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Germanistische Sprachwissenschaft

Deutsch als Erst-, Zweit- oder Fremdsprache

0217
2020
978-3-8385-8735-6
978-3-8252-8735-1
UTB 
Gabriele Graefen
Martina Liedke-Göbel

Worin unterscheidet sich Deutsch von anderen Sprachen? Was kennzeichnet seine Lexik, Morphologie, Syntax und Phonologie? Was ergibt sich daraus für Deutsch als Fremd- und Zweitsprache? Dieser Band vermittelt germanistisches Grundlagenwissen und berücksichtigt dabei stets die Besonderheiten der Lehre von Deutsch als Fremd- oder Zweitsprache. Mit 18 Kapiteln, fast 500 Übungen sowie umfangreichem elektronischem Zusatzmaterial (z.B. Tonmaterial, Gesprächsbeispiele etc.) bietet er eine multimediale Einführung in die germanistische Linguistik aus der Perspektive von Mehrsprachigkeit. Tonbeispiele aus über 30 weiteren Sprachen lassen Besonderheiten des Deutschen deutlicher hervortreten. Die 3. Auflage wurde aktualisiert, grundlegend überarbeitet und um viele neue interaktive Aufgaben erweitert. Der Band eignet sich daher für den parallelen Einsatz in Vorlesung, Seminar, Übung und Tutorium. "Eine gut geschriebene Einführung" - Info DaF 2/3 (2014) "Umfassendes Grundlagenwissen in verständlicher Form" - ekz 42 (2012) "Ein Buch, das man griffbereit haben sollte" - Zielsprache Deutsch 37,3 (2010)

<?page no="0"?> Gabriele Graefen Martina Liedke-Göbel Germanistische Sprachwissenschaft Deutsch als Erst-, Zweit- oder Fremdsprache Germanistische Sprachwissenschaft 3. A. Graefen | Liedke-Göbel Worin unterscheidet sich Deutsch von anderen Sprachen? Was kennzeichnet seine Lexik, Morphologie, Syntax und Phonologie? Was ergibt sich daraus für Deutsch als Fremd- und Zweitsprache? Dieser Band vermittelt germanistisches Grundlagenwissen und berücksichtigt dabei stets die Besonderheiten der Lehre von Deutsch als Fremd- oder Zweitsprache. Mit 18-Kapiteln, fast 500 Übungen sowie umfangreichem elektronischem Zusatzmaterial (z. B. Tonmaterial, Gesprächsbeispiele etc.) bietet er eine multimediale Einführung in die germanistische Linguistik aus der Perspektive von Mehrsprachigkeit. Tonbeispiele aus über 30 weiteren Sprachen lassen Besonderheiten des Deutschen deutlicher hervortreten. Die 3. Auflage wurde aktualisiert, grundlegend überarbeitet und um viele neue interaktive Aufgaben erweitert. Der Band eignet sich daher für den parallelen Einsatz in Vorlesung, Seminar, Übung und Tutorium. „Eine gut geschriebene Einführung“ Info DaF 2/ 3 (2014) „Umfassendes Grundlagenwissen in verständlicher Form“ ekz 42 (2012) „Ein Buch, das man griffbereit haben sollte“ Zielsprache Deutsch 37,3 (2010) Sprachwissenschaft ,! 7ID8C5-cihdfb! ISBN 978-3-8252-8735-1 Dies ist ein utb-Band aus dem Narr Francke Attempto Verlag. utb ist eine Kooperation von Verlagen mit einem gemeinsamen Ziel: Lehrbücher und Lernmedien für das erfolgreiche Studium zu veröffentlichen. utb-shop.de QR-Code für mehr Infos und Bewertungen zu diesem Titel 3. Auflage 87351 Graefen_L-8381 (original).indd 1 87351 Graefen_L-8381 (original).indd 1 21.01.20 15: 17 21.01.20 15: 17 <?page no="1"?> Zusatzmaterial Die zusätzlichen digitalen Materialien zum Buch, wie Tonbeispiele, Transkripte, weitere Aufgaben und Lösungen, Literaturverzeichnis, Index und Internetbeispiele finden Sie online unter https: / / files.narr.digital/ 9783825287351/ start.html. <?page no="2"?> Eine Arbeitsgemeinschaft der Verlage Böhlau Verlag · Wien · Köln · Weimar Verlag Barbara Budrich · Opladen · Toronto facultas · Wien Wilhelm Fink · Paderborn Narr Francke Attempto Verlag / expert Verlag · Tübingen Haupt Verlag · Bern Verlag Julius Klinkhardt · Bad Heilbrunn Mohr Siebeck · Tübingen Ernst Reinhardt Verlag · München Ferdinand Schöningh · Paderborn transcript Verlag · Bielefeld Eugen Ulmer Verlag · Stuttgart UVK Verlag · München Vandenhoeck & Ruprecht · Göttingen Waxmann · Münster · New York wbv Publikation · Bielefeld utb 8381 <?page no="3"?> Dr. Gabriele Graefen lehrte bis 2017 Germanistik/ Deutsch als Fremdsprache an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Dr. Martina Liedke-Göbel lehrt Germanistik/ Deutsch als Fremdsprache an der Ludwig-Maximilians-Universität München. <?page no="4"?> Gabriele Graefen / Martina Liedke-Göbel Germanistische Sprachwissenschaft Deutsch als Erst-, Zweit- oder Fremdsprache 3., überarbeitete und erweiterte Auflage Narr Francke Attempto Verlag Tübingen <?page no="5"?> Umschlagabbildung: Speak, @lassedesignen-adobestock © 2020 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: / / dnb.dnb.de abrufbar. © 2020 · Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Internet: www.narr.de eMail: info@narr.de Einbandgestaltung: Atelier Reichert, Stuttgart CPI books GmbH, Leck utb-Nr.: 8381 ISBN 978-3-8252-8735-1 (Print) ISBN 978-3-8385-8735-6 (ePDF) <?page no="6"?> Inhalt Vorwort ..................................................................................................... 11 Grundlagen 1 Sprache und Sprachen ....................................................................... 13 1.1 Präliminarien — einige Grundbegriffe ....................................................... 13 1.2 Die Sprachenvielfalt .............................................................................. 15 1.3 Die Einteilung von Sprachen .................................................................... 20 1.4 Sprachkontakt ...................................................................................... 22 1.5 Sprachvergleich und Kontrastive Linguistik ................................................ 24 2 Deutsch in Europa .............................................................................. 27 2.1 Verbreitung und Variation ...................................................................... 27 2.1.1 Standardsprachen des Deutschen .................................................. 28 2.1.2 Sprachliche Varietäten ................................................................ 29 2.1.3 Regionale Erscheinungsformen des Deutschen ................................. 30 2.2 Sprachveränderung und Sprachgeschichte ................................................. 33 2.2.1 Die indoeuropäische Herkunft ...................................................... 33 2.2.2 Die germanischen Sprachen ......................................................... 35 2.2.3 Sprachgeschichtliche Periodisierung des Deutschen ......................... 37 2.2.4 Die Anfänge der deutschen Sprache .............................................. 38 2.2.5 Sprachentwicklung bis zur Neuzeit ................................................ 39 2.3 Fremdsprachendidaktische Konsequenzen ................................................. 42 3 Die Sprachwissenschaft: Arbeitsgebiete und Denkrichtungen ............ 45 3.1 Vom Schreibunterricht zur Grammatiklehre ............................................... 45 3.2 Von der Vergleichenden Philologie zu den heutigen Philologien .................... 46 3.2.1 Die Indogermanismus-These ......................................................... 46 3.2.2 Die Weiterentwicklung der Philologie ............................................ 48 3.3 Der Strukturalismus ............................................................................... 49 3.3.1 Quellen und Einflüsse ................................................................. 49 3.3.2 Das Sprachsystem und die Rede bei S AUSSURE .................................. 50 3.3.3 Der amerikanische Strukturalismus ............................................... 52 3.3.4 Sprache als innerer Apparat: Generative Grammatik und Nativismus .. 53 3.4 Sprache und Denken .............................................................................. 55 3.4.1 Kognitive Linguistik .................................................................... 55 3.4.2 Weltbildhypothese und „sprachliche Relativitätstheorie“ ................. 56 3.4.3 Neurolinguistische Beiträge zur Linguistik ...................................... 58 3.5 Die pragmatische Ausrichtung der heutigen Linguistik ................................. 59 4 Sprachwissenschaftliche Methoden .................................................... 61 4.1 Introspektion und Empirie ...................................................................... 61 4.1.1 Informantenbefragung und Experiment .......................................... 63 4.1.2 Sammlung und Erhebung authentischer Sprachdaten ........................ 64 4.2 Aufzeichnung und Verschriftlichung mündlicher Sprachdaten ....................... 66 4.2.1 Aufzeichnung ............................................................................. 66 4.2.2 Transkription mündlicher Sprachdaten .......................................... 67 <?page no="7"?> 6 Inhalt 4.2.3 Diskursorientierte Transkriptionsverfahren ..................................... 68 4.2.4 Phonetisch orientierte Transkriptionsverfahren ............................... 70 4.3 Korpora des Deutschen .......................................................................... 71 4.3.1 Korpora geschriebener Sprache .................................................... 72 4.3.2 Korpora gesprochener Sprache ..................................................... 73 4.4 Korpuslinguistik .................................................................................... 74 Semantik und Lexikographie 5 Zeichen und Begriff, Lexem und Wortschatz ..................................... 77 5.1 Aufgaben der Semantik .......................................................................... 77 5.2 Name und Begriff .................................................................................. 78 5.3 Semantik und Semiotik .......................................................................... 79 5.3.1 Semiotik seit C HARLES S. P EIRCE ...................................................... 80 5.3.2 Saussures Zeichenmodell und seine Weiterentwicklung .................... 81 5.3.3 Die Sprache als Werkzeug ............................................................ 82 5.4 Lexem und Wortschatz ........................................................................... 84 5.5 Individuelle Wortschätze und Sprachenlernen ............................................ 88 5.6 Wörter im Sprachkontakt ....................................................................... 89 5.7 Gebrauch und Zitieren ........................................................................... 91 6 Semantische Beziehungen, Merkmale und Konzepte ........................... 95 6.1 Grundbegriffe der semantischen Theorie .................................................. 95 6.1.1 Traditionelle Semantik ................................................................ 95 6.1.2 Frame-Semantik ......................................................................... 97 6.2 Semantische Relationen ............................................................................... 98 6.3 Semantische Merkmale und Prototypen .................................................... 101 6.3.1 Die Merkmalsemantik ................................................................. 101 6.3.2 Die Prototypensemantik ............................................................. 102 6.3.3 Semantische Primitiva ............................................................... 103 6.3.4 Konzeptuelle Metaphern ............................................................. 104 6.4 Wortschatz im Kontrast und im Unterricht ............................................... 105 Morphologie 7 Elemente und Verfahren der Wortbildung .......................................... 109 7.1 Die morphologische Sprachanalyse .......................................................... 109 7.2 Wortbildung I: Komposition oder Zusammensetzung .................................. 110 7.3 Wortbildung II: Ableitung (Derivation) und Konversion ............................... 113 7.3.1 Wortbildung beim Verb und Aktionsarten ...................................... 116 7.3.2 Fachliche und nichtdeutsche Morpheme im Wortschatz ................... 117 7.3.3 Abkürzung und Kurzwort ............................................................ 118 7.3.4 Morphem und Silbe .................................................................... 118 8 Wortarten und Flexion ....................................................................... 121 8.1 Die traditionellen Wortarten .................................................................. 121 8.2 Flexion ............................................................................................... 123 8.3 Die heutige Wortartenlehre ................................................................... 125 8.3.1 Die Wortart Substantiv im Blick des Sprachlerners .......................... 125 <?page no="8"?> Inhalt 7 8.3.2 Neue Wortklassen ...................................................................... 127 8.3.3 Deixis und Anapher .................................................................... 129 8.4 Grammatikalisierung ............................................................................ 133 8.5 Die Morphologie als Ausgangspunkt der Sprachtypologie ............................. 134 Syntax 9 Prinzipien, Sätze und Satzglieder ....................................................... 139 9.1 Sätze als Sinneinheiten ......................................................................... 139 9.2 Der Aufbau des einfachen Satzes ............................................................ 141 9.3 Satzglied: Wort oder Phrase ................................................................... 142 9.4 Einfacher und komplexer Satz ................................................................ 144 9.5 Satzrollen, Satzfunktionen, Valenz .......................................................... 145 9.6 Die Klammerstruktur deutscher Sätze und die Satzfelder ............................ 148 9.7 Ordnung und Stellung von Satzgliedern .................................................... 149 10 Verben und Verbalkomplexe ............................................................. 153 10.1 Die Wortart Verb ................................................................................. 153 10.2 Die Bedeutung der Verben für die Satzbildung .......................................... 154 10.3 Verbtypen und Satzstrukturen ................................................................ 156 10.3.1 Transitivität, Rektion und Valenz ................................................. 157 10.3.2 Auxiliarverben .......................................................................... 157 10.3.3 Das System der Modalverben im Deutschen ................................... 158 10.3.4 Aspektualität ............................................................................ 160 10.3.5 Besondere Verbtypen und Satzkonstruktionen ................................ 162 10.3.6 Tempus: grammatikalisierter Zeitbezug ........................................ 166 10.4 Modus und Modalität: Indikativ und Konjunktiv ......................................... 169 10.5 Aktiv und Passiv („Genus verbi“) ............................................................ 171 11 Die Analyse von Sätzen ..................................................................... 175 11.1 Nominalphrasen (NP) und Präpositionalphrasen (PP) .................................. 175 11.1.1 Determination in der NP und bei Namen ....................................... 176 11.1.2 Artikelwörter und Negation in der NP ........................................... 178 11.1.3 Attribute in der NP .................................................................... 178 11.1.4 Didaktische Hinweise zu Nominal- und Präpositionalphrasen ............ 182 11.2 Kasus und Satzgliedrolle ........................................................................ 183 11.2.1 Präpositionalobjekt und Adverbial ............................................... 185 11.2.2 wie und als (Adjunktorphrasen) ................................................... 188 11.2.3 Verweiswörter, Bezugswörter, Konnektoren .................................. 188 11.2.4 Negation im Satz ....................................................................... 189 11.3 Satzbaupläne ...................................................................................... 190 11.4 Infinitiv- und Partizipialphrasen ............................................................. 190 11.5 Satzreihe und Satzgefüge ...................................................................... 192 11.5.1 Koordinierte Hauptsätze ............................................................. 192 11.5.2 Untergeordnete Sätze (Nebensätze) ............................................. 193 11.5.3 Attributsätze ............................................................................ 194 11.6 Analyse komplexer Sätze ....................................................................... 194 <?page no="9"?> 8 Inhalt Phonetik und Phonologie 12 Phonetische Grundlagen ................................................................... 199 12.1 Die Disziplinen Phonetik und Phonologie .................................................. 199 12.2 Akustische Phonetik ............................................................................. 199 12.2.1 Messung und Visualisierung von Schallwellen ................................. 200 12.2.2 Frequenzen im Schallsignal ......................................................... 201 12.3 Auditive und Perzeptive Phonetik ........................................................... 203 12.4 Artikulatorische Phonetik ...................................................................... 204 12.5 IPA .................................................................................................... 207 13 Das Lautsystem des Deutschen ......................................................... 211 13.1 Grundbegriffe der Phonologie ................................................................ 211 13.2 Das Vokalsystem des Deutschen .............................................................. 213 13.3 Konsonanten ....................................................................................... 217 13.4 Orthographische Prinzipien im Deutschen ................................................ 220 13.5 Weitere Assimilationen und Reduktionsprozesse ....................................... 222 13.6 Erkenntnisse zum Deutschen als Fremd- und Zweitsprache ......................... 223 14 Prosodische Kennzeichen des Deutschen .......................................... 227 14.1 Segmentale und nicht-segmentale phonologische Erscheinungen ................. 227 14.2 Die Silbe ............................................................................................. 227 14.2.1 Der Aufbau der Silbe .................................................................. 228 14.2.2 Der Silbenaufbau im Sprachvergleich ............................................ 231 14.3 Akzentuierung ..................................................................................... 232 14.3.1 Akzentuierung von Wörtern ........................................................ 232 14.3.2 Rhythmus und Gewichtung .......................................................... 234 14.4 Globale Tonhöhenverläufe ..................................................................... 235 14.4.1 Zur Notation von Tonhöhenverläufen ............................................ 236 14.4.2 Beschreibungsansätze ................................................................ 236 14.4.3 Fallende Endtonverläufe ............................................................ 237 14.4.4 Steigende Endtonverläufe ........................................................... 238 14.4.5 Progrediente Endtonverläufe ...................................................... 240 14.5 Prosodische Phänomene und Gestik ........................................................ 241 14.6 Prosodie als Thema für Deutsch als Fremd- und Zweitsprache ..................... 242 Diskurs und Text 15 Mündliche Kommunikation ................................................................ 245 15.1 Mündlichkeit und Schriftlichkeit ............................................................. 245 15.2 Charakteristika mündlicher Verständigung ............................................... 246 15.2.1 Die Organisation des Sprecherwechsels ......................................... 246 15.2.2 Verstehenssichernde Verfahren ................................................... 248 15.2.3 Reparaturen und verstehenssichernde Nebensequenzen .................. 250 15.2.4 Pausen .................................................................................... 253 15.3 Syntaktische Besonderheiten der gesprochenen Sprache ............................ 254 15.4 Die Multimodalität von Diskursen ............................................................ 255 15.5 Mündliche Kommunikation in der Fremd- und Zweitsprache ........................ 259 <?page no="10"?> Inhalt 9 16 Sprachliches Handeln ........................................................................ 265 16.1 Vom Sprechakt zur Illokution ................................................................. 265 16.1.1 Performative Äußerungen ........................................................... 266 16.1.2 Bestandteile des Sprechakts ....................................................... 267 16.1.3 Illokutive Typen und ihre Umsetzung im Deutschen ........................ 269 16.2 Sprachliche Handlungen und ihr Aufbau ................................................... 272 16.3 Sprachliche Handlungsmuster ................................................................. 274 16.4 Kommunikation in Institutionen .............................................................. 278 16.4.1 Beispiel „Besichtigungstermin“ .................................................... 279 16.4.2 Beispiel „Arztbesuch“ ................................................................ 281 16.5 Problemfelder für Deutsch als Fremd- und Zweitsprache ............................ 282 17 Text .................................................................................................. 287 17.1 Zum Textbegriff ................................................................................... 287 17.2 Der Text besitzt „Zusammenhang“ ......................................................... 288 17.2.1 Kohäsion .................................................................................. 288 17.2.2 Kohärenz ................................................................................. 290 17.2.3 Gesagtes und Nicht-Gesagtes ...................................................... 293 17.3 Text als situationsentbundenes Handeln .................................................. 294 17.3.1 Formen der Überlieferung .......................................................... 294 17.3.2 Konsequenzen der zerdehnten Sprechsituation .............................. 295 17.4 Mündliche Texte .................................................................................. 296 17.5 Schriftliche Texte ................................................................................ 298 17.5.1 Textorganisation und Verstehenssicherung .................................... 298 17.5.2 Handlungsmuster in schriftlichen Texten ...................................... 300 17.6 Texte in der Fremd- und Zweitsprache Deutsch ........................................ 302 Anwendungsfelder 18 Angewandte Linguistik ...................................................................... 305 18.1 Forschungsfelder und Praxisbezüge ......................................................... 305 18.2 Sprachlehre ......................................................................................... 305 18.2.1 Spracherwerbsforschung ............................................................. 305 18.2.2 Sprachdidaktik, Sprachlehr- / Sprachlernforschung ......................... 308 18.2.3 Aufgabenbereich Alphabetisierung ............................................... 310 18.3 Diagnose und Therapie von Sprech- und Sprachstörungen ........................... 310 18.4 Sprach- und Kommunikationsberatung ..................................................... 312 18.4.1 Sprachberatung ........................................................................ 312 18.4.2 Kommunikationsberatung ........................................................... 313 18.4.3 Textoptimierung, Technische Dokumentation, Schreibberatung ........ 313 18.4.4 Sprachtrainings, Kommunikationstraining ...................................... 314 18.5 Forensische Linguistik ........................................................................... 315 18.6 Computerlinguistik ............................................................................... 316 Literatur ................................................................................................ 319 Index ....................................................................................................... 343 <?page no="12"?> Vorwort Wir freuen uns, diese „Einführung in die Sprachwissenschaft“ in nunmehr 3. Auflage vorlegen zu können. Die im Buchtitel genannten Sprachlernzusammenhänge bilden noch stärker als bisher den Rahmen und liefern viele Bezugspunkte der Einführung. Die Beschreibung des Deutschen wird immer wieder durch die sprachvergleichende Perspektive ergänzt, unterstützt durch zusätzliches Begleitmaterial. Zudem haben wir in der vorliegenden Auflage auch der Varianz des Deutschen noch etwas stärker Rechnung getragen. Die einzelnen Kapitel dieses Buches sind systematisch aufbaut, müssen aber nicht unbedingt in der vorgegebenen Reihenfolge und auch nicht in gleicher Intensität gelesen werden. Bei einem ersten Einstieg, z.B. im Rahmen einer B.A.-Einführung, kann sich die intensive Lektüre auf ausgewählte Kapitel und eine selektive oder kursorische Lektüre anderer Teile beschränken. Verweise führen dann zu Erläuterungen in anderen Gliederungspunkten. Neugierigen und fortgeschrittenen Studierenden, auch in MA-Studiengängen, bietet das Buch über das Basiswissen hinaus einen Anschluss an theoretische Grundfragen und aktuelle Forschungsfragen der Sprachwissenschaft. In jedem Kapitel werden Zugänge zur wissenschaftlichen Literatur geschaffen. Das Literaturverzeichnis enthält über 500 Einträge. Dem Lehrbuch ist umfangreiches digitales Begleitmaterial beigegeben. So eignet es sich, wie vielfach erprobt wurde, zum parallelen Einsatz in Vorlesung, Seminar, Übung und Tutorium ebenso wie zum Selbststudium. Tondateien, Aufgaben und Lösungen sowie hilfreiche Internet-Einstiege können im Online-Shop des Narr Verlags ( ) über einen persönlichen Code kostenlos heruntergeladen werden. Diesen persönlichen Code sowie eine Anleitung zum Download finden Sie auf der zweiten Umschlagseite. Die digitalen Übungen wurden für diese Auflage neu konzipiert, erweitert (auf knapp 500) und sind nunmehr in verschiedenen Aufgabentypen organisiert, von denen pro Kapitel nur eine kleine Auswahl im Lehrbuch abgedruckt ist. Wiederholungs- und Vertiefungsaufgaben, konzipiert als Multiple-choice-, Zuordnungs- oder beispielhafte Anwendungsaufgaben mit jeweils angegebenem Antworthorizont, ermöglichen sowohl die Aneignung von Begriffen und sprachlichen Sachverhalten wie auch ein vertieftes Verständnis der Fachinhalte. Zu jedem Kapitel gibt es zudem offene Fragen mit weiterführenden Aufgaben, die zur Auseinandersetzung mit den Fachthemen und zu eigenen Recherchen anregen. Der Übungstyp „Wissen in Frage und Antwort“ bietet weitere, halboffene Übungen mit Musterantworten, die sich als punktueller Einstieg in ein Thema ebenso eignen wie zur Überprüfung von erworbenem Wissen durch selbständige Formulierung. Hier werden auch Fragen aufgegriffen, die Studierende im Verlauf von Vorlesungen, Übungen oder Seminaren in der Vergangenheit gestellt haben. Auf die digital zugänglichen Audio-Aufnahmen wird im Text durch Lautsprechersymbole hingewiesen. Die zahlreichen Tonbeispiele zum Buch umfassen Sprechproben zum Deutschen und zu vielen anderen Sprachen sowie auch Auszüge aus authentischen Gesprächen. Wenn Verschriftlichungen, so genannte „Transkripte“, vorliegen, wird darauf im Text mit dem Transkriptsymbol verwiesen. Die Gesprächstranskripte können genutzt werden, um über das Buch hinausgehend, eigene Phänomenanalysen durchzuführen. In der digitalen Fassung können die Ton- und Transkriptbeispiele direkt aus dem <?page no="13"?> 12 Vorwort Lehrbuchtext heraus aufgerufen werden. Zusätzlich findet sich zu jedem Kapitel eine Auswahl von „Internet-Einstiegen“, die eine weitergehende Recherche ermöglichen, Praxisbezüge verdeutlichen oder Werkzeuge für die eigene linguistische Arbeit bereitstellen. Hyperlinks werden in den digitalen Materialien generell durch blaue Schrift markiert. Im Buch sind typographisch gekennzeichnet. Wichtige Begriffe und Fachausdrücke, die im Text fett gedruckt sind (im digitalen Text ebenfalls farblich abgehoben), sind über einen Index aufzufinden. Namen von Wissenschaftlern werden in K API - TÄLCHEN geschrieben. Beispiele für sprachliche Elemente oder Äußerungen sind im Text und in den Übungen durch Kursivdruck hervorgehoben. Auch anderssprachige Fachausdrücke, z.B. der englische Begriff turn, als ins Deutsche übernommener Fachausdruck Turn, sind kursiv gedruckt. Für Rückmeldungen und Anregungen zum Buch geht unser herzlicher Dank an Konrad Ehlich und Angelika Redder, die diese Einführung ursprünglich angeregt und unterstützt haben, an Winfried Thielmann, Peter Colliander, Klaus Geyer, Peter Arnold Mumm, Jens Heßmann und Ulrike Wrobel. Danken möchten wir an dieser Stelle auch denjenigen, die zur Materialbasis dieser Einführung beigetragen haben: Sandra Busch, Sanela Causevic, Annette Ehrenhardt, Nigora Mirzoeva, Kristin Stezano sowie insbesondere den Sprecherinnen und Sprechern unserer Tonbeispiele zu den verschiedenen Sprachen und Interviewpartnern. Zudem geht unser herzlicher Dank an Tillmann Bub, der diese Auflage lektoriert und betreut hat. Sollten trotz sorgfältiger Korrektur Fehler verblieben sein, bitten wir, diese zu entschuldigen und uns darauf hinzuweisen. Im Buch haben wir weitgehend auf Genderisierung zugunsten einer Neutralform verzichtet: Wenn an einigen Stellen des Buchs von „dem Sprecher“, „den Hörern“ usw. die Rede ist, sind die Formen also als verallgemeinerte, nicht geschlechtsbezogene Variante zu lesen, für die sich vielleicht der Artikel „de“ aus der Kontaktsprache Deutsch am besten eignen würde (vgl. Transkript (Ts 10) „Zypern“). Unseren Leserinnen und Lesern wünschen wir eine interessante Lektüre und Spaß beim Lesen. München, im Januar 2020 Gabriele Graefen und Martina Liedke <?page no="14"?> Grundlagen 1 Sprache und Sprachen 1.1 Präliminarien — einige Grundbegriffe Die Germanistische Sprachwissenschaft (Germanistische Linguistik) befasst sich mit der deutschen Sprache als einer der vielfältigen Erscheinungsformen von Sprache. Dabei ist sie mit Fragen konfrontiert, die in der Allgemeinen Sprachwissenschaft sprachübergreifend thematisiert werden: Was kennzeichnet Sprache als Mittel der menschlichen Verständigung? Welche Formen und Regeln lassen sich aufweisen? Welche Variationen lassen sich feststellen? Was unterscheidet das Deutsche von anderen Sprachen? Im Folgenden sollen zunächst einige Begriffe vorläufig eingeführt und Perspektiven der Sprachbeschreibung erläutert werden. Alle Sprachen der Welt ‚arbeiten‘ mit physikalischen Mitteln, die genutzt werden, um Bedeutungen auszudrücken. Gedankliche Einheiten können durch Sprache materialisiert werden. Allerdings muss dazu die Komplexität und Gleichzeitigkeit von Gedanken in ein Nacheinander von Sprachelementen umgesetzt werden. Für diejenigen, die eine Sprache beherrschen, gliedert sich ein wahrgenommener Strom von Sinneseindrücken in sinnvolle, bedeutungstragende Einheiten. Die Lexik, der Wortschatz einer Sprache, wird von verschiedenen sprachwissenschaftlichen Disziplinen untersucht: der Lexikologie, Lexikographie, Semantik und Morphologie. Der Lexikologie geht es darum, möglichst den gesamten Wortbestand einer Sprache zu erfassen und wissenschaftlich systematisch zu beschreiben, auch in historischer Hinsicht. Ihr Anwendungsfeld ist die Lexikographie, die sich mit der Auswahl und Darstellung dieses Wortbestandes für den Zweck der Erstellung von Wörterbüchern beschäftigt. Die Zusammenstellung eines sprachlichen Wortschatzes bezeichnet man als Lexikon, die darin aufgeführten Wörter als Lexeme. Die Semantik (Bedeutungslehre) zielt darauf ab, den Sinn von sprachlichen Einheiten möglichst genau zu erfassen. Semantische Fragen betreffen die Natur von Bedeutungen, insbesondere auch das Verhältnis von Lexemen untereinander, etwa das gegensätzliche Verhältnis von groß und klein, oder die Frage nach dem Bedeutungsumfang und der Hierarchie von Begriffen. Sprachvergleiche sind hier besonders interessant und wichtig: Das deutsche Wort Bruder hat z.B. einen anderen Umfang als die türkische Entsprechung, denn im Türkischen stehen zwei Übersetzungsmöglichkeiten zur Auswahl: abi (= großer Bruder) und kardeş (= kleiner Bruder). Die Morphologie beschreibt demgegenüber die verschiedenen Formen, die Wörter einer Sprache annehmen können. Die grundlegende Einheit ist hier das Morphem. Ein Morphem kann ein Wort sein, aber auch eine Silbe wie verin verstehen oder eine Endung wie -st in du kommst. Zum Beispiel lässt sich das Wort Sprachen in zwei Morpheme zerlegen: in den Wortstamm sprach- und das Pluralmorphem -en. Und das Lexem sprechen erscheint in verschiedenen Formen: sprechen, spreche, sprichst usw. Bei Übersetzungen in das Deutsche ist es oft erforderlich, mehrere Wörter zum Ausdruck von Bedeutungsaspekten zu verwenden, die in anderen Sprachen durch Morpheme wiedergegeben werden. Ein türkisches Verbaladverb wie sevince (von sevmek - lieben) lässt sich im Deutschen beispielsweise nur durch Wortkombinationen (wenn / als ich liebte) übersetzen. Wörter werden nicht einfach beliebig aneinandergereiht, sie gehören zu Sätzen und Wortgruppen wie das zum Verkauf angebotene Haus in der Bahnhofstraße, deren Aufbau die <?page no="15"?> 14 Grundlagen: 1 Sprache und Sprachen Syntaxlehre, abkürzend auch oft Syntax genannt, untersucht. Der Begriff Grammatik bezieht sich als Oberbegriff meist auf die beiden Gebiete Morphologie und Syntax, gelegentlich auch auf die Phonologie. Die Phonologie befasst sich mit der lautlichen Erscheinungsform von Sprache. Die Beschreibung ihrer physikalischen Grundlagen wird in der Phonetik geleistet. Jede akustisch-auditive Sprache hat ein besonderes Lautsystem, dessen Bestandteile in immer wieder neuen Kombinationen zu bedeutungstragenden Zeichen zusammengesetzt werden. Zu einem solchen Lautsystem gehören zunächst einmal einzelne Laute, die man konventionell mit Hilfe der internationalen phonetischen Umschrift (IPA) erfasst, z.B. so: ʃ ist ein Konsonant, der in dem deutschen Wort Schule Anlaut ist, ist ein Konsonant des Deutschen, der in ich und echt vorkommt. Darüber hinaus haben Sprachen auch charakteristische Lautkombinationen und Silbenstrukturen, welche von der Phonologie untersucht werden. In vielen Sprachen werden lautliche Einheiten in der Graphie (Schreibung) der Sprache repräsentiert. Man bezeichnet das als ein „phonographisches Schriftverfahren“ bzw. als „Phonographie“. Die Schreibung kann dabei auf die Einzellaute Bezug nehmen (Lautschrift, Buchstabenschrift), sie kann aber auch auf Einheiten wie die Silbe bezogen sein (Silbenschrift, Syllabographie). Zudem gibt es Schriftsysteme, in denen die Schriftzeichen auf die Einheit „Wort“ bezogen sind (Logographie, Begriffsschrift). Auf Normen der Schreibung bezieht man sich mit dem Begriff Orthographie. Kenntnisse der Phonologie sind notwendig, um Sprachvergleiche durchzuführen. Beispielsweise lässt man sich leicht von der unterschiedlichen Graphie bzw. Orthographie zweier Sprachen täuschen und bemerkt die Ähnlichkeit von Wörtern nicht. So entspricht das englische Wort night lautlich dem deutschen Wort Neid. Erst die Lautschrift zeigt die Gleichheit. Schrift und Schreiben werden von der Graphematik näher untersucht. Viele Sprachen der Welt verfügen nicht über Schrifterzeugnisse, sind also keine Schriftsprachen. Etliche finden sich allein in gesprochener Form. Man spricht hier von „oralen“ (mündlichen) Traditionen. Nicht alle Sprachen der Welt verwenden akustisch-auditive Mittel. Hinsichtlich ihrer physikalischen Erscheinungsform lassen sich Lautsprachen und visuelle Sprachen, so genannte Gebärdensprachen, unterscheiden. Die typologischen Kennzeichen visueller Sprachen werden in der Gebärdensprachforschung näher untersucht. Auch dort verwendet man den Begriff „Phonologie“, da sich die funktionale Betrachtung von kleinsten bedeutungsunterscheidenden Einheiten der Sprache ebenso auf gebärdete Elemente beziehen lässt (P APASPYROU et al. 2008). Auf die verschiedenen Arten der Wahrnehmung (auditiv und visuell) bezieht man sich in der neueren Sprachforschung mit dem Ausdruck Modalitäten. Auch lautsprachliche Kommunikation weist einen visuellen Anteil auf, den man in Abgrenzung von den Gebärden, den Einheiten visueller Sprachen, zusammenfassend als Gestik bezeichnet, wobei auch die Mimik und Körperhaltungen im Raum einbezogen werden. Im Verlauf seines Lebens eignet sich jeder Mensch eine, zumeist sogar mehrere Sprachen an. Als linguistisches Teilgebiet beschäftigt sich die Spracherwerbsforschung mit diesen Prozessen. Die verschiedenen, im Verlauf eines Menschenlebens erworbenen Sprachen bezeichnet man in Anlehnung an den angloamerikanischen Sprachgebrauch in chronologischer Reihenfolge als L1, L2, L3, L4 usw. (L = language, Sprache). Die erste Sprache, die ein Kind erwirbt, wird als „Erstsprache“ (L1) bezeichnet. (Der früher häufig <?page no="16"?> 1.2 Die Sprachenvielfalt 15 genutzte Ausdruck „Muttersprache“ wird im deutschsprachigen Raum aufgrund seiner ideologischen Implikationen heutzutage seltener verwendet.) 1 Auf alle nach der Erstsprache erworbenen Sprachen bezieht man sich mit dem Oberbegriff Fremdsprache. Manchmal wird für jede Fremdsprache einfach die Abkürzung „L2“ (language 2) gewählt. Meist gibt man jedoch genauer an, in welcher chronologischen Reihenfolge die Sprache individuell erworben wurde und spricht dann von „L1“, „L2“, „L3“, „L4“ usw. Bei Deutsch als Fremdsprache steht das Deutsche also vor dem Hintergrund biographisch früher erworbener Sprachen. Recht häufig ist es für Lernende die zweite oder dritte Fremdsprache, also eine L3 oder L4. Von der (meist schulischen) Vermittlung in anderen Ländern (Deutsch als Fremdsprache im Ausland) unterschieden wird ein Spracherwerb im Inland (Deutsch als Zweitsprache). Der Begriff „Zweitsprache“ bezieht sich nicht auf eine chronologische Abfolge und die biographisch zweite Sprache. Erfasst wird damit vielmehr eine Lebenskonstellation, bei der die Amts- und Landessprache (hier Deutsch) nicht die im Kleinkindalter erworbene Erstsprache ist. Typischerweise findet sich eine solche Konstellation in den klassischen Einwanderungsländern. Migranten behalten häufig ihre Erstsprachen als Familien- und Freundessprachen bei. Für die betreffenden Erwachsenen, Jugendlichen und Kinder kann die Zweitsprache eine L2, aber auch eine L3 oder L4 sein. Ein „Migrationshintergrund“ bedeutet aber nicht automatisch, dass Deutsch für die Personen eine Zweitsprache ist (vgl. H ARR / L IEDKE / R IEHL 2018). Ebenso kann es, je nach Sprachenwahl in Familie, Nachbarschaft oder Freundeskreis, auch Erstsprache (L1) sein, gegebenenfalls alleinige oder neben einer weiteren. Werden von Geburt an mehrere Sprachen gleichzeitig erworben, spricht man von einem „bilingualen Erstspracherwerb“. Mit dem Dolmetschen und Übersetzen als mündlichen und schriftlichen Formen der Translation zwischen Sprachen beschäftigt sich die Translationswissenschaft. Im Prozess der Translation werden sprachliche Äußerungen Personen zugänglich gemacht, die diese Sprache nicht beherrschen. Wechseln hingegen mehrsprachige Sprecher in Gesprächen oder Texten zwischen verschiedenen der von ihnen beherrschten Sprachen, bezeichnet man das als Code Switching. Die psychische Repräsentation mehrerer Sprachen, ihre Vernetzung und die bilinguale Sprachproduktion bilden Forschungsgegenstände der Mehrsprachigkeitsforschung. 1.2 Die Sprachenvielfalt Die deutsche Sprache steht vor dem Hintergrund einer international und national präsenten Sprachenvielfalt. „Sprache, das heißt Sprachen“, lautet ein bekannter Buchtitel von W EINRICH (2003). Einige der in diesem Buch angesprochenen Sprachen nennt (T1) . Wie viele Sprachen gibt es überhaupt? Die Anzahl der weltweit vorfindlichen Sprachen geht in die Tausende; Nachschlagewerke sprechen von rund 5.000 bis 7.000 Sprachen. 2 Der E THNOLOGUE (L EWIS / S IMONS / F ENNIG 2017), das weltweit größte, auch online verfügbare Sprachenverzeichnis, führt gegenwärtig 7.111 Sprachen auf. Nur ein Teil von ihnen ist bislang linguistisch beschrieben. Dem „Weltatlas der Sprachstrukturen“ (D RYER / H ASPEL - MATH 2013), einem großen sprachtypologischen Projekt, liegen derzeit Strukturbeschreibungen von 2.676 verschiedenen Sprachen zugrunde. 1 Vgl. Ahlzweig (1989), (1994). 2 Haarmann (2001) nennt die Zahl 6.500, Austin (2008, S. 216) die Zahl 6.800. <?page no="17"?> 16 Grundlagen: 1 Sprache und Sprachen Die Schwierigkeit einer exakten Zählung von Sprachen liegt darin, dass man mit guten Gründen verschiedene Kriterien zugrunde legen kann. Nicht immer ist die Einheit einer Sprache in einer bestimmten Nation oder Region und einer Sprechergemeinschaft klar erkennbar. Regionale Unterschiede in Wortschatz und Aussprache können innerhalb „einer“ Sprache erheblich sein (s. Kap. 2 zum Deutschen). Andererseits können Sprachen, die als eigenständig gelten, in großen Teilen Übereinstimmungen aufweisen. Zudem zeigt sich, dass sich Sprachen aus politischen Gründen aufspalten können: Serbisch und Kroatisch beispielweise, früher als gemeinsame Sprache Serbokroatisch erfasst, werden seit einigen Jahrzehnten gezielt zu selbständigen Nationalsprachen gemacht. 3 Allgemein sind zwei Kriterien zur Abgrenzung von Dialekten (Mundarten) von Sprachen zu nennen: a) Dialekte/ Mundarten sind regional beschränkt vorkommende Sprachformen, die von der Mehrzahl der Einheimischen im Alltagsleben gebraucht werden; sie haben eigene Artikulationsweisen, mehr oder weniger eigene Lexeme und meist auch grammatische Besonderheiten; b) sie existieren als gesprochene Sprache, d.h. es gibt keine standardisierte Verschriftlichung. So kommt es dazu, dass mehrere Dialekte von einer gemeinsamen Schriftsprache sozusagen „überdacht“ werden (vgl. Kap. 2.2). Eine weitere Schwierigkeit der Sprachenzählung bildet der Umstand, dass Sprachen und Dialekte oft viele Namen haben, manchmal aus der Volksbezeichnung abgeleitet, oft aber auch aus äußeren Gründen. Unterschiedliche Verschriftung oder Übertragung von Namensschreibungen in ganz anders geartete Schriftsysteme haben zu einer Reihe von international nebeneinander gebräuchlichen Sprachnamen geführt. Linguisten kommen aufgrund von sachlichen, systematischen Kriterien oft zu neuen Namen. Das Handbuch „Classification and Index of the World’s Languages“ von V OEGELIN / V OEGELIN (1977) hat 4.500 verschiedene Sprachen erfasst, für die insgesamt ca. 20.000 (! ) verschiedene Namen existieren. Seit dem 20. Jh. gibt es einen sehr massiven Prozess des ‚Sprachensterbens‘. Zum Beispiel schätzt man, dass es im 19. Jh. in Brasilien noch über 1.000 Indianersprachen gab, heute sind es nur noch unter 200. Nur knapp 300 der weltweit vorkommenden Sprachen haben mehr als eine Million Sprecher, und nur 100 besitzen einen offiziellen Status. Alle anderen gelten heute in wirtschaftlicher und politischer Hinsicht als mehr oder weniger bedeutungslos, 80-90 % gelten als bedrohte Sprachen. Ca. 50 Sprachen sind derzeit nur noch einem einzigen Sprecher bekannt, werden also nicht mehr aktiv praktiziert. Viele Sprachwissenschaftler und Ethnologen engagieren sich seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts für die Untersuchung und z.T. auch für den Erhalt von bedrohten Sprachen. Die Sprachenvielfalt hat für sie wissenschaftlichen Wert, sie offenbart den Reichtum an grammatischen und lexikalischen Formen. Gerade in den „kleinen“, gefährdeten Sprachen findet sich oft Überraschendes. Zum Beispiel gibt es im Kaukasus Sprachen, die die vier Kasus des Deutschen weit übertreffen: Das Lesgische liegt mit 18 Kasusformen an der unteren Grenze, das Tabasaranische hat sogar 47 Kasus. 4 Vielfach ist der Spracherhalt eine politische Frage, er hängt von gesetzlichen und finanziellen Maßnahmen der Förderung und Aufrechterhaltung ab. Solche gezielte Beeinflussung heißt Sprachplanung, sie findet meist im Rahmen einer Sprachpolitik statt. Einige 3 Crystal (2010) nennt als weitere Sprachen, die linguistisch keine eigenen Sprachen sind: Hindi / Urdu, Bengali / Assamesisch, Flämisch / Niederländisch, Twi / Fante, Xhosa / Zulu. 4 Die Erklärung für eine große Anzahl von Kasus ist, dass Kasusformen die Aufgaben übernehmen, die Präpositionen im Deutschen innehaben. <?page no="18"?> 1.2 Die Sprachenvielfalt 17 wenige Sprachen sind vollständig durch Sprachplanung entstanden. Man bezeichnet sie auch als „artifizielle Sprachen“. Die bekannteste ist das Esperanto. Andere Beispiele sind auch „Filmsprachen“ wie z.B. Klingonisch. 5 Tab. 1 gibt eine Übersicht über einige ausgewählte Sprachen, ihre Verbreitung und geschätzte Zahl ihrer Sprecher (L1) sowie Tonbeispiele (Zahlen). Tab. 1: Einige Sprachen, geschätzte Sprecherzahlen und Vorkommen 6 Sprache geschätzte Sprecherzahl Vorkommen Tonbeispiele Arabisch 284 Mio. (250 Mio. als L2) Nordafrika, Naher Osten, Arabische Halbinsel (T2) einsprachig (T3) zweisprachig Chinesisch (Mandarin) 941 Mio. China, Taiwan, Südostasien (T4) einsprachig (T5) zweisprachig Deutsch 92 Mio. (200 Mio. als L2) Deutschland, Österreich, Schweiz (T6) einsprachig Englisch 370 Mio. (1.500 Mio. als L2) USA, UK, Kanada, Irland, Australien/ Neuseeland, Südafrika u.a. (T7) einsprachig (T8) zweisprachig Ewe 3,7 Mio. Ghana, Togo (T9) einsprachig (T10) zweisprachig Italienisch 60 Mio. (65 Mio. als L2) Italien, Schweiz (T11) einsprachig (T12) zweisprachig Japanisch 128 Mio. Japan (T13) einsprachig (T14) zweisprachig Koreanisch 76 Mio. Nordkorea, Südkorea (T15) einsprachig (T16) zweisprachig Russisch 159 Mio. (150 Mio. als L2) Russland und Nachbarstaaten (T17) einsprachig (T18) zweisprachig Tschechisch 10 Mio. Tschechische Republik (T19) einsprachig (T20) zweisprachig Türkisch 63 Mio. Türkei, Europa (T21) einsprachig (T22) zweisprachig Sprachen sind keine klar abgegrenzten und zuverlässig zählbaren „Größen“. Ebenso problematisch ist die Frage nach der Anzahl ihrer Sprecher. Hier lassen sich aufgrund mangelnder Erhebung des tatsächlichen Sprachengebrauchs nur Schätzwerte angeben, die von anderen, statistisch erhobenen Daten (z.B. Einwohnerzahl, Staatsangehörigkeiten, Fremdsprachenlernende an Schulen) ausgehen. Wenngleich die Zahlenangaben also nicht verlässlich sind und aus linguistischer Perspektive auf Forschungsdesiderate weisen, lassen die gegenwärtigen Schätzungen gleichwohl einige Konturen des Forschungsfelds erkennen. 5 Ein Überblick, verschiedene Beispiele und Diskussion der Argumente für und gegen eine „erfundene“ Sprache finden sich bei Crystal 2010 (S. 362-366). 6 Alle Angaben nach Crystal (2010), Cambridge Encyclopedia of Language. Vorkommen als Minderheitensprache in anderen Ländern werden dabei nicht erfasst. Andere Zahlenangaben finden sich, teils zeitbedingt, teils aufgrund anderer Kriterien bei Haarmann (1993) und Austin (2008), s. Kap. 2.1. <?page no="19"?> 18 Grundlagen: 1 Sprache und Sprachen Deutsch gilt als Erstsprache von ca. 92 Millionen, als Fremd- und Zweitsprache von ca. 200 Millionen Menschen, teilweise außerhalb von Deutschland. 7 Es gehört zu den großen Weltsprachen und nimmt in entsprechenden Ranglisten gegenwärtig Rang 10 oder 11 ein. Einige der in Tab. 1 genannten Sprachen stehen dem Deutschen vergleichsweise nahe, andere weisen typologisch große Unterschiede zum Deutschen auf, was für die Lehre und den Erwerb von Deutsch als Fremd- und Zweitsprache bedeutsam ist. Das Interesse, eine Sprache als Fremdsprache zu erlernen, spiegelt deren sprachenpolitische Bedeutung und die wirtschaftlichen Verflechtungen zwischen den beteiligten Ländern. Zur Sprachpolitik gehört es daher auch, das Erlernen der jeweiligen Nationalsprache als Fremdsprache im Ausland zu fördern. Anders als die Fremdsprache Englisch wird Deutsch selten als erste Fremdsprache (L2) erlernt, sondern bildet für Lernende häufiger die dritte oder vierte Fremdsprache. Nach Angaben des Auswärtigen Amts lernen gegenwärtig ca. 15 Millionen Menschen weltweit Deutsch als Fremdsprache an Schulen, Universitäten und anderen Einrichtungen im Ausland. 8 Rund 87 % von ihnen sind Schüler, zumeist der Sekundarstufe II. Die meisten Lerner (über 2 Millionen) finden sich in Polen. Jeweils über eine Million Deutschlerner gibt es in der Russischen Föderation, in Großbritannien und in Frankreich, jeweils über 400.000 in den USA und in der Türkei, je 230.000 in Japan und in Kamerun, 120.000 in China. Betrachtet man das Verhältnis von Sprache und Staat, so zeigt sich schnell, dass für die meisten Länder der Welt Mehrsprachigkeit den Normalfall darstellt. Den rund 7.000 Sprachen der Welt stehen derzeit ca. 194 größere und kleinere Staaten gegenüber. Der einfache Fall, dass eine Sprachgemeinschaft mit einer Nation zusammenfällt, ist selbst innerhalb Europas mit seinen relativ homogenen Sprachgemeinschaften nicht die Regel: „Sprachgrenzen und Staatsgrenzen waren in Europa zu keiner Zeit synchronisiert. Nur in wenigen Gebieten des europäischen Kontinents decken sich sprachgeographische und territoriale Grenzen, und zwar dort, wo die geopolitischen Verhältnisse naturgegeben sind. Das einzige klassische Beispiel in Europa ist der Inselstaat Island mit seiner sprachlich homogenen Bevölkerung.“ 9 Die in einem Staat verwendete Amts- und Bildungssprache kann für große Teile der Bevölkerung eine andere Sprache sein als die, die in Familie und alltäglichem Umfeld verwendet wird. Dies ist häufig in Ländern mit einer Kolonialvergangenheit der Fall. Im Anschluss an C HARLES F ERGUSON wird für eine Sprachkonstellation, in der verschiedene Sprachen gesellschaftlich nebeneinander existieren und für unterschiedliche Lebensbereiche verwendet werden, der Ausdruck Diglossie verwendet. 10 KS, Student aus Togo, ist mit einer diglossischen Konstellation der Sprachen Ewe und Französisch aufgewachsen: Tonbeispiel: (T23) Sprachkonstellation in Togo Die Erstsprachen werden somit nur in begrenzter Funktion als „Heimsprachen“ oder „Familiensprachen“, nicht jedoch in öffentlicher oder wissenschaftlicher Funktion verwendet 7 Zahlen nach Crystal (2010), Cambridge Encyclopedia of Language, s. Anm. 6. 8 „Deutsch als Fremdsprache weltweit. Datenerhebung 2015“, ( ) . 9 Haarmann (1993, S. 30). 10 Der Ausdruck „Diglossie“ wird linguistisch in einem spezielleren Sinn benutzt als seine deutsche Übersetzung „Zweisprachigkeit“ und als der Terminus „Bilingualismus“, der sich im Allgemeinen auf die Sprachfähigkeit eines Sprechers bezieht. Er findet nicht nur hinsichtlich verschiedener Sprachen, sondern auch im Blick auf verschiedene Varietäten einer Sprache Anwendung (s. Kap. 2.1). <?page no="20"?> 1.2 Die Sprachenvielfalt 19 und sind für entsprechende Zwecke nicht ausgebaut - eine Situation, wie sie für das Deutsche bzw. die deutschen Dialekte über Jahrhunderte hinweg ebenfalls bestanden hat (vgl. Kap. 2.2). Zweitspracherwerb findet in allen Staaten der Welt statt. Auch Deutschland ist nicht einfach ein Land, in dem nur Deutsch gesprochen wird. Für einen nicht unerheblichen Teil der Bevölkerung Deutschlands ist Deutsch eine Zweitsprache. Zudem besitzen einige andere Sprachen in bestimmten Regionen Deutschlands einen Status als weitere Amtssprachen. Im Norden Deutschlands findet man verschiedene homogene Sprachgemeinschaften, so genannte autochthone Minderheiten, die schon lange auf deutschem Gebiet wohnen. Sprachen, die von solchen relativ stabilen Sprachgemeinschaften neben der offiziellen Sprache eines Staates gesprochen werden und als regionale Amtssprachen anerkannt sind, nennt man auch Binnenfremdsprachen. Zu ihnen gehören in Deutschland das Friesische, Sorbische und Dänische. Das Friesische ist Muttersprache von ca. 433.000 11 Menschen, von denen die meisten in den Niederlanden leben. In der deutschen Region Friesland sind 75 % der Bevölkerung friesischsprachig. Das Westfriesische besitzt dort den Status einer regionalen Amtssprache und ist auch als Regionalsprache der EU anerkannt. Das Sorbische wird heute nur noch von rund 60.000 Sprechern im äußersten Südosten Deutschlands, nahe der tschechischpolnischen Grenze, beherrscht. Sorbisch ist eine westslawische Sprache, dem Polnischen wie dem Tschechischen ähnlich. Das dänische Sprachgebiet liegt in Schleswig. In den letzten fünfzig Jahren sind viele weitere Sprachen als Binnenfremdsprachen hinzugekommen, die - anders als die oben genannten - nicht als Amtssprachen in bestimmten Regionen Deutschlands dienen und als „Migrantensprachen“ bezeichnet werden. Die Vielfalt der Migrantensprachen in Deutschland ist bislang nicht untersucht; statistische Zählungen erfassen lediglich die Staatsangehörigkeiten von zugewanderten Menschen, die wiederum keinen verlässlichen Rückschluss auf die von ihnen gesprochenen Erstsprachen zulassen. Die ausländische Bevölkerung in Deutschland liegt im Jahre 2019 bei 10,9 Millionen. 12 Etwa 19,3 Millionen Menschen in Deutschland werden von der Statistik als „ Personen mit Migrationshintergrund“ geführt; 13 dies entspricht einem Bevölkerungsanteil von rund 23 %. 6.087.000 Menschen (31,6 %) gelten als Personen mit Migrationshintergrund, haben aber keine eigene Migrationserfahrungen. Häufige Herkunftsländer bilden die Türkei, Polen, Russland und Kasachstan. Viele Zuwanderer stammen auch aus Syrien, Italien, Spanien, Griechenland, Kroatien und Rumänien, zudem aus zahlreichen weiteren Ländern, die in den Statistiken oft nur zusammenfassend ausgewiesen werden. 14 Zu den häufigsten Herkunftsländern von Asylbewerbern im Jahre 2018 zählten nach Angaben des BAMF Syrien, der Irak, der Iran, Nigeria, die Türkei, Afghanistan, Eritrea und Somalia. 15 11 Zahl nach Crystal (2010). Z.T. wird auch die Zahl 750.000 genannt (Haarmann 2001, S. 137). 12 Zahlenangaben lt. Statistischem Bundesamt, ( ). 13 Das Statistische Bundesamt definiert „Personen mit Migrationshintergrund“ folgendermaßen: „Eine Person hat dann einen Migrationshintergrund, wenn sie selbst oder mindestens ein Elternteil nicht mit deutscher Staatsangehörigkeit in Deutschland geboren ist.“ ( ). 14 Vgl. 15 BAMF (2019), Das Bundesamt in Zahlen 2018, ( ). <?page no="21"?> 20 Grundlagen: 1 Sprache und Sprachen In welchem Ausmaß in Familie und Freundeskreis auf die verschiedenen Migrantensprachen zurückgegriffen wird, ist bislang ungeklärt. Im Mikrozensus 2014 an einer kleineren Stichprobe erhoben wurden erstmals auch Selbsteinschätzungen der Sprachkompetenz im Deutschen. Rund 11,4 % bezeichneten sie als „muttersprachlich“. 35,8 % schätzten sich als „fließend“ ein. (19,4 % der Befragten machten keine Angaben.) 256.238 Personen wurde 2018 eine Teilnahmeberechtigung für einen Integrationskurs und somit einen Sprachkurs „Deutsch als Zweitsprache“ ausgestellt. 16 Laut einer 2017 durchgeführten Befragung des statistischen Bundesamts 17 sprechen durchschnittlich 56 % der Menschen mit Migrationshintergrund zuhause Deutsch. Die Zahl variiert in Abhängigkeit von der Aufenthaltsdauer. Zu den häufigsten anderen Familiensprachen gehören Türkisch, Russisch, Polnisch und Arabisch. Eine ähnliche Sprachensituation findet sich auch in Österreich. Dort gelten verschiedene Sprachen als „Minderheitensprachen“ und werden z.T. durch spezielle Programme in den Schulen gefördert. 18 In der Schweiz ergibt sich aufgrund der offiziellen Mehrsprachigkeit im Staat eine etwas andere Konstellation. Neben der (gesprochenen und geschriebenen) deutschen Sprache haben sich im deutschsprachigen Raum auch mehrere visuelle Sprachen entwickelt, die als eigenständige Sprachen anerkannt sind: 19 die Deutsche Gebärdensprache (DGS), die Österreichische Gebärdensprache (ÖGS) und die Schweizerdeutsche Gebärdensprache (SDGS). Auch für Gebärdensprachsprecher ist das Deutsche eine Zweitsprache, deren Struktur sich von denen der visuellen Sprachen nicht nur in ihrer physikalischen Grundlegung unterscheidet. Über die DGS informiert das „Handbuch der Deutschen Gebärdensprache“ (E ICHMANN / H ANSEN / H EßMANN 2012). Strukturen der SDGS werden bei B OYES B RAEM (1995) vorgestellt. 1.3 Die Einteilung von Sprachen Gemeinsamkeiten und Unterschiede von verschiedenen Sprachen der Welt lassen sich aus unterschiedlichen Perspektiven und mit unterschiedlichen Kriterien beschreiben. Zum einen kann die typologische Beschreibung danach fragen, welche Merkmale eine bestimmte Sprache zum gegenwärtigen Zeitpunkt besitzt und welche anderen Sprachen diese Merkmale ebenfalls aufweisen. Einen solchen Zugang bezeichnet man als synchron. Ein anderer möglicher Zugang der Sprachklassifikation ist diachron. In diesem Fall fragt man nach einer gemeinsamen historischen Vorform, aus der heraus sich unterschiedliche Sprachen entwickelt haben. Die Sprachen weisen dann eine genealogische Beziehung auf. In diesem Zusammenhang ist oft von einer „Sprachfamilie“ die Rede; metaphorisch 16 Zahlen nach BAMF ( ). Ein Integrationskurs besteht aus einem Sprachkurs im Umfang von 600-900 Stunden sowie einem Orientierungskurs im Umfang von 100 Stunden. Beide Kurse schließen mit einer Prüfung ab. Nähere Informationen zu den rechtlichen Grundlagen, Kosten und Teilnahmebedingungen der Kurse finden sich auf den Internet-Seiten des BAMF. 17 Videopressemitteilung des Statistischen Bundesamts zur gesprochenen Sprache in Haushalten ) 18 Über die Sprachensituation und -diskussion in Österreich informiert das Österreichische Schulportal ( ). 19 Derzeit geht man von ca. 500.000 Personen aus, die eine europäische Gebärdensprache als Erstsprache benutzen ( ). <?page no="22"?> 1.3 Die Einteilung von Sprachen 21 wird z.B. von „Tochtersprachen“ gesprochen. Als anschauliches Bild wurde in der Sprachforschung des 18./ 19. Jh. auch die Metapher des Baumes genutzt (Wurzeln, Stämme, Zweige). Für etliche Sprachen der Welt kann die Herausbildung aus einer gemeinsamen Grundsprache aufgrund vieler schriftlicher Belege nachgewiesen werden. Dies gilt z.B. für die Entstehung der so genannten „romanischen“ Sprachen aus dem Lateinischen. In anderen Fällen ist eine gemeinsame Ursprache nicht schriftlich belegt, kann jedoch aufgrund von Indizien erschlossen werden. Abb. 1: Verschiedene Sprachengruppen („Sprachfamilien“) Die gegenwärtige Einteilung von Sprachen in verschiedene Sprachengruppen ist in vielen Fällen genealogisch orientiert. In anderen Fällen ist die zusammenfassende Gruppierung eher geographisch-regional und durch synchrone Ähnlichkeiten begründet. Das ist beispielsweise bei den so genannten „Indianersprachen“ oder bei den afrikanischen Sprachen der Fall. Häufig wird auch eine bestimmte Sprache in verschiedenen Klassifikationen unterschiedlich zugeordnet. So ist z.B. die Verwandtschaft von Finnisch und Ungarisch weniger offensichtlich als die von Finnisch und Estnisch. Uralische und altaische Sprachen werden manchmal zusammengefasst, manchmal nicht. Die Menge der angenommenen Sprachfamilien ist umfangreich, was angesichts der Anzahl der Sprachen nicht überrascht. Abb. 1 enthält einige Beispiele für als gesichert geltende Einteilungen in verschiedene Gruppen. Die Gesamtheit der von Linguisten unterschiedenen Sprachengruppen ist damit natürlich noch keineswegs erfasst. Deutsch wird aufgrund seiner Entstehungsgeschichte der so genannten indoeuropäischen Sprachfamilie zugeordnet. 20 Viele der größeren und kleineren Sprachen Europas 20 Die Bezeichnung „indoeuropäisch“ wurde von Franz Bopp vorgeschlagen (vgl. Kap. 3.2). <?page no="23"?> 22 Grundlagen: 1 Sprache und Sprachen gehören der indoeuropäischen Sprachfamilie an. Die Gruppe wird in Kap. 2.2 genauer dargestellt. Darüber hinaus werden in Europa jedoch auch Sprachen gesprochen, die genealogisch anderen Gruppen zuzuordnen sind, unter ihnen Finnisch, Ungarisch und Baskisch, eine Sprache, deren Genese nach allgemeiner Auffassung ungeklärt ist, so dass sie keiner Gruppe oder Familie zugeordnet werden kann. Die genealogische Zugehörigkeit zu einer Sprachengruppe lässt vermuten, dass sich der Erwerb anderer Sprachen der gleichen Gruppe als „leichter“ erweist. Allerdings können sich die Mitglieder einer „Sprachfamilie“ aus synchroner Perspektive unterschiedlich darstellen. So gilt etwa die Flexion, d.h. die grammatisch bedingte Formveränderung von Wörtern, als typisches Merkmal indoeuropäischer Sprachen (vgl. Kap. 2.2). Im Englischen und Niederländischen wurde das Formensystem der Substantive (Kasus) hingegen anders als im Deutschen, Polnischen oder Russischen weitgehend abgebaut. 21 Der Erwerb der Kategorie „Kasus“ und ihrer Formen ist für Deutsch lernende Engländer oder Amerikaner also ebenso notwendig wie für chinesische Deutschlernende, deren Sprache nicht nur kasuslos ist, sondern überhaupt keine Flexion besitzt. Andererseits können Sprachen trotz unterschiedlicher Herkunft ähnliche Strukturen aufweisen. So findet sich das Phänomen der inneren Flexion (die Bildung von Umlautformen wie in Schaden - Schäden) z.B. im Deutschen ebenso wie im Arabischen, zwei genealogisch nicht verwandten Sprachen. Oftmals ist es nicht leicht zu entscheiden, wie Gemeinsamkeiten zwischen Sprachen einzuordnen sind. Insbesondere im Wortschatz finden sich oft Ähnlichkeiten, die jedoch nicht auf eine gemeinsame Sprachgeschichte, sondern vielmehr auf (geschichtlich bedingte) Kontakte zwischen Sprachen und ihren Sprechern zurückzuführen sind. Manchmal gehen diese Ähnlichkeiten auch auf eine dritte Sprache zurück. So weisen viele Sprachen der Welt gegenwärtig aufgrund von Entlehnungen z.B. aus dem Englischen oder Lateinischen Ähnlichkeiten im Wortschatz auf. 1.4 Sprachkontakt Der Begriff Sprachkontakt bezieht sich auf die erkennbaren Einflüsse von Sprachen aufeinander, die durch vielfältige Kontakte ihrer Sprecher zustandekommen. Das „Metzler Lexikon Sprache“ beschreibt das als „Aufeinandertreffen zweier oder mehrerer Sprachen meist durch geographische Nachbarschaft ihrer Sprecher“ , z.B. in Grenzgebieten. Als frühes Beispiel kann man die Kontakte zwischen Römern und Germanen nennen, die in der Vorgeschichte der deutschen Sprache für eine Vielzahl lexikalischer Übernahmen aus dem Lateinischen gesorgt haben. Wörter wie Kopf (lat. caput) 22 , Fenster (lat. fenestra), Becher (lat. bicarium) oder Münze (lat. moneta) sind bereits seit den Anfängen des Deutschen bekannt, haben alle sprachgeschichtlichen Veränderungen mitgemacht, sich sprachlich an das Deutsche angeglichen und sind daher nur für Eingeweihte noch als ursprünglich lateinische zu erkennen. 23 Wörter wie Keller, Wein und Kaiser haben mit der Übernahme politischer Praktiken und Kulturtechniken zu tun. Manche lateinische Wörter wurden sogar in verschiedenen Phasen mehrfach entlehnt. Das lateinische Wort cellarium (Vorratskammer) wurde 21 Als Ersatzformen für einen Kasus wie den Dativ dienen dort präpositionale Konstruktionen (dem Jungen - to the boy). 22 Das lat. Wort cupa bedeutete eigentlich Becher; das lat. Wort für Kopf, nämlich caput kam als Haupt ins Deutsche, es erscheint heute als antiquiert. 23 Weitere Beispiele bieten Riehl (2014a) und das Lexikon „Unser tägliches Latein“ von Kytzler, Bernhard / Redemund, Lutz ( 5 2007), Darmstadt: Verlag Philipp von Zabern / Wissenschaftliche Buchgesellschaft. <?page no="24"?> 1.4 Sprachkontakt 23 z.B. in der „ersten lateinischen Welle“ 24 zu ahd. kellari, später Keller; in der „zweiten lateinischen Welle“, nach der Lautverschiebung (s. Kap. 2.2), wurde es noch einmal übernommen zu Zelle. In dieser Phase (frühes Mittelalter) war Latein besonders im christlichen Sprachgebrauch einflussreich. Darüber hinaus ist Latein bis in die heutige Zeit hinein wesentlich für die Terminologie der wissenschaftlichen Fächer. Ein anderes Beispiel für Sprachkontakt: Bei den Sprachen der Balkanregion gibt es - obwohl keine Sprachfamilie vorliegt - so viele Ähnlichkeiten, dass man diese Sprachgruppe als „Sprachbund“ bezeichnet. H ARALD H AARMANN (1993) stellt das „Sprachengewirr“ in Europa in seinem Buch mit dem Untertitel „Geschichte und Zukunft der Sprachnationen zwischen Atlantik und Ural“ ausführlich dar. Verschiedene sprachliche Phänomene des Deutschen lassen sich durch Sprachkontakt erklären. Die typische Anfangsbetonung des Deutschen beispielsweise gilt als Reflex früher Kontakte von germanischen zu finnisch-ugrischen Sprachen im Ostseeraum; diese Sprachen haben durchgängig Anfangsbetonung. 25 Abweichungen von dieser Grundregel gibt es wiederum im Deutschen, besonders auffällig bei Entlehnungen aus dem Französischen wie reparieren. Das Saarländische ((T24) ) bietet ein anderes Beispiel für französischen Einfluss auf den Wortschatz. Mit den verschiedenen sprachlichen Auswirkungen des Sprachkontakts befasst sich die Sprachkontaktforschung (R IEHL 2014a). Sie ergänzt sprachvergleichende Untersuchungen, indem sie zeigt, wo und welche wechselseitigen Beeinflussungen von Sprachen stattgefunden haben und aktuell stattfinden. Zum Teil sind - gerade im Kolonialzusammenhang - durch Sprachkontakt auch Sprachmischungen entstanden, von denen sich manche zu eigenen Sprachen verfestigt haben. Die Bevölkerung des kolonisierten Landes musste sich für den Handel und im amtlichen Verkehr der Kolonialsprache bedienen, oft ohne sie in Schulen oder Sprachkursen lernen zu können. Das Ergebnis war zunächst eine in jeder Hinsicht stark reduzierte Verkehrssprache auf Basis der dominanten „Spendersprache“: Ein Teil von deren Wortschatz wurde lautlich angepasst an die Landessprache (indigene Sprache), auch ein Teil der Grammatik der europäischen Sprache wurde adaptiert, d.h. oft stark vereinfacht und mit Elementen einer oder mehrerer lokaler Sprachen vermischt. Man nennt eine solche reduzierte Mischsprache Pidgin oder Pidginsprache. 26 Einige dieser Pidginsprachen wurden von folgenden Generationen als Erstsprache erworben und in Wortschatz und Grammatik ausgebaut, später teilweise oder ganz standardisiert. Man spricht dann von Kreolsprachen. Ein frühes Beispiel für eine Pidginisierung und anschließende Entwicklung zu Kreolsprachen bieten die romanischen Sprachen. Grundlage war das in den römischen Kolonien gesprochene Volkslatein der ersten Jahrhunderte n.Chr. Prozesse des Ausgleichs und der Assimilation dieses Lateins an germanische Gegebenheiten führten, kurz zusammengefasst, zu den später als Italienisch, Spanisch, Französisch etc. standardisierten Sprachen. 27 Mit solchen Vorgängen beschäftigt sich außer der Sprachkontaktforschung und der Sprachgeschichtsforschung auch die Kreolistik. 24 Der Ausdruck Welle hat sich eingebürgert für Phasen mit besonders vielen Wortübernahmen. 25 Haarmann (2001) Stichwort: Deutsch. 26 Der Ausdruck wird als eine chinesische ‚Verfremdung‘ des englischen Worts business angesehen, vgl. Adamzik (2004, 3 f.). 27 Vgl. dazu Schmidt (2000, S. 36 und 40). <?page no="25"?> 24 Grundlagen: 1 Sprache und Sprachen Als Kolonialsprache trat Deutsch in wesentlich geringerem Ausmaß in Erscheinung als Englisch oder Französisch. 28 Die relativ kurze Zeit des deutschen Kolonialismus im Deutschen Kaiserreich des 19. Jahrhunderts betraf vor allem Namibia („Deutsch-Südwestafrika“), Togo, Kamerun und einige weitere Länder. 29 Nach dem Ersten Weltkrieg wurden fast alle Kolonien aufgeben. In Namibia besitzt das Deutsche heute den Status einer anerkannten Minderheiten- und Verkehrssprache. Im kolonialen Zusammenhang entstand dort auch eine deutsch basierte Mischsprache (Küchendeutsch, Namibian Black German). Auch in Papua-Neuguinea entwickelte sich ein deutsch basiertes Pidgin (Unser Deutsch, Rabau Creol German). Zudem gab es den Vorschlag, die deutsche Sprache von vornherein in einer pidginisierten Form zu lehren (vgl. M ÜHLEISEN 2005). 30 In der Sprachkontaktforschung wurde auch diskutiert, ob im Blick auf das Deutsche als Zweitsprache von einem neuen deutschbasierten Pidgin gesprochen werden kann. Diese Vermutung äußerte in den 1960er Jahren zuerst der Linguist M ICHAEL C LYNE (1968). Man vermutete, dass begrenzte Sprachkontakte zwischen Deutschen und neu angeworbenen Arbeitskräften aus verschiedenen Ländern (Italien, Spanien, Griechenland, Jugoslawien und der Türkei) zur Entwicklung einer begrenzten Hilfssprache führen würden, die man als „Gastarbeiterdeutsch“ oder „Deutsch ausländischer Arbeiter“ bezeichnete. Eine entsprechende, überindividuell stabile Sprache konnte allerdings nicht aufgewiesen werden - „das“ Deutsch der Migranten gibt es also nicht (s. D EPPERMANN 2013). In der gegenwärtigen Sprachkontaktforschung versteht man die verschiedenen, durch Sprachkontakt entstandenen Formen des Deutschen als Kontinuum von „Lernersprachen“ 31 bzw. Lernervarietäten (vgl. Kap. 2.1.2). Dies gilt auch für andere Kontaktsprachen wie das „Bosnische Pidgindeutsch“, das „Halbdeutsch“ in Estland und Lettland oder das „Wolgadeutsch-Pidgin“ im Ural. 32 Das durch den deutsch-tschechischen Sprachkontakt in Böhmen entstandene „Böhmakeln“ bzw. „Kuchldeutsch“ beschreiben M ORCINEK et al. (2016). Auch die gegenwärtige Tourismus-Kommunikation ist durch Sprach- und Kulturkontakt geprägt. Zu den linguistischen Auswirkungen s. H ÖHMANN (2014). 1.5 Sprachvergleich und Kontrastive Linguistik Der Vergleich von Sprachen ist wichtig für viele theoretische Fragen der Allgemeinen Sprachwissenschaft: - Welche Merkmale haben alle Sprachen gemeinsam (sog. Universalien)? - Welche Merkmale sind variabel, bis zu welchem Grad, mit welchen Extremen? - Mit welchen grundlegenden Kategorien im Bereich der Grammatik und der Wortarten kann man alle Sprachen beschreiben? - Wann kann man sagen, dass zwei Lexeme oder Strukturen aus zwei verschiedenen Sprachen semantisch äquivalent sind? 28 Einblick in den kolonialzeitlichen Sprachkontakt des Deutschen geben verschiedene Beiträge in Engelberg / Stolberg (2012); s. auch Plewnia / Riehl (2018). Detailliertere Ausführungen zu „Deutsch Südwest- Afrika“ finden sich bei Mühleisen (2005). 29 Vgl. Speitkamp, Winfried (2005) Deutsche Kolonialgeschichte. Ditzingen: Reclam; Gründer, Horst ( 5 2004) Geschichte der deutschen Kolonien. Stuttgart: Schöningh UTB. 30 Ein Beispiel findet sich in Übung 13 im digitalen Begleitmaterial. 31 Als „Lernersprache“ bezeichnet man die Sprache von Lernenden einer Fremdsprache. Lernersprachen wichen in vielen Eigenschaften von der Zielsprache ab; sie können sich schnell verändern, aber auch verfestigen. Ein Beispiel bietet Transkript (Ts10) im digitalen Begleitmaterial. 32 Ein Überblick über und Beispiele für entsprechende Formen des Deutschen finden sich bei Riehl (2014a). <?page no="26"?> 1.5 Sprachvergleich und Kontrastive Linguistik 25 Die Kontrastive Linguistik befasst sich primär mit dem Sprachvergleich (zu einer Einführung s. T HEISEN 2016). Sie geht dabei auch einer abgeleiteten Frage genauer nach: Was lässt sich aus den Unterschieden bestimmter Sprachen für die Prozesse und Schwierigkeiten des Fremdspracherwerbs ableiten? Die Disziplin wird auch als kontrastive Grammatik, Kontrastivik, komparative Linguistik bezeichnet und steht in enger Beziehung zur Sprachkontaktforschung. Eine systematische Untersuchung aller Sprachen der Welt hinsichtlich ihrer Merkmale und Unterschiede - W ILHELM VON H UMBOLDT propagierte sie - hat bisher noch nicht stattgefunden. Spontan vergleichen alle Menschen, die eine fremde Sprache lernen, die Muttersprache und die Fremdsprache miteinander. Bei einem solchen ‚naiven‘ Vergleich wird die Muttersprache zum Maßstab gemacht, die fremde in ihren Abweichungen davon betrachtet. Ein Deutscher stellt dann z.B. fest, dass der russischen Sprache der Artikel „fehlt“. Ein russischer Deutschlerner mag sich umgekehrt wundern, wieso die deutsche Sprache grammatische Einheiten wie den Artikel hat, die man (= der russische Sprecher) nach seiner Erfahrung gar nicht braucht. Ein Linguist versucht, an solchen Differenzen einzelsprachliche oder auch generellere, übereinzelsprachliche Funktionen zu ermitteln, die mit diesem oder jenem Mittel realisiert werden können. Linguistische Beobachtungen fließen ein in monolaterale, bilaterale und multilaterale Vergleiche. So unterscheidet man verschiedene Forschungsorientierungen, die für den Sprachvergleich wichtig sind: Konzentration auf eine Sprache, wobei die andere als Ausgangspunkt dient (monolateral), beidseitiger Vergleich zweier Sprachen (bilateral), Vergleich mehrerer Sprachen (multilateral). Immer wieder ist dabei die Frage der Übersetzung oder Übersetzbarkeit bestimmter Ausdrücke oder grammatischer Mittel eine wichtige Motivation. Als „Tertium comparationis“ 33 , also als wesentlicher Bezugspunkt des Vergleichs, dienen nicht die einzelsprachlich verschiedenen formalen Eigenschaften, sondern z.B. übergeordnete Formkategorien und vor allem die Funktionen der sprachlichen Elemente. Bei einem bilateralen oder multilateralen Vergleich ergibt sich ein Geflecht von Beziehungen zwischen den jeweiligen einzelsprachlichen Formen und ihren Funktionen. Selbst einander genealogisch oder strukturell nahestehende Sprachen haben meist unterschiedliche Formen (z.B. Flexionsendungen) entwickelt. Übereinstimmende Formen (z.B. Substantive) können unterschiedlich verteilt sein, eine Präposition kann einen anderen Kasus fordern usw. Ein wesentliches Ziel der Allgemeinen Sprachwissenschaft ist es, die analytische Beschreibungssprache und ihre Kategorien als Tertium comparationis für mögliche Vergleiche weiterzuentwickeln. 33 Wörtlich übersetzt: Drittes des Vergleichs. <?page no="27"?> 26 Grundlagen: 1 Sprache und Sprachen Ausgewählte Aufgaben zu Kap. 1 (5 von 20) 4. Hören Sie die Tonbeispiele im digitalen Begleitmaterial und ordnen Sie die Sprachen zu. 5. Welchen Sprachengruppen gehören die folgenden Sprachen an? Deutsch, Chinesisch, Griechisch, Russisch, Türkisch, Arabisch, Ewe 12. Lesen Sie eine der Sprachbeschreibungen, die sich in Krifka et al. (2014) oder als „Sprachbriefe“ auf den Webseiten der Projekte „Schule mehrsprachig“ und „ProDaZ“ im Internet finden lassen (siehe Internet-Einstiege). Welche wesentlichen Unterschiede gibt es zum Deutschen? Tragen Sie Ihre Ergebnisse zusammen. 16. Besuchen Sie verschiedene der als Internet-Einstiege angegebenen Webseiten und stellen Sie sie kurz vor. 20. Erläutern Sie die Begriffe „Fremdsprache“ und „Zweitsprache“. Ausgewählte weiterführende Literatur Crystal, David ( 3 2010) The Cambridge Encyclopedia of Language. Cambridge: University Press (deutschsprachige Ausgabe (1995) Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft) Krifka, Manfred / Błaszczak, Joanna / Leßmöllmann, Annette / Meinunger, André / Stiebels, Barbara / Tracy, Rosemarie / Truckenbrodt, Hubert (Hgg.) (2014) Das mehrsprachige Klassenzimmer. Über die Muttersprachen unserer Schüler. Berlin/ Heidelberg: Springer Krumm, Hans-Jürgen / Fandrych, Christian / Hufeisen, Britta / Riemer, Claudia (Hgg.) (2010) Deutsch als Fremd- und Zweitsprache. Ein internationales Handbuch. 2 Halbbde. Berlin: de Gruyter (Handbücher zur Sprach- und Kommunikationswissenschaft / HSK) Lewis, Paul M. / Simons, Gary / Fennig, Charles D. (eds.) ( 19 2016) Ethnologue. 3 Bde. Dallas, Tex.: SIL International Riehl, Claudia Maria ( 3 2014a) Sprachkontaktforschung. Tübingen: Narr Riehl, Claudia Maria (2014b) Mehrsprachigkeit. Eine Einführung. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft Theisen, Joachim (2016) Kontrastive Linguistik. Eine Einführung. Tübingen: Narr Weinrich, Harald (2003) Sprache, das heißt Sprachen. Tübingen: Narr <?page no="28"?> 2 Deutsch in Europa 2.1 Verbreitung und Variation Deutsch gilt als Erstsprache von ca. 92 - 128 Millionen Menschen und wird in verschiedenen Ländern Europas gesprochen. 1 Es ist eine der derzeit 24 Amtssprachen der Europäischen Union und bildet die „größte“ Sprache im westlichen Europa. 2 Im europäischen Raum besitzt Deutsch den Status einer internationalen Handels- und Verkehrssprache und findet in der europäischen Wirtschaftskommunikation auch oft als lingua franca Einsatz, d.h. als Sprache, die keine der kommunizierenden Personen als Erstsprache spricht: 3 “Whilst English is the most commonly used foreign language it is clear that many other languages are commonly used for business. For example, German is much used by Polish companies; and French and Spanish by Portuguese companies. With the exception of Spain and Portugal, we see a very strong positioning of German as a major second lingua franca of European business.” (European Commission, ELAN-Studie, 2006, S. 11) In Deutschland, Österreich und der Schweiz besitzt das Deutsche den Status einer kodifizierten Amtssprache. Als regionale Amtssprache dient es zudem in Italien (Südtirol), in Luxemburg und in Belgien. Außerdem wird Deutsch von verschiedenen Minderheiten in ca. 14 europäischen Staaten gesprochen. Die folgende Tabelle nennt die wichtigsten Länder, in denen die deutsche Sprache verbreitet ist: Tab. 1: Deutschsprachige Länder 4 Deutschland 81,5 Mio. Sprecher Österreich 7,6 Mio. Schweiz 4,2 Mio. USA 1,2 Mio. Frankreich 1,2 Mio. (Elsass-Lothringen) Kasachstan 0,95 Mio. Russland 0,84 Mio. (vor allem in Sibirien) Luxemburg 0,37 Mio. Italien 0,28 Mio. (Südtirol) Ungarn 0,25 Mio. Tschechien 0,15 Mio. Das Handbuch von E ICHINGER (2007) informiert über die sprachliche Situation deutschsprachiger Minderheiten in Ost- und Mitteleuropa. Einen Überblick über Deutsch als Minderheitensprache außerhalb Europas, in den USA, Südamerika, Namibia, Südafrika, Australien und ehemaligen Kolonialgebieten in der Südsee, geben P LEWNIA / R IEHL (2018). 1 Die Zahlenangabe 92 Millionen stammt aus Crystal (2010), Cambridge Encyclopedia of Language. Die Zahlen beziehen sich auf die Verbreitung der Sprache in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Haarmann (1993) gibt die Sprecherzahl mit 123 Millionen, Austin (2008) mit 128 Millionen an. Unterschiede ergeben sich durch den Einbezug von Auslandsvarietäten und der generellen Problematik der Sprachen- und Sprecherzählung, s. Kap. 1. 2 Kontinental betrachtet, ist das Russische natürlich die Sprache mit den meisten Sprechern. 3 Zur Funktion einer (europäischen) „lingua franca“ vgl. Weinrich (2003). 4 Zahlen nach Haarmann (2000). <?page no="29"?> 28 Grundlagen: 2 Deutsch in Europa In den verschiedenen Ländern, aber auch innerhalb des deutschen Sprachgebiets, tritt die deutsche Sprache in verschiedenen Erscheinungsformen auf. Man bezeichnet diese als Varietäten und erfasst damit Dialekte, z.T. auch andere Arten der Variation (s. Kap. 2.1.2). Die unterschiedlichen Sprachformen werden von einer durch Normentsprechung definierten Größe überdacht, die man als „Standard“ bezeichnet. 2.1.1 Standardsprachen des Deutschen Aufgrund seines Status als einzige oder als weitere Amtssprache in verschiedenen Ländern wird das Deutsche (ebenso wie das Englische, Französische oder Portugiesische) als plurizentrische Sprache betrachtet. Dabei unterscheidet man zwischen „Vollzentren“ und „Halbzentren“ des Deutschen. Von einem „Vollzentrum“ spricht man, wenn sich eine Standardsprache bzw. Standardvarietät entwickelt hat, deren Besonderheiten in Wörterbüchern und Grammatiken kodifiziert sind. Eine Standardsprache bestimmt als abstrakte Norm den Sprachgebrauch im öffentlichen Kontext, insbesondere in formellen Situationen, offiziellen Texten oder Nachrichtensendungen. Beim Fehlen entsprechender Normierungen, etwa in Liechtenstein, Luxemburg, Ostbelgien und Südtirol, spricht man von nationalen „Halbzentren“ (A MMON et al. 2004). In Deutschland, Österreich und der Schweiz haben sich jeweils eigene standardsprachliche Ausprägungen des Deutschen entwickelt. So stehen drei Varianten nebeneinander, die als gleichberechtigte Standardsprachen gelten. Sie überdachen unterschiedliche regionale Erscheinungsformen, deren Sprachgebiete wiederum nicht mit den Staatsgrenzen identisch sind, sondern diese oft kleinräumig unterteilen, aber auch überschreiten (s. Kap. 2.1.3). Die Standardisierung betrifft vorwiegend die schriftliche Sprache. Für das gesprochene Deutsch stellt sich die Situation hingegen anders dar. Hier geht man davon aus, dass es mit Ausnahme weniger Berufssprecher kaum „Standardsprecher“ des Deutschen gibt, sondern dass die Sprechweisen der Sprecher des Deutschen in einem variablen Zwischenraum anzusiedeln sind, der als Kontinuum zwischen den Polen „Standard“ und „Dialekt“ oder auch „Standard“ und „Umgangssprache“ beschrieben werden kann. Das „Variantenwörterbuch des Deutschen“ (A MMON et al. 2004) erfasst lexikalische Unterschiede zwischen den verschiedenen Standardsprachen in den Vollzentren Österreich, der Schweiz und Deutschland. Zudem wurden auch der Sprachgebrauch in den Halbzentren und lexikalische Varianten im jeweiligen Sprachgebiet berücksichtigt. Das Wörterbuch ermöglicht das Nachschlagen und den Vergleich eines Wortes wie z.B. Paradeiser, das in Teilen von Österreich in Gebrauch und eine Variante des Lexems Tomate ist. Zudem wurden auch einige Wendungen aufgenommen. So entspricht der Redewendung „Da beißt die Maus keinen Faden ab.“ z.B. die schweizerische Variante „Das schleckt keine Geiss weg.“ 5 Der Ausdruck angefressen sein hat im deutschen und österreichischen Deutsch z.B. die Bedeutung „verärgert, wütend sein“, im schweizerischen Deutsch hingegen die Bedeutung „begeistert sein“. Entsprechend werden Hobbyköche dort auch als Angefressene der Küche bezeichnet. Neben solchen lexikalischen Differenzen finden sich zudem einige Unterschiede im Genus bestimmter Wörter und in der Wortbildung. 5 Das süddeutsche Wort Geiß für Ziege existiert im schweizerischen Deutsch nur in der Schreibung mit <ss> statt <ß>. <?page no="30"?> 2.1 Verbreitung und Variation 29 2.1.2 Sprachliche Varietäten Sprachen sind keine statischen, homogenen Größen. Kein Sprecher wird jemals „die deutsche Sprache“ als Ganzes beherrschen, und jeder Sprecher (natürlich auch Schreiber) verfügt über einen jeweils individuellen Ausschnitt daraus. Der Begriff „Variante“ bezeichnet ein linguistisches Merkmal, das sich in einem Sprachgebiet in mehreren Ausformungen findet. Dies können verschiedene Wörter für denselben Gegenstand oder Sachverhalt sein (z.B. Brötchen - Semmel), aber auch andere phonetische Lautformen (z.B. das - dat) oder Grammatikstrukturen. Verschiedene sprachwissenschaftliche Disziplinen und Ansätze beschäftigen sich mit dieser Varianz. Daraus hat sich die Variationslinguistik bzw. Varietätenlinguistik 6 als fachübergreifender, teils eigenständiger, teils integrierter Forschungszusammenhang entwickelt. Die regionalen Formen des Deutschen wurden bereits früh in der Dialektologie thematisiert. Mit der Hinwendung der Linguistik zu Sprache in ihrem gesellschaftlichen Zusammenhang begann ab Mitte des 20. Jahrhunderts die neu entstandene Disziplin der Soziolinguistik, sich mit sprachlicher Variation zu befassen. Heutzutage fließen die verschiedenen Forschungsrichtungen in die Regionalsprachenforschung ein (s. Kap. 2.1.3). Methodologisch sind die genannten Disziplinen durch Empirie gekennzeichnet, d.h. sie untersuchen Sprache ausgehend von ihrem Auftreten, oft durch direkte Beobachtung (s. Kap. 4). Eine Varietät lässt sich als Summe von Wortvarianten erfassen, die jede Varietät von anderen und von der Standardsprache unterscheiden. Im varietätenlinguistischen Sprachmodell geht man davon aus, dass Sprecher einer Sprache über mehrere Varietäten verfügen, zwischen denen sie bei Bedarf wechseln können (S CHLAEFER 2009). In diesem Zusammenhang spricht man auch von „innerer Mehrsprachigkeit“. Zwischen den verschiedenen Varietäten des Systems bestehen fließende Übergänge und Überlappungen. Der Begriff „Varietät“ bezieht sich nicht nur auf Dialekte, sondern auch auf andere Arten von Varianz, die als Stil oder Register bezeichnet werden, also z.B. Differenzierungen wie „gehobene Sprache“, „Umgangssprache“ oder „Vulgärsprache“, auf Variationen in der Sprechweise verschiedener sozialer Gruppen und in Abhängigkeit von der Sprechsituation (s. ausführlicher S INNER 2014). Verschiedene Sprechweisen werden ausgehend von der Bezeichnung Dia-lekt auch als „Lekte“ bezeichnet. In der Spracherwerbsforschung wird der Ausdruck „Varietät“ für die vom Standarddeutschen abweichende Sprache von Deutschlernenden verwendet (Lernervarietät). Auch Fachsprachen werden oft als Varietäten betrachtet und als „Soziolekte“ bzw. „Gruppensprachen“ eingestuft. Oft wird die so genannte „Jugendsprache“ als Beispiel für soziale Variation in der Sprache herangezogen. „YOLO - bist du swag wie Babo? “ übertitelte beispielsweise die Bild- Zeitung (2013) ihr „Jugendsprache-Quiz“. 7 Das „Pons Wörterbuch der Jugendsprache“ 8 führt u.a. Lexeme wie „abbitchen, abbrechen, abdümpeln, abfeiern, abferkeln, abgehen, abgespact, abkacken, abledern, ablöffeln, abpixeln, abschnitzeln, abstampfen“, „Assibratze“ oder „Aide! “ als 6 Die beiden Begriffe werden teils synonym, teils in Abgrenzung verwendet; zur Begriffsgeschichte und verschiedenen theoretischen Auffassungen s. Sinner 2014, S. 11 ff. 7 (Online: ) Einen „Schulhof-Test“ der Spiegel-Redaktion im selben Jahr haben viele der in entsprechenden Lexika aufgeführten Begriffe allerdings nicht überstanden. (Online: ). 8 Pons Wörterbuch der Jugendsprache (2015). Stuttgart: Pons. <?page no="31"?> 30 Grundlagen: 2 Deutsch in Europa jugendsprachlich auf. Einen historisch und soziolinguistisch orientierten Überblick zum Thema bietet N EULAND (2010, 2018). Unklar ist, von wem Jugendsprache eigentlich verwendet wird. Belege entstammen oft den gerade nicht von Jugendlichen gestalteten Medien. Empirische Untersuchungen zum tatsächlichen Sprachgebrauch von Jugendlichen untereinander sind bislang selten. Eine Reihe von linguistischen Arbeiten sind inzwischen zur Sprachverwendung von Jugendlichen vorgelegt worden, denen ein so genannter „Migrationshintergrund“ zugeschrieben wird. Linguistische Arbeiten erfassen die Sprechweisen in der peer group, zu der auch Jugendliche ohne „Migrationshintergrund“ gehören können, als „Türkenslang“ (A UER 2003), „Türkendeutsch“ (K ERN / IM EK 2006, IM EK 2012) oder „Kiez-Deutsch“ (W IESE 2012); varietätenlinguistisch spricht man von Ethnolekt (A UER / D IRIM 2004). Einige charakteristische Merkmale werden in Kap 13.6 und 15.5 angesprochen; eine Übersicht geben K EIM (2010) und A UER (2013). Die Sprache von Jugendlichen wird z.T. als „transitorische“ (nur zeitweilig genutzte) Varietät aufgefasst. Aufgrund ihrer Anbindung an die Allgemeinsprache klassifiziert man jugendsprachliche Variationen gegenwärtig aber meist als „Stile“ und spricht ihnen den Status eigenständiger Varietäten ab (vgl. N EULAND 2010). Sie können als ludischer (spielender) Umgang mit den Möglichkeiten des Sprachausbaus verstanden werden (vgl. S IN - NER 2014). Als aktuelle Tendenzen nennt N EULAND (2010) innere Mehrsprachigkeit durch Stilmischungen sowie äußere Mehrsprachigkeit durch sprachengemischtes Sprechen (s. auch R EDDER et al. 2013 allgemeiner zu Mehrsprachigkeit in der Stadt). Ähnliche Phänomene können auch in anderen Sprachen und Ländern beobachtet werden. 2.1.3 Regionale Erscheinungsformen des Deutschen Die insbesondere für Deutschlernende vielleicht interessanteste Frage zu sprachlicher Varianz betrifft die Vielfalt der regionalen Erscheinungsformen des Deutschen. So wird oft darauf hingewiesen, dass sich die Dialekte des Deutschen bis hin zur wechselseitigen Unverständlichkeit voneinander unterscheiden. Synonym zum Ausdruck „Dialekt“ wird oft der Ausdruck „Mundart“ verwendet. Einen ersten Höreindruck vermitteln einige Tonbeispiele in den digitalen Materialien. Tonbeispiele: (T1) Ruhrgebiet (T2) Kölsch (T3) Saarländisch (T4) Bairisch (T5) Schwäbisch (T6) Schweizerisch (T7) Südtirolerisch Funktional werden Dialekte als „Vollvarietäten“ bestimmt, die der Standardsprache in einer diglossischen Situation gegenüberstehen. Dies unterscheidet sie von anderen Formen der regionalen Variation, wie sie weiter unten noch angesprochen werden. Die Dialektlandschaft des Deutschen ist mittlerweile gut beschrieben. Für zahlreiche Gebiete wurden in den letzten Jahrzehnten von der Dialektgeographie umfangreiche, meist mehrbändige Sprachatlanten erstellt, deren Daten gegenwärtig überregional zusammengestellt und im Internet bereitgestellt werden. Die größte Ressource bildet das Projekt REDE (Regionalsprache.de). Die verschiedenen methodischen Verfahren und Ergebnisse der Dialektforschung werden bei N IEBAUM / M ACHER (2014) und S CHMIDT / H ERRGEN (2011) näher dargestellt (s. auch Kap. 4). Proben phonetisch transkribierter Dialekte des Deutschen geben S PERLBAUM (1975) und R UES et al. (2007). Die Dialektologie arbeitet methodisch mit verschiedenen Arten von geographischen Karten, die mit linguistischen Proben und Messungen verbunden sind. Linguistische Grenzen, die sich anhand eines sprachlichen Merkmals zwischen Gebieten ziehen lassen, <?page no="32"?> 2.1 Verbreitung und Variation 31 bezeichnet man als „Isoglossen“. Die Unterschiede zwischen verschiedenen örtlichen Sprechweisen lassen sich somit über die Anzahl von Isoglossen erkennen, die bestimmte Gebiete voneinander trennen. Geographisch-strukturell lassen sich für den deutschen Sprachraum zwei große Dialektgebiete aufweisen, denen verschiedene Dialektgruppen angehören. So wird zwischen niederdeutschen und hochdeutschen Mundarten differenziert, deren jeweilige Besonderheiten sprachgeschichtlich durch die so genannte „(alt)hochdeutsche Lautverschiebung“ gekennzeichnet sind (vgl. Kap. 2.2.4). Als berühmteste Isoglosse kann hier die „Benrather Linie“ 9 gelten, die den Umschlag von / k/ und / ch/ in den Wörtern maken und machen erfasst und quer durch Deutschland verläuft. Farbige Kartendarstellungen dieser und wieterer Isoglossen finden sich bei K ÖNIG (2007). Der niederdeutsche Sprachraum umfasst die niederfränkischen, westniederdeutschen (Westfälisch, Ostfälisch, Nordniedersächsisch) und ostniederdeutschen Dialekte (Mecklenburgisch, Vorpommersch, Brandenburgisch, Märkisch). Die Dialekte lassen einen fließenden sprachlichen Übergang vom Deutschen zum Niederländischen erkennen, sodass man hier von einem „Dialektkontinuum“ spricht. 10 Oft bezeichnet man die niederdeutschen Dialekte auch als „Platt(deutsch)“ oder „Plattdüütsch“. Im hochdeutschen Sprachraum werden mittel- und oberdeutsche Dialekte unterschieden. Zu den mitteldeutschen Dialekten zählen westmitteldeutsche (Ripuarisch, Moselfränkisch, Rheinfränkisch, Hessisch) und ostmitteldeutsche Dialekte (Thüringisch, Obersächsisch und Schlesisch). Die Gruppe der westoberdeutschen Dialekte umfasst verschiedene Dialekte des Alemannischen, die außer in Deutschland auch in der Schweiz gesprochen werden, u.a. Elsässisch und Schwäbisch, sowie das Süd- und Ostfränkische. Dem ostoberdeutschen Dialektraum gehören die bairischen Dialekte an, die in Deutschland und in Österreich gesprochen werden; hier unterscheidet man Nord-, Mittel und Südbairisch. 11 Neben Kerngebieten eines Dialekts oder einer Dialektgruppe lassen sich zahlreiche Mischgebiete erkennen. Der Ausdruck „Hochdeutsch“ führt manchmal zu Missverständnissen. Er dient umgangssprachlich oft als Synonym für „Hochsprache“ bzw. „Standard“ (s. auch (T8) ). In diesem Sinne spricht man oft von „gutem Deutsch“ oder „bestem Hochdeutsch“ im Gegensatz zum Dialekt. Hoch- und Niederdeutsch sind aber rein regionale Bezeichnungen, denn die hochdeutschen Dialekte werden im höhergelegenen Teil Deutschlands gesprochen, bis in den Alpenraum hinein. „Wir können alles. Außer Hochdeutsch“ - dieser Werbespruch einer Kampagne in Baden-Württemberg ist sachlich also falsch: Das Schwäbische gehört zu den so genannten „hochdeutschen“ Dialekten. Wie steht es nun um das oft thematisierte „Aussterben der deutschen Dialekte“? Untersuchungen zeigen für einige Dialekte das genaue Gegenteil. Vergleicht man den Sprachstand verschiedener Generationen zu unterschiedlichen Zeiten, erweisen sich Dialekte oft 9 Benrath ist eine Kleinstadt in der Nähe von Düsseldorf. 10 S. unter anderem Lyons, John ( 6 1984, S. 36). Neuere Forschungen weisen allerdings auf zunehmende Auseinanderentwicklung des Dialektkontinuums aufgrund von Anpassungen an die nationalen Standardsprachen hin (vgl. Schmidt / Herrgen 2011, Niebaum / Macha 2014). 11 Die Schreibweise Bayern / bayrisch ist für das Land als politischen Zusammenhang eingeführt worden, Sprachwissenschaftler halten sich an die ursprüngliche Schreibung mit <i>. <?page no="33"?> 32 Grundlagen: 2 Deutsch in Europa als erstaunlich stabil: „Von einer auch nur tendenziellen Auflösung des Dialekts kann keine Rede sein“, fassen S CHMIDT / H ERRGEN z.B. die Ergebnisse bisheriger Untersuchungen zum Mittelrheinischen Sprachatlas zusammen (2011, S. 143). Der „Topos vom schnellen Absterben“, so argumentieren sie, geht zudem von einer falschen Grundvorstellung aus, die Dialekte als statische und nicht als dynamische Größen sieht, die als Sprache ständigen Ausgleichs- und Wandlungsprozessen unterliegen. Die im Verlauf der letzten 100 Jahre vorgelegten Untersuchungen lassen einen Einblick in die Dynamik des Sprachwandels zu. So lassen sich gegenwärtig verschiedene Tendenzen ausmachen: Dialekte können sich unter Einfluss der Standardsprache und unter gegenseitiger Beeinflussung zu Regionalsprachen oder Regionalakzenten wandeln (s. unten), d.h. sich in ihren Kennzeichen abschwächen. Sie können sich aber auch in ihren Unterschieden festigen. Zudem können neue Formen entstehen (S CHMIDT / H ERRGEN 2011, S. 143). Das Ausmaß, in dem Dialekte Ausgleichsprozessen unterliegen und in dem sie kommunikativ genutzt werden, ist regional unterschiedlich. Während für den Norden Deutschlands ein Wandel zu Regionalsprachen kennzeichnend ist, konstatieren A MMON et al. (2004) für den Süden Deutschlands, Österreich und die Schweiz eine diglossische Situation. In Süddeutschland wird Dialekt im privaten Bereich und in der nicht-öffentlichen Kommunikation am Arbeitsplatz verwendet. In Österreich ist ein fließender Übergang von standardsprachlichen zu dialektalen Sprechweisen auch im öffentlichen Sektor zu beobachten, wobei die Wahl der Varietät von verschiedenen sozialen und emotionalen Faktoren abhängt. In der Schweiz beschränkt sich nach A MMON et al. die Verwendung der Standardsprache auf Nachrichten und öffentliche Amtshandlungen und ist oft mit dem vorlesenden Vortrag verbunden. Der sprachliche Alltag ist in allen Lebensbereichen mit der Verwendung eines lokalen Dialekts verbunden. Ausgleichsprozesse zwischen Standardsprache und Dialekt sowie fließende Übergänge sind nicht zu beobachten. Eine besonders interessante Frage, der die gegenwärtige Regionalsprachenforschung nachgeht, ist die nach verschiedenen „Graden“ von Dialektalität (s. dazu ausführlich S CHMIDT / H ERRGEN 2011). Bisherige Untersuchungen weisen auf eine mehrgliedrige Binnendifferenzierung in verschiedene Sprechlagen hin. Diese verteilen sich auf zwei Varietäten, die als „Dialekt“ und „Regiolekt“ bezeichnet werden. Die dialektale Varietät umfasst die Ausprägungen Basisdialekt (die standardfernste Form) sowie den so genannten Regionaldialekt, eine „abgemilderte“, großräumig eingesetzte Sprechlage. Der Regiolekt umfasst als standardnähere Varietät drei Sprechlagen, die sich durch stärker werdende Annäherung an die Standardsprache auszeichnen. Welche der Sprechlagen einzelne Sprecherinnen und Sprecher erwerben und nutzen, gestaltet sich unterschiedlich. Unter Umständen kann auch innerhalb eines Gesprächs zwischen mehreren Sprechlagen gewechselt werden. Einen Einblick in das Spektrum am Beispiel des Hamburgischen geben S CHRÖDER / B IEBERSTEDT / R UGE (2016). In verschiedenen Bundesländern ist die Beschäftigung mit regionalen Sprechweisen Bestandteil des schulischen sprachlichen Curriculums. 12 Zudem wird das Kontinuum zwischen Standard, regiolektaler und dialektaler Sprache von Lehrkräften im Unterricht verschiedener Fächer funktional genutzt. Entsprechend äußert sich der Lehrer im folgenden Tondokument. Tonbeispiel: (T8) Interview mit Sprecher N über bairischen Dialekt 12 Einige exemplarische Auszüge aus Lehrplänen sind in Niebaum / Macha (2014) abgedruckt. <?page no="34"?> 2.2 Sprachveränderung und Sprachgeschichte 33 2.2 Sprachveränderung und Sprachgeschichte Die sprachgenealogische Einordnung des Deutschen ebenso wie seine heutige Erscheinungsvielfalt stehen vor dem Hintergrund sprachhistorischer Entwicklungen, die bis in vorhistorische Zeiten hinein rekonstruiert worden sind. Ausführliche Darstellungen der Sprach- und Kulturgeschichte des Deutschen bieten unter anderem S TEDJE (2007), S ANDERS (2010) und R IECKE (2016), eine Einführung in die Historische Sprachwissenschaft N ÜBLING et al. (2016). Wir wollen im Folgenden nur einige „Stationen“ der Sprachgeschichte grob umreißen, die aus sprachkontrastiver und sprachtypologischer Sicht besonders interessant erscheinen. 2.2.1 Die indoeuropäische Herkunft Die überwiegende Zahl der Sprachen in Nord- und Südeuropa - bis hin nach Indien - wurde im 18. und 19. Jh. von der Vergleichenden Philologie (s. Kap. 3) als eine Sprachgruppe oder „Sprachfamilie“ erkannt. Ausgehend vom Altindischen 13 entdeckte man systematische Gemeinsamkeiten mit den alteuropäischen Sprachen und machte sich an die Rekonstruktion der vorhistorischen Grundsprache. Man fasste die verschiedenen Sprachen als „indogermanische“ bzw. „indoeuropäische“ Sprachen zusammen. 14 Den indoeuropäischen Sprachen gehören verschiedene Sprachen an, die sich ihrerseits wiederum zum Teil zu größeren Sprachgruppen zusammenfassen lassen: - indoiranische Sprachen: diese Gruppe schließt das klassische Altindisch und einige neuindische Sprachen ein; dazu gehören auch das moderne Persisch (Farsi) und das in Afghanistan gesprochene Dari, zudem das Paschtu, das Kurdische u.a.; - die italischen Sprachen, darunter Latein, von dem die heutigen romanischen Sprachen abstammen: Französisch, Italienisch, Portugiesisch, Spanisch u.a.; - die keltischen Sprachen, darunter Irisch und Bretonisch; - die baltischen Sprachen, heute vertreten durch Lettisch und Litauisch; - die große Gruppe der slawischen Sprachen, z.B. Russisch, Bulgarisch, Slowenisch, Serbisch und Kroatisch, Makedonisch, Polnisch; - die germanischen Sprachen: außer dem Deutschen gehören dazu Isländisch, Norwegisch, Dänisch und Schwedisch, Englisch und Niederländisch; - Griechisch; - Albanisch; - Armenisch. Einige ältere indoeuropäische Sprachen sind ausgestorben, z.B. Hethitisch (13.-8. Jh. v. Chr.), die älteste, in Keilschrift überlieferte indoeuropäische Sprache. Die linguistischen Gemeinsamkeiten, die auffielen, liegen in zwei Bereichen: bei den Lexemen (a), im grammatischen Bau der Sprachen (b). 13 Das Altindische ist überliefert in den brahmanischen Veda-Texten und im Sanskrit, einer Kunstsprache der klassischen altindischen Literatur und Wissenschaft. Im 4. Jh. n.Chr. wurde es in Regeln gefasst. 14 Der Begriff „indogermanische Sprachen“ findet sich meist in älteren Texten, zudem in der Bezeichnung der historisch vergleichenden Wissenschaft als „Indogermanistik“. Er wurde von Friedrich Schlegel eingeführt (s. Kap. 3). Heute wird der (von Franz Bopp geprägte) Terminus „indoeuropäisch“ bevorzugt, da er die regionale Konzentration der Sprachen auf den Großraum Europa besser erfasst. <?page no="35"?> 34 Grundlagen: 2 Deutsch in Europa Tab. 2: Lexikalische Ähnlichkeiten in indoeuropäischen Sprachen 15 (ergänzt um Tonbeispiele) 16 (T9) Deutsch (T10) Englisch (T11) Schwedisch (T12) Russisch Polnisch (T13) Tschechisch (T14) Bulgarisch Mutter mother moder mat’ matka matka majka Bruder brother broder brat brat bratr brat Schwester sister syster sestra siostra sestra sestra Hand hand hand ruka ręka ruka ruka Tag day dag den’ dzień den den Wasser water vatten voda woda voda voda Schnee snow snö sneg śnieg snih snag Fisch fish fisk ryba ryba ryba riba a) Indoeuropäische Sprachen weisen große Überschneidungen in elementaren Bereichen des Wortschatzes auf. Tab. 2 zeigt exemplarisch einige Ähnlichkeiten zwischen den Wörtern verschiedener indoeuropäischer Sprachen und lässt zugleich die unterschiedlichen Ausprägungen der germanischen und slawischen Sprachen erkennen. b) Als Beispiel für grammatische Gemeinsamkeiten lassen sich Verbformen der 3. Person vergleichen: Altindisch Althochdeutsch Latein Alt-Griechisch Englisch ás-ti is-t es-t es-ti(n) is s-ánti s-int s-unt ei-si(n) are An einem anderen Beispiel: Das deutsche ich habe korrespondiert mit englisch I have, niederländisch ik heb und dänisch jeg har. Bei grammatischen Formelementen ist es kaum vorstellbar, dass sie entlehnt wurden. Übereinstimmungen in diesem Bereich sind daher noch überzeugendere Beweise für eine Sprachverwandtschaft als andere Wortähnlichkeiten. Sprachforscher haben aus solchen Sprachähnlichkeiten Teile des „Ur-Indoeuropäischen“ rekonstruiert. Es gibt z.B. gute Argumente für die Annahme, dass die idg. Form von „ich bin“ *es-mi war. (Das * kennzeichnet erschlossene Formen). Es ist anzunehmen, dass es Indoeuropäer schon vor ca. 6.000 Jahren südlich des Kaukasus oder in Südosteuropa gab. Die Vermutung ist, dass noch im 4. Jahrtausend v. Chr. eine indogermanische Grundsprache gesprochen wurde. Es gibt heute eine Reihe von sicher erschlossenen Erkenntnissen über Sprache und Kultur der Indoeuropäer (vgl. H AARMANN 2012). Sie betrieben Ackerbau und Viehzucht, verfügten bereits über die Technik der Töpferei und über Haustiere. Das spiegelt sich z.T. im gemeinsamen Wortbestand. Man geht davon aus, dass sie die Zeit nicht nach Tagen, sondern nach Nächten gezählt haben, was in den Namen von traditionellen Festen und im Wortschatz allgemein deutlich wird: „Weihnachten“, „Fastnacht“, „fortnight“. 17 Schriftliche Überlieferungen aus dieser histori- 15 Die russischen und bulgarischen Wörter wurden aus der kyrillischen Schrift in die lateinische Schrift transliteriert (= in deren Buchstaben übertragen). 16 Tabelle verändert nach Störig (1987, S. 72) und Bodmer (1997, S. 463 ff.). 17 Vgl. Stedje (2007). Gut lesbar ist auch Harald Wieses „Zeitreise zu den Ursprüngen unserer Sprache“ (2007). <?page no="36"?> 2.2 Sprachveränderung und Sprachgeschichte 35 schen Zeit gibt es nicht. Die Sprachformen des „Proto-Indoeuropäischen“ 18 wurden aus Vergleichen verschiedener indoeuropäischer Sprachen rekonstruiert. Der indoeuropäische Sprachtypus, so erkannte man, war ursprünglich durch ausgeprägte Deklinations- und Konjugationsformen gekennzeichnet. Einige der daraus entstandenen Sprachen haben diese Merkmale im Laufe ihrer Geschichte allerdings teilweise, andere in großem Umfang verloren. 2.2.2 Die germanischen Sprachen Etwa ab 2000 v. Chr. setzten bei einigen Stämmen Veränderungen ein, die zur Ablösung der germanischen Sprachgruppe von der indoeuropäischen Grundsprache führten. Wahrscheinliche Ursache dieser Entwicklung war der Sprachkontakt mit einer nicht indoeuropäischen Bevölkerung etwa in der Gegend des heutigen Dänemark (vgl. Kap. 1.4). Nach A STRID S TEDJE sind das die folgenden Veränderungen: - der Akzentwandel - die damit zusammenhängende Vereinfachung des indoeuropäischen Endungssystems (Reduzierung der Kasusformen) und die beginnende Entwicklung zu einem anderen Typ des Satzbaus - die Systematisierung der Stammformen bei den starken Verben - die Herausbildung der schwachen Verben und der schwachen Adjektivflexion - die erste Lautverschiebung Aus dem so genannten freien Akzent (auch musikalischer Akzent genannt) des Indoeuropäischen entwickelte sich im Germanischen langsam ein fester Wortakzent in Richtung auf die Akzentuierung der ersten Wortsilbe, wie er für die heutigen germanischen Sprachen typisch ist. Die erste Silbe ist häufig die Stamm- oder Wurzelsilbe. Keine Anfangsbetonung erhielten die Vorsilben 19 von Verben (be-, ent-, eretc.) und die daraus abgeleiteten Wörter. Was „freier Akzent“ bedeutete, kann man sich an der Wortfamilie 20 um Musik klarmachen (akzentuierte Silben sind fettgedruckt): Musik - Musiker - Musikalität - musikalisch - musizieren In der indoeuropäischen Sprache waren die Endsilben klingende Silben; Plural und Kasusformen waren durch Vokalwechsel erkennbar. Auch die Stammvokale der Verben wechselten in den Zeitformen, was in vielen „unregelmäßigen Verben“ noch heute erhalten ist. Die Festigung des Akzents führte allmählich dazu, dass Endsilben und unbetonte Nebensilben in den folgenden sprachhistorischen Perioden vokalisch abgeschwächt wurden, z. T. auch ganz verschwanden (vgl. Kap. 2.2.4). In diesem Zusammenhang wurde auch das Kasussystem vereinfacht. So verschwanden im Germanischen Kasus, die sich in einigen anderen indoeuropäischen Sprachen gehalten haben: der Ablativ (z.B. im Lateinischen), der Vokativ, der Instrumentalis und der Lokativ (z.B. im Polnischen). Der Genitiv veränderte im Verlauf der sprachgeschichtlichen Entwicklung seinen Charakter: Ursprünglich war er ein grammatischer Kasus, mehr und mehr bekam er die Aufgabe, semantische Relationen anzuzeigen. Die erste Lautverschiebung, auch „germanische Lautverschiebung“ genannt, wurde erstmals von J ACOB G RIMM beschrieben. Sie betraf die Verschlusslaute / / , / / , / / und deren stimmlose Varianten / / , / / und / / . Zum Teil fiel dabei auch eine Behauchung 18 Die griechische Vorsilbe protowird meist auf historisch Früheres, Anfängliches bezogen. 19 „Vorsilbe“ ist eine phonologische Kategorie; funktional handelt es sich um Morpheme, vgl. Kap. 7. 20 Zum Begriff Wortfamilie vgl. Kap. 6. <?page no="37"?> 36 Grundlagen: 2 Deutsch in Europa weg, z.B. das indogermanische / (h) / . Um einige der Veränderungen zu verdeutlichen, ist es notwendig, zumindest teilweise eine Lautschrift zu verwenden: Indoeuropäisch Germanisch (h) , (h) , (h) , , (Reibelaute stimmlos) , , , , (Verschlusslaute, stimmlos) h , h , h , , (Reibelaute, stimmhaft), bzw. , , (Verschlusslaute, stimmhaft) So entwickelte sich aus dem altindischen Wort nábhas das lat. nebula, später das altsächsische nëbal bis hin zum hochdeutschen Nebel. Ein gutes Beispiel ist auch das indogermanische Wort [ h ], aus dem sich unser heutiges Wort „Fach“, lautschriftlich [ ] entwikkelte. Auch das im Lateinischen als „pater“ vorhandene indoeuropäische Wort wurde im Anlaut verschoben zu ; es kam zum gotischen „fadar“, althochdeutsch „fater“; das deutsche Wort wird geschrieben „Vater“. Das lateinische Wort cornu geht auf ein indogermanisches Wort mit -Anlaut zurück; im Deutschen wurde daraus Horn. Die germanische Lautverschiebung zog sich über einen langen Zeitraum hin. Man nimmt an, dass sie um 500 v. Chr. im Wesentlichen abgeschlossen war. Die Konsonantenverschiebung trat nicht überall ein, wo sie zu erwarten war. In bestimmten Wörtern entwickelten sich stimmhafte Konsonanten, wo sich eigentlich ein stimmloses / , / (h oder ch) ergab. So enthielt das damalige Verb ziehen ein , die Form gezogen weist aber ein stimmhaftes / g/ auf. Erst seit 1875, aufgrund des „Vernerschen Gesetzes“, versteht man die scheinbaren Ausnahmen besser. Solche Konsonantenwechsel traten auf, wenn der vorhergehende indogermanische Vokal unbetont war. Auch die Konsonanten / s/ und / r/ stehen in einem solchen Verhältnis: frieren - Frost. Ein anderes Verbbeispiel ist schneiden - geschnitten. J ACOB G RIMM nannte dieses Phänomen grammatischen Wechsel (s. Kap. 3.2.2). Die gemeinsame germanische Sprache war die Vorstufe der heutigen Einzelsprachen, u.a. Deutsch, Englisch, Niederländisch, Dänisch und Schwedisch. Sie ist allerdings kaum durch schriftliche Quellen belegt, sondern lediglich erschließbar durch übernommene Wörter, die in anderen indoeuropäischen Sprachen weiter existierten oder frühzeitig schriftlich fixiert wurden. Einzelne germanische Wörter sind in römischen Texten enthalten. Aus der spätgermanischen Zeit sind mit den Runeninschriften Dokumente erhalten. Sie stammen aus dem 4.-7. Jh. n. Chr., aber es sind nur sehr wenige, da diese Schrift nicht zum täglichen Gebrauch, sondern zu religiösen Zwecken diente. Das sog. Gemeingermanisch wurde bis mindestens 500 v. Chr. gesprochen. Ab dann setzten Wanderungsbewegungen ein, die allmählich zu stärkeren sprachlichen Differenzen führten. Das 1.-5. Jh. n. Chr. war die Zeit, in der alle germanischen Stämme neue Siedlungsgebiete suchten, die Zeit der Völkerwanderung. Die gemeingermanische Spracheinheit löste sich in Stammesdialekte auf. Die germanischen Volksstämme haben also schon damals nicht mehr dieselbe Sprache gesprochen. Ihre Dialekte liegen den heutigen Nationalsprachen und deren dialektalen Varianten zugrunde. Auch ihre Stammesnamen sind zum großen Teil noch in heutigen National-, Regional- und Dialektbezeichnungen präsent: die Burgunder z.B. in der Region Burgund (franz. Bourgogne), die Baiern, 21 Franken, Sweben (heute Schwaben) und Sachsen in den entsprechenden deutschen Bundesländern. 21 Die heutige Schreibweise „Bayern“ stammt aus dem Jahr 1825. König Ludwig I. wollte das griechisch wirkende <y> im Landesnamen haben, entsprechend dem herrschenden Trend zu klassizistischen Symbolen. <?page no="38"?> 2.2 Sprachveränderung und Sprachgeschichte 37 Die Franken sind politisch und sprachhistorisch besonders interessant: Ihr Name bedeutet wörtlich ‚die Freien‘. So nannte sich ab dem 3. Jh. der Zusammenschluss einiger nieder- und mittelrheinischer Stämme. „Überragende Bedeutung erlangen sie unter ihren überaus erfolgreichen Dynastien der Merowinger und Karolinger, die v. a. auf Kosten anderer Germanenstämme (…) das Frankenreich als Nachfolger der römischen Herrschaft installierten. Sie besiedelten das heutige Holland (dessen Nationalsprache, das Niederländische, auf niederfränkischer Grundlage beruht), Belgien (Flamen! ) und Nordfrankreich (wo Wort- und Namenschatz starke fränkische Einflüsse zeigen), sowie die heute fränkischen und hessischen Dialektgebiete Deutschlands.“ (S CHMIDT 2000, S. 62) 2.2.3 Sprachgeschichtliche Periodisierung des Deutschen Um ca. 500 n. Chr. wurden die germanischen Stämme allmählich sesshaft. Im 6.-7. Jh. n. Chr. finden sich deutliche Anzeichen für eine politische und sprachliche Auseinanderentwicklung, aber schriftliche Quellen über die damalige germanische Sprache (Wortlisten und kleine Texte) gibt es in größerer Menge erst seit der Zeit von Karl dem Großen in der zweiten Hälfte des 8. Jahrhunderts. Damit beginnt die Entstehungszeit der deutschen Sprache. Sie bildete sich als ein Konglomerat aus verschiedenen germanischen Stammessprachen (Dialekten), die zunehmend zu Territorialsprachen wurden. Das Wort deutsch entwickelte sich aus dem althochdeutschen Wort diutisk (zum Volk gehörig). Es wurde auf die Volkssprachen bezogen, zunächst in Abgrenzung vom Lateinischen, später gegenüber den romanischen Sprachen. Tab. 3: Unterschiedliche Periodisierungen der Sprachgeschichte nach S CHMIDT nach J ACOB G RIMM 500 - 1050 frühmittelalterliches Deutsch Frühalthochdeutsch 600 - 750 Althochdeutsch (ahd.) 750 - 1050 1050 - 1250 hochmittelalterliches Deutsch Mittelhochdeutsch 1050 - 1350 1250 - 1500 spätmittelalterliches Deutsch auch: Spätmittelhochdeutsch Frühneuhochdeutsch 1350 - 1650 1500 - 1800 frühneuzeitliches Deutsch 1800 - 1950 neuzeitliches Deutsch Neuhochdeutsch (nhd.) 1650 - 1900 ab 1950 gegenwärtiges Deutsch ab 1900 Die Sprachgeschichtsforschung hat verschiedene Einteilungen in der Entwicklung der deutschen Sprache vorgenommen. Man nennt das eine Periodisierung. Je nachdem, welche Kriterien man für wichtig hält, ergeben sich verschiedene Phasen und Benennungen, die aber nicht im Widerspruch zueinander stehen. J ACOB G RIMM nannte die erste durch <?page no="39"?> 38 Grundlagen: 2 Deutsch in Europa Schriftzeugnisse belegte Periode des Deutschen ab 750 „Althochdeutsch“. Diese Sprachform muss sich vor ihrer Verschriftung allmählich entwickelt haben. So kann man auch mit S CHMIDT das Jahr 500 n. Chr. als vermutlichen ‚Sprachanfang‘ betrachten (Ende der Völkerwanderungen). Tab. 3 ermöglicht den Vergleich von zwei Periodisierungen. Dabei ist generell zu bedenken, dass solche Phaseneinteilungen mit Vorsicht zu betrachten sind, weil sie eine Einheitlichkeit des Deutschen suggerieren, von der bis ins 19. Jh. hinein noch kaum die Rede sein kann (vgl. K ÖNIG et al. 2007, S CHMIDT / H ERRGEN 2011). 2.2.4 Die Anfänge der deutschen Sprache Die zunehmende Veränderung der verschiedenen deutschen Stammesdialekte in der Periode des Althochdeutschen war eng verknüpft mit einer weiteren Lautverschiebung, die J ACOB G RIMM als die zweite oder althochdeutsche Lautverschiebung (auch: „hochdeutsche“) bezeichnet hat. Die so zusammengefassten Phänomene hatten aber nicht dieselbe ‚Kraft‘ und Allgemeinheit wie die germanische Lautverschiebung. Die Veränderung (Beispiele in Tab. 4) fand nicht durchgängig in allen Lautkombinationen statt, auch in den hochdeutschen Dialekten trat sie nicht generell ein. Manche Änderungen hin zum heutigen Deutsch, besonders im Bereich der Vokale, fanden erst nach dem von G RIMM genannten Zeitraum statt. Tab. 4: Althochdeutsche Lautverschiebungen (Beispiele) germanisch deutsch Beispiele / / / / pund ⇨ ahd. Pfund; appla ⇨ ahd. apful / / / / und / / (nach Vokal) opan ⇨ ahd. offan ⇨ offen / / / / westgerm. ten ⇨ ahd. zehan ⇨ zehn etan ⇨ ahd. ezzan ⇨ essen / / / / (ab 8. Jh.) ther ⇨ der / / / / (nach Vokal) ik ⇨ ahd. ich; makon ⇨ ahd. mahhon / / / / (nur oberdeutsch) dohter ⇨ ahd. tohter Die althochdeutsche Lautveränderung trennte die deutsche Sprache von anderen germanischen Sprachen, z.B. dem Niederländischen und Englischen, ab. Sie hatte ihr Zentrum im süddeutschen Raum und wirkte sich nach Norden hin ebenfalls aus. Dort fand sie aber nicht mit derselben Konsequenz statt, sondern erreichte nur die Sprachgebiete südlich der „Benrather Linie“ (vgl. Kap. 2.1.3). Aus der zweiten Lautverschiebung ergeben sich verschiedene Unterschiede des (Hoch- und Standard-)Deutschen zu anderen germanischen Sprachen, die sich sprachhistorisch „rückübersetzen“ lassen: - Dem deutschen / f/ entspricht in anderen germanischen Sprachen oft der (ältere) Konsonant / / , was man z.B. in der Gegenüberstellung von Wörtern wie Schiff (dt.) - ship (engl.) - schip (nl.) - skib (dän.) - skepp (schwed.) sieht. Für ein inlautendes / s/ findet sich oft ein / t/ , vgl. Wasser (dt.) - water (engl., nl.) - vatten (schwed.) usw. - Viele Stammvokale germanischer Wörter sind durch die hochdeutsche Lautverschiebung zu Zwielauten (Diphthongen) geworden, im Niederdeutschen und in anderen <?page no="40"?> 2.2 Sprachveränderung und Sprachgeschichte 39 germanischen Sprachen hingegen nicht: So entspricht dem hoch- und standarddeutschen Haus z.B. das niederdeutsche Hus, das sich auch im Schwedischen, Dänischen und Norwegischen findet (hus). Die althochdeutsche Lautverschiebung war etwa um 800 n. Chr. abgeschlossen (zog aber weitere Konsonanten- und Vokaländerungen nach sich). In dieser Phase wurden auch erneut Wörter aus dem Lateinischen übernommen, man spricht von der „zweiten lateinischen Welle“. Das älteste und vielleicht wichtigste Dokument des Althochdeutschen - gotische Dokumente wurden früher gefunden - ist ein lateinisch-deutsches Wörterverzeichnis (etwa 760 n. Chr.) mit dem Namen „Abrogans“ (so lautet der erste Worteintrag). Durch die althochdeutsche Lautverschiebung wurden auch Wörter erfasst, die vor oder in dieser Periode aus dem Lateinischen übernommen worden waren. Zum Beispiel wurde das lat. Wort campus schon früh übernommen, und zwar im militärischen Bereich. Das / / wurde verschoben zu / / , es entstand das heutige Wort Kampf. Solche Wörter werden deshalb zum germanischen Erbwortschatz gerechnet. Bis in die mittelhochdeutsche Zeit hinein war Latein eine wichtige Quelle für den deutschen Wortschatz. Je früher die Wörter übernommen (entlehnt) wurden, umso mehr unterlagen sie denselben lautlichen Veränderungen wie der germanische Wortschatz, umso eher haben sie heute den Klang deutscher Wörter und sind auch in der Schreibweise „unauffällig“. Zum Beispiel war das früh übernommene lat. murus in mittelhochdeutscher Zeit von einer Diphthongierung betroffen, es entstand Mauer. Im Kontrast dazu sind viele deutlich später (z.T. über das Englische) übernommene lateinische Wörter, wie z.B. Kommunikation, expressiv, noch deutlich als Fremdwörter zu erkennen. Wenn man bedenkt, dass Latein noch weit über das Mittelalter hinaus Urkunden- und Verwaltungssprache, Kirchensprache und Wissenschaftssprache war, dann erstaunt dieser große Einfluss in mehreren „Wellen“ nicht. 2.2.5 Sprachentwicklung bis zur Neuzeit Die Bezeichnung „Mittelhochdeutsch“ bezieht sich zusammenfassend auf einen Sprachstand im 11. bis 14. Jahrhundert (1050-1350), der bereits besser durch Schriftdokumente belegt ist. In dieser Zeit dient das Französische als Sprache des Hofes, die Volkssprache Deutsch erhält eine erste Ausprägung als Literatursprache im Minnesang, also als Dichtersprache an vielen Fürstenhöfen im deutschen Gebiet. Linguistisch sind für den als Mittelhochdeutsch bezeichneten Zeitraum weitere phonologische und morphologische Abschwächungsprozesse kennzeichnend, die das Flexionssystem betreffen (s. Kap. 2.2.2). Ehemals volltönige, d.h. mit Vollvokalen wie / a/ , / o/ oder / u/ ausgesprochene Endungen, werden nun stark reduziert bis hin zu abgeschwächten Lauten, wie sie auch für das heutige Deutsch charakteristisch sind (s. Kap. 13). Das Tempussystem erweitert sich, das Substantiv wird zunehmend mit einem Artikel versehen. Die geschriebenen mittelhochdeutschen Texte basieren auf den weiterhin existierenden, nur gesprochenen Regionalsprachen. So sind die mittelalterlichen Quellen durch verschiedene Schreibungen gekennzeichnet, die später (u.a. durch wissenschaftliche Editionen) vereinheitlicht werden. Immer noch ist Latein die „überdachende Kultursprache“ (S CHMIDT 2000, S. 106), aber in verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen und Funktionsbereichen erobert sich Deutsch allmählich seinen Platz. Sprachliche Ausgleichsprozesse, dokumentiert durch eine partielle Angleichung der damaligen Schriftsprachen, erkennt man erst im Spätmittelalter, weil über den Schriftverkehr der Kanzleien (Verwaltungen) mehrere überregionale Literatur- oder ‚Schreibsprachen‘ entstehen, die sog. Kanzleisprachen. <?page no="41"?> 40 Grundlagen: 2 Deutsch in Europa Für die folgende sprachgeschichtliche Periode des Frühneuhochdeutschen (1350-1650) sind weitere Umlautungsprozesse kennzeichnend. Für diesen Zeitraum charakteristische Veränderungen betreffen vor allem mittelhochdeutsche Diphthonge wie / uo/ oder / ue/ , die in Langvokale überführt werden (z.B. guot - gut, liebe - Liebe). In der Schreibung <ie>, die heute für den Langvokal [i: ] verwendet wird, hat sich der mittelalterliche Diphthong noch erhalten; die Schreibweise wurde später zudem auf andere Wörter übertragen, denen ursprünglich kein Diphthong zugrunde lag. Die Umlautungen wurden in den Dialekten in unterschiedlichem Ausmaß vollzogen. So weisen viele heutige Dialekte z.B. noch Diphthonge in Wörtern auf, die im Standarddeutschen mit Langvokal verbunden sind. Die frühneuhochdeutsche Zeit bringt Vereinheitlichungsprozesse aufgrund zunehmender Wirtschaftsbeziehungen mit sich. Bereits aus dem 15. Jh. ist mit dem „Sprachbuch des Meister Jörg“ 22 auch ein erstes „DaF-Lehrwerk“ überliefert, das sich an venezianische Kaufleute richtet. Unterrichtet wird das so genannte „Gemeindeutsch“, die überregionale Form eines bairischen Dialekts, die entlang der Handelsroute von Deutschland bis in Regionen Italiens hinein gesprochen wird. Seit dem 16. Jahrhundert sind weitere Lehrbücher, z.B. aus Tschechien und Polen, überliefert. 23 Die Erfindung der Technik des Massenbuchdrucks führt allmählich zu einer größeren Verbreitung geschriebener Texte. In dieser Zeit kommt es auch zu einer „dritten lateinischen Welle“, also vielen Übernahmen lateinischer Wörter, die vorwiegend den akademischen und wissenschaftlichen Bereich betreffen. Studenten und Professoren machen Examen an der Akademie, Patienten werden Rezepte ausgestellt, es wird multipliziert und konjugiert, Probleme werden gelöst (vgl. S TEDJE 2007). Als bedeutendes sprachliches Textdokument des Frühneuhochdeutschen gilt die L UTHER -Bibel (1541). Sie ist dem heutigen Deutschen schon recht nah, unterscheidet sich gleichwohl noch deutlich von diesem, vor allem in der Schreibung. 24 Die folgenden Jahrhunderte, die durch die Periodenbezeichnung Neuhochdeutsch (1650-1945) erfasst werden, sind weniger durch sprachliche Neuerungen, sondern vor allem durch zunehmende Sprachbeschreibungen und Normierungen gekennzeichnet. Während bis in die Neuzeit hinein die verschiedenen Territorialsprachen weitgehend gleichberechtigt nebeneinander stehen und unterschiedliche Schreibungen verwendet werden, kommt es nun zur weitergehenden Herausbildung einer übergreifenden schriftlichen Standardsprache. Es entsteht eine Ausgleichsform, die vor allem durch die hochdeutsche Lautentwicklung geprägt ist. Tatsächlich vereinheitlicht wird die Schreibung aber erst zu Beginn des 20. Jh. 25 22 Das Werk ist in verschiedenen Handschriften überliefert und wurde später in einer gekürzten Fassung auch gedruckt. Ein Titel ist nicht überliefert, es ist nur als „liber in vulgaro“ (Buch in Umgangssprache) bekannt. Die Bezeichnung „Meister Jörg“ nimmt nicht auf den Verfasser, sondern auf eine Figur Bezug, die in einer kürzeren Passage erwähnt wird und in der, so vermutet man, ein gewisser Georg von Nürnberg seine Sprachschule bewirbt. Dem Lehrbuch liegen ältere mündliche Lehrtraditionen zugrunde, die hier schriftlich gesammelt wurden, möglicherweise über einen längeren Entstehungszeitraum hinweg (s. Glück 2002, Glück/ Morcinek 2006). 23 Zur Geschichte des Deutschen als Fremdsprache vgl. Glück/ Pörzgen 2009. 24 Verschiedene digitalisierte Fassungen, die einen Einblick erlauben, werden auf den Webseiten der Bayerischen Staatsbibliothek bereitgestellt (s. Internet-Einstiege in den digitalen Materialien). 25 Erste staatliche Normierungen der deutschen Orthographie finden sich gegen Ende des 19. Jh. Die heute gültigen orthographischen Regeln wurden auf der Wiener Konferenz 1996 beschlossen und traten im Rahmen einer umstrittenen Rechtschreibreform am 1.8.2006 endgültig in Kraft. <?page no="42"?