Zur Antwort siehe Abschnitt 5.1.1] 3. Was wird in der Versicherungswirtschaft, was bei den Finanzmärkten mit dem Risikobegriff verbunden? [Antwort: Abschnitt 5.1.2] 4. a) Erläutern Sie, was im Risk-Return-Diagramm dargestellt wird. b) Gehen Sie auf empirisch gefundene Größen der historischen Mittel von Renditen und der Standardabweichungen ein! [Antworten: Abschnitt 5.2] 5. a) Wie groß sind typische Risikoprämien? b) Was ist mit dem Risikoprämien-Puzzle gemeint? c) Was bewirkt der Survival-Bias? d) Welche beiden Schätzmethoden für Risikoprämien wurden unterschieden? [Antworten: Abschnitt 5.3.2] <?page no="90"?> 6. Kapitel: Portfolio-Selektion Die Idee, Risiken durch Streuung zu diversifizieren, ist über 2000 Jahre alt. Die geringen Kosten für Transaktionen an den Finanzmärkten fördern die Bildung gut diversifizierter Portfolios. So bilden die Anleger von Kapital Portfolios (Diese stehen im Zentrum dieses Kapitels 6). Daneben, oft nicht so beachtet, bilden auch die Verwender von Kapital Portfolios aus Finanzierungen, um gewisse Risiken zu diversifizieren - wenngleich es andere Risiken sind als die, mit denen sich ein Kapitalanleger konfrontiert sieht. Das „Finanzierungsportfolio“ einer Unternehmung wird als „Kapitalstruktur“ bezeichnet (Folgekapitel 7). In diesem Kapitel besprechen wir, wie aus wissenschaftlicher Sicht die beste Gewichtung von Einzelanlagen bestimmt werden kann, damit sie ein optimal diversifiziertes Portfolio ergeben. Wir werden sehen, dass dies rechnerisch geschehen kann. Die Vorgehensweise geht auf H ARRY M ARKOWITZ zurück (Abschnitt 6.1). Auf seine Leistungen werden diese Stichworte weisen: Risk-Return-Diagramm, Effizienzgrenze, Optimizer. Später hat J AMES T OBIN eine Ergänzung der Markowitzschen Portfolio-Selektion angebracht (Abschnitt 6.2). Sie zeigt, dass zwei Aufgabenschritte getrennt (separiert) ausgeführt werden können. Dieses Separationstheorem hat enorme praktische Bedeutung. Auf die Leistungen von T OBIN werden diese Stichworte weisen: Separationstheorem, Kapitalmarktlinie. Portfolio aus einzelnen Kapitalanlagen Portfolio aus Finanzierungen (Kapitel 7) Portfolio-Selektion, Risk-Return- Diagramm, Effizienzgrenze, Optimizer (Markowitz) Separationstheorem, Kapitalmarktlinie (Tobin) Irrelevanzthese (Modigliani und Miller) Leverage-Effekt Tradeoff-Ansatz Agency-Theorie (Jensen und Meckling) Hackordnung (Myers und Majluf) Anschließend wenden wir uns der Frage zu, wie die kapitalnehmende Unternehmung mehrere Finanzierungen am besten kombiniert, um die mit Finanzierungen verbundenen Unsicherheiten zu bewältigen. Es ist die Frage nach der optimalen Kapitalstruktur. Die optimale Kapitalstruktur kann aber nicht mit einem Rechenverfahren oder einer mathematischen Optimierungsaufgabe ermittelt werden. Vielmehr wurden Konzepte oder Ansätze entwickelt, die argumentieren, wie eine Unternehmung ihre Kapitalstruktur verbessern könnte. Für das Portfolio „Kapitalstruktur“ besprechen wir dann im Folgekapitel 7 diese fünf Ansätze: Irrelevanzthese (M ODIGLIANI und M ILLER ), Leverage-Effekt, Tradeoff-Ansatz, Agency-Theorie (J ENSEN und M ECKLING ), Hackordnung (M YERS und M AJLUF ). <?page no="91"?> 92 6 Kapitel: Portfolio-Selektion 6.1 Moderne Portfolio Theorie (MPT) 6.1.1 Kapitalanbieter: Portfolio, Kapitalverwender: Kapitalstruktur Als eine Leistung der Finanzmärkte wurde die Schaffung von Liquidität genannt. Liquidität ist von Anlegern gewünscht. Diese präferieren Wertpapiere und Anlageformen mit hoher Liquidität, weshalb deren Preise steigen und die Renditen folglich sinken. Liquidität bewirkt daher eine Verringerung der erwarteten Rendite. Zugleich bilden sich die Kosten für das Kapital zurück, die Wohlfahrt steigt. Eine weitere Eigenschaft sind die geringen Transaktionskosten beim Kauf und Verkauf von Wertpapieren. Geringe Transaktionskosten erlauben es einer Person, verschiedenste Finanzkontrakte zu halten und auf diese Weise Risiken zu diversifizieren. Es können mithin Portfolios gebildet werden, und die Allokation von Risiken wird dadurch verbessert. Das Portfolio ist eine gedankliche Zusammenführung der Finanzkontrakte einer Person mit der Absicht, alle gehaltenen Wertpapiere unter einheitlicher Perspektive auszuwählen, zu gewichten und zu beurteilen. Im Gegensatz zur Portfolio-Sicht steht die Vorgehensweise, über mögliche Anlagen und Wertpapiere separat zu entscheiden. Bei Finanzkontrakten geringer Liquidität und geringer Fungibilität bestehen kaum Möglichkeiten zur Bildung eines Portfolios. Denn bei mangelhafter Übertragbarkeit, bei geringer Liquidität der Finanzkontrakte, oder bei hohen Transaktionskosten kann ein Kapitalverwender nur mit einem oder mit wenigen Kapitalgebern in Verbindung stehen. Bei verbrieften, leicht übertragbaren Finanzkontrakten und angesichts geringer Transaktionskosten für den Handel von Wertpapieren ist das anders. Hier kann jeder Anleger zwecks Diversifikation breit streuen, also zahlreiche verschiedene Finanzkontrakte halten. Wie ein Anleger ein Portfolio zusammenstellt, wird im Gebiet Portfoliomanagement näher untersucht. Neben der wissenschaftlichen Literatur bieten die Medien eine Vielzahl von Vorschlägen zum Portfoliomanagement. Eine Grundfrage des Portfoliomanagements ist die relative Gewichtung risikoreicher versus risikoarmer Wertpapiere im Portfolio. Das ist die Frage nach der Aktienquote. Welchen Teil seines Finanzvermögens sollte ein Finanzinvestor in Aktien anlegen, und welchen Teil in Anleihen und Geldmarktinstrumenten? Ein jeder Finanzkontrakt hat indes zwei Seiten. Bisher haben wir nur das Portfolio der Anleger betrachtet. Bei geringen Transaktionskosten kann der Kapitalverwender gleichermaßen mit mehreren verschiedenen Kapitalgebern in Verbindung stehen. Auch der Kapitalverwender hat demnach ein Portfolio, ein Portfolio aus verschiedenen Finanzierungen. Es wird als Kapitalstruktur bezeichnet. Der Kapitalverwender wird entsprechend fragen, wie dieses aus diversen Finanzierungen - vor allem aus Equity und Debt - bestehende und als Kapitalstruktur bezeichnete Portfolio zusammengesetzt sein sollte. Bei der Entscheidung über die Kapitalstruktur geht es um die Frage, in welchem Umfang eine Finanzierung durch Eigenkapital angestrebt werden sollte, und in welchem Umfang Fremdkapital einzusetzen ist. Das ist die Frage nach dem Verschuldungsgrad. Sie steht im Kern der Bestimmung der Kapitalstruktur. Die Kapitalstruktur legt die Nachfrage nach Kapital fest, unterschieden nach Equity und Debt. <?page no="92"?> 6.1 Moderne Portfolio Theorie (MPT) 93 Merkpunkt: Was für den Kapitalanbieter (einem privaten oder institutionellen Finanzinvestor) das Portfolio ist, entspricht beim Kapitalverwender (einer Unternehmung) die Kapitalstruktur. 6.1.2 Portfolio-Selektion Zuerst wenden wir uns der Zusammensetzung der Portfolios der Anleger zu und damit der Frage, wie das Kapitalangebot zustande kommt. Wie also sollten die Finanzinvestoren ihre Portfolios zusammenstellen? Hiervon hängt ab, in welche Anlagen, Sektoren und Unternehmen die Finanzmittel fließen. Jede Institution, die sich am Kapitalmarkt um Finanzierungen bemüht, muss daher wissen, welche Kriterien für die Anleger bedeutend sind. Wir wissen, dass die Kursbildung an den Sekundärmärkten keine direkte Auswirkung auf die Geldbeträge hat, die dem Kapitalverwender zur Verfügung stehen. Wie viel Geld der Kapitalverwender erhält, hängt von den Primärmärkten ab. Doch das Geschehen an den Primärmärkten hängt indirekt und mittelbar mit der Kursbildung an den Sekundärmärkten zusammen: Keine Unternehmung mit ständig fallenden Kursen kann hoffen, eine Kapitalerhöhung durchführen zu können. Kein Staat, bei dem durch Inflation und höhere Zinsen die Staatsanleihen ständig Kursverluste erleiden, kann darauf hoffen, dass neue Staatsanleihen gezeichnet werden. Grundsätzlich gilt, dass Anleger risikoavers sind. Sie sind nur bereit, Risiken zu tragen, wenn sie dafür entschädigt werden. Zwar spielen viele Menschen Lotto und zeigen sich spielfreudig, doch wenn es um ernste Beträge und die Anlage von später einmal benötigtem Geld geht, zeigen ihre Entscheidungen, dass sie risikoavers sind. Risikoaverse Investoren betrachten nicht nur die Rendite ihres Portfolios, sondern gleichfalls das Risiko. Sie folgen stets der Überlegung, dass höhere Renditen nur dann erwartet werden können, sofern mehr Risiken übernommen werden. Für sie entsteht daher die ernsthafte Entscheidung, wieviel Risiko sie eingehen möchten und wie viel sie aufgrund ihrer Situation tragen können. Keinesfalls möchten risikoaverse Personen unnötig Risiken übernehmen, also Risiken, die durch Diversifikation zum Ausgleich gebracht werden können. Je ausgeprägter die Risikoaversion einer Person ist, desto sorgfältiger wird sie auf eine gute Diversifikation achten. Die Grundlagen der modernen Portfoliotheorie gehen auf H ARRY M ARKOWITZ (1952, 1959) zurück. M ARKOWITZ hat die von ihm als Portfolio-Selektion bezeichnete Entscheidung über die Zusammensetzung eines Portfolios und damit die Diversifikation mathematisch untersucht. Durch den Einsatz von Wahrscheinlichkeitsrechnung wurde die Portfolio- Selektion methodisch angegangen. Selbstverständlich wurden auch schon vor den Untersuchungen von M ARKOWITZ Portfolios gebildet, doch stand damals die Kunst im Vordergrund, einzelne Aktien herauszupicken. Auch die Idee, bei Geldanlagen zu diversifizieren, war schon lange zuvor bekannt. Im Judentum wurde bereits vor 2000 Jahren empfohlen, eine Person solle ihren Reichtum in drei gleich große Teile zerlegen. Ein Teil wird liquide angelegt - wir würden heute sagen, in Geldmarktpapiere und in Staatsanleihen. Der zweite Teil wird in Immobilien angelegt <?page no="93"?> 94 6 Kapitel: Portfolio-Selektion und der dritte in Geschäfte - wir würden heute sagen, in Aktien. Die Gewichtung der drei Assetklassen Anleihen, Immobilien, Aktien mit je 1/ 3 geschieht ohne weitere wissenschaftliche Untersuchung, also auf eine naive Weise. Man spricht von naiver Diversifikation. Das Neue am Ansatz von M ARKOWITZ ist, dass er die Berechnung optimal diversifizierter Portfolios gestattet und Gründe dafür nennt, warum die einzelnen Wertpapiere nun so oder so in einem Portfolio gewichtet sein sollten. In diesem Sinn kann eine oder die optimale Diversifikation rechnerisch bestimmt werden. M ARKOWITZ ging von drei Annahmen aus: 1. Dem Investor steht ein Universum von n Anlagemöglichkeiten, also von Anleihen und Aktien, zur Auswahl. 2. Die Einzelanlagen haben zufällige Renditen. Zu deren Wahrscheinlichkeitsverteilungen sind bekannt: Erstens die jeweiligen Erwartungswerte der Renditen, bezeichnet als Return; Zweitens die jeweiligen Standardabweichungen der Renditen, bezeichnet als Risk; Drittens für je zwei Einzelanalgen, die paarweisen Koeffizienten der Korrelation der beiden Renditen. 3. Hinsichtlich des Verteilungstyps wurden die Renditen als gemeinsam normalverteilt angenommen. Auch wenn Markowitz diese Prämisse nicht so explizit ausgedrückt hat, wird die Normalverteilung bei den weiteren Berechnungen letztlich benötigt. Um die Verteilungsparameter - die Returns, die Risks der Einzelanlagen sowie für die 1 / 2 n (n ) Paare die jeweiligen Korrelationskoeffizienten, wird der Finanzinvestor auch weitere Merkmale der betrachteten Einzelanlagen erkunden, vor allem die wirtschaftlichen Perspektiven der Unternehmen und der Staaten, von denen es abhängt, ob und welche Zahlungen der Finanzinvestor in Zukunft wohl erhalten dürfte. Dazu, also um die Parameter der unsicheren Renditen zu schätzen, wird der Investor auch die vergangenen Entwicklungen betrachten und bei Unternehmen Bilanzen und beim Staat gesamtwirtschaftliche Finanzstatistiken ansehen. Solche Informationen können geeignet sein, die Parameter der Renditen genauer zu schätzen. 6.1.3 Risk-Return-Diagramm Als Beispiel sollen zwei Einzelanlagen möglich sein: die Anlage in einen Aktienindex, kurz als „Aktien“ bezeichnet, und die Geldanlage in einen Bondindex, kurz als „Renten“ bezeichnet. 1. Die Renditeerwartung von Aktien liegt vielleicht bei 9% und die Standardabweichung bei 20%. Aufgrund der unterstellten Normalverteilung bedeutet dies, dass die Rendite auf den Aktienindex mit 68% Wahrscheinlichkeit zwischen 9% - 20% = -11% und 9% + 20% = 29% liegen wird. 2. Für Anleihen könnte die Renditeerwartung bei 5% liegen bei einer Standardabweichung der Bondrendite von 10% (oder sogar noch etwas weniger). Wieder die Normalverteilung unterstellt, wird die Bondrendite im kommenden Jahr mit 68% Wahrscheinlichkeit eine Realisation zwischen 5% - 10% = -5% und 5% + 10% = 15% annehmen. <?page no="94"?> 6.1 Moderne Portfolio Theorie (MPT) 95 3. Außerdem muss der Koeffizient der Korrelation zwischen der Rendite auf den Aktienindex und der auf den Bondindex bekannt sein. Er könnte etwa bei 0,3 liegen: Oft, und der Tendenz nach, wenngleich nicht in jedem Einzelfall, bewegen sich Renditen auf Aktien und auf Anleihen gleichgerichtet. Sind für die möglichen Einzelanlagen die genannten Parameter Renditeerwartung und Risiko (Standardabweichung) bekannt, dann können die Einzelanlagen anhand dieser beiden wichtigsten Verteilungsparameter ihrer Rendite in einem zweidimensionalen Diagramm positioniert werden, dem Risk-Return-Diagramm. Abb. 20: Risk-Return-Diagramm. M ARKOWITZ hat im Risk-Return-Diagramm das Risk (Standardabweichung der Rendite) auf der Abszisse abgetragen und den Return (Renditeerwartung) auf der Ordinate. Die Korrelationskoeffizienten werden im Risk-Return-Diagramm nicht gezeigt, doch sind sie später für die rechnerische Ermittlung der optimalen Diversifikation verlangt. Auch werden im Risk-Return-Diagramm Einzelanlagen und Portfolios lediglich anhand ihrer Renditeparameter positioniert, während die Geldbeträge (Wert des Portfolios) nicht erscheinen. Wir skizzieren diesen Ansatz für 2 n = Einzelanlagen. Die beiden Einzelanlagen sind bei uns nicht zwei einzelne Aktien, wie etwa die von BASF und von Voestalpine, sondern ganze Indizes. Die erste Einzelanlage sei ein Aktienindex und mit A bezeichnet. Das könnte der DAX sein. Die zweite Einzelanlage sei ein Bondindex und dieser sei mit B bezeichnet. Renditeerwartung der Einzelanlage A Standardabweichung der Rendite der Einzelanlage A Standardabweichung der Renditen Erwartungswert der Renditen A <?page no="95"?> 96 6 Kapitel: Portfolio-Selektion Abb. 21: Die Renditen der aus A und B erzeugbaren Portfolios liegen im Risk-Return-Diagramm auf einer Hyperbel. Die Positionierung (Bild 21) von A und B reflektiert die besprochene Tatsache, dass bei Aktien sowohl das Risiko (Abszisse) als auch die Renditeerwartung (Ordinate) größer sind als bei Bonds. Aktien sind stark risikobehaftet, lassen aber eine höhere Rendite erwarten als Anleihen. Bonds unterliegen zwar ebenfalls Risiken, vor allem weil sich die Zinsen ändern können. Zinsänderungen schlagen sich in Renditeschwankungen nieder und führen dazu, dass zu Beginn eines Jahres die mit einer Bondanlage erzielbare Rendite unsicher ist. Betrachtet man nun Portfolios aus einer Kombination dieser beiden Einzelanlagen, so hat jedes dieser aus A und B zusammengesetzten Portfolios eine gewisse Rendite, und diese Rendite lässt sich anhand ihrer Verteilungsparameter im Risk-Return-Diagramm positionieren. Die Renditen aller aus A und B erzeugbaren Portfolios liegen auf einer Verbindungslinie zwischen A und B. Ist das Gewicht von A sehr hoch, ist man nahe bei A. Ist das Gewicht von B im Portfolio sehr hoch, liegt die Portfoliorendite nahe bei B. Interessant ist nun, dass die Verbindungslinie - die Position aller durch Kombination mit verschiedenen Gewichten von A und B erzeugbarer Portfoliorenditen - keine Gerade ist. Vielmehr handelt es sich um einen „bauchigen“ Kurvenabschnitt. Er erweist sich mit etwas Mathematik als Teilstück einer Hyperbel. Die genaue Form der Hyperbel ist neben den genannten und mit der Positionierung ausgedrückten Parametern - Risiko und Renditeerwartung von A und B - durch den Koeffizienten der Korrelation der Renditen von A und B bestimmt. Je geringer die Korrelation ist, desto ausgeprägter ist die Hyperbel nach links gewölbt. Das ist natürlich höchst willkommen: Hier sind die Renditen von Portfolios aus A und B positioniert, die ein recht geringes Risiko aufweisen. So gibt es sogar Kombinationen von A und B, die ein geringeres Risiko als B aufweisen - der ohnehin weniger riskanten der beiden Einzelanlagen. Das war eine großartige Entdeckung von M ARKOWITZ . Standardabweichung der Renditen Erwartungswert der Renditen A B <?page no="96"?> 6.1 Moderne Portfolio Theorie (MPT) 97 Abb. 22: Illustration der Renditen der Portfolios, die aus den n Einzelanlagen erzeugt werden können. Die eben skizzierte Konstruktion ist analog für Portfolios möglich, die aus mehr als zwei Einzelanlagen gebildet werden. Die aus drei Einzelanlagen erzeugbaren Portfolios - im Risk-Return-Diagramm positioniert anhand der Standardabweichung und des Erwartungswerts der jeweiligen Rendite - liegen nicht mehr auf einer gekrümmten Linie, sondern innerhalb und auf dem Rand einer Fläche, die wiederum von Hyperbelabschnitten begrenzt ist. Da die Investoren eine möglichst hohe Renditeerwartung schätzen und das Risiko meiden, kommt jedoch für die Portfolio-Selektion stets nur der obere Rand solcher Flächen in Frage. Bei mehr als drei Einzelanlagen ist das die obere Einhüllende aller Flächen. Dies ist die obere Hälfte der Hyperbel, die alle aus den Einzelanlagen erzeugbaren Portfoliorenditen umhüllt. Der obere Rand der Fläche, auf der die Renditen aller aus den Einzelanlagen erzeugbaren Portfolios positioniert sind, ist die Markowitzsche Effizienzgrenze (Efficient Frontier). Jede auf der Effizienzgrenze positionierte Portfoliorendite ist effizient: Ein Portfolio E heißt effizient, wenn es kein anderes Portfolio gibt, das eine höhere Renditeerwartung als E bei demselben oder geringerem Risiko hätte und wenn es kein anderes Portfolio gibt, das ein geringeres Risiko als E bei derselben oder einer höheren Renditeerwartung aufweisen würde. Die Effizienzgrenze (Bild 23) erweist sich übrigens wieder als der obere Ast, die obere Hälfte einer nach rechts geöffneten Hyperbel. Kein Anleger wählt ein nicht-effizientes Portfolio, eines, das unter der Effizienzgrenze liegen würde. Welches der auf der Effizienzgrenze positionierten Portfolios ein Anleger dann schließlich wählt, hängt von seiner individuellen Risikoneigung ab. Ein stark risikoaverser Investor würde eine Portfoliorendite wählen, die im linken Bereich der Effizienzgrenze liegt, ein weniger risikoaverser Anleger eine weiter rechts oben positionierte Portfoliorendite. Zu dieser Rendite würde der Finanzinvestor sein Geld anlegen. Standardabweichung der Renditen Erwartungswert der Renditen <?page no="97"?> 98 6 Kapitel: Portfolio-Selektion Abb. 23: Die Effizienzgrenze ist der obere Teil der gezeigten, hyperbolischen Kurve, die die Renditen der aus den n Einzelanlagen erzeugbaren Portfolio einhüllt. M ARKOWITZ hat im Übrigen Algorithmen entwickelt, um die Effizienzgrenze mit Computern zu berechnen. Die Parameter der Renditen der n Einzelanlagen, also die n Renditeerwartungen, die n Standardabweichungen und die 1 / 2 n (n ) Korrelationskoeffizienten betrachtete er als gegeben. Heute können diese Parameter von Datenprovidern bezogen und über das Internet geladen werden. Die Algorithmen werden als Optimizer bezeichnet. Diese Programme bieten diverse zusätzliche Analysemöglichkeiten und graphische Präsentationen der Ergebnisse. Eine Suche im Internet bringt die aktuellen Angebote. Einige Optimizer werden gratis angeboten, andere sind an den Bezug der Daten gebunden, für den bezahlt werden muss. Für persönliche Zwecke kann für die Berechnung der Effizienzgrenze auch Excel mit dem Solver im Menü Tools herangezogen werden. 6.1.4 James Tobin Der von M ARKOWITZ entwickelte Ansatz wurde 1958 durch J AMES T OBIN (1918-2002) erweitert. T OBIN hat den bis dahin betrachteten n risikobehafteten Einzelanlagen eine risikolose Anlage hinzugefügt. Sie bietet den Zinssatz i (wie interest). Hinweis: Oft wird dieser Zinssatz mit f r bezeichnet, was für rate free of risk steht. Wir bleiben in diesem Buch aber bei der Bezeichnung i für den Zinssatz. Der Anleger kann folglich sein Portfolio aus zwei Teilen zusammensetzen: Der erste Teil wird risikolos zum Zinssatz i angelegt. Der zweite Teil setzt sich allein aus den bereits zuvor betrachteten n risikobehafteten Einzelanlagen zusammen (also zum Beispiel aus A und B sowie eventuell aus weiteren Anlagen), weshalb dieser Teil als Risikoportfolio bezeichnet werden soll. Standardabweichung der Renditen Erwartungswert der Renditen <?page no="98"?> 6.1 Moderne Portfolio Theorie (MPT) 99 Nun zeigt sich: Alle Portfolios, die aus diesen beiden Teilen bestehen, werden im Risk- Return-Diagramm auf einer Geraden mit dem Achsenabschnitt i positioniert. Die Steigung dieser Geraden hängt von der Zusammensetzung des Risikoportfolios ab, dem zweiten Teil des Portfolios. Wenn ein Anleger sein ganzes Geld risikolos anlegt, wird sein Portfolio ganz links im Risk- Return-Diagramm in jenem Punkt (x = 0, y = i) liegen. Will der Finanzinvestor eine höhere Rendite als i erwarten dürfen, muss er Risiko in Kauf nehmen. Das heißt, er muss sich auf der Geraden im Risk-Return-Diagramm nach rechts bewegen. Da der Anleger risikoavers ist, wird er versuchen, sich das Risikoportfolio so zusammen zu stellen, dass die Steigung der Geraden, auf der die Renditen aller Kombinationen zwischen der risikolosen Anlage und dem Risikoportfolio positioniert sind, möglichst groß ist. Die Steigung der Geraden ist dann maximal, wenn sie die Effizienzgrenze berührt, wie in Bild 24 dargestellt. Das Risikoportfolio in diesem Tangentialpunkt trägt die Bezeichnung M. Die Tangente an die Markowitzsche Effizienzgrenze im Risk-Return-Diagramm heißt Kapitalmarktlinie (Capital Market Line, CML). Bis auf das Tangentialportfolio M selbst, das auch auf der Effizienzgrenze liegt, sind alle auf der CML positionierten Portfoliorenditen jenen auf der Markowitzschen Effizienzgrenze überlegen. Für jede Stufe von Risiko gibt es auf der CML ein Portfolio, das mit einer noch höheren Renditeerwartung verbunden ist, als das diesem Risiko entsprechende Portfolio auf der Effizienzgrenze. Abb. 24: Die Tangente an die Markowitzsche Effizienzgrenze ist die CML. Standardabweichung der Renditen Erwartungswert der Renditen Zinssatz <?page no="99"?> 100 6 Kapitel: Portfolio-Selektion Wir betrachten nun nicht nur einen Anleger, sondern alle Anleger eines Wirtschaftsraumes und treffen eine Voraussetzung: Sie sollen alle in gleicher Weise zu den zuvor genannten Anlagemöglichkeiten Zugang haben, für alle soll derselbe Zinssatz gelten, und alle sollen die Parameter Risk und Return sowie die Korrelationskoeffizienten übereinstimmend schätzen. Diese Voraussetzung heißt homogene Erwartungsbildung. Ist sie erfüllt, dann würden alle Anleger die Tangente, die CML, in identischer Weise bestimmen. Alle hätten dasselbe, mit M bezeichnete Portfolio als „Tangentialportfolio“ gefunden. Bei dieser Schlussfolgerung spielt weder die individuelle Risikoaversion eine Rolle noch der individuell zur Verfügung stehende Anlagebetrag. Weil bei homogener Erwartungsbildung alle Personen dieselbe CML als Ort effizienter Portfoliorenditen erkennen, wählt jeder von ihnen ein persönliches Portfolio, dessen Rendite auf der CML liegt. Dabei gibt es nur zwei Unterschiede zwischen den Anlegern: Wer stärker risikoavers ist, wählt eher ein Portfolio mit einer Rendite links unten auf der CML. Wer weniger risikoavers ist, wählt eher ein Portfolio mit einer Rendite weiter rechts oben auf der CML. Klar ist: Wer mehr Geld anzulegen hat, der hat dann auch ein Portfolio mit höherem Wert. Doch für jeden Finanzinvestor ist die Rendite des persönlichen Portfolios auf der CML positioniert. Für jeden Anleger ist die Portfoliorendite daher eine Kombination des Zinssatzes und der Rendite des Tangentialportfolios M. Die Gewichte bei dieser Kombination werden durch die individuelle Risikoaversion bestimmt. Mit anderen Worten: Jeder Anleger legt einen Teil seines Geldes risikofrei zum Zinssatz i und den anderen Teil in das Tangentialportfolio M an. Alle Anleger strukturieren die risikobehafteten Teile ihrer jeweiligen Portfolios identisch, nämlich so, wie das Tangentialportfolio sich aus den n Einzelanlagen zusammensetzt. Damit wird die Zusammensetzung des Tangentialportfolios M eine universelle Größe: Sie ist für alle Anleger identisch. Das Tangentialportfolio M wird als Marktportfolio bezeichnet, denn es stimmt mit der Zusammensetzung der risikobehafteten Portfolioteile aller Marktteilnehmer überein, es ist für alle am „Markt“ investierenden Personen dasselbe. Zwar gibt der Anleger Mayer € 45.000 in die verzinsliche Anlage und € 5.000 in Aktien, die Anlegerin Steiner hingegen € 100.000 in die verzinsliche Anlage und € 900.000 in Aktien. Doch die von Mayer in Aktien gehaltenen € 5.000 setzen sich mit identischer Gewichtung aus den n risikobehafteten Einzelanlagen zusammen, wie die von Steiner in Aktien gehaltenen € 900.000. Die Aufgabe der Portfolio-Selektion für einen konkreten Anleger zerfällt also in zwei Teilaufgaben: 1. Die Bestimmung der Zusammensetzung des Marktportfolios M. 2. Die Bestimmung des Portfolios auf der CML, das den persönlichen Nutzen des Anlegers maximiert. <?page no="100"?> 6.1 Moderne Portfolio Theorie (MPT) 101 Die Aufgaben können voneinander getrennt gelöst werden. Dabei ist die erste Teilaufgabe für alle Anleger identisch und muss daher nur einmal gelöst werden. Um die erste Aufgabe lösen zu können, muss man zuvor konkreten Anlegern auch nicht begegnet sein. Nur die Finanzmarktdaten und ein Optimizer werden benötigt. Die zweite Aufgabe läuft häufig innerhalb einer Kundenberatung oder der persönlichen Finanzplanung für einen konkreten Kunden ab. Aufgrund der Trennbarkeit der beiden Teilaufgaben wird die vorgetragene Argumentation als Separationstheorem von T OBIN bezeichnet. 6.1.5 Anlageberatung, Portfoliomanagement und Investmentfonds Das Theorem der Trennbarkeit (Separation) der beiden Aufgaben bei der Portfolio- Selektion hat sich in tief greifender Weise auf die Organisation der Vermögensverwaltung ausgewirkt. Inzwischen ist die Trennung der Prozesse in Anlageberatung (Financial Planning) und Portfoliomanagement überall gute Praxis: Das Portfoliomanagement widmet sich der Bestimmung des optimalen Risikoportfolios. Im Idealfall ist dies eine Approximation an das Marktportfolio. Wie gezeigt, spielt die Risikoneigung der Investoren hier keine Rolle, weshalb sie für diese Aufgabe nicht bekannt sein muss. Die Anlageberatung hat die Aufgabe, unter Berücksichtigung der jeweiligen Risikoneigung der Kunden eine nutzenmaximale Aufteilung des Portfolios in einen risikobehafteten und einen risikofreien Teil zu empfehlen. Es geht also darum, das für den jeweiligen Kunden oder die Kundin passende Portfolio auf der CML zu finden. Das Separationstheorem von T OBIN und die demnach mögliche Funktionsteilung bilden auch die Grundlage für Investmentfonds. Es ist nicht so, dass jeder Anleger sein Portfolio ganz individuell zusammenstellen müsste. Der Grund: alle Anleger wählen hinsichtlich der risikobehafteten Teile ihrer Portfolios dieselbe Zusammensetzung, nämlich die des Marktportfolios. Daher sind Investmentfonds möglich, die das Marktportfolio bilden und damit das Risikoportfolio aller Anleger vorfabriziert als Baustein liefern. Heute werden Investmentfonds angeboten, die verschiedene Positionen auf der CML verwirklichen. An den Enden der Skala beziehungsweise der CML stehen Fonds, die allein aus Bonds und Geldmarktinstrumenten (Fixed-Income) bestehen sowie reine Aktienfonds (Equity). Dazwischen liegen auf der CML Fonds, die sich auf ein Portfolio aus zwei Dritteln Geldmarkt und einem Drittel Aktien (Return) beziehungsweise aus einem Drittel Geldmarkt und zwei Dritteln Aktien (Growth) stützen. Daneben gibt es Investmentfonds, die aktive Strategien umsetzen, etwa um auf diese Weise einen Kapitalschutz zu erreichen. Der Anlegerschaft stehen heute Tausende von Investmentfonds zur Wahl. 6.1.6 Folgen für die Vermögensverwaltung Während die Ansätze von M ARKOWITZ und T OBIN klar zwischen der einen risikolosen Anlage und mehreren risikobehafteten Einzelanlagen unterscheiden, ist die Identifikation von risikolosen Anlagen in der Praxis nicht immer so leicht möglich. Denn die verzinsliche Anlage ist nur risikofrei, wenn die Zinsbindungsfrist mit dem Horizont übereinstimmt, der <?page no="101"?> 102 6 Kapitel: Portfolio-Selektion für die Portfolio-Selektion gewählt wurde. Oft wird dafür stillschweigend ein Jahr unterstellt, und tatsächlich halten viele Privatinvestoren ihr Portfolio für ein Jahr im Wesentlichen unverändert. In diesem Fall ist die Rendite der risikofreien Anlage der Einjahreszinssatz. Außerdem wurde für eine risikolose Anlage, etwa auf fünf Jahre, gern eine Staatsanleihe gewählt. Inzwischen sind wir uns durch die jüngste Finanzkrise mehr bewusst, dass auch bei Sovereign Debt ein Ausfallrisiko besteht, und dass dieses zum Teil als beträchtlich hoch einzustufen ist. In der Praxis verfahren die meisten Vermögensverwaltungen so, dass sie eine risikofreie Anlage als nicht möglich ansehen. Stattdessen fassen sie selbst Geldmarktinstrumente als (leicht) risikobehaftet auf und beziehen sie in die Menge aller risikobehafteten Einzelanlagen ein. Anschließend werden die effizienten Portfolios nach dem Verfahren von M ARKOWITZ berechnet. Die von T OBIN eingeführte konzeptionelle Erweiterung des Ansatzes von M ARKOWITZ durch die Kapitalmarktlinie erübrigt sich damit streng genommen. Die Markowitzsche Effizienzgrenze verschiebt sich indessen sehr weit nach links, da dann die sehr risikoarmen Anlageformen wie die Geldmarktanlagen von der Effizienzgrenze umhüllt werden. Abb. 25: Effizienzgrenze internationaler Anlagen. Die Berechnung der Effizienzgrenze läuft auf eine Optimierung hinaus. Es wird für ein jedes Risikoniveau dasjenige Portfolio bestimmt, das die maximale Renditeerwartung aufweist. Eine solche Berechnung der Effizienzgrenze ist im Ergebnis gezeigt. Als mögliche Einzelanlagen wurden verschiedene Assetklassen gewählt wie Geldmarktinstrumente, Anleihen, Aktien. Es zeigt sich, dass die Effizienzgrenze links durch die Geldmarktanlage bestimmt ist. Bei einer Bewegung auf der Effizienzgrenze nach rechts oben (mehr Risiko, mehr Renditeerwartung) werden die Geldmarktanlagen zunächst durch Anleihen abgelöst und diese bei weiterer Bewegung nach rechts oben durch die Aktienanlagen. Erfolgt eine <?page no="102"?> 6.1 Moderne Portfolio Theorie (MPT) 103 Optimierung (Berechnung der Effizienzgrenze) über verschiedene Assetklassen und Länder, wirken aufgrund der Währungsrisiken die ausländischen Klassen von Wertpapieren etwas risikobehafteter als die inländischen. Häufig sind dann im jeweils unteren Bereich (links) der Effizienzgrenze die einheimischen Wertpapiergruppen und rechts oben die ausländischen Assetklassen stärker gewichtet, vergleiche Bild 25. Dies belegt die Portfoliooptimierung für einen internationalen Investor. Die Rechnung ist zweimal vorgenommen, und zwar für die Referenzwährungen Euro und Schweizerfranken. Es sei angenommen, dass der Anleger jeweils in Anleihen und Aktien der Länder Schweiz, UK, USA, Japan und Deutschland investieren kann. Zusätzlich soll es dem Anleger möglich sein, die Währungsrisiken beim britischen Pfund, beim US-Dollar und beim japanischen Yen absichern (hedgen) zu können. Solche Absicherungen von Währungsrisiken verbessern die Relation zwischen Renditeerwartung und Risiko. Da wir die Risikoaversion des Investors nicht kennen, sind alle Portfolios auf der Effizienzgrenze zu diskutieren. Die Effizienzgrenze beginnt links mit einem Portfolio, dessen Rendite unter allen effizienten Portfolios die geringste Standardabweichung aufweist. Es wird als Minimum Variance Portfolio (MVP) bezeichnet. In Bild 26 ist als linker Balken ein allein aus CH-Obligationen zusammengesetztes Portfolio dargestellt. Dieses Portfolio ist allerdings nicht effizient. Es hat eine etwas geringere Rendite bei leicht höherem Risiko im Vergleich zum Minimum Variance Portfolio. Mit einer Bewegung auf der Effizienzgrenze nach rechts oben kommen zunächst japanische sowie amerikanische und britische Bonds hinzu, bis nur noch amerikanische Bonds verbleiben und bei weiterer Bewegung auf der Effizienzgrenze ihrerseits durch Aktien verdrängt werden. Das Portfolio rechts oben besteht schließlich aus US-Aktien. Für jede Assetklasse wurde das minimal mögliche Gewicht auf 0% und das maximale Gewicht auf 100% beschränkt (keine Leerverkäufe). Alle professionellen Vermögensverwalter verfügen heute über diese Kenntnisse. Sie haben die Werkzeuge zur Berechnung effizienter Portfolios, sogenannte Optimizer, und sie können auf die erforderlichen Daten zugreifen. Abb. 26: Effiziente Portfolios. <?page no="103"?> 104 6 Kapitel: Portfolio-Selektion 6.2 Fazit des Kapitels Portfolio-Selektion 6.2.1 Zusammenfassung Die „Moderne Portfolio Theorie (MPT)“ geht im grundlegenden Ansatz auf M ARKOWITZ zurück. Er beschrieb das Anlageuniversum durch die Renditen der möglichen Einzelanlagen, und diese wiederum werden als Zufallsgrößen aufgefasst. Deren gemeinsame Verteilung sollte durch Parameter gegeben sein, insbesondere sollten für jede Einzelanlage der Erwartungswert der jeweiligen Rendite (Return) und die als Risk bezeichnete Standardabweichung der Rendite gegeben sein. Anhand dieser Parameter können die Einzelanlagen in einem Risk-Return-Diagramm positioniert werden. Außerdem sollten für Paare von Einzelanlagen die Koeffizienten der Korrelation der Renditen bekannt sein. Von ihnen hängt entscheidend ab, wo im Risk-Return-Diagramm die aus Einzelanlagen gebildeten Portfolios positioniert sind. M ARKOWITZ hat sodann gezeigt, dass nicht alle erzeugbaren Portfolios hinsichtlich Risk (unerwünscht) und Return (erwünscht) effizient sind. Die Effizienzgrenze, der geometrische Ort aller effizienten Portfolios ist ein Hyperbelabschnitt oder setzt sich aus mehreren Hyperbelabschnitten zusammen. Optimizer können die effizienten Portfolios schnell berechnen und ihre Positionen graphisch darstellen. Markowitz hat auch zu den Algorithmen Arbeiten geleistet, doch er hat sich nicht mit Fragen auseinandergesetzt, wie die Renditeparameter ökonometrisch geschätzt werden können. T OBIN hat diesen grundlegenden Ansatz erweitert, indem er die risikobehafteten Einzelanlagen durch eine risikofreie Anlagemöglichkeit (zum Zinssatz) ergänzt hat. In diesem erweiterten Anlageuniversum ist die Effizienzgrenze der Abschnitt einer Geraden, der so genannten Kapitalmarktlinie. Das allein aus risikobehafteten Anlagen zusammengestellte, effiziente Portfolio ist im Risk-Return-Diagramm dort positioniert, wo die CML die Markowitzsche Effizienzgrenze berührt. Dieses Tangentialportfolio heißt Marktportfolio und die CML verbindet den Zinssatz (kein Risiko) mit dem Marktportfolio. Aus dieser Erweiterung ergibt sich die Möglichkeit, die Portfolio-Selektion in zwei Schritten durchzuführen. Erst wird das Marktportfolio ermittelt, dann wird das aufgrund der persönlichen Risikotoleranz des Investors nutzenmaximale Portfolio auf der CML bestimmt. Diese Tobin-Separation hat die Praxis aufgegriffen. Sie findet sich in der Spezialisierung von Portfoliomanagement und Anlageberatung. 6.2.2 Lernpunkte 1. Die Grundannahmen, die M ARKOWITZ getroffen hatte, um die Aufgabe der Portfolio-Selektion mit mathematischen Mitteln zu lösen. 2. Die Idee der Effizienzgrenze und die Berechnung effizienter Portfolios mit einem Optimizer. 3. Die Erweiterung dieses Ansatzes durch die Annahme der Möglichkeit einer risikofreien Anlage und die Charakterisierung der Kapitalmarktlinie als neue Effizienzgrenze durch T OBIN . 4. Die Tobin-Separation und ihre große praktische Bedeutung. <?page no="104"?> 6.2 Fazit des Kapitels Portfolio-Selektion 105 6.2.3 Erwähnte Namen H ARRY M ARKOWITZ , J AMES T OBIN . 6.2.4 Schlüsselbegriffe Anlageberatung, effizientes Portfolio, Effizienzgrenze, Investmentfonds, Kapitalmarktlinie (Capital Market Line, CML), Marktportfolio, Minimum Variance Portfolio (MVP), Naive Diversifikation, Kapitalstruktur, optimale Diversifikation, Optimizer, Portfolio, Portfoliomanagement, Portfolio-Selektion, Risikoportfolio, Risk-Return-Diagramm. 6.2.5 Fragen zur Lernstandskontrolle 1. Hauptgrund für die Bildung von Portfolios ist die Diversifikation. Wie lautet die Empfehlung bei „naiver“ Diversifikation? [Antwort: Abschnitt 6.1.2] 2. Richtig oder falsch? a) Im Risk-Return-Diagramm werden die als zufällig betrachteten Renditen von Einzelanlagen oder von Portfolios anhand der beiden Parameter Risk (Standardabweichung) und Return (Erwartungswert der Rendite) positioniert. b) Werden zwei Anlagen positioniert, dann ist der Koeffizient der Korrelation der beiden Renditen nicht aus dem Risk-Return-Diagramm ersichtlich. c) Der Koeffizient der Korrelation hat aber entscheidenden Einfluss auf die Positionen von Portfolios, die aus zwei Einzelanlagen gebildet werden. [Antwort: alles korrekt] 3. a) Stellen Sie die Ansätze und Ergebnisse der Arbeiten von H. Markowitz und von J. Tobin in Grundzügen dar! b) Inwiefern haben bei Tobin alle Investoren übereinstimmend zusammengesetzte Risikoportfolios? c) Haben die Marktteilnehmer auch dann noch identisch zusammengesetzte Risikoportfolios, wenn sie nicht alle denselben Erwartungen (Informationen und Einschätzungen der Renditeparameter) hinsichtlich der unsicheren Renditen folgen? d) Inwiefern schafft das Separationstheorem von Tobin die Grundlage für die Trennung von Portfoliomanagement und Anlageberatung? [Antworten: Abschnitt 6.1.4] 4. a) Wie ist das Minimum Varianz Portfolio (MVP) definiert? [Antwort: Abschnitt 6.1.6]. b) Wenn als zwei Einzelanlagen der Aktienindex und der Bondindex betrachtet werden sowie aus diesen Einzelanlagen erzeugte Portfolios, hat dann das MVP eine geringeres Risiko als Bonds? c) Hat das MVP einen höheren Return im Vergleich zu Bonds? [Antwort: Abschnitt 6.1.3] 5. Auch das aus den Finanzierungen einer Unternehmung bestehende und vom Management der Unternehmung zusammengestellte Portfolio sollte in einem gewissen Sinn „gut diversifiziert“ sein. Welche Risiken sehen Sie, die einer Unternehmung aus den von ihr aufgenommenen Finanzierungen entstehen können? [Antwort: Abschnitt 6.1.1] <?page no="106"?> 7. Kapitel: Die Kapitalstruktur Die Idee, Unsicherheiten dadurch zu verringern, dass nicht alles auf eine Karte gesetzt wird, ist alt. Auch die Verwender von Kapital, die Finanziers, bilden Portfolios aus mehreren Finanzierungen, um gewisse Unsicherheiten zu diversifizieren - wenngleich es andere Unsicherheiten sind als die Risiken, mit denen sich ein Kapitalanleger konfrontiert sieht. Das „Finanzierungsportfolio“ einer Unternehmung wird als „Kapitalstruktur“ bezeichnet. In diesem Kapitel besprechen wir, wie die kapitalnehmende Unternehmung mehrere Finanzierungen kombiniert, um die mit Finanzierungen verbundenen Unsicherheiten am besten zu bewältigen. Die optimale Kapitalstruktur kann aber nicht mit einem Rechenverfahren oder einer mathematischen Optimierungsaufgabe ermittelt werden. Vielmehr wurden Konzepte oder Ansätze entwickelt, die argumentieren, wie eine Unternehmung ihre Kapitalstruktur verbessern könnte. Portfolio aus Kapitalanlagen (Kapitel 6) Portfolio aus Finanzierungen Portfolio-Selektion, Risk-Return- Diagramm, Effizienzgrenze, Optimizer (M ARKOWITZ ) Separationstheorem, Kapitalmarktlinie (T OBIN ) Irrelevanzthese (M ODIGLIANI und M ILLER ) Leverage-Effekt Tradeoff-Ansatz Agency-Theorie (J ENSEN und M ECKLING ) Hackordnung (M YERS und M AJLUF ) Die Konzepte und Ansätze werden in zwei Gruppen besprochen. Zunächst werden die These der Irrelevanz der Kapitalstruktur, aufgestellt von M ODIGLIANI und M ILLER , besprochen, sowie der Leverage-Effekt (Abschnitt 7.1) Anschließend wenden wir uns dem Tradeoff-Ansatz zu, der Agency-Theorie (nach M ICHAEL J ENSEN und W ILLIAM M ECK- LING ) sowie der Hackordnung der Finanzierung (S TEWARD C. M YERS und N ICHOLAS S. M AJLUF ). Die Empirie betont die gute Erklärung von Kapitalstrukturen nach dem Tradeoff-Ansatz. Dieser Ansatz hat zur Folge, dass jede Unternehmung eine gewisse Kapitalstruktur hat, die für sie optimal ist, und die sie daher als Ziel bei Veränderungen immer wieder im Auge behält. Insbesondere die Wahl zwischen Eigen- und Fremdkapital wird unter dem Gesichtspunkt getroffen, ob dadurch die Zielkapitalstruktur näher erreicht wird. <?page no="107"?> 108 7 Kapitel: Die Kapitalstruktur 7.1 Unternehmensfinanzierung 7.1.1 Sollten Kapitalverwender diversifizieren? Durch die Portfoliotheorie wird auch erklärt, wie das Angebot an Kapital zustande kommt. Ein Kapitalnachfrager kann dies lernen: Die Anleger interessieren sich für die zukünftige Rendite, und da diese zufällig ist, wollen sie etwas über die Wahrscheinlichkeitsparameter der zufälligen Rendite erfahren. Sie beachten Informationen, die geeignet sind, die Verteilungsparameter genauer zu bestimmen. Die beiden wichtigsten Parameter sind Return (Renditeerwartung) und Risk (Standardabweichung der Rendite). Drittens kommt es darauf an, wie die Rendite mit den Renditen der anderen Kapitalanlagen korreliert ist. Die Anleger nehmen eine Einzelanlage um so stärker in ihre Portfolios auf, je höher die Renditeerwartung ist, je geringer die Standardabweichung der Rendite ist und je geringer die Korrelationen mit den Renditen der anderen Kapitalanlagen sind. Einzelanlagen mit geringer Renditeerwartung, hoher Standardabweichung und hohen Korrelationen zu den Renditen der anderen Anlagen werden in den Portfolios hingegen nur wenig gewichtet oder verschwinden gänzlich aus den Portfolios. Geringe Transaktionskosten erlauben es, Portfolios zu bilden. Auch die Kapitalverwender sind nicht darauf angewiesen, einen einzigen Finanzkontrakt oder einen einzigen Typ von Finanzkontrakt einzugehen. Sie bilden ein Portfolio aus verschiedenen Finanzierungsverträgen, sie entscheiden über die Kapitalstruktur. Auf den ersten Blick könnte gesagt werden, dass die Kapitalverwender kein Risiko haben, das sie diversifizieren müssten. Das Risiko liege hingegen gänzlich auf der Seite der Kapitalanleger. Das ist zunächst richtig, und die Kapitalverwender haben nicht jene Risiken, welche die Anleger treffen und welche die Anleger daher diversifizieren möchten. Kapitalverwender haben aber andere Risiken, denen wir uns nun zuwenden. Wir beginnen mit dem Eigenkapital. Hier ist das Verhalten der Aktionäre ein Unsicherheitsfaktor: Wie werden sie gegenüber dem Management Kontroll- und Aufsichtsrechte ausüben? Auf welcher Ausschüttungspolitik werden sie bestehen? Wie werden sie sich verhalten, wenn einmal eine Kapitalerhöhung ansteht? Werden sie im Fall einer Krise neue Eigenmittel einlegen? Offensichtlich gibt es hier ganz verschiedene Typen von Finanzinvestoren, so etwa den Großinvestor, der eine Mehrheit halten könnte, den Minderheitsaktionär, den Kleinaktionär und so fort. Das Management hat schon einen gewissen Einfluss darauf, wer die Aktien der Gesellschaft an der Börse kauft. Es kann daher in einem gewissen Umfang das Portfolio an Finanzierungen bestimmen. Ähnliche Überlegungen gelten für das Fremdkapital. Beim Fremdkapital lauten die Fragen: Möchte die Unternehmung Fremdkapital nur von einer Hausbank oder von mehreren Banken aufnehmen? Setzt sie eher darauf, Anzahlungen von Kunden zu erhalten? Strebt sie die Ausgabe von Unternehmensanleihen an? Wer sollten dann die Käufer dieser Anleihen sein, institutionelle oder private Investoren? Zu- <?page no="108"?> 7.1 Unternehmensfinanzierung 109 dem ist die Frist des Fremdkapitals ein wichtiges Thema, weil die Zinsen, zu denen eine Anschlussfinanzierung möglich wird, unsicher sind. Gleiches gilt für die Fremdfinanzierung in verschiedenen Währungen. Auch das unternehmerische Portfolio aus Fremdfinanzierung kann so gestaltet werden, dass sich verschiedene Unwägbarkeiten diversifizieren. Wie das genau geschehen könnte, führt in der Praxis allerdings auf komplexe Überlegungen. Es gibt nicht so einfache und klare wahrscheinlichkeitstheoretische Ansätze, wie sie für die Selektion des Portfolios eines Anlegers von M ARKOWITZ und T OBIN entwickelt worden sind. Bei der Wahl der Kapitalstruktur ist schließlich ein Hauptpunkt, wie das unternehmerische Portfolio der Finanzierungsverträge aus Eigen- und aus Fremdkapital zusammengesetzt werden sollte. Diese Frage wird auf einer aggregierten Ebene untersucht, weil auf die genaue Zusammensetzung der Eigenkapitalgeber nicht mehr eingegangen wird und auch die Aufgabe der Zusammensetzung des Fremdkapitals als gelöst angesehen wird. Es geht lediglich um die Strukturierung des unternehmerischen Portfolios aus Finanzierungsverträgen aus den beiden Klassen Eigen- und Fremdkapital. Alle drei Fragekreise - Strukturierung des Eigenkapitals, Strukturierung des Fremdkapitals und die Bestimmung der relativen Gewichte von Eigen- und Fremdkapital - sind äußerst komplex. Denn das „optimale“ unternehmerische Finanzierungsportfolio, die „optimale Kapitalstruktur“, hängt stark von der realwirtschaftlichen Seite der Unternehmung ab. Wir müssen uns mit Beispielen begnügen: 1. Ein Waffenproduzent kann kaum anstreben, eine Publikumsaktiengesellschaft zu werden, denn dann würden auf der Hauptversammlung zahlreiche Personen Fragen stellen, die lediglich eine einzige Aktie gekauft haben, um das Recht auf Anhörung zu haben. 2. Eine Unternehmung, die sich in einer schwierigen Phase der strategischen Neuorientierung befindet, wünscht einen Mehrheitsaktionär vermutlich eher, als lauter Minderheitsaktionäre, die nur gute Nachrichten hören und eine Dividende sehen wollen. 3. Eine Unternehmung, die stabil arbeitet, sichtbare und allgemein geschätzte Produkte anbietet, und von sich aus weiß, wie Innovationen vorangebracht werden, benötigt hingegen nicht das Know-how, das ein Industriepartner einbringen könnte. Sie kann sich dem Publikum öffnen. 4. Eine Unternehmung mit einer starken Eigenkapitalbasis kann sich durchaus auf eine einzige Bank konzentrieren (Hausbank), ohne „abhängig” zu werden. 5. Eine Unternehmung mit großem Umlaufvermögen kann durchaus kurzfristige Fremdfinanzierungen eingehen, während eine Unternehmung mit großem Anlagevermögen dieses nicht kurzatmig mit kurzfristigem Fremdkapital finanzieren sollte. Die Liste der Beispiele ließe sich beliebig erweitern. Jedes weitere Beispiel dürfte ebenso einen interessanten Fall darstellen, der zahlreiche Facetten aufweisen dürfte. Allerdings sind die gefundenen Lösungen dann immer fallbezogen. Nicht immer bietet die fallbezogene Arbeitsweise generalisierbare Erkenntnisse. Konzentriert man sich hingegen auf wenige grundlegende Aspekte der Selektion des unternehmerischen Finanzierungsportfolios (Kapitalstruktur), dann können generelle Erkennt- <?page no="109"?> 110 7 Kapitel: Die Kapitalstruktur nisse gewonnen werden. Allerdings bleiben dann Details außer Acht, auch wenn sie vielleicht in einem konkreten Fall bedeutsam sind. Die wissenschaftliche Untersuchung hat in den letzten Jahrzehnten Grundlagen für die optimale Kapitalstruktur einer Unternehmung gelegt. Die theoretischen Arbeiten sind durch empirische Untersuchungen ergänzt worden. Wir besprechen im Folgenden jene Ergebnisse, die für das Verständnis der Finanzmärkte von Bedeutung sind. Dazu gehören erstens der Leverage-Effekt und das damit zusammenhängende Irrelevanztheorem von M ODIGLIANI und M ILLER (1958, 1963). Als zweites Konzept wird dasjenige von J ENSEN und M ECKLING (1976) behandelt. Es untersucht den Einfluss von Agencykosten auf die Kapitalstruktur. Auf M YERS und M AJLUF (1984) geht drittens die Hackordnung oder Pecking-Order der Finanzierung zurück. 7.1.2 Irrelevanz der Kapitalstruktur: Modigliani und Miller In ihrem gemeinsamen Beitrag aus dem Jahre 1958 haben die mit MM abgekürzten (und gelegentlich liebevoll „Momi“ genannten) Autoren F RANCO M ODIGLIANI (1918-2003) und M ERTON H. M ILLER (1923-2000) zunächst das Kriterium für die Wahl einer optimalen Kapitalstruktur gewählt. Es ist der Unternehmenswert. Gemeint ist der Gesamtwert für alle Beteiligungen von Eigenkapitalgebern und alle Forderungen von Fremdkapitalgebern. MM postulierten: Das Management solle durch Wahl einer geeigneten Zusammensetzung des Kapitals aus Eigen- und Fremdkapital versuchen, den Gesamtwert aller dieser finanziellen Ansprüche zu maximieren. MM haben die realwirtschaftliche Seite als gegeben betrachtet. Insbesondere sollte die Kapitalstruktur keine Rückwirkung auf Art, Risiko und Ertrag der realwirtschaftlichen Tätigkeit haben. Das ist eine abstrakte Modellannahme, aber ohne Abstraktion von der komplexen Realität können nur wenige Erkenntnisse abgeleitet werden. Um die Annahme zu illustrieren, stellen Sie, liebe Leserin und lieber Leser sich bitte vor, Sie könnten in Augsburg eine Firma kaufen, die bereits läuft. Der bisherige Eigentümer und die Banken treffen Sie und bieten alles für 10 Millionen Euro an. Sie möchten kaufen und haben im Bekanntenkreis zahlreiche Investoren, die sich entweder beteiligen wollen und die bereit sind, Fremdkapital zu geben. Jeder ihrer Bekannten sagt: „Wenn ich mich beteilige, soll natürlich die marktübliche Rendite herausschauen, und wenn ich Fremdkapital gebe, möchte ich den marktüblichen Zinssatz erhalten.“ Sie sollen nun entscheiden, ob sie den Betrag von 10 Millionen Euro allein über Eigenkapital finanzieren oder über eine Kombination aus Eigen- und Fremdkapital, und wie hoch in diesem Fall das Mischungsverhältnis sein sollte. Sie werden daran denken, dass Fremdkapital insofern günstig ist, als der Zins geringer als die von Eigenkapitalgebern erwartete Rendite ist. Wenn dann so oder so die 10 Millionen Euro zusammengekommen sind und der Finanzierungsvorgang abgeschlossen ist, werden die neuen Eigenkapitalgeber natürlich ihre Ansprüche bewerten. Auch die möglicherweise eingebundenen Fremdkapitalgeber werden sich fragen, ob ihre Forderungen wohl erfüllt werden. Jedenfalls treffen sich alle Kapitalgeber und bewerten nun ihre Beteiligungsrechte und die Forderungstitel. Dazu betrachten sie die Ergebnisse, die mit der neu gekauften <?page no="110"?> 7.1 Unternehmensfinanzierung 111 Unternehmung in Zukunft wohl erzielt werden, und wie diese Ergebnisse an die Fremd- und Eigenkapitalgeber verteilt werden. Um diesen so festgestellten Gesamtwert geht es. MM haben gezeigt, dass der Gesamtwert einer Unternehmung unabhängig von der Relation zwischen Fremd- und Eigenkapital ist. Insbesondere hat die Unternehmung, wenn sie Fremdmittel einsetzt, denselben Gesamtwert, wie wenn sie nur mit Eigenkapital finanziert würde. Da der Verschuldungsgrad ohne Bedeutung für den Gesamtwert ist, wird die Erkenntnis von MM als Irrelevanztheorem bezeichnet. Diese Aussage von MM hat anfangs für Verwirrung gesorgt. Denn jedermann dachte, dass Fremdkapital günstig und Eigenkapital teuer sei, weshalb eine Verschuldung für die Eigenkapitalgeber stets Vorteile bringt, die sich in der Bewertung ausdrücken. Wir hatten bereits über den Unterschied zwischen der Renditeerwartung bei Aktien und der bei Anleihen gesprochen und festgestellt, dass dieser Unterschied, die Risikoprämie, zwischen 4% und 5% beträgt. Jedermann also dachte, Fremdkapital sei für die Unternehmung letztlich 4% bis 5% günstiger. Allgemein bestand die Vorstellung, die gesamten Kapitalkosten würden sinken, wenn die Unternehmung anstelle von „teurem“ Eigenkapital mehr „günstiges“ Fremdkapital einsetzt. Geringere Kapitalkosten sollten sich dahingehend auswirken, dass die Unternehmung wertvoller wird. 7.1.3 Leverage-Effekt Der Punkt, der bei dieser herkömmlichen Argumentation übersehen wird, ist dieser: Bei einem höheren Verschuldungsgrad und geringerem Einsatz von Eigenkapital wächst das auf den Euro Eigenkapital bezogene unternehmerische Risiko. Denn mit mehr Fremdkapital wird das gesamte unternehmerische Risiko von immer weniger Eigenkapital getragen. Gehen wir auf unser Beispiel mit der Firma zurück, für die 10 Millionen Euro bezahlt wurde. Angenommen, die realwirtschaftliche Tätigkeit kann dazu führen, dass plötzlich 1 Million verloren geht. Bei voller Eigenfinanzierung würden die Eigenkapitalgeber sehen, dass sie pro Euro Eigenkapital 10 Cent verlieren können. Wird die Unternehmung aber mit 5 Millionen Eigen- und 5 Millionen Fremdkapital finanziert, dann sehen die Eigenkapitalgeber, dass sie pro Euro Eigenkapital 20 Cent verlieren könnten. Die Eigenkapitalgeber sehen, dass dieses Risiko größer wird und verlangen eine Kompensation durch eine (noch) höhere Renditeerwartung. Der Leverage-Effekt zeigt die genauen Zusammenhänge. Bei zunehmender Fremdfinanzierung steigen die Eigenkapitalkosten an. Die durchschnittlichen Kapitalkosten, so haben M ODIGLIANI und M ILLER gezeigt, bleiben konstant. Ein weiteres Beispiel soll diesen Sachverhalt illustrieren: Eine Unternehmung mit einem Realkapital von einer Million Schweizerfranken erziele einen Jahresüberschuss von 100.000 Franken. Von einer Besteuerung der Unternehmung sei abgesehen. Die auf das gesamte Kapital erwirtschaftete Rendite beträgt 10%. Ist diese Unternehmung vollständig mit Eigenkapital finanziert, beträgt die Eigenkapitalrendite 10%. Falls nun aber die Finanzierung nicht aus einer Million Schweizerfranken Eigenkapital besteht, sondern zum Beispiel aus 700.000 Franken Fremdkapital und 300.000 Franken Eigenkapital, dann müssen aus dem <?page no="111"?> 112 7 Kapitel: Die Kapitalstruktur Jahresüberschuss zunächst die Fremdkapitalzinsen bezahlt werden. Bei einem hier unterstellten Schuldzinssatz von 5% entfielen 35.000 Franken auf die Zahlung an die Fremdkapitalgeber. Die übrigen 65.000, die den Eigenkapitalgebern zustehen, liegen zwar unter den 100.000 Franken von vorher, doch das investierte Eigenkapital beträgt nicht mehr eine Million, sondern 300.000 Schweizerfranken. Die Eigenkapitalrendite beläuft sich auf 21.7% (65.000 / 300.000). Es zeigt sich, dass bei sonst gleichen Verhältnissen die erwartete Eigenkapitalrendite durch die Substitution von Eigendurch Fremdkapital erhöht werden konnte - sofern die Gesamtkapitalrendite so hoch ist, dass nach Befriedigung der Forderungen der Fremdkapitalgeber noch ein positiver Betrag übrig ist, um eine Zahlung an die Eigenkapitalgeber zu leisten. Angenommen, der Jahresüberschuss falle auf 20.000, dann liegt die Eigenkapitalrendite der unverschuldeten Unternehmung mit 2% noch im positiven Bereich. Im Falle der verschuldeten Unternehmung dagegen müssen die 35.000 Franken an Fremdkapitalzinsen unabhängig vom Geschäftsgang entrichtet werden. Es entsteht ein Verlust von 15.000 Franken, womit die Eigenkapitalrendite auf -5%, nämlich -15.000 / 300.000, fällt. Abb. 27: Unverschuldete (oben) und verschuldete Unternehmung (unten). Durch Verschuldung kann die Eigenkapitalrendite wie mit einem Hebel verändert werden, woraus sich die Bezeichnung Leverage-Effekt ableitet. Der Hebel wirkt jedoch nicht nur nach oben, sondern ebenso nach unten. Voraussetzung für eine positive Wirkung ist eine Gesamtkapitalrendite, die höher ist als die Fremdkapitalzinsen. Liegt die Gesamtkapitalrendite unter den Fremdkapitalkosten, so wirkt der Hebel nach unten. In jedem Fall erhöht sich die Schwankungsbreite der Eigenkapitalrendite mit zunehmendem Verschuldungsgrad. Formal lässt sich dies wie folgt darstellen: Wir beginnen mit der Gesamtkapitalrendite, die sich aus den Zahlungen oder Ergebnissen ergibt, die allen Kapitalgebern zu Gute kommen. Diese Zahlungen oder Ergebnisse werden bei der Rendite in Relation zum Gesamtkapital EK + FK gesetzt, der Summe aus Eigenkapital EK und Fremdkapital FK . Die Gesamtkapitalrendite ist letztlich allein durch die realwirtschaftliche Tätigkeit bestimmt, durch die <?page no="112"?> 7.1 Unternehmensfinanzierung 113 (realwirtschaftlichen) Vermögenspositionen, die Assets also. Deshalb bezeichnen wir sie mit A r . Die Zahlungen und Ergebnisse, die den Kapitalgebern zukommen, bestehen aus dem Gewinn G und den Fremdkapitalzinsen Z : A G + Z r = EK + FK Diese Beziehung kann umgeformt werden, so dass sie den Gewinn ausdrückt: A G = (EK + FK) r Z . Selbstverständlich gilt für die Zinsen Z = FK i , wobei i (wie „interest“) den Zinssatz beschreibt. Mit diesen Vorbereitungen können wir die Eigenkapitalrendite berechnen: A EK (EK + FK) r FK i G r = = EK EK Mit der Bezeichnung / t = FK EK für den Verschuldungsgrad folgt: EK A A r = r + t (r i) . Aus dieser Leverage-Formel ist ersichtlich, dass ein Renditevorteil an die Bedingung geknüpft ist, dass die Gesamtkapitalrendite höher ist als der Zinssatz. Übertragen auf unser obiges Beispiel mit einer Gesamtkapitalrendite von 10%, einem Verschuldungsgrad von 2,33 (700.000 / 300.000) sowie Fremdkapitalzinsen von 5% ergibt sich: 10% 2.33 10% 5% 21.7% EK A A r = r + t (r i) = + ( ) = M ODIGLIANI und M ILLER haben nun so argumentiert: Gibt es einen Kapitalmarkt, der für alle einheitliche Konditionen bietet, dann können die Manager den Gesamtwert der Unternehmung nicht dadurch ändern, dass sie die Kapitalstruktur verändern. Wir veranschaulichen ihr Argument durch ein Beispiel. Wir beginnen mit einer Unternehmung, die vollständig eigenfinanziert ist. Der Manager kündigt nun an, einen Kredit über 1.000.000 Euro zu 5% aufzunehmen. Gleichzeitig erfolgt eine Kapitalreduktion, und die Eigner erhalten eben diesen Betrag. „Was sollen wir damit tun“ fragen sie. Der Manager schlägt vor, die Million Euro zu 5% auf dem Kapitalmarkt anzulegen. Die Eigner erkennen, dass sie genau so gestellt sind wie zuvor. Sie tragen nach wie vor das gesamte unternehmerische Risiko, das sich nicht verändert hat. Als wirtschaftlichen Erfolg erhalten sie 50.000 Euro weniger, denn das ist der Zinsbetrag, welcher der Manager an die Gläubiger zahlt. Doch für ihre Anlage erhalten die Eigner genau diesen Betrag. Deshalb kann die Verschuldung keinen Werteffekt haben. Ähnlich lautet die Argumentation, wenn der Manager eine Kapitalerhöhung einleitet, um Schulden zurück zu zahlen. Maßnahmen des Managements, die zu den gleichen Konditionen - und der Kapitalmarkt bewirkt, dass alle Marktteilnehmer gleiche Konditionen haben - die Eigenkapitalgeber auch selbst herbeiführen können oder die sie gleichsam rückgängig machen können, haben keine Wertänderung zur Folge. , , <?page no="113"?> 114 7 Kapitel: Die Kapitalstruktur Wertsteigerungen sind nur dann möglich, wenn das Management Maßnahmen zu günstigeren Konditionen ergreifen kann als die Eigenkapitalgeber. Nehmen wir einmal an, die Aktionäre wollen eher Geld zurückerhalten als weitere Mittel einlegen. Man könnte sagen, dass sie dann einfach einen Kredit aufnehmen sollten, um ihre Konsumausgaben zu bezahlen. Doch wir nehmen weiter an, dass die Aktionäre als Privatpersonen 8% für einen Kredit zahlen müssen, während die Unternehmung zu 5% Zins einen Kredit erhalten kann. In einer solchen Situation wird der Gesamtwert der Unternehmung erhöht, wenn das Management einen Kredit nimmt, um damit großzügige Ausschüttungen und Kapitalrückzahlungen zu finanzieren. Diese Überlegungen zeigen, dass man bei der Argumentation vorsichtig sein muss, wenn es Steuern gibt. Denn es könnte sein, dass Steuern bewirken, dass trotz einheitlicher Konditionen auf dem Kapitalmarkt die Nachsteuer-Konditionen finanzieller Maßnahmen davon abhängen, ob sie die Unternehmung oder der Beteiligte als Privatperson ergreift. 7.1.4 Voraussetzungen Die Argumentation von MM kann so zusammengefasst werden: Der Wert der Unternehmung ist unabhängig von ihrem Verschuldungsgrad. Die durchschnittlichen Kapitalkosten werden allein von der realwirtschaftlichen Seite determiniert, nicht von der Finanzierung. Die Gültigkeit der MM-Irrelevanzthese ist an verschiedene Voraussetzungen gebunden: 1. Der Finanzmarkt soll gut funktionieren: Eigenkapitalgeber und Unternehmen sollen alle Transaktionen zu identischen Konditionen vornehmen können. Die Anlagebeträge sollen beliebig teilbar sein, und es gebe keine Transaktionskosten. Alle Parteien sollen den gleichen Informationsstand haben und dieselben Erwartungen hinsichtlich der Zukunft bilden. Es gibt also keinerlei Unterschied zwischen einer seitens der Unternehmung und einer seitens der einzelnen Aktionäre vorgenommenen Verschuldung. 2. Es soll eine finanzierungsneutrale Steuergesetzgebung geben. Es besteht kein steuerlicher Unterschied, ob sich die Unternehmung oder deren Eigentümer verschulden. Dies setzt voraus, dass sowohl die Steuersätze als auch die Ausgestaltung der steuerlichen Progression bei Unternehmen und bei Privaten identisch sind. In der späteren Arbeit haben M ODIGLI- ANI und M ILLER diese Annahme durch die realitätsnahe ersetzt, dass die Unternehmung zwar Gewinne versteuern muss, nicht aber jene Wirtschaftsergebnisse, die als Zinsen an Fremdkapitalgeber dargestellt werden. 3. Es gibt keine Konkursgefahr. Eine Unterdeckung des Fremdkapitals durch die Aktiva kann bei den Eigentümern eingefordert werden, und die Haftungsbeschränkung der Eigenkapitalgeber ist daher wertlos. Das bedeutet, dass der Fremdkapitalzinssatz bei ansteigender Verschuldung nicht ansteigen muss, sondern auf konstantem Niveau bleiben kann. Aus diesen Voraussetzungen ergeben sich zugleich Argumente, in welchen Situationen die Kapitalstruktur in Realität eben doch Relevanz besitzt. 1. Die Kapitalmärkte der Realität zeichnen sich eben doch durch gewisse Unvollkommenheiten aus. Die Stichworte sind Transaktionskosten, Größenvorteile, Zugangsbeschrän- <?page no="114"?