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Personalmanagement

0513
2019
978-3-8385-8756-1
978-3-8252-8756-6
UTB 
Prof. Dr. Christiana Nicolai

Unter ökonomischen Gesichtspunkten wird Personal als Leistungsträger interpretiert, dessen Einsatz vor dem Hintergrund hoher Arbeitskosten und eines starken Wettbewerbsdrucks optimal strukturiert werden muss. Gleichzeitig kann ein Unternehmen langfristig nur erfolgreich sein, wenn es den Interessen seiner Mitarbeiter Rechnung trägt und passende Anreize bietet. Der Umgang mit der Ressource Personal nimmt eine immer wichtigere Rolle im Unternehmen ein. Die sechste Auflage wurde aktualisiert. Sie behandelt alle zentralen personalwirtschaftlichen Themen von der Bedarfsermittlung und -beschaffung über Anreiz- und Beurteilungssysteme sowie Personalentwicklung bis zur Personalfreisetzung. Die Personalarbeit wird - unter Einbeziehung neuer Erkenntnisse - praxisnah dargestellt, wobei der Schwerpunkt auf der Analyse und Gestaltung der Ausgabenbereiche liegt.

Eine Arbeitsgemeinschaft der Verlage Böhlau Verlag · Wien · Köln · Weimar Verlag Barbara Budrich · Opladen · Toronto facultas · Wien Wilhelm Fink · Paderborn Narr Francke Attempto Verlag · Tübingen Haupt Verlag · Bern Verlag Julius Klinkhardt · Bad Heilbrunn Mohr Siebeck · Tübingen Ernst Reinhardt Verlag · München Ferdinand Schöningh · Paderborn Eugen Ulmer Verlag · Stuttgart UVK Verlag · München Vandenhoeck & Ruprecht · Göttingen Waxmann · Münster · New York wbv Publikation · Bielefeld utb 8323 UTB (L) Impressum_19.indd 1 20.02.19 12: 37 Christiana Nicolai Personalmanagement 6., aktualisierte Auflage UVK Verlag · München WISU-Texte sind die Lehrbuchreihe der Zeitschrift WISU - DAS WIRTSCHAFTSSTUDIUM (www.wisu.de) Prof. Dr. Christiana Nicolai ist Professorin für Personalmanagement und Organisation an der Frankfurt University of Applied Sciences. Online-Angebote oder elektronische Ausgaben sind erhältlich unter www.utb-shop.de. Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über <http: / / dnb.ddb.de> abrufbar. Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. © UVK Verlag M ü nchen 2019 - ein Unternehmen der Narr Francke Attempto Verlag GmbH & Co. KG Einbandgestaltung: Atelier Reichert, Stuttgart Coverbild: © dell - Fotolia.com Druck und Bindung: cpi books GmbH, Leck UVK Verlag Nymphenburger Straße 48 · 80335 München Tel. 089/ 452174-65 www.uvk.de Narr Francke Attempto Verlag GmbH & Co. KG Dischingerweg 5 · 72070 Tübingen Tel. 07071/ 9797-0 www.narr.de UTB-Nr. 8323 ISBN: 978-3-8252-8756-6 Vorwort zur 6. Auflage Die vorherigen Auflagen haben eine sehr gute Resonanz gefunden und wurden regelmäßig überarbeitet, sodass für diese Auflage grundlegende konzeptionelle Änderungen nicht notwendig waren. Lediglich das Kapitel zum Thema Vorstellungsgespräch bedurfte einer neuen Struktur. Alle Kapitel sind jedoch durchgesehen, ergänzt und auf den neuesten Stand gebracht worden. Wie bisher bitte ich Studierende und Kollegen um Hinweise zur Vervollständigung und Verbesserung der Inhalte bzw. der Konzeption und nehme diese Unterstützung gerne an. Frankfurt am Main, im April 2019 Christiana Nicolai Vorwort zur 1. Auflage Unter ökonomischen Gesichtspunkten wird Personal als Leistungsträger interpretiert, dessen Einsatz angesichts hoher Arbeitskosten und starken Wettbewerbsdrucks optimal strukturiert werden muss. Gleichzeitig kann ein Unternehmen langfristig nur erfolgreich sein, wenn es den Interessen seiner Mitarbeiter Rechnung trägt und passende Anreize bietet. Damit nimmt der Umgang mit der Ressource Personal eine immer wichtigere Rolle im Unternehmen ein. Dieses Buch behandelt alle zentralen personalwirtschaftlichen Problemfelder von der Personalbedarfsermittlung und -beschaffung über Anreiz- und Beurteilungssysteme und die Personalentwicklung bis zur Personalfreisetzung. Dabei geht es darum, die betriebliche Personalarbeit unter Einbeziehung neuer Erkenntnisse praxisnah darzustellen. Der Schwerpunkt liegt bewusst auf der Analyse und Gestaltung der Aufgabenbereiche und weniger auf der Theorievermittlung. Die Darstellung soll es den Studierenden ermöglichen, sich einen systematischen Überblick über personalwirtschaftliche Aufgabenbereiche und Zusammenhänge zu verschaffen. Sie richtet sich aber ebenso an Praktiker im Personalbereich, die fundierte Anregungen für die zukunftsorientierte Gestaltung ihrer Arbeit suchen. Auch (künftige) Führungskräfte in anderen Unternehmensbereichen benötigen im Umgang mit den Mitarbeitern zunehmend personalwirtschaftliche Kenntnisse. Für Anregungen und Kritik bin ich stets dankbar. Frankfurt am Main, im Juni 2006 Christiana Nicolai Inhaltsverzeichnis Vorworte .................................................................................................................................V Abbildungsverzeichnis ..................................................................................................... XIX Abkürzungsverzeichnis .................................................................................................XXIII 1 Grundlagen des Personalmanagements........................................................... 1 1.1 Begriff und Bedeutung des Personalmanagements................................................................................. 1 1.2 Ziele und Aufgabenfelder des Personalmanagements ............................................................................ 4 1.3 Personalpolitik und Personalplanung als Rahmen der Personalarbeit ................................................. 9 1.3.1 Personalpolitik im Kontext der Unternehmenspolitik ................................................................. 9 1.3.2 Personalpolitik als Grundlage der Personalplanung ................................................................... 10 1.4 Querschnittsfunktionen des Personalmanagements ............................................................................. 11 1.4.1 Personalverwaltung und Personalinformationssysteme ............................................................. 12 1.4.2 Personalcontrolling.......................................................................................................................... 15 1.4.2.1 Überblick ................................................................................................................................. 15 1.4.2.2 Humanvermögensrechnung .................................................................................................. 18 1.4.3 Personalmarketing ........................................................................................................................... 20 1.4.3.1 Bedeutung des Personalmarketings...................................................................................... 20 1.4.3.2 Employer Branding als Kernelement des Personalmarketings......................................... 21 1.4.3.3 Vorgehensweise beim Employer Branding ......................................................................... 24 1.5 Organisatorische Aspekte des Personalmanagements .......................................................................... 29 1.5.1 Eingliederung der Personalabteilung in die Unternehmenshierarchie...................................... 30 1.5.2 Innenstrukturierung......................................................................................................................... 33 1.5.2.1 Funktionale Ausrichtung ....................................................................................................... 33 1.5.2.2 Objektorientierte Ausrichtung .............................................................................................. 34 1.5.3 Weitere Entwicklungen................................................................................................................... 35 VIII · Inhaltsverzeichnis 1.5.3.1 Personalreferentensystem ...................................................................................................... 36 1.5.3.2 Virtuelle Personalabteilung.................................................................................................... 36 1.5.3.3 Drei-Säulen-Modell ................................................................................................................ 37 1.5.3.4 Wertschöpfungscenter Personal ........................................................................................... 39 1.5.3.5 Outsourcing personalwirtschaftlicher Aufgaben................................................................ 41 1.6 Personalmanagement und Recht ............................................................................................................. 42 1.7 Kritische Würdigung und Ausblick ......................................................................................................... 44 Wiederholungsfragen ........................................................................................................................................ 46 2 Personalbedarfsplanung....................................................................................47 2.1 Begriffliche Abgrenzungen....................................................................................................................... 47 2.2 Ausgangsbasis Personalbestandsanalyse ................................................................................................. 48 2.3 Bedeutung der Personalbedarfsplanung ................................................................................................. 48 2.4 Arten des Personalbedarfs ........................................................................................................................ 49 2.5 Einflussfaktoren auf den Personalbedarf ............................................................................................... 50 2.6 Verfahren der quantitativen Personalbedarfsermittlung ...................................................................... 53 2.7 Verfahren der qualitativen Personalbedarfsermittlung ......................................................................... 57 2.7.1 Ausgangsbasis Berufs- und Qualifikationsgruppen .................................................................... 58 2.7.2 Ausgangsbasis Organisations- und Stellenpläne.......................................................................... 59 2.7.3 Ausgangsbasis Stellenbeschreibungen .......................................................................................... 60 2.7.4 Ausgangsbasis Anforderungsprofil ............................................................................................... 62 2.8 Kritische Würdigung und Ausblick ......................................................................................................... 67 Wiederholungsfragen ........................................................................................................................................ 68 3 Personalbeschaffung..........................................................................................69 3.1 Aktueller Informationsbedarf und zeitgemäße Vorgehensweisen ...................................................... 69 3.1.1 Ermittlung der Arbeitsmarktsituation........................................................................................... 69 3.1.2 Stellung des Unternehmens auf dem Arbeitsbeschaffungsmarkt ............................................. 71 Inhaltsverzeichnis · IX 3.1.3 Erwartungen und Ziele der derzeitigen und potenziellen Mitarbeiter...................................... 73 3.2 Arten und Wege der Personalbeschaffung............................................................................................. 73 3.2.1 Arten der Personalbeschaffung ..................................................................................................... 73 3.2.2 Wege der internen Personalbeschaffung ...................................................................................... 74 3.2.2.1 Vorbemerkung ........................................................................................................................ 74 3.2.2.2 Überstunden und Mehrarbeit................................................................................................ 76 3.2.2.3 Urlaubsverschiebungen und Urlaubsstopp ......................................................................... 77 3.2.2.4 Erhöhung und Veränderung der Mitarbeiterqualifikation ................................................ 77 3.2.2.5 Interne Stellenausschreibung und interne Arbeitsmärkte ................................................. 77 3.2.2.6 Versetzung ............................................................................................................................... 79 3.2.2.7 Stellen-Clearing ....................................................................................................................... 79 3.2.2.8 Übernahme von Azubis und Umwandlung von Arbeitsverhältnissen ............................ 80 3.2.2.9 Personalentwicklung............................................................................................................... 80 3.2.3 Wege der externen Personalbeschaffung...................................................................................... 81 3.2.3.1 Vorbemerkung ........................................................................................................................ 81 3.2.3.2 Arbeitsagenturen..................................................................................................................... 83 3.2.3.3 Private Arbeitsvermittler........................................................................................................ 84 3.2.3.4 Initiativbewerbungen.............................................................................................................. 85 3.2.3.5 Auswertung von Stellengesuchen ......................................................................................... 85 3.2.3.6 Bewerberdatei.......................................................................................................................... 86 3.2.3.7 Externe Werk- und Dienstverträge und Interim Management ........................................ 86 3.2.3.8 Arbeitnehmerüberlassung...................................................................................................... 87 3.2.3.8.1 Personal-Leasing ............................................................................................................. 87 3.2.3.8.2 Personaltausch im Unternehmensverbund ................................................................. 91 3.2.3.9 Stellenanzeigen ........................................................................................................................ 92 3.2.3.10 E-Recruiting .......................................................................................................................... 96 3.2.3.11 Campus Recruiting ............................................................................................................. 100 X · Inhaltsverzeichnis 3.2.3.12 Öffentlichkeitsarbeit........................................................................................................... 101 3.2.3.13 Empfehlung durch Betriebsangehörige ........................................................................... 102 3.2.3.14 Personalberater und Direktansprache.............................................................................. 103 3.2.4 Neue Vorgehensweisen................................................................................................................. 105 3.3 Kritische Würdigung und Ausblick ....................................................................................................... 107 Wiederholungsfragen ...................................................................................................................................... 110 4 Personalauswahl .............................................................................................. 113 4.1 Ziele, Anforderungen und Ablauf ......................................................................................................... 113 4.2 Bewerbungsunterlagen ............................................................................................................................ 118 4.2.1 Vorgehensweise ............................................................................................................................. 118 4.2.2 Analyse nach formalen Kriterien................................................................................................. 120 4.2.3 Bewerbungsschreiben ................................................................................................................... 121 4.2.4 Lebenslauf (CV) ............................................................................................................................. 124 4.2.5 Lichtbild .......................................................................................................................................... 126 4.2.6 Abschluss- und Ausbildungszeugnisse ....................................................................................... 127 4.2.7 Arbeitszeugnisse ............................................................................................................................ 128 4.2.8 Weiterbildungszeugnisse und Referenzen .................................................................................. 135 4.2.9 Personalfragebögen und biografische Fragebögen ................................................................... 136 4.2.10 Grafologische Gutachten.............................................................................................................. 137 4.2.11 Abschließende Bewertung der Unterlagen ................................................................................. 137 4.2.12 Exkurs: Anonymisierte Bewerbungen ........................................................................................ 138 4.3 Vorstellungsgespräch .............................................................................................................................. 138 4.3.1 Ziele und Arten.............................................................................................................................. 138 4.3.2 Differenzierung von Vorstellungsgesprächen ........................................................................... 140 4.3.2.1 Differenzierung nach dem Medieneinsatz......................................................................... 140 4.3.2.1.1 Verwendung von Job-Bots .......................................................................................... 140 Inhaltsverzeichnis · XI 4.3.2.1.2 Telefoninterviews, Sprachanalysetests und Video-Interviews ................................ 141 4.3.2.1.3 Bewerbungsgespräche mit direktem persönlichem Kontakt .................................. 142 4.3.2.2 Differenzierung nach dem Strukturiertheitsgrad.............................................................. 144 4.3.2.3 Differenzierung nach der Anzahl der beteiligten Entscheidungsträger.......................... 145 4.3.2.3 Differenzierung nach dem Stressfaktor .............................................................................. 146 4.3.3 Zulässige Fragen und Ablauf ....................................................................................................... 147 4.4 Testverfahren ........................................................................................................................................... 152 4.5 Assessment Center .................................................................................................................................. 155 4.5.1 Begriff und wesentliche Kennzeichen ........................................................................................ 155 4.5.2 Geschichtliche Entwicklung......................................................................................................... 158 4.5.3 Wichtige Übungen ......................................................................................................................... 159 4.5.4 Ablauf eines Assessment Centers ................................................................................................ 162 4.5.5 Kritische Würdigung des Assessment Centers .......................................................................... 163 4.6 Ergänzende Auswahlverfahren .............................................................................................................. 165 4.7 Entscheidung und Abschluss des Arbeitsvertrags .............................................................................. 167 4.8 Kritische Würdigung und Ausblick ....................................................................................................... 169 Wiederholungsfragen ...................................................................................................................................... 170 5 Personaleinführung und Personaleinarbeitung (Onboarding) .................. 173 5.1 Notwendigkeit integrierender Maßnahmen ......................................................................................... 173 5.2 Die am Integrationsprozess Beteiligten ................................................................................................ 176 5.3 Integrationsprogramm ............................................................................................................................ 178 5.4 Kritische Würdigung und Ausblick ....................................................................................................... 181 Wiederholungsfragen ...................................................................................................................................... 182 6 Personaleinsatz und Personalerhaltung ...................................................... 183 6.1 Grundannahmen über menschliches Verhalten im Unternehmen ................................................... 183 6.1.1 Menschenbilder.............................................................................................................................. 183 XII · Inhaltsverzeichnis 6.1.2 Erklärungsansätze zur Motivation im Arbeitsprozess .............................................................. 189 6.1.2.1 Vorbemerkungen .................................................................................................................. 189 6.1.2.2 Motivationstheorien ............................................................................................................. 193 6.1.2.2.1 Vorbemerkung .............................................................................................................. 193 6.1.2.2.2 Inhaltstheorien .............................................................................................................. 193 6.1.2.2.3 Prozesstheorien ............................................................................................................. 201 6.1.3 Determinanten der menschlichen Arbeitsleistung .................................................................... 206 6.2 Anreizsysteme .......................................................................................................................................... 208 6.2.1 Überblick ........................................................................................................................................ 208 6.2.2 Ausgewählte materielle Anreize ................................................................................................... 209 6.2.2.1 Vorbemerkung ...................................................................................................................... 209 6.2.2.2 Exkurs: Entgeltgerechtigkeit und Entgeltzusammensetzung ......................................... 210 6.2.2.3 Arbeitsbewertung als Basis für anforderungsgerechte Entgeltfindung ......................... 213 6.2.2.4 Entgelt für geleistete Arbeit ................................................................................................ 217 6.2.2.4.1 Zeitlohn.......................................................................................................................... 217 6.2.2.4.2 Akkordlohn.................................................................................................................... 218 6.2.2.4.3 Prämienlohn .................................................................................................................. 221 6.2.2.4.4 Pensumlohn ................................................................................................................... 223 6.2.2.4.5 Potenziallohn................................................................................................................. 224 6.2.2.5 Sozialleistungen..................................................................................................................... 224 6.2.2.5.1 Vorbemerkung .............................................................................................................. 224 6.2.2.5.2 Gesetzliche Sozialleistungen........................................................................................ 225 6.2.2.5.3 Tarifliche Sozialleistungen ........................................................................................... 226 6.2.2.5.4 Freiwillige Sozialleistungen .......................................................................................... 227 6.2.2.6 Mitarbeiterbeteiligungssyteme............................................................................................. 231 6.2.2.6.1 Ziele der Mitarbeiterbeteiligung .................................................................................. 231 6.2.2.6.2 Erfolgsbeteiligungen..................................................................................................... 232 Inhaltsverzeichnis · XIII 6.2.2.6.3 Kapitalbeteiligungen ..................................................................................................... 233 6.2.2.7 Besondere Aspekte der Vergütung von Führungskräften und Experten ..................... 236 6.2.3 Ausgewählte immaterielle Anreize .............................................................................................. 240 6.2.3.1 Arbeitsstrukturierung ........................................................................................................... 240 6.2.3.1.1 Spezialisierung versus Generalisierung ...................................................................... 240 6.2.3.1.2 Job Enlargement, Job Enrichment und Job Rotation ............................................. 244 6.2.3.1.3 Teilautonome Arbeitsgruppen .................................................................................... 245 6.2.3.1.4 Qualitätszirkel................................................................................................................ 249 6.2.3.2 Arbeitszeitgestaltung ............................................................................................................ 250 6.2.3.2.1 Flexibilisierung der Arbeitszeit: Ursachen, Ziele und Restriktionen...................... 250 6.2.3.2.2 Überlegungen zu Standardarbeitszeiten..................................................................... 254 6.2.3.2.3 Arbeitszeitflexibilisierung ohne Veränderung des Zeitumfangs............................. 254 6.2.3.2.4 Formen der Teilzeitarbeit ............................................................................................ 259 6.2.3.2.5 Flexibilisierung der Lebensarbeitszeit ........................................................................ 263 6.2.3.3 Flexibilisierung des Arbeitsortes......................................................................................... 266 6.2.3.3.1 Vorbemerkung .............................................................................................................. 266 6.2.3.3.2 Desk-Sharing-Konzepte............................................................................................... 266 6.2.3.3.3 Telework ........................................................................................................................ 268 6.2.3.3.4 Virtuelle Teams ............................................................................................................. 272 6.2.3.4 Soziale Kommunikation und Gruppenmitgliedschaft ..................................................... 273 6.2.3.5 Personalführung.................................................................................................................... 274 6.2.3.5.1 Begriffliche Klärung und Einordnung der Personalführung .................................. 274 6.2.3.5.2 Macht und Autorität als Grundlagen der Führung .................................................. 276 6.2.3.5.3 Führungsstile ................................................................................................................. 278 6.2.3.5.4 Management-by-Konzepte .......................................................................................... 293 6.2.3.5.5 Kritische Würdigung .................................................................................................... 299 6.2.3.6 Gesundheitsmanagement (Health Care Management) .................................................... 300 XIV · Inhaltsverzeichnis 6.2.3.6.1 Begriff und Bedeutung ................................................................................................. 300 6.2.3.6.2 Vorarbeiten und Phasen des Health Care Managements ......................................... 302 6.2.3.6.3 Maßnahmen des Health Care Managements.............................................................. 303 6.2.4 Ideenmanagement und Cafeteria-Systeme ................................................................................. 304 6.2.4.1 Ideenmanagement (betriebliches Vorschlagswesen)........................................................ 304 6.2.4.2 Cafeteria-Systeme ................................................................................................................. 307 6.3 Kritische Würdigung und Ausblick ....................................................................................................... 309 Wiederholungsfragen ...................................................................................................................................... 311 7 Personalbeurteilung ....................................................................................... 315 7.1 Grundlagen ............................................................................................................................................... 315 7.2 Ziele der Personalbeurteilung ................................................................................................................ 317 7.3 Vor- und Nachteile der Personalbeurteilung ....................................................................................... 319 7.4 Verfahren der Personalbeurteilung ....................................................................................................... 320 7.5 Fehlerquellen ............................................................................................................................................ 321 7.5.1 Vorbemerkung ............................................................................................................................... 321 7.5.2 Verfahrensfehler ............................................................................................................................ 322 7.5.3 Beurteilerfehler............................................................................................................................... 325 7.6 Perspektiven der Personalbeurteilung (Mehrfachbeurteilung) .......................................................... 332 7.6.1 Vorbemerkung................................................................................................................................... 332 7.6.2 Kritische Erfolgsfaktoren der Mehrfachbeurteilung ................................................................... 333 7.6.3 Mögliche Feedback-Geber ........................................................................................................... 335 7.6.3.1 Selbstbeurteilung .................................................................................................................... 335 7.6.3.2 Beurteilung durch die Mitarbeiter (Aufwärtsbeurteilung) ................................................ 335 7.6.3.3 Beurteilung durch den nächsthöheren Vorgesetzten ........................................................ 338 7.6.3.4 Beurteilung durch Kollegen.................................................................................................. 338 7.6.3.5 Beurteilung durch Außenstehende ...................................................................................... 339 Inhaltsverzeichnis · XV 7.6.3.6 360°-Feedback........................................................................................................................ 340 7.6.3.6.1 Grundidee ...................................................................................................................... 340 7.6.3.6.2 Anwendungsgebiete, Funktionen und Ziele ............................................................. 341 7.6.3.6.3 Kritische Würdigung des 360°-Feedbacks ................................................................ 342 7.7 Mitarbeitergespräch ................................................................................................................................. 343 7.7.1 Anlässe für Mitarbeitergespräche ................................................................................................ 343 7.7.2 Nutzen und Fehler ........................................................................................................................ 345 7.7.3 Gesprächsvorbereitung ................................................................................................................. 346 7.7.4 Gesprächsdurchführung ............................................................................................................... 347 7.7.4.1 Vorgehensweise bei Mitarbeitergesprächen ...................................................................... 347 7.7.4.2 Gesprächsarten ..................................................................................................................... 349 7.8 Kritische Würdigung und Ausblick ....................................................................................................... 350 Wiederholungsfragen ...................................................................................................................................... 351 8 Personalentwicklung ...................................................................................... 353 8.1 Vorbemerkung ......................................................................................................................................... 353 8.2 Grundlagen ............................................................................................................................................... 354 8.2.1 Begriffliche Abgrenzungen und Bereiche der Personalentwicklung....................................... 354 8.2.1.1 Begriffsbestimmung ............................................................................................................. 354 8.2.1.2 Bereiche der Personalentwicklung...................................................................................... 355 8.2.1.2.1 Berufsvorbereitende Personalentwicklung ................................................................ 355 8.2.1.2.2 Berufsbegleitende Personalentwicklung .................................................................... 357 8.2.1.2.3 Berufsverändernde Personalentwicklung................................................................... 357 8.2.2 Inhaltliche Komponenten ............................................................................................................ 358 8.2.3 Ziele, Adressaten und Bedeutung der Personalentwicklung.................................................... 360 8.2.3.1 Ziele der verschiedenen Interessengruppen...................................................................... 360 8.2.3.2 Adressaten der Personalentwicklung ................................................................................. 362 XVI · Inhaltsverzeichnis 8.2.3.3 Bedeutung der Personalentwicklung .................................................................................. 363 8.2.4 Zusammenhang zwischen Personal- und Organisationsentwicklung .................................... 364 8.2.5 Träger der Personalentwicklung und deren Aufgaben ............................................................. 367 8.3 Konzept der Personalentwicklung ........................................................................................................ 369 8.3.1 Überblick ........................................................................................................................................ 369 8.3.2 Personalentwicklungsbedarf und Eignungspotenzial der Mitarbeiter .................................... 371 8.3.3 Anforderungs-Eignungs-Vergleich ............................................................................................. 375 8.3.4 Ausgewählte Instrumente der Personalförderung..................................................................... 376 8.3.4.1 Karriere- und Nachfolgeplanung........................................................................................ 377 8.3.4.1.1 Begriffliche Abgrenzung und Zielsetzung ................................................................. 377 8.3.4.1.2 Karriereplanung ............................................................................................................ 379 8.3.4.1.3 Nachfolgeplanung......................................................................................................... 383 8.3.4.2 Coaching ................................................................................................................................ 384 8.3.4.2.1 Begriffliche Klärung ..................................................................................................... 384 8.3.4.2.2 Abgrenzung zu Mentoring und Supervision ............................................................. 385 8.3.4.2.3 Anlässe und Inhalte von Coaching-Prozessen.......................................................... 386 8.3.4.2.4 Formen und Phasen des Coachings ........................................................................... 388 8.3.4.3 Exkurs: Arbeitsstrukturierung und Outplacement........................................................... 391 8.3.5 Maßnahmen der Qualifikationsvermittlung ............................................................................... 392 8.3.5.1 Inhalte und Systematisierung der Maßnahmen................................................................. 392 8.3.5.2 Training-on-the-job .............................................................................................................. 395 8.3.5.3 Training-off-the-job ............................................................................................................. 398 8.3.5.4 Neuere methodische Konzepte .......................................................................................... 401 8.3.6 Kontrolle der Personalentwicklung............................................................................................. 405 8.3.6.1 Ziele, Arten und Probleme der Kontrolle ......................................................................... 405 8.3.6.2 Kostenkontrolle .................................................................................................................... 406 8.3.6.3 Rentabilitätskontrolle ........................................................................................................... 408 Inhaltsverzeichnis · XVII 8.3.6.4 Erfolgskontrolle .................................................................................................................... 408 8.4 Auslandsentsendung und Personalentwicklung................................................................................... 410 8.4.1 Ziele und Arten des internationalen Personaleinsatzes ............................................................ 410 8.4.2 Besetzungsstrategien in multinationalen Unternehmen ........................................................... 413 8.4.3 Von der Entsendung bis zur Wiedereingliederung ................................................................... 414 8.4.4 Prozess der Auslandsentsendung ................................................................................................ 415 8.4.4.1 Vorbemerkung ...................................................................................................................... 415 8.4.4.2 Auswahlphase........................................................................................................................ 416 8.4.4.3 Vorbereitung ......................................................................................................................... 418 8.4.4.4 Betreuung während der Endsendungszeit......................................................................... 420 8.4.4.5 Wiedereingliederungsphase ................................................................................................. 420 8.4.5 Probleme der Erfolgskontrolle des Auslandseinsatzes............................................................. 421 8.5 Kritische Würdigung und Ausblick ....................................................................................................... 422 Wiederholungsfragen ...................................................................................................................................... 423 9 Personalfreisetzung ........................................................................................ 425 9.1 Begriff und Einflussfaktoren.................................................................................................................. 425 9.2 Maßnahmen der Personalfreisetzung.................................................................................................... 426 9.2.1 Überblick ........................................................................................................................................ 426 9.2.2 Arbeitserhaltende und arbeitsbeschaffende Maßnahmen ........................................................ 428 9.2.3 Indirekte Maßnahmen der Personalfreisetzung......................................................................... 429 9.2.4 Quantitative Maßnahmen der Personalfreisetzung ................................................................... 430 9.2.4.1 Interne Freisetzungsmaßnahmen ....................................................................................... 430 9.2.4.2 Externe Freisetzungsmaßnahmen ...................................................................................... 432 9.2.4.3 Outplacement als externe Freisetzungsmaßnahme .......................................................... 434 9.2.4.3.1 Überblick ........................................................................................................................... 434 9.2.4.3.2 Elemente und Phasen des Outplacements.................................................................... 435 XVIII · Inhaltsverzeichnis 9.2.4.3.3 Vorteile für Unternehmen und Mitarbeiter .................................................................. 439 9.2.5 Qualitative Maßnahmen der Personalfreisetzung...................................................................... 440 9.3 Abwicklung und Kontrolle der Personalfreisetzung........................................................................... 442 9.4 Kritische Würdigung und Ausblick ....................................................................................................... 443 Wiederholungsfragen ...................................................................................................................................... 444 10 Personalmanagement - Trends und Entwicklungen.............................. 445 Literaturverzeichnis ...................................................................................................453 Stichwortverzeichnis...........................................................................................................479 Abbildungsverzeichnis Abb. 1-1: Aufgabenfelder des Personalmanagements..............................................................................5 Abb. 1-2: Zusammenhang zwischen Personalmanagement und den betrieblichen Teilbereichen ..7 Abb. 1-3: Zusammenhang zwischen Funktionen und Ebenen des Personalmanagements ..............8 Abb. 1-4: Querschnittsfunktionen des Personalmanagements............................................................ 12 Abb. 1-5: Wichtige Kennzahlen im Personalcontrolling ...................................................................... 17 Abb. 1-6: Zielgruppen des Employer Branding ..................................................................................... 22 Abb. 1-7: Beispiele für Personalmarketing.............................................................................................. 27 Abb. 1-8: Nutzen einer Arbeitgebermarke.............................................................................................. 27 Abb. 1-9: Eingliederung der Personalabteilung auf der zweiten Hierarchieebene ........................... 30 Abb. 1-10: Eingliederung der Personalabteilung auf der dritten Hierarchieebene........................... 31 Abb. 1-11: Eingliederung der Personalabteilung in einer Spartenorganisation ................................ 32 Abb. 1-12: Eingliederung der Personalabteilung in die Matrixorganisation...................................... 33 Abb. 1-13: Beispiel einer funktionalen Gliederung der Personalabteilung ........................................ 34 Abb. 1-14: Objektorientierte Gliederung der Personalabteilung nach Mitarbeitergruppen ........... 35 Abb. 1-15: Objektorientierte Gliederung nach Unternehmensbereichen.......................................... 35 Abb. 1-16: Wichtige Rechtsgrundlagen des Personalmanagements ................................................... 42 Abb. 1-17: Arbeitgeber-Arbeitnehmer-Beziehungen ............................................................................ 44 Abb. 2-1: Zusammenhang zwischen Ist-Personalbestand und Soll-Personalbestand ..................... 50 Abb. 2-2: Einflussfaktoren auf den Personalbedarf .............................................................................. 51 Abb. 2-3: Quantitative Personalbedarfsermittlung ................................................................................ 53 Abb. 2-4: Qualitative Personalbedarfsermittlung................................................................................... 58 Abb. 2-5: Beispiel für das Anforderungsprofil eines Industriemeisters ............................................. 65 Abb. 2-6: Profilvergleich mit Deckung, Überdeckung und Unterdeckung ....................................... 66 Abb. 2-7: Profilvergleich für einen Bilanzbuchhalter ............................................................................ 66 Abb. 3-1: Bewertung der Personalbeschaffungsarten ........................................................................... 75 Abb. 3-2: Interne Personalbeschaffung ................................................................................................... 76 Abb. 3-3: Externe Personalbeschaffung .................................................................................................. 82 Abb. 3-4: Leistungsbeziehungen beim Personal-Leasing ..................................................................... 89 XX · Abbildungsverzeichnis Abb. 3-5: Grundschema des Aufbaus einer Stellenanzeige.................................................................. 95 Abb. 3-6: Vor- und Nachteile des E-Recruiting..................................................................................... 99 Abb. 3-7: Instrumente des Campus Recruiting .................................................................................... 101 Abb. 4-1: Ablauf der Bewerberauswahl ................................................................................................. 117 Abb. 4-2: Bedeutung von Bewerbungsunterlagen ............................................................................... 119 Abb. 4-3: Gebräuchliche Formulierungen der Zeugnissprache ........................................................ 133 Abb. 4-4: Häufige Arten des Vorstellungsgesprächs ........................................................................... 140 Abb. 4-5: Validitätsdefizite bei Vorstellungsgesprächen..................................................................... 148 Abb. 4-6: Auswertungsbogen zur Beurteilung eines Vorstellungsgesprächs .................................. 151 Abb. 4-7: Systematisierung der AC-Übungen ...................................................................................... 159 Abb. 4-8: Beobachtbare Anforderungskriterien im Assessment Center.......................................... 161 Abb. 4-9: Vorgehensweise beim AC ...................................................................................................... 162 Abb. 5-1: Integrationsprogramm ............................................................................................................ 179 Abb. 6-1: Theorien X und Y von McGregor........................................................................................ 184 Abb. 6-2: Wirkzusammenhänge der Theorien X und Y..................................................................... 185 Abb. 6-3: Gliederung der Menschenbilder nach Schein ..................................................................... 186 Abb. 6-4: Arbeitnehmermotive ............................................................................................................... 190 Abb. 6-5: Beispiel der Phasen eines Motivationsprozesses ................................................................ 192 Abb. 6-6: Bedürfnispyramide nach Maslow.......................................................................................... 194 Abb. 6-7: Dynamische Betrachtung der Bedürfnisse .......................................................................... 196 Abb. 6-8: Hygienefaktoren und Motivatoren als unabhängige Dimensionen................................. 198 Abb. 6-9: Beispiele für Hygienefaktoren und Motivatoren im Personalmanagement ................... 201 Abb. 6-10: Förderung der Gerechtigkeit als Aufgabe des Personalmanagements ......................... 205 Abb. 6-11: Determinanten der menschlichen Arbeitsleistung........................................................... 206 Abb. 6-12: Leistungsdisposition im Tagesablauf ................................................................................. 207 Abb. 6-13: Überblick über materielle und immaterielle Anreize ....................................................... 209 Abb. 6-14: Entgeltformen im Überblick ............................................................................................... 210 Abb. 6-15: Zusammensetzung der Personalkosten im Jahr 2017 in Westdeutschland ................. 212 Abb. 6-16: Methoden der Arbeitsbewertung ........................................................................................ 214 Abb. 6-17: Beispiel einer Arbeitsbewertung mit dem Lohngruppenverfahren............................... 215 Abb. 6-18: Prämienverläufe ..................................................................................................................... 222 Abbildungsverzeichnis · XXI Abb. 6-19: Überblick über die wichtigsten freiwilligen Sozialleistungen ......................................... 229 Abb. 6-20: Erfolgsbeteiligung.................................................................................................................. 232 Abb. 6-21: Kapitalbeteiligung.................................................................................................................. 234 Abb. 6-22: Generalisierungstendenzen und ihre Wirkungen ............................................................. 242 Abb. 6-23: Überblick über die bedeutsamsten Arbeitszeitregelungen ............................................. 253 Abb. 6-24: Grundmodell der gleitenden Arbeitszeit ........................................................................... 255 Abb. 6-25: Personalführung als Teil der Unternehmensführung ...................................................... 274 Abb. 6-26: Eindimensionale Führungsstile ........................................................................................... 279 Abb. 6-27: Managerial Grid nach Blake und Mouton......................................................................... 283 Abb. 6-28: Grundstile nach dem 3-D-Modell von Reddin ................................................................ 286 Abb. 6-29: Grundstile, effektive und ineffektive Führungsstile nach Reddin................................. 287 Abb. 6-30: Reifegrad-Modell von Hersey und Blanchard .................................................................. 289 Abb. 6-31: Kreislaufschema des Management by Objectives............................................................ 297 Abb. 7-1: Gliederung der Personalbeurteilung..................................................................................... 315 Abb. 7-2: Mögliche Vor- und Nachteile der Personalbeurteilung..................................................... 319 Abb. 7-3: Beispiel einer Quotierung bei der Beurteilung von Mitarbeitern .................................... 324 Abb. 7-4: Überblick über die wichtigsten Beurteilerfehler ................................................................. 326 Abb. 7-5: Normalverteilung..................................................................................................................... 329 Abb. 7-6: Tendenz zur Mitte ................................................................................................................... 329 Abb. 7-7: Tendenz zur Milde .................................................................................................................. 330 Abb. 7-8: Tendenz zur Strenge ............................................................................................................... 330 Abb. 7-9: Tendenz zu Extremwerten..................................................................................................... 331 Abb. 7-10: Perspektiven der Personalbeurteilung................................................................................ 333 Abb. 8-1: Halbwertzeit des Wissens....................................................................................................... 353 Abb. 8-2: Ansatzpunkte für Personalentwicklung ............................................................................... 358 Abb. 8-3: Wachstumsmodell nach Greiner........................................................................................... 366 Abb. 8-4: Träger der Personalentwicklung und ihre Aufgaben ......................................................... 368 Abb. 8-5: Konzept der Personalentwicklung........................................................................................ 370 Abb. 8-6: Personal-Portfolio ................................................................................................................... 374 Abb. 8-7: Handlungsalternativen der Personalentwicklung ............................................................... 376 Abb. 8-8: Beispiel für Parallelhierarchien .............................................................................................. 382 XXII · Abbildungsverzeichnis Abb. 8-9: Wichtige Einsatzmöglichkeiten von Coaching ................................................................... 387 Abb. 8-10: Überblick über die Formen des Coachings....................................................................... 389 Abb. 8-11: Vorteile von Training-on-the-job und Training-off-the-job .......................................... 393 Abb. 8-12: Gängige Maßnahmen der Qualifikationsvermittlung ...................................................... 394 Abb. 8-13: Bedeutung von Anwendungen für betriebliches Lernen ................................................ 394 Abb. 8-14: Kostenarten bei Bildungsmaßnahmen............................................................................... 407 Abb. 8-15: Ziele der Auslandsentsendung ............................................................................................ 412 Abb. 8-16: Phasen der Auslandsentsendung ........................................................................................ 416 Abb. 9-1: Ursachen der Personalfreisetzung ........................................................................................ 426 Abb. 9-2: Maßnahmen zur Personalfreisetzung ................................................................................... 427 Abb. 9-3: Zusammenhang zwischen den am Outplacement Beteiligten ......................................... 437 Abb. 10-1: Rahmenbedingungen des Personalmanagements ............................................................ 445 Abkürzungsverzeichnis AC Assessment Center AGG Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz ArbGG Arbeitsgerichtsgesetz ArbSchG Arbeitsschutzgesetz ArbZG Arbeitszeitgesetz AÜG Arbeitnehmerüberlassungsgesetz BBiG Berufsbildungsgesetz BeschFG Beschäftigungsförderungsgesetz BetrAVG Gesetz zur Betrieblichen Altersversorgung BetrVG Betriebsverfassungsgesetz BDU Bund Deutscher Unternehmensberater BGB Bürgerliches Gesetzbuch BUrlG Bundesurlaubsgesetz IAB Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesagentur für Arbeit IHK Industrie- und Handelskammer JArbSchG Jugendarbeitsschutzgesetz KMU Kleine und Mittlere Unternehmen KSchG Kündigungsschutzgesetz KVP Kontinuierlicher Verbesserungsprozess LVA Landesversicherungsanstalt MbD Management by Delegation MbE Management by Exception MbO Management by Objectives MbS Management by Systems MitbestG Mitbestimmungsgesetz MuSchG Mutterschutzgesetz NachwG Nachweisgesetz SGB Sozialgesetzbuch SprAuG Sprecher-Ausschuss-Gesetz TzBfG Teilzeitbefristungsgesetz VAM Virtueller Arbeitsmarkt Zu Gunsten des Leseflusses wird auf die Nennung beider Geschlechtsformen verzichtet, ohne dass damit eine Wertung verbunden ist. Es sind, sofern nicht ausdrücklich benannt, sowohl männliche als auch weibliche Personen gemeint. 1 Grundlagen des Personalmanagements 1.1 Begriff und Bedeutung des Personalmanagements Die betriebliche Leistungserstellung vollzieht sich durch die Kombination der Produktionsfaktoren. Der menschlichen Arbeit kommt in diesem Zusammenhang eine besonders große Bedeutung zu, die in den letzten Jahren zudem stetig gestiegen ist. Das Personalmanagement hat die Aufgabe, die Ressource Personal zu beschaffen und deren Einsatz optimal zu steuern. Häufig werden die Begriffe Personalwirtschaft, Personalwesen und Human Resource Management in synonymer bzw. in ähnlicher Bedeutung verwendet. Personalwirtschaft bezeichnet meist die wissenschaftliche Disziplin in der Betriebswirtschaftslehre, die sich mit dem bestmöglichen Einsatz des Produktionsfaktors Personal befasst. Der ökonomische Charakter der Ressourcenallokation wird dabei besonders betont. Dagegen verbindet man mit Personalwesen eher die traditionelle, vorwiegend auf Verwaltungsaspekte ausgerichtete Personalarbeit. Es handelt sich um eine nachgelagerte betriebliche Funktion mit kurzfristigem Aktivitätshorizont. Standardisierte Vorgehensweisen stehen im Mittelpunkt. Teilweise wird auch die Personalabteilung als organisatorische Einheit im Unternehmen so bezeichnet. Heute wird in Praxis und Literatur zunehmend der Begriff Personalmanagement verwendet. Es umfasst alle mitarbeiterbezogenen Gestaltungsaufgaben einschließlich der entsprechenden Verwaltungsaufgaben, also alles, was unter personalwirtschaftlichen Aufgaben verstanden wird. Das Personalmanagement ist zudem ein aktiver, integrativer Teil des Managementprozesses. Im Mittelpunkt stehen nicht länger nur der Produktionsfaktor Personal und die zugehörige Verwaltungsinstanz Personalabteilung. Das Personalmanagement geht vielmehr über die inhaltlichen und organisatorischen Aspekte des Personalwesens und auch der Personalwirtschaft hinaus. Es erweitert und ergänzt diese folgendermaßen: Die Personalverantwortung der Führungskräfte für ihre unterstellten Mitarbeiter wird deutlicher betont. Die wichtigsten Träger des Personalmanagements sind die Personalabteilung, die Unternehmensleitung, die unmittelbare Führungskraft und auch der Mitarbeiter selbst. Personelle Ressourcen werden als strategischer Wettbewerbsfaktor und als zentraler Erfolgsfaktor angesehen. Die Mitarbeiter mit ihren Leistungen stellen ein entscheidendes Potenzial für Zielerreichung und Innovationen im Unternehmen dar, denn Erfolg und Wachstum hängen zunehmend von der Qualität des Personals ab. Die Verwendung des Begriffs Management soll verdeutlichen, dass der prozessuale Aspekt der Gestaltung der personalwirtschaftlichen Faktoren sowie der Aspekt der Verhaltenssteuerung der Mitarbeiter einbezogen werden. 2 · 1 Grundlagen des Personalmanagements An die Stelle der Standardisierung tritt der flexible, situative Einsatz von personalpolitischen Instrumenten. Die verwaltende Grundhaltung hat sich in langfristiges und proaktives unternehmerisches Denken und Handeln gewandelt. Die ebenfalls sehr häufig verwendete englische Bezeichnung Human Resource Management ist inhaltlich weitgehend mit Personalmanagement gleichzusetzen. Allerdings wird hier die strategische Bedeutung des Personals noch stärker betont. Objekte des Personalmanagements sind alle im Unternehmen beschäftigten Menschen. Sie werden auch als Personal bezeichnet. Die Begriffe Arbeitnehmer, Belegschaft oder Mitarbeiter haben aus personalwirtschaftlicher Sicht dieselbe Bedeutung. Die Bezeichnung Mitarbeiter sollte ursprünglich das partnerschaftliche Verhältnis im Unternehmen betonen. Heute wird sie i.d.R. im Zusammenhang mit einem Vorgesetzten und den ihm unterstellten Arbeitnehmern gebraucht. Die Ressource Personal unterscheidet sich durch einige Besonderheiten von den anderen Produktionsfaktoren: 1 Einerseits ist das Personal Aufgaben- und Entscheidungsträger. Zu einer Aufgabe gehören Kompetenz und Verantwortung. Nur der Mensch kann Verantwortung für seine Handlungen übernehmen und Entscheidungen treffen, andere Ressourcen vermögen das nicht. Mitarbeiter sind außerdem Individuen, die eigenständige Ziele und Vorstellungen ins Unternehmen einbringen. Gleichzeitig schließen sich Mitarbeiter zur Vertretung ihrer Interessen mit Gleichgesinnten zu Koalitionen zusammen. Personal verursacht zwar Kosten, ist aber auch der „Gewinnverursacher“ des Unternehmens. Zum Personal gehören: Arbeiter Angestellte leitende Angestellte Auszubildende Praktikanten Die früher oft vorgenommene Unterscheidung zwischen Arbeitern, die überwiegend körperlich-mechanische Tätigkeiten ausüben, und Angestellten, die vornehmlich geistig-gedankliche Aufgaben erfüllen, ist heute weitgehend bedeutungslos geworden. Sie ist insbesondere bei hochqualifizierten Facharbeitern überholt. Diese Aufteilung wurde auch im Arbeits- 1 Vgl. Jung (2017), S. 9 f. 1.1 Begriff und Bedeutung des Personalmanagements · 3 recht nach und nach aufgegeben. Unterschiedliche gesetzliche Regelungen für Arbeiter und Angestellte, wie es sie z.B. beim Kündigungsschutz gab, wurden vereinheitlicht. Lediglich bei der Rentenversicherung unterschied man noch lange zwischen Arbeitern und Angestellten. Während Angestellte i.d.R. bei der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte in Berlin versichert waren, gab es für die Arbeiter länderspezifische Landesversicherungsanstalten. Im Jahr 2005 haben sich die Rentenversicherungsträger in Deutschland als Deutsche Rentenversicherung unter einem gemeinsamen Dach zusammengeschlossen. Davor gab es neben der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) 22 Landesversicherungsanstalten (LVAen), die für die Rentenversicherung der Arbeiter zuständig waren, sowie die Bundesknappschaft, die Seekasse, die Bahnversicherung und einige weitere, bei denen besondere Arbeitnehmergruppen versichert waren. Insofern ist auch hier die Unterscheidung zwischen Angestellten und Arbeitern praktisch irrelevant geworden. Eine besondere Gruppe des Personals ist die Gruppe der leitenden Angestellten. Für sie gelten beim Kündigungsschutz und bei der Mitbestimmung eigene Regeln. Sie sind beispielsweise zur selbständigen Einstellung und Entlassung von Personal berechtigt oder haben Prokura bzw. Generalvollmacht oder nehmen im Wesentlichen eigenverantwortlich unternehmerische Aufgaben wahr, die ihnen wegen deren Bedeutung für den Bestand und die Entwicklung des Unternehmens aufgrund besonderer Erfahrungen und Kenntnisse übertragen werden. 2 Sie sind also einerseits Arbeitnehmer, haben aber andererseits Arbeitgeberfunktionen zu erfüllen. Im Einzelfall ist die Abgrenzung, wer leitender Angestellter ist, schwierig. In tarifvertragliche Entgeltregelungen sind sie in der Regel nicht einbezogen. Praktikanten und Auszubildende gehören ebenfalls zum Personal. Sie sammeln zeitlich befristet erste Praxiserfahrungen bzw. durchlaufen eine Berufsausbildung. Unternehmensleitung, Vorgesetzte, Personalabteilung, Betriebsbzw. Personalrat sowie der einzelne Mitarbeiter selbst sind die Träger personeller Entscheidungen. Während die Unternehmensleitung unter Beteiligung der Personalabteilung personalpolitische Ziele setzt und diese in die Unternehmenspolitik integriert, übernehmen die direkten Vorgesetzten einen Großteil der operativen personalwirtschaftlichen Aufgaben. Letztlich liegt die Verantwortung für ihre Mitarbeiter bei ihnen und erst in zweiter Linie bei der Personalabteilung. Ihre Hauptaufgaben sind Personaleinsatz, Personalführung und die Motivierung ihrer Mitarbeiter. Die Personalabteilung steht ihnen dabei unterstützend und steuernd zur Seite. Sie übernimmt außerdem vielfältige Service-Funktionen und ist i.d.R. für arbeitsrechtliche Problemstellungen zuständig. Über seine umfangreichen Mitbestimmungsrechte gehört der Betriebsbzw. Personalrat insbesondere als Verhandlungspartner ebenfalls zu den Trägern des Personalmanagements. Auch der einzelne Mitarbeiter darf in diesem Zusammenhang nicht vergessen werden. Seine Qualifikation, sein Potenzial sowie seine Ziele und Bedürfnisse gehen in personalwirtschaftliche Entscheidungen ein. 2 Vgl. Jung (2017), S. 10; Becker (2010), S. 23. 4 · 1 Grundlagen des Personalmanagements 1.2 Ziele und Aufgabenfelder des Personalmanagements Unternehmen können aus zwei Blickwinkeln betrachtet werden. Sie werden einerseits gegründet und weitergeführt, um den Nutzen ihrer Eigentümer, z.B. in Form von Gewinn, zu maximieren. Gleichzeitig sind sie auch soziale Systeme, in die Menschen ihre Bedürfnisse einbringen. Für das Personalmanagement ergeben sich daraus zwei formale Zielgruppen: Wirtschaftliche Ziele: Unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten stehen zunächst die Bereitstellung und der optimale Einsatz der Ressource Personal im Mittelpunkt des Personalmanagements. Die notwendige Zahl von Mitarbeitern mit der passenden Qualifikation muss zur rechten Zeit und am richtigen Ort vorhanden sein. Eine quantitative Unterdeckung an Arbeitsleistung kann über den internen oder externen Arbeitsbeschaffungsmarkt beseitigt werden. Bei qualitativen Defiziten helfen z.B. Personalentwicklungsmaßnahmen. Eine Überdeckung kann durch interne oder externe Freisetzung behoben werden. Das zweite wirtschaftliche Ziel ist die Steigerung der Arbeitsleistung, die man insbesondere durch Motivation über materielle und immaterielle Anreize erreichen will. Sind die ersten beiden Ziele verwirklicht, erwartet man daraus die Optimierung des Leistungsbeitrags. Auch dieses dritte Ziel soll mit Hilfe eines sorgfältig durchdachten materiellen und immateriellen Anreizsystems erreicht werden, welches Kreativität, Flexibilität, Leistungsbereitschaft, unternehmerisches Denken und Loyalität fördern soll. Soziale Ziele: Sie spiegeln die Interessen, Erwartungen und Forderungen der einzelnen Mitarbeiter und der verschiedenen Mitarbeitergruppierungen (z.B. Gewerkschaften) gegenüber dem Unternehmen wider. Sie beziehen sich auf die Verbesserung materieller und immaterieller Verhältnisse und weichen teilweise erheblich voneinander ab. Materielle Forderungen können z.B. höheres Entgelt, Beteiligung am Unternehmenserfolg oder höhere Betriebsrenten sein. Zu den immateriellen Erwartungen gehören unter anderem Personalentwicklungsmöglichkeiten, flexible Arbeitszeiten, Reduzierung der Umgebungsbelastung, soziale Kontaktmöglichkeiten und Arbeitsplatzsicherheit. Zwischen wirtschaftlichen und sozialen Zielen des Personalmanagements scheint zunächst ein Zielkonflikt zu bestehen. Bei genauerem Hinsehen entpuppt er sich jedoch eher als Zweck-Mittel-Beziehung. Um die Ressource Personal bestmöglich einsetzen zu können und eine Steigerung der Arbeitsleistung zu erreichen, muss man die Besonderheiten dieses Produktionsfaktors beachten, d.h. die sozialen Ziele sind mit in den Managementprozess einzubeziehen. Sie dienen letztlich der Erreichung der wirtschaftlichen Ziele. Man geht davon aus, dass Mitarbeiter umso motivierter sind, ihre Arbeitsleistung zur Verfügung zu stellen und die wirtschaftlichen Unternehmensziele zu erreichen, je mehr von Unternehmensseite auf die Befriedigung ihrer Bedürfnisse eingegangen wird. Im Übrigen würde man bei jeder anderen Ressource ebenso verfahren und nicht bewusst gegen deren Besonderheiten handeln. Ein Rohstoff, der bestimmte klimatische Lagerbedingungen benötigt, um nicht zu verderben, wird selbstverständlich entsprechend aufbewahrt. 1.2 Ziele und Aufgabenfelder des Personalmanagements · 5 Ansonsten würde man dem Unternehmen mutwillig schaden und die wirtschaftliche Zielerreichung beeinträchtigen. Nicht anders stellt sich die Situation bei der Ressource Personal dar, deren Besonderheit die Berücksichtigung sozialer Ziele erfordert. Neben wirtschaftlichen und sozialen Zielgruppen sind weitere Ziele, die von internen und externen Interessengruppen an das Personalmanagement herangetragen werden, zu berücksichtigen: Volkswirtschaftliche Ziele: Der Staat erwartet von Unternehmen, dass sie nicht nur auf betriebswirtschaftliche Effizienz ausgerichtet sind, sondern auch einen Beitrag zum volkswirtschaftlichen Gemeinwohl leisten, dazu gehört z.B. die Schaffung von Ausbildungsplätzen über den kurzfristigen betrieblichen Bedarf hinaus oder ein soziales Verhalten bei Freistellungsmaßnahmen. Rechtliche Ziele: Das Personalmanagement soll für Mitarbeiter und Vorgesetzte Rechtssicherheit in allen Arbeitssituationen herstellen. Organisatorische Ziele: Aus organisatorischer Sicht hat Personalmanagement die Aufgabe, die Mitarbeiter mit ihren Qualifikationen und Bedürfnissen sinnvoll in die Organisationsstruktur einzugliedern. Ethische Ziele: Bei jeder personalwirtschaftlichen Entscheidung fließen die Werthaltungen der Entscheidungsträger mit ein. Bei der Festlegung des Handlungsrahmens ist ein Unternehmensleitbild hilfreich, das die Entscheidungs- und Handlungsalternativen eingrenzt. Die formalen Ziele werden erreicht, indem das Personalmanagement seine Sachziele, d.h. seine Aufgabenfelder (Funktionen) systematisch erfüllt. Einen Überblick gibt Abb. 1-1. Personalmanagement Personalbedarfsplanung Personalbeschaffung Personalauswahl Einführung und Einarbeitung (Onboarding) Personaleinsatz und -erhaltung Personalbeurteilung Personalentwicklung Personalfreisetzung Abb. 1-1: Aufgabenfelder des Personalmanagements Mit der Personalbedarfsplanung werden der quantitative und qualitative Bedarf an Arbeitsleistung ermittelt. Diese muss in der richtigen Qualität und Menge zum richtigen Zeitpunkt für die notwendige Dauer am richtigen Ort zur Verfügung stehen. 6 · 1 Grundlagen des Personalmanagements Durch die Personalbeschaffung soll eine personelle Unterdeckung beseitigt werden. Dazu wird zunächst ein Anforderungsprofil ermittelt und anschließend festgelegt, ob es sinnvoller ist, die Unterdeckung an Arbeitsleistung durch interne oder externe Beschaffungsmaßnahmen zu beheben. Personalbeschaffung ist nicht gleichzusetzen mit der Beschaffung von Personen. Die Möglichkeiten der Personalbeschaffung reichen von Überstunden und Versetzungen über Personal-Leasing und den Einsatz von Interim Managern bis zu Neueinstellungen durch gezielte Abwerbungen. Im Rahmen der Personalauswahl wird derjenige Bewerber ermittelt, der den Stellenanforderungen am besten entspricht. Dies geschieht heute normalerweise mit Hilfe des Internets. Das Unternehmen analysiert zunächst die eingegangenen Informationen, anschließend folgen ggf. Vorstellungsgespräche, oft im ersten Schritt telefonisch. Immer mehr Unternehmen setzten zusätzliche Auswahlverfahren, wie z.B. Assessment Center (AC), ein. Mit dem Abschluss des Arbeitsvertrags endet die Auswahlphase. Danach erfolgt die Einführung und Einarbeitung (Onboarding) des neuen Mitarbeiters. Er soll möglichst zügig die mit seiner Stelle verbundenen Aufgaben übernehmen (Einarbeitung) und sich in seiner neuen Arbeitssituation zurechtfinden (Einführung). Je schneller und besser es gelingt, den Mitarbeiter sozial und fachlich in das Unternehmen zu integrieren, desto eher steht dem Unternehmen die volle Arbeitsleistung zur Verfügung. Ein gutes Onboarding ist also nicht nur unter sozialen, sondern besonders unter ökonomischen Gesichtspunkten ein Muss. Personaleinsatz und -erhaltung befassen sich mit den passenden Anreizen, um den Mitarbeiter zur Leistung zu motivieren. Materielle Anreize sind z.B. das Entgelt für die geleistete Arbeit, die gesetzlichen, tariflichen oder freiwilligen Sozialleistungen sowie Mitarbeiterbeteiligungen am Erfolg oder Kapital des Unternehmens. In den letzten Jahren haben immaterielle Anreize stark an Bedeutung gewonnen. Beispielsweise wirken sich die Struktur der Arbeit, die Arbeitszeitgestaltung und der Führungsstil des Vorgesetzten leistungsfördernd bzw. leistungshemmend aus. Bei der Personalbeurteilung geht es darum, Aussagen über die Leistung, das Verhalten in der Arbeitssituation und auch über das Potenzial der Mitarbeiter zu treffen. Diese Infos liegen den Entscheidungen über Entgelt, Personalentwicklung, Beförderung, Versetzung etc. zugrunde. Zur klassischen Beurteilung durch den Vorgesetzten kommen immer öfter Aufwärtsbeurteilungen hinzu, bei denen die Mitarbeiter die Leistungen und das Verhalten ihrer Chefs bewerten. Beurteilungen durch Kollegen, interne oder externe Kunden oder Lieferanten erfolgen hingegen selten. Unter Personalentwicklung versteht man alle Maßnahmen, die dazu dienen, die Qualifikation der Mitarbeiter zu verändern und zu verbessern. Neben den fachlichen Kompetenzen wird heute verstärkt auf soziale Kompetenz und Methodenkompetenz gesetzt. Dabei stehen nicht nur die aktuellen Aufgaben des Stelleninhabers im Blickfeld, es werden auch künftige Veränderungen und die sich wandelnden Anforderungen berücksichtigt. Mit der Personalfreisetzung wird eine Überdeckung an Arbeitsleistung beseitigt. Dabei kommen interne oder externe Maßnahmen in Betracht. Es handelt sich also nicht grundsätzlich um Entlassungen. Beispiele sind Abbau von Überstunden, Einstellungsstopps, vorzeitige 1.2 Ziele und Aufgabenfelder des Personalmanagements · 7 Pensionierungen oder Kündigungen. Das Outplacement hat vor allem bei Führungskräften an Bedeutung gewonnen. Diese Aufgabenfelder können nicht losgelöst voneinander betrachtet werden, vielmehr sind sie miteinander verknüpft. Zudem bestehen Beziehungen nach außen, z.B. zum externen Arbeitsbeschaffungsmarkt und zu Bildungsinstitutionen. Das Personalmanagement erfüllt, wie in Abb. 1-2 ersichtlich, seine Aufgaben in allen betrieblichen Teilbereichen. Abb. 1-2: Zusammenhang zwischen Personalmanagement und den betrieblichen Teilbereichen So muss z.B. für den Einkaufsbereich der Stellenbedarf ermittelt werden, eventuell sind Versetzungen oder Beförderungen vorzunehmen, ausscheidende Mitarbeiter müssen ersetzt werden. Neue Arbeitnehmer im Einkaufsbereich sollen möglichst schnell integriert werden und alle Abteilungsmitglieder müssen zur Leistung motiviert werden. Auf ihrer Beurteilung bauen Entgeltverhandlungen und Bildungsmaßnahmen für derzeitige und künftige Aufgaben im Einkauf auf. Sollte es notwendig werden, die Mitarbeiterzahl im Einkaufsbereich zu verringern, zählt auch dies zu den Aufgaben des Personalmanagements. In allen anderen betrieblichen Teilbereichen fallen diese Funktionen des Personalmanagements ebenfalls an. Produktion Einkauf Vertrieb Verwaltung … Betriebliche Teilfunktionen Aufgabenfelder des Personalmanagements Personalbeschaffung Personalauswahl Personaleinführung und -einarbeitung (Onboarding) Personaleinsatz und -erhaltung Personalbeurteilung Personalentwicklung Personalfreisetzung 8 · 1 Grundlagen des Personalmanagements Da Personalmanagement ein Teil des Managementprozesses ist, kann es nicht rein funktionsorientiert gesehen werden. Die strategische, die taktische und die operative Ebene müssen bedacht werden. Den Zusammenhang zwischen Funktionen (Aufgabenfeldern) und Ebenen des Personalmanagements zeigt Abb. 1-3. Aufgabenfelder des Personalmanagements Ebenen des Personalmanagements Abb. 1-3: Zusammenhang zwischen Funktionen und Ebenen des Personalmanagements 3 Das strategische Personalmanagement betrachtet das Unternehmen als Ganzes. Es richtet sich konsequent an den langfristigen Unternehmenszielen aus und sieht die Mitarbeiter und ihre Arbeitsleistung als Erfolgspotenzial, mit dem Wettbewerbsvorteile erreicht werden sollen und der Unternehmenserfolg langfristig gesichert werden soll. 4 Es ist eher qualitativ statt quantitativ ausgerichtet. Zum Beispiel geht es um langfristige Bedarfsverschiebungen, Auswirkungen des demographischen Wandels oder langfristige Veränderungen der Personalkostenstruktur. 5 Das strategische Personalmanagement ist Teil der strategischen Unternehmensplanung und hat engen Bezug zum strategischen Produktionsprogramm und zur strategischen Absatzplanung. Das taktische Personalmanagement setzt die vom strategischen Personalmanagement vorgegebene Richtung um. Der Planungshorizont beträgt hier zwei bis fünf Jahre. Die 3 In Anlehnung an Scholz (2000), S. 157; ders. (2011), S. 41 ff. 4 Vgl. Huf (2006), S. 912 ff. 5 Vgl. Scholz (2014), S. 90 f. 1.3 Personalpolitik und Personalplanung als Rahmen der Personalarbeit · 9 Entwicklungen in diesem Zeitraums können im Vergleich zu strategischen Planungen i.d.R. konkreter bestimmt werden, z.B. technische und organisatorische Veränderungen, Modetrends, Produktionsprogrammänderungen, tarifliche und gesetzliche Änderungen, Vorgehensweisen von Konkurrenten etc. 6 Im Mittelpunkt des taktischen Personalmanagements steht die gezielte Veränderung und Anpassung der Leistungspotenziale von Mitarbeitergruppen. Beispiele sind die Förderung interkultureller Kompetenzen bei Führungskräften der mittleren Hierarchieebenen oder die Steigerung des Qualitätsbewusstseins bei Facharbeitern. Die Situation eines einzelnen Mitarbeiters wird i.d.R. nicht in taktische Überlegungen einbezogen. Beim operativen Personalmanagement geht es um gezielte personelle Einzelmaßnahmen. Der einzelne Mitarbeiter steht nun im Mittelpunkt. Produktionsprogramm, organisatorische und technische Bedingungen etc. werden als gegeben hingenommen. Der zeitliche Rahmen beträgt ca. ein Jahr. Zu dieser Ebene gehören z.B. ein Führungsseminar für einen neuen Abteilungsleiter, ein Sprachtraining für einen Vertriebsmitarbeiter, der zunehmend mit ausländischen Kunden zu tun hat, oder ein Assessment Center, um einen geeigneten Assistenten für die Einkaufsleitung zu finden. 1.3 Personalpolitik und Personalplanung als Rahmen der Personalarbeit 1.3.1 Personalpolitik im Kontext der Unternehmenspolitik Die Unternehmenspolitik legt den Rahmen und die Wertmaßstäbe fest, an denen sich die Ziele des Unternehmens und alle Handlungen orientieren. Es handelt sich um Wertaussagen mit Verbindlichkeitscharakter. In ihnen kommen die Einstellungen der Entscheidungsträger gegenüber dem Wirtschafts- und Gesellschaftssystem, den Mitarbeitern, den Geschäftspartnern, der ökologischen Umwelt, der interessierten Öffentlichkeit etc. zum Ausdruck. Unternehmenspolitik bezieht sich auf alle Unternehmensbereiche, man unterscheidet z.B. Finanz-, Produkt-, Personalpolitik. Ihren Niederschlag findet die Personalpolitik in der Formulierung von Unternehmensgrundsätzen. Auf diese Weise soll eine geschlossene, dauerhafte und konsistente Ausrichtung aller Entscheidungen an diesen Grundsätzen gewährleistet werden. Die Unternehmensgrundsätze werden oft in einem Unternehmensleitbild zusammengefasst. Die Personalpolitik als Teilbereich der Unternehmenspolitik steht für die grundlegenden, werthaltigen Entscheidungen und Festlegungen, die den gesamten Personalbereich betreffen. Es handelt sich um den Gestaltungsrahmen des Personalmanagements. Personalpolitik ist richtungweisend für die personalwirtschaftliche Aufgabenerfüllung. Sie legt diejenigen Grundsätze fest, auf denen alle personellen Entscheidungen im Unternehmen beruhen sollen. 7 Personalpolitik wird allgemein formuliert, d.h. sie hat - wie die Unterneh- 6 Vgl. Bartscher/ Huber (2007), S. 54. 7 Vgl. Kolb (2010), S. 47; Bontrup (2004), S. 1046 ff. 10 · 1 Grundlagen des Personalmanagements menspolitik - einen geringen Konkretisierungsgrad und ist nicht unmittelbar in Handlungen umsetzbar. Die Konkretisierung erfolgt durch die Formulierung von Teilpolitiken für die personalwirtschaftlichen Funktionen und die Umsetzung in planerische Entscheidungen. Als Beispiele für personalwirtschaftliche Teilpolitiken nennt Olfert: 8 Allgemeine Grundsätze: Diese Grundsätze gelten für alle Bereiche des Unternehmens. Dazu zählt etwa die Frage, wie bei der Besetzung von Führungspositionen vorgegangen wird, ob sie beispielsweise grundsätzlich aus den eigenen Reihen rekrutiert oder eher extern beschafft werden. Auch die finanzielle Mitarbeiterbeteiligung, d.h., ob und auf welche Art Mitarbeiter am Unternehmenserfolg beteiligt werden, wird i.d.R. grundsätzlich festgelegt. Grundsätze für Vorgesetzte: Sie legen die Verhaltensweisen, die von Vorgesetzen gegenüber ihren Mitarbeitern erwartet werden, fest. Beispiele sind Aussagen zur Vorgehensweise bei Mitarbeiterbeurteilungen und Mitarbeitergesprächen, zur Förderung von Mitarbeitern und zum gewünschten Führungsstil. Grundsätze für die Personalabteilung: Sie beschäftigen sich damit, wie die Personalabteilung mit den Mitarbeitern umgehen soll. Beispielsweise gehören dazu Regelungen zum generellen Umgang mit Bewerbern und zu den Personalentwicklungskonzepten für die Mitarbeiter. 1.3.2 Personalpolitik als Grundlage der Personalplanung Bei der Personalplanung - wie sie hier verstanden wird - handelt es sich um die gedankliche Vorwegnahme zukünftiger personalwirtschaftlicher Handlungen. Sie umfasst alle Entscheidungen, die das künftige Geschehen in allen Aufgabenfeldern des Personalmanagements bestimmen und vorbereiten. Sie können sich beispielsweise auf den Bedarf, die Beschaffung, den Einsatz, die Entwicklung oder die Freisetzung von Mitarbeitern beziehen. 9 Der Begriff Personalplanung ist in Praxis und Literatur nicht eindeutig definiert. Bestimmend ist aber immer, dass es sich nicht um Ad-hoc-Maßnahmen handelt, sondern dass künftige personelle Aktionen systematisch durchdacht und vorbereitet werden. Die Personalplanung basiert auf den personalpolitischen Grundsätzen des Unternehmens und legt darauf aufbauend personalwirtschaftliche Ziele fest. Sie ermittelt mögliche Handlungsalternativen und untersucht, welche unter den gegebenen Bedingungen im Unternehmen die beste ist. Sie muss darauf gerichtet sein, Informationen für alle personalwirtschaftlichen Problemstellungen zu erheben und sie entscheidungsrelevant aufbereitet zur Verfügung zu stellen, Chancen und Risiken personalwirtschaftlicher Handlungsalternativen zu beurteilen und abzuwägen, 8 Vgl. Olfert (2015), S. 46 f. 9 Vgl. Breisig (2005), S. 132. 1.4 Querschnittsfunktionen des Personalmanagements · 11 Folgen personalwirtschaftlicher Maßnahmen zu prognostizieren und personalwirtschaftliche Handlungen und Systeme zu bewerten. 10 Damit verfolgt die Personalplanung diese Ziele: 11 Versachlichung der Personalpolitik Berechenbarkeit von Risiken für Unternehmen und Mitarbeiter Verwirklichung der wirtschaftlichen Unternehmensziele unter Berücksichtigung der Interessen der Mitarbeiter Personalpolitik und Personalplanung gehen ineinander über und sind oft nicht genau abgrenzbar. Zum Teil wird Personalplanung viel enger gefasst als oben ausgeführt. Häufig wird sie mit der Personalbedarfsermittlung gleichgesetzt. Abhängig von anderen Teilplanungen wie Finanz-, Investitions-, Produkt- und Marketingplanung handelt es sich dann bei dieser Art von Personalplanung lediglich um die Vorausberechnung des Personalbedarfs. Gelegentlich wird Personalplanung mit der Bedarfsdeckungsplanung gleichgesetzt. Dabei geht es darum, festzulegen, durch welche Maßnahmen der Personalbedarf zur Verfügung gestellt werden soll, sodass weder Unternoch Überdeckung auftreten. Ziele setzt eine solche Personalplanung nicht. Diesen engen Begriffsauslegungen wird hier nicht gefolgt. 1.4 Querschnittsfunktionen des Personalmanagements Als Querschnittsfunktionen über alle Aufgabenfelder des Personalmanagements hinweg werden angesprochen: Personalverwaltung einschließlich der DV-gestützten Personalinformationssysteme Personalcontrolling Personalmarketing Abb. 1-4 zeigt, dass diese Querschnittsfunktionen alle Aufgabenfelder des Personalmanagements überlagern. 10 Vgl. Berthel/ Becker (2010), S. 212 f.; Becker (2010), S. 74 f. 11 Vgl. Bartscher/ Huber (2007), S. 50. 12 · 1 Grundlagen des Personalmanagements Aufgabenfelder des Personalmanagements Querschnittsfunktionen des Personalmanagements Personalmarketing Personalcontrolling Personalverwaltung und Personalinformationssysteme Einführung und Einarbeitung Personalbedarfsplanung Personalbeschaffung Personalauswahl Personaleinsatz und -erhaltung Personalbeurteilung Personalentwicklung Personalfreisetzung Abb. 1-4: Querschnittsfunktionen des Personalmanagements 1.4.1 Personalverwaltung und Personalinformationssysteme Die Personalverwaltung fasst alle administrativen, routinemäßigen personalwirtschaftlichen Tätigkeiten zusammen. Die wichtigsten sind: 12 beschaffungsbezogene Aufgaben, wie administrative Arbeiten im Zusammenhang mit Stellenausschreibungen und Bewerbungen, Korrespondenz mit Bewerbern, Ausfertigung des Arbeitsvertrags und Meldung bei den Sozialversicherungsträgern einsatzbezogene Aufgaben, wie Unterstützung bei der Einarbeitung, Abwicklung der Probezeit, Abwicklung von Einsätzen im Ausland sowie von Versetzungen und Beförderungen entgeltbezogene Aufgaben, wie Ermittlung des Brutto- und Nettoentgelts, Überweisung des Entgelts, Meldung an die Finanzämter, Abführen der Sozialversicherungsbeiträge und Abwicklung von Um- oder Höhergruppierungen betreuungsbezogene Aufgaben, wie Versenden von Informationen und Rundschreiben, Umsetzung der Maßnahmen des Arbeitsschutzes und Gesundheitsdienstes, Betreiben von Personalverkaufsstellen, Organisation und Realisierung von Freizeit- und Kulturveranstaltungen, Entgegennahme, Bearbeitung und ggf. Weiterleitung von Anregungen und Beschwerden sowie organisatorische Abwicklung der Personalbeurteilungen 12 Vgl. Olfert (2015), S. 551 ff.; Jung (2017), S. 658. 1.4 Querschnittsfunktionen des Personalmanagements · 13 personalentwicklungsbezogene Aufgaben, wie Zusammenstellen von Bildungsangeboten, Führen der Personalentwicklungsdateien, Versorgung der Führungskräfte und Mitarbeiter mit entsprechenden Informationen, Anmeldung und Abrechnung von Bildungsmaßnahmen freistellungsbezogene Aufgaben, wie Abmahnungen und Kündigungsschreiben, Abwicklung der notwendigen Maßnahmen bei Kurzarbeit, Bestätigung arbeitnehmerseitiger Kündigungen, Ausfertigung von Arbeitszeugnissen und Bereitstellung der Arbeitspapiere Damit die Personalverwaltung effizient sein kann, müssen die personalwirtschaftlichen Informationen laufend aufbereitet und aktualisiert werden. Zum notwendigen Datengerüst gehören: 13 personenbezogene Daten: Darunter versteht man alle Informationen, welche die Belegschaft oder einen Teil davon betreffen, z.B. Personalbestand, Fluktuationsrate, Krankenstand, Urlaubslisten, Alters- und Qualifikationsstruktur. stellenbezogene Daten: Sie geben Auskunft über die einzelnen Stellen im Unternehmen, z.B. über die Anforderungen einer Stelle, das Qualifikationsprofil des Stelleninhabers oder die Zuordnung der Stelle zu einer Abteilung. entgeltbezogene Daten: Dazu gehören z.B. die Tarifgruppen der Stellen, Mitarbeiterquoten in den einzelnen Entgeltgruppen, Entgeltbeträge, Sonderzahlungen an einzelne Mitarbeiter oder Mitarbeitergruppen und Personalnebenkosten. marktbezogene Daten: Darunter versteht man Kennzahlen zur personalwirtschaftlichen Konkurrenzsituation, z.B. zur Marktentwicklung, zur Stellung auf dem Arbeitsbeschaffungsmarkt, zum internen und externen Unternehmensimage und Einschätzungen der Konkurrenzsituation bzgl. verschiedener Mitarbeitergruppen. produktionsbezogene Kennzahlen: Sie betreffen zum einen die Leistungserstellung des Unternehmens wie Veränderungen der Produktivität oder der Arbeitsorganisation. Zum anderen geht es um die Leistung bzgl. der Personalarbeit, z.B. um die Zufriedenheit der Mitarbeiter und Vorgesetzten mit den Dienstleistungen, die ihnen seitens der Personalabteilung zur Verfügung gestellt werden. Zur Bewältigung der umfangreichen Datenmengen stehen verschiedene Instrumente zur Verfügung. Dazu gehören z.B. Personalakten, Personaldateien sowie Personalhandbücher. Die Daten der aktiven und der ehemaligen Mitarbeiter werden darin üblicherweise getrennt gespeichert. Zu jedem Mitarbeiter wird eine Personalakte angelegt. Sie enthält persönliche Daten, vertragliche Vereinbarungen, Informationen zu seinen Aufgaben, entgeltbezogene Informationen, Urlaubs- und Krankheitstage sowie den Schriftverkehr. Auch die Ergebnisse von Personalbeurteilungen, Bildungsmaßnahmen, Versetzungen und Beförderungen sowie Abmahnungen werden hier eingepflegt. 13 Vgl. Jung (2017), S. 658. 