> 2.2 Sprachveränderung und Sprachgeschichte 41 1663 verfasst J USTUS G EORG S CHOTTELIUS eine erste „Ausführliche Arbeit Von der Teutschen HaubtSprache“. Im Übergang zum 19. Jahrhundert finden sich weitere Sprachbeschreibungen durch J OHANN C HRISTOPH A DELUNG sowie J OHANN C HRISTIAN H EYSE . Einen wesentlichen Beitrag leisten im 19. Jahrhundert die Brüder J ACOB UND W ILHELM G RIMM , die neben der bekannten Märchensammlung zur Sprachgeschichtsforschung beitragen (s. Kap. 3), ebenfalls eine Grammatik verfassen (J ACOB G RIMM 1822-1840) und mit der Arbeit an einem Wörterbuch beginnen. Das „deutsche Wörterbuch“ der Brüder Grimm wird erst 1960 beendet. Es umfasst 16 Bände (in 32 Teilbänden) und ist bis heute das umfangreichste Wörterbuch, das es für das Deutsche gibt (s. Kap. 5.4). Mit der Bezeichnung „heutiges Deutsch“ oder „Deutsch von heute“ bezieht man sich auf die deutsche Standardsprache nach 1945 oder 1950. Zu den Tendenzen, die als charakteristisch für das moderne Deutsch angesehen werden, gehören die Kurzwortbildung (z.B. DAAD, DFG, SMS), vor allem aber eine große Zahl von Wortübernahmen aus dem Englischen, sog. Anglizismen, insbesondere im Bereich der Computertechnik und Neuen Medien (z.B. Computer, Server, Internet, Web, Link, Email). Da viele der englischen Wörter ihrerseits ursprünglich auf das Lateinische zurückgehen, wird manchmal auch von einer „vierten lateinischen Welle“ im heutigen Deutschen gesprochen, die sich eher indirekt, über den Import von englischen Wörtern mit lateinischen Wortstämmen, vollzieht. Sprachwandel ist eng mit Variation verbunden. Erscheinungen, die zunächst auf bestimmte Varietäten beschränkt sind, setzen sich dann für die gesamte Sprachgemeinschaft durch. Die Sprache kann sich im Verlauf der Zeit auf diese Weise stark verändern. So trug die von A DELUNG verfasste Grammatik beispielsweise den Titel „Umständliches Lehrgebäude der deutschen Sprache“. Der Ausdruck „umständlich“ entspricht dem heutigen Wort „umfassend“ - ein Beispiel für Sprachwandel. Lexikalische Veränderungen geschehen vergleichsweise schnell. Grammatikalische Veränderungen ziehen sich demgegenüber oft über Jahrhunderte hin. So kann ein bestimmtes Wort auch seine „eigentliche“ Bedeutung vollständig verlieren und zu einem grammatischen Hilfsmittel werden. Einen solchen Prozess nennt man Grammatikalisierung (vgl. Kap. 8.4). Historische und aktuelle Tendenzen der Grammatikalisierung im Deutschen, u.a. die Entstehung des bestimmten und unbestimmten Artikels und der Präteritumsendung -te (z.B. sagte, arbeitete etc.), die sich aus dem Verb tun entwickelt hat, bespricht S ZCZEPANIAK (2011). Viele ältere Texte des Deutschen sind bis heute noch relativ gut verständlich. Einige Beispiele finden sich in den Übungen im digitalen Begleitmaterial. Wichtige sprachhistorische Veränderungen der deutschen Sprache fasst Tab. 5 zusammen. Verschiedene dieser Entwicklungen haben sich - in jeweils eigenständigen Ausprägungen - auch in anderen verwandten Sprachen vollzogen. <?page no="43"?> 42 Grundlagen: 2 Deutsch in Europa Tab. 5: Periodisierung nach sprachlichen Kriterien 26 Sprachperiode (Zeitraum) Sprachliche Veränderungen Germanisch (1. Jahrtausend v. Chr. bis ca. 200 n. Chr.) a) Akzent auf Stammsilbe b) Erste Lautverschiebung c) Entstehung bzw. Systematisierung des Vokalwechsels bei unregelmäßigen Verben Westgermanisch (200 bis 500 n. Chr.) a) Entstehung der Umlaute, z.B. / / = ü b) weiterer Typus unregelmäßiger Verben Althochdeutsch (500/ 750 bis 1050 n. Chr.) a) Zweite Lautverschiebung b) mehrteilige Verbformen c) Entstehung des Artikels und Subjektpronomens d) erste, einfache Verschriftungen Mittelhochdeutsch (1050 bis 1350 n. Chr.) a) Rückgang klingender Vokale im Wortauslaut und in unbetonten Silben (Abschwächung oder Schwund) b) Subjekt wird obligatorisch c) Artikelgebrauch wird fest d) Verschriftlichung weitgehend lautentsprechend Frühneuhochdeutsch (1350 bis 1650 n. Chr.) a) Vokale in bestimmten Silben werden lang b) weitere Abschwächung der e-Laute c) Verfestigung der Diphthonge ai/ eu/ au d) viele Veränderungen in Verbformen und Substantivformen e) Verbformen im Satz bilden eine Klammer f) Differenzierung des Schreibens nach semantischen und grammatischen Gesichtspunkten 2.3 Fremdsprachendidaktische Konsequenzen Für die Fremd- und Zweitsprachendidaktik des Deutschen stellt sich ausgehend von der Vielfalt seiner Auftretensformen die Frage, „welches Deutsch“ im Unterricht gelehrt werden soll: „Ein grundlegendes Ziel des DaF-Unterrichts sollte das Bewusstmachen der Tatsache sein, dass die deutsche Sprache uneinheitlich ist und dass Varietäten und Stile des Deutschen sich nicht nur strukturell, sondern auch funktional deutlich voneinander unterscheiden.“ (S PIEKERMANN 2010, S. 355) Die verschiedenen Varianten des Deutschen werden - gemäß dem „DACH(L)“ 27 -Prinzip - in vielen Lehrbüchern mittlerweile angesprochen. Zudem finden sich für einige DaF- Lehrwerke regionale Ausgaben für Österreich und die Schweiz. Auch eine Beschäftigung 26 Es handelt sich um eine reduzierte und vereinfachte Wiedergabe von Tab. 2 aus Nübling ( 3 2017, S. 6). 27 Die Abkürzungen stehen für die Hauptzentren der Sprache (D für Deutschland, A für Österreich, CH für die Schweiz). L bezieht sich abwechselnd auf die Nebenzentren Luxemburg oder Liechtenstein, manchmal wird auch die Bezeichnung DACH(LL) gewählt. <?page no="44"?> 2.3 Fremdsprachendidaktische Konsequenzen 43 mit den verschiedenen Varietäten ist in der Fremdsprachenlehre vorgesehen. Dabei ist man einerseits an den Dialekten interessiert, vor allem auch aus landeskundlicher Perspektive. Aber auch andere Formen der sozialen Variation gelangen in den Blick, um die Lernenden zum Nachdenken über hörerangemessene Sprechweisen in verschiedenen sozialen Situationen anzuregen. Zum Teil werden Unterschiede zwischen mündlicher und schriftlicher Sprache sowie zwischen formellem und informellem Schreiben in diesem Zusammenhang angesprochen. Ein beliebtes Thema ist auch die Jugendsprache (vgl. N EULAND 2010). S PIEKERMANN (2018) beurteilt die Berücksichtigung der „inneren Mehrsprachigkeit“ in der Lehre des Deutschen als Fremdsprache allerdings immer noch als unzureichend. Für den schulischen Unterricht des Deutschen als Erst- und Zweitsprache wird gefordert, das Bewusstsein der „inneren Mehrsprachigkeit“ mit dem der „äußeren Mehrsprachigkeit“ zu verbinden und die Herkunftssprachen der Schülerinnen und Schüler als Teil der inländischen Sprachenvielfalt anzusprechen. 28 Hintergrundanalysen, Unterrichtskonzepte, Methoden und Materialien der Mehrsprachigkeitsdidaktik werden in D IRIM / O OMEN -W ELKE (2013) dargestellt. Über Deutsch als Zweitsprache in einer Dialektumgebung informieren H ENTSCHEL / W ERLEN (2007). 29 Sprachgenealogische und sprachhistorische Aspekte gelangen bislang vor allem in Sprachlehrkonzepten in den Blick, die das Deutsche im Kontext anderer germanischer Sprachen thematisieren. Dabei zielt man auf die Erweiterung der Interkomprehension, d.h. der wechselseitigen Verständlichkeit von Sprachen, ab. Den bislang umfassendsten Ansatz für die germanischen, romanischen und slawischen Sprachgruppen bietet hier das Projekt EUROCOM. Genutzt wird das Lehrverfahren der „sieben Siebe“, das von lexikalischen Gemeinsamkeiten ausgeht und in verschiedenen Schritten Lautunterschiede und strukturelle Unterschiede zwischen den Sprachen erarbeitet. Für die germanischen Sprachen haben H UFEISEN / M ARX (2014) dieses Programm in ein Lehrbuch umgesetzt. Ausgehend vom Deutschen erfolgt die Einführung in die Sprachen Dänisch, Isländisch, Niederländisch, Norwegisch und Schwedisch. Der Interkomprehensionsansatz hat z.T. auch ersten Eingang in die Entwicklung von schulischen Lehrmaterialien gefunden. 30 Ausgewählte Aufgaben zu Kap. 2 (5 von 25) 3. Hören Sie die Tonbeispiele der Zahlen in verschiedenen Sprachen im digitalen Begleitmaterial. Entscheiden Sie: Ist das eine indoeuropäische Sprache? 6. Betrachten Sie die folgenden Wortbeispiele aus dem Variantenwörterbuch des Deutschen (Ammon et al. 2004). Welche Unterschiede können Sie zwischen dem Deutsch in Deutschland und in der Schweiz erkennen? 8. Besuchen Sie verschiedene der als Internet-Einstiege genannten Webseiten zur dialektalen Vielfalt des Deutschen. Gibt es in Ihrer Region Dialekte oder Regiolekte? Recherchieren Sie. 28 Entsprechende Materialien bietet z.B. die Broschüre „Österreichisches Deutsch als Unterrichts- und Bildungssprache“ des Bildungsministeriums (s. Internetlinks). 29 Hentschel, Elke / Werlen, Iwar (Hgg.), Deutsch als Fremdsprache in Dialektumgebung. In: Linguistik online Bd. 32, Nr. 3 (2007), ( ). 30 Siehe z.B. Bär (2009) zu den romanischen Sprachen. <?page no="45"?> 44 Grundlagen: 2 Deutsch in Europa 13. Wie könnte sich die deutsche Sprache in den nächsten Jahrzehnten weiter verändern? Machen Sie Vorschläge, wie das „Deutsch der Zukunft“ aussehen könnte. 15. Angenommen, Sie wollen verschiedene Varietäten des Deutschen weiter erforschen. Was interessiert Sie am meisten, welchen Weg der Untersuchung schlagen Sie vor? Ausgewählte weiterführende Literatur Ammon, Ulrich et al. (2004) Variantenwörterbuch des Deutschen. Die Standardsprache in Österreich, der Schweiz und Deutschland sowie in Liechtenstein, Luxemburg, Ostbelgien und Südtirol. Berlin: Mouton de Gruyter Haarmann, Harald ( 2 2012) Die Indoeuropäer. Herkunft, Sprachen, Kulturen. München: Beck König, Werner / Elspaß, Stephan / Möller, Robert ( 18 2015) Dtv-Atlas zur deutschen Sprache. München: Deutscher Taschenbuch-Verlag Niebaum, Hermann / Macha, Jürgen ( 3 2014) Einführung in die Dialektologie des Deutschen. Berlin / Boston: de Gruyter Nübling, Damaris / Dammel, Anje / Duke, Janet / Szepaniak, Renata ( 5 2017) Historische Sprachwissenschaft des Deutschen. Tübingen: Narr Riecke, Jörg (2016) Geschichte der deutschen Sprache: Eine Einführung. Stuttgart: Reclam Schmidt, Jürgen Erich / Herrgen, Joachim (2011) Sprachdynamik. Eine Einführung in die moderne Regionalsprachenforschung. Berlin: Erich Schmidt Sinner, Carsten (2014) Varietätenlinguistik. Eine Einführung. Tübingen: Narr Spiekermann, Helmut (2010) Variation in der deutschen Sprache. In: Krumm, Hans-Jürgen / Fandrych, Christian / Hufeisen, Britta / Riemer, Claudia (Hgg.) (2010) Deutsch als Fremd- und Zweitsprache. Ein internationales Handbuch. 1. Halbband. Berlin: de Gruyter, S. 343-359 Stedje, Astrid ( 6 2007) Deutsche Sprache gestern und heute. München: Fink <?page no="46"?> 3 Die Sprachwissenschaft: Arbeitsgebiete und Denkrichtungen 3.1 Vom Schreibunterricht zur Grammatiklehre Für die meisten Menschen ist die Grammatik der Kern jeder Sprachlehre. Ist die Grammatiktheorie auch der wichtigste Teil der Sprachwissenschaft? Historisch sah das so aus. Wenn man den Quellen dieses Faches in der Antike nachgeht, bestätigt sich die Relevanz der Grammatiklehre. Noch älter ist nur das Philosophieren über die Sprache. Der griechische Philosoph P LATON stellte sich und anderen sprachphilosophische Fragen wie die, ob ein sprachliches Element, ein Wort also, etwas Natürliches sei (im Sinne von: dem Menschen durch die Natur, also die Beschaffenheit der Welt, vorausgesetzt) oder etwas ‚Künstliches‘, also durch menschliche Erfindung Entstandenes. Diese Frage nach der Entstehung und Beschaffenheit der Bedeutung beschäftigte auch spätere Philosophen. Dem entspricht in der Linguistik das heutige Arbeitsgebiet der Semantik, das in Kap. 5 behandelt wird. Bereits im 4. Jh. v.Chr. begannen griechische Grammatiker - zugrunde liegt das griechische Wort grammatikos = die Buchstaben betreffend - sich mit Sprache systematisch zu beschäftigen. Basis war die Einführung des Alphabets in Griechenland, 1 und die Motivation entwickelte sich aus der Verbreitung von Schriftkenntnissen durch Schreibunterricht. Man versuchte, die techne grammatike - die innere Ordnung und Regelhaftigkeit des Sprachbaus - genauer zu verstehen und zu beschreiben. Berühmt und noch heute von großem Einfluss auf die Grammatiklehren ist die Sprachlehre von D IONYSIUS T HRAX (ca. 100 v.Chr.). In seiner Beschreibung des Griechischen stellt er die Benennungen für die einzelnen „Redeteile“, die unseren heutigen Wortarten (dazu Kap. 8) zugrunde liegen, nach ihren Deklinations- und Konjugationsmustern geordnet vor. Wie das Deutsche verfügte auch das Altgriechische über Kasus, Genus, Numerus und Tempus. Römische Grammatiker folgten ab dem 1. Jh. v.Chr. ihren griechischen Vorbildern und übertrugen deren grammatische Kategorien auf die lateinische Sprache. Die bekannteste dieser Grammatiken und zugleich das meist zitierte Vorbild für die europäischen Lehrer und Grammatiker des Mittelalters war wohl das im 4. Jh. n.Chr. entstandene Werk „Ars grammatica“ von D ONATUS . Ein tiefergehendes sprachwissenschaftliches Interesse war in dieser Zeit aber selten. Im Allgemeinen ging es um die Normen und Regeln für den Unterricht, an Schulen und im Spätmittelalter auch an den Universitäten Europas (in England, Frankreich und Italien ab dem 12./ 13. Jh., in Deutschland erst im 15. Jh.). Die lateinische Grammatiklehre war also normativ bzw. präskriptiv. Unter anderem wegen dieser Ausrichtung auf ein vollständiges System von Regeln und definitorischen Vorgaben verbreitete sie sich in ganz Europa und wurde für die späteren Nationalsprachen angepasst. Im 18./ 19. Jh. entstanden entsprechende Grammatikwerke für das Deutsche (s. Kap. 2.2.5), die auch für den Schulunterricht und das Selbststudium gedacht waren. Dabei konzentrierte man sich auf die Schriftsprache und versuchte, sie als „Hochsprache“, als eine einheitliche und vorbildliche Sprachform, zu etablieren. 2 Auch die im 20. Jh. von K ONRAD D UDEN vorgelegte Grammatik, eigentlich eine Bearbeitung einer älteren Grammatik von F RIEDRICH B AUER (1850), trug zunächst den Titel „Grundzüge der neuhochdeutschen 1 Es handelte sich dabei um das historisch erste vollständige Alphabet, das alle wichtigen Sprachlaute in Buchstaben umzusetzen erlaubte. 2 Der Begriff „Hochsprache“ wird umgangssprachlich oft mit „Hochdeutsch“ gleichgesetzt, letzterer Begriff bezeichnet aber eine regionale Differenzierung (s. Kap. 2.1.3). <?page no="47"?> 46 Grundlagen: 3 Die Sprachwissenschaft: Arbeitsgebiete und Denkrichtungen Grammatik für höhere Bildungsanstalten und zur Selbstbelehrung für Gebildete“. Die moderne Linguistik distanziert sich allerdings von diesem normativen Anspruch. Auch die D UDEN -Grammatik, die von ihren Benutzern meist als Regelwerk und „Norm“ eingeschätzt wird, legte früh Wert darauf, dass es ihr (also den Wissenschaftlern, die in der D UDEN -Redaktion zusammenarbeiten) um die Deskription (Beschreibung) und nicht um die Setzung von Normen geht. Ein solches Bekenntnis zur neutralen Wissenschaftlichkeit legen auch die anderen Grammatiken ab. Über der Dominanz der lateinischen Grammatik wird leicht übersehen, dass auch außerhalb von Europa Grammatiktheorie betrieben wurde. In Indien gab es bereits mehrere Jahrhunderte vor unserer Zeitrechnung ein reges theoretisches Interesse an Sprache und eine detaillierte Beschreibung der klassischen, altindischen Grammatik (Sanskrit). Der bekannteste indische Grammatiker war P ĀNINI . Seine Grammatik wurde später von L EO - NARD B LOOMFIELD als „eins der größten Denkmäler der menschlichen Intelligenz“ bezeichnet. 3 3.2 Von der Vergleichenden Philologie zu den heutigen Philologien 3.2.1 Die Indogermanismus-These Die Beschreibung und Erklärung der Sprachenvielfalt war das ‚treibende Motiv‘ der Sprachwissenschaft und ist noch heute das Interesse der Allgemeinen und der Vergleichenden Sprachwissenschaft. In der frühen europäischen Sprachwissenschaft stand dabei die Rekonstruktion der Vorgeschichte verschiedener Sprachen im Vordergrund. Bis heute wird intensiv an vielen Einzelfragen geforscht. Diese Arbeiten wurden früher mit dem Begriff Vergleichende Philologie 4 oder Historisch-vergleichende Sprachwissenschaft zusammengefasst, noch heute existiert das Fach Indogermanistik. Ab dem 16. Jh. begannen Sprachinteressierte in Deutschland, sich auch mit anderen Sprachen und deren Grammatik zu beschäftigen (mit Vorstufen des Deutschen, Nachbarsprachen, aber auch mit Informationen von spanischen Missionaren über amerikanische und philippinische Sprachen). Man nahm die große Verschiedenartigkeit sprachlicher Phänomene zur Kenntnis und orientierte sich zunehmend an zeitgenössischen philosophischen Bestrebungen, z.B. dem französischen Rationalismus. Im 18. Jh. gab es einen enormen Aufschwung der Vergleichenden Sprachforschung. Man befreite sich in dieser Zeit von dem vorher gültigen theologischen Dogma, dass die eigentliche Ursprache für alle Sprachen der Welt nur das biblische Hebräisch gewesen sein könne. Stammbäume von Völkern wurden entworfen. In Europa waren Beweise für den gemeinsamen Ursprung von Sprachgruppen leicht zu finden; z.B. führte man die romanischen Sprachen auf Latein zurück. Mit Hilfe der sog. komparativen Methode suchte man nun nach weiteren Ähnlichkeiten, auch zwischen entfernteren Sprachen. Solche Ähnlichkeiten konnten allerdings auch durch historischen Sprachkontakt, durch (ein- oder wechselseitige) Übernahme von Wörtern entstanden sein (vgl. Kap. 1.4). Um diese Möglichkeit auszuschalten, untersuchte man vor allem Wörter, die zum existenziellen Grundbestand einer Sprache gehören, wie Bezeichnungen für Verwandte, Pflanzen oder Grundnahrungsmittel. Für solche Wörter nimmt man an, dass sie nicht aus fremden Sprachen entlehnt werden. 3 Bloomfield, L. (1933 / 2001, S. 11). 4 Philologe: von griech. philos = Freund und logos = Wort. <?page no="48"?> 3.2 Von der Vergleichenden Philologie zu den heutigen Philologien 47 Gegen Ende des 18. Jh. kam es zu der so genannten Indogermanismus-These. Sie besagte, dass die meisten europäischen und viele asiatische Sprachen einer einzigen Sprachfamilie angehören, dass also die klassischen Sprachen Latein und Griechisch nicht nur mit den europäischen, sondern auch mit indischen Sprachen, besonders dem altindischen Sanskrit, 5 verwandt sind. Der von F RIEDRICH S CHLEGEL (1772-1829) verfasste Text „Über die Sprache und Weisheit der Indier. Ein Beitrag zur Begründung der Altertumskunde“ (1808) und die Schrift „Über das Conjugationssystem der Sanskritsprache in Vergleichung mit jenem der griechischen, lateinischen, persischen und germanischen Sprache“ (1816) von F RANZ B OPP (1791-1867) gelten als Anfang der Epoche der Vergleichenden Philologie. Wohl der berühmteste Vertreter dieser Sprachforschung war J ACOB G RIMM (1785-1869). Er entdeckte die sprachübergreifenden Lautverschiebungen in der Entstehung des Germanischen und untersuchte auch die „althochdeutsche Lautverschiebung“ (vgl. Kap. 2.2). Auch W ILHELM VON H UMBOLDT (1767-1835) arbeitete auf dem Gebiet der Vergleichenden Philologie. Angeregt durch die Entdeckung der Besonderheiten des Baskischen und durch die Weltreisen seines Bruders A LEXANDER befasste sich H UMBOLDT mit einer großen Zahl nichtindoeuropäischer Sprachen. Er konnte daher als einer der ersten systematische Sprachvergleiche durchführen und dafür auf neue Erkenntnisse über ganz andere Sprachen, vor allem die indigenen amerikanischen, 6 zurückgreifen. Er befand, dass jede Sprache ihre eigene (grammatische) Struktur besitze und für ihre Sprecher nicht nur Ausdrucksmittel, sondern auch Anregung zum Denken sei. Die Sprachtypologie von H UMBOLDT wird in Kap. 8.4 kurz beschrieben. Bereits im späten 18. Jh., nicht erst bei H UMBOLDT , sondern schon bei K ARL P HILLIP M ORITZ , F. G. K LOPSTOCK und J OHANN G OTTFRIED VON H ERDER (1744-1803) wurde darüber reflektiert, wie Sprache und Denken miteinander verknüpft sind. Dies war zunächst keine sprachtheoretische Frage. Aus der Opposition gegen die in Frankreich geprägten kulturellen und sprachlichen Formen heraus suchten viele Aufklärer nach nationalgeschichtlichen, autochthon deutschen Quellen eines Nationalbewusstseins in einer noch gar nicht existierenden Nation. Für die G RIMM -Brüder waren die Märchen und andere volkstümliche Überlieferungen eine solche Quelle. Von A DELUNG s Aussage (1782) „In dieser Rücksicht auf ein gewisses bestimmtes Volk ist die Sprache derjenige Inbegriff vernehmlicher Laute, durch welche sich ein Volk seine Vorstellungen mitzutheilen pflegt.“ war es nicht weit zu der Vermutung, dass eine „Sprachgemeinschaft“ über ihre Sprache ein gemeinsames Denken besitze und dadurch so etwas wie ein Volk sein müsse - auch ohne eine nationale Einheit. H UMBOLDT dachte in diesem Zusammenhang an eine vergleichende Anthropologie, die einerseits die Beschaffenheit der Sprachen aus dem menschlichen Geist, andererseits die erkennbare Verschiedenheit von „Bewusstseinsformen“ (die heute eher als kulturelle Phänomene betrachtet würden) aus der Verschiedenheit der Sprachen erklären sollte. Er äußerte mehrfach seine Wertschätzung der indoeuropäischen Sprachen mit dem Argument, dass eine differenzierte Grammatik dem Denken und der Kommunikation zugute komme: Ein „vollendeter grammatischer Formenbau“ gibt den Gedanken eine bessere und genauere Darstellung. 7 5 Im 18. Jh. fand man bis dahin unbekannte Dokumente des Sanskrit, einer mittelindischen Frühform des Indischen für den sakralen und gelehrten Sprachgebrauch. Der Orientalist William Jones fand Ähnlichkeiten der europäischen Sprachen mit den grammatischen Formen und mit den Verbwurzeln des Sanskrit. 6 Es handelt sich um Sprachen der Ureinwohner Amerikas, Indianersprachen, nicht um die heute dort gesprochenen modernen Sprachen. 7 Humboldt, W. von (1826 / 1994, S. 140). <?page no="49"?> 48 Grundlagen: 3 Die Sprachwissenschaft: Arbeitsgebiete und Denkrichtungen Die historisch-vergleichende Sprachwissenschaft des 19. Jh. war z.T. von romantischen Ideen beeinflusst. A UGUST S CHLEICHER (1821-1868) verband die wissenschaftlichen Untersuchungen der Sprachentstehung mit der Auffassung, dass die Sprache ein Organismus sei, der eine Art Lebensablauf mit einer Jugend- und einer Altersphase hat. Diese romantische Idee gewann Prestige durch die Berufung auf Neuerungen in der biologischen Wissenschaft: C HARLES D ARWIN s Schriften zur Entwicklungsgeschichte der Gattungen und Arten in der Natur. 8 Das Verhältnis der indoeuropäischen Sprachen untereinander wurde also - in Analogie zur Evolutionsgeschichte - als eine genetische Verwandtschaft gesehen (vgl. Kap. 1.3). Später kritisierte man die Gleichsetzung von Sprache mit einem Organismus als eine „biologistische“ Denkweise. 9 Wegen ihrer Anschaulichkeit dienen aber die metaphorisch gebildeten Begriffe Sprachverwandtschaft und Sprachfamilie nach wie vor zur Beschreibung von Sprachentstehung und -verbreitung. Seit der Entdeckung von immer mehr Sprachgruppen und Sprachfamilien weiß man mehr darüber, unterstützt durch kulturanthropologische Forschung. Die Vielfalt der Sprachen lässt sich nicht auf eine „Ursprache“ zurückführen, sondern auf mehrere Protosprachen. 3.2.2 Die Weiterentwicklung der Philologie Die späte Phase der Vergleichenden Philologie wird bestimmt von A UGUST L ESKIEN , W IL - HELM S CHERER , H ERMANN P AUL , K ARL V ERNER , K ARL B RUGMANN , B ERTHOLD D ELBRÜCK , die auch als „Junggrammatiker“ bezeichnet wurden. 10 In dieser Phase, die bis ins 20. Jh. reicht, wurden bestimmte idealistisch-romantische Vorstellungen kritisiert und stattdessen eine strenge historische Forschung durchgeführt, vor allem zur Entwicklung von Lauten und sprachlichen Formen. Man vermutete eine gesetzmäßige Ausbildung der Lautverschiebungen und so auch der Sprachlaute. „Die Lautgesetze kennen keine Ausnahme“, sagte A UGUST L ESKIEN . Mit G RIMM s Beschreibung der Lautverschiebungen waren die „Junggrammatiker“ nicht zufrieden, da einige widersprechende Einzelheiten ausgeklammert und manche theoretische Aussagen (vorsichtigerweise) auf Tendenzen reduziert worden waren. Die Erklärung des „grammatischen Wechsels“ bei den starken Verben gelang dann dem Dänen K ARL V ERNER (1846-1896), wenigstens zu großen Teilen, mit dem so genannten Verner’schen Gesetz (1875). Es geht dabei um einen auffälligen Wechsel von Konsonanten in althochdeutschen Verbformen. In dem bekannten Hildebrand-Lied 11 trifft man z.B. auf die Stammformen von sein: uuas (war), wari (wäre), warun (wären), auch auf die Formen werdan (werden) und wurtun (wurden). Dieser Wechsel stammt noch aus vorgermanischer Zeit, er spiegelt die indogermanischen Akzentverhältnisse wider, den dynamischen Akzent. Je nachdem, auf welche Silbe der Akzent fiel, gab es bei den Verbstammformen einen systematischen Wechsel der Konsonanten und z.T. der Stammvokale. Dieses Gesetz erklärt die noch heute vorhandenen Formen der unregelmäßigen Verben. Später warf man den Junggrammatikern „Positivismus“ und übertriebene „Konzentration auf Erscheinungen 8 Siehe besonders die Schrift von Darwin „Über die Entstehung der Arten“ (1859). 9 Die Wortbildung mit der Endung -ismus deutet nicht immer auf ein kritisches Verständnis, aber ein Teil dieser Substantive und Adjektive besagt, dass eine bestimmte Denkweise (hier die biologische) oder ein Denkmodell in unangemessener Weise übertragen wird. 10 Englisch neogrammarians; die Bezeichnung galt einer Gruppe von Forschern und war ursprünglich ironisch gemeint. Sie wurde aber von den so betitelten Forschern angenommen. 11 S. Kap. 2, Übungen in den digitalen Materialien. <?page no="50"?> 3.3 Der Strukturalismus 49 der äußeren Sprachform“ vor. Der Positivismusvorwurf meint, dass Sprache ein kulturelles Produkt ist und nicht mit den Methoden der Naturwissenschaften untersucht werden sollte. Besonders bekannt wurde der Sprachwissenschaftler H ERMANN P AUL . Er war davon überzeugt, dass alles Sprachliche historisch zu betrachten sei, daher der Titel seines Buches: „Prinzipien der Sprachgeschichte“. Von dem Ziel, Entwicklungsgesetze herauszufinden, löste er sich, indem er soziale und psychologische Fragen erörterte, z.B. hinsichtlich der Satzgrammatik (P AUL 1880 / 1995, S. 6 f.): „Das psychische Element ist der wesentlichste Faktor in aller Kulturbewegung, um den sich alles dreht, und die Psychologie ist daher die vornehmste Basis aller in einem höheren Sinne gefassten Kulturwissenschaft. Das Psychische ist darum aber nicht der einzige Faktor; es gibt keine Kultur auf rein psychischer Unterlage … Die Kulturwissenschaft ist immer Gesellschaftswissenschaft.“ Sprache wurde also nun als soziales Phänomen gesehen. Dies korrespondiert mit der Erfahrung des Einzelnen, dem seine Muttersprache (oder eine andere Sprache) als etwas Fertiges und Objektives gegenübersteht, das er sich Schritt für Schritt aneignen kann bzw. muss. Aus der Vergleichenden Philologie entstanden im 20. Jh. eine Reihe von Einzelwissenschaften. Einerseits waren das die Nationalphilologien, die auf je eine Sprache oder Sprachgruppe bezogen sind. Wörtlich aus dem Griechischen übersetzt ist der Philologe ein Freund des Wortes und der Texte. So nannte man alle, die sich mit Sprache und Literatur beschäftigten (also ausschließlich mit Sprache in geschriebener Form). Nun teilte sich das Fach in die Altphilologie (Gräzistik und Latinistik) und die Neuphilologien. Bis gegen Ende des 20. Jh. gab es in Deutschland altphilologisch und neuphilologisch orientierte Gymnasien. An den Universitäten etablierten sich nun Germanistik, Romanistik, Anglistik etc. 3.3 Der Strukturalismus 3.3.1 Quellen und Einflüsse Mit dem Ausdruck Strukturalismus werden mehrere sprachwissenschaftliche Ansätze zusammengefasst, die das Nachdenken über den Gegenstand Sprache bis heute prägen. Als europäischer Begründer gilt der Genfer Sprachwissenschaftler F ERDINAND DE S AUS - SURE (1857-1913). S AUSSURE formulierte einige Grundsätze einer allgemeinen Sprachwissenschaft. Der Begriff Strukturalismus ist jedoch erst später entstanden. Bei ihm selbst findet man nicht einmal den Ausdruck Struktur. Seine sprachtheoretischen Überlegungen wurden nicht von ihm selbst, sondern von seinen ehemaligen Studenten nach seinem Tod veröffentlicht, unter dem Titel „Cours de linguistique générale“ im Jahr 1916 in französischer Sprache. 1931 erschien das Buch als „Grundfragen der Sprachwissenschaft“ auch auf Deutsch, aber erst die zweite Auflage von 1962 wurde breiter bekannt. Einige Sprachwissenschaftler bezweifeln, dass das Buch dem Denken und Wissen S AUSSURE s vollständig entspricht. 12 Seine Gedanken wurden mit unterschiedlichen Akzentsetzungen weiterentwickelt von einigen strukturalistischen „Schulen“. Ein solches Zentrum war Prag, wo V ILÉM M ATHE - SIUS 1926 die sog. Prager Schule ins Leben rief (Cercle Linguistique de Prague). Von ihren 12 Vgl. dazu Krämer (2001, S. 19 ff.). <?page no="51"?> 50 Grundlagen: 3 Die Sprachwissenschaft: Arbeitsgebiete und Denkrichtungen Mitgliedern sind R OMAN J ACOBSON und N ICOLAJ T RUBETZKOJ besonders bekannt geworden. Kopenhagen (ab 1931, Vertreter z.B. L OUIS H JELMSLEV ) und Genf waren wietere Zentren. Eine eigene Denk- und Forschungsrichtung des Strukturalismus entwickelte sich vor dem Hintergrund der entstehenden Anthropologie in den USA. Sie wird als amerikanischer Strukturalismus bezeichnet und gründet sich unter anderem auf die Arbeiten des Ethnologen F RANZ B OAS . Als einer ihrer wichtigsten Vertreter gilt L EONARD B LOOMFIELD . Gemeinsames Ziel der Strukturalisten ist die Beschreibung der Sprache als geordnetes Zeichensystem. Im Folgenden wird die Sprachtheorie von S AUSSURE skizziert, um dann kurz auf den amerikanischen Strukturalismus und seine Weiterentwicklung einzugehen. 3.3.2 Das Sprachsystem und die Rede bei S AUSSURE Im Hintergrund der neuen Sprachtheorie steht ein neues Interesse an gesellschaftlicher Anerkennung der Sprachwissenschaft. Sie sollte ein selbständiges wissenschaftliches Fach mit eigenen Methoden werden. Eine wichtige Unterscheidung, die S AUSSURE erfolgreich einführte, ist die zwischen langue und parole. Außerdem benutzt er den französischen Ausdruck langage für Sprache im Sinne einer Einzelsprache oder auch für die Fähigkeit, diese zu sprechen. Die Übersetzung von langue und parole erweist sich als schwierig; im Deutschen verwendet man hier die Begriffe Sprachsystem und Rede. Gegenstand der Allgemeinen Sprachwissenschaft ist nach S AUSSURE die langue, das Sprachsystem. Dieses System kann eigentlich nur durch die Untersuchung menschlicher Äußerungen erfasst werden. Dazu im Widerspruch steht die Tatsache, dass S AUSSURE die parole, die menschliche Rede, nicht als Gegenstand der Sprachwissenschaft ansah. Zwar soll die Sprache die „Norm“ der Rede 13 sein, andererseits aber die Rede nicht als Quelle der Beschreibung der Sprache gelten. Diese Unklarheit betrifft auch die von S AUSSURE vorgeschlagenen Methoden. S AUSSURE geht es zentral um die Abgrenzung und Unterscheidung der Elemente des sprachlichen Systems. In Bezug darauf führt er den ebenfalls nicht ganz leicht zu verstehenden Begriff „Wert“ ein: „… denn die Sprache ist ein System von bloßen Werten“; „… bei den sprachlichen Zeichen, die aus Bezeichnetem und Bezeichnung bestehen, kommt es auf ihre gegenseitige Sonderung und Abgrenzung an. Nicht daß eines anders ist als das andere, ist wesentlich, sondern daß es neben allen andern und ihnen gegenübersteht. Und der ganze Mechanismus der Sprache … beruht auf Gegenüberstellungen dieser Art. …“ 14 S AUSSURE betont damit, dass ein einzelnes sprachliches Zeichen nicht isoliert definiert werden kann, seine Bedeutung hängt von seinen Beziehungen zu den anderen Zeichen im System ab. Für die Distinktion, also die klare Unterscheidung eines Zeichens von anderen, muss mindestens ein Merkmal in Gegensatz zu ähnlichen Zeichen stehen. So kann das Wort alt in Gegensatz zu jung stehen, wenn es um Alter geht, aber auch in Gegensatz zu neu, wenn es um die Dauer des Gebrauchs einer Sache geht (vgl. L ÖBNER 2015, S. 234 ff.). Eine solche Art der Abgrenzung von Elementen gegeneinander wird generell im Strukturalismus als Opposition bezeichnet. Besonders das Teilsystem der Sprachlaute wird mit Hilfe von Oppositionen beschrieben (vgl. Kap. 12 und 13). 13 Saussure (1967, S. 11). 14 In Bezug auf das System nennt Saussure die Zeichen „Werte“, weil er ihren Stellenwert oder ihre Position darin im Blick hat (1967, S. 95 und 145). <?page no="52"?> 3.3 Der Strukturalismus 51 Zwei weitere Grundbegriffe der strukturalistischen Linguistik, die von DE S AUSSURE stammen, sind Syntagma und Paradigma sowie die zugehörigen Adjektive syntagmatisch und paradigmatisch. Mit dem ersten Begriff erfasst er Beziehungen von Zeichen, wie sie innerhalb der Rede (mündlich oder schriftlich) in linearer Abfolge auftreten. Jede vorkommende oder denkbare Aneinanderreihung sprachlicher Zeichen ist ein Syntagma (soweit sie den grammatischen Regeln der jeweiligen Sprache entspricht). Betrachtet man Zeichen als Teil einer Reihe, z.B. eines Satzes, ist das die syntagmatische Betrachtungsweise. Ein Paradigma im Sinne von S AUSSURE ist im Unterschied dazu eine assoziativ herstellbare bzw. im Denken hergestellte Beziehung zwischen sprachlichen Zeichen, die in irgendeiner Hinsicht ähnlich sind oder zusammenhängen: „Man sieht, daß diese Zusammenordnungen von ganz anderer Art sind als die ersteren; sie sind nicht von der Zeiterstreckung getragen; ihr Sitz ist im Gehirn; sie sind Teile jenes inneren Schatzes, der bei jedem Individuum die Sprache bildet. Wir wollen sie assoziative Beziehungen nennen.“ 15 Paradigmatische Reihen sind „Gedächtnisreihen“. Als Beispiel nennt S AUSSURE eine Wortfamilie wie Belehrung, belehren, er belehrt, bei der der Wortstamm das verbindende Element ist (vgl. Kap. 6). Die Ähnlichkeit kann ganz beliebige Aspekte betreffen, grammatische (gleiche Verbform) oder formale (ähnlicher Klang). Wie viele Elemente eine paradigmatische Reihe hat, lässt sich nicht generell angeben, oft ist sie unbegrenzt. 16 Syntagmen und Paradigmen hängen oft zusammen. Das Wort Herbst z.B. gehört einerseits in ein lexikalisches Subsystem mit Frühling, Sommer und Winter; gemeinsam bilden sie das Paradigma der Jahreszeiten. In einem Satz wie Gestern hat nach dem Kalender der Herbst begonnen. ist dasselbe Wort Teil eines Syntagmas, das nach den Regeln der deutschen Sprache aufgebaut, also ein deutscher Satz ist. Es zeigt sich, dass beide Arten von Beziehungen auf semantischen und grammatischen Merkmalen beruhen (Kombinierbarkeit zu einer Reihe, vielfache Gemeinsamkeiten der Sprachzeichen) (vgl. L ÖBNER 2015, S. 267 ff.). Der Satz, über den im 18. und 19. Jh. schon sehr viel nachgedacht und geschrieben worden war, ist in dem Werk „Grundfragen der Allgemeinen Sprachwissenschaft“ allerdings kein Teil des Systems der Sprache. Er gehört zur Rede (parole). Erst die Nachfolger von S AUSSURE erklärten die Syntaxlehre zu einer systembezogenen Disziplin und entwickelten strukturelle Verfahren der Satzanalyse. 17 S AUSSURE wusste - wie schon die Historische Philologie -, dass eine Sprache kein statisches Ganzes ist, sondern sich stets in Veränderung befindet. Sie kann - in S AUSSURE s Terminologie - in einer diachronen oder synchronen Perspektive betrachtet werden. Der Autor selbst hatte darin „zweierlei Arten von Sprachwissenschaft“ entdeckt und spricht sogar von einem „Gegensatz“ zwischen ihnen. 18 Tatsächlich besteht eher ein Ergänzungsverhältnis. Die diachrone (oder: diachronische) Beschreibung erfasst das Werden, die Veränderung der Zeichen, den Sprachwandel. Synchronie (Gleichzeitigkeit) meint den gegenwärtigen oder einen punktuell bestimmten Zustand eines sprachlichen Systems. 19 Die diachrone, historische Analyse eines Zeichens setzt natürlich immer ein Wissen über den aktuellen synchronen Zustand voraus, sei es auch nur die eigene Sprachkenntnis. Umgekehrt 15 Saussure (1967, S. 147 f.). 16 Saussure (1967, S. 151 f.). 17 Vor Saussure wurden die Austausch-, Ersatz- und Verschiebeprobe von Hans Glinz entwickelt. In der Nachfolge führte Chomsky die Übertragung auf den Satz durch. 18 Saussure (1967, S. 95 ff. und 106). 19 Griech. syn = mit, chronos = Zeit, dia = hindurch. <?page no="53"?> 52 Grundlagen: 3 Die Sprachwissenschaft: Arbeitsgebiete und Denkrichtungen kann eine historische Analyse auch eine Erweiterung der Kenntnis des gegenwärtigen Sprachzustandes erbringen. Die Linguistik in der Nachfolge von DE S AUSSURE richtete sich auf die synchrone Perspektive. Die Etablierung als akademisches Fach gelang. In der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die Begrenzung auf das abstrakte System der Sprache jedoch bereits kritisiert. 3.3.3 Der amerikanische Strukturalismus In den USA entwickelte sich der Strukturalismus ab dem Anfang des 20. Jh. als eine eigenständige Schule. Er entstand aus einem anderen Zusammenhang heraus, nämlich aus dem der neu entstandenen Anthropologie. Das Interesse an der Lebensweise der ursprünglichen (indigenen) Völker und Stämme Amerikas schloss ein starkes Interesse an deren Sprache als Schlüssel zu ihrer Kultur ein. Da diese Sprachen keine Schrift besaßen, mussten neue Methoden entwickelt werden, um sie zu erfassen. Technische Entwicklungen wie das Tonband erlaubten die Dokumentation des gesprochenen Wortes. Der Anthropologe, Ethnologe und Linguist F RANZ B OAS war einer der ersten, der diese Art der Sprachuntersuchung praktizierte und die neuen Methoden der Aufnahme und Dokumentation nutzte. Er gilt als Begründer nicht nur der amerikanischen Anthropologie, sondern auch der Methode der Feldforschung: Menschen wurden in ihrer alltäglichen Umwelt beobachtet; ihr Tun wurde durch Ton- und Bildaufnahmen eingefangen (vgl. Kap. 4). B OAS prägte auch den heute geläufigen Ausdruck „Ethnozentrismus“ und wendete sich gegen die Praxis, das Handeln von Menschen an den eigenen kulturellen Normen zu messen und zu beurteilen, statt deren Tun zunächst ‚neutral‘ zu beobachten und aus dem Lebenszusammenhang der beobachteten Personen heraus zu erklären. B OAS wurde so zum Begründer des Deskriptivismus, der deskriptive (beschreibende) Verfahren anwendet. Die erfassten Daten wurden verschriftlicht und zu einem Korpus 20 zusammengetragen. In der Analyse suchte man nach Merkmalen und Regelmäßigkeiten der Sprachdaten, man sammelte und klassifizierte den Wortschatz, erfasste die Laute phonologisch und erstellte ein Inventar grammatischer Formen und Satzbaumuster der betreffenden Sprache. Eines der berühmtesten Werke aus dieser Phase ist das von B OAS veröffentlichte „Handbook of American Indian Languages“ (1911). Die Klärung von anthropologisch-kulturorientierten Fragen ist charakteristisch für eine spätere Phase des Deskriptivismus, als deren Hauptwerk B LOOMFIELD s Werk „Language“ (1933, in deutscher Sprache 2001) gilt. B LOOMFIELD , ein Schüler von B OAS , hatte wie S AUS - SURE in Deutschland eine philologische Ausbildung bei den Junggrammatikern erhalten, wandte sich aber in den USA der Erforschung unbekannter und nicht verschrifteter Sprachen zu. Die wichtigsten methodischen Verfahren betreffen die Zerlegung des Datenmaterials in kleinste Einheiten (Segmentierung) und die Erfassung ihrer Verteilung in Texten (Distribution). Deshalb wird diese Richtung oft auch Distributionalismus genannt. Um bestimmte Einheiten im Datenmaterial zu untersuchen, wurden formale Testverfahren angewendet, z.B. die Substitution (Ersetzung), Permutation (Umstellung) und Tilgung von Elementen (vgl. Kap. 9). 20 Das lat. Wort corpus (Körper) mit dem Plural corpora liegt zugrunde; ein linguistisches Korpus besteht aus Datenmaterial, das für einen wissenschaftlichen Zweck zusammengestellt wurde (vgl. Kap. 4). In der Linguistik ist das Fremdwort Korpus mit dem originalen Genus Neutrum übernommen worden, also: das Korpus. In der Medizin ist Korpus Maskulinum. <?page no="54"?> 3.3 Der Strukturalismus 53 Um syntaktische Strukturen darstellen zu können, verwendeten die Distributionalisten oft ein Baumdiagramm, ein sog. Stemma. Ein einfaches Stemma zeigt Abb. 1. Eine solche Darstellung bildet einmal die Gruppierungen zusammengehöriger Wörter ab, zum anderen zeigen die Knotenpunkte die (vermuteten) Abhängigkeiten und geben damit einen Hinweis auf Satzglieder. Abb. 1: Baumdiagramm eines Satzes (einfaches Stemma) Die Analyse von Bedeutungen sah B LOOMFIELD allerdings nicht als Teil der Sprachanalyse an, er verwies diese Aufgabe an die Psychologie. Die dominante Theorie in Psychologie und Sozialwissenschaften seiner Zeit war der Behaviorismus, auf Basis der Schriften von B. F. S KINNER , der tierisches und menschliches „Verhalten“ (daher auch die deutsche Bezeichnung „Verhaltenstheorie“) gleichermaßen als Folge von Reizen und Reaktionen darauf interpretierte. Dem Behaviorismus zufolge erschließt sich die Bedeutung eines Satzes allein aus einer Untersuchung der Situation, in der ein sprachlicher „Reiz“ so auf den Organismus einwirkt, dass dieser eine bestimmte Reaktion produziert. Die behavioristische Sicht von Sprache wurde in der Folge vielfach kritisiert. Die geistige Natur von Bedeutungen wird dabei ignoriert, ebenso die Handlungsabsichten der Sprecher, die zwar auf Äußeres reagieren, dies aber gemäß ihren eigenen Zielen und Vorstellungen tun. Eine andere Art von Kritik stammt von dem Linguisten C HOMSKY , der Sprachstrukturen und Spracherwerb auf angeborene menschliche Eigenschaften zurückführte (s. unten). Einflussreich war der amerikanische Strukturalismus im Bereich der Fremdsprachendidaktik: B LOOMFIELD und seine Schüler begründeten die so genannte „audiolinguale“ Methode der Sprachlehre. Sie war gekennzeichnet zum einen durch die Betonung des Hörens und Imitierens, zum anderen durch den pattern drill, das intensive mündliche und schriftliche Training von Sprachstrukturen, meist unter Verzicht auf Übersetzungen und mit wenig grammatischen Erklärungen. 21 3.3.4 Sprache als innerer Apparat: Generative Grammatik und Nativismus Aus der Kritik der behavioristischen Annahmen über Sprache entwickelte sich in den USA ab Ende der 1950er Jahre ein anderer sprachtheoretischer Ansatz, der von N OAM C HOMSKY initiiert und sehr stark durch seine Arbeiten bestimmt wurde. Meist wird er als Generative Transformationsgrammatik bezeichnet (abgekürzt: GT oder TG). Sprachtheoretischer 21 Die audiolinguale Methode ist auch heute noch vertreten, z. B. in den Lehrmaterialien der Reihe „Rosetta Stone“. <?page no="55"?> 54 Grundlagen: 3 Die Sprachwissenschaft: Arbeitsgebiete und Denkrichtungen Ausgangspunkt war die Satzlehre, die Syntax. Ein oft zitierter Satz aus der Einleitung seines Buches „Syntactic Structures“ lautet: „From now on I will consider a language to be a set (…) of sentences“ (1957, S. 13). C HOMSKY s Buch „Aspects of the Theory of Syntax“ (1965) wurde international diskutiert und z.T. mit Begeisterung aufgegriffen. Neu war dabei nicht die bekannte Satzdarstellung in Form eines Stemmas, sondern die Modularisierung: Parallel zu den verschiedenen Teilgebieten der Linguistik sieht die GT selbständig „arbeitende“ Komponenten eines Spracherzeugungsmechanismus. Die Behauptung ist, dass jeder Sprecher ein phonologisches, ein lexikalisches, ein semantisches und weitere Module im Kopf hat, die er bei der „Sprachproduktion“ in verschiedenen Teilprozessen einsetzt. Dieses angenommene Basisprinzip der Module wird in der Psycholinguistik und in der Kognitiven Linguistik (s. Kap. 3.4.1) teilweise übernommen, teilweise angegriffen. Die Kritik kann sich darauf berufen, dass das wirkliche Sprachwissen von Menschen anders beschaffen ist: Der Sprecher operiert flexibel mit den semantischen, phonetischen und sonstigen Eigenschaften von Sprache und gewichtet sie je nach seinem aktuellen Zweck. Der kindliche Spracherwerb, so argumentiert C HOMSKY , ist nicht als Reiz-Reaktions- Lernen oder als bloße Imitation zu erklären, denn ein Kind kann Sätze bilden, die es noch nie gehört hat. Vielmehr ist der Spracherwerb ein kreativer Prozess des Hypothesenbildens und -testens, durch den allmählich der Regelapparat der gelernten Sprache erkannt wird. Darin sieht C HOMSKY einen quasi biologisch vorgegebenen „Spracherwerbsmechanismus“, den Language Acquisition Device (LAD). Die menschliche Sprachfähigkeit führt er zurück auf eine bereits vor dem Spracherwerb vorhandene innere Universalgrammatik. Wird ein Kind durch die Wahrnehmung muttersprachlicher Äußerungen einem sprachlichen input ausgesetzt, „verarbeitet“ es diese Sprachdaten im Sinne der Prinzipien der Universalgrammatik, abgekürzt: UG (vgl. Abb. 2) und entwickelt aus seiner Universalgrammatik ein mehr oder weniger vollständiges Sprachwissen. Wegen der Annahme einer angeborenen Sprachfähigkeit bezeichnet man diese Richtung der Sprachwissenschaft auch als Nativismus. Abb. 2: Nativistisches Modell des Spracherwerbs (vereinfacht) Ein Beispiel für ein Prinzip der UG ist: Jede Sprache hat (mindestens zwei) Wortarten. Die jeweilige sprachspezifische Menge der Wortarten ist dann der dazu gehörige Parameter, der im Kind aufgrund des „Inputs“ wie mit einem Schalter ‚eingestellt‘ wird. C HOMSKY bleibt insgesamt seiner Ausgangsidee treu, dass Sprache „ein sich selbst produzierendes System“ sei (S UCHAROWSKI 1996, S. 8). Das setzt er um durch die Anwendung mathematischer Formeln und Regeln auf die Sprachbeschreibung. Das Prädikat „generativ“ ergibt sich aus dem Anspruch, die Produktion von Sätzen genau so, nämlich aus der Anwendung von Regeln auf einer abstrakten grammatischen Basis (den Prinzipien und Parametern) zu erklären. <?page no="56"?> 3.4 Sprache und Denken 55 Abb. 3: Konstituentenstruktur eines Satzes gemäß GT Abb. 3 gibt ein einfaches Beispiel. Die Abkürzungen sind zu lesen: NP = Nominalphrase, VP = Verbalphrase, PP = Präpositionalphrase, Det = Determinativ. 22 Den Kategorien wird ein Lexikon zugeordnet. Ausgehend von Regelapparat und Lexikon lassen sich zahlreiche Sätze derselben Struktur generieren, darunter allerdings auch grammatisch falsche: *Dem große Feuer sitzt an die Katze. Vielfältige Zusatzregeln sind nötig, um die deutsche Flexion und die mit ihr verbundene Kongruenz - hier die Übereinstimmung von Artikel (Det) und Nomen (N) - strukturell erzeugbar zu machen und z.B. die zusammengezogene Form am anstelle von an dem als regelhaft zu erfassen. In der Spracherwerbsforschung arbeitet man z.T. mit generativen Modellen. Auch die Fremdsprachendidaktik hat z.T. die Nativismus-Hypothese übernommen und diskutiert über die damit zusammenhängende teachability-Hypothese. 23 Demnach durchlaufen Sprachlerner aufgrund der Universalgrammatik bei jedem Erwerb einer weiteren Sprache dieselben Erwerbsstadien wie beim Lernen der L1. Sie können daher kein Sprachmaterial verstehen oder verarbeiten, das nicht der jeweils „nächsten“ Erwerbsstufe entspricht. Für die Sprachlehre blieb die linguistische Substanz der Generativen Grammatik jedoch insgesamt weitgehend folgenlos. C HOMSKY selbst stellt sein Modell als eine Hypothese dar, die nicht bewiesen und wohl auch nicht beweisbar sei. Zur Kritik eines solchen wissenschaftlichen Verfahrens liegen eine Reihe von Beiträgen vor. J ÄGER (1993, S. 80) spricht von einer „Tilgung der Kategorie des intentionalen Subjekts“, auch H OFFMANN (2005) stellt theoretische Schwächen dieser linguistischen Theorie dar. Insgesamt kann die GT als Sonderform des amerikanischen Strukturalismus angesehen werden, deren psychologische Komponente in den verschiedenen Ansätzen der Kognitiven Linguistik zur Geltung kommt. 3.4 Sprache und Denken 3.4.1 Kognitive Linguistik Unter der Bezeichnung Kognitive Linguistik werden eine Reihe recht heterogener theoretischer Entwürfe erfasst, die zum Teil aus der Generativen Grammatiktheorie heraus 22 Diese Termini werden in den Kap. 7 ff. weiter erläutert. 23 Exemplarisch dazu Dulay / Burt / Krashen (1982). <?page no="57"?> 56 Grundlagen: 3 Die Sprachwissenschaft: Arbeitsgebiete und Denkrichtungen entwickelt worden sind, sich zum Teil aber auch als Gegenentwürfe dazu verstehen, z.B. die durch F ILLMORE entwickelte Konstruktionsgrammatik (vgl. W ILDGEN 2008, S. 19). Vorbild sind die Cognitive Sciences, eine als Disziplinenverbund konzipierte Zusammenarbeit von Psychologie, Neurolinguistik, Informatik und Künstliche-Intelligenz-Forschung, Philosophie und Anthropologie. Diese Forschungsrichtung versteht sich zunehmend als eigenständiges, interdisziplinäres Fach Kognitionswissenschaft (S CHWARZ 2008). Der Begriff scheint gegenwärtig die ältere Bezeichnung Psycholinguistik zu ersetzen (R ICKHEIT / W EISS / E IKMEYER 2010). M ONIKA SC HWARZ spricht zwar von einem „Kognitiven Paradigma“ 24 , ihr Übersichtsband ergibt aber kein konsistentes Gesamtbild, weil einige Ansätze auf „sich komplett widersprechenden Annahmen beruhen“ (2008, S. 56). Nicht einmal in Bezug auf die Methoden ergibt sich eine Einheitlichkeit, da die Neuro- und die Psycholinguistik weitgehend experimentell vorgehen und auf Nachprüfbarkeit Wert legen, während andere Methoden kognitiver Linguistik „in etwa derjenigen Brentanos Ende des 19. Jh. [folgen], nach der psychische Phänomene zweifelsfrei nur durch innere Wahrnehmungsvorgänge (Introspektion) zugänglich seien.“ (W ILDGEN 2008, S. 114 f.) W ILDGEN selbst (a.a.O., S. 24 ff.) fasst die Kognitive Linguistik enger und beruft sich auf Arbeiten von L AKOFF , T ALMY , L ANGACKER , F ILLMORE , F AUCONNIER und T URNER , also auf Wissenschaftler, die im Unterschied zur GT sowohl die Modularisierung wie auch die Betrachtung natürlicher Sprachen als formaler Systeme ablehnen. Stattdessen geht man hier davon aus, dass morphologische und syntaktische Strukturen semantisch motiviert sind. Daher sind die Begriffe kognitive Semantik und kognitive Grammatik weitgehend bedeutungsgleich; Forscher der kognitiven Semantik beschäftigen sich auch mit grammatischen Fragen und umgekehrt. Interessant ist für die Kognitive Linguistik vor allem der Zusammenhang von Sprache und benachbarten, eng mit ihr verbundenen Fähigkeiten, wie Wahrnehmung, Gedächtnis, Vorstellung (vgl. W ILDGEN 2008, S. 146). In diesem Zusammenhang wird häufig von Konzepten, Schemata bzw. Frames und von Skripten gesprochen, um verschiedene Typen von komplexeren kognitiven Strukturen zu unterscheiden. Während das Konzept einen begriffsähnlichen Inhalt hat (vgl. Kap. 5.2). sind in einem Schema (engl. Frame oder Skript) sachlich verbundene Handlungen und Erfahrungen zusammengeschlossen zu einer Vorstellung, wie z.B. ‚normalerweise‘ ein Kindergeburtstag, ein Einkauf oder eine polizeiliche Vernehmung abläuft. Damit ist man recht nah am sprachlich-kulturellen Wissen der Menschen. Ein sehr großer Teil der kognitiven Theorien befasst sich jedoch mit formalen und mathematischen Fragen sowie mit Computersimulationen (vgl. S UCHAROWSKI 1996, S. 125). 3.4.2 Weltbildhypothese und „sprachliche Relativitätstheorie“ Der im amerikanischen Strukturalismus entstandenen Hypothese der „linguistischen Relativität des Denkens“, die auch als linguistische Relativitätstheorie oder Sapir-Whorf- Hypothese bekannt wurde, entspricht im deutschsprachigen Raum die Weltbildhypothese. Ansätze dazu sind bereits bei H UMBOLDT zu erkennen, wesentlich prägnanter ist diese Idee in W ILHELM W UNDT s einflussreichem Werk „Völkerpsychologie“ von 1922 entwickelt worden. Dort heißt es: 24 In allgemein wissenschaftlichem Zusammenhang bezeichnet der Ausdruck „Paradigma“ einen Gesamtkomplex aus theoretischen Begriffen und Auffassungen. <?page no="58"?> 3.4 Sprache und Denken 57 „In allem dem, in ihrem Reichthum wie in ihren Mängeln, spiegelt die Sprache den Geist des Volkes und in ihm wieder den des Einzelnen, der sie redet.“ (1922, S. 459) W UNDT versuchte, diese Hypothese an verschiedenen Sprachen zu belegen. Zwischen Sprache und Geist sieht er ein Wechselverhältnis, bei dem die Sprecher ihr Denken an das Medium der Sprache anpassen und damit einem - nur sehr diffus fassbaren - „Volksgeist“ entsprechen. In den USA kamen Ethnologen wie B OAS durch die Untersuchung von Indianersprachen zu einer ähnlichen Vermutung, dass nämlich Welterfahrungen nicht für alle Menschen gleich sind, sondern in verschiedenen Sprachgemeinschaften unterschiedlich verlaufen und versprachlicht werden. Ausgebaut wurde dies in Form der sog. Sapir- Whorf-Hypothese. Die B OAS -Schüler E DWARD S APIR (1884-1939) und B ENJAMIN W HORF (1897-1941) betonten die Abhängigkeit des Denkens und Wissens von der Muttersprache. Bei W HORF heißt es: „Man fand, daß das linguistische System (mit anderen Worten, die Grammatik jeder Sprache) nicht nur ein reproduktives Instrument zum Ausdruck von Gedanken ist, sondern vielmehr selbst die Gedanken formt, Schema und Anleitung für die geistige Aktivität des Individuums ist, für die Analyse seiner Eindrücke und für die Synthese dessen, was ihm an Vorstellungen zur Verfügung steht.“ 25 Erkenntnistheoretisch formuliert ist die Behauptung die, dass die Objektivität des Denkens, also die Fähigkeit aller Menschen, zu übereinstimmenden und objektiven Ergebnissen zu kommen, durch ihre jeweilige Sprache geprägt und dadurch eingeschränkt, relativiert wird. Auch die Erkenntnisse und die Maßeinheiten der Naturwissenschaften sind für W HORF sprachlich bestimmt und daher nicht allgemein und nicht objektiv. Als Beleg verwies er auf den Kontrast zwischen Strukturen europäischer Sprachen und denen des Hopi, einer Indianersprache. 26 Man vermutete, diese Sprache habe keine Tempora und sei von daher „zeitlos“. Einer späteren Überprüfung hielt das nicht stand. Auch eine andere, verbreitete Behauptung dieser Art ist inzwischen widerlegt: Es hieß, „die Eskimos“ hätten beeindruckend viele (um 100) Wörter für Schnee. Tatsächlich gibt es aber nicht eine, sondern viele Eskimosprachen, und die Menge der schneebezogenen Wörter ist in anderen Sprachen ähnlich groß. 27 An die Weltbildhypothese von W UNDT knüpfte in Deutschland L EO W EISGERBER (1899- 1985) an. Er glaubte, dass die Muttersprache eine „geistige Zwischenwelt“ schafft, die das Denken eines Volkes einheitlich prägt (und von diesem geprägt wird). Auf dieser Grundlage wurde Bilingualität, also die Zweisprachigkeit eines Menschen, allgemein als gefährlich beurteilt. Vielfach wurden die Überlegungen W EISGERBER s im nachfaschistischen Deutschland negativ und misstrauisch beurteilt. Eine Aufarbeitung fand erst später statt (s. exemplarisch E HLICH / M ENG 2004). K ONRAD E HLICH (2000, S. 5 f.) spricht bezüglich beider Hypothesen kritisch von „einer erkenntnistheoretisch einigermaßen naiven, neokantianisch beeinflussten Sprachontologie“. Wie könnte eine Theorie über das Verhältnis von Sprache und Denken aussehen, die nicht „naiv“ ist? Tatsächlich spielt die Sprache bei allen Menschen in der Verarbeitung der Wahrnehmungen und Erfahrungen, der Erinnerung und im Ablauf von Denkprozessen 25 Whorf (1988, S. 12). 26 Es handelt sich um eine nordamerikanische Sprache mit ca. 5.000 Sprechern in Arizona. Deutsche Übersetzungen der wichtigsten Werke von Sapir und Whorf liegen vor. 27 Eine größere Vielfalt von Bezeichnungen für Schnee hat z.B. das Lappische. <?page no="59"?> 58 Grundlagen: 3 Die Sprachwissenschaft: Arbeitsgebiete und Denkrichtungen eine wichtige Rolle. Auch beim Lernen einer fremden Sprache arbeiten wir mit der Erstsprache und beziehen alles auf unser primäres Sprachwissen. Begriffe einer anderen Sprache können leichter verstanden werden, wenn man in der eigenen Sprache ein entsprechendes Wort schon kennen gelernt hat. Die Sprache begrenzt aber nicht die Denkmöglichkeiten. Das „Fehlen“ eines Wortes in einer Sprache bedeutet keineswegs, dass deren Sprecher den Wortinhalt nicht erfassen können. Auf dem etwas schwierigeren Weg der Umschreibung lässt sich das Gemeinte verdeutlichen und verstehen. Selbst eine Sprache, die keine Zeitformen der Verben kennt, führt nicht dazu, dass ihre Sprecher kein Zeitgefühl hätten. 3.4.3 Neurolinguistische Beiträge zur Linguistik Im Folgenden sei noch ein kurzer Blick auf Untersuchungsinteressen, Methoden und Erkenntnisse der Neuro- und Psycholinguistik geworfen, zwei eng an Neurologie und Psychologie orientierte Forschungsrichtungen, für die die methodische Ausrichtung auf das Experiment kennzeichnend ist. Einen Überblick über die Forschungsgegenstände und Verfahren geben u.a. M ÜLLER (2013), H ÖHLE (2012) und I NGRAM (2007). Praktisch sind die Untersuchungen oft an die Klinische Linguistik angebunden (vgl. Kap. 18): Ein zentrales Interesse ist die Erfassung von Hirntätigkeiten, die mit Sprache und sprachlichen Fähigkeiten verbunden sind. Als Methoden kommen elektroenzephalographische Messungen, Magnet-Resonanzmessungen und sog. bildgebende Verfahren wie die Computertomographie und die Positronen-Emissions-Tomographie (PET) zum Einsatz. 28 Man weiß seit Längerem, dass bei Sprachproduktion und -wahrnehmung Aktivitäten auf beiden Gehirnseiten, den sog. Hirnhemisphären im Großhirn, stattfinden. Dabei lässt sich eine gewisse ‚Arbeitsteilung‘ feststellen: Wichtige sprachliche Tätigkeiten sind mit der linken Hirnhälfte verbunden. Andererseits geschieht die Erkennung prosodischer Strukturen - Satzmelodie, Intonation z.B. - offenbar in der rechten Hälfte. Jede Hirnseite scheint für unterschiedliche Aspekte der Wahrnehmung und Sprachproduktion zuständig zu sein, bei Verletzungen und Störungen kann aber die ausgefallene Fähigkeit mit Hilfe der anderen Seite (teilweise) ersetzt werden. Die Zuständigkeit einer Hirnhälfte, auch als Lateralisierung bezeichnet, ist also nicht absolut festgelegt, zudem unterscheiden sich die Hirnaktivitäten bei Menschen mit Rechts- und mit Linkshändigkeit. Interessant ist auch, dass man enge Zusammenhänge mit der Motorik der Hand festgestellt hat. Das wird im Hinblick auf die Evolution diskutiert (vgl. Kap. 15.4). Neurologische Untersuchungen beziehen sich oft auch auf die Phonetik. Mit der perzeptiven Phonetik hat sich eine eigenständige Teildisziplin entwickelt, die sich u.a. mit der Erkennung von Sprachlauten oder Melodieverläufen, mit der Wahrnehmung von Lautstärken und Tonhöhen befasst (vgl. Kap. 12). Ein großer Teil der Experimente kreist zudem um die Worterkennung. So zeigen sich z.B. in Experimenten mit Wörtern und „Pseudowörtern“ (sinnfreie Silbenzusammensetzungen) auffällige Abweichungen der Hirnaktivitäten nach rund 400 Millisekunden, die sich als verlängerte Suche im „mentalen Lexikon“ 29 interpretieren lassen. Man weiß auch, dass die Voraktivierung von Wissen, das sog. semantische Priming, die Worterkennung erleichtert: Ein Wort wie Katze wird leichter erkannt, wenn ihm Wörter wie Maus vorausgehen. 28 Eine gut verständliche Einführung in die sprachbezogene Hirnforschung geben Herrmann / Fiebach (2007); Kurzdarstellungen finden sich bei W ILDGEN (2008) im Anhang seines Buches sowie bei Schwarz (2008, S. 82 ff.). 29 Damit bezeichnet man die Wortspeicherung im Gedächtnis. <?page no="60"?> 3.5 Die pragmatische Ausrichtung der heutigen Linguistik 59 3.5 Die pragmatische Ausrichtung der heutigen Linguistik Abschließend soll noch kurz die wohl grundlegendste Veränderung der sprachwissenschaftlichen Denkrichtung, die Pragmatik, angesprochen werden, die eine Abkehr vom Strukturalismus vollzieht, der in einigen der oben angesprochenen Ansätze noch weiter existiert. Häufig wird von einer „pragmatischen Wende“ in den 1970er Jahren gesprochen. Ziele, Grundbegriffe und Erkenntnisse der pragmatischen Sprachtheorie werden in späteren Kapiteln (besonders Kap. 16 ff.) noch näher dargestellt. Ihre philosophischen Wurzeln liegen zum einen in der angloamerikanischen Sprechakttheorie; insbesondere im deutschsprachigen Raum wurden aber auch sprachpsychologische Ansätze wie der von K ARL B ÜHLER sowie die Tätigkeitstheorie aufgenommen, die im osteuropäischen, ehemals sowjetischen Raum entwickelt wurde und insbesondere mit den Arbeiten von V YGOTSKIJ und L EONT ’ EV verbunden ist. 30 Dabei hat auch die Soziologie, insbesondere die im US-amerikanischen Raum entwickelte Ethnomethodologie, einen bedeutenden Einfluss gehabt. Vorläufig soll hier nur als allgemeines Merkmal der Pragmatik festgehalten werden, dass sie Sprechen als soziales, kommunikatives Handeln begreift: Sprache kann nur aus der Interaktion zwischen einem Sprecher (Schreiber) und Hörer (Leser) verstanden werden; dies gilt auch für ihre kleinsten Einheiten (vgl. Kap. 16). Ausgewählte Aufgaben zu Kap. 3 (6 von 14) 3. Was bildet das folgende Beispiel ab? a) Jacob will morgen früh Fußball spielen. ein Syntagma ☐ ein Paradigma b) Jacob darf morgen früh Fußball spielen. muss soll will ein Syntagma ☐ ein Paradigma 5. Lesen und diskutieren Sie verschiedene der in Hoffmann (2010) unter der Überschrift „Sprachtheorien“ abgedruckten Grundlagentexte. Welche Fragestellungen werden in den Vordergrund gestellt, welchen Richtungen der Sprachwissenschaft sind sie zuzuordnen? 8. Was könnte in dem folgenden Satz aus einer Werbeanzeige an der Stelle der Variable „X“ stehen? „Dein Freund sieht aus, als könnte er noch X weiterfeiern.“ Machen Sie verschiedene Vorschläge. In welcher Beziehung stehen Ihre Vorschläge zueinander? 30 Die russischen Namen werden z.T. unterschiedlich verschriftet; es finden sich auch die Schreibweisen Wygotski und Leontjew. <?page no="61"?> 60 Grundlagen: 3 Die Sprachwissenschaft: Arbeitsgebiete und Denkrichtungen 9. Segmentieren Sie die folgende Äußerung, die als Intonationseinheit gesprochen wurde, in einzelne Wörter und Äußerungsabschnitte: ichwollteinglichwasfleischloseswasvegetarischesaberdastehnsovieleleutedeswegenglaubichess ichheutediegeschmortenausternpilzeweildasisauchvegetarisch 12. Die Regel zur Generierung von Sätzen wie „Ich gehe zu Aldi“ sieht eine Präpositionalphrase als Verbergänzung vor (VP -> V + PP, PP-> Präp + NP, NP -> N). Wie sähen die Regeln aus, wenn Lernende nur Sätze wie „Ich gehe Aldi“ produzieren? 13. Was bedeutet es, dass eine Grammatik „deskriptiv“ ist? Ausgewählte weiterführende Literatur Deutscher, Guy (2005) Du Jane, ich Goethe. Eine Geschichte der Sprache. Dt. Ausg. München: Reinbek; Kap.: „Fortwährender Wandel“ und „Die Kräfte der Zerstörung“ Duden ( 9 2016) Die Grammatik (Duden-Reihe, 4). Mannheim u.a.: Dudenverlag Hoffmann, Ludger (Hg.) ( 3 2010) Sprachtheorie. Ein Reader. Berlin: de Gruyter: siehe besonders das Vorwort Hoffmann, Ludger (2005) Universalgrammatik. In: Osnabrücker Beiträge zur Sprachtheorie (OBST) 69, S. 101-130 Höhle, Barbara (Hg.) ( 2 2012) Psycholinguistik. Berlin: de Gruyter Jäger, Ludwig (1993) “Language, what ever that may be.” In: Zeitschrift für Sprachwissenschaft 21/ 1, S. 77-106 Jäger, Ludwig (2010) Ferdinand de Saussure. Zur Einführung. Hamburg: Junius Jungen, Oliver / Lohnstein, Horst (2007) Geschichte der Grammatiktheorie: Von Dionysius Thrax bis Noam Chomsky. München: Fink Köller, Wilhelm (1988) Philosophie der Grammatik. Vom Sinn grammatischen Wissens. Stuttgart: Metzler Löbner, Sebastian ( 2 2015) Semantik. Eine Einführung. Berlin: de Gruyter Müller, Horst M. (2013) Psycholinguistik - Neurolinguistik. Paderborn: Fink UTB Weber, Ursula (2003) Kleine Geschichte der Sprachwissenschaft. Tübingen: Narr Wildgen, Wolfgang (2008) Kognitive Grammatik. Klassische Paradigmen und neue Perspektiven. Berlin: de Gruyter <?page no="62"?> 4 Sprachwissenschaftliche Methoden 4.1 Introspektion und Empirie Die Sprachwissenschaft arbeitet mit verschiedenen Forschungsmethoden und stützt sich dabei auf Daten, die sie wissenschaftlich auswertet. In diesem Kapitel werden einige Möglichkeiten des sprachwissenschaftlichen Zugangs kurz vorgestellt. Ausführlichere Darstellungen und Hilfe bei der eigenen Forschungsplanung geben R OTHSTEIN (2011), aus der Perspektive des Deutschen als Fremd- und Zweitsprache S ETTINIERI et al. (2014). Speziell den Fremdsprachenunterricht fokussiert D OFF (2012). Auf welche Art und Weise können Sprachdaten gewonnen werden? Der einfachste Zugang ist sicherlich, das eigene Sprachwissen zu reflektieren. Einen solchen Zugang bezeichnet man als „Introspektion“ (Innenschau). Ausgehend von der eigenen Sprachkompetenz lassen sich z.B. verschiedene Möglichkeiten des Satzbaus ausprobieren (Die Linguistin studiert den Satzbau. Den Satzbau studiert die Linguistin. *Linguistin die Satzbau den studiert.) und als grammatikalisch korrekt oder inkorrekt (*) bewerten. Introspektion ist Bestandteil jeder wissenschaftlichen Forschung. Als alleiniger Zugang der Sprachbeschreibung ist sie allerdings nicht hinreichend. Zum einen können viele sprachwissenschaftliche Fragen nicht durch Introspektion beantwortet werden, z.B. die, welches „r“ für die deutsche Standardsprache charakteristisch ist, ob sich die Sprache verschiedener sozialer Gruppen unterscheidet, welches Modalverb im Deutschen am häufigsten verwendet wird etc. Antworten ergeben sich erst durch den Einbezug einer Vielzahl von Sprachdaten verschiedener Sprecherinnen und Sprecher. Zum anderen ist das Sprachwissen eines Einzelnen stets lückenhaft und durch seine individuellen Spracherfahrungen geprägt. Ein Linguist, der eine Sprachbeschreibung allein auf seine eigene Sprachkompetenz gründet, läuft Gefahr, unzutreffende Beurteilungen vorzunehmen. Ein Abgleich des individuellen Wissens mit dem allgemeinen Sprachgebrauch ist notwendig. Ein Beispiel: Bei der Untersuchung mündlicher Sprache ausgehend von Gesprächsaufnahmen stellte man fest, dass Konjunktionen wie weil oder obwohl in der mündlichen Sprache meist mit Zweitstellung des Verbs auftreten (s. (Ts1) Nee, es ist überhaupt nicht gut. Weil da sitzen viel zu viel Leute drin). 1 Eine Befragung des eigenen Wissens hätte diese Konstruktion als „ungrammatikalisch“ klassifiziert, da die Grammatikschreibung von einer Verbendstellung in Nebensätzen ausgeht. 2 Erst der Blick auf zahlreiche authentische Daten gesprochener Sprache setzte neue Überlegungen in Gang. Dem grammatischen Phänomen liegt kein ‚Vergessen‘ der gelernten Regeln, sondern ein Bedürfnis der Sprecher zugrunde, das auf die besonderen Handlungsumstände von Mündlichkeit zurückgeht (s. Kap. 16). Neben dem Problem der Verallgemeinerbarkeit bringt ein introspektives Vorgehen ein weiteres Problem mit sich, nämlich das der Wahrnehmbarkeit bzw. Bewusstheit bestimmter sprachlicher Erscheinungen und Formen. So werden manche linguistische Phänomene (z.B. Hörerrückmeldungen durch hm) erst dann bemerkt, wenn man weiß, dass es sie gibt. Beide Probleme, Verallgemeinerbarkeit und Bewusstheit, sind nicht trivial, sondern stellen sich als grundsätzliche Forschungsprobleme auch bei alternativen Herangehensweisen, 1 „Verbzweitstellung“ bedeutet, dass das finite Verb als zweites Satzglied im Satz auftritt: da (Lokaladverbiale) sitzen … drin (Prädikat) viel zu viel Leute (Subjekt). Konjunktionen wie weil werden nicht als Satzglieder angesehen. 2 Bei Verbendstellung würde der Satz lauten: weil da viel zu viele Leute drin sitzen. <?page no="63"?> 62 Grundlagen: 4 Sprachwissenschaftliche Methoden die als empirische Methoden der introspektiven Sprachbetrachtung gegenübergestellt werden können. Empirie (von griech. empeiria) bedeutet „Erfahrung“. Bei einem empirischen sprachwissenschaftlichen Vorgehen nähert man sich dem Untersuchungsgegenstand ausgehend von Daten, die systematisch durch verschiedene Verfahren erhoben werden können. Grundsätzlich unterscheiden lassen sich hier als Herangehensweisen die Informantenbefragung, das Experiment, die Beobachtung und die Aufzeichnung und Auswertung authentischer Daten. Natürlich spielt Introspektion auch bei diesen Verfahren eine Rolle: In vielen Zusammenhängen ist es hilfreich, wenn Linguisten auf eigene Sprachkenntnisse zurückgreifen oder Sprecher einer Sprache zur Einschätzung von Formen oder Äußerungen befragt werden können. Die wissenschaftliche Untersuchung entscheidet sich oft für eine der methodischen Herangehensweisen. Manchmal werden aber auch mehrere methodische Verfahren auf einen Gegenstand angewendet und die Ergebnisse der verschiedenen Herangehensweisen zueinander in Beziehung gesetzt. Ein solches Vorgehen bezeichnet man als Triangulation. So kann z.B. einer (mündlichen oder schriftlichen) Spracherhebung in einer alltäglichen Umgebung eine Informantenbefragung vorausgehen. Ein gezieltes Interview mit den Sprechenden oder Schreibern kann folgen; auch können Untersuchungsergebnisse gegebenenfalls mit diesen besprochen und diese Gespräche als weitere Datenquelle genutzt werden. Da das Ergebnis einer solchen Forschung durch mehrere Verfahren abgesichert ist, gelten triangulatorische Verfahren als besonders wertvoll, sind aber entsprechend aufwendig in ihrer Durchführung. Möchte man, wie in Forschungen zum Spracherwerb, Aussagen über zeitliche Verläufe machen, bieten sich zwei Forschungsdesigns an. Zum einen kann die Methode der Längsschnittstudie (Langzeitstudie) gewählt werden. Bei einer solchen Herangehensweise begleitet man die Probanden, also die Versuchspersonen oder untersuchten Personen, über einen längeren Zeitraum, oft mehrere Jahre oder gar Jahrzehnte hinweg, wobei in bestimmten Abständen Daten erhoben werden. Eine andere Möglichkeit ist die Querschnittstudie. Dabei erhebt man zu einem bestimmten Zeitpunkt Sprachdaten in verschiedenen Altersgruppen und schließt dann auf einen zeitlichen Verlauf. Zwei große Studien zum Erwerb des Deutschen durch ausländische Arbeiter, das „Heidelberger Forschungsprojekt Pidgin- Deutsch“ und das Projekt „ZISA“ (Zweitspracherwerb italienischer und spanischer Arbeiter) (vgl. Kap. 18.1), waren beispielsweise als Querschnittstudien angelegt. An wissenschaftliche Forschung besteht der Anspruch, auch von anderen nachprüfbar zu sein. Dazu muss nachvollziehbar sein, wie die Ergebnisse gewonnen wurden. Auch das zugrundeliegende Datenmaterial selbst sollte daher - umfassend oder zumindest in Ausschnitten 3 - für eine Überprüfung und gegebenenfalls erneute Analyse zugänglich sein. So ist es wissenschaftlicher Standard, Ausschnitte aus den Daten (z.B. Fragebögen, Beispieltexte, Transkripte) zu veröffentlichen, die das Vorgehen belegen und die Argumentation nachvollziehbar werden lassen. 3 Nicht immer werden die in Projekten erhobenen Sprachdaten vollständig veröffentlicht. Oft erlaubt allein der Umfang der Materialien keine umfassende Publikation, schon wegen der Druckkosten und des Aufwands für die Aufbereitung der Daten. <?page no="64"?> 4.1 Introspektion und Empirie 63 4.1.1 Informantenbefragung und Experiment Die Befragung von Informanten bildet ein Vorgehen, das bei der Beschreibung oraler, d.h. rein mündlich vorkommender Sprachen insbesondere im 18./ 19. Jahrhundert häufig genutzt wurde. So geht die Beschreibung vieler Indianersprachen auf die Befragung von mehrsprachigen Personen zurück, die den Ethnologen oder Linguisten, die selbst nicht über entsprechende Sprachkenntnisse verfügten, über ihre Erstsprachen Auskunft gaben. 4 Häufige Verfahren der Informantenbefragung sind die (schriftliche) Fragebogen-Untersuchung und das (mündliche) Interview. In einer Befragung durch Fragebogen lassen sich, insbesondere in Zeiten des Internet, viele Probanden erreichen. Sie besitzt zudem den großen methodischen Vorteil einer Standardisierung, d.h. einer Vergleichbarkeit der gewonnenen Daten. Je nach Konstruktion der Fragen wird der Untersuchungsgegenstand unter Umständen allerdings auch sehr stark eingeschränkt. Grundsätzlich lassen sich verschiedene Fragetypen unterscheiden. Den am stärksten begrenzten Fragetyp bilden Multiple-choice-Fragen, die in ihrer Formulierung bereits eine bestimmte Sicht auf den Gegenstand bieten und mögliche Antworten vorgeben. Die so gewonnenen Ergebnisse sind daher nur eingeschränkt aussagekräftig. Eine Frage wie „Wie gut sprechen Sie Deutsch? “ mit den Antwortmöglichkeiten „muttersprachlich“, „fließend“, „weniger gut“, „nicht gut“, „schlecht“ gibt z.B. nur Auskunft über die Selbsteinschätzung der Befragten; sie sagt jedoch nichts darüber aus, inwieweit sie zutrifft. Problematisch sind auch die wertenden Kategorien, da darunter Unterschiedliches verstanden werden kann. So genannte „halboffene“ oder „offene“ Fragen, die selbst formulierte Antworten der Befragten zulassen, sind weniger stark in den Antwortmöglichkeiten eingeschränkt. Sie sind statistisch allerdings wesentlich schwerer auszuwerten. Als Beispiel für eine Fragebogenuntersuchung durch halboffene Fragen kann die umfangreiche Datenerhebung zu den deutschen Dialekten durch W ENKER herangezogen werden, die in den „Deutschen Sprachatlas“ mündete. Angeschrieben wurden die Schullehrer an zahlreichen Schulen im deutschen Sprachgebiet. Sie wurden um die Übertragung von 40 Beispielsätzen in den Ortsdialekt gebeten, wobei gegebenenfalls bei den Schülern nachzufragen sei. Die Sätze, unter ihnen z.B. „Der gute alte Mann ist mit dem Pferd(e) auf dem Eis eingebrochen und in das kalte Wasser gefallen“ (Wenkersatz Nr. 4) waren aufgrund ihrer Lautstruktur ausgewählt worden. 5 Da die schriftliche Übertragung der dialektalen Lautung ein methodisches Problem bildete, wurden die erhobenen Daten in Folgeuntersuchungen gezielt um Tonaufnahmen ergänzt. 6 In Fragebogenuntersuchungen finden sich auch oft offene Fragen, z.B., wenn die Befragten zu Kommentaren aufgefordert werden. Charakteristisch sind offene Fragen für den Untersuchungstyp Interview. So stellte W ILLIAM L ABOV in einer berühmten Untersuchung zum afroamerikanischen Englisch beispielsweise die Eingangsfrage „Waren Sie schon einmal in Todesgefahr? “ und forderte so zu Erzählungen auf, die er anschließend strukturell 4 Manchmal handelte es sich dabei allerdings nur um ein oder zwei Personen, die über keine linguistischen Kenntnisse verfügten. Entsprechend haben sich einige der Sprachbeschreibungen im Nachhinein z.T. als unzutreffend erwiesen, so etwa die der „sprachlichen Relativitätstheorie“ zugrundeliegenden Beschreibungen des Hopi als „zeitloser“ Sprache durch Whorf (vgl. Kap. 3.4.2). 5 Die verschiedenen Sätze und Beispiele für beantwortete Fragebögen sind über das REDE-Portal zugänglich (s. Internet-Einstiege); das Vorgängerprojekt „Digitaler Wenker-Atlas“ wurde in die Plattform integriert. 6 Die Tonbeispiele der verschiedenen Wenker-Sätze in ihrer jeweils dialektalen Umsetzung wurden mittlerweile digitalisiert und können über das REDE-Portal heutzutage geographisch punktgenau von Karten abgerufen werden ( ). <?page no="65"?> 64 Grundlagen: 4 Sprachwissenschaftliche Methoden untersuchte. Ein Interview, das spezifisch darauf abzielt, die zu untersuchenden Personen zu längeren Ausführungen und Erzählungen zu bewegen, wird als „narratives Interview“ bezeichnet. Die Interviewenden gehen dabei auf die Äußerungen ihrer Gesprächspartner flexibel ein. Nachfragen sind möglich, thematische Abschweifungen erlaubt, das Gespräch soll so „natürlich“ 7 wie möglich verlaufen. Ist für das Interview hingegen die „Abarbeitung“ einer Liste zu stellender Fragen vorgesehen, spricht man von einem „strukturierten Interview“. Häufig findet sich als Mischform auch das „halbstrukturierte Interview“, das eine situationssensitive Gesprächsführung bei gleichzeitiger Ausrichtung an einem Fraugenkatalog zulässt, wobei die Fragen nicht notwendigerweise in einer bestimmten Reihenfolge angesprochen werden müssen. Das Hervorrufen sprachlicher Daten durch Aufforderungen oder Fragen der untersuchenden Linguisten bezeichnet man als Elizitierung. Die Elizitierung sprachlicher Daten ist nicht immer leicht. Auch unterliegen elizitierte Daten einer gewissen Einschränkung: Sie werden von den Untersuchten zwar spontan geäußert, es bleibt aber offen, ob das betreffende Phänomen auch ohne Elizitierung im normalen Alltag so produziert werden würde. Gerade im Zusammenhang der Untersuchung von Dialekten oder anderen Varietäten stellt sich als weiteres Problem der Einfluss, den die sprachwissenschaftlichen Interviewer durch ihre eigene Sprechweise unwillentlich auf die Informanten ausüben: Ein nicht dialektkundiger Linguist wird in Interviews nur schwerlich basisdialektale Sprechweisen erheben können. Auch das sprachwissenschaftliche Experiment ist als Verfahren durch die Elizitierung von Daten gekennzeichnet. Im Experiment werden Versuchspersonen mit Aufgaben oder Situationen konfrontiert, die sie bewältigen müssen. Zum Teil werden dabei ihre sprachlichen Äußerungen aufgezeichnet, zum Teil geht es aber auch um Reaktionszeiten, Augenbewegungen (z.B. beim Lesen) oder neuronale Vorgänge, die apparativ erfasst und gemessen werden (s. Kap. 3.4.3). Für bestimmte linguistische Fragestellungen ist ein experimentelles Vorgehen unumgänglich. Ein großer Vorteil des Experiments ist die Vergleichbarkeit des so gewonnenen Materials. Indem man z.B. untersucht, wie verschiedene Probanden unterschiedlicher Herkunftssprachen die Aufgabe lösen, eine Bildgeschichte oder ein Video nachzuerzählen, lassen sich sprachkontrastiv Einblicke in die Sprachproduktion oder erwerbsbezogene Phänomene gewinnen. 8 Entsprechende Aufgabenstellungen können auf die Erhebung mündlicher oder schriftlicher Sprachdaten abzielen. 4.1.2 Sammlung und Erhebung authentischer Sprachdaten Ein grundsätzlich anderer Zugang zum Gegenstand besteht darin, ihn in seinem „natürlichen Umfeld“, d.h. in seinem nicht durch die Forschenden hervorgerufenen Auftreten zu untersuchen. Im Unterschied zu elizitierten Daten spricht man dann von „authentischen“ Sprachdaten. Bei authentischen Sprachdaten handelt es sich um Daten, die direkt dem sprachlichen Alltag entnommen werden. 9 Dies können schriftliche Texte sein, wie sie z.B. in Zeitungen oder Büchern aufzufinden sind (s. Kap. 4.3.1), es kann sich um mediale Kommunikationsformen wie Werbefilme handeln oder aber um Gespräche im familiären oder 7 Zur Diskussion um „Natürlichkeit“ s. Kap. 4.1.2. 8 Bekannte Beispiele, die von verschiedenen Forschern genutzt werden, sind die „frog story“, eine Bilderbuchgeschichte, und der „Pear story“-Film (Chafe 1980). Zu einem entsprechenden Vorgehen in der Gestikforschung am Beispiel von „Tweety und Sylvester“-Cartoons s. die Arbeiten von McNeill u.a. 9 Der Begriff „authentisch“ entspricht hier also nicht der z.T. in fremdsprachendidaktischen Diskussionen feststellbaren Verwendung des Ausdrucks als „von Muttersprachlern produziert“. Auch sind nicht alle „echten“, „spontan gesagten“ Äußerungen in diesem Verständnis „authentisch“. <?page no="66"?> 4.1 Introspektion und Empirie 65 beruflichen Umfeld, die mitgeschnitten werden. Authentische Gespräche sind für die Linguistik besonders interessant, gleichzeitig aber am schwierigsten zu erheben. Sind die Forschenden selbst in den Situationen anwesend, die von ihnen durch eine Ton- oder Videoaufzeichnung erfasst werden, bezeichnet man das als teilnehmende Beobachtung. Viele der gegenwärtigen linguistischen Forschungen, u.a. die Untersuchung von Unterrichtskommunikation, sind durch teilnehmende Beobachtung gekennzeichnet. Umfangreichere Formen der teilnehmenden Beobachtung liegen vor, wenn die Forschenden längere Zeit in der zu untersuchenden Sprachgemeinschaft verbringen oder zeitweilig mit den untersuchten Personen zusammenleben. Man bezeichnet diese Art von Forschung als Feldforschung. Besonders häufig wird dieses Verfahren in linguistisch-ethnologischen Forschungszusammenhängen verwendet, so bereits bei B OAS (vgl. Kap. 3). Die Kontaktaufnahme mit den zu untersuchenden Personen, d.h. der Feldzugang, gestaltet sich je nach Untersuchungsbereich als mehr oder weniger schwer, da der Einblick in sprachliche Gewohnheiten oft Vertrautheit voraussetzt. Bereits zu Zeiten der Junggrammatiker war Feldforschung in der Dialektologie üblich. Zum Teil mieteten sich die Forschenden z.B. längere Zeit in einem Ort ein, um die lokalen Ortsgrammatiken aufzuzeichnen. Die entsprechende Technologie für Ton- oder gar Filmaufnahmen stand dabei jedoch noch nicht zur Verfügung. Man war daher auf die direkte oder nachträgliche Mitschrift angewiesen. Die nachträgliche Aufzeichnung eines Sprachereignisses bezeichnet man als „Erinnerungszitat“. Viele frühe Sprachforschungen, insbesondere auch zum Spracherwerb, sind auf Erinnerungszitate gestützt. Da keine Nachprüfbarkeit besteht, gelten Erinnerungszitate heutzutage nicht mehr als verlässliche Quellen; sie hängen von richtiger Wahrnehmung und vom Gedächtnis des einzelnen ab. Gleichwohl greift man auch heute manchmal noch auf Erinnerungszitate zurück, da die Aufnahmetechnik nicht in allen Momenten bereitsteht, in denen man sich eine Aufzeichnung wünscht. Man spricht dann von „quasiauthentischen“ Belegen. Diese können einen Ausgangspunkt für weitere Untersuchungen bilden, die dem betreffenden Phänomen empirisch nachgehen. Die Erfassung authentischer mündlicher Sprachdaten ist für viele sprachwissenschaftliche Fragen, etwa die, wie der Sprecherwechsel in Gesprächen verläuft, welche Funktionen sprachliche Variation erfüllt u.a., unumgänglich. Sie ist allerdings zeitaufwendig, da der Erhebung weitere Aufbereitungen folgen (s. Kap. 4.2). Dadurch ist die Anzahl der Personen, die erfasst werden, meist geringer als z.B. bei einer Fragebogenuntersuchung. In der Forschung wird hier von qualitativen Untersuchungsverfahren gesprochen, die auf eine hohe Probandenzahl zugunsten einer inhaltlich vertieften Gegenstandsanalyse verzichten. Den qualitativen Verfahren werden manchmal die quantitativen Verfahren gegenübergestellt. 10 Dies ist insofern nicht richtig, als auch qualitative Studien quantitative Auswertungen, z.B. von Worthäufigkeiten, Lautabweichungen etc. umfassen können. Die Frage der Repräsentativität der Daten, d.h. ihrer Verallgemeinerbarkeit und Aussagekraft, ist im Rahmen jeder sprachwissenschaftlichen Untersuchung zu stellen und in der Darstellung der Ergebnisse zu reflektieren (s. Kap. 4.3). 10 S. dazu auch Ehlich (1982) „Quantitativ“ oder „qualitativ“? Bemerkungen zur Methodologiediskussion in der Diskursanalyse. In: Köhle, Karl/ Raspe, Hans-Heinrich (Hgg.) Das Gespräch während der ärztlichen Visite. München: Urban & Schwarzenberg, S. 298-312. <?page no="67"?> 66 Grundlagen: 4 Sprachwissenschaftliche Methoden 4.2 Aufzeichnung und Verschriftlichung mündlicher Sprachdaten Während schriftliche Texte einer sprachwissenschaftlichen Beobachtung unmittelbar zugänglich sind, ist dies bei der mündlichen Kommunikation nicht der Fall. Vielmehr gehen der Untersuchung mündlicher Sprache ihre Aufzeichnung (Aufnahme auf Ton- oder Bild- Ton-Träger) und ihre Verschriftlichung voraus. Da zumeist nicht nur Einzelwörter und kurze Äußerungen, sondern oft längere Gespräche erfasst werden, ergeben sich verschiedene Arbeitsschritte, die z.T. mit methodischen Entscheidungen verbunden sind. 4.2.1 Aufzeichnung Bei der Erhebung mündlicher Sprachdaten stellt sich ein besonderes Problem, das unter dem Stichwort „Natürlichkeit von Sprachdaten“ diskutiert und in der Linguistik seit W ILLLIAM L ABOV als „Beobachterparadox“ bezeichnet wird. L ABOV selbst beschreibt das Paradox folgendermaßen: „Ziel der sprachwissenschaftlichen Erforschung der Gemeinschaft muss sein, herauszufinden, wie Menschen sprechen, wenn sie nicht systematisch beobachtet werden; wir können die notwendigen Daten jedoch nur durch systematische Beobachtung erhalten.“ (1972, S. 147) Für die Untersuchung sprachlichen Handelns spielt es also eine zentrale Rolle, ob und inwieweit die Beobachtung die zu beobachtende Kommunikation mitbestimmt, d.h. ob sich die Beteiligten „anders als sonst“ verhalten. Die teilnehmende Beobachtung hat den Vorteil, dass der anwesende Forscher sich im Nachhinein an bestimmte Ereignisse während der Aufnahme erinnern und Äußerungen, die in Gesprächen fallen, oft besser deuten kann als jemand, der nicht anwesend war (z.B. Äußerungen wie „Stellst‘ des mal hin? “). Da seine eigene Sprechweise aber die Sprachwahl der Aufnahmesituation beeinflussen kann, arbeitet man in der Dialektologie und Regionalsprachenforschung z.T. auch mit Gesprächsaufnahmen, die ohne Anwesenheit der Forschenden durchgeführt wurden (vgl. S CHMIDT / H ERRGEN 2014, S. 379 f.). Das Bewusstsein, „beobachtet zu werden“, kann im Verlauf eines Gesprächs in den Hintergrund treten. Das Problem ist aber grundsätzlich vorhanden; manchmal wird auf die Ausnahmesituation auch durch entsprechende Bemerkungen der Beteiligten Bezug genommen. Das Beobachterparadox tritt insbesondere bei einer offenen Aufnahme deutlich hervor, bei der die Beteiligten um den Mitschnitt wissen. Eine verdeckte Aufnahme (Aufnahme ohne Wissen der Betroffenen) kann das Problem verringern, ist jedoch ethisch und rechtlich problematisch. So ist es notwendig, bei Sprachaufnahmen im Vor- oder Nachhinein die Zustimmung der Beteiligten einzuholen und die Daten andernfalls zu löschen. 11 Zudem werden die Gesprächsdaten aus Datenschutzgründen üblicherweise anonymisiert (so auch bei uns): Namen von Personen, Orten etc. werden in Transkripten durch ähnlich klingende Namen mit gleicher Silbenzahl (z.B. Meier durch Müller) oder durch Platzhalter (z.B. STRASSE, STADT) ersetzt. In Tonaufnahmen werden persönliche Angaben ggf. durch einen Ton überblendet. Eine im Blick auf die Datenaufzeichnung wichtige Frage betrifft die Aufnahmetechnik. In sprachwissenschaftlichen Untersuchungen werden soweit möglich 12 Geräte und Mikrophone genutzt, die eine hohe Qualität der Klangaufzeichnung ermöglichen. Sprachaufnahmen „in der freien Wildbahn“ sind aufgrund der üblichen Nebengeräusche in der 11 Vorschläge zur Formulierung von Einverständniserklärungen finden sich im Gesprächsanalytischen Informationssystem (GAIS, s. Internet-Einstiege). 12 Hier spielt natürlich die finanzielle Frage der Forschungsförderung eine große Rolle. <?page no="68"?> 4.2 Aufzeichnung und Verschriftlichung mündlicher Sprachdaten 67 Lebensumwelt aber zumeist von wesentlich schlechterer Tonqualität als Radio- oder Fernsehaufzeichnungen. Eine entscheidende Rolle spielen in diesem Zusammenhang auch die Raum- und Gruppengröße. Bei der Untersuchung von Sprache in größeren Gruppen, z.B. einem Klassenzimmer, müssen u.U. mehrere Geräte verwendet werden. 13 Die Qualitätsanforderungen sind zudem abhängig von den jeweiligen Untersuchungszielen. Besondere Erhebungsprobleme ergeben sich, wenn auch gestisch-mimische Anteile einer Interaktion erfasst werden sollen. Hier stellen sich u.a. die Fragen, mit wie vielen Kameras zu arbeiten ist und welche Personen jeweils aus welcher Entfernung und welchem Blickwinkel im Bild erfasst werden. Die im Rahmen von Mitschnitten erhobenen Sprachdaten werden meist nicht gänzlich ausgewertet, da der Arbeitsaufwand einer detaillierten linguistischen Verschriftlichung erheblich ist (s. Kap. 4.2.2). Als zweiter Schritt erfolgt daher zunächst die Erstellung einer überblicksartigen Verlaufsübersicht über den Inhalt der Aufnahmen und die exemplarische Auswahl von Gesprächen oder Teilausschnitten, die einer Transkription und anschließenden Auswertung unterzogen werden. 4.2.2 Transkription mündlicher Sprachdaten Die Verschriftlichung mündlicher audio-visueller Sprachdaten wird als „Transkription“ (Umschrift, von lat. trans - hinüber, scribere - schreiben) bezeichnet. Das weitere Wortfeld umfasst: - transkribieren (Tätigkeit) - der / die Transkribent/ in - das Transkript Als wissenschaftliche Methode lässt sich „transkribieren“ im weitesten Sinne mit „aufschreiben, was man wahrnimmt“ übersetzen. Eine „Transkription“ ist also eine Verschriftlichung sinnlich wahrgenommener Momente. Neben verschiedenen sprachlichen Einheiten werden bei vielen Transkriptionen auch Pausen, Geräusche und Nichtsprachliches wie Lachen, Niesen etc. festgehalten. Für die Analyse sind solche Phänomene interessant, weil sie zum Beispiel Planungsprozesse der Sprecher widerspiegeln (Abbrüche, Pausen), auf soziale Gegebenheiten Bezug nehmen (Wer spricht wann? ), selbst kommunikativ sein können (z.B. Lachen) oder als Bezugspunkte kommunikativ aufgegriffen werden können (Gesundheit! ). Für unterschiedliche Untersuchungszwecke und mit unterschiedlichem Forschungshintergrund sind in der Linguistik verschiedene Transkriptionsverfahren (Transkriptionssysteme) entwickelt worden. Transkriptionsverfahren sind kodifizierte Systeme von Notationsmöglichkeiten, die dem Forscher zur Verschriftlichung zur Verfügung stehen. 14 Die Wahl des Transkriptionsverfahrens ist abhängig von Gegenstand und Fragestellung der sprachwissenschaftlichen Untersuchung. So lassen sich Transkriptionsverfahren in zwei Typen unterteilen, die für unterschiedliche Zwecke entwickelt worden sind: - diskursorientierte Verfahren, die auf eine phonetische Umschrift verzichten und mit der „normalen“ Orthographie arbeiten - phonetisch orientierte Verfahren, die versuchen, Momente der Artikulation so genau wie möglich zu erfassen 13 S. z.B. Redder (1982) zum Projekt „Kommunikation in der Schule“ (KidS). 14 Alphabet- und Silbenschriften sind Transkriptionsverfahren, die gesamtgesellschaftlich verbreitet sind. <?page no="69"?> 68 Grundlagen: 4 Sprachwissenschaftliche Methoden Bei der Wahl eines Transkriptionsverfahrens sind unter anderem die - sich widersprechenden - Prinzipien „Genauigkeit der Wiedergabe“ und „leichte Lesbarkeit“ zu berücksichtigen. Ein eigenes Feld bildet die Frage der Transkription von visuellen Daten. Hier sind verschiedene Transkriptionsverfahren in Gebrauch, die von kurzen kategorialen Erfassungen bis hin zu abbildenden Verfahren reichen. Gerade bei der Transkription umfangreicherer Daten greift man heutzutage häufig auf einen Transkriptionseditor zurück, der die Transkriptionsarbeit erleichtert, indem ein Vor- und Zurück„spulen“ von Audio- oder Videodaten bei gleichzeitigem Schreiben ermöglicht wird. Ein sehr bekannter Editor ist das von einem Entwicklerteam um T HOMAS S CHMIDT erarbeitete Verbundsystem EXMARaLDA, das neben einem Transkriptions- und Annotationseditor weitere Analysewerkzeuge umfasst. 4.2.3 Diskursorientierte Transkriptionsverfahren Die Verschriftlichung der Sprachdaten stellt einen zentralen Arbeitsschritt der linguistischen Diskursforschung dar. Sie ist nicht nur ein notwendiger Schritt, um den Untersuchungsgegenstand gesprochene Sprache zu erfassen, sondern bereits Bestandteil der Analyse. Für den Transkribenten stellt sich oft die Frage, wie man „ein gehörtes Etwas“ aufschreiben soll. Zu den derzeit gebräuchlichsten diskursorientierten Transkriptionsverfahren 15 gehören: - das Verfahren der Halbinterpretativen Arbeitstranskription (HIAT), - das System DIDA (Diskurs-Datenbank), das am IDS verwendet wird, - das im Rahmen ethnomethodologischer Arbeiten verwendete Verfahren CATS (Conversational Analysis Transcription System) bzw. - im deutschsprachigen Raum das Verfahren der Gesprächsanalytischen Transkription (GAT), das an CATS anknüpft, - das Verfahren CHAT (Codes for Human Analysis of Transcripts), das u.a. im Rahmen der Erstspracherwerbsforschung verwendet wird. Gemeinsame Grundprinzipien und Unterschiede diskursorientierter Transkriptionen betreffen: a) das Prinzip der literarischen Umschrift Bei der Verschriftlichung mündlicher Kommunikation verwenden alle diskursorientierten Verfahren das Prinzip der literarischen Umschrift. „Literarische Umschrift“ bedeutet, dass im Rahmen der Transkription die Orthographie des Deutschen weitgehend beibehalten wird. Abweichungen in der Aussprache werden allerdings mit notiert, z.B. „Ham Se ma n Moment Zeit? “ statt „Haben Sie mal einen Moment Zeit? “ In einigen diskursorientierten Transkriptionen wird dabei auch auf Groß- und Kleinschreibung und auf die Verwendung von Satzzeichen verzichtet; bei anderen werden dagegen die üblichen Satzzeichen der deutschen Schriftsprache verwendet. Notationen „ohne Punkt und Komma“ sind häufig verbunden mit phonetisch-intonatorischen Fragestellungen und einer Transkription der Äußerungsintonation. Bei durchgängiger Kleinschreibung dient die Schreibung von Äußerungsteilen in Großbuchstaben oft der Kennzeichnung ihrer Akzentuierung. b) zeilenweise Schreibung versus Partiturschreibung Ein gleichzeitiges Reden der Gesprächsbeteiligten ist in mündlicher Kommunikation häufig. Einige Transkriptionssysteme verwenden Zeilenschreibung und sehen zur Kennzeichnung von Gleichzeitigkeit und verschiedenen Übergängen Sonderzeichen 15 Vgl. für eine Übersicht Redder (2001). <?page no="70"?> 4.2 Aufzeichnung und Verschriftlichung mündlicher Sprachdaten 69 vor (z.B. „=“ für „schneller Anschluss“). Andere Transkriptionssysteme verwenden statt dessen das Verfahren der Partiturschreibung, das die Gleichzeitigkeit von Äußerungen durchgehend graphisch abbildet (s.u.). c) Sonderzeichen für Phänomene mündlicher Kommunikation In allen diskursorientierten Transkriptionsverfahren werden standardisierte Zeichen für charakteristische Phänomene wie Pause, Abbruch, Unverständliches etc. verwendet, die zum Teil sehr ähnlich sind. Manchmal erfordert eine spezielle Untersuchungsfrage auch die Einführung eines eigenen, neuen Zeichens. Der Wiedergabe von Transkripten in Monographien oder Aufsätzen wird daher oft eine Übersicht über die verwendeten Transkriptionssymbole vorangestellt. Am Beispiel der Halbinterpretativen Arbeitstranskription (HIAT) 16 , einem in der Angewandten Linguistik häufig verwendeten Transkriptionsverfahren, werden im Folgenden einige Transkriptionszeichen und -weisen vorgestellt, die zugleich einen ersten Einblick in den Gegenstandsbereich „mündliche Kommunikation“ geben. Die Bezeichnung „halbinterpretativ“ nimmt auf die in jeder Transkription vorhandene Filterung der Daten durch den Transkribenten Bezug. Bei der Halbinterpretativen Arbeitstranskription werden die üblichen Satzzeichen der deutschen Schriftsprache beibehalten. Da das Verfahren dem Prinzip der leichten Lesbarkeit folgt, kommt man mit relativ wenigen Sonderzeichen aus. Andere Verfahren lassen sich von dieser Basis aus leicht aneignen. Die Gesprächsausschnitte (Ts1) „Sprachenlernen“, (Ts2) „SZ-Verkäufer“, (Ts3) „Hausarbeit abholen“ und (Ts4) „Film“ vermitteln Höreindrücke authentischer mündlicher Kommunikation. Abb. 1 zeigt ein Beispiel für einen nach HIAT transkribierten Gesprächsausschnitt. Abb. 1: Nach HIAT transkribierter Transkriptausschnitt (aus (Ts1) „Sprachenlernen“) ┌───────────────────────────────────────────────── │C [ Aber ich hab ja jetzt/ im letzten Semester hab ich 1 └──────────────────────────────────────────────────────── ┌───────────────────────────────────────────────── │C [ diesen ersten Spanischkurs für Nicht-Hispanisten 2 └──────────────────────────────────────────────────────── ┌───────────────────────────────────────────────── │ >┌ \/ │A └ hmhm (Der) ist lustig. ((lacht)) │C ┌ / _1gemacht. 1_/ Und das war der völlige Absturz. │ └ / _1lachend │D ┌ % │ └ % = zieht lachend Luft ein 3 └─────────────────────────────────────────────────────── Das Grundprinzip der Notation in HIAT ist die Partiturschreibung, die Notationsweisen der Musik aufgreift: In der Transkription erhält jeder Sprecher eine oder mehrere Zeilen, in denen notiert wird, was er sagt bzw. tut. Die Gleichzeitigkeit von Phänomenen wird innerhalb der Partiturklammer graphisch abgebildet. Wie in Musikpartituren werden aus Platzgründen Zeilen für Sprecher weggelassen, wenn sie in dieser Zeit keinen „Einsatz“ haben. 16 Einführend s. Ehlich / Rehbein (1976), ausführlicher Ehlich (1993), Ehlich / Rehbein (1979a). <?page no="71"?> 70 Grundlagen: 4 Sprachwissenschaftliche Methoden Pro Sprecher werden u.U. mehrere Transkriptionszeilen genutzt. Das eigentlich Gesprochene wird für jeden Sprecher in der so genannten „Verbalzeile“ notiert. Starke Betonung eines Wortes wird durch Unterstreichung erfasst. In einer so genannten „Intonationszeile“ (im obigen Transkript durch „>“ gekennzeichnet) werden Angaben zu prosodischen Phänomenen notiert. Hörvermutungen werden in einfache Klammern gesetzt, z.B. (Der) ist lustig. Für Nicht Verstandenes wird ein der Äußerungslänge entsprechender Leerraum eingeklammert. Geräusche werden in Doppelklammern notiert, z.B. ((lacht)). Phänomene, die sich über einen längeren Zeitraum erstrecken, werden in der Verbalzeile durch Klammerung mittels / _ _/ angezeigt und in einer Kommentarzeile oder am Transkriptrand erklärt. Die Klammern werden bei Bedarf nummeriert. Das Zeichen % wird benutzt, um ein sehr kurzes, punktuelles Phänomen zu notieren, das außerhalb der Verbalzeile erläutert wird. Verzögerungen, Abbrüche und Pausen kommen in gesprochener Sprache sehr häufig vor (s. Kap. 16). Um das „Langziehen“ eines Lautes zu kennzeichnen, verwendet man in HIAT entweder Mehrfachschreibung (z.B. sooo) oder man setzt Doppelpunkte hinter dem betreffenden Laut (z.B. so: : ). 17 Abbrüche und Brüche in der Äußerungskonstruktion werden durch das Zeichen/ erfasst (z.B. Aber ich hab ja jetzt / im letzten Semester hab ich diesen ersten Spanischkurs für Nicht-Hispanisten gemacht). Pausen innerhalb von oder zwischen Äußerungen werden durch Punkte verschriftlicht. Ein Punkt entspricht einer kurzen Pause (einem „beat“), mehrere Punkte zeigen eine längere Pause an. 18 Längere Pausen werden in Sekunden angegeben (z.B. ((6s))). Die Genauigkeit von Transkripten wird für diskursorientierte Transkriptionen oft als Relation angegeben (Transkriptionsrelation). Man findet hier Angaben wie 1: 30, 1: 60 oder 1: 600. Die Angaben bedeuten, dass pro Minute gesprochener Sprache 30, 60 oder (z.B. bei der Erfassung gestischer und prosodischer Daten) sogar 600 Minuten Transkriptionszeit aufgewendet wurden. Je nach Umfang der Transkription unterscheidet man zwischen „einfachen“ und „erweiterten Transkriptionen“. Erweiterte Transkriptionen sind umfangreicher und erfassen z.B. auch die phonetische Umsetzung oder das gestische Handeln im Detail. 4.2.4 Phonetisch orientierte Transkriptionsverfahren In einem phonetisch orientierten Verfahren wird die Lautgestalt des Gehörten erfasst. Phonetische Transkriptionen sind daher mit einem sehr hohen Zeitaufwand verbunden. Ein häufig verwendetes Verfahren für phonetisch orientierte Transkriptionen ist das Internationale Phonetische Alphabet (IPA); es wird in Kap. 12 dargestellt. Ein Vergleich von (B1) und (B2) macht deutlich, welche Informationen durch literarische Umschrift verloren gehen, die durch phonetische Notation erfasst werden können. (B2), ein Auszug aus den Daten des „Heidelberger Forschungsprojekts Pidgin-Deutsch (HPD)“, zeigt zugleich, dass neben IPA in der Linguistik z.T. auch andere Verfahren der phonetischen Verschriftlichung Einsatz finden. 17 Diese Notation entspricht der Notation von Länge im Internationalen Phonetischen Alphabet (IPA). 18 In neueren Transkriptionen wird das Zeichen „fetter Punkt“ verwendet, um Pausen zu notieren. <?page no="72"?> 4.3 Korpora des Deutschen 71 B1 Literarische Transkription von Lernersprache Heute viel . Kollega . kurzarbeiten, nich arbeiten, spazieren, Arbeitsamt bezahle, Arbeitsamt, achtnzwansi Mark und vierzig Pfenni. Du guck amol, eine . eine . Kollega . vielleicht zwei Kinder Deutschland, . o(der) . nich Kinda, achtnzwanzig Mark bezahle eine Tag. Miete bezahle, Strom bezahle, Wasser bezahle, Vespa bezahle, wo Geld? Egal, . Kollega, egal. B2 Phonetische Transkription von Lernersprache (HPD 1977, S. 27) 19 Je nach Reichweite der Verschriftlichung mündlicher Sprache wird in der phonetischen Forschung zwischen „breiten“ und „engen“ phonetischen Transkriptionen unterschieden. Eine breite phonetische Transkription ist an den Phonemen der betreffenden Sprache orientiert (s. Kap. 13). Notiert werden lediglich diejenigen Eigenschaften der Aussprache, denen bedeutungsdifferenzierende Qualität zugesprochen wird. Zudem wird eine Segmentierung des Lautstroms durch Spatien (Leerzeichen) sowie durch Interpunktion vorgenommen, die über die wahrnehmbaren Eigenschaften des Gesprochenen hinausgeht. B3 zeigt eine breite Transkription des Textes „Nordwind und Sonne“, der als Beispieltext im Handbuch der International Phonetic Association verwendet wird. B3 breite phonetische Transkription (Kohler 1999, S. 88) Bei einer engen phonetischen Transkription werden hingegen wesentlich mehr Eigenschaften der sprachlichen Äußerung notiert (s. B4). Erfasst werden u.a. die Realisierung von Knacklauten , Entstimmlichungen und Länge. Die Verwendung von Spatien als Lesehilfe entfällt. B4 enge phonetische Transkription (Pompino-Marschall 2009, S. 268) ͜ ͜ ͜ ͜ ͜ ͜ ͜ ͜ ͜ Will man die Aussprache von Deutschlernenden näher untersuchen, ist eine sehr enge Notation notwendig, in der z.T. noch weitere Merkmale, etwa die vor- und rückverlagerte oder entrundete Umsetzung eines Lautes zu erfassen sind. 4.3 Korpora des Deutschen Ein „Korpus“ (Neutrum, Pl.: Korpora) ist eine systematisch aufgebaute Sammlung schriftlicher oder mündlicher Daten. Die Frage, wie sich der untersuchte Ausschnitt zur Grundgesamtheit aller Sprachdaten dieses Typs verhält, wird unter dem Stichwort „Repräsentativität“ diskutiert. Idealiter 19 Das Zeichen <c> steht hier für einen reduzierten Vokal (Schwa-Laut), der sich im Deutschen in unbetonten Nebensilben findet (s. Kap. 12 f.). <?page no="73"?> 72 Grundlagen: 4 Sprachwissenschaftliche Methoden sollte ein Korpus repräsentativ, d.h. das verkleinerte Abbild der Grundgesamtheit sein. So wäre es beispielsweise unzulässig, eine Beschreibung der deutschen Aussprache allein auf eine Untersuchung von 20-30-jährigen Sprechern zu stützen, die in München leben. Zwar dürfte eine solche Untersuchung durchaus interessante Ergebnisse erbringen (z.B. mit Blick auf Mehrsprachigkeit in der Stadtregion) und könnte zur Beantwortung der Frage nach Aussprachestandards im Deutschen beitragen. Hinsichtlich der Verallgemeinerbarkeit muss jedoch die Frage gestellt werden, ob die Untersuchung von anderen Altersgruppen und in anderen Regionen dieselben Ergebnisse erbringen würde. Korpora sind grundsätzlich und aus forschungspraktischen Gründen begrenzt und können den Untersuchungsbereich „Sprache“ niemals vollständig abbilden. So können für eine synchrone Sprachbeschreibung des Deutschen nicht alle mündlichen und schriftlichen Äußerungen seiner gegenwärtigen Sprecher herangezogen werden; auch kann eine diachrone germanistische Beschreibung sich nicht auf alle auf Deutsch verfassten Texte der letzten Jahrhunderte stützen. Untersucht werden können lediglich Ausschnitte - diese sind mittlerweile aber schon sehr umfangreich und umfassen Tausende von Texten und Tonaufnahmen. Eine Übersicht über nationale und internationale Korpusarchive zum Deutschen geben L EMNITZER / Z INSMEISTER (2006) sowie K ALLMEYER / Z IFONUN (2007). Die umfangreichste Sammlung von Korpora zum gesprochenen und geschriebenen Deutsch verwaltet das Leibniz-Institut für Deutsche Sprache (IDS) in Mannheim. 4.3.1 Korpora geschriebener Sprache Zum geschriebenen Deutschen gibt es mittlerweile viele digitalisierte Korpora, die elektronisch ausgewertet werden können. Ein sehr großes Korpus zum geschriebenen Deutschen ist das Deutsche Referenzkorpus (DeReKo), das am IDS verwaltet wird. Das IDS begann Mitte der 1960er Jahre mit dem Aufbau elektronischer Korpora. Das Deutsche Referenzkorpus gilt mit über 29 Milliarden erfasster Wörter als die weltweit größte Datensammlung, die als empirische Basis zur linguistischen Erforschung des Deutschen der Gegenwart und neueren Vergangenheit herangezogen wird. Es enthält belletristische, wissenschaftliche und populärwissenschaftliche Texte sowie verschiedene weitere Textarten und umfasst mehrere Einzelkorpora (u.a. das Bonner Zeitungskorpus, Mannheimer Korpus und das „Wendekorpus“ des Projekts „Gesamtdeutsche Korpusinitiative“ in Zusammenarbeit mit dem Zentralinstitut für Sprachwissenschaft (ehem. DDR)). Zudem ist das Deutsche Referenzkorpus vollständig morphosyntaktisch annotiert (vgl. Kap. 4.4). Das Schweizer Textkorpus der Universität Basel dokumentiert deutschsprachige Texte aus der Schweiz des 20. Jh. und umfasst rund 20 Millionen Textwörter 20 ; dort befindet sich auch ein internationales Korpus mit deutschsprachigen Texten des 20. Jh. aus Deutschland, Österreich, Südtirol und der Schweiz. Das Austrian Academy Corpus der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) bietet eine umfangreiche Sammlung von digitalen Volltexten zur deutschen Sprache und Literatur im Untersuchungszeitraum 1848 bis 1989. Ein historisches Referenzkorpus für das Deutsche ist das Deutsche Textarchiv (DTA), das einen disziplinübergreifenden Kernbestand deutschsprachiger Texte aus der Zeit von ca. 1650 bis 1900 als digitalisiertes, linguistisch annotiertes Volltextkorpus bereitstellt. 20 Als „Textwort“ bezeichnet man die fortlaufend auftretenden Wortformen (tokens). <?page no="74"?> 4.3 Korpora des Deutschen 73 4.3.2 Korpora gesprochener Sprache Auch die gesprochene deutsche Sprache ist mittlerweile gut dokumentiert. Eine umfangreiche Dokumentation der deutschen Dialekte und Regionalsprachen mit Anbindung an geographische Karten bietet das Archiv Regionalsprache.de (REDE). Neben den bereits angesprochenen Wenker-Sätzen umfassen die Tonaufnahmen Umsetzungen des klassischen phonetischen Vorlesetextes „Nordwind und Sonne“, Interviews mit Exploratoren, Unterhaltungen mit selbst gewählten Gesprächspartnern und polizeiliche Notrufannahmegespräche; zudem sind Daten aus verschiedenen Sprachatlasprojekten integriert. Das Archiv für Gesprochenes Deutsch am IDS Mannheim verwaltet die größte Sammlung von Korpora. Die Aufnahmen und Transkripte dokumentieren binnen- und auslandsdeutsche Varietäten (Dialekte, regionale Umgangssprachen und das gesprochene Standarddeutsch) sowie verbale Interaktion in verschiedenen sozialen Zusammenhängen, z.B. Konfliktgespräche, Erzählungen und Gerichtsverhandlungen. Dokumentiert wird auch Kindersprache beim Erwerb des Deutschen als Zweitsprache (Saarbrücker Projekt „Gastarbeiterkommunikation“). Das Archiv umfasst zudem Tonaufnahmen, die einzelnen der in der Schriftenreihe „Phonai“ veröffentlichten Monographien und Textbänden zugrunde liegen. Viele der am IDS verfügbaren Korpora sind mittlerweile über die „Datenbank Gesprochenes Deutsch“ (DGD) 21 auch für externe Nutzer zugänglich. In kontinuierlichem Aufbau befindet sich das „Forschungs- und Lehrkorpus“ (FOLK). Zu den publizierten Transkriptbänden zum Deutschen gehört das „Freiburger Korpus“, das an der Freiburger Forschungsstelle des IDS erarbeitet und als „Texte gesprochener deutscher Standardsprache“ in den 1970er Jahren in drei Bänden veröffentlicht wurde. Eines der Ziele war es, für den Unterricht des Deutschen als Fremdsprache authentische Beispiele bereitzustellen. Darüber hinaus gibt es Buchpublikationen u.a. zu Beratungs- und Schlichtungsgesprächen (S CHRÖDER 1985, 1997), zur Schulkommunikation (R EDDER 1982), zur Telefonkommunikation (B RONS -A LBERT 1984), zu Gesprächen am Kiosk (M AU - RER / S CHMITT 1994) und Sprechstundengesprächen an der Hochschule (B OETTCHER et al. 2005). Einen zusammen mit den Audioaufnahmen publizierten Transkriptband bieten E HLICH / R EDDER (1994). Weitere Transkriptsammlungen zu verschiedenen Forschungsschwerpunkten werden gegenwärtig über die Webseiten des „Verlags für Gesprächsforschung“ bereitgestellt (s. Internet-Einstiege). Das gesprochene Deutsch ist zudem in vielen Einzelstudien durch Transkripte dokumentiert, die zur eigenen Korpuserstellung und als Belegquellen herangezogen werden können. Eine Übersicht geben G LAS / E HLICH (2000). Verschiedene Korpora, die im Rahmen von Projekten entwickelt wurden, finden sich auch an Universitäten. 22 Korpora, die speziell für phonetisch-phonologische Analysen aufbereitet wurden, gibt es an der Universität München (Bayerisches Archiv für Sprachsignale - BAS) und an der Universität Kiel (Kiel Corpus). Sie sind, anders als es ihre Benennungen vielleicht vermuten lassen, nicht dialektologisch, sondern überregional ausgerichtet. Die Aufnahmen umfassen vorgelesene und spontane Sprache, z.B. Zahlenreihen („eins, drei, fünf …“), und bilden die Grundlage für verschiedene Projekte zur Signalverarbeitung und Entwicklung automatischer Auskunftssysteme (vgl. Kap. 18). 21 Einführend Fiehler / Wagener (2006) sowie Schmidt (2014). 22 Die Daten sind oft jedoch nur einem eingeschränkten Personenkreis zugänglich. <?page no="75"?> 74 Grundlagen: 4 Sprachwissenschaftliche Methoden 4.4 Korpuslinguistik Der Ausdruck „Korpuslinguistik“ bezeichnet allgemein einen methodologischen Standard, der sich in der gegenwärtigen Sprachwissenschaft etabliert hat. Sowohl in der lexikologischen als auch der semantischen und grammatischen Forschung arbeitet man mit Korpora; die Gesprochene-Sprache-Forschung wäre ohne sie nicht denkbar. Insbesondere komplexe Handlungsstrukturen (z.B. Reklamationen, Arzt-Patienten-Gespräche, Verhandlungen) weisen oft vielfältige Variationsmöglichkeiten auf. Die für bestimmte Institutionen und Diskursarten charakteristischen Handlungsabläufe lassen sich nur durch Analyse einer großen Vielzahl von Gesprächsaufnahmen und Transkripten herausfinden. In einem etwas engeren Sinn bezeichnet man als „Korpuslinguistik“ eine linguistische Teildisziplin, die sich mit dem systematischen Aufbau, der Verwaltung und der Auswertung von sehr großen Korpora befasst. 23 Dabei stellen sich einerseits Fragen der Annotation (Auszeichnung) linguistischer Daten. Dazu gehört z.B. die Kennzeichnung von Wort- und Morphemgrenzen, Kasusformen usw. Durch ein sorgfältiges Tagging wird eine statistische Auswertung möglich, die die Häufigkeit von Formen über riesige Mengen von Sprachdaten hinweg ermitteln kann. Dadurch kann man heutzutage sehr genau Auskunft über sprachliche Variation synchroner oder diachroner Art gewinnen. Für die sprachvergleichende Forschung von hohem Interesse sind Parallelkorpora verschiedener Sprachen. Zum anderen bilden auch technische Fragen der Verarbeitung von Sprachdaten einen Schwerpunkt der Korpuslinguistik; sie schließt somit eng an die Computerlinguistik an (vgl. Kap. 18). So dient die Arbeit mit Sprachkorpora auch oft dem Ziel der automatischen Fehlererkennung. Korpuslinguistisch basierte Informationssysteme zum deutschen Wortschatz sind das „Digitale Wörterbuch der Deutschen Sprache“ (DWDS) der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften sowie das am IDS angesiedelte „Online-Wortschatz-Informationssystem“ (OWID) (vgl. Kap. 5). Eine korpusbasierte Auswertung des deutschen Wortschatzes seit 1998 inklusive einer tagesaktuellen Auswertung verschiedener Tageszeitungen und Newsdienste bietet das Deutsche Wortschatz-Portal der Universität Leipzig; dort erhält man auch Zugang zur Suche in über 136 korpusbasierten monolingualen Lexika. Die Korpuslinguistik versteht sich nicht als reine Hilfswissenschaft, sondern weitergehend als methodologische Bezugswissenschaft und Korrektiv: „nicht zuletzt ist es nun auch mit einem vertretbaren Aufwand möglich, den gegenwärtigen Stand der Forschung, wie er in Wörterbüchern und Grammatiken kodifiziert ist, auf den Prüfstand zu stellen.“ (D UFFNER / N ÄF 2006) Ausgewählte Aufgaben zu Kap. 4 (7 von 17) 4. Handelt es sich bei dem folgenden Beispiel a) um eine phonetisch orientierte oder b) um eine diskursorientierte Transkription? 23 Einen Einblick geben Häcki Buhofer (2009a, 2009b), Lüdeling / Kyto (2008, 2009); zu Korpora in der Zweitspracherwerbsforschung s. Skiba (2008). <?page no="76"?> 4.4 Korpuslinguistik 75 Interview mit einer spanischen Arbeiterin (C LAHSEN / M EISEL / P IENEMANN 1983, S. 36) 1. ich. arbeite eine spanie schneidrin 2. genau Kaufhalle und Kaufhof. arbeite (bei sowas wie kaufhalle... habe ich gearbeitet) 3. arbeite mein vater mutter nis (mein vater hat gearbeitet, meine mutter nicht) 4. autofahrer mein vater 5. ich alleine 6. keine bruder un keine schwester 7. anfange (= anfangs) sag nein vatta 8. arbeiten im fabrik sechs mona 9. un nachher in krankenhaus lernen drei jahr in krankenschwester 10. ich (son) heiraten nachher nis mehr. Krankenschwester 11. ich arbeite. in Tübingen, in fabrik handtücher.. sechs mona 12. un nachher universitä klinik. lernen drei Jahre 13. un nachher i wiederkommen alle nett 14. an krankenhaus. (paar jahr) arbeiten 15. kenne mein man (im Sinne von: kennenlernen) 7. Überlegen Sie sich andere Fragen, durch die eine Erzählung elizitiert werden könnte. 8. Angenommen, Sie möchten wissen, wie Schüler verschiedener Herkunftssprachen die deutschen Präpositionen und die mit diesen verbundenen Kasusformen in ihrer spontanen mündlichen Sprache verwenden. Überlegen Sie sich eine experimentelle Aufgabe, mit der sie entsprechende Sprachdaten elizitieren. 9. Welche sprachlichen Handlungssituationen oder Personengruppen würden Sie durch teilnehmende Beobachtung untersuchen? 11. Sie interessieren sich für Schimpfwörter und Formen des Schimpfens im Deutschen. Mit welchem Vorgehen würden Sie die Phänomene untersuchen? Begründen Sie ihre Methodenwahl. 14. Geben Sie ein Beispiel für eine Forschungsaufgabe, die mit einem phonetisch orientierten Transkriptionsverfahren zu lösen ist. 15. Geben Sie ein Beispiel für eine Forschungsaufgabe, die mit einem diskursorientierten Transkriptionsverfahren zu lösen ist. Ausgewählte weiterführende Literatur Albert, Ruth/ Marx, Nicole ( 3 2016) Empirisches Arbeiten in Linguistik und Sprachlehrforschung: Anleitung zu quantitativen Studien von der Planungsphase bis zum Forschungsbericht. Tübingen: Narr Bubenhofer, Noah (2009) Sprachgebrauchsmuster. Korpuslinguistik als Methode der Diskurs- und Kulturanalyse. Berlin: de Gruyter Deppermann, Arnulf/ Hartung, Martin (2012) Was gehört in ein nationales Gesprächskorpus? In: Felder, Ekkehard/ Müller, Marcus/ Vogel, Friedemann (Hgg.) Korpuspragmatik. Thematische Korpora als Basis diskurslinguistischer Analysen. Berlin: de Gruyter, S. 414-450 Doff, Sabine (Hg.) (2012) Fremdsprachenunterricht empirisch erforschen. Grundlagen - Methoden - Anwendung. Tübingen: Narr <?page no="77"?> 76 Grundlagen: 4 Sprachwissenschaftliche Methoden Kallmeyer, Werner/ Zifonun, Gisela (2007) Sprachkorpora: Datenmengen und Erkenntnisfortschritt. Berlin: de Gruyter Keibel, Holger/ Perkuhn, Rainer/ Kupietz, Marc (2012) Korpuslinguistik. Stuttgart: Fink Lemnitzer, Lothar/ Zinsmeister, Heike ( 3 2015) Korpuslinguistik. Tübingen: Narr Rothstein, Björn (2011) Wissenschaftliches Arbeiten für Linguisten. Tübingen: Narr Scherer, Carmen ( 2 2014) Korpuslinguistik. Heidelberg: Winter Schmidt, Thomas (2014) Gesprächskorpora und Gesprächsdatenbanken am Beispiel von FOLK und DGD. In: Gesprächsforschung - Online-Zeitschrift zur verbalen Interaktion 15, S. 196-233 Settinieri, Julia / Demirkaya, Sevilen / Feldmeier, Alexis / Gültekin-Karakoç, Nazan / Riemer, Claudia (Hgg.) (2014) Empirische Forschungsmethoden für Deutsch als Fremd- und Zweitsprache. Paderborn: Schöningh / UTB <?page no="78"?> Semantik und Lexikographie 5 Zeichen und Begriff, Lexem und Wortschatz 5.1 Aufgaben der Semantik Seit Ende des 19. Jh. ist Semantik die Bezeichnung für eine Teildisziplin der Sprachwissenschaft, die sich unter systematischen und sprachhistorischen Gesichtspunkten mit sprachlicher Bedeutung befasst. Der Semantik geht es um die Natur von Bedeutung generell und um die Beschreibung und Analyse einzelner sprachlicher Bedeutungen, sowohl von Wörtern und Wortteilen (Morphemen) wie auch von größeren sprachlichen Einheiten. Dafür nutzt sie allgemeinere Strukturen im Wortschatz einer Sprache und erforscht Beziehungen zwischen Wortbedeutungen. Ein Teil der Semantik arbeitet mit dem strukturalistischen Bedeutungsbegriff (vgl. Kap. 5.3.1), mit der Weiterentwicklung von G REIMAS (1966), der den Begriff Sem für das kleinste Bedeutungsmerkmal einführte. Ein anderer Teil der Semantik ist kognitiv ausgerichtet (vgl. Kap. 3.4 und L ÖBNER 2015, S. 301 ff.) und fokussiert stärker das Bedeutungswissen. Zum anderen entwickeln Sprechakttheorie und Pragmatik seit den 1980er Jahren Bedeutungsbeschreibungen ausgehend von der sprachlichen Äußerung und ihren kommunikativen Funktionen (vgl. Kap. 15). Im Folgenden sollen zunächst wichtige Begriffe, die sowohl gemeinsprachlich wie auch linguistisch in Gebrauch sind, vergleichend geklärt werden: Wort - Ausdruck - Symbol. In diesem Zusammenhang wird auch die linguistische Kategorie „Zeichen“ von ihrer philosophischen Tradition her skizziert, wobei zu klären ist, was allgemein ein sprachlicher Begriff ist. Semantische Beziehungen, Merkmale und Konzepte werden detaillierter in Kap. 6 dargestellt. Das Wort ist die von den Sprechern hauptsächlich wahrgenommene Grundeinheit der Sprache und der Rede. Seitdem die strukturalistische Sprachtheorie das Sprachsystem in ‚Strukturebenen‘ (Laute - Morpheme - Lexeme - Sätze) aufgeteilt hat, wird der Wortbegriff oft wegen seiner unklaren Zuordnung zu dieser Einteilung kritisiert (s. Kap. 7). Linguisten und Sprachpsychologen können aber nicht auf ihn verzichten (vgl. K NOBLOCH 1984, S. 143 ff.), denn die Sprecher „arbeiten“ in der Kommunikation mit mehr oder weniger komplex aufgebauten Wörtern. Ihr Sprachwissen ist wortbasiert. Jedes vorkommende Wort ist nach seiner äußeren, wahrnehmbaren Seite hin ein konkreter Ausdruck (lautlich oder schriftlich). In dieser materiellen Form gehört es nicht zum Sprachsystem, sondern zu bestimmten Äußerungen. Andererseits ist, so sieht es S AUSSURE , die Ausdrucksseite sprachlicher Zeichen als Teil des Systems festgelegt (s.u.). Wie die Geschichte der Orthographie zeigt, ist besonders der schriftliche Ausdruck der Wörter einerseits wesentlich für ihre Identität, andererseits änderbar, er kann z.B. durch Reformen geändert werden. Wenn Wörter als Symbol oder als symbolisch bezeichnet werden, bezieht sich das auf ihren Inhalt, ihre Bedeutung. Vom Altgriechischen her ist das symbolon ein Erkennungszeichen, womit ganz Unterschiedliches gemeint sein kann: die Taube als Friedenssymbol, eine Reiterstatue als früher übliches Symbol militärischer Macht oder ein heutiges Firmenlogo. 1 Die herkömmliche Definition eines Symbols dadurch, dass es „für etwas steht“, wurde 1 Die große Menge der historisch und kulturell entstandenen Symbole verdeutlicht ein entsprechendes Lexikon, z.B. „Seemanns Lexikon der Symbole“ (2010). <?page no="79"?> 78 Semantik und Lexikographie: 5 Zeichen und Begriff, Lexem und Wortschatz auch auf Wörter, Mimik, Gestik und viele andere kulturell bestimmte Zeichen übertragen. An der symbolischen Natur des Wortes, also an seinem Wert für die Darstellung äußerer und innerer Welt, knüpft auch der Zeichenbegriff an. Die ältere, logisch ausgerichtete Semantik legte Wert auf die beiden Begriffe Denotation und Konnotation. Denotation sieht auch die heutige Semantik bei sprachlichen Begriffen. Damit meint sie zum einen die Wortbedeutung (das Konzept, die Kategorie), zum anderen die Extension des Begriffs, also idealiter alle Objekte der (gedachten oder fiktiven) Realität, auf die diese Bedeutungsbeschreibung passt (L ÖBNER 2015, S. 28). Davon zu trennen sind die Assoziationen, die ein Wort regelmäßig oder in einer bestimmten sozialen Gruppe hervorruft. Früher wurde Konnotation als sekundäre oder Nebenbedeutung erklärt. Das wird aber der lockeren und kulturgebundenen Verbindung mit der Wortbedeutung nicht gut gerecht. Andere versuchen, Konnotation als emotional besetzte positive oder negative Bewertung zu erklären. Dem klassischen Verständnis nach ist aber nicht die Bewertung selbst eine Konnotation, nur das evtl. zugrundegelegte Attribut der Sache. Konnotationen im sozialen Bereich sind etwa die Eigenschaften, die z.B. die Anhänger der Tea-Party- Bewegung den Mitgliedern von Gemeinschaften nichtweißer Hautfarbe in den USA zuschreiben, um Ablehnung oder Verachtung zu begründen. 5.2 Name und Begriff Schon lange vor der linguistischen Semantik waren sprachliche Zeichen und ihre Bedeutungen ein wichtiges Thema der Sprachphilosophie. Bereits die platonische Philosophie hatte sich mit dem Wesen von Zeichen im Hinblick auf das Denken beschäftigt. Der klassische Philosoph G EORG W. F. H EGEL spricht 1830 darüber, wie das sprachliche Zeichen aus der Tätigkeit des menschlichen Geistes entsteht und dem Denken Form und Klarheit gibt. 2 Mit dem Zeichen verfügt das Denken über „Namen“ symbolischer Art: „Der Name ist so die Sache, wie sie im Reiche der Vorstellung vorhanden ist und Gültigkeit hat. Das (reproduzierende) Gedächtnis hat und erkennt im Namen die Sache und mit der Sache den Namen.“ - „So werden die Worte zu einem vom Gedanken belebten Dasein. Dies Dasein ist unseren Gedanken notwendig. Wir wissen von unseren Gedanken nur dann, wenn wir ihnen die Form der Gegenständlichkeit (…) geben.“ (§ 462) Namen verstehen wir heute als Eigennamen von Personen oder als geographische Namen von Städten, Ländern, Flüssen, Planeten etc. Namen stehen, logisch betrachtet, für Individuen, die der Hörer kennen muss, um sie zu identifizieren. Bei H EGEL sind Namen aber auch begriffliche Symbole, benennende Zeichen, die in der späteren Schulgrammatik als Gattungsnamen auftauchen. Die Bedeutung solcher Wörter ist mit Sachwissen verbunden, und das gilt allgemein für Begriffe. Jeder begriffliche Ausdruck ist eine einfache Zusammenfassung bestimmter Wissenselemente bezüglich der Merkmale des Gegenstandes. Nehmen wir als Beispiel einen Begriff aus dem sozialen Leben, nämlich Kind. Was ein Kind ist, lernt jeder zunächst aus eigener Erfahrung. Zugleich ist das Wort aber Träger einer festen, überindividuellen Vorstellung. Die von den Sprechern geteilte Vorstellung von Kind ist dadurch ein Begriff, dass sie bestimmte gemeinsame Merkmale festhält, Typisches oder Wesentliches. Bei dem Beispielwort Kind ist das Abstammungsverhältnis zu Eltern sowie der körperliche und geistige Entwicklungsstand wesentlich. Darüber hinaus kennen wir die Kindheit auch als eine soziale Tatsache, die stark von Ökonomie und Kultur 2 Hegel, Georg Wilhelm F. (1830/ 1986) Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse. Dritter Teil: Die Philosophie des Geistes. Werke Bd. 10. Frankfurt a.M.: Suhrkamp, S. 278 und 280. <?page no="80"?> 5.3 Semantik und Semiotik 79 abhängt, z.B. in der Frage, ob Kinder wie Erwachsene arbeiten können und sollen. Das gehört zu der kollektiven Bedeutung, die von der Sprachgemeinschaft entwickelt wurde, und ändert sich nicht mit den Erfahrungen jedes einzelnen Sprechers. Im Kern wird also die Begriffsbedeutung von den Sprechern geteilt. Bei den ersten Verwendungen des Worts werden solche Wissenselemente noch unklar sein, auch die Abgrenzung gegen andere Begriffe wie „Jugendlicher“ wird erst später gelernt. Der Sprachpsychologe K NOBLOCH macht darauf aufmerksam, dass man die Begriffsbedeutung (bei ihm „Symbolbedeutung“) und das auf den Gegenstand bezogene Sachwissen nicht gleichsetzen kann (1984, S. 147): „Die Symbolbedeutung ist eben das Merkmal des Wortes, mit dessen Hilfe es den Zugang zu Gegenständen, Sachverhalten und Wissensbeständen zu organisieren vermag.“ So eröffnet das Kennenlernen eines Begriffswortes die Aufnahme von Sachwissen. Mit dieser Feststellung kann er sich auf Studien des russischen Sprachpsychologen V YGOTSKIJ berufen. Dabei ging es um die individuelle Begriffsentwicklung bei Kindern und Jugendlichen, die die Grundlage für Bildung und Wissensvermittlung ist. 3 Ein wichtiges Ergebnis war, dass ein Kind oder Jugendlicher nach der Aneignung eines Begriffswortes häufig noch längere Zeit den Begriff nur unvollständig oder z.T. falsch kennt; er verfügt dann über einen „Pseudobegriff“ (a.a.O., S. 397). 4 Halten wir fest: Sprachlaute eignen sich zum Festhalten, zur ‚Verkörperung‘ einfacher und komplexer Vorstellungen in einer Wortbedeutung. Jedes Lautgebilde ist als feste, physikalisch-akustisch wahrnehmbare Lautfolge eine Art ‚Hülle‘ für die damit verbundene Bedeutung und so eine Stütze für das Gedächtnis. 5.3 Semantik und Semiotik Vom Begriff als Bestandteil des Sprachwissens unterscheidet die Semantik seine lexikalische Form und seinen konkreten Gebrauch als „Inhaltswort“ durch die Sprecher. Diese Beziehung wird gern in Form eines Dreiecks dargestellt, das als „semiotisches Dreieck“ bekannt wurde. S EBASTIAN L ÖBNER (2015, S. 29) präsentiert es so (Abb. 1): Abb. 1: Das semiotische Dreieck für den korrekten Gebrauch eines Inhaltswortes Inhaltswort bedeutet referiert auf beschreibt deskriptive Bedeutung: Referent ein Konzept in der Welt Damit trägt man der Tatsache Rechnung, dass ein Wort erst durch seinen Bezug auf die Realität eine konkrete Bedeutung erhält, also eigentlich erst durch seine Verwendung in der Kommunikation zwischen einem Sprecher und einem Hörer, oft im Rahmen einer Sprechsituation. Mit dem Begriff Referenz erfasst man diese Bezugnahme auf Personen, Objekte oder Zustände. Verschiedene grammatische Phänomene ergeben sich aus der Notwendigkeit, dem Hörer den referierenden Bezug, das jeweils Gemeinte, klar zu machen, 3 Vgl. Vygotskij (1987, S. 117). 4 Vgl. zu Vygotskijs und Bühlers Theorien den Beitrag von Redder (2004a). <?page no="81"?> 80 Semantik und Lexikographie: 5 Zeichen und Begriff, Lexem und Wortschatz im Deutschen z.B. durch einen bestimmten Artikel (vgl. Kap. 9). Von daher ist es möglich und manchmal sinnvoll, die (allgemeinere) Bedeutung eines Satzes von der Äußerungsbedeutung zu unterscheiden. 5.3.1 Semiotik seit C HARLES S. P EIRCE Die Semiotik entstand im 19. Jh., noch vor der Etablierung eines Fachs Semantik, als zunächst philosophische Richtung. Die Natur der Zeichen erschien als ein spannendes Thema. Während S AUSSURE eine „Semiologie“ anregte 5 , die sich mit den bedeutungstragenden Einheiten der Sprache befasst, entwarf der Sprachphilosoph C HARLES S. P EIRCE um 1900 Grundzüge einer kulturellen Zeichentheorie, die die allgemeinen Eigenschaften von Zeichen und Zeichensystemen jeder Art zum Thema haben sollte. Zeichen gelten hier als „Mittel der Sinnkonstitution und Sinnzirkulation“. 