> 7.2 Tradeoff, Agency und Hackordnung 115 kungen, Marktmacht einzelner Akteure sowie eine beschränkte Teilbarkeit der Finanzkontrakte. Zudem kann es gelegentlich temporäre Ungleichgewichte auf den Kapitalmärkten geben. Sie bringen die Gefahr einer Fehleinschätzung der Kapitalkosten mit sich. 2. Hinsichtlich der Besteuerung gibt es in den meisten Systemen ebenfalls Unterschiede zwischen der Personen- und der Unternehmensbesteuerung. Hier sind regionale Steuererleichterungen zu berücksichtigen, ebenso wie bestimmte Finanzierungsquellen, die mit steuerlichen Vorteilen verbunden sind. Vor allem ist in vielen Steuersystemen die steuerliche Abzugsfähigkeit von Schuldzinsen verankert, während jene Zahlungen, die aus unternehmerischer Sicht den Eigenkapitalgebern zufließen dürfen, der Gewinnbesteuerung unterliegen. Das bedeutet: Wenn eine Unternehmung Fremdkapital einsetzt, muss sie weniger Steuern zahlen als wenn sie vollständig eigenfinanziert ist. Daher ist der Wert - bestimmt durch das, was die Eigen- und Fremdkapitalgeber erhalten, nachdem die Unternehmung alle Steuern entrichtet hat - doch von der Kapitalstruktur abhängig. 3. Schließlich hängt die Konkurswahrscheinlichkeit ebenfalls von der Kapitalstruktur ab. Eine knappe Eigenkapitalausstattung führt zu einem Anstieg des Leveragerisikos der Eigenkapitalrendite. Somit könnte zufällig einmal das gesamte Eigenkapital durch ein schlechtes Jahresergebnis aufgezehrt werden. Damit erhöht sich die Gefahr einer Unterdeckung der Schulden oder, wie man sagt, einer Insolvenz. Parallel dazu heißt ein hoher Verschuldungsgrad, dass in Bezug auf die periodischen Zahlungsströme in der Unternehmung die Fremdkapitalzinsen fixiert sind und bezahlt werden müssen. Damit nimmt diese Position ein immer größeres Gewicht ein und erhöht das Risiko, dass die Unternehmung temporär bestimmte Zahlungen nicht leisten kann. In diesem Falle einer (temporären) Zahlungsunfähigkeit mangels liquider Mittel spricht man von einer Illiquidität. Weiter gibt es gelegentlich hohe Informationskosten sowohl der Fremdkapitalgeber als auch der Eigenkapitalgeber gegenüber dem Management. Das Management ist in der Regel besser über die Vorgänge in der Unternehmung informiert als die Kapitalgeber. Fremdkapitalgeber wünschen sich deshalb Konstruktionen, um die sich aus Intransparenz ergebenden Nachteile zu begrenzen. Dennoch bleibt der große Beitrag von M ODIGLIANI und M ILLER , mit ihrer Argumentation die Voraussetzungen für die Relevanz der Kapitalstruktur systematisiert zu haben. 7.2 Tradeoff, Agency und Hackordnung 7.2.1 Tradeoff-Ansatz Der so genannte Tradeoff-Ansatz knüpft an den Voraussetzungen für die Irrelevanz der Kapitalstruktur an. Er trifft zwei Annahmen, die von denen der MM-Welt abweichen. Die erste Annahme begünstigt den Einsatz von Fremdkapital: Je mehr desto besser. Die zweite Annahme spricht gegen den (übermäßigen) Einsatz von Fremdkapital. Also müssen die beiden Effekte durch eine optimale Verschuldung zum Ausgleich gebracht werden, woraus sich die Bezeichnung Tradeoff-Ansatz ergibt. Die erste Annahme des Tradeoff-Ansatzes ist, dass Gewinne von der Unternehmung zu versteuern sind, wobei die Fremdkapitalkosten vom Vorsteuergewinn abzugsfähig sind und <?page no="115"?> 116 7 Kapitel: Die Kapitalstruktur dadurch die Bemessungsgrundlage für die Steuererhebung reduzieren. Die zweite Annahme des Tradeoff-Ansatzes ist, dass es Kosten für einen Distress oder Konkurs als kalkulatorischen Ansatz gibt. Je stärker die Unternehmung verschuldet ist desto größer wird die Gefahr oder Wahrscheinlichkeit, dass es zu einem Ausfall von Forderungen kommt. Die Fremdkapitalgeber sehen das und verlangen mit dem Kreditzins eine Risikoprämie. Sie ist umso größer, je höher die Verschuldung ist, weil mit zunehmendem Verschuldungsgrad die Ausfallwahrscheinlichkeit zunimmt. Dadurch wird das Fremdkapital bei zunehmender Verschuldung immer teurer. Auch die Eigenkapitalgeber sehen übrigens Kosten für den Fall, dass die Schulden nicht vollständig bedient werden können. Denn in diesem Fall droht ein Konkursverfahren, und vielleicht verlieren die Eigenkapitalgeber jede Kontrolle. Die Nachteile für die Fremdkapitalgeber und die Eigenkapitalgeber sind aus der Sicht der Unternehmung private Nachteile im Unterschied zu sozialen Nachteilen, die den Staat als Ganzes treffen. Denn ein Konkurs verursacht auch Kosten für die Allgemeinheit, so für die Arbeitnehmer, die Kunden der Unternehmung und das Gemeinwesen. Werden diese möglichen sozialen Nachteile in einer Kalkulation berücksichtigt, dann sind die Konkurskosten höher. Die Verschuldung hat zwei Effekte: 1. Die Abzugsfähigkeit von Schuldzinsen bedeutet steuerliche Vorteile. Der Barwert aller zukünftigen Einsparungen von Steuern bei Fremdfinanzierung ist der so genannte Tax- Shield. Der Tax-Shield ist umso größer, je mehr Fremdkapital eingesetzt wird. Der Gesamtwert der Unternehmung ist daher nicht (wie in der ursprünglichen Arbeit von MM angegeben) konstant, sondern nimmt mit dem Verschuldungsgrad zu. 2. Mit der Verschuldung erhöht sich das Risiko eines Financial Distress, also eines Finanzengpasses, oder sogar eines Konkurses. Diese kalkulatorisch zu berücksichtigen Konkurskosten reduzieren gleichsam den Gesamtwert der Unternehmung. Der Verlauf der Konkurskosten ist so, dass sie bei geringem Verschuldungsgrad tief sind, vor allem weil dann die Wahrscheinlichkeit für einen Ausfall gering ist. Wird der Verschuldungsgrad jedoch höher, nehmen sie überproportional zu, weil dann ein Konkurs immer wahrscheinlicher wird. Abb. 28: Tradeoff zwischen Tax-Shield und Financial Distress. Wert der Unternehmung „Soziales“ Optimum „Privates“ Optimum Wert Eigenkapital + Tax Shield Distress-Kosten Wert des Eigenkapitals Wert des Fremdkapitals <?page no="116"?> 7.2 Tradeoff, Agency und Hackordnung 117 Entsprechend muss der aufgrund des Tax-Shields nach oben gehende Verlauf des Gesamtwerts der Unternehmung nach unten korrigiert werden, indem die Konkurskosten, aufgefasst als negative Korrektur des Werts, abgezogen werden. Da die Konkurskosten überproportional zunehmen, gibt es einen Verschuldungsgrad, bei dem der Gesamtwert maximal ist. Das ist der optimale Verschuldungsgrad nach dem Tradeoff-Ansatz. Das Maximum liegt an jener Stelle, wo der Grenzvorteil aus dem Tax-Shield bei einer weiteren Verschuldung gleich hoch ist wie der Grenznachteil der Konkurskosten. Hinsichtlich der Konkurskosten sollte noch unterschieden werden, wem sie entstehen. Es wurde bereits gesagt, dass ein Teil die Unternehmung selbst betrifft, das heißt, ihre Eigen- und Fremdkapitalgeber (private Kosten). Hinzu treten aber in aller Regel weitere Konkurskosten, die der sozialen Umgebung und dem Staat aufgebürdet werden. Dazu gehören die sozialen Kosten für den Verlust von Arbeitsplätzen. Eine weitere Art sozialer Kosten erwächst aus dem Dominoeffekt. Oft ziehen Unternehmen, die in Konkurs geraten, weitere Unternehmen in den Distress (soziale Kosten). Werden nur die (privaten) Konkurskosten der Unternehmung betrachtet, führt die Maximierung des Gesamtwerts auf ein privates Optimum. Werden die Konkurskosten der Unternehmung sowie zusätzlich die weiteren sozialen Konkurskosten betrachtet, führt die Maximierung auf ein soziales Optimum. Typischerweise ist die optimale Verschuldung im sozialen Optimum geringer als die optimale Verschuldung im privaten Optimum. 7.2.2 Agency-Theorie: Jensen und Meckling Nach der Irrelevanz (Modigliani und Miller) und dem Tradeoff-Ansatz besprechen wir ein drittes Konzept zur Klärung der optimalen Kapitalstruktur. Das Konzept stellt Agency- Kosten in den Mittelpunkt und betrachtet Interessenskonflikte zwischen den Eigenkapitalgebern und dem Management. Die Kapitalgeber oder Eigentümer werden als Prinzipal betrachtet, die ausführenden Organe der Unternehmung, also das Management als Agent. Der Ansatz unterstellt, dass Manager die Wünsche und Vorgaben der Eigenkapitalgeber nicht genau ausführen. Weil die Eigenkapitalgeber nicht alles sehen und nicht alles kontrollieren können, haben die Manager einen Freiraum für eigenständige Handlungen. Der Handlungsspielraum ergibt sich aufgrund von Informationsunterschieden, die zwischen den Eigenkapitalgebern und den Managern bestehen. Diesen Handlungsspielraum werden die Manager nach den persönlichen Zielen angestellter Geschäftsführer ausnutzen. So wird Managern unterstellt, dass sie besonders auf ihren Komfort (Büros, Reisen) und ihre persönliche Macht und Anerkennung (Spenden an den Kunstverein) achten. Vor allem können Manager aufgrund der Informationsunterschiede Akquisitionen tätigen (Empire Building), die in Wahrheit weniger versprechen als in der Kommunikation den Eigenkapitalgebern gesagt wird. Der Handlungsspielraum gibt den Managern die Möglichkeit, ihren Motivationen zur Überinvestition zu folgen. Dadurch kann die Unternehmung von dem Weg abweichen, den die Eigenkapitalgeber wünschen. All das, vor allem die Akquisitionen, bei denen zu viel bezahlt wird, gehen zu Lasten der Eigenkapitalgeber. Die Eigenkapitalgeber werden deshalb versuchen, mehr Informationen zu beschaffen und die Manager besser zu überwachen. Oder sie werden die Manager beteiligen, so dass sie die Ziele der Kapitalgeber zu ihren eigenen machen <?page no="117"?> 118 7 Kapitel: Die Kapitalstruktur und aus Eigennutz verfolgen. Sowohl die Kontrolle wie die Motivation verursacht Kosten, so genannte Agency-Kosten. Mit Corporate Governance werden jene Umstände bezeichnet, die die Beziehung zwischen Eigenkapitalgebern und Managern prägen und daher beeinflussen, wie groß der Informationsunterschied und folglich der Handlungsspielraum der Manager ist, und wie allenfalls Verzerrungen durch eigene Motive bei den Entscheidungen des Managements einzuschätzen sind. Der Agency-Ansatz der Kapitalstruktur läuft darauf hinaus, die Agency-Kosten durch eine geeignete Wahl der Kapitalstruktur zu minimieren. Zwei Empfehlungen werden gegeben: Erstens wird festgehalten, dass die Zinszahlungen, die ein Manager bei Fremdfinanzierung leisten muss, disziplinieren. Denn Kreditgeber und Banken verlangen Bilanzen, Geschäftspläne und periodische Berichte. Wenn sich die Unternehmung (etwas) verschuldet, dann können die Eigenkapitalgeber darauf vertrauen, dass die Banken den diskretionären Spielraum der Manager etwas einschränken - zum Vorteil auch der Eigenkapitalgeber. Zweitens kommt es auf die Investitionsprojekte an, die dem Management offen stehen. Hier ist das Potential an Innenfinanzierung wichtig. Gibt es wenige rentable Projekte, dann ist das Management versucht, mit Innenfinanzierung Maßnahmen einzuleiten, auch wenn sie nicht besonders rentabel sind. Hat die Unternehmung hingegen immer wieder gute Investitionsmöglichkeiten, dann absorbieren diese bereits das ganze Potential an Innenfinanzierung. Wenn sich für die Unternehmung immer wieder rentable Entwicklungsmöglichkeiten abzeichnen, werden also die Agency-Kosten geringer (weil das Management nicht der Versuchung folgt und unrentabel investiert). Deshalb kann dann auf die disziplinierende Funktion des Fremdkapitals verzichtet werden - in einer solchen Ausgangslage ist es nicht nötig, eine Bank zu haben, die kontrolliert. Bei guten Investitionsopportunitäten benötigte die Unternehmung weniger Fremdkapital zur Reduktion der Agency-Kosten. Wachstumsunternehmen verfügen über viele Projektideen. Sie weisen folglich vergleichsweise tiefe Verschuldungsgrade auf, und wenn sie Fremdkapital aufnehmen, dann ist es vorwiegend kurzfristig. Unter den Begriffen Agency-Theorie oder Prinzipal-Agenten-Beziehung werden mikroökonomische Modelle subsumiert, die im Wesentlichen eine Delegation beschreiben. Eine Person oder Partei, der Prinzipal, betraut die andere Person oder Partei, den Agenten, mit einer Aufgabe. Dabei kann der Prinzipal den Agenten nur unvollständig kontrollieren. Gesucht ist eine Entgeltstruktur, eine Form der Ergebnisbeteiligung, damit sich der Agent aus eigenem Interesse in einer Weise verhält, die den Zielen und Wünschen des Prinzipals möglichst weit entgegenkommt. Zusätzlich können der Überwachungsaufwand des Prinzipals oder der Aufwand des Agenten für das Signalisieren (eigener Leistung) als Entscheidungsvariable einbezogen werden. Früher wurde in Modellen der Delegation unterstellt, dass der Auftraggeber vollständige Information über alle Handlungen des Auftragnehmers hat oder sich diese leicht beschaffen kann, etwa durch Kontrollen oder die Entgegennahme von Berichten. Dann konnten Niveau sowie Art von Anstrengung und Einsatz des Agenten zum Gegenstand eines Vertrags gemacht werden. Agent und Prinzipal konnten Leistung und Gegenleistung vereinbaren. In der Realität ist die Annahme vollständiger Information selten er- <?page no="118"?> 7.2 Tradeoff, Agency und Hackordnung 119 füllt. Deshalb werden Modelle untersucht, bei denen die eine Partei (Auftraggeber, Prinzipal) weder alle Handlungen, noch die Anstrengung oder Qualifikation der anderen Partei (Auftragnehmer, Agent) kostenlos beobachten kann. Der Agent verfügt über einen Handlungsspielraum, den der Prinzipal nicht überblicken kann. Weil selbst im Nachhinein das Verhalten und der Einsatz des Agenten nicht zweifelsfrei festgestellt werden kann, ist es unmöglich, es zum Vertragsinhalt zu machen. Die Besonderheit bei der Agency-Theorie ist also die asymmetrische Information. Der Prinzipal kann selbst im Nachhinein nicht genau feststellen, wie stark sich der Agent bei der Aufgabenerfüllung wirklich eingesetzt oder angestrengt hat. 7.2.3 Hackordnung: Myers und Majluf Die Agency-Theorie betont den großen Informationsunterschied zwischen Managern und Eigenkapitalgebern, der den Managern erlaubt, teilweise eigenen Motiven zu folgen. Auch die Hackordnung der Finanzierung (Pecking-Order) beruht auf dem Informationsunterschied zwischen Managern und Eigenkapitalgebern. Nur betrachtet sie die Kapitalerhöhung, also die Ausgabe neuer Beteiligungstitel. Hier wird den Managern unterstellt, dass sie den extern angesprochenen Finanzinvestoren nur dann neue Aktien anbieten, wenn sie als Anlageobjekt schlechter sind als allgemein gedacht wird. Jeder weiß, wie das beim Kauf und Verkauf von gebrauchten Autos ist. Wenn jemand sein Auto anbietet, ist es wohl schlechter als es aussieht. Denn hätte die Sache keinen Haken, würde der jetzige Besitzer sein Fahrzeug lieber noch ein paar Jahre behalten. Dies wissend, zeichnen extern angesprochene Finanzinvestoren neue Aktien nur, wenn sie vom Management äußerst günstig angeboten werden. Doch das macht die Eigenfinanzierung über die Ausgabe neuer Aktien extrem teuer für die Unternehmung. Die Eigenfinanzierung über eine Kapitalerhöhung ist daher für das Management nur der letzte Ausweg, um Investitionen zu finanzieren. Abb. 29: Pecking-Order der Finanzierung. Innenfinanzierung (Selbst generierte Mittel) Kapitalerhöhung Fremdfinanzierung <?page no="119"?> 120 7 Kapitel: Die Kapitalstruktur Die Hackordnung der Finanzierung besagt, dass aufgrund der Informationsasymmetrien von Fremd- und Eigenkapitalgebern eine Hierarchie der Präferenz von Finanzierungen abgeleitet werden kann. Sie geht auf S TEWARD C. M YERS und N ICHOLAS S. M AJLUF (1984) zurück. Nach der Hackordnung geht eine Unternehmung bei der Finanzierung neuen Realkapitals stufenweise vor: 1. Zunächst wird das Management Vorhaben mit Innenfinanzierung ermöglichen. Insbesondere muss das Management die Verwendung der Mittel weder rechtfertigen noch müssen neue Finanzkontrakte abgeschlossen werden. 2. Auf der zweiten Stufe steht die Finanzierung mit Fremdkapital. 3. Erst wenn beides nicht in ausreichendem Umfang Finanzmittel einbringt, wird der Weg der Aufnahme weiteren Eigenkapitals beschritten. Weshalb wird die Neuaufnahme von Eigenkapital als die am wenigsten attraktive Finanzierung angesehen? Mit der Ausgabe neuer Aktien muss die Unternehmung den neuen Aktionären Mitspracherechte gewähren und vielleicht auch für Dividenden sorgen. Vor allem hat die Emission von Aktienkapital eine negative Signalwirkung am Kapitalmarkt. Denn eine Emission ist für die Unternehmung nur dann sinnvoll, wenn der Ausgabekurs den Fundamentalwert des Titels übersteigt. Läge er unter diesem, würde das Management Geld verschenken, denn es würde neue Aktien unter Wert anbieten. Da aber aufgrund der Informationsasymmetrie aus Sicht des Aktionärs das Management den Wert der Unternehmung am besten einschätzen kann, lässt sich eine Emission als Signal dafür interpretieren, dass der Fundamentalwert unter dem aktuellen Kurs liegt. Die Bereitschaft, neue Aktien zu zeichnen geht zurück. Tatsächlich lassen sich bei Aktienemissionen oft negative Kurseffekte belegen. Das Umgekehrte gilt bei Aktienrückkäufen: Offensichtlich werden sie als positives Signal für den wahren Wert einer Aktie gewertet, weshalb die Kurse steigen. Empirisch zeigt sich, dass profitablere Unternehmen tiefere Verschuldungsgrade aufweisen. Auch wenn diese vom Tax-Shield profitieren könnten, sind Unternehmen mit einer guten Ertragskraft von der Fremdfinanzierung unabhängiger und verschulden sich weniger stark. Unternehmen mit geringerer Ertragskraft und Möglichkeit zur Innenfinanzierung sind stärker auf Fremdkapital angewiesen und zeigen in der empirischen Forschung höhere Verschuldungsgrade. 7.3 Fazit zum Kapitel Die Kapitalstruktur 7.3.1 Zusammenfassung In diesem Kapitel wurden Erklärungen für das Kapitalangebot und die Kapitalnachfrage betrachtet. Grundlage war die Tatsache, dass aufgrund der in Kapitalmärkten geringen Transaktionskosten Portfolios gebildet werden können. Sowohl die Kapitalanleger (private und institutionelle Finanzinvestoren) als auch die Kapitalverwender (Unternehmen) bilden Portfolios aus Finanzkontrakten. Für den Kapitalanleger stellt die klassische Portfoliotheorie ein modernes Denkgerüst bereit. Gemäß der Definition von M ARKOWITZ sind Portfolios effizient, wenn es keine <?page no="120"?> 7.3 Fazit zum Kapitel Die Kapitalstruktur 121 weitere Kombination der Einzelanlagen gibt, die hinsichtlich Renditeerwartung und Risiko dem betrachteten Portfolio überlegen wären. Wie sich bei einem Kapitalverwender das Portfolio aus verschiedenen Finanzierungen zusammensetzt, ist wesentlich komplexer und von Besonderheiten im Einzelfall abhängig. Generelle Untersuchungen hinsichtlich des Portfolios aus Finanzierungen gibt es zur Frage, wie es sich aus Eigen- und Fremdkapital zusammensetzen sollte. Das ist die Frage nach der Kapitalstruktur. Hierzu haben wir verschiedene Konzepte rekapituliert: 1. Der Leverage-Effekt: Durch den Einsatz von Fremdkapital lässt sich die Eigenkapitalrendite verändern. Mit Verschuldung nimmt nicht nur die erwartete Eigenkapitalrendite zu, sondern auch deren Risiko. 2. Das auf M ODIGLIANI und M ILLER zurückgehende Irrelevanztheorem besagt, dass die Kapitalstruktur der Unternehmung unter bestimmten Voraussetzungen irrelevant ist, weil die Anleger jede gewünschte Rendite- und Risikoposition replizieren können. Kapitalstrukturentscheidungen haben keinen wertschaffenden Effekt. 3. Lässt man die Annahme der Steuerneutralität und der Absenz von Konkurskosten fallen, ergeben sich zwei Auswirkungen: Zum einen profitiert die Unternehmung aufgrund der steuerlichen Abzugsfähigkeit von Schuldzinsen vom Tax-Shield. Dagegen steigen mit zunehmendem Verschuldungsgrad die Kosten eines Financial Distress. Dieses Konzept wird als Tradeoff-Ansatz bezeichnet. 4. Die Agency-Theorie von J ENSEN und M ECKLING geht von asymmetrisch verteilter Information zwischen Aktionären und Management aus, die für letzteres einen Anreiz zum eigennützigen Einsatz von Ressourcen schafft. Durch die Fixierung von Zahlungen in Finanzierungsverträgen soll dem Management ein Teil der periodischen Mittel entzogen werden. 5. Im Zentrum der Hackordnung (Pecking-Order) von M YERS und M AJLUF steht die Überlegung, dass die Emission von Aktienkapital die teuerste Finanzierungsvariante darstellt. Verantwortlich dafür sind nicht nur die Mitspracherechte und die höheren Renditeerwartungen der Aktionäre, sondern der Signaleffekt einer Emission, der seinen Ursprung wiederum in der Informationsasymmetrie hat. 7.3.2 Lernpunkte 1. Das besprochene Irrelevanztheorem von M ODIGLIANI und M ILLER besagt, dass bei einem perfekten Kapitalmarkt eine Veränderung der Kapitalstruktur keinen wertschaffenden Effekt hat. Die Kapitalstruktur ist für den Wert einer Unternehmung irrelevant. Voraussetzung ist ein vollkommener Kapitalmarkt, eine finanzierungsneutrale Steuergesetzgebung und das Fehlen der Konkursgefahr. 2. Der Tradeoff-Ansatz postuliert, dass es zwischen den Steuervorteilen einer höheren Verschuldung und den dadurch bedingten höheren Konkurskosten einen Tradeoff gibt. Folglich gibt es eine optimale Kapitalstruktur. 3. Der Agency-Ansatz von J ENSEN und M ECKLING besteht darin, dass die Agencykosten des Managements durch die Wahl der Kapitalstruktur minimiert werden sollen. <?page no="121"?> 122 7 Kapitel: Die Kapitalstruktur 4. Die Hackordnung (Pecking-Order) von M YERS und M AJLUF postuliert die optimale Finanzierungshierarchie. Dabei ist Eigenkapital die teuerste und Fremdkapital die zweitteuerste Finanzierung. Am günstigsten sind die selbst erwirtschafteten Ressourcen (Innenfinanzierung). 7.3.3 Erwähnte Namen M ICHAEL J ENSEN , W ILLIAM M ECKLING , M ERTON H. M ILLER , N ICHOLAS S. M AJLUF , F RANCO M ODIGLIANI , S TEWARD C. M YERS . 7.3.4 Schlüsselbegriffe Agency-Kosten, Agency-Theorie, Corporate Governance, Distresskosten, Hackordnung der Finanzierung, Illiquidität, Irrelevanz der Kapitalstruktur, Irrelevanztheorem, Kapitalstruktur, Leverage-Effekt, Prinzipal, Prinzipal-Agenten-Theorie, Tax-Shield, Tradeoff- Ansatz, Verschuldungsgrad. 7.3.5 Fragen zur Lernstandskontrolle 1. a) Kann ein Unternehmen der Rüstungsindustrie gut eine Publikumsgesellschaft sein? b) Warum könnte sich das Management einer Unternehmung, die sich in einer Restrukturierungsphase befindet, eher einen Großaktionär als viele Kleinaktionäre wünschen? c) Welche Unternehmungen könnten sich gut dem Aktionärspublikum gegenüber öffnen? d) Welche Voraussetzungen sollten erfüllt sein, damit sich eine Unternehmung gut mit kurzfristigem Fremdkapital finanzieren kann? [Antworten: Abschnitt 7.1.1] 2. a) F. Modigliani und M. Miller postulierten, die Unternehmung solle bei Entscheidungen wie denen über die Kapitalstruktur die Auswirkungen auf den Unternehmenswert als Kriterium heranziehen. Welche Auswirkungen hat nach ihnen die Zusammensetzung des Kapitals aus Eigen- und aus Fremdkapital auf den Wert? b) Welche Voraussetzungen haben Modigliani und Miller getroffen? [Antwort: Abschnitt 7.1.4] 3. Unterscheiden Sie Insolvenz und Illiquidität, Distress und Konkurs! [Antwort: Abschnitte 7.1.4 und 7.2.1] 4. a) Wodurch ist der optimale Verschuldungsgrad nach dem Tradeoff-Ansatz bestimmt? [Antwort: Abbildung 28 in Abschnitt 7.2.1], b) wodurch nach der Agency- Theorie [Antwort: Abschnitt 7.2.2] und wodurch nach der Hackordnung der Finanzierung? [Antwort: Abschnitt 7.2.3] 5. Ein Sprichwort sagt, „was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß“. Warum wird dann in der Agency-Theorie die asymmetrische Informationsverteilung für Prinzipale als nachteilig angesehen? [Antwort: Abschnitte 7.2.2 und 7.2.3] <?page no="122"?> 8. Kapitel: Zinsinstrumente (Fixed-Income-Instruments) sind Finanzkontrakte mit einer bei Abschluss oder Emission festgeschriebenen Laufzeit und festgeschriebenen periodischen Zahlungen, die der Kapitalverwender dem Kapitalgeber zu leisten verspricht. Diese Finanzkontrakte sind Fremdkapital: Der Kapitalverwender ist ein Schuldner, der Kapitalgeber ein Gläubiger. Gewisse Teile oder Segmente der Finanzmärkte werden als Kapitalmarkt bezeichnet. Am Kapitalmarkt werden Zinsinstrumente gehandelt, genauer gesagt Anleihen mit einer ursprünglichen Laufzeit von über einem Jahr. Der Begriff des Kapitalmarktes wird oft zusammen mit dem des Geldmarktes verwendet. Am Geldmarkt werden Zinsinstrumente mit einer Laufzeit von bis zu einem Jahr gehandelt. Zwei der Finanzmärkte Instrumente Kapitalmarkt Anleihen mit anfänglichen Laufzeiten von mehr als einem Jahr Geldmarkt Geldmarktpapiere mit Laufzeiten unter einem Jahr, Geldhandel „over night“ Wir besprechen zunächst die verbreiten Arten von Zinsinstrumenten. Im Segment der Zinsinstrumente längerer Laufzeit zeichnen sich einige Finanzkontrakte durch spezifische Eigenschaften aus. Dazu gehören Zerobonds, ewig laufende Anleihen (Perpetuals oder Consol Bonds), variabel verzinsliche Anleihen (Floater), des weiteren Eurobonds, kündbare Anleihen (Callable Bonds), Wandelanleihen (Convertible Bonds) und MCS, inflationsgeschützte Anleihen sowie auf den Namen (nicht den Inhaber) lautende Papiere. Diese Instrumente werden zunächst näher beschrieben (Abschnitt 8.1). Sodann wenden wir uns der Zinsstruktur und ihren Determinanten zu (Abschnitt 8.2). Es folgen die Geldpolitik der Zentralbank sowie Ausführungen zu Inflation und Deflation (Abschnitt 8.3). 8.1 Arten von Zinsinstrumenten 8.1.1 Schuldner und Klauseln im Kreditvertrag Anleihen sind Wertpapiere, die Fremdkapital verbriefen. Als Gegenleistung zur Überlassung von Geld über die Zeit hinweg gibt der Emittent einer Anleihe das Versprechen auf zukünftige Zahlungen. Sie werden in Form eines im Voraus fixierten periodischen Kupons sowie des Rückzahlungsbetrags vereinbart. In diesen Zahlungen ist eine Verzin- <?page no="123"?> 124 8 Kapitel: Zinsinstrumente sung eingerechnet, die eine Entschädigung für den Zeitwert des Geldes, die Inflationsrate und das Kreditrisiko darstellt. Bei verbrieften und öffentlich gehandelten Zinsinstrumenten wird in Deutschland und Österreich von Anleihen oder von Renten gesprochen, in der Schweiz von Obligationen und im angelsächsischen Raum von Bonds. In Deutschland wird der Kapitalmarkt daher als Rentenmarkt bezeichnet. Stellen die Zinsinstrumente hingegen rein bilaterale und wenig übertragbare Verträge dar, so ist es üblich, von Krediten oder von Darlehen zu sprechen. Eine klassische Anleihe (Festzinsanleihe, Straight Bond) besitzt diese vier Eigenschaften: 1. Sie lautet auf den Inhaber und ist leicht handelbar. 2. Der Zinsertrag in Form von Kuponzahlungen steht über die gesamte Laufzeit fest, wobei die Zahlungen in jährlichen oder halbjährlichen Intervallen erfolgen. 3. Die Laufzeit ist beschränkt, und am Ende wird 4. der Nominalbetrag zurück bezahlt, der gelegentlich auch als Pariwert bezeichnet wird. Fremdkapital ist nicht nur für die Finanzierung der Realinvestitionen des Staates wichtig (Staatsanleihen), sondern ebenso für Unternehmen (Corporate Bonds). Das Spektrum an Schuldnern lässt sich in fünf Gruppen unterteilen: Öffentlicher Sektor : Staat (Bund, Länder) und Gemeinden (Kommunen) sowie Städte: Man spricht von öffentlichen Anleihen, Staatsanleihen oder Kommunalanleihen. Daneben gibt es Pfandbriefe, Kommunaldarlehen sowie kurzfristige Staatspapiere (Geldmarktbuchforderungen). Pfandbrief-Institute: Diese geben hypothekarisch gesicherte Anleihen aus, so genannte Pfandbriefe. Zumeist treten als Emittenten Hypothekenbanken auf, etwa in Deutschland oder in Dänemark. Banken: Sie emittieren einerseits Bankanleihen, also klassische Bonds, die mit größeren Volumina zu klar festgelegten Zeitpunkten platziert werden. Daneben finanzieren sich die Banken andererseits mittels auf laufender Basis ausgegebener Schuldverschreibungen, die (in der Schweiz) als Kassenobligationen bezeichnet werden. Unternehmen: Generell werden die Instrumente als Unternehmensanleihen oder Industrieanleihen (Corporate Bonds) bezeichnet. Privatpersonen: Diese emittieren normal keine Anleihen, sondern nehmen Kredite auf, etwa Privatkredite, Hypothekarkredite oder Unternehmenskredite. Dem Schutz der Gläubiger dienen verschiedene Vertragsbestimmungen oder Klauseln im Kreditvertrag. Bei einer Anleihe werden diese Klauseln im Prospekt genannt, der für die Emission erstellt wird. Die Klauseln werden an die Besonderheiten des Schuldners angepasst. So sind bei Staatsanleihen andere Klauseln üblich als bei Unternehmensanleihen. Die meisten und einschneidendsten Klauseln finden sich im Kreditvertrag oder im Prospekt, wenn der Schuldner eine Unternehmung ist. Besondere, zusätzliche Klauseln sind dazu gedacht, das Verhalten des Managements der Unternehmung einzuschränken. Solche zusätzliche Klauseln werden als Credit Covenants oder als Kreditkonvenanten bezeichnet (nach lateinisch convenire = dazu kommen). Sie heißen so, weil sie zu den sonst üblichen Vereinbarungen noch dazu <?page no="124"?> 8.1 Arten von Zinsinstrumenten 125 kommen. Kreditkonvenanten geben den Gläubigern beziehungsweise der Bank besondere Möglichkeiten, in die Geschäftsführung des Schuldners einzugreifen, falls Bedingungen eintreten, die der Erfüllung der Zahlungsverpflichtungen des Schuldners abträglich sind. Typische Bestimmungen solcher Kreditkonvenanten sind: Die Pari-Passu-Klausel soll garantieren, dass beim Konkurs des Schuldners kein Gläubiger bevorzugt behandelt wird. Das ist insbesondere dort wichtig, wo die Rechtsordnung dies nicht gewährt. So wird beim Ausfall einer Anleihe erreicht, dass die Gläubiger den Liquidationserlös anteilmäßig (pro rata) aufteilen. Alle Gläubiger werden entsprechend dem gezeichneten Anteil mit dem Liquidationserlös befriedigt. Die Negative-Pledge-Klausel ist eine vertragliche Einschränkung, die es dem Schuldner untersagt, Aktiva zu verpfänden, falls dadurch die Sicherheit der Bondinvestoren verringert wird. Es soll ausgeschlossen werden, dass einzelnen Kreditgebern unternehmerische Vermögenswerte als Deckung für einen möglichen Ausfall zugesprochen werden - zu Lasten der übrigen Kreditgeber. Die Cross-Default-Klausel definiert das Ausfallereignis, den Default. Danach ist eine Unternehmung bereits dann in diesem als „Default“ bezeichneten Zustand geraten, sobald sie nicht mehr in der Lage ist, irgendeine Verpflichtung zu erfüllen. Der Schuldner kann sich dann nicht gegenüber einer Gruppe von Gläubigern herausreden, er sei nicht im Default, weil er diese Schuldnergruppe noch korrekt mit fälligen Zahlungen bediene. Auf diese Weise soll ein Vermögenstransfer von der einen zur anderen Schuldnerklasse vermieden werden. Indes gibt es Finanzkontrakte, die in ihrer Ausgestaltung von solchen Klauseln abweichen. Zunächst wird bei Zinsinstrumenten kurzer Laufzeit, die am Geldmarkt gehandelt werden, oft auf solche Vereinbarungen verzichtet. 8.1.2 Zerobonds und Perpetuals Im Unterschied zu einer klassischen Anleihe, die einen periodischen Kupon abwirft, werden bei der Nullkupon-Anleihe oder einem Zerobond vom Schuldner keine Zahlungen während der Laufzeit des Instruments geleistet. Es gibt nur eine Zahlung seitens des Schuldners, nämlich die Rückzahlung der Anleihe am Ende der Laufzeit. Der Zins als Kompensation des Kapitalgebers für die zeitliche Überlassung seines Kapitals sowie für das Bonitätsrisiko des Schuldners wird in der einmaligen Zahlung am Ende der Laufzeit entrichtet. Dies geschieht dadurch, dass der Ausgabekurs, zu dem die Anleihe gekauft werden kann, unter dem Rückzahlungskurs liegt. Zwei Varianten sind hierbei zu unterscheiden: Bei der klassischen Nullkupon-Anleihe erfolgt die Rückzahlung zum Nominalwert, also zum Kurs von 100%. Diese Form wird als Diskontanleihe (Discount Bond) bezeichnet. Dagegen wird die Aufzinsungs-Anleihe zum Nennwert emittiert. Der Gesamtzins wird erst am Ende der Laufzeit als einmaliger Zuschlag ausbezahlt. Beispiel: Diskontobligation und Aufzinsungs-Anleihe: 1. Eine Anleihe mit Nominalwert von 10 Millionen Euro und einer Laufzeit von 8 Jahren wird zum Kurs von 6,77 Millionen <?page no="125"?> 126 8 Kapitel: Zinsinstrumente Euro platziert. Dies entspricht einem Zinssatz von 5% per annum. Es handelt sich um eine Diskontanleihe. 2. Eine Anleihe mit Nominalwert von 10 Millionen Euro und einer Laufzeit von 8 Jahren wird zum Nominalwert von 10 Millionen Euro platziert. Bei einer Verzinsung von 5% per annum beträgt der Rückzahlungsbetrag 14,77 Millionen Euro. Wir haben in diesem Fall eine Aufzinsungsanleihe. Als Schuldner treten private Unternehmen sowie der öffentliche Sektor, insbesondere der Bund sowie die Städte auf. Der Großteil des weltweit ausstehenden Volumens an Zerobonds ist in US-Dollar denominiert, gleichwohl gibt es daneben Emissionen in Euro, Schweizerfranken und Australischen Dollars. Von institutionellen Investoren werden solche Instrumente gerne gehalten, weil aus der Differenz zwischen Rückzahlungskurs und Ausgabekurs eine „automatische Aufwertung” resultiert. Diese Aufwertung ist zwar nur eine nominale Wertveränderung, weil sie eine Kompensation für die zeitliche Überlassung des Geldes darstellt. Dennoch kann sie in den Büchern als Kapitalgewinn ausgewiesen werden und erweckt den Eindruck, der Manager habe „gute Wertpapiere“ gefunden und gewählt. Bei privaten Investoren sind Anleihen ohne Kupon beliebt, weil Kuponzahlungen in den Steuersystemen dem laufenden Einkommen (beziehungsweise dem Gewinn) zugerechnet werden und zu versteuern sind. Allerdings bedeutet im Falle von Zerobonds das Ausbleiben von Kuponzahlungen nicht Steuerfreiheit: Wird der Zerobond dem Geschäftsvermögen zugerechnet, unterliegt der Kapitalgewinn als Differenz zwischen Rückgabepreis und Ausgabekurs der Einkommensteuer. Gehört der Zerobond zum Privatvermögen, gilt die Differenz als Einmalverzinsung, die von der Einkommensteuer erfasst wird. Aufgrund dieser steuerlichen Behandlung ist für Privatpersonen ein weiter Bereich an Mischformen solcher Instrumente entstanden, die sowohl eine Aufwertungskomponente aufweisen als auch gewisse periodische Kupons ausschütten. Denn sofern die Zinskomponente die Aufwertungskomponente übersteigt, ist häufig nur die Zinskomponente zu versteuern. Perpetuals, Consol Bonds oder ewig laufende Anleihen zahlen einen periodischen Kupon, gelangen nie zur Rückzahlung. Solche Anleihen haben heute keine große Bedeutung mehr. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts wurden sie vor allem von Großbritannien zur Finanzierung der Infrastruktur emittiert. Seit den späten 1970er Jahren sind in Südafrika Perpetuals mit monatlichen Kuponzahlungen ausstehend. Im Regelfall besitzen Perpetuals einen fixen Kupon, um dem Anleger eine Entschädigung für das ewig laufende Investment zu geben. Zwei Ausnahmen sind hier erwähnenswert: 1. Seit 1984 gibt es Perpetuals mit variabler Verzinsung (so genannte Perpetual Floating Rate Notes). 2. Zero-Perpetuals stellen eine Kombination einer Nullkupon-Anleihe mit einem Perpetual dar. Der Anleger verschenkt dabei gleichsam sein Geld. Dies wird bei Spendenaktionen genutzt, damit in den Büchern die Position stehen bleibt. Voraussetzung dafür, dass Investoren mit einer begrenzten zeitlichen Anlageperspektive überhaupt solche Finanzkontrakte kaufen, ist deren Veräußerlichkeit auf dem Sekundärmarkt und eine hohe Liquidität. <?page no="126"?> 8.1 Arten von Zinsinstrumenten 127 8.1.3 Floating Rate Notes (FRN) Im Gegensatz zu den klassischen Bonds mit fixer Verzinsung passt sich der Kupon bei den variabel verzinslichen Anleihen periodisch den jeweiligen Marktkonditionen an. Der Kupon ist variabel, weshalb die Kontrakte als Floating Rate Notes (FRN) oder kurz als Floater bezeichnet werden. Die Verzinsung wird in regelmäßigen Abständen von drei oder sechs Monaten den aktuellen Konditionen am Geldmarkt angepasst. Als Orientierung hierfür dient ein Referenz-Zinssatz. Häufig wird als Referenz-Zinssatz der LIBOR (London Interbank Offered Rate) für drei oder sechs Monate im Kreditvertrag oder Prospekt vereinbart. Der LIBOR stellt einen Durchschnittszinssatz dar, zu dem sich verschiedene Banken auf dem Finanzplatz London am Interbankenmarkt gegenseitig Geld ausleihen. Auch wenn es beim LIBOR zu Manipulationen durch Falscheingaben kam, ist die Idee des Referenz-Zinssatzes nicht in Frage gestellt. Doch seit einigen Jahren beziehen sich immer mehr europäische Banken nicht mehr auf den LIBOR sondern auf den European Interbank Offered Rate (EURIBOR). Dies ist der europäische Referenz-Zinssatz. Die Verfahrensweise seiner Festlegung ist von jener des LIBOR abgeleitet. Hier geht es nicht um Währungsunterschiede, sondern um Finanzplätze und die Hauptsitze von Banken, die in die Ermittlung des Durchschnittszinssatzes einbezogen werden. Die Konditionen für einen konkreten Schuldner eines solchen Instruments basieren auf zwei Komponenten: Zum einen dient als Basis einer dieser Geldmarkt-Referenzsätze, zum anderen richten sie sich nach seiner Bonität, indem zum LIBOR oder EURIBOR eine Risikoprämie hinzugerechnet wird, die das Gegenparteirisiko berücksichtigen soll. Ein guter Schuldner muss eine relativ geringe Risikoprämie bezahlen, wogegen einem schlechten Schuldner nur dann Geld ausgeliehen wird, wenn dieser eine höhere Kompensation leistet. Die Schuldner haben häufig das Recht zur vorzeitigen Rückzahlung der Anleihe, wenn sich die Konditionen ändern. Die Laufzeiten dieser Produkte liegen generell zwischen zwei und zehn Jahren. Die Ursprünge des Markts für variabel verzinsliche Anleihen gehen auf die frühen 1970er Jahre zurück. Die Banken benötigten damals neue finanzielle Ressourcen, um ihre internationale Kreditvergabe zu finanzieren. Die Banken waren damit selbst Emittenten von FRN. Daneben dienten die Floater der Finanzierung von Unternehmen. Die erste Platzierung erfolgte 1970 für den italienischen Energiekonzern Enel durch die Investmentbank Warburg und Bankers Trust. Als Substitut für syndizierte Kredite an Industrieunternehmen kam es in den Jahren 1981 bis 1985 zu einem starken Wachstum des Volumens an FRN. Hauptemittenten von FRN waren damals die Staaten und die Banken, während die meisten Unternehmen nach wie vor Emissionen zu fixen Konditionen den Vorzug gaben. 1984 wurden in den USA erstmals Perpetual Floating Rate Notes aufgelegt. Emittenten sind heute vor allem Banken, aber auch andere Unternehmen und Regierungen sowie supranationale Organisationen. Die Anleger finden Floater besonders dann interessant, wenn sie langfristig mit steigenden Zinsen rechnen. Denn durch die periodische Anpassung des Kupons sind die FRN vergleichsweise geringen Kursrisiken ausgesetzt, können bei Zinssteigerungen aber von steigenden Kupons profitieren. <?page no="127"?> 128 8 Kapitel: Zinsinstrumente Dennoch ist zu bedenken, dass im Falle einer steigenden Fristenstruktur der Zinssätze ein langfristiges Engagement bei einer festverzinslichen Anleihe einen höheren Kupon abwirft als ein gleich langes Halten eines Floaters. Denn im Prinzip werden bei einem Floater kurze Laufzeiten aneinander gereiht, die selbst aber mit tieferen Geldmarktzinsen kompensiert werden. Das Zinsniveau muss also stark ansteigen, damit der FRN- Investor angesichts der anfänglich tiefen kurzfristigen Zinsen doch noch besser fährt als mit einer längerfristigen festverzinslichen Anleihe. Entsprechend interessant ist das Instrument für Schuldner, da im Durchschnitt tiefere Zinsen bezahlt werden müssen als bei Festverzinslichen. Dem Renditevorteil steht jedoch das erhöhte Risiko eines starken Zinsanstiegs gegenüber. Beispiel: FRN im Schweizer Kapitalmarkt. In der Schweiz ist der Markt für Floater im Vergleich zu den festverzinslichen Instrumenten relativ klein und der Sekundärmarkt eher illiquid. Im Jahr 2003 hat sich das Emissionsvolumen signifikant erhöht, weil die Investoren von einem steigenden Zinsumfeld ausgegangen sind und sich damals niemand mehr bereit zeigte, die üblichen Zinssätze für viele Jahre fest zu schreiben. Zwischen Mai und August 2003 kamen Floater im Gesamtvolumen von über 3 Milliarden CHF auf den Markt. Die Laufzeiten sind vergleichsweise kurz und betragen typischerweise zwei bis drei Jahre. 8.1.4 Eurobonds Als Eurobonds werden an Börsen zugelassene und gehandelte (kotierte) Anleihen bezeichnet, bei denen die Währung, in der sie denominiert sind, von der des Emissionslandes abweicht. Weil der Markt für solche Finanzkontrakte seinen Ursprung in Europa hat, wird er wie gesagt als Euromarkt bezeichnet. Treiber des Euromarkts ist der anhaltende Anlagewunsch in Währungen außerhalb des Rechtssystems des jeweiligen Währungsgebietes. Eine im Jahre 1963 von Präsident Kennedy erlassene Zinssteuer für europäische Schuldner führte unverzüglich zur Verlagerung von Geschäften nach Europa. Viele Investoren außerhalb der USA, besonders die ölexportierenden Staaten, kamen in den Besitz von US-Dollar, wollten diese aber wegen der Möglichkeit einer Blockierung der Gelder nicht in den USA anlegen. Es entstand so ein Anlagebedarf in USD außerhalb des Einflussbereichs der USA, der durch die Schaffung von Eurodepositen, Eurokonti und Eurobonds gedeckt werden sollte. Eurobonds sind die am wenigsten regulierten Bonds und bieten gegenüber Bankkrediten den Vorteil, dass die vertraglichen Auflagen für den Schuldner weniger restriktiv sind. Seinen Ursprung hat der Eurobond-Markt im Jahre 1963, als Warburg in London einen USD-Bond der (privaten) italienischen Autobahnbetreiberin lancierte. Im gleichen Jahr wurde eine zweite Euroanleihe, diesmal in Schweizerfranken, durch Morgan Guaranty für die Stadt Kopenhagen platziert. Die Zinsregulierung in den USA führte sodann bereits Mitte der 1960er Jahre zu einem Zufluss amerikanischer Gelder in den Eurodollar-Markt und damit zu einem Anlagebedarf dieser Eurogelder seitens der Banken. Die Banken begannen mit der Syndizierung großer Eurokredite an Industrieunternehmen. Ab 1970 wurden auch Floating Rate Notes (FRN) auf den Euromarkt gebracht. Im Laufe der Jahre hat der Euromarkt an Internationalität und Markttiefe gewonnen, vor allem mit der Aufhebung der Devisenbewirtschaftung. Um 1990 ist insbesondere Russland als Emittent an den Euro- <?page no="128"?> 8.1 Arten von Zinsinstrumenten 129 märkten aktiv gewesen und hat alleine in den Jahren 1996 bis 1998 rund 16 Billionen US- Dollar emittiert. Abb. 30: Eurobond-Emissionen am Schweizer Kapitalmarkt im Juli 2014. Als Zentrum des Euromarkts hat sich London etabliert. Die bedeutendsten Börsen für den Handel von Eurobonds sind heute der London Stock Exchange und der Luxemburg Stock Exchange. Regelmäßige Emittenten am Eurobond-Markt sind General Electric Company, Ford Motor Company, Toyota Motor Company, die Deutsche Pfandbriefbank (DePfa) mit ihren Jumbo-Pfandbriefen, der Staat Argentinien sowie die amerikanische Hypothekenagentur Freddie Mac (Federal Home Loan Mortgage Corporation, FHLMC). In den Anfangsjahren stand die Anlagetätigkeit von Privatinvestoren als treibende Kraft hinter der Entwicklung der Euromärkte. Im Verlauf der Zeit haben die institutionellen Anleger an Bedeutung gewonnen. Entsprechend sind die meisten Emissionen heute mit tiefem Kupon bei einem Ausgabekurs unter pari ausgestaltet. Die institutionellen Investoren können auf diese Weise steuerpflichtige Kuponzahlungen durch steuerfreie Kapitalgewinne ersetzen. 8.1.5 Wandelanleihen (Convertibles) Wandelanleihen (Convertible Bonds) oder kurz Convertibles werden von Unternehmen ausgegeben. Sie kombinieren eine Anleihe mit einem Optionsrecht, für den die Aktien der Unternehmung den Basiswert darstellen. Wandelanleihen bieten dem Inhaber das Recht, diesen Finanzkontrakt innerhalb einer im Voraus bestimmten Zeitspanne oder zu einem bestimmten Fälligkeitstermin in einem im Voraus festgelegten Verhältnis in Aktien der Unternehmung zu tauschen. Sie vereinigt damit zunächst aufgrund der fixierten Kuponzahlungen den Charakter einer Anleihe mit der Partizipation an der Kursentwick- Emissionen im Juli 2014 Währung Schuldner Federführer Moody’s/ S&P* Betrag in Mio. Verfall Zins in % Liberierung Ausgabepreis % EUR Novafives SAS BNP Paribas / HSBC B1/ BB- 380 2021 4 1/ 2 3.7. 100,00 EUR Boparan Finance BNP Paribas / HSBC / JPM B1/ B+ 300 2021 4 3/ 8 7.7. 100,00 EUR Royal Mail Joint Leads na 500 2024 2 3/ 8 29.7. 100,71 EUR Deutsche Bank Deutsche Bank na 750 2016 floater 28.7. 99,85 EUR Berlin Bayerische Landesbank / LBBW na 500 2021 floater 8.8. 100,00 USD China Construct BK Asia HSBC A2 400 2019 3 1/ 4 2.7. 99,85 USD OAS Financial HSBC B1 400 2021 8 2.7. 100,00 USD Kansas Gas & Electric JPM/ Barclays A2 250 2044 4.3 2.7. 99,75 USD Saecploration Jefferies Caa1/ B- 150 2019 10 2.7. 100,00 USD Greenland HSBC/ JPM Baa3 600 2024 5 7/ 8 3.7. 99,44 USD NGL Energy Partners LP BNP Paribas / HSBC / RBC B2/ BB- 400 2019 5 1/ 8 9.7. 100,00 USD Memorial Resource Dev. Citigroup / JPM / RBC Caa1/ B- 600 2022 5 7/ 8 10.7. 100,00 GBP Boparan Finance BNP Paribas / HSBC / JPM B1/ B+ 330 2021 5 1/ 2 7.7 100,00 JPY Société Générale na 2320 2024 variabel 30.7. 100,00 Quelle: Finanz und Wirtschaft, 2.7.2014, 26.7.2014, 30.7.2014 <?page no="129"?> 130 8 Kapitel: Zinsinstrumente lung der Aktie. Mit der Wandlung verschwindet die Anleihe. Im Unterschied dazu besteht eine Optionsanleihe aus zwei trennbaren Wertpapieren, einer Anleihe und einem Optionsschein (Warrant), die ein eigenständiges Leben haben. Abb. 31: Wertverlauf einer Wandelanleihe. Mit dem Wandelrecht ist bei einem Convertible keine Pflicht zur Wandlung verbunden. Das Recht stellt für den Finanzinvestor einen Vorteil dar. Deshalb kann die Unternehmung einen tieferen Kupon bezahlen als bei normalen Anleihen. In einer Hochzinsphase sind Kapitalerhöhungen nicht leicht möglich. Die Ausgabe von Wandelanleihen stellt dann eine Art verschobene Kapitalerhöhung dar, die von den Anlegern gern akzeptiert wird. Ebenso ist die Ausgabe von Wandelanleihen für Unternehmen in der Umstrukturierung interessant, weil durch den tiefen Kupon die Cashflow-Belastung geringer ist. Gleichzeitig kann Finanzinvestoren, die das Risiko der Restrukturierung sehen, eine Kompensation für einen möglichen Default in Form des Wandelrechts gegeben werden. Der Wert der Wandelanleihe hängt in nicht-linearer Weise vom Kurs der Aktie ab. Bei der Frage, wie sensitiv der Kurs des Convertibles auf Änderungen des Aktienkurses reagiert, kommt es darauf an, ob sich die Wandlung wohl lohnt. Dies ist grundsätzlich der Fall, wenn der Aktienkurs den Nominalwert der Wandelanleihe, den so genannten Bondfloor, übersteigt. Das Kursverhalten einer Wandelanleihe wird üblicherweise in drei Abschnitte eingeteilt: Liegt der Aktienkurs deutlich über dem Bondfloor, dann wird die Wandeloption recht sicher ausgeübt werden. Diese Option ist „in the money“ und die Wandelanleihe verhält sich wie eine Aktie. Liegt der Aktienkurs weit unter dem Bondfloor, macht die Ausübung keinen Sinn. Die Option ist „out of the money”. Der Convertible ist kaum sensitiv auf die Aktienkurse, sondern verhält sich wie eine Anleihe. Im Zwischenbereich, dort wo die Unsicherheit über Ausübung oder Nichtausübung am größten ist, wird der eigentliche Optionscharakter erkennbar. Die Option ist „at the money”. Wert der Wandelanleihe Unternehmenswert: Fremdkapital + Aktienkapital Bondfloor = Wandelanleihe = Aktie = Bond „in the money“ „out of the money“ „at the money“ <?page no="130"?> 8.1 Arten von Zinsinstrumenten 131 Schließlich gibt es im Diagramm noch den Bereich ganz links, wo der Kurs des Convertible unter den Bondfloor fällt. Auf der Abszisse ist erkennbar, dass hier das Aktienkapital aufgebraucht und die Unternehmung überschuldet ist. Das ist der Bereich einer hohen Defaultwahrscheinlichkeit für die Anleihe. Das Universum an Wandelanleihen umfasst derzeit rund 1.500 Titel mit einem Gesamtvolumen von 600 Milliarden USD. Die USA machen rund 48% des Markts aus, 31% entfallen auf Europa und 21% auf Japan. Während in Europa die Emittenten aus den Sektoren Telekom und Elektronik stammen, sind in den USA in erster Linie Banken und Industrieunternehmen als Emittenten von Convertibles aufgetreten. Die Käufer von Convertibles sind Hedge-Funds, Aktienfonds und Privatanleger. Einen Spezialfall von Wandelanleihen stellen Mandatory Convertible Securities (MCS) dar. Im Unterschied zu Convertibles ist für sie der Konversionszwang kennzeichnend. Spätestens am Ende der Laufzeit werden die Anleihen zwingend in Aktien umgewandelt. Damit entfällt nicht nur das Wandelrecht als für Convertibles charakteristisches Element, sondern ebenso die Bedeutung des Bondfloor als untere Begrenzung der Wertentwicklung. Für die Emittenten ergeben sich folgende Unterschiede im Vergleich zur Emission einer klassischen Wandelanleihe: Aufgrund des Zwangs zur Wandlung betrachten die Rating- Agenturen das aus MCS-Emissionen den Unternehmen zufließende Kapital wirtschaftlich zu 100% als Eigenkapital, auch wenn es de jure Fremdkapital darstellt. Wie beim Eigenkapital müssen die aufgenommenen Mittel nicht zurückbezahlt werden. Schließlich erhöht sich die finanzielle Flexibilität durch die Reduktion von Zinszahlungen. Normale Wandelanleihen sind dagegen Fremdkapital und daher rückzahlbar. Gegenüber Aktien gestatten MCS eine Platzierung in einem instabilen oder negativen Marktumfeld und signalisieren die Zuversicht des Managements über die Gewinnaussichten. Die emittierenden Unternehmen haben ferner die Möglichkeit, die Dividendenbeziehungsweise Kuponzahlungen auf den MCS in Form eigener Aktien zu entrichten. 8.1.6 Inflation-Linked-Bonds Obwohl die Inflation in den letzten zwanzig Jahren weltweit gesunken ist, finden Anleihen mit einem „eingebauten“ Inflationsschutz wachsendes Interesse. Diese Instrumente werden als Inflation-Linked-Bonds oder kurz IL-Bonds bezeichnet. Während traditionelle Anleihen ein Versprechen über die nominale Rendite beinhalten, bieten IL-Bonds einen stabilen Realertrag. Der Inflationsschutz wird dadurch erreicht, dass entweder der Kupon oder das Kapital an die Veränderung der Konsumentenpreise angepasst wird. Auf diese Weise wird der Anleger dann entschädigt, wenn im Nachhinein die Inflation höher ausfällt als zum Zeitpunkt des Kaufs der Anleihe erwartet wurde. Im Gegensatz zu einer traditionellen Anleihe, bei der eine höhere Inflation zu einer tieferen realen Rendite führt, erleidet der Käufer von Inflation-Linked-Bonds keine oder nur eine sehr geringe Einbuße an Kaufkraft. Beispiel: Irakkrieg 2003. Vor und während des Irakkriegs im Frühjahr 2003 entwickelte sich die Performance von nominalen Anleihen ganz anders als die inflationsgeschützter Bonds. Denn es kamen Befürchtungen auf, dass höhere Rohstoffpreise einen generellen Preisschub in Gang bringen würden. Dies führte zu einer starken Nachfrage nach IL-Bonds und folglich zu sinkenden Renditen. Etwas später überwogen die Ängste vor einer Deflation, was die Kurse der Inflation-Linked-Bonds nach unten und deren Rendite nach oben drückte. <?page no="131"?> 132 8 Kapitel: Zinsinstrumente Abb. 32: Renditen von US Staatsanleihen und TIPS von 2002 bis 2014 (Datenquelle: Thomson Reuters Datastream). Ein Umfeld, in dem sich nur wenige Marktteilnehmer vor Inflation fürchten und die meisten von einer möglichen Deflation sprechen, wird daher von Praktikern als guter Einstiegszeitpunkt für diese IL-Bonds angesehen - wobei mit solchen Empfehlungen unterstellt wird, der Markt sei nicht ganz informationseffizient. Inflationsgeschützte Anleihen gibt es bereits seit 1780. Damals hatte der US-Staat Massachusetts einen an einen Rohstoffpreis gekoppelten Bond emittiert. Der heutige Markt für Inflation-Linked-Bonds existiert seit 1980, als das britische Schatzamt begann, Index-Linked- Gilts, inflationsgeschützte Schatzpapiere, zu begeben. Das weltweite Volumen inflationsgeschützter Anleihen beträgt etwa eine halbe Billion Milliarden Euro. Davon entfällt ein Drittel auf britische Gilts (Anleihen des Königreichs). Einen Marktanteil von 45% der IL-Bonds haben die vom amerikanischen Finanzministerium ausgegebenen Treasury-Inflation-Protected-Securities (TIPS). Neben einem Kupon bieten TIPS dadurch Inflationsschutz, dass der Preis der Anleihe an die Veränderungen des Konsumentenpreisindexes (CPI) angepasst wird. Nach den USA und England ist als dritter Emittent von IL-Bonds Frankreich bedeutsam, das 1998 die inflationsgebundene Staatsanleihe (OATi = OAT indexée sur l‘inflation) lanciert und damit den Markt für IL-Bonds in der Eurozone ins Leben gerufen hat. Auf die erste OATi mit zehnjähriger Laufzeit folgte 1999 eine mit dreißigjähriger Laufzeit. Inzwischen emittiert das französische Schatzamt (Agence France Trésor) zehn Prozent seiner Anleihen als inflationsgeschützte Produkte in Form der OATi und OAT€i und deckt mit diesen die ganze Zinskurve ab. Die OATi sind Anleihen mit fixiertem Real- -2% -1% 0% 1% 2% 3% 4% 5% 6% 12/ 2002 12/ 2004 12/ 2006 12/ 2008 12/ 2010 12/ 2012 US Treasuries 5Y US Treasuries 7Y US Treasuries 10Y TIPS 5Y TIPS 7Y TIPS 10Y <?page no="132"?> 8.2 Zinsstruktur und ihre Determinanten 133 zinssatz: Das Kapital ist erstens dadurch inflationsgeschützt, dass es auf den durch das INSEE (Institut National de la Statistique et des Etudes Economiques) monatlich publizierten französischen Konsumentenpreisindex indexiert wird. Zweitens ist der jährlich ausbezahlte Kupon auf die gleiche Weise abgesichert und wird daher als realer Kupon (coupon réel) bezeichnet. Die 2001 auf den Markt gebrachten OAT€i funktionieren nach dem gleichen Prinzip, basieren jedoch auf dem harmonisierten Konsumentenpreisindex der Eurozone. Sie bieten damit Schutz gegen die europäische Inflation. Emittenten für inflationsgeschützte Anleihen sind bislang staatliche und internationale Organisationen. In Deutschland begannen 2002 einzelne Bundesländer mit der Emission solcher IL-Bonds. Gleichwohl gibt es vereinzelt bereits private Anbieter, so Banken und auch Unternehmen. Man spricht dann von Inflation-Indexed-Corporate-Bonds. In der Schweiz hatten 1990 die Berner und die Luzerner Kantonalbank zehnjährige, inflationsgeschützte Obligationen aufgelegt. Die Kursbildung der IL-Bonds auf dem Sekundärmarkt unterliegt dem Angebot und der Nachfrage nach inflationsgeschützten Produkten. Dabei kommt es natürlich stark auf die Inflationserwartungen der Marktteilnehmer an. Hinsichtlich der Emissionskonditionen auf dem Primärmarkt ist unklar, ob IL-Bonds eine systematisch tiefere Prämie aufweisen als ihre nicht inflationsgeschützten Pendants. Empirisch gesehen lieferten die amerikanischen TIPS in den 1980er und 1990er Jahren für die Anleger eine schlechte Performance, da in jenen Jahrzehnten traditionelle Anleihen von der stabilitätsorientierten Geldpolitik profitierten und letztlich auch höhere reale Renditen erzielten. Hier zeigt sich, dass IL-Bonds nur vorteilhaft sind, wenn die Inflation höher als erwartet ausfällt. Geht die Inflation über Erwarten zurück, dann sind IL-Bonds traditionellen Bonds unterlegen. Bei der Entscheidung über IL-Bonds ist daher wichtig, ob unerwartete Inflation auftreten kann. Die Höhe der erwarteten Inflation spricht weder für noch gegen IL-Bonds, weil sie bei der Emission und bei der Kursbildung traditioneller Anleihen schon berücksichtigt wird. Denkt ein Anleger, es könnte unerwartet zu höherer Inflation kommen, und möchte dieser Anleger auf die Richtigkeit seiner persönlichen Einschätzung wetten, dann sollte er IL-Bonds wählen. Denkt er, die Inflation würde sich unerwartet zurückbilden, und möchte er auf diese persönliche Einschätzung setzen, dann sollte er traditionelle Bonds vorziehen. 8.2 Zinsstruktur und ihre Determinanten 8.2.1 Determinanten der Zinsstruktur und Zinsstrukturtypen Eine erste Determinante für die Höhe der Zinssätze stellt die Laufzeit eines Zinsinstruments dar, genauer gesagt (weil es Floater gibt), die Zeitspanne, für die der Zins in fester Höhe vereinbart wird, die Zinsbindungsfrist. Die grafische Darstellung der sich über die verschiedenen Zinsbindungsfristen zu einem bestimmten Zeitpunkt (meist: heute) ergebenden Zinssätze wird als Zinsstruktur, Zinskurve, Fristenstruktur der Zinssätze oder Term Structure of Interest Rates bezeichnet. <?page no="133"?> 134 8 Kapitel: Zinsinstrumente In Bild 33 sind die Zinssätze unterschiedlicher Fristen über den Zeitraum von 1980 bis 2014 für die USA abgetragen. Die dicke, durchgezogene Linie kennzeichnet die Renditen für 10-jährige Laufzeiten der jeweiligen Benchmarkanleihe. Die übrigen, stärker schwankenden Linien beziehen sich auf Sätze kürzerer Frist. Deutlich erkennbar ist, dass sich in den 1980er Jahren infolge der Anstrengungen zur Inflationsbekämpfung die Nominalzinsen deutlich zurückgebildet haben. In Europa, vor allem in Deutschland und in der Schweiz, kam es 1988/ 89 zu einem starken Anstieg des gesamten Zinsniveaus, insbesondere bei den kurzfristigen Zinssätzen. Denn auf den Börsencrash 1987 reagierten die Zentralbanken mit einer expansiven Geldpolitik - es sollte eine Ausweitung des Börsencrashs in eine Krise wie 1929 verhindert werden. Die Finanzmärkte konnten sich daraufhin rasch erholen, und die Zentralbanken kehrten 1988/ 89 zu einer restriktiveren Geldpolitik zurück, um nicht einem starken inflationären Auftrieb Vorschub zu leisten. Abb. 33: Zinssätze USA 1980 bis 2014 (Datenquelle: Thomson Reuters Datastream). Zusätzlich gab es weitere Entwicklungen. Besonders die in Deutschland 1990 eingeleitete Wiedervereinigung und die Politik, Ostmark 1: 1 in DM zu tauschen, wirkte als Treiber für eine mögliche Inflation. Das Jahr 1990 stellte für die Zinsentwicklung einen Wendepunkt dar, da aufgrund der starken Verteuerung des langfristigen Kapitals, des Zinsanstiegs am kurzen Ende sowie wegen der Krise von 1990 und 1991 in den USA das Wachstum weltweit gebremst wurde. Die hohen Zinsen von 1989 bis 1993 lösten in Deutschland und in der Schweiz eine mehrjährige Immobilienkrise aus. Sie war dann der Beginn einer rezessiven Entwicklung. Was das Verhältnis von kurzen zu langfristigen Zinssätzen betrifft, also den Unterschied für Zinsbindungsfristen von einem beziehungsweise zehn Jahren, so liegen meistens die 0% 2% 4% 6% 8% 10% 12% 14% 16% 18% 1980 1981 1982 1983 1984 1985 1986 1987 1988 1989 1990 1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 US TREASURY CONST MAT 1 YEAR (D) - MIDDLE RATE US TREASURY CONST MAT 2 YEAR (D) - MIDDLE RATE US TREASURY CONST MAT 3 YEAR (D) - MIDDLE RATE US TREASURY CONST MAT 5 YEAR (D) - MIDDLE RATE US TREASURY CONST MAT 7 YEAR (D) - MIDDLE RATE US TREASURY CONST MAT 10 YEAR (D) - MIDDLE RATE <?page no="134"?> 8.2 Zinsstruktur und ihre Determinanten 135 Zinssätze am langen Ende über denen am kurzen Ende. Man spricht in diesem Fall von einer ansteigenden oder normalen Fristenstruktur der Zinssätze. Auch wenn eine ansteigende Zinskurve der Regelfall ist, so gibt es gelegentlich auch Ausnahmen. In den Jahren 1981/ 82 sowie von 1990 bis 1993 gab es den Fall, dass die kurzfristigen Zinsen über den langfristigen lagen. Diese Situation einer fallenden oder inversen Fristenstruktur der Zinssätze deutet darauf hin, dass die Zentralbank eine restriktive Geldpolitik fährt (um die Inflation zu bekämpfen) und dass die Versicherungen und Pensionskassen, die Bonds mit langer Restlaufzeit kaufen, bereits vom Erfolg der Stabilitätspolitik überzeugt sind und mit den nicht sehr hohen Zinssätzen am langen Ende zufrieden sind. Im Übergang von einer normalen zu einer inversen Struktur oder umgekehrt beobachtet man immer wieder flache Zinskurven. Abb. 34: Zinskurven USA 1980 bis 2014 (Datenquelle: Thomson Reuters Datastream). Für die USA sind die Zinskurven der Jahre 1980 bis 2014 in Bild 34 dargestellt. Zugrunde liegen die Daten für amerikanische Staatsanleihen (US-Treasuries) mit Laufzeiten von ein, zwei, drei, fünf, sieben und zehn Jahren. Besonders hervorgehoben sind die Jahre 1980 (inverse Struktur), 1982 (höchstes Zinsniveau und flache Struktur), 1990 (flache Struktur), 1994 (normale Fristenstruktur) sowie 2012 bis 2014 mit der tiefsten Fristenstruktur der vergangenen 30 Jahre. Außer bei der Inversion in den Jahren 1980 und 1981 war die Fris- <?page no="135"?> 136 8 Kapitel: Zinsinstrumente tenstruktur praktisch immer konvex. Die Zinssätze sind nicht-linear von der Bindungsfrist abhängig. Die Zinskurve ist fast immer leicht konkav gewölbt. 8.2.2 Determinanten Die Diskussion der Zinsentwicklung über die letzten 25 Jahre hat gezeigt, dass die Zinskurve von verschiedenen Einflussfaktoren abhängt: Am kurzen Ende unterliegt sie dem Einfluss der Geldmengenpolitik der Zentralbanken. Durch die Fixierung des Leitzinses legen diese die Konditionen fest, zu denen sich die Geschäftsbanken eines Landes bei der Zentralbank refinanzieren können. Die Refinanzierung geschieht entweder über einen Diskontkredit oder einen Lombardkredit. Der Diskontkredit basiert auf der Diskontierung von Wechseln, während beim Lombardkredit der Zentralbank Wertpapiere in Pension gegeben werden. Die direkte Steuerungsmöglichkeit der Zentralbanken ist auf dieses kurze Segment beschränkt. Neben der Refinanzierungspolitik umfasst das geldpolitische Instrumentarium die Offenmarktpolitik sowie die Mindestreservepolitik. Als Offenmarktpolitik oder als Offenmarktgeschäfte bezeichnet man den Kauf oder Verkauf von Wertpapieren durch die Zentralbank. Häufig wird ein Wertpapier nicht gekauft, sondern nur vorübergehend gegen Geld entgegengenommen. Man spricht dann von Pensions- oder Repogeschäften. Die Mindestreservepolitik stellt auf die Höhe der Mindestreserven ab, die Geschäftsbanken bei der Zentralbank halten müssen. Die Konditionen am langen Ende werden durch die Kapitalnachfrage der Unternehmen und vor allem des Staates sowie durch die Inflationserwartungen beeinflusst. Wird ein Wirtschaftsaufschwung erwartet, dann steigt die Nachfrage der Unternehmen nach „langem Kapital”. Damit steigen die langfristigen Zinssätze. Ein weiterer Faktor ist die Kapitalnachfrage des öffentlichen Sektors. So führten die Haushaltsüberschüsse in den USA bis etwa 2001 zu einem Absinken der Zinssätze im 30-jährigen Laufzeitenbereich. Denn der Staat verzichtete nicht nur auf die Erneuerung von auslaufenden Staatsanleihen, sondern zahlte in Einzelfällen ausstehende Bonds zurück. Dies drückte auf die Renditen. Das Wissen um die Determinanten der Zinsstruktur liefert Grundlagen für die Interpretation der Zinskurven. Die kurzen Sätze sind ein Spiegel der Geldpolitik der Zentralbank. Die langen Zinssätze sind ein Indikator für die Kapitalnachfrage und die langfristigen Inflationserwartungen. Ein steiler Anstieg der Fristenstruktur gilt als Signal für einen bevorstehenden Wirtschaftsaufschwung. Die Marktteilnehmer gehen von einer starken Kapitalnachfrage oder einem Inflationsanstieg aus. Beide Faktoren führen zu einem Anstieg der nominalen langfristigen Zinsen. Die Steilheit der Zinsstruktur wird durch den so genannten Term-Spread gemes- <?page no="136"?