14 · 1 Grundlagen des Personalmanagements Während Personalakten einen ausführlichen Überblick geben, beinhalten Personaldateien eine knappe Übersicht über nützliche, ausgewählte Informationen. Von besonderer Bedeutung sind Personalstammdateien, welche die wichtigsten Informationen über einen Mitarbeiter enthalten. Arbeitsplatzstammdateien fassen Daten über die Stelle, die Anforderungen, die aktuelle Besetzung und die Beurteilungsmerkmale zusammen. In Führungsdateien werden Informationen über die Gesamtheit der Mitarbeiter und zusätzlich zu verschiedenen Mitarbeitergruppen gesammelt. Diese werden meist zu statistischen Zwecken wie der Ermittlung von Fluktuationsraten, Personalkosten oder Überstunden in den verschiedenen Unternehmensbereichen herangezogen. Personalhandbücher sind Nachschlagewerke, in denen Prozessbeschreibungen, Richtlinien und Regeln, die das Personal betreffen, gesammelt werden. Sie grenzen den Handlungsspielraum der Träger personalwirtschaftlicher Entscheidungen ein und dienen ihnen als Entscheidungsgrundlage. Auch Formulare und Textbausteine gehören zum Handwerkszeug der Personalverwaltung z.B. Reisekostenformulare, Urlaubsanträge oder Textbausteine für Briefe an Bewerber oder für Arbeitszeugnisse. Außerdem werden statistische Auswertungen über Personalstruktur, Personalbewegungen, Personalaufwand sowie Arbeits- und Ausfallzeiten durchgeführt. Der Einsatz DV-gestützter Personalinformationssysteme ermöglicht den Entscheidungsträgern einen schnellen und zielgerichteten Zugriff auf Informationen. Dabei handelt es sich um Systeme, mit denen man entscheidungsrelevante Daten zum Personal vollständig und geordnet erfassen, speichern, verwalten, sortieren und auswerten kann. Führungskräfte, Mitarbeiter der Personalabteilung und gegebenenfalls Betriebsbzw. Personalrat können so jederzeit mit allen notwendigen Informationen, die durch das System bereits entscheidungsrelevant aufbereitet worden sind, versorgt werden. Das beschleunigt die Entscheidungen und erhöht ihre Qualität. 14 In vielen Systemen können auch die Mitarbeiter selbst auf bestimmte Personaldaten im Intranet zurückgreifen. Sie erhalten einen Zugangscode und pflegen und verwalten bestimmte Daten selbständig (Employee Self Service, ESS). 15 Beispiele sind Informationen zu Wohnsitz, Krankenkasse und Steuerklasse sowie Anträge auf Urlaub oder Dienstreisen vorstellen. Internet-Portale für unternehmensinterne und externe Teilnehmer sind in der Praxis ebenfalls zunehmend zu finden. Man denke etwa an bestimmte Recruiting-Themen. Hier müssen den Beteiligten genaue, feste Rollen zugewiesen werden und die Berechtigungen sind vorher exakt zu klären. 14 Vgl. Tripkewitz/ Fülle (2007), S. 2. 15 Vgl. Bröckermann (2012), S. 22. 1.4 Querschnittsfunktionen des Personalmanagements · 15 Personalinformationssysteme sind Teil des Gesamtinformationssystems. Durch die Vernetzung mit anderen Teilen des Systems erhöht sich die Aussagekraft der Informationen, außerdem verbessert sich die Entscheidungsgrundlage. Neben spezifischen Programmen für Großrechner stehen zahlreiche Standardprogramme für PCs zur Verfügung, die den Bedürfnissen der Unternehmen individuell angepasst werden können. Bei der Entscheidung für ein Personalinformationssystem sollten diese Kriterien berücksichtigt werden: 16 Sicherheit: Das Personalinformationssystem muss nicht nur durch Zugangscodes und durch Verschlüsselungen vor unberechtigten Zugriffen geschützt werden, ebenso wichtig sind die sichere Speicherung und Übertragung der sensiblen Personaldaten. Alle Datenänderungen müssen protokolliert werden. Um einen Datenverlust zu verhindern, sind regelmäßige Datensicherungen sowohl auf internen als auch auf externen Speichermedien durchzuführen. Integration: Die zu verarbeitenden Daten sollten dezentral erfasst und bearbeitet werden können. Flexibilität: Das System muss erweiterbar sein, damit es an künftige Anforderungen angepasst werden kann. Wirtschaftlichkeit: Hier geht es insb. um eine angemessene Amortisationszeit der Anschaffungskosten, günstige Speicherkapazitäten und schnelle Bearbeitungszeiten. Benutzerfreundlichkeit: Die Handhabung des Systems sollte einfach erlernbar sein, was verständliche Hilfeprogramme und entsprechende Handbücher voraussetzt. Eine leicht verständliche grafische Benutzeroberfläche erleichtert zudem die Handhabung. Bei Auswahl, Einführung und Nutzung von Personalinformationssystemen hat der Betriebsbzw. Personalrat umfangreiche Mitbestimmungsrechte. Normalerweise wird eine Betriebsvereinbarung getroffen. So soll ein sozialverträglicher EDV-Einsatz sichergestellt werden. Zudem sind das Bundesdatenschutzgesetz, EU-Richtlinien und die Persönlichkeitsrechte der Mitarbeiter zu berücksichtigen. 17 Insbesondere ist seit Mai 2018 die EU-weit geltende Datenschutzgrundverordnung (DSGV) zu beachten. 1.4.2 Personalcontrolling 1.4.2.1 Überblick Wenn es darum geht, die Aufgabenerfüllung des Personalmanagements zu reflektieren und zukünftig besser zu gestalten, ist das Personalcontrolling von besonderer Bedeutung. Man versteht darunter die zukunftsorientierte Planung, Steuerung und Lenkung des Personalmanagements. Dazu greift das Personalcontrolling unter anderem auf die Daten des Personalinformationssystems zurück. 16 Vgl. Oechsler (2011), S. 195. 17 Vgl. Jansen (2008), S. 40 ff. 16 · 1 Grundlagen des Personalmanagements Mit Personalcontrolling lassen sich Planung, Steuerung und Kontrolle personalwirtschaftlicher Prozesse auf den wirtschaftlichen Erfolg des Unternehmens auszurichten. Es ist Bestandteil des Unternehmenscontrollings und selektiert und analysiert vorhandene Informationen im Hinblick auf personalwirtschaftliche Relevanz. Personelle Fehlentwicklungen sollen vermieden bzw. frühzeitig erkannt und Korrekturmöglichkeiten und -notwendigkeiten aufgezeigt werden. 18 Das Personalcontrolling verknüpft die einzelnen Funktionen des Personalmanagements und stellt den Zusammenhang zwischen Personalplanung und -kontrolle her. Außerdem soll Personalcontrolling die strategische Wirkung von personalwirtschaftlichen Entscheidungen aufzeigen, analysieren sowie die für den Personalbereich relevanten Umweltveränderungen rechtzeitig erkennen und dabei helfen, Anpassungsstrategien festzulegen. Auch die personalwirtschaftlichen Auswirkungen neuer strategischer Unternehmensziele werden analysiert. Personalcontrolling hat zudem die Aufgabe, Instrumente zu entwickeln, mit deren Hilfe sich abschätzen lässt, wie sich die Personalarbeit auf den Erfolg des Unternehmens auswirkt. Es ist weiterhin ein Frühwarnsystem, das auf personelle Engpässe und deren Auswirkungen auf die strategischen Bereichspläne hinweist. Das Personalcontrolling dient damit der Integration und der Koordination. Neben der prognostizierenden Funktion hat es also analysierende, beratende und steuernde Funktionen. 19 Es ist sowohl engpassals auch zielgruppenorientiert auszurichten. Beim Personalcontrolling wird eine breite Palette betriebswirtschaftlicher Instrumente eingesetzt. Häufig verwendet werden Mitarbeiterbefragungen, Personalbeurteilungen, Soll- Ist-Vergleiche, Szenario-Technik, Human-Resources-Portfolios, Stärken-Schwächen-Analysen, Management Audits, Personalkostenstrukturanalysen, Target Costing, Wertvergleichsanalysen, SWOT-Analysen, Kennzahlensysteme, Sozialbilanzen, Balanced Scorecard und Benchmarking. 20 Wichtige Kennzahlen des Personalcontrollings sind in Abb. 1-5 dargestellt. Diese Informationen sind für die einzelnen Unternehmensbereiche, Abteilungen und die verschiedenen Mitarbeitergruppen gesondert zu erheben und zu analysieren. Sie können innerbetrieblich aber auch konzernbezogen und zwischenbetrieblich erhoben werden. Auch eine zeitliche Differenzierung und Betrachtung der Entwicklung der Kennzahlen in verschiedenen Perioden sind ebenso wie ein Soll-Ist-Vergleich üblich. 21 18 Vgl. Wunderer (2000), S. 298 ff.; Bühner (2005), S. 340; Hentze/ Kammel (2001), S. 129; Amalou/ Süß (2013), S. 57 ff. 19 Vgl. Oechsler (2011), S. 176; Gourmelon/ Seidel/ Treier (2014), S. 247. 20 Vgl. Jansen (2008), S. 99 ff.; Scherm/ Süß (2016), S. 252 ff.; Merker (2015), S. 312 ff. 21 Vgl. Merker (2015), S. 312 ff. 1.4 Querschnittsfunktionen des Personalmanagements · 17 Kennzahlen im Personalcontrolling Aufgabenfelder des Personalmanagements Kennzahlenbeispiele Personalbedarfsplanung Bedarf an Fachkräften Anteil besetzter Stellen Altersstruktur Frauenquote Personalbeschaffung und -auswahl Bewerber pro Ausschreibung Kosten des Bewerbungsverfahrens Anteil geeigneter Bewerber Frühfluktuationsquote Personaleinsatz und -erhaltung Überstundenquote Arbeitszufriedenheit Arbeitsproduktivität Unfallquoten Fluktuationsquote Krankenquote Unfallquote Kündigungsquote Personalführung Mitarbeiterzufriedenheit Verbesserungsvorschläge Führungssituation Personalentwicklung Ausbildungsquote Weiterbildungstage pro Mitarbeiter und Mitarbeitergruppe Kosten je Weiterbildungsmaßnahme Zufriedenheit der Mitarbeiter mit der Maßnahme Personalfreisetzung Quote interner und externer Freisetzungsmaßnahmen Anzahl der Freisetzungen pro Periode Abfindungen in Anzahl und Höhe Abb. 1-5: Wichtige Kennzahlen im Personalcontrolling 22 22 Vgl. Becker (2010), S. 84; ders. (2008), S. 193 ff.; Gourmelon/ Seidel/ Treier (2014), S. 254 ff.; Sattler (2016), S. 38 ff. 18 · 1 Grundlagen des Personalmanagements 1.4.2.2 Humanvermögensrechnung Zum Personalcontrolling gehört auch die Humanvermögensrechnung. Sie steht in den letzten Jahren (wieder) verstärkt in der wissenschaftlichen Diskussion. Statt der Bezeichnung Humanvermögensrechnung werden auch die Begriffe Humankapitalrechnung oder Personalvermögensrechnung und Human Resource Accounting (HRA) verwendet. 23 In der Öffentlichkeit wird oft kritisiert, dass die Ressource Personal mit diesen Rechnungen „entmenschlicht“ und auf eine Stufe mit den anderen Produktionsfaktoren gestellt wird. Mit der Humanvermögensrechnung soll eine Wertgröße für die menschlichen Ressourcen des Unternehmens ermittelt werden. Dabei werden drei Perspektiven unterschieden: 24 Individualperspektive: Hier steht der Wert eines einzelnen Mitarbeiters für das Unternehmen im Mittelpunkt. Unternehmensperspektive: Dabei geht es insbesondere um Möglichkeiten der Einflussnahme auf das Humanvermögen und seiner Veränderung, z.B. durch Wissens- und Kompetenzmanagement. Umweltperspektive: Auch Stakeholder wie z.B. Kreditgeber, Kunden, Lieferanten, Staat und Gesellschaft haben Interesse an der Ermittlung des Humanvermögens. Der Blick ist hier auf positive und negative Entwicklungen aus deren Sicht gerichtet. Unternehmensseitig dient die Humanvermögensrechnung vor allem als Instrument der Planung, Steuerung und Kontrolle: Auf diese Weise lassen sich die personalwirtschaftlichen Maßnahmen zur Erhaltung und Steigerung der Mitarbeiterqualifikation wertorientiert betrachten. Instrument der Qualitätsmessung: Eine (positive) Veränderung des Wertes des Humanvermögens gibt auch Aufschluss über die Arbeit der Personalabteilung. Sie kann sich damit leichter als Partner der Unternehmensleitung legitimieren. Sensibilisierung der Unternehmensleitung: Die Führungskräfte werden sich der Bedeutung ihrer personellen Ressourcen stärker bewusst. Grundlage für die Gestaltung personalwirtschaftlicher Instrumente: Hier ist beispielsweise an die motivationsorientierte Entgeltfestlegung für wichtige Mitarbeiter oder an Personalentwicklungsmaßnahmen zu denken, mit denen der Wert der Mitarbeiter erhalten bzw. gesteigert werden soll. Erhöhung der Transparenz: Für Führungskräfte und andere Entscheidungsträger sind diese Informationen eine nachvollziehbare Entscheidungsgrundlage. Es gibt zahlreiche Ansätze zur Ermittlung des Humankapitals. Die meisten sind unvollständig bzw. mit Ungenauigkeiten behaftet und unterliegen teils sehr heftiger Kritik. Die Systematisierungen sind sehr unterschiedlich. 23 Vgl. ausführlich Scholz (2014), S. 371 ff. und Becker (2008), S. 271 ff. 24 Vgl. Jansen (2008), S. 228. 1.4 Querschnittsfunktionen des Personalmanagements · 19 Die bedeutendsten Ansätze sind: 25 Kostenorientierte Ansätze: Sie bewerten das Humanvermögen anhand der Kosten, die für die Beschaffung und den Einsatz des Personals bereits entstanden sind bzw. noch entstehen werden. Dabei wird auf die Anschaffungskosten für diese Ressource oder die Wiederbeschaffungskosten zurückgegriffen, wobei Freisetzungskosten, Produktionsausfälle, Personalbeschaffungskosten und die Kosten für Weiterbildungsmaßnahmen zu berücksichtigen sind. Teilweise wird auch auf die Opportunitätskosten abgestellt und es werden alternative Vorgehensweisen anstelle des aktuellen Personalressourceneinsatzes als Bewertungskriterien herangezogen. Nicht berücksichtigt werden individuelle Leistungen eines Mitarbeiters und sein spezifischer Beitrag zur Wertschöpfung. Erfolgs- und unternehmenswertorientierte Ansätze: Die Bezugsgrößen sind hier periodenbezogene Erfolgsgrößen wie Gewinn, Cash Flow oder auch Börsenbzw. Buchwert eines Unternehmens. Inwieweit eine Veränderung solcher Größen tatsächlich auf das Humanvermögen zurückführbar ist, lässt sich jedoch nicht genau beziffern. Indikatorbasierte Ansätze: Hier wird das Humanvermögen anhand der Veränderung verschiedener Indikatoren ermittelt. So werden beispielsweise Motivation der Mitarbeiter, Mitarbeiterbindung, Qualifikation und Organisation herangezogen. Positive Veränderungen lassen Rückschlüsse auf eine Steigerung des Humankapitals und auf künftige Wettbewerbsvorteile des Unternehmens zu. Integrierte Ansätze: Sie sind insb. in den letzten Jahren ins Blickfeld gerückt. Ein wichtiges Beispiel ist die sog. Saarbrücker Formel. 26 Sie berücksichtigt, dass Kompetenzen an Wert verlieren und bezieht auch Betriebszugehörigkeit und Berufskategorien der Mitarbeiter ein. Personalentwicklungsmaßnahmen erhöhen den Wert des Humanvermögens. Auch Motivations- und Bindungsmaßnahmen des Unternehmens werden positiv gesehen und tragen zur Wertsteigerung bei. Das Institut für Managementkompetenz der Universität des Saarlandes hat vor einiger Zeit das Humankapital der Dax-30-Unternehmen anhand dieser Formel ermittelt. Danach wies der IT-Konzern SAP das größte Humankapital auf. Der hohe Wert wurde darauf zurückgeführt, dass überdurchschnittlich viel in Personalentwicklung investiert wurde und SAP deshalb über besonders motivierte Mitarbeiter verfügte. Demgegenüber hatte in dieser Untersuchung die Hypo-Real-Estate Bank das geringste Humankapital, da die Bank sehr wenig in Bildungsmaßnahmen investiert hatte und die Mitarbeiter als sehr unmotiviert galten. Sie war in 2008 ein Auslöser der deutschen Finanzkrise. 27 In der Praxis hat sich gezeigt, dass Unternehmen mit intensiver Personalentwicklung i.d.R. auch hohe Erträge erwirtschaften. Nach Auffassung der Wissenschaftler setzen sich Unternehmen, die hohe Gewinne, hohe Personalkosten und ein geringes Humankapital pro Kopf aufweisen, einem hohen Personalrisiko aus. Sie erwarten auf lange Sicht negative Entwicklungen des Unternehmenserfolgs. 28 25 Vgl. Berthel/ Becker (2010), S. 616; ausführlich Oechsler/ Paul (2015), S. 559. 26 Vgl. Scholz (2014), S. 381 ff. 27 Vgl. ebd., S. 384. 28 Vgl. Böttger (2012), S. 42 ff.; Haas (2008); Stritzke (2010), S. 26 ff. 20 · 1 Grundlagen des Personalmanagements 1.4.3 Personalmarketing 1.4.3.1 Bedeutung des Personalmarketings Die dritte Querschnittsfunktion des Personalmanagements ist das Personalmarketing. Darunter werden alle systematischen Aktivitäten eines Unternehmens verstanden, die darauf zielen, seine Stellung als Arbeitgeber bei potenziellen und bereits vorhandenen Mitarbeitern zu verbessern. 29 Ähnlich wie beim klassischen Produktmarketing wird eine langfristige Markenbindung angestrebt. In diesem Fall geht es jedoch nicht um Kunden, die Waren oder Dienstleistungen kaufen sollen, sondern um künftige bzw. gegenwärtige Mitarbeiter. Die Marke ist das Unternehmen selbst in seiner Funktion als Arbeitgeber. Nach Scholz versuchen Unternehmen mit einem systematischen Personalmarketing vier Herausforderungen zu begegnen: 30 Profilierungsproblem: Die materiellen Arbeitsbedingungen werden immer weiter angeglichen und unterscheiden sich bei den verschiedenen Unternehmen in vielen Fällen kaum. Deshalb benötigen Unternehmen immaterielle Bedingungen, mit denen sie sich positiv von der Konkurrenz abheben und den aktuellen und potenziellen Mitarbeitern einen Zusatznutzen bieten. Motivationsproblem: Klassische Motivatoren wie Entgelt und Arbeitszeit verlieren ihre Wirkung, da sie in den meisten Unternehmen sehr ähnlich ausgeprägt sind. Es müssen andere Faktoren gefunden werden, die Mitarbeiter motivieren. Akquisitionsproblem: Wie seit langem auf vielen Produkt- und Dienstleistungsmärkten ist mittlerweile auch auf den meisten Teilen des Arbeitsmarktes eine deutliche Tendenz vom Verkäuferhin zum Käufermarkt festzustellen. Der demographische Wandel verstärkt diese Problematik. Hochqualifizierte Arbeitskräfte werden immer rarer, womit sie stärker als früher die Bedingungen bestimmen, zu denen sie bereit sind, eine Stelle anzunehmen. Retentionsproblem: Die Treue zum Unternehmen nimmt ab. Mitarbeiter wechseln schneller als früher ihren Arbeitgeber, wenn sie sich an anderer Stelle bessere Bedingungen erhoffen. Dem Rückgang der Loyalität müssen Unternehmen begegnen, indem sie ihre Besonderheiten als Arbeitgeber herausstellen. Mithilfe des Personalmarketings will das Unternehmen aus der Masse der konkurrierenden Arbeitgeber und aus der Anonymität heraustreten und dazu beitragen, dass es positiv als Arbeitgeber wahrgenommen wird. Auf diese Weise lässt sich auch erreichen, dass potenzielle Arbeitnehmer von sich aus mit dem Unternehmen in Kontakt treten bzw. Mitarbeiter weiterhin im Unternehmen tätig bleiben. So wird das Personalmarketing zu einem Schlüsselfaktor für einen nachhaltigen Unternehmenserfolg. 31 Das Unternehmen vermarktet sich als 29 Vgl. Horsch (2000), S. 39 f.; Scholz (2014), S. 484. 30 Vgl. Scholz (2014), S. 485 f. 31 Vgl. Richter (2008), S. 1318. 1.4 Querschnittsfunktionen des Personalmanagements · 21 attraktiver Arbeitgeber, der interessante Stellen zu vergeben hat. Man verspricht sich aber nicht nur ein positives Image bei Bewerbern, sondern auch bei den bereits vorhandenen Mitarbeitern. Auch bei Kunden und Lieferanten soll die Imageverbesserung eine höhere Zufriedenheit und Loyalität und im Endeffekt positive Auswirkungen auf den Unternehmenserfolg bewirken. Die HR-Trendstudie von Kienbaum belegt, dass der spürbare Fachkräftemangel, der ganz besonders die Mittelständler belastet, derzeit auch bei diesen Unternehmen zur Erhöhung des Budgets für das Personalmarketing und das Employer Branding führt. 32 Die Großunternehmen haben diesen Zusammenhang längst erfasst. Untersuchungen des Centre of Human Resources Information Systems (CHRIS) der Universitäten Bamberg und Frankfurt am Main in Zusammenarbeit mit der Monster Worldwide Deutschland GmbH in den letzten Jahren zeigen, dass sowohl Großunternehmen als auch mittelständische Betriebe das Personalmarketing und die Entwicklung einer unternehmenseigenen Employer Brand als Schlüsselaufgaben und Herausforderungen des Personalmanagements der nächsten Jahre ansehen. 33 Zum gleichen Schluss kommt auch die Hays-Studie von 2017, wenngleich sie feststellt, dass die Bedeutung der Mitarbeiterbindung für Unternehmen wieder etwas abnimmt. Eilers et al. führen diese Verringerung darauf zurück, dass die Generation Y grundsätzlich schwieriger zu binden sei als frühere. 34 1.4.3.2 Employer Branding als Kernelement des Personalmarketings Im Rahmen des Personalmarketings werden zunächst diejenigen internen und externen Zielgruppen ermittelt, die für das Unternehmen besonders interessant sind. Bei diesen Arbeitnehmern soll eine nachhaltige Arbeitgebermarke etabliert werden, indem ihnen ein Alleinstellungsmerkmal des Unternehmens - eine Unique Applying Proposition - vermittelt wird, durch die es sich eindeutig von konkurrierenden Arbeitgebern unterscheidet und als attraktiver Arbeitgeber wahrgenommen wird. 35 Das Unternehmen soll zum „Employer of Choice“ werden. Die Arbeitgebermarke (Employer Brand) ist ein in den Vorstellungen potenzieller bzw. aktueller Mitarbeiter fest verankertes Bild über das Unternehmen als Arbeitgeber. Letztlich geht es darum, dass sich die Mitarbeiter im Wertesystem des Unternehmens wiederfinden und sich mit ihm identifizieren können. Eine Arbeitgebermarke, deren Inhalte „nicht gelebt werden“, kann den Menschen auch nicht vermittelt werden und wird nicht als authentisch angesehen. Der Aufbau der Marke wird als Employer Branding bezeichnet. Es ist eine der größten Herausforderungen des modernen Personalmanagements und das Kernelement des Personalmarketings. 36 32 Vgl. Kienbaum (2015), S. 23. 33 Vgl. Weitzel et al. (2013 a), S. 3. 34 Vgl. Eilers et al. (2017), S. 28. 35 Vgl. Scholz (2008), S. 93; Fisher-Buttinger/ Vallaster (2008), S. 10 f. 36 Vgl. ausführlich Böttger (2012), S. 17 ff.; Stritzke (2010), S. 41 ff.; Sponheuer (2010), S. 26 f. 22 · 1 Grundlagen des Personalmanagements Beim Employer Branding lassen sich entsprechend der Zielgruppen drei Richtungen unterscheiden (vgl. Abb. 1-6): externes Personalmarketing, bei dem es vor allem um das Finden neuer Mitarbeiter geht internes Personalmarketing, bei dem die Mitarbeiterbindung im Zentrum steht Peer-Group-Personalmarketing, bei dem mögliche Multiplikatoren besonders betrachtet werden Einzigartigkeit der Arbeitgebermarke Bewerber aktuelle Mitarbeiter Multiplikatoren im Mittelpunkt stehen im Mittelpunkt stehen im Mittelpunkt steht der Profilierung und Rekrutierung Profilierung und Motivierung Einfluss auf Entscheidungen von anderen Personen Mitarbeiterfindung Mitarbeiterbindung Mitarbeiterfindung und -bindung Schwerpunkt des Schwerpunkt des Schwerpunkt des externen Personalmarketings internen Personalmarketings Peer-Group- Personalmarketings Abb. 1-6: Zielgruppen des Employer Branding Beim externen Personalmarketing geht es darum, sich externen möglichen Arbeitnehmern besonders positiv zu präsentieren und ihr Interesse an einer Bewerbung und einer Anstellung in diesem Unternehmen zu wecken. Auch hier ist die Authentizität von erheblicher Bedeutung. Die Wertvorstellungen, die den potenziellen Bewerbern mit der Arbeitgebermarke vermittelt werden sollen, müssen intern verwirklicht sein, ansonsten greift Employer Branding nicht. Beim internen Personalmarketing richtet sich das Employer Branding auf den internen Arbeitsmarkt, d.h. auf die Mitarbeiter, die bereits im Unternehmen arbeiten. Es beinhaltet alle Maßnahmen, mit denen sich die Attraktivität des Unternehmens als Arbeitgeber für seine eigenen Mitarbeiter erhalten oder steigern lässt. Als Querschnittsfunktion befasst es sich mit allen Aufgabenfeldern des Personalmanagements und initiiert dort gezielt Schritte zur Mitarbeiterbindung. Beispiele sind attraktive Vergütungssysteme, gute Arbeitsbedingungen, hohe Arbeitsplatzsicherheit, gezielte Weiterbildungs- und Karrieremöglichkeiten und immer verbunden mit detaillierten Informationen darüber und einer ausführlichen positiven Selbstdarstellung. Wichtig ist zudem, dass neben den eigentlichen (aktuellen und potenziellen) Mitarbeitern die relevanten Multiplikatoren angesprochen werden. Sie werden auch Peer-Groups genannt. 1.4 Querschnittsfunktionen des Personalmanagements · 23 Ein spezifisches Peer-Group-Personalmarketing bietet zusätzliche Vorteile, wenn man sich unverkennbar von anderen Arbeitgebern abheben will. Viele Menschen lassen sich bei ihren beruflichen Entscheidungen von Familienmitgliedern und Freunden beeinflussen oder holen sich bei Kollegen Rat. Positive wie negative Informationen in der Presse beeinflussen die Entscheidungen ebenfalls. Das Personalmarketing muss also auch die Peer-Groups einbeziehen. Bezüglich der Mitarbeiterbindung wird in Österreich und der Schweiz ein viel größeres Gewicht auf marktgerechte Entlohnung und interessante Aufgaben gelegt als in Deutschland. Dagegen ist Personalentwicklung in Österreich kein so großes Thema wie in Deutschland und der Schweiz. Auf Maßnahmen zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf legen Unternehmen in Deutschland mehr wert als in Österreich und der Schweiz. 37 Eine starke interne Employer Brand hat auch eine positive Außenwirkung, da die Mitarbeiter ihre Zufriedenheit mit ihrem Unternehmen nach außen kommunizieren und als Multiplikatoren wirken. Umgekehrt wirkt sich ein hohes externes Prestige der Arbeitgebermarke nicht nur positiv auf die Mitarbeiterfindung aus. Es kommt auch der Mitarbeiterbindung zugute, da es den Mitarbeitern, die bereits im Unternehmen arbeiten, zeigt, dass Außenstehende ihren Arbeitgeber ebenfalls sehr schätzen. Im Zusammenhang mit Mitarbeiterfindung und -bindung taucht in letzter Zeit häufig der Begriff Retention Management auf. Darunter versteht man ein „Bündel von Maßnahmen zur Personalbindung beziehungsweise zur Reduzierung der Fluktuation“. 38 Es betrifft somit wesentliche Bereiche des Personalmanagements, insbesondere die Personalbeschaffung und die -auswahl, das Anreizsystem und die Personalentwicklung. Es überschneidet sich inhaltlich mit dem Employer Branding und wird ganz speziell auf diejenigen Mitarbeiter, die als Leistungsträger und High Potentials gelten, ausgerichtet. Ähnliches gilt auch für das Talent Management, das sich seinerseits mit den Inhalten des Retention Managements und des Employer Branding überschneidet. Es befasst sich vornehmlich mit der Beschaffung von Talenten und deren interner Förderung, optimalen Platzierung und langfristigen Bindung an das Unternehmen. 39 Zielgerichtet wird ein interner Talentpool aufgebaut. So wird sichergestellt, dass wichtige Positionen mit den passenden Mitarbeitern besetzt sind bzw. schnell mit solchen Personen besetzt werden können. Eine positiv empfundene Arbeitgebermarke ist die unabdingbare Voraussetzung für das Gelingen des Retention Managements als auch des Talent Managements. Internationale Unternehmen arbeiten oft mit einem einheitlichen optischen Auftritt (Visual Identity) und einem einheitlichen Recruiting-System und unterstützen damit ihr Employer Branding. 40 37 Vgl. Eilers et al. (2016), S. 28. 38 Ortlieb (2009), S. 990. 39 Vgl. Furkel (2013 a), S. 56. 40 Vgl. Laik (2009), S. 25. 24 · 1 Grundlagen des Personalmanagements 1.4.3.3 Vorgehensweise beim Employer Branding Die grundsätzlichen Vorgehensweisen bei der Etablierung einer Arbeitgebermarke unterscheiden sich beim internen und externen Personalmarketing nicht: Zunächst sind die Zielgruppen festzulegen, die angesprochen werden sollen. Dann muss das Unternehmen seine Stärken und Schwächen analysieren, denn nobody is perfect. Das Wertesystem, das sich z.B. in der Unternehmenskultur, dem Führungsstil, der Ausgestaltung des Anreizsystems ausdrückt, muss klar herausgearbeitet werden. Anschließend werden die aktuellen Besonderheiten der Zielgruppen ermittelt. Im nächsten Schritt werden spezielle Personalmarketing-Konzepte für die anzusprechenden Teilarbeitsmärkte entwickelt und umgesetzt. Dann werden Umsetzungsmaßnahmen für diese Konzepte geplant und durchgeführt. Den Abschluss bildet die Kontrolle des Implementierungserfolgs. Zielgruppen sind zum einen diejenigen Mitarbeitergruppen, die bereits im Unternehmen beschäftigt und für dessen Erfolg wichtig sind. Zum anderen geht es um solche Arbeitnehmer, die noch nicht zum Unternehmen gehören, an deren Bewerbung und Eintritt ins Unternehmen man jedoch stark interessiert ist. Die Zielgruppen werden auch als Teilarbeitsmärkte bezeichnet. Um sie zu ermitteln, muss der interne bzw. externe Arbeitsmarkt segmentiert werden. Die Segmentierung kann anhand dieser Kriterien erfolgen, die je nach Bedarf auch kombiniert werden können: 41 Demographische Arbeitsmarktsegmentierung: Hier werden die Gruppen z.B. nach Alter, Geschlecht oder Familienstand unterschieden. Sozioökonomische Arbeitsmarktsegmentierung: Sie bezieht sich auf Merkmale wie Einkommen, Bildungsstand, Branchenerfahrung, aktuelle Position etc. und versucht, die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen von Arbeitnehmergruppen festzustellen. Psychographische Arbeitsmarktsegmentierung: Hier stehen Persönlichkeitsmerkmale wie beispielsweise Lebensstil, Einstellungen und Interessen oder Aufstiegsstreben im Mittelpunkt. Verhaltensbezogene Arbeitsmarktsegmentierung: Dabei geht es z.B. um durchschnittliche Arbeitszeiten, durchschnittliche Dauer der Unternehmenszugehörigkeit oder Wechselhäufigkeit der Gruppen. Nutzenbezogene Arbeitsmarktsegmentierung: Hier wird der persönliche Nutzen ermittelt, den die Arbeitnehmer mit ihrer Tätigkeit in diesem Unternehmen verbinden. Es kann sich um monetären, sozialen oder imagebezogenen Nutzen bzw. eine Kombination handeln. 41 Vgl. Stock-Homburg (2013), S. 151 f.; Scholz (2014), S. 433. 1.4 Querschnittsfunktionen des Personalmanagements · 25 Die Daten für eine demographische Arbeitsmarktsegmentierung lassen sich relativ einfach beschaffen, da man auf regelmäßige demographische Erhebungen, die von staatlicher Seite und von verschiedenen Verbänden und Institutionen durchgeführt und veröffentlicht werden, zurückgreifen kann. Die anderen Informationen werden von der Personalforschung bislang eher selten erhoben. Große Unternehmen verfügen zum Teil über eigene Marktforschungsabteilungen, die sich zunehmend auch mit derartigen Datenerhebungen befassen, oder sie beauftragen externe Marktforschungsinstitute. Ansonsten kann man auf Informationen der Industrie- und Handelskammern, Arbeitgeberverbände, Gewerkschaften oder des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesagentur für Arbeit (IAB) und einschlägige Veröffentlichungen von empirischen Erhebungen in der wissenschaftlichen Literatur zurückgreifen. Berthel/ Becker identifizieren fünf Zielgruppen, deren Bedeutung in der nächsten Zeit steigen wird und auf die man deshalb sich beim Employer Branding besonders konzentrieren muss: 42 Ingenieure junge Arbeitnehmer Frauen ältere Arbeitnehmer Migranten Es gibt nur wenige Situationen, in denen alle Zielgruppen an denselben Faktoren interessiert sind. Ein zielgerichtetes Personalmarketing muss diese Gegebenheiten berücksichtigen. So stehen bei Ingenieuren oft andere Gesichtspunkte bei der Einschätzung einer Stelle im Vordergrund als bei Informatikern oder Betriebswirten. Auszubildende haben nicht die gleichen Prioritäten wie junge Eltern oder Arbeitnehmer mit langjähriger Berufserfahrung. Juristen orientieren sich oft an der Gehaltshöhe, während Naturwissenschaftler häufig Unternehmen bevorzugen, bei denen der Umweltschutz groß geschrieben wird. Ingenieure und Wirtschaftswissenschaftler legen Wert auf international tätige Unternehmen. 43 Insgesamt sind Berufseinsteiger an einem guten Arbeitsklima sowie attraktiven Karrieremöglichkeiten und guten Gehältern interessiert. Berufserfahrene präferieren neben einem guten Arbeitsklima vor allem herausfordernde Aufgaben und ein positive Unternehmenskultur. Auch flexible Arbeitszeitmodelle und große Arbeitsplatzsicherheit haben bei ihnen eine hohe Priorität. 44 Bei Frauen stehen oft familienfreundliche Arbeitszeitmodelle und andere Maßnahmen zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie hoch im Kurs 45 . Eine Untersuchung von Schwaab/ Schäfer zeigt, dass Migranten aus unterschiedlichen Regionen auch unterschiedliche Faktoren 42 Vgl. Berthel/ Becker (2010), S. 320 f. 43 Vgl. Weitzel et al. (2007), S. 49. 44 Vgl. Stock-Homburg (2013), S. 157 f. 45 Vgl. Lemmer/ Weber (2013), S. 28 ff. 26 · 1 Grundlagen des Personalmanagements für die Bewertung der Anziehungskraft eines Unternehmens heranziehen. Sie schätzen z.B. Arbeitsbedingungen, kulturelle und Freizeitmöglichkeiten, Wohnsituation und allgemeine Infrastruktur in ganz unterschiedlichem Maße. 46 Indem die Teilarbeitsmärkte einzeln analysiert werden, kann ihren Besonderheiten Rechnung getragen werden. Sie können gezielt mithilfe passender Personalmarketing-Instrumente angesprochen werden. Zur Zielgruppenanalyse gehört auch die Analyse des Medienverhaltens der Zielgruppen. Die Wahl der Medien, mit denen die Arbeitgebermarke ins Blickfeld gerückt werden soll und die Informationen zur Zielgruppe gebracht werden sollen, muss zur jeweiligen Gruppe passen. Auftritte in sozialen Netzwerken oder die Verwendung von QR-Codes auf Plakaten, sprechen z.B. eher jüngere Menschen an. In der lokalen Presse erreicht man eher bodenständige und oft auch einfacher qualifizierte Personen. Fachforen und Fachzeitschriften werden vor allem von Experten genutzt. Deshalb bedarf jede Zielgruppe eines eigenen Employer Branding und eines spezifischen Instrumente-Mix, d.h. es ist jeweils ein spezielles Personalmarketing-Konzept zu entwickeln und zu implementieren. Nicht jede Art von Ansprache gefällt jeder Gruppe und führt zu einer positiven Reaktion. Es stehen eine Reihe von Personalmarketing-Instrumenten zur Auswahl 47 , die gebräuchlichsten zeigt Abb. 1-7. Die Instrumente sind nicht neu. Sie werden jedoch heute im Rahmen des Personalmarketings nicht planlos und willkürlich, sondern gezielt und passgenau ausgewählt und eingesetzt. Üblicherweise werden sie auf diese Art differenziert: Leistungspolitik Entgeltpolitik und Kommunikationspolitik Bei der Implementation der Arbeitgebermarke ist das sog. „Story Telling“ hilfreich. Das Unternehmen stellt dabei nicht nur die nüchternen Sachinformationen zur Verfügung, sondern verbindet sie mit einer Geschichte aus dem Unternehmen, in der die Werte und die Unternehmenskultur verdeutlicht werden. Das kann z.B. wie bei Apple oder Microsoft die Gründungsgeschichte in der Garage sein. Die Lebensläufe der Unternehmensgründer Steve Jobs bzw. Bill Gates werden passend aufbereitet, dass sie für die jeweilige Zielgruppe interessant sind. Selbst die Garage, in der Steve Jobs zu Anfang gearbeitet hat, wird in den USA als mythischer Ort unter Schutz gestellt. Geschichten von aktiv gelebter Diversity, Erfolgsgeschichten einzelner Mitarbeiter oder die Verdeutlichung des guten Betriebsklimas anhand der Verbundenheit im betriebsinternen Sportverein bieten sich als weitere Beispiele an. 46 Vgl. Schwaab/ Schäfer (2013), S. 34 ff. 47 Vgl. Richter (2008), S. 1319; Jansen (2008), S. 182; Drescher-Bonny/ Beile (2008), S. 22; Myritz (2004), S. 14; Myritz (2005 a), S. 26. 1.4 Querschnittsfunktionen des Personalmanagements · 27 Auch die Förderung kultureller Aktivitäten ist eine sehr beliebte Maßnahme. So sponsert z.B. das Unternehmen Rolex junge Künstler und zeigt jährlich die Höhepunkte seines Sponsoringprogramms auf einem Kulturfestival in Berlin. Beispiele für Instrumente des Personalmarketings Instrumente Beispiele aus dem Bereich der Leistungspolitik interessante Stellenprofile Arbeitsplatzsicherheit Weiterbildungsmöglichkeiten Arbeitsumfeld Aufstiegsmöglichkeiten aus dem Bereich Entgeltpolitik Höhe und Struktur des Gehalts besondere immaterielle Leistungen Sozialleistungen Gehaltssteigerungen aus dem Bereich Kommunikationspolitik Internetauftritt Broschüren Tag der offenen Tür Hochschulmarketing persönliche Ansprache Veröffentlichung von Personalstrategien Story Telling kulturelles Sponsoring Abb. 1-7: Beispiele für Personalmarketing Die Entwicklung einer positiv besetzten Arbeitgebermarke bringt dem Unternehmen, den Mitarbeitern und ebenso den Bewerbern etlichen Nutzen, wie Abb. 1-8 zeigt. Nutzen einer Arbeitgebermarke für Mitarbeiter und Bewerber für Unternehmen Orientierungsfunktion Präferenzfunktion Vertrauensfunktion Kostenfunktion Prestigefunktion Leistungsfunktion Imagefunktion Abb. 1-8: Nutzen einer Arbeitgebermarke 28 · 1 Grundlagen des Personalmanagements Aus Arbeitnehmersicht hat die Arbeitgebermarke diesen Nutzen: 48 Orientierungsfunktion: Die Arbeitgebermarke reduziert die Informationskomplexität und damit auch Informationsbeschaffungskosten über geeignete Arbeitgeber und die Suche nach ihnen. Bei Mitarbeiten, die bereits dem Unternehmen angehören, verstärkt sie das Bewusstsein, die richtige Entscheidung getroffen zu haben. Vertrauensfunktion: Die Arbeitgebermarke hilft potenziellen und bereits aktiven Mitarbeitern ihr subjektiv empfundenes Entscheidungsrisiko zu verringern. Die Employer Brand vermittelt Vertrauen in bestimmte Qualitätsmerkmale, an denen die Entscheidung ausgerichtet wird bzw. wurde. Prestigefunktion: Die Arbeitgebermarke vermittelt ein bestimmtes Prestige, welches die Mitarbeiter zur Selbstdarstellung in ihrem sozialen Umfeld heranziehen. Dies drückt sich beispielsweise darin aus, dass Mitarbeiter sich mit dem Namen des Unternehmens bezeichnen, z.B. „wir Siemensianer“. Für Unternehmen hat die Arbeitgebermarke diese Funktionen: 49 Präferenz- und Differenzierungsfunktion: Das Unternehmen positioniert sich bei möglichen Bewerbern und bei seinen Mitarbeitern als Arbeitgeber, bei dem man sich unbedingt bewerben bzw. weiterhin arbeiten sollte. Die Konkurrenz wird weniger interessant. Kostenfunktion: Die Rekrutierungskosten sinken aufgrund eines guten Employer Branding, da sich eine größere Anzahl gut qualifizierter Bewerber für die Stellenausschreibungen interessieren und außerdem Initiativbewerbungen zunehmen. Auswahl- und Entscheidungsprozesse gehen schneller und passgenauer von statten. Die Fluktuationskosten sinken, da sich Mitarbeiter stärker an das Unternehmen gebunden fühlen und seltener wechseln. Leistungsfunktion: Mitarbeiter, die sich mit ihrem Arbeitgeber identifizieren sind motivierter und leistungsorientierter. Imagefunktion: Kunden und Lieferanten schätzen ihre Geschäftsbeziehungen zu einem Unternehmen, das als guter Arbeitgeber angesehen wird, positiver ein als zu anderen Partnern. Man erwartet höhere Loyalität und Zufriedenheit in der Zusammenarbeit, eine bessere Qualität und letztlich positive Auswirkungen auf das Erreichen der eigenen Unternehmensziele. Weitere außenstehende Multiplikatoren, verbreiten das gute Image ebenfalls weiter. Den Erfolg der Personalmarketing-Konzepte und der Implementierung der Arbeitgebermarke zu ermitteln, ist Aufgabe des Personalcontrollings. Kennzahlen für internes Personalmarketing sind z.B. Ergebnisse von Mitarbeiterbefragungen, Entwicklungen der Fluktuationsrate, Veränderungen des Krankenstands. 50 Für das externe Personalmarketing werden Kennzahlen wie Befragungen zum Bekanntheitsgrad bei bestimmten Personengrup- 48 Vgl. Kirschten (2010), S. 121. 49 Vgl. ebd., S. 122. 50 Vgl. Güntürkün/ Koch/ Lukasczyk (2012), S. 44. 1.5 Organisatorische Aspekte des Personalmanagements · 29 pen, Veränderungen in Arbeitgeber-Rankings der einschlägigen Presse, die Anzahl der Klicks auf den Jobseiten des Unternehmens oder auch die Zahl der Initiativbewerbungen herangezogen. Auch Auswertungen von Internetinformationen in sozialen Medien werden verstärkt von Unternehmensseite durchgeführt. Beispielsweise können Arbeitnehmer auf Internetseiten wie kununu, Mein Chef, Jobvoting oder Bizzwatch ihre Erfahrungen mit Arbeitgebern veröffentlichen und Unternehmen bewerten. Diese Ergebnisse sind zwar mit Vorsicht zu betrachten, da sie Objektivität vermissen lassen, aber sie zeigen Tendenzen auf und geben Anregungen für Verbesserungsmaßnahmen. Solche Arbeitgeberbewertungsplattformen werden immer beliebter bei Bewerbern, die sich hier über die Erfahrungen von Mitarbeitern informieren. Für Arbeitgeber ist es i.d.R. möglich auf die Posts zu antworten und auch ihr Profil einzustellen. Jedoch wird diese Möglichkeit zur positiven Selbstdarstellung in der Praxis noch selten genutzt. Im Jahr 2011 wurde an deutschen Hochschulen eine gemeinsame Untersuchung der Ruhr- Universität Bonn, des Trendence Instituts und der Evonik Industries AG zur Bedeutung der Arbeitgebermarke durchgeführt. Befragt wurden über 1.000 Absolventen, die insgesamt 800 Unternehmen bewerten sollten. Man nahm die Feststellung des klassischen Produktmarketing als Ausgangsbasis, wonach Konsumenten bereit sind, für Markenprodukte, die sie attraktiv finden, einen höheren Preis zu bezahlen und damit auf anderweitigen Konsum teilweise zu verzichten. Auf die Arbeitgebermarke übertragen wurde die Hypothese aufgestellt, dass Arbeitnehmer gegenüber Unternehmen mit attraktiven Arbeitgebermarken niedrigere Gehaltsforderungen als gegenüber anderen Unternehmen stellen, womit sie wiederum teilweise auf Konsum verzichten, um bei diesem Arbeitgeber arbeiten zu dürfen. Tatsächlich bestätigte sich diese Annahme. Das Mindest-Einstiegsgehalt, welches potenzielle Bewerber von einem Unternehmen erwarteten, war umso niedriger, je größer die Arbeitgeberattraktivität empfunden wurde. Außerdem stellte sich auch heraus: je geringer die befragten Teilnehmer die Arbeitgeberattraktivität einschätzten, desto höher war der Gehaltserwartungswert im Vergleich zum Mindest- Einstiegsgehalt bei dem aus ihrer Sicht attraktivsten Arbeitgeber. 51 Hier zeigt sich die positive ökonomische Komponente des Personalmarketings. 1.5 Organisatorische Aspekte des Personalmanagements Die zunehmende Bedeutung des Personalmanagements führt zu vier Entwicklungstrends bei ihrer organisatorischen Gestaltung: Einerseits verändert sich die hierarchische Stellung der Personalabteilung in der Unternehmenspyramide. (Kapitel 1.5.1) Andererseits muss über eine sinnvolle inhaltliche Gliederung der Aufgabenbereiche innerhalb der Personalabteilung nachgedacht werden. (Kapitel 1.5.2) 51 Vgl. Güntürkün/ Koch/ Lukasczyk (2012), S. 45. 30 · 1 Grundlagen des Personalmanagements Zum Dritten gilt es, die unternehmensinterne Aufgabenverteilung zwischen der Personalabteilung und anderen möglichen Trägern des Personalmanagements, z.B. Führungskräften, zu überdenken. (Kapitel 1.5.3) Aber auch die Aufgabenverteilung zwischen internen und externen Aufgabenträgern muss festgelegt werden. Somit ist die Make-or-buy-Frage im Personalbereich angekommen und Outsourcing ist auch hier in den letzten Jahren zu einem wichtigen Thema geworden. (Kapitel 1.5.3) 1.5.1 Eingliederung der Personalabteilung in die Unternehmenshierarchie Viele Unternehmen messen personalwirtschaftlichen Aufgaben heute einen deutlich größeren Stellenwert als noch vor einigen Jahren bei. Je höher die strategische Bedeutung des Personalmanagements bewertet wird, desto höher sind die Personalleitung und die Personalabteilung in der Hierarchie angesiedelt. In Kleinunternehmen existiert wegen des geringen Aufgabenumfangs normalerweise keine eigenständige Personalabteilung, meist gibt es nur eine Stelle für administrative Verwaltungsaufgaben, oft werden sie auch im Sekretariat miterledigt. Alle anderen personalwirtschaftlichen Aufgaben werden dann vom Eigentümer oder der kaufmännischen Leitung wahrgenommen. Das bedeutet zwar, dass sie in die Unternehmensleitung integriert sind, allerdings wird ihre Wichtigkeit oft trotzdem nicht besonders hoch eingeschätzt. In mittleren Unternehmen ist es bisher die Regel, die Personalabteilung auf der Ebene unterhalb der Unternehmensleitung anzusiedeln, also auf der zweiten Hierarchieebene. Abb. 1- 9 verdeutlicht dies. Personalabteilung Unternehmensleitung Kaufmännische Leitung Technische Leitung Entwicklung Planung Produktion Controlling Marketing und Vertrieb Abb. 1-9: Eingliederung der Personalabteilung auf der zweiten Hierarchieebene Häufig wird die Personalabteilung in mittleren Betrieben (s. Abb. 1-10) auch einer Verwaltungsabteilung unterstellt. Außerdem wird sie oft mit anderen Abteilungen zusammengefasst. 1.5 Organisatorische Aspekte des Personalmanagements · 31 Die Abteilung Personal- und Rechnungswesen gliedert sich dann z.B. in Personalabteilung, Rechnungswesen und Organisation. In beiden Fällen wird die Personalabteilung auf die dritte Hierarchieebene verwiesen. Controlling Unternehmensleitung K aufmännische Leitung Technische Leitung Entwicklung Planung Produktion Verwaltung Marketing und Vertrieb Organisation Personalabteilung Hausdienste Abb. 1-10: Eingliederung der Personalabteilung auf der dritten Hierarchieebene In Großunternehmen ist die Personalabteilung in aller Regel in der obersten Hierarchieebene als eigener Leitungsbereich im Vorstand oder in der Geschäftsführung vertreten. Zumindest ist sie aber auf der Ebene darunter angesiedelt. In Unternehmen mit einer Spartenorganisation, die also auf der zweiten Hierarchieebene nach Objektbereichen strukturiert sind, hat normalerweise jede Sparte ihre eigene Personalabteilung. Bestimmte strategische Aufgaben des Personalmanagements werden jedoch i.d.R. nicht in den einzelnen Sparten durchgeführt, sondern zusammengefasst und einer Zentralabteilung Personal zugewiesen. 52 Die Zentralabteilung Personal ist direkt der obersten Leitung unterstellt bzw. ist selbst Teil der Unternehmensleitung. Die Führungskräfteauswahl und -entwicklung sowie die Förderung von High Potentials sind häufig dort angesiedelt. Auch die grundsätzlichen Entgeltstrukturen und die Entwicklung von Boni- und Zulagensystemen werden dieser Zentralabteilung zugeordnet. Das Personalmarketing hat hier ebenfalls seinen Platz. Oft gliedert man auch personalwirtschaftliche Aufgaben, die mit leitenden Angestellten zu tun haben, aus den Sparten aus und überträgt sie der Zentralabteilung. Auf diesem Wege soll eine einheitliche Vorgehensweise für alle Sparten gewährleistet werden. 52 Vgl. Wagner (2010), S. 37; Jung (2011), S. 33 ff. 32 · 1 Grundlagen des Personalmanagements Abb. 1-11 zeigt eine Spartenorganisation mit Personalabteilungen in den einzelnen Sparten und einer Zentralabteilung Personal, die auf die anderen Personalabteilungen einwirkt. Sparte A Unternehmensleitung Sparte B Sparte C Personalabteilung Personalabteilung Personalabteilung Zentralabteilung Personal Produktion Produktion Produktion Vertrieb Vertrieb Vertrieb ... ... ... Abb. 1-11: Eingliederung der Personalabteilung in einer Spartenorganisation Bei Matrixorganisationen wird die zentrale Personalabteilung normalerweise direkt der obersten Hierarchieebene unterstellt. Sie übernimmt die strategischen Personalaufgaben und regelt personalwirtschaftliche Aspekte, die für das gesamte Unternehmen in einheitlicher Art und Weise gehandhabt werden sollen. Gleichzeitig gibt es meistens in den verschiedenen Geschäftsbereichen jeweils eigene Personalabteilungen, die der zentralen Personalabteilung unterstellt sind. Das grundsätzliche Problem der Matrixorganisation, die Kompetenzabgrenzung zwischen gleichberechtigten funktions- und objektorientierten Managern, ist auch beim Personalbereich nicht gelöst. Die zentrale Personalabteilung ist als vorgesetzte Instanz gegenüber den Personalabteilungen in den Geschäftsbereichen entscheidungs- und weisungsbefugt. Diese sind jedoch gleichzeitig den Leitern der Geschäftsbereiche unterstellt, die - gleichberechtigt mit der zentralen Personalabteilung - ebenfalls direkte Entscheidungs- und Weisungsbefugnis auf ihre Personalabteilungen besitzen. Die zwangsläufig entstehenden Kompetenzkonflikte sollen durch Kooperation und Kommunikation der Manager untereinander verringert werden. Ein Beispiel für die Eingliederung des Personalmanagements in eine Matrixorganisation ist in Abb. 1-12 dargestellt. 1.5 Organisatorische Aspekte des Personalmanagements · 33 Geschäftsbereich C Personalabteilung C Produktion C Marketing C Beschaffung C . . . C Geschäftsbereich B Unternehmensleitung Personalabteilung B Produktion B Marketing B Beschaffung B . . . B Geschäftsbereich A Personalabteilung A Produktion A Marketing A Beschaffung A . . . A Zentrale Personalabteilung Zentrale Produktionsplanung Zentrales Marketing Zentrales Beschaffungswesen . . . Abb. 1-12: Eingliederung der Personalabteilung in die Matrixorganisation 1.5.2 Innenstrukturierung Bei der Innenstrukturierung der Personalabteilung geht es um die Verteilung der personalwirtschaftlichen Aufgaben auf Unterabteilungen und Stellen innerhalb der Personalabteilung. Grundsätzlich geschieht dies nach den organisatorischen Prinzipien der Zentralisation und Dezentralisation. Unter Zentralisation versteht man die Zusammenfassung gleichartiger Aufgaben zu einer organisatorischen Einheit. Dezentralisation meint die Verteilung gleichartiger Aufgaben auf verschiedene Einheiten. Die beiden wichtigsten Strukturierungskriterien sind Verrichtung und Objekt. Zentralisation nach Verrichtungen ist gleichzeitig Objektdezentralisation führt zu einer funktionalen Gliederung. Umgekehrt erhält man bei der Zentralisation nach Objekten und Verrichtungsdezentralisation eine objektbezogene Gliederung innerhalb der Personalabteilung. 1.5.2.1 Funktionale Ausrichtung Die funktionale Gliederung ist die klassische Form der Strukturierung. Die sich ergebenden Teilaufgaben werden jeweils für alle Personalgruppen wahrgenommen. Ein Beispiel einer funktionalen Struktur zeigt Abb. 1-13. 34 · 1 Grundlagen des Personalmanagements Personalabteilung Personalbeschaffung Personalentwicklung Personalverwaltung Entgeltrechnung sonstige Personaldienste Abb. 1-13: Beispiel einer funktionalen Gliederung der Personalabteilung Die funktionale Gliederung führt zur Spezialisierung der Aufgabenträger auf personalwirtschaftliche Funktionsbereiche. So verspricht man sich eine Effizienzsteigerung. Oft sind die einzelnen Organisationseinheiten noch weiter untergliedert, die Personalentwicklung z.B. in Ausbildung, innerbetriebliche und externe Weiterbildung und Personalentwicklung für Führungskräfte. Für Mitarbeiter und Führungskräfte ergibt sich dabei das Problem, dass sie mehrere Ansprechpartner innerhalb der Personalabteilung haben. Bei Fragen zur Entgeltabrechnung müssen sie sich an eine bestimmte Stelle wenden, falls sie Informationen zur Weiterbildung haben möchten, ist eine weitere Stelle für sie zuständig, und bei der Reisekostenabrechnung haben sie erneut einen anderen Ansprechpartner. Auf diese Weise wird sich kaum ein Vertrauensverhältnis entwickeln können. Ebenso wenig können übergreifende Probleme gelöst werden, sie müssen „nach oben“ an die Abteilungsleitung weitergeleitet und von dort entschieden werden. Für die Mitarbeiter in der Personalabteilung führt die Zuordnung von Funktionsbereichen auf einzelne Stellen zu gleichförmigen, immer wiederkehrenden Aufgaben, die sie fundiert bearbeiten können, was aber schnell eintönig und demotivierend wirken kann. Außerdem gibt es dann kaum Mitarbeiter, die den gesamten Personalbereich kennen. Je stärker sich die einzelnen Organisationseinheiten der Personalabteilung abschotten, desto weniger dürfte es zudem gelingen, eine einheitliche Personalpolitik zu verwirklichen. 1.5.2.2 Objektorientierte Ausrichtung Für eine objektbezogene Gliederung der Personalabteilung kommen Mitarbeitergruppen oder Unternehmensbereiche als Objekte in Frage. Die einzelnen Organisationseinheiten erfüllen alle personalwirtschaftlichen Funktionen für ihr Objekt, für das sie zuständig sind. Da die Unterabteilungen weitgehend unabhängig voneinander arbeiten, erfolgt die Koordination i.d.R. durch die Personalleitung. Oft übernimmt sie bedeutsame Aufgabenkomplexe vollständig selbst, z.B. Einstellung und Kündigung von Führungskräften. Abb. 1-14 und 1-15 zeigen Beispiele. 1.5 Organisatorische Aspekte des Personalmanagements · 35 Personalabteilung technische Mitarbeiter kaufmänn. Mitarbeiter wissensch. Mitarbeiter Azubis und Praktikanten Führungskräfte Abb. 1-14: Objektorientierte Gliederung der Personalabteilung nach Mitarbeitergruppen Personalabteilung Personalstelle für Mitarbeiter von Beschaffung und Einkauf Personalstelle für Mitarbeiter der Entwicklung Personalstelle für Mitarbeiter der Produktion Personalstelle für Mitarbeiter der Verwaltung Personalstelle für Mitarbeiter von Marketing und Vertrieb Abb. 1-15: Objektorientierte Gliederung nach Unternehmensbereichen 1.5.3 Weitere Entwicklungen Zur sinnvollen Aufgabenteilung zwischen der Personalabteilung und den anderen Trägern des Personalmanagements sind in den letzten Jahren etliche interessante Ansätze entwickelt worden. Den Schwerpunkt bildet dabei die Dezentralisierung von personalwirtschaftlichen Aufgaben. Auch über den Beitrag der Personalabteilung zur Wertschöpfung des Unternehmens wird viel diskutiert. Es wird deutlich, dass eine professionelle und an unternehmerischem Denken ausgerichtete Personalarbeit immer mehr an Bedeutung gewinnt. Die folgenden Ausführungen behandeln: Personalreferentensysteme virtuelle Personalabteilung Gliederung des Personalmanagements nach dem Drei-Säulen-Modell mit HR Governance (HR Center of Expertise), HR Business Partner und HR Services Personalabteilung als Wertschöpfungs-Center Outsourcing im Personalbereich 36 · 1 Grundlagen des Personalmanagements 1.5.3.1 Personalreferentensystem Die Personalreferentensysteme sind eine Weiterentwicklung der objektorientierten Gliederung. Dabei werden personalwirtschaftliche Aufgaben auf Unternehmensbereiche verteilt. Die Mitarbeiter einer Sparte, eines Werkes oder eines Bereichs werden von ihren eigenen Personalreferenten direkt vor Ort betreut. Diese sind funktionsübergreifend qualifiziert und beherrschen i.d.R. alle personalwirtschaftlichen Aufgaben, bzw. sie fragen bei internen Spezialisten nach und geben die Antworten selbst an die Mitarbeiter ihrer Sparte weiter. Für die Mitarbeiter hat dies vor allem den Vorteil, dass sie den Ansprechpartner für alle personalwirtschaftlichen Fragen direkt vor Ort haben, nicht suchen müssen, wer für sie zuständig ist und ein Vertrauensverhältnis aufbauen können. Die Personalreferenten übernehmen außerdem eine Mittlerrolle zwischen den Führungskräften des Unternehmens und der Personalabteilung. Die Führungskräfte sind primär für den Mitarbeitereinsatz, die Kommunikation in ihren Abteilungen, die Aufgabeneinteilung und die Zielvereinbarungen sowie die Mitarbeiterführung zuständig. Die Personalreferenten unterstützen sie mithilfe personalwirtschaftlicher Instrumente und Methoden bei diesen Aufgaben. Obwohl die Personalreferenten nicht direkt in der Personalabteilung arbeiten, sind sie dort fachlich und disziplinarisch zugeordnet. So bleibt die Einheitlichkeit der Personalpolitik im Unternehmen gewahrt. Die zentrale Personalabteilung unterstützt ihre Referenten und übernimmt bereichsübergreifende Aufgaben, die nicht von den Personalreferenten vor Ort erfüllt werden sollen oder können. Sie erarbeitet personalpolitische Strategien und Konzepte und ist für Personalcontrolling, Personalmarketing und für Rechtsfragen zuständig. Außerdem gehören Strategien der Nachwuchsförderung, das Talentmanagement sowie die Vergütungs- und Tarifpolitik zu ihren Aufgaben. Sie steuert die Personalreferenten nach einheitlichen Kriterien. 53 Ein Personalreferentensystem gewährleistet, dass Vorgesetzte und Mitarbeiter einen Ansprechpartner vor Ort haben, der mit den spezifischen Gegebenheiten vertraut ist und sie fachlich bestmöglich betreut und der zudem durch intensiven Kontakt mit der Zentrale die strategische Ausrichtung des Personalmanagements und die Erfüllung von Sonderaufgaben sicherstellt. 1.5.3.2 Virtuelle Personalabteilung Das Konzept der virtuellen Personalabteilung sieht eine noch deutlich stärkere Dezentralisierung der personalwirtschaftlichen Aufgaben als das Personalreferentensystem vor. Virtuelle Personalabteilungen gibt es in der Praxis bislang nicht, obwohl diese Idee in der Literatur seit längerem ausführlich diskutiert wird. 54 53 Vgl. Kolb (2010), S. 585; Hentze/ Kammel (2001), S. 107 ff. 54 Vgl. Scholz (2000), S. 208 ff.; ders. (2005), S. 52 ff.; ders. (2011), S. 607, ders. (2014), S. 230 ff. 1.5 Organisatorische Aspekte des Personalmanagements · 37 Die Personalabteilung wird dabei aufgelöst und alle Personalaufgaben werden auf andere Abteilungen verteilt und von ihnen nebenher miterledigt. Sachbearbeiter und Führungskräfte in den jeweiligen Unternehmensbereichen werden entsprechend ausgebildet und mit personalwirtschaftlichen Kompetenzen versehen, um diese Aufgaben zusätzlich zu ihren eigentlichen übernehmen zu können. Die verbleibenden Aufgaben - insbesondere die Koordinierung und die strategische Orientierung der Personalarbeit - können von einem einzigen Personalmanager oder einem kleinen verbleibenden Team von Personalmitarbeitern in der Unternehmenszentrale übernommen werden. 55 Die virtuelle Personalabteilung erfordert eine hochentwickelte Informations- und Kommunikationstechnologie, damit die Beteiligten ein Netzwerk bilden und regelmäßig in Kontakt treten können. Je besser ihre Kommunikation ist, desto eher wird dann auch noch die zentrale Personalmanagerstelle überflüssig. Problematisch an diesem Konzept ist nicht nur die technische Ausstattung, die als integrative Klammer unerlässlich ist. Sie bedarf ständiger Wartung, da sie das einzige Kontaktmittel der personalwirtschaftlichen Entscheidungsträger ist. Ein weiteres Problem ist die notwendige Kompetenz und insbesondere das Interesse der Beteiligten, da ihre eigentlichen Aufgaben Priorität haben und die personalwirtschaftlichen Aufgaben gewissermaßen nebenbei erledigt werden müssen. Eine einheitliche Personalpolitik und die Verankerung des Personalmanagements in der Unternehmensstrategie dürften sich damit weitgehend erübrigen bzw. als außerordentlich schwierig erweisen. Zudem sind übergreifende Entscheidungen und Maßnahmen außerhalb der IT-Routinen kaum noch möglich. Gerade die Standardisierung soll jedoch in einem modernen Personalmanagement zugunsten von flexiblen Vorgehensweisen eigentlich verringert werden. Auch bzgl. der Datenschutzmaßnahmen sind umfangreiche Vorkehrungen zu treffen, da die Daten nicht mehr in einem Bereich gebündelt werden und viele unterschiedliche Abteilungen darauf zugreifen. 1.5.3.3 Drei-Säulen-Modell Während die Diskussion zur virtuellen Personalabteilung in letzter Zeit an Bedeutung verliert, hat das auf Dave Ulrich zurückgehende Drei-Säulen-Modell mit den drei Bereichen HR Governance, HR Business Partner und HR Services in der Praxis immer mehr an Wichtigkeit zugenommen. 56 55 Vgl. Oechsler/ Paul (2015), S. 9 f. 56 Vgl. Bach et al. (2012), S. 300 ff.; Oechsler/ Paul (2015), S. 11 ff. 38 · 1 Grundlagen des Personalmanagements Viele größere Unternehmen gehen in dieser Art und Weise vor. Es erfolgt eine Differenzierung in einen Exzellenzbereich mit vorrangig strategischen Aufgaben und in Ansprechpartner für die Mitarbeiter sowie Ansprechpartner für administrative Serviceaufgaben. 57 Die Personalabteilung wird bei diesem Modell als „Entwickler, Gestalter, Träger und Umsetzer der Unternehmensstrategie“ 58 angesehen. HR Governance befasst sich insbesondere mit den Aufgaben des strategischen Personalmanagements. Es geht z.B. um unternehmenseinheitliche, übergeordnete Grundsätze, Richtlinien, Konzepte und Umsetzungsvorschriften zu Vergütungsgrundsätzen, Anreizsystemen und Personalentwicklung. HR Governance schult die HR Business Partner, versorgt sie mit allen relevanten Informationen und unterstützt sie bei Detailproblemen. Manchmal werden auch die Bezeichnungen HR Center of Expertise (HR CoE), Competence Center oder Center of Competence (CoC) verwendet. 59 Die individuelle Anpassung an die einzelnen Unternehmensbereiche wird von den HR Business Partnern übernommen. 60 Sie beraten die Führungskräfte ihres Unternehmensbereichs in allen personalwirtschaftlichen Belangen. Das wichtigste Ziel ist die stärkere Professionalisierung der Personalarbeit. So bedeutsam die Bezeichnung auch klingen mag, in der Praxis sind HR Business Partner oft nur Sachbearbeiter. Letztlich handelt es sich von der Aufgabenstellung her doch wieder um eine Art von Personalreferenten, die mit einer etwas stärker strategisch ausgerichteten Sichtweise an die Probleme herangehen sollen. Es kommt aber teilweise zu Frustration, wenn ein HR Business Partner mit seinen tagtäglichen Aufgaben konfrontiert wird, die ihn oft eben gerade nicht als (gleichwertigen) Partner der Führungskräfte ausweisen. Administrative personalwirtschaftliche Aufgaben werden von HR Services (Shared Service Center, SSC) erfüllt. Hier stehen die bereichsübergreifenden Personalverwaltungsaufgaben im Vordergrund. Es geht beispielsweise um Entgelt- und Reisekostenabrechnungen, Führen von Personalakten, Ausstellen von Bescheinigungen etc. Employee Self Service-Portale und Manager-Self-Service-Portale, mit denen Mitarbeiter bzw. Führungskräfte selbst Informationen eingeben und abrufen, können integriert werden und runden das Konzept ab. 61 Man verspricht sich von diesem Drei-Säulen-Modell des HR-Managements höhere Motivation der Mitarbeiter, die in diesen HR-Bereichen arbeiten, kompetentere und schnellere Unterstützung der Führungskräfte, hochwertigere und individuellere Betreuung der Mitarbeiter, 57 Vgl. Häusling/ Fischer (2018), S. 55. 58 Oechsler/ Paul (2015), S. 11. 59 Vgl. Petry (2013), S. 1264; Oechsler/ Paul (2015), S. 13. 60 Vgl. Jessel (2009), S. 12; Bastgen/ Häusling (2009), S. 16 f. 61 Vgl. Mandewirth (2010), S. 12 ff. 1.5 Organisatorische Aspekte des Personalmanagements · 39 hochwertigere Koordination zwischen den personalwirtschaftlichen Teilaufgaben und bessere Anpassungseffizienz an sich verändernde Notwendigkeiten interner und externer Märkte. 62 Bei der Einführung des Modells kommt es häufig zu Verteilungskonflikten, da die Funktionen der drei Bereiche zunächst oft nicht eindeutig definiert sind. Auch gibt es in der Praxis Konflikte mit den Fachabteilungen, da die personalwirtschaftlichen Aufgaben nun auf andere Art und Weise angegangen werden. Es müssen deshalb Kompromisse gefunden werden, die die erhofften Synergieeffekte teilweise wieder aufheben. Zudem besteht bei vielen Mitarbeitern die (oft berechtigte) Befürchtung, dass die Shared Service Center nur eine Vorstufe zum Outsourcing sind. Diese Sorge ist durchaus nicht unbegründet, da externe Marktanbieter, die sich auf eher routinemäßige Personalaufgaben spezialisiert haben, sie oft kostengünstiger anbieten. 63 Aktuell zeigt sich in der Praxis, dass sich die an das Drei-Säulen-Modell geknüpften Erwartungen nur ansatzweise erfüllt haben und das Modell als zu stark an internen Strukturen und Prozessen ausgerichtet angesehen wird, die Personalabteilung beschäftigt sich zu sehr und zu viel mit sich selbst. Auch deshalb wird sie in dieser Struktur von den Führungskräften und den Mitarbeitern oft gerade nicht als strategischer Partner akzeptiert. 64 Aus Praxis und Theorie mehren sich Stimmen, dass das Drei-Säulen-Modell mit seinen HR Business Partnern schon wieder ausgedient hat und heute nicht mehr zeitgemäß ist. Es sei für die Mitarbeiter zu intransparent, entspreche nicht mehr der heutigen Unternehmenskultur und noch weniger passe seine Struktur zu modernen, agilen Organisationsformen. 65 Auch die Möglichkeiten der Weiterentwicklung des Modells werden mit Skepsis betrachtet. 66 Nun wird darüber diskutiert, ob die HR Business Partner durch ein neues Modell, die „HR Employee Experience Manager“ abgelöst werden sollten. Für sie stehen die (internen) Kunden, ihre Bedürfnisse und ihre Erfahrungen im Mittelpunkt. So sollen die Mitarbeiterbindung intensiviert und die Motivation und das Engagement erhöht werden. 67 1.5.3.4 Wertschöpfungscenter Personal Ein ganz anderer Ansatz liegt den ebenfalls häufig diskutierten Wertschöpfungs-Centern zugrunde. Die Personalabteilung wird als Zentrum gesehen, das einen Beitrag zur Wertschöpfung des Unternehmens leisten muss. Sie wird deshalb selbst zum Wertschöpfungs- Center. 68 Das bedeutet, dass grundsätzlich darauf zu achten ist, dass sich die Personalarbeit positiv auf die Wertschöpfung des Unternehmens auswirkt. 62 Vgl. Mandewirth (2010), S. 18. 63 Vgl. Oechsler/ Paul (2015), S. 13 f. 64 Vgl. Schmitz/ Eireiner/ Mahadevan (2017), S. 48. 65 Vgl. Häusling/ Fischer (2018), S. 54 ff. 66 Vgl. ebd., S. 55. 67 Vgl. Schmitz/ Eireiner/ Mahadevan (2017), S. 48 f. 68 Vgl. Oechsler (2011), S. 6 ff.; Wunderer/ von Arx (2002), S. 49 ff. 40 · 1 Grundlagen des Personalmanagements Dazu teilt man die Personalarbeit zunächst in diese drei Bereiche: Cost-Center, Service-Center und Profit-Center. Anschließend werden alle personalwirtschaftlichen Aufgaben einem dieser Center zugeteilt. Das Cost-Center übernimmt alle Funktionen, die aus rechtlichen Gründen nicht ausgelagert werden können sowie die personalwirtschaftlichen Kernkompetenzen, wie z.B. Aufstellen von Grundsätzen, die eine zukunftsorientierte Personalpolitik sichern, Vermittlung zwischen Führungskräften und Betriebsbzw. Personalrat und Aufstellen der (Führungs-)Richtlinien für die Funktionsbereiche . 69 Außerdem sind im Cost-Center auch Aufgaben angesiedelt, die das Unternehmen nicht auslagern will, etwa aufgrund seiner Unternehmenspolitik und -kultur oder weil sie als wettbewerbskritisch angesehen werden. Die Leistungen des Cost-Centers sind interne Dienstleistungen, die nicht bzw. nicht in dieser Art vom externen Markt bezogen werden können oder sollen. Ihre Kosten werden als Gemeinkosten anhand von Umlageschlüsseln, z.B. der Mitarbeiterzahl, im Rahmen der innerbetrieblichen Leistungsverrechnung auf die anderen Hilfs- und Hauptkostenstellen verteilt. 70 Diejenigen Aufgaben, die man als interne Service-Leistungen der Personalabteilung an andere Unternehmensbereiche ansieht, werden dem Service-Center zugewiesen. Diese Leistungen könnten zwar theoretisch auch von Dritten auf dem externen Markt bezogen werden, die Abteilungen müssen sie jedoch aus ihrer eigenen Personalabteilung anfordern. Die entstandenen Kosten werden später der verursachenden Abteilung direkt zugerechnet. Weist ein Leistungsangebot der Personalabteilung nicht die gewünschte Qualität auf oder sind die Kosten zu hoch, muss die Unternehmensleitung entscheiden, ob zukünftig ein externer Anbieter beauftragt wird. Eine solche Leistung wird dann aus dem Serviceangebot der Personalabteilung herausgenommen. Wenn sie von den Fachabteilungen angefordert wird, wird zukünftig ein externer Personaldienstleister mit der Aufgabenerfüllung beauftragt. 71 Bislang sind nur relativ wenige Profit-Center des Personalbereichs in der Praxis zu finden. 72 Ihnen werden die personalwirtschaftlichen Aufgaben zugeordnet, mit denen die Personalabteilung selbst auf dem externen Markt auftritt. Aus organisatorischer Sicht werden diese Aufgaben oft in rechtlich selbständige Gesellschaften ausgelagert. Meistens handelt es sich um Personalentwicklungsaufgaben oder um Personalforschung. So schult z.B. die Lufthansa Flight Training GmbH nicht nur Mitarbeiter des Lufthansa-Konzerns, sondern auch das Pflegepersonal privater Krankenhäuser. Die Leistungen werden den Externen zu marktüblichen Preisen angeboten. Intern erfolgt die Verrechnung in der Regel zu Selbstkostenpreisen. Die Profit-Center des Personalbereichs arbeiten nach außen gewinnorientiert und leisten damit einen Beitrag zur Deckungsbeitragssteigerung des Unternehmens. 69 Vgl. zu den Kernkompetenzen Scholz (2004), S. 16; Jung (2011), S. 54 f.; Bröckermann (2012), S. 7. 70 Vgl. Oechsler/ Paul (2015), S. 8. 71 Vgl. ebd., S. 8 f. 72 Vgl. zu Kernmerkmalen des Profit-Centers Steinle/ Krummaker (2004), Sp. 1190 f. 1.5 Organisatorische Aspekte des Personalmanagements · 41 1.5.3.5 Outsourcing personalwirtschaftlicher Aufgaben Mit der Vergabe von Dienstleistungsaufträgen an externe Anbieter geht man einen weiteren Schritt in Richtung Dezentralisierung personalwirtschaftlicher Aufgaben. Typische Beispiele für Aufgabenbereiche, die häufig von Outsourcing betroffen sind, sind die Entgeltabrechnung, die Gesundheitsfürsorge und diverse Sozialleistungen, wie z.B. das Betreiben der Kantine. Bislang liegt der Schwerpunkt vornehmlich in administrativen und operativen Bereichen. Es zeichnet sich jedoch ein Trend ab, anspruchsvollere Aufgaben auszulagern, z.B. die Personalbeschaffung und -auswahl sowie Teile der Personalentwicklung. 73 Neben den Rationalisierungs- und Kostenüberlegungen spielt die Qualität der Aufgabenerfüllung eine große Rolle bei der Entscheidung für oder gegen Outsourcing im Personalbereich. Die Make-or-buy-Frage stellt sich immer dann, wenn personalwirtschaftliche Funktionen von anderen Unternehmen oder von Ausgründungen besser bzw. kostengünstiger erfüllt werden können als im eigenen Haus. Allerdings dürfen die Auswirkungen auf die Mitarbeiterzufriedenheit und der sorgfältige und juristisch korrekte Umgang mit sensiblen Personaldaten bei der Entscheidung nicht außer Acht gelassen werden. 74 Ebenso wichtig ist es, darauf zu achten, keine personalwirtschaftlichen Kernkompetenzen zu verlieren. 75 Diese sind insbesondere Aufstellen von Grundsätzen, die eine zukunftsorientierte Personalpolitik sichern, einheitliche Handhabung aller Personalmarketing-Instrumente, Beratung der Unternehmensleitung und der Führungskräfte, Vermittlung zwischen Führungskräften und Betriebsbzw. Personalrat, Aufstellen der (Führungs-)Richtlinien für die Funktionsbereiche. Alle anderen personalwirtschaftlichen Aufgaben stehen regelmäßig auf dem Prüfstand bzgl. Qualität und Kosten. Die wichtigsten Vorteile des Outsourcings personalwirtschaftlicher Aufgaben sind: Flexibilität bei Nachfrageänderungen hohe Serviceorientierung Professionalität der Aufgabenerfüllung beim externen Anbieter Risikotransfer 73 Vgl. Jung (2017), S. 51. 74 Vgl. zu den Vor- und Nachteilen ausführlicher Ennemoser (2017), S. 55 f. 75 Vgl. Scholz (2004), S. 16; Jung (2011), S. 54 f.; Bröckermann (2012), S. 7. 42 · 1 Grundlagen des Personalmanagements Ihnen stehen etliche Nachteile gegenüber: 76 höhere Transaktionskosten mangelnde interne Kenntnisse beim externen Anbieter der outgesourcten Personalaufgaben langwierige Kommunikation insgesamt Abhängigkeit vom externen Anbieter Beim Outsourcing geht es allerdings nicht nur um die Frage, welche Aufgaben ausgelagert werden sollen, sondern auch darum, wer sie ausführen soll. Da es sich bei personalwirtschaftlichen Informationen um äußerst sensible Daten handelt, obliegen dem Unternehmen bei der Auswahl des externen Anbieters ganz besondere Sorgfaltspflichten. 1.6 Personalmanagement und Recht Das Arbeitsrecht regelt die Beziehungen zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern und bildet den rechtlichen Rahmen für das Personalmanagement. Die bedeutsamsten Teilbereiche sind das individuelle und das kollektive Arbeitsrecht. Zu beiden existieren zahlreiche Gesetze und Verordnungen sowie eine umfangreiche Rechtsprechung. Ein einheitliches Arbeitsgesetzbuch gibt es in Deutschland bislang nicht. Einen allgemeinen Überblick über die Bereiche gibt Abb. 1-16. Das individuelle Arbeitsrecht befasst sich mit den Beziehungen zwischen dem einzelnen Arbeitgeber und dem einzelnen Arbeitnehmer, z.B. dem Arbeitsvertrag. Aus dem Arbeitsvertrag ergeben sich bestimmte Rechte und Pflichten. Arbeitsrecht Individuelles Arbeitsrecht Kollektives Arbeitsrecht Arbeitsschutzrecht Arbeitsgerichtsbarkeit Abb. 1-16: Wichtige Rechtsgrundlagen des Personalmanagements 77 76 Vgl. Scherm/ Süß (2010), S. 260. 77 In Anlehnung an Müssig (2012), S. 354. 1.6 Personalmanagement und Recht · 43 Beispiele für Arbeitgeberpflichten sind: Entgeltzahlungspflicht Pflicht zur Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall Beschäftigungspflicht Pflicht, Urlaub zu gewähren Fürsorgepflicht Wichtige Arbeitnehmerpflichten sind z.B.: Arbeitspflicht Haftungspflicht Treuepflicht Das kollektive Arbeitsrecht regelt die Rechtsverhältnisse zwischen den Sozialpartnern, d.h. alle arbeitsrechtlich relevanten betrieblichen und überbetrieblichen Vereinbarungen, die von Unternehmensverbänden oder Unternehmen mit Gewerkschaften oder Betriebsräten geschlossen werden. Beispiele sind Tarifverträge und Betriebsvereinbarungen. Auch das Koalitions- und das Arbeitskampfrecht zählen dazu. Das Arbeitsschutzrecht umfasst allgemeine Vorschriften, die für alle Arbeitnehmer gelten, sowie Sondervorschriften für einzelne Arbeitnehmergruppen. Der Arbeitnehmer wird als wirtschaftlich und sozial schwächerer Partner der Arbeitsbeziehung angesehen, deshalb ist ihm besonderer Schutz zu gewähren. Sowohl der Schutz vor physischen und psychischen Gefahren in der betrieblichen Arbeitssituation und der Unfallschutz als auch der soziale Schutz des Arbeitnehmers fallen darunter. Regelungen, die die Gesamtheit der Mitarbeiter schützen sollen, sind z.B. das Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG), das Kündigungsschutzgesetz (KSchG) und das Arbeitszeitgesetz (ArbZG). Der Schutz besonderer Arbeitnehmergruppen ist beispielsweise im Mutterschutzgesetz (MuSchG), im Jugendarbeitsschutzgesetz (JArbSchG) und im SGB IX zum Schwerbehindertenrecht geregelt. Die Vorschriften, die die Arbeitsgerichtsbarkeit betreffen, bilden die vierte Komponente des Arbeitsrechts. Hier geht es beispielsweise um Zuständigkeiten und prozessuale Abläufe von gerichtlichen Auseinandersetzungen. Sie sind vor allem im Arbeitsgerichtsgesetz (ArbGG) geregelt. Die zunehmende internationale Verflechtung der wirtschaftlichen Beziehungen bringt es mit sich, dass auch im Personalmanagement immer stärker zwischen- und überstaatliches Recht berücksichtigt werden müssen, z.B. EU-Richtlinien und Konventionen der International Labor Organisation (ILO). Abb. 1-17 gibt einen Überblick über die vielfältigen Beziehungen zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern und deren Interessenvertretern. 44 · 1 Grundlagen des Personalmanagements Abb. 1-17: Arbeitgeber-Arbeitnehmer-Beziehungen 78 Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände versuchen auf die Regelungen des Gesetzgebers Einfluss zu nehmen, indem sie beispielsweise Gesetzesvorhaben kommentieren, eigene Entwürfe und Verbesserungen erarbeiten und beratend tätig sind. Arbeitgeber und Arbeitsnehmer bzw. deren Interessenvertretungen schaffen aber auch selbst Recht, z.B. in Form von Branchen-und Haustarifverträgen, Betriebsvereinbarungen und Arbeitsverträgen. 1.7 Kritische Würdigung und Ausblick Der Begriff „Personalmanagement“ rückt die Führungskräfte, das Management im institutionalen Sinn, ins Blickfeld des personalwirtschaftlichen Handelns. Sie sind die wichtigsten Träger personeller Entscheidungen. Gleichzeitig wird mit der Verwendung dieses Begriffs betont, dass es sich beim Personalmanagement um einen aktiven und integrativen Bestandteil des Managementprozesses handelt. 78 In Anlehnung an Hentze/ Kammel (2001), S. 138. Arbeitgeberverbände Gewerkschaften Arbeitgeber Betriebsrat Arbeitnehmer Gesetzgeber individuelle Beziehungen (z.B. Arbeitsvertrag) Betriebsvereinbarungen kollektive Beziehungen (z.B. Verbandstarifvertrag) Gesetzgebung Arbeitgeberverbände als Lobby Gewerkschaften als Lobby kollektive Beziehungen (z.B. Haustarifvertrag) 1.7 Kritische Würdigung und Ausblick · 45 Das Personalmanagement muss den Besonderheiten der Ressource Personal Rechnung tragen. Die Ausgestaltung der personalwirtschaftlichen Aufgaben unterliegt also einer doppelten Zielsetzung. Neben den ökonomischen spielen auch soziale Gesichtspunkte eine wichtige Rolle. Zur effizienten Aufgabenerfüllung ist eine gut strukturierte Personalverwaltung notwendig, die auf einem IT-gestütztes Personalinformationssystem aufbaut. Aktuell besteht eine eindeutige Tendenz zu deutlich höheren Investitionen in HR-Software als früher. Planung, Steuerung und Kontrolle personalwirtschaftlicher Aufgabenerfüllung mittels des Personalcontrollings sind in großen und auch in mittleren Unternehmen längst selbstverständlich geworden. Personalmarketing gilt als die Aufgabe der Zukunft. Ähnlich wie beim klassischen Produktmarketing muss eine langfristige Markenbindung aufgebaut werden. Man bezeichnet diese Aufgabe als Employer-Branding. Die Marke ist das Unternehmen selbst in seiner Funktion als Arbeitgeber. Als Kunden werden die derzeitigen und künftigen Mitarbeiter angesehen. Auch ist es sinnvoll, deren Multiplikatoren einzubeziehen, d.h. ein Peer-Group-Personalmarketing aufzubauen. In diesem Zusammenhang gewinnen auch Retention Management und Talent Management immer stärker an Bedeutung. Sie haben insbesondere das Ziel einer systematischen Findung, Bindung und Förderung von Experten im Unternehmen. Eine genaue Abgrenzung von einander ist nicht möglich. Einfache, routinemäßige Aufgaben werden zunehmend outgesourct. Die Personalabteilung im Haus wird in Zukunft stärker als bisher strategische und konzeptionelle und weniger operative Aufgaben übernehmen. Dies gilt umso mehr, je deutlicher sich die Folgen des demographischen Wandels bemerkbar machen. Entsprechend der wachsenden Bedeutung der Resource Personal hat sich die hierarchische Stellung der Personalabteilung im Unternehmen in den letzten Jahren verändert. Sie ist heute höher angesiedelt als früher. Bei der Innenstrukturierung der Personalabteilungen dominieren bisher noch die funktionalen Gliederungen sowie Strukturierungen nach Unternehmensbereichen oder Mitarbeitergruppen. Personalreferentensysteme, die Gliederung des Personalmanagements in HR Governance (HR Center of Expertise), HR Business Partner und HR Services, Wertschöpfungs-Center- Konzepte und insbesondere Outsourcing personalwirtschaftlicher (operativer) Aufgaben sind unter Effizienzgesichtspunkten immer häufiger in der Diskussion. Vor allem Großunternehmen setzen auf HR Business Partner und HR Shared Services als Schnittstellen zwischen Personalabteilung und Mitarbeitern und denken auch bei personalwirtschaftlichen Aufgaben intensiv über das Thema Outsourcing nach. Diese Entwicklungen und Diskussionen zur sinnvollen Aufteilung personalwirtschaftlicher Aufgaben machen deutlich, dass eine professionelle und an unternehmerischem Denken ausgerichtete Personalarbeit immer mehr an Bedeutung gewinnt. Viel stärker als früher stehen heute Qualität und Kosten der personalwirtschaftlichen Dienstleistungen auf dem Prüfstand. 46 · 1 Grundlagen des Personalmanagements Wiederholungsfragen 1. Worin unterschieden sich Personalmanagement, Personalwirtschaft und Personalwesen? 2. Welchen Anteil haben Führungskräfte am Personalmanagement? 3. Welche Ziele verfolgt das Personalmanagement? 4. Geben Sie einen Überblick über die Aufgabenfelder des Personalmanagements. 5. Ordnen Sie die Personalpolitik in die Unternehmenspolitik ein. 6. Grenzen Sie Personalpolitik und Personalplanung voneinander ab. 7. Weshalb nimmt das Personalmarketing an Bedeutung zu? 8. Was bedeutet Employer Branding? 9. Was versteht man unter Personalcontrolling? 10. Wie wird die Personalabteilung in einer Matrixorganisation eingegliedert? 11. Was versteht man unter funktionaler und objektorientierter Gliederung der personalwirtschaftlichen Aufgaben? 12. Welche Vorteile bieten Personalreferentensysteme? 13. Was versteht man unter dem Drei-Säulen-Modell? 14. Beschreiben Sie das Wertschöpfungs-Center-Konzept der Personalarbeit. 15. Geben Sie einen Überblick über wichtige Rechtsgrundlagen des Personalmanagements. 2 Personalbedarfsplanung 2.1 Begriffliche Abgrenzungen Unter Personalbedarfsplanung versteht man die zukunftsgerichtete Bestimmung der personellen Kapazitäten, die notwendig sind, um die betrieblichen Aufgaben zu erfüllen und die Erreichung der Unternehmensziele zu gewährleisten. Sie ist eine der wichtigsten personalwirtschaftlichen Aufgaben. Ohne genaue Kenntnisse des Personalbedarfs sind weder sinnvolle Personalbeschaffungs- und -einsatzentscheidungen noch Personalentwicklungsmaßnahmen oder Freisetzungen möglich. Außerdem bildet die Personalbedarfsplanung eine Schnittstelle zu anderen Unternehmensplanungen wie der Leistungs-, Absatz-, Investitions- und Finanzplanung. Sie würden ohne Berücksichtigung des Personalbedarfs auf einer falschen Grundlage mit unvollständigen Informationen durchgeführt und zu Fehlentscheidungen führen. Beispielsweise wäre es nicht gewährleistet, dass genügend Mitarbeiter mit entsprechender Qualifikation für die Erstellung von Gütern und Dienstleistungen zur richtigen Zeit und am richtigen Ort zur Verfügung ständen. Das Ziel der Personalbedarfsplanung ist die jederzeitige Deckung des quantitativen und qualitativen Bedarfs an Arbeitsleistung unter Beachtung der zeitlichen und örtlichen Notwendigkeiten. Entsprechend sind beim Personalbedarf Entscheidungen über mengenmäßigen Umfang, Qualifikation, Zeitpunkt und Dauer sowie Einsatzort zu treffen. Dabei geht es nicht in erster Linie um die Mitarbeiter selbst, sondern um die benötigte Arbeitsleistung, die sie zur Verfügung stellen. Wie viele Arbeitnehmer diese Arbeitsleistung in Voll- oder Teilzeit, als eigene oder als geleaste Arbeitskräfte vollbringen, ist erst im zweiten Schritt von Bedeutung. Die Personalbedarfsplanung hat demnach vier Dimensionen: Der quantitative Personalbedarf gibt an, wieviel Arbeitsleistung zur Aufgabenerfüllung benötigt wird. Beim qualitativen Personalbedarf müssen die Anforderungen der Stellen mit den Leistungsangeboten der vorhandenen bzw. der zu beschaffenden Arbeitnehmer verglichen und in Übereinstimmung gebracht werden. Die quantitative und die qualitative Personalbedarfsermittlung sind praktisch jedoch nicht zu trennen und werden daher simultan durchgeführt. Diese Aussagen zur benötigten Arbeitsleistung müssen um zeitliche Angaben über die Dauer und den Beginn des Bedarfs ergänzt werden. Nur dann können rechtzeitig und sinnvoll Personalbeschaffungsund/ oder Personalentwicklungsmaßnahmen eingeleitet werden. Terminplanung und Planungszeitraum richten sich nach der Qualifikation der benötigten Mitarbeiter und der aktuellen Arbeitsmarksituation. Bei der örtlichen Bedarfsermittlung geht es um die Festlegung des Einsatzortes der Aufgabenerfüllung. 48 · 2 Personalbedarfsplanung 2.2 Ausgangsbasis Personalbestandsanalyse Zunächst wird der aktuelle Personalbestand stichtagsbezogen ermittelt und analysiert. Auch hier ist eine quantitative, qualitative, zeitliche und örtliche Betrachtung notwendig. Darauf aufbauend werden der gegenwärtige und der künftige Personalbedarf festgelegt. Die Personalbestandsanalyse hat drei wesentliche Funktionen: 79 Die Diagnosefunktion erfasst den gegenwärtigen Personalbestand und bildet damit die informatorische Grundlage für die weitere Vorgehensweise. Bei der anschließenden Fortschreibung des Bestands werden Informationen über bereits bekannte künftige Veränderungen einbezogen. Man unterscheidet zwischen autonomen Personalveränderungen, auf die das Unternehmen keinen oder nur bedingten Einfluss hat und vom Unternehmen initiierten Personalveränderungen. Nicht vom Unternehmen veranlasst sind z.B. Kündigungen von Mitarbeiterseite. Veränderungen, die das Unternehmen beeinflussen kann, sind beispielsweise die Übernahme von Auszubildenden oder die Anordnung von Weiterbildungsmaßnahmen. Auch Krankenstand und Fluktuationsrate finden Berücksichtigung. Die Personalbestandsanalyse hat insofern auch eine Projektionsfunktion. Die Handlungsfunktion wird aus der Differenz zwischen Ist und Soll des Personalbestandes abgeleitet. Je nachdem, ob es sich um eine Unter- oder Überdeckung handelt, sind unterschiedliche personalwirtschaftliche Maßnahmen zu ergreifen. 2.3 Bedeutung der Personalbedarfsplanung In vielen Unternehmen wird insbesondere die mittelbis langfristige Personalbedarfsplanung immer noch als Stiefkind behandelt. Gerade Klein- und Mittelunternehmen sind hier zurückhaltend. Aber auch bei großen Unternehmen gehen die Planungen selten über drei bis fünf Jahre hinaus. Oft liegt der Planungshorizont nur bei ein bis zwei Jahren. Der Nutzen einer systematischen Personalbedarfsplanung ist für viele Führungskräfte nicht offensichtlich. Entsprechend scheuen sie den Aufwand sorgfältig vorzugehen. Wenn man den Auswirkungen des demographischen Wandels wirksam begegnen will, wird hier ein Umdenken stattfinden müssen. Barrieren für die Personalbedarfsplanung sind insbesondere: mangelnde systematische Berücksichtigung der Personalbedarfsplanung in der Unternehmensplanung unvollständige bzw. veraltete Informationen, die in die Bedarfsermittlung einbezogen werden, wie z.B. Organigramme, Stellenbeschreibungen, Anforderungsprofile geringe Bereitschaft der einzelnen Abteilungen, die notwendigen Informationen zu ermitteln, zu aktualisieren und zur Verfügung zu stellen 79 Vgl. Hentze/ Kammel (2001), S. 191 f. 2.4 Arten des Personalbedarfs · 49 Vorrang des Tagesgeschäfts vor strategischen Fragen fehlende Erkenntnis bzgl. der Bedeutung und des Nutzens der Personalbedarfsplanung Diese Vorteile sind mit einer systematischen Personalbedarfsplanung verbunden: 80 rechtzeitiges und insbesondere frühzeitiges Erkennen möglicher personeller Engpässe Schaffung einer quantitativen und/ oder qualitativen Personaldecke, um die Unternehmensziele zu erreichen Vermeidung von personeller Unterdeckung und der damit verbundenen ökonomischen Konsequenzen höhere Produktivität durch gezielte Personalentwicklungsmaßnahmen Verringerung von Fehlbesetzungen und der damit verbundenen Kosten rechtzeitiges Erkennen und Anstoßen von personellen Veränderungsprozessen, die aufgrund technischer oder organisatorischer Veränderungen notwendig werden Bereitstellung von fundierten Informationen für die anderen Aufgabenfelder des Personalmanagements, wie z.B. Personalbeschaffung, -entwicklung, -freisetzung 2.4 Arten des Personalbedarfs Der Ist-Personalbestand zum gegenwärtigen Zeitpunkt t 0 wird dem Personalbedarf, dem sog. Soll-Personalbestand, zum Zeitpunkt t 1 gegenübergestellt. Der Soll-Personalbestand setzt sich aus den beiden Komponenten Einsatz- und Reservebedarf zusammen. Der Einsatzbedarf berücksichtigt die theoretisch mögliche Einsetzbarkeit der Mitarbeiter, wenn keine personellen Leerzeiten, z.B. durch Urlaub, Krankheiten oder Weiterbildungsmaßnahmen, entstehen würden. Solche Fehlzeiten werden dem Einsatzbedarf durch den Reservebedarf aufgrund von Erfahrungswerten hinzugerechnet. Aus der Gegenüberstellung von Soll-Personalbestand oder Brutto-Personalbedarf und Ist- Personalbestand ergibt sich eine Über- oder Unterdeckung. Bei Unterdeckung ist der Netto-Personalbedarf positiv. Er besteht wiederum aus zwei Komponenten, dem Ersatzbedarf und dem Neubedarf. Ersterer berücksichtigt den Nachholbedarf aus der Vorperiode sowie die voraussichtlichen Ab- und Zugänge. Beim Neubedarf handelt es sich um einen zusätzlichen Bedarf in dieser Periode. Er entsteht durch Veränderungen der Unternehmenssituation wie z.B. Änderungen der betriebsüblichen Arbeitszeit, der Auftragssituation, der Struktur von Aufgaben und Abteilungen. 81 Eine quantitative Unterdeckung erfordert Personalbeschaffungsmaßnahmen über den externen oder internen Arbeitsbeschaffungsmarkt. Eine Unterdeckung löst Personalentwicklungsmaßnahmen aus, wenn sie qualitativer Art ist. Bei einer Überdeckung ist ein Freisetzungsbedarf vorhanden. 80 Vgl. Stock-Homburg (2013), S. 97; Oechsler (2011), S. 166 f. 81 Vgl. Stock-Homburg (2013), S. 98 ff. 50 · 2 Personalbedarfsplanung Abb. 2-1 verdeutlicht den Zusammenhang . personelle Ressourcen Zeit Ist- Personalbestand Deckungsgleichheit Unterdeckung Personalbeschaffung / -entwicklung Überdeckung Freisetzungsbedarf Soll - Personalbestand > Ist - Personalbestand Soll - Personalbestand < Ist - Personalbestand t 0 t 1 Abb. 2-1: Zusammenhang zwischen Ist-Personalbestand und Soll-Personalbestand 82 Entsprechend der obigen Ausführungen ergeben sich folgende Feststellungen: Soll-Personalbestand = Brutto-Personalbedarf = Einsatzbedarf + Reservebedarf Soll-Personalbestand > Ist-Personalbestand Unterdeckung Soll-Personalbestand < Ist-Personalbestand Überdeckung Netto-Personalbedarf = Brutto-Personalbedarf ./ . Ist-Personalbestand Ersatzbedarf = Nachholbedarf aus der Vorperiode + voraussichtliche Abgänge ./ . voraussichtliche Zugänge 2.5 Einflussfaktoren auf den Personalbedarf Der Personalbedarf hängt von einer Vielzahl unternehmensinterner und externer Faktoren ab. Deren Veränderung führt zu einer Korrektur des Personalbedarfs in quantitativer und qualitativer Hinsicht. Ihre tatsächliche Bedeutung für die Entwicklung des Personalbedarfs ist 82 In Anlehnung an Horsch (2000), S. 20. 2.5 Einflussfaktoren auf den Personalbedarf · 51 unsicher. Prognosen müssen deshalb gerade bei den externen Einflussfaktoren mit Vorsicht bedacht werden. Einen Überblick über die wichtigsten externen und internen Einflussfaktoren auf den Personalbedarf gibt Abb. 2-2. wichtige Einflussfaktoren auf den Personalbedarf Externe Einflussfaktoren Interne Einflussfaktoren Demographische Entwicklungen Konjunkturelle Einflüsse Saisonale Schwankungen Konkurrenzverhalten Änderungen der Marktstruktur Politische Entwicklungen Veränderungen im Arbeits- und Sozialrecht Technologischer Fortschritt Tarifliche Entwicklungen Umgestaltung des Produktionsprogramms Veränderungen bei der Produktionstiefe Verbesserung der Informations-, Kommunikations- und Fertigungstechnologie Umstrukturierung der Unternehmensorganisation Veränderung der Betriebsgröße Variation des Leistungsgrades Fehlzeiten und Fluktuation Wandel der Mitarbeiterinteressen Abb. 2-2: Einflussfaktoren auf den Personalbedarf 83 Externe Einflussfaktoren haben ihre Ursachen hauptsächlich in demographischen, wirtschaftlichen, politischen, rechtlichen sowie technologischen Veränderungen. Vor allem die Entwicklung der Bevölkerungsanzahl und -zusammensetzung muss im Hinblick auf die langfristige Personalbedarfsplanung Berücksichtigung finden. Hier ist neben den demographischen Veränderungen der Erwerbsbevölkerung insbesondere der Wertewandel in der Gesellschaft zu beachten. Konjunkturelle und saisonale Entwicklungen, Veränderungen im Verhalten der Konkurrenz und Marktstrukturänderungen haben Auswirkungen auf die Absatzmöglichkeiten des Unternehmens und wirken über die Änderung der Unternehmensplanung auf den quantitativen und qualitativen Personalbedarf. Politische Entwicklungen wie EU-Erweiterungen oder der Brexit oder auch allgemeine Globalisierungsbestrebungen beeinflussen den Personalbedarf in unterschiedlichen Regionen und wirken sich gleichzeitig auf die Personalbeschaffungsmöglichkeiten und Freisetzungsnotwendigkeiten aus. Des Weiteren sind die Entwicklungen im Arbeits- und Sozialrecht von Bedeutung. Hier sind etwa Auswirkungen auf Arbeitszeitregelungen und Einsatzbedingungen der Mitarbeiter zu berücksichtigen. Auch die Vorschriften zum Mindestlohn haben Auswirkungen auf den Personalbedarf. 83 Vgl. Jung (2017), S. 114 f. 52 · 2 Personalbedarfsplanung Neue technologische Entwicklungen müssen aus Gründen der Wettbewerbsfähigkeit bei der Leistungserstellung einbezogen werden. Sie verändern in aller Regel die quantitative bzw. die qualitative Arbeitsleistung und die Anforderungen an die Stelleninhaber. Oft führen sie auch zu Rationalisierungsmaßnahmen und damit zu einem geringeren quantitativen Bedarf an Arbeitsleistung. Bei tariflichen Entwicklungen sind die Festlegung der tariflichen Arbeitszeiten, der Umfang des Urlaubs oder Entgeltsteigerungen Beispiele für Veränderungen, die bei der Personalbedarfsermittlung beachtet werden müssen. Im Gegensatz zu den externen Faktoren können unternehmensinterne Faktoren durch das Unternehmen beeinflusst werden. Änderungen im Produktionsprogramm und in der Produktionstiefe haben sowohl Auswirkungen auf den quantitativen als auch auf den qualitativen Personalbedarf. Mit der Umgestaltung des Produktionsprogramms variieren Inhalt und Umfang der Güter und Dienstleistungen des Unternehmens. Eine Änderung der Produktionstiefe führt dazu, dass bestimmte Produktionsschritte nicht mehr im Unternehmen erfolgen, sondern ausgelagert werden oder - im umgekehrten Fall - zusätzlich zu den bisher durchgeführten Aufgaben intern bearbeitet und nicht mehr von Dritten bezogen werden. Auch die Informations-, Kommunikations- und Fertigungstechnik, die das Unternehmen derzeit und künftig einsetzt, determiniert den quantitativen und den qualitativen Personalbedarf. Die Umstrukturierung der Unternehmensorganisation ist ein weiterer Einflussfaktor. So führt beispielsweise Lean Management zur Verringerung der Hierarchieebenen und der Führungskräftezahl und einem erhöhten qualitativen Personalbedarf auf der Ausführungsebene. Die Veränderung der Betriebsgröße, z.B. durch Standortverlagerungen oder räumliche Zusammenfassungen oder einen Unternehmenszusammenschluss, bewirkt eine Anpassung des Personalbedarfs, da sich Zusammensetzung, Umfang und Inhalt der Aufgaben und der Anforderungen ändern. Mit der Variation des Leistungsgrades wandeln sich Intensität und Umfang der Arbeitsleistung und damit der quantitative Personalbedarf. Ein steigender Leistungsgrad vermindert den Personalbedarf, ein sinkender erhöht ihn. Weiterhin müssen absehbare Fehlzeiten und Fluktuation berücksichtigt werden, die es notwendig machen, einen Reservebedarf einzuplanen und Personalabgänge auszugleichen. Letztlich haben auch die Interessen der Mitarbeiter, etwa was Arbeitszeit, Struktur der Arbeit und Entgeltgestaltung anbelangt, erheblichen Einfluss auf deren Leistungsbereitschaft und deren Arbeitsleistung und damit auf den Personalbedarf. 