6 P EIRCE unterschied drei verschiedene Typen von Zeichen, die auch für die heutige Semiotik relevant sind, nämlich „Ikon“, „Index“ und „Symbol“. Ihr Verhältnis zum bezeichneten Gegenstand (im weitesten Sinne) ist jeweils anders. Ein Ikon 7 ist bei P EIRCE ein Zeichen, das bildhaften Charakter hat. Das Zeichen ist also der gemeinten Sache ähnlich, es kann sie oder Aspekte der Sache bildlich repräsentieren. Das gilt für Gemälde und Fotografien, aber auch für abstraktere bildliche Darstellungen wie ein Diagramm, das bestimmte Vergleiche oder Zusammenhänge graphisch-semiotisch umsetzt. Bei Diagrammen spielen die Anordnungs- und Lesegewohnheiten der Sprechergemeinschaft eine große Rolle. Das räumliche Verhältnis oben/ unten kann z.B. für die Darstellung einer Hierarchie genutzt werden, die Richtung von links nach rechts legt häufig chronologische Abläufe nahe. Hinzu kommt eine große Menge von Ikonen, d.h. bildhaften Symbolen, deren Bedeutung z.B. durch Verkehrszeichen oder Hinweisschilder gut bekannt ist. Ähnlichkeiten zwischen ikonischen Zeichen und dargestellten Dingen oder Sachverhalten bestehen nicht nur in der optischen Dimension. Auch schallnachahmende Laute oder Wörter, sog. Onomatopoetika wie die kindlichen 8 Bezeichnungen für Tiere als „Miau“ oder „Wauwau“, haben ikonischen, also abbildenden, Charakter. Die Zeichenklasse Index entspricht etwa dem, was wir im Deutschen unter einem „Anzeichen“ verstehen. Ein Index oder ein indexikalisches Zeichen steht für etwas Reales, wie P EIRCE betont; es hat keine Ähnlichkeit mit dem vertretenen Objekt, sondern nur eine irgendwie beschaffene „existenzielle Relation“ zu ihm, wie der Rauch zum Feuer. Das nennt Peirce auch eine ‚Wenn-dann-Relation‘ oder eine kausale Beziehung (P EIRCE 1903/ 1993, S. 65). So werden Windgeräusche als Anzeichen für Sturm verstanden, ein Wetterhahn dient als Anzeiger der Windrichtung, Fieber ist ein Zeichen für Krankheit. Hier spielt das Wissen des Zeichenbenutzers eine Rolle, seine Kenntnisse über Ursachen und Folgen. Fieber ist z.B. objektiv, nach Erkenntnissen der Medizin, ein Krankheits(an)zeichen. Andererseits kann etwas auch intuitiv und evtl. irrtümlich als Index aufgefasst werden, ohne solche Objektivität zu besitzen (ebd.). Hinweisenden Wörtern wie ich, du, da, dort, hier etc. wird aus semiotischer Sicht oft indexikalischer Charakter zugesprochen (L ÖBNER 2015, 5 Die Ausdrücke „Semiotik“ und „Semiologie“ wurden abgeleitet von griech. sema bzw. semeion = das Zeichen, das Merkmal. Heute wird meist die Bezeichnung Semiotik verwendet. 6 Köller (1988). 7 Deutsche Variante des englischen Wortes icon, das auf das griechische „eikon“ (Bild) zurückzuführen ist. 8 Es wäre wohl passender zu sagen, dass solche Bezeichnungen für Kinder erfunden werden - von Erwachsenen. <?page no="82"?> 5.3 Semantik und Semiotik 81 S. 72); sie sind nach Auffassung der Autorinnen allerdings sinnvoller funktional als „Zeigwörter“ (Deixis) zu klassifizieren. Die dritte Zeichenart schließt alle sprachlichen Zeichen ein. Wörter gelten - wie auch schon in der Philosophie zuvor - als Symbole. 9 P EIRCE sucht hier nach einer allgemeinen Definition: Diese Zeichenart ist dadurch symbolisch, dass der Bezug zwischen Bedeutungsträger („Signifikant“) und Bedeutung („Signifikat“) durch Konvention (Vereinbarung) hergestellt wird. Das trifft eindeutig zu für Programmiersprachen und spezielle Codes, auch für Verkehrsschilder und Ampeln. Bei den sprachlichen Zeichen gibt es allerdings keine derart geplante (und im Beispiel sogar vorgeschriebene) Verknüpfung mit ihrer Bedeutung. Die Bedeutungen von Wörtern entwickelten sich allmählich durch den Sprachgebrauch selbst, sie wurden also auch nicht von den Sprechern ‚vereinbart‘. 10 Die neuere Semiotik erkundet die mit diesen Typen umrissene Vielfalt von symbolischen und kulturell definierten Zeichen. Der Begriff Zeichen ist von daher oft durch große Vagheit gekennzeichnet. Das Interesse der Semiotik richtet sich auf sehr unterschiedliche Gegenstände im Bereich der Erkenntnis, der Kunst und Kultur, des sozialen Lebens und der Sprache. Auch für Sprachähnliches wie mathematische Symbole und Piktogramme ist die Semiotik zuständig. Eine Übersicht gibt N ÖTH (2000), zur Bildsemiotik s. F RIEDRICH / S CHWEPPENHÄUSER (2009). 5.3.2 S AUSSURES Zeichenmodell und seine Weiterentwicklung F ERDINAND DE S AUSSURE betrachtet das Zeichen als sozial geprägte, psychisch vorhandene Grundeinheit der Sprache. Anders als in der Semiotik „steht“ also das Zeichen nicht „für“ einen Gegenstand und ist auch selbst kein Gegenstand. Es ist Teil des Sprachwissens. Dieses psychologisch gefasste Zeichen, ein Wort, hat zwei voneinander untrennbare ‚Seiten‘: 1. eine Bedeutung, einen Inhalt, der als Vorstellung oder Konzept (frz. concept) im Kopf der Sprecher existiert; dieser Inhalt ist - darin folgt S AUSSURE einer langen Tradition - das ‚Bezeichnete‘ (lat. signatum, Signifikat, frz. signifié). 2. das ‚Bezeichnende‘ (lat. signans, Signifikant, frz. signifiant), den Zeichenausdruck, was normalerweise die materielle Seite der Sprache meint, hier aber etwas Psychisches, nämlich ein „Lautbild“ (image acoustique). Abb. 2: S AUSSURE s Zeichenmodell 9 Symbol aus griech. symbolon: Merkmal, Kennzeichen; wird im allgemeinen Sprachgebrauch im Sinne von Wahrzeichen oder Sinnbild gebraucht. So galt z.B. seit dem Mittelalter das Bild des Adlers als Wahrzeichen - d.h. als Wappenzeichen und Schmuck - eines Fürsten; auch einige der modernen Staaten haben dieses traditionelle Wahrzeichen zum Staatssymbol gemacht, z.B. Deutschland. 10 Hermann Paul hat in seinen „Prinzipien der Sprachgeschichte“ verdeutlicht, wie die Sprache Produkt menschlichen Denkens und Handelns ist, auch in ihren Veränderungen, ohne dass die Sprecher sich jemals zusammensetzen und „Entscheidungen“ über Zeichen treffen. <?page no="83"?> 82 Semantik und Lexikographie: 5 Zeichen und Begriff, Lexem und Wortschatz Ein Lautbild entsteht durch das Erlernen einer Sprache als Abstraktion aus der äußeren Form. Mit der „Form“ des Zeichens kann außer der lautlichen natürlich auch die graphische Form gemeint sein, je nachdem, ob es akustisch aufgenommen oder in seiner Schriftform visuell erfasst wird. Die mit der Form untrennbar verbundene Inhaltsvorstellung wird auf dem Wege der Assoziation im Kopf von Sprecher und Hörer aufgerufen (mental aktiviert). Die Bedeutungsvorstellung im Kopf impliziert für S AUSSURE ein „soziales Band“, das die individuellen Vorstellungen vieler miteinander verbindet. So entsteht - trotz individueller Abweichungen - ein gemeinsames Sprachwissen, das die Sprachgemeinschaft kennzeichnet. 11 S AUSSURE verwendet für diesen sozialen Charakter der Sprache wie P EIRCE den Ausdruck „Konvention“. 12 Eine eng damit zusammenhängende Eigenschaft der Sprachzeichen ist nach S AUSSURE ihre Arbitrarität. 13 Damit meint er die „Beliebigkeit“ des sprachlichen Zeichens, insofern als zwischen einer bestimmten Bedeutung (signifié) und dem einzelsprachlichen Wort (signifiant) kein notwendiger, innerer Zusammenhang zu erkennen ist. Das heißt, wenn das deutsche Buch in Frankreich livre und in China shū heißt, so hat jede Sprache gleichermaßen „recht“ mit ihrem Namen. Innerhalb eines einzelsprachlichen Systems und ebenso im Sprachwissen der Individuen ist der Zusammenhang zwischen Lautbild und Vorstellung allerdings überhaupt nicht beliebig, sondern fest und obligatorisch, wie es die graphische Modelldarstellung bei S AUSSURE auch betont. 5.3.3 Die Sprache als Werkzeug Ein anderes Modell des sprachlichen Zeichens legte K ARL B ÜHLER (1879-1963) in seiner „Sprachtheorie“ von 1934 vor. Aufgrund seiner erzwungenen Emigration in die USA wurde das Werk erst spät rezipiert. Seit den sechziger Jahren gilt es als Standardwerk der Linguistik. B ÜHLER greift zurück auf P LATON s Bezeichnung der Sprache als organon, als Werkzeug oder Gerät. 14 Ein Werkzeug ist entsprechend den Zwecken seiner Verwendung gebaut, es ist zweckmäßig konstruiert. So nennt B ÜHLER die Sprache ein „Orientierungsgerät des Gemeinschaftslebens“ (1934 / 1982, S. 48). Seine Darstellung sprachlicher Zeichen ist eher eine Art Funktionsmodell, das unter der Bezeichnung Organonmodell bekannt geworden ist. Auch bei ihm sind Zeichen zunächst einmal Symbole durch ihre „Zuordnung zu Gegenständen und Sachverhalten“, ihre Bedeutungen sind mental als Wissen über die Wirklichkeit oder als ‚Bild eines Gegenstandes‘ präsent. 15 Er betrachtet aber Zeichen nach zwei anderen Seiten hin, d.h. mit insgesamt drei verschiedenen Funktionen oder Aufgaben: Darstellung: Zeichen beschreiben und stellen etwas dar; insofern sind Wörter und Sätze „Gegenstandssymbole“. 11 Saussure (1967, S. 16). 12 Dabei weiß er, dass der Charakter der Sprache nicht auf der Überlegung und Planung einzelner Individuen beruht (Saussure 1967, S. 84). Der Begriff Konvention ist von vielen Linguisten übernommen worden und wird neuerdings noch stärker psychologisch verstanden: Konventionen sind dann „Systeme wechselseitiger Erwartungen“ der Sprecher aneinander. 13 Dies ist eigentlich keine neue Einsicht, nur eine neue Bezeichnung. Man vergleiche mit der Aussage von G. W. F. Hegel: „Die hier hervortretende Willkürlichkeit der Verbindung des sinnlichen Stoffes mit einer allgemeinen Vorstellung hat zur notwendigen Folge, dass man die Bedeutung der Zeichen erst lernen muss. Dies gilt namentlich von den Sprachzeichen.“ (Enzyklopädie der philos. Wissenschaften). 14 Vgl. den platonischen Dialog „Kratylos“. 15 Bühler (1934 / 1982, S. 28). <?page no="84"?> 5.3 Semantik und Semiotik 83 Ausdruck: Der Sprecher drückt mit Zeichen etwas aus, Gedanken, Absichten, Wünsche u.a., sie sind damit für ihn ein Ausdrucksmittel. Appell: Zeichen werden ausgewählt für und gerichtet an einen Empfänger, auf den sie eine Wirkung haben (sollen). Abb. 3: Das Organonmodell von B ÜHLER Anders als bei S AUSSURE ist das Zeichen hier nicht nur in der Vorstellung vorhanden (dargestellt durch den Kreis im Zentrum der Graphik), sondern auch als konkret realisiertes (lautlich oder schriftlich). Gesprochene oder geschriebene Wörter sind individuell geprägt. Sie können phonetisch abweichend sein, auch beim Schreiben mit der Hand werden individuelle Varianten von Zeichen produziert, bedingt durch situative Einflüsse, vielleicht auch durch Eile oder Nachlässigkeit, Sprechfehler oder motorische Störungen. Das real vorkommende Zeichen ist also nicht deckungsgleich mit dem Wort als Einheit der Sprache, des Sprachsystems oder des Schriftsystems. In Abb. 3 wird dieses konkrete Zeichen durch das Dreieck symbolisiert. Kommunikationspraktisch ist diese Differenz meist kein Problem. 16 Da jeder Sprecher die konstanten Zeichenmerkmale kennt, kann er von zufälligen individuellen Merkmalen abstrahieren, die nicht zum Laut oder Wort als Einheit der Sprache gehören, wenn z.B. ein Sprecher stottert oder erkältet ist. Diese zwei Seiten des Zeichens werden in der Analyse der Sprachlaute wichtig (Kap. 13). Lange vor der Linguistischen Pragmatik entdeckt B ÜHLER Zusammenhänge zwischen Sprechen und Handeln (1934 / 1982, S. 52): „Denn jedes konkrete Sprechen steht im Lebensverbande mit dem übrigen sinnvollen Verhalten eines Menschen; es s t e h t unter Handlungen und i s t selbst eine Handlung.“ Die Sprechhandlung ist das konkrete sprachliche Agieren eines Menschen, das meist mit anderen, nichtsprachlichen Handlungen verknüpft ist. Es geht B ÜHLER dabei um die Entstehung konkreter Äußerungsbedeutungen aus den grammatisch-lexikalischen Mitteln einer bestimmten Sprache. Ihm war aufgefallen, dass Bedeutungen von Wörtern und Sätzen oft sehr flexibel vom Hörer 17 verstanden werden, kontext- und situationsadäquat. Solche 16 Im Gespräch mit Fremdsprachenlernern können deren Abweichungen allerdings so groß sein, dass die Zeichenerkennung nicht klappt. 17 Bühler selbst benutzte noch den Ausdruck „Empfänger“ statt „Hörer“. <?page no="85"?> 84 Semantik und Lexikographie: 5 Zeichen und Begriff, Lexem und Wortschatz Anpassungen finden im Rahmen der Ausdrucksmöglichkeiten der verwendeten Sprachzeichen statt, bis hin zu metaphorischen Verwendungen. Die Sprechhandlungen erfüllen ihren Zweck in der Situation selbst, sie werden normalerweise nicht dokumentiert. Wenn dagegen Handlungen im Wortlaut fixiert sind, spricht B ÜHLER von „Sprachwerk“. Gesprochenes und Geschriebenes kann „Sprachwerk“ werden, wenn es situationsentbunden fixiert wird. Ein wichtiges Ergebnis der B ÜHLER ’schen Forschungen ist die sog. Felderlehre. B ÜHLER erkennt bei allen Sprachen ein Symbolfeld und ein Zeigfeld, die sich durch zwei grundlegend verschiedene Zwecke des Sprachgebrauchs gebildet haben. Das Symbolfeld, als Teil des Sprachsystems betrachtet, enthält alle symbolischen Wörter im oben dargestellten Sinn. B ÜHLER geht hier einen wichtigen Schritt über die Tradition hinaus. Die Ausdrücke des Symbolfelds sind Nennwörter, als solche erfüllen sie ein Bedürfnis des Sprechers. Zum Symbolfeld gehört der größte Teil der lexikalischen Einheiten einer Sprache, auch die Verben, die Handlungen und Vorgänge benennen. Dazu im Kontrast stehen die Zeigwörter, die ein anderes Bedürfnis der Sprecher erfüllen: Sie haben keine symbolische Bedeutung, sondern können Gegenstände und Sachverhalte, die aktuell (in der Sprechsituation) sinnlich wahrnehmbar sind, kommunikativ verfügbar machen: ich - du; jetzt - dann; dieser u.a. (vgl. Kap. 8.3.3). Dem Wahrnehmungspsychologen war die besondere Qualität dieser Wörter offenbar leichter zugänglich als den Sprachwissenschaftlern seiner Zeit. 5.4 Lexem und Wortschatz Traditionell redet man vom Wortschatz einer Sprache und meint damit ihren gesamten Wortbestand. Als semantische Einheit wird ein Wort unter Absehung von seinen verschiedenen Flexionsformen als Lexem bezeichnet. Lexikologie und Lexikographie sind die zuständigen Arbeitsgebiete der Sprachwissenschaft. Neben den Lexemen treten auch idiomatische Ausdrücke und Wendungen in den Blick, z.B. Redensarten und Sprichwörter. Will man dagegen die Struktur, den Aufbau von Wörtern, analysieren, auch die Wortformen, die im Deutschen gebildet werden können, ist die Teildisziplin Morphologie zuständig (vgl. Kap. 7 und 8). Der Gesamtbestand des deutschen Wortschatzes wird meist mit 300.000 bis 500.000 Wörtern angegeben. 18 Bei diachroner Erfassung wie im Wörterbuch der Brüder G RIMM ergeben sich weit über 400.000 Worteinträge. Die Rechtschreibwörterbücher, die der Gemeinsprache näher kommen, haben dagegen nur ca. 120.000 Einträge. Andere Wörterbücher haben mehr als 200.000 Worteinträge. Im Wörterbuch wird jedes Lexem in seiner Grundform aufgeführt. Dieser Wörterbucheintrag wird auch als Lemma 19 bezeichnet. Der gesamte Eintrag mit allen Erläuterungen heißt Artikel oder Stichwort. Er enthält im Allgemeinen eine Bedeutungsparaphrase, die als eine Art Definition aufgefasst wird. 20 Dabei werden bedeutungsähnliche Wörter (Synonyme, s.u.) als Erläuterung verwendet. Zusätzlich zur „Inhaltsseite“ berücksichtigt ein Wörterbuch meist auch formale Eigenschaften eines Wortes bzw. gibt Hinweise zur Formenbildung (Stammformen, Plural, Genitiv) und Gebrauch. 18 Vgl. Duden-Grammatik (2016, § 962 ff.). 19 Der Plural entspricht noch der griechischen Form: Lemmata. 20 Dort gibt es die klassische Unterscheidung zwischen Nominaldefinition und Realdefinition. Eine Bedeutungsangabe im Wörterbuch ist demnach eine Realdefinition, bei der es darauf ankommt, den tatsächlichen Gebrauch des Wortes wahrheitsgemäß zu beschreiben (deskriptiv); eine Nominaldefinition beruht auf der Festsetzung von Wort und Bedeutung (präskriptiv). <?page no="86"?> 5.4 Lexem und Wortschatz 85 Diesen großen Zahlen, die keine sichere Schätzung des Gesamtbestandes zulassen, stehen nur ca. 10.000 unterscheidbare Grundwörter der Gemeinsprache gegenüber. Dies sind morphologisch einfache Basislexeme, von denen andere Wörter abgeleitet wurden und werden (Kap. 8); z.B. gehören das Verb stehen und das Substantiv Stand zum Kernwortschatz, nicht aber das Wort Unterstand, das im militärischen Bereich geprägt wurde. Hier ist auch oft von Kernwortschatz die Rede. Das ist von der historischen Sprachforschung her „eine Ansammlung von möglichst morphologisch einfachen Wörtern, die mindestens Bezeichnungen für Körperteile, Bezeichnungen für Nahrungsmittel, also für Speisen und Getränke, Farbbezeichnungen und Bezeichnungen für Pflanzen, Bäume, Tiere und wichtige Himmelskörper umfassen.“ 21 Er umfasst also die aus dem Germanischen stammenden „Erbwörter“, aber auch den historisch früh integrierten Lehnwortschatz. So gehören z.B. auch lateinbasierte Lehnwörter wie Mauer und Fenster zum Kernwortschatz. Von der allen verfügbaren Gemeinsprache kann man speziellere Wortschätze einzelner Varietäten (s. Kap. 2.1) abheben, z.B. der Fachsprachen und bestimmter sozialer Gruppen. Einige fach(sprach)liche Wortschätze sind allein schon wegen ihres großen Umfangs beeindruckend. Zählungen haben z.B. für die Medizin und die Chemie mehrere Hunderttausend Fachausdrücke ergeben. Solche Fachwortschätze können allerdings nicht insgesamt einer einzelnen Sprache zugerechnet werden, sie sind weitgehend international, mit nationalen Spezifizierungen ihrer Terminologie. Warum gibt es so große Unterschiede in der angegebenen Menge der Lexeme, wenn nach dem Wortschatz des Deutschen gefragt wird? Das hat mehrere Gründe. Dialektale und fachliche Varietäten sind natürlich ein Grund für Differenzen. Dasselbe Wort kann in verschiedenen Wörterbüchern unterschiedlich eingeordnet werden. Historisch betrachtet, „bewegen“ sich Lexeme sowohl vom Gemeinwortschatz in Spezialwortschätze als auch umgekehrt. Ein weiterer wichtiger Grund für die großen Differenzen sind die Komposita, die zusammengesetzten Wörter. Ein Typ von Wörterbuch will darauf weitgehend verzichten und vor allem die einfach gebildeten Wörter aufnehmen. Andere Wörterbücher nehmen die lexikalisierten, also häufig vorkommenden Komposita möglichst vollständig auf. Ausgegrenzt werden allgemein „Gelegenheitskomposita“, die von den Sprechern oft spontan in bestimmten Situationen gebildet werden. Die Existenz von gut bekannten Wortbildungsmustern (vgl. Kap. 8) führt im Deutschen dazu, dass die meisten neu gebildeten Wörter für jeden, der das Muster kennt, ohne Wörterbuch verständlich sind, z.B. Schönling, ungelobt, Schwarzfahrerei. Zudem spielt der Sprachwandel eine Rolle: Wörter können außer Gebrauch kommen oder neu hinzukommen. Ist es angesichts dessen möglich und sinnvoll, den gesamten Wortbestand einer Sprache zu sammeln, was im digitalen Zeitalter die technische Form einer Datenbank haben muss? Diesem Ziel nähert sich das „Digitale Wörterbuch der deutschen Sprache des 20. Jahrhunderts (DWDS).“ Ein Problem dabei ist, dass die Beständigkeit und auch die Relevanz von Lemmata umso mehr abnimmt, je weiter man sich vom Grundwortschatz entfernt. Das Wort Stallpflicht war z.B. früher unbekannt, tritt aber seit Bekanntwerden der Vogelgrippe regelmäßig in der Presse auf. Es ist also durchaus ein Neologismus, ein neues Wort 21 Lutzeier (1995, S. 12). <?page no="87"?> 86 Semantik und Lexikographie: 5 Zeichen und Begriff, Lexem und Wortschatz im Deutschen. Daher findet man es auch im DWDS, nicht aber im D UDEN -Universalwörterbuch. Vermutlich wird es wegen seines speziellen Verwendungszusammenhangs auch in Zukunft nicht in gemeinsprachige Wörterbücher aufgenommen. Mit dem Zusammenstellen und der Anfertigung von Wörterbüchern beschäftigt sich die Lexikographie, und zwar unter verschiedenen theoretischen und praktischen Gesichtspunkten wie der Nützlichkeit für bestimmte Adressatengruppen, der Vollständigkeit oder Relevanz der genannten Bedeutungen, auch mit den kommerziellen Interessen der Verlage. Allgemeines Ziel ist, für alle Ausdrücke einer Sprache das in ihnen ‚eingebundene‘ Bedeutungswissen zu umschreiben und mithilfe von Worterklärungen zugänglich zu machen. Manche Wörterbücher charakterisieren auch stilistische Qualitäten von Wörtern. 22 Basis der Lexikographie ist die Lexikologie. Sie ist die Fortsetzung der älteren Wortkunde und Wortschatzuntersuchung und arbeitet somit in den Teilbereichen der einzelsprachlichen Semantik und Morphologie. Sie thematisiert nicht nur die Bedeutung einzelner Wörter, sondern auch deren Beziehungen zueinander, die Wortbildungsarten bis hin zu so genannten „Wortgruppenlexemen“, das sind komplexe Phrasen, deren Bedeutung oft nicht aus ihren Bestandteilen erschlosssen werden kann (vgl. u.a. S CHLAEFER 2009; man spricht hier auch oft von idiomatischen Wendungen oder Phraseologismen) (s.u.). R OLF L UTZEIER formuliert den Unterschied zwischen beiden Disziplinen so: „Unter Lexikologie verstehen wir die Theorie und Praxis der Strukturierungen im Wortschatz. Unter Lexikographie verstehen wir die Theorie und Praxis des Schreibens von Wörterbüchern.“ 23 In ihren Kernfragen und dem Bezug auf die Semantik als Grundlagenforschung sind die beiden Disziplinen aber eng miteinander verbunden. Die verschiedenen von der Lexikographie differenzierten Wörterbuchtypen werden bei E NGELBERG / L EMNITZER (2009) ausführlich dargestellt; dort werden auch verschiedene Typen der Wörterbuchstrukturierung besprochen. Die üblichen Wörterbücher ordnen die Lexeme alphabetisch, also eigentlich nach einem ihrer Bedeutung äußerlichen Kriterium, das aber den Vorteil hat, dem Benutzer einen schnellen „Zugriff“ zu ermöglichen. Sehr ungewöhnlich erscheint das rückläufige Wörterbuch von G. M UTHMANN , in dem die alphabetische Sortierung vom Wortende her durchgeführt wird. Um z.B. zu erfahren, welche Endsilben wo und wie oft vorkommen oder in welchen Komposita ein Wort Grundwort (s. u.) ist, kann man ein rückläufiges Lexikon konsultieren. 24 Eine ganz andere, nämlich sachbezogene Präsentation deutscher lexikalischer Einheiten findet man in dem älteren Lexikon von F RANZ D ORNSEIFF (1959) mit dem Titel: „Der deutsche Wortschatz nach Sachgruppen“. Die oben angesprochenen Neologismen sind in fast allen Fällen keine absolut neuen Wörter. Oft sind sie aus bekannten Wörtern zusammengesetzt, oder es handelt sich um aktuelle Fremdwörter. Auf der Basis der lexikologischen Häufigkeitsuntersuchungen treffen die Lexikographen Entscheidungen darüber, welche Wörter neu in ein Lexikon aufgenommen werden. Je mehr Wörterbücher dem folgen, umso eher kann man sagen, dass das 22 Die Bearbeiter der neunten Auflage des Wörterbuches von Hermann Paul, das viele etymologische Hinweise gibt, sprechen sich allerdings dagegen aus, um normativen Einfluss zu vermeiden. Stattdessen haben sie das Wörterbuch mit literarischen Belegen angereichert, um die Bedeutungsspielräume und Verwendungsmöglichkeiten genauer darstellen zu können. 23 Lutzeier (1995, S. 1). 24 Es gibt mehrere Werke dieses Typs. Auch Peter Eisenberg ( 3 2006) hat seiner Grammatik im Anhang ein rückläufiges Wortverzeichnis beigefügt. <?page no="88"?> 5.4 Lexem und Wortschatz 87 betreffende Wort in den Wortschatz einer Sprache aufgenommen wurde. Einige Beispiele für Wörter, die im Zeitraum der 2010er Jahre als Neologismen zum Wortschatz des Deutschen hinzugekommen sind: 25 Beispiele für Neologismen: Flugmodus, Brexit, Crowdfunding, Selfie, Netzpartei, Helikoptereltern, Fracking Die Neologismen seit den 1990er Jahren stellt das Institut für deutsche Sprache in einer Datenbank zur Verfügung ( ). Eine interessante Fragerichtung der Lexikologie, die für den Fremdsprachenerwerb wichtig ist, ist die Motiviertheit von Lexemen. Grundsätzlich gilt S AUSSURE s Aussage, dass die äußere Form eines einfachen Worts sich nicht aus seinem Inhalt ergibt (Arbitrarität, Zufälligkeit), abgesehen von lautmalerischen Wortbildungen. Sobald aber Wortbildungen betrachtet werden (vgl. Kap. 7), kommen regelmäßige Strukturen ins Spiel und die Sprecher orientieren sich an bekannten Mustern, die sich als Bezeichnungsmotive deuten lassen (S CHLAEFER 2009, S. 31 f.) und das Verstehen gleich oder ähnlich aufgebauter Wörter leiten. Allerdings darf man nicht erwarten, dass Zusammensetzungen wie ein Baukastensystem funktionieren; so gibt es z.B. neben einem Blumentopf und einem Spargeltopf auch noch einen anders zu verstehenden Auspufftopf am Auto. Bei der Erfassung der Wortbedeutung kommen häufig etymologische Tatsachen in den Blick: Herkunft, frühere Bedeutung(en) und geschichtliche Entwicklung von Wörtern. Die Etymologie ist Gegenstand der historisch vorgehenden Lexikologie und der Historischen Semantik (F RITZ 2006). Zugrunde liegt hier das griech. Wort etymos für ‚wahr‘. Die Verknüpfung mit der Idee von Wahrheit entstand dadurch, dass man in der Antike im Ursprung eines Wortes seinen Grund - modern gesprochen: seine „Motivation“ -, damit seine tiefere Wahrheit vermutete. Auch heute noch findet die Etymologie das Interesse nicht nur von Sprachhistorikern, sondern auch von sprachinteressierten Laien. Einige Wörterbücher bieten daher außer den üblichen Angaben auch Informationen zur Herkunft von Wörtern, wie etwa das von H ERMANN P AUL (2002). Ein umfangreiches etymologisches Wörterbuch ist das von F RIEDRICH K LUGE ( 25 2011). Ein besonders beeindruckendes historisches Wörterbuch ist das „Deutsche Wörterbuch“, das von den Brüdern G RIMM begonnen wurde (vgl. Kap 2) und mittlerweile vollständig digitalisiert vorliegt. Es gibt Einblick in die Lexik des neuzeitlichen Deutschen ab dem 16. Jh. und führt viele Verwendungsbeispiele aus früheren Jahrhunderten an. Generell zeigen die Wörterbücher des 19. Jh. die Bemühung, das neuzeitliche, noch stark regionalsprachlich zersplitterte Deutsch durch ausführliche Dokumentation des Sprachgebrauchs zu vereinheitlichen. Wörterbücher waren damit wichtig für die Entstehung einer überregionalen Standardsprache, nämlich für die schriftsprachliche Kodifizierung des Deutschen, in Ergänzung zur gesetzlichen Festlegung der deutschen Orthographie zu Beginn des 20. Jh. Eine Auswahl der wichtigsten historischen Wörterbücher des Deutschen bietet das „Wörterbuchnetz“ ( ) des Kompetenzzentrums für elektronische Erschließungs- und Publikationsverfahren in den Geisteswissenschaften an der Universität Trier. Charakteristisch für die gegenwärtige lexikologische und lexikographische Forschung ist die Auswertung von immer größeren Textkorpora (vgl. Kap. 4). Zudem werden zur 25 Vgl. <?page no="89"?> 88 Semantik und Lexikographie: 5 Zeichen und Begriff, Lexem und Wortschatz Darstellung der vielfältigen Kombinatorik von Lexemen in Textzusammenhängen komplexere Darstellungsweisen (Netzwerk, Cloud) eingesetzt. Für das Deutsche sind hier mehrere wichtige Projekte zu nennen: Das oben angesprochene DWDS inkorporiert mehrere Wörterbücher und beruht auf der Auswertung verschiedener umfangreicher Korpora. Es bietet ausführliche Belege für die Verwendung der Wörter und Informationen zu häuf im Umkreis auftretenden Lexemen. Ein solches gemeinsames Auftreten von Wörtern in Texten bezeichnet man als Kookkurenz oder Kollokation. Weitere Projekte zum Deutschen sind das am Institut für Deutsche Sprache (IDS) angesiedelte „Online-Wortschatz-Informationssystem Deutsch (OWID)“ sowie das „Deutsche Wortschatzportal“. Beide Informationssysteme können auch Wortbestandteile analysieren und Auskunft über Komposita geben. Aus einer Außenperspektive können Wörterbücher auch als kultur- und gesellschaftshistorische Dokumente verstanden werden (H Aß -Z UMKEHR 2000, 2001). Sie spiegeln oft die gesellschaftliche Situation ihrer Entstehungszeit. Im deutschen Sprachraum spielt in diesem Zusammenhang besonders die Auseinandersetzung mit dem Faschismus eine wichtige Rolle. Über Veränderungen des D UDEN -Wörterbuchs im „Dritten Reich“ informiert S AUER (1989); eine umfangreiche Zusammenstellung von „Vokabular des Nationalsozialismus“ gibt S CHMITZ -B ERNING (2007). 5.5 Individuelle Wortschätze und Sprachenlernen Sprecher des Deutschen kennen normalerweise nur einen Teil des Gesamtwortbestandes. Sowohl für die L1 wie für den Erwerb weiterer Sprachen gilt das bekannte Prinzip, dass der aktive Wortschatz wesentlich kleiner ist als der „passive“. 26 P ETER E ISENBERG ( 4 2013, S. 34) nennt dazu genauere Zahlen: „Der Umfang des Wortschatzes, mit dem die einzelne Sprecherin und der einzelne Sprecher umgehen, liegt im gesprochenen Alltagsdeutsch bei einigen tausend Wörtern. Die individuellen und gruppenspezifischen Schwankungen sind erheblich, sodass genauere Durchschnittsangaben nicht viel besagen. Wichtig ist der Unterschied zum Geschriebenen. Einigermaßen routinierte Schreiber benutzen mindestens 10.000 Wörter. Für das Gesamtwerk von Storm hat man gut 20.000, für das von Goethe knapp 100.000 Wörter ausgezählt. Aktive Wortschätze dieser Größenordnung stehen aber wohl kaum zu einem Zeitpunkt und kaum ohne externe Hilfsmittel zur Verfügung. Wieder eine Größenordnung darüber liegen die passiven Wortschätze. Der Durchschnittssprecher versteht mindestens 50.000 Wörter. Bei Kindern im Alter von zwei Jahren sind es bereits etwa 500, die sie auf dem Entwicklungsstand ihrer Sprachkompetenz verstehen. Bei der Einschulung sind daraus über 3.000 geworden, die sich mit dem Zugang zum Geschriebenen in zwei bis drei Jahren auf 10.000 vermehren.“ Im Rahmen der Sprachdidaktik ist meist vom Grundwortschatz die Rede. Im Fremdsprachenunterricht ist das eine für Sprachlerner gedachte elementare Lexemauswahl, ausgehend von der (vermuteten) Relevanz für typische Sprechsituationen in der Fremdsprache. Ein solcher Lernwortschatz kann 12.000-15.000 Lexeme umfassen. Das ist für die meisten Sprachkurse zu viel, daher wurde vielfach versucht, Minimal- und Auswahllisten zusammenzustellen. Für Anfängerkurse wird das Vokabellernprogramm oft auf ca. 1.000 Lexeme begrenzt. 27 Empirische oder andere Begründungen der Auswahl liegen für die meisten der 26 Passender wäre es hier, von „rezeptiv“ zu sprechen, da bekanntlich beim Hören und Lesen sehr viel (mentale) Aktivität vonnöten ist. 27 Über Probleme bei der Zusammenstellung eines Grundwortschatzes berichtet Schnörch (2002, Kap. 1). <?page no="90"?> 5.6 Wörter im Sprachkontakt 89 gegenwärtigen lernerbezogenen Wortschatzaufstellungen nicht vor. Eine Ausnahme bildet hier der bei T SCHIRNER (2008) nach Sachfeldern geordnete Grundwortschatz im Umfang von rund 4.000 Wörtern. Er ist für anglophone Lerner aufbereitet und beruht auf Häufigkeitszählungen in einem Sprachkorpus von rund 4,2 Millionen Wortvorkommen (J ONES / T SCHIRNER 2006). Bei der Vorbereitung von Wörterbüchern denkt man sowohl an Muttersprachler, die sich meist bei Unsicherheiten im Sprachgebrauch vergewissern wollen, wie auch an Lerner des Deutschen als Fremdsprache. 5.6 Wörter im Sprachkontakt Wortbedeutungen sind nicht sprachübergreifend; fremdsprachliche Synonyme sind oft nur teilweise oder annähernd äquivalent. Das stellt man beim Übersetzen von einer Sprache in eine andere schnell fest. Oft entsprechen sich zwei Wörter in einem bestimmten Zusammenhang, in einem anderen nicht, d.h. man muss dafür eine andere Übersetzungsmöglichkeit finden. Nach L ÖBNER (2015, S. 297) ist eine genaue Entsprechung zwischen zwei Ausdrücken eine Ausnahme. In jeder Sprache findet man Lexeme, die aus anderen Sprachen übernommen, also entlehnt wurden. Der Vorgang wird entsprechend als Entlehnung bezeichnet, auch sein Produkt, das entlehnte Wort, heißt Entlehnung. Neu entlehnte Wörter wurden und werden generell zunächst einmal als Fremdwörter betrachtet. Als fremdes Wort gilt das Lehnwort so lange, wie ihm seine Herkunft anzuhören und anzusehen ist. Die ursprüngliche Bedeutung wird zunächst beibehalten. Viele entlehnte Wörter entfernen sich aber im Laufe der Zeit phonetisch, formal und dann auch semantisch mehr oder weniger weit von ihrem Ausgangspunkt. Sie bleiben Lehnwörter, erscheinen aber immer weniger als Fremdwörter. Die Grenze zwischen beiden hat damit zu tun, ob und wann der Prozess der Eindeutschung oder Assimilation, also der Anpassung in Lautung und Schreibung, beginnt und wie weit er geht. Bei manchen Wörtern sind allerdings, obwohl sie schon vor langer Zeit entlehnt wurden, Merkmale der Ausgangssprache erhalten geblieben, und dennoch wird das Wort von den Sprechern als deutsches betrachtet. 28 Das Wort Theater hat mit dem Graphem <th> ein orthographisch fremdes Merkmal, das Wort Garage mit dem Anlaut der letzten Silbe einen Laut, der nicht zum deutschen Lautsystem gehört. Das Deutsche gilt als eine entlehnungsfreudige Sprache und wurde in seiner Geschichte im Zuge eines politisch motivierten Purismus gegen eine vermutete Sprachzerstörung ‚in Schutz genommen‘. Eine Übersicht über die Richtungen und Begründungen des Purismus gibt E ISEN - BERG (2018, S. 112 ff.). Historische Vorläufer waren die Sprachgesellschaften des 17./ 18. Jh., die bereits die große Zahl der lateinischen und französischen Fremdwörter monierten. Allerdings zielte diese frühe „Sprachpflege“ eher darauf, das Deutsche zu einer universell verwendbaren Sprache auszubauen. Philologen und Wissenschaftler wie L EIBNIZ betätigten sich daher nicht selten als Erfinder geeigneter deutscher Wörter, um die Lücken im Wortschatz zu füllen und die ausländischen Wörter überflüssig zu machen. Manche Vorschläge wurden heftig kritisiert und konnten sich nicht durchsetzen. Zum Beispiel bemühte sich O. VON Z ESEN vergeblich, das Wort Kloster durch „Jungfernzwinger“ und das schon gut integrierte 28 Vgl. dazu das Wörterbuch „Unser tägliches Latein“ von Kytzler, Bernhard / Redemund, Lutz ( 5 2007), Darmstadt: Verlag Philipp von Zabern / Wissenschaftliche Buchgesellschaft. <?page no="91"?> 90 Semantik und Lexikographie: 5 Zeichen und Begriff, Lexem und Wortschatz lat. Lehnwort Fenster durch „Tageleuchter“ zu ersetzen. Aber es gab viele erfolgreiche Eindeutschungen, etwa: B1 Akt Aufzug Korrespondenz Briefwechsel observieren beobachten Auch ohne eine Absicht der ‚Reinerhaltung‘ im Sinne des Purismus protestieren aktuell viele Deutsche gegen die deutliche Tendenz, immer mehr englische Wörter nicht nur gelegentlich zu verwenden, sondern auch in den deutschen Wortschatz zu übernehmen (vgl. das Neologismenwörterbuch des IDS). Die Linguisten sprechen neutral von Anglizismen (vgl. E ISENBERG 2013, S. 45 ff. und 178 ff.). Die Bürgerproteste, aber auch puristische Absichten werden aufgegriffen von dem „Verein deutsche Sprache (VdS)“ mit einem eigenen Periodikum und Negativpreisen, z.B. für den „Sprachpanscher des Jahres“. Dieser Verein wendet sich hauptsächlich gegen die große Zahl der englischen Wörter, die sowohl als „Zitatwörter“ wie auch vor allem als Entlehnungen in allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens auftreten. Die Bemühungen, Fremdwörter durch deutsche Wörter zu ersetzen, führten zu vielen so genannten Lehnbildungen (Lehnprägungen), wobei mehrere Typen zu unterscheiden sind. Da gibt es einmal die Lehnübersetzung, wie bei dem deutschen Montag, das aus dem lateinischen dies lunae (Mond-Tag) übertragen wurde. Ein weiterer Typus von Lehnbildung ist die Lehnschöpfung. Sie bildet ein fremdes Wort, auch ein zusammengesetztes oder eine Wortgruppe, auf andere Weise nach, wenn keine wörtliche Übersetzung möglich ist. Es handelt sich dann um Neubildungen von Wörtern unter fremdsprachigem Einfluss, wobei die Übertragung freier gegenüber dem Vorbild verfährt: Das englische Wort sky in skyscraper wird in der Lehnprägung Wolkenkratzer nicht mit Himmel, sondern mit Wolken nachgebildet. Auch das deutsche Wort Hochschule ist keine Übersetzung, sondern gilt als Lehnschöpfung oder Lehnprägung (N ÜBLING 2017, S. 141) aus dem lat. universitas. Abb. 4: Arten der Entlehnung (z.T. nach A. S TEDJE ) Weiter findet man Lehnbedeutungen, d.h. dass ein deutsches Wort eine Bedeutungserweiterung erfährt, gemäß einem entsprechenden ausländischen Wort. Das Wort Held hatte bis Mitte des 18. Jh. nur die Bedeutung ‚Mensch, der Hervorragendes leistet‘; nach dem Vorbild des englischen hero wurde dann auch die Bedeutungsvariante ‚literarische Hauptfigur‘ übernommen. Ähnlich ist es bei dem Verb buchen: Erst seitdem häufig die englische <?page no="92"?> 5.7 Gebrauch und Zitieren 91 Wendung to book a flight ins Deutsche übersetzt wird, erhielt das Verb buchen diese Bedeutung. Die verschiedenen Möglichkeiten sind in Abb. 4 zusammengestellt. Beispiele für die genannten Kategorien sind: Fremdwort: Comic (engl.), Zucchini (ital.), Integration (lat.), liken (engl.) Ombudsmann (Dän.) Lehnwort: Fenster (aus lat. fenestra), Kammer, Mode, Frisör, Bischof (aus griech. episkopos), Koffer (aus arab. quffa), Kutsche (aus ungar. kocsi szekér) Lehnübersetzung: Montag (aus lat. dies lunae), Rechtschreibung (aus griech. orthographia), Taschenbuch (aus engl. pocket book), Mitlaut (aus lateinbasiertem Konsonant) Lehnübertragung: Vaterland (gemäß lat. patria), Halbinsel (gemäß lat. paeninsula), Wolkenkratzer (gemäß engl. skyscraper) Lehnbedeutung: Ente (im Sinne von ‚falsche Zeitungsmeldung‘, frz.), feuern (2. Bedeutung aus engl. to fire) Entlehnt wurden auch grammatische Morpheme (Affixe, s. Kap. 7), besonders aus dem Griechischen und Lateinischen. Das dokumentieren z.B. Wörter wie konvertieren, informell, asozial, Absurdität. Viele dieser Morpheme sind nach wie vor für Wortbildungen in Gebrauch, wie der relativ neue linguistische Fachbegriff Illokution zeigt (vgl. Kap. 16). Zudem haben sich Relikte von Wörtern aus anderen Sprachen erhalten, z.B. lexikalische Einheiten wie finanzin Wörtern wie Finanzen, Finanzamt, finanziell, Finanzierung, die im Deutschen nicht als selbständige Wörter, aber in Zusammensetzungen vorkommen. 29 Es scheint insgesamt, dass die deutsche Sprache Fremdwörter recht gut integrieren kann, die Rechtschreibreform von 2006 hat den Prozess vorangetrieben. Andererseits werden Lautung und Originalschreibung oft lange Zeit respektiert. Das wird deutlich im Vergleich mit Italien, das in seiner Orthographie jede Erinnerung an das Griechische abgeschafft hat. Einige deutsche Wörter haben den Status eines Fremdworts in einer anderen Sprache bekommen. Dazu gehören z.B.: Angst - Gestalt - Kraftwerk - Weltschmerz - Leitmotiv - Kindergarten - Waldsterben - Hinterland - Abseilen - Rucksack - Wanderlust - Doppelgänger - Ersatz - Lager - Autobahn - Schadenfreude - kaputt - verboten. Das G OETHE -I NSTITUT hat 2007 eine Buchdokumentation mit dem Titel „Ausgewanderte Wörter“ herausgegeben, die von einer Zunahme der Entlehnungen aus dem Deutschen zeugt, auch in slawischen Sprachen oder im Japanischen. 5.7 Gebrauch und Zitieren Die strukturalistische Theorie hat darauf aufmerksam gemacht, dass natürliche Sprachen eine „Fähigkeit (haben), sich auf sich selbst zu beziehen oder sich selbst zu beschreiben“, 29 Die Morphologie bezeichnet sie als Konfixe. <?page no="93"?> 92 Semantik und Lexikographie: 5 Zeichen und Begriff, Lexem und Wortschatz wie L YONS sagt. 30 Diese Bemerkung ist allerdings insofern zu korrigieren, als es die Sprecher sind, die sich mit derselben Sprache, die sie immer benutzen, auch über diese Sprache oder über ihre Kommunikation unterhalten können. Was bei L YONS „Reflexivität der Sprache“ genannt wird, ist also eine Reflexivität der Sprecher. Oft wird das als „metasprachliche“ Verwendung von Wörtern bezeichnet. Wer mit Sprache bewusst umgeht, möchte oft etwas über bestimmte sprachliche Elemente sagen/ schreiben. Dafür sind auch schriftsprachliche Konventionen entwickelt worden. (B2) gibt Beispiele: B2 Goethe war nicht nur Dichter, sondern auch Naturwissenschaftler. Goethe wird oft falsch geschrieben. Goethe ist ein Wort mit 6 Buchstaben. Der Name „Goethe“ stammt aus ... In diesen Bereich gehört die Unterscheidung zwischen Gebrauch und Zitieren. Wer über die Bedeutung von Rhinozeros spricht, tut etwas Ähnliches wie der, der die Rede eines anderen schriftlich wiedergibt, sie also zitiert. Die Gemeinsamkeit besteht darin, dass der Sprecher das Wort oder die Äußerung nicht inhaltlich gebraucht, sondern er bezieht sich auf den allgemeinen Sprachgebrauch oder auf die Rede eines anderen. In privater und öffentlicher Kommunikation wird das meist mit Anführungszeichen gekennzeichnet, in linguistischer Fachliteratur nutzt man dafür besonders die kursive Schriftart. Ausgewählte Aufgaben zu Kap. 5 (11 von 35) 4. Welcher Begriff passt? Wählen Sie die richtige Antwort. a) Ein in ein Wörterbuch eingetragenes Wort bezeichnet man als [? ] Lexem Lemma Begriff Terminus b) Das Zeichen in der Wettervorschau ist aus semiotischer Perspektive ein [? ] Index Ikon Symbol c) Wenn ein Wort im unmittelbaren Umfeld eines anderen in Texten auftritt, bezeichnet man das als [? ] Kookkurrenz Lehnwort Assimilation Konkordanz 6. Das Wort „abdingen“ ist kein Neologismus, sondern ein altes deutsches Wort. Was bedeutet es? Recherchieren Sie im Goethe-Wörterbuch, im Deutschen Wörterbuch der Brüder Grimm und bei Adelung (s. Internetlinks, (Wörterbuchnetz). Gibt es auch ein „aufdingen“? 9. Findet sich für das Kompositum „Wolkenkuckucksheim“ ein Eintrag in den digitalen Wortauskunftsystemen? Recherchieren Sie im: OWID ( ) ☐ ja ☐ nein 11. Untersuchen Sie einen beliebigen Artikel aus der Tagespresse auf die darin enthaltenen entlehnten Wörter und unterscheiden Sie Anglizismen von „eingedeutschten“ Wörtern. 30 Lyons (1980, S. 19). <?page no="94"?> 5.7 Gebrauch und Zitieren 93 15. Erläutern Sie folgende Begriffe der Lexikologie: Grundwortschatz (Kernwortschatz), Fremdwortschatz, Erbwortschatz 16. In ihrer Freizeit chattet Maria oft mit ihren Freundinnen, sie gehen manchmal shoppen, einen Latte trinken, surfen im Internet und googeln die kursiv gedruckten Wörter für den Linguistik-Kurs. Würden Sie die kursiv gedruckten Wörter im Deutschkurs vermitteln, und wenn ja, wie würden Sie sie erklären? Konzipieren Sie selbst einen Wörterbucheintrag. 19. Betrachten Sie die folgenden Sprichwörter aus anderen Sprachen, die hier wörtlich übersetzt wurden. 31 Können Sie verstehen, was damit gesagt werden soll? Gibt es eine deutsche Entsprechung? Welche weiteren Sprichwörter aus dem Deutschen oder anderen Sprachen kennen Sie, sind sie übersetzbar? „Mit einem Beil wäscht man kein Fenster.“ (tschech.) „Wer schmiert, der fährt.“ (tschech.) „Kürze ist die Seele des Geistreichen.“ (engl.) „Besser spricht, wer als Letzter spricht.“ (gr.) 22. Deutsche Wörter sind auch in andere Sprachen ausgewandert. Welche Wörter erkennen Sie? 32 otoban (türk.), vešeraj (serb.), galstuk (russ.), vachtër (russ.), maljuvaty (ukrain.), arubaito (japan.), wandaafoogeru (japan.), ryukkusakku (japan.) 24. Betrachten Sie den Ausdruck Lohnsteuerjahresausgleich. Ist dieses Wort Bestandteil des deutschen Grundwortschatzes? Begründen Sie Ihre Antwort. 26. Was meint man mit dem Terminus Internationalismus? Geben Sie Beispiele. 34. Aus welchen Sprachen stammen die folgenden deutschen Wörter? 33 (Arabisch - Griechisch - Hindi - Slowenisch - Französisch - Russisch) Apotheke, Avatar, Diplom, Epoche, Kostüm, Katalog, Steppe, Tarif, Ziffer Ausgewählte weiterführende Literatur Bartels, Klaus (2010) Wie Berenike auf die Vernissage kam. 77 neue Wortgeschichten. Mainz: von Zabern Ehlich, Konrad (2006) Von Fransch zu Denglish. Bewegungen im deutschen Wortschatz. In: Breuer, Ulrich / Hyvärinen, Irma (Hg.) Wörter-Verbindungen. Frankfurt a.M.: Lang, S. 47-57 Eisenberg, Peter ( 3 2018) Das Fremdwort im Deutschen. Berlin: de Gruyter Fritz, Gerd ( 2 2006) Historische Semantik. Stuttgart: Metzler Grimm, Jacob/ Grimm, Wilhelm (1854-1960) Deutsches Wörterbuch. Leipzig: Verlag S. Hirzel Neubearb. 1965 ff. München: dtv ( 3 1999) Haß-Zumkehr, Ulrike (2000) Das Deutsche Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm als Nationaldenkmal. In: Gardt, Andreas (Hg.) Nation und Sprache. Zur Diskussion ihres Verhältnisses in Geschichte und Gegenwart. Berlin: de Gruyter, S. 229 ff. 31 Die Beispiele entstammen Krifka et al. (2014). 32 Die Beispiele entstammen Krifka et al. (2014). 33 Die Beispiele entstammen Krifka et al. (2014). <?page no="95"?> 94 Semantik und Lexikographie: 5 Zeichen und Begriff, Lexem und Wortschatz Kytzler, Bernhard / Redemund, Lutz ( 5 2007) Unser tägliches Latein. Lexikon des lateinischen Spracherbes. Darmstadt: Conlibro Limbach, Jutta (Hg.) (2007) Ausgewanderte Wörter. München: Hueber Löbner, Sebastian ( 2 2015) Semantik. Eine Einführung. Berlin: de Gruyter. Kapitel 2: Dimensionen der Bedeutung Lutzeier, Peter Rolf (1995) Lexikologie. Tübingen: Stauffenburg Nöth, Winfried (2000) Handbuch der Semiotik. Stuttgart: Metzler Schläfer, Michael ( 2 2009) Lexikologie und Lexikographie. Eine Einführung am Beispiel deutscher Wörterbücher. Berlin: Erich Schmidt Schnörch, Ulrich (2002) Der zentrale Wortschatz des Deutschen. Strategien zu seiner Ermittlung, Analyse und lexikographischen Aufarbeitung. Tübingen: Narr <?page no="96"?> 6 Semantische Beziehungen, Merkmale und Konzepte 6.1 Grundbegriffe der semantischen Theorie 6.1.1 Traditionelle Semantik Jede Sprache weist verschiedene Typen von Wörtern auf. Eine bekannte Einteilung von der Bedeutung her ist die in Inhaltswörter, traditionell Autosemantika, und Synsemantika. Als Autosemantika bezeichnet die Semantik diejenigen Lexeme, die lexikalisch selbstständig (gr. autós) und daher kontextunabhängig verständliche Wörter sind. Gegen das Kriterium ‚kontextunabhängig‘ ist allerdings einzuwenden, dass die konkrete Bedeutung kontextbezogen schwankt, und zwar sehr häufig. Man betrachte z.B. das Substantiv Fenster in den Äußerungen: a) Mach mal das Fenster auf! b) Hier werden Millionen Euro zum Fenster hinausgeworfen! c) Schließen Sie alle anderen Fenster Ihres Browsers und starten Sie den Browser erneut. Auch ein Adjektiv wie spitz kann nicht nur auf Gegenstände bezogen werden, sondern jemand kann auch mit spitzer Stimme sprechen oder spitzfindig sein. Die so genannten Synsemantika gelten demgegenüber als unselbstständig und kontextabhängig. Dazu rechnet man meist Wörter, die keine Bedeutungen begrifflicher Art haben, z.B. Pronomina, oder sog. „Funktionswörter“, also grammatisch wichtige, meist einfach gebildete Wörter wie Konjunktionen oder Präpositionen. Sie dienen der differenzierten Verknüpfung von sprachlichen Einheiten und tragen so zur Konstituierung von Satz- und Äußerungsbedeutungen bei. Die Annahme, dass sie unselbstständig seien, ist allerdings auch hier wieder fragwürdig. Sie sind eher Lexeme, bei denen Funktion und Bedeutung generell eng mit dem Kontext verbunden sind. Schon die Lexeme des Kernwortschatzes sind zum Teil abgeleitet von Basislexemen, d.h. sie gehören zu einer Wortfamilie. Wortfamilien sind objektive lexikalische Gruppierungen, deren Entstehungsprinzipien in der Wortbildungslehre beschrieben sind. Diese Prinzipien sind gerade für das fremdsprachliche Lernen sehr wichtig. In neueren Grammatiken werden sie erklärt, 1 in Einzelfragen helfen Wörterbücher. 2 Eine Wortfamilie beruht meist auf einem Basismorphem, sehr häufig ist dieses das Stammmorphem eines Verbs. Die D UDEN -Grammatik nennt als Beispiele die Wortfamilien des Verbs ziehen (vgl. Kap. 7) und des Adjektivs klug. 3 Während zur Wortfamilie formähnliche Wörter gehören, geht es bei einem Wortfeld um inhaltliche Ähnlichkeit. Zu einem Wortfeld gehören lexikalische Einheiten, die nach dem Prinzip des Sachbezugs, der ‘Sinnverwandtschaft‘, zusammengestellt sind. Zum Beispiel sind die Verben wandern, spazieren, bummeln Teile eines Wortfeldes, das man dem relativ neutralen Verb gehen unterordnen kann. Die Wörter eines solchen Feldes sind bei gleicher Wortart partiell synonym. Bedeutungsbeschreibungen sind, wie oben gesagt, Aussagen über das gemeinsame Sprachwissen der Sprecher des Deutschen. Die Erklärung der Differenzen zwischen ähnlichen Wörtern erfordert es, nicht nur das einzelne Wort zu betrachten, sondern vor allem sein Auftreten in verschiedenen Kontexten zu untersuchen 1 Siehe Duden-Grammatik (2016). 2 Ein neues Wörterbuch macht das zum Ordnungskriterium: „Wortfamilienwörterbuch der deutschen Gegenwartssprache“ von Gerhard Augst et al. (2009). 3 Duden-Grammatik (2016, S. 690). <?page no="97"?> 96 Semantik und Lexikographie: 6 Semantische Beziehungen, Merkmale und Konzepte und zu vergleichen. Dadurch kann eine Bedeutung präziser beschrieben werden, auch ihre Veränderung durch den Sprachwandel. Wenn man Wörter aufgrund ihrer Ähnlichkeit in semantischer Hinsicht gruppiert, betrachtet man den Wortschatz von seinem Inhalt und oft von seinem Realitätsbezug her. Man fragt dann z.B., wie in einer Sprache eine bestimmte Art der Fortbewegung bezeichnet und beschrieben werden kann. Diese Perspektive wird als onomasiologisch bezeichnet, abgeleitet von dem Terminus Onomasiologie (Bezeichnungslehre). Dem wird meist die umgekehrte semasiologische Perspektive gegenübergestellt (von Semasiologie oder Bedeutungslehre), bei der man von Wörtern oder Wortformen ausgeht und danach fragt, welche Bedeutungen ihnen zukommen. 4 In beiden Richtungen sollten die Ergebnisse im Wesentlichen dieselben sein, aber dennoch ist es z.B. kontrastiv ein wichtiger Unterschied, ob man fragt, wie verschiedene Sprachen denselben Inhalt ausdrücken, oder ob man zwei Wörter der beiden Sprachen als Ausgangspunkt nimmt und ihre Bedeutungen vergleicht. Auch für das Sprachlernen spielen diese Perspektiven eine Rolle. Die Wortfeldtheorie versucht, vor allem die lexikalisch-begrifflichen Ausdrücke einer Sprache nach semantischen Feldern zu ordnen. Dafür müssen zunächst einmal Kriterien der Einteilung von der Inhaltsseite her gefunden werden. Um interne Gliederungen eines Wortschatzes oder Wortfeldes zu verdeutlichen, greift die Lexikologie gern auf eine terminologische Unterscheidung von S AUSSURE zurück: die paradigmatische (vs. Syntagmatische) Beziehung. 5 Man kann z.B. die Gebrauchsbedingungen oder die semantische Potenz eines Verbs der Fortbewegung dadurch ermitteln, dass man in gegebene Äußerungen einige oder alle Verben des Wortfeldes einsetzt und prüft, ob das möglich ist bzw. welche Veränderung sich dadurch jeweils ergibt. Abb. 1: Beispiel für eine paradigmatische Zusammenstellung - schreiten - - schlendern - Die Museumsbesucher - gehen - durch die Ausstellung. - schleichen - - wandern - In Abb. 1 werden einige Beispiele für Alternativen eingebracht. Hier ist das Verb schleichen im Kontext fragwürdig, es könnte mit einem Sternchen * oder einem Fragezeichen (? ) markiert werden. Beide Zeichen stehen für eine Abweichung bis hin zur Verletzung von Gebrauchskonventionen. Das ist in grammatischen Fragen etwas einfacher herauszufinden. Im semantischen Bereich gibt es aber keine expliziten Regel-festlegungen. Es geht eher um eine Art semantische Verträglichkeit. Das Verb schleichen passt deswegen nicht so gut zu dem Beispielsatz, weil die damit verbundene Heimlichkeit nichts mit einem Museumsbesuch zu tun hat. Umgangssprachlich wird schleichen jedoch auch für allzu langsames Gehen verwendet. 4 Zugrunde liegen die griechischen Wörter onoma = Name und sema = Zeichen. 5 Nach Lutzeier hat die paradigmatische Dimension zu tun mit „Kontrasten und Zusammenhängen der Lesarten verschiedener Wörter“ (1995, S. 46). <?page no="98"?> 6.1 Grundbegriffe der semantischen Theorie 97 6.1.2 Frame-Semantik Der Ansatz der Frame-Semantik wird von der Kognitiven Linguistik (neben Begriffen wie Schema und Skript) ausgearbeitet, um alltägliche Wissenskomplexe zu beschreiben (für eine Übersicht s. B USSE 2012 und L ÖBNER 2015). Den Begriff Frame (Rahmen) könnte man als situationsbezogenes Sprachwissen erläutern. Einen Frame kann man sich erschließen durch Fragen des Typs: Was passiert genau bei dem Ereignis X? Wer und was gehört zu diesem Ereignis? Solche Ereignisse sind z.B. eine Hochzeit oder ein Kindergeburtstag. Sie sind also oft mit kulturell geprägter Erfahrung verbunden. Generell sind Frames Konzepte, die sich durch eine hohe Stabilität auszeichnen. Die Semantik untersucht lexikalische Konzepte, die an Begriffe oder Inhaltswörter gebunden sind. Soweit es um Handlungsabläufe geht, passen ‚Skript‘ oder ‚Szenario‘ besser. Der Ansatz geht zentral auf die Arbeiten von C HARLES F ILLMORE zurück und wurde von diesem im Rahmen der Konstruktionsgrammatik ausgebaut. In der Konstruktionsgrammatik werden diejenigen Verknüpfungen von Konzepten, die sich auch in Satzkonstruktionen nachweisen lassen, analysiert. Mit einem Verb wie fragen sind z.B. als Situationselemente SPEAKER, TOPIC und ADDRESSEE verbunden, da die Tätigkeit des Fragens außer dem Fragesteller und dem Fragethema einen wissenden Adressaten (Auskunftgeber) erfordert. Ein anderes Verb, pflegen, ruft als beteiligte Konzepte 1. ein hilfsbedürftiges Subjekt oder Lebewesen, 2. ein zum Helfen fähiges Subjekt, 3. eine geeignete, pflegetypische Situation auf. Hier berühren sich semantische und grammatische Theorie im Begriff der semantischen Rollen, der in die Valenzgrammatik eingegangen ist (s. Kap. 9.5). Man vermutet, dass die semantischen Rollen universal sind, während die grammatischen Beziehungen etwa zwischen Verb und Akkusativobjekt, „Konstruktionen“ genannt, in jeder Sprache anders sind. Ein weiterer Begriff ist von der Kognitiven Linguistik in die Diskussion eingebracht worden. Die traditionellen Sachgebiete, nach denen Wortschatz geordnet werden kann, werden hier als konzeptuelle Domänen (Begriffsfelder) bezeichnet, z.B. „Raum“, „menschlicher Körper“, „Krankheit“, „Reise“. Der Ausdruck „Wortfeld“ wird spezifischer auf eine Zusammenstellung von begrifflichen Einheiten derselben konzeptuellen Domäne bezogen. Die oben angesprochene Mehrdeutigkeit von Autosemantika in verschiedenen Kontexten lässt sich dann als Übertragung aus einer konzeptuellen Domäne in eine andere auffassen. Aus kognitionslinguistischer Sicht würde man also z.B. sagen, dass die in der Domäne „Computer“ verwendeten Konzeptualisierungen (speichern, Zugang, Fenster etc.) z.T. der Domäne „Haus“ entliehen wurden. Die Frame-Semantik inspiriert Lexikologen dazu, Wörter auf die dazugehörigen Rahmen hin zu untersuchen und die Ergebnisse in Datenbanken festzuhalten. In der Spracherwerbsforschung (vgl. F ISCHER / S TEFANOWITSCH 2008) verspricht man sich von der Konstruktionsgrammatik genaueren Aufschluss über die Strukturen des Sprachwissens. 6 6 Das Institut für deutsche Sprache gab einen Band (Engelberg / Holler / Proost 2011) heraus, der das „sprachliche Wissen zwischen Lexikon und Grammatik“ thematisiert. <?page no="99"?> 98 Semantik und Lexikographie: 6 Semantische Beziehungen, Merkmale und Konzepte 6.2 Semantische Relationen Lexeme weisen verschiedene Arten von Relationen untereinander auf. Die Semantik hat dafür folgende grundlegende Einteilung vorgenommen (auch diese Bezeichnungen sind von onoma (Name) und sema (Zeichen) abgeleitet): 1. Synonymie 2. Antonymie 3. Homonymie 4. Polysemie 5. Hyponymie und Hyperonymie 6. Metapher 7. Metonymie Synonymie kann zwischen zwei lexikalischen Elementen bestehen, die grundsätzlich, in einer bestimmten sprachlichen Umgebung oder auch in einer Situation dieselbe (oder eine sehr ähnliche) Bedeutung haben. Sonnabend und Samstag sind Synonyme, wobei aber die regional unterschiedliche Gebrauchshäufigkeit zu beachten ist. Die beiden Lexeme sind daher nicht frei austauschbar. Synonymie ist zentral innerhalb eines Wortfeldes: Hier besteht meist partielle Synonymie. Sprachgeschichtlich traten Synonyme im deutschen Sprachgebiet durch die Vielzahl von Territorialsprachen und Ortsmundarten im 15. Jh. gehäuft auf. Zum Beispiel gab es mindestens 12 Bezeichnungen für den Fleischer (Metzger, Fleischhacker, Knochenhauer …). 7 Einige davon existieren weiter nebeneinander. Synonymie kann ausgeweitet werden auf Wortgruppen und Anordnungen im Satz. Das „Studienbuch Linguistik“ 8 gibt folgende Wort- und Satzbeispiele: B1 anfangen - beginnen Die Nadel ist zu kurz. - Die Nadel ist nicht lang genug. Man hat Cäsar ermordet. - Cäsar wurde ermordet. Es war schwer, die richtige Antwort zu finden. - Die richtige Antwort zu finden war schwer. - Die richtige Antwort war schwer zu finden. Die in Kap. 5 angesprochenen Konnotationen (Nebenbedeutungen) können dazu führen, dass keine Synonymie zustandekommt. Konnotationen, die allgemein bekannt sind und im Wörterbuch berücksichtigt werden, müssen dann als Teil der Wortbedeutung betrachtet werden. Oft sind sie aber an bestimmte Sprechergruppen gebunden. So können mit einem Wort wie „Hippie“ oder „Sozialdemokrat“ z.B. je nach Sprechendem positive oder negative Einschätzungen der so benannten Personen verbunden sein. Im Extremfall handelt es sich um eine individuelle Assoziation aufgrund persönlicher Erfahrungen. Der Begriff sollte daher nur mit näheren Angaben gebraucht werden. Synonyme bieten Umschreibungsmöglichkeiten. Für Sprachlerner, aber auch für Deutsche, die ihren Schreibstil verbessern wollen, sind Synonymwörterbücher entstanden. 9 Antonyme sind solche Lexeme, die logisch nicht kompatibel sind, es handelt sich um semantische Gegensatzpaare. Solche Gegensatzpaare gibt es in verschiedenen Wortarten. Das Metzler-Lexikon nennt als Beispiele: tot - lebendig, Ruhe - Bewegung, öffnen - schließen. Besonders bei einem Teil der Adjektive wird die Antonymie als wichtige Beziehung, die auf Polarität beruht, erachtet. Während tot / lebendig, weiß / schwarz echte Gegensätze 7 Vgl. Schildt, Joachim (1991) Kurze Geschichte der deutschen Sprache. Berlin: Volk und Wissen, S. 112. 8 Linke / Nussbaumer / Portmann ( 2 1994, S. 142). 9 Ein Beispiel ist das „Wörterbuch Synonyme“ von Görner / Kempcke (2000). <?page no="100"?> 6.2 Semantische Relationen 99 sind, sind bestimmte andere Adjektive graduierbar, d.h. steigerbar. Es entspricht der Logik, dass eine Aussage wie „X ist heiß“ impliziert: „X ist nicht kalt“. Aber Wahrnehmungen sind relativ. Ein Ton kann als sehr laut beurteilt werden, ein anderer wird im Bereich der ‚normalen‘ Lautstärke oder als relativ leise eingeordnet. Immerhin kann man hier Maßeinheiten festlegen und eine Objektivierung erreichen. Bei der Bewertung von Handlungen ist eine derartige Festlegung kaum möglich. Eine bestimmte Handlung kann z.B. als dumm, ziemlich dumm oder auch als ziemlich intelligent eingeschätzt werden. Bei antonymen Ausdrücken ist das allgemeine Phänomen der Neutralisierung zu beachten: Das Adjektiv groß ist z.B. Antonym von klein, so wie dick von dünn; dennoch spricht man in Fragen wie: B2 Wie groß ist er? Wie dick ist das Seil? nur allgemein von den Eigenschaften Größe und Dicke. Das heißt, auch wenn eine Person relativ klein oder ein Seil relativ dünn ist, spricht man neutral von ihrer Größe, entsprechend geht es beim Seil um seine Dicke. Ein Problem bei solchen Adjektiven, die von einer solchen gedachten Skala her interpretiert werden, kann ihre Vagheit werden, jedenfalls dann, wenn genaue Angaben erwünscht sind. Häufig wird Antonymie, gerade bei Adjektiven, nicht durch semantisch gegenteilige Lexeme ausgedrückt (freundlich - feindlich), sondern durch die Wortbildung, durch negierende Vorsilben oder Endsilben: B3 a) freundlich - unfreundlich b) implizit - explizit c) lustvoll - lustlos Homonyme sind bedeutungsverschiedene Wörter, die historisch möglicherweise früher verschiedene Formen hatten, sich aber lautlich und/ oder graphisch so entwickelt haben, dass sie in der Wortform deckungsgleich (geworden) sind. Einem Ausdruck entsprechen dann zwei Lexeme. Zum Beispiel heißt ein Vogelkäfig auch Bauer, was mit der Bezeichnung für den Landwirt formal (d.h. in der äußeren Form) übereinstimmt, aber ansonsten mit dieser nichts zu tun hat. Das eine Lexem ist ein Homonym des anderen, zwischen ihnen besteht die Beziehung der Homonymie. Nicht selten besteht die Formengleichheit nur partiell, Genusunterschiede können auftreten (die Kiefer - der Kiefer); auch einzelne Wortformen können unterschiedlich sein. So unterscheidet sich bei dem Substantiv Bank der Plural der beiden Bedeutungsvarianten (die Bänke vs. die Banken), die etymologisch zwar zusammenhängen, heute aber als Homonyme gelten. 10 Auch orthographische Ungleichheit kommt vor: Die beiden Verben malen und mahlen sind, wenn man die Lautseite im Auge hat, homophon; wegen des orthographischen Unterschieds sind sie aber keine Homographen. Homonymie kann darüber hinaus in Texten durch Wortformen entstehen, die kontextuell erschlossen, d.h. einem Lexem zugeordnet werden müssen. Das Wort Summen kann z.B. als substantiviertes Verb, aber auch als Plural von die Summe gelesen werden. Von Polysemie (Mehrdeutigkeit) spricht man dann, wenn ein Wort durch Ausdehnung seines Gebrauchs im Laufe der Zeit eine Art Aufspaltung oder Ausdifferenzierung seiner Bedeutung erfahren hat, was sehr häufig der Fall ist. Man unterscheidet dann mehrere 10 Eine Bank ist nicht nur eine Sitzgelegenheit, sondern auch eine Unterlage, gemäß der ersten Entlehnung aus dem Italienischen. Im 15. Jh. erfolgte eine zweite Entlehnung mit der Bedeutung ‚Wechselbank‘. <?page no="101"?> 100 Semantik und Lexikographie: 6 Semantische Beziehungen, Merkmale und Konzepte Lesarten oder Teilbedeutungen. Ein Beispiel ist das Wort Brücke, das laut Wörterbuch H ERMANN P AUL drei konkrete und eine übertragene Bedeutung hat: B4 Brücke a) Weg über ein Hindernis b) Zahnersatzteil c) die Kommandobrücke bei einem Schiff d) eine Verbindung Polysemie ist nicht immer leicht abzugrenzen von Homonymie. Z.B. ist Schloss, etymologisch betrachtet, eigentlich ein polysemes Wort, im oben genannten Wörterbuch erläutert als: B5 Schloss a) Vorrichtung zum Verschließen b) Wohnsitz eines Vornehmen Der ursprüngliche Bedeutungszusammenhang ist aber für heutige Sprecher unbekannt: Im 13. Jh. wurde Schloss als Lehnübertragung (s.u.) zu dem lateinischen Wort exclusa bzw. clusa (auch übertragen im Wort Klause) im Sinne von ‚befestigte Anlage, Burg‘ eingeführt; die Vorstellung des Befestigtseins trat später zurück, eine herrschaftliche Wohnanlage wurde so genannt. Daher vermuten die meisten Sprecher heute, dass die beiden Wortbedeutungen nichts miteinander zu tun hätten, die Lexeme also Homonyme sind. Aus der häufigen Polysemie von Wörtern des Kernwortschatzes resultiert eine Eigenschaft der Umgangs- oder Alltagssprache, die manchmal halb vorwurfsvoll als Ungenauigkeit, als Vagheit oder Unschärfe beschrieben wird. In Wahrheit ist die Mehrdeutigkeit von Lexemen aber als ein Vorteil der Gemeinsprache zu betrachten: Der Wortschatz ist kleiner, als er sonst sein müsste, und die Sprecher können ihre Sprechweise flexibel anpassen. Hyponyme und Hyperonyme sind Begriffe, die in logischer Relation zu anderen gesehen werden. Inhaltlich zusammenhängende Begriffe werden hierarchisch geordnet vorgestellt und im Allgemeinen in der Form von Baumgraphen (Baumdiagrammen) dargestellt. Dabei wird das Oben und Unten in der Graphik als ein Mehr oder Weniger an Abstraktheit gedeutet. Die Hyponyme sind zunehmend spezifischer, konkreter. Mithilfe solcher Beziehungen ordnet oder klassifiziert man Gegenstandsbereiche nach sachlogischen Kriterien. Das Hyperonym ist der jeweils übergeordnete Begriff. Blume ist z.B. hyperonym zu Tulpe; Tulpe ist umgekehrt ein Hyponym von Blume (vgl. Abb. 2). Abb. 2: Baumdiagramm zur Darstellung von Hyponymie Unter einer Metapher wird, allgemein gesagt, ein bildlicher Ausdruck verstanden, der durch die Übertragung einer Bezeichnung entsteht. Das Verb metapherein bedeutete im Griechischen ‚anderswohin tragen‘. Der Terminus entstammt der klassischen Rhetorik, in der die Metapher eine Stilfigur ist. Die Metapher beruht auf einem Vergleich, ist in der sprachlichen Form vom Vergleich aber deutlich unterschieden. Bei der Metapher liegt eine <?page no="102"?> 6.3 Semantische Merkmale und Prototypen 101 Übertragung aufgrund von Ähnlichkeiten der äußeren Gestalt, der Eigenschaften, der Funktion oder Verwendung vor. Ein Beispiel für Metaphorik ist die Redeweise von „Schafen“ und „Hirten“ in der katholischen Kirche, wenn es um die Gläubigen und den Klerus (Priester, Geistliche) geht. Wörter aus bestimmten Wortfeldern wurden und werden gern als Metaphern in Komposita verwendet, z.B. die Bezeichnungen für Körperteile: B6 Schraubenkopf, Versfuß, Goldader, Flaschenhals, Tischbein Eine Metonymie liegt vor, wenn (ebenfalls nach rhetorischer Lehre) ein Ausdruck durch einen anderen ersetzt wird, der zu ihm in einer realen Beziehung (zeitlich, räumlich, kausal oder anders) steht. Hierbei geht es also nicht um Ähnlichkeit, sondern eher um einen tatsächlichen Zusammenhang, um eine real vorhandene Beziehung. Eine Fülle von Metonymien entsteht ganz alltäglich, weil sie Verkürzungen ermöglichen: B7 Haben Sie jemals Goethe gelesen? statt: (ein) Werk von Goethe Berlin hat bisher nicht Stellung genommen. statt: die Regierung in Berlin Das Management ist in dieser Frage nicht einig. statt: Die Gruppe der Manager 6.3 Semantische Merkmale und Prototypen In Kap. 5 wurde der Unterschied zwischen der Bedeutung (dem Inhalt) eines Worts und seiner Gebrauchsbedeutung, der Referenz eingeführt. Ein Sprecher referiert mit einem Wort auf Gegenstände und Sachverhalte, die dann als Referent des Wortes gelten. Allerdings kann er sich nicht direkt auf einen Gegenstand beziehen, sondern nur auf entsprechende „gedankliche Einheiten in der Vorstellungs- und Erfahrungswelt der Menschen“. 11 Im Rahmen einer Situation kann ein Sprecher sich bei einer „aktuellen Referenz“ 12 Freiheiten erlauben. Eine unkonventionelle Referenz kann eine Übertragung (Metapher) sein und (langfristig) zu einer Bedeutungsausweitung oder -verschiebung führen. Wortbedeutungen können dann zusätzliche Aspekte bekommen, sie werden ausgebaut, es entsteht Polysemie. Diese Überlegungen zeigen bereits, dass die Beschreibung von Bedeutungen und ihren Veränderungen schwierig, aber auch interessant ist (vgl. G ERD F RITZ 2006). 6.3.1 Die Merkmalsemantik Das bekannteste Verfahren der Bedeutungsanalyse beruht auf einer Bedeutungsbeschreibung, die schon A RISTOTELES entwickelt hat. Es wird als Merkmalsemantik bezeichnet und besteht in dem Versuch, Wortbedeutungen in Teilbedeutungen zu zerlegen. Jede begriffliche Wortbedeutung ist demnach eine Art Merkmalbündel. Die strukturelle Semantik verfolgt das Ideal, ein Inventar aller denkbaren semantischen Merkmale zusammenzustellen, mit dem alle Wortbedeutungen beschrieben und miteinander verglichen werden können. Damit die semantischen Merkmale distinktiv sein können, müssen sie „Seme“ sein, also elementare, nicht weiter zerlegbare Einheiten; außerdem sollen sie generell sein (L ÖBNER 2015, S. 276). Die allgemeinsten und universal vorhandenen Bedeutungsmerkmale sind Unterscheidungen wie belebt vs. unbelebt, männlich vs. weiblich vs. neutral, räumliche Anordnungen wie oben vs. unten. S. L ÖBNER (2015, S. 272) illustriert die Angabe gemeinsamer semantischer Merkmale und auch die Schreibweise der Merkmale (Großbuchstaben in eckigen Klammern) so: 11 Pörings / Schmitz (2003, S. 30). 12 Vgl. Adamzik (1994, S. 55). <?page no="103"?> 102 Semantik und Lexikographie: 6 Semantische Beziehungen, Merkmale und Konzepte Mädchen - Frau - Tante - Königin [MENSCH] [WEIBLICH] Junge - Mann - Onkel - König [MENSCH] [MÄNNLICH] Die Lexeme Kind und Person dagegen haben kein Geschlechtsmerkmal. In tabellarischen Aufstellungen wird das Vorhandensein eines Merkmals mit [ + ], das Fehlen mit einem Minuszeichen dargestellt (binäre Analyse) (vgl. L ÖBNER 2015, S. 272 ff.). Der Begriff Kind kann von daher als [männlich / weiblich], aber auch als [+ neutral] dargestellt werden. Viele der verwendeten Merkmale sind Hyperonyme. Ihre Hyponyme in einem Wortfeld lassen sich allerdings nicht immer klar gegen andere abgrenzen. Ein bekanntes Beispiel ist das Wortfeld der Namen für Gewässer im Deutschen (B8). Zum Beispiel ist unklar, ob es eine Größenhierarchie gibt zwischen Weiher, Tümpel, Teich und See: B8 Bach, Fluss, Strom, Kanal, Weiher, Teich, Meer, See, Tümpel, Pool u.a. Unterscheidungen wie diese entstehen in einer Sprache nicht aus einem systematischen Einteilungsbedürfnis, wie das in einer Wissenschaft oder einem Fach der Fall ist, sondern die einzelnen Gewässernamen kommen unter verschiedenen Perspektiven und Aspekten, unabhängig voneinander zustande. Daher gibt es oft die Möglichkeit, zwei oder drei Bezeichnungen für dasselbe Gewässer zu verwenden. Schwierig ist die Analyse oft auch bei kulturell bestimmten Merkmalspaaren wie erwachsen / kindlich, natürlich / produziert oder bei den Funktionen von Gebrauchsgegenständen. 13 Insgesamt gab und gibt es viel Kritik an den Beschränkungen einer binären Merkmalsanalyse, die viele Bedeutungsbeziehungen schlecht erfassen kann. 14 Somit ist auch das Bedeutungswissen der Sprecher nicht adäquat zu erklären. 6.3.2 Die Prototypensemantik Anders geht die sog. Prototypensemantik (Prototypentheorie) vor. Sie gehört zur Kognitiven Linguistik (vgl. Kap. 3.4.1). Ihr Ausgangspunkt ist die ebenfalls schon von A RISTO - TELES stammende logische Kategorie: Wortbedeutungen sind Kategorien, nach denen Menschen die Wirklichkeit einteilen. Die mentale Tätigkeit heißt Kategorisierung. Anhand von Studien zur Farbwahrnehmung stellte man fest, dass es viele Übergangsstufen gibt, bei denen Farbzugehörigkeit graduell beurteilt wird, ausgehend von den klaren, prototypischen Farbwahrnehmungen. In weiteren Exprimenten zu Wortbedeutungen stellte sich eine ähnliche Orientierung an Prototypen heraus, also an „Exemplaren, die die Kategorie am besten repräsentieren“ (L ÖBNER 2015, S. 323). Ein beliebtes Beispiel für einen Zweifelsfall ist der Pinguin, der in den Augen der meisten Sprecher des Deutschen kein typischer Vogel ist, weil er schwimmt und keine flugtauglichen Flügel hat. 15 In ähnlicher Weise wurden Sprecher befragt, was für sie ein typischer Schlafanzug, ein typischer Apfel oder eine typische Tasse ist. Dass sich dabei Übereinstimmungen herausstellten, auch hinsichtlich der untypischen Vertreter der Kategorie, kann nicht überraschen. Die Frage, was als typisch und weniger typisch gilt, wird in einer Sprechergemeinschaft sozial entwickelt und ausdifferenziert. 13 Vgl. Schwarz / Chur (2005, S. 37 ff.) und Stolze (2005, S. 44 f.). 14 Die kritische Bewertung der Merkmalsemantik stellt Löbner (2015, S. 280 ff.) genauer dar. 15 Experimente von Eleanor Rosch in den 1960er Jahren beinhalteten Sprecherbefragungen auch zur Kategorie ‚Vogel‘. Vgl. auch Schwarz / Chur (2005, S. 49). <?page no="104"?> 6.3 Semantische Merkmale und Prototypen 103 Was in dieser Theorie betrachtet wird, ist die extensionale Bedeutung eines Begriffs: Wieviele und welche ‚Vertreter‘ hat er in der Realität? Diesbezüglich gibt es offenbar häufig unscharfe Grenzen. Die Prototypensemantik mündet allerdings von ihrem anderen Ausgangspunkt dann auch wieder in Merkmallisten. Am Beispiel Vogel: Die Merkmale prototypischer Vögel - in Deutschland offenbar das Rotkehlchen - gelten als (notwendige und hinreichende) Bedingungen für die Zuordnung zu dieser Kategorie, aber andere Vogelsorten entsprechen der Kategorie ebenfalls, indem sie mindestens ein notwendiges Merkmal besitzen. Neu ist, dass auch eine graduelle Zugehörigkeit (Ähnlichkeit) akzeptabel ist. 16 6.3.3 Semantische Primitiva Einen Schwerpunkt der sprachvergleichenden semantischen Untersuchung bildet der Zusammenhang von Wort und kultureller Praxis, ausgehend von dem jeweiligen Begriffsrepertoire. W IERZBICKA (1997) spricht in diesem Zusammenhang von „kulturellen Schlüsselbegriffen“, die von denjenigen, die nicht Mitglieder der betreffenden Gesellschaft sind, oft nicht richtig verstanden werden können. Ausgehend von den Sprachen Englisch, Russisch, Polnisch, Deutsch und Japanisch untersuchte sie unter anderem Wörter wie Freundschaft, Freiheit oder Vaterland, deren begriffliche Deutung und Konnotationen in verschiedenen Sprachen unterschiedlich ausgebildet sind, was evtl. mit den gesellschaftlichen Praktiken der Sprecher zusammenhängt. Es fragt sich allerdings, ob man innerhalb einer Sprachgemeinschaft von einheitlichen „cultural scripts“ ausgehen kann. Je mehr ein Begriff weltanschaulich-politisch geprägt ist, wie das beim deutschen Wort Vaterland der Fall ist, desto umstrittener ist er. Kulturell einheitlicher scheinen Wortbedeutungen wie die von Freundschaft und Sprechhandlungen 17 wie „Sich Entschuldigen“ oder „Auffordern“ zu sein. Insgesamt ist W IERZBICKA s Ziel die Entwicklung eines Beschreibungssystems, mit dem sich Bedeutungen in allen Sprachen darstellen lassen. Das sollen „universale semantische Konzepte“ sein, sog. semantische Primitiva, um eine nicht ethnozentrisch geprägte Methodik zu gewinnen. Daraus ergibt sich eine sehr einfache Beschreibungssprache mit ca. 60 Wörtern, die sie als „natural semantic meta-language“ bezeichnet. Tab. 1 zeigt Beispiele. Tab. 1: W IERZBICKA s universale Beschreibungssprache einfache nominale Einheiten ich, du, jemand, etwas, Leute, Körper Determinatoren, Quantoren dies, das selbe, anders; eins, zwei, manche, alle zentrale Attribute gut, schlecht, groß, klein Verben für mentale Tätigkeiten denken, wissen, wollen, fühlen, sehen, hören sprechbezeichnende Ausdrücke sagen, Wort, wahr Handlungs- und Bewegungsverben tun, passieren, bewegen Wörter für Existenz und Besitz es gibt, haben logische Konzepte nicht, vielleicht, kann, weil, wenn Begriffe für Zeit und Raum vorher, nachher, lange Zeit, wo, hier, unter Entsprechende Ausdrücke sollen aus der Zielsprache entnommen werden. „Primitiva“ im Sinne der Forscherin sind sie dann und deshalb, weil sie nicht mehr weiter durch andere 16 Löbner (2015, S. 327 ff.) zeigt genauer, welche Probleme damit verbunden sein können. Den befragten Sprechern ist z.B. nicht immer klar, welche Eigenschaften sie als wesentliche Erkennungsmerkmale betrachten. 17 Sprechhandlungen werden ausführlicher in Kap. 16 dargestellt. <?page no="105"?> 104 Semantik und Lexikographie: 6 Semantische Beziehungen, Merkmale und Konzepte definiert werden können. Auch einige einfache syntaktische Regeln zur Formulierung einer Bedeutungsbeschreibung gehören zur Meta-Sprache. Mit einem solchen Basisrepertoire 18 wird versucht, z.B. emotionale Ausdrücke wie „anger“ (Ärger) als kognitives Szenario zu umschreiben (W IERZBICKA 1999, S. 87): (a) This person did something bad. (b) I don’t want this person to do things like this. (c) I want to do something to this person because of this. Analysen wie die von W IERZBICKA sind für den Fremdsprachenunterricht wichtig, weil sie sprachübergreifende Bedeutungsvergleiche erlauben. Sie haben zudem das Interesse an einer „kulturkontrastiven Bedeutungserklärung“ hervorgerufen, um auch komplexe „klassische“ kulturgebundene Konzepte wie Geburtstag, Weihnachten, Taufe ebenso wie alltägliche Ausdrücke wie Frühstück, Wald, ältere Dame stärker als früher auf ihren gesellschaftlichen Zusammenhang zu beziehen (s. dazu L IEDKE 2008). 6.3.4 Konzeptuelle Metaphern Die sprachvergleichende Untersuchung phraseologischer (phrasenhafter, idiomatischer) Erscheinungen, speziell von Metaphern, bildet einen weiteren gegenwärtigen Untersuchungsschwerpunkt der Semantik. Er ist insbesondere mit den Arbeiten von G EORGE L AKOFF verbunden. Die menschliche Neigung zum analogischen Denken spiegelt sich nach L AKOFF / J OHNSON in der Metaphorik einer Sprache wider. Der Titel ihres Werks „Metaphors we live by“ (1980) drückt bereits aus, dass Metaphern als Grundlage und ‚Motor‘ für wesentliche Erkenntnisse gesehen werden. Ausgangspunkt für die Metaphernbildung ist der menschliche Körper mit seinen Wahrnehmungsmöglichkeiten: „the peculiar nature of our bodies shapes our very possibilities for conceptualization and categorization.“ (1999, S. 19) Linguistik und Philosophie werden hier miteinander verbunden. Geist und Körper können - obgleich qualitativ verschieden - nicht voneinander getrennt werden; Bedeutung entsteht im „embodied mind“. Das Denken in und mit „Prototypen“ ist vom Gehirn vorgegeben (ebd). Tab. 2 stellt einige Beispiele für die von L AKOFF / J OHNSON aufgefundenen körperbezogenen Metaphern zusammen, die sich auch im Deutschen finden lassen: Tab. 2: Primäre Metaphern (nach L AKOFF / J OHNSON ) Metaphorische Organisationsprinzipien Deutsches Beispiel Affection is Warmth (Zuwendung ist Wärme) Es war ein warmer Empfang. Important is Big (Wichtig ist Groß) Morgen ist ein großer Tag für dich. Happy is Up (Glücklich ist Oben) Ich bin in gehobener Stimmung. More is Up (Mehr ist Oben) Die Preise sind hoch (… steigen). Understanding is Grasping (Verstehen ist Erfassen) Ich habe die Bruchrechnung niemals begriffen. Time is Motion (Zeit ist Bewegung) der Lauf der Zeit Unterschiede zwischen Sprachen zeigen sich z.B. darin, dass manche die Zukunft vor, die Vergangenheit hinter dem Körper konzeptualisieren. Im Aymara (einer in Chile gesprochenen Sprache) ist das anders: Die Vergangenheit liegt vor dem geistigen Auge, sie ist 18 Eine deutschsprachige Zusammenstellung findet sich bei Pörings / Schmitz (2003, S. 147). Eine genauere Darstellung des Ansatzes bietet Löbner (2015, S. 289 ff.); Kritikpunkte nennt er ebenfalls (S. 292). <?page no="106"?> 6.4 Wortschatz im Kontrast und im Unterricht 105 sichtbar; das kommende Jahr hingegen nicht, es liegt daher hinter dem Betrachter (L A - KOFF / J OHNSON 1999, S. 141). 6.4 Wortschatz im Kontrast und im Unterricht Wie in Kap. 1.5 dargestellt, kann der Sprachvergleich von verschiedenen Eigenschaften und Aspekten der beteiligten Sprachen ausgehen. Es kann nach Entsprechungen oder Übersetzungsmöglichkeiten für bestimmte Wörter gefragt werden. Der Vergleich kann semasiologisch oder onomasiologisch vorgehen. Im Vordergrund können nicht nur Wörter (bzw. Wortformen) stehen, sondern auch sprachliche Funktionen, die mit der Wortbedeutung zusammenhängen (z.B. die Verwendbarkeit des Ausdrucks). Methodisch gesagt, kann man folgende Fälle beim Vergleich zweier Lexeme oder sprachlicher Elemente aus verschiedenen Sprachen feststellen: a) formale und funktionale Übereinstimmung b) formale Übereinstimmung oder Ähnlichkeit mit Funktionsüberschneidung c) formale Übereinstimmung und Funktionsdifferenz d) formale Differenz, funktionale Übereinstimmung e) formale Differenz, funktionale Überschneidung Zum Beispiel gleichen sich das deutsche Wort Semester und das schwedische Wort semester formal. Funktional betrachtet, entspricht dt. Semester dem schwedischen Wort termin und schwed. semester entspricht dt. Ferien, Urlaub. Es liegt also der Fall c) vor. Funktionsunterschiede werden auch deutlich, wenn man etwa deutsche und englische Konjunktionen miteinander vergleicht. Als Beispiel kann hier das deutsche wenn und das englische when dienen. Geht man von der deutschen Konjunktion bzw. Subjunktion aus, kann man sagen: „Der deutschen Subjunktion wenn entsprechen im Englischen die Subjunktionen when und if.“ Bei einem bilateralen Vergleich hingegen müsste man festhalten, dass dem englischen if die deutschen Ausdrücke wenn und falls, dem englischen when die deutschen Ausdrücke wenn, als und wann entsprechen. Bei formaler Differenz der Ausdrücke liegt also eine Funktionsüberschneidung vor (in der Liste Fall e). Formale Übereinstimmung oder Ähnlichkeit von Wörtern in einer größeren Zahl von Sprachen trifft man häufig an bei den sog. Internationalismen, die meist ursprünglich lateinische oder griechische Bildungselemente haben. Besonders bedeutsam sind diese Wörter im sog. Bildungswortschatz, entsprechend der 2000-jährigen Rolle von Latein und Griechisch für die Entwicklung des Deutschen. 19 Technische Begriffe wie Computer, Bezeichnungen für Musikinstrumente wie Piano, naturwissenschaftliche, medizinische sowie politische Begriffe wie Diktator existieren in vielen Sprachen. Beim Zeitunglesen können daher vertraute Wörter dem Sprachlerner das Verstehen erleichtern, im Rahmen eines kursorischen Lesens. Beispiele wie Semester / semester, dirección / Direktion u.a. sind Hinweise darauf, dass gerade in den indoeuropäischen Sprachen, bei denen man zu Recht Ähnlichkeit annimmt, nicht selten so genannte „falsche Freunde“ (des Übersetzers) zu Irrtümern und Verwechslungen verleiten. Man spricht auch von „lexikalischen Fallgruben“ (Tab. 3). 19 Verschiedene Forschungsprojekte befassen sich mit der Vermittlung und der Erfassung des Bildungswortschatzes in der Schule. <?page no="107"?> 106 Semantik und Lexikographie: 6 Semantische Beziehungen, Merkmale und Konzepte Tab. 3: Beispiele für „falsche Freunde“ Deutsches Wort formal ähnlich Bedeutung Sprache kalt caldo warm ital. Gift gift Geschenk engl. Rakete raquette Tennisschläger frz. Mist mist Nebel engl., nl. Hose hose Schlauch engl. wissen wissen wischen nl. Prost! prost dumm rumän. Wortübergreifende Einheiten werden von der vergleichenden Phraseologie oder der Idiomatik betrachtet. Es handelt sich hier um mehr oder weniger feste, idiomatische Wendungen, die häufig als „Phraseologismen“ oder als „phraseologische Einheiten“ bezeichnet werden. Eine Reihe von Wörterbüchern zu Redensarten des Deutschen sind entwickelt worden, um Nichtdeutschen das Verstehen von Sätzen oder Phrasen zu ermöglichen, die beim ersten Hören oder Lesen rätselhaft erscheinen müssen, wie jemandem etwas aufs Auge drücken. In vielen europäischen Sprachen gibt es einige Ähnlichkeiten in der Bildung solcher Redensarten, andererseits hat jede Sprache in diesem Bereich sehr eigenwillige und besondere Phänomene, in denen sich Historisches und Kulturspezifisches spiegelt. Zu deutschen Sprichwörtern und Redensarten existiert ein umfangreiches Lexikon (R ÖHRICH 1991). Wörter in zwei Sprachen, die als gegenseitige Übersetzung benutzt werden, haben fast nie einen identischen Bedeutungsumfang; dies wurde bereits von S AUSSURE mit der Bestimmung von Sprache als System von Werten ausgedrückt, bei dem ‚benachbarte‘ Zeichen gegenseitig ihre Bedeutungen mitbestimmen (vgl. Kap. 5). Die kontrastive Analyse stößt daher sehr schnell auf ein inter- und intralinguales Geflecht von Wörtern, aber auch Morphemen und grammatischen Formen, die nicht generell, sondern nur in bestimmten Zusammenhängen als Übersetzungen möglich oder notwendig sind. So sind auch Wortfelder einzelsprachlich oft unterschiedlich strukturiert; anders als das deutsche Hyponym Getränke bezieht sich beispielsweise das italienische bibite nur auf kalte Getränke. Sprachlerner übertragen oft fälschlich die herkunftssprachlichen Konzepte auf die jeweils andere Sprache. Interessant ist in diesem Zusammenhang die Frage, wie sich die semantische Konzeptualisierung bei Bilingualismus darstellt. Bisherige Untersuchungen weisen darauf hin, dass die Begriffsfelder (anders als vielleicht anzunehmen) bei parallelem Spracherwerb in beiden Sprachen weitgehend eigenständig konzeptualisiert werden, während sie bei Fremdsprachenerwerb stärker aneinander angebunden sind. 20 Größere empirische Untersuchungen stehen hier jedoch noch aus. 20 Vgl. Plieger (2006). <?page no="108"?> 6.4 Wortschatz im Kontrast und im Unterricht 107 Ausgewählte Aufgaben zu Kap. 6 (7 von 25) 2. Bestimmen Sie die semantischen Relationen der folgenden Wörter. a) Das Wort Fuchs ist ein [? ] zu Tier. Antonym Hyperonym Hyponym Synonym b) Das Wort leise ist ein [? ] zu laut. Antonym Hyperonym Hyponym Synonym c) Das Wort Getränk ist ein [? ] zu Tee. Antonym Hyperonym Hyponym Synonym d) Die Wörter der Reif (Armband) und der Reif (Wetterphäomen) sind [? ] Homonyme Homographen Polyseme Homophone e) Die Wörter Brötchen und Semmel sind [? ] Antonyme Hyperonyme Hyponyme Synonyme 5. Wie gehen gegenwärtige Wörterbücher und Wortschatzportale mit zusammengesetzten Wörtern und Kollokationen um? Recherchieren Sie für: Schweinepriester, Schweinebacke, Schwein haben, schweineteuer, die Sau rauslassen 6. Welche anderen Fachwörter entsprechen dem griech.-lat. gebildeten Begriff Phraseologismus? ☐ Redewendung ☐ Lehrsatz ☐ idiomatische Wendung (Idiom) ☐ Satzbedeutung 9. Inwieweit können Deutschlernende von einer Zusammenstellung von Wortfamilien und Wortfeldern profitieren? Bringt so ein Zugang auch Probleme mit sich, wenn ja, welche? Diskutieren Sie. 16. Deutsches „Englisch“ 21 - Die folgenden Wörter klingen englisch, aber es gibt sie in diesen Bedeutungen nur im Deutschen. Kennen Sie die englische Bedeutung und die jeweiligen korrekten Entsprechungen? Recherchieren Sie: Beamer, Evergreen, Boxen (der Stereoanlage), (Werbe-)Spot, mobben 17. Entwickeln Sie das Wortfeld der Gewässerbezeichnungen im Deutschen. Welche Ansätze einer semantischen Ordnung können Sie erkennen? 23. Welche Metaphorik können Sie in dem Ausdruck „auf Wolke 7 schweben“ für „glücklich sein“ erkennen? Ausgewählte weiterführende Literatur Busse, Dietrich (2012) Frame-Semantik. Ein Kompendium. Berlin: de Gruyter Engelberg, Stefan / Holler, Anke / Proost, Kristel (2011) Sprachliches Wissen zwischen Lexikon und Grammatik. Berlin: de Gruyter Kohl, Katrin (2007) Metapher. Stuttgart: Metzler 21 Die Beispiele entstammen Krifka et al. (2014). <?page no="109"?> 108 Semantik und Lexikographie: 6 Semantische Beziehungen, Merkmale und Konzepte Liedke, Martina (2008) Kulturkontrastive Bedeutungsvermittlung. In: Der Deutschunterricht 5, S. 37-45 Löbner, Sebastian (2015) Semantik. Eine Einführung. Berlin: de Gruyter Pörings, Ralf / Schmitz, Ulrich (Hgg.) (2003) Sprache und Sprachwissenschaft. Eine kognitiv orientierte Einführung. Tübingen: Narr Wierzbicka, Anna (1997) Understanding Cultures through their Key Words: English, Russian, Polish, German and Japanese. Oxford: University Press Wildgen, Wolfgang (2008) Kognitive Grammatik. Klassische Paradigmen und neue Perspektiven. Berlin: de Gruyter Ziem, Alexander (2008) Frames und sprachliches Wissen: Kognitive Aspekte der semantischen Kompetenz. Berlin: de Gruyter <?page no="110"?> Morphologie 7 Elemente und Verfahren der Wortbildung 7.1 Die morphologische Sprachanalyse Die Morphologie (Formenlehre) ist einer der traditionellen Schwerpunkte der Sprachwissenschaft und z.T. der Philologie seit dem Altertum. Vereinfacht gesagt, ist sie die Lehre von der Gestalt der Wörter einer Sprache. Der Begriff wurde anfänglich von G OETHE (1796) für eine von ihm geplante Lehre von der Gestalt der Lebewesen verwendet: Er dachte an eine vergleichende Morphologie im biologischen Bereich. 1 In der Linguistik ist die „Morphologie“ sowohl die sprachliche Struktur selbst als auch die Lehre von diesen Strukturen. Der Anklang an die Biologie lebt noch weiter in der Rede vom Wortstamm oder der Wurzel eines Wortes. In Kap. 5 wurde dafür schon der Terminus Basismorphem eingeführt. Der Ausdruck Morphem wird verwendet für die kleinsten bedeutungstragenden Einheiten, und zwar sowohl für selbstständige Wörter wie für Wortteile, die eine eigene Funktion (Bedeutung) haben. Man unterscheidet grob lexikalische Morpheme und grammatische Morpheme wie Artikel oder Konjunktionen. Die lexikalischen Morpheme werden auch als Grundmorpheme oder als freie Morpheme bezeichnet. Besonders im Falle von entlehnten Wörtern werden manche freie Morpheme aber auch nur als Wortbildungselement benutzt, wie z.B. das mono in dem von A DMONI geprägten Begriff „Monoflexion“ oder in dem Wort monolateral. R ÖMER (2006, S. 133) spricht dann von einem Konfix. Auch bioist ein häufiges Konfix. Die grammatischen Morpheme sind nur z.T. frei. Für die Deklination der Substantive und die Konjugation der Verben werden grammatische Morpheme benutzt, die nicht selbstständig vorkommen können. Das sind gebundene Morpheme, ebenso die substantivtypischen Morpheme wie -heit und -keit. Zusätzlich kennt die Morphologie Nullmorpheme, z.B. für Substantive, die zwar kein Pluralmorphem haben (die Messer), aber im Kontext als Plural verstanden werden. Die Terminologie der Morphologie ergibt sich aus verschiedenen Kriterien (Tab. 1). Tab. 1: Morphemtypen Kriterium Typ 1 Typ 2 Typ 3 Bedeutung oder Funktion lexikalisches Morphem grammatisches Morphem (allg.) grammatisches Morphem: Flexion Selbstständigkeit frei: Brot gebunden: Brotpreis Konfix: Biogas frei: als gebunden: Anrede frei: du bist gebunden: kommst Stellung / Position Präfix: Anrede Suffix: Ahnung Suffix: kommst Nullmorphem: Komm! Zirkumfix: ge - bund - en In einem zusammengesetzten Wort wie Brotpreis sind zwei potenziell freie Morpheme aktuell gebunden, wobei beide ihre Bedeutung einbringen. Die gebundenen grammatischen 1 Dem Begriff Morphologie liegt eine griechische Wurzel zugrunde: morphe = Gestalt. <?page no="111"?> 110 Morphologie: 7 Elemente und Verfahren der Wortbildung Morpheme bewirken eine Bedeutungsmodifikation des Basismorphems. In dem Wort Anrede entspricht diese Modifikation durchaus der relativ abstrakten lokalen Relation, die die Präposition an (also das freie grammatische Morphem) ausdrückt. Die stellungsbezogenen Morphemtypen Prä- und Suffix sowie das seltenere Zirkumfix werden zusammenfassend als Affixe bezeichnet. Das Konfix stellt dazu eine sinnvolle Erweiterung dar, denn solche Elemente sind weder selbstständige Lexeme noch Präfixe. Als gebundene Morpheme kommen sie immer häufiger vor. (B1) gibt einige weitere Beispiele: B1 hypermodern, Physiotherapie, Geophysik Viele Wörter des Deutschen sind komplex gebildet. Eine Morphemanalyse präpariert sozusagen ihre einzelnen Bestandteile heraus und verdeutlicht ihre innere Struktur, die nicht nur für eine grammatische Beurteilung, sondern oft auch für die Rechtschreibung wichtig ist, gemäß dem „morphologischen Prinzip“ der Schreibung. Dieses besagt, dass Wörter mit demselben Stammmorphem möglichst gleich geschrieben werden, auch wenn sie sich lautlich unterscheiden (z.B. Wand - Wände, vgl. Kap. 13.4). 2 Abb. 1: Bestandteile des Wortes „Unzerbrechlichkeit“ un zer brech lich keit Präfix Verb- Verb- Adjektiv- Substantiv- (Negation) präfix stamm Suffix Suffix Wörter lassen sich u.U. in viele Morpheme zerlegen (s. Abb. 1). Allerdings werden die Morpheme nicht einfach aneinandergereiht, sie sind auch keine gleichwertigen Wortelemente. In Kurzform kann man die Funktionen folgendermaßen bestimmen: Stammmorphem semantisches Zentrum des Gesamtwortes Verbpräfix modifiziert die Stammbedeutung Suffix substantivisch bestimmt / indiziert Wortart und Genus Fem. Negationspräfix antonyme Deutung (nur bei nominaler Wortart) Adjektivsuffix macht aus Stamm + Präfix ein Adjektiv 7.2 Wortbildung I: Komposition oder Zusammensetzung Wortbildung ist generell „die Produktion von Wörtern (Wortstämmen) auf der Grundlage und mit Hilfe vorhandenen Sprachmaterials“ (F LEISCHER / B ARZ 1995, S. 5). Für den Sprachlerner ist die Kenntnis der wichtigsten Wortbildungsverfahren eine wesentliche Erleichterung, da er dadurch evtl. die Bedeutung eines für ihn neuen Wortes erschließen kann. Die kontextbezogene Sinnerschließung erspart ihm häufig das Nachschlagen im Wörterbuch. Die Wortbildungslehre baut auf den Unterscheidungen der Morphologie auf. Werden zwei oder mehr Grund- oder Stammmorpheme bzw. Lexeme miteinander kombiniert, spricht man von einer Zusammensetzung oder Komposition. Das Ergebnis ist ein Kompositum (Plural: Komposita). In Zusammensetzungen sind die Bestandteile selten gleichwertig, auch wenn sie zur gleichen Wortart gehören. Im Deutschen steht bei fast allen Komposita der bestimmende Teil, das Bestimmungswort, vor dem bestimmten, dem 2 Über die Schreibprinzipien informieren die Duden-Grammatik und Eisenberg ( 3 2006). <?page no="112"?> 7.2 Wortbildung I: Komposition oder Zusammensetzung 111 Basislexem oder Grundwort. Das heißt, das vorangehende Morphem determiniert das nachfolgende semantisch. Fast alle Wortarten sind zur Komposition fähig. Hier nur einige Beispiele: B2 Verb + Adj. röstfrisch, tropfnass Adj. + Adj. schwerkrank, lauwarm Subst. + Adj. hilfsbereit, hitzebeständig Verb + Subst. Laufstall, Schlafraum Wegen der semantischen Festlegung des Basiswortes bezeichnet man solche Komposita als Determinativkomposita. Viele deutsche Komposita können nur durch Wortgruppen in durchaus nah verwandte Sprachen wie das Englische oder Französische übertragen werden: B3 das Kleinkind le petit enfant Staatsfeiertag national holiday Meinungsaustausch exchange of views Die folgenden Merkmale deutscher Komposita lassen sich also offenbar nicht auf andere Sprachen übertragen: a) Zusammenschreibung b) Wortakzent (ein Hauptakzent, evtl. ein Nebenakzent) c) das Vorkommen von Fugenelementen d) sie werden als Ganzes flektiert. In einem Punkt können Wortgruppen aber ähnlich sein: Auch sie können begriffliche Einheiten darstellen. In fachlichem Zusammenhang sind es im Deutschen meist Komposita, die terminologisch benutzt werden. Vergleicht man die Wortgruppe weißer Fisch mit dem Kompositum Weißfisch, ist die Zusammensetzung eher fachlich (I CKLER 1997, S. 109). Ein Fisch muss dann nicht unbedingt weiß sein, um als Weißfisch eingeordnet zu werden. Ein etwas abweichender Fall sind die „Bindestrichkomposita“ wie Goethe-Institut und Duden-Grammatik. Ihre Komposition wird als eine lockere betrachtet. Alle Zusammensetzungen von deutschen Wörtern mit andersartigen Elementen (Namen, Ziffern, Fremdwörtern) werden auf diese Weise mit Bindestrich ‚verkoppelt‘. Eine Komposition gleichberechtigter Morpheme findet man nur bei den deutlich selteneren Kopulativkomposita. Die einzelnen Teile sind dabei von derselben Wortart und gehören derselben semantischen Kategorie an. Ihre Reihenfolge ist (im Prinzip) umkehrbar, was bei Determinativkomposita nie möglich ist. Beispiele dafür sind B4 Radiowecker/ Weckerradio schwingschleifen (fachsprachlich festgelegt, aber bei Umkehrung sinnvoll) süßsauer (sauersüß) Häufiger sind Beispiele wie in (B5), Verknüpfungen von Namen, die im Prinzip austauschbar sind, die Abfolge ist gewohnheitsbedingt oder willkürlich festgelegt: B5 Nordrhein-Westfalen, die Strecke Frankfurt-Würzburg Bei Determinativkomposita entstehen so genannte Fugen. Wenn zwei oder mehr Wörter zusammengesetzt werden wie in Staatsfeiertag, können hier Fugenelemente verschiedener Art auftreten. Das liegt daran, dass sehr viele Komposita aus Wortgruppen entstanden sind, weshalb das Bestimmungswort eine ehemalige Genitivendung aufweisen oder auch eine Pluralform haben kann: <?page no="113"?> 112 Morphologie: 7 Elemente und Verfahren der Wortbildung B6 die Zeit eines / des Lebens die Lebenszeit die Leber von Hühnern die Hühnerleber Solche Morpheme kann man als verblasste oder (im Kompositum) funktionslos gewordene Flexionsmorpheme auffassen. Aber ein Teil der Elemente in der Fuge sind nur scheinbar Suffixe von Bestimmungswörtern, denn sie gehören gar nicht zu dessen Flexion. In solchen Fällen kann man von einem „Fugen-s“ oder allgemeiner von einem „Fugenelement“ sprechen. Zum Beispiel gibt es im Genitiv femininer Substantive keinen s-Laut, wohl aber manchmal ein Fugen-s: 3 B7 Arbeit - s - tag, Geburt - s - tag, Liebe - s - leben, Funktion - s - verlust Man bezeichnet das Fugen-s daher auch als „unparadigmisch“ (R ÖMER 2006, S. 30) oder „unparadigmatisch“ (D ONALIES 2007, S. 32). Die betreffenden Einheiten haben nämlich keine grammatisch-semantische Funktion und können daher auch als „Pseudomorpheme“ gesehen werden. Laut E ISENBERG markieren sie eine morphologische Grenze (1999, S. 231 f.). Dadurch gehören sie zur lexikalischen Form des Wortes, also zum Vokabellernstoff von Deutschlernenden. 4 Eine gewisse Systematik gibt es für das Fugen-s nur in Teilbereichen, vor allem nach bestimmten Substantivsuffixen: Abb. 2: Regelhaftes Auftreten des Fugen-s in Komposita -heit, -keit -ung, -schaft + [ s ] + Basislexem, Beispiel: das Verteilungsproblem -ion, -ität Gelegentlich tritt dasselbe Bestimmungswort einmal mit und einmal ohne Fugenelement (in (B8) an den Genitiv erinnernd) auf. Das Fugen-s von Landsmann ist ausnahmsweise sogar bedeutungsunterscheidend gegenüber einem (veraltenden) Synonym zu Bauer: B8 das Landleben, der Landmann, der Landsmann, das Landeskrankenhaus. Hinzu kommt, dass sich die verschiedenen Varianten des Deutschen z.T. hinsichtlich der Verwendung von Fugenelementen unterscheiden, vgl. z.B. Bahnhofsgaststätte (D, A) versus Bahnhofbuffet (CH); z.T. finden sich auch innerhalb einer Varietät verschiedene Umsetzungen (z.B. Fabrikarbeiter (D, CH), Fabriksarbeiter (A, auch D). 5 In semantischer Hinsicht bieten die Komposita Schwierigkeiten, die Muttersprachlern meist gar nicht bewusst werden. Das Bestimmungswort kann nämlich in durchaus verschiedenen Verhältnissen zum Basiswort stehen. E ICHINGER (2000, S. 39) zeigt verschiedene Typen von Determinativkomposita am Beispiel von Komposita zu Farbe (vgl. Tab. 2). 3 Zu den Fugenelementen vgl. Donalies (2007, S. 30 ff.) und ausführlicher Fleischer / Barz (1995, S. 136-143). 4 Zu den verschiedenen Positionen bei der Analyse der Fugenelemente siehe Donalies (2007, S. 32 f.) und Fleischer / Barz (1995, S. 137). 5 Nähere Auskunft gibt hier das „Variantenwörterbuch des Deutschen“ (2004). <?page no="114"?> 7.3 Wortbildung II: Ableitung (Derivation) und Konversion 113 Tab. 2: Typen von Determinativkomposita mit dem Grundwort Farbe Enthaltenes Blei-, Bronze-, Wasser-, Kalk-, Leim-, Latexfarbe Instrument Malerfarbe, Fingerfarbe bemaltes Objekt Aluminium-, Eier-, Eisen-, Metall-, Ofen-, Plakat-, Stofffarbe Zweck Deck-, Grundier-, Rostschutz-, Schutz-, Stempel-, Vorstreichfarbe Vergleich / Typ Eierschalen-, Erd-, Fleisch-, Leucht-, Rosen-, Scharlach-, Modefarbe Wirkung Fluoreszenz-, Kenn-, Kontrast-, Schock-, Signalfarbe Art und Weise Grund-, Komplementär-, Lieblings-, Misch-, Spektral-, Standardfarbe 7.3 Wortbildung II: Ableitung (Derivation) und Konversion Wird ein Wortstamm oder ein lexikalisches Morphem (einfach oder komplex) durch ein oder mehrere Morpheme erweitert oder durch eine Abwandlung des Stammmorphems verändert, spricht man von Derivation (Ableitung). Dieses Wortbildungsverfahren kommt bei allen Hauptwortarten sehr häufig vor. Dazu dienen vor allem Suffixe. Sie bewirken meist eine Änderung der Wortart, während die Präfixe selten eine Änderung der Wortart bewirken. Der Ausgangspunkt für solche Vorgänge, also die Derivationsbasis, ist zumeist ein Verb, das dann als Zentrum einer Wortfamilie gilt: B9 verbal: sprech - en personenbezogenes Substantiv: der Sprech - er Verbalabstraktum: das Ge - spräch Adjektiv: ge - spräch - ig Wenn das Verb Basis ist, so wie in (B9), ist das abgeleitete Substantiv, hier Sprecher, eine deverbale Bildung; das Adjektiv gesprächig erscheint allerdings wegen seiner formalen Anlehnung an das Substantiv als eine desubstantivische Ableitung. Das Wort Gespräch wird aus semantischen Gründen in die Gruppe der Verbalabstrakta eingeordnet, die sich inhaltlich auf etwas Nichtgegenständliches, meist Handlungen und Vorgänge, beziehen. Ein Beispiel für eine Wortfamilie, die ein Adjektiv als Derivationsbasis hat, zeigt (B10): B10 Adjektiv: krank Verb: er - krank - en Substantiv: Krank - heit Als Basis für die Bildung eines Substantivs aus einem Verb kommt nicht nur der Infinitivstamm in Frage, sondern bei unregelmäßigen Verben auch der des Präteritums oder des Partizips, z.B. bei Schnitt oder Gang. Ein mit der Ableitung verwandter Fall ist die Konversion: Hierbei findet eine Änderung der Wortart statt, es entsteht also ein neues Wort, ohne dass ein Derivationsmorphem eingesetzt wird. Das passiert z.B. bei der direkten Substantivierung eines Adjektivs oder eines Verbs. Die Infinitivendung des Verbs (bei salz - en, siehe Tab. 3) gilt dabei als Flexionsmorphem, nicht als Ableitungsmorphem. 6 6 Vgl. Eichinger (2000, S. 39 und 167 ff.) und Fleischer / Barz (1995, S. 49). <?page no="115"?> 114 Morphologie: 7 Elemente und Verfahren der Wortbildung Tab. 3: Beispiele für Konversion Basis Konversionsprodukt klein der Kleine angestellt der Angestellte rufen das Rufen das Salz salzen die Langeweile (sich) langweilen B11 erwerben der Erwerb (Präsensstamm) springen der Sprung (Partizipstamm) stehen der Stand (Präteritumstamm) Auch solche deverbalen Substantive sind durch Konversion entstanden, weil keine Ableitungsmorpheme (Affixe) beteiligt sind. Wichtig ist auch die Konversion von Partizipien zu Substantiven, nach dem Muster: angestellt - der Angestellte. 7 Formal kann man die Konversion auch als Nullableitung einordnen. Tab. 4: Die Wortfamilie „ziehen“ mit Beispielen Stamm 1 zieh- Stamm 2 zog- Stamm 3 zug- Stamm 4 zucht Stamm 5 zeug- Verben (präfigiert, Ableitungen) erziehen beziehen abziehen aufziehen zögern verzögern zügeln züchten züchtigen zeugen erzeugen bezeugen überzeugen Substantive (konkret) Ziehharmonika Zögling der Zug Aufzug Anzug der Zügel die Zucht der Züchter das Zeug das Zeugnis das Erzeugnis der Zeuge Verbalabstrakta Ziehung Beziehung Erziehung Verzögerung Abzug Bezug Umzug Unzucht Züchtigung Züchtigkeit die Zeugung Bezeugung Adjektive erziehbar beziehbar erzieherisch zögerlich zugig zügig bezüglich züchtig Durch die Nutzung verschiedener Ableitungsmöglichkeiten sind manche Wortfamilien weit verzweigt. Das zeigt das Beispiel ziehen, bei dem auch noch ältere Stämme eine Rolle spielen. (Tab. 4). Solche historisch früh entstandenen Morpheme sind häufig nicht mehr produktiv. Produktivität ist ein wichtiges Merkmal vieler Wortbildungsmorpheme Die meisten bisher genannten Morpheme können immer wieder neu und auch kreativ für Ableitungen verwendet werden, wovon Werbetexte zeugen. Nicht mehr produktiv ist z.B. die Derivation von Verben über die Variation des Stammvokals: 7 Ein Wortartwechsel wird unter semantischen Aspekten auch Transposition genannt, wenn keine semantische Veränderung des Wortes stattfindet, egal ob mit oder ohne Affixe gebildet, wie bei gehen - das Gehen. <?page no="116"?> 7.3 Wortbildung II: Ableitung (Derivation) und Konversion 115 B12 sitzen setzen trinken tränken liegen legen Die Verschiedenheit der Substantivsuffixe, von denen die Morpheme -er und -ung die gebräuchlichsten 8 sind, bewirkt auch eine gewisse Untergliederung vieler Wortfamilien. Dadurch können weitere semantische Klassen entstehen. Bildungen auf -ung sind sehr häufig, aber nicht bei jedem Verb möglich. Wie man an dem Wort Rechnung sieht, kann das Substantiv des ersten Typs sowohl die Tätigkeit, hier das Rechnen, meinen als auch das Produkt der Tätigkeit, die (schriftlich vorgelegte) Rechnung. Auch sind nicht in jeder Wortfamilie alle im Prinzip möglichen Ableitungen vorhanden, wie Tab. 5 zeigt. Eine Ortsbezeichnung lässt sich sinnvoll nur bilden, wenn die betreffende Tätigkeit professionalisiert abläuft, so dass bekannt ist, wo der Bäcker, Metzger, Schleifer etc. ihren Ort - also Laden oder Betrieb - haben. 9 Der Ableitung auf -er ist ihre Deutung auch nicht anzusehen, Sach- und Kulturwissen sind für ein adäquates Verstehen nötig. Das Wort Sauger z.B. ist normalerweise nur für Geräte wie den Staubsauger üblich, nicht z.B. für ein Kind, das aus der Flasche trinkt; es kann aber in der Biologie auch für blutsaugende Insektenarten stehen. Tab. 5: Verschiedene Typen von Substantiven 10 semantischer Typ rechnen schleifen Geschehen, Ergebnis Rechnung Schleifung, Schliff Akteur, Person Rechner Schleifer Instrument Rechner (Schleifmaschine) Ortsbezeichnung ------ Schleiferei Bei den Verben gibt es noch eine sehr auffällige Besonderheit, die für das Deutsche typisch ist: die so genannten trennbaren Verben oder Partikelverben. Anders als Präfixe wie das bein bestehen sind diese Morpheme teilweise selbstständig. Das zeigt sich am Infinitiv orthographisch nicht, ist aber an der Betonung erkennbar, die sie im Unterschied zu Präfixen tragen. In den meisten Grammatiken heißen sie Verbpartikeln (vgl. D UDEN -Grammatik 2016, S. 708 ff.). Syntaktisch wird die Eigenständigkeit der Verbpartikeln im Präsens und Präteritum deutlich: Ich fange an. Bei der Ableitung innerhalb der Wortfamilie werden die Partikeln zu Präfixen: der Anfang, anfänglich. Die Verbpartikeln stellen wegen der dadurch entstehenden Verbklammer, z.B. im Präsens, häufig ein Problem für Sprachlerner dar (s. Kap. 9). Bei einem Teil von ihnen gibt es außerdem orthographische Unklarheiten. Die Rechtschreibreform von 1996 hat viele Komposita im Verbbereich zunächst getrennt, z.B. fern liegen statt fernliegen und abhanden kommen statt abhandenkommen. Ein Teil der Änderungen wurde 2006 aber wieder zurückgenommen. 11 8 Vgl. Eichinger (2000, S. 78) und zu den Affixen allgemein Donalies (2007, S. 14 ff.). Substantive auf -ung sind nach Eisenberg „das eigentliche Verbalabstraktum“ (80 % der Substantive). 9 Die Scherenschleiferei geschieht heute aber immer noch oft mobil. 10 Tab. geändert nach Eichinger (2000, S. 21). 11 Die Regeln der deutschen Rechtschreibung findet man in der Fassung des Deutschen Rechtschreibrates (2006/ 2018) unter: <?page no="117"?> 116 Morphologie: 7 Elemente und Verfahren der Wortbildung Tab. 6: Unterschied zwischen Verbpräfixen und Verbpartikeln Verb mit Präfix Verb mit (betonter) trennbarer Verbpartikel erfinden auf - stellen entzücken aus - machen vermischen durch - führen gefallen ein - fallen umfahren um - steigen missfallen zu - steigen zerbrechen nach - machen überfallen über - ziehen Während die Verbpartikeln selbstständigen Wörtern aus dem adverbialen Bereich entsprechen, sind andere Wortbildungsmorpheme auf frühere Substantive oder Verben zurückzuführen. So stammt das Adjektivsuffix -bar aus der Wortfamilie gebären (ahd. beran für tragen) und das Suffix -lich (wie in einheitlich) geht zurück auf das ahd. Wort lih (Körper, Gestalt), das dem heutigen Wort Leiche zugrundeliegt. 12 7.3.1 Wortbildung beim Verb und Aktionsarten Aktionsarten sind ein traditionelles germanistisches Thema. Sie werden hier unter Wortbildungsaspekten, in Kap. 10 unter dem Aspekt ihres Einflusses auf die Satzbildung besprochen. Bestimmte Morpheme bei Verben geben eine Einordnung der meist zeitlichen „Verlaufsweise“, die man als Aktionsart bezeichnet hat. Darunter versteht z.B. E ISENBERG 13 „die sprachliche Kennzeichnung der Art und Verlaufsweise eines Vorgangs, besonders die objektive Darstellung der Phasen eines Geschehens, z.B. ‚Einsetzen‘ (erblühen), ‚Verlauf‘ (blühen), ‚Enden‘ (verblühen) … Außerdem versteht man darunter auch die Darstellung der Intensität eines Geschehens, z.B. die Frequenz (flattern) und die geringere oder größere Stärke (hüsteln, ritzen).“ Eine ausführliche Darstellung bietet die Grammatik von H ELBIG / B USCHA . Zentral für die Theorie der Aktionsarten sind zwei Geschehensarten, nämlich die durative (oder imperfektive, zeitlich unbegrenzte) und die resultative oder perfektive (das Geschehen wird auf einen Abschluss hin betrachtet). Abb. 3 gibt eine Übersicht. Abb. 3: Aktionsarten in der Germanistik (H EINOLD 2015, S. 28) Aktionsarten zeitlicher Ablauf quantitativer Ablauf Intensität durativ transformativ iterativ intensiv diminutiv ingressiv inchoativ egressiv 12 Vgl. dazu Nübling et al. (2006, S. 69 und 73 ff.). 13 Eisenberg ( 5 2017, S. 501). <?page no="118"?> 7.3 Wortbildung II: Ableitung (Derivation) und Konversion 117 Interessant, gerade für den Fremdsprachenunterricht, ist die Tatsache, dass bestimmte Wortbildungsmittel im verbalen Bereich eine Aktionsart signalisieren und durch Wortbildung verändern können. Dem durativen Verb schlafen steht das transformative Verb einschlafen gegenüber. Im Deutschen legen vor allem einige Präfixe und Suffixe eine bestimmte Aktionsart nahe (Tab. 7). Allerdings gibt es im Deutschen weder eine durchgängige Markierung dieser semantischen Merkmale noch haben die Morpheme zuverlässig eine Aktionsartbedeutung. Tab. 7: Wortbildungsmorpheme und Aktionsarten Affix Beispiele Aktionsart ererstarken, erblühen resultativ (ingressiv) ververirren, verblühen resultativ (egressiv) ababreißen, abfertigen resultativ (egressiv) ententscheiden, entlassen resultativ (egressiv) -ern plätschern iterativ / diminutiv -eln hüsteln, lächeln iterativ / diminutiv Diese Affixe haben häufig Einfluss auf grammatische Eigenschaften der Verben (vgl. Kap. 10). Zum Beispiel ist das Präfix verfast immer ein Hinweis auf Transitivität, also Passivfähigkeit, des so gebildeten Verbs. Außer der völlig unübersichtlichen Terminologie in diesem Bereich wurde zuletzt kritisiert, dass das Merkmal Intensität den ansonsten zeitlichen Charakter der Aktionsarten sprengt, so dass einige darauf verzichtet haben (vgl. H EINOLD 2016, S. 28 ff.). 7.3.2 Fachliche und nichtdeutsche Morpheme im Wortschatz Verschiedene Fächer nutzen die Morphologie systematisch, um fachliche Klassenbildungen und Differenzierungen auszudrücken. So wie der Strukturalismus die Endung -em als Kennzeichnung von Systemzugehörigkeit benutzt, etwa bei den Begriffen Phonem und Morphem, 14 so hat die Chemie eine Reihe von Suffixen zur Kennzeichnung von Stoffklassen eingeführt, z.B. das Suffix -ium für die Metalle (vgl. I CKLER 1997, S. 14 ff.). Typisch ist hier der Rückgriff auf griechisch-lateinische Morpheme. Früh integrierte französische und lateinische Verben sind an dem Suffix -ieren erkennbar, das auch heute noch betonungstragend ist und sich so vom deutschen Suffixrepertoire abhebt (B13a). Bei später übernommenen Verben sind oft Stamm und Suffix ‚fremdartig’ und gehören dem bildungs- oder fachsprachlichen Wortschatz an (B13b): B13 a) interessieren, probieren, servieren b) definieren, konfrontieren, appellieren, multiplizieren Mit den Präfixen und Konfixen dieser Herkunft werden auch immer wieder neue Internationalismen in den Bereichen Fach- und Bildungssprache gebildet, z.B. im Computerbereich Gigabyte. 14 S. auch Kap. 13.1 zu einer „emischen“ und einer „etischen“ Perspektive. <?page no="119"?> 118 Morphologie: 7 Elemente und Verfahren der Wortbildung Tab. 8: Griechisch-lateinische Präfixe und Konfixe (Beispiele) griechisch lateinisch Ausdruck von Quantitäten mega-, giga-, tera-, mikro-, makro-, nano-, hypermilli-, mini-, max(i)-, super-, multilogische Beziehungen a-, antipro-, obräumliche Beziehungen para-, peri-, hyper-, hypoprä-, ab-, inter-, trans-, subandere Beziehungen syn-, dyscum- (kom-) 7.3.3 Abkürzung und Kurzwort Die Gegenwartssprache ist durch viele, oft neu gebildete Abkürzungen von Namen und Wörtern gekennzeichnet. Um sie zu verstehen, muss man normalerweise den zugrundeliegenden Namen oder das gekürzte Wort in der Vollform kennen. Bei oft benutzten Abkürzungen gibt es aber auch das Phänomen, dass vielen Sprechern nur die Abkürzung, nicht aber die Vollform bekannt ist, z.B. bei der PIN-Nummer. Im Bereich der Abkürzungen ist für die Beschreibung zunächst einm al zwischen gesprochenen (PIN) und nur geschriebenen Abkürzungen wie etc. (et cetera) zu unterscheiden. Ihrer Bildung nach sind die Abkürzungen in zwei große Gruppen, nämlich die Initialkürzungen (Akronyme) und die Kurzwörter, sowie eine kleine, die Mischkurzwörter, einzuteilen (D UDEN -Grammatik 2016, S. 744 ff.): Tab. 9: Abkürzungen Typen Beispiele Vollständiges Lexem Buchstabierkürzung EU Europäische Union Initialkürzung TÜV (als Wort gesprochen) Technischer Überwachungsverein Silbenkurzwort Kita Kindertagesstätte Kurzwort Bus Autobus, Omnibus Uni Universität Mischkurzwörter MatDaF (Buchreihe) Materialien Deutsch als Fremdsprache Grammatisch verhalten sich die Abkürzungstypen verschieden. Die Buchstabenkürzungen bekommen schriftsprachlich keine Flexionsendungen: die Jh., des Jh.; Kurzwörter dagegen schon: die Kitas, die Unis. Im fachlichen Zusammenhang werden weitere Typen relevant, etwa das „Klappwort“: Ökonomen sprechen von Stagflation als einer Verbindung von Stagnation und Inflation. 7.3.4 Morphem und Silbe Die Termini Präfix und Suffix werden häufig als „Vorsilbe“ und „End- / Nachsilbe“ übersetzt. Sie haben als Morpheme aber andere Eigenschaften als Silben. Eine Silbe ist eine Lautkonfiguration, die in jeder Sprache nach bestimmten Gesetzen aufgebaut ist (vgl. Kap. 14). Alle Wörter einer Sprache haben silbische Struktur, d.h. sie bestehen aus mindestens einer Silbe. Ein Morphem ist demgegenüber eine Sinneinheit. Ein Morphem kann <?page no="120"?> 7.3 Wortbildung II: Ableitung (Derivation) und Konversion 119 die Form einer Silbe haben, aber auch Teil einer Silbe oder auf mehrere Silben verteilt sein. Der Unterschied zwischen Silbe und Morphem zeigt sich an der Wortgliederung: Silbengliederung: Un - ter - füh - rung Morphemgliederung: Unter - führ - ung Ausgewählte Aufgaben zu Kap. 7 (9 von 31) 2. Was ist was? Wählen Sie aus. Ein gebundenes Morphem, das vor einem Basismorphem auftritt, bezeichnet man als [? ]. Tritt es nach dem Basismorphem auf, spricht man von einem [? ]. Der Oberbegriff für beide Typen ist [? ]. Affix / Konfix / Präfix / Suffix / Zirkumfix 5. Um welches Verfahren der Wortbildung handelt es sich jeweils? a) Tageszeit Komposition Derivation Konversion b) täglich Komposition Derivation Konversion c) betagt Komposition Derivation Konversion 12. Deutsch gilt als kompositionsfreudige Sprache. Bilden Sie ein möglichst langes Kompositum. 14. Betrachten Sie die folgenden Wörter in den verschiedenen Sprachen. Welche Unterschiede stellen Sie fest? Recherchieren Sie auch für weitere Sprachen und Komposita. Deutsch Englisch Italienisch Albanisch Tomatensalat tomato salad insalata di pomodori sallatë domate Auberginensalat eggplant salad insalata di melanzane sallatë patëllxhan Kartoffelsalat potato salad insalata di patate sallatë patate 15. „Manche deutschen Wörter sind so lang, dass sie über einen eigenen Fluchtpunkt verfügen. (…) Diese Dinger sind keine Wörter, sie sind alphabetische Prozessionen. Und sie sind nicht einmal selten; man kann jederzeit eine deutsche Zeitung aufschlagen und sie majestätisch über die Seite marschieren sehen,“ klagte schon Mark Twain (1880). 15 Unter dem Titel „Wie meinen? “ stellte die Süddeutsche Zeitung einige dieser Wörter zusammen. 16 Analysieren Sie den Aufbau der Wörter und zeichnen Sie ein Stemma: a) Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetz b) Grundstücksverkehrsgenehmigungszuständigkeitsübertragungsverordnung 15 Mark Twain (1880) The Awful German Language - Die schreckliche deutsche Sprache. Köln: Anaconda Verlag 2010, S. 59. 16 Süddeutsche Zeitung (SZ), 08.10.2014 <?page no="121"?> 120 Morphologie: 7 Elemente und Verfahren der Wortbildung 25. Was für ein sprachliches Element ist das -s in dem Wort „Arbeit-s-strategie“? Erläutern Sie. 26. Analysieren Sie zwei komplexe Wörter morphologisch, geben Sie die Wortart und die Ableitungsbasis an: (das) Abstandsgebot unvorsichtig 28. Zerlegen Sie die folgenden Wörter in Silben und in Morpheme: Überredung, Vorgehensweise, hoffentlich, unüberwindlich 29. Was versteht man unter einem „Nullmorphem“? Wo findet man so etwas? Ausgewählte weiterführende Literatur Donalies, Elke ( 2 2011) Basiswissen deutsche Wortbildung. Tübingen: Francke Eichinger, Ludwig (2000) Deutsche Wortbildung. Eine Einführung. Tübingen: Narr Eisenberg, Peter ( 4 2013) Grundriss der deutschen Grammatik: Das Wort (Band 1). Stuttgart: Metzler. Darin Kap. 6 und 7 Eisenberg, Peter ( 3 2018) Das Fremdwort im Deutschen. Berlin: de Gruyter. Kap. „Wortbildung“ S. 247 ff. Ehlich, Konrad (1989) Greek and Latin as a permanent source of scientific terminology: The German case. In: Coulmas, Florian (ed.) Language Adaptation. Cambridge: CUP, pp. 135-157 Kessel, Katja/ Reimann, Sandra ( 5 2017) Basiswissen deutsche Gegenwartssprache. Tübingen: Francke. „Wortbildung“ S. 91 ff. Nübling, Damaris et al. ( 5 2017) Historische Sprachwissenschaft des Deutschen. Tübingen: Narr, Kap. 3: Morphologischer Wandel Römer, Christine (2006) Morphologie der deutschen Sprache. Tübingen: Narr <?page no="122"?> 8 Wortarten und Flexion 8.1 Die traditionellen Wortarten Im Deutschen gibt es verschiedene Typen von Wörtern, die im Sprachunterricht als Wortarten vorgestellt werden. Die zentralen Wortarten entstammen der griechisch-lateinischen Grammatiklehre 1 und sind nach dem Übergang zu den europäischen Volkssprachen, der sog. Vernakularisierung, an diese Volkssprachen adaptiert sowie nach und nach erweitert worden. Diese traditionellen Wortarten sind weit über die indoeuropäischen Sprachen hinaus bekannt geworden. Wortarten sind Kategorien, Ordnungsbegriffe. Als Einteilung des Wortschatzes entstanden sie durch die vortheoretischen Beobachtungen, die man an Wörtern machte. Als Grundlage und Lernkanon für den Sprachunterricht sind sie seit der ‚klassischen‘ griechischen Zeit entwickelt worden, später haben Grammatiktheorie und Lexikographie an dieser primären Einteilung der Wörter weiter gearbeitet. Die meisten Wörterbücher geben vor der eigentlichen Bedeutungsbeschreibung zunächst die Wortart an. Auch die Grammatiken des Deutschen enthalten meist eine ausführliche Beschreibung der Wortarten. 2 Die acht Wortarten der lateinischen Grammatik sind dokumentiert im Lehrbuch des D ONATUS . Sie gelten seit dem Mittelalter in Europa als die klassischen. Das Adjektiv war hier noch Teil der Klasse der Nomen, es wurde erst später zu einer eigenen Wortart, auch das Partizip wurde erst später zur Wortart Verb gerechnet. Da Latein keine Artikel besitzt, gab es diese Wortart nicht, anders als im Griechischen. Tab. 1: Traditionelle und schulische Wortarten Wortarten der lateinischen Tradition Wortarten der Schulgrammatik Nomen, Pronomen Substantiv/ Nomen, Pronomen Verb, Partizip, Adverb Artikel, Adjektiv, Adverb Konjunktion, Präposition, Konjunktion, Präposition Interjektion Numerale, Interjektion In der Grundschule werden oft noch die entsprechenden deutschen Bezeichnungen genutzt, z.B. „Hauptwort“ für „Substantiv“, „Fürwort“ für „Pronomen“, „Zeit-/ Tätigkeitswort“ für „Verb“, „Eigenschaftswort“ für „Adjektiv“ oder „Umstandswort“ für „Adverb“. Das antike Verständnis der Hauptwortarten beruhte zunächst einmal auf einer groben Analyse des Aussagesatzes, der gemäß der philosophischen Logik ein Urteil über die Realität ausspricht. Sprache wurde vor allem als ein Mittel angesehen, als Werkzeug, um Gedanken in Form eines Urteils zu äußern. Solche Sätze wurden zerlegt in Redeteile. Zentral waren die Redeteile (lat. partes orationis) onoma und rhema. Mit onoma meinte P LATON zunächst den Bezugspunkt (logisch Gegenstand) des Urteils, der im Satz als Subjekt auftritt. Später wurde die Bezeichnung auf die an dieser Stelle auftretenden Nomen angewendet. Der zweite Teil des urteilenden Satzes, die eigentliche Aussage über den Gegenstand des Urteils, wurde als rhema bezeichnet. 1 Eine zusammenfassende Darstellung der bis zum 1. Jh. entwickelten Wortarten gab der griechische Grammatiker Dionysius Thrax. 2 Eine Ausnahme ist Peter Eisenbergs „Grundriss der deutschen Grammatik“ ( 4 2013). <?page no="123"?> 122 Morphologie: 8 Wortarten und Flexion In der frühen Entwicklung der Wortartenlehre legte die griechisch-lateinische Sprachphilosophie großen Wert auf ontologische 3 Einteilungskriterien. Das heißt, man teilte die Wörter danach ein, ob und wie sie die Realität (das Sein) ausdrücken konnten. Unter diesem Aspekt ergaben sich die Substantive als primär, als Inhaltswörter. Wörtlich übersetzt ist Substantiv das, was unter etwas steht (lat. sub stat), eine Art Basis (z. B. des Satzes); die gleiche Etymologie steht auch hinter dem Fremdwort Substanz. Die Ontologie spricht also dem Substantiv substanzielle, wesenhafte und bleibende Qualität zu. 4 Diese Deutung ist über Jahrhunderte erhalten geblieben und wird im Sprachunterricht vereinfacht so vermittelt: Tab. 2: „Ontologie“ der sog. Hauptwortarten in der Schulgrammatik Substantiv - Ding (Dinghaftes) Verb - Handlung (Vorgang) Adjektiv - Eigenschaft C LEMENS K NOBLOCH spricht sich deutlich gegen diese ontologische Orientierung aus. Er nennt sie „eine sehr schädliche Angelegenheit“ für das elementare Sprachlernen, denn sie hindere den Schüler daran, „das Wort als eine sprachliche Größe von der bezeichneten Sache zu unterscheiden“. 5 Hinzu kommt, dass diese Erklärung der Substantive als „Dinge“ vom Lehrer sehr schnell korrigiert werden muss, denn mindestens die Hälfte der Substantive sind Abstrakta. 6 Von der Sprachphilosophie her entsteht der Eindruck, die ontologische Einteilung der Wörter nach ihrem Realitätsstatus sei so grundlegend, dass sie universell sein müsste. 7 Für die Hauptwortarten gibt es natürlich auch grammatische Merkmale, die sie unterscheidbar machen. Die Gruppe der nominalen Wortarten, wozu auch noch Adjektiv und Pronomen gehören, verdankt sich der Tatsache ihrer Deklinierbarkeit, Verben heben sich durch ihre Konjugationsformen davon ab. Beides wird im Begriff Flexion zusammengefasst. Andere der in Tab. 1 genannten Wortarten sind auf die lineare Ordnung des Satzes, also die Abfolge der Satzglieder, bezogen. Für die Präpositionen z.B. wird ihre Voranstellung in einer Wortgruppe zum Erkennungsmerkmal erhoben (prae-ponere bedeutet voranstellen). Die Konjunktion ist das verbindende Wort, das zwischen den verbundenen Gliedern steht; die Wortartbezeichnung Interjektion bedeutet wörtlich übersetzt einen ‚dazwischen geworfenen‘, nicht in den Satz integrierten Redeteil. W LADIMIR A DMONI sieht folgende allgemeine Schwierigkeit bei der Bestimmung von Wortarten 8 : „Die grammatische Einordnung und Klassifizierung der ungeheuren Masse von Wörtern, über welche jede Sprache verfügt, gehört zu den schwierigsten Aufgaben der Sprachwissenschaft. Der für die sprachlichen Erscheinungen überhaupt charakteristische Aspektreichtum macht sich beim Wort im höchsten Grade geltend und widersetzt sich den Versuchen, eine solche Einordnung auf Grund eines einheitlichen Kriteriums durchzuführen.“ 3 Von griech. on = seiend und griech. logos = (u.a.) Lehre, also: Lehre vom Sein, vom Seienden. 4 „Jeder Begriff und jede Vorstellung, die in der Form eines Substantivs zum Ausdruck gelangen, werden als ein Ding, als etwas Dinghaftes, als eine Substanz (bei H. Glinz als Größe) aufgefasst.“ Admoni (1982, S. 87). 5 Knobloch (1992, S. 38). 6 Zu den heutigen Auffassungen der Hauptwortarten das „Handbuch der deutschen Wortarten“, hg. von Ludger Hoffmann (2007); zum Substantiv siehe Thielmann (2007). 7 Das zeigt sich an der Übertragung vieler lateinischer Begriffe auf andere Sprachtypen (sogar Chinesisch) und an Chomskys „Universalgrammatik“. 8 Admoni (1982, S. 63). <?page no="124"?> 8.2 Flexion 123 Wegen des von A DMONI angesprochenen Formenreichtums ging man früh dazu über, mehrere Kriterien anzuwenden, ohne klare Systematik, je nachdem, was am besten zu „passen“ schien. Gegen A DMONI s Einsicht verlangten Kritiker der Wortartenlehre immer wieder nach einem oder wenigen einheitlichen Kriterien. 9 Manche Streitfragen existieren auch weiterhin, etwa die Abgrenzung zwischen Adjektiven und Adverbien. Deren Wortformen in Texten werden von einigen nach der „lexikalischen“ Wortart, von anderen nach syntaktischen Kriterien beurteilt. Zwei Beispiele: B1 a) das abschließende Gespräch b) Ich habe gut geschlafen. Das Wort abschließende ist, lexikalisch betrachtet, eine Verbform; syntaktisch-morphologisch betrachtet ist es jedoch ein Adjektiv, es nimmt die Position und Funktion eines Adjektivs ein und wird adjektivisch dekliniert. Das Wort gut in dem Satz Ich habe gut geschlafen ist lexikalisch betrachtet ein Adjektiv, wird aber von manchen wegen seiner engen Bindung an das Verb zu den Adverbien gerechnet. Bei H ELBIG / B USCHA wird es als „Adjektivadverb“ bezeichnet. 10 Dadurch wird die Abgrenzung der Wortarten aber unklar. Statt dessen kann man sagen, dass das Partizip adjektivisch oder attributiv verwendet wird und dass das Adjektiv gut in (B1b) adverbial verwendet wird. Eine gute Zusammenfassung des „Funktionsspektrums“ von Adjektiven gibt L. H OFFMANN (2016, S. 150). Im Folgenden wird zunächst die Flexionsmorphologie vorgestellt, danach werden exemplarisch einige Wortarten und neuere Wortklassen differenzierter beschrieben. 8.2 Flexion Die Flexion ist ein so zentrales Charakteristikum der Wortformen oder Wortgestalten, dass sie in der Sprachtypologie den Typus der „flektierenden Sprachen“ begründet (s. Kap. 8.5). Als Oberbegriff für Deklination und Konjugation umfasst der Begriff für das Deutsche die Formenbildung nominaler und verbaler Wortarten. Die meisten grammatischen Morpheme in diesem Bereich sind Suffixe, die dem Stamm rechts angefügt werden und so die Wortform bilden. Man spricht dann von äußerer Flexion. Dagegen wird bei der inneren Flexion der Wortstamm markant verändert (sie heißt daher auch Stammflexion). Zu den flektierenden Sprachen gehören außer dem Deutschen alle indoeuropäischen Sprachen. Sie nutzen die äußere und die innere Flexion, oft auch beide in demselben Wort, wie manche du-Form und viele Konjunktivformen zeigen (B2): B2 Du [ fährst ]. (Kombination von innerer Flexion und Suffix -st) Ich [ wäre ] gern dabei. (Kombination von innerer Flexion und Suffix -e) Das dabei veränderte Element, meist der Vokal, wird auch als Ersetzungsmorphem bezeichnet. 