> 8.2 Zinsstruktur und ihre Determinanten 137 sen. Der Term-Spread ist die Differenz zwischen dem Zinssatz am langen und jenen am kurzen Ende. Die Stärke der Krümmung der Zinskurve weist auf die Volatilität der Zinssätze hin. Ist die Zinskurve fast eine Gerade und kaum gekrümmt, rechnet niemand bei den Zinssätzen mit Überraschungen. Ist die Zinskurve hingegen stark gewölbt, können die Zinssätze durchaus unerwartete Veränderungen haben. Eine inverse Kurve (negativer Term-Spread) heißt zwar zunächst, dass die kurzfristigen Sätze höher als die langfristigen sind, doch in der weiteren Zukunft rechnen die Marktteilnehmer wieder mit einem tieferen Zinsniveau. Der Grund: Hohe Zinsen für kurzfristige Anlagen sind der Ausdruck einer restriktiven Geldpolitik. In der Folge wird von allen Bondanlegern erwartet, dass sich die Inflation zurückbildet. Deshalb sind sie dann mit einer geringeren nominalen Höhe der Zinsen zufrieden. Die Situation in den Jahren 2003 und 2004 zeichnete sich durch zwei Besonderheiten aus: Erstens war das Zinsniveau in den Industriestaaten auf einem historischen Tiefstand angelangt: Die nominale Rendite für 10-jährige US-Treasuries fiel im Juni 2003 auf das damalige Minimum von 3,2%. Zweitens war die Zinskurve steil ansteigend: Der Term-Spread war seit Ende 2001 überdurchschnittlich hoch. Gemessen an einer Inflationsrate von 3,3% für 2000 und rund 2% ab 2001 heißt dies, dass die Realzinsen in den USA seit 2001 negativ waren. Negative Realzinsen gelten als ein Zeichen, dass eine besondere Situation und Politik vorliegt: Die Zentralbank möchte eine wirtschaftliche Erholung herbei zwingen. Jedoch hatte diese noch nicht eingesetzt, und es gab noch keine Kapitalnachfrage im mittleren Laufzeitsegment. 8.2.3 Bewertung von Zinsinstrumenten Der Anleger, der eine Anleihe kauft, erwirbt einen zukünftigen Zahlungsstrom, der seiner Höhe nach fixiert ist. Er besteht aus periodisch wiederkehrenden Kuponzahlungen sowie aus einer Rückzahlung am Ende der Laufzeit. Nun sind die Menschen ungeduldig und verschieben nur dann Konsum, wenn jeder heutige Konsumverzicht und damit jeder angelegte Geldbetrag eine positive Rendite erwarten lässt. Dies bedeutet, dass in der Zukunft fällige Zahlungen auf den heutigen Zeitpunkt bezogen einen geringeren Wert haben. Die Ermittlung der Werte von Zahlungen, die erst in der Zukunft fällig sind, wird als Diskontierung bezeichnet. Der Wert einer Anleihe, bezeichnet mit W , ergibt sich aus der Summe aller diskontierten Zahlungen, die dem Inhaber zufließen werden: 2 3 1 100 ... 1 1 1 1 1 T t 1 2 3 T 1 T C C C C C + W = + + + + + + i ( + i ) ( + i ) ( + i ) ( + i ) Die Kupons, die erstmalig in einem Jahr, dann in zwei Jahren und zuletzt in T Jahren, zum Ende der Laufzeit, gezahlt werden, sollen alle dieselbe Höhe C haben. Der Nominalbetrag T <?page no="137"?> 138 8 Kapitel: Zinsinstrumente der Anleihe sei 100 . Die Diskontsätze bestimmen sich allgemein nach dem Risiko der später fälligen Zahlung sowie nach der Dauer zwischen dem heutigen Bewertungszeitpunkt und dem Zahlungszeitpunkt. Es wird der Satz gewählt, der für äquivalente Finanzinstrumente sonst im Finanzmarkt als Rendite erwartet werden kann. Hier sind das die Zinssätze. Sie sind mit 1 ... 2 T i , i , , i bezeichnet. Beispiel: Wir betrachten eine Anleihe mit einer Laufzeit von drei Jahren, 3 T = , einem Kupon 50 C = Euro und einer Rückzahlung von 1.000 Euro. Die Zinsstruktur sei steigend, und entsprechend der Bonität der betrachteten Anleihe sollen die in einem, zwei und drei Jahren fälligen Zahlungen mit 1 2 3 4%, 5%, 6 i = i = i = diskontiert werden. Es folgt: 2 3 50 50 1.050 48 08 45 35 935 56 1028 99 1,04 1,05 1,06 W = + + = , + , + , = , für den in Euro ausgedrückten Wert. Bei praktischen Bewertungsproblemen wird häufig die Zinsstruktur als gegeben betrachtet. Allerdings ist es in Wirklichkeit natürlich so, dass die Zinsstruktur am Markt nicht direkt beobachtet werden kann. Beobachtbar sind die für Anleihen mit verschiedenen Eigenschaften bezahlten Kurse. Aus den Kursen lassen sich dann die Zinssätze errechnen, die infolgedessen implizit durch die Kursbildung festgelegt werden. Selbstverständlich kommen die Kurse der Anleihen aufgrund von Angebot und Nachfrage zustande, und in diese fließen die Erwartungen und Vergleiche der Marktteilnehmer ein. Für die Berechnung der Rendite einer einzelnen Anleihe ist dieses Verfahren jedoch nicht praktikabel, da zumeist nur der Zahlungsstrom aus dem einzelnen Instrument sowie der bezahlte Kurs bekannt sind. In Unkenntnis der konkreten Zinsstruktur geht man daher vereinfachend von der Annahme aus, dass der zu suchende Diskontsatz über alle Laufzeiten identisch ist, dass also eine flache Fristenstruktur der Zinssätze vorliegt. Gesucht ist damit der Satz y (wie „yield“), der die Zahlungsreihe zum Ausgleich bringt: 2 3 1 100 ... 1 1 1 1 1 T T C C C C C + W = + + + + + + y ( + y) ( + y) ( + y) ( + y) Dieser Satz y heißt Rendite bis Verfall, Yield to Maturity (YTM) oder kurz Yield. Er entspricht dem internen Zinssatz der Zahlungsreihe. Beispiel: Wir betrachten eine Anleihe mit einer Laufzeit von drei Jahren, 3 T = , einem Kupon 50 C = Euro und einer Rückzahlung von 1.000 Euro. Ihr Kurs soll genau dem zuvor errechnetem Wert in Höhe von 1028 99 , entsprechen. Aus 2 3 50 50 1.050 1028 99 1 1 1 W = + + = , + y ( + y) ( + y) <?page no="138"?> 8.3 Geldpolitik, Inflation und Deflation 139 ergibt sich, etwa mit dem Solver im Menü Tools bei Excel, 3,96 y = . Das ist die Rendite bis Verfall. In der Praxis wird der Yield einer Anleihe als wichtige Kennzahl betrachtet. In den Kursblättern werden vielfach zwar für alle Anleihen die Renditen genannt, während die Zinsstruktur lediglich als Grafik dargestellt wird. 8.3 Geldpolitik, Inflation und Deflation 8.3.1 Geldpolitik Für jedes Währungsgebiet wurde eine Zentralbank eingerichtet, so die 1998 gegründete Europäische Zentralbank für den Euro mit Sitz in Frankfurt am Main. Die 1905 gegründete Schweizerische Nationalbank für den Franken hat ihren Sitz in Zürich. Das 1913 gegründete Federal Reserve System (kurz Fed) für den Dollar hat den Sitz in Washington. Die 1948 gegründete People's Bank of China für den Renminbi (die Währung der Volksrepublik China) hat den Sitz in Peking. Die 1694 gegründete Bank of England (Bank von England) als Zentralbank des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland hat ihren Sitz in London. Die Zentralbank der Republik Türkei (Türkiye Cumhuriyet Merkez Bankasi) hat seit 1994 das ihr zeitlich unbeschränkte Recht übertragen erhalten, die nationale Währung Die Aufgaben dieser Zentralbanken sind ähnlich. Sie haben das alleinige Recht, die Währung auszugeben, sie sollen für einen effizienten Zahlungsverkehr und ein stabiles Geldwesen (Zahlungsverkehr) sorgen und ein Auge auf die Geschäftsbanken und die Finanzmärkte werfen. Vor allem sind ihnen gewisse Ziele übertragen, die sie mit der Art und Weise verfolgen sollen, in der sie den Banken und den Finanzmärkten Geld geben oder nehmen. Voran sollen die Zentralbanken die Kaufkraft des Geldes erhalten. Sie wird an den Veränderungen eines Preisindizes festgemacht, der sich auf einen Korb von Konsumgütern bezieht (Consumer Price Index, CPI), typischerweise aber die Preise für Vermögensobjekte nicht berücksichtigt. Das Preisniveau für Häuser ist nur insoweit indirekt eingeschlossen, als der Warenkorb die Ausgaben eines Personenhaushaltes für die Miete einschließt. Inflation bezeichnet den Anstieg der Preise von Gütern und Dienstleistungen im Verlauf der Zeit und damit den Verlust der Kaufkraft des Geldes. Neben der Geldwertstabilität verlangen die gesetzlichen Aufträge an die Zentralbanken, wenngleich unterschiedlich nachdrücklich formuliert, die Förderung der Wirtschaft. In den USA wird vom Fed explizit verlangt, Vollbeschäftigung anzustreben. Zudem sollte die Geldpolitik transparent und nachhaltig sein. Zur Transparenz gehört, dass die Zentralbank verdeutlicht, an welchen volkswirtschaftlichen Größen sie ihre Entscheidungen orientiert. Bei der Festlegung einer geplanten Geldmengensteigerung, die als stabilitätsgerecht angesehen wird, orientiert sich die Zentralbank in ihren geldpolitischen Entscheidungen an einer Relation, in der die Geldmenge zum Bruttoinlandsprodukt stehen <?page no="139"?> 140 8 Kapitel: Zinsinstrumente sollte. Das Geldmengenwachstum soll also dem Wachstum der Wirtschaftsleistung entsprechen. In die Relation geht die Umlaufgeschwindigkeit des Geldes ein. Zum Zielkatalog gehört, oft allerdings unausgesprochen, die Stabilisierung des Außenwerts der eigenen Währung, also der Wechselkurse zu anderen Währungen. Gelegentlich intervenieren Zentralbanken an den Devisenmärkten, indem sie andere Währungen verkaufen (und dafür eigenes Geld erhalten), um den Außenwert der heimischen Währung zu stärken (Stützungskäufe). Das geht aber nur bis der Vorrat an Devisen erschöpft ist. Allerdings ist die Zentralbank mit der mehrfachen Zielsetzung einem Zielkonflikt ausgesetzt und muss im Rahmen ihres Freiraums einen eigenständigen Weg finden. Einige Zentralbanken haben einen großen Freiraum und können unabhängig von der Regierung handeln, andere sind ihr unterstellt, entweder ganz offen oder durch die Praktiken des Landes in verdeckter Weise. Die Art und Weise, in der eine Zentralbank den Geschäftsbanken sowie den Finanzmärkten Geld gibt oder von ihnen nimmt, wird als Geldpolitik bezeichnet. Der Begriff wird oft zusammen mit dem der Fiskalpolitik verwendet. Unter Fiskalpolitik wird die Wirtschaftspolitik des Staates verstanden, die durch Steuern, Subventionen, Auftragsvergabe direkt eine Steuerung der Wirtschaft beabsichtigt, meist mit dem Ziel der Erreichung von Vollbeschäftigung. Die Geldpolitik hat eine Reihe von Instrumenten, und Zentralbanken haben einen großen Spielraum in der Art, wie sie die zuvor genannten Ziele angehen. Besonders das Fed aber auch die EZB sind durch kreative Neuschöpfungen hinsichtlich der Art aufgefallen, die dann durch neue Begriffe wie zum Beispiel „Quantitative Easing“ und dergleichen populär gemacht werden. Im Wesentlichen zielen diese Wege, Arten und Instrumente auf drei Größen ab: 1. Das Zinsniveau. 2. Die Geldmenge. 3. Das Preisniveau an den Kapitalmärkten. Zum Zinsniveau: Banken betreiben untereinander Handel in Geldmarktpapieren und leihen sich gegenseitig Geld von einem Tag zum anderen (über Nacht) aus. Auf diese Weise können Banken Zahlungsaufträge ausführen, Devisen kaufen und so fort. Die Zentralbank greift in den Geldmarkt ein, indem sie Zinssätze festsetzt, zu denen sich die Banken bei ihr Geld über Nacht oder für kurze Frist leihen können. Auf diese Weise steuert die Zentralbank die Zinsen am kurzen Ende. Beispiel: Die Schweizerische Nationalbank (SNB) hat ein Zielband für den Dreimonats- LIBOR festgelegt. Es beträgt 100 Basispunkte - der Bereich eines Prozentunterschieds wird in 100 Basispunkte unterteilt. Innerhalb dieser Spanne wird zudem ein Zielwert festgelegt. In vielen Ländern erlauben die Zentralbanken eine gewisse Inflation, oft sind das 2%, und sehen diese als Zielgröße an (Inflation Targeting). Kein Inflationsziel nennen hingegen die USA. Die Gouverneure des Fed haben sich immer wieder für die Beibehaltung eines flexiblen Handlungsspielraums in der Geldpolitik ausgesprochen. Zur Geldmenge: Die Zentralbank legt die Konditionen fest, zu denen sich die Banken dadurch Geld besorgen können, dass sie andere Vermögenspositionen (wie Anleihen oder <?page no="140"?> 8.3 Geldpolitik, Inflation und Deflation 141 Devisen) bei der Zentralbank als Pfand hinterlegen oder an sie verkaufen. Typischerweise können die Banken der Zentralbank Wertpapiere bieten, und die Zentralbank kauft diese und bezahlt mit ihrem Geld. Die Wertpapiere werden auf diese Weise „monetarisiert“, die Geldmenge hat sich erhöht. Die Zentralbankgeldmenge umfasst das Bargeld, das sich bei den privaten Haushalten, den Unternehmen und beim Staat in Umlauf befindet, sowie die Guthaben, die Geschäftsbanken bei der Zentralbank haben (als Geldmenge M1 bezeichnet). Die Geldmenge M1 der EZB betrug im Januar 2013 rund 5 Billionen Euro, also grob gerechnet ein Drittel der auf ein Jahr bezogenen gesamten Wirtschaftsleistung der Eurozone. Zum Preisniveau an den Kapitalmärkten: In Krisenzeiten fallen oftmals die Preise für Wertpapiere an den Börsen dramatisch, und die Menschen geraten in Panik hinsichtlich der wirtschaftlichen Zukunft. Dann könnte die Zentralbank das Preisniveau an den Märkten durch Stützungskäufe stabilisieren. So ist das durch die Monetary Authority in Hongkong während der Asienkrise geschehen und jüngst durch die EZB während der Eurokrise. Verschiedene Gesetze schränken den Freiraum der Zentralbanken allerdings etwas ein. So darf eine Regierung nicht einfach neue Staatsanleihen ausgeben, wenn überhaupt kein privater oder institutioneller Investor zum Kauf bereit ist, und dann einfach die Zentralbank zwingen, die Staatsanleihen zu kaufen - ein Vorgang, der so umschrieben wird: „Die Regierung lässt sich Geld drucken.“ Zur Geldpolitik einer Zentralbank gehört also auch die (als Zweites genannte) Steuerung der Geldmenge. Erfahrungen und volkswirtschaftliche Theorien zeigen, dass eine großzügige Versorgung der Wirtschaft mit Geld die Inflation fördert (Ansteigen des Preisniveaus), wogegen eine restriktive Geldpolitik die Wirtschaft hemmt. Infolge einer zu restriktiven Geldpolitik kann auch eine Deflation eintreten, die Preise bilden sich zurück. Die Inflation tritt meistens in einer Phase auf, in sich die Realwirtschaft „überhitzt“, also in der über die eigentliche Kapazitätsgrenze hinaus produziert wird. Deflation tritt meistens dann auf, wenn sich die Wirtschaft „abkühlt“, das heißt, wenn die Nachfrage nach Gütern so gering wird, dass Produktionskapazitäten brach liegen. Um die Geldwertstabilität (weder Inflation noch Deflation) zu fördern, muss die Geldpolitik versuchen, Zinssätze und Geldmenge so einzustellen, dass die Realwirtschaft ein gutes Auslastungsniveau der Produktionskapazität erreicht und einhält. 8.3.2 Inflation Inflation hat nicht nur die abträgliche Wirkung, dass die Preise steigen und die Suchkosten im Gütermarkt ansteigen, der Gütermarkt dadurch also ineffizienter wird. Inflation behindert langfristig das Wirtschaftswachstum, eben weil der Preismechanismus seine Allokationsaufgabe nicht gut erfüllen kann. Durch immer wieder zu beobachtende Preiserhöhungen können die Preise nicht die wirtschaftlich korrekten Knappheitsverhältnisse an den Gütermärkten zeigen. Selbstverständlich trägt Inflation trägt zu einer Abwertung von Schuldpositionen bei und hat dadurch eine Verteilungswirkung zwischen Gläubigern und Schuldnern, besonders wenn die Inflation unerwartet gekommen ist. Indessen ist immer wieder zu hören, dass Schuldner (Staat, Versorgungseinrichtungen) mit Inflation liebäugeln, weil die <?page no="141"?> 142 8 Kapitel: Zinsinstrumente von ihnen in nominaler Höhe gegebenen Leistungsversprechen durch Inflation entwertet werden. Zudem führt Inflation bei der überall anzutreffenden Steuerprogression zu einer Erhöhung der nominalen Steuereinkünfte des Staates. Die Rate der Inflation wird üblicherweise auf ein Jahr bezogen. Die Inflationsraten erreichten in den Industrieländern während den Erdölkrisen von 1973/ 74 und von 1979 bis 1981 Höchststände. Seither ging die Inflation laufend zurück. In einem Land mit höherer Inflation sind höhere Zinsen zu erwarten. Beispiel: US-Dollar. Historisch lagen die nominalen Zinsen beim Dollar zwischen 100 und 250 Basispunkten über den Sätzen im Schweizerfranken. Da die realen Zinssätze aber nicht so stark auseinander klaffen, kann der höhere nominale Zinssatz beim USD gegenüber dem CHF als Kompensation für die zu erwartende Abwertung des Dollars gegenüber dem Franken interpretiert werden. Und tatsächlich: Wenn man von einzelnen Zeitabschnitten absieht, hat sich über die vergangenen 80 Jahre der USD gegenüber dem CHF kontinuierlich abgewertet. Die aus diesem Sachverhalt abgeleitete Zinsparität besagt, dass die Anlage in einer Fremdwährung kaum Vorteile bringt, da eben hohe Zinssätze nur eine Kompensation für anderweitige Risiken (etwa Inflationsrisiken) darstellen. Dennoch kann sich eine solche Investition lohnen, wenn sich eine Währung temporär entgegen dem langfristigen Trend aufwertet (wie der USD gegenüber dem CHF in den Jahren 1996 bis 2000), wenn die Realzinsen verschiedener Wirtschaftsräume unterschiedlich hoch sind oder wenn die Konjunkturzyklen nicht parallel verlaufen. Eine perfekte Anpassung des Zinsniveaus an die Inflationsrate ist selten zu beobachten. So fielen etwa die realen Renditen von Anleihen im Zeitraum von 1950 bis 1980 aufgrund der unerwartet hohen Inflationsraten vergleichsweise tief aus, und nicht selten verloren Anleihen real an Wert. Wird ein Zeitraum mehrerer Jahrhunderte betrachtet, so erweist sich die Inflation als ein Phänomen des zwanzigsten Jahrhunderts und besonders als eine Erscheinung der Nachkriegsjahre. Große Inflationsschübe gab es bereits in den Jahren zwischen den beiden Weltkriegen: Zum einen erlebte Deutschland 1922 und 1923 eine Hyperinflation (= mehr als 50% Inflation im Monat). Zum anderen führten im Nachgang an die Weltwirtschaftskrise in den dreißiger Jahren viele Industriestaaten so genannte kompetitive Abwertungen durch, um den Außenwert ihrer Währungen zu reduzieren und dadurch die heimischen Exporte auf den internationalen Gütermärkten zu verbilligen. Da sich viele Industriestaaten gleich verhielten, führte dies zu einer inflationären Spirale. Die Ursachen der Inflation nach 1945 liegen vor allem in einem Anstieg der Nachfrage nach Gütern sowie in der Tatsache, dass die Zentralbanken bis um 1980 der Inflationsbekämpfung geringe Priorität einräumten. Sodann gab es Preisschocks an den Rohwarenmärkten. Erst die Preissteigerungen in den Erdölkrisen von 1973 und 1979 führten zu einem Umdenken bezüglich der Bedeutung der Preisstabilität. Weitere Ursachen einer inflationären Entwicklung liegen im Gebrauch der Notenpresse zur Finanzierung der Staatsverschuldung, wie es bis in die 1990er Jahre in Brasilien und anderen lateinamerikanischen Staaten praktiziert wurde. Zum anderen werden administrierte Preise, gewerkschaftliche Lohnrunden, Kapazitätsengpässe und Steuern als Faktoren angeführt. <?page no="142"?> 8.3 Geldpolitik, Inflation und Deflation 143 Parallel zu den Preissteigerungen gab es preisdämpfende Faktoren: Aufgrund des Produktivitätsfortschritts sind die Einkommen stärker gestiegen als die Güter teurer geworden sind. Ebenso hat die Liberalisierung vieler Märkte zu einem besser funktionierenden Preismechanismus mit tieferen Preisen geführt. Drittens wurden in den letzten fünfzehn Jahren in vielen Ländern Kartellgesetze etabliert und die Arbeitsmärkte flexibilisiert. Dort, wo die Preise nicht staatlich administriert sind, können Produktivitätssteigerungen als Preissenkungen an die Konsumenten weitergegeben werden. In Relation zu den Einkommen sind viele Güter des täglichen Bedarfs wie Nahrungsmittel, Haushaltsgeräte, Elektronik, Telekommunikation, Verkehr und Reisen immer billiger geworden. Abb. 35: Reale Bondrenditen (Quelle: Dimson/ Marsh/ Staunton: Triumph of the Optimists - 101 Years of Global Investment Returns (2002); Credit Suisse Global Investment Returns Yearbook 2014). Dem gegenüber gibt es auch Bereiche, die überdurchschnittliche Preissteigerungen erfahren haben. So etwa Dienstleistungen, weil die Löhne im Mittel stärker gestiegen sind als die Konsumentenpreise. Dies zeigt sich unter anderem darin, dass die Kosten für Gesundheit und Pflege einen immer größeren Anteil des Einkommens beanspruchen. Die zu beobachtende Inflation kann als Resultat eines starken Anstiegs der Einkommen und Vermögenswerte einerseits und der sich dämpfend auswirkenden Produktionsfortschritte und der Liberalisierung andererseits angesehen werden. Eine Inflationsrate von 2% wird daher als nicht schädlich empfunden. Sie wird durch den Anstieg der Einkommen in der Regel mehr als kompensiert. Problematisch sind höhere Inflationsraten sowie die Schwankungen der Inflationsrate. -10% -8% -6% -4% -2% 0% 2% 4% 6% DE IT JP FR BE IR ES UK NL AU ø SA US CN CH SD DK Reale Rendite p.a. 1900-1949 1900-2013 <?page no="143"?> 144 8 Kapitel: Zinsinstrumente 8.3.3 Deflation Problematisch ist auch die Deflation, ein Rückgang des Preisniveaus. Die Güter und vor allem die Vermögenspositionen werden mit der Zeit nominal billiger (Kursverfall an Börsen, Rückgang der Preise für Immobilien, Wertzerfall bei Unternehmungen). Deflation kann einerseits auf düstere allgemein geteilte Einschätzungen der wirtschaftlichen Zukunft zurückgehen. Andererseits war Deflation immer wieder nicht durch Pessimismus und einen Rückgang der Nachfrage bedingt, sondern durch eine Geldknappheit. Niemand konnte sich etwas kaufen und alle wollen ihre haltbaren Güter und Vermögensgegenstände schnell „versilbern“, nur um an Geld zu kommen. Diese Situation begünstigt die Arbeitslosigkeit. Einkommensausfälle sind die Folge. Es entsteht Pessimismus, der wiederum zu sinkender Neigung führt, Geld auszugeben. Ein Preisverfall nährt dann diese negativen Stimmungen, und es kann durch die so bewirkte Selbstverstärkung zu einer „Abwärtsspirale“ kommen So kann sich eine Deflation zu einer Depression ausweiten. Wird eine Deflation erwartet, dann werden die Menschen nichts mehr kaufen, weil alles ohnehin billiger werden wird. Unternehmen haben in einem deflationären Umfeld keinen Anreiz zu investieren. Diese Situation führt dazu, dass die Angst vor einer Deflation mit tiefen nominalen und mit tiefen realen Zinssätzen verbunden ist. Eine expansive Geldmengenpolitik ist in einem solchen Umfeld wenig wirksam. Dies war gut am Beispiel von Japan zu sehen, wo sich in den 1990er Jahren die Zinsen praktisch auf Null zurückgebildet haben. Japan ist übrigens das einzige Industrieland, in dem sich seit 1945 eine Deflation entwickeln und über längere Zeit halten konnte. Für die Preisreduktionen in einer Deflation sind zum Teil auch angebotsseitige Faktoren von Bedeutung, weshalb sich einige Deflationen der Vergangenheit aus heutiger Sicht als „gutartig“ beurteilen lassen. Ein klassisches Beispiel für eine „bösartige“ Deflation hingegen ist die Weltwirtschaftskrise von 1929 bis 1934. Verstärkt wurde der negative Effekt in den 1930er Jahren durch die restriktive Geldpolitik vieler Zentralbanken. In Deutschland ist die Erinnerung an die Hyperinflation der Jahre 1920 bis 1923 immer noch wach. Doch von den meisten Zentralbanken wird die Gefahr einer Deflation als viel abträglicher als die einer Inflation eingeschätzt, von der gehofft wird, sie lasse sich dann doch besser noch unter Kontrolle bringen. Bei drohenden Krisen (wie etwa beim Börsencrash 1987 oder bei den Terroranschlägen vom 11. September 2001 geschehen) reagieren die Zentralbanken deshalb mit einer sofortigen Senkung der Zinssätze und erhöhen das Geldangebot, gerade um einer drohenden Deflation entgegenzuwirken. Die Bekämpfung von Deflation ist generell schwierig, denn es gibt in Zeiten, in denen sie auftritt, meist keinen geldpolitischen Spielraum für Zinssenkungen mehr. Zudem sind staatliche Programme zur Konjunkturbelebung fiskalpolitisch problematisch, weil die Staatsfinanzen in einer solchen Lage typischerweise ohnehin in schlechtem Zustand sind. <?page no="144"?> 8.4 Fazit des Kapitels Zinsinstrumente 145 8.4 Fazit des Kapitels Zinsinstrumente 8.4.1 Zusammenfassung Zinsinstrumente zur temporären oder dauerhaften Überlassung von Fremdkapital existieren sowohl in Form bilateraler Kontrakte wie als verbriefte Wertpapiere. Im ersten Fall spricht man von Krediten oder Darlehen, während verbriefte Zinsinstrumente als Anleihen bezeichnet werden. Je nach Emittent unterscheidet man Anleihen des Staates (Staatsanleihen, Kommunalanleihen), Anleihen von Pfandbriefinstituten (Pfandbriefe), solche von Banken (Bankanleihen) sowie von Unternehmen (Unternehmensanleihen, Corporate Bonds). Kredite können darüber hinaus auch von Privatpersonen aufgenommen werden. An den Finanzmärkten existiert ein breites Spektrum an Zinsinstrumenten. Deren typische Gestaltungselemente sind die Höhe und Periodizität der Verzinsung, die Gesamtlaufzeit und die Staffelung von Amortisationszahlungen, die Währung und die allfällige Indexierung von Nominalbetrag und Kupons sowie die Integration von Optionen entweder für den Emittenten oder die Anleger. Aus Kombinationen dieser Ausgestaltungsmöglichkeiten haben sich verschiedene Typen von Zinsinstrumenten herausgebildet. Zu den heute wichtigsten Instrumenten zählen die klassische Festzins-Anleihe, Nullkuponanleihen (Zerobonds), Perpetuals (unendlich lange laufende Anleihen), variabel verzinsliche Anleihen (Floating Rate Notes, FRN), Eurobonds, Wandelanleihen (Convertibles) und Zwangswandelanleihen (Mandatory Convertible Securities) sowie inflationsgeschützte Anleihen (Inflation Linked Bonds, IL-Bonds). Für die Bewertung von Zinsinstrumenten ist die an den Märkten jeweils vorherrschende Zinsstruktur (Fristenstruktur der Zinssätze) in ihrer Höhe, Form und Volatilität zentral. Die Zinsstruktur wird am kurzen Ende vor allem durch Aktivitäten der Zentralbanken zur Umsetzung ihrer Geldpolitik bestimmt. Am langen Ende der Fristenstruktur der Zinssätze dominieren dagegen die Fiskalpolitik des Staates sowie die Inflationserwartungen der Marktteilnehmer als bestimmende Faktoren. Gleichwohl können die Zentralbanken über den Kauf und Verkauf von Wertschriften unterschiedlicher Laufzeit, über das Setzen von Inflationserwartungen sowie über die Wechselkurspolitik auch entlang des gesamten Fristenspektrums der Zinskurve ihren Einfluss ausüben. Die meisten Zentralbanken sind darum bemüht, im Interesse der wirtschaftlichen Prosperität die Preisstabilität zu wahren, mithin die Inflation (Kaufkraftverlust des Geldes) auf einem tiefen Niveau zu halten und zugleich eine Deflation (Preisverlust von Gütern und Dienstleistungen mit der Gefahr des Abrutschens in eine Depression) zu vermeiden. 8.4.2 Lernpunkte 1. Schuldnerkategorien: Staat, Pfandbriefinstitute, Banken, Unternehmen, Privatpersonen 2. Typische Credit Covenants zum Schutze des Gläubigers umfassen die Pari-Passu- Klausel, die Negative-Pledge-Klausel und die Cross-Default-Klausel. 3. Im Gegensatz zu klassischen Festzins-Anleihen beinhalten Zerobonds keine periodischen Zinszahlungen an den Inhaber der Anleihe, sondern sehen lediglich eine Einmalzahlung am Ende der Laufzeit vor. <?page no="145"?> 146 8 Kapitel: Zinsinstrumente 4. Häufige Benchmarks für variabel verzinsliche Instrumente sind der LIBOR (London Interbank Offered Rate) sowie der EURIBOR (European Interbank Offered Rate). 5. Eurobonds sind Anleihen, bei denen die Währung, in der sie denominiert sind, von jener des Emissionslandes abweicht. 6. Wandelanleihen beinhalten für den Inhaber die Option, die Anleihe binnen eines vordefinierten Zeitraums zu einem vorab fixierten Verhältnis in Aktien der Unternehmung zu tauschen, welche die Wandelanleihe emittiert hat. 7. Liegen die Zinsen am kurzen Ende der Fristenstruktur der Zinssätze unterhalb der Zinsen am langen Ende, liegt eine „normale“ Fristenstruktur vor. Im umgekehrten Fall spricht man von einer „inversen“ Fristenstruktur der Zinssätze. In Ausnahmefällen kann auch eine „flache“ Fristenstruktur vorliegen. 8. Der Yield to Maturity (YTM) entspricht dem internen Zinssatz der Zahlungsreihe, welche der Anleihe-Investor durch den Kauf des Instruments erhält. 9. Das Instrumentarium der Zentralbank zur Beeinflussung der Zinssätze am kurzen Ende der Zinsstruktur umfasst mitunter das Diskontgeschäft sowie Offenmarktgeschäfte und Repogeschäfte. 10. Die Zentralbankpolitik orientiert sich in den meisten Fällen an den Größen Zinsniveau und Geldmenge sowie an den Preisen auf den Kapitalmärkten. 11. Als Inflation Targeting wird eine Zentralbankpolitik bezeichnet, welche auf die Erreichung einer bestimmten (tiefen) Zielgröße der Inflation ausgerichtet ist. 12. Sowohl eine hohe Inflation als auch eine starke Deflation sollen vermieden werden. Erstere führt zur Entwertung von Vermögenspositionen, zu mehr Preisvolatilität und damit zu Planungsunsicherheit und einer ineffizienten Ressourcenallokation in einer Volkswirtschaft. 13. Eine Deflation dagegen stellt einen Rückgang des Preisniveaus dar, der mit einem Rückgang der Nachfrage verbunden ist und deshalb über einen negativen Wirkungsmechanismus in eine Depression münden kann. 8.4.3 Erwähnte Personen A DAM S MITH , M ICHAEL J ENSEN . 8.4.4 Schlüsselbegriffe Anleihen (Renten, Obligationen), Bewertung von Zinsinstrumenten, Aufzinsungsanleihe, Consumer Price Index (CPI), Cross-Default-Klausel, Darlehen, Deflation, Determinanten der Zinsstruktur, Diskontanleihe, EURIBOR (European Interbank Offered Rate), Eurobond, Euromarkt, Federal Reserve System (Fed), Fiskalpolitik, Floating Rate Note (Floater, FRN), Fristenstruktur der Zinssätze (Term Structure of Interest Rates), Geldmarkt, Geldpolitik, Inflation, Inflation-Linked-Bond (IL-Bond), Inflation Targeting, interne Rendite der Zahlungsreihe, inverse Fristenstruktur, Kapitalmarkt, Kaufkraft des Geldes, Kredite, Kreditkonvenante (Credit Covenant), Kuponzahlungen, LIBOR (London Interbank Offered Rate) Mandatory Convertible Securities (MCS), Negative-Pledge-Klausel, Nominal- <?page no="146"?> 8.4 Fazit des Kapitels Zinsinstrumente 147 betrag, OATi (OAT indexée sur l‘inflation), Offenmarktpolitik, normale Fristenstruktur, Pari-Passu-Klausel, Perpetual, Rendite bis Verfall (Yield to Matrurity, Yield, YTM), Renminbi, Repogeschäfte, Rückzahlungskurs, Staatsanleihe, TIPS (Treasury-Inflation- Protected-Securities), Unternehmensanleihe (Corporate Bond), Wandelanleihe (Convertible Bond, Convertible), Wandelrecht, Zerobond, Zinsbindungsfrist, Zinskurve, Zinssätze am kurzen Ende, Zinssätze am langen Ende, Zinsstruktur, Zinsstrukturtypen. 8.4.5 Fragen zur Lernstandskontrolle 1. a) Die Bonität welcher Partei steht im Mittelpunkt bei Staatsanleihen, Pfandbriefen und bei Unternehmensanleihen? [Antwort: Abschnitt 8.1.1] b) Wozu dienen Klauseln im Kreditvertrag? c) Nennen Sie drei konkrete Beispiele für Corporate Covenants! [Antwort: Pari-Passu-Klausel, Negative-Pledge-Klausel, Cross-Default-Klausel]. d) Was fordern diese Klauseln? [Antwort: Abschnitt 8.1.1] 2. a) Was verbirgt sich hinter den Abkürzungen FRN und LIBOR? [Antwort: Abschnitt 8.1.3]. b) Wie wurde 2012 der Libor von verschiedenen Banken manipuliert? [Antwort: Eingabe falscher Zinssätze] 3. Richtig oder falsch? a) Am Euromarkt werden Renten gehandelt, die auf Euro lauten. b) Der Eurobond-Markt nahm seinen Anfang mit Anleihen, die 1963 von der italienischen Autobahngesellschaft ausgegeben worden sind und auf Lire lauteten. [Antworten: Abschnitt 8.1.4]. c) Als Zentrum des Euromarktes hat sich Frankfurt am Main etabliert. d) Die inzwischen zahlreichen institutionellen Investoren am Eurobond-Markt schätzen Anleihen mit hohem Kupon, die über pari ausgegeben werden. [Alle vier Aussagen sind inkorrekt]. 4. Der Wert von Wandelanleihen hängt vom Basiswert ab, und die Art der Abhängigkeit wird in drei Zonen eingeteilt. Erläutern Sie dies näher [Zur Antwort siehe Bild 31 in 8.1.5]. 5. a) Welche Determinanten hat die Zinsstruktur? b) Wie ist der Term-Spread der Fristenstruktur definiert? [Antwort: Abschnitt 8.2.1] <?page no="148"?> 9. Kapitel: Wer ein Rentenportfolio hält, ist mit drei Arten von Risiken konfrontiert: Kursrisiken aufgrund von Zinsänderungen (kurz „Zinsrisiken“), Währungsrisiken und Kreditrisiken. Eine wichtige Größe zur Einschätzung des Einflusses eines sich ändernden Zinsniveaus auf die induzierten Kursänderungen bei Anleihen ist die Duration (Abschnitt 9.1). Weiter zeigen Zinssätze und Wechselkurse gewisse gegenseitige Abhängigkeiten. Diese Abhängigkeiten oder Zusammenhänge werden als „Paritätstheoreme“ oder kurz „Paritäten“ bezeichnet. Diese Zusammenhänge bestehen zwischen den Zinsniveaus in zwei Ländern oder Währungsgebieten, den jeweiligen Inflationsraten, sowie den Wechselkursen und ihrer erwarteten Veränderung (Abschnitt 9.2). Drei Risiken für Rentenportfolios Fachbegriffe beim Risikomanagement Zinsrisiko Währungsrisiko Kreditrisiko Duration Paritäten Bonität und Rating Einige der Paritäten sind recht bekannt, so zum Beispiel der nach F ISHER benannte Effekt und die Kaufkraftparität. In ihrer starken Form postuliert die Kaufkraftparität, dass (transportable) Güter in allen Ländern nach Umrechnung mit den geltenden Währungsparitäten übereinstimmende Preise haben sollten. In einer schwachen Form der Kaufkraftparität ist nur postuliert, dass zwar Unterschiede in den Preisniveaus zwischen verschiedenen Ländern durchaus bestehen können, dass sich die Preisniveaus indessen entsprechend der Unterschiede in den Inflationsraten verändern. Als drittes Risiko wurden die Kreditrisiken genannt (Abschnitt 9.3). Sie treffen nicht nur Anleger wie Privatpersonen, Versicherungen und Pensionskassen. Kreditrisiken belasten überdies Banken. Sollte aufgrund des Ausfalls von Schuldnern eine ganze Bank in Konkurs geraten, dann wäre die Stabilität des Geldwesens und des Finanzsystems gefährdet. Daher verlangen Gesetze von den Banken, gewisse vorbeugende Maßnahmen zu befolgen (Bankenregulierung), die solche Gefahren für die Stabilität minimieren. 9.1 Duration 9.1.1 Kursrisiko Die Bewertung von Zinsinstrumenten hat gezeigt, dass die Werte von den aktuellen Zinssätzen abhängen. Denn diese stellen Konditionen für alternative Zahlungsströme mit vergleichbaren Risiken dar, nach denen sich die Werte von Finanzkontrakten richten müssen. <?page no="149"?> 150 9 Kapitel: Das Zinsrisiko Steigen die Zinssätze an den Finanzmärkten an, wird ein Marktteilnehmer nur bereit sein einen Bond auf dem Sekundärmarkt zu kaufen, wenn dieser im Gleichschritt mit den Marktzinsen ebenfalls eine höhere Rendite abwirft. Da aber die Zahlungen in Form von Kupons und Rückzahlungsbetrag sowohl in ihrer Höhe als auch in ihren Zeitpunkten vertraglich fixiert sind, lässt sich eine höhere Rendite nur dadurch erreichen, dass der Kaufpreis des Wertpapiers sinkt. Folglich unterliegen Anleihen Kursrisiken, besonders wenn die Zahlungen bis weit in die Zukunft fixiert sind, wie dies bei einer langen vertraglichen Laufzeit der Fall ist. Auch die Kuponhöhe spielt hinein. Folgendes Beispiel: Gegeben seien zwei verschiedene Laufzeiten (5 Jahre und 20 Jahre) sowie zwei verschiedene Kupons (1% und 6% bezogen auf den Nominalwert). Daraus ergeben sich vier Kombinationen. Abb. 36: Barwertkurven. In Bild 36 sind die Barwerte dieser vier Instrumente (Ordinate) in Abhängigkeit von verschiedenen Zinsniveaus (Abszisse) dargestellt. Unterstellt werden jeweils eine Rückzahlung von € 100 am Ende der Laufzeit sowie eine flache Zinsstruktur. Das heißt, das auf der Abszisse abgetragene Zinsniveau gilt für alle Laufzeiten. Die sich ergebenden Wertkurven werden als Barwertkurven bezeichnet (Bild 36). Zunächst ist zu erkennen, dass die beiden Anleihen mit einem Kupon von 1 Euro bei einem Zinssatz von 1% und jene mit Kupon von 6 Euro bei einem Zinssatz von 6% zum Pariwert von € 100 notieren. Es wird deutlich, dass bei beiden Kupons die Anleihen mit der langen Laufzeit von 20 Jahren bedeutend stärker auf Zinsänderungen reagieren als jene mit der kurzen Laufzeit von 5 Jahren. Bei der Kuponerhöhung ist der Effekt weniger augenfällig. Trotzdem ist bei der 20-jährigen Anleihe die Barwertkurve im Falle eines Kupons von € 6 wesentlich steiler als bei einem Kupon von € 1. Zinsänderungen lösen also Kursänderungen aus. Solche Kursänderungen sind für Institutionen bedeutsam, die festverzinsliche Positionen in Form von Anleihen oder Krediten in ihren Büchern halten. Betroffen sind etwa Versicherungsunternehmen, Pensionskassen, 0 50 100 150 200 250 0% 1% 2% 3% 4% 5% 6% 7% 8% 9% 10% Kurs Zinssatz Kupon = 1, Laufzeit = 5 Kupon = 6, Laufzeit = 5 Kupon = 1, Laufzeit = 20 Kupon = 6, Laufzeit = 20 <?page no="150"?> 9.1 Duration 151 Anlagefonds sowie Banken. Diese Institutionen haben ein Interesse daran, die Kursrisiken zu messen und, falls erforderlich, abzusichern. Eine Bank nimmt (kurzfristige) Gelder entgegen und transformiert diese in (langfristige) Kredite. Die Passivseite einer Bankbilanz enthält deshalb Depositen mit Laufzeiten von unter einem Jahr. Auf der Aktivseite werden Kredite über vielleicht fünf bis zehn Jahre gegeben. Wie in unserem Beispiel oben besteht eine Divergenz der Laufzeiten und damit eine unterschiedliche Zinsreagibilität zwischen Aktiva und Passiva. Aufgrund ihrer langen Laufzeit reagieren die finanzmathematischen Barwerte von Krediten viel sensibler auf Zinsänderungen als die Werte der kurzfristigen Verpflichtungen der Bank gegenüber der Einlagekundschaft. Für eine Bank ergeben sich aus einer Zinsänderung neben diesem Werteffekt noch drei weitere Effekte: Aufgrund der Zinsreagibilität der Positionen resultiert ein Werteffekt. Bei einer Zinserhöhung nehmen die Barwerte der typischerweise länger gebundenen Aktiva stärker ab als jene der Verbindlichkeiten. Damit reduziert sich der Wert des Eigenkapitals, da dieses die Differenz zwischen Aktiva und Verbindlichkeiten darstellt. Der Einkommenseffekt bezeichnet die Schwankung des Zinsensaldos infolge von Zinsänderungen am Kapitalmarkt. Erhöhen sich die Zinsen für die Einlagegelder, ist aufgrund deren kurzer Frist die Bank gezwungen, die Konditionen unverzüglich nach oben anzupassen. Da aber auf der Einnahmeseite wegen der langen Zinsbindung der Kredite die Kreditzinsen gewöhnlich unverändert bleiben, reduziert sich der für die Bank übrig bleibende Saldo im Zinsdifferenzgeschäft. Bonitätseffekt: Ein Anstieg des Zinsniveaus erhöht die Zahlungslast für die Kreditnehmer, womit sich deren Bonität verschlechtert. Eine Verschiebung der Konditionen führt zu einer Veränderung der Entscheidungen der Bankkunden. Der Struktureffekt besteht in einem Zu- oder Abfluss von Kundengeldern in bestimmte Anlagekategorien infolge einer Zinsänderung. 9.1.2 Die Duration Der erste Schritt zum Management solcher Zinsänderungsrisiken besteht in ihrer Messung. Ein Konzept dazu ist die Duration eines Zinsinstruments. Die Duration geht auf F RE- DERICK M ACAULAY 1938 und J OHN R. H ICKS 1939 zurück. Die Duration gibt eine virtuelle Laufzeit des Zinsinstruments an, den Zeitpunkt, zu dem der Inhaber „im Mittel sein Geld zurückerhält“. Die Nützlichkeit dieser Definition zeigt sich in der Duration-Formel: Sie besagt, dass die durch eine Zinsänderung bewirkte prozentuale Wertänderung eines Zinsinstruments proportional zur Duration ist. Für eine flache Zinsstruktur - deren Höhe hier mit x bezeichnet sei - kann die Sensitivität als Ableitung des Werts eines Zinsinstruments nach x berechnet werden. Das Zinsinstrument soll dem Inhaber in den Jahren 1,2 ... , , T bis Fälligkeit T die Zahlungen 1 ... 2 T C ,C , ,C bieten sowie zusätzlich zum Verfallszeitpunkt die Rückzahlung T R . Der Wert des Zinsinstruments, W , ist daher gleich der Summe der Barwerte aller dieser Zahlungen: <?page no="151"?> 152 9 Kapitel: Das Zinsrisiko 3 1 2 1 2 3 1 ... 1 1 1 1 1 T T T T T C C C C C + R W = + + + + + + x ( + x) ( + x) ( + x) ( + x) In der Tat: wenn sich das Zinsniveau von x auf x x ändert, dann verändert sich der Wert von W = W(x) auf W(x + x) . Mit Hilfe einer Taylorschen Reihenentwicklung, die nach dem ersten Glied abgebrochen wird, folgt nun oder W(x + x) W +W'(x) x W(x + x) W(x) W'(x) x und die erste Ableitung des Werts eines Zinsinstruments nach dem Zinsniveau erweist sich somit als für die Ermittlung der Wertänderung W(x + x) W(x) wichtig. Oft interessiert man sich für die relative Wertänderung: W(x + x) W(x) W'(x) x W(x) W(x) Wir berechnen deshalb die Ableitung: 3 1 2 2 3 4 1 1 2 3 ... 1 1 1 1 T T T + C C C C + R dW W' = = T dx ( + x) ( + x) ( + x) ( + x) Zunächst ziehen wir 1/ 1 ( + x) heraus und dividieren dann durch W . So ergibt sich als Ableitung in Relation zum Wert: 3 1 2 2 3 2 3 ... 1 1 1 1 1 1 T T T C C C C + R + + + + T + x ( + x) ( + x) ( + x) W' = W + x W Der Ausdruck in der geschweiften Klammer wird mit D abgekürzt, und dabei handelt es sich um die Duration: 2 1 2 / 1 / 1 / 1 1 2 ... T T T C ( + x) C ( + x) (C + R ) ( + x) D = + + + T W W W <?page no="152"?> 9.1 Duration 153 Die Duration ist eine gewichtete Summe derjenigen Zeitpunkte 1,2 ... , , T , zu denen die Zahlungen erfolgen. Sie wird daher als virtuelle Restlaufzeit bezeichnet. Die Gewichte sind die relativen Barwerte der entsprechenden Zahlungen. Je höher die Duration ist, desto später „erhält der Anleger sein Geld zurück”. Die Duration ist im Regelfall nicht identisch mit der vertraglichen Laufzeit oder der Restlaufzeit T , sondern kürzer, weil schon zu den früheren Zeitpunkten Zahlungen erfolgen und der Inhaber sein Geld teilweise schon vor T zurückerhält. Die Duration beschreibt die Sensitivität des Zinsinstruments auf Zinsänderungen, denn 1 1 W' = D W + x Das bedeutet: 1 1 W(x + x) W(x) D x W(x) + x Beispiel: Eine Anleihe mit Restlaufzeit 5 Jahre hat eine Duration von 4 Jahren. Das Zinsniveau liegt bei 5%. Erhöhen sich die Zinsen auf 6%, dann verliert die Anleihe ziemlich genau 1/ 1,05 4 1 3,81 ( ) = Prozent ihres Werts. Im Fall der die Fristen transformierenden Bank hieße dies, dass die Kredite aufgrund ihrer langen Zinsbindungsfrist eine größere Duration haben als die Einlagen. Die Finanzinstitutionen haben daher ein Interesse, die Zinssensitivität ihres Eigenkapitals zu reduzieren oder zu steuern. Dazu gibt es vor allem zwei Möglichkeiten: Die Finanzinstitution kann die Zusammensetzung ihrer Aktiva und Passiva so verändern, dass es diesen Duration-Gap nicht mehr gibt. Eine Bank müsste ihre Bilanz fristenkongruent gestalten, indem nur noch kurze Kredite vergeben werden oder indem sie das Portfolio lang laufender Kreditpositionen langfristig am Kapitalmarkt refinanziert. Solche Umstrukturierungen der Aktiva und Passiva haben aber Nachteile. Zum einen sind sie mit großen Anpassungskosten verbunden, da eine Veränderung des Kreditportfolios nicht auf einen Schlag möglich ist und mitunter viel Kundenkapital verloren geht. Zum anderen ist es gerade das Geschäft einer Bank im Kommerzgeschäft, als Intermediär, kurze in lange Gelder zu transformieren. Als zweite Möglichkeit bleibt der Einsatz derivativer Kontrakte. Diese haben den Vorteil, dass das reale Portfolio weitgehend unverändert bleiben kann und sich trotzdem die Zinssensitivität im gewünschten Sinn steuern lässt. Zwei Formen von derivativen Zinskontrakten sind bedeutsam, nämlich Zinsswaps und TOIS sowie Zinsterminkontrakte. <?page no="153"?> 154 9 Kapitel: Das Zinsrisiko 9.1.3 Zinsswaps Ein Zinsswap ist ein Tauschgeschäft, bei dem für mehrere Jahre fixe Zinszahlungen gegen variable Zinszahlungen getauscht werden. Die einem solchen Geschäft zugrunde liegenden Nominalbeträge werden dabei nicht ausgetauscht. Wie gezeigt wurde, entsteht ein Zinsrisiko aus der Fixierung der Zahlungen über die Laufzeit. Je längere Zeit der Zins festgeschrieben ist (Zinsbindungsfrist), desto höher ist das Zinsrisiko. Variabel verzinsliche Anleihen haben hingegen ein ausgesprochen geringes Zinsrisiko, weil jedes halbe Jahr oder jedes Jahr der Kupon an den Marktzinssatz angepasst wird. Durch den Einsatz eines Zinsswaps hat ein Akteur an den Finanzmärkten die Möglichkeit, seine fixen Einkünfte in variable Einkünfte zu tauschen (und umgekehrt). Auf diese Weise kann das Zinsrisiko beziehungsweise die Duration gesteuert werden. Zwei Positionen sind möglich: Eine Bank mit positiver Fristentransformation - Kredite mit langer Zinsbindung werden gleichsam variabel finanziert mit Einlagen - hat mit den fixen Zinssätzen der Kredite feste Einkünfte und variable Ausgaben für die Verzinsung der Einlagen. Die Duration der Aktiva ist größer als die der Passiva. Daraus erwächst ihr ein Zinsrisiko. Sie will deshalb den Unterschied der Duration der Aktiva und der Passiva verringern. Dazu wird sie einen Swap eingehen, um fixe Zinsen zu zahlen und variable Zinsen zu beziehen. Die Bank tritt in diesem Swap als Payer auf. Die Gegenpartei ist vielleicht einer komplementären Problematik ausgesetzt. Hier kommen Versicherungs- oder Vorsorgeinstitutionen in Frage. Diese Institutionen haben sehr lang laufende Verpflichtungen (Passiva) und kurz laufende Anlagen (Aktiva). Bei den Passiva handelt es sich um Ansprüche auf zukünftige Leistungen (Anwartschaften), die erst in 30 Jahren zur Auszahlung gelangen, während auf der Seite der Aktiva Anleihen stehen, deren Duration geringer als 10 Jahre ist. Diese Institutionen wollen, um das Zinsrisiko auszugleichen, variable Zinszahlungen leisten und feste Zinszahlungen beziehen. Sie treten in einem Swap als Receiver auf. Der Swapmarkt ist ein hoch liquider Markt, an dem ausschließlich Akteure hoher Bonität teilnehmen, vor allem eben Banken. Daher sind die Konditionen, zu denen die Marktteilnehmer ihre Transaktionen vornehmen, transparent. Die bei Swaps vereinbarten Zinssätze werden als Swapsätze bezeichnet. Da von den Marktteilnehmern Zinsen unterschiedlicher Frist getauscht werden, gibt es am Swapmarkt eine Fristenstruktur der Swapsätze. Im Unterschied zu den frühen Jahren der Swapmärkte weichen die Swapsätze heute häufig von den Renditen der Staatsanleihen ab. Der Unterschied wird als Swap-Spread bezeichnet. Der Swap-Spread ist eine Risikoprämie, die die Finanzmärkte für die Ausleihe an zwar erstklassige doch letztlich nicht-staatliche Schuldner verlangen. Denn die Akteure im Swapmarkt sind Banken und nicht der Staat. Der Verlauf des Swap-Spread ist mit den allgemeinen Kreditrisikoaufschlägen für Unternehmensanleihen korreliert. <?page no="154"?> 9.1 Duration 155 An den Märkten für Zinsinstrumente lassen sich aufgrund der Bedeutung gesamtwirtschaftlicher Daten sehr gut die Stimmungen der Marktteilnehmer ablesen. Die sich über die Zeit ändernden Erwartungen sind besonders deutlich an der Entwicklung der aufgrund von Swaps bestimmten Zinskurven abzulesen, weshalb diese immer mehr zu Benchmarks geworden sind. 9.1.4 Tom-Next-Index-Swaps Während Zinsswaps üblicherweise über Laufzeiten von zwei bis zehn Jahren geschlossen werden, existieren mit den Tom-Next-Index-Swaps (TOIS) Instrumente für den kurzfristigen Bereich. TOIS haben Laufzeiten zwischen einer Woche und einem Jahr. Analog zu den Zinsswaps wird ein fixierter gegen einen variablen Zinssatz getauscht. Als fixierter Zinssatz gilt der TOIS-Satz. Dies ist der angebotene Geldmarktzinssatz für Anlagen vom jeweils nächsten auf den übernächsten Geschäftstag (englisch: tomorrow next). Dagegen ist der Tom-Next-Satz die Basis für die variable Zahlung (floating leg). Letzterer errechnet sich aus dem arithmetischen Mittel der Nennungen von 20 bis 30 international tätigen Banken für den Zins für Tagesgeld vom jeweils nächsten Geschäftstag auf den übernächsten. Wie bei den konventionellen Zinsswaps wird kein Kapital ausgetauscht, das Kreditrisiko beschränkt sich auf die Zinsdifferenz. Aufgrund der in diesem kurzen Zeitraum geringen Zinsdifferenz beträgt die Differenz zwischen Geld- und Briefkurs lediglich rund zwei bis drei Basispunkte, wodurch die Kosten einer solchen Absicherung tief sind. Die Abrechnung erfolgt üblicherweise als Ausgleich der Zinsdifferenz am Ende der Laufzeit. Der TOIS-Markt existiert seit 1997. Beispiel: Einsatz von TOIS bei steiler Zinskurve: Frank ist Treasurer bei einer deutschen Bank. Im Falle einer steilen Geldmarktkurve besteht für ihn ein Anreiz, die über die nächsten Monate erwarteten Mittel von durchschnittlich 50 Millionen Euro nicht im Tagesgeld, sondern beispielsweise zum 3-Monats-Zins anzulegen. Zwar erzielt er dadurch einen höheren Ertrag, indes beraubt er sich gleichzeitig seiner finanziellen Flexibilität. Alternativ könnte er die Mittel wie bisher zum Tagesgeldsatz anlegen, parallel dazu aber noch einen TOIS- Kontrakt über die 50 Mio. Euro eingehen. Mit dem letzteren verpflichtet er sich, den Tagesgeldsatz an seine Gegenpartei zu zahlen und im Gegenzug von dieser den 3-Monats- Zinssatz zu empfangen. De facto erhält er den attraktiveren 3-Monats-Satz, behält dabei jedoch seine gewünschte finanzielle Flexibilität. Freilich muss er für diesen Vorteil etwas bezahlen, und zwar zwei bis drei Basispunkte. Das Risiko sieht er nun in erster Linie darin, dass die Tagesgeldsätze stark ansteigen und dass er das Volumen der erwarteten und anzulegenden Mittel aus heutiger Sicht überschätzt. Beispiel: Kurzfristige Ausleihe: Maria arbeitet als Finanzchefin einer großen Unternehmung in Österreich und vergibt einer Division Gelder auf Basis der Tageszinsen. Gleichzeitig hat sie Commercial Papers emittiert. Diese Verbindlichkeiten wirken sich zwar positiv auf die Liquidität und das Refinanzierungsrisiko aus, jedoch negativ auf die Rentabilität. Mit einem TOIS-Kontrakt kann sie nun die variablen gegen fixe Zinsen tauschen und auf diese Weise die fixe Verbindlichkeit aus den Commercial Papers in eine variable transformieren. Problematisch wird das Geschäft nur dann, wenn sie weniger Mittel intern anlegen kann als dem TOIS-Kontrakt zugrunde gelegt. Dann würde sie, sobald die variablen Zin- <?page no="155"?> 156 9 Kapitel: Das Zinsrisiko sen zusammen mit den Kontraktkosten von zwei bis drei Basispunkten höher sind als der fixe Zinssatz, mehr bezahlen als sie durch die Ausleihungen einnimmt. 9.1.5 Zinsterminkontrakte Zinsterminkontrakte beinhalten den Kauf oder Verkauf eines Zinsinstruments auf Termin. Das heißt, die Transaktion findet zu einem zukünftigen Zeitpunkt zu einem heute vereinbarten Preis statt. In der Regel bezieht sich der Terminkontrakt auf ein langfristiges Zinsinstrument. Üblich sind Zinsfutures, also standardisierte Terminkontrakte. Zwei Positionen sind möglich: Die Long-Position basiert auf einem Kauf einer Anleihe auf Termin. Zwar befindet sich das Instrument faktisch noch beim Verkäufer, der Käufer partizipiert jedoch bereits positiv an Wertveränderungen der Anleihe. Der Verkäufer einer Anleihe auf Termin geht dagegen eine Short-Position ein. Er ist damit zur Lieferung der Anleihe zum vereinbarten zukünftigen Zeitpunkt sowie zum vereinbarten Preis verpflichtet. Er partizipiert negativ am Wert der Anleihe. Wenn nach dem Abschluss eines Zinsterminkontrakts die Zinsen an den Märkten fallen, dann steigen die Kurse der Anleihen. Der Käufer auf Termin erhält zum Lieferzeitpunkt einen höheren Kurs als er beim Vertragsabschluss mit dem Verkäufer vereinbart hat. Er partizipiert positiv - nach dem gleichen Prinzip wie ein Investor, der eine Anleihe am Kassamarkt gekauft hat. Das heißt, er nimmt eine festverzinsliche Position in das Portfolio auf (Long-Position) und erhöht dadurch dessen Zinssensitivität oder Duration. Im Unterschied zum Kassamarkt kann ein Akteur aber eine Short-Position eingehen und dadurch seine Duration reduzieren. Dies ist vor allem für Investoren nützlich, die sich nur vorübergehend gegen eine Zinserhöhung (beziehungsweise eine Kursreduktion an den Anleihemärkten) absichern wollen. Gerade für Manager eines Rentenfonds oder den Treasurer einer Bank ist es weder praktikabel noch sinnvoll, das Portfolio wegen einer kurzfristigen Zinserhöhung umzuschichten. Stattdessen bietet es sich an, einen Zinsterminkontrakt einzusetzen. Solche Kontrakte werden an Börsen für Futures und Optionen wie EUREX (Frankfurt / Zürich), LIFFE (London), CBOT (Chicago), MATIF (Paris) und Tokyo Stock Exchange gehandelt. Sie beziehen sich auf eine synthetische Anleihe mit klar definierten Eigenschaften. Je nach Liquidität eines Markts gibt es Kontrakte für Instrumente verschiedener Laufzeiten. In Deutschland werden folgende Kontrakte unterschieden: Euro BUXL Future: Underlying ist eine deutsche Bundesanleihe mit Kupon von 6% und einer Restlaufzeit von 20 bis 30,5 Jahren. Euro BUND Future: Underyling ist eine deutsche Bundesanleihe mit Kupon von 6% und einer Restlaufzeit von 8,5 bis 10 Jahren. Euro BOBL Future: Underyling ist eine deutsche Bundesanleihe oder Anleihe der Treuhandanstalt mit Kupon von 6% und einer Restlaufzeit von 3,5 bis 5 Jahren. Euro SCHATZ Future: Underyling ist eine deutsche Bundesanleihe oder Anleihe der Treuhandanstalt mit Kupon von 6% und einer Restlaufzeit von 1,75 bis 2,25 Jahren. <?page no="156"?> 9.2 Zinsen und Wechselkurse 157 All diese Kontrakte haben einen Nominalwert von 100.000 Euro und werden nur auf fixierte Termine notiert. Üblich sind die Liefermonate März, Juni, September und Dezember. Der Handel mit Zinsfutures begann 1975, als die CBOT einen ersten Kontrakt auf einen Bond der amerikanischen Hypothekenagentur Ginnie Mae (GNMA = Government National Mortgage Association) auflegte. Im Jahr 1977 folgte dann der T-Bond-Future, ebenfalls an der CBOT. In Europa wurden als Terminbörsen gegründet: 1982 in London die London International Financial Futures and Options Exchange (LIFFE), 1986 in Paris der Marché à Terme International de France (MATIF). In den Jahren 1988 startete in Zürich die Swiss Options and Financial Futures Exchange (SOFFEX) und 1990 in Frankfurt die Deutsche Terminbörse (DTB). Diese beiden Börsen bilden heute die EUREX. 9.2 Zinsen und Wechselkurse 9.2.1 Paritätstheoreme Zwischen Zinsen und Wechselkursen gibt es eine enge Beziehung. Wichtig ist der Unterschied zwischen realen Zinsen und nominalen Zinsen. Reale Zinsen stellen die nach Berücksichtigung der Geldentwertung tatsächliche und in Kaufkraft ausgedrückte Kompensation für die Übertragung finanzieller Ressourcen dar. Nominale Zinssätze beziehen sich auf nominale Geldbeträge. Wenn etwa die Zentralbank die Geldmenge verknappt und hierzu die Leitzinsen erhöht, so handelt es sich zunächst um einen nominalen Zinsanstieg, doch da offensichtlich die Inflation eingedämmt wird, geht es auch um einen realen Zinsanstieg. Genauso ist es ein realer Zinsanstieg, wenn am langen Ende die Kapitalnachfrage und die Renditen steigen. Wenn aber die Geldmenge im Vergleich zur Wirtschaft zu stark wächst, droht die Gefahr, dass eine Geldeinheit über die Zeit an Wert verliert. In den Zinsen drückt sich diese Inflation in einem nominalen Anstieg aus. Entsprechend dieser Unterteilung sind die Konsequenzen auf den Wechselkurs unterschiedlich: Ein Realzinsanstieg in einer Währung macht Anlagen in dieser Währung attraktiv, weil sie einen höheren Ertrag abwerfen. Die Nachfrage nach der Währung nimmt zu, und deren Außenwert steigt. Bei Erhöhungen der Nominalzinsen dagegen kommt es auf die Ursachen an. Steht dahinter ein Realzinsanstieg wie oben beschrieben, führt dies zu einer Aufwertung der entsprechenden Währung. Ist der Zinsanstieg jedoch durch eine höhere Inflationsrate bedingt, stellen die höheren Zinsen eine Kompensation für die erwartete Währungsabwertung dar. Bei einem Inflationsanstieg ist eine Abschwächung der Währung zu erwarten. Die Beziehungen zwischen Inflationsraten, Zinssätzen, Wechselkursen und Devisenterminkursen sind in den Paritätsbeziehungen (Abb. 37) festgehalten. Beispiel: Gegeben seien zwei Länder, Land A und Land B, die sich durch eine äquivalente Wirtschaftsstruktur auszeichnen und ein identisches Realzinsniveau aufweisen. Nun kommt es plötzlich zu einem Anstieg der Inflation in Land A - aus welchen Gründen auch immer. Die Währung des Landes A wertet sich in der Folge im Vergleich zu den übrigen Währungen ab. <?page no="157"?> 158 9 Kapitel: Das Zinsrisiko Abb. 37: Paritätsbeziehungen. Fisher-Effekt: Damit die Finanzanlagen von Land A für internationale Investoren immer noch attraktiv sind, müssen die Zinsen in Land A ansteigen, um die erwartete Abwertung der Währung zu kompensieren. Diese Überlegung steht hinter dem Fisher-Effekt. Er besagt, dass sich die zu beobachtenden nominalen Zinsen aus den Realzinsen und einer Prämie für die Inflationsrate ergeben. Bei gleicher Realzinsbasis in verschiedenen Ländern sind unterschiedliche Nominalzinsen nur Ausdruck der jeweiligen Inflationsrate. Zinsparität: Inflation heißt, dass die Kaufkraft einer Geldeinheit über die Zeit hinweg abnimmt. Bei Währungen, für die es einen Terminmarkt gibt, wird sich diese implizite Abwertung im Terminkurs ausdrücken. Die sich aus der Abwertung ergebende Differenz zwischen dem Devisenterminkurs und dem heutigen Wechselkurs (Spotkurs oder Kassakurs) entspricht der Differenz der nominalen Zinssätze. Denn, um auf den Anlagemärkten die Allokation unverändert zu lassen, müssen die Renditen real gleich bleiben. Dies ist bei einer erwarteten Abwertung einer Währung nur möglich, wenn die Zinserträge diese Abwertung kompensieren. Eine nominale Zinsdifferenz ist damit ein Indiz für eine implizite Währungsabwertung. Deshalb sind Anlagen in Fremdwährungen trotz nominal hoher Renditen real gesehen weniger vorteilhaft als angenommen. In unserem Beispiel wäre der Terminkurs für Währung A tiefer als deren heutiger Spotkurs. Die Beziehung zwischen nominalen Zinsunterschieden und der erwarteten Wechselkursentwicklung wird als Zinsparität bezeichnet. Erwartungsthese der Währungen: Für die Prognose des zukünftigen Spotkurses kommt das selbe Argument wie oben zum tragen. Die Märkte müssen aufgrund der Abwertung davon ausgehen, dass der Erwartungswert des zukünftigen Spotkurses unter dem heutigen Kassakurs liegt. Gleichwohl unterliegt die Wechselkursentwicklung zufälligen Einflüssen, weshalb der tatsächlich zu einem zukünftigen Zeitpunkt sich einstellende Spotkurs aus heutiger Sicht eine unsichere Größe darstellt. Die Erwartungsthese beschreibt nun die Beziehung zwischen diesem unsicheren zukünftigen Spotkurs und dem heutigen Devisenterminkurs. Im Kern sagt sie, dass auf effizienten Devisenterminmärkten sämtliche Informationen über die zu erwartende Wechselkursentwicklung in den Terminkursen eingepreist sind. Die heutigen Devisenterminkurse stellen die beste Prognose für die unsicheren zukünftigen Devisenspotkurse dar. <?page no="158"?> 9.2 Zinsen und Wechselkurse 159 Kaufkraftparität: Bestehen zwischen Land A mit hoher Inflation und Land B mit tiefer Inflation keinerlei Handelshemmnisse, wird sich der reale Preis ihrer Güter durch die Inflationsunterschiede nicht verändern. Denn die Abwertung in der Währung von Land A wird vollständig durch nominale Preisanpassungen der Güter und Dienstleistungen in Land A kompensiert. Dieser strenge Zusammenhang wird als starke Form der Kaufkraftparität (Purchase Power Parity, PPP) bezeichnet. Folglich müssten alle Leistungen in allen Ländern real gleich teuer sein, wenn die nominalen Preise mit den jeweils herrschenden Wechselkursen umgerechnet werden. Indes ist die bei der starken Form der PPP unterstellte friktionslose Übertragbarkeit von Gütern und Dienstleistungen in Realität selten erfüllt. Vielmehr gibt es persistente Unterschiede in den Preisniveaus verschiedener Länder. Diese sind umso ausgeprägter, je schwerer handelbar oder transportierbar bestimmte Leistungen sind. Die schwache Form der Kaufkraftparität besagt nun, dass sich trotz dieser Unterschiede in den Preisniveaus die relative Veränderung der Wechselkurse durch die Differenzen in den Inflationsraten erklären lassen. Internationaler Fisher-Effekt: Der Internationale Fisher-Effekt ergibt sich aus der Transitivität der anderen Paritätsbeziehungen. Er besagt, dass Veränderungen in den Wechselkursen am Kassamarkt mit Veränderungen in den nominalen Zinssätzen einhergehen. Von diesen fünf Paritätsbeziehungen gilt die Zinsparität als diejenige mit der größten empirischen Grundlage. Häufig werden daher die Nominalrenditen als Indikator für die Wechselkursentwicklung herangezogen. 9.2.2 Aufwertungen und Abwertungen Ein Beispiel für die Ursachen und Folgen realer Abwertung: Wie in den USA und Europa wurde im Jahr 2002 in mehreren asiatischen Staaten die Geldpolitik gelockert. Im Gegensatz zu Europa führte der damit verbundene Rückgang des Zinsniveaus insbesondere in China, Indien und Korea zu einem starken Kreditwachstum von 17% bis 25%. Diese geldpolitischen Impulse führten zusammen mit der massiven Inflation in einzelnen Ländern zu einer realen effektiven Abwertung, so etwa auf den Philippinen sowie in Singapur, Taiwan und Thailand. Der Grund liegt in der massiven Ausweitung der Geldmenge in Relation zum Wirtschaftswachstum. Während in diesen Ländern die Wechselkurse seit der Asienkrise frei schwanken, war die Abwertung der Wechselkurse in China, Hongkong und Malaysia durch die Abwertung des US-Dollars bedingt, an welchen sie de facto gekoppelt sind. Für Asien hat die Währungsschwäche insgesamt zur Erholung der Exporte beigetragen. Anders sieht die Lage dagegen in Lateinamerika aus. Zwar haben Abwertungen eine stimulierende Wirkung auf die Wirtschaft - wie das Beispiel von Argentinien zeigt - jedoch greift sie erst mittelfristig. In der kurzen Frist erhöht sich aufgrund der hohen Verschuldung die Schuldenlast für jene ansässigen Personen, die Kredite in Fremdwährungen aufgenommen haben. Dies wiederum drückt auf die Kaufkraft im Inland und auf die Kapazitätsauslastung der Wirtschaft. Dadurch kann es kurzfristig zu unbeabsichtigten Effekten kommen. Beispiel: China. Die Währung der Volksrepublik China, der Yuan, ist seit 1994 mit einem Kurs in der Bandbreite von 8.276 bis 8.280 Yuan fest an den US-Dollar gebunden. Im Zuge der Abwertung des US-Dollars im Jahre 2003 kam es ebenso zu einer schwächeren Bewertung des Yuan. Diese Abwertung führte dazu, dass im Juli 2003 der Vorsitzende der <?page no="159"?> 160 9 Kapitel: Das Zinsrisiko amerikanischen Federal Reserve Bank (Fed) sowie der amerikanische Außenminister zusammen mit Politikern der Europäischen Union, Japans und einer Reihe südostasiatischer Staaten, der Volksrepublik China vorwarfen, den Außenwert des Yuan „künstlich tief ” zu halten und sich so „unfaire Wettbewerbsvorteile“ zu verschaffen. Die Kritiker führten ins Feld, dass sowohl im Interesse der Stabilität als auch der Arbeitsplätze in den anderen Ländern China zu einem Floating übergehen solle. Mit gleicher Zielsetzung hat im September 2003 der amerikanische Industrieverband (National Association of Manufacturers, NAM) eine Klage nach Kapitel 301 der amerikanischen Handelsgesetzgebung gegen China lanciert. Abb. 38: Bestände der offiziellen Währungsreserven in Milliarden US-Dollar (Quelle: Jahresberichte 1999, 2003, 2006, 2008, 2012, 2014 der BIZ). China selbst hat kein Interesse daran, vom bisherigen Währungsregime abzurücken. Einerseits gibt es hierfür politische Gründe, etwa die Tatsache, dass China seine nationale Souveränität über die Währungspolitik nicht aufgeben möchte. Ebenso wurde China während der Asienkrise für die Anbindung seiner Währung an den USD vom Westen gelobt, da es im Gegensatz zu anderen südostasiatischen Staaten sich nicht an der Abwertungswelle beteiligte. Andererseits lassen sich für China wirtschaftliche Gründe anführen, vorläufig beim bisherigen Regime zu bleiben. 