2.6 Verfahren der quantitativen Personalbedarfsermittlung · 53 2.6 Verfahren der quantitativen Personalbedarfsermittlung Man unterscheidet zwischen Verfahren der langfristigen globalen Personalbedarfsermittlung für den Gesamtbetrieb bzw. für große Unternehmensbereiche und Verfahren der Personalbedarfsermittlung für betriebliche Teilbereiche, wie z.B. Abteilungen. Erstere lassen sich weiter nach Vergangenheits- und Zukunftsorientierung untergliedern. Vergangenheitsorientierte Verfahren wie Trendextrapolationen und Regressions- und Korrelationsrechnungen legen statistische Erfahrungswerte zugrunde und gehen von einer Übertragbarkeit der Vergangenheit auf künftige Entwicklungen aus. Zukunftsorientierte Verfahren wie die Delphi-Methode oder die Szenario-Technik beruhen auf systematischen Expertenbefragungen. 84 Sie lassen die Vergangenheit weitgehend außer Acht und konzentrieren sich auf mögliche Entwicklungen in einem vorgegebenen Zeitrahmen. Da die gesamtbetriebliche Personalbedarfsermittlung in der Praxis seltener relevant ist und deshalb hier eher eine untergeordnete Bedeutung hat, werden im Anschluss die Verfahren für betriebliche Teilbereiche, wie sie Abb. 2-3 zeigt, erläutert. Verfahren der quantitativen Personalbedarfsermittlung für betriebliche Teilbereiche S chätzverfahren Kennzahlenverfahren Organisatorische Verfahren Monetäre Verfahren Personalbemessungsverfahren Einfache Schätzungen Expertenbefragung Stellenplanmethode Arbeitsplatzmethode Budgetierung Zero-Base- Budgeting Gemeinkostenwertanalyse Abb. 2-3: Quantitative Personalbedarfsermittlung Schätzverfahren sind in der Praxis sehr weit verbreitet. Sie sind einfach und schnell anzuwenden, man erhält allerdings keine objektiven Aussagen, da Intuition und unterschiedliche Erfahrung in die Bedarfsermittlung der Schätzenden einfließen. Bei einfachen Schätzungen, wie sie in den meisten Klein- und Mittelunternehmen üblich sind, werden die Betriebs- und Abteilungsleiter seitens der Personalabteilung nach dem quantitativen und qualitativen Personalbedarf in ihren Bereichen für das nächste Jahr, seltener auch für einen längeren Zeitraum, befragt. Die Bedarfsangaben werden nicht systematisch, sondern aufgrund subjektiver Eindrücke dieser Personen ermittelt. Die Schätzenden unterscheiden sich in ihrem Erfahrungshorizont, in ihren Kenntnissen von unternehmenspoliti- 84 Vgl. Hentze/ Kammel (2001), S. 202 ff.; Jung (2017), S. 1232 f. 54 · 2 Personalbedarfsplanung schen Aspekten und den daraus resultierenden Bewertungen der Situation. Auch beabsichtigte oder unbeabsichtigte Subjektivität der Schätzenden ist zu bedenken. Oft werden Personalreserven gebildet, um sich gegen unbekannte Entwicklungen abzusichern. Die Personalabteilung fasst die Informationen zusammen, überprüft sie auf Plausibilität und passt sie gegebenenfalls an. Expertenbefragungen umfassen die Schätzungen mehrerer kompetenter Personen. Dabei kann es sich wie bei der einfachen Schätzung um Bereichs- und Abteilungsleiter, aber auch um qualifizierte Fachkräfte oder externe Experten handeln. Das aus den Einzelurteilen gebildete Gesamtergebnis wird den Experten zur Überprüfung und ggf. Korrektur ihrer eigenen Urteile zur Verfügung gestellt. Geänderte Angaben werden erneut ausgewertet und zu einem verbesserten Gesamtergebnis verdichtet. 85 Die Kennzahlenverfahren sind insbesondere im Dienstleistungs- und Verwaltungsbereich weit verbreitet. Voraussetzung ist, dass eine stabile Beziehung zwischen Personalbedarf und den verwendeten Bezugsgrößen besteht. Typische Kennzahlen sind die Arbeitsproduktivität, die Anzahl der Kunden und der Umsatz pro Mitarbeiter. 86 Bei der Arbeitsproduktivität wird eine Ergebnisgröße in Bezug zum Arbeitseinsatz gesetzt. Dies können z.B. die Produktionsmenge pro Zeiteinheit, Kunden pro Mitarbeiter, bearbeitete Aufträge pro Arbeitstag oder der Umsatz eines Mitarbeiters pro Monat sein. Ausgehend von einem festen Verhältnis von Mitarbeitern zu betreuten Kunden führt etwa eine Änderung der Kundenzahl zu einem geänderten Personalbedarf. Insbesondere im Groß- und Einzelhandel wird ein üblicher Pro-Kopf-Umsatz als Grundlage herangezogen. Ein steigender Umsatz erhöht den quantitativen Personalbedarf. Auch die Arbeitskräftestruktur ist eine häufig verwendete Kennzahl, wobei die einzelnen Gruppen von Arbeitskräften zueinander ins Verhältnis gesetzt werden. So ermittelt man beispielsweise typische Verhältnisse zwischen der Zahl an Facharbeitern und Hilfskräften. Aus der Höhe des Facharbeiterbedarfs wird auf die Zahl der benötigten Hilfskräfte geschlossen. Auch beim Verhältnis zwischen Mitarbeitern und Führungskräften wird manchmal so verfahren. 87 Wenn es um die Ermittlung des Reservebedarfs geht, werden weitere Kennzahlen, wie z.B. Fehlzeitenanalysen, Krankheitsquote oder Unfallquote herangezogen. 88 Sehr oft basieren die Ergebnisse der Personalbedarfsermittlung auf positiven Erfahrungen aus der Vergangenheit und man schreibt die Kennzahlen einfach fort. 89 Weil ein bestimmter Quotient sich in der Vergangenheit „bewährt hat“, schließt man daraus, dass es gut ist, zukünftig weiterhin so zu verfahren. Ob es Optimierungsmöglichkeiten gibt, bleibt außen vor. Auch technologische Veränderungen oder Marktentwicklungen werden oft nicht angemessen berücksichtigt. 85 Vgl. Jung (2017), S. 123. 86 Vgl. ebd., S. 127; Scholz (2014), S. 309 ff. 87 Vgl. Jung (2017), S. 127. 88 Vgl. Stock-Homburg (2013), S. 108. 89 Vgl. Olfert (2015), S. 100. 2.6 Verfahren der quantitativen Personalbedarfsermittlung · 55 Kennzahlen zur Personalbedarfsermittlung sind nur dann sinnvoll, wenn man von einem konstanten Leistungsprogramm ausgehen kann. Wenn z.B. beratungsintensivere Dienstleistungen neu ins Programm aufgenommen werden, stimmt das Verhältnis nicht mehr. Das gilt auch für arbeitsintensivere oder schneller herzustellende Produkte. Bei den organisatorischen Verfahren orientiert man sich nicht an der Arbeitsmenge, sondern an der gegenwärtigen oder künftigen Organisationsstruktur des Unternehmens bzw. der betrachteten Abteilungen sowie an gesetzlichen Bestimmungen. Dabei wird zwischen der Stellenplan- und der Arbeitsplatzmethode unterschieden. Soll der Personalbedarf nach der Stellenplanmethode ermittelt werden, müssen aktuelle Stellenpläne und Stellenbeschreibungen mit Anforderungsprofilen vorliegen. Der fortgeschriebene Stellenplan liefert die Informationen zur Ermittlung des quantitativen und die fortgeschriebenen Stellenbeschreibungen und Anforderungsprofile zur Ermittlung des qualitativen Brutto-Personalbedarfs. Bei der Fortschreibung müssen alle geplanten Veränderungen hinsichtlich Produktions- und Absatzprogramm, Stellenaufgaben, Investitionen, Arbeitszeit, Produktivität etc. berücksichtigt werden. Eine bloße Status-quo-Fortschreibung würde zu einer falschen Entscheidungsgrundlage für die Personalbeschaffung führen. Die Stellenplanmethode wird häufig bei der Bedarfsermittlung für Führungskräfte, Forschungs- und Verwaltungsmitarbeiter verwendet. 90 Für einige Stellen ist ein fixer Personalbedarf, unabhängig vom tatsächlichen Arbeitsanfall, notwendig. Beispiele sind Pförtner-, Nachwächter-, Kontroll- und Überwachungstätigkeiten. Es handelt sich um Stellen, bei denen aufgrund von Gesetzen oder organisatorischen Notwendigkeiten eine bestimmte Anwesenheitsdauer zwingend erforderlich ist, unabhängig davon, ob Arbeit anfällt oder nicht. Die Zahl der benötigten Mitarbeiter wird in diesem Fall mithilfe der Arbeitsplatzmethode ermittelt. Ausgehend von der Dauer, die ein Arbeitsplatz besetzt sein muss, wird die Zahl der benötigten Mitarbeiter berechnet. Muss ein Arbeitsplatz acht Stunden am Tag und fünf Tage pro Woche besetzt sein, benötigt man - bei einer 40- Stunden-Woche - eine Vollzeitstelle. Hinzu kommt noch ein Reservebedarf für Ausfallzeiten wie Urlaub, Krankheit, Weiterbildung etc. Der tatsächliche Arbeitsanfall während dieser Zeit ist bei diesem Verfahren unerheblich. Die Arbeitsplatzmethode wird vor allem bei Mitarbeitern mit ausführenden Überwachungstätigkeiten, aber auch bei Führungskräften angewandt. Die Zahl der Führungskräfte ergibt sich aus der Leitungsspanne (Span of Control), die bestimmt, wie viele direkt unterstellte Mitarbeiter ein Vorgesetzter leiten kann. Ein teilweise in der Praxis übliches starres Zahlenverhältnis zwischen Führungskraft und Mitarbeitern ist allerdings nicht sinnvoll. Es würde nämlich bedeuten, dass bei einer starren Leitungsspanne von beispielsweise zehn Mitarbeitern jeder Vorgesetzte - gleich welcher Hierarchieebene und welchen Funktionsbereichs - genau zehn direkt unterstellte Mitarbeiter hätte. Da eine optimale Leitungsspanne von vielen Faktoren abhängt, ist es stattdessen sinnvoll, für verschiedene Hierarchieebenen und unterschiedliche Funktionsbereiche jeweils andere Lei- 90 Vgl. Jung (2071), S. 128. 56 · 2 Personalbedarfsplanung tungsspannen festzulegen. Sie sind insbesondere von der Art der Abteilungsaufgaben, der Qualifikation der Mitarbeiter und des Vorgesetzten, dem Führungsstil, den zur Verfügung stehenden Hilfsmitteln und der gewünschten Kontrolle bzw. Selbständigkeit der Mitarbeiter abhängig. 91 Eine feste Span of Control würde diese Variablen nicht angemessen abbilden und zur Über- oder Unterforderung der Führungskräfte führen. Die monetären Verfahren legen die finanziellen Mittel des Unternehmens bei der Personalbedarfsermittlung zugrunde. Sie beruhen somit auf Einflussgrößen, die nur indirekt mit dem Personalbedarf im Zusammenhang stehen. Angewandt werden sie insbesondere, wenn Rationalisierungsmaßnahmen durchgesetzt werden sollen. Sie werden in Großunternehmen häufig eingesetzt, was darauf schließen lässt, dass es dort in vielen Bereichen tatsächlich eine nennenswerte Personalüberdeckung gibt. Bei der Budgetierung ermittelt man den Personalbedarf aus den zur Verfügung stehenden finanziellen Mitteln. Dieses Budget muss ausreichen, um die Personalkosten zu decken. Auf seiner Basis legt man - abhängig von der Gehaltsstruktur - die Zahl der Mitarbeiter, die in einem bestimmten Bereich beschäftigt werden können, fest. Der Personalbedarf wird hier nicht von den anfallenden Aufgaben und der Leistungserstellung abhängig gemacht, stattdessen wird er durch Parameter wie die Summe der finanziellen Mittel oder die Kosten anderer Abteilungen bestimmt. Häufig werden nicht alle Arbeiten vollständig erfasst. Das gilt insbesondere für kleinere Hilfsarbeiten und selten anfallende Aufgaben. Im Ergebnis kommt man oft zu erheblichen Kosteneinsparungen, die allerdings darauf zurückzuführen sind, dass man den Personalbedarf unvollständig ermittelt hat. Budgetüberschreitungen sind in solchen Fällen vorprogrammiert. Das Zero-Base-Budgeting ist eine Variante der Budgetierung. Man geht zunächst davon aus, dass keinerlei finanzielle Mittel für Personal zur Verfügung stehen. Die Notwendigkeit jeder einzelnen Arbeit muss begründet und genehmigt werden. Für die Erfüllung der genehmigten Aufgaben werden Budgetvorgaben abgeleitet, aus denen der Personalbedarf errechnet wird. Die Gemeinkostenwertanalyse ist eine weitere monetäre Methode. Sie untersucht, ob die Leistungen eines Bereiches in dieser Art und in diesem Umfang notwendig sind. Es wird unterstellt, dass ein bestimmtes Kostenersparnisvolumen, z.B. 30 Prozent, vorhanden ist und die bisherige Aufgabenerfüllung mit dem bisherigen Personalbestand suboptimal war. Die Schwachstellen sollen durch Umstrukturierungen beseitigt werden, woraus sich automatisch ein verringerter Personalbedarf ergeben soll. Personalbemessungsverfahren werden auch arbeitswissenschaftliche Verfahren genannt. Sie errechnen den Personalbedarf anhand der Zeit, die für die einzelnen Teilaufgaben notwendig ist. 92 Diese Verfahren eignen sich besonders für mengenabhängige Produktions- und Verwaltungsbereiche, in denen man Vorgabezeiten pro Arbeitsvorgang ermitteln und die benötigte Zeit messen kann. Es muss sich um Aufgabengebiete handeln, die in ihrer Struktur und in ihren Einzeltätigkeiten weitgehend standardisiert sind. Man ermittelt für eine be- 91 Vgl. Hentze/ Kammel (2001), S. 215 ff.; Nicolai (2007), S. 510. 92 Vgl. Olfert (2015), S. 101 f.; Scholz (2015), S. 311 f. 2.7 Verfahren der qualitativen Personalbedarfsermittlung · 57 stimmte Periode die Arbeitsmenge der verschiedenen Teilaufgaben und multipliziert sie mit der benötigten Zeit je Teilaufgabe. Die Summe dieser Produkte wird durch die betriebsübliche Arbeitszeit einer Vollzeit-Arbeitskraft dividiert. Das Ergebnis wird um einen Zuschlag für den notwendigen Reservebedarf korrigiert. Die anfallenden Teilaufgaben und die dafür benötigte Arbeitszeit ermittelt man entweder durch Selbstaufschreibungen, Arbeitszeitstudien oder Schätzungen aufgrund von Erfahrungswerten. Arbeitswissenschaftliche Methoden können nicht angewandt werden, wenn die Teilaufgaben diskontinuierlich anfallen oder sich im Arbeitsumfang und Schwierigkeitsgrad deutlich unterscheiden. Sie können ebenso wenig für Führungskräfte herangezogen werden, da deren Aufgaben in der Regel weder inhaltlich noch zeitlich normierbar sind. Sie suggerieren eine Objektivität, die in Wahrheit nicht gegeben ist. Die korrekte Anwendung von logisch erscheinenden Formeln täuscht eine nicht vorhandene Exaktheit vor. Da das verwendete Zahlenmaterial ungenau ist, ist damit auch das Ergebnis nur bedingt zu gebrauchen. Wenn die beschriebenen Verfahren der Personalbedarfsermittlung die Fehlzeiten nicht berücksichtigen, ist der Reservebedarf gesondert zu ermitteln. Diese Notwendigkeit ergibt sich daraus, dass die Mitarbeiter bei Urlaub, Arbeitsunfähigkeit, Weiterbildungsmaßnahmen etc. dem Unternehmen nicht zur Verfügung stehen, die Erfüllung ihrer Aufgaben aber dennoch gewährleistet sein muss. Auch persönliche Verteilzeiten wie Kaffeepausen, private Gespräche etc. sind zu berücksichtigen. Der Reservebedarf ist von Betrieb zu Betrieb und außerdem für die einzelnen Bereiche innerhalb eines Unternehmens sehr unterschiedlich. So ist beispielsweise der Krankenstand in Produktionsabteilungen i.d.R. deutlich höher als in Strategischen Stabsabteilungen, auch der Weiterbildungsbedarf für verschiedene Stellenarten unterscheidet sich erheblich. Es ist deshalb notwendig, den Reservebedarf nach Funktionsbereichen und Stellenarten getrennt zu bestimmen. Für Führungskräfte wird er oft gar nicht ermittelt. Man geht davon aus, dass Überstunden für sie selbstverständlich sind und die dringendsten Aufgaben bei Abwesenheit von einem Stellvertreter übernommen werden, der dann wiederum seinerseits Überstunden leistet. Die meisten mittelständischen deutschen Unternehmen verwenden die Budgetierung für ihre quantitative Personalbedarfsplanung. Es folgen Stellenplan- und Kennzahlenverfahren. 93 2.7 Verfahren der qualitativen Personalbedarfsermittlung Eine reine Mengenplanung ist bei der Personalbedarfsermittlung nicht ausreichend, sie muss stets um qualitative Überlegungen erweitert werden. Dabei geht es sowohl um die Erfassung der Qualifikation des derzeitigen Stelleninhabers als auch um die Ermittlung der Anforderungen, die generell an einen Mitarbeiter gestellt werden, der die betrachtete Arbeitsleistung jetzt oder künftig erbringen soll. 93 Vgl. Haufe Akademie (2009), S. 13. 58 · 2 Personalbedarfsplanung Die notwendigen Informationen kommen aus verschiedenen Quellen. Abb. 2-4 gibt einen Überblick über die wichtigsten Verfahren. Verfahren der qualitativen Personalbedarfsermittlung Auswertung von Berufs- und Qualifikationsgruppen Heranziehen von Organisations- und Stellenplänen Analyse von Stellenbeschreibungen Verwendung von Anforderungsprofilen Abb. 2-4: Qualitative Personalbedarfsermittlung 2.7.1 Ausgangsbasis Berufs- und Qualifikationsgruppen Wenn der qualitative Personalbedarf nach Berufsgruppen bestimmt werden soll, geht man nicht von den konkreten Anforderungen einer Stelle aus, vielmehr wird von der üblichen Qualifikation des Stelleninhabers - dem so genannten Berufsbild - auf die passende Aufgabenerfüllung geschlossen. 94 Ist beispielsweise eine Stelle mit einem Industriekaufmann zur allgemeinen Zufriedenheit besetzt, schließt man vom Berufsbild des Industriekaufmanns auf die für diese Stelle notwendige Qualifikation. Man unterstellt dabei, dass Schulbildung, Berufsausbildung, Berufserfahrung und die früheren Tätigkeiten des aktuellen Stelleninhabers für die Erfüllung der Stellenaufgaben notwendig sind und leitet daraus die Anforderungen der Stelle ab. Die Anforderungen können modifiziert werden, indem man zukünftige Entwicklungen einbaut. Das heißt, dass eine Stelle, die aktuell von einem Industriekaufmann besetzt ist, etwa aufgrund der zunehmenden Digitalisierung nun an eine Person mit einem wirtschaftswissenschaftlichen Studium vergeben wird, weil man berücksichtigt, dass sich die Anforderungen verändern/ erhöhen werden. Eine Typologisierung nach Berufsgruppen könnte folgendermaßen aussehen: 95 1 Lohnempfänger 1.1 Facharbeiter 1.2 angelernte Arbeiter mit Spezialkenntnissen 1.3 weitere angelernte Arbeiter 2 Technische Angestellte 2.1 mit Master-Abschluss 2.2 mit Bachelor-Abschluss 94 Vgl. Olfert (2015), S. 106; Scholz (2014), S. 306 f. 95 Vgl. Hentze/ Kammel (2001), S. 224. 2.7 Verfahren der qualitativen Personalbedarfsermittlung · 59 2.3 Meister 2.4 Techniker 2.5 sonstige technische Angestellte mit abgeschlossener Berufsausbildung 2.6 sonstige technische Angestellte ohne abgeschlossene Berufsausbildung 3 kaufmännische Angestellte 3.1 mit Master-Abschluss 3.2 mit Bachelor-Abschluss 3.3 mit abgeschlossener Berufsausbildung 3.4 ohne abgeschlossene Berufsausbildung 4 sonstige Angestellte 4.1 sonstige nicht-technische Angestellte 4.2 sonstige nicht-kaufmännische Angestellte 5 Auszubildende 5.1 technisch-gewerbliche Auszubildende 5.2 kaufmännische Auszubildende Die Berufsgruppen-Typologisierungen werden oft noch weiter nach einzelnen Berufen unterteilt. Eine Gliederung in Qualifikationsgruppen ist allgemeiner gehalten. Sie kann z.B. auf diese Art erfolgen: 96 Universitätsausbildung mit Berufserfahrung Universitätsausbildung ohne Berufserfahrung Hochschulausbildung mit Berufserfahrung Hochschulausbildung ohne Berufserfahrung Industriemeister Facharbeiter mit Berufserfahrung und Zusatzausbildung etc. Beide Differenzierungen können lediglich ein erstes ungenaues Bild über die Stellenanforderungen und über die benötigte Arbeitsleistung ergeben. Sie bedürfen deshalb der Präzisierung. Sie berücksichtigen außerdem kaum, dass sich Tätigkeitsinhalte ändern und entwickeln und unternehmensspezifisch manchmal sehr unterschiedlich sind. 2.7.2 Ausgangsbasis Organisations- und Stellenpläne Organisationspläne oder Organigramme geben einen Überblick über die bestehende oder künftige Aufbauorganisation im Unternehmen. 96 Vgl. Hentze/ Kammel (2001), S. 225. 60 · 2 Personalbedarfsplanung Sie verdeutlichen: Über- und Unterstellungsverhältnisse Weisungsbeziehungen Kommunikations- und Informationsbeziehungen Meist werden aus Gründen der Übersichtlichkeit nur die Leitungsstellen des Unternehmens oder eines Unternehmensbereichs dargestellt und nicht alle Stellen. Der Stellenplan gliedert die Übersicht, die das Organigramm gibt, in einzelne Abteilungen. Er enthält sämtliche Stellen und gibt einen vollständigen Überblick über die Struktur, die Zuordnung und den Stellenzusammenhang. Organisations- und Stellenpläne machen die Aufbauorganisation transparent, wodurch sich eventuell vorhandene organisatorische Mängel erkennen lassen. Sie können für die derzeitige oder eine künftige Aufbauorganisation erstellt werden. Damit werden strukturelle Entwicklungen sichtbar gemacht und zudem lassen sich - allerdings nur ziemlich grobe - Rückschlusse auf den zukünftigen Bedarf an Qualifikationen ziehen. Der überwiegende Teil der deutschen Mittelständler verwendet Stellenpläne zur Ermittlung des qualitativen Personalbedarfs. 97 2.7.3 Ausgangsbasis Stellenbeschreibungen Zur detaillierten Erfassung der Anforderungen einer Stelle und zur Ermittlung des qualitativen Personalbedarfs bieten sich Stellenbeschreibungen an. Ihre vornehmliche Aufgabe ist die Information des derzeitigen oder künftigen Stelleninhabers über Aufgaben, Kompetenzen, Verantwortungsbereiche, Stellvertretung, Bewertungsmaßstäbe etc. Sie dienen damit in erster Linie der zielorientierten Eingliederung von Mitarbeitern in organisatorische Beziehungszusammenhänge, sind aber auch Ausgangspunkt für viele Aufgaben des Personalmanagements. Sie bilden beispielsweise die Grundlage für die Ermittlung eines stellenbezogenen Anforderungsprofils sowie für Stellenausschreibungen, Einarbeitungen und systematische Unterweisungen, Arbeitsvertragsgestaltung, Personalbeurteilungen, Zeugniserstellung, Entgeltfindung und Personalentwicklung. 98 Umfang, Inhalt und Aufbau sind von den Zielen abhängig, die mit einer Stellenbeschreibung verfolgt werden. Sinnvoll ist eine systematische Gliederung in diese Teilbereiche: Allgemeine Informationen: Hierzu gehören neben der Stellenbezeichnung das Stellenkurzzeichen, die Abteilung und das Sachgebiet. Außerdem enthält diese Rubrik Informa- 97 Vgl. Haufe Akademie (2009), S. 14. 98 Vgl. Schwarz (1995), S. 110 ff.; Ulmer (2001), S. 153 ff. 2.7 Verfahren der qualitativen Personalbedarfsermittlung · 61 tionen zum Rang des Stelleninhabers im hierarchischen Unternehmensaufbau, zum Teil wird bei Tarifangestellten zusätzlich die Entgeltgruppe angegeben. Instanzenbild: Bei der instanziellen Einordnung geht es um die Über- und Unterstellungsverhältnisse und die Ausgestaltung der aktiven und passiven Stellvertretung. Der Abschnitt Unterstellung informiert über den direkten Vorgesetzten des Mitarbeiters. In Bezug auf die Überstellung zeigt die Stellenbeschreibung, für welche Mitarbeiter der Stelleninhaber die fachlich und/ oder die disziplinarische Vorgesetztenfunktion übernimmt. Bei der Stellvertretung geht es darum, wen der Stelleninhaber selbst vertritt (aktive Stellvertretung) und von wem er im Abwesenheitsfall vertreten wird (passive Stellvertretung). Auch ob die Stellvertretung vollumfänglich ist oder sich nur auf Teilbereiche bezieht, ist hier festgehalten. Zielsetzung der Stelle: Hier finden sich Orientierungspunkte für das Verhalten und die Ergebnisse, welche vom Stelleninhaber erwartet werden. Sie dienen einerseits der Selbstkontrolle und sollen andererseits Ansatzpunkte für Beurteilungen durch den Vorgesetzten aufzeigen. Bei der Formulierung ist darauf zu achten, dass keine substanzlosen Allgemeinplätze verwendet werden, die nichts zum Verständnis beitragen und die Ziele der Stelle nicht verdeutlichen. Aufgabenbild: Es präzisiert den Aufgabenbereich, listet die Aufgaben auf, die mit der Stelle verbunden sind, und enthält Informationen über die Entscheidungs- und Weisungsbefugnisse des Stelleninhabers. Im Aufgabenbild soll ein klar umrissener Handlungs- und Entscheidungsspielraum festgelegt werden. Bei ausführenden Stellen wird oft zusätzlich der prozentuale Anteil der einzelnen Teilaufgaben an der Gesamtaufgabe festgehalten. Bei höherqualifizierten Mitarbeitern und Führungskräften ist es sinnvoll, die erfolgskritischen Arbeitsinhalte zu benennen. Damit wird deutlich, auf welche Aufgaben sich der Stelleninhaber besonders konzentrieren muss. Kommunikationsbild: Betriebsinterne und externe Kommunikationsbeziehungen sind eher selten in Stellenbeschreibungen enthalten. Die Zusammenarbeit mit anderen Bereichen ist jedoch wichtig für Aufgabenerfüllung und Führungsstil. Der Schwerpunkt liegt hier auf Aussagen zu Koordinations-, Beratungs-, Informations- und Berichtsrechten und -pflichten. Leistungsbild: Beim Leistungsbild werden die wesentlichen Anforderungen an den Stelleninhaber präzisiert. Es enthält außerdem Aussagen zu den für die Aufgabenerfüllung notwendigen Kenntnissen, Erfahrungen und Ausgangsqualifikationen. Die üblichen Erwartungen an den Stelleninhaber werden in sogenannten Leistungsstandards festgeschrieben. Der Arbeitgeber hat bzgl. der Stellenbeschreibungen das alleinige Direktionsrecht. Sie unterliegen nur dann der Mitbestimmung, wenn sie auch der Gehaltsfindung dienen. Allein aus Akzeptanzgründen sollten jedoch an der (erstmaligen) Erstellung von Stellenbeschreibungen neben einem Mitglied der Personalabteilung und dem Stelleninhaber, der Vorgesetzte und ein Vertreter des Betriebsbzw. Personalrates beteiligt sein. Ein umfangreicher, zeitintensiver Änderungsdienst, d.h. regelmäßige Korrekturen und Aktualisierungen sind unerlässlich. Sie können jedoch gut während der Mitarbeitergespräche im Rahmen der Personalbeurteilung erfolgen, womit sich dann Zeit sparen lässt. 62 · 2 Personalbedarfsplanung Da die Inhalte auf diese Weise in festen Abständen auf dem Prüfstand stehen, wird gleichzeitig der Gefahr vorgebeugt, dass die Mitarbeiter sie als sozialen Besitzstand betrachten. 99 2.7.4 Ausgangsbasis Anforderungsprofil Stellenbeschreibungen bilden zusammen mit Organigrammen und Stellenplänen die Grundlage für das Anforderungsprofil. Gespräche mit dem Vorgesetzten und ggf. dem derzeitigen Stelleninhaber ergänzen diese Informationen. Anforderungsprofile geben - nach verschiedenen Merkmalen differenziert - Auskunft über Art und Höhe der Anforderungen einer spezifischen Stelle. Dazu zählen alle diejenigen Kenntnisse, Fähigkeiten, Fertigkeiten und Verhaltensweisen, die ein Mitarbeiter benötigt, um die mit seiner Stelle verbundenen Aufgaben zu erfüllen. Bei der Erstellung der Anforderungsprofile machen Unternehmen oft den Fehler, die Anforderungen zu umfangreich und anspruchsvoll zu formulieren. Dies führt dazu, dass auch sehr gut geeignete Bewerber kaum den angeblichen Anforderungen entsprechen. Die Stelle wird dadurch eventuell mit einem überqualifizierten Mitarbeiter besetzt, der sich möglicherweise schnell nach attraktiveren Alternativen umsieht, was eine erneute Vakanz und weitere Rekrutierungskosten zur Folge hätte. Deshalb sollten nur realistische Anforderungen, die zudem verständlich formuliert sind, in das Profil eingehen. Das derzeitige oder künftige Anforderungsprofil einer Stelle wird mit dem Qualifikationsprofil oder Eignungsprofil des Stelleninhabers bzw. Bewerbers verglichen. Man schließt auf einen möglichen qualitativen Personalbedarf bei den einzelnen Anforderungsarten. Ideal wäre es, wenn die Anforderungen der Stelle mit den Qualifikationen des Stelleninhabers vollständig übereinstimmen würden. In der Regel kommt es jedoch zu Abweichungen. Wenn die Anforderungen über den Qualifikationen liegen, spricht man von einer qualitativen Unterdeckung, im umgekehrten Fall von einer qualitativen Überdeckung. Beide Male ist die Stellenbesetzung suboptimal. Im ersten Fall liegt ein qualitativer Personalbedarf vor. Dieser kann ausgeglichen werden, indem man mithilfe von Personalentwicklungsmaßnahmen eine bessere Übereinstimmung zwischen Anforderungen und Qualifikationen herbeiführt. Als weitere mögliche Reaktionen kommen auch eine Veränderung der Stelleninhalte oder die Versetzung des Stelleninhabers auf eine seinem Profil besser entsprechende Stelle sowie im Extremfall seine Entlassung in Betracht. Im zweiten Fall wird die Qualifikation des aktuellen Stelleninhabers nur teilweise genutzt, womit das Unternehmen seine personellen Ressourcen nicht bestmöglich einsetzt und verschwendet. Es handelt nicht wirtschaftlich. Im Interesse von Unternehmen und Mitarbeiter sollten qualifikationsadäquatere Stellen gesucht bzw. die Aufgaben der aktuellen Stelle passend verändert werden. Die erste Grundlage für die Systematisierung der Anforderungsarten bildete das Genfer Schema. Es wurde 1950 auf einer internationalen Tagung für Arbeitsbewertung entwickelt und enthält die damals als bedeutsam erachteten vier Anforderungsarten Können, Verant- 99 Vgl. Nicolai (2004 a), S. 180. 2.7 Verfahren der qualitativen Personalbedarfsermittlung · 63 wortung, Belastung und Umgebungseinflüsse. Seitdem ist es von Arbeitgeberverbänden, Unternehmen und Gewerkschaften vielfach modifiziert, erweitert und auch wieder zusammengefasst worden. Die Anforderungen werden i.d.R. für die Fachgebiete anhand eines Musterkatalogs festgelegt. Hier ein Überblick über häufige Inhalte von Anforderungsprofilen: 100 Allgemeine Merkmale gesundheitliche Erfordernisse - Mobilität Ausbildung und Werdegang - Schul- und Berufsabschluss - Hochschulabschluss spezielle Abschlüsse (Zusatzausbildungen, z.B. Ausbildereignungsprüfung) - Fachwissen - Sprachkenntnisse - Berufs- und Branchenerfahrung Körperliche Anforderungen - Umgebungseinflüsse motorische Beweglichkeit und Muskelbelastung - Bildschirmarbeitsplatz Geistige Anforderungen analytisches Denkvermögen - Urteilsfähigkeit - Kreativität sprachliches Ausdrucksvermögen Technisches Verständnis - Arbeitsverhalten - Einsatzbereitschaft - Sorgfalt - Problembewusstsein - Zuverlässigkeit - Selbständigkeit - Verantwortungsbereitschaft Sozialverhalten - Kooperationsfähigkeit - Konfliktfähigkeit - Teamfähigkeit - Kommunikationsfähigkeit - Durchsetzungsfähigkeit - Toleranz Führungsqualifikation - Planung und Organisation - Zielsetzung 100 Vgl. Mentzel (2012), S. 46 f. 64 · 2 Personalbedarfsplanung - Kontrolle - Delegation - Führungsstil - Motivationsfähigkeit Optisch werden Anforderungsprofile in unterschiedlichster Form dargestellt. Viele Unternehmen erstellen grafische Profile. Jedoch sind nicht alle Anforderungen skalierbar sind und lassen sich deshalb nicht vollständig grafisch aufbereiten. Es sind dann Ergänzungen mit schriftlichen Formulierungen vorzunehmen. Oft wird gleichzeitig auch das Qualifikationsprofil des Stelleninhabers oder Bewerbers einbezogen, um qualitative Über- und Unterdeckungen sichtbar zu machen. Ein Beispiel für einen Industriemeister ist in Abb. 2-5 wiedergegeben. Hier werden die Merkmale in untergeordnete Anforderungen aufgespalten. Deren jeweilige Bedeutung für die spezifische Stelle kann in drei Ausprägungen angekreuzt werden. Die Verbindung der Kreuze ergibt das Anforderungsprofil der Stelle. Die Abb. 2-6 zeigt ein Beispiel, welches sowohl ein Anforderungsals auch ein Qualifikationsprofil als Blockdiagramm enthält. Die einzelnen Anforderungs- und Qualifikationsarten werden in Form von Säulen auf der Horizontalen aufgetragen und jeweils übereinandergelegt. Die Höhe einer Säule gibt die jeweilige Anforderungsbzw. Qualifikationshöhe wieder. Über- oder Unterdeckungen bzw. Deckungsgleichheit werden optisch unterschiedlich gekennzeichnet. In Abb. 2-7 werden die Ausprägungen der Anforderungsmerkmale einer Stelle angekreuzt und durch Linien verbunden. Anschließend werden die zugehörigen Qualifikationen eines Stelleninhabers/ Bewerbers entsprechend dargestellt. Je näher die Anforderungs- und Qualifikationslinien beieinander liegen, desto größer ist die Übereinstimmung zwischen Anforderungsprofil und Qualifikationsprofil und desto besser passt die betrachtete Person zu dieser Stelle. In Großunternehmen ist die Verwendung von Anforderungsprofilen Standard und auch ein sehr großer Teil der deutschen mittelständischen Unternehmen setzen Anforderungsprofile zur Ermittlung ihres qualitativen Personalbedarfs ein. 101 101 Vgl. Haufe Akademie (2009), S. 14. 2.7 Verfahren der qualitativen Personalbedarfsermittlung · 65 Merkmal Bedeutung des Merkmals keine mittel hoch Arbeitsleistung - Fachwissen und -können o o o - Qualität der Arbeit o o o - Einteilung der Arbeit o o o Arbeitsverhalten - Selbständigkeit o o o - Belastbarkeit o o o - Flexibilität o o o - Initiative o o o Zusammenarbeit - Kooperationsverhalten o o o - Informationsverhalten o o o - Konfliktbewältigung o o o - Verhandlungsgeschick o o o Unternehmerisches - Strategisches Handeln o o o Handeln - Kostenbewusstsein o o o - Ertragsbewusstsein o o o - Risikobewusstes Handeln o o o - Unternehmerische Initiative o o o Führungsverhalten - Planen und Organisieren o o o - Ziele setzen o o o - Delegieren o o o - Motivieren o o o - Mitarbeiter fördern o o o Abb. 2-5: Beispiel für das Anforderungsprofil eines Industriemeisters 102 102 In Anlehnung an Meier (2010), S. 176. 66 · 2 Personalbedarfsplanung Abb. 2-6: Profilvergleich mit Deckung, Überdeckung und Unterdeckung Abb. 2-7: Profilvergleich für einen Bilanzbuchhalter 103 103 In Anlehnung an Hohlbaum/ Olesch (2004), S. 71. Anforderungshöhe Anforderungsarten Deckung Unterdeckung Überdeckung lfd. Nr. schwach Ausprägungsgrad stark Profilmerkmal 1 2 3 4 5 6 7 1. Kreativität 2. Analytische Kompetenz 3. Überzeugungsfähigkeit 4. Kontaktfähigkeit 5. Zuverlässigkeit 6. Sorgfalt 7. Weiterbildungsbereitschaft 8. Teamfähigkeit 9. Durchsetzungsfähigkeit 10. Problemlösungsvermögen Anforderungsprofil der Stelle Qualifikationsprofil des (potenziellen) Mitarbeiters x x x x x x x x x x x x x x x x 2.8 Kritische Würdigung und Ausblick · 67 2.8 Kritische Würdigung und Ausblick Die Ermittlung des Personalbedarfs ist unter ökonomischen Gesichtspunkten von großer Bedeutung. Die Quantität und die Qualität der Stellen und der Stelleninhaber bzw. der zur Verfügung gestellten und benötigten Arbeitsleistung sind bestimmend für die Leistungsfähigkeit und den Erfolg des Unternehmens. Berücksichtigt werden müssen dabei externe und interne Einflussfaktoren auf den Personalbedarf, wie z.B. demographische Entwicklungen, konjunkturelle Schwankungen oder Veränderungen von Produktionsprogramm und -tiefe. Langfristige Prognosen sind jedoch aufgrund der vielen Variablen, von denen sie abhängen, mit Vorsicht zu genießen. Die endgültige Entscheidung über den Personalbedarf hängt von der Unternehmenspolitik ab, sodass die dargestellten Verfahren der Personalbedarfsplanung nur eine Hilfestellung sein können. Auf Schätzverfahren zur Ermittlung des Personalbedarfs wird dann zurückgegriffen, wenn die Arbeitsanforderungen quantitativ, qualitativ und zeitlich variieren. Der unterschiedliche Erfahrungshorizont der Schätzenden, ihre ungleichen Kenntnisse und Einschätzungen von unternehmenspolitischen Gesichtspunkten sowie beabsichtigte oder unbeabsichtigte Subjektivität führen dazu, dass die Ergebnisse ungenau sind. Die Schätzungen fallen zudem oft sehr großzügig aus. Die Schätzenden bilden Personalreserven, um für künftige Konstellationen abgesichert zu sein. Solche Verfahren sind in kleinen und mittleren Unternehmen weit verbreitet. Für die Personalbedarfsermittlung anhand von Kennzahlen benötigt man umfangreiche Informationen. Oft wird sehr stark vergangenheitsorientiert vorgegangen, außerdem wird technologischen Veränderungen und Marktentwicklungen zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Auch organisatorische Verfahren weisen Mängel auf. Mit der Entscheidung über die Zahl der Führungskräfte und die Leitungsspanne sind gleichzeitig Entscheidungen über Effizienz- und Qualitätsaspekte verbunden. Wird die Arbeitsplatzmethode bei ausführenden Mitarbeitern angewandt, muss berücksichtigt werden, dass diese in „Mußezeiten“ mit anderweitigen Aufgaben ausgelastet werden sollten. So kann Empfangsmitarbeiter Eingangspost sortieren oder Ausgangspost frankieren sowie einfache Korrespondenz übernehmen. Monetäre Verfahren eignen sich zur Personalbedarfsermittlung in Bereichen, in denen dringend Rationalisierungsmaßnahmen notwendig sind. Dabei muss besonders darauf geachtet werden, dass trotz der Verringerung des Personalbestandes weiterhin gewährleistet ist, dass die Leistungsziele erreicht werden können. Gemeinkostenwertanalysen und Zero-Base- Budgeting werden häufig in größeren Unternehmen eingesetzt. Ihre erfolgreiche Anwendung lässt darauf schließen, dass in vielen Abteilungen Personalüberdeckungen bestehen. Die Beseitigung organisatorischer Mängel bei der Strukturierung von Arbeitsprozessen und Aufgabenstellungen führt zu einem geringeren Personalbedarf und ermöglicht Budgetkürzungen. Die Verfahren der Personalbemessung (arbeitswissenschaftliche Verfahren) sind nur bei kontinuierlichem Arbeitsablauf anwendbar und stoßen bei heterogenem Aufgabenanfall mit un- 68 · 2 Personalbedarfsplanung terschiedlichem Schwierigkeitsgrad schnell an ihre Grenzen. Die Zuschläge für nicht erfasste (Neben-)Tätigkeiten sind oft so erheblich, dass die Ergebnisse, die eigentlich Objektivität suggerieren, den Personalbedarf nur sehr ungenau wiedergeben. Die Anwendung von Formeln täuscht eine Exaktheit der Werte vor, die nicht zutrifft. Auch die Verfahren der qualitativen Personalbedarfsermittlung liefern nur unzureichende, ungenaue Ergebnisse. Bei der Ermittlung des Personalbedarfs mithilfe von Berufs- und Qualifikationsgruppen werden die Anforderungen zu summarisch und allgemein erfasst. Stellenbeschreibungen liefern nur dann brauchbare Ergebnisse, wenn sie sorgfältig erstellt wurden und die Inhalte nicht aus allgemein gehaltenen Formulierungen bestehen. Zudem ist der regelmäßige, aufwändige Änderungsdienst ein Problem. Andererseits lassen sich aus veralteten Stellenbeschreibungen keine aktuellen Stellenanforderungen herleiten. Gleiches gilt auch für die Anforderungsprofile. Ein weiteres Problem ist hier die notwendige Skalierung der Anforderungen, denn nicht alle Anforderungen und Qualifikationen können wirklich exakt erfasst werden. Da Unternehmen über die Entwicklung der künftigen Anforderungen nur in begrenztem Umfang Prognosen erstellen können, ist es sinnvoll, dass sie sich frühzeitig Qualifikationsreserven mithilfe von Personalentwicklungsmaßnahmen aufbauen, um schnell auf Umweltveränderungen reagieren zu können. Wiederholungsfragen 1. Erläutern Sie den Begriff Personalbedarf und erklären Sie, was man unter den vier Dimensionen der Personalbedarfsermittlung versteht. 2. Stellen Sie einen Zusammenhang zwischen Ersatz- und Neubedarf her. 3. Beschreiben Sie den Zusammenhang zwischen Soll-Personalbestand und Ist-Personalbestand sowie zwischen Einsatz- und Reservebedarf. 4. Erläutern Sie die wesentlichen internen Einflussfaktoren auf den Personalbedarf. 5. Wie wirkt sich die Veränderung der Informations- und Kommunikationstechnologie auf den Personalbedarf aus? 6. Unter welchen Voraussetzungen sind die Verfahren der Personalbemessung zur quantitativen Bedarfsermittlung geeignet? 7. Erläutern Sie, was man unter der Arbeitsplatzmethode versteht. 8. Inwieweit kann ein Berufsbild der Erstellung von Anforderungsprofilen dienen? 9. Wie sollte eine systematische Gliederung der Stellenbeschreibungen aussehen? 10. Beurteilen Sie die Verwendbarkeit von Stellenbeschreibungen im Rahmen der qualitativen Personalbedarfsermittlung. 3 Personalbeschaffung Die Personalbeschaffung ist eine der wichtigsten Funktionen des Personalmanagements. Sie hat das Ziel, den bedarfsgerechten Umfang an Arbeitsleistung mit der passenden Qualifikation zum richtigen Zeitpunkt und für den richtigen Zeitraum am richtigen Ort bereitzustellen. Die Basis bildet die Personalbedarfsermittlung. Da der Fachkräftemangel immer stärker wahrgenommen wird, sehen Unternehmen eine sehr sorgfältige Vorgehensweise bei der Personalbeschaffung als immer notwendiger an. 104 Fachkräftemangel ist besonders bei mittelständischen Unternehmen bis 500 Mitarbeiter deutlich zu spüren. Außerdem berichten Unternehmen aller Größen, dass die Anzahl der Bewerber abgenommen hat und ebenso die Akzeptanzquote von Vertragsangeboten an ausgewählte Bewerber. 105 Sie versuchen den Beschaffungsproblemen insbesondere mit verstärkten eigenen Ausbildungsmaßnahmen, neuen Arbeitszeitmodellen, dem Angebot von Home Office 106 und der flexiblen Handhabung der angebotenen Anreize zu begegnen. 3.1 Aktueller Informationsbedarf und zeitgemäße Vorgehensweisen Bevor ein Unternehmen die Beschaffungsarten anwenden und die Beschaffungswege beschreiten kann, muss es erst systematisch alle beschaffungsrelevanten Informationen zusammentragen. Sie determinieren den Beschaffungsprozess. Zur Gewinnung und Analyse personalbeschaffungsrelevanter Informationen gehören Personalbestand und Personalbedarf (siehe Kapitel 2) aktuelle Arbeitsmarktsituation Stellung des Unternehmens auf dem internen und externen Arbeitsbeschaffungsmarkt Erwartungen und Ziele der derzeitigen und potenziellen Mitarbeiter Auch rechtliche Aspekte spielen eine wichtige Rolle. Besonders die Beteiligungsrechte des Betriebsbzw. Personalrates bei Personalplanung, Ausschreibung von Stellen, Personalfragebögen und Beurteilungsgrundsätzen, Auswahlrichtlinien und personellen Einzelmaßnahmen beeinflussen den Beschaffungsprozess. 3.1.1 Ermittlung der Arbeitsmarktsituation Nachdem Personalbestand und Personalbedarf bestimmt sind, geht es im nächsten Schritt darum, eine systematische Analyse des in Frage kommenden Beschaffungspotenzials durchzuführen und die Beschaffungsmöglichkeiten festzustellen, d.h. die aktuelle Arbeitsmarktsituation zu ermitteln. Dabei ist nicht der gesamte Arbeitsmarkt, sondern nur ein Teilbereich, 104 Vgl. Kienbaum (2015), S. 3. 105 Vgl. ebd. 106 Vgl. Weitzel et al. (2015 a), S. 7. 70 · 3 Personalbeschaffung der sogenannte Arbeitsbeschaffungsmarkt, relevant (siehe hierzu auch die Ausführungen zum Personalmarketing in Kapitel 1.4.3). Das Unternehmen filtert aus den vorhandenen Informationen zum Arbeitsbeschaffungsmarkt diejenigen heraus, die für seine aktuellen Personalbeschaffungsentscheidungen relevant sind. Dabei wird jedoch nur der Teilarbeitsmarkt berücksichtigt, der das benötigte Beschaffungspotenzial aufweist. Es werden funktionale, räumliche und zeitliche Kriterien wie Ausbildung, Berufsgruppe, Branche, Mobilität etc. herangezogen. Ferner wird zwischen unternehmensexternen und unternehmensinternen Teilmärkten differenziert. Der externe Teilarbeitsmarkt ist derjenige Teil des externen Gesamtarbeitsbeschaffungsmarktes auf dem das Unternehmen seinen Bedarf decken will. Er wird durch konjunkturelle und saisonale Schwankungen sowie durch die aktuelle Bevölkerungs- und Beschäftigungsstruktur und deren Entwicklung beeinflusst. Nach wie vor rekrutieren deutsche Unternehmen vor allen Dingen im eigenen Land, im deutschsprachigen Ausland und in Westeuropa. Hier macht Österreich eine Ausnahme, für dort ansässige Unternehmen ist der osteuropäische Arbeitsmarkt sehr interessant. 107 Das gilt in zunehmendem Maße auch für andere europäische Unternehmen. Einige Großunternehmen betreiben eine eigene systematische externe Arbeitsmarktforschung oder beauftragen Marktforschungsinstitute, z.B. Branchenstrukturanalysen und Konkurrenzanalysen durchzuführen sowie Stellenangebote der Konkurrenz in den Jobbörsen bzw. in der einschlägigen Printpresse auszuwerten. Die meisten Unternehmen stützen sich bei ihren Recherchen jedoch vorrangig auf Sekundärerhebungen und -analysen. Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesagentur für Arbeit (IAB) bietet viele Informationen zur Entwicklung von Arbeitskräftepotenzialen und zur Prognose von Arbeitsmarktstrukturen im nationalen Bereich. Diese Ergebnisse werden seit über 50 Jahren regelmäßig veröffentlicht. Die Berufsforschung des IAB bezieht sich auf Untersuchungen zu den Zukunftschancen bestimmter Berufe, zu deren Prestige und zu den Variationen der Berufsanforderungen. Ein aktuell ganz wesentlicher Aspekt sind Informationen, wie sich die Berufsbilder durch die Digitalisierung verändern werden und welche Berufe deshalb zukünftig besonders oder immer weniger nachgefragt werden. Weitere, eher vergangenheits- und gegenwartsbezogene Informationen werden von den Arbeitsagenturen geboten. Die amtlichen Nachrichten der Bundesagentur für Arbeit enthalten ebenfalls hilfreiche Informationen. Auch zu der sehr komplexen Problematik der Mobilität von Arbeitskräften gibt es dort vielfältige Untersuchungen. Ferner können Berichte und Erhebungen der Industrie- und Handelskammern sowie der Berufs- und Fachverbände herangezogen werden. Seit etlichen Jahren veröffentlichen europäische Behörden Informationen über die Entwicklungen auf dem europäischen Arbeitsmarkt bzw. innerhalb der EU. Der interne Arbeitsbeschaffungsmarkt gewinnt immer stärker an Bedeutung. Er umfasst alle Mitarbeiter, die zwar ihre aktuelle berufliche Situation verändern, das Unternehmen je- 107 Vgl. Eilers et al. (2016), S. 27. 3.1 Aktueller Informationsbedarf und zeitgemäße Vorgehensweisen · 71 doch nicht verlassen wollen. Das Angebot an Stellen für diese Mitarbeiter und den Ausgleich zwischen Angebot und Nachfrage steuert das Unternehmen selbst. 108 Die interne Arbeitsmarktforschung beschäftigt sich mit nach Mitarbeitergruppen gegliederten Informationen aus dem eigenen Hause. Es werden sowohl absolute als auch relative Größen als Soll- und Istgrößen ermittelt. Von Bedeutung sind Erkenntnisse über Arbeitszufriedenheit, Einstellungen, Entlassungen, Entgeltaspekte, Fehlzeiten, Fluktuationsraten, Krankenstände, Karrierewünsche und -entwicklungen, Entwicklungspotenzial, Altersaufbau etc. Auch arbeitsmedizinische Untersuchungen können eine Rolle spielen. 109 Dabei geht es nicht nur um die Ermittlung dieser Daten, sondern vor allem um ihre Analyse und um Möglichkeiten der positiven Einflussnahme seitens des Unternehmens. 3.1.2 Stellung des Unternehmens auf dem Arbeitsbeschaffungsmarkt Neben dem Wissen um die aktuelle Situation und die Entwicklung auf den Teilarbeitsmärkten sind Informationen zur Stellung des Unternehmens auf diesen Märkten, d.h. zu seinem Image, von Bedeutung. Für gezielte und wirksame Personalbeschaffungsmaßnahmen ist es wichtig, dass das Unternehmen sein Image kennt und ggf. Maßnahmen zur positiven Veränderung ergreift. Das Fremdimage zeigt, wie nicht zum Betrieb gehörige Personen das Unternehmen als Arbeitgeber beurteilen. Das Selbstimage spiegelt die Vorstellungen wider, welche die eigenen Mitarbeiter von ihrem Unternehmen als Arbeitgeber haben. Für das Fremdimage sind vor allem diese Faktoren relevant: 110 Konkurrenzsituation Standort Branche Betriebsgröße vorhandene Anreizsysteme Markenimage Selbstimage Besonders hervorzuheben ist die Konkurrenzsituation. Rekrutierungs- oder Freisetzungsmaßnahmen anderer Unternehmen beeinflussen auch die eigene Situation. Sie haben z.B. Auswirkungen auf Art und Dauer der eigenen Rekrutierungsmaßnahmen, das Entgeltniveau und die Fluktuationsrate oder auf notwendige Personalentwicklungsmaßnahmen. Für viele Arbeitnehmer ist der Standort des Unternehmens ein wichtiges Entscheidungskriterium. Freizeitwert, Wohnmöglichkeiten, Verkehrsanbindungen, Schul- und Kindergartenbetreuung sind relevant bei Stellenwahl und Stellenwechsel. 108 Vgl. Drumm (2005), S. 94 f. 109 Vgl. ebd., S. 105 ff. 110 Vgl. hierzu die ausführlichen Darstellungen von Hentze/ Kammel (2001), S. 251 ff., sowie von Oechsler (2011), S. 204 ff. 72 · 3 Personalbeschaffung Auch die Branche beeinflusst die Stellung des Unternehmens auf dem externen Arbeitsbeschaffungsmarkt. Branchen, die sich in einer wirtschaftlichen Aufschwungphase befinden, werden als attraktiver angesehen, da die Bewerber das Arbeitsplatzrisiko für geringer halten und sich ein höheres Entgeltniveau versprechen. Die Betriebsgröße ist ferner für viele Arbeitnehmer von Bedeutung. Sie favorisieren oft Großbetriebe und erwarten dort attraktivere monetäre und nicht-monetäre Anreize. Dazu gehören auch bessere Entwicklungsmöglichkeiten und größere Arbeitsplatzsicherheit. Das Image, das ein Unternehmen mit seinen Produkten bei den Verbrauchern hat, ist ebenfalls für das Image auf dem Arbeitsbeschaffungsmarkt relevant. Beliebte Arbeitgeber sind vor allem solche Unternehmen, deren Produktmarken hohes Ansehen genießen. Unternehmen, die eher auf dem Billigmarkensektor tätig sind, sind weniger interessante Arbeitgeber, unabhängig davon, was sie ihren Arbeitnehmern tatsächlich bieten. Auch das Selbstimage, d.h. die Stellung des Unternehmens auf dem internen Arbeitsbeschaffungsmarkt, wirkt sich auf die Stellung des Unternehmens auf dem externen Markt aus, da die Mitarbeiter ihre Erfahrungen und Eindrücke an Externe weitergeben. Viele Faktoren, die die Stellung des Unternehmens auf dem externen Arbeitsbeschaffungsmarkt bestimmen, können von ihm nicht unmittelbar beeinflusst werden. Umso wichtiger ist es für das Unternehmen, ein positives Fremdimage zu vermitteln. Motivierte und qualifizierte Mitarbeiter zieht es zu Arbeitgebern, die sie als attraktiv empfinden. 111 Letztlich hängt dieses Ansehen aber nicht immer von realistischen Vorstellungen ab. Das Selbstimage wird in erster Linie durch die Zufriedenheit seiner Mitarbeiter bestimmt. Sie steht in kausalem Zusammenhang mit dem betrieblichen Anreizsystem. Auch Fluktuationsraten und Fehlzeitenraten liefern Anhaltspunkte für die Zufriedenheit, ebenso wie Aufstiegsmöglichkeiten und die durchschnittliche Dauer der Betriebszugehörigkeit. Häufig werden diese Faktoren getrennt nach Mitarbeitergruppen betrachtet. Je größer die Arbeitszufriedenheit, desto besser ist das Selbstimage des Unternehmens. Es wird auch dadurch verbessert, dass positive Aspekte, die das Unternehmen in den Augen der Mitarbeiter von anderen Unternehmen abheben, in besonderem Maße kommuniziert werden. Denn bei der Zufriedenheit der Mitarbeiter und dem Selbstimage geht es nicht in erster Linie um tatsächliche Gegebenheiten, sondern um Empfindungen. Ein wichtiges Instrument zur Festigung bzw. Verbesserung der Stellung des Unternehmens auf dem internen und externen Arbeitsmarkt, ist das Personalmarketing. Es versucht, ein Alleinstellungsmerkmal, eine Unique Applying Proposition, zu vermitteln, durch die sich das Unternehmen als Arbeitgeber auf dem Arbeitsmarkt eindeutig positiv von den Konkurrenten abhebt. 112 Diese Vorgehensweise wird Employer Branding genannt (vgl. dazu ausführlich Kapitel 1.4.3). 111 Vgl. Myritz (2005 b), S. 26. 112 Vgl. Scholz (2008), S. 93; Fisher-Buttinger/ Vallaster (2008), S. 10 f. 3.2 Arten und Wege der Personalbeschaffung · 73 3.1.3 Erwartungen und Ziele der derzeitigen und potenziellen Mitarbeiter Die Unternehmensziele und die Ziele der derzeitigen und potenziellen Mitarbeiter decken sich nicht immer. So wünschen sich Mitarbeiter beispielsweise einen schnellen Aufstieg, ihren Bedürfnissen angepasste Arbeitszeiten oder Arbeitsplatzsicherheit. Unternehmen bevorzugen hingegen eine lange Probezeit, schnelle Kündbarkeit, Aufstiegsmöglichkeiten, die sich am organisatorischen Bedarf orientieren, und kapazitätsorientierte Arbeitszeiten. In konjunkturell schwachen Zeiten oder anderen Situationen, in denen das Arbeitskräfteangebot den Bedarf übersteigt, werden solche Zielkonflikte aufgrund der unausgeglichenen Machtverhältnisse vornehmlich zu Gunsten der Unternehmen entschieden. Allerdings ist es auch in diesen Fällen sinnvoll, die Mitarbeiterbzw. Bewerberinteressen zu berücksichtigen. Personalwirtschaftliches Handeln sollte grundsätzlich nicht nur von den Unternehmenszielen, sondern auch von sozialen Aspekten geleitet werden. Aus betriebswirtschaftlichen Gründen ist eine solche Vorgehensweise schon deshalb angebracht, weil sich auf diese Weise Frustration, Arbeitsunzufriedenheit, Absentismus, Fluktuation sowie innere Kündigungen und damit oft erhebliche zusätzliche Kosten für das Unternehmen vermeiden lassen. 113 3.2 Arten und Wege der Personalbeschaffung 3.2.1 Arten der Personalbeschaffung Man unterscheidet zwischen interner und externer Personalbeschaffung. Bei beiden Arten gibt es eine Vielzahl verschiedener Wege. Für die Auswahl der Beschaffungsarten und -wege sind diese Faktoren bestimmend: Situation auf dem internen bzw. externen Teilarbeitsbeschaffungsmarkt gesuchtes Qualifikationsprofil Umfang des Bedarfs an zusätzlicher Arbeitsleistung Höhe des Beschaffungsbudgets Dringlichkeit des Bedarfs Zeitpunkt, bis zu dem die Unterdeckung beseitigt werden muss Zeitraum der benötigten zusätzlichen Arbeitsleistung Ort der Leistungserstellung Bedeutung der Aufgabe/ Stelle Möglichkeiten, die Maßnahme später rückgängig zu machen Auswirkungen auf das interne und externe Image Auswirkungen auf die Personalstruktur 113 Vgl. Hentze/ Kammel (2001), S. 258 f. 74 · 3 Personalbeschaffung Die Entscheidung hängt letztlich davon ab, wovon man sich im Einzelfall den größten Erfolg verspricht. Häufig werden beide Arten bzw. mehrere Wege gleichzeitig nebeneinander eingesetzt, um einen bestmöglichen Ausgleich des Defizits zu erreichen. In vielen Unternehmen existieren personalpolitische Grundsätze, wonach zunächst die interne Beschaffung zum Zug kommt. Des Weiteren sind das BetrVG und andere gesetzliche Vorschriften zu berücksichtigen. Einen Überblick über die wichtigsten positiven und negativen Aspekte der internen und externen Personalbeschaffung im Vergleich gibt Abb. 3-1. 3.2.2 Wege der internen Personalbeschaffung 3.2.2.1 Vorbemerkung Interne Personalbeschaffung bietet sich vor allem an, wenn umfangreiche Kenntnisse von Unternehmen, Produkten, Strukturen, Technologie und Kunden notwendig sind vorhandenes Know-how der Mitarbeiter gesichert und ausgebaut werden soll hohes Vertrauen in den Stelleninhaber erforderlich ist, wie z.B. bei strategisch wichtigen Führungspositionen andernfalls ein erheblicher zeitlicher und/ oder finanzieller Einarbeitungsaufwand notwendig wäre Das interne Beschaffungspotenzial besteht insbesondere aus Mitarbeitern, die in ihrer aktuellen Stelle nicht ausgelastet sind und über freie Kapazitätsreserven verfügen Mitarbeitern, die ihren derzeitigen Stellenaufgaben nicht oder nicht mehr gewachsen sind Mitarbeitern, die aufgrund eines geänderten Arbeitsanfalls nicht oder nicht mehr in vollem Umfang in ihrer derzeitigen Stelle benötigt werden Mitarbeitern, die bisher in Teilzeit gearbeitet haben und ihre Arbeitszeit aufstocken möchten Mitarbeitern, die Entwicklungspotenzial für andersartige oder anspruchsvollere Aufgabenstellungen aufweisen Mitarbeitern, die an einer anderen Form der Arbeit interessiert sind (z.B. Flexibilisierung der Arbeitszeit oder des Arbeitsortes). 3.2 Arten und Wege der Personalbeschaffung · 75 Wirkungen der Personalbeschaffungsarten Interne Personalbeschaffung Externe Personalbeschaffung (ökonomische) Vorteile geringe Informationskosten geringe Verhandlungskosten geringe Einarbeitungskosten schnelle Bedarfsdeckung geringeres Fehlentscheidungsrisiko Einhaltung des internen Entgeltniveaus Betriebskenntnis größere Auswahlmöglichkeiten geringere Personalentwicklungskosten, da Bewerber die notwendigen Qualifikationen bereits mitbringen direkte Deckung des Bedarfs keine Betriebsblindheit Motivations- und Qualifikationswirkung Motivationswirkung: geringe Frustrationsgefahr aufgrund bekannter Anforderungen freie Stellen für Nachwuchskräfte transparente Personalpolitik Anreiz zur Profilierung, um Aufstiegschancen zu erhalten Qualifikationswirkung: Qualifikation unmittelbar betriebsspezifisch nutzbar Erhaltung und Steigerung interner Qualifikation Mitarbeiterpotenziale bekannt Unabhängigkeit von der Qualifikation Externer Motivationswirkung: höhere Leistungsbereitschaft, da Arbeitsplatzsicherheit geringer ist Verhinderung von Beförderungsautomatismus und Cliquenbildung Aufbrechen bestehender Denk- und Wertemuster schnellere Anerkennung des von außen kommenden Vorgesetzen Qualifikationswirkung: Zufluss von externem Know-how Informationen über Konkurrenzverhalten und Kooperationspartner Nachteile geringere Auswahlmöglichkeiten Rückgang der Leistungsbereitschaft wegen fehlender externer Konkurrenz Gefahr der Qualifikationsveralterung wegen geringem Anreiz zur Weiterbildung Betriebsblindheit kostenintensive Weiterbildung Spannungen und Rivalitäten wegen eines aufgestiegenen Kollegen Sachentscheidungen werden „verkumpelt“, da der neue Vorgesetzte früher ein Kollege war Beförderungsautomatismus indirekte Bedarfsdeckung, da oft neue Vakanzen entstehen Demotivierung wegen mangelnder Aufstiegschancen im eigenen Haus höhere Beschaffungskosten längere Einarbeitungszeit höhere Gehaltsvorstellungen bei externem Stellenwechsel mangelnde Betriebskenntnis höhere Fluktuation und damit Qualifikationsverluste wegen geringerer Aufstiegschancen im eigenen Haus Abb. 3-1: Bewertung der Personalbeschaffungsarten 114 114 Vgl. Klimecki/ Gmür (2005), S. 163; Scholz (2011), S. 176 ff.; Stock-Homburg (2013), S. 142. 76 · 3 Personalbeschaffung Bei der internen Personalbeschaffung unterscheidet man zwei Wege: 115 ohne Personalbewegung mit Personalbewegung Welcher Weg eingeschlagen wird, hängt vor allem von der Dauer der Unterdeckung ab. Ist sie nur kurzfristig, dann bietet sich eine Beschaffung ohne Änderung der bestehenden Arbeitsverhältnisse an. Eine mittelbis langfristige Unterdeckung lässt sich dagegen besser durch eine Änderung mit Personalbewegung beseitigen. Beide Wege gewinnen in der Praxis gegenüber der externen Personalbeschaffung immer mehr an Bedeutung. Zum einen können Unternehmen auf den externen Arbeitsmärkten oft nicht die gesuchte Qualifikation finden, zum anderen trägt man damit den Karrierewünschen der vorhandenen Mitarbeiter Rechnung. Drittens werden erhebliche Kosten und Risiken, die durch die Rekrutierung unternehmensfremder Personen entstehen, vermieden. Zudem sind Reaktionsgeschwindigkeit und Passgenauigkeit oft deutlich größer. Abb. 3-2 gibt einen Überblick über diejenigen internen Beschaffungswege, die in der Praxis oft eingesetzt werden. Wege der internen Personalbeschaffung ohne Personalbewegung mit Personalbewegung Überstunden Mehrarbeit Urlaubsverschiebung Urlaubsstopp Erhöhung bzw. Veränderung der Qualifikation des Mitarbeiters für seine derzeitige Stelle innerbetriebliche Stellenausschreibung Versetzung Stellen-Clearing Übernahme von Auszubildenden Umwandlung von Teilzeitin Vollzeit- Arbeitsverhältnisse Umwandlung von befristeten in unbefristete Arbeitsverhältnisse Personalentwicklung für eine andere Stelle Abb. 3-2: Interne Personalbeschaffung 3.2.2.2 Überstunden und Mehrarbeit Die häufigste Form interner Personalbeschaffung ist der Ausgleich der personellen Unterdeckung durch Mehrarbeit und Überstunden. Während es sich bei Mehrarbeit um eine zeitlich befristete und vorher festgelegte Verlängerung der betriebsüblichen Arbeitszeit handelt, werden Überstunden kurzfristig nach Bedarf angesetzt. Ein Großteil der Mitarbeiter befürwortet diese Maßnahmen in gewissem Umfang, zumal sie oft mit einem erheblichen Zusatzverdienst verbunden sind. Allerdings dürfen mögliche gesundheitliche und soziale Folgen bei häufigen Überstunden nicht außer Acht gelassen wer- 115 Vgl. Jung (2017), S. 136. 3.2 Arten und Wege der Personalbeschaffung · 77 den. Des Weiteren sind die gesetzlichen Arbeitszeitregelungen sowie die Mitbestimmungsrechte des Betriebsbzw. Personalrates zu beachten. 3.2.2.3 Urlaubsverschiebungen und Urlaubsstopp Urlaubsverschiebung bedeutet, dass der Mitarbeiter den bereits genehmigten Urlaub nicht antreten kann, sondern auf einen späteren Zeitraum ausweichen muss. Ursachen können z.B. sehr kurzfristig eingegangene, große Aufträge oder eine Grippewelle sein, weshalb ein Großteil der Mitarbeiter dem Unternehmen nicht zur Verfügung steht. Die Urlaubsverschiebung ist vor allem unter Motivationsaspekten bedenklich. Urlaubsstopp besagt, dass die Mitarbeiter in auftragsstarken Zeiten, z.B. während des Weihnachtsgeschäfts, keinen Urlaub nehmen können. Dies ist vor allem in Unternehmen mit saisonabhängiger Auftragslage üblich. Die Mitbestimmungsrechte des Betriebsbzw. Personalrates und die gesetzlichen Urlaubsbestimmungen sind dabei zu beachten. 3.2.2.4 Erhöhung und Veränderung der Mitarbeiterqualifikation Während die bisher beschriebenen Maßnahmen den quantitativen Aspekt der Personalbeschaffung berücksichtigen, geht es bei der Erhöhung und Veränderung der Mitarbeiterqualifikation um die Beseitigung einer qualitativen Unterdeckung. Der Mitarbeiter wird durch Personalentwicklungsmaßnahmen besser an die Erfordernisse seiner Stelle angepasst, was zur Steigerung der Qualität und/ oder Quantität seiner Arbeitsleistung führen soll. Eine frühzeitige und vorausschauende Abstimmung seiner Qualifikation mit künftigen Stellenaufgaben lässt einen neuen Personalbedarf, der auf mangelnde Eignung zurückzuführen wäre, dann erst gar nicht entstehen (siehe ausführlich zur Personalentwicklung Kapitel 8) bzw. schnell beseitigen. 3.2.2.5 Interne Stellenausschreibung und interne Arbeitsmärkte Voraussetzung für eine interne Personalbeschaffung bei gleichzeitiger Änderung des bestehenden Arbeitsverhältnisses ist in den meisten Fällen eine interne Stellenausschreibung. Die Mitarbeiter werden über Intranet, Aushänge, Betriebszeitung, Rundschreiben, E-Mails oder sonstige interne Verteiler darüber informiert, dass eine Stelle vakant ist. Dabei ist auf eine zielgruppengerechte Medienauswahl zu achten. In der Regel werden die Bewerbungen an die Personalabteilung gesandt und gegenüber den aktuellen Vorgesetzten vertraulich behandelt. Etliche größere Unternehmen und öffentliche Institutionen haben in den letzten Jahren interne Arbeitsmärkte eingerichtet, in denen sie freiwerdende Stellen und versetzungswillige Mitarbeiter zusammenbringen. 116 Diese „Versetzungsabteilungen“ agieren dabei über Intranet-Plattformen mit hauseigenen Jobvermittlern, die die Anforderungsprofile vakanter Stellen über ein Portal mit internen Stellenausschreibungen gezielt mit Qualifikationsprofilen von interessierten Mitarbeitern vergleichen. Sie arbeiten wie Personalberater und bringen die suchenden Fachabteilungsvertreter mit internen geeigneten Bewerbern zusammen. So kann 116 Vgl. Weuster (2012 a), S. 71 f. 78 · 3 Personalbeschaffung man die Qualifikationen dieser Mitarbeiter weiterhin im Unternehmen halten und ihnen interne Perspektiven und Aufstiegsmöglichkeiten bieten. Die Hans-Böckler-Stiftung berichtete bereits 2008 von 51 internen Arbeitsmärkten in Deutschland mit steigender Tendenz, 117 sodass heute von einer häufigen Verbreitung in Großunternehmen ausgegangen werden kann, über deren Umfang es jedoch keine aktuellen Zahlen gibt. Der Betriebsrat kann nach § 93 BetrVG verlangen, dass eine unternehmensinterne Ausschreibung erfolgt. Das Unternehmen ist jedoch nur zur internen Ausschreibung, nicht zur internen Besetzung verpflichtet. Die interne Stellenausschreibung sollte ähnlich einer externen Stellenanzeige zumindest folgende Informationen enthalten: Stellenbezeichnung organisatorische Aspekte, z.B. Abteilung, Arbeitsgruppe, Einsatzort etc. Umfang der Beschäftigung (Teil- oder Vollzeit) Aufgabenbild Beginn und Zeitraum der Vakanz erforderliche Qualifikation Vergütungsaspekte Ansprechpartner Rahmenbedingungen zur Bewerbung, wie Fristen und einzureichende Unterlagen Auch ein Verweis auf die aktuelle Stellenbeschreibung ist hilfreich. Bei internen Stellenausschreibungen müssen die Entscheidungsträger besondere Vertraulichkeit gegenüber dem Bewerber wahren, um negative Auswirkungen auf dessen bestehende Arbeitssituation zu vermeiden. Vorgesetzte, Kollegen und Mitarbeiter zeigen oft keine positiven Reaktionen auf den Wunsch, die Abteilung zu verlassen. Manchmal versuchen Vorgesetzte ihre abwanderungswilligen Mitarbeiter aber auch durch erhöhte Anreize, z.B. eine Entgeltzulage oder spannendere Aufgaben etc. zu halten. Oft sind informale Beziehungen die Ursache, wenn die Vertraulichkeit nicht gewahrt bleibt. 118 Schwierigkeiten können sich außerdem ergeben, wenn der interne Bewerber abgelehnt wird und enttäuscht ist, weil er nicht berücksichtigt wurde und in seiner bisherigen Position weiterhin hochwertige Arbeit leisten soll. 117 Vgl. Ebitsch (2008), S. 66. 118 Vgl. Weuster (2012 a), S. 73. 3.2 Arten und Wege der Personalbeschaffung · 79 3.2.2.6 Versetzung Die Versetzung ist die bedeutsamste Form der internen Personalbeschaffung mit Personalbewegung. Darunter wird die Zuweisung eines anderen Arbeitsbereichs verstanden, die voraussichtlich einen Monat Dauer überschreitet oder mit einer erheblichen Änderung der Umstände verbunden ist, unter denen die Arbeit zu leisten ist. Nimmt der Mitarbeiter nach der Versetzung eine neue Stelle auf der gleichen Hierarchieebene ein, handelt es sich um horizontale Versetzung. Eine vertikale Versetzung kann mit einem Auf- oder Abstieg verbunden sein, je nachdem, ob der Mitarbeiter Entwicklungspotenzial oder qualitative Defizite aufweist. Allerdings sind Abstiege eher selten, da der Mitarbeiter einen Statusverlust erleidet und man negative Auswirkungen auf Leistung und Verhalten befürchten muss. Deshalb geht man bei qualitativen Defiziten zunächst den Weg der Erhöhung und Veränderung der Qualifikation durch Personalentwicklung und passt den Mitarbeiter auf diesem Wege den Erfordernissen seiner derzeitigen oder einer gleichwertigen Stelle an. Durch Versetzungen werden Stellen frei, die dann wiederum neu besetzt werden müssen, sofern in dieser Abteilung keine Überdeckung bestand. Verschiebt sich der Bedarf von Stelle zu Stelle, kommt es zu so genannten Kettenversetzungen, bis der Bedarf nicht mehr intern gedeckt werden kann und die Lücke durch eine Beschaffung vom externen Arbeitsmarkt geschlossen wird. Versetzungen erfolgen durch Weisung des Arbeitgebers oder durch Änderungskündigung. Erstere setzt voraus, dass der Arbeitsvertrag dies zulässt. Die neue Stelle muss mit dem Berufsbild des Mitarbeiters vereinbar sein und innerhalb der bisherigen Tätigkeitsumschreibung liegen. Eine räumliche Versetzung ist dann zulässig, wenn der Ort der Leistungserstellung im Arbeitsvertrag nicht auf den gegenwärtigen Ort beschränkt ist. Mit einer solchen Versetzung darf keine negative Veränderung des Entgelts einhergehen. Treffen diese Voraussetzungen nicht zu, kann eine Änderungskündigung erfolgen, bei der der Arbeitgeber einseitig den Arbeitsvertrag kündigt und gleichzeitig einen neuen Arbeitsvertrag mit geänderten Bedingungen anbietet. Der Betriebsrat muss in beiden Fällen angehört werden. 3.2.2.7 Stellen-Clearing Das Stellen-Clearing ist ein Vorschlagssystem zur Stellenbesetzung. 119 Es handelt sich um eine systematische, geplante Form von Versetzungen. Zwischen den Führungskräften und der Personalabteilung findet diesbezüglich ein regelmäßiger Informationsaustausch über freie Stellen statt. Es geht nicht nur um aktuelle oder kurzfristige Vakanzen, sondern auch um langfristige Bedarfsverschiebungen und bereits bekannte längerfristig freiwerdende Stellen, etwa aufgrund von Pensionierungen. Dabei wird über innerbetriebliche Möglichkeiten der Bedarfsdeckung beraten. Sind geeignete Mitarbeiter gefunden, nimmt der Vorgesetzte oder die Personalabteilung mit ihnen Kontakt auf. 119 Vgl. Jung (2017), S. 139; Berthel/ Becker (2017), S. 332. 80 · 3 Personalbeschaffung Kurzfristig ist das Stellen-Clearing mit Versetzungen, mittelbis langfristig auch mit Personalentwicklung verbunden. Der Vorteil liegt vor allem darin, dass die Versetzungen systematisch geplant und vorbereitet werden können und deshalb mit einer größeren Übereinstimmung von Anforderungs- und Qualifikationsprofil verbunden sind. Aus Sicht der Mitarbeiter ist diese Vorgehensweise allerdings wenig transparent. Zudem muss mit Abteilungsegoismus gerechnet werden. Sei es, dass ein Abteilungsleiter einen geschätzten Mitarbeiter absichtlich nicht berücksichtigt, weil durch seine Versetzung eine schwer schließbare Lücke entstehen würde, oder dass ein eher unbeliebter oder ungeeigneter Mitarbeiter in andere Abteilungen weggelobt werden soll. 3.2.2.8 Übernahme von Azubis und Umwandlung von Arbeitsverhältnissen Weitere Wege bei der internen Personalbeschaffung sind die Übernahme von Auszubildenden nach Abschluss ihrer Ausbildung, die Umwandlung von Teilzeitarbeitsverträgen in Vollzeitverträge sowie die Änderung von befristeten Arbeitsverträgen in unbefristete Verträge. Sie haben alle den Vorteil, dass der Mitarbeiter mit seiner Qualifikation und seiner Leistungsorientierung dem Unternehmen bereits bekannt ist, womit sich das Risiko einer Fehlentscheidung verringert. Einer Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) steigt die Anzahl der befristeten Arbeitsverhältnisse aktuell nach einer längeren Phase der Stagnation wieder an. Dem IAB zufolge belief der Anteil von Mitarbeitern mit befristeten Arbeitsverträgen sich im Jahr 2017 auf 8,3 Prozent der Beschäftigten. Bei Neueinstellungen waren 43,5 Prozent der Arbeitsverträge befristet. Jedoch steigt die Tendenz zur Übernahme nach einer Befristung in den letzten Jahren deutlich an. 120 Besonders häufig sind Befristungen im öffentlichen Dienst und im Erziehungsbereich zu finden. Hier liegen die Quoten zwischen 60 und 76 Prozent mit ca. einem Drittel Übernahmen. 121 80 Prozent der Akademiker an Hochschulen haben befristete Verträge. 122 Die Kurzfristigkeit von Projekt- und Haushaltsmitteln öffentlicher Träger wird als Ursache angeführt. Sehr wenige Zeitverträge gibt es im Baugewerbe sowie bei Banken und Versicherungen. 123 3.2.2.9 Personalentwicklung Bei der Personalentwicklung für andere Stellen geht es um die qualitative Ebene der internen Personalbeschaffung mit Änderung des bestehenden Arbeitsverhältnisses. Es wird eine qualitative Unterdeckung beseitigt und gleichzeitig eine Personalbewegung vorgenommen. Die Personalentwicklung schafft die Voraussetzung, dass der Mitarbeiter den qualitativen Anforderungen einer neuen Stelle gerecht wird. Sie kann sich sowohl auf Mitarbeiter beziehen, die aktuell versetzt worden sind bzw. kurzfristig versetzt werden und die neuen Aufgaben noch nicht vollständig beherrschen wie auch auf solche Mitarbeiter, die entwicklungsfähig 120 Vgl. Hohendanner (2018), S. 1 ff. 121 Vgl. IAB (2013). 122 Vgl. Institut der deutschen Wirtschaft (2014). 123 Vgl. Hohendanner (2018), S. 1 ff. 3.2 Arten und Wege der Personalbeschaffung · 81 sind, ohne dass kurzfristig eine Versetzung auf eine konkrete andere Stelle vorgesehen wäre. Mithilfe von Nachfolge- und Karriereplanungen werden solche Mitarbeiter frühzeitig auf anspruchsvollere Aufgaben vorbereitet. Das Unternehmen betreibt dann i.d.R. ein systematisches Talent Management und schafft sich beizeiten einen qualifizierten Nachwuchspool, auf den es im Bedarfsfall zurückgreifen kann. Zur Personalentwicklung gehören des Weiteren alle Umschulungsmaßnahmen für Mitarbeiter, deren bisherige Qualifikation in der aktuellen Form nicht mehr benötigt wird. Letztlich gehört auch die Ausbildung der Auszubildenden dazu. Die Personalentwicklung wird ausführlich im Kapitel 8 betrachtet. 3.2.3 Wege der externen Personalbeschaffung 3.2.3.1 Vorbemerkung Die externe Personalbeschaffung wird immer dann eingesetzt, wenn eine Unterdeckung nicht intern beseitigt werden kann oder soll, sei es weil z.B. intern keine zusätzliche Arbeitsleistung zur Verfügung gestellt werden kann kein geeigneter Mitarbeiter vorhanden ist die notwendigen Bildungsmaßnahmen zu umfangreich wären die dadurch an anderer Stelle entstehende Vakanz nur schwer gedeckt werden könnte Man unterscheidet zwei Wege der externen Personalbeschaffung: eher passive Personalbeschaffung eher aktive Personalbeschaffung Ob das Unternehmen sich für einen aktiven oder passiven Weg entscheidet, hängt von diesen Faktoren ab: Situation auf dem Teilarbeitsbeschaffungsmarkt Dringlichkeit des Personalbedarfs benötigte Qualifikation Bedeutung der Stelle Höhe des Beschaffungsbudgets Umfang des Bedarfs Bei den passiven Wegen der Personalbeschaffung entwickelt das Unternehmen wenig Eigeninitiative bei der Kontaktaufnahme mit potenziellen Mitarbeitern. Diese Vorgehensweisen bieten sich vor allem dann an, wenn der Personalbedarf gering ist, die zusätzliche Arbeitsleistung nicht dringend benötigt wird und ein großes externes oder internes Arbeitsbeschaffungspotenzial vorhanden ist. Bei dringendem oder bei einem größerem Personalbedarf, bei ungewöhnlichen Anforderungen und bei angespannter Arbeitsmarktlage sollte das Unternehmen hingegen aktive Wege wählen. 82 · 3 Personalbeschaffung Neben der aktuellen Bedarfsdeckung bietet die externe Personalbeschaffung den Vorteil, dass Unternehmen auf dem externen Arbeitsbeschaffungsmarkt bei möglichen Mitarbeitern bekannt zu machen. Damit dient sie zusätzlich auch der langfristigen Erschließung externer Mitarbeiterpotenziale und kann als Maßnahme des externen Personalmarketings gesehen werden. 124 Sie richtet sich sowohl an Arbeitskräfte, die im Arbeitsprozess stehen, als auch an solche, die nicht, noch nicht oder nicht mehr beschäftigt sind, wie z.B. Schüler, Studierende, Arbeitssuchende und Rentner bzw. Pensionäre. Eine erfolgreiche externe Personalbeschaffung setzt ein positives Fremd- und Selbstimage, gute Kenntnisse des externen Arbeitsbeschaffungsmarktes sowie den Aufbau und die Pflege von Kontakten voraus. Die Abb. 3-3 gibt einen Überblick über die wichtigsten passiven und aktiven externen Beschaffungsmaßnahmen. Wege der externen Personalbeschaffung eher passive Vorgehensweisen eher aktive Vorgehensweisen Arbeitsagenturen private Arbeitsvermittler Initiativbewerbung Auswertung von Stellenanzeigen Bewerberdateien externe Werk- und Dienstverträge Interim Manager Arbeitnehmerüberlassung Stellenanzeigen E-Recruiting College Recruiting Öffentlichkeitsarbeit Empfehlung durch Betriebsangehörige Personalberater Direktansprache neue Vorgehensweisen Abb. 3-3: Externe Personalbeschaffung Bereits 2013 zeigte sich, dass in Großunternehmen acht von zehn Stellen über Ausschreibungen auf der Unternehmens-Homepage, in Jobportalen oder in Printmedien besetzt werden. 125 Die anderen Vorgehensweisen spielten gegenüber diesen drei Wegen eine untergeordnete Rolle. Der HR-Report 2017 von Hays stellt fest, dass Printmedien uninteressanter geworden sind, Jobportale und die eigenen Unternehmenskanäle bleiben die beliebtesten Rekrutierungswege. Social Media Plattformen holen weiter auf, sind aber immer noch abgeschlagen, wobei sie in 124 Vgl. Berthel/ Becker (2010), S. 306. 125 Vgl. o.V. (2013 b). 3.2 Arten und Wege der Personalbeschaffung · 83 Österreich und der Schweiz noch weniger genutzt werden als in Deutschland. Die Unterstützung durch Personalberater nimmt ebenfalls zu. Auf diese greifen Schweizer und österreichische Unternehmen häufiger zurück als die deutschen Betriebe. Auch die Rekrutierung von neuen Mitarbeitern mit Hilfe der eigenen Mitarbeiter nimmt zu. Nach wie vor wird vor allem im eigenen Land, im deutschsprachigen Ausland und in Westeuropa rekrutiert. Hier macht Österreich eine Ausnahme, für dort ansässige Unternehmen ist zunehmend der osteuropäische Arbeitsmarkt interessant. 126 Zu ähnlichen Ergebnissen kommt das Centre of Human Resources Information Systems (CHRIS) der Universität Bamberg in Zusammenarbeit mit der German Graduate School of Management and Law, Heilbronn und der Monster Worldwide Deutschland GmbH. Es hat in seinen Studien zu Recruiting Trends 2017 festgestellt, dass Internet-Stellenbörsen die Recruitingkanäle sind, die am häufigsten genutzt werden. Es folgen Unternehmenswebseiten. Relativ abgeschlagen sind Arbeitsagenturen, Karrierenetzwerke (wie Xing und LinkedIn) und andere soziale Netzwerke (z.B. Facebook und Twitter). Beim Mittelstand sind auch Printmedien und Mitarbeiterempfehlungen verbreitete Beschaffungswege. 127 3.2.3.2 Arbeitsagenturen Zu den wesentlichen Aufgaben der Bundesagentur für Arbeit (BA) mit der Zentrale in Nürnberg, die zehn Regionaldirektionen unterhält, gehört die Arbeitsvermittlung. Auf diese Weise sollen Arbeitsuchende mit Unternehmen zusammengeführt werden, um ein Arbeitsverhältnis zu begründen. Regional sind 156 Agenturen für Arbeit (AA) mit insgesamt ca. 600 Geschäftsstellen zuständig, die sich vorrangig um Mitarbeiter für ausführende Tätigkeiten kümmern. Hinzu kommen ca. 300 Jobcenter, die als gemeinsame Einrichtung von den Agenturen für Arbeit vor Ort mit kreisfreien Städten bzw. Landkreisen gebildet wurden. Die ZAV (Zentrale Auslands- und Fachvermittlung) in Bonn mit achtzehn Agenturen und Abteilungen in verschiedenen deutschen Städten ist insbesondere für die Vermittlung von Führungskräften, qualifizierten Fachkräften und Bewerbern mit Hochschulausbildung zuständig. Diese Arbeitnehmergruppen haben in der Regel keinen regional abgegrenzten Arbeitsmarkt. Hier ist auch die Vermittlung von Arbeitnehmern ins Ausland und aus dem Ausland angesiedelt. Die europaweite Suche nach geeigneten Kandidaten wird durch das EURES-Netzwerk (European Employment Service) erleichtert, bei dem es sich um eine Kooperation europäischer Arbeitsberater handelt. 128 Obwohl die Vermittlungsangebote für Unternehmen kostenlos erfolgen, ist die Nachfrage eher gering. Dies liegt zum Teil daran, dass es nicht immer gelingt, qualifizierte Bewerber tätigkeitsspezifisch zu vermitteln. Allerdings hängt die Qualität der Vermittlung auch von den Anforderungsprofilen ab, welche die Unternehmen den Arbeitsagenturen zur Verfügung stel- 126 Vgl. Eilers et al. (2017), S. 26 f. 127 Vgl. Weitzel et al. (2017 a), S. 8 f.; dies. (2017 b) S. 12 f. 128 Vgl. Scholz (2014), S. 529. 84 · 3 Personalbeschaffung len. 129 Zudem gehen viele Unternehmen davon aus, dass Fach- und Führungskräfte sowie Hochschulabsolventen in der Lage sein müssen, Eigeninitiative zu ergreifen und sich selbständig um eine Stelle zu bemühen. Die Arbeitsagenturen spielen bei der Personalbeschaffung nur eine untergeordnete, eher zusätzliche Rolle. Als hauptsächliche Gründe werden von Unternehmensseite oft die umständliche Bürokratie und die Unprofessionalität der staatlichen Stellen angeführt. Auch die mangelnde Berücksichtigung der Anforderungsprofile und damit die ungenügende bzw. unpassende Qualifikation der Arbeitsuchenden aufgrund falscher Vorauswahl werden in der Praxis oft kritisiert. Arbeitsagenturen sind insbesondere für arbeitslose Menschen ein Weg der Suche nach einer neuen Stelle. In der Praxis nutzen aber ebenso wie Beschäftigte zur Stellensuche vor allem Inserate im Internet, in Printmedien und informale Beziehungen. Qualifizierte Arbeitnehmer versprechen sich damit eine viel höhere Erfolgswahrscheinlichkeit, bald eine passende Stelle zu finden. 130 3.2.3.3 Private Arbeitsvermittler Neben den öffentlichen Institutionen sind seit 1994 auch private Arbeitsvermittler zugelassen. Um tätig werden zu können, benötigen sie eine Erlaubnis der Bundesagentur für Arbeit. Sie sind häufig auf bestimmte Qualifikationen oder Berufsgruppen spezialisiert. Die Arbeitsuchenden wenden sich an die passenden Vermittler, die ihrerseits versuchen, für ihre Kunden einen Arbeitgeber zu finden. Ein Entgelt fällt nur bei erfolgreicher Vermittlung an. Bis auf wenige Ausnahmen wie Künstler, Models und Berufssportler wird das Honorar der Arbeitsvermittler vom künftigen Arbeitgeber bezahlt. Private Arbeitsvermittler sind in Deutschland sowohl seitens der Arbeitnehmer als auch der Arbeitgeber wenig akzeptiert. Es entspricht hier nicht der Denkweise arbeitssuchender Personen, sich zur Arbeitssuche an private Institutionen zu wenden, schon gar nicht, wenn sie dort evtl. selbst Geld für die Vermittlung zahlen müssten. In Ländern, in denen die soziale Absicherung geringer ist als in Deutschland, nutzen Arbeitssuchende diesen Weg der Stellensuche durchaus häufig. Lediglich im Zusammenhang mit der Vermittlung im Anschluss an ein Personal-Leasing sind private Arbeitsvermittler hierzulande noch von größerer Bedeutung. Die Leasingunternehmen treten dann zusätzlich als Arbeitsvermittler auf, wenn ihr Leasing-Arbeitnehmer einen Anschlussvertrag im entleihenden Unternehmen bekommen soll. Sie erhalten dabei zunächst eine Arbeitnehmer-Überlassungsvergütung während des Leasingzeitraums und anschließend erheben sie eine Vermittlungsgebühr, damit der Entleiher den Arbeitnehmer bei sich einstellen darf. 129 Vgl. Glasl (2005), S. 15; Horsch (2000), S. 49 f. 130 Vgl. Weuster (2012 a), S. 76. 3.2 Arten und Wege der Personalbeschaffung · 85 3.2.3.4 Initiativbewerbungen Bei Initiativ- oder Blindbewerbungen nimmt der Bewerber unaufgefordert mit dem Unternehmen Kontakt auf, indem er seine Unterlagen per Internet oder selten auch in Papierform zusendet. Die meisten Unternehmen stehen dieser Bewerbungsform positiv gegenüber. 131 Je besser das Personalmarketing und das Image des Unternehmens sind, desto mehr Initiativbewerbungen gehen ein. Bei handwerklichen Tätigkeiten und Stellen im Einzelhandel ist auch die persönliche Vorsprache teilweise noch üblich. Initiativbewerbungen per Internet über die Unternehmenshomepage werden in Großunternehmen bevorzugt. Dazu stellt man i.d.R. Bewerbungsformulare ein, die der Bewerber ausfüllen muss. Die Erstbearbeitung ist normalerweise automatisiert und die Bewerbungen werden meistens nach bestimmten Schlagworten vorgefiltert. Viele Unternehmen akzeptieren aufgrund von „Bewerbungsfluten“ keine andere Vorgehensweise der Initiativbewerbung mehr. Die Siemens AG verfährt beispielsweise so, da sie jährlich ca. 220.000 solcher Bewerbungen erhält. 132 In letzter Zeit ist hier ein Trend auszumachen, der als Personal Branding bezeichnet wird. Dabei präsentieren sich Bewerber keck und ungewöhnlich z.B. per Video, auf Plakatwänden oder sogar auf Schokoladenverpackungen. So machen sie Unternehmen auf kreative Weise auf sich aufmerksam. 133 3.2.3.5 Auswertung von Stellengesuchen Manche Unternehmen werten Stellengesuche aus, die von Arbeitsuchenden in den Printmedien, also in einschlägigen Tages- und Wochenzeitungen bzw. Fachzeitschriften aufgegeben werden. Man nimmt anschließend mit geeignet erscheinenden Personen Kontakt auf. Diese Vorgehensweise verspricht bei solchen Berufen Erfolg, bei denen eine große Nachfrage besteht, oder aber bei solchen Stellen, bei denen es sehr schwierig ist, qualifizierte Mitarbeiter zu finden. Die Ausbeute ist heutzutage eher gering, da Stellensuchende immer seltener eigene Anzeigen in Printmedien aufgeben. Sie präferieren soziale Netzwerke wie Xing, LinkedIn etc., um auf ihre Expertise aufmerksam zu machen. Auch hier suchen Unternehmen mittlerweile gezielt nach geeigneten Mitarbeitern. Manche Unternehmen erwarten bereits grundsätzlich von Bewerbern ein aussagekräftiges Profil in diesen Netzwerken. 134 131 Vgl. Weuster (2012 a), S. 78. 132 Vgl. ebd., S. 75. 133 Vgl. Kinzelmann (2013), S. C 2. 134 Vgl. Bernhard (2018), S. 64. 86 · 3 Personalbeschaffung 3.2.3.6 Bewerberdatei Eine Bewerberdatei gehört ebenfalls zu den eher passiven Wegen der externen Personalbeschaffung. Die Daten von qualifizierten Bewerbern, die bei einer früheren Stellenvergabe nicht berücksichtigt werden konnten, werden systematisch aufbereitet und in einer Bewerberdatei gespeichert. Bei einem erneuten Bedarf kann das Unternehmen sofort auf geeignete Kandidaten zurückzugreifen und mit ihnen in Kontakt zu treten. Diese zeit- und kostensparende Vorgehensweise setzt voraus, dass die Informationen noch aktuell sind, die Bewerber an der neuen Stelle Interesse haben und sich im Vorfeld mit der Speicherung ihrer Daten einverstanden erklärt hatten. 3.2.3.7 Externe Werk- und Dienstverträge und Interim Management Bei einer aktiven Vorgehensweise der Personalbeschaffung muss das Unternehmen zunächst festlegen, ob ein neuer Arbeitsvertrag abgeschlossen werden soll, oder ob der zusätzliche Bedarf an Arbeitsleistung anderweitig ausgeglichen werden kann. Entscheidet sich das Unternehmen gegen den Abschluss neuer Arbeitsverträge, besteht die Möglichkeit, Freelancer mittels eines Werk- oder Dienstvertrags zu verpflichten. Freelancer bringen Fachkompetenz ein, die im eigenen Unternehmen nicht bzw. nicht in genügendem Umfang vorhanden ist, häufig haben sie sich auch auf fachliche Nischen spezialisiert und bringen problemorientiertes Wissen mit. Sie verfügen i.d.R. über ein hohes Maß an Sozialkompetenz und sind in der Lage sich schnell in ein neues Arbeitsfeld zu integrieren, da sie es gewohnt sind, mit häufig wechselnden Auftraggebern und deren unterschiedlichen Bedürfnissen klarzukommen. 135 Beim Werkvertrag erbringt ein beauftragtes Unternehmen erfolgsbezogene Arbeitsleistungen mit seinen eigenen Mitarbeitern. Ein Dienstvertrag verpflichtet zu selbständigen Arbeitsleistungen, die weisungsfrei in einem vertraglich festgelegten Rahmen erbracht werden, ohne dass ein bestimmter Erfolg geschuldet wird. 136 Beispiele für einen Werkvertrag sind die Reinigung der Verwaltungsgebäude oder das Implementieren einer speziellen Software in der Vertriebsabteilung. Hierbei wird ein vorgegebenes Ergebnis geschuldet. Beispiele für einen Dienstvertrag sind die Beratungstätigkeit eines Anwalts oder eines Unternehmensberaters. Es wird eine sorgfältige und gewissenhafte Vorgehensweise erwartet, das Ergebnis kann nicht immer vorausgesehen werden. Auch das Interim Management hat in den letzten Jahren stark an Bedeutung gewonnen. In diesem Fall werden selbständige Manager eingesetzt, die zeitlich befristet Führungsaufgaben in einem Unternehmen übernehmen. Interim Manager sind also Führungskräfte auf Zeit. Dabei ist vor allem eine breite, branchenübergreifende Erfahrung gefragt, z.B. bei der Implementierung neuer Produktionssys- 135 Vgl. Süß/ Becker (2011), S. 22 f. 136 Vgl. Hentze/ Kammel (2001), S. 263. 3.2 Arten und Wege der Personalbeschaffung · 87 teme, der Entwicklung neuer Technologien, der Einführung neuer Produkte, bei Umstrukturierungen oder bei der Verlagerung von Betriebsstätten. Zur Erfüllung solcher Aufgaben holen sich die Unternehmen gezielt externe, erfahrene Führungskräfte ins Haus. Sie übernehmen Aufgaben, für die zwar Fachwissen und Erfahrung unerlässlich sind, aber unternehmensinternes Wissen nicht bzw. in geringem Maße erforderlich ist, sowie Aufgaben, für die das notwendige Know-how nicht im Unternehmen vorhanden ist oder umfangreiche Aufgaben, die jedoch nur einmalig anfallen. Im Gegensatz zu Unternehmensberatern sind Interim Manager in der Regel mit Entscheidungs- und Weisungsbefugnis in die Linienfunktionen eingebunden. Der Schwerpunkt liegt nicht wie bei den Beratern auf der Problemanalyse, sondern auf der Umsetzung der notwendigen Maßnahmen zur Problemlösung. 137 Interim Manager werden auch herangezogen, um vakante Führungspositionen kurzfristig zu überbrücken. Da es sich um zeitlich befristete Führungsaufgaben für besondere Situationen handelt, ist eine Festanstellung von Seiten des Unternehmens nicht vorgesehen und auch von Seiten der Interim Manager i.d.R. nicht gewünscht. 138 Die Dachgesellschaft Deutscher Interim Manager e.V. (DDIM) und die Bundesvereinigung Restrukturierung, Sanierung und Interim Management (BRSI) sind die beiden bekanntesten Organisationen, in denen sich in Deutschland tätige Interim Manager zusammengeschlossen haben. Um eine hohe Qualität ihrer Mitglieder zu gewährleisten, stellen diese Organisationen große Anforderungen bzgl. der Expertise und Erfahrung ihrer Mitglieder. 3.2.3.8 Arbeitnehmerüberlassung Neben dem Personal-Leasing, das im Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG) seine rechtlichen Regelungen hat, gehört auch der Personaltausch im Unternehmensverbund zum Bereich der Arbeitnehmerüberlassung. 33.2.3.8.1 Persona l-Lea sing Unternehmen können ihren Personalbedarf mit Personal-Leasing decken, indem sie selbst keine neuen Mitarbeiter einstellen, sondern von einem Personal-Leasing-Anbieter (Verleiher, Zeitarbeitsunternehmen) dessen Arbeitnehmer ausleihen. Allein in Deutschland gibt es ca. 11.500 Zeitarbeitsunternehmen. 139 Große Unternehmen arbeiten oft mit Master-Vendor-Modellen. Sie haben einen „Hauptlieferanten“ von Leiharbeitnehmern als zentralen Ansprechpartner für alle ihre Personal- Leasing-Aufträge. Er deckt den Personalbedarf des Unternehmens entweder aus den eigenen Reihen oder beauftragt seinerseits andere Leasingunternehmen. Da er mit den speziellen Anforderungen des Entleihers vertraut ist, gelingt es ihm besser die passenden Leiharbeitnehmer zu finden. Zudem bietet er aufgrund des Auftragsvolumens meist günstigere Konditionen als andere Verleiher an. 140 137 Vgl. Kabst/ Thost/ Isidor (2009), S. 21; Alexander/ Thost (2011), S. 28. 138 Vgl. Kallwitz (2013), S. C 1; Schmale (2015), S. C 2. 139 Vgl. Statista (2018 a). 140 Vgl. Schrader/ Nitschke (2013), S. 46; Schrader/ Nitschke (2013), S. 6 f. 88 · 3 Personalbeschaffung Die Kosten für Personal-Leasing sind in der Regel zwar höher als bei eigenen Einstellungen, anderseits erhöht sich dadurch die Flexibilität des Unternehmens, zumal der Verleiher das Arbeitgeberrisiko trägt. Unternehmen geben als Gründe, warum sie Leasing-Arbeitnehmer beschäftigen, besonders die gute konjunkturelle Entwicklung, die höhere Flexibilität und die bessere Verfügbarkeit von Fachkräften an. Es spielt außerdem eine Rolle, dass die Akzeptanz von Leiharbeit in den letzten Jahren zugenommen hat. 141 Die Zeitarbeitsbranche erwartet ein weiteres Wachstum für die nächsten Jahre. 142 Das Personal-Leasing ermöglicht die Überbrückung von Leistungsspitzen und die Vertretung von eigenen Stamm-Mitarbeitern bei Krankheit, Urlaub, Weiterbildung etc., ohne dass neue Arbeitsverträge abgeschlossen werden müssen. Wenn der geleaste Arbeitnehmer den Stellenanforderungen nicht gerecht wird, dann muss der Verleiher zeitnah für einen qualifizierteren Ersatz sorgen. In 2017 betrug der Anteil der Leasing-Arbeitnehmer lediglich ca. 3 Prozent aller Beschäftigten in Deutschland. 143 Hier unterscheiden sich Tatsachen und „gefühlte Zahlen“ in der Realität erheblich. Ca. 14 Prozent der Zeitarbeitnehmer werden vom Entleiher übernommen. 76 Prozent wäre ohne den vorherigen Einsatz als Zeitarbeitnehmer keine Festanstellung angeboten worden. 144 Während früher eher Arbeitskräfte mit einfacher Qualifikation geleast wurden, handelt es sich heute zunehmend um qualifizierte Kräfte. Etwa neun Prozent haben einen akademischen Abschluss. 145 Personal-Leasing ist - auch aufgrund der neuen gesetzlichen Regelungen eine eher auf Kurzfristigkeit angelegte Form der Personalbeschaffung. Sie kann aus betriebswirtschaftlicher Sicht als Dreiecksverhältnis zwischen Verleiher, Entleiher und Leasing-Arbeitnehmer (Zeitarbeitnehmer) dargestellt werden (Abb. 3-4). Zwischen Verleiher und Leasing-Arbeitnehmer wird ein Arbeitsvertrag geschlossen. Der Verleiher übernimmt sämtliche Arbeitgeberpflichten und -risiken. Der Arbeitnehmer erhält z.B. sein Entgelt vom Verleiher und hat ihm gegenüber Urlaubsanspruch sowie Anspruch auf Lohnfortzahlung im Krankheitsfall. 141 Vgl. PWC (2017), S. 8. 142 Vgl. ebd., S. 9. 143 Vgl. Statista (2018 b). 144 Vgl. IW Consult GmbH in Zusammenarbeit mit dem Institut der deutschen Wirtschaft Köln (2011), S. 18 ff. 145 Vgl. Statista (2018 c). 