11 Bei den unregelmäßigen Verben ist dieser Wechsel traditionell als Ablautreihe (singen - sang - gesungen) bekannt. Bei anderen Wörtern geht es vor allem um die Umlautung, die Ersetzung eines Vokals durch den jeweils passenden Umlaut (z.B. des <o> durch ein <ö>). Ein Beispiel ist die Pluralbildung, die ebenfalls z.T. zwei Morpheme erfordert: 9 Ehlich, Konrad (2009) Zur Geschichte der Wortarten. In: Handbuch der deutschen Wortarten. Hg. Ludger Hoffmann. Berlin: de Gruyter, S. 51-94. 10 Gerhild von Schuch (1996) spricht sogar von einem Wortartwechsel und sieht im Beispiel oben „gut“ als Adverb an. 11 Eine ausführlichere Darstellung von Morphemtypen im Deutschen bieten Adamzik (2004, S. 120 ff.) und Römer (2006, S. 19-42). <?page no="125"?> 124 Morphologie: 8 Wortarten und Flexion Maus - Mäus-e Haus - Häus-er Boden - Böden Allgemein werden Flexionsmorpheme als gebundene Morpheme eingestuft. Bei einigen Autoren ist aber auch von „selbstständigen Flexiven“ die Rede. R ÖMER (2006, S. 35) nennt so die Artikelformen (das Haus) und auch „Hilfsverben“ wie hat in hat gebracht. Häufig treten die Flexionsmorpheme allerdings weniger prägnant hervor als in den bisherigen Beispielen, und ihre Bedeutung oder grammatische Funktion ist nicht immer klar. Das Suffix -en z.B. ‚bedeutet‘ je nach Wortart und Kontext Verschiedenes (s. Tab. 3), es ist also uneindeutig. Tab. 3: Multifunktionalität des Morphems -en -en in grammatischen Formen Beispiel Infinitivform eines Verbs bauen 1. Person Plural einer Verbform wir bauen 3. Person Plural einer Verbform sie bauen Plural bestimmter femininer Nomina Frauen Adjektiv im Genitiv Sg. / Pl. des bekannten Dichters Adjektiv im Akk. Sg. / Pl. den / die bekannten Dichter Adjektiv im Nom. Pl. die bekannten Dichter Adjektiv im Dativ Pl. den bekannten Dichtern Dieses Suffix tritt offensichtlich bei den Adjektiven besonders häufig auf und gilt als „schwache“ Endung. Worauf bezieht sich die Unterscheidung stark/ schwach hier? Adjektive passen sich nicht nur der Flexion eines Nomens an, die Auswahl des passenden Morphems ist auch noch vom Artikelwort bzw. dessen Funktion abhängig: B3 ein bekannter Dichter (-er = starke Endung nach schwachem Artikel) der bekannte Dichter (-e = schwache Endung nach starkem Artikel) Im Anschluss an W. A DMONI spricht man dabei von Monoflexion. 12 Der Wortbestandteil „mono“ bezieht sich darauf, dass der strukturell-grammatische Indikator nur einmal ausgedrückt wird, und zwar so früh wie möglich. Damit ist gemeint, dass Adjektive immer dann „starke“ Formen annehmen, wenn Genus, Kasus und Numerus nicht schon vorher am Artikelwort ausgedrückt wurden, also etwa bei Artikellosigkeit oder nach indefinitem Artikel wie ein (s. B3). Diese indefinite Artikelform ist deshalb „schwach“, weil sie keinen Kasus verdeutlicht. Definite Artikel wie der verdeutlichen Kasus und Numerus und ziehen daher eine schwache, neutralisierte Adjektivform nach sich. 13 Nach heutigem Stand werden mehrere Typen und mehrere Mittel der Flexion unterschieden, die in Abb. 1 zusammenfassend dargestellt sind. Nach strukturalistischer Gewohnheit wird das (Nicht-)Vorhandensein von Merkmalen mit den Zeichen + und - markiert. 12 Der Begriff geht auf W. Admoni (1982) zurück. 13 Es empfiehlt sich, diese Unterschiede an Formenparadigmen, also Tabellen, wie sie fast jede Grammatik bietet, genauer nachzuvollziehen. <?page no="126"?> 8.3 Die heutige Wortartenlehre 125 Abb. 1: Übersicht über die Flexionsarten und Morphemtypen 14 8.3 Die heutige Wortartenlehre In diesem Teilkapitel sollen einige neuere Wortarten(vorschläge) kurz vorgestellt werden, um zu verdeutlichen, welche Kritik darin umgesetzt wird. Zuvor wird eine „alte“ Wortart (Substantiv) mit didaktischer Perspektivierung vorgestellt. Am Beispiel der neuen Wortklasse Deixis wird der Weg dahin von der Kritik der Kategorie Pronomen her beschrieben. Die Wortart Verb wird wegen ihrer großen Bedeutung für die Satzbildung zusammenhängend in Kap. 10 vorgestellt. 8.3.1 Die Wortart Substantiv im Blick des Sprachlerners Die Wortart-Kategorie 15 Substantiv ist eine offene Klasse. Das bedeutet, dass die Menge der Substantive, bedingt durch Entlehnungen und durch die Ausdehnung der fachsprachlichen Wortschätze, immer wieder erweitert wird. Die Substantive gelten zu Recht als die Wortart, deren Elemente den Inhalt einer Rede und besonders eines Textes am stärksten prägen. 16 Im primären Spracherwerb sowie zu Anfang des Fremdsprachenerwerbs ermöglicht die Kenntnis eines einzelnen Wortes bereits eine Thematisierung, die vom Adressaten situativ interpretiert werden kann (vgl. zum Thematisieren H OFFMANN 2016, Kap. C5). Dass es im Deutschen drei Formtypen der Substantive gibt - Maskulinum, Femininum, Neutrum - nehmen Sprachlerner oft als Artikelproblem wahr. Linguistisch korrekt gesagt, geht es hier um eine lexikalisch-grammatische Eigenschaft der Substantive, um ihr Genus (Plural: Genera). Adjektiv und Artikel haben dagegen kein eigenes Genus, sondern passen sich dem Genus des Substantivs jeweils an. Anders als z.B. in den romanischen Sprachen ist das Genus am Wort selbst nur dann klar erkennbar, wenn ein typisches Suffix wie -heit oder -ung vorhanden ist; einsilbige Wörter des Grundwortschatzes wie Milch, Berg, Tisch 14 Abb. nach Ehlich (2007f) . 15 „Kategorie“ ist ein Ordnungsbegriff (bei Eisenberg (1986) ein „Mengenbegriff“) oder ein klassifikatorischer Begriff. Der Ausdruck ist zurückzuführen auf die griechische antike Sprachphilosophie, die die Grammatik aus logischer Perspektive betrachtete. 16 Das war ein wichtiges Argument für die Beibehaltung der Großschreibung der Substantive. <?page no="127"?> 126 Morphologie: 8 Wortarten und Flexion haben keine genustypische Form. Das Genus ist also eine inhärente Eigenschaft, die am Artikel und am Adjektiv deutlicher als am Substantiv selbst erkennbar ist. Traditionell wurden natürliche Geschlechtsunterschiede als (historische) Basis für das grammatische Geschlecht angesehen. Das ist aber nicht richtig. Schon in der germanischen Sprache hatte das Genus der Substantive andere Funktionen als die Geschlechtsbezeichnung, z.B. die Kennzeichnung von Abstrakta und Kollektivbezeichnungen. Das Genus eines Substantivs kann daher auch im Widerspruch zum biologischen Geschlecht stehen. Einige immer wieder zitierte Beispiele dafür zeigt Tab. 4. Tab. 4: Verhältnis von natürlichem und grammatischem Genus (Beispiele) der Lehrer / die Lehrerin Genuswechsel mit Geschlecht das Mädchen weibliches Kind die Drohne männliche Biene die Maus, die Ente, das Huhn geschlechtsunspezifische Tierbezeichnungen Aufgrund der Flexionseigenschaften steht jedes Substantivlexem mit seiner Grundform (engl. type) für eine Menge von Wortformen 17 , die den grammatischen Kategorien Kasus (Plural: Kasus) und Numerus (Plural: Numeri) angehören. Die Kasus sind bereits ein Hinweis auf syntaktische Eigenschaften der Substantive (vgl. Kap. 9). Die insgesamt acht Formen jedes Substantivs, die allerdings nur z.T. morphologisch verschieden sind, bilden ein sog. Paradigma. Während Singular- und Pluralformen der Substantive im Allgemeinen gut unterscheidbar sind, sind die Kasusformen durch die Abschwächung der germanischen Endsilben oft verschwunden oder sie sind polyfunktional. Vor allem bei den Feminina besteht im Singular keine Kasusunterscheidung mehr. Die historische Morphologie nennt das eine „Kasusnivellierung“ bei einer parallelen Stärkung (Profilierung) der Numerusformen. 18 Für Sprachlerner bedeutet das, dass sie allmählich die prägnanten Wortformen erwerben sollten, bei manchen Substantiven die Dativform (dem Menschen) und generell die Genitivformen der Maskulina und Neutra (des Menschen, des Raums). In der Untersuchung von Lernersprache (im Rahmen der Erwerbsforschung oder der „Fehlerlinguistik“) ist meist von einer Genuszuweisung durch die Sprecher die Rede. Viele Publikationen befassen sich damit, z.B. E NGELEN (2007). 19 Aufgrund der Wortbildungsmöglichkeiten des Deutschen hat das Substantiv Berührungspunkte mit den anderen Wortarten, soweit sie nominalisiert werden können. Das gilt auch für die Zahlen - in der früheren Wortartenlehre Numeralia - wie „hundert“ und „tausend“. Sie waren früher Substantive, wurden durch die Kleinschreibung und den Verlust morphologischer Kennzeichen an die anderen Zahlen angeglichen, können aber daneben auch noch substantivisch verwendet werden: die Leiden Tausender Anwohner bzw. die Leiden von Tausenden von Anwohnern. Substantive werden traditionell nach ihren semantischen Eigenschaften in Konkreta oder Abstrakta eingeteilt. Diese Einteilung ist grammatisch relevant, aber erläuterungsbedürftig. Das sog. Konkretum ist ein durchaus allgemein zu verstehender Gattungsname 17 Die konkreten, flektierten Vorkommen eines Wortes werden im Englischen tokens genannt. 18 Vgl. Nübling et al. (2006, S. 58 ff.). 19 Vgl. Engelen, Bernhard (2007) Beobachtungen und Überlegungen zur Genuszuweisung bei Abstrakta. Mit einigen Bemerkungen zum DaF-Bereich. In: Redder, Angelika (Hg.) Diskurse und Texte. Festschrift Konrad Ehlich. Tübingen: Stauffenburg, In: S. 345-358. <?page no="128"?> 8.3 Die heutige Wortartenlehre 127 oder Gattungsbegriff. Wirklich konkretisiert wird es erst durch die bezeichnende oder benennende Verwendung für konkrete Gegenstände (das Referieren). Der Begriff „Gattung“ ist hier logisch zu verstehen, im Sinne einer Klasse (zugleich einer Menge) von gleichartigen Gegenständen oder Phänomenen. Das bedeutet: Ein Substantiv wie Buch ist sowohl abstrakt (als Begriff, vgl. Kap. 5) wie auch konkret, wenn man damit ein bestimmtes Buch anspricht. Als Begriff kann Buch auch durch Hyponyme konkretisiert werden: allgemeiner Gattungsbegriff: Buch konkretere Gattungsbegriffe: Taschenbuch, Sachbuch, Tagebuch, Schulbuch … Der Gattungsname wurde traditionell einer anderen Gruppe von Substantiven, nämlich den Stoffnamen (Stoffbezeichnungen) gegenübergestellt, die sich wegen des besonderen Charakters der Stoffe sprachlich anders verhalten: Tab. 5: Stoffbezeichnungen Stoffbezeichnung ontologisch-semantische Gemeinsamkeit grammatische Eigenschaften Holz, Salz, Brot, Plastik, Wasser, Stahl Material, ohne feste Ausdehnung, wird nicht gezählt - nicht mit unbestimmtem Artikel - nicht im Plural verwendbar Da ein Stoff keine zählbaren Einheiten besitzt, erscheint es als unlogisch, von einem Wasser zu sprechen - es sei denn, man unterstellt bestimmte Maße oder Gefäße (ein Liter Wasser, ein Glas Wasser). Das gilt auch für Geld. Es kann natürlich gezählt werden, aber die Zählung bezieht sich auf Münzen und Scheine als abgeteilte Einheiten; das Geld als Wertgegenstand bleibt aber ein Abstraktum, den Stoffbezeichnungen ähnlich. Andererseits ist der sog. Artenplural zu berücksichtigen. So kann eine Bank Gelder verwalten, wobei Geldbeträge mit verschiedener Herkunft oder Bestimmung gemeint sind, keineswegs die einzelnen Münzen und Scheine, die ihr Besitzer dafür von der Bank bekommen kann. Ebenso kennt der Fachmann Stähle und Sände im Sinne von Sorten. Grammatisch werden die Stoffnamen also so wie Abstrakta behandelt, die ebenfalls keine Pluralform haben und in vielen Fällen artikellos auftreten: B4 Wer genug [ Zeit ] hat, kann [ Sport ] treiben. Diese grammatischen Eigenschaften sind allerdings nicht fest an das Wort gebunden, sondern an bestimmte typische Verwendungen des Wortes. Das Abstraktum Zeit wird z.B. mit einer anderen Deutung pluralfähig: Man spricht von Zeiten im Sinne von Epochen oder Lebensphasen. Für Sprachlerner ist es wichtig, solche Unterschiede an Substantiven wahrzunehmen und zu verstehen. Ein relevanter Teil der Probleme bei der Wahl des passenden Artikels ergibt sich daraus. 8.3.2 Neue Wortklassen L UDGER H OFFMANN spricht im Einklang mit der „Grammatik der deutschen Sprache“ (Z IFONUN / H OFFMANN / S TRECKER 1997, im Folgenden mit GdS abgekürzt) von Wortarten und interaktiven Einheiten. Im Institut für deutsche Sprache hat man besondere Fortschritte bei der Sichtung und Neuklassifizierung der nicht flektierbaren Wörter erzielt und auch einige sprachliche Elemente einbezogen, die früher nicht als Wörter galten, etwa das <?page no="129"?> 128 Morphologie: 8 Wortarten und Flexion Hörersignal HM, das wichtige Aufgaben in der Interaktion wahrnimmt (vgl. Kap. 16.2). 20 So entstanden viele neue Einteilungsvorschläge für den Bereich der Partikeln, womit lange Zeit alle unflektierbaren Wörter gemeint waren. Nach rund 40 Jahren einer in Deutschland besonders intensiven Partikelforschung 21 reagierte die D UDEN -Grammatik 2005 mit einer Neugliederung. Tab. 6: Partikelarten laut D UDEN -Grammatik 22 Wortart oder -klasse Beispiele Gradpartikel ziemlich, sehr Fokuspartikel sogar, besonders Abtönungspartikel spezielle Funktionen von schon, aber, vielleicht Negationspartikel nicht Gesprächspartikel ja, naja, nun, hm Zu den Gradpartikeln gehören nicht nur abstufende und graduierende Wörter („Steigerungspartikeln“ nach H ELBIG / B USCHA ), sondern viele Autoren meinen damit Wörter, die dem Hörer / Leser eine Fokussierung deutlich machen. Ein bestimmtes Satzglied kann damit herausgehoben werden, wie in (B5): B5 [ Nur einer ] hat die Wahrheit gesagt. [ Besonders meine Freundin ] hat den Ausflug genossen. Sie werden deshalb auch oft als Fokuspartikeln bezeichnet. Die D UDEN -Grammatik trennt die beiden Funktionen deutlich. Die Benennung „Abtönungspartikel“ stammt von H A - RALD W EYDT (1977), der anhand des Sprachvergleichs entdeckte, dass das Deutsche besonders viele Partikeln besitzt, die auf Sprechereinstellungen und Situationselemente Bezug nehmen und auch an Hörererwartungen anknüpfen können. Im Verlaufe der nachfolgenden intensiven und detailreichen Erforschung zogen manche Autoren die Benennung „Modalpartikeln“ vor. Deren Nachteil ist, dass der Wortstamm „modal“ eigentlich anders festgelegt ist (vgl. Kap. 10), so dass es zu terminologischen Unklarheiten kommt. Ein Beispiel mit Abtönungspartikel gibt (B6). B6 A: Peter ist noch nicht da. - B: Wann kommt er denn? Die Schwierigkeit besteht bei dieser Wortklasse darin, dass es sich nicht um eine Wortart handelt, sondern dass Einheiten anderer Wortarten - denn kann sowohl Konjunktor wie Adverb sein (Es sei denn, dass …) - mit veränderter Semantik auftreten. Die Abtönungspartikel denn steht beispielsweise nur in Fragesätzen und signalisiert dem Hörer, dass in der Sprechsituation eine kommunikative Abweichung oder Störung besteht oder zumindest droht (vgl. R EDDER 1990). Im Beispiel oben ist der Sprecher B ungeduldig, da Peter bereits erwartet wird. Die Gesprächspartikeln werden in Kap. 15 behandelt. Eine andere Neuerung verdankt sich der lange schon existierenden Kritik an der Wortart Pronomen (s.u.). Eine neue Wortklasse namens Artikelwort (H ELBIG / B USCHA ) bzw. 20 Vgl. Hoffmanns graphische Darstellung aller Wortarten im Internet: . 21 Vgl. Harden, Theo / Hentschel, Elke (Hgg.) (2010) 40 Jahre Partikelforschung. Tübingen: Stauffenburg. 22 Übergangen werden hier die lautnachahmenden Wörter wie „schluchz“ und die sehr alte Wortart Interjektionen, von denen einige bei den Gesprächspartikeln auftauchen. <?page no="130"?> 8.3 Die heutige Wortartenlehre 129 Determinativ (GdS) hat sich bereits in vielen Grammatiken durchgesetzt, um eine syntaktische Gemeinsamkeit zwischen Artikeln und Wörtern aus dem ehemaligen Pronomenbereich abzudecken (B7). B7 a) die / diese / alle / unsere … eben angekommenen Gäste b) Das ist ein / kein / irgendein neues Problem. Es geht hier um Wörter, die an gleicher Stelle wie ein Artikel auftreten können, kein, mein und dein, manche, diese, alle etc. Gemäß Schulgrammatik gehören sie den Possessivpronomina, den unbestimmten Zahlwörtern oder anderen Gruppen an. Kap. 11 erklärt aus der Grammatik der Nominalphrase heraus, welchen Sinn diese neue Klassenbildung hat. Eine Kritik der Kategorie Artikelwort bietet W. T HIELMANN . 23 Terminologische Differenzen in der Grammatik werden oft kritisiert, sie gelten als Störung und Verunsicherung beim Erwerb der grammatischen Terminologie. Sie entstehen aber meist aus dem Versuch, sinnvollere, die Eigenschaften der sprachlichen Mittel besser treffende Einteilungen und Bezeichnungen zu finden. Die Sprachdidaktik ist von großer Bedeutung gerade für die grammatische Theorie, oft mit Blick auf didaktische Vorteile und erhoffte Verbesserungen. Eine Vorstellung der neueren Wortartentheorie mit pragmatischem Hintergrund gibt das „Handbuch der deutschen Wortarten“, hrg. von H OFFMANN (2007). Überlegungen zur Ersetzung der lateinischen Terminologie durch eine neue enthält der Beitrag von D ÜRSCHEIDT (2010). 8.3.3 Deixis und Anapher 8.3.3.1 Vom Pronomen zur Deixis Zwar wird der Ausdruck „Pronomen“ meist im Sinne von „steht für ein Nomen“, also wie eine syntaktische Aufgabe des Pronomens gedeutet. Er entstand aber in der griechischen Klassik mit anderer Bedeutung. Zugrunde liegt das altgriech. Wort prosopon für die Rolle (auch: die Maske) des Schauspielers. Das Theater lieferte somit das ursprüngliche Modell für den Gebrauch der „Personalpronomina“ ich und du. Das wurde verallgemeinert und übertragen auf alle Wörter, die „für Namen“ stehen. Ein großer Teil der Pronomina sind - nicht nur im Deutschen - sehr alte Wörter, die auf die indogermanische Sprache zurückgehen, etwa die Fragewörter oder Interrogativa. Im Laufe der Grammatikgeschichte wurde die Wortart Pronomen aber immer mehr erweitert, bis schließlich auch viele (unbestimmte) Zahladjektive, laut GdS Quantifikativa, (einige, alle, der erste / Erste etc.) zu den Pronomina gerechnet wurden. Tab. 7 gibt eine Übersicht. Tab. 7: Traditioneller Ausdrucksbestand der Pronomina (Beispiele) Interrogativpronomina wer, wessen, welcher, wo … Personalpronomina ich, du, er/ sie/ es … Possessiva mein, dein, sein … Reflexiva sich, mich, dich … Relativpronomina der, die, das; welcher … Demonstrativa der, die, das, derjenige, dieser, derselbe, so, solch … Indefinita einer, irgendeiner, etwas, man, jemand, irgendwo … 23 Winfried Thielmann (2009) „Artikelwörter“ - grammatische Kategorienbildung und ihre Konsequenzen für die Sprachdidaktik. In: Zielsprache Deutsch 36/ 2, S. 51-67. <?page no="131"?> 130 Morphologie: 8 Wortarten und Flexion Trotz der Erweiterungen galt das Pronomen als eine geschlossene grammatische Klasse. Die Definitionen des Pronomens wurden aber seit dem 17. Jh. als unklar und widersprüchlich kritisiert. Man vermisste ein einheitliches Merkmal, denn die Elemente dieser grammatischen Klasse sind weder semantisch noch morphologisch noch syntaktisch einheitlich. Einige sind deklinierbar, einige treten im Satz selbstständig als Satzglied auf (z.B. ich), andere nur vor Nomen (wie mein) oder sie wechseln zwischen beidem (wie etwas). Der größte „gemeinsame Nenner“ schien seit D ONATUS die syntaktische Bestimmung zu sein, dass ein Pronomen ein Nomen (mit seiner Wortgruppe) ersetzen könne. Aber diese Funktion erfüllen nicht einmal die primären und historisch ersten Mitglieder der Klasse, die Personalpronomina, auch nicht solche Wörter wie man oder etwas (vgl. G RAEFEN 2007). Es sieht so aus, dass die Wortartenlehre bestimmte Merkmale ausgeblendet oder übersehen, andere übergeneralisiert hat. 8.3.3.2 Eine neue Wortklasse Einen Ansatz zur Korrektur bietet die Deixistheorie von K ARL B ÜHLER (1934). Deixis - das ist kein Terminus der Schulgrammatik, obgleich die Wörter ‚Zeigen‘ und ‚Zeigwort‘ schon in der altgriechischen Grammatik benutzt wurden (Wortstamm: deix- oder deikt-). Erhalten blieb aber nur die lat. Wortartbezeichnung Demonstrativpronomen. Der Sprachpsychologe B ÜHLER griff zwecks Kontrast auf das Altgriechische zurück, um eine Bezeichnung für eine wesentlich größere Wortgruppe zu finden. Als Termini sind heute sowohl Deixis (Plural: Deixeis, Adjektiv: deiktisch) als auch Zeigwort in Gebrauch. K ONRAD E HLICH hat in verschiedenen Schriften diese Deixistheorie aufgegriffen und weiterentwickelt, was zu Modifikationen und Erweiterungen führte. Das Zeigfeld ergibt sich aus einem Bedürfnis der Sprecher (ebenso der Hörer): Sie wollen Gegenstände und Sachverhalte, die in der gegebenen Sprechsituation sinnlich wahrnehmbar sind, sprachlich leicht und schnell verfügbar machen. Dazu gehört auch ein nur indirekt erfahrbarer Sachverhalt, nämlich die aktuelle Zeit, das Jetzt des Sprechers. Ein relevanter Teil der Pronomina gehört in den Bereich der Deixis, aber auch einige Adverbien: jetzt - dann - damals; hier - da - dort; so Insgesamt sind es über hundert Wörter des Deutschen, die zur Gruppe der Zeigwörter (Deixeis) zählen. Ihre Anordnung ergibt sich aus den Dimensionen des Zeigens (vgl. Tab. 8). Was B ÜHLER besonders hervorhob, ist ihre nichtsymbolische Funktion: Was der Ausdruck ich ‚bedeutet‘, ergibt sich nur konkret-situativ, es steht nicht lexikalisch fest, wie das beim Wort Tisch oder bei gelb der Fall ist. 24 Die personenbezogenen Zeigwörter (Personaldeixis) entsprechen damit der Tatsache, dass die Rollen von Sprecher und Hörer sich mit jedem Sprecherwechsel ändern. Für alle deiktischen Ausdrücke ist eine solche flexible Anpassung an die Sprechsituation charakteristisch. Der deiktische Ausdruck jetzt verweist auf den Zeitpunkt oder Zeitraum, in dem die Sprechhandlung erfolgt. Der Ausdruck gehört daher zur Temporaldeixis. Mit hier meinen wir den Ort, wo die Sprechhandlung geschieht (Lokaldeixis). Besonders wichtig ist wegen der häufigen Verwendung die Gruppe der Objektdeixis. Der objektdeiktische Ausdruck dieser verweist auf Dinge oder Personen in der Sprechsituation, die also für die Beteiligten konkret, sinnlich wahrnehmbar sind. In mündlicher Rede 24 Einige pragmatische Theorien sprechen bei ich / du von einer „Referenz“ auf Personen. Dabei wird allerdings der Situationsbezug, den Substantive nicht haben, ignoriert. <?page no="132"?> 8.3 Die heutige Wortartenlehre 131 entspricht dem Ausdruck dieser meist ein der. Durch diese Zeigwörter orientiert der Sprecher die Aufmerksamkeit des Hörers auf etwas Wahrnehmbares, seien es Dinge oder Personen. Oft wird der deiktische Ausdruck kombiniert mit einem Symbolfeldausdruck: B8 Schau dir mal diesen Hund an! Die Hörerorientierung hat immer einen ganz klaren, deixistypischen Ausgangspunkt, nämlich den Sprecher selbst. B ÜHLER hat dies die Origo des Sprechers genannt. „Dieses Buch“ ist ein Buch, das präsent und sichtbar und bereits im Fokus des Sprechers ist, auf das der Hörer aber seine Aufmerksamkeit erst noch richten muss. Man spricht deshalb auch von einer Fokussierung: Mithilfe deiktischer Ausdrücke fokussiert der Sprecher die Aufmerksamkeit des Hörers auf das jeweils Gemeinte. So kommt eine gemeinsame Orientierung zustande, die in der Kommunikation genutzt werden kann. In allen Sprachen wird dabei eine Nah-Fern-Unterscheidung eingebracht. Nicht immer gibt es zwei klar zugeordnete Zeigwörter dafür. Warum stehen dem sprecherbezogenen Zeigwort hier nicht nur eine, sondern gleich zwei Ausdrücke für entfernte Orte gegenüber, nämlich da und dort? Auch zeigt sich, dass der Ausdruck jener, der ursprünglich in Opposition zu dieser stand, sprachhistorisch in den Hintergrund getreten ist. In der gesprochenen Sprache kommt er heute fast gar nicht mehr vor, wie es scheint, außer in festen Wendungen wie dieses und jenes (s.u.). In Texten scheint jener häufig durch derjenige ersetzt zu werden. Und zu dem Zeigwort so, das auf Eigenschaften und Aspekte verweisen kann, gibt es gleich gar keine Fernedeixis. 25 Tab. 8: Dimensionen des sprachlichen Zeigens (nach E HLICH 1987) Dimension Nähe Ferne Personen (sprachlich Handelnde) ich du mein dein Ort hier dort da Zeit jetzt damals dann Objekte (Personen) dieser jener derjenige Aspekte an Objekten so --- Nicht nur die in Tab. 8 genannten Zeigwörter, sondern auch eine deutlich betonte Artikelform (vgl. B9b) wird mündlich als deiktisch verstanden. Der bestimmte Artikel hat sich historisch aus der Deixis entwickelt. Seine normale Funktion ist nicht das Zeigen, sondern er schafft einen Wissenszugang zum Nomen (vgl. Kap. 11). B9 a) Siehst du den (da)? b) Mit dem / diesem Anzug kannst du dich im Betrieb nicht sehen lassen! Ein weiterer Typ ist die Aspektdeixis, dazu gehören so und die adjektivische Form solch-. Der Ausdruck so wird generell als Vergleichspartikel bezeichnet: B10 Die Reise nach München dauert genau so lange wie die nach Hamburg. Allgemein wird mit so an einem Objekt oder einer Person eine bestimmte Eigenschaft oder ein Aspekt in die Aufmerksamkeit des Hörers gebracht. Als adjektivische Form dient das Zeigwort solche. Auf welche Aspekte sich das Zeigen jeweils konzentriert, geht aus dem 25 Vgl. zu dem interessanten Wort so und seinen verschiedenen Funktionen Ehlich (2007d). <?page no="133"?> 132 Morphologie: 8 Wortarten und Flexion Gespräch oder Text, manchmal aus Zeigegesten hervor. Die Sprechervorstellung (der gemeinte Aspekt) wird verbal oft mit Hilfe eines Vergleichs oder einer Konsequenz verdeutlicht: B11 A erzählt von einem Behördenbesuch: „Ich musste so lange warten, ich konnte kaum noch stehen.“ Das Handbuch „Deutsche Wortarten“ (H OFFMANN 2007) berücksichtigt die verschiedenen Deixisarten. Der Fremdsprachenlerner braucht die deiktischen Ausdrücke früh, wenn er sich erfolgreich verständigen will. Das scheint einfach zu sein, weil er das „Funktionieren“ deiktischer Ausdrücke schon aus seiner eigenen Sprache kennt. Ich und du sind ihm z.B. schnell vertraut. (Man sollte allerdings nicht unterschätzen, dass Kinder längere Zeit brauchen, um die Sprecherbezogenheit der Personal- und Possessivdeixis zu verstehen.) Allerdings entsprechen sich die deiktischen Teilsysteme verschiedener Sprachen nur zum Teil, auch die Menge unterscheidet sich, erst recht die Frage der Deklinierbarkeit. Sprachtypologisch und kontrastiv stellen sich eine Reihe interessanter Fragen: - Welche Einteilung von Nähe und Ferne weist eine Sprache mit Blick auf die Sprechsituation auf? Nur die einfache Unterscheidung von hier und dort, ich und du? Oder gibt es feinere und mehr Unterscheidungen? Beispiele liefern Spanisch und Portugiesisch, die verschiedene deiktische Ausdrücke für die Nähe zum Hörer, zum Sprecher und zu beiden haben. - Wie genau werden die einzelnen Dimensionen eingeteilt, und mit welchen Mitteln geschieht das? Die afrikanische Ewe-Sprache hat ein ganzes Spektrum von deiktischen Ausdrücken, um mehrere verschieden weit entfernte Objekte sprachlich unterscheiden zu können. - Mit welcher Intensität und Häufigkeit machen Sprachen von deiktischen Mitteln Gebrauch? Es gibt ausgesprochen deixisreiche Sprachen wie Französisch und (relativ ärmer) Deutsch, ebenso auch deixisarme Sprachen wie Englisch. - Wie stark ist das jeweilige Anredesystem deiktisch geprägt? Hier zeigen sich große kulturelle und sprachliche Unterschiede. Wegen der Bedeutung für die alltägliche Orientierung sollten Lehrende und Lernende des Deutschen die deiktischen Elemente der eigenen und fremden Sprache sorgfältig miteinander vergleichen. 8.3.3.3 Abgrenzung der Anapher Mit der Entdeckung der Personaldeixis ergibt sich eine Kritik der traditionellen „Personen“ des Verbs, denn die Formen der 1./ 2./ 3. Person bilden funktional keine Einheit. Die Pronomina er / sie / es sind keine Zeigwörter. Was mit ihnen konkret gemeint ist, ergibt sich aus sprachlichen Vorgängern in der Rede oder im Text, oft sind es bestimmte NP, manchmal auch Namen, die bereits thematisiert wurden und deren Thematizität nun quasi verlängert wird. Dafür hat sich die Bezeichnung Anapher etabliert. 26 Für den grammatischen Zusammenhang soll hier nur die neue Einteilung der Subjekttypen und damit der Verbformen vermerkt werden: 26 Vgl. Consten, Manfred / Schwarz-Friesel, Monika (2007) Anapher. In: Hoffmann, Ludger (Hg.) Deutsche Wortarten. Berlin: de Gruyter, S. 265 ff. <?page no="134"?> 8.4 Grammatikalisierung 133 Tab. 9: Personaldeixis und Anaphern Funktion Beispiel Verweis oder Bezug auf deiktisches Subjekt Sprecherdeixis ich (komme) Person im Zeigfeld Hörerdeixis du (kommst) Person im Zeigfeld anaphorisches Subjekt Anaphern er (kommt) Beliebige Sache oder Person (vorher symbolisch benannt) Anders als bei der deiktischen Fokussierung lässt die anaphorische Fortsetzung das Thema eher im Hintergrund. Es bietet sich an, diese Funktionalität bei der Behandlung von Texten, also in Kap. 17, genauer zu erläutern. 8.4 Grammatikalisierung Allgemein versteht man unter Grammatikalisierung einen Veränderungsprozess, in dem lexikalische Bedeutung zugunsten grammatischer Funktionen mehr oder weniger verloren geht. Wenn man davon ausgeht, dass sprachspezifische Wortschätze sich allgemein einteilen lassen in lexikalische und grammatische Einheiten, stellt sich die Frage nach der Herkunft und Entwicklung der grammatischen „Zeichen“ (N ÜBLING 5 2017, S. 220). Sehr häufig lassen sie sich zurückführen auf lexikalische, oft auf deiktische Wortschatzeinheiten. Je stärker ein Wort grammatikalisiert ist, umso mehr gehört es zum Zentrum der Sprache, zu ihrem innersten Bereich. Sprachhistorisch sind oft Jahrhunderte erforderlich, in denen mehrere Prozesse parallel oder versetzt ablaufen (vgl. D IEWALD 1997 und S ZCZEPANIAK 2 2011): a) Verlust an Bedeutung bzw. semantischem Gehalt (Desemantisierung) b) Verwendung in anderem Kontext als zuvor c) z.T. gehen morphologische Eigenschaften verloren, u.U. auch die Selbstständigkeit der Wortform (bei Verschmelzung mit einer anderen) d) z.T. findet eine Reduktion der Wortform statt (phonetisch, graphisch) Die offenbar in allen Sprachen sehr früh entstandenen Zeigwörter waren eine wesentliche Quelle für grammatische Elemente. 27 G UY D EUTSCHER (2011, S. 57) weist auf die Verankerung der lokaldeiktischen Adverbien in der ersten Zeit der Sprachentstehung hin: „Die Wörter ‚hier‘ und ‚da‘ könnten den visuellen Verschiebemechanismus in die Sprache eingeführt haben, als sie sich von der physischen Geste emanzipierten und dann für sich allein die Bedeutungsverschiebung verkörperten.“ Im Deutschen entstanden die Formen des bestimmten Artikels und der Relativpronomina aus Zeigwörtern. In diesen grammatisch gebundenen Verwendungen verschwindet ihre deiktische Potenz allerdings nicht vollständig. Immerhin wird mit dem Artikel etwas Ähnliches wie ein Verweis auf Wissen (Determination) gemacht, und die Relativpronomina haben die nicht rein grammatische Aufgabe, den Nebensatz an ein Wort oder eine Wortgruppe im Hauptsatz ‚anzukoppeln‘. Als Beispiel nennt N ÜBLING die Entstehung des Subjunktors dass aus einer Satzreihe mit Deixis: „Aus der freien Fügung [Ich weiß das]: [Er kommt] entstand durch Reanalyse die Struktur [Ich weiß, dass er kommt].“ (2010, S. 223) 27 Vgl. B. Heine (2003) Grammaticalization. In: Joseph, B.D. / Landa, R. D. (eds.) The handbook of historical linguistics. Malden, p. 575-601. <?page no="135"?> 134 Morphologie: 8 Wortarten und Flexion Betrachtet man nicht nur die Zeigwörter selbst, sondern auch die Kompositionen, in denen sie vorkommen, so fällt auf, dass da, hier und dort im Deutschen sehr häufig in Verbindung mit Präpositionen auftreten, auch mit hin und her, ebenfalls Adverbien, die als Richtungsdeixis gelten. Diese Gruppe umfasst interessante Bildungen wie standardsprachlich: hierbei, daneben, hinauf, herab; da-r-unter, hin-e-in u.a. umgangssprachlich: rauf, rüber, runter, rein, raus u.a. Bei einigen dieser Wörter kann man eine (partielle) Grammatikalisierung vermuten, denn ein Teil von ihnen drückte ursprünglich lokale Verweise aus, bekam aber auch die Funktion eines satzverknüpfenden Konjunktionaladverbs (z.B. daneben). Ein anderer Teil der deiktisch basierten Wortbildungen wurde zum Subjunktor, der Sätze verbindet. Tab. 10: Deiktisch basierte Junktoren (Beispiele) konjunktionale Adverbien: damit, dazu, demzufolge, deshalb, darüber hinaus, somit Subjunktoren: da, dass, damit (final), seitdem … Wenn man die Verwendung von z.B. damit und dazu genauer analysiert, zeigt sich, dass im Deutschen (und wahrscheinlich in vielen Sprachen) die deiktische Fokussierung eingesetzt wird, um Verweise und Relationen im Bereich gedanklicher Zusammenhänge auszudrücken. Deixis wurde somit im Deutschen seit dem 17. / 18. Jh. erfolgreich für den „Strukturausbau“ einer Sprache eingesetzt (vgl. R EDDER 2010), die noch von M ARTIN L UTHER als „Bauernsprache“ mit großen Wortschatzdefiziten beurteilt wurde. Ein anderes Beispiel ist die diachrone Veränderung im Bereich der Verben, die als Auxiliarisierung bezeichnet wird. Die Verwendung der Verben haben und sein für die Bildung komplexer Verbformen wie (Ich) bin gegangen (vgl. Kap. 10) führte dazu, dass ihre lexikalischen Bedeutungen verblassten und in den Tempora gar nicht mehr (bzw. nur als Hilfsverben) wahrgenommen werden. Allerdings existieren die Verben zugleich noch als „Vollverben“ weiter, so dass die Sprecher sich jederzeit an die Lexembedeutungen erinnern können. 8.5 Die Morphologie als Ausgangspunkt der Sprachtypologie Die Ausweitung und Differenzierung des Wissens über Sprachen führte auf der einen Seite zu Sprachtypologien, die die Unterschiede von Sprachen und Sprachfamilien herausarbeiteten, auf der anderen Seite zu der so genannten Universalienforschung. W ILHELM VON H UMBOLDT s (1767-1835) Sprachphilosophie ist für beide Fragestellungen bis heute berühmt, und seine Sprachtypologie wird immer wieder zitiert. H UMBOLDT s Sprachtypologie stützt sich bei der Klassifikation auf strukturelle Ähnlichkeiten der Sprachen. Kaum eine Sprache enthält nach seiner Einsicht nur die Strukturen eines einzigen Typs. Je nach dem in einer Sprache überwiegend verwendeten Prinzip hat H UMBOLDT fünf Haupttypen unterschieden: Tab. 11: Sprachtypen nach H UMBOLDT 1) flektierender Typus (z.B. Deutsch, Griechisch, Latein) 2) isolierender Typus (z.B. Chinesisch, Vietnamesisch) 3) agglutinierender Typus (z.B. Ungarisch, Türkisch, Japanisch) 4) klassifizierender Typus (z.B. Bantusprachen Afrikas) 5) inkorporierender Typus (z.B. nordamerikan. Indianersprachen, Grönländisch) <?page no="136"?> 8.5 Die Morphologie als Ausgangspunkt der Sprachtypologie 135 Flektierende Sprachen: Flexion ist, wie oben erläutert, die Formveränderung (Abwandlung) bestimmter Klassen von Wörtern nach bestimmten Kategorien, wie Kasus, Numerus, Tempus. Wesentlich ist dabei, dass das flektierte Wort sein „Lautgesicht“ nicht verliert. Bei der äußeren Flexion spricht man von einer Verschmelzung des Stamms mit dem Suffix, z.B. bei „(dem) Mensch-en“. Der Wortstamm bleibt dabei erkennbar. Das Suffix kann eine oder mehrere grammatische Bedeutungen haben. Es gibt in anderer Hinsicht oft große Unterschiede zwischen flektierenden Sprachen. Die arabischen Sprachen haben z.B. deutlich andere Lautsysteme. Das Arabische hat 58 Konsonanten, während Deutsch nur 20 besitzt; genau umgekehrt bei den Vokalen: Arabisch hat nur 6 Vokale gegenüber 16 deutschen Vokalen. Auch vollzieht sich die verbale Flexion in den semitischen Konsonantensprachen nach ganz anderen Prinzipien. Isolierende Sprachen: Der isolierende Sprachbau zeichnet sich dagegen durch die Unveränderlichkeit der Wörter (Wortstämme oder Radikale) aus, es gibt daher auch keine Kongruenz von Wörtern im Satz. Flexion findet nicht statt, Ableitung spielt eine sehr geringe Rolle. Grammatische Verhältnisse werden z.T. gar nicht, z.T. anders ausgedrückt, besonders durch die Wortstellung und durch Hinzufügung selbstständiger Wörter, partiell werden Affixe eingesetzt, z.b. für die Pluralbildung. Im klassischen Chinesisch und Vietnamesisch sind Wörter einsilbige Morpheme, in der modernen Sprache gibt es allerdings zunehmend Zusammensetzungen, mit festen Regeln für die Wortfolge. Agglutinierende Sprachen: Solche Sprachen verwenden sehr viele Affixe, was teilweise der Flexion ähnelt. Allerdings können mehrere Suffixe aneinandergereiht werden, und die Affixe sind nicht multifunktional. Das heißt, jedes Affix drückt nur eine einzige grammatische Information aus. Es findet normalerweise keine Verschmelzung statt. So entstehen auch keine multifunktionalen Suffixe wie das -en im Deutschen (s. oben). Die Stämme selbst sind unveränderlich, weisen also keine innere Flexion auf. Stattdessen reihen sich oft Ketten von grammatischen Morphemen mit festen Abfolgen aneinander. Die indoeuropäischen Sprachen sind nicht agglutinierend, wohl aber einige wenige europäische Sprachen, nämlich Türkisch, Ungarisch, Finnisch und Baskisch. Seit H UMBOLDT ist man der Auffassung, dass alle Flexion historisch auf Agglutination zurückgeht, dass also ursprünglich selbstständige Wörter zusammengefügt wurden und dabei ihre eigenständige Bedeutung verloren. Von den 15 Kasus der finnischen Sprache wird ein Teil mit Hilfe von Präpositionen ins Deutsche übersetzt, z.B. talossa bedeutet im Haus (vgl. H OFFMANN 1995). Als Beispiele für das agglutinierende Verfahren betrachten wir einen ungarischen und einen türkischen Ausdruck: B12 társaságomban („in meiner Gesellschaft“): tarsasagomban Gesell(e) schaft Poss.pron. Dativ 1. Person + Ortsbestimmung B13 evimde („in meinem Haus“): Evimde Haus mein in Klassifizierende Sprachen: Manche Sprachen, besonders in Asien und Afrika, haben grammatische Klassifizierungen nach grundlegenden (semantischen) Merkmalen, etwa: menschlich / tierisch, Pflanze / Baum oder auch nach der Form von Objekten. Letzteres bedeutet, dass die Wortbildung auf die äußere Form von Gegenständen Bezug nimmt, also z.B. darauf, ob sie rund, länglich oder anders gestaltet sind. So entstehen Nominalklassen, die durch Klassenpräfixe gekennzeichnet werden. Im Satz wird den Wörtern, die syntak- <?page no="137"?> 136 Morphologie: 8 Wortarten und Flexion tisch mit dem Nomen zusammenhängen, dasselbe Klassenpräfix „angeheftet“. Ein Beispiel aus dem Kisuaheli, bei dem das Morphem ki für die längliche Form steht: B14 kile kisu kikukuu („das alte Messer“) das Messer alt Auch andere, lautliche Kongruenzbildungen sind in dieser Sprache zu beobachten: In einer Wortgruppe wird z.B. das Pluralaffix eines Nomens von Artikel und Verb übernommen: B15 watu hawa wamechoka sana. (wa = Pluralaffix) Menschen diese sind müde Inkorporierende Sprachen: Hauptmerkmal des inkorporierenden (oder: polysynthetischen) Sprachtyps sind sog. Satzwörter. Bestimmte Satzglieder werden vom Prädikat aufgenommen, man nennt das Verfahren Inkorporation. Wörter können dadurch sehr lang werden und den uns bekannten Wörtern sehr unähnlich sein. Ein Satz besteht oft aus nur einem oder sehr wenigen Wörtern. Zu diesem Typus werden das Grönländische, einige amerikanische Indianersprachen und die paläosibirischen Sprachen (etwa das sibirische Jukagirisch) gerechnet. Eine andere, einfachere Einteilung der Sprachen ist die in synthetische und analytische Sprachen. Bei analytischem Sprachbau sind den einzelnen Bedeutungseinheiten der Sprache auch einzelne Wortformen zugeordnet, wie in H UMBOLDT s isolierenden Sprachen. Bei synthetischen Sprachen sind Bedeutungseinheiten innerhalb eines Wortes zusammengefügt oder verschmolzen (flektierende Sprachen). Noch stärker synthetisch als die deutsche sind die lateinische und die modernen romanischen Sprachen, z.B. das Spanische: Es verfügt zwar über Personalpronomen (yo, tu, el/ ella …), aber diese werden nur in besonderen (betonten) Fällen, etwa bei Gegenüberstellungen, verwendet. Im Normalfall wird die Person durch die Verbflexion mit ausgewiesen: ich gehe wird mit voy, du gehst mit vas übersetzt. Historisch betrachtet, hat die deutsche Sprache seit der althochdeutschen Zeit einen Teil seiner früher ausgeprägteren Morphologie verloren, auch die Wortstellung ist weniger frei als zu Beginn, so dass keine klare typologische Festlegung mehr möglich ist (W URZEL (1996). Beim Englischen sah bereits H UMBOLDT Übergänge zu einer isolierenden Sprache. 28 Durch lautlich-grammatischen Wandel verlor es einen großen Teil seiner Flexion, was sich besonders an den Verbformen zeigt: Das Verb to go hat fast nur eine Präsensform für alle Subjekttypen, nämlich go, außer: he/ she/ it goes. Der Plural wird einheitlich durch das Suffix -s ausgedrückt. Die reinen Kasus der indoeuropäischen Sprachen existieren im Englischen nicht, es gibt nur Präpositional-„Kasus“. Die grammatische Ordnung des Satzes ist noch stärker als im Deutschen festgelegt. Sie wird oft mit der Formel „S - V - O“ (subject - verb - object) charakterisiert. Das Objekt steht also immer nach dem Verbausdruck. Allerdings ist die Wortstellung nur eine Erkennungshilfe, sie leistet keine „Klassifizierung“ der Satzteile, wie H UMBOLDT feststellt. Wegen dieser grammatischen Vereinfachungen ist das Englische möglicherweise besonders gut als Spendersprache für die Bildung von Pidgin- Sprachen geeignet (vgl. Kap. 1). Dennoch ist die englische Sprache natürlich eine hoch entwickelte Literatur- und Wissenschaftssprache; sie kompetent und stilsicher gebrauchen zu lernen dauert wohl ebenso lange wie das Erlernen des Deutschen. 28 „Man könnte zwar hier die Einwendung machen, daß in fóu táo, Vater sagt, ebensowohl ein flectirtes Verbum liegt, als in dem Englischen they like. In der That giebt es in fast allen Sprachen, vorzüglich aber im Englischen, einzelne ganz Chinesische Phrasen. Allerdings ist der Unterschied dennoch in die Augen fallend, da like in andern Stellungen flectirt wird, und der Bau der ganzen Sprache an die grammatische Classificirung der Wörter gewöhnt.“ Humboldt (1826 / 1994, S. 131). <?page no="138"?> 8.5 Die Morphologie als Ausgangspunkt der Sprachtypologie 137 Die heutige sprachtypologische Forschung greift z.T. auf H UMBOLDT zurück, manchmal wird kritisch eingewendet, dass es mehr, sinnvollere oder allgemeinere Parameter gebe, um Sprachen zu vergleichen. Zur Sprachtypologie auf heutigem Stand informiert M ORAV - CSIK (2013). Ausgewählte Aufgaben zu Kap. 8 (5 von 30) 2. Konjugieren Sie die Verben lernen und schlafen im Präsens. a) Welche der Morpheme besitzen mehrere Funktionen? b) Handelt es sich jeweils um äußere oder um innere Flexion? 3. Welche der folgenden Wortarten ist flektierbar, welche nicht? Artikel / Artikelwort Konjunktion / Junktor Präposition Substantiv 10. Vergleichen Sie die Genuseigenschaften des Substantivs in verschiedenen Sprachen. Wie viele Genera werden jeweils unterschieden? Stimmt die Genuszuweisung bei den einzelnen Wörtern interlingual überein? Lässt sich das Genus in der Endung der Substantive erkennen? Was bedeutet das für den Fremdsprachenunterricht? Deutsch Niederländisch Italienisch Griechisch 29 der Mann / Mensch de man l’uomo o ándras (ο άνδρας) die Frau de vrouw la donna i jinäka (η γυναίκα) das Buch het boek il libro to wiwlío (το βιβλίο) die Katze de kat il gatto i gáta (η γάτα) die Sonne de zon il sole o ílios (ο ήλιος) der Mond de maan la luna to fengári (το φεγγάρι) der Zaun het hek la recinzione i perífraxi (η περίφραξη) 19. Zu welcher Wortart gehören die folgenden Wörter? - notfalls - wenn - denn - deshalb - hinunter - wahrscheinlich - besonders 20. Welche der folgenden Wörter sind Adverbien, welche Adjektive? Nach welchem Kriterium entscheiden Sie das? vollständig, dummerweise, maximal, heutig, unterschiedlich, vielleicht 29 Die griechischen Wörter werden hier zur leichteren (Vor-)Lesbarkeit in einer „eingedeutschten“ Umschrift wiedergegeben. Ein Akzent über dem Vokal kennzeichnet die Wortbetonung (außer bei <ä>; falls keine andere Betonung im Wort angegeben ist, fällt darauf der Akzent). <?page no="139"?> 138 Morphologie: 8 Wortarten und Flexion Ausgewählte weiterführende Literatur Consten, Manfred / Schwarz-Friesel, Monika (2007) Anapher. In: Hoffmann, Ludger (Hg.) Deutsche Wortarten. Berlin: de Gruyter, S. 265 ff. Deutscher, Guy (2011) Du Jane, ich Goethe. Eine Geschichte der Sprache. München: dtv, S. 255 ff. Dürscheid, Christa (2010) Lateinische Schulgrammatik oder andere Modelle? Welche Grammatik eignet sich am besten zur Beschreibung des Deutschen? In: Habermann, Mechthild (Hgg.) Grammatik wozu? Vom Nutzen des Grammatikwissens in Alltag und Schule. Mannheim: Dudenverlag, S. 47-65 Eggs, Friederike (2006) Die Grammatik von als und wie. Tübingen: Narr Ehlich, Konrad (2007e) Analytische Sedimente. [1982] In: Ders.: Sprache und sprachliches Handeln, Bd. 1: Pragmatik und Sprachtheorie. Berlin: de Gruyter, S. 263-278 Ehlich, Konrad (2007f) Sprachmittel und Sprachzwecke. [1982] In: Ders.: Sprache und sprachliches Handeln, Bd. 1: Pragmatik und Sprachtheorie. Berlin: de Gruyter, S. 55-80 Ehlich, Konrad (2007g) Deixis und Anapher. [1983] In: Ders.: Sprache und sprachliches Handeln. Bd. 2: Prozeduren des sprachlichen Handelns. Berlin: de Gruyter, S. 5-24 Eichinger, Ludwig (2000) Deutsche Wortbildung. Eine Einführung. Tübingen: Narr Fleischer, Wolfgang / Barz, Irmhild ( 2 1995) Wortbildung der deutschen Gegenwartssprache. Tübingen: Niemeyer Hoffmann, Ludger (2013) Deutsche Grammatik. Berlin: de Gruyter. Siehe Kap. E6, Abtönungspartikeln Hoffmann, Ludger (Hg.) (2007) Handbuch der deutschen Wortarten. Berlin: de Gruyter. Siehe z.B. die Kap.: Abtönungspartikel, Adjunktor, Anapher, Gradpartikel, Persondeixis, Pronomen. Hoffmann, Ludger: Graphische Darstellung aller Wortarten im Internet, Universität Dortmund: Kessel, Katja/ Reimann, Sandra ( 5 2017) Basiswissen deutsche Gegenwartssprache. Tübingen: Francke Moravcsik, Edith (2013) Introducing Language Typology. Cambridge: Cambridge University Press Nübling, Damaris et al. ( 5 2017) Historische Sprachwissenschaft des Deutschen. Tübingen: Narr; Kap. 3: Morphologischer Wandel, und Kap. 10: Grammatikalisierung: Wie entsteht Grammatik? Thielmann, Winfried (2007) Substantiv. In: Hoffmann, Ludger (Hg.) Handbuch der deutschen Wortarten. Berlin: de Gruyter, S. 791-822 Thielmann, Winfried (2009) „Artikelwörter“ - grammatische Kategorienbildung und ihre Konsequenzen für die Sprachdidaktik. In: Zielsprache Deutsch 36/ 2, S. 51-67 Szczepaniak, Renata ( 2 2011) Grammatikalisierung im Deutschen. Eine Einführung. Tübingen: Narr <?page no="140"?> Syntax 9 Prinzipien, Sätze und Satzglieder Die Syntaxlehre (Syntax) beschreibt den Aufbau von größeren sprachlichen Einheiten aus Satzteilen oder Konstituenten. Dieser Begriff ist in vielen Grammatiktheorien an die Stelle der älteren Ausdrücke Satzteil oder Satzglied getreten, um sich von der Schulgrammatik zu distanzieren und neuere Entwicklungen aufzunehmen. 1 Die Syntaxlehre stellt also Fragen wie: - Woraus bestehen die Sätze einer Sprache? - Welche Typen von Sätzen gibt es? - Wie sind die Satzglieder formal gekennzeichnet, was ist ihre Funktion im Satz? - Kann man den Begriff Satz definieren, wenn ja, wie? Weitere wichtige Aufgaben sind die Beschreibung der Stellungsregularitäten 2 und der sprachspezifischen syntaktischen Kategorien. Die meisten Grammatiken behandeln zunächst die Wortarten, dann die Sätze als komplexere Einheiten. Das entspricht strukturalistischen Vorstellungen von einem Aufbau des sprachlichen Systems aus mehreren Ebenen. Andere halten dagegen, dass die Wortarten selbst schon syntaktische Merkmale haben und eigentlich komplexere Begriffe sind. Die „Deutsche Grammatik“ von U LRICH E NGEL beginnt nicht mit den Wortarten, sondern mit den größten sprachlichen Einheiten, nämlich Texten, behandelt danach den Satz und dann erst die einzelnen Wörter und Wortarten. Anders geht die „Textgrammatik der deutschen Sprache“ von H ARALD W EINRICH vor. Sie entwickelt ihre Grundbestimmungen der Syntax ganz früh, im einleitenden Kapitel „Das Verb und sein Umfeld“. Der Ausdruck Syntax kommt dann nur noch vor in den Kapiteln „Syntax der Junktion“ und „Syntax des Dialogs“, es gibt aber kein eigenes Kapitel zum Satz. 3 Auf Differenzen dieser Art wird im Folgenden gelegentlich hingewiesen. Ziel ist eine zwar systematische, aber aus Platzgründen oft nur exemplarische Darstellung, die den Satz(aufbau) zunächst allgemein, in seinen Grundprinzipien, behandelt. In Kap. 10 geht es um die Verben, die einzeln oder in Komplexen Prädikate bilden und für die Satzstruktur wesentlich sind. Danach werden in Kap. 11 die Konstituenten von Sätzen nach ihrem Aufbau als Wortgruppe (Phrasen) und nach ihrer Funktion im Satz (Satzglieder) behandelt. Auf dieser Basis werden Hinweise für die Analyse von Sätzen und vergleichbaren sprachlichen Einheiten gegeben. 9.1 Sätze als Sinneinheiten Für die Sprecher sehr vieler uns bekannter Sprachen ist der Satz eine selbstverständliche Grundeinheit ihrer Sprache. H ANS J ÜRGEN H ERINGER ist der Auffassung, jeder Sprecher wisse intuitiv, was ein Satz seiner Sprache ist. Das ist insofern richtig, als Sprecher in ihrer Muttersprache ohne Weiteres Sätze von Nicht-Sätzen und richtige von falschen Sätzen 1 Anders als in der Generativen Grammatik soll hier von Satzkonstituenten nur im analytischen Sinn gesprochen werden, nicht im Sinne von Erzeugungsregeln. 2 Der Begriff „Regularität“ ist in theoretischem Zusammenhang besser geeignet als der Regelbegriff, der in didaktischen Zusammenhängen Handlungsanweisungen für Sprachlerner meint. 3 Unter Syntax der Junktion versteht diese Grammatik alles, was mit dem Gebrauch von Präpositionen, Konjunktionen und Relativpronomina zusammenhängt. <?page no="141"?> 140 Syntax: 9 Prinzipien, Sätze und Satzglieder unterscheiden können. Für die sprachliche Praxis reicht dieser Begriff von „Satz“ offenbar aus, auch ohne dass die Sprecher eine Definition davon angeben können. Menschliche Äußerungen, ob mündlich oder schriftlich, bestehen fast immer aus einer Abfolge von Einheiten, von Wörtern. In einer flektierenden Sprache sind das Wortformen. Wenn bestimmte Formmerkmale vorliegen, erkennen wir in einer solchen linearen Abfolge Einheiten, die wir als Satz deuten. Die zum Satz gehörigen Elemente gelten nach H ENNIG B RINKMANN „als gleichzeitig miteinander gesetzt“. 4 Das ist bereits eine wichtige Aussage über die Art der mentalen Verarbeitung: Der Hörer versteht eine (satzförmige) Äußerung erst dann, wenn er nicht nur die einzelnen Wörter erkennt, sondern auch die Struktur des Satzes, die internen Beziehungen seiner Elemente und darüber die Äußerung als ganze. Sätze gewinnen ihre feste - in Regeln beschreibbare - Gestalt durch zwei Eigenschaften: durch die grammatische Struktur der Konstituenten und durch die Satzintonation (vgl. dazu Kap. 14). Was die Satzintonation angeht, so kann sie nur mündlich auftreten. In der Schriftsprache gibt aber die Interpunktion zumindest eine Andeutung der vorzustellenden Intonation. Charakteristisch ist nicht nur die abschließende Stimmbewegung im Aussagesatz, sondern auch die typische Frage- oder Ausrufesatzintonation, so dass verschiedene Satztypen erkennbar werden. Erstaunlicherweise übergehen die meisten modernen Grammatiken die Intonation als grammatisches Mittel (z.B. E ISENBERG s „Grundriss einer deutschen Grammatik“). Die lineare Abfolge ist nicht beliebig. Sprachen haben unterschiedliche und unterschiedlich verbindliche Stellungsregeln für Sätze. Von H UMBOLDT s Sprachtypologie (vgl. Kap. 8) her kann man folgende Extreme erkennen: - In isolierenden Sprachen ist die Abfolge sehr stark fixiert. Vereinfacht gesagt: Da es keine Wortformen gibt, die syntaktische Rollen anzeigen, halten die Sprecher sich an eine Ordnung der Satzglieder, die den Hörern eine Deutung ermöglicht. Ein Objekt steht daher nach dem Verb, zu dem es gehört. - Eine flektierende Sprache drückt dagegen Beziehungen der Elemente durch morphologische Mittel aus und kann sich sozusagen eine freiere, beweglichere Stellung der syntaktischen Einheiten „leisten“. Ein Objekt kann daher auch an den Satzanfang gestellt werden. Die deutsche Sprache bietet solche Freiheiten für den Sprecher. Sie verfügt aber auch über einige feste Abfolgeregeln. Weil der Satz eine Sinneinheit darstellt, kann er im Textverlauf mit einem bezugnehmenden oder (deiktisch) verweisenden Wort ‚vertreten‘, also wieder aufgenommen werden: B1 a) Sie hat die Bitte abgelehnt. - Ich verstehe ihre Ablehnung nicht. b) Sie hat die Bitte abgelehnt. - Das verstehe ich nicht. Nicht ganz geklärt ist der Satzbegriff, die Theorie des Satzes. 5 Neben dem Merkmal der Abgeschlossenheit wurde besonders die Selbständigkeit genannt, was allerdings immer zu Unklarheiten bei den Haupt- und Nebensätzen führte (Kap. 11.5.2). Auch fragt sich, ob Selbständigkeit und Kontextgebundenheit sich widersprechen. U LRICH E NGEL spricht von Sätzen als potenziell autonomen Einheiten und verwendet zur Abgrenzung für das Deutsche zwei definitorische Bedingungen 6 , die von vielen anderen übernommen wurden: 4 Brinkmann (1972, S. 56). Man kann hier auch von einer geistigen Einheit sprechen. Die Ausgangsbedeutung von Satz ist eigentlich: das Gesetzte. 5 John Ries hat (1931) alle „Definitionen“ des Satzes gesammelt, die er finden konnte - es waren schon damals 141. Das Definieren scheint also bei solchen Begriffen nicht sinnvoll zu sein. 6 Engel ( 3 2004, S. 180). <?page no="142"?> 9.2 Der Aufbau des einfachen Satzes 141 - ein Satz enthält immer ein finites (konjugiertes) Verb; - ein Satz enthält kein Element, das ihn anderen Elementen unterordnet. Dass die Satzdefinition als problematisch gilt, liegt teilweise an der Vereinnahmung der Satzform durch die philosophische Logik. Für die Logik zählt der Satz nach wie vor als Urteil, oder besser: als Form des Urteils. Anders als in der grammatischen Behandlung teilt die heutige Formale Logik den Satz nicht in Subjekt und Prädikat, sondern in Argument und Prädikat oder „Funktor“. Ein logisches Argument ist ein Ausdruck, der näher bestimmt werden soll, und zwar durch sog. Funktoren. 7 Was den Logiker interessiert, ist die Wahrheitsfähigkeit des Satzes. Auch ein unsinniger oder kommunikativ eher absurder Satz kann den Regeln der Formalen Logik entsprechen. A LBERT M ENNE s Beispielsatz: B2 (Der Apfel) {ist rot} ist ähnlich wie eine mathematische Gleichung aufzufassen. Nach C ARNAP ist die Logik sogar „reine Mathematik“. 8 Damit widerspricht er demjenigen, der als Begründer der Logik gilt, nämlich A RISTOTELES . Dem griechischen Denker wird als ursprüngliches Interesse zugeschrieben, zu erkunden, wie Menschen Urteile fällen, welches Wissen zugrundeliegt. Ein Teil der Linguistik der letzten 50 Jahre hat versucht, Sätze mit logischen und mathematischen Mitteln genauer zu analysieren. Der Ertrag ist jedoch gering, von der realen Kommunikation weit entfernt, und die Verständlichkeit der Darstellung leidet unter der Verwendung von Formeln. 9.2 Der Aufbau des einfachen Satzes In H ERMANN P AUL s „Prinzipien der Sprachgeschichte des Deutschen“ (1880) ist die Syntax „ein Teil der Bedeutungslehre, und zwar derjenige, was schon das Wort besagt, dessen Aufgabe es ist, darzulegen, wie die einzelnen Wörter zum Zwecke der Mitteilung zusammengeordnet werden. (…) Damit eine Mitteilung zustande kommt, muss die durch ein Wort ins Bewusstsein gerufene Vorstellung erst an eine andere angeknüpft werden. Dies geschieht in der Regel dadurch, daß mindestens ein zweites Wort hinzugefügt wird.“ 9 Dies ist der Beginn einer psychologischen Erklärung des Satzes, die sehr alte Wurzeln hat. H. P AUL betont, der Satz habe zu tun mit der „Verbindung mehrerer Vorstellungen oder Vorstellungsmassen in der Seele des Sprechenden“ (und ebenso in der des Hörers) (a.a.O, S. 11). Die seit der Antike bekannte Zweigliedrigkeit von Sätzen erscheint in der Satzlehre des 19./ 20. Jh. als Satzgegenstand (Subjekt) und Satzaussage (Prädikat). Für einfache Sätze ergibt sich eine bestimmte syntaktische Grundstruktur: Tab. 1: Elementare Einteilungen von Satzbestandteilen Traditionelle Grammatik Satzgegenstand Satzaussage (Onoma) (Rhema) syntaktische Rollen Subjekt Prädikat (erweiterbar) Der Ausdruck Prädikat wird (für die meisten europäischen Sprachen auch zu Recht) immer mit einem Verb, genauer gesagt mit der konjugierten Form eines Prädikatsverbs, in 7 Bayer (1999, S. 89). Die GdS, die Grammatik des „Instituts für deutsche Sprache, übernimmt die Bezeichnung „Argument“ für grammatische Merkmale, nämlich für nominale Satzglieder unter dem Gesichtspunkt ihrer semantischen Rolle (2007, S. 729). 8 Carnap, Rudolf ( 3 1973) Einführung in die symbolische Logik. Wien, New York: Springer. 9 H. Paul (1954, S. 3). <?page no="143"?> 142 Syntax: 9 Prinzipien, Sätze und Satzglieder Verbindung gebracht. In diesen Sprachen sind Sätze generell Verbalsätze. Die semitischen Sprachen (Hebräisch, Arabisch u.a.) und auch das Russische kennen aber auch den Nominalsatz. Dabei verhält sich das zweite Nomen - ganz ohne ein dazwischen geschaltetes gleichsetzendes Verb - als Prädikat zum ersten Satzglied: B3 hu isch. Er Mensch (Er ist ein Mensch) Hier fungiert das Substantiv isch = Mensch unmittelbar als Prädikat. Im Deutschen gibt es solche Sätze nur in Redensarten wie „Ein Mann - ein Wort“. Im Deutschen werden subjektbezogene Substantive, Adjektive oder Wortgruppen in Verbalsätzen als Teil des Prädikats interpretiert. Das Satzglied (in B3 „ein Mensch“) heißt im Allgemeinen Prädikativ (vgl. Kap. 9.3). Auch für H. B RINKMANN ist die Subjekt-Prädikat-Beziehung „die Grundbeziehung, die einen Satz konstituiert“. 10 Die besondere Rolle des Subjekts ist nicht nur am Nominativ erkennbar, der - anders als die Objektkasus Dativ und Akkusativ - kein verbbezogener Kasus ist, sondern eher der typische Kasus der Nennform, auch außerhalb des Satzes, z.B. im Wörterbuch. Die zentrale Rolle des Subjekts wird auch daran deutlich, dass die Verbform sich dem Typ des Subjekts - Deixis oder symbolischer Ausdruck - anpasst und im Numerus mit dem Subjekt übereinstimmt, d.h. kongruiert. Tab. 2: Kongruenz zwischen Subjekt und finitem Verb Ich bin einverstanden. Sprecherdeixis + Verbform „1. Person“ Du hast Glück. Hörerdeixis + Verbform „2. Person“ Die Leute sind unzufrieden. Symbolfeldausdruck + Verbform „3. Person“ Er ist unzufrieden. Pronomen + Verbform „3. Person“ Zum Prädikat als syntaktischer Grundeinheit ist noch eine wichtige Eigenschaft anzusprechen. Im Deutschen ist der Kern des Prädikats immer eine konjugierte („finite“) Verbform, also eine Form, die sowohl mit dem Subjekt kongruiert als auch temporal bestimmt ist. Die Tempora sind zwar nur z.T. Zeitformen (vgl. Kap. 10), zumindest die konjugierte Verbform stellt aber in jedem Satz einen deiktischen Bezug zur Sprechergegenwart her, entweder wird Nähe oder Ferne signalisiert: Tab. 3: Deiktische Verankerung des Gesagten mit Hilfe der Verbform Präsensform Das Ereignis (der Zustand) ist für den Sprecher gegenwärtig / nahe. Präteritum bzw. Imperfekt Das Ereignis (der Zustand) ist vom Gegenwartsbewusstsein des Sprechers weit entfernt. 9.3 Satzglied: Wort oder Phrase Ein einfacher Satz enthält, wie bisher besprochen, als wesentliche Satzglieder mindestens ein Subjekt und ein Prädikat, das mindestens aus einem finiten (konjugierten) Verb besteht und die Aussage oder Frage zeitlich in der Realität verankert, mit Bezug auf die Sprecher- 10 Brinkmann (1972, S. 458). <?page no="144"?> 9.3 Satzglied: Wort oder Phrase 143 gegenwart. Nach bestimmten Verben (den so genannten Kopulaverben, s. Kap. 10) kann ein Nomen oder Adjektiv als Teil des Prädikats auftreten (Prädikativ). B4 Subjekt Prädikat (mit Prädikativ) Ich bin fröhlich. Meine Schwester wird Lehrerin. Neben Subjekt und Prädikat können verschiedene weitere Konstituenten im Satz auftreten. Die traditionelle Grammatik unterscheidet hier zwischen Objekten, die in verschiedenen Kasus auftreten können (Akkusativobjekt, Dativobjekt, Genitivobjekt), so genannten Präpositionalobjekten, die durch eine Präposition eingeleitet werden, und dem Satzgliedtyp „Adverbial“, der als eine ergänzende Bestimmung (z.B. Adverbial des Ortes, der Zeit, der Art und Weise usw.) angesehen wird. Während Grammatiktheorien aus dem angloamerikanischen Umfeld auf die Trennung von Wortarten und Satzgliedern weniger Wert legen, ist diese Unterscheidung sehr wichtig für die deutsche Sprache und die Linguistik. Am Beispiel der in Kap. 8 bereits angesprochenen Adjektivproblematik kann man sich an Tab. 4 diese Differenz noch einmal vor Augen führen. Tab. 4: Wortart und Satzglied (Adjektive) Wortart Beispielsatz Satzglied, syntaktische Rolle Adjektiv (attributiv) Sie liebt [ laute ] Musik. Attribut Adjektiv (prädikativ) Das Konzert war [ sehr laut ]. Prädikativ Adjektiv (adverbial) Er spricht [ ziemlich laut ]. Adverbial Generell kann man sagen: Wörter bestimmter Wortarten eignen sich für bestimmte Funktionen im Satz, so dass die Registrierung der Wortart bereits einen Hinweis für die Satzanalyse gibt. Bei keiner Wortart gibt es aber eine 1: 1-Zuordnung zwischen Wortart und Satzgliedfunktion, am wenigsten bei den Substantiven. Jedes dieser Satzglieder kann durch ein einziges Wort ausgedrückt werden oder aber durch eine Phrase, die oft durch Attribute, d.h. ergänzende Erweiterungen, noch weiter ausgebaut werden kann. Phrasen sind Wortgruppen, die auch außerhalb von Sätzen auftreten können, z.B. in Überschriften; innerhalb des Satzes besetzen sie eine Satzgliedstelle. Wichtigstes Merkmal einer Phrase ist, dass die Wortgruppe grammatisch von einem Wort bestimmt wird, das als ihr Zentrum oder Kern gelten kann. Oft ist auch von einem Kopf 11 die Rede, dem die anderen Wörter der Phrase zugeordnet sind. Danach werden die Phrasen benannt. Tab. 5: Verschiedene Arten von Phrasen (Beispiele) Phrase Beispiel Nominalphrase (NP) Er verkauft [ das Haus seines Vaters ]. Präpositionalphrase (PP) Er will sich nicht [ mit seiner Entlassung ] abfinden. Adjektivphrase Er ist [ des Streitens müde ]. Adverbphrase Der Schuss ging [ knapp daneben ]. Wörter wie sehr oder knapp, die einem Adverb unter- oder zugeordnet sind, werden nicht als Adverb, sondern als Gradpartikel aufgefasst. Für die Adverbiale ist die Besetzung mit 11 „Kopf“ ist der in der GdS gewählte Terminus. <?page no="145"?> 144 Syntax: 9 Prinzipien, Sätze und Satzglieder einem Adjektiv wie in (B5a) zwar prototypisch, aber ein Adverbial kann andere und deutlich größere Einheiten umfassen, zum Beispiel eine längere präpositionale Wortgruppe (B5b). B5 (a) Sie spricht [ verständlich ]. (b) Sie spricht [ mit lauter Stimme und langsamer, deutlicher Artikulation ]. Die Gesetze des Aufbaus solcher Phrasen werden in Kap. 11 behandelt. Es wird sich zeigen, dass Phrasen sehr umfangreich sein können, auch Nebensätze können dazugehören. 9.4 Einfacher und komplexer Satz Das maximale Prädikat eines einfachen Satzes umfasst den Verbalkomplex, etwa „will sich abfinden“ (Tab. 2) und die dazu gehörigen Mitspieler, also grammatischen Ergänzungen, hier mit seiner Entlassung. Die D UDEN -Grammatik spricht dann vom Prädikatsverband (Prädikat + Objekte), der den Satzbauplan bestimmt (s. Kap. 11). Die weiteren (freien) Angaben ergeben sich aus der Mitteilungsabsicht des Sprechers. Auch komplexe, inhaltsreiche Sätze beruhen auf dieser Grundstruktur. Komplexität entsteht im Wesentlichen durch zwei Vorgänge: - Erweiterung von Satzgliedern durch verschiedene Arten von Attributen - Verwendung von Nebensätzen, Infinitiv- und Partizipialkonstruktionen als Satzglieder Tab. 6 zielt auf den Vergleich von Sätzen mit identischer Struktur. Die Beispielvarianten zeigen, dass Sätze, die sehr unterschiedlichen Umfang haben, in der Struktur gleich sein können. Das gilt auch für extrem umfangreiche Sätze in der sog. Amts- und Verwaltungssprache oder in Gesetzestexten. Tab. 6: Unterschiedliche Satzkomplexität Adverbial Prädikat Subjekt Objekt Akk. Damals versprach Müller einen Neuanfang. Im Herbst 2016 versprach der Parteipolitiker Müller den von allen Beobachtern erwarteten Neuanfang. Als der Parteitag näher rückte, versprach Müller, der inzwischen Parteivorsitzender war, dass die Partei einen Neuanfang wagen würde. Die Verbindung der Bestandteile von Satzgliedern ist nach L UDGER H OFFMANN eine Synthese. Dadurch wird „aus den funktionsverschiedenen Ausdrücken eine funktionale Einheit höherer Stufe“ (2016, S. 61). Bei und in der Synthese behalten die Konstituenten ihren inneren Zusammenhang. Sie können nur vollständig, im Austausch mit anderen Satzgliedern, im Satz verschoben werden. Die Verschiebeprobe und andere Tests (wie die Ersatzprobe) 12 sind vorgeschlagen worden, um solche syntaktischen Wortgruppen oder Phrasen leichter zu erkennen und abzugrenzen. Eine probeweise Verschiebung zeigt, dass im Aussagesatz das finite Verb wie eine Achse funktioniert, um die herum Satzglieder bewegt werden können (s. Aufgaben zum Kapitel). 12 Vgl. dazu Duden-Grammatik (2016, S. 129 ff.). <?page no="146"?> 9.5 Satzrollen, Satzfunktionen, Valenz 145 Wie die Sprachtypologien zeigen, gibt es auch im syntaktischen Bereich große Unterschiede zwischen den Sprachen. Abgesehen von den Positionsregeln können Konstituenten morphologisch aufeinander bezogen sein oder nicht, wie in den isolierenden Sprachen; Zusammenhänge müssen dann auf semantischem Weg erfasst werden. Bei typologisch entfernten Sprachen gilt zudem: Was in einer Sprache eine selbstständige Konstituente ist, kann in einer anderen dem Prädikat oder anderen Satzteilen eingegliedert (inkorporiert) sein, ist in diesem Fall also unselbstständig. Auch die Verhältnisse von Über- und Unterordnung wechseln. 13 In der anglistisch orientierten Linguistik sind Konstituentenstrukturgrammatiken wie die von C HOMSKY entwickelte (vgl. Kap. 3.3.4) sehr verbreitet. Aufgrund der besonderen Satzstrukturen des Deutschen und eigener linguistischer Traditionen werden in der Germanistik andere Satzmodelle präferiert. Die D UDEN -Grammatik präsentiert die Basisstrukturen von Sätzen in verbbezogenen Satzbauplänen, die sich aus der Valenzgrammatik ergeben (s.u.). L UDGER H OFFMANN (2016, S. 61) geht für den Aussagesatz als Prototyp von Sätzen von der Proposition aus, die er ebenfalls als eine Synthese bestimmt: „Im Entwurf eines Gedankens verbinden wir einen Gegenstand mit einem Charakteristikum: Jemand handelt, etwas ereignet sich, ein Ding hat eine bestimmte Eigenschaft. In der sprachlichen Fassung erscheinen Redegegenstand und Charakteristikum zusammengefügt, synthetisiert für Zwecke der Übermittlung an andere.“ Die im Sprachwissen vorgegebenen Beziehungen zwischen Verben, Subjekten und Objekten bestimmt er als Satzfunktionen. 9.5 Satzrollen, Satzfunktionen, Valenz Für eine sinnvolle Aussage über einen Sachverhalt ist eine Verbform als Prädikat oft ausreichend, etwa bei „Er telefoniert.“. Aber viele Handlungen bewirken etwas, was im Allgemeinen mit Objekten ausgedrückt wird; oder es geht um soziale Handlungen wie geben mit Adressaten oder Beteiligten. Verben haben daher im Hinblick auf die Satzbildung eine wichtige Eigenschaft: ihre Valenz. Der Begründer der Valenztheorie, der französische Strukturalist L UCIEN T ESNIÈRES (1898-1954), meinte damit ihre Fähigkeit, bestimmte Konstituenten im Satz an sich zu binden. So erfordert das Verb geben grammatisch außer einem Subjekt auch ein Akkusativ- und ein Dativobjekt. Der Grundgedanke der Valenztheorie war nicht neu. 1883 schrieb F RIEDRICH K ERN : „Das finite Verbum ist keine Wortart, wie Substantiv und Adjektiv, auch kein Satzteil, wie Subjektswort und Objekt, sondern es ist der Satzkeim, die Satzwurzel, ohne welcher der Baum des Satzes nicht bestehen kann.“ 14 T ESNIÈRES verwendete anstelle von Keim und Wurzel den aus der Chemie entnommenen Begriff der Wertigkeit des Atoms, das Elektronen an sich bindet. Jedes Verb eröffnet demnach eine bestimmte Menge und Art von Leerstellen, es hat dann die entsprechende „Wertigkeit“. Ein Verb, das außer einem Subjekt noch ein weiteres Satzglied an sich bindet, ist demzufolge zweiwertig. Subjekt und Objekte heißen seit T ESNIÈRES oft Aktanten oder „Mitspieler“, weil sie die Personen oder sonstigen Größen benennen, die in der vom Verb 13 Für eine Befassung mit der Syntax einer bestimmten Sprache muss man ihre „Satzbaupläne“ (z.B. Duden- Grammatik), „Satzmodelle“ (Brinkmann 1971) oder „Satzmuster“ (Pörings / Schmitz 2003) studieren (vgl. Kap. 11). 14 Kern (1883, S. 5). <?page no="147"?> 146 Syntax: 9 Prinzipien, Sätze und Satzglieder eröffneten „Szene“ relevant sind. In der Valenztheorie wurde das als Besetzung von „Leerstellen“ aufgefasst. Die Beziehung zwischen einem Verb und seinen Objekten wurde traditionell als Rektion bezeichnet. 15 Rektion besteht dann, wenn ein sprachliches Element (Wort oder Satzglied) ein grammatisches Merkmal eines anderen Elements bestimmt (regiert). Dem entsprechend nennt T ESNIÈRES das Verb Regens und das davon abhängige Satzglied Dependens. Anders als bei der früheren Rektionstheorie ist aber nun auch das Subjekt ein Dependens, eine Ergänzung zum Verb. In der valenzgrammatischen Terminologie heißt es „Nominativergänzung“. Abb. 1: „Inge holt den Wagen ab.“ 16 V <sub, akk> holt ab Nom sub E akk Inge den Wagen T ESNIÈRES griff auch die Idee des Satzbaums auf, wie parallel der amerikanische Strukturalismus. Mit Hilfe von Baumgraphiken, auch als Stemma bezeichnet, stellte er die Abhängigkeiten zwischen Wörtern und Satzgliedern formal dar, wie in Abb. 1 aus E NGEL (2009, S. 189), hob aber auch die inhaltlichen Verbindungen („Konnexionen“) zwischen ihnen hervor. Erst dadurch wird eine Wortfolge als sprachlich ausgedrückter Gedanke aufgefasst. 17 Die Valenzgrammatik hat seit T ESNIÈRES die Terminologie weiterentwickelt. Die notwendigen Satzglieder (Mitspieler) heißen meist Ergänzungen oder Satelliten des Verbs. Sie werden in vielen Grammatiken als Komplemente bezeichnet. Zusätzliche Satzglieder, die Umstände der Handlung oder des Vorgangs enthalten, heißen freie Angaben. Lokale und temporale Angaben wie heute oder auf dem Markt sind bei beliebigen Verben möglich, somit gelten sie als „frei“. Die Ideen der Valenzgrammatik wurden auf das Deutsche übertragen, z.T. unter dem Titel „Dependenzgrammatik“, also Abhängigkeitsgrammatik. Als Beispiel dafür kann die „Deutsche Grammatik“ von U LRICH E NGEL von 1988 gelten (vgl. auch E ROMS 2000 und Publikationen von G ERHARD H ELBIG ). An einem Beispielsatz wird diese Unterscheidung deutlicher, die Konstituenten sind nummeriert: B6 (1) [Bei der Konferenz] beschuldigte (2) [der Vertreter Russlands] (3) [das Land Israel] (4) [mehrerer Verstöße gegen internationales Recht] Das Verb beschuldigen braucht die Ergänzungen Akkusativobjekt und Genitivobjekt (entsprechend seiner grammatischen Rektion: beschuldigen + Akk + Gen) als „Mitspieler“ in einer gedachten Szene, bei der das Subjekt im Aktiv als Handelnder auftritt. Die Konstituenten (2), (3) und (4) sind also notwendige Ergänzungen des Verbs. Die Konstituente (1) ist dagegen eine zusätzliche freie Angabe (Ort/ Gelegenheit). 15 Im Unterschied zur Valenztheorie wird mit diesem Begriff das Subjekt nicht als regierter Satzteil betrachtet; es ist dem Prädikat gleichgestellt. 16 Die Abkürzungen sind zu lesen: V = Verb mit den Ergänzungen: Nominativergänzung als Subjekt, Akkusativergänzung. 17 Vgl. dazu den in Hoffmann (2010) abgedruckten Textausschnitt aus „Grundzüge der strukturalen Syntax“ von 1959. <?page no="148"?> 9.5 Satzrollen, Satzfunktionen, Valenz 147 Das Konzept der Valenz wurde schon von T ESNIÈRES auch auf Substantive und Adjektive übertragen, da ein Teil von ihnen kasusbestimmte Ergänzungen regieren kann. In (B6) lässt sich das auf die Konstituente (4) beziehen: Das Substantiv Verstoß legt die Frage Wogegen? nahe. Eine Ergänzung mit der Präposition gegen ist daher ein häufiger Begleiter dieses Substantivs. Solche deverbal gebildeten Substantive haben oft präpositionale Ergänzungen, ähnlich wie das zugrunde liegende Verb. Ein Bewegungsverb wie springen hat z.B. eine direktionale Ergänzung (ins Wasser springen), ebenso das entsprechende Substantiv: der Sprung ins Wasser. Anders als bei den Verben geht es bei dieser Art von Valenz nicht um eine satzbildende Potenz, sondern nur um Beziehungen innerhalb einer Wortgruppe oder Phrase (s. Kap. 11). Ein Beispiel für eine Adjektivvalenz ist: zufrieden mit X. In einigen Fällen hat ein abgeleitetes Substantiv oder Adjektiv allerdings zusätzlich oder alternativ eine vom Verb abweichende Art von Ergänzung, wie im Fall von interessieren in (B7): B7 Er interessiert sich für alle neuen Entwicklungen. Er ist an allen neuen Entwicklungen interessiert. Er zeigt Interesse an neuen Entwicklungen/ für neue Entwicklungen. In den neueren funktionalen Grammatiktheorien werden diese Ideen mit dem Konzept der Satzrolle (Satzgliedrolle) oder auch der „Satzfunktion“ (H OFFMANN 2016) weitergeführt. H OFFMANN gibt eine Übersicht über die wichtigsten Mitspielerrollen (2016, D6). Tab. 7 zeigt einige davon, die in den nächsten Kapiteln relevant sind: Tab. 7: Mitspielerrollen an Satzbeispielen (nach H OFFMANN 2016) Rolle (semantisch) Satzglied Beispiel Handelnder (Agens) Subjekt Paul arbeitet. Tonio droht Max. Sie denkt über alles nach. Objekt (Patiens) Subjekt Objekt Akk. Das Auto wurde von Paul repariert. Wir decken den Tisch. Empfänger (Rezipient) Subjekt Objekt Dat. Den Plan bekommst du. Sie erhält den Plan. Den Plan gebe ich dir. Träger (von Prozessen, Wissen, Ereignissen …) Subjekt Er ist Rechtsanwalt. Das Kind ist krank. Ursache Subjekt Präp. Ergänz. Das Beben führte zu einem Tsunami. Er wird wegen Diebstahls gesucht. Transfer-Objekt Objekt Akk. Ich habe ihm den Brief gegeben. Nutznießer (+/ -) Objekt Dat. Subjekt Du hast mir Geld geliehen. Gestern wurde er entlassen. Gerade T ESNIÈRES ‘ Begriff der vom Verb her gedachten Szene, heute gern auch als „Szenario“ bezeichnet, wurde später aufgegriffen, um wiederkehrende Konstellationen zu erfassen, die bei der Versprachlichung von Sachverhalten mit Verben entstehen (H OFFMANN 2013, S. 309): „Was grammatisch als Subjekt oder Objekt erscheint, ist in seiner Mitspielerrolle in einer Szene markiert.“ <?page no="149"?> 148 Syntax: 9 Prinzipien, Sätze und Satzglieder Innerhalb der Generativen Grammatik fand eine Uminterpretation der Valenztheorie statt, die im Ergebnis die oben dargestellten Satzrollen bestätigte. C HARLES F ILLMORE entwickelte die Theorie der (semantischen) Tiefenkasus, die teilweise - je nach Einzelsprache - grammatisch in Kasusformen an der Oberfläche ausgeprägt sind. 18 Jenseits der terminologischen Unterschiede besteht also eine Einigkeit in der Sache. Das letztlich gültige Kriterium für „notwendige“ Ergänzungen ist die Vollständigkeit der Proposition, des Satzinhalts. 19 P ETER E ISENBERG (2013, S. 38 ff.) erklärt das an einem einfachen Satzbeispiel: B8 [ Sie übernachteten ] auf der Startbahn. Subjekt und Prädikat bilden bereits eine zwar minimale, aber vollständige Proposition oder Aussage, die in sich verständlich ist und grammatischen Anforderungen entspricht. Dazu verhält sich „auf der Startbahn“ als eine zusätzliche Angabe, also als Erweiterung der elementaren Proposition, grammatisch als Adverbial. Auch in didaktischer Hinsicht ist die Kenntnis von Satzrollen wichtig. Deutschlerner aus dem anglophonen Bereich verstehen den ‚Nutzen‘ von Dativ und Akkusativ im Deutschen dann besser, wenn man ihnen verdeutlicht, dass damit Satzrollen markiert werden. Valenzwörterbücher 20 helfen dabei, sich die Bedeutungen und satzbildenden Potenzen von Verben klar zu machen. Sie geben Gebrauchsbeschreibungen und Gebrauchsmuster an und können daher als Nachschlagewerke für Sprachlerner dienen. 9.6 Die Klammerstruktur deutscher Sätze und die Satzfelder Sprachtypologisch ist Deutsch, durch eine weitgehende Zweiteiligkeit oder auch Mehrteiligkeit des Prädikats gekennzeichnet. H ARALD W EINRICH hat deshalb Deutsch eine „Klammersprache“ genannt: „In der deutschen Sprache beruht die Textualität eines Textes weitgehend auf Klammerbildungen im Text. Die deutsche Sprache kann in diesem Sinn eine Klammersprache genannt werden. Eine TEXTKLAMMER besteht zwischen einem klammeröffnenden und einem klammerschließenden Element, zwischen denen maximal so viele andere Sprachzeichen Platz finden können, wie das Kontextgedächtnis jeweils speichern kann. Eine Klammer ist also eine Gedächtniseinheit.“ 21 Der häufigste Typ von Verbalklammer, die Lexikalklammer, entsteht durch die „trennbaren Verben“ wie aufstehen und durch lexikalisch verfestigte Gefüge wie Angst haben oder bekannt sein. Die „Textgrammatik“ behandelt sie als klammerfähige Verbindung von einem Vorverb und einem Nachverb. Vorverb ist grundsätzlich das finite Verb. Nachverb kann eine infinite Verbform oder ein anderes Element sein, z.B. eine Verbpartikel wie auf (s. Tab. 8). Es ergibt sich ein ganzes Spektrum von zweiteiligen Verben, von lexikalisch begründeten Vorverb-Nachverb-Kombinationen: 18 Die deutsche Fassung ist nachzulesen bei Charles Fillmore (1972) Plädoyer für Kasus. In: Abraham, Werner (Hg.) Kasustheorie. Frankfurt a.M., S. 1-118. 19 Vgl. dazu GdS, Kap. E.2.2., S. 1028 ff. 20 Zum Beispiel Schumacher (1986), Schumacher / Kubczak et al. (2004). 21 Weinrich (1993, S. 23). <?page no="150"?> 9.7 Ordnung und Stellung von Satzgliedern 149 Tab. 8: Typen von Lexikalklammern nach W EINRICH (1993, S. 43) bringe ...................................... auf Präposition behalte ...................................... da Adverb stelle ..................... zur Verfügung Präpositionaladjunkt erhebe .............................. Anklage Nomen sitze ........................................ still Adjektiv lerne .................................. kennen Verb im Infinitiv Vorverb Nachverb Lexikalklammer Auch prädikative Adjektive und Nomen sind in dieser Terminologie „Nachverben“, und Nomen-Verb-Gefüge wie stelle zur Verfügung werden als lexikalische Verbalklammern behandelt. Grammatikalklammern werden von allen Verben gebildet, etwa Perfektformen und Modalverb-Prädikate (B9b): B9 a) Ihr Blick war in die Ferne gerichtet. (Nachverb: Partizip II) b) Alle Patienten mussten über zwei Stunden warten. (Nachverb: Infinitiv) Die Rede von trennbaren Verben geht von der Infinitivform aus, in der Verb und Verbpartikel zu einer Form zusammengefasst sind (die anderen „Nachverben“ werden orthographisch anders behandelt). Diese orthographische Norm hat das Bewusstsein erzeugt, dass es sich um ein Verb handelt, das manchmal zerlegt wird. W EINRICH hält dagegen, es sei sinnvoller, für die lexikalische Grundform Zweiteiligkeit anzusetzen - besonders für den Fremdsprachenunterricht. Als Vokabeln zu lernen wären dann Formen wie: kommt vor oder: komme vor. Besonders relevant ist die Kenntnis der Präsensformen bei den Verben, deren Infinitiv zwei nicht bzw. nur an der Betonung unterscheidbare Varianten aufweist. Am Beispiel des Verbs überziehen lässt sich das gut zeigen. Im einen Fall ist über (unbetontes) Präfix, z.B. in der Wendung, dass jemand die Zeit überzieht; im anderen Fall ist die Verbpartikel betont und wird im Präsens abgespalten, z.B. in dem Satz: Er zieht sich den Mantel über. Die Klammerbildung führt dazu, dass jeweils ein oder mehrere Satzglieder von Vorverb und Nachverb bzw. von linker und rechter Satzklammer eingerahmt werden. So kommt das Mittelfeld des Satzes zustande und damit auch eine feste räumliche (topologische) Grundstruktur. Konsequenterweise nimmt man noch zwei weitere Felder für den Aussagesatz an: Links vom finiten Verb befindet sich das Vorfeld, und rechts vom Mittelfeld liegt das - allerdings optionale - Nachfeld. Das Konzept der Satzklammer und der entsprechenden Felder entstand bereits in den fünfziger Jahren des 20. Jh. und ist inzwischen in verbesserter Form in den meisten Grammatiken enthalten, mit terminologischen Differenzen. Meist ist so wie in der D UDEN -Grammatik von „linker/ rechter Satzklammer“ die Rede. 22 9.7 Ordnung und Stellung von Satzgliedern Im Deutschen kann man sagen: Den Hans habe ich schon lange nicht gesehen. Im Englischen ist das so nicht möglich. Bei direkter Übersetzung würde der Satz ungrammatisch bzw. missverständlich. Obgleich also die Feldstruktur festgelegt ist, haben die Sprecher Freiheiten in der Verteilung der Satzglieder. 22 Vgl. die graphische Darstellung dort (2016, S. 871). <?page no="151"?> 150 Syntax: 9 Prinzipien, Sätze und Satzglieder Eine zentrale Einsicht für die Satzstruktur im Deutschen ist, dass das Vorfeld nur von einem Satzglied besetzt sein kann. Einleitende Konjunktionen wie und, oder, denn etc. werden nicht als Satzglieder gezählt, sondern sind Verbindungselemente außerhalb des Satzes, vor dem Vorfeld, manchmal auch als „Vorvorfeld“ bezeichnet (Tab. 9). Das Mittelfeld ist im Unterschied zum Vorfeld ausbaufähig. Es kann allerdings aus Rücksichtnahme auf den Hörer nicht beliebig viele Satzglieder enthalten, da dessen mentale Aufnahmefähigkeit begrenzt ist. Das Nachfeld spielt zum einen mündlich oft eine Rolle, um einen Nachtrag zu machen, etwas vorher Vergessenes anzuhängen. Allgemein, schriftlich und mündlich, dient es dazu, umfangreiche Satzglieder, vor allem Nebensätze, auszuklammern. Das erleichtert die mentale Verarbeitung durch den Hörer/ Leser. Tab. 9 übernimmt anstelle von W EINRICH s Termini „Vorverb/ Nachverb“ die Terminologie von H OFFMANN (2016). Tab. 9: Die Besetzung der Satzfelder Vorvorfeld Vorfeld Satzklammer 1 Mittelfeld Satzklammer 2 Nachfeld Und dabei hat er noch Glück gehabt. Herr Müller Sie als Manager reisen den größten Teil des Jahres in der Welt herum weil Sie für die Verträge zuständig sind. An der Frage der Vorfeldbesetzung entscheidet sich (unter anderem), ob eine Äußerung als Aussage oder Frage zu verstehen ist. Zumindest die Entscheidungsfrage („Ja/ nein- Frage“) setzt das finite Verb an den Anfang und kann deshalb als Verberstsatz bezeichnet werden: B10 Wir haben kein Geld dabei. Haben wir kein Geld dabei? Was genau im Vorfeld steht und wie das Mittelfeld aufgebaut ist, entscheiden die Sprecher nach zwei Gesichtspunkten: 1. nach dem allgemeinen Prinzip der Informationsverteilung im Satz: Vorn stehen im Allgemeinen thematische Elemente, die Bekanntes enthalten oder an den Vortext anknüpfen. Neue und wichtige Informationen findet man tendenziell am Satzende bzw. vor dem Ende des Mittelfelds. 2. mit Rücksicht auf kommunikative Gewichtungen: Der Sprecher kann bstimmte Elemente mit Kontrast (z.B. nicht - sondern) oder ohne Kontrast relevant setzen. 23 So wie in (B10) ist es sehr häufig das Subjekt, das die Vorfeldstelle einnimmt. Die darauf bezogene Aussage steht im Mittelfeld. Das ist ein Standardfall. 24 Der andere, ebenso häufige Fall ist der, dass ein Adverbial wie dabei in Tab. 9 im Vorfeld steht. Falls eine besondere Gewichtung auf das Subjekt fällt, wird es gern in eine Position im hinteren Mittelfeld verschoben. Das Vorfeld eignet sich eher für die Anknüpfung an den Vortext, wie F ANDRYCH (2003) zeigt. In vielen Fällen wird ein Textthema dadurch im Bewusstsein des 23 Vgl. dazu das Kapitel „Funktionale Satzperspektive“ in der Duden-Grammatik (2016). 24 Zu Wortstellungsregularitäten vgl. Rehbein (1992). <?page no="152"?> 9.7 Ordnung und Stellung von Satzgliedern 151 Hörers verankert, dass es zunächst eingeführt und dann rethematisiert wird. 25 Beispiel (B11a) zeigt, dass dies auch in älteren Texten der Märchenliteratur vorkommt, während (b) der modernen Umgangssprache entspricht: B11 (a) Es war einmal ein Mann. Der verstand allerlei Künste; er diente im Krieg … (b) Die Maria, die seh ich jeden Tag dreimal, … Von daher ist ein anderer wichtiger und häufiger Fall abzuleiten, bei dem das Subjekt rhematisch ist, also eine neue Information enthält und durch eine markierte Position im Mittelfeld hervorgehoben werden soll. Die deutsche Sprache hat dafür eine typische Satzkonstruktion mit Es-Subjekt und ins Mittelfeld verschobenem inhaltlichem oder eigentlichem Subjekt (B11a, B12a). 26 Sehr ähnlich ist die Konstruktion häufig bei Nebensätzen im Nachfeld (B12b): B12 a) Es besteht großes Misstrauen gegen den Personalchef. b) Es interessiert mich nicht, warum du das gemacht hast. Im ersten Beispiel kann das Subjekt großes Misstrauen ins Mittelfeld verschoben werden, weil es im Vorfeld einen „Stellvertreter“ ohne eigenen Inhalt hat, nämlich es. Dieser Ausdruck ist grundsätzlich thematisch und ist syntaktisch gesehen eine Konstituente, die einen Bezug zu einer anderen herstellt. In (B12b) ist das der warum-Nebensatz, der das Subjekt des Gesamtsatzes darstellt. Wegen seiner Länge und Relevanz steht ein solcher Nebensatz eher nicht im Vorfeld. Auch hier ist das Bezugselement es als vorausorientierende Anapher im Vorfeld nützlich. 27 Formal betrachtet, enthalten diese Sätze zwei Subjektausdrücke, der Hörer nimmt jedoch nur das inhaltliche Subjekt wahr. Ausgewählte Aufgaben zu Kap. 9 (4 von 35) 1. Was trifft zu? a) Das Subjekt eines Satzes steht im Deutschen immer im Kasus Nominativ. richtig falsch b) Das Prädikat umfasst im Deutschen immer ein Verb. richtig falsch c) Das Prädikat besteht immer nur aus dem Verb. richtig falsch f) Kongruenz bedeutet, dass ein Merkmal an mehreren Satzbestandteilen ausgedrückt wird. dass zwei Sätze dasselbe bedeuten. dass der Satzbau in zwei Sprachen übereinstimmt. 9. Beurteilen Sie die Konstituenten des Beispielsatzes nach ihrer syntaktischen Rolle: Heute hat kein Schüler im Unterricht aufgepasst. 25 Beispiel (11a) aus einem Märchen, vgl. Hoffmann (2016, S. 467). 26 „Die Füllung des Vorfelds durch einen Platzhalter ermöglicht es somit, die Satzglieder nach ihrem Informationsstatus anzuordnen.“ (Pittner / Berman 2015, S. 130). 27 In solchen Fällen ist es nicht ganz korrekt, von Anaphern zu reden, da das Präfix ana- ‚zurück‘ bedeutet. Daher hat man ergänzend den Begriff Katapher eingeführt (katavor, nach vorn). <?page no="153"?> 152 Syntax: 9 Prinzipien, Sätze und Satzglieder 11. Betrachten Sie die folgenden Beispiele aus dem Deutschen und dem Italienischen. Welche Unterschiede in der Kongruenz stellen Sie fest? Welche „Fehlleistung“ kann man bei italienischen Deutschlernenden erwarten? das schöne Haus - Das Haus ist schön. die schönen Häuser - Die Häuser sind schön. la bella casa - La casa è bella. le belle case - Le case sono belle. 34. Verschieben Sie im Übungssatz alle Satzglieder an eine oder zwei andere Stellen und prüfen Sie, was davon sinnvoll ist. Legen Sie dafür zunächst die Konstituentengrenzen fest: Bei den Leichtathletik-Meisterschaften im Juli wurde die russische Sportlergruppe wegen früherer Dopingskandale nicht zugelassen, obwohl ihr Trainer die Beachtung der Regeln zusicherte. Ausgewählte weiterführende Literatur Ehlich, Konrad (2003) Determination - eine funktional-pragmatische Analyse am Beispiel der hebräischen Strukturen. In: Hoffmann, Ludger (Hg.) Funktionale Syntax. Berlin: de Gruyter, S. 307-334 Eisenberg, Peter ( 3 2006) Grundriss der deutschen Grammatik. Bd. 2: Der Satz. Stuttgart: Metzler; Kap. 5: Substantiv, Artikel, Pronomen; Kap. 8: Attribute Eroms, Hans-Werner (2000) Syntax der deutschen Sprache. Berlin: de Gruyter; Kap. 11.2 „Negationen“ Ehlich, Konrad (1992) Zum Satzbegriff. In: Hoffmann, Ludger (Hg.) Deutsche Syntax. Ansichten und Aussichten. Berlin: de Gruyter, S. 386-395 Eisenberg, Peter ( 4 2013) Grundriss der deutschen Grammatik. 2 Bände. Stuttgart: Metzler; Kap. 2. Grundbegriffe; Kap. 3: Das Verb, Valenz, Argumente und Satzstruktur Hoffmann, Ludger ( 3 2016) Deutsche Grammatik. Berlin: de Gruyter. Siehe Kap. 1: Nominalgruppen, Determinative und Gegenstandsbezug Nübling, Damaris et al. ( 5 2017) Historische Sprachwissenschaft des Deutschen. Tübingen: Narr, Kap. 5: Syntaktischer Wandel Özdil, E. (2011) Genus und Kasus im Deutschen: eine didaktische Annäherung mit sprachvergleichenden Aspekten zum Türkischen. In. Hoffmann, L. / Ekinci-Kocks, Y. (Hgg.) Didaktik in mehrsprachigen Lerngruppen. Baltmannsweiler: Schneider, S. 29-39 Pittner, Karin / Berman, Judith ( 6 2015) Deutsche Syntax. Tübingen, Narr. Kapitel 2, 3, 4 und 6 Wegener, Heide (1989) Die Nominalflexion des Deutschen, verstanden als Lerngegenstand. Tübingen: Niemeyer Zifonun, Gisela / Hoffmann, Ludger/ Strecker, Bruno (1997) Grammatik der deutschen Sprache, Bd. 1. Berlin: de Gruyter, Kapitel C4, C6, G1 <?page no="154"?> 10 Verben und Verbalkomplexe 10.1 Die Wortart Verb Gegenüber den nominalen Wortarten ist das Verb durch die Konjugation deutlich abgehoben. In der Schulgrammatik ist das Verb das „Zeitwort“, durchaus zu Recht: Das konjugierte Verb bewirkt die zeitliche Fixierung des Geschehens durch das Tempus, zum anderen den Realitätsbezug durch den Modus (Indikativ, Konjunktiv oder Imperativ) der Verbform. U LRICH E NGEL 1 verdeutlicht das so: „Denn das finite Verb, das den Satz konstituiert, legt den Wirklichkeitsgehalt eines Sachverhaltes fest, besagt also, ob dieser Sachverhalt zutrifft, zutraf, angeblich zutrifft, unter bestimmten Voraussetzungen zutrifft, zutreffen soll, oder ob jeweils das Gegenteil gilt (der Sachverhalt trifft nicht zu usw.).“ Die morphologischen Besonderheiten der Wortart Verb sind keine Universalie. In der chinesischen Sprache ist ein Wort nur durch die Wortstellung und semantisch, durch seinen Kontext, als verbartig oder substantivartig erkennbar. Sehr häufig sind bei einem silbischen Wort verschiedene Wortarten möglich: B1 shì Arbeit, Angelegenheit (Nomen) shì arbeiten, dienen (Verb) Wegen der fehlenden Formmerkmale können also chinesische Verben nur semantisch als Verb identifiziert werden, sie sind keine „Zeitwörter“. In Interlinear-Übersetzungen wird das chinesische Verb deshalb mit dem Infinitiv wiedergegeben: B2 Wŏ bù zhīdao tā míngtiān lái Ich nicht wissen er morgen kommen Ich weiß nicht, ob (eigentlich: dass) er morgen kommt. W ILHELM VON H UMBOLDT hat sich mit dem Unterschied zwischen der Grammatik der chinesischen und der indoeuropäischen Sprachen beschäftigt. Er schrieb 1826 dazu: „Die Chinesische Sprache kennt, grammatisch zu reden, kein flectirtes Verbum, sie hat eigentlich gar kein Verbum, als grammatische Form, sondern nur Ausdrücke von Verbal- Begriffen, und diese stehen beständig in der unbestimmten Form des Infinitivs, einem wahren Mittelzustande zwischen Verbum und Substantivum.“ 2 Eigentlich müsste in der Interlinear-Übersetzung 3 oben statt der Infinitive wissen und kommen der jeweilige Verbstamm verwendet werden, denn dieser ist die eigentliche, wirklich unflektierte Grundform, also wiss- und komm-. Der Verbstamm liegt nicht nur den Ableitungen der Wortfamilie zugrunde, sondern auch der morphologisch zweiteiligen Infinitivform selbst (Stamm + Suffix -en). Grammatisch ist der Infinitiv neutral, er gilt im Deutschen als Zitierform und lexikographische Grundform. das macht ihn unmittelbar zur Nominalisierung geeignet. Er bekommt dann Deklinationsmerkmale im Genitiv. Außerdem sind die beiden Partizipien infinite (= ungebeugte, unkonjugierte) Verbformen. Alle drei Formen stehen außerhalb 1 Engel ( 2 2009, S. 389). 2 Humboldt (1826 / 2002, S. 130). 3 Es handelt sich um eine Vorübersetzung, die früher zwischen die Zeilen geschrieben wurde. Meist war das eine Wort-für-Wort-Übertragung, aus der man eine angemessenere Übersetzung entwickeln kann. <?page no="155"?> 154 Syntax: 10 Verben und Verbalkomplexe von temporalen oder Subjekt-Bezügen (vgl. Tab. 1). Wenn die Partizipien als Adjektive eingesetzt werden, werden sie ebenfalls dekliniert. Sie wurden deshalb in der Geschichte als besondere Wortart angesehen und „Verbaladjektive“ genannt. 4 Unter morphologischem Aspekt werden mindestens zwei Kriterien angewendet: 1) nach der Bildung der Stammformen: Ein Verb gehört entweder zu den „starken“ oder unregelmäßigen Verben, die noch aus der germanischen Zeit stammen. Wechselt ein Verb in der Stammformenreihe Präsens - Imperfekt - Partizip II mindestens einmal den Vokal, gilt es als starkes Verb. Oder es hat „schwache“ bzw. regelmäßige Stammformen, was für alle später entstandenen oder entlehnten Verben zutrifft, dann gilt es als „schwaches Verb“. 5 Die Gruppe der starken Verben stellt ein besonderes Problem für Sprachlerner dar. Deshalb bieten die meisten Grammatiken Listen, geordnet nach Ablautreihen. 6 2) nach der Bildung des Verbs selbst ergeben sich drei große Gruppen: a) sog. Simplexverben, also einfach gebildete Verben wie bauen; b) präfigierte Verben wie bebauen; c) Partikelverben wie aufbauen, die mit einem Morphem nicht fest verbunden sind, auch als trennbare Verben bekannt (vgl. Kap. 7). Häufig wird vermutet, dass die unregelmäßigen Verben des Deutschen Relikte der Sprachgeschichte sind und allmählich aus dem Deutschen verschwinden. Aber davor schützt sie ihre häufige Verwendung. Zählungen haben ergeben, dass zwar von 4.000 Verben nur 4,7 % unregelmäßige Formen haben. In Texten kommen genau diese Verben aber mit sehr hoher Gebrauchsfrequenz vor: 50-60 % der Verbformen in Texten sind „starke Verben“. Angesichts der differenzierten Morphologie der Verben und ihrer großen Relevanz für die Satzbildung ist es nicht erstaunlich, dass die Darstellung des Verbsystems in den Grammatiken sehr viel Platz einnimmt. 10.2 Die Bedeutung der Verben für die Satzbildung Die große Zahl der Verbformen im Deutschen verdankt sich der Tatsache, dass nicht nur einfache flektierte Formen (Bsp. du gehst) zu berücksichtigen sind, sondern auch zwei- oder dreiteilige, bei denen finite und infinite Formen beteiligt sind, wie (du) bist gegangen. Das schulgrammatische System beinhaltet die Kategorien (Tab. 1): 4 Laut Hermann Paul, „Prinzipien der Sprachgeschichte“, handelt es sich dabei ursprünglich um Adjektive, die in den Bereich des Verbs hinein expandiert sind. Die historische Wortartenlehre (Dyonisius Thrax) sah das Partizip sogar an der Stelle des heutigen Adjektivs. 5 Ulrich Engel bezeichnet dagegen nur die kleine Gruppe von Verben als unregelmäßig, die Merkmale der starken und schwachen Konjugationsart kombiniert aufweisen (z.B. brennen - brennt - brannte - gebrannt). 6 Ablautreihen und Muster bietet z.B. die Duden-Grammatik (2016, S. 452 f.). <?page no="156"?> 10.2 Die Bedeutung der Verben für die Satzbildung 155 Tab. 1: Einfache Verbformen am Beispiel von gehen Verbstamm: geh- Formkategorien finite Formen Beispiele infinite Formen Person: 1. - 2. - 3. (ich) gehe - (du) gehst - (er) geht reiner Infinitiv: gehen Numerus (Singular - Plural) (ich) gehe - (wir) gehen zu-Infinitiv Modus: Indikativ - Konjunktiv - Imperativ (ich) gehe - KII: ginge - Imp. geh! Partizip I: gehend Tempus (Präsens - …) (ich) gehe - ging Partizip II: gegangen Genus Verbi (Aktiv - Passiv) (ich) gehe - werde gegangen 7 In der linken Spalte findet man die grammatischen Kategorien, die an der einzelnen Verbform festzustellen sind. Es handelt sich nach E ISENBERG um „ein System von gleichzeitigen Klassifikationen“ (1998, S. 197). Die übliche Einteilung der Verbformen nach „Personen“ sollte allerdings korrigiert werden, denn die Formen richten sich nach den Subjekttypen: Tab. 2: Typen und Bildung der Präsensformen Typus Singular Plural deiktische Formen ich komm - e wir komm - en du komm - st ihr komm - t nicht deiktische Formen X komm - t X komm - en Während die traditionelle 1. und 2. „Person“ an die Sprecher- und die Hörerdeixis gebunden sind, also an genau ein bestimmtes Subjekt, ist die „3. Person“ nicht an die Pronomina er / sie / es gebunden, sondern passt zu jedem Subjekt symbolischer Art und zu den Anaphern. Diese Verbform ist daher die allgemeine deskriptive Verbform. 8 Aus funktionsbezogenen Einsichten heraus werden im Verlauf des Kapitels noch weitere Korrekturen am schulgrammatischen System vorgeschlagen. In der angloamerikanischen Linguistik spielt die Verb(al) Phrase eine wichtige Rolle. Für das Deutsche ist der Begriff umstritten. Damit meint die Generative Linguistik das maximale Prädikat, also Verb + Objekte. In Bezug auf Deutsch wird der Begriff meist enger gefasst. Unter Verbalphrase versteht z.B. eine Schulgrammatik 9 alle einfachen und komplexen Verbformen (in den Beispielen eingeklammert): B3 Ich [ sehe ] ihn nicht. Ich [ kann ] ihn nicht [ sehen ]. Ich [ habe ] ihn nicht [ gesehen ]. 7 Die Äußerung „Er wird gegangen“ ist nur scherzhaft üblich, z.B. bei einer Entlassung. 8 Eine ausführliche funktionale Erläuterung des deutschen Verbsystems gibt A. Redder (1992), die auch die terminologische Bezeichnung „deskriptive Form“ einführt. 9 Hans Jürgen Heringer (1989) Grammatik und Stil. Praktische Grammatik des Deutschen. Berlin: Cornelsen. <?page no="157"?> 156 Syntax: 10 Verben und Verbalkomplexe Mehrteilige Verbformen hat auch das Englische, nicht aber die Klammerstruktur des Satzes. Von daher lehnen viele Linguisten (auch die GdS) den Begiff Phrase als unpassend für die deutsche Sprache ab, mit mehreren Gründen: - Im Aussagesatz stehen die Teile des Komplexes getrennt (anders als bei der NP), nur im Nebensatz mit Endstellung des finiten Verbs rücken sie zusammen; - Während Phrasen im Satz als ganze verschiebbar sind, ist die Position der verbalen Elemente syntaktisch festgelegt; man sieht im finiten Verb eine Art Mittelpunkt des Satzes, um den die übrigen Satzteile sich bewegen können (anders im Nebensatz); - Es ist nicht klar, welche Wortform in einer Verbalphrase den Kern bilden würde: Ist es das valenztragende Vollverb der Verbgruppe (häufig der infinite Teil), weil es Art und Zahl der weiteren Komplemente (Satzteile, Ergänzungen) bestimmt? Oder ist es die finite Verbform als das strukturelle Zentrum des gesamten Satzes, weil es Tempus, Modus und andere wichtige Eigenschaften zeigt? Es ist daher sinnvoll, den Phrasenbegriff hier zu vermeiden und die mehrteiligen deutschen Verbformen im Prädikat als Verbalkomplex zu bezeichnen. Auch von Verbalperiphrasen ist häufig die Rede. 10.3 Verbtypen und Satzstrukturen Grundsätzlich dienen Verben zur Darstellung von Handlungen, Zuständen und Vorgängen. Sie erfassen Wirklichkeit als veränderliche, als in Bewegung befindliche. Viele grammatische Eigenschaften von Verben haben mit semantischen zu tun. Besonders im Vordergrund solcher Betrachtungen steht die große Gruppe der Verben, die mit menschlichem Handeln oder mit Tätigkeiten zu tun haben. Sie werden entsprechend einer traditionsreichen Einteilung der Verben Tätigkeitsverben oder, etwas enger gefasst, Handlungsverben genannt. Davon werden Prozessverben oder Vorgangsverben und gelegentlich Zustandsverben unterschieden. Der Oberbegriff Tätigkeit umfasst außer Verben für zweckhaftes Handeln auch Verben für so genannte Verrichtungen und spontane Aktivitäten (lachen, spielen, warten, husten, aufschreien). Die Gesamtgruppe ist eine offene Klasse, sie wird immer wieder durch neue Wortbildungen erweitert. Der Handelnde ist typischerweise eine Person; auch ein nichtmenschliches Subjekt wird zumindest als Handlungsträger vorgestellt, wenn z.B. über einen Sturm gesagt wird, er habe einen Baum „wie ein Streichholz umgeknickt“. Der grammatische Oberbegriff für Handlungsträger, also die Satzrolle (vgl. Kap. 9), ist Agens 10 , ein Verb wie umknicken gilt entsprechend als agentivisch. Einige Beispiele für Prozessverben sind: fallen, wachsen, abbrechen, sterben, erkranken, sich entwickeln. Schwieriger einzuordnen sind Verben, deren Bedeutung keine Vorgangsdynamik aufweist. Nach H ELBIG / B USCHA gibt es „stative“ Verben oder Zustandsverben. 11 Als Beispiele werden dort sich befinden, liegen, sein, stehen, umgeben, wohnen genannt. Diese Zustände sind aber oft zeitlich begrenzte, was die Abgrenzung zu den Handlungsverben erschwert. Das einzige klare Zustandsverb im Deutschen, das auch in Opposition zu werden als Verb der Veränderung steht, ist sein. 12 10 Der grammatische Begriff das Agens ist zu unterscheiden von der Ableitung der Agent (Person, die im Geheimauftrag einer Regierung oder Organisation unterwegs ist). 11 Helbig / Buscha (2001, S. 68). 12 Zu den Einsatzmöglichkeiten dieses Verbs ist mehr zu sagen, vgl. dazu Thielmann (2003). <?page no="158"?> 10.3 Verbtypen und Satzstrukturen 157 10.3.1 Transitivität, Rektion und Valenz In Kap. 9 wurden die Begriffe Valenz und Rektion eingeführt zum Verständnis der Beziehungen zwischen Verb und zugeordneten Satzgliedern. Einen Teil dieser Beziehungen erfasste man traditionell mit der Unterscheidung von Transitivität und Intransitivität: - Transitive Verben verbinden sich mit einem Akkusativobjekt und sind passivfähig; - Intransitive Verben treten ohne Objekt oder mit einem anderen Typ von Objekt auf und sind generell nicht (voll) passivfähig (s.u.). Warum können nicht alle Verben passivisch verwendet werden? Handlungsverben wie schneiden sind im Allgemeinen transitiv, was mit ihrer Valenz zusammenhängt: Die Handlung erfordert „Mitspieler“, den Schneidenden und ein Objekt des Schneidens. Das Akkusativobjekt dient der Versprachlichung des Gegenstandes, auf den die Handlung gerichtet ist. Traditionell wurde zusätzlich unterschieden, ob der Gegenstand durch die Handlung erzeugt (effiziert) wird oder von ihr betroffen (affiziert) ist. An einem Beispiel: B4 Wir lesen [ das Buch ] gemeinsam. (NP im Akk., affiziertes Obj.) Wir schreiben [ ein Buch ]. (NP im Akk., effiziertes Obj.) Prozessverben wie fallen sind intransitiv. Allerdings können einige Intransitiva wie das Bewegungsverb fahren in (B5) auch den Wechsel zum transitiven Verb vollziehen. Auch bei anderen Verben lassen sich zwei Verwendungen erkennen, was zu Paarungen von transitivem und intransitivem Verb führt (GdS 1997, S. 1863): B5 Ich fahre das Auto in die Garage. versus Ich fahre in die Stadt. A hat B getrocknet. versus B ist getrocknet. A hat B geschmolzen. versus B ist geschmolzen. A hat B erschreckt. versus B ist erschrocken. Eine kleine, grammatisch besondere Gruppe bilden die Kopulaverben, zentral steht hier das Verb sein. Sie zeichnen sich durch eine Nominativ-Ergänzung aus, indem sie einen auf das Subjekt bezogenen Satzteil regieren, der Prädikativ genannt wird (B6, s. Kap. 9.3). B6 a) Er ist und bleibt [ ein Versager ]. b) Das Kind wurde gut norddeutsch [ Helge ] genannt. c) Man betrachtet diesen Text als [ den primären ]. Kopulaverben im engeren Sinne sind sein, werden und bleiben; im weiteren Sinne gehören auch scheinen, heißen und die passivischen Formen von nennen dazu. Sie haben kein Objekt, binden aber eine Nominativergänzung an das Subjekt an. Bei einigen Verben wie nennen und ansehen als gibt es auch ein Objektsprädikativ (B6c). Der Kasus zeigt hier an, dass die Adjunktorphrase (eingeleitet durch wie oder als) auf das Objekt zu beziehen ist. Der größte Teil der deutschen Verben, laut E ISENBERG der „Löwenanteil“ (2013, S. 58), ist gemäß Valenzgrammatik zweistellig, regiert also - neben dem Subjekt - entweder ein reines Kasusobjekt, ein Präpositionalobjekt oder auch eine lokale Ergänzung (vgl. Kap. 11). 10.3.2 Auxiliarverben Die Hilfsverben bzw. Auxiliarverben haben spezielle Aufgaben, weil sie als finite Verben in Verbindung mit einer infiniten Form eines anderen Verbs komplexe Prädikate (Periphrasen) bilden. Die Charakterisierung „Verben mit Spezialfunktionen“ (D UDEN -Gram- <?page no="159"?> 158 Syntax: 10 Verben und Verbalkomplexe matik) wird ihrer Bedeutung etwas besser gerecht. 13 Denn alle diese Verben können im Deutschen auch selbstständig das Prädikat eines Satzes bilden, und ihre Bedeutungen sind nicht ganz unwichtig für die Periphrasen: Tab. 3: Verben mit Hilfsverb- und Vollverbverwendung Verb Verb auxiliar Vollverb sein Wir sind heim gegangen. Das Leben hier ist langweilig. haben Das Fest hat begonnen. Du hast Glück. werden Das Fest wird gefeiert. Er wird alt. Die Auxiliarverben sind insofern wichtig, als sie Zeitbezug und Wirklichkeitsgehalt der Aussagen angeben, also zentrale Prädikatsfunktionen wahrnehmen. Man betrachtet die infiniten Partizipien (beendet, begonnen und gefeiert) deshalb als Vollverben oder Hauptverben (nach E NGEL ), weil diese Verben mit ihrer Valenz für die Satzstruktur wichtig sind. Sein und werden als Kopulaverben regieren zwar kein Objekt, bestimmen aber auch die Satzstruktur, da sie ein prädikatives Satzglied erfordern (langweilig, alt in Tab. 3). Bei werden ist zu beachten, dass es für seine Funktion im Passiv ein anderes Partizip besitzt als für seine anderen Funktionen: B7 Er ist alt geworden. Er ist angerufen worden. Die Notwendigkeit von Periphrasen mit Hilfsverben erklärt die GdS aus der sprachgeschichtlichen Tatsache, dass das germanische Verbsystem „defektiv“, d.h im Vergleich zu Latein und Griechisch ergänzungsbedürftig war (1997, S. 1247). Es scheint allerdings, dass in der Nachahmung des klassischen Vorbilds Latein an einigen Stellen übertrieben wurde (siehe unten). 10.3.3 Das System der Modalverben im Deutschen Die kleine Gruppe der Modalverben (MV) kommt im Deutschen außerordentlich häufig vor. Oft werden sie den Hilfsverben zugeordnet, historisch waren sie auch die ersten Hilfsverben. Sie werden hier getrennt behandelt, weil sie im Deutschen eine sowohl morphologisch und syntaktisch als auch semantisch besondere Klasse von Verben bilden. Man kann bei den modalen Verben mit (reinem) Infinitiv einen Kernbereich und ein modales Umfeld (eine Peripherie) unterscheiden. Das sieht gemäß GdS so aus: Tab. 4: Modalverben und modalverbähnliche Verben Typen Verben syntaktisches Merkmal Kernbereich der müssen, sollen, dürfen, Rektion des reinen Modalverben mögen / möchte, wollen, Infinitivs können Gruppe mit moda- (nicht) brauchen, Rektion des zu-Infinitivs lem Charakter haben, sein, bleiben halbmodale Verben pflegen, scheinen, drohen Rektion des zu-Infinitivs 13 Abkürzend spricht die Duden-Grammatik (2016) von „Spezialverben“, vgl. dazu S. 421 ff. <?page no="160"?> 10.3 Verbtypen und Satzstrukturen 159 Außerhalb des Kernbereichs erfordern diese Verben also eine Infinitivphrase mit zu zur Bildung des komplexen Prädikats. Das Verb brauchen steht an der Grenze, weil zumindest die negative Form die Verbindung mit dem reinen Infinitiv zulässt. Die Form möchte ist eigentlich die Konjunktivform von mögen. Sie hat einen eigenen Stellenwert als MV mit indikativischer Bedeutung bekommen, um einen Wunsch auszudrücken. Nur im Süddeutschen kann statt möchte auch mag verwendet werden, sonst hat „ich mag“ eine andere Bedeutung: eine Vorliebe oder Wertschätzung für etwas. 14 Formale Besonderheiten der Modalverben sind: 1. In ihrer Formenbildung fallen sie dadurch auf, dass sie im Präsens die Endungen des Präteritums starker Verben und einen deutlichen Vokalwechsel (will - wollen) haben. 2. Sie haben alle temporalen Formen, aber mit Besonderheiten in der Perfektbildung: statt eines Partizips erfordern sie den so genannten Ersatzinfinitiv (B8). 3. Sie haben selbst keine Valenz (daher auch kein Passiv), die Satzstruktur wird durch das Verb im Infinitiv bestimmt. B8 Nach der Krankheit hat sie das Laufen erst wieder lernen müssen. In semantischer Hinsicht gilt: Die Modalverben sind zumindest in ihren Grundbedeutungen auf Handlungen angelegt. Modalverben haben mit der Verbalisierung einer Zielsetzung und der Planung einer Handlung durch den Sprecher zu tun. Sie nehmen auf einen Planungsprozess Bezug und bringen bestimmte Redehintergründe der angesprochenen Handlung ins Spiel, z.B. Voraussetzungen oder situative Umstände, die abgewogen werden (sollten). 15 Wesentliche Voraussetzungen am Handelnden selbst, die im Planungsprozess eine Rolle spielen, sind: Wille - Erlaubnis - Wunsch - Notwendigkeit - Möglichkeit - Fähigkeit. 16 Im Rahmen der pragmatischen Theorie der Modalverben (seit E HLICH / R EHBEIN 1972) werden diese Modalitäten bezogen auf die Phasen des Entscheidungsprozesses, der jeder Handlungsausführung vorausgeht. Von daher lassen sich die Modalverben des Deutschen in zwei Gruppen einteilen: Modalitäten der Handlungsalternative (können, müssen, dürfen) und des Handlungsziels (möchten, wollen, sollen, werden) (B RÜNNER / R EDDER 1983). Dass werden als Modalverb verstanden wird, ist eine relativ neue Einsicht. Die Nähe zu den Modalverben zeigt sich schon an der Überlegung: Wer etwas tun kann und will, wird es auch tun (Übergang zur Realisierung des Plans); das mit werden gebildete Futur ist von daher eigentlich nicht temporal, sondern modal gekennzeichnet (vgl. Redder 1999). Interessant ist auch eine nähere Betrachtung des Modalverbs sollen, mit dem eine Relation zu einer externen Wollensinstanz als Redehintergrund verbunden ist. Wenn jemand will, dass ich etwas tue, dann soll ich es tun, das ist sozusagen das in eine Sprechsituation importierte Wollen eines anderen. 17 Wenn jemand ein Medikament einnehmen soll, steht meist eine ärztliche Anweisung dahinter. Leider wird in der Schul- und DaF/ DaZ-Gram- 14 Zum Gebrauch von mögen in der Schriftsprache vgl. Brinkmann (1971, S. 392 f.). 15 GdS: Modalverben dienen dazu, die jeweilige Handlung oder den Sachverhalt „auf der Folie von Redehintergründen, z.B. situativen Umständen, Normen oder Wissensvoraussetzungen einzuordnen“ (Zifonun et al. 1997, S. 1253). 16 Vgl. dazu z.B. das Kapitel über Modalität bei H. Brinkmann (1971). 17 Nach Brinkmann wird „das Subjekt unter eine fremde Instanz gestellt“ (1971, S. 390). <?page no="161"?> 160 Syntax: 10 Verben und Verbalkomplexe matik häufig ein verkürztes Verständnis nahegelegt, wonach mit sollen eine Abschwächung von müssen gemeint ist. So formuliert eine Übungsgrammatik 18 : „Das Modalverb sollen lässt eine freie Entscheidung zu, während es bei müssen keine Entscheidungsfreiheit gibt.“ Ob und welche Freiheiten der Handelnde hat oder sich nimmt, entscheidet sich an situativen Umständen und an der Unbedingtheit des Wollens, auch wenn Zwänge ins Spiel gebracht werden. Neben diesem deutlichen Handlungsbezug der Grundbedeutungen der Modalverben hat sich noch eine andere Art der Nutzung entwickelt. Es geht dabei um die Geltung und Wahrheit von Sachverhalten. Man nennt das den inferentiellen oder epistemischen (wissensbezogenen) Gebrauch von MV, bei dem Annahmen, Vermutungen und Schlussfolgerungen eine Rolle spielen können. 19 B9 a) Er ist noch nicht da? Dann muss er im Stau stecken. b) Er ist nicht informiert? Dann wird der Brief nicht angekommen sein. Dabei wird auch der Verbmodus wichtig. Eine Annahme kann z.B. mit dem Konjunktiv II von dürfen oder sollen ausgedrückt werden. Bei müssen kann sowohl der Indikativ als auch der Konjunktiv den inferentiellen Charakter zeigen. Bei wollen und sollen ist der epistemische Charakter nicht immer deutlich zu erkennen. Er liegt in der Berufung des Sprechers auf andere Wissensquellen, auf externe Information (sollen) oder die Behauptung des Handlungsträgers selbst (wollen). Eindeutigkeit besteht, wenn über vergangene Handlungen gesprochen wird wie in (B10a). Eine Äußerung wie (B10b) wäre aber isoliert zweideutig. B10 a) Der Manager soll Geld veruntreut haben. Der Manager will nichts davon gewusst haben. b) Er soll sich damit abfinden. Mit der epistemischen Verwendung ist eine Distanzierung des Sprechers gegenüber dem Sachverhalt oder der Äußerung darüber verbunden, was meist mit der Zuverlässigkeit der Quelle zu tun hat. 20 In gewisser Hinsicht ähnlich wie die Modalverben ist das Verb lassen. Es regiert ebenfalls einen reinen Infinitiv und dient manchmal als Umschreibung für dürfen. Es verhält sich aber syntaktisch anders, denn es kann ein Akkusativ-Objekt regieren (B11a). Das gilt auch für die Wahrnehmungsverben mit Infinitiv (B11b): B11 a) Wir lassen den Architekten entscheiden. b) Ich höre / sehe ihn kommen. 10.3.4 Aspektualität Gewisse formale und semantische Merkmale von Verben versucht man im deutschen Zusammenhang traditionell als Aktionsarten, bei kontrastiver Orientierung eher mit dem Terminus Aspekt zu beschreiben. Der Ausgangspunkt ist dabei die Theorie der verbalen 18 Hall, Karin / Scheiner, Barbara (2000) Übungsgrammatik für Fortgeschrittene. Ismaning: Verlag für Deutsch, S. 130. 19 Inferenz: Folgerung; epistemisch ist das Adjektiv zu dem griechischen Wort episteme für Wissen. 20 Weinrich (1993, S. 309). <?page no="162"?> 10.3 Verbtypen und Satzstrukturen 161 Aspekte, die vor allem an den slawischen Sprachen entwickelt wurde. Das Russische gilt als Prototyp der Aspektsprachen, weil es an den Verbformen (fast) durchgängig den perfektiven und den imperfektiven Aspekt unterscheidet. Ein Sachverhalt, der zu einem bestimmten Zeitpunkt abgeschlossen ist, wird an der Verbform perfektiv „markiert“. Beim perfektiven Aspekt ist der Sprecher in das Geschehen involviert, da sein „Blickpunkt inmitten des Geschehens“ liegt („Binnenperspektive“). 21 Mit der imperfektiven Form wird die Handlung als ganze bzw. „von außen“ betrachtet. Meist gibt es für diese Perspektiven verschiedene Infinitive und für die meisten Verben entsprechende Formenpaare, wie bei diesen beiden russischen Verben (aus H EINOLD 2015, S. 67): 1. kipjatit (kochen) - vskipjatet (fertigkochen) 2. rabotat (arbeiten) - prorabotat (durcharbeiten) Im Deutschen finden sich z.T. vergleichbare Verbpaare, wie schlafen - ausschlafen. Aber die Partikel auf hat keineswegs immer die Funktion, ein imperfektives Verb perfektiv zu machen. Da, wo solche Differenzierungen auftreten, spricht man für das Deutsche besser von durativer (schlafen) versus transformativer (ausschlafen) Aktionsart. Damit lassen sich zeitliche Verläufe, die zur Verbbedeutung gehören, kennzeichnen. S IMONE H EINOLD (2015, S. 36) plädiert dafür, die ausufernde und unübersichtliche, z.T. auch missverständliche Terminologie in diesem Bereich (vgl. Kap. 7) deutlich zu reduzieren. Außer der durativen und der transformativen Aktionsart ist noch die iterative für wiederholte Handlungen und Vorgänge sinnvoll, was im Deutschen häufig in der Wortbildung erkennbar wird, z.B. bei plätschern, klingeln, streicheln. In der GdS ist von einer „Ereignisperspektivierung“ bzw. von Aspektualität die Rede. Die Autoren empfehlen die Unterscheidung transformativ vs. nicht transformativ. 22 Im Deutschen kann regelhaft das Partizip II als eine resultative oder transformative Form gelten, im Gegensatz zum Partizip I, das Unabgeschlossenheit impliziert, der Vorgang wird als ablaufender gedacht. 23 Ein wichtiges grammatisches Phänomen in diesem Zusammenhang ist die Frage des Gebrauchs von sein - alternativ zu haben - als finitem Verb für die Bildung des Perfekts, wie in dem Satz: Er ist nach Hause gefahren. Auch die Tatsache, dass sich nicht jedes Partizip II für eine attributive Verwendung in der Nominalphrase (NP) eignet, hängt mit dem transformativen Charakter zusammen. Zum Beispiel kann man nicht von einem gefahrenen Bus sprechen, wohl aber von einem abgefahrenen Bus. Das sein-Perfekt kommt vor bei intransitiven und zugleich transformativen Verben. Damit können sowohl Ortsveränderungen als auch andere Veränderungen am Satzsubjekt gemeint sein, wie z.B. bei wachsen. Das sein-Perfekt stellt die Veränderung am Träger des Vorgangs ergebnishaft dar, das Endresultat ist ein neuer Zustand. Beim sog. Zustandspassiv wird ein Partizip prädikativ verwendet. Möglich ist das nur bei transformativen und zugleich transitiven Verben: 21 Vgl. Lehmann, Volker (2013) Linguistik des Russischen: Grundlagen der formal-funktionalen Beschreibung. München: Kubon & Sagner. 22 Zifonun et al. (1997, S. 1860 ff.). 23 Admoni sagt, die Partizipien seien „aktionsartmäßig gefärbt“, andere sprechen von aspektuellem Charakter. <?page no="163"?> 162 Syntax: 10 Verben und Verbalkomplexe Tab. 5: Das Partizip II als prädikatives Adjektiv Verb Verbtyp Testsätze schließen transitiv, transformativ Der Supermarkt ist geschlossen. bewundern transitiv, nicht transformativ ** Der Filmstar ist bewundert. spielen intransitiv, durativ ** Die Puppe ist gespielt. Bewegungsverben können z.T. aspektuell verschieden aufgefasst werden, was dann auch zu differenter Perfektbildung führt, so z.B. rudern: Man kann „über den See rudern“, dann wird rudern in perfektiver Bedeutung, also als Verb der Ortsveränderung, genommen (Perfekt: „Wir sind über den See gerudert.“). In dem Satz „Wir haben den ganzen Tag gerudert.“ steht hingegen die Tätigkeit im Vordergrund, also Rudern als Beschäftigung. Dieses insgesamt recht klare Phänomen wird durch die sprachlichen Gepflogenheiten im Süden Deutschlands etwas verwischt, wo man sowohl bei Verben der Bewegung als auch der Ruhe (also ohne Veränderung am Subjekt) die Perfektbildung mit sein bevorzugt, etwa „Er ist dort gesessen.“ Mit einigen grundlegenden Verben lässt sich ebenfalls eine Perspektivierung des Ereignisses durchführen. Das protoypische transformative Verb ist werden, in klarer Opposition zu sein. In Verbindung mit Substantiven oder Adjektiven kann werden vielfältige Veränderungen ausdrücken (erkranken = krank werden). Im Deutschen, ähnlich wie in den romanischen Sprachen, besteht zudem die Möglichkeit, Handlungsverben durch ihren reflexiven Gebrauch zu Prozessverben zu machen bzw. als solche zu nutzen: B12 Die Tür schließt sich. Es fragt sich, ob … Auch auf die einzelnen Phasen eines Vorgangs kann man Bezug nehmen durch die Kombination mit speziellen Verben: B13 Peter beginnt zu arbeiten. Er ist dabei zu arbeiten. Er fährt fort zu arbeiten. Er hört auf zu arbeiten. Zusätzlich weist die Umgangssprache im Deutschen die verlaufsbetonende, durative (nicht transformative) Fügung mit der Präposition am auf: B14 Er ist am Arbeiten (oder: am arbeiten). In der englischen Sprache ist die Progressive-Form „is working“ eine regulär aspektuell markierte Form. Im Französischen gibt es etwas Vergleichbares in der Unterscheidung von Imparfait und Passé Simple, also ebenfalls in einem eng begrenzten Bereich. 10.3.5 Besondere Verbtypen und Satzkonstruktionen 10.3.5.1 Verb-Nomen-Gefüge, Funktionsverbgefüge Derselbe Sachverhalt oder Vorgang kann oft auf unterschiedliche Weise sprachlich benannt oder dargestellt werden. (B15) zeigt links jeweils ein Verb, das in vielen Zusammenhängen durch das rechts stehende Verb-Nomen-Gefüge ersetzt werden kann: <?page no="164"?> 10.3 Verbtypen und Satzstrukturen 163 B15 mit jemandem sprechen mit jemandem ein Gespräch führen sich für etwas einsetzen großen Einsatz für etwas zeigen etwas kennen Kenntnis besitzen von etwas Solche Gefüge enthalten sehr oft Präpositionalphrasen. Der nominale Kern ist meist deverbal gebildet. Wichtig ist, dass die Phrasen in solchen Fügungen nicht als Akkusativ- oder Präpositionalobjekt zu verstehen sind, sondern als Prädikatsteil. Das zeigt sich schon daran, dass die Nomen in ihrer Determination nicht frei sind und auch nicht oder nur beschränkt erweitert werden können. Verb und Nominalphrase sind lexikalisch zusammengewachsen. Der Vorgang ist in einigen Fällen so weit fortgeschritten, dass die nominale Qualität verloren ging, indem das Nomen in das Verb inkorporiert wurde: B16 gewährleisten, standhalten, kopfstehen, leidtun Einfaches Verb und Funktionsverbgefüge haben mehrere Beziehungen zueinander. Die semantische Potenz eines Substantivs wie Gespräch kommt im Funktionsverbgefüge stärker zur Geltung. Dementsprechend haben die damit kombinierten Funktionsverben (führen, zeigen und besitzen) relativ wenig semantischen Gehalt. Sie leisten einen Beitrag zur Gesamtbedeutung der Fügung; man spricht meist von einer verblassten oder reduzierten Bedeutung. Das kann so weit gehen, dass das Verb fast nur noch die Aktionsart kennzeichnet und natürlich die Aufgaben des finiten Verbs übernimmt. So wird in dem Satz „Endlich geht das Buch in Druck.“ mit dem Verb gehen vor allem der transformative Gehalt signalisiert, nicht die übliche Bedeutung des Verbs (vgl. dazu die Beispiele in Z IFONUN et al. 1997, S. 704). Diese Ereignisperspektivierung über das Verb macht die Fügungen in vielen Fällen semantisch präziser bzw. verleiht ihnen eine speziellere Bedeutung im Vergleich mit dem zugrunde liegenden einfachen Verb. Die Tatsache, dass ein Buch in Druck geht, lässt sich mit dem Passiv gedruckt werden nicht genau wiedergeben. Und das Verb widersprechen sagt etwas deutlich anderes als Widerspruch einlegen, das dem juristischen Bereich zugehört. B17 bringen, finden, führen, geben, gehen, gelangen, geraten, halten, kommen, machen … Funktionsverbgefüge z.B. mit Verben aus (B17) charakterisieren die Schriftsprache deutlich stärker als die gesprochene Sprache. Sie haben auch bestimmte stilistische Implikationen. Einige gelten als Merkmal der Verwaltungssprache, andere als fachliche oder berufliche Ausdrucksweisen. Zum Teil handelt es sich um Fachjargon wie bei: in Serie gehen. Wieder andere sind Zeichen besonderer Höflichkeit, wie sein Bedauern zum Ausdruck bringen. Sie gehören der gehobenen Sprache an. Die Rede von Funktionsverbgefügen hat sich seit den 1960er Jahren mit einer stilkritischen Stoßrichtung gegen die Amts- und Verwaltungssprache verbreitet. 24 Heute wird die Bezeichnung häufiger kritisiert (E ISENBERG 3 2013, S TORRER 2006). 10.3.5.2 Verben mit Infinitivkonstruktionen Infinitivformen können nicht nur bei den Modalverben als Teil des Prädikats auftreten, sondern auch bei sehen, hören und einigen ähnlichen Verben. Dann handelt es sich um einen reinen Infinitiv, wie in „Ich sehe ihn kommen.“ Da diese Konstruktion einer lateinischen 24 Peter von Polenz hat die ersten Analysen zu Funktionsverbgefügen geliefert, siehe z.B. den Aufsatz von 1987: Funktionsverben, Funktionsverbgefüge und Verwandtes. In: Zeitschrift für Germanistische Linguistik 15, S. 169-189. <?page no="165"?> 164 Syntax: 10 Verben und Verbalkomplexe sehr ähnlich ist, spricht man vom AcI („Accusativus cum Infinitivo“). Das betrifft im Deutschen vor allem Wahrnehmungsverben und das Verb lassen. Neben ihrem Status als Grund- und Nennform des Verbs (mit Übergängen zum Substantiv) haben die Infinitivformen auch im Satz wichtige Aufgaben. Charakteristisch dafür ist die vorangestellte Infinitivpartikel zu, die auch Verbaffix genannt wird. Sie ist notwendig, um den Infinitiv als grammatisch integrierte Verbform zu kennzeichnen. In ähnlicher Weise wie Nebensätze eignen sich Infinitivkonstruktionen - man kann hier auch von Infinitivphrasen sprechen - dazu, Sachverhalte (Handlungen, Vorgänge) in einer abhängigen Position im Satz zu verbalisieren. B18 Wir haben vor, [ ein Treffen des Freundeskreises ] zu organisieren. Ein solcher Infinitiv - mit seinen zugehörigen Ergänzungen (eingeklammert) - ist abhängig vom übergeordneten finiten Verb des Satzes. Er ist also dessen Komplement und wird semantisch-syntaktisch vom finiten Verb her verstanden. Bei vorhaben, etwas zu tun gibt die Infinitivkonstruktion den Inhalt des Vorhabens an. Sie ist somit das Akkusativobjekt zu vorhaben. Verschiedene andere Satzrollen sind je nach Valenz des Verbs ebenfalls üblich, z.B. als präpositionale Ergänzung zum Verb interessieren: B19 Die Partei sollte sich mehr dafür interessieren, ihre Arbeit durch Werbung bekannt zu machen. Ein großer Teil der Infinitivergänzungen sind allerdings attributiv zu verstehen, weil sie von einem Nomen oder Adjektiv abhängig sind: B20 Die Idee, sofort wieder abzureisen, war in dieser Lage gut. Das Nomen Idee ist dadurch definit, dass es mit der Infinitivphrase als Attribut inhaltlich bestimmt wird. 10.3.5.3 Sprechhandlungsverben (Verba dicendi) Eine weitere, häufig angeführte semantische Teilgruppe der Verben sind die Sprechhandlungsverben (verba dicendi), sehr ähnlich sind die Verben des Meinens und Denkens (verba sentiendi). Beispiele für die erste Gruppe sind mitteilen, berichten, melden, erzählen, schreiben, für die zweite Gruppe annehmen, meinen, vermuten. Diese Verben traten bereits früh in den Vordergrund grammatischer Betrachtungen, weil sie mit der Redewiedergabe („indirekte Rede“) verknüpft sind, die im Deutschen eine formale Besonderheit aufweist: Speziell für die Redewiedergabe stehen die Formen des Konjunktiv I (in einigen Grammatiken Konjunktiv Präsens bzw. Konjunktiv Perfekt genannt) zur Verfügung. Bei der alltäglichen Redewiedergabe wird allerdings meist der Indikativ verwendet, wie in (B21a) und (B21b). In Medientexten und vielen literarischen Texten wird hingegen der Konjunktiv I bevorzugt (vgl. B21c,d). B21 a) Er meint, dass er alles richtig gemacht hat. b) Seine Mutter sagt, dass er früh zu Bett gegangen ist. c) Der Regierungssprecher teilte mit, es sei zu einer Einigung gekommen. d) Er fragte, ob sie Hunger habe. Ein zweites Merkmal, das syntaktisch wichtig ist, wird ebenfalls an den Beispielsätzen deutlich: Unabhängig vom Modus ziehen diese Verben sehr häufig Nebensätze (sog. Inhaltssätze) nach sich (s. Kap. 11). <?page no="166"?> 10.3 Verbtypen und Satzstrukturen 165 10.3.5.4 „Persönliche“ und „unpersönliche“ Verben Hierbei geht es um das Verhältnis zwischen Verb und Subjekt: „Unpersönliche Verben“ lassen als Subjekt nur es zu, z.T. kommen sie sogar ganz ohne grammatischen Subjektausdruck vor, sofern ein anderes Element - in (B22b) die Dativergänzung mir - die erste Stelle im Satz einnimmt: B22 a) Es regnet. - Heute regnet es. b) Es graut mir. - Mir graut (es). Laut GdS geben solche Prädikate eine „pauschale Charakterisierung“. 25 Nach B RINKMANN (1971, S. 754) ist das es-Subjekt bei bestimmten Verben ein „allgemeines Zeichen für Vorhandenes (noch nicht näher Expliziertes)“. Das gilt für Aussagen über physikalisch und psychologisch beschreibbare Vorgänge und Zustände (Wetter und Temperatur sind besonders klare Fälle); sogar ein Verb, das sonst ein persönliches Subjekt hat (klopfen), kann dann als ein Art Geräuschverb verstanden werden: B23 a) Es klopft. b) Es riecht gut im Garten. / Tut es weh? / Es ist drei Uhr. Bei den Wetterverben (B22) und einigen anderen wie ‚Es gibt X.‘ und (B23b) ist besondere Berücksichtigung im Fremdsprachenunterricht nötig. Das semantisch ‚nichtssagende‘ es- Subjekt ist bei ihnen lexikalisch festgelegt. Wenn es fehlt, wird der Satz grammatisch falsch oder unverständlich, da das Verb dann eine andere Bedeutung annimmt (Beispiele aus der GdS, Z IFONUN et al. 1997, S. 1079): B24 Es steht schlecht um ihn. Hier geht es ja zu wie im Schweinestall! Worum handelt es sich denn? Man kann die Konstruktion mit es und auch die Reflexivität entweder als Lexembestandteil oder als Teil der Valenz des Verbs auffassen. Wichtig ist, dass hier verschiedene Varianten von Verben vorliegen: Das Verb stehen + Lokalergänzung ist ein anderes Verb als stehen in der verbalen Fügung ‚es steht gut / schlecht um X‘, ebenso bei den Verben gehen, handeln und kommen. 10.3.5.5 Reflexive Verben Auch bei der Reflexivität geht es um das Verhältnis zwischen Prädikatsverb und Subjekt. Bestimmte Verben werden im Satz reflexiv konstruiert. Das kann eine feste Eigenschaft des Verbs oder aber eine Gebrauchsmöglichkeit sein. „Das Reflexivpronomen dient bei ihnen dazu, als Pronomen der Identität ein besonders enges Verhältnis zwischen Subjekt und Prädikat herzustellen.“ 26 Funktional gehört das Reflexivpronomen sich in die Wortgruppe der Anaphern, wie die anaphorischen Pronomina er / sie / es (vgl. Kap. 8): Sie führen nach H OFFMANN (2016, S. 50) „etwas in Gespräch oder Text Eingeführtes oder noch Präsentes jenseits einer Satzgrenze“ (er / sie / es) oder satzintern (sich) fort. Zwei Beispiele: B25 Er begnügt sich mit der Hälfte. Er sollte sich schämen. 25 Zifonun et al. (1997, S. 713). 26 Brinkmann (1971, S. 205). <?page no="167"?> 166 Syntax: 10 Verben und Verbalkomplexe Auch die GdS spricht hier von einer syntaktisch gebundenen Anapher. 27 Nur für deskriptive Aussagen ist sich möglich, ansonsten wird eine deiktische Form als Ersatz verwendet: Ich ärgere mich. Im linearen Ablauf des Satzes wird ein Reflexivum als „Rückbezug“ gedeutet. 28 Die Reflexivität ist in (B25) eine feste Eigenschaft des Verbs. Besonders häufig tritt Reflexivität auf, wenn es um innere Zustände und Prozesse geht. 29 Es gibt aber wesentlich mehr Verben im Deutschen, die sowohl reflexiv als auch nichtreflexiv vorkommen. Bei diesem Wechsel ändern sich Valenz und Verbbedeutung mehr oder weniger stark. H EL - BIG / B USCHA , ebenso die D UDEN -Grammatik, sprechen dann von „reflexiven Verbvarianten“ nichtreflexiver Verben. Beispiele sind etwa: reflexive Variante transitives oder intransitives Verb sich erinnern (an) jemanden erinnern (an) sich fürchten (vor) etwas / jemanden fürchten sich verlaufen verlaufen sich engagieren (für) jemanden engagieren In vielen Grammatiken wird an solchen Fällen „echte“ und „unechte Reflexivität“ unterschieden, oder man spricht von teilreflexiven Verben. Es ist nicht immer leicht anzugeben, welche Verben Reflexivität tatsächlich als Eigenschaft besitzen, also immer reflexiv vorkommen. Von den reflexiven Verben sollten auch reflexiv gebildete Prädikate normaler transitiver Verben unterschieden werden. Das Reflexivum (Reflexivpronomen) ist dabei nicht lexikalisch gefordert, aber zur Beschreibung selbstbezogener Handlungen nötig: B26 Er legt das Kind ins Bett. Er legt sich ins Bett. Grammatisch ist zu beachten, dass eine Reihe von Verben eine Dativergänzung verlangt, was bei sich formal nicht hervortritt, wohl aber bei deiktischen Reflexiva (mir und dir), z.B. bei den Verben: sich vornehmen, getrauen, erlauben, gestatten, herausnehmen, anmaßen, ausbitten, verbitten Wo Missverständnisse möglich sind oder Verstärkung angebracht erscheint, kann als Zusatz selbst benutzt werden. Das kleine Teilsystem der Reflexiva wird ergänzt durch pluralische, die Wechselseitigkeit ausdrücken, besonders einander. 10.3.6 Tempus: grammatikalisierter Zeitbezug 10.3.6.1 Sechs oder zwei Tempora? Ein häufiger Fehler beim Reden über Tempora ist die Verwechslung von zwei Dimensionen: 27 Vgl. Zifonun et al. (1997, S. 38); ausführlichere Darstellung: S. 1355 ff. 28 Helbig / Buscha verstehen unter „semantischer Reflexivität“ einen „Rückbezug der Handlung vom Objekt auf das Subjekt“ (1994, S. 210). 29 Nach Brinkmann dient das Reflexivum generell dazu, „übergreifende Prozesse in immanente zu verwandeln“ (1971, S. 206). <?page no="168"?> 10.3 Verbtypen und Satzstrukturen 167 a) Zeit als chronologischer Ablauf, der sich im Bewusstsein jedes Sprechers in Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft gliedert; 30 man kann sagen, dass der deiktische Ausdruck „jetzt“ genau die Zeitwahrnehmung bezeichnet, die Gegenwärtigkeit ausmacht; b) Zeitliche Festlegung des Verbs als grammatische Kategorie, wofür der lateinische Begriff Tempus angewendet wird. Sinnvollerweise (schon um der Verwechslung vorzubeugen) wurden die einzelnen Tempora mit lateinischen Namen belegt. Vergleicht man die deutschen temporalen Formen mit dem historischen Vorbild der lateinischen Verben, so zeigt sich, dass deren Formenparadigma anders aufgebaut ist. Es bildet durch Tempussuffixe sechs Tempora, jedes Verb verfügt über solche synthetisch am Stamm gebildeten (einteiligen) Formen. Die meisten Grammatiken der deutschen Sprache verzeichnen nun ebenfalls sechs Tempora, analog zum Lateinischen. Jedes deutsche Verb verfügt aber nur über zwei synthetische Formen, die temporal sind, nämlich das Präsens und das Präteritum. Diese beiden drücken, allgemein gesagt, die Unterscheidung von Gegenwärtigkeit und Vergangenheit des jeweiligen Vorgangs oder der Handlung aus, und zwar deiktisch, also mit Bezug auf die Sprecher-Origo (vgl. Kap. 8). Dagegen sind die Partizipformen, wie oben schon erläutert, zwar aspektuell bestimmt, aber nicht temporal. Tab. 6 stellt die synthetischen Tempora den analytisch gebildeten Tempusformen, zu deren Bildung haben oder sein erforderlich ist, gegenüber: Tab. 6: Die Tempusformen im Deutschen eigenständige Tempusformen komplexe Formen / verbale Komplexe (synthetisch) (analytisch, periphrastisch) (ich) komme (ich) bin gekommen (Perfekt) (ich) kam (ich) war gekommen (Plusquamperfekt) (ich) werde kommen (Futur I) (ich) werde gekommen sein (Futur II) 10.3.6.2 Semantik der Tempora Betrachtet man die semantisch-inhaltliche Seite, werden die Unterschiede zum Lateinischen und zu den romanischen Sprachen noch größer. Das Präsens drückt im einfachsten und häufigsten Fall aus, dass die Handlung oder der Vorgang zum Zeitpunkt der Sprechhandlung stattfindet. 31 Prüft man die Verwendung genauer, so geht es nicht immer um eine tatsächliche Gleichzeitigkeit, sondern um die (mental gegebene) Gegenwärtigkeit für den Sprecher. Auch der, der über Bevorstehendes oder Geplantes redet, verwendet dafür im Allgemeinen das Präsens, oft in Kombination mit einer temporalen Angabe wie morgen oder nächstes Jahr. Das politisch-philosophisch gemeinte Bonmot von Frank Lloyd Wright scheint unbeabsichtigt auch auf den Tempusgebrauch zuzutreffen: „The future is now. All that we can conceive of the future is now so that tomorrow is really today.“ In sachbezogenen und wissenschaftlichen Texten ist das Präsens auch das normale Tempus für allgemein gültige, nicht zeitabhängige Aussagen. Außerdem wird das Präsens gern 30 Dieses Bewusstsein ist subjektiv, es hat Zeit als objektiv gegebene Dimension, die sich auch messen lässt (Chronometrie), zur Grundlage. 31 Engel: „Dem Präsens ist mit zeitlichen Merkmalen schlechterdings nicht beizukommen.“ (2009, S. 495). Hier übertreibt Engel aber, tatsächlich ist das aktuelle Gegebensein für den Sprecher das Kriterium für die Wahl des Präsens. <?page no="169"?> 168 Syntax: 10 Verben und Verbalkomplexe zur Vergegenwärtigung von Vergangenem genutzt, sei es literarisch als „historisches Präsens“, sei es in einer mündlichen Erzählung oder in einer Zeitungsüberschrift („Steinschlag tötet Wanderer“). Das Futur (Futur I) als analytische Verbform ist von der temporalen Qualität des finiten Verbs her eigentlich ein Präsens. Anders als in den romanischen Sprachen ist es auch semantisch kein echtes Zukunftstempus, viele bestreiten sogar, dass es überhaupt ein Tempus ist (H EINOLD 2015, S. 112 ff.). Überwiegend kommt werden + Infinitiv mit folgenden Funktionen vor: 1. Thematisierung einer Planung oder Ankündigung („Wir werden jetzt abfahren.“); 2. Bei deskriptiven Formen wie in dem Satz Er wird gewinnen. ist die Deutung nach E NGEL (2009, S. 495) in Texten zukunftsbezogen, mündlich dominiert aber die Deutung als Vermutung. 3. Mit einem hörerdeiktischen Subjekt (du / ihr / Sie) lässt sich auch ein Befehl aussprechen: „Du wirst jetzt sofort herkommen! “ Oben wurde werden als Modalverb eingeführt. Dem entsprechend stellen viele die modale Qualität des sog. Futurs fest: „Das Futur drückt (bezogen auf die subjektive Einschätzung des Sprechers) gegenwärtige oder künftige Wahrscheinlichkeit aus.“ (GdS, S. 1700) Beim Perfekt oder Präsensperfekt (laut D UDEN -Grammatik und GdS) wirkt sich die Präsensform von sein oder haben so aus, dass das Geschehen als bedeutsam für die Gegenwart wahrgenommen wird. Mindestens hat das Vergangene (oder sein Resultat) für den Sprecher eine mentale Präsenz. 32 Das Partizip II dient als „einzige wirklich perfektive Verbform“ 33 dazu, Handlungen und Vorgänge von ihrem Ende (Ziel oder Abschluss) her zu betrachten.Von daher hat das Präsensperfekt seine besondere Rolle in der mündlichen (erzählenden) Wiedergabe. Eine erweiterte Nutzung als Futurperfekt (traditionell Futur II) ergibt sich, wenn der Sprecher sich einen Rückblick auf ein zukünftiges Geschehen vorstellt: B27 Wenn du von der Arbeit zurückkommst, werde ich das Problem gelöst haben. Das Präteritum (Imperfekt) ist dagegen ein echtes Vergangenheitstempus: Wie groß die zeitliche Entfernung des Geschehens vom Sprechzeitpunkt genau ist, ist allerdings weniger wichtig als die Distanz des Sprechers dazu. Nach H ARALD W EINRICH ist das Präteritum das Tempus der „erzählten Welt“. Zwar gibt es auch Alltagserzählungen von soeben Erlebtem mit dem Präsensperfekt, aber in vielen Fällen hat vor dem Erzählen bereits eine Art ‚Archivierung‘ stattgefunden, was besonders bei schriftlichen Erzählungen durch den Gebrauch des Präteritums deutlich wird. 34 Wenn U LRICH E NGEL (2009, S. 496) behauptet, Perfekt und Präteritum seien „nie austauschbar“, so widersprechen ihm viele, verweisen aber als Beleg oft auf isolierte Einzelsätze. Zu berücksichtigen sind situative Zusammenhänge und auch stilistische Qualitäten; das Präteritum wirkt z.B. auch im Gesprochenen häufig offiziell, das Perfekt nicht. Das Plusquamperfekt oder Präteritumperfekt ist parallel zum Präsensperfekt mit dem Präteritalstamm des Hilfsverbs gebildet. Auch seine Deutung ist relativ zum Tempus des 32 Nach Engel ist das Perfekt sogar „primär eine Präsensform“ (2009, S. 494). 33 W. Bartsch (1980, S. 92). 34 Es kann gegen Weinrich eingewendet werden, dass er bei seiner allgemeinen Bestimmung zu sehr den Sonderfall der (belletristischen) Literatur in den Vordergrund stellt. <?page no="170"?> 10.4 Modus und Modalität: Indikativ und Konjunktiv 169 finiten Verbs. Man spricht von ‚Vorvergangenheit‘, d.h. das Geschehen ist ‚abgeschlossen zu einem vergangenen Zeitpunkt‘. Grammatisch ist in bestimmten Satzgefügen häufig das Plusquamperfekt nötig, um die zeitliche Relation der „Vorvergangenheit“ auszudrücken, etwa bei nachdem. Seine semantischen Merkmale sind nach W EINRICH [AUFSCHUB] und [RÜCKSCHAU]. In der Medienwelt hat diese Form recht genau bestimmbare Einsatzorte, in Tageszeitungsartikeln vor allem dann, wenn von Ereignissen die Rede ist, über die bereits berichtet wurde, die also als bekannt unterstellt werden. Zusammenfassend zeigt sich: Mit einer Tempusform findet im Deutschen eine zeitliche Einordnung eines Geschehens statt, allerdings nicht als Aufteilung einer (objektiven) Zeitskala. Die zeitliche Bedeutung der Tempora kommt teils deiktisch, also sprechsituationsbezogen, teils durch die Aspektualität des Partizips II zustande. Bei Zukunftsbezug kommen modale Gesichtspunkte dazu bzw. überwiegen die zeitliche Deutung. Außerdem können die Beteiligten offenbar flexibel wechseln zwischen zeitlicher Deutung und nicht zeitlicher Allgemeingültigkeit. Einen kurzen Überblick über die reichhaltige Forschungsliteratur zur Kategorie Tempus gibt z.B. die Einleitung des Kapitels F1 der GdS (1997). Eine Kritik des herkömmlichen Tempussystems bieten B ARTSCH (1980) und in Kurzform U LRICH E NGEL in seiner „Deutsche(n) Grammatik“. 35 In die Sprachlehrbücher ist die Kritik an der traditionellen Darstellung der Tempora nach lateinischem Vorbild kaum eingedrungen: „Im Tempusbereich sind alle Lehrwerke konservativ“, sagt E NGEL (2009, S. 495). 10.4 Modus und Modalität: Indikativ und Konjunktiv Bei der Darstellung der Modalverben wurden bereits einzelne Modalitäten vorgestellt: Mit einem MV wie müssen charakterisiert der Sprecher eine Handlung als Notwendigkeit. Auch mit einem Verbmodus wie Konjunktiv wird eine (Ein-)Stellung des Sprechers z.B. zur Gültigkeit seiner Aussage mitgeteilt. Der Modus ist also die grammatische Form, die jeweilige sprachliche Realisierung der „Art und Weise, wie ein Sprecher einen Sachverhalt hinsichtlich der Wirklichkeit einschätzt“, also einer bestimmten Modalität. 36 Die eigentlichen Verbmodi sind Indikativ und Konjunktiv, der Imperativ gehört gemäß Schulgrammatik ebenso dazu. Aber bei ihm ist seit langer Zeit umstritten, ob er nicht sinnvoller als ein „Satztyp“ und kommunikativ als eine eigenständige sprachliche Prozedur mit der Absicht der Lenkung des Hörers (dazu E HLICH , vgl. Kap. 17) behandelt werden sollte. 37 Der Indikativ wird oft als „Wirklichkeitsform“, der Konjunktiv als deren Gegenteil, als „Irrealis“, bezeichnet. Das legt zumindest falsche Vorstellungen nahe. Nach H EINOLD hat der Indikativ „die Rolle, Gewissheit über die Realität des Ausgesagten anzuzeigen“ (2015, S. 130). Aber erstens wird im Indikativ auch Fiktives (Vorgestelltes) und Zukunftsbezogenes wiedergegeben. Zweitens werden auch Vermutungen mit diesem Modus geäußert, durch Adverbien wie wahrscheinlich oder vermutlich erkennbar gemacht. Allgemeiner gefasst: Der Indikativ ist „der Normal- oder Standardmodus“ des Sprechens. 38 Der Konjunktiv ist eine markierte Form, er dient spezifischen Ausdrucksaufgaben. 35 Werner Bartsch baut eine solche Kritik in der Monographie „Tempus - Modus - Aspekt“ aus (1980). 36 Thieroff, Rolf / Vogel, Petra M. ( 2 2012) Flexion. Heidelberg: Winter, S. 21. 37 Eine ausführliche Darstellung der Diskussion zum Imperativ bietet Heinold (2015, S. 141 ff.). 38 So die Formulierung in der Duden-Grammatik (2016, S. 664). <?page no="171"?> 170 Syntax: 10 Verben und Verbalkomplexe Die Annahme, dass die Konjunktivformen wie im Lateinischen parallel zum Indikativ temporal gegliedert sind, hat man korrigieren müssen zugunsten einer Zweiteilung in Konjunktiv I und Konjunktiv II gemäß den Hauptfunktionen (Tab. 7, vgl. H OFFMANN 2016, S. 278 ff.). 39 Tab. 7: Hauptfunktionen des Konjunktivs Beispiele Funktion / Modus Konjunktiv I: Er sagt, er wisse schon alles. Redewiedergabe (KI) Man bedenke, dass … Veranlassung, Vorhaben, Hiermit sei ihm gedankt … Wunsch Konjunktiv II: Ich hätte damit kein Problem. Vorgestellte Realität (KII) Wenn es so wäre, dann … Der Konjunktiv I ist primär für die Redewiedergabe in Gebrauch. Diese Verwendung ist weitgehend auf die geschriebene Sprache beschränkt, essenziell ist der Konjunktiv I in den Medien des öffentlichen Lebens. In der gesprochenen Sprache dominieren aber Indikativ und Konjunktiv II für die Redewiedergabe. Die Konjunktiv I-Form wird auch schriftsprachlich, also generell, immer dann durch eine entsprechende Konjunktiv II-Form ersetzt, wenn sie nicht vom Indikativ Präsens unterscheidbar ist. Das trifft für sehr viele Präsensformen zu, nicht aber für die deskriptive „3. Person“ Singular (Tab. 8). Diese ist nicht zufällig auch die in den Medien am häufigsten verwendete. Tab. 8: Die „Arbeitsgemeinschaft“ der Modi bei der Redewiedergabe Beispiel Verhältnis Form - Funktion KI Ich war der Meinung, ich habe alles richtig gemacht. KI-Form entspricht Indikativ Präsens, hier uneindeutig oder unpassend KII Ich war der Meinung, ich hätte alles richtig gemacht. KII-Form übernimmt die Funktion von KI KI Der Redner kritisierte, das Management habe schwere Fehler gemacht. Form als KI erkennbar, schriftsprachlich angemessen KII Der Redner hat das Management kritisiert, es hätte schwere Fehler gemacht. mündliche, informeller klingende Variante KII Das Management meint, es hätte alles richtig gemacht. Funktion von KII: Markierung des nur Vorgestellten Grundsätzlich haben alle deutschen Verben Konjunktivformen. Viele dieser Formen sind aber bei starken Verben zunehmend weniger bekannt, weil seltener in Gebrauch. Zum Beispiel werden die Konjunktiv II-Formen von helfen nur noch selten verwendet (ich hälfe / 39 In manchen Grammatiken werden Abkürzungen verwendet, vor allem: Ind. / KI / KII. Die Abkürzung „Konj I“ (z.B. bei Eisenberg) ist mehrdeutig, da auch „Konjunktion“ und „Konjugation“ gelegentlich so abgekürzt werden. <?page no="172"?> 10.5 Aktiv und Passiv („Genus verbi“) 171 vorzugsweise hülfe). 40 Eine Art Ausgleich bietet das System der „würde-Formen“, die besonders in Konditionalsätzen vorkommen. Das ist eine analytische Form aus dem Konjunktiv II von werden mit dem Infinitiv eines Vollverbs, in der Bildeweise also analog zum Futur. 41 Die Bildung dieser Form erscheint den Sprechern als einfacher im Vergleich mit dem KII, vor allem bei unregelmäßigen Verben wie schwimmen, anbieten. Zusätzlich wird sie auch für die Redewiedergabe und in höflichen Fragen gebraucht. Die Konditionalform ist zwar einerseits durch die analytische Bildung umständlicher, wie der Vergleich zeigt: Konjunktiv II: Wenn er zustimmt, stünde Ihrem Plan nichts im Wege. Konditional: Wenn er zustimmt, würde Ihrem Plan nichts im Wege stehen. Andererseits entspricht sie der deutschen Tendenz zur Klammerbildung (Kap. 9), also den Satzbaugewohnheiten der Sprecher, und ist vom Standpunkt des Lesers in komplexen Sätzen eher verstehensfördernd. Die Fügung mit würde kann allerdings nicht so universell eingesetzt werden wie eine einfache Konjunktivform, da mit dem Verb werden der Übergang in Realität, also etwas noch Bevorstehendes, anvisiert wird (s. R EDDER 1999, H EINOLD 2015, S. 161). Das steht manchmal im Konflikt mit der Semantik von Aussagen, sowohl wenn Zustände beschrieben werden, wie auch gelegentlich in der Redewiedergabe. Das Beispiel (B28) ist zwar grammatisch möglich, stellt aber eine deutlich schlechtere Alternative zu der Formulierung Der Autor wäre erfreut … dar. B28 ? ? Der Autor würde sehr erfreut sein, wenn das Honorar erhöht würde. Der so genannte irreale Konditionalsatz scheint das wichtigste Anwendungsgebiet des KII und der Ersatzform zu sein. An ihm lässt sich daher die Funktion auch am besten verstehen: Eine hypothetisch gesetzte Bedingung wird im Denken auf ihre Konsequenzen hin „durchgespielt“, mögliche Ereignisse und Handlungen können ebenso durchdacht werden wie Handlungsalternativen, die man gehabt hätte, wenn nicht … Demgegenüber spielen der Wunschsatz und die Höflichkeit eine geringere Rolle. Eine höfliche Frage (Können Sie bitte …? ) wird durch KII noch deutlicher höflich. 42 Und der sog. irreale Wunschsatz braucht zwar den KII, ist aber zusätzlich auf Partikeln wie doch, eine bestimmte Satzgliedstellung und eine spezielle Intonation (schriftlich mit <! > angedeutet) angewiesen: B29 Hätte ich doch die Finger davon gelassen! Zusammengefasst ist die Hauptaufgabe des KI die distanzierende Markierung von nicht wörtlicher Redewiedergabe. Und mit dem KII zielt der Sprecher auf die Wissensverarbeitung des Hörers: , und zwar in Bezug auf Gedachtes, Vorgestelltes, das unter bestimmten Bedingungen wahr werden könnte oder Realität geworden wäre. 10.5 Aktiv und Passiv („Genus verbi“) Eine der wichtigsten Verwendungen des Partizips II ist die Bildung der Passivformen. Das Passiv ist im Deutschen nur periphrastisch, also mehrteilig, möglich. Als finites Verb dient dabei vor allem werden; es handelt sich dann um die zentrale Form des Passivs, das so genannte Vorgangspassiv (auch „werden-Passiv“). 43 Ein solches Passiv wird prototypisch 40 Die normal gebildete Form ist hälfe, abgeleitet vom Präteritum half; daneben hat sich die inzwischen häufigere Form hülfe ausgebildet, wohl auch, um einen lautlichen Unterschied zum Präsens ich helfe zu zeigen. 41 Vgl. dazu die kurze Beschreibung in der Duden-Grammatik (2016, § 664). 42 Die weiteren Funktionen des Konjunktivs werden beschrieben in Hoffmann (Hg.) (2007), Artikel „Das Verb“. 43 Die Einordnung des Passivs in die Kategorie Genus (übersetzt: Geschlecht des Verbs), wird in neueren Grammatiken nicht immer weitergeführt; auch die Duden-Grammatik (2016, § 795) spricht von Diathese. <?page no="173"?> 172 Syntax: 10 Verben und Verbalkomplexe von den transitiven Verben gebildet, also Handlungsverben mit einem Agens-Subjekt. Auch bei Wahrnehmungsverben wie sehen, wo das Subjekt der Satzrolle „Experiencer“ zugeordnet wird, ist ein Passiv möglich. Das Vorgangspassiv stellt die Handlung unter einer anderen Perspektive dar, nicht vom handelnden Subjekt her, sondern wie einen Vorgang am grammatischen Subjekt (Patiens). Die grammatisch-semantische Beziehung zwischen Aktiv und Passiv wird als Diathese oder als Konverse (s. GdS, Kap. F3) bezeichnet. Das syntaktische Verhältnis von Aktiv- und Passivsätzen (Tab. 9) sieht nach E ISENBERG (2013, S. 125, gekürzt) so aus: a) der aktivischen Verbform entspricht die passivische Verbform; b) dem Subjekt des Aktivsatzes entspricht eine fakultative präpositionale Ergänzung mit von / durch im Passivsatz; c) dem direkten Objekt des Aktivsatzes entspricht das Subjekt des Passivsatzes; d) alle anderen Ergänzungen und Angaben entsprechen sich. Tab. 9: Aktiv- und Passivdiathese: Der Koffer wird vom Taxifahrer getragen. Agens Verb Patiens Aktivsatz Der Taxifahrer trägt den Koffer Satzrollen im Passiv vom Taxifahrer wird getragen der Koffer Im Beispiel ist der Koffer Patiens, weil daran die Handlung ausgeführt wird (vgl. Kap. 9). Indem er die Subjektrolle bekommt, ist er zugleich Thema des Satzes. Die Agensangabe tritt je nach Relevanz auf, tendenziell wird sie erspart. Das hat eine Konsequenz: Durch grammatische Operationen wie Passivbildung kann die Valenz reduziert werden. Das gehört zur Diathese. Im Deutschen ist das Passiv eine grammatische Einheit, die analog zum (synthetischen) lateinischen Passiv interpretiert wird. Seine Bedeutung ergibt sich aus seinen lexikalischen Bestandteilen, ähnlich wie bei den zusammengesetzten Tempora. 44 Am Formenspektrum zeigt sich, dass das Passiv durch die verschiedenen Formen von werden temporal modifiziert wird. Ein wichtiger Unterschied ist: Für die Bildung des Perfekts wird eine andere - sprachgeschichtlich ältere - Partizipform, nämlich worden, herangezogen. Dadurch wird eine Verwechslung mit anders gemeinten Periphrasen verhindert: B30 a) Der Schriftsteller ist nie bekannt geworden. (= Perfekt + Adjektiv bekannt) b) Er ist nie anerkannt worden. (= Passivform von anerkennen) Der Satz (B30a) sollte allerdings auch nicht als Aktiv im engeren Sinne aufgefasst werden, da es kein Agens gibt. Das Verb sein ist hier Kopulaverb mit einem prädikativen Adjektiv. So wie hier ist bei intransitiven und reflexiven Verben grundsätzlich kein Passiv möglich, da die Satzrollen Handelnder oder Wahrnehmender nicht auftreten. Die besondere Rolle des Verbs werden beschreiben R EDDER (1999, S. 324 ff.) und sprachhistorisch N ÜBLING ( 3 2010, S. 22 f.). Es prägt den Charakter des deutschen Passivs in anderer Weise als zum Beispiel das englische, mit dem Auxiliar to be gebildete Passiv, da werden eigentlich nicht einen gegenwärtigen Zustand, sondern einen Übergang zu etwas Neuem anspricht. 44 Vgl. dazu die Ausführungen in der GdS (Zifonun et al. 1997, S. 1789 ff.) und Löbner (2015, S. 152 ff.). <?page no="174"?> 10.5 Aktiv und Passiv („Genus verbi“) 173 In bestimmten Fällen lässt sich von geeigneten Verben auch ein so genanntes (allerdings weniger mit dem Aktiv kontrastierendes) Zustandspassiv („sein-Passiv“, vgl. (B31b)) bilden: B31 a) Ein Angestellter des Unternehmens wird beauftragt, die Lieferung zu kontrollieren. b) Ein Angestellter des Unternehmens ist beauftragt, die Lieferungen zu kontrollieren. (B31a) stellt den Fall einer einmaligen Beauftragung dar. Gemäß der Semantik von werden ist das häufig ein Plan der Firma, also zum Sprechzeitpunkt noch nicht erfolgt. Der Satz (B31b) dagegen gibt (unterstützt durch den Plural Lieferungen) einen Zustand an: Der Angestellte hat (dauerhaft) einen Kontrollauftrag, erledigt die Kontrollen also regelmäßig. Dieser Zustand ist das Resultat einer früheren Beauftragung. Das „unpersönliche“ oder „neutrale Passiv“ (nach E NGEL ) basiert auf der schon beschriebenen Verschiebung von Handlungscharakter zu Vorgangscharakter. Es entfernt sich insofern von der Aktiv-Passiv-Diathese, als es meist von intransitiven Tätigkeitsverben gebildet wird. Das Subjekt-Es hat weder Agensnoch Patiens-Qualität. Weil der Subjektausdruck es bei anderer Vorfeldbesetzung wegfällt, erlaubt dieses Satzmuster sogar die Bildung subjektloser Sätze, was im Deutschen ein absolutes Randphänomen ist: B32 a) Jetzt wird aber geschlafen! (Äußerung eines Vaters, der sein Kind beim nächtlichen Lesen ertappt) b) Morgen wird hier getanzt. Da geht’s nicht. (als Antwort auf die Frage, ob ein Restaurantraum reserviert werden kann) Wie (B32a) zeigt, eignet sich diese Form auch für Aufforderungen. Das Verb werden qualifiziert das durch das Partizip II ausgedrückte Handlungsresultat (geschlafen) als noch nicht realisiert; der Hörer wird dazu veranlasst, die Handlung zu vollziehen. 45 In Beispiel (B32b) wird die kollektive Tätigkeit des Tanzens als ein (noch nicht realisierter) Vorgang gekennzeichnet. Ausgewählte Aufgaben zu Kap. 10 (7 von 37) 1. Wissen Sie es? a) Wie nennt man die Flexion des Verbs? Deklination Komparation Konjugation b) Nach welchen Kategorien flektiert das deutsche Verb? Genus Genus verbi Kasus Modus Numerus Person Tempus 18. Inwiefern kann man davon sprechen, dass das deutsche Verb sein polysem ist? 22. Welche Passivformen werden in der Regel im Deutschen unterschieden, und was ist ihre Funktion? 24. Warum kann man von einem Satz mit dem Verb haben, z.B. „Markus hat eine schöne Wohnung in der Altstadt.“, kein Passiv bilden? 45 Handlungstheoretisch wird eine solche Verwendung von werden als expeditive Prozedur (Lenkfeldprozedur) aufgefasst, vgl. zu den Prozeduren Kap. 16. <?page no="175"?> 174 Syntax: 10 Verben und Verbalkomplexe 30. a) Nennen Sie die Modalverben des Deutschen. b) Welche formalen Besonderheiten haben die deutschen Modalverben? (Gehen Sie auch auf die Konjugationsformen im Präsens ein.) c) Was zeichnet sie als Gruppe in syntaktischer und semantischer Hinsicht aus? 32. Den Formen des Indikativ stehen die des Konjunktiv gegenüber. a) Wie werden die Formen des Konjunktiv gebildet? b) Warum unterscheidet man statt der temporalen Gliederung beim Indikativ hier Konjunktiv I und II? c) Welchen sprachlichen Zwecken dient das deutsche Konjunktivsystem? 34. Wie viele eigenständige (synthetische) Tempusformen hat das deutsche Verb? Gilt das für alle Verben? Welche der Tempora werden analytisch gebildet? Ausgewählte weiterführende Literatur Bartsch, Werner (1980) Tempus, Modus, Aspekt. Die systembildenden Ausdruckskategorien beim deutschen Verbalkomplex. Frankfurt a.M.: Diesterweg Bredel, Ursula / Töpler, Cäcilia (2009) Verb. In: Hoffmann, Ludger (Hg.) Deutsche Wortarten. Berlin: de Gruyter, S. 823-901 Brinkmann, Hennig (1971) Die deutsche Sprache. Gestalt und Leistung. Düsseldorf: Schwann. Kap. 4: Das Modalsystem Eisenberg, Peter ( 4 2013) Grundriss der deutschen Grammatik. Bd. 2: Der Satz. Stuttgart: Metzler; Kap. 3 (Valenz, Argumente und Satzstruktur), 4 (Einheitenkategorien des Verbs) und 11 (Infinitivkonstruktionen) Fabricius-Hansen, Catherine (1997) Der Konjunktiv als Problem des Deutschen als Fremdsprache. In: Debus, F. / Leirbukt, O. (Hgg.) Aspekte der Modalität im Deutschen - auch in kontrastiver Sicht. Hildesheim: Olms, S. 13-37 Fabricius-Hansen, Catherine (2000) Die Geheimnisse der deutschen „würde-Konstruktion“. In: Thieroff, R. / Tamrat, M. et al. (Hgg.) Deutsche Grammatik in Theorie und Praxis. Tübingen: Niemeyer, S. 83-96 Heinold, Simone (2015) Tempus, Modus und Aspekt im Deutschen. Tübingen: Narr Humboldt, Wilhelm von (1994) Über die Sprache. Reden vor der Akademie, hg. und kommentiert von Jürgen Trabant. Tübingen, Basel: Francke, S. 12-66: „Über den grammatischen Bau der chinesischen Sprache“ Redder, Angelika (1999) ‚werden‘ - funktional-pragmatische Darstellung. In: Redder, Angelika / Rehbein, Jochen (Hgg.) Grammatik und mentale Prozesse. Tübingen: Stauffenburg, S. 295- 336 Redder, Angelika (2009) Modal sprachlich handeln. In: Der Deutschunterricht 3, S. 88-93 Rothstein, Björn (Hg.) (2007) Tempus. Heidelberg: Winter Steinhoff, A. (2011) Lernmedien Deutsch als Fremdsprache und die Vermittlung des Passivs. München: iudicium <?page no="176"?> 11 Die Analyse von Sätzen Wer die deutsche Sprache lehrt - egal, in welchem Bereich - braucht die Fähigkeit, beliebige Sätze des Deutschen ‚durchschauen‘ und anderen erklären zu können. Das letzte Kapitel zum Bereich Syntax hat die Aufgabe, an einigen wichtigen Satzstrukturen das Grundwissen zu erweitern und einige häufige Probleme der Satzanalyse zu verdeutlichen. 11.1 Nominalphrasen (NP) und Präpositionalphrasen (PP) Ein Substantiv tritt sehr oft als Kern einer Wortgruppe bzw. Phrase, damit als regierendes Nomen in einer Nominalgruppe (NGr) oder Nominalphrase (NP) auf. 1 In der klassischen Wortartenlehre war Nomen ein Oberbegriff für Substantive, Pronomina und Adjektive. Diese weite Fassung des Nomenbegriffs findet man heute noch in P ETER E ISENBERG s „Grundriss der deutschen Grammatik“. Ansonsten wird der Begriff Nomen vielfach mit Substantiv gleichgesetzt, auch in der Fachliteratur. 2 Die „Deutsche Grammatik“ von H ELBIG / B USCHA thematisiert nur die Wortart Substantiv und vermeidet den Ausdruck Nomen. Andere Autoren bevorzugen wiederum die international bekanntere Bezeichnung Nomen. So ist ein gewisses terminologisches Durcheinander entstanden. Weiterführend ist hier die Begriffsklärung in der GdS (Z IFONUN / H OFFMANN / S TRE - CKER 1997), die den Unterschied zwischen „Substantiv“ und „Nomen“ folgendermaßen verdeutlicht: Ein Substantiv gehört einer Wortart an, ist also durch sein Genus und die typische Flexion gekennzeichnet. Als Nomen tritt es in Phrasen und in Sätzen auf: „Hingegen nennen wir ‚Nomen‘ (N) den Kopf einer ‚Nominalphrase‘ (NP), sei er durch ein Substantiv oder Adjektiv (die Kleinen) gebildet oder die Nominalisierung eines Elements einer anderen Klasse, insbesondere eines Verbs (das Singen), aber auch eines Adverbs (das Heute), eines Subjunktors bzw. Konjunktors (kein Wenn und kein Aber) oder einer Interjektion (das Ach und Weh) usw.“ 3 Im Folgenden werden gemäß dieser Sprachregelung zur Beschreibung von Phrasen die Ausdrücke Nomen und Nominalphrase (NP) gewählt. Mit ‚Substantiv‘ ist die Wortart angesprochen. Neben der größeren Klarheit ist ein weiterer Vorteil, dass die Wörter „noun“ und „nom“ in der englisch- und französischsprachigen Linguistik ebenfalls mit ähnlicher Bedeutung eingeführt sind. Nominalphrasen können isoliert auftreten, z.B. als Titel oder Überschrift: B1 Kleines Lexikon der Sprachen (Buchtitel) Sie bilden dann eine syntaktische und semantische Einheit. Meist kommen sie aber als Satzteil bzw. Satzglied vor, z.B. in einem Adverbial wie an diesem Abend. Für Präpositionalphrasen (PP) wie in diesem Beispiel trifft alles, was über die NP gesagt wurde, ebenfalls zu. Präpositionalphrasen bestehen immer aus einer Nominalphrase mit einer kasusbestimmenden Präposition, besitzen also die Struktur Präp + (NP). Die Schreibweise bedeutet, dass die Präposition als Kopf, als regierendes Element aufgefasst wird. In Kap. 7 wurde ausgeführt, dass auch Wörter anderer Wortarten nominalisiert werden können, um die Aufgaben eines Nomens im Satz wahrzunehmen. (B2) zeigt einige Beispiele für NPs mit nicht-substantivischem Kern: 1 Daneben sind gelegentlich auch „Substantivgruppe“ und „Nominalsyntagma“ als Termini in Gebrauch. 2 So im Linguistischen Wörterbuch von Peter Lewandowski (3 Bände, 6 1994). 3 Zifonun et al. (1997, S. 28). <?page no="177"?> 176 Syntax: 11 Die Analyse von Sätzen B2 Er hat mir [ das Du ] angeboten. Es gibt [ kein Zurück ] mehr. Jeder hörte [ das Ja der Braut ] laut und deutlich. Bei solchen Konversionen ändern sich zwei Eigenschaften: Die Großschreibung markiert das Wort für den Leser als wichtiges Inhaltswort und die Hinzufügung des (un)bestimmten Artikels sorgt für eine Determination des Nomens, die für die gesamte Phrase relevant ist. 11.1.1 Determination in der NP und bei Namen Es geht hier um eine sprachliche Unterscheidung, die nicht in allen Sprachen vorhanden ist. Sie bahnt, wie H OFFMANN (2016, S. 97) formuliert „einen Wissenszugang beim Hörer“. Dazu steht der Artikel vor dem Nomen bzw. leitet eine Nominalphrase ein. Er erfüllt mehrere Aufgaben gleichzeitig, indem er das Genus des Substantivs ausdrückt, ebenso Numerus und Kasus. Noch wesentlicher ist aber die Markierung des Nomens als definit (bestimmt) oder indefinit (unbestimmt, s. Tab. 1). 4 Tab. 1: Formen und Funktionen der Artikel im Deutschen Determination Singular Plural Verwendungsbedingung bestimmt der/ die/ das die (alle Genera) gegebener oder bekannter Inhalt unbestimmt ein/ eine/ ein Ø neuer, noch nicht angesprochener Inhalt Ø Ø In der Logik wird Definitheit so verstanden, dass der Artikel „aus der Menge von Elementen einer Klasse eines und nur eines“ identifiziert, heraushebt und durch die Referenz eindeutig macht (vgl. E HLICH 2003, S. 318). Die Linguistik fragt dagegen nach dem Zustandekommen einer Verständigung zwischen Sprechern und Hörern. Der Oberbegriff Determination erfasst in diesem Rahmen eine Tätigkeit des Sprechers, mit der er auf das Hörerwissen Bezug nimmt. Ein in der Rede verwendetes Nomen wird darauf überprüft, ob das Gemeinte für den Hörer ohne Weiteres zugänglich ist (bekannt, vielleicht vorher schon angesprochen) oder ob dem Hörer die Neuheit dieses Gegenstandes signalisiert werden sollte, nämlich durch die indefinite Kennzeichnung. Eine „Artikelsprache“ wie die deutsche gibt also dem Hörer Hilfestellungen beim Verstehen des vom Sprecher Gemeinten, auf Basis einer Hypothese über den generellen und/ oder den aktuellen Wissensstand des Hörers. Metaphorisch könnte man sagen: Ein Hörer wird mit dem unbestimmten Artikel darauf vorbereitet, dass er mental Raum für ein neues Wissenselement „reservieren“ soll; mit dem bestimmten Artikel erfährt er dagegen, dass er ein mental schon vorhandenes sach- oder 4 Etymologisch kommt übrigens (in)definit von derselben lateinischen Wurzel wie das Partizip definiert des Verbs definieren. Dabei geht es aber um die Festlegung einer Wortbedeutung mit Hilfe einer synonymischen Bedeutungsbeschreibung. <?page no="178"?> 11.1 Nominalphrasen (NP) und Präpositionalphrasen (PP) 177 situationsbezogenes Wissen benutzen soll. 5 Wissensbasis kann das individuelle Erfahrungswissen ebenso wie das „Weltwissen“ des Hörers sein, häufig aber auch die vorherige Behandlung des Themas in diesem oder früheren Gesprächen. Wie Tab. 1 zeigt, findet Determination auch dann statt, wenn die NP keinen Artikel enthält: Der sog. Nullartikel (Ø) bewirkt, dass Indefinitheit vorliegt. 6 Man kann hier von einer inneren oder inhärenten Determination sprechen. Kommt ein Nomen im Satz vor, findet also auch ohne Artikel immer eine Determination statt: definit oder indefinit. Ein Nomen wie Menschen in (B1) ist daher nicht nur ein Wort, sondern eine Phrase in minimaler Form und als solche das Subjekt des Satzes: B3 Überall auf dem Platz standen [ Menschen ]. Außer der Determination mit der Alternative definit/ indefinit haben beide Artikel noch eine andere Lesart, die nicht aus der Form, sondern nur aus dem Kontext zu erschließen ist: Das Nomen kann in bestimmten Fällen eine generelle Wortbedeutung bekommen. Man spricht dann auch von der „generalisierenden“ oder generischen Funktion des Artikels. Die Sätze in Tab. 2 machen eine generelle Aussage über Schriftsteller. Tab. 2: Generischer Gebrauch der Artikel [ Schriftsteller ] treten gern als Gesellschaftskritiker auf. [ Der Schriftsteller ] tritt gern als Gesellschaftskritiker auf. [ Ein Schriftsteller ] tritt gern als Gesellschaftskritiker auf. Bei der generischen Verwendung des Nomens nimmt der Sprecher zwar eine Determination und Quantifizierung durch Singular oder Plural vor. Beides gilt aber als verallgemeinernde Äußerung, denn sowohl der Singular wie der Plural sind verallgemeinerungsfähig. Der Begriffsinhalt soll als das Wesentliche verstanden werden. Allerdings sind solche Sätze oft ohne Kontext zweideutig, besonders die definite Variante. Einen Sonderfall stellen auch die Eigennamen dar. Ein Personenname wie Peter oder ein Städtename wie Hamburg ist zwar artikellos, aber er wird als definit verstanden. Man spricht von innerer oder inhärenter Definitheit). Von daher ist ein Eigenname mehr als ein Wort, er ist bereits eine komplexe Einheit, eine Phrase. Die GdS wählt den Oberbegriff Term für Nominalphrasen und Eigennamen, da in beiden Fällen eine bestimmte Person- oder Gegenstandscharakteristik im Wissen aufgerufen wird. 7 Warum sind Eigennamen grundsätzlich definit? Der Eigenname ist, historisch betrachtet, eine Vorstufe und Voraussetzung des Substantivs. Das, was er benennt - sei es eine Person, eine Institution oder eine geographische Einheit -, ist immer etwas Einzelnes und Bekanntes (oder als bekannt Unterstelltes). Der Name „sichert nur die Identität eines Einzelwesens“ (B RINKMANN 1971, S. 7) und ist ein „Individuenbegriff“. Der Hörer stellt nach Möglichkeit eine Beziehung zu dem (vom Sprecher gemeinten) Namensträger her. Gelingt das nicht, so kann er versuchen, die Identität des Gemeinten zu ermitteln. Anders als der Gattungsbegriff (s. Kap. 8) bedeutet ein Name wie Kurt Müller nicht: ‚irgendeine 5 GdS, siehe Zifonun et al. (1997, S. 586). Nach Admoni (1982, S. 128) dient der Artikel „der genaueren Umgrenzung des durch das Substantiv bezeichneten Begriffs“. 6 Die Herkunft des unbestimmten oder indefiniten „ein“ als Zahlwort, dessen quantitative Bedeutung immer mitschwingt und auch jederzeit ausdrücklich gemeint sein kann, wenn z.B. „nur“ davorsteht, hat die Ausbildung eines pluralischen unbestimmten Artikels im Deutschen wohl verhindert. 7 Der Begriff Term steht im Zusammenhang einer sog. Kategorialgrammatik, die in dieser Einführung nicht behandelt wird. Vgl. dazu in der GdS das einleitende Kapitel von Band 2, S. 956 ff. <?page no="179"?> 178 Syntax: 11 Die Analyse von Sätzen Person, die Müller heißt‘ oder: ‚alle Personen, die Müller heißen‘. Man fragt sich sogar, ob ein Eigenname überhaupt etwas bedeutet, ob man also sagen könnte: ‚Müller bedeutet die Person X (die Müller heißt und die ich kenne)‘. Eher steht der Name unmittelbar für das Gemeinte, er ist im Bewusstsein der Sprecher direkt gekoppelt an bestimmte Personen oder Orte, die sie unter diesem Namen kennen. Namen sind daher auch keine lexikalischen Einheiten. Sie dienen zur Identifizierung von Einzelnem. 11.1.2 Artikelwörter und Negation in der NP In Kap. 8 wurde bereits die neue Wortklasse Artikelwort bzw. Determinativ behandelt. Gemeint sind Ausdrücke, die früher zu den Adjektiven oder den Pronomina gerechnet wurden, die aber in syntaktischer Hinsicht als artikelähnlich bewertet werden, weil sie eine NP einleiten können (meine Bücher, solche Fragen). Außerhalb der NP werden die betreffenden Wörter weiterhin als Pronomen bezeichnet, was die D UDEN -Grammatik als „Verlegenheitslösung“ bezeichnet (2005, S. 257). In der Schulgrammatik tauchen die Artikelwörter noch nicht auf, wohl aber in DaF-Lehrwerken. Die Gemeinsamkeit der so erfassten Wörter ist, dass sie in einer NP genau an der Position des Artikels, also initial, auftreten und in ihren Funktionen zumindest etwas mit der Determination zu tun haben. Die GdS stellt eine differenzierte Liste von Determinativen vor, die die semantischen und Funktionsunterschiede der beteiligten Wortgruppen deutlich macht: a) definite und indefinite Artikel b) possessive Determinative: mein, dein, sein, unser, euer etc. c) quantifizierende Determinative: all-, einig-, mehrer-, manch-, keinu.a. d) W-Determinative: welch-, was für ein, wieviele) deiktische Determinative: der, derjenig-, derselb-, dies-, jen-, solch- Besonders bei den quantifizierenden Determinativen treten oft grammatische Unsicherheiten in Bezug auf die Flexion nachfolgender Adjektive auf, auch bei den meisten Deutschen. Heißt es korrekt solche gute Schüler oder solche guten Schüler? Die einfache Grundregel dazu lautet: Artikelwörter mit Flexionsendungen lösen die schwache Adjektivflexion aus, Determinative ohne Flexion (so wie beim indefiniten Artikel ein) die starke. 8 Zu den Artikelwörtern gehört auch das negierende kein, das nur in einer Nominalphrase auftritt. Es gehört zu den quantifizierenden Determinativen, ist also kein reines Determininativ wie ein. Es entstand aus dem althochdeutschen Ausdruck für „auch nicht ein“. B4 [ Kein Computer ] kann die Arbeit von Menschen vollständig ersetzen. Logisch betrachtet, macht der Negationsausdruck kein deutlich, dass die Negation ein beliebiges (also jedes) Element der Begriffsklasse (hier: Computer) betrifft. Negiert wird „die Geltung der ganzen Klasse“. 9 11.1.3 Attribute in der NP Adjektive folgen einerseits denselben Flexionskategorien wie Substantive: Genus - Numerus - Kasus. In der NP treten sie als Attribut vor dem Kernnomen auf und passen sich diesem in der Form an, sie kongruieren mit ihm. Darüber hinaus weisen sie aber noch eine Kongruenz in der Form auf, die in Kap. 8 als Monoflexion (traditionell als „starke“, 8 Die Grundregel steht in der Duden-Grammatik (2005) auf S. 258. Genauere Informationen bietet das Kap. „Artikelwörter und Pronomen“. 9 Brinkmann (1971, S. 51). <?page no="180"?> 11.1 Nominalphrasen (NP) und Präpositionalphrasen (PP) 179 „schwache“ und „gemischte“ Flexion) bezeichnet wird. Seine Position nach dem Artikel- (wort) und vor dem nominalen Kern steht fest. 10 Von daher wird es oft als „Linksattribut“ bezeichnet, ebenso wie das Partizipattribut. 11 Zwei Beispiele mit eingeklammerter NP zeigen die ‚Sensibilität‘ der Adjektive für die Determination. Indefinitheit führt zu ‚starken‘ Formen, Definitheit zu ‚schwachen‘ (vgl. Kap. 8). Durch die Kongruenz entsteht ein formaler Zusammenhang in der Nominalphrase, der auch dann noch erkennbar ist, wenn durch Dazwischenschieben von Erweiterungen die einfache und klare Abfolge verloren zu gehen droht. 12 Es handelt sich dann um Adjektivphrasen oder um Partizipphrasen mit attributiver Funktion: B5 a) Das ist [ ziemlich einfach ]. b) Und dann kam ein [ unerwartet steiler ] Pass des Stürmers. c) Sie wünscht sich [ lange, blonde, lockige ] Haare. d) Das war ein [ aus jeder Perspektive anders erscheinender, mal blau, mal grün funkelnder ] Kristall. In (5a) wird ein abstufendes Element hinzugefügt, eine Gradpartikel, in (b) eine Zusatzbestimmung einer Qualität (sie war nicht erwartet). In (c) besteht die Phrase aus einer Aufzählung (drei koordinierte, also gleichgestellte Adjektive). In (d) treten zwei Partizipien (erscheinender, funkelnder) mit ihren Ergänzungen auf. Da Partizipien Verbformen sind, können Partizipattribute stärker ausgebaut werden als adjektivische (vgl. Kap. 10). Für Lehrkräfte (Zweit- und Fremdsprache Deutsch) ist es wichtig, sich klarzumachen, dass in vielen, auch vielen indoeuropäischen Sprachen solche Attribute nicht nur meist nachgestellt sind, sondern als Phrase auch den entgegengesetzten Aufbau haben. Ein Adjektiv als Phrasenkern steht vor seinen Ergänzungen, ebenso das Partizip. Das zeigt ein französisches Beispiel mit wörtlicher Übersetzung (B6): B6 les mots empruntés à une autre langue (die Wörter entlehnt aus einer anderen Sprache) Ein interessanter Fall ist die Verwendung eines Attributs, um das mit dem Nomen Gemeinte deutlich einzugrenzen und mit dem bestimmten Artikel Definitheit herzustellen wie (B7). Auch bei Namen und Abstrakta ist eine solche Eingrenzung möglich. Dann wirkt das Adjektiv restriktiv, es grenzt den Bedeutungsumfang ein: B7 [ Das klassische Rom ] ist in den Museen nur teilweise dokumentiert. Auch im Deutschen gibt es eine Reihe von nachgestellten Attributen („Rechtsattributen“). Oft handelt es sich um Nominal- oder Präpositionalphrasen, die als Attribute dem nominalen Kern untergeordnet sind (hier eingeklammert): Tab. 3: Nachgestellte Attribute (Typen) Präpositionalattribut die Frau [ mit dem großen Hut ] Adverbialattribut die Museen [ dort ] Genitivattribut die Frau [ des Direktors ] Apposition Konrad Meier, [ Lehrer am hiesigen Gymnasium ] 10 Es gibt allerdings poetisch und anders motivierte Nachstellungen: Röslein rot, Röslein auf der Heiden (Volkslied) oder: Coca Cola eisgekühlt (Werbung). 11 Im Lehrzusammenhang ist die Rede von Links- und Rechtsattributen sehr verbreitet. Der Mangel dieser Bezeichnungsweise ist, dass sie nur auf die geschriebene Sprache zutrifft. 12 Zur Illustration dieser sprachlichen Möglichkeiten eignet sich Kafkas Kurzgeschichte „Auf der Galerie“. <?page no="181"?> 180 Syntax: 11 Die Analyse von Sätzen Relativsatzattribut das Hotel, [ das am See liegt ] Attributsatz die Tatsache, [ dass es regnet ] Als Attribut erkennbar sind solche Phrasenteile, weil sie eine nähere Bestimmung zum Kern der NP geben, die sich auch erfragen lässt (welche Museen? was für eine Frau? ). Darin liegt die Gemeinsamkeit der verschiedenen Typen. Bei den Präpositionalattributen liegt häufig eine entsprechende Valenz des Kernnomens vor: B8 die [ Liebe zum Sport ] - seine [ Ähnlichkeit mit mir ] - die [ Angst vor dem Tod ] - der [ Bedarf an Zucker ] Hier ist es die Präpositionalphrase, etwa zum Sport, die das Kernnomen genauer bestimmt. Ein Adverb wie dort liefert eine lokale Bestimmung oder Eingrenzung der Nomenbedeutung. Es wird dann nicht als Ergänzung zum Prädikatsverb, also eigentlich nicht adverbial, sondern adnominal gebraucht. Ein Adverbialattribut 13 schließt eng an das Kernnomen an, sonst würde es missverständlich, wie in (B9). Bezieht sich heute auf Rolle oder auf Diskussion als Kernnomen? B9 [ Die Diskussion [ über die Rolle des Schiedsrichters ] [ heute ] ] war überflüssig. Es stellt sich die Frage, ob man alle Adverbien, auch heute und dort, als „Adverbphrase“ bezeichnen soll, wie das die D UDEN -Grammatik tut (vgl. § 1290 ff.). Zwar können manche Adverbien Wortgruppen bilden, etwa ganz weit unten. Aber gerade die deiktischen Adverbien, immerhin eine zentrale Gruppe der Adverbien, sind nicht Kern einer Phrase. Ein besonders wichtiger und schriftsprachlich häufiger Typ von Attributen sind die Genitivattribute. Der Kasus Genitiv ist morphologisch deutlich markiert, zumindest im Maskulinum und Neutrum. Er ist auch bei Fremdwörtern und Eigennamen erkennbar, Anglizismen erhalten sehr schnell ein Genitiv-s im Singular. Seine frühere Eigenschaft als Objektkasus hat der Genitiv mehr und mehr verloren, er ist statt dessen ein adnominaler Kasus geworden, er zeichnet Attribute aus und ist deswegen auch in der Gegenwartssprache häufig. 14 Wie alle Attribute ist auch dieses dem Phrasenkern untergeordnet. Die Art der Beziehung ist allerdings durchaus vielfältig. Der possessive Genitiv, der eine Zugehörigkeit ausdrückt, stellt wohl die häufigste Spielart dar: B10 a) der Lehrer des Sohnes (possessive Beziehung) b) die Tiere des Waldes (Lokalisierung, Zuordnung) c) die Jahre der Not (dominantes Merkmal, Explikation) Anders als bei dem Präpositionalattribut „die Tiere im Wald“ etabliert das Genitivattribut des Waldes (B10b) eine stärkere, sozusagen „wesensmäßige“ Zugehörigkeit: Die Tiere des Waldes sind nicht zufällig dort, sondern der Wald ist ihre biologisch angemessene Lebenswelt. 15 13 Die „Textgrammatik des Deutschen“ bezeichnet solche Attribute als „postdeterminierende Attribute“, im Unterschied zu den „prädeterminierenden“ Adjektivphrasen (vgl. Weinrich 1993, S. 355 ff.). 14 Historisch kann es sich auch so verhalten: Der Genitiv hat seine Kasusmerkmale deshalb so wenig verloren, weil er die Funktion der Attributskennzeichnung übernahm. 15 Vgl. dazu Eisenberg (2013, S. 244 ff.); allgemein zu den Genitivattributen: Vgl. die ausführliche Darstellung in Zifonun et al. (1997, S. 2028 ff.). <?page no="182"?> 11.1 Nominalphrasen (NP) und Präpositionalphrasen (PP) 181 Tab. 4: Subjekts- und Objektsgenitiv Beispiel-NP Transformation Typ des Attributs a) die Entstehung der Welt Die Welt entsteht. subjektbezogen b) die Besteigung des Bergs Jemand besteigt den Berg. objektbezogen c) die Befragung des Journalisten ? Für den Sprachunterricht, z.B. für das Formulieren von Texten, ist die Unterscheidung von Subjektsgenitiv und Objektsgenitiv wichtig. Der Unterschied wird durch eine Transformation in einen Aktivsatz deutlich (Tab. 4). Während Beispiele (a) und (b) eindeutig sind, kann (c) bedeuten, dass der Journalist jemanden befragte, wie auch, dass er befragt wurde. Die Kernnomen sind hier deverbale Substantive. Während entstehen als intransitives Verb den Bezug zum Subjekt nahelegt, können besteigen und befragen als transitive Verben in Beziehung zu Subjekt oder Objekt verstanden werden und sowohl in einen Aktivsatz wie in einen Passivsatz transformiert werden. Auch beim Verfassen von Texten sollte auf die Vereindeutigung Wert gelegt werden. Historisch war das Genitivattribut zunächst vorangestellt (des Vaters Haus), mit der Durchsetzung des einleitenden Determinativs in der NP wurde es verschoben in die Reihe der nachgestellten Attribute. Nur bei den Personennamen blieb die Möglichkeit der Voranstellung erhalten (vgl. N ÜBLING ( 3 2017, S. 101), etwa in NP wie Evas Tasche oder Vaters Bart. In vielen Fällen entspricht ein Genitivattribut einer Präpositionalphrase mit von. Diese ist aber nicht immer äquivalent. Sie kann sogar klarer sein, weil von etwas mit Herkunft zu tun hat. Allerdings sind die beiden Attributarten nicht frei austauschbar. Vor allem schriftsprachlich ist das Genitivattribut nur dann durch eine von-Phrase ersetzbar, wenn der Genitiv artikellos und dadurch schwer oder nicht erkennbar wäre. Personennamen sind von dieser Regel ausgenommen (vgl. D UDEN -Grammatik 2016). Bei Indefinitheit ist daher die Formulierung mit von angemessen (B11). B11 a) Wir beobachten das Aussterben bestimmter Vogelsorten. b) Wir beobachten das Aussterben von Vogelsorten. In der Gegenwartssprache zeichnet sich bei den vorangestellten Eigennamen ein anderes Problem in der Orthographie ab. Der Apostroph dient im Deutschen eigentlich als Auslassungszeichen. Viele folgen aber beim Genitiv dem englischen Vorbild (father’s car) und setzen generell einen Apostroph („sächsischer Genitiv“). Aus Peter’s dog wird dann oft *„Peter’s Hund“ oder - in anderem Zusammenhang, aber ebenso falsch - *„Nietzsche’s Philosophie“. 16 Ein anderer Typ von Attribut ist die Apposition. Dies ist ein Attribut, das mehr oder weniger locker an das Kernnomen angeschlossen ist, meist durch Komma abgetrennt, grundsätzlich (aber nicht in jedem Einzelfall) im Kasus kongruent. 17 Sowohl eine NP als auch andere Phrasentypen können als Apposition angehängt werden. B RINKMANN zitiert als Beispiel eine Stelle aus Thomas Manns „Buddenbrooks“: B12 Und die kleine Antonie, achtjährig und zartgebaut, in einem Kleidchen aus ganz leichter changierender Seide, den hübschen Blondkopf ein wenig vom Gesicht des Großvaters abgewandt, blickte aus ihren graublauen Augen … 16 Allerdings „erlaubt“ die Duden-Grammatik die Apostrophierung bei Namen dann, wenn der Originalname gut erkennbar sein soll. 17 Viele Beispiele zur Kasuskongruenz bringt die GdS auf S. 2038 f. <?page no="183"?> 182 Syntax: 11 Die Analyse von Sätzen In solchen Nachträgen sind Adjektive unflektiert. Appositionen haben bestimmte stilistische Qualitäten. Sie finden sich vor allem in der Schriftsprache. Auch bei Datumsangaben werden Appositionen verwendet: 18 B13 Am Donnerstag, dem 27.11.2010, trafen wir uns im Treppenhaus. Umstritten ist, ob man - wie die D UDEN -Grammatik - auch bei Wortgruppen wie in (B14) von einer Apposition sprechen kann, obwohl keine Kongruenz besteht und keine Abtrennung mit Komma vorliegt. Es wäre sogar unklar, welches der beiden Nomen als Attribut zu dem anderen verstanden werden soll. B14 Ingenieur Lammert / wir Europäer / drei Pfund Kartoffeln / eine Kanne Kaffee Verschiedene andere Grammatiken akzeptieren die Bezeichnung „Apposition“ nicht. Bei der Kombination Beruf + Name spricht H OFFMANN von einem „Erweiterungsnomen“. Die beiden letzten Beispiele werden in der GdS als Numerativkonstruktion aufgefasst, die aus einem Quantifikator (Maßausdruck) + substanzbezeichnendem Substantiv besteht. 19 11.1.4 Didaktische Hinweise zu Nominal- und Präpositionalphrasen Über die neueren linguistischen Erkenntnisse hat sich gezeigt, dass die Vermittlung von Satzgliedern oder Satzrollen nicht ausreichend sein kann, wenn die z.T. umfangreichen Phrasen, die diese Satzglieder bilden, in ihrem Zusammenhang nicht bekannt sind und nicht erkannt werden. Auf andere Weise als der Satz ist auch die Phrase oder Wortgruppe eine syntaktische Einheit, ihr Aufbau folgt eigenen Prinzipien. Vor allem Nominalphrasen und PP sind grammatisch deutlich strukturiert. Nur wenige Umstellungen sind möglich, z.B. zum Zweck von Hervorhebungen. Tab. 5 gibt ein Abfolgeschema für die Elemente einer Nominalphrase (basierend auf Z IFONUN et al. 1997, S. 2069). Tab. 5: Aufbau der Nominalphrase (Präp.) 1 2 3 4a,b 4c 4d Position und Status Bestandteile der NP Position 1 (optional) Determinator oder pränominaler Genitiv Position 2 (optional) Adjektiv- oder Partizipphrase Position 3 (obligatorisch) Nomen (Substantiv oder nominalisiertes Wort) Position 4 (optional) 4a) Genitivattribut, Präpositionalattribut, als-Phrase 4b) Adverbiales Attribut 4c) attributiver Nebensatz oder Infinitivphrase 4d) Apposition Trotz der relativen Abstraktheit eines solchen Schemas erscheint es als sinnvoll, diese Struktur auch Sprachlernern zu vermitteln. Sie gilt für die beiden häufigsten Phrasentypen im Deutschen und ist für fortgeschrittene Sprachlerner verständlich, bei Reduktion der grammatischen Terminologie. Wegen der Vielfalt an Attributstypen entstehen oft Fragen, 18 Daneben nennt die Duden-Grammatik noch einen anderen Typ von Datumsangabe mit dem Akkusativ: „X findet Dienstag, den 26. April statt“; vgl. Duden-Grammatik (2016, § 1554). 19 Zifonun et al. (1997, S. 1979). Interessant sind diese Fügungen auch deshalb, weil die Maßangabe oft nicht im Plural steht, z.B. bei zwei Pfund Mehl. Dasselbe gilt für nachgestellte Maßangaben wie „20 Schritt“ oder „20 Cent“. Man nimmt an, dass hier ein morphologisch „erstarrtes” Substantiv vorliegt, was in festen Fügungen öfter der Fall ist. <?page no="184"?> 11.2 Kasus und Satzgliedrolle 183 z.B. welche davon in welcher Abfolge kombinierbar sind. Das gilt z.B. für Sprachlerner mit Englisch oder Französisch als Muttersprache, die nur nachgestellte Adjektivphrasen kennen. Auch der interne Aufbau der deutschen Adjektivphrase widerspricht ihrer Intuition. Ein Beispiel aus dem Text eines französisch ausgebildeten Studierenden: B15 „Typische für die Verwaltung Texte werden im Seminar nicht thematisiert.“ Zwar ist die Beobachtung des Lerners richtig, dass „für die Verwaltung“ hier von dem Adjektiv typisch regiert wird. Während im Deutschen wie im Französischen prädikative Adjektivphrasen nach rechts erweitert werden (X ist typisch für die Verwaltung), muss in der attributiven Phrase die Ergänzung vorangestellt werden. B15‘ [ Für die Verwaltung typische ] Texte werden nicht thematisiert. Ein großes Lehr- / Lernproblem war lange Zeit die Morphologie der Adjektive. Ältere Grammatiken und Lehrbücher des Deutschen enthalten oft mehrere Formentabellen, die für jeden Typ von Adjektiv zu lernen sind. Mit der Einführung der Nominalphrasen in den Unterricht wurde es möglich, vereinfachte Darstellungen der Flexion zu finden, die das Prinzip der Monoflexion (s. Kap. 11.1.3) berücksichtigen. Es wurde auch deutlich, dass Adjektivformen anhand von Tabellen, also ohne sprachliche Zusammenhänge, sehr schwer lernbar sind. Eingebettet in eine Nominalphrase sind sie deutlich besser memorierbar. Eine andere, immer wieder schwierige Aufgabe für die Didaktik ist die Determination. Deutschlerner mit einer slawischen oder anderen artikellosen Herkunftssprache haben erfahrungsgemäß auch dann noch Probleme mit der Verwendung der (in)definiten Artikel, wenn sie bereits auf einem sehr hohen Niveau Deutsch sprechen und schreiben. Nicht alle dazu nötigen Grundsätze konnten hier angesprochen werden. Für eine vertiefende Befassung mit dem Thema können B RINKMANN (1971, Kap. 4) und H OFFMANN (2016, S. 97 ff.) empfohlen werden. 11.2 Kasus und Satzgliedrolle Im Satz sind Nominalphrasen insgesamt über ihren nominalen Kern kasusbestimmt (mit Ausnahme der meisten nachgestellten Attribute). Der Kasus hängt von ihrer Satzgliedrolle ab. Bei bestimmten Präpositionalphrasen kommt noch eine wichtige Unterscheidung hinzu: Zwischen Ortsangaben und Richtungsangaben (in Form einer PP) wird im Deutschen über die Kasus Dativ und Akkusativ differenziert, soweit die Präposition dies zulässt. 20 Je nach Prädikatsverb (dynamisch / statisch) ergibt sich also z.B.: B16 a) Er [legt sich] [ins Bett] Akk. in der Richtungsangabe b) Er [liegt] schon [im Bett] Dativ in der Ortsangabe Im Unterricht wird häufig von „Wechselpräpositionen“ gesprochen, als vereinfachende Darstellung dieses Zusammenhangs von Kasus und Angabentyp. Die Kasus des Deutschen sind polyfunktional, d.h. sie sind nicht mit einer bestimmten syntaktischen Funktion zu identifizieren, wie Tab. 6 zeigt, geben aber einen ersten Hinweis auf die syntaktische Relation. 20 Manche Präpositionen sind nur für Richtungs- oder Ortsangaben geeignet und regieren einen festen Kasus, etwa zu. <?page no="185"?> 184 Syntax: 11 Die Analyse von Sätzen Tab. 6: Zusammenhang von Kasus und Funktion im Satz Kasus Beispiel Satzgliedrolle Nominativ Die Sonne scheint. Subjekt Der Wal ist [ ein Säugetier ]. Prädikativ [ Mein Freund ], da hast du aber Pech gehabt! Vokativ, Anrede Akkusativ Ich führe [ den Hund ] an der Leine. Akk.objekt Ich gehe [ jeden Morgen ] mit ihm spazieren. adverbiale Ergänz. Man hält ihn allgemein für einen Helden. Prädikativ Dativ Ich verspreche es [ dir ]. Dativobjekt Die Aufgabe ist [ mir ] zu schwer. Dativangabe Er war ihr treu. Dativergänz. (Adj.) Genitiv Ich erinnere mich [ dessen ] gut. Genitivobjekt Die Monate [ des Winters ] Genitivattribut L UDGER H OFFMANN (2016, S. 311) schlägt eine sinnvolle Erweiterung der Valenztheorie vor: Ausgangspunkt einer Satzkonstruktion kann sowohl ein Verb wie auch ein Agens oder Thema sein, H OFFMANN sieht hier eine Synthese von „Subjektion“ und „Prädikation“: „Die Synthese von Subjektion und Prädikation ist die Basis der meisten Szenarios und der ausgedrückten Gedanken. Der Ausdruck des Subjekts bedarf keiner Kasusendung, er steht im Nominativ. Was Subjekt ist, wird durch die Kongruenz der Personalform des Verbs sichtbar, die vom Subjektausdruck regiert wird. Was über das Verb zum Ausbau der Szene angeschlossen wird, erhält einen vom Verb regierten oder über eine Präposition weitergegebenen Kasus.“ Ein spezieller Fall ist der, dass das Verb ein Kopulaverb ist und ein Komplement im Nominativ braucht, nämlich ein Prädikativ (s. Tab. 6). Da die Kopulaverben einen „vergleichsweise geringen Beitrag zum Aufbau der Satzbedeutung“ leisten (GdS, S. 1106), werden sie nicht als Vollverben aufgefasst. Sie bilden nur zusammen mit dem Prädikativ das Prädikat des Satzes (ist ein Säugetier). Das gilt für NP wie für adjektivische Ergänzungen, etwa in Maria ist krank. Für die kopulaähnlichen Verben wie betrachten als, ansehen als erscheint das Komplement im Akkusativ dagegen als vollwertiges Satzglied. Charakteristisch für Prädikative ist, dass die entsprechenden Wortformen bei Subjektbezug häufig als kasusneutral erscheinen; Adjektive sind unflektiert und ein prädikatives Nomen tritt oft ohne Determinativ auf: Er ist Lehrer. Wie viele andere indoeuropäische Sprachen ist Deutsch eine „Akkusativsprache“. Das Akkusativobjekt ist traditionell das direkte Objekt, das zugleich das verbnächste ist. Es bezeichnet „in aller Regel einen stark involvierten Ereignisbeteiligten“ (GdS, S. 1083). Als Besonderheit ist hier auf wenige Verben hinzuweisen, die zwei Akkusativobjekte als Ergänzung haben können: fragen, kosten und lehren. Das ist so ungewöhnlich, dass solche Konstruktionen vor allem mündlich von vielen Sprechern vermieden werden. 21 Die D UDEN -Grammatik (2016, S. 940) präsentiert den Satzbauplan an Beispiel (17a). B17 a) Ich habe [dich] [etwas] gefragt. b) Er hat ihn das Geigespielen gelehrt. 21 Die GdS bringt Beispiele für Vermeidungsstrategien und Fehler (1997, S. 1084). <?page no="186"?> 11.2 Kasus und Satzgliedrolle 185 Der Genitiv ist seit langer Zeit vorwiegend Attributskasus, 22 nur noch bei sehr wenigen Verben tritt ein Genitivobjekt als ‚Mitspieler‘ auf. Deutlich häufiger sind Präpositionalobjekte. Eine Präpositionalphrase ist dann Objekt, wenn die einleitende Präposition lexikalisch-grammatisch mit dem Verb verbunden ist, also zu dessen Valenz gehört. Tab. 7: Präpositionalphrasen und ihre Funktionen im Satz Präpositionalobjekt Ich sorge [ für ein gutes Abendessen ]. Wir müssen uns [ vor dem Klimawandel ] fürchten. Adverbial [ Auf dem Berg ] ist die Luft besser. a) situative Ergänzung Wir wohnen [ in der Kreisstraße ]. b) freie Angabe Wir treffen uns [ um 10 Uhr ]. Attribut [ Das Haus [ in der Berliner Straße ] ] steht leer. Die Präpositionalphrase ist damit in ihren syntaktischen Potenzen wohl die vielseitigste Phrase. Als vorläufige Zusammenfassung zum Verhältnis von Phrase und Satzgliedrolle ist festzuhalten: Welche Rolle eine Phrase in einem konkreten Satz spielt, kann immer nur relational (E ISENBERG 3 2013) entschieden werden, d.h. anhand der Abhängigkeit von einem konkreten Verb oder Nomen und anhand ihres Bezugs auf einen bestimmten Satzinhalt (Proposition). 11.2.1 Präpositionalobjekt und Adverbial Da auch das Adverbial aus einer Präpositionalphrase bestehen kann, bereitet die Unterscheidung in konkreten Sätzen oft Probleme. Sprachhistorisch traten Präpositionalobjekte oft an die Stelle von reinen Kasusobjekten, Im Englischen ist das sogar durchgehend der Fall, die Kasus Dativ und Akkusativ existieren nur noch an den anaphorischen Pronomina he / she / it. Im Deutschen erfolgt die Anbindung an das Verb sowohl durch die (oder eine) verbspezifische Präposition wie auch durch den damit verbundenen Kasus. Im DaF-Bereich ist es üblich, für fortgeschrittene Lerner Listen von „Verben mit Präpositionen“ zusammenzustellen, da die konkrete Präposition nicht aus grammatischen Regeln ableitbar ist. In manchen Fällen sind zwei oder mehr Präpositionalphrasen als Objekt möglich: B18 scheitern an (einem Hindernis) scheitern mit (einem Plan) scheitern bei (einem Versuch oder Vorhaben) Durch diese enge Anbindung der Phrase an das Prädikatsverb wird die lokale Grundbedeutung einer Präposition oft ‚außer Kraft gesetzt‘, sie bekommt einen abstrakteren Sinn oder wird sogar zu einem bloßen grammatischen Bindemittel. Eine verblasste oder abstrakte Bedeutung zeigt sich z.B. in dem Satz, dass jemand auf etwas besteht. Dieses auf kann man zwar nicht als lokale Präposition, aber doch als Hinweis auf eine Basis oder Grundlage auffassen. Adverbiale (Plural: Adverbialien) können sowohl aus Adverbien wie aus Adverbphrasen oder Präpositionalphrasen bestehen. Auch Adverbiale haben oft eine grammatischsemantische Verbindung zum Prädikatsverb. Der häufigste Fall sind die Verben, die etwas mit Lokalisierung oder Fortbewegung zu tun haben und deshalb als Komplement eine 22 Vgl. dazu Nübling ( 3 2017, S. 102 f.); die Hauptaufgabe des Genitivs liegt im Bereich des Substantivs, als Attributkasus, sagt Brinkmann (1971, S. 70). <?page no="187"?> 186 Syntax: 11 Die Analyse von Sätzen Lokalergänzung (Frage: wo? Kasus: Dativ) oder eine Richtungsergänzung (Frage: wohin? Kasus: Akkusativ) brauchen. Damit ist nur ein Typ von Satzglied festgelegt, aber keine bestimmte Präposition wie bei den Präpositionalobjekten. Das gilt für das Verb gehen in (B19a) mit einer Richtungsergänzung, auch für wohnen. Hier ist ein lokales Adverbial erwartbar, sozusagen der Standardfall, denn es handelt sich um ein zweistelliges Verb. Das Verb treffen dagegen fordert keine lokale Ergänzung, lässt sie aber als freie Angabe zu (B19b): B19 a) Alle Teilnehmer gingen [ in den Veranstaltungsraum ]. b) Treffen wir uns [ an der Tür ]? Ebensogut könnte der Sprecher in (b) über den Zeitpunkt oder den Zweck des Treffens sprechen. Das sind typische Adverbiale oder auch situative Angaben. Die D UDEN -Grammatik spricht in beiden Fällen von Adverbialen, also auch bei den vom Verb abhängigen situativen Angaben. Die freien Angaben werden anderswo auch als Supplemente bezeichnet (GdS 1997, S. 1027 ff.). Nun kommt oft der Einwand, dass man sich einen vollständigen Satz mit gehen auch ohne lokales Adverbial vorstellen kann: Wir gehen, wenn z.B. die Tätigkeit alternativ zu fahren oder wenn die Gangart mit einem modifikativen Adverbial (s. Tab. 8) angesprochen wird: Er geht langsam. Auch bei anderen Beispielen, die auf den ersten Blick als defizitär erscheinen, liegt bei genauerem Hinsehen kein grammatischer Fehler vor (B20): B20 a) Klaus gibt. b) Die Nachbarn sagen, dass er trinkt. c) „Wohnst du noch, oder lebst du schon? “ (Werbespruch) In diesen Sätzen fehlt, genauer betrachtet, kein Komplement, sondern das Verb bekommt eine veränderte Bedeutung. (B20a) ist gebräuchlich als Äußerung über das Austeilen der Karten beim Kartenspiel, und (B20b) bekommt das zusätzliche Bedeutungselement ‚gewohnheitsmäßig‘, mit der Implikation: Wenn jemand „trinkt“, ist er Alkoholiker. (B20c) zitiert eine Möbelfirma, die für ihren Werbespruch aus dem zweistelligen Verb wohnen ein einstelliges gemacht hat. Sie möchte erreichen, dass Wohnen mit der ‚Lebenskultur‘ identifiziert wird, die sie verkauft. Die Adverbien werden traditionell semantisch eingeteilt (Tab. 8), genau wie die Adverbiale, also semantisch entsprechende Nominal- und Präpositionalphrasen im Satz: Tab. 8: Spezifizierung der Adverbien (nach H OFFMANN 2016, S. 327) Spezifizierung Adverbbeispiele Frageadverbien Zeit: temporal jetzt, heute, damals, einst, bald wann? Dauer: durativ bisher, weiterhin, zeitlebens wie lange? Häufigkeit: Frequenz einmal, immer, oft, selten, samstags wie oft? Ort: lokal da, hier, dort, dahinter, links wo? Richtung: direktional dahin, bergauf, fort, querfeldein wohin? Ziel, Zweck: final dafür, dazu wozu? wofür? Grund: kausal daher, deshalb warum? weshalb? Bedingung: konditional gegebenenfalls, sonst --- Mittel: instrumental hiermit, damit womit? Art und Weise: modifikativ so, anders, blindlings, gern wie? <?page no="188"?> 11.2 Kasus und Satzgliedrolle 187 Eine wichtige Ergänzung zu den Adverbien betrifft die in älteren Grammatiken ganz übersehenen Satzadverbien. In der neueren Forschung wurden sowohl Modaladverbien (z. T. als Modalwörter bezeichnet) wie auch Kommentaradverbien, eine eigene Bezeichnung der D UDEN -Grammatik (2016, § 868) für einen ähnlichen Phänomenbereich, herausgestellt. Beispiel (B21a) enthält ein solches kommentierendes Satzadverb, leider ist darin Adverbial. In (B21b) ist leider ebenfalls ein Kommentaradverb, aber diesmal als Teil der attributiven Partizipialphrase, d.h. es ist syntaktisch unselbstständig und wird nicht als Adverbial aufgefasst. B21 a) [ Leider ] war die Versammlung sehr schlecht organisiert. b) Während der [ leider sehr schlecht organisierten ] Versammlung ging es drunter und drüber. H OFFMANN (2016, S. 398) spricht ebenso wie die GdS von Modalpartikeln. Solche adverbialen Ausdrücke übermitteln dem Hörer die Wahrscheinlichkeit, mit der nach Meinung des Sprechers das Ereignis eintreten wird. Der Autor sieht bezüglich dieser Funktion drei Untergruppen: Tab. 9: Modalpartikeln im Deutschen Faktizität + Bewertung natürlich, wirklich, leider, dummerweise, keineswegs … Wissensverarbeitung logischerweise, offenkundig, zweifellos … Unsicherheit angeblich, anscheinend, vielleicht, normalerweise … Der Begriff ‚modal‘ wird in der Schulgrammatik doppeldeutig gebraucht, einmal im Sinne von ‚Art und Weise‘, zweitens im Sinne der faktischen Geltung des Gesagten (ob und wie weit es zutreffend ist). Um die Doppeldeutigkeit zu vermeiden, sollte man im ersten Falle von modifikativ sprechen. Diese Ausdrücke heben sich dadurch von den anderen Adverbien ab, dass sie Einschätzungen des Sprechers zur geäußerten Proposition, zum Sachverhalt, enthalten. Auch die Konjunktionaladverbien wie außerdem, folglich, trotzdem etc. 23 sind auf den gesamten Satz bezogen, zusätzlich verdeutlichen sie die logische oder semantische Verbindung, die der Sprecher zu vorangegangenen Äußerung(en) sieht. Ein gelegentliches Problem bei der Satzanalyse ist die Unterscheidung zwischen einem Adverbial und einem Attribut. Ein Beispiel für eine zumindest nicht eindeutige Präpositionalphrase ist (B22): B22 „VW willigte ein, die Autobesitzer mit Motoren zu entschädigen, deren Abgaswerte manipuliert worden waren.“ (SZ, 15.7.2016) Im Zeitungstext besteht die Zweideutigkeit in grammatischer Hinsicht darin, dass die mit- Phrase sowohl Attribut zu Autobesitzer sein kann (inkl. Relativsatz) wie auch Präpositionalobjekt zum Verb entschädigen. Im letzteren Falle wäre die Rede von „entschädigen“ ein Witz. 23 Vgl. für eine Liste dieser Adverbien die Duden-Grammatik (2005, §§ 864-866). <?page no="189"?> 188 Syntax: 11 Die Analyse von Sätzen 11.2.2 wie und als (Adjunktorphrasen) Bei Phrasen, die mit wie oder als eingeleitet sind, entsteht meist die Frage, ob sie zu den Präpositionalphrasen gehören. Das grammatische Verhalten solcher Phrasen ist jedoch anders. Zwei Bezeichnungen sind eingeführt: Konjunktionalphrase, bestehend aus einer Konjunktion + Konjunkt, oder Adjunktorphrase, bestehend aus einem Adjunktor + Adjunkt. Das gemeinte Satzglied in (B23) ist eingeklammert. Ihr Kasus richtet sich nach dem des Satzglieds, dem sie angeschlossen sind, meist im Rahmen eines Vergleichs. Ein Adjunkt steht dann im Nominativ, wenn es ein Vergleichsglied zum Subjekt ist, wie in (B23a), und es steht im Akkusativ, wenn es zum Objekt gehört (B23b). B23 a) Er schwimmt [ wie ein Fisch ]. b) Er behandelt seinen Chauffeur [ wie einen Sklaven ]. Adjunkte mit wie / als haben mit den Prädikativen die Gleichsetzung gemeinsam: wie teilt die Gleichheit unter einem bestimmten Vergleichsaspekt mit, während als eine durchaus schwierige Beziehung anvisiert. In den Worten einer älteren, aber wertvollen Grammatik (B RINKMANN 1971, S. 147): „Mit als wird ein Urteil eingeführt, das eine tatsächliche Identität ausspricht oder doch eine, die für den Sprecher tatsächlich besteht …“ Wenn also jemand eine andere Person als Partner betrachtet, dann ist diese Person kein wirklicher oder offizieller Partner, die Äußerung kennzeichnet eine Einstellung, eine Sichtweise mit Handlungskonsequenzen. 11.2.3 Verweiswörter, Bezugswörter, Konnektoren So wie die (z.T. deiktischen) Adverbien können auch andere deiktische und anaphorische Ausdrücke Satzrollen ausfüllen und Satzgliedstellen besetzen. Und so wie die Konjunktionaladverbien sind einige davon in der Lage, satzübergreifende Beziehungen herzustellen, sind also wichtig für die Textbildung. Man kann sie in die große Gruppe der Konnektoren einordnen. Konnektor ist ein Oberbegriff für Konjunktoren, Subjunktoren und satzverbindende Adverbien (s. P ASCH et al. 2003), der auch im DaF-Bereich in Lehrwerken gern eingesetzt wird. 24 Das gilt nicht für die Personal- und Possessivdeixis, die immer sprechsituativ zu deuten ist, wohl aber für die anderen deiktischen Ausdrücke. Anaphern sind grundsätzlich rückbezügliche Ausdrücke, meist satzübergreifend, aber auch satzintern (Reflexivität). Objektdeiktische Ausdrücke wie der und dieser verweisen ebenfalls oft auf Elemente in Vorgängersätzen. Tab. 10 stellt im Überblick ihre Funktionen zusammen: Tab. 10: Deiktische und anaphorische Ausdrücke Ausdruckstypen Funktionalität ich, du (Personaldeixis) Sprecher- oder Hörerverweis, situativ der, dieser, jener Objektdeixis, situativ und textbezogen er, sie, es (Anapher) Rückbezug auf eine NP in Rede oder Text hier, dort, dann … lokale und temporale Verweise, auch textbezogen dabei, damit, daneben … Adverbien, die eine Relation zu einem Verweisobjekt angeben (konjunktional) 24 Vgl. z.B. „em neu“, Hauptkurs B2, von M. Perlmann-Balme und S. Schwalb. Hueber-Verlag. <?page no="190"?> 11.2 Kasus und Satzgliedrolle 189 Solche Ausdrücke besetzen Satzrollen. Sie können mit Hilfe von NP oft umschrieben werden, sind aber keine ‚Stellvertreter‘ von NP im Sinne des Pronomenbegriffs. Betrachtet man die letzte Gruppe der deiktisch gebildeten Adverbien näher, stellt sich heraus, dass sie in ihrer Semantik sehr interessant sind, denn eine Reihe von ihnen können sowohl lokaldeiktisch (B24a) wie auch als Konnektor verstanden werden, sind also manchmal Konjunktionaladverbien (in (b) im Sinne von außerdem): B24 a) Auf dem Tisch steht die Kaffeekanne, die Tasse steht daneben. b) Wir haben uns über alle Anlagemöglichkeiten informiert. Daneben haben wir auch einiges über die Aktienbörse erfahren. Auch hier wird wieder deutlich, wie flexibel die Hörer/ Leser Ausdrücke deuten. Semantische Kriterien sind dafür wesentlich. Mit grammatischen Kategorien (die die Sprecher nicht kennen müssen) versucht man, die Optionen zu erfassen, zwischen denen die Sprecher und Hörer wechseln können. 11.2.4 Negation im Satz In logischer Hinsicht ist die Negation die Aufhebung einer Setzung, einer satzförmigen Äußerung. Als eigenes sprachliches Mittel existiert die Negation im Deutschen in dem Ausdruck nicht. Eine Aussage über die Welt im weitesten Sinne wird durch die Negationspartikel nicht als nicht gültig, nicht zutreffend, vorgestellt. Sie wird im Standardfall auf das Prädikat und darüber auf den gesamten Satz bezogen, dient so als Satznegation. Die Negationspartikel wurde früher oft als Adverb klassifiziert. Sie hat aber keine Satzgliedrolle, weil sie eine Wirkung auf die gesamte Aussage hat, anders gesagt: Sie „operiert“ auf der Aussage. Nach B RINKMANN (1971) ist die Negation eine Modalität, vergleichbar mit Indikativ und Konjunktiv. Daneben wird sie auch für Kontraste eingesetzt, d.h. sie „interagiert mit der Gewichtung (zum Zweck des Bestreitens, Korrigierens, Reparierens etc.)“ (H OFFMANN 2016, S. 52). B25 Nicht für ihr Kind, sondern für die eigene Zukunft hat sie diese Entscheidung getroffen. (B25) ist ein Beispiel für eine kommunikative Gewichtung, bei der die Negation Hilfsmittel der Markierung des Relevanzbereichs ist. Viele andere Grammatiken sprechen dann von einer Sondernegation oder „Satzgliednegation“. Sie meinen also, dass der Gesamtsatz dann nicht negiert ist. Dagegen spricht sich die GdS aus 25 und sieht hier ein „Zusammenwirken der Negation mit Fokussierungs- und Kontrastierungseffekten“. Tab. 11: Weitere Negationswörter Wörter Merkmal Wortart Kommentar semantisch niemand human Pronomen nie, niemals temporal Adverb nirgends, nirgendwo lokal Adverb nirgendwohin, nirgendwoher direktional Adverb sprecherzu- oder abgewandt keinesfalls, keineswegs modal Adverb Modalpartikel bei GdS und H OFFMANN 25 „Teil- und Sondernegationen … sind nicht möglich“ (Zifonun et al. 1997, S. 853). <?page no="191"?> 190 Syntax: 11 Die Analyse von Sätzen Eine Negationswirkung haben auch kein, das oben als Teil der NP behandelt wurde, und konkretisierte Negationen wie die als indefinite Pronomina bekannten Ausdrücke, die bei H ELBIG / B USCHA (1994, S. 515) unter der Überschrift „Negationswörter“ zusammengestellt sind (s. Tab. 11). Im weiteren Sinne haben auch lexikalische Mittel wie das Verb leugnen und Wortbildungsmittel wie das Präfix unnegierende Wirkung. 11.3 Satzbaupläne Die im Deutschen bekannten wiederkehrenden Satzstrukturen wurden oben als Resultat von Verbvalenz beschrieben (Kap. 9.5). Um eine übersichtliche, auch für Sprachlerner nützliche Darstellung zu gewinnen, bieten viele Grammatiken ein Kapitel mit einer Liste von Satzbauplänen (D UDEN -Grammatik), bei E NGEL Satzmuster (1994, S. 171) genannt, auch „Satzschema“ (B ÜHLER und A DMONI ). Zum Teil gilt das Prädikatsverb nicht als Teil des Satzbauplans, sondern nur die von ihm geforderten Satzglieder. Der Bauplan ist bewusst schematisch gehalten. Während die D UDEN -Grammatik auf Abkürzungen verzichtet, arbeitet U LRICH E NGEL mit seinen üblichen Abkürzungen (sub = Subjekt, sit = situative Ergänzung, prp = Präpositionalobjekt): Tab. 12: Satzbauplan oder -muster nach D UDEN -Grammatik und U. E NGEL Beispielsatz D UDEN -Grammatik U. E NGEL Das Dorf liegt an der Autobahn. [Subjekt] + [Lokaladverbiale] + [Prädikat] sub sit Ich gratuliere dir zum Geburtstag. [Subjekt] + [Dativobjekt] + [Präpositionalobjekt] + [Prädikat] sub dat prp Solche Satzmusterregeln lassen sich dependenzgrammatisch auch an den Verben ausdrücken: liegen <sub sit> bringen <sub akk dat dir> Satzbaupläne zu kennen ist wichtig für die Sprecher und Hörer. Man kann annehmen, dass sie nicht nur über ein inneres Lexikon, sondern auch über ein Reservoir von Satzbauplänen verfügen. Auch die Hörer versuchen, möglichst früh die Konstruktion eines Satzes zu erkennen und zu antizipieren, was folgt. B ÜHLER hat dies als Vorauskonstruktion des Hörers bezeichnet. 26 Deutschlernende sollten Satzbaupläne nicht auf formale Weise auswendig lernen, sondern möglichst mit den semantischen Satzrollen („Tiefenkasus“) in Beziehung setzen. 11.4 Infinitiv- und Partizipialphrasen Infinitivphrasen und Partizipialphrasen (oder Partizipphrasen) sind offene Formen, von denen einige als satzwertig gelten. Sie können einem Hauptsatz oder Nebensatz gleichwertig sein. Tab. 13 demonstriert die häufigsten Verwendungen. 26 Die Fähigkeit zur Vorauskonstruktion ist besonders wichtig für das Hörverstehen in der Fremdsprache. <?page no="192"?> 11.4 Infinitiv- und Partizipialphrasen 191 Tab. 13: Infinitivphrasen und -sätze Typus Beispiel 1 Aufforderungssatz Ausstellungsgegenstände nicht berühren! 2 Infinitivphrase Er versucht, mir Angst einzujagen. 3 finale Infinitivphrase Sie spricht leise, um das Kind nicht zu wecken. 4 modaler Infinitiv Stör mich nicht, ich habe viel zu arbeiten. 5 attributiver Infinitiv die Methode, den Text zu analysieren Typisch für die satzwertigen Infinitivphrasen ist die Einleitung mit der Infinitivpartikel zu (ein freies grammatisches Morphem, ein Verbaffix im weiteren Sinne). Die H ELBIG / B USCHA -Grammatik spricht von „Infinitivsätzen“, H OFFMANN von „Infinitivgruppen“. Wie bei einem finiten Verb können ein oder mehrere vom Verb regierte Satzteile hinzutreten. Beispiel 1 ist eine beliebte verkürzende Konstruktion, die die Anrede des Hörers / Lesers durch den Imperativ vermeidet, z.B. in einer Gebrauchsanweisung. Beispiel 2 enthält zwei Ergänzungen zum Infinitiv einjagen: ein Akk.objekt (Angst) und ein Dativobjekt (ihm). Allerdings ist bei einem Infinitiv kein Subjekt möglich. Man erschließt aus dem Handlungszusammenhang, wer handelnde Person - z.B. wer der Urheber von ‚Angst einjagen‘ - ist. Tritt eine Infinitivphrase als Subjekt auf, gibt es grammatisch zwei fast identische Konstruktionsmöglichkeiten: B26 a) Morgens einmal um den Park zu laufen(,) finde ich toll. b) Morgens einmal um den Block laufen finde ich toll. In (B26) ist Satz (a) eine satzwertige, daher oft mit Komma abgetrennte Phrase. In Beispiel (b) dagegen übernimmt die Phrase ohne die Infinitivpartikel zu direkt die Subjektrolle im Satz. Eine Abtrennung mit Komma ist dann nicht möglich, anders als in Beispiel (a). Beispiel 3 in Tab. 13 steht für die eingeleiteten Infinitivphrasen, von denen es relativ wenige gibt, verglichen mit den Nebensätzen. Ähnlich wie ein Subjunktor fungieren: um zu, ohne zu, außer zu, anstatt zu. Beispiel 4 enthält einen modalen Infinitiv, wovon es im Deutschen zwei Typen gibt: ‚hat zu tun‘ und ‚ist zu tun‘. Der modale Charakter zeigt sich bei Transformation mit Hilfe von Modalverben: B27 a) Ich habe zu tun (= Ich muss arbeiten) b) Das Formular ist vom Antragsteller selbst auszufüllen. (= Das Formular kann / muss / soll vom Antragsteller ausgefüllt werden). Tabellenbeispiel 5 ist eine in die Nominalphrase eingebundene attributive Infinitivphrase. Für Sprachlerner ist der grammatische Unterschied zwischen Nebensätzen und Infinitivphrasen eine anspruchsvolle Lernaufgabe. Hinzu kommt die Schwierigkeit, die Beziehung zum Verb des Matrixsatzes einzuschätzen. Denn nicht jeder Nebensatz ist durch eine Infinitivphrase ersetzbar, ebensowenig gilt das umgekehrt, beide sind valenzgebunden. E ISENBERG (2006, S. 348) gibt den Hinweis, dass der zu-Infinitiv in Subjektposition bei Verben und Adjektiven vorkommt, die physisch-psychische Zustände bezeichnen (B26), auch bei dem Verb versuchen. Bei diesen Verben kann die Infinitivphrase nicht mit einem dass-Satz ausgetauscht werden. B28 Viel zu reden widerstrebt ihr. <?page no="193"?> 192 Syntax: 11 Die Analyse von Sätzen Selbstständige 27 Partizipialphrasen, die eigenständig ein Satzglied bilden, bestehen aus unflektierten Partizipien I oder II, die um mindestens ein Element erweitert sind: B29 a) [ Völlig ermüdet ] fiel er in den Sessel. b) [ Die letzte Lieferung betreffend ] können wir Ihnen mitteilen ... c) [ Auf einem Bein hinkend ] kam sie ins Zimmer. Bei vielen Partizip- und Adjektivphrasen „liegt es im Ermessen des Schreibenden, ob er etwas mit Komma als Zusatz oder Nachtrag kennzeichnen will oder nicht“ („Amtliche Richtlinien“ zur deutschen Rechtschreibung). (B30) gibt zwei Beispiele aus diesem Dokument: 28 B30 a) Er lief(,) außer sich vor Freude(,) auf sie zu. b) Durch eine Tasse Kaffee gestärkt(,) werden wir die Arbeit fortsetzen. 11.5 Satzreihe und Satzgefüge 11.5.1 Koordinierte Hauptsätze In Texten können Sätze aneinandergereiht werden, aber es gilt als eine Verbesserung der Textqualität, wenn Verbindungen zwischen den Sätzen explizit gemacht werden. Dazu existieren vor allem zwei Arten von Verbindungswörtern: Konjunktoren wie und, oder etc. und Konjunktionaladverbien. Tab. 14: Koordinative Verknüpfung von Satzgliedern und Sätzen Konnektoren (koordinierend) Beispiele Reihung von Satzgliedern mit und lesen und schreiben; vorher wie nachher; sowohl in Mannheim als auch in Heidelberg; hin- und hergehen adversative Koordination nicht vorher, aber nachher Reihung von Sätzen Wir gehen jetzt zur Straßenbahn und dann fahren wir heim. explikative Anreihung Das passt gut, wir haben nämlich heute frei. Die Koordination ist ein Verhältnis, das auf mehreren syntaktischen Ebenen vorkommt, also gleichartige Einheiten zu einer größeren Funktionseinheit kombinieren kann (siehe Tab. 14). Konjunktionen / Konjunktoren gehören zur größeren Gruppe der Konnektoren. Einige davon stellen eine Reihung oder ein additives Verhältnis her, andere wie aber und sondern sind adversativ, entgegensetzend (H OFFMANN 2013, S. 425 ff.). Das durch den Konjunktor angeschlossene Satzglied heißt Konjunkt. Einige wenige Konjunktoren sind darauf spezialisiert, nur Satzglieder (sowie, sowohl als auch) oder aber nur eigenständige Sätze zu verbinden (allein, denn, doch, nur). Sie stehen vor dem Vorfeld, dem Satz quasi vorgeschaltet. Andere verbinden beliebige Konjunkte miteinander. Sehr universell einsetzbar sind und und oder. 27 Sie sind zu unterscheiden von attributiven Partizipialphrasen. 28 Die „Amtlichen Richtlinien“ der gültigen Rechtschreibung sind abgedruckt in Rechtschreibwörterbüchern und in der Netzpublikation des Deutschen Rechtschreibrates (2010). <?page no="194"?> 11.5 Satzreihe und Satzgefüge 193 Konjunktionaladverbien wie demzufolge, dagegen, dabei sind nicht auf das Vor-Vorfeld festgelegt. So wie bei anderen Adverbien ist ihre Wortstellung relativ frei. Manche Grammatiken, auch das „Handbuch der deutschen Wortarten“ (H OFFMANN 2007), bringen hier noch eine weitere Wortklasse ins Spiel, nämlich die Konnektivpartikeln. Auch sie dienen der Verknüpfung von Äußerungen und sind in die zweite Äußerung eingebaut, aber mit variabler Stellung, anders als die Konjunktoren. Beispiele sind immerhin, gleichwohl, auch die gliedernden Partikel erstens / zweitens etc. Diese Partikeln sind semantisch und stilistisch sehr differenziert (vgl. H OFFMANN 2016, S. 419 ff.). 11.5.2 Untergeordnete Sätze (Nebensätze) Die bekannte Unterscheidung von Haupt- und Nebensätzen legt ein Missverständnis nahe. Der Hauptsatz gilt meist als Träger der Hauptinformation und als selbstständige syntaktische Einheit. Sehr häufig wird aber der kommunikativ wichtigere Gehalt im Nebensatz ausgesprochen. Der Hauptsatz ist dann keineswegs autonom oder selbstständig, er kann ohne den Nebensatz nicht bestehen und keine Proposition enthalten: B31 a) Ich beobachtete, wie er leise das Haus verließ. b) Der Arzt meint, dass das Medikament gut verträglich ist. Sowohl semantisch wie syntaktisch sind die Hauptsätze auf das Satzglied angewiesen, das der Nebensatz realisiert. Beide Sätze in (B31) mit den Verb beobachten und meinen brauchen ein Objekt, hier in der Form eines Nebensatzes, der deshalb Objektsatz heißt. Ohne ihn wären sie grammatisch falsch und semantisch unvollständig. Der übergeordnete Satz enthält das maßgebliche finite Verb für den Satzbauplan. Er ist von daher eine Art Rahmen, in den der Nebensatz eingeordnet wird. Der Begriff Matrixsatz 29 kennzeichnet diese Einbettung durch den Hauptsatz recht gut. Das Verhältnis der Subordination (Unterordnung des Nebensatzes) ist eine grammatische Abhängigkeit, die im Deutschen fast immer doppelt gekennzeichnet ist: 1. Nebensätze sind sogenannte Verbletztsätze . Das bedeutet: Das finite Verb, im Aussagesatz und in vielen Fragesätzen auf die zweite Position festgelegt, schließt den Nebensatz ab. 2. Ein Subjunktor wie weil oder dass markiert den Beginn des Nebensatzes. Besondere Fälle sind der Typus des uneingeleiteten Nebensatzes (B32a) und der Ausrufesatz in Nebensatzform (B32b): B32 a) Ich finde, du hättest ruhig zu Hause bleiben können. b) Dass du aber auch nichts für dich behalten kannst! Beispiel (a) ist äußerlich (formal) nur schwer als Matrixsatz + Nebensatz erkennbar, denn ihm fehlt ein Subjunktor wie auch die Endstellung des finiten Verbs. Dennoch besteht eine Abhängigkeit in der syntaktischen Relation: Der zweite Satz ist Objekt zu finden. (B32b) ist erklärbar als eine Verselbstständigung aus einem üblichen Satzgefüge des Typs: Ich ärgere mich, dass … oder: Ich kann nicht verstehen, dass … 29 Vgl. Duden-Grammatik (2016, § 1698). Der Begriff Hauptsatz ist als eingeführte Bezeichnung natürlich weiterhin verwendbar. <?page no="195"?> 194 Syntax: 11 Die Analyse von Sätzen 11.5.3 Attributsätze Ein Attributsatz (Relativsatz) ist ein nachgestelltes Attribut in der Nominalphrase. Er ist als Satz zwar eigentlich eine größere Einheit als eine Nominalgruppe, ist aber semantisch und syntaktisch an das Kernnomen angebunden und bestimmt es näher. Das zeigt sich auch an Transformationen: Ein attributiver Nebensatz kann in vielen Fällen in ein nicht satzförmiges Attribut umgeformt werden: B33 das Auto, das schon ziemlich alt ist, das (schon ziemlich) alte Auto die Mannschaft, die aus England kommt, die Mannschaft aus England Beim Relativsatz fällt auf, dass die Attribuierung aus dem unmittelbaren Bereich der NP herausgenommen ist und eine eigene syntaktische Struktur besitzt. Er darf allerdings nicht zu weit vom Kernnomen entfernt stehen, sonst könnte eine Konkurrenz zwischen mehreren möglichen Bezügen im Satz entstehen. 30 Nicht nur Relativsätze, auch dass-Sätze und Infinitivphrasen treten als Attribute auf. Die dass-Sätze erfasst die Duden-Grammatik als Inhaltssätze, andere sprechen von Komplementsätzen. Bestimmte Typen von Nomen sind oft auf Sachverhalte oder Handlungen bezogen und lassen sich sehr gut durch einen Nebensatz oder eine Infinitivkonstruktion vervollständigen: B34 Wir sind [ der Meinung, dass du recht hast ]. Wir haben [ Angst, ihn zu verärgern ]. 11.6 Analyse komplexer Sätze Bei den Nebensätzen gibt es eine Reihe von syntaktisch-funktionalen Typen. Verschiedene Gesichtspunkte sind für ihre Einteilung und Funktionsbestimmung relevant (Tab. 15). Tab. 15: Einteilung der Nebensätze Kriterium Typen Beispiele Einleitung des NS a) durch Subjunktoren b) durch Relativpronomina c) durch Relativadverbien d) uneingeleitet a) weil, insofern als, dass ... b) der, die, das, wer, was c) wo, wann, wobei ... d) Wäre es sinnvoll, würde ich es machen. Syntaktische Funktion im Matrixsatz a) Subjektsatz b) Objektsatz c) Attributsatz d) Adverbialsatz e) ohne Gliedfunktion, weiterführender NS a) Wer das verfasst hat, ist mir unbekannt. b) Ich weiß, dass sie kommt. c) Da kommt endlich jemand, den ich kenne. d) Als es hell wurde, wurde er wach. e) Die Gruppe protestierte, woraufhin es zu einer heftigen Debatte kam. Abgesehen vom weiterführenden Nebensatz, der in keiner (klaren) syntaktischen Beziehung zum übergeordneten Satz steht, sind alle Nebensatztypen Gliedsätze. Sie können häufig in einfache, d.h. nicht satzförmige, Satzglieder, also z.B. in eine NP oder PP, transformiert werden: 30 S. dazu den Vergleich früherer und heutiger deutscher Texte in Weinrich (1993, S. 782 ff.). <?page no="196"?> 11.6 Analyse komplexer Sätze 195 B35 Wer das verfasst hat, ist mir unbekannt. Der Verfasser ist mir unbekannt. Semantisch gehört der Nebensatz in (B35) laut D UDEN -Grammatik in die große Gruppe der Inhaltssätze. 31 Besonders bei den Verben des Sagens und Denkens (vgl. Kap. 10.3.5.3) muss die „Verbszene“ eine inhaltliche Angabe vom Typ eines Sachverhalts enthalten. Die Inhalte des Wissens, Denkens und Fühlens können auf verschiedene Weise angesprochen werden. Tab. 16 zeigt die formale Vielfalt dieses Typs. Tab. 16 Nebensätze, die Wissen abbilden faktisches Wissen dass signalisiert Realität, Wahrheit fragliches Wissen ob möglicher Sachverhalt schematisierend W-Wörter (wer, wie, was, wann …) zeigt Lücke oder Leerstelle im Wissen Unter syntaktischem Aspekt handelt es sich bei diesen Nebensätzen meist um Objektsätze. Im Falle von Präpositionalobjekten geschieht die Einbindung des Nebensatzes in den Matrixsatz oft durch ein deiktisches Adverb wie darüber in (B36a). Das Konjunktionaladverb enthält das lokaldeiktische Zeigwort da. In vielen Grammatiken werden solche vorausverweisenden Wörter als syntaktisches Korrelat zum Nebensatz bewertet. Auch das kataphorische es kann schon im Hauptsatz einen vorausgreifenden Bezug zum Nebensatz herstellen (B36b): B36 a) Ich freue mich [ darüber ], [ dass alles so gut geklappt hat ]. b) Er hat [ es ] nicht bereut, [ die Wahrheit gesagt zu haben ]. c) Sag mir endlich, [ warum du gelogen hast ]. Anstelle der Anapher kann der Sprecher sich auch für eine Fokussierung entscheiden, vor allem mündlich. In Beispiel (B37a) steht das objektdeiktische das als vorwegnehmende Fokussierung des Gehalts des Nebensatzes. (B37b) macht deutlich, wie das Korrelat grammatisch von der Valenz des Verbs im Matrixsatz bestimmt wird: sich bewusst sein erfordert eine Ergänzung im Genitiv, die am Nebensatz nicht ausgedrückt werden könnte, wohl aber durch den Proterm, der als Korrelat dient. Mit solchen „Bezugseinheiten“ (E ISENBERG ) wird also erreicht, dass einem Nebensatz, der dem Matrixsatz folgt, schon vorab eine syntaktische Position zugewiesen werden kann. Indem das Korrelat im Vorfeld oder im Mittelfeld steht, kann die gewohnte Anordnung der Satzglieder beibehalten werden. B37 a) Das leuchtet mir nicht ein, was du als Grund genannt hast. b) Ich bin mir dessen bewusst, dass ich nicht immer aufgepasst habe. Die korrelierenden deiktischen und phorischen Elemente sind bei bestimmten Verben und unter bestimmten Bedingungen fakultativ 32 , d.h. der Sprecher kann selbst über ihren Einsatz entscheiden, z.B. bei (B37b). Das Subjekt das in (B37a) kann aber nur dann wegfallen, wenn der Nebensatz dem Matrixsatz vorangeht. Die Katapher es fällt bei Voranstellung des Nebensatzes auch weg. Sie gilt überhaupt häufig als fakultativ, was im Fremdsprachenunterricht ein bekanntes Problem darstellt. 33 31 Auch die „Textgrammatik“ nennt dass eine „Inhaltskonjunktion“. 32 Vgl. aber zur „Grammatik der Korrelate“ z.B. Eisenberg (2006, Abschn. 10.3). 33 Die Grammatik von Helbig / Buscha widmet deshalb allein dem „Pronomen es“ ein ganzes Kapitel. <?page no="197"?> 196 Syntax: 11 Die Analyse von Sätzen Divergenzen in der Grammatiktheorie gibt es anscheinend im Bereich derjenigen Objektsätze, die traditionell als indirekte Fragesätze bezeichnet werden. Deren Einleitungswörter sind ob und - genau wie in bestimmten Relativsätzen - so genannte „w-Wörter“ (vgl. (B38)). Häufig besteht eine gewisse Ähnlichkeit zwischen den Interrogativnebensätzen und den Relativsätzen. E ISENBERG ( 4 2013) zeigt das an dem Beispiel: B38 a) Monika vergisst, was Manfred ausgesucht hat. b) Monika vergisst das, was Manfred ausgesucht hat. (B38b) ist als Relativsatz erkennbar, da es ein Bezugselement im Hauptsatz gibt (das), worauf der Nebensatz sich attributiv bezieht. Mit das wird dann ein konkretes Objekt benannt, das Monika vergessen hat mitzubringen. (B38a) ist schwieriger, weil es zwei Lesarten gibt. Es kann eine „indirekte Frage“ sein, aber nach E ISENBERG auch ein Relativsatz mit ausgelassenem Bezugselement, den er als „freien Relativsatz“ betrachtet. 34 Ein ebenfalls schwieriger Typ von Nebensätzen sind die Vergleichssätze. Sie sind zum Satz ausgebaute Adjunkte mit als oder wie, und da sie hypothetisch gemeint sind, tritt wenn oder ob als Subjunktor hinzu. Aus diesem Grund ist auch der Konjunktiv erforderlich. Ein Gegenstand oder Ereignis wird charakterisiert durch einen veranschaulichenden Vergleich: 35 B39 „Sie versuchen den Ball aus den unmöglichsten Winkeln ins Tor zu schießen. Beckham sieht so aus, als mache ihm das einen Riesenspaß.“ (Die Zeit, 6.11.2003) Subordination kann mehrfach und abgestuft vorkommen, in einem komplexen Satzgefüge. H ANS J ÜRGEN H ERINGER spricht in seiner Schülergrammatik von „Treppen- und Schachtelsätzen“ (1989, S. 331). Eines seiner Beispiele ist: Abb. 1: Nebensätze hierarchisch Wir müssen fordern, dass die Zensur aufhört, damit wir frei schreiben können. In solchen Fällen ist der übergeordnete Nebensatz Matrixsatz für den untergeordneten. 34 Zu dieser Diskussion vgl. Eisenberg (2013, S. 313 ff.). 35 Bei Hoffmann (2016, S. 360 f.) wird die Semantik etwas genauer beschrieben. <?page no="198"?> 11.6 Analyse komplexer Sätze 197 Ausgewählte Aufgaben zu Kap. 11 (10 von 40) 2. Flexion in der Nominalgruppe: Die Flexion des Substantivs ist im Deutschen mittlerweile stark reduziert. Man unterscheidet je nach der Form des Substantivs im Genitiv Singular die drei Typen S-Deklination, N-Deklination, Null-Deklination. Bitte betrachten Sie die folgenden Wörter und entscheiden, welchem Deklinationstypus sie angehören. a) Mann ☐ S-Deklination ☐ N-Deklination ☐ Nulldeklination b) Frau ☐ S-Deklination ☐ N-Deklination ☐ Nulldeklination c) Kind ☐ S-Deklination ☐ N-Deklination ☐ Nulldeklination d) Postbote ☐ S-Deklination ☐ N-Deklination ☐ Nulldeklination 4. Welche der folgenden Sprachen sind artikellose Sprachen? Recherchieren Sie ggf. im Internet. ☐ Italienisch ☐ Japanisch ☐ Griechisch ☐ Polnisch ☐ Russisch ☐ Türkisch 5. Ordnen Sie den folgenden Märchen-, Buch- und Filmtiteln die passende grammatische Beschreibung zu. a) Schöne neue Welt b) Fluch der Karibik c) Auf der Suche nach der verlorenen Zeit d) Frühstück bei Tiffany e) Aus tief empfundener Trauer f) Der Hundertjährige, der aus dem Fenster stieg und verschwand ☐ Nominalphrase mit einem Attributsatz ☐ Nominalphrase mit zwei Adjektivattributen ☐ Nominalphrase mit einem Genitivattribut ☐ Nominalphrase mit einem präpositionalen Attribut ☐ Präpositionalphrase mit präpositionalem Attribut, inkl. Adjektivattribut ☐ Präpositionalphrase mit Partizipattribut 9. Bestimmen Sie die Funktionen der unterstrichenen Präpositionalphrase in den folgenden Beispielsätzen: lokales Adverbial - Attribut - Präpositionalobjekt? a) Unter dem Sofa sitzt eine Katze. lokales Adverbial b) Unter einem Sofa stelle ich mir etwas Weicheres vor. Präp.Objekt (Ergänzung) c) Die Katze unter dem Sofa faucht. Attribut 10. Welche Rolle im Satz haben die unterstrichenen Infinitivphrasen? Subjekt / Prädikat / Akkusativobjekt / Dativobjekt / Adverbiale / Attribut a) Ich habe vor, das ganze Buch zu lesen. Akkusativobjekt b) Der Genuss, das Konzert in diesem Konzertsaal zu hören, kostet leider einiges. Attribut c) Bei diesem Konzert dabei zu sein, ist eine wunderbare Erfahrung. Subjekt <?page no="199"?> 198 Syntax: 11 Die Analyse von Sätzen 12. Im Deutschen gibt es verschiedene Möglichkeiten zum Ausbau einer Nominalphrase. Versuchen Sie, den folgenden Satz so lang wie möglich zu machen, indem Sie uns mehr über den Studenten verraten und die NP erweitern: Der Student meldet sich. 14. Zeichnen Sie ein Stemma der folgenden Nominalphrase: das Ergebnis des gestrigen Bundesligaspiels zwischen Schalke 04 und Borussia Dortmund 18. Was ist eine „Pro-drop-Sprache“? Recherchieren Sie im Internet. Welche der folgenden Sprachen ist eine Pro-drop-Sprache, und was ergibt sich daraus für das Erlernen des Deutschen? Arabisch, Deutsch, Englisch, Griechisch, Italienisch, Polnisch, Türkisch 33. Klassifizieren Sie die unterstrichenen Attribute in einem Textausschnitt von A LEXANDER M ITSCHERLICH . Über den Ursprung der menschlichen Aggressivität ist es bis heute zu keiner übereinstimmenden Auffassung in der Forschung gekommen. Es wird die Meinung vertreten, der Mensch reagiere nur auf das feindselig, was die Gesellschaft ihm, dem Individuum, an Enttäuschungen und an Leid zufüge. Ich teile diese Auffassung nicht. Was ist das für eine Natur, die sich bis heute niemals endgültig durchgesetzt hat, … 35. Der Satz „Er drohte dem Mann mit dem Stock.“ ist doppeldeutig. Erläutern Sie, warum. Ausgewählte weiterführende Literatur Ehlich, Konrad (1999) Der Satz. Beiträge zu einer pragmatischen Rekonstruktion. In: Redder, Angelika / Rehbein, Jochen (Hgg.) Grammatik und mentale Prozesse. Tübingen: Stauffenburg, S. 51-68 Eisenberg, Peter ( 4 2013) Grundriss der deutschen Grammatik. Bd. 2: Der Satz. Stuttgart: Metzler, Kap. 9-13 Eroms, Hans-Werner (2000) Syntax der deutschen Sprache. Berlin: de Gruyter, Kap. 9: „Die Wortstellung“ Fabricius-Hansen, Catherine (1992) Subordination. In: Hoffmann, Ludger (Hg.) Deutsche Syntax. Ansichten und Aussichten. Berlin: de Gryuter, S. 459-481 Graefen, Gabriele (1995) Ein Wort, das es in sich hat. In: Zielsprache Deutsch 26/ 2, S. 82-93 Rehbein, Jochen (1992) Zur Wortstellung im komplexen deutschen Satz. In: Hoffmann, Ludger (Hg.) Deutsche Syntax. Ansichten und Aussichten. Berlin: de Gruyter, S. 523-574 Schumacher, Helmut/ Kubczak, Jacqueline et al. (2004) VALBU - Valenzwörterbuch deutscher Verben. Tübingen: Narr Weinrich, Harald et al. (1993) Textgrammatik der deutschen Sprache. Mannheim: Dudenverlag, Kap. 2, S. 29-87 Zifonun, Gisela / Hoffmann, Ludger/ Strecker, Bruno (1997) Grammatik der deutschen Sprache. Kap. E „Kompositionaler Aufbau kommunikativer Minimaleinheiten“ <?page no="200"?> Phonetik und Phonologie 12 Phonetische Grundlagen 12.1 Die Disziplinen Phonetik und Phonologie Phonetik und Phonologie besitzen in gewisser Weise eine Sonderstellung innerhalb der linguistischen Teildisziplinen. Die von den beiden Disziplinen untersuchten Einheiten sind zwar sprachlicher Natur, besitzen aber selbst keine Bedeutung: Sie dienen vielmehr „nur“ dazu, sprachliche Einheiten voneinander zu unterscheiden. Ausgehend von dem Phon, dem Laut, lassen sich Phonetik und Phonologie vereinfacht als „Wissenschaft(en) von den Lauten“ übersetzen. Diese Erfassung trifft das Untersuchungsgebiet der beiden Wissenschaften allerdings nur unzureichend; sie lassen sich eher als „Wissenschaft(en) vom sprachlichen Trägermaterial“ bestimmen. Warum aber gibt es zwei Disziplinen, die sich damit beschäftigen? Ein Grund dafür liegt im Gegenstand, der zwei unterschiedliche Problemstellungen umfasst. Zum einen ist zu fragen, welche physikalischen Eigenschaften menschliche Sprache besitzt. Diese Perspektive wird von der Phonetik eingenommen. Als wissenschaftliche Disziplin hat sie sich seit Ende des 18. Jahrhunderts etabliert; ihre Entwicklung ist eng mit den technischen Möglichkeiten der Aufzeichnung von Ton verbunden. Bezugsdisziplinen der Phonetik sind neben der Sprachwissenschaft die Physik sowie die Biologie. Ihre Anwendungsinteressen betreffen oft praktische Fragen, z.B. der medizinischen Diagnostik, der Spracherkennung oder der Sprachsynthese ((T1) Text-to-Speech, vgl. Kap. 18). Demgegenüber versteht sich die Phonologie als eine geisteswissenschaftliche Disziplin. Sie interessiert sich für die Frage, welche der (von der Phonetik beschriebenen) physikalischen Mittel eine bedeutungsunterscheidende Funktion besitzen. Innerhalb des Fachs Phonetik wird die Phonologie auch als funktionale oder funktionelle Phonetik bezeichnet. Sie spielt eine entscheidende Rolle bei der Wahl der phonetischen Untersuchungsgegenstände. Aus der Perspektive der Phonologie betrachtet, ist die Phonetik eine wichtige Bezugsdisziplin, die dabei hilft, den Untersuchungsgegenstand ausgehend von verschiedenen Merkmalen zu erfassen. Die theoretischen Beschreibungsansätze in beiden Disziplinen sind vielfältig. Einführend sei auf W IESE (2010), für die Phonetik auf P OMPINO -M ARSCHALL (2009), für die Phonologie auf H ALL (2011) verwiesen. 12.2 Akustische Phonetik Die physikalische Dimension des Sprachklangs wird durch die akustische Phonetik näher untersucht. Ihr Gegenstand ist das Schallsignal. Der Begriff ist von einer (metaphorischen) Verwendungsweise des Ausdrucks „Signal“ zu trennen, in der manchmal von einem „Sprachsignal“ gesprochen wird. Das Signal ist eine physikalisch messbare Größe, die mithilfe von Apparaten analysiert und in physikalischen Einheiten beschrieben werden kann. In seiner Signalqualität unterscheidet sich das Sprechen nicht von anderen Geräuschen, wie sie z.B. durch das Umwerfen eines Stuhls, einen Automotor oder Händeklatschen hervorgerufen werden. <?page no="201"?> 200 Phonetik und Phonologie: 12 Phonetische Grundlagen Besonders interessant sind die bildgebenden Verfahren, die die Phonetik bereitstellt. Man spricht in diesem Zusammenhang von „visible speech“. Zur Analyse und Visualisierung von Schalleigenschaften stehen heutzutage leistungsfähige Computerprogramme zur Verfügung, z.B. „praat“. 1 12.2.1 Messung und Visualisierung von Schallwellen Durch Sprechen wird eine Serie von kleinen, schnellen Fluktuationen des Luftdrucks ausgelöst: 2 die Schallwelle. Bei der Aufnahme durch ein Mikrophon werden die Luftdruckveränderungen mittels einer Membran erfasst, deren zeitliche Verschiebung aus einer Ruhelage in elektrische Spannungen wechselnder Größe umgewandelt wird. Die akustischen Eigenschaften des aufgezeichneten Signals können in einem Oszillogramm sichtbar gemacht werden. Abb. 1 zeigt das Oszillogramm einer sprachlichen Äußerung. Abb. 1: Oszillogramm (T2) „Anna sitzt im Zug nach Aachen.“ Die Amplitude, der Abstand zwischen Null-Linie und Maximum bzw. Minimum des Ausschlags, ist ein Maß für die Lautstärke, die in Dezibel (dB) erfasst wird. Je größer die Amplitude, umso „lauter“ 3 ist das Signal. Mithilfe von Oszillogrammen können Lautproduktionen sichtbar gemacht werden. So kann das Schallsignal Auskunft darüber geben, ob z.B. ein Wort wie Arbeitsamt mit stimmhaftem oder stimmlosen s-Laut, mit oder ohne ausgesprochen wird. Zudem lässt sich die Länge eines Lautes erfassen: Die Artikulation von ː im obigen Beispiel dauerte z.B. 1 Das Programm wurde von Paul Boersma und David Weenik an der Universität Amsterdam entwickelt (s. Internet-Links). 2 Vgl. ausführlicher Reetz (2003). 3 Zur Wahrnehmung von Lautheit s. Kap. 12.3. <?page no="202"?> 12.2 Akustische Phonetik 201 rund 70 Millisekunden (ms). Für das Deutsche sind Längenmessungen besonders im Hinblick auf die so genannten „Langvokale“ interessant. 12.2.2 Frequenzen im Schallsignal Der Begriff „Frequenz“ bezieht sich auf die zyklische Struktur periodischer Wellen, wie sie bei Artikulation so genannter „stimmhafter Laute“, z.B. von Vokalen, produziert werden. Die Einheit „Hertz“ (Hz) erfasst die Anzahl der durchlaufenen Zyklen pro Sekunde. Wiederholt sich z.B. ein Zyklus in einer Sekunde 100-mal, so spricht man von einer Frequenz von 100 Hertz, bei einer 1.000-maligen Wiederholung von einer Frequenz von 1.000 Hertz. Hohe Frequenzen werden ohrenphonetisch als hellerer Klang eingestuft als tiefe Frequenzen. Der für Sprache relevante Frequenzbereich liegt zwischen 20 und 20.000 Hertz. Sprachliche Äußerungen sind als Vielzahl von Frequenzen erfassbar, die sich schnell oder langsam verändern. Vergleichsweise langsame Veränderungen betreffen die vom Ohr wahrgenommene Tonhöhe des Sprechens (pitch). Physikalisch entspricht ihr die Grundfrequenz (F0) des Signals. Schwankungen der Grundfrequenz werden von menschlichen Hörern als „Sprechmelodie“ wahrgenommen (s. Kap. 14). Abb. 2 und 3 zeigen den Grundfrequenzverlauf von verschiedenen Umsetzungen der Äußerung „ach so“. Im ersten Fall steigt die Frequenz an, um dann wieder abzufallen. Im zweiten Fall findet sich ein leichter Abfall, dann eine deutliche Steigung. Unterbrechungen der Konturen sind darauf zurückzuführen, dass stimmlose Laute keine periodischen Schwingungen aufweisen. Abb. 2: (T3) „ach so! “ Abb. 3: (T4) „ach so? “ Die mittlere Sprechstimmlage eines Sprechers, die durch Messung der Grundfrequenz über einen längeren Äußerungszeitraum hinweg ermittelt wird, ist ein wichtiges Indiz für die Sprechererkennung. Eine Männerstimme im Deutschen liegt bei rund 120 Hz, eine Frauenstimme bei rund 230 Hz, die Stimme eines Säuglings um die 400 Hz. 4 Die Standardabweichung vom (individuellen) Grundfrequenzmittelwert ist ein Indiz für die wahrgenommene Melodik der Stimme. Sprachlaute entsprechen schnellen Frequenzveränderungen. Zudem umfassen sie - anders als so genannte „reine Töne“ (Sinuswellen) - verschiedene Frequenzbereiche, die 4 Angaben nach Pompino-Marschall (2011). <?page no="203"?> 202 Phonetik und Phonologie: 12 Phonetische Grundlagen man durch eine Spektralanalyse bestimmen und in einem Spektrogramm (auch als Sonagramm bezeichnet) visualisieren kann. Abb. 4 gibt ein Beispiel. Abb. 4: Breitband-Spektrogramm („Am Siegestor“) Die vertikalen Streifen im Spektrogramm lassen die Schwingungen der Stimmlippen erkennen, die für stimmhafte Laute kennzeichnend sind (s. Kap. 13.4). Die horizontalen Streifen in der Abbildung zeigen die Grundfrequenz (F0) sowie weitere ausgeprägte Frequenzen, die so genannten Formanten. Sie werden „von unten nach oben“ gezählt und sind ein wichtiges Indiz für die Klassifikation von Sprachlauten. Die Formanten lassen die Formung des Mundes bei der Lautproduktion erkennen, u.a. den Grad der Mundbzw. Kieferöffnung (F1), der Zungenhebung (F2) sowie der Lippenrundung (F3). Bei Sprachvergleichen können Messungen der Formantenkonstellationen als tertium comparationis dienen. H AKKARAINEN (1995, S. 126) stellt beispielsweise die Vokale des Deutschen und Finnischen auf diese Weise vergleichend dar. Die genauen physikalischen Messungen sind wichtig, da phonetische Transkriptionen oft einen einzelsprachlichen Bezug aufweisen (vgl. Kap. 13). Auch für „abweichende“ Lautrealisierungen, wie sie für den Fremdsprachenerwerb kennzeichnend sind, erweist sich ein messender Zugang als sinnvoll. Entsprechende Forschungen finden sich bislang allerdings noch selten. Ausgehend von der Buchstabenschrift verbindet sich mit dem Ausdruck „Sprachlaut“ oft die Vorstellung einer statischen Einheit. Sprachlaute sind jedoch dynamische Größen, wobei sich der Ablauf der Muskelbewegung je nach Lautumgebung unterschiedlich gestaltet. So unterscheidet sich das in Sack beispielsweise von dem in Tick, ein wie in du von einem wie in die. Die Anpassungsprozesse von Lauten in einer Lautkette bezeichnet man als Koartikulation. Als physikalische Erscheinungen sind keine zwei Laute jemals gleich. Auch von ein und demselben Sprecher produzierte Laute stellen sich bei Wiederholung als different dar. Aufgabe der akustischen Phonetik ist es, aus dieser Einzigartigkeit die gemeinsamen Züge herauszuarbeiten, die es dem Hörer erlauben, unterschiedliche Signale als Instanzen ein und desselben Lauts zu identifizieren. Der Begriff „Phon“, der in Phonetik und Phonologie genutzt wird, ist also bereits eine abstrakte Kategorie. <?page no="204"?> 12.3 Auditive und Perzeptive Phonetik 203 12.3 Auditive und Perzeptive Phonetik Von „auditiver Phonetik“ („Ohrenphonetik“) wird gesprochen, wenn Phonetiker mit ihrem Gehör arbeiten. Die auditive Phonetik nutzt das Ohr als Instrument, um zum Gegenstand Sprache Zugang zu gewinnen. Sie stellt somit einen Gegenpol zur so genannten instrumentellen Phonetik dar, die die physikalische Grundlage der Höreindrücke apparativ untersucht. Die Ausbildung von Phonetikern umfasst ein langjähriges Training ihrer auditiven Fähigkeiten, zu dem auch der Abgleich von Höreindrücken gehört. Als perzeptive Phonetik bezeichnet man spezifischer ein Teilgebiet der Phonetik, das die physiologischen Aspekte der Verarbeitung von Schallwellen untersucht. Ihr Gegenstand ist das Ohr, aber auch das Verhältnis von messbaren Charakteristika des Schallsignals und ihrer psychischen Verarbeitung bei der Wahrnehmung. Die Aufnahme und Verarbeitung von Schallwellen durch den menschlichen Hörorganismus ist komplex. Als organische Ausstattung dient das Ohr der räumlichen Orientierung und der Kontrolle des Gleichgewichts. Es ist zudem in der Lage, Schallsignale aufzufangen und Schallquellen im Raum hinsichtlich ihrer Lage zu differenzieren. Das äußere Ohr dient als Trichter, der eingehende Signale sammelt. Das Trommelfell, eine Membran, die das Mittelohr luftdicht abschließt, registriert diese als Erschütterungen. Durch ein System von Knöchelchen und Knorpeln („Hammer“, „Amboss“ und „Steigbügel“) wird das Signal im Mittelohr mechanisch gebündelt und verstärkt. Das innere Ohr beherbergt das eigentliche Hörorgan, die Schnecke (Cochlea). Sie setzt sich aus mehreren flüssigkeitsgefüllten Schläuchen zusammen, auf denen feine Haarzellen sitzen. Je nach Frequenz werden die Haarzellen an unterschiedlichen Stellen der Schnecke erregt. Die Schwingungen der Haarzellen werden in biochemische und elektrische Impulse umkodiert. Diese werden über das zentrale Nervensystem an das Gehirn übertragen, das die über das rechte und linke Ohr eingehenden Reize verarbeitet. Neuere Perzeptionstheorien gehen davon aus, dass die Verarbeitungsprozesse unter Rückgriff auf neuronale Kodierungen der Sprechbewegungen erfolgen. Vereinfacht ausgedrückt bedeutet dies, dass „Hören“ ein „inneres Sprechen“ umfasst. Abb. 5: Logarithmische Darstellung eines Grundfrequenzverlaufs Das Gehör erfasst verschiedene, vom Schalldruckpegel her als „gleich laut“ gemessene Töne je nach ihrer Frequenzlage unterschiedlich. Auch die Wahrnehmung von Tonhöhe ist variabel: Tiefere Frequenzen können vom menschlichen Ohr differenzierter unterschieden werden als höhere Frequenzen. Während den physikalischen Größen eine lineare Skalierung entspricht, deren Abschnitte jeweils „gleich groß“ sind, entspricht der auditiven Wahrnehmung eine logarithmische Skala mit „unterschiedlich großen“ Abschnitten. Die <?page no="205"?> 204 Phonetik und Phonologie: 12 Phonetische Grundlagen Zusammenhänge zwischen physikalischen und psychischen Größen werden in der Psychoakustik untersucht. Im Zusammenhang des Fremd- und Zweitsprachenerwerbs ist insbesondere die Wahrnehmung von phonetischen Charakteristika interessant, die in den Herkunftssprachen von Lernenden keine Funktion besitzen. Für Deutsch als Fremd- und Zweitsprache gibt es bislang allerdings nur sehr wenige perzeptive Untersuchungen. 5 Die vorhandenen Ergebnisse weisen darauf hin, dass eine zunehmende hörende Diskriminierung phonologisch genutzter Eigenschaften der eigenen Produktionsfähigkeit vorausgeht. In der Didaktik des Deutschen als Fremd- und Zweitsprache wird im Zusammenhang der Ausspracheschulung daher verstärkt auch auf die Hörschulung Wert gelegt. 12.4 Artikulatorische Phonetik In der artikulatorischen Phonetik wird der Sprechvorgang genauer untersucht. Man beschäftigt sich mit den Muskelbewegungen und Abläufen bei der Lautproduktion. Abb. 6: Artikulierende Organe und Artikulationsstellen Das Sprechen als Hervorbringung von Luftdruckschwankungen ist eine sekundäre Funktion des Atmens, unter Nutzung der biologischen Werkzeuge für die Nahrungsaufnahme. Luft wird unter Beteiligung von Brust-, Hals-, Schulter-, Rücken- und Bauchmuskulatur eingeatmet und wieder freigegeben. 6 Beim Sprechen wird der Luftdruck meist mit dem 5 Eine der wenigen Arbeiten ist van Dommelen (1980). 6 Zu den zahlreichen, am Sprechen beteiligten Muskeln s. ausführlich Pompino-Marschall (2011). <?page no="206"?> 12.4 Artikulatorische Phonetik 205 ausgeatmeten Luftstrom manipuliert; in einigen Fällen und Sprachen kann aber auch das Einatmen des Luftstroms zur Hervorbringung von Luftdruckschwankungen genutzt werden. Die Koordination der Sprachproduktion mit dem Atemrhythmus geschieht weitgehend unbewusst. Der Kehlkopf (Larynx)ist Teil der Atemwege und schützt den Atmungstrakt vor dem Eindringen von Nahrung. In zweiter Linie dient er der Erzeugung von Tönen. Zwischen den Knorpeln des Kehlkopfs spannen sich die Stimmlippen. Sie begrenzen einen Spalt, den man als Glottis (Stimmritze) bezeichnet, und verjüngen sich jeweils zu einem freien Rand (Stimmbänder). Bei der normalen Atmung ist die Glottis weit geöffnet, bei der Phonation hingegen geschlossen. Der nach Sprengung des Glottisverschlusses entweichende Atemstrom versetzt die Stimmbänder in Schwingung. Je nachdem, ob die Stimmbänder voll oder nur teilweise schwingen, entstehen unterschiedliche Resonanzverhältnisse („Brust-,“ „Kopf-“, „Flüster-“ oder „Murmelstimme“). Die Größe der Stimmlippen bestimmt neben sprachlichen Faktoren die individuelle mittlere Sprechstimmlage einer Person. Die an der Sprachproduktion beteiligten, beweglichen Organe im Mund- und Rachenraum werden als „Artikulationsorgane“ oder „aktive Artikulatoren” bezeichnet. Mit Hilfe der Artikulationsorgane werden unterschiedliche Resonanzräume gebildet, die die Klangcharakteristik des Lautstroms ausmachen. Die jeweiligen Stellen im Mundraum, an denen die Lautbildung stattfindet, werden Artikulationsstellen oder passive Artikulatoren genannt. Man unterscheidet die folgenden aktiven Artikulatoren und Bezeichnungen: - die Lippen, labial - die Zungenspitze (Apex), apikal - das Zungenblatt, d.h. die Vorderzunge (Lamina), laminal - den Zungenkranz (Korona), koronal - den Zungenrücken (Dorsum), dorsal - die Zungenwurzel (Radix), radikal - die Stimmbänder Als Artikulationsstellen (passive Artikulatoren) werden differenziert: - die Oberlippe, labial - die Oberzähne, dental - das Zahnfach des Kiefers (Alveolen), alveolar - der harte Gaumen (Palatum), palatal - das Gaumensegel (weicher Gaumen, Velum), velar - das Zäpfchen (Uvula), uvular - die Rachenwand (der Rachen, Pharynx), pharyngal - die Stimmritze im Kehlkopf, glottal bzw. laryngal Bei dem Laut wie in Mama nähert sich z.B. die Unterlippe der Oberlippe; er wird - da beide Lippen beteiligt sind - als labio-labial oder als bilabialer Laut klassifiziert. Bei wie in Foto hingegen nähert sich die Unterlippe den Schneidezähnen; der Laut wird als labio-dental bezeichnet. Durch Kontakt der Zunge mit den Alveolen gebildet Laute wie in nein und in Tag bezeichnet man als apiko-alveolar bzw. lamino-alveolar 7 , durch Kontakt des Zungenrückens mit dem Velum gebildete Laute wie in Kuchen 7 Apikal und laminal gebildete Laute werden auch unter der Bezeichnung „Koronallaute“ zusammengefasst, vgl. Pompino-Marschall (2009, S. 187). <?page no="207"?> 206 Phonetik und Phonologie: 12 Phonetische Grundlagen hingegen als dorso-velar. Glottal gebildete Laute sind im Deutschen wie in Haus sowie der „Knacklaut“ wie in aus (vgl. Kap. 13). Da der aktive Artikulator und die jeweilige Artikulationsstelle eng zusammenhängen (so sind z.B. labio-uvulare Laute artikulationstechnisch ausgeschlossen), beschränkt man sich bei der Lautklassifikation häufig darauf, nur die Artikulationsstelle zu benennen. Insbesondere bei sprachvergleichenden Betrachtungen kann sich aber eine Angabe auch der aktiven Artikulatoren als sinnvoll erweisen. Bei der Beschreibung der Sprachlaute werden Bewegungsabläufe als „Eigenschaften“ von Lauten erfasst. Ausgehend von der Art und Weise der Modifikation des Luftstroms (Artikulationsart, Artikulationsmodus) werden unterschiedliche Typen von Lauten unterschieden. Anhand der Aktivität der Stimmlippen werden stimmhafte und stimmlose Laute differenziert. Bei stimmhaften Lauten (z.B. , , ) ist eine Vibration der Stimmbänder zu verzeichnen, bei stimmlosen Lauten (z.B. , , ) hingegen nicht. Je nach Stärke der Behinderung des Luftstroms unterscheidet man zwischen vokalischen und konsonantischen Lauten. Bei der Artikulation von Vokalen kann der Luftstrom den Mundraum relativ ungehindert verlassen. Die Artikulatoren formen dabei verschiedene Resonanzräume. Durch den Grad der Mundöffnung, die jeweilige Zungenstellung (Hebung der Vorder- oder Hinterzunge), Kieferstellung und Lippenform (z.B. gerundet, gespreizt) ergibt sich die spezifische Klangfarbe eines Vokals. So unterscheidet sich [i] von [a] beispielsweise durch die geringere Mundöffnung und Hebung der Vorderzunge. Bei Lauten wie [u] und [o], auch bei [y] (ü) und [ (ö), sind die Lippen gerundet. Unter den Vokalen finden sich einfache Laute (Monophthonge), z.B. [a], [i], [u], und Doppellaute (Diphthonge), z.B. (au), (ei) oder . Diphthonge sind durch eine Bewegung der Zunge von einer Ausgangsauf eine folgende Artikulationsposition gekennzeichnet, wobei einer der beiden Laute kürzer artikuliert wird und keine silbische Qualität besitzt (vgl. Kap. 13). Der kürzer gesprochene Teil wird auch als „Gleitlaut“ bezeichnet und zum Teil als solcher in Notationen gekennzeichnet. 8 Werden hingegen zwei Vollvokale hintereinander gesprochen (wie z.B. in Pinie, Kastanie, Ethnie), nennt man dies einen „Hiatus“. Im Unterschied zu den Vokalen wird der Luftstrom bei der der Artikulation von Konsonanten stark manipuliert. Ausgehend von der Art der Behinderung werden verschiedene Typen von Konsonanten unterschieden: Plosive (Verschlusslaute), z.B. , , , kommen dadurch zustande, dass ein Verschluss gebildet und anschließend wieder gelöst wird. Die Lösung kann entweder nach außen (Explosiv) oder nach innen gerichtet sein (Implosiv). 9 Je nach Beteiligung der Stimmbänder unterscheidet man stimmlose (z.B. , , ) und stimmhafte Plosive, z.B. ( , , ). Frikative (Reibelaute), z.B. , , , kommen durch Engebildungen zustande. Der Luftstrom wird zwischen zwei Hindernissen hindurchgepresst, wodurch sich das jeweilige „Reibegeräusch“ ergibt. Auch Frikative können stimmlos (z.B. , , ) oder stimmhaft sein, z.B. ( , , ). Plosive und Frikative werden auch unter der Bezeichnung „Obstruenten“ zusammengefasst. Den Obstruenten lassen sich die „Sonoranten“ gegenüberstellen. Mit dem Begriff werden drei Lautgruppen zusammengefasst, für die als artikulatorisches Merkmal Stimm- 8 Entweder geschieht dies durch Notation als „nicht-silbischer Vokal“ (mittels Subskript [ ̯ ] ) oder durch Notation von Bindung (mittels Verbindungsbogen [ ̮ ] ). 9 Implosive kommen z.B. in afrikanischen und asiatischen Sprachen vor. <?page no="208"?> 12.5 IPA 207 haftigkeit kennzeichnend ist. Nasale (Nasallaute), z.B. , , sind durch die Lenkung des Luftstroms durch die Nase gekennzeichnet. Laterale Laute, z.B. , sind dadurch gekennzeichnet, dass die Luft seitlich aus dem Mund entweicht. Zudem gibt es einige konsonantische Laute, die einen fließenden Übergang zu den Vokalen aufweisen, z.B. . Sie werden als Approximanten bezeichnet. Artikulationsbewegungen lassen sich durch instrumentalphonetische Verfahren genauer erfassen. Bereits früh wurden in der experimentellen Phonetik Röntgenstrahlen zur empirischen Untersuchung der Artikulation benutzt. Neuere Verfahren sind die Photoelektroglottographie, durch die Bewegungen des Kehlkopfs gemessen werden, die Elektropalatographie, die den Zungen-Gaumen-Kontakt erfasst, und der Einsatz von Ultraschall (Sonographie). Die apparativen Möglichkeiten besitzen für die Forschung großen Wert, sind für die praktische Fremdsprachenlehre jedoch wenig nützlich. So ist bislang kaum vorstellbar, dass ein Sprachlerner bei Übungen Kiefereinlagen mit Elektroden benutzt. Für den Ausspracheunterricht stellt sich vielmehr die Frage, in welchem Ausmaß sich die Sprachlernenden artikulatorischer Vorgänge bewusst sind. Einige Laute (z.B. Lippenlaute) lassen sich relativ leicht in ihrer Motorik „erleben“; andere hingegen (z.B. Rachenlaute) sind der individuellen Körperbewusstheit weniger gut zugänglich. 10 12.5 IPA Ein wichtiges Hilfsmittel der Beschreibung von Sprachlauten stellt das Internationale Phonetische Alphabet (IPA) bereit, dessen Notationssymbole auch zur Erfassung des Deutschen genutzt werden (vgl. Kap. 13). IPA wurde Ende des 19. Jahrhunderts vom Weltlautschriftverband (International Phonetic Association) vor dem Hintergrund fremdsprachendidaktischer Überlegungen entwickelt und wird seitdem kontinuierlich überarbeitet. Das Alphabet eröffnet die Möglichkeit, verschiedene Sprachen durch ein von diesen unabhängiges Schriftsystem zu erfassen. Es nutzt ein 1: 1-Prinzip von Laut und Schreibung und gilt daher als phonographisches Schriftverfahren „par excellence“. Viele IPA-Zeichen sind der lateinischen Buchstabenschrift entnommen. Zudem wurden weitere Zeichen aus anderen Schriftsystemen (z.B. dem Griechischen) eingefügt und Sonderzeichen entwickelt. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts fand IPA breiten Eingang in die Praxis des fremdsprachlichen Unterrichts und in Wörterbücher. Eine phonetische Schreibung wird durch eckige Klammern gekennzeichnet, z.B. . Bei der Notation von Vokalen bezieht man sich in IPA auf künstlich festgelegte Laute (Kardinalvokale), die durch bestimmte Kiefer- und Zungenstellungen charakterisiert sind. Sie lassen sich in einem Vokaltrapez erfassen, das drei Dimensionen abbildet: - die Zungenstellung (Hebung vorn - Mitte - hinten) - die Mundbzw. Kiefernstellung (offen - geschlossen) - die Lippenstellung (1. Eintrag - nicht gerundet, 2. Eintrag - gerundet) 10 Ein Beispiel ist der deutsche uvulare Reibelaut [ʁ] (r), der z.B. durch Gurgeln eingeübt werden kann. <?page no="209"?> 208 Phonetik und Phonologie: 12 Phonetische Grundlagen Abb. 7: Vokaltrapez (IPA) Die Erfassung von Konsonanten erfolgt in IPA als Kreuzklassifikation anhand der beteiligten Artikulatoren und der Bildeweise (s. Tab. 1). Die einzelnen Felder bieten Symbole für verschiedene Laute, auf die die jeweiligen Charakteristika zutreffen. Sie enthalten oft zwei Einträge, die sich auf die Unterscheidung von stimmlosen Lauten (1. Eintrag im jeweiligen Feld) und stimmhaften Lauten (2. Feldeintrag) beziehen. Dunkle Feldschraffierungen beziehen sich auf artikulatorisch ausgeschlossene Kombinationen. Tab. 1: Konsonanten (IPA) Bilabial Labiodental Dental Alveolar Postalveolar Retroflex Palatal Velar Uvular Pharyngal Glottal Plosiv Nasal Vibrant (mehrschlägig) Vibrant (einschlägig) Frikativ Lateraler Frikativ Approximant Lateraler Approximant IPA stellt zudem eine Reihe von Sonderzeichen und Diakritika bereit. Sie werden im Rahmen von engen phonetischen Transkriptionen verwendet. Eine Übersicht über einige Sonderzeichen findet sich in den digitalen Materialien. Zudem gibt es noch ein eigenes IPA- Zeichenrepertoire zur Notation „verzerrter Sprache“ (distorted speech). <?page no="210"?> 12.5 IPA 209 Sprachen können sich hinsichlich der in ihnen vorkommenden Sprachlaute erheblich unterscheiden. Die Vielzahl und Auswahl der Laute in verschiedenen Sprachen der Welt beschreiben L ADEFOGED / M ADDIESON (1996). In den Bantu-Sprachen beispielsweise finden sich so genannte „Klick-Laute“, die dem deutschen System völlig fremd sind. Deutsch wiederum macht von einer Vielzahl von Reibelauten Gebrauch, von denen sich einige in anderen Sprachen selten oder gar nicht finden (vgl. Kap. 13). Für die Fremdsprachenlehre ist die Phonetik von besonderem Interesse. Fremdsprachensprecher fallen oft in der phonetischen Dimension auf: Ihre Aussprache klingt „anders“ als die von Sprechern, die die betreffende Sprache als Erstsprache erworben haben; sie sprechen „mit Akzent“. 11 Beim Erlernen der Fremdsprache gilt es unter Umständen, motorische Gewohnheiten zu ändern und neue Artikulationsabläufe zu erlernen. Für die praktische Aussprachelehre ebenso wie die sprachkontrastive Grundlagenforschung ist es daher wichtig zu wissen, welche Momente bei der Produktion eine Rolle spielen und welche Untersuchungs- und Beschreibungsmöglichkeiten die Phonetik bereitstellt, um Sprachunterschiede und lernersprachliche Aussprachen zu erfassen. Im Fremd- und Zweitsprachenunterricht ist der Rückgriff auf das Internationale Phonetische Alphabet hilfreich, um Ausspracheunterschiede zwischen Zielsprache und bisher erlernten Sprachen bewusst zu machen. Zudem kann das Wissen um Artikulatoren, Artikulationsorte und Bildeweisen die eigene Produktion erleichtern. Auch im erstsprachlichen Unterricht erweist sich IPA als nützlich, um das Verhältnis von Laut und Schrift verständlich zu machen und Rechtschreibschwierigkeiten zu erkennen. Zur phonetischen Schreibung der standarddeutschen Aussprache werden nicht alle im IPA-Inventar aufgeführten Zeichen benötigt. Will man jedoch regionale Formen und Varianten erfassen, muss auf weitere IPA-Symbole und Sonderzeichen zurückgegriffen werden. Das Lautsystem des (Standard-)Deutschen wird im folgenden Kapitel näher dargestellt. Einige Übungen, die mit den phonetischen Begriffen und Schriftzeichen vertraut machen, finden sich in den digitalen Materialien. Ausgewählte Aufgaben zu Kap. 12 (8 von 24) 3. Hören Sie die Tonbeispiele in den digitalen Materialien. Auf welchen Typus von Laut enden die meisten der Zahlwörter in der jeweiligen Sprache? 5. Betrachten Sie die folgende Liste und beantworten Sie dann die Fragen. [ taʃə] - Tasche [ˈtasə] - Tasse [ˈma: lə] - male! [ˈma: lɐ] - Maler [ˈʁɪçtɐ] - Richter Welches Wort wird durch die phonetischen Notationen jeweils erfasst? a) [ˈmaʃə] ☐ Masche ☐ Masse ☐ Matsche b) [ˈdu: ʃə] ☐ Duscher ☐ Düse ☐ Dusche c) [ˈle: ʁɐ] ☐ Lehre ☐ Lehrer ☐ Leere d) [ˈdɪçtɐ] ☐ dicker ☐ Dichte ☐ Dichter 11 In diesem Zusammenhang spricht man auch von „Akzentsprache“, wobei dieser Begriff nicht nur auf fremd- und zweitsprachliche, sondern auch auf dialektal-regional oder physiologisch bedingte Abweichungen von der Standardaussprache bezogen wird. Zu unterscheiden ist davon der Begriff „Akzent“ zur Bezeichnung von Betontheit einer Silbe („Wortakzent“, „Satzakzent“, s. Kap. 14). <?page no="211"?> 210 Phonetik und Phonologie: 12 Phonetische Grundlagen 6. Welches Wort oder Morphem wird durch die phonetische Notation erfasst? a) [ˈva: zə] ☐ Wasser ☐ wasche ☐ Vase b) [ˈvaltɐ] ☐ Walther ☐ Falte ☐ walte c) [ˈmi: zə] ☐ miese ☐ Mieze ☐ -misse d) [vi: ɐ] ☐ wir ☐ wirr ☐ vier 12. Betrachten Sie die animierten Darstellungen der Bildeweisen deutscher Laute in dem Lernprogramm „Sounds of Speech“ (Universität Iowa, s. Internet-Einstiege) und vollziehen Sie den Produktionsvorgang bewusst nach. Was erscheint Ihnen für den Ausspracheunterricht DaF wichtig? 13. Wie hängen Schrift und Aussprache zusammen? Erproben Sie praktisch ein text-tospeech Programm (z.B. Voki, s. Internet-Einstiege), experimentieren Sie mit den jeweils verfügbaren Sprechern und Sprachen. Kann man das Programm auch mit einem fremdsprachlichem Akzent sprechen lassen? 15. Warum ist es nicht sinnvoll, ein Aussprachewörterbuch im Computer aufzubauen, indem man die einzelnen Laute der Sprache speichert und das Programm sie je nach Wort aneinanderfügen lässt? 19. Geben Sie ein Beispiel für einen stimmlosen Laut. 21. Nennen Sie zwei Typen von Konsonanten, die aufgrund ihrer Bildeweise differenziert werden. Ausgewählte weiterführende Literatur Kohler, Klaus ( 2 1995) Einführung in die Phonetik des Deutschen. Berlin: Erich Schmidt Kohler, Klaus (1999) German. In: The International Association (ed.), pp. 86-89 Ladefoged, Peter/ Maddieson, Ian (1996) The Sounds of the World’s Languages. Oxford: Blackwell Pétursson, Magnús (2002) Elementarbuch der Phonetik. Hamburg: Buske Pompino-Marschall, Bernd ( 3 2009) Einführung in die Phonetik. Berlin: de Gruyter Reetz, Henning ( 2 2003) Artikulatorische und akustische Phonetik. Trier: WVT Wissenschaftlicher Verlag Trier Rues, Beate / Redecker, Beate / Koch, Evelyn / Wallraff, Uta / Simpson, Adrian ( 3 2013) Phonetische Transkription des Deutschen. Ein Arbeitsbuch. Tübingen: Narr Staffeldt, Sven (2010) Einführung in die Phonetik, Phonologie und Graphematik des Deutschen: Ein Leitfaden für den akademischen Unterricht. Tübingen: Stauffenburg The International Phonetic Association (ed.) (1999) Handbook of the International Phonetic Association. A Guide to the Use of the International Phonetic Alphabet. Cambridge: University Press Tillmann, Hans G./ Mansell, Phil (1980) Phonetik. Lautsprachliche Zeichen, Sprachsignale und lautsprachlicher Kommunikationsprozess. Stuttgart: Klett-Cotta Wängler, Hans-Heinrich (1967) Grundriss einer Phonetik des Deutschen. Marburg: N. G. Elwert Verlag Wiese, Richard (2010) Phonetik und Phonologie. Paderborn: Fink / UTB <?page no="212"?> 13 Das Lautsystem des Deutschen 13.1 Grundbegriffe der Phonologie Während die Phonetik auf die genaue Erfassung der materiellen Gestalt sprachlicher Produktionen abzielt, geht es der Phonologie um die Beschreibung der Funktionen, die mit bestimmten Gestalteigenschaften verbunden sind. N IKOLAJ S ERGEJEWITSCH T RUBETZKOY , der als einer der Begründer der Disziplin gilt, beschreibt dies in den „Grundzügen der Phonologie“ (1939) folgendermaßen: „Der Schallstrom, den der Phonetiker untersucht, ist ein Kontinuum, das in beliebig viele Teile gegliedert werden kann. […] Für den Phonologen sind gewisse Elemente des Schallstromes wirklich unwesentlich. […] Der Anfang jeder phonologischen Beschreibung besteht in der Aufdeckung der in der betreffenden Sprache bestehenden bedeutungsdifferenzierenden Schallgegensätze.“ 1 Alle Laute unterscheiden sich voneinander (s. Kap. 12), aber nicht alle physikalisch feststellbaren Unterschiede werden sprachlich genutzt. Schon die scheinbar einfache Tatsache, dass man bestimmte dynamische Umweltveränderungen als Sprachlaute wahrnimmt, verweist auf komplexe mentale Leistungen, auf ein vorhandenes Sprachwissen, also eine psychische Größe. Die Phonologie geht noch einen Schritt weiter und untersucht die in einer Sprache aufweisbaren Phone im Blick auf ihre Leistung. Phone haben keine Bedeutung, sondern dienen „nur“ als Trägermaterial für die bedeutungstragenden sprachlichen Einheiten Morphem und Wort. Sie erlauben es, Morpheme und Wörter voneinander zu unterscheiden. In den verschiedenen Sprachen werden die einzelnen Phone unterschiedlich genutzt. Einige finden sich in manchen Sprachen überhaupt nicht. Andere lassen sich in der einen Sprache austauschen, ohne dass sich dabei die Wortbedeutung ändert, während ein solcher Tausch in der anderen Sprache ein anderes Wort ergibt. Um die bedeutungsdifferenzierende Qualität eines Lautes zu erfassen, wurde in der Phonologie der Begriff „Phonem“ entwickelt. Phoneme sind Laute, die zu einer bestimmten Sprache gehören und deren Wörter voneinander unterscheiden können. Nicht jedes in einer Sprache zu beobachtende Phon ist ein eigenes Phonem. Manchmal erfüllen auch mehrere Laute dieselbe Differenzierungsfunktion. Um anzuzeigen, dass man sich auf die Phoneme einer Sprache bezieht, wählt man eine Notation in Schrägstrichen, z.B. , , . Die Phone einer Sprache erfasst man demgegenüber durch phonetische Notation in eckigen Klammern, z.B. , , , (vgl. Kap. 12.5). In diesem Zusammenhang spricht man auch von einer „etischen“ (die phonetische Einheit betreffenden) und einer „emischen“ (die phonologische Einheit betreffenden) Perspektive. Einen weiteren Untersuchungsbereich der Phonologie bildet die Graphemik als Lehre von der Schreibweise der Phoneme. Um anzuzeigen, dass man die graphemische Dimension betrachtet, verwendet man zur Notation einen dritten Klammertypus, die Spitzklammer. Sie erfasst die orthographische Schreibweise der Laute, z.B. <r>, <ch>, <sch>. Auch hier findet sich eine „etische“ und eine „emische“ Perspektive. Die etische Einheit, z.B. ein Buchstabe, ein Betonungsstrich etc., wird „Graph“ genannt. Eine (aus einem oder mehreren) Graphen bestehende funktionale Einheit, die einen Sprachlaut abbildet, nennt man Graphem. Um einen Laut abzubilden, werden manchmal mehrere Graphen benötigt. Man 1 Wiederabdruck in Hoffmann (2010, S. 388 f.). <?page no="213"?> 212 Phonetik und Phonologie: 13 Das Lautsystem des Deutschen spricht dann von einem mehrteiligen Graphem. Beispiele im Deutschen sind <ch> und <sch>. Die Differenzierung von Phon, Phonem, Graph und Graphem erweist sich gerade für den Sprachvergleich als sehr nützlich. So kann man z.B. feststellen, dass es auch im Englischen ein Phonem gibt, sich aber die graphemische Umsetzung als <sh> vom Deutschen unterscheidet. Auch das Phonem r ist in beiden Sprachen vorhanden. Seine graphemische Umsetzung ist identisch (<r>). Allerdings entspricht dem Phonem im Englischen ein anderes Phon , das sich im Deutschen nicht findet. Einen Überblick über die Phone, Phoneme und Grapheme des Deutschen finden Sie in Tab. 1 und 2 in den digitalen Materialien. Die einzelnen Laute und Prinzipien der Schreibung werden in den folgenden Abschnitten noch näher erläutert. Um die Phoneme einer Sprache zu erfassen, verwendet die Phonologie das Verfahren der Minimalpaaranalyse. Als Minimalpaare bezeichnet man die Gegenüberstellung von lexikalischen Einheiten, die sich nur durch einen einzigen Laut unterscheiden (s. (B1)). Die Orthographie einer Sprache lässt Minimalpaare oft nicht erkennen; ihr Nachweis erfolgt daher ausgehend von phonetischen Umschriften. B1 Minimalpaare Land - Rand - Hass - Hasch - wohnen - schonen - 2 Lässt sich bei der Minimalpaaranalyse keine semantische Differenz aufweisen und sind die Laute einander hinreichend ähnlich, bestimmt man sie als Allophone eines Phonems. Phoneme, die mehrere Allophone umfassen, werden als „Archiphoneme“ bezeichnet. 3 Komplementär verteilte Allophone sind durch gegenseitigen Ausschluss gekennzeichnet. Im Deutschen gilt dies z.B. für und , denn tritt nur nach hellen Vokalen und nur nach dunklen Vokalen auf (B2). B2 ich , nicht möglich: ach , nicht möglich: Sind die Allophone hingegen beliebig austauschbar, ohne dass sich ein anderer Wortsinn ergibt, spricht man von „freier Variation“ (freies Allophon). Im Deutschen stehen z.B. verschiedene Aussprachen des Phonems als Zungenspitzen-, Zäpfchen- oder Reibelaut in freier Variation (s. Kap. 13.3). B3 Rand , , Allophone werden in der phonemischen Notation zusammengefasst. Die Kategorie wird meist nach ihrem „typischen Vertreter“ klassifiziert. Für das Deutsche haben sich aber auch Notationen aufgrund einer leichteren Schreibung eingebürgert. Die Laute und werden z.B. oft als Phonem zusammengefasst, die verschiedenen R-Laute als . Die Einheit „Phonem“ wird im Anschluss an R OMAN J AKOBSON in der Merkmalsphonologie noch weiter aufgespalten. Dabei werden die Eigenschaften, mit denen sich Phoneme voneinander unterscheiden, als distinktive Merkmale aufgefasst und als binäre, d.h. 2 Der hochgestellte Strich notiert in IPA die Betontheit einer Silbe; er wird vor der betreffenden Silbe notiert. 3 Archiphoneme werden manchmal durch Majuskeln (Großschreibung) gekennzeichnet. <?page no="214"?> 13.2 Das Vokalsystem des Deutschen 213 zweiseitige Oppositionen beschrieben: Es wird gekennzeichnet, ob eine bestimmte Eigenschaft vorhanden ist (+) oder nicht (-). Jedes Phonem wird als Bündel distinktiver Merkmale erfasst. 4 Ausgehend von diesem Ansatz lassen sich z.B. Vokalphoneme im Deutschen anhand von Merkmalen wie hoch, niedrig, hinten, rund und lang voneinander differenzieren. 5 Diese Art der Beschreibung erweist sich als ökonomisch. Zur Differenzierung von 20 oder 30 Phonemen werden ca. 6 bis 10, zur Beschreibung aller Sprachen der Welt rund 30 Merkmale als notwendig erachtet. 6 Eine nicht unproblematische Frage bildet bei einem entsprechenden Ansatz allerdings der gewählte Merkmalskatalog; verschiedene Beschreibungen des Deutschen setzen zum Teil unterschiedliche Merkmale als distinktiv an. Eine Weiterentwicklung findet der merkmalstheoretische Ansatz in der Merkmalsgeographie, die mit mehrdimensionalen Räumen und Merkmalshierarchien arbeitet. Verschiedene Sichtweisen werden bei H ALL (2011) detaillierter dargestellt; als neuere Entwicklung im Kontext der Generativen Grammatiktheorie wird dort auch die Optimalitätstheorie angesprochen. Die Frage, welche Laute im Standarddeutschen genutzt werden, ist weitgehend unstrittig, wenngleich die Frage nach der Anzahl der Phoneme zum Teil unterschiedlich beantwortet wird. Zur Transkription der standardsprachlichen Aussprache werden rund 40 bis 45 IPA-Zeichen benötigt; den so erfassten Lauten entsprechen ca. 33 bis 40 Phoneme. Differenzen ergeben sich z.B. aus der Frage, ob Laute einbezogen werden, die sich nur in Lehnwörtern finden; zum Teil ergeben sie sich auch aus unterschiedlichen theoretischen Ansätzen. 13.2 Das Vokalsystem des Deutschen Der Kernbestand der Vokale umfasst im Deutschen etwa 16 bis 20 Laute. Die Zahlenangabe in verschiedenen Darstellungen schwankt, unter anderem, weil nicht alle auftretenden Laute phonemisch gewertet werden. Da Fremdsprachenlernende oft zuerst wissen wollen, „wie man bestimmte Buchstaben ausspricht“, geben wir im Folgenden zunächst einen ersten Überblick über die Vokale ausgehend von ihrer Erfassung durch die lateinische Buchstabenschrift. Für das Deutsche lassen sich als Monophthonge differenzieren - zwei Laute, die sich durch <i> erfassen lassen ((T1) , ), - zwei Laute, die sich durch <ü> verschriftlichen lassen ((T2) , ), - vier Laute, die durch <e> und <ä> erfasst werden ((T3) , , , ), - zwei Laute, die mittels <ö> verschriftlicht werden ((T4) , ), - zwei Laute, die durch <o> repräsentiert werden ((T5) , ), - zwei Laute, die sich als <u> schreiben lassen ((T6) , ), - zwei Laute, die als <a> wiedergegeben werden ((T7) , ) sowie - ein abgeschwächter „a-Laut“, der durch <r> oder <er> verschriftlicht wird . Die Auflistung zeigt eine Systematik, die in vielen phonologischen Beschreibungen des Deutschen theoretisch aufgenommen wird: Man geht von einer durchgehenden Opposition von - Langvokalen ( , , , , , , ) und - Kurzvokalen ( , , , , , , ) 4 Eine ähnliche Herangehensweise findet sich auch in der Semantik, vgl. Kap. 5. 5 Zu Merkmalsdarstellungen der deutschen Phoneme s. Ternes (1999), Hall (2011). 6 Vgl. Ternes (1999). <?page no="215"?> 214 Phonetik und Phonologie: 13 Das Lautsystem des Deutschen in bedeutungsdifferenzierender Funktion aus und wertet das Merkmal „Länge“ phonematisch. Entsprechende Belege liegen in Minimalpaaren wie den folgenden vor: B4 (T8) Miete - Mitte (T9) Hüte - Hütte (T10) Beet - Bett (T11) Höhle - Hölle (T12) spuken - spucken (T13) Schoten - Schotten (T14) Bahn - Bann Für das Deutsche werden entsprechend , , , , , , , , , , , , , und als vokalische Phoneme gewertet. Wie die Lautschrift zeigt, geht die Differenzierung von langen und kurzen Vokalen mit Ausnahme von und auch mit einer qualitativen Distinktion einher. So wird die Langform beispielsweise mit einer größeren Zungenhebung produziert als das näher am Zentralvokal liegende, kurze ; die Langform unterscheidet sich im Grad der Mundöffnung von usw. Einige phonologische Arbeiten zum Deutschen (z.B. M AAS 2006) werten Lautlänge nicht als ein phonematisches Merkmal, sondern führen sie auf die Betontheit einer Silbe zurück (vgl. Kap. 14). So werden die Merkmale Lautquantität und -qualität unbetonter Silben bei wortübergreifendem, zusammenhängendem Sprechen oft neutralisiert. Das im Wort die wird in Äußerungen wie „Die Fliege ist riesig.“ z.B. nicht wie bei einer Zitation als Einzelwort lang, sondern (im Vergleich zu Fliege und riesig) kurz gesprochen - es sei denn, das Wort wird zusätzlich durch Akzentuierung hervorgehoben. 7 Man verzichtet daher auf die Klassifikation als „Langvokal“ oder „Kurzvokal“ und nimmt stattdessen eine Opposition zwischen „gespannten“ und „ungespannten“ Vokalen an. Phonematisch wird als , , usw. notiert; manchmal wird das System auch noch weiter reduziert. Gespannte Vokale werden mit größerem Muskelaufwand artikuliert. Sie sind näher am „äußeren“ Rand des Vokaltrapezes angesiedelt. Wenn sie betont sind, werden gespannte Vokale immer lang gesprochen. Ungespannte Vokale werden mit geringerem Muskelaufwand artikuliert und weisen einen höheren Grad der Zentralisierung auf. Im Vokaltrapez liegen sie also näher zur Mitte. Ungespannte Vokale werden unabhängig von der Betontheit der Silbe immer kurz gesprochen. Betrachten wir nun einige Vokale des Deutschen etwas näher. Die den Phonemen , , , , , , und entsprechenden Laute sind durch Hebung der Vorderzunge gekennzeichnet. Man bezeichnet sie daher als „Vorderzungenvokale“. Unter den Vorderzungenvokalen finden sich im Deutschen vier Laute, für die eine Rundung der Lippen kennzeichnend ist: , , und . Die den Phonemen , , und zuzurechnenden Laute sind durch Hebung der Hinterzunge gekennzeichnet und werden daher „Hinterzungenvokale“ genannt. Für alle ist eine Rundung der Lippen typisch. Die verschiedenen Laute besitzen eine jeweils andere Kieferstellung. Für das Deutsche sind vier Öffnungsgrade des Mundes phonematisch relevant, die im Vokaltrapez durch entsprechende Striche dargestellt werden (vgl. Kap. 12.5). Andere Sprachen weisen z.T. 7 Dies ist der Fall, wenn das Wort die deiktisch verwendet wird und somit in der Äußerung den Hauptakzent trägt: Die Fliege ist riesig (und nicht jene dort), s. Kap. 15.3. <?page no="216"?> 13.2 Das Vokalsystem des Deutschen 215 weniger Abstufungen auf. Mit einer engen Kieferstellung verbunden sind , , , , , , und . Eine halbgeschlossene Mundstellung ist für , , und kennzeichnend. Mit einer halboffenen Kieferstellung sind , und verbunden. Den weitesten Öffnungsgrad weisen die Vokale und auf. Einige Probleme und Diskussionspunkte der phonologischen Erfassung werden im Folgenden angesprochen. So sind zum einen für die Phoneme und unterschiedliche Notationen festzustellen. Die ihnen entsprechenden Phone sind im Deutschen durch neutrale Zungenlage gekennzeichnet, für die kein eigenes phonetisches Zeichen zur Verfügung steht. 8 Da die phonetischen Umsetzungen von und nah beieinander liegen, werden die beiden Phoneme meist nur durch Notation eines Längezeichens differenziert. In manchen Arbeiten werden auch die Symbole und genutzt, um das Vokalsystem des Deutschen durchgehend ohne Bezug auf Vokalquantitäten zu erfassen. 9 Der üblicherweise als notierte Laut wird aus diesem Grund manchmal auch als notiert und von unterschieden. 10 Eine zweite Frage ist, ob ein Phonem als eigenes Phonem des Deutschen angesetzt werden sollte. Zwar kann bei besonders deutlichem Sprechen zwischen den Beeren und Bären im Wald differenziert werden. B5 (T15) Beeren , Bären Diese Unterscheidung geschieht im Süddeutschen sowie bei überdeutlichem Sprechen, z.B. bei einem Diktat. Im Norddeutschen wird ansonsten zumeist artikuliert. 11 Der Verzicht auf eine phonematische Wertung von ergäbe ein ausgeglicheneres Bild des Vokalsystems - so ließe sich jeder Langvokal zu genau einem Kurzvokal in Opposition setzen. Versteht man den Laut hingegen als eigenes Phonem, ergibt sich ein weniger ausgewogenes Bild, bei dem einem Kurzvokal zwei Langvokale gegenüberstehen. Festzuhalten bleibt, dass für ein Wort wie „Mädchen“ zwei unterschiedliche Aussprachen festzustellen sind, denen jeweils Standardqualität zugeschrieben werden kann. B6 (T16) Mädchen Eine besondere Stellung im Deutschen besitzt der Zentralvokal , der auch als „Schwa“ bezeichnet wird. Er findet sich in unbetonten Vor- und Endsilben, deren einst volltönige Umsetzung im Verlauf der Sprachgeschichte reduziert wurde (vgl. Kap. 2.2). B7 (T17) Gebete , Beweise Der Schwa-Laut wird daher meist nicht als eigenes Phonem betrachtet, sondern den Phonemen oder zugerechnet. 12 In den unbetonten Vorsilben wird manchmal ein etwas zu oder hin verschobener Laut artikuliert ( , ̯ ). Meist werden die Phone aber in einer breiten Notation als transkribiert. Neben dem Schwa- Laut selbst ist für das gegenwärtige Deutsch auch sein Wegfall charakteristisch (Schwa- 8 Unter kontrastiven Gesichtspunkten wäre die Einführung eines eigenen Zeichens (vorgeschlagen wurde ) wünschenswert: Sprecher des Deutschen als Fremdsprache artikulieren oft ein für das Deutsche zu helles oder ein zu dunkles [a] bzw. [ ] , das es im Ausspracheunterricht zu korrigieren gilt. 9 So z.B. die Duden-Grammatik (2016) und Maas (2006). 10 So die Duden-Grammatik (2016); anders hingegen das Duden-Aussprachewörterbuch (2005), das wie die GdS [ɛ ː ] notiert. 11 S. dazu Hakkarainen 1995, S. 48 ff. 12 Anders die GdS, die dem Zentralvokal aufgrund von Minimalpaaren wie Kunde - Kundin Phonemstatus zuspricht. <?page no="217"?> 216 Phonetik und Phonologie: 13 Das Lautsystem des Deutschen Elision). Von Schwa-Elision betroffen sind die Endungen -en, -el, -eln. Durch den (standardisierten) Schwa-Ausfall kommt es zu rein konsonantischen Silben, die in IPA durch ein Subskript unter dem betreffenden Laut ([ ]) gekennzeichnet werden. B8 (T18) haben , hatten , essen , Mantel , Windeln Ein weiterer, im Deutschen auftretender zentralisierter Vokal ( ) wird ebenfalls nicht als eigenes Phonem, sondern als Allophon des Phonems / r/ betrachtet. Man bezeichnet ihn als „vokalisiertes r“. Der Laut findet sich als Aussprache von <r> nach Vokalen, wodurch es zum Auftreten von (zusätzlichen) Diphthongen kommt. Er bildet auch die Standardumsetzung der Endung -er. B9 (T19) Uhr 13 , Bier , leer , Tür (T20) Lehrer , Keller Zum Kernbestand des deutschen Lautsystems gehören drei Diphthonge, die meist phonematisch gewertet werden ( , , ). Bei ihnen bildet der Gleitlaut jeweils den zweiten Bestandteil. Bezogen auf die Änderung der Kieferstellung werden sie als schließende Diphthonge, bezogen auf die Änderung der Tonhöhe auch als steigende Diphthonge bezeichnet. Beispiele gibt B10. B10 (T21) leite - Laute - Leute Als weiterer Diphthong wird manchmal noch aufgeführt, dessen Vorkommen allerdings auf wenige Interjektionen (hui, pfui) beschränkt ist. Die Notation der Phone ist unterschiedlich. In vielen Arbeiten werden sie als , , notiert, wobei man sich an möglichen Endpunkten der Artikulationsbewegung orientiert, die jedoch in der Aussprachepraxis kaum erreicht werden. 14 Andere Arbeiten notieren bei den Diphthongen demgegenüber die tatsächlich erreichten Endpunkte der Bewegung als , und oder . 15 Nicht in allen phonologischen Arbeiten wird den Diphthongen ein eigener Phonemcharakter zugesprochen: Statt einer monophonematischen Wertung als Bestandteile eines Phonems (z.B. ) werden sie manchmal auch biphonematisch als Kombination von zwei Phonemen ( ) gewertet. Ausgehend von Wörtern wie Region, speziell, Duell, sozial oder Suada werden für das Deutsche zum Teil auch mehrere öffnende bzw. fallende Diphthonge aufgeführt (u.a. , , , ). Bei ihnen wird der jeweils erste Bestandteil als Gleitlaut realisiert. B11 (T22) Region, speziell, Suada Die betreffenden Kombinationen fanden als Übernahmen aus anderen Sprachen in das Deutsche Eingang. Statt als Diphthong ( , , ) werden sie z.T. auch biphonematisch oder als Konsonant-Vokal-Kombinationen erfasst ( , , ). 16 13 Der runde Unterstrich [ ̯ ] gibt an, dass der betreffende Vokal der kürzer gesprochene Teil eines Doppellauts ist. 14 Das Duden-Aussprachewörterbuch notiert sogar , und . 15 Da die Lippenrundung auch auf die Anfangsposition [ɔ] zurückgeführt werden kann, lässt sich die Notation ebenfalls rechtfertigen. 16 Das Zeichen [ʋ] steht in IPA für einen Approximanten, wie er sich z.B. in engl. what findet. <?page no="218"?> 13.3 Konsonanten 217 In verschiedenen Beschreibungen des Deutschen werden auch Lautungen von Lehnwörtern zum Bestand des Deutschen gezählt, z.B. Nasalvokale in französischstämmigen Wörtern wie Balkon, Gourmand, Teint, Fasson, Parfum. Für viele von ihnen ist allerdings eine phonologische Anpassung („Eindeutschung“) zu beobachten; dies gilt z.T. auch für Wörter, die aus dem Englischen übernommen wurden, z.B. Gameboy, Computer, mail. B12 eingedeutschte Aussprachen (T23) / (T24) (T25) (T26) (T27) Für Wörter, die in anderen Sprachen aus dem Deutschen entlehnt wurden (s. Kap. 5), lassen sich oft ähnliche Anpassungen an die jeweiligen Phonemsysteme beobachten. 13.3 Konsonanten Das Konsonantensystem des Deutschen umfasst etwa 19 Konsonanten. Die Zahlenangabe ist auch hier variabel, da zum Teil Konsonanten hinzugezählt werden, die aus anderen Sprachen übernommen wurden, z.B. in Wörtern wie (T28) Garage . Verschiedene konsonantische Phoneme unterscheiden sich durch das Merkmal Stimmlosigkeit bzw. Stimmhaftigkeit. Aufgrund der mit ihrer Produktion verbundenen Muskelspannung werden die stimmlosen Laute auch als „Fortes“ (Sg. Fortis, lat. stark, energisch), die stimmhaften Laute auch als „Lenes“ (Sg. Lenis, lat. schwach, sanft) bezeichnet. Analog zu den Vokalen wird von einer Opposition „gespannter“ (Fortes) und „ungespannter“ (Lenes) Laute ausgegangen. 17 Die im Deutschen vorkommenden Plosive umfassen die stimmlosen Phoneme , , sowie die stimmhaften Phoneme , . Treten die stimmlosen Plosive vor einem Vokal oder am Wortende auf, ist im Deutschen Behauchung charakteristisch, d.h. die Plosive werden mit starkem Druck artikuliert, der hörbar entweicht ((T29) , , ). 18 Die Behauchung entfällt, wenn die Laute in Konsonantenverbindungen auftreten (z.B. wie in treffen, wie in Gespräch). In einer breiten Notation wird die Behauchung nicht notiert. Die stimmhaften Plosive (T30) , , werden nicht behaucht. Von besonderer Bedeutung für das Verhältnis stimmhafter und stimmloser Plosive im Deutschen ist das Prinzip der „Auslautverhärtung“. Es besagt, dass vom Schriftbild her stimmhafte Lenis-Laute (<b>, <d>, <g>) als stimmlose Fortis-Laute gesprochen werden, wenn sie am Wortbzw. Silbenende stehen ( , , ). Phonologisch wird die Auslautverhärtung als Neutralisierung der Oppositionen - , - und - erfasst. Vom orthographischen Standpunkt aus gesehen handelt es sich um die Schreibung nach dem Stammprinzip (vgl. Kap. 13.4). Für die Endung <-ig> wird in den Aussprachewörterbüchern meist [ ] als Standardumsetzung angegeben. Im süddeutschen Raum unterliegt <-ig> hingegen ebenfalls der Auslautverhärtung. 17 Eine experimentalphonetische Überprüfung der Kategorien „Fortis“ und „Lenis“ steht allerdings noch aus (vgl. Pompino-Marschall 2009, S. 191). 18 Eine klassische Übung im Unterricht des Deutschen als Fremdsprache ist die „Kerzenübung“, bei der die Behauchung mit Hilfe einer Kerzenflamme verdeutlicht wird, die bei der Artikulation zum Zittern gebracht oder ausgeblasen wird. <?page no="219"?> 218 Phonetik und Phonologie: 13 Das Lautsystem des Deutschen B13 (T31) lieb, Hand, lügst, log (T32) wenig, König Als weiterer Plosiv findet sich im Deutschen der so genannte „Knacklaut“ , ein kurzfristiger Glottisverschluss ohne Stimmbandbeteiligung. Er wird vor jedem vokalischen Wortanfang gesprochen (B14). Der Knacklaut kann wortdifferenzierend sein (T34). Bei schnellem Sprechen kann er vor unbetonten Silben aber entfallen (T35). B14 (T33) erarbeiten (T34) verreisen - vereisen - (T35) Gehst du ins Kino? 19 Für den Knacklaut gibt es in der Orthographie des Deutschen kein Schriftzeichen. In breiten phonetischen Transkriptionen wird er nicht erfasst, da ihm trotz des Auftretens von Minimalpaaren wie verreisen - vereisen aufgrund seines vorhersehbaren Einsatzes kein Status als Phonem zugestanden wird. 20 Sein Auftreten kann mit dem Silbenaufbau im Deutschen in Zusammenhang gebracht werden (s. Kap. 14). Ein besonderes Kennzeichen des deutschen Konsonantensystems ist die hohe Anzahl von Frikativen. Die Phone umfassen die stimmlosen Fortis-Laute , , , , , , den Hauchlaut sowie die stimmhaften Lenis-Laute , und . Der phonologische Status der Laute ist unterschiedlich. Ausgehend von Minimalpaaren wie in (B15) werden und als eigene Phoneme erfasst. B15 (T36) fange - Wange - Die Laute und sind zum Teil komplementär verteilt: tritt nie am Wortende, nie am Wortanfang auf. 21 In Mittelstellung werden sie jedoch bedeutungsdifferenzierend verwendet und daher als Phoneme und erfasst, denen das Phonem gegenübergestellt wird. B16 (T37) reisen - reißen - (T38) Sein - Schein - Als komplementär verteilte Allophone desselben Phonems werden hingegen die Laute und erfasst: tritt jeweils nach hellen Vokalen sowie nach und , nach dunklen Vokalen auf. Phonematisch notiert wird zumeist 22 . Im Anschluss an K OHLER geht P OMPINO -M ARSCHALL für sogar von einem phonischen Dreiersystem aus ( , , ), wobei die Umsetzung nach und auftritt. B17 a) (T39) ich - ach - b) (T40) Storch , Dolch c) (T41) Tuch Als eigenes Phonem erfasst wird der Hauchlaut . 23 19 Zur Entstimmlichung des [d] in du s. Kap. 13.4. 20 Vgl. Zifonun / Hoffmann / Strecker (1997). 21 Im süddeutschen Raum findet sich der stimmlose S-Laut allerdings auch am Wortanfang. So ist z.B. in München vom [ˈsi: gəstɔɐ̯ ] und nicht vom [ˈ zi: gəstɔɐ̯ ] die Rede Den Sprechenden ist die Entstimmlichung meist nicht bewusst. 22 Hall (2011) plädiert für die Notation / ç / , da die Umsetzung [ç] häufiger auftritt; ebenso Theisen (2016). 23 Es wird aber diskutiert, ob [h] nicht ebenfalls dem Phonem / x / zuzuordnen sei (Hakkarainen 1995). <?page no="220"?> 13.3 Konsonanten 219 Für das Phonem kommen im Deutschen eine konsonantische und eine vokalische Realisierung als komplementär verteilte Allophone vor. Eine konsonantische Realisierung findet regelhaft bei prävokalischer Stellung, eine vokalische Realisierung bei post-vokalischer Stellung statt. B18 (T42) Rohr Die konsonantischen Phone („Zäpfchen-r“), („Reibe-r“) und („Zungenspitzen-r“) werden als freie Allophone des Phonems aufgefasst. Wie empirische Untersuchungen 24 zeigen, wird in prävokalischer Stellung in der heutigen deutschen Standardsprache in 89 % der Fälle als uvularer Frikativ realisiert, der entweder stimmhaft ( , 40 %) oder stimmlos ( , 30 %), z.T. (19 %) auch nur approximativ, d.h. mit schwacher Reibung artikuliert wird. In nur rund 6 % aller Fälle findet sich in der gesprochenen Standardsprache eine Umsetzung als „Zäpfchen-r“ ( ). Das als tap realisierte „Zungenspitzen-r“ ( ) ist regional verbreitet und kennzeichnend für den süddeutschen Raum. Manchmal biphonematisch als Abfolge von zwei Phonemen, manchmal monophonematisch als weitere Phoneme neben , , und aufgefasst werden die Affrikaten und . Eine monophonematische Wertung der Laute wird in der Notation oft durch Bindung angezeigt ( , ). Für im Anlaut ist zu beobachten, dass in der Artikulation entfallen kann. B19 (T43) Pfanne , Topf ; (T44) Pfanne , Pfanne , Topf Den im Deutschen vorkommenden Nasallauten und wird jeweils phonemischer Status zugesprochen ( , ). Die Einschätzung von wie in dem Wort Junge ist umstritten. Während einige Arbeiten aufgrund von Minimalpaaren wie in (B20) auch als Phonem betrachten, es also mit Schrägstrichen notieren ), fassen andere Arbeiten den Laut als eine allophonische Variante von auf, die durch eine phonologische Assimilations- und Tilgungsregel aus der Kombination hervorgeht. Der Laut wird orthographisch als Digraph <ng> verschriftlicht. B20 (T45) Lamm - lang - (T46) sann 25 - sang - Die im Deutschen vorkommenden Konsonanten umfassen zudem die Phoneme und , die aufgrund von Minimalpaaren wie in (B21) identifiziert werden können. B21 (T47) Reise - leise - (T48) Jahr - Haar - Charakteristisch für ist im Deutschen die Artikulation am Zahndamm (alveolar), während in anderen Sprachen die Notation z.T. einen apiko-dentalen oder postalveolaren Laut bezeichnet. Das Phon zählt die D UDEN -Grammatik als stimmhaften, dorsalen Frikativ zu den Obstruenten. Der Übergang zu Vokalen ist bei diesem Laut aber fließend, weshalb er meist als „Halbvokal“ bezeichnet und als Approximant erfasst wird. Bei Notationen von Wörtern wie Nation, Union etc. wird er als Alternative zu einer diphthongischen Notation gewählt. 24 Vgl. Krech (1997), (1998). 25 Präteritum von sinnen. <?page no="221"?> 220 Phonetik und Phonologie: 13 Das Lautsystem des Deutschen Bei der Beschreibung der Konsonanten gesondert zu berücksichtigen sind Assimilationsprozesse. In der Schreibung werden sie nicht abgebildet. Als Assimilation bezeichnet man die Ersetzung von Lauten durch andere, die den jeweiligen Bezugslauten artikulatorisch ähnlicher sind. Die Assimilation kann dabei den Vorgängerlaut (regressive Assimilation) oder den Folgelaut betreffen (progressive Assimilation). B22 (T49) angreifen , anbinden (T50) krank (T51) abbeißen Typische regressive Assimilationen im Deutschen sind die Ersetzung des Lautes vor durch und vor durch . findet sich zudem als standardisierte Umsetzung von <n> in der Kombination <nk>. Eine standardisierte progressive Assimilation betrifft Konsonantenabfolgen, in denen Fortes und Lenes aufeinander treffen. Sie bedingt die Entstimmlichung der Lenes. So führt die Folge + in einem Verb wie abbeißen zur Entstimmlichung des . Eine weitere progressive Assimilation betrifft die Abfolge -ben, in der der Nasallaut bilabial statt alveolar produziert wird ̩ . Von besonderer Relevanz sind diese Phänomene für die Fremdsprachenlehre: Der „ausländische Akzent“ von Deutschlernenden kann unter anderem darauf zurückgeführt werden, dass andere Assimilationsregeln angewendet werden als die im Deutschen üblichen. 13.4 Orthographische Prinzipien im Deutschen Zur Verschriftlichung des Deutschen wird ein phonographisches („den Laut schreibendes“) Verfahren verwendet, die lateinische Alphabetschrift, die auch bei zahlreichen anderen Sprachen Anwendung findet. Ein phonographisches Verfahren ist dadurch gekennzeichnet, dass die Grapheme auf die Einheit Phonem bezogen sind. Hinsichtlich ihrer Phonem-Graphem-Relationen unterscheidet man phonologisch flache und phonologisch tiefe Systeme. Phonologisch flache Schriftsysteme sind durch eine hohe Korrespondenz von Lauten und Schriftzeichen gekennzeichnet; dies ist z.B. im Türkischen der Fall. In phonologisch tiefen Schriftsystemen hingegen werden über phonologische Prinzipien hinaus auch morphologische und lexikalische Phänomene in der Schreibung abgebildet. Als phonologisch tiefe Schriftsysteme werden z.B. Englisch und Französisch angesehen. Das Deutsche nimmt eine mittlere Position ein. In seine Schreibung finden sowohl phonologische als auch morphologische Momente Eingang. 26 Betrachtet man das Verhältnis von Phonemen und Graphemen, so lässt sich für das Deutsche keine 1: 1-Relation feststellen (s. B23). Dasselbe Graphem steht zum Teil für unterschiedliche Phoneme (a). Andererseits bestehen für dasselbe Phonem häufig unterschiedliche Schreibweisen (b); man spricht hier von Allographen. B23 a) , , → <s> b) → <e>, <ä> → <sch>, <s> → <f>, <v> → <v>, <w> Der Schreibung des Deutschen liegen mehrere orthographische Prinzipien zugrunde. Unterscheiden lassen sich u.a. 26 Eine mittlere Position wird auch dem Niederländischen und dem Russischen zugesprochen. <?page no="222"?> 13.4 Orthographische Prinzipien im Deutschen 221 - das phonematische Prinzip (Motto: „Schreib, wie du sprichst! “). Eine beträchtliche Abweichung vom phonematischen Prinzip ergibt sich allerdings im Deutschen durch verschiedene Kennzeichnungen von Vokalquantität in der Schrift. - das Stammprinzip (auch als „morphologisches“ oder „etymologisches“ Prinzip bezeichnet). Gemäß dem Stammprinzip werden Wortformen auch bei unterschiedlicher Lautung durch gleiche Schreibung als zusammengehörig gekennzeichnet (B24, (T52, T53)). - das Homonymieprinzip: Lautgleiche Wörter werden durch das Schriftbild differenziert (B24, (T54, T55)). B24 (T52) Stadt - Städte (T53) Zug - Züge (T54) Stadt - statt (T55) das - dass Spezifisch für das deutsche orthographische System sind die so genannten Umlaute (<ü>, <ö>, <ä>). Die Schreibweise beruht auf dem Stammprinzip. Die Umlaute werden auch als Morphophoneme bezeichnet, da sie morphologische Information tragen. Sie finden sich im Zusammenhang der Pluralbildung (vgl. Mutter - Mütter, Koch - Köche), von Verniedlichungsformen (Diminutiven, z.B. Häuschen, Krönlein) sowie beim Konjunktiv II (vgl. hatte - hätte, wurde - würde, konnte - könnte). Die phonematisch relevante qualitative und quantitative Differenzierung der Vokale im Deutschen wurde bereits angesprochen. Ihre orthographische Umsetzung gestaltet sich als schwierig, da das lateinische Buchstabensystem nicht so viele Lautqualitäten berücksichtigt und kein eigenes Zeichen für Länge umfasst. In der Schreibpraxis des Deutschen haben sich daher mehrere Verfahren entwickelt, die zur Unterscheidung der Phoneme dienen. 27 Dabei gibt es sowohl Verfahren zur Kennzeichnung der Länge als auch zur Kennzeichnung der Kürze von Vokalen. Die Länge eines Vokals wird graphemisch folgendermaßen angezeigt: - durch Anfügung eines <h>; man bezeichnet dieses Phänomen auch als „Dehnungsh“ oder „stummes h“: z.B. ihr , Stühle - durch Doppelschreibung des Vokals (nur bei , , ), z.B. Leere , Staat , Moos - durch Anfügung eines <e>; man bezeichnet dieses Phänomen auch als „Dehnungse“ oder „stummes e“. 28 Es findet sich häufig im Zusammenhang mit , z.B. Miete , Liebe , selten auch bei einigen Namen, z.B. Soest ) - gar nicht: z.B. war , lesen Die Kürze eines Vokals wird ebenfalls unterschiedlich markiert: - durch Doppelschreibung des folgenden Konsonanten (z.B. nass s], wenn ]) - gar nicht: z.B. an , mit Die orthographische Setzung von zwei Konsonanten bedeutet im Deutschen - anders als z.B. im Finnischen - also nicht, dass zwei Laute gesprochen werden (* ), 29 sondern sie gibt Auskunft über den vorhergehenden Vokal. Anstelle einer Doppelschreibung von <k> wird das Graphem <ck> gewählt (s. z.B. Dreck - ]). 27 Zu einer (alternativen) Interpretation orthographischer Prinzipien im Rahmen der Silbentheorie siehe Primus (2010). 28 Historisch ist es durch die Monophthongierung ehemaliger Diphthonge zustande gekommen (vgl. Kap. 2.2). 29 Konsonantengemination (= Konsonantenlängung, Doppelkonsonanz) findet sich z.T. aber noch in Dialekten wie dem Bairischen. <?page no="223"?> 222 Phonetik und Phonologie: 13 Das Lautsystem des Deutschen Viele Rechtschreibfehler von Deutschlernenden gehen auf Allographen oder auf die verschiedenen Prinzipien zurück, die in der Schreibung berücksichtigt werden. Sie finden sich bei muttersprachlichen ebenso wie bei zweit- und fremdsprachlichen Schreibern. Eine Fehlschreibung wie „Fata“ für „Vater“ beispielsweise lässt sich als Schreibung nach dem Lautprinzip charakterisieren, wobei der Anfangslaut von den Schreibenden zutreffend als und das vokalisierte „r“ zutreffend als „a“-Laut wahrgenommen wurden. Weitere Schreibprobleme für Fremdsprachenlernende ergeben sich durch Übertragungen von Phonem-Graphem-Konstellationen aus anderen Sprachen, z.B. der Erstsprache oder dem Englischen. Ausführlichere Darstellungen der Graphematik des Deutschen finden sich bei E ISEN - BERG (2006), N EEF (2005), S TAFFELDT (2010) und F UHRHOP / P ETERS (2013). 13.5 Weitere Assimilationen und Reduktionsprozesse Mit der Bezeichnung „Standardaussprache“ bezieht man sich auf eine mündliche Form der Standardvarietät, die, so schreibt das Deutsche Aussprachewörterbuch (DAW), „von jedem Muttersprachler verstanden werden“ kann (2009, S. 6). Sie gilt als neutral hinsichtlich dialektaler, regionaler und umgangssprachlicher Variation und wird „besonders in offiziellen öffentlichen Situationen genutzt bzw. erwartet“; zudem gilt sie für Berufssprecher in den Medien, Sänger und Lehrende des Deutschen als Fremdsprache als „in hohem Maße verbindlich“ (ebd.). Die Standardaussprache wird gegenwärtig in verschiedenen Wörterbüchern erfasst, u.a. dem DAW (K RECH / S TOCK / H IRSCHFELD / A NDERS 2009) und dem D UDEN -Aussprachewörterbuch, 30 allerdings nicht immer übereinstimmend. Die Erfassung geschieht zunehmend auch unter Rückgriff auf empirische Untersuchungen. Sie bezieht sich aber typischerweise auf Einzelwörter und auf vorgelesene, also vermündlichte schriftliche Sprache. Das DAW unterscheidet dabei verschiedene Grade der Artikulationspräzision (sehr hoch, hoch bis mittel, vermindert). Das D UDEN -Aussprachewörterbuch differenziert von der Standardaussprache demgegenüber die „Zitierform“ („Explizitlautung“), der als weitere Stufe die „Überlautung“ 31 gegenübergestellt wird. Erstere erfasst Phänomene wie die Realisierung von Langvokalen in Wörtern wie die, wir etc. bei Einzelzitation. Letztere bezieht sich z.B. auf eine volltönige Realisierung reduzierter Nebensilben wie -er (vgl. (T56) ) oder eine unterbleibende Schwa-Elision in Nebensilben wie -en. Beide Phänomene finden sich vor allem in Zusammenhängen, in denen einem Schreiber etwas diktiert wird (vgl. (T57) ). Betrachtet man demgegenüber spontan gesprochene, genuin mündliche Sprache, so kommt es insbesondere bei schnellem Sprechen zu sehr viel weitergehenden Reduktions- und Assimilierungsprozessen. Eine Nachfrage wie (T58) „Hast du einen Moment Zeit? “ kann beispielsweise als B25 30 Als „Klassiker“ ist zudem ein unter der Leitung von Theodor Siebs entstandenes Wörterbuch zu nennen, das seit 1898 in verschiedenen Auflagen und unter verschiedenen Titeln („Deutsche Bühnenaussprache“, „Deutsche Hochsprache“, „Deutsche Aussprache“) erschien. Wegen seines normativen Charakters, der den beobachtbaren Umsetzungen der Laute in der Alltagssprache nicht gerecht wird, wurde es aber bereits bei seinem Erscheinen kritisiert, z.B. von Wilhelm Viëtor. 31 Damit bezieht man sich insbesondere auf die Artikulation von Schwa-Lauten in Endsilben; als Explizitlautung erfasst wird die Aussprache [ən] ; als Überlautung die Realisierung als [ɛ n] . <?page no="224"?> 13.6 Erkenntnisse zum Deutschen als Fremd- und Zweitsprache 223 realisiert werden. 32 Diese Verkürzungen sind teilweise standardisiert; es handelt sich um überindividuelle Phänomene. Typische Reduktionen betreffen: - die Reduktion von Vollvokalen auf den Murmelvokal - die Reduktion der Artikulationsintensität: Ersetzung von Fortis-Lauten durch Lenis- Laute - Prozesse der Elision (Auslassung), je nach Lautumgebung als Apokope (Wegfall eines Endlautes) oder Synkope (Wegfall eines Lautes in der Wortmitte) Im Bereich des Verbs ist die Endung -e in der 1. Person Präsens von einer typisch mündlichen Apokopierung betroffen (z.B. hab, sag). Auch die Endung -t in der 2. Person wird oft apokopiert. Synkopen betreffen typischerweise den Schwa-Laut. Gibt es in einem Wort zwei mögliche Stellen für einen solchen Prozess, wird im Standarddeutschen laut GdS nur eine dieser Möglichkeiten genutzt (B26a). In der schnell gesprochenen Umgangssprache wird hingegen oft noch weiter reduziert (B26b). B26 a) (T59) auf dem Laufenden sein b) (T60) auf dem Laufenden sein Der Blick auf die alltäglichen Realisierungen im Vergleich zur Nachrichten-Aussprache erlaubt ein weitergehendes Verständnis von Prozessen des Sprachwandels und zeigt für das Deutsche eine Tendenz zur Klitisierung (Verschmelzung), insbesondere zur Enklise, d.h. zur Verschmelzung mit einem vorgehenden Wort (aufm) sowie zur Reduktion mehrsilbiger Wörter, was als synchrone Auswirkung eines bereits im Germanischen begonnenen Umstrukturierungsprozesses betrachtet werden kann (vgl. Kap. 2.2). 13.6 Erkenntnisse zum Deutschen als Fremd- und Zweitsprache Die Zahl der Phoneme in den einzelnen Sprachen der Welt ist sehr unterschiedlich (vgl. M ADDIESON 2013a, 2013b). Die Anzahl konsonantischer Phoneme schwankt zwischen 6 und 122; ihnen entsprechen z.T. unterschiedliche Phone. Der Durchschnittswert, ermittelt über 563 Sprachen, liegt bei 22 konsonantischen Phonemen. Phonologisch genutzte Vokalqualitätsunterschiede schwanken zwischen 2 und 14. Bereits die europäischen Sprachen variieren in ihrem Lautrepertoire beträchtlich. So stehen den rund 40 Phonemen des Deutschen ca. 42 Phoneme im Englischen, 34 Phoneme im Französischen und 28 Phoneme im Griechischen gegenüber (vgl. T HEISEN 2016, S. 63). Beträchtliche Unterschiede finden sich vor allem bei den Vokalen: Während hier für das Deutsche ca. 16 Monophthonge und 3 Diphthonge zu differenzieren sind, umfasst das moderne griechische Vokalsystem z.B. nur 5 Monophthonge; Diphthonge finden sich überhaupt nicht. 33 Das Portugiesische weist demgegenüber laut IPA-Handbuch sogar 14 Diphthonge auf. Die Zahlen weisen bereits darauf hin, dass beim Erlernen einer Fremdsprache unter Umständen viele phonologisch relevante Lautdifferenzierungen neu erworben werden müssen. Welche Probleme gibt es im Bereich der Aussprache für Deutschlernende? Kontrastive Untersuchungen weisen für verschiedene Lernergruppen je nach Herkunftssprache unterschiedliche Schwierigkeiten aus. 32 Vgl. Kohler (1995, S. 201). 33 Ganz anders sah die Vokalsituation im Altgriechischen aus, für das 10 vokalische Monophthonge und 13 Diphthonge angenommen werden. <?page no="225"?> 224 Phonetik und Phonologie: 13 Das Lautsystem des Deutschen Eine Befragung von Lehrkräften und Lernenden über 59 Ausgangssprachen hinweg wurde in den 1970er Jahren am Goethe-Institut durchgeführt (O RTMANN 1976). Ziel war die Erstellung bedarfsgerechter Lehrmaterialien. Von den Einzellauten wurde insbesondere als schwierig eingeschätzt; dies deckt sich mit Angaben zum vergleichsweise seltenen Vorkommen des Lautes in den Sprachen der Welt (L ADEFOGED / M ADDIESON 1996). Zudem wurden auch die gerundeten Vorderzungenvokale als zentrales Lernproblem genannt. Insgesamt zeigte sich jedoch, dass nicht die Einzellaute, sondern vielmehr Lautverbindungen, die im Deutschen vorkommenden Konsonantenhäufungen, als Hauptproblem beim Erlernen des Deutschen gelten können (vgl. Kap. 14). Durch Vergleich der Phonemsysteme lassen sich einige Problemquellen aufdecken. Zwar sind Unterschiede zwischen den Lautsystemen von Erst- und Fremdsprache nicht der einzige Grund für die oft abweichende Aussprache durch Sprachenlerner. Unumstritten ist jedoch, dass sich Charakteristika der Erstsprachen in ihren Produktionen ausmachen lassen. U RIEL W EINREICH (1977) geht davon aus, dass im Bereich der Phone und Phoneme interlinguale Identifikationen stattfinden und bezeichnet dieses Phänomen als „phonische Interferenz“: Laute der Zweitbzw. Fremdsprache werden durch den Filter der Erstsprache rezipiert und produziert. Einige Beispiele finden sich in den Übungen in den digitalen Materialien. Bislang gibt es erst wenige Studien zum Erwerb der deutschen Phonologie bei Deutsch als Fremd- und Zweitsprache. 34 Eine interessante Frage betrifft die Erlernbarkeit fremdsprachlicher Laute im Erwachsenen- und Kindesalter. Beobachtungen hierzu sind zahlreich; systematische empirische Untersuchungen liegen für das Deutsche allerdings bislang nicht vor. Ausgehend von umfangreichen Studien zum Erwerb des Englischen als Zweitsprache durch spanische und chinesische Lerner setzen F LEGE / F LETCHER das Alter, „at which non-native control of the phonology of an L2 first becomes evident“ (1991, S. 371) in einer vorsichtigen Schätzung bei ca. 5-8 Jahren an. 35 Eine Studie an 240 italienischen Einwanderern, die durchschnittlich seit 32 Jahren in Kanada lebten (F LEGE / M UNRO / M ACKAY 1995), erbrachte ein ähnliches Ergebnis: Von Hörern als „akzentfrei“ eingeschätzt wurden rund 78 % der Probanden, die im Alter von unter 4 Jahren, 61 % der Personen, die im Alter von 4-8 Jahren und 29 % der Personen, die im Alter von 8-12 Jahren mit Englisch konfrontiert worden waren. Nur 6 % der Personen, die nach dem Alter von 12 Jahren eingewandert waren, und keinem der Probanden, die im Alter von mehr als 16 Jahren mit dem Sprachenlernen begonnen hatten, wurde in Hörerurteilen „Muttersprachlichkeit“ zugeschrieben. Die Studien zeigten auch, dass sich wesentliche Veränderungen in der Aussprache bei erwachsenen Lernenden in den ersten Lernjahren ergeben; allerdings findet auch in späterer Zeit durchaus noch Veränderung statt: “Although adults’ pronunciation may fossilize 36 (…), it appears that some improvement is possible.” (F LEGE / F LETCHER 1991, S. 377). Untersuchungen zur Veränderbarkeit von Artikulation durch Unterricht gibt es bislang nicht. Zu Sprachkontrasten des Deutschen mit verschiedenen Herkunftssprachen, den sich daraus ergebenden Ausspracheschwierigkeiten und didaktischen Konsequenzen liegen verschiedene sprachspezifische Publikationen vor. 37 Als knappe Zusammenstellung mit 34 Z.B. Pysch (2007). 35 Sie wollen diese Ergebnisse aber nicht verfrüht auf eine „kritische Periode“ zurückführen (vgl. Kap. 18). 36 Zum Begriff der Fossilierung s. Kap. 18. 37 S. z.B. Kelz (1982) zu südostasiatischen, Balassi (1992) zu griechischen, Mahmood (2014) zu arabischen Deutschlernern. <?page no="226"?> 13.6 Erkenntnisse zum Deutschen als Fremd- und Zweitsprache 225 Informationen zu 30 verschiedenen Sprachen empfiehlt sich D IELING (1992). 38 Auch die verschiedenen Sprachenvorstellungen in K RIFKA et al. (2014) gehen auf die Phonologie und Graphemik ein. Äußerst nützlich ist die von H IRSCHFELD / K ELZ / M ÜLLER (2002) unter dem Titel „Phonetik international“ herausgegebene Sammlung kontrastiver Aufsätze „von Albanisch bis Zulu“, in der rund 50 Sprachen kontrastiv zum Deutschen dargestellt und didaktische Hinweise für den Unterricht des Deutschen als Fremd- und Zweitsprache gegeben werden. Von Lautabweichungen, die auf den Spracherwerb des Deutschen als Fremd- und Zweitsprache zurückgeführt werden können, abzugrenzen ist der Fall, dass Abweichungen der Aussprache mehr oder weniger „bewusst“ als (ethnolektales) Identitätsmerkmal genutzt werden. Für die gesprochene Sprache mehrsprachiger, aber auch „einsprachiger“ deutscher Jugendlicher ist z.B. der Einsatz des Zungenspitzen-R , die phonetische Umsetzung von als sowie die Reduktion der Affrikate auf charakteristisch (vgl. Kap. 2.1.2, Kap. 15.5). Sprachkontakt kann das phonologische System einer Sprache auch verändern. Verschiedene, in Grenzregionen oder von deutschen Minderheiten im Ausland gesprochene deutsche Varietäten weisen entsprechende Erscheinungen auf (vgl. R IEHL 2014a, S. 108 f.). Ausgewählte Aufgaben zu Kap. 13 (7 von 28) 4. Hören Sie die Tonbeispiele in den digitalen Materialien. Welcher Laut wird gesprochen? 7. Heben Sie die in diesem Kapitel besprochenen Laute des Deutschen im IPA- Vokaltrapez und in der Konsonantentabelle (Kap. 12.5) farbig hervor. 11. Welche Probleme mit der Lautung und Schreibung können Sie im folgenden Text eines Deutschlernenden erkennen? die Kumodi ist schön und mudean uire Vonung ist tzu klien 20. Welchem Phonem entspricht im Deutschen der Buchstabe <e>? Belegen Sie durch Beispiel. 24. Wie wird das deutsche Wort Bankwesen ausgesprochen? Berücksichtigen Sie die standardisierten Assimilations- und Elisionsprozesse. 25. Bitte hören Sie die folgende Äußerung und transkribieren Sie in IPA: „Es bereitet viel Freude, diesen kleinen Text in IPA zu schreiben, oder etwa nicht? “ 28. Welche Laute des Deutschen gelten für Deutsch als Fremdsprache allgemein als besonders schwierig? 38 Das Buch ist leider nicht mehr käuflich erhältlich, findet sich aber noch in Universitätsbibliotheken. <?page no="227"?> 226 Phonetik und Phonologie: 13 Das Lautsystem des Deutschen Ausgewählte weiterführende Literatur Dieling, Helga (1992) Phonetik im Fremdsprachenunterricht Deutsch. Berlin: Langenscheidt Duden ( 6 2005) Das Aussprachewörterbuch (Duden-Reihe, 6). Mannheim u.a.: Dudenverlag Fuhrhop, Nanna / Peters, Jörg (2013) Einführung in die Phonologie und Graphematik. Stuttgart: Metzler Hirschfeld, Ursula / Kelz, Heinrich P. / Müller, Ursula (Hg.) (2002) Phonetik International. Grundwissen von Albanisch bis Zulu. Kontrastive Studien für Deutsch als Fremdsprache. Waldsteinberg: Heidrun Popp Verlag (CD-ROM) Hirschfeld, Ursula / Reinke, Kerstin (2018) Phonetik im Fach Deutsch als Fremd- und Zweitsprache. Berlin: Erich Schmidt Neef, Martin (2005) Die Graphematik des Deutschen. Tübingen: Niemeyer Krech, Eva-Maria / Stock, Eberhard / Hirschfeld, Ursula / Anders, Lutz-Christian (Hgg.) (2009) Deutsches Aussprachewörterbuch. Berlin: de Gruyter Krifka, Manfred / Błaszczak, Joanna / Leßmöllmann, Annette / Meinunger, André / Stiebels, Barbara / Tracy, Rosemarie / Truckenbrodt, Hubert (Hgg.) (2014) Das mehrsprachige Klassenzimmer. Über die Muttersprachen unserer Schüler. Berlin / Heidelberg: Springer Maas, Utz ( 2 2006) Phonologie: Einführung in die funktionale Phonetik des Deutschen. Opladen: Westdeutscher Verlag Primus, Beatrice (2010) Strukturelle Grundlagen des deutschen Schriftsystems. In: Bredel, Ursula / Müller, Astrid / Hinney, Gabriele (Hgg.) (2010) Schriftsystem und Schrifterwerb: linguistisch - didaktisch - empirisch. Tübingen: Niemeyer, S. 9-45 Ramers, Karl-Heinz (2001) Einführung in die Phonologie. München: Fink Staffeldt, Sven (2010) Einführung in die Phonetik, Phonologie und Graphematik des Deutschen: Ein Leitfaden für den akademischen Unterricht. Tübingen: Stauffenburg Ternes, Elmar ( 3 2012) Einführung in die Phonologie. Darmstadt: Wiss. Buchgesellschaft <?page no="228"?> 14 Prosodische Kennzeichen des Deutschen 14.1 Segmentale und nicht-segmentale phonologische Erscheinungen Mit dem Ausdruck „Prosodie“ bezieht man sich auf phonologische Erscheinungen, die über den Einzellaut hinausgehen. Man spricht in diesem Zusammenhang auch von nichtsegmentaler Phonologie in Absetzung von der Untersuchung einzelner Laute als Segmente des Lautstroms. Die Besonderheit von nicht-segmentalen Phänomenen wird in einer Gegenüberstellung von so genannten Tonsprachen und Intonationssprachen deutlich. In Tonsprachen, wie z.B. dem Chinesischen, besitzen Tonhöhenveränderungen bedeutungsunterscheidende Qualität, ebenso wie Phoneme. Parallel spricht man von Tönen oder auch von Tonemen. Toneme stehen zueinander in phonologischem Kontrast. Die europäischschriftsprachlich erfasste Silbe „ma“ entspricht im Chinesischen vier Phonemfolgen mit unterschiedlichen Tönen (flach, steigend, fallend-steigend, fallend), die jeweils eine andere Wortbedeutung haben (Mutter / Amme, Hanf, Pferd, schimpfen). Zusätzlich existiert noch ein tonloses Wort [ma] mit grammatisch-pragmatischer Bedeutung als Kennzeichnung einer Frage. B1 (T1) chin. ma Chinesisch gehört zu den Konturtonsprachen, in denen sich die Töne als Bewegung erfassen lassen. Dagegen sind Toneme in einer Registertonsprache durch den relativen Abstand zwischen einzelnen Tönen charakterisiert, z.B. im Japanischen, das zwischen „hoch“ und „tief“ unterscheidet. Deutsch wird als Intonationssprache klassifiziert. Töne spielen darin im Allgemeinen keine Rolle. Nur bei einem kleinen Teilbereich, Interjektionen wie hm oder ah, lässt sich ein reduziertes Tonsystem feststellen (s. Kap. 16). 1 Während Toneme qualitativ den Phonemen gleichgestellt sind, erfüllen Tonhöhenveränderungen in Intonationssprachen andere Zwecke. Als nicht-segmentale Einheiten eigenen Typs „überlagern“ 2 sie die lautlichen Segmente einer Sprache; man spricht daher auch oft von Suprasegmentalia. Von manchen Phonologen wird diese Bezeichnung allerdings abgelehnt, denn sie unterstellt eine selbständige Existenz der Prosodie; tatsächlich sei es aber so, dass prosodische Spracheigenschaften auch schon die Lautung mitbestimmen. Die wichtigsten nicht-segmentalen phonologischen Erscheinungen im Deutschen sind - die Akzentuierung sowie - die Tonhöhenbewegung in einer Äußerung (Stimmführung, Melodie). Letztere wird (traditionell) auch als „Satzintonation“ bezeichnet. Akzentuierung und Tonhöhenverläufe sind miteinander verbunden und operieren auf der Einheit „Silbe“. 14.2 Die Silbe Die Silbe ist eine etwas rätselhafte sprachliche Einheit. Einerseits erkennen Sprecher intuitiv, dass Wörter wie Student aus zwei, Vorlesung aus drei, Sprachwissenschaft aus vier und Wintersemester aus fünf Silben bestehen. Kinder können Silben beim Sprechen mitklatschen, denn sie sind der Wahrnehmung deutlich leichter zugänglich als die Laute, aus 1 Zudem finden sich im Moselfränkischen so genannte „Tonakzente“, die Wörter wie mehr und Meer voneinander unterscheiden (vgl. Schmidt / Herrgen 2011, S. 170). Die prosodische Struktur wird von Nicht-Rheinländern oft als „rheinischer Sing-Sang“ wahrgenommen. 2 „Unterlagern“ oder „durchdringen“ wären ebenso passende Charakterisierungen (Ternes 1999, S. 113). <?page no="229"?> 228 Phonetik und Phonologie: 14 Prosodische Kennzeichen des Deutschen denen sie sich zusammensetzen. Welche sprachliche Funktion diese Einheit besitzt, ist weniger deutlich. Die Silbe ist nicht bedeutungstragend. Zwar stimmt ein einsilbiges Wort wie Brot mit einem Morphem überein, trotzdem handelt es sich um verschiedene Grundeinheiten. Anders als der Laut ist die Silbe nicht einmal bedeutungsdifferenzierend. Sie kann nur als rhythmische Größe bestimmt werden. In manchen Sprachen, z.B. dem Chinesischen, bestehen Wörter (Wortstämme, Wurzeln) überwiegend nur aus einer Silbe, d.h. sie sind monosyllabisch. In anderen Sprachen, so auch dem Deutschen, können Wörter aus mehreren Silben bestehen, d.h. polysyllabisch sein. Bei vielen Wörtern ergeben sich Unterschiede zwischen Silbenstruktur und Morphemstruktur. So umfasst das Wort denken die Morpheme denk- und -en, die Silbenstruktur hingegen ist mit den.ken anzugeben. Im Deutschen sind die Regeln der Worttrennung am Ende einer Schreibzeile an den Silben orientiert, im Englischen an der Einheit Morphem, vgl. dt. ge-ge-ben vs. engl. giv-en. 14.2.1 Der Aufbau der Silbe Die Baustruktur von Silben in verschiedenen Sprachen ist unterschiedlich. In allen Sprachen besitzt die Silbe einen Silbenkern (Nukleus) mit höchster Schallfülle. Dies ist typischerweise ein Vokal. Um diesen Kern herum können sich Konsonanten gruppieren. Man bezeichnet sie als „Schale“ (s. Abb. 1). Abb.1: Silbenaufbau (Nukleus, Schale, Körper und Reim, Einsatz und Coda) Dem Nukleus vorausgehende Konsonanten bezeichnet man als „Einsatz“, ihm folgende Konsonanten als „Coda“. Einsatz und Nukleus werden zusammenfassend auch als „Körper“, Nukleus und Coda als „Reim“ einer Silbe bezeichnet. Zur Beschreibung des Silbenaufbaus einer Sprache wird jeweils die minimale und maximale Anzahl der Vokale (V) und Konsonanten (K) angegeben, die eine Silbe umfassen kann. Einen sehr einfachen Silbenbau zeigt (B2). <?page no="230"?> 14.2 Die Silbe 229 B2 minimaler Silbenaufbau (K) V Die Silben der betreffenden Sprache bestehen demnach minimal aus einem Vokal. Maximal umfassen sie eine Konsonant-Vokal-Verbindung. Der Konsonant wird durch Klammerung als optional gekennzeichnet. Ein entsprechender Silbenbau findet sich im Deutschen bei Interjektionen, z.B. ah [ a: ]; zudem in Wörtern wie du, Vieh etc. Hat eine Sprache (fast) ausschließlich solche einfachen Silben, entsteht ein Problem: Aufgrund der Begrenztheit des Phoneminventars ist die Anzahl unterscheidbarer Silben des Bautyps KV vergleichsweise gering und führt bei einem Wortschatz mit Tausenden von Wörtern zu zahlreichen Homonymen, also formgleichen Wörtern mit ganz verschiedenen Bedeutungen, wie oben am Beispiel von chinesisch ma gezeigt. 3 Um das Problem zu reduzieren, sind zwei Möglichkeiten denkbar: Zum einen können zwei oder mehr einsilbige Wörter zu größeren Einheiten kombiniert werden. Zum anderen kann der Silbenbau durch Ausbau der konsonantischen Silbenränder (Einsatz und Coda) um komplexere Strukturen erweitert werden. Wenn der Einsatz einer Silbe durch ein Element ausgefüllt wird, spricht man von einer „gedeckten“ Silbe. Wird er das nicht, spricht man von einer „ungedeckten“ Silbe. Je nachdem, ob die Coda gefüllt ist, unterscheidet man zwischen offenen (codalosen) und geschlossenen Silben. Komplexere Baustrukturen von Silben werden im Deutschen ausgiebig eingesetzt (s. Abb. 1). Die Sprache ist durch eine Tendenz zu gedeckten geschlossenen Silben gekennzeichnet. Sowohl der Einsatz als auch die Coda sind oft ausgebaut. Maximal umfasst die Silbe drei Konsonanten im Einsatz (Beispiel: (du) sprichst ) und fünf Konsonanten am Silbenende (Beispiel: (du) kämpfst ]). 4 In Komposita (z.B. Kampfstreik) und über Wortgrenzen hinweg können daher gegebenenfalls bis zu sechs oder sieben Konsonanten aufeinander folgen (z.B. bei (T2) Du trinkst Sprudel). B3 Lautabfolge bei Du trinkst Sprudel. K V K K V K K K K K K K V K K In manchen Fällen ist es nicht ganz einfach zu bestimmen, welcher Laut als Silbengrenze anzusetzen ist. Dies gilt im Deutschen z.B. für Wörter wie Sommer, rennen, Welle usw., bei denen sich zwei Silben einen Konsonanten zu „teilen“ scheinen. In (B4) stehen mehrere Möglichkeiten der Silbengliederung nebeneinander. Die mit (*) markierten erscheinen aufgrund der Tendenz des Deutschen zu gedeckten und geschlossenen Silben als rhythmisch unvollständig. B4 Sommer ' rennen ' Welle ' Konsonanten, die zwei Silben angehören, bezeichnet man als „ambisyllabisch“. Sie finden sich im Deutschen nach kurzen Vokalen. Die Doppelschreibung der Konsonanten wird 3 Vgl. Theisen (2016, S. 67). 4 Eine solche Fünferstruktur wird allerdings oft reduziert ( [kɛ mfst] ), vgl. Kohler (1995). <?page no="231"?> 230 Phonetik und Phonologie: 14 Prosodische Kennzeichen des Deutschen daher nicht nur als orthographisches Prinzip zur Kennzeichnung von Vokalkürze, sondern als Verschriftlichung der silbischen Verhältnisse betrachtet. 5 Offene und geschlossene Silben sind im Deutschen mit der Vokallänge verbunden. Betonte offene Silben gehen immer mit dem Auftreten von Langvokalen oder Diphthongen einher (z.B. sie , seh.e , Abenteuer ̩ ̯ ). Bei geschlossenen Silben, deren Coda mehr als einen Konsonanten enthält - sog. Mitlauthäufungen -, bilden hingegen Kurzvokale den Silbenkern (z.B. Rost , kalt , Hand ). Scheinbare Ausnahmen von dieser Regel bilden Wörter wie wohnt, kühlst etc. Die im Infinitiv und generell im Basismorphem vorhandene Vokallänge ( in wohnen) wird von den Konsonanten der Verbflexionsmorpheme nicht beeinflusst. 6 Die Frage, in welchen Kombinationen Laute Silben konstituieren können, ist Gegenstand der Phonotaktik. 7 Im Blick auf die Reihenfolge, in der Laute verschiedenen Typs in Silben auftreten, wird von einer universalen 8 „Sonoritätshierarchie“ ausgegangen, wobei außer Vokalen auch andere stimmhafte Laute sonor sind bzw. Sonorität besitzen. Das allgemeine Prinzip ist hier: Der Einsatz einer Silbe ist durch zunehmende, der Kern durch maximale, die Coda durch abnehmende Sonorität gekennzeichnet (Abb. 2). Abb. 2: Sonoritätshierarchie der Silbe Einsatz Nukleus Coda zunehmende Sonorität abnehmende Sonorität Nasallaute sind sonorer als Obstruenten, Reibelaute sonorer als Plosive, so dass sich die Abfolgen Plosiv-Reibelaut im Anlaut, Nasal-Reibelaut-Plosiv im Auslaut ergeben. Viele deutsche Wörter folgen dieser Sonoritätshierarchie (z.B. Brand, planst, s. Abb. 2). Allerdings wird die Sonoritätshierarchie nicht immer durchgehalten. Es findet sich im Einsatz z.B. auch die Abfolge Reibelaut-Plosiv-Reibelaut (z.B. Straße). Auch können Reibelaute im Reim der Silbe auf Plosive folgen, z.B. bei Genitivkonstruktionen wie (des) Worts, was die Annahme „extrasyllabischer“ Konsonanten begründet. Ausgehend von der Schallfülle des Nukleus wird in einigen phonologischen Arbeiten zum Deutschen zwischen einem „scharfen“ oder „starken“ Silbenschnitt, bei dem die Klangfülle des Vokals unterbrochen wird, und einem „weichen“ bzw. „schwachen“ Silbenschnitt, bei dem die Klangfülle des Vokals langsam abnimmt, unterschieden. Offene betonte Silben erfordern einen schwachen Silbenschnitt, d.h. sie werden lang ausgesprochen. Für geschlossene betonte Silben ist der scharfe Silbenschnitt, d.h. ein Kurzvokal charakteristisch. Das Merkmal „Länge“ wird bei einer solchen Beschreibung also nicht als phonologische Eigenschaft der Vokale aufgefasst, sondern als phonotaktisches Moment 5 Der Duden spricht hier von „Gelenkschreibung“. Silbentheoretisch spricht man bei einer solchen konsonantischen Doppelbindung auch von einem „festen Anschluss“, dem der „lose Anschluss“, bei dem sich kein gemeinsames konsonantisches Element in einer Silbenabfolge findet (z.B. De.gen versus dek.ken), gegenübergestellt wird (s. u.a. Maas 2006). 6 Maas (1999), Hall (2010) und Theisen (2016) sehen darin morphologisch bedingte Randkonsonanten, die früher zu silbischen Morphemen gehörten, nämlich -et und -est. Sie sprechen auch von „extrasyllabischen Konsonanten“. 7 Die Konfixe -taktik und -taxe gehen auf gr. τάξις (Ordnung) zurück, entsprechend auch Syntax. 8 Im Sinne von sprachlichen Universalien verstanden; zur Universalienforschung im Blick auf Silbenstrukturen und zu verschiedenen Auffassungen von „Sonorität“ s. Hall (2000), Maas (2004). <?page no="232"?> 14.2 Die Silbe 231 gewertet. Zur Erfassung von Länge wird in einigen Ansätzen ein zeitliches Maß, nämlich die Einheit More verwendet. Bei Langvokalen setzt man dann einen Umfang von zwei Moren, bei Kurzvokalen einen Umfang von einer More an. Je nach Beschaffenheit des Silbenkerns wird zwischen „schweren“ und „leichten“ Silben unterschieden. Als schwere Silben werden Silben bezeichnet, deren Kern aus Langvokal oder Diphthong besteht oder die eine Coda besitzen. Als leichte Silben werden Silben ohne Coda bezeichnet, deren Kern ein Kurzvokal bildet, sowie solche, die mit Reduktionsvokal oder als konsonantische Silbe realisiert werden. B5 Ge - leichte Silbe bäck - schwere Silbe Schwere Silben sind im Deutschen potenzielle Akzentstellen, d.h. sie können betont werden. Leichte Silben werden hingegen nur dann akzentuiert, wenn im Wort keine schweren Silben vorhanden sind (s. Kap. 14.3.1). Die Silbenstruktur hängt eng mit dem morphologischen Bau der Sprache zusammen und steht in engem Zusammenhang mit den Wortakzentuierungen. T HEISEN (2016) spricht in diesem Zusammenhang von „Wortsprachen“ und „Silbensprachen“. In Silbensprachen (z.B. Italienisch, Griechisch) kann die Akzentuierungsstelle bei Wörtern wechseln; der Akzent kann dabei auch auf Silben fallen, die die Flexionsendung tragen. Die Silben sind häufig offen, Volltönigkeit der Vokale ist in allen Silben gegeben. In Wortsprachen wie dem Deutschen hat sich demgegenüber eine feste, semantisch begründete Akzentuierung entwickelt. Die Nebensilben werden abgeschwächt, verlieren (tendenziell) ihre vokalischen Kerne und schließen sich der vorhergehenden Silbe an. Der Prozess lässt sich als Sprachentwicklungstendenz zur Monosyllabik verstehen, aus der im Rahmen langfristiger Sprachwandlungsprozesse eine Übereinstimmung von Silbe und Wort resultiert (vgl. Kap. 2.2). Extrasyllabische Konsonanten sind hierbei eine „Durchgangsstufe“. 14.2.2 Der Silbenaufbau im Sprachvergleich Die Strukturen der Silben in verschiedenen Sprachen können sich stark unterscheiden. Konsonantenhäufungen in Einsatz und Coda sind für verschiedene Sprachen charakteristisch, z.B. auch für die slawischen Sprachen. Im Tschechischen lässt sich sogar ein ganzer „vokalloser Satz“ bilden. 9 Viele andere Sprachen sind demgegenüber durch einen häufigeren Wechsel von Vokalen und Konsonanten gekennzeichnet. (B6) zeigt einen türkischen Beispielsatz: Eve gidiyorum (Ich gehe nach Hause): B6 Lautabfolge im Türkischen V K V K V K V K V K V K Lernenden mit anders strukturierten Herkunftssprachen bereiten die Konsonantencluster 10 des Deutschen häufig Schwierigkeiten. Sie fügen manchmal zusätzliche Vokale ein, um die Cluster aufzulösen („Sprossvokale“). Oft hat der Sprossvokal eine Funktion als „Stützvokal“, der einen konsonantischen Wortanfang umwandelt. Bei Lernenden mit der Herkunftssprache Spanisch treten solche Stützvokale z.B. vor [ ] auf (Tonbeispiel (T3) ). In der gesprochenen Lernersprache sind Sprossvokale oft unauffällig. Sie zeigen sich aber 9 Strč prst skrz krk! (Steck den Finger in den Hals! ), s. Błaszczak, Joanna (2014) Das Polnische und das Tschechische. In: Krifka et al (Hg.), S. 67-92, 74. 10 Cluster ( [ˈ klastɐ] ), Clusterung = gehäuftes Auftreten eines Elements. <?page no="233"?> 232 Phonetik und Phonologie: 14 Prosodische Kennzeichen des Deutschen in schriftlichen Produktionen und sind den Lernenden entsprechend bewusst zu machen. (B7) zeigt - neben weiteren Phänomenen 11 - solche Sprossvokale im Text einer tunesischen Schreiberin. B7 Sprossvokale im Text einer tunesischen Schreiberin (S CHRAMM 1996, S. 86) Originaltext Erklärung maein Familie Meine Familie ich bene teraur one maein geschew Ich bin traurig, ohne meine Geschwisister saein. abir maein geschewister ter zu sein. Aber meine Geschwister biben Alle in Tunisein ich ben blieben alle in Tunesien. Ich bin Fero wein maein Familie Alle sich froh, wenn ich meine Familie alle sehe, wein ich nachaus Fahrin wenn ich nach Hause fahre. 14.3 Akzentuierung Unter Akzentuierung bzw. Akzent 12 versteht man die wahrnehmungstechnische Hervorhebung einer Silbe als „betont“. Die akustischen Korrelate von Akzentuierung im Deutschen sind vielfältig: - Veränderung der Tonhöhe, - stärkerer Druck, - höhere Lautstärke sowie - Länge/ Quantität. Auf die Hervorhebung einer Silbe durch Tonhöhenveränderung bezieht man sich auch mit dem Terminus „musikalischer Akzent“. Die Hervorhebung durch Druck wird auch als „dynamischer Akzent“ bezeichnet. Historisch gab es im Germanischen einen Übergang vom musikalischen zum dynamischen Akzent, der u.a. zur Herausbildung des Flexionstyps der schwachen Verben führte (vgl. Kap. 2.2). Im heutigen Deutsch sind meist mehrere Momente an der Hervorhebung einer Silbe beteiligt: Es findet sich als Realisierung des Akzents eine Kombination aus veränderter Tonhöhe, stärkerem Druck, höherer Lautstärke und gegebenenfalls Länge. 14.3.1 Akzentuierung von Wörtern Jedes mehrsilbige Wort hat mindestens eine Akzentstelle, d.h. eine Silbe, die gegenüber anderen hervorgehoben wird. Für das Deutsche ist dabei ein starker Kontrast zwischen schweren und leichten Silben kennzeichnend. Die GdS formuliert die Akzentregeln des Deutschen unter Rückgriff auf das Konzept der Silbenschwere (s. Kap. 14.2) folgendermaßen: Treten eine leichte und eine schwere Silbe in einem Wort auf, so fällt der Akzent auf die schwere Silbe. Treten nur leichte oder nur schwere Silben auf, so erhält die erste Silbe den Akzent. Treten mehrere schwere und leichte Silben auf, so fällt der Akzent auf die erste schwere Silbe mit einer Folgesilbe ohne 11 Probleme bereiten der Schreiberin u.a. die Groß- und Kleinschreibung, die Kennzeichnung von Vokallänge und Vokalkürze sowie die Worttrennung. Die maschinenschriftliche Umsetzung lässt zudem einige Details nicht erkennen. Schramm (1996) druckt den Text im handschriftlichen Original ab. Sieht man die handschriftliche Umsetzung, fallen auch weitere Unsicherheiten auf, z.B. in Bezug auf die Differenz zwischen <e> und <i> (Weglassen des i-Punktes). 12 „Akzent“ bezeichnet hier also nicht die hörbare „Fremdheit“ eines Fremdsprachensprechers. <?page no="234"?> 14.3 Akzentuierung 233 Akzentstelle. Demzufolge stellt sich die Betonung von Wörtern wie Segel oder Abenteuer so dar: B8 Starke und schwache Silben im Wort Segel Se.gel se- = schwere Silbe (Langvokal) -gel = leichte Silbe (konsonantisch) -> B9 Starke und schwache Silben im Wort Abenteuer A.ben.teu.er A- = 1. schwere Silbe (Langvokal) ben- = leichte Silbe (konsonantisch) -teu = 2. schwere Silbe (Diphthong) -er = leichte Silbe (Zentralvokal) -> Auf Wörter, die aus anderen Sprachen übernommen wurden (z.B. Balkón, Temperamént), treffen diese Regeln jedoch nicht immer zu. Für Lehrzwecke des Deutschen erweist sich eine Regelformulierung ausgehend von semantischen Kriterien als praktikabler. Mehrsilbige Wörter entstehen im Deutschen zum einen durch Flexionsformen (z.B. ge-, -en), zum anderen durch das Verfahren der Wortbildung mittels angefügter unselbstständiger Morpheme wie be-, ver-, zer-, er-, -heit, -keit, -haft. Bezüglich der Akzentuierung gilt, dass diejenige Silbe betont wird, die den Vokal des Wortstamms trägt („Stammprinzip“). Die Stammsilbe vermittelt die wichtigste semantische Information und wird daher gegenüber den anderen hervorgehoben bzw. die anderen Silben werden ihr gegenüber abgeschwächt. B10 wár-te-te, ge-kóm-men, Be-wéis Im Unterschied zu Sprachen, bei denen ein so genannter „gebundener Wortakzent“ vorliegt, der ein regelmäßiges Betonungsschema vorsieht (z.B. Erstbetonung, wie es im Tschechischen oder Ungarischen der Fall ist), spricht man im Falle des Deutschen daher von einem „freien Wortakzent“, der durch semantische Kriterien begründet auf verschiedene Silben fallen kann. Die Platzierung des Akzents kann im Deutschen auch Wörter voneinander differenzieren. Dies betrifft allerdings nur einige zusammengesetzte Verben und Adjektive sowie Wortübernahmen aus dem Lateinischen: B11 (T4) umgéhen - úmgehen (T5) steinréich - stéinreich (T6) aktív - Áktiv (T7) perfékt - Pérfekt Verschiebungen im Wortakzent, die durch morphologische Prozesse bedingt sind, kommen im Deutschen zwar vor, sind aber auf Lehnwörter beschränkt. B12 (T8) perfékt - Perfektíon Bei zusammengesetzten Wörtern (z.B. Buchhandel, Fahrkartenkontrolle) finden sich im Deutschen neben einem „Hauptakzent“ häufig noch ein oder mehrere schwächer realisierte „Nebenakzente“. In IPA werden Hauptakzente durch , Nebenakzente durch jeweils vor der akzentuierten Silbe notiert. Die Hauptbetonung im zusammengesetzten Wort trägt immer das Bestimmungswort. Das Grundwort behält seine Betonung je nach <?page no="235"?> 234 Phonetik und Phonologie: 14 Prosodische Kennzeichen des Deutschen Sprechtempo und -rhythmus als Nebenakzent bei. Tritt das Bestimmungswort als zweiter Konstruktionsbestandteil auf, trägt es entsprechend die Hauptbetonung. B13 Fahrkartenkon trolle Frankfurt Mitte Bei Mehrfachkomposita können je nach Setzung des Hauptakzents unterschiedliche semantische Gewichtungen vorgenommen werden (B14). Während in (B14a) durch den Hauptakzent auf Trainer im Wort Trainerfindungskommission 13 hervorgehoben wird, dass es der Trainer (und nicht ein Spieler) ist, den man sucht, wird (B14b) durch Hauptakzent auf findungs das Finden als Prozess in den Fokus der Aufmerksamkeit gerückt. B14 a) (T9) Trainerfindungskommission b) (T10) Trainerfindungskommission Bei einem so genannten „Kontrastakzent“ wird die normale Wortakzentuierung verschoben, um ein bestimmtes Moment vergleichend hervorzuheben: B15 (T11) Ich sagte Hausbe sitzer, nicht Hausbe setzer. In der Gesamtäußerung stellt die Einzelwortakzentuierung lediglich ein Akzentuierungspotenzial bereit, das durch andere Momente überformt wird: - durch den Sprechrhythmus (Taktung) - durch Bezugnahme auf Erwartungsstrukturen des Hörers (Gewichtung) - durch die intonatorische Globalkontur der Äußerung (Melodieverlauf, Intonation i.e.S.) Manche Wortakzente werden gegebenenfalls weiter „eingeschmolzen“, d.h. mehr oder weniger stark realisiert; andererseits werden manchmal auch monosyllabische Wörter akzentuiert. 14.3.2 Rhythmus und Gewichtung Die rhythmische Einheit „Takt“ umfasst eine betonte Silbe und ihr vorausgehende und folgende unbetonte Silben, deren Anzahl variieren kann. Für das Deutsche wird von einer Anzahl von bis zu vier unbetonten Folgesilben pro Takt ausgegangen. B16 Akzentuierung in einer Äußerung (T12) Mensa Die Aussprache der Silben wird an die Taktung angepasst: Je größer die Anzahl der inakzentuierten Silben ist, umso kürzer werden sie realisiert, was u.a. zu Vokalreduktionen und anderen Tilgungen führt. Anders als z.B. Französisch, Italienisch oder Finnisch, die zu den silbenzählenden Sprachen gerechnet werden, wird Deutsch daher als akzentzählende Sprache bezeichnet. Die Taktung erfolgt im Deutschen nach semantischen Kriterien. Dabei werden verschiedene Akzentuierungsgrade genutzt, d.h., es wird nicht nur zwischen „betonten“ und „unbetonten“, sondern auch zwischen „stärker“ und „weniger stark“ betonten Silben 13 Eine solche Kommission wurde vom Präsidenten des Deutschen Fußballbunds (DFB), Gerhard Mayer- Vorfelder, nach Absage von Ottmar Hitzfeld als Trainer der deutschen Nationalmannschaft 2004 eingerichtet. <?page no="236"?> 14.4 Globale Tonhöhenverläufe 235 differenziert. Weniger „wichtige“ semantische Einheiten werden durch schnelleres Sprechen und Zusammenziehungen in den Hintergrund gerückt, während bestimmte sinntragende Einheiten durch stärkere Hervorhebung in den Vordergrund treten. Der Schwerpunkt liegt im Deutschen gewöhnlich auf Symbolfeldausdrücken (Nomina, Verben, Adjektive). Zurückgestuft (und in Abfolgen schneller gesprochen) werden demgegenüber operative und deiktische Prozeduren (Funktionswörter wie Konjunktionen, phorische Prozeduren, Sprecher- und Hörerdeixis), es sei denn, sie unterliegen einer eigenen semantischen Fokussierung. Die Schwerpunktsetzung nach semantischen Gesichtspunkten wird als „Gewichtungsakzent“ (traditionell „Satzakzent“) bezeichnet. Die hervorgehobene Silbe wird manchmal auch „Fokusakzentsilbe“ genannt. Innerhalb einer Äußerung wird durch Akzentuierung mindestens ein Schwerpunkt gesetzt, d.h. mindestens ein inhaltliches Moment in den Aufmerksamkeitsfokus gebracht. Es können jedoch auch mehrere Momente fokussiert werden. Eine Äußerung wie Hast du Mut? beispielsweise lässt sich mit verschiedenen Gewichtungsakzenten realisieren: B17 a) (T13) Hast du Mut? b) (T14) Hast du Mut? c) (T15) Hast du Mut? In (B17b) und (B17c) werden über den unmarkierten Fall, einem Gewichtungsakzent auf dem Nomen Mut (B17a), hinaus noch weitere inhaltliche Momente thematisiert. Während die erwarteten thematischen Folgehandlungen von (B17a) Ausführungen dazu betreffen, was Mut haben im vorliegenden Zusammenhang bedeutet, zeigt der Gewichtungsakzent auf der Hörerdeixis du in (B17b) eine Entgegensetzung an (eine andere Person hat keinen Mut bewiesen). In (B17c) wird durch den Gewichtungsakzent auf hast eine zweifelnde Rückfrage ausgedrückt. Auf die Reichweite eines Gewichtungsakzents bezieht man sich mit den Termini Hervorhebungsdomäne oder Akzentdomäne. Die Akzentdomäne eines Gewichtungsakzents kann der propositionale Gehalt des Einzelworts sein, auf dem er realisiert wird. 14 Das Einzelwort kann jedoch auch „Exponent“ einer größeren Einheit sein (z.B. Wortgruppe, Satz), deren gesamter propositionaler Gehalt durch den auf dem Einzelwort realisierten Gewichtungsakzent fokussiert wird. 15 Die Wahl der Mittel (Tonhöhensprung nach oben oder unten, Druck, Länge) bei der differenzierenden rhythmischen Schwerpunktsetzung geschieht im Zusammenspiel mit der Intonation, dem Melodieverlauf der Äußerung, und wird häufig mit demselben Beschreibungsapparat erfasst. 14.4 Globale Tonhöhenverläufe Im Folgenden geht es um die über einen längeren Zeitraum hinweg wahrgenommenen Tonhöhenveränderungen einer Äußerung, die insbesondere in fremdsprachendidaktischen Kontexten auch als Sprechmelodie bezeichnet werden. Bei dem älteren Terminus „Satzintonation“ ist zu beachten: Äußerungen der gesprochenen Sprache können zwar Satzcharakter annehmen, sind jedoch nicht immer mit der Einheit Satz identisch. Es finden sich in der gesprochenen Sprache z.B. häufig Ausrufe wie Asoziale Typen! , Formeln wie 14 Die GdS spricht dann von einem „lokalen Gewichtungsakzent“. 15 Die GdS spricht dann von einem „kompositionalen Gewichtungsakzent“. <?page no="237"?> 236 Phonetik und Phonologie: 14 Prosodische Kennzeichen des Deutschen Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag! oder Einwortäußerungen (danke), die ausgehend von einem Satzkonzept „unvollständig“ erscheinen. In den Tonhöhenverlauf einer Äußerung fließen die Verfahren der Akzentuierung ein. Phonologisch relevante Formen lassen sich vor allem für den Endverlauf der Tonbewegungen bestimmen. 14.4.1 Zur Notation von Tonhöhenverläufen Bei der Erfassung des Tonhöhenverlaufs einer Äußerung können kontinuierlich abbildende und punktuell notierende Verfahren unterschieden werden, mit denen die wahrnehmbare Tonhöhenveränderung wiedergegeben wird. Abb. 3: Intonationsnotation in der GdS (nach Z IFONUN / H OFFMANN / S TRECKER 1997, S. 193) Ein kontinuierlich abbildendes Verfahren in der akustischen Phonetik ist die graphische Wiedergabe des Grundfrequenzverlaufs (F0) in einem Frequenz-Zeit-Diagramm (vgl. Kap. 13). In der auditiven Notation werden für das Deutsche hingegen oft punktuell notierende, silbenorientierte Verfahren gewählt, die verschiedene Tonhöhen durch eine notenähnliche graphische Wiedergabe erfassen. Dabei geht man von einer relativen Skala von 4 bis 6 Tonhöhen aus, die zur Beschreibung der auf deutschen Äußerungen realisierten Tonverläufe erforderlich sind. Zum Teil werden noch weitere Merkmale der Akzentuierung notiert und Gewichtungsakzente durch Unterstreichung gekennzeichnet. Die GdS wählt ein silbenorientiertes Notationsverfahren. Die D UDEN -Grammatik notiert demgegenüber die Tonhöhe nur für Zielpunkte der Tonbewegung. 16 14.4.2 Beschreibungsansätze Globale Verlaufskonturen von Äußerungen („Melodieverläufe“) sind in der Linguistik zumeist als Satzintonation thematisiert worden, wobei oft analog zu den Begriffen „Phonem“ und „Graphem“ die Begriffe „Melodem“ oder „Intonem“ verwendet werden. 17 Die globalen Melodieverläufe stehen funktional in Bezug zu verschiedenen Satztypen bzw. Illokutionen und sind teilweise nur mit Blick auf längere Diskursabschnitte erklärbar. In Beschreibungen der deutschen Intonation finden sich unterschiedliche Ansätze. Während in einigen Arbeiten als Bezugseinheit von vornherein der Satz gesetzt wird, gehen andere Ansätze von einer rhythmischen Einheit aus, die einen oder mehrere Takte 16 Sie geht dabei von „intonatorischen Tönen“ aus, die gegen „lexikalische Töne“ (Toneme) abgegrenzt werden. 17 S. z.B. von Essen (1964). <?page no="238"?> 14.4 Globale Tonhöhenverläufe 237 umfasst und die als „Tongruppe“ oder „Intonationsphrase“ bezeichnet wird. Tongruppen bzw. Intonationsphrasen können unterschiedlichen syntaktischen Größen entsprechen (von der Minimaleinheit „Wort“ bis hin zu einer längeren Äußerung bzw. komplexen Satzkonstruktion). Zwischen Akzentuierung und Satzintonation wird bei dieser Auffassung dann nicht unterschieden. Die in der jeweiligen intonatorischen Einheit enthaltene Silbe mit der stärksten Prominenz wird als „Schwerpunktsilbe“ oder „Iktus“ bezeichnet 18 . Unakzentuierte Silben (Begleittöne) können ihr als Vorlauf vorausgehen oder als Nachlauf folgen. Die für eine Intonationsphrase bzw. Tongruppe charakteristische Tonhöhenveränderung muss nicht auf der Schwerpunktsilbe erfolgen, sondern kann auch prä-iktisch oder post-iktisch realisiert werden. Bei der Beschreibung von Intonation im Deutschen lassen sich levelorientierte Ansätze und konturorientierte Ansätze unterscheiden. Die D UDEN -Grammatik unternimmt eine levelorientierte intonatorische Beschreibung ausgehend von zwei relativen Tonhöhen, hoch (high, H) und tief (low, L). Dabei differenziert sie zwischen Akzenttönen, die an Akzentsilben gebunden sind (H*, L*), ihren Begleittönen (H, L) sowie Grenztönen, die die Grenzen der Intonationsphrase markieren (H ι , L ι ). Im Folgenden wird der konturorientierte Beschreibungsansatz der GdS näher erläutert, der die Endtonverläufe von Äußerungen näher fokussiert. Die Endtonverläufe einer Äußerung lassen sich phonologisch in fallende (terminale), steigende (interrogative) und weiterverweisende (progrediente) Tonverläufe einteilen, die mit verschiedenen Satztypen (Aussagesatz, Fragesatz, Satz mit folgendem Nebensatz) verbunden sind. Die Bezeichung „interrogativ“ darf allerdings nicht so verstanden werden, dass im Deutschen alle Fragesätze mit einem steigenden Tonverlauf verbunden sind. 14.4.3 Fallende Endtonverläufe Ein fallender Endtonverlauf liegt im Deutschen in zwei intonatorischen Verlaufsformen vor, einer einfach fallenden und einer steigend-fallenden. Bei einer einfach fallenden Verlaufsform - die GdS spricht hier von einem Falltonmuster - fällt der Stimmton von einem höheren Level, einem hohen Mittelton oder einem Hochton, auf eine tiefe Stufe ab. Abb. 4: Falltonmuster (nach Z IFONUN / H OFFMANN / S TRECKER 1997, S. 193) Bei der steigend-fallenden Variante (Gipfeltonmuster) steigt der Stimmton von einer tiefen Ausgangslage auf ein höheres Level an und sinkt anschließend wieder auf ein tieferes Niveau ab. Anfangs- und Endlevel der Bewegung können dabei unterschiedlich sein. 18 Einige Ansätze sprechen hier auch von der „Nukleussilbe“, „Tonsilbe“ oder dem „Akzentton“. Bei den Begleittönen wird zwischen den vorausgehenden „Leittönen“ und angeschlossenen „Folgetönen“ differenziert. <?page no="239"?> 238 Phonetik und Phonologie: 14 Prosodische Kennzeichen des Deutschen Abb. 5: Gipfeltonmuster (nach Z IFONUN / H OFFMANN / S TRECKER 1997, S. 194) Fallende Endtonverläufe zeigen an, dass die Information, die durch die Intonationsphrase vermittelt wird, dem gemeinsamen Wissen von Sprecher und Hörer hinzuzufügen ist und als abgeschlossen betrachtet wird. Sie sind oft bei Assertionen, z.B. bei Antworten auf Fragen, zu beobachten und finden sich zudem im Zusammenhang mit Aufforderungen, Wünschen, Ausrufen und vorangestellten Anreden. B18 (T16) Gehst du oft in die Mensa? - Ja, ja eigentlich täglich.↓ (T17) Bitte nehmen Sie Platz! ↓ (T18) Alles Gute zum Geburtstag! ↓ (T19) Asoziale Typen! ↓ (T20) Herr Meier↓, was meinen Sie dazu? ↓ Auch Fragen sind im Deutschen oft mit fallendem Endtonverlauf verbunden. Charakteristisch ist ein solcher Tonverlauf für Ergänzungsfragen und für geschlossene Alternativfragen 19 . B19 (T21) Was kann ich für Sie tun? ↓ (T22) Möchten Sie Tee↑ oder Kaffee? ↓ Entscheidungsfragen sind demgegenüber typischerweise mit steigendem Tonverlauf verbunden. Als markierte, sekundäre Variante ist jedoch auch die Realisierung mit fallendem Tonverlauf möglich. (B20) gibt ein Beispiel aus einem Unterrichtsgespräch. B20 (T23) Hat jemand das Spiel vorher unterbrochen? ↓ Fallende Verläufe treten typischerweise bei Fragen auf, mit denen an Vorhergehendes angeknüpft wird und die der Rethematisierung eines bereits behandelten Gesprächsgegenstands dienen. 14.4.4 Steigende Endtonverläufe Ein steigender Endtonverlauf findet sich im Deutschen als einfach steigende Verlaufsform (Steigtonmuster), in einer fallend-steigenden Verlaufsform (Taltonmuster) sowie als doppelte Steigung (Doppelsteigtonmuster). Bei einem einfach steigenden Tonverlauf steigt die Stimmtonlage von einem mittleren oder tiefen Level auf eine höhere Stufe an. 19 Zu offenen und geschlossenen Alternativfragen s. Kap. 15. Geschlossene Alternativfragen erfragen eine Wahl zwischen zwei Alternativen; mögliche Antworten sind Tee oder Kaffee, nicht jedoch ja bitte. <?page no="240"?> 14.4 Globale Tonhöhenverläufe 239 Abb. 6: Steigtonmuster (nach Z IFONUN / H OFFMANN / S TRECKER 1997, S. 193) Bei einem Taltonmuster wird die Stimme hingegen zunächst auf eine tiefere Lage abgesenkt, um dann auf eine höhere Lage zu steigen. Abb. 7: Taltonmuster (nach Z IFONUN / H OFFMANN / S TRECKER 1997, S. 194) Steigende Endtonverläufe sind im Deutschen charakteristisch für Entscheidungsfragen und offene Alternativfragen 20 . B21 (T24) Sie heißen mit Vornamen Alfred? ↑ (T25) Möchten Sie Tee↓ oder Kaffee? ↑ Sie finden sich ferner im Zusammenhang mit Bestätigungsfragen. B22 (T26) Wohnungssuche am Telefon V = Vermieterin; S = wohnungssuchende Studentin V: Das ist die Carolus Berner-Straße, → S: Dreiundzwanzig, oder? ↑ Das stand in der Zeitung. In einer markierten, sekundären Verwendung kommen steigende oder fallend-steigende Verläufe auch bei Ergänzungsfragen vor: B23 (T27) Wem gehört denn das Haus? ↑ Fragen mit steigendem Akzent legen laut D UDEN -Grammatik im Unterschied zu Fragen mit fallendem Akzent eine ausführlichere Antwort nahe. Auch Nachfragen können mit steigendem oder fallend-steigendem Tonverlauf geäußert werden. Typisch für Nachfragen ist laut GdS jedoch die Realisierung mit Doppelsteigtonmuster. Bei dieser Verlaufsform wird der Ton zunächst auf eine höhere Lage angehoben, um dann nochmals eine Steigerung zu erfahren. Inhaltlich zeigt ein solcher Tonverlauf Überraschung des Sprechers an. B24 (T28) Nein? ↑↑ 20 In offenen Alternativfragen gelten die genannten Alternativen nur als Beispiele (Paraphrase: „Möchten Sie etwas trinken? “); mögliche Antworten sind z.B. ja, bitte; nein, danke; Haben Sie auch ein Wasser? usw. <?page no="241"?> 240 Phonetik und Phonologie: 14 Prosodische Kennzeichen des Deutschen Abb. 8: Doppelsteigtonmuster (nach Z IFONUN / H OFFMANN / S TRECKER 1997, S. 195) Die D UDEN -Grammatik sieht einen steigenden Endtonverlauf ferner als typisch für Aufzählungen an und erfasst damit auch Fälle, die von der GdS dem Typus „progredienter Tonverlauf“ zugeschrieben werden, der auch mit einer leichten Steigung verbunden sein kann. 14.4.5 Progrediente Endtonverläufe Unter der Bezeichnung „Mitteltonmuster“ und als <→> notiert fasst die GdS verschiedene Tonverlaufsmöglichkeiten zusammen, die traditionell als „progredienter Tonverlauf“ bezeichnet werden. In einer möglichen Variante verbleibt der Tonverlauf auf einer mittleren Lage oder sinkt auf das mittlere Tiefniveau ab. Eine andere Variante ist durch eine Steigung auf das mittlere Hochniveau gekennzeichnet. Abb. 9: verschiedene Mitteltonmuster (nach Z IFONUN / H OFFMANN / S TRECKER 1997, S. 194) Progrediente Endtonverläufe dienen der Kennzeichnung von Binnengrenzen syntaktischer Konstruktionen innerhalb einer kommunikativen Minimaleinheit und besitzen sowohl abgrenzende als auch koordinierende Funktion. Sie finden sich zwischen Phrasen, Teilsätzen, sowie vor und nach Parenthesen. Charakteristische Verwendungszusammenhänge sind Aufzählungen und Reihungen. Ergänzende Nebensätze (Supplementsätze) werden oft mit progredientem Tonverlauf angeschlossen. Ein typischer Einsatzbereich insbesondere der leicht steigenden Variante ist die Assertionsverkettung, z.B. bei Erzählungen. Der Tonverlauf zeigt dann die geplante Weiterführung der Äußerung an. B25 (T29) progredienter Tonverlauf („Wohnungssuche am Telefon“) Das ist die Carolus Berner Straße, → Haus dreiundzwanzig, → da wart ich dann vor dem Hauseingang. ↓ Unterschiedliche Anschlussmöglichkeiten zwischen Äußerungen und Äußerungsteilen sind: - das Verfahren der Juxtaposition (Nachstellung) ohne Konjunktor, aber mit intonatorischer Progredienz, - das Verfahren der Koordination mittels Konjunktor, mit oder ohne Progredienz, sowie <?page no="242"?> 14.5 Prosodische Phänomene und Gestik 241 - das Verfahren der Quasi-Koordination, das die Realisierung eines (steigenden oder fallenden) Grenztonmusters mit der Koordination durch einen Konjunktor verbindet. 14.5 Prosodische Phänomene und Gestik Ein bestimmter Typus von Gesten 21 ist eng mit der Äußerungsprosodie verbunden. Man bezeichnet solche Gesten als Taktstockgesten (beats, batons). Taktstockgesten besitzen eine zweigliedrige Struktur (onset/ stroke). Der Einsatz dieses Gestentyps geschieht zeitlich synchron zu Hervorhebungen der Einheit Silbe. Abb. 10 gibt ein Beispiel für den Einsatz von Taktstockgesten in einer Rede im Deutschen Bundestag. Strokes werden in den Abbildungen durch Pfeile erfasst. Die Klammerung in der Verbalzeile erfasst die zeitliche Parallelität von Wort und Beat. Abb. 10: Taktstockgesten (batons, beats) in einer Bundestagsrede 22 7 00: 46 00: 47 00: 48 OS Sie haben nicht mehr alle [Tassen] im Schrank, das [geht] [einfach] Zeigegeste Hand Beat Arm re Beat Oberkörper Beat Oberkörper 8 00: 49 00: 50 00: 51 OS [nicht], dass Leute mit [die]sen [Hun]ger [löh]nen nach [Hau]se geschickt werden! Beat Oberkörper Beat Arm re Beat Arm re Beat Arm re Beat Arm re P (( <---------------------einsetzender Applaus --------------------------------------------------- Als visuelle Akzentuierungen verstärken Taktstockgesten die akustisch-auditiven Hervorhebungen von sinntragenden Wörtern und dienen somit der visuellen Informationsstrukturierung ebenso wie einer Verstärkung der illokutiven Kraft der Äußerung (s. Kap. 15). Der Einsatz von beats ist mit dem auditiven Kontinuum laut-leise verbunden: ein zunehmender Einsatz geht oft mit einer Erhöhung der Äußerungslautstärke einher. Die enge Verbindung der Gestik zur artikulatorisch-auditiven Dimension legt es nahe, das Untersuchungsgebiet von Phonetik und Phonologie um die visuelle Perspektive zu erweitern, nicht zuletzt, da auch die Mimik akustisch-auditive Entsprechungen besitzt, die 21 Zum Begriff Gestik s. genauer Kap. 16.5. 22 Redner: Ottmar Schreiner, 29.09.2011. <?page no="243"?> 242 Phonetik und Phonologie: 14 Prosodische Kennzeichen des Deutschen in gegenwärtigen diskursanalytischen Transkriptionen mit erfasst werden (vgl. Kap. 4). Z.B. ist ein Lachen oder Schluchzen auditiv ebenso wie visuell erkennbar. 14.6 Prosodie als Thema für Deutsch als Fremd- und Zweitsprache Prosodische Phänomene werden seit geraumer Zeit als Lerngegenstand für Deutsch als Fremd- und Zweitsprache angesprochen. Befragungen wie die von O RTMANN (1976) (vgl. Kap. 14) haben gezeigt, dass für Deutschlernende vieler Herkunftssprachen vor allem die Konsonantenhäufungen am Silbeneinsatz und in der Silbencoda schwierig sind. Ein in diesem Zusammenhang auftretendes Kontaktphänomen, das Auftreten von Sprossvokalen, wurde bereits angesprochen. Experimentelle Untersuchungen wie die von H IRSCHFELD (1994) haben zudem aufgewiesen, dass Deutschlernende bei vortragendem Sprechen schlechte Verständnisleistungen erzielten, obwohl sie in Einzelwortrealisierungen als „gut verständlich“ eingestuft worden waren. Gegenüber muttersprachlichen Vorträgern ließ sich ein Informationsverlust von rund 30 % verzeichnen. Vermutet werden kann, dass dieses Ergebnis auf die prosodische Äußerungsrealisierung zurückzuführen ist. In zahlreichen Arbeiten zum Deutschen als Fremdsprache werden rythmisch-intonatorische Muster als Lernproblem und Lerngegenstand angesprochen, oftmals kontrastiv (vgl. die bei H IRSCHFELD / R EINKE 2007 versammelten Beiträge). Interessante Beobachtungen, die z.T. durch empirische Untersuchungen belegt werden konnten, liegen z.B. für russische Deutschlerner vor: Der in der russischen Sprache üblicherweise genutzte Frequenzumfang (z.B. im Kontext von Fragen) ist größer als im Deutschen, wo eine entsprechende Erhöhung der Tonfrequenz die Äußerung als emotional bzw. emphatisch markiert. Russische Deutschlernende übertragen oftmals die russischen Tonkonturen auch in das Deutsche. 23 Die Übertragung prosodischer Strukturen auf die Fremd- oder Zweitsprache Deutsch birgt erhebliche Missverstehenspotentiale, die insbesondere die illokutive Kraft der Äußerung, ihre Wirkung auf den Hörer, betreffen. 24 Über die in verschiedenen Sprachen vorfindliche Verbindung von Stimmqualität und Emotionsausdruck weiß man gegenwärtig noch wenig. Eine Forschergruppe um K LAUS S CHERER und H ARALD W ALBOTT konnte in einer experimentellen Studie, die in insgesamt neun Ländern (Deutschland, (französischsprachige) Schweiz, Großbritannien, Niederlande, USA, Italien, Frankreich, Spanien und Indonesien) durchgeführt wurde, nachweisen, dass Emotionen wie Ärger, Traurigkeit, Angst und Freude sowie eine neutrale Stimmlage über alle Sprachen hinweg zu rund 66 % aus dem Stimmklang professioneller deutscher Sprecher zutreffend erkannt werden. 25 Zwar konnten auch deutsche Probanden nicht alle Emotionen korrekt einordnen (so wurden beispielsweise Angst und Traurigkeit verwechselt); es zeigte sich aber, dass größere Sprachdistanz mit einer schlechteren Erkennungsrate einherging. Für Indonesien betrug die Erkennungsquote beispielsweise nur 52 % (S CHERER / B ANSE / W ALBOTT 2001). Das Geschlecht der Probanden erwies sich als nicht signifikant. Als über die Sprachen hinweg relativ stabil erwiesen sich die auftretenden Verwechslungen. In allen Ländern erzielte die Erkennung von „Freude“ die schlechtesten Ergebnisse. 23 Mehrere Beiträge in Hirschfeld/ Reinke (2007) beschäftigen sich mit diesem Thema. 24 Vgl. auch Liedke (2007). 25 Genutzt wurden dabei sprachähnliche, aber semantisch sinnlose Äußerungen, die aus phonologischen Formen verschiedener Sprachen zusammengesetzt waren (“meaningless multilanguage sentences”, z.B. “Hat sundig pron you venzy.”, Scherer / Banse / Walbott 2001, S. 79). <?page no="244"?> 14.6 Prosodie als Thema für Deutsch als Fremd- und Zweitsprache 243 Die bisherigen Ergebnisse weisen darauf hin, dass im Blick auf die Umsetzung von emotionalen Qualitäten erhebliche Sprachdifferenzen bestehen, die sich auch im Kontext Deutsch als Fremdsprache auswirken. 26 In Lehrwerken wird die Äußerungsintonation allerdings bislang eher selten angesprochen. Häufiger hingegen finden sich Übungen zur Wortintonation. Bei der Vermittlung wird auch die enge Verbindung der körperlichen Grob- und artikulatorischen Feinmotorik genutzt: didaktische Verfahren umfassen hier u.a. den gezielten Einsatz von Taktstockgesten. Ausgewählte Aufgaben zu Kap. 14 (9 von 24) 2. Hören Sie die Zahlen auf Deutsch und Neugriechisch . Sind sie monosyllabisch oder polysyllabisch? Was ist die häufigste Silbenanzahl bei den Zahlwörtern? 3. Hören Sie die Zahlen in verschiedenen Sprachen . Welcher ist der häufigste Silbenbautyp bei den Zahlwörtern (gedeckt oder ungedeckt, offen oder geschlossen)? 6. Hören Sie das Tonbeispiel „Nordwind und Sonne“, vorgelesen von einem türkischen Lernenden. Welche Abweichungen lassen sich in der Äußerungsrealisierung aufweisen? Welche Regel oder Regeln sollte man ihm vermitteln? 8. Warum macht es wenig Sinn, das Deutsche mit einer Silbenschrift zu schreiben? Argumentieren Sie. 11. Silben können im Deutschen unterschiedlich viele Konsonanten enthalten. Wie viele Konsonanten können maximal in einer Silbe auftreten? 12. Transkribieren Sie das Wort „Wandschrank“, segmentieren Sie es in Silben und geben Sie den Aufbau der Silben an. 14. Geben Sie ein Beispiel für ein deutsches Wort, das eine konsonantische Silbe umfasst. 17. Erläutern Sie die Akzentuierung in dem Wort „Kaufhauskette“. 21. Sind Fragen im Deutschen immer mit einem steigenden Tonverlauf verbunden? Erläutern Sie am Beispiel. Ausgewählte weiterführende Literatur Ehlich, Konrad (1981) Intonation des gesprochenen Deutsch: Aufzeichnung, Analyse, Lehre. In: Kopenhagener Beiträge zur Germanistischen Linguistik 18, S. 46-93 Fiehler, Reinhard/ Barden, Birgit/ Elstermann, Mechthild/ Kraft, Barbara (2004) Eigenschaften gesprochener Sprache. Tübingen: Narr Hirschfeld, Ursula / Reinke, Kerstin (Hgg.) (2007) Phonetik in Deutsch als Fremdsprache: Theorie und Praxis - Einführung in das Themenheft. In: Zeitschrift für Interkulturellen Fremdsprachenunterricht 12/ 2 (7 S.) (Online: ) 26 Auch eine Studie von Missaglia (2001) mit italienischen Deutschlernern weist auf Erkennungsprobleme emotionaler Stimmqualitäten hin. <?page no="245"?> 244 Phonetik und Phonologie: 14 Prosodische Kennzeichen des Deutschen Hoffmann, Ludger (2002) Zur Grammatik der kommunikativen Gewichtung im Deutschen. In: Peschel, Corinna (Hg.), Grammatik und Grammatikvermittlung. Frankfurt: Lang, S. 9-37 Liedke, Martina (2007) Was für eine Frage? Intonatorische Strukturen als Lernproblem für Deutsch als Fremdsprache. In: Redder, Angelika (Hg.), Diskurse und Texte. Tübingen: Stauffenburg, S. 517-526 Maas, Utz (1999) Phonologie: Einführung in die funktionale Phonetik des Deutschen. Opladen: Westdeutscher Verlag Müller, Cornelia / Cienki, Alan / Fricke, Ellen / Ladewig, Silvia H. / McNeill, David / Bressem, Jana (eds.) (2013/ 2014) Body - language - communication: an international handbook on multimodality in human interaction. 2 Bde. Berlin: de Gruyter. Schwitalla, Johannes ( 4 2012) Gesprochenes Deutsch. Eine Einführung. Berlin: Erich Schmidt Verlag Zifonun, Gisela / Hoffmann, Ludger/ Strecker, Bruno (1997) Grammatik der deutschen Sprache. Berlin: de Gruyter, Kap. C2 <?page no="246"?> Diskurs und Text 15 Mündliche Kommunikation 15.1 Mündlichkeit und Schriftlichkeit Zu den wesentlichen Merkmalen mündlicher Sprache gehört ihre Flüchtigkeit und Zeitlichkeit. Ihre sprachwissenschaftliche Untersuchung setzt somit eine vorgängige Fixierung, nach E HLICH eine ‚Verdauerung‘ (vgl. Kap. 17), durch Aufnahme und Transkription voraus (vgl. Kap. 4). Spezifisch mündliche Phänomene werden daher erst in neueren Grammatiken des Deutschen berücksichtigt (so etwa in der GdS 1997, der D UDEN -Grammatik (ab 2009) und H OFFMANN 2016). Der Begriff „Mündlichkeit“ erscheint zunächst als einfaches Gegenstück zu „Schriftlichkeit“, ist dies aber nicht. So kann mündliche Sprache z.B. schriftlich vorbereitet sein; schriftliche Sprache kann sich andererseits der mündlichen stark annähern. K OCH / O ESTERREICHER sprechen hier von „konzeptuell mündlichen“ und „konzeptuell schriftlichen“ Texten und beziehen sich damit auf den Grad der Spontaneität, mit der das Gesprochene oder Geschriebene jeweils produziert wird. Eine vorbereitete und durchdachte Rede hat deutlich andere sprachliche Merkmale als ein Gesprächsbeitrag. Eine Predigt oder ein Vortrag beispielsweise sind durch konzeptuelle Schriftlichkeit charakterisiert; ein Chat hingegen gilt als konzeptuell mündlich. Davon unterschieden werden materielle Mündlichkeit und Schriftlichkeit als „mediale“ Erscheinungsformen von Sprache. Mündlichkeit und Schriftlichkeit unterscheiden sich aber nicht nur als „Träger“ (Medium), sondern grundlegend hinsichtlich der Handlungssituationen, in denen sich Sprecher und Hörer jeweils befinden. Zum einen können Sprecher und Hörer räumlich-zeitlich kopräsent, also gemeinsam anwesend sein, d.h. sich in derselben Sprechsituation befinden. Eine solche Handlungssituation wird als Diskurs bezeichnet (E HLICH 2007). 1 Sie ist ontologisch primär, historisch also vorausgesetzt im Vergleich zu Lesen und Schreiben. Zum anderen können die Sprechsituationen von Sprecher und Hörer räumlich-zeitlich differieren. Eine solche aus zwei getrennten Teilen zusammengesetzte Handlungssituation ist charakteristisch für das Konzept „Text“ (s. Kap. 17). Charakteristisch für die spontane mündliche Kommunikation „von Angesicht zu Angesicht“ (face-to-face), also den Diskurs im obigen Sinn, ist die wechselseitige Wahrnehmung der Beteiligten. Dadurch ist der Verständigungsprozess einer wechselseitigen Überprüfung des Verstehens zugänglich: Bei Nichtverstehen besteht die Möglichkeit, Äußerungen zu wiederholen, zu korrigieren oder zu erläutern. Häufig finden während des Sprechens Änderungen der Äußerungsplanung statt, z.B. weil der Sprecher erkennt, dass der Hörer ihm nicht folgen kann oder mit dem Gesagten nicht einverstanden ist. In diesem Zusammenhang spielen insbesondere gestisch-mimische Mittel eine wesentliche Rolle. 1 In der Philosophie wird der Begriff „Diskurs“ demgegenüber in einem anderen Verständnis verwendet. So spricht Habermas (1981) mit dem „herrschaftsfreien Diskurs“ seine Vorstellung von rationalem gesellschaftlichem Handeln an. Bei Foucault bezeichnet „Diskurs“ (discours) ein überpersönliches Gewebe aus Wissensstrukturen, das von bestimmten Diskursgemeinschaften gepflegt und über Verfahren der Ausschließung gehütet wird (Foucault 1991, Die Ordnung des Diskurses. Frankfurt a.M.: Fischer). In der deutschsprachigen Linguistik knüpft die Kritische Diskursanalyse an Foucault an (vgl. Jäger 2009); so wird z.B. vom „Diskurs des Rassismus“ gesprochen. In der englischsprachigen Linguistik wird „discourse“ verwendet, um (mündliche und schriftliche) „Sprache im Gebrauch“ zu erfassen. <?page no="247"?> 246 Diskurs und Text: 15 Mündliche Kommunikation Gegen die naive Annahme, Gespräche seien rein spontane Ereignisse, wendete sich die soziologische Conversation Analysis in den 1970er Jahren. Sie zeigte, dass ein Gespräch ein organisiertes sprachliches Ereignis ist. Es handelt sich dabei um eine Richtung der Ethnomethologie, die sich mit den Arbeiten von H ARVEY S ACKS , E MANUEL A. S CHEGLOFF und G AIL J EFFERSON verbindet. 2 In diesem Zusammenhang wurden zahlreiche Daten authentischer mündlicher Kommunikation verschriftlicht und analysiert. In der deutschsprachigen Linguistik wurden Überlegungen der conversation analysis u.a. in der Konversationsanalyse, der Gesprächsanalyse und der Funktionalen Pragmatik weiterentwickelt. Aufgrund ihres ähnlichen methodischen Vorgehens spricht man hier zusammenfassend von Diskursforschung oder Diskursanalyse. Die Ansätze verfolgen allerdings unterschiedliche Fragestellungen und zielen teils auf die Beschreibung sozialer Sinn- und Identitätskonstruktion, teils auf die Beschreibung sprachlicher Ausdrücke oder Handlungsmittel ab. Die Beiträge in S TAFFELDT / H AGEMANN (2014) verdeutlichen die Differenzen durch methodisch bedingt unterschiedliche Analysen desselben Gesprächsausschnitts. 15.2 Charakteristika mündlicher Verständigung 15.2.1 Die Organisation des Sprecherwechsels Ein auffälliges Kennzeichen von Gesprächen bildet der Sprecherwechsel (turn-taking). Je nach Diskurstyp können die Beteiligten in unterschiedlichem Umfang zu Wort kommen. Während beispielsweise in einer Vorlesung 3 meist nur einer spricht und alle anderen zuhören, finden sich etwa in Tischgesprächen Redebeiträge von wechselnden Beteiligten. In einem berühmten Aufsatz zur „einfachsten Systematik der Organisation des Sprecherwechsels in Gesprächen“ beschreiben S ACKS / S CHEGLOFF / J EFFERSON , wie die Gesprächsbeteiligung von den Anwesenden geregelt wird. Die Grundeinheit bildet dabei der „turn“ 4 , der Redebeitrag. Die Beteiligten können das Rederecht entweder durch Selbstwahl oder durch Fremdwahl erhalten. 5 Bei einer Selbstwahl wählt der Sprecher (self) sich selbst als nächsten Sprecher aus. Bei einer Fremdwahl wird er von einem anderen (other) zum nächsten Sprecher bestimmt. Als Regeln für den Sprecherwechsel gelten zu einem aktuellen Zeitpunkt des Gesprächs: 1) Der gegenwärtige Sprecher wählt den nächsten Sprecher aus (Fremdwahl). 2) Falls er dies nicht tut, kann sich ein anderer Sprecher sich selbst zum nächsten Sprecher bestimmen (Selbstwahl). 3) Falls niemand als nächster Sprecher ausgewählt wird oder sich niemand selbst auswählt, fährt der ursprüngliche Sprecher fort. Stellen, an denen ein Sprecherwechsel erfolgen kann, nennt man „Turn-Übergangspunkte“ (turn transition points). Übergangspunkte sind prosodisch oder syntaktisch markiert. 2 Die Ethnomethodologie (zusammengesetzt aus „Ethnologie“ und „Methodologie“) ist als soziologische Richtung daran interessiert, scheinbare Selbstverständlichkeiten aufzudecken, die als common sense das „normale Tun“ bestimmen (s. Harold Garfinkel 1967). Dabei nähert man sich der eigenen Gesellschaft aus der Perspektive des Fremden. So untersuchte Garfinkel beispielsweise in „Krisenexperimenten“, welche Reaktionen auf Fragen wie Wie geht´s? (How are you? ) gesellschaftlich akzeptabel sind (vgl. Garfinkel, Harold (1967) Studies in Ethnomethodology. Englewood Cliffs: Prentice Hall). 3 Eine Veranstaltung, in der heutzutage nicht mehr „vorgelesen“, sondern mehr oder weniger frei vorgetragen wird. 4 Vgl. engl. „it’s your turn (du bist dran)“. Der Ausdruck turn [təː n] wird als Fachausdruck auch in deutschen Arbeiten verwendet. Er kann dann wie deutsche Substantive groß geschrieben werden. 5 Die Annahme einer rechtlichen Strukturierung von Gesprächen ist in der angloamerikanischen Linguistik nicht nur für institutionelle, sondern auch für Alltagsgespräche etabliert. <?page no="248"?> 15.2 Charakteristika mündlicher Verständigung 247 Zudem gehören zu den Verfahren der Rederechtsübergabe die Zu- oder Abwendung des Körpers oder Kopfes, Blickkontakt etc. Mögliche Übergangspunkte können vom Gesprächspartner genutzt werden (d.h. es kommt zu einem Sprecherwechsel) oder auch nicht. Die Auswahl des nächsten Sprechers durch Fremdwahl kann zum Beispiel durch Namensnennung erfolgen, wie in folgendem Beispiel aus dem fremdsprachlichen Deutschunterricht. L, der Lehrer, bestimmt Susi (Su) zur nächsten Sprecherin. B1 Fremdwahl L = Lehrer Su = Susi ┌───────────────────────────────────────────────── │L [Wer hat eine Frage? Susi? Ja? │Su[ ((lacht verlegen)) 1 └───────────────────────────────────────────────────── ┌───────────────────────────────────────────────── │ >┌ \/ │L └ hm │Su[ Das Wort steht auf Seit eins und in der Absatz eins. 2 └──────────────────────────────────────────────────────── Häufig erfolgt die Auswahl des nächsten Sprechers, indem z.B. eine Frage direkt an eine bestimmte Person gerichtet wird. Im folgenden Beispiel übergibt der Student S auf diese Weise das Rederecht an den Dozenten. D übernimmt nach einer kurzen Pause das Rederecht („Fremdwahl“). In der Folge übernimmt S ungefragt und unaufgefordert durch Selbstwahl erneut das Wort. B2 Fremd- und Selbstwahl ((T1) aus (Ts3) „Hausarbeit abholen“ ) S = Student D = Dozent ┌───────────────────────────────────────────────── │S [ ((Türenklappern)) Hab ich die Klausur bestanden? 1 └──────────────────────────────────────────────────────── ┌───────────────────────────────────────────────── │S [ Ja wunderbar. │D [ . Sie haben die Klausur bestanden. 2 └──────────────────────────────────────────────────────── Der Sprecherwechsel kann glatt (wie in B1) oder überlappend (wie in B2) erfolgen. Die GdS unterscheidet zwischen Überlappungen im engeren Sinn und Fällen der Unterbrechung. Bei einer Überlappung sprechen die Beteiligten zeitgleich, ohne dass es zu Abbrüchen der Beiträge kommt (s. B2). Bei einer Unterbrechung bricht der vorhergehende Sprecher hingegen seine Äußerung ab, und der Sprecher, der sich eingeschaltet hat, übernimmt den Turn. Bei einem Unterbrechungsversuch setzt der vorhergehende Sprecher seinen Gesprächsbeitrag fort und der Folgesprecher bricht seinen Beitrag ab. In den verschiedenen Ansätzen der Diskursforschung gibt es unterschiedliche Einschätzungen des Turn-taking. Während die Konversationsanalyse annimmt, dass der Sprecherwechsel von den Beteiligten im jeweiligen Moment lokal (ad hoc, situativ) „ausgehandelt“ wird, gehen Arbeiten im Kontext der Funktionalen Pragmatik davon aus, dass der institutionelle Rahmen sowie das gewählte sprachliche Handlungsmuster den Sprecherwechsel weitgehend vorstrukturieren (vgl. Kap. 16). <?page no="249"?> 248 Diskurs und Text: 15 Mündliche Kommunikation 15.2.2 Verstehenssichernde Verfahren Ein auffälliges Kennzeichen mündlicher Kommunikation ist das Auftreten von kurzen Ausdrücken, formelhaften Wendungen oder Interjektionen (kenn ich, genau, hmhm, ja usw.), die während der Rede eines Sprechers vom Zuhörer „eingestreut“ werden. Sie werden meist nicht als eigener Redebeitrag angesehen, sondern man erfasst sie als Hörerrückmeldungen (back channel), als Fälle, in denen „der Hörer etwas sagt“. 6 Tab. 1: Die Klasse HM im Deutschen (nach E HLICH 1986, R ASOLOSON 1994, L IEDKE 1994) Einfache Formen Ton Verlauf Form Funktion Paraphrasen / steigend / hm (T2) Divergenz Wie bitte? Was? Ich verstehe nicht. (meist bei akustischem Verstehensproblem) \ fallend \ hm (T3) komplexe Divergenz Seltsam. Ich verstehe nicht. Ich bin nicht einverstanden. Ich bin ratlos. — gleichbleibend — hm (T4) beginnende Divergenz Ich bin irritiert. Ich plane noch, was ich sagen will. \/ fallendsteigend \/ hm (T5) Konvergenz Ich höre zu, verstehe. Ja. Sprich weiter. / \ steigend -fallend / \ hm (T6) akzeptierte Divergenz Ich verstehe nicht ganz, aber - na ja. Reduplizierte Formen Ton Verlauf Form Funktion Paraphrasen \/ fallendsteigend \/ hmhm (T7) Konvergenz Ich höre zu. Sprich weiter. Ich verstehe. Ja. Stimmt. / \ steigend -fallend / \ hmhm (T8) komplexe Divergenz (deliberativ) Ich verstehe, muss aber überlegen. Durch Hörerrückmeldungen zeigt der Hörer an, ob und wie er der vom Sprecher gewählten Handlungslinie im Diskurs folgen kann. Hörerrückmeldungen können verbal, aber auch gestisch oder mimisch (Nicken, Stirnkräuseln etc.) realisiert werden und mehr oder weniger ausgebaut sein. Zu den am häufigsten verwendeten Hörerrückmeldungen gehört im Deutschen eine Gruppe von Interjektionen, die E HLICH (1979, 1986) zur „Klasse HM“ zusammenfasst und zu den so genannten „expeditiven Prozeduren“ rechnet (vgl. Kap. 16). Tab. 1 gibt eine Übersicht über einige Formen von HM und ihre Bedeutungen im Deutschen. 6 S. auch Duden-Grammatik (2016, S. 1248 ff.). <?page no="250"?> 15.2 Charakteristika mündlicher Verständigung 249 Charakteristisch für die Klasse HM - wie auch für andere expeditive Prozeduren - ist die Abhängigkeit ihrer Bedeutung von dem jeweiligen Tonverlauf, mit dem die Partikeln geäußert werden. Nach E HLICH geben die verschiedenen Formen Auskunft über die Verarbeitung des Gesagten auf einer Skala von Konvergenz bis zu Divergenz, d.h. von handlungspraktischer Übereinstimmung bis hin zu handlungspraktischer Nicht-Übereinstimmung von Sprecher- und Hörererwartung im Blick auf den Folgediskurs. Verschiedene Beispiele für ihren Einsatz finden sich in den Gesprächsausschnitten (Ts4) „Film“ und (Ts1) „Sprachenlernen“. In der Funktionalen Pragmatik werden die Hörerrückmeldungen als Verfahren der Sprechersteuerung bezeichnet und dem so genannten Steuerungsapparat zugeordnet, der sowohl hörerseitige als auch sprecherseitige Mittel zur Beeinflussung der mentalen Prozesse beim Hörer und des Interaktionsverlaufs umfasst und ein gesellschaftlich entwickeltes Repertoire zur Koordination von sprecher- und hörerseitigen Bewertungen und Handlungsplänen bereitstellt. Ebenso wie der Hörer eine Steuerung des sprecherseitigen Handlungsplans durch Äußerung kurzer Einheiten vornehmen kann, gibt es auf Sprecherseite Elemente, durch die der Sprecher den Verstehensprozess des Hörers lenkt. Man spricht in diesem Fall von Verfahren der Hörersteuerung. Zum Teil werden dieselben sprachlichen Mittel zur Sprecher- und Hörersteuerung verwendet, im Deutschen beispielsweise die Partikel ja. Im Transkript (Ts2) „SZ-Verkäufer“ finden sich verschiedene der im Deutschen vorkommenden Formen. Da sie eine sprachliche Handlung erweitern und ergänzen, bezeichnet R EHBEIN (1979) diese Elemente als „Sprechhandlungsaugmente“. 7 Je nach Stellung kann zwischen vor- und nachgeschalteten Augmentierungen unterschieden werden. Ein einfaches Beispiel ist die Äußerung: B3 Hör mal, du hast doch gestern nicht auf mich gewartet, oder? Vorschaltungen bereiten die Aufnahme einer sprachlichen Handlung vor. Oft knüpfen sie die augmentierte Äußerung an eine frühere Äußerung an. Neben Interjektionen, die Sprechbereitschaft anzeigen (z.B. hm mit gleichbleibendem Tonverlauf, öh, äh), wird im Deutschen als Vorschaltung oft die Partikel ja verwendet. Das vorgeschaltete ja ist nur als formale Anknüpfung zu verstehen und bedeutet nicht, dass der Sprecher den vorhergehenden Ausführungen inhaltlich zustimmt: Charakteristisch für Diskussionen ist die Formel ja aber. Eine weitere Vorschaltung ist die Gesprächspartikel also, mittels derer vorhergehende Äußerungen (oder Handlungen) rekapituliert und eine neue Handlung oder Thematik begonnen werden. Zu diesem Zweck wird mit dem integrierten so deiktisch auf Zukünftiges verwiesen. Während Vorschaltungen auf Hörerseite die mentalen Voraussetzungen für das Verstehen der augmentierten sprachlichen Handlung herstellen, dienen Nachschaltungen wie ja? , nicht (wahr)? , oder? der nachträglichen Modifikation des Verstehensprozesses. 8 Nachschaltungen legen dem Hörer eine mentale Überprüfung der augmentierten Äußerung nahe, bei der er zu dem Schluss kommen soll, dass diese gerechtfertigt ist. Während mit nachgeschaltetem ja? das Zutreffen des Informationsgehalts 9 noch einmal angesprochen wird, 7 Augment (von lat. augmentare = vermehren) = verlängerndes Element, vergrößerndes Präfix oder Suffix. Zum Begriff „sprachliche Handlung“ s. genauer Kap. 16 und 17. 8 Sie werden häufig auch als „Anhangfragen“ bezeichnet; in vielen Fällen erfolgt jedoch keine hörerseitige Antwort. Die GdS bezeichnet die Gesamthandlung bei nachgeschalteter Sprechhandlungsaugmentierung als „Bestätigungsfrage“. 9 Ihren propositionalen Gehalt, d.h. die Proposition, s. Kap. 16. <?page no="251"?> 250 Diskurs und Text: 15 Mündliche Kommunikation ruft die negierende Nachschaltung nicht? das Gegenteil auf, als Kurzform von nicht wahr? Beide Typen zielen auf explizite oder ‚stillschweigende‘ Zustimmung des Hörers. Nachgeschaltetes oder deutet eine Alternative an. Nachschaltungen variieren häufig regional. So findet sich im nordwestlichen Raum ne ( ) als weiter verkürztes „nicht (wahr)“; gell (aus einer Form des Verbs gelten entstanden) dominiert im süddeutschen Raum. In der angloamerikanischen Diskussion werden Verfahren der Sprecher- und Hörersteuerung als discourse markers oder gambits bezeichnet. 10 Grammatiken des Deutschen erfassen sie z.T. in einer neuen Wortart „Gesprächspartikel“ (D UDEN 2016, S. 606 ff.). 15.2.3 Reparaturen und verstehenssichernde Nebensequenzen Zu den zentralen Momenten, die die Conversation Analysis für Gespräche herausgearbeitet hat, gehört neben dem Sprecherwechsel der Einsatz von reparativen Verfahren (repair). Reparaturen betreffen Probleme der Sprechplanung oder des Verstehens, deren Bearbeitung sich an der Oberfläche des Diskurses zeigt. Den Begriff Reparatur verwendet die Conversation Analysis für verschiedene Arten von Bearbeitung eines Verstehensproblems. Dabei wird wie beim Sprecherwechsel ausgehend vom Gesprächsverlauf formal differenziert, ob der Sprecher selbst (self) oder der Hörer (other) die Reparatur durchführt. Reparaturen umfassen drei, meist sogar vier Schritte: - das Auftreten eines Problems in der Gesprächsabwicklung, - die Einleitung einer Problembehandlung (Initiierung), - die Problembearbeitung (Durchführung), häufig gefolgt von einer - Rückbestätigung der erfolgreichen Problembearbeitung. 11 Gemäß der Differenzierung self versus other werden vier verschiedene Typen von Reparaturen unterschieden: - selbstinitiierte Selbstreparatur - fremdinitiierte Selbstreparatur - selbstinitiierte Fremdreparatur - fremdinitiierte Fremdreparatur Bei der selbstinitiierten Selbstreparatur zeigt der Sprecher der in irgendeiner Hinsicht „defekten“ Äußerung selbst an, dass es ein Problem gibt, und bearbeitet dieses dann auch selbst. An der sprachlichen Oberfläche zeigt sich eine selbstinitiierte Selbstreparatur als Abbruch einer Äußerung, verbunden mit ihrer Wiederholung oder Umstrukturierung. Inhaltlich haben es selbstinitiierte Selbstreparaturen mit der Koordination von Planung und Umsetzung des Äußerungsaktes zu tun. Häufig betreffen sie antizipierte oder aus Hörerrückmeldungen erschlossene Probleme der Äußerungsrezeption. B4 Selbstinitiierte Selbstreparatur (aus (Ts2) „SZ-Verkäufer“) V = Verkäufer ┌───────────────────────────────────────────────── │V [ aber jetzt müssen halt die Studenten auch 1 └─────────────────────────────────────────────────────── ┌───────────────────────────────────────────────── │V [na/ nach [f]/ nach äh: Vorlesungsschluss noch lernen 2 └─────────────────────────────────────────────────────── 10 Vgl. Edmondson / House (1981). 11 Vgl. Selting (1987). <?page no="252"?> 15.2 Charakteristika mündlicher Verständigung 251 Der Verkäufer V unternimmt hier mehrere selbstinitiierte Selbstreparaturen. Er stockt zunächst in der Artikulation (na/ ) und wiederholt einen Teil der Äußerung (nach). Auch im Folgenden artikuliert er zunächst ein Wort an (hier als transkribiert), bricht ab und „repariert“. Die Durchführung der Reparatur geschieht als Phrase (nach Vorlesungsschluss). Das Zögern vor der Artikulation von Vorlesungsschluss (lang gezogenes äh) lässt vermuten, dass V vielleicht zunächst ein anderes Wort anvisiert (Feierabend), aber erkennt, dass diese Bezeichnung zwar für seine Lebenssituation, nicht jedoch für die der von ihm thematisierten Studenten angemessen ist (der Ausdruck Feierabend betrifft institutionalisierte Arbeitsverhältnisse). Während Problemaufweis und -bearbeitung bei selbstinitiierten Selbstreparaturen im selben Gesprächsbeitrag geschehen, nehmen fremdinitiierte Selbstreparaturen immer die Form einer Sprechhandlungssequenz an, d.h. sie beinhalten einen Sprecherwechsel. Bei einer fremdinitiierten Selbstreparatur zeigt der Hörer an, dass es in der Äußerung des Sprechers ein Problem gibt. Der Sprecher greift das Problem daraufhin auf und bearbeitet es. Da sie einen Verlauf kurzfristig unterbrechen, der später wieder aufgenommen wird, werden solche Sequenzen als „Nebensequenzen“ (side sequences) 12 bezeichnet. (B5) gibt ein Beispiel. B5 Fremdinitiierte Selbstreparatur (R EHBEIN 1989, S. 275) R = Richter M = Angeklagter ┌───────────────────────────────────────────────── │M [ Und da / _frug_/ ich sie, wie man normal frug, 1 └─────────────────────────────────────────────────────── / _ frug=fragte ┌───────────────────────────────────────────────── │R [ Bitte, wie war dat? │M [ denn nach m Fahrziel. Nach m 2 └─────────────────────────────────────────────────────── ┌───────────────────────────────────────────────── │R [ Ja, nach m Fahrziel │M [ Fahrziel hab ich die Leute jefragt. 3 └─────────────────────────────────────────────────────── ┌───────────────────────────────────────────────── │R [gefragt. │M [ Und da sagtn die mir "Ja, fahr mal gradeaus." 4 └─────────────────────────────────────────────────────── Die in (B5) dokumentierte Nebensequenz geht auf eine Formulierung des Angeklagten zurück, die von R akustisch nicht wahrgenommen oder inhaltlich nicht rezipiert werden konnte. Er stellt eine Verstehensnachfrage (Bitte, wie war dat? , Reparaturinitiierung). M führt daraufhin die Reparatur aus: Er wiederholt seine Äußerung, wobei er Umstrukturierungen vornimmt. Die Umstrukturierung sowie das Setzen eines Gewichtungsakzents zeigen, dass M Fahrziel als akustisch unverständliches Moment identifiziert; ferner ersetzt er die unübliche Präteritumform frug durch hab gefragt. Als weiterer Schritt erfolgt eine Bestätigung der Reparatur. R zeigt an, dass „Fahrziel“ tatsächlich das Verstehensproblem bildete, indem er den problematischen Teil als nunmehr verstanden wiederholt (Ja, nachm Fahrziel gefragt). In der Folge wird das ursprüngliche Gesprächsthema weitergeführt; der 12 Jefferson (1972). <?page no="253"?> 252 Diskurs und Text: 15 Mündliche Kommunikation Angeklagte stellt die Umstände dar, die zum Gerichtsprozess geführt haben (Und da sagten die mir …). Im Deutschen werden die sprachlichen Mittel bitte, was oder hm (mit steigendem Tonverlauf) verwendet, um auf ein akustisches Verstehensproblem hinzuweisen. Verbunden mit besonders stark ansteigendem Tonverlauf zeigen sie hingegen ein inhaltliches Verstehensproblem an (vgl. Kap. 14). Gemessen an der Auftretenshäufigkeit der Verfahren, stellten S ACKS / S CHEGLOFF / J EFFERSON eine Präferenz für Selbstinitiierung und Selbstbearbeitung fest. Die noch anzusprechenden Reparaturtypen selbstinitiierte und fremdinitiierte Fremdreparatur treten in der Alltagskommunikation seltener auf. Charakteristisch sind diese Reparaturtypen jedoch für das fremdsprachliche Handeln. 13 Bei einer selbstinitiierten Fremdreparatur zeigt der Sprecher an, dass es in seiner Äußerung irgendein Problem gibt, bearbeitet es jedoch nicht selbst. Der Hörer übernimmt die Problembearbeitung. Selbstinitiierte Fremdreparaturen haben es häufig mit einem Formulierungsproblem zu tun, das der Sprecher durch Stocken in seiner Äußerung (Pausen, Abbrüche) anzeigt. In der Reparaturdurchführung stellt der Hörer dem Sprecher das gewünschte Element bereit, so dass dieser sein sprachliches Handeln fortsetzen kann. B6 Selbstinitiierte Fremdreparatur T = Thomas L = Lehrer ┌───────────────────────────────────────────────── │L [ Die/ die/ die Preise. Die │Th┌/ _Die Preise .. äh/ _/ Die Preise/ │ └/ _unsicher_/ 1 └─────────────────────────────────────────────────────── ┌───────────────────────────────────────────────── │ >┌ \/ │L └ Preise steigen. hm 2 └─────────────────────────────────────────────────────── In (B6), einem Ausschnitt aus dem Fremdsprachenunterricht, finden sich zwei Fälle, die als selbstinitiierte Fremdreparaturen bestimmt werden können: Thomas zögert in der Produktion seiner sprachlichen Handlung (Pause, äh, Abbruch). L bearbeitet mit der Reparatur die Preise zunächst die Markierung des Ausdrucks „Preise“ als unsicheren Wissensbestand, wobei sich der Bearbeitung zufolge die Unsicherheit auf den korrekten Artikel bezieht (die). Thomas wiederholt die Preise, bricht aber erneut ab. In einer zweiten Reparatur (Die Preise steigen.) liefert ihm L nun noch das passende Verb. Sein anschließendes hm (mit fallend-steigendem Ton) bestätigt den erreichten Wissensstand und zeigt an, dass Thomas selbst keine weitere Bearbeitung der Formulierung vornehmen muss. 13 Vgl. Kameyama (2004). <?page no="254"?> 15.2 Charakteristika mündlicher Verständigung 253 B7 Fremdinitiierte Fremdreparatur B = Brandon L = Lehrer ┌───────────────────────────────────────────────── │L [ Nein, zwischen. │B [ OK. Äh über Klaus und über/ Äh 1 └─────────────────────────────────────────────────────── ┌───────────────────────────────────────────────── │B [ zwischen äh .. den Schreibtisch ...((4s))... äh .. 2 └─────────────────────────────────────────────────────── (B7) gibt ein Beispiel für eine fremdinitiierte Fremdreparatur. Bei diesem Reparaturtyp identifiziert der Hörer ein Problem in der Äußerung des Sprechers und behebt es anschließend selbst. Brandon wählt die falsche Präposition. L zeigt dies als reparaturbedürftig an (nein) und weist auf die richtige Präposition hin (zwischen). In der Alltagskommunikation werden fremdinitiierte Fremdreparaturen oft „heruntergespielt“, indem auf den expliziten Problemaufweis verzichtet und nur die Reparatur durchgeführt wird. Welcher Korrekturtyp im Fremdsprachenunterricht Deutsch zu bevorzugen ist, wird in der DaF-Didaktik diskutiert. 15.2.4 Pausen Auch Pausen, d.h. das Auftreten einer Stille zwischen zwei kommunikativen Einheiten, sind in der linguistischen Diskursforschung genauer untersucht worden. Bei einer Pause handelt es sich um einen Zeitabschnitt, in dem „zu erwarten ist, dass jemand spricht“ (Z IFONUN / H OFFMANN / S TRECKER 1997, S. 239). Die GdS unterscheidet ausgehend von ihrem Auftreten zwischen verschiedenen Typen der Pause: Eine finale Pause ist dann gegeben, wenn ein Redebeitrag als abgeschlossen charakterisiert wird. Intonatorisch wird die Abgeschlossenheit durch Verwendung eines Grenztonmusters, syntaktisch durch Komplettierung einer grammatischen Konstruktion angezeigt. Mit einer finalen Pause stellt der aktuelle Sprecher das Rederecht zur Disposition. Bei einer intermediären Pause liegt demgegenüber keine Komplettierung des Redebeitrags vor, sondern der aktuelle Sprecher unterbricht seine Artikulation, ohne seinen Beitrag erkennbar als abgeschlossen gekennzeichnet zu haben. Ausgehend von ihrer Funktion unterscheidet die GdS verschiedene Untertypen der intermediären Pause: - Segmentierungspausen markieren Grenzen zwischen intonatorischen Einheiten unterschiedlicher Größe. Als Grenzsignale sind sie dem Glottisverschluss (s. Kap. 12) vergleichbar, mit dem sie auch kombiniert auftreten können. - Abbruchpausen sind demgegenüber Pausen, die es mit einem Planungsumstieg des Sprechers und einem Neuansatz zu tun haben. Allerdings ist nicht jeder Abbruch mit einer Abbruchpause verbunden. - Relevanzpausen heben nach Z IFONUN / H OFFMANN / S TRECKER eine folgende gedankliche Einheit hervor, die der Sprecher als besonders relevant oder als schwer zu verstehen einschätzt. Sie gehen häufig mit einem Gewichtungsakzent und verlangsamter Sprechgeschwindigkeit einher. - Verzögerungspausen dienen dem Zeitgewinn. Sie zeigen häufig ein Problem der Wortfindung und kommen beim Nachdenken über ein schwieriges Gesprächsthema vor. <?page no="255"?> 254 Diskurs und Text: 15 Mündliche Kommunikation Bei intermediären Pausen droht der Verlust des Rederechts. Solche Pausen werden daher häufig durch Pausenfüller überbrückt. Die im Deutschen 14 üblichen Verfahren der Pausenfüllung reichen vom Einsatz der Partikelklasse ÄH (phonetische Umsetzungen u.a. , , , ) über die Verwendung von Partikeln wie na oder ja bis hin zu ausgebauten Formeln (was wollt ich sagen). 15.3 Syntaktische Besonderheiten der gesprochenen Sprache Wesentliche Konsequenzen für die gesprochene Sprache ergeben sich aus den Bedingungen mündlicher Verständigung; funktionalpragmatisch ausgedrückt: aus der Grundkonstellation Diskurs. Das betrifft insbesondere die Flüchtigkeit der Lauterzeugnisse: Mündliche Sprache ist kurzlebig und muss „online“ verarbeitet werden. Das hat Konsequenzen für die Art und Weise, wie im Diskurs Informationen und Themen eingeführt, weitergeführt oder wieder aufgenommen werden. S CHWITALLA stellt dabei eine „syntaktische Fragmentierung“ fest. Er stellt dem für die Schriftsprache charakteristischen Verfahren der syntaktischen Integration das „Prinzip der Vereinzelung“ in der gesprochenen Sprache gegenüber: „Was dort ein normales Satzglied wäre, erscheint hier als mehr oder weniger isoliertes Einzelstück, als etwas Vorweggenommenes, Abgebrochenes, Nachgeholtes.“ (2012, S. 110) Zu den charakteristischen Strukturen, die sich in gesprochener Sprache finden, gehören insbesondere Ausgliederungen von thematischen Redeteilen. Die D UDEN -Grammatik spricht hier von Referenz-Aussage-Strukturen. Eine sprachliche Einheit (oft eine Nominalphrase) wird verbalisiert und im Folgenden durch einen rückverweisenden Ausdruck noch einmal aufgegriffen. Dadurch erscheint die Themenangabe als vorgeschaltet: B8 Referenz-Aussage-Strukturen (D UDEN -Grammatik 2009, S. 1198 f.) a) un die lehrer die saßen da alle auch um so größere tische herum b) den ausweis den brauch ich dann auch noch Referenz-Aussage-Strukturen können prosodisch integriert sein und bilden dann gemeinsam eine Intonationsphrase. Werden sie prosodisch getrennt, so ist dies meist ein Hinweis auf die Einführung eines Themas. In syntaktischen Analysen werden solche Strukturen oft als „Linksverzweigung“ oder „Linksherausstellung“ bezeichnet; dies ist aber eine schriftbezogene Klassifikation, die sich nicht an dem zeitlichen Ablauf der Interaktion orientiert. Eine weitere recht auffällige mündliche Erscheinung bilden Konstruktionen, bei denen Teile der Äußerung in umgekehrter Abfolge noch einmal wiederholt werden. Man bezeichnet sie als Apokoinukonstruktionen („Drehsätze“). B9 Apokoinu-Konstruktionen a) des war die rOcky hOrror PICture show war des (S CHWITALLA 2012, S. 128) 15 b) er hat ihm millimeterweis hat er ihm einigstochen (D UDEN 2009, S. 1201) Apokoinu-Strukturen können etwas durch Rahmung hervorheben. Es handelt sich dann um so genannte Spiegelkonstruktionen; der gerahmte Ausdruck dient als verbindendes Element. Ein anderer Typus von Apokoinu-Strukturen ergibt sich durch Reparaturphänomene und ist mit Umformulierungen verbunden, so wie in (B10). 14 In anderen Sprachen, z.B. dem Neugriechischen, wird demgegenüber häufiger das Verfahren der Lautlängung verwendet, um Pausen zu überbrücken. 15 Die Verwendung von Großbuchstaben bezeichnet hier Akzentuierung, s. Kap. 3. <?page no="256"?> 15.4 Die Multimodalität von Diskursen 255 B10 (Ts1) „Sprachenlernen“ Aber ich hab ja jetzt / im letzten Semester hab ich diesen ersten Spanischkurs für Nicht-Hispanisten gemacht … Eine weitere Tendenz der mündlichen Sprache, die Bildung von so genannten Operator- Skopus-Strukturen, breitet sich laut D UDEN -Grammatik (2009) gegenwärtig auch in der Schriftsprache aus. Unter dieser Bezeichnung werden zweigliedrige sprachliche Einheiten erfasst, die aus einem kurzen oder verkürzten Matrixsatz (B11a+b) oder einem Junktor wie weil (B11c) und einer Folgeäußerung bestehen. Die Operatoren bestimmen die Einordnung der folgenden, potenziell selbständigen Äußerung (Skopus). B11 Operator-Skopus-Strukturen (D UDEN -Grammatik 2009, S. 1201) a) versprochen morgen bekommst du deinen Rucksack zurück b) ich mein das musst du verstehen c) es hat doch nicht geklappt weil ich hatte so viel anderes zu tun In Operator-Skopus-Konstruktionen findet sich Verbzweitstellung; das unterscheidet sie von den stärker schriftlichsprachlich klingenden Nebensätzen (s. B11 ich mein das musst du verstehen versus ich meine, dass du das verstehen musst). Der Matrixsatz gibt Verstehensanweisungen für die Folgeäußerung, indem er z.B. eine Relativierung ihrer kommunikativen Geltung vornimmt (ich finde) oder ihren Status im Wissenssystem des Sprechers (z.B. als Behauptung oder Vermutung) festlegt oder zumindest andeutet. Syntaktisch besonders auffällig ist im Deutschen die Kombination von bestimmten Subjunktionen, besonders weil und obwohl, mit Verbzweitstellung (s. Kap. 11.6). Auch in Transkript (Ts1) „Sprachenlernen“ findet sich ein Beispiel (weil da sitzen viel zu viel Leute drin). Verbzweitstellung wird in der mündlichen Sprache nicht „statt“ der eigentlich richtigen Verbletztstellung verwendet. Vielmehr kommen beide Verwendungsweisen in der gesprochenen Sprache vor und können nicht beliebig gegeneinander ausgetauscht werden (s. (Ts2) „SZ-Verkäufer“) 16 . Eine kurze Pause nach dem Subjunktor zeigt an, dass der Sprecher mental in seiner Planung neu ansetzt, die nachfolgende Struktur ist die eines Hauptsatzes, darin vergleichbar mit dem allerdings nur schriftlich verwendeten Konjunktor denn (vgl. R EDDER 2004). Mit Verbzweitstellung verbunden zeigen weil oder obwohl häufig nicht nur die begründende oder konzessive Qualität einer folgenden Äußerung, sondern eines längeren Diskursabschnitts an. Über Fragen und Aufforderungen hinaus findet sich in der gesprochenen Sprache häufig auch Verberststellung in Aussagesätzen, oft im Zusammenhang einer raffenden ‚szenischen‘ Darstellung in Erzählungen. Ein Beispiel enthält das Transkript (Ts2) „SZ- Verkäufer“ (is ma zu ner Vorlesung gegangen, dann war die Sache erledigt); zu entsprechenden Phänomenen s. auch (Ts6) „Fahrzeugkontrolle“. 15.4 Die Multimodalität von Diskursen Mit der Bezeichnung „Multimodaliät“ bezieht man sich auf die unterschiedlichen körperlichen Sinne (inbesondere akustisch, visuell, haptisch), die in der Kommunikation eine Rolle spielen (vgl. u.a. D EPPERMANN / L INKE 2009). Für die mündliche Verständigung spielen neben der Sprache in der visuell-haptischen Dimension insbesondere Gestik, Mimik und Körperhaltung eine wichtige Rolle; auch der räumliche Abstand zwischen den Sprechen- 16 Zu einer ausführlichen Analyse des Transkripts s. Liedke (2013). <?page no="257"?> 256 Diskurs und Text: 15 Mündliche Kommunikation den, auf den man sich mit dem Begriff „Proxemik“ bezieht, beeinflusst Gespräche und lässt Rückschlüsse auf ihren Inhalt zu. In der gegenwärtigen Forschung werden Überlegungen aufgegriffen, die bereits seit der Antike, zunächst im Zusammenhang der Rhetorik, ab dem 18. Jahrhundert verstärkt auch in der Sprachtheorie, introspektiv-beobachtend entwickelt worden sind. 17 Eine geschichtliche Aufarbeitung verschiedener Theorieansätze bieten M ÜLLER (1998) und K ENDON (2004). Einen übergreifenden Einblick in aktuelle Forschungsfragen ermöglicht das von M ÜLLER et al. (2013/ 2014) herausgegebene zweibändige Handbuch. Der Ausdruck „Multimodalität“ hat den anfänglichen Ausdruck „nonverbale Kommunikation“ weitgehend ersetzt. Letzterer war aus linguistischer Sicht schon lange problematisiert worden, da er Unterschiedliches und Uneinheitliches zusammenfasst, das mit „nicht verbal“ nur sehr unzureichend charakterisiert ist. Da Gestik und Gesprochenes eng zusammenhängen, erscheint er zudem in sich widersprüchlich: „… in our view the term ‚nonverbal communication‘ is not merely an oxymoron but an anomaly.” (A RMSTRONG / S TOKOE / W ILCOX 1995, S. 225) Auch die Bezeichnung „multimodal“ beseitigt nicht die Schwierigkeit, dass die im eigentlichen Sinn kommunikativen Mittel von Phänomenen zu differenzieren sind, die nur gelegentlich kommunikativ gedeutet werden (z.B. ein Zurechtrücken der Brille oder des Stuhls). Um sich auf die kommunikativen Entitäten zu beziehen, spricht man unter Bezug auf B IRDWHISTELL (1970) 18 auch von einer Bewegungslehre (Kinetik bzw. Kinesik). Der Ausdruck „Kinem“ oder „Geste“ bezeichnet dabei nicht nur Bewegungen der Hände und Arme, sondern dient als übergeordneter Begriff für alle körperlichen Bewegungseinheiten, die für kommunikative Zwecke (weiter-)entwickelt worden sind (s. K ENDON 2004), unter ihnen z.B. auch Kopfbewegungen wie das Nicken oder Bewegungen wie das Schulterzucken. Von ihrem Auftreten her werden „selbstständige“ und „komitative“ (begleitende) kinesische Einheiten differenziert (E HLICH / R EHBEIN 1981, E HLICH 2013). Selbstständige Gesten können eine eigenständige Position in einer Handlungsabfolge einnehmen und entsprechen oft kurzen Äußerungen wie „ja / nein“, „super! “, „danke! “ oder „Idiot! “. 19 Gesten dieses Typs werden auch als Embleme (emblematische Gesten) bezeichnet und zeichentheoretisch als Symbole erfasst (vgl. Kap. 5). Beispiele, die so genannte „Ringgeste“ und die Daumen-Hoch-Geste („thumbs up“), zeigt Abb. 1. 17 Als „Markstein“ der empirischen Forschung gilt die Arbeit von David Efron. Efron, ein Schüler von Boas (vgl. Kap. 3), verglich in den 1930er Jahren die Gestik jüdischer und italienischer Einwanderer in den USA in der ersten und zweiten Generation. Die Untersuchung von Efron ist aus der deutschen Perspektive nicht nur sprachtheoretisch, sondern auch historisch interessant, denn sie entwickelte sich in Reaktion auf die nationalsozialistische Rassenlehre; auch Boas selbst setzte sich in seinen Publikationen damit auseinander. 18 Raymond Birdwhistell bewegte sich im Kreis der Anthropologen Margaret Mead und Gregory Bateson. Bereits früh kritisierte er die seinerzeitige Ausrichtung der Linguistik auf die schriftliche Sprache, die er als den „cadaver of speech“ betrachtete. 19 Kendon (2004, S. 335) spricht daher von „quotable gestures“. <?page no="258"?> 15.4 Die Multimodalität von Diskursen 257 Abb. 1: Selbstständige Gesten („symbolische Gesten“, „Embleme“) Gesten wie die genannten werden z.T. in unterschiedlichen Zusammenhängen eingesetzt. So findet sich die „Daumengeste“ z.B. auch als Anzeige, dass man als Anhalter mitfahren möchte; zudem dient der gestreckte Daumen im Deutschen auch als Zählgeste („eins“). Die formalen Ähnlichkeiten bestimmter Gesten (man spricht hier auch von „Gestenfamilien“) einerseits, ihre unterschiedlichen Verwendungsmöglichkeiten andererseits weisen bereits darauf hin, dass eine situationsentbundene Bedeutungsbestimmung oft nicht hinreichend ist. 20 Abb. 2: Redebegleitende (komitative) Gesten Sprechbegleitende (komitative) Gesten treten demgegenüber nur in Verbindung mit gesprochener Sprache auf. Einige Beispiele für sprechbegleitende Gesten zeigt Abb. 2 (aus einer politischen Rede 21 ). Gesten dieses Typs geben Auskunft über die Handlungsqualität der Äußerung: Der Sprecher greift ein Thema auf, fasst etwas zusammen, mahnt bzw. weist auf einen bestimmten Punkt hin. Die Funktion solcher Gesten liegt nach K ENDON (2004) in der Modalisierung und Diskursstrukturierung; sie unterstützen und steuern die Verarbeitung des Gesagten. Eine entsprechende Funktion übernehmen auch zwei weitere Gestentypen, die stärker mit einzelnen sprachlichen Lexemen, insbesondere den Nenn- und Zeigwörtern (s. Kap. 8) verbunden sind. Referentielle Gesten setzen ein semantisches Konzept visuell um (M ÜL - LER 1998). So kann einem hinauf z.B. ein Heben der Hand entsprechen, eine spiralförmige Geste kann die Bewegung eines Feuerwerkskörpers anzeigen, ein Bilderrahmen kann in 20 S. dazu auch Kendon (2004, S. 341 ff.). 21 The President of the European Parliament. Speeches. Strasbourg, 5.5.2004. <?page no="259"?> 258 Diskurs und Text: 15 Mündliche Kommunikation die Luft gezeichnet werden u.v.m. Abb. 3 gibt ein Beispiel aus dem Unterrichtsdiskurs Deutsch als Fremdsprache. Abb. 3: Visualisierung des Verbs „blühen“ im Unterrichtsdiskurs 22 Deiktische Gesten (Zeigegesten) können deiktische Ausdrücke wie dieser, der oder Sie begleiten und sich auf wahrnehmbare Momente beziehen. Weitergehend werden Zeigegesten auch auf Gegenstände, Personen oder Sachverhalte bezogen, die nur in der Vorstellung 23 präsent sind und die so im Wahrnehmungsraum visuell verortet werden. Beispiele finden sich im folgenden Transkriptauszug aus einer Bundestagsrede. Abb. 4: Deiktische Gesten 24 1 00: 26 00: 27 00: 28 00: 29 OS Sozial ist, was Arbeit schafft. Sie [wissen]. ich will gar nicht zur [Skla]venarbeit Zeigegeste Hand re Zeigegeste Hand re 2 00: 30 00: 31 00: 32 OS kommen von Herrn [Ernst, aber] Sie [wissen, dass wir] Vierhundert-Euro-Jobs Zeigegeste Hand li Zeigegeste Hand re 22 Vgl. „Zertifikat Deutsch“ (Regie: Karin Jurschek 2008). 23 Nach Ehlich im so genannten „Vorstellungsraum“. 24 Redner: Ottmar Schreiner, 29.09.2011. <?page no="260"?> 15.5 Mündliche Kommunikation in der Fremd- und Zweitsprache 259 3 00: 33 00: 34 00: 35 OS haben, wo [über]wiegend [Frauen] auf der [Basis] von [Vollzeit]arbeit Beat Arm re Beat Arm re Beat Arm re Beat Arm re Die gegenwärtige Gestenforschung zielt zum einen auf eine empirisch fundierte Phänomenologie und Typologie kinesischer Verfahren ab. Zum anderen wird im Kontext der Gestikforschung auch die Frage nach der Onto- und Phylogenese von Sprache neu aufgerollt. Diskutiert wird z.B., ob die sprechbegleitende Gestik kognitiv unabhängig von anderen körpermotorischen Schemata verankert ist. 25 A RMSTRONG / S TOKOE / W ILCOX (1995) betrachten die perspektivischen Darstellungsmöglichkeiten der Hand sogar als Grundlage für syntaktisch-semantische Basiskonzepte wie „Subjekt“ und „Prädikat“. 15.5 Mündliche Kommunikation in der Fremd- und Zweitsprache Für die Fremdsprachendidaktik des Deutschen sind die linguistischen Erkenntnisse zur mündlichen Sprache im Hinblick auf die Fertigkeitsbereiche „Sprechen“ und „Hören“ von großer Relevanz. 26 So erscheint zunächst die Frage wichtig, ob Lernende die jeweiligen Verfahren des Turn-taking in der Fremdbzw. Zweitsprache beherrschen. Bereits einzelsprachbezogene Arbeiten wie T ANNEN (2005) weisen darauf hin, dass die Regeln für den Sprecherwechsel und der Umgang mit Überlappungen beim Sprechen in verschiedenen Gesellschaften und Kontexten unterschiedlich sein können. Auch die Länge und Deutung von Pausen kann sich unterscheiden. 27 Für Fremdsprachensprecher kann es sich daher unter Umständen als schwierig herausstellen, in einem Gespräch überhaupt zu Wort zu kommen. 28 Auch die sprachlichen Mittel der Gesprächssteuerung unterscheiden sich zwischen den Sprachen erheblich. Die Form-Funktions-Zusammenhänge der Hörersteuerung durch HM z.B. erwiesen sich in sprachvergleichenden empirischen Analysen zum Deutschen, Englischen, Französischen, Madagassischen und Neugriechischen als sprachspezifisch (R ASO - LOSON 1994, L IEDKE 1994). So zeigt ein mit fallend-steigend-fallendem Tonverlauf verbundenes hmhm im Madagassischen z.B. keinesfalls ein (endlich) erfolgtes Verstehen an, sondern dient dem Ausdruck von Divergenz. Fallendes hm, im Deutschen ebenfalls Ausdruck von Divergenz, erwies sich im Neugriechischen z.B. als Zustimmungspartikel. Die als Vor- und Nachschaltung einer Äußerung genutzten Elemente sind in den verschiedenen Sprachen ebenfalls unterschiedlich. Das englische yes wird z.B. anders als das deutsche ja nicht als Vorschaltung eingesetzt. Die Negationsform nein kann im Deutschen im Unterschied zu spanisch no nicht als Nachschaltung verwendet werden, und das Eng- 25 So etwa Gallagher (2005). 26 S. hierzu ausführlicher Liedke (2010), (2013). 27 Als typisches Beispiel gelten die im Vergleich zum Deutschen längeren Pausen im Finnischen; s. hierzu und zu entsprechenden Konsequenzen für ein interkulturelles Training Müller-Jacquier/ ten Thije (2000). 28 S. auch Ziegler, Nicole et al. (2013) Interaction in conversation groups. The development of L2 conversational styles. In: McDonough, Kim / Mackey, Alison (eds.) (2013) Second Language Interaction in Diverse Educational Contexts. Amsterdam [u.a.]: Benjamins, pp. 269-292. <?page no="261"?> 260 Diskurs und Text: 15 Mündliche Kommunikation lische (doesn’t it? ) nutzt zu diesem Zweck eine syntaktisch vollständige Anhangfrage. Sogar Verzögerungsphänomene weisen eine jeweils einzelsprachlich unterschiedliche Formung aus. Während im Deutschen z.B. die Interjektion äh eingesetzt wird, verwendet das Neugriechische - eine Sprache, in der Wörter oft auf Vokal enden (vgl. Kap. 14) - für Zwecke der Verzögerung das Verfahren der Vokallängung. Lernersprachbezogene Untersuchungen, insbesondere zum Englischen, konnten aufzeigen, dass Fremdsprachensprecher die aus den Herkunftssprachen gewohnten Diskurssteuerungsverfahren in die Fremdsprache übertragen. 29 Diese im Alltag eher unauffälligen, kaum bewusst verwendeten Mittel sollten also im Fremdsprachenunterricht thematisiert werden. Dazu gehören auch typische Überbrückungsformeln, z.B. wie sagt man oder wie heißt das (auf Deutsch). Andererseits scheinen sich Fremdsprachensprecher relativ schnell ein Basisrepertoire von Formeln und Verfahren anzueignen, die der Verständigungssicherung in der Fremdbzw. Zweitsprache dienen. Ein Beispiel gibt (Ts10) „Zypern“. Das Transkript zeigt zugleich, wie reparative Verfahren die Kommunikation in der Fremd- und Zweitsprache prägen. 30 In Analysen der Kommunikation zwischen nativen und nicht-nativen Sprechern wurde aber auch aufgewiesen, dass sich unter ihnen Verständigungsroutinen aufbauen können, die so in keiner der beiden Sprachen vorhanden sind. 31 Im Zusammenhang von Deutsch als Zweitsprache hat insbesondere die mündliche Sprache von Jugendlichen der so genannten „zweiten Migrantengeneration“ sprachwissenschaftliche Aufmerksamkeit erlangt (vgl. Kap. 2.1). Die in verschiedenen Arbeiten zur ethnolektalen Jugendsprache aufgewiesenen phonologischen Kennzeichen wurden in Kap. 13 bereits angesprochen. In der morphosyntaktischen Dimension fallen Simplifizierungen und Reduktionen, der Ausfall von Artikeln, Präpositionen, der Verzicht auf syntaktische Inversion 32 sowie abweichende Genuszuweisungen auf. Weitere Charakteristika sind der gehäufte Einsatz von Partikeln und Formeln wie so, un so, weißdu, verstehsdu; zudem die Verwendung von Gesprächspartikeln, die aus anderen Sprachen übernommen wurden (z.B. türkisch lan - Alter, Mensch; kız - Mädchen, hadı - los, wallah - wirklich). Ethnolektales Sprechen wird auf Sprachkontakt zurückgeführt und einerseits als Niederschlag der Spracherwerbsprozesse der Eltern, andererseits als kreativer Ausdruck der eigenen mehrsprachigen Identität gewertet. „Ethnolektale Merkmale erwecken aus der Außenperspektive den Eindruck, der Sprecher spreche die jeweilige Landessprache inkorrekt“, schreibt I MKEN K EIM (2011, S. 452). Empirische Untersuchungen haben allerdings gezeigt, dass die Ethnolekt sprechenden Jugendlichen sich ihrer abweichenden Sprechweise z.T. durchaus bewusst sind und gegebenenfalls auf andere Varietäten „umschalten“ können. K ERN / S IMSEK (2006) und W IESE (2006) machen vor allem auf das Innovationspotential ethnolektaler Varietäten aufmerksam: Bestehende Tendenzen des Deutschen, z.B. zur Bildung von Gefügen wie Urlaub machen, nass machen etc., werden kreativ abgewandelt (ich mach dich Messer). Während eine ethnolektale Sprechweise zunächst genderspezifisch und nationalitätenbezogen mit männlichen türkischen Jugendlichen in Verbindung gebracht wurde, haben die empirischen Arbeiten gezeigt, dass Jugendliche beiderlei Geschlechts und verschiedener Herkunftssprachen diese mündliche Varietät tragen, unter 29 S. Blum-Kulka / House / Kasper (1989). 30 Vgl. auch Liedke (2002). 31 Vgl. Lopuchovská / Liedke (2007). 32 Zum Konzept der Inversion wären kritisch die textgrammatischen Einsichten in die Funktionen des Vorfelds und die vorfeldfähigen Elemente zu berücksichtigen (vgl. Fandrych (2003)). <?page no="262"?> 15.5 Mündliche Kommunikation in der Fremd- und Zweitsprache 261 ihnen auch solche mit Deutsch als Erstsprache. 33 Hinzu kommen nach A UER (2003) eine Imitation der Sprechweise in den Unterhaltungsmedien („sekundärer Ethnolekt“) und die Übernahme von Mediensprache durch nicht mehrsprachige Jugendliche („tertiärer Ethnolekt“). Als besonderes Lernproblem für die Sprachlehre des Deutschen als Fremdsprache sind von H ARALD W EYDT bereits früh die in der gesprochenen Sprache häufig verwendeten Modalbzw. Abtönungspartikeln 34 (vgl. Kap. 8) hervorgehoben worden. Da vergleichbare Partikeln in vielen Sprachen nicht oder selten vorkommen, stellen sich Ausdrücke wie ja, denn, aber, halt usw. in bestimmten Gebrauchszusammenhängen als zunächst unübersetzbare und unverständliche Sprachmittel dar. Im Diskurs geben die Partikeln Auskunft über die Wissensprozessierung der Gesprächsbeteiligten. So kennzeichnet ein äußerungsintern verwendetes ja in Mitteilungen wie „Ich hab ja jetzt diesen ersten Spanischkurs besucht“ beispielsweise, dass der Sprecher ein dem Hörer bereits bekanntes Wissen äußert, an das mit der Äußerung angeknüpft wird ((Ts1) „Sprachenlernen“). Dies ist charakteristisch für thematische Wechsel oder die Einführung von thematischen Nebensträngen. 35 Ein äußerungsinternes denn in Fragen wie „Was ham Sie denn da gemacht? “ (Transkript (Ts8) „Hautarzt“) nimmt demgegenüber auf ein unterstelltes Verstehensproblem oder einen Erwartungsbruch Bezug (vgl. R EDDER 1990). In anderen Sprachen entsprechen den Lexemen funktional zum Teil Interjektionen. Da die kommunikative Leistung diskurssteuernder und strukturierender Mittel nur aus dem Gesamtzusammenhang ersichtlich wird, wird für die Sprachlehre des Deutschen als Fremdsprache vorgeschlagen, Handlungsmittel ebenso wie Besonderheiten der mündlichen Kommunikation ausgehend von authentischen Gesprächen zu thematisieren (H OFF - MANN / G RAEFEN 2010). Eine solche Thematisierung kann zugleich dazu genutzt werden, um eigene Sprechängste der Lernenden abzubauen (L IEDKE 2010). In moderne Lehrwerke des Deutschen als Fremdsprache haben die Ergebnisse der Diskursforschung bereits Eingang gefunden; die didaktische Umsetzung wird jedoch noch als unzureichend eingeschätzt (B OSE / S CHWARZE 2007). Für den Sprachunterricht besonders interessant, aber bislang wenig berücksichtigt ist auch die Gestik. Hier stellt sich einerseits die Frage, welche Gesten in der Fremdsprache zu vermitteln sind. Andererseits ist auch zu fragen, welche Gesten die Lehrkraft selbst benutzt, etwa um Lernende aufzurufen, zu bestätigen oder um Bedeutungen zu erklären. Viele Gesten sind über größere Sprachräume hinweg verbreitet. So findet sich z.B. das Kopfnicken (head nod) und Kopfschütteln (head shake) als Ausdruck von Zustimmung und Negation im Deutschen ebenso wie im Englischen oder Russischen. Eine gestische Grenze zieht sich aber quer durch den italienischen Sprachraum. Insbesondere im Süden existiert als Ausdruck der Negation die auch im griechischen Raum gebräuchliche Form der Kopfneigung nach hinten (head toss). 33 Auer (2003) spricht in diesem Zusammenhang von einem „sekundären Ethnolekt“ in der Mediensprache, der von deutschen Jugendlichen übernommen wird; er wertet dies als „tertiären Ethnolekt“ und zugleich als „De-Ethnisierung“. Keim (2011) geht hingegen von vornherein von „multiethnolektalen Formen“ aus, die sich im Sprachkontakt herausbilden. Zur breiteren Diskussion entsprechender Phänomene im Rahmen von Spracherhalt und Sprachwandel s. Riehl (2014a). 34 In der Literatur finden sich beide Bezeichnungen. 35 An Übergangsstellen, an denen ein thematischer Exkurs beendet und zum Hauptstrang zurückgekehrt wird, findet sich im Deutschen typischerweise die wiederaufnehmende, äußerungsvorgeschaltete Gesprächs- oder Gliederungspartikel also. <?page no="263"?> 262 Diskurs und Text: 15 Mündliche Kommunikation Die Häufigkeit des Gesteneinsatzes scheint teilweise sprachabhängig zu variieren; 36 zudem unterscheidet sich das verwendete Gesteninventar (dazu bereits E FRON 1941). In manchen Kulturräumen werden Zeigegesten körperlich als Fingergesten, in anderen als Mundgesten ausgeführt. Insbesondere selbständige Gesten wie die so genannte „Ringgeste“ oder „thumbs up“ können sich im Sprachkontakt als problematisch erweisen. Während die beiden Gesten z.B. im italienischen, deutschen und angloamerikanischen Sprachraum als Ausdruck positiver Einschätzung und Lob dienen (Paraphrasen „sehr gut“, „gewonnen“ o.ä.), besitzen sie im Japanischen demgegenüber referentiellen Charakter. 37 Eine Übersicht über die regionale Verteilung und Interpretation verschiedener emblematischer Gesten geben C OLLETT / M ARSH / M ORRIS / O’S HAUGHNESSY (1979). Die Erstellung einzelsprachlicher Gestenlexika ist bislang noch weitgehend Forschungsprogramm. Zu einigen Sprachen (insbesondere dem Italienischen) liegen aber erste Erfassungen vor; 38 zudem gibt es bereits kleine „Sprachkurse“. 39 In der Translationswissenschaft wurden kinesische Ausdrucksmittel bereits früh hinsichtlich ihrer Übertragbarkeit und auch der Übertragungsnotwendigkeit thematisiert (P OYATOS 1979). Problematisch wird die Unterschiedlichkeit der Verfahren besonders in Dolmetschsituationen wie polizeilichen Vernehmungen oder vor Gericht: Ein vermiedener Blickkontakt als (herkunftskultureller) Ausdruck des Respekts kann z.B. als Ausdruck von Schuldbewusstsein fehlinterpretiert, ein Lächeln kann falsch gedeutet werden. Auch Lehrende des Deutschen als Fremdsprache müssen ihre Gestik und Mimik angesichts interkultureller Unterschiede also reflektiert einsetzen und bei Lernenden mögliche Interferenzen aus den Herkunftssprachen berücksichtigen. Gestik im Fremdsprachenunterricht wird aber auch als wichtiges Hilfsmittel angesehen, mit dem sich Lehrende und Lernende im Anfängerunterricht verständigen können. 40 Wie eine frühe Studie von E FRON zeigt, 41 scheint zumindest die Gestik im Sprachkontakt einer relativ schnellen Veränderung zu unterliegen: Die Gesten der US-Migranten verschiedener Herkunft hatten sich in der zweiten Generation bereits aneinander angepasst. Ausgewählte Aufgaben zu Kap. 15 (7 von 21) 4. Die mündliche Sprache wird sehr oft als unkorrekt, unvollständig und als schlechtes Vorbild für Fremdsprachenlerner bewertet. Wie stehen Sie dazu? Sollten Besonderheiten der mündlichen Kommunikation im DaF-Unterricht vorkommen? 6. Die Kommunikation in der Sprechsituation des Diskurses ist durch wechselseitige Wahrnehmung gekennzeichnet. Was verändert sich, wenn die Kommunikation per Telefon erfolgt? 36 Vgl. Kendon (2004a) zum Gesteneinsatz eines britischen und eines italienischen Sprechers. Müller (2008) fand in der deutsch-spanischen Studie keine Differenz. 37 Vgl. Hamiru-aqui (2004) 70 Japanese Gestures. Berkeley: Stone Bridge Press. Laut Hamiru-aqui bezeichnet die Ringgeste in spezifischen Kontexten („if made in a drugstore“) „Kondom“, bei vertikaler Handposition „Geld“ (S. 104 f.). Die Daumen-hoch-Geste bezeichnet einen „steady boyfriend“ („not recommended for use by women“, S. 95). 38 S. dazu verschiedene Beiträge bei Müller / Posner 2004. 39 So etwa Bruno Munari (2005) Speak Italian. San Francisco: Chronicle Books oder Cangelosi, Don / Elli Carpini, Joseph (2010) Italienisch ohne Worte. Hamburg: Carlsen Verlag. 40 Vgl. Knabe (2007). Eine empirische Studie zum Einsatz von Gestik im DaF-Unterricht ist Strasser (2008). 41 S. Anm. 13. <?page no="264"?> 15.5 Mündliche Kommunikation in der Fremd- und Zweitsprache 263 7. Was bewirken die Modalpartikeln in den folgenden Äußerungen, wie würden Sie sie Lernenden erklären? Und wenn du ‘ne Frage hast, weshalb das denn jetzt so ist, dann sagt er immer, „ja, das is halt so.“ (Ts1 ) Öh, Studenten sind im großen und ganzen ganz nette Leute, ne, sie haben aber auch kein leichtes Leben… (Ts2 ) 8. Welche Gesten z.B. der Begrüßung, des Abschieds, des Dankes, des Ausdrucks positiver Anerkennung oder der Beleidigung benutzen Sie selbst? Inwiefern spielt der Gesprächspartner dabei eine Rolle? 15. Welches für die mündliche Sprache typische Phänomen können Sie in der Äußerung „Über Zypern jetzt, was denkst du darüber? “ (Transkript (Ts10) „Zypern“) erkennen? 20. Lesen Sie den Transkriptausschnitt und beantworten Sie die folgenden Fragen. ┌───────────────────────────────────────────────── │L [ Akkusativ. Gut. Brandon, du bist dran. │B [ äh .. Dann 1 └────────────────────────────────────────────────────────── ┌───────────────────────────────────────────────── │L [ Ja. Vor? Den │B [ stellt er sich vor . dem Spiegel. Den Spiegel. 2 └────────────────────────────────────────────────────────── ┌───────────────────────────────────────────────── │L [ Spiegel. Jawohl. Bewegung. Akkusativ. │B [ Weil es Bewegung ist. 3 └────────────────────────────────────────────────────────── a) Erläutern Sie den Sprecherwechsel von L zu B in Fl. 1. b) Welchen Reparaturtyp lässt der vorliegende Ausschnitt erkennen? c) Welcher Typ von Pause liegt in Brandons Äußerung in Fl. 1 vor? 21. Welche sprachlichen Merkmale stellen Sie für die folgende Sprecherin fest? Gül erzählt ihrer Freundin Zelal von einem Brief (Kern / Simsek 2006, S. 115) 240 Gül: nAch der Arbeit, 241 isch geh so DINGS zu ah=ä zum Auto; weißt du, (.) 242 daNACH- (.) 243 vor meinem FENster, 244 ist so BRIEF; (-) 245 isch GUCK so, 246 isch dachte erstmal so STRAFzettel; 247 Zel: ((lacht)) 248 Gül: isch GUCK so, 249 <<p> (da ist) lIE(gt) > also BRIEF; 250 von <<p> Taner>; <?page no="265"?> 264 Diskurs und Text: 15 Mündliche Kommunikation Ausgewählte weiterführende Literatur Bührig, Kristin (2010) Mündliche Diskurse. In: Krumm, Hans Jürgen / Fandrych, Christian / Hufeisen, Britta / Riemer, Claudia (Hgg.) Deutsch als Fremd- und Zweitsprache. Ein internationales Handbuch. 1. Halbband. Berlin: de Gruyter, S. 265-274 Duden ( 9 2016) Die Grammatik (Duden-Reihe, 4). Mannheim u.a.: Dudenverlag, S. 1181-1260 Habscheid, Stephan (2010) Text und Diskurs. Stuttgart: Fink Kendon, Adam (2004) Gesture. Visible Action as Utterance. Cambridge: University Press Mondada, Lorenza / Schmitt, Reinhold (Hgg.) (2010) Situationseröffnungen. Zur multimodalen Herstellung fokussierter Interaktion. Tübingen: Narr Bressem, Jana / Müller, Cornelia (2014) A repertoire of German recurrent gestures with pragmatic functions. In: Müller, Cornelia et al. (eds.) (2014) Body - language - communication: an international handbook on multimodality in human interaction. 2. Hb. Berlin, New York: De Gruyter, pp. 1575-1591 Redder, Angelika (2004b) Von der Grammatik zum sprachlichen Handeln - Weil: Das interessiert halt viele. In: Der Deutschunterricht LVI.5, S. 50-58 Sacks, Harvey/ Schegloff, Emanuel A./ Jefferson, Gail (1974) A Simplest Systematics for the Organization of Turn-taking for Conversation. In: Language 50, pp. 696-735 Sager, Sven/ Bührig, Kristin (Hgg.) (2005) Nonverbale Kommunikation im Gespräch. (= Osnabrücker Beiträge zur Sprachtheorie (OBST), 70). Duisburg: Red. OBST Schwitalla, Johannes ( 4 2011) Gesprochenes Deutsch. Eine Einführung. Berlin: Erich Schmidt <?page no="266"?> 16 Sprachliches Handeln Im Rahmen der Pragmatik wurde das sprachliche Handeln als eine wesentliche Erweiterung der Sprachwissenschaft zum Forschungsgegenstand gemacht. Auch diese Richtung der Sprachwissenschaft ist in ihrer Begründung und Terminologie uneinheitlich. Pragmatische Theorien gibt es etwa seit den 1930er Jahren. Gemeinsam ist ihnen, dass sie Defizite sowohl der traditionellen Sprachwissenschaft als auch der neueren, an S AUSSURE orientierten strukturalistischen Fokussierung der Sprachzeichen und Zeichensysteme formulieren. Zu Beginn war ein wichtiger Einwand, dass die Dimension der Sprachverwendung nicht ausgeblendet werden darf. C HARLES W. M ORRIS modifizierte 1938 zunächst den Begriff des Zeichens 1 . In seinem veränderten Zeichenmodell tritt an die Stelle der (statisch gefassten) Bedeutung ein „Zeichenprozess“, bei dem Sprecher und Hörer als Interpreten eine Rolle spielen. Dabei kommen pragmatische Gesichtspunkte (griech. pragma: die Sache, die Tat) ins Spiel. Diese neue Sprachauffassung inspirierte u.a. sprachphilosophische Reflexionen ab den 1960er Jahren in Richtung auf eine „Philosophie der Alltagssprache“, besser bekannt als Sprechakttheorie. Parallel kamen durch B ÜHLER s „Sprachtheorie“ psychologische Bestimmungen von Sprache und Sprechen hinzu (vgl. Kap. 3). Seine pragmatischen Ideen gehen weit über die Zeichenfunktionen „Ausdruck“ und „Appell“ im Organonmodell hinaus (vgl. Kap. 5), sie betreffen die sprachliche Praxis und die Situationseinbindung des Sprechens. Ab den 1970er Jahren entwickelte sich allmählich eine Linguistische Pragmatik, die statt einer Zeichentheorie eine Handlungstheorie von Sprache vertritt. Dabei fällt besonders die Richtung der Funktionalen Pragmatik durch eine konsistente theoretische Erneuerung der Sprachwissenschaft und ihrer Terminologie auf (vgl. dazu E HLICH 2007). Beides strahlt auch auf die DaF-Didaktik aus (G RAEFEN / H OFFMANN 2011). Daneben werden jedoch auch andere Schwerpunkte gesetzt (vgl. E HRHARDT / H ERINGER 2011). 16.1 Vom Sprechakt zur Illokution Das Kapitel über die mündliche Kommunikation macht deutlich, dass Sprache ein „Gemeinschaftsunternehmen“ ist, das seinen Ursprung in Verständigungsprozessen zwischen Menschen besitzt, die sich in den wechselnden Rollen von „Sprecher“ und „Hörer“ begegnen. Der britische Philosoph J OHN L ANGSHAW A USTIN , dessen Theorie (analog zu S AUSSU - RE ) aus Vorlesungsmitschriften rekonstruiert und 1962 unter dem Titel „How to do Things with Words“ posthum veröffentlicht wurde, ist berühmt geworden mit der Erkenntnis, dass man mit Sätzen und Äußerungen „etwas tut“. A USTIN s Ansatz wurde rund 10 Jahre später von dem amerikanischen Philosophen J OHN R. S EARLE übernommen und modifiziert. Heutzutage fasst man die Arbeiten der beiden Wissenschaftler unter der Bezeichnung „Sprechakttheorie“ (speech act theory) zusammen, obwohl sie sich durchaus in einigen Punkten unterscheiden. 1 In der Schrift Foundations of the Theory of Signs (1938) (publiziert in: Charles William Morris, Grundlagen der Zeichentheorie, Ästhetik der Zeichentheorie, Frankfurt a.M., Fischer, 1988) bezog sich Morris mit dem Ausdruck „Pragmatik“ auf die Verwendung von Sprachzeichen. <?page no="267"?> 266 Diskurs und Text: 16 Sprachliches Handeln 16.1.1 Performative Äußerungen A USTIN entwickelt das Konzept der Sprechhandlung 2 in seiner Vorlesung argumentativ in drei Analyseschritten. Den Ausgangspunkt seiner Überlegungen bildet die in der Logik behandelte Frage nach Wahrheit. In der Alltagssprache, so A USTIN , finden sich neben Äußerungen, die wahr oder falsch sein können, auch solche, auf die dies nicht zutrifft. Letztere bezeichnet er als performative Äußerungen (von engl. to perform - etwas ausführen) und stellt sie den konstativen Äußerungen gegenüber. Konstative Äußerungen können wahr oder falsch sein (B1), performative Äußerungen nicht. Mit ihnen wird eine Handlung vollzogen, die entweder glücken oder missglücken kann. Mit (B2) erinnert A USTIN an eine klassische Formel der Eheschließung: B1 Der Himmel ist blau. B2 Hiermit erkläre ich euch zu Mann und Frau. Damit eine performative Äußerung glückt, müssen bestimmte „Bedingungen“ erfüllt sein: Es muss ein übliches konventionelles Verfahren mit einem bestimmten konventionellen Ergebnis geben, zu dem gehört, dass bestimmte Personen unter bestimmten Umständen bestimmte Wörter oder Formeln äußern, wie das bei einer Taufe der Fall ist; die Personen und Umstände müssen zu dem Verfahren passen, sie müssen ernsthafte Absichten haben usw. Performative Äußerungen sind oft erkennbar an ihrer Form. Sie enthalten ein performatives Verb, ein Verb, das die Handlung bezeichnet, die mit der Äußerung vollzogen wird. Häufig treten performative Verben in performativen Formeln auf (hiermit + performatives Verb + ich). Beispiele sind Äußerungen wie die folgenden: B3 performative Äußerungen mit performativem Verb Hiermit erkläre ich die Versammlung für eröffnet. Ich gratuliere dir zum Geburtstag. Wir bitten um eine kleine Spende. Allerdings ist der Vollzug einer sprachlichen Handlung nicht nur mit der Äußerung eines performativen Verbs möglich. So können die Äußerungen unter (B4) dieselben Funktionen wie performative „Akte“ erfüllen. B4 performative Äußerungen ohne performatives Verb Die Versammlung ist eröffnet. Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag. Bitte geben Sie uns eine kleine Spende. In diesen Fällen übernehmen z.T. andere sprachliche Mittel die Aufgabe anzuzeigen, welche Handlung mit der Äußerung verbunden ist. Unter Umständen geben auch nur das begleitende Verhalten des Sprechers oder die Umstände der Äußerungssituation über die Handlungsqualität der Äußerung Auskunft. Auch mit einer konstativen Äußerung wie Der Himmel ist blau. lassen sich Handlungen vollziehen, z.B. die Ablehnung eines Vorschlags: B5 S1: Nimm einen Schirm mit! S2: Der Himmel ist blau. 2 Die Bezeichnung speech act wird auch als „Sprechakt“ ins Deutsche übertragen; viele Autoren ziehen aber den Ausdruck „Sprechhandlung“ vor (z.B. Bublitz 2009, Harras 2004). <?page no="268"?> 16.1 Vom Sprechakt zur Illokution 267 A USTIN lässt die Annahme, performative Akte mit ihrem Handlungscharakter seien ein Sonderfall von Äußerungen, daher wieder fallen und kommt zu dem Schluss, dass alle Äußerungen Handlungen (Akte) sind. 16.1.2 Bestandteile des Sprechakts Wie können nun Äußerungen näher charakterisiert werden? Nach A USTIN lassen sich drei Typen von „Akten“ differenzieren, die mit einer Äußerung verbunden sind: 3 - die Handlung, dass man etwas sagt (lokutionärer bzw. lokutiver Akt); 4 - die Handlung, die man vollzieht, indem man etwas sagt (illokutionärer bzw. illokutiver Akt), z.B. warnen, versprechen, drohen; - die Wirkung, die man dadurch erzielt, dass man etwas sagt (perlokutionärer bzw. perlokutiver Akt), z.B. jemanden langweilen, ärgern oder traurig stimmen. Lokutiver und illokutiver Akt sind laut A USTIN konventioneller Natur und miteinander verbunden wie zwei Seiten einer Münze. 5 Der perlokutive Akt ist demgegenüber nicht konventionell. Die Absicht, die ein Sprecher mit seiner Äußerung verfolgt (Sprecherintention), siedelt A USTIN beim perlokutiven Akt an und erfasst sie als „perlokutives Ziel“, das in einem „perlokutiven Nachspiel“ erreicht werden kann oder nicht. Persönliche Zielsetzungen (als Bestandteil des perlokutiven Akts) und soziale, konventionelle Zwecksetzungen einer Handlung (als Charakteristikum des illokutiven Akts) werden also differenziert. 6 Der US-amerikanische Philosoph S EARLE , der rund zehn Jahre später die Frage „Was ist ein Sprechakt? “ (1971) zu beantworten sucht, wählt eine etwas andere Beschreibungsterminologie. S EARLE unterscheidet zwischen - dem Akt der Äußerung eines Satzes (Äußerungsakt), - dem semantischen Gehalt eines Satzes (propositionaler Akt) und - dem illokutiven Akt, der durch die Äußerung des Satzes vollzogen wird. Zudem geht er wie A USTIN davon aus, dass mit der Äußerung eines Satzes ein perlokutiver Akt vollzogen werden kann, dem er als variablem Moment jedoch wenig Aufmerksamkeit schenkt. Tab. 1: Bestandteile der Sprechhandlung nach S EARLE Äußerungsakt propositionaler Akt Referenz Prädikation illokutiver Akt 3 Im deutschsprachigen Raum haben sich die Begriffe „lokutiv“, „illokutiv“ und „perlokutiv“ gegenüber den Übertragungen „lokutionär“, „illokutionär“ und „perlokutionär“ durchgesetzt. 4 Der lokutive Akt umfasst nach Austin a) die Hervorbringung von Geräuschen (phonetischer Akt), b) die Verwendung dieser Geräusche als Vokabeln, einer bestimmten Grammatik folgend (phatischer Akt), sowie c) die Verwendung der Vokabeln, um etwas damit auszudrücken (rhetischer Akt). 5 Diese Metapher verwendet auch de Saussure bei der Bestimmung des sprachlichen Zeichens, s. Kap. 3. 6 So kann ein Sprecher z.B. einen Hörer warnen (eine Illokution, die von ihrem Zweck her auf das Wohl des Hörers bezogen ist), aber gleichzeitig das (perlokutive) Ziel verfolgen, diesem zu schaden. <?page no="269"?> 268 Diskurs und Text: 16 Sprachliches Handeln S EARLE betrachtet den illokutiven Akt als „die minimale Einheit“ sprachlicher Kommunikation, bindet ihn jedoch anders als A USTIN an die Sprecherintention: Beim Vollzug eines illokutiven Aktes intendiert der Sprecher nach S EARLE eine bestimmte Wirkung, indem er dem Hörer seine Absicht, diese Wirkung zu erzeugen, durch die Verwendung konventioneller Mittel zu erkennen gibt. Der propositionale Gehalt einer Äußerung, bestehend aus Referenz und Prädikation, kann verschiedenen illokutiven Akten gemeinsam sein. So drücken die unter B6 aufgeführten Sätze nach S EARLE (2010, S. 178 f.) dieselbe Proposition aus, vollziehen aber unterschiedliche illokutive Akte (Frage, Behauptung über die Zukunft, Aufforderung bzw. Befehl, Ausdruck eines Wunsches, Ausdruck einer Absicht). B6 Verschiedene illokutive Akte mit gleichem propositionalem Gehalt Wird John den Raum verlassen? John wird den Raum verlassen. John, verlass den Raum! Ich wünsche, dass John den Raum verlässt. Wenn John den Raum verlässt, werde ich ihn auch verlassen. Die gemeinsame Proposition von S EARLE s Satzbeispielen besteht zum einen in dem gleichen Referenten [John] und zum anderen in der Prädikation: [verlässt den Raum]. In der späteren Pragmatik ist es üblich geworden, die Kombination von beidem als (elementare) propositionale Basis aufzufassen und zusätzliche Prozeduren (vgl. Kap. 16.2) wie die Frageintonation, die exklamative Intonation oder die Wenn-dann-Satzstruktur als Operatoren zu betrachten, die jeweils spezifische Veränderungen der Basis bewirken (vgl. E HLICH 2007, Bd. 2, S. 375 ff.). 7 Illokutionen lassen sich nach S EARLE durch Angabe von Bedingungen (ihres Zustandekommens) erfassen. In allen Fällen müssen die Bedingung der Aufrichtigkeit erfüllt sein und die semantischen Regeln der verwendeten Sprache eingehalten werden. Spezifischere Bedingungen sind: - Bedingungen der normalen Eingabe und Ausgabe (normal input and output conditions) als Voraussetzung für sinnvolles Sprechen und Verstehen: Sprecher und Hörer wissen, wie die Sprache gesprochen wird, der Sprecher handelt nicht unter Zwang oder Furcht, Sprecher und Hörer sind nicht Teilnehmer eines Spiels etc. - Bedingungen des propositionalen Gehalts: Für einige Sprechakte lassen sich Einschränkungen in Bezug auf die mit ihnen verbundenen Propositionen feststellen. So ist beispielsweise für den Sprechakt „Versprechen“ kennzeichnend, dass in der Proposition eine zukünftige Handlung des Sprechers thematisiert wird. Der Sprechakt „Verbieten“ bezieht sich demgegenüber auf eine vom Sprecher für möglich erachtete unerwünschte zukünftige Handlung des Hörers. - Einleitungsbedingungen: Bedingungen dieses Typs betreffen die Voraussetzungen des illokutiven Akts. Dass eine Äußerung beispielsweise als Versprechen gelten kann, setzt voraus, a) dass die in der Proposition thematisierte zukünftige Handlung des Sprechers im Interesse des Hörers liegt und b) der Sprecher diese Handlung ohne das Versprechen nicht ausführen würde. 7 S. auch Redder, Angelika (2006) Nicht-sententiale Äußerungsformen zur Realisierung konstellativen Schilderns. In: Deppermann, Arnulf / Fiehler, Reinhard / Spranz-Fogasy, Thomas (Hg.) Grammatik und Interaktion. Radolfzell: Verlag für Gesprächsforschung, S. 123-146. <?page no="270"?> 16.1 Vom Sprechakt zur Illokution 269 Während die oben genannten Bedingungen verschiedenen illokutiven Akten gemeinsam sein können, bezeichnet die so genannte - wesentliche Bedingung dasjenige Merkmal, das den betreffenden illokutiven Akt oder eine „Familie“ von illokutiven Akten von anderen unterscheidet. Für ein Versprechen beispielsweise gilt nach S EARLE als wesentliche Bedingung, dass der Sprecher die Verpflichtung übernehmen will, den in der Proposition ausgedrückten zukünftigen Akt zu vollziehen. Die jeweiligen Bedingungen unterscheiden nach S EARLE verschiedene „Familien“ von Illokutionen, u.a. so genannte Repräsentative (Assertive), Direktive, Kommissive, Expressive und Deklarative. 8 In der „Grammatik der deutschen Sprache“ (Z IFONUN / H OFF - MANN / S TRECKER 1997) wird diese Differenzierung aufgenommen, teils auch erweitert. 16.1.3 Illokutive Typen und ihre Umsetzung im Deutschen Die „Grammatik der deutschen Sprache“ (GdS) (Z IFONUN / H OFFMANN / S TRECKER 1997) siedelt die verschiedenen Illokutionen in drei Zweckbereichen an. Der Zweckbereich „Transfer von Wissen“ umfasst die illokutiven Typen „Quaestiv“ und „Assertiv“. Quaestive drücken generell eine Wissenslücke des Sprechers aus und lassen sich weiter untergliedern. B7 Ergänzungsfragen Wem hast du das Buch ausgeliehen? Wo hast du das gekauft? Welche Farbe gefällt dir am besten? Der illokutive Untertyp Ergänzungsfrage zeigt die Offenheit eines Sachverhalts in mindestens einer Dimension des Wissens an. Sprachlich wird durch Verwendung eines „W- Worts“ (wer, wo, wie, was, warum …) ein Suchbereich festgelegt, der gegebenenfalls noch durch eine nominale Vorkategorisierung präzisiert wird (was für ein …, welchen …). Charakteristisch für Ergänzungsfragen im Deutschen sind das Fragewort (Frageadverb) und die Verbzweitstellung. Propositionale Fragen stellen demgegenüber Sachverhalte insgesamt hinsichtlich ihrer diskursiven Geltung zur Disposition. Sie umfassen die Untertypen Entscheidungsfrage, Alternativfrage, Bestätigungsfrage und deliberative Frage. B8 Propositionale Fragen a) Hat er viel dafür bezahlt? b) Sind Sie ledig, verheiratet oder geschieden? c) Du kommst morgen? d) Du kommst morgen, oder? e) Ob ich die Prüfung wohl bestehe? Entscheidungsfragen („ja-nein-Fragen“) wie Beispiel a) verlangen von dem Hörer eine Entscheidung zwischen den Alternativen zutreffend bzw. ja und unzutreffend bzw. nein. Sie sind durch Verberststellung charakterisiert, haben also normalerweise kein Vorfeld; die verbale Klammer schließt den ganzen Satz ein. Alternativfragen wie b) verlangen vom Hörer eine Entscheidung über zwei oder mehr genannte alternative Sachverhalte. Bestätigungsfragen (auch: „assertive Fragen“) (B8c, d) stellen einen Sachverhalt tendenziell als 8 Diese Klassen werden oft auch mit dem lateinischen Plural bezeichnet: Repräsentativa etc. <?page no="271"?> 270 Diskurs und Text: 16 Sprachliches Handeln gegeben dar und suchen unbestätigtes in gesichertes Wissen zu überführen. Sie nehmen die Form des Aussagemodus an. Häufig werden auch Partikeln wie nicht wahr? oder? etc. angehängt (Augmente). Beispiel e) steht für den Fragetyp deliberative Frage, das ist eine nachdenkliche, an den Sprecher selbst gerichtete Frage. Als weitere Typen, für die bestimmte Handlungsumstände charakteristisch sind, gibt es noch Nach- und Rückfragen, Examens- und Regiefragen. B9 Assertion a) Christina besucht gerade einen Spanischkurs. b) Christina soll gerade einen Spanischkurs besuchen. c) Soweit ich weiß, besucht Christina gerade einen Spanischkurs. Assertionen dienen der Bearbeitung eines Wissensdefizits, das der Sprecher beim Hörer wahrgenommen hat oder unterstellt, also i.w.S. der Information. Eine assertive Sprechhandlung (kurz Assertiv) tritt häufig als Reaktion auf Fragen, also Quaestive, auf. Auch hier gibt es verschiedene Typen. Der grundlegendste Fall ist die einfache Assertion. Dabei geht der Sprecher von seinem Wissen aus, laut GdS wird mit der Äußerung „ein Wahrheitsanspruch erhoben“ (1997, S. 117). Treten allerdings beim Hörer Zweifel auf, die der Sprecher nicht beseitigen kann, wird die Assertion als Behauptung eingestuft. Auch Behauptungen besitzen einen subjektiven Wahrheitsanspruch, der aber - zumindest in der Handlungssituation - nicht eingelöst werden kann. Schätzt der Sprecher selbst seine Äußerung als ungesichert ein, kann er die Assertion durch modalisierende Ergänzungen in ihrem Wahrheitsanspruch abschwächen (B9b, c). Im Rahmen einer Begründung werden eine oder mehrere Assertionen hinzugefügt, um eine problematische Vorgängeräußerung oder Handlung zu erklären. Assertive Text- und Diskursarten wie Erzählen, Berichten und Beschreiben bestehen aus Verkettungen von assertiven Sprechhandlungen. Erzählungen sind darauf ausgerichtet, dass der Hörer eine erlebte oder erfundene Erfahrung des Sprechers in der Vorstellung nachvollzieht und die Bewertung dieser Erfahrung mit ihm teilt. Berichte zielen demgegenüber auf die zusammenfassende Darstellung eines Geschehens als Fall eines vorgegebenen Ereignistyps ab. Anders als bei Erzählungen steht bei Berichten die sachliche, nicht szenische Ereigniswiedergabe im Vordergrund. Für sie ist der Wahrheitsanspruch des wiedergegebenen Sachverhalts oder Realitätsausschnitts entscheidend. Beschreibungen dienen dem Zweck der Präsentation eines Objekts, von dem sich der Hörer eine Vorstellung machen soll. Sie finden sich selten alleinstehend, sondern sind meist in andere Text- oder Diskursarten eingebettet. Die Einführung von Termini in der fachwissenschaftlichen Kommunikation ordnet die GdS der Diskursbzw. Textart „Beschreibung“ zu. Einen weiteren Untertyp von Beschreibungen bilden Erklärungen. Den Zweckbereich „Handlungskoordination“ unterteilt die GdS in die Grundtypen „Direktiv“ und „Kommissiv“. Handlungen, die diesem Zweckbereich zugehören, wirken auf den Handlungsplan der Interaktionsbeteiligten ein. Direktive zielen darauf ab, den Handlungsplan eines Sprechers auf den Hörer zu übertragen. Prototypisch geschieht dies in der Illokution der Aufforderung. Je nach Verbindlichkeit lassen sich weiter unterscheiden: - die Bitte, die am unteren Ende der Verbindlichskeitsskala steht, und - der Befehl, der bei Verweigerung der Planübernahme durch den Hörer zu Sanktionen des Sprechers führen kann. Zu den Direktiven gehören auch die Illokutionen Drohung, Warnung, Ratschlag und Vorschlag sowie die Anleitung. Spezifische Handlungen, die in bestimmten Arbeits- und <?page no="272"?> 16.1 Vom Sprechakt zur Illokution 271 Rechtszusammenhängen auftreten, sind die Weisung, die Anordnung, das Gebot oder Verbot sowie die Forderung. 9 Direktive können durch verschiedene Mittel ausgedrückt werden. Protoypische sprachliche Formen der Übertragung von Handlungsplänen sind der Imperativ (B10a) sowie der Adhortativ, der den Sprecher einbezieht (B10b). Auch Fragesätze dienen im Deutschen häufig als Direktive (B10c). Ferner lassen sich auch der Infinitiv und das Partizip II zum Ausdruck eines Direktivs verwenden (B10d). In anweisenden Texten findet sich manchmal noch der so genannte „Heische-Modus“ (B10e). B10 a) Gib mir mal die Butter! b) Warten wir doch erst noch mal ab! c) Gibst du mir mal die Butter? d) Aufhören! Alle mal hergehört! e) Man nehme 100 g Butter, 3 Eier und schlage die Masse zu einem Schaum. Charakteristisch für Direktive ist im Deutschen der Einsatz von Abtönungspartikeln (auch als Modalpartikeln bezeichnet) wie mal, doch, ja, etwa, die keineswegs immer einen Ausdruck von Höflichkeit z.B. in Bitten darstellen, sondern auch in Befehlen oder Drohungen verwendet werden. Von besonderer Bedeutung ist auch das System der Modalverben (möchten, können, dürfen, müssen, sollen), die die Vorbereitung einer Handlung betreffen (Ziele und Möglichkeiten) und Handlungsobligationen - die Verpflichtung kann vom Sprecher oder von anderen Instanzen ausgehen - ausdrücken können (vgl. Kap. 10.3.3). Im Unterschied zu den Direktiven übermitteln Kommissive Handlungsverpflichtungen, die der Sprecher oder der Hörer übernommen haben. Dabei lassen sich unilaterale - der Sprecher sagt, was er selbst plant - und bilaterale Kommissive - der Sprecher sagt, worauf sich beide Interaktionspartner festgelegt haben - unterscheiden. Zu den unilateralen Kommissiven gehört das Versprechen, bei dem sich der Sprecher auf eine zukünftige Handlung festlegt, die vom Hörer einklagbar ist. Ein bilaterales Kommissiv, das eine wechselseitige Verpflichtung mit sich bringt, ist die Textart Vertrag. Zu den Kommissiven gehört auch die Ankündigung, eine sprachliche Handlung, die den Hörer auf künftige Handlungen orientiert, die der Sprecherplan vorsieht. Anders als das Versprechen „ist eine Ankündigung von den Absichten und Interessen des Sprechers bestimmt“ (GdS S. 150). Zu den Kommissiven zählt die GdS ferner die illokutiven Typen Bürgen, Geloben, Verabreden, Schwören und Wetten. Wie beim Vertrag sind hier institutionelle Typen zu berücksichtigen. Ein letzter großer Zweckbereich ist nach GdS der „Ausdruck von Empfindungen“. 10 Dazu gehören die so genannten Expressive. Zu den Expressiven zählt die GdS Interjektionen wie ach, Ausrufe (Exklamative, vor allem Äußerungen mit Exklamativakzent wie „Was du nicht alles weißt! “) und Wunschbekundungen („Wenn ihr doch nur einmal leise wärt! “). Äußerungen dieses Typs machen die Affekterregungen und inneren Zustände des Sprechers (Freude, Zorn, Wut, Befürchtungen, Einschätzungen, Hoffnungen, Wertungen, Wünsche) dem Hörer kommunikativ zugänglich. 9 Illokutionen dieses Typs spielen eine besondere Rolle im Zusammenhang der Forensischen Linguistik, die sich mit linguistischen Aspekten juristischer Fragen beschäftigt (s. Kap. 18). 10 S. hierzu auch Schwarz-Friesel (2007). <?page no="273"?> 272 Diskurs und Text: 16 Sprachliches Handeln 16.2 Sprachliche Handlungen und ihr Aufbau Ausgangspunkt der Pragmatik war das Konzept des sprachlichen Zeichens. Die Theorie des sprachlichen Handelns tritt nicht als neues Thema hinzu, denn man handelt nicht „mit“ den (ansonsten unverändert gedachten) Zeichen, vielmehr besitzt das Zeichen selbst Handlungsqualität (siehe dazu bereits B ÜHLER (1934), Kap. 5). Darauf hat insbesondere K ONRAD E HLICH in verschiedenen Schriften hingewiesen. Sprache - auch wenn man sie zunächst einmal als ein Ganzes aus Sprachzeichen betrachtet - ist nicht erst in ihrer Verwendung, sondern von vornherein auf einen Hörer hin ausgelegt. Die einzelnen „Akte“ aus S EARLE s Modell erscheinen im Begriff der „sprachlichen Handlung“ wieder (Abb. 1). Die Funktionale Pragmatik (FP), die von K ONRAD E HLICH und J OCHEN R EHBEIN begründet wurde, baut auf mehreren pragmatischen Ansätzen sowie auf der Tätigkeitstheorie (V YGOTSKIJ ) auf. Eine elementare Handlungstheorie entwickelte R EHBEIN (1977). Sprachliche Handlungen bilden aus funktionalpragmatischer Perspektive Einheiten mittlerer Größenordnung. Sie können zwar auch durch einzelne Wörter, Wortgruppen oder Gesten ausgeführt werden (z.B. Hallo! Guten Tag! oder Zunicken als Ausdruck des Grußes), umfassen aber meist größere Gebilde (Hallo Anna, schön, dass du da bist). Abb. 1: Sprachliche Handlung Jede sprachliche Handlung besteht aus den in Abb. 1 erfassten drei „Akten“, an denen Analysen ansetzen können. Die illokutive Qualität einer sprachlichen Handlung ist an isolierten Beispieläußerungen allerdings oft noch nicht erkennbar. Die spezielle Handlungsqualität entfaltet sich erst im Kontext einer Handlungsabfolge in einer Sprechsituation. Die Weiterentwicklung von S EARLE s Sprechaktmodell sieht so aus, dass die sprachliche Handlung einerseits einem Handlungsmuster zugeordnet wird, das oft mehrere Handlungen umgreifen kann. Andererseits wird sie zerlegt in kleinere Einheiten, die Prozeduren (Abb. 2). Abb. 2: Handlungsmuster, sprachliche Handlung und Prozedur als Größeneinheiten Als Prozedur bezeichnet man in der FP die kleinsten sprachlichen Handlungseinheiten. Zu den Prozeduren gehören die symbolischen, deiktischen oder operativen (grammatischen) Wörter, die strukturalistisch als Morpheme bezeichneten Formen wie -st, -e usw. ebenso <?page no="274"?> 16.2 Sprachliche Handlungen und ihr Aufbau 273 wie intonatorische Verfahren (z.B. ein steigender Tonverlauf zur Kennzeichnung einer Frage) oder eigenständige Worteinheiten wie Konjunktionen oder der Artikel. 11 Ausgehend von ihrer Funktion werden verschiedene Typen von Prozeduren unterschieden. Dabei knüpft die FP an B ÜHLER an, der bereits die deiktische Prozedur im Wahrnehmen und Denken von Sprecher und Hörer als Übertragung einer sprecherseitigen Fokussierung auf den Hörer beschrieben hat. Diese Typen ergeben sich aus verschiedenen Zweckbereichen von Sprache, die - ebenfalls mit B ÜHLER - als Felder bezeichnet werden. Mit dem Symbolfeld und Zeigfeld wurden bereits zwei sprachliche Felder besprochen (vgl. Kap. 8.3.3). Ihnen gehören die symbolischen und die deiktische Prozeduren an. Für eine symbolische Prozedur gilt allgemein der Zweck, etwas zu benennen, um dem Hörer mental Zugang zu den „Gegenständen und Sachverhalten“ (B ÜHLER ) zu geben. Beim (deiktischen) Zeigen geht es nicht nur um die Verwendung eines Zeigworts oder eines deiktischen Morphems (z.B. einer Verbform wie ich komm-e) unter grammatischen Aspekten, sondern es handelt sich um mentale Verfahren der Aufmerksamkeitslenkung, der Hörerorientierung auf Reales oder Sprachliches, bis hinein in die innere Ordnung einer Proposition. Mit dem (in)definiten Artikel wurde auch bereits ein bestimmter Typus von Prozedur thematisiert, der in der FP zu den operativen Prozeduren gerechnet wird. Solche Prozeduren nehmen Bezug auf die Beschaffenheit und Organisation des Hörerwissens und strukturieren den Bezug der einzelnen Wissenselemente zueinander. Der Funktionsbereich der operativen Prozeduren wird als Operationsfeld oder mit dem deutschen Ausdruck „Arbeitsfeld“ (R EDDER 2005) bezeichnet. Der Zweck liegt dabei, so könnte man sagen, in der mentalen ‚Bearbeitung‘ des propositionalen Inhalts. Zu den sprachlichen Mitteln des operativen Felds gehören auch die phorischen Prozeduren (traditionell „Personalpronomen und Possessivpronomen der 3. Ps.“), Pluralmorpheme, Kasusmorpheme, Konjunktionen, Satzintonation und Wortstellung. Ein weiteres, bereits kurz angesprochenes Feld ist das expeditive Feld. Expeditive Prozeduren (z.B. die Interjektionsklasse HM, s. Kap. 15.2.2) dienen u.a. der Absicherung des Verständigungsprozesses. Zu den expeditiven Prozeduren zählen neben den Grüßen und anderen Interjektionen (z.B. hallo, hey, ach) auch die direkte Anrede des Hörers (Vokativ) zur Herstellung von Hörbereitschaft (B11a) sowie der Imperativ als Ausdrucksform, mit der der Sprecher einen Eingriff in den Handlungsplan des Hörers vornimmt (B11b). B11 a) Peter, machst du bitte mal das Fenster zu? b) Hör auf! Die Beispiele deuten schon an, dass manche Prozeduren nicht nur als Bestandteile einer sprachlichen Handlung vorkommen, sondern auch selbstständig. 12 So kann ein Lehrer durch bloßes Nennen eines Schülernamens diesen dazu bringen, dass er ablenkende Nebengespräche beendet. Bisher vergleichsweise wenig untersucht ist ein fünfter Funktionsbereich, das so genannte Malfeld. Mit malenden Prozeduren vermittelt der Sprecher Einschätzungen und Bewertungen, d.h. auch hierbei können Gefühle eine Rolle spielen. Im Deutschen sind es vor allem intonatorische Momente, z.B. Stimmhöhe und Längung, mit denen der Sprecher Gesagtes als angenehm, überraschend oder unheimlich kennzeichnen kann. 13 11 S. hierzu ausführlich Ehlich (2007), Bd. 2. 12 Man spricht dann von einer selbstsuffizienten Prozedur (Ehlich 2007a). 13 Vgl. Redder (1994). <?page no="275"?> 274 Diskurs und Text: 16 Sprachliches Handeln In einer Äußerung spielen die verschiedenen Prozeduren zusammen. Als Beispiel soll die Äußerung (B11a) prozedural analysiert werden (Abb. 3). Abb. 3: Prozedurale Analyse Eine solche Zerlegung ähnelt auf den ersten Blick der Morphemanalyse. Die verwendeten Kategorien sind jedoch weniger global als z.B. bei der Klasse der „grammatischen Morpheme“. Zudem sind sie präziser auf die konkreten Funktionalitäten sprachlicher Einheiten bezogen. 16.3 Sprachliche Handlungsmuster Während es sich bei Prozeduren um Kleinsteinheiten handelt, aus denen sich eine sprachliche Handlung zusammensetzt, wird als sprachliches Handlungsmuster eine größere Handlungseinheit erfasst, die durch eine einzelne sprachliche Handlung oder mehrere Handlungen umgesetzt werden kann und durch einen bestimmten Zweck vorstrukturiert ist (E HLICH / R EHBEIN 1979b, 1986). Handlungsmuster umfassen mentale und interaktionale Tätigkeiten von Sprecher und Hörer und sind Teil ihres gesellschaftlich ausgebildeten Handlungsrepertoires. In ihrer aktuellen Handlungssituation folgen die Handelnden diesen zum Sprachwissen gehörigen Ablaufformen. Sie leiten Musterdurchläufe ein und beenden sie erfolgreich, oder sie steigen aus Mustern aus, d.h. brechen sie ab, ohne dass der kommunikative Zweck erreicht wurde. Wenn ein Handlungsmuster einen (oder mehrfachen) systematischen Sprecherwechsel vorsieht, wie das etwa beim Rätselraten der Fall ist, wird es als „sequentielles Muster“ bezeichnet. Die Bezeichnung Sprechhandlungssequenz benennt eine durch Turn-Wechsel zwischen S und H charakterisierte Handlungsfolge. Realisiert ein Sprecher mehrere Sprechhandlungen in einem Turn, etwa ein Lehrer, der etwas erklärt, spricht man demgegenüber von einer Sprechhandlungsverkettung. Häufig füllen mehrere Sprechhandlungen eine Position in einem Muster aus (s. unten). Im Folgenden wird das Konzept des Handlungsmusters am Beispiel von Frage-Antwort verdeutlicht. Abb. 4 gibt das Handlungsmuster in einem Flussdiagramm wieder. <?page no="276"?> 16.3 Sprachliche Handlungsmuster 275 Bei der Beschreibung eines Handlungsmusters wird systematisch differenziert zwischen dem Sprecher (S), der das Handlungsmuster initiiert, 14 und dem Hörer (H) als dem anderen Aktanten, der im Rahmen des Handlungsmusters natürlich auch als Sprecher im alltagssprachlichen Sinn zu Wort kommen kann. 15 Abb. 4: Handlungsmuster „Frage-Antwort“ 16 Wie aus der Abbildung deutlich wird, wird in der Musteranalyse nicht nur ein einziger kommunikativer Verlauf erfasst, sondern eine komplexe Beschreibung einer Vielzahl beobachtbarer kommunikativer Verläufe entwickelt. 17 In der Musterdarstellung erfasst werden sowohl Tätigkeiten und Entscheidungen, die im mentalen Bereich (П-Bereich) stattfinden, als auch ihre verbalen Umsetzungen in sprachliche Handlungen (Kurzbezeichnung: p) oder in andere Handlungen, die zum Muster gehören. Die Nummerierung einzelner Positionen dient dabei lediglich der Orientierung im Diagramm. Sequenzen von Frage und Antwort, die in der Conversation Analysis als „benachbarte Paare“ (adjacency pairs) 18 bezeichnet werden, werden als Teile des Musters erfasst, das dem Zweck der Beseitigung einer Wissenslücke dient. Eine mentale Entscheidung (1), nämlich die, eine erkannte Wissenslücke zu beheben, ist Eingangsvoraussetzung für das Muster. 19 Der Sprecher verbalisiert ein bestimmtes Nicht-Gewusstes, d.h. er stellt eine 14 In der Terminologie der Conversation Analysis ist dies self. 15 In der Terminologie der Conversation Analysis ist dies other. 16 Der Einfachheit halber wird im Diagramm nicht erfasst, dass Sprecher oder Hörer auch aus dem Muster aussteigen können. So kann z.B. die Wissenslücke des Sprechers nicht gefüllt sein, der Sprecher aber auf einen erneuten Durchlauf verzichten. Mustertheoretisch ist dieser Fall als weitere Option am Entscheidungsknoten 7/ 8 anzusiedeln. 17 Vgl. Kap. 4 zur Arbeit mit Korpora. Ehlich / Rehbein (1987) gründen ihre Analyse auf ein Korpus mehrstündiger Aufnahmen von Schulstunden (teilweise publiziert in Redder (Hg.) (1982)). 18 Der Terminus entstammt der Terminologie der Conversation Analysis. 19 Eine solche Entscheidung kann auch negativ ausfallen, z.B. wenn man sich im 5. Semester nicht mehr traut, den Dozenten zu fragen, was eigentlich ein „Phonem“ ist. <?page no="277"?> 276 Diskurs und Text: 16 Sprachliches Handeln Frage (2). Hörerseitig erfolgt nun eine mentale Überprüfung, ob der Hörer über das erfragte Wissenselement verfügt. Ist dies der Fall (3), macht der Hörer dem Sprecher das gewünschte Wissen zugänglich, d.h. er beantwortet die Frage (5). Ist dies nicht der Fall (4), drückt der Hörer sein Nichtwissen aus (6). Der Sprecher überprüft, ob die Hörerreaktion seine Wissenslücke füllt. Tut sie dies (8), wird das Handlungsmuster verlassen. Ist die Wissenslücke des Sprechers nicht gefüllt, kann er einen erneuten Durchlauf durch das Muster anstreben (7). Der erfolgreiche Musterverlauf wird von dem Sprecher häufig in einer Rückbestätigung angezeigt (9). In der Darstellung des Handlungsmusters werden also verschiedene mögliche Verläufe einer Frage-Antwort-Sequenz erfasst. Die Beschreibung soll im Folgenden exemplarisch auf drei Transkriptbeispiele bezogen werden. B12 Frage-Antwort (T1) ┌───────────────────────────────────────────────── │I [ Gehst du oft in die Mensa? │ >┌ \/ │A └ Jaa,j(a) einglich täglich. 1 └──────────────────────────────────────────────────────── ┌───────────────────────────────────────────────── │I [ Jeden Tag? │ >┌ \/ │A │ jaa.. │ └ ((lacht)) 2 └──────────────────────────────────────────────────────── In (B12) findet sich ein zweifacher Durchlauf durch das Handlungsmuster. Mit der Entscheidungsfrage Gehst du oft in die Mensa? realisiert die Interviewerin Musterposition 2 (Verbalisierung der Wissenslücke). Die Wissenslücke selbst (Position 1) betrifft bei einem solchen Fragetyp die Entscheidung darüber, ob das verbalisierte Wissenselement als gemeinsamer Wissensbestand von Sprecher und Hörer angesehen werden kann. Der unterstellte Sachverhalt wird von der Hörerin als zutreffend beurteilt und diese Beurteilung mit ja interaktional umgesetzt (Positionen 3 und 5). Eine Rückbestätigung der erfolgreichen Verarbeitung findet sich nicht. Im Rahmen des Interviews ist die Wissenslücke von I noch nicht vollständig behoben. Vielmehr schließt sich im Folgediskurs ein weiterer Musterdurchlauf an, in dem die Sprecherin die ergänzende Mitteilung eigentlich täglich aufnimmt (I, Fl. 2, Jeden Tag? , Position 7). B13 Frage-Antwort ((T2) aus (Ts3) „Hausarbeit abholen“) S = Student D = Dozent ┌───────────────────────────────────────────────── │S [ ((Türenklappern)) Hab ich die Klausur bestanden? 1 └────────────────────────────────────────────────────── ┌───────────────────────────────────────────────── │S [ ja wunderbar. │D [ . Sie haben die Klausur bestanden. 2 └────────────────────────────────────────────────────── In (B13) findet sich ein einfacher Musterdurchlauf (Positionen 1 und 2: Hab ich die Klausur bestanden? , 3 und 5: Sie haben die Klausur bestanden.). Darüber hinaus gibt der Sprecher in (B13) durch ja wunderbar auch Auskunft über die erfolgte Füllung seiner Wissenslücke (Positionen 8 und 9). <?page no="278"?> 16.3 Sprachliche Handlungsmuster 277 B14 Frage-Antwort (aus (Ts1) „Sprachenlernen“) C = Christine D = Diana ┌───────────────────────────────────────────────── │C [ Nee, es ist überhaupt nicht gut. │ >┌ \/ │D └ Ist es nicht gut? ou hmhm 4 └─────────────────────────────────────────────────────── Das Beispiel (B14) zeigt einen Durchlauf durch das Handlungsmuster, der ebenfalls als Positionsabfolge 1, 2, 3, 5, 8 und 9 beschrieben werden kann. Die Antwort auf die Frage ist in diesem Fall negativ. Der Verlauf des Handlungsmusters ist hingegen im funktionalen Sinn als geglückt zu bestimmen: Der Musterzweck (Füllung der Wissenslücke) wird erfüllt. Eine Musterposition muss nicht immer durch eine sprachliche Handlung besetzt sein, sondern kann auch nur durch eine Prozedur oder eine Geste realisiert werden. Wie im Transkript (Ts2) „SZ-Verkäufer“ können die Positionen Frage und Antwort aber auch wesentlich mehr als eine sprachliche Handlung umfassen: Das ganze Transkript bildet einen einzigen Durchlauf durch das Handlungsmuster Frage-Antwort ab. Sowohl in der Frage, insbesondere aber in der Antwort finden sich Sprechhandlungsverkettungen als Abfolge von Assertionen und Begründungen. Das sprachliche Musterwissen bestimmt die Pläne und Erwartungen, die die Handelnden hinsichtlich der gerade ablaufenden und der künftigen Handlungslinien ausbilden. Bei der Verfolgung ihrer Ziele müssen sie sich zwischen Handlungsalternativen entscheiden, und sie beurteilen das (sprachliche) Handeln der anderen Aktanten ebenfalls gemäß ihrem Musterwissen. Weichen die tatsächlich realisierte und die erwartete Handlung voneinander ab, kann Verunsicherung oder Protest die Folge sein. Es ist Aufgabe der Sprecher- und Hörersteuerung im Diskurs (vgl. Kap. 15.2), für die Abgleichung von Sprecherplan und Hörerplan zu sorgen. Gegebenenfalls sind mehrmalige Durchläufe durch ein Handlungsmuster erforderlich, um dessen Zweck zu erreichen. E HLICH / R EHBEIN sprechen in solchen Fällen von einer Musterrekursion. Die Umstände der Handlungssituation, die zur Wahl des jeweiligen Musters führen, bilden die so genannte Vorgeschichte; die Handlungen, die einem Muster direkt folgen bzw. aus ihm folgen, bilden seine Nachgeschichte. Neben Frage-Antwort ist besonders das Handlungsmuster Begründen in der Funktionalen Pragmatik ausführlich analysiert worden. Es bearbeitet eine Gefährdung des Diskurses, die sich ergibt, wenn der Hörer eine Handlung des Sprechers nicht verstehen bzw. nicht akzeptieren kann und somit eine negative Einstellung zum Folgediskurs entwickelt. Der Hörer macht dem Sprecher diese Gefährdung oft durch eine entsprechende Äußerung oder durch seine Mimik deutlich. 20 Durch Einführung eines Wissenselements, das das Nichtverstehen des Hörers verhindern oder bearbeiten soll, 21 versucht der Sprecher, dieser Gefahr entgegenzuwirken. 20 Ehlich / Rehbein (1987) und Redder (1994) bezeichnen den Ausdruck einer negativen Einstellung (E) auch als „Prä-E“. 21 Die Funktionale Pragmatik spricht hier von einem „D-Element“. <?page no="279"?> 278 Diskurs und Text: 16 Sprachliches Handeln Im Falle des oben angesprochenen Tischgesprächs ((Ts1) ) führt die überraschte Höreräußerung „ou“ z.B. dazu, dass die Sprecherin gleich mehrere begründende Sprechhandlungen realisiert (weil da sitzen viel zu viel Leute drin, … und er geht strikt nach dem Buch, … und wenn du ne Frage hast, … dann sagt er immer: ja das is halt so.“) Sie will damit ihrer Assertion Glaubwürdigkeit verleihen. Werden mehrere Sprechhandlungen desselben Typs miteinander verkettet, bezeichnet man dies auch als „Batterie“. Die Sprecherin realisiert also eine Batterie von Begründungen. Das Stöhnen und Lachen der Zuhörerinnen zeigt, dass sie diese verstehen, somit nunmehr die Einschätzung „überhaupt nicht gut“ nachvollziehen können. Richtet sich, wie in (B14), eine sprachliche Handlung an mehrere Adressaten mit eventuell unterschiedlichen Interessen oder Verstehensvoraussetzungen, spricht man von einer mehrfachadressierten Sprechhandlung. Mehrfachadressierung ist auch für Gespräche oder Interviews charakteristisch, die für ein Publikum (Zuhörer bzw. Zuschauer) aufgezeichnet werden, so wie (B12). 16.4 Kommunikation in Institutionen Besondere Aufmerksamkeit kommt in der Funktionalen Pragmatik dem Umstand zu, dass sprachliches Handeln häufig in Institutionen stattfindet. Institutionen werden dabei als gesellschaftlich ausgearbeitete Einrichtungen bestimmt, als (mehr oder weniger) zweckmäßige ‚Apparate‘, die bestimmte gesellschaftliche Zwecke bearbeiten (E HLICH / R EHBEIN (1980) u.a.). In den letzten dreißig Jahren wurden verschiedene Institutionen und das in ihnen stattfindende sprachliche Handeln in linguistischen Analysen thematisiert und beschrieben. Relativ gut untersucht sind mittlerweile die medizinische und therapeutische Kommunikation (Arztpraxis, Krankenhaus) 22 , die juristische Kommunikation (Gericht) 23 , die Kommunikation in Beratungseinrichtungen 24 sowie die Kommunikation in den Ausbildungsinstitutionen Schule 25 , Universität 26 und Betrieb 27 . Für das Handeln in Institutionen ist charakteristisch, dass in solchen kommunikativen Konstellationen zwei Typen von Handelnden (Aktanten) zu unterscheiden sind: die Vertreter der Institution, die in ihrem Namen handeln (Agenten), sowie diejenigen, die die Institution für ihr individuelles Anliegen in Anspruch nehmen, die sich also des gesellschaftlichen Apparats für ihre persönlichen Zwecke und Ziele bedienen (Klienten). Als Klienten sind sie sowohl Adressaten von Dienstleistungen bestimmter Institutionen wie auch Objekt institutioneller Vorgaben, Regeln und Kontrollen. Agenten und Klienten unterscheiden sich hinsichtlich ihres Wissens. Während das Agentenwissen professioneller Art und auf die Institution und ihre Zwecke bezogen ist, d.h. ein Wissen „zweiter Stufe“ bildet, ist das Klientenwissen auf die gesellschaftlich bereitgestellten Problemlösungsverfahren für sein Anliegen beschränkt. Im Verlauf häufigerer Kontakte mit Institutionen kann sich das Klientenwissen zunehmend dem Agentenwissen annähern. Die institutionelle Kommunikation ist durch die überindividuelle Aufgabe bzw. Problemstellung bestimmt, für welche die Institution Lösungswege bereitstellt. Die Kommu- 22 Vgl. Bliesener (1982), Redder/ Wiese (1989), Löning / Rehbein (1993). 23 Hoffmann (1989). 24 Nothdurft (1984), Schröder (1985), Nothdurft/ Reitemeier/ Schröder (1994). 25 Ehlich/ Rehbein (1986), Ehlich (1984), Redder (1982). 26 Redder (2002), Bührig/ Grießhaber (1999), Meer (1998), (2003). 27 Brünner (1987). <?page no="280"?> 16.4 Kommunikation in Institutionen 279 nikation in Institutionen ist aufgrund dieser Konstellation bereits weitgehend vorstrukturiert; es finden sich regelmäßige, wiederkehrende Abläufe. Dafür bilden Institutionen eigene, auf ihre Zwecke ausgerichtete Handlungsabläufe aus. Im Rahmen der institutionellen Abläufe wird von alltäglichen kommunikativen Handlungsmustern Gebrauch gemacht; diese erfahren jedoch oft institutionsspezifische Veränderungen. Bereits die Verteilung des Rederechts ist z.B. im schulischen Diskurs institutionell überformt: Das Rederecht wird nicht frei ausgehandelt. Vielmehr erteilt der Lehrer das Rederecht, die Kursteilnehmer müssen sich darum bewerben (Sich-Melden). Nach Beendigung des turns fällt das Rederecht wieder an die Lehrkraft zurück. Auch Alltagsmuster wie Frage-Antwort, Begründen oder Erzählen werden bei ihrem Einsatz in Institutionen z.T. entscheidend verändert. Das Handlungsmuster Frage-Antwort dient in der Schule z.B.. meist nicht der Füllung einer Wissenslücke (die fragende Lehrkraft weiß das Erfragte), sondern vielmehr dem Stellen einer Aufgabe. Die Rückbestätigung zeigt an, dass die Aufgabe von den Lernenden erfolgreich bewältigt wurde. Die Frage dient hier dem Zweck, die Lernenden zum Nachdenken anzuregen. Mit „Regiefragen“ (GdS, S. 116) kann im positiven Fall erreicht werden, dass die Lernenden eine Frage reflektieren oder ein komplexes Problem erfolgreich bearbeiten (Kap. 16.1.3). Auch in Prüfungskontexten dienen Fragen der Prüfenden nicht dem ursprünglichen Zweck: Es geht nicht darum, ein bestimmtes Wissen zu erlangen; vielmehr soll überprüft werden, ob der Prüfling - anforderungsgemäß - über dieses Wissen verfügt (laut GdS handelt es sich dann um eine „Examensfrage“). Im Folgenden werden einige Charakteristika institutioneller Handlungsabläufe und ihre sprachlichen Umsetzungen an zwei weiteren Beispielen konkretisiert. 16.4.1 Beispiel „Besichtigungstermin“ Das Transkript (Ts7) „Wohnungssuche“ gibt ein authentisches Telefongespräch wieder, in dem es um die Vereinbarung eines Besichtigungstermins für eine anzumietende Wohnung geht. Der Vermieterin bzw. der sie vertretenden Maklerin (V) kommt hier die Rolle des Agenten, der anrufenden Studentin (S) die Rolle des Klienten zu. Dem Gespräch geht bereits eine Vorgeschichte im institutionellen Handlungsplan voraus (Zeitungsannonce mit Angabe einer Telefonnummer), aus der sich der nächste Handlungsschritt (Kontaktaufnahme) ergibt. Dem Klienten wird dabei die aktive Rolle des Anrufers zugewiesen. Das Gespräch selbst bildet nur einen kleinen Schritt in der gesamten Handlungskette. Im Rahmen des institutionellen Handlungsablaufs sind als Folgeschritte die Wohnungsbesichtigung, vertragliche Regelung des Mietverhältnisses sowie - im Falle des Makelns - die Abrechnung der institutionellen Kosten vorgesehen. Zweck des Telefongesprächs ist es, durch eine Terminvereinbarung den Folgeschritt „Besichtigung“ vorzubereiten. Das Telefonat lässt sich in verschiedene Phasen einteilen. Einer - Selbstidentifikation des Angerufenen (Nennung des Nachnamens) und einem - Gruß folgen spiegelbildlich entsprechend - Gegengruß und - Selbstidentifikation der Anruferin (Nennung des Nachnamens). Intonatorisch nicht abgesetzt, steigt die Klientin sofort in die <?page no="281"?> 280 Diskurs und Text: 16 Sprachliches Handeln - Darstellung des Anliegens ein (Nennung des Mietobjekts, Einleitung einer Terminvereinbarung). - Die Bearbeitung des Anliegens erfolgt im Folgenden kleinschrittig in mehreren Durchläufen, die zunächst von der Klientin (Fl. 5-11), im späteren Verlauf von der Agentin (Fl. 13-16) ausgehen. Im vorliegenden Gespräch wird zunächst der Zeitpunkt der Besichtigung angesprochen und durch mehrfache verstehenssichernde Wiederaufnahmen diskursiv festgehalten (Fl. 5-7). Der weitere Verlauf lässt die unterschiedliche Sicht der Beteiligten auf den Handlungsrahmen erkennen: Die Nachfrage der Klientin, ob sie einfach vorbeischaun sollte (Fl. 7/ 8), wird zwar beantwortet; die Antwort der Agentin (Sie könn da gern dazukommen, Fl. 8/ 9) besitzt allerdings die illokutive Qualität einer Erlaubnis und macht deutlich, dass es sich bei der Besichtigung um einen Sammeltermin handelt, bei dem sich mehrere Interessenten um ein Objekt bewerben. Die folgende Ortsangabe verläuft im Wechselspiel zwischen V und S (Fl. 9 ff.). V nennt die Straße, S ergänzt ihre sprachliche Handlung in einem glatten, pausenlosen Übergang um die Nennung der Hausnummer. Überlappend zu Vs bestätigender Wiederholung schiebt sie eine kurze Erklärung nach (das stand in der Zeitung). Die Gesprächsphase wird durch eine bestätigende Exothese (alles klar) seitens der Klientin abgeschlossen. Nach einer verstehenssichernden Nachfrage der Agentin (ja? ) erfolgt eine erneute Wiederholung des Zeitpunkts (um dreizehn Uhr dreißig, Fl. 12) und eine Rückbestätigung (genau). Eine anschließende Gesprächsphase dient der Absicherung und bezieht sich auf die Möglichkeit der Terminverschiebung ohne Suspendierung des eingeleiteten Ablaufs. V erfragt die persönlichen Daten der Klientin (Nachname, Telefonnummer). Sie beendet die Phase in Fl. 16 mit gut, gefolgt von einer weiteren Bestätigung des Zeitpunkts als Rückleitung zum übergeordneten Handlungszusammenhang. S wiederholt ihrerseits noch einmal den genannten Zeitpunkt und thematisiert eine mögliche Terminverschiebung, gefolgt von einem Versprechen, in diesem Fall telefonisch Kontakt aufzunehmen. V gibt nun ihrerseits eine Begründung für ihren vorhergehenden, bereits abgeschlossenen Handlungsschritt (deswegen hab ich mir auch Ihre Telefonnummer geben lassen). Das Gespräch endet mit dem mehrfachen Einsatz verständigungssichernder Prozeduren und Formeln (okay, hmhm, alles klar, gut), einem - Dank der Klientin, einem - Abschiedsgruß der Agentin und - komplementär - einem - Abschiedsgruß der Klientin, die größtenteils überlappend realisiert werden. Der Zweck des Gesprächs (Möglichkeit für eine institutionelle Folgehandlung eröffnen) wurde im vorliegenden Beispiel erreicht, wenngleich einige kommunikative Anzeichen wie paralleles Sprechen der Beteiligten, Wiederholungen und Lachen auf kommunikative Unstimmigkeiten weisen, die die Beteiligten bearbeiten. Auftretende Divergenzen betreffen Unklarheiten bezüglich des vorgesehenen Handlungsablaufs, Unterschiede im Agenten- und Klientenwissen (Anzahl der Wohnungsinteressenten gemessen am individuellen Mietinteresse) sowie eine der institutionellen Wissensverteilung entgegengesetzte Verbalisierung von Wissenselementen, die zu einem überlappenden Turn-taking bei der Realisierung von Handlungsschritten führt. Ähnliche Probleme lassen sich z.T. auch in anderen institutionellen Gesprächen aufweisen. <?page no="282"?> 16.4 Kommunikation in Institutionen 281 16.4.2 Beispiel „Arztbesuch“ Die Kommunikation zwischen medizinischem Personal (Ärzten, Therapeuten, medizinisch-technischen Assistenten, Pflegepersonal) und Patienten hat in der Diskursanalyse bislang die vielleicht breiteste Aufmerksamkeit erfahren. Zweck der medizinisch-therapeutischen Institutionen ist die (Wieder-)Herstellung der Gesundheit der Klienten. Das Handeln in Institutionen wie Arztpraxis und Krankenhaus ist komplex und umfasst einen Gesamtablauf (Anamnese, Diagnose, Therapie), der sich im Einzelnen aus sehr verschiedenen Aktivitäten zusammensetzt, die praktischer (z.B. abtasten, Spritze setzen) oder kommunikativer Art sein können (z.B. fragen, erklären, beraten). Praktische Tätigkeiten werden häufig ebenfalls kommunikativ begleitet. Transkript ((Ts8) „Hautarzt“) erfasst ein authentisches Arzt-Patienten-Gespräch in einer dermatologische Facharztpraxis. Die behandelnde Ärztin praktiziert bereits seit vielen Jahren, verfügt also über ein umfangreiches Fallwissen. Der Patient sucht sie wegen eines Hautsymptoms auf. Beide Beteiligten sprechen mit dialektalem Einschlag (z.B. a für ein, i für ich, net für nicht etc.). Kommunikativer Ausgangspunkt des Gesprächs ist eine standardisierte Eingangsfrage der Ärztin, die das Anliegen des Klienten betrifft (Was führt Sie her? ). Den Patienten stellt die Frage vor das Problem, seine Gesundheitsbeschwerden, also eine subjektive körperliche Empfindung, in Worte fassen zu müssen. Dass im vorliegenden Fall von Seiten des Patienten keine Antwort erfolgt, sondern eine Pause, könnte auf diesen Umstand zurückzuführen sein; der Folgediskurs zeigt allerdings, dass er sein Leiden nicht zum ersten Mal darstellt. Es kann daher vermutet werden, dass die Ärztin durch die professionelle Eingangsfrage kommunikativen Kontakt zu dem Patienten herstellt, während sie noch mit Papieren beschäftigt ist, bevor sie sich ihm auch nonverbal zuwendet (Blickkontakt). Auch ihre folgenden Äußerungen lassen darauf schließen, dass sie den Patienten erst jetzt visuell wahrnimmt. Da sein Leiden deutlich sichtbar ist, 28 beantwortet sie ihre Eingangsfrage selbst (Ihre Stirn), syntaktisch als Linksanbindung einer Folgefrage realisiert (was ham Sie denn da gemacht? ). Die Folgefrage zeigt, dass sie das sichtbare Patientenleiden zunächst als eine Verletzung identifiziert; diese Klassifizierung erweist sich jedoch als falsch (gar nix). Bezogen auf den professionellen Handlungsablauf leitet die Ärztin durch ihre Eingangsfragen die institutionellen Handlungsschritte - Problemerkundung (Anamnese) durch Schilderung des Leidens und - Untersuchung des Patienten ein. Diese Gesprächsphase wird typischerweise über das Handlungsmuster Frage-Antwort abgewickelt, das mehrmals durchlaufen wird. Dies ist auch hier der Fall. Die Fragen des Institutionsagenten sind - anders als im Falle der Unterrichtskommunikation - „echte“ Fragen, d.h. auf eine Wissenslücke des Fragers bezogen. Dennoch ergibt sich eine Besonderheit ärztlichen Fragens aufgrund der unterschiedlichen Wissensvoraussetzungen der Aktanten. Die Fragetätigkeit des Arztes ist durch sein medizinisches Fachwissen und die institutionelle Aufgabe vorstrukturiert, gesundheitliche Beschwerden als Symptome bestimmter klassifizierter Krankheiten einzuordnen. Dem Patienten sind demgegenüber die fachlichen Klassifikationen und ihre Konsequenzen ganz oder weitgehend unbekannt. Für Klienten medizinischer Institutionen stellt aber nicht unbedingt die medizinische Fachsprache im engeren Sinn 29 ein Problem dar. Im vorliegenden Gespräch beispielsweise 28 Er sieht aus „wie unter die Räuber gefallen“, Fl. 37/ 38. 29 Zur Fachsprache s. Hoffmann et al. (Hgg.) (1997) Fachsprachen. Berlin: de Gruyter. <?page no="283"?> 282 Diskurs und Text: 16 Sprachliches Handeln benutzt die Ärztin spontan den Begriff Hämangiom (Fl. 13), den sie anschließend in die Allgemeinsprache zu überführen versucht. Der Patient übernimmt die entsprechende Formulierung, die anschließend von der Ärztin bestätigt wird (Fl. 14). Vielmehr ist es häufig die gezielte ärztliche Fragebatterie, die Patienten Probleme bereitet, da sie bestimmte Momente des Patientenwissens und -erlebens ausblendet. Während die Ärztin sechs Durchläufe durch das Handlungsmuster Frage-Antwort initiiert, die die medizinisch relevanten Informationslücken deutlich erkennen lassen (Und in welchen Abständen kommt des? , Fl. 20; Kommt das im Zusammenhang mit der Einnahme von am Arzneimittel? , Fl. 22/ 23; Und seit wie vielen Jahren? , Fl. 30), findet sich im vorliegenden Gespräch keine einzige Patientenfrage. Für den Patienten bildet das vorliegende Gespräch nicht den ersten Einstieg in die Bearbeitung seines Anliegens: Wie sich herausstellt, hat P wegen dieser Beschwerden bereits einen anderen Arzt aufgesucht, bevor er sich nun an die Fachärztin wendet (Fl. 6-9). Auch im vorliegenden Gespräch kann das Anliegen des Patienten nicht endgültig bearbeitet werden. Die Momente der Anamnese (Leidensdarstellung und Untersuchung des Patienten, Fl. 18 ff.) werden zwar durchlaufen, reichen jedoch nicht aus, um eine - Identifizierung der Krankheit (Diagnose) sowie - Einleitung von Maßnahmen zur Leidensbekämpfung (Therapie) vorzunehmen. Das Gespräch endet mit praktischen Überlegungen zur Einleitung weiterer Folgeschritte (Entnahme einer Probe, Hinzuziehen eines weiteren Spezialisten). Probleme innerhalb von Institutionen ergeben sich u.a. aus der Tatsache, dass Institutionen oft verschiedene gesellschaftliche Zwecke erfüllen. Eine Unzufriedenheit von Agenten und Klienten mit der bestehenden Praxis medizinisch-therapeutischen Handelns kann z.B. oft auf Widersprüche zurückgeführt werden, die zwischen der Zwecksetzung Gesundheitsfürsorge und dem Zweck der Profiterwirtschaftung bestehen. Ähnliches gilt auch für die Institution Schule, die neben dem Zweck der Wissensvermittlung auch den Zweck einer berufsbezogenen Selektion erfüllt. 16.5 Problemfelder für Deutsch als Fremd- und Zweitsprache Für das Fremdsprachenlehren und -lernen ergeben sich aus dem Verständnis von Sprache als einer Handlungspraxis sehr weitreichende Konsequenzen. Für die verschiedenen illokutiven Zweckbereiche, die Koordination von Handlungen, den Austausch von Wissen und die Mitteilung von Emotionen, sind in der gesellschaftlichen Handlungspraxis einzelsprachlich zum Teil unterschiedliche Formen entwickelt worden, deren Größenordnung von morphologischen Einheiten über prosodische Verfahren bis hin zu komplexen Musterstrukturen und Handlungsabläufen reicht. Bereits einfache Handlungssituationen wie die Eröffnungssequenz eines Telefongesprächs unterscheiden sich in ihrer Abwicklung in verschiedenen Sprachen (L UKE / P AVLIDOU 2002). Umso wichtiger sind kontrastive Untersuchungen, wie sie gegenwärtig in der Pragmatik angestrebt werden (T ROSBURG 2010). In der sprachvergleichenden Forschung wurde die Sprechakttheorie schnell mit der Frage nach Kulturunterschieden, insbesondere dem Konzept der Höflichkeit verbunden. 30 Angesichts der Unterschiedlichkeit von Sprechhandlungen wie „Bitten“, „Sich Beschweren“ oder „Sich Entschuldigen“ in verschiedenen Sprachen erkannte man, dass sich nicht nur die sprachlichen Formen, sondern oft auch die Situationen unterscheiden, in denen die 30 Als „Klassiker“ ist hier Brown / Levinson (1987) zu nennen. <?page no="284"?> 16.5 Problemfelder für Deutsch als Fremd- und Zweitsprache 283 Sprechhandlungen eingesetzt werden. 31 Empirische Forschungen zur Lernersprache wiesen zudem die Umsetzung von Illokutionen als Problemfeld des Spracherwerbs auf, das im Sprachkontakt zu Missverständnissen und Fehleinschätzungen führen kann: 32 Äußerungen wie „Magst du den Müll rausbringen? “ werden in der Fremdsprache z.B. oftmals nicht als Aufforderung (Direktiv) erkannt. Das ist nicht erstaunlich, da im Deutschen wie in anderen Sprachen verschiedene Möglichkeiten bestehen, eine Handlung verbal umzusetzen. So kann eine alltägliche Aufforderung in unterschiedlicher Weise, als Befehl, als höfliche Bitte oder als Vorschlag, ausgedrückt werden (B15): B15 Variationsmöglichkeiten einer sprachlichen Handlung Bring den Müll raus! Könntest du den Müll rausbringen? Du könntest ja vielleicht mal den Müll rausbringen. In der Fremdsprachendidaktik führte die veränderte Sichtweise auf Sprache zu einer wichtigen didaktisch-methodischen Umorientierung, die als kommunikative Wende bezeichnet wird. In Abkehr von einem Ansatz, der die grammatischen Eigenschaften der Zielsprache systemorientiert vermittelt (z.B. die Flexion von Verben wie heißen oder sein), ging man bei der Sprachlehre nun kommunikationsorientiert von den Sprechabsichten der Sprachlerner aus (z.B. „sich vorstellen“). Eine didaktisch orientierte Übersicht über Sprechabsichten und ihnen zugeordnete sprachliche Mittel, die Lehrwerkautoren und Lehrenden Hilfestellung bei der Umsetzung dieses Ansatzes geben und zu einer Vergleichbarkeit und Vereinheitlichung der Fremdsprachenlehre führen sollte, wurde unter dem Titel „Kontaktschwelle“ u.a. für die Sprachen Englisch, Deutsch 33 und Französisch ausgearbeitet. 34 Dabei geht es um ein mittleres Sprachniveau. Die Fortsetzung dieses Projekts, der „Gemeinsame Europäische Referenzrahmen“ (GER), gilt heute als standardisierte Grundlage des europäischen Fremdsprachenunterrichts, auf den sich auch die Lernzielsetzungen für Deutsch als Fremd- und Zweitsprache beziehen (vgl. Kap. 18.2). Insbesondere für Deutsch als Zweitsprache wird auch das institutionelle Handeln als zentraler Sprachlernbereich angesehen und in Lernzielbestimmungen erfasst. Zu den im „Rahmencurriculum Deutsch als Zweitsprache für Integrationskurse“ 35 formulierten Grobzielen gehören z.B. Fertigkeiten wie „Kann Sachbearbeiter um Hilfe bitten, z.B. beim Ausfüllen eines Formulars“. Zudem wird im Blick auf den Lernbereich „Landeskunde“ auf Problemstellungen hingewiesen, die sich für Lernende aus Unterschieden zu institutionellen Praktiken in ihren Heimatländern ergeben (z.B. „Weiß, dass die Möglichkeit besteht, gegen behördliche Entscheidungen Widerspruch einzulegen“). Unterschiede zwischen den Sprachen sind hier mit Unterschieden in der sozialen Organisation der Gesellschaften und den in ihnen überlieferten Wissensbeständen eng verbunden. Im Blick auf die Handlungssituation Arztbesuch z.B. sind aus der Perspektive des Deutschen als Zweitsprache die Erwartungs- und Wissensbestände, die mit Krankheit und 31 Eine Darstellung verschiedener Sprachen gibt Wierzbicka (2003). 32 Ein umfangreiches Projekt bildete das „Cross-Cultural Speech Act Realization Projekt“ (Blum-Kulka / House / Kasper 1989), bei dem empirische Daten zu verschiedenen Sprachen erhoben wurden; zudem untersucht man Sprechaktrealisierungen durch Fremd- und Zweitsprachensprecher. 33 Baldegger, Markus/ Müller, Martin/ Schneider, Günther (1980) Kontaktschwelle Deutsch als Fremdsprache. Berlin u.a.: Langenscheidt (Europarat, Rat für kulturelle Zusammenarbeit). 34 Beschrieben wird dort ein Lernstand, den man als threshold level, Schwellenniveau, bezeichnet; die heutige Didaktik bezeichnet ihn als „Niveaustufe B1“ (vgl. Kap. 18). 35 Goethe-Institut (2007, S. 57). <?page no="285"?> 284 Diskurs und Text: 16 Sprachliches Handeln Gesundheit in verschiedenen Sprachkulturen verbunden sind, relevant. Differente Praktiken reichen hier von anderen sprachlichen Metaphern (z.B. Leberschmerzen als Umschreibung für eine Depression) über andere Bewertungen von Krankheiten und Krankheitssymptomen bis hin zu anderen, vom Arzt erwarteten Handlungen (z.B. Puls fühlen). 36 Besondere Probleme stellen sich zudem beim so genannten „Sprachmitteln“, dem nichtprofessionellem Dolmetschen und Übersetzen z.B. durch medizinisches Hilfspersonal oder Familienmitglieder. 37 Für den Unterricht Deutsch als Zweit- und Fremdsprache ist es weiterhin wichtig, das Zusammenspiel von sprachlichen Minimaleinheiten wie Prozeduren, illokutiver Qualität und realisiertem Handlungsmuster zu rekonstruieren und Lernenden verständlich zu machen (G RAEFEN / H OFFMANN 2010). Ein solcher Zugang wird auch in der Didaktik des Deutschen als Erstsprache gewählt (vgl. B RÜNNER / B ECKER -M ROTZEK 2006, B ECKER 2009). Durch Reflexion der in verschiedenen Situationen zu bewältigenden kommunikativen Aufgaben, Handlungszwecke und Handlungszüge können Schülerinnen und Schüler dazu angeregt werden, ihr eigenes sprachliches Potential zu erweitern und kritisch zu reflektieren. Das Vorgehen umfasst u.a. die Arbeit mit Transkripten, die Diskussion möglicher Handlungsalternativen sowie deren Umsetzung im Rollenspiel. Ein solches Vorgehen wird z.T. auch in interkulturellen Trainings gewählt. Ausgewählte Aufgaben zu Kap. 16 (7 von 37) 1. Was trifft zu? a) Ich habe viel für die Klausur gelernt. Diese Äußerung ist nach Austin … ☐ konstativ ☐ performativ b) Ich taufe dich auf den Namen Anna. Diese Äußerung ist nach Austin … ☐ konstativ ☐ performativ 3. Um welchen Sprechakt handelt es sich? Entscheiden Sie. Welcher Sprechakt lässt sich durch folgende Bedingungen charakterisieren? - Bedingungen des propositionalen Gehalts: betrifft einen zukünftigen Sachverhalt X (ein zukünftiges Ereignis oder eine zukünftige Handlung des Hörers). - Einleitungsbedingungen: X tritt bei normalem Verlauf der Ereignisse ein. S schätzt X als für H gefährlich ein. - Wesentliche Bedingung: S hat die Absicht, den normalen Verlauf der Ereignisse zu ändern. ☐ der Sprechakt „versprechen“ ☐ der Sprechakt „warnen“ ☐ der Sprechakt „auffordern“ 36 Vgl. u.a. Rehbein (1985). 37 Vgl. Pöchhacker (2000), Meyer (2004) sowie Ahamer, Vera (2012) Unsichtbare Spracharbeit. Jugendliche Migranten als Laiendolmetscher. Integration durch “Community Interpreting”. Bielefeld: transcript. <?page no="286"?> 16.5 Problemfelder für Deutsch als Fremd- und Zweitsprache 285 9. Betrachten Sie folgendes Transkriptbeispiel aus dem Arbeitsalltag (E YJOLFSSON 1995). Das Gespräch findet zwischen einem japanischen Angestellten und seinem deutschen Vorgesetzten statt. Deutsch-japanische Kommunikation am Arbeitsplatz (E YJOLFSSON 1995, S. 21) T: Herr Tögel, Y: Herr Yamamori 1 T Gut! Das wär´s eigentlich für heute ... nur hätte ich ´ne Bitte... Y ...ja... ...ja... 2 T an Sie...und zwar wollte ich Sie bitten, diese Broschüre...ins... Y ...ja... ...ja... 3 T Japanische zu übersetzen ... Könnten Sie das nicht tun? Y ...ja… 4 Y <sh> ((Zischlaut, den Kopf schräg stellend)). Ja, ja. 5 T Könnten Sie die Übersetzung bitte am Dienstag abgeben? 6 Y <sh> Ja, ja. Ich muß aber morgen meinen Vater in Hamburg 7 Y treffen. <sh> ((Kopf T Ach so! Schaffen sie das ... bis Dienstag? 8 Y schräg, Blick nach oben)) <sh> Ja, ja! Ich versuche! Beschreiben Sie das Handeln der Beteiligten. Wird der Angestellte die Übersetzung abgeben? 16. Skizzieren Sie kurz den Sprechakt „drohen“, wie er sich ausgehend vom S EARLE ’schen Ansatz darstellt. 26. Zerlegen Sie die folgende Äußerungen in ihre prozeduralen Bestandteile. Benennen Sie jeweils das Feld, aus dem die Prozedur stammt. a) Ach, ich liebe Apfelkuchen! b) Was hältst du von Studenten? 28. Erläutern Sie das Handlungsmuster Frage-Antwort am Beispiel des folgenden Transkriptausschnitts (Auszug aus (Ts1) „Sprachenlernen“, leicht vereinfacht). C Christine D Diana ┌───────────────────────────────────────────────── │C [ Ja. │ >┌ \/ │D └ Das musst du dir selber kaufen, oder? hmhm └─────────────────────────────────────────────────────── 36. Der nachstehende Auszug (P ÖCHHACKER (2000), S. 215) entstammt einem Therapiegespräch, das eine Logopädin (Tanja) mit türkischsprachigen Eltern führt, die sich um die Sprachentwicklung ihrer zweijährigen Tochter sorgen. Das Gespräch wird von der 16-jährigen Nichte der Mutter gedolmetscht (Dolm.). Was stellen Sie im Blick auf den Gesprächsablauf fest? <?page no="287"?> 286 Diskurs und Text: 16 Sprachliches Handeln Tanja: Aber ein kl/ ah so, der is kleiner. War sonst seine Entwicklung irgendwie auffällig, vom Gehen her, vom Krabbeln, Sitzen, hat er eher langsam begonnen oder war das normal? Dolm.: Şey, eee, yavaş mı başladı yürümeye? Şey yapmaya, emeklemeye? Dings, hat sie langsam begonnen zu gehen, dings zu machen, zu krabbeln? Mutter: Beş, eeh, altı aylıkken emeklemeye başladı çocuk. Mit fünf, äh, mit sechs Monaten hat das Kind zu krabbeln begonnen. Dolm.: Das war auch normal. Ausgewählte weiterführende Literatur Becker-Mrotzek, Michael/ Brünner, Gisela (2006) Gesprächsanalyse und Gesprächsführung. Eine Unterrichtsreihe für die Sekundarstufe II, Radolfzell: Verlag für Gesprächsforschung Ehlich, Konrad/ Rehbein, Jochen (1979b) Sprachliche Handlungsmuster. In: Soeffner, Hans-Georg (Hg.) Interpretative Verfahren in den Sozial- und Textwissenschaften. Stuttgart: Metzler, S. 243-274 Ehlich, Konrad/ Rehbein, Jochen ( 2 1980) Sprache in Institutionen. In: Althaus, Hans Peter/ Henne, Helmut/ Wiegand, Herbert Ernst (Hgg.) Lexikon der Germanistischen Linguistik. Tübingen: Niemeyer, S. 338-345 Ehrhardt, Claus/ Heringer, Jürgen (2011) Pragmatik. Stuttgart: Fink Finkbeiner, Rita (2015) Einführung in die Pragmatik. Darmstadt: WBG Graefen, Gabriele/ Hoffmann, Ludger (2010) Linguistische Pragmatik. In: Krumm et al. (Hgg.), S. 255-265 Labov, William (1978) Der Niederschlag von Erfahrungen in der Syntax von Erzählungen. In: Ders.: Sprache im sozialen Kontext. Königstein / Ts.: Scriptor, S. 58-99 Liedke, Martina (2013) Mit Transkripten Deutsch lernen. In: Moraldo, Sandro (Hg.) Gesprochene Sprache im DaF-Unterricht. Grundlagen - Ansätze - Praxis. Heidelberg: Universitätsverlag Winter, S. 243-266 Liedtke, Frank (2016) Moderne Pragmatik. Tübingen: Narr Redder, Angelika (2005) Wortarten oder sprachliche Felder, Wortartenwechsel oder Feldtransposition? In: Knobloch, Clemens / Schaeder, Burkhard (Hgg.) Wortarten und Grammatikalisierung. Perspektiven in System und Erwerb. Berlin: de Gruyter, S. 43-66 <?page no="288"?> 17 Text Aufbauend auf Ergebnissen von Sprechhandlungsanalysen in den Kap. 15 und 16 werden hier wichtige Denkansätze und ein theoretisches Instrumentarium für die Untersuchung von Texten vorgestellt und durch exemplarische Analyse von Textbeispielen verdeutlicht. 17.1 Zum Textbegriff Sprachliches Handeln kann mündlich oder schriftlich erfolgen. Insbesondere für institutionelle Kommunikation ist kennzeichnend, dass ihre Handlungsabläufe oft mündliche und schriftliche Anteile umfassen, die eng aufeinander bezogen sind. So geht einer Wohnungssuche z.B. oft eine Zeitungsannonce voraus und sie endet in einem schriftlichen Vertrag. Die Ergebnisse einer ärztlichen Untersuchung werden schriftlich festgehalten; das Überfliegen der Patientenakte gehört zu den ersten Schritten einer Folgeuntersuchung usw. Aus den alltäglichen und institutionellen Handlungszusammenhängen ergeben sich verschiedene Typen von Texten, vom Notizzettel über Anzeigen, Kochrezepte, Zeitungsartikel, Bedienungsanleitungen, Mahnschreiben oder Bewerbungsschreiben bis hin zu wissenschaftlichen Monographien oder multimodaler Werbung. Im Alltagsverständnis ist der Ausdruck „Text“ mit Schriftlichkeit verbunden. Darüber hinaus impliziert eine Aussage wie „Er / sie verfasst einen Text“ auch die Vorstellung, dass hier etwas produziert wird, dessen Inhalt über ein einzelnes Wort oder einen Satz hinausgeht. Im Zusammenhang mit mündlicher Kommunikation wurde aber bereits angesprochen, dass diese Vorstellungen dem linguistischen Textbegriff nicht genau entsprechen (vgl. Kap. 15). Die Linguistik hat den Alltagsbegriff Text terminologisiert. Sie fragt sich von daher, was „einen Text zum Text macht“ (D E B EAUGRANDE / D RESSLER 1981). Dabei gilt Schriftlichkeit nicht allgemein als konstitutive Bedingung. Viele Textlinguisten haben bewusst schriftliche und mündliche Äußerungen als „Texte“ kategorisiert. Zum anderen werden in der Textforschung auch Hinweise und Angaben einbezogen, die im Alltag kaum als Texte angesehen würden, etwa die folgenden: B1 Hinweisschild auf einer Grünfläche Betreten verboten! B2 Textiliendeklaration 100% Polyester, Polyester, Polyester, Poliestere, Poliester, Poliéster, Polyester In der Textlinguistik lassen sich unterschiedliche Auffassungen von „Text“ differenzieren. In der ersten Phase wurde Text oft als kommunikative Grundeinheit bestimmt. So schreibt z.B. E NGEL (2009, S. 33), ähnlich schon W EINRICH (1976): „Sprachliche Verständigung kann nur in Texten erfolgen.“ Sämtliche Äußerungen mündlicher und schriftlicher Art werden dann als Texte bezeichnet. E HLICH (2007h) macht dagegen geltend, dass ein so weit gefasster Textbegriff sich nicht mehr von ‚Kommunikation‘ unterscheiden würde. Zudem werden damit wichtige Differenzen von Diskursen und textueller Kommunikation übergangen. Ein wissenschaftlich begründeter Textbegriff lässt sich aber auch nicht einfach von der Medialität her gewinnen (vgl. Kap. 17.3.1). Das allgemeinste Merkmal von Texten - somit auch das in der Forschung am häufigsten behandelte - ist offenbar die zusammenhängende Versprachlichung und Gestaltung. <?page no="289"?> 288 Diskurs und Text: 17 Text 17.2 Der Text besitzt „Zusammenhang“ In der gesamten Textlinguistik wird die Frage nach den inneren Zusammenhängen eines Textes, z.B. zwischen den einzelnen Sätzen, für wesentlich erachtet, eine Auffassung, die auch durch die Etymologie des Ausdrucks nahegelegt wird (lat. textus, Gewebe). 1 Texte sind an der Oberfläche lineare Sprachformen. Ein Teil der inneren Zusammenhänge ist an der Oberfläche erkennbar, wenn spezifische sprachliche Prozeduren auftreten. Andere Zusammenhänge sind im Text nur angelegt und werden vom Leser erschlossen, also mental ‚realisiert‘. Um Zusammenhänge zu beschreiben, werden vor allem die Begriffe Kohäsion und Kohärenz eingesetzt. 17.2.1 Kohäsion Die Kohäsion, also der vom Leser empfundene Zusammenhalt eines Textes, entsteht durch bestimmte sprachliche Verfahren auf verschiedenen Ebenen. In der schriftlichen Darstellung tragen z.B. die Interpunktionszeichen, die Sätze verbinden oder trennen, auf unauffällige Weise zur Kohäsion bei, da sie Verbindungen von Einzelwörtern, Teilsätzen und Gesamtsätzen deutlich machen. Die D UDEN -Grammatik führt für das deutsche orthographische System die wichtigsten Kohäsionszeichen auf: Punkt und Komma, Ausrufe- und Fragezeichen, Semikolon und Doppelpunkt; Trennstrich, Gedankenstrich, Ergänzungsstrich und Aufzählungsstrich 2 ; Anführungszeichen, Klammern u.a. Aus pragmatischer Sicht sind diese Kohäsionszeichen z.T. sprachspezifische illokutiv relevante Indikatoren der Schriftsprache: Sie verdeutlichen bestimmte Qualitäten einer sprachlichen Handlung (z.B. als Frage oder Aufforderung) oder sie zeigen den Stellenwert eines Textteils im Kontext an. So steht der Doppelpunkt vor einer ergänzenden Erklärung oder Ausführung, und Gedankenstriche können einen Einschub (eine Parenthese) markieren. Ein schon oberflächlich erkennbarer Zusammenhang im Text kommt durch Wiederholungen (Rekurrenzen) zustande. 3 B3 Was es alles gibt (Robert Gernhardt) 4 Da gibt es die, die schlagen Da gibt es die, die rennen Da gibt es die, die zündeln Da gibt es die, die brennen (...) Da gibt es die, die reden Da gibt es die, die schweigen Da gibt es die, die handeln Was wir sind, wird sich zeigen. Zur Verdeutlichung sind in dem Gedichtanfang (B3) die rekurrenten Mittel kursiv gedruckt. Im gesamten Text arbeitet der Verfasser bewusst mit der Wiederholung der Satzeinleitung „Da gibt es die, die …“, also mit gleicher syntaktischer Struktur. Dies lässt sich als dichterisches Mittel interpretieren. Rekurrenz von Fachausdrücken wird in Fachtexten ebenfalls bewusst eingesetzt, um den Leser nicht durch Ausdrucksvariation zu 1 Textkohäsion ist „das sprachliche Verwobensein seiner Elemente“ (Adamzik 2004, S. 284). 2 Der Aufzählungsstrich wird auch „Spiegelstrich“ genannt. 3 Von lat. recurrere, wiederkehren. 4 Robert Gernhard (1999) Lichte Gedichte. Frankfurt a.M.: Fischer, S. 151. <?page no="290"?> 17.2 Der Text besitzt „Zusammenhang“ 289 verwirren. Ansonsten ist die Rekurrenz in medialen Texten und Sachtexten eher unbeliebt, die Variation der Benennungen wird aus stilistischen Gründen meist der Wiederholung vorgezogen. Eine lexematische Wiederholung bietet sich allerdings immer dann an, wenn ein Thema explizit wieder aufgenommen wird. Andere Arten von Kohäsion resultieren aus voraus- und rückverweisenden sprachlichen Mitteln. Schon der bestimmte Artikel der / die / das kann auf den vorausgehenden Text Bezug nehmen bzw. für seine Funktion der Determination darauf aufbauen (Kap. 11.1.1). Vor allem wirken im Deutschen deiktische Verweiswörter und phorische Pronomina (Kap. 8.3.3) kohäsiv. Deiktische und phorische Ausdrücke können entweder auf einen vorhergehenden Textabschnitt (griech. ana-, zurück) oder auf einen folgenden Textabschnitt (griech. kata-, vor) bezogen sein. Dementsprechend differenziert man zwischen anadeiktischen und katadeiktischen, anaphorischen und kataphorischen Bezügen. (B4) gibt ein Beispiel aus der Werbung für ein katadeiktisches Element, ein objektdeiktisches das ohne textuellen Vorläufer. (B5) ist ein Beispiel für ein kataphorisches Verfahren mit dem texteinleitenden Ausdruck er ohne Rückbezugsmöglichkeit. (B6) zeigt eine mehrfache satzübergreifende Kohäsionsherstellung durch anadeiktische und anaphorische Bezüge. B4 Kohäsion durch Katadeixis „Das brauchen wir! “ Wo gerne und viel Salat gegessen wird, darf das Edel-Salatbesteck nicht fehlen. Das hochwertige Material aus rostfreiem Edelstahl (18/ 0) schenkt dauerhaft schönen Glanz. Edel-Salatbesteck, 2 Teile, Nr. 794.355.539 nur 4.95 B5 Kohäsion durch Kataphorik Er ist so vielseitig wie kaum ein anderer, dabei erstaunlich flexibel und bis 20 kg belastbar. Die Rede ist vom SUPERHAKEN, der sich überall ohne Montage anbringen lässt. B6 Kohäsion durch Anadeixeis und Anaphern Der Weltgeist ist der Geist der Welt, wie er sich im menschlichen Bewußtsein expliziert; die Menschen verhalten sich zu diesem als Einzelne zu dem Ganzen, das ihre Substanz ist. Und dieser Weltgeist ist gemäß dem göttlichen Geiste, welcher der absolute Geist ist. Insofern Gott allgegenwärtig ist, ist er bei jedem Menschen, erscheint im Bewußtsein eines jeden; und dies ist der Weltgeist. 5 Bei der Sprachverarbeitung durch Computer (s. Kap. 18.6) bereiten Verfahren der Textkohäsion besondere Schwierigkeiten. Das ist nicht erstaunlich, denn sie erfordern einen verstehenden und aufmerksamen Leser bzw. Zuhörer beim mündlichen Vortrag des Textes. Unter den Oberbegriff Kohäsion fallen weiter alle sprachlichen Mittel, die einzelne Sätze, Äußerungen oder andere sprachliche Einheiten semantisch-syntaktisch verknüpfen. Man nennt diese Verknüpfung auch Konnexion, dementsprechend werden die Lexeme als Konnektoren (Bindewörter) bezeichnet. Traditionell gehören diese Wörter zu verschiedenen Wortarten. Neuere Grammatiken, textlinguistische Untersuchungen und z.T. DaF- Lehrwerke fassen sie häufig in der großen Wortklasse der Konnektoren zusammen. 6 Laut D UDEN -Grammatik handelt es sich um grammatische Sprachmittel, die eine „Verknüpfungsbedeutung“ im Text haben (2016, S. 1083 ff.): 5 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich ( 5 1955) Die Vernunft in der Geschichte. Hamburg: Felix Meiner, S. 60. 6 U. Engel (2009) rechnet auch die deiktischen und phorischen Verweisformen dazu. <?page no="291"?> 290 Diskurs und Text: 17 Text - Junktionen (Konjunktionen und Subjunktionen, z.B. und, oder, weil, dass etc.) - Relativwörter, d.h. Relativpronomina (der, die, das, welcher etc.) und Relativadverbien (z.B. wer, was, womit, weswegen, wie etc.) - satzübergreifend verwendete Adverbien und Abtönungspartikeln (z.B. hierbei, schließlich, außerdem, nachdem, deswegen - weil, nämlich, auch, eben, ja, doch etc.) sowie - Präpositionen (wegen, trotz, vor u.a.), soweit sie textbezogen verwendet werden. Angesichts der Vielfalt der heutigen Techniken ist zu ergänzen, dass die oben angenommene Eigenschaft des linearen Textaufbaus keine notwendige Eigenschaft ist: Hypertexte sind z.B. nichtlinear miteinander verknüpfte Texte in durchorganisierten Netzwerken, z.B. aus Lexikonstichworten. Die in gedruckten Texten übliche alphabetische Ordnung ist dann nur eine Anordnung unter anderen. Auch eine Textstrukturierung durch graphische Mittel wie die einheitliche Gestaltung und die Abschnittsgliederung des Texts ist kohäsiv wirksam. Insoweit damit auch schon eine thematische Gliederung sichtbar wird, also inhaltliche Zusammenhänge, wird dadurch auch Kohärenz signalisiert. 17.2.2 Kohärenz In engem Zusammenhang mit dem Begriff der Kohäsion wurde im Rahmen textlinguistischer Ansätze der Grundbegriff der Kohärenz entwickelt, der sich direkt auf den inhaltlichen Zusammenhang von Texten richtet. Dabei werden also semantische Merkmale und Kriterien angewendet. Zur Kohärenz eines Textes trägt z.B die Tatsache bei, dass mehrfach mit demselben oder unterschiedlichen Ausdrücken auf besprochene Gegenstände oder Sachverhalte referiert wird. So entsteht Referenzidentität. Während das Beispiel (B7) das oben schon eingeführte Kohäsionsverfahren der Rekurrenz benutzt und dadurch auch die Kohärenz sichert, wird in (B8) mit Substitution (hier: Ersetzung durch einen anderen benennenden Ausdruck) gearbeitet. Referenzidentität kommt in (B8) dadurch zustande, dass der Leser / Hörer bei beiden verwendeten Lexemen die gemeinte soziale Gruppe identifiziert. B7 lexematische Rekurrenz Trennen Sie bitte den Rücksendeschein ab (das grün umrandete Formular unterhalb der Rechnung). Füllen Sie anschließend beide Seiten des Rücksendescheins aus. So können wir alles zügig und problemlos für Sie bearbeiten. B8 Substitution Münster <wlv> Der jüngste Plan der Europäischen Kommission, die Beihilfen für Landwirte ab 2009 zu kürzen, trifft auf den entschiedenen Widerstand der Bauern. Referenzidentität schließt nicht aus, dass durch das ersetzende Lexem zugleich neue Informationen zum Thema eingeführt oder ins Spiel gebracht werden. Der Textrezipient muss die Substitutionsbeziehung aus seinem Weltwissen und seinem Textwissen ableiten. Wie (B9) zeigt, leistet das Verfahren der Determination dabei Hilfestellung, falls der Leser nicht weiß, dass Steve Vai aus New York kommt und Klangtechniker ist. <?page no="292"?> 17.2 Der Text besitzt „Zusammenhang“ 291 B9 Substitutionsbeziehungen Als Teenager lernte er bei Joe Satriani, später war er es, der andere verblüffte: Gitarrist Steve Vai. Frank Zappa schnappte sich den virtuosen New Yorker für sein Ensemble, später wertete Vai die Bands von David Lee Roth und Eddie van Halen auf. Sein Doppelalbum „Sound Theories“ präsentiert der Klangtechniker mit neuer Band. Zusammenhang entsteht auch durch Wörter, die gemeinsame semantische Merkmale besitzen. In Bezug auf sprachliche Elemente, die zum gleichen Wortfeld (Sachbereich) gehören, spricht man von Isotopie (griech. iso topos = am selben Ort). Lexeme mit gemeinsamen semantischen Merkmalen tragen als Isotopienetz (Isotopiekette) zur Kohärenz des Textes bei. Im oben genannten Beispiel etwa etablieren gemeinsame Bedeutungskomponenten oder Seme wie [+ Musik] (Gitarrist, Band, Album), [+ Geräusch] (Sound, Klang), [+ künstlerisch] (virtuos), [+ Gruppe von Künstlern] (Ensemble, Band) solche Isotopienetze. B10 Isotopienetze Als Teenager lernte er bei Joe Satriani, später war er es, der andere verblüffte: Gitarrist Steve Vai. Frank Zappa schnappte sich den virtuosen New Yorker für sein Ensemble, später wertete Vai die Bands von David Lee Roth und Eddie van Halen auf. Sein Doppelalbum „Sound Theories“ präsentiert der Klangtechniker mit neuer Band. Das Konzept der Isotopie wurde für die Analyse von poetischen Texten und Witzen nutzbar gemacht, aber auch für Fachtexte. Isotopien hängen oft mit dem im Text behandelten Thema zusammen. Ein Thema erkennt man daran, dass fortlaufend etwas darüber gesagt wird. Die Thema-Rhema-Theorie versucht, sogar einzelne Sätze mit der Opposition Thema (das Besprochene) und Rhema (die darüber mitgeteilte Information) aufzuschlüsseln. Diese linguistische Richtung nennt sich Funktionale Satzperspektive. Historisch geht sie auf die Prager Schule zurück (vgl. E ROMS 1986, s. Kap. 3). In ähnlicher Bedeutung wird auch von Topik und Kommentar oder von Fokus und Hintergrund (relevant / weniger relevant) gesprochen. Mit der doppelten Frage: ‚Was wird worüber gesagt? ‘ kann eine solche Analyse beginnen. Sätze können allerdings keine thematische Struktur haben, nur Texte (vgl. z.B. A DAMZIK 2003, S. 120 ff.) und Diskurse. Die GdS (Z IFONUN / H OFFMANN / S TRECKER 1997) geht davon aus, dass Texte aus Thema-Rhema-Einheiten bestehen, in denen bestimmte symbolische, deiktische und operative Ausdrücke ein Thema einführen oder fortführen. Die einzelnen Rhemata ordnen sich in den übergreifenden Themenzusammenhang ein (GdS, S. 536). Abb. 1: Typen thematischer Organisation Themensplitting Themensubsumtion Themenentwicklung Themenkomposition Themenassoziation Themenreihung Themafortführung Konstantes Thema Ein thematischer Gegenstand kann als konstantes Thema behandelt werden, dann handelt es sich um eine Themafortführung. Ein konstantes Thema kann z.B. mit anaphorischen <?page no="293"?> 292 Diskurs und Text: 17 Text Elementen wie er oder mit anadeiktischen Ausdrücken wie der fortgeführt werden (s. B11). In vielen Fällen findet jedoch eine Themenentwicklung statt, die unterschiedliche Textstrukturen erzeugen kann (Abb. 1, GdS S. 537). Das Textbeispiel (B11) zeigt eine Themafortführung. Der erste Satz im Text enthält als thematischen Ausdruck [die Bundeskanzlerin], mit der Anapher [sie] wird das Thema aufrechterhalten, um ein zweites Rhema hinzuzufügen, so dass die Struktur entsteht: Ausdruck th1 + Rhema 1 => Ausdruck th1 + Rhema 2 B11 Themafortführung Die Bundeskanzlerin leitet die Geschäfte der Bundesregierung nach einer vom Bundeskabinett beschlossenen und vom Bundespräsidenten genehmigten Geschäftsordnung. Sie trägt die Regierungsverantwortung gegenüber dem Bundestag. B12 Themensplitting So verwenden Sie die primären und sekundären Tasten: - Mit der primären Taste führen Sie Klick- und Doppelklickaktionen aus. - Mit der sekundären Taste zeigen Sie Kontextmenüs an oder führen weitere programmspezifische Funktionen aus. (B12) ist ein einfaches Beispiel für einen Text, der die Behandlung von zwei Themen ankündigt und dann einzeln durchführt. Wie in diesen Beispielen erfolgt die thematische Einführung meist durch Lexeme mit definiter oder indefiniter Kennzeichnung. Das Thema kann dann über Rekurrenz oder Substituierung weitergeführt werden. Spezielle sprachliche Mittel für ein Themensplitting sind im Deutschen z.B. der eine - der andere und Aufzählungen (der erste / zweite …). Themenassoziation kann z.B. mit „Übrigens …“ eingeleitet werden. Bei einer differenzierenden Fortführung eines Themas, auch wenn spezielle Aspekte fokussiert werden, kommen oft deiktische Ausdrücke (fett) neben weiterführenden Anaphern (kursiv) zum Einsatz wie in (B13): B13 Ist Deutsch noch zu retten? 7 Die Eliten in Deutschland sprechen Englisch, (…) und für Wirtschaft, Wissenschaft und Politik ist das ein Gewinn. Für Menschen aber, die Sprache als Mittel der Erkenntnis einsetzen, ist es ein Verlust. Sie verlieren ihre Sprachheimat. Werden sich unser Denken und unsere Wahrnehmung der Welt dadurch verändern? (B14) verdeutlicht, dass sogar bei öffentlich-amtlichen Texten gelegentlich thematische Sprünge vorkommen. Der Verfasser hat es dann versäumt, sich in den Leser (der hier auch einer mit schlechten Deutschkenntnissen sein kann) ‚hineinzudenken‘. Das Fehlende muss durch Inferenz (schlussfolgerndes Mitdenken) erschlossen werden. B14 Progression mit thematischem Sprung Merkblatt zum Antrag auf Zulassung zu einem Integrationskurs gemäß § 44 Abs. 4 AufenthG Sehr geehrte Dame, sehr geehrter Herr, als rechtmäßig und dauerhaft in Deutschland lebende(r) Ausländer(in) bzw. als Bürger(in) eines Mitgliedstaates der Europäischen Union können Sie nach § 44 Abs. 4 AufenthG 7 Anfang eines Artikel aus: Die ZEIT, 1.7.2010. <?page no="294"?> 17.2 Der Text besitzt „Zusammenhang“ 293 durch das Bundesamt zur Teilnahme an einem Integrationskurs (Sprach- und Orientierungskurs) zugelassen werden, sofern Sie einen gesetzlichen Teilnahmeanspruch nach § 44 Abs. 1 AufenthG nicht oder nicht mehr besitzen. Den vollständig ausgefüllten Antrag senden Sie bitte schriftlich in einem ausreichend frankierten Umschlag an die zuständige Außenstelle des Bundesamtes. Dem zu erschließenden Sinnschritt entspricht in (B14) ein verbindender Satz wie Um an dem Kurs teilzunehmen, müssen Sie einen Antrag stellen. Ein häufiges textgrammatisches Mittel sind Weglassungen, die mit einem Terminus von L UDGER H OFFMANN als Analepse bezeichnet werden (2013, S. 194 ff.). Sie treten regulär in Texten auf, wenn bei Themafortführung z.B. ein wiederkehrendes Subjekt nicht wiederholt wird, mündlich sind sie noch häufiger. Ein Beispiel des Autors zeigt, welche thematischen Ausdrücke weggelassen werden, ohne den Eindruck einer Lücke zu erzeugen: B15 [Johanna] Th1 überquerte die Karlsbrücke, [ ] Th1 durchlief einige gewundene Gassen der Kleinseite und [ ] Th1 machte sich an den Aufstieg hinauf zur Burg. Die Wortbildung des Fachbegriffs verdankt sich der Kombination von ana- (zurück, rückwärts) mit dem traditionellen Ausdruck Ellipse für Auslassungen. 17.2.3 Gesagtes und Nicht-Gesagtes Die Herstellung von Zusammenhang im Text erfolgt nicht unbedingt explizit sprachlich, oft bleibt sie dem Rezipienten überlassen. Mit dem Nicht-Gesagten bzw. Nicht-Geschriebenen, aber dennoch Mitverstandenen hat sich auch die Sprachphilosophie näher befasst. In diesem Zusammenhang ist besonders H ERBERT P AUL G RICE zu nennen. 8 Nach G RICE ist menschliche Verständigung nur möglich, weil Sprecher und Hörer von einem Kooperationsprinzip ausgehen. Dessen logische Grundsätze erfasst er als Konversationsmaximen. Zu den wichtigsten Maximen gehören: - die „Maxime der Quantität“: Mache deinen Gesprächsbeitrag so informativ wie (und nicht informativer als) nötig. - die „Maxime der Qualität“: Sage nichts, was du für falsch hältst oder wofür dir die angemessenen Gründe fehlen. - die „Maxime der Relevanz“: Sei relevant. Unabhängig von der tatsächlichen kommunikativen Praxis sind diese Leitlinien des Handelns als rationale Unterstellungen wirksam. Das bedeutet: Hörer sind bereit, auch in scheinbar unzusammenhängenden Gesprächsbeiträgen oder Textabschnitten einen Sinn zu suchen, weil sie dem Sprecher eine vernünftige Mitteilungsabsicht unterstellen. In (B16) z.B. macht die Aussage „Die Post war schon da.“ als Folgeäußerung nur dann Sinn, wenn man die Relevanzmaxime voraussetzt, d.h. davon ausgeht, dass sich aus dieser Information Aufschluss über den erfragten Zeitpunkt gewinnen lässt. B16 A: Wie spät ist es? B: Die Post war schon da. Der Zusammenhang zwischen den beiden Äußerungen ergibt sich über einen unausgesprochenen gedanklichen Zwischenschritt, den G RICE als konversationelle Implikatur bezeichnet (hier: Die Post kommt immer zu einer bestimmten Zeit). Konversationelle Impli- 8 Vgl. Grice (1993). <?page no="295"?> 294 Diskurs und Text: 17 Text katuren bezeichnen also etwas, was der Sprecher so nicht gesagt hat, das aber in der Bedeutung der Äußerung oder des Satzes mit enthalten ist. Der Begriff Konversationelle Implikatur überschneidet sich z.T. mit dem, was in der Linguistik „Präsupposition“ genannt wird. Präsuppositionen sind Vorannahmen, die einer bestimmten Äußerung oder einem Satz zugrunde liegen. Eine Frage wie „Aus welchem Land kommen Sie? “ enthält z.B. die Präsupposition, dass der oder die Angesprochene „ausländisch“ wirkt. Sie kann sich daher als unpassend oder gar beleidigend erweisen. Als rhetorische Strategien sind Implikaturen und Präsuppositionen besonders interessant, da sie bei Protest des Hörers gegebenenfalls auf ‚elegante‘ Weise zurückgewiesen werden können (Das habe ich nicht gesagt / gemeint). 17.3 Text als situationsentbundenes Handeln 17.3.1 Formen der Überlieferung Wenn die Textlinguistik zu einem Teil auch Gespräche als (mündliche) Texte auffasst und den Textbegriff so auf kommunikatives Handeln an sich ausdehnt, hat sie damit insofern recht, als Texte wie Gespräche dazu dienen können, dass ein Interaktant ein kommunikatives Ziel erreicht. Die Funktionale Pragmatik legt dagegen aber Wert auf den Unterschied zwischen Diskurs als unmittelbarer situationsgebundener mündlicher Kommunikation und Text als Handlungsergebnis, das seinen Adressaten erst später, in einer anderen Sprechsituation erreicht. Produktion und Rezeption fallen bei Texten zeitlich-räumlich auseinander. Dies nennt E HLICH eine zerdehnte Sprechsituation. 9 Das kann so aussehen, dass ein Text verfasst und als Dokument, Datei o.a. weitergegeben wird, für eine oder für vielfache spätere Rezeption. Das kann aber auch so aussehen, dass eine sprachliche Handlung über die unmittelbare Sprechsituation hinaus aufbewahrt (gespeichert) und dem Hörer zu einem anderen Zeitpunkt zugänglich gemacht wird. In beiden Fällen ist der Text ein Mittel der Fixierung mit der Aufgabe der Aufbewahrung - E HLICH spricht allgemein von Überlieferung - der sprachlichen Handlungen (Abb. 2). Abb. 2: Handlungsphasen der zerdehnten Sprechsituation (nach E HLICH 2007h, S. 38) Grundsätzlich ist es möglich, Inhalte auch in mündlicher Form zu überliefern. In vorschriftlichen Zeiten war dies die normale Art der Weitergabe von Wissen und Kultur an die nächste Generation. Priester, Geschichtenerzähler oder Sänger kannten Techniken, um Texte im Gedächtnis aufzubewahren und immer wieder an andere weiterzugeben. Das Problem der begrenzten Gedächtniskapazität bewältigte man mit Hilfe von Reim und 9 S. dazu ausführlicher Ehlich (2007), Bd. 3. <?page no="296"?> 17.3 Text als situationsentbundenes Handeln 295 Rhythmus, phonologischen und syntaktischen Rekurrenzen, auch mit Versschemata. In der Gegenwart gibt es nach wie vor Textarten, für die mündliche Weitergabe typisch ist: Sinnsprüche und Witze gehören dazu. Bei Schriftlichkeit wird demgegenüber keine persongebundene, sondern eine materielle und damit objektivere Art der Überbrückung der Raum-Zeit-Differenz zwischen Sprecher und Hörer vorgenommen. Die schriftliche Fixierung ermöglicht verschiedene Arten von Speicherung, sei es auf Papier oder in einer Textdatei. Die sprachliche Handlung oder das „Sprachwerk“ (B ÜHLER ) kann dann zu beliebigen anderen Zeitpunkten und an anderen Orten wieder abgerufen werden. Im Vergleich zur gemeinsamen Präsenz von Sprecher und Hörer in der Diskurssituation ergeben sich beim Text zwei „halbe“ Sprechsituationen, in denen einmal der Sprecher, einmal der Hörer fehlt. Das Problem der beschränkten Gedächtniskapazität ist mit der Entwicklung der Schrift gelöst. Es stellt sich jedoch die Frage der Haltbarkeit von Materialien und ihrer Eignung für die Zwecke des Schreibens und Lesens. Neue Möglichkeiten der Speicherung von Texten, die nicht auf die Schriftform angewiesen sind, haben sich mit den Aufzeichnungsmöglichkeiten von Bild und Ton im Laufe des 19. und 20. Jh. entwickelt. Die Vergänglichkeit der materiellen Speichermedien bildet aber bis in die elektronische Aufbewahrung hinein ein bleibendes Problem. 17.3.2 Konsequenzen der zerdehnten Sprechsituation Die zerdehnte Sprechsituation bringt gegenüber der Handlungskonstellation Diskurs entscheidende Veränderungen mit sich. Da sich Sprecher und Hörer nicht im selben Handlungsraum befinden, ist z.B. die Verwendung prosodischer, gestischer und mimischer Verfahren nicht möglich. Gängige Mittel der Schriftauszeichnung (Fettdruck, Farbdruck) können im Text nur ein kleiner Ersatz sein für sprechsprachliche Möglichkeiten, die Relevanz des Gesagten hervorzuheben, etwa durch Lautstärke, Stimmhöhe oder Taktstockgesten (vgl. Kap. 14.5). Auch die Verwendung deiktischer Mittel ist eingeschränkt bzw. an Zusatzbedingungen gebunden, je nachdem, ob die Origo des Sprechers (Schreibers) erkennbar oder erschließbar ist. Anders als bei Diskursen besteht in Texten aufgrund der zeitlich-räumlichen Trennung nicht die Möglichkeit, Verständigungsprozesse sequentiell zu organisieren. Ein Sprecherwechsel kann bei der Textrezeption nicht bzw. nur zeitlich verzögert (als Abfolge von Texten, z.B. durch einen Leserbrief) stattfinden. Eine spontane Reaktion des Hörers auf einen Text ist für den Verfasser nicht wahrnehmbar, die Möglichkeit einer Verständnisrückfrage nicht gegeben. Die Bearbeitung des hörerseitigen Verstehens, die der Sprecher im Diskurs während der laufenden Verarbeitung vornehmen kann, kann im Text daher nur vorwegnehmend, antizipatorisch, geleistet werden. Der Sprecher ist dabei auf Annahmen über das Hörerwissen und über die Rezeption seiner sprachlichen Handlungen angewiesen. Solche Rücksichtnahmen können dazu führen, dass Wissenselemente aufgrund von unterstellten Verstehensproblemen mehrfach verbalisiert werden. Das führt zu einer mehr oder weniger großen Redundanz 10 des Textes bezüglich der thematisierten Inhaltsmomente. Ob solche Redundanz verstehensfördernd ist oder als lästig und störend empfunden wird, kann nur von konkreten Lesern beurteilt werden. Handlungsmuster wie Erzählen, Begründen oder Frage-Antwort, wie sie in Kap. 16.1 an Diskursen aufgezeigt wurden, werden auch in Texten realisiert, erfahren aber spezielle 10 Von lat. redundantia, Überfülle. <?page no="297"?> 296 Diskurs und Text: 17 Text Ausprägungen, da (Re-)Aktionen des Hörers in der zerdehnten Sprechsituation systematisch entfallen. So ist die Erteilung einer Erzählerlaubnis in Erzähltexten beispielsweise nicht möglich. 11 Auch kann der Erfolg, das Glücken von Handlungsmustern wie Begründen oder Erzählen, bei Texten vom Sprecher nicht sichergestellt und nicht überprüft werden. Das Handlungsmuster Frage-Antwort führt im Textfall entweder zu einer Abfolge von Texten oder geschieht als einaktantige 12 Realisierung, wobei der Sprecher die Rolle des (gedachten) Hörers mit übernimmt. 17.4 Mündliche Texte Der Übergang von Diskurs in Text und die damit verbundenen Konsequenzen für die Organisation und Durchführung sprachlichen Handelns werden deutlich, wenn man das Beispiel (B17) (Transkript (Ts9) „Wohnungssuche: ABW“) mit dem in Kap. 16 angesprochenen Telefongespräch (Ts7) „Wohnungssuche“ vergleicht. Bei der Kommunikation über den Anrufbeantworter ergeben sich zwei mündliche Texte. In der Abwicklung des Handlungsablaufs „Besichtigungstermin vereinbaren“ nehmen die beiden Texte systematisch den Status von Teilhandlungen ein. Da keine Möglichkeit des Abgleichs von Sprecher- und Hörerwissen besteht, wird der Handlungsablauf angehalten und die Fortsetzung auf einen späteren Zeitpunkt verschoben. Für diese Funktion wird die technische Möglichkeit der Aufzeichnung von Sprache benutzt. B17 mündlicher Text ((Ts9) „Wohnungssuche: ABW“, Telefonkommunikation) V = Vermieterin S = wohnungssuchende ausländische Studentin ┌───────────────────────────────────────────────── │V ┌...((3 sec))... / __1 Hier ist der Anschluss │ └ / _1 Popmusik und Rauschen im Hintergrund 1 └──────────────────────────────────────────────────────────── ┌───────────────────────────────────────────────── │V [von Anni Obermeier. Ich freue mich über Ihren Anruf 2 └──────────────────────────────────────────────────────────── ┌───────────────────────────────────────────────── │V [und bitte Sie, mir Ihren Namen nach dem Signalton auf 3 └──────────────────────────────────────────────────────────── ┌───────────────────────────────────────────────── │V [das Band zu sprechen. Ich melde mich dann schnellst- 4 └──────────────────────────────────────────────────────────── ┌───────────────────────────────────────────────── │V [möglichst bei Ihnen.Vielen Dank und auf Wiederhörn... 5 └──────────────────────────────────────────────────────────── ┌───────────────────────────────────────────────── │V ┌% __/ 1 ..((3sec))..((Piepston)) │ └% = Knacken │S ┌ / _2 Ja, grüß Gott, mein │ └ / _2 laut, deutlich, mit 6 └──────────────────────────────────────────────────────────── 11 Ein Leser (bei Buchtexten) oder Hörer (bei Hörtexten) kann jedoch den Text aus der Hand legen bzw. auf die weitere Rezeption verzichten. 12 Nur von einem Aktanten (Handelnden) ausgeführt. <?page no="298"?> 17.4 Mündliche Texte 297 ┌───────────────────────────────────────────────── │S ┌ Name ist Susanna, meine Telefonnummer fünf vier. │ └ freundlicher Stimme 7 └──────────────────────────────────────────────────────────── ┌───────────────────────────────────────────────── │S [sechs drei sechs. sieben fünf... Ich rufe aufgrund 8 └──────────────────────────────────────────────────────────── ┌───────────────────────────────────────────────── │S ┌Ihrer A: nzeige im Werbespiegel, 2_/ / _3 und ich │ └ / _3 leiser werdend, 9 └──────────────────────────────────────────────────────────── ┌───────────────────────────────────────────────── │S ┌ bitte, dass Sie mich umgehend zurück a: nrufen. Vielen │ └ mit schwindender Freundlichkeit 10└──────────────────────────────────────────────────────────── ┌───────────────────────────────────────────────── │S [Dank. Auf Wiederhörn. 3_/ ((legt auf)) 11└──────────────────────────────────────────────────────────── Der erste Text bearbeitet zunächst nur die Abwesenheit der Angerufenen, die Unmöglichkeit einer direkten Kontaktaufnahme. Im vorliegenden Fall handelt es sich um einen privaten Telefonanschluss; eine Selbstidentifikation des Sprechers erfolgt über Namensnennung. Die folgende Äußerung enthält eine positive Bewertung der Kontaktaufnahme (ich freue mich über Ihren Anruf) sowie die Bitte, sich selbst zu identifizieren (und bitte Sie, mir Ihren Namen …). Ihr folgt das Versprechen, seinerseits die weiteren Folgehandlungen zu übernehmen (ich melde mich dann schnellstmöglichst bei Ihnen), wobei die Deixis dann die vorhergehende Handlungsaufforderung als Voraussetzung zur Erfüllung dieses Versprechens ausweist. Dank und Abschied bilden die nächsten Handlungsschritte, die jeweils durch eine Formel (vielen Dank, auf Wiederhören) aufgenommen und durch und zusammengebunden werden. Der erste Text ist nicht spezifisch auf das Anliegen „Wohnung vermieten“ bezogen. Der zweite Text (Reaktion der Anruferin) weist ebenfalls die sprachlichen Handlungen Gruß und Selbstidentifikation auf, erweitert um die Angabe der Telefonnummer. Nach einer Pause abgesetzt erfolgt die Anliegensdarstellung. Die Handlungssequenz „Terminvereinbarung“ wird an diesem Punkt eingeleitet, kann aber nicht weiter durchlaufen werden; der Text formuliert daher die Bitte um Kontaktaufnahme. Wie im diskursiven Telefongespräch finden sich als weitere Handlungsschritte Dank und Abschied. In beiden Texten werden Musterteildurchläufe realisiert (z.B. Selbstidentifikation, Gruß, Abschied) (vgl. Kap. 16). Der hörerseitige Teil der Handlungssequenzen (Gegengruß, Abschiedsformel) entfällt; es ergeben sich komplementär gelagerte, einaktantige Realisierungen. Die Produktion mündlicher Texte ist wie im Falle von Diskurs eine „online-Tätigkeit“. Die Zeit, die der Sprecher für die mentale Planung braucht, muss mit der Sprechzeit koordiniert werden. Können die Texte als vorgefertigte Einheiten mental abgerufen werden oder werden sie abgelesen, ergibt sich eine gewisse Planungsverkürzung. Gerät der Sprecher jedoch „aus dem Takt“, muss er Reparaturen vornehmen, die an der sprachlichen Oberfläche erkennbar werden. In (B17) zeigt sich die zunehmende Anstrengung der Spre- <?page no="299"?> 298 Diskurs und Text: 17 Text cherin in Fl. 9 bis 10: Sie realisiert verbal zwar konsistent das begonnene Handlungsmuster, kann die Freundlichkeit ihrer Stimme jedoch über den Gesamttext hinweg nicht aufrecht erhalten. Ihr Sprechen wird zunehmend leiser und „erlahmt“. Auch die Rezeption von Texten unterliegt bei Mündlichkeit einer zeitlichen Beschränkung. 13 Der Text liegt nicht „als Ganzes“ vor, sondern bleibt an einen zeitlichen Ablauf gebunden und erfordert eine chronologische hörende Rezeption. Anders sieht es aus beim Transkript, also beim Lesen einer Verschriftlichung solcher Texte wie in (B17). 17.5 Schriftliche Texte 17.5.1 Textorganisation und Verstehenssicherung Gegenüber der Vertextung mündlicher Äußerungen bringen schriftliche Texte eine weitergehende Loslösung vom Faktor „Zeit“ mit sich. Schriftlichkeit eröffnet dem Sprecher zum einen Zeit für erweiterte Planungstätigkeiten, da die Umsetzung bzw. der Abschluss der sprachlichen Handlung aufschoben werden kann. Der Schreiber kann daher seine sprachliche Handlung mehrfach verändern, ohne dass es zu einer interaktiven Störung kommt. Zum anderen kann der Hörer die Rezeption von Textteilen wiederholen, ohne an deren zeitliche Abfolge gebunden zu sein. Dass Sprecher und Hörer im Falle der Schriftlichkeit jeweils mehr Zeit zur Verfügung steht, schlägt sich in einer größeren Komplexität und Komprimiertheit des schriftsprachlichen Handelns nieder. Andererseits besteht bei der Rezeption eines Textes nicht die Möglichkeit der Nachfrage, sodass sich die entgegengesetzte Tendenz zu einer höheren Redundanz ergibt, was in (B18) z.B. an der hohen Zahl von rekurrenten Ausdrücken deutlich wird. B18 Retoursendung Wie Sie Waren - innerhalb Deutschlands portofrei - zurücksenden können: 1. Trennen Sie bitte den Rücksendeschein ab (das grün umrandete Formular unterhalb der Rechnung). Füllen Sie anschließend beide Seiten des Rücksendescheins aus. So können wir alles zügig und problemlos für Sie bearbeiten. 2. Sollten Sie einen Umtausch wünschen, tragen Sie Ihre Ersatzwünsche bitte auf dem Neubestellungsformular ein (hintere Seite des Rücksendescheins). 3. Lösen Sie nun den Rücksendeaufkleber ab (siehe oben), und kleben Sie ihn auf das Paket. Entfernen Sie dazu den alten Adressaufkleber, oder kleben Sie den Rücksendeaufkleber exakt darüber. Den ausgefüllten Rücksendeschein legen Sie bitte dem Paket bei. Verwenden Sie den Rücksendeaufkleber nur für Waren aus dieser Sendung. 4. Geben Sie bitte das Paket bei der Post ab, und heben Sie den abgestempelten Retouren- Einlieferungschein (siehe rechts) als Nachweis auf. Eine Paketkarte brauchen Sie nicht mehr auszufüllen. Um die Rezeption zu erleichtern, wird die Gliederung des Textes (Textorganisation) dem Hörer häufig vorwegnehmend oder zusammenfassend deutlich gemacht. Da der Text materiell vorliegt, ergeben sich bei Schriftlichkeit spezifische Möglichkeiten der Orientierung im Text. Das materielle Erzeugnis selbst kann als Orientierungsbasis benutzt werden. Der 13 Tonaufnahmen werden daher vor der wissenschaftlichen Analyse verschriftlicht (s. Kap. 4). <?page no="300"?> 17.5 Schriftliche Texte 299 obige Ausschnitt aus einem instruktiven Text 14 enthält mehrere Beispiele (rechts, oben, hintere Seite, …). 15 Der Text zeigt ebenfalls deutlich die Bearbeitung antizipierter Verstehensprobleme durch den Schreiber. So wird der Rücksendeschein nachträglich durch einen Einschub auffindbar gemacht (das grün umrandete Formular unterhalb der Rechnung). Auch in Bezug auf das Neubestellungsformular sowie den Retouren-Einlieferungsschein werden unterstellte Verstehensprobleme durch Einschübe aufgenommen. Zur Textorganisation im Mikrobereich werden bei Schriftlichkeit sprachliche Prozeduren und visuelle Verfahren genutzt. Drei Beispiele für verbale textorganisierende Prozeduren im Text sind - das satzeinleitende „So …“ im 1. Punkt, das die beiden genannten Handlungen anadeiktisch zusammenfasst und eine Konsequenz anschließt; - die Planungsdeixis nun (in 3.), mit der innerhalb der Handlungsfolge ein kurzes Innehalten und Vorausschauen nahegelegt wird; - die Relationsdeixis dazu (in 3.), die durch die Präposition zu eine finale Relation in Bezug auf etwas vorher Genanntes, also anadeiktisch, umsetzt. 16 Je nach Umfang des Textes und thematischem Aufbau ergibt sich bei der Analyse eine „Makrostruktur“, die oft an Überschriften und anderen formalen Merkmalen des Textes optisch ablesbar ist. Wichtige Bestandteile können visuell durch Veränderung des Schrifttyps (Größe, Fettdruck u.a.) hervorgehoben, eine Reihenfolge kann durch Spiegelstriche oder Nummerierung abgebildet werden. Auch der folgende Ausschnitt aus einer Bedienungsanleitung zeigt verschiedene Verfahren der visuellen Gliederung. Optisch in großer, fett gedruckter Schrift abgesetzt findet sich eine Begrüßung (Willkommen); die Überschriften zu verschiedenen Aspekten der Bedienung des Geräts werden jeweils durch Fettdruck ausgewiesen. Die einzelnen sprachlichen Handlungen sind durch Absätze und Leerzeilen voneinander abgesetzt. B19 schriftlicher Text (Bedienungsanleitung für eine Maus) Willkommen Herzlichen Glückwunsch zum Erwerb dieses FIRMEN-NAME Zeigegeräts. Anschließen des Zeigegeräts Die Art des Anschlusses hängt vom jeweiligen Zeigegerätmodell sowie von der Konnektivität, die gemäß der Angabe auf der Verpackung für Ihr Zeigegerät unterstützt wird, ab. Ein Adapterstecker sollte nur verwendet werden, wenn er im Lieferumfang des FIRMEN-NAME Zeigegeräts enthalten ist. (B19) zeigt zudem, dass die verbale Planung, die bei Schriftlichkeit über einen längeren Zeitraum erfolgt, zu äußerst komplexen Formulierungen führen kann (gemäß der Angabe auf der Verpackung für Ihr Zeigegerät). Das Beispiel weist insgesamt eine ungeschickte Vertextung von Wissenselementen auf. Die komplexe Formulierung enthält nicht nur die grammatikalisch fragwürdige Verwendung der Präposition für (statt: Ihres Zeigegeräts), 14 Instruktive Texte geben dem Hörer Anleitungen. Sie werden zu den so genannten „Gebrauchstexten“ gezählt, die sich durch praktische Zwecksetzungen auszeichnen. 15 Solche Ausdrücke, die nicht dem deiktischen Feld angehören, aber auf eine Origo bezogen sind, werden in der Pragmatik als paradeiktische Prozeduren bezeichnet. 16 Viele Beispiele enthält eine Analyse von textorganisierenden Mitteln in Texten von DaF- und Germanistikstudierenden: Graefen (2015/ 16). <?page no="301"?> 300 Diskurs und Text: 17 Text sondern ist überdies noch in einen Nebensatz eingebettet, der den Ausdruck die Konnektivität näher bestimmt. Trotz der Länge des Nebensatzes wird der abgetrennte Verbteil alleinstehend am Satzende platziert (statt: von der Konnektivität ab, die …). Komprimierte Wissensdarstellungen durch ausgebaute Nominalphrasen und Nebensätze sind insbesondere für Schriftlichkeit in Institutionen charakteristisch. Das in (B14) vorgestellte „Merkblatt zum Antrag auf Zulassung zu einem Integrationskurs“ gibt ein Beispiel. Zwar weist der Text äußere Merkmale des Hörerbezugs auf (sehr geehrte Dame, sehr geehrter Herr); er lässt jedoch deutlich erkennen, dass er nicht mit Blick auf den Rezeptionsprozess dieser Hörer bzw. Leser (im vorliegenden Fall Migranten, die einen Deutschkurs besuchen wollen) konzipiert wurde. Vielmehr wird hier lediglich ein vorgängiger juristischer Text (Rechtmäßig und dauerhaft in Deutschland lebende Ausländerinnen können ...) durch die Anrede (als Ausländer können Sie …) als „Merkblatt“ ausgegeben. Der Text stellt den Rezipienten vor die Schwierigkeit, das vermittelte Wissen einer äußerst komprimierten Darstellung entnehmen zu müssen. Er ist somit nicht rezipientenorientiert verfasst. 17.5.2 Handlungsmuster in schriftlichen Texten Veränderungen von Handlungsmustern, die sich durch die zerdehnte Sprechsituation ergeben, wurden bereits an mündlichen Texten beispielhaft aufgezeigt. Einaktantige Muster- Umsetzungen sind auch für schriftliche Texte charakteristisch. (B20) zeigt einen Ausschnitt aus einer Parteibroschüre zur Bundestagswahl. Dort heißt es: B20 schriftlicher Text (Werbebroschüre zur Bundestagswahl) Wer gelbe 17 Inhalte stärken will - ob in Regierung oder Opposition - muss Gelb wählen. Denn welche Partei in Deutschland steht für ökologische Modernisierung und verbindet Innovation und Nachhaltigkeit? Welche Partei steht für Weltoffenheit und eine multikulturelle, antirassistische Integrationspolitik? Welche Partei steht konsequent für Bürger- und Menschenrechte? Welche Partei steht für eine Wirtschafts- und Sozialpolitik jenseits von neoliberalem Marktradikalismus und bürokratischem Staatszentralismus, für Mittelstandspolitik statt der Fixierung auf Großkonzerne? Nur wir Gelben. Deshalb: Bei der Bundestagswahl am 18. September 2005: beide Stimmen für Gelb! In (B20) formal auffällig sind zunächst die zahlreichen lexikalischen und syntaktischen Rekurrenzen (welche Partei steht für). Betrachtet man den kleinen Abschnitt hinsichtlich seiner illokutiven Struktur, so ergibt sich ein komplexes Bild. Der Gesamtzusammenhang des Textes lässt sich als Handlungsmuster Auffordern bestimmen. Die Realisierung des Handlungsmusters geschieht hier sehr geschickt, indem dem Hörer bzw. Leser Eigentätigkeiten abverlangt werden. Es ist zunächst an der sprachlichen Oberfläche nicht zu erkennen. Der Text beginnt mit einer komplexen Assertion. Durch den Ausdruck wer wird eine unbekannte (menschliche) Person bezeichnet, die eine bestimmte Zielvorstellung für ihr Handeln besitzt (gelbe Inhalte stärken wollen). Für diese Person wird eine Handlungsanweisung formuliert (muss Gelb wählen), wobei das Modalverb muss eine sehr starke Handlungsobligation ausdrückt. Handlungsanweisung und Nennung ihrer Voraussetzungen enthalten dieselbe nennende Prozedur (gelb - Gelb), wobei weder die eine noch die andere Verwendung einer Wörterbuchdefinition von „gelb“ als Farbe entspricht, sondern beide kulturelles Wissen enthalten. 17 Der Name der Partei wurde durch das Farbadjektiv gelb pseudonymisiert. <?page no="302"?> 17.5 Schriftliche Texte 301 Abb. 3: Illokutive Struktur des Textes (Wahlwerbung) Im weiteren Textverlauf bearbeitet der Schreiber des Textes antizipatorisch ein Akzeptanzproblem bezüglich dieser Vorgängeräußerung. Gerahmt durch einleitendes denn 18 und ausleitendes deshalb werden die folgenden sprachlichen Handlungen explizit als Begründungen ausgewiesen. Die begründenden Wissenselemente sollen vom Hörer bzw. Leser aber selbst in einer eigenen mentalen Tätigkeit aufgefunden werden. Zu diesem Zweck nutzt der Text das Handlungsmuster Frage-Antwort. Realisiert wird eine Abfolge 19 von vier Fragen, die auf die Identifizierung einer (welcher? ) Partei abzielen. Der Schreiber verlässt sich jedoch nicht vollständig darauf, dass der Hörer in Eigentätigkeit eine Antwort formuliert, sondern nimmt in der Folge selbst die systematische Position des Hörers im Handlungsmuster ein (nur wir Gelben). In der Antwort offenbart er zugleich seinen eigenen Standpunkt als Vertreter der Partei (wir), wobei offen bleibt, ob der Gebrauch der Deixis den Hörer einschließt. Nach einer Nennung von Zeit und Umständen (bei der Bundestagswahl 2005) wird abschließend eine Anweisung gegeben (beide Stimmen für gelb! ), also ein Direktiv realisiert. 18 Zu denn s. Redder (1990). 19 Solche Abfolgen von Sprechhandlungen desselben Typs werden in der FP auch als „Batterie“ bezeichnet. <?page no="303"?> 302 Diskurs und Text: 17 Text Die Einbettung der im Text realisierten Handlungsmuster ineinander wird in Abb. 3 graphisch dargestellt. 17.6 Texte in der Fremd- und Zweitsprache Deutsch Ebenso wie Diskurse unterliegen auch Texte einer großen interlingualen Variation (F IX / H ABSCHEID / K LEIN 2001). Selbst internationalisierte Texttypen wie z.B. wissenschaftliche Artikel unterscheiden sich hinsichtlich der gewählten Handlungsmuster und einzelsprachlichen Mittel zur Herstellung textueller Bezüge (G RAEFEN / F ANDRYCH 2002, T HIELMANN 2009). Da schriftliche Texte sprachliches Handeln fixieren und es der Beobachtung und Analyse zugänglich machen, sind sie für den Unterricht nach wie vor das bevorzugte Material. Durch die zerdehnte Sprechsituation erfahren Texte eine „Dekontextualisierung“ (vgl. B REDEL 2007, S. 40 ff.) und Verobjektivierung; sie wirken auch deutlich stärker normativ als das Gesprochene. Im gelingenden Fall entsteht eine „metakommunikative Sprachbewusstheit“ und die Fähigkeit, mit Sprache bewusst einen kommunikativen „Rahmen“ zu setzen (a.a.O., S. 194 ff.). Ein besonderes Problem für die Textrezeption - auch bei Deutsch als Erstsprache - bilden, wie oben gezeigt, institutionelle Texte, z.B. Rechts- oder Verwaltungstexte, die aufgrund ihrer Komplexität und ihres mangelnden Rezipientenbezugs nur durch mehrfaches Lesen, oft auch ohne Hilfe gar nicht erschlossen werden können. Für Deutsch als Fremd- und Zweitsprache kommt hinzu, dass auch scheinbar einfache Verfahren der Kohärenzherstellung durch deiktische und phorische Bezüge nur schwer durchschaubar sind. Hier müssen die entsprechenden Mittel erst bewusst gemacht und in ihrer Funktion erläutert werden. Dies gilt auch für die eigene Produktion von Texten, insbesondere in der Wissenschaftssprache Deutsch (G RAEFEN / M OLL 2011). Ein bekanntes Rezeptionsproblem bei Fremd- und Zweitsprachigkeit ist zudem das Stolpern über ein unbekanntes Wort, das unter Umständen den gesamten Rezeptionsprozess blockiert. Hinsichtlich der Rezeption von Texten wird daher im DaF-Unterricht besonderer Wert auf das so genannte „globale Lesen“ gelegt, bei dem ein Text zunächst nur „überflogen“ wird, wobei Toleranz gegenüber unverstandenen Textstellen eingeübt werden kann. Eine andere Strategie ist das Suchen von „Schlüsselwörtern“, ausgehend von Fragen (selektives Lesen). Probleme bei der Produktion bereiten oft bereits einfache Texttypen wie ein Entschuldigungsschreiben an die Lehrerin des Kindes. Entsprechende Lernziele wurden daher in den „Referenzrahmen für Deutsch als Zweitsprache in Integrationskursen“ (vgl. Kap. 18) aufgenommen. Bei der Textproduktion setzt man zumeist eine Planungsphase an, in der der grundlegende Zweck des Textes reflektiert wird, und eine Produktionsphase, in der der funktionsgerechte Einsatz der sprachlichen Mittel überprüft wird. In diesem Zusammenhang sind auch sprachliche und visuelle Verfahren der Textstrukturierung mit zu vermitteln. Für den berufsbezogenen DaF/ DaZ-Unterricht wird die Rezeption fachlicher Texte, insbesondere auch von fachlichen Textaufgaben in Unterrichtsfächern wie Mathematik, Biologie oder Physik, als Lernproblem thematisiert. Schwierigkeiten ergeben sich dabei nicht nur aufgrund der Fachterminologie, sondern aufgrund der sprachlichen Darstellung fachlicher Zusammenhänge, z.B. von Ursache oder Bedingung und Folge (weil / wenn … dann). Für den Fachunterricht wird daher eine teilweise Verzahnung mit dem Sprachunterricht <?page no="304"?> 17.6 Texte in der Fremd- und Zweitsprache Deutsch 303 vorgeschlagen; man spricht hier von einem „sprachsensiblen“ Fachunterricht. 20 Die Ausarbeitung entsprechender Materialien ist ein wichtiges Aufgabengebiet für Deutschlehrende, die dabei eng mit Lehrkräften anderer Fächer kooperieren müssen. Ausgewählte Aufgaben zu Kap. 17 (7 von 26) 2. Beispiel zur Textanalyse Produktbeschreibung im Werbekatalog Wenn Ihnen immer alles anbrennt, so könnte dies am falschen Topf liegen. Kaufen Sie unseren neuen SUPERKOCHTOPF. Der ist speziell antihaftbeschichtet, so dass Ihre Küche mit wenig Fett auskommt. a) Bei dem Ausdruck der im obigen Textbeispiel handelt es sich um ☐ ein anadeiktisches Verfahren; ☐ ein katadeiktisches Verfahren; ☐ ein anaphorisches Verfahren; ☐ ein kataphorisches Verfahren. b) Wie ist der Ausdruck so textfunktional zu charakterisieren? ☐ Er dient der Kohärenz. ☐ Er dient der Kohäsion. ☐ Er verweist auf die Realität außerhalb des Texts. ☐ Er dient hier als eine Umschreibung von „dann“. c) Betrachten Sie das Beispiel (B7) im Kapitel 17. Der Ausdruck „Rücksendeschein“ wird gleich im nächsten Satz wiederholt. Das nennt man ☐ Substitution ☐ Kohäsion ☐ Rekurrenz 12. Wie lässt sich die Musikform „Rap“ handlungstheoretisch charakterisieren? 14. Bei einer Schlossbesichtigung in Polen äußert der deutsche Student Christof „also für polnische Verhältnisse ist das sehr gepflegt“ (W OLF 1997). Welche Präsuppositionen sind mit dieser Äußerung verbunden? Wie reagiert die polnische Gesprächspartnerin des deutschen Studenten vermutlich? 15. Welche verschiedenen Arten von Texten finden sich gegenwärtig in den DaF- Lehrwerken? Welche Textarten werden bevorzugt, welche sind kaum / nicht vertreten? Analysieren Sie exemplarisch einige aktuelle Lehrbücher. 20 Über sprachsensiblen Unterricht in verschiedenen Fächern informieren Schmölzer-Eibinger, Sabine et al. (2013), Sprachförderung im Fachunterricht mit sprachlich heterogenen Klassen. Stuttgart: Fillibach bei Klett). Eine Einführung mit Videobeispielen geben Beese, Melanie et al. (2014, Sprachbildung in allen Fächern. (= DLL 16). Mit DVD. München: Goethe-Institut / Klett-Langenscheidt). <?page no="305"?> 304 Diskurs und Text: 17 Text 17. Kommentieren Sie den folgenden Text einer Sprachlernerin mit Blick auf die Verwendung von Kohäsionszeichen und Konnektoren. Text einer tunesischen Schreiberin 21 Originaltext Erklärung maein Familie Meine Familie ich bene teraur one maein gesch- Ich bin traurig, ohne meine Geschwiswister saein. abir maein geschewister ter zu sein. Aber meine Geschwister biben Alle in Tunisein ich ben blieben alle in Tunesien. Ich bin Fero wein maein Familie Alle sich froh, wenn ich meine Familie alle sehe, wein ich nachaus Fahrin wenn ich nach Hause fahre. 20. Welche Isotopienetze können im Text (von Aufg. 17) aufgewiesen werden? Nennen Sie die betreffenden Lexeme. 22. Welcher Typus von Themenprogression liegt in folgendem Beispiel vor? Merkblatt Integrationskurs Der Sprachkurs soll Ihnen ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache vermitteln. Diese liegen vor, wenn Sie sich im täglichen Leben einschließlich der üblichen Kontakte mit Behörden in ihrer deutschen Umgebung selbstständig sprachlich zurechtzufinden vermögen und Sie ein Ihrem Alter und Bildungsstand entsprechendes Gespräch führen und sich schriftlich ausdrücken können. Ausgewählte weiterführende Literatur Adamzik, Kirsten ( 2 2016) Textlinguistik. Eine einführende Darstellung. Tübingen: Niemeyer Brinker, Klaus et al. ( 8 2014) Linguistische Textanalyse. Berlin: Erich Schmidt Ehlich, Konrad (2007h) Text und sprachliches Handeln. Die Entstehung von Texten aus dem Bedürfnis nach Überlieferung. [1983] In: Ders.: Sprache und sprachliches Handeln. Bd. 1. Berlin: de Gruyter, S. 483-508 Engel, Ulrich (2009) Deutsche Grammatik. Heidelberg: Groos Fix, Ulla/ Habscheid, Stephan/ Klein, Josef (Hgg.) (2001) Zur Kulturspezifik von Textsorten. Tübingen: Stauffenburg Gansel, Christina / Jürgens, Frank ( 2 2007) Textlinguistik und Textgrammatik. Eine Einführung. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht Hausendorff, Heiko/ Kesselheim, Wolfgang (2008) Textlinguistik fürs Examen. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht Janich, Nina (Hg.) ( 2 2019) Textlinguistik: 15 Einführungen und eine Diskussion. Tübingen: Narr 21 Schramm, Karen (1996) Alphabetisierung ausländischer Erwachsener in der Zweitsprache Deutsch. Münster, New York: Waxmann, S. 86. <?page no="306"?> Anwendungsfelder 18 Angewandte Linguistik 18.1 Forschungsfelder und Praxisbezüge Was kann man mit Linguistik beruflich anfangen? In den verschiedenen Kapiteln dieses Buches finden sich bereits einige Beispiele für Anwendungsbereiche, in denen linguistisches Wissen erforderlich ist. Im Folgenden wollen wir einige Arbeitsfelder kurz vorstellen, denen eigene linguistische Unterdisziplinen und Ansätze entsprechen. In vielen Fällen ergeben sich linguistische Untersuchungen direkt aus der Anknüpfung an Fragestellungen aus der gesellschaftlichen Praxis. Man bezeichnet eine solche Ausrichtung als „Angewandte Linguistik“. Entsprechend versteht sich die Angewandte Linguistik als „eine Disziplin, die sich mit der Beschreibung, Erklärung und Lösung von lebens- und gesellschaftspraktischen Problemen in den Bereichen von Sprache und Kommunikation befasst“. 1 Die Anbindung an die Praxis kann dabei mehr oder weniger eng sein. So sind einige Arbeiten stärker auf Beschreibung und Erklärung hin ausgerichtet; sie versuchen, Problemursachen durch empirische Forschung zu klären. Andere Arbeiten verstehen sich sogar als Vorbereitung einer Implementierung von Lösungsvorschlägen in die Praxis. Den verschiedenen Arbeitsbereichen Angewandter Linguistik entsprechen zum Teil eigene Berufsfelder (B ECKER -M ROTZEK / B RÜNNER / C OELFEN 2000). 18.2 Sprachlehre Die Sprachlehre als Anwendungsfeld linguistischer Erkenntnisse, die auch in unserem Buch oft angesprochen wird, bildete bereits früh einen Praxisbezugspunkt der Angewandten Linguistik. Grundsätzlich stellen sich in diesem Zusammenhang die Fragen, durch welche Besonderheiten Spracherwerbsprozesse in bestimmten Lebensabschnitten und unter verschiedenen Umständen gekennzeichnet sind und wie man sie einleiten und unterstützen kann. 18.2.1 Spracherwerbsforschung Die Spracherwerbsforschung (Erstsprach- und Zweitspracherwerbsforschung) konzentriert sich auf die Formen des Sprachlernens, die vor und außerhalb von Unterricht durch den Kontakt mit der Umgebung zustande kommen. In einigen linguistischen Arbeiten wird terminologisch zwischen Erwerben und Lernen differenziert. „Erwerben“ bezeichnet dann die Aneignung einer Sprache ohne, „Lernen“ demgegenüber die Aneignung von Sprache mit Hilfe von formalen Lehrverfahren. Zumeist wird „Erwerb“ aber als Oberbegriff verwendet und es wird zwischen einem durch Unterricht gesteuerten Spracherwerb und einem ungesteuerten Spracherwerb unterschieden, der allein durch Interaktion mit den Sprechern einer Sprache geschieht. 2 1 Knapp et al. ( 2 2011) Angewandte Linguistik, Vorwort, S. XXII. In dem multimedial aufbereiteten Lehrbuch werden die verschiedenen Arbeitsbereiche mit zahlreichen Beispielen und praktischen Übungen aufgegriffen. 2 Eine andere Bezeichnung für den ungesteuerten Spracherwerb ist „natürlicher Spracherwerb“; dieser Begriff wird allerdings als missverständlich kritisiert. Auch die Begriffe „gesteuert“ und „ungesteuert“ gelten <?page no="307"?> 306 Anwendungsfelder: 18 Angewandte Linguistik Im Erstspracherwerb (kurz L1-Erwerb) werden in den ersten Lebensjahren verschiedene Entwicklungsphasen durchlaufen: 3 - Die erste Phase wird als vorsprachliche Phase bezeichnet. Der Säugling äußert seine Bedürfnisse durch Schreien. - In der so genannten Lallphase, ungefähr ab dem 4. Lebensmonat, ist die Bildung verschiedener Laute zu beobachten. Die Lallphase ist noch nicht sprachspezifisch; es handelt sich um ein grundlegendes Ausprobieren von Möglichkeiten der Lautproduktion. - Ungefähr ab dem 10. Monat sind im kindlichen Sprechen Einheiten wie „Wörter“ erkennbar. Zunehmender Wortschatzerwerb und der Ausbau des syntaktischen Systems von einfachen Einwort- und (etwa ab dem 18. Monat) Zweiwortsätzen bis hin zu komplexen Nebensatzstrukturen kennzeichnen den weiteren Verlauf des Erstspracherwerbs. - Im Alter von 2-3 Jahren wird das Flexionssystem beherrscht. Die wichtigsten syntaktischen Strukturen sind bereits mit ca. 4 Jahren erworben. In den Grundzügen, d.h. vor allem in Bezug auf Phonologie, Syntax und Morphologie, gilt der Erstspracherwerb im Schuleintrittsalter von 6 Jahren, spätestens im Alter von rund 10 bis 12 Jahren als weitgehend abgeschlossen. Anders stellt sich der Bereich des Lexikons dar: Da sich der Wortschatz stetig erweitert, ist der Erstspracherwerb hier ein prinzipiell lebenslang andauernder Prozess. Bei dem Erwerb weiterer Sprachen unterscheidet man zwischen einem konsekutiven, auf den Erstspracherwerb folgenden Zweitspracherwerb, und einem parallelen Zweitspracherwerb im Kindesalter. Letzterer wird auch als „früher Zweitspracherwerb“ bezeichnet; dabei setzt man ein Lebensalter von 3-4 Jahren an. 4 Bei einem noch früheren Kontakt mit zwei oder mehr Sprachen in der Familienkommunikation wird meist die Bezeichnung „bilingualer Erstspracherwerb“ gewählt (vgl. Kap. 1, ausführlicher s. H ARR / L IEDKE / R IEHL (2018)). Gerade im Zusammenhang mit Mehrsprachigkeit ist es wichtig zu wissen, dass ein grammatischer oder lexikalischer Fehler u.U. als Lernfortschritt zu werten ist. So ist z.B. die Bildung von Formen wie „gehte“ in der Kindersprache ein normales Durchgangsstadium, auch bei Kindern mit Deutsch als Muttersprache (vgl. Kap. 3). Auch für den Zweitspracherwerb geht man von aufeinander folgenden Erwerbsstadien aus, die sich im Rahmen einer Profilanalyse erheben lassen. 5 Zudem wird die Relevanz der Erstsprache für den Zweitspracherwerb sowie für die allgemeine kognitive Entwicklung hervorgehoben; sie begründet eine schulische Förderung auch der Familiensprachen. 6 Zur Feststellung eines erreichten Sprachstands im Kindergarten- und Schulalter sind verschiedene Verfahren entwickelt worden. Ein Überblick über Verfahren im Lehrbereich Deutsch als Zweitsprache findet sich bei E HLICH et al. (2005) und H ARR / L IEDKE / R IEHL als problematisch, da einerseits auch im Unterricht „ungesteuertes“ Lernen stattfindet, andererseits auch in der alltäglichen Interaktion Sprachvermittlungsprozesse aufweisbar sind. 3 Zur Sprachentwicklung des Kindes s. ausführlicher Szagun (2000). 4 Vgl. Ahrenholz (2010a). 5 Zur Einführung s. Grießhaber, Wilhelm (2017) Die Profilanalyse als Diagnoseinstrument. In: Becker- Mrotzek, Michael / Roth, Hans-Joachim (Hgg.) Sprachliche Bildung - Grundlagen und Handlungsfelder. Münster: Waxmann, S. 221-233. 6 Eine Überblicksdarstellung der Diskussion gibt Ahrenholz (2010b), s. auch Harr / Liedke / Riehl (2018). <?page no="308"?> 18.2 Sprachlehre 307 (2018). Zudem wurde ein sog. Referenzrahmen zur altersspezifischen Sprachaneignung entwickelt (E HLICH / B REDEL / R EICH 2008). Zum ungesteuerten Erwerb des Deutschen als Zweitsprache im Erwachsenenalter wurden mit dem „Heidelberger Projekt Pidgin-Deutsch“ (HPD) (D ITTMAR / R IECK 1976) und dem Projekt „Zweitspracherwerb italienischer und spanischer Arbeiter“ (ZISA) (C LAH - SEN / M EISEL / P IENEMANN 1983) zwei breit angelegte Studien durchgeführt, die den Erwerbserfolg mit sozialstatistischen Daten in Verbindung brachten. 7 Sie wiesen den Kontakt mit der deutschen Sprache in der Freizeit als wichtigsten Erwerbsfaktor auf; zugleich zeigten sich individuelle Unterschiede. Für den Sprachlehrprozess ist es wichtig zu erkennen, an welchen Punkten Lernprozesse im ungesteuerten Spracherwerb abgebrochen wurden. In vielen Fällen, in denen vorhandene Sprachkenntnisse zur Deckung der wichtigsten lebenspraktischen Bedürfnisse auszureichen scheinen, haben sich Fehler durch häufigen Gebrauch verfestigt. In diesem Zusammenhang spricht man von einer Fossilierung: Der Sprachstand ist in einem bestimmten Stadium „versteinert“. Fossilierungen bringen besondere Anforderungen für den Sprachunterricht mit sich, denn sie müssen erst bewusst gemacht und „aufgebrochen“ werden, bevor es zu einem weiteren Erwerb kommen kann. Transkript((Ts10) „Zypern“) gibt einen Einblick in die Sprechweise eines Sprechers, der Deutsch ungesteuert erworben hat und zum Zeitpunkt der Aufnahme seit rund 15 Jahren in Deutschland lebt. Die literarische Umschrift erfasst einige Aussprachebesonderheiten, die auf seine Erstsprache Griechisch zurückgeführt werden können (z.B. Menß 8 statt Mensch, zu Weispiel statt zum Beispiel). Feststellen lassen sich zudem Abweichungen in der morphologischen Dimension, z.B. falsche Genuszuweisungen (die dreizehnte Mai, eine griechische Teil) und eine Neutralisierung der Artikelformen zu de (de Zypa-Problem, de Hälfte, de Turke). Syntaktisch fällt die Mehrfachbesetzung des Vorfelds auf (zu Weispiel ich bin Griechen). Zugleich zeigt der Ausschnitt, dass der Sprecher praktische Handlungskompetenz im Deutschen entwickelt hat. Die von ihm verwendete Lernerstrategie im Umgang mit Problemen fremdsprachlichen Handelns ist die Beispielnennung, die sich in seiner Lernersprache zu einer Floskel (zum Beispiel) verfestigt hat. Transkript ((Ts11) „Elternsprechtag“) zeigt zum Vergleich eine Sprachprobe seines 11-jährigen Sohns, der in Deutschland geboren wurde und das Deutsche nach und neben der Familiensprache Griechisch erworben hat (es liegt also ein so genannter „paralleler Zweitspracherwerb“ vor). In vielen Handlungssituationen wird der 11-Jährige ebenso wie die 13-jährige Tochter der Familie als Sprachmittler eingesetzt - eine Konstellation, die für viele Migrantenfamilien typisch ist. Gut untersucht sind sprachliche Veränderungsprozesse im Blick auf die russlanddeutschen Aussiedlerfamilien (B EREND 1998, M ENG 2001, R EITEMEIER 2006). Der Vergleich verschiedener Generationen (Kinder, Eltern, Großeltern und Urgroßeltern) weist auf charakteristische Unterschiede in den Zielen, Stategien und Ergebnissen der sprachlichen Anpassung und auf die Dynamik innerfamiliärer Ausgleichsprozesse hin (M ENG 2001). 7 Beide Studien fokussierten den Erwerb der deutschen Syntax und nutzten einen generativen Beschreibungsansatz (s. Kap. 3). 8 Die literarische Umschrift Menß (statt Mens) wurde gewählt, um eine Verwechslung mit den Wörtern „mens“ (lat. Geist) oder „men‘s“ (engl. der Männer) zu vermeiden. <?page no="309"?> 308 Anwendungsfelder: 18 Angewandte Linguistik 18.2.2 Sprachdidaktik, Sprachlehr- / Sprachlernforschung Die Sprachdidaktik befasst sich mit der Planung von sprachlichen Lernprozessen. Sie bezieht sich auf das Arbeitsfeld Unterricht; neben der Linguistik ist daher auch die Pädagogik eine wichtige Bezugsdisziplin. Aufgabe der Sprachdidaktik ist es, zu einer (wissenschaftlich) begründeten Entscheidung über Lerninhalte des Sprachunterrichts zu kommen. Solche Entscheidungen sind durch die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen geprägt und werden in Rahmencurricula und Lehrplänen verankert. 9 Der Begriff Lehrplan wird zumeist im schulischen Umfeld verwendet und bezeichnet ein Curriculum, das auf bestimmte Lernergruppen (z.B. altersdifferenzierte Schulklassen), Lernumstände (Stundenzahl) und Lerninhalte zugeschnitten ist. Die Lehrpläne für den Unterricht des Deutschen als Erstsprache sind für die einzelnen Bundesländer konzipiert und z.T. - auch in ihrer grammatischen Terminologie - unterschiedlich. Für Deutsch als Zweitsprache in der Schule haben bislang erst einige Bundesländer Lehrpläne formuliert, zumeist auf Grundlage des in Bayern entwickelten Lehrplans. Für Deutsch als Fremd- und Zweitsprache bildet der „Gemeinsame Europäische Referenzrahmen“ (GER) ein übergreifendes Rahmencurriculum, das im fremd- und zweitsprachlichen Unterricht der meisten europäischen Länder, so auch in Deutschland, umgesetzt wird. 10 Der GER bietet eine Skalierung verschiedener Stufen der Sprachbeherrschung, die als A1, A2, B1, B2, C1 und C2 bezeichnet werden. Die im GER bereitgestellten Skalen umfassen neben allgemeinen Skalierungen zum Lese- und Hörverstehen, Sprechen und Schreiben Skalen für spezifische Kompetenzbereiche (z.B. „informelle Diskussion (unter Freunden), „formelle Diskussion und Besprechungen“, „Transaktionen: Dienstleistungsgespräche“, „Notizen machen“, „Texte verarbeiten“ u.v.m.). Sie sind als „Kann“-Beschreibungen formuliert. Einen kurzen Einblick in Lernziele verschiedener Niveaustufen gibt Tab. 1. Tab. 1: Niveaustufenskalierung des GER („Schriftliche Produktion“, Auszug) 11 (A1) Kann einfache, isolierte Wendungen und Sätze schreiben. (A2) Kann eine Reihe einfacher Wendungen und Sätze schreiben und mit Konnektoren wie und, aber oder weil verbinden. (C2) Kann klare, flüssige, komplexe Texte (…) schreiben, deren logische Struktur den Lesern das Auffinden der wesentlichen Punkte erleichtert. Ausgehend vom GER wurde für den Inlandseinsatz das „Rahmencurriculum für Integrationskurse Deutsch als Zweitsprache“ entwickelt (G OETHE -I NSTITUT 2007), das verschiedene Handlungsbereiche und Situationen durch Lernzielbeschreibungen erfasst. Es bewegt sich auf den Niveaustufen A1 bis B1 und dient als Grundlage für den „Deutschtest 9 Der Begriff „Curriculum“ wird oft mit „Lehrplan“ übersetzt; in der Didaktik findet sich jedoch eine Trennung der beiden Begriffe (vgl. Schmidt 2010). 10 Eine deutschsprachige Spezifizierung wurde mit „Profile Deutsch“ vorgelegt (Glaboniat et al. 2005). 11 Europarat / Rat für kulturelle Zusammenarbeit (2001) Gemeinsamer europäischer Referenzrahmen für Sprachen: lernen, lehren, beurteilen. Berlin u.a.: Langenscheidt, S. 67. <?page no="310"?> 18.2 Sprachlehre 309 für Zuwanderer“ (DTZ) 12 . Den rechtlichen Rahmen bildet das so genannte „Zuwanderungsgesetz“ 13 . Als „ausreichende Sprachkenntnisse“ i.S. des Gesetzes werden Sprachkenntnisse der Niveaustufe B1 betrachtet. 14 Das Curriculum wurde leicht adaptiert auch als Grundlage für den Deutsch als Zweitsprache-Unterricht in Österreich übernommen. Eine zwischen Curriculum und Unterricht vermittelnde Rolle spielt das Lehrwerk. In ein Lehrwerk gehen bereits recht weitreichende Entscheidungen ein, die die Ziele, Inhalte und Methoden sowie die zeitliche Planung des Unterrichts betreffen. Moderne Lehrwerke für Deutsch als Fremd- und Zweitsprache sind meist als Lehrwerksverbund konzipiert und umfassen neben einem Kurs- und Arbeitsbuch auch Lernergrammatiken, Glossare und interaktive Multimedia-Anwendungen. Zudem werden auf den Webseiten der Verlage meist viele kostenlose Zusatzmaterialien bereit gestellt. Ein breites Deutschlernangebot im Internet bietet auch die Deutsche Welle. Die verschiedenen Arbeitsbereiche in Lehrbuchverlagen (Autorentätigkeit, Lektorat, Marketing) bilden neben der Sprachlehre klassische Berufsfelder für Germanisten. Einen Überblick über die Didaktik des Deutschen als Erst- und Zweitsprache bietet das Handbuch „Didaktik der deutschen Sprache“ (B REDEL et al. 2003). Über die Diskussion zum schulischen und vorschulischen Zweitsprachenunterricht informieren A HRENHOLZ / A PELTAUER (2006) und A HRENHOLZ / W ELKE (2010), eine Einführung gibt auch J EUK (2010). Allgemeine Grundfragen der Didaktik des Deutschen als Fremd- und Zweitsprache werden in den verschiedenen Beiträgen des internationalen Handbuchs „Deutsch als Fremd- und Zweitsprache“ (K RUMM et al. 2010) einführend behandelt. Eine Zusammenführung von Überlegungen zur Disziplinen Erst-, Zweit- und Fremdsprachdidaktik wird gegenwärtig im Rahmen eines Gesamtsprachenkonzepts diskutiert. Die Sprachlehr-/ Sprachlernforschung ist eine Disziplin, die die Sprachdidaktik durch empirische Untersuchungen unterstützt (vgl. A LBERT / K OSTER 2002). Ihr Hauptanliegen ist die Erforschung von Sprachlernprozessen mit dem Ziel, den Vermittlungsprozess begründet zu konsolidieren und eine Theorie des gesteuerten Sprachenlernens zu entwikkeln. Dabei geht es z.B. um die Fragen, welche Lernstrategien verschiedene Lerner anwenden, um sich bestimmte Inhalte anzueignen, welche Methoden und Lehrerhandlungen den Lernprozess fördern (z.B. im Korrekturverhalten), aber auch um Fragen der Überprüfung von Sprachkenntnissen durch Testverfahren. Es stellte sich früh heraus, dass gerade die wichtige Frage nach den positiven oder negativen Wirkungen bestimmter Lehrverfahren schwer zu klären ist. Das hängt damit zusammen, dass die Erforschung des Lehrens und Lernens - anders als die naturwissenschaftliche Forschung - nicht die Wiederholbarkeit eines Ergebnisses als Beweis fordern kann. 15 Empirische Forschung ist aber deshalb nicht sinnlos, denn es gibt bessere und schlechtere Lernmethoden - zum einen für den durchschnittlichen Sprachlerner, zum anderen möchte 12 Perlmann-Balme, Michaela / Plassmann, Sibylle / Zeidler, Beate (2009) Deutsch-Test für Zuwanderer A2- B1. Prüfungsziele. Testbeschreibung. Berlin: Cornelsen; s. auch Telc-Institut (2009) Deutsch-Test für Zuwanderer A2/ B1. Übungstest 1. Frankfurt a.M.: telc GmbH. 13 Bundesministerium des Innern (2004) Gesetz zur Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung und zur Regelung des Aufenthalts und der Integration von Unionsbürgern und Ausländern (ZuwandG). In: Bundesgesetzblatt Jg. 2004, Teil I, Nr. 41, ausgegeben zu Bonn am 5. August 2004. Bonn: BMI. 14 Bundesministerium des Innern (2004) Verordnung über die Durchführung von Integrationskursen für Ausländer und Spätaussiedler (Integrationskursverordnung - IntV). Vom 13. Dezember 2004. In: Bundesgesetzblatt Jg. 2004, Teil I, Nr. 68, ausgegeben zu Bonn am 17. Dezember 2004. Bonn: BMI. 15 Vgl. Edmondson / House (2000). <?page no="311"?> 310 Anwendungsfelder: 18 Angewandte Linguistik man auch geeignete Lehr- und Lernmethoden für bestimmte Typen von Sprachlernern, für bestimmte Lerninhalte oder Lernniveaus kennen lernen und ihren Einsatz testen. 18.2.3 Aufgabenbereich Alphabetisierung In einer literalen, d.h. die Schriftlichkeit stark nutzenden, Gesellschaft wie der deutschen ist die Kenntnis der schriftsprachlichen Handlungsformen Standardwissen, das im Rahmen der schulischen Ausbildung, zunehmend aber auch im Rahmen von Bildungsangeboten für Erwachsene vermittelt wird. Meist spricht man - ausgehend von den „Buchstaben“ - hier von Alphabetisierung; der Begriff wird dabei auch auf nicht-phonographische Schriften angewendet. Der Begriff „Literalität“ (literacy), der ebenfalls oft verwendet wird, bezieht über die Kenntnis der Schrift hinaus auch Wissen um Textformen und Zwecke von Schriftlichkeit mit ein. International wird der grundständige Analphabetismus z.B. durch die UNESCO bekämpft. Auch linguistische Institutionen wie „SIL international“ widmen sich der Alphabetisierung als wichtigem Aufgabenbereich. Personen, die keine Schriftkenntnisse haben, sind Analphabeten. Wer im Kindesalter keine Schule besuchen konnte und nie lesen und schreiben gelernt hat, gilt als primärer Analphabet. Im Bereich Deutsch als Zweitsprache sind das rund 14,9 %. 16 Die Erstalphabetisierung muss in solchen Fällen in der Fremdbzw. Zweitsprache erfolgen. Sie ist eigentlich Voraussetzung für den Sprachunterricht, wird aber häufig in einen Sprachkurs integriert, was einige Probleme mit sich bringt. Migranten, deren Erstsprachen andere Schriftsysteme aufweisen, die aber in diesen bereits alphabetisiert wurden, werden als „Zweitschriftlerner“ bezeichnet. Im Unterricht dieser Gruppen ist ein kontrastives Vorgehen unter Einbezug der Erstsprachen wichtig. 17 Aber auch für die deutsche Bevölkerung existiert das Problem der fehlenden Schreib- Lesefähigkeit. 18 Man schätzt, dass mindestens 6 % weitgehende Analphabeten sind oder sehr weitgehende Einschränkungen beim Lesen und Schreiben haben. Diese zweite Art von Schriftunkundigkeit nach Schulbesuch (in Deutschland 9 Jahre! ) wird als sekundärer Analphabetismus bezeichnet. Von einem funktionalen Analphabetismus spricht man unter dem Aspekt des Zurechtkommens mit gesellschaftlichen Anforderungen. Meist sind einige basale schriftliche Handlungen möglich, was diesen Menschen erlaubt, mehr oder weniger mühsam den Anschein von Lese- und Schreibkompetenz aufrechtzuerhalten. Alphabetisierungskurse für muttersprachliche oder zweitsprachige Personen werden von zahlreichen Einrichtungen, u.a. der Volkshochschule, angeboten und mit staatlichen Mitteln unterstützt. 18.3 Diagnose und Therapie von Sprech- und Sprachstörungen Verschiedene Disziplinen befassen sich speziell mit der Analyse von Problemen, die im Zusammenhang der sprachlichen Produktion auftreten können. Die Grenzen zwischen ihnen sind fließend; eine gewisse Trennung lässt sich jedoch an den Ursachen und der 16 Ausgehend von den Teilnehmerzahlen an Alphabetisierungskursen des BAMF (Integrationskursgeschäftsstatistik 2018). Da Analphabetismus häufig als persönlicher Makel aufgefasst wird, den man zu vertuschen sucht, geht man von einer wesentlich höheren Dunkelziffer aus. 17 Zu methodischen Verfahren s. Feick, Diana / Pietzuch, Anja / Schramm, Karen (2013) Alphabetisierung für Erwachsene (= dll 15). München: Goethe-Institut / Klett-Langenscheidt. 18 S. einführend Schuppener (2010) sowie Roll / Schramm (2010). <?page no="312"?> 18.3 Diagnose und Therapie von Sprech- und Sprachstörungen 311 Schwere der jeweiligen Probleme festmachen, um deren Diagnose und Therapie sie sich bemühen. Die Sprechwissenschaft befasst sich mit der Bearbeitung von Problemen, wie sie sich im normalen Alltagshandeln für viele Personengruppen in kommunikationsintensiven Berufen stellen. Dazu gehört die häufige Heiserkeit; auch fallen Probleme der Stimmkapazität, des Stimmklangs (Dysphonien), der artikulatorischen Deutlichkeit oder der Koordination von Sprechen und Sprechplanung in ihr Arbeitsfeld; oft auch ein nicht hinreichender Hörerbezug des sprachlichen Handelns (s. Kap. 18.4). Die Sprachheilpädagogik (Sprachbehindertenpädagogik, Sonderpädagogik) beschäftigt sich insbesondere mit der Aus- und Weiterbildung sprach- oder hörgeschädigter Personen; dies geschieht zum Teil in eigenen Spezialschulen. Die Logopädie befasst sich mit der individuellen Therapie von Sprachstörungen im Kindes- oder im Erwachsenenalter. Die Klinische Linguistik zielt als akademisches Fach auf die Diagnose von Sprach- oder Sprechstörungen, insbesondere von Sprachverlust im Erwachsenenalter, und erforscht Krankheitsbilder und deren Ursachen mit Hilfe empirischer Methoden. Störungen der Sprachentwicklung und des Sprechvermögens im Kindes- und Erwachsenenalter können unterschiedliche Bereiche des Sprachsystems (Phonologie, Lexik, Grammatik) betreffen. Beim frühkindlichen Spracherwerb kann es eine Sprachentwicklungsverzögerung geben, wenn eine Erwerbsphase verspätet durchlaufen wird. Ab dem Alter von 36 Monaten ist das Bild des normalen Ablaufs nicht mehr so klar, weshalb man von Sprachentwicklungsstörungen redet. Eine Störung kann sich äußern in gehäuften Fehlern bei Flexionsmorphemen oder der Wortstellung (Dysgrammatismus) oder in auffälligen Problemen beim Lesen, Hören und Verstehen von Wörtern und Texten (Dyslexie). Ein teilweiser oder auch völliger Verlust sprachlicher Fähigkeiten tritt im Erwachsenenalter oft als Folge eines Unfalls oder Schlaganfalls auf. Dabei wird zwischen Störungen des Sprechens und Störungen der Sprache unterschieden. - Sprechstörungen umfassen Aussprachestörungen (Dyslalien), z.B. infolge von anatomischen Läsionen der Sprechorgane, sowie verschiedene Formen neurogener Störungen, die als Dysarthrien bezeichnet werden. Das Sprachverständnis der Personen und das Verfügen über Sprache als Verständigungssystem schlechthin ist in diesen Fällen nicht betroffen. - Bei einer Störung der Sprache (Aphasie) geht demgegenüber die grundlegende Fähigkeit, mit einem Sprachsystem umzugehen, ganz oder teilweise verloren. 19 Unterschieden werden je nach Ursache und Erscheinungsbild motorische und sensorische Aphasien, amnestische Aphasien, Sprachstörungen aufgrund von hirnorganischem Abbau (z.B. bei Demenz) und psychotisch bedingte Sprachstörungen. Die verschiedenen Typen weisen z.T. unterschiedliche Störungsbilder auf. Störungen im Bereich der Grammatik umfassen z.B. entweder eine starke Vereinfachung syntaktischer Strukturen, wobei Funktionswörter und Flexionsformen fehlen und Äußerungen nur aus Einbis Drei-Wort-Sätzen bestehen (Agrammatismus), oder zeigen sich in einem äußerst komplexen Satzbau mit zahlreichen nicht rekonstruierbaren Bezügen (Paragrammatismus). Im weiteren Sinne wird auch die sog. Legasthenie („Lese-Rechtschreib-Schwäche“) oft zu den Krankheitsbildern im Bereich der schriftsprachlichen Kompetenz gezählt und therapeutisch behandelt. 20 Da die Vorstellung einer medizinischen oder psychiatrischen Störung mit guten 19 Ausführlicher mit Beispielen dazu Hielscher-Fastabend (2010). 20 Ein Handbuch zur Theorie und Praxis dieser Therapie ist Klicpera et al. (2007). <?page no="313"?> 312 Anwendungsfelder: 18 Angewandte Linguistik Argumenten kritisiert wurde, 21 spricht man seit einiger Zeit vorsichtiger von „Lese- und Rechtschreibschwierigkeiten“ bestimmter Schüler. Über sprachtherapeutische Maßnahmen informiert u.a. das 8-bändige „Handbuch der Sprachtherapie“ (G ROHNFELDT 1989 ff.). Bislang ist wenig über die entsprechenden Störungs- und Krankheitsbilder bei verschiedenen Sprachtypen (z.B. flektierenden versus isolierenden Sprachen) und bei individueller und kollektiver Mehrsprachigkeit bekannt. In diesem Zusammenhang sind interdisziplinäre Studien erforderlich, die die Fragestellungen der sprachtherapeutischen Disziplinen mit der Kontrastiven Linguistik und der Spracherwerbsforschung in Verbindung bringen. 18.4 Sprach- und Kommunikationsberatung Viele Tätigkeiten im Rahmen der Angewandten Linguistik betreffen die Beratung von Menschen. Von Sprachberatung spricht man allgemein, wenn Fragen der Sprachverwendung oder auch Sprachnormierung durch Hinzuziehen eines Experten beantwortet werden. Als übergreifender Begriff für eine linguistische Beratung von Institutionen, Wirtschaftsunternehmen und Einzelpersonen wird hingegen zumeist der Ausdruck Kommunikationsberatung gewählt. Kommunikationsberatung umfasst auch Sprachberatung. Oft gehört dazu auch die Analyse von Texten und Diskursen z.B. im Rahmen der Unternehmenskommunikation, bis hin zur praktischen Umsetzung der Ergebnisse in Form von Schreib- oder Kommunikationstrainings. 18.4.1 Sprachberatung Das Arbeitsfeld Sprachberatung reicht von Fragen der Normierung und des gezielten Ausbaus von Sprachen bis hin zu Fragen der Vermittlung von Sprachnormen an die Sprachbenutzer. Der umfassendste Ansatz einer Sprachberatung ist die Sprachplanung. Sie geschieht zumeist auf staatlicher Ebene. Unter Sprachplanung versteht man „die bewusste, absichtliche und methodische Regulierung, Veränderung, Verbesserung und/ oder den Ausbau sprachlicher Systeme (und zwar auf allen Ebenen des Sprachsystems: Lautung, Schreibung, Wortschatz, Grammatik etc.)“ (J ANICH 3 2011, S. 537) Dies betrifft Entscheidungen bezüglich der Stellung, die eine Sprache in einer Sprachgemeinschaft einnehmen sollte, also z.B. die Frage, welcher Dialekt die Basis einer übergreifenden Norm (Standardsprache) bilden sollte oder welche Sprache als Nationalsprache eines Staates anerkannt wird. Zudem betrifft die Sprachplanung auch die Verschriftung einer bisher nur mündlich verwendeten Sprache und die Alphabetisierung ihrer Sprecher, den gezielten Ausbau des Lexikons, insbesondere auch im Blick auf den Umgang mit Fremdwörtern sowie die Festschreibung von sprachlichen Normen in Grammatiken, Wörterbüchern etc. Sprachplanung ist nicht nur für solche Sprachen wichtig, deren Entwicklung aus politischen Gründen nicht konform mit der Entwicklung der gesellschaftlichen Bedürfnisse z.B. moderner Verwaltung verlaufen ist (vgl. Kap. 1). In einer arbeitsteiligen „Informationsgesellschaft“ ist der Umgang mit Sprache(n) von wirtschaftlicher und bildungspolitischer Bedeutung. So findet Sprachplanung z.B. häufig auch in einzelnen Unternehmen statt und zielt dort auf die Verbesserung der Unternehmenskommunikation, den gemein- 21 Jörg Schlee (1976) Legasthenieforschung am Ende? München: Urban & Schwarzenberg. <?page no="314"?> 18.4 Sprach- und Kommunikationsberatung 313 samen Wortschatz der Redakteure oder die Reduktion von Übersetzungskosten. Von besonderer Bedeutung ist in diesem Zusammenhang die Terminologiearbeit, d.h. der Ausbau und die Normung von fachwissenschaftlichen Terminologien (Fachwortbeständen). Die Vermittlung von Sprachnormen an die Benutzer der jeweiligen Sprache geschieht durch Institutionen wie die Schule sowie im Rahmen von Weiterbildungsangeboten. Darüber hinaus gibt es mittlerweile verschiedene Sprachberatungsstellen, die - oft kostenpflichtig - Fragen des korrekten Sprachgebrauchs beantworten. 18.4.2 Kommunikationsberatung Als Kommunikationsberatung bezeichnet man eine linguistische Beratung, die über punktuelle Fragen des Sprachgebrauchs hinausgeht. Klassische Einsatzbereiche sind Qualitätssicherungsmaßnahmen in Institutionen der öffentlichen Verwaltung oder Wirtschaftsunternehmen sowie die Beratung und Weiterbildung von Personen insbesondere im Zusammenhang einer beruflichen Umorientierung oder eines Wiedereinstiegs. Bei einer Kommunikationsberatung können schriftliche oder mündliche Handlungsformen im Vordergrund stehen. Eine umfassende Beratung z.B. von Wirtschaftsunternehmen schließt typischerweise beide Formen mit ein und fokussiert zudem sowohl die unternehmensinterne Kommunikation (die Kommunikation zwischen Mitarbeitern oder Abteilungen eines Unternehmens) als auch die unternehmensexterne Kommunikation (die Kommunikation mit Partnerfirmen oder Kunden). Häufig umfasst die Beratung die Überarbeitung von Texten (Textoptimierung) 22 oder die Durchführung von Trainingsmaßnahmen. Der Ablauf einer linguistischen Beratung umfasst mehrere Phasen, die den klinischen Schritten Diagnose und Therapie(vorschlag) entsprechen und bei denen empirische Forschungsmethoden der Linguistik zum Einsatz kommen. Zu Beginn der Beratung steht zunächst die - Dokumentation der bestehenden Praxis (Korpuserstellung) durch Sammlung der im jeweiligen kommunikativen Zusammenhang relevanten schriftlichen Texte und durch Ton- und Videomitschnitt mündlichen kommunikativen Handelns. - In der folgenden Analyse wird ermittelt, welche kommunikativen Tätigkeiten der berufliche Alltag der betreffenden Personen erfordert, und ob die beobachteten Interaktionsabläufe zweckdienlich sind. - Ausgehend von kommunikativen Problemfällen werden Vorschläge zur Veränderung der bestehenden Praxis ausgearbeitet. Weitere Schritte betreffen die Implementierung der Lösungsvorschläge durch Schulung der betreffenden Personen sowie die Evaluation des Erfolgs der Veränderungsmaßnahmen. Gegebenenfalls wird die Praxis erneut einer Beobachtung und linguistischen Analyse unterzogen. 18.4.3 Textoptimierung, Technische Dokumentation, Schreibberatung Das Aufgabenfeld Textoptimierung umfasst die funktions- und adressatengerechte Gestaltung von Texten. Untersucht werden dabei u.a. die jeweils gewählten sprachlichen Handlungen und Handlungsmuster, Verfahren der thematischen Organisation sowie die Versprachlichung der zu vermittelnden Wissensinhalte. Über die verbale Gestaltung hinaus betrifft die Textanalyse auch Visualisierungen durch Abbildungen sowie die graphische Gesamtgestaltung. 22 Vgl. Antos / Augst (1989). <?page no="315"?> 314 Anwendungsfelder: 18 Angewandte Linguistik Bedarf besteht unter anderem hinsichtlich der Gestaltung von Formularen, z.B. in der Bürger-Verwaltungs-Kommunikation, hinsichtlich der Außendarstellungen eines Unternehmens auf Webseiten, in Werbeanzeigen oder Kundenanschreiben und insbesondere im Bereich der technischen Dokumentation. Unter diesem Begriff erfasst werden Texte, die es mit der Vermarktung technischer Produkte zu tun haben: Bedienungsanleitungen, Produktkataloge, Vertriebs- und Schulungsunterlagen. Ein in diesem Zusammenhang entstandener Beruf ist der technische Redakteur, dessen Aufgabe es ist, zwischen der Perspektive des Technikers, der ein Produkt entwickelt, und der Perspektive der Nutzer dieses Produkts zu vermitteln. Ein besonderer Schwerpunkt der Textoptimierung ist die Verständlichkeit eines Textes, wobei neben der linguistischen Textanalyse gegebenenfalls auch empirische Rezeptionsforschung betrieben wird, um mögliche Probleme festzustellen, z.B. durch Untersuchung von Augenbewegungen beim Lesen oder von Rezipientenkommentaren („lautes Denken“). Über die Verständlichkeit hinaus betreffen Fragen der Textoptimierung die emotionale Wirkung von Texten oder die Stimmigkeit von Textgestaltung und Selbstbild des Unternehmens. Dabei spielen neben den unmittelbaren Zwecksetzungen des Textes (z.B. Erfüllung einer Zahlungsaufforderung als Zweck eines Mahnschreibens) auch langfristige Aspekte wie die Kundenbindung eine Rolle. 18.4.4 Sprachtrainings, Kommunikationstraining In vielen Fällen umfasst die Sprach- und Kommunikationsberatung auch die Schulung spezifischer Fähig- und Fertigkeiten. Lese- und Schreibtrainings zielen darauf ab, Texte effektiv rezipieren und selbst angemessen planen und realisieren zu können. Sie richten sich zumeist an spezifische Zielgruppen, z.B. an professionelle Schreiber in der Public-Relations-Abteilung eines Unternehmens oder an Arbeitsuchende, die Bewerbungsschreiben verfassen wollen. Speziell für Studierende sind universitäre Lese- und Schreibkurse entwickelt worden, die sie mit Formen der wissenschaftlichen Darstellung vertraut machen sollen. Von grundlegender Bedeutung ist dabei, den Betreffenden die Zwecksetzung der von ihnen zu rezipierenden oder zu realisierenden Texte deutlich zu machen. 23 So sind wissenschaftliche Texte beispielsweise durch eine zugrundeliegende „eristische“ 24 Struktur gekennzeichnet und umfassen typischerweise außer Erklärungen und Beschreibungen auch die Darstellung von und die Auseinandersetzung mit Erkenntnissen und Positionen. Ihre Zwecksetzung, die argumentative Darstellung von neuem Wissen, bedingt die Wahl bestimmter sprachlicher Handlungsmuster (Assertieren, Begründen) sowie die Auswahl der sprachlichen Mittel. Während journalistische oder populärwissenschaftliche Texte pauschale Aussagen bevorzugen (Wir alle kennen die Situation, dass … / Wissenschaftler haben festgestellt, dass …), erfordert ein wissenschaftlicher Text Nachweise im Blick auf den Geltungsanspruch nicht nur einer sprachlichen Handlung, sondern einer wissenschaftlichen Erkenntnis. In wissenschaftlichen Texten werden daher zumeist deutlich andere Satzkonstruktionen verwendet als z.B. in Bedienungsanleitungen. Kommunikationstrainings zielen auf die Schulung der mündlichen Kommunikationsfähigkeit ab und und wenden sich an Einzelpersonen, die ihr kommunikatives Handeln 23 Beispielhaft s. Moll (2001). 24 Streitend; dialektische Entwicklung eines Gedankens durch Widerspruch. <?page no="316"?> 18.5 Forensische Linguistik 315 verbessern wollen (z.B. als Vorbereitung auf eine Bewerbung, Prüfung oder einen öffentlichen Auftritt), oder an Personengruppen, die in kommunikationsintensiven Berufen tätig sind. Wichtige praktische Zusammenhänge von Kommunikationstrainings sind - neben der Wirtschafts- und Unternehmenskommunikation - die Supervision und Weiterbildung von öffentlichen Beratern, Ärzten und medizinischem Personal, Therapeuten und Lehrkräften. 25 Die Trainings gehen von der Alltagspraxis der Betroffenen aus, die entsprechend erhoben wird oder für die bereits linguistische Untersuchungen vorliegen. Häufig thematisierte Situationen in Kommunikationstrainings betreffen Bewerbungsgespräche, Beratungen, Geschäftsverhandlungen, Besprechungen, Verkaufs- und Reklamationsgespräche. Für den Bereich Studium und Universität wurden insbesondere das Referat, die Praxis der Studienberatung sowie die Situation der mündlichen Prüfung in linguistischen Analysen thematisiert und für eine Schulung der Betroffenen aufbereitet. 26 Zunehmende Berücksichtigung findet dabei die Bewältigung kultureller Unterschiede, besonders vor dem Hintergrund von Deutsch als Fremd- und Zweitsprache. Manche Sprach- und Kommunikationsberatungen umfassen daher eine interkulturelle Beratung (interkulturelle Mediation) sowie entsprechende interkulturelle Trainings. Neben Sprachunterschieden, die Auslöser für interkulturelle Missverständnisse sein können, wird als typisches Merkmal interkultureller Kommunikation die Fremdsprachigkeit mindestens eines der Beteiligten hervorgehoben, die es bei der Einschätzung von Gesprächen oder Texten zu berücksichtigen gilt. 18.5 Forensische Linguistik Die Forensische Linguistik beschäftigt sich als Teilgebiet der Angewandten Sprachwissenschaft mit juristischen Aspekten von Kommunikation. Dazu gehört das Interesse, Gesetzestexte für Bürger verständlicher zu gestalten, um die demokratische Teilhabe und eine Mündigkeit der Bürger zu sichern. Auch die Sprache vor Gericht wird in diesem Zusammenhang analysiert und es wird die Frage nach möglichen Benachteiligungen gestellt, die sich z.B. aufgrund von unverständlichen Fragen durch Richter oder Staatsanwälte oder aufgrund einer mangelnden Sprachkompetenz von Klägern, Angeklagten oder Zeugen ergeben können. Besondere Relevanz kommt diesen Momenten zu, wenn das Handeln vor Gericht durch eine mehrsprachige Situation gekennzeichnet ist. Ein Arbeitsbereich der Forensischen Linguistik ist zudem die Aufklärung von Straftaten; häufig geht es auch um Gutachten, die z.B. vor Gericht herangezogen werden können. 27 In diesem Zusammenhang stellen sich neben der Frage, ob eine bestimmte sprachliche Handlung als Straftat (z.B. als Beleidigung) zu werten ist, häufig das Problem der Urheberschaft einer sprachlichen Handlung. So wird z.B. ein Erpresseranruf oder -schreiben daraufhin analysiert, auf welchen Personenkreis die verwendeten sprachlichen Mittel schließen lassen, ob es sich bei den Urhebern verschiedener Briefe oder Anrufe um dieselbe Person handelt oder ob ein Text von mehreren Autoren verfasst wurde. Teilbereiche der forensischen Linguistik mit jeweils eigenen Methoden sind - die forensische Sprecheridentifikation, die Identifikation einer Person aufgrund von Merkmalen der Aussprache, der Stimmhöhe und der Sprechweise, 25 Eine Übersicht geben die verschiedenen Beiträge in Brünner / Fiehler / Kindt (2002). 26 Siehe u.a. Eßer (1997), Meer (1998), Meer (2003). 27 Einen Überblick gibt Schall (2010). <?page no="317"?> 316 Anwendungsfelder: 18 Angewandte Linguistik - die forensische Textanalyse (Autorenerkennung), bei der z.B. aufgrund von orthographischen Fehlern, verwendeten Ausdrücken und stilistischen Besonderheiten auf den beruflichen Hintergrund oder Bildungsstand des Autors geschlossen wird, - die forensische Handschriftanalyse, die Identifikation einer Person aufgrund von Merkmalen der Schreibung bzw. Schreibmotorik (Strichbeschaffenheit, Druckgebung, Bewegungsfluss, horizontale und vertikale Ausdehnung der Schrift). Auch in der Forensischen Linguistik spielt Deutsch als Fremd- und Zweitsprache eine wichtige Rolle, z.B. mit Blick auf die Frage von Identitätsmerkmalen oder im Zusammenhang verstellter Sprechweisen, wenn ein vorgeblich „ausländischer Akzent“ zu analysieren ist. 18.6 Computerlinguistik Verschiedene Anwendungsinteressen der Linguistik haben es speziell mit dem Medium Computer sowie mit dem Internet zu tun. Als eigenständige linguistische Disziplin, die als ihr direktes Bezugsfach die Informatik ansieht, hat sich in diesem Zusammenhang die Computerlinguistik entwickelt (s. einführend C ARSTENSEN et al. 2009). Die Computerlinguistik zielt einerseits auf die Linguistik selbst als Anwendungsgebiet ab. Sie will sprachwissenschaftliche Forschung unterstützen, indem sie Hilfsmittel zur automatischen Analyse größerer Sprachkorpora bereitstellt (vgl. Kap. 4). Ein allgemeineres Interesse der Computerlinguistik betrifft die Entwicklung sprachverarbeitender Systeme sowie die Mensch-Maschine-Kommunikation. Die mit den genannten Anwendungsfeldern verknüpften praktischen Aufgaben sind zahlreich. Zu ihnen gehört z.B. - die Entwicklung von Korrekturprogrammen, die Computernutzer bei der Textverarbeitung unterstützen (Rechtschreibprüfung, Grammatikprüfung, stilistische Prüfung), - die Entwicklung von halb- oder vollautomatischen Übersetzungsprogrammen, - die automatische Erstellung von Textzusammenfassungen, - die Entwicklung von Programmen, die Texte vorlesen (text-to-speech), - die Entwicklung von Programmen, die mündliche Sprache verschriften (speech-totext), oder die es erlauben, Computer durch mündliche Befehle zu steuern, - die computergestützte Sprecherverifikation, bei der das Programm durch Stimmanalyse die Identität eines Nutzers feststellen und ggf. den Gerätezugang oder eine andere technische Funktion zulassen oder verweigern soll, - die Erstellung von Sprachlernsoftware. Im Zusammenhang mit dem Internet gilt ein besonderes Interesse der optimalen Verknüpfung von Inhalten in dem schnell wachsenden und potenziell unbegrenzten Wissenspool. Ausgewählte Aufgaben zu Kap. 18 (8 von 22) 2. Welches der verschiedenen Arbeitsfelder interessiert Sie am meisten? Recherchieren Sie ausgehend von den verschiedenen Internet-Einstiegen und stellen Sie es näher vor. 3. Inwieweit können Werbespots zwischen Sprachen übertragen werden, welche Probleme stellen sich dabei? Recherchieren Sie für bekannte Produkte. <?page no="318"?> 18.6 Computerlinguistik 317 4. DaF oder DaM? Das folgende Erpresserschreiben (S EIFFERT 2010, S. 14) weist einige Auffälligkeiten auf. Analysieren Sie das Schreiben im Blick auf die vorkommenden Sprechhandlungen und Prozeduren. Handelt es sich ihrer Meinung nach um eine/ n deutsche/ n oder ausländische/ n Schreiber bzw. Schreiberin? Begründen Sie ihre Meinung. Erpresserschreiben Ich kennen ihre Geheimnis. Wen Sie nicht wolen, das alle Läute in Zeitung werden lesen von ihre Affäre sie mussen erfullen mein Forderung. Sie muss legen 6.000 Euro an Bushaltestellte Kayserstrase an Dienstag 21 Uhr. Wenn Sie nicht das tun, alle werden erfaren von, Sie sind Ehebrecher! Kein Polizei! 7. Welche Disziplinen sind für praktische Probleme wie die in den folgenden Beispielen dargestellten jeweils einschlägig? a) Kind A, Muttersprache Deutsch, ist in der ersten Klasse. A hat offensichtlich große Probleme beim Schrifterwerb. Er artikuliert manche Laute auch nicht richtig. b) Kind B ist in der Klasse oft sehr still. Seine Mutter ist Russin, sein Vater Italiener. Die Lehrerin ist sich unsicher, ob es die Arbeitsanweisungen versteht und dem Unterricht überhaupt folgen kann. 11. Eine Übertragung aus einer vorher gelernten Sprache, die zu Fehlern in der Zweitbzw. Fremdsprache führt, nennt man [? ] ? 12. Wofür steht die Abkürzung GER, worum handelt es sich? 16. Frau C unterrichtet Mathematik und Deutsch an der Hauptschule. Sie hat eine ziemlich hohe, dünne Stimme, leidet oft unter Halsschmerzen oder ist heiser. Welche Disziplin beschäftigt sich mit Fällen wie diesem? 22. Sie wissen, dass Studierende oft Probleme mit der Handlungsform „Referat“ haben, und wollen ein linguistisch basiertes Kommunikationstraining entwickeln. Wie gehen Sie bei der Entwicklung des Trainingskonzepts vor? Ausgewählte weiterführende Literatur Becker-Mrotzek, Michael/ Brünner, Gisela/ Cölfen, Hermann (Hgg.) (2000) Linguistische Berufe. Ein Ratgeber zu aktuellen linguistischen Berufsfeldern. Frankfurt a.M.: Peter Lang Brauer, Thomas / Tesak, Jürgen ( 5 2014) Logopädie - Was ist das? Idstein: Schulz-Kirchner Verlag Carstensen, Kai-Uwe / Ebert, Christian / Endriss, Cornelia / Jekat, Susanne / Klabunde, Ralf / Langer, Hagen (Hgg.) ( 3 2010) Computerlinguistik und Sprachtechnologie: Eine Einführung. Heidelberg: Spektrum Akademischer Verlag Fobbe, Eilika (2011) Forensische Linguistik: Eine Einführung. Tübingen: Narr Knapp, Karlfried et al. (Hgg.) ( 3 2011) Angewandte Linguistik. Ein Lehrbuch (mit CD-ROM). Tübingen: Francke Seiffert, Jan (2010) Verstellungs- und Imitationsstrategien in Erpresserschreiben: Empirische Studien zu einem Desiderat der forensisch-linguistischen Textanalyse. In: Zs. für Angewandte Linguistik 2010, S. 3-27 <?page no="320"?> Literatur Adamzik, Kirsten ( 3 2010) Sprache: Wege zum Verstehen. Tübingen: Francke Adamcik, Kirsten ( 2 2016) Textlinguistik: Grundlagen, Kontroversen, Perspektiven. Berlin / Boston: de Gruyter Adelung, Johann Christoph (1782) Umständliches Lehrgebäude der deutschen Sprache zur Erläuterung der deutschen Sprachlehre für Schulen. Leipzig: Breitkopf (Online: Bayerische Staatsbibliothek Digital, ) Adelung, Johann Christoph (1793-1801) Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart. 4. Bde. Leipzig: Breitkopf (Online: Bayerische Staatsbibliothek Digital, , Fassung von 1811) Admoni, Wladimir ( 4 1982) Der deutsche Sprachbau. Hamburg: Beck Verlag Agricola, Erhard et al. (1992) Wörter und Wendungen. Wörterbuch zum deutschen Sprachgebrauch. Mannheim: Dudenverlag Ahlzweig, Claus (1989) Die deutsche Nation und ihre Muttersprache. In: Ehlich, Konrad (Hg.) Sprache im Faschismus. Frankfurt a. M.: Suhrkamp, S. 35-57 Ahlzweig, Claus (1994) Muttersprache - Vaterland. Die deutsche Nation und ihre Sprache. Opladen: VS Verlag für Sozialwissenschaften Ahrenholz, Bernt (2010a) Erstsprache - Zweitsprache - Fremdsprache. In: Ahrenholz, Bernt/ Oomen-Welke, Ingelore (Hgg.) ( 2 2010) Deutsch als Zweitsprache. Baltmannsweiler: Schneider Verlag Hohengehren, S. 3-16 Ahrenholz, Bernt (2010b) Zweitspracherwerbsforschung. In: Ahrenholz, Bernt/ Oomen-Welke, Ingelore (Hgg.) Deutsch als Zweitsprache. Baltmannsweiler: Schneider Verlag Hohengehren, S. 64-80 Ahrenholz, Bernt/ Apeltauer, Ernst (Hgg.) (2006) Zweitspracherwerb und curriculare Dimensionen: Empirische Untersuchungen zum Deutschlernen in Kindergarten und Grundschule. Tübingen: Stauffenburg Ahrenholz, Bernt/ Oomen-Welke, Ingelore (Hgg.) 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Aktant ................... 145, 275 Aktionsart .................... 116 aktiver Artikulator ...... 205 aktiver Wortschatz ........ 88 Akustische Phonetik ... 199 Akzent .......................... 232 dynamischer ........... 232 musikalischer .... 35, 232 Akzentdomäne ............ 235 Akzentstelle .................. 232 Akzentuierung ..... 227, 232 Akzentuierungsgrad ... 234 Akzentuierungspotenzial .................. 234 akzentzählende Sprache ..................... 234 Allgemeine Sprachwissenschaft .. 13 Allograph ...................... 220 Allophon ....................... 212 freies ......................... 212 komplementäres ..... 212 Alphabetisierung ......... 310 Alternativfrage geschlossene ............ 238 offene ........................ 239 Althochdeutsch .............. 38 Altphilologie .................. 49 alveolar ......................... 205 ambisyllabisch ............. 229 anadeiktisch ................. 289 Analepse ....................... 293 Analphabet, primärer . 310 Analphabetismus, funktionaler ............. 310 Anamnese ..................... 281 Anapher ........................ 165 anaphorisch .................. 289 Angabe, freie ................ 146 Angewandte Linguistik ................. 305 Anglizismus ............. 41, 90 Ankündigung ............... 271 Anleitung ...................... 270 Anliegensdarstellung .. 297 Anonymisierung ............ 66 Anordnung ................... 271 Anrede .......................... 238 Anthropologie ................ 47 Antonym ........................ 98 Antonymie ..................... 98 Antwort ........................ 301 Aphasie ......................... 311 apikal ............................ 205 Apokoinukonstruktion ............ 254 Apokope ....................... 223 Apposition ................... 181 Approximant ............... 207 Arbitrarität ..................... 82 Archiphonem ............... 212 Argument ..................... 141 Artenplural .................. 127 Artikel ............................. 84 Artikelwort .......... 128, 178 Artikulationsart ........... 206 Artikulationsmodus ... 206 Artikulationsorgan ..... 205 Artikulationsstelle ...... 205 Artikulator aktiver ...................... 205 passiver .................... 205 artikulatorische Phonetik ................... 204 ärztliches Fragen ......... 281 Arzt-Patienten- Gespräch .................. 281 Aspekt imperfektiver .......... 161 perfektiver ............... 161 Aspektdeixis ................ 131 Assertion .............. 238, 270 Assertionsverkettung . 240 assertive Text- und Diskursart ........ 270 Assimilation ........... 89, 220 progressive .............. 220 regressive ................ 220 Assoziation .................... 82 <?page no="345"?> 344 Index Attribut ......................... 178 Auditive Phonetik ....... 203 Aufforderung ...... 238, 270 Aufnahme offene ......................... 66 verdeckte ................... 66 Aufzählung .................. 240 Ausdruck ....................... 77 Auslautverhärtung ..... 217 Ausruf ........................... 238 Aussagesatz ................. 121 äußere Flexion ............. 123 äußeres Ohr ................. 203 Äußerung konstative ................ 266 performative ........... 266 Äußerungsakt .............. 267 Austrian Academy Corpus ....................... 72 authentische Sprachdaten .............. 64 Autosemantikum .......... 95 Auxiliarisierung .......... 134 Auxiliarverb ................. 157 back channel ................... 248 Basis, propositionale ... 268 Basislexem .................... 110 Basismorphem ....... 95, 109 Batterie ......................... 278 Bayerisches Archiv für Sprachsignale (BAS) .......................... 73 Bedingung der Aufrichtigkeit ... 268 der normalen Eingabe und Ausgabe .............. 268 des propositionalen Gehalts ................ 268 Einleitungsbedingung .......... 268 wesentliche .............. 268 bedrohte Sprache .......... 16 Befehl ............................ 270 Begleitton ...................... 237 Begründen .................... 277 Begründung ......... 270, 301 Behauchung .................. 217 Behauptung .................. 270 Behaviorismus ............... 53 Benrather Linie .............. 31 Beobachterparadox ....... 66 Beratung interkulturelle ......... 315 linguistische ............. 313 Bericht ........................... 270 Beschreibung ................ 270 Bestätigungsfrage ........ 239 Bestimmungswort ....... 110 Bezug anaphorischer .......... 289 kataphorischer ......... 289 bilateraler Sprachvergleich ............. 25, 105 bilaterales Kommissiv ............... 271 bilingualer Erstspracherwerb ...... 15 binäre Opposition ........ 212 Binnenfremdsprache ..... 19 biologistisch ................... 48 biphonematisch ........... 216 Bitte ....................... 270, 297 Bürgen ........................... 271 Cochlea ......................... 203 Coda .............................. 228 Code Switching ................ 15 Computerlinguistik ..... 316 Conversation Analysis ..................... 246 Dank ...................... 280, 297 Datenbank Gesprochenes Deutsch (DGD) .......... 73 definites Nomen .......... 176 Definition ........................ 84 Dehnungs-e .................. 221 Dehnungs-h .................. 221 deiktisch ....................... 289 deiktische Geste .......... 258 deiktische Prozedur .... 273 Deixis ............................ 130 Deklarativ .................... 269 Denotation ..................... 78 dental ............................ 205 Dependens ................... 146 Derivation .................... 113 Derivationsbasis .......... 113 Deskription .................... 46 deskriptive Verbform ................. 155 Deskriptivismus ............ 52 desubstantivisch .......... 113 Determination ..... 176, 289 inhärente .................. 177 Determinativ ........ 129, 178 Determinativkompositum ............ 111 Deutsch von heute ........ 41 Deutsches Referenzkorpus ........ 72 Deutsches Textarchiv (DTA) ......................... 72 Deutsches Wortschatz- Portal .......................... 74 Deutschtest für Zuwanderer (DTZ) . 309 deverbal ........................ 113 Dezibel .......................... 200 diachron ......................... 20 diachrone Perspektive ................ 51 Dialekt ...................... 16, 30 Dialektgeographie ........ 30 Dialektologie ................. 29 Diathese ........................ 172 Digitales Wörterbuch der Deutschen Sprache (DWDS) ...... 74 Diglossie ......................... 18 Diphthong .................... 206 fallender ................... 216 <?page no="346"?> Index 345 öffnender ................. 216 schließender ............ 216 steigender ................ 216 Direktiv ................ 270, 301 Anleitung ................ 270 Anordnung .............. 271 Aufforderung .......... 270 Befehl ....................... 270 Bitte .......................... 270 Drohung .................. 270 Forderung ................ 271 Gebot ........................ 271 Ratschlag ................. 270 Verbot ...................... 271 Vorschlag ................. 270 Warnung .................. 270 Weisung ................... 271 Diskurs ......................... 245 Diskursanalyse ............ 246 Diskursart, assertive ... 270 Diskursforschung ........ 246 Distinktion, qualitative ................ 214 distinktives Merkmal .................. 212 Distribution .................... 52 Distributionalismus ...... 52 Divergenz ..................... 249 Dokumentation, technische ................ 314 Dolmetschen .................. 15 Domäne, konzeptuelle .............. 97 Doppelschreibung ...... 221 Doppelsteigtonmuster ...................... 238 dorsal ............................ 205 Drohung ....................... 270 durativ .......................... 116 dynamischer Akzent .. 232 Dysarthrie .................... 311 Dysgrammatismus ...... 311 Dyslalie ......................... 311 Dyslexie ........................ 311 Dysphonie .................... 311 einaktantig .................... 296 Eindeutschung ............... 89 Einheit interaktive ................ 127 Einleitungsbedingung ................ 268 Einsatz ........................... 228 Elektropalatographie .. 207 Elision ........................... 223 Elizitierung ..................... 64 Emblem ......................... 256 embodied mind ............... 104 emische Perspektive .... 211 Emotionsausdruck ...... 242 Empirie ........................... 62 Enklise ........................... 223 Entlehnung ..................... 89 Entscheidungsfrage .................. 150, 238 epistemisch ................... 160 Ergänzung .................... 146 Ergänzungsfrage ......... 239 Erinnerungszitat ............ 65 Erklärung ...................... 270 Ersatzinfinitiv .............. 159 Ersetzungsmorphem ................. 123 Erstsprache ..................... 14 Erstspracherwerb ........ 306 bilingualer .................. 15 Erwerben ...................... 305 Erzählung ..................... 270 Ethnomethologie ......... 246 Ethnozentrismus ............ 52 etische Perspektive ...... 211 Etymologie ..................... 87 Evaluation .................... 313 expeditive Prozedur .... 248 expeditives Feld ........... 273 Experiment ............... 58, 64 Explizitlautung ............ 222 Expressiv ...................... 271 F0, F1, F2, F3 ................. 202 Fachsprache ................. 281 Falltonmuster .............. 237 Feld ............................... 273 Feld, expeditives ......... 273 Feldforschung .......... 52, 65 finale Pause .................. 253 flektierende Sprache .................... 135 Flexion .................... 22, 123 äußere ...................... 123 innere ....................... 123 Flussdiagramm ............ 274 Fokus ............................ 291 Fokusakzentsilbe ......... 235 Fokuspartikel ............... 128 Fokussierung ............... 131 Forderung .................... 271 Formant ........................ 202 Formel, performative ........... 266 Fortis ............................. 217 Fossilierung ................. 307 FP (= Funktionale Pragmatik) ............... 272 Frage ..................... 238, 301 Alternativfrage ....... 269 Bestätigungsfrage ... 269 deliberative ............. 269 Ergänzungsfrage .... 269 propositionale ......... 269 Frage-Antwort ............. 274 Fragebatterie ................ 282 Fragebogen .................... 63 Fragen, ärztliches ........ 281 Frame .............................. 56 Frame-Semantik ............ 97 Freiburger Korpus ........ 73 freies Morphem ........... 109 Fremdreparatur fremdinitiierte ......... 253 selbstinitiierte ......... 252 Fremdsprache ................ 15 Fremdwahl ................... 246 Fremdwort ..................... 89 <?page no="347"?> 346 Index Frequenz ....................... 201 Frikativ ......................... 206 Frühneuhochdeutsch ....................... 40 Fuge .............................. 111 Fugenelement .............. 111 Funktion, generische ................ 177 funktionale Phonetik ................... 199 Funktionale Pragmatik (FP) ........ 272 Funktionale Satzperspektive ...... 291 funktionaler Analphabetismus ... 310 funktionelle Phonetik ................... 199 Funktor ......................... 141 Futur ............................. 168 Futurperfekt ................. 168 Gastarbeiterdeutsch ...... 24 Gattungsbegriff ........... 127 Gattungsname ....... 78, 126 GdS ............................... 127 Gebärde .......................... 14 Gebärdensprache .......... 14 Deutsche (DGS) ........ 20 Österreichische (ÖGS) ..................... 20 Schweizerdeutsche (SDGS) ................... 20 Gebärdensprachforschung ................... 14 Gebot ............................ 271 gebundenes Morphem ................. 109 gedeckte Silbe .............. 229 Gegengruß ................... 279 Geloben ........................ 271 Gemeinsamer Europäischer Referenzrahmen (GER) ................ 283, 308 Gemeinsprache .............. 85 genealogisch ................... 20 Generative Transformationsgrammatik ................. 53 generische Funktion .... 177 Genitiv Objektsgenitiv ......... 181 Subjektsgenitiv ........ 181 Genitivattribut ............. 180 Genus .................... 125, 171 Genuszuweisung ......... 126 GER ....................... 283, 308 germanisch ............... 36, 38 Gesamtsprachenkonzept ..................... 309 geschlossene Alternativfrage ........ 238 gespannter Vokal ......... 214 Gesprächspartikel ........ 250 Gesprochenes Deutsch, Datenbank (DGD) ..... 73 Gesprochenes Deutsch, Korpusstelle für ........ 73 Geste ................................ 14 deiktische ................. 258 referentielle .............. 257 Taktstockgeste ......... 241 gesteuerter Spracherwerb ...................... 305 Gestik ............................ 255 Gewichtung, kommunikative ....... 189 Gewichtungsakzent .... 235 Gipfeltonmuster .......... 237 glatter Sprecherwechsel ..................... 247 Gleitlaut ........................ 206 Gliederung, visuelle ..................... 299 glottal ............................ 205 Glottis (Stimmritze) ..... 205 Gradpartikel ................. 128 Grammatik ..................... 14 Kognitive .................... 56 Grammatikalisierung ............. 41, 133 Grammatikalklammer .................. 149 grammatischer Wechsel ...................... 36 grammatisches Morphem ................. 109 Graph ............................ 211 Graphem ...................... 211 Graphematik .................. 14 Graphie ........................... 14 Grundfrequenz ............ 201 Grundmorphem .......... 109 Grundwort ................... 111 Grundwortschatz .......... 88 Gruß ...................... 279, 297 Halbinterpretative Arbeitstranskription (HIAT) ................. 68, 69 Handlungsalternative ................ 159 Handlungsmuster ....... 272 sprachliches ............. 274 Handlungsplan, institutioneller ........ 279 Handlungsverb ........... 156 Handlungsziel ............. 159 Hauptakzent ................ 233 Hauptverb .................... 158 Hervorhebungsdomäne .................... 235 heutiges Deutsch ........... 41 Hiatus ........................... 206 Hilfsverb ...................... 157 Hintergrund ................. 291 Hinterzungenvokal ..... 214 hochdeutsch ................... 31 Höflichkeit ................... 282 Homograph ................... 99 Homonym ...................... 99 Homonymie ................... 99 Homonymieprinzip .... 221 homophon ...................... 99 <?page no="348"?> Index 347 Hörer ............................. 275 Hörerplan ..................... 277 Hörerrückmeldung ..... 248 Hörersteuerung ........... 249 Hyperonym ................. 100 Hypertext ..................... 290 Hyponym ..................... 100 Idiomatik ...................... 106 idiomatische Wendung ................... 86 Ikon ................................. 80 Iktus .............................. 237 illokutive Struktur ...... 300 illokutiver Akt ............. 267 Imperfekt ...................... 168 imperfektiv .......... 116, 161 Implikatur, konversationelle ..... 293 indefinites Nomen ...... 176 Indefinitheit ................. 177 Index ............................... 80 indigene Sprache ........... 23 Indikativ ....................... 169 Indogermanisch ............ 36 Indogermanismusforschung ................... 46 Indogermanismus- These .......................... 47 inferentiell .................... 160 infinit ............................ 153 Infinitiv ......................... 153 modaler .................... 191 reiner ........................ 163 Infinitivpartikel ... 164, 191 Infinitivphrase ..... 164, 190 Inhaltssatz ............ 194, 195 inhärente Determination ......... 177 inkorporieren ....... 145, 163 innere Flexion .............. 123 inneres Ohr .................. 203 Institution ..................... 278 institutionelle Kommunikation ..... 278 instruktiver Text .......... 299 instrumentelle Phonetik ................... 203 interaktive Einheit ....... 127 Interferenz, phonische ................. 224 Interjektion ................... 122 interkulturelle Beratung ................... 315 Interlinear- Übersetzung ............ 153 intermediäre Pause ...... 253 Internationales Phonetisches Alphabet (IPA) ........ 207 Internationalismus ...... 105 interrogativer Tonverlauf ............... 237 Interrogativum ............. 129 Interview ......................... 63 Intonationsphrase ........ 237 Intonationssprache ...... 227 Intonem ......................... 236 Intransitivität ............... 157 Introspektion .................. 61 IPA (= Internationales Phonetisches Alphabet) ................. 207 Isoglosse .......................... 31 isolierende Sprache ..... 135 Isotopie ......................... 291 Isotopiekette ................. 291 Isotopienetz .................. 291 Kanzleisprache ............... 39 Kardinalvokal .............. 207 Kasus ............................. 126 adnominaler ............ 180 katadeiktisch 289 kataphorisch 289 Kehlkopf (Larynx) ....... 205 Kernwortschatz .............. 85 Kiel Corpus .................... 73 Kinem ............................ 256 Kinesik .......................... 256 Kinetik .......................... 256 Klammersprache ......... 148 Klasse, offene ............... 125 Klient ............................ 278 Klientenwissen ............ 278 Klinische Linguistik .......... 58, 311 Klitisierung .................. 223 Knacklaut ..................... 218 Koartikulation ..... 202, 228 Kodifizierung ................ 87 Kognitionswissenschaft .............. 56 Kognitive Grammatik .. 56 Kognitive Linguistik ..... 55 Kognitive Semantik ...... 56 Kohärenz ...................... 290 Kohäsion ...................... 288 Kohäsionszeichen ....... 288 Kollokation .................... 88 Kolonialsprache ............ 24 Kommentar .................. 291 Kommentaradverb ...... 187 Kommissiv Ankündigung ......... 271 bilaterales ................ 271 Bürgen ..................... 271 Geloben .................... 271 Schwören ................. 271 unilaterales .............. 271 Verabreden .............. 271 Versprechen ............ 271 Vertrag ..................... 271 Wetten ...................... 271 Kommunikation institutionelle .......... 278 nonverbale ............... 256 Kommunikationsberatung .......... 312, 313 Kommunikationstraining .................... 314 kommunikative Gewichtung ............. 189 kommunikative Wende ...................... 283 <?page no="349"?> 348 Index komparativ ..................... 46 Komplement ........ 146, 156 Komplementsatz ......... 194 Komposition ................ 110 Kompositum ................ 110 Komprimiertheit ......... 298 Konfix ........................... 109 Kongruenz ................... 178 kongruieren ......... 142, 178 Konjugation ................. 153 Konjunkt ....................... 192 Konjunktion ................. 122 Konjunktionaladverb ...... 134, 187, 192 Konjunktionalphrase ...................... 188 Konjunktiv ................... 160 Konjunktiv I ......... 164, 170 Konjunktiv II ....... 169, 170 Konjunktor ................... 192 Konkretum ................... 126 Konnektivpartikel ....... 193 Konnektor .... 188, 192, 289 Konnexion .................... 289 Konnotation ............. 78, 98 konsekutiver Zweitspracherwerb .......... 306 Konsonant .................... 206 Konsonantencluster .... 231 Konsonantengemination .............. 221 konstative Äußerung ................ 266 Konstituente ................ 139 Konstruktionsgrammatik ................. 97 Kontrastakzent ............ 234 Konturtonsprache ....... 227 Konvention .................... 81 Konvergenz .................. 249 konversationelle Implikatur ............... 293 Konversationsmaxime .................... 293 Konverse ....................... 172 Konversion ................... 113 Konzept ........................... 56 Kookkurenz .................... 88 Kooperationsprinzip ...................... 293 koordinierend .............. 240 Kopulativkompositum ............ 111 Kopulaverb ................... 157 koronal .......................... 205 Körper ........................... 228 Korpus ...................... 52, 71 Korpus, Freiburger ........ 73 Korpuslinguistik ............ 74 Korpusstelle für Gesprochenes Deutsch ...................... 73 Korrelat ......................... 195 Kreolistik ........................ 23 Kreolsprache .................. 23 L1, L2, L3, L4 .................. 14 labial .............................. 205 laminal .......................... 205 Längsschnittstudie ........ 62 Language Acquisition Device (LAD) ............. 54 laryngal ......................... 205 Larynx (Kehlkopf) ....... 205 Lateral ........................... 207 Laut stimmhafter ............. 206 stimmloser ............... 206 Lautsprache .................... 14 Lautstärke ..................... 200 Lautverschiebung althochdeutsche ........ 38 erste ............................ 35 germanische ............... 35 Legasthenie .................. 311 Lehnbedeutung .............. 90 Lehnbildung ................... 90 Lehnschöpfung .............. 90 Lehnübersetzung ........... 90 Lehnwort ........................ 89 Lehnwortschatz ............. 85 Lehrplan ....................... 308 Leibniz-Institut für Deutsche Sprache ..... 72 leichte Silbe .................. 231 Lekte ............................... 29 Lemma ............................ 84 Lenis .............................. 217 Lernwortschatz ............. 88 Lesetraining ................. 314 Lexem ....................... 13, 84 Lexik ............................... 13 lexikalisches Morphem ................. 109 Lexikalklammer .......... 148 Lexikographie .......... 13, 86 Lexikologie ............... 13, 86 Lexikon ........................... 13 mentales ..................... 58 Linguistik Angewandte ............ 305 Forensische .............. 315 Klinische ............ 58, 311 Kognitive ................... 55 Kontrastive ................ 25 linguistische Relativitätstheorie .... 56 Linksattribut ................ 179 Literalität ...................... 310 Logik ............................. 141 Logopädie .................... 311 Lokaldeixis ................... 130 Lokalergänzung .......... 186 lokutiver Akt ............... 267 Makrostruktur ............. 299 Malfeld ......................... 273 Matrixsatz .................... 193 Mediation, interkulturelle ......... 315 Mehrsprachigkeitsforschung ................... 15 Melodem ...................... 236 Melodik ........................ 201 <?page no="350"?> Index 349 Merkmalsgeographie . 213 Merkmalsphonologie . 212 Metapher ...................... 100 Metaphorik .................. 101 Metonymie ................... 101 Migrantensprache ......... 19 Mimik ................... 241, 255 Minimalpaar ................ 212 Minimalpaaranalyse ..................... 212 Mittelfeld ...................... 149 Mittelhochdeutsch ........ 39 Mittelohr ...................... 203 Mitteltonmuster .......... 240 mittlere Sprechstimmlage .... 201 Modaladverb ............... 187 modaler Infinitiv ......... 191 Modalität ................ 14, 169 Modalpartikel ...... 187, 261 Modalverb .................... 158 Modularisierung ........... 54 Modus ........................... 153 Monoflexion ......... 124, 178 monolateraler Sprachvergleich ........ 25 monophonematisch .... 216 monosyllabisch ............ 228 Monophthong .............. 206 More .............................. 231 Morphem ............... 13, 109 freies ......................... 109 gebundenes ............. 109 grammatisches ........ 109 lexikalisches ............ 109 Morphologie .................. 13 Morphophonem .......... 221 Motiviertheit .................. 87 multilateraler Sprachvergleich ........ 25 Multimodalität ............ 256 Mundart ......................... 16 Mündlichkeit ............... 245 musikalischer Akzent ................ 35, 232 Musterdurchlauf .......... 274 Musterrekursion .......... 277 Musterteildurchlauf .... 297 Nachfeld ....................... 149 Nachfrage ..................... 239 Nachgeschichte ............ 277 Nachschaltung ............. 249 Nachverb ...................... 148 Nasal ............................. 207 Nativismus ..................... 54 natural semantic metalanguage .......... 103 Nebenakzent ................ 233 Nebensequenz .............. 251 Negationspartikel ........ 189 Nennwort ....................... 84 Neologismus .................. 85 Neuhochdeutsch ............ 40 Neuphilologie ................ 49 Neurolinguistik ............. 56 Neutralisierung .............. 99 nicht-segmentale Phonologie ............... 227 Nomen definites .................... 176 indefinites ................ 176 Nominalgruppe ........... 175 Nominalphrase ............ 175 Nominalsatz ................. 142 nonverbale Kommunikation ...... 256 normativ ......................... 45 Nukleus ......................... 228 Nullableitung ............... 114 Nullmorphem .............. 109 Numeralia ..................... 126 Numerativkonstruktion ............ 182 Numerus ....................... 126 Objekt ............................ 143 direktes ..................... 184 Objektdeixis ................. 130 Objektsatz ............ 193, 195 Objektsgenitiv ............. 181 Obstruent ..................... 206 offene Alternativfrage ....... 239 offene Klasse ................ 125 Ohr äußeres ..................... 203 inneres ..................... 203 Ohrenphonetik ............ 203 Online-Wortschatz- Informationssystem (OWID) ...................... 74 Onomasiologie .............. 96 onomasiologisch ........... 96 Onomatopoetikon ......... 80 Ontogenese .................. 259 ontologisch ................... 122 Operationsfeld ............. 273 operative Prozedur ..... 273 Operator ....................... 268 Operator-Skopus- Struktur ................... 255 Opposition ..................... 50 binäre ....................... 213 Optimalitätstheorie ..... 213 Organonmodell ............. 82 Origo ..................... 131, 167 Orthographie ................. 14 orthographisches Prinzip ..................... 220 Oszillogramm .............. 200 other ............................... 246 palatal ........................... 205 paradeiktische Prozedur .................. 299 Paradigma .............. 51, 126 Paragrammatismus ..... 311 paralleler Zweitspracherwerb .......... 306 Paraphrase ................... 248 Parenthese .................... 288 Partikel ......................... 128 <?page no="351"?> 350 Index Partikelverb ......... 115, 154 Partiturschreibung ........ 68 Partizipialphrase .............. 179, 190 Passiv ............................ 171 passiver Artikulator .... 205 Patiens .......................... 172 Pause finale ........................ 253 intermediäre ............ 253 Pausenfüller ................. 254 Perfekt .......................... 168 perfektiv ............... 116, 161 performative Äußerung ................ 266 performative Formel ... 266 performatives Verb ..... 266 Periodisierung ............... 37 perlokutiver Akt ......... 267 Perspektive diachrone ................... 51 synchrone .................. 51 perzeptive Phonetik .... 203 pharyngal ..................... 205 Philologie, Vergleichende ..... 33, 46 Phon ...................... 199, 202 Phonem ........................ 211 phonematisches Prinzip ..................... 221 Phonetik ................. 14, 199 Akustische ............... 199 artikulatorische ....... 204 auditive .................... 203 funktionale .............. 199 funktionelle ............. 199 instrumentelle ......... 203 perzeptive ................ 203 phonische Interferenz ............... 224 phonographisch .......... 220 phonographisches Schriftverfahren ...... 207 Phonologie ..... 14, 199, 211 nicht-segmentale ..... 227 phonologisch flach ...... 220 phonologisch tief ......... 220 Phonotaktik .................. 230 phorisch ........................ 289 Photoelektroglottographie ........... 207 Phrase ............................ 143 Phraseologie ................. 106 phraseologisch ............. 104 Phraseologismus ............ 86 Phylogenese ................. 259 Pidgin(sprache) .............. 23 Plosiv ..................... 206, 217 plurizentrisch ................. 28 Plusquamperfekt ......... 168 polyfunktional ............. 183 Polysemie ....................... 99 Prädikat ......................... 141 Prädikation ................... 268 Prädikativ ..... 142, 157, 184 Prädikatsverband ........ 144 Prager Schule ................. 49 Pragmatik ..................... 265 Funktionale .............. 272 Präpositionalattribut ... 179 Präpositionalobjekt ..... 185 Präpositionalphrase .... 175 Präsens .......................... 167 Präsensperfekt ............. 168 präskriptiv ...................... 45 Präsupposition ............. 294 Präteritum .................... 167 Präteritumperfekt ........ 168 primärer Analphabet .............. 310 Priming, semantisches .............. 58 Prinzip morphologisches ..... 221 orthographisches .... 220 phonematisches ...... 221 Produktivität ................ 114 progredienter Tonverlauf ............... 237 progressive Assimilation ............ 220 Proposition ........... 145, 148 propositionale Basis .... 268 propositionale Frage ... 269 propositionaler Akt .... 267 propositionaler Gehalt ....................... 268 Prosodie ........................ 227 proto-indoeuropäisch ... 48 Prototypensemantik ... 102 Proxemik ...................... 256 Prozedur ....................... 272 deiktische ................. 273 expeditive ................ 248 malende ................... 273 operative .................. 273 paradeiktische ......... 299 symbolische ............. 273 Prozessverb .................. 156 Psychoakustik .............. 204 Psycholinguistik ............ 56 Quaestiv ....................... 269 Querschnittstudie ......... 62 Rahmencurriculum für Integrationskurse Deutsch als Zweitsprache .......... 308 Ratschlag ...................... 270 Redakteur, technischer .............. 314 Rede ................................ 50 Redehintergrund ......... 159 Redeteil ......................... 121 Redewiedergabe .......... 164 Reduktion ..................... 223 Redundanz ................... 295 Referent ........................ 101 referentielle Geste ....... 257 Referenz ......... 79, 101, 268 Referenz-Aussage- Struktur ................... 254 <?page no="352"?> Index 351 Referenzidentität ......... 290 Referenzkorpus, Deutsches .................. 72 referieren ...................... 101 Reflexivität ............. 92, 165 Reflexivum ................... 166 Regel, semantische, S EARLE ...................... 268 Regens .......................... 146 Regiolekt ........................ 32 Regionalsprachenforschung ................... 29 Register ........................... 29 Registertonsprache ..... 227 regressive Assimilation ............ 220 Reihung ........................ 240 Reim .............................. 228 Rektion ......................... 146 Rekurrenz ............. 288, 300 Relativsatz .................... 194 Relevanzpause ............. 253 Reparatur ..................... 250 Repräsentativität ..... 65, 71 restriktiv ....................... 179 resultativ ...................... 116 rezipientenorientiert .................. 300 Rhema ................... 121, 291 Richtungsergänzung .. 186 Rolle, semantische ......... 97 S APIR -W HORF - Hypothese ................. 56 Satellit ........................... 146 Satzadverb ................... 187 Satzaussage .................. 141 Satzbauplan ................. 190 Satzfunktion ................. 145 Satzgegenstand ........... 141 Satzintonation ...... 140, 227 Satzmuster ................... 190 Satznegation ................ 189 Satzperspektive, Funktionale ............. 291 satzwertig ..................... 190 Schale ............................ 228 Schallsignal ................... 199 Schallwelle .................... 200 Schlüsselbegriff, kultureller ................ 103 Schnecke ....................... 203 Schreibtraining ............. 314 Schriftlichkeit ............... 295 Schriftverfahren, phonographisches ... 207 Schwa ............................ 215 Schwa-Elision ............... 216 Schweizer Textkorpus ................. 72 schwere Silbe ................ 231 Schwerpunktsilbe ........ 237 Schwören ...................... 271 Segmentierung ............... 52 Segmentierungspause ........................ 253 Selbstidentifikation ................ 279, 297 selbstinitiierte Selbstreparatur ........ 250 Selbstreparatur fremdinitiierte ......... 251 selbstinitiierte .......... 250 Selbstwahl .................... 246 self .................................. 246 Sem .................................. 77 Semantik ................... 13, 77 Kognitive .................... 56 semantisches Priming ....................... 58 Semasiologie .................. 96 semasiologisch ............... 96 Semiotik .......................... 80 side sequence .................. 251 Silbe ....................... 118, 227 gedeckte ................... 229 geschlossene ............ 229 leichte ....................... 231 offene ........................ 229 schwere .................... 231 ungedeckte .............. 229 Silbenbau ...................... 228 Silbenkern .................... 228 Silbenschnitt ................ 230 Silbenschwere .............. 232 silbenzählende Sprache .................... 234 situationsentbunden ..... 84 Skript .............................. 56 Sonagramm .................. 202 Sondernegation ........... 189 Sonderzeichen ............... 69 Sonographie ................. 207 Sonorant ....................... 206 Sonorität ....................... 230 Sonoritätshierarchie .... 230 Soziolinguistik ............... 29 Spektralanalyse ........... 202 Spektrogramm ............. 202 Spiegelkonstruktion ... 254 Sprachatlas ..................... 30 Sprachberatung ........... 312 Sprachbund .................... 23 Sprache agglutinierende ...... 135 akzentzählende ....... 234 bedrohte ..................... 16 flektierende ............. 135 indigene ..................... 23 isolierende ............... 135 silbenzählende ........ 234 Sprachentwicklungsstörung ..................... 311 Sprachentwicklungsverzögerung ............ 311 Spracherwerb gesteuerter ............... 305 ungesteuerter .......... 305 Spracherwerbsforschung ........... 14, 305 Sprachfamilie ........... 20, 47 indoeuropäische ....... 21 Sprachgesellschaft ......... 89 <?page no="353"?> 352 Index Sprachheilpädagogik .. 311 Sprachkontakt ............... 22 Sprachkontaktforschung ................... 23 Sprachlehrforschung .. 309 Sprachlernforschung .. 309 sprachliches Handlungsmuster .. 274 Sprachplanung ...... 16, 312 Sprachpolitik ................. 16 Sprachpurismus ............ 89 Sprachsystem ................. 50 Sprachvergleich bilateraler .......... 25, 105 monolateraler ............ 25 multilateraler ............ 25 Sprachwandel .......... 41, 51 Sprachwissenschaft, Allgemeine ................ 13 Sprechakttheorie ......... 265 Sprecher ........................ 275 Sprecheridentifikation .......... 315 Sprecherplan ................ 277 Sprechersteuerung ...... 249 Sprecherwechsel .......... 246 glatter ....................... 247 überlappender ........ 247 Sprechhandlung ............ 83 mehrfachadressierte ........... 278 Sprechhandlungsaugment ................... 249 Sprechhandlungssequenz .................... 274 Sprechhandlungsverkettung ............... 274 Sprechmelodie ............. 235 Sprechsituation ............ 130 zerdehnte ................. 294 Sprechstimmlage, mittlere ..................... 201 Sprechstörung ............. 311 Sprechwissenschaft ..... 311 Sprossvokal .................. 231 Stammprinzip ...... 221, 233 Standardsprache ...... 28, 87 Standardvarietät ............ 28 Steigtonmuster ............. 238 Stemma ................... 53, 146 Steuerungsapparat ...... 249 Stil .................................... 29 Stimmband ................... 205 stimmhafter Laut ......... 206 Stimmlippe ................... 205 stimmloser Laut ........... 206 Stimmritze (Glottis) ..... 205 Stoffname ...................... 127 Strukturalismus ............. 49 stummes e ..................... 221 stummes h .................... 221 Stützvokal ..................... 231 Subjektsgenitiv ............. 181 Subjunktor ............ 134, 193 Subordination .............. 193 Substantiv ............. 122, 125 Substitution .................. 290 Supervision .................. 315 Suprasegmentalion ...... 227 Symbol ...................... 77, 81 Symbolfeld ..................... 84 symbolische Prozedur .................. 273 synchron ......................... 20 synchrone Perspektive ................ 51 Synkope ........................ 223 Synonym ......................... 84 Synonymie ...................... 98 Synsemantikum ............. 95 Syntagma ........................ 51 Syntax .............................. 14 Syntaxlehre ................... 139 Synthese ................ 144, 184 synthetisch .................... 167 Takt ................................ 234 Taktstockgeste .............. 241 Taltonmuster ............... 238 Tätigkeitsverb .............. 156 teachability- Hypothese ................. 55 technische Dokumentation ....... 314 technischer Redakteur ................ 314 teilnehmende Beobachtung ............. 65 Temporaldeixis ............ 130 Tempus ......................... 153 Term .............................. 177 terminaler Tonverlauf ............... 237 Terminologie ................. 85 Terminologiearbeit ..... 313 Terminvereinbarung .. 279 Tertium comparationis ........... 25 Text ............................... 287 instruktiver .............. 299 Textarchiv, Deutsches (DTA) ...... 72 Textart, assertive ......... 270 Textkorpus, Schweizer .................. 72 Textlinguistik ............... 287 Textoptimierung ......... 313 Textorganisation ......... 298 Textwissen ................... 290 Thema ........................... 291 thematische Organisation ........... 291 Tiefenkasus .................. 148 token .............................. 126 Ton ................................ 227 Tonem ........................... 227 Tongruppe ................... 237 Tonhöhe des Sprechens (pitch) .... 201 Tonsprache ................... 227 Tonverlauf interrogativer .......... 237 <?page no="354"?> Index 353 progredienter .......... 237 terminaler ................ 237 Topik ............................. 291 Training, interkulturelles ....... 315 Transformationsgrammatik, Generative ................. 53 Transitivität ................. 157 Transkription ................. 67 breite phonetische .... 71 einfache ...................... 70 enge phonetische ...... 71 erweiterte ................... 70 Transkriptionseditor ..... 68 Transkriptionsrelation ....................... 70 Transkriptionsverfahren ................... 67 CATS .......................... 68 CHAT ......................... 68 DIDA .......................... 68 diskursorientiertes ... 67 GAT ............................ 68 HIAT .......................... 68 phonetisch orientiertes ............ 67 Translationswissenschaft .............. 15 Transposition ............... 114 Triangulation ................. 62 Trommelfell ................. 203 turn ................................ 246 turn transition point ..... 246 turn-taking .................... 246 Turn- Übergangspunkt ..... 246 überlappender Sprecherwechsel ..... 247 Überlautung ................. 222 Übersetzen ..................... 15 Übersetzung, interlineare .............. 153 Umlaut .......................... 221 Umschrift, literarische ................. 68 ungedeckte Silbe .......... 229 ungespannter Vokal .... 214 ungesteuerter Spracherwerb .......... 305 unilaterales Kommissiv ............... 271 Universalgrammatik ..... 54 Universalie ..................... 24 Unterbrechung ............. 247 Untersuchungsverfahren qualitatives ................ 65 quantitatives .............. 65 uvular ............................ 205 Valenz ........................... 145 Variante .......................... 29 Varianz ............................ 29 Variationslinguistik ....... 29 Varietät ........................... 28 Varietätenlinguistik ....... 29 velar ............................... 205 Verabreden ................... 271 Verb performatives .......... 266 trennbares ........ 149, 154 verba dicendi ................ 164 verba sentiendi ............. 164 Verbaffix ....................... 164 Verbalabstraktum ........ 113 Verbalklammer ............ 148 Verbalkomplex ............ 156 Verbalperiphrase ......... 156 Verbalphrase ................ 155 Verbalsatz ..................... 142 Verberstsatz .................. 150 Verberststellung .......... 255 Verbform deskriptive ............... 155 finite .......................... 142 infinite ...................... 153 Verbletztsatz ................ 193 Verbot ............................ 271 Verbpartikel ................. 115 Verbzweitstellung ....... 255 Vergleichende Philologie ............. 33, 46 Vergleichspartikel ....... 131 Vergleichssatz .............. 196 Verner’sches Gesetz ...... 48 Versprechen ................. 297 Verständlichkeit .......... 314 Vertextung von Wissenselementen .. 299 Vertrag .......................... 271 Verweis anadeiktischer ......... 289 katadeiktischer ....... 289 Verzögerungspause .... 253 visible speech .................. 200 visuelle Gliederung .... 299 Vokal ............................. 206 gespannter ............... 214 ungespannter .......... 214 vokalisiertes r .............. 216 Vokaltrapez .................. 207 Vollverb ................ 156, 158 Vorauskonstruktion .... 190 Vorderzungenvokal .... 214 Vorfeld .......................... 149 Vorgangspassiv ........... 171 Vorgangsverb .............. 156 Vorgeschichte .............. 277 Vorschaltung ............... 249 Vorschlag ..................... 270 Vorverb ......................... 148 Wahrheitsfähigkeit ..... 141 Wahrnehmungsverb .......................... 160 Warnung ...................... 270 Wechsel, grammatischer .......... 36 Weisung ....................... 271 Weltbildhypothese ........ 56 Weltwissen ................... 290 Wende, kommunikative ...... 283 <?page no="355"?> 354 Index Wetten .......................... 271 Wissenslücke ............... 275 Wort ................................ 77 monosyllabisch ....... 228 polysyllabisch ......... 228 Wortakzent freier ......................... 233 gebundener ............. 233 Wortbildungslehre ...... 110 Wörterbuch der Deutschen Sprache, Digitales (DWDS) ..................... 74 Wortfamilie .................... 95 Wortfeld .......................... 95 Wortform .............. 123, 126 Wortgruppenlexem ....... 86 Wortschatz ...................... 84 aktiver ........................ 88 Wortschatz- Informationssystem, Online- (OWID) ........ 74 Wortschatz-Portal, Deutsches ................... 74 Wortstamm ................... 109 Worttrennung .............. 228 Wunsch ......................... 238 Zeichen ............................ 78 Zeigfeld .................. 84, 130 Zeigwort ................. 84, 130 zerdehnte Sprechsituation ....... 294 Zitierform ..................... 222 Zustandspassiv ........... 173 Zwecksetzung ............. 314 Zweitschriftlerner ....... 310 Zweitsprache ................. 15 Zweitspracherwerb ..... 306 konsekutiver ........... 306 paralleler .................. 306 <?page no="356"?> Zusatzmaterial Erstellen Sie einen persönlichen Benutzeraccount auf unserer Verlagswebsite und erhalten Sie mit Ihrem Gutscheincode kostenfreien Zugriff 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So geht’s www.narr.de/ gutschein besuchen den Schritten zum Aktivieren des Gutscheincodes folgen eBook mit allen Zusatzmaterialien kostenfrei herunterladen Ihr Gutscheincode zum Zusatzmaterial LEHRBUCH \ GERMANISTIK Narr Francke Attempto Verlag GmbH+Co. KG \ Dischingerweg 5 \ 72070 Tübingen \ Germany Tel. +49 (07071) 9797-0 \ Fax +49 (07071) 97 97-11 \ info@narr.de \ www.narr.de Wilfried Kürschner Grammatisches Kompendium Systematisches Verzeichnis grammatischer Grundbegriffe utb M 7., überarbeitete und erweiterte Auflage 2017, 346 Seiten €[D] 22,99 ISBN 978-3-8252-4693-8 eISBN 978-3-8385-4693-3 Dieses Standardwerk der Linguistik listet grammatische Grundbegriffe auf und erläutert sie mit Beispielen. Elementaren Begriffen aus der Semiotik und der Semantik folgen Terminologiefelder zur Graphemik, Phonologie, Morphologie, Wortartenlehre, Syntax und Textgrammatik. Das abschließende Kapitel zur Orthographie berücksichtigt die Stufen der Rechtschreibreform bis zur endgültigen Neuregelung. Die Konzentration auf die grundlegenden Bereiche der Grammatik und die systematische Anordnung der Begriffe erleichtern das Erlernen der Termini in Sachzusammenhängen; zusätzlich steht ein alphabetisches Register zur Verfügung. „Die Präzision der Definitionen, ihre Erklärung im systematischen Zusammenhang und die Übersichtlichkeit der Darstellung sind drei wesentliche Argumente für die Stärke des Grammatischen Kompendiums“ (ZRS 4, 2012). 87351 Graefen_L-8381 (original).indd 2 87351 Graefen_L-8381 (original).indd 2 21.01.20 15: 17 21.01.20 15: 17 <?page no="357"?> Gabriele Graefen Martina Liedke-Göbel Germanistische Sprachwissenschaft Deutsch als Erst-, Zweit- oder Fremdsprache Germanistische Sprachwissenschaft 3. A. Graefen | Liedke-Göbel Worin unterscheidet sich Deutsch von anderen Sprachen? Was kennzeichnet seine Lexik, Morphologie, Syntax und Phonologie? Was ergibt sich daraus für Deutsch als Fremd- und Zweitsprache? Dieser Band vermittelt germanistisches Grundlagenwissen und berücksichtigt dabei stets die Besonderheiten der Lehre von Deutsch als Fremd- oder Zweitsprache. Mit 18-Kapiteln, fast 500 Übungen sowie umfangreichem elektronischem Zusatzmaterial (z. B. Tonmaterial, Gesprächsbeispiele etc.) bietet er eine multimediale Einführung in die germanistische Linguistik aus der Perspektive von Mehrsprachigkeit. Tonbeispiele aus über 30 weiteren Sprachen lassen Besonderheiten des Deutschen deutlicher hervortreten. Die 3. Auflage wurde aktualisiert, grundlegend überarbeitet und um viele neue interaktive Aufgaben erweitert. Der Band eignet sich daher für den parallelen Einsatz in Vorlesung, Seminar, Übung und Tutorium. „Eine gut geschriebene Einführung“ Info DaF 2/ 3 (2014) „Umfassendes Grundlagenwissen in verständlicher Form“ ekz 42 (2012) „Ein Buch, das man griffbereit haben sollte“ Zielsprache Deutsch 37,3 (2010) Sprachwissenschaft ,! 7ID8C5-cihdfb! ISBN 978-3-8252-8735-1 Dies ist ein utb-Band aus dem Narr Francke Attempto Verlag. utb ist eine Kooperation von Verlagen mit einem gemeinsamen Ziel: Lehrbücher und Lernmedien für das erfolgreiche Studium zu veröffentlichen. utb-shop.de QR-Code für mehr Infos und Bewertungen zu diesem Titel 3. Auflage 87351 Graefen_L-8381 (original).indd 1 87351 Graefen_L-8381 (original).indd 1 21.01.20 15: 17 21.01.20 15: 17