1998 2002 2005 2007 2011 2013 Industrieländer 690.4 887.8 1292.2 1501.2 2037 2287 USA 33.8 37.8 45.8 52 48 Euro-Raum 215.8 167.3 203.5 208 221 Japan 451.5 828.8 948.4 1221 1203 Schweiz 271 489 Asien 562.9 943.8 1821.6 2912.6 5112 5880 China 286.4 818.9 1528.3 3181 3821 Hongkong 111.9 124.3 152.6 285 311 Indien 67 131 266.6 263 268 Indonesien 30.3 32 54.7 104 93 Korea 120.8 210 261.8 298 336 Malaysia 33.3 69.7 100.6 129 130 Philippinen 13 15.8 30.1 66 74 Singapur 81.4 115.3 162.5 235 270 Taiwan 161.7 253.3 270.3 386 417 Thailand 38 50.5 85.1 165 159 Lateinamerika 132.7 140.1 217.2 397.2 642 688 Argentinien 10.4 22.7 44.2 40 25 Brasilien 37.4 53.5 179.4 343 349 Chile 14.8 16.7 16.7 40 39 Mexiko 49.9 73 86.3 137 169 Venezuela 23.5 23.7 6 2 Mittel-/ Osteuropa 73.3 146.1 335.1 223.6 260 294 Naher Osten 79.5 135.6 661 893 Russland 175.9 464 441 456 Insgesamt 1636.1 2392.3 4170.8 6392.8 10204 11686 176.8 274.5 Angaben in Mrd. USD. Quelle: Jahresberichte der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich <?page no="160"?> 9.3 Kreditrisiken 161 Zunächst würde eine Aufwertung des Yuan zur Verlagerung von Arbeitsplätzen in andere südostasiatische Staaten führen und damit die Situation auf dem chinesischen Arbeitsmarkt verschärfen. Zweitens würde ein deflationärer Druck auf die chinesische Wirtschaft erzeugt, was wiederum mit negativen Effekten sowohl bei ausländischen Direktinvestitionen als auch bei den Exporten verbunden wäre. In der Tat stellen die ausländischen Direktinvestitionen und die Exporte wichtige Pfeiler der chinesischen Wirtschaft dar. Eine Deflation würde sich zudem negativ auf die erst im Entstehen begriffenen Konsumkredit- und Hypothekarmärkte auswirken. Drittens würde eine Verteuerung des Yuan für die chinesischen Unternehmen die Produktionskosten erhöhen und damit die Last an faulen Krediten vergrößern. Von vielen Währungsexperten wird dagegen die Meinung vertreten, dass die zur Stabilisierung des Wechselkurses notwendigen massiven Aufkäufe von US-Dollars gegen Yuan durch die chinesische Zentralbank zu einer explodierenden Geldmenge und dadurch zu Inflation führen. Tatsächlich verfügte China im Sommer 2003 mit 347 Milliarden US-Dollar bereits über die zweithöchsten Devisenreserven der Welt (nach Japan). Der Zufluss hat sich bis dahin laufend beschleunigt. Quelle dieser Zuflüsse an US-Dollar sind die Erträge aus Exporten, ausländische Direktinvestitionen sowie Gelder, die bis dahin im Ausland investiert waren und wieder nach China zurückflossen. Neben dem Übergang zum Floating könnte der Aufwertungsdruck durch einen Abbau von Handelsbarrieren und damit erleichterte Importe sowie durch einfachere Anlagemöglichkeiten chinesischer Sparer im Ausland erreicht werden. Noch haben die Chinesen nämlich keinen freien Zugang zu Fremdwährungen. Beide Maßnahmen würden zu einem Abfluss von US-Dollars führen. Hinsichtlich der amerikanischen und europäischen Bestrebungen ist schließlich zu bezweifeln, ob eine Aufwertung der chinesischen Währung tatsächlich Arbeitsplätze in den USA und in Europa retten würde. Denn die chinesischen Exporte betreffen Güter, deren Produktion schon lange aus den USA und Europa heraus verlagert wurde. Da diese dementsprechend dorthin importiert werden müssen, würden die amerikanischen und europäischen Konsumenten noch zusätzlich belastet. 9.3 Kreditrisiken 9.3.1 Default Ein Kreditgeber muss damit rechnen, dass der Kreditnehmer später seine Schulden nicht oder nur noch zu einem Teil begleichen kann. Das Risiko eines Ausfalls oder Teilausfalls wird als Kreditrisiko, Gegenparteirisiko oder Delkredererisiko bezeichnet. Für dieses Risiko muss der Schuldner den Gläubiger kompensieren, ähnlich wie ein Versicherter für die Möglichkeit eines Schadens der Versicherungsgesellschaft periodisch wiederkehrend eine Prämie entrichten muss. Der Schuldner muss daher mit dem Kreditzins eine Prämie zahlen, die dem Kreditrisiko entspricht. Je höher das Kreditrisiko ist, desto höher ist somit der vom Schuldner zu leistende Kreditzins. Achtung: Der Gläubiger hat damit noch keinen Vorteil, denn immer wieder kommt es tatsächlich zum Ausfall von Forderungen. Keine Bank kommt an diesem Risk-Adjusted-Pricing (RAP) vorbei. Denn würden Kreditnehmer mit einer schlechten Bonität keine Risikoprämie bezahlen, käme es zu einer <?page no="161"?> 162 9 Kapitel: Das Zinsrisiko Quersubventionierung der schlechten durch gute Qualitäten. Die guten Kreditgeber würden die Bank verlassen. Bei Bonds äußert sich das RAP in der Kursbildung. Anleihen von Schuldnern geringerer Bonität versprechen eine höhere Rendite, allerdings nur für den Normalfall, dass sie nicht ausfallen. Bei sehr geringer Bonität wird von „hohen Renditen” gesprochen, von High Yields. Wieder gilt: Der Käufer und Halter von Anleihen hat bei High Yields im Durchschnitt keinen Vorteil, weil dann und wann der Schuldner in Not gerät. Große Kursverluste sind die Folge. Die erwartete Rendite ist daher nicht höher. Höher ist die tatsächliche Rendite der Anleihe im guten Fall. Bedeutend geringer ist sie im schlechten Fall. In Bild 39 sind die Renditen für zehnjährige US-Staatsanleihen (US-Treasuries) sowie die Renditen für Unternehmensanleihen gezeigt, die von der Rating-Agentur Moody’s mit den höchsten Bonitäten AAA und BAA versehen wurden. AAA ist die allerbeste Ratingstufe. Die Renditedifferenzen zwischen Anleihen unterschiedlicher Bonität werden als Kreditrisikoprämie oder Credit-Spread bezeichnet. Auffällig sind drei Beobachtungen: Staatsanleihen haben stets eine tiefere rechnerische Rendite als Unternehmensanleihen. Auch zwischen hervorragenden Corporate Schuldnern mit einem AAA-Rating und dem Staat als Schuldner gibt es eine geringe Kreditrisikoprämie. Die Credit-Spreads sind nicht stabil über die Zeit hinweg: Zum einen hatte sich der Renditeaufschlag von BAA gegenüber AAA bis zur Finanzkrise von 2008 eher zurückgebildet. Zum anderen ist der Credit-Spread zwischen verschiedenen Bonitäten in rezessiven Phasen wie zum Beispiel 1981/ 82 und 1990/ 91 größer als sonst. Der Credit-Spread zwischen Staatsanleihen und AAA-Anleihen hat sich stark ausgeweitet, insbesondere in den Jahren 1999 und 2000. Die Ursache liegt - wie bereits früher angesprochen - in den in diesem Zeitraum erzielten Überschüssen des amerikanischen Staatshaushalts. In der Folge ging die staatliche Nachfrage nach Kapital zurück, und die Renditen für Staatspapiere sind stark gesunken. Hierin liegt übrigens der Grund für die wachsende Bedeutung der Swapsätze als Benchmarks, da diese die Verhältnisse im AAA- und AA- Segment besser spiegeln als die Konditionen der Staatsanleihen. Beispiel: Der europäische High-Yield-Market: Während sich US-Unternehmen hinsichtlich des Fremdkapitals seit jeher stärker über den Bondmarkt finanzieren, dominiert bei europäischen Unternehmen traditionell die Finanzierung über Bankkredite. Doch seit Ende der 1990er Jahre haben sich die europäischen Anleihemärkte belebt. Dies gilt auch für den Markt der hochverzinslichen Anleihen, die als High Yield Bonds bezeichnet werden. Die hohen Renditen gehen mit einer geringen Bonitätseinstufung einher. Typischerweise fallen in den High-Yield-Bereich Anleihen mit einem Rating von schlechter als Ba1 (nach Moody’s) beziehungsweise BB+ (nach Standard & Poor’s). Wegen ihrer geringen Bonität wurden diese Instrumente früher als Junkbonds (Schrottanleihen) bezeichnet. Der amerikanische High-Yield-Markt ist mit einem Volumen von knapp 100 Milliarden US-Dollar fast zehnmal so groß wie der europäische. Indes kam im Juni 2003 mit einem Anleihepaket von knapp 1 Milliarde USD und 500 Millionen EUR die bislang größte europäische Junkbond- Emission auf den Markt. Außerdem legte die Firma Heidelberg Cement den größten Junkbond in einer einzelnen Tranche über 700 Millionen Euro auf. <?page no="162"?> 9.3 Kreditrisiken 163 Abb. 39: Credit Spreads US-Treasuries - Corporate AAA - Corporate BBB 1980 bis 2014 (Datenquelle: Thomson Reuters Datastream). Während in den vergangenen Jahren Junkbonds vor allem von Telekom-Unternehmen sowie von Unternehmen im Zuge eines Leveraged-Buyouts platziert wurden, treten zunehmend Unternehmen als Emittenten auf, die ihre Abhängigkeit von Bankkrediten reduzieren wollen. Das tiefe Zinsniveau, die zunehmende Offenheit der Marktteilnehmer gegenüber dieser Finanzierungsform sowie die neuen Risikoeinschätzungen durch die Banken im Rahmen von Basel II dürften sich nach Ansicht von Marktbeobachtern positiv auf die Entwicklung des europäischen Junkbond-Markts auswirken. Beispiel: Höher verzinsliche Anleihen: Vor der Einführung des Euro kauften viele private Käufer von Festverzinslichen in Deutschland einheimische Papiere und ergänzten ihre Portfolios mit einigen italienischen Staatsanleihen. Zwar wurde ein Teil des Ertrags, ausgedrückt in Kaufkraft, durch die höhere Inflation in Italien gemindert, jedoch konnte die Übernahme italienischer Papiere zu einer Renditeaufbesserung beitragen. Mit der Harmonisierung in Europa verlagerte sich das Interesse der Anleger auf Papiere aus Schwellenländern sowie auf Unternehmensanleihen. Sowohl die Krisen in den Emerging Markets (Asien 1997, Russland 1998, Brasilien 1999, Argentinien 2001/ 02) als auch die Schwierigkeiten diverser Unternehmen in den Jahren 2001 bis 2003 (Enron, WorldCom, Swissair) haben gezeigt, dass Investoren mit einem beschränkten Diversifikationspotential nur ausnahmsweise Anleihen aus dem Subinvestment-Grade unter AA kaufen sollten. Prozesse der Schuldenrestrukturierung sind langwierig und daher für private Anleger mühsam. Im Falle einer Kreditvergabe werden im Zusammenhang mit dem Gegenparteirisiko drei Phasen unterschieden: Zu Beginn einer Kreditbeziehung steht immer die Beurteilung des Gegenparteirisikos (Risk-Rating). Hat sich ein Investor entschieden, Risiken zu übernehmen, müssen diese kontrolliert und gesteuert werden (Risk-Management). 0% 2% 4% 6% 8% 10% 12% 14% 16% 18% Jan 80 Jan 82 Jan 84 Jan 86 Jan 88 Jan 90 Jan 92 Jan 94 Jan 96 Jan 98 Jan 00 Jan 02 Jan 04 Jan 06 Jan 08 Jan 10 Jan 12 Jan 14 US CORP BONDS MOODYS SEASONED BAA (D) - MIDDLE RATE FRCBBAA US CORP BONDS MOODYS SEASONED AAA (D) - MIDDLE RATE FRCBAAA US TREASURY CONST MAT 10 YEAR (D) - MIDDLE RATE FRTCM10 <?page no="163"?> 164 9 Kapitel: Das Zinsrisiko Wenn doch der unerwünschte Fall eintritt und ein Schuldner ausfällt, dann muss die Situation bereinigt werden, wobei der Gläubiger das Ziel hat, die Einbringlichkeitsquote zu maximieren (Risk-Workout). 9.3.2 Basel II und III Das Regelwerk des Basler Ausschusses für Bankenaufsicht wird in Österreich und der Schweiz sowie in zahlreichen anderen Ländern als Basel II und Basel III bezeichnet, während sich in Deutschland daneben auch das Kürzel MaK (für: Mindestanforderungen im Kreditwesen) etabliert hat. Der Basler Ausschuss für Bankenaufsicht (Basel Committee) wurde 1974 ins Leben gerufen und hat heute dreizehn Mitgliedsländer. Diese Länder werden im Ausschuss durch ihre Nationalbanken und Aufsichtsbehörden vertreten. Um weltweit wirken zu können, hat das Komitee in den letzten Jahren die Zusammenarbeit mit den Aufsichtsbehörden auch der anderen Länder verstärkt. Das Komitee hat keine Kompetenz zur Gesetzgebung oder zur Überwachung in den einzelnen Ländern. Seine Aufgabe besteht darin, Überwachungsstandards und Richtlinien zu erarbeiten und jene zu empfehlen, die dem Stand der Wissenschaft und den Best-Practices der modernen Bankenaufsicht entsprechen. Die Übertragung dieser Empfehlungen und die Umsetzung in nationales Recht sind jedoch den jeweiligen Ländern und ihren Bankaufsichtsbehörden überlassen. Dieses Vorgehen führt zu einer gewissen Konvergenz zwischen den aufsichtsrechtlichen Bestimmungen in den einzelnen Mitgliedsländern und begünstigt die Pflege internationaler Standards. Im Bestreben, Lücken in der nationalen Bankenaufsicht zu schließen, sind für das Komitee zwei Zielsetzungen zentral: Erstens soll es für keine Bank in der Welt möglich sein, außerhalb der nationalen Aufsicht tätig zu sein, und zweitens soll die Aufsicht verhältnismäßig sein. Das erste Regelwerk war der Basler Akkord zur Eigenkapitalunterlegung (Eigenkapitalvereinbarung, Basel Capital Accord) von 1988. Das Hauptanliegen bestand in der Umsetzung eines Systems für die Messung des Kreditrisikos einer Bank sowie das Bereithalten von Eigenkapital in entsprechender Höhe (Unterlegung). Dieses Mindestkapital wurde auf 8% festgesetzt. Diese Vorschläge wurden bis 1992 in nationales Recht übernommen, und zwar praktisch von allen Ländern mit international tätigen Banken. Zwischenzeitlich gab es eine Ergänzung, um die Marktrisiken zu berücksichtigen, die den Banken erwachsen, wenn sie Aktien, Edelmetalle und andere Positionen halten, deren Kursbildung Marktrisiken ausgesetzt ist. Im Jahr 1999 begannen die Arbeiten an dem Neuen Basler Akkord (Basel II), der die bisherigen Regeln ergänzt. Das Regelwerk Basel II besteht aus drei Säulen, welche in Basel III noch verfeinert wurden: 1. Säule: Mindesteigenkapitalanforderungen mit verfeinerten Regeln für die Messung der Kreditrisiken. 2. Säule: Aufsicht über die Überprüfungsverfahren. 3. Säule: Erweiterte Offenlegungspflichten zur Stärkung der Marktdisziplin. Hinsichtlich der Mindesteigenkapitalanforderungen für Kreditinstitute (1. Säule) wird stärker als bis an hin eine an den konkreten Kreditrisiken orientierte Unterlegung angestrebt. Kernstück bilden daher die verfeinerten Regeln für Kreditrisiken. Neu sind Regeln für operationelle Risiken. Nicht verändert wurden die geltende Eigenkapitaldefinition sowie die <?page no="164"?> 9.3 Kreditrisiken 165 Mindestquote für Eigenkapital von 8%. Im Rahmen der Umsetzung von Basel III gibt es diesbezüglich indessen stärkere Vorschriften für einzelne Banken, etwa für als systemrelevant klassifizierte Institute. Wesentlich verschärft wurde jedoch die Anrechenbarkeit von Finanzierungspositionen an die Eigenmittel sowie das Ausmass, in welchem die Banken so genanntes „hartes“ Eigenkapital vorhalten müssen. Ausserdem umfasst Basel III Vorschriften hinsichtlich der Liquiditätshaltung. Zur Ermittlung der Kreditrisiken und zur Ermittlung von Marktrisiken haben die Kreditinstitute die Wahl zwischen Standardmethoden und verfeinerten, internen Verfahren. Ähnlich sind auch bei den operationellen Risiken gröbere und feinere Verfahren zugelassen. Der Tendenz nach sind die anspruchsvolleren Methoden zwar aufwendiger für die Bank, sie sparen aber Eigenkapital. Dadurch kann eine Bank, die über ein gewisses Eigenkapital verfügt, bei Wahl einer anspruchsvolleren Methode mehr Geschäfte eingehen, bei denen sie erwarten kann, mehr zu verdienen, wenngleich damit auch mehr Risiken verbunden sind. Große Banken ermitteln ihre Kreditrisiken vorwiegend mit internen Ratings, während den kleineren Instituten die finanziellen und personellen Ressourcen zur Schaffung interner Rating-Systeme fehlen. Darlehen an Kreditnehmer mit hoher Bonität müssen mit weniger Eigenkapital unterlegt werden, solche an Kreditnehmer mit geringer Bonität benötigen dagegen mehr Eigenkapital. Entsprechend gibt es stärker abgestufte Konditionen für Kreditkunden. Die Auswirkungen hängen davon ab, in wie weit die Banken schon bisher ein Risk-Adjusted-Pricing der Kredite praktizieren. So werden im Kreditgeschäft in der Schweiz geringe Effekte von Basel III erwartet, da die meisten Banken nach der Immobilienkrise in den frühen 1990er Jahren differenzierte Konditionen eingeführt haben. Im Firmenkundengeschäft dürfte es mithin in der Schweiz nicht zu großen Veränderungen kommen. Die Umsetzung von Basel III verursacht selbst für Banken, die bereits über ein Risk-Adjusted-Pricing der Kredite verfügen, Kosten. Ein Teil dieser Kosten wird den Kunden verrechnet werden müssen oder die Banken zur Aufgabe einzelner Geschäftsfelder zwingen. Sodann besteht die Gefahr, dass die Regeln von Basel II und III prozyklisch wirken, und das ist unerwünscht. Typischerweise steigen in rezessiven Zeiten die Kreditrisiken, was die Banken zu stärkerer Unterlegung und daher zur Erhöhung ihrer Konditionen zwingt. Das bedeutet, dass die Banken in Zeiten, die für die Unternehmen schwieriger werden, ihre Bereitschaft zur Kreditvergabe zurücknehmen. Der Spruch, dass die Banken bei schönem Wetter Regenschirme ausgeben und beim ersten Regentropfen wieder einsammeln, wird durch die Regulierung zur erzwungenen Wahrheit. Auf der anderen Seite muss man sehen, dass deren Auswirkungen auf die Volkswirtschaft grundsätzlich positiv sind, weil durch risikogerechte Konditionen die Allokationseffizienz von Kapital erhöht wird. Außerdem ist es die primäre Aufgabe einer Bank, Einlagen sicher zu verwahren und nicht zur „Wirtschaftsförderung“ Kredite zu geben, die später in den Medien als „faul“ bezeichnet werden. Gleichwohl resultieren volkswirtschaftliche Kosten, wenn sich durch strenge Auflagen bei der Kreditvergabe die Dauer einer Wirtschaftskrise verlängert. Grundsätzlich zu begrüßen ist das Bemühen operationelle Risiken zu erfassen. Doch die Definition operationeller Risiken ist vage und unvollständig. Fragwürdig ist zudem der Ansatzpunkt, technische Betriebsstörungen und Fehler bei internen Kontrollmechanismen mit Kapital unterlegen zu wollen. Denn im Gegensatz zu Markt- und Kreditrisiken ist bei ope- <?page no="165"?> 166 9 Kapitel: Das Zinsrisiko rationellen Risiken Prävention angezeigt und möglich. Hier sind Versicherungslösungen besser geeignet. Hier gibt es bezüglich der Risikobemessung ein weiteres Problem: Die Kapitalunterlegung wird in Relation zum Bruttoertrag festgelegt. Gerade profitable Banken werden damit bestraft. 9.3.3 Kreditderivate Ein zweiter aktueller Aspekt betrifft die Entwicklung im Markt für Kreditderivate. Diese Instrumente haben in den vergangenen zehn Jahren für das Kreditrisikomanagement von Banken eine sehr große Bedeutung erlangt. Sie bieten die Möglichkeit, ein definiertes Gegenparteirisiko an eine andere Partei abzutreten, ohne aber das zugrunde liegende Kreditportfolio zu verändern. Hauptmerkmal eines jeden Kreditderivats ist damit die Trennung des Bonitätsrisikos (Ausfall- oder Ratingrisiko) vom Halten des festverzinslichen Instruments. Damit lässt sich das Gegenparteirisiko auf andere Marktteilnehmer abwälzen. Käufer von Kreditderivaten sind Investoren, die ihr Kreditrisiko aus einem Kredit- oder Bond-Engagement absichern möchten. Der Käufer entschädigt den Verkäufer einer Kreditabsicherung mit einer Prämie, während letzterer im Fall eines Kreditvorfalls für den Verlust aufkommt. Der Verkäufer hat den Vorteil, dass er für die Übernahme der Kreditrisiken eine Prämie erhält. Die Akteure haben ein Interesse, jene Kreditrisiken abzutreten, die nicht in ihr Portfolio passen und im Gegenzug solche Kreditrisiken zu übernehmen, mit denen sie ihr aktuelles Portfolio gut diversifizieren können. Man unterscheidet verschiedene Formen von Kreditderivaten: Credit-Default-Swap (CDS): Dies ist die am weitesten verbreitete Form eines Kreditderivats. Der Sicherungskäufer (zum Beispiel eine Bank) ist mit ihrem Kreditportfolio einem Default-Risiko ausgesetzt. Um sich bei einem Sicherungsverkäufer dagegen abzusichern, zahlt sie diesem eine Absicherungsprämie. Im Gegenzug erhält sie von diesem eine Ausgleichszahlung, wenn der Kredit teilweise oder ganz ausfällt. Credit-Linked-Notes sind Schuldpapiere, die von einer Institution mit Absicherungsbedarf (etwa einer Bank) am Kapitalmarkt platziert werden. Der Schutzmechanismus basiert darauf, dass die Verpflichtung der Bank gegenüber den Investoren in dem Ausmaß gekürzt werden kann, wie sie selbst einer Einbuße aus ihrem Kreditgeschäft unterliegt. Ein Total-Return-Swap ist eine Vereinbarung zwischen zwei Kontraktparteien zum Austausch sämtlicher Zahlungen aus einem Engagement. Alle Cashflows aus einem Kredit (Zinszahlungen und Betragsveränderungen) werden von der empfangenden Bank an den Sicherungsverkäufer weiter geleitet. Von diesem erhält die Bank im Gegenzug einen sicheren Cashflow, üblicherweise LIBOR plus Marge. Der wesentliche Vorteil solcher Instrumente besteht in der Trennung der Investitionsvon der Risikoseite. Gerade kleine Banken geraten oft in die Gefahr, dass sich in ihren Büchern Klumpenrisiken gegenüber wichtigen Kunden oder gegenüber einer spezifischen Region bilden. Während dies für die Risikoposition negativ ist, gibt es bei dieser Konzentration gleichwohl positiv zu wertende Spezialisierungsvorteile. Man spricht vom Credit Paradoxon. <?page no="166"?> 9.4 Fazit zum Kapitel Das Zinsrisiko 167 Indem nun die Bank die Kreditrisiken an einen Sicherungsverkäufer abtritt, kann sie die Risiken reduzieren und weiterhin die Spezialisierungsvorteile ausnutzen. Im Gegensatz zu den übrigen Techniken des Kreditrisikomanagements wie der Diversifikation des Kreditportfolios oder der Einforderung von Pfändern gestattet der Einsatz von Kreditderivaten außerdem eine vollständige Eliminierung der Gegenparteirisiken, sofern dies gewünscht ist. Eine schwierige Frage ist jedoch stets jene nach der Definition eines Kreditvorfalls (Credit Event). Häufig führt diese zu unterschiedlichen Interpretationen durch den Käufer und den Verkäufer sowie zu rechtlichen Auseinandersetzungen. Der Markt für Kreditderivate hat sich hauptsächlich seit 1995 entwickelt. Lag das Volumen im Jahre 1996 noch unter 100 Milliarden US-Dollar, ist daraus im Jahr 2011 ein Markt von rund 27 Billionen US-Dollar entstanden. Gleichwohl wird diese Entwicklung oft als problematisch angesehen. Denn zum einen ist es fraglich, ob im Ernstfall die Kreditderivate tatsächlich das erhoffte Maß an Absicherung bieten können. Die Absicherung aus einem Kontrakt ist nämlich nur so gut wie die Qualität des Sicherungsverkäufers. Der Sicherungskäufer erzielt keine vollständige Elimination seines Gegenparteirisikos. Vielmehr substituiert er das Kreditrisiko der einen Partei mit demjenigen einer anderen Partei. Zum anderen ist heute ein Großteil des Kreditrisikos in den Büchern einiger weniger Investmentbanken konzentriert. Heute gehören JP Morgan Chase, Citigroup sowie die Bank of America zu den führenden Teilnehmern im Markt für Kreditderivate. Daneben handeln viele Versicherungen mit diesen Kontrakten. Trotz dieser Befürchtungen sowie der Schwierigkeiten bei Enron und WorldCom hat sich der Markt für Kreditderivate insgesamt als sehr stabil erwiesen. 9.4 Fazit zum Kapitel Das Zinsrisiko 9.4.1 Zusammenfassung Festverzinsliche Instrumente sind Finanzkontrakte, die eine Kreditbeziehung verbriefen. Im Voraus vereinbart werden Höhe und Zeitpunkte der nominalen Verzinsung in Form von Kupons sowie der Rückzahlung am Ende der Laufzeit. Verschiedene Zinsinstrumente weichen jedoch von dieser allgemeinen Definition ab. Besprochen wurden Zerobonds, Perpetuals, Floating Rate Notes, Eurobonds, Convertibles, MCS sowie inflationsgeschützte Anleihen. Aus den zu beobachtenden Kursen und der Struktur des Zahlungsstroms lassen sich die impliziten Zinsen ermitteln, die in ihrer Gesamtheit die Fristenstruktur der Zinssätze bilden. Ist nur ein Instrument bekannt, erfolgt die Selektion über den Yield to Maturity. Aufgrund der Fixierung der Zahlungen aus einem Zinsinstrument führen Zinsänderungen an den Märkten zu Preisänderungen der Anleihen. Solche Preisänderungen können mit dem Konzept der Duration gemessen werden. Die Duration stellt die mit den relativen Barwerten der einzelnen Zahlungen gewichtete Summe der Zeitpunkte dar, an welchen die Zahlungen eines festverzinslichen Instruments erfolgen. Voraussetzung für die Messung der Preisrisiken mit der Duration sind relativ kleine Zinsänderungen sowie die Annahme einer flachen Fristenstruktur der Zinssätze. Zur Absicherung existieren als derivative Kontrakte Zinsswaps, TOIS oder Zinsfutures. <?page no="167"?> 168 9 Kapitel: Das Zinsrisiko Währungsrisiken sind eng mit den Zinsrisiken verbunden. Reale Zinsanstiege führen in der Regel zu einer Aufwertung der Währung, während ein inflationsbedingtes Ansteigen der Nominalzinsen mit einer Abwertung der Währung einher geht. Für den Zusammenhang zwischen Zinsen und Währungen wurden die internationalen Paritätstheoreme formuliert. Hohe empirische Bestätigung hat die Zinsparität gefunden: Eine in den Devisenterminkursen eingepreiste Abwertung einer Währung wird durch eine Inflationsprämie in den nominalen Zinsen kompensiert. Bei gleichem Realzinsniveau zwischen dem Inland und dem Ausland hat die Fremdwährungsanlage den gleich hohen Erwartungswert wie die Anlage in der Heimwährung. Gleichwohl können sich Anlagen im Ausland lohnen, sofern es Realzinsunterschiede gibt oder eine Diversifikation über ungleich laufende Konjunkturzyklen möglich ist. Der dritte Block betraf schließlich die Kredit- oder Gegenparteirisiken. Hier wurde speziell auf das Rahmenwerk von Basel II und III hingewiesen. 9.4.2 Lernpunkte 1. Anleihen sind Wertpapiere, die Fremdkapital verbriefen. Es handelt sich um ein Schuldverhältnis. Als Gegenleistung erhält der Käufer einer Anleihe ein Versprechen auf zukünftige Zahlungen in Form eines im Voraus vereinbarten festen periodischen Kupons und des Rückzahlungsbetrags. Eine klassische Anleihe (Festzinsanleihe, Straight Bond) weist folgende Eigenschaften auf: Sie lautet auf den Inhaber und ist leicht handelbar. Der Zinsertrag in Form von Kuponzahlungen steht über die gesamte Laufzeit fest, wobei die Zahlungen zumeist in jährlichen oder halbjährlichen Intervallen erfolgen. Die Laufzeit ist beschränkt, und am Ende wird der Nominalbetrag zurückbezahlt. 2. Die Darstellung der zu einem Zeitpunkt für verschiedene Zinsbindungsfristen sich ergebenden Zinssätze heißt Zinsstruktur oder Zinskurve. Determinanten der Zinskurve sind am kurzen Ende die Geldmengenpolitik der Zentralbanken, am langen Ende die Kapitalnachfrage und die Inflationserwartungen. Ein steiler Anstieg der Fristenstruktur (hoher Term-Spread) gilt als Signal für einen Wirtschaftsaufschwung. Die Geldpolitik oder Geldmengenpolitik ist die Steuerung der Geldmenge sowie der Zinssätze durch die Zentralbank. Bei Inflation geht Kaufkraft des Geldes durch Preissteigerungen verloren, bei Deflation gehen die Preise für Güter und meist auch die für Vermögensobjekte zurück. Die Größe des Zinsrisikos einer Anleihe oder eines Portfolios aus Anleihen kann durch die Duration gemessen werden. 3. Die beiden wichtigsten Paritätsbeziehungen sind die Zinsparität und der internationale Fisher-Effekt. Die Zinsparität besagt, dass die sich aus der relativen Abwertung einer Währung ergebende Differenz zwischen dem Devisenterminkurs und dem heutigen Wechselkurs (Spotkurs oder Kassakurs) genau der Differenz der nominalen Zinssätze entspricht. Die Gefahr eines Ausfalls des Schuldners wird als Kreditrisiko, Gegenparteirisiko oder Delkredererisiko bezeichnet. Die Renditedifferenzen zwischen Instrumenten unterschiedlicher Bonität werden als Kreditrisikoprämie, Bonitätsprämie, Bonitäts-Spread oder Credit-Spread bezeichnet. 4. Das Regelwerk von Basel II und III umfasst drei Säulen: 1. Mindesteigenkapitalanforderungen mit verfeinerten Regeln für die Messung der Kreditrisiken, 2. Aufsicht über die Überprüfungsverfahren und Überwachung der Unterlegung, 3. erweiterte Offenlegungspflichten zur Stärkung der Marktdisziplin. <?page no="168"?> 9.4 Fazit zum Kapitel Das Zinsrisiko 169 9.4.3 Erwähnte Personen I RVING F ISHER , F REDERICK M ACAULAY , J OHN R. H ICKS . 9.4.4 Schlüsselbegriffe AAA-Rating, Aufwertungen, Abwertungen, Basel II, Bonität, Bonitätseffekt, Credit- Default-Swap (CDS), Credit-Linked-Notes, Default, Delkredererisiko, Duration, Duration- Gap, Einkommenseffekt, Erwartungsthese der Währung, Fisher-Effekt, Fristenkongruenz, Gegenparteirisiko, High-Yield-Market, Internationaler Fisher-Effekt, Kaufkraftparität, Kreditderivate, Kreditrisiko, Kursrisiko, Long-Position, Mindesteigenkapitalanforderungen (Basel II), Paritätsbeziehung, Paritätstheoreme, Payer, Rating, Receiver, Short-Position, Tom-Next-Index-Swaps (TOIS), Struktureffekt, Swapsätze, Total-Return-Swap, Währungsrisiko, Werteffekt, Zinsparität, Zinsrisiko, Zinsswap. 9.4.5 Fragen zur Lernstandskontrolle 1. Halter von Anleihen, die auf eine Währung lauten, die von der Referenzwährung des Halters verschieden ist, sind einem Währungsrisiko ausgesetzt. Hinzu kommen ein Zinsrisiko und ein Ausfallrisiko. a) Definieren Sie diese drei Risiken näher und geben konkrete Beispiele! b) In welchem Zusammenhang dazu stehen der Werteffekt, der Einkommenseffekt, der Bonitätseffekt und der Struktureffekt? [Antwort: Sie beziehen sich auf das Zinsrisiko, siehe Abschnitt 9.1.1] 2. a) Warum kann die Duration als virtuelle Restlaufzeit bezeichnet werden? b) Wie lautet die Formel, die das Zinsrisiko durch die Duration ausdrückt? [Antwort: Abschnitt 9.1.2] 3. a) Ein Zinsswap wird zwischen zwei Parteien abgeschlossen, die damit die Rolle des Payers beziehungsweise des Receivers einnehmen. Trifft diese Aussage zu? [Antwort: Abschnitt 9.1.3]. b) Sollte, wenn eine Bank ein Duration-Gap mit hoher Duration der Aktivseite aufweist, sie zur Absicherung des Zinsrisikos bei Swaps die Seite des Payers oder des Receivers übernehmen? [Antwort: Die Bank sollte feste Zahlungen leisten, also die Rolle des Payers übernehmen]. c) Wenn die Bank anstelle von Swaps Zinsterminkontrakte zeichnet, sollte sie dann zur Absicherung ihres Zinsrisikos eine Long- Position oder eine Short-Position eingehen? [Antwort: Sie sollte definitiv short gehen]. 4. Erläutern Sie diese Paritätsbeziehungen: Fisher-Effekt, Kaufkraftparität, Zinsparität, Erwartungsthese, Internationaler Fisher-Effekt! [Antwort: Abschnitt 9.2.1] 5. a) Was ist ein Credit-Default-Swap oder CDS? [Antwort: Abschnitt 9.3.3]. b) Der Markt für Kreditderivate wird von großen Banken gestaltet, und die durchschnittliche Transaktion hat die Größe von etwa einer Milliarde. Wie groß ist der Markt für Kreditderivate in Relation zum Gesamtwert der offenen Anleihen? [Antwort: rund 27 Billionen im Vergleich zu rund 160 Billionen US-Dollar] <?page no="170"?> 10. Kapitel: Über Aktien gibt es eine wahre Flut von Publikationen und Berichten in den Medien. Sie faszinieren, vor allem wohl weil sie eine besondere Nähe zum Auf und Ab der wirtschaftlichen Ereignisse vermitteln. Nicht zuletzt sind einige Finanzinvestoren mit Aktienanlagen sehr reich geworden, andere arm. Die meisten Aktienanleger hatten, selbst über einen längeren Zeitraum, einen guten Erfolg - der indessen weit unter dem bleibt, was die Medien, die das erfolgreiche Engagement herauspicken, als „zu erwarten“ suggerieren. Zunächst besprechen wir einige Grundlagen (Abschnitt 10.1). Sodann betrachten wir die Aktie aus der Sicht von Finanzinvestoren und folgen dabei drei Wissenschaftlern: G RA- HAM , M ARKOWITZ UND T OBIN (Abschnitt 10.2). Wissenschaftler Aussage Benjamin Graham Fokus auf Selektion, Vorsicht und Value Stocks. Sicht, wonach Finanzmärkte nicht informationseffizient sind Harry Markowitz Renditen sind zufällig, ihre Verteilungsparameter Risk und Return sind gegeben, optimal diversifizierte Portfolios berechenbar James Tobin Die Betonung des Marktportfolios hat zu zahllosen Versuchen geführt, den „Markt zu schlagen“. Die jüngere empirische Forschung hat die Bedeutung von Faktormodellen hervorgehoben. Drei in solchen Modellen übliche Faktoren sind erstens der Term-Spread, also die Differenz zwischen den langfristigen und den kurzfristigen Zinssätzen, zweitens die Inflationsrate und ihre Änderungen, drittens der Credit-Spread. Für institutionelle Investoren sind zudem die Verpflichtungen wichtig, die sich aus den gegenüber der Kundschaft gemachten Leistungszusagen ergeben. Die Aktivseite (Geldanlage) und die Passivseite (Leistungszusagen) sollten möglichst in gleicher Richtung von externen Einflussfaktoren bewegt werden. Dabei spielt auch die bilanzielle Seite deutlicher hinein als bei privaten Geldanlegern. 10.1 Rechtsformen und Aktien 10.1.1 Eigner und Fremde Die Aktie ist in die Form eines Wertpapiers gekleidete Beteiligung an einer Unternehmung (Eigenkapital). Mit der Aktie wird die Haftung des Finanzinvestors beschränkt. Die meisten Aktien werden an Börsen gehandelt, und in verschiedenen Segmenten, bestimmt durch die <?page no="171"?> 172 10 Kapitel: Aktien Größe der Aktiengesellschaft. Die Segmente sind durch unterschiedliche Handelsorganisationen gekennzeichnet. Von ihnen hängt die Liquidität des Handels ab, insbesondere die handelsbedingten Preisausschläge. Die börsengehandelten Aktien kleiner Gesellschaften wirken daher, wenn die börsentäglichen Kursbewegungen betrachtet werden, schon von daher etwas riskanter. Einige Aktiengesellschaften verzichten auf einen Börsengang (Going Public) oder haben sich aus dem Handel zurückgezogen (Going Private). Die Aktien dieser Gesellschaften werden allenfalls in außerbörslichen Transaktionen weitergegeben. Mit der Aktie, der leichten Handelbarkeit, der Idee der Diversifikation wurde schon früh eine Entwicklung eingeleitet, wonach sich alle Finanzanleger die für Aktien gedachten Mittel auf zahlreiche Gesellschaften aufteilen. Als Folge haben die Gesellschaften meistens zahlreiche Aktionäre, von denen jede oder jeder nur ein relativ kleines Engagement hält. Oft sind diese Aktionäre passiv, so dass sich eine Trennung von Eigentum- und Verfügung herausbildet. Die Aktionäre haben eigentlich die vollen Eigentumsrechte, wie sie im Aktienrecht vorgesehen sind, doch die Verfügungen werden weitgehend von angestellten Geschäftsführern, dem Management getroffen. In der Praxis ist die Ausübung der Aktionärsrechte häufig verkümmert. Oft sind die Aktionäre auf Vorschläge des Managements angewiesen. Die faktische Entscheidungsmacht wird vom Management ergriffen. Bei diesen Aktien stehen die Aktionäre vielfach nicht wie „Eigner“ sondern wie „Fremde“ der Unternehmung gegenüber. Daraus ergibt sich ein Bedarf, die Aktionäre zu schützen, besonders die Kleinaktionäre. Denn Fremdkapitalgeber, meist Banken, stehen der Unternehmung vielfach nicht so „fremd“ gegenüber: Banker gehen in der Unternehmung ein und aus und sprechen öfters mit dem Management. Gelegentlich „verbünden“ sich Manager und Banken sogar gegen die Aktionäre. Dem Bankier H ERMANN A BS (1901-1994) wurde nachgesagt, er habe den Aktionär einmal als „dumm und frech“ bezeichnet. Der Aktionär sei dumm, weil er der Unternehmung sein Geld gebe, und er sei frech, weil er eine Dividende verlange. Viele Manager haben die Interessen der Aktionäre zwar zur Kenntnis genommen, aber doch etwas anderes gemacht. Einige haben sich mit Worten wie „der Betrieb verlangt das“ hinter der Technik versteckt, oder sie haben beim Absatz eine rein an Wachstum und Umsatz orientierte Strategie eingeschlagen und zu wenig auf Ertrag und Wertsteigerung geachtet, was die Aktionäre vorziehen würden. Gegen dieses Verhalten von Managern sind etwa ab 1980 Interessengruppen aufgetreten. Der Shareholder-Value-Gedanke betont die Pflicht des Managements, das Wohl der Aktionäre bei allen Entscheidungen zu berücksichtigen. Selbstverständlich muss dabei das Management die Gesetze wahren (etwa hinsichtlich des Schutzes der Umwelt) und die Vereinbarungen einhalten (Fremdkapital, Lohnzahlungen). Doch wo es Freiraum gibt, so der Shareholder-Value-Gedanke, soll das Management den Interessen der Aktionäre folgen. Auf der anderen Seite werden mit der Öffnung der Finanzmärkte für jedermann auch Menschen angesprochen sich zu beteiligen, die überhaupt nicht in der Lage wären, Verfügungsrechte auszuüben. Viele Unternehmen wären inzwischen zugrunde gegangen, wenn die Aktionäre nicht so abgestimmt hätten, wie es die Manager ihnen vorgeschlagen haben. Die Trennung von Eigentum und Verfügung ist nicht nur negativ zu sehen. Sie ermöglicht und fördert die Professionalität der Unternehmensführung. <?page no="172"?> 10.1 Rechtsformen und Aktien 173 Dass „Eigner“ (Aktionäre) eher fern, und „Fremde“ (Banken) der Unternehmung nah stehen, zeigt sich oft in einer Krise. In Krisen ruft das Management - und rufen auch die Menschen unserer Zeit - laut nach den Banken. Sie, die Fremdkapitalgeber, mögen doch bitte retten und neue Kredite geben. Die Aktionäre sind in Krisenzeiten oftmals still und warten ab. Jedenfalls drängen sie sich nicht an den Banken vorbei, um „ihrer“ Unternehmung mit einer Kapitalerhöhung auf die Sprünge zu helfen. Das gibt der Aktie etwas Zwiespältiges. Einerseits ist der Aktionär Kapitalgeber und Risikoträger, andererseits nutzt er die Liquidität der Finanzmärkte, um sich bei der ersten Eintrübung der geschäftlichen Perspektiven davon zu stehlen. Jedoch ist es keine Lösung, die Aktionäre zu binden und zu verpflichten: Die Unternehmung erhielte dann womöglich nicht das erforderliche Risikokapital. So ist aus Sicht der Unternehmung, sprich des Managements, der Aktionär gleichzeitig erwünscht und unbeliebt. Und es macht Sinn, die Aktionäre und die Unternehmung als verschieden anzusehen und davon auszugehen, dass doch ab und zu die Unternehmung unter Leitung des Managements und unter einer gewissen Beeinflussung seitens der Banken etwas anderes anstrebt als ihre Aktionäre. 10.1.2 Rechtsformen und Arten von Aktien Üblicherweise umfasst das Gesellschaftsrecht der verschiedenen Länder nicht nur die Rechtsform der Aktiengesellschaft (AG) sondern daneben einige andere Rechtsformen. In Deutschland ist die AG zwar die typische Rechtsform der sehr großen Unternehmen, doch viele große und mittelgroße Unternehmen haben die Rechtsform der Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH) oder eine andere Rechtsform. In der Schweiz sowie im angelsächsischen Raum werden hingegen selbst mittelgroße und kleinere Unternehmen als Aktiengesellschaft errichtet. Daher herrscht in der angelsächsischen Literatur, auch in der wissenschaftlichen Literatur, die Untersuchung der Aktie als typische Form der Beteiligung vor. Häufig werden dort die Begriffe Equity (= Eigenkapital) und Stocks (= Aktien) gleichgesetzt. Die in Deutschland, Österreich und der Schweiz sowie in anderen Ländern möglichen Rechtsformen lassen sich wie folgt einteilen: Kapitalgesellschaften: Das sind die Aktiengesellschaft (AG), die Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH) und die Kommanditgesellschaft auf Aktien (KGaA). Personengesellschaften: In Deutschland und Österreich sind das die Offene Handelsgesellschaft (OHG), die Kommanditgesellschaft (KG), die GmbH & Co. KG, die Stille Gesellschaft sowie die Gesellschaft bürgerlichen Rechts. In der Schweiz sind die Personengesellschaften die Kollektivgesellschaft, die Kommanditgesellschaft (KG) und die Kommanditaktiengesellschaft. Einzelgesellschaft oder einfache Gesellschaft. Gesellschaften besonderer Art: Genossenschaft, Verein, Stiftung. Bei Personengesellschaften inklusive der Einzelfirma besitzt die Unternehmung keine eigene Rechtspersönlichkeit, und die Gesellschafter haften persönlich. Im Gegensatz zur Personengesellschaft zeichnet sich die Kapitalgesellschaft durch eine eigene Rechtspersönlich- <?page no="173"?> 174 10 Kapitel: Aktien keit aus. Dazu gehört, dass die Kapitalgesellschaft, so jede Aktiengesellschaft, über ein eigenes Kapital verfügen muss, das ihr bei Gründung überlassen wird. In Deutschland beträgt dieses Grundkapital im Minimum € 50.000 Euro, in Österreich € 70.000 Euro und in der Schweiz 100.000 Franken. Die AG haftet für ihre Verbindlichkeiten mit ihrem eigenen Vermögen; Aktionäre müssen nicht für die Verbindlichkeiten der AG eintreten. In den kontinentaleuropäischen Ländern weist die Aktiengesellschaft drei Organe auf, durch die letztlich die Handlungen der AG bestimmt werden. Dies sind der Vorstand (Verwaltungsrat), der Aufsichtsrat (Revisionsstelle) und die Hauptversammlung (Generalversammlung). Als wichtigstes und oberstes Organ wird oft die Hauptversammlung angesehen, auf der Aktionäre Beschlüsse fassen und die Zusammensetzung der weiteren Organe bestimmen. Der Vorstand besorgt die Geschäftsführung und wird hierbei durch den Aufsichtsrat kontrolliert. Außerdem gibt es eine externe Prüfung, die durch Wirtschaftsprüfer vorgenommen wird. Die Aktie stellt als Wertpapier eine Beteiligung an einer Aktiengesellschaft dar. Der Aktionär hat als Eigenkapitalgeber zwar kein Recht auf periodische Ausschüttungen in bestimmter Höhe oder eine Rückzahlung. Doch er hat Vermögensrechte und Mitgliedschaftsrechte (in Form von Stimm- und Wahlrechten an der Hauptversammlung). Die Grundform einer Aktie mit diesen Ausstattungsmerkmalen wird als Stammaktie bezeichnet. Sie verbrieft die gesetzlichen sowie die statutarischen (in der Satzung aufgeführten) Aktionärsrechte. Hinsichtlich der Eintragung wird wie folgt unterschieden: Namensaktien (registered shares) sind im Aktienbuch der Gesellschaft eingetragen. Die Gesellschaft ist auf diese Weise über ihre Eigentümer informiert, und zudem wird der Handel erschwert. Namensaktien sind in Großbritannien und in den USA die übliche Form. Inhaberaktien (bearer shares) sind Aktien, die im Gegensatz zu Namensaktien nicht im Aktienregister aufgeführt sind und auf den Inhaber lauten. Inhaberaktien sind die in Deutschland gängigste Form. Nicht alle Aktien müssen dasselbe Stimmrecht haben. Stimmrechtsaktien (voting right shares) räumen den Aktionären ein Stimmrecht ein, das proportional zu den gehaltenen Aktien (gelegentlich mit Obergrenze) gewichtet wird. Im Angelsächsischen wird „one share one vote“ als Prinzip angesehen. Vorzugsaktien (preferred stocks, priority shares, preferred shares) sind stimmrechtslose Aktien, die zur Kompensation die Aktionäre bei den Dividenden bevorzugt behandeln. Gegenüber den Stammaktien sind Vorzugsaktien mit durch die Satzung gegebenen Vorrechten ausgestattet: 1. So begründen die Vorzugsaktien oft einen Anspruch auf eine Vorzugsdividende. Diese wird prioritär zu den übrigen Aktionären ausgeschüttet, und zudem ist sie meistens höher als die Dividende von Stammaktien. Aktien mit dieser Eigenschaft werden als Dividendenvorzugsaktien bezeichnet. 2. Oder die Vorzugsaktionäre werden im Falle einer Liquidation der Gesellschaft vor den Stimmrechtsaktionären befriedigt. Sie haben ein vorrangiges Recht auf den Rückzahlungsbetrag beziehungsweise ein Vorrecht auf den Liquidationsanteil. 3. Oder die Vorrechte betreffen die Bezugsrechte bei der Emission neuer Aktien. <?page no="174"?> 10.2 Risikofaktoren 175 10.2 Risikofaktoren 10.2.1 Benjamin Graham Nun soll die Seite der Finanzinvestoren in den Mittelpunkt gerückt und die Aktie als Instrument der Geldanlage betrachtet werden (und nicht als Instrument der Geldaufnahme seitens der Unternehmung). Die Entscheidungsprobleme der Anleger wurden durch Legionen von Vermögensverwaltern und Analysten behandelt. Über die Jahrzehnte hinweg sind einige wissenschaftliche Ansätze entwickelt worden. Der gemeinsame Kern all dieser Bemühungen ist das Ziel, dem Anleger mit Rat bei der Frage zur Seite zu stehen, Aktien welcher Gesellschaften er in sein Portfolio aufnehmen sollte. Um die wissenschaftlichen Ansätze zu gruppieren, unterscheiden wir nachstehend drei Perspektiven. Die erste beschreibt den Erkenntnisstand vor Entwicklung der modernen Portfoliotheorie, und zwar das Denken in der Zeit von 1930 bis 1960. Es wurde von B EN- JAMIN G RAHAM (1894-1976) geprägt, dem Begründer der wissenschaftlichen Finanzanalyse. Die zweite Perspektive, die wir besprechen, besteht aus den Beiträgen von M ARKOWITZ und T OBIN zur Selektion eines Portfolios aus Aktien. Zwischen 1960 und 1990 war diese Perspektive vorherrschend. Wir rekapitulieren dazu die in Kapitel 6 dargestellten Ergebnisse zur modernen Portfoliotheorie und erweitern sie. Die dritte Perspektive hat sich ab 1990 mit empirischen Forschungen und dem Einsatz von Faktormodellen durchgesetzt. Zunächst also zu G RAHAM : Nach den Kurseinbrüchen der Weltwirtschaftskrise haben die Anleger um 1930 langsam ihr Vertrauen in Aktien als Anlageinstrument wieder zurückgefunden. Professor G RAHAM hat an der New York University Vorlesungen gehalten und verschiedene Bücher verfasst. Eines, die „Security Analysis“, zusammen mit seinem Kollegen D AVID D ODD 1934 geschrieben, hat zahlreiche Auflagen erfahren. Graham empfiehlt eine Selektion von Aktiengesellschaften, die von der Börse „nicht richtig bewertet“ werden und mit einem zu geringen Kurs gehandelt werden im Vergleich zum wahren oder inneren Wert des Beteiligungstitels. Diese Aktien sollten dann vielleicht drei Jahre im Portfolio gehalten werden, bis sich die Kenntnis des wahren Werts an der Börse durchgesetzt haben wird und im Kurs ausdrückt. G RAHAM folgt also nicht der später als „Informationseffizienz“ bezeichneten Sicht, dass die Kurse stets die Werte korrekt wiedergeben. Die Sicht von Graham findet sich heute noch bei Analysten, die Kursziele ermitteln und publizieren. Die Kursziele stellen die wahren Werte dar. Es wird von diesen Analysten unterstellt, das Börsengeschehen würde nach einiger Zeit diese Werte (Kursziele) erreichen. Graham erkennt, wie der wahre oder innere Wert zu definieren ist und ermittelt werden kann. Der innere Wert einer Aktie ist die Summe aller diskontierten zukünftigen Rückflüsse, die der Aktionär erwarten kann. Für jemanden, der die Aktie für immer zu halten beabsichtigt - der also nicht mit einem baldigen Verkaufserlös rechnet und über dessen Höhe spekuliert - sind das die zukünftigen Dividenden und deren Wachstum. Folglich interessiert sich der Aktionär für die wirtschaftlichen Erfolge der Unternehmung in allen kommenden Jahren, also vor allem für die Gewinne, denn nur Gewinne können ausgeschüttet werden. Außerdem interessiert er sich für das Gewinnwachstum, mithin für das Wachstum der Unternehmung. Eine gute Basis für die Einschätzung dieser zukünftigen Entwicklung ist der derzeitige Zustand der Unternehmung, dargestellt auch durch die Bilanz, sowie die derzeitige Situati- <?page no="175"?> 176 10 Kapitel: Aktien on (Organisation, Produkte, Ressourcen) im wirtschaftlichen Umfeld (Entwicklung der Absatzmärkte). Diese Verhältnisse werden durch die so genannten Fundamentaldaten erfasst. Die Fundamentaldaten beschreiben also die bestehende Ausgangslage, vor allem die Größe und das Wachstum des Absatzes. Um die eigentlich den Wert bestimmende zukünftige Entwicklung zu schätzen, sollen die Fundamentaldaten in vorsichtiger Weise, so die Empfehlung von Graham, fortgeschrieben werden. Unter den Fundamentaldaten spielt der Jahresabschluss eine besondere Rolle. Aus ihm können auch Kennzahlen errechnet werden, wie das Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV). Anhand der theoretisch errechneten Werte und anhand der Kennzahlen wie etwa dem KGV können immer wieder Aktien identifiziert werden, deren Kurse unter beziehungsweise über ihren jeweiligen Werten liegen. Im Kern dieser Perspektive stehen folglich die Thesen, dass es immer wieder Aktien gibt, deren Bewertung aufgrund des derzeitigen Kurses eine klare Kaufempfehlung oder eine Verkaufsempfehlung liefert, und dass sich die Märkte in der Kursbildung an die inneren Werte anpassen, wobei dies jedoch langsam geschieht und durchaus einige Jahre dauert. Im Ergebnis sollte ein Anleger nicht unbedingt besonders ausgeklügelt diversifizieren, sondern er sollte vor allem selektieren. Auch heute noch ist das Stock Picking höchst beliebt. Besonderes Augenmerk schenkte G RAHAM Kennzahlen und unter diesen dem Kurs- Gewinn-Verhältnis (KGV). Er hat eine Faustformel entwickelt, nach der das KGV gleich 8,5 plus zweimal die Wachstumsrate betragen sollte. Eine Unternehmung mit einem jährlichen und dauerhaften Wachstum von 3% sollte demnach ein KGV von 14,5 aufweisen. Entsprechend dieser Faustformel ist ein KGV von 20,5 und mehr nur gerechtfertigt, wenn die Unternehmung ein nachhaltiges Wachstum von 6% und mehr hätte. Ein solches Wachstum widerspricht aber der Tatsache, dass die Wirtschaft als Ganzes auf Dauer wohl kaum eine so hohe (nominale) Wachstumsrate haben dürfte. G RAHAM sah daher als leichtsinnig an, Aktien mit einem KGV von 20 oder mehr zu kaufen. Diese Faustformel und die Leitidee, Fundamentaldaten vorsichtig fortzuschreiben, führte G RAHAM dazu, den „soliden“ Aktien und Aktiengesellschaften den Vorzug zu geben. Er bezeichnete sie als Value Stocks (Substanzperlen) im Unterschied zu Growth Stocks (Wachstumsaktien). Growth Stocks haben an der Börse offensichtlich deshalb hohe Kurse, weil ihnen die Anleger mit der Kursbildung an der Börse enorme Wachstumschancen zubilligen, die aufgrund der vorsichtigen Fortschreibung von Fundamentaldaten nicht in den Bewertungsrechnungen von G RAHAM erscheinen. Daher wirkten die Kurse von Growth Stocks aus der Perspektive eines Anhängers der Lehre von Graham eher als zu hoch. So gilt G RAHAM als Begründer des Value-Anlagestils, bei dem als Aktien nur Value Stocks gewählt werden. Value Stocks lassen sich anhand verschiedener Kriterien identifizieren. 1. Substanzperlen haben ein geringes KGV, etwa KGV < 15. 2. Ein hoher Teil des Gewinns wird ausgeschüttet (Ausschüttungsquote mehr als 50%), doch ihr durchschnittliches Wachstum ist gering und liegt typischerweise unter 3%. Das <?page no="176"?> 10.2 Risikofaktoren 177 zweite Merkmal führt dazu, dass Value Stocks eine gewisse Ähnlichkeit mit Anleihen aufweisen. Einige Berater sprechen deshalb von Papieren für Witwen und Waisen. Viele Value Stocks finden sich in den Bereichen der Grundversorgung, der Infrastruktur, der Energie, bei Nahrungsmitteln und im Automobilbau. 3. Value Stocks weisen eine hohe Relation zwischen dem Jahresabsatz ihrer Produkte (Sales S) und der Marktkapitalisierung M auf, etwa S/ M 1. 4. Die Marktkapitalisierung M ist nicht wesentlich größer als der Buchwert der Eigenmittel B. Value Stocks weisen eine Relation M/ B < 1,5 auf. G RAHAM lehnte es ab, abstraktes Realkapital (etwa den Markennamen) in die Bewertung einfließen zu lassen. Anlagen nach diesen Empfehlungen zeigten in den Jahren 1930 bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs ansehnliche Renditen. In der Zeit nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs öffnete sich die Welt wirtschaftlich. Große Unternehmen mit einem guten Markennamen konnten stark wachsen: Bald wurde Coca Cola überall getrunken. So begann ab 1950 eine Zeit, in der Growth Stocks höhere Renditen boten als Value Stocks. Einige Forscher, so R OBERT N. S OBEL (1931-1999) und M YRON G ORDON lenkten um 1960 bei der Unternehmensbewertung den Blick auf Indikatoren für das Wachstum und stellten damit das Prinzip der vorsichtigen Fortschreibung von Fundamentaldaten in Frage. Abb. 40: Größte Aktiengesellschaften gemäß Fortune Global 500. Wiedergegeben sind Umsatz, Gewinn, Marktkapitalisierung M (jeweils in Milliarden USD). Es folgen die Market-to-Book Kennzahl M/ B sowie das Kurs-Gewinn-Verhältnis KGV. Daten vom August 2014. Rang Name Land Umsatz Gewinn M M/ B KGV 1 Wal-Mart Stores US 476.294 16.022 237.190 3.11 15.30 2 Royal Dutch Shell NL 459.599 16.371 158.790 0.66 11.50 3 Sinopec Group CN 457.201 8.932 0.550 1.12 11.41 4 China National Petroleum CN 432.008 18.505 na na na 5 Exxon Mobil US 407.666 32.580 424.890 2.44 13.48 6 BP UK 396.217 23.451 150.580 1.16 15.23 7 State Grid CN 333.387 7.983 na na na 8 Volkswagen DE 261.539 12.072 68.688 0.58 10.57 9 Toyota Motor JP 256.455 18.198 187.000 1.34 10.51 10 Glencore International CH 232.694 -7.042 80.530 na na 11 Total FR 227.883 11.205 146.350 1,42 11.27 12 Chevron US 220.356 21.423 246.030 1.63 12.58 13 Samsung Electronics KR 208.938 27.245 206.220 1.26 7.08 14 Berkshire Hathaway US 182.150 19.476 161.030 0.73 16.04 15 Apple US 170.910 37.037 572.440 4.73 16.04 16 AXA FR 165.894 5.951 55.680 0.78 9.62 17 Gazprom RU 165.017 35.769 86.760 0.28 2.28 18 E.ON DE 162.560 2.844 37.560 0.80 35.57 19 Phillips 66 US 161.175 3.726 45.330 2.18 12.69 20 Daimler DE 156.628 9.083 87.980 1.57 8.95 21 General Motors US 155.427 5.346 54.270 1.39 18.07 22 ENI IT 154.109 6.850 91.930 1.15 13.80 23 Japan Post Holdings JP 152.126 4.782 na na na 24 EXOR Group IT 150.997 2.768 9.520 0.92 3.03 25 Ind. & Comm. Bank of China CN 148.803 42.718 na na na Angaben zu Umsatz, Gewinn, Marktwert (M) in Mrd USD. Rangfolge gemäss Fortune Global 500 Companies 2014. Legende: M/ B = Marktwert-Buchwert-Verhältnis, KGV = Kurs-Gewinn-Verhältnis Eigene Berechnungen aufgrund von folgenden Daten: Umsatz und Gewinn (und weitere Daten falls verfügbar) von Fortune Global 500 Companies 2014; übrige Daten von Yahoo! Finance (1.8.2014) sowie Finanz und Wirtschaft (Marktdaten, 1.8.2014) <?page no="177"?> 178 10 Kapitel: Aktien Zu den Indikatoren für Wachstum gehören der Markenname und die weltweite Organisation. Wachstumsaktien weisen daher ein höheres M/ B auf, weil ihr Kurs deutlich über dem Buchwert liegt. Denn in der Bilanz erscheinen Intangibles nicht oder nur zum Teil. Die eher konservativen Ansätze von G RAHAM schienen das „Neue” zu übersehen, nämlich den Wert von Markennamen und das Unternehmenswachstum in einer sich öffnenden Welt. So wurden 1970 mehrere Untersuchungen publiziert, die vorschlugen, Value Stocks im Portfolio durch Growth Stocks zu ersetzen. Natürlich beruhten diese Empfehlungen auf historischen Renditen der zurückliegenden Jahrzehnte. Das war die Zeit 1945-1970 des großen Wachstums in der Welt. Value Stocks hatten hingegen um 1970 geringe Kurse, weil sie damals altmodisch wirkten. Nach 1970 setze aber ein Umdenken ein: Ertrag statt Wachstum, hieß die neue Devise. Seitdem sind Value Stocks wieder attraktiver geworden und zeigten entsprechend höhere Renditen als Wachstumstitel. So ist einsichtig, dass heute, eine lange Zeit rückblickend, Value Stocks insgesamt besser rentiert haben als Growth Stocks. Wir sind heute geneigt, G RAHAM Recht zu geben, zumindest was seine Präferenz für Value Stocks betrifft. Die gezeichnete Denkweise - Fundamentalanalyse, Kennzahlen, Vergleich innerer Werte mit Kursen, Selektion - findet sich auch heute noch in jedem Report wieder. Analysten drücken ihre Bewertungen als Kursziele aus und geben entsprechend Empfehlungen für die Titelselektion. Anlageberater teilen das Universum von Aktien nach den damals eingeführten Kategorien ein, so in Substanzwerte (Value) und in Wachstumstitel (Growth). Oft wird noch eine dritte Kategorie genannt, die der zyklischen Aktien. Sie sollen besonders in der Phase eines Konjunkturaufschwungs attraktive Renditen versprechen. Hierzu werden Chemie und Maschinenbau gerechnet und Aktien von Unternehmen der Investitionsgüterindustrie. Entsprechend bieten sich noch weitere Kriterien an, um das Aktienuniversum feiner zu unterteilen. Erwähnenswert ist die Unterscheidung zwischen Aktien kleiner Gesellschaften (Small Caps) mit einer Marktkapitalisierung von deutlich unter einer Milliarde Euro und Aktien großer Gesellschaften (Blue Chips) mit einer Marktkapitalisierung von deutlich über 10 Milliarden Euro. Dazwischen liegen Mid Caps. Titeln dieser drei Gruppen wird dann je nach Phase des Konjunkturzyklus eine eher hohe oder geringe Rendite zugeschrieben. 10.2.2 Nochmals Harry Markowitz und James Tobin M ARKOWITZ hat mit der von G RAHAM begründeten Tradition des Denkens gebrochen. M ARKOWITZ reduzierte die umfangreiche, anhand von Fundamentaldaten und von Kennzahlen vorgenommene Beurteilung von Aktien auf den Punkt, welche Verteilungsparameter die als zufällig anzusehenden Renditen haben. Markowitz selbst unternahm keinen Versuch, diese Parameter aus Fundamentaldaten oder aus Kennzahlen wie etwa dem KGV zu erklären. Er nahm an, die Parameter seien „gegeben“, oder von Empirikern aus den historischen Renditen statistisch geschätzt - ohne Umweg über Fundamentaldaten. M ARKOWITZ wollte auch nicht herausfinden, ob von zwei Aktien A und B nun A oder B zu selektieren sei, wie es noch das Ziel von G RAHAM war. M ARKOWITZ wollte herausfinden, in welcher Gewichtung A und B in das Portfolio aufgenommen werden sollten, um bestmög- <?page no="178"?> 10.2 Risikofaktoren 179 lich zu diversifizieren. Was unter bestmöglicher Diversifikation zu verstehen ist, hat er durch die Effizienzgrenze formal beschrieben. Sodann hat er gezeigt, wie die Zusammensetzungen der auf der Effizienzgrenze positionierten Portfolios berechnet werden können. M ARKOWITZ entdeckte bei seiner Untersuchung, dass auch Aktien mit einer ungünstigen Relation zwischen Risk und Return durchaus in effizienten Portfolios erscheinen und so für eine Anlage in Frage kommen. Der Punkt ist, dass eine Aktie, die als Einzelanlage isoliert für sich betrachtet ungünstig ist, aufgrund guter Diversifikationsmöglichkeiten vielleicht doch eine attraktive Komponente im Portfolio darstellt. Auf diesen Punkt ist G RAHAM überhaupt nicht eingegangen, weil für ihn die Selektion im Vordergrund stand und nicht die Diversifikation. Weil nun auch Aktien gewählt werden können, die bei isolierter Betrachtung ungünstig wirken, macht es auch wenig Sinn, Value und Growth oder andere Gruppen von Aktien zu unterscheiden. Im Ansatz von M ARKOWITZ haben die Aktien des Universums einfach eine der Nummern von 1 bis n , und hinter jeder Nummer verbirgt sich eine zufällige Rendite, beschrieben durch ihren Erwartungswert, die Standardabweichung und die Koeffizienten der Korrelation mit allen anderen Renditen. Wir wissen bereits, dass T OBIN diesen Ansatz weitergeführt hat, indem er die risikofreie Anlage zum Zinssatz als weitere Anlagemöglichkeit betrachtet hat. Im Ergebnis liegen die Renditen aller effizienten Portfolios auf der Kapitalmarktlinie (Capital Market Line, CML). Die CML ist die Tangente an die Markowitzsche Effizienzgrenze, und der Tangentialpunkt weist auf das Marktportfolio. Dass dann (zumindest bei homogenen Erwartungen) alle Anleger das Marktportfolio kaufen lässt schon erkennen, dass es nicht so ist wie G RAHAM zeichnete: Nach seinem Ansatz kauft der sich informierende Investor eine Aktie, und die anderen, weniger gut informierten Anleger benötigen noch drei Jahre, bis auch sie alle entdeckt haben, dass dieser Titel attraktiv ist und ihn schließlich irgendwann kaufen. Wenn alle dasselbe Marktportfolio kaufen, können jedoch Kursbewegungen nicht dadurch entstehen, dass sich ein über drei Jahre laufender, gradueller Kaufprozess abwickelt. Mit solchen Überlegungen war der Schritt zur Entwicklung der Markteffizienz-These nicht mehr weit, die ab 1960 bekannt und akzeptiert wurde. Abb. 41: Das Marktportfolio verschiebt sich auf der Markowitzschen Effizienzgrenze, wenn sich der Zinssatz ändert. Standardabweichung der Renditen Erwartungswert der Renditen Zinssatz 1 Zinssatz 2 <?page no="179"?> 180 10 Kapitel: Aktien In der von M ARKOWITZ und von T OBIN entwickelten Perspektive läuft alles auf die Bestimmung der Zusammensetzung des Marktportfolios hinaus. Diese Rechenaufgabe ist das eigentliche Kernproblem, nicht die Selektion einzelner Titel. Es ist nur menschlich, dass an diese Erkenntnisse anschließend viele Finanzinvestoren einen Sport daraus machten, den „Markt zu schlagen“ und dazu wieder Selektion, Timing und besondere Anlagetaktiken propagierten. M ARKOWITZ und T OBIN stimmen jedenfalls in der Empfehlung des Buy-and- Hold überein. Denn wer das Marktportfolio hält, der hält auch nach Kursänderungen immer noch das Marktportfolio. Die Empfehlung von Buy-and-Hold und der Rat, dabei zur besseren Diversifikation alle Titel einzubinden, stellen schon eine Revolution der alten Grahamschen Idee dar, Titel zu selektieren und für drei Jahre zu halten. Allerdings darf das Buy-and-Hold, das sich aus der klassischen Portfoliotheorie ergibt, nicht zu wörtlich genommen werden. Die Analyse von T OBIN unterstreicht, dass das Marktportfolio M von der Höhe des Zinssatzes abhängt. Steigen die Zinsen (und bleiben die Verteilungsparameter der n risikobehafteten Einzelanlagen unverändert), dann verschiebt sich der Tangentialpunkt auf der Markowitzschen Effizienzgrenze nach rechts oben. Sinken die Zinsen, verschiebt sich das Marktportfolio auf der Effizienzgrenze nach links unten. So hängt die Gewichtung der Einzelaktien im Marktportfolio von der Höhe des Zinssatzes ab. Auch ohne Mathematik ist einzusehen, dass ein Marktportfolio rechts oben auf der Effizienzgrenze jenen Aktien hohes Gewicht gibt, die eine hohe Renditeerwartung bei hohem Risiko haben. Das sind Wachstumsaktien. Denn Wachstum ist stets vielversprechend, zugleich auch riskant, eben weil hohe Wachstumsraten meist eher in der Hoffnung als in der Realität verankert sind. Ein Marktportfolio links unten auf der Effizienzgrenze gibt dagegen jenen Aktien ein hohes Gewicht, die eine geringe Renditeerwartung bei geringem Risiko haben. Das sind typischerweise Substanzperlen, die Papiere für Witwen und Waisen. Folglich besteht in Phasen geringer Zinsen das Marktportfolio überwiegend aus Value Stocks, während es sich in Phasen hoher Zinsen hauptsächlich aus Growth Stocks zusammensetzt. Deshalb kommt es im Zinszyklus doch zu Umschichtungen, weil sich die Zusammensetzung des Marktportfolios verändert. Gehen die Zinsen zurück, werden Value Stocks neu entdeckt und Growth Stocks verkauft. Diese Umschichtung bewirkt, dass die (frühen) Käufer von Value Stocks sich bestätigt finden, denn deren Kurse steigen. Gleichzeitig finden sie sich als (frühe) Verkäufer von Growth Stocks bestätigt, denn deren Kurse fallen. Am Ende der Zinssenkung sind Substanzperlen „in“ und Wachstumstitel „out“. Steigen die Zinsen, werden Growth Stocks neu entdeckt und Value Stocks verkauft. Diese Umschichtung bewirkt, dass die (frühen) Käufer von Growth Stocks sich bestätigt finden, denn deren Kurse steigen. Gleichzeitig finden sie sich als (frühe) Verkäufer von Value Stocks bestätigt, denn deren Kurse fallen. Am Ende des Zinsanstiegs sind Growth Stocks in und Value Stocks out - wenn nicht überhaupt alle Aktien out sind, weil Bonds eine hohe Verzinsung bei geringem Risiko bieten. Mit diesen Überlegungen wird die These der Informationseffizienz nicht außer Kraft gesetzt, weil die Prognose des Zinsniveaus von großen Zufälligkeiten überlagert wird. Jeder Investor weiß schon, was er richtigerweise tun sollte, wenn die Zinsen steigen, doch niemand weiß genau, ob und wann sie steigen. Ebenso weiß jeder Anleger, auf welche Titel er setzen sollte, wenn die Zinsen fallen. Doch niemand weiß, ob und wann genau die Zinsen fallen. <?page no="180"?> 10.2 Risikofaktoren 181 10.2.3 Mehrere Risikofaktoren Mit der Verbreitung von Datenanbietern und von Computern setzte eine intensive empirische Forschung ein. Ihren Ausgangspunkt nahmen diese Forschungen letztlich in Versuchen, trotz der überall an Hochschulen gelehrten Markteffizienz-These, den Markt zu schlagen. Die Forschungsidee besteht darin, weitere Faktoren zu suchen und heranzuziehen, um letztlich mit ihnen zu besseren Prognosen der Renditen zu gelangen. Wo M ARKOWITZ vielleicht sagte, „aufgrund der historischen Renditen sollte Samsung eine Rendite mit Erwartungswert 9% und Standardabweichung 24% haben“, sollten weitere Faktoren gefunden und beobachtet werden, etwa die Nachfrage bei Jugendlichen nach Handys, um dann zu sagen, dass für die Rendite von Samsung vielleicht eher 12% erwartet werden können. Natürlich haben alle Finanzfirmen und alle Quandts im Privaten versucht, mit Faktoren zu besseren Prognosen zu gelangen, denn sie wollten die erstrebten Vorteile einer Outperformance privat und möglichst lange Zeit genießen können. Dennoch sind im Nachhinein Listen von Faktoren bekannt geworden, die es wenigstens für einige Zeit gestattet haben müssen, Aktienrenditen etwas genauer prognostizieren zu können. Ein erstes Beispiel für einen solchen Faktor ist der Term-Spread, also die Differenz zwischen den langfristigen und den kurzfristigen Zinssätzen. Der Term-Spread drückt die Steilheit der Zinskurve aus. Ein positiver Term-Spread war stets in Phasen eines bevorstehenden Wirtschaftsaufschwungs zu beobachten. Von daher ist zu vermuten, dass er (frühzeitig) hohe Aktienrenditen in den folgenden Quartalen ankündigt. Ein zweiter Faktor ist die Inflation. Besonders bei unerwarteter Inflation ist davon auszugehen, dass der Staat mit seiner Wirtschaftspolitik und die Zentralbanken reagieren werden. Solche Reaktionen und die Änderungen des Umfelds wirken einerseits auf die Unternehmen, deren Wirtschaftstätigkeit und deren Erfolg, andererseits auf Finanzinvestoren, die ihre Portfolios anpassen. Beides beeinflusst die Renditen, die mit Aktien verbunden sind. Von daher wird die Inflation kritisch verfolgt, und entwickelt sie sich in unerwarteter Weise, erkennen viele darin Signale für die Aktienrenditen. Ein dritter Faktor ist der Credit-Spread, also der Renditeunterschied zwischen Anleihen mittlerer und solchen hoher Bonität. Auch der Credit-Spread ändert sich im Zeitverlauf. Wird er geringer, dann wird von den Käufern von Corporate Bonds offenbar auch den Unternehmen mittlerer Bonität zugebilligt, dass sie ihre Verpflichtungen schon erfüllen werden. Ein geringer werdender Credit-Spread ist daher ein Signal, das auf eine sich verbessernde Wirtschaftslage hinweist. Daraus lassen sich höhere Aktienrenditen ablesen. Ein Vertreter der Markteffizienz-These würde einwenden, dass solche Signale, sobald sie beobachtet werden, schnellstens zu entsprechenden Kursbewegungen führen, so dass die Signale schon nach Stunden, Minuten oder noch schneller eingepreist sind und ab dann keine Kraft für die Prognose der Renditen haben. Die Frage ist daher schon zu stellen, ob Faktormodelle und der frühe Zugriff auf neue Wirtschaftsdaten nicht nur etwas für Analysten sind, die schon vor dem Bekanntwerden neuer Signale (Ankündigungen, Arbeitsmarktdaten, Inflationszahlen und so fort) für verschiedene denkbare Ausprägungen Simulationsrechnungen angestellt haben, um dann schnellstens bereits vorbereitete Order frei zu geben. Jedenfalls sind Faktormodelle zu einem leistungsfähigen, quantitativen Instrument der Finanzanalyse geworden. Denn sie dienen nicht nur für Versuche, den Markt zu schla- <?page no="181"?> 182 10 Kapitel: Aktien gen, die von Anhängern der Markteffizienz-These stets mit großer Skepsis kommentiert werden. Sie helfen dabei, Simulationsrechnungen für mögliche Wirtschaftsmeldungen bereits vor der Ankündigung der konkreten Information vorzunehmen. Abb. 42: Risikoanalyse der DAX-Titel. Außerdem helfen Faktormodelle bei einer Analyse der Risiken. So kann mit einer Varianzdekomposition untersucht werden, wie sich das Risiko einer Aktie etwa aus einem Länderrisiko und einem Branchenrisiko zusammensetzt sowie natürlich einem titelspezifischen Risiko. Beispielsweise wird bei der Siemens-Aktie geklärt: Entsprechen die Kursschwankungen eher dem, was an der deutschen Börse passiert (Bild 42 zeigt, dass nur 0,58% der Variationen der Siemens-Aktie durch Variationen des DAX erklärt werden können) oder entsprechen sie eher dem, was weltweit im Bereich Elektrotechnik passiert, oder haben sie weder mit dem Land noch mit der Branche etwas zu tun und sind einfach Zufälligkeiten, die nur mit dieser einen Firma zusammenhängen? Vielleicht ist Siemens einfach eine weltweit tätige Unternehmung und ihre Aktie hängt mit dem zusammen, was der weltweite Aktienindex macht. Immerhin können 48,84% der Variationen der Siemens-Aktie durch Variationen des Weltindexes erklärt werden, und 3,63 % an zusätzlicher Erklärung liefert die Berücksichtigung des europäischen Aktienmarktes (Bild 42). Welt (MSCI World) Europa (Euro STOXX 50) Deutschland (DAX 30) Branche und Unternehmung Adidas 42.46% 0.07% 0.38% 57.09% Allianz 52.01% 3.32% 0.32% 44.34% BASF 60.18% 1.14% 0.64% 38.04% Bayer 38.96% 3.26% 0.82% 56.95% Beiersdorf 12.25% 0.30% 0.04% 87.41% BMW 41.75% 0.90% 0.92% 56.43% Commerzbank 43.45% 2.00% 0.21% 54.34% Continental 36.34% 0.45% 0.28% 62.93% Daimler 48.87% 1.89% 0.82% 48.41% Deutsche Bank 58.58% 1.19% 0.00% 40.23% Deutsche Börse 43.68% 0.57% 0.02% 55.72% Deutsche Lufthansa 38.98% 2.27% 0.66% 58.09% Deutsche Post 50.62% 1.03% 0.03% 48.32% Deutsche Telekom 16.33% 2.46% 0.42% 80.80% E.On 37.87% 1.58% 0.00% 60.54% Fresenius 18.10% 0.61% 0.50% 80.79% Fresenius Medical Care 8.65% 1.12% 0.49% 89.74% HeidelbergCement 35.50% 1.30% 0.07% 63.13% Henkel 28.98% 0.50% 0.34% 70.18% Infineon Technologies 36.40% 1.50% 0.26% 61.83% K+S 29.17% 0.12% 0.18% 70.53% Lanxess 46.41% 0.17% 0.97% 52.46% Linde 39.50% 0.93% 1.34% 58.22% Merck 20.99% 0.70% 0.09% 78.22% Münchener Rück 23.15% 4.76% 0.65% 71.43% RWE 28.94% 2.05% 0.08% 68.93% SAP 30.19% 1.95% 0.79% 67.06% Siemens 48.84% 3.63% 0.58% 46.95% ThyssenKrupp 52.04% 0.61% 0.54% 46.81% Volkswagen 42.13% 0.12% 0.20% 57.54% Varianz-Komponenten Eigene Berechnungen auf Basis des Zeitraums 1.4.2001 bis 1.7.2014 Datenquelle: Thomson Reuters Datastream <?page no="182"?> 10.2 Risikofaktoren 183 Nicht nur Siemens, praktisch alle deutschen Aktien verhalten sich zu einem guten Teil wie ein Aktien-Weltportfolio. Der darüber hinaus gehende Erklärungsbeitrag des europäischen sowie des deutschen Aktienmarktes ist jeweils vergleichsweise gering, was damit zu tun hat, dass diese beiden Märkte ihrerseits stark mit dem weltweiten Aktienmarkt integriert sind. Linde, BMW und Lanxess zeigen den deutschen Einfluss noch am deutlichsten. Beiersdorf, Fresenius Medical Care und Merck sind dagegen Titel, die stark in ihrer jeweiligen Branche verankert sind. Varianzdekompositionen führen zu Empfehlungen, ob bei der Diversifikation eher eine Streuung über Länder oder eine Streuung über Branchen anzustreben ist. Zur Antwort auf diese Frage: Durch die Globalisierung sind die Koeffizienten der Korrelationen der Renditen der Länderindizes in den letzten fünfundzwanzig Jahren stark gewachsen und gegen 1 konvergiert. Insofern bringt Länderdiversifikation inzwischen nicht mehr so viel an Risikoreduktion, wie noch vor dreißig Jahren. Anders ist das bei den Branchen. Die Renditen der Aktien von Unternehmen derselben Branche haben ähnliche Korrelationen zu denen anderer Branchen, selbst wenn es dabei um unterschiedliche Länder geht. Von daher ist es für die Diversifikation heute vor allem wichtig, verschiedene Branchen einzubeziehen. 10.2.4 Institutionelle Vermögensverwaltung Viele der in der Portfoliotheorie entwickelten Erkenntnisse sind auf den Privatanleger gemünzt, der seine Mittel für eine gewisse Zeit gut und rentabel anlegen möchte und dabei vor allem das Endergebnis im Auge hat. Wir haben drei Sichtweisen besprochen: G RAHAM empfahl diesem Investor, jene Wertpapiere heraus zu picken, deren Werte (und damit Kursziele) höher als die augenblicklichen Kurse sind. Eine interessante Geldanlage k ist also dadurch beschrieben, dass ihr Kurs oder ihr Preis an der Börse k P geringer ist als ihr Wert k W . Die moderne Portfoliotheorie nach M ARKOWITZ und T OBIN in Verbindung mit der Markteffizienz-These führen indessen auf die Empfehlung, aufgrund der Parameter der Wahrscheinlichkeitsverteilungen der Renditen, besonders aufgrund der Korrelationen, optimal zu diversifizieren. Die Lösung für diese Aufgabe wurde mathematisch mit einem Optimizer berechnet und grafisch als Tangentialportfolio gekennzeichnet. Hier hängt das Gewicht, mit dem eine Einzelanlage k in das Portfolio aufgenommen werden sollte, von verschiedenen Parametern ab: vom Erwartungswert ihrer Rendite k E r , von der Standardabweichung oder Varianz k Var r dieser Rendite, von den Korrelationen oder Kovarianzen k j Cov r , r mit den Renditen der anderen Titel, sowie deren Risk und Return. Mit dem Einsatz von Faktormodellen sind gegenüber der modernen Portfoliotheorie noch gewisse quantitative Verfeinerungen möglich. Doch letztlich betrachten alle unter dem Begriff des Faktormodells eingeordneten Modelle die Einzeltitel nur anhand ihrer Renditeparameter, auch wenn diese etwas tiefer und detaillierter aus den Faktoren erklärt werden. Für institutionelle Anleger, Pensionskassen und Versicherungen sind alle drei Sichtweisen wichtig und dennoch nicht ausreichend. Institutionelle Investoren müssen aus dem Anlageergebnis Forderungen bedienen, die ihnen aus dem Kundengeschäft erwachsen: Da sind Versicherte, denen ein gesetzlicher Mindestzins zusteht. Zudem wurden diese Kunden mit <?page no="183"?> 184 10 Kapitel: Aktien Beispielrechnungen gewonnen, die gewisse über den Mindestzins noch hinausgehende Renditen in Aussicht stellen. Sollte der institutionelle Investor später alle diese Leistungen nicht erfüllen können, entstehen Probleme, die sogar die Existenz der Pensionskasse oder Versicherung in Frage stellen. Damit es später, bei Fälligkeit der Leistungen einer Pensionskasse oder Versicherung nicht dazu kommt, finden vorher bereits gewisse Prüfungen statt. Zu diesen Prüfungen gehört die zwischenzeitliche Berichterstattung anhand der Bilanz des institutionellen Investors. Auf der Aktivseite dieser Bilanz werden die Finanzanlagen angeführt, also vor allem Aktien, Bonds, Immobilien und der Kassenbestand. Auf der Passivseite werden die Verpflichtungen und die Leistungsansprüche der Kunden angeführt. Auf einmal ist bei den Anlagen wichtig, mit welchem Wertansatz sie bilanziert werden. Weder bei G RAHAM noch in der modernen Portfoliotheorie oder bei den Faktormodellen kam es auf die Bilanzierung an. So wird ein institutioneller Investor in der Regel von der Anlagestrategie abweichen, die bei den genannten drei Ansätzen als die beste erscheint, sofern dabei das Bilanzbild nicht gut aussieht. Ein wichtiger Punkt ist dabei, welche Faktoren zu Änderungen des bilanziellen Wertansatzes bei einer Aktie oder einem Wertpapier führen. Solche Einflussfaktoren und ihre Wirkungen werden unter dem Begriff der bilanziellen Risiken zusammengefasst. So entsteht die Situation, dass ein institutioneller Investor Marktrisiken und Bilanzrisiken unterscheidet. Die Marktrisiken entstehen durch die Unsicherheiten hinsichtlich der Kurse und der Ausschüttungen bei den Wertpapieren. Sie stehen bei G RAHAM , bei der modernen Portfoliotheorie und bei den quantitativen Faktormodellen im Vordergrund. Die Bilanzrisiken sind jedoch ebenso wichtig für die Beurteilung der Arbeit eines institutionellen Investors. Kommt es zu Abschreibungen, dann entsteht bei den Kontrollorganen der Eindruck einer „falschen” Titelselektion. Es ist daher nicht falsch zu sagen: Der private Investor betrachtet Renditeerwartungen und Marktrisiken, der institutionelle Investor betrachtet Renditeerwartungen und Bilanzrisiken. Ein zweiter Punkt kommt hinzu. Bei einer Geldanlage stellt der Privatinvestor die Frage, welche Ergebnisse wohl zum Ende der Anlagedauer vorliegen werden, wenn er das Geld benötigt. Auf dem Weg dorthin wird der Privatinvestor sich gelegentlich freuen und ab und zu auch nervös sein und nicht gut schlafen. Doch die Sicht auf das später wohl Erreichbare und die Zuversicht, eine optimale Anlagestrategie eingeschlagen zu haben, trösten über temporär magere Zeiten hinweg. Die Geldanlage erfolgt bei Privatinvestoren daher im Hinblick auf das spätere Ziel. Was auf dem Weg dorthin passiert, hat keine oder nur nachrangige Bedeutung. Bei institutionellen Investoren ist das ganz anders. Denn die Aufsichtsorgane kommen in regelmäßigen Abständen und nehmen anhand gewisser Merkmale (Bilanzbild, Deckungsgrad und andere Kennzahlen) Prüfungen vor, wie der Weg zum späteren Anlageergebnis aussieht. Der institutionelle Investor muss bei der Wahl der Anlagestrategie daher nicht nur das spätere Ergebnis als Ziel im Auge behalten, sondern die Frage klären, wie der Weg zu diesem Ziel aussehen wird. Er hat durch die wiederkehrende Prüfung der Aufsichtsorgane eine Reihe von Zwischenzielen. So kann es eine Strategie geben, die sich aufgrund des nach zwanzig Jahren wohl erreichten Ergebnisses als optimal anbietet, doch aufgrund möglicher Einbrüche zwischendurch mit Wegen zu rechnen ist, bei denen die Kontrollorgane eingreifen würden. Eine solche Strategie kommt dann für den institutionellen Investor nicht in Frage. Es wird gesagt, es komme auf den Pfad an, und die Beurteilung der Strategien erfolge pfadabhängig. <?page no="184"?> 10.3 Fazit des Kapitels Aktien 185 Leider sind weder die Sichtweise von G RAHAM , die moderne Portfoliotheorie noch die Faktormodelle besonders ergiebig, wenn Bilanzrisiken und Pfadabhängigkeit kontrolliert werden müssen. Deshalb sind für institutionelle Investoren neue Ansätze entwickelt worden. Dazu gehören Ansätze, die ein Ausfallrisiko (Shortfall-Risk) modellieren sowie die Simulation. Außerdem haben institutionelle Investoren eine gut ausgebaute Performancemessung und können Anlageergebnisse aufschlüsseln. Beispielsweise können sie zeigen, dass eine Rendite von 8,5% vielleicht zu 7% auf die Strategie und zu 1,5% auf die Taktik zurückzuführen ist. Insofern werden die Methoden von G RAHAM , der Portfoliotheorie und ebenso Faktormodelle immer noch eingesetzt, jedoch in Variationen. Daher bieten die genannten Methoden nützliche Werkzeuge, auch wenn die Situation der institutionellen Investoren einen Einsatz dieser Werkzeuge verlangt, an den ihre Schöpfer nicht gedacht hatten. 10.3 Fazit des Kapitels Aktien 10.3.1 Zusammenfassung Aktien verbriefen die Beteiligung an einer Unternehmung. Die Aktiengesellschaft als Typ von Rechtsformen gehört zur Gruppe der Kapitalgesellschaften. Sie besitzt eine eigene Rechtspersönlichkeit. Verschiedene Formen von Aktien unterscheiden sich hinsichtlich der Ausgestaltung der Rechte. Die wohl gebräuchlichste Form ist die Stammaktie, daneben gibt es Stimmrechtsaktien und Vorzugsaktien. Aktien lauten entweder auf den Inhaber oder es sind (registrierte) Namensaktien. Zu Beginn des Kapitels über die Aktie sind wir auf die Trennung von Eigentum und Verfügung eingegangen. Dabei wurde gefragt, ob die Aktionäre (als Eigner ihrer Unternehmung) nicht oft weiter entfernt und entfremdeter sind als die Geber von Fremdkapital. Sodann haben wir Ansätze betrachtet, die bei der Zusammenstellung eines Aktienportfolios leiten. G RAHAM empfahl die Selektion von Aktien, deren Kursbildung noch nicht dem inneren Wert entspricht. Dabei hat er Value Stocks gegenüber Growth Stocks bevorzugt. Kennzahlen wie etwa das KGV spielen bei diesem Ansatz eine große Rolle. Die moderne Portfoliotheorie von M ARKOWITZ und T OBIN rekapitulierend revidierten wir etwas das Festhalten an der Strategie des Buy-and-Hold. Denn das Marktportfolio hängt vom Zinssatz ab. Im Ergebnis zeigt sich, dass sich im Zinszyklus die Attraktivität von Value Stocks und von Growth Stocks verändert. Durch die institutionelle Vermögensverwaltung kommt das Bilanzrisiko hinein. Dadurch müssen Anlagestrategien pfadabhängig konzipiert werden, das heißt, die Vergangenheit berücksichtigen und nicht nur den augenblicklichen Zustand und die Erwartungen hinsichtlich der Zukunft. 10.3.2 Lernpunkte 1. Die Trennung von Verfügungs- und Eigentumsrechten ist in der modernen Wirtschaft erforderlich. 2. G RAHAM und D ODD haben in ihrem Buch, der Security Analysis, die Grundlagen für die Finanzanalyse als Wissenschaft gelegt. Sie nahmen an, die Aktienmärkte seien <?page no="185"?> 186 10 Kapitel: Aktien nicht informationseffizient. Immer wieder lassen sich Titel identifizieren, deren Kurse vom inneren Wert abweichen. Entsprechend ist wichtig, mit welchen Kennzahlen Value Stocks identifiziert werden können. 3. Die Zusammensetzung des Marktportfolios hängt vom Zinssatz ab. Entsprechend verändert es sich im Zinszyklus, und es kommt immer wieder zu Umschichtungen der Portfolios. 4. Warum institutionelle Investoren ein Shortfall-Problem haben und was Pfadabhängigkeit bedeutet. 10.3.3 Erwähnte Personen H ERMANN A BS , D AVID D ODD , B ENJAMIN G RAHAM , H ARRY M ARKOWITZ , J AMES T OBIN . 10.3.4 Schlüsselbegriffe Aktie, Aktiengesellschaft (AG), Aufsichtsrat (Revisionsstelle), Bezugsrechte, Bilanzrisiken, Eigner, Fremde, Fundamentaldaten, Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH), Gewinn, Going Private, Going Public, Growth Stock, Hauptversammlung (Generalversammlung), Inhaberaktien, Institutionelle Vermögensverwaltung, Namensaktien, Outperformance, Rechtsformen, Risikofaktoren, Security Analysis, Shareholder-Value-Gedanke, Stimmrechtsaktien, Stock Picking, Trennung von Eigentum und Verfügung, Value Stock, Vorstand, Vorzugsaktien, Vorzugsdividende, Wachstum. 10.3.5 Fragen zur Lernstandskontrolle 1. Welche Phänomene und Probleme werden als „Trennung von Eigentum und Verfügung“ angesprochen? [Antwort: Abschnitt 10.1.1] 2. a) Welche Ansätze für den Kauf oder Verkauf von Aktien gehen auf Graham, Markowitz und Tobin zurück? [Antwort: Abschnitt 10.2]. b) Graham hat eine Faustformel entwickelt, nach der das KGV eine Zahl x plus das y-fache der Wachstumsrate betragen sollte. Wie groß sind x und y nach Graham? [Antwort: Abschnitt 10.2.1]. c) Charakterisieren Sie Value Stocks und Growth Stocks [Antwort: Kasten in 10.2.1]. 3. Wie verschiebt sich das Marktportfolio, wenn sich der Zinssatz (aber sonst keine andere Größe) ändert? [Antwort: Bei steigendem Zinssatz wandert das Marktportfolio auf der Effizienzkurve nach rechts oben, siehe Abbildung 41 in 10.2.2]. 4. Bei Mehrfaktor-Modellen werden der Term-Spread, die Rate der Inflation, der Credit-Spread und andere Größen als Faktoren verwendet. Angenommen, die Wirtschaft belebt sich. Wie verändern sich typischerweise die drei genannten Größen? [Antwort: Der Term-Spread bildet sich zurück, weil die Zentralbank die kurzfristigen Zinsen anhebt, die Inflation könnte zunehmen, der Credit-Spread dürfte eher abnehmen] 5. Was sind Bilanzrisiken und warum betrachten institutionelle Anleger neben Marktrisiken Bilanzrisiken? [Antwort: Abschnitt 10.2.4] <?page no="186"?> 11. Kapitel: Faktormodelle Bereits im letzten Kapitel über Aktien sind wir auf Faktormodelle zu sprechen gekommen (Abschnitt 10.2.3) und erwähnten als oft verwendete Faktoren den Term-Spread, die Inflationsrate und den Credit-Spread. Faktormodelle werden nun mit (leichter) Mathematik formuliert. Dabei konzentrieren wir uns auf ein Einfaktormodell, bei dem der Marktindex als Faktor dient. Dieses Einfaktormodell führt dann auf das Beta als Risikomaß und auf das Capital Asset Pricing Model (CAPM). Funktionen von Faktormodellen Charakteristika Faktormodelle Wichtige Größen: Beta, Kapitalkosten am Gesamtmarkt, Wahl verschiedener Indizes Einfaktor-Modell Das Capital Asset Pricing Model (CAPM) setzt die erwartete Rendite einer Anlage in Beziehung zu ihrem Beta. Aktien- und Bondmärkte Ähnlich gerichtete Zinssensitivität von Aktien und Bonds, jedoch Decoupling in speziellen Marktsituationen 11.1 Grundlagen 11.1.1 Wozu Faktormodelle? Faktormodelle modellieren die zufällige Rendite eines Einzeltitels als abhängig von gewissen, zufälligen Einflussfaktoren. Dabei wird meist ein linearer Zusammenhang zwischen der Rendite der Einzelanlage und den Faktoren unterstellt. Von daher können die Faktormodelle mit vertrauter Mathematik formuliert werden, und bei den üblichen Annahmen kann die bekannte Lineare Regression eingesetzt werden, um die Parameter des Modells zu ermitteln. Aus historischen Werten für die Rendite und historischen Zahlenwerten für die Faktoren können mit der Methode kleinster Quadrate die Parameter geschätzt werden. Wir nannten bereits einige Faktoren, die sich für die Erklärung der Aktienrenditen anbieten, so etwa Daten, die mit den Zinssätzen und ihrer Veränderung zusammenhängen. Ebenso bieten sich für die Erklärung der Rendite einer einzelnen Aktie Faktoren an, die zeigen, wie sich das Kursniveau in der Branche oder im Land verändern. Die Wahl des Indexes eines Landes oder eines Börsenplatzes als Faktor spielte auch in der Entwicklung von Faktormodellen eine bedeutende Rolle. Das älteste Faktormodell in der Finance wurde um 1960 formuliert. Die Rendite einer einzelnen Aktie wurde durch die Rendite des gesamten Marktes er- <?page no="187"?> 188 11 Kapitel: Faktormodelle klärt. Dieses erste Faktormodell hat nicht nur eine historische Bedeutung für die Entwicklung der Wissenschaft: Zum einen ist es auch heute noch ein die Wirklichkeit recht gut beschreibendes empirisches Modell. Zum anderen bietet es die Grundlage für das Capital Asset Pricing Model (CAPM). Das CAPM postuliert einen für alle Aktien gültigen Zusammenhang zwischen ihrer Renditeerwartung und der Renditeerwartung des Marktportfolios. Der Proportionalitätsfaktor ist das so genannte Beta. Das Beta einer einzelnen Aktie drückt aus, wie hoch ihr Risikobeitrag in einem Portfolio ist. Damit beschreibt das CAPM den grundlegenden Zusammenhang zwischen diesem Risikobeitrag und der Renditeerwartung. Die Renditeerwartung von Aktien ist eine immer wieder benötigte Größe. Sie ist nicht nur für Anleger eine interessante Information, sondern für Kapitalverwender wichtig, um die Kapitalkosten zu bestimmen. Die Unternehmung muss in der Lage sein, das heißt, durch ihre Planungen und ihre Vorhaben und Projekte begründen können, dass die marktübliche Rendite erwirtschaftet werden wird. Die Unternehmung oder das Management werden dazu mit der erwarteten Rendite in ihren Entscheidungen kalkulieren, das heißt, sie werden die marktübliche Renditeerwartung als Kapitalkosten berücksichtigen. Die Rendite hat mithin ein doppeltes Gesicht: Aus Sicht der Aktionäre beschreibt sie das erwartete Anlageergebnis, aus Sicht der Unternehmung die entstehenden Kapitalkosten. Das CAPM ist heute das bekannteste und am weitesten für die Bestimmung der Kapitalkosten eingesetzte Modell. 11.1.2 Indizes Unter einem Index versteht man ein Aggregat von Einzelpositionen, das die Gesamtentwicklung widerspiegelt. Wertpapierindizes stellen Aggregate der Rendite oder der Kursentwicklung von Einzelpositionen dar: Preisindizes stellen die Kursentwicklung eines Portfolios von Einzeltiteln dar. Preisindizes berücksichtigen nicht jenen Teil der Rendite, der auf Ausschüttungen zurückgeht. Beispiele für Preisindizes sind der Dow Jones Industrial Average (DJIA), der Standard & Poor‘s 500 (S&P 500) sowie der Swiss Market Index (SMI). Total Return Indizes beinhalten neben der Kursentwicklung die Ausschüttungen. Bei einem Aktienindex werden die ausgeschütteten Dividenden rechnerisch gleich wieder investiert, bei Bondindizes die Kupons. Zuweilen werden Total Return Indizes auch als Performanceindizes bezeichnet, da sie beide Renditekomponenten - Kursentwicklung und Ausschüttungen - erfassen. Beispiele für Total Return Indizes sind der Deutsche Aktienindex (DAX), die STOXX Indizes sowie der Swiss Performance Index (SPI). Die bekannten Indizes fassen mehrere Titel zusammen. Dabei gibt es hinsichtlich der Anzahl der einbezogenen Titel und ihrer Gewichtung Unterschiede: Ungewichtete Indizes. Die Einzelkurse werden ohne Beachtung der Marktkapitalisierung der Gesellschaften addiert, oder es wird ein ungewichtetes arithmetisches Mittel der Renditen ermittelt. Heute sind nur mehr zwei bedeutende Aktienindizes ungewichtet. Das <?page no="188"?> 11.1 Grundlagen 189 Abb. 43: Indextypen mit Beispielen. sind der Dow Jones Industrial Average (DJIA), der sich aus 30 Einzelkursen errechnet, sowie der Nikkei 225. Früher war die einfache Berechnung ein Vorteil. Heute bleibt bei diesen Indizes der Nachteil, dass die einbezogenen Aktien unabhängig von der jeweiligen Bedeutung in gleicher Gewichtung im Index berücksichtigt werden. Die Indexentwicklung erlaubt daher nur beschränkte Aussagen über die Entwicklung des Markts als Ganzes. Gewichtete Indizes. Hier fließen die zusammengefassten Titel mit individuellen Gewichten ein. Bei den modernen Indizes ist das die Marktkapitalisierung: Jede Aktie wird gemäß ihrem Anteil an der gesamten Börsenkapitalisierung des Markts berücksichtigt. Die Börsenkapitalisierung stellt das gesamte zu Marktpreisen bewertete Eigenkapital dar. Auf diese Weise wird die relative wirtschaftliche Bedeutung der Unternehmen im Index berücksichtigt. Problematisch ist es, wenn eine Unternehmung über längere Zeit überdurchschnittlich hoch rentiert. Mit der höheren Marktkapitalisierung steigt das Gewicht im Index weiter und am Ende spiegelt der Index nur noch diese eine Unternehmung wieder. Total Return Indizes erfassen den tatsächlichen Ertrag eines Investments besser als Preisindizes. Ein Beispiel: Eine hoch rentable Unternehmung, die einen Großteil ihrer periodischen Erträge an die Aktionäre ausschüttet, wird wenn überhaupt über die Zeit nur geringe Kurssteigerungen haben. Zudem werden die Kurse der Aktien vor dem Dividendenzahltermin kontinuierlich ansteigen, um dann nach der Ausschüttung sogleich nach unten korrigiert zu werden. Dagegen ist beim Total Return Index das Ausmaß der Ausschüttung unerheblich, da ohnehin alles wieder investiert wird. Folglich bleiben die beim Preisindex beobachteten Sprünge am Dividendenstichtag aus. Aufgrund der in vielen Ländern üblichen Besteuerung von Vermögenserträgen gibt der Total Return Index eventuell eine Rendite an, die der Anleger in seinem Portfolio nach Steuern nicht erreichen kann. Das ist bei einem Total Return Index besonders dann der Fall, wenn die zugrunde liegenden Aktien eine hohe Ausschüttungsquote haben. - DAX, MDAX, SDAX - SPI - Euro Stoxx Indices - ... Total Return Indices - SMI - S&P 500 - HSI - CAC 40 Preisindices Gewichtet Ungewichtet - Gewisse Immobilienindices - DJIA - Nikkei 225 - FTSE 100 - KLSE Composite - Topix 100 - ... <?page no="189"?> 190 11 Kapitel: Faktormodelle Wird ein Index als Indikator für die Entwicklung des Gesamtmarkts herangezogen, ist seine Zusammensetzung entscheidend. Er sollte insbesondere breit abgestützt sein, damit er das Marktgeschehen gut abbildet. So wird für eine Beurteilung des amerikanischen Aktienmarkts dem DJIA mit seinen nur 30 Titeln meist der S&P 500 vorgezogen. 11.1.3 Einfaktor-Modell Mit einem Faktormodell wird die Rendite k r einer Einzelanlage k erklärt. In seiner einfachsten Form wird ein linearer Zusammenhang zwischen der Rendite der Anlage k und einem Faktor F angenommen. Bei einer Betrachtung vergangener Zeitreihen von Renditen und Faktoren erscheinen diese als zufällig schwankende Größen, weshalb die Rendite mit k r und der Faktor mit F bezeichnet werden sollen - die Tilde (Schlange) über dem Symbol drückt aus, dass es sich um Zufallsvariablen handelt. Die Grundgleichung für ein Modell mit einem Faktor lautet: k k k k r = Alpha k bezeichnet den Achsenabschnitt, Beta k die Sensitivität der Rendite der Anlage k auf Schwankungen des Faktors F . Der Fehlerterm k e beschreibt jenen Teil der Schwankungen der Rendite k r , der nicht durch den Faktor F und das Modell erklärt werden kann. Diese Gleichung ist eine Modellannahme. Oft wird sie dann für alle Aktien eines gewissen Bereiches als gültig unterstellt, was durch einen Zusatz wie 1,2 ... k = , , n zum Ausdruck gebracht werden kann. Sowohl der jeweilige Achsenabschnitt als auch die Sensitivität und der Fehlerterm sind für jeden betrachteten Titel spezifisch. Hingegen ist der Faktor F für alle betrachteten Einzeltitel 1,2 ... k = , , n derselbe. Empirisch lässt sich meist nur ein Teil der Rendite k r auf den einen Faktor F und die unterstellte lineare Abhängigkeit zurückführen. Es gibt in der Wirklichkeit stets Schwankungen, die vielleicht von weiteren, in diesem Modell nicht berücksichtigten Faktoren abhängen oder die einfach zufällig sind. Sie werden durch k e erfasst. Aufgrund der Konstruktion sind aber der Faktor F und der Fehlerterm k e unkorreliert, das heißt 0 k Cov F, e = . Die Varianz der Rendite k r lässt sich unter Beachtung dieser Unkorreliertheit so umschreiben: k k k k k k Var r = Var 2 . Die Varianz der Rendite der Einzelanlage setzt sich aus zwei Größen zusammen, nämlich k 2 und k Var e . Die erste Größe, k 2 , ist jener Teil der Varianz der Rendite k r , der sich durch den Faktor F erklären lässt. Die zweite Größe, k Var e , ist die Varianz des Fehlerterms. <?page no="190"?> 11.2 Das CAPM 191 Von daher wird gesagt: k 2 ist die durch das Modell erklärte Variation, während k Var e die durch das Modell nicht erklärte Variation, also die unerklärte Variation ist. In vielen Anwendungen hat der Faktor F die Bedeutung eines „Risikos”. Das ist typischerweise der Fall, wenn F einen Börsenindex beschreibt oder einen Wechselkurs zum Dollar oder eine andere, als wirtschaftliches Risiko gesehene Größe. Entsprechend wird k 2 als Faktorrisiko bezeichnet, während k Var e spezifisches Risiko genannt wird, weil es für die betrachtete Einzelanlage k spezifisch ist. 11.2 Das CAPM 11.2.1 Zum Capital Asset Pricing Model (CAPM) Die Idee, Faktormodelle für die Erklärung von Einzelrenditen heranzuziehen, geht wesentlich auf den Nobelpreisträger W ILLIAM S HARPE und das Jahr 1964 zurück. Mit Faktormodellen können echte Finanzmarktdaten untersucht werden. Außerdem ist möglich, sie in Beziehung zur modernen Portfoliotheorie zu setzen. Die Portfoliotheorie geht, wie gesagt, von n Einzelanlagen aus, deren zufällige Renditen 1 2 ... n r , r , , r durch die Verteilungsparameter (Erwartungswert, Standardabweichung, Korrelationen) beschrieben sein sollen. Außerdem soll eine Anlage zum Zinssatz i möglich sein. Wir wissen, dass in dieser von M ARKOWITZ und T OBIN entwickelten Denkwelt alle Investoren Risikoportfolios wählen, die alle identisch zusammengesetzt sind, und zwar so wie das Marktportfolio M . Das Marktportfolio ist im Risk-Return-Diagramm als Tangentialportfolio an die Effizienzgrenze positioniert. Nun kann ein Faktormodell auf diese Welt übertragen werden. Dabei sollen zwei Besonderheiten angenommen werden: Als Faktor wird die Überrendite auf das Marktportfolio M betrachtet. Die zufällige Rendite auf das Marktportfolio sei mit M r bezeichnet. Der Faktor soll also M F = r i sein. Die Achsenabschnitte k sollen für sämtliche Titel mit der Rendite für die risikofreie Anlage übereinstimmen, k für 1,2 ... k = , , n . Das entsprechende Modell lautet: k k M k r = i + für 1,2 ... k = , , n . Hier wird deutlich, dass Beta die Sensitivität der Rendite des Einzeltitels in Bezug auf „den Markt“ ausdrückt. Denn die Überrendite eines jeden Einzeltitels k , also k r i , entspricht nach dem Faktormodell k M plus dem spezifischen Term k e . Wenn also die Überrendite des Marktportfolios in einer Periode gewisser Länge +1% beträgt, dann ist die Überrendite ziemlich genau gleich k , wobei „ziemlich” darauf hinweist, dass noch das spezifische Risiko k e hinzukommt. <?page no="191"?> 192 11 Kapitel: Faktormodelle Wenn hingegen die Überrendite des Marktportfolios in einer Periode gewisser Länge -1% beträgt, dann ist die Überrendite der Einzelaktie ziemlich genau gleich k . Betas größer als 1 drücken aus, dass der Einzeltitel stärker mit dem Markt schwankt, also eine „aggressive” Aktie ist. Betas kleiner als 1 zeigen, dass der entsprechende Titel, wieder vom spezifischen Risiko abgesehen, sich schwächer als der Markt mit diesem bewegt, also eine „defensive Aktie“ ist. Empirisch lassen sich die Betas mit Regressionen schnell berechnen, indem für eine Reihe von Tagen, Wochen oder Monaten die historischen Überrenditen des Einzeltitels in Relation zu den Überrenditen des Marktportfolios gebracht werden. So ergibt sich eine Punktewolke. Die Punkte liegen nicht exakt auf einer Geraden, weil das spezifische Risiko hinzukommt. Abb. 44: Die Überrenditen von vier Titeln (ZFS, Swisscom, Novartis, UBS) in Relation zur Überrendite des Marktes (SPI) in den Monaten Januar 1990 bis Januar 2014 (Datenquelle: Thomson Reuters Datastream). 11.2.2 CAPM und SML Wird nun auf beiden Seiten dieses Faktormodells der Erwartungswert genommen und berücksichtigt, dass bei der Regression die erwarteten Fehler alle gleich Null sind, dann entstehen daraus die Gleichungen: k k M E r = i + für 1,2 ... k = , , n . -60% -50% -40% -30% -20% -10% 0% 10% 20% 30% 40% 50% -25% -20% -15% -10% -5% 0% 5% 10% 15% 20% Stock Return SPI Return UBS: Beta = 1.50 -60% -50% -40% -30% -20% -10% 0% 10% 20% 30% 40% -25% -20% -15% -10% -5% 0% 5% 10% 15% 20% Stock Return SPI Return ZFS: Beta = 1.64 -60% -50% -40% -30% -20% -10% 0% 10% 20% 30% -25% -20% -15% -10% -5% 0% 5% 10% 15% 20% Stock Return SPI Return Novartis: Beta = 0.76 -60% -50% -40% -30% -20% -10% 0% 10% 20% 30% -25% -20% -15% -10% -5% 0% 5% 10% 15% 20% Stock Return SPI Return Swisscom: Beta = 0.32 (Data from 1999) <?page no="192"?> 11.2 Das CAPM 193 Diese Gleichungen sind die Aussage, die das CAPM trifft: Die Renditeerwartung einer jeden Einzelanlage ist gleich dem Zinssatz plus das jeweilige Beta multipliziert mit der Risikoprämie (des Marktportfolios). Das CAPM besteht somit aus n Gleichungen. Übrigens zeigt die Mathematik der Regressionsrechnung, dass k k, M k M = gilt, wobei k ist die Standardabweichung der Rendite der Einzelanlage k , M ist die Standardabweichung der Rendite des Marktportfolios, k, M ist der Koeffizient der Korrelation zwischen der Rendite k r und der Marktrendite M r . Im Zähler der Bestimmungsgleichung für Beta steht das systematische Risiko der Einzelanlage k , im Nenner das Risiko des Marktes. Also ist Beta ein Maß für das relative systematische Risiko der Einzelanlage. Das Marktportfolio selbst hätte ein Beta 1/ 1 M M M . Einzelanlagen mit einem Beta größer als 1 haben demnach ein systematisches Risiko, das größer ist als das des Marktportfolios. Einzelanlagen mit einem Beta kleiner als 1 weisen ein systematisches Risiko auf, das geringer ist als das des Marktportfolios. Nach dem CAPM ist der Zinssatz die Basis der Entschädigung für die zeitliche Überlassung finanzieller Ressourcen. Ist eine Kapitalanlage mit einem systematischen Risiko verbunden, dann darf der Investor zusätzlich eine Prämie erwarten, die proportional zum systematischen Risiko ist, proportional zum Beta der jeweiligen Kapitalanlage. Die Proportionalitätskonstante ist gleich der Überrendite des Marktportfolios, also der Risikoprämie - die wir mehrfach und mit Fragezeichen versehen mit 4% bis 5% beziffert haben. Zahlenbeispiele: Eine Einzelanlage A habe ein Beta von 1,2, der Zinssatz sei 5% und ebenso sei die Risikoprämie 5%. Gemäß dem CAPM kann bei der Einzelanlage A eine Rendite von 11% erwartet werden. Eine Einzelanlage B habe ein Beta von 0,8, der Zinssatz sei wieder 5% und ebenso sei die Risikoprämie 5%. Gemäß dem CAPM kann bei der Einzelanlage B eine Rendite von 9% erwartet werden. Eine Einzelanlage C habe ein Beta von -0,6 (was möglich ist, wenn der Korrelationskoeffizient negativ ist und was bei Gold tatsächlich der Fall ist). Mit den genannten Daten für den Zinssatz und die Risikoprämie liefert das CAPM für die Einzelanlage C eine Rendite von 2%. Offensichtlich genügt das den Investoren, weil die Anlage C eine so gute Diversifikation bietet. Aktien von Banken und Versicherungsgesellschaften weisen hohe Betas auf. Dies bedeutet, dass diese Aktien überdurchschnittlich stark mit dem Gesamtmarkt schwanken. Sie haben ein hohes systematisches Risiko. Wie begründet sich der mit dem CAPM als Formel ausgedrückte Sachverhalt, dass an den Finanzmärkten nur systematische Risiken bewertungsrelevant sind? Hierzu diese Überlegung: Ein Anleger geht mit jedem Einzeltitel in seinem <?page no="193"?> 194 11 Kapitel: Faktormodelle Portfolio sowohl systematische als auch unsystematische Risiken ein. Hat er genügend Mittel, kann er sein Portfolio so gut diversifizieren, dass er schließlich praktisch das Marktportfolio hält. Dieses weist nur das systematische Risiko auf. Folglich lassen sich mit Diversifikation die unsystematischen Risiken ausgleichen und müssen im Finanzmarkt nicht mit einer Risikoprämie entschädigt werden. Die Gleichungen im CAPM werden oft grafisch dargestellt. Es zeigt sich, dass alle Einzelanlagen oder Wertpapiere (Securities) auf einer Geraden positioniert werden, der so genannten Wertpapierlinie (Securities Market Line, SML). Abb. 45: Betas für große Unternehmen in Deutschland, jeweils geschätzt aufgrund der Monatsrenditen Januar 1990 bis Juli 2014. Die Renditen des DAX dienten als Proxy für das Marktportfolio. Die SML darf nicht mit der Kapitalmarktlinie (CML) verwechselt werden. Die CML ist eine Gerade im Risk-Return-Diagramm, wobei als Risk für die Positionierung die Standardabweichung der Einzelanlagen dient. Die Einzelanlagen sind unterhalb der CML positioniert. Die SML dagegen ist eine Gerade im Diagramm, in dem als Abszisse Beta dient, Rendite 1990-2014 1990-2014 2002-2014 Adidas 11.90% na 0.67 Allianz 3.62% 1.27 1.50 BASF 13.54% 0.94 1.02 Bayer 11.05% 0.97 1.05 Beiersdorf 12.01% 0.40 0.35 BMW 12.09% 0.96 0.91 Commerzbank -6.13% 1.40 1.78 Continental 11.19% 1.06 1.24 Daimler 3.58% na 1.20 Deutsche Bank 0.98% 1.23 1.33 Deutsche Börse 11.19% na 0.96 Deutsche Lufthansa 4.37% 1.06 1.05 Deutsche Post 4.92% na 1.05 Deutsche Telekom 2.79% na 0.60 E.On 7.31% 0.70 0.80 Fresenius 17.65% na 0.75 Fresenius Medical Care 5.52% na 0.53 HeidelbergCement 2.70% 0.89 1.11 Henkel 10.57% 0.62 0.55 Infineon Technologies -11.48% na 1.82 K+S 10.93% 0.74 0.83 Lanxess 13.95% na 1.42 Linde 7.97% 0.74 0.78 Merck 9.90% na 0.68 Münchener Rück 6.95% 0.95 1.06 RWE 5.46% 0.72 0.80 SAP 17.19% 1.10 1.08 Siemens 7.83% 1.23 1.19 ThyssenKrupp 4.80% 1.20 1.32 Volkswagen 11.66% 1.09 1.17 DAX 30 6.98% 1.00 1.00 Berechnung von Renditen und Betawerten auf Basis des jeweils längstmöglichen Zeitraums Datenquelle: Thomson Reuters Datastream Beta <?page no="194"?> 11.2 Das CAPM 195 also das systematische Risiko. Wir sprechen vom Beta-Return-Diagramm. Die SML gibt für jedes Niveau von Beta die nach dem CAPM zu erwartende Rendite wieder. Alle Einzelanlagen liegen auf der SML. Abb. 46: Nach dem Capital Asset Pricing Model werden alle Einzeltitel (Securities) im Beta-Return- Diagramm auf einer Geraden, der Security Market Line, positioniert. 11.2.3 Wie gut beschreibt das CAPM die Realität? Immer wieder war die Natur dieses Modells Anlass für Fragen. Das CAPM hat eine doppelte Natur. Erstens kann das CAPM als ein mehr oder weniger willkürlich formuliertes Faktormodell in leichter Umformung aufgefasst werden. Ein Faktormodell ist zunächst ein Postulat, dessen Bewährungsprobe mit empirischen Daten dann noch anzutreten ist. Dazu werden dann die im CAPM auftauchenden Parameter wie die Renditeerwartungen und Betas aus historischen Renditen geschätzt. Sicher gibt es dabei gewisse Schätzfehler, und vielleicht trifft der zugrunde gelegte Index das Marktportfolio nicht genau sondern ist nur eine Näherung (Proxy). Zweitens zeigen mathematische Umformungen derjenigen Optimalitätsbedingungen, die das Marktportfolio in seiner Optimalität als Tangentialportfolio auf der Markowitzschen Effizienzgrenze charakterisieren, dass das CAPM exakt gilt. Allerdings gelten die CAPM-Gleichungen für die wahren Verteilungsparameter der Renditen, für die wahren Betas und für das wahre Marktportfolio. Diese Größen kennt man, wenn man sie sich einfach vorgibt, nicht jedoch, wenn man in der Realität mit wirklichen Finanzmarktdaten arbeitet. Das CAPM trifft eine Aussage für die wahren Betas, die wahren Renditeerwartungen und das wahre Marktportfolio. Um diesen Sachverhalt zu unterstreichen, wird auch von einer Ex-Ante-Betrachtung gesprochen. In der Praxis werden jedoch historische Renditen zur Renditeerwartung Beta 1 k i k r M r SML Markt Anlage k <?page no="195"?> 196 11 Kapitel: Faktormodelle Schätzung der im Modell benötigten Parameter herangezogen. Bei Anwendungen wird das CAPM also stets in einer Weise verwendet, die mit dem Attribut ex post beschrieben wird. Aufgrund der Schätzfehler kann es durchaus sein, dass die mittleren Renditen der betrachteten Einzelanlagen nicht mehr (exakt) auf einer Geraden liegen werden. Zudem ist das wahre Marktportfolio nicht (genau) bekannt. In der Praxis zieht man sich darauf zurück, es durch einen Börsenindex zu ersetzen. Der Index dient als Proxy für das Marktportfolio. Wir haben in unseren Berechnungen den DAX oder den SPI herangezogen. An dieser gängigen Praxis wurde von theoretischer Seite Kritik geübt. R ICHARD R OLL (1977) bemerkte: Weil das Marktportfolio unbekannt ist, kann das CAPM eigentlich nicht empirisch getestet werden. Entweder verwirft man die Eignung des CAPM zur Beschreibung der Realität (weil die anhand ihrer mittleren historischen Renditen positionierten Titel nicht auf einer Geraden liegen, was aber nur daran liegt, dass die verwendete Proxy eben nicht mit dem Marktportfolio übereinstimmt). Oder man sieht das CAPM als zur Beschreibung der Realität höchst geeignet an. Das positive Urteil ist aber vielleicht nur deshalb zustande gekommen, weil die verwendete Proxy zufällig zu einer Punktwolke führt, die einer Geraden gleicht, während hinsichtlich des wirklichen Marktportfolios die Titel nicht auf einer Geraden (SML) zu liegen kommen. Ferner wurde entdeckt, dass bei empirischen Ermittlungen der historischen Betas die Schätzwerte stark von der Länge des beobachteten Zeitfensters, von dessen Lage auf der Zeitachse sowie von der Frequenz der Daten abhängen. Folgende Beobachtungen wurden gemacht: Die historischen Betas sind nicht zeitstabil. Zu unterschiedlichen Zeitpunkten durchgeführte Berechnungen von Betas führen in der Regel zu unterschiedlichen Werten. Die Betas schwanken mit dem Zeitfenster. Aufgrund von Daten hoher Frequenz (Intraday-Daten sowie Tagesdaten) ermittelte Betas sind wegen der Zufälligkeit der kurzfristigen Schwankungen eher kleiner als Betas tieferer Periodizität (Wochen-, Monats-, Quartals-, Jahresdaten). Die historischen Betas dürfen daher nicht vorbehaltlos als Schätzer für die wahren Betas genommen werden. Diverse Adjustierungen wurden vorgeschlagen. In den vierzig Jahren seit der Entdeckung des CAPM wurden ungezählte empirische Tests durchgeführt. Alle Tests gehen, wie gesagt, von Schätzungen der Parameter aus sowie von einer Proxy für das Marktportfolio. Denn weder sind die wahren Parameter noch ist das wahre Marktportfolio bekannt, auf das sich das CAPM bezieht. Ein Urteil über die empirische Gültigkeit des CAPM ist daher letztlich nicht möglich, wie die erwähnte Kritik von R OLL unterstreicht. Gleichwohl haben sich verschiedene Beiträge mit der Gültigkeit des CAPM und der Stabilität der Betas sowie der Eignung des CAPM für Renditeprognosen auseinandergesetzt. Die empirische Evidenz fällt gemischt aus. Zwar wurde bestätigt, dass Beta ein wichtiger erklärender Faktor ist, und dass Beta vielfach als einziger Faktor gute Dienste leistet. Dennoch zeigten die Forschungen, dass andere Faktoren oder Kombinationen anderer Faktoren die Renditen von Aktien in gewissen Zeitabschnitten besser erklären können. Bekannt sind Beiträge von F AMA und F RENCH (1992, 1995). Sie haben empirisch belegt, dass die <?page no="196"?> 11.3 Zum Verhältnis von Aktien- und Bondmärkten 197 Unternehmensgröße in Kombination mit dem Marktwert-Buchwert-Verhältnis als Faktoren in einem Zweifaktor-Modell dem CAPM (mit dem einen Faktor „Überrendite des Marktportfolios”) überlegen sind. Abb. 47: Wie genau liegen die Renditen der Aktien auf einer Geraden, auf der SML? Durchschnittliche Renditen und historische Betas der im DJIA erfassten 30 Einzeltitel (Betas in Bezug auf den S&P 500, Zeitraum 1990-2014). F AMA und F RENCH haben dabei eine interessante empirische Vorgehensweise eingesetzt. Der Faktor Unternehmensgröße wurde dadurch quantifiziert, dass von der Rendite der Gruppe kleiner Unternehmen die Rendite der Gruppe großer Unternehmen abgezogen wurde. Dieser so quantifizierte Faktor wird als Small minus Big (SMB) bezeichnet. Ähnlich wurde der Faktor Marktwert-Buchwert-Verhältnis dadurch quantifiziert, dass von der Rendite der Gruppe von Unternehmen mit einem hohen M/ B die Rendite der Gruppe von Unternehmen mit einem geringen M/ B abgezogen wurde. Der so quantifizierte Faktor heißt High minus Low (HML). 11.3 Zum Verhältnis von Aktien- und Bondmärkten 11.3.1 Veränderungen der Relation zwischen Aktien und Bonds Der Wert von Aktien wie von Anleihen ist gleich den diskontierten Zahlungen, die zu erwarten sind. Die Diskontierung wird maßgeblich vom Zinsniveau beeinflusst, weshalb sich die Kurse von Aktien und von Anleihen bei Zinsänderungen parallel entwickeln sollten: Zinssteigerungen etwa führen zu stärkerer Diskontierung und damit fallenden Kursen sowohl bei Anleihen ebenso wie bei Aktien. Eine Börsenregel drückt dies in den Worten aus: „Hohe Zinsen sind Gift für die Aktienmärkte“ und ebenso gibt bei Zinssteigerungen der Rentenmarkt nach. Zwar sind hohe nominale Zinssätze am langen Ende häufig im Aufschwung und im Höhepunkt der Konjunktur zu beobachten, weil die Unternehmen dann viel Kapital nachfragen. -5% 0% 5% 10% 15% 20% 0 0.5 1 1.5 2 2.5 Rendite p.a. Beta <?page no="197"?> 198 11 Kapitel: Faktormodelle Indes versuchen die Zentralbanken im Falle einer Überhitzung der Wirtschaft und dem durch den Zinsanstieg eventuell begünstigten Inflationsanstieg mit einer restriktiven Geldpolitik entgegenzutreten. Obschon diese primär am kurzen Ende der Zinskurve wirkt, führt sie letztlich zu einem Anstieg der gesamten Zinskurve und damit zu einer Verteuerung der Kreditkonditionen. Die Folge davon ist ein Rückgang des von den Geschäftsbanken an die Unternehmen vergebenen Kreditvolumens. Jedenfalls reagieren sowohl Renten als auch Aktien zinssensitiv und zwar auf ähnliche Weise. Aufgrund ihrer begrenzten Laufzeiten reagieren die Renten im Durchschnitt eher auf mittelfristige Zinsen, die Aktien dagegen auf Zinsänderungen am langen Ende. Die Tendenz zur Gleichrichtung der Bewegung zeigt sich in der über längere Beobachtungszeiträume positiven Korrelation zwischen Aktien- und Bondrenditen. Eine positive Korrelation zwischen den Aktien- und den Anleihekursen stellt den historischen Normalfall dar. Allerdings können die beschriebenen Zusammenhänge durch extreme Gewinnerwartungen oder durch abnormale Risikoaversionen überkompensiert werden: So müssen bei sinkenden Zinsen die Aktienkurse nicht notwendigerweise ansteigen, wenn die Gewinnerwartungen tief und die Unsicherheiten der Anleger hoch sind. Als Beispiel diene die Entwicklung im Zeitraum zwischen den Jahren 2000 und 2004. Dasselbe gilt für eine Geldpolitik mit hoher Signalwirkung, wenn diese in ihrem Resultat schwierig abzuschätzen ist: So kann eine expansive Geldpolitik zu einer positiven Marktstimmung und zu hohen Aktienkursen führen, selbst wenn dadurch die Inflationsgefahr längerfristig ansteigt und es keine veränderten Gewinnerwartungen gibt. Der Effekt beruht im Wesentlichen auf einer Verbilligung der Finanzierungskosten. Dies galt etwa für die USA im ersten Halbjahr 2003 sowie nach der Finanzkrise von 2008. Indes kann eine expansive Geldpolitik für die Märkte ein Signal dafür sein, dass selbst die Zentralbanker schwierige Zeiten erwarten. In einem solchen Szenario wird der geldpolitische Impuls wirkungslos verpuffen. Beispiele sind Japan in den 1990er Jahren sowie Europa im Jahr 2002. Die Folge davon ist eine Entwicklung, in der sich die Richtung der Relation zwischen den Aktienrenditen und Bondrenditen verändert. Beispiel: Aktien- und Bondrenditen: Von März bis August 2003 erlebten die meisten europäischen Aktienmärkte nach einer langen Baisse einen Aufschwung. Parallel dazu sind infolge der historisch sehr tiefen Zinsen die Bondkurse angestiegen. Dies, obschon von vielen Marktbeobachtern vor einem Platzen der Preisblase in Anleihen gewarnt wurde. Diese Entwicklung entspricht dem Normalfall. Dagegen waren die Jahre von 2000 bis 2002 größtenteils durch eine negative Korrelation zwischen Aktien- und Anleihekursen gekennzeichnet. Warum? Im Zuge der als New Economy bezeichneten Situation gab es stark positive Gewinnerwartungen, die nach dem Platzen der Bubble sich in tiefe Gewinnerwartungen kehrten. Die ab März 2003 zu beobachtende Erholung an den Aktienmärkten lässt sich nicht alleine den allenfalls wieder positiveren Gewinnerwartungen zuschreiben, da die Renditen am langen Ende als Indikator für einen Aufschwung immer noch zu tief waren. Vielmehr dokumentierte die beispiellose Serie an Zinssenkungen durch die US-amerikanische Zentralbank (Federal Reserve Bank) und andere Zentralbanken nach Januar 2001 den Willen, die Zinsen tief zu halten und dadurch die labile Konjunktur zu stützen. <?page no="198"?> 11.3 Zum Verhältnis von Aktien- und Bondmärkten 199 Während dies, wie gezeigt, zu hohen Bondkursen geführt hat, erscheinen für die Aktienkursentwicklung eher spekulative Gründe ausschlaggebend. Denn eine expansive Geldpolitik kann längerfristig zu mehr Inflation und dadurch nicht nur zu höheren Nominalzinsen, sondern ebenso zu einem schwächeren Dollar führen. Dies wiederum dämpft den Zufluss ausländischer Portfolioinvestitionen und damit den Aufschwung an den Aktienmärkten. Abb. 48: Renditedifferenzen zwischen Aktien und Bonds 1980-2014. Beispiel: Der Einfluss makroökonomischer Daten auf Aktien und Bonds: Der Einfluss von neuen Informationen auf die Finanzmärkte hängt von den Erwartungen der Marktteilnehmer und vom Zustand ab, in dem sich die Märkte befinden. Typischerweise reagieren die Aktienkurse in einer frühen Phase des Konjunkturzyklus positiv auf gute makroökonomische Daten. Positive Nachrichten in einer späten Phase des Konjunkturzyklus können jedoch zu Verkaufsorder führen, weil viele Aktionäre „Kasse machen“ nach der Empfehlung „sell on good news“. Beispiel: Aktienkurse und Credit-Spreads: In den Jahren 2000 bis 2003 verzeichneten die Indizes an den meisten Aktienmärkten Verluste zwischen 30% und 50%. In diesem Zeitraum wurden die Konjunkturaussichten jedoch häufig als gar nicht so schlecht bezeichnet, zumindest deuteten die steilen Zinskurven sowie die vergleichsweise tiefen Kurs-Gewinn- Verhältnisse lange auf einen beginnenden Aufschwung hin. Trotzdem aber blieb die Erholung aus. Ein Grund kann darin gesehen werden, dass die Kurse an den Aktienmärkten nicht nur von den Zinsen, sondern ebenso von den Risikoprämien abhängen. Diese lassen sich an den Aktienmärkten zwar nicht direkt beobachten, dafür jedoch an den Anleihemärkten ablesen. In der Tat zeigt sich, dass die Kreditaufschläge an den Bondmärkten in den Jahren 2002 und 2003 weit über den langjährigen Durchschnittswerten lagen. Sie sind mit den Einbrüchen an den Aktienmärkten stark positiv korreliert. In der Beurteilung zu erwartender Aktienrenditen spielen nicht nur die konjunkturellen Aussichten, sondern ebenso die Risikoeinschätzungen der Marktteilnehmer eine entscheidende Rolle. -80% -60% -40% -20% 0% 20% 40% 60% 1980 1982 1984 1986 1988 1990 1992 1994 1996 1998 2000 2002 2004 2006 2008 2010 2012 CH DE UK USA <?page no="199"?> 200 11 Kapitel: Faktormodelle 11.3.2 Decoupling zwischen Aktien und Bonds Aufgrund dieser Einflüsse - Zinsentwicklung, Gewinnerwartungen, Risikoaversion - kann es passieren, dass die im Normalfall positive Korrelation zwischen Aktien und Bonds über die Zeit nicht stabil ist, ja zuweilen sogar negativ wird. Als Beispiel werden auf Basis von 36-Monats-Fenstern die Korrelationen zwischen Aktien- und Bondrenditen für die Märkte Schweiz, Deutschland, Großbritannien und USA berechnet und in Bild 49 gezeigt. In der Tat zeigt sich dabei, dass die Korrelationen über lange Zeiträume auf hohen Niveaus sind, was die Gleichrichtung der Aktien- und Bondrenditen bestätigt. Des Weiteren sind in Bild 49 zwei Besonderheiten erkennbar: Niveau der Korrelationen: Die Korrelationen in UK und den USA sind im Vergleich zu Deutschland und insbesondere zur Schweiz wesentlich höher. In ersteren liegt sie über längere Zeiträume bei 0,8, in der Schweiz bei 0,4. Der Zusammenhang zwischen Aktien- und Anleihemärkten ist in verschiedenen Ländern unterschiedlich stark ausgeprägt. Die tiefe Korrelation in der Schweiz lässt sich insbesondere darauf zurückführen, dass auf der einen Seite der Aktienmarkt sehr international ausgerichtet ist und daher ein international vergleichbares Niveau realer Renditen aufweist, während der Anleihemarkt unter dem Einfluss des vergleichsweise tiefen Zinsniveaus steht und daher eher einen nationalen Markt darstellt. Veränderungen der Korrelationen über die Zeit: Ferner gibt es offensichtlich stabile und instabile Phasen. Auffällig ist insbesondere der starke Einbruch der Korrelationen nach dem Crash 1987 sowie der Rückgang nach 1998. Die Zeit nach der Asienkrise 1997 und der Russlandkrise 1998 war ab 2000 durch eine negative Marktentwicklung an den Aktienmärkten gekennzeichnet. In fallenden Märkten ist die Korrelation zwischen Aktien- und Bondrenditen tief, was für den Investor eine willkommene Eigenschaft darstellt. Rahmenbedingungen: Das Beispiel Deutschland zeigt, dass sich die Korrelationen zwischen Aktien- und Bondrenditen nicht in allen Ländern gleichgerichtet entwickeln müssen. Ursachen dafür liegen in Differenzen im Branchenmix und beim Wirtschaftswachstum. Als Normalfall darf eine positive und durchaus hohe Korrelation zwischen Aktienrenditen und Bondrenditen angesehen werden. Doch dieser Zusammenhang wird durch Gewinnerwartungen, Risikoaversionen und die Geldpolitik gelegentlich verändert (Decoupling). Die seit 1997 stark gesunkenen Korrelationen liefern Evidenz für eine solche Situation. Parallel dazu zeigt sich, dass dieser Rückgang gerade in Phasen fallender Aktienmärkte für die Investoren mit einem gemischten Portfolio einen gewissen Schutz bietet. Hinzu kommt, dass langfristig die Teuerung durch die Gesamtrenditen auf Aktien und Obligationen zwar kompensiert wird. Kurzfristig kann jedoch ein Anstieg der Inflation zu einem Absinken der Realrenditen führen. Interessant ist, dass dieser Effekt nicht nur auf den Anleihemärkten zu beobachten ist, sondern ebenso auf den Aktienmärkten. Offenbar bedeutet eine Veränderung der Inflation eine höhere Prognoseunsicherheit. Diese führt zu größeren Risikoprämien. <?page no="200"?> 11.4 Fazit zum Kapitel Faktormodelle 201 Abb. 49: Korrelationen zwischen Aktien und Bonds 1982-2014. 11.4 Fazit zum Kapitel Faktormodelle 11.4.1 Zusammenfassung Zu Beginn des Kapitels über die Aktie wurde die Trennung von Eigentums- und Verfügungsrechten besprochen. Dabei wurde gefragt, ob die Aktionäre (als „Eigner” ihrer Unternehmung) nicht oft weiter entfernt sind als die „fremden“ Geber von Fremdkapital. Aktien verbriefen die Beteiligung an einer Unternehmung. Die Aktiengesellschaft als Typ von Rechtsformen gehört zur Gruppe der Kapitalgesellschaften. Sie besitzt eine eigene Rechtspersönlichkeit. Je nach Ausgestaltung existieren verschiedene Formen von Aktien. Die gebräuchlichste Form ist die Stammaktie, daneben gibt es Stimmrechtsaktien und Vorzugsaktien. Aktien lauten entweder auf den Inhaber, oder es sind (registrierte) Namensaktien. Sodann haben wir im Abschnitt „von G RAHAM bis zum Faktormodell” vier Ansätze betrachtet, die bei der Zusammenstellung eines Aktienportfolios leiten. 1. G RAHAM propagierte die Selektion von Aktien, deren Kursbildung noch nicht dem inneren Wert entspricht. Dabei hat er Value Stocks gegenüber Growth Stocks bevorzugt. Kennzahlen wie etwa das KGV spielen bei diesem Ansatz eine große Rolle. 2. Die moderne Portfoliotheorie von M ARKOWITZ und T OBIN rekapitulierend revidierten wir etwas das bedingungslose Festhalten an der Strategie des Buy-and-Hold. Denn das Marktportfolio hängt vom Zinssatz ab. Im Ergebnis zeigt sich, dass sich im Zinszyklus die Attraktivität von Value Stocks und von Growth Stocks verändert. 3. Offensichtlich sollten mehrere Faktoren herangezogen werden, um die Portfolio-Selektion und auch die Risikobeurteilung von Portfolios auf eine kraftvolle quantitative Grundlage zu stellen. 4. Durch die institutionelle Vermögensverwal- -0.8 -0.6 -0.4 -0.2 0 0.2 0.4 0.6 0.8 1 1982 1984 1986 1988 1990 1992 1994 1996 1998 2000 2002 2004 2006 2008 2010 2012 CH DE UK USA <?page no="201"?> 202 11 Kapitel: Faktormodelle tung kommt das Bilanzrisiko hinein. Auf einmal müssen Strategien pfadabhängig beurteilt werden. Faktormodelle verdienen noch einen genaueren Blick. Wir diskutieren Indizes und wie sie zusammengesetzt sind. Das allgemeine Einfaktor-Modell hat dann zum Capital Asset Pricing Model (CAPM) geführt. Das CAPM erlaubt, aus der Risikoprämie die Renditeerwartung einer Einzelaktie zu berechnen. Es kommt dabei auf das Beta der Einzelaktie an. Das Beta drückt das systematische Risiko des Einzeltitels in Relation zum Marktportfolio aus. Typische Betas von Aktiengesellschaften liegen zwischen 0,5 und 1,5, doch für gewisse Zeitfenster können die empirischen Daten auf kleinere und größere Betas führen. Man weiß um diese Probleme und nimmt bei der Schätzung der Betas Adjustierungen vor. Für die Diversifikation in einem Portfolio sind nicht nur die Korrelationen der Aktienrenditen untereinander wichtig, sondern auch die Korrelationen zwischen den Aktienrenditen und den Bondrenditen. Denn typischerweise wird ein Portfolio auch Bonds umfassen. Üblicherweise wird gedacht, dass Aktienrenditen und Bondrenditen positiv miteinander korreliert sind und entsprechend gleichgerichtet variieren. Interessant ist die Beobachtung des Decoupling. Für diese Entkopplung der Aktien- und Anleihemärkte gibt es auch einsichtige makroökonomische Gründe. Dazu gehören extreme Gewinnerwartungen, eine abnormale Risikoaversion sowie eine Geldpolitik mit hoher Signalwirkung. Empirisch lässt sich zeigen, dass seit 1997 die Korrelationen zwischen Aktien- und Bondrenditen in verschiedenen Ländern relativ stark zurückgegangen sind. Ein für den Anleger willkommener Effekt ist der Schutz eines Portfolios, das Anleihen und Aktien kombiniert: Gerade in fallenden Märkten reduzieren sich die Korrelationen. 11.4.2 Lernpunkte 1. Die Trennung von Verfügungs- und Eigentumsrechten ist in der modernen Wirtschaft erforderlich. 2. G RAHAM und D ODD haben in ihrem Buch, der Security Analysis, die Grundlagen für die Finanzanalyse als Wissenschaft gelegt. Sie nahmen an, die Aktienmärkte seien nicht informationseffizient. Immer wieder lassen sich Titel identifizieren, deren Kurse vom inneren Wert abweichen. 3. Mit welchen Kennzahlen Value Stocks identifiziert werden können. 4. Die Zusammensetzung des Marktportfolios hängt vom Zinssatz ab. Entsprechend verändert es sich im Zinszyklus, und es kommt immer wieder zu Umschichtungen der Portfolios. 5. Warum institutionelle Investoren ein Shortfall-Problem haben und was Pfadabhängigkeit bedeutet. 6. Ein Faktormodell als Formel niederschreiben zu können und darauf einzugehen, wie die Faktoren gewählt werden, ist ebenso ein Lernziel dieses Kapitels. 7. Das Capital Asset Pricing Model (CAPM) bringt die Renditeerwartungen von Einzelanlagen in Relation zur Risikoprämie (des Marktportfolios). Die Betas drücken die relativen systematischen Risiken aus. <?page no="202"?> 11.4 Fazit zum Kapitel Faktormodelle 203 8. Ein Zinsanstieg wirkt tendenziell sowohl auf die Aktienals auch auf die Bondkurse negativ. Der Grund liegt in den Finanzierungskosten, den Diskontraten und den Nachfrageimpulsen. Die Korrelation zwischen Aktien und Bonds ist im Regelfall positiv. Dieser Zusammenhang wird jedoch durch Gewinnerwartungen, Risikoaversionen und die Geldpolitik verändert. Empirische Tests zeigen, dass Aktienrenditen kaum seriell autokorreliert sind. 11.4.3 Erwähnte Personen B ENJAMIN G RAHAM , D AVID D ODD , W ILLIAM S HARPE , H ARRY M ARKOWITZ , J AMES T OBIN 11.4.4 Schlüsselbegriffe Capital Asset Pricing Model (CAPM), Decoupling (zwischen Aktien und Bonds), Einfaktor-Modell, Faktormodelle, Indizes, Wertpapierlinie (Security Market Line, SML). 11.4.5 Fragen zur Lernstandskontrolle 1. Wie hängen Renditeerwartung und Kapitalkosten zusammen? [Antwort: Abschnitt 11.1.1] 2. Vergleichen Sie die Definitionen von „Dow Jones“ DJIA und Deutscher Aktienindex Dax! a) Handelt es sich um Preisindizes, die das Kursniveau anzeigen, oder um Indizes, die den „Total Return“, also die Gesamtrendite erkennen lassen? b) Sind sie gewichtet oder nicht? c) Gibt es auch ungewichtete Total Return Indizes? [Antwort: Abbildung 43 in 11.1.2] 3. a) Wie hängen das Einfaktor-Modell (mit der Überrendite auf das Marktportfolio als Faktor) und das CAPM zusammen? [Antwort: Abschnitte 11.1.1 und 11.2.1]. b) Wie sind die Kapitalmarktlinie CML und die Wertschriftenlinie SML definiert? [Antwort: Abschnitt 11.2.2]. c) Sind alle Einzelanlagen auf der CML positioniert? [Antwort: Abschnitt 11.2.2]. d) Sind sie alle auf der SML positioniert? [Antwort: Abschnitt 11.2.2]. e) Kann das Beta des Marktportfolios als Steigung der CML oder als die der SML angesehen werden? [Antwort: Nein, das Beta des Marktportfolios ist 1, die Steigung der SML ist gleich der erwarteten Überrendite des Marktportfolios (etwa 4-5%), und die Steigung der CML ist der Erwartungswert der Überrendite des Marktportfolios in Relation zum Risk des Marktportfolios, also etwa gleich 1/ 5]. 4. Welche Portfolios werden mit SMB und mit HML abgekürzt, und wofür stehen diese Abkürzungen? [Antwort: Abschnitt 11.2.3]. 5. a) Was wird unter „Decoupling zwischen Aktien und Bonds“ verstanden? b) Ist die Korrelation zwischen Aktien- und Bondrenditen eher in steigenden oder in fallenden Märkten gering oder sogar negativ? [Zur Lösung siehe Abschnitt 11.3] <?page no="204"?> 12. Kapitel: Swaps, Futures, Optionen Swaps sind Tauschgeschäfte mit finanziellen Positionen. Futures sind standardisierte Terminkontrakte, die an einer eigenständigen Börse gehandelt werden. Optionen kombinieren ein Termingeschäft mit einem Wahlrecht, das der Optionsinhaber ausüben kann. Funktionen und Typen derivativer Kontrakte Instrumente und Charakteristika Hedging Derivative Kontrakte wie Swaps, Terminkontrakte und Optionen beziehen sich auf einen Basiswert (Underlying). Swaps und Terminkontrakte Mittels Payer-Swaps und Receiver- Swaps sowie mittels Forwards und Futures lassen sich Risiken zwischen zwei Parteien transferieren. Optionen Optionen wie z.B. Call-Optionen oder Put-Optionen bieten dem Inhaber ein Wahlrecht. 12.1 Hedging 12.1.1 Die Kapitalanlage ausklammern Anleihen sind Finanzkontrakte, die aufgrund eines Kapitaleinsatzes Zahlungen zu späteren Zeitpunkten festlegen. Bei Aktien hängen die nach dem Kapitaleinsatz an den Aktionär fließenden Zahlungen vom wirtschaftlichen Erfolg der Gesellschaft ab. Diese Wertpapiere können als Basis dienen, um darauf aufbauend weitere Verträge zu formulieren und als Finanzkontrakte abzuschließen. In ihnen werden zwischen beiden Vertragsparteien Zahlungen vereinbart, deren Höhe von der Kursentwicklung von Anleihen oder von Aktien, oder von „Baskets“ aus Anleihen und Aktien abhängen. Die zugrunde liegenden Finanzinstrumente, auf deren Kursentwicklung es ankommt, heißen entsprechend Underlying oder Basiswert. Es ist einzusehen, dass der Wert eines darauf aufgesetzten Vertrags sich aus den Kursen des Basiswerts ableitet, weshalb der über den Basiswert gesetzte Finanzkontrakt als Derivat bezeichnet wird - im Lateinischen bedeutet „derivare” so viel wie „ableiten”. Bei den Basiswerten handelt es sich um Aktien, Anleihen und Währungen oder daraus gebildeten Portfolios, die meist als Basket bezeichnet werden. Daneben gibt es Derivate, die sich auf die Lieferung von Rohstoffen und von Energie beziehen. Oft werden die Basiswerte zu Indizes zusammenge- <?page no="205"?> 206 12 Kapitel: Swaps, Futures, Optionen fasst, und die Derivate beziehen sich dann auf solche Indizes als Underlying. Derivate können so veranschaulicht werden: Gleichsam mit einer Lupe sehen sie auf die Kursbewegungen der Basiswerte, lassen indes die übrigen Aspekte des Underlyings, vor allem die Kapitalanlage, außer Acht. Wer eine Anleihe für den heutigen Kurs von € 100 kauft, hat vielleicht ein Jahr später nach gewissen Optionszahlungen einen Kurs, der etwa im Bereich zwischen 101 und 99 liegen dürfte. Man könnte nun ein Zinsderivat schaffen, bei dem der Inhaber als heutigen Einsatz nur € 2 zahlt und dafür in einem Jahr als Betrag € 2 plus die Differenz zwischen dem Kurs der Anleihe und 100 erhält. Steht dann der Anleihekurs bei 101, erhält der Inhaber des Zinsderivats € 3, steht der Anleihekurs bei 99, erhält der Inhaber des Zinsderivats € 1. Derivate können also, was den vom Finanzinvestor abverlangten Kapitaleinsatz betrifft, sehr „leicht“ konstruiert werden. Die für viele Basisinstrumente wesentliche Überlassung von Kapital in der Zeit wird auf diese Weise ausgeklammert. Deshalb eignen sich Derivate besonders gut für Akteure, die sich auf Kursänderungen konzentrieren. Das sind einerseits Personen, die Kursrisiken absichern (hedgen) möchten, andererseits Personen, die auf Kursänderungen spekulieren wollen. Wir veranschaulichen beides, indem wir das eben gegebene Beispiel mit der Anleihe und dem Zinsderivat fortführen. Frau A hält die Anleihe, weil sie Geld zinsbringend und auf Dauer anlegen möchte. Allerdings stören die möglichen Kursänderungen, weil sie unvorhergesehen Geldbedarf haben könnte und die Anleihe vor Rückzahlung verkaufen möchte. Am liebsten hätte sie, wenn der Wert ihres Portfolios hinsichtlich der Anleihe bei € 100 bliebe, und sie periodisch den Kupon einnehmen kann. Also verkauft sie das eben besprochene Zinsderivat. Das heißt, sie erhält sofort 2 Euro (die sie festverzinslich auf ein Jahr anlegt). Sodann fließt ihr der Kupon zu. Steigt die Anleihe mit Jahresende auf den Kurs von 101 Euro, muss sie 3 Euro an den Inhaber des Zinsderivats abgeben. Fällt der Kurs der Anleihe auf 99, muss sie nur 1 Euro abgeben. Insgesamt hat sie stets 98 Euro. Zudem hat sie das Festgeld der zwölf Monate zuvor angelegten 2 Euro. Das macht zusammen sogar etwas mehr als 100 Euro aus. Herr B denkt, dass die Kurssteigerung der Anleihe auf € 101 nicht dieselbe Wahrscheinlichkeit hat wie die Kursreduktion auf € 99 Euro. Er möchte seine „vom Markt“ abweichende Vorstellung umsetzen, dass einem Kursanstieg eine höhere Wahrscheinlichkeit zuzuordnen sei. Ein Banker empfiehlt Herrn B deshalb, die Anleihe zu kaufen. Herr B kauft aber das Zinsderivat, denn hier muss er, um seine persönliche Erwartung in den Markt zu bringen, nur 2 Euro setzen. Der Banker meint, dass Herr B mit seinen € 100 Euro vielleicht sogar gleich 50 Stück des Derivats kaufen könnte. Steigt die Anleihe im Kurs wie von B vermutet auf € 101, hätte B aus der Derivatposition ein Ergebnis von 150 Euro. Fällt der Kurs der Anleihe auf € 99, würde das Engagement mit € 100 Euro in Derivate jedoch auf € 50 Euro zusammenschmelzen. Hedger und Spekulanten sind die beiden Vertragsparteien von Derivaten, die aufgrund unterschiedlicher Ausgangslagen, Rahmenbedingungen, Präferenzen oder einer individuellen Einschätzung der Kursentwicklungen zusammenfinden. <?page no="206"?> 12.1 Hedging 207 12.1.2 Swaps, Futures, Optionen Die wichtigsten Typen von Derivaten sind Swaps, Terminkontrakte (Forwards) und Futures sowie Optionen. Bei einem Swap werden Zinszahlungen getauscht, nicht aber die nominalen Geldbeträge, auf die sich die Zinszahlungen beziehen (bei Währungsswaps werden auch der Nominalbetrag in unterschiedlicher Währung getauscht). Terminkontrakte sind uns bereits begegnet: Sie vereinbaren einen Kauf beziehungsweise Verkauf des Underlyings, wobei die Transaktion (Zahlung und Lieferung) zu einem festgelegten Zeitpunkt in der Zukunft abgewickelt wird. Ein Future ist ein standardisierter Terminkontrakt (Forward), bei dem die eine Vertragsseite eine Börse ist, die Wertänderungen des Kontrakts börsentäglich abrechnet. Optionen sind Terminkontrakte oder Futures, bei denen eine Vertragsseite bis zum Fälligkeitstermin oder innerhalb einer gewissen Frist noch wählen kann, ob die Transaktion (Zahlung und Lieferung) ausgeführt werden soll oder nicht. Derivate haben besonderen Erfolg in der Finanzwirtschaft, wenn sie als Wertpapier verbrieft werden und ein liquider Handel organisiert wird. Der Handel von Derivaten ist unterschiedlich organisiert. Wir beginnen mit Zinsswaps. Swaps werden bilateral zwischen Banken sowie zwischen großen Banken und Kunden (Versicherungen, Unternehmen, kleinere Banken) abgeschlossen. Ein Kunde, der Payer oder Receiver eines Swaps mit einer großen Bank ist, kann seine vertragliche Position zwar nicht einfach wie ein Wertpapier auf einem Sekundärmarkt einem Dritten übergeben, doch der Kunde kann den Vertrag schließen, wozu die große Bank den Swap bewertet und die entsprechenden Ausgleichszahlungen verlangt oder vornimmt. Wäre der Kunde mit dieser Bewertung nicht einverstanden, hätte er immerhin die Möglichkeit, die weiteren im Swap vereinbarten Zahlungen durch einen neuen Swap zu kompensieren. All das findet also in einer marktüblichen, von zahlreichen Vergleichen und Transaktionsmöglichkeiten geprägten Umgebung statt, den Möglichkeiten eines breit abgestützten Marktes also. Wir können folglich vom Swapmarkt sprechen, auch wenn es dabei nicht um Wertpapiere geht. Ein Finanzkontrakt ist als bilaterales Geschäft zunächst nicht liquide. Beispielsweise kann eine in Euro rechnende Unternehmung aufgrund ihrer Absatztätigkeit erwarten, in drei Monaten eine Million Dollar einzunehmen. Sie kann zur Hausbank gehen und den Dollarbetrag per Termin verkaufen. Der Kurs wird festgelegt, das ist der so genannte Terminkurs. Bei Fälligkeit zahlt die Unternehmung den Dollarbetrag und erhält von der Bank den zuvor vereinbarten Eurobetrag. Ähnlich wie Swaps sind Terminkontrakte rein bilaterale Verträge und nicht übertragbar. Da die Gegenseite meist eine Bank ist, wird sie aber mit einem Schließen einverstanden sein, und notfalls können wieder weitere Terminkontrakte für eine Kompensation geschlossen werden. All das findet wiederum in einer marktähnlichen Umgebung statt. Allerdings spielt die Bonität bei den Konditionen eine deutliche Rolle. Die Hausbank muss überlegen, ob sich der Dollar zu ihren Gunsten verändern könnte und vielleicht der unternehmerische Kunde bei Fälligkeit des Terminkontrakts nicht in der Lage ist, die vereinbarte Transaktion vorzunehmen. Dann hat die Bank einen Ausfall, und diesen möglichen Ausfall wird sie in die Kalkulation der einem unternehmerischen Kunden gestellten Terminkurse einfließen lassen. <?page no="207"?> 208 12 Kapitel: Swaps, Futures, Optionen Futures sind standardisierte Terminkontrakte, bei der eine Vertragsseite stets die Börsenorganisation ist. Hier gibt es also einen Handel und eine laufende Preisfindung. Zum aktuellen Kurs kann ein Future jederzeit an die Börsenorganisation zurückgegeben werden. Selbstverständlich kann ein Future als Vertrag zum aktuellen Kurs eingegangen werden. Dabei kann ein Akteur die Seite desjenigen einnehmen, der verspricht, später das Underlying entgegen zu nehmen. Man sagt, er habe eine Long-Position. Genauso kann ein Akteur die Vertragsseite einnehmen, die verspricht, das Underlying zu liefern. Man sagt, sie habe eine Short-Position. Die Börsenorganisation sieht alle Wünsche von Akteuren, die long beziehungsweise short gehen wollen. Sie findet einen Preis, bei dem sich diese Wünsche ausgleichen. Die Börsenorganisation ist dann „aus dem Schneider“, obwohl sie formal bei allen Futures eine Vertragsseite ist. Optionen gibt es in vielfältigen Formen. Jeder von uns hat in seiner Lebensumgebung gewisse Wahlrechte. Mit solchen Optionen ist nicht gemeint, dass sich eine Person morgen nach ihren Wünschen Güter kaufen kann und den Preis bezahlt, der morgen auf dem Gütermarkt gilt. Mit einer Option im Leben ist gemeint, dass die Konditionen bekannt sind, feststehen und für eine gewisse Zeit unverändert bleiben, und dass es sich die Person noch eine Weile überlegen kann. Feldherren haben stets auf den Wert solcher Optionen hingewiesen, Unternehmen sprechen von Flexibilität und von Realoptionen. Viele Optionen, über die wir im Leben verfügen, haben wir gratis erhalten, auch wenn sie für uns einen positiven Wert haben. Denn viele Optionen erhalten wir im Leben durch die Situation, und nicht alles im täglichen Leben wird gewogen und gezählt. Das ist in der Finanzwirtschaft anders, wo die Gegenseite des Inhabers des Wahlrechts, die sich transaktionsbereit hält und daher Stillhalter genannt wird, sich für die vertragliche Einräumung des Wahlrechts vergüten lässt. Läuft dann eine Option, gibt es diese Möglichkeiten der Vertragsauflösung: Der Inhaber der Option hat ein Wahlrecht, aber keine Pflicht. Der Inhaber könnte jederzeit auf sein Recht verzichten und dies dem Stillhalter mitteilen. Der Stillhalter kommt aber nicht so leicht von den verkauften Wahlrechten los. Er müsste sich mit dem Optionsinhaber darauf einigen, den Vertrag zu beenden. In der Finanzwirtschaft muss der Stillhalter dazu dem Inhaber den Wert, den das Wahlrecht dann hat, vergüten. Beispielsweise kann ein Finanzinvestor mit seiner Bank Optionen abschließen. Es ist durchaus denkbar, dass dabei der Finanzinvestor die Seite des Stillhalters einnimmt. Das geht jedoch nur, wenn er bei seiner Bank eine hohe Bonität genießt und seine Transaktionsfähigkeit etwa dadurch belegt, dass er einen Geldbetrag auf dem Konto und einen Depotbestand als Deckung verpfändet. Optionen eignen sich sehr gut für eine Verbriefung als Wertpapier, bei der dem Inhaber das Wahlrecht zukommt. Die Seite, die Optionen als Wertpapier ausgibt, ist regelmäßig die des Stillhalters. Optionen werden beispielsweise von Unternehmen im Zusammenhang mit Optionsanleihen ausgegeben. Optionsanleihen bestehen aus einer Anleihe und einem Optionsschein (Warrant). Die beiden Wertpapiere können getrennt gehandelt werden. Solche Optionsscheine haben eine Laufzeit von einem oder ein paar Jahren und geben dem Inhaber das Wahlrecht, die Aktie der Gesellschaft zu kaufen. Es sind Call-Optionen. Ebenso werden Optionsscheine als Wertpapier von Investmentbanken ausgegeben (die dann als Stillhalter fungieren). Die Investmentbank betätigt sich dann auch als Market- <?page no="208"?> 12.2 Swaps und Terminkontrakte 209 Maker, so dass die Optionsscheine jederzeit wieder verkauft werden können. Der Handel findet außerbörslich (OTC) statt. Solche Optionsscheine lauten oft auf einen Index, auf einen Basket von Aktien, oder auf Währungspositionen. Ihre Laufzeit liegt bei Emission zwischen einem und zwei Jahren. Schließlich gibt es Optionen, die auf Bonds, auf Blue Chips und auf Indizes lauten und bei denen, ähnlich wie bei Futures, die eine Gegenseite eine Börsenorganisation ist. Diese Optionen haben bei ihrer ersten Auflegung eine Laufzeit von typischerweise 3, 6, 9 oder 12 Monaten. Aufgelegt werden Call-Optionen sowie Put-Optionen, bei denen der Inhaber des Wahlrechts entscheiden kann, ob er das Underlying an den Stillhalter verkauft oder nicht. Sowohl für die Call-Optionen als auch die Put-Optionen bietet die Börsenorganisation eine ganze Palette von Ausübungspreisen (Strikes) an. Die Börsenorganisation ist ähnlich wie bei einem Future bereit, die Seite des Stillhalters und die Seite des Optionsinhabers zu übernehmen. Wenn ein Akteur die Seite des Inhabers einnimmt, dann geht er long, ungeachtet der Frage, ob es sich um eine Call-Option oder um eine Put-Option handelt. Wenn ein Akteur hingegen die Seite des Stillhalters einnimmt, dann geht er short, wieder ungeachtet der Frage, ob es sich um eine Call-Option oder um eine Put-Option handelt. Die wichtigsten Börsenorganisationen für den börslichen Derivatehandel sind in den USA die Chicago Board of Trade (CBOT), die Chicago Mercantile Exchange (CME) und die Chicago Board of Options Exchange (CBOE). In Europa sind die EUREX sowie die britische LIFFE zu nennen. Die Basiswerte sind vor allem Aktienindizes und Bonds. Als Kontrakte sind Indexfutures und Indexoptionen üblich sowie so genannte Traded Options, die Blue Chips als Underlying haben. Ebenso gibt es standardisierte Zinsterminkontrakte (zum Beispiel die Euro BOBL und Euro BUND Futures sowie den Schweizer CONF Future). Des Weiteren sind Futures auf standardisierte Rohwaren im Handel an diesen Derivatebörsen. Nach einer Schätzung der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) belaufen sich die weltweit offenen Positionen in Kontrakten auf 25 Milliarden USD. Diese Zahl wirkt nicht hoch, weil schon ein Blue Chip eine Marktkapitalisierung in dieser Größenordnung haben kann. Jedoch muss man sich daran erinnern, dass Futures und Optionen hinsichtlich des Kapitaleinsatzes „leicht” konstruiert sind, so dass über diese Börsen ein erheblicher Teil aller Marktrisiken gehandelt wird. 12.2 Swaps und Terminkontrakte 12.2.1 Zinsswaps Ein Swap ist ein Tauschgeschäft zwischen zwei Parteien. Meistens bestehen die Leistungen aus zeitlich gestaffelten Zahlungen, die in der einen Richtung der Höhe nach fixiert sind, in der anderen Richtung von bestimmten Einflüssen abhängig gemacht werden. Man spricht daher vom „fixen Bein” und vom „variablen Bein” eines Swapgeschäfts. Formen von Swaps sind neben den bereits behandelten Zinsswaps vor allem Devisenswaps (Währungsswaps). Bei den Zinsswaps besteht das „fixe Bein” aus der periodischen Leistung von Zahlungen, die bei Abschluss des Vertrags exakt der Höhe nach bestimmt sind. Das „variable Bein” eines Swaps sind die bei Abschluss unsicheren Zahlungen des variablen Zinssatzes. Sie werden bei einem Zinsswap über einen Referenz-Zinssatz definiert. Die Seite, die den festen <?page no="209"?> 210 12 Kapitel: Swaps, Futures, Optionen Zinssatz zahlt, sieht den Swap als Payer-Swap an. Die Seite, die den festen Zinssatz bezieht, sieht von ihrer Seite den Swap als Receiver-Swap an. Die Basisbeträge werden nicht getauscht, da sie bei beiden Parteien in der gleichen Währung denominiert sind und ein Tausch daher keinen Sinn machen würde. Ein Zinsswap im Volumen von 50 Millionen Euro führt lediglich zum Tausch der Zinszahlungen auf diesen Betrag. Zinsswaps erlauben die Steuerung von Zinsänderungsrisiken. Nicht immer kann hier der Absicherungswunsch von einem Spekulationsmotiv klar unterschieden werden. Beispielsweise kann eine Finanzinstitution, die bereits eine Zinsposition hält, deren Absicherung aus spekulativen Gründen in etwas geringerem Umfang oder höherem Umfang wählen. Dennoch wird sie von einer Hedge sprechen und nicht von einer spekulativen Position. Wer eine vorhandene, risikobehaftete Position im zum Ausgleich benötigten oder in einem etwas geringeren Umfang absichert, betreibt eine so genannte Normal-Hedge. Wer eine benötigte Position stärker absichert als für einen vollen Ausgleich erforderlich wäre und dadurch ein umgekehrtes Risiko eingeht, betreibt eine Reversed-Hedge. Wer das Risiko einer risikobehafteten Position durch Derivate mit gleich gerichtetem Risiko noch verstärkt, betreibt eine so genannte Texas-Hedge. 12.2.2 Währungsswaps Im Unterschied zu Zinsswaps vereinbaren Währungsswaps den Tausch von Zahlungen in zwei unterschiedlichen Währungen. Im Kern geht es wiederum um einen Zinsswap, doch wird er mit einem Austausch der Basisbeträge am Ende der Vertragslaufzeit in unterschiedlichen Währungen kombiniert. Man darf einen Währungsswap also als ein Währungstermingeschäft betrachten, bei dem es im Vorfeld schon zu gewissen Zinszahlungen kommt. Beispiel: Die Unternehmung XYZ aus dem Euroraum möchte einen größeren Eurobetrag fremdfinanzieren. Sie platziert einen Schweizerfranken-Eurobond (einen auf CHF lautenden Bond im Euromarkt) im Volumen von 250 Millionen CHF in der Schweiz mit 5 Jahren Laufzeit und tauscht den Betrag sofort am Devisenmarkt in Euro. Der Vorteil besteht darin, dass sie so zu günstigeren Konditionen kommt (geringere Kapitalkosten) als bei einer Emission im Euroraum, die der Regulierung des betreffenden EU-Staats unterliegt. Jetzt hat die XYZ ein erhebliches Währungsrisiko, da die periodischen Umsatzeinnahmen von XYZ in Euro erfolgen. Deshalb geht die Unternehmung einen Währungsswap auf 5 Jahre ein. Sie leistet der Gegenpartei periodische Zahlungen in Euro und bezahlt am Ende der Laufzeit des Währungsswaps einen größeren Eurobetrag. Die Gegenseite leistet periodische Zinsen in Franken und zahlt am Ende der 5 Jahre 250 Millionen Schweizerfranken. Wie das Beispiel zeigt, werden Währungsswaps meistens zusammen mit der Emission eines Bonds auf einem Euromarkt abgeschlossen. Sie verschaffen den Parteien die Möglichkeit, komparative Vorteile hinsichtlich günstiger Konditionen an den Kapitalmärkten auszunutzen. Aufgrund des Austauschs der Basisbeträge am Ende der Laufzeit ist das Gegenparteirisiko bei einem Währungsswap wesentlich größer als im Falle eines bloßen Zinsswaps. Sollte über die Laufzeit von fünf Jahren der Euro gegenüber dem Schweizerfranken steigen, bedeutete dies für die XYZ, dass sie für die 250 Millionen Franken „viel“ zahlen müsste. Denn der Tauschbetrag zwischen Euro und Franken wird beim Währungsswap wie bei <?page no="210"?> 12.2 Swaps und Terminkontrakte 211 einem Termingeschäft zum Zeitpunkt des Abschluss des Vertrags vereinbart. Daher gilt wie bei Termingeschäften: Je größer die Fluktuationen der Währungsparitäten sind, desto größer ist das einem Währungsswap inhärente Gegenparteirisiko. Zwar könnte die Gegenpartei auch bei einem Zinsswap ausfallen, doch beläuft sich der mögliche Verlust dort lediglich auf den Barwert der Differenz der ausstehenden Zinszahlungen. 12.2.3 Terminkontrakte Ein Terminkontrakt ist eine vertragliche Vereinbarung zweier Parteien, ein bestimmtes Aktivum zu einem zukünftigen Zeitpunkt und zu einem bereits heute festgelegten Preis zu übertragen. Ein Vorteil für den Käufer auf Termin im Vergleich zu einem Kassageschäft besteht oft darin, dass er das Geld für den Kauf erst zum in der Zukunft liegenden Transaktionszeitpunkt zahlen muss und dass er in der Zeit bis dahin die Kosten für ein physisches Halten des betreffenden Aktivums einspart. Diese Kosten entstehen für die Finanzierung und die Lagerhaltung. Beispiel: Ein Farmer schließt in Chicago einen Kontrakt auf die Lieferung von Lebendvieh in drei Monaten ab. Der Farmer erspart sich die zwischenzeitliche Finanzierung, die Versicherung und die laufenden Kosten der Tierhaltung. Von daher ist er sogar bereit, für die Lieferung per Termin etwas mehr zu bezahlen als das Vieh auf dem Spotmarkt kostet. Der Nachteil besteht für den Käufer auf Termin im Vergleich zu einem Kassageschäft oft darin, dass er erst später über das Aktivum verfügen kann. Wer ein Lager von Kupfer oder anderen Rohstoffen hält, ist lieferbereit. Er kann, wenn sich beispielsweise die Wirtschaft belebt und im Konjunkturaufschwung die Nachfrage steigt, für die sofortige Lieferung einen Preiszuschlag verlangen. Wer Aktien im Depot hält, kann die Dividende einnehmen. Auf diesen Überlegungen basiert die Bewertung von Terminkontrakten. Wir unterscheiden zwei Preise: Der Kassakurs oder Spot-Price bezeichnet den heute für einen sofortigen Kauf beziehungsweise Verkauf gültigen Preis. Dies ist der Preis am Kassamarkt oder Spotmarkt. Der Terminkurs ist jener Preis, der heute für eine in der Zukunft liegende Ausführung der Transaktion gilt. Dieser Preis wird erst bei der Lieferung und Entgegennahme des Underlyings zum Erfüllungszeitpunkt bezahlt. Dies ist der Preis am Terminmarkt. Grundsätzlich besteht zwischen dem Spot-Price und dem Terminkurs eine enge Beziehung. Je weiter in der Zukunft der Erfüllungszeitpunkt liegt, desto eher werden diese beiden Preise allerdings divergieren. Dabei können auch zufällige Entwicklungen einwirken. Wenn aber bereits in einer Woche oder in zwei Wochen erfüllt wird, dürfte der Terminkurs sehr nahe beim Kassakurs liegen. Zwischen dem Kassamarkt und dem Terminmarkt bestehen Arbitragebeziehungen, sofern das Gut lagerbar ist: Werden am Terminmarkt für ein Gut „übermäßig hohe” Preise bezahlt, wird dies Marktteilnehmer anziehen, die sich heute mit dem Gut auf dem Kassamarkt eindecken und dieses auf dem Terminmarkt wieder verkaufen. Dadurch sinkt der Terminkurs. Umgekehrt würden bei „sehr tiefen” Terminkursen viele Akteure in erster Linie auf Termin kaufen. Dadurch steigt der Terminkurs, während der Kassapreis eher sinkt. <?page no="211"?> 212 12 Kapitel: Swaps, Futures, Optionen Abb. 50: Funktionsweise von Terminkontrakten. Es finden also sowohl auf dem Kassaals auch auf dem Terminmarkt Transaktionen statt, die bewirken, dass die Kassa- und die Terminkurse in einem wirtschaftlich sinnvollen Verhältnis zueinander stehen. Dieses „wirtschaftlich sinnvolle“ Verhältnis wird durch die Vor- und Nachteile des Terminkaufs gegenüber dem Kassakauf bestimmt, die die Marktteilnehmer haben. Der Wert eines Terminkontrakts errechnet sich demnach erstens aus dem heutigen Wert des Underlyings. Es treten zweitens die bei einem Terminkauf eingesparten Finanzierungskosten und Lagerhaltungskosten als Argument hinzu sowie die zusätzlichen Erträge durch die sofortige Verfügbarkeit bei einem Kauf am Kassamarkt. Wir bezeichnen den Kassakurs oder Spot-Price mit S , und den Terminkurs mit einem F , das an Future erinnern möge. Weiter seien c die Lagerkosten (pro Werteinheit des Underlyings und Jahr). Sie sollen die Finanzierungskosten mit einschließen. Diese Kosten werden als Cost of Carry bezeichnet. Angenommen, eine Person möchte das Underlying in einem Jahr haben. Sie könnte es auf Termin kaufen, indem sie in einem Jahr den Geldbetrag F zahlt. Stattdessen könnte sie das Underlying bereits jetzt für S kaufen, muss aber dann mit den Kosten für Lagerhaltung und Finanzierung rechnen, was dazu äquivalent ist, dass sie in einem Jahr 1 S ( + c) zahlt. Insofern müsste 1 F = S ( + c) gelten. In der Tat: Je höher die Kosten für Lagerhaltung und Finanzierung sind, desto unattraktiver ist ein Kauf auf dem Spotmarkt. Entsprechend ist F größer als S . Nun haben die meisten Underlyings gewisse Vorteile für denjenigen, der sie physisch hält. Dazu gehören Dividenden bei einer Aktie als Underlying, Kuponzahlungen bei einer Anleihe und gute Absatzmöglichkeiten bei Rohstoffen im Konjunkturaufschwung. Sie werden durch den Convenience Yield erfasst, der üblicherweise mit y bezeichnet wird. Der Convenience Yield bezieht sich auf eine Werteinheit des Underlyings und ein Jahr. Man spricht auch von der Verfügbarkeitsrendite. Die Verfügbarkeitsrendite reduziert die auf heute in einem Jahr bezogenen Kosten einer physischen Beschaffung. Diese betragen daher nicht 1 S ( + c) sondern nur 1 / 1 S ( + c) ( + y) . Beträgt die Zeitdauer bis zur Erfüllung nicht ein Jahr, sondern allgemein t , dann gilt folglich: Fälligkeitsdatum t Kassageschäfte Kassamarkt heutige Preise für heute getauschte Güter (Spotpreise) (Kassakurs) Terminmarkt heutige Preise für zu einem zukünftigen Zeitpunkt t getauschte Güter (Terminkurs ) Arbitrage <?page no="212"?> 12.2 Swaps und Terminkontrakte 213 1 1 t t ( + c) F = S ( + y) Beispiel: Eine bestimmte Quantität an Kupfer kostet auf dem Spotmarkt 50 S = Euro. Das Kupfer zu lagern und einen Kupfervorrat zu finanzieren kosten 6 c = im Jahr, doch die Verfügbarkeitsrendite wird im Wirtschaftsaufschwung mit 10 y = veranschlagt. Ein Future für die Lieferung in einem halben Jahr ( 1/ 2 t = ) hat den Wert 49 F = Euro. Die Formel für die Beziehung zwischen dem Sportkurs und dem Terminkurs ist komplizierter, wenn die Cost of Carry oder der Convenience Yield unsichere Größen darstellen. Eine weitere Unsicherheit kommt bei einem Future durch die börsentägliche Abrechnung hinzu. Denn dann hängt es von der zufälligen Veränderung der Preise ab, ob der Inhaber des Kontrakts Gelder erhält oder weitere Marginzahlungen leisten muss. Bei Futures gilt zudem dies: Standardisierung heißt, dass das Underlying exakt in seiner Qualität und Größe definiert ist. Zwischen diesem Standard und einer konkreten Position, die eine Person hält und deren Preisrisiko sie absichern möchte, gibt es meist kleinere Unterschiede. Beispielsweise kann ein Agrarwirt aus dem Allgäu mit einem Terminkontrakt für Schweinebäuche in Chicago nur die allgemeinen Preisänderungsrisiken auf dem Weltmarkt absichern. Das lokale Preisrisiko für Schweine im Allgäu kann er jedoch nicht exakt absichern. Je stärker die lokale Qualität vom weltweiten Standard abweicht, desto größer ist das so genannte Basisrisiko. Das Preisänderungsrisiko einer konkreten Position - beispielsweise des Schweinebestandes - lässt sich in zwei Komponenten zergliedern: Das allgemeine Preisrisiko ist jene Komponente, die dem weltweiten Standard entspricht und die sich über einen Future absichern lässt. Das Basisrisiko dagegen bezieht sich auf die Abweichungen zwischen dem Standard und den lokalen und individuellen Eigenschaften einer Position. Das Basisrisiko betrifft Abweichungen zwischen der Norm und dem konkreten Underlying in Art, Qualität, Lieferort und Lieferzeitpunkt. Eine perfekte Absicherung von Preisrisiken ist daher nicht möglich. Eine zweite Besonderheit bei Futures betrifft die Abwicklung der Geschäfte: Im Gegensatz zu bilateralen Termingeschäften ist bei einem Future die Börsenorganisation, das Clearinghaus, die Gegenpartei. Das Clearinghaus muss damit rechnen, dass eine Kontraktpartei nicht mehr zahlen kann. Deshalb verlangt die Börsenorganisation von allen ihren Parteien eine Sicherheit in Form der Initial Margin. Auf dieser Margin werden auf täglicher Basis Gewinne und Verluste verrechnet. Erfährt eine Partei laufend Verluste, wird diese Initial Margin über die Zeit aufgezehrt. Sobald eine Untergrenze erreicht ist, richtet die Börse einen Margin Call an den Inhaber der Position. Dieser ist damit verpflichtet, die Sicherheitseinlage wieder zu erneuern, ansonsten wird der Kontrakt durch die Börse geschlossen. Diese tägliche Abrechnung bietet den Akteuren die Möglichkeit, am Fälligkeitstag das Underlying nicht mehr physisch zu liefern, sondern die Position in bar abzurechnen. Man spricht dann von einem Cash Settlement. <?page no="213"?> 214 12 Kapitel: Swaps, Futures, Optionen 12.3 Optionen 12.3.1 Das Wahlrecht Optionen sind mit Terminkontrakten verwandt, da sie den Kauf oder Verkauf eines Underlyings vorsehen und dafür bereits heute einen Preis vereinbaren, den so genannten Ausübungspreis oder Strike. Im Unterschied zu den Terminkontrakten hat bei einer Option die eine Vertragsseite, der Inhaber, noch ein Wahlrecht, ob der vorgesehene Kauf beziehungsweise Verkauf nun stattfinden soll. Eine Option ist ein Kontrakt, der dem Käufer das Recht einräumt, einen definierten Basiswert zu einem heute bestimmten Preis zu einem (oder bis zu einem) zukünftigen Zeitpunkt an einem definierten Ort zu kaufen (Call-Option) oder zu verkaufen (Put-Option). Was den Zeitpunkt für den Transfer betrifft, werden zwei Grundformen von Optionen unterschieden: Europäische Optionen bezeichnen Optionen mit einem Ausübungsrecht, das an einem spezifischen Tag ausgeübt werden kann, dem Tag des Endes der Laufzeit oder Verfallstag der Option. Amerikanische Optionen sind Optionen, die jederzeit innerhalb einer gewissen Zeitspanne ausgeübt werden können. Da sie bereits vor Verfall ausgeübt werden können, sind amerikanische Optionen eher wertvoller als ihnen ansonsten entsprechende europäische Optionen. Optionen haben für den Inhaber einen Wert, der nicht negativ ist. In der Finanzwirtschaft muss eine Person daher etwas bezahlen, um solche Wahlrechte zu erhalten. Andererseits kann sie etwas vereinnahmen, wenn sie sich als Stillhalter zur Verfügung stellt und Optionen schreibt, wie man sagt. Gibt es einen gut funktionierenden Markt für Optionen, dann entspricht dieses Entgelt oder der Preis der Option, die so genannte Optionsprämie, dem theoretischen Wert. Optionen zu bewerten, verlangt komplizierte Überlegungen. Etwa vor 30 Jahren wurden mit verschiedenen Beiträgen amerikanischer Forscher die modernen Grundlagen der Optionspreistheorie gelegt. Für Finanzoptionen haben F ISCHER B LACK und M YRON S. S CHOLES (1973) ein Bewertungsmodell entwickelt, das den Wert einer europäischen Call-Option in einer geschlossenen Formel ausdrückt. Als Underlying haben B LACK und S CHOLES eine Aktie betrachtet, die keine Dividende ausschüttet. Das Bewertungsmodell wird seitdem als Black-Scholes-Formel bezeichnet. Die beiden Forscher wurden (zusammen mit R OBERT C. M ERTON ) 1997 mit dem Nobelpreis geehrt. 12.3.2 Black-Scholes-Formel Die Black-Scholes-Formel gibt den (auf den heutigen Zeitpunkt bezogenen) Wert 0 C einer Call-Option europäischer Art (Ausübung nur zum Verfallszeitpunkt), wobei das Underlying eine Aktie oder ein Aktienportfolio ist, das keine Dividende abwirft: 0 2 0 exp ln 2 0 C = S N(d) ( i T) K N d T S s + i + T K d = T <?page no="214"?> 12.3 Optionen 215 Hier bezeichnen: 0 S den heutigen Kurs des Underlyings, T den Fälligkeitszeitpunkt, womit 0 T = T zugleich die bis Verfall noch verbleibende Zeitdauer (Restlaufzeit) beschreibt, K den Ausübungspreis (Strike), . N( ) die kumulierte Verteilungsfunktion der Standard-Normalverteilung, das heißt, N(d) ist die Wahrscheinlichkeit für Realisationen, die kleiner als d sind, i den stetigen Zinssatz; er wird aus dem einfachen Zinssatz i durch ln 1 i ( + i) berechnet. Der Ausdruck exp( i T) ist daher der Diskontfaktor, der für die Restlaufzeit T anzuwenden ist. die Volatilität des Underlyings (Standardabweichung der stetigen Rendite). Die Black-Scholes-Formel zeigt, dass es verschiedene Größen gibt, die den Wert einer solchen Call-Option bestimmen. Das ist voran die Volatilität des Underlyings, also die Standardabweichung der (stetigen) Rendite der Aktie. Abb. 51: Payoff und Preis einer Call-Option. Je höher die Volatilität ist, desto wertvoller ist das Recht, im günstigen Fall auf dem Kauf zum Ausübungspreis bestehen zu können und im ungünstigen Fall den Kauf zu verwerfen. Die zweite, den Wert der Option bestimmende Größe ist der Strike, die dritte der Kurs des -100 -50 0 50 100 150 0 25 50 75 100 125 150 175 200 Payoff Aktienkurs (Underlying) Payoff-Diagramm einer Call Option Payoff Aktie Preis Option (X=100, t=1, r=4%, Vola=25%) Payoff Option (S=100, X=100) <?page no="215"?> 216 12 Kapitel: Swaps, Futures, Optionen Underlyings. Je geringer der Strike im Verhältnis zum Kurs des Underlyings ist, desto interessanter ist die Call-Option für den Inhaber. Viertens ist die Zeit bis Verfall bei der Bewertung wichtig. Je länger die Option noch läuft, desto mehr kann bis Verfall „passieren“ und desto interessanter ist es, dann wählen zu können. Fünftens ist der Zinssatz wichtig, weil der Ausübungspreis (im Fall der Ausübung) erst bei Verfall gezahlt wird. Die Black- Scholes-Formel wurde verschiedentlich verallgemeinert. Eine der Verallgemeinerungen erlaubt es, dass die Aktie eine Dividende abwirft. Der Wert der Option ist umso geringer, je größer die Dividende ausfällt. Die mit einem Einsatz von Optionen erzielbaren Ergebnisse können in einem Payoff- Diagramm dargestellt werden. Im Gegensatz zum Histogramm oder einer Wahrscheinlichkeitsverteilung trifft das Payoff-Diagramm keine Aussage über die Wahrscheinlichkeit bestimmter Realisationen. Es zeigt die Werte der Option für verschiedene (denkbare) Kurse des Underlyings. Das Bild 51 zeigt auf der Ordinate den (heutigen) Wert einer Call-Option (gepunktete Linie) in Abhängigkeit des Kurses des Underlyings (Abszisse) als durchgezogene, konvex gekrümmte Kurve. Der heutige Aktienkurs liegt bei 100 Euro, und auch der Ausübungskurs (Strike) betrage 100 Euro. Bei einer Laufzeit von einem Jahr, einem risikofreien stetigen Zinssatz von 4% und einer Volatilität der Aktienrendite von 25% pro Jahr ergibt sich im Modell von B LACK und S CHOLES ein Optionswert von 11,84 Euro. Das Bild 51 enthält außerdem eine geknickte und gestrichelt dargestellte Kurve. Sie zeigt das auf den Verfallstermin bezogene finanzielle Ergebnis der Strategie, die Option für 11,84 zu kaufen, ein Jahr zu warten, und dann je nach Situation auszuüben oder nicht. Zwei Möglichkeiten sollen betrachtet werden: Ein Investor kauft heute die Aktie zum Preis von 100 Euro. Dann liegt sein Netto- Ergebnis auf der in Bild 51 gezeigten Geraden mit Schnittpunkt 100 Euro, je nachdem, welchen Kurs das Underlying zum Verfallstermin hat. Steigt die Aktie etwa auf 120, dann hat er einen Gewinn von 20 Euro erzielt. Bei einem Kurs von 70 hat der Investor 30 Euro verloren. Alternativ kann er die Call-Option zum Preis von 11,84 Euro erwerben. Sein Netto-Ergebnis bewegt sich dann auf der gepunkteten Linie, wenn sich der Kurs des Underlying verändert. Man sieht, dass der mögliche Verlust nach unten auf den Einsatz der Optionsprämie begrenzt ist, die natürlich verloren gehen kann. Hinsichtlich der Relation zwischen Strike und Kurs des Underlyings gibt es eine Sprechweise: Im Geld (in the money) ist die Option, wenn sie bei sofortiger Fälligkeit ausgeübt würde. Aus dem Geld (out of the money) ist die Option, wenn sie bei sofortiger Fälligkeit nicht ausgeübt würde. Am Geld (at the money) ist die Option, wenn sich der Kurs in der Nähe des Strike bewegt und es daher unklar ist, ob man die Option ausüben würde oder nicht, wenn sie heute oder in allernächster Zeit ausgeübt werden könnte. Bei der hier betrachteten Call-Option ist die Option bei einem Aktienkurs im Bereich von 100 Euro at the money. Bei einem Aktienkurs von über 100 Euro ist sie in the money und bei einem Kurs unter 100 ist sie out of the money. Die Position der Option in diesem Spektrum wird als Moneyness bezeichnet. Optionen sind Instrumente zur Gestaltung nicht-linearer Payoffs und asymmetrischer Ergebnisverteilungen. Anlagen in Derivate mit <?page no="216"?> 12.3 Optionen 217 einem nicht-linearen Payoff werden in der klassischen Portfoliotheorie nicht betrachtet. Ihre Renditen lassen sich daher nicht aus dem CAPM ableiten. Meistens werden Optionen mit anderen Instrumenten im Portfolio kombiniert. Verschiedene solcher Optionsstrategien tauchen in der Praxis immer wieder auf. Dazu gehören das Protective-Put-Buying und das Covered-Call-Writing: Abb. 52: Payoff-Diagramme von Call-Optionen und Put-Optionen. Abb. 53: Protective-Put-Buying und Covered-Call-Writing. -100 -80 -60 -40 -20 0 20 40 60 80 100 0 50 100 150 200 Payoff Aktienkurs (Underlying) Payoff-Diagramm einer Call Option Long Call Short Call -100 -80 -60 -40 -20 0 20 40 60 80 100 0 50 100 150 200 Payoff Aktienkurs (Underlying) Payoff-Diagramm einer Put Option Long Put Short Put -100 -50 0 50 100 150 0 50 100 150 200 Payoff Aktienkurs (Underlying) Protective Put Buying (PPB) Long Put Payoff Aktie Payoff PPB -100 -50 0 50 100 150 0 50 100 150 200 Payoff Aktienkurs (Underlying) Covered Call Writing (CCW) Short Call Payoff Aktie Payoff CCW <?page no="217"?> 218 12 Kapitel: Swaps, Futures, Optionen Protective-Put-Buying (PPB) dient der (kurzfristigen) Absicherung bei Erhalt der Gewinnchancen. Ein Investor mit einem Aktienportfolio kauft Put-Optionen, um das Verlustrisiko nach unten zu begrenzen. Er kombiniert also Long Stock mit Long Put, und der aus diesen zwei Instrumenten resultierende Payoff hat eine Steigung im positiven Renditebereich und bietet Schutz im tiefen Renditebereich. Es wird aber deutlich, dass der Schutz teuer ist und insgesamt auf die Rendite drückt. Covered-Call-Writing (CCW) basiert auf der Idee, Call-Optionen auf einen Aktienbestand zu schreiben. So fließt dem Anleger die Optionsprämie zu. Doch gibt der Investor hohe Kursgewinne an den Käufer der Call-Option ab. Es liegt auf der Hand, dass die Wahl der einen oder anderen dieser Strategien von der jeweiligen Ausgangslage des Investors abhängt. PPB bietet sich an, wenn der Anleger das Gewinnpotential von Aktien behalten möchte, sich aber gegen Verluste zu schützen wünscht. CCW dagegen ist eine bei Pensionskassen verbreitete Strategie. Diese unterliegen meist regulatorischen Rahmenbedingungen, die in erster Linie die Sicherheit der Anlagen kombiniert mit einer Mindestrendite anstreben. Das Ziel ist folglich nicht die Aufrechterhaltung eines uneingeschränkten Gewinnpotentials, sondern die Verstetigung des Einkommenstroms, aus dem die Renten und Pensionsansprüche bedient werden können. CCW ist daher interessant, weil sich durch die Einnahme der Optionsprämie die Rendite etwas verbessern lässt (Return Enhancement). 12.4 Fazit des Kapitels Swaps, Futures, Optionen Derivate sind Kontrakte, die in ihrer Ausgestaltung und in ihrem Preisverhalten von anderen Finanzkontrakten, Wertpapieren oder Indizes abhängen. Das einem Derivat zugrunde liegende Instrument heißt Underlying oder Basiswert. Motive für den Einsatz von Derivaten sind die Absicherung (Hedging) und die Spekulation. Drei klassische Formen von derivativen Kontrakten sind Swaps, Terminkontrakte und Optionen. Swaps sind Tauschgeschäfte, die bilateral zwischen Banken abgeschlossen werden. Die wichtigsten Formen sind Zinsswaps und Währungsswaps. Während bei den Zinsswaps lediglich die periodischen Zinszahlungen getauscht werden (fix gegen variabel), kommt es bei den Währungsswaps zusätzlich zu einem Tausch der Basisbeträge am Ende der Vertragslaufzeit. Zudem sind diese Beträge, genauso wie die zwischenzeitlichen Zinszahlungen, in verschiedener Währung denominiert. Terminkontrakte stellen eine Verabredung zum Tausch eines Gutes zu einem zukünftigen Zeitpunkt zu einem bereits heute festgelegten Preis dar. Dieser Preis (Terminkurs) hängt üblicherweise vom Kassakurs, von den Cost of Carry und der Verfügbarkeitsrendite (Convenience Yield) sowie von der Zeit bis zur Erfüllung ab. Es gibt zwei Formen von Terminkontrakten: Forwards sind bilateral ausgehandelte Terminkontrakte. Dagegen handelt es sich bei Futures hinsichtlich Kontraktgröße, Qualität, Handelsort und -termin um standardisierte Terminkontrakte. Sie werden an einer Börse gehandelt, die zugleich Gegenpartei ist. Optionen sind Kontrakte, die dem Käufer das Recht einräumen, einen definierten Basiswert zu einem heute bestimmten Preis zu einem (oder bis zu einem) zukünftigen Zeitpunkt an einem definierten Ort zu kaufen (Call-Option) oder zu verkaufen (Put-Option). Europäi- <?page no="218"?> 12.4 Fazit des Kapitels Swaps, Futures, Optionen 219 sche Optionen können an und amerikanische Optionen bis zu einem spezifischen Tag ausgeübt werden. Sechs Komponenten sind für den Optionspreis wertbestimmend: die Volatilität und der Kurs des Underlyings, der Ausübungspreis (Strike), der risikolose Zinssatz, die Laufzeit der Option sowie Dividenden aus dem Underlying. Die für Optionen verbreitete Darstellungsform ist das Payoff-Diagramm. Zwei bedeutende Strategien, die auf Optionen zurückgreifen, sind das Protective-Put-Buying und das Covered-Call-Writing. Strukturierte Produkte bestehen aus einem Paket verschiedener Basisprodukte, die als Schuldverschreibung einer Bank dem Investor angeboten werden. Neben den Zertifikaten, die lediglich eine positive Partizipation an einem breit diversifizierten Underlying ermöglichen, existieren vor allem zwei Gruppen strukturierter Produkte: Kapitalgeschützte Produkte bieten einen Schutz vor Verlusten, während Produkte mit Maximalrendite das Renditepotential gegen eine sichere Prämie verkaufen. 12.4.1 Lernpunkte 1. Währungsswaps verschaffen den Parteien die Möglichkeit, komparative Vorteile hinsichtlich günstiger Konditionen an den internationalen Kapitalmärkten auszunutzen. 2. Zinsswaps ermöglichen dagegen das Ausnutzen komparativer Vorteile in verschiedenen Segmenten der Zinskurve. 3. Forwards gestatten eine maßgeschneiderte Absicherung gegen Marktrisiken, beinhalten jedoch hohe Gegenparteirisiken. 4. Futures haben dagegen geringe Gegenparteirisiken, weil stets das Clearinghaus der Börse die Gegenpartei stellt. Allerdings gibt es Liquiditätsrisiken (zum Beispiel bei Margin Calls) sowie Basisrisiken. 5. Das Basisrisiko bezeichnet die Schwankung der Preisdifferenz zwischen dem Futurekurs und dem Spotkurs einer konkreten Position. Es hat seinen Ursprung in Abweichungen zwischen der Norm des Futures und dem konkreten Basiswert in Art, Qualität, Lieferort und Lieferzeitpunkt. 6. Die Cost of Carry beinhalten alle Komponenten, durch die das Halten des Basiswerts gegenüber einem Terminkauf „unattraktiv“ wird: Finanzierungskosten. Lagerhaltungskosten, Versicherungskosten. 7. Der Convenience Yield dagegen bezeichnet den Vorteil aus der heutigen physischen Verfügbarkeit des Basiswerts. Man spricht daher von der Verfügbarkeitsrendite. 8. Die Optionsprämie ist beim Abschluss eines Optionsgeschäftes zur Zahlung fällig, während der Ausübungspreis nur im Falle der Ausübung, also später, geleistet wird. 9. Die sechs für den Optionspreis wertbestimmenden Faktoren sind: Volatilität und Kurs des Underlyings, Ausübungspreis (Strike), risikoloser Zinssatz, Laufzeit der Option sowie Dividenden aus dem Underlying. 10. Wichtige optionsbasierte Anlagestrategien sind das Protective-Put-Buying (PPB) und das Covered-Call-Writing (CCW). <?page no="219"?> 220 12 Kapitel: Swaps, Futures, Optionen 11. Die drei Formen von strukturierten Produkten sind Zertifikate, kapitalgeschützte Produkte und Maximalrenditeprodukte. 12.4.2 Erwähnte Personen F ISCHER B LACK , M YRON S. S CHOLES , R OBERT C. M ERTON 12.4.3 Schlüsselbegriffe Black-Scholes-Formel, Futures, Hedging, Optionen, Swaps, Terminkontrakte, Wahlrecht, Währungsswaps, Zinsswaps. 12.4.4 Fragen zur Lernstandskontrolle 1. a) Geben Sie Definitionen und erläutern Sie Gemeinsamkeiten und Unterschiede: Terminkontrakt, Future, Option. [Antwort: Abschnitt 12.1.2]. b) Was wird unter dem Basisrisiko verstanden? [Antwort: Siehe den entsprechenden Lernpunkt oben]. 2. Wodurch sind sie charakterisiert: Normal-Hedge, Reversed-Hedge, Texas-Hedge? [Antwort: Textkasten in Abschnitt 12.2.1] 3. Welcher Zusammenhang besteht zwischen dem Kurs eines Futures und dem Preis am Kassamarkt, wenn der Basiswert gelagert werden kann? [Antwort: Formel in Abschnitt 12.2.3] 4. Liefert die Black-Scholes-Formel den Wert, den Payoff oder die Prämie einer Option? [Antwort: Abschnitt 12.3.2] 5. PPB und CCW sind Abkürzungen, die für Strategien stehen, Optionen einzusetzen. a) Wofür stehen diese Abkürzungen? b) Was bezwecken PPB und CCW als Anlagestrategien? c) Sowohl PPB als auch CCW bewirken nicht-lineare Payoffs. Welche der beiden Strategien hat einen konkaven, welche einen konvexen Payoff? [Antwort: Siehe Bild 53: PPB hat einen konkaven, CCW einen konvexen Payoff]. d) Welche der beiden Strategien dient dem Return Enhancement? [Antwort: Abschnitt 12.3.2] <?page no="220"?> 13. Kapitel: „Dicke“ bzw. breit zusammenhängende Finanzmärkte erlauben es, „auf verschiedenen Wegen nach Rom“ zu gelangen, und die Wege müssen alle dasselbe kosten oder denselben Kapitaleinsatz verlangen, weil sich bei Preisunterschieden schnell Arbitrageure fänden, deren Transaktionen dann Preisgleichheit herbeiführen. Wir hatten die „Dicke“ („thickness“) als Argument angeführt, dass die Preise in einem Teilmarkt gut verankert oder breit abgestützt seien. Die Dicke bedeutet aber eben auch, dass eine gewünschte finanzielle Position, beschrieben vor allem durch den Payoff, über verschiedene Kombinationen und Sequenzen von Finanztransaktionen „konstruiert“ werden kann. Die Idee, dass finanzielle Positionen „konstruiert“ werden, und zwar durch Kombinationen und Sequenzen von Kontrakten und Transaktionen, verlangt Überlegungen und Abwägungen des Konstrukteurs, weil in dicken Märkten erst der zu beschreitende Weg gewählt werden muss. Die Überlegungen und Abwägungen über die Wahl aus den gleichwertigen Wegen werden als Financial Engineering bezeichnet. Konstrukteur und Anbieter der Ergebnisse ist meist eine Investmentbank. Grundlegende Typen Strukturierter Produkte Was sie bieten Zertifikate Teilhabe am Auf- und Ab eines Baskets oder eines Indizes (Partizipation) Produkte mit Minimalrendite Kapitalschutz mit Teilhabe an Aufwärtsbewegungen, dafür geringere Rendite zu erwarten (PPB) Produkte mit Maximalrendite Kein Schutz bei Abwärtsbewegungen, dafür höhere Rendite zu erwarten (CCW) Die enorme Kraft der Sicht, dass es mehrere Wege gibt, zeigt sich in Theorie und Praxis. In der Theorie ist die Wahl der Wege als Nachbildung oder als Replikation bezeichnet - ein Weg bildet hinsichtlich der erreichten Finanzpositionen einen anderen nach. Die Bedeutung der Replikation ist beim Finden und beim Beweis der Black-Scholes-Formel für den Wert einer europäischen Option 1972 zu Tage getreten. Black und Scholes haben gezeigt, dass sich der Payoff der Option ebenso erzeugen lässt, wenn ein diesen Payoff replizierendes Portfolio gebildet und dynamisch adjustiert wird. Aus den Kosten des Portfolios konnten sie auf den Wert der Option schließen. Die enorme praktische Kraft der Sicht, dass sich Finanzpositionen durch unterschiedliche Konstruktionen gewinnen lassen, zeigt sich in den Strukturierten Produkten. Hier konstruiert das Financial Engineering zum Teil Produkte, die gewissen Stilen und Themen entsprechen, und durch die leichte Verfügbarkeit der Produkte erhielten die Stile und Themen praktische Bedeutung und Akzeptanz (Abschnitt 13.1). <?page no="221"?> 222 13 Kapitel: Financial Engineering Die praktische Kraft des Financial Engineering zeigt sich auch in Stilen, die deutlich mit Leerverkäufen in Verbindung stehen oder in der Nachbarschaft zu ihnen zu sehen sind. Das sind Hedge-Funds. Sie verwenden die Konstruktionsmöglichkeiten, die Finanztransaktionen und Finanzkontrakte bieten, wie ein Chirurg das Seziermesser. Sie schneiden ganz genau jene Elemente aus einer allgemeinen Finanzposition heraus, auf die der Fokus von Investoren gerichtet ist oder auf die er gelenkt werden sollte. Hedge-Funds haben damit den Grad an Differenzierung in den Finanzmärkten erhöht und auch die Schärfe (Abschnitt 13.2). Nur am Rande: Nicht immer ist die Schärfe der Hedge-Funds für den Kapitalverwender angenehm. 13.1 Strukturierte Produkte 13.1.1 Stile und Themen als Produkt Werden Futures und Optionen kombiniert, eventuell noch die Basiswerte dazugenommen, vielleicht das Portfolio aktiv nach einem Plan verändert, dann entstehen „Geldanlagen“ mit Eigenschaften, die gegenüber einer einfachen Anlage in Anleihen oder Aktien ganz neuartige Eigenschaften aufweisen. Das Covered-Call-Writing (CCW) und das Protective-Put- Buying (PPB) waren zwei solcher neuartiger Anlagestrategien. Futures auf Nahrungsmittel oder Rohstoffe erlauben es Anlagethemen aufzugreifen, die mit Aktien nur schwerlich verwirklicht werden können. Das alles gibt Raum für Schöpfungen, die eine an Innovation interessierte Klientele von Anlegern gern aufnimmt. Investmentbanken erzeugen die entsprechenden Baskets, Stile oder Finanzprodukte und verkaufen sie als Strukturierte Produkte an private und institutionelle Anleger. Vielfach werden von den Investmentbanken für institutionelle Anleger andere Strukturierte Produkte geschaffen als für Privatanleger, so ähnlich wie bei Gütern in der Realwirtschaft der Groß- und Einzelhandel anders bedient wird als der Endverbraucher. Mit den kleineren Anlegern angebotenen Strukturierten Produkten wird es ihnen ermöglicht, bestimmte Anlagestile zu verwirklichen und sich für bestimmte Themen und Szenarien zu positionieren, was ihnen ansonsten kaum möglich wäre. Über Jahre hinweg waren, als „Absolute Return“ bezeichnet, zahlreiche Strukturierte Produkte bei Privatanlegern beliebt. Diese Produkte haben PPB verwirklicht, als Absicherung. Doch Absicherung ist teuer, und die Renditen sind zwar stets leicht positiv, doch eigentlich mager. So gab es Jahre später Berichte in den Medien unter Überschriften wie „Absolute Return“ heiße „absolut keine Rendite“. Doch der laufende Prozess der Konstruktion und Vermarktung neuer Strukturierter Produkte erlaubt es, aktuell hoch geschätzte Anlagestile fertig als Produkt zu bieten. Der Kauf von Strukturierten Produkten vermittelt jedenfalls ein „aktiveres“ Portfoliomanagement im Vergleich zum Kaufen und Halten eines aus Anleihen und Aktien zusammengesetzten Marktportfolios. Für die Produkte werden auch exotische Optionen eingesetzt, Barrieren definiert und Umkehreffekte eingebaut. Meist werden Strukturierte Produkte mit Akronymen bezeichnet, die sich aus einer mehrwortigen Beschreibung ihrer Eigenschaften ableiten. So steht BLOC beispielsweise für „buy low or cash“. Hinter diesen Worten steht das Konzept des CCW, also Produkte mit nach oben begrenzter Rendite. <?page no="222"?> 13.1 Strukturierte Produkte 223 13.1.2 Zertifikate, Kapitalschutz und Maximalrendite Zertifikate sind spezielle Strukturierte Produkte. Sie bestehen aus nur einem Instrument und verschaffen dem Anleger eine Partizipation an diesem Underlying. Sie sind typischerweise so ausgelegt, dass sie ein breites Spektrum eines Markts abdecken. Verbreitet sind Indexzertifikate, mit denen sich die Finanzinvestoren bereits mit kleinen Anlagebeträgen an der Entwicklung eines Aktienindizes beteiligen können, was mit Direktanlagen nur bei einem sehr großen Portfolio möglich wäre. Erwähnenswert sind Zertifikate auf Baskets (Portfolios) an Aktien einer bestimmten Branche, einer bestimmten Region oder bestimmter Eigenschaften, wie zum Beispiel „Value“ oder „Small“. In den meisten Fällen verändert sich die Zusammensetzung des Underlyings nicht. Man spricht dann von statischen Zertifikaten. Ab und zu werden dynamische Zertifikate angeboten, bei denen das Basket oder das Basisportfolio in regelmäßigen Abständen oder aufgrund von Ereignissen neu zusammengesetzt wird. Wichtig ist dabei, dass die Selektionskriterien objektiv nachvollziehbar sind. Beispiele sind Baskets, die nur Aktien mit einem bestimmten Kurs-Gewinn-Verhältnis oder mit einem bestimmten Marktwert-Buchwert- Verhältnis umfassen. Da sich bei den einzelnen Titeln diese Relationen laufend ändern, muss die Zusammensetzung des so definierten Baskets laufend überprüft werden. Der Payoff des Zertifikats ist linear, beinhaltet also keine Option. Häufig ist jedoch ein Preisanstieg vorprogrammiert, da die erwarteten Dividenden als Diskont in den Preis einfließen. Die Laufzeit von Zertifikaten ist in der Regel auf ein bis fünf Jahre begrenzt. Kapitalgeschützte Produkte weisen einen nach unten begrenzten Payoff auf. Diese Produkte eignen sich daher besonders für Anleger, die eine Partizipation am Underlying bei gleichzeitigem Schutz vor negativen Kursentwicklungen wünschen. Selbstverständlich muss der Anleger für den Schutz etwas bezahlen, weshalb der Payoff unterhalb des Payoffs der reinen Aktienposition liegt. Diese Produkte entsprechen in ihrer Zielsetzung der Strategie des Protective-Put-Buying. Wir erwähnten bereits „Absolute Return“ als Verkaufsargument. Produkte mit Maximalrendite sind gewissermaßen das Gegenstück zu den kapitalgeschützten Produkten. Sie bieten eine Partizipation am Underlying im unteren Kursbereich, verkaufen jedoch die Chance zur Partizipation an hohen Kursen. Auf den ersten Blick erscheint dies zwar nicht besonders attraktiv. Allerdings wird der Investor eines solchen Produkts für den Nachteil, dass er das Kurssteigerungspotential verkauft, mit einer Prämie entschädigt. Die Produkte mit Maximalrendite entsprechen in ihrer Zielsetzung der Strategie des Covered-Call-Writing. Der Investor kann eine äquivalente Struktur nämlich dadurch erzielen, dass er ein Aktienportfolio hält und darauf eine Call-Option verkauft. Durch den Verkauf der Call-Option erhält er die Optionsprämie, die ihm die Rendite aufbessert. Eine solche Strategie bietet sich insbesondere an, wenn man auf geringe Kurssteigerungen setzt, die Volatilität aber hoch ist. Bei den strukturierten Produkten manifestiert sich dieser Vorteil etwa in einem geringeren Einstandspreis (Discount-Zertifikate). Innerhalb dieser Produktgruppe sind vier Formen auseinander zu halten: Discount-Zertifikate: Sie bestehen aus einem Basiswert, auf den eine Call-Option geschrieben wird. Die hierdurch erhaltene Optionsprämie reduziert den Einstandspreis des <?page no="223"?> 224 13 Kapitel: Financial Engineering Basiswerts. Der Anleger kauft diese Position quasi mit einem Kursabschlag, mit einem Discount. Reverse Convertibles weisen exakt denselben Payoff auf wie die Discount-Zertifikate, sind jedoch anders konstruiert. Ihnen liegen eine Obligation sowie ein Short Put zugrunde. Durch den Verkauf der Put-Option wird wiederum der Einstandspreis des Basiswerts reduziert, wodurch sich die relativen periodischen Erträge der Obligation erhöhen. Outperformance-Produkte haben einen doppelten Knick im Payoff. Bei positiver Entwicklung verstärken sie zunächst die Partizipation, um sie dann weiter oben vollständig zu verkaufen. Step-Zertifikate zeichnen sich durch einen dreifachen Knick aus. Grundsätzlich sieht die Gesamtposition wie ein Short Put aus, es gibt jedoch einen kleinen konvexen Knick im mittleren Kursbereich, in dem der Anleger geschützt ist. Grundsätzlich lässt sich mit diesen Basisinstrumenten ein fast beliebig breites Spektrum an Auszahlungsprofilen konstruieren. Entsprechend groß ist die Vielfalt der am Markt angebotenen Strukturierten Produkte. 13.2 Hedge-Funds Optionsartige Payoffs sind für die Anleger von besonderem Interesse, da der Knick sehr attraktiv erscheint: Entweder verschafft er einen Schutz, oder er führt zu einer Veränderung des Einkommensstroms. Insbesondere ist der Wunsch verständlich, an positiven Marktentwicklungen partizipieren zu wollen und in schlechten eine risikofreie Anlage zu halten. Verschiedene Institutionen versuchen daher, solche optionsartigen Payoff-Strukturen zu erzielen, indem sie neben dem Einsatz von Optionen eine aktive Anlagestrategie verfolgen. Zu diesen Institutionen gehören insbesondere die Hedge-Funds, deren Bedeutung seit Mitte der 1990er Jahre stark zugenommen hat. Es gibt keine einheitliche Definition des Begriffs der Hedge-Funds. Allgemein handelt es sich aber um Anlagefonds, die zum einen üblicherweise nur geringen Anlagerestriktionen unterliegen. Zum anderen versuchen sie zumeist durch eine aktive Anlagetätigkeit oder durch den Einsatz derivativer Instrumente Marktineffizienzen auszunutzen und dadurch höhere Gewinne zu erwirtschaften als mit einer passiven Anlagestrategie. Trotz des grundsätzlich breiten Spektrums an Anlagestilen lassen sich in der Praxis einige Kategorien unterscheiden (Bild 54). Der am meisten verbreitete Stil ist Long-Short-Equity. Dabei wird versucht, unterbewertete Aktien zu kaufen (in diesen also eine Long-Position einzugehen) und parallel dazu überbewertete Aktien zu verkaufen (in diesen also eine Short-Position einzugehen). <?page no="224"?> 13.3 Fazit zum Kapitel Financial Engineering 225 Abb. 54: Anlagestile von Hedge-Funds. Vor einem Investment in Hedge-Funds gilt es folgende Besonderheiten zu beachten: Gerade weil Hedge-Funds ihr Portfolio aktiv managen, hängt der Erfolg im Wesentlichen von der Qualität und Fähigkeit des Fondsmanagers ab. Der Anleger investiert deshalb faktisch nicht in die Basisanlagen des Fonds, sondern in dessen Manager. Daher empfiehlt sich eine ausreichende Diversifikation über verschiedene Hedge-Funds beziehungsweise über verschiedene Fondsmanager mit unterschiedlichen Anlagestilen. Aufgrund dieses Diversifikationsbedürfnisses der Anleger werden heute Multi-Strategie-Produkte beziehungsweise Multi-Manager-Funds oder Funds of Hedge-Funds (FoHF) angeboten. Ferner weisen Hedge- Funds in der Regel eine bedeutend tiefere Liquidität auf als herkömmliche Wertpapierfonds. Deshalb sollte ein Investment eher über einen längeren Zeitraum geplant werden. Die meisten Hedge-Funds nehmen in den Vertrag eine Lock-In-Periode auf, während der Anleger die Kapitalüberlassung nicht beenden können. 13.3 Fazit zum Kapitel Financial Engineering 13.3.1 Zusammenfassung Strukturierte Produkte bestehen aus einem Paket verschiedener Basisprodukte, die als Schuldverschreibung einer Bank dem Investor angeboten werden. Neben den Zertifikaten, die lediglich eine positive Partizipation an einem breit diversifizierten Underlying ermöglichen, existieren vor allem zwei Gruppen Strukturierter Produkte: Kapitalgeschützte Produkte bieten einen Schutz vor Verlusten, während Produkte mit Maximalrendite das Renditepotential gegen eine sichere Prämie verkaufen. 13.3.2 Lernpunkte 1. Zertifikate sind spezielle Strukturierte Produkte. Sie bestehen aus nur einem Instrument und verschaffen dem Anleger eine Partizipation an diesem Underlying. Es gibt statische und dynamische Zertifikate. 2. Bei den Strukturierten Produkten sind die kapitalgeschützten Produkte von den Produkten mit Maximalrendite zu unterscheiden. 3. Hedge-Funds haben ein Managerrisiko. Daher sollte diversifiziert werden, etwa über Multistrategie-Produkte oder über Funds of Hedge-Funds. Equity Hedge Relative Value Event Driven Opportunistic Long-Short- Equity Convertible Arbitrage Special Situations Global Macro and Currency Equity Market Neutral Fixed-Income Arbitrage Distressed Securities Emerging Markets Fundamental Growth Volatility Arbitrage Merger Arbitrage Equity Market Timing <?page no="225"?> 226 13 Kapitel: Financial Engineering 13.3.3 Erwähnte Personen - 13.3.4 Schlüsselbegriffe Basket, Covered-Call-Writing (CCW), Discount-Zertifikat, Hedge-Funds, Indexzertifikat, Kapitalschutz, Maximalrendite, Minimalrendite, Multi-Strategie-Produkte, Outperformance-Produkt, Partizipation, Protected-Put-Buying (PPB), Reverse Convertible, statisches Zertifikat, Step-Zertifikat, Stil, Strukturiertes Produkt. 13.3.5 Fragen zur Lernstandskontrolle 1. a) Was ist ein „Strukturiertes Produkt“? b) Unter den Strukturierten Produkten sind sowohl solche mit Kapitalschutz als auch solche mit einer Maximalrendite bei Anlegern beliebt. Erklären Sie, wie diese Produkte, etwa analog zu PPB und CCW mit Optionen konstruiert werden können! c) Eine Bank bietet die Kategorie BLOC (buy low or cash) an. Handelt es sich dabei eher um PPB oder um CCW? [Antworten: Abschnitt 13.1.1] 2. a) Wie wird der Payoff gestaltet, um Investoren eine „Outperformance“ anzubieten? Und wie, um ihnen einen „Absolute Return“ zu verschaffen? b) Wie können die Produkte aus dem Basiswert und aus Optionen erzeugt werden? [Antworten: Outperformance: Mehrfaches CCW; Absolute Return: PPB, siehe 13.1.1. und 13.1.2]. 3. Ein häufiger Stil von Hedge-Funds besteht darin, long und zugleich short in Aktien und Aktienindizes zu gehen. Gehen Sie zurück auf die Portfolios SMB und HML aus Abschnitt 11.2.3! In welchen Positionen sind SMB beziehungsweise HML long? In welchen sind sie short? [Antworten: Abschnitt 13.2] 4. Was wird unter dem Managementrisiko bei einem Hedge-Fund verstanden und weshalb bieten sich Fund of Funds an? [Antworten: Abschnitt 13.2] 5. Wird durch die Lock-In-Periode die Liquidität oder die Rendite des Hedge-Funds beeinflusst? [Antwort: Liquidität während der Lock-In-Periode ist nicht mehr gegeben, doch die Rendite insgesamt wird erhöht, weil weniger Barmittel für jene Finanzinvestoren gehalten werden müssen, die andernfalls ihre Anteile zurückgeben wollten]. <?page no="226"?> 14. Kapitel: Viele Ökonomen billigen dem Markt die Kraft zu, von sich aus ein Gleichgewicht zu finden und sich in Richtung auf Markträumung und Arbitragefreiheit zu bewegen, bei hoher Liquidität auch in Richtung Informationseffizienz. Allerdings hat es immer wieder Störungen, Finanzkrisen und Wirtschaftskrisen gegeben, in denen die allgemeine Überzeugung aufkam, der Staat oder die Staatengemeinschaft sollten mit Rettungsaktionen wieder aufrichten, was von allein nicht mehr hochzukommen scheint. Dieses Kapitel beschreibt einige Finanzkrisen. Sie werden in drei Stärken unterteilt, und wir behandeln jeweilige Beispiele. Drei Stärken Beispiele Ein Finanzsegment verliert Stabilität, Bail-Outs sind angezeigt. Tulpenmanie 1637, Silbermarkt 1980, Hongkong 1987, LTCM 1998 Ein breites Finanzsegment wird instabil, das Bankensystem ist gefährdet, die Realwirtschaft rutscht in eine Rezession, internationale Hilfsmaßnahmen sind erforderlich. Mississippi Bubble 1719, Asienkrise 1997, Subprime-Crisis 2007, Euro-Krise 2012 Die globalen Finanzmärkte sind betroffen, es kommt zu Einbrüchen beim BIP von über 15%, die Ordnungspolitik diskutiert Änderungen der Eigentumsrechte, die Politik verkündet eine neue politische Richtung. Weltwirtschaftskrise 1929-1932 Anschließend lassen wir drei Denkrichtungen zu Wort kommen, in denen die Frage beantwortet wird, warum es anscheinend immer wieder zu solchen Krisen kommen kann. Wir enden das 14. Kapitel mit dem Hinweis auf die Notwendigkeit, sich von den Finanzmärkten nicht verführen zu lassen, Positionen einzugehen, die nicht nachhaltig bewältigt werden können. 14.1 Krisen 14.1.1 Eine Begriffsfindung Eine Krise (in der Finanzwirtschaft oder in der Wirtschaft generell) ist eine Situation und Phase einer deutlich erkennbar negativen Entwicklung wirtschaftlicher Größen auf gesamtwirtschaftlichem Niveau, bei der die „Stabilität“ verloren geht. Krisen entsprechen daher einem „Bruch“ des Systems. Eine Krise kann einen kleinen Bereich, ein Teilsegment <?page no="227"?> 228 14 Kapitel: Finanzkrisen der Finanzmärkte, die Finanzwirtschaft eines Wirtschaftsraumes, eine ganze Volkswirtschaft oder die Weltwirtschaft betreffen. Eine Krise ist schwerwiegender als allein negative Kursbewegungen, die, selbst wenn sie sehr hoch ausfallen, sich aus den üblichen Einflussfaktoren ergeben. Finanzkrisen verändern nicht allein das Kursniveau, dem bisherigen Funktionsmuster der Märkte folgend, sondern sie lassen das Vertrauen schwinden und unterbrechen die Liquidität des Handels. Bei einer Krise wird offenkundig, dass zusätzlich weitere Einflussfaktoren hinzugetreten sein müssen, um solche Wirkungen zu haben. Diese weiteren Einflussfaktoren können beim Eintreten der Krise vielleicht noch nicht genau abgeschätzt werden, doch später werden sie immer genauer gesehen. Auch ist für Krisen charakteristisch, dass immer die Gefahr besteht, dass sie auf benachbarte wirtschaftliche und gesellschaftliche Bereiche übergreifen und die dortige Stabilität ebenso zerstören. Krisen heilen sich selten von allein. Weitere Hilfen müssen gegeben werden, etwa indem der Staat helfen soll. Krisen und krisenhafte Entwicklungen können durchaus frühzeitig erkannt werden, doch warnende Zeigefinger sind nirgendwo beliebt. Geraten wir in eine Krise, apostrophieren wir sie lieber als „überraschend“. So weisen wir die Schuld ab, einer negativen Entwicklung nicht rechtzeitig Einhalt geboten zu haben. Diese allgemeine Haltung von uns Menschen bewirkt, dass wir Krisen nachträglich immer auf „mehrere Ursachen“ zurückführen. Jede für sich sei zwar gesehen worden, doch keine für sich alleine betrachtet sei an sich bedrohlich gewesen. Unglücklicherweise hätten sich plötzlich mehrere solcher Entwicklungen verkettet und so sei es zu den abträglichen Wirkungen gekommen. Entsprechend ist es leider so, dass wir aus Krisen nichts lernen wollen. Natürlich hat jede Ursachenforschung immer den Nachteil der „groben Vereinfachung“. Wenn wir im Folgenden Ursachen für Finanzkrisen nennen, soll nicht verkannt werden, dass es bei allen Krisen auch noch weitere Ursachen gegeben haben dürfte. 14.1.2 Von Störung zu Katastrophe Krisen können verschieden schwer ausfallen. Wir wollen drei Stärken einer Krise unterscheiden. Verbunden mit der Stärke sind die Größenordnungen des wirtschaftlichen Schadens, ebenso wie die Zeitdauern, die vergehen, bis die jeweilige Krise halbwegs bewältigt ist. Schwere Krisen benötigen typischerweise längere Zeit, bis ihre Wirkungen und ihre Ursachen beseitigt sind. Schließlich sind leichte Krisen häufiger als schwere Krisen. Krisen der Stärke 1 ereignen sich in speziellen Teilen der Finanzmärkte und bleiben letztlich auf die entsprechenden Orte oder Arten von Finanzinstrumenten beschränkt. Die Stabilität der Finanzmärkte ist verloren, gleichwohl nur punktuell. Trotzdem wird befürchtet, die Stimmung könnte sich trotz der Kleinheit des betroffenen Bereichs ausdehnen, weshalb vielfach Banken, die Zentralbank oder der Staat Rettungsmaßnahmen (Bail-Outs) leisten und geschädigte Personen, Anleger und Investoren für die Verluste kompensieren. Die Realwirtschaft ist dann nicht weiter betroffen. Krisen der Stärke 2 ereignen sich in schon breiteren Teilen der Finanzmärkte. Die Stabilität ist in dem breiten Segment verloren. Das strahlt sofort auf andere Segmente der <?page no="228"?> 14.1 Krisen 229 Finanzmärkte aus, die am engsten verbunden sind. Außerdem wirkt sich die Finanzkrise auf die Realwirtschaft eines Landes oder einer Ländergruppe aus. Zwar entsteht dort keine Krise, doch wenigstens eine Rezession. Um weitere negative Entwicklungen zu vermeiden, müssen größere Rettungsaktionen organisiert und koordiniert werden. Das geht nur noch auf multilateraler Ebene. Der IMF (International Monetary Fund) wird hinzugerufen. Der am stärksten betroffene Staat muss den Krisenzustand bestätigen und förmlich um Unterstützung bitten. Krisen der Stärke 3 betreffen schnell die globalen Finanzmärkte insgesamt, und wirtschaftlich bedeutendere Staaten und Währungsräume oder die ganze Welt müssen starke und depressive Einbrüche in der Realwirtschaft hinnehmen. Das BIP bricht um 15% oder mehr ein. Dadurch kommen weite Teile der Bevölkerung in Not. Rettung sehen die einen in einer Währungsreform, die anderen in einer Änderung der Eigentumsrechte. Alle suchen einen ordnungspolitischen Neubeginn. Bevor wir zu diesen drei Stärken noch mehr sagen und Beispiele anführen, gehen wir kurz auf bloße technische Störungen in den Abwicklungssystemen ein. Technische Störungen bei der Abwicklung von Transaktionen haben immer wieder zu Unannehmlichkeiten an den Finanzmärkten geführt. Ein Beispiel ist der verzögerte Handelsbeginn an der Deutschen Börse auf der elektronischen Handelsplattform Xetra im Mai 2012 aufgrund eines Hardware-Fehlers. Den letzten Ausfall auf Xetra hatte es im November 2007 gegeben. Wohl noch nie haben Störungen der angesprochenen Art sich zu einer Krise ausgeweitet. Eine Störung dieser Stufe ist spätestens nach ein paar Tagen beseitigt. Bei der Gestaltung technischer Systeme muss immer eine Abwägung zwischen den Kosten für Errichtung und Betrieb sowie der Zuverlässigkeit getroffen werden. Effizienz ist verlangt, doch sie verlangt, dass die Schäden aufgrund gelegentlicher Störungen durch die Nutzer oder die Bevölkerung bewertet werden. Werden Kunden von Banken und Börsen anspruchsvoller, was mit der allgemeinen Entwicklung eines Landes zusammenhängt, dann müssen diese Organisationen (Banken, Börsen) die technischen Standards verbessern und werden damit teurer. Ebenso wenig wurde eine Finanzkrise ausgelöst, wenn Sparer durch Betrug ihre Einlagen verlieren. Immer wieder treten Personen auf, die es C HARLES P ONZI gleich tun und Sparer mit hohen Renditeversprechungen locken. Neue Einlagen werden dazu verwendet, dass die ersten Einleger tatsächlich fürstlich bedient werden. Damit niemand entdecken kann, dass gar kein entsprechendes Vermögen aufgebaut wird, errichtet der Betrüger eine wenig transparente, internationale und verschachtelte Gruppe von Finanzfirmen, von denen eine, wenngleich mit Sitz in einem dubiosen Land („aus steuerlichen Gründen“), Vermögen bilanziert. Solche Ponzi-Schemata fliegen dann irgendwann auf, und die letzten haben das Nachsehen. Damit diese Schemata nicht zu einer allgemeinen Praxis in einem Land werden können, müssen die im Kundengeschäft stehenden Finanzfirmen wie Versicherungen und Pensionskassen sich strengen Prüfungen ihrer Bilanz unterziehen. So wird vermieden, dass über Jahre zu hohe Leistungen ausgeschüttet werden und das Weiterbestehen der Einrichtungen es verlangt, dass ein entsprechendes Neugeschäft stattfindet. Das würde sofort einbrechen, wenn die Einrichtung irgendwann „unterdeckt“ und dies bekannt werden würde. <?page no="229"?> 230 14 Kapitel: Finanzkrisen Das Fehlverhalten von Einzelpersonen, oder die Gier von Gruppen von Personen, kann durchaus eine Finanzkrise auslösen. Aufgrund der schon beachtlichen abträglichen Wirkungen und wegen der Gefahr eines Ausstrahlens auf andere Segmente der Finanzmärkte oder auf die Stabilität des Bankensystems ist der Staat zu Hilfe bereit. Erst wird das Fehlverhalten vertuscht, dann werden schnell Gelder bereitgestellt, um den betreffenden Finanzmarkt wieder zu normaler Funktion zu bringen. Durch solche Rettungsaktionen kann die Stabilität wieder bereitgestellt werden. Das gelingt innerhalb einiger Monate. Kommt es zu keinem Bail-Out, dann kann der liquide Handel in dem betroffenen Teilsegment der Finanzmärkte auf Jahrzehnte hinaus leiden. Wir bringen vier Beispiele für Finanzkrisen dieser Stärke 1. Sie werden nachfolgend noch etwas genauer beschrieben und jetzt nur genannt. Dabei folgen wir der historischen Reihenfolge. Das erste Beispiel ist die Tulpenmanie in Holland 1637. Das zweite Beispiel die Manipulation des Marktes für Silber durch die Gebrüder Hunt 1973-1980. Im dritten Beispiel geht es um die Futurespositionen von R OBERT N G in Hong Kong 1987. Im vierten Beispiel um den Fall des Hedge-Funds LTCM 1998. 14.1.3 Vier Beispiele für Finanzkrisen der Stärke 1 Das historisch älteste Beispiel einer Krise der ersten Stufe hinsichtlich der Schwere ist die Tulpenmanie. Es handelt sich dabei um einen Preiseinbruch in einem engen und speziellen Teilsegment, der nicht weiter auf andere Finanzmärkte oder die Realwirtschaft ausgestrahlt hat. Tulpen wurden um 1580 in Europa eingeführt. Der Botaniker C AROLUS C LUSIUS brachte sie von der Türkei nach Holland. Ende des 16. und Anfang des 17. Jahrhunderts wurden Tulpen und Hyazinthen zu Liebhaberobjekten der oberen Schichten. Die Zwiebeln wurden alsbald auf einem Sekundärmarkt gehandelt. Das Preisniveau stieg über Jahre an. Bald traten Spekulanten an den Sekundärmärkten auf, nur um auf weitere Preissteigerungen zu setzen. Im Jahr 1637 konnte eine Zwiebel bei Versteigerungen bis zu 10.000 Gulden kosten (auf heute umgerechnet etwa 100.000 Euro). Zunehmend wurde man sich der enormen Höhe der Preise bewusst. Zweifel wurden geäußert. Einige Händler begannen, nicht mehr mitzubieten. Darauf fielen die Preise, und die Tulpenmanie endete auf einen Schlag. Vom Preiszusammenbruch waren nur die letzten Spekulanten betroffen. Die Allgemeinbevölkerung und die Wirtschaft insgesamt erlitten keinen Schaden. Die Tulpenmanie bleibt zwar in aller Erinnerung aufgrund unseres bildlichen Gedächtnisses, doch sie löste weder eine breitere Finanzkrise noch eine Wirtschaftskrise aus. Interessant ist die Beobachtung, dass der Markt für Tulpen als dünn angesehen wurde. Die Tulpen hatten in der allgemeinen Vorstellung keine Substitute und ihr Preis war weder breit abgestützt noch in den Preisen anderer Güter verankert. Das Positive an der Dünne des Marktes: Durch die Unabhängigkeit der Preise für Tulpen von den Preisen anderer Güter und Positionen konnten die Preise fallen, ohne dass das Preisgefüge in den anderen Märkten mit heruntergezogen wurde. Das zweite Beispiel für eine Finanzkrise der Stärke 1 ereignete sich ebenso in einem dünnen - also wenig mit anderen Positionen verbundenen - Marktsegment. Wie bei der Tulpenmanie fand kein Bail-Out statt, und der betroffene Teilmarkt hat noch über 25 nach der Krise Jahre gelitten. N ELSON B UNKER H UNT (geboren 1926) und W ILLIAM H ERBERT H UNT haben versucht, den Silbermarkt zu manipulieren. Sie kauften zwischen 1973 und <?page no="230"?> 14.1 Krisen 231 1980 Silber in großem Stil und bezahlten teils mit eigenem Geld, teils mit dem arabischer Geschäftsleute, teils mit Krediten. Durch die Käufe steig der Preis für ein Kilogramm Silber von unter 70 Dollar (1973) bis auf fast 2000 Dollar (1980). Zuletzt hatten die Gebrüder Hunt 5000 Tonnen Silber in Barrenform, das sie in Europa lagerten. Außerdem hatten sie über 7000 Tonnen Silber in Kontrakten zu erhalten, die sie an der Warenterminbörse COMEX in New York hielten und erneuerten. Ihre Gesamtposition hatte also einen Wert von über 20 Milliarden USD. Natürlich hat über die 7 Jahre eine allgemeine Spekulation eingesetzt, und die Finanzmarktaufsicht musste irgendwann handeln. Über Nacht wurden die Regeln an der COMEX geändert: Es durften keine neuen Long-Positionen mehr in Silber eingegangen werden. Bestehende Long-Positionen durften nur noch gegen bestehende Short-Positionen ausgeglichen werden. Damit konnte der Silberpreis nicht weiter steigen, und die Spekulanten haben verkauft. Die Gebrüder Hunt erlitten Verluste an der Futuresbörse, die sie sofort hätten ausgleichen müssen - es wird börsentäglich abgerechnet. Die Zahlungen konnten sie bald nicht mehr leisten, denn innerhalb weniger Wochen hätten sie mehrere Milliarden Dollar bezahlen sollen. Sie hatten ihr gesamtes Vermögen verloren und waren bankrott. Der Silbermarkt hat sich nach diesen Ereignissen im Januar 1980 über Jahrzehnte nicht erholt. Die Preise fielen immer weiter. Heute, über dreißig Jahre nach der Spekulation, liegt der Preis bei 30 Dollar pro Unze. Das sind rund 1000 Dollar pro Kilogramm. Als drittes Beispiel gehen wir auf die Spekulationen von R OBERT N G in Hongkong in den Jahren vor 1987 ein. R OBERT N G C HEE S IONG , 1952 geboren und ältester Sohn des Milliardärs N G T ENG F ONG (1928-2010), hatte die gute Aufwärtsentwicklung des amerikanischen Aktienmarktes beobachtet: Der Dow Jones Industrial Average (DJIA) lag bis 1981 unter 1000 Punkten und stieg bis zum Januar 1987 auf über 2000 Punkte an. R OBERT N G hat an der Futuresbörse in Hongkong Long-Positionen auf amerikanische Aktien erworben. Er tat dies aber nicht als Privatperson, sondern über zwei in Panama eingetragene Finanzfirmen. Plötzlich und für viele überraschend kam es zum Crash an den Aktienmärkten. Am 19. Oktober 1987 fiel der DJIA um 508 Punkte (22,6%), wodurch über 500 Milliarden Dollar an Marktkapitalisierung vernichtet worden sind. Ebenso wurde Geld mit Long-Positionen an den Futures-Märkten überall auf der Welt verloren. R OBERT N G sollte in Hongkong für seine Kontrakte an der Futures Exchange eine Milliarde Hongkong-Dollar nachlegen, weil seine Marginzahlungen diese enormen Verluste nicht gedeckt hatten. Er weigerte sich anfangs, die Verluste mit persönlichen Mitteln auszugleichen und wies auf die beschränkte Haftung der Firmen in Panama hin. Daraufhin ist die Futures Exchange in Hongkong kollabiert, denn die von N G zuvor immer abverlangten Marginzahlungen hatten die Haftungsbeschränkung der Firmen in Panama nicht berücksichtigt. Nach dem Zusammenbruch der Futuresbörse musste auch der Handel an der Hong Kong Stock Exchange ausgesetzt werden, und zwar für vier Tage. Zwischenzeitlich fand eine Untersuchung des Commercial Crime Büros der Royal Hong Kong Police heraus, dass N G höhere Margin-Calls dadurch vermieden hatte, dass er mit einem seiner Broker eine geheime Absprache traf. Das war selbstverständlich illegal. Die Regierung von Hongkong unterband jedoch eine Klage, weil sie befürchtete, dass dadurch die Stabilität der Finanzmärkte der Kronkolonie nur noch mehr in Mitleidenschaft gezogen würde. Es wurde ein Vergleich geschlossen: R OBERT N G hat aus seinem Privatvermögen 500 Millionen Hongkong Dollar <?page no="231"?> 232 14 Kapitel: Finanzkrisen bezahlt, und die restliche Summe wurde im Rahmen einer Rettungsaktion seitens des Staates mit Steuermitteln aufgebracht. R OBERT N G hat über dem bezahlten Betrag hinaus weitere 250 Millionen HKD verloren, weil seine anderen Investments - darunter die Aktiengesellschaft Sino Land - infolge des Finanzskandals massiv an Wert verloren. Das vierte Beispiel einer Finanzkrise der Stärke 1 ereignete sich 1998 in den USA. Der Hedge-Fund Long Term Capital Management (LTCM) wurde 1994 in Greenwich, Connecticut, USA gegründet und stand unter der Leitung von J OHN W. M ERIWETHER sowie der Professoren und Nobelpreisträger M YRON S. S CHOLES und R OBERT C. M ERTON . Überwiegend war LTCM Long-Positionen in Russischen Staatsanleihen eingegangen und hatte (zur Finanzierung) Short-Positionen in Staatsanleihen der USA getätigt. Das Gesamtvolumen lag bei über 10 Milliarden USD. Da die Russischen Staatsanleihen eine leicht höhere Rendite abwarfen, wurde durch die Finanzierung über Short-Positionen bezogen auf das geringe Eigenkapital eine hohe Rendite erwirtschaftet. In den ersten Jahren erzeugte der Hedge- Fund jährlich 40% Rendite. Auch heute noch ist dieser Anlagestil beliebt und wird als Carry Trade bezeichnet: Der Investor verschuldet sich in einer Währung mit geringem Zinsniveau und investiert in Festzinsinstrumente einer Währung mit einem höheren Zinsniveau. Das Währungsrisiko wird mit Terminkontrakten gehedgt. Doch eine Gans, die goldene Eier legt? Vielleicht sind die Finanzmärkte schlauer als derjenige, der sich in Carry Trades engagiert. Die höhere Verzinsung könnte darauf zurückzuführen sein, dass die Bonität schlechter ist. Doch solange sich die schlechtere Bonität der Zinsinstrumente der Währung mit dem höheren Zinssatz nicht in einem Default konkretisiert, ist alles gut. Eine Gratwanderung in den Alpen birgt hohe Risiken, doch wer nicht abstürzt, hat eine einmalig schöne Bergwanderung gemacht. Jedenfalls waren die Kunden der LTCM, überwiegend Banken, von den Erfolgen in den Jahren 1994 bis 1997 begeistert. Dann setzte die Russlandkrise ein: die dortigen Investoren wurden aufgrund der Asienkrise 1997 nervös und zogen Kapital ab. Die von LTCM gehaltenen Staatsanleihen verloren an Wert und der Hedge-Fund verlor über 4 Milliarden USD. Unter Führung des Fed haben sich 14 Banken als die größten Kunden von LTCM bereit erklärt, den Verlust zu übernehmen. LTCM musste dadurch zwar keinen Konkurs anmelden, doch wurde der Hedge-Fund im Anschluss „im Stillen“ liquidiert. Die Sache war damit, wie gesagt wird, vergessen. Diese vier Beispiele für Krisen der Stärke 1 zeigen einige Übereinstimmungen: 1. Der Investor oder einige Investoren setzen auf das Bestehen und weitere Anwachsen des Preisniveaus in einem Teilmarkt (Tulpen, Silber, Futures an der Terminbörse in Hongkong, Anleihen in Russland). 2. Sie wählen Instrumente, die eine beträchtliche Hebelwirkung haben: Die Gebrüder Hunt nahmen Kredite auf und hielten Termingeschäfte, Robert Ng wählte ebenso Futures, LTCM verschuldete sich in US-Staatsanleihen. 3. Dadurch werden Engagements beträchtlicher Größenordnung möglich. 4. Plötzlich kommen durch exogene Ereignisse weitere Preisavancen zum Stillstand (Zweifel im Tulpenmarkt in Holland, Handelsbeschränkungen für Silberkontrakte an der COMEX, Einbruch beim DJIA, Russlandkrise). <?page no="232"?> 14.2 Globale und tiefere Krisen 233 5. Aufgrund der Hebelwirkung können die Investoren die Verluste nicht selbst ausgleichen. Ein Bail-Out ist aufgrund der enormen Größenordnung und der möglichen Ausstrahlung auf andere Segmente der Finanzmärkte angezeigt. 6. Kommt es zu keinem Bail-Out, leidet das Marktsegment über Jahrzehnte. Mit Bail- Out ist die Sache nach einiger Zeit ausgestanden und vergessen. 14.2 Globale und tiefere Krisen 14.2.1 Krisen der Stärke 2 Wie erklärt, ereignen sich Krisen der Stärke 2 in breiteren Teilen der Finanzmärkte. Die Stabilität ist in dem breiten Segment verloren. Das strahlt sofort auf andere Segmente der Finanzmärkte aus, die am engsten verbunden sind. Außerdem wirkt sich die Krise auf die Realwirtschaft eines Landes oder einer Ländergruppe aus. Zwar entsteht dort keine Krise im Sinne einer Depression, doch immerhin eine Rezession. Wir betrachten drei Beispiele für Krisen der Stärke 2. Das erste ist die Mississippi Bubble 1719, das zweite die Asienkrise 1997-98. Das dritte Beispiel ist die Subprime-Crisis 2007. Das erste Beispiel zu einer Krise der zweiten Stärke 2 ist die Mississippi-Bubble 1719: Nach verschiedenen, von L UDWIG XIV (1638-1715) geführten Kriegen lag Frankreichs Wirtschaft danieder. Der Sonnenkönig Ludwig XIV vertrat eine expansive und kriegerische Außenpolitik. Frankreich hat über seine Verhältnisse gelebt. Es gewann unter der Regentschaft von L UDWIG XIV zwar eine dominierende Stellung in Europa, doch die zu hoch gewordenen Staatsschulden machten einen Neuanfang unmöglich. Wie andere Ökonomen seiner Zeit sah der schottische Nationalökonom und Bankier J OHN L AW (1671-1729) klar voraus, dass die Wirtschaft Frankreichs weiter zum Erliegen kommen und Deflation eintreten würde, sofern das Land nicht ausreichend mit Geld versorgt würde. Zudem hatte J OHN L AW in Amsterdam gesehen und gelernt, dass Geld nicht notwendig eine Deckung durch Edelmetall aufweisen müsse: Eine Wirtschaftsbelebung kann ebenso durch „ungedecktes“ Papiergeld zustande kommen. L AW flüchtete vor einem Duell 1694 von Schottland auf das Festland Europas und studierte in Amsterdam das Finanzsystem, wo Banknoten in Umlauf waren. Er bewarb sich und wurde Controller Frankreichs, indem er Kompetenz für Reformen zeigte: Er wollte die Wirtschaft Frankreichs durch Papiergeld und leichte Kreditvergabe stimulieren. Zur Reduktion der Staatsschulden bot Law den Gläubigern eine Umschuldung an: sie sollten für ihre Forderungen Aktien von Gesellschaften erhalten, deren Wert durch Handel und Wirtschaft in Louisiana gegeben sein sollte. Zwar konnten die fundamentalen Werte dieser Unternehmungen von Frankreich aus nicht beurteilt werden. Aber die Gläubiger akzeptierten den Tausch ihrer Forderungen in Aktien, weil anfänglich gute Nachrichten aus den Kolonien kamen. Zudem trat beim Angebot der Aktien gelegentlich Verknappung auf. Deren Kurse stiegen, gefördert durch die leichte Kreditvergabe in der von L AW gestalteten Geldpolitik. Der ökonomische Wert der Aktivitäten in Übersee wurde im Verlauf der Zeit immer mehr überschätzt. Die Mississippi Bubble baute sich auf. <?page no="233"?> 234 14 Kapitel: Finanzkrisen Im Höhepunkt wurde für eine Aktie im Nominalwert von 500 ein Kurs von 10.000 Libre bezahlt, bei Termingeschäften sogar von 15.000 Libre. Irgendwann wurden Zweifel laut und im November 1719 kam es zu einem Platzen der Preisblase bei den Aktien. Damals gab es keinen Bail-Out. Breite Schichten der Bevölkerung Frankreichs wurden arm. Die Folgen für die gesamte Wirtschaft Frankreichs waren desaströs. Die Finanzkrise hatte die Realwirtschaft auf Jahrzehnte hinaus beschädigt. Ein zweites Beispiel für eine Krise der Stufe 2: Um 1997-98 kam es in Asien zu einer Finanz-, Wirtschafts- und Währungskrise. Sie nahm ihren Ausgang in Thailand und griff auf mehrere asiatische Staaten über, wobei neben Thailand noch Indonesien und Südkorea stark betroffen waren. Noch um 1990 wurde den damals als Tigerstaaten bezeichneten vier Ländern Südkorea, Taiwan, Hongkong und Singapur zugetraut, den Sprung vom Entwicklungsland zur Industrienation in nur wenigen Jahrzehnten zu schaffen. Investitionen in Industrieanlagen und allgemein in Immobilien, Aktien und Währungen der südostasiatischen Länder versprachen eine großartige Zukunft. Finanzinvestoren aus den USA, Japan und Europa tätigten Direktinvestitionen und kauften Aktien. Hinzu kamen zahlreiche Investoren aus Asien selbst, die ihre Engagements durch Kredite finanzierten. Oft wurden diese Kredite in Dollar genommen und nicht in lokaler Währung. Denn die lokalen Banken waren in den genannten Ländern nicht besonders effizient. Ab dem Frühjahr 1997 überdachten internationale Investoren weitere Engagements. Dadurch kamen die Paritäten zwischen den lokalen Währungen und dem Dollar unter Druck. Der thailändische Baht verlor in Kürze 20 Prozent an Wert gegenüber dem Dollar. Die Investoren konnten daraufhin die aufgenommenen Dollarkredite nicht mehr bedienen und mussten Vermögenspositionen verkaufen. Ein Preiszerfall bei den Assets setze ein. Nach Jahren des Wachstums sahen sich die asiatischen Länder 1997 mit Kurseinbrüchen, Einbrüchen ihrer Währungen und einem Fall in die Rezession mit drohender Depressionsspirale konfrontiert. Die Asienkrise hat indes nur wenig auf den Rest der Welt ausgestrahlt, weil damals die Importe der asiatischen Länder aus den USA, Europa und Japan gering gewesen sind. In Wikipedia ist zu lesen: „In Folge der Liberalisierung der Finanzsektoren asiatischer Staaten entstand in den neunziger Jahren ein Kreditboom in Asien. Das Wachstum des Kreditvolumens lag in dieser Zeit im Durchschnitt bei 8 bis 10 Prozent über den Wachstumsraten des BIP. Es entstanden nicht nur industrielle Überkapazitäten wie in Südkorea, sondern ein immer größerer Teil der Kredite wurde zum Kauf von Aktien und Immobilien eingesetzt. Die Folge war ein Anstieg der Aktienmärkte und ein starkes Ansteigen der Immobilienpreise um das bis zu Vierfache. Mit den steigenden Immobilien- und Aktienpreisen glaubten die Banken gute Sicherheiten zu haben, was sie zu weiteren und immer leichteren Kreditvergaben verführte. Dieses Kapital floss wiederum in Aktien und Immobilien. Durch die daraus resultierenden Preissteigerungen entstand in einigen Bereichen eine spekulative Blase. ... Dies machte die Banken gegenüber Preisrückgängen am Aktien- und Immobilienmarkt verwundbar.“ Das dritte Beispiel einer Krise der Stärke 2 ist die im Subprime-Segment amerikanischer Hypotheken ausgelöste Krise 2007. Die Vorgeschichte begann im Jahr 2000. Am 10. März 2000 kam es zu einem Kurssturz bei den Internetaktien. Die Dot-Com-Bubble war ge- <?page no="234"?> 14.2 Globale und tiefere Krisen 235 platzt, und einzelne Titel verloren bis zu 90% ihres Börsenwerts. Um Schaden für die Wirtschaft abzuwenden, antwortete das Fed damals mit einer lockeren Geldpolitik. Die Zinsen wurden über die nächsten Jahre immer mehr gesenkt und blieben tief. Durch die großzügige Geldversorgung wurde die Wirtschaft belebt, und überdies wurden aufgrund der geringen Zinsen Investitionen in andere Vermögenspositionen immer interessanter. Die Investoren wandten sich im Vermögensmarkt realen Objekten zu, vor allem Immobilien. Am US-Immobilienmarkt setzte ein Aufschwung ein, der zur Popularität der Politik beitrug. Niemand sollte ausgeschlossen sein, daran zu partizipieren. Beim Kauf der Immobilien haben die kreditgebenden Banken immer weniger die Zahlungsfähigkeit der Käufer geprüft. Auch Kredite zweitklassiger Qualität, Kredite im sogenannten Subprime Segment, wurden gegeben. Bei diesem leichtfertigen Verhalten der kreditgebenden Finanzfirmen mag eine Rolle gespielt haben, dass sie die Hypotheken zu „Paketen schnüren“ (Securitization) und international weiterverkaufen konnten. Die Käufer und Verkäufer der securitisierten Pakete von Hypothekarforderungen mittelmäßiger Bonität waren Investmentbanken. Sie haben mehrere dieser Pakete in einer weiteren Stufe der Verbriefung zu noch größeren Paketen zusammengesetzt, bezeichnet als Collateralized Debt Obligations (CDO). Sodann wurden mehrere CDOs wiederum in neue Wertpapiere verpackt und den internationalen Anlegern angedient. Durch die mehrstufige Verbriefung war für die Geldanleger und Käufer eines CDO nicht mehr herauszufinden, welche Forderungen welcher Qualität sie letztlich übernommen haben. Die Käufer haben sich mehr und mehr auf die guten Namen der Investmentbanken verlassen, die hinter der mehrstufigen Securitization standen. Ratingagenturen - wie die Marktführer Moody’s Corporation und Standard and Poor’s Corporation gaben zu optimistische Urteile für das Ausfallrisiko. In der Folge stellte sich für CDOs ein liquider Handel ein. Finanzinvestoren, besonders aus Europa und Asien, kauften die in Wertpapierform gebrachten Pakte von Paketen von Paketen von Kreditforderungen. So wurde ein ursprünglich rein US-amerikanisches Risiko internationalisiert. Im Jahr 2007 konnten einige private Immobilienkäufer, deren Berufseinkommen durch Arbeitslosigkeit verloren ging, die Hypotheken nicht mehr bedienen. Es kam zu Verlusten und auch zu Insolvenzen bei kleineren Firmen der Finanzbranche. Darauf brach das Vertrauen zwischen den größeren Banken ein. Nicht nur der Handel mit CDOs fiel in sich zusammen, auch der Geldhandel zwischen den Banken hörte plötzlich auf. Es entstand eine Finanzkrise. Als deren Höhepunkt galt der Zusammenbruch der US-Großbank Lehman Brothers im September 2008. Die finanzpolitischen Instanzen haben später bereut, dass sie die Bank nicht gerettet haben. Die Finanzkrise 2007-2008 hatte mehrere Ursachen: 1. Die Politik leichter Geldvergabe als eine Folge des Platzens der Dot-Com-Bubble. 2. Die Ausweitung der Kreditvergabe an Schuldner geringer Bonität im Licht der Möglichkeit, die Kredite „schön verpackt“ weitergeben zu können, noch dazu mit einem Gütesiegel der Rating-Agenturen. 3. Der Missbrauch der guten Namen von Emittenten (Investmentbanken). 4. Die Vertrauenskrise im Interbankenmarkt, nachdem einzelne Fälle diesen Sachverhalt zu Tage brachten. <?page no="235"?> 236 14 Kapitel: Finanzkrisen Die Krise der Finanzwirtschaft führte sodann in der Realwirtschaft zu Nachfrageausfällen, zu Produktionssenkungen und zu Unternehmenszusammenbrüchen. Unternehmen, wie der Autohersteller General Motors, mussten Mitarbeitende entlassen und Konkurs anmelden. Die hohe Staatsverschuldung vieler Staaten stieg krisenbedingt weiter an. Denn die Länder wollten ihren Banken helfen und ihre Wirtschaft durch Deficit Spending beleben. Einige Länder der Eurozone konnten ihre Zahlungsfähigkeit nur durch internationale Hilfskredite aufrechterhalten. Andere griffen zu unkonventionellen Methoden: Island ließ seine drei großen Banken in den Bankrott gleiten - das Nachsehen hatten einem Volksentscheid entsprechend Bankkunden, die sich durch hohe Sparzinsen blenden ließen. Das Land (kein Mitglied der EU) kürzte keine wichtigen Staatsausgaben und gründete für das Kerngeschäft neue Banken. In anderen Ländern Europas ging die Subprime Crisis in Europa nahtlos in die Eurokrise über, die heute noch nicht ganz beseitigt ist. Diese drei Beispiele für Krisen der Stärke 2 zeigen einige Übereinstimmungen: 1. Durch lockere Finanzierungsmöglichkeiten und eine großzügige Geldpolitik des Staates oder der Zentralbank engagieren sich immer breitere Kreise in gewissen Vermögenspositionen. 2. Es ist nur natürlich, dass dies nur geschieht, indem auch Kreditnehmer geringer Bonität angesprochen werden und sich verschulden können. Ebenso natürlich ist, dass immer schlechtere, unsichere Vermögenspositionen (Assets) angeboten und angedient werden. 3. Die Rede von neuen Finanzierungstechniken lässt allgemein glauben, die verantwortlichen Einrichtungen und Instanzen hätten die ungewohnte Ausweitung sowohl auf der Seite der Finanzinvestoren als auch auf der Seite des Angebots von Assets voll unter Kontrolle, und es sei ein neues Zeitalter angebrochen. Niemand gibt zu, dass eine nicht nachhaltige Entwicklung in Gang ist. Auf geradezu leichtfertige Weise vertrauen alle der Lage. 4. Plötzlich tritt durch ein Rating oder durch genauere Bewertungen die schlechte Qualität zu Tage. Anlass dafür kann eine Zinserhöhung oder eine Einengung der Geldmenge sein. 5. Der „aufgeblähte“ Finanzmarkt bricht zusammen. Davon sind indes nicht nur die Transakteure und Positionen schlechter Qualität betroffen, sondern auch die an sich guten Transaktionen und Positionen. Jegliches Vertrauen schwindet. Der Zusammenbruch des Segmentes zieht benachbarte Segmente mit nach unten. Auf der realwirtschaftlichen Seite kommt es zu einer Rezession. 14.2.2 Eine Krise der Stärke 3 Eine Finanz- und Wirtschaftskrise der Stärke 3 wurde so charakterisiert: Bereits kurz nach ihrem Ausbruch sind die globalen Finanzmärkte betroffen. Die wirtschaftlich bedeutenderen Staaten und Währungsräume oder die ganze Welt müssen depressive Einbrüche in der Realwirtschaft hinnehmen. Das BIP bricht um 15% oder mehr ein. Weite Teile der Bevölkerung geraten in Not. Rettung sehen die einen in einer Währungsreform, die anderen in einer Änderung der Eigentumsrechte. Alle suchen einen ordnungspolitischen Neubeginn. <?page no="236"?> 14.2 Globale und tiefere Krisen 237 Solchermaßen tiefe Krisen hat es im zwanzigsten Jahrhundert in Deutschland mehrfach gegeben. Eine entstand in Folge des ersten Weltkriegs 1914-1918, und diese Krise mündete anschließend in die bis 1923 andauernde Hyperinflation. Ebenso befand sich Deutschland in einer tiefen wirtschaftlichen Krise in den zwei Jahren vor und nach Ende des zweiten Weltkriegs, also in den Jahren 1943-1947. Wir betrachten im Folgenden etwas genauer die Weltwirtschaftskrise 1929-1932 (Great Depression). Mit einem Kurssturz am 24. Oktober 1929 begann der schwerste wirtschaftliche Einbruch in allen Industrienationen. Ein Drittel aller Banken in den USA gingen bankrott, Massenarbeitslosigkeit setzte ein und bestand für ein Jahrzehnt. Niemand hatte Geld für Konsum, niemand wollte oder konnte Vermögensobjekte bezahlen. Die Deflation ließ die Wirtschaft in den USA in sich zusammenbrechen. H ERBERT C. H OOVER (amerikanischer Präsident von 1929-1933), ergriff nur zögerlich Maßnahmen und konnte die Abwärtsspirale nicht aufhalten. Die Wirtschaftskrise weitete sich global aus. Das Ende der Great Depression kam erst um 1933 in Sicht, als die US-Notenbank zu einer Lockerung der Geldpolitik griff und den Dollar (in Relation zu Gold) um 40 Prozent abwertete. F RANKLIN R OOSEVELT (Präsident von 1933-1945) initiierte den New Deal zur Linderung der Not. Die Gleichzeitigkeit der Krise in allen Industrieländern erklärt sich aus der Verzahnung durch Handel sowie aus der damals schon vorhandenen Globalität der Finanzströme. Gemeint sind nicht allein die Geldströme von Finanzanlegern. Beispielsweise hat die US- Notenbank in der Krise von Deutschland die Rückzahlung gegebener Kredite mit Gold verlangt. Dadurch hat sich die Krise auf Deutschland übertragen, weil dort die Geldversorgung litt (auch wenn die Reichsmark wie der US-Dollar nur zu 40% durch Gold gedeckt sein musste). In den „Goldenen Zwanziger Jahren“ kam es überall zu einem starken Wirtschaftsaufschwung. 1. Er war getrieben von der Neuigkeit von Konsumgütern wie Auto, Kühlschrank und Radio. 2. Die Werte von Industrieanlagen für diese Konsumgüter stiegen an. 3. Gleichzeitig stieg die Produktivität in diesen Industrien durch neue Managementformen (Taylorismus). Auch in der Landwirtschaft war die Produktivität gestiegen (Traktoren, Dünger). 4. Durch eine lockere Geldpolitik wurde der Kauf der Konsumgüter auf Kredit gefördert. Die Kredite für Konsumzwecke sind in den USA von 100 Millionen Dollar 1919 in den zehn Jahren bis 1929 auf 7 Milliarden Dollar angestiegen - eine jährliche Steigerungsrate von über 50%. 5. Parallel zum Konsum hat die lockere Geldpolitik in Unternehmungen die Finanzierung von Investitionen erleichtert. Die Unternehmen weiteten ihre Produktionskapazitäten aus. Doch irgendwann zeigte sich Überkapazität, und gleichzeitig wurde die Geldversorgung restriktiver. Die verlangte Golddeckung engte die Geldschöpfung ein. Unternehmen gerieten in Konkurs, doch niemand wollte oder konnte ihr Vermögen (Maschinen, Grundstücke) übernehmen und weiterführen. Auch die Preise für andere Vermögenspositionen fielen. Arbeitslosigkeit und soziale Not folgten. Im Herbst 1932 gab es in Deutschland 23 Millionen Menschen, die von Arbeitslosengeld und Sozialhilfe lebten, das BIP war um über 40 Prozent gefallen. Der Außenhandel kam zum Erliegen. Die deflationäre und nach unten führende Spirale wurde erst Jahre später <?page no="237"?> 238 14 Kapitel: Finanzkrisen beendet. Die Aufgabe des Goldstandards (Großbritannien 1931, USA 1933, Frankreich 1936) erlaubte es, die Wirtschaft wieder ausreichend mit Geld zu versorgen. Die Größe im „System“, die in der Weltwirtschaftskrise über Jahre hinweg gewachsen ist, war nicht so sehr ein Preis (wie 1637 für Tulpen, 1719 für Aktien der Gesellschaft in Übersee, 1837 für Land) als vielmehr die Produktionskapazität für Konsumgüter (Auto, Kühlschrank, Radio, Nahrungsmittel). Es gab Überkapazitäten, weil das Neue an Auto, Kühlschrank und Radio faszinierte und weil Produktionskapazitäten für diese Konsumgüter den Unternehmungen ein Eldorado versprachen. Zu Anfang der Goldenen Zwanziger war die Geldpolitik locker, und zwar aus mehreren Gründen. Einer der Gründe: Die Kapazitäten der alten Staatsindustrien für Schiffe und Waffen aus der Zeit des Ersten Weltkriegs wurden obsolet. Mit einer lockeren Geldpolitik konnte das Schicksal dieser obsoleten Industrien sozial verträglich gestaltet und der industrielle Strukturwandel begünstigt werden. Die lockere Geldpolitik konnte aber nicht weiter durchgehalten werden, weil irgendwann die gesetzliche Golddeckung der Zentralbank es verunmöglichte, das nötige Geld zu schöpfen. Die Geldpolitik war nicht nachhaltig. Geld war zusehends rationiert, und die Banken konnten keine Kredite mehr geben. 14.3 Ursachenforschung 14.3.1 „Boom and Bust“ In allen genannten Finanzkrisen spielte eine wesentliche Rolle, dass Investoren sich weit über ihre natürlichen Möglichkeiten und ihre nachhaltig anzusehende Finanzkraft hinaus in Positionen engagiert haben, nur um an vermeintlich dauerhaften Preisavancen partizipieren zu können. Das ist nur deshalb möglich, weil der Finanzmarkt liquide ist, und viele schnell mit Kredit „spekulative“ Positionen aufbauen können. Vielleicht wird auch das Spekulative an den eingegangenen Positionen gesehen, doch die Liquidität verführt zur Denkweise, dass man mit Flinkheit schnell noch rechtzeitig aussteigen könne. Die besprochenen Krisen sind sämtlich nach dem gleichen Schema von „Boom and Bust“ abgelaufen. 1. Es beginnt mit Preisavancen bei Vermögenspositionen, deren wahrer innerer Wert schwer einzuschätzen ist, weil die Position Elemente des Neuartigen in sich trägt und weil ein gewisser Informationsmangel besteht. 2. Die Vermögensposition wird auf einen sehr weiten Horizont als versprechend angesehen, und scheinbar hat sie kein Substitut. Der Preis ist daher nicht verankert. 3. Unterstützt werden die Preisavancen durch eine Politik des leichten Geldes, durch vergleichsweise geringe Zinssätze und Leichtigkeit bei der Kreditvergabe. 4. Irgendwann kommt es zu einem Umdenken bei einzelnen Investoren, wodurch der bis dahin aufwärts gerichtete Preistrend gebrochen wird. Dieses Umdenken entsteht durch das Erreichen einen enormen Preisniveaus, durch inzwischen anziehende Zinsen oder durch die Einschätzung, dass die Vermögensposition doch Substitute <?page no="238"?> 14.3 Ursachenforschung 239 besitzt und ihr Preis daher von anderen Preisen abhängt und in diesem Licht hoch erscheint. 5. Ist der Preistrend gebrochen, kann leicht Panik entstehen, weil viele Finanzinvestoren Schulden gemacht haben. Der einsetzende Preisverfall bewirkt, dass sie ihre Kredite nicht mehr bedienen können und Banken in die Insolvenz geraten. Eine Finanz- und Bankenkrise kann sich dann zu einer Wirtschaftskrise ausweiten. Dieses Muster hat auch der Wirtschaftshistoriker C HARLES P. K INDLEBERGER (1910-2003) in seinen Büchern aufgezeigt: Ein anfänglicher Kursanstieg lockt neue Käufer an. Zunächst sind es Personen, die noch ein direktes Interesse an der Position haben. Irgendwann kommen Spekulanten dazu, die nur auf weitere Kursanstiege setzen und die sich teils erheblich verschulden. Alle haben Erklärungen parat, die ihre Engagements ökonomisch vernünftig erscheinen lassen. Dazu gehört der Hinweis, die Positionen seien neuartig oder die Wirtschaft befinde sich in einem neuen Zustand (New Economy), weshalb traditionelle Bewertungsansätze versagen würden. Der Preisaufschwung erscheint demnach nicht irrational, sondern folgt allgemein anerkannten Überlegungen. Das Verhalten der Investoren ist erklärbar, nachvollziehbar, rational. Welches waren die Vermögenspositionen, deren Wert laufend höher eingeschätzt wurde? Wir gehen auf zwei unserer Beispiele näher ein: Bei der Weltwirtschaftskrise waren die Vermögenspositionen, die zunehmend als wertvoller angesehen wurden, die Produktionseinrichtungen von Autos, Radios, Kühlschränken und den anderen Konsumgütern, die damals neu waren und vermehrt von der Allgemeinheit nachgefragt wurden. Die hohen Erwartungen zukünftiger Nützlichkeit brachen in sich zusammen, als Überkapazitäten bekannt wurden. Bei der Subprime-Krise wurden US-Immobilien - ähnlich wie in Deutschland das „Betongold“ - aufgrund des Platzens der Dot-Com-Bubble 2000 in ihrer weiteren Werthaltigkeit und Wertentwicklung überschätzt. Auch die Zahlungsfähigkeit der Käufer dieser Immobilien wurde überschätzt. Letztlich standen bei der Subprime-Krise als Vermögensposition die US-Wirtschaft und ihr zukünftiges Wachstum im Zentrum. Im Klima geringer Zinsen wurden die US-Wirtschaft als zunehmend wertvoller angesehen - bis die problemlose Funktionsweise von US-Wirtschaft und kreditfinanziertem Konsum kritisch hinterfragt wurde. 14.3.2 Marx, Keynes und Minsky In der Vergangenheit haben sich an den Finanzmärkten zahlreiche Krisen ereignet. Charles Kindleberger konnte immerhin 46 bedeutende Preisblasen untersuchen. Da entsteht die Frage, warum Finanzmärkte anscheinend zur Instabilität neigen. Wir hatten die Liquidität mit dem Kapitalismus in Verbindung gebracht (Abschnitt 2.1). Deshalb können wir die Frage etwas plakativer formulieren: Warum kommt es im Kapitalismus immer wieder zu Krisen? Wir skizzieren die Antworten, die M ARX , K EYNES und M INSKY gegeben haben. Marx sah die Krisen als Ergebnis der Spannungen zwischen Arm und Reich. Keynes sah die Notwendigkeit des Staates, mit autonomer Nachfrage lenkend und gegenlenkend einzugreifen, weil im Konjunkturtief selbst bei sehr tiefen Zinsen die Nachfrage von privater <?page no="239"?> 240 14 Kapitel: Finanzkrisen Seite zu gering ist. Minsky sah die Krisen als Ergebnis eines kollektiv gleichgerichteten Verhaltens, das auf einzelwirtschaftlicher Ebene durchaus rational ist. Einer der ersten, die zum Kapitalismus eine kritische Lehre entwickelt haben, ist K ARL M ARX (1818-1883), Nationalökonom, Gesellschaftstheoretiker, Protagonist der Arbeiterbewegung und Kritiker der bürgerlichen Gesellschaft des neunzehnten Jahrhunderts. M ARX sah die Krisen des Kapitalismus als Ergebnis von Spannungen, die sich aus den Unterschieden zwischen zwei verschiedenen „Klassen“ ergeben würden. Die eine Klasse, so Marx, könne Kapital akkumulieren und ihr Reichtum ginge auf die Ausbeutung der Arbeiter zurück. In seinem dreibändigen Hauptwerk „Das Kapital“ führt Marx aus, der Kapitalismus sei von Grund auf falsch angelegt, weil er eine inhärente Kraft zur Bildung der beiden Klassen entfalte. Deshalb müsse er als Wirtschaftsform abgeschafft werden. Marx kritisiert die Güterwirtschaft, den Wertbegriff, die Produktions- und Distributionsverhältnisse, polemisiert gegen die klassische Nationalökonomie (A DAM S MITH , D AVID R ICARDO ) und entwirft die These des unversöhnlichen Klassengegensatzes zwischen „Proletariat“ und „Bourgeoisie“. Von ganz anderer Seite argumentierte der große Nationalökonom des zwanzigsten Jahrhunderts, J OHN M AYNARD K EYNES . Märkte seinen nicht immer in einem Gleichgewicht, und nicht jedes Angebot fände irgendwo eine Nachfrage, so dass entsprechende Transaktionen stattfinden würden - wie ein Gesetz von J EAN -B APTISTE S AY (1767-1832) postuliere. Ein Beispiel sah Keynes in einer Investitionsfalle. Unternehmer würden nur dann Realinvestitionen tätigen, wenn sie die zukünftigen Absatzmöglichkeiten für ihre Produkte positiv einschätzen. Ist das nicht der Fall, weil sie die Zukunft zu pessimistisch sehen, dann würden die Unternehmer auch dann nicht investieren, wenn die Zinsen sehr tief seien. Ähnlich wirkt eine Situation, in der die Investoren einen Rückgang der Preise für Vermögensobjekte erwarten. Dann hören sie mit dem Investieren auf, weil die Investitionen nur an Wert verlieren würden. Im Rahmen einer lockeren Geldpolitik würden diese Personen zusätzlich geschaffenes Geld nicht ausgeben, sondern in einer Spekulationskasse horten. Das neu geschaffene Geld regt die Wirtschaftstätigkeit nicht an, sondern verschwindet in einer Liquiditätsfalle. In solchen Situationen, so Keynes, solle der Staat als Nachfrager auftreten und eventuell Kredite aufnehmen, um Nachfrage zu zeigen (Deficit-Spending). Da die Marktwirtschaft immer wieder in Konjunkturzyklen aus einem Zustand der vernünftigen Auslastung der Produktionskapazität herauslaufe, komme dem Staat die Aufgabe zu, in die Wirtschaft lenkend und später gegenlenkend einzugreifen. In einem Konjunkturabschwung solle der Staat als Nachfrager auftreten um bei einem Konjunkturaufschwung eher die Nachfrage auch der privaten Seite dämmen. In unserem Jahrhundert hat besonders der Amerikaner H YMAN P. M INSKY (1919-1996) der auf Märkten und Finanzmärkten basierenden Wirtschaftsordnung eine inhärente Neigung zur Instabilität zugesprochen. Seine Lehre steht im Gegensatz zu dem Glauben, der Markt finde stets wieder zu einem Gleichgewicht. Minsky meint, das freie Marktgeschehen führe immer wieder zu einer Übertreibung. Krisen seien daher im Kapitalismus unvermeidbar. Um seine These zu erklären, beginnt Minsky mit einer Wechselwirkung zwischen Real- und Finanzwirtschaft: Realwirtschaftliches Wachstum und zunehmende Prosperität schaffen Vertrauen und geben Zuversicht. Investoren und Unternehmen sind deshalb zunehmend bereit, Kredite aufzunehmen. Der wirtschaftliche Erfolg gibt ihnen recht. Bald gehen die Wirtschaftssubjekte sogar gewagtere Positionen ein und setzen darauf, dass sich die positive <?page no="240"?> 14.4 Fazit zum Kapitel Finanzkrisen 241 realwirtschaftliche Entwicklung und das Wachstum fortsetzen. Für jeden Einzelnen ist es richtig und rational, in wirtschaftlich guten Zeiten mehr Risiken auf sich zu nehmen. Da aber alle Personen so denken, entsteht in wirtschaftlich guten Zeiten ein gleichgerichtetes Verhalten im Kollektiv. Alle beginnen mit einer gleichgerichteten Spekulation, so dass sich Aufwärtsentwicklung und Wachstum fortsetzen werden. Die Erfolge wiegen in Sicherheit. Doch irgendwann werden Zweifel am kollektiven Optimismus laut. Einzelne „Aussteiger“ lassen andere Personen erkennen, dass ihre Positionen nur erfolgreich sind, sofern und solange alle anderen dabei bleiben. Schnell kann Panik entstehen und der Aufschwung kehrt sich in einen Crash. So folgt nach einem Aufschwung irgendwann ein plötzlicher Verfall (Minsky-Kollaps). In dieser Sicht wurden auch Indizes und Kennzahlen entwickelt, wann eine anfangs positive Sicht der weiteren Entwicklung zu einer gefährlichen, kollektiv übereinstimmenden Begeisterung wird. Im Bereich der Wohnimmobilien beispielsweise wird eine Preisbildung als zu gefährlich angesehen, wenn die Preise a) mehr als das Zwanzigfache des verfügbaren Jahreseinkommens betragen, b) wenn Banken aufgrund höherer Preise sich mit weniger als 20% Eigenkapital zufrieden geben, c) und wenn die Privathaushalte länger als 30 Jahre benötigen würden, den Immobilienkredit abzubezahlen. Im Licht der Wirkungsweise eines Minsky-Kollapses kann den Investoren an den Finanzmärkten nur der Rat gegeben werden, die Liquidität der Finanzmärkte als eine Eigenschaft zu schätzen, die Wohlstand schafft. Die Möglichkeiten liquider Finanzmärkte sollten hingegen nie zum Eingehen von Positionen verführen, die vom Einzelnen nicht nachhaltig bewältigbar sind. 14.4 Fazit zum Kapitel Finanzkrisen 14.4.1 Zusammenfassung Krisen sind Störungen des Finanz- und Wirtschaftssystems, welche nicht nur die Bewertungen von Finanzaktiva und realen Gütern verändern und damit eine Neuordnung von Vermögens- und Schuldpositionen nach sich ziehen, sondern welche ebenso zu einem Einbruch in der Funktionsweise von Märkten, in der Liquidität des Handels sowie im Vertrauen der beteiligten Marktteilnehmer führen. Krisen können in unterschiedlicher Stärke ausfallen. Krisen der Stärke 1 stellen Verwerfungen des Finanzsystems dar, welche punktuell einzelne Segmente betreffen und die durch Rettungsmaßnahmen (Bail-Outs) des Staates sowie der Zentralbanken begrenzt werden können. So bleiben gravierende Konsequenzen für die Realwirtschaft weitgehend aus. Krisen der Stärke 2 betreffen dagegen bereits verschiedene Segmente der Finanzmärkte und führen zu negativen Konsequenzen für die Realwirtschaft im betroffenen Land, vielleicht darüber hinaus auch zu Rezessionen in mit diesem wirtschaftlich verbundenen Ländern. Entsprechend müssen Rettungsmaßnahmen international koordiniert werden. Krisen der Stärke 3 sind noch gravierender: Diese beinhalten massive Einbußen im BIP, von welchen weite Teile der Weltwirtschaft betroffen sind. <?page no="241"?> 242 14 Kapitel: Finanzkrisen Hinsichtlich der Ursachen von Krisen existiert ein breites Spektrum an Einschätzungen: Während K ARL M ARX Krisen auf die Fehlallokation von Kapital durch die vermögenden Klassen sowie auf Spannungen in Folge der Ausbeutung von Arbeitern durch die Unternehmer zurückführte, stand bei J OHN M AYNARD K EYNES die Liquiditätsfalle im Zentrum. Demnach kann sich eine Krise dadurch bilden und vor allen Dingen verstärken, dass die Unternehmer bei einer pessimistischen Einschätzung der wirtschaftlichen Situation nicht mehr investieren, weshalb der Staat in solchen Fällen mittels Deficit-Spending eingreifen sollte. Eine weitere Erklärung liefert H YMAN P. M INSKY : Er zeigt auf, dass Verhaltensweisen, welche im Einzelfall rational sein mögen, im Kollektiv in Übertreibungen und Fehlbewertungen münden können, dies insbesondere bei mangelhafter Information. Einzelne Abweichungen vom Preistrend und in den Verhaltensweisen der Marktteilnehmer können dann schnell zu Panik und großen Preiskorrekturen führen (Minsky-Kollaps). 14.4.2 Lernpunkte 1. Es gibt Krisen der Stärke 1 (punktuelle Verwerfungen des Finanzsystems), der Stärke 2 (mehrere Segmente des Finanzmarktes sind betroffen mit Implikationen auf die Realwirtschaft) sowie der Stärke 3 (massive Einbrüche im BIP in weiten Teilen der Weltwirtschaft). 2. Die Tulpenmanie um 1637 in Holland, die Spekulationen am Silbermarkt 1973 bis 1980, die Aktienspekulationen in Hongkong vor 1987 sowie die Carry Trades des Hedge-Funds LTCM um 1998 stehen in Verbindung mit Finanzkrisen der Stärke 1. 3. Die Mississippi-Bubble von 1719, die Asienkrise von 1997, die Dot-Com-Bubble um 2000 sowie die Subprime-Krise von 2007-2008 sind bzw. führten zu Krisen der Stärke 2. 4. Die Weltwirtschaftskrise 1929-1932 ist ein Beispiel einer Finanzkrise der Stärke 3, weil damals die wirtschaftliche Leistung in einer Vielzahl von Ländern massiv eingebrochen war. 5. Der Minsky-Kollaps geht auf ein gleichgerichtetes Verhalten an den Finanzmärkten zurück, dessen preistreibende Dynamik plötzlich durch den Ausstieg von Einzelnen unterbrochen wird, wodurch sich Panik unter den Finanzinvestoren bildet und die Preise kollabieren. 14.4.3 Erwähnte Namen C AROLUS C LUSIUS , H ERBERT H OOVER , N ELSON B UNKER H UNT , W ILLIAM H ERBERT H UNT , J OHN M AYNARD K EYNES , C HARLES P. K INDLEBERGER , J OHN L AW , L UDWIG XIV, K ARL M ARX , J OHN W. M ERIWETHER , R OBERT C. M ERTON , H YMAN M INSKY , R OBERT N G , C HARLES P ONZI , F RANKIN D. R OOSEVELT , J EAN -B APTISTE S AY , M YRON S CHOLES . 14.4.4 Schlüsselbegriffe Asienkrise, Bail-Out, Boom and Bust, Carry Trade, Collateralized Debt Obligation (CDO), COMEX, Deficit-Spending, Dot-Com-Bubble, Euro-Krise, Handelsplattform Xetra, International Monetary Fund (IMF), Investitionsfalle, Liquiditätsfalle, Long Term Capital <?page no="242"?> 14.4 Fazit zum Kapitel Finanzkrisen 243 Management (LTCM), Minsky-Kollaps, Mississippi Bubble, Silbermarkt, Störung, Subprime Crisis, Subprime Segment, Tulpenmanie, Ursachenforschung, Weltwirtschaftskrise. 14.4.5 Fragen zur Lernstandskontrolle 1. Technische Störungen beim Handel ausklammernd, wurden in Kapitel 14 drei Arten von Krisen nach ihrer Schwere unterschieden. Erstens wurden Krisen betrachtet, die allenfalls in einem (engen) Marktsegment Folgen haben (Krisenstärke 1). Zweitens wurden Krisen betrachtet, die in weiten Teilen der Finanzmärkte Folgen haben und sogar zu einer Rezession hier und da aber nicht in allen Ländern führen (Krisenstärke 2). Drittens wurden Krisen untersucht, die sich auf die Finanz- und Realwirtschaft weltweit auswirken und in mehreren Ländern Einbrüche des BIP von 10% und mehr zur Folge haben. Geben Sie jeweils Beispiele. [Antwort: Abschnitte 14.1 und 14.2] 2. a) Was wird unter „Carry Trade“ verstanden? b) Welche Anlagepolitik hatte LTCM verfolgt und warum hat die Politik das gesamte Vermögen des Hedge-Funds vernichtet? c) Wie hing die Russlandkrise mit der Asienkrise zusammen? d) Warum haben verschiedene Banken LTCM geholfen? [Antworten: Abschnitt 14.1.3] 3. a) Wie kam es zur „Subprime Crisis“ in den USA? b) Was verbirgt sich hinter der Abkürzung CDO und welche Rolle haben diese Instrumente bei der Subprime Krise gespielt? c) Sind mit CDO ähnliche Instrumente angesprochen wie mit CDS? [Vergleiche zu CDS Abschnitt 9.3.3; Antwort: Abschnitte 14.1 und 14.2] 4. Führen Sie vier Gründe der Finanzkrise 2007-2008 an! [Antwort: Kasten in Abschnitt 14.2.1] 5. Ein allen Krisen gemeinsames Ursachenmuster hat H. Minsky aufgezeigt: Eine wichtige Rolle spielen Vermögenspositionen, die in ihrer wirtschaftlichen Bedeutung immer mehr überschätzt werden, wodurch sich Preis-Bubbles bilden. a) Welche Vermögensposition wurde in den Jahren vor der Weltwirtschaftskrise überschätzt? [Antwort: Produktionskapazität für Konsumgüter]. b) Welche Wechselwirkung zwischen Real- und Finanzwirtschaft führt zum Minsky-Kollaps? [Zur Lösung siehe Abschnitt 14.3.2] <?page no="244"?> 15. Konklusion zum Thema Das Geschehen in der Finanzwirtschaft wird von Märkten, von Finanzmärkten geprägt. Finanzmärkte bewerkstelligen die Allokation von finanziellen Positionen, also von Ansprüchen auf Zahlungen, die in der Zukunft erfolgen und deren Grundlage ein Finanzkontrakt ist. Finanzmärkte erfüllen drei Grundfunktionen: sie allozieren Kapital und Risiken und erzeugen Informationen (über die wirtschaftliche Zukunft, von der die Zahlungen der Finanzpositionen abhängen). Dabei zeigen Finanzmärkte, so wie sie vor allem in Börsen mit verschiedenen Handelsformen organisiert sind, wünschenswerte Eigenschaften. Allem voran sind die Transaktionskosten äußerst gering. Die Märkte entwickeln eine hohe Liquidität. Im Verlauf ihrer Entwicklung sind sie vollständig geworden: Das heißt, dass es Kontrakte gibt, die sich auf alle erdenklichen Ereignisse beziehen. Dazu sind sie zu Dicke gelangt: Die meisten Positionen können durch mehrere Kombinationen oder Sequenzen von Kontrakten konstruiert werden. In den Finanzmärkten führen viele Wege nach Rom. Dabei sind die Finanzmärkte nicht nur geräumt, sondern arbitragefrei. Die Arbitragefreiheit ist wichtig für die Bewertung von Finanzpositionen und Finanzkontrakten. Besonders gut organisierte Märkte - Handel in Wertpapieren, große Handelsvolumina, Beobachtung durch Analysten, zahlreiche Trader - erzeugen die zuvor genannten Informationen auf eine besonders leichte, schnelle, korrekte und umfassende Weise. Diese Märkte sind informationseffizient. Die Informationseffizienz macht das Marktgeschehen fair, und die Märkte können für einen direkten Zugang selbst von Laieninvestoren geöffnet werden: Wer ein Wertpapier kauft, bezahlt als Preis genau den Wert, der sich aufgrund der allgemeinen Information ergeben würde, nicht mehr. Wer ein Wertpapier verkauft, erhält als Preis genau den Wert, auf den eine getrennt vorgenommene Wertrechnung führen würde. „You get, what you pay for it“, wird in Chicago gesagt. Die Allokation von Risiken wird erstens durch die Diversifikation unterstützt, für die Portfolios gebildet werden. Zweitens gibt es spezielle Instrumente, die primär nicht der Kapitalallokation sondern der Weitergabe oder der Übernahme von Risiken dienen. Dazu gehören Futures, Optionen, Swaps und andere Derivate. Die Allokation der Risiken verlangt vom einzelnen Investor zwischen der Risikoaversion und der beschränkten Risikotragfähigkeit einerseits und der Möglichkeit, eine Risikoprämie zu erwarten andererseits abzuwägen. <?page no="245"?> 246 15 Konklusion zum Thema Finanzmärkte Der von Harry Markowitz, James Tobin und anderen geschaffene Ansatz der Modernen Portfoliotheorie erklärt genau, welche Risiken auch nach Diversifikation noch verbleiben und welche Risikoprämie mit dem so genannten Marktportfolio verbunden ist. Und so wie ein Anleger ein Portfolio aus Wertpapieren bildet, werden auf der Seite der Kapitalverwendung, etwa in einer Unternehmung, diverse Finanzierungen kombiniert. Das dortige Portfolio wird als Kapitalstruktur angesprochen. Das alles ist „nicht rein theoretisch“ vorgetragen. Vielmehr hat das Buch an einigen Stellen uns die Wirklichkeit der Finanzmärkte vorgeführt. In Abschnitt 3.2 gehen wir auf die wichtigsten Handelsplätze ein und zeichnen die historische Entwicklung in Großbritannien, den USA, Deutschland und in der Schweiz nach. In der Frage, ob die Finanzwirtschaft die Realwirtschaft dominiere (Kapitel 4) werden drei Phasen der Entwicklung und Reife von Finanzmärkten unterschieden. Bei den Zinsinstrumenten (Kapitel 8) werden die diversen Wertpapiere, die in der Praxis verwendet werden, im Detail angesehen. Gleiches trifft bei der Behandlung des Zinsrisikos (Kapitel 9) zu, wo ebenso die praktischen Instrumente besprochen werden. Selbstverständlich setzt sich das fort, so etwa beim Financial Engineering und der Betrachtung Strukturierter Produkte (Kapitel 13). Schließlich beginnt die Untersuchung von Finanzkrisen (Kapitel 14) mit der Darstellung von neun bedeutsamen Krisen, überschrieben mit Tulpenmanie 1637, Silbermarkt 1980, Hongkong 1987, LTCM 1998, Mississippi Bubble 1719, Asienkrise 1997, Subprime-Crisis 2007, Euro-Krise 2012, Weltwirtschaftskrise 1929-1932. Was bleibt? Viele Menschen haben heute gegenüber den Finanzmärkten eine zwiespältige Haltung. Einerseits wird der Wohlfahrtsgewinn anerkannt, den Wertpapiere und ein liquider Handel bieten. Andererseits finden einige die Vorstellung etwas unheimlich, dass, was in den Unternehmen und an den Arbeitsplätzen geschieht, von „draußen“ beeinflusst wird. Nun, das hat auch sein Gutes. Wir, die Autoren, hatten zur vorangegangenen Auflage auch Rückmeldungen von „draußen“, von der Leserschaft. Wir haben die Hinweise und Kommentare sogar gern aufgenommen und sind Ihnen, den Leserinnen und Lesern dieses Buches, für diese Unterstützung von „draußen“ verpflichtet. Vielen Dank! 15.1 Drei Hauptbotschaften Liquidität: Finanzmärkte oder Kapitalmärkte sind entstanden, damit Finanzverträge leicht übertragbar sind. Der Wunsch nach Liquidität steht bei der Verbriefung von Finanzkontrakten und bei der Organisation des Handels durch die Schaffung einer Börse im Vordergrund. Weil die Finanzinvestoren Liquidität schätzen, sind sie mit einer niedrigeren Verzinsung und mit geringeren Renditen einverstanden. Die Kapitalkosten werden reduziert. Das ist gut, weil Realkapital günstiger finanziert werden kann, in der Realwirtschaft mehr investiert wird, zusätzliche Arbeitsplätze geschaffen werden, und weil von den Ergebnissen, die in der Realwirtschaft erzielt werden, mehr für die übrigen Anspruchsgruppen übrig bleibt. Außerdem kommen durch die Öffnung der Kapitalmärkte Anlagebeträge zusammen, ohne die sich die moderne Wirtschaft nie hätte entwickeln können. Kapitalmärkte erhöhen die Wohlfahrt. Sie als Spielwiese allein für Reiche zu sehen, wäre einseitig. Die leichte Weitergabe von Finanzkontrakten, die Liquidität, ergibt sich vor allem aus den für Märkte typi- <?page no="246"?> 15.2 Literatur 247 scherweise geringen Transaktionskosten. Geringe Transaktionskosten und Liquidität begünstigen die Bildung von Portfolios, und sie fördern die Informationseffizienz. Zufall: Die Preisentwicklung, die Renditen an einem informationseffizienten Markt verändern sich im Spiegelbild des Stroms neuer Nachrichten. Da wirklich neue Nachrichten überraschend kommen und ihr Inhalt überraschend ist, sind sie unsicher. In der Verarbeitung des Stroms unsicherer Nachrichten und Meldungen gelangen informationseffiziente Märkte zu Preisen und Renditen, die eben diese Zufälligkeit widerspiegeln. Die Renditen (für eine zukünftige Periode) sind zufällig. Risikoprämie: Wenn dem so ist, stellt sich die Frage, welcher Finanzinvestor bereit ist, sich bei unsicheren Entwicklungen zu engagieren. Die Antwort lautet, dass es eine Risikoprämie geben muss. Wie hoch die Prämie ist, die beim Tragen von Risiken erwartet werden kann, ist eine vor allem empirisch zu klärende Frage. Die Prämie wird durch den Unterschied zwischen der Rendite, die auf ein gut diversifiziertes Aktienportfolio zu erwarten ist und dem Zinssatz beziehungsweise der Rendite für Anleihen gemessen. Diese Risikoprämie würde man aufgrund der historischen Renditen, die an den Kapitalmärkten in den verschiedenen Ländern Realität wurden, mit 4% bis 5% beziffern. Sehr langfristige Studien der historischen Renditen kommen zwar nur auf Aktienrenditen in einer mittleren Höhe. Doch etwa ab 1950 waren die Aktienrenditen, die Dividenden und Kurssteigerungen in Relation zum eingesetzten Kapital ausdrücken, recht hoch. Sie waren seit 1950 höher als in den Jahrzehnten davor, für die wir Börsendaten haben. Sie waren auch höher als sie im Vergleich zur Realwirtschaft hätten sein dürfen. Anscheinend gilt ab 1950 nicht mehr die Metapher von Schumpeter: Herr (Realwirtschaft) und Hund (Finanzwirtschaft) sind auf ihrem gemeinsamen Spaziergang nur durch eine lockere Leine verbunden, so dass der Hund einmal vorauseilen kann, ein andermal etwas zurückbleibt. Doch gehen sie letztlich zusammen. Im Jahr 1950, um im Bild zu bleiben, hat sich der Hund losgerissen und ist auf und davon gesprungen. Finanzmärkte sind zu einem Höhenflug gestartet und schweben weit über der Realwirtschaft. Wenn wir unsere Erwartungen aufgrund der Entwicklung der Realwirtschaft formulieren, so gelangen wir zu Risikoprämien zwischen 2% und 3%. 15.2 Literatur Wir haben uns in diesem einführenden Lehrbuch dafür entschieden, nicht jede Feststellung durch konkrete Literaturhinweise zu untermauern. Einige Namen sind genannt worden, und sie werden bei Interesse weiterhelfen. Mit den heutigen Suchmaschinen kommen Sie, liebe Leserin und lieber Leser, schnell an aktuelle Literatur, wenn sie es für eine Arbeit benötigen. Studierende, die den Text des Buches vorweg getestet haben, wünschten sich statt einer langen Literaturliste ein oder zwei kommentierte Hinweise. Wenn wir auf eine Insel gingen und dürften nur vier Bücher mitnehmen, das wäre unsere Wahl: 1. P ETER L. B ERNSTEIN : Capital Ideas - The Improbable Origins of Modern Wall Street. Oder das neuere Buch Capital Ideas Evolving vom selben Autor. Die faszinierenden Bücher <?page no="247"?> 248 15 Konklusion zum Thema Finanzmärkte bieten eine Geschichte der Entdeckungen im Finance und erklären sie dabei. Sie sind leichtverständlich geschrieben und lesen sich wie ein Kriminalroman. 2. E LROY D IMSON , P AUL M ARSH und M IKE S TAUNTON : Triumph of the Optimists - 101 Years of Global Investment Returns. Princeton University Press, 2002. Die drei Autoren haben Finanzmarktdaten verschiedener Länder zusammengestellt und ihre zahlreichen Tabellen und Grafiken zum Ausgangspunkt von Erklärungen gemacht. So belegt dieses Buch anhand des Zahlenmaterials neue Zusammenhänge - und verwirft so manchen populären Glauben als unbestätigt. 3. Immer wieder fasziniert die Psychologie der Marktteilnehmer: H ERSH S HEFRIN : Beyond Greed and Fear - Understanding Behavioral Finance and the Psychology of Investing. Harvard Business School Press, 2000. Hier werden Erscheinungen wie „Overconfidence“ oder die „Myopik“ ebenso besprochen wie Methoden zur Messung der „Stimmung“ mittels Optionen. 4. Das vierte Buch in unserer Reisetasche ist ein Klassiker über Krisen an den Finanzmärkten. Es trägt den Titel Manias, Panics, and Crashes und wurde von C HARLES K INDLEBERGER geschrieben. Das Buch wird seither immer wieder aufgelegt. Es ist eine historische Darstellung, die dazu verhilft zu verstehen, wieso es zu all diesen Krisen kommen konnte. 15.3 Glossar als Lernkasten AAA, gesprochen „Triple A“, ist das Rating für eine erstklassige Schuldnerbonität, in der Bezeichnungsweise der Rating-Agentur Standard & Poor’s. Die Rating-Agentur Moody’s notiert diese höchste Bonität als Aaa. In den USA sind die Schulnoten A, B und C. ABS, Abkürzung für Asset Backed Securities. Bezeichnung für Wertpapiere (Securities), die sich auf einen klar definierten Pool von Vermögenswerten (Assets) beziehen, an dem sich die Investoren beteiligen können. Eine verbreitete Form und damit Untergruppe der ABS sind mit Hypotheken (Mortgages) gesicherte Wertpapiere, so genannte Mortgage Backed Securities (MBS). Abstützung der Preisbildung: Preise für Finanzpositionen gelten als „breit abgestützt“ oder „gut verankert“, wenn sie auf verschiedenste Weise erreicht werden können und wenn sie zahlreiche Substitute haben. Der Umfang der breiten Abstützung und des Vorhandenseins von Substituten wird auch als Dicke (Thickness) bezeichnet im Gegensatz zu einem (als dünn bezeichneten) Teilsegment des Marktes, das von anderen isoliert ist und in dem die Preisbildung nicht mit der in anderen Marktsegmenten zusammenhängt. ADR, Abkürzung für American Depositary Receipt. Schuldverschreibungen von Banken, die Rechte am Eigentum an einer Aktie verbriefen. Es handelt sich im Grunde genommen um Quittungen. In den USA übliche Beteiligungsform an ausländischen Aktiengesellschaften, deren Aktien nicht in den USA gehandelt werden. ADRs werden an US-Börsen gehandelt. Adverse Selektion Moral Hazard. AG, Abkürzung für Aktiengesellschaft. <?page no="248"?> 15.3 Glossar als Lernkasten 249 Agency-Kosten, Nachteile, die in einer Vertragsbeziehung mit ausführenden Organen aufgrund von Informationsasymmetrien entstehen. Die Kosten äußern sich in geringeren Erträgen im Vergleich zu einer perfekten Vertragsbeziehung oder in Aufwendungen für die Überwachung und Motivation von Agenten. Agio, Aufgeld, Kursprämie, Premium. Die positive Differenz zwischen dem Kurs einer Aktie oder eines Anteilscheins und dem inneren Wert. Aktie, Wertpapier, das eine Beteiligung am Aktienkapital einer Unternehmung verbrieft. Die Aktie bietet gewisse Eigentumsrechte an der Unternehmung, vor allem das Verfügungsrecht, an der Hauptversammlung teilnehmen und dort stimmen zu können, sowie den Anspruch, beschlossene Dividende beziehen zu können sowie an anderen finanziellen Veränderungen partizipieren zu können. AMEX, Abkürzung für die American Stock Exchange. Anlagefonds, oder Investmentfund: Sammeleinrichtung zur gemeinsamen Vermögensanlage. Entweder haben Anlagefonds die rechtliche Form einer Gesellschaft (Deutschland und Österreich) oder eines Sondervermögens (Schweiz). Anleihe, oder Renten (D), Bonds (USA, UK) oder Obligationen (CH): Verbriefter Kreditvertrag, also Fremdkapital. In der Regel ist Fremdkapital ein befristeter Vertrag, weshalb der Schuldner mit Ende der Laufzeit zur Rückzahlung verpflichtet ist. Gelegentlich wird das Fremdkapital gestaffelt über die Laufzeit in Form von Amortisationszahlungen zurück bezahlt. Bei einer Anleihe werden üblicherweise im Voraus in Höhe und Zeitpunkt fixierte Zahlungen, so genannte Kupons, festgelegt. Ausnahmen sind: Zerobonds, variabel verzinsliche Anleihen, Perpetuals, Convertibles und inflationsgeschützte Anleihen. Arbitrage, Bezeichnung für eine wirtschaftliche Tätigkeit zum Ausnutzen von Bewertungsdivergenzen. Sie bedeutet, dass ein Akteur durch eine Umstrukturierung seines Portfolios ohne Kosten und bei gleichem Risiko einen höheren Ertrag erwirtschaften kann. Arbitragefreiheit liegt in einem Finanzmarkt vor, wenn es mehrere Möglichkeiten gibt, eine Finanzposition durch Aneinanderketten verschiedener Transaktionen zu erreichen („viele Wege führen nach Rom“) und alle diese Wege gleich teuer sind. Ask oder Briefkurs: Preis, den ein Kunde einem Market-Maker für den Kauf bezahlen muss. Das Gegenstück ist der Bid (Geldkurs), den ein Kunde für den Verkauf an einen Market-Maker von diesem erhält. Der Bid unter dem Ask. Asset-Allokation (oder auch Asset Allocation), Zusammenstellung von Vermögenswerten zu einem Portfolio. Die strategische Asset-Allokation gibt die grobe Leitlinie für das Gesamtportfolio an, während die taktische Asset-Allokation aufgrund kurzfristiger neuer Informationen eine Über- oder Untergewichtung bestimmter Vermögenswerte nahe legt. Assets, Bezeichnung für Aktiva, Vermögenswerte. At the money, Bereich der Kursentwicklung des Underlyings einer Option, bei dem es unsicher ist, ob sie ausgeübt werden soll oder nicht, wenn sie jetzt oder in allernächster Zeit ausgeübt werden könnte. ATX, Abkürzung für den Austrian Traded Index, des es seit 1991 gibt. Ausländische Anleihe, Anleihe eines ausländischen Schuldners. <?page no="249"?> 250 15 Konklusion zum Thema Finanzmärkte Bailout oder Rettungsaktion, Notverkauf, Bankenrettungspaket, ist die Schuldenregelung oder Haftungsübernahme, wenn eine Unternehmung in die Krise gerät und insolvent (überschuldet) wird. Unternehmen werden meistens gerettet, wenn sie Bedeutung für das Finanzsystem und ein Konkurs die Stabilität des Finanzsystems haben würde. Dies ist oft bei Banken der Fall. Entweder wird der Bailout vom Staat veranlasst (public bailout) oder von Banken und Versicherungen, beispielsweise durch einen Forderungsverzicht (private bailout). Basel I, Regelwerk des Basler Ausschusses für Bankenaufsicht aus dem Jahr 1988. Der Basler Akkord zur Eigenkapitalunterlegung etablierte ein System für die Messung des Kreditrisikos und verlangte eine Kapitalunterlegung von wenigstens 8%. Umsetzung ins nationale Recht erfolgte 1992. Die Empfehlungen wurden von allen Ländern mit international tätigen Banken übernommen. Basel II und III, Rahmenwerk des Basler Ausschusses für Bankenaufsicht. Basel II wurde in den Jahren 1999 bis 2004 entwickelt, verhandelt und kalibriert. Es basiert auf drei Säulen: 1. Mindesteigenkapital-Anforderungen mit verfeinerten Regeln für die Messung der Kreditrisiken. 2. Aufsicht über die Überprüfungsverfahren und Überwachung der Unterlegung. 3. Erweiterte Offenlegungspflichten zur Stärkung der Marktdisziplin. Insbesondere erhalten die Banken im Rahmen der ersten Säule die Möglichkeit, eigene Rating-Systeme anzuwenden. Da der Basler Ausschuss für Bankenaufsicht in den einzelnen Ländern keine Gesetze verabschieden kann, haben die Konzepte „nur“ empfehlenden Charakter. Basel III stellt eine Weiterentwicklung der Ansätze von Basel II dar und wurde nach der Finanzkrise von 2008 entwickelt. Basisrisiko, Preisänderungsrisiko der Differenz zwischen dem Preis der konkret abzusichernden Position und dem Kurs des Futures. Basiswert Underlying. Bearish, Bezeichnung für die Erwartung, dass die Kurse deutlich fallen werden. Gegenteil: bullish. Bestens, Bezeichnung für einen ohne Limite erteilten Börsenauftrag. Bid, Geldkurs. Preis, den ein Kunde beim Verkauf eines Wertpapiers an einen Market- Maker erhält. Das Gegenstück ist der Ask (Briefkurs). BIS, Abkürzung für die Bank for International Settlements. In deutscher Sprache ist das die Bank für internationalen Zahlungsausgleich (mit Sitz in Basel), und die deutsche Abkürzung ist BIZ. BOBL, Bundesobligation. Bezeichnung für deutsche Bundesanleihen mit mittleren Laufzeiten. Bond, angelsächsische Bezeichnung für Anleihe. Bondfloor, bei Wandelanleihen die untere Wertbegrenzung, die sich durch die Verzinsung und Rückzahlungsverpflichtung bei Nichtausübung des Wandelrechts ergibt. Bonität, ordinales Maß für das mit einem spezifischen Schuldner verbundene Kreditrisiko. Sie informiert über die Fähigkeit des Schuldners, seinen zukünftigen Verpflichtungen nachzukommen. Ein potenzieller Schuldner muss sich einer Bonitätsprüfung unterziehen, damit <?page no="250"?> 15.3 Glossar als Lernkasten 251 der Kreditgeber oder eine Rating-Agentur die Kreditwürdigkeit und Kreditfähigkeit beurteilen kann. Börse, organisierter Markt zum Kauf und Verkauf von Wertpapieren und von übertragbaren Finanzkontrakten. Der Preis ist der alleinige Allokationsmechanismus, weshalb das Vorliegen einer Vielzahl homogener Kontrakte eine Grundvoraussetzung für das Funktionieren einer Börse ist. Broker, Agent für Vermögensgeschäfte, der Kunden aus dem Publikum den Zugang zu einer Börse ermöglicht, bei der der Kunde selbst keine Aufträge eingeben kann. Des weiteren die Bezeichnung für Personen, die Börsentipps aufgrund des aktuellen Börsengeschehens geben. Bullish, Bezeichnung für die Erwartungshaltung, dass die Kurse stark steigen. Gegenteil: bearish. Call, oder Call-Option, Kaufoption. Option, die dem Inhaber das Recht einräumt, nach seiner Wahl einen definierten Basiswert zu einem heute bestimmten Preis (Ausübungspreis, Strike) zu einem (oder bis zu einem) zukünftigen Zeitpunkt kaufen zu können. Callable Bond, eine seitens des Schuldners kündbare Anleihe. Der Kapitalnehmer hat einen Anreiz, von diesem Recht Gebrauch zu machen, wenn die Zinsen an den Kapitalmärkten stark gesunken sind. Dann wird er die laufende Anleihe zurückzahlen und sich neu zu günstigeren Konditionen finanzieren. Aufgrund des Rechts, das für die Kapitalnehmer einen Vorteil darstellt, weisen kündbare Anleihen eine leicht höhere Verzinsung auf als äquivalente Instrumente ohne Kündigungsrecht. Denn für den Anleger stellt dieses Recht einen Nachteil dar, weil Schuldner nur kündigen, wenn die Marktzinsen tiefer sind als die vertraglichen Zinssätze. Im amerikanischen Hypothekarmarkt gibt es gelegentlich die Möglichkeit zu vorzeitigen Kündigungen lang laufender Hypothekarkredite. Man spricht dort von Prepayment. Für die kreditgebenden Institutionen ergibt sich daraus das Prepayment Risk. CAPM, Abkürzung für Capital Asset Pricing Model. Ein von S HARPE (1964), L INTNER (1965) und M OSSIN (1966) entwickeltes Modell, das die Renditeerwartung von Einzelanlagen durch ihr jeweiliges Beta, die Risikoprämie des Marktes und den Zinssatz erklärt. CBOT, die Chicago Board of Trade. Seit 1848 Termin- und Optionsbörse in Chicago. Ursprünglich nur auf den Handel mit Agrarrohwaren konzentriert, kamen schnell Rohwaren-Terminkontrakte hinzu. Im Jahr 1975 wurde mit dem GNMA Future der erste Finanzterminkontrakt lanciert, 1977 kamen der T-Bond-Future hinzu, 1982 Optionen auf Futures. CDO, ausführlich Collateralized Debt Obligations: Aus Paketen von Forderungen aus Hypothekarkrediten werden durch Securitization immer weitere Pakete, die dann eine Größe erreichen, die für den internationalen Weiterverkauf verlangt ist. Cedel, im Jahr 1970 etabliertes Clearing-System mit Sitz in Luxembourg. Chapter 11, im amerikanischen Rechtssystem gegebene Möglichkeit, die eine Unternehmung im Financial Distress ergreifen kann, um für einige Zeit Schutz vor dem Zugriff von Gläubigern zu haben. Damit verbleibt ihr Zeit, nach einer Restrukturierung aus dem Distress heraus zu finden. Falls ihr dies nicht gelingt, wird ein Konkursverfahren eingeleitet. <?page no="251"?> 252 15 Konklusion zum Thema Finanzmärkte Clearing, Ausgleich der Kauf- und Verkaufspositionen bei Börsengeschäften. CME, die Chicago Mercantile Exchange. Sie hatte ihre Ursprünge im Rohwarenhandel, doch heute werden zu 94% Zinsderivate und Futures und Optionen mit Aktien und Aktienindizes als Underlying gehandelt. Commodities, Rohwaren, Handelswaren. Physische Güter, die an den Märkten direkt gehandelt werden oder Underlying sind für derivative Kontrakte. Convertible, Convertible Bond, Wandelanleihe. Anleihe, die dem Inhaber das Recht einräumt, die Anleihe zu einem im Voraus festgelegten Verhältnis in Aktien der selben Unternehmung zu tauschen. Die Anleihe geht mit dem Tausch unter. Da dieses Wandelrecht für die Investoren einen Vorteil darstellt, weisen Wandelanleihen eine leicht tiefere Verzinsung auf als äquivalente Finanzinstrumente ohne Wandelrecht. Daher werden Convertibles von den Unternehmen häufig in Restrukturierungen eingesetzt, um einerseits die Liquidität zu schonen und andererseits den Finanzanlegern die Möglichkeit zu bieten, am zukünftigen Kurspotenzial der Aktien teilzuhaben. Credit Spread, Renditedifferenz zwischen Anleihen oder Krediten unterschiedlicher Bonität. Als Basis für den Credit Spread dient in der Regel die Zero-Curve, die Zinsstruktur für Anleihen ohne Ausfallrisiko. Darlehen Kredit. DAX, der Deutsche Aktien Index. Debt, angelsächsische Bezeichnung für Fremdkapital. Insbesondere verpflichtet sich der Kapitalnehmer zu im Voraus in Höhe und Zeitpunkt festgelegten Zinszahlungen sowie zur Rückzahlung des Betrags am Ende der Laufzeit. Bei einem bilateralen Kontrakt spricht man von einem Kredit oder Darlehen. An öffentlichen Märkten wird Debt in Form von Anleihen gehandelt. Default, Bezeichnung für einen genau beschriebenen Anlass und Tatbestand, der zu einem Kreditausfall oder einen Konkurs führen kann. Derivative Instrumente, in ihrer Konstruktion oder Preissetzung von anderen Finanzinstrumenten abgeleitete Kontrakte. Typische Derivate sind Swaps, Terminkontrakte (Forwards), Futures und Optionen. Dicke des Finanzmarktes, Abstützung der Preisbildung. Disagio, Abgeld, Diskont, Discount. Negative Differenz zwischen dem Kurs einer Aktie oder des Anteilscheins eines Anlagefonds zum inneren Wert. Dieser berechnet sich als Netto-Inventarwert (NAV). Insbesondere bei hoher Unsicherheit gegenüber der Geschäftsstrategie notieren die Titel häufig unter ihrem inneren Wert. Diversifikation, der gegenseitige Ausgleich von Risiken im Portfolio. DTC, The Depository Trust Company, 1973 gegründet, Sitz in New York. Duration, Maß für die Zinssensitivität von Zinsinstrumenten. Die Duration errechnet sich als gewichtete Summe derjenigen Zeitpunkte, zu denen die Zahlungen erfolgen. <?page no="252"?> 15.3 Glossar als Lernkasten 253 EASDAQ, die European Association of Securities Dealers Automated Quotation. Computerbörse für Technologieaktien und Vorläuferin der NASDAQ Europe. Der Handel an der EAS- DAQ wurde im Jahre 2003 eingestellt. EBIT, Abkürzung für Earnings before Interest and Taxes. Gewinne vor Zinsaufwand und Steuerzahlung. Die EBIT drücken das operative Ergebnis einer Unternehmung aus. Effekten, Bezeichnung für Wertpapiere wie Aktien und Anleihen. EONIA, Euro Overnight Index Average. Durchschnittssatz für Tagesgelder am europäischen Interbankenmarkt. Equity, angelsächsische Bezeichnung für Eigenkapital (Beteiligungen). Es ist die Form des Finanzkapitals, bei der im Gegensatz zum Fremdkapital weder periodische Zahlungen noch eine Rückzahlung (Amortisationsleistung) vereinbart werden. Dafür erhält der Kapitalgeber bei Equity eine Beteiligung an Gewinn und Verlust, sowie an Wertsteigerungen der Gesellschaft. Effiziente Portfolios, Portfolios, die für ihr Risikoniveau die jeweils höchste Renditeerwartung haben. Effizienzgrenze, obere Hälfte einer Hyperbel, der geometrische Ort der Renditen aller effizienten Portfolios im Risk-Return-Diagramm. Effizienter Markt, ein Markt, für den die Markteffizienz-These zutrifft. Ein Markt ist effizient oder informationseffizient, wie ausführlicher gesagt wird, wenn sich neue Informationen in extrem kurzer Zeit korrekt in den Kursen niederschlagen. Während bei der schwachen Form der Informationseffizienz nur historische Informationen eingepreist sind, ist bei der mittelstarken (semi-starken) Informationseffizienz sämtliche öffentlich zugängliche Information in den Kursen enthalten. Die starke Form bezeichnet schließlich den Fall, bei dem sämtliche, auch private Informationen in den Kursen reflektiert sind. Euribor, European Interbank Offered Rate. Durchschnittssatz für Gelder mit Laufzeiten von einer Woche bis 12 Monaten am europäischen Interbankenmarkt. Er dient als Referenzsatz für Geldmarktprodukte. EUREX, deutsch-schweizerische Termin- und Optionsbörse. Sie ging 1998 aus dem Zusammenschluss von DTB (Deutsche Terminbörse) und SOFFEX (Swiss Options and Financial Futures Exchange) hervor. Eurobonds, Anleihen in Währungen, die von der Währung des Landes abweichen, in dem die Kontrakte abgeschlossen wurden. Der erste Eurobond wurde 1963 von SG Warburg für die italienische Autobahngesellschaft platziert. Euroclear, im Jahr 1968 etabliertes Clearing-System mit Sitz in Brüssel. Eurogelder, Bezeichnung für Anlagen oder Finanzierungen in Währungen, die von der Währung des Landes abweichen, in dem die Kontrakte abgeschlossen wurden. Da es ursprünglich um Dollaranlagen in Europa (vor allem UK) ging, trägt dieser Markt die Bezeichnung Euromarkt. ex ante, im Voraus. Exposure, Exponiertheit gegenüber einem Risikofaktor und damit ein Maß für die Abhängigkeit von äußeren Einflüssen. <?page no="253"?> 254 15 Konklusion zum Thema Finanzmärkte ex post, im Nachhinein. Fibor, Frankfurt Interbank Offered Rate. Financial Distress, Angespannte Finanzlage durch geringe Illiquidität oder eine drohende Insolvenz. Falls der Unternehmung Zeit und Schutz gewährt wird ( Chapter 11), findet sie nach Restrukturierungen häufig aus dem Distress heraus. Distress ist demnach nicht gleichbedeutend mit Konkurs. FNMA, die Fannie Mae, die Federal National Mortgage Association. Forward, angelsächsische Bezeichnung für einen (nicht standardisierten) Terminkontrakt. FRA, Forward Rate Agreement: Terminkontrakt, in dem der Zinssatz für eine in der Zukunft liegende Periode fixiert wird. Free Float, der Teil des Aktienkapitals, der nicht in festem Besitz ist und deshalb an der Börse gehandelt wird. Fremdkapital, Vertrag zwischen einem Kapitalgeber und einem Kapitalnehmer. Der Kapitalgeber überträgt einem Kapitalnehmer für eine bestimmte Zeit und in bestimmtem Umfang finanzielle Ressourcen. Im Gegenzug erhält der Kapitalgeber ein Recht auf Rückzahlung und auf eine Rendite zur Abgeltung der zeitlichen Überlassung der Mittel. Der Kapitalnehmer finanziert sich, das heißt, er verkauft Rechte gegen finanzielle Ressourcen. Manchmal sind im Finanzkontrakt noch weitere Rechte eingeschlossen. Bei bilateralen Kontrakten spricht man von Krediten, bei öffentlich gehandelten Kontrakten von Anleihen. Fristenstruktur der Zinssätze, die grafische Darstellung in einer Kurve (Zinskurve) oder die zahlenmäßige Wiedergabe der zu einem Zeitpunkt (“heute”) geltenden Zinssätze für die verschiedenen Laufzeiten (Zinsbindungsfristen). Von einer normalen Fristenstruktur der Zinssätze spricht man, wenn die Zinskurve mit zunehmender Zinsbindungsfrist ansteigt. Eine inverse Struktur liegt vor, wenn für kurzfristig fällige Zinsinstrumente höhere Zinssätze gelten als für länger laufende Zinsinstrumente. Sind die Zinssätze für alle Laufzeiten gleich hoch, liegt eine flache Zinsstruktur vor. FRN, Abkürzung für Floating Rate Note, kurz Floater: Variabel verzinsliche Anleihe. Im Gegensatz zu einem festverzinslichen Instrument erfolgt die Kompensation des Gläubigers durch Zahlungen, die sich während der Laufzeit der Anleihe an die jeweils aktuell am Markt herrschenden Konditionen anpassen. Daher schwanken die Kurse der Floater bei Zinsänderungen kaum. Fungibilität, Übertragbarkeit eines Finanzvertrags, Möglichkeit, dass der Kapitalgeber seine Rechte aus dem Vertrag verkaufen kann. Future, Terminkontrakt (Forward), der standardisiert ist und an einer besonderen Börse gehandelt wird, die stets als Gegenseite eintritt. Je nach Underlying werden Financial Futures und Commodity Futures unterschieden. Die Standardisierung bezieht sich auf Handelsort (Börse), Handelszeitpunkte (Kontraktmonate), Kontraktgröße (Kontraktvolumen) sowie Kontraktqualität. Geldmarkt, Markt für kurzfristige Zinsinstrumente mit Laufzeiten von bis zu 12 Monaten. Teilnehmer am Geldmarkt sind die Zentralbank, die Geschäftsbanken sowie große Unternehmen sehr hoher Bonität. <?page no="254"?> 15.3 Glossar als Lernkasten 255 Genußschein, Wertpapier, das dem Inhaber ein Recht auf einen Anteil am Gewinn einer Aktiengesellschaft gibt. Im Gegensatz zur Aktie ist der Genußschein ein Schuldpapier und beinhaltet somit weder Miteigentum noch Stimmrecht. GmbH - Abkürzung für Gesellschaft mit beschränkter Haftung. GNMA, Ginnie Mae, die Government National Mortgage Association. Greenshoe, Bezeichnung für das Wahlrecht des Emittenten oder des Emissionskonsortiums, im Rahmen einer Ausgabe von Aktien oder Anleihen (bei Erfolg) noch Mehrzuteilungen „nachzuschieben“. Haircut, im Jargon gebrauchte Bezeichnung für einen Forderungsverzicht. Gläubiger bestehen nicht auf einen Konkurs, der lange Zeit in Anspruch nehmen würde und bei dem Gläubiger nicht voraussehen können, wie viel sie noch erhielten. Stattdessen willigen sie in einen Forderungsverzicht ein und hoffen, dass der Schuldner die reduzierten Forderungen regelmäßig bedienen und wie geplant bei Fälligkeit erfüllen wird. Hedge-Funds, Anlagefonds ähnliche Konstruktionen, die nur geringe gesetzliche Auflagen erfüllen müssen, praktisch keinen Anlagerestriktionen unterliegen, und bei denen der Manager einen großen Freiraum bei sehr geringer Kontrolle hat. Zudem haben Hedge- Funds oft Short-Positionen. Die Manager versuchen durch Leerverkäufe, durch eine ausgeprägt aktive Anlagepolitik oder durch den Einsatz derivativer Instrumente Marktineffizienzen auszunutzen. Hedging, Absicherung gegen finanzielle Risiken, meist bewerkstelligt durch den Kauf von Derivaten und den späteren Verkauf dieser Instrumente. „Hedge“ ist die englische Bezeichnung für eine Hecke, Einzäunung oder Mauer, und diese bietet Schutz. High Yield Bonds, Bonds mit geringerer Schuldnerbonität, die dafür hohe Renditen versprechen. Die erwartete Rendite ist jedoch geringer, weil immer wieder mit Ausfällen zu rechnen ist. Früher wurden diese Zinsinstrumente als Junk Bonds (Schrottanleihen) bezeichnet. Bonds im Subinvestment-Grade werden als High Yield Bonds bezeichnet. Dies ist die durch Ratings unter BB+ ausgedrückte Bonität. Humankapital Intellektuelles Kapital. Hybride Kontrakte, Finanzkontrakte, die Eigenschaften verschiedener klassischer Kontraktformen vereinigen. Dazu gehören Derivate, Mischformen von Fremd- und Beteiligungskapital (Mezzanine Finance) sowie Wandelanleihen. Illiquidität, Unfähigkeit, den Zahlungsverpflichtungen nachzukommen. Nicht zu verwechseln mit Insolvenz. Die Insolvenz ist die Überschuldung, also eine Situation, in der die Verbindlichkeiten nicht mehr durch die Vermögenswerte (Aktiva) gedeckt sind. IMF - International Monetary Fund. Internationaler Währungsfonds (IWF) mit Sitz in Washington. Index, Aggregat der Kursentwicklung verschiedener Einzelpositionen von Wertpapieren. Informationseffizienz ist die Vorstellung, dass Finanzmärkte bei der Preisbildung Informationen in folgendem Sinn höchst „effizient“ (insbesondere schnellstens und korrekt) verarbeiten: Bei neuen Nachrichten, die Einfluss auf die Bewertung haben, ändern sich die Kurse sofort und nehmen in allerkürzester Zeit jene Höhe an, die dem Wert unter Berück- <?page no="255"?> 256 15 Konklusion zum Thema Finanzmärkte sichtigung der neuen Nachrichten entspricht. Deshalb muss ein Investor neue Nachrichten nicht selbst eigens auswerten, sondern kann darauf vertrauen, dass dies bereits in korrekter Weise erfolgt ist, wenn er oder sie dann Käufe beziehungsweise Verkäufe tätigen möchte. Inländische Anleihe, Anleihe eines inländischen Schuldners. Innerer Wert, auch „theoretischer Wert” oder kurz Wert: Der Preis, den eine Kapitalanlage in einem ideal gut funktionierenden Markt hätte. Der innere Wert einer Unternehmung ergibt sich aus der Differenz zwischen dem Marktwert der Aktiva und den Verbindlichkeiten. Der innere Wert eines Anteils oder einer Aktie entspricht dem inneren Wert der Unternehmung dividiert durch die Anzahl Anteile bzw. Aktien. Eine leicht andere Definition gilt für den inneren Wert einer Option. Sie ist der Geldbetrag, den der Inhaber einer Option bei sofortiger Ausübung erhielte, wenn es vorteilhaft wäre, sie auszuüben. Insider, Person, die aufgrund ihrer beruflichen Tätigkeit an Informationen gelangt, die dem Publikum noch nicht auf formale Weise bekannt gegeben wurden. In den meisten Börsengesetzen ist es Insidern untersagt, diese Informationen für eigene Börsengeschäfte auszunutzen. Insolvenz, Überschuldung. Die Verbindlichkeiten sind nicht mehr durch die Vermögenswerte (Aktiva) gedeckt. Nicht zu verwechseln mit Illiquidität. Intellektuelles Kapital, die aus immateriellen Aktiva ableitbaren Werte. Es umfasst zum einen das Humankapital und mithin das Wissen, die Erfahrungen und die Fähigkeiten der Mitarbeiter. Zum anderen gehört das strukturelle Kapital dazu. Dieses beinhaltet die durch eine Organisation bestimmten Rahmenbedingungen zum Einsatz des Humankapitals, also das Kundenkapital sowie das Organisationskapital in Form des Innovationskapitals und des Prozesskapitals. Gemeint ist damit die Fähigkeit einer Organisation, durch die Generierung von Innovationen und die Verwendung bestimmter betrieblicher Prozesse Werte zu schaffen. Intermediär, bei Transaktionen dazwischen stehende Person, die an der Transaktion interessierte Parteien zusammenführt und gewisse Funktionen ausübt. Dazu gehören die Bewertung und Vertragsüberwachung. Beispiele für Intermediäre sind Broker, Makler, Market-Maker, Banken und Versicherungen. Interner Zinssatz Yield. INTERSETTLE, die Swiss Corporation for International Securities Settlement wurde 1988 gegründet und hat ihren Sitz in Zürich. Heute Teil der SIX Group In the money, Kursbereich des Underlyings, bei dem es sinnvoll ist, eine Option auszuüben. Investitionsfalle, nach K EYNES die Möglichkeit, dass Unternehmer selbst bei sehr tiefen Zinssätzen nicht mehr investieren, weil sie die zukünftigen Absatzmöglichkeiten für ihre Produkte, die Zukunft also, düster sehen. IOS, heute gebräuchliche Abkürzung für Investment Opportunity Set: Das Universum der Anlagen, die ein Investor bei seiner Portfolio-Selektion berücksichtigen möchte. Aufgrund einer Vorauswahl (etwa: Home-Bias) oder gewisser Auflagen stellt das IOS in der Regel nur einen Teil des weltweiten Anlageuniversums dar. Es gab früher auch einmal einen Investmentfund mit der Abkürzung IOS, der aufgrund betrügerischer Machenschaften geschlossen wurde. <?page no="256"?> 15.3 Glossar als Lernkasten 257 IPO, Initial Public Offering. Börsengang einer Unternehmung. IWF, der Internationaler Währungsfonds, deutsch IMF. Junk Bonds, High Yield Bonds. Kapital, Oberbegriff für Realkapital und Finanzkapital. Das Realkapital ist das in der Realwirtschaft eingesetzte Vermögen, also das Sachvermögen und das Wissen. Das Finanzkapital steht für Finanzverträge oder den Wert dieser Finanzverträge. Kapitalmarkt, im weiteren Sinn die Bezeichnung für alle Märkte für mehr oder weniger leicht übertragbare Finanzkontrakte und daher ein Synonym zum Sammelbegriff Finanzmarkt; im engeren Sinn die Bezeichnung für den Markt von Anleihen mit einer Laufzeit von mehr als einem Jahr. Kassakurs, Spot-Price. KCBT, die Kansas City Board of Trade. Kommerzgeschäft, Bezeichnung für das Kreditgeschäft der Banken, besonders das Kreditgeschäft mit unternehmerischen Schuldnern. Kontraktmonate, die besonderen Monate mit den Erfüllungsterminen bei Futures und Optionen: März, Juni, September und Dezember. Korrelation, Maß für die Gleichrichtung der Renditeschwankungen zweier Kapitalanlagen. Bei positiver Korrelation weichen die Renditen zu allen Zeitpunkten überwiegend in der gleichen Richtung von ihrem Erwartungswert ab. Kredit, Darlehen, Fremdkapital. KSE, die Korea Stock Exchange. Kupon, in nominaler Höhe vereinbarte Zahlung zur Verzinsung bei Anleihen. Der Kupon wird oft als Prozentsatz des Nominalbetrags festgelegt. Leverage, Hebel, mit dem sich die Eigenkapitalrendite durch Verschuldung verändern lässt. In welcher Richtung der Hebel wirkt, hängt von der Relation zwischen Assetrendite und Zinssatz ab. Liabilities, angelsächsische Bezeichnung für Schulden, Verpflichtungen. Liquidität, hat mehrere Bedeutungen. (1) Bei einer Unternehmung ist Liquidität die Fähigkeit, den Zahlungspflichten nachkommen zu können. (2) Bei einem Kapitalmarkt ist Liquidität die Möglichkeit und Leichtigkeit, Wertpapiere ohne größere handelsbedingte Kursbewegungen kaufen und verkaufen zu können. Für fehlende Liquidität verlangen die Finanzinvestoren eine Liquiditätsprämie. Diese ergibt eine höhere Verzinsung als bei einem liquiden Instrument. Liquiditätsfalle, nach K EYNES eine Situation, in der selbst bei einer Versorgung der Wirtschaft mit „leichtem Geld“ (geringer Zins, wenige Auflagen bei der Verschuldung) nicht mehr konsumiert und investiert wird. Die Wirtschaftsteilnehmenden warten auf fallende Preise und halten das Geld „liquide“, um erst dann zu kaufen, wenn sich sehr günstige Gelegenheiten bieten. <?page no="257"?> 258 15 Konklusion zum Thema Finanzmärkte Long Position, vertragliche Position einer Person, die in einem Forward oder Futures den Bezug eines Underlyings vorsieht. Bei einer Option die Position des Inhabers der Option. LSE, die London Stock Exchange. LIFFE, die London International Financial Futures and Options Exchange. Margin, Geldbetrag, der bei einer Börse für Futures als Sicherheit hinterlegt werden muss. Market-Maker, Intermediär, der eigene Positionen (also ein Depot) unterhält, und sich jederzeit für einen Kaufinteressenten oder Verkaufsinteressenten als Gegenpartei anbietet und dazu laufend einen Ask und einen Bid nennt. Marking-to-Market, tägliche Verrechnung von Gewinnen und Verlusten eines Termin- oder Optionsgeschäfts mit den bezahlten und verlangten Margins. Markt, ökonomischer Koordinationsmechanismus für den Tausch beziehungsweise in einer Geldwirtschaft für den Kauf und Verkauf, der wesentlich auf der Offenheit, den Vergleichsmöglichkeiten und der Allokation über Preise beruht. Marktportfolio, in der Portfoliotheorie durch T OBIN (1958) aufgezeigtes „Tangetialportfolio”, das zusammen mit dem Zinssatz die Capital Market Line (CML) bestimmt. Oft wird für das Marktportfolio ein Index als Proxy gewählt. MBS, Abkürzung für Mortgage Backed Securities. Mit Hypotheken (Mortgages) besicherte Wertpapiere, eine Untergruppe der ABS. MCS, Abkürzung für Mandatory Convertible Securities. Sie bilden einen Spezialfall von Wandelanleihen. Im Unterschied zu traditionellen Convertibles gibt es bei MCS einen Konversionszwang. Spätestens am Ende der Laufzeit müssen die Anleihen in Aktien umgewandelt worden sein. Damit entfällt die Bedeutung des Bondfloors als untere Begrenzung der Wertentwicklung. Minsky-Kollaps, eine Finanzkrise, die sich aufgrund einer dem Wirtschaftssystem inhärenten Entwicklung ergibt: Im Wirtschaftsaufschwung werden die Individuen risikobereiter, was individuell rational ist, doch sie werden alle zur gleichen Zeit risikobereiter, wodurch sich ein kollektives Risiko aufbaut: Alle nehmen zur selben Zeit Kredite auf und investieren, eine „Preisblase“ baut sich auf. Moral Hazard, eine Situation, in der eine besondere Art von Verhaltensunsicherheit besteht. Eine Person ist Moral Hazard ausgesetzt, wenn ein Vertragspartner auch im Nachhinein nicht feststellen kann, ob die Person Fleiß, Anstrengung, Sorgfalt hat walten lassen. MSE, die Midwest Stock Exchange. NAV, Net Asset Value, Netto-Inventarwert. Bezeichnung für den Wert des Eigenkapitals einer Gesellschaft oder eines Anlagefonds. Der NAV berechnet sich aus der Differenz zwischen dem Marktwert der Aktiva und den Verbindlichkeiten der Gesellschaft. Nymex, die New York Mercantile Exchange. NYSE, die New York Stock Exchange. Obligation, in der Schweiz übliche Bezeichnung für Anleihe. <?page no="258"?> 15.3 Glossar als Lernkasten 259 Option, eine Art von Termingeschäft, bei dem es jedoch nicht zwangsläufig zur Transaktion kommt sondern die eine Vertragsseite, der Inhaber der Option, das Wahlrecht besitzt, ob der Kauf oder Verkauf (zu dem vorher vereinbarten Preis) nun stattfinden soll oder nicht. Die andere Vertragsseite, der Stillhalter, muss sich transferbereit halten. Optionsanleihe, Kombination aus einer Anleihe mit Kupons und einem Optionsschein, der zum Bezug einer Aktie berechtigt. Der Optionsschein (Warrant) kann unabhängig von der Anleihe (ex Anleihe) gehandelt werden. OTC, Kürzel für Over the Counter. Bezeichnung für Transaktionen mit Finanzkontrakten, die nicht über eine Börse abgewickelt werden, aber an einem „Tisch“, um den einige an solchen Transaktionen interessierte Parteien stehen. Out of the money, Bereich der Kursentwicklung des Underlyings, bei dem es nicht sinnvoll ist, eine Option auszuüben. Payer, jene Partei in einem Zinsswap, die den fixen Zinssatz bezahlt. Die Gegenpartei des Payers ist der Receiver. Pecking Order, Auf M YERS und M AJLUF (1984) zurückgehendes Konzept zur Erklärung der Reihenfolge, in der eine Unternehmung die verschiedenen Finanzierungsformen ergreift. Performance, risikoadjustierte Rendite. PHLX, die Philadelphia Stock Exchange. Portfolio, gedankliche Zusammenfügung von Finanzkontrakten. Primärmarkt, das einem Markt gleichende oder ähnelnde Umfeld, in dem neue Wertpapiere an die Börse und in den Handel gebracht werden. Private Equity, kaum übertragbare Finanzkontrakte der Beteiligung an Unternehmen. Häufig synonym mit Venture Capital, das zur Finanzierung junger Unternehmen verwendet wird. Put, oder Put-Option: Verkaufsoption. Option, die dem Inhaber das Recht einräumt, noch zu wählen, ob er dem Stillhalter das Underlying verkauft oder nicht. Rating, Bonitätseinstufung. Bei Anleihe-Emissionen wird das Rating von einer professionellen Rating-Agentur ausgestellt, zum Beispiel Standard & Poor’s, Moody’s oder Fitch. Receiver, jene der beiden Parteien bei einem Zinsswap, die den variablen Zinssatz bezahlt. Gegenpartei ist der Payer. Rendite, (1) Prozentualer Ertrag auf einer Anlage, bezogen auf eine bestimmte Periode. (2) Bezeichnung für den internen Zinssatz oder Yield. (3) In der Portfoliotheorie synonym mit Return verwendet. Rente, auch Rentenpapiere: In Deutschland übliche Bezeichnung für Anleihe. Replikation, Nachbildung der Zahlungen eines spezifischen Finanzkontrakts durch andere Instrumente, deren Werte bereits bekannt sind. Auf diese Weise können Unternehmen, Kapitalanlagen und Wertpapiere bewertet werden. <?page no="259"?> 260 15 Konklusion zum Thema Finanzmärkte REX, der Deutsche Rentenindex. Er erfasst sämtliche festverzinslichen Papiere der Bundesrepublik Deutschland, des Fonds deutscher Einheit sowie der Treuhandanstalt. Rho, der für die Bezeichnung der Korrelation üblicherweise verwendete griechische Buchstabe . Risiko, hat verschiedene Bedeutungen: (1) In der klassischen Portfolio Theorie ist Risiko (Risk) die Streuung der zufälligen Rendite, gemessen durch ihre Standardabweichung. Das Risiko ist demnach Gefahr und Chance zugleich. (2) Außerdem wird Risiko als die Wahrscheinlichkeit bezeichnet, eine vorgegebene Zielrendite zu verfehlen (Shortfall-Risiko). (3) Schließlich gibt es, besonders bei institutionellen Investoren, die Nachteile, wenn Wertberichtigungen bilanziell ausgewiesen werden müssen (Abschreibungen). Das ist das Bilanzrisiko. (4) In der Versicherungswirtschaft wird mit Risiko die Wahrscheinlichkeit eines Schadens bezeichnet, der sich bei einem Vertrag ereignen kann. SEC, die Securities and Exchange Commission, mithin die amerikanische Wertpapier- und Börsenaufsichtsbehörde. Securitization, Verbriefung von Finanzkontrakten und von Anrechten auf Vermögenspositionen als Wertpapier. SEGA, die schweizerische Effekten-Giro AG, 1970 gegründet, Sitz in Zürich, SIS. Sekundärmarkt, Markt, auf dem die bereits im Handel sich befindenden Wertpapiere gekauft und verkauft werden, wobei sie von einem Kapitalgeber an einen anderen Kapitalgeber weitergegeben werden - während der Kapitalverwender von der Transaktion unberührt bleibt. Settlement, Abwicklung einer vereinbarten Transaktion. Bis in die 1960er Jahre wurden die Wertpapiere physisch vom Verkäufer zum Käufer transportiert. Heute gibt es ein Cash Settlement, indem die Positionen abgerechnet werden, während die Wertpapiere in zentralen Wertpapier-Sammelstellen verwahrt werden. Häufig existiert daher nur noch ein kleiner Bestand an physischen Wertpapieren. Short Position, Position eines Vertragspartners, der sich in einem Termingeschäft oder in einem Future zu einer späteren Lieferung des Underlyings verpflichtet hat. Gelegentlich auch die Bezeichnung für die Position des Stillhalters einer Option. Sigma, der für die Bezeichnung der Standardabweichung üblicherweise verwendete griechische Buchstabe . SIS, die SegaInterSettle AG, die 1999 aus der Fusion von SEGA und INTERSETTLE hervorgegangene Organisation für Clearing und Settlement in der Schweiz. SIX Group, die Swiss Infrastructure and Exchange, die Betreiberin der Finanzplatzarchitektur, welche die Schweizer Börse sowie den Wertschriftenhandel und die Abwicklung umfasst. SMI, der Swiss Market Index, ein Preisindex der wichtigsten Aktien. SPI, der Swiss Performance Index, ein Total Return Index für den breiten Aktienmarkt. Spin-Off, Herauslösung eines Unternehmensteils. Bei einem Spin-Off wird etwa eine Sparte einer Unternehmung in eine selbständige Firma ausgelagert. Dabei wird die neue <?page no="260"?> 15.3 Glossar als Lernkasten 261 Unternehmung verkauft. Darin besteht der Unterschied zum Carve-Out, bei dem die Muttergesellschaft nach Schaffung einer selbständigen rechtlichen Einheit und in der Regel einem Börsengang (IPO) immer noch eine Beteiligung hält. Spot-Price, Kassakurs, der am Markt für sofortige Ausführungen von Transaktionen gültige Preis. Squeeze Out, Vorgehen, mit dem Minderheitsaktionäre zum Verkauf ihrer Anteile an die Mehrheitsaktionäre bewegt werden sollen. Damit es in Deutschland zu einem Squeeze Out kommt, müssen mindestens 95 Prozent der Anteile in den Händen der Mehrheitsaktionäre sein. Strike, Ausübungspreis einer Option. Subprime-Segement, ist die Gruppe von Kapitalanlagen geringerer Bonität, besonders bei Hypothekarforderungen. Dieses Segment wird größer, wenn in einem Land aus politischen Überlegungen mehr Haushalten Wohneigentum eröffnet wird und die Banken den Hauskauf auch für schlechtere Schuldner finanzieren. Swap, Tauschgeschäft von Zahlungen. Übliche Formen sind der Zinsswap und der Währungsswap. Bei Zinsswaps werden Zinszahlungen getauscht, und zwar fix gegen variabel. Bei einem Währungsswap wird zusätzlich bei Vertragsende der Nominalbetrag in den beiden Währungen (in einer zu Beginn festgelegten Relation) getauscht. Swapsatz, Zinssatz, der von den Teilnehmern am Swapmarkt für eine konkrete Zinsbindungsfrist bezahlt wird. Für verschiedene Laufzeiten gibt es verschiedene Swapsätze. Die Swapsätze unterscheiden sich von den Zinssätzen für Staatsanleihen durch eine kleine Bonitätsprämie. Swap Spread, Zinsdifferenz zwischen dem Swapsatz und dem Satz für Staatspapiere. Sie ergibt sich zum einen aus dem Credit Spread, da die Teilnehmer am Swapmarkt über ein durchschnittliches Rating von (nur) AA verfügen und zum zweiten aufgrund der unterschiedlichen Angebots- und Nachfragesituation am Swapmarkt im Vergleich zum Markt für Staatsanleihen. Tax-Shield, der Barwert aller Steuereinsparungen, die aus der Abzugsfähigkeit der Schuldzinsen vom steuerbaren Bruttogewinn resultieren. Terminkurs, der Preis, der heute für eine in der Zukunft stattfindende Transaktion vereinbart wird. Er wird erst zum zukünftigen Erfüllungszeitpunkt bezahlt. Total Return, der Ertrag einer Anlage, der sich aus Kursänderungen sowie der periodischen Rendite ergibt. Bei Aktien ist der Total Return der Kursgewinn (oder -verlust) plus Dividende in einer Periode. Bei Obligationen der Kursgewinn (oder -verlust) plus Kupon in einer Periode. Underlying, der Basiswert, auf den sich ein derivativer Finanzkontrakt bezieht. So ist etwa das Underlying des T-Bond-Futures der Treasury-Bond, jenes des SMI-Futures der SMI. Gleiches gilt für Optionen. Typische Underlyings sind standardisierte Anleihen, Aktienindizes, einzelne Aktien, Rohwaren (Commodities), Devisen, Energie/ Elektrizität oder Kreditausfälle. Volatilität, die Standardabweichung der stetigen Rendite. <?page no="261"?> 262 15 Konklusion zum Thema Finanzmärkte Warrant, Optionsschein. Diese werden teilweise OTC, teilweise an Terminbörsen gehandelt. Weltwirtschaftskrise (Great Depression), 1929-1932: Mit einem Kurssturz am 24. Oktober 1929 begann der schwerste wirtschaftliche Einbruch in allen Industrienationen. Ein Drittel aller Banken in den USA gingen bankrott, Massenarbeitslosigkeit setzte ein und bestand für ein Jahrzehnt. Niemand hatte Geld für Konsum, niemand wollte oder konnte für Vermögensobjekte bezahlen, eine Abwärtsspirale der Deflation begann. Die Wirtschaftskrise weitete sich global aus. Das Ende der Great Depression kam erst um 1933 in Sicht, als die US-Notenbank zu einer Lockerung der Geldpolitik griff und den Dollar (in Relation zu Gold) um 40% abwertete. XETRA, Exchange Electronic Trading. Das elektronische Handelssystem, das 1997 von der Deutschen Börse eingeführt wurde. Yield, Bezeichnung für den internen Zinssatz einer Zahlungsreihe. Bei Bonds gibt der Yield to Maturity (YTM) Auskunft über die durchschnittliche Verzinsung des Anlagebetrags. Es wird davon ausgegangen, dass für alle Laufzeiten der gleiche Satz zur Anwendung gelangt. Zahlungsunfähigkeit, Illiquidität Zeitwert, Wertkomponente einer Option, die auf die Zeit zurückzuführen ist, die bis zum Verfall der Option noch verstreichen wird. Je weiter weg die Option von der Ausübung ist, desto höher ist der Zeitwert. Rechnerisch ergibt sich der Zeitwert aus der Differenz zwischen dem Kurs einer Option und dem inneren Wert. Zerobond, Anleihe ohne periodische Ausschüttung einer Verzinsung. Die Auszahlung der Verzinsung erfolgt gemeinsam mit der Rückzahlung am Ende der Laufzeit. Daher liegt der Ausgabekurs jeweils unter dem Rückzahlungskurs. Unterschieden werden zwei Formen: Bei der Diskontobligation ist der Rückzahlungskurs identisch mit dem Nominalwert, und daher wird dieses Instrument unter pari emittiert. Dagegen entspricht bei der Aufzinsungs-Anleihe der Ausgabekurs dem Nominalwert. Der Rückzahlungskurs liegt entsprechend über pari. Zinssatz, Vergütung für die zeitweise Überlassung von Geld. Im Normalfall präferieren die Kapitalgeber kurze Laufzeiten, und dort gibt es ein großes Kapitalangebot. Die Kapitalverwender ziehen dagegen lange Laufzeiten vor, und bei den langen Zinsbindungsfristen gibt es eine große Kapitalnachfrage. Daher liegen die Zinssätze für kürzere Laufzeiten in der Regel unter jenen für längere Laufzeiten. Zinsstruktur, Fristenstruktur der Zinssätze. <?page no="262"?> Register 11. September 2001 144 AAA-Rating 162 Abs, Hermann 172 absichern (hedgen) 206 Absicherungsprämie 166 Abwicklung 53 Agency Notes 64 Agency-Kosten 117 Agency-Theorie 117 Agent 117 Aktien 15, 171 Aktienfonds 101 Aktiengesellschaft 72, 173 Allokationsfindung 53 Altersvorsorge 25 Analysten 175 Angell, Norman 17 Anlage, risikolose 98 Anlageberatung 101 Anleihe 79 Anleihe, inländische 57 Anleihen 15, 123 Arbeitsteilung 37 Arbitragefreiheit 38 Arbitrageur 38 Argentinien 163 Asien 163 Asienkrise 232, 234 Ask 55 Assetklassen 102 at the money 131 Aufsicht 164 Aufsichtsrat 174 Aufzinsungs-Anleihe 125 Auktion 53 Ausgabekurs 125 Ausschüttungsquote 189 Außenfinanzierung 21 Austrian Traded Index (ATX) 64 Ausübungspreis 214 Bail-Outs 228 Bank of America 167 Bank of England 139 Banken 20, 47 Bankkredit 59 Barwert 151 Barwertkurven 150 Basel Capital Accord 164 Basel Committee 164 Basel II, III 164 Basisrisiko 213 Basiswert 205 Basket 205 Basler Akkord zur Eigenkapitalunterlegung 164 Behavioral Finance 248 Benchmarks 155 Bernstein, Peter L. 88, 247 Besteuerung 115 Beta 188 Beta-Return-Diagramm 195 Bezugsrechte 174 Bid 55 Big Bang 61 Bilanzrisiken 184 Bills 55 Black Thursday 61 Black, Fischer 214 Black-Scholes-Formel 214 BLOC 222 Blue Chips 53, 178 <?page no="263"?> 264 Register Bondfloor 130 Bonds 33 Bonitätseffekt 151 Bonitätsrisiko 166 Börse 35 Börsen 47, 51 Börsengang 34 Börsenverein 63 Branchenrisiko 182 Brasilien 163 Bretton Woods 63 Briefkurs, Ask 55 Bundesanleihe 156 Bürokratie 17 Call-Optionen 208 Capital Asset Pricing Model (CAPM) 188, 193 Capital Market Line (CML) 99 CAPM 188, 193 Carry Trade 232 Cash Settlement 213 Castaing. John 60 CDS 166 Cedel 65 Chicago Board of Trade (CBOT) 62 Chicago Mercantile Exchange (CME) 63 China 160 Citigroup 167 Clearing 53, 65 Clearinghaus 213 Clusius, Carolus 230 Coase, Ronald 49 Coca Cola 177 Collateralized Debt Obligations (CDO) 235 COMEX 231 Commercial Crime Büro 231 Commoditisierung 50 Compagnie des Agents de Change 40 Index (CAC40) 64 Consol Bonds 126 Consumer Price Index 139 Convenience Yield 212 Convertible Bonds 129 Convertibles 129 Corporate Bonds 55, 124 Corporate Debt 53 Corporate Governance 118 Cost of Carry 212 CPI 139 Credit Covenants 124 Credit Paradoxon 166 Credit-Default-Swap (CDS) 166 Credit-Linked-Notes 166 Credit-Spread 162 Cross-Default-Klausel 125 Custody 66 Darlehen 124 Debt 20 Decoupling 200 Default 77 Deficit Spending 236, 240 Deflation 144 Defoe, Daniel 18 Delkredererisiko 161 Demografie 78 Depression 144 Derivat 41, 205 Deutsche Börse AG 63 Deutsche Pfandbriefbank (DePfa) 129 Deutscher Aktienindex (DAX) 63, 64 Devisenbewirtschaftung 128 Devisenmarkt 38 Devisenreserven 161 Devisenspotkurs 158 Devisenswaps 209 Devisenterminkurse 158 Dienstleistungen 143 Dimson, Elroy 73, 248 Discount Bond 125 Diskontanleihe 125 Diskontierung 137 <?page no="264"?> Register 265 Diskontkredit 136 Distress 116 Diversifikation 166 Diversifikation von Risiken 36 Diversifikation, optimale 94 Diversifikation, naive 94 Dividende 20 Dividenden 174 Dividendenvorzugsaktien 174 Dodd, David 175 Dornbusch, Rüdiger 74 Dot-Com-Bubble 234 Dow Jones Industrial Average (DJIA) 61 Dow, Charles 61 Druck, deflationärer 161 DTCC (The Depository Trust & Clearing Corporation) 66 Duration 149, 151 Duration-Gap 153 Efficient Frontier 97 Effizienzgrenze 97 Eigenfinanzierung 119 Eigenkapital 20 Eigenkapitalvereinbarung 164 Einbringlichkeitsquote 164 Einfaktor-Modell 190 Einkommenseffekt 151 Einzelgesellschaft 173 Emerging Markets 163 Emission 34 Emittenten 34 Empathie 17, 52 Empire Building 117 Enron 163 Equity 20, 173 Equity Premium 86 Erwartungsbildung, homogene 100 Erwartungsthese der Währungen 158 EUREX 64, 156 Euribor 127 Euro BOBL Future 156 Euro BUND Future 156 Euro BUXL Future 156 Euro SCHATZ Future 156 Eurobond-Markt 128 Eurobonds 128 Euroclear 65 Eurodollar-Markt 128 Euromarkt 57, 128 Europäische Zentralbank 139 European Interbank Offered Rate 127 Excel 139 Fairness 26 Faktormodelle 187 Fama, Eugene 87 Familie 52 Fannie Mae (FNMA, Federal National Mortgage Association) 64 Fed 139 Federal Reserve System 139 Festzinsanleihe 124 Financial Distress 116 Financial Engineering 222 Finanzierung 19 Finanzierungsportfolio 109 Finanzintermediäre 50 Finanzkapital 19 Finanzkontrakte 15, 19 Finanzmarkt 56 Finanzmärkte 33 Finanztiefe 70 Finanzwirtschaft 15, 71 Fisher, Irving 83 Fisher-Effekt 158, 159 Fiskalpolitik 140 Floater 127 Floating Leg 155 Floating Rate Notes (FRN) 127 Foreign Bond 57 Forward 207 Freddie Mac (Federal Home Loan Mortgage Corporation, FHLMC) 129 <?page no="265"?> 266 Register Free Lunch 39 Fremdkapital 20 French, Kenneth 87 fristenkongruent 153 Fristenstruktur der Swapsätze 154 Fristenstruktur der Zinssätze 134 Fristenstruktur, inverse 135 Fristenstruktur, normale 135 Fristentransformation 51, 154 Fundamentaldaten 176 Funds of Hedge-Funds (FoHF) 225 Fungibilität 27, 31 Future 207 Gegenparteirisiko 66, 161 Geld 17 Geld, am - 216 Geld, aus dem - 216 Geld, im - 216 Geldknappheit 144 Geldkurs, Bid 55 Geldmarkt-Buchforderungen 35 Geldpolitik 134, 140 General Motors 236 Generalversammlung 174 Genossenschaft 173 Gesamtbetrag 70 Gesellschaft bürgerlichen Rechts 173 Gesellschaft mit beschränkter Haftung 173 Gewinne 175 Gilts 132 Ginnie Mae (GNMA = Government National Mortgage Association) 157 Gläubiger 55 Gleichnis vom Herrn und dem Hund 73 Globalisierung 183 Going Private 172 Going Public 172 Gordon, Myron 177 Graham, Benjamin 175 Great Depression 237 Growth Stocks (Wachstumsaktien) 176 Hackordnung der Finanzierung 119 Hauptversammlung 174 Hedge, Normal - 210 Hedge, Reversed - 210 Hedge, Texas - 210 Hedge-Funds 74, 224 hedgen 206 Heuschrecke 74 Hicks, John R. 151 Hierarchie 52 High minus Low-Faktor (HML) 197 High Yields 162 High-Yield-Market 162 Histogramm 83 HML-Faktor 197 Hoover, Herbert C. 237 Hunt, Nelson Bunker 230 Hunt, William Herbert 230 Hybride 60 Hyperbel 96 Hyperinflation 144 Hypothekenbanken 124 IL-Bonds 131 Illiquidität 33, 115 Indexzertifikate 223 Indizes, gewichtete 189 Indizes, Preis- 188 Indizes, STOXX- 188 Indizes, Total Return - 188 Indizes, ungewichtete 188 Industrialisierung 63 Inflation 139 Inflation Targeting 140 Inflation-Indexed-Corporate-Bonds 133 Inflation-Linked-Bonds 131 Informationseffizienz 42, 175 Informationserzeugung 15 Informationskosten 49 Informationsverarbeitung 36 Inhaberaktien 174 Initial Margin 213 <?page no="266"?> Register 267 Initial Public Offering (IPO) 34 Inlandsmarkt 57 Innenfinanzierung 22 Insolvenz 115 Intermediäre 26 Intermediationstypen 54 interner Zinssatz der Zahlungsreihe 138 Investieren 17 Investitionen 17 Investitionsfalle 240 Investmentbanken 35 Investmentfonds 101 Irrelevanztheorem 111 Jahresabschluss 176 Japan 144 Jensen und Meckling 117 Jensen, Michael 24 Jones, Edward 61 JP Morgan Chase 167 Junkbonds 162 Kansas City Board of Trade (KCBT) 64 Kapital 18 Kapitalallokation 15 Kapitalgesellschaften 173 Kapitalismus 31 Kapitalkosten 33, 36, 188 Kapitalmarkt 55 Kapitalmarktlinie 99 Kapitalschutz 223 Kapitalstruktur 92 Kartellgesetze 143 Kassakurs 158, 211 Kassamarkt 211 Katastrophe 228 Katastrophen-Bonds 40 Kaufkraft 139 Kaufkraftparität 159 Kernkompetenzen 16 Keynes, John Maynard 240 KGV 176 Kindleberger, Charles P. 239, 248 Klumpenrisiko 26 Kollektivgesellschaft 173 Kommanditaktiengesellschaft 173 Kommanditgesellschaft (KG) 173 Kommanditgesellschaft auf Aktien (KGaA) 173 Kommunaldarlehen 124 Konkurs 116 Konkursrecht 20 Konkurswahrscheinlichkeit 115 Konsumentenpreisindexes (CPI) 132 Kontrollkosten 49 Konversionszwang 131 Korean Stock Exchange (KSE) 64 Korrelation 96 Korrelationskoeffizient 98 Kosten, private 117 Kosten, soziale 117 Kreditderivate 166 Kredite 124 Kreditereignis 77 Kreditgeschäft 166 Kreditkonvenanten 124 Kreditrisiko 161 Kreditrisikomanagement 166 Kreditrisikoprämie 162 Kreditvorfall 166 Kriegswirtschaft 62 Krisen 227 Krisen der Stärke 1 228 Krisen der Stärke 2 228 Krisen der Stärke 3 229 Kuba 30 Kuponzahlungen 124 Kursänderungen 150 Kurse 37 Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) 176 Kursrisiko 149 Kursziele 175 <?page no="267"?> 268 Register Länderdiversifikation 183 Länderrisiko 182 Langläufer 57 Laufzeit 133 Law, John 233 Leerverkäufe 103 Leverage-Effekt 111 Liberalisierung 143 LIBOR 127 Liquidität 30, 246 Liquiditätsfalle 240 Lock-In-Periode 225 Lombardkredit 136 London Interbank Offered Rate 127 London International Financial Futures and Options Exchange (LIFFE) 61 London Stock Exchange 60 Long Term Capital Management (LTCM) 232 Long-Position 156, 208 Losgröße 51, 53 LTCM 232 Macaulay, Frederick 151 Majluf, Nicholas S. 120 MaK (Mindestanforderungen im Kreditwesen) 164 Makler 51, 54 Manager 18 Mandatory Convertible Securities (MCS) 131 Margin Call 213 Market-Maker 51, 54 Markowitz, Harry 93, 179 Markt 17, 52 Markt, vollständiger 40 Marktkapitalisierung 177 Marktportfolio 100, 191 Markträumung 38 Marktrisiken 184 Marktunvollkommenheiten 48 Marktwert-Buchwert-Verhältnis 197 Marsh, Paul 248 Marx, Karl 240 Maslow, Abraham 16 MATIF 156 Mehra, Rajnish 87 Meriwether, John W. 232 Merkantilismus 16 Merton, Robert C. 214, 232 Mezzanine 60 Micro Finance 40 Miller, Merton H. 110 Mindesteigenkapitalanforderungen 164 Mindestkapital 164 Mindestreservepolitik 136 Minimum Variance Portfolio (MVP) 103 Minsky, Hyman P. 240 Minsky-Kollaps 241 Mississippi-Bubble 60, 233 Mitgliedschaftsrechte 174 MM „Momi“ 110 Moderne Portfolio Theorie (MPT) 92 Modigliani, Franco 110 Monetary Authority 141 money, at the - 131 money, in the - 130 money, out of the - 130 Moneyness 216 Monitoring 51 Moody’s Corporation 235 Moral Hazard 50 Multi-Manager-Funds 225 Multi-Strategie-Produkte 225 Müntefering, Franz 74 Myers und Majluf 119 Myers, Steward C. 120 NAM 160 Namensaktien 174 National Association of Manufacturers (NAM) 160 Nationalstaaten 72 Negative-Pledge-Klausel 125 <?page no="268"?> Register 269 Net Money Settlement System 66 New Deal 237 New Economy 198 New York Mercantile Exchange (Nymex) 64 New York Stock & Exchange Board (NYS&EB) 61 New York Stock Exchange (NYSE) 61 Ng Chee Siong, Robert 231 Ng Teng Fong 231 Nominalbetrag 124 nominale Renditen 81 Nominalzinsen 157 Normal-Hedge 210 Noten (Bills) 55 NSCC (National Securities Clearing Corporation) 66 OATi 132 Obligationen 124 Offene Handelsgesellschaft (OHG) 173 Offenheit 26 Offenlegungspflichten 164 Offenmarktpolitik 136 on the money 130 Optimizer 98 Optionen 207 Optionen, Call- 208 Optionen, Put- 209 Orderbuch 35 Organisationsgrad 52 OTC 54 OTC-Handel 54 out of the money 130 Outperformance 181 Outperformance-Produkte 224 Over the Counter 54 Overshooting 74 Pari-Passu-Klausel 125 Paritätstheoreme 157 Pariwert 124 Partialobligationen 62 Payer 154 Payer-Swap 210 Payoff-Diagramme 217 Pecking-Order 119 People's Bank of China 139 Perpetual Floating Rate Notes 126 Perpetuals 126 Personengesellschaften 173 Peso Convertible 30 pfadabhängig 184 Pfandbriefe 124 Pfandbrief-Institute 124 Ponzi, Charles 229 Portfolio 92 Portfoliomanagement 92, 101 Portfolio-Selektion 91 PPP 159 Preisbildung 79 Preisindizes 188 Prescott, Edward C. 87 Primärmarkt 34 Prinzipal 117 Prinzipal-Agenten-Beziehung 118 Private Debt 58 Private Equity 58 Privat-Platzierungen 35 Produkte, strukturierte 222 Produktionsfaktoren 16 prozyklisch 165 public 58 Purchase Power Parity (PPP) 159 Put-Optionen 209 Quandt 181 RAP 161 Rating-Agenturen 235 Ratingrisiko 166 Ratings, interne 165 reale Jahresrenditen 83 Realkapital 18, 19 Realwirtschaft 71 <?page no="269"?> 270 Register Realzinsanstieg 157 Realzinssatz 83 Receiver 154 Receiver-Swap 210 Rechtssystem 20 Referenz-Zinssatz 209 Regressionsrechnung 193 Reihenentwicklung, Taylorsche 152 Rendite 78 Rendite bis Verfall 138 Rendite, reale Jahres- 83 Renditeerwartung 80 Renditen, nominale 81 Renminbi 139 Renten 124 Replikationsportfolios 41 Repogeschäfte 136 Ressourcen 17 Restlaufzeit, virtuelle 153 Restructuring Capital 60 Return 80 Return Enhancement 218 Reverse Convertibles 224 Reversed-Hedge 210 Revisionsstelle 174 Ringhandel 63 Risiken, operationelle 165 Risiko 80 Risiko, spezifisches 191 Risiko, systematisches 193 Risikoanalyse 182 risikoavers 85 Risikofaktoren 175, 181 Risikoportfolio 98 Risikoprämie 86, 247 Risikoprämien-Puzzle 87 risikoscheu 85 Risikotransfer 15, 27 Risk 80 Risk-Adjusted-Pricing (RAP) 161 Risk-Management 163 Risk-Rating 163 Risk-Return-Diagramm 84, 94 Risk-Workout 164 Robinson Crusoe 18 Roll, Richard 196 Roosevelt, Franklin 237 Royal Exchange 61 Rückzahlungskurs 125 Russland 163 Russlandkrise 232 Sachkapital 18 Säule, erste 164 Say, Jean-Baptiste 240 Schätzmethode, realwirtschaftliche 87 Schätzung, finanzwirtschaftliche 87 Schätzung, realwirtschaftliche 87 Scholes, Myron S. 214, 232 Schuldner 55, 124 Schumpeter, Joseph 66, 73 Schweizerische Effekten-Giro AG 65 Schweizerische Nationalbank 140 Schwellenländer 163 Securities Lending 66 Securities Market Line 194 Securitization 33 Security 33 Security Analysis 175 SEGA (Schweizerische Effekten-Giro AG) 65 Sekundärmarkt 34 Selbstfinanzierung 22 Selektion, adverse 50 Sensale 63 Sensalenordnung 63 Sensitivität 153 Sensitivität der Rendite 191 Separationstheorem 101 Settlement 53, 65 Shareholder-Value-Gedanke 23, 172 shares, bearer - 174 shares, preferred - 174 <?page no="270"?> Register 271 shares, priority - 174 shares, registered - 174 shares, voting right - 174 Sharpe, William 191 Shefrin, Hersh 248 Shortfall-Risk 185 Short-Position 156, 208 Sicherungskäufer 166 Sicherungsverkäufer 166 Simulation 185 Small Caps 178 Small minus Big-Faktor (SMB) 197 SMB-Faktor 197 Smith, Adam 16 SML 194 SNB 140 Sobel, Robert N. 177 Solver (Excel) 139 South Sea Company 60 Sovereign Debt 53 Sparquote 24 spekulieren 206 Spezialisierung 16 Spotkurs 158 Spotmarkt 211 Staatsanleihen 53, 124, 162 Staatsverschuldung 142 Stabilität 84 Stammaktie 174 Standard and Poor’s Corporation 235 Standardabweichung 83 Staunton, Mike 73, 248 Steuern 114 Stiftung 173 Stille Gesellschaft 173 Stimmrechtsaktien 174 Stock 33 Stock Picking 176 Stocks 173 stocks, preferred - 174 STOXX Indizes 188 Straight Bonds 124 Strike 214 Struktureffekt 151 Substanzperlen 176 Survival Bias 86 Swap 207 Swapsätze 154 Swapsätze, Fristenstruktur 154 Swap-Spread 154 Swiss Market Index (SMI) 64 Swiss Performance Index (SPI) 64 Swissair 163 Tangentialportfolio 191 Tax-Shield 116 Taylorsche Reihenentwicklung 152 T-Bond-Future 157 Term Structure of Interest Rates 134 Terminkontrakte 207 Terminkurs 211 Terminmarkt 211 Term-Spread 137 Terroranschläge 144 Texas-Hedge 210 The Depository Trust Company (DTC) 65 The Wall Street Journal 62 These des Freien Cashflows 24 Thickness 40 Tick 53 TIPS 132 Titelselektion 184 Tobin, James 98, 179 TOIS 155 Tokyo Stock Exchange 156 Tom-Next-Index-Swaps 155 Total Return Indizes 188 Total-Return-Swap 166 Tradeoff-Ansatz 115 Transaktionen 38 Transaktionskosten 48 Transformationen 50 Transparenz 26 <?page no="271"?> 272 Register Treasury-Inflation-Protected-Securities (TIPS) 132 Treuhandanstalt 156 Triumph of the Optimists 248 Tulpenmanie 230 Türkiye Cumhuriyet Merkez Bankasi 139 Überschießen 74 Underlying 205 Underwriting 35 Unternehmensanleihen 55 Unternehmensgröße 197 Unternehmer 18 Unvollkommenheiten 114 US-Staatsanleihen 162 US-Treasuries 162 Value Line Index 64 Value Stocks (Substanzperlen) 176 Varianzdekomposition 182 Variation, erklärte 191 Variation, unerklärte 191 Venture Capital 60 Verbriefung 33 Verein 173 Verfügbarkeitsrendite 212 Verhandlungskosten 49 Vermögensrechte 174 Verschuldungsgrad 114 Verteilungswirkung 141 Verwaltungsrat 174 Volatilität 215 vollständiger Markt 40 Vollständigkeit 40 Vorstand 174 Vorzugsaktien 174 Vorzugsdividende 174 Wachstum 175 Währungsparitäten 39 Währungsswaps 207, 209, 210 Wandelanleihen 129 Wandelrecht 130 Warburg 128 Weltwirtschaftskrise 1929-1932 61, 237 Werteffekt 151 Wertpapiere 25 Wertpapierlinie (Securities Market Line) 194 Wissenskapital 18 WorldCom 163 Xetra 63 Yield to Maturity (YTM) 138 Zahlungsverkehr 66 Zentralbanken 136 Zentralbankgeldmenge 141 Zerobond 125 Zero-Perpetuals 126 Zertifikate, Discount- 223 Zertifikate, dynamische 223 Zertifikate, Index- 223 Zertifikate, Step- 224 Zertifikate. statische 223 Zinsbindungsfrist 134 Zinsfutures 156 Zinskurve 134 Zinskurve, inverse 137 Zinskurve, Krümmung 137 Zinskurve, kurzes Ende 136 Zinskurve, langes Ende 136 Zinskurven, flache 135 Zinsniveau 78 Zinsparität 142, 158 Zinsreagibilität 151 Zinsrisiko 149 Zinssatz der Zahlungsreihe, interner 138 Zinssatz, Referenz- 209 Zinsstruktur 134 Zinsswap 154 Zinsswaps 209 Zinsterminkontrakte 156 Zufall 78, 247 Zufallsgröße 80 Zufallsprozess 80 Zürcher Börse 63