3.2 Arten und Wege der Personalbeschaffung · 89 Überlassung des Leasing-Arbeitnehmers Zahlung der Überlassungsvergütung Leasing-Arbeitnehmer Verleiher Entleiher Direktionsrecht Arbeitsentgelt Arbeitsvertrag Weisungsrecht Arbeitsleistung Abb. 3-4: Leistungsbeziehungen beim Personal-Leasing Der Arbeitsvertrag hat die Besonderheit, dass der Leasing-Arbeitnehmer nicht seinem Arbeitgeber gegenüber, sondern denjenigen Unternehmen zur Leistungserbringung verpflichtet ist, an die er ausgeliehen wird. Er muss auch dann, wenn er nicht bei einem Entleiher beschäftigt ist, vom Verleiher entlohnt werden, da dieser das unternehmerische Risiko grundsätzlich alleine tragen muss. Zwischen dem Leasing-Arbeitnehmer und dem Entleiher wird kein Vertrag geschlossen. Verleiher und Entleiher schließen einen Arbeitnehmerüberlassungsvertrag. Die Vertragspartner vereinbaren Zahl, Zeitraum und Qualifikation der benötigten Leasing-Arbeitnehmer. Der Verleiher stellt die entsprechenden Arbeitnehmer zur Verfügung und überträgt dem Entleiher das Weisungsrecht des Arbeitgebers. Der Entleiher zahlt an den Verleiher eine Vergütung für die Überlassung der Arbeitnehmer. Für Leiharbeit gibt es einen gesetzlichen Branchenmindestlohn, der höher ist als der allgemeine gesetzliche Mindestlohn. Die allgemeinverbindliche Lohnuntergrenze für Leiharbeitnehmer auf der Grundlage des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes beträgt im Westen ab dem 01.04.2019 9,79 € sowie in den neuen Bundesländern und Berlin ab 01.01.2019 9,49 €. Dieser Mindestlohn für Leiharbeiter erhöht sich bis Ende 2019 schrittweise auf 9,96 Euro bzw. 9,66 Euro. Er gilt auch für Arbeitnehmer, die aus dem Ausland nach Deutschland entsandt werden und für Verleiher aus dem Ausland, die in Deutschland Leasing-Arbeitnehmer überlassen. Damit will der Gesetzgeber verhindern, dass Dumping-Löhne gezahlt werden. In der Praxis wird die Lohnuntergrenze für Leiharbeit entgegen anderer Vermutungen tatsächlich oft überschritten. Tarifvertragliche und individuelle arbeitsvertragliche Regelungen sehen zum Teil deutlich höhere Löhne für Leasing-Arbeitnehmer vor. Dies gilt i.d.R. jedoch nicht für die gewerbliche Zeitarbeit. Auch gibt es in vielen Bereichen, etwa in der Metall- und Elektro-Industrie sowie der Chemischen Industrie Branchenzuschläge. Sie sollen dazu führen, dass Zeitarbeit für Spezialisten und Experten eine attraktive Alternative zur Festanstellung sein kann. 90 · 3 Personalbeschaffung Seit 2017 muss die Vergütung von Leasing-Arbeitnehmern ab einer bestimmten Verweildauer beim Entleiher (derzeit i.d.R. 9 Monate) dem Entgelt der dortigen Arbeitnehmer gleichgestellt werden. Tarifvertragliche Regelungen können diesen Anspruch auf maximal 15 Monate hinausschieben. Außerdem ist eine maximale Verweildauer von 18 Monaten beim selben Arbeitgeber im Arbeitnehmerüberlassungsgesetz vorgegeben. Danach darf der Arbeitnehmer mindestens 3 Monate nicht beim Entleiher tätig werden. Von dieser Vorgabe kann unter bestimmten Voraussetzungen tarifvertraglich abgewichen werden. Damit verteuert sich Personal-Leasing vor allem für diejenigen Entleiher, die das Instrument nicht vornehmlich zur (kurzfristigen) Flexibilisierung sondern zur Kostenreduktion nutzen, da bisher die Vergütung von (gewerblichen) Leasing-Arbeitnehmern i.d.R. sehr deutlich unter der Vergütung der eigenen gewerblichen Mitarbeiter lag. Durch solche Einschränkungen sollen Unternehmen dazu gedrängt werden, mehr eigene Einstellungen vorzunehmen, bzw. Leiharbeitskräfte zu übernehmen und deren Anzahl zu verringern. In der Praxis wird der Erhöhung der Vergütung teilweise dadurch entgegengewirkt, dass die Verweildauern der Leiharbeitskräfte reduziert werden. Bevor ein Zuschlag fällig wäre, wird der Betreffende von diesem Entleiher abgezogen und anderweitig eingesetzt. Ein neuer Leasing-Arbeitnehmer übernimmt seine dortigen Aufgaben und die Frist beginnt bei ihm von vorne zu laufen. Je höherwertig die Aufgaben allerdings sind, desto problematischer ist diese Vorgehensweise, da nicht immer ein passender qualitativer Austausch möglich ist und ggf. jeweils wieder Einarbeitungszeiten und -kosten anfallen. Die Bedeutung des Personal-Leasings hat in den letzten Jahren sehr stark zugenommen. Bei schlechter konjunktureller Lage sind Leasing-Arbeitnehmer allerdings diejenigen, die als erste von Freisetzungsmaßnahmen betroffen sind. Unternehmen halten ihre Stammbelegschaft so lange wie möglich und reduzieren zunächst Arbeitnehmerüberlassungsverträge. 146 Etliche Untersuchungen des Instituts der Deutschen Wirtschaft Köln bestätigen, dass der Einsatz von Leiharbeitnehmern die Stammbelegschaft eines Unternehmens nicht gefährdet. 147 Besonders verbreitet ist Personal-Leasing bei Metall- und Elektroberufen, im Montagebereich, aber auch bei Pflegekräften und bei (einfacheren) Verwaltungs- und Büroaufgaben. Eine Studie in deutschen Unternehmen unterschiedlicher Größen ergab: „Unternehmen, die Zeitarbeit einsetzen, wiesen 2010 ein deutlich höheres Umsatzwachstum auf als Unternehmen ohne Zeitarbeiter. Unternehmen mit Zeitarbeit gehören zur Avantgarde der deutschen Wirtschaft, weil sie Niederlassungen im Ausland besitzen, innovativer sind und mehr Ressourcen in Forschung und Entwicklung investieren. Damit leisten diese Unternehmen einen wertvollen Beitrag zur Wettbewerbsfähigkeit des Standortes Deutschland.“ 148 146 Vgl. Kloepfer (2008), S. 38; o.V. (2008 a), S. 37. 147 Vgl. IWD (2015) vom 05.11.2015, Anlage zur Pressemitteilung Nr. 45/ 2015. 148 Vgl. ebd., S. 21. 3.2 Arten und Wege der Personalbeschaffung · 91 33.2.3.8.2 Persona lta usch im Unternehm ensverbund Ein weiterer Trend der Arbeitnehmerüberlassung ist der Personaltausch im Unternehmensverbund, der insbesondere von Mittelständlern praktiziert wird. Sie begegnen Schwankungen beim Auftragseingang, indem sie mit anderen mittleren Unternehmen zusammenarbeiten und Mitarbeiter austauschen. 149 Im Handwerk ist diese Vorgehensweise auf regionaler Ebene bereits seit langem üblich. So hat sich vor einigen Jahren die Kooperationsinitiative Maschinenbau (KI) im Raum Braunschweig zusammengefunden. Sie besteht aus mittelständischen Betrieben aus dem Maschinen- und Anlagenbau. Dabei geht es in erster Linie um den Austausch von Mitarbeitern unter den Mitgliedsunternehmen. Auf diese Weise behält das verleihende Unternehmen seine Mitarbeiter und deren Know-how auch bei schlechter Auftragslage, während der Entleiher auf zusätzliche Fachkräfte aus einem ihm bekannten, branchennahen Betrieb zurückgreifen und kurzfristig Beschäftigungsspitzen abbauen kann. Die Anlernzeiten sind dadurch äußerst gering. 150 Auch in Nord-Rhein-Westfalen gibt es größere Kooperationen von Mittelständlern zum Personaltausch im Unternehmensverbund. Sehr gute Erfahrungen mit dem Personaltausch haben über dreißig Unternehmen mit ca. 13.000 Mitarbeitern im Großraum Aachen gemacht. Sie haben sich auf Initiative der Unternehmerverbände im Aachener Industriegebiet e.V. (VUV) zum VUV-Personalpool zusammengeschlossen. Sie verwenden zum Personaltausch eine eigens entwickelte IT-Plattform und klären Detailfragen in einem gemeinsamen Arbeitskreis. 151 Diese Vorgehensweise ist deutlich kostengünstiger als die übliche Arbeitnehmerüberlassung, da das ausleihende Unternehmen damit keine Gewinnerzielungsabsicht verbindet. Stattdessen stellt es nur die tatsächlichen Personalkosten incl. Nebenkosten in Rechnung. Die Entlohnung der beteiligten Arbeitnehmer erfolgt weiter zu den bestehenden Konditionen über ihren eigenen Arbeitgeber. Auch die Mitarbeiter profitieren von einem derartigen Verbund. Sie haben keinen Verdienstausfall oder müssen keine Überstunden abbauen, sondern arbeiten trotz des Beschäftigungsrückgangs in ihrem Unternehmen an qualifizierten Aufgaben in einem anderen Unternehmen. Da sie dabei auch mit neuen Aufgaben betraut werden und Vorgehensweisen anderer Betriebe kennenlernen, kommt zusätzlich zur Arbeitsplatzsicherheit noch ein Personalentwicklungseffekt hinzu. 152 Evtl. ergeben sich auch bessere Chancen auf einen Arbeitgeberwechsel, denn beide Beteiligten kennen sich bereits und können sich einschätzen, womit die Entscheidung fundierter ausfällt. 149 Vgl. Myritz (2005 a), S. 62 f. 150 Vgl. ebd., S. 62. 151 Vgl. ebd., S. 63. 152 Vgl. ebd., S. 62. 92 · 3 Personalbeschaffung 3.2.3.9 Stellenanzeigen Stellenanzeigen sind Ausschreibungen (Inserate) in Printmedien, wie Tages- und Wochenzeitungen sowie Zeitschriften und Fachzeitschriften, bzw. im Internet. Die Besonderheiten der Stellenanzeigen im Internet werden im Kapitel 3.2.3.10 unter dem Stichwort E-Recruiting ausführlich betrachtet. Insgesamt nimmt die Bedeutung der Stellenanzeigen in Printmedien stetig ab und ist in den letzten Jahren kontinuierlich gesunken. Lediglich im Öffentlichen Dienst ist es noch üblich, Stellenausschreibungen grundsätzlich in der Printpresse zu veröffentlichen. 153 Nur ca. 16 Prozent der freien Stellen werden in Deutschland über die Ausschreibung in Printmedien besetzt. 154 Im Mittelstand ist die Anzahl bisher noch höher und liegt bei ca. 30 Prozent. 155 Bei der Besetzung von hochrangigen Stellen und hochwertigen Spezialisten greifen Unternehmen jedoch noch immer und auch wieder verstärkt auf Printmedien zurück. Sie sprechen damit Personen an, die zwar nicht auf Jobsuche sind, aber bestimmte Printmedien, wie z.B. die FAZ oder die Süddeutsche sowie Fachzeitschriften regelmäßig lesen und einem Stellenwechsel nicht grundsätzlich abgeneigt sind (latent Suchende). Das Unternehmen macht zusätzlich in der Öffentlichkeit auf sich aufmerksam, da die Anzeigen nicht nur von potenziellen Bewerbern gelesen werden, sondern auch von Geschäftspartnern, Kunden, Kreditgebern etc. Die Personalsuche weist auf ein solides und wirtschaftlich gesundes Unternehmen hin. Teilweise werden die Informationen beim Durchblättern gar nicht bewusst aufgenommen, doch auch unbewusste Wahrnehmungen sind werbewirksam und imagebildend. Stellenanzeigen in Printmedien dienen damit zusätzlich in großem Maße dem Employer Branding. Bei der Erstellung eines Inserats - gleichgültig, ob es im Internet oder in einem Printmedium veröffentlicht wird - muss auf diese Faktoren geachtet werden: 156 Anzeigenträger Anzeigenart Anzeigentermin Anzeigengestaltung Die Wahl des Anzeigenträgers richtet sich nach der Qualifikation der gesuchten Mitarbeiter. Die Kosten für eine Anzeige sind je nach Medium sehr unterschiedlich und betragen zwischen wenigen Euro und mehreren tausend Euro je Anzeige. Ein Anzeigenträger ist umso geeigneter, je geringer der Streuverlust ist, d.h. je mehr Leser den in der Stellenanzeige genannten Anforderungen an die offene Position entsprechen. Ein Streuverlust von 95 Prozent bedeutet, dass nur fünf von hundert Lesern den Anforderungen in etwa entsprechen. Ein solcher Anzeigenträger wäre schlecht gewählt. 153 Vgl. Eilers et al. (2017), S. 26. 154 Vgl. ebd. 155 Vgl. Weitzel et al. (2015 a), S. 8; Weitzel et al. (2015 b), S. 8. 156 Vgl. Jung (2017), S. 146 f. 3.2 Arten und Wege der Personalbeschaffung · 93 Fachzeitschriften werden bei der Suche nach Mitarbeitern mit Spezialkenntnissen bevorzugt. Hier erreicht man ohne großen Streuverlust viele qualifizierte Personen. Für Einsteigerpositionen, z.B. für Hochschulabsolventen, bieten sich einschlägige Hochschulmagazine sowie Zeitschriften an, die von Studierenden (auch online) gelesen werden. Regionale Tageszeitungen eigenen sich vor allem für die Suche nach Mitarbeitern, die auf unteren Hierarchieebenen eingesetzt werden sollen. Gegen überregionale Zeitungen spricht in diesem Fall, dass sie von diesem Adressatenkreis seltener gelesen werden und er zudem meist nicht sehr mobil ist. Überregionale Tages- und Wochenzeitungen bieten sich dann an, wenn Mitarbeiter für mittlere und obere Hierarchieebenen gesucht werden, bei denen Mobilität vorausgesetzt wird, und wenn die Zielgruppe, die von den regionalen Zeitungen angesprochen wird, zu klein ist. Oft wird ein Inserat in mehreren Medien geschaltet, um die Erfolgsquote zu erhöhen. Dabei sollte jedoch bedacht werden, dass mit der Zahl der Bewerber nicht unbedingt die Zahl der geeigneten Kandidaten steigt. Eine sorgfältige Medienauswahl und realistische Aussagen über die Stellenanforderungen führen zu weniger Bewerbern. Dafür entsprechen diejenigen Personen, die sich daraufhin bewerben, eher dem Anforderungsprofil. Bei der Anzeigenart unterscheidet man zwischen offenen Stellenanzeigen, Chiffre-Anzeigen und Anzeigen durch Personalberater. 157 Offene Anzeigen enthalten den Namen und die Anschrift des suchenden Unternehmens. Sie zeigen dem Bewerber, bei wem er sich bewirbt, und ermöglichen ihm eine gezielte Vorgehensweise. Sie sind zudem ein Instrument des Personalmarketings und machen auch interessierten Lesern, die (derzeit) nicht auf Stellensuche sind, das Unternehmen bekannt. Da der Personalbedarf öffentlich gemacht wird, weisen sie auf eine positive Unternehmensentwicklung hin. Es kann verschiedene Gründe für eine Chiffre-Anzeige geben, bei der der Name des Unternehmens nicht genannt wird. Das Unternehmen vermeidet so Konflikte mit dem derzeitigen Stelleninhaber, falls die zu besetzende Stelle noch nicht vakant ist. Außerdem erfährt die Konkurrenz vorerst nichts von geplanten Umstrukturierungen, Investitionsvorhaben, Kapazitätserweiterungen oder einer misslungenen Besetzungspolitik. Schließlich werden Bewerber mit Beziehungen zu Unternehmensmitgliedern, beispielsweise Verwandte und Bekannte von Führungskräften, nicht zur Bewerbung animiert, womit Ungleichbehandlungen vermieden werden. Chiffre-Anzeigen haben jedoch viele Nachteile. So neigen qualifizierte Bewerber dazu, nicht auf solche Anzeigen zu reagieren, da die Informationen über das Unternehmen und die Stelle unzureichend sind, man sich nicht im Internet informieren kann und kein Ansprechpartner für Rückfragen genannt wird. Zudem ist unklar, was mit den eingereichten Informationen geschieht. Der Bewerber gibt seine Absicht preis, sein bisheriges Unternehmen zu verlassen, und offenbart seinen gesamten beruflichen Werdegang. Er weiß aber nicht, ob und 157 Vgl. Scholz (2011), S. 192. 94 · 3 Personalbeschaffung inwieweit er auf Diskretion der anderen Seite hoffen kann. Diese Unsicherheit wird noch durch die Tatsache verstärkt, dass das inserierende Unternehmen bewusst auf eine positive Selbstdarstellung verzichtet. Es handelt sich nicht um eine Beziehung auf Augenhöhe, sodass von einer solchen Vorgehensweise abgeraten werden muss. Sollte ein Unternehmen Anonymität wünschen, können die Nachteile einer Chiffre-Anzeige durch die Einschaltung einer Personalberatung umgangen werden, welche die Anzeige unter eigenem Namen aufgibt. Darüber hinaus bürgt eine renommierte Personalberatung für eine seriöse Behandlung der Bewerbung. 158 Ein weiterer Vorteil liegt in der professionellen Medienauswahl und ggf. Anzeigengestaltung durch die Personalberatung, was sich wiederum auf die Qualität der Bewerbungen auswirkt. Dass der Anzeigenschaltung i.d.R. eine sorgfältige Stellenanalyse seitens der Personalberatung vorausgeht, wirkt sich zusätzlich positiv aus. Zu den Vorteilen gehört auch, dass der Bewerber auf eine qualifizierte Kontaktperson trifft, bei der er erste Informationen einholen kann. Er fühlt sich geachtet und wertgeschätzt. Auch bei der Vorauswahl bieten Personalberater professionelle Hilfe, wofür dann allerdings zusätzliche Kosten anfallen. Der Zeitpunkt der Anzeigenschaltung ist bei täglich erscheinenden Medien relevant. Am besten eignen sich die Samstagausgaben, da die Leser dann größere Muße haben und Stellenanzeigen traditionell an diesen Tagen erwartet werden. Das ist auch ein Grund, weshalb Leser, die sonst keine bzw. nicht diese Zeitung beziehen, die Wochenendausgaben lesen. Bei manchen Regionalzeitungen wird auch die Mittwochausgabe für Stellenanzeigen im gewerblichen Bereich genutzt. Während Unternehmen mittwochs wegen des kleineren Anzeigenteils mit mehr Aufmerksamkeit rechnen können, sprechen sie samstags auch die latent Suchenden an. In der Ferien- und Urlaubszeit sowie vor und nach Feiertagen erreicht man tendenziell weniger Leser, deshalb sollten diese Zeiten möglichst gemieden werden. Der Anzeigentermin hängt auch von dem Datum ab, zu dem eine Stelle besetzt werden soll. So sind nicht nur die Kündigungsfristen der potenziellen Bewerber, sondern auch die Dauer des Bewerbungsverfahrens und der Vertragsverhandlungen zu berücksichtigen. Ein weiteres wichtiges Kriterium ist die Anzeigengestaltung. Damit ungeeignete Bewerber nicht angesprochen werden, sind eindeutige Aussagen über die vakante Stelle und ihre Anforderungen notwendig. Auch eine fachspezifische Sprache im Anzeigentext senkt die Zahl unpassender Bewerber. Je klarer die Vorstellungen des Unternehmens formuliert sind, desto wahrscheinlicher ist es, dass der Anteil an geeigneten Kandidaten hoch ist. Es sei nochmals darauf hingewiesen, dass es nicht auf die Gesamtzahl der Bewerbungen, sondern auf die Eignung der Bewerber für die zu besetzende Position ankommt. Unter 500 und mehr Bewerbern die wenigen geeigneten herauszufiltern, bedeutet erheblichen zusätzlichen Arbeitsaufwand. Deshalb ist es wichtig, dass man möglichst nur geeignete Bewerber anspricht, auch wenn heutzutage die Anzahl der Bewerber schon allein aufgrund des demographischen Wandels abnimmt. Stellenausschreibungen müssen nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz diskriminierungsfrei erfolgen, d.h. ethnische Herkunft, Rasse, Weltanschauung, Religion, Ge- 158 Vgl. Bröckermann (2012), S. 60 f.; Diemer (2008), S. 45. 3.2 Arten und Wege der Personalbeschaffung · 95 schlecht, sexuelle Identität, Behinderung und Alter dürfen keine Beachtung in den Inhalten der Stellenausschreibung finden (vgl. § 11 AGG). Gewisse Ausnahmen gelten für die Tendenzbetriebe, etwa kirchliche Organisationen, Parteien, künstlerische Einrichtungen oder Gewerkschaften, sowie für ganz bestimmte berufliche Anforderungen. Dann sind Differenzierungen nach den o.g. Kriterien unter bestimmten Bedingungen doch möglich. In jeder Stellenanzeige sollten bestimmte Informationen für den Bewerber enthalten sein. Ein Grundschema für den inhaltlichen Aufbau ergibt sich aus Abb. 3-5. Stellenanzeige Grundschema Wir sind Aussagen über das Unternehmen z.B. Firmenname, Firmenlogo, Standort, Größe, Mitarbeiterzahl, Branche, Produktionsprogramm, Führungsstil, Verweis auf die Homepage für weitere Informationen Wir haben Aussagen über die ausgeschriebene Stelle z.B. Ausschreibungsgrund, Aufgaben der Stelle, Verantwortung und Kompetenzen, hierarchische Einordnung, Entwicklungschancen Wir suchen Aussagen über die Anforderungen z.B. Berufsbezeichnung, Ausbildung, zusätzliche Qualifikation, Berufserfahrung, persönliche Eigenschaften Wir bieten Aussagen über die Leistungen z.B. Entgeltaspekte, Urlaub, Freizeitwert, besondere Sozialleistungen, Gleitzeit, Hilfe bei der Wohnungssuche Wir bitten um Angaben zum Bewerbungsverfahren z.B. Eintrittstermin, Gehaltsvorstellungen, gewünschte Unterlagen, persönliche Vorstellung, Firmenanschrift, E-Mail- und Homepage- Adresse für Bewerbung, Ansprechpartner und Telefonnummer für Rückfragen Abb. 3-5: Grundschema des Aufbaus einer Stellenanzeige 159 Für die optische Gestaltung der Anzeige gibt es kein Patentrezept. Sie hängt vor allem davon ab, welche Personen man ansprechen möchte, da deren subjektives Empfinden über den 159 Vgl. Stopp (2006), S. 61 f.; Jung (2017), S. 147. 96 · 3 Personalbeschaffung Erfolg der Stellenanzeige entscheidet. Dazu ist es notwendig, sich in den betreffenden Personenkreis hineinzuversetzen. Außerdem ist darauf zu achten, dass die Gestaltung der Anzeige dem Unternehmensimage entspricht. Werbeagenturen sollten also eher kreative Anzeigen aufgeben, während bei Banken oder bei Wirtschaftsprüfungsgesellschaften eine stärkere Seriosität zum Ausdruck kommen muss. Die Beachtung der Corporate Identity sorgt dafür, dass bei der Platzierung des Unternehmensnamens, des Logos, der Verwendung von Schrifttypen, -größen und -farben etc. ein einheitliches Erscheinungsbild gewahrt wird. Man denke etwa an den angebissenen Apfel, den man sofort mit dem IT-Hersteller Apple assoziiert. Bei Printmedien ist neben der inhaltlichen und optischen Gestaltung die Platzierung der Anzeige von Bedeutung. Stellensuchende, die sich auf jeden Fall beruflich verändern wollen, sehen meist den gesamten Anzeigenteil durch. Latent Suchende, die bislang nicht konkret über berufliche Veränderungen nachgedacht haben, einem Stellenwechsel jedoch nicht grundsätzlich abgeneigt sind, sehen den Anzeigenteil meist nur sporadisch und oberflächlich durch. Ist ein Inserat auf den ersten Seiten des Stellenanzeigenteils sowie auf einer rechten Seite oben platziert ist, fällt es in der Regel eher ins Auge, wodurch mehr Interessenten angesprochen werden. Auch andere Leser werden eher auf diese Anzeigen aufmerksam, was wiederum unter Personalmarketing-Aspekten positiv zu werten ist. Die Anzeigengröße ist in Printmedien ebenfalls von Belang. So steigt in der Regel die Zahl der Bewerber mit zunehmender Größe. Außerdem verdrängen große Anzeigen konkurrierende Anzeigen auf derselben Seite aus dem Blickfeld. Dies gilt auch für farbige Inserate. Die Größe der Anzeige sollte nach der Bedeutung der ausgeschriebenen Stelle gewählt werden. Handelt es sich um Positionen auf höheren Hierarchieebenen, führen kleine Anzeigen häufig dazu, dass die Tätigkeit als unbedeutend angesehen wird und sich deshalb nur wenige Interessenten finden. Bei einfacheren, operativen Tätigkeiten wirken große Anzeigen hingegen oft abschreckend, da sie mit hohen Arbeitsanforderungen und großer Verantwortung in Verbindung gebracht werden. Die Kosten für Stellenanzeigen variieren stark. In überregionalen Tageszeitungen kostet ein Inserat oft mehr als 20.000 €. Bei Jobbörsen ist man schon unter 1.000 € dabei. Bekannte Unternehmen mit positivem Arbeitgeber-Image erhalten mehr qualifizierte Bewerbungen als andere, das gilt auch für Unternehmen mit positivem Produktmarken-Image. Dabei kann das jeweilige Image bei den verschiedenen Bewerberzielgruppen durchaus unterschiedlich sein. 3.2.3.10 E-Recruiting Als E-Recruiting bezeichnet man sowohl die Beschaffung über Internet-Jobbörsen als auch die Rekrutierung über die eigene Unternehmenswebsite. Untersuchungen des Centre of Human Resources Information Systems (CHRIS) der Universitäten Bamberg und Frankfurt am Main in Zusammenarbeit mit der Monster Worldwide Deutschland GmbH zeigen heute eine sehr starke Verbreitung bei allen Unternehmensgrößen. Sowohl bei großen als auch bei kleineren Unternehmen geht der Trend ganz eindeutig weg von Veröffentlichungen in Zeitungen und Zeitschriften. Allerdings setzt der Mittelstand 3.2 Arten und Wege der Personalbeschaffung · 97 noch immer etwas stärker als Großunternehmen auf die Printmedien, was vor allem auf Unterschiede in den anzusprechenden Zielgruppen zurückgeführt wird. 160 Die Entwicklung geht hin zur Cross-Medialität, d.h. zu einer Verknüpfung von mehreren Medien. Dies trifft besonders bei der Suche nach Führungskräften zu. Mittlerweile bieten Zeitungen und Fachzeitschriften selbstverständlich eine Veröffentlichung der Stellenanzeigen auch im Internet an. Viele Unternehmen platzieren ihre Inserate aufgrund der geringen Kosten gleichzeitig in mehreren Jobbörsen. Partnernetzwerke ermöglichen es den Unternehmen, mit einer Anzeige mehrfach präsent zu sein. Für Bewerber aller Altersstufen sind die Internet-Stellenbörsen zur bedeutendsten Informationsquelle bei der Stellensuche geworden, gefolgt von Unternehmenswebseiten und Suchmaschinen-Recherchen. 161 Auf Jobbörsen-Anzeigen können Interessenten weltweit zugreifen. Die Anzeigen sind für die Unternehmen kostenpflichtig, allerdings beträgt der Preis nur einen geringen Bruchteil der Kosten einer Stellenanzeige in hochwertigen Printmedien. Die Texte sind in der Regel inhaltlich und optisch wie in den Printmedien gestaltet. In letzter Zeit zeichnet sich ein deutlicher Trend zum Einsatz interaktiver Stellenanzeigen ab. Durch Anklicken bestimmter Bereiche erhält der Interessierte weitere Informationen (z.T. in Form von Videos) über das Unternehmen, seine Produkte und die ausgeschriebene Stelle, ohne dass das Inserat selbst überfrachtet wird. 162 Die Vorgehensweise spricht besonders die jüngeren Interessenten an, die sich auf diesem Wege gleich die für sie notwendigen Infos beschaffen. Die Nutzung der Datenbanken ist für Bewerber kostenlos. Sie können die Angebote gezielt nach bestimmten Merkmalen, z.B. Branche, Berufsbild, Berufserfahrung, Region, durchsuchen. Die Bewerbung erfolgt über E-Mail-Kontakt oder mithilfe von Formularen, die man aufruft, ausfüllt und online an das Unternehmen schickt. Bei Eignung werden vom Bewerber weitere Unterlagen angefordert. Die Anzahl der Jobbörsen hat in den letzten Jahren stark zugenommen und ist entsprechend unübersichtlich geworden. Man findet internationale, regionale, branchenbezogene, hierarchieorientierte und berufsbezogene Anbieter. Allein in Deutschland gibt es über 2000 Jobbörsen. Die Auswahl fällt sowohl Unternehmen als auch Stellensuchenden schwer, allerdings haben sich - wie bei Printmedien - im Laufe der Zeit bestimmte Anbieter herauskristallisiert, die besonders häufig frequentiert werden. Die meisten Jobbörsen bieten weitere Dienste wie Bewerberdatenbanken, Praktikanten- und Absolventenbörsen sowie Börsen für Masterbzw. Bachelorarbeiten an. Auch generelle Informationen zur Lage auf dem Stellenmarkt sind abrufbar. Das Angebot erstreckt sich bis zur Online-Personalberatung. Beim Matching werden Bewerberdaten und Stellenangebote abgeglichen und dem Bewerber passende Angebote per E-Mail zugesandt. Unternehmen haben nicht nur die Möglichkeit, ihre Anzeigen zu platzieren, bei den meisten Jobbörsen lassen sich auch Bewerberprofile mittels einer Datenbankrecherche abrufen. Sollte 160 Vgl. Weitzel et al. (2015 a), S. 8; dies. (2015 b), S. 8. 161 Vgl. Careerbuilder (2017); Weitzel et al. (2007), S. 4. 162 Vgl. Furkel (2012), S. 56 f. 98 · 3 Personalbeschaffung das Unternehmen Interesse an einem Bewerber haben, dann kann es dies per E-Mail bekunden. Der Bewerber bleibt für das Unternehmen zunächst anonym, womit die Entscheidung allein bei ihm liegt, ob er sich für das Angebot interessiert und mit dem Unternehmen Kontakt aufnehmen möchte oder nicht. Zum E-Recruiting zählen auch die Websites des Unternehmens, auf denen vakante Stellen angeboten werden. Die Studien „Recruiting Trends 2015“ und „Recruiting Trends 2015 Mittelstand“ zeigten, dass ein großer Teil der Einstellungen nicht nur in Großunternehmen, sondern auch im Mittelstand auf Ausschreibungen auf der Homepage zurückgeführt wird. 163 Der Bewerber wird mittels eines Links auf der Homepage auf freie Stellen hingewiesen. Die Bewerbung wird über das Internet direkt an das Unternehmen geschickt. Auch hier zeichnet sich ein Trend zum Einsatz interaktiver Stellenanzeigen ab. Durch Anklicken bestimmter Bereiche erhält der Interessierte weitere Informationen (z.T. in Form von Videos) über das Unternehmen, seine Produkte und die ausgeschriebene Stelle, ohne dass das Inserat selbst überfrachtet wird. 164 Es ist darauf zu achten, dass diese Websites regelmäßig aktualisiert werden müssen und keine veralteten Stellenanzeigen enthalten dürfen, was leider immer wieder zu beobachten ist. Auch muss der potenzielle Bewerber gezielt die Homepage des Unternehmens bzw. spezielle „Karriere“-Websites ansteuern, um auf freie Stellen aufmerksam zu werden. Oft erfolgt zunächst eine Aufforderung, einen Online-Personalfragebogen auszufüllen. Dieser erleichtert den systematischen Abgleich von Anforderungs- und Qualifikationsprofil und fördert die Selbstselektion ungeeigneter Interessenten, von denen manche schon beim Ausfüllen die Lust zur Bewerbung verlieren. Bei Interesse wendet sich das Unternehmen dann an den Bewerber. Häufig existieren Verknüpfungen zwischen Jobbörsen und Homepages, was die Bewerbung auf diesem Wege erleichtert. Zu den Vorzügen des E-Recruiting gegenüber Anzeigen in Printmedien gehören die deutlich längere Verfügbarkeit, die erheblich niedrigeren Kosten, die kurzfristig mögliche Aktualisierung und die schnellen Kontaktaufnahmemöglichkeiten. Auch ein Image-Gewinn als moderner und fortschrittlicher Arbeitgeber wird als Vorteil gesehen. Sofern E-Recruiting die aktive Suche der potenziellen Bewerber voraussetzt, entfallen jedoch latent suchende Personen als Adressaten. Generell eignen sich Jobbörsen nicht für alle Berufe in gleichem Maße, da bestimmte Personengruppen dem Internet aufgeschlossener gegenüberstehen als andere. Das Unternehmen trifft mit dem E-Recruiting also bereits eine Vorauswahl der potenziellen Bewerber. Es werden eher jüngere, gut ausgebildete und mobile Arbeitnehmer, die Eigeninitiative entwickeln, angesprochen. Viele Unternehmen stellen jedoch bei Internet-Bewerbungen eine geringere Sorgfalt und Aussagekraft als bei früheren Bewerbungen fest. Eine sorgfältige Analyse, welche Börse die größte Zahl geeigneter Bewerber gebracht hat, sollte sich an den Beschaffungsprozess anschließen. 163 Vgl. Weitzel et al. (2015 a), S. 9; dies. (2015 b), S. 9. 164 Vgl. Furkel (2012), S. 56 f. 3.2 Arten und Wege der Personalbeschaffung · 99 Eine recht neue Möglichkeit zur Personalbeschaffung per Internet sind Bewerber-Chats, bei denen potenzielle Bewerber und Personalverantwortliche miteinander kommunizieren. News- Groups sind eine Art Schwarzes Brett im Internet. Darüber hinaus werden auch Online-Spiele eingesetzt, um die Qualifikationsprofile der Teilnehmer zu ermitteln. Des Weiteren findet man virtuelle Center und andere virtuelle Verfahren, 165 deren Qualität allerdings oft zweifelhaft ist. Insbesondere jüngere Bewerber finden Vorgehensweisen sehr ansprechend, welche Links, Videos, Facebook, Twitter, YouTube etc. einbauen. Eine Befragung des Jobportals Stepstone ergab, dass sich viele Bewerber vor allem im Vorfeld einer Bewerbung detailliertere Informationen über Vergütung, Karrieremöglichkeiten und Entwicklungsbereiche wünschen. Sie schätzen aber auch den Unterhaltungswert dieser Stellenanzeigen. 166 Zunehmend bieten Unternehmen die Möglichkeit, sich über Apps auf Smartphones und Tablet-PCs Informationen über freie Stellen und allgemein über die Unternehmen zu besorgen oder sich von ihnen über Stellenangebote benachrichtigen zu lassen. Auch die Verwendung von QR-Codes wird in diesem Zusammenhang modern. 167 Man spricht hier von mobilem Recruiting. Besonders Großunternehmen in der IT-Branche sehen in diesen Vorgehensweisen neue Möglichkeiten der Rekrutierung technikaffiner Personen. 168 Der höhere Informationsgehalt und die vor allem bei jungen Menschen sehr positive Employer Branding Wirkung solcher neuen Vorgehensweisen sind mit umfangreichen Vorarbeiten und hohen Anfangskosten verbunden. 169 Abb. 3-6 fasst die wichtigsten Vor- und Nachteile des E-Recruiting zusammen. E-Recruiting Vorteile Nachteile leichte Verfügbarkeit für Bewerber schnelle Aktualisierung niedrige Kosten schnelle Kontaktaufnahme überregionale Aufmerksamkeit systematische Suchmöglichkeiten für Bewerber Automatisierbarkeit der Bewerberdaten oft Spaßfaktor bei den möglichen Kandidaten größere Anzahl an (ungeeigneten) Bewerbern durch Einfachheit des Bewerbungsvorgangs kaum Ansprache von latent suchenden Personen Begrenzung auf internetversierte Bewerber kaum Möglichkeiten der bewussten regionalen Eingrenzung oft qualitativ schlechtere Bewerbungen oft eher unpersönliche Vorgehensweisen Abb. 3-6: Vor- und Nachteile des E-Recruiting 165 Vgl. ausführlich zum Thema Online-Spiele für Bewerbungen Beck (2002), S. 212 ff.; vgl. auch Bröckermann (2012), S. 52 ff.; Scholz (2000), S. 462 ff. 166 Vgl. Bast/ Brockmeier (2012), S. 180. 167 Vgl. Astheiner (2013), S. C 1. 168 Vgl. Weitzel et al. (2017 c), S. 4 ff. 169 Vgl. Furkel (2012), S. 57. 100 · 3 Personalbeschaffung 3.2.3.11 Campus Recruiting Unter Campus Recruiting versteht man die intensive Werbung an Hochschulen und zunehmend auch an Schulen. Es handelt sich um einen Teilbereich des Personalmarketings, bei dem sich das Employer Branding (vgl. Kapitel 1.4.3) bereits auf Studierende und Schüler bezieht. Man spricht auch von College Recruiting. Potenzielle Bewerber sollen bereits in jungen Jahren auf das Unternehmen aufmerksam werden und es positiv als möglichen späteren Arbeitgeber wahrnehmen. Groth spricht in diesem Zusammenhang von „Talentspähern auf dem Campus“. 170 Dazu ist es notwendig, zunächst die Gruppe der Anzusprechenden festzulegen. Studierende aus den Bereichen Ingenieurwesen, Betriebswirtschaftslehre, Rechtswissenschaften oder Psychologie haben ganz unterschiedliche Wünsche und Vorstellungen über ihre beruflichen Werdegänge. 171 Sie benötigen deshalb auch unterschiedliche Maßnahmen, mit denen Unternehmen auf sich aufmerksam macht. Das Gleiche gilt für Schüler, die man für Ausbildungsberufe oder auch für duale Studiengänge interessieren möchte. Unternehmen, denen es an Nachwuchs mangelt, machen in den Abschlussklassen oder sogar bereits früher auf sich aufmerksam, z.B. durch Vorträge, Unterstützung bei Schulprojekten, Vergabe von Schülerpraktika oder Sponsoring von Unterrichtsmaterialien. 172 Die eigenständige Betrachtung der Bewerbergruppen ermöglicht es, deren Besonderheiten Rechnung zu tragen und sie ganz gezielt für das Unternehmen und für bestimmte Stellen zu interessieren. Jede Zielgruppe bedarf deshalb eines speziellen Instrumenten-Mix, d.h. auch es muss ein auf sie abgestimmtes Campus Recruiting-Konzept erstellt werden. Um möglichst großen Erfolg zu erzielen, sollten die einzelnen Maßnahmen systematisch und zielgerichtet aufeinander abgestimmt und insbesondere kontinuierlich eingesetzt werden. Eine anschließende Kontrolle bzgl. der Wirksamkeit der Vorgehensweisen darf nicht unterbleiben, nur so kann man sicher sein, dass man tatsächlich die richtigen Zielgruppen angesprochen bzw. die passenden Instrumente ausgewählt hat. Es ist eine Aufgabe des Personalcontrollings, die Effektivität der Campus Recruiting- Konzepte zu ermitteln. Dazu werden beispielsweise Befragungen zur Steigerung des Bekanntheitsgrades bei Studierenden und Schülern, Veränderungen der Positionen in Arbeitgeber-Rankings in der einschlägigen Presse, die Zahl der eingegangenen Bewerbungen und insbesondere von Initiativbewerbungen herangezogen. 173 Auch die Auswertungen von Anfragen nach Praktika und Bachelor- oder Masterarbeiten gehören dazu. Die wichtigsten Instrumente des Campus Recruiting zeigt Abb. 3-7. 170 Vgl. Groth (2016), S. C 3. 171 Vgl. Laux (2016), S. 52. 172 Vgl. Lobenstein (2013), S. 97. 173 Vgl. Jansen (2008), S. 183 ff. 3.2 Arten und Wege der Personalbeschaffung · 101 Campus Recruiting Bedeutende Instrumente Bereitstellung von Praktikumsplätzen und Plätzen für Werkstudenten Unterstützung bei Hausarbeiten Vergabe von Themen für Bachelor-Arbeiten und Master-Arbeiten Vergabe von Stipendien und Förderpreisen Vergabe und Förderung von Forschungsprojekten Unterstützung bei Dissertationsvorhaben Fachvorträge an Hochschulen und Schulen Übernahme von Lehrveranstaltungen Teilnahme an Hochschulmessen Teilnahme an Girls/ Boys days Hochschultage im Betrieb Anzeigen in Hochschulzeitschriften Betriebsbesichtigungen und Exkursionen Förderung von Studenteninitiativen Mitarbeit in Hochschulgremien Unternehmensguides für Bewerber Abb. 3-7: Instrumente des Campus Recruiting 174 3.2.3.12 Öffentlichkeitsarbeit Die Öffentlichkeitsarbeit unterstützt die aktiven und passiven Maßnahmen der Personalbeschaffung und dient hauptsächlich der externen und internen Imagepflege, sie ist ein Teil wesentlicher des Personalmarketings. Auch hier sei auf Kapitel 1.4.3 zum Personalmarketing verwiesen. Die Instrumente der Öffentlichkeitsarbeit überschneiden sich mit denen des Campus Recruiting, sie richten sich aber an einen größeren/ anderen Adressatenkreis. Es geht nicht in erster Linie darum, mögliche Arbeitnehmer anzusprechen, sondern vor allem darum, bei den Multiplikatoren (Verwandten, Bekannten, Kollegen, Presse etc.) einen positiven Eindruck zu hinterlassen. Sie beeinflussen potenzielle Bewerber, indem sie ihre Ansichten über das Unternehmen weitergeben. Beispielsweise veranstaltet das Unternehmen Rolex ein zweitägiges Kunstfestival und zeigt dort die Höhepunkte seines aktuellen Förderprogramms im Bereich Kunst. Es handelt sich um ein Mentorenprogramm, bei dem junge Talente ein Jahr lang mit führenden Künstlern zusammenarbeiten. In Berlin werden anschließend die besten Ergebnisse in Gemäldegalerien, Filmvorführungen, Theateraufführungen oder Musikinszenierungen gezeigt. 174 Vgl. von Hehn (2016), S. 229 f. 102 · 3 Personalbeschaffung Besonders häufig eingesetzt werden: 175 Tag der offenen Tür Werksbesichtigungen Werksverkauf Aktivitäten auf Messen und Ausstellungen Werbung in verschiedenen Medien Internet-Auftritte Beteiligung an sozialen Einrichtungen und sozialen Maßnahmen Förderung künstlerischer Aktivitäten Beteiligung an kulturellen Aktivitäten 3.2.3.13 Empfehlung durch Betriebsangehörige Einstellungen erfolgen auch auf Empfehlung der eigenen Mitarbeiter. Diese Form der Personalbeschaffung war bisher vor allem für ausführende Tätigkeiten relevant und akzeptiert, in den letzten Jahren nimmt sie jedoch sehr deutlich bei der Rekrutierung von Spezialisten und hochrangigen Führungskräften zu. 176 Empfehlungen spielen in Südeuropa und in den USA eine größere Rolle als im deutschsprachigen Raum. Die Bedeutung steigt aber auch hierzulande stark an, je schwieriger es wird, geeignete Mitarbeiter zu finden. Die Deutsche Bahn, Sanofi, PWC oder Jung von Matt setzen beispielsweise auf Empfehlungen durch Betriebsangehörige. 177 Häufig werden die Mitarbeiter für ihre Anwerbemaßnahmen mit finanziellen Prämien oder Sachprämien belohnt. Voraussetzung ist meist, dass der neue Arbeitnehmer die Probezeit übersteht. Die Deutsche Bahn bietet sogar für die Empfehlung von Azubis eine Prämie. 178 Deutsche Großunternehmen haben zu gut 30 Prozent Programme für die Empfehlung von Bewerbern durch ihre Mitarbeiter. Beim Mittelstand sind es etwa 15 Prozent mit zunehmender Tendenz. 179 Das Unternehmen nutzt die privaten Netzwerke seiner Mitarbeiter für die Personalbeschaffung und geht davon aus, dass Betriebsangehörige keinen ungeeigneten Bewerber empfehlen, da eine unzureichende Leistung des Neuen ein schlechtes Licht auf sie selbst werfen würde. Die Mitarbeiter kennen sowohl die Unternehmenssituation und die ausgeschriebene Stelle als auch den Bewerber und können beurteilen, ob ihr Bekannter in das Unternehmen passt. Zudem wird später die soziale Kontrolle durch die privaten Beziehungen der Mitarbeiter verstärkt und häufig das Onboarding erleichtert. 175 Vgl. Jung (2017), S. 151. 176 Vgl. Weuster (2012 a), S. 79. 177 Vgl. Astheimer/ Löhr (2014), S. 30. 178 Vgl. ebd. 179 Vgl. Weitzel et al. (2015 a), S. 8; dies. (2015 b), S. 8. 3.2 Arten und Wege der Personalbeschaffung · 103 Empirische Untersuchungen belegen, dass solche eher informell akquirierten Mitarbeiter eine längere Verweildauer und geringere Fehlzeiten als andere haben. Die Rekrutierungskosten sind gering und die Suche wird beschleunigt. 180 Allerdings fallen Absagen an empfohlene Bewerber oder gar eine Kündigung in der Probezeit schwer, weil diese Maßnahmen vom empfehlenden Mitarbeiter auch als negative Vorgehensweise gegen ihn selbst empfunden werden können. Es besteht zudem die Gefahr, dass sich Cliquen bilden, was sich nachteilig auf die Arbeitsleistung und das Betriebsklima auswirken kann. Oechsler/ Paul sehen die Entwicklung einer Monokultur als weiteren Nachteil, weil die Mitarbeiter ihren Unternehmen insbesondere Kandidaten empfehlen, die ihnen und ihren Wertvorstellungen ähneln. 181 3.2.3.14 Personalberater und Direktansprache Personalberater werden insbesondere bei der Suche nach Führungskräften und höher qualifizierten Mitarbeitern eingeschaltet. Das Leistungsangebot ist vielfältig, es reicht von der Erstellung von Anforderungsprofilen und der Gestaltung und Schaltung von Stellenanzeigen in Printmedien und im Internet über die Auswertung der Bewerbungsunterlagen und die Durchführung von bzw. Teilnahme an Vorstellungsgesprächen bis hin zur Unterstützung beim Auswahlprozess und dessen anschließender Nachbereitung. Personalberater begleiten somit den gesamten Prozess der Personalbeschaffung und -auswahl. Oft werden aber von den Unternehmen nur Teilleistungen in Anspruch genommen. Das Honorar beträgt im Durchschnitt ein Drittel des Jahresgehalts der ausgeschriebenen Stelle. 182 Gestaltet sich die Suche schwierig, etwa weil es sehr wenige passende Experten gibt, kann der Betrag auch deutlich höher ausfallen. Die Zahlung der Vergütung ist in der Regel erfolgsabhängig. 183 Insbesondere junge Bewerber stehen einem solchen Outsourcing des Bewerbungsverfahrens (Recruitment Process Outsourcing, RPO) durchaus kritisch gegenüber. Bemängelt wurden in einer Studie mit 500 Studierenden aus fünf Universitäten vor allem der fehlende Kontakt zum Unternehmen, daraufhin vermutete mangelnde Wertschätzung seitens des Unternehmens und die Unpersönlichkeit des Verfahrens. Weitere Studien bestätigen diese Ergebnisse. 184 Auch wird den Beratungsunternehmen von jungen, potenziellen Mitarbeitern häufiger unterstellt, dass sie nicht in der Lage seien, genau zu beurteilen, ob ein Bewerber auf die Stelle passt oder nicht. 185 Im mittleren und höheren Management ist der Einsatz von Personalberatern dagegen voll akzeptiert. Hier werden ca. 30 Prozent der Stellen mithilfe von Personalberatern besetzt. 186 180 Vgl. Weuster (2012 a), S. 84 f.; Oechsler/ Paul (2015), S. 217. 181 Vgl. Oechsler/ Paul (2015), S. 217. 182 Vgl. o.V. (2011), S. 14; o.V. (2014 a), S. 20. 183 Vgl. Müller-Albrecht (2008), S. 33 f. 184 Vgl. Wehner/ Kabst (2011), S. 22 ff.; o.V. (2017 b), S. 21. 185 Vgl. Wehner/ Kabst (2011), S. 22 ff. 186 Vgl. Hohlbaum/ Olesch (2004), S. 38. 104 · 3 Personalbeschaffung Während diese Aufgabe früher den Schwerpunkt bildete, hat sich das Spektrum der Personalberater in den letzten Jahren immer stärker um die Suche nach hochqualifizierten Experten erweitert. 187 Außerdem hat sich der Einsatz von Personalberatern bei der Personalbeschaffung in den letzten Jahren auch im Mittelstand etabliert. 188 Personalberatung und insbesondere Executive Searching werden vor allem bei der Suche nach Führungskräften der oberen Hierarchieebenen und Spezialisten eingesetzt, die auf dem externen Arbeitsmarkt schwierig zu finden sind. 189 Unternehmen erhoffen sich aufgrund der Erfahrung der Personalberater und deren vielfältigen Kontakten zu Bewerbern bessere Ergebnisse. Viele Personalberater sind auf bestimmte Marktsegmente oder Branchen spezialisiert, was ihnen einen guten Marktüberblick verschafft. Außerdem gelten Personalberater als neutral und unvoreingenommen. Diesen Vorteilen stehen die hohen Kosten und die mangelnde Kenntnis unternehmensinterner Gegebenheiten gegenüber. Häufig werden Personalberater auch mit der Direktansprache betraut (Headhunting, Executive Searching, Direct Searching). Sie nehmen den Kontakt auf und überprüfen, inwieweit die angesprochene Person den Stellenanforderungen entspricht und ob überhaupt eine Veränderungsabsicht besteht. Wenn der Angesprochene interessiert ist, werden Gespräche geführt, bevor der Berater den Kontakt zum suchenden Unternehmen herstellt. Die Verbreitung des Executive Searching hat in den letzten Jahren in Deutschland stark zugenommen. Bis 1994 war es als unerlaubte Arbeitsvermittlung verboten. Die Arbeitsämter hatten das Arbeitsvermittlungsmonopol. Nachdem die Direktansprache offiziell zugelassen wurde, mussten sich die Personalberatungen in diesem Bereich legitimieren und sich den Ruf erarbeiten, seriös vorzugehen. Heute kann man bei den etablierten Personalberatungen von hohen professionellen Standards und Prozessen ausgehen. 190 Nach einem erheblichen Umsatzeinbruch im Jahr 2009 steigt die Nachfrage nach Executive Searching wieder deutlich. Es hat jedoch eine inhaltliche Umorientierung stattgefunden. Breit aufgestellte Beratungsgesellschaften haben die Krise weniger gut überstanden als Spezialisten, die besonderes Know-how aufweisen und sich auf einzelne Branchen oder Fachrichtungen, z.B. auf den Automotive Bereich, spezialisiert haben. 191 Seit immer mehr Unternehmen dazu übergehen, selbst verstärkt Social-Network-Plattformen zu nutzen und dort nach interessanten Kandidaten zu suchen, verzeichnen die Personalberatungen geringere Zuwachsraten ihrer Umsätze. 192 Neben der Direktansprache durch Personalberater nutzen Unternehmen zunehmend Kontakte und informale Netzwerke ihrer eigenen Mitarbeiter und Führungskräfte zur eigenstän- 187 Vgl. Achouri (2007), S. 69 f. 188 Vgl. Stiehler/ Schabel/ Möckel (2014), S. 22 ff. 189 Vgl. Wegerich (2008), S. 292. 190 Vgl. Diemer (2008), S. 38. 191 Vgl. Steppan (2011), S. 21. 192 Vgl. o.V. (2014 a), S. 20; Oechsler/ Paul (2015), S. 215. 3.2 Arten und Wege der Personalbeschaffung · 105 digen Direktansprache und gezielten Abwerbung, um auf diese Weise Mitarbeiter anderer Unternehmen anzusprechen und zu einem Unternehmenswechsel zu veranlassen. Da der neue Mitarbeiter der abwerbenden Personen bekannt ist, besteht eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass Qualifikations- und Anforderungsprofil übereinstimmen. Einige Unternehmen gehen dazu über, ausgewählte Mitarbeiter als sog. Corporate Influencer speziell zu schulen. Sie absolvieren z. B. Kommunikationstrainings, Social Media Kurse und Präsentrationstrainings um gezielt auf Veranstaltungen und im Netz über ihren Arbeitgeber Positives zu kommunizieren und aus diesem Wege Menschen zu einer Bewerbung zu veranlassen. So geht beispielsweise das Unternehmen Otto vor. 193 Teilweise werden die Bewerber von diesen Corporate Influencers auch auf dem gesamten Bewerbungsprozess weiter begleitet. 194 Eine gelungene gezielte Abwerbung durch einen Headhunter oder einen Mitarbeiter eines anderen Unternehmens ist in erster Linie als Folge einer misslungenen Mitarbeiterbindung anzusehen. 3.2.4 Neue Vorgehensweisen Die Nutzung von privaten und geschäftlichen Social-Network-Plattformen, z.B. Xing, LinkedIn, Placement 24, Experteer, Facebook oder Twitter und YouTube gewinnt sehr stark an Bedeutung. Allerdings steht hier bei den Unternehmen oft noch der Employer-Branding- Gedanke im Vordergrund. Auch die Verbreitung von Smartphones und Tablet-PCs verändert die Personalbeschaffung. Es gibt zunehmend Bewerbungen über mobile Endgeräte. Unternehmen beginnen, Informationen über freie Stellen verstärkt auf diesen Wegen zu kommunizieren. 70 Prozent der Großunternehmen bewerteten Mobile Recruiting und den Einsatz von Social Media bei der Rekrutierung positiv. Jedoch haben die meisten Unternehmen bisher kaum Social Media Strategien entwickelt und die Aktivitäten auch bisher selten mit ihren anderen Rekrutierungsmaßnahmen abgestimmt. 195 Großunternehmen stellen jedoch vermehrt Personaler mit entsprechenden Kenntnissen ein. Sie sollen über die sozialen Netzwerke gezielt Kontakt zu interessanten, potenziellen Mitarbeiter aufbauen und halten. Aber nicht nur die Fähigkeiten, sondern auch die Mentalität der Recruiter muss sich ändern. Sie sind nicht mehr in der Rolle von Anbietern freier Stellen, die in Ruhe abwarten können, wer sich bewirbt. Vielmehr müssen sie eine aktive Verkäuferrolle annehmen und entsprechend einfühlsam vorgehen, um mögliche Bewerber für ihr Unternehmen und die freie Stelle zu interessieren. Dazu ist es eben nicht nur notwendig, auf freie Stellen aufmerksam zu machen, sondern Beziehungen zu möglichen Bewerbern frühzeitig aufzubauen und vor allem zu erhalten und zu pflegen. 196 193 Vgl. Roewer (2018), S. 42 ff. 194 Vgl. o.V. (2017 b), S. 21. 195 Vgl. Weitzel et al. (2017 a), S. 4 f. 196 Vgl. Furkel (2013 b), S. 38; Astheimer (2017), S. C 1. 106 · 3 Personalbeschaffung Viele Bewerber finden die neuen Vorgehensweisen attraktiv, da sie hierbei nicht selbst aktiv werden müssen. 197 Stattdessen stellen sie ihren Lebenslauf ins Internet und warten darauf, dass sie von einem Unternehmen gefunden und per E-Mail, WhatsApp etc. angesprochen werden. Danach entscheiden sie, ob eine Kontaktaufnahme in Frage kommt oder nicht. Auch Guerilla-Recruiting soll insbesondere junge Menschen ansprechen und auf modernem Wege Bewerber rekrutieren. Der Übergang zwischen Personalbeschaffung und -auswahl ist hier fließend. Kennzeichen des Guerilla-Recruiting sind: 198 unkonventionelle, proaktive, evtl. auch aggressive Vorgehensweise überraschende, flexible und spektakuläre Maßnahmen kostengünstiger, effektiver und geringer Mitteleinsatz Verbreitung durch Berichte früherer Teilnehmer, oft über die Social Media Kanäle Beim Guerilla-Recruiting zeichnen sich vier Varianten mit fließenden Übergängen ab: 199 Ambient Recruiting: Es werden die gleichen Medienformate wie beim Produktmarketing im direkten Umfeld der Zielgruppe eingesetzt, d.h. man verwendet Postkarten, Bierdeckel, Aufkleber, T-Shirts etc. in der täglichen Umgebung um auf das Unternehmen als Arbeitgeber aufmerksam zu machen. Viral Recruiting: Hier wird das Internet zur Verbreitung genutzt. Die einfachste Form ist die Aufforderung zur Bewerbung am Ende einer E-Mail. Aber es gehören auch Online- Spiele dazu, die auf den ersten Blick nichts mit dem Unternehmen zu tun haben und erst in zweiter Linie dafür sorgen, dass sich der Teilnehmer für das Unternehmen und seine Stellen interessiert. IKEA legt seinen Aufbauanweisungen z.B. teilweise Recruiting- Angebote bzw. -Hinweise bei. Trojan Recruiting: Hier spielen moderne, bei jungen Menschen beliebte Medien ebenfalls eine Schlüsselrolle. Die Bewerbungsinfos werden vergleichbar mit einem Trojanischen Pferd versteckt abgesendet. Beispielsweise lieferte ein Pizzaservice mit den Bestellungen von Mitarbeitern bestimmter Werbeagenturen immer eine kostenlose sog. Pizza Digitale mit einem QR-Code zusätzlich. Der Auftrag dazu kam von einem Konkurrenzunternehmen. Wer den Code mit dem Smartphone abfotografierte, landete auf der Bewerbungsseite der Konkurrenz. Conspiracy Recruiting: Potenzielle Bewerber und Unternehmensvertreter treffen sich, ohne dass dabei das Recruiting direkt im Vordergrund steht. In den letzten Jahren sind Bewerberpartys modern geworden. Hier geht es den Unternehmen darum auf neuen Wegen, die junge Leute ansprechend finden, auf sich aufmerksam zu machen und in lockerer Runde mit interessanten Kandidaten ins Gespräch zu kommen. Das Ziel ist zunächst nur der Informationsaustausch und das gegenseitige Abschätzen von Potenzialen 197 Vgl. Furkel (2013 b), S. 39. 198 Vgl. Böhlich (2012), S. 37. 199 Vgl. ebd.; Bröckermann (2012), S. 61 f. 3.3 Kritische Würdigung und Ausblick · 107 und Entwicklungsmöglichkeiten, ein späteres Arbeitsverhältnis wird dabei aber nicht ausgeschlossen. Zum Conspiracy Recruiting gehören z.B. auch formlose Treffen zum Grillen oder Segeltörns. Danone lädt beispielsweise interessante Kandidaten zum Bergsteigen ein, Rewe veranstaltet mit möglichen High Potentials Treffen auf Schloss Montabaur und Bosch lädt nach Schweden ein. 200 Noch sind diese Maßnahmen originell und erregen deshalb Aufmerksamkeit. Je ausgefallener die Vorgehensweisen sind, desto besser kommen sie insbesondere bei jungen Menschen an. Je mehr sie eingesetzt werden, desto uninteressanter und „gewöhnlicher“ werden sie jedoch in den Augen der potenziellen Bewerber. Doch nicht nur junge Menschen stehen im Blick der Recruiter. Zunehmend versuchen Unternehmen ihre aus Altergründen ausgeschiedenen Mitarbeiter wegen ihres Spezialwissens zurückzuholen. Häufig werden diese Personen Silver Worker genannt. Da viele Rentner durchaus zeitweise gerne berufliche Aufgaben erfüllen, ist ihre Arbeitsleistung auch für den befristeten Einsatz und als Ausgleich bei Beschäftigungsspitzen interessant. Vorreiter war hier bereits Ende der 1990er-Jahre das Unternehmen Bosch. Es bezeichnet seine Rentner als Seniorexperten und hat für ihren Einsatz eigens eine Tochtergesellschaft namens BMS Bosch Management Support gegründet. Sie agiert mittlerweile weltweit für den gesamten Konzern. 201 Aber auch viele andere Großunternehmen nutzen mittlerweile den Sachverstand der ehemaligen Mitarbeiter. Daimler nennt sie Space Cowboys, passend zu dem gleichnamigen Film, in welchem der alternde Clint Eastwood durch seine Erfahrungen die Welt vor der Vernichtung rettet. 202 Für die Rentner stehen die Freude an der Aufgabenerfüllung, die Kontakte zu ehemaligen Kollegen, der Wunsch, fit zu bleiben und das Gefühl, noch gebraucht zu werden im Vordergrund. Finanzielle Interessen sind meistens eher untergeordnete Gründe als Silver Worker zu arbeiten. 203 Um keine Konkurrenzsituation zu den anderen Belegschaftsmitgliedern aufkommen zu lassen, beschränken die meisten Unternehmen die Arbeit der Silver Worker auf bestimmte Projekte und/ oder begrenzen sie zeitlich. 3.3 Kritische Würdigung und Ausblick Die Entscheidung, ob ein Unternehmen bei der Personalbeschaffung interne oder externe Wege geht, ergibt sich oft aufgrund der personalpolitischen Grundsätze. Diese können z.B. festlegen, dass Führungskräfte in erster Linie über Laufbahn- und Karriereplanungen aus den eigenen Reihen zu rekrutieren sind. Erst wenn auf diesem Wege dann kein passender 200 Vgl. o.V. (2008 b), S. C 1. 201 Vgl. o.V. (2014 b), S. 27. 202 Vgl. ebd. 203 Vgl. IAB (2018 b). 108 · 3 Personalbeschaffung Mitarbeiter gefunden wird, rekrutiert man extern. Häufig wird aber von Fall zu Fall neu entschieden. Die Wahl des Beschaffungsweges hängt vor allem von der Art und dem Umfang der benötigten Arbeitsleistung ab. Interne Beschaffungswege werden von den Unternehmen als schneller, risikoloser, unproblematischer und kostengünstiger eingeschätzt. Hier gewinnen bei großen Unternehmen interne Arbeitsmärkte an Bedeutung. Produktivitätsmindernd kann sich der häufig zu beobachtende Automatismus von Kettenbeförderungen bzw. -versetzungen auswirken. Externe Beschaffungswege werden insbesondere wegen der damit verbundenen größeren Auswahlmöglichkeiten gewählt. Zielgruppengerechte Vorgehensweisen sind unabhängig vom gewählten Beschaffungsweg angesagt. Die Beschaffung von Führungsqualifikation für einen begrenzten Zeitraum über Interim Management nimmt in den letzten Jahren stark zu. Besonders der Mittelstand fragt jetzt deutlich mehr nach und holt sich auf diesem Wege befristet Expertise ins Haus. Während Personalberater bei der Rekrutierung von Führungskräften auf den oberen Hierarchieebenen und bei bestimmten Spezialistenfunktionen eine recht große Rolle spielen, werden sie bei der Beschaffung anderer Mitarbeitergruppen insbesondere aus Kostengründen kaum herangezogen. Untersuchungen zeigen, dass Unternehmen bei der Personalbeschaffung umso aktiver vorgehen und umso eher externe Wege beschreiten, je bedeutender die zu besetzende Stelle für das Erreichen der Unternehmensziele 204 und je dringlicher der Bedarf ist. Umgekehrt verhält es sich mit der Inanspruchnahme der Arbeitsagenturen. E-Recruiting und Bewerbungen per Internet werden von Bewerbern und Unternehmen bevorzugt. Seit langem zeigt sich bei Beschäftigungsspitzen ein Trend zum Personal-Leasing. Unternehmen arbeiten oft absichtlich mit einem zu geringen eigenen Personalbestand, um bei Konjunktur- und Nachfrageeinbrüchen das Stammpersonal nicht abbauen zu müssen. Insofern führt Personal-Leasing selten zum Personalabbau. Wie sich die von der Bundesregierung initiierten Maßnahmen zur Vergütungserhöhung und zur Begrenzung der Verweildauer der Leasing-Arbeitnehmer langfristig auswirken, bleibt noch abzuwarten. Der kostengünstigere Personaltausch im Unternehmensverbund entwickelt sich besonders im Mittelstand zu einer sinnvollen Alternative. Campus Recruiting und Öffentlichkeitsarbeit, auch über Social Media, gewinnen an Bedeutung. Schlechte Auftritte in Social Media schaden besonders bei jungen Menschen dem Unternehmensimage. 205 204 Vgl. Klimecki/ Gmür (2005), S. 172 ff. 205 Vgl. Leisenberg/ Niemeier (2016), S. 30. 3.3 Kritische Würdigung und Ausblick · 109 Gerade der Einsatz von Social Media beim Recruiting ist in den letzten Jahren sowohl bei Großunternehmen als auch im Mittelstand stark gestiegen, die Tendenz ist weiter zunehmend. In vielen Großunternehmen gibt es spezielle Mitarbeiter, die sich systematisch und ausschließlich mit diesen Informationskanälen beschäftigen. Ihre Rolle wandelt sich in diejenige eines Verkäufers. Die proaktive Ansprache interessanter Kandidaten wird zum Schwerpunkt ihrer Arbeit. 206 Zum eigentlichen Beschaffungsprozess kommen der Aufbau von Kontakten und dessen Pflege verstärkt hinzu. Der Recruiter wird zum Influencer. Auch mobile Endgeräte (Smartphones und Tablet-PCs etc.) werden seitens der Unternehmen immer häufiger zur Kommunikation über freie Stellen genutzt. Die Anzahl direkter Bewerbungen auf diesen Wegen steigt. 207 Bisher galt das vor allem für Kurzbewerbungen oder Bekundungen eines ersten Interesses an einer Stelle. Allerdings existieren mittlerweile Tools, welche es ermöglichen, Bewerbungen mit allen Anhängen direkt über ein mobiles Endgerät im Unternehmen einzureichen. 208 Ungewöhnliche Beschaffungsmaßnahmen, wie z.B. das Guerilla Recruiting, nehmen weiter zu. Noch sind sie recht originell und erregen insbesondere bei jungen Menschen Aufmerksamkeit. Auch der Einsatz der Silver Worker steigt. Unternehmens versuchen mit dem Einsatz bereits verrenteter Unternehmensmitglieder deren Spezialwissen im Betrieb zu erhalten und begegnen auf diesem Wege dem Fachkräftemangel und Beschäftigungsspitzen, ohne sich an diese Arbeitnehmer binden zu müssen. Nach dem Abschluss des Beschaffungsprozesses ist es sinnvoll, eine Erfolgskontrolle durchzuführen. 209 Dabei sollten insbesondere diese Faktoren erfasst und ausgewertet werden: Kosten des Beschaffungsweges eingegangene Bewerbungen davon sehr gut geeignete Bewerber davon gut bis befriedigend geeignete Bewerber davon ungeeignete Bewerber abgelehnte Bewerber aufgrund mangelnder fachliche bzw. persönliche Eignung aufgrund unrealistischer Gehaltsforderungen aufgrund anderer, ggf. näher zu spezifizierender Aspekte zurückgezogene Bewerbungen aufgrund anderer Vorstellungen des Bewerbers von der ausgeschriebenen Stelle 206 Vgl. Furkel, (2013 c), S. 14 f. 207 Vgl. Weitzel et al. (2015 a), S. 14 f. 208 Vgl. Straub (2017), S. 11. 209 Vgl. ausführlich Scholz (2014), S. 564 ff.; Gremme (2016), S. 32 f. 110 · 3 Personalbeschaffung aufgrund eines zu niedrigen Gehaltsangebotes aufgrund weiterer, ggf. näher zu spezifizierender Aspekte an andere Abteilungen mit Personalbedarf weitergeleitete Bewerber davon eingestellte Bewerber davon abgelehnte Bewerber interessante Bewerber für spätere Auswahlverfahren Man ermittelt zudem Kennzahlen wie z.B.: 210 Akzeptanzquote: Verhältnis zwischen geeigneten Bewerbern und eingegangenen Bewerbungen Basisrate: Anteil objektiv geeigneter Bewerber (gemessen am Anforderungsprofil) an der Gesamtzahl der Bewerber Bedarfsquote: Verhältnis der zu besetzenden Stellen zur Gesamtbewerberzahl Diese Kennzahlen geben Anhaltspunkte darüber, welche Beschaffungswege künftig für welche Stellenarten und Tätigkeitsbereiche den größten Erfolg versprechen und welche von den Bewerbern nicht mehr im bisherigen Maße akzeptiert werden. Wiederholungsfragen 1. Was versteht man unter interner und externer Personalbeschaffung? 2. Weshalb sind Überstunden ein Weg der internen Personalbeschaffung? 3. Welcher Zusammenhang besteht zwischen Urlaubsstopp und Personalbeschaffung? 4. Weshalb gehört die Personalentwicklung auch zur internen Personalbeschaffung? 5. Was versteht man unter Stellen-Clearing? 6. Wann geben Unternehmen der externen Personalbeschaffung den Vorrang? 7. Worin unterscheiden sich private Arbeitsvermittler und Personalberater? 8. Was versteht man unter Campus-Recruiting? 9. Welches Ziel hat Öffentlichkeitsarbeit im Zusammenhang mit der Personalbeschaffung? 10. Stellen Sie die Leistungsbeziehungen beim Personal-Leasing dar. 11. Welche Vorteile bringt das Personal-Leasing dem Entleiher? 12. Überlegen Sie, welche Auswirkungen die Mindestlöhne nach dem AÜG auf das Personal-Leasing haben können. 13. Welche Aufgaben übernehmen Interim Manager? 210 Vgl. Weuster (2012 a), S. 1 ff. Wiederholungsfragen · 111 14. Welche Vorteile bietet E-Recruiting gegenüber klassischen Stellenanzeigen in Printmedien? 15. Weshalb werden Stellen im Top-Management oft mithilfe von Personalberatern besetzt? 16. Welche Motivationswirkungen hat die interne Personalbeschaffung im Unternehmen? 17. Welche Probleme können sich bei der externen Personalbeschaffung ergeben? 18. Welche Gründe sprechen für eine interne Personalbeschaffung? 19. Inwieweit werden Social Media den Recruitingprozess verändern? 20. Welche Kennzahlen zur Erfolgskontrolle der Personalbeschaffung kennen Sie? 4 Personalauswahl 4.1 Ziele, Anforderungen und Ablauf Ziel der Personalauswahl ist es, denjenigen Bewerber zu ermitteln, der am besten für die zu besetzende Stelle geeignet ist. Im Rahmen der Personalbeschaffung werden zunächst Kandidaten gesucht und identifiziert, unter denen anschließend die Personalauswahl stattfindet. Praktisch gehen Beschaffung und Auswahl ineinander über und können nicht immer sauber getrennt werden. Das gilt umso mehr je umfangreicher neue Medien eingesetzt werden. So wird z.B. bei Online-Bewerbungen auf der Unternehmenshomepage oft gleich eine Vorauswahl vorgenommen und nur ein Teil der Bewerber weitergeleitet. Eine falsche Auswahlentscheidung kann zu beträchtlichen Kosten führen und ist oftmals nur unter großem Aufwand revidierbar. Geringe Produktivität des neuen Mitarbeiters und eine erhöhte Arbeitsbelastung seiner Kollegen sind die direkten Folgen. Oft kommt es bereits nach kurzer Zeit zu einer erneuten Vakanz, entweder weil das Unternehmen das Arbeitsverhältnis beendet oder weil der neue Mitarbeiter aufgrund seiner Überbzw. Unterforderung selbst die Konsequenzen zieht und kündigt. Denkbar ist auch eine innere Kündigung, bei der der neue Mitarbeiter im Unternehmen bleibt, aber mit Desinteresse und ohne Elan an seine Aufgaben herangeht, weil er sich von der Stelle etwas anderes versprochen hat. Wird die Stelle stattdessen den Möglichkeiten des neuen Mitarbeiters angepasst oder wird er innerhalb des Unternehmens mit einer anderen Aufgabe betreut, entstehen in der Regel Personalentwicklungs- und weitere Einarbeitungskosten. Auch die Trennung von diesem Mitarbeiter ist oft mit zusätzlichen Kosten, etwa Arbeitsprozesskosten und Abfindungskosten, verbunden. Anschließend kommt es zu einem neuen Auswahlprozess und erneuter Einarbeitung eines Mitarbeiters, wodurch wiederum Kosten entstehen. 211 Sieht man die Personalbeschaffung und -auswahl als Investition an, wird die Notwendigkeit einer sorgfältigen Selektion noch deutlicher. So führt etwa die Einstellung eines Betriebswirtes nach seinem Studium mit einem Anfangsgehalt von ca. 45.000 € innerhalb von fünf Jahren zu Auszahlungen - ohne Berücksichtigung von Personalnebenkosten oder Gehaltssteigerungen - von ca. 225.000 €. Bei der Einstellung von Führungskräften sind noch wesentlich höhere Beträge anzusetzen. Sachinvestitionen in diesen Größenordnungen unterliegen in jedem Unternehmen einer sehr genauen, professionellen und systematischen Prüfung. Personalauswahlentscheidungen werden dagegen oft dilettantisch und schlecht vorbereitet getroffen 212 . Dies ist umso eher der Fall, je kleiner das Unternehmen ist. Dabei haben kleine und mittlere Unternehmen sehr viel weniger Möglichkeiten, Auswahlfehlern durch Versetzungen gegenzusteuern, weshalb sie umso sorgfältiger vorgehen müssten. 211 Vgl. Scherm/ Süß (2016), S. 53 f. 212 Vgl. Weuster (2012 a), S. 7. 114 · 4 Personalauswahl Zur Personalauswahl steht ein umfangreiches Arsenal von Methoden zur Verfügung, die in der Regel kombiniert werden. Der Bewerber wird dabei aus unterschiedlichen Perspektiven betrachtet, um seine Eignung mit ihren fachlichen, sozialen und anderen Komponenten genauer erfassen zu können, als dies bei der Anwendung nur einer Methode möglich wäre. Weuster berichtet von mehreren empirischen Untersuchungen, die alle zu dem Ergebnis kommen, dass eine sorgfältig durchgeführte Personalauswahl deutliche positive Auswirkungen auf den Unternehmenserfolg mit sich bringt. 213 Bei internen Bewerbern ist zumindest ein Teil ihrer Qualifikationen und ihres Potenzials bekannt, insbesondere wenn man sich auf bisherige Beurteilungen und Potenzialanalysen stützen kann. Bei externen Bewerbern besteht eine weitaus größere Unsicherheit. Auch wenn für eine vakante Stelle ein genaues Anforderungsprofil vorliegt, bringt die Eignungsprüfung häufig Probleme mit sich. Das Unternehmen trifft seine Auswahl aufgrund unvollständiger Informationen über den Bewerber (Hidden Informations), dessen Absichten zudem nur teilweise bekannt sind (Hidden Intentions). Außerdem kennt das Unternehmen nicht alle Eigenschaften des Bewerbers (Hidden Characteristics). 214 Auch bei sorgfältiger Vorgehensweise sind Fehlentscheidungen unvermeidbar. Die Gründe sind: Stichprobencharakter der Auswahlverfahren, da weder alle Bewerber noch alle Seiten des späteren Aufgabenbereichs berücksichtigt werden können oft unvollkommene Erfassung der Stellenanforderungen Mängel des eingesetzten Auswahlverfahrens fehlende Zeit Fehler seitens der auswählenden Personen, die aufgrund von Vorurteilen, Sympathie bzw. Antipathie, ungenügender Vorbereitung etc. entstehen zu geringe personelle und finanzielle Ressourcen, die für den Auswahlprozess zur Verfügung stehen Bei der Entscheidung für ein Auswahlverfahren ist auf die Einhaltung der methodischen Gütekriterien zu achten, insbesondere: 215 Objektivität Reliabilität Validität Objektivität ist dann gegeben, wenn die Ergebnisse unabhängig von der Person des Beurteilers gleich ausfallen. Verschiedene Entscheidungsträger müssen also beim selben Bewerber 213 Vgl. Weuster (2012 a), S. 10. 214 Vgl. Göbel (2002), S. 100 ff. 215 Vgl. dazu ausführlich Weuster (2012 a), S. 12 ff.; Oechsler/ Paul (2015), S. 226 ff. 4.1 Ziele, Anforderungen und Ablauf · 115 zum gleichen Ergebnis hinsichtlich seiner Eignung für die vakante Stelle kommen. Die Objektivität des Beurteilers kann z.B. durch individuelle Interpretationen, Emotionen oder Erwartungen beeinträchtigt werden. Zeitdruck wirkt sich ebenfalls negativ aus. Unter Reliabilität versteht man die Messgenauigkeit, welche die Zuverlässigkeit oder Messfehlerfreiheit eines Verfahrens anzeigt. Es geht also darum, dass das Verfahren ein Merkmal zuverlässig misst. Verschiedene voneinander unabhängige Beurteilungen müssen zum selben Ergebnis führen, wenn sie das gleiche Verfahren mit den gleichen Kriterien heranziehen und die gleichen Maßstäbe ansetzen. Validität liegt vor, wenn mit dem angewandten Auswahlverfahren das erfasst wird, was auch tatsächlich erfasst werden soll, d.h. die Validität gibt den Grad der Sicherheit der Schlüsse an, die man aus den Ergebnissen des Verfahrens ziehen kann. Die Werte können theoretisch zwischen 0 und 1 schwanken, wobei 1 eine 100-prozentige Treffsicherheit bedeutet. Über die Validität der gebräuchlichsten Personalauswahlverfahren gibt es sehr viele Untersuchungen. Ein Überblick über die durchschnittliche prognostische Validität, die im Rahmen einer Meta-Analyse von Studien ermittelt wurde, findet sich bei Schuler. 216 Danach weist ein konventionelles Einstellungsgespräch eine Validität von .14, die Analyse von Bewerbungsunterlagen von .18 und ein Assessment Center von .37 auf. Die Probezeit sowie anforderungsbezogene und strukturierte Interviews haben mit .44 und .40 die höchste Validität. Zu ähnlichen Ergebnissen kommen Funk/ Nachtwei/ Melchers in ihrer Untersuchung. Danach haben Intelligenztests (.56), strukturierte Interviews (.51) und Fachwissenstests (.47) die höchste Validität. Unstrukturierte Interviews (.27) und Persönlichkeitstests (.19) weisen die niedrigste Validität auf. 217 Die Einsatzhäufigkeit zeigt jedoch leider eine andere Situation. Gerade freie Interviews, bei denen sich die Interviewer auf ihre angebliche hervorragende Menschenkenntnis und auf Intuition verlassen, werden in der Praxis oft verwendet. 218 Die Validität der Auswahlinstrumente wird in der Praxis häufig völlig falsch eingeschätzt. 219 Als mögliche Erklärung geben Funk/ Nachtwei/ Melchers an, dass viele Praktiker kaum Fachzeitschriften lesen und deshalb nicht auf einem neuen Stand sind. 220 Zudem werden neue Erkenntnisse (auch aus Deutschland) oft in englischsprachigen Zeitschriften veröffentlicht, die für Praktiker schwer zugänglich sind. Auch werden häufig einfache und schnelle Verfahren bevorzugt. Die Analyse der Bewerbungsunterlagen ist in Deutschland das am häufigsten verwendete Verfahren. Das bestätigt eine Befragung durch Weber und Kabst, bei der 99 Prozent der Unternehmen angaben, Bewerbungsunterlagen zu analysieren. 221 Auch Vorstellungsgespräche werden nahezu flächendeckend eingesetzt. 222 Demgegenüber sind Assessment Center 216 Vgl. Schuler (2003), S. 178. 217 Vgl. Funk/ Nachtwei/ Melchers (2015), S. 27. 218 Vgl. dazu die ausführlichen Vergleiche bei Weuster (2012 a), S. 205 ff. 219 Vgl. ebd. 220 Vgl. ebd. 221 Vgl. Weber/ Kabst (1996), S. 18. 222 Vgl. Dincher (2007), S. 127. 116 · 4 Personalauswahl und die Anforderung von Referenzen seltener anzutreffen. Am wenigsten in Deutschland verbreitet ist das Einholen grafologischer Gutachten. 223 Es gibt allerdings Länder wie Frankreich und die Schweiz, in denen es durchaus noch üblich ist, Schriftmerkmale eines Bewerbers bei der Auswahlentscheidung mit zu berücksichtigen. 224 In Deutschland, in stärkerem Maße noch in den USA und in Frankreich, legt man bei Bewerbungen großen Wert auf die Einhaltung formaler Kriterien. 225 Die sinnvolle Kombination von Auswahlverfahren führt zu besseren Ergebnissen. In letzter Zeit zeigen empirische Erhebungen sinkende Validitätswerte bei Assessment Centern, obwohl sie in vielen Unternehmen zum Standartrepertoire bei der Bewerberauswahl gehören. Gründe werden insbesondere in der verbreiteten Erstellung und Durchführung dieser Tests durch ungeschulte Nicht-Fachleute und unvorbereitete Beurteiler gesehen. 226 Neben den drei genannten Gütekriterien spielen Praktikabilität, Akzeptanz, Transparenz sowie Ökonomie bei der Qualität von Auswahlverfahren eine wichtige Rolle. Unter Praktikabilität versteht man die Benutzerfreundlichkeit und Beherrschbarkeit des Verfahrens. Es muss verständlich und von den Anwendern mit angemessenem Aufwand erlernbar und durchführbar sein. Akzeptanz bezieht sich sowohl auf die Anwender als auch auf die Bewerber. Wenn ein Auswahlverfahren von den Entscheidungsträgern nur widerwillig angewandt wird, können fehlerhafte Ergebnisse die Folge sein. Auch eine mangelnde Akzeptanz auf Bewerberseite führt zu fehlerhaften Ergebnissen, weil diese dann häufig die notwendige Ernsthaftigkeit und Sorgfalt vermissen lassen. Wenn Auswahlverfahren für Bewerber bzw. Entscheidungsträger nicht nachvollziehbar und transparent gestaltet sind, werden diese Verfahren und die daraus resultierenden Ergebnisse nicht anerkannt. Ein ausführliches Feedback der Ergebnisse fördert die Transparenz und damit die Akzeptanz seitens des Bewerbers. 227 Ökonomische Gesichtspunkte (Kosten-/ Nutzen-Überlegungen) müssen ebenfalls Berücksichtigung finden. Unternehmen sind sich zwar der Tatsache bewusst, dass durch Fehlbesetzungen Kosten entstehen, schätzen diese aber oft - möglicherweise, weil sie nur ungenau erfasst werden können - als nicht sehr bedeutend ein. 228 Auch der Nutzen verbesserter 223 Vgl. Klimecki/ Gmür (2005), S. 246 f. 224 Vgl. Gmür/ Thommen (2011), S. 287 f.; Klimecki/ Gmür (2005), S. 238. 225 Vgl. Scholz (2000), S. 476. 226 Vgl. Biemann/ Weckmüller (2012), S. 48. 227 Vgl. Weuster (2012 a), S. 26. 228 Vgl. Klimecki/ Gmür ((2005), S. 250. 4.1 Ziele, Anforderungen und Ablauf · 117 Auswahlverfahren lässt sich nur schwer quantifizieren. Dies ist einer der Gründe, weshalb die Vorzüge aufwändiger Verfahren Praktikern nur schwer vermittelt werden können. Sie bevorzugen in der Regel Vorgehensweisen, die mit einem geringen finanziellen Aufwand verbunden sind, auch wenn dabei die Auswahlqualität zu wünschen übrig lässt. Das Internet spielt bei der Personalauswahl eine sehr große Rolle. Die Zusendung der Bewerbungsunterlagen per E-Mail ist die übliche Vorgehensweise und hat das Einreichen ausgedruckter Unterlagen fast komplett verdrängt. Vor allem größere Unternehmen arbeiten meist auch mit Online-Personalfragebögen. Viele Unternehmen weisen zudem auf den „Karriere-Seiten“ ihrer Homepages darauf hin, dass sie nur noch Bewerbungen per Online- Personalfragebogen oder per E-Mail akzeptieren. Zum Teil wird dabei mit so genannten Killer-Kriterien gearbeitet, d.h. Bewerbungen werden automatisch von einer Software abgelehnt, falls bestimmte Grundbedingungen (z.B. bestimmte Abschlussnoten, Berufsjahre etc.) nicht erfüllt sind. Elektronische Bewerbungen sollen helfen, Personal, welches sich mit den Bewerbungen beschäftigt, und damit die Kosten von Bewerbungsprozessen zu reduzieren. Allerdings führen die elektronischen Bewerbungsmöglichkeiten, zumal sie weniger Zeitaufwand erfordern, zu wesentlich mehr Bewerbungen, die allerdings häufig weniger sorgfältig erstellt sind. Damit erweist sich die ursprünglich erhoffte Kosteneinsparung in vielen Fällen als illusorisch, da nun viel mehr Bewerbungen eingehen als früher. Bewerbungen in elektronischer Form sind vorherrschend. Sie werden sowohl von Bewerbern als auch von Unternehmen bevorzugt, gleichgültig, um welche Hierarchieebene oder Qualifikation es sich handelt. Die Vorgehensweise bei der Bewerberauswahl hängt zunächst davon ab, ob es sich um einen internen oder einen externen Bewerber handelt. Den Ablauf zeigt Abb. 4-1. Bewerber aus dem eigenen Unternehmen unternehmensextern Vorauswahl in Abstimmung mit dem Anforderungsprofil aufgrund betriebsinterner Informationen wie Personalakte, Mitarbeitergespräche, Leistungsbeurteilungen, Potenzialanalysen etc. Vorauswahl in Abstimmung mit dem Anforderungsprofil aufgrund schriftlicher Bewerbungsunterlagen Vorauswahl aufgrund von Bewerbungsgesprächen, Assessment Centern etc. Auswahlentscheidung Eingruppierung, Umgruppierung Versetzung und Einarbeitung Arbeitsvertrag und Einstellung Probezeit und Einarbeitung Kontrolle der Auswahlentscheidung durch Mitarbeiterbeurteilung Abb. 4-1: Ablauf der Bewerberauswahl 118 · 4 Personalauswahl 4.2 Bewerbungsunterlagen 4.2.1 Vorgehensweise Sowohl interne Bewerber als auch externe Kandidaten erstellen Unterlagen, mit denen sie sich um eine vakante Stelle bewerben. Bei internen Bewerbungen werden in der Regel neben dem Anschreiben nur noch neue, dem Unternehmen bislang nicht bekannte auswahlrelevante Informationen eingereicht. In den Personalakten des Unternehmens befinden sich die ursprüngliche Bewerbung des Mitarbeiters sowie zusätzliche Informationen aus Personalbogen, Personalbeurteilungen, Mitarbeitergesprächen, Weiterbildungen etc. Insofern ist das Einreichen der sonst üblichen Bewerbungsunterlagen hier meistens nicht erforderlich. Externe Bewerber übermitteln mit ihren Unterlagen die ersten Informationen über sich. Sie sind als eine Art erste Arbeitsprobe anzusehen, entsprechend groß ist ihre Bedeutung. Vollständige Bewerbungsunterlagen enthalten: Bewerbungsanschreiben Lebenslauf (ggf. Lichtbild) Abschluss- und Ausbildungszeugnisse Arbeitszeugnisse Weiterbildungszeugnisse Seit Inkrafttreten des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) verzichten insbesondere international tätige Unternehmen ausdrücklich auf ein Foto, um den Gleichbehandlungsgrundsatz nicht zu verletzen. Gefordert werden darf ein Lichtbild nicht mehr, allerdings ist es in Deutschland nach wie vor üblich, es den Bewerbungsunterlagen beizufügen. Bei vielen Unternehmen erhalten die Bewerber einen Link zu einem Personalbogen mit der Bitte, diesen auszufüllen. Das hat den Vorteil, dass die wichtigsten Informationen aller Kandidaten in der gleichen Art und Weise vorliegen und leichter verglichen werden können. Doch werden mit dieser Standardisierung oft gerade die interessantesten Bewerber ausgegrenzt, weil außergewöhnliche Lebensläufe nicht in die vorgegebene Struktur passen. Viele Bewerber verlieren dann das Interesse und brechen den Bewerbungsprozess ab. 229 Teilweise werden Referenzen in das Auswahlverfahren miteinbezogen oder von Unternehmensseite ausdrücklich angefordert. In letzter Zeit sind weitere Unterlagen und Informationen üblich geworden. Dazu gehört z.B. die „dritte Seite“, auf welcher der Bewerber wichtige Aussagen über seine Person, seine Qualifikation und andere stellenrelevante Informationen zusammenfasst. Diese Übersicht, die trotz ihrer Bezeichnung nicht auf Seite drei stehen muss, ist oft mit „Was Sie sonst noch 229 Vgl. Michel (2016), S. 36. 4.2 Bewerbungsunterlagen · 119 über mich wissen sollten“, „Was Sie von mir erwarten können“ oder dergleichen überschrieben. Allerdings scheiden sich hier die Geister: neben Personalern, die die dritte Seite als unbedingt erforderlichen Bestandteil einer guten Bewerbung ansehen, gibt es viele, die sie als vollkommen überflüssig erachten, da sie keine zusätzlichen Erkenntnisse bringt. Sie hat allerdings den Vorteil, dass der Entscheidungsträger die aus Sicht des Bewerbers bedeutsamen Fakten seiner Berufstätigkeit nicht mehr mühsam aus den Bewerbungsunterlagen herausfiltern muss, sondern sie in komprimierter Form vorgelegt bekommt. Bei Bewerbern mit umfangreicher Erfahrung findet man außerdem oft eine Leistungsbilanz in den Bewerbungsunterlagen. Darin wird auf etwa einer Seite eine Zusammenfassung über Branchenerfahrungen, Tätigkeitsschwerpunkte und besondere Erfolge geboten. Zur Aussagekraft von Bewerbungsunterlagen gibt Abb. 4-2 Auskunft. Bedeutung von Bewerbungsunterlagen Bewerbungsunterlagen besondere Beurteilungskriterien Aussagekraft groß mittel gering Anschreiben Form, Inhalt Struktur berufliche Aussagen berufliche Erwartungen x x x x Lebenslauf Form Inhalt x x Foto Größe, Aktualität, Farbe, Herstellungsart x Abschluss- und Ausbildungszeugnisse Ausbildungsdauer Noten Interessenschwerpunkte Ausbildungsinstitution x x x x Weiterbildungszeugnisse Fachgebiete Bewertung Institution x x x Arbeitszeugnisse bisherige Tätigkeiten Leistung Verhalten x x x Referenzen x Arbeitsproben x Personalbogen x Abb. 4-2: Bedeutung von Bewerbungsunterlagen 120 · 4 Personalauswahl Eine Eingangsbestätigung mit einer Erläuterung der weiteren Vorgehensweise sollte deshalb immer versendet werden. Normalerweise geschieht dies mittels einer E-Mail. Die Einhaltung von Terminen, die sorgfältige Behandlung der Unterlagen, Diskretion und ggf. die Rücksendung nicht mehr benötigter Bewerbungsmappen, die ausgedruckt per Post eingegangen sind, gehören ebenfalls zu einem guten Bewerbermanagement. Die Bewerbungsunterlagen werden nach ihrem Eingang in der Personalabteilung erfasst und aufbereitet. Eine DV-gestützte Bewerberverwaltung ist heute weitgehend selbstverständlich. Sie erleichtert z.B. das Anfertigen von Eingangs-, Einladungs- und Absagebriefen sowie die Erfolgskontrolle der Personalauswahl und ermöglicht außerdem den schnellen Rückgriff auf bereits vorhandene Informationen. Die längerfristige Speicherung der eingereichten Informationen über das eigentliche Bewerbungsverfahren hinaus bedarf jedoch aus datenschutzrechtlichen Gründen grundsätzlich der Zustimmung des Bewerbers. Ansonsten ist sie nicht zulässig. Wenn von Anfang an feststeht, dass ein Bewerber nicht dem gewünschten Anforderungsprofil entspricht, erfolgt eine zeitnahe Absage. Bei längeren Bearbeitungszeiten ist es sinnvoll, einen Zwischenbescheid zu erteilen. Insgesamt wünschen sich Bewerber heute seitens der Unternehmen mehr Schnelligkeit im Bewerbungsprozess. Sie sind schnelle Rückmeldung aus anderen Kommunikationen im Internet gewöhnt (z.B. bei Warenbestellungen) und übertragen diese Erfahrungen auch auf die Bewerbungssituation. 230 Nicht nur auf Bewerberseite, sondern auch auf Seiten des Unternehmens ist Sorgfalt im Umgang mit den Bewerbungsunterlagen angebracht. Bewerber sollten bereits aus Image- Gründen wie Kunden behandelt werden, denn sie berichten häufig Freunden und Bekannten über ihre Erfahrungen während des Auswahlprozesses. Diese Gesprächspartner sind möglicherweise ebenfalls potenzielle Bewerber. Oder sie sind Kunden des Unternehmens oder haben Kontakt zu Kunden und anderen Multiplikatoren. 4.2.2 Analyse nach formalen Kriterien Die erste grobe Durchsicht der Bewerbungsunterlagen dient der Aussonderung völlig ungeeigneter Kandidaten. Zu Beginn erfolgt die Analyse nach rein formalen Gesichtspunkten, die als Mindestanforderungen zu verstehen sind. Man achtet auf: 231 äußere Form Fehlerfreiheit Übersichtlichkeit Ordentlichkeit Vollständigkeit 230 Vgl. Faber (2016), S. 8. 231 Vgl. Jung (2017), S. 155. 4.2 Bewerbungsunterlagen · 121 Zur Analyse nach formalen Aspekten gehört außerdem die Durchsicht nach bestimmten Musskriterien wie einer bestimmten Berufsausbildung, einem Mindestalter, einer bestimmten Führerscheinklasse oder einer erforderlichen Staatsangehörigkeit. Insbesondere in Frankreich und den USA sind formale Kriterien oft von großer Bedeutung. Scholz berichtet von einem empirischen Befund, wonach 74 Prozent der US-amerikanischen und 83 Prozent der französischen Unternehmen sofort Absagen erteilen, falls die Bewerbungen die formalen Kriterien nicht erfüllen. Auch in Deutschland liegt dieser Anteil mit 51 Prozent recht hoch. 232 Allerdings wird den Formalien nicht immer die gleiche Bedeutung beigemessen. So wird bei Berufen, bei denen die Kreativität im Vordergrund steht, in der Regel weniger Wert auf formal einwandfreie Bewerbungen gelegt. Auch bei jungen Menschen, die durch Internet, Facebook, WhatsApp, Twitter etc. sozialisiert sind, wird oft weniger gefordert. So will man ihnen den Bewerbungsprozess erleichtern. Bei der ersten Sichtung der Unterlagen geht es insbesondere um Negativabweichungen von der üblichen Form. Bei ausgedruckten Bewerbungen sind das z.B. verschmutzte oder erkennbar öfter verwendete Unterlagen, schwer handhabbare Bewerbungsmappen, lose Einzelblätter, Anschreiben auf liniertem oder kariertem Papier, schlechte Fotos, das Fehlen wichtiger Unterlagen oder Informationen, fehlende Adressen und Unterschriften, Tippfehler und unsaubere Kopien. Dabei wird davon ausgegangen, dass Bewerber, die bereits hier die nötige Sorgfalt vermissen lassen, sich auch später in der Arbeitssituation keine Mühe geben werden. Man zieht aus der Qualität der Unterlagen erste Schlüsse über die Grundeinstellung des Kandidaten und sein Interesse an der zu besetzenden Stelle. 233 Das gilt natürlich genauso für Bewerbungen in elektronischer Form. Je bedeutender die vakante Stelle ist und je höher sie in der Hierarchie angesiedelt ist, desto eher sollten die Bewerbungsunterlagen in formaler Hinsicht gewissen Mindestanforderungen genügen. Es gibt jedoch Unternehmen, in denen bei einer formvollendet gestalteten Bewerbung auf einen sehr unsicheren Kandidaten, der sich deshalb sehr stark um Korrektheit bemüht, oder auf einen „Blender“ bzw. Pedanten geschlossen wird, 234 der zu viel Zeit für Nebensächlichkeiten aufwendet. 4.2.3 Bewerbungsschreiben Das Anschreiben dient dazu, das Interesse des Bewerbers an der ausgeschriebenen Stelle zu verdeutlichen und dem Unternehmen in komprimierter Form alle wichtigen Informationen zu geben, die für ihn sprechen. Es ist also eine Art Motivationsschreiben. Stereotype Serienbriefe und sehr allgemein gehaltene Schreiben erfüllen diese Funktion nicht. 232 Vgl. Scholz (2000), S. 467. 233 Vgl. Hentze/ Kammel (2001), S. 298 f. 234 Vgl. Stopp (2006), S. 72. 122 · 4 Personalauswahl Befragungen zeigen, dass Unternehmen dem Bewerbungsschreiben insgesamt eine mittlere Bedeutung beimessen. 235 Es wird von Personalern insbesondere zur Beurteilung der Ausdrucksfähigkeit der Kandidaten herangezogen. Bei Bewerbern ist die Anfertigung des Anschreibens die unbeliebteste Aufgabe im Zusammenhang mit der Erstellung der Bewerbungsunterlagen. 236 In letzter Zeit verzichten immer mehr Unternehmen gänzlich auf Bewerbungsschreiben. Beispiele sind die Deutsche Bahn, Otto Versand, Rossmann und Telefonica. Diese setzen stattdessen vermehrt auf elektronische Bewerbungsformen, oft über Smartphones. Manchmal reicht auch eine Verlinkung zum Profil in den sozialen Netzwerken, etwa Xing oder LinkedIn. 237 Der Verzicht auf Bewerbungsschreiben gilt insbesondere bei Bewerbungen um Ausbildungsplätze. Da Azubis knapp werden, will man den Interessenten das Bewerbungsverfahren so leicht wie möglich machen. 238 Man geht davon aus, dass die anderen Unterlagen und weitere Auswahlverfahren, z.B. Interviews, sich besser eignen, Bewerber einzuschätzen. Deshalb verzichtet man auf erste Erläuterungen zur Motivation, zu den Bewerbungsgründen oder den Vorstellungen über das Berufsleben, denn man vermutet, dass solche Gedanken den meist noch recht jungen Bewerbern schwer fallen würden. 239 Aufgrund der Knappheit von Bewerbern für Ausbildungsstellen senkt man also das Niveau bei der Erstellung der Bewerbungsunterlagen und passt sich nach unten an, um Ausbildungsstellen überhaupt besetzen zu können. In anderen Bereichen dagegen, etwa bei der Vergabe von Studienplätzen an Eliteuniversitäten, hat man Motivationsschreiben gerade zur Reflexion über die angestrebte Berufswahl und zur Differenzierung zwischen geeigneten und ungeeigneten Bewerber extra als zusätzliches Auswahlkriterium eingeführt. Sofern das Unternehmen Bewerbungsschreiben weiterhin als notwendig erachtet, sollte es aus Gründen der Übersichtlichkeit und der zeitlichen Belastung der Entscheidungsträger nicht wesentlich länger als eine Seite sein. Zu viele Seiten führen beim Leser eher zu Ungeduld als zu Interesse. Sofern das Unternehmen Bewerbungsschreiben weiterhin als notwendig erachtet, sollte es aus Gründen der Übersichtlichkeit und der zeitlichen Belastung der Entscheidungsträger nicht wesentlich länger als eine Seite sein. Zu viele Seiten führen beim Leser eher zu Ungeduld als zu Interesse. 235 Vgl. dazu die Zusammenstellung der Ergebnisse verschiedener empirischer Untersuchung bei Weuster (2012 a), S. 103 f. 236 Vgl. o.V. (2016 a), S. C 1. 237 Vgl. o.V. (2018 a); o.V. (2018 b). 238 Vgl. o.V. (2018 a). 239 Vgl. ebd. 4.2 Bewerbungsunterlagen · 123 Erwartet werden eine klare Gliederung und eine übersichtliche Gestaltung. Auch Formulierungsstil, Satzbau und Ausdrucksweise im Anschreiben vermitteln erste Eindrücke über den Bewerber, insbesondere seine Sorgfalt und sein schriftliches Ausdrucksvermögen. Wichtige Inhalte sind die sachlichen und persönlichen Bewerbungsgründe, das Interesse am Unternehmen und die Eignung für die vakante Stelle. Das Unternehmen erhält damit Anhaltspunkte, ob sich der Bewerber mit den Stellenanforderungen auseinandergesetzt hat, weshalb er seine bisherige Stelle aufgeben will, wieso er sich für die vakante Stelle interessiert, ob und inwieweit er sich über das Unternehmen informiert hat und inwieweit er nach dem ersten Eindruck den Anforderungen der ausgeschriebenen Stelle gerecht wird. Fehlende Angaben oder vage Formulierungen wie „habe mitgewirkt …“ oder „einfache Grundkenntnisse in …“ lassen darauf schließen, dass es gerade an dieser Qualifikation mangelt. Erste Erkenntnisse zur Arbeitsweise des Bewerbers kann man daraus ziehen, ob der Bewerber bereit und in der Lage war, auf die in der Stellenanzeige formulierten Erwartungen einzugehen. Weitere Informationen, etwa der frühestmögliche Einstellungstermin oder die Gehaltsvorstellungen, runden den ersten Eindruck ab. Weicht die Entgeltforderung von den üblichen Beträgen stark nach oben ab, gibt dies Anlass zu der Vermutung, dass der Bewerber entweder die Stelle oder sich selbst überschätzt. Zu bescheidene Gehaltswünsche lassen ebenfalls auf eine Fehleinschätzung der Stellenanforderungen oder auf mangelnde Selbstsicherheit des Bewerbers schließen. Das Anschreiben muss Name, Adresse und Kontaktmöglichkeiten wie Telefonnummer und E-Mail-Adresse enthalten. Da insbesondere in größeren Unternehmen oft mehrere Stellen zu besetzen sind, muss im Bewerbungsschreiben, sofern es sich nicht um eine freie Bewerbung handelt, eine Kennziffer angegeben werden. Außerdem nutzen Unternehmen oft mehrere Medien zur Personalbeschaffung, weshalb auch die Nennung desjenigen Mediums, auf das sich der Bewerber bezieht, von Bedeutung ist. Auf diese Weise lässt sich später feststellen, wie viele geeignete Bewerber sich auf eine Ausschreibung in einer bestimmten Jobbörse, Fachzeitschrift oder regionalen Tageszeitung beworben haben. Daraus können Schlüsse gezogen werden, welche Medien sich für derartige Vakanzen am besten eignen. Bestimmte Aussagen im Bewerbungsschreiben vermitteln einen eher negativen Eindruck. So wird aus dem namentlichen Erwähnen von Referenzgebern oft auf Unsicherheit oder Imponiergehabe geschlossen oder es wird als Versuch ausgelegt, mithilfe einflussreicher Persönlichkeiten Druck auf das Auswahlgremium zu erzeugen. Viele Entscheidungsträger empfinden es auch als peinlich, über private Probleme wie Ehescheidungen und daraus resultierende berufliche Neuorientierungen im Bewerbungsschreiben informiert zu werden. Kunstvoll gestaltete Briefköpfe oder Familienwappen wirken als „Sozialprothesen“ eher lächerlich und sind keineswegs förderlich. 124 · 4 Personalauswahl Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass jedes Anschreiben das aktuelle Datum enthalten muss und mit einer Unterschrift zu versehen ist. 4.2.4 Lebenslauf (CV) Wie das Anschreiben enthält auch der Lebenslauf (Curriculum Vitae, CV) ein aktuelles Datum und eine Unterschrift. Damit zeigt der Bewerber, dass er seine Unterlagen kurzfristig aktualisiert und selbst zusammengestellt hat. Der Lebenslauf gibt dem Unternehmen einen systematischen Überblick über die persönliche und berufliche Entwicklung des Bewerbers. In den meisten Unternehmen spielt er bei Auswahlentscheidungen eine wichtige Rolle. Üblich ist die tabellarische Form des CV. Lediglich bei Bewerbungen um Ausbildungsplätze fordern Unternehmen manchmal handgeschriebene Lebensläufe in Prosa. Sie dienen dann weniger der Darlegung der beruflichen Entwicklung, da außer Praktika während der Schulzeit noch kaum diesbezügliche Erfahrungen vorliegen dürften, sondern sollen vor allem Informationen zur Ausdrucksfähigkeit, zu den Rechtschreibkenntnissen und zur Sorgfalt des Bewerbers liefern. Zur besseren Übersicht sollte ein tabellarischer Lebenslauf nicht nur chronologisch, sondern auch logisch geordnet sein, d.h. die Informationen werden in einzelne Rubriken eingeteilt, etwa persönliche Daten, Schulbildung und Berufserfahrung. Innerhalb dieser erfolgt eine zeitliche Untergliederung. Dies erhöht die Übersichtlichkeit. Üblicherweise wird in jeder Rubrik mit den aktuellen Daten begonnen. Je weiter ein Ereignis zurückliegt, desto weiter unten erscheint es. Das hat den Vorteil, dass der Leser zur Abschätzung der aktuellen Situation des Bewerbers zunächst nur die ersten Informationen in einer Rubrik beachten muss. Im Internet ist ein Formular für einen EU-Lebenslauf in allen EU-Sprachen abrufbar, welches nach einem Beschluss der Europäischen Kommission europaweit zur Verwendung empfohlen wird. 240 Er enthält diese Rubriken: persönliche Daten Arbeitserfahrung Schul- und Berufsbildung Fähigkeiten und Kompetenzen weitere Angaben Anlagen Da die Vorgehensweisen bei der Personalauswahl von Land zu Land und Unternehmen zu Unternehmen unterschiedlich sind, ist es eher unwahrscheinlich, dass sich ein solcher einheitlicher Lebenslauf in absehbarer Zeit durchsetzen wird. Dennoch handelt es sich um eine gute Anleitung, wie Bewerber alle notwendigen Informationen systematisch und übersichtlich aufbereiten können. 240 Vgl. http: / / europass.cedefop.europa.eu 4.2 Bewerbungsunterlagen · 125 Die Analyse des Lebenslaufs erfolgt nach Zeitfolgen Positionen und Unternehmensbzw. Branchenwechseln. Mithilfe der Zeitfolgenanalyse wird überprüft, wie häufig der Bewerber die Stelle gewechselt hat und ob zwischen den Beschäftigungsverhältnissen ungeklärte Lücken bestehen. Die Lückenlosigkeit des Lebenslaufs gilt als Indikator für Solidität und Ehrlichkeit. Hinter Lücken werden häufig Lebensumstände vermutet, die der Bewerber verschweigen möchte, obwohl sie für das Unternehmen von Bedeutung sein könnten. Mehrere kurzfristige Stellenwechsel werden bei älteren Bewerbern oft negativ gesehen. Man vermutet, dass der Bewerber den Anforderungen der vorigen Arbeitgeber nicht entsprochen hat. Bei jüngeren Bewerbern schließt man eher auf Flexibilität oder eine berufliche Orientierungsphase. Zu häufige Wechsel werden jedoch als mangelnde Zielstrebigkeit und geringes Durchhaltevermögen oder zu starke Karriereorientierung und Ichbezogenheit sowie als mangelndes Interesse am jeweiligen Unternehmen ausgelegt. Auch schlechte Beziehungen zu Vorgesetzten, Kollegen und Kunden oder geringe Teamfähigkeit und Integrationsfähigkeit werden als Ursache vermutet. Umgekehrt kann eine lange Betriebszugehörigkeit als mangelnde Flexibilität oder geringe Lernbereitschaft interpretiert werden. 241 Ein häufiger Arbeitgeberwechsel zumindest zu Beginn des Berufslebens wird in einigen Branchen und Berufsfeldern allerdings als notwendige Erweiterung des Erfahrungsbereichs und Vervollständigung der Qualifikation gesehen, etwa in der Mode- und der Werbebranche, in der gehobenen Gastronomie und im Hotelgewerbe. Die Positionenanalyse beschäftigt sich mit dem beruflichen Auf- und Abstieg des Bewerbers, wozu auch der Wechsel des Berufs oder des Arbeitsbereichs gehört. Ein Aufstieg wird grundsätzlich positiv beurteilt. Dabei muss auch die Unternehmensgröße berücksichtigt werden, da der horizontale Wechsel zwischen einem kleineren und großen Unternehmen oft mit anderen Anforderungen, Verantwortungsbereichen und Befugnissen verbunden ist, auch wenn es sich formal um die gleiche Stelle handelt. Wichtig sind für viele Unternehmen Geradlinigkeit und Folgerichtigkeit der Stellenwechsel. Allerdings kann aufgrund der heutigen wirtschaftlichen Dynamik meistens kein kontinuierlicher Positionsverlauf erwartet werden. Kurze Arbeitslosigkeit oder ein kurzfristiges Beschäftigungsverhältnis sollten deshalb nicht grundsätzlich negativ beurteilt werden, sondern im Einzelnen geprüft und ggf. im Vorstellungsgespräch angesprochen werden. So kann z.B. der Mut, sich selbständig zu machen oder in einem neu gegründeten Unternehmen Aufbauarbeit zu leisten, als Eigeninitiative, Risikobereitschaft und Einsatzfreude gewertet werden, selbst wenn das Unternehmen später scheiterte. 242 Mithilfe der Unternehmens- und Branchenanalyse wird festgestellt, ob der Bewerber verwertbares Wissen aus der gleichen oder einer verwandten Branche mitbringt, etwa Kennt- 241 Vgl. Hesse/ Schrader (2002), S. 131. 242 Vgl. Weuster (2012 a), S. 138. 126 · 4 Personalauswahl nisse über die Konkurrenzsituation oder über neue Produktentwicklungen oder Möglichkeiten der Kundenwerbung. Die Betriebsgröße vorheriger Arbeitgeber gibt Hinweise darauf, inwieweit eine reibungslose Integration in das eigene Unternehmen gelingen wird. Bei dieser Analyse wird auch der Ruf der Branche und der Unternehmen, in denen der Bewerber gearbeitet hat, berücksichtigt. Allerdings ist hier eine gewisse Vorsicht angebracht. So wird aus einem technisch rückständigen Unternehmen zwar kaum ein Ingenieur kommen, der über die neuesten technischen Kenntnisse verfügt, andererseits können in solch einem Betrieb durchaus Mitarbeiter tätig sein, die hervorragende Kenntnisse der Kosten- und Leistungsrechnung haben. Hinweise auf den soziokulturellen Hintergrund des Bewerbers runden die bisherigen Erkenntnisse ab. Sie ergeben sich z.B. aus der Schulart und dem Familienstand, einem eher ländlichen oder städtischen Umfeld, aus ehrenamtlichen Tätigkeiten, Hobbys und Freizeitaktivitäten. In letzter Zeit interessieren sich die Entscheidungsträger - besonders aus dem Mittestand - zunehmend für die Freizeitgestaltung ihrer Bewerber. Team- und Ausdauersportarten sind sehr gefragt. Pünktlichkeit, Disziplin, Fairness, Siegeswille werden z.B. mit Teamsport verbunden. Eigenmotivation, Durchhaltevermögen, Disziplin, Taktik und strategisches Denken sollen mit der Begeisterung für einen Ausdauersport einhergehen. Man denke etwa an Marathonläufer oder Tennisspieler. Darstellerische Hobbys, wie Tanz, Theater oder Musik sollen Selbstbewusstsein fördern und rhetorisch und mimisch schulen. Auch Disziplin und die Bereitschaft vor größerem Publikum aufzutreten, werden damit häufig verbunden. 243 Die Begeisterung eines Bewerbers für aktives Fußballspielen wird mit Eigenschaften wie Zuverlässigkeit, Selbständigkeit, Durchsetzungsvermögen, Belastbarkeit, Teamgeist gleichgesetzt. Interessante Hobbys können im Einzelfall sogar schlechte Noten wettmachen. Extrem gefährliche Hobbys - etwa Fallschirmspringen oder Bungee Jumping - stoßen allerdings nach wie vor auf große Skepsis. 244 4.2.5 Lichtbild Mit dem Lichtbild vermittelt der Bewerber einen unmittelbaren Eindruck von seiner äußeren Erscheinung. Das Foto sollte den Kandidaten so zeigen, wie er im Geschäftsleben auftreten und gesehen werden möchte. Urlaubs- und Privatfotos sind, obwohl sie immer wieder in Bewerbungsunterlagen zu finden sind, völlig ungeeignet. Aus der Art des Lichtbilds (Selfie, Automatenfoto, Fotografenfoto) und seiner Aktualität wird häufig auf die Ernsthaftigkeit der Bewerbung geschlossen. So lässt ein professionell erstelltes Foto eher vermuten, dass es sich um einen interessierten Bewerber handelt, als ein Automatenfoto, insbesondere wenn es auch noch älteren Datums ist. Selfies und andere Schnappschüsse sind völlig unangebracht. Große Bilder vermitteln den Eindruck, dass der Kandidat sehr von sich überzeugt ist. 243 Vgl. Lehn (2013), C. 10. 244 Vgl. ebd. 4.2 Bewerbungsunterlagen · 127 Auch aus äußerlichen Merkmalen (Brille, Bart etc.) werden Rückschlüsse gezogen. Ein ungepflegt wirkender Bewerber mit altmodischer Brillenfassung und fettigen Haaren wird kaum für eine Stelle mit häufigem Kundenkontakt oder Repräsentationsaufgaben in Frage kommen. Rückschlüsse auf Intelligenz, Leistungsfähigkeit und grundlegende Charakterzüge verbieten sich allerdings, zumal es keine wissenschaftlichen Erkenntnisse gibt, die dies rechtfertigen würden. 245 Viele Unternehmen messen einem Bewerbungsfoto nur eine recht geringe Bedeutung bei. Es ist im deutschsprachigen Raum jedoch nach wie vor „state of the art“ und damit üblicher Bestandteil der Bewerbungsunterlagen. Wenngleich es seit Inkrafttreten des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes nicht mehr ausdrücklich verlangt werden darf, wird sein Fehlen i.d.R. negativ bewertet. Viele internationale Unternehmen lehnen die Einsendung eines Bewerbungsbildes jedoch mittlerweile ab. 4.2.6 Abschluss- und Ausbildungszeugnisse Schulzeugnisse sind für die Bewerberauswahl, außer im Falle von Auszubildenden und Berufsanfängern, von untergeordneter Bedeutung. Schulnoten und -fächer geben Hinweise auf die Allgemeinbildung und spezielle Begabungen. So lassen gute Noten in einem bestimmten Fach ein besonderes Interessengebiet vermuten. Bei Sprachfächern schließt man von der Note auf Sprachbegabung und die Ausdauer beim Lernen, bei den Naturwissenschaften und der Mathematik werden Schlüsse auf das Abstraktionsvermögen und die Analysefähigkeiten gezogen. Schlechte Noten gelten als Indiz für fehlende Eigeninitiative, für Desinteresse und mangelnde Kenntnisse. Sehr gute Noten werden gelegentlich als Fähigkeit zur Anpassung interpretiert. Die Kopfnoten lassen Rückschlüsse auf die Kommunikations-, Kontakt- und Teamfähigkeit, den Umgang mit Konflikten und das allgemeine Arbeitsverhalten zu. Insbesondere bei Bewerbern, die bereits einige Zeit im Beruf stehen, ist die Bedeutung der Schulzeugnisse für den Auswahlprozess sehr gering. Wichtig sind sie bei Bewerbern, die noch keine oder kaum berufliche Erfahrung vorweisen können, sowie bei Jugendlichen, die sich um einen Ausbildungsplatz bemühen. Hier sollte man sich auf diejenigen Fächer konzentrieren, die für die ausgeschriebene Stelle von Bedeutung sind. Ausbildungszeugnisse sind vor allem bei Berufseinsteigern von Belang, da noch keine Arbeitszeugnisse mit Informationen zur Qualifikation und Arbeitsleistung existieren. Je länger die Berufsausbildung zurückliegt, desto geringer ist ihre Bedeutung für den Auswahlprozess. Hochschul-/ Universitätsabschlüsse, die innerhalb der Mindestbzw. Regelstudienzeit erbracht wurden, geben Hinweise auf Zielstrebigkeit und Leistungsorientierung. Die Institution selbst sowie Hochschul-Rankings, bei denen die Hochschulen nach qualitativen Merkmalen bewertet werden, spielen in Deutschland bisher noch eine geringe Rolle. Bis auf wenige Ausnahmen geht man von annähernder Gleichwertigkeit der Abschlüsse aus. Wenn man jedoch die aktuelle Vielfalt der Hochschulen betrachtet, an denen mit sehr unter- 245 Vgl. Schuler (2000), S. 14 f. 128 · 4 Personalauswahl schiedlichem Arbeitsaufwand und sehr unterschiedlicher Qualität des fachlichen Inputs ein Studium mit gleicher Abschlussbezeichnung absolviert werden kann, ist zu vermuten, dass zukünftig der Hochschule ein deutlich größerer Stellenwert beigemessen werden muss, ähnlich wie es in englischsprachigen Ländern ist, wo die Hochschule selbst in hohem Maße als Qualitätskriterium gilt. Von Universitätsabsolventen werden in der Regel ein größeres Abstraktionsvermögen und die Fähigkeit zur Lösung komplexer Probleme erwartet. Hochschulabsolventen punkten durch einen größeren Praxisbezug, einen früheren Einstieg ins Berufsleben und durch eine generell realistischere Erwartungshaltung. Fachrichtung, Studienschwerpunkte und Thema der Bachelorbzw. Master-Arbeit sind oft ein wichtiges Auswahlkriterium zu Beginn der Berufstätigkeit, da daraus auf bestimmte Vorkenntnisse geschlossen werden kann. Die Noten, insbesondere die Abschlussnoten, spielen vor allem bei Führungsnachwuchskräften eine wichtige Rolle. Ist der Bewerber bereits längere Zeit berufstätig, kommt seinen Schul-, Ausbildungs- und Hochschulzeugnissen eher eine Dokumentationsfunktion zu. Sie belegen, dass die behaupteten Abschlüsse tatsächlich erbracht wurden. 4.2.7 Arbeitszeugnisse Arbeitszeugnisse spielen bei der Auswahl von Bewerbern mit Berufserfahrung in Deutschland noch immer eine große Rolle, auch wenn ihre Bedeutung aufgrund der Internationalisierung abnimmt. Dies gilt auch für Österreich und die Schweiz. In den meisten anderen Ländern gibt es solche Bescheinigungen gar nicht, sodass Bewerber die Unterlagen nicht vorweisen können. Auch können die Zeugnisse dort nicht korrekt interpretiert werden, da die Unternehmen mit der deutschen Zeugnissprache nicht vertraut sind. Der Arbeitgeber muss nur dann ein schriftliches Zeugnis ausstellen, wenn der Arbeitnehmer den Anspruch mündlich oder schriftlich geltend macht. Lediglich bei Auszubildenden muss am Ende des Ausbildungsverhältnisses unaufgefordert ein Zeugnis vom Ausbildungsbetrieb ausgestellt werden. Man unterscheidet einfache und qualifizierte Zeugnisse. Einfache Zeugnisse oder Arbeitsbescheinigungen geben lediglich über die Person sowie die Dauer und die Art der Beschäftigung Auskunft, womit sich ein Dritter kein Bild von der jeweiligen Stelle und ihren Anforderungen sowie der Leistung und dem Verhalten des Bewerbers machen kann. Qualifizierte Arbeitszeugnisse enthalten hingegen ausführliche Informationen über die Aufgaben sowie über die erbrachten Leistungen und das Arbeits- und Sozialverhalten, bei Führungskräften auch über das Führungsverhalten. Welche Art von Arbeitszeugnis ein Mitarbeiter erhält, bestimmt er in der Regel selbst. Legt ein Bewerber nur eine Arbeitsbescheinigung vor, stellt sich die Frage, weshalb er von seinem früheren Arbeitgeber kein qualifiziertes Zeugnis verlangt hat. Hier liegt dann die Vermutung nahe, dass es Negatives über seine Leistungen oder sein Verhalten enthalten hätte. 4.2 Bewerbungsunterlagen · 129 Arbeitszeugnisse werden in der Regel bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses ausgestellt. Bei Versetzungen, Umstrukturierungen oder einem Wechsel des Vorgesetzten empfiehlt es sich jedoch für den Arbeitnehmer, ein Zwischenzeugnis zu fordern, da sich die neue Stelle möglicherweise als nicht so positiv wie die bisherige erweist oder das Verhältnis zum neuen Vorgesetzten schlechter ist. Bei der Erstellung eines Zeugnisses ist das Unternehmen an bereits vorhandene Bewertungen aus Zwischenzeugnissen und Leistungsbeurteilungen gebunden, sofern sich nicht nachträglich für diese Zeiträume neue Tatbestände ergeben. Es übernimmt diese Bewertungen, ohne dass die wörtlichen Formulierungen verwendet werden müssen, und ergänzt sie für die Situation nach der letzten Zeugnisausstellung. Der Anspruch auf Erstellung eines Arbeitszeugnisses verjährt nach drei Jahren, er kann jedoch bereits früher verwirkt sein, wenn es im Nachhinein nicht mehr möglich ist, die Leistungen des Mitarbeiters zu beurteilen, etwa weil die damaligen Vorgesetzten nicht mehr im Unternehmen tätig sind oder sich nicht mehr genau erinnern können und keine Unterlagen mehr vorhanden sind. In diesen Fällen kann lediglich eine einfache Arbeitsbescheinigung ausgestellt werden. Beim Auswahlverfahren stellt sich dann die Frage, warum der Bewerber nicht frühzeitig ein qualifiziertes Zeugnis von seinem früheren Arbeitgeber angefordert hat. Sollte der Mitarbeiter nicht mit seiner Beurteilung einverstanden sein, muss er unverzüglich eine Berichtigung verlangen und diese ggf. einklagen. Arbeitszeugnisse dürfen im Original weder verbessert noch sonst irgendwie abgeändert werden, sondern müssen, sollten sie fehlerhaft sein, vollständig neu geschrieben werden. Der Mitarbeiter kann ein Zeugnis mit Schreibfehlern, Verbesserungen, Knicken, Flecken etc. ablehnen und ein neues fordern. Ein formal einwandfreies Arbeitszeugnis enthält Ausstellungsort und -datum. Hinweise über das ausstellende Unternehmen ergeben sich in der Regel aus dem Briefkopf. Eine Überschrift verdeutlicht, um welche Art von Zeugnis es sich handelt, z.B. um ein Zwischenzeugnis. Es folgen Angaben zur Person des Mitarbeiters und dann der eigentliche Zeugnistext. Er enthält diese Informationen: Angaben zum Unternehmen und zum Beschäftigungsverhältnis Angaben zu den Tätigkeiten, wie Bezeichnung der Stelle(n) und der/ den hierarchischen Position(en), Aufgaben und Kompetenzen sowie Informationen zur Entwicklung, die der Mitarbeiter im Unternehmen gemacht hat Angaben zu Leistungen, Arbeits- und Sozialverhalten und ggf. zur Mitarbeiterführung Gesamtbeurteilung Schlussformel Unterschriften und Ausstellungsdatum Das Unternehmen hat freie Hand, wie es die Informationen über den Mitarbeiter formuliert. Dabei sind jedoch bestimmte Grundsätze zu beachten: 130 · 4 Personalauswahl Sorgfaltspflicht Wahrheitspflicht Pflicht zu wohlwollenden Formulierungen Die Sorgfaltspflicht besagt, dass die Angaben über Art und Zeitraum der Tätigkeiten des Arbeitnehmers exakt und vollständig sein müssen. Dies gilt auch für die Beurteilungen der Leistungen und des Arbeits- und Sozialverhaltens des Mitarbeiters, die stets begründet sein müssen. Zur Wahrheitspflicht gehört es, dass das Unternehmen alle wichtigen Leistungen und Verhaltensweisen des Mitarbeiters nennt. Er darf weder absichtlich zu gut noch zu schlecht beurteilt werden. Entsteht dem neuen Arbeitgeber ein Schaden, weil er sich auf die Vollständigkeit und die Richtigkeit dieser Aussagen verlassen hat, haftet der frühere Arbeitgeber. Ein Arbeitszeugnis muss zudem wohlwollend formuliert sein, damit der Mitarbeiter in seinem weiteren Berufsleben nicht benachteiligt wird. Diese Forderung ergibt sich aus der Fürsorgepflicht des Arbeitgebers. Ungünstige Angaben sollen nach Möglichkeit vermieden werden. Schlechte Leistungen oder unangemessenes Verhalten dürfen aber nicht verschwiegen werden, da dies gegen die Wahrheitspflicht verstoßen würde. Vorübergehend schlechte Leistungen oder einmalige Fehler sollen nicht genannt werden, wenn der Mitarbeiter ansonsten gute Leistungen erbracht hat. Da Abmahnungen den Gesamteindruck vom Mitarbeiter negativ beeinflussen, dürfen sie nicht erwähnt werden. Bei schwerwiegenden Verfehlungen muss der Grund der Kündigung angegeben werden. Ansonsten soll er nur erwähnt werden, wenn der Mitarbeiter dies wünscht, etwa weil er selbst gekündigt hat. Auch wenn die Kündigungsursache beim Unternehmen liegt, etwa bei einer Werksschließung, wird der Grund oft genannt. So soll deutlich werden, dass die Kündigung nicht im Verschulden des Mitarbeiters liegt. Die Art der Kündigung, z.B. eine außerordentliche Kündigung, darf nicht genannt werden. Sie kann sich aus dem Ausstellungsdatum oder dem Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses ergeben. Die Erwähnung von Gewerkschafts- oder Betriebsratstätigkeiten ist nur auf ausdrücklichen Wunsch des Arbeitnehmers erlaubt. Auch Formulierungen, aus denen man auf ein entsprechendes Engagement schließen kann, wie „… hat sich auch außerhalb des Betriebes sehr für die Belange der Arbeitnehmer eingesetzt…“, sind unzulässig. Auf Krankheiten des Mitarbeiters darf der Arbeitgeber im Zeugnis nicht eingehen, selbst dann nicht, wenn dem Arbeitnehmer krankheitsbedingt gekündigt wurde. Nur dann, wenn der Mitarbeiter so lange krank war, dass eine korrekte Beurteilung seiner Leistung und seines Verhaltens nicht mehr möglich ist, kann die Krankheit erwähnt werden. Ist eine Gefährdung Dritter durch die Krankheit möglich, muss sie ebenfalls angegeben werden. Die Verwendung von Geheimzeichen, Unterstreichungen, Anführungszeichen, Ausrufezeichen und Fragezeichen ist nicht zulässig. Allerdings sind bestimmte Formulierungen und Vorgehensweisen bei der Zeugniserstellung üblich, sie werden unter dem Begriff Zeugnissprache zusammengefasst. 4.2 Bewerbungsunterlagen · 131 Da die Zeugnissprache nicht von allen Arbeitgebern beherrscht wird, ist der Aussagewert vieler Arbeitszeugnisse fraglich. So kann ein Unternehmen in Unkenntnis der üblichen Formulierungen und damit aufgrund einer falschen Wortwahl eine andere Beurteilung abgeben, als es eigentlich beabsichtigte. Es kommt allerdings auch vor, dass Arbeitszeugnisse geschönt werden, um einen Mitarbeiter, mit dem man in Wahrheit nicht zufrieden war, „wegzuloben“. Oftmals werden Zeugnisse auch deshalb bewusst zu positiv formuliert, um möglichen Klagen seitens des ehemaligen Mitarbeiters vorzubeugen. Manchmal soll Mitarbeitern, denen aus Gründen gekündigt wurde, die sie selbst nicht zu verantworten haben (z.B. schlechte Auftragslage oder Umstrukturierungen), die Stellensuche mit einem besonders guten Zeugnis erleichtert werden. Erschwerend kommt hinzu, dass nicht alle mit der Personalauswahl beauftragten Mitarbeiter mit der Zeugnissprache vertraut sind, sodass Zeugnisse oft falsch interpretiert werden. Die heute gängige Zeugnissprache hat sich insbesondere aus dem Dilemma des Arbeitgebers heraus entwickelt, Zeugnisse wahrheitsgemäß, aber auch wohlwollend formulieren zu müssen. Sie verwendet bestimmte Formulierungen und Vorgehensweisen, denen besondere Bedeutung zukommt. Soll das Zeugnis richtig interpretiert werden, muss man diese kennen. 246 Dabei ist es auch von Bedeutung, wann das Zeugnis erstellt wurde. Arbeitszeugnisse, die bereits vor längerer Zeit geschrieben wurden, sind oft direkter formuliert, als es heute üblich ist. Da Unternehmen arbeitsgerichtlichen Auseinandersetzungen aus dem Wege gehen wollen und Arbeitnehmer heute schneller als früher zu solchen Konfrontationen bereits sind, werden die Aussagen in Zeugnissen immer vorsichtiger. Bei der Interpretation ist die Größe des ausstellenden Unternehmens zu beachten. Bei Großunternehmen sind Standardformulierungen und meist auch die Verwendung einer Software zur Zeugniserstellung üblich. Man kann davon ausgehen, dass die Besonderheiten der Zeugnissprache bekannt sind und bestimmte Formulierungen bewusst gewählt werden, während dies bei kleinen und mittleren Unternehmen oft nicht der Fall ist. Deshalb kann es schwierig sein, die Aussagen dieser Unternehmen zu werten, da nicht immer klar ist, ob der Aussteller mit der Zeugnissprache vertraut war und bestimmte Formulierungen bewusst gewählt hat oder ob er eine ganz andere Bewertung abgeben wollte als seine Wortwahl vermuten lässt und diese nur zufällig war. Bei der Auslegung von Arbeitszeugnissen ist es nicht nur notwendig, auf ganz bestimmte Ausdrücke zu achten, man muss auch „zwischen den Zeilen lesen“. Ein gutes Arbeitszeugnis, bei dem die Zeugnissprache beachtet wird, enthält eine überwiegend positive Wortwahl und viele aktive Formulierungen. Vornehmlich passive Formulierungen deuten hingegen darauf hin, dass der Mitarbeiter selbst nicht aktiv war, sondern ständig von außen zur Leistungserbringung angeregt werden musste. Die Länge des Zeugnisses muss zur Stelle und der Dauer der Betriebszugehörigkeit passen. Je hochwertiger die Stelle, desto eher wird eine ausführliche Beurteilung erwartet. Ein 246 Vgl. Maron (2012), S. 22 f.; Bröckermann (2012), S. 77 ff. 132 · 4 Personalauswahl sehr knappes Zeugnis für einen langjährigen Mitarbeiter ist ein Hinweis, dass in letzter Zeit Probleme aufgetreten sind. Bereits aus dem Einleitungssatz und der Aufgabenbeschreibung kann sich unter Umständen eine Bewertung des Arbeitnehmers herauslesen lassen. Aktive, wertfreie Formulierungen wie „…war tätig als…“ und „…übernahm die Aufgaben…“ oder passive Abfassungen wie „…wurde beschäftigt als…“ bzw. „…wurde eingesetzt als…“ lassen Rückschlüsse auf dessen Engagement zu. Eine Formulierung wie „…er fand Verwendung als…“ lässt auf eine ungenügende Leistung schließen. Die Reihenfolge der genannten Aufgaben ist ebenfalls relevant. Werden zuerst unwichtige und dann wichtige Aufgaben aufgezählt, entspricht dies meist der Eignung des Arbeitnehmers, d.h. wichtige Aufgaben wurden schlecht erfüllt. Einen Überblick über wichtige gebräuchliche Formulierungen gibt Abb. 4-3. Die Beurteilung der Leistung enthält Aussagen über: Fachwissen Arbeitsbereitschaft Ausdauer und Belastbarkeit Flexibilität und Aufgeschlossenheit Zuverlässigkeit, Vertrauen und Verantwortung Arbeitsweise und Arbeitserfolg Neben bestimmten Standardformulierungen wird auch mit vielsagendem Verschweigen und mit Hervorheben gearbeitet. Entscheidend ist dabei nicht, dass Eigenschaften und Verhaltensweisen positiv bewertet werden, sondern um welche es sich handelt. Bei der Analyse muss geprüft werden, wie die Arbeitsleistung hätte sein sollen. Werden unwichtige Aspekte besonders hervorgehoben, geht man davon aus, dass der Mitarbeiter wichtige Dinge vernachlässigt bzw. nicht gekonnt hat. Fehlende Aussagen über berufstypische Merkmale sind grundsätzlich negativ zu bewerten. 247 Dabei kann es sich z.B. um die Ehrlichkeit eines Kassierers, die Verschwiegenheit einer Chefsekretärin oder das Vertrauen in einen Mitarbeiter der Personalabrechnungsstelle handeln. Wenn komplexe Aufgaben nur zum Teil beurteilt werden, schließt man daraus, dass die Leistung bei den anderen, unerwähnten Aufgabenteilen nicht bemerkenswert war. Wird die Genauigkeit ohne weitere Ergänzung hervorgehoben, liegt der Verdacht nahe, dass die erbrachte Arbeitsmenge gering war. Wird nur die Schnelligkeit betont, steht die Qualität der Arbeitsleistung infrage. Werden Tätigkeiten ohne Beurteilung aufgezählt, bedeutet dies, dass über die Aufgabenerfüllung nichts Gutes gesagt werden kann. Folgt andererseits nach jeder aufgezählten Tätigkeit eine ausführliche Beurteilung, liegt der Schluss nahe, dass der Mitarbeiter für einige Aufgaben besser geeignet war als für andere bzw. dass er nicht kontinuierlich gute Arbeit geleistet hat. 247 Vgl. Kolb (2010), S. 118. 4.2 Bewerbungsunterlagen · 133 Beispiele für die Zeugnissprache Formulierung Bedeutung Seine Leistungen haben in jeder Hinsicht unsere volle Anerkennung gefunden. Er war ein sehr guter Mitarbeiter. Er war immer mit Interesse bei der Sache. Er hat sich zwar angestrengt, aber er hat nichts geleistet. Mit seinen Vorgesetzten ist er gut zurechtgekommen. Er war ein Ja-Sager und Mitläufer und hat sich immer angepasst. Wir lernten ihn als einen umgänglichen Menschen kennen. Er ging vielen Mitarbeitern auf die Nerven und war schlecht gelitten. Durch seine Geselligkeit trug er zur Verbesserung des Betriebsklimas bei. Er neigt zu starkem Alkoholgenuss. Für die Belange der Kollegen zeigte er stets Einfühlungsvermögen. Er suchte sexuelle Kontakte im Unternehmen. Wir haben ihn als einsatzwilligen und sehr beweglichen Mitarbeiter kennengelernt, der stets bemüht war, die ihm übertragenen Aufgaben zur vollsten Zufriedenheit in seinem und im Interesse des Unternehmens zu lösen. Er hat uns sehr geschickt bestohlen. Wir bestätigen gerne, dass Herr X mit Fleiß, Ehrlichkeit und Pünktlichkeit an seine Aufgaben herangegangen ist. Er war fachlich inkompetent. Er hatte Gelegenheit, sich Wissen anzueignen. Er hat die Gelegenheit nicht genutzt. Das Arbeitsverhältnis mit Herrn X dauerte von … bis … Herr X war häufig/ lange krank. Er hat sich nach Kräften bemüht, die Leistungen zu erbringen, die wir an diesem Arbeitsplatz in der Regel erwarten. Er hat völlig ungenügende Leistungen erbracht. Er war ein nicht unbeliebter Vorgesetzter. Sein Führungsverhalten war mäßig. Seine Mitarbeiterführung war stets vorbildlich. Er ist eine hervorragende Führungskraft. Er hat alle Aufgaben ordnungsgemäß erledigt. Er ist ein Bürokrat und zeigt keinerlei Eigeninitiative. Aufgrund seiner Pünktlichkeit war er stets ein gutes Vorbild. Seine Leistung war unterdurchschnittlich und er war in jeder Hinsicht unbrauchbar. Er war bei unseren Kunden sehr schnell beliebt. Er machte sehr schnell Zugeständnisse. Abb. 4-3: Gebräuchliche Formulierungen der Zeugnissprache 248 248 In Anlehnung an Oechsler/ Paul (2015), S. 232 ff.; Jung (2017), S. 795. 134 · 4 Personalauswahl Doppelte Verneinungen wie „…seine Leistungen waren nicht unbedeutend…“ oder „…er war bei seinen Kollegen nicht unbeliebt…“ sind als besonders negative Beurteilungen zu interpretieren. Mit dem Sozialverhalten bewertet das Unternehmen das Verhalten des Mitarbeiters gegenüber Vorgesetzten gegenüber Kollegen gegenüber weiteren Personen und Institutionen wie Kunden, Lieferanten, Besuchern und anderen Externen in anderen sozialen Situationen Bei Führungskräften wird neben dem allgemeinen Arbeits- und Sozialverhalten zusätzlich das Verhalten gegenüber unterstellten Mitarbeitern einbezogen. Es erfolgt dabei zunächst eine Beurteilung des Verhaltens gegenüber Vorgesetzten und Kollegen und ggf. gegenüber den Mitarbeitern. Daran schließen sich Aussagen zum Verhalten gegenüber Kunden, Lieferanten, Besuchern und weiteren Externen an. Auch Aussagen zur Vertrauenswürdigkeit, Diskretion und Loyalität haben hier ihren Platz. 249 Wie bei den anderen Beurteilungsaspekten haben sich Standardformulierungen herausgebildet, außerdem ist die Reihenfolge von Bedeutung. Wird sie vertauscht oder fehlt ein Aspekt, geht man von Schwierigkeiten aus. Bei Führungskräften hat die Bewertung des Führungsverhaltens und der Führungsleistung großes Gewicht. Knappe Aussagen lassen vermuten, dass das Unternehmen nicht zufrieden war, handelt es sich doch um wesentliche Aufgaben eines Vorgesetzten, die entsprechend ausführlich gewürdigt werden müssten. Die Gesamtbeurteilung der Leistung erfolgt ebenfalls nach bestimmten Standards. Aussagen wie „…seine Leistungen haben in jeder Hinsicht unsere volle Anerkennung gefunden…“ oder „…er hat unsere Erwartungen immer und in jeder Hinsicht erfüllt…“ haben mittlerweile die früher übliche, hölzern klingende Formulierung „…hat die ihm übertragenen Aufgaben stets zu unserer vollsten Zufriedenheit erfüllt…“ als Standardaussage für eine sehr gute Gesamtbeurteilung weitgehend abgelöst. Wegen der Verpflichtung zur wohlwollenden Beurteilung darf eine ungenügende Gesamtleistung nicht als solche bezeichnet werden. Stattdessen verwendet man z.B. die Formulierung „…hat sich intensiv bemüht, unseren Erwartungen jederzeit gerecht zu werden…“. Die Beurteilung endet mit dem Schlusssatz. Er enthält i.d.R. Angaben zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses eine Dankesformel gute Wünsche für die Zukunft Im Schlusssatz macht der Arbeitgeber evtl. Angaben dazu, wer das Beschäftigungsverhältnis aufgelöst hat, ggf. werden auch die Gründe genannt. Das Fehlen eines Kündigungsgrundes legt die Vermutung nahe, dass der Arbeitgeber die Kündigung ausgesprochen hat. 249 Vgl. Weuster (2012 a), S. 188 f. 4.2 Bewerbungsunterlagen · 135 Bei einer arbeitgeberseitigen Kündigung kann der Auflösungsgrund wichtige Informationen liefern. So kann die Angabe, dass eine Filiale geschlossen wurde, ein Indiz dafür sein, dass dem Mitarbeiter nicht aufgrund schlechter Leistung gekündigt wurde und der Arbeitgeber seine Zufriedenheit mit dem Mitarbeiter hervorheben möchte. Ein ungewöhnliches Auflösungsdatum, z.B. der Zwölfte eines Monats, lässt auf eine fristlose Kündigung schließen. Auf eine Dankesformel und Zukunftswünsche hat der Arbeitnehmer rechtlich keinen Anspruch. Sie gehören jedoch zum guten Ton und sagen einiges über das Verhältnis zwischen den Beteiligten aus. Eine gute Beurteilung, die zudem mit einem Dank an den Arbeitnehmer und dem Bedauern über sein Ausscheiden verbunden ist, vermittelt den Eindruck, dass es sich um einen geschätzten Mitarbeiter handelte. Gleiches gilt für die Zukunftswünsche. Fehlen diese, schließt man auf eine ernsthafte Verstimmung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Soll der Mitarbeiter in besonders positivem Licht dargestellt werden, werden die Zukunftswünsche zusätzlich mit einer Empfehlung verbunden. Bestätigt sich der Eindruck, den man vom Bewerber gewinnt auch aufgrund weiterer Zeugnisse, dann kommt diesem Gesamteindruck ein höheres Gewicht zu als einzelne negative oder positive Formulierungen in einem einzigen Zeugnis. Insgesamt werden Arbeitszeugnisse immer unwichtiger bei der Personalauswahl. Zum einen gibt es immer mehr Superzeugnisse, weil Unternehmen rechtliche Schwierigkeiten scheuen und dazu neigen, so wohlwollend wie möglich zu formulieren und zum anderen, weil Arbeitszeugnisse in nicht deutschsprachigen Ländern kaum bekannt sind und dort auch nicht korrekt interpretiert werden können. Die Internationalisierung der Arbeitsverhältnisse führt dazu, dass Referenzen der Vorzug gegeben wird. 4.2.8 Weiterbildungszeugnisse und Referenzen Über das Interesse des Bewerbers an Weiterbildung, über seine berufliche Orientierung und ein Engagement, welches über das Normalmaß hinausgeht, geben Weiterbildungszeugnisse Auskunft. Sie enthalten - ergänzend zum Lebenslauf und den Arbeitszeugnissen - Informationen zur Qualifikation des Bewerbers. Sofern das Zertifikat eine Bewertung enthält, kann man Rückschlüsse auf den Lernerfolg ziehen. Handelt es sich um eine Off-the-job-Maßnahme, ist auch der Ruf des Bildungsinstituts von Bedeutung. Referenzen sind Informationen von einem früheren Vorgesetzten, einem Kollegen oder einer bekannten Persönlichkeit über einen Bewerber. Da der Kandidat die Referenzgeber selbst auswählt, kann kein objektives Urteil erwartet werden. Manche Unternehmen deuten die unaufgeforderte Angabe von Referenzgebern als Imponiergehabe des Bewerbers, der zeigen will, dass er mit wichtigen Personen bekannt ist. Bei der Auswahl von Mitarbeitern für höhere Hierarchieebenen kommt den Referenzen aber große Bedeutung zu. Hier sind sie eine häufig verwendete Informationsquelle. Sie run- 136 · 4 Personalauswahl den den Eindruck über den Bewerber ab und geben oft realistischere Auskunft als Arbeitszeugnisse. 250 Referenzen können den Bewerbungsunterlagen in schriftlicher Form beigelegt werden, meistens werden sie jedoch als Auskunftsmöglichkeit angeboten bzw. gefordert. Das Unternehmen kann - z.B. per Telefon - mündliche Auskünfte zu den Verhaltensweisen und Qualifikationen des Bewerbers bei früheren Arbeitgebern, Vorgesetzten oder Kollegen einholen, falls sie sich nicht aus den Bewerbungsunterlagen ergeben. Auf diese Weise kann das eigene Urteil abgesichert werden. Solche Referenzbefragungen werden auch oft bei Bewerbern aus dem Ausland eingesetzt, da dort Arbeitszeugnisse wie sie in Deutschland ausgestellt werden, weitgehend unbekannt sind. Im Zuge der Internationalisierung nimmt die Bedeutung von Referenzen deshalb zu. 4.2.9 Personalfragebögen und biografische Fragebögen Personalfragebögen ermöglichen einen einheitlichen Überblick über die persönlichen Verhältnisse der Bewerber, ihren beruflichen Werdegang, besondere Qualifikationen, den möglichen Zeitpunkt der Arbeitsaufnahme, Gehaltsvorstellungen etc. Sie fassen die wichtigsten beruflichen und persönlichen Daten der Kandidaten zusammen und erleichtern damit dem Unternehmen den Vergleich. Auf diese Weise lassen sich auch Unstimmigkeiten in den Bewerbungsunterlagen leichter feststellen. In der Regel werden Online-Fragebögen verwendet. Der Betriebsbzw. Personalrat muss dem Inhalt der Fragebögen zustimmen. Damit soll sichergestellt werden, dass er nur Punkte enthält, die für die Bewerbungssituation von Bedeutung sind, und dass die Intimsphäre der Bewerber gewahrt bleibt. Wie im Vorstellungsgespräch sind auch hier bestimmte Fragen nicht erlaubt. Werden sie dennoch gestellt und falsch beantwortet, kann der Arbeitsvertrag vom Arbeitgeber später nicht aus diesen Gründen angefochten werden. Biografische Fragebögen sind eine spezielle Form der Personalfragebögen. Dabei handelt es sich um einen standardisierten Fragenkatalog zu einzelnen Lebensabschnitten. Es wird unterstellt, dass das Verhalten in der Vergangenheit ein guter Indikator für das künftige Verhalten ist. 251 Die Daten werden mittels Fragen erhoben, bei denen der Bewerber zwischen mehreren Antworten wählen kann. Durch die Kombination von Fragen und Wiederholungsfragen bzw. sehr ähnlichen Formulierungen sollen falsche Auskünfte leichter erkennbar werden. Die anschließende Auswertung soll Verhaltensmuster und Werteinstellungen des Bewerbers verdeutlichen, die auf sein Arbeitsverhalten schließen lassen. 252 Beim Entwurf der Fragebögen sind oft Mitarbeiter beteiligt, die bereits eine ähnliche Stelle wie die ausgeschriebene bekleiden. Sie füllen die Fragebögen manchmal auch selbst aus. Der Vergleich ihrer Antworten mit denen der Bewerber soll Aufschlüsse über die Eignung der 250 Vgl. Lorenz (1998), S. 74; Farin (2008), S. C 5; Jung (2017), S. 161. 251 Vgl. Stock-Homburg (2013), S. 178. 252 Vgl. Bröckermann (2012), S. 71 f.; Oechsler (2011), S. 220; Hentze/ Kammel (2001), S. 310 f. 4.2 Bewerbungsunterlagen · 137 Kandidaten geben. 253 Kritikpunkte sind insbesondere der hohe Entwicklungsaufwand und die mangelnde empirische Absicherung bzgl. der Ergebnisse. Außerdem verleitet die Anwendung biografischer Fragebögen dazu, neue Mitarbeiter immer nach den gleichen, in der Vergangenheit erfolgreich angewandten Kriterien auszuwählen, während künftige Entwicklungen und Anpassungsnotwendigkeiten zu wenig beachtet werden. 4.2.10 Grafologische Gutachten Selten wird heutzutage in der Stellenausschreibung eine Handschriftenprobe für ein grafologisches Gutachten erbeten. Es werden Bewegungsmerkmale (Bindungsformen, Druckstärke etc.), Raummerkmale (Größe, Schriftlage, Zeilenabstände etc.), Formmerkmale (Regelmaß, Völle etc.) sowie die Schrift als Ganzes betrachtet. 254 Dazu bedarf es der ausdrücklichen Einwilligung seitens des Bewerbers. Die Aussagefähigkeit dieser Analysen ist sehr umstritten. Weuster kommt nach Auswertung zahlreicher empirischer Untersuchungen zu dem Schluss, dass die prognostische Validität, die nach einer Handschriftenprobe auf der Grundlage eines neutralen Textes gestellt werden, kaum größer als Null ist. Die Beurteilung resultiere eher aus dem Inhalt des Textes als aus der Schrift selbst. 255 Die Gutachter bewerten also nicht die Handschrift, sondern die Aussagen in der Schriftprobe. Das ist jedoch gerade nicht ihre Aufgabe. Bei der Bewerberauswahl in Deutschland, Großbritannien und den USA sind grafologische Gutachten weitestgehend irrelevant, auch ansonsten werden sie kaum noch eingesetzt. Sie gelten als nicht mehr zeitgemäß und es kommt bei Bewerbern nicht gut an, dass ein modernes Unternehmen auf eher dubiose Verfahren setzt. 256 4.2.11 Abschließende Bewertung der Unterlagen Die Analyse der Bewerbungsunterlagen ermöglicht nur einen ersten Eindruck und dient deshalb lediglich der Vorauswahl der Kandidaten. Jedoch wirken sich gut gestaltete Bewerbungsunterlagen auch positiv auf die Wahrnehmung des Bewerbers bei den Unternehmensvertretern, die das Vorstellungsgespräch führen, aus. 257 Bei geeignet erscheinenden Bewerbern schließen sich ein oder mehrere Vorstellungsgespräche und evtl. weitere Auswahlverfahren, wie z.B. ein Assessment Center, an. So sollen ein intensiverer Eindruck gewonnen und Unklarheiten beseitigt werden. Die Ergebnisse der Unterlagenanalyse sind dabei die Grundlage für das Vorstellungsgespräch und die weitere Vorgehensweise. 253 Vgl. Jung (2017), S. 174. 254 Vgl. ebd., S. 165 f. 255 Vgl. Weuster (2012 a), S. 157 ff.; Oechsler (2011), S. 227. 256 Vgl. Weuster (2012 a), S. 160. 257 Vgl. ebd., S. 100. 138 · 4 Personalauswahl 4.2.12 Exkurs: Anonymisierte Bewerbungen In Nordeuropa, etwa in Skandinavien und Belgien, sind anonymisierte Bewerbungen weit verbreitet, im deutschsprachigen Raum werden sie selten eingesetzt. In 2011 wurde auf Initiative der Antidiskriminierungsstelle des Bundes das Pilotprojekt Anonymisierte Bewerbungen gestartet. Obwohl das Projekt bei den Medien auf ein sehr breites Echo stieß, beteiligten sich nur neun Unternehmen und öffentliche Einrichtungen unterschiedlicher Größe. Merkmale wie Name, Alter, Nationalität, Geburtsort, Familienstand und auch das Lichtbild wurden in den Bewerbungsunterlagen weggelassen bzw. geschwärzt oder gestrichen. Damit sollten Diskriminierungen vermieden werden. Die Analyse ergab, dass die Einladungswahrscheinlichkeit bei potenziell diskriminierten Bewerbergruppen tatsächlich zunahm. 258 Insbesondere zeigte sich, dass einige teilnehmende Betriebe nun wesentlich bewusster mit dem Problem der Diskriminierung umgehen wollen. Andererseits waren Unternehmen auch der Auffassung, dass die Anonymisierung des Bewerbungsprozesses einen Verzicht auf positive Diskriminierungsmöglichkeiten bedeute, bzw. dass anonymisierte Bewerbungen aufgrund der bereits im Unternehmen gelebten Diversity überflüssig seien. 259 Eine aktuelle Studie des Centre of Human Resources Information Systems (CHRIS) zeigt, dass weder Unternehmen noch Kandidaten anonymisierte Bewerbungen aktuell als besonders wichtiges Thema erachten. 260 Allerdings sehen Bewerber eher Vorals Nachteile und meinen, dass solche Bewerbungsformen in Zukunft an Bedeutung zunehmen könnten. Das gilt insbesondere für jüngere Menschen. 261 Dass sich anonymisierte Bewerbungen in Deutschland durchsetzen, ist eher skeptisch zu beurteilen und bereits schon aufgrund der geringen Beteiligung am Pilotprojekt nicht sehr wahrscheinlich, auch wenn man dies bei der Antidiskriminierungsstelle anders sieht und nun kleinere Folgeprojekte unterstützt. 262 Auf jeden Fall wurde mit der umfänglichen Diskussion eine Sensibilisierung für Diskriminierungsprobleme bei Bewerbungen erreicht. 4.3 Vorstellungsgespräch 4.3.1 Ziele und Arten Das Vorstellungsgespräch (Bewerbungsgespräch, Interview, Einstellungsgespräch) ist - neben der Unterlagenanalyse - das in der Praxis am häufigsten verwendete Instrument der Personalauswahl. 263 258 Vgl. Lemmer (2012), S. 56; Theissen/ Budras (2013), S. C 2. 259 Vgl. Lemmer (2012), S. 56 f. 260 Vgl. Weitzel et al. (2017 d), S. 17. 261 Vgl. ebd., S. 17 f. 262 Vgl. Theissen/ Budras (2013), S. C 2; o.V. (2014 a), S. 63. 263 Vgl. Knoll/ Dotzel (1996), S. 348 f.; Weuster (2012 a), S. 191 ff. 4.3 Vorstellungsgespräch · 139 Es dient unternehmensseitig dazu, die bisherigen Erkenntnisse über den Bewerber zu erweitern und zu ergänzen. Bisweilen stellen Unternehmen dem Bewerbungsgespräch ein Assessment Center oder andere Testverfahren voran. Insbesondere, wenn die Bewerbung über die Homepage erfolgt, dienen diese meistens ebenfalls online durchgeführten Maßnahmen der weiteren Vorselektion. In der Regel schließen sich die Interviews jedoch direkt an die Unterlagenanalyse an, weitere Auswahlverfahren folgen erst später. Diese Vorgehensweise bietet sich schon deshalb an, weil hochwertige Eignungstests zeitaufwändig und teuer sind und es deshalb sinnvoll ist, sie nur mit dem kleinen Kreis von Bewerbern durchzuführen, die es in die Endauswahl geschafft haben. Ziele des Interviews sind: einen persönlichen Eindruck vom Bewerber zu gewinnen die fachliche Qualifikation des Bewerbers festzustellen seine Sozialkompetenzen zu ermitteln Ungenauigkeiten und unvollständige Angaben in den Bewerbungsunterlagen zu klären die Gründe für den Wunsch nach einem Stellenwechsel zu erfahren die Interessen und Erwartungen des Bewerbers kennenzulernen beim Bewerber einen positiven Eindruck vom Unternehmen und der ausgeschriebenen Stelle zu erzeugen sich als Bewerber über das Unternehmen, seine Leistungen, Arbeitsbedingungen und personalwirtschaftlichen Grundsätze genauer zu informieren sich als Bewerber über die ausgeschriebene Stelle und deren Einordnung im Unternehmen zu informieren als Bewerber einen ersten Eindruck über die Unternehmenskultur und den Umgang miteinander zu erhalten Neben der Informationsermittlung dient das Vorstellungsgespräch also auch der Informationsvermittlung an den Bewerber. Dieser erhält die Möglichkeit, sich ein genaueres Bild vom Unternehmen und dem Aufgabengebiet zu machen. Er erhält Auskunft über seine Entwicklungsmöglichkeiten und kann überprüfen, ob seine Erwartungen mit denen des Unternehmens übereinstimmen. Die Arten des Vorstellungsgesprächs zeigt Abb. 4-4. Bei der Art des Vorstellungsgesprächs unterscheidet man nach der Art des Medieneinsatzes zwischen Verwendung von Job-Bots, Telefoninterviews, Video-Interviews und Bewerbungsgesprächen mit persönlichem direkten Kontakt nach dem Strukturierungsgrad zwischen standardisierten, freien und strukturierten Gesprächen 140 · 4 Personalauswahl Differenzierung des Vorstellungsgesprächs nach in der Art des Medieneinsatzes Verwendung von Job-Bots Telefoninterviews und Sprachanalysetests Video-Interviews Bewerbungsgespräche mit direktem, persönlichen Kontakt dem Strukturierungsgrad standardisierte Gespräche teilstrukturierte Gespräche freie Gespräche der Anzahl der beteiligten Entscheidungsträger Einzelinterviews Doppelinterviews Jury- oder Board-Interviews dem Stressfaktor normale Interviews Stressinterviews Tiefeninterviews Abb. 4-4: Häufige Arten des Vorstellungsgesprächs nach der Zahl der beteiligten Entscheidungsträger zwischen Einzel-, Doppel- und Board-bzw. Jury-Interviews nach dem Stressfaktor zwischen normalen Interviews, Stressinterviews und Tiefeninterviews 4.3.2 Differenzierung von Vorstellungsgesprächen 4.3.2.1 Differenzierung nach dem Medieneinsatz 44.3.2.1.1 Verwendung von Job-Bots In letzter Zeit wird viel über sog. Job-Bots als Bewerbungsmedium diskutiert. Sie werden auch Recruiting-Bots oder Career-Bots genannt. Es handelt sich um die Kommunikation mit einem Programm, mit dem der Bewerber ortsungebunden über seine Bewerbungsabsichten chattet. 264 Ob man eine solche Vorgehensweise tatsächlich noch als Gespräch bezeichnen kann, muss wohl bezweifelt werden. Man erhofft sich davon vor allem vorurteilslose Auswahlentscheidungen, da Algorithmen angeblich neutral an die Auswahlsituation herangehen. 265 Nicht zu unterschätzen sind beim 264 Vgl. Kreuzmann (2018), S. 65. 265 Vgl. ebd. 4.3 Vorstellungsgespräch · 141 Einsatz von Job-Bots auch Zeit- und Kosteneinsparungen sowohl für Unternehmen als auch für Bewerber, insbesondere weil die Bewerbungsunterlagen weitgehend überflüssig werden sollen. Unternehmen gehen hier davon aus, dass sich besonders junge Bewerber aufgrund ihrer Sozialisation ungezwungener fühlen und leichter über Persönliches berichten, wenn sie nicht mit einer menschlichen Kontaktperson, sondern mit einem Computerprogramm kommunizieren. Sie sind diese Art der Kommunikation, z.B. mit „Alexa“, auch im täglichen Leben gewöhnt. Fragen nach dem Gehalt oder den Arbeitszeiten fallen ihnen auf diesem Wege z.B. bedeutend leichter. 266 Die endgültige Auswahlentscheidung trifft jedoch derzeit immer noch ein Mensch. Experten halten es allerdings für möglich, dass hier in absehbarer Zeit eine Änderung eintritt und Bewerber dann gar keine Möglichkeit mehr haben, sich und ihre Expertise einem realen Menschen zu präsentieren. 267 Die Qualität der Auswahlentscheidung hängt dann allein von der Qualität der Programmierung des Bots ab. Es ist damit nicht sicher, ob tatsächlich immer die Interessen des Unternehmens in gebührender Art berücksichtigt werden. Aktuell gibt es z.B. den Hub-Bot des Unternehmens Hub: raum, einer Tochtergesellschaft der Telekom, den man auf Facebook anschreiben kann. Die Verfechter dieser Vorgehensweise gehen davon aus, dass solche Chats mit Bots die klassischen Bewerbungsprozesse in wenigen Jahren weitgehend verdrängen werden. Die meisten Großunternehmen verfolgen diese Entwicklung sehr aufmerksam. 44.3.2.1.2 Telefoninterviews, Spra chana lysetests und Video-Interviews Regelmäßig werden heute Telefoninterviews durchgeführt, bevor Bewerber zum persönlichen Gespräch eingeladen werden. Sie dienen einer ersten, kostengünstigen und schnellen Vorauswahl. Neu sind in diesem Zusammenhang sog. Sprachanalysetests als spezielle Form. „Neugier, Kontaktfreude, Leistungsbereitschaft, emotionale Stabilität, Verträglichkeit, Selbstorganisation, Statusorientierung, Risikobereitschaft“ 268 sowie Dominanzstreben und Stressbelastung sind Eigenschaften, die mit Hilfe eines Computerprogrammes während des Gesprächs festgestellt werden sollen. Inhaltlich geht es also nicht um fachliche Fragen, sondern vielmehr darum, dass der Computer charakterliche Eigenschaften aufgrund der Stimme ermitteln soll. 269 Auch sollen auf diesem Wege Menschen identifiziert werden, die zur Unternehmenskultur passen. Dazu misst das Programm, während der Bewerber spricht, beispielsweise Stimmhöhe, Lautstärke, Sprechtempo und -rhythmus sowie die Komplexität der Wortwahl, auch ob 266 Vgl. Kreuzmann (2018), S. 65. 267 Vgl. Rudzio (2018), S. 22; Kreutzmann (2018), S. 65. 268 Hoffmeyer (2017), S. 63. 269 Vgl. Rudzio (2018), S. 22. 142 · 4 Personalauswahl z.B. viele positive oder negative Worte enthalten sind. Auf den Inhalt des Gesagten kommt es nicht an, den kann das Programm nicht verstehen. 270 Es steckt die Überlegung dahinter, dass man seine Sprache nicht willkürlich manipulieren kann. Nachvollziehbare Validitätsstudien liegen nicht vor. Entsprechend skeptisch wird das Verfahren in der Wissenschaft beurteilt und eher als Unsinn und hochgradig unplausibel angesehen. 271 Gleichwohl verwenden es Unternehmen, so setzt Randstad bei der internen Auswahl von Disponenten Sprachanalysetests ein. Auch die Fraport AG verwendet diese Tests hausintern, es geht dabei um die Kommunikationsfähigkeit der Führungskräfte. Auch das Versicherungsunternehmen Talanx nutzt solche Software bei der Bewerberauswahl. 272 Ebenfalls recht neu ist der Einsatz von Live-Video-Interviews, i.d.R. per Skype. Sie werden ebenso wie Telefoninterviews zur kostengünstigen und schnellen Vorauswahl genutzt. Bei einer größeren Anzahl geeigneter Bewerber erfordert allerdings die Terminkoordinierung einen erheblichen Aufwand. Deshalb werden zunehmend zeitversetzte Video-Interviews durchgeführt. Die Bewerber beantworten dabei vom Unternehmen vorgegebene, standardisierte Fragen und werden per Video aufgenommen. Sie können in einem festgelegten Rahmen die Zeit und den Ort für die Beantwortung frei wählen. Die Analyse der Informationen im Unternehmen erfolgt erst dann, wenn die Entscheidungsträger dafür Zeit haben. Sie können die Auswertung später nach ihrem eigenen Zeitplan vornehmen und haben zudem die Möglichkeiten der Unterbrechung und des Vergleichs der Bewerbervideos. Auf der Strecke bleibt die Individualität der Bewerber, Rückfragen seitens des Unternehmens sind nicht möglich. Auch der Bewerber selbst kann keine Fragen stellen und sich kein Bild über das Unternehmen bzw. die zukünftigen Aufgaben machen. Bzgl. der Standardisierung handelt es sich hier um eine besondere Form des strukturierten Interviews, da kaum Freiräume bei der Vorgehensweise gewährt werden. Video-Interviews können ein persönliches Vorstellungsgespräch nicht ersetzen, sondern lediglich die Vorauswahl erleichtern. Bei Bewerbern, die weiter entfernt leben, werden diese Vorgehensweisen immer beliebter, da sie Zeit und Reisekosten sparen. Sie entscheiden sich deshalb oft leichter für eine Bewerbung. 44.3.2.1.3 Bewerbung sg esprä che mit direktem persönlichem Konta kt Unter Bewerbungsgesprächen mit direktem, persönlichem Kontakt versteht man, dass Entscheidungsträger von Unternehmensseite und Bewerber sich an einem festgelegten Ort persönlich treffen und „face to face“ miteinander kommunizieren. Eine ungewöhnliche Vorgehensweise testet Aldi Süd seit kurzem. Auf dem Absolventenkongress 2017 in Köln fanden die Bewerbungsgespräche zwar direkt und persönlich statt, es 270 Vgl. Hoffmeyer (2017), S. 63. 271 Vgl. Rudzio (2018), S. 22. 272 Vgl. Hoffmeyer (2017), S. 63; Rudzio (2018), S. 22. 4.3 Vorstellungsgespräch · 143 handelte sich jedoch um Gespräche in einer Art Dunkelkammer. So soll das Vorstellungsgespräch anonymisiert und frei von Vorurteilen durchgeführt werden. 273 In Theorie und Praxis wird diese Art von Vorstellungsgespräch als wenig sinnvoll angesehen. So erläutert Schröder, dass eine Auswahlsituation nie völlig frei von Subjektivität sein kann, es aber darum geht, Objektivität zu fördern. Allerdings ist es in einem Vorstellungsgespräch nicht nur von Bedeutung, was gesagt wird, sondern auch wie es gesagt wird. Mimik, Gestik und Körpersprache sind durchaus wertvolle Hinweisgeber bei der Entscheidungsfindung. 274 Dies gilt sowohl auf der Unternehmensals auch auf der Bewerberseite. Bös stellt den Verantwortlichen ein „Armutszeugnis“ aus und bezweifelt ihre Qualifikation als Personalmanager, wenn sie erst das Licht ausschalten müssen, um gut qualifizierte Bewerber zu identifizieren. 275 Im Übrigen dürfte es problematisch sein, ein sinnvolles, strukturiertes Gespräch ohne jegliche Notizen durchzuführen und sich auch keine Notizen machen zu können, weil man ja nichts sieht., aber anschließend dennoch eine sinnvolle Entscheidung zu treffen. Durchsetzen werden sich solche Gespräche in der Dunkelkammer wohl nicht, aber Aufmerksamkeit erregen sie auf alle Fälle. Die erfolgreiche Durchführung eines persönlichen Bewerbungsgesprächs vor Ort bedarf der sorgfältigen Vorbereitung auf Unternehmensseite. Dabei sind diese Punkte zu beachten: Festlegen des äußeren Rahmens, wie z.B. Empfang, Raum und Bewirtung ausreichende Zeit einplanen angenehme und störungsfreie Gesprächsatmosphäre schaffen Festlegen, wer von Unternehmensseite an dem Gespräch teilnehmen soll Informationen zum Unternehmen und zur Stelle vorbereiten (z.B. Geschäftsberichte, Organigramme, Stellenbeschreibung) Bewerbungsunterlagen bereithalten wesentliche Gesprächsinhalte bestimmen Gesprächsart und Gesprächsaufbau festlegen Auch der Bewerber sollte sich auf das Vorstellungsgespräch vorbereiten. Er sollte Ort und Zeit bestätigen sowie Auskünfte über das Unternehmen, seine Märkte und die Branche einholen. Soweit möglich sollte er sich zudem über seine zukünftige Tätigkeit informieren und Fragen zu offenen Problembereichen überlegen. Eine gute Vorbereitung seitens des Bewerbers gilt den Unternehmen als Zeichen für die Ernsthaftigkeit der Bewerbung. 276 273 Vgl. o.V. (2017 a), S. 22. 274 Vgl. ebd. 275 Vgl. Bös (2017), S. 28. 276 Vgl. Weuster (2012 a), S. 197. 144 · 4 Personalauswahl 4.3.2.2 Differenzierung nach dem Strukturiertheitsgrad Standardisierte Vorstellungsgespräche laufen nach einem vorgegebenen Schema ab. Die Inhalte und der Gesprächsverlauf sind im Detail festgelegt. Der Interviewer hat keine Freiheit bzgl. der inhaltlichen Ausgestaltung. Allen Bewerbern werden die gleichen Fragen in der gleichen Reihenfolge gestellt, was die Auswertung und den Vergleich der Interviews erleichtert. Allerdings kann so nicht auf die besonderen Merkmale der Kandidaten eingegangen werden, weshalb die Gefahr besteht, dass die Ziele des Vorstellungsgesprächs zum größten Teil verfehlt werden. Eine neue Form der Standardisierung sind die oben bereits erläuterten zeitversetzten Video- Interviews. Bei freien Vorstellungsgesprächen sind die Gesprächsinhalte und der Gesprächsverlauf nicht vorgegeben, sondern völlig offen. Damit entwickelt sich jedes Gespräch anders. Nicht selten wird es ohne sorgfältige Vorbereitung, ohne Anforderungsanalyse und ohne Bewertungsbogen und -unterlagen geführt. Dies führt zu jeweils anderen Themenschwerpunkten, zu Abschweifungen und Zufallsfragen. Die Auswahlentscheidung erfolgt dann letztlich aufgrund von angeblicher Menschenkenntnis, Intuition oder aufgrund des Eindrucks, dass die „Chemie stimmt“. Eine rationale Entscheidung ist so nicht möglich. Freie Vorstellungsgespräche sind nur zu einem sehr geringen Maße valide, eine hochwertige Auswahlentscheidung erfolgt eher zufällig. In den USA wurde die Subjektivität freier Bewerbungsgespräche wiederholt von Gerichten beanstandet. 277 Ein Mittelweg stellt das teilstrukturierte Interview dar. Hier gibt es einen Gesprächsrahmen mit Kerninhalten und Stichpunkten, zu denen die Bewerber befragt werden sollen. Damit ist sichergestellt, dass alle für die Bewerberauswahl wichtigen Aspekte angesprochen werden. Die Fragen werden jedoch nicht zuvor ausformuliert, sondern entwickeln sich im Laufe des Gesprächs. Auch ihre Reihenfolge variiert. Erweiterungen und Abweichungen zu im Vorfeld nicht bedachten Themen sind jederzeit möglich. Strukturierte, sorgfältig vorbereitete Vorstellungsgespräche haben ein besonders hohes Maß an prognostischer Validität. 278 Der Informationsgehalt ist deutlich größer als bei standardisierten und freien Vorstellungsgesprächen. Wie umfangreich die Vorgaben sein sollen, wird in der Literatur unterschiedlich diskutiert. Neue Untersuchungen zeigen - beim ersten Hinblicken -, dass unstrukturierte Interviews eine hohe Validität aufweisen könnten. Begründet wird dieses Ergebnis damit, dass man individueller auf den Kandidaten eingehen kann, mehr über emotionale Belastbarkeit, soziale Kompetenzen und insgesamt über Soft Skills erfahren kann. 279 Kersting spricht gar von einem „Angriff auf das Fundament der Interviewtechnik“. 280 Bei genauerem Hinsehen handelt es sich letztlich jedoch lediglich um eine Definitionsfrage. Es geht eben gerade nicht um die freien Interviews, denen hier vermeintlich die Stange hochgehalten wird. 277 Vgl. Weuster (2012 a), S. 206. 278 Vgl. Funk/ Nachtwei/ Melchers (2015), S. 27; Weuster (2012 a), S. 197; Achouri (2007), S. 16. 279 Vgl. Kersting (2018), S. 82 f. 280 Vgl. ebd., S. 82. 4.3 Vorstellungsgespräch · 145 Vielmehr bleiben für Kersting stellenbezogene Anforderungsanalysen, eine sorgfältige Vorbereitung seitens des Interview-Führenden, die gelenkte Gesprächsrichtung der Focus auf offene Fragen, die noch geklärt werden müssen, die Gesprächsdokumentation sowie die strukturierte, an im Vorfeld definierten Bewertungskriterien ausgerichtete Auswertung unabdingbare Bestandteile eines jeden Interviews, um valide Auswahlinformationen zu erhalten. 281 Was Kersting unter einem unstrukturierten Interview versteht, ist die in diesem Lehrbuch als teilstrukturiertes Interview bezeichnete Vorgehensweise. Abzulehnen sind die hier als standardisierte Interviews anführten Vorgehensweisen. Kersting kritisiert sie sehr deutlich unter der Bezeichnung strukturierte Interviews. 282 4.3.2.3 Differenzierung nach der Anzahl der beteiligten Entscheidungsträger Je nach Zahl der Gesprächsteilnehmer seitens des Unternehmens wird zwischen Einzel-, Doppel- und Board-Interviews unterschieden. Beim Einzelgespräch wird das Bewerbungsgespräch zwischen einem Entscheidungsträger des Unternehmens und dem Bewerber geführt. Einzelinterviews finden häufig seriell statt, etwa zunächst mit einem Mitarbeiter der Personalabteilung und anschließend mit dem künftigen Fachvorgesetzten. Auf diese Weise lässt sich das Gespräch persönlicher führen, als wenn mehrere Unternehmensvertreter gleichzeitig anwesend sind. Außerdem kann sich eher ein Vertrauensverhältnis zwischen den Gesprächspartnern entwickeln, was dazu führt, dass die Bewerber meistens aufgeschlossener sind und Fragen konkreter beantworten. Allerdings besteht die Gefahr, dass der Gesprächsführende bei seiner Beurteilung zu sehr seiner subjektiven Wahrnehmung unterliegt. Bei Doppelinterviews wird das Gespräch von zwei Personen - in der Regel aus der Personal- und aus der Fachabteilung - geführt. Das bedeutet, dass sich der Bewerber auf beide Gesprächspartner gleichzeitig einstellen muss. Auf diese Weise können das Rollenverhalten und die Persönlichkeit des Bewerbers deutlicher hervortreten, außerdem werden so eher Fehleinschätzungen vermieden, da zwei Unternehmensvertreter ihre Eindrücke austauschen können. Viele Bewerber empfinden diese Vorgehensweise außerdem als fairer und erwarten eine höhere Objektivität, wenn ihre Beurteilung nicht nur von einer Person abhängt. Sind gleichzeitig mehr als zwei Unternehmensvertreter - meist höherer Hierarchieebenen - beteiligt, spricht man auch von Board-Interviews. Die Bezeichnungen Jury-Interview, 281 Vgl. Kersting (2018), S. 83 ff. 282 Vgl. ebd. 146 · 4 Personalauswahl Multiples Interview und Panel Interview sind ebenfalls gebräuchlich. Sie werden meistens bei Führungskräften angewendet. Durch die zusätzlich gewonnenen Eindrücke will man sich ein noch genaueres Bild vom Bewerber machen. Die zusätzliche Mitwirkung künftiger Kollegen kann die Entscheidung weiter verbessern, da unterschiedliche Sichtweisen in die Beurteilung eingehen. Eine zu große Zahl von Gesprächsteilnehmern kann jedoch beim Bewerber das Gefühl erzeugen, sich in einer unangenehmen Prüfungssituation zu befinden, was nicht selten dazu führt, dass er sich während des Interviews verschließt. 4.3.2.3 Differenzierung nach dem Stressfaktor Um die psychische Belastbarkeit der Bewerber zu überprüfen, werden neben „normalen Interviews“ gelegentlich Stressinterviews durchgeführt. 283 Der Kandidat wird durch provozierende und verunsichernde Fragen oder Verhaltensweisen seitens der Interviewer stark unter Druck gesetzt. Sollte der Zusammenhang der Vorgehensweise mit der Stelle nicht ersichtlich sein, dann sollte sie dem Bewerber anschließend unbedingt erläutert werden. Andersfalls muss das Unternehmen mit Unverständnis, Ablehnung und Vertrauensverlust rechnen. Gemäßigte Formen von Stressinterviews sind durchaus verbreitet. Dazu zählen beispielsweise lange, absichtliche Pausen der Interviewer nach der Beantwortung einer Frage. Dies soll den Bewerber verunsichern und ihn dazu bringen, seine Antworten zu ergänzen oder zu korrigieren. Auch ein abrupter Wechsel in eine Fremdsprache, die für die spätere Tätigkeit von Bedeutung ist, kommt häufiger vor. 284 Mit Tiefeninterviews wird versucht, Einstellungen und Motive des Bewerbers - auch unbewusste - zu ermitteln. 285 Man geht hier davon aus, dass Menschen über Bewusstseinsinhalte verfügen, die ihr Denken und Handeln beeinflussen. Sie sind sich derer oft nicht bewusst, bzw. können sie nicht erläutern. Mit einer ganzen Batterie von Fragen versucht man, diese zu erfassen. Dabei werden häufig Fragen gestellt, deren Sinn dem Bewerber nicht unmittelbar einsichtig ist. Viele Kandidaten empfinden diese Techniken als unangenehm oder fühlen sich manipuliert und unfair behandelt, was nicht selten zur Folge hat, dass ihr Interesse an der Position und dem Unternehmen sinkt. Der Imageverlust, den das Unternehmen dann erleidet, übersteigt oft den Erkenntnisgewinn, deshalb sollte genau abgewogen werden, ob sich der Einsatz solcher Mittel lohnt. Ein Vorstellungsgespräch sollte keine mündliche Prüfung für den Kandidaten sein, sondern ein Gespräch auf Augenhöhe mit Informationen für das Unternehmen und für den Bewerber. 283 Vgl. Achouri (2007), S. 21, Scholz (2011), S. 226. 284 Vgl. Achouri (2007), S. 21. 285 Vgl. Scholz (2011), S. 226. 4.3 Vorstellungsgespräch · 147 4.3.3 Zulässige Fragen und Ablauf In einem Bewerbungsgespräch sind nur solche Fragen zulässig, die für die ausgeschriebene Position von Bedeutung sind. Andernfalls kann der Bewerber sie falsch beantworten, ohne dass deshalb ein zustande gekommener Arbeitsvertrag durch das Unternehmen angefochten werden kann. Negative Rechtsfolgen können sich nur ergeben, wenn er auf eine zulässige Frage absichtlich eine falsche Antwort gibt. Dem berechtigten Interesse des Bewerbers nach der Wahrung seiner Privat- und Intimsphäre steht auf der anderen Seite das Interesse des Unternehmens gegenüber, eine qualifizierte Person auszuwählen und einzustellen, welche dem benötigten Anforderungsprofil möglichst genau entspricht. Entsprechend obliegt dem Bewerber eine Offenbarungspflicht, d.h. er ist dazu verpflichtet, das Unternehmen über alle Sachverhalte zu unterrichten, die für das Beschäftigungsverhältnis von Bedeutung sein könnten, und zudem alle Informationen zu erteilen, die ihn für die zu besetzende Position möglicherweise ungeeignet machen könnten. Zulässig sind beispielsweise in der Regel Fragen nach: 286 beruflicher Ausbildung und Studium beruflichen Fähigkeiten und beruflichem Werdegang Sprachkenntnissen Motiven für den Arbeitsplatzwechsel Kenntnissen über das Unternehmen Nichtbeschäftigungszeiten öffentlichen Ämtern und Ehrenämtern bisherige Entgelthöhe, allerdings nur wenn dies für die neue Stelle von Bedeutung ist Staatsangehörigkeit ansteckenden und chronischen Krankheiten, falls sie für die Stelle von Bedeutung sind Schwerbehinderung, und zwar wegen der sich daraus für den Arbeitgeber ergebenden gesetzlichen Pflichten Wettbewerbsverboten, die im Zusammenhang mit dem Unternehmen bzw. der Stelle stehen könnten Nicht zulässig sind insbesondere Fragen nach: 287 Vorstrafen (außer es besteht ein konkreter Bezug zur Stelle, z.B. Unterschlagung bei einer Stelle als Kassierer) baldigem Kinderwunsch oder Vorliegen einer Schwangerschaft 286 Vgl. Oechsler (2011), S. 222. 287 Vgl. ebd. 148 · 4 Personalauswahl sexueller Orientierung Vermögensverhältnissen (außer bei Vertrauenspositionen) Konfessions-, Gewerkschafts- und Parteizugehörigkeit (außer bei Tendenzbetrieben) Abstammung und Herkunft allgemeinem Gesundheitszustand Beim Bewerbungsgespräch ist das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) zu beachten. Es verbietet Fragen nach ethnischer Herkunft, Rasse, Weltanschauung, Religion, sexueller Identität, Behinderung und Alter, sofern nicht ganz konkrete berufliche Anforderungen dem entgegenstehen. Zum Beispiel ist bei Tätigkeiten, bei denen regelmäßige Nachtarbeit erforderlich ist, von Gesetzes wegen ein Mindestalter des Stelleninhabers zu beachten. Insofern ist dann die Frage nach dem Alter in diesem Fall zulässig. Zwischen der Bedeutung, die den Vorstellungsgesprächen von Unternehmensseite eingeräumt wird, und ihrer Validität besteht manchmal eine erhebliche Diskrepanz. Die Ursachen sind in Abb. 4-5 zusammengefasst. Vorstellungsgespräche Ursachen für Validitätsdefizite ungenügende Vorbereitung auf das Interview mangelnder Zusammenhang zwischen den Fragen und den Stellenanforderungen Suggestivfragen, auf die der Bewerber so antwortet, wie der Gesprächspartner es wünscht unvollständige Verarbeitung der Informationen, die der Bewerber gibt Bewertung der Antworten des Bewerbers wird durch die Einstellungen und Überzeugungen des Gesprächspartners beeinflusst Vergleich mit einem „Stereotyp des optimalen Stelleninhabers“ Eindrücke während der ersten Gesprächsminuten werden überbewertet Überbewertung negativer Informationen Einfluss emotionaler Aspekte auf das Urteil Kontrasteffekte, wonach z.B. ein mittelmäßiger Bewerber, der auf einen oder mehrere schlechte Kandidaten folgt, als besonders gut erscheint Interviewer spricht die meiste Zeit selbst Abb. 4-5: Validitätsdefizite bei Vorstellungsgesprächen 288 Unabhängig von der Art des Interviews haben sich für seinen Ablauf bestimmte Vorgehensweisen herausgebildet. Es empfiehlt sich, zunächst allgemeine und dann in immer stärkerem Maße sachliche und fachbezogene Fragen zu stellen. Das Vorstellungsgespräch läuft idealer Weise in sieben Phasen ab: 289 288 In Anlehnung an Horsch (2000), S. 85. 4.3 Vorstellungsgespräch · 149 Die erste Phase dient dazu, den Kontakt zwischen den Beteiligten herzustellen. Es geht darum, eine entspannte Atmosphäre zu schaffen, Schwellenängste abzubauen und sich auf den Gesprächspartner einzustellen. Dazu dienen die Vorstellung der Beteiligten, Fragen nach der Anreise, die Zusicherung von Vertraulichkeit und die Beschreibung der weiteren Vorgehensweise. Auch erste Fragen, mit denen nähere Informationen über den Bewerber eingeholt werden sollen, gehören zu dieser Phase. So kann das Interesse an der ausgeschriebenen Stelle dadurch ermittelt werden, dass dem Bewerber beispielsweise Fragen zum Unternehmen gestellt werden, woraus sich ergibt, ob er sich mit ihm und seinen Produkten bzw. Dienstleistungen vertraut gemacht hat. Die Antwort lässt auch Schlüsse auf den Grad der Eigeninitiative zu, da sie zeigt, ob sich der Bewerber selbständig über die Gegebenheiten des Unternehmens informiert hat. In der zweiten Phase geht es um den persönlichen, familiären und sozialen Hintergrund. Mit Fragen zum sozialen Umfeld will man z.B. feststellen, ob der Bewerber in das Unternehmen und das spätere Team passt und auch, wie kommunikativ und kontaktfähig er ist. Man erhält außerdem Informationen über seine Mobilität, Flexibilität und Integrationsfähigkeit. Fragen zur Familie und zum Freizeitverhalten werden ebenfalls gestellt. Sie lassen erste Schlüsse auf die Persönlichkeit zu. Bei Phase drei steht der Bildungsweg im Mittelpunkt. Es geht um die Schul- und Hochschulausbildung, um die berufliche Ausbildung sowie um absolvierte Personalentwicklungsmaßnahmen. Auf diese Weise soll herausgefunden werden, inwieweit bestimmte Interessen frühzeitig vorhanden waren und ob der Bewerber seinen Neigungen systematisch gefolgt ist. Bei Bruchstellen im Lebenslauf wird nach den Gründen gefragt und geklärt, ob der Bewerber sich oder andere dafür verantwortlich macht. Außerdem gewinnt man Anhaltspunkte zu seinem Bildungsengagement. In Phase vier liegt der Schwerpunkt auf der beruflichen Entwicklung und der fachlichen Qualifikation des Bewerbers. Dabei werden die bisherigen Tätigkeitsfelder sowie in der Bewerbungsunterlagenanalyse offen gebliebene Fragen thematisiert. Außerdem werden die Gründe für den angestrebten Wechsel analysiert. Weiterhin geht man der Frage nach, ob für die bisherige berufliche Entwicklung eher die Zielstrebigkeit des Bewerbers oder der Zufall ausschlaggebend war. Auch das Verhältnis zu früheren Vorgesetzten, Kollegen und Mitarbeitern ist von Bedeutung. Aus den Antworten lassen sich Rückschlüsse auf Initiative, Kritikfähigkeit und Selbsteinschätzung des Bewerbers ziehen. In Phase fünf erhält der Bewerber Informationen über das Unternehmen und die zu besetzende Stelle. Die bisherige Unternehmensentwicklung und mögliche berufliche Perspektiven werden dargestellt. Er erhält Auskunft darüber, wo die ausgeschriebene Stelle innerhalb der Unternehmensstruktur angesiedelt ist. Aufgaben, Kompetenzen und Verantwortungsbereiche werden - eventuell anhand der Stellenbeschreibung - erörtert und Personalentwicklungsmöglichkeiten und notwendige Bildungsmaßnahmen aufgezeigt. Auf diese Weise kann sich der Bewerber ein Bild von der Unternehmenssituation und der Bedeutung der Stelle sowie von seinen Karrieremöglichkeiten machen. Er kann beurteilen, ob die vakante Position und die Rahmenbedingungen seinen Vorstellungen entsprechen oder nicht. 289 Vgl. Hentze/ Kammel (2001), S. 322; Horsch (2000), S. 84; Stopp (2006), S. 92. 150 · 4 Personalauswahl Phase sechs dient den Vertragsverhandlungen. Jetzt geht es um die konkrete Ausgestaltung des Arbeitsvertrages, den frühestmöglichen Einstellungstermin und Entgeltaspekte. Ein im Gehaltsgefüge zu hoch angesiedeltes Gehalt kann zu Konflikten mit anderen Mitarbeitern führen, da sie, sollte die Entgelthöhe bekannt werden, eine Gehaltserhöhung erwarten oder sich ungerecht behandelt fühlen, was eine verringerte Motivation oder gar Wechselabsichten nach sich ziehen kann. Andererseits kann ein zu niedriges Gehalt die gleichen Überlegungen beim neuen Mitarbeiter auslösen. Die siebte Phase bildet den Abschluss des Bewerbungsgesprächs. Die Ergebnisse der vorherigen Phasen werden hier zunächst kurz zusammengefasst, außerdem wird ein Entscheidungstermin bzw. mindestens ein Termin für einen weiteren Kontakt festgelegt. Weiterhin sollte man dem Bewerber immer - unabhängig davon, ob man ihn für geeignet hält oder nicht - ausdrücklich für sein Interesse am Unternehmen und an der ausgeschriebenen Stelle sowie für sein Kommen danken. Schließlich sind mit einer Bewerbung grundsätzlich Hoffnungen verbunden, zumal jeder Bewerber der Ansicht ist, er komme für die vakante Position in Frage, andernfalls hätte er sich kaum beworben. Ablehnendes oder gleichgültiges Verhalten gegenüber einem Bewerber können deshalb sehr schnell als persönliche Zurückweisung empfunden werden. Damit sich der Bewerber nicht brüskiert fühlt, sollte eine negative Entscheidung nicht sofort und nicht vor anderen Personen ausgesprochen werden. Gerade weil mit einer Absage Enttäuschungen verbunden sind, sollte sie unbedingt sensibel erfolgen, auch weil der Bewerber das Unternehmen als fair und wertschätzend in Erinnerung behalten soll. Häufig finden - insbesondere bei der Auswahl von Führungskräften auf mittleren und höheren Ebenen und hochqualifizierten Experten - ein oder mehrere weitere Vorstellungsgespräche statt. Phase sechs entfällt dann im ersten Gesprächsdurchlauf. Am zweiten Interview sind in der Regel zusätzliche bzw. andere Führungskräfte beteiligt, um den bisherigen Eindruck zu verfestigen und abzurunden. Neben noch offenen Fragen auf beiden Seiten, die sich nach dem ersten Gespräch und dessen Auswertung ergeben haben, werden Entgeltverhandlungen und Verhandlungen über weitere Leistungen wie Urlaub, Dienstwagen und freiwillige Sozialleistungen geführt. Manchmal werden diese auch auf ein drittes Gespräch verschoben. Bei Führungskräften sind oft detailliertere Verhandlungen nötig, da normalerweise nicht auf tarifvertragliche Bestimmungen zurückgegriffen werden kann. Insofern kommt hier den weiteren Gesprächen eine besondere Bedeutung zu. Da diese Verhandlungen meist sehr zeitaufwändig sind, empfiehlt es sich, sie nur mit denjenigen Bewerbern zu führen, die in die engste Wahl kommen. Ähnlich wie im 7-Phasen-Modell geht man auch bei multimodalen Interviews vor, die Schuler vorschlägt, 290 sie sind allerdings stärker formalisiert. Einer allgemein gehaltenen Gesprächseröffnung, die für eine angenehme Atmosphäre sorgen soll, folgen die Selbstvorstellung des Bewerbers mit seinem beruflichen und persönlichen Werdegang und ein freies Gespräch mit einem oder mehreren Unternehmensvertretern mit einer anschließenden summarischen Beurteilung der ersten Eindrücke. 290 Vgl. ausführlich Schuler (2002); Stock-Homburg (2013), S. 182 ff. 4.3 Vorstellungsgespräch · 151 Auswertung des Vorstellungsgesprächs mit……………………………………………..............................…am………….. Kriterien Einschätzung der Eignung (ggf. nähere Erläuterungen als Anlage) Bedeutung für die Entscheidung ++ + - - - Fachwissen - Wissensbreite - Spezialwissen - Praxisbezug weitere wichtige Aspekte - - - Motivation für die Stelle (z.B. Interesse an der Aufgabe, Zielstrebigkeit) Kreativität Kooperationsfähigkeit Kontaktfähigkeit Teamfähigkeit Äußere Erscheinung Auftreten Selbständigkeit Ausdrucksfähigkeit Belastbarkeit Dynamik Vertrauenswürdigkeit Offenheit Weitere entscheidungsrelevante Kriterien: (ggf. nähere Erläuterungen als Anlage) positiv: negativ: Entscheidung: Unterschriften: Abb. 4-6: Auswertungsbogen zur Beurteilung eines Vorstellungsgesprächs 291 291 Vgl. Jung (2017), S. 169. 152 · 4 Personalauswahl Konkrete Fragen zur Biografie und den Erfahrungen des Bewerbers schließen sich an. Sie sind i.d.R. standardisiert und sind für alle Bewerber eines Verfahrens identisch. Danach bekommt der Bewerber Informationen über das Unternehmen und die ausgeschriebene Stelle. Situative Fragen zum Verhalten in kritischen Situationen runden das Bewerbungsgespräch ab. Zum Abschluss erhält der Bewerber die Möglichkeit, selbst Fragen zu stellen. Außerdem wird er über das weitere Prozedere des Bewerbungsverfahrens informiert. 292 Es ist zweckmäßig, die Eindrücke, die man in den Gesprächen von den Bewerbern gewonnen hat, in einem Auswertungsbogen festzuhalten, da die Kandidaten, die in die Endauswahl kommen, von ihrem Profil her oft sehr ähnlich sind und weitgehend den Stellenanforderungen entsprechen. Der Überblick kann vor allem dann schnell verlorengehen, wenn mehrere Bewerbungsgespräche in enger zeitlicher Abfolge stattgefunden haben. Ein Beispiel für einen Auswertungsbogen zeigt Abb. 4-6. Der Bogen wird je nach Zielgruppe angepasst und vervollständigt. Bei Führungskräften ist er z.B. um Kriterien für die Mitarbeiterführung zu ergänzen. Welche Bedeutung die Kriterien im Einzelfall haben, hängt von der Art der zu besetzenden Stelle ab und muss im Vorhinein festgelegt werden. 4.4 Testverfahren Zur Fundierung von Auswahlentscheidungen können Testverfahren herangezogen werden. Darunter versteht man psychologisch-diagnostische Verfahren, die unter standardisierten Bedingungen stichprobenartig individuelle Reaktionen von Testpersonen - hier von Bewerbern - ermitteln. 293 Sie sollen Rückschlüsse auf das spätere Verhalten in der Arbeitssituation ermöglichen und Bewerbermerkmale ermitteln, die sich nicht direkt und sofort beobachten lassen. In Deutschland werden Testverfahren eher selten verwendet, nur ca. 10 Prozent der Unternehmen setzen sie regelmäßig ein, lediglich bei der Auswahl von Auszubildenden sind sie häufiger zu finden. Die Tendenz ist allerdings steigend. Im angelsächsischen Raum werden sie öfter eingesetzt. 294 Ein Test muss drei Anforderungen genügen: 295 Die Testpersonen müssen ihr typisches Verhalten zeigen können. Der Test muss geeicht, erprobt und zuverlässig sein. Die Ergebnisse müssen für das künftige Verhalten der Kandidaten in der jeweiligen beruflichen Situation Gültigkeit haben. 292 Vgl. Weuster (2012 a), S. 284 ff.; Lohaus/ Habermann (2013), S. 116 ff.; Scholz (2014), S. 539. 293 Vgl. Berthel/ Becker (2017), S. 404. 294 Vgl. Kolb (2010), S. 127. 295 Vgl. Olfert (2012), S. 181. 4.4 Testverfahren · 153 Außerdem sind die in Kapitel 4.1 genannten methodischen Gütekriterien zu beachten. Des Weiteren müssen die Testverfahren die Kriterien Standardisierung und Normierung erfüllen. Unter Standardisierung versteht man, dass für jede Testperson die gleichen Bedingungen bei der Erfüllung gleicher Aufgaben gelten. Nur so können die Ergebnisse verschiedener Kandidaten miteinander verglichen werden. Ist ein Test normiert, sind quantitative Aussagen zum individuellen Leistungsniveau des Bewerbers möglich, indem seine relative Position auf einer Skala der ermittelten Testergebnisse angegeben wird. Da Testverfahren zum Teil in die Intimsphäre des Bewerbers eindringen und seine Persönlichkeitsrechte verletzen können, dürfen sie nur mit ausdrücklicher Genehmigung des Kandidaten angewandt werden. Der Teilnehmer muss darüber hinaus über Inhalt und Reichweite des Tests informiert werden, außerdem muss die Relevanz der Informationen für die betreffende Stelle nachgewiesen sein. In der Praxis werden bisweilen Testverfahren angewandt, die in der Forschung längst als überholt gelten. Sie sind simpel und leicht verständlich, die Qualität ihrer Ergebnisse wird dabei selten hinterfragt. Zudem werden immer wieder Tests eingesetzt, die von Laien mit ungenügenden psychologischen Kenntnissen entwickelt wurden und deren Aussagefähigkeit ebenfalls fragwürdig ist. Man unterscheidet insbesondere diese Tests: Leistungstests Intelligenztests Persönlichkeitstests Leistungstests messen entweder allgemeine Voraussetzungen für eine Tätigkeit, etwa Konzentrationsfähigkeit und Belastbarkeit, oder sie stellen auf spezielle, stellenspezifische Qualifikationsmerkmale ab. Sie eignen sich vor allem für einfache Tätigkeiten und untersuchen meist das Verhalten in einer arbeitsähnlichen Situation. So werden z.B. sensorische oder motorische Funktionen und Rechtschreib- oder Rechenkenntnisse überprüft. Spezielle Begabungstests ermitteln beispielsweise die Fingerfertigkeit und Geschicklichkeit oder die Anzahl der richtigen Reaktionen auf optische oder akustische Signale. Auch die Reaktionsgeschwindigkeit wird oft einbezogen. Wegen ihrer begrenzten Aussagekraft werden in der Regel mehrere Tests hintereinander in Testbatterien durchgeführt. Die bekanntesten Verfahren sind der Aufmerksamkeitsbelastungstest (d2), der Konzentrations-Verlaufs-Test (KVT) und der Konzentrations-Leistungs-Test (KLT). 296 Intelligenztests beziehen sich auf kognitive Aspekte wie räumliches Vorstellungsvermögen, sprachliches Denkvermögen, Kombinationsfähigkeit, Merkfähigkeit und Abstraktionsvermögen. Die Tests bestehen aus einer Vielzahl ähnlicher Aufgaben, die mittels weniger kognitiver Operationen unter Zeitdruck zu lösen sind. Sie werden häufig bei der Auswahl von Auszubildenden eingesetzt. Schwierigkeiten tauchen bei Intelligenztests schon bei der Frage auf, was überhaupt unter Intelligenz zu verstehen ist. Einige wissenschaftliche Untersuchun- 296 Vgl. Lorenz (1998), S. 113; Hentze/ Kammel (2001), S. 308. 154 · 4 Personalauswahl gen kommen zu dem Ergebnis, dass zwischen der Intelligenz, die in diesen Tests ermittelt wird, und dem Berufserfolg kaum ein Zusammenhang besteht. Jemand, der unter Zeitdruck besonders gut Gemeinsamkeiten zwischen Begriffen erkennen oder Zahlen addieren kann, muss deshalb später noch kein guter Finanzberater sein. Neuere Forschungsergebnisse bescheinigen Intelligenztests allerdings doch eine gute Vorhersagevalidität für den beruflichen Erfolg von kaufmännischen und technischen Angestellten. 297 Zu den bekanntesten in Deutschland verwendeten Intelligenztests zählen der Hamburg-Wechsler-Intelligenztest für Erwachsene (HAWIE) und der IST 2000. 298 Persönlichkeitstests erfassen situationsunabhängige Grundtendenzen der Persönlichkeit einer Testperson. Sie beziehen sich auf Interessen, Einstellungen und Wahrnehmungen, die im Beruf förderlich oder hinderlich sein können, z.B. Gelassenheit, Offenheit oder Kontaktfreudigkeit. Man unterscheidet psychometrische und projektive Tests. Erstere zielen auf die quantitative Erfassung psychischer Merkmale ab, letztere versuchen die gesamte Persönlichkeit der Testperson indirekt zu erfassen. Es müssen z.B. angefangene Geschichten zu Ende erzählt, verschwommene Bilder gedeutet oder Farben zusammengestellt werden. Man geht davon aus, dass die Testpersonen dabei ihre Ideen, Phantasien und Vorstellungen auf diese Geschichten, Bilder und Farbkombinationen übertragen. Der MBTI (Meyers-Briggs-Type- Indicator) gehört zu den bekanntesten Persönlichkeitstests. Er ist weltweit verbreitet. Oft angewandt werden auch der 16-Persönlichkeitsfaktoren-Test (16-PF) und das Freiburger Persönlichkeits-Inventar (FPI). 299 Neu sind sog. Sprachanalysetests. Sie versuchen Informationen über eine Person vor allem anhand der Sprachmelodie und verwendeter Worte zu erfassen. Auf den Inhalt des Gesagten kommt es nicht an. An der wissenschaftlichen Fundierung dieser Tests und an der Sinnhaftigkeit der Ergebnisse bestehen jedoch erhebliche wissenschaftliche Zweifel. 300 (Vgl. dazu die Ausführungen zum Vorstellungsgespräch unter 4.3.) In der DIN-Norm 33430 zur Eignungsdiagnostik sind Standards für berufsbezogene Eignungsverfahren und Anforderungen an die Beteiligten festgelegt. 301 Die Norm besagt auch, dass Testverfahren bei der Personalauswahl nur dann eingesetzt werden dürfen, wenn alle Informationen wahrheitsgemäß und belegbar sind. Des Weiteren müssen alle Unterlagen und Ergebnisse streng vertraulich behandelt und im Fall, dass der Bewerber abgelehnt wird, vernichtet werden. Außerdem sollte sich das berufliche Profil der Tester an demjenigen von Psychologen orientieren. In der Praxis hat sich diese DIN-Norm bei der Personalauswahl nicht durchgesetzt. Es scheint, dass sie zu umfangreich, bürokratisch und kompliziert ist, um Bedeutung zu erlangen. Darauf weist auch ihr sehr geringer Bekanntheitsgrad hin. Zudem wird der Eindruck vermittelt, dass eigentlich nur Psychologen in der Lage wären, eine sinnvolle Personalauswahl vorzunehmen. 297 Vgl. Kolb (2010), S. 128. 298 Vgl. Hentze/ Kammel (2001), S. 307 f.; Kolb (2010), S. 128; Thommen/ Achleitner (2012), S. 750. 299 Vgl. Hentze/ Kammel (2001), S. 309; Breisig (2005), S. 165 ff. 300 Vgl. Hoffmeyer (2017), S. 63. 301 Vgl. Becker (2010), S. 98 ff.; Scholz (2011), S. 215. 4.5 Assessment Center · 155 4.5 Assessment Center 4.5.1 Begriff und wesentliche Kennzeichen Beim Assessment Center (AC) handelt es sich nicht um ein neues Instrument der Personalauswahl, sondern um eine Zusammenfassung und Weiterentwicklung bereits seit langer Zeit bekannter und oft seit Langem bewährter Verfahren. Diese Vielfalt soll möglichst genaue Erkenntnisse über die Eignung des Bewerbers bringen. Praktiker schätzen die Selektionsqualität des Assessment Centers besonders hoch ein. Wissenschaftliche Analysen bestätigen diesen Eindruck weitgehend. 302 Dies gilt allerdings nur dann, wenn es von Experten erstellt wird und dabei die methodischen Gütekriterien (vgl. Kapitel 4.1) eingehalten werden. Unter einem AC versteht man ein systematisches und geplantes Verfahren zur qualifizierten Erfassung von Verhaltensleistungen und Verhaltensdefiziten durch einen Vergleich mit zuvor definierten Anforderungen. Die fachlichen Kompetenzen treten dabei in den Hintergrund. In der Praxis werden Assessment Center oft auch als Auswahl-, Potenzial- oder Beurteilungsseminar bezeichnet. Tatsächlich ist der Begriff Assessment Center in den letzten Jahren sogar ziemlich unmodern geworden und unternehmensspezifische Bezeichnungen nehmen zu. 303 ACs werden nicht nur bei der Auswahl von Fach- und Führungskräften eingesetzt, sondern können auf allen Hierarchieebenen zur Anwendung kommen. 304 Etliche Großunternehmen nutzen sie sogar bei der Auswahl ihrer Auszubildenden. Daran wird deutlich, dass ACs in erster Linie zur Erfassung von Verhaltensmerkmalen, die für ein Tätigkeitsfeld von Bedeutung sind, und nicht zur Beurteilung der Fachkompetenz durchgeführt werden, die Bewerber um einen Ausbildungsplatz ja erst noch erlangen wollen. Um Fehlerquellen, wie sie in Einzeltests auftreten können, zu eliminieren, werden beim AC verschiedene Verfahren hintereinander angewandt. Der Schwerpunkt liegt auf situativen Übungen und Simulationsübungen, die realen Vorgängen bzw. Tätigkeiten nachempfunden sind. ACs können für einzelne Stellen, für ganze Tätigkeitsfelder oder für Zielgruppen konzipiert werden. Es gibt zahlreiche erprobte Einzelübungen, die je nach Zweck des Assessment Centers recht problemlos passgenau kombiniert werden können. Aus Kostengründen verwendet man selten Assessment Center, die auf eine einzige bestimmte Stelle, beispielsweise die Leitung des Controllings, zugeschnitten werden. Stattdessen werden meist Übungen zusammengestellt, die sich an Tätigkeitsfeldern wie etwa dem Vertrieb oder dem Personalbereich oder an allgemeinen Führungsaufgaben orientieren. Dabei wird unterstellt, dass es Verhaltensanforderungen gibt, die für die gesamte Zielgruppe relevant sind. 302 Vgl. Funk/ Nachtwei/ Melchers (2015), S. 27; Klimecki/ Gmür (2005), S. 248 f. 303 Vgl. Obermann (2013), S. 19. 304 Vgl. Jung (2017), S. 175; Horsch (2000), S. 93. 156 · 4 Personalauswahl In der Regel haben ACs mehrere Teilnehmer (Probanden), üblicherweise sind es sechs bis zwölf. Die meist drei bis sechs Beobachter werden auch Assessoren genannt. Ein Verhältnis von 2: 1 gilt als optimal. Der Einsatz eines kompetenten Moderators unterstützt den reibungslosen Ablauf des Assessment Centers. Diese Aufgabe wurde früher meist von externen Psychologen wahrgenommen. In der Praxis hat sich jedoch gezeigt, dass ein geschulter Mitarbeiter - normalerweise aus der Personalabteilung - denselben Zweck erfüllt. Während früher eine Dauer von drei bis fünf Tagen üblich war, werden Assessment Center heute insbesondere aus Kostengründen normalerweise auf einen Tag begrenzt. Bei der Auswahl von höherrangigen Führungskräften werden häufig keine Gruppen-ACs, sondern Einzel-Assessment-Center mit nur einem Probanden durchgeführt. Damit soll dem Umstand Rechnung getragen werden, dass es dieser Bewerbergruppe nicht zuzumuten ist, gemeinsam mit Kollegen, die ihnen eventuell sogar bekannt sind, an einem Auswahlverfahren teilzunehmen. Es werden vor allem Indiskretionen seitens der anderen Kandidaten befürchtet. Sie könnten dazu führen, dass die Vertraulichkeit einer Bewerbung nicht gewahrt bleibt oder Verhaltensdefizite einzelner Teilnehmer öffentlich bekannt werden. Mit dem Einzel-AC können dann allerdings keine gruppenspezifischen Verhaltensweisen, z.B. Teamfähigkeit, überprüft werden. Neben der Bewerberauswahl werden Assessment Center auch im Rahmen der Personalentwicklung eingesetzt, um so Erkenntnisse über Verhaltensdefizite der Mitarbeiter und die Notwendigkeit von Entwicklungsmaßnahmen zu gewinnen. Auch zur Potenzialanalyse verwendet man ACs. Es geht dann um Erkenntnisse, wie sich der Mitarbeiter fachlich und persönlich weiterentwickeln kann. Daran schließen sich oft gezielte Maßnahmen der Karriereplanung an. ACs zeichnen sich durch verschiedene Merkmale aus: Methodenvielfalt: Mehrere Verfahren der Eignungsdiagnostik werden miteinander verbunden, um möglichst viele Informationen über das tätigkeitsfeldbezogene Verhalten des Bewerbers zu gewinnen. Mehrfachbeurteilung: Jeder Proband wird im Laufe des Assessment Centers mindestens einmal von jedem Assessor beobachtet und beurteilt. Auf diese Weise soll Fehlern, die durch eine subjektive Beurteilung von Einzelnen entstehen können, entgegengewirkt werden. Trennung von Beobachtung und Beurteilung: Die Assessoren werden angehalten, zunächst nur zu beobachten und sich erst anschließend Gedanken über die Bedeutung des Verhaltens des Probanden und dessen Beurteilung zu machen. Damit soll vermieden werden, dass ein Beobachter während einer Übung darüber nachdenkt, wie das Verhalten eines Teilnehmers, den er gerade beobachtet, zu bewerten ist. Er könnte dadurch weitere bedeutsame Verhaltensaspekte verpassen, was zu einem unvollständigen und ungenauen Urteil führen würde. Im Anschluss an die eigene Bewertung des Probanden findet eine abschließende gemeinsame Beurteilung im Rahmen einer Beobachterkonferenz statt. 4.5 Assessment Center · 157 Verhaltensorientierung: Die AC-Übungen sollen Verhaltensweisen und -defizite der Teilnehmer ermitteln. Fachspezifische Kenntnisse sind hier i.d.R. nur am Rande von Interesse. Da das Verhalten beobachtet werden soll, dürfen nur diejenigen Verhaltensmerkmale in das AC einbezogen werden, die tatsächlich beobachtbar sind. Dazu werden die tätigkeitsfeldspezifischen Verhaltensanforderungen in beobachtbare Kriterien übersetzt. Das Merkmal Ausdrucksfähigkeit kann z.B. durch diese Kriterien präzisiert werden: „Der Proband formuliert flüssig“, „er verwendet optische Hilfsmittel“, „er benutzt plastische Vergleiche“, „er passt sich der Situation im Ausdruck an“, „andere übernehmen seine Gedanken“. 305 Anforderungsbezogenheit: Die Übungen werden in Art und Anzahl auf das Anforderungsprofil abgestimmt, d.h. sie werden den Anforderungen entsprechend ausgesucht und kombiniert. Aspekte, die für eine Stelle besonders bedeutend sind, werden mehrmals anhand verschiedener Übungen überprüft. Weniger bedeutsames Verhalten wird lediglich mithilfe von ein oder zwei Übungen ermittelt. Eine Verdichtung der Anforderungsmerkmale auf die wesentlichen Verhaltensweisen ist sinnvoll, da nur eine begrenzte Zeit zur Verfügung steht und die menschliche Beobachtungskapazität begrenzt ist. Trainierte Assessoren: In der Regel werden die Teilnehmer eines Assessment Centers von Führungskräften des Unternehmens beobachtet und beurteilt. Bisweilen werden externe und/ oder weitere interne Beobachter, beispielsweise Psychologen oder Soziologen bzw. Mitarbeiter der Personalabteilung, hinzugezogen. Um Fehler bei der Beobachtung und der Beurteilung zu vermeiden, ist vorher eine systematische Schulung der Assessoren erforderlich. Dazu gehört, dass sie den Ablauf, die Ziele und die Beobachtungsdimensionen des Auswahlverfahrens kennen und sich zuvor mit den Übungen vertraut gemacht haben. Ferner muss ihnen klar sein, welche Merkmale in den einzelnen Übungen beobachtet werden sollen und worauf nicht zu achten ist. Die strikte Trennung von Beobachtung und Beurteilung muss ebenfalls trainiert werden. Die Assessoren können Beobachtungs- und Beurteilungsfehler nur dann vermeiden, wenn ihnen diese bewusst sind. Ausführliche Information der Teilnehmer: Die Teilnehmer werden zu Beginn über den Ablauf und die Inhalte des Assessment Centers unterrichtet. So will man Vertrauen schaffen und Unsicherheit abbauen. Sie werden über seinen Zweck informiert und auch darüber, welche Verhaltensweisen beobachtet werden sollen. Dabei geht es nicht um jede einzelne Übung, sondern um einen Überblick über das AC. Weiterhin werden ihnen die Beobachter vorgestellt, außerdem setzt man die Teilnehmer darüber in Kenntnis, wie die Ergebnisse des Assessment Centers später verwendet werden. Feedback: Zu einem professionell durchgeführten AC gehört auch, dass den Bewerbern anschließend mitgeteilt wird, wie sie eingeschätzt wurden. Dabei wird ihnen anhand der Übungen und der jeweiligen Anforderungen von einem Assessor oder vom Moderator erläutert, worauf die Beurteilungsergebnisse beruhen. Eine ausführliche inhaltliche Be- 305 Vgl. Jeserich (1991), S. 171. 158 · 4 Personalauswahl gründung ist für die Bewerber besser nachvollziehbar und kann damit leichter akzeptiert werden als eine Pauschalbeurteilung. Vor allem bei internen Auswahlverfahren bedarf es einer sehr sorgfältigen Vorgehensweise und eines detaillierten Feedbacks, da sich die Bewerber, die durch die einzelnen Auswahlphasen gegangen sind, im Blickfeld ihrer Vorgesetzten und Kollegen befinden. Auch wenn sie nicht in Betracht kommen, sollen sie weiterhin geschätzte Mitarbeiter bleiben. Nur durch eine faire Auseinandersetzung mit dem Ergebnis des Assessment Centers erreicht man, dass diese Mitarbeiter motiviert bleiben und ihre bisherigen Aufgaben weiterhin gut erfüllen. 4.5.2 Geschichtliche Entwicklung Assessment Center wurden zuerst vom Militär und im geheim- und nachrichtendienstlichen Bereich eingesetzt. Danach wurde die Idee von US-amerikanischen Unternehmen aufgegriffen. Erst Jahre später wurde das Verfahren im privatwirtschaftlichen und öffentlichen Bereich in anderen Ländern eingesetzt. Bereits seit Anfang des 17. Jahrhunderts wurden in der englischen Marine bei der Auswahl der Offiziersanwärter eignungsdiagnostische Verfahren eingesetzt. Nach dem Ersten Weltkrieg wurden in Deutschland verschiedene psychologische Testverfahren kombiniert und unter der Bezeichnung „Heerespsychotechnik“ bei der Auswahl von Kraftfahrern, Piloten und Funkern eingesetzt, ab 1927 auch bei den Offiziersanwärtern. In der NS-Zeit fand die Auswahl der Offiziere dann nicht mehr vorrangig anhand von objektiven Kriterien, sondern vor allem im Hinblick auf politische und parteiliche Merkmale statt. Das Verfahren wurde deshalb in Deutschland aufgegeben. Im Zweiten Weltkrieg wurden ACs verstärkt in der britischen Armee und im Commonwealth eingesetzt. In den USA wurden Assessment Center zuerst vom Geheimdienst bei der Auswahl von Agenten verwendet. Nachdem damit positive Erfahrungen gemacht wurden, übernahm die US-Armee 1943 das Verfahren. Seit 1957 kommen ACs auch bei der Bundeswehr als Auswahlinstrument für Offiziersanwärter zur Anwendung. 306 Henry H. Murray von der Harvard University griff die Idee nach dem Zweiten Weltkrieg auf und entwickelte die Konzeption weiter. Murray gilt heute als Vater des Assessment Centers in seiner aktuellen Form und prägte auch den Begriff. 307 Als erstes privatwirtschaftliches Unternehmen setzte der Telefonkonzern AT&T in den USA Assessment Center bereits ab 1956 bei der Personalauswahl ein. Im Anschluss an eine interne empirische Studie wurden sie dort schon kurze Zeit später zum Standardauswahlverfahren. 308 Seit etwa 1970 verwenden viele amerikanische Unternehmen Assessment Center routinemäßig für die Personalauswahl. Über die Tochtergesellschaften amerikanischer Konzerne fand 306 Vgl. Eck/ Jöri/ Vogt (2015), S. 10 f. 307 Vgl. ebd. 308 Vgl. Oechsler/ Paul (2015), S. 241; Eck/ Jöri/ Vogt (2015), S. 11. 4.5 Assessment Center · 159 das Assessment Center auch in anderen Ländern eine - anfangs noch langsame, dann jedoch immer raschere - Verbreitung. Heute hat es sich als gängiges Auswahlverfahren in den meisten Großunternehmen und auch in vielen mittelständischen Betrieben etabliert. 4.5.3 Wichtige Übungen Die Übungen lassen sich, wie Abb. 4-7 zeigt, in mehrere Hauptgruppen unterteilen. 309 Typische AC-Übungen Gruppe der Übungen Beispiele Einzelkämpferaufgaben Jeder gegen jeden Einer gegen den anderen Einer gegen alle Alle miteinander Postkorbübungen (Führerlose) Gruppendiskussionen Rollenspiele Präsentationen Konstruktionsübungen Fallstudien, Planspiele, Selbsteinschätzungen, Interviews Abb. 4-7: Systematisierung der AC-Übungen 310 Bei Postkorbübungen müssen die Teilnehmer unter starkem Zeitdruck zahlreiche Informationen bearbeiten. In der Regel bekommen sie die Information, dass sie Führungskräfte seien und ihre Eingangspost bearbeiten müssen. Diese ist weder zeitlich noch inhaltlich vorsortiert. Von einer unterschriftsreifen strategischen Entscheidung über interne Notizen, Kundenbeschwerden, Infos von Kollegen, Sitzungstermine, private Mitteilungen bis zum Reklamezettel ist alles zu finden. Die Postkorbübung soll über das Entscheidungsverhalten des Probanden Aufschluss geben. Man will z.B. herausfinden, ob er in der Lage ist, Wichtiges von Unwichtigem zu trennen, ob er auch unter Stress planmäßig und logisch vorgehen kann und erkennt, welche Aufgaben sich delegieren lassen und welche er selbst erledigen muss. Bei Gruppendiskussionen geht es darum, Informationen über die soziale Kompetenz der Teilnehmer zu erhalten. Im Mittelpunkt stehen die Beurteilungskriterien Kontakt-, Kooperations- und Durchsetzungsfähigkeit. Es können aber auch sprachliches Ausdrucksvermögen, Ausdauer, Engagement und Zielorientierung überprüft werden. Bei einer führerlosen Gruppendiskussion sind alle Teilnehmer gleichberechtigt. Im anderen Fall wird ein Diskussionsleiter bestimmt, der den Verlauf des Gesprächs steuert. 309 Vgl. Jung (2017), S. 176 ff. 310 In Anlehnung an Jung (2017), S. 176 f. 160 · 4 Personalauswahl Eine Abwandlung, die selbst wiederum eine Gruppendiskussion darstellt, besteht darin, den Diskussionsleiter durch die Gruppe festlegen zu lassen. Die Themen werden meist vom Unternehmen bestimmt. Es gibt aber auch Gruppendiskussionen, bei denen die Teilnehmer das Thema anhand eines vorgegebenen Katalogs oder auch völlig frei wählen können. Die Themenwahl erfolgt dann ihrerseits wiederum als Gruppendiskussion und ist eine eigenständige vorgeschaltete Übung. In Rollenspielen stellt jeder Beteiligte eine unterschiedliche Person mit individuellem Verhalten dar. Die Teilnehmer erhalten dazu in der Regel genaue schriftliche Vorgaben. Üblich sind Verkaufsgespräche oder auch Situationen, aus denen Rückschlüsse auf das Führungsverhalten gezogen werden können. So wird beispielsweise ein Mitarbeitergespräch simuliert, in dem ein Teilnehmer einen renitenten, arbeitsunwilligen Arbeitnehmer und ein anderer eine Führungskraft spielt. Oft wird der Mitarbeiterpart von einem der Beobachter oder einem anderen Mitglied des Unternehmens übernommen. Die Teilnehmer schlüpfen dann alle in die Rolle des Vorgesetzten. Da nun jeder Proband die gleiche Rolle einnimmt und dasselbe Gegenüber hat, ist das Führungsverhalten besser vergleichbar. Zu den wesentlichen Beurteilungskriterien bei Rollenspielen gehören die Fähigkeit, sachlich zu bleiben, sowie Stresstoleranz, Sensibilität, Verantwortungsbewusstsein und die Fähigkeit, Probleme zu analysieren. Bei einer Präsentation bereitet der Teilnehmer ein bestimmtes Thema - oft anhand vorgegebener Materialien - systematisch auf und trägt es anschließend vor. Sowohl die Vorbereitung als auch der Vortrag sind zeitlich begrenzt. Beurteilt werden mündlicher Ausdruck, Problemlösungsfähigkeit, Präsentationstechnik, Belastbarkeit und Überzeugungskraft. Bei der Themenwahl können daneben fachliche Aspekte berücksichtigt werden, was in zunehmendem Maße in der Praxis auch geschieht. Von Konstruktionsübungen spricht man, wenn eine Probandengruppe eine Aufgabe - etwa die Konstruktion eines Bauwerks mit begrenzten Ressourcen - erhält oder ein logisches Problem gemeinsam strukturieren bzw. lösen muss. Ähnlich wie beim Rollenspiel und bei der Gruppendiskussion steht auch hier das Sozialverhalten der Teilnehmer im Vordergrund. Die Aufgabe muss aber durch eine gemeinsame Anstrengung gelöst werden, weshalb sich die Beobachtungen auf Teamfähigkeit, Kommunikationsfähigkeit und Konfliktverhalten der Teilnehmer konzentrieren. Bei Fallstudien und Planspielen erhalten die Probanden Unterlagen zu einem praktischen, meist komplexen Problem. Diese IT-gestützten Simulationen beziehen sich normalerweise auf mehrere Perioden. Es handelt sich um längere, in der Regel mehrstündige Übungen, die häufig als Grundlage für anschließende Präsentationen und Diskussionen dienen. Dabei geht es in erster Linie um die Beurteilung der Analyse- und Problemlösungsfähigkeiten sowie des Sozialverhaltens und der Teamfähigkeit der Probanden. In letzter Zeit werden die Übungen öfter so konzipiert, dass zur Bearbeitung und Lösung auch fachspezifische Kenntnisse erforderlich sind. Bei Selbsteinschätzungen erhalten die Teilnehmer ein Polaritätsprofil mit Eigenschaftspaaren wie zurückhaltend/ initiativ, besonnen/ risikobereit oder praxis-/ theorieorientiert und 4.5 Assessment Center · 161 müssen über sich selbst ein Urteil abgeben. Mit dieser Übung will man feststellen, ob sie ein realistisches Selbstbild von sich haben und ob dieses mit der Einschätzung der Assessoren übereinstimmt. Beispiele für beobachtbare Anforderungskriterien Art der Übung geeignet für diese Anforderungen Gruppendiskussion Teamfähigkeit Überzeugungsfähigkeit Belastbarkeit Zielstrebigkeit Durchsetzungsfähigkeit Postkorbübung Delegationsfähigkeit Organisationsfähigkeit Belastbarkeit Entscheidungsfähigkeit Analysefähigkeit Präsentation Ausdrucksfähigkeit Überzeugungsfähigkeit Belastbarkeit Organisationsfähigkeit Kreativität Rollenspiel Durchsetzungsfähigkeit Konfliktfähigkeit Kooperationsfähigkeit Überzeugungsfähigkeit Fähigkeit, Ziele zu setzen Belastbarkeit Fallstudie Entscheidungsfähigkeit Analysefähigkeit Problemlösungsfähigkeit Kreativität Organisationsfähigkeit Abb. 4-8: Beobachtbare Anforderungskriterien im Assessment Center 311 Mithilfe von Interviews sollen z.B. die Erwartungen der Bewerber ermittelt werden. Des Weiteren erhält man Auskunft über Wertvorstellungen, persönliche Interessen und soziale Einstellungen. Auch fachliche Informationen können abgefragt werden. Interviews im Rahmen des ACs werden insbesondere eingesetzt, wenn das eigentliche Vorstellungsgespräch erst im Anschluss an das AC stattfindet. Abb. 4-8 zeigt Beispiele für beobachtbare Anforderungskriterien. 311 In Anlehnung an Horsch (2000), S. 100. 162 · 4 Personalauswahl Es wird deutlich, dass mit jeder Übung mehrere Verhaltensweisen überprüft werden können. Welche jeweils relevant sind, ist im Einzelfall festzuhalten. Präsentationen, Fallstudien, Rollenspiele und Interviews sind nach wie vor sehr beliebt. Gruppendiskussionen werden aufgrund des hohen zeitlichen Aufwands sparsamer eingesetzt als früher. Es besteht ein Trend zur vermehrten Verwendung von kognitiven Tests und von Fragebögen. 312 Hier liegt die Vermutung nahe, dass diese Übungen vor allem deshalb von den Unternehmen eingesetzt werden, weil sie kostengünstig zu erstellen und auszuwerten sind. Der Nutzen ist deshalb in Frage zu stellen. 4.5.4 Ablauf eines Assessment Centers Was den Ablauf eines Assessment Centers anbelangt, hat sich die Vorgehensweise bewährt, die Jeserich bereits im Jahr 1981 vorgeschlagen hat. 313 So wird normalerweise auch heute noch verfahren. Einen Überblick gibt Abb. 4-9. Ablauf eines Assessment Centers Vorbereitung Durchführung Abschluss und Feedback 1 Festlegen der Ziele und der Zielgruppen 2 Beobachterauswahl 3 Definition des Anforderungsprofils ggf. unter Einbezug der Beobachter 4 Zusammenstellung der Übungen entsprechend der Anforderungen 5 Information der Teilnehmer und organisatorische Vorbereitung 6 Training der Beobachter 7 Empfang der Teilnehmer, Erläuterung der Ziele und des Ablaufs 8 Bearbeiten der Übungen und Unterlagen durch die Teilnehmer 9 Beobachtung von Verhalten und Leistungen der Probanden durch die Assessoren 10 Auswerten der Beobachtungen durch die einzelnen Assessoren 11 Abstimmung der Auswertungen unter den Assessoren 12 Anfertigen der Gutachten und ggf. Empfehlung von Fördermaßnahmen 13 Endabstimmung und Endauswahl 14 Information der Teilnehmer über die Ergebnisse 15 ggf. Vereinbaren von Förder- und Entwicklungsmaßnahmen (nach internem AC) Abb. 4-9: Vorgehensweise beim AC 314 312 Vgl. Obermann (2013), S. 19. 313 Vgl. Jeserich (1981). 4.5 Assessment Center · 163 Es gibt drei Abschnitte, die in insgesamt fünfzehn Schritte gegliedert werden: Vorbereitung Durchführung Abschluss und Feedback Schritt fünfzehn entfällt bei externen Bewerbern, die nicht für die Stelle ausgewählt wurden. 4.5.5 Kritische Würdigung des Assessment Centers Assessment Center werden in der Literatur sehr kontrovers diskutiert und werden ebenso oft in den Himmel gelobt wie verteufelt. Als bedeutendste Vorteile gelten: Das AC verwendet verschiedenste Übungen, um das Verhalten der Teilnehmer in seinen vielfältigen Facetten zu erfassen. Die Tests orientieren sich an realitätsnahen, tätigkeitsspezifischen Situationen. Die Objektivität wird im Vergleich zu anderen Verfahren dadurch verbessert, dass es mehrere Beobachter gibt und dass jeder Proband von jedem Assessor mindestens einmal beobachtet wird. Die Trennung von Beobachtung und Beurteilung führt dazu, dass die Beobachter sich auf die Verhaltensweisen der Teilnehmer konzentrieren und nicht abgelenkt werden. Durch eine Urteilsfindung im Anschluss an jede Übung wird die Genauigkeit der Urteile und damit Aussagekraft des Verfahrens erhöht. 315 Im abschließenden gemeinsamen Beurteilungsgespräch reflektieren die Assessoren ihre Beobachtungen und Beurteilungen und kommen so zu einer besseren Einschätzung der Teilnehmer. Da die Gesamtbewertung aufgrund mehrerer Urteile erfolgt, werden extreme Meinungen abgemildert. Der direkte Vergleich der Kandidaten erleichtert die Auswahlentscheidung. Das ausführliche Feedback erhöht die Akzeptanz der Entscheidung auch bei den abgelehnten Teilnehmern, da sie diese nachvollziehen können. Als Nachteile sind zu nennen: Der zeitliche und finanzielle Aufwand für Vorbereitung, Durchführung und Abschluss des Verfahrens ist erheblich. Die Einzelübungen haben oft keinen Bezug zueinander und sind zu wenig am Unternehmensgeschehen ausgerichtet. Deshalb können bei den Teilnehmern kaum Handlungsstrategien, sondern nur kurzfristige Reaktionen beobachtet werden. Zur prognostischen Validität existieren unterschiedliche Untersuchungen mit zum Teil widersprüchlichen Ergebnissen. 314 Vgl. Jeserich (1981), S. 35. 315 Vgl. Siquans (2005), S. 74. 164 · 4 Personalauswahl Situationsbedingte Stressreaktionen werden möglicherweise überbewertet und verzerren das Ergebnis. Es besteht die Gefahr, dass ein bestimmter Typus von Bewerber, der „sich gut verkaufen“ kann, besonders positiv beurteilt wird, obwohl eine gute Selbstdarstellung nicht immer zu den Stellenanforderungen gehört. Bei der Urteilsfindung kann das Ergebnis durch Gruppendruck, dem sich einzelne Beobachter nicht entziehen können, beeinflusst werden. Bewerber, die bereits mehrere Assessment Center durchlaufen oder sich gut vorbereitet haben, können die Übungen durchschauen und sich dann so verhalten, wie es von ihnen erwartet wird. Die Beobachtungen sind nur eine Momentaufnahme. Die Lernfähigkeit der Teilnehmer und ihre Fähigkeit neue Verhaltensweisen zu entwickeln, bleiben unberücksichtigt. Die weite Verbreitung des ACs legt die Vermutung nahe, dass nicht alle Assessment Center von Experten entwickelt bzw. dem Tätigkeitsfeld und dem jeweiligen Unternehmen angepasst wurden. Die Qualität dieser Laiendiagnostik ist äußerst fragwürdig. Manche Vorwürfe lassen sich leicht entkräften. So etwa die unterstellte Möglichkeit der „Schauspielerei“ der Teilnehmer, was man ebenso als geschicktes und flexibles Verhalten auslegen kann. Denn ein Bewerber, der versteht, welche Verhaltensweise von ihm gefordert wird und dementsprechend agiert, schauspielert nicht, sondern beweist schnelle Auffassungsgabe und Einfühlungsvermögen, was später auch im Berufsalltag gefordert ist. Es lässt sich nachweisen, dass selbstbewusste, leistungsorientierte und durchsetzungsstarke Bewerber von den Beobachtern als solche erkannt und positiver bewertet werden. 316 Gegen den Vorwurf, gut vorbereitete Teilnehmer würden besser abschneiden, lässt sich einwenden, dass eine gute Vorbereitung nicht nur beim AC, sondern immer und grundsätzlich in allen Lebenslagen und Arbeitssituationen von Vorteil ist. Obermann weist in seiner Studie nach, dass Assessment Center in Großunternehmen voll etabliert sind und zunehmend auch viele mittlere Unternehmen ACs verwenden. Außerdem steigt die Häufigkeit des Einsatzes an. 317 Zielgruppen sind insbesondere Nachwuchsführungskräfte und Führungskräfte. Die Personalauswahl ist nach wie vor der häufigste Anwendungsbereich. Aber auch der Einsatz von Assessment Centern zur Personalentwicklung und zur Potenzialanalyse nimmt zu. 318 Das dynamische Assessment Center ist eine Weiterentwicklung des klassischen ACs. Es begegnet einigen Schwächen des Verfahrens, indem ein umfangreiches Unternehmensplanspiel integriert wird. Die Probanden arbeiten dabei längere Zeit, oft mehrere Tage, gemeinsam an einer komplexen Aufgabe, z.B. der Steuerung eines Unternehmens in unterschiedlichen Wachstumsphasen. 316 Vgl. Schabel/ Hossiep (2006), S. 72. 317 Vgl. Obermann (2013), S. 19. 318 Vgl. ebd., S. 21. 4.6 Ergänzende Auswahlverfahren · 165 Klassische AC-Übungen wie Rollenspiele, Mitarbeitergespräche und Präsentationen werden in das Planspiel eingebunden, wodurch das AC lebendiger und realitätsnaher wird. Neben Verhaltenskomponenten werden auch fachliche Aspekte berücksichtigt, die beim klassischen AC eher außen vor bleiben. Außerdem kann man im dynamischen Assessment Center Merkmale feststellen, die in der Regel erst nach einer längeren Beobachtungszeit für die Assessoren transparent werden, wie z.B. durchgängige Handlungsstrategien oder Verhaltensflexibilität. Häufig werden ACs auch unter ein bestimmtes unternehmensrelevantes Thema gestellt. Die Kandidaten erhalten Kennzahlen, sollen Schwachstellen ermitteln, neue Erkenntnisse liefern und diese in Rollenspielen auch gleich umsetzen. Die Analyse des Potenzials der Bewerber steht im Vordergrund. Die Übungen werden passend ausgewählt. Fachspezifische Aspekte werden von Anfang an mit aufgenommen und der Einbezug von Fachwissen wird als selbstverständlich vorausgesetzt. In letzter Zeit wird zunehmend die Prüfung interkultureller Kompetenzen in Assessment Center eingearbeitet. Hierbei geht es in der Regel nicht um eine konkrete Auslandsentsendung, sondern eher um die generelle Eignung für das Arbeiten in und mit Menschen aus anderen Kulturkreisen. Sie ist in vielen Unternehmen ein fester Bestandteil des Assessment Centers geworden. Die gilt besonders, wenn es um die Auswahl von Führungs- und Führungsnachwuchskräften sowie hochwertige Experten geht, die in einem internationalen Umfeld tätig sein werden. Neuerdings kommen öfter Assessment Center zum Einsatz, die nicht in einem unternehmensnahen Umfeld stattfinden, sondern etwa beim Bergsteigen oder auf einem Segelboot. Bewerber schätzen zwar den damit verbundenen Freizeitwert, sind aber gegenüber den in diesem Zusammenhang erhobenen Ergebnissen sehr skeptisch. 319 Es mangelt ihnen an Akzeptanz, da sie die Beurteilungskriterien nicht nachvollziehen können. Außerdem ist es fraglich, ob die Ergebnisse aus der Freizeitsituation tatsächlich eins zu eins auf die Arbeitssituation übertragbar sind. 4.6 Ergänzende Auswahlverfahren Ein weiteres, allerdings weniger häufig genutztes Auswahlinstrument ist die Arbeitsprobe. Sie bietet einen unmittelbaren Einblick in die Leistung eines Bewerbers. Im künstlerischen Bereich, in der Werbebranche und generell bei kreativen Aufgaben ist eine solche Vorlage durchaus üblich. Die Veröffentlichungen eines Journalisten zählen ebenso dazu wie die Bildermappe eines Fotografen, die Kunstwerke eines Bildhauers oder die Konzepte eines Werbefachmanns. Ansonsten sind Arbeitsproben im Handwerk verbreitet. Es geht darum, zu zeigen, dass man bestimmte Tätigkeiten mit Bezug zu den späteren Stellenaufgaben selbständig ausführen kann. Sie vermitteln dem Unternehmen einen Eindruck darüber, ob der Bewerber in der Lage ist, spezifischen Anforderungen in einer typischen Arbeitssituation gerecht zu werden. 320 Arbeitsproben sind häufig auch Bestandteil von Probearbeitstagen. 319 Vgl. Heidenfelder (2015), S. C 1. 320 Vgl. Lohaus/ Habermann (2013), S. 178 f. 166 · 4 Personalauswahl Probearbeitstage sind im Handwerk üblich. Ansonsten werden sie relativ selten vereinbart. Der Bewerber arbeitet einige Zeit im Unternehmen, erst danach entscheiden die Beteiligten, ob ein Arbeitsvertrag abgeschlossen wird. Das Unternehmen erhält während dieser Probearbeitstage Einblicke in das Arbeits- und Sozialverhalten und die fachlichen Fähigkeiten des Bewerbers in der stellenspezifischen Situation. Der Bewerber kann feststellen, ob er die auf ihn zukommenden Aufgaben meistern und sich in das Team integrieren kann. Der Zeitraum der Probearbeitstage darf jedoch nicht zu kurz sein, ansonsten bekommt man kein realistisches Ergebnis. 321 Auch vor der Einstellung von Auszubildenden werden - vor allem in mittelständischen Unternehmen - häufig Probearbeitstage vereinbart. In dieser Zeit können das Unternehmen und der Jugendliche feststellen, ob eine grundlegende Eignung und Interesse für den Ausbildungsberuf vorhanden sind. Letztlich ist auch die Probezeit eine Art Arbeitsprobe, wobei der Mitarbeiter allerdings bereits eingestellt worden ist. Eine Bestätigung, dass der Bewerber auch gesundheitlich den Stellenanforderungen gewachsen ist, stellt die ärztliche Eignungsuntersuchung dar. Deshalb bildet sie in vielen Fällen den Abschluss des Auswahlverfahrens. Sie setzt genaue Kenntnisse des Arztes über die Anforderungen der Arbeitssituation voraus, z.B. Anforderungen an die Sinnesorgane, Schwindelfreiheit, Lärmverträglichkeit etc. Auch bei Tätigkeiten im Ausland sind solche Untersuchungen angebracht, z.B. wenn es sich um Länder mit extremen klimatischen Bedingungen handelt. Bei Jugendlichen unter 18 Jahren ist nach dem Jugendarbeitsschutzgesetz eine solche „Tauglichkeitsbescheinigung“ gesetzlich vorgeschrieben. Sie muss vor Ablauf des ersten Beschäftigungsjahres wiederholt werden. Eine besonders ungewöhnliche Vorgehensweise zur Bewerberauswahl findet man bei der Deutschen Bahn in Berlin. Hier wird seit einigen Jahren das „Company Speed Dating“ eingesetzt. Vor allem BWL- und Ingenieur-Studierenden wird die Möglichkeit gegeben, sich im Acht-Minuten-Takt über das Unternehmen und freie Stellen zu informieren und sich selbst Unternehmensvertretern zu präsentieren. 322 Es läuft wie ein Speed Dating zur Partnersuche ab und ist Teil einer langfristigen Nachwuchsrekrutierungsstrategie, die mittlerweile auch bei DB-Tochterunternehmen eingesetzt wird. 323 So will man junge Leute mit deren eigenen Verhaltensweisen auf sich aufmerksam machen und erhofft sich mehr Erfolg als auf traditionellen Wegen. Weitere Unternehmen haben sich diesem Trend in den letzten Jahren angeschlossen. BASF und Zeis setzen seit einiger Zeit auf sog. Hackathons. Bewerber erhalten dabei eine Aufgabe, die sie durch die Entwicklung einer neuen Software lösen müssen. Diejenigen Teilnehmer, die die besten Lösungen abgegeben haben, erhalten eine Einladung zu einem Vorstellungsgespräch, manchmal auch gleich einen Einstellungsvertrag oder teilweise auch nur einen Geldbetrag. 324 321 Vgl. Rohrschneider/ Lohmer (2012), S. 20. 322 Vgl. Loll (2010), S. C 3. 323 Vgl. ebd. 324 Vgl. Steiner (2018), S. 25. 4.7 Entscheidung und Abschluss des Arbeitsvertrags · 167 Auch online-Spiele werden manchmal zur Eignungsdiagnose eingesetzt. So wollen Unternehmen den Spieltrieb der Bewerber nutzen, um ihre Informationsbasis zu verbessern. Die Spiele machen Spaß und nehmen die Angst vor den Tests. Häufig ist den Bewerbern dabei jedoch nicht klar, worum es überhaupt geht und welche Eigenschaften hier bewertet werden sollen. Außerdem genügen die Spiele oft nicht den Gütekriterien der Personalauswahl. 325 Noch sind diese Maßnahmen originell und erregen deshalb Aufmerksamkeit. Je ausgefallener die Vorgehensweisen sind, desto besser kommen sie insbesondere bei jungen Menschen an. Je häufiger sie eingesetzt werden, desto uninteressanter und „gewöhnlicher“ werden sie jedoch in den Augen der potenziellen Bewerber. 4.7 Entscheidung und Abschluss des Arbeitsvertrags Mit der Entscheidung für einen Bewerber ist der Auswahlprozess abgeschlossen. Kandidaten, die nicht berücksichtigt wurden, erhalten ein Absageschreiben und bekommen ihre Unterlagen zurück, sofern sie diese noch in Papierform eingesandt hatten. Bei der Formulierung des Absagetextes muss man bedenken, dass jeder Bewerber der Auffassung war, für die ausgeschriebene Stelle geeignet zu sein. Sich einem Auswahlprozess zu stellen, ist immer ein mutiger und bedeutsamer Schritt. Entsprechend persönlich, höflich und ermunternd sollte das Absageschreiben formuliert sein. Unfreundliche Standardbriefe wirken abschreckend. Die Bewerber werden in ihrem persönlichen Umfeld über die Erfahrungen bei der Bewerberauswahl berichten. Sie selbst und andere potenzielle Bewerber werden eine (weitere) Bewerbung eventuell davon abhängig machen, wie mit den abgelehnten Kandidaten umgegangen wurde. Das Unternehmen schadet sich also selbst, wenn es bei der Formulierung der Absage nicht sorgfältig und wertschätzend vorgeht. Unter dem Aspekt des Personalmarketings ist ein Absagebrief eine Art Visitenkarte. 326 Die Bewerbungsinformationen sind grundsätzlich nach dem Ende des Bewerbungsprozesses zu löschen. Sie dürfen nur für die Dauer des Prozesses gespeichert werden. Man kann den Bewerber jedoch bitten, seine Informationen zur längerfristigen Speicherung in einer Bewerberdatei für mögliche spätere Stellenbesetzungen weiterhin zur Verfügung zu stellen. Die Daten müssen gelöscht werden, wenn der Bewerber der weiteren Speicherung nicht zustimmt. Der Abschluss des Arbeitsvertrags bindet den neuen Mitarbeiter an das Unternehmen. Er umfasst die Rechte und Pflichten beider Vertragsparteien. Das Nachweisgesetz (NachwG) verpflichtet den Arbeitgeber, innerhalb eines Monats nach Vertragsbeginn die wesentlichen Vertragsbedingungen eines Arbeitsvertrages schriftlich festzuhalten und dem Arbeitnehmer auszuhändigen. Entsprechend ist bei späteren bedeutsamen Änderungen der Vertragsbedingungen zu verfahren. Wenn der Arbeitgeber seine Nachweisverpflichtung nicht erfüllt, ist der Arbeitsvertrag jedoch trotzdem gültig. 325 Vgl. Lemmer (2015), S. 36 ff. 326 Vgl. o.V. (2016 b), S. 54 f. 168 · 4 Personalauswahl Diese Inhalte sind mindestens zu dokumentieren: Name und Anschrift der Vertragsparteien Zeitpunkt des Beschäftigungsbeginns Arbeitsort bzw. eine Erläuterung bei wechselnden Orten Tätigkeitsbeschreibung Höhe des Arbeitsentgelts und Erläuterungen zu möglichen Zuschlägen vereinbarte Arbeitszeit Umfang des Urlaubsanspruchs Kündigungsfristen Hinweise auf geltende Tarifverträge, Betriebs- oder Dienstvereinbarungen Diese Aspekte sollten, um spätere etwaige Ansprüche auf beiden Seiten leichter nachweisen zu können, ebenfalls im Arbeitsvertrag enthalten bzw. durch ihn genauer geregelt sein: Vereinbarungen zur Probezeit Bezeichnung der Stelle, Vollmachten, Versetzungs- und Beurlaubungsvorbehalte, Verpflichtung zu Mehrarbeit Eingruppierung, Grundgehalt, Leistungszulage, Beteiligungen, betriebliche Altersvorsorge, Reisekostenerstattung, Regelungen zu Erfindungen und Patenten Regelungen zu Nebentätigkeiten, Wettbewerbsverboten, Geheimhaltungspflichten Schlussbestimmungen wie etwa eine Schrifterfordernis bei Vereinbarung von Änderungen und Ergänzungen Vertragsdatum und Unterschriften Auch ein mündlich abgeschlossener Arbeitsvertrag ist rechtswirksam. Allerdings erleichtert die Schriftform beiden Seiten die Durchsetzung etwaiger Ansprüche, da sich die jeweiligen Absprachen auf diese Weise leichter beweisen lassen. Werden die Rechte und Pflichten der Vertragspartner durch einen Tarifvertrag und Betriebsvereinbarungen präzisiert, kann der Einzelarbeitsvertrag entsprechend kurz gehalten werden. Es empfiehlt sich außerdem, nicht alles im Detail zu regeln, da sonst die Möglichkeiten für Änderungen des Arbeitsverhältnisses zu stark eingeschränkt sind. Diese bewegen sich dann kaum noch im Rahmen des Direktionsrechts des Arbeitgebers, sondern bedürfen einer Änderungskündigung. Arbeitsverträge können befristet oder unbefristet abgeschlossen werden. Befristete Arbeitsverhältnisse bedürfen keiner Kündigung, sondern enden mit Zeitablauf. Sie sind allerdings an bestimmte Voraussetzungen gebunden. Auch bei Dauerarbeitsverträgen kann eine Beendigung, etwa bei Erreichen des Renteneintrittsalters, festgelegt werden. Um Fehlentscheidungen auf Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite korrigieren zu können, wird in der Regel eine dreibis sechsmonatige Probezeit vereinbart, in der besondere Kün- 4.8 Kritische Würdigung und Ausblick · 169 digungsbedingungen gelten und die normalen gesetzlichen oder vertraglichen Kündigungsschutzregeln noch nicht wirksam sind. Sofern keine anderen Vereinbarungen getroffen sind, können während der Probezeit beide Seiten mit einer Frist von zwei Wochen ohne Angabe von Gründen das Beschäftigungsverhältnis beenden. 4.8 Kritische Würdigung und Ausblick Jedoch verzichten immer mehr Unternehmen gänzlich auf Bewerbungsschreiben. Sie setzen stattdessen vermehrt auf elektronische Bewerbungsformen, zunehmend über Smartphones. Manchmal reicht auch eine Verlinkung zum Profil in den sozialen Netzwerken, etwa Xing oder LinkedIn. Es haben sich bei den Personalauswahlinstrumenten in den letzten Jahren einige grundlegende Neuerungen ergeben. Insbesondere wird immer mehr Software bei der Personalauswahl eingesetzt. Das spart zum einen Zeit und Kosten, zum anderen orientiert man sich damit an den Kommunikationsgewohnheiten junger Menschen. So ist z.B. der Einsatz von Job-Bots und Sprachanalysetests auf dem Vormarsch. Problematisch ist dabei insbesondere, dass die Auswahlentscheidung von der Qualität eines Programmes abhängig gemacht wird. „Party-Events“ sind eher dazu da, Aufmerksamkeit zu erregen und sind Instrumente des Employer Branding. Nach wie vor wird der Analyse der Bewerbungsunterlagen und den Vorstellungsgesprächen aber eine große Bedeutung beigemessen. Inzwischen spielt das Internet bei der Personalauswahl eine entscheidende Rolle. So ist die Zusendung der Bewerbungsunterlagen per E-Mail üblich und hat das Einreichen ausgedruckter Unterlagen fast komplett verdrängt. Vor allem größere Unternehmen arbeiten meist auch mit Online-Personalfragebögen. Viele Unternehmen weisen mittlerweile auf den „Karriere-Seiten“ ihrer Homepages darauf hin, dass sie nur noch Bewerbungen per E-Mail oder per Online-Personalfragebogen akzeptieren. Bei Ablehnungen der Bewerber nach einer elektronischen Bewerbung gilt nach wie vor das Gleiche wie bei den Absagen auf traditionelle schriftliche Bewerbungen. Die Art und Weise, wie Bewerbern abgesagt wird, muss sorgfältig vom Unternehmen bedacht werden, da Absagen den Charakter von Visitenkarten haben. Auch bei Assessment Centern, bei Tests und bei der Lösung von Fallstudien im Rahmen der Vorauswahl wird zunehmend das Internet eingesetzt. Allerdings gibt es dann weniger Gewähr, dass die Antworten und Lösungen tatsächlich vom Bewerber stammen. Wie in anderen Bereichen (E-Commerce, Internet Banking, studentische Prüfungsleistungen, Copyright-Vergehen, Identitätsdiebstahl etc.) führt auch hier das Internet zu vermehrten Täuschungen und Betrugsversuchen oder macht sie sogar erst möglich. 170 · 4 Personalauswahl Insgesamt ist der Einsatz von Assessment Centern stabil bis leicht rückläufig. Es ist eine gewisse „Verwendungsmüdigkeit“ festzustellen. Auch die zunehmende Laiendiagnostik ist problematisch und führt häufig zu einer falschen Personalauswahl, die dann dem Auswahlinstrument zur Last gelegt wird. Aufgrund der Nachteile der ACs gibt es wieder einen Trend zum Bewerbungsgespräch. Regelmäßig werden Telefoninterviews durchgeführt, bevor Bewerber zum persönlichen Gespräch eingeladen werden. Auch Video-Interviews, live oder zeitversetzt, werden immer beliebter. Sie werden als kostengünstige und schnelle Vorauswahl genutzt, können jedoch die persönlichen Vorstellungsgespräche nicht komplett ersetzen. Die Grenzen zwischen Personalbeschaffung und -auswahl verwischen zunehmend. Ungewöhnliche Vorgehensweisen, wie z.B. Speed Dating, Bewerberpartys oder Hackathons, erwecken Aufmerksamkeit bei jungen Menschen. Je mehr Unternehmen ähnliche Wege gehen, desto eher nutzt sich dieser Effekt ab. Wiederholungsfragen 1. Nach welchen Kriterien analysieren Sie ein Bewerbungsanschreiben? 2. Erläutern Sie, was man unter Zeitfolgen- und Positionenanalyse im Lebenslauf versteht. 3. Welche Informationen lassen sich aus den Abschluss- und Ausbildungszeugnissen für den Personalauswahlprozess gewinnen? 4. Welche Pflichten hat das Unternehmen bei der Erstellung eines Arbeitszeugnisses? 5. Was versteht man unter der Zeugnissprache? 6. Inwieweit sind Referenzen für Personalauswahlentscheidungen von Interesse? 7. Welchen Stellenwert haben grafologische Gutachten bei der Personalauswahl? 8. Weshalb setzen Unternehmen Online-Fragebögen ein? 9. Welche Ziele verfolgen Unternehmen mit Vorstellungsgesprächen? 10. Welche Arten von Vorstellungsgesprächen kennen Sie? 11. Weshalb werden immer häufiger zeitlich versetzte Video-Interviews eingesetzt? 12. Nehmen Sie zum Einsatz von Sprachanalysetests Stellung. 13. Beschreiben Sie die Phasen und Inhalte eines Vorstellungsgesprächs. 14. Was unterscheidet ein standardisiertes von einem freien Vorstellungsgespräch? 15. Weshalb treten bei Vorstellungsgesprächen Validitätsdefizite auf ? 16. Was versteht man unter Leistungstests? 17. Was besagt die DIN-Norm 33430? 18. Was zeichnet das Assessment Center aus? Wiederholungsfragen · 171 19. Wie ist ein AC aufgebaut? 20. Welche sind die gebräuchlichsten Übungen im Assessment Center? 21. Warum ist die Schulung der Beobachter für den Erfolg des ACs von großer Bedeutung? 22. Wie kann man den Nachteilen des Assessment Centers begegnen? 23. Welche Neuerungen gibt es bei ACs? 24. Was versteht man unter Probearbeitstagen und welche Vorteile bieten sie? 25. Was sind Hackathons und wozu dienen sie bei der Personalauswahl? 26. Wie werden Speed Datings in der Personalauswahl eingesetzt? 27. Wozu dienen ärztliche Eignungsuntersuchungen im Rahmen der Personalauswahl? 28. Worauf ist bei Absageschreiben zu achten? 29. Welche Inhalte sollte ein Arbeitsvertrag mindestens enthalten? 30. Welchem Zweck dient die Probezeit? 5 Personaleinführung und Personaleinarbeitung (Onboarding) 5.1 Notwendigkeit integrierender Maßnahmen Eine gewissenhafte Bewerberauswahl allein reicht nicht aus, wenn man sicherstellen will, dass der neue Mitarbeiter seine volle Arbeitsleistung in das Unternehmen einbringt. Dazu bedarf es seiner systematischen Integration, d.h. seiner geplanten, sorgfältigen Einführung und Einarbeitung. Bei der Einführung geht es vor allem um die soziale Integration des neuen Mitarbeiters, während bei der Einarbeitung der Schwerpunkt auf den fachlichen Aspekten liegt. Beide Bereiche sind eng verknüpft und können nicht isoliert betrachtet werden. Die Integration wird auch als Onboarding bezeichnet. In den ersten drei bis sechs Monaten eines Beschäftigungsverhältnisses ist die Fluktuationsrate besonders hoch. Die Kosten dieser Frühfluktuation betragen je nach Qualifikation bzw. Stelle und Funktion des ausscheidenden Mitarbeiters zwischen 50 und 200 Prozent seines Jahresgehaltes. 327 Sie entstehen durch: geringere Produktivität während und nach der Kündigungsphase Wiederholung des Auswahlverfahrens Anlernen und Einarbeiten des nächsten Mitarbeiters erhöhte Arbeitsbelastung der verbleibenden Mitarbeiter Störungen der Arbeitsabläufe Unstimmigkeiten unter den verbleibenden Teammitgliedern und Beeinträchtigungen der Gruppenprozesse Probleme mit Kunden und anderen Geschäftspartnern, die sich (schon wieder) auf einen neuen Ansprechpartner einstellen müssen Neben den tatsächlich vollzogenen Kündigungen sind innere Kündigungen ein besonderes Problem. Sie haben ähnliche Auswirkungen auf die Leistung des Betroffenen und die Belastung seiner Kollegen wie realisierte Kündigungen, allerdings verlässt der Mitarbeiter trotz seiner Unzufriedenheit das Unternehmen nicht, da er keine geeignete Alternative auf dem externen Arbeitsmarkt sieht. 328 Die Ursachen für Frühfluktuation und innere Kündigung liegen häufig darin: Die zentralen Erwartungen an Aufgaben, Stelle und Rolle werden aus der Sicht des neuen Mitarbeiters nicht erfüllt. Der Mitarbeiter erleidet einen Realitätsschock. Er ist unterfordert. 327 Vgl. Berthel/ Becker (2010), S. 348; Ilenberger (2000), S. 54. 328 Vgl. Lieber (2007), S. 13. 174 · 5 Personaleinführung und Personaleinarbeitung (Onboarding) Er ist überfordert. Er ist orientierungslos. Seine betriebliche Sozialisation ist nicht gelungen. Wenn zentrale Erwartungen des neuen Mitarbeiters nicht erfüllt werden, ist oft eine falsche Vorgehensweise beim Auswahlprozess - meist die verzerrte, zu vorteilhafte Darstellung der Stellenaufgaben - ursächlich. Sie führt zu falschen Annahmen hinsichtlich der Arbeits- und Aufgabensituation und damit zu einer falschen Auswahlentscheidung seitens des Mitarbeiters und ggf. enttäuschten Erwartungen auf beiden Seiten. 329 Der neue Mitarbeiter macht sich beim Eintritt in das Unternehmen Vorstellungen von den Arbeitsinhalten, dem Anspruchsniveau, der Partizipation an Entscheidungen oder von der Einbeziehung in Informationsprozesse, die nicht der Realität entsprechen, weshalb er einen Realitätsschock erleidet. Neben diesen Enttäuschungen ist eine qualitative Unterforderung für Motivation und Bindung eines neuen Mitarbeiters besonders schädlich. Eine qualitative oder quantitative Überforderung, die sich in einem akzeptablen Rahmen bewegt, führt hingegen oft dazu, dass der neue Mitarbeiter zunächst versucht, die Defizite durch Überstunden und Weiterbildung zu beseitigen. Er engagiert sich ganz besonders, da er sich der Chance, die er bekommen hat, bewusst ist und die in ihn gesetzten Erwartungen erfüllen will. Ein weiterer Grund für Frühfluktuation und innere Kündigung ist die Orientierungslosigkeit des neuen Mitarbeiters. Er ist mit der neuen Arbeitssituation und den betrieblichen Gegebenheiten noch nicht vertraut und muss erst lernen, welche Erwartungen an ihn gestellt werden. Je mehr Aspekte sich im Vergleich zu seiner früheren Arbeitssituation geändert haben, desto größer ist seine Rollenunklarheit und desto eher läuft er Gefahr, dass er die Erwartungen, die von seinen verschiedenen Arbeitspartnern an ihn gestellt werden, falsch interpretiert oder unvollständig wahrnimmt. Dem neuen Mitarbeiter fehlt die betriebliche Sozialisation, d.h. die Eingliederung in den betrieblichen Zusammenhang, bei dem die stellen-, team- und unternehmensbezogenen Normen und Werte, Regeln und Routinen verinnerlicht werden. Die Orientierungslosigkeit wird dadurch vergrößert, dass die üblichen Verhaltensweisen, die sich in jedem Unternehmen im Laufe der Zeit herausbilden und gerade deshalb von den Mitarbeitern als selbstverständlich empfunden werden, meist nicht verbal kommuniziert werden. Umso schwerer fällt es neuen Mitarbeitern, sie zu erkennen. Wenn Feedback-Defizite hinzukommen, verschärft sich das Problem. Der Arbeitgeber ist verpflichtet, den Arbeitnehmer über seine Aufgaben und den Verantwortungsbereich sowie die Art seiner Tätigkeit und ihre Einordnung in den Arbeitsablauf des Betriebes zu unterrichten. Auch über Unfall- und Gesundheitsgefahren und die Möglichkeiten, sie abzuwenden, muss er informieren. Die Integration erfordert jedoch wesentlich mehr als die Erfüllung der gesetzlichen Vorschriften. Allerdings gibt es kein allgemein anwendbares Patentrezept. Das Onboarding sollte individuell auf die Bedürfnisse des neuen Mitarbeiters abgestimmt werden. 329 Vgl. Kieser (2003), S. 186. 5.1 Notwendigkeit integrierender Maßnahmen · 175 Ein zielorientiertes, geplantes und systematisches Vorgehen beim Onboarding ist sowohl nach einer internen als auch im Anschluss an eine externe Personalbeschaffung - wenn auch in unterschiedlichem Umfang - notwendig. Bei internen Versetzungen und Beförderungen treten in abgeschwächter Form die gleichen Integrationsprobleme wie bei Neueinstellungen auf. Da diese Mitarbeiter jedoch bessere Möglichkeiten haben, sich bereits im Vorfeld über die neue Stelle zu informieren und mit den Rollenerwartungen vertraut zu machen, ist ihre Orientierungslosigkeit deutlich geringer und die Integration kann i.d.R. schneller vollzogen werden. Bei einer externen Personalbeschaffung ist der zeitliche Rahmen der Integration meist mit der Probezeit identisch. Bei einer Versetzung richtet er sich nach den betriebs- und fachspezifischen Vorkenntnissen, die der Mitarbeiter mitbringt, und kann deutlich kürzer ausfallen. Eine geplante und systematisch durchgeführte Integration dient also dazu, möglichst schnell und punktgenau die formale, fachliche und soziale Eingliederung neuer Mitarbeiter zu erreichen 330 und damit Orientierungslosigkeit zu verringern, Über- und Unterforderung zu vermeiden, dem neuen Mitarbeiter möglichst schnell ein realistisches und umfassendes Bild der Strukturen und Prozesse zu vermitteln, ihn über die Verhaltenserwartungen zu informieren, ihn mit seinen Ansprechpartnern vertraut zu machen, Eigeninitiative und Engagement zu wecken, Qualifikationsdefizite zu erkennen und zu beseitigen und den betrieblichen Sozialisationsprozess zu beschleunigen. Das Onboarding ist dann erfolgreich vollzogen, wenn sich der neue Mitarbeiter in seine Rolle und seine Arbeitsumgebung zur wechselseitigen Zufriedenheit eingefügt hat, seine Aufgaben erfolgreich bewältigt und sich mit seiner Rolle im Unternehmen identifiziert. 331 Die Integration wird durch diese Fehler erschwert: Das Unternehmen setzt zu sehr auf die fachliche Einarbeitung und vernachlässigt die soziale Integration. Die Einführung vollzieht sich weitgehend per Zufall und ungeplant. Es wird kein bzw. ein falscher Pate oder Mentor gewählt. An die Leistung des neuen Mitarbeiters werden während der Einarbeitungszeit zu hohe Erwartungen gestellt. 330 Vgl. Gmür/ Thommen (2011), S. 299. 331 Vgl. Illenberger (2000), S. 54 f. 176 · 5 Personaleinführung und Personaleinarbeitung (Onboarding) Die Informationen, die der Mitarbeiter benötigt, werden als Holschuld aufgefasst, d.h. er bekommt lediglich die Unterstützung, die er explizit nachfragt. Der Vorgesetzte vernachlässigt seine Pflichten bei der Einführung und Einarbeitung des neuen Mitarbeiters. Der Vorgesetzte hält seine Zusagen nicht ein bzw. vergisst sie. Die Kollegen wurden nicht ausreichend informiert, dass bzw. weshalb ein neuer Mitarbeiter eingestellt wurde und was seine Aufgaben sind. Interne und externe Ansprechpartner wurden nicht benachrichtigt. Nicht zu unterschätzen ist der Imageverlust, den das Unternehmen erleidet, wenn eine hohe (Früh-)Fluktuationsrate bekannt wird. 5.2 Am Integrationsprozess Beteiligte Eine besondere Bedeutung kommt den folgenden Unternehmenseinheiten beim Integrationsprozess zu: Pate und/ oder Mentor Vorgesetzter Personalabteilung bzw. die dort zuständige Stelle Der Einsatz eines Paten unterstützt ein schnelles Onboarding. Der neue Mitarbeiter, der in inhaltlichen, fachlichen und organisatorischen Dingen unsicher ist, muss sich dann nicht an irgendeinen Kollegen wenden, der keine Zeit hat, ihn weiterverweist oder unwillig und unvollständig antwortet. Stattdessen hat er einen festen Ansprechpartner, dessen Aufgabe es ist, ihm weiterzuhelfen. Das hat außerdem den Vorteil, dass andere Mitarbeiter und Kollegen seltener „belästigt“ werden und sich ihren eigenen Aufgaben widmen können. Da der Pate und der neue Mitarbeiter während der Integrationszeit eng zusammenarbeiten und sich ein besonderes Vertrauensverhältnis zwischen beiden entwickeln soll, kommt seiner Auswahl besondere Bedeutung zu. Es handelt sich in der Regel um einen Kollegen aus der gleichen Hierarchieebene. Ein ähnliches Alter, eine „gemeinsame Sprache“ und gemeinsame Interessen sind förderlich. 332 Der Pate kann zudem bei Problemen zwischen Vorgesetztem und neuem Mitarbeiter als neutraler Ansprechpartner helfen. 333 Der Pate übernimmt diese Aufgaben: Er weist den neuen Mitarbeiter in seine Aufgaben ein und unterstützt die Einarbeitung in die neue Stelle. 332 Vgl. Wilhelm (2003), S. 78. 333 Vgl. Kieser (2003), S. 192. 5.2 Am Integrationsprozess Beteiligte · 177 Er fördert die soziale Integration in die Arbeitsgruppe. Er macht den neuen Mitarbeiter mit den mit seinen Kollegen und anderen internen und externen Partnern bekannt. Er ist Ansprechpartner für alle sonstigen Fragen und macht den Mitarbeiter mit den formalen und insbesondere auch mit den informalen Strukturen vertraut. Er unterstützt den neuen Mitarbeiter bei der Lösung fachlicher und nichtfachlicher Probleme. Ein Mentor kann eine zusätzliche, beratende Funktion übernehmen. Er steht normalerweise hierarchisch über dem neuen Mitarbeiter und unterstützt ihn längerfristig auch über die Probezeit hinaus. Er hilft Kontakte zu knüpfen, berät bei stellenübergreifenden Aspekten wie Aufstiegsmöglichkeiten und gibt seine Erfahrungen weiter. Beim Mentoring handelt es sich - anders als bei der Patenschaft - vorrangig um ein Personalentwicklungs- und erst in zweiter Linie um ein Integrationsinstrument. Es wird häufig bei Führungskräften eingesetzt. Falls der neue Mitarbeiter keinen Paten oder Mentor hat, obliegt es dem Vorgesetzten, die genannten Aufgaben zu erfüllen. Außerdem ist er für diese Punkte verantwortlich: Er ist der erste Ansprechpartner des neuen Mitarbeiters. Er muss ihn ins Team integrieren. Er muss ihm die notwendige Aufmerksamkeit zukommen lassen, ohne dass sich die anderen Mitarbeiter vernachlässigt fühlen. Er beurteilt den Mitarbeiter am Ende der Probezeit und trifft eine Entscheidung bzw. gibt eine Empfehlung bzgl. der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses ab. Unabhängig davon trägt der Vorgesetzte immer die Gesamtverantwortung für das Gelingen des Integrationsprozesses. Der Personalabteilung kommt bei der Integration eine unterstützende Funktion zu: Sie erarbeitet das Integrationsprogramm und unterstützt Paten, Mentoren und Vorgesetzte. Sie stellt Instrumente wie Stellenbeschreibungen, Checklisten, Einführungshilfen für den Vorgesetzten und Informationsmaterial zur Verfügung. Sie organisiert ggf. Einführungs- und Infoveranstaltungen. Sie erledigt administrativen Aufgaben wie das Anlegen der Personalakte, die Anforderung von Lohnsteuer-Informationen und die Berechnung und Überweisung des Entgelts und der Sozialversicherungsbeiträge. Sie informiert den neuen Mitarbeiter über allgemeine Themen wie Arbeitszeitregelungen und Sozialleistungen. Sie erinnert den Vorgesetzten an die Überprüfung von Zwischenergebnissen und an das Ende der Probezeit. 178 · 5 Personaleinführung und Personaleinarbeitung (Onboarding) 5.3 Integrationsprogramm Idealerweise erfolgt die Integration mithilfe eines standardisierten Programms, von dem jedoch im Einzelfall situationsbezogen abgewichen werden kann. Es umfasst normalerweise die Probezeit. 334 Ein Integrationsprogramm sollte mindestens fünf Elemente enthalten: vertrauensbildende Maßnahmen vor Arbeitsbeginn Gestaltung des ersten Arbeitstages Einarbeitungsplan für den Integrationszeitraum regelmäßige Feedback-Termine zwischen dem Vorgesetzten und seinem neuen Mitarbeiter abschließendes Mitarbeitergespräch am Ende der Integrationsphase Dazu gehört außerdem die Bereitstellung entsprechenden Informationsmaterials. Je nach Vorkenntnissen und Qualifikation des neuen Mitarbeiters werden diese Elemente verschieden ausgestaltet, sind unterschiedlich umfangreich und benötigen jeweils andere Zeiträume. Einen Überblick gibt Abb. 5-1. Bereits vor Arbeitsbeginn kann das Unternehmen Vertrauen schaffen, indem es dem neuen Mitarbeiter den Eindruck vermittelt, dass er willkommen ist und man sich auf ihn vorbereitet hat. Diese Maßnahmen sind sinnvoll: Bestätigung, dass der unterschriebene Arbeitsvertrag eingetroffen ist Mitteilung darüber, welche Unterlagen der Mitarbeiter bei Arbeitsbeginn mitbringen soll, z.B. Sozialversicherungsausweis, Lohnsteuernummer, Foto für Firmenausweis Einladung und Betreuung zu besonderen Terminen zeitnah vor dem Einstellungstermin, z.B. Tag der offenen Tür, Sommerfest oder Weihnachtsfeier Information über wichtige Termine in den ersten Tagen Information aller „betroffenen“ Stellen Maßnahmen zur Vorbereitung des Arbeitsplatzes und der Arbeitsumgebung wie Bereitstellung von Werkzeug, Büromaterial, Arbeitskleidung, PC, Telefonanschluss, Schlüsseln, Dienstwagen etc. Erstellung von Informationsmaterial für den neuen Mitarbeiter Erstellung von Checklisten für den Vorgesetzten und ggf. weitere Beteiligte Erstellung eines Einarbeitungsplans Überlegungen zur Gestaltung des ersten Arbeitstages Aufnahme in interne Verteiler, Ausstellung eines Firmenausweises 334 Vgl. Wilhelm (2003), S. 78. 5.3 Integrationsprogramm · 179 Unterstützung durch Vorgesetzte Kollegen Paten Mentoren Personalabteilung andere Fachabteilungen und Informationsmaterial Mitarbeiter Vertrauensbildende Maßnahmen vor Arbeitsbeginn Regelmäßige Feedbacktermine Einarbeitungsplan für die Integrationszeit Gestaltung des ersten Arbeitstages Abschließendes Gespräch am Ende der Integrationsphase Abb. 5-1: Integrationsprogramm Daneben sollte der neue Mitarbeiter eine gesonderte Mitteilung zum ersten Arbeitstag erhalten, die ihn über den Arbeitsbeginn informiert und ihm Auskunft gibt, wo er sich melden soll (z.B. am Empfang) oder besser noch, wo er von einem Mitarbeiter der Personalabteilung abgeholt wird. Die bloße Mitteilung über die Gleitzeitregelungen ist für den neuen Mitarbeiter wenig hilfreich. Er sollte außerdem eine Übersicht erhalten, wie der erste Tag ablaufen wird. Ganz besondere Bedeutung kommt der Gestaltung des ersten Arbeitstages zu. Dieser dient der Einführung in das Unternehmen, die Abteilung und die Aufgaben. Ziel ist es, den neuen Mitarbeiter möglichst schnell mit seiner Arbeitsumgebung und seiner neuen Rolle vertraut zu machen. Er soll den Eindruck gewinnen, dass sein Arbeitsbeginn gründlich vorbereitet wurde und er willkommen ist. Die Personalabteilung koordiniert die einzelnen Schritte mit dem Vorgesetzten und ggf. dem Paten und/ oder Mentor. Idealerweise beginnt der erste Arbeitstag mit einer allgemeinen Einführung durch die Personalabteilung. Die notwendigen Formalitäten wie Überprüfung der Vollständigkeit der Personalunterlagen, das Ausstellen eines Firmenausweises, das Aushändigen von Schlüsseln, Empfangsbescheinigungen etc. werden anschließend erledigt. Der Mitarbeiter erhält - sofern dies nicht bereits im Vorfeld geschehen ist - einen kurzen Überblick über das Unternehmen und seine Ziele. 180 · 5 Personaleinführung und Personaleinarbeitung (Onboarding) Dann wird ihm eine Einführungsmappe ausgehändigt, die eine allgemeine Informationsbroschüre des Unternehmens, die Arbeitsordnung, Betriebsvereinbarungen, Führungsgrundsätze, Sicherheitsvorschriften, Arbeitszeitordnung, wichtige Telefonnummern, E-Mail- Adressen etc. enthält. Meistens stehen diese Informationen auch gesammelt über das Intranet zur Verfügung, dann wird nur auf die entsprechenden Dateien verwiesen. In etlichen Unternehmen erhält der neue Mitarbeiter zusätzlich ein Welcome-Package mit Dingen wie Schlüsselanhänger, T-Shirt mit dem Unternehmenslogo und Ähnlichem. So soll die soziale Integration von Anfang an gefördert werden. Anschließend werden erste, bereits aufgetauchte Fragen besprochen. Daran kann sich eine kurze Vorstellung beim Betriebsbzw. Personalrat anschließen. Danach begrüßt der neue Vorgesetzte seinen Mitarbeiter und beginnt mit der speziellen Einführung in die Fachabteilung. Hierfür sollte er immer ausreichend Zeit einplanen. Er stellt sich selbst, die Kollegen sowie ggf. den Paten vor, informiert über die Aufgaben der Abteilung und ihre organisatorische Einordnung und konkretisiert die Aufgaben des neuen Mitarbeiters, am besten mithilfe von Stellenbeschreibung, Anforderungsprofil, Arbeitsanweisungen oder Ablaufplänen. Dann tauschen der Vorgesetzte und der Mitarbeiter ihre Erwartungen aus. Dabei ist ein Einarbeitungsplan hilfreich. Anschließend sollten der weitere Ablauf des ersten Arbeitstages sowie erste Aufgaben für diesen Tag und für die nächste Zeit besprochen werden. Ein Rundgang mit dem Vorgesetzten oder dem Paten durch andere Abteilungen, die für den neuen Mitarbeiter von Bedeutung sind, kann ihm helfen, sich schneller im Unternehmen zurechtzufinden. Es sollte allerdings darauf geachtet werden, dass er nicht mit zu vielen Informationen überfrachtet wird. Ein abendliches Abschlussgespräch zwischen Vorgesetztem, Paten und Mitarbeiter, bei dem die bisherigen Eindrücke verglichen werden, rundet den ersten Tag ab. An die Einführung am ersten Arbeitstag schließt sich die Einarbeitung an. Die Vorgehensweise ist idealerweise im Einarbeitungsplan festgelegt. Er wird als das zentrale Element der Integration angesehen. Es geht darin nicht nur um die fachspezifische Einarbeitung, sondern ebenfalls um die Einführung in das Unternehmen, seine Strukturen, Produkte und Arbeitsinstrumente. 335 Der Einarbeitungsplan gibt - am besten ausgehend von der Stellenbeschreibung - einen zeitlichen und inhaltlichen Überblick, welche Aufgaben der neue Mitarbeiter in welcher Reihenfolge übernehmen soll, und legt fest, wann er die Aufgaben selbständig erfüllen und beherrschen sollte. Außerdem enthält er zusätzliche nützliche Informationen und regelt, wer außer dem Paten bei Problemen als Ansprechpartner in Frage kommt. Eventuelle Trainingsmaßnahmen werden ebenfalls aufgeführt. Des Weiteren informiert der Einarbeitungsplan über Leistungsstandards, die der Mitarbeiter am Ende der Einarbeitungszeit erfüllen soll. Regelmäßige Feedback-Termine zwischen dem neuen Mitarbeiter und dem Vorgesetzten sind ebenfalls einzuplanen. Am Ende der Einarbeitungszeit steht die Beurteilung durch ein Mitarbeitergespräch, das Abschluss-Feedback. Wenn die Einarbeitungszeit der Probezeit entspricht, dann entscheidet 335 Vgl. Wilhelm (2003), S. 78. 5.4 Kritische Würdigung und Ausblick · 181 sich jetzt, ob das Beschäftigungsverhältnis weitergeführt wird oder ob man sich trennt. Haben bereits regelmäßig Feedback-Gespräche stattgefunden, sollte das abschließende Mitarbeitergespräch für beide Seiten keine Überraschungen mehr enthalten. Es ist dann in erster Linie eine Zusammenfassung der vorherigen Gespräche. Hentze/ Kammel erweitern das Integrationsprogramm zusätzlich um eine Einführungsveranstaltung und einen Infotreff. 336 Eine Einführungsveranstaltung (Orientierungsseminar) bietet sich vor allem dann an, wenn viele Neueinstellungen erfolgen. Alle Mitarbeiter, die innerhalb eines bestimmten Zeitraums in das Unternehmen eintreten, werden zu dieser Veranstaltung eingeladen. Die Dauer reicht in der Praxis von einem halben Tag bis zu zwei bis drei Tagen. Themen, die für alle Mitarbeiter von Interesse sind, werden zusammengefasst und den Neueinsteigern von Mitarbeitern der Personalabteilung präsentiert. So spart man Zeit, da nicht alle Neuen einzeln mit denselben Informationen versorgt werden müssen. Oft stehen außerdem Führungskräfte als Referenten bereit und stellen ihre Abteilungen vor. Um einen ungestörten Ablauf zu gewährleisten, soll die Veranstaltung idealerweise außerhalb des Unternehmens stattfinden. Neben der reinen Informationsvermittlung bietet sich die Möglichkeit, Repräsentanten des Unternehmens kennenzulernen, sich mit anderen neuen Mitarbeitern auszutauschen und erste Kontakte über Abteilungsgrenzen hinweg zu knüpfen. 337 Der Zweck des Infotreffs ist die dauerhafte Einführung in das Unternehmen bzw. bestimmte Betriebsbereiche. Seine Inhalte überschneiden sich teilweise mit denen der Einführungsveranstaltung, es geht jedoch vorrangig um die soziale Integration und weniger um die Informationsvermittlung. Der Infotreff sollte nach Hentze/ Kammel etwa drei bis vier Monate nach Arbeitsbeginn stattfinden. Es handelt sich um eine Art Forum, in dem die neuen Mitarbeiter, die das Unternehmen nun bereits einige Monate kennen, über ihre Erwartungen und Probleme diskutieren können. Die Kontakte, die in der Einführungsveranstaltung geknüpft wurden, können jetzt erneuert und vertieft werden. Kritik und Verbesserungsvorschläge der Teilnehmer werden aufgegriffen und führen ggf. zu einer Veränderung des Integrationsprozesses. Hentze/ Kammel schlagen eine regelmäßige Wiederholung des Infotreffs im Abstand von etwa drei Monaten vor. 338 5.4 Kritische Würdigung und Ausblick Um sicherzustellen, dass der neue Mitarbeiter seine Arbeitsleistung schnellstmöglich in vollem Umfang erbringt, ist eine systematische Integration (Onboarding) notwendig, ansonsten kann es zu Frühfluktuation und innerer Kündigung kommen. Ursachen sind oft die fehlerhafte Vorgehensweise bei der Personalbeschaffung und -auswahl seitens des Unternehmens sowie die Orientierungslosigkeit seitens des Mitarbeiters im neuen Unternehmen und in der 336 Vgl. Hentze/ Kammel (2001), S. 441 ff. 337 Vgl. Schwertfeger (2001), S. 62; Mühleisen (2002), S. 68 f. 338 Vgl. Hentze/ Kammel (2001), S. 443. 182 · 5 Personaleinführung und Personaleinarbeitung (Onboarding) neuen Arbeitssituation. Immer mehr Unternehmen gehen deshalb dazu über, den Arbeitsbeginn und die Einarbeitungszeit ihrer neuen Mitarbeiter sorgfältig zu gestalten. Damit erreichen sie eine deutlich schnellere Ressourcenallokation, welche die zusätzlichen Kosten der Betreuung aufwiegt. Auch unter Image-Gesichtspunkten wirkt es sich positiv aus, wenn neue Mitarbeiter bei ihrer Integration im Unternehmen unterstützt werden. Das Onboarding ist gelungen, wenn der Mitarbeiter fachlich eingearbeitet ist, seine Stellenaufgaben erfüllt, seine Rolle akzeptiert und eine soziale Bindung entstanden ist. Empirische Untersuchungen zeigen, dass bei einer gelungenen Integration vor allem der soziale Kontakt zu Mentoren, Paten, Vorgesetzten und Kollegen entscheidend ist. Die anderen Instrumente sind hilfreich und werden als angenehm empfunden, spielen aber in der Wahrnehmung der Mitarbeiter nicht die wesentliche Rolle. Feste Bezugspersonen sind wichtiger als ein standardisiertes Onboarding-Programm. 339 Wiederholungsfragen 1. Welche möglichen Ursachen für Frühfluktuation und innere Kündigung kennen Sie? 2. Welche Stellen sind am Integrationsprozess beteiligt? 3. Weshalb ist der Pate für das Onboarding von besonderer Bedeutung? 4. Weshalb ist die Gestaltung des ersten Arbeitstags wichtig? 5. Wie sollte der erste Arbeitstag gestaltet werden? 6. Was beinhaltet der Einarbeitungsplan? 7. Welche Aufgaben übernehmen der Vorgesetzter und die Personalabteilung? 8. Welche Elemente sollte ein Integrationsprogramm enthalten? 9. Worin unterscheidet sich die Integration neuer Mitarbeiter, die bereits vorher im Betrieb tätig waren, von der Vorgehensweise bei externen neuen Mitarbeitern? 10. Welchem Zweck dienen Feedback-Gespräche während der Integrationsphase? 339 Vgl. Gmür/ Thommen (2011), S. 301. 6 Personaleinsatz und Personalerhaltung Nachdem die Integrationsphase abgeschlossen ist, muss das Unternehmen sicherstellen, dass der neue Mitarbeiter seine volle Arbeitsleistung dauerhaft erbringt. Unter Personaleinsatz und Personalerhaltung sind all diejenigen Aspekte des Personalmanagements zu verstehen, bei denen es darum geht, Mitarbeiter bestmöglich einzusetzen, ihre Qualifikation und ihr Potenzial zu erhalten, zu fördern und anzupassen, sie zur Leistung zu motivieren sowie sie an das Unternehmen zu binden. Dazu gehören auch die Personalbeurteilung und die Personalentwicklung. Da sie jedoch vor allem unter dem Aspekt der Qualifikationssicherung von erheblicher Bedeutung sind, werden sie nicht an dieser Stelle, sondern anschließend in jeweils einem eigenen Kapitel ausführlich behandelt. 6.1 Grundannahmen über menschliches Verhalten im Unternehmen 6.1.1 Menschenbilder Es gibt nur wenige Unternehmen, die von einem konkreten Menschenbild ausgehen und dieses ausformulieren. Menschenbilder kommen jedoch in den Handlungen der Entscheidungsträger und in der Ausgestaltung der personalwirtschaftlichen Funktionen zum Ausdruck. Hier zeigt sich, welche Vorstellungen die Entscheidungsträger von den Zielen, dem Verhalten und der Persönlichkeit der Mitarbeiter haben. 340 Je nach Menschenbild existieren unterschiedliche Auffassungen, welche Motive die Mitarbeiter für ihre Arbeit und ihren Verbleib im Unternehmen haben und auch darüber, wie sie zur Leistung angeregt werden können. 341 Es gibt zahlreiche Versuche, Menschenbilder zu entwerfen, zum Teil sind es idealisierte Sichtweisen des Menschen, zum Teil wird versucht, Realtypen zu beschreiben. Die bekanntesten sind die Theorien X und Y von McGregor und die Typologien nach Schein. Die Theorien X und Y kennzeichnen zwei extreme Menschenbilder. Die Theorie X sieht den Menschen als von Natur aus faul und passiv an. Er scheut sich, Verantwortung zu übernehmen und hat kein Interesse an seiner Arbeit oder daran, sich weiterzuentwickeln. Er hat kaum Ehrgeiz in Bezug auf seine Arbeit, sein Sicherheitsbedürfnis ist stark ausgeprägt. Die Theorie Y geht von einem Menschen aus, der eigenverantwortlich handelt und nach Selbstverwirklichung bei der Arbeit strebt. Er ist lern- und anpassungsfähig und versucht, die ihm gesetzten Ziele zu erreichen, wenn er damit auch seine eigenen Ziele verwirklichen kann. Er ist fähig und bereit, Kompromisse einzugehen, um seine Ziele zu erreichen. 340 Vgl. Berthel/ Becker (2017), S. 41. 341 Vgl. Steinle/ Ahlers (2004), Sp. 1148 f.; Staehle (1999), S. 192; Scholz (2011), S. 365. 184 · 6 Personaleinsatz und Personalerhaltung Die Grundannahmen in sind Abb. 6-1 zusammengefasst. Theorien X und Y von McGregor Grundannahmen der Theorie X Grundannahmen der Theorie Y 1. Der Durchschnittsmensch hat eine angeborene Abneigung gegen Arbeit. Er versucht sie zu vermeiden. 2. Deshalb muss er meist geführt, kontrolliert und mit Strafandrohungen gezwungen werden, einen produktiven Beitrag zur Erreichung der Unternehmensziele zu leisten. 3. Der Mensch möchte gerne geführt werden. Er vermeidet es, selbst Verantwortung zu übernehmen. Er besitzt wenig Ehrgeiz und hat ein sehr stark ausgeprägtes Sicherheitsbedürfnis. 1. Der Mensch hat keine ausgeprägte Abneigung gegen Arbeit, körperliche und geistige Anstrengung sind für ihn ebenso natürlich wie Spiel und Ruhe. Es hängt von den Bedingungen ab, ob er Arbeit als eine Strafe oder eine Quelle der Zufriedenheit empfindet. 2. Wenn sich der Mensch mit den Zielen des Unternehmens identifiziert, muss er nicht von anderen überwacht und mit Strafe bedroht werden. Er entwickelt Eigeninitiative und übt Selbstkontrolle. 3. Wie sehr sich der Mensch den Zielen des Unternehmens verbunden fühlt, hängt von den Belohnungen ab, die damit verbunden sind. Von besonderer Bedeutung ist das Streben nach Anerkennung und nach Selbstverwirklichung. 4. Unter geeigneten Bedingungen lernt der Mensch, Verantwortung zu suchen und zu übernehmen. 5. Kreativität und Urteilsvermögen, um organisatorische Probleme zu lösen, sind weit verbreitet. 6. Die intellektuellen Fähigkeiten, über die der Mensch verfügt, werden in der Wirtschaft nur zum Teil genutzt. Abb. 6-1: Theorien X und Y von McGregor 342 Der Theorie Y-Mensch übernimmt gern Verantwortung und muss, um produktiv zu sein, weder ständig kontrolliert noch mit Strafen bedroht werden. Nach diesem Menschenbild muss ein Vorgesetzter seinen Mitarbeitern die Möglichkeit zu selbständigem Entscheiden und Handeln geben und sie bei ihrer Eigeninitiative und ihrem Engagement unterstützen. Für McGregor ist dieser Mensch der Idealtypus. Er vermutet jedoch, dass stattdessen die Theorie X im Bewusstsein vieler Führungskräfte verankert ist und ihr Führungsverhalten prägt. Deshalb seien solche Führungskräfte unfähig, ihre Mitarbeiter richtig zu motivieren. Sie würden falsche Anreize setzen, die eher auf die Befriedigung materieller Bedürfnisse als auf die Befriedigung sozialer und ideeller Be- 342 Vgl. McGregor (1960), S. 33 ff. 6.1 Grundannahmen über menschliches Verhalten im Unternehmen · 185 dürfnisse zielen. 343 Außerdem können die falschen Annahmen dazu führen, dass das Phänomen der „sich selbst erfüllenden Prophezeiung“ auftritt: Ein Vorgesetzter, der seine Mitarbeiter für faul und unwillig hält, übt einen autoritären Führungsstil aus, bei dem Fremdkontrolle überwiegt und Eigeninitiative nicht gefragt ist. Die Mitarbeiter zeigen dann in der Tat bald kein Engagement mehr, da es ihnen systematisch ausgetrieben wurde. Nun müssen sie autoritär geführt werden. Wie man sieht, werden hier Ursache und Wirkung vertauscht. Autoritäres Vorgehen ist nicht wegen der Mitarbeiter notwendig, sondern weil der Vorgesetzte ein unrichtiges Menschenbild hat und seine Mitarbeiter falsch behandelt, was letztlich zur Unselbständigkeit und zu Desinteresse seiner Mitarbeiter führt. Die Wirkzusammenhänge in der Theorie X und der Theorie Y sind in Abb. 6-2 dargestellt. Teufelskreis der Theorie X bestätigt daraus folgt verantwortungsscheu, strenge Vorschriften, keine Eigeninitiative und Kontrolle führt zu führt zu passivem Arbeitsverhalten Verstärkende Wirkung der Theorie Y verstärkt daraus folgt Eigeninitiative und Handlungsspielraum Verantwortungsbereitschaft und Selbstkontrolle führt zu ermöglicht Engagement für die Arbeit und Freude an der Arbeit Abb. 6-2: Wirkzusammenhänge der Theorien X und Y 344 343 Vgl. Oechsler (2011), S. 349 f. 344 Vgl. Uhlich/ Baitsch/ Alioth (1983), S. 18 f. 186 · 6 Personaleinsatz und Personalerhaltung McGregors Theorien sind stark vereinfachend und sehen den Menschen zu undifferenziert. Sie bieten jedoch Denkansätze zur Reflexion und zeigen deutlich, wie sehr der Umgang mit den Mitarbeitern von den Menschenbildern der Führungskräfte geprägt ist. 345 Inzwischen hat sich - zumindest in der Theorie - die Sichtweise durchgesetzt, dass der Mensch ein aktives und selbstbestimmtes Wesen ist, dessen Verhalten durch seine individuellen Ziele und Bedürfnisse geprägt wird. Dennoch kann man auch nicht ohne Weiteres voraussetzen, dass Selbstverwirklichung bei der Arbeit für jeden Mitarbeiter gleichermaßen von Wichtigkeit ist. Bei Scheins Menschenbildern werden vier Gruppen unterschieden. Die Grundannahmen gibt Abb. 6-3 wieder. Menschenbilder nach Schein Grundannahmen Der rational-ökonomische Mensch (Economic Man): Er ist in erster Linie durch monetäre Anreize motivierbar. Eine Leistungssteigerung erfolgt aufgrund materieller Anreize. Er ist passiv und wird von seinen Vorgesetzten kontrolliert. Sein Handeln ist rational. Es gelten die Annahmen der Theorie X. Der soziale Mensch (Social Man): Zwischenmenschliche Beziehungen sind das Wichtigste in seinem Leben. Hohe Arbeitszufriedenheit wird dadurch erreicht, dass der Mitarbeiter seine sozialen Bedürfnisse möglichst umfassend im Rahmen seiner Arbeit befriedigen kann. Die Einbindung in seine Arbeitsgruppe und deren soziale Normen beeinflussen sein Verhalten und seine Leistung stärker als monetäre Anreize und Kontrollen durch Vorgesetzte. Der sich selbst verwirklichende Mensch (Self Actualizing Man): Er strebt nach Autonomie und wird dadurch motiviert, dass er sich entfalten und verwirklichen kann. In diesem Fall ist die Arbeit etwas Positives für ihn. Er sieht keinen zwangsläufigen Konflikt zwischen den Unternehmenszielen und seinen eigenen Zielen. Er bevorzugt Selbstkontrolle. Es gelten hier die Annahmen der Theorie Y. Der komplexe Mensch (Complex Man): Dabei handelt es sich um einen vielschichtigen, von verschiedenen Faktoren beeinflussten Menschen. Er ist lern- und wandlungsfähig und hat die unterschiedlichsten Motive, die einem ständigen Wandel unterliegen. Sein Verhalten im Unternehmen ist durch Verhandlungs-, Anpassungs- und Problemlösungsprozesse geprägt. Abb. 6-3: Gliederung der Menschenbilder nach Schein 346 345 Vgl. Jung (2017), S. 397. 346 Vgl. Schein (1980), S. 55 ff.; Jung (2017), S. 375 ff.; Berthel/ Becker (2017), S. 43. 6.1 Grundannahmen über menschliches Verhalten im Unternehmen · 187 Der rational-ökonomische Mensch ist insbes. durch materielle Anreize motivierbar. Er ist passiv, leicht zu manipulieren und entspricht dem Menschenbild der Theorie X von McGregor. Hier spiegelt sich auch die mechanistische Sichtweise des Scientific Managements (Taylorismus) wieder, das auf Frederick Winslow Taylor zurückgeht. 347 Dessen Ziel war es, den Produktionsfaktor Arbeit optimal auszulasten, indem u.a. die Arbeitsgänge weitestgehend zerlegt werden. Dies führt zur Minimierung der Anlernzeiten. Der normale Mensch wird als maschinenähnliches Wesen gesehen, das einfache Aufgaben, die sich ständig wiederholen, ausführt und mit seiner Arbeit ausschließlich ökonomische Interessen verbindet. Leistungsorientiertes Entgelt soll beim rational-ökonomischen Menschen für Leistungsbereitschaft sorgen. Neben Arbeitsmethode und Entlohnungssystem ist die menschliche Arbeitsleistung nach Taylor durch die technischen Arbeitsbedingungen beeinflussbar. Dazu gehören insbesondere eine zweckmäßige Arbeitsplatzgestaltung und die bestmögliche Anpassung der Werkzeuge an die auszuführende Arbeit. Eine optimale Gestaltung der Arbeitsorganisation sah Taylor vor allem im sog. Funktionsmeistersystem, welches davon ausgeht, dass ein Arbeiter (in der Fertigung) mehreren funktional spezialisierten Vorgesetzten gleichzeitig unterstellt ist und von allen Weisungen erhält. Der Arbeiter selbst ist lediglich der ausführende Faktor, während Planung, Steuerung und Kontrolle der betrieblichen Zusammenhänge in den Händen der Vorgesetzten liegen. Effizienzmängel werden nicht auf geringe Motivation, sondern auf organisatorische Probleme zurückgeführt, da die Mitarbeiter durch das Akkordsystem als ausreichend motiviert gelten. Ein starres und stark ausgeprägtes Kontrollsystem gehört ebenfalls zum Scientific Management. Der soziale Mensch leitet seine Identität aus den Beziehungen zu anderen Personen ab. Dieses Menschenbild liegt der Human-Relations-Bewegung zugrunde. Danach entsteht Leistung durch Zufriedenheit bei der Arbeit, die sich insbesondere auf Anerkennung und Zugehörigkeitsgefühl zu einer Gruppe gründet. Der Mensch ist umso leistungsbereiter und zufriedener, je eher er seine sozialen Bedürfnisse durch seine Arbeit befriedigen kann. Den Anfang der Human-Relations-Bewegung bildeten die Hawthorne-Experimente in den 1920er-Jahren, die federführend von Mayo und Roethlisberger durchgeführt wurden. Zunächst sollte ganz im Sinne des Scientific Managements nachgewiesen werden, dass die menschliche Arbeitsleistung durch eine Verbesserung der technischen Arbeitsbedingungen positiv beeinflusst wird. Dazu wurden Testgruppen mit veränderten Arbeitsbedingungen und Kontrollgruppen, deren Situation unverändert war, gebildet. In beiden Gruppen stiegen überraschenderweise die Leistungen. Auch neue Versuchsgruppen sowie andere Umgestaltungen der Arbeitsbedingungen und Änderungen des Entgeltsystems führten zu denselben Ergebnissen, was zunächst nicht verstanden wurde. Weitere Untersuchungen bestätigten, dass nicht nur ökonomische Anreize und technische Arbeitsbedingungen für das Verhalten und die Leistung der Mitarbeiter ausschlaggebend sind. Soziale Faktoren üben einen wesentlich stärkeren Einfluss aus. So führten insbesondere eine stärkere Beachtung der Einzelnen durch die Führungskräfte und positive Beziehungen innerhalb der Gruppen zur Leistungssteigerung. Auch das Gefühl, dass es sich bei der eige- 347 Vgl. Jung (2017), S. 375 ff. 188 · 6 Personaleinsatz und Personalerhaltung nen Gruppe um eine besonders geschätzte Gruppe handele, steigerte die Zufriedenheit und damit die Leistung. Dieses Phänomen wird als Hawthorne-Effekt bezeichnet. Solche Erkenntnisse brachten die Abkehr vom Scientific Management mit sich. Die Human- Relations-Bewegung strebt in erster Linie danach, die sozialen Bedürfnisse der Mitarbeiter zu befriedigen, um auf diese Weise die Arbeitszufriedenheit zu erhöhen. Aus Zufriedenheit folgt hier als logische Konsequenz die Leistung. Damit stehen formale und informale Kommunikations- und Informationsbeziehungen, die gezielte Förderung von Gruppen und deren soziale Anerkennung sowie die stärkere Wertschätzung des einzelnen Mitarbeiters im Vordergrund. Die sehr starke Harmonieorientierung verstellt allerdings den Blick auf das eigentliche Ziel, die Leistungssteigerung. Der zufriedene, aber faule Mitarbeiter passt nicht in dieses Menschenbild. Unter dem sich selbst verwirklichenden Menschen versteht man eine Person, die nach Autonomie strebt. Wenn sie sich entfalten kann, motiviert sie sich weitgehend selbst. Dazu muss die Arbeit so gestaltet werden, dass der Mitarbeiter eigenverantwortlich entscheiden kann. Der Vorgesetzte wird dann zum Unterstützer und Förderer. Ein Motivator und Kontrolleur ist kaum noch erforderlich. Der Mitarbeiter ist fähig und auch bereit, für das Erreichen der Unternehmensziele selbständig zu arbeiten. Leistungsdruck ist für ihn ein ganz normaler Bestandteil seiner Arbeit. 348 Daraus ergibt sich seine Bereitschaft zur Leistung und zur Übernahme von Verantwortung. Das Menschenbild des Self Actualizing Man hat zur Entwicklung verschiedener Management-by-Konzepte beigetragen (vgl. Kapitel 6.2.3.5.4). Außerdem hat es bewirkt, dass die Bedeutung der intrinsischen Motivation und der Personalentwicklung stärker ins Blickfeld des Human Resource Managements gerückt sind. 349 Der komplexe Mensch vereint die Elemente der drei anderen Menschenbilder in sich. Er ist wandlungsfähig, seine Bedürfnisse, ihre Bedeutung und deren Dringlichkeit verändern sich, womit er sich einer Schematisierung entzieht. Sein Vorgesetzter muss fähig sein, die Veränderungen und Entwicklungen zu erkennen. Entsprechend muss er dann je nach aktueller Situation unterschiedliche Anreize einzusetzen und jeweils anders mit seinem Mitarbeiter umgehen, um ihn zur Leistung zu motivieren. Es ist also ein differenziertes Anreizsystem notwendig. Dem Complex Man kommt aus heutiger Sicht die größte Bedeutung zu. Er ist nur dann bereit, die erwünschte Arbeitsleistung zu erbringen, wenn zwischen Leistungen für das Unternehmen, Arbeitszufriedenheit und Entwicklungsmöglichkeiten gemäß seiner eigenen Vorstellungen ein subjektives Gleichgewicht besteht. Andernfalls ist er bestrebt, seine Leistungen außerhalb des Unternehmens zu erbringen 350 und sich anderweitig zu engagieren. 348 Vgl. Bühner (2005), S. 260. 349 Vgl. Jung (2017), S. 380. 350 Vgl. Bühner (2005), S. 261; Hentze/ Graf (2005), S. 266. 6.1 Grundannahmen über menschliches Verhalten im Unternehmen · 189 6.1.2 Erklärungsansätze zur Motivation im Arbeitsprozess 6.1.2.1 Vorbemerkungen Beweggründe menschlichen Verhaltens bezeichnet man als Motive. Sie entstehen aus einem Bedürfnis, das auf ein Mangelempfinden zurückgeht, sowie aus der Erwartung, dass sich der Mangel durch ein bestimmtes Verhalten beseitigen lässt. Motive sind erstrebenswerte Zielzustände und erzeugen eine latente Verhaltensbereitschaft. Damit diese in ein tatsächliches Verhalten mündet, müssen weitere Komponenten, zumindest ein passender Anreiz, hinzukommen. Dieser sorgt dafür, dass der Mensch in einen Spannungszustand gerät, der durch eine Aktion beseitigt werden kann. So führt beispielsweise Hungergefühl zu einem Spannungszustand, nämlich dem Bedürfnis, etwas zu essen. Es wird durch eine Aktion, die Aufnahme von Lebensmitteln, beseitigt. Vereinfacht lässt sich menschliches Verhalten so darstellen: 351 Motiv + Anreiz Aktion (Verhalten) Motive werden in verschiedene Gruppen eingeteilt, um ihre Aussagekraft und ihre Auswirkungen besser zu verdeutlichen. Man unterscheidet: Intrinsische und extrinsische Motive: Intrinsische (von innen stammende) Motive sind im Handelnden selbst angesiedelt und werden durch die Arbeit an sich befriedigt. Ein Mitarbeiter erbringt umso mehr Leistung, je mehr er sich mit seiner Arbeit identifizieren kann und je mehr Freude er an ihr hat. Bei einfachen Aufgaben ist die intrinsische Motivation deutlich geringer als bei komplexen. Extrinsische (von außen stammende) Motive werden durch die Folgen und Begleitumstände der Arbeit, zum Beispiel das mit der Leistung verbunden Entgelt, befriedigt. Die Arbeit ist in diesem Fall nur Mittel zum Zweck. 352 Primäre und sekundäre Motive: Primäre Motive sind Beweggründe, die bei jedem Menschen vorhanden sind, z.B. Hunger und Durst. Sekundäre Motive dienen der Befriedigung besonderer Motive. Ein Beispiel ist das Geldmotiv, mit dem sich viele primäre Bedürfnisse befriedigen lassen. Physische, psychische und soziale Motive: Zu den physischen Motiven gehören z.B. Hunger, Durst, Ruhe, Erholung und Sexualität. Psychische Motive sind beispielsweise Unabhängigkeit und Selbstverwirklichung. Bei den sozialen Motiven geht es um Anerkennung durch andere. Ein Beispiel ist die Gruppenzugehörigkeit. Abb. 6-4 zeigt die wichtigsten extrinsischen und intrinsischen Motive der Arbeitnehmer im Arbeitsprozess. 351 Vgl. Jung (2017), S. 368. 352 Vgl. Klimecki/ Gmür (2005), S. 279 f. 190 · 6 Personaleinsatz und Personalerhaltung Hauptmotive der Arbeitnehmer im Arbeitsprozess extrinsische Motive intrinsische Motive Geldmotiv Sicherheitsmotiv Status- und Prestigemotiv Leistungsmotiv Kompetenzmotiv Kontaktmotiv Abb. 6-4: Arbeitnehmermotive 353 Das Geldmotiv als offensichtlichstes Motiv für die Arbeit ist bei den Menschen sehr unterschiedlich ausgeprägt. Geld hat einerseits einen Tauschwert für Güter und Dienstleistungen aller Art, zum anderen ist es auch ein Maßstab für die erbrachte Leistung und ein Symbol für Status, Ansehen, Macht oder auch Sicherheit. Jüngere Menschen sind in der Regel stärker geldmotiviert als ältere. Für sie ist Geld die Grundlage, um viele materielle Bedürfnisse (erstmals) befriedigen zu können und nicht mehr auf Unterstützung von außen angewiesen zu sein. Bei älteren Arbeitnehmern spielt das Geldmotiv meist eine geringere Rolle, da ein Teil dieser Bedürfnisse bereits befriedigt ist und oft Ersparnisse für die Befriedigung künftiger Bedürfnisse vorhanden sind. Wenn das Einkommen als ausreichend empfunden wird, verlieren Gehaltserhöhungen immer mehr ihre leistungsfördernde Wirkung. Andererseits steigt die Bedeutung des Geldes als Symbol für Ansehen und beruflichen Erfolg, wodurch das Geldmotiv auch bei den Älteren einen wichtigen Platz einnimmt. Das Sicherheitsmotiv resultiert aus dem Verlangen, Gefahren, die der Bedürfnisbefriedigung im Weg stehen, zu verringern oder ganz auszuschalten. Auch hier variiert die Bedeutung von Mensch zu Mensch. Arbeitsplatzsicherheit ist für die meisten Arbeitnehmer ein wichtiges Motiv, dem die Unternehmen und der Gesetzgeber mit zahlreichen Regelungen und Maßnahmen Rechnung tragen. Eine zu große Ausprägung der Sicherheitsanreize kann jedoch zu verminderter Eigeninitiative, eingeschränkter Kreativität sowie zu weniger Leistung führen. Viele Menschen streben danach, sich von anderen abzugrenzen und aus einer Gruppe herauszuragen. Diesen Beweggrund nennt man Status- oder Prestigemotiv. Der Status, den ein Mensch besitzt, wird nicht von ihm selbst bestimmt, sondern ihm von seiner Umgebung zugewiesen. Auf die Arbeit bezogen entsteht Prestige dann, wenn ein Mitarbeiter die Verhaltenserwartungen seiner Arbeitsumgebung erfüllt. Solche Erwartungen werden sowohl von den Vorgesetzten als auch von Kollegen und anderen Mitarbeitern an ihn herangetragen. Je nachdem ob er ihnen jeweils gerecht wird, kann er bei diesen Gruppen einen ganz unterschiedlichen Status haben. Das Leistungsmotiv beruht auf dem Bestreben des Menschen, selbst gesteckte Leistungsziele zu erreichen. Ein leistungsmotivierter Mitarbeiter empfindet eine ihm gestellte Aufgabe 353 In Anlehnung an Jung (2017), S. 371. 6.1 Grundannahmen über menschliches Verhalten im Unternehmen · 191 als Herausforderung. Sie ist für ihn der eigentliche Anreiz. Komplexe Aufgaben steigern seinen Arbeitseifer und erhöhen außerdem die Anforderungen, die er an sich selbst stellt. Sein Interesse gilt der Bewältigung und Überwindung von Problemen. Einfache Aufgaben motivieren ihn nicht. Die Leistung, die er erzielt, dient der Befriedigung seiner Bedürfnisse. Dazu ist es allerdings erforderlich, dass der Mitarbeiter das Ergebnis seiner Arbeit aktiv beeinflussen kann. Geld dient leistungsmotivierten Menschen als Maßstab zur Beurteilung der eigenen Leistung im Vergleich zu derjenigen anderer Mitarbeiter. Den Wunsch des Menschen, seine Umwelt - in diesem Fall seine Arbeit - zu beherrschen, spiegelt das Kompetenzmotiv wider. Ein kompetenzmotivierter Mitarbeiter legt Wert darauf, Experte in seinem Aufgabengebiet zu sein. Er möchte sich beruflich entfalten, Probleme meistern und Entwicklungen mitbestimmen. Selbständigkeit und Eigenverantwortlichkeit sind ihm besonders wichtig. Routine und Fremdkontrolle wirken sich eher nachteilig auf seine Motivation aus. Ein zu häufiger Aufgabenwechsel und ständig neue Anforderungen können sich ebenfalls negativ bemerkbar machen, da der Mitarbeiter dann möglicherweise den Eindruck hat, nicht mehr kompetent zu sein. Das Kontaktmotiv entsteht durch den Wunsch nach Zugehörigkeit zu einer Gruppe. Neben dem Schutz und der Anerkennung, die man dort erfährt, wird durch die Gruppenzugehörigkeit auch das Bedürfnis nach Geselligkeit befriedigt. Unternehmen können den Kontaktmotiven ihrer Mitarbeiter insbesondere durch die Auswahl geeigneter Arbeitsformen, z.B. Gruppen- oder Projektarbeit, begegnen. Auch betriebliche Freizeiteinrichtungen und Betriebsfeiern dienen diesem Zweck. Um zu den wichtigsten Motiven die passenden Anreize bieten zu können, führen große Unternehmen verstärkt Mitarbeiterbefragungen durch, mit denen sie die Ziele und Bedürfnisse sowie die Zufriedenheit ihrer Mitarbeiter ermitteln wollen. 354 Da sich Ziele, Bedürfnisse und die Wertigkeit der Anreize ändern, müssen die Befragungen regelmäßig im Abstand von einigen Jahren wiederholt werden. Von den Motiven ist die Motivation abzugrenzen. Unter Motivation versteht man diejenigen Prozesse und Faktoren, die das menschliche Verhalten bestimmen. Sie unterliegt einem Lernprozess, der mit der Entwicklung des Menschen zusammenhängt. Es handelt sich also um ein situationsabhängiges, komplexes Zusammenspiel von verschiedenen, aktivierten Motiven. Richtung, Stärke und Dauer des Verhaltens hängen zudem von der Erfahrung und der Qualifikation des Menschen ab. 355 Ein Beispiel, in welchen Phasen ein Motivationsprozess ablaufen kann, gibt Abb. 6-5. Zunächst sind die Anreize von zentraler Bedeutung. Sie aktivieren die latent vorhandenen Motive und lösen Erwartungen aus, ob bestimmte Verhaltensweisen oder Handlungen zum Erreichen der Ziele, die der Mitarbeiter anstrebt, geeignet sind. Wenn diese Erwartungen positiv sind, folgt daraus der Entschluss zu handeln (Motivierung). In der Phase der Ausführung wird dieser Entschluss dann in die Tat umgesetzt. Die anschließend eintretenden unmittelbaren Folgen vergleicht der Mitarbeiter mit seinen Erwar- 354 Vgl. Steffens-Duch (2000), S. 295 ff. 355 Vgl. Berthel/ Becker (2010), S. 76; Jung (2017), S. 367. 192 · 6 Personaleinsatz und Personalerhaltung tungen. Wenn beide übereinstimmen, entsteht ein Zustand der Zufriedenheit, andernfalls kommt es zu Unzufriedenheit. Gleiches gilt für die Phase der weiteren Folgen. Sowohl Anreize als auch Erwartungen und Motive unterliegen Lernprozessen. Sie beruhen einerseits auf eigenen Erfahrungen und Beobachtungen. Andererseits berücksichtigen Menschen auch die mitgeteilten Erfahrungen und Beobachtungen von anderen, z.B. von Kollegen, Freunden, Familie etc. 356 Die Medien spielen bei diesen Lernprozessen eine immer wichtigere Rolle. Motivation Phasen des Motivationsprozesses Anreize Bedürfnisse/ Motive Entschluss (Motivierung) Entschlussphase: Die Motive des Mitarbeiters verbinden sich mit den Anreizen, die das Unternehmen bietet. Zunächst werden die unmittelbaren und weiteren Folgen abgewogen. Erscheinen sie als erstrebenswert und erreichbar, entsteht beim Mitarbeiter der Entschluss zu handeln. Ausführung Phase der Ausführung: Der Mitarbeiter setzt seinen Entschluss in die Tat um. Unmittelbare Folgen Phase der unmittelbaren Folgen: Der Zustand der Zufriedenheit setzt ein, z.B. die Zufriedenheit über neue Informationen, eine bessere Qualifikation, ein größeres Selbstwertgefühl. Weitere Folgen Phase der weiteren Folgen: Weitere Folgen können z.B. Gehaltserhöhung, Prämien, Karriere, Anerkennung und Status sein. Abb. 6-5: Beispiel der Phasen eines Motivationsprozesses 357 356 Vgl. Jung (2017), S. 368. 357 Vgl. ebd., S. 369. 6.1 Grundannahmen über menschliches Verhalten im Unternehmen · 193 6.1.2.2 Motivationstheorien 6.1.2.2.1 Vorbemerkung Es existiert keine allgemeingültige Theorie der Motivation, stattdessen gibt es zahlreiche Erklärungsansätze. Während sich die einen auf die Frage nach den bedeutsamen Motiven bzw. dem Inhalt der Bedürfnisse konzentrieren, betrachten die anderen den Prozess der Motivation und versuchen herauszufinden, wie Motivation überhaupt entsteht und wie sie das Verhalten des Menschen beeinflusst. Entsprechend werden Inhalts- und Prozesstheorien unterschieden. Problematisch ist bei allen Theorien, dass ein Motiv unterschiedliche Verhaltensweisen auslösen kann und dass umgekehrt ein Verhalten durch unterschiedliche Motive hervorgerufen werden kann. Damit lässt sich nicht immer ein eindeutiger Zusammenhang zwischen einem Motiv und dem menschlichen Verhalten herstellen. Inhaltstheorien und Prozesstheorien weisen nur wenige Berührungspunkte auf, obwohl Inhaltstheorien ohne den Motivationsprozess nicht auskommen und Prozesstheorien stets auch inhaltstheoretische Elemente enthalten. 358 Jede Theorie erklärt zudem nur einige Aspekte der Motivation. Dennoch bieten Motivationstheorien Verständnishilfen für Vorgesetzte und Personalmanager und ermöglichen es, Handlungsempfehlungen abzuleiten. Während die Inhaltstheorien in der Praxis breite Verwendung gefunden haben, lässt ihre empirische Fundierung jedoch oft zu wünschen übrig. Umgekehrt verhält es sich bei den Prozesstheorien. 66.1.2.2.2 Inha ltstheorien Die bekanntesten Inhaltstheorien, die hier dargestellt werden, sind: Bedürfnispyramide von Maslow ERG-Theorie von Alderfer Zwei-Faktoren-Theorie von Herzberg (a) Bedürfnispyramide von Maslow Sie wurde bereits in den 1940er-Jahren aufgestellt und anschließend etliche Jahrzehnte lang weiterentwickelt. Maslow gliedert die menschlichen Bedürfnisse in fünf hierarchische Stufen, von denen die ersten vier Defizitbedürfnisse darstellen. Bei der fünften Stufe handelt es sich um Wachstumsbedürfnisse, die durch die Entfaltung des menschlichen Potenzials befriedigt werden. Jede Stufe erlangt erst dann Bedeutung, wenn die Defizite der darunter liegenden Bedürfnisstufe ausgeglichen sind. 358 Vgl. Drumm (2005), S. 471 f. 194 · 6 Personaleinsatz und Personalerhaltung Maslow geht davon aus, dass die Bedürfnishierarchie für jeden Durchschnittsmenschen zutreffend ist. 359 Eine Übersicht gibt Abb. 6-6. Bedürfnisse nach Selbstverwirklichung Bedürfnisse nach Anerkennung Kontaktbedürfnisse Sicherheitsbedürfnisse Physiologische Grundbedürfnisse Wachstumsbedürfnisse Defizitbedürfnisse Abb. 6-6: Bedürfnispyramide nach Maslow Physiologische Grundbedürfnisse, z.B. Nahrung, Kleidung, Gesundheit und Schlaf, betreffen die Selbsterhaltung. Passende Anreize in der Arbeitssituation können beispielsweise eine ausreichende Bezahlung oder soziale Leistungen wie Werkswohnungen und Gesundheitsvorsorge sein. Sicherheitsbedürfnisse beziehen sich sowohl auf das Streben nach materieller als auch nach zwischenmenschlicher Sicherheit. Entsprechende Anreize im Unternehmen sind z.B. eine unbefristete Arbeitsstelle, lange Kündigungszeiten, ausreichende Altersversorgung, Absicherung im Krankheitsfall, Unfallversicherung und die dauerhafte Zugehörigkeit zu einer Arbeitsgruppe. Kontaktbedürfnisse oder soziale Bedürfnisse umfassen das Streben nach Integration, Gemeinschaft, Kommunikation und Geselligkeit. Dazu passen z.B. Projektteams, Betriebsausflüge und Sportgruppen als Anreize. 359 Vgl. Maslow (1970), S. 35 ff. 6.1 Grundannahmen über menschliches Verhalten im Unternehmen · 195 Selbstachtung, Bestätigung durch andere, Wertschätzung und Macht gehören zum Bedürfnis nach Anerkennung. Es kann z.B. durch Aufstiegsmöglichkeiten und Statussymbole befriedigt werden. Das Bedürfnis nach Selbstverwirklichung ist auf die Ausschöpfung der eigenen Möglichkeiten und die Realisierung der eigenen Pläne gerichtet. 360 Anreize seitens des Unternehmens können Mitbestimmung, Delegation von Verantwortung und kooperative Führung sein. Auch das Aufzeigen von Entwicklungsmöglichkeiten gehört dazu. Die Bedürfnisse einer höheren Stufe werden nach Maslow erst aktiviert, wenn alle darunter liegenden befriedigt sind. Die niedrigste nicht befriedigte Bedürfnisstufe ist für das Handeln des Menschen relevant. Weder darunter liegende, ausreichend befriedigte noch darüber liegende, nicht befriedigte Stufen sind handlungsmotivierend. Durch die Beseitigung des Mangels entsteht Wohlbefinden. Während Defizitbedürfnisse mit zunehmender Befriedigung nicht mehr motivierend wirken, behalten Wachstumsbedürfnisse ihre Motivationskraft. Ihre Befriedigung führt sogar zu verstärktem Streben nach weiterer Befriedigung. Maslows Theorie wird in vielerlei Hinsicht kritisiert. Die Stufung der Motive wird als willkürlich angesehen. Die ungenaue Abgrenzung zwischen den fünf Ebenen und die mangelnde empirische Überprüfung werden ebenso beanstandet wie die automatische Entwicklung von niedrigen zu höheren Bedürfnissen. Außerdem fehlen einige Bedürfnisse, etwa ästhetische. Auch die grundsätzliche Dominanz des niedrigsten nicht befriedigten Bedürfnisses wird bezweifelt. 361 Trotz aller Kritik ist die Maslowsche Theorie in der Wirtschaft auf großes Interesse gestoßen. Denn sie führt den Entscheidungsträgern deutlich vor Augen, dass es wichtig ist, Anreize zu differenzieren, um die Mitarbeiter je nach ihren aktuellen Bedürfnissen gezielt zur Leistung anzuregen. Somit dient sie als Orientierungshilfe für die Entwicklung eines Anreizsystems. Heute geht man davon aus, dass das menschliche Verhalten durch mehrere Bedürfnisse gleichzeitig beeinflusst wird. Dabei ist zwar jeweils eine Stufe vorherrschend, aber nicht allein motivierend. 362 Bereits befriedigte Bedürfnisse können durch geänderte Lebenssituationen wieder aktiviert werden, z.B. werden Sicherheitsbedürfnisse oft wieder handlungsrelevant, wenn ein Mitarbeiter entlassen wird und eine neue Stelle suchen muss. Es ergibt sich ein Diagramm, wie es in Abb. 6-7 dargestellt ist. 360 Vgl. Stock-Homburg (2013), S. 69. 361 Vgl. Oechsler (2011), S. 334 f. 362 Vgl. Bröckermann (2012), S. 253. 196 · 6 Personaleinsatz und Personalerhaltung Relative Bedeutung der Bedürfnisse Entwicklung der Bedürfnisse Physiologische Bedürfnisse Sicherheitsbedürfnisse Kontaktbedürfnisse Anerkennungsbedürfnisse Bedürfnis nach Selbstverwirklichung Relative Bedeutung der Bedürfnisse Entwicklung der Bedürfnisse Physiologische Bedürfnisse Sicherheitsbedürfnisse Kontaktbedürfnisse Anerkennungsbedürfnisse Bedürfnis nach Selbstverwirklichung Abb. 6-7: Dynamische Betrachtung der Bedürfnisse 363 (b) ERG-Theorie von Alderfer Die ERG-Theorie baut auf den Überlegungen Maslows auf und fasst die fünf Bedürfnisstufen zu drei Stufen zusammen. 364 Alderfer unterscheidet: Existenzbedürfnissen (Existence Needs), worunter physiologische Bedürfnisse und materielle Sicherheit verstanden werden soziale Bedürfnisse (Relatedness Needs), die sich auf Kontakt, Achtung, Anerkennung und Wertschätzung beziehen Wachstums- und Selbstverwirklichungsbedürfnisse (Growth Needs), die das Streben nach Entfaltung und Selbstverwirklichung umfassen Alderfer geht zunächst davon aus, dass eine hierarchische Reihenfolge der Bedürfnisse existiert und ein nicht befriedigtes Bedürfnis dominant ist. Es können jedoch mehrere Bedürfnisse gleichzeitig aktiviert sein. 363 In Anlehnung an Jung (2017), S 386; Oechsler/ Paul (2015), S. 348; Krüger (2012), S. 322. 364 Vgl. Alderfer (1972). 6.1 Grundannahmen über menschliches Verhalten im Unternehmen · 197 Man unterscheidet vier Dominanzprinzipien: 365 Frustrations-Hypothese: Ein nicht befriedigtes Bedürfnis führt zu Frustration. Deshalb strebt der Mensch nach Befriedigung. Frustrations-Regressions-Hypothese: Ein niedrigeres, bereits befriedigtes Bedürfnis kann wieder aktiviert oder wichtiger werden, wenn die Befriedigung des höheren blockiert ist. Es wirkt dann als eine Art Ersatz für das höhere Motiv, das nicht befriedigt werden kann, und ist weiterhin verhaltensrelevant. Frustrations-Progressions-Hypothese: Wenn ein Bedürfnis nicht befriedigt werden kann, dann verstärkt sich dieses Bedürfnis und zudem werden höhere Bedürfnisse aktiviert. Befriedigungs-Progressions-Hypothese: Durch die Befriedigung eines Bedürfnisses wird ein höheres aktiviert. Wenn ein Wachstumsbedürfnis befriedigt wird, wird ein anderes Wachstumsbedürfnis aktiviert. Growth Needs werden umso wirksamer, je mehr sie befriedigt werden. Das Anspruchsniveau erhöht sich, denn der Mensch strebt dann nach immer mehr Entfaltung und Selbstverwirklichung. 366 Der ERG-Theorie wird ein höherer Informationswert als der Maslowschen Theorie zugesprochen. Sie zeigt, dass Menschen ganz unterschiedlich auf die Befriedigung bzw. Nicht- Befriedigung eines Bedürfnisses reagieren können. Umso wichtiger ist es für Unternehmen, die Bedürfnisse seiner Mitarbeiter zu kennen und ein passendes, offenes Anreizsystem zu gestalten. Empirisch ist die ERG-Theorie stärker abgesichert als die Maslowsche Theorie 367 , allerdings hat sie in der Praxis keine große Bedeutung erlangt. (c) Zwei-Faktoren-Theorie von Herzberg Die Zwei-Faktoren-Theorie basiert auf den Ergebnissen der sog. Pittsburgh-Studie, bei der Ende der 1950er-Jahre ca. 200 Ingenieure und Büroangestellte über positive und negative Aspekte ihrer Arbeit Auskunft gaben. Es wurde danach gefragt, welche Faktoren Zufriedenheit hervorrufen und welche Unzufriedenheit vermeiden bzw. abbauen. Dabei zeigte sich in dieser Studie, dass Zufriedenheit und Unzufriedenheit keine gegensätzlichen Pole sind, sondern differenzierter gesehen werden müssen. Demnach ist das Gegenteil von Unzufriedenheit die Nicht-Unzufriedenheit. Der Zufriedenheit steht die Nicht- Zufriedenheit gegenüber. 368 Eine Reihe weiterer Untersuchungen bestätigte dieses Ergebnis. 369 365 Vgl. Alderfer (1969), S. 151 ff.; Stock-Homburg (2013), S. 71. 366 Vgl. Hentze/ Graf/ Kammel/ Lindert (2005), S. 119 f. 367 Vgl. Stock-Homburg (2013), S. 71 f. 368 Vgl. Herzberg et al. (1959). 369 Vgl. Herzberg/ Mausner/ Syndermann (1967). 198 · 6 Personaleinsatz und Personalerhaltung Entsprechend unterteilt Herzberg die Anreize in zwei Kategorien: Hygienefaktoren (Frustratoren, dissatisfiers) Motivatoren (satisfiers) Abb. 6-8 zeigt die Zusammenhänge. Unzufriedenheit Wegfall von Unzufriedenheit motivationsneutral hoch motivierend (keine Zufriedenheit) (Zufriedenheit) zunehmender Einsatz von Hygienefaktoren (= dissatisfiers = Frustratoren) zunehmender Einsatz von Motivatoren (= satisfiers) Abb. 6-8: Hygienefaktoren und Motivatoren als unabhängige Dimensionen 370 Das Fehlen bestimmter Bedingungen in der Arbeitssituation, d.h. die Abwesenheit von Hygienefaktoren (dissatisfiers), führt zu Unzufriedenheit. Sind sie vorhanden, dann baut sich die Unzufriedenheit ab. Es kommt aber nicht zu Zufriedenheit, sondern lediglich zu Nicht- Unzufriedenheit. Die dissatisfiers (Hygienefaktoren) beziehen sich hauptsächlich auf die Arbeitsumgebung und die Rahmenbedingungen, unter denen die Arbeit durchgeführt wird. Es handelt sich also in erster Linie um Anreize, die für extrinsische Bedürfnisse gewährt werden. Der Begriff Hygienefaktoren wird dabei ähnlich aufgefasst wie in einem Krankenhaus. Dort führt die Verschlechterung der Hygiene zur Zunahme von Krankheiten. Durch eine Verbesserung der hygienischen Verhältnisse erreicht man aber nicht etwa mehr Gesundheit, man verhindert lediglich die Zunahme von Krankheiten. Auf die Arbeitssituation bezogen bedeutet dies, dass eine Verschlechterung der Hygienefaktoren (dissatisfiers) zu Unzufriedenheit bei den Mitarbeitern führt. Eine Verbesserung dagegen bewirkt nur, dass die Mitarbeiter dann nicht mehr unzufrieden sind. Hygienefaktoren können also keine Zufriedenheit hervorrufen, sondern lediglich die Unzufriedenheit verringern. 370 In Anlehnung an Steinmann/ Schreyögg (2005), S. 561. 6.1 Grundannahmen über menschliches Verhalten im Unternehmen · 199 Zu den Hygienefaktoren in der Arbeitssituation werden oft diese gezählt: 371 Entgelt Status Entwicklungsmöglichkeiten Beziehungen zu Vorgesetzten, Kollegen und Mitarbeitern Führungsverhalten des Vorgesetzten Unternehmenspolitik und -organisation Arbeitsbedingungen und -sicherheit Auch das Privatleben wirkt sich als Hygienefaktor auf die Arbeitssituation aus. Nur eine Veränderung der Motivatoren (satisfiers) kann die Zufriedenheit der Mitarbeiter beeinflussen. Dabei handelt es sich im Wesentlichen um Anreize für intrinsische Bedürfnisse. Ihre Befriedigung schafft Zufriedenheit. Werden sie nicht befriedigt oder verschlechtert sich die Situation, führt dies zu Nicht- Zufriedenheit. Zu den Motivatoren gehören insbesondere: 372 Selbstbestätigung und Leistungserfolg Anerkennung Inhalt der Arbeit Verantwortung Aufstieg Eine Steigerung der Arbeitsleistung ist nur über eine Veränderung der satisfiers (Motivatoren) möglich. Vor allem bei den Arbeitsinhalten und der Arbeitsstrukturierung können starke Leistungsanreize gesetzt werden. Eine Veränderung der Hygienefaktoren kann hingegen keine höhere Leistung bewirken. Sie dienen dazu, die notwendigen Rahmenbedingungen für die Leistung zu schaffen. 373 Wenn die Hygienefaktoren zu wenig befriedigt sind, kommt es zu einer negativen Arbeitseinstellung und Letztlich zum Absinken der Leistung. Da die Beseitigung der Unzufriedenheit auslösenden Faktoren jedoch nicht zu mehr Leistung führt, sondern nur einen Rückgang der Leistung verhindern kann bzw. den ursprünglichen Zustand wieder herstellt, ist es aus ökonomischer Sicht wenig sinnvoll, über eine bestimmte, als angemessen betrachtete Ausstattung hinaus in Hygienefaktoren zu investieren. 371 Vgl. Jung (2017) S. 390; Oechsler (2011); S. 336. 372 Vgl. Klimecki/ Gmür (2005), S. 278; Jung (2017), S. 390. 373 Vgl. Scholz (2011), S. 373. 200 · 6 Personaleinsatz und Personalerhaltung Empirische Untersuchungen zeigen zudem, dass Hygienefaktoren bei den meisten Mitarbeitern nicht lange wirken. 374 Bei der Übertragung der Herzbergschen Zwei-Faktoren-Theorie auf die Unternehmenssituation ergibt sich das Problem, dass viele Faktoren nicht eindeutig den Motivatoren oder den Hygienefaktoren zugerechnet werden können, weil die Zuordnung immer auch von der Persönlichkeit des einzelnen Mitarbeiters abhängt. Es ist also von Mitarbeiter zu Mitarbeiter verschieden, welche Faktoren lediglich auf ein angemessenes Niveau gebracht werden müssen und welche weiter erhöht werden sollten, um die Arbeitszufriedenheit und damit die Leistung des Mitarbeiters zu steigern. So sind beispielsweise Unternehmenspolitik und Organisation für den größten Teil der Mitarbeiter lediglich Hygienefaktoren (dissatisfiers), während sie auf einen kleinen Teil als Motivatoren wirken. Umgekehrt wird Anerkennung von den meisten als Motivator (satisfier) empfunden, einige sehen darin jedoch einen Hygienefaktor. Auch komplexe und schwierige Aufgaben oder umfangreiche Entscheidungsbefugnisse werden nicht von allen Mitarbeitern als Motivatoren betrachtet. Während Herzberg die materiellen Anreize eher zu den Hygienefaktoren zählt, kommen neuere Befragungen zu widersprüchlichen Ergebnissen, die Herzberg teilweise bestätigen und teilweise widerlegen. 375 Das liegt daran, dass sich Bedürfnisse der Menschen ändern und über die Jahre hinweg eine andere Bedeutung bekommen und die Menschen nicht in allen Kulturkreisen die gleichen Bedürfnisse in den Mittelpunkt stellen. Zudem existieren Motivatoren und Hygienefaktoren nicht unabhängig voneinander. So haben beruflicher Aufstieg und höhere Leistung in der Regel ein höheres Entgelt zur Folge, der Hygienefaktor Entgelt wirkt dann gleichzeitig als Motivator. Die geringe empirische Fundierung der Theorie wird oft bemängelt, wobei sich die Kritik vor allem auf die Befragungsmethodik und die Stichprobenauswahl bezieht. Der unterstellte (automatische) Zusammenhang zwischen Arbeitszufriedenheit und höherer Leistung wird von Kritikern ebenfalls in Frage gestellt. 376 Unternehmen wissen häufig nicht, welche Anreize ihre Arbeitnehmer als wichtig empfinden und setzen damit falsche Anreize. Die erwartete Zufriedenheit tritt dann nicht ein. 377 Deshalb ist eine Durchführung strukturierter Mitarbeiterbefragungen in regelmäßigen Abständen sinnvoll. Die Abb. 6-9 führt Beispiele für Hygienefaktoren und Motivatoren in verschiedenen Bereichen des Personalmanagements auf. 374 Vgl. Jung (2017), S. 392; Wagner/ Rex (2001), S. 70 ff. 375 Vgl. o.V. (2003), S. 15; Scherff (2004), S. 53; Bröckermann (2012), S. 250. 376 Vgl. Jung (2017), S. 392. 377 Vgl. Esser (2016), S. 50 f. 6.1 Grundannahmen über menschliches Verhalten im Unternehmen · 201 Beispiele für Hygienefaktoren und Motivatoren im Personalbereich Bereich Hygienefaktor Motivator Personalbeschaffung realistische Informationen über die ausgeschriebene Stelle Aufzeigen von Entwicklungsmöglichkeiten der ausgeschriebenen Stelle Mitarbeiterführung Gleichmäßige Aufteilung der Arbeitsbelastung Durchführung gemeinsamer Teamevents Entgeltstrategie Transparenz der Entgeltzusammensetzung Gewährung von Zusatzleistungen, wie Dienstwagen, Business Class Flüge Personalentwicklung Personalentwicklung ist Bestandteil der Unternehmensstrategie Bereitstellung von passenden Personalentwicklungsmaßnahmen für die einzelnen Mitarbeiter Personalbeurteilung Sicherstellen objektiver Beurteilungsprozesse Persönliches Besprechen der Beurteilungsergebnisse und der Folgen zwischen Mitarbeiter und Vorgesetztem Freisetzung Frühzeitige Information über geplante Maßnahmen Outplacement zur Verfügung stellen Abb. 6-9: Beispiele für Hygienefaktoren und Motivatoren im Personalmanagement 378 66.1.2.2.3 Prozesstheorien Prozesstheorien versuchen zu erklären, wie Motivation entsteht und wie sie das menschliche Verhalten steuert. Die Bedürfnisinhalte sind in diesem Zusammenhang von untergeordneter Bedeutung. Stattdessen werden vor allem Erfahrungen, Einstellungen und Erwartungen des Menschen beleuchtet. Man unterscheidet insbesondere Erwartungsvalenztheorien und Gleichgewichtstheorien. Zu den Ersteren zählt beispielsweise die VIE-Theorie von Vroom. Bedeutsame Gleichgewichtstheorien sind die Anreiz-Beitrags-Theorie von Simon und March und die Gleichheitstheorie von Adams. 378 In Anlehnung an Stock-Homburg (2013), S. 78. 202 · 6 Personaleinsatz und Personalerhaltung (a) VIE-Theorie nach Vroom Motivation entsteht nach dieser Theorie durch die multiplikative Verknüpfung von Valenz, Instrumentalität und Erwartung. 379 Unter Valenz versteht man die subjektiv wahrgenommene Belohnung, d.h. das Ausmaß der Attraktivität, die mit der Zielerreichung für den einzelnen Mitarbeiter verbunden ist. Sie ist von den individuellen Motiven des Mitarbeiters und den aus seiner subjektiven Sicht dazu passenden Anreizen abhängig. 380 Instrumentalität zeigt, wie der Mitarbeiter eine bestimmte Handlung und das daraus resultierende Ergebnis als geeignetes Instrument zur Zielerreichung einschätzt. Bei den Ergebnissen unterscheidet Vroom zwei Ebenen. Die Ergebnisse erster Ebene, z.B. das Entgelt für eine Arbeitsleistung, dienen ihrerseits als Anreize für die Ergebnisse zweiter Ebene, die primär vom Mitarbeiter verfolgten Ziele. 381 Erwartung ist die subjektive Einschätzung des Mitarbeiters darüber, wie groß die Wahrscheinlichkeit ist, eine Handlung erfolgreich zum Abschluss zu bringen und damit ein erwünschtes Ergebnis zu erreichen. 382 Daraus ergibt sich dieser Zusammenhang: Valenz × Instrumentalität × Erwartung = Motivation Motivation kann also nur dann entstehen, wenn alle drei Faktoren Instrumentalität, Valenz und Erwartung vorhanden sind. Ist einer der Faktoren nicht existent, ist er also gleich null, ist das Ergebnis der Multiplikation ebenfalls null, d.h. die Motivation ist null. Damit Leistung entstehen kann, müssen zur Motivation die (passenden) individuellen Fähigkeiten des Mitarbeiters hinzukommen. Auch diese Elemente sind wiederum multiplikativ verknüpft: Leistung = Motivation × individuelle Fähigkeiten Unter personalwirtschaftlichen Gesichtspunkten kommt es deshalb darauf an, Aufgaben so zu strukturieren, dass es aus Sicht des Mitarbeiters sehr wahrscheinlich ist, das gewünschte Arbeitsergebnis erzielen zu können. Dieses Ergebnis muss dann - wiederum aus der Sicht des Mitarbeiters - mit einer hohen Wahrscheinlichkeit zur Gewährung der Anreize und damit zu seiner Bedürfnisbefriedigung beitragen. Dazu müssen die Anreize so gestaltet sein, dass sie den aktivierten Bedürfnissen weitgehend entsprechen. 379 Vgl. Vroom (1964); Hentze/ Graf/ Kammel/ Lindert (2005), S. 131 ff. 380 Vgl. Huber (2010), S. 97. 381 Vgl. Stock-Homburg (2013), S. 80. 382 Vgl. Huber (2010), S. 97. 6.1 Grundannahmen über menschliches Verhalten im Unternehmen · 203 Die VIE-Theorie klärt nicht, welche Faktoren es sind, die die Erwartungen und die Valenz beeinflussen, es wird jedoch deutlich, dass es nicht ausreicht, zur Steigerung der Motivation allein die Anreize zu betrachten und hier passende Veränderungen und Verbesserungen vorzunehmen. (b) Anreiz-Beitrags-Theorie von Simon und March Die Anreiz-Beitrags-Theorie geht davon aus, dass der Mitarbeiter die Anreize, die er vom Unternehmen erhält, in Beziehung zu den Beiträgen setzt, die er für das Unternehmen leistet. 383 Er bewertet also die Austauschbeziehungen der Arbeitssituation, indem er die von ihm erbrachten Beiträge mit den erhaltenen Anreizen vergleicht und beurteilt, ob es sich um eine adäquate Gegenleistung handelt oder nicht. Die Anreize können sowohl monetärer als auch nicht-monetärer Art sein. Sie dienen der Bedürfnisbefriedigung und führen zu weiteren Leistungen für das Unternehmen. Für den Mitarbeiter muss ein erkennbarer Zusammenhang zwischen Anreizgewährung und seinen Beiträgen bestehen. Beiträge sind sowohl Arbeitsleistungen als auch die Anpassung an die Verhaltenserwartungen des Unternehmens. Der Mitarbeiter hält seine Arbeitsbeziehung solange aufrecht, wie sich - nach seinem persönlichen, subjektiven Empfinden - Anreize und Beiträge im Gleichgewicht befinden oder die Beiträge überwiegen. Der Wert, den er seinen eigenen Beiträgen beimisst, hängt von seinen möglichen Alternativen ab. Der Wert der Anreize wird durch individuelle Normen bestimmt. 384 Ein (empfundenes) Ungleichgewicht zu Lasten des Arbeitnehmers führt dazu, dass dieser seine Entscheidung, auch weiterhin für das Unternehmen tätig zu sein, überdenkt. Ob er das Unternehmen tatsächlich verlässt, hängt vom Ausmaß der Unzufriedenheit und seinen Alternativen auf dem externen Arbeitsmarkt ab. Wenn der Mitarbeiter trotz Unzufriedenheit im Unternehmen bleibt, weil er keine für ihn sinnvolle Alternative findet, kann dies zur inneren Kündigung und damit zu einer verringerten Leistung führen. Die Anreiz-Beitrags-Theorie zeigt, dass dem subjektiven Empfinden hinsichtlich der Ausgewogenheit von Anreizen und Beiträgen für die Beitragsleistung eine erhebliche Bedeutung beikommt. 385 Daneben wirken sich die Verhaltensalternativen, deren wahrgenommene Konsequenzen und die individuellen Ziele des Mitarbeiters auf seine Entscheidung aus, den Verhaltenserwartungen im Unternehmen zu entsprechen oder nicht. Die Theorie geht davon aus, dass das Anspruchsniveau der Mitarbeiter langfristig konstant bleibt. Sie ignoriert somit eine Weiterentwicklung von Bedürfnissen. 383 Vgl. March/ Simon (1958). 384 Vgl. Scholz (2000), S. 122 f. 385 Vgl. Berthel/ Becker (2017), S. 55 f. 204 · 6 Personaleinsatz und Personalerhaltung (c) Gleichheitstheorie von Adams Die Gleichheitstheorie von Adams wird auch als Equity Theory oder Gerechtigkeitstheorie bezeichnet. Nach dieser Theorie definiert ein Mitarbeiter seine Arbeitssituation als Austauschbeziehung zwischen sich und dem Unternehmen. 386 Außerdem vergleicht er sein eigenes Input-Output-Verhältnis mit demjenigen anderer Mitarbeiter. Beide Bewertungen nimmt er subjektiv vor. Output sind alle Belohnungen, die das Unternehmen gewährt, z.B. Entgelt, Gruppenmitgliedschaft, Status, interessante Aufgaben. Als Input bringt der Mitarbeiter seine Leistung, Erfahrung, Ausbildung, sein Verhalten etc. ein. Wenn der Mitarbeiter zwischen dem eigenen Input-Output-Verhältnis und dem seiner Kollegen ein Ungleichgewicht vermutet, führt dies zu inneren Spannungen, die er abzubauen versucht. Dazu stehen ihm verschiedene Alternativen zur Verfügung, von denen er diejenige auswählt, die er am leichtesten umsetzen kann: 387 Er verändert sein Input-Output-Verhältnis durch die Anpassung seiner Arbeitsleistung so, dass es nach seinem subjektiven Empfinden demjenigen der Vergleichspersonen entspricht. Er fordert vom Unternehmen andere Outputs als bislang oder eine Steigerung der bisherigen Outputs. Er wechselt die Aufgaben innerhalb des Unternehmens. Er verlässt das Unternehmen. Empirische Untersuchungen zeigen, dass das Empfinden, unterbezahlt zu sein, zu Unzufriedenheit und einer Verringerung der Arbeitsleistung führt. Eine vermutete Überbezahlung erzeugt allerdings ebenfalls Unbehagen und Unzufriedenheit. Die Gleichheitstheorie gibt keine Hinweise, wie sich der Vorgesetzte im Einzelfall verhalten soll. Aus ihr geht auch nicht hervor, wie der Mitarbeiter seine Vergleichspersonen aussucht. Ebenso wenig wird erklärt, welche Grundlagen es für die individuelle Bewertung von Input und Output gibt. Die Gleichheitstheorie macht jedoch deutlich, wie wichtig die wahrgenommene Gerechtigkeit für Mitarbeiter ist und weist dem Personalmanagement die Aufgabe zu, darauf zu achten, dass dieser Gerechtigkeit Genüge getan wird. Wichtige Beispiele zeigt Abb. 6-10. 386 Vgl. Adams (1963), S. 422 ff.; Oechsler (2011), S. 344. 387 Vgl. Scholz (2000), 892 ff. 6.1 Grundannahmen über menschliches Verhalten im Unternehmen · 205 Förderung der Gerechtigkeit Bereiche des Personalmanagements Mögliche Ansatzpunkte, die Gerechtigkeit zu fördern Personalbeschaffung und -auswahl Transparentmachen des Auswahlprozesses Schaffen eines angenehmen Gesprächsklimas Vermeidung von Stressinterviews und für den Bewerber undurchsichtigen Tests Unterbreiten eines Stellenangebots, das den Qualifikationen des Stelleninhabers entspricht Entgeltpolitik Ausführliche Erläuterung der Vergütungsmodelle Zielvereinbarungen anstelle von Zielvorgaben Erläuterung des Zustandekommens von Prämien und von Leistungszulagen Transparenz der Entgeltstufen Mitarbeiterführung Festlegung eindeutiger Aufgaben und Befugnisse Betonung der Kohäsionsfunktion der Führung Einsatz verbindlicher Regeln Förderung von Teamaufgaben Personalbeurteilung Transparenz des Beurteilungsprozesses und -verfahrens Erläuterung der Beurteilungskriterien Darlegen der Folgen der Beurteilung Personalentwicklung Erläuterung der Notwendigkeit von Personalentwicklungsmaßnahmen Begründung der Auswahlkriterien für die Personalentwicklung Nachvollziehbare Karriere- und Nachfolgeplanungen Berücksichtigung von Interessen und Bedürfnissen der Mitarbeiter Personalfreisetzung Erläuterung der Entscheidung in einem ausführlichen persönlichen Gespräch Hilfestellung bei der Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt Angemessen empfundene Abfindungen Abb. 6-10: Förderung der Gerechtigkeit als Aufgabe des Personalmanagements 206 · 6 Personaleinsatz und Personalerhaltung 6.1.3 Determinanten der menschlichen Arbeitsleistung Die Arbeitsleistung ist das Ergebnis des individuellen leistungsbezogenen Verhaltens eines Mitarbeiters im Unternehmen. Sie hängt von vier Determinanten ab: Leistungsbedingungen Leistungsfähigkeit Leistungsdisposition Leistungsbereitschaft Leistungsfähigkeit und -disposition sind ihrerseits Komponenten des Leistungsvermögens. Den Zusammenhang verdeutlicht Abb. 6-11. Menschliche Arbeitsleistung Leistungsbedingungen Leistungsvermögen Leistungsbereitschaft Leistungsfähigkeit Leistungsdisposition organisatorische Umwelt sachliche Umwelt soziale Umwelt körperlich-geistige Anlagen Wissen Können Ermüdung Lebensalter Gesundheit Biorhythmus Aspekte der Motivation Abb. 6-11: Determinanten der menschlichen Arbeitsleistung Äußere Einflüsse, welche sich auf die Leistung eines Mitarbeiters auswirken, werden als Leistungsbedingungen bezeichnet. Großes Gewicht kommt dabei den organisatorischen, sachlichen und sozialen Faktoren zu. Daneben sind die technischen Bedingungen und die rechtliche Arbeitssituation von Bedeutung. Die organisatorische Umwelt ist vor allem durch den hierarchischen Aufbau des Unternehmens, die Gestaltung von Entscheidungs- und Weisungsbefugnissen und die Strukturierung der Arbeitsinhalte, -prozesse und -verfahren geprägt. Zu den sachlichen Leistungsbedingungen gehören die Bereitstellung der Arbeitsmittel und die Gestaltung des Arbeitsplatzes. Darunter fallen Faktoren wie eine ergonomisch gestaltete Arbeitsumgebung, die räumliche Anordnung der Arbeitsplätze (z.B. Großraumbüro oder Einzelbüros), Beleuchtung, Lärmschutz, Klimabedingungen etc. Die soziale Umwelt umfasst alle zwischenmenschlichen Beziehungen, sowohl zu Vorgesetzten als auch zu Kollegen und ggf. zu Mitarbeitern. Dazu zählen auch diejenigen Kontakte, die nicht unmittelbar mit der Arbeitssituation in Zusammenhang stehen. 6.1 Grundannahmen über menschliches Verhalten im Unternehmen · 207 Durch die Kombination von Leistungsfähigkeit und Leistungsdisposition ergibt sich das tatsächliche aktuelle Leistungsvermögen. Unter der Leistungsfähigkeit versteht man das Maximum dessen, was eine Person an Leistung erbringen könnte. Es handelt sich dabei um eine rein theoretische Größe, die durch seine körperlich-geistigen Anlagen, sein Wissen und sein Können bestimmt wird. Inwieweit der Mitarbeiter seine Leistungsfähigkeit ausschöpft, hängt von seiner Leistungsdisposition ab, d.h. vom aktuellen körperlichen und seelischen Befinden. Die Leistungsdisposition verändert sich unter anderem durch Ermüdung, Lebensalter und Gesundheitszustand. Auch psychische Faktoren spielen eine Rolle. Außerdem wirkt sich der menschliche Biorhythmus auf das Befinden aus. Abb. 6-12 zeigt die Schwankungen der Leistungsdisposition im Tagesablauf. Arbeitsleistung Uhrzeit Leistungsdisposition im Tagesablauf 140 % 120 % 100 % 80 % 60 % 40 % 20 % 6 8 10 11 12 14 16 18 20 22 24 2 4 6 Abb. 6-12: Leistungsdisposition im Tagesablauf 388 Dabei handelt es sich um eine Durchschnittsbetrachtung. Der Kurvenverlauf ist bei jedem Menschen ähnlich, allerdings sind Maxima und Minima unterschiedlich hoch. Auch die zeitliche Lage verschiebt sich individuell nach links oder rechts. Unter dem Gesichtspunkt der Leistungsdisposition sollten die Tätigkeiten, wenn es möglich ist, entsprechend ihres Schwierigkeitsgrades über den Tag hinweg verteilt werden d.h. am 388 In Anlehnung an Graf (1960), S. 16. 208 · 6 Personaleinsatz und Personalerhaltung Vormittag und späten Nachmittag sollten eher die anspruchsvollen Aufgaben durchgeführt werden. Um die Mittagszeit bzw. am späteren Abend in den Phasen des physiologischen Leistungstiefs erledigt man am besten die Routinetätigkeiten. Der Biorhythmus unterliegt neben täglichen zudem monatlichen und jährlichen Schwankungen. Das Ergebnis der menschlichen Arbeitsleistung hängt nicht nur von den Leistungsbedingungen und dem Leistungsvermögen ab. Auch die Leistungsbereitschaft spielt eine sehr wichtige Rolle. Sie bestimmt, inwieweit die Mitarbeiter bereit sind, ihr Leistungsvermögen in das Unternehmen einzubringen. Die Anreize setzen insbesondere hier an und versuchen gezielt die Motivation zu steigern und somit eine hohe Leistungsbereitschaft der Mitarbeiter zu erreichen. 6.2 Anreizsysteme 6.2.1 Überblick Über Anreize wird die Leistungsbereitschaft der Mitarbeiter aktiviert. Damit die unterschiedlichen Bedürfnisse befriedigt werden können, ist ein differenziertes Anreizsystem erforderlich, das den jeweiligen Motiven angepasst ist. Unter einem Anreizsystem versteht man die Summe aller bewusst aufeinander abgestimmten Anreize, die ein Unternehmen zur Steigerung der Leistungsbereitschaft bzw. der Arbeitsleistung zur Verfügung stellt. Es dient außerdem dazu, gewünschte Verhaltensweisen beim Mitarbeiter hervorzurufen und unerwünschtes Verhalten zu vermeiden. Gegenstände eines Anreizsystems sind monetäre und nicht-monetäre Anreize. Deren Vielfalt zwingt die Unternehmen dazu, bestimmten Bedürfnissen und Anreizen den Vorrang zu geben und sich hier zu konzentrieren. Große Unternehmen machen regelmäßig Mitarbeiterbefragungen, um diejenigen Bedürfnisse zu identifizieren, die ihren Mitarbeitern am wichtigsten sind. Darauf aufbauend wählen sie die passenden Anreize aus und setzen Schwerpunkte. In Abb. 6-13 sind die wichtigsten materiellen und immateriellen Anreize zusammengefasst. Monetäre oder materielle Anreize beziehen sich auf die Entgeltsituation der Mitarbeiter. Sie zielen vor allem auf die Befriedigung der physiologischen Grundbedürfnisse und der Sicherheitsbedürfnisse ab. Aber auch als Statussymbol und zur Befriedigung des Anerkennungsbedürfnisses spielen sie indirekt eine wichtige Rolle, da sich im Entgelt ebenso die Wertschätzung seitens des Unternehmens gegenüber seinem Mitarbeiter ausdrückt. Neben Lohn- und Gehaltsregelungen gehören auch die Sozialleistungen und die finanziellen Mitarbeiterbeteiligungssysteme zu dieser Gruppe. Die nicht-monetären oder immateriellen Anreize sind vornehmlich auf die Bedürfnisse nach Kontakt, Anerkennung und Selbstverwirklichung ausgerichtet. Dazu zählen beispielsweise Personalentwicklung, erhöhte Eigenverantwortung, Aufstiegsmöglichkeiten, soziale Kommunikation, Gruppenmitgliedschaft, Führungsstil, Arbeitszeitgestaltung und Arbeitsstrukturierung. 6.2 Anreizsysteme · 209 Überblick über mögliche Anreize materielle Anreize immaterielle Anreize Lohn und Gehalt Sozialleistungen Mitarbeiterbeteiligungssysteme Personalentwicklung Aufstiegsmöglichkeiten Arbeitsstrukturierung Arbeitszeitgestaltung Flexibilisierung des Arbeitsortes Soziale Kommunikation und Gruppenmitgliedschaft Personalführung Health Care Management Ideenmanagement (Betriebliches Vorschlagswesen) Cafeteria Systeme Abb. 6-13: Überblick über materielle und immaterielle Anreize Viele Anreize enthalten sowohl materielle als auch immaterielle Elemente. So ist zum Beispiel eine Beförderung in erster Linie ein immaterieller Anreiz, normalerweise sind damit allerdings auch finanzielle Vorteile verbunden. Auch die betrieblichen Sozialleistungen bestehen aus materiellen und immateriellen Elementen. Die Zuordnung wird im Folgenden davon abhängig gemacht, welche der beiden Komponenten als vorherrschend angesehen wird. Die Personalentwicklung und die damit für den Mitarbeiter verbundenen Aufstiegsmöglichkeiten sind bedeutende immaterielle Anreize. Gleichzeitig sind sie ein ganz wesentlicher Aspekt der Zukunftssicherung des Unternehmens. Aus diesem Grund wird die Personalentwicklung in einem eigenen Kapitel 8 ausführlich behandelt. Ideenmanagement und betriebliches Vorschlagswesen sehen eine finanzielle Prämie für nützliche Vorschläge vor, außerdem zielen sie ausdrücklich auf das Anerkennungsbedürfnis und das Bedürfnis nach Selbstverwirklichung und sprechen damit von vorneherein materielle und immaterielle Bedürfnisse gleichermaßen an. Auch Cafeteria-Systeme werden grundsätzlich mit materiellen und mit immateriellen Anreizen konzipiert. Sie werden deshalb hier ebenso als Mischformen angesehen. 6.2.2 Ausgewählte materielle Anreize 6.2.2.1 Vorbemerkung Das Entgelt (Vergütung) umfasst alle materiellen Leistungen, die der Mitarbeiter erhält: direktes Entgelt für die geleistete Arbeit, also Lohn, Gehalt oder Besoldung betriebliche Sozialleistungen finanzielle Mitarbeiterbeteiligungen 210 · 6 Personaleinsatz und Personalerhaltung Einen Überblick über wichtige Entgeltformen gibt Abb. 6-14. Entgeltformen Entgelt für geleistete Arbeit Sozialleistungen Mitarbeiterbeteiligungen Zeitlohn Akkordlohn Prämienlohn Pensumlohn Potenziallohn gesetzliche Leistungen tarifliche Leistungen freiwillige Leistungen Erfolgsbeteiligung Kapitalbeteiligung Abb. 6-14: Entgeltformen im Überblick Die Unterscheidung in Lohn als Entgelt für Arbeiter und Gehalt als Entgelt für Angestellte ist unter rechtlichen und inhaltlichen Gesichtspunkten bedeutungslos geworden. Auch Tarifverträge nehmen diese Unterscheidung nicht mehr vor und sprechen nur noch von Entgelt für Arbeitnehmer. In der Praxis und in der personalwirtschaftlichen Literatur wird nicht streng zwischen Entgelt, Entlohnung, Lohn und Gehalt getrennt. Die Begriffe werden weitgehend synonym für alle Mitarbeitergruppen verwendet. 6.2.2.2 Exkurs: Entgeltgerechtigkeit und Entgeltzusammensetzung Wenn man die unterschiedliche Höhe von Löhnen und Gehältern für gleichwertige Aufgaben in verschiedenen Unternehmen, Branchen, Tarifgebieten etc. betrachtet, stellt sich immer wieder die Frage nach einem gerechten Entgelt. Die Vergütung wird unter anderem durch Verhandlungen zwischen Unternehmen und Mitarbeiter bzw. zwischen Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertretern sowie durch gesetzliche Rahmenbedingungen bestimmt. Angesichts unterschiedlicher Verhandlungsergebnisse kann es nur eine relative und keine absolute Entgeltgerechtigkeit geben. Relative Entgeltgerechtigkeit bedeutet, dass der Mitarbeiter sich im Vergleich zu seinen Kollegen als angemessen entlohnt empfindet. Sie ist dann gegeben, wenn innerhalb eines Unternehmens für die gleichen Anforderungen das gleiche (Grund-)Entgelt gezahlt wird. Entgeltdifferenzierungen entstehen aufgrund individueller Leistungs- und Verhaltenskomponenten. Kosiol fasst diese Überlegungen im Äquivalenzprinzip von Lohn und Leistung zusammen. Es besteht aus den beiden Komponenten Äquivalenz von Lohn und Anforderungsgrad und Äquivalenz von Lohn und Leistungsgrad. 389 389 Vgl. Kosiol (1962), S. 29 ff.; Jung (2017), S. 564; Hentze/ Graf (2005), S. 96. 6.2 Anreizsysteme · 211 Erstere verlangt eine Ausrichtung des Entgelts an den Stellenanforderungen, und zwar unabhängig von den Leistungen eines Stelleninhabers. Die Stelle wird „entpersonalisiert“ betrachtet. Die zweite Komponente ergänzt die erste, indem sie das Entgelt zusätzlich an den individuellen Leistungen des Einzelnen ausrichtet. 390 Der Anforderungsgrad einer Stelle wird im Rahmen der Arbeitsbewertung (Kapitel 6.2.2.3) ermittelt. Die Leistungsbeurteilung ist Bestandteil der Personalbeurteilung, die in Kapitel 7 behandelt wird. In der Praxis werden gewöhnlich markt-, qualifikations- und verhaltensorientierte Elemente sowie soziale Aspekte zusätzlich in das Entgeltsystem einbezogen. Auch der Unternehmenserfolg und die Branche werden bei der Entgeltzahlung i.d.R. berücksichtigt. Ein marktgerechtes Entgelt beachtet die konjunkturelle Lage und das Verhältnis von Angebot und Nachfrage nach bestimmten Qualifikationen und Erfahrungen auf dem Arbeitsmarkt. Die Qualifikationsgerechtigkeit bezieht sich zum einen auf die berufliche Anfangsqualifikation des Mitarbeiters. Außerdem werden auch Qualifikationsmerkmale, die das Unternehmen derzeit oder künftig verwerten kann, berücksichtigt. Verhaltensbezogene Aspekte wie Pflichtbewusstsein, Solidarität und Hilfsbereitschaft, die nicht bereits von den Stellenanforderungen erfasst sind, beziehen sich auf das Verhalten gegenüber Vorgesetzten, Mitarbeitern, Kollegen und Außenstehenden sowie allgemein auf die „Unternehmensverbundenheit“. Soziale Entlohnungskomponenten berücksichtigen soziale Aspekte wie den Familienstand, die Dauer der Betriebszugehörigkeit oder den Wunsch nach Absicherung. Erfolgsgerechtigkeit bedeutet, dass das Unternehmen seine Mitarbeiter in einer angemessenen Höhe am Erfolg beteiligt. Viele Unternehmen haben Vergütungsmodelle, in welche eine Erfolgsbeteiligung einbezogen ist. Sie wird im Kapitel 6.2.2.6.2 behandelt. Branchenbezogene Entgeltaspekte ergänzen die anderen Komponenten. So werden beispielsweise im Hotel- und Gaststättengewerbe tendenziell niedrigere Entgelte und in der Beratungsbranche höhere Gehälter als im Durchschnitt gezahlt. Für ein Unternehmen ist nicht nur das Bruttoentgelt pro Stunde oder Monat entscheidend, sondern alle durch die Beschäftigung entstehenden Kosten. Wenn man z.B. die Kosten für einen Auftrag kalkuliert, muss die notwendige Arbeitszeit bedacht werden. Außerdem muss man berücksichtigen, dass der Mitarbeiter auch Entgelt bekommt, wenn er nicht arbeitet, z.B. weil er Urlaub hat, krank ist, weil Feiertage sind usw. Urlaubsgeld und Weihnachtsgratifikation müssen ebenfalls eingerechnet werden. Die Bruttoentgelte der Mitarbeiter entsprechen also nicht der Höhe der Personalkosten des Unternehmens. Diese sind weitaus höher. Sie bestehen aus Direktentgelt und Personalzusatzkosten. Die Abb. 6-15 gibt einen Überblick über die Zusammensetzung der Personalkosten im Jahr 2017 in Westdeutschland. Als Berechnungsgrundlage wird traditionell das verarbeitende Gewerbe herangezogen. 390 Vgl. Becker (2010), S. 138. 212 · 6 Personaleinsatz und Personalerhaltung Personalkostenaufteilung in Westdeutschland 2017 Sonst. Personalzusatzkosten - Ausbildung - Abfindungen Aufwendungen für Vorsorgeeinrichtungen - Sozialversicherungsbeiträge - Betriebliche Altersversorgung Vergütung arbeitsfreier Tage - Urlaub bezahlte Feiertage - Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall Sonderzahlungen - Weihnachtsgeld - Vermögensbildung zusätzliches Urlaubsgeld weitere fest vereinbarte Sonderzahlungen Entgelt für geleistete Arbeit (inklusive erfolgs- und leistungsabhängiger Sonderzahlungen) 5,2 % 20,7 % 17,0 % 8,0 % 75,0 % Bruttolohn und -gehalt 100 % Personalkosten insgesamt Abb. 6-15: Zusammensetzung der Personalkosten im Jahr 2017 in Westdeutschland 391 Unter Personalzusatzkosten (Personalnebenkosten) versteht man denjenigen Teil der Personalkosten, der zusätzlich zum Entgelt für geleistete Arbeitszeit, dem Direktentgelt, gezahlt wird. Die Personalzusatzkosten lagen 2017 bei durchschnittlich 67,7 Prozent in Westdeutschland und 59,6 Prozent in Ostdeutschland. 392 Von den Personalzusatzkosten zu unterscheiden - und in diesen bereits enthalten - sind die Arbeitgeberpflichtbeiträge zur Sozialversicherung. Dazu zählen die Beiträge zu Rentenversicherung, Arbeitslosenversicherung, Kranken- und Pflegeversicherung, an denen sich Arbeitgeber und Arbeitnehmer gleichermaßen beteiligen. Hinzu kommen die Beiträge zur gesetzlichen Unfallversicherung, welche die Arbeitgeber alleine tragen. 391 In Anlehnung an die Berechnungen des Instituts der deutschen Wirtschaft (2018 a). 392 Vgl. Institut der deutschen Wirtschaft (2018 a). 6.2 Anreizsysteme · 213 2017 betrugen die Pflichtbeiträge der Arbeitgeber im Durchschnitt 16,8 Prozent in Westdeutschland und 18,4 Prozent in Ostdeutschland. 393 International zählt Deutschland zu den Ländern mit den höchsten Arbeitskosten je geleistete Stunde. Im Jahr 2016 waren es 42,02 € in Westdeutschland und 26,888 € in Ostdeutschland. Der gesamtdeutsche Durchschnitt lag bei 39,98 €. Allerdings lagen beispielsweise die Schweiz mit 53,51 € und Norwegen mit 48,54 € noch deutlich höher. Im Vergleich dazu betrugen die Arbeitskosten im verarbeitenden Gewerbe in Österreich 36,65 €, in Bulgarien 3,73 € und in Moldawien 2,09 €. 394 6.2.2.3 Arbeitsbewertung als Basis für anforderungsgerechte Entgeltfindung Nach dem Äquivalenzprinzip von Lohn und Leistung sind die wichtigsten Kriterien bei der Entgeltfindung der Anforderungs- und der Leistungsbezug. Bei der Arbeitsbewertung werden die Anforderungen einer Stelle unabhängig vom Stelleninhaber bewertet. Die Höhe der Anforderungen bestimmt die Höhe des Basisentgelts. Um mitarbeiterspezifische Merkmale auszuschalten, geht man von einer Normalleistung aus, die ein durchschnittlicher Mitarbeiter (Normalarbeitskraft) erbringen soll. Die individuellen Leistungen eines Stelleninhabers gehen nicht in die Arbeitsbewertung ein, sondern werden in der Leistungsbeurteilung, die Bestandteil der Personalbeurteilung ist, ermittelt. Die Stelle wird „entpersonalisiert“. Man unterscheidet zwei Vorgehensweisen der Arbeitsbewertung, die summarische (ganzheitliche) und die analytische (nach verschiedenen Kriterien differenzierte). Erstere bewertet die Arbeitsschwierigkeit einer Stelle im Ganzen und vergleicht sie undifferenziert mit derjenigen von anderen Stellen. Eine systematische Betrachtung einzelner Anforderungsarten erfolgt nicht. Bei der analytischen Arbeitsbewertung wird die Gesamtanforderung einer Stelle in ihre Bestandteile zerlegt, die anschließend getrennt bewertet werden. Zum Schluss werden die einzelnen Teilbewertungen zu einem Gesamtwert verknüpft. Als Bewertungstechnik bieten sich zwei Verfahren an. Bei der Reihung werden die bewerteten Aufgaben nach ihrem Schwierigkeitsgrad in eine Reihenfolge gebracht, beginnend mit der Aufgabe mit den höchsten Anforderungen bis zu derjenigen mit den niedrigsten. Bei der Stufung legt man zuerst Merkmalsstufen fest, denen ein Schwierigkeitsgrad zugeordnet wird. Aufgaben mit gleichem Schwierigkeitsgrad stehen auf der gleichen Stufe. Durch die Kombination der summarischen oder analytischen Vorgehensweise mit der Reihung oder mit der Stufung ergeben sich die vier Methoden der Arbeitsbewertung, die Abb. 6-16 zeigt. 393 Vgl. Institut der deutschen Wirtschaft (2018 a). 394 Vgl. ebd. 214 · 6 Personaleinsatz und Personalerhaltung Arbeitsbewertung Vorgehensweise Quantifizierung summarisch analytisch Reihung Stufung Rangfolgeverfahren Entgeltgruppenverfahren Rangreihenverfahren Stufenwertzahlverfahren Abb. 6-16: Methoden der Arbeitsbewertung Rangfolgeverfahren listen alle Stellen nach ihrem Gesamtschwierigkeitsgrad auf. Dazu wird jede Stelle mit jeder anderen verglichen und ein eine Reihenfolge eingeordnet. Je weiter oben in der Rangfolge eine Stelle angesiedelt ist, desto wichtiger ist sie für das Unternehmen und desto höher ist das Entgelt, das der Mitarbeiter erhält. 395 Der wesentliche Vorteil dieses Verfahrens liegt in seiner Verständlichkeit und einfachen Handhabung. Es macht jedoch keine Angaben darüber, wie groß die Abstände zwischen den einzelnen Stellen sind. So kann zwischen Platz 1 und 2 ein großer Unterschied bestehen, zwischen Platz 2 und 3 aber nur ein sehr geringer. Um dem Anspruch einer anforderungsgerechten Entgeltfindung zu entsprechen, müsste es deshalb bei der Entlohnung zwischen Stelle 1 und Stelle 2 eine größere Differenz als zwischen Stelle 2 und Stelle 3 geben. Je mehr Stellen ein Unternehmen hat, desto schwieriger wird die Bildung von Rangfolgen als Grundlage einer sinnvollen Gehaltsdifferenzierung. Entgeltgruppenverfahren verwenden die Methode der Stufung. Zunächst legt man mehrere Stufen mit unterschiedlichen Schwierigkeitsgraden der Anforderungen fest. Dabei werden für jede Stufe sog. Richtbeispiele definiert. Sie geben an, welche Stellenarten und Stellenanforderungen auf dieser Stufe anzusiedeln sind. Die tatsächlichen Stellen werden dann mit den Richtbeispielen verglichen und entsprechend einer Stufe zugeordnet. Jeder Stufe entspricht ein bestimmtes Entgelt, das der Stelle zugewiesen wird. Wegen ihrer verständlichen Methodik werden Entgeltgruppenverfahren normalerweise den Entgelttarifverträgen zugrunde gelegt. Für gewöhnlich gibt es 6 bis 12 Entgeltgruppen mit Richtbeispielen. Eine dieser Gruppen wird als Ecklohngruppe festgelegt, die 100 Prozent des tarifvertraglich ausgehandelten Entgelts erhält. In der Regel handelt es sich um diejenige Lohngruppe, die erstmalig Facharbeiten in größerem Maße beinhaltet. 396 Bei neuen Gehaltstarifverhandlungen muss das Entgelt nur für diese eine Gruppe ausgehandelt werden. Die anderen Entgeltgruppen bekommen Zu- oder Abschläge des Ecklohnes, die Prozentsätze sind in einem gesonderten Rahmenbzw. Manteltarifvertrag festgehalten und gelten für einen längeren Zeitraum. 395 Vgl. Bröckermann (2012), S. 196. 396 Vgl. ebd., S. 197. 6.2 Anreizsysteme · 215 Im Abstand mehrerer Jahre wird regelmäßig überprüft, ob die Richtbeispiele, die Anzahl der Entgeltgruppen und die Abstände zwischen den Gehaltsstufen noch aktuell sind und zur Entwicklung des wirtschaftlichen Umfelds passen. Ein Beispiel zeigt Abb. 6-17. Abb. 6-17: Beispiel einer Arbeitsbewertung mit dem Lohngruppenverfahren 397 397 In Anlehnung an Jung (2017), S. 568. Beispiel einer Arbeitsbewertung mit dem Lohngruppenverfahren Gruppe Lohngruppen-Definition Lohnschlüssel 1 einfache Arbeiten, die ohne jegliche Ausbildung nach einer Unterweisungszeit von in der Regel drei Tagen ausgeführt werden können 85,00 % 2 einfache Arbeiten, die eine geringe Sach- und Arbeitskenntnis verlangen, aber ohne jegliche Ausbildung nach einer Unterweisungszeit von bis zu 1 Monat und einer entsprechenden Einarbeitungszeit ausgeführt werden können oder einfache Arbeiten der Lohngruppe 1 mit überwiegend zusätzlich belastenden Arbeitsbedingungen 86,50 % 3 Arbeiten, die eine Zweckausbildung oder ein systematisches Anlernen von bis zu 6 Monaten, eine entsprechende Fertigkeit, Übung und Erfahrung verlangen, oder einfache Arbeiten der Lohngruppe 2 mit überwiegend zusätzlich belastenden Arbeitsbedingungen 88,00 % 4 Arbeiten, die ein Teilfacharbeiterkönnen verlangen, wie es durch eine abgeschlossene Anlernausbildung oder durch eine Zweckausbildung bzw. ein schematisches Anlernen mit zusätzlicher Berufserfahrung erzielt wird oder Arbeiten der Lohngruppe 3 mit überwiegend zusätzlich belastenden Arbeitsbedingungen 94,00 % 5 Facharbeiten, die berufliche Handfertigkeiten und Berufskenntnisse verlangen, wie sie entweder durch eine fachentsprechende, ordnungsgemäße Berufsausbildung oder durch eine abgeschlossene Anlernausbildung und zusätzliche Berufserfahrung erzielt werden 100 % (Ecklohn) 6 schwierige Facharbeiten, die besondere Fähigkeiten und langjährige Berufserfahrung verlangen 110,00 % 7 besonders schwierige und hochwertige Facharbeiten, die an das fachliche Können und Wissen besonders hohe Anforderungen stellen sowie Selbständigkeit und hohes Verantwortungsbewusstsein voraussetzen 120,00 % 8 Hochwertigste Facharbeiten, die meisterliches Können, absolute Selbständigkeit, Dispositionsvermögen, umfassendes Verantwortungsbewusstsein und entsprechende theoretische Kenntnisse erfordern 133,00 % 216 · 6 Personaleinsatz und Personalerhaltung In den letzten Jahrzehnten hat sich in vielen Tarifgebieten die Lohnspanne zwischen der Ecklohngruppe und der untersten Lohngruppe stark verringert, d.h. die unteren Löhne sind überproportional stark angehoben worden. Während beispielsweise ein Mitarbeiter der untersten Lohngruppe in der nordrhein-westfälischen Metallindustrie 1950 nur 58,7 Prozent des Entgelts der Ecklohngruppe verdiente, sind es nun 85 Prozent. 398 Unter Anreizgesichtspunkten bezwecken eine schwache Lohnsatzdifferenzierung und eine Anhebung der unteren Löhne vor allem die Befriedigung der unteren Bedürfnisstufen. Sie verringern den Anreiz, schwierigere und verantwortungsvollere Aufgaben zu übernehmen sowie das Interesse in eine höhere Stufe aufzusteigen, da der mit dem Aufstieg verbundene Entgeltvorteil nur gering ist. Rangreihenverfahren betrachten jede einzelne Anforderungsart einer Stelle und vergleichen sie mit denen anderer Stellen. Das älteste Verfahren zur Differenzierung der Anforderungsarten ist das Genfer Schema, welches 1950 auf einer Konferenz für Arbeitsbewertung entwickelt wurde. Es enthielt lediglich die vier Anforderungsarten Können, Verantwortung, Belastung und Umgebungseinflüsse. Diese Anforderungsarten des Genfer Schemas sind in Theorie und Praxis vielfach angepasst und ergänzt worden. Nachdem zunächst bei der Arbeitsbewertung sehr stark differenziert wurde, sieht man heute eine solche Vorgehensweise aus Gründen der Übersichtlichkeit und Handhabbarkeit als nicht sinnvoll an und beschränkt sich in der Praxis auf die typischsten Anforderungsarten. 399 Da nicht alle Anforderungen an eine Stelle von gleicher Bedeutung sind, erfolgt anschließend eine Gewichtung. Dann wird für jede Anforderungsart eine Stellen-Rangfolge aufgrund des jeweiligen Schwierigkeitsgrades erstellt. Die multiplikative Verknüpfung von Gewichtung der Anforderungsart und Rangfolgenplatz der Stelle ergibt eine sog. Wertzahl, die Summe der einzelnen Wertzahlen entspricht dem Arbeitswert einer Stelle. Je höher der Arbeitswert, desto höher das Entgelt. Rangreihenverfahren eignen sich für ausführende Tätigkeiten ebenso wie für Führungsaufgaben. Sie sind jedoch sehr aufwändig, insbesondere die Anforderungsarten und deren Gewichtung müssen regelmäßig überprüft und bei Bedarf angepasst werden. Stufenwertzahlverfahren legen für jede Anforderungsart Stufen fest, die mit Richtbeispielen beschrieben werden. Jeder Stufe wird entsprechend ihrer Wichtigkeit eine Wertzahl zugeordnet, eine unterschiedliche Gewichtung der Anforderungsarten ist zusätzlich möglich. Dann erfolgt die Zuordnung der Anforderungen einer Stelle zu den zuvor definierten und bewerteten Anforderungsstufen. Die Summe der Wertzahlen ergibt den Arbeitswert einer Stelle, auf dessen Grundlage das Entgelt ermittelt wird. Der Vorteil des Stufenwertzahlverfahrens gegenüber der summarischen Variante liegt in der größeren Objektivität. Allerdings müssen die Anforderungsarten, Richtbeispiele und Wertzahlzuordnungen aufgrund der dynamischen Entwicklung des wirtschaftlichen Umfelds häufig angepasst werden. 398 Vgl. Jung (2017), S. 573. 399 Vgl. Schanz (2000), S. 590 f. 6.2 Anreizsysteme · 217 6.2.2.4 Entgelt für geleistete Arbeit 66.2.2.4.1 Zeitlohn Zeitlöhne gibt es in reiner Form und in Kombination mit Leistungszulagen und Prämien. Die älteste Lohnform ist der reine Zeitlohn, bei dem ein fester Betrag pro Zeiteinheit unabhängig von der erbrachten Leistung gezahlt wird. Es kann sich um einen Stunden-, Tages- oder Wochenlohn, ein monatliches Entgelt oder auch um ein Jahresgehalt handeln. Der Zeitlohn bezieht sich grundsätzlich auf die vereinbarte Arbeitszeit und nicht auf die Arbeitsleistung. Es wird allerdings eine übliche Normalleistung auf Dauer erwartet. Er wird folgendermaßen berechnet: Zeitlohn = Lohnsatz je Zeiteinheit × Anzahl der Zeiteinheiten z.B. 2.600 €/ Monat = 16,25 €/ Stunde × 160 Stunden/ Monat Beim reinen Zeitlohn ist mit einer Leistungssteigerung kein finanzieller Anreiz verbunden. Da kein direkter Bezug zwischen Entgelt und Leistung besteht, wirken sich Mehr- oder Minderleistungen nicht im Entgelt des Mitarbeiters aus, sie gehen zu Gunsten oder zu Lasten des Unternehmens. Die Lohnkosten pro Stunde sind bei einem Zeitlohn grundsätzlich konstant. Die Lohnstückkosten jedoch mit der Leistung variieren. Erbringt ein Mitarbeiter eine höhere Leistung pro Zeiteinheit als die Normalleistung, dann sinken bei konstantem Entgelt die Lohnkosten pro Leistungseinheit. Umgekehrt steigen sie, wenn er in derselben Zeit weniger leistet als normal, aber das gleiche Entgelt erhält. Der reine Zeitlohn findet z.B. in diesen Arbeitssituationen Anwendung: besondere Bedeutung der Qualität der Arbeit erhebliche Unfallgefahr sich häufig ändernde Arbeitsinhalte quantitativ schwer bestimmbare Leistungen nicht beeinflussbares Arbeitstempo Gefahr erhöhter Gesundheitsschäden schöpferische, künstlerische, kreative Arbeiten Arbeiten mit häufigen Unterbrechungen des Arbeitsablaufs reine Kontrolltätigkeiten Der reine Zeitlohn ist bei bestimmten Aufgabenstellungen die einzige sinnvolle Entgeltform. Es handelt sich beispielsweise um Notärzte, Feuerwehrleute oder Überwachungsstellen in einem Kernkraftwerk. Diese Mitarbeiter können weder den Leistungsumfang noch das Leistungsergebnis selbst beeinflussen. 400 400 Vgl. Kolb (2010), S. 353. 218 · 6 Personaleinsatz und Personalerhaltung Als Vorteile sind eine einfache Gehaltsabrechnung, die durchschnittliche Belastung der Mitarbeiter und der Betriebsmittel, die Verringerung von Unfallgefahren und die Erhöhung der Qualität durch Vermeidung von überhastetem Arbeiten zu nennen. Nachteilig ist vor allem, dass kein direkter Leistungsanreiz vorhanden ist und dass das Unternehmen das alleinige Risiko einer zu geringen Arbeitsleistung trägt. Um die Nachteile abzumildern, wird der reine Zeitlohn oft durch Zulagen ergänzt, die als Leistungszulage oder als Prämie gewährt werden können. Auch eine Kombination ist möglich. Leistungszulagen sind, was ihre Höhe und Bemessungsgrundlage anbelangt, häufig tarifvertraglich festgelegt, ansonsten können sie freiwillig aufgrund von Leistungsbeurteilungen gewährt werden. Die Höhe der Leistungszulage bemisst sich dann an Zielen, die zwischen dem Vorgesetzten und dem Mitarbeiter zu Beginn eines Beurteilungszeitraums - in der Regel ein Jahr - vereinbart werden. An dessen Ende wird der Zielerreichungsgrad ermittelt, der für die Höhe der Zulage in der nächsten Periode ausschlaggebend ist. Gleichzeitig werden neue Ziele für den nächsten Beurteilungszeitraum vereinbart. Eine Leistungszulage kann im Ganzen oder in mehreren Raten ausgezahlt werden. In vielen Unternehmen ist es üblich, sie durch zwölf zu teilen und monatlich zum Zeitlohn auszuzahlen. Das bedeutet, dass der Mitarbeiter für seine Leistung, die er im letzten Jahr erbracht hat, in jedem Monat des aktuellen Jahres eine festen Betrag als Zulage erhält, unabhängig vom Stand seiner derzeitigen Leitung. Diese wirkt sich erst bei der Leistungszulage des kommenden Jahres aus. Aufgrund des langen Zeitraums, der zwischen der Leistungserbringung und der Zahlung des zusätzlichen Entgelts liegt, ist die Leistungszulage nicht unmittelbar als Leistungsanreiz wirksam, da der Zusammenhang zwischen Leistung und Leistungszulage nicht ausreichend spürbar wird. Mit zusätzlichen oder alternativ gezahlten Prämien kann man diesen direkten Bezug zur Leistung herstellen. Sie werden unmittelbar mit der nächsten Entgeltzahlung - beispielsweise am Monatsende - ausgezahlt, gleich nachdem der Mitarbeiter eine prämienwirksame Leistung erbracht hat. Zulagen werden in der Regel als Zusatzzahlung zum Zeitlohn gewährt. Grundsätzlich ist jedoch auch eine Kombination mit den leistungsorientierten Entgeltformen - wie etwa dem Akkordlohn - problemlos möglich, wenn außer der Quantität der erbrachten Leistung noch andere leistungswirksame Faktoren bei der Aufgabenerfüllung eine bedeutsame Rolle spielen, etwa die Qualität der Leistung, die Ausschussquote oder eine Minimierung des Ressourcenverbrauch. 66.2.2.4.2 Akkordlohn Beim Akkordlohn handelt es sich um eine leistungsabhängige Entgeltform. Er wird für quantitativ messbare Leistungseinheiten gezahlt. Voraussetzungen für die Anwendung des Akkordlohns sind: Akkordfähigkeit Akkordreife direkte Beeinflussbarkeit der Arbeitsmenge 6.2 Anreizsysteme · 219 Akkordfähigkeit ist dann gegeben, wenn der Arbeitsablauf und die Arbeitsmethoden bekannt und festgelegt sind. Sie wiederholen sich in gleicher Art und Weise immer wieder und regelmäßig. Außerdem muss das Arbeitsergebnis quantifizierbar sein. Für die Akkordreife müssen Arbeitsplätze, Arbeitsvorgänge und Arbeitsabläufe so gestaltet werden, dass Mitarbeiter, die ausreichend eingearbeitet und geübt sind, diese Aufgaben störungsfrei erfüllen können. Als dritte Voraussetzung muss der Mitarbeiter direkten Einfluss auf die Höhe der Arbeitsmenge nehmen und die vorgegebene Zeit unterbieten können. Produktionstechniken, bei denen Arbeitsrhythmus und Arbeitsgeschwindigkeit vorgegeben sind und nicht von Mitarbeiterseite beeinflusst werden können, erfüllen diese Voraussetzung nicht. Zur Berechnung des Akkordlohns unterscheidet man zwischen Geldakkord oder Stückakkord und Zeitakkord. Das Ergebnis der Entgeltberechnung ist bei beiden Akkordarten gleich, lediglich die Berechnungsmethodik ist eine andere. Beim Geldakkord (Stückakkord) wird das Entgelt nach dieser Formel ermittelt: Akkordlohn Menge Geldsatz je = je × je Zeiteinheit Zeiteinheit Mengeneinheit z.B. 3.150 € je Monat = 1.500 Stück je Monat × 2,10 € je Stück Ein Mitarbeiter bekommt beispielsweise 3.150 € Akkordlohn pro Monat, wenn er 1.500 Stück herstellt und pro Stück 2,10 € gezahlt werden. Die Ausgangsüberlegung ist, dass er, wenn er mehr Einheiten herstellt, bei gleichem Geldsatz je Einheit einen höheren Akkordlohn im Monat erhält. Beim Zeitakkord erhält der Mitarbeiter ein umso größeres monatliches Entgelt, je weiter er unter der Vorgabezeit liegt, d.h. je weniger Zeiteinheiten er für die Erstellung eines Teiles benötigt. Der Zeitakkord wird folgendermaßen berechnet: Akkordlohn Menge Vorgabezeit Geldfaktor je = je × je × je Zeiteinheit Zeiteinheit Mengeneinheit Vorgabezeit z.B. 3.150 € je Monat = 1.500 Stück je Monat × 6 Minuten je Stück × 0,35 € je Minute = 2,10 € je Stück (= Geldsatz je Mengeneinheit) 220 · 6 Personaleinsatz und Personalerhaltung Die Vorgabezeiten werden durch Zeitstudien ermittelt, in denen man die Haupt- und Nebentätigkeiten sowie die durchschnittlichen Unterbrechungszeiten berücksichtigt. Der Geldfaktor je Vorgabezeit (Akkordrichtsatz) entspricht dem Minutenbzw. dem Stundenverdienst eines Akkordarbeiters mit Normalleistung. Dieser liegt in der Praxis normalerweise ca. 15 bis 20 Prozent über dem Zeitlohn für eine vergleichbare Aufgabe. Damit soll die Bereitschaft zur Akkordarbeit honoriert werden. I.d.R. wird der Akkordlohn nach der Formel für den Zeitakkord ermittelt. Bei Tarifänderungen müssen dann nur die Stundenlöhne bzw. die Geldfaktoren je Vorgabezeit neu verhandelt werden. Bei der Verwendung des Geldakkords müssten hingegen alle Geldsätze neu berechnet und tarifvertraglich festgeschrieben werden. Wenn ein Mitarbeiter ohne eigenes Verschulden die Vorgabezeit überschreitet, ist ihm tarifbzw. arbeitsvertraglich ein Mindestlohn garantiert. Der Vorteil des Akkordlohns liegt in der leistungsgerechten Entlohnung. Er bietet einen direkten Anreiz zur Mehrleistung. Die Lohnkosten pro Leistungseinheit sind konstant. 401 Die höhere Arbeitsleistung hat jedoch den Nachteil, dass der Mitarbeiter schneller ermüdet und seine Gesundheit stärker belastet wird, was zu größeren Fehlzeiten und entsprechenden Folgekosten führen kann. Der Mitarbeiter erhält ein je nach Leistung schwankendes Monatsentgelt, was seine Lebensplanung erschwert. Außerdem werden die Betriebsmittel und die Werkzeuge schneller abgenutzt und weniger sorgfältig behandelt, da es bei der Arbeit hauptsächlich auf Schnelligkeit ankommt. Darunter leidet häufig die Qualität der erbrachten Leistung, sodass verstärkt Qualitätskontrollen erforderlich sind. Um zu verhindern, dass Mitarbeiter ständig an ihrer Leistungsgrenze arbeiten und damit ihre Gesundheit gefährden, ist es in Deutschland üblich, den Anreiz zu einer Mehrleistung nach oben zu begrenzen. Dann erhält man ab einer bestimmten Menge für eine zusätzliche Leistung kein zusätzliches Entgelt. Die Grenze liegt in der Regel bei 140 bis 150 Prozent der Normalleistung. Neben dem beschriebenen Einzelakkord gibt es den Gruppenakkord. Er wird grundsätzlich wie der Einzelakkord berechnet. Berechnungsgrundlage ist aber die Arbeitsmenge einer Gruppe anstelle derjenigen eines einzelnen Mitarbeiters. 402 Zur Entgeltaufteilung unter den Gruppenmitgliedern verwendet man Äquivalenzziffern, die z.B. das Verhältnis der Löhne bei Zeitlohn (nach Tarifgruppe) zueinander ausdrücken. Die Vorteile des Gruppenakkords liegen in der Förderung von kooperativem und zielorientiertem Verhalten sowie in der gegenseitigen Kontrolle der Mitarbeiter. Leistungsschwache werden zu größerer Leistung animiert, weil sie „mitziehen müssen“. Die Gruppe darf jedoch nicht zu groß sein, da dann der einzelne Mitarbeiter seine eigene Leistung nicht mehr gut beeinflussen kann. Der Anreiz zur Leistungssteigerung würde abnehmen und leistungsstarke Mitarbeiter würden unzufrieden, da sie weniger verdienen. 401 Vgl. Bröckermann (2012), S. 206. 402 Vgl. Jung (2017), S. 592. 6.2 Anreizsysteme · 221 In Deutschland ist der Proportionalakkord üblich, bei dem der Mitarbeiter oder die Gruppe pro Leistungseinheit immer denselben Betrag erhält. In anderen Ländern werden als zusätzlicher Leistungsanreiz auch progressiv steigende Akkordlöhne gezahlt. Der Akkordlohn verliert in der industriellen Fertigung immer mehr an Bedeutung, da Mitarbeiter bei zunehmender Automatisierung das mengenmäßige Arbeitsergebnis immer weniger beeinflussen können und gleichzeitig qualitative Faktoren immer wichtiger werden. 66.2.2.4.3 Prä mienlohn Der Prämienlohn enthält sowohl leistungsals auch anforderungsabhängige Elemente. Er wird zusätzlich zu einem Grundlohn gezahlt und kann sowohl mit dem Zeitlohn als auch mit dem Akkordlohn kombiniert werden. Prämienlohn wird in der Praxis vor allem dann gezahlt, wenn der Mitarbeiter aufgrund der Arbeitsbedingungen das Arbeitsergebnis beeinflussen kann. Die Prämien werden für bestimmte Sonderleistungen gewährt. Besonders häufig findet man Prämien für die Verringerung von Bestückungs-, Einricht-, Rüst- und Entleerungszeiten. 403 Da Produktionsanlagen oft sehr teuer sind, ist eine optimale Auslastung und Nutzung wichtig. Der Reduzierung von Leerzeiten kommt deshalb eine besondere Bedeutung zu. Auch für andere Sonderzahlungen finden sich in der Praxis, vor allem im Produktions- und im Verwaltungssektor, viele Beispiele. Gebräuchliche Prämienarten sind: Qualitätsprämien, die für die Verringerung von Ausschuss, Nacharbeitszeiten und sog. B-Ware gezahlt werden Ersparnisprämien, die man für den sorgfältigen Umgang mit Rohstoffen und eine bessere Materialausnutzung gewährt Nutzungsgradprämien, mit denen die optimale Auslastung der Betriebsmittel honoriert wird Quantitätsprämien, die für zusätzliche Mengenleistungen gezahlt werden Energiesparprämien für einen sparsamen Umgang mit Strom, Gas, Benzin etc. Termintreueprämien für die termingerechte Fertigstellung von Aufträgen Umsatzprämien, die vor allem im Vertrieb üblich sind Innovationsprämien für Verbesserungsvorschläge im Rahmen des betrieblichen Vorschlagswesens oder des kontinuierlichen Verbesserungsprozesses (KVP) Die jeweiligen Berechnungsgrundlagen werden manchmal - bisweilen mit unterschiedlicher Gewichtung - kombiniert und zu einer Verbundprämie zusammengefasst. Der Mitarbeiter erhält dann z.B. eine Prämie, die für die Verringerung von Ausschuss und für den sorgfältigen Umgang mit Rohstoffen gezahlt wird. 403 Vgl. Bühner (2005), S. 160. 222 · 6 Personaleinsatz und Personalerhaltung Neben Einzelprämien werden zunehmend Teamprämien gezahlt. Sie werden dann gewährt, wenn eine Arbeitsgruppe ein bestimmtes Ziel erreicht hat. Die Teamprämie wird analog zum Gruppenakkordlohn nach einem Äquivalenzschlüssel auf die Teammitglieder verteilt. Der Prämienverlauf kann unterschiedliche Formen annehmen, er kann linear, progressiv, degressiv oder gestuft sein. Einen Überblick gibt Abb. 6-18. Entgelt Leistung Prämienspanne Grundentgelt Grundleistung Leistungsspanne Abb. 6-18: Prämienverläufe Bei einem linearen Prämienverlauf wird das Grundentgelt bei jeder Einheit der Mehrleistung um den gleichen Betrag erhöht. Für den Mitarbeiter ist die Lohnentwicklung daher leicht und genau abzuschätzen. Mit der Zahlung von progressiven Prämien werden Höchstleistungen angestrebt, z.B. wenn sehr teure Fertigungssysteme ausgelastet werden müssen oder ein Auftrag unbedingt termin- 6.2 Anreizsysteme · 223 gerecht ausgeführt werden muss. 404 Der Mitarbeiter erhält für jede zusätzliche Leistungseinheit einen höheren Betrag als für die vorherige. Degressive Prämienzahlungen führen dazu, dass der Mitarbeiter eher geringe Mehrleistung erbringt, da jedes weitere Engagement weniger belohnt wird als das vorherige. Sie verhindern die erhöhte Abnutzung von Maschinen, die Qualitätsminderung der Produkte und vermeiden Gesundheitsschäden bei den Mitarbeitern. Um den rechnerischen Aufwand zu verringern, findet man in der Praxis außerdem - allerdings selten - gestufte Prämien. Die Prämienverläufe sind kombinierbar. So könnte eine Prämie beispielsweise zunächst einem linearen oder progressiven Verlauf folgen, um dem Mitarbeiter einen besonderen Leistungsanreiz zu bieten. Um zu verhindern, dass er seine Gesundheit zu sehr strapaziert, verläuft die Prämie aber ab einer zuvor bestimmten Leistungsgrenze degressiv, sodass der Anreiz zu weiteren Leistungssteigerungen abnimmt. 66.2.2.4.4 Pensumlohn Angesichts geänderter Arbeitsstrukturen sind in den letzten Jahren neue Formen der Entgeltzahlung entstanden. Der Pensumlohn wird auch als Fair Days Work, Festlohn mit geplanter Tagesleistung, überwachter Zeitlohn, Kontraktlohn und Programmlohn bezeichnet. Er weist Elemente verschiedener Entgeltformen auf. Er sieht eine bestimmte Sollleistung, das Pensum, vor. Dieses kann sich auf quantitative und/ oder qualitative Aspekte beziehen. 405 Die von ihm erwartete Leistung muss der Mitarbeiter über einen längeren Zeitraum erfüllen, er erhält dafür ein festes Grundentgelt. In regelmäßigen Abständen wird überprüft, ob er das vereinbarte Pensum erreicht. Eine Minderleistung hat zunächst keine Auswirkungen im aktuellen Zeitraum. Das Grundentgelt in der gesamten Periode trotzdem gleich. Es wird aber in der nächsten Periode an die geringere Leistung angepasst und abgesenkt. Eine höhere Leistung wirkt sich dagegen unmittelbar mit der nächsten Entgeltzahlung auf die Entgelthöhe durch Zahlung einer Prämie aus. Wenn ein Mitarbeiter über einen längeren Zeitraum regelmäßig eine höhere Leistung erbringt, als erwartet wurde, dann wird das Grundentgelt nach oben angepasst, weil man davon ausgeht, dass er auch in Zukunft grundsätzlich mehr Leistung erbringt, als man ursprünglich geplant hatte. Da sich eine geringere Leistung nicht unmittelbar auf das Entgelt auswirkt, kann der Mitarbeiter über einen längeren Zeitraum mit dem gleichen Grundgehalt rechnen. Insofern hat der Pensumlohn Ähnlichkeit mit dem Zeitlohn, dem ebenfalls ein direkter Leistungsbezug bei Minderleistung fehlt. 404 Vgl. Jung (2017), S. 595. 405 Vgl. ebd., S. 596; Becker (2010), S. 144; Olfert (2015), S. 400. 224 · 6 Personaleinsatz und Personalerhaltung Anders als beim Zeitlohn trägt nicht allein das Unternehmen das Risiko einer Minderleistung, da eine Entgeltreduzierung mit zeitlicher Verzögerung erfolgt. Eine zusätzliche Leistung führt ähnlich wie beim Akkordlohn zu einer unmittelbaren Entgeltsteigerung. Dies erhöht den Anreiz zur Mehrleistung, weil der Zusammenhang zwischen zusätzlicher Leistung und Entgelt umgehend sichtbar wird. 66.2.2.4.5 Potenzia llohn Der Potenziallohn (competency-based-payment) wird wie der Zeitlohn als festes Entgelt pro Periode gezahlt. Es handelt sich um eine anforderungsorientierte Entgeltart. Allerdings wird neben den aktuellen Anforderungen der Stelle auch die Qualifikation des Mitarbeiters bei der Entgeltfestlegung berücksichtigt und zwar unabhängig davon, ob sie für die derzeitige Tätigkeit von Belang ist oder nicht. 406 Das Unternehmen bietet mit dem Potenziallohn einen Anreiz zur Weiterbildung und motiviert die Mitarbeiter, nach zusätzlichem Wissen zu streben. Es fördert Mehrfachqualifikationen, die zwar eventuell zurzeit noch nicht benötigt werden, aber in der Zukunft von Bedeutung sein könnten. Man erhofft sich auf diesem Wege außerdem flexible Mitarbeiter, die Neuerungen grundsätzlich aufgeschlossen gegenüber stehen und im Bedarfsfall schnell einsatzfähig sind. Dabei besteht jedoch die Gefahr, dass wahllos Qualifikationen erworben werden, die für das Unternehmen letztlich dann doch nicht von Nutzen sind. 407 Dem kann durch ein systematisches Personalentwicklungskonzept begegnet werden. Es bleibt das Problem, wie eine zusätzliche Qualifikation in das Entgeltsystem eingeordnet werden soll und welchen finanziellen Wert eine Qualifikation hat, die zurzeit noch) nicht eingesetzt wird. Außerdem muss berücksichtigt werden, dass Qualifikationen im Zeitablauf veralten und überlegen, wie diese Problematik im Entgeltsystem eingebaut werden kann. 6.2.2.5 Sozialleistungen 6.2.2.5.1 Vorbem erkung Betriebliche Sozialleistungen sind Leistungen des Unternehmens, die über das Entgelt für die geleistete Arbeit hinausgehen. Sie haben keinen Bezug zu einer betrieblichen Erfolgsgröße. Sie können derzeitigen Mitarbeitern und deren Angehörigen oder auch ehemaligen Mitarbeitern sowie deren Angehörigen gewährt werden. Nach den Regelungsebenen unterscheidet man zwischen gesetzlichen, tariflichen und freiwilligen Sozialleistungen. 406 Vgl. Jung (2017), S. 913. 407 Vgl. Scherm/ Süß (2010), S. 130. 6.2 Anreizsysteme · 225 Da ein einzelnes Unternehmen auf die Gestaltung der gesetzlichen und in der Regel auch der tariflichen Sozialleistungen keinen Einfluss hat, beschränkt sich die aktive betriebliche Sozialpolitik auf die freiwilligen Sozialleistungen. Sozialleistungen können Geldleistungen, Sachleistungen und Nutzenleistungen sein. Geldleistungen werden direkt ausgezahlt und stehen dem Mitarbeiter zur freien Verfügung. Beispiele sind Urlaubsgeld, Weihnachtsgeld und Betriebsrente. Sachleistungen sind z.B. Waren aus der eigenen Produktion sowie Berufskleidung oder Verpflegung. Bei den Nutzenleistungen können die Mitarbeiter soziale Einrichtungen wie Sportstätten, Kindergärten und Werkswohnungen kostenlos oder vergünstigt nutzen. 408 Neben dauerhaften Leistungen unterscheidet man zwischen periodischen und einmalig gewährten Sozialleistungen. Ein Beispiel für Dauerleistungen sind Betriebsrenten. Weihnachtsgeld zählt zu den periodischen Leistungen. Bei einem Geld- oder Sachgeschenk zur Pensionierung handelt es sich um eine einmalige Sozialleistung. Betriebliche Sozialleistungen können einzelnen Mitarbeitern, bestimmten Gruppen oder der gesamten Belegschaft gewährt werden. Ein Firmenwagen z.B. ist eine Sozialleistung für einen einzelnen Mitarbeiter, bei Programmen zur Frauenförderung oder zur Integration gesundheitlich beeinträchtigter Menschen kommt die Sozialleistung einer Arbeitnehmergruppe zugute. Ernährungsprogramme oder Grippeschutzimpfungen richten sich an die gesamte Belegschaft. 66.2.2.5.2 Gesetzliche Sozia lleistung en Unter gesetzlichen Sozialleistungen versteht man alle Sozialleistungen, zu deren Erbringung das Unternehmen von Rechts wegen verpflichtet ist. Sie sollen die Arbeitnehmer gegen Risiken des Arbeitslebens absichern. Gesetzliche Sozialleistungen stellen eine Art Mindeststandard dar, der durch tarifliche und freiwillige Leistungen verbessert und ergänzt werden kann, jedoch nicht unterschritten werden darf. Die Leistungen werden vom Unternehmen allein oder gemeinsam von Unternehmen und Mitarbeiter erbracht. Sie umfassen: Sozialversicherungsbeiträge zur Renten-, Kranken-, Pflege- und Arbeitslosenversicherung, die vom Unternehmen und vom Mitarbeiter anteilig entrichtet werden Zahlungen für Ausfallzeiten wie Urlaubs-, Krankheits- und Feiertage Zahlungen für Betriebsunfallversicherungen Zahlungen, die sich aus der Fürsorgepflicht des Arbeitgebers ergeben, z.B. für Auszubildende, Schwerbehinderte und werdende Mütter Die ersten beiden Leistungen erbringen Arbeitnehmer und Arbeitgeber anteilig. Die anderen Leistungsarten muss der Arbeitgeber alleine tragen. 408 Vgl. Hentze/ Graf (2005), S. 207. 226 · 6 Personaleinsatz und Personalerhaltung 66.2.2.5.3 Tarifliche Sozia lleistung en Tarifvertragliche Regelungen werden zwischen den zuständigen Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden bzw. bei Haustarifverträgen zwischen einer Gewerkschaft und einem Großunternehmen vereinbart. Sie sollen die Arbeitnehmer zusätzlich zu den gesetzlichen Mindeststandards gegen Risiken des Arbeitslebens absichern. Mitglied einer Gewerkschaft waren in Westdeutschland in 2016 ca. 19,6 Prozent der Beschäftigten. In Ostdeutschland waren es 13,4 Prozent, gesamtdeutsch ergibt sich ein Prozentsatz von 18,5 Prozent. Jedoch sind gleichzeitig ca. 70 Prozent der Beschäftigten der Meinung, dass sie starke Gewerkschaften, die ihre Interessen vertreten, brauchen. 409 Engagieren wollen sich aber nur wenige. Das Institut der deutschen Wirtschaft spricht deshalb von einem Trittbrettfahrerproblem der Gewerkschaften. 410 Manchmal werden in Tarifverträgen Leistungen - etwa zusätzliche Urlaubstage - vereinbart, die nur Gewerkschaftsmitgliedern gewährt werden und den nicht gewerkschaftlich organisierten Mitarbeitern absichtlich nicht zugutekommen sollen. Damit wollen die Gewerkschaften erreichen, dass Arbeitnehmer in die Gewerkschaft eintreten und auf diesem Wege ihre Mitgliederzahlen erhöhen. Allerdings sind Ausschlussklauseln, in denen ein Arbeitgeber daran gehindert wird, seinen Mitarbeitern, die nicht gewerkschaftlich orientiert sind, freiwillig die gleichen Leistungen zu gewähren, nicht zulässig. Auch sog. Spannenklauseln, in denen geregelt wird, dass in diesem Fall die Gewerkschaftsmitglieder einen Ausgleich bekommen müssen, damit die vorherige Unterschiedsspanne erhalten bleibt, sind unzulässig. In 2017 galt für ca. 49 Prozent der westdeutschen Arbeitnehmer ein Verbandstarifvertrag und für 8 Prozent ein Haustarifvertrag. In Ostdeutschland waren es 34 Prozent bzw. 10 Prozent der Arbeitnehmer. Ca. 43 Prozent der westdeutschen und 56 Prozent der ostdeutschen Arbeitnehmer arbeiteten in nicht tarifgebundenen Unternehmen. 411 Keinen Tarifvertrag hatten in Westdeutschland 71 Prozent und in Ostdeutschland 81 Prozent der Betriebe. Etliche Unternehmen orientieren sich jedoch freiwillig an Tarifverträgen, sie wollen sich aber nicht in die Taftbindung zwingen lassen. Meistens lehnen sie Teile der Tarifverträge, wie z.B. Regelungen zu Weihnachts- oder Urlaubsgeld, den Arbeitszeiten oder der Dauer des Jahresurlaubs ab. 412 Unternehmen, die nicht tarifgebunden sind, müssen diese Leistungen nicht gewähren. Für Unternehmen, die aus einem Arbeitgeberverband ausgetreten sind, gelten die tariflichen Regelungen solange weiter, bis der jeweilige Tarifvertrag endet. Zahlreiche Unternehmen, insbesondere in den neuen Bundesländern angesiedelte, haben in den letzten Jahren von der Möglichkeit des Austritts Gebrauch gemacht. Sie versprechen sich insbesondere eine Senkung der Personalnebenkosten. 409 Vgl. Institut der Deutschen Wirtschaft (2019). 410 Vgl. ebd. 411 Vgl. Kohaut (2018). 412 Vgl. ebd. 6.2 Anreizsysteme · 227 Nach Ablauf des Tarifvertrags müssen zu den bislang tariflich geregelten Themen Betriebsvereinbarungen oder einzelvertragliche Vereinbarungen abgeschlossen werden, ansonsten bleibt der alte Tarifvertrag weiterhin gültig. Ein Haustarifvertrag ersetzt allerdings bereits beim Austritt des Unternehmens aus dem Arbeitgeberverband die Bestimmungen des Verbandstarifvertrags, selbst wenn er ungünstigere Bedingungen für die Mitarbeiter enthalten sollte. 413 Die wichtigsten tariflichen Regelungen betreffen: Arbeitszeit Urlaubsanspruch Zahlungen von zusätzlichem Urlaubsgeld über die gesetzliche Entgeltfortzahlung im Urlaub hinaus Zahlung von Weihnachtsgeld Zahlung vermögenswirksamer Leistungen zusätzlicher Schutz für bestimmte Arbeitnehmergruppen (z.B. ältere Arbeitnehmer, Arbeitnehmer mit Kindern) Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall über die gesetzlichen Regelungen hinaus 66.2.2.5.4 Freiwillig e Sozia lleistung en Bei freiwilligen Sozialleistungen handelt es sich um Leistungen, die das Unternehmen freiwillig zusätzlich zu den gesetzlichen und tariflichen Leistungen gewährt. Ein Anspruch des Mitarbeiters besteht nicht. Die Abgrenzung fällt allerdings häufig schwer, da das Unternehmen in seiner Entscheidung, ob es eine Leistung weiterhin gewährt oder abschafft, nicht immer frei ist. Oft müssen in früheren Zeiten gewährte Leistungen aufgrund von Betriebsvereinbarungen oder betrieblicher Übung beibehalten werden. Etliche freiwillige Sozialleistungen gehören zu den immateriellen Anreizen. Sie sind jedoch in diesem Kapitel mit aufgeführt, da diese Informationen zum Gesamtüberblick über die Sozialleistungen sinnvoll sind. Trotz ihrer Bezeichnung werden freiwillige Sozialleistungen nicht vorrangig aus sozialen Gründen gewährt, sondern dienen letztlich wirtschaftlichen Zwecken und sollen die Mitarbeiter zu Mehrleistungen animieren. 414 Ein empirischer Nachweis einer direkten leistungsfördernden Wirkung ist jedoch bislang nicht erbracht worden. Man unterscheidet zwischen ökonomischen, sozialen und politischen Zielen, die mit freiwilligen Sozialleistungen verbunden sind. Zu den ökonomischen Zielen gehören: Leistungssteigerung Personalbindung 413 Vgl. Horsch (2000), S. 273. 414 Vgl. Jung (2017), S. 607. 228 · 6 Personaleinsatz und Personalerhaltung Werbung bei der Personalbeschaffung Imagepflege Soziale Ziele sind beispielsweise: Stärkung des Verbundenheitsgefühls mit dem Unternehmen Förderung des Kommunikationsprozesses in formellen und informellen Gruppen Befriedigung sozialer Bedürfnisse der Mitarbeiter Als wichtigstes politisches Ziel erhoffen sich die Unternehmen mit der Zahlung freiwilliger Sozialleistungen eine geringere Affinität ihrer Mitarbeiter zu den Gewerkschaften. Da die Anzahl der Gewerkschaftsmitglieder in allen Bundesländern seit Jahren stetig sinkt, aktuell sind es nur noch ca. 18,5 Prozent der Beschäftigten, scheinen sie mit dieser Überlegung nicht so falsch zu liegen. Entsprechend kritisch beurteilen die Gewerkschaften freiwillige Sozialleistungen. Sie betrachten sie in erster Linie als vorenthaltenes Entgelt und kritisieren - da ihre Gewährung dem gewerkschaftlichen Einfluss entzogen ist - den unsicheren und uneinheitlichen Charakter der Leistungen. Außerdem sehen sie die Entscheidungsfreiheit des Arbeitnehmers eingeschränkt, der möglicherweise ein Unternehmen nur deshalb nicht verlässt, weil er seinen Anspruch auf die freiwilligen Sozialleistungen nicht verlieren möchte. Freiwillige Sozialleistungen sind dann sinnvoll, wenn sie Mitarbeiter tatsächlich zur Leistung motivieren. Vielfach werden sie jedoch nach dem Gießkannenprinzip verteilt, d.h. sie kommen jedem Mitarbeiter zugute, gleichgültig, ob dieser sie benötigt oder nicht und ob er daran interessiert ist oder nicht. Ob und inwieweit sie tatsächlich als Leistungsanreiz wirken und ihre oben genannten Zwecke erfüllen, bleibt in diesem Fall ungewiss. Um die genannten Ziele zu erreichen, stehen praktisch unbegrenzt viele Möglichkeiten zur Verfügung. Einen Überblick über wichtige freiwillige Sozialleistungen zeigt Abb. 6-19. Bei sehr vielen Unternehmen erhalten die Mitarbeiter Smartphones oder Tablets. Auch Tickets im öffentlichen Nahverkehr sind sehr populär. Dienstwagen gibt es dagegen recht selten. 415 In den letzten Jahren haben Altersvorsorgeleistungen in Deutschland stark an Bedeutung gewonnen, da die gesetzliche Rente zur Absicherung im Alter nicht mehr ausreichend ist. Daneben ist Gesundheitsvorsorge ein großes Thema. Seit einiger Zeit sind auch Wellness- Programme in Mode gekommen. Diese aus den USA stammende Idee soll das Gesundheitsbewusstsein der Mitarbeiter erhöhen. Ein gesunder Lebensstil kann beispielsweise durch Broschüren und Videos, Diätprogramme, vegetarisches Kantinenessen, Ernährungsberatungen oder kostenlose Gesundheits-Check-ups vermittelt werden. Häufig sind Sportprogramme darin enthalten. Auch Seminare für Stressbewältigung bis hin zur Betreuung bei Suchtproblemen werden oft einbezogen. Die systematische Steuerung dieser Aktivitäten zur langfristigen Erhaltung der physischen und psychischen Gesundheit der Mitarbeiter bezeich- 415 Vgl. o.V. (2019), S. C 1. 6.2 Anreizsysteme · 229 net man als Gesundheits- oder Health Care Management. Es wird ausführlicher in Kapitel 6.2.3.6 besprochen. Auch die Bedeutung der Schuldnerberatung nimmt in den letzten Jahren stetig zu, da die Verschuldung in allen gesellschaftlichen Schichten wächst. Immer mehr Unternehmen bieten ihren Mitarbeitern in Form von Einzelberatungen und von Seminaren zum Umgang mit Schulden fachmännische Hilfe an. Freiwillige Sozialleistungen Vorsorgeleistungen Geldleistungen Sachleistungen Fürsorge und Gesundheitspflege sonstige Leistungen Betriebliche Altersversorgung Invaliditätsversorgung Hinterbliebenenversorgung Unfallversicherung Lebensversicherung Vermögenswirksame Leistungen Weihnachtsgeld Urlaubsgeld 13. Monatsgehalt Beihilfen Dienstaltersprämie Jubiläumszuwendung Fahrtkostenzuschuss Essenszuschuss Umzugszuschuss Firmendarlehen Firmenwagen Arbeitskleidung Eigenerzeugnisse / Deputate Mitarbeiterrabatte Preisnachlässe bei umliegenden Unternehmen Kostenlose Getränke und Früchte bzw. sonstige Verpflegung Tablets Smartphones kostenlose Vorsorgeuntersuchungen Grippeschutzimpfungen Gesundheitsdienst und Werksfürsorge Sportprogramme Wellnessprogramme Krankenrückkehrgespräche Social Freezing Bildungsangebote Freizeitangebote Werkswohnungen Kinderbetreuung Elder Care Mobilitätshilfen Beratungs- und Betreuungsangebote Concierge- Dienste Dual Career Programme Abb. 6-19: Überblick über die wichtigsten freiwilligen Sozialleistungen Krankenrückkehrgespräche zählen ebenfalls zu den freiwilligen Sozialleistungen. Zusätzliche Aktualität hat das Thema durch die Verpflichtung zu einem Betrieblichen Eingliederungsmanagement (BEM) 416 erlangt, welche im SGB IX festgeschrieben ist. Kehrt ein Mitarbeiter nach einer Krankheit in das Unternehmen zurück, treffen sich Vorgesetzter und/ oder Personalabteilung und Mitarbeiter zu einem Gespräch. Dabei geht es nicht um die Krankheit an sich, vielmehr soll dem Mitarbeiter die Arbeitsaufnahme erleichtert werden, etwa indem man ihn über alle wichtigen Ereignisse während seiner Abwesenheit informiert. Außerdem will man in Erfahrung bringen, ob die Krankheit mit der Arbeitssituation in Zusammenhang steht. Mögliche Ursachen könnten z.B. Über- und Unterforderung, die 416 Vgl. Stöpel (2001), S. 58 ff. 230 · 6 Personaleinsatz und Personalerhaltung Arbeitsatmosphäre oder widrige Umwelteinflüsse wie Lärm und Zugluft sein. Dem Mitarbeiter soll durch das Krankenrückkehrgespräch außerdem vermittelt werden, dass er als Mensch wertgeschätzt und nicht lediglich als Arbeitskraft betrachtet wird. Unternehmen, die Krankenrückkehrgespräche eingeführt haben, sehen darin einen wichtigen Faktor zur Reduzierung von Fehlzeiten. Zum einen kann der Vorgesetzte erkennen, ob die Fehlzeit krankheits- oder motivationsbedingt war und ggf. Maßnahmen einleiten. Zum anderen hat das Rückkehrgespräch bei Mitarbeitern, die durch häufiges Fehlen auffallen, oft einen disziplinierenden Effekt. Seit einiger Zeit wird der Unterstützung bei der Betreuung von Kindern von Unternehmensseite immer größere Aufmerksamkeit beigemessen. Neuerdings erkennt man auch das Problem der Betreuung der älteren Angehörigen (Elder Care) und überlegt sich Unterstützungsmaßnahmen. So will man dafür sorgen, dass zusätzliche familiäre Belastungen für die Mitarbeiter reduziert werden. In diesem Zusammenhang sind auch sorgfältig geplante Return-Programme zunehmend von Bedeutung. Sie sollen Mitarbeitern, die für eine bestimmte Zeit aus dem Arbeitsleben ausgestiegen sind oder ihren Arbeitsumfang reduziert haben, den passgenauen Wiedereinstieg ermöglichen. Dazu wird festgelegt, wie sie den Kontakt zum Unternehmen halten und welche Weiterbildungsmaßnahmen für den Wiedereinstieg sinnvoll bzw. notwendig sind. Auch wird besprochen, ob es z.B. möglich und nützlich sein könnte, wenn diese Mitarbeiter zu Urlaubs- oder Krankheitsvertretungen herangezogen werden, um inhaltlich auf dem Laufenden zu bleiben. Da vielen Mitarbeitern wenig Zeit für private Angelegenheiten bleibt, bieten einige Unternehmen Concierge-Dienste an. Es handelt sich beispielsweise um Besorgungen, Behördengänge, Einkaufsservice, Autopflege, Konzertkartenreservierungen etc. die vom Unternehmen organisiert werden. 417 Da den Mitarbeitern diese Tätigkeiten abgenommen werden, können sie sowohl gedanklich als auch zeitlich bei ihren Arbeitsaufgaben bleiben. Recht neu ist die Idee des Social Freezing aus den USA nach Deutschland gekommen. Mit dem Einfrieren der Eizellen soll jungen Frauen die Möglichkeit geboten werden, beruflichen Erfolg und Kinderwunsch besser planen und aufeinander abstimmen zu können. Die Unternehmen übernehmen dabei die Kosten für die Konservierung der Eizellen und bieten den Frauen eine Möglichkeit, zum genau „richtigen Zeitpunkt“ innerhalb ihrer beruflichen Tätigkeit Kinder zu bekommen. Dieses Anreizinstrument wird sehr kontrovers diskutiert. Einerseits wird es als neue Freiheit für karriereorientierte Frauen mit größeren Wahl- und Handlungsmöglichkeiten bejubelt und als besondere Vorsorge seitens des Unternehmens angesehen. Andererseits wird es aber auch sehr kritisch betrachtet. Es wird als Manipulationstechnik angesehen, da den Frauen suggeriert wird, dass jeder Bereich des Lebens optimiert werden muss und Arbeitsökonomie die Lebensqualität verbessert. 418 Bei immer mehr Paaren legen heutzutage beide Partner Wert auf eine eigene Karriere. Oft sehen sie ihren Beruf nicht nur als Gelderwerb, sondern er ist Teil ihres Selbstverständnisses. 417 Vgl. Bröckermann (2012), S. 305. 418 Vgl. Schwarz (2015), S. 418 ff. 6.2 Anreizsysteme · 231 Sie müssen sich häufig langfristig auf Fernbeziehungen einlassen oder einer der Partner muss (zeitweise) auf seine Karriere verzichten. Hier bieten große Unternehmen und insbesondere auch Forschungsinstitute und Universitäten zunehmend sog. Dual Career Programme an. Sie unterstützen die karriereorientierten Partner ihrer Mitarbeiter bei deren eigener beruflicher Laufbahn. So können sie hochqualifizierte Mitarbeiter, die sich nicht auf eine Fernbeziehung einlassen wollen, anwerben und halten. 6.2.2.6 Mitarbeiterbeteiligungssyteme Der Arbeitgeber trägt als Kapitalgeber in einer Marktwirtschaft das finanzielle Risiko der unternehmerischen Aktivitäten, weshalb ihm grundsätzlich der volle Gewinn zusteht. Die Mitarbeiter erhalten für ihre geleistete Arbeit Entgelt und Sozialleistungen. Wenn sie darüber hinaus zielorientiert und strukturiert am Erfolg oder (selten) auch am unternehmerischen Risiko beteiligt werden, spricht man von finanziellen Mitarbeiterbeteiligungssystemen. Man unterscheidet Erfolgsbeteiligungen und Kapitalbeteiligungen. Beide Formen sind in Deutschland eher in Großunternehmen verbreitet 419 , womit sie der Mehrheit der Arbeitnehmer nicht zugutekommen. Von den finanziellen Mitarbeiterbeteiligungssystemen abzugrenzen ist die Mitarbeiterbeteiligung, die sich auf die Mitwirkungsrechte der Arbeitnehmer bei Entscheidungen bezieht, etwa nach dem BetrVG. 66.2.2.6.1 Ziele der Mita rbeiterbeteilig ung Obwohl Mitarbeiterbeteiligungen ursprünglich aus sozialpolitischen Gründen eingeführt wurden, stellen sie keine Sozialleistungen im eigentlichen Sinne dar, da für die Vergabe stets eine leistungsabhängige Bemessungsgrundlage herangezogen wird. 420 Neben dem Unternehmen hat auch der Staat ein Interesse an der Mitarbeiterbeteiligung. Sie verfolgen mit Beteiligungssystemen höchst unterschiedliche Ziele: Zu den verteilungs- und gesellschaftspolitischen Zielen gehört die Umverteilung von Eigentum am Produktivvermögen. Eine breite Vermögensstreuung wird von staatlicher Seite gewünscht und gefördert. Sie soll die wirtschaftliche Macht Einzelner begrenzen, den Abbau sozialer Spannungen in der Gesellschaft begünstigen und auf diesem Wege die bestehende Wirtschaftsordnung stützen. Unter finanzwirtschaftlichen Gesichtspunkten stellen Beteiligungssysteme eine Form der Kapitalbeschaffung für das Unternehmen dar. Sie bieten die Möglichkeit, die Eigenkapitalbasis zu erhöhen, die Kapitalzusammensetzung zu verändern und zusätzliche Liquidität zu beschaffen. Aus personalpolitischer Sicht runden sie ein leistungsorientiertes Entgeltsystem ab und können als Instrument der betrieblichen Altersversorgung eingesetzt werden. Sie 419 Vgl. Berthel/ Becker (2017), S. 638 ff. 420 Vgl. Oechsler/ Paul (2015), S. 394 f. 232 · 6 Personaleinsatz und Personalerhaltung bieten einen zusätzlichen Leistungsanreiz, da sich die Mitarbeiter dann eher mit dem Unternehmen und seinen Zielen identifizieren und ihr Handeln stärker an dessen wirtschaftlichem Erfolg ausrichten. Außerdem erhoffen sich Unternehmen einen positiven Effekt auf die Fluktuationsrate und die Fehlzeiten. Zudem fördern Mitarbeiterbeteiligungen ein positives Unternehmensimage. 421 Die Überlegungen von Guski/ Schneider aus den 1980er-Jahren, dass in Großunternehmen die verteilungs- und gesellschaftspolitischen Aspekte stärker im Vordergrund stehen, während kleine und mittlere Unternehmen vor allem die Vorteile bei der Motivation und Finanzierung schätzen, dürften auch heute noch ihre Gültigkeit haben. 422 66.2.2.6.2 Erfolg sbeteilig ung en Unter Erfolgsbeteiligung versteht man materielle Leistungen, die den Mitarbeitern gewährt werden, wenn das Unternehmen einen Erfolg erzielt. In der Praxis haben sich zahlreiche Formen herausgebildet, die wichtigsten sind in Abb. 6-20 aufgeführt. Formen der Erfolgsbeteiligung Ertragsbeteiligung Gewinnbeteiligung Leistungsbeteiligung Umsatzbeteiligung Rohertragsbeteiligung Nettoertragsbeteiligung Wertschöpfungsbeteiligung Bilanzgewinnbeteiligung Ausschüttungsgewinnbeteiligung Substanzgewinnbeteiligung Produktionsmengenbeteiligung Produktivitätsbeteiligung Kostenersparnisbeteiligung Aktienoptionen Stock Options Stock Apprications Rights Phantom Stocks Abb. 6-20: Erfolgsbeteiligung 423 Die Ertragsbeteiligung bemisst sich an den abgesetzten Leistungen eines Unternehmens. Als Bemessungsgrundlage können Umsatz, Roh- oder Nettoertrag oder Wertschöpfung herangezogen werden. Bei der Umsatzbeteiligung erhält der Mitarbeiter einen Anteil an den Umsatzerlösen. Dabei werden auch außerordentliche Erträge berücksichtigt. Beim Rohertrag als Bezugsgröße werden diese herausgerechnet. Zieht man außerdem die kalkulatorischen 421 Vgl. Hummel/ Zander (2011), S. 185. 422 Vgl. Guski/ Schneider (1983), S. 112. 423 Vgl. Oechsler/ Paul (2015), S. 396; Fremppel/ Zander (2011), S. 20; Jung (2017), S. 610. 6.2 Anreizsysteme · 233 Kosten und betrieblichen Aufwendungen ab, erhält man den Nettoertrag. Bei der Wertschöpfung handelt es sich um die Differenz zwischen Rohertrag und Vorleistungskosten. 424 Die Höhe der Gewinnbeteiligung hängt von der Gewinnentwicklung und der Marktlage des Unternehmens ab. Sie ist die in der Praxis am häufigsten anzutreffende Form der Erfolgsbeteiligung. Als Bemessungsgrundlage kann der Bilanz-, der Ausschüttungs- oder der Substanzgewinn verwendet werden. Bei einer Beteiligung am Bilanzgewinn ist entweder die Steuer- oder die Handelsbilanz maßgeblich. Der Ausschüttungsgewinn ist derjenige Teil des Gewinns, der an die Anteilseigner ausgezahlt wird. Er ist niedriger als der Bilanzgewinn. Beim Substanzgewinn wird zusätzlich zum Bilanzgewinn die Veränderung des Unternehmenswerts berücksichtigt. Er kann - je nachdem, ob der Unternehmenswert gestiegen oder gesunken ist - höher oder niedriger als der Bilanzgewinn ausfallen. Bei der Leistungsbeteiligung werden bestimmte Leistungen als Basis für die Erfolgsbeteiligung verwendet. Beim Überbzw. Unterschreiten einer zuvor definierten Grenze wird die Beteiligung fällig, unabhängig davon, ob das Unternehmen Gewinn erwirtschaftet hat oder nicht. 425 Eine Erhöhung der Produktionsleistung führt beispielsweise zur Zahlung einer Produktionsmengenbeteiligung. Die Produktivitätsbeteiligung wird gewährt, wenn ein bestimmtes Verhältnis zwischen Input und Output überschritten wird. Bei der Kostenersparnisbeteiligung erhalten die Mitarbeiter eine Beteiligung, wenn die Sollkosten unterschritten werden. Mit Aktienoptionen hat der Mitarbeiter das Recht, Aktien zu vertraglich vereinbarten Bedingungen zu erwerben. In der Regel werden Aktienoptionen unentgeltlich als zusätzliche Vergütung gewährt. 426 Die Mitarbeiter erhalten die Aktien erst nach einer bestimmten Zeit bzw. dürfen sie erst nach einem festgelegten Zeitraum verkaufen. Der Erfolg hängt von der Aktienentwicklung ab. Entsprechend erwarten Unternehmen, dass ihre Mitarbeiter motiviert und leistungsorientiert sind, um so zum Steigen des Aktienkurses beizutragen. Die Erfolgsbeteiligung muss nicht unbedingt ausgezahlt werden, sie kann auch durch Umwandlung in eine Kapitalbeteiligung ganz oder teilweise im Unternehmen verbleiben. Den meisten Unternehmen ist am Verbleib gelegen, denn so ist längerfristig mit einer engeren Bindung der Mitarbeiter an das Unternehmen zu rechnen. Auch Mitarbeitern bietet die Umwandlung Vorteile, denn für ausgezahlte Erfolgsbeteiligungen müssen sie Einkommensteuer entrichten. Außerdem ist eine aktive Einflussnahme auf die Unternehmensentwicklung nur möglich, wenn die Mitarbeiter am Kapital beteiligt sind. 66.2.2.6.3 Kapita lbeteilig ung en Man unterscheidet zwischen Fremdkapital- und Eigenkapitalbeteiligung. Die Eigenkapitalbeteiligung wird weiter in direkte und indirekte Beteiligung differenziert (s. Abb. 6-21). Bei Fremdkapitalbeteiligungen stellt der Mitarbeiter dem Unternehmen für einen bestimmten Zeitraum einen Geldbetrag zur Verfügung und erhält dafür eine Verzinsung. Mitspracherechte, was die Entwicklung des Unternehmens anbelangt, erwirbt er dadurch nicht. 424 Vgl. Jung (2017), S. 610 f.; Hentze/ Graf (2005), S. 184 f. 425 Vgl. Oechsler (2011), S. 429. 426 Vgl. Jung (2017), S. 612. 234 · 6 Personaleinsatz und Personalerhaltung Mitarbeiterschuldverschreibungen sind festverzinsliche Wertpapiere, die die Mitarbeiter zu einem bestimmten Kurs erwerben können. Üblich sind Gewinnschuldverschreibungen, bei denen zusätzlich zum Festzins ein Gewinnanteil ausgezahlt wird, und Wandelschuldverschreibungen, bei denen später eine Umwandlung in Unternehmensanteile möglich ist. Formen der Kapitalbeteiligung Fremdkapitalbeteiligung Eigenkapitalbeteiligung Mitarbeiterschuldverschreibung Mitarbeiterdarlehen direkte Beteiligung indirekte Beteiligung an Personengesellschaften an Kapitalgesellschaften Aktionär einer AG Gesellschafter einer GmbH Kommanditist einer KGaA Kommanditist einer KG Gesellschafter einer GmbH & Co. KG Gesellschafter einer OHG stiller Gesellschafter Abb. 6-21: Kapitalbeteiligung Beim Mitarbeiterdarlehen erhält der Mitarbeiter für seine Kapitalüberlassung ein Entgelt, also eine Verzinsung. Nach Ablauf eines zuvor vereinbarten Zeitraums bekommt er seinen Geldbetrag wieder zurück. Fristen, Höhe und Zeitpunkt der Rückzahlung sind frei verhandelbar. Das gilt auch für die Zinshöhe, die sich i.d.R. an einem kapitalmarktüblichen Zinssatz orientiert, bzw. diesen überschreitet. Die Mitarbeiter haben gegenüber konventionellen Anlagealternativen einen finanziellen Vorteil und das Unternehmen muss die evtl. strengen Auflagen von Kreditinstituten nicht einhalten und erkauft sich diese Flexibilität mit einem höheren Zinssatz. Gelegentlich variiert die Zinshöhe auch mit der Ertragslage des Unternehmens. Durch eine Eigenkapitalbeteiligung ist der Mitarbeiter am Gewinn und ggf. auch am Verlust des Unternehmens beteiligt. Es gibt direkte, indirekte und kombinierte Formen der Eigenkapitalbeteiligung. Da der Mitarbeiter zum Miteigentümer des Unternehmens wird, besteht grundsätzlich kein Anspruch auf Rückzahlung des eingesetzten Kapitals. Kommanditisten einer KG oder GmbH & Co. KG haften nur mit ihrer Eigenkapitalbeteiligung. Als Miteigentümer werden die Mitarbeiter ins Handelsregister eingetragen. Da sie auch steuerlich als Eigentümer angesehen werden, unterliegen ihre Einkommen der Gewerbesteuer. Weitere handelsrechtliche Vorschriften - wie der notarielle Vertrag und der Fixkos- 6.2 Anreizsysteme · 235 tencharakter des Stammkapitals - erschweren die Anwendung dieser Beteiligungsformen in der Praxis. 427 Bei der Beteiligung als Gesellschafter einer OHG kommt noch hinzu, dass die Gesellschafter mit ihrem Privatvermögen für Verbindlichkeiten des Unternehmens haften. Die Nachteile führen dazu, dass diese beiden Formen der Eigenkapitalbeteiligung in der Praxis kaum vorkommen. Wenn Mitarbeiter als stille Gesellschafter beteiligt sind, leisten sie eine Kapitaleinlage in das Vermögen des Unternehmens. Die Haftung ist auf diese Einlage beschränkt. Die Mitarbeiter treten nach außen nicht als Gesellschafter auf und sind auch nicht im Handelsregister eingetragen. Stille Gesellschafter sind zwingend am Unternehmensgewinn beteiligt, eine Verlustbeteiligung kann jedoch ausgeschlossen werden. Vor allem in mittelständischen Personengesellschaften ist diese Beteiligungsform von größerer Bedeutung. Bei Aktiengesellschaften ist die Belegschaftsaktie die bekannteste Form der Kapitalbeteiligung. Sie ist auch bei Kommanditgesellschaften auf Aktien möglich. Der Mitarbeiter wird zum Miteigentümer des Unternehmens, indem er Aktien zu einem Vorzugspreis erwirbt oder sogar kostenlos erhält. Er haftet nur mit seiner Einlage und ist am Gewinn, jedoch nicht am Verlust des Unternehmens beteiligt. Bei Kurszuwächsen erhöht sich der Wert des eingesetzten Kapitals, bei Kursverlusten verringert er sich. In der Regel wird eine Sperrfrist vereinbart, in welcher der Mitarbeiter seine Aktien nicht veräußern darf. In der Praxis kommt es zudem regelmäßig vor, dass die Mitbestimmungsrechte der Eigentümer von Belegschaftsaktien eingeschränkt werden. Für GmbH-Gesellschafter gilt grundsätzlich eine Haftungsbeschränkung. Da neue Gesellschafter ins Handelsregister eingetragen werden müssen, jede Änderung der Einlagenhöhe und der Gesellschafterzahl beurkundet werden muss und außerdem zahlreiche steuerrechtliche Vorschriften zu beachten sind, ist diese Form der Eigenkapitalbeteiligung in der Praxis kaum verbreitet. Bei der indirekten Beteiligung sind die Mitarbeiter nicht selbst, sondern über eine Beteiligungsgesellschaft am Unternehmen beteiligt. Die Mitarbeiter halten keine Anteile des Unternehmens, bei dem sie beschäftigt sind, sondern Anteile an dieser Beteiligungsgesellschaft, die ihrerseits wiederum Anteile des Unternehmens besitzt. Von den Gewerkschaften wird diese Art der Kapitalbeteiligung den anderen Formen vorgezogen, da die Beteiligungsgesellschaften die Arbeitnehmerinteressen aus ihrer Sicht wirksamer vertreten können, als dies bei direkten Beteiligungen einzelner Mitarbeiter der Fall ist. Für die Unternehmen bietet die indirekte Beteiligung hingegen keine Vorteile, insbesondere da für ihre Mitarbeiter der direkte Bezug zu ihrem Unternehmen verloren geht. Entsprechend selten findet man diese Beteiligungsform in der Praxis. Gewerkschaften lehnen Kapital- und Erfolgsbeteiligungen aus grundsätzlichen Erwägungen ab. Wesentliche Kritikpunkte sind das doppelte Verlustrisiko und die Ungleichbehandlung der Arbeitnehmer. Denn je nach Beteiligungsform verliert der Mitarbeiter im Insolvenzfall nicht nur seinen Arbeitsplatz, sondern auch sein eingesetztes Kapital. Beschäftigte von er- 427 Vgl. Jung (2017), S. 614. 236 · 6 Personaleinsatz und Personalerhaltung folgreichen Unternehmen können durch eine Beteiligung zusätzliches Vermögen bilden, andere, die bei ertragsschwachen Unternehmen oder im öffentlichen Dienst beschäftigt sind, haben diese Möglichkeit nicht. 428 Außerdem handelt es sich bei den Beteiligungen aus Gewerkschaftssicht nicht um zusätzliche Einkommen, sondern um Beträge, die die Mitarbeiter erwirtschaftet haben und die ihnen deshalb eigentlich sowieso zustehen. Vor allem aber fürchten sie, dass durch eine direkte Beteiligung der Mitarbeiter an ihrem Unternehmen das Interesse an einer überbetrieblichen Arbeitnehmervertretung sinkt und der gewerkschaftliche Einfluss schwindet. 6.2.2.7 Besondere Aspekte der Vergütung von Führungskräften und Experten Die Vergütung von Führungskräften und hochwertigen Experten weist einige Besonderheiten auf. Normalerweise fehlt die Tarifbindung, sodass der Gestaltungsspielraum wesentlich größer ist. Da Leistung und Verhalten dieser beiden Mitarbeitergruppen großen Einfluss auf den Unternehmenserfolg haben, ist ihr Entgelt i.d.R. deutlich höher als dasjenige der übrigen Mitarbeiter. 429 Führungskräfte und Experten müssen flexibel sein und sich neuen Situationen nicht nur schnell anpassen, sondern diese auch den Unternehmenszielen entsprechend gestalten. Oft beeinflussen sie die mittel- und langfristige Zielerreichung des Unternehmens, weshalb es sinnvoll ist, einen Teil ihres Entgelts an taktische und strategische Aspekte zu knüpfen und die Entgelthöhe nicht ausschließlich an kurzfristigen Zielen festzumachen. Werden die Entgeltkomponenten jedoch erst nach einer längeren Zeit wirksam, sind sie nur wenig motivierend. So sind Aktienoptionen, die der betroffene Mitarbeiter erst nach mehreren Jahren einlösen kann, kaum ein Anreiz zur derzeitigen Mehrleistung. Deshalb sollte eine Kombination aus operativen, taktischen und strategischen Anreizen angewandt werden. Die Gesamtvergütung (Zieleinkommen, Total Compensation) besteht aus der Grundvergütung, den variablen Bestandteilen und Zusatzleistungen. Die Grundvergütung ist meist anforderungsbezogen und wird individuell vereinbart. Ihre Höhe hängt hauptsächlich von diesen Faktoren ab: Art und Umfang der Verantwortung Stellung in der Hierarchie des Unternehmens Art der Abteilung (z.B. Controlling als interner Dienstleister) Unternehmensgröße, eventuell Abhängigkeit vom Mutterkonzern allgemeines Vergütungsniveau im Unternehmen Existenz variabler Vergütungssysteme externe Personalbeschaffung oder interne Versetzung/ Beförderung 428 Vgl. Hentze/ Graf (2005), S. 203 ff. 429 Vgl. Berthel/ Becker (2010), S. 586 f. 6.2 Anreizsysteme · 237 konjunkturelle Lage Branche Angebot und Nachfrage nach Führungskräften/ Experten Daneben gehen bei modernen Vergütungssystemen auch qualifikationsorientierte Gesichtspunkte in die Festlegung der Grundvergütung ein. Damit sind sowohl die Grundausbildung, z.B. Bachelor- oder Masterstudium, als auch die berufliche und die Führungserfahrung sowie die Weiterbildungsmaßnahmen, die im Laufe der Berufstätigkeit absolviert wurden, gemeint. Außerdem wird die individuelle Leistung des Einzelnen oft bereits von vorneherein bei den Grundbezügen berücksichtigt, obwohl dieser Aspekt eigentlich die Berechnungsgrundlage der variablen Bezüge bildet. Führungskräfte bzw. Experten, die kontinuierlich eine hohe Leistung erbringen (sollen) bzw. in der Vergangenheit erbracht haben, erhalten deshalb häufig ein höheres Grundentgelt als eine durchschnittliche Person. Das gilt auch für Führungskräfte und Experten mit umfangreicher Erfahrung. Den variablen Bestandteilen der Vergütung kommt bei Führungskräften und Experten eine besondere Bedeutung zu. Sie beruhen auf der individuellen Leistung und der Erfüllung vereinbarter Ziele. Auch der Bereichsund/ oder Unternehmenserfolg wird regelmäßig als Bezugsgröße herangezogen. In der Regel hängt ein Teil des variablen Entgelts außerdem von den gemeinsamen Anstrengungen der Führungskräfte und Experten zur Zielerreichung ab. Dadurch werden die Kooperationsbereitschaft und das ressortübergreifende Denken gefördert sowie der Bereichsegoismus eingeschränkt. Der Trend geht in den letzten Jahren dahin, individuelle Leistungszulagen deutlich zu reduzieren und dafür teamorientierte Vergütungsmodelle zu präferieren. Während in der Vergangenheit in Deutschland variable Vergütungen sowie deren Anteil am Gesamtentgelt im internationalen Vergleich eher gering waren, haben sie sich in den letzten Jahren durchgesetzt. Auch das Entgelt von tariflichen Mitarbeitern enthält immer öfter variable Bestandteile. Die Tarifverträge enthalten dann eine sog. Öffnungsklausel. Variable Vergütungsanteile haben verschiedene Funktionen 430 : Motivationsfunktion: Die Gewährung einer leistungs- und erfolgsabhängigen Vergütung soll die Leistungsbereitschaft fördern. Informationsfunktion: Die Vergütungssysteme zeigen, welche Verhaltensweisen von Seiten des Unternehmens erwartet werden. Steuerungsfunktion: Durch die Auswahl der Kriterien, von deren Erreichung die Höhe der variablen Vergütung abhängt, wollen Unternehmen die Richtung und die Intensität des Verhaltens ihrer Mitarbeiter beeinflussen. Kooperationsfunktion: Die Gewährung von variablen Vergütungsanteilen soll die Mitarbeiter zu kooperativem Verhalten veranlassen, da sich sonst ihr Gesamtentgelt verringern könnte. 430 Vgl. Becker (2005), S. 1038. 238 · 6 Personaleinsatz und Personalerhaltung Veränderungsfunktion: Wenn sich die Anforderungen an die Mitarbeiter ändern, kann eine entsprechende Anpassung des Vergütungssystems dazu genutzt werden, die Bedeutung der Änderungen zu unterstreichen. Selektionsfunktion: Ein interessantes Vergütungssystem fördert die Bleibemotivation der Mitarbeiter und erhöht die Teilnahmemotivation potenzieller Bewerber. Gleichzeitig werden jedoch manche Personen von einem hohen variablen Entgeltanteil abgeschreckt, da das sichere Grundgehalt entsprechend geringer ausfällt. Zur Belohnung von kurzfristigen Erfolgen dienen operative Anreizsysteme, die auch als Tantiemensysteme bezeichnet werden. Es handelt sich meist um erfolgsabhängige Entgelte für eine überwiegend dispositive Tätigkeit. Um eine möglichst hohe Motivationswirkung zu erreichen, werden im Vorfeld die Tantiemenbasis, auf der die Vergütung gewährt wird, und der Tantiemensatz, der die Höhe bestimmt, festgelegt. Mittelbis langfristige Erfolge werden durch taktische Anreizsysteme entgolten. Die Basis bilden individuelle Leistungen und operative Unternehmensziele, die über mehrere Jahre hinweg immer wieder erreicht wurden. Die Führungskräfte sollen einen Anreiz haben, dauerhaft hohe Leistungen zu erbringen und den Erfolg ihres Teams, ihres Bereichs bzw. des Gesamtunternehmens dauerhaft im Blickfeld zu haben. Strategische Anreize unterstützen das Erreichen eines langfristigen, nachhaltigen Unternehmenserfolgs. 431 Sie kommen in Deutschland bislang meist nur in größeren Aktiengesellschaften vor, etwa als Aktien, Aktienoptionen oder Phantomaktien. 432 Auch Beteiligungen am Kursgewinn ohne die Übereignung von Aktien trifft man in der Praxis an. 433 Viele Unternehmen gewähren sowohl Anreize zur kurzals auch zur mittel- und langfristigen Zielerreichung. Für Führungskräfte kann sich dadurch ein Zielkonflikt ergeben. Denn da Generalistentum immer stärker gefördert wird, steigt die Anzahl der Positionswechsel, was dazu führt, dass Führungskräfte eine Stelle oft nicht lange genug besetzen, um langfristige Ziele im Blick zu haben. 434 Auch häufigere Unternehmenswechsel und mangelndes Vertrauen in die konjunkturelle Entwicklung sowie eine verstärkte Orientierung am Shareholder-Value begünstigen eine kurzfristige Denkweise. Nach der jüngsten Finanzkrise änderten insbesondere Banken, aber auch viele andere Unternehmen ihre Vergütungssysteme. Kurzfristige Erfolgsorientierung wurde zugunsten langfristiger Zielerreichung verringert. Die Schweizer UBS zahlt beispielsweise bei voller Zielerfüllung nur maximal ein Drittel der variablen Vergütung aus, der Rest fließt auf ein Sperrkonto. Bei Unternehmens- oder Bereichsverlusten wird dem Konto ein Malus abgezogen. Auch bei Aktienzuteilungen wird ähnlich verfahren. Während einer Sperrfrist von drei Jahren können die Aktien nicht veräußert werden. Ihre Freigabe ist zusätzlich an die Erfüllung weiterer Leistungskriterien gebunden. 435 431 Vgl. Steinmann/ Schreyögg (2005), S. 853. 432 Vgl. Femppel/ Zander (2011), S. 13; Doyé (2010), S. 421. 433 Vgl. Oechsler/ Paul (2015), S. 413 f. 434 Vgl. ebd. 435 Vgl. o.V. (2009 a), S. 15. 6.2 Anreizsysteme · 239 Bei anderen Großunternehmen ist ebenfalls ein Trend weg von kurzfristig ausgerichteten Vergütungssystemen zu beobachten. Bei Daimler wird z.B. ein Teil der variablen Vergütung des Vorstands an der langfristigen Aktienkursentwicklung festgemacht. Die Kapital- und Umsatzrendite im Vergleich zu anderen Automobilherstellern spielt ebenfalls eine Rolle. 436 Wird ein Teil der variablen Vergütung nicht ausgezahlt, sondern dem Mitarbeiter als Versorgungszusage gutgeschrieben, spricht man von Deferred Compensation. Sie unterliegt nicht sofort der Einkommenssteuer und bietet sich insbes. für denjenigen Teil des Entgelts an, der über der Beitragsbemessungsgrenze der gesetzlichen Sozialversicherung liegt, da dann keine negativen Auswirkungen auf den gesetzlichen Rentenanspruch entstehen. Die Summe der im Laufe der Jahre angesammelten Beträge wird erst dann versteuert, wenn die Leistung ausgezahlt wird, in der Regel nach dem Eintritt in den Ruhestand. Während der Aufschubzeit wird der unversteuerte Bruttobetrag zinsbringend angelegt, womit der Nettonutzen deutlich höher ist als bei einer sofortigen Barauszahlung oder einer Anlage nach Steuern. Die Auszahlung kann in einem Betrag oder in mehreren Raten erfolgen. Da im Rentenalter das verfügbare Einkommen und die individuelle steuerliche Belastung in der Regel geringer sind als während der Erwerbsphase, verringert sich der später zu zahlende Steuerbetrag durch einen geringeren Progressionssatz oft deutlich. Deferred Compensation Systeme lassen sich gut in Cafeteria-Systeme integrieren (vgl. Kapitel 6.2.4.2). Zusatzleistungen bilden die dritte Komponente der Führungskräfte- und Expertenvergütung. Dabei handelt es sich um heterogene, personenbezogene Privilegien, die i.d.R. einzelvertraglich ausgehandelt werden. Sie umfassen sämtliche Geld- und Sachleistungen, die nicht im Grundentgelt und den variablen Bezügen enthalten sind, wie z.B. Dienstwagen, zusätzliche Altersversorgung, Lebensversicherung oder besondere Arbeitsplatzausstattungen. Sie dienen der Sicherung und Verbesserung der Lebensqualität des Mitarbeiters und können einmalig oder wiederholt gewährt werden. Die Höhe und der Umfang hängen vor allem von der Position in der Unternehmenshierarchie ab. Da die Zusatzleistungen zum Teil für andere sichtbar sind, kommt das Unternehmen mit ihrer Gewährung auch dem Bedürfnis nach Statussymbolen entgegen. Aktuell gibt es Diskussionen in Wirtschaft und Wissenschaft darüber, inwieweit variable Entgeltbestandteile bei Führungskräften und Experten überhaupt ein sinnvolles Anreizinstrument sind. Eine Metastudie, die 128 Einzelstudien auswertet, stellt hierzu fest, dass die leistungssteigernde Wirkung in diesem Bereich kaum gegeben ist. An der individuellen Leistung und am kurzfristigen Erfolg orientierte Zusatzzahlungen seien vor allem bei Routineaufgaben sinnvoll. Bei kreativen Aufgaben mindern sie den Einfallsreichtum, weil die Mitarbeiter besonders auf ihre festgelegten Beurteilungskriterien achten und nicht innovationsfreudig sind. 437 Der Trend geht in den letzten Jahren dahin, individuelle Leistungszulagen deutlich zu reduzieren und dafür teamorientierte Vergütungsmodelle zu präferieren. 436 Vgl. o.V. (2009 a), S. 15. 437 Vgl. Löhr (2016), S. 24. 240 · 6 Personaleinsatz und Personalerhaltung 6.2.3 Ausgewählte immaterielle Anreize Bedeutende immaterielle Anreize stellen die Möglichkeiten der Personalentwicklung und die damit verbundenen Aufstiegsmöglichkeiten dar. Gleichzeitig sind sie ein wesentlicher Aspekt der Zukunftssicherung des Unternehmens. Aus diesem Grund wird die Personalentwicklung in einem eigenen Kapitel 8 ausführlich behandelt. 6.2.3.1 Arbeitsstrukturierung Unter Arbeitsstrukturierung versteht man alle Regelungen, Änderungen und Flexibilisierungen, die die Gestaltung der Arbeit betreffen. Durch neue Formen sollen die Nachteile der Stellenspezialisierung verringert bzw. vermieden werden. Man verspricht sich davon eine Steigerung der Motivation und Arbeitszufriedenheit sowie eine höhere Identifikation der Mitarbeiter mit dem Unternehmen und letztlich eine höhere Arbeitsleistung. Der Trend geht dahin, einerseits die Aufgaben- und Kompetenzbereiche der Mitarbeiter zu erweitern und andererseits die Team-Orientierung zu stärken. 66.2.3.1.1 Spezia lisierung versus Genera lisierung Die Stellenbildung ist die Basis der Arbeitsstrukturierung. Dazu muss zunächst die Gesamtaufgabe mittels Aufgabenanalyse in Teilaufgaben zerlegt werden. Diese Teilaufgaben fasst man durch die Aufgabensynthese zu Aufgabenkomplexen zusammen und verteilt sie unter Berücksichtigung des menschlichen Leistungspotenzials auf Stellen. Dabei wird von einem fiktiven, durchschnittlich qualifizierten Mitarbeiter ausgegangen, der dauerhaft eine normale Leistung erbringt. Konkrete mitarbeiterspezifische Belange bleiben in der Regel zunächst unberücksichtigt. Eine Ausnahme bildet nur die Aufgabenträgerzentralisation im Rahmen der personenorientierten Aufgabensynthese, 438 bei der Teilaufgaben entsprechend der spezifischen Qualifikation des Stelleninhabers kombiniert werden. Eine Stelle ist das Ergebnis der Zusammenfassung von Teilaufgaben zu Aufgabenkomplexen unter sachlichen und logischen Gesichtspunkten. Sie ist die kleinste organisatorische Einheit im Unternehmen. Bei der inhaltlichen Gestaltung der Aufgaben einer Stelle spielt die Spezialisierung eine wesentliche Rolle. Diese kann so weit gehen, dass der Mitarbeiter nur noch routinemäßige, sich ständig wiederholende Aufgaben - im Extremfall wenige Handgriffe - zu erfüllen hat. Nach dem Grundgedanken des Scientific Managements sind durch diese starke Spezialisierung höhere Leistungen des Stelleninhabers und zudem eine bessere Qualität der Produkte zu erwarten, da aufgrund die häufigen Wiederholungen und den damit verbundenen Übungseffekten gewohnheitsmäßige Bewegungsabläufe stattfinden. Zudem ist es nicht notwendig, sich gedanklich auf ständig wechselnde Verrichtungen einzustellen und dadurch Zeit zu verlieren, sodass die Arbeit schneller vonstattengeht. Wie tief die Spezialisierung tatsächlich gehen soll, muss im Einzelfall entschieden werden. Es gibt keinen idealen Spezialisierungsgrad. 438 Vgl. ausführlich zur Aufgabenanalyse und Aufgabensynthese Steinbuch (2001), S. 147 ff.; Nicolai (2018), S. 36 ff. 6.2 Anreizsysteme · 241 Eine starke Arbeitsteilung und die damit verbundene Spezialisierung führen zu folgenden Vorteilen: 439 Zeitersparnis durch Lerneffekte Verkürzung von Anlern- und Einarbeitungszeiten Senkung von Einsatzmengen und Kosten durch Größeneffekte eignungsgerechter Mitarbeitereinsatz aufgabenadäquate Ausrichtung des Arbeitsplatzes Einsatz gering qualifizierter und damit kostengünstiger Mitarbeiter Einsatz aufgabenadäquater und damit kostengünstiger sog. Einzweckmaschinen Die Spezialisierung bringt aber auch erhebliche Nachteile mit sich: 440 Unselbständigkeit der Mitarbeiter Verringerung der Anpassungs- und Umstellungsfähigkeit einseitige körperliche Belastung Monotonie eingeschränkte Möglichkeiten der sozialen Interaktion Entfremdung vom Endprodukt Arbeitsunzufriedenheit hohe Absentismusraten hohe Fluktuationsraten Leistungsminderungen niedrige Qualität der Arbeitsergebnisse erhöhte Ausschussquoten In modernen Industrie- und Dienstleistungsgesellschaften gilt heute ein sehr hoher Spezialisierungsgrad nicht mehr als zeitgemäß. Wegen der negativen Auswirkungen der Standardisierung und Spezialisierung verzichten immer mehr Unternehmen auf Extremformen der Arbeitsteilung zugunsten einer stärkeren Generalisierung. Die Gründe sind vielfältig: 441 instabile Unternehmensumwelt hohe Produktdiversifikation große Anforderungen an die Flexibilität 439 Vgl. Schulte-Zurhausen (2010), S. 153 ff. 440 Vgl. Bühner (2004), S. 120 f. 441 Vgl. Nicolai (2012), S. 59. 242 · 6 Personaleinsatz und Personalerhaltung kurze Produktlebenszyklen sich schnell ändernde Produktionsverfahren (im Gegensatz zu früher) relativ viele Arbeitnehmer, die gut qualifiziert sind und ihre Qualifikation auch einsetzen wollen Abb. 6-22 zeigt erwünschte Wirkungen, die mit der Generalisierung verknüpft werden. Generalisierungstendenzen Maßnahme erwünschte Wirkungen einzelner Maßnahmen insgesamt Veränderung von Arbeitsinhalt und Arbeitsumfang Erkennen des Produktionszusammenhangs Identifikation mit der Arbeit Verringerung der Monotonie Vermeidung einseitiger körperlicher Belastung Motivation Leistung Arbeitszufriedenheit Veränderung von Autonomiegraden und von Autonomiebereichen Stärkung des Verantwortungsgefühls Vergrößerung des Entscheidungsspielraums Stärkung der Selbstkontrolle Kenntnis der Ergebnisse und der eigenen Leistung schnelleres Eingreifen bei Fehlern Qualitätsverbesserung Verbesserung der sozialen Interaktionsmöglichkeiten Humanisierung des Arbeitsprozesses Veränderung der betrieblichen Sozialisation der Mitarbeiter Abb. 6-22: Generalisierungstendenzen und ihre Wirkungen 442 Neben den erwünschten Wirkungen der Generalisierung und den generellen Vorteilen höherer Motivation, Leistung und Arbeitszufriedenheit sind mit der Verringerung der Spezialisierung allerdings auch Nachteile verbunden: höhere Investitionen je Arbeitsplatz längere Anlern- und Einarbeitungszeiten zusätzliche Personalentwicklungskosten, da eine höhere Mitarbeiterqualifikation erforderlich wird höheres Entgelt für besser qualifizierte Mitarbeiter mit anspruchsvolleren Aufgaben 442 In Anlehnung an Hentze/ Kammel (2001), S. 451. 6.2 Anreizsysteme · 243 Der starke Zwang zum organisatorischen Wandel und damit die Generalisierungstendenzen beruhen auf marktwirtschaftlichen, technischen sowie gesellschaftlichen und sozialpolitischen Einflüssen. So geht die marktwirtschaftliche Entwicklung immer hin stärker zu Käufermärkten und weg von Verkäufermärkten, d.h. das Angebot an Waren und Dienstleistungen ist größer als die Nachfrage, es kommt zum „Kampf um den Kunden“. Der Wettbewerb wird härter, auch mittlere Unternehmen müssen sich zunehmend internationaler Konkurrenz stellen. Gleichzeitig fordern Käufer in vielen Bereichen mehr Flexibilität, z.B. in Form von Produktvarianten, bei den Liefer- und Zahlungsmodalitäten und beim Service. Diese Marktsituation führt zu größerer Qualitätsorientierung und zunehmendem Kostendruck bei gleichzeitig kürzeren Produktlebenszyklen. Des Weiteren wird der organisatorische Wandel durch technische Einflüsse begünstigt. Produktionsmittel und -techniken veralten immer schneller, sodass unter Kosten- und Investitionsgesichtspunkten eine möglichst intensive Nutzung und optimale Auslastung angestrebt wird. Die Mitarbeiter müssen mit den technologischen Änderungen Schritt halten und entsprechend qualifiziert werden. Flexibilität und Weiterbildung sollen Leerzeiten, in denen die Anlagen nicht genutzt werden, vermeiden oder minimieren. Letztlich sind auch gesellschaftliche und sozialpolitische Einflüsse ursächlich für die zunehmende Generalisierung bei der Arbeitsstrukturierung. Die meisten Mitarbeiter bringen heute eine bessere Anfangsqualifikation mit als früher, außerdem hat der gesellschaftliche Wertewandel die Einstellungen und Bedürfnisse hinsichtlich der Arbeitssituation verändert, die Erwartungen sind heute deutlich höher. Neue Konzepte der Arbeitsgestaltung sind als Anreize für den Mitarbeiter zu verstehen, seine Bedürfnisse in der Arbeitssituation verwirklichen zu können. Während früher vor allem unter humanitären Gesichtspunkten über Änderungen der Arbeitsstrukturierung und eine Verringerung der Spezialisierung diskutiert wurde, ergibt sich der Zwang zum organisatorischen Wandel heute aus ökonomischer Notwendigkeit. Wenn eine Abkehr von starker Spezialisierung aus wirtschaftlichen, technischen oder organisatorischen Gründen nicht möglich ist, kann eine Umgestaltung der Arbeitsumgebung die Nachteile der Spezialisierung zumindest verringern. Einseitiger körperlicher Belastung kann durch eine sinnvolle ergonomische Gestaltung des Arbeitsplatzes und der Arbeitsmittel begegnet werden. Optimale Beleuchtung hilft, die Fehlerquote zu verringern und dadurch die Qualität zu steigern. Harmonische und abwechslungsreiche Farben verändern zwar eine monotone Aufgabe nicht, schaffen aber wenigstens eine interessante Umgebung, während eine graue Farbgestaltung den eintönigen Eindruck monotoner Arbeiten noch verstärkt. Die bekanntesten Konzepte zur Generalisierung sind: 443 Job Enlargement Job Enrichment Job Rotation teilautonome Arbeitsgruppen 443 Vgl. Breisig (2005), S. 187 ff.; Schreyögg (2008), S. 120 ff. 244 · 6 Personaleinsatz und Personalerhaltung 66.2.3.1.2 Job Enla rg em ent, Job Enrichm ent und Job Rota tion Durch Job Enlargement (Aufgabenerweiterung) wird eine stark horizontale Arbeitsteilung rückgängig gemacht. Der Arbeitsumfang pro Arbeitszyklus wird durch die Zusammenfassung mehrerer gleichwertiger Aufgaben vergrößert. Das Anforderungsniveau der Stelle bleibt unverändert, es handelt sich um eine rein quantitative Umstrukturierung. Die Inhalte werden so erweitert, dass sie von einem einzelnen Mitarbeiter ohne größere Probleme beherrscht werden können. Ein einfaches Beispiel: Mitarbeiter 1 hat im Zeitraum X 150 Mal Aufgabe A zu erfüllen und Mitarbeiter 2 im selben Zeitraum 150 Mal Aufgabe B. Auf Mitarbeiter 3 entfällt 150 Mal Aufgabe C. Nach der Umstrukturierung hat jeder der drei Mitarbeiter je 50 Mal die Aufgaben A, B und C durchzuführen. Maßnahmen zur Arbeitserweiterungen trifft man sowohl im Produktionsals auch im Dienstleistungs- und im Verwaltungssektor an. Job Enlargement dient in erster Linie dazu, Monotonie und Demotivation sowie einseitige körperliche Belastungen zu vermeiden bzw. zu verringern. In empirischen Untersuchungen konnte eine Steigerung der Produktivität und der Qualität nachgewiesen werden. 444 Der Mitarbeiter erkennt aufgrund der vielfältigeren Aufgaben eher einen Sinn in seiner Arbeit und kann sie besser in einen Gesamtzusammenhang einordnen. Außerdem hat er mehr Abwechslung. Man geht darüber hinaus davon aus, dass er sich durch die Arbeitserweiterung stärker als bisher mit seinem Arbeitsergebnis identifiziert und ein größeres Verantwortungsbewusstsein entwickelt. Zu guter Letzt erhöht sich deshalb auch die Arbeitszufriedenheit. Der Mitarbeiter muss für das Job Enlargement über zusätzliche, gleichwertige Qualifikationen verfügen. In der Regel handelt es sich aber um leicht zu erlernende Verrichtungen. Außerdem müssen zusätzliche Sachmittel angeschafft bzw. Sachmittel verändert werden. Während im oben genannten Beispiel die drei Mitarbeiter vorher ein jeweils unterschiedliches Spezialwerkzeug für ihre Aufgabe benutzten, muss nun jeder, um seine erweiterte Arbeit zu erledigen, über alle drei Werkzeuge oder eine multifunktionale Maschine verfügen. Bei computergestützten Aufgaben müssen die Benutzerberechtigungen erweitert und eventuell zusätzliche Software angeschafft werden. Soziale Interaktionsmöglichkeiten werden durch die Arbeitserweiterung hingegen nicht verändert. Job Enrichment (Arbeitsbereicherung) zielt auf eine qualitative Veränderung der Arbeit, der Entscheidungs- und Kontrollspielraum des Mitarbeiters wird also vergrößert. Außerdem kommen qualitativ unterschiedliche Teilaufgaben hinzu. Es handelt sich daher nicht nur um eine horizontale, sondern auch um eine vertikale Aufgabenänderung. Die Arbeitsteilung wird in beide Richtungen reduziert. Der Mitarbeiter arbeitet selbständiger und übernimmt Verantwortung für die Aufgabenerfüllung, Fremdkontrolle wird weitgehend durch Selbstkontrolle ersetzt. Gleichzeitig erhält der Mitarbeiter Gelegenheit, seinen Arbeitsprozess individueller zu planen und seinen Bedürfnissen entsprechend zu gestalten. Die größere Selbstbestimmung fördert seine Persönlichkeitsentfaltung, außerdem werden starre hierarchische Strukturen gelockert, 445 denn die traditionelle Trennung von leitender (entscheidender) und ausführender Arbeit wird aufgebrochen. 444 Vgl. Hentze/ Kammel (2001), S. 453. 445 Vgl. Schulte-Zurhausen (2010), S. 160 f. 6.2 Anreizsysteme · 245 Da die Arbeitsbereicherung qualitativ unterschiedliche Teilaufgaben zusammenfasst, sind die notwendigen Personalentwicklungsmaßnahmen umfangreicher, langwieriger und kostenintensiver als beim Job Enlargement. Die Mitarbeiter müssen ihrerseits die Bereitschaft mitbringen, anspruchsvollere Aufgaben zu erfüllen, und das entsprechende Entwicklungspotenzial aufweisen. Die bessere Qualifikation ist i.d.R. mit einem höheren Entgelt verbunden. Soziale Interaktionsmöglichkeiten sind gegenüber dem vorherigen Zustand kaum verändert. Job Rotation (systematischer Arbeitsplatzwechsel) bedeutet, dass die Mitarbeiter ihre Arbeitsplätze nach einem vorgegebenen oder selbst gewählten Rhythmus innerhalb ihrer Arbeitsgruppe wechseln. Der Spezialisierungsgrad ändert sich nicht, die Aufgaben variieren stattdessen in örtlicher und zeitlicher Hinsicht. Durch Job Rotation lässt sich die Monotonie verringern und die Entfremdung vom Endprodukt abbauen, außerdem kann einseitiger körperlicher Belastung vorgebeugt werden. Verläuft der Arbeitsplatzwechsel entlang der Verrichtungsfolge, dann lernt der Mitarbeiter den Arbeitsprozess idealerweise vollständig kennen und kann ihn so in den Gesamtzusammenhang der Leistungserstellung einordnen. Dadurch erhofft man sich eine Steigerung der Motivation sowie mehr Verantwortungsbewusstsein bei der Aufgabenerfüllung. Die regelmäßigen Variationen der Anforderungen steigern die persönliche Qualifikation und erhöhen die Flexibilität, sodass sich die Stelleninhaber leichter gegenseitig vertreten können und neuen Aufgabenstellungen grundsätzlich aufgeschlossener gegenüber stehen. Die Kenntnis der verschiedenen Teilaufgaben ihres Teams ermöglicht darüber hinaus ein schnelleres Eingreifen bei Fehlern, was wiederum zu Qualitätsverbesserungen und einem Sinken der Ausschussrate führt. Soziale Interaktionsmöglichkeiten sind gegenüber der vorherigen Situation nicht wesentlich verbessert. Die Motivationswirkung von Job Rotation wird insgesamt eher zurückhaltend beurteilt, da eine Identifikation mit ständig wechselnden Aufgaben kaum möglich ist. 446 Das Springer-Prinzip ist eine besondere Form der Job Rotation. In diesem Fall wird ein Mitarbeiter für mehrere Arbeitsplätze ausgebildet und springt bei vorübergehenden Ausfällen seiner Kollegen für diese ein. Der Arbeitsplatz und die Aufgaben des Springers wechseln ständig, während die anderen Arbeitnehmer an ihren Arbeitsplätzen und bei ihren Aufgaben bleiben. Bei der Fließ- und Reihenfertigung ermöglicht der Einsatz von Springern einen kontinuierlicher Arbeitsprozess, obwohl sich einzelne Mitarbeiter zeitweise nicht an ihrem Arbeitsplatz befinden. 66.2.3.1.3 Teila utonom e Arbeitsg ruppen Bei teilautonomen Arbeitsgruppen werden die drei vorgenannten Formen der Arbeitsstrukturierung mit weitgehender Selbständigkeit verbunden. Die Arbeitsgruppe übernimmt die Verantwortung für einen zusammenhängenden Aufgabenkomplex. 447 Entscheidungs-, Planungs-, Ausführungs- und Kontrollmaßnahmen führt sie selbst durch, sodass Vorgesetzte im Extremfall (fast) überflüssig werden. Die Anbindung der Gruppe an die Organisation erfolgt vor allem über Leistungsziele und Qualitätsstandards. 446 Vgl. Schanz (2000), S. 571. 447 Vgl. Bartscher/ Huber (2007), S. 117. 246 · 6 Personaleinsatz und Personalerhaltung Da viele Aufgaben, die vorher auf anderen Hierarchieebenen bzw. in anderen Abteilungen durchgeführt wurden, aus den bisherigen Stellen herausgelöst und den teilautonomen Arbeitsgruppen übertragen werden, folgen zwangsläufig weitreichende Veränderungen in der horizontalen und vertikalen Arbeitsteilung des gesamten Unternehmensbereichs. 448 Teilautonome Arbeitsgruppen wurden anfangs in der Fertigung eingesetzt, inzwischen erstreckt sich ihr Einsatzgebiet auch auf den Verwaltungs- und Dienstleistungsbereich. Teilautonome Arbeitsgruppen sind heute fester Bestandteil des Lean Managements. Die Besonderheiten dieses Konzepts ergeben sich aus seiner Bezeichnung: Gruppenarbeit Teilautonomie Bei der Gruppenarbeit ist nicht mehr die einzelne Stelle die kleinste organisatorische Einheit, stattdessen wird die Arbeitsgruppe (das Team) zum organisatorischen Basissystem. Sie weist diese Merkmale auf: Zusammenfassung von komplexen Teilaufgaben unter sachlichen und logischen Gesichtspunkten unter Zuordnung entsprechender technischer Hilfsmittel und Informations- und Kommunikationstechnologie bei Übertragung des Aufgabenkomplexes auf eine Personenmehrheit zur gemeinsamen Aufgabenerfüllung im Team Man kann sinnvollerweise nur dann von echter Gruppenarbeit (Teamarbeit) sprechen, wenn mehrere Personen über einen längeren Zeitraum in unmittelbarer Zusammenarbeit nach gemeinsamen Werten und Regeln gemeinsame Aufgaben bewältigen, um dadurch gemeinsame Ziele zu erreichen. Dazu entwickeln sie ein Wir-Gefühl und eine bestimmte Rollenverteilung in der Gruppe. Grundlegend für die teilautonomen Arbeitsgruppen ist das Prinzip des gegenseitigen Vertretens. Jedes Gruppenmitglied muss mehrere Aufgaben beherrschen, um einen systematischen Arbeitsplatzwechsel und das kurzfristige Einspringen für einen verhinderten Kollegen zu ermöglichen. Nicht alle Stellen können in teilautonome Gruppen integriert werden, etwa weil eine Aufgabe nicht derart umgestaltet werden kann, dass eine unmittelbare Zusammenarbeit mehrerer 448 Vgl. Kolb (2008), S. 309. 6.2 Anreizsysteme · 247 Personen möglich ist. Dann bleibt lediglich die Einzelarbeit. So können z.B. Pförtner, Sekretariatsstellen, Assistenten des Werksleiters oder bestimmte Spezialisten schlecht in teilautonome Arbeitsgruppen integriert werden. Bei der zweiten Besonderheit Teilautonomie unterscheidet man zwischen Autonomiebereichen und Autonomiegraden. Die Autonomiebereiche teilautonomer Teams sind in der Praxis sehr unterschiedlich gestaltet. Da die Gruppenmitglieder einem Lernprozess unterliegen, beginnt man zunächst mit einigen wenigen Autonomiebereichen, die dann Schritt für Schritt während des Fortbestands des Teams systematisch erweitert werden. Die Entscheidungen können sich z.B. auf diese Bereiche erstrecken: 449 Aufgabenverteilung innerhalb der Gruppe Arbeitsgeschwindigkeit Pausenregelung Urlaubsplanung Wahl eines Koordinators und Gruppensprechers Mitsprache bei der Neueinstellung von Gruppenmitgliedern Mitsprache bei der Entlassung von Gruppenmitgliedern Auswahl von Produktionsmethoden Auswahl bzw. Mitsprache bei der Auswahl der technologischen Ausstattung Notwendigkeit von Personalentwicklungsmaßnahmen Materialumschlag und -transport Reparaturen und Wartungen Serienplanung Wareneingangskontrolle Qualitätskontrolle kontinuierliche Verbesserungsprozesse Die Beispiele verdeutlichen die vielfältigen Ausgestaltungsmöglichkeiten der teilautonomen Gruppenarbeit. Je nach Fähigkeiten und Potenzial der Gruppenmitglieder und dem Stand der organisatorischen Veränderung im Unternehmen ergeben sich Erweiterungs- und Veränderungsmöglichkeiten. Gleiches gilt auch für die Autonomiegrade. Dabei unterscheidet man: Alleinentscheidungsrecht 449 Vgl. Antoni (1994), S. 36 f. 248 · 6 Personaleinsatz und Personalerhaltung Mitbestimmungsrecht Vetorecht Informationsrecht Diese Rechte werden für jede Arbeitsgruppe und jeden Autonomiebereich unterschiedlich gestaltet und können jederzeit variiert werden. Da die Autonomie der Gruppen durch Plan- und Zeitvorgaben sowie durch Produktions- und Qualitätsvorgaben begrenzt ist, 450 spricht man von teilautonomen Arbeitsgruppen. An gesamtbetrieblichen Beschlüssen und Entscheidungen hinsichtlich des Produktionsprogramms ist sie in der Regel nicht beteiligt. Neben den bereits bei Job Enlargement, Job Enrichment und Job Rotation genannten positiven Wirkungen bieten teilautonome Arbeitsgruppen sehr gute Gelegenheiten zur Persönlichkeitsentfaltung und Selbstverwirklichung. Die Möglichkeiten der sozialen Interaktion sind hier am größten. Die erfolgreiche Arbeit teilautonomer Teams hängt davon ab, ob das technische Arbeitsumfeld, die Arbeitsumgebung und die Führungsorganisation angepasst und die notwendigen personellen Veränderungen vorgenommen werden. Die Arbeitstechnologie muss ebenso wie die Informations- und Kommunikationstechnologie entsprechend der neuen Arbeitssituation verändert werden. Zusätzliche PCs, Laptops, Tablets, Smartphones usw. müssen beschafft, Internet- und Intranet-Zugänge eingerichtet werden. Des Weiteren werden zur Koordination und Kommunikation Besprechungsräume benötigt. Die weitreichendsten Änderungen betreffen die Führungsorganisation. Wenn anspruchsvollere Aufgaben in die Gruppenarbeit integriert werden sollen, wird die nächst höhere Ebene (Meister, Vorarbeiter, Gruppenleiter) nicht mehr oder nur noch in recht geringem Umfang benötigt. Die Vorarbeiter müssen deshalb in die Gruppe eingebunden werden. Aus Teamleitern und Meistern werden Gruppenmanager und Koordinatoren. Sie haben i.d.R. weniger Macht als zuvor. Außerdem müssen ein kooperativer Führungsstil eingeführt und ein effektives Kennzahlensystem aufgebaut werden, da die Kommunikations- und Informationsbeziehungen zwischen den Arbeitsgruppen zunehmen. Hier sind zudem Schulungsmaßnahmen in erheblichem Umfang notwendig. Schließlich muss auch die Entlohnungsstruktur, z.B. über Teamziele und Teamprämien, an die Gruppensituation angepasst werden. Die personellen Änderungen erfordern eine fachliche Weiterbildung und Personalentwicklungsmaßnahmen hinsichtlich der Fach-, Methoden-, Sozial- und Selbstkompetenz auf allen Hierarchieebenen. Dazu gehören das Erlernen von Teamarbeit, Konflikt- und Kommunikationstraining, der Umgang mit Kennzahlen, Präsentations- und Moderationstechniken, Führungstraining etc. Zudem ist eine rechtzeitige und umfassende Information der Gruppenmitglieder notwendig, um Unsicherheit abzubauen und die Akzeptanz der neuen Arbeitssituation zu fördern. Em- 450 Vgl. Schulte-Zurhausen (2010), S. 161 f. 6.2 Anreizsysteme · 249 pirische Untersuchungen belegen die hohe soziale Effizienz teilautonomer Arbeitsgruppen. Höhere Arbeitszufriedenheit, geringere Fluktuation und weniger Absentismus sind ebenfalls nachweisbar. Was die ökonomische Effizienz anbelangt, so berichten Studien von beachtlichen Produktivitätssteigerungen, einer deutlichen Verringerung der fluktuations- und absentismusbedingten Kosten und weniger Fertigungsfehlern. Allerdings steigen die Entgeltkosten, die Anlernkosten und die Investitionsausgaben für Sachmittel. 451 Negativ können sich die stärkere soziale Kontrolle und der damit verbundene hohe soziale Druck innerhalb der Arbeitsgruppe auswirken. Nicht alle Mitarbeiter lassen sich in teilautonome Arbeitsgruppen eingliedern, entweder weil sie nicht in der Lage oder nicht willens sind, komplexere und wechselnde Tätigkeiten zu übernehmen, oder weil sie nicht teamfähig oder -willig sind. 66.2.3.1.4 Qua litätszirkel Bei Qualitätszirkeln handelt es sich um langfristig angelegte Gesprächsgruppen, in denen sich eine begrenzte Zahl von Mitarbeitern der unteren Hierarchieebenen eines bestimmten Arbeitsbereichs in regelmäßigen Abständen während oder - gegen zusätzliches Entgelt - auch außerhalb der Arbeitszeit auf freiwilliger Basis trifft. Die Anfänge der Qualitätszirkel reichen bis in die 1940er-Jahre zurück, als sie erstmals in Japan eingesetzt wurden. In den USA kamen sie ab den 1960er-Jahren zur Anwendung. In Deutschland begann ihre Verbreitung vor etwa 45 Jahren. Es werden selbst gewählte Sachprobleme und Konflikte im eigenen Arbeitsbereich diskutiert und anschließend unter Anleitung eines Moderators mithilfe von Problemlösungs- und Kreativitätstechniken gemeinsam Lösungsvorschläge erarbeitet und deren Umsetzung (selbständig oder über den Instanzenweg) initiiert und kontrolliert. Die Verbesserungsvorschläge werden im Rahmen der gesetzlichen oder betrieblichen Regelungen vergütet. Der Gruppenarbeitsprozess führt zu Lerneffekten und verbessert die Arbeitssituation. Die Grundidee ist, dass Mitarbeiter, die ihren Arbeitsbereich sehr gut kennen, am ehesten Schwachstellen aufdecken. 452 Darüber hinaus machen sie auch die brauchbarsten Verbesserungsvorschläge. Es geht also darum, das Problemlösungs- und Kreativitätspotenzial der Mitarbeiter der unteren Hierarchieebenen zu nutzen. Neben der Qualität der Produkte und Dienstleistungen werden in Qualitätszirkeln auch Verbesserungen der Arbeitsabläufe und der Arbeitsstruktur behandelt. Allerdings hatten die ersten Qualitätszirkel in Deutschland einen ganz anderen Zweck. Mit ihnen sollten in den 1970er-Jahren die Sprach- und Kommunikationsprobleme ausländischer Mitarbeiter im Produktionsbereich abgebaut werden. Man erkannte schnell, dass sich die Teilnehmer über ihre größte Gemeinsamkeit, ihre Arbeitssituation, austauschten. Auf diese 451 Vgl. Bühner (2004), S. 273 ff. 452 Vgl. Jung (2017), S. 616. 250 · 6 Personaleinsatz und Personalerhaltung Weise verbesserten sie ihre Sprachkenntnisse und fanden zunächst mehr oder weniger zufällig gleichzeitig Lösungen für betriebliche Probleme. Deshalb wurden bald weitere ausführende Mitarbeiter systematisch in die Qualitätszirkel einbezogen. Aus unternehmerischer Sicht dienen die Qualitätszirkel der Steigerung der Flexibilität und der Veränderungs- und Innovationsbereitschaft der Mitarbeiter. Sie erhöhen die Qualifikation der Gruppenmitglieder, indem diese zu eigenständigem, unternehmerischem Denken angeregt werden und die erarbeiteten Lösungen später in ihrer jeweiligen Arbeitssituation umsetzen. Die Bereitschaft zur Verantwortungsübernahme wird durch diese Vorgehensweise ebenso gestärkt wie die Kooperationsbereitschaft und die Teamfähigkeit. Angesichts der Möglichkeit, die eigene Arbeitssituation aktiv mit zu gestalten, führen Qualitätszirkel auch zu größerer Arbeitszufriedenheit. 453 6.2.3.2 Arbeitszeitgestaltung Die Arbeitszeitgestaltung kann sich auf die Standardarbeitszeiten in einem Unternehmen bzw. in verschiedenen Unternehmensbereichen oder aber auf individuelle Regelungen für einzelne Mitarbeiter beziehen. Durch Modifikationen der Standardarbeitszeit bleibt die gleichmäßige Verteilung der Arbeitszeit auf die Wochentage weitgehend unberührt. Bei individuell flexiblen Arbeitszeitregelungen können hingegen sowohl Anfang und Ende der Arbeitszeit als auch deren tägliche, wöchentliche, monatliche oder sogar jährliche Dauer variieren. Die Gestaltung der Arbeitszeiten ist außerdem ein Instrument des Personalmarketings, das dem Unternehmen Wettbewerbsvorteile verschafft und die Eintritts- und Bleibeentscheidungen der (potenziellen) Mitarbeiter positiv beeinflusst. Als Instrument der Personalfreisetzung kann die Arbeitszeitflexibilisierung helfen, personelle Überkapazitäten zu reduzieren, ohne dass deshalb die Anzahl der Mitarbeiter reduziert werden muss. 66.2.3.2.1 Flexibilisierung der Arbeitszeit: Ursa chen, Ziele und R estriktionen Bis Anfang der 1980er-Jahre stand bei Gewerkschaften und Arbeitgebern der Gedanke im Vordergrund, für alle Mitarbeiter eine gleiche Dauer und gleichmäßige Verteilung der Arbeitszeit auf die Arbeitstage und -wochen zu erreichen. Es waren nur geringfügige Variationen, z.B. in Form von Gleitzeitmodellen, Schichtarbeit und Teilzeitarbeit, üblich. Mittlerweile ist es zu einer umfangreichen Flexibilisierung und Individualisierung der Arbeitszeit gekommen. Normalarbeitszeit bzw. Standardarbeitszeit ist heute oft schon gar nicht mehr der Regelfall. 454 Drei Ursachen sind bei der Flexibilisierung der Arbeitszeit ausschlaggebend: Betriebszeit und Arbeitszeit decken sich nicht. Durch Arbeitszeitverkürzungen weichen sie immer weiter voneinander ab. Ein durchschnittlicher Arbeitnehmer arbeitet bei- 453 Vgl. Klimecki/ Gmür (2005), S. 213 f. 454 Vgl. Knörzer (2002), S. 3 ff. 6.2 Anreizsysteme · 251 spielweise bei einer 40-Stunden-Woche nur noch an ca. 200 Arbeitstagen für je 8 Stunden, da von den 365 Jahrestagen im Durchschnitt 104 Wochenendtage und 11 Feiertage sowie 30 Urlaubs- und rund 20 Abwesenheitstage wegen Krankheit, Weiterbildung, Betriebsversammlungen etc. abgezogen werden müssen. Gleichzeitig stehen die Betriebsmittel an 365 Tagen für 24 Stunden zur Verfügung, werden also bei einer starren 40- Stunden-Woche nur zu ca. 18,3 Prozent ausgelastet, d.h. während ca. 81,7 Prozent des Jahres sind sie ungenutzt, wenn es sich um einen Ein-Schicht-Betrieb handelt. Die rasante technologische Entwicklung in vielen Bereichen führt jedoch dazu, dass Betriebsmittel sehr schnell veralten und sich Investitionen immer schneller amortisieren müssen, deshalb ist oft eine wesentlich höhere Kapazitätsauslastung notwendig und die Arbeitszeit muss entsprechend flexibel gestaltet werden. Auch Nachfrageveränderungen oder Schwankungen im Produktionsablauf können durch Arbeitszeitflexibilisierung aufgefangen werden. Das Problem stellt sich ebenso im Dienstleistungssektor. Die Ansprechzeiten der Mitarbeiter für Kunden und Lieferanten sind deutlich geringer als die übliche Geschäftszeit. Gerade Kunden werden im er anspruchsvoller und erwarten „nahezu rund um die Uhr“ einen Ansprechpartner zu haben. Bei internationalen Geschäftsbeziehungen kommt noch das Problem der unterschiedlichen Zeitzonen hinzu. Eine Verlängerung der Ansprechzeiten durch eine Entkopplung von Geschäfts- und Arbeitszeit ist deshalb dringend geboten. Im öffentlichen Bereich sollen lange „Dienstleistungstage“ Bürgernähe signalisieren, allerdings können sie kaum über mangelnde Flexibilität und geringe Kundenorientierung hinwegtäuschen. Die Arbeitszeitwünsche der Mitarbeiter sind ein weiterer Grund für die Einführung flexibler Arbeitszeitmodelle. Der Wunsch nach individuelleren Gestaltungsmöglichkeiten der Arbeitszeit wird allenthalben größer. Dabei kann es sich z.B. um eine Reduzierung der Monats- oder Wochenarbeitszeit, eine Änderung der täglichen Anfangs- und Endzeiten durch Gleitzeit oder den Wunsch nach mehreren freien Wochen oder Monaten am Stück handeln. Die dritte Ursache sind gesellschaftspolitische Aspekte. Darunter fällt die Humanisierung der Arbeitswelt durch eine größere Zeitsouveränität seitens der Mitarbeiter und die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit durch flexiblere Arbeitszeiten. Als Beispiele seien die Aufhebung des Nachtarbeitsverbots in den 1990er-Jahren für Frauen und die Lockerung des Ladenschlussgesetzes sowie die aktuellen Diskussionen über die Lockerung des Arbeitszeitgesetzes genannt. Wenn die Mitarbeiter über einen großen Dispositionsspielraum verfügen, spricht man von offenen Arbeitszeitsystemen mit hohem Individualisierungsgrad, ansonsten von geschlossenen Arbeitszeitsystemen mit niedrigem Individualisierungsgrad. Im ersten Fall stehen bei der Arbeitszeitflexibilisierung vor allem die Mitarbeiterwünsche, im zweiten Fall die Unternehmensziele im Vordergrund. Den Möglichkeiten der Arbeitszeitflexibilisierung sind durch gesetzliche, tarifliche und betriebliche Regelungen Grenzen gesetzt. Im Arbeitszeitgesetz (ArbZG) ist der Spielraum für die Gestaltung der Arbeitszeit geregelt. Es enthält sowohl Bestimmungen zur werktäglichen 252 · 6 Personaleinsatz und Personalerhaltung Arbeitszeit und zu Überschreitungsmöglichkeiten als auch zum Zeitausgleich. Viele Unternehmen halten das Arbeitszeitgesetz für zu unflexibel, um die unternehmerische Wirklichkeit heute noch abbilden zu können. Forderungen nach einer Überarbeitung werden zunehmend geäußert. Tarifvertragliche Abweichungen sind in gewissen Grenzen zulässig. In Tarifverträgen sind meistens zahlreiche Möglichkeiten der Flexibilisierung vorgesehen (z.B. zur Wochenarbeitszeit und zu den Urlaubszeiten), die zusätzliche Spielräume für eine ungleichmäßige Verteilung von Arbeitszeit schaffen. Details werden heute stärker als früher auf betrieblicher Ebene geregelt oder sind Bestandteil individueller Vereinbarungen. Auch die Gewerkschaften sind heute deutlich aufgeschlossener als früher. 455 Die Zahl der Arbeitszeitmodelle ist mittlerweile kaum noch zu überblicken. Die Arbeitszeitflexibilisierung unterliegt auch betrieblichen Restriktionen. So erfordern bestimmte Arbeitsabläufe eine ununterbrochene Aufgabenerfüllung. Auf Arbeitnehmerwünsche kann dabei kaum Rücksicht genommen werden. Man denke etwa an einen Flughafen mit vierundzwanzig Stunden Flugbetrieb. Technische Einschränkungen findet man z.B. in der Chemieindustrie oder bei der Arbeit an Hochöfen. Auch organisatorische Restriktionen sind zu berücksichtigen. So sind die Möglichkeiten der individuellen Flexibilisierung bei Fließbandarbeit stark eingeschränkt. Daneben sind biologisch-medizinische Beschränkungen bei der Arbeitszeitgestaltung zu berücksichtigen. Die Mitarbeiter unterliegen im Tagesablauf Leistungsschwankungen, außerdem müssen Möglichkeiten zur Regeneration des Leistungsvermögens Beachtung finden. 456 Aus Unternehmenssicht wird die Notwendigkeit bzgl. der Arbeitszeiten zu flexibilisieren in den nächsten Jahren stark ansteigen. 457 Sie verbinden mit Regelungen zu flexiblen Arbeitszeiten diese Ziele: 458 längere Erreichbarkeit für Kunden und Lieferanten Anpassung bei Beschäftigungsschwankungen kürzere Durchlaufzeiten Verringerung der Leerzeiten von Betriebsmitteln Verringerung der Lagerkosten bessere Einhaltung von Lieferterminen optimale Kapazitätsauslastung Attraktivität auf dem Arbeitsmarkt für derzeitige und potenzielle Mitarbeiter 455 Vgl. Beeger/ Bös (2017), S. 22. 456 Vgl. Berthel/ Becker (2010), S. 526 f. 457 Vgl. Zander (2015), S. 24. 458 Vgl. Jung (2017), S. 226. 6.2 Anreizsysteme · 253 Mitarbeiter wollen flexible Arbeitszeiten aus folgenden Gründen: 459 größere Zeitautonomie längere bzw. zusätzliche Freizeitphasen Berücksichtigung individueller Werte und Bedürfnisse größere Dispositionsfreiheit bei der Abstimmung privater Interessen und Arbeitszeit bessere Anpassung an den persönlichen Biorhythmus Zur Entkopplung von Arbeits- und Betriebszeit gibt es zwei Möglichkeiten der Veränderung: Veränderung der Arbeitszeitlage (chronologische Arbeitszeitflexibilisierung) und/ oder Veränderung der Arbeitszeitdauer (chronometrische Arbeitszeitflexibilisierung) Da es in der Praxis viele Mischformen gibt, ist eine eindeutige Zuordnung zu einer der Rubriken nicht immer möglich. 460 Flexible Tages- oder Wochenarbeitszeiten sind mittlerweile weit verbreitet und in der Mehrzahl der Betriebe aller Größenordnungen üblich. 461 Abb. 6-23 gibt einen Überblick über die wichtigsten Arbeitszeitregelungen. Arbeitszeitregelungen Standardarbeitszeiten Arbeitszeitflexibilisierung ohne Reduzierung des Zeitumfangs Formen der Teilzeitarbeit Flexibilisierung der Lebensarbeitszeit Erhöhung bzw. Verringerung der wöchentlichen betriebsüblichen Arbeitszeit Veränderung des Zeitpunktes des Eintritts in das Berufsleben Veränderung des Zeitpunktes des Austritts aus dem Berufsleben Gleitzeitregelungen Wöchentlich flexible Arbeitszeiten Jahresarbeitszeit Variable Arbeitszeit Vertrauensarbeitszeit Schichtarbeit klassische Formen der Teilzeitarbeit KAPOVAZ Job Sharing Gleitender Übergang in den Ruhestand Lebensarbeitszeitmodelle und Langzeitkonten Sabbatical Abb. 6-23: Überblick über die bedeutsamsten Arbeitszeitregelungen 462 459 Vgl. Jung (2017), S. 226; Foidl-Dreißer/ Breme/ Grobosch (2004), S. 223; Berthel/ Becker (2010), S. 522. 460 Vgl. Becker (2010), S. 125; Berthel/ Becker (2010), S. 520. 461 Vgl. IWD vom 31.07.2013, Anlage zur Pressemitteilung des IWD Nr. 36/ 2013. 462 Teilweise in Anlehnung an Hentze/ Graf (2005), S. 317. 254 · 6 Personaleinsatz und Personalerhaltung 66.2.3.2.2 Überleg ung en zu Sta nda rdarbeitszeiten Ein Weg die Standardarbeitszeiten zu variieren, ist die Erhöhung bzw. Verringerung der wöchentlichen betriebsüblichen Arbeitszeit. Im Rahmen von Tarifverträgen sind Wochenarbeitszeiten von 35 bis 40 Stunden der Normalfall. Meist ist die Möglichkeit enthalten, bei bestimmten Mitarbeitergruppen oder Mitarbeitern individuell höhere Wochenarbeitszeiten zu vereinbaren. Außerdem sind davon abweichende Betriebsvereinbarungen zugelassen, in denen die betriebsübliche Arbeitszeit erhöht werden kann. Im Zusammenhang mit beschäftigungspolitischen Maßnahmen wird immer wieder der Zeitpunkt des Eintritts von Erwerbspersonen in das Berufsleben thematisiert. Während es früher dabei meist um einen späteren Eintritt ging, stehen heute Maßnahmen im Vordergrund, den Eintritt ins Berufsleben zu beschleunigen, z.B. durch Verkürzungen der Schul- und Studienzeiten. Die Schulzeit bis zum Abitur wurde von 13 auf 12 Jahre verringert. Die Abschaffung der Diplom-Studiengänge und Einführung der Bachelor-Studiengänge bewirkt eine Verkürzung der Mindest- und Regelstudienzeiten und soll den Hochschulabsolventen unter anderem einen früheren Berufseinstieg ermöglichen. Auch der Austritt aus dem Erwerbsleben wird in der Öffentlichkeit diskutiert. Während man sich früher eher mit Möglichkeiten der Altersteilzeit und mit Vorruhestandsregelungen befasste, geht es in den letzten Jahren um eine deutliche Erhöhung der Lebensarbeitszeit und damit einen späteren Eintritt ins Rentenalter. Er wird derzeit in Deutschland schrittweise von 65 Jahre auf 67 Jahre erhöht. Unter bestimmten Voraussetzungen ist ein früherer, abzugsfreier Rentenbeginn möglich. In etlichen europäischen Ländern liegt das normale gesetzliche Renteneintrittsalter noch immer bei 60 Jahren oder z.T. auch darunter, jedoch diskutiert man in anderen Ländern bereits intensiv über eine Anpassung des Eintrittsalters nach oben auf 70 Jahre. Auch in Deutschland werden bereits entsprechende Überlegungen angestellt, sie sind derzeit jedoch politisch nicht durchsetzbar. 6.2.3.2.3 Arbeitszeitflexibilisierung ohne Veränderung des Zeitumfa ng s Die wichtigsten Arbeitszeitregelungen, bei denen der Zeitumfang nicht verändert wird, sind: Gleitzeitregelungen flexible Wochenarbeitszeiten Jahresarbeitszeit variable Arbeitszeit Vertrauensarbeitszeit Schichtarbeit Sie bieten dem Mitarbeiter unterschiedliche Einflussmöglichkeiten auf die Anfangs- und Endzeiten sowie auf die Dauer der Arbeit. Zum Teil gehen sie ineinander über oder sind miteinander kombinierbar. (a) Gleitzeitregelungen Gleitzeitregelungen lassen den zeitlichen Umfang der Arbeit unberührt, variieren aber die Anfangs- und Endzeiten der Arbeit. 6.2 Anreizsysteme · 255 Das Grundmodell ist die täglich gleitende Arbeitszeit mit Kernzeit. 463 Diese ist von zwei Gleitzeitbereichen davor und danach umgeben, die den frühesten und spätesten Arbeitsbeginn und das früheste und späteste Arbeitsende pro Tag festlegen. Während der Kernzeit muss der Mitarbeiter anwesend sein, den Rest seiner Arbeitszeit legt er nach seinen persönlichen Vorlieben in die beiden Gleitzeitbereiche. Manchmal wird über die Kernzeit hinaus eine bestimmte Mindestanwesenheitszeit pro Tag vorgegeben. Abb. 6-24 verdeutlicht die Zusammenhänge an einem Beispiel: Es wird als Bereich, in dem die Arbeitszeit liegen kann, der Zeitraum zwischen 6.00 Uhr und 18.00 Uhr festgelegt. Die sog. Rahmenarbeitszeit variiert in der Praxis stark, es sind sowohl kürzere als auch längere Zeiträume zu finden. In den im Beispiel festgelegten 12 Stunden zwischen 6.00 Uhr und 18.00 Uhr muss der Mitarbeiter seine vertraglich vereinbarte Arbeitszeit leisten. Innerhalb der Gleitzeit I kann er - frei wählbar - frühestens um 6.00 Uhr und spätestens um 9.30 Uhr beginnen. Zwischen 9.30 Uhr und 14.30 Uhr muss er - abgesehen von einer Pause - anwesend sein. Die Dauer der Mittagspause ist zum Teil von Unternehmensseite festgelegt, beispielsweise auf eine Stunde, kann aber auch innerhalb einer vorgegebenen Bandbreite gleitend sein, z.B. von mindestens 45 Minuten bis maximal 75 Minuten. Um 14.30 Uhr beginnt dann die Gleitzeit II. Je nach Arbeitsbeginn und Pausenlänge kann der Mitarbeiter sein Arbeitsende zwischen 14.30 Uhr und 18.00 Uhr variieren. Geht man etwa von einer täglichen Mindestanwesenheitszeit von 6 Stunden, einer einstündigen Pause und einem Arbeitsbeginn um 8.00 Uhr aus, liegt das frühestmögliche Arbeitsende an diesem Tag um 15.00 Uhr. individuelle Arbeitszeit Gleitzeit I Kernzeit Pause Kernzeit Gleitzeit II Kernzeit pro Tag (9.30 Uhr bis 14.30 Uhr) (abzüglich Pause) 6.00 Uhr bis 9.30 Uhr 14.30 bis 18.00 Uhr Rahmenarbeitszeit Abb. 6-24: Grundmodell der gleitenden Arbeitszeit 463 Vgl. Hentze/ Graf (2005), S. 319. 256 · 6 Personaleinsatz und Personalerhaltung In etlichen Unternehmen beginnt die Gleitzeit in den Sommermonaten früher als in der Winterzeit. Man kommt damit Mitarbeiterwünschen nach flexibler Freizeitgestaltung an warmen Sommertagen bzw. -abenden entgegen. Bei einer Gleitzeit mit täglich gleitenden Arbeitszeiten muss der Mitarbeiter an jedem Arbeitstag die gleiche Anzahl an Stunden anwesend sein, er kann nur die Lage der Anwesenheitsstunden um die Kernzeit herum verändern, nicht jedoch die Anzahl der Arbeitsstunden pro Tag. Er muss beispielsweise jeden Tag 7,5 Stunden anwesend sein und könnte bei einem Arbeitsbeginn um 8.00 Uhr um 16.30 Uhr seine Arbeit beenden, wenn man eine einstündige Pause berücksichtigt. Am nächsten Tag kann er den Arbeitsbeginn und das Arbeitsende verändern, nicht jedoch die Anwesenheitspflicht von mindestens 7,5 Stunden. Meistens ist es aus unternehmerischer Sicht nicht erforderlich, eine fixe Arbeitsdauer pro Tag oder pro Woche vorzugeben. Heutige Gleitzeitmodelle lassen deshalb eine tägliche Variation sowohl der Anfangs- und Endzeiten als auch der Dauer der Arbeit zu. Der Mitarbeiter hat die Möglichkeit, Zeitguthaben oder Zeitschulden auf ein Gleitzeit- oder Arbeitszeitkonto zu übertragen. Zum Abbau der Überstunden gibt es unterschiedliche bereichsspezifische Regelungen. Er kann tage-, halbtage- oder stundenweise mit oder ohne Zustimmung des Vorgesetzten erfolgen. Die Möglichkeit, mehrere Gleitzeittage als eine Art zusätzlichen Urlaub zu nehmen, ist eher selten. Hingegen können in vielen Unternehmen einzelne Gleitzeittage zur Urlaubsverlängerung genutzt werden, indem sie vor den ersten oder an den letzten Urlaubstag angehängt werden. Die Zahl übertragbarer Stunden auf spätere Perioden ist meist durch Betriebsvereinbarungen geregelt (beschränkte Gleitzeit) und normalerweise begrenzt. Oft werden angesammelte Gleitzeitstunden, die eine bestimmte Grenze pro Monat oder Woche überschreiten, z.B. mehr als 20 Stunden pro Monat, ersatzlos gestrichen. Diese Vorgehensweise ist sinnvoll, wenn der Arbeitsumfang über das Jahr hinweg relativ gleichmäßig anfällt und kaum Arbeitsspitzen oder -flauten zu verzeichnen sind. Umfangreiche Über- oder Unterschreitungen der betriebsüblichen Arbeitszeit lassen dann auf eine Über- oder Unterforderung des Mitarbeiters bzw. eine schlechte Aufgabenverteilung und strukturierung schließen. Der Vorgesetzte muss die Ursachen ausfindig machen und Maßnahmen zur Abhilfe ergreifen. Neben den oben beschriebenen Kurzzeitkonten mit einem kurzbis mittelfristigen - meist unterjährigen - Ausgleichszeitraum existieren in der Praxis sogenannte Langzeitkonten. Die Zeitkontingente können dabei langfristig, d.h. über mehrere Jahre hinweg gesammelt und für verschiedene Zwecke verwendet werden, beispielsweise für einen früheren Austritt aus dem Erwerbsleben, einen Langzeiturlaub oder eine zeitweise, befristete Verringerung der Arbeitszeit bei voller Vergütung. Oft können auch Entgeltbestandteile wie Weihnachtsgeld, Leistungszulagen etc. dem Langzeitkonto gutgeschrieben werden. 464 Von Ampelkonten spricht man, wenn die Gleitzeitstunden in drei Kategorien - grün, gelb, rot - eingeteilt werden. 465 Zunächst wird eine normale Bandbreite für Abweichungen von 464 Vgl. Hentze/ Graf (2005), S. 328. 465 Vgl. ebd., S. 323; Hoff (2005), S. 305 f. 6.2 Anreizsysteme · 257 der Wochen- oder Monatsarbeitszeit festgelegt, dies ist der grüne Bereich. Über ihn kann der Mitarbeiter im Rahmen der betrieblichen Möglichkeiten frei verfügen. Der gelbe Bereich weist Zeitguthaben oder -schulden aus, die aus Sicht des Unternehmens problematisch sind. Der Mitarbeiter muss sich mit seinem Vorgesetzten absprechen und sich an ein Konzept halten, das festlegt, wie das Plus oder Minus ausgeglichen werden kann. Ist die Zahl der Über- oder Unter-Stunden so hoch, dass das Konto im roten Bereich liegt, darf der Mitarbeiter nicht mehr selbständig über seine Arbeitszeit entscheiden. Jeder Auf- oder Abbau von Gleitzeitstunden muss vom Vorgesetzten genehmigt werden. Der Vorgesetzte ist verpflichtet, konkrete Maßnahmen einzuleiten, damit das Konto zumindest wieder in den gelben Bereich gelangt. Der grüne Bereich könnte beispielsweise alle Über- oder Unterstunden bis zu 40 Stunden enthalten. Zwischen 41 und 80 Stunden Über- oder Unterschreitung befindet sich das Konto im gelben Bereich, ab 81 Stunden plus oder minus beginnt der rote Bereich. Anwendung findet die Gleitzeit vor allem im Verwaltungsbereich. Dem Vorteil der Zeitsouveränität der Mitarbeiter steht der Nachteil der auf die Kernzeit reduzierten betrieblichen Kommunikationszeit gegenüber. Allerdings sprechen sich in vielen Abteilungen die Mitarbeiter untereinander ab, sodass i.d.R. weit über die Kernzeit hinaus ein Ansprechpartner zur Verfügung steht. Auch von betrieblicher Seite festgelegte versetzte Kernzeiten erhöhen die Kommunikationszeit, wenn die Mitarbeiter von ihrer Qualifikation her in der Lage sind, sich zumindest teilweise zu vertreten. Für die Fließfertigung sind Gleitzeitmodelle aufgrund der starken Abhängigkeit der einzelnen Stellen meist wenig geeignet. Es müssten umfangreiche Puffer geschaffen werden, was die Arbeitsorganisation erschwert und die Lagerhaltungskosten erhöht. (b) Wöchentlich flexible Arbeitszeiten Eine weitere Form der Arbeitszeitflexibilisierung sind die wöchentlich flexiblen Arbeitszeiten. Die Mitarbeiter sind dabei nicht tageszeitlich, sondern wochentäglich an eine Kernzeit gebunden. Bestimmte Arbeitstage werden zu Kerntagen erklärt, an denen die Mitarbeiter anwesend sein müssen. Die Anfangs- und Endzeit und die Dauer der Arbeit sind an den Kerntagen vorgegeben. Eine Unterschreitung ist nicht möglich, zusätzliche Arbeitsstunden dagegen schon. Neben den Kerntagen gibt es individuell gestaltbare Gleitarbeitstage. Nur hier besteht die Möglichkeit, Gleitstunden und -tage auf ein Gleitzeitkonto zu übertragen oder davon abzuheben, nicht an den Kerntagen. (c) Jahresarbeitszeitmodelle Bei Jahresarbeitszeitmodellen wird eine wöchentliche Regelarbeitszeit vereinbart. Die tatsächliche Arbeitszeit kann der Mitarbeiter je nach Arbeitsmenge und/ oder individuellen Vorlieben von Woche zu Woche variieren. Innerhalb einer festgelegten Zeitspanne - i.d.R. ein Jahr - muss das Gleitzeitkonto ausgeglichen sein. Dem Unternehmen ist es damit möglich, saisonalen Schwankungen ohne personelle Maßnahmen zu begegnen und dem Mitarbeiter ein monatlich konstantes Grundentgelt zu zahlen. Insbesondere in Verbindung mit Teilzeitwünschen bietet das Modell dem Mitarbeiter großen Spielraum, seine privaten Interessen zu verfolgen. Es wird z.B. eine Regelarbeitszeit von 258 · 6 Personaleinsatz und Personalerhaltung 30 Stunden pro Woche vereinbart. In den Wintermonaten arbeitet der Mitarbeiter durchschnittlich 40 Stunden, in den Sommermonaten dann nur 20 Stunden pro Woche. Außerdem besteht die Möglichkeit, mehrere Monate - z.B. von Juli bis September - gar nicht zu arbeiten und das entstandene Defizit in den anderen Monaten auszugleichen. Der Mitarbeiter erhält in allen Monaten sein normales Grundentgelt. (d) Variable Arbeitszeit Maximale Flexibilität für den Mitarbeiter bietet die variable Arbeitszeit, bei der keine Kernzeit mehr existiert. Der Mitarbeiter hat ein vorgegebenes, vertraglich vereinbartes Arbeitspensum zu erfüllen, bei dessen Umfang von der Normalleistung eines durchschnittlichen Arbeitnehmers ausgegangen wird. In der Gestaltung seiner Arbeitszeit ist er völlig frei, das Unternehmen beurteilt nur den Erfolg seiner Arbeit. Die Anwesenheitszeit ist unbedeutend, Anwesenheitspflicht ist auf Sitzungen und Besprechungen beschränkt. Diese Form der Arbeitszeitflexibilisierung eignet sich nur für Stellen, die in großem Maße unabhängig von der Aufgabenerfüllung anderer sind. (e) Vertrauensarbeitszeit Wenn das Unternehmen gänzlich auf eine Zeiterfassung und deren Auswertung verzichtet, spricht man von Vertrauensarbeitszeit. Die Mitarbeiter entscheiden selbst, wann und bisweilen auch wo sie ihre Aufgaben verrichten. Damit bezweckt man, dass Mitarbeiter und Vorgesetzte sich stärker an Leistung und Erfolg und nicht an der Arbeitszeit orientieren. 466 Man wendet sich weg von der Zeitkultur hin zur Leistungskultur. 467 Voraussetzung sind der Aufbau einer geeigneten Unternehmenskultur, die Bereitschaft der Mitarbeiter, Verantwortung zu übernehmen sowie die Fähigkeit, sich selbst zu motivieren und zu kontrollieren, auch wenn es keine Anwesenheitspflicht und kaum Fremdkontrolle gibt. 468 Der Vorgesetzte muss der Selbstkontrolle des Mitarbeiters gegenüber der Fremdkontrolle durch ihn den Vorzug geben und einen kooperativen Führungsstil anwenden, bei dem Eigeninitiative und Eigenverantwortung dominieren. Zielvereinbarungen unterstützen das Arbeiten mit Vertrauensarbeitszeit. Den Mitarbeitern soll mit diesem Konzept ein Anreiz geboten werden, höhere Bedürfnisse zu befriedigen. Aufgrund der größeren Zeitsouveränität können sie ihre privaten und beruflichen Interessen in Einklang bringen. Für die Unternehmen ergibt sich als Vorteil eine Verringerung der Verwaltungskosten, da die Zeiterfassung und -abrechnung entfällt. Außerdem handeln die Mitarbeiter in größerem Maße eigenverantwortlich und sind sich der Bedeutung ihrer Leistung stärker bewusst, wodurch man sich eine größere Motivation verspricht. Der stärkere Abstimmungsbedarf soll sich letztlich positiv auf die Informations- und Kommunikationsprozesse im Unternehmen auswirken, was dem Betriebsklima zugutekommt, ohne dass darunter die Leistung leidet. 466 Vgl. Bröckermann (2012), S. 146. 467 Vgl. Kolb (2010), S. 333. 468 Vgl. Kallwitz (2002), S. 54 f. 6.2 Anreizsysteme · 259 (f) Schichtarbeit Auch die Schichtarbeit gehört zur Arbeitszeitflexibilisierung ohne Reduzierung des zeitlichen Umfangs. Hier bestimmt allein das Unternehmen Arbeitsbeginn und -ende. Es handelt es sich um eine der ältesten Formen der Arbeitszeitflexibilisierung. Das traditionelle Drei-Schichten-Modell teilt den Tag in drei gleich lange Phasen, die Früh-, Spät- und Nachtschicht. Schichtwechsel ist in der Regel um 6.00 Uhr, 14.00 Uhr und 22.00 Uhr. Die Mitarbeiter wechseln meist wöchentlich in die nächstspätere Schicht. Daneben hat sich eine Vielzahl von Varianten herausgebildet. Es finden sich vor allem: 469 Zwei-, Drei- und Vier-Schichten-Wechselmodelle mit gleichen Zeitphasen unterschiedliche Längen der einzelnen Schichten (z.B. eine verkürzte Nachtschicht) permanente Schichtsysteme (z.B. arbeitet ein Mitarbeiter nur in der Nachtschicht oder nur in der Frühschicht) andere Wechselrhythmen (z.B. Früh-, Nacht-, Spätschicht) längere oder kürzere Wechselrhythmen (z.B. Wechsel alle zwei Wochen) Schichten mit Einbezug des Wochenendes Schichtarbeit wird insbesondere dann angewandt, wenn teure Produktionsanlagen sich möglichst schnell amortisieren sollen oder Kapazitätsengpässe ausgeglichen werden müssen. Auch bei Bereitschafts- und Überwachungsdiensten ist Schichtarbeit nötig, Beispiele sind Feuerwehr und medizinische Versorgung. Manchmal erfordern technische Prozesse Schichtarbeit, etwa in der Metallverhüttung. Auch aus sozialen und kulturellen Gründen gibt es Schichtarbeit, z.B. müssen Menschen arbeiten, damit andere in ihrer Freizeit Restaurants, Clubs, Kinos und Theater besuchen können. Schichtarbeit belastet die Gesundheit der betroffenen Mitarbeiter, da sie der Leistungsdisposition des Menschen entgegensteht (vgl. Kapitel 6.1.3). Die Anpassung des Biorhythmus an eine neue Schicht dauert ca. eine Woche. In der Regel erfolgt dann bereits der nächste Wechsel, der wiederum eine Anpassung erfordert. Die Folge sind häufig Schlafstörungen sowie Magen-Darm- und Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Aus gesundheitlichen Gründen wäre deshalb ein nicht so häufiger, z.B. monatlicher Schichtwechsel, sinnvoll. Um soziale Kontakte aufrechtzuerhalten, wird aber meist ein wöchentlicher Wechsel bevorzugt. Schichtarbeit schränkt außerdem die Flexibilität des Mitarbeiters ein. Tauschmöglichkeiten und die Kombination mit Gleitzeit können das Problem zumindest abmildern. 66.2.3.2.4 Form en der Teilzeita rbeit Die bedeutendsten Formen der Teilzeitarbeit sind: klassische Teilzeitarbeit mit Variationsmöglichkeiten kapazitätsorientierte variable Arbeitszeitgestaltung (KAPOVAZ) 469 Vgl. Bröckermann (2012), S. 146 f.; Jung (2017), S. 231. 260 · 6 Personaleinsatz und Personalerhaltung Job Sharing gleitender Übergang in den Ruhestand (a) Klassische Formen der Teilzeit Bei Teilzeitarbeit leistet der Mitarbeiter eine regelmäßige, vertraglich vereinbarte Arbeitszeit, die kürzer als diejenige eines vollzeitbeschäftigten Mitarbeiters ist. Zur Verlängerung der Betriebszeit kann einer Vollzeitstelle eine Teilzeitbeschäftigung vor- oder nachgelagert werden. Bei einer klassischen Vollzeitstelle mit 8 Stunden Arbeitszeit pro Tag und einer Teilzeitstelle mit 4 Stunden erhöht sich die Betriebs- und damit die Kommunikationszeit auf 12 Stunden. Die Zahl teilzeitbeschäftigter Arbeitnehmer an der Gesamtzahl der Erwerbstätigen ist in den letzten Jahren kontinuierlich gestiegen. In 2017 arbeiteten 27 Prozent aller Erwerbstätigen in Teilzeit. 470 Bei den Männern waren es 11 Prozent, davon geringfügig mehr in Ostdeutschland als in Westdeutschland. Bei den Frauen arbeiteten insgesamt 46 Prozent in Teilzeit, davon in Westdeutschland 49 Prozent und in Ostdeutschland 35 Prozent. 471 Nur in Österreich und in den Niederlanden arbeiteten in 2017 mehr Erwerbstätige in Teilzeit. In Österreich waren es 28 Prozent und in den Niederlanden sogar 50 Prozent. In Osteuropa ist Teilzeitarbeit wenig verbreitet und liegt im Durchschnitt bei ca. 10 Prozent. 472 Ein Mitarbeiter hatte bisher nach dem Teilzeit- und Befristungsgesetz (TzBfG) in Deutschland einen gesetzlichen Anspruch auf Teilzeitarbeit, wenn er länger als 6 Monate im Unternehmen beschäftigt ist und keine betrieblichen Gründe entgegenstehen. Er konnte seine Arbeitszeit zwar verringern, aber später nicht problemlos wieder aufstocken. Es bestanden nur die Möglichkeiten unbefristet in Teilzeit zu gehen oder dem Arbeitgeber Gründe für die Verringerung der Arbeitszeit nachzuweisen, etwa Kindererziehung oder Pflege von Angehörigen. Dann war eine befristete Teilzeit möglich. Seit 2019 gibt es einen Rechtsanspruch auf die sog. Brückenteilzeit. Sie gilt für Unternehmen mit mehr als 45 Mitarbeitern. Der Anspruch besteht, wenn der Mitarbeiter länger als 6 Monate im Unternehmen beschäftigt ist und keine betrieblichen Gründe entgegenstehen. Dann hat der Mitarbeiter einen Anspruch auf eine (zwischen einem und fünf Jahren) begrenzte Teilzeit, verbunden mit dem Recht auf Rückkehr zur vorherigen Arbeitszeit. Bzgl. Umfang und Verteilung der Arbeitszeit gibt es keine gesetzlichen Einschränkungen. Damit sollen Mitarbeiter ihre Arbeitszeit besser an ihre individuelle Lebensplanung anzupassen können. Ein konkreter Anlass für den Wunsch nach Arbeitszeitverringerung muss nicht genannt werden. Der Anspruch auf eine Aufstockung der Arbeitszeit besteht erst wieder mit der Beendigung der Brückenteilzeit. Innerhalb des Brückenteilzeit-Zeitraums können die Mitarbeiter keine Veränderung ihrer Arbeitszeit zu verlangen, auch wenn sich in dieser Zeit ihre Lebensumstände (wiederum) geändert haben. 470 Vgl. Statistisches Bundesamt (2018). 471 Vgl. Hobler/ Pfahl (2018). 472 Vgl. Statistisches Bundesamt (2018). 6.2 Anreizsysteme · 261 In Unternehmen mit weniger als 200 Mitarbeitern gibt es aus Zumutbarkeitsgründen Einschränkungen, wie vielen Mitarbeitern gleichzeitig Brückenteilzeit genehmigt werden muss. Mitarbeiter, die bereits vor 2019 in Teilzeit arbeiten, haben keinen gesetzlichen Anspruch darauf, ihre Arbeitszeit wieder aufzustocken. Für die Unternehmen entsteht durch die Brückenteilzeit ein erheblicher zusätzlicher bürokratischer Aufwand verbunden mit massiven Problemen bei der langfristigen Gestaltung betrieblicher Strukturen. Bei klassischer Teilzeitarbeit wird die verringerte wöchentliche Stundenzahl gleichmäßig auf die Arbeitswoche verteilt, z.B. 4 Stunden an jedem Arbeitstag bei einer 20-Stunden- Woche. Daneben gibt es viele Varianten, beispielsweise kann die Teilzeit als feste Arbeitszeit oder mit Gleitzeit - gleichmäßig oder flexibel - über einen Zeitraum verteilt werden. Auch eine Kombination mit Schichtarbeit ist möglich. Ein ganztägiger Arbeitseinsatz an bestimmten Tagen - z.B. im Handel freitags und samstags - ist ebenfalls üblich. Eine weitere Variante der Teilzeitarbeit ist es, die Arbeitszeit zusammenzufassen und z.B. auf das Monatsende zu legen, wenn bestimmte Abschlussarbeiten anfallen. Den restlichen Monat hat der Mitarbeiter frei. Man spricht dann von Blockteilzeit. Bei der Jahresteilzeit arbeitet der Mitarbeiter nur in Monaten, in denen die Nachfrage saisonal bedingt hoch ist. Seine Arbeit leistet er zu zuvor fest definierten Zeiten. Wesentlicher Vorteil für den Mitarbeiter ist die Planungssicherheit. (b) Kapazitätsorientierte variable Arbeitszeit (KAPOVAZ) Bei der Abrufteilzeit oder kapazitätsorientierten variablen Arbeitszeit (KAPOVAZ) variieren Beginn, Ende und Dauer der Arbeit mit der Arbeitsmenge im Unternehmen. 473 Sie ist insbesondere im Handel weit verbreitet. In Phasen mit hoher Nachfrage arbeitet der Mitarbeiter. Wenn wenig zu tun ist, bleibt er auf Abruf zu Hause. Das Unternehmen garantiert ein Arbeitszeitkontingent in Höhe einer durchschnittlichen Wochen- oder Monatsarbeitszeit, z.B. 10 Stunden pro Woche oder 40 Stunden pro Monat. Wann, wie oft und in welchen Staffelungen die Arbeit zu leisten ist, hängt vom Arbeitsanfall ab. Um zu verhindern, dass der Mitarbeiter ständig abrufbar ist und seine Freizeit nicht mehr planen kann, muss das Unternehmen nach § 12 TzBfG mehrere Einschränkungen beachten. So muss der Mitarbeiter mindestens 4 Arbeitstage im Voraus eine Mitteilung über seinen nächsten Arbeitseinsatz erhalten, andernfalls steht es ihm frei, ob er die Arbeit leistet oder sie verweigert. Der Tag der Mitteilung ist nicht in diese Frist einbezogen. Oft wird vereinbart, dass der Mitarbeiter, wenn er seine Arbeit trotz Fristunterschreitung leistet, eine Zulage erhält. Die tägliche Arbeitszeit muss mindestens 3 zusammenhängende Stunden betragen. Wöchentlich müssen es mindestens 10 Stunden sein, sofern zwischen den Vertragspartnern nicht ausdrücklich anderes vereinbart wurde. Es ist üblich, das Entgelt gleichmäßig zu verteilen und nicht entsprechend der Arbeitseinsätze zu zahlen. Unternehmen bietet die KAPOVAZ die Möglichkeit, Mitarbeiter flexibel einzusetzen, ohne Überstundenzuschläge zahlen, Einstellungen und Entlassungen vornehmen oder auf zeitlich 473 Vgl. Kolb (2010), S. 332 ff.; Becker (2010), S. 128. 262 · 6 Personaleinsatz und Personalerhaltung befristete Arbeitsverträge und Personal-Leasing zurückgreifen zu müssen. Der Mitarbeiter erhält ein gleichmäßiges Einkommen und einen in der Regel unbefristeten Arbeitsvertrag. Er ist aber trotz der gesetzlichen Regelungen in seiner Zeitsouveränität stark eingeschränkt. (c) Job Sharing Eine weitere, in Deutschland eher wenig verbreitete Form der Teilzeitarbeit ist das Job Sharing, eine besondere Art der Aufteilung einer oder mehrerer Vollzeitstellen auf mehrere Teilzeitmitarbeiter. Es ist aus dem Wunsch von Arbeitnehmern entstanden, trotz Teilzeitarbeit anspruchsvollen Tätigkeiten nachzugehen. In der ursprünglichen amerikanischen Version werden die Job Sharing-Partner als eine organisatorische Einheit behandelt. Diese Einheit schließt mit dem Unternehmen einen einzigen Arbeitsvertrag. Beförderungen, Versetzungen, Entlassungen etc. werden nicht für einzelne Mitarbeiter, sondern für das Team vorgenommen. Aus organisatorischer Sicht handelt es sich dann um eine so genannte Mehrpersonenstelle und nicht um mehrere Teilzeitstellen. Das Team verpflichtet sich, alle vereinbarten Leistungen fristgemäß zu erbringen. Seitens des Unternehmens wird kein Einfluss darauf genommen, wie die Mitglieder der Mehrpersonen- Stelle die Arbeit untereinander aufteilen. Für das Unternehmen besitzt dies den Vorteil, dass die Stelle auch bei Urlaub, Krankheit oder Weiterbildung einzelner Beteiligter besetzt ist. Es sind keinerlei zusätzliche Dispositionen erforderlich. In Deutschland ist Job Sharing aufgrund gesetzlicher Restriktionen in dieser Form nicht möglich. Die gesamtschuldnerische Leistungsverpflichtung und die davon abgeleitete Vertretungspflicht sind nach deutschem Recht nicht zulässig. Zwar handeln die Job Sharing-Partner die jeweiligen Arbeitszeiten untereinander aus, der Grundgedanke der Mehrpersonen-Stelle wird aber nicht verwirklicht. Eine Vertretungspflicht bis hin zur vollen Arbeitszeit ist nicht selbstverständlich, sondern muss ausdrücklich vertraglich vereinbart werden. Ein Job Sharing-Partner kann nur dann zur Vertretung herangezogen werden, wenn dies aus betrieblichen Gründen dringend erforderlich ist und wenn die Vertretung dem Mitarbeiter zumutbar ist, d.h. jeder Fall muss individuell geprüft werden. Wenn die Vertretung dem Mitarbeiter nicht zumutbar ist, besteht keine Verpflichtung zur Leistungserbringung. Scheidet einer von zwei Job Sharing-Partnern aus dem Unternehmen aus, wird der andere grundsätzlich weiter beschäftigt. 474 Der Arbeitgeber darf ihm nicht aus diesem Grund kündigen, eine Änderungskündigung ist aber zulässig. Da das Job Sharing in dieser Form den Unternehmen kaum Vorteile bringt, hat es in der Praxis in Deutschland nur geringe Verbreitung für anspruchsvolle, bedeutsame Tätigkeiten, insbesondere Führungsaufgaben gefunden. Job Sharing wird meist in Form des Job Splitting durchgeführt, bei dem die Mitarbeiter die Aufgaben aufteilen und dann ohne weitere Abstimmung erfüllen. Beim Split Level Sharing erfolgt diese Aufgabenteilung nach funktionalen bzw. qualitativen Aspekten. Der eine Partner übernimmt weniger anspruchsvolle Arbeiten, z.B. leistet eine Person die Vorarbeit, auf deren Grundlage die andere die Entscheidungen trifft. Beim Job Pairing verpflichten sich die Mitarbeiter, die Arbeit zusammen zu erledigen und die wesentlichen Entscheidungen gemeinsam 474 Vgl. Oechsler/ Paul (2015), S. 256 f.; Schanz (2000), S. 435 f. 6.2 Anreizsysteme · 263 zu treffen. Bei Schlechtleistung ist eine genaue Schadenszuweisung dann oft nicht möglich und die Partner haften gemeinsam. 475 (d) Gleitender Übergang in den Ruhestand Der gleitende Übergang in den Ruhestand ist eine weitere Form der Teilzeitarbeit. Mit einer Reduzierung des Stundenumfangs soll der angeblich geringeren Belastbarkeit älterer Mitarbeiter Rechnung getragen werden. Außerdem ist für viele Arbeitnehmer ein abruptes Ende ihres Berufslebens schwer zu verkraften, da sie sich auf den neuen Lebensabschnitt oft nur unzureichend vorbereiten. Der gleitende Übergang, z.B. durch den Abbau der auf dem Langzeitkonto angesparten Stunden, entschärft dieses Problem. Denkbar ist auch eine Kombination mit dem Job Sharing, indem der ältere Arbeitnehmer sukzessive weniger arbeitet bzw. bestimmte Aufgaben abgibt und der jüngere Mitarbeiter nach und nach alle Aufgaben übernimmt. 66.2.3.2.5 Flexibilisierung der Lebensa rbeitszeit Hier geht es vor allem um die Themen Lebensarbeitszeitmodelle und Langzeitkonten und Sabbaticals. (a) Lebensarbeitszeitmodelle und Langzeitkonten Der Wunsch, das Ende des Berufslebens flexibel zu gestalten, führt zunehmend zu Lebensarbeitszeitvereinbarungen bzw. Langzeitkonten. Der Mitarbeiter kann dabei Arbeitsstunden, die über die vertragliche Arbeitszeit hinausgehen, auf einem Arbeitszeitkonto ansparen, für das keine bzw. kaum Beschränkungen hinsichtlich des Ausgleichszeitraums und des Stundenvolumens festgelegt sind. Die nicht ausgezahlten Überstunden werden in Geldeinheiten auf dem Konto geführt und stellen einen geldwerten Vorteil für den Arbeitgeber dar. Die Zeitkontingente werden i.d.R. ähnlich wie bei einem Sparbuch mit einem geldmarktüblichen Zinssatz verzinst, wodurch der angesparte Betrag Jahr für Jahr wächst, auch wenn keine weiteren Stunden angespart wurden. Zum Ende seines Berufslebens oder auch zum Ende einer bestimmten Lebensphase kann der Mitarbeiter sein Kontingent dann abbauen und muss dabei trotz der geringeren Arbeitszeit, die sich bis auf null reduzieren kann, keine Gehaltseinbuße hinnehmen. Langzeitkonten werden i.d.R. in Zeiteinheiten geführt. Meistens beträgt die Reichweite zwei bis drei Jahre, d.h. länger darf ein Guthaben dann nicht auf dem Konto bleiben. Es geht also eher um mittelfristige Flexibilität. 476 Die Konten von Lebensarbeitszeitmodellen müssen statt in Arbeitsstunden in Geldeinheiten geführt werden. Man spricht auch von Zeitwertmodellen. 477 Da das Konto i.d.R. 475 Vgl. Hentze/ Graf (2005), S. 324. 476 Vgl. Wotschack (2018), S. 15 ff. 477 Vgl. ebd.; ausführlich Baier/ Röder (2007), S. 79 ff. 264 · 6 Personaleinsatz und Personalerhaltung über viele Jahre existiert, hat der Mitarbeiter sich im Laufe dieser Zeit meist innerhalb des Unternehmens beruflich verändert. Er hat Karriere gemacht, neue Aufgaben übernommen und verdient oft ein höheres Entgelt. Seine aktuelle Arbeitsstunde hat einen höheren Wert als die Arbeitsstunden, die er in früheren Jahren angespart hat. Entsprechend kann nicht „eins zu eins“ in Stunden abgebaut werden. Beim Renteneintritt wird dem Mitarbeiter der nicht abgebaute, angesparte und verzinste Betrag z. T. als Zusatzversorgung ausgezahlt und muss erst dann - in der Regel aufgrund des niedrigeren Einkommens als Rentner mit einem niedrigeren Steuersatz als bei voller Beschäftigung - versteuert werden. Das Modell gilt auch für lebensphasenorientierte Freizeit, jedoch nehmen derzeit wenige Mitarbeiter während ihres Berufslebens eine sehr lange Auszeit, da sie Nachteile für ihre Karriere fürchten. 478 Im Gesetz zur Verbesserung der Rahmenbedingungen für die Absicherung flexibler Arbeitszeitregelungen („Flexi II“) ist festgelegt, wie bei Entlassungen, Kündigungen seitens des Arbeitnehmers, Insolvenz des Arbeitgebers und Kurzarbeit mit den Konten zu verfahren ist. Das Risiko eines Verlustes des angesparten Zeitkontingents wurde für den Arbeitnehmer deutlich verringert und die Absicherungspflichten für den Arbeitgeber stärker reglementiert. 479 Nachdem eindeutige gesetzliche Regelungen vorliegen, bieten immer mehr Unternehmen diese Form der Arbeitszeitflexibilisierung an. Mittlerweile sind es fast ein Viertel aller Großunternehmen, z.B. VW, Deutsche Telekom, Deutsche Bahn, SAP und die Deutsche Bank. Ca. 18 Prozent der Arbeitnehmer nutzen Zeitwertmodelle. 480 Im Mittelstand sind Langzeitkonten und insbesondere Lebensarbeitszeitkonten noch recht wenig verbreitet. (b) Sabbaticals Sabbaticals sind eine weitere, eher selten genutzte Möglichkeit der Arbeitszeitflexibilisierung. Dabei handelt es sich um einen Langzeiturlaub über den jährlichen Urlaubsanspruch hinaus bei voller, partieller oder ohne Entlohnung. Der Begriff geht auf das Alte Testament zurück. Der Sabbat ist der siebte Tag, an dem man ruhen soll. In der Landwirtschaft wird unter einem Sabbatjahr jedes siebte Jahr verstanden, in dem der Boden brachliegen soll, damit er sich regenerieren kann. Eine solche Ruhephase gesteht ein Unternehmen mit dem Sabbatical auch seinen Mitarbeitern zu. Das Sabbatical ist i.d.R. mit einer Arbeitsplatz-, nicht aber einer Stellengarantie verbunden. Der Mitarbeiter erhält bei seiner Rückkehr nicht unbedingt seine frühere, jedoch zumindest eine gleichwertige Stelle. Die Dauer variiert zwischen mehreren Wochen und einem Jahr. Meist kann der Mitarbeiter frei entscheiden, wofür er das Sabbatical nimmt. Häufig wird es nicht ausschließlich für Freizeit, sondern zumindest teilweise für Weiterbildungsmaßnahmen, z.B. den Abschluss eines Studiums oder die Anfertigung einer Dissertation, genutzt. Dem 478 Vgl. Daniels (2014), S. 57. 479 Vgl. Bothe (2008) S. 50 f. 480 Vgl. Scherff (2009), S. 39. 6.2 Anreizsysteme · 265 Mitarbeiter bietet sich damit die Möglichkeit, zeitintensive private Ziele zu verwirklichen, ohne dass er den Verlust seines Arbeitsplatzes befürchten muss. Das Unternehmen hat den Vorteil, dass der Mitarbeiter ausgeruht und motiviert, mit neuen Ideen und oft auch mit neuen Fähigkeiten an seinen Arbeitsplatz zurückkehrt. Ein Problem kann jedoch sein, dass seine Stelle in der Zwischenzeit besetzt werden musste und der zurückkehrende Mitarbeiter deshalb nicht mehr seine frühere, sondern eine andere adäquate Stelle erhält. Hier sind Einarbeitungsmaßnahmen und der Aufbau neuer sozialer Kontakte notwendig. Es ist auch nicht sicher, dass der Mitarbeiter mit diesen Aufgaben und der neuen Situation zufrieden ist. Die Voraussetzungen für ein Sabbatical können vom Unternehmen auf verschiedenste Weise geschaffen werden. Beispiele sind: Der Mitarbeiter verzichtet über einen längeren Zeitraum bei voller Arbeitszeit auf einen Teil seines Entgelts und erhält dafür ein Sabbatical als Freizeitausgleich. Ein Mitarbeiter arbeitet z.B. 3 Jahre in Vollzeit für 75 Prozent des normalen Entgelts. Im vierten Jahr nimmt er ein Sabbatical und erhält weiterhin drei Viertel seines Gehalts. Eine solche Stückelung ist auch in anderem Umfang denkbar. Überstunden werden auf einem Langzeitkonto angespart und können durch ein Sabbatical abgebaut werden. Ein Mitarbeiter spart z.B. über mehrere Jahre hinweg regelmäßig Überstunden auf dem Langzeitkonto an, danach nimmt er zusätzlich zu seinem Jahresurlaub noch 3 weitere Monate Urlaub und kümmert sich in dieser Zeit um den Bau seines Hauses. Das Unternehmen bietet seinen Mitarbeitern in bestimmten Zeitabständen eine unbezahlte Auszeit an. Ein Mitarbeiter hat z.B. alle 7 Jahre die Möglichkeit, ein dreimonatiges Sabbatical zu nehmen. Er erhält in dieser Zeit kein Entgelt, bekommt aber eine Arbeitsplatzgarantie. Das Unternehmen fördert ein Sabbatical nur unter bestimmten Voraussetzungen und zahlt in dieser Zeit nur einen Teil des Entgelts. Ein Mitarbeiter wird z.B. für ein Projekt in einem Entwicklungsland, das auch für das Unternehmen von Interesse ist, freigestellt. Das Unternehmen zahlt ihm für die Dauer des Projekts die Differenz zwischen dem Entgelt, das er vom Projektträger erhält, und seinem bisherigen Gehalt. Das Unternehmen gewährt verdienten Mitarbeitern ein Sabbatical, ohne dass dafür Arbeitszeit angespart oder auf Entgelt verzichtet werden muss. Ein Mitarbeiter, der über 55 Jahre alt ist und seit über 15 Jahren für das Unternehmen arbeitet, erhält z.B. einmalig die Möglichkeit, bei vollem Entgelt zwei Monate zusätzlichen Urlaub zu nehmen. Die sozial- und krankenversicherungsrechtlichen Aspekte sind bei den verschiedenen Formen des Sabbaticals nicht immer eindeutig geklärt und bedürfen deshalb einer sorgfältigen Prüfung und besonderer Vereinbarungen zwischen Mitarbeiter und Unternehmen. In letzter Zeit finden vor allem große Unternehmen zunehmend Gefallen an Sabbaticals in den Führungsetagen. Immer mehr Führungskräfte nehmen eine zeitlich befristete, über die normale Urlaubszeit hinausgehende zusammenhängende Auszeit. Hier scheint ein Umden- 266 · 6 Personaleinsatz und Personalerhaltung ken stattzufinden und sich größere Aufgeschlossenheit sowohl von Unternehmensals auch von Mitarbeiterbzw. Führungskräfteseite abzuzeichnen. 481 6.2.3.3 Flexibilisierung des Arbeitsortes 66.2.3.3.1 Vorbem erkung Mit der Flexibilisierung des Arbeitsortes verabschiedet man sich von dem Postulat, dass die Arbeitsleistung immer am selben Ort im Unternehmen erbracht werden muss. Es handelt sich aus organisatorischer Sicht um eine Dezentralisierung von Arbeitsplätzen. In der Regel erfolgt gleichzeitig eine Kombination mit flexibler Arbeitszeitgestaltung. In vielen dienstleistungsorientierten Unternehmen oder Abteilungen, in denen Kommunikation eine große Rolle spielt, halten sich Mitarbeiter nicht oft an ihrem Arbeitsplatz auf. Sie befinden sich bei Kunden, Lieferanten, Kollegen, in Konferenzräumen etc. Ein Großteil der Büros und Schreibtische ist demzufolge unbesetzt, dennoch fallen Miet-, Heizungs-, Reinigungs- und Stromkosten an. Auch während der Urlaubszeit und bei Dienstreisen stehen die Büros leer. Deshalb gehen Unternehmen bei der Festlegung des Arbeitsortes neue Wege. In den letzten Jahren haben sich drei bedeutende Formen, zwischen denen es viele Kombinationsmöglichkeiten gibt, herausgebildet: Desk-Sharing-Konzepte oder virtuelle Büros Telearbeit oder Telework Virtuelle Teams 6.2.3.3.2 Desk-Sha ring -Konzepte Bei Desk-Sharing-Konzepten oder virtuellen Büros sitzen die Mitarbeiter aufgaben- und projektbezogen zusammen und wechseln bei neuen Aufgaben ihren Arbeitsplatz. Im Extremfall steht ihnen gar kein fester Platz mehr zur Verfügung, stattdessen melden sie ihren Bedarf über das Intranet in einer Zentrale an und nehmen eine Reservierung eines Schreibtisches oder Büros vor. Die notwendige technische Infrastruktur steht bedarfsgerecht zur Verfügung. Just-in-time werden auch die aktuellen Arbeitsunterlagen, Schreibtischutensilien und persönlichen Dinge herbeigeschafft. Diese sind in einem Rollcontainer eingeschlossen, der in einem Lagerraum untergestellt wird, wenn der Mitarbeiter nicht im Unternehmen anwesend ist bzw. sie nicht benötigt. Häufig wird auch noch der Rollcontainer eingespart und der Mitarbeiter hat über seinen persönlichen Laptop hinaus keine privaten Dinge im Unternehmen. Vor allem Unternehmensberatungen verfahren so mit ihren Consultants, die den Großteil ihrer Arbeitszeit beim Kunden verbringen. Sie reduzieren die notwendigen Arbeitsplätze und die anfallenden Kosten auf diese Weise teilweise um mehr als die Hälfte. Aktuell setzt die Lufthansa mit ihrem Programm „New Workspace“ in ihrer Zentrale diese Idee konsequent um. Sämtliche festen Arbeitsplätze für ihre Mitarbeiter wurden abgeschafft. Es gibt „flexible Bürolandschaften“ und jeder Mitarbeiter muss sich jeden Tag im Groß- 481 Vgl. Schmale (2016), S. C 2; Beeger/ Bös (2017), S. 22. 6.2 Anreizsysteme · 267 raumbüro einen Platz suchen. So spart man ein Drittel aller Arbeitsplätze ein. Zur Not gibt es zusätzliche Stehpulte oder Plätze im Flur. 482 Auch Adidas, BMW, Lufthansa, die Deutsche Bank, Siemens, Microsoft und Apple stellen ihren Mitarbeitern in vielen Bereichen keine festen Arbeitsplätze mehr zur Verfügung. Damit soll „Silo-Denken“ abgeschafft werden und neue Kommunikationsmöglichkeiten sollen einen besseren Austausch untereinander ermöglichen. 483 Eine Umfrage der Frankfurter Allgemeine Zeitung ergab, dass die Mehrheit der DAX- Unternehmen ein solches Modell bereits eingeführt haben oder planen. 484 Neben Kosteneinsparungen bestehen die positiven Auswirkungen vor allem in den größeren Kommunikations- und Kontaktmöglichkeiten der in einem Team arbeitenden Mitarbeiter sowie in kürzeren und schnelleren Informationswegen zwischen den jeweiligen Teams. 485 Unternehmen, die mit Desk-Sharing-Konzepten arbeiten, registrieren außerdem eine Motivationssteigerung ihrer Mitarbeiter, da die Teammitglieder sich nun häufiger sehen, gemeinsam kreativ sind und durch verbesserte Kontakte ihre sozialen Bedürfnisse befriedigen können. Als Vorteile virtueller Büros haben sich erwiesen: Kosteneinsparungen bei Miete, Heizung, Strom, Reinigungsarbeiten und Büroausstattungen bessere Kommunikations- und Kontaktmöglichkeiten zu den jeweiligen Teamkollegen kürzere und schnellere Informationswege Motivationssteigerung der an einem Projekt beteiligten Mitarbeiter, die sich aufgrund der räumlichen Nähe häufiger besprechen können Steigerung der Kreativität durch räumliche Nähe der Teammitglieder größere Befriedigung sozialer Bedürfnisse durch wechselnde Büronachbarn Nachteile virtueller Büros sind vor allem mitarbeiterseitig zu finden: Verlust an Individualität keine eigene Gestaltung des Arbeitsplatzes möglich Verlust von Statussymbolen bei Führungskräften Forscher der britischen University of Exter haben ermittelt, dass Mitarbeiter zufriedener und leistungsorientierter sind, wenn sie ihren Arbeitsplatz mit persönlichen Utensilien versehen dürfen. Sie sind außerdem weniger krank und bis zu 38 Prozent produktiver. 486 Desk Sharing führt dazu, dass Herz-Kreislauf-Erkrankungen und psychische Probleme zunehmen. Als ursächlich werden der morgendliche Stress bei der Arbeitsplatzsuche und die 482 Vgl. Meck (2016), S. 28. 483 Vgl. Oberhuber (2017), S. 39; Steiner (2017), S. 39. 484 Vgl. Thier (2016), S. 21. 485 Vgl. Budras (2016), S. 22; Steiner (2017), S. 39. 486 Vgl. Thier (2016), S. 21. 268 · 6 Personaleinsatz und Personalerhaltung mangelnde Möglichkeit, seinen Arbeitsplatz persönlich zu gestalten, angesehen. 487 Auch der Verlust gewohnter sozialer Kontakte kann eine Ursache sein. Desk-Sharing-Konzepte eignen sich nicht gleichermaßen für alle Stellen. Bei Mitarbeitern, die keine häufig wechselnden Aufgaben übernehmen, ihrerseits interne Ansprechpartner für andere Mitarbeiter sind, spezielle (technische) Ausstattungen benötigen und üblicherweise ihre Aufgaben an einen festgelegten Ort erfüllen, kommen die Vorteile nicht zum Tragen. Beispiele sind Logistik- und Controlling-Abteilungen, Rechenzentren und Personalabteilungen. 66.2.3.3.3 Telework Viele Aufgaben müssen gar nicht erst im Unternehmen vor Ort erfüllt werden, sondern können stattdessen als Telearbeit (Telework) auch zu Hause durchgeführt werden. Unter Telearbeit versteht man Tätigkeiten, die ganz oder teilweise an einem Arbeitsplatz verrichtet werden, der außerhalb der zentralen Betriebsstätte liegt. Der Mitarbeiter ist mittels elektronischer Informations- und Kommunikationstechnologie mit seinem Unternehmen verbunden. Geeignet sind Arbeiten, die keinen häufigen direkten Kontakt zu anderen Stellen erfordern, z.B. Programmierarbeiten, standardisierte Sachbearbeitungsaufgaben oder bestimmte kreative Tätigkeiten. Nach dem räumlichen Dezentralisationsgrad unterscheidet man bei der Telearbeit diese Formen: Home Based Telework Center Based Telework (Satellitenbüros und Nachbarschaftsbüros) Onsite Telework mobile Telework Zwischen diesen idealtypischen Varianten existieren in der Praxis viele Mischformen. (a) Home Based Telework Bei der am weitesten verbreiteten Form, der Home Based Telework, befindet sich der Arbeitsplatz des Mitarbeiters zu Hause. Im Extremfall steht dem Mitarbeiter gar kein eigener Arbeitsplatz bei seinem Arbeitgeber zur Verfügung. Da der Mitarbeiter in seiner häuslichen Umgebung arbeitet, spricht man auch von Homeoffice. Um seine Aufgaben zu erfüllen, benötigt der Mitarbeiter zusätzliche Räumlichkeiten und passende Arbeits- und Kommunikationsmittel vor Ort. Mit dem Unternehmen tritt er per Internet, Intranet, Telefon etc. in Kontakt. Auf diesem Wege erhält er die notwendigen Informationen und Arbeitsanweisungen und liefert auch seine Arbeitsergebnisse ab. Die Kosten, die für die Technologie und die Verbindung entstehen, trägt in der Regel der Arbeitgeber. Einige Unternehmen beteiligen sich zudem an den Kosten für die häuslichen Räumlichkeiten, wie Miete, Strom und Heizung. Häufig wird diese Form der Telearbeit mit Teilzeitarbeit kombiniert. Sie wird insbesondere von Personen geschätzt, die Familie und Beruf problemloser in Einklang bringen können, 487 Vgl. Oberhuber (2017), S. 39. 6.2 Anreizsysteme · 269 wenn sie im häuslichen Bereich arbeiten. Auch für Menschen mit eingeschränkter Mobilität schafft Home Based Telework verbesserte Integrationsmöglichkeiten. Ein Mitarbeiter, der in Telework arbeitet, muss nicht nur fachlich qualifiziert sein, sondern auch hohe soziale Anforderungen erfüllen. Er muss familiäre und berufliche Verpflichtungen trennen können, wenn er zu Hause ist. 488 Er muss fähig sein, sich selbst zu motivieren, zu disziplinieren und zu kontrollieren, da er keinen Vorgesetzten hat, der „ihm auf die Finger schaut“. Er muss damit umgehen können, dass er in seinem Arbeitsumfeld kaum soziale Kontakte aufbauen kann. Sein Ausdrucksvermögen und seine sprachliche Sensibilität müssen sehr gut sein, weil Mimik und Gestik die Kommunikation nicht unterstützen können. 489 Da der Mitarbeiter seinen Arbeitsplatz im häuslichen Umfeld eingerichtet hat, entfällt der Pendelverkehr zum Unternehmen. Er kann nach seinem persönlichen Leistungsrhythmus arbeiten und hat mehr Freizeit, die er flexibler gestalten kann. Home Based Telework birgt allerdings die Gefahr sozialer Isolation. Der Mitarbeiter verliert den direkten Kontakt zu Kollegen und Geschäftspartnern. Mangelnde Identifikation mit dem Unternehmen und dessen Zielen können die Folge sein. Deshalb wird in vielen Arbeitsverträgen eine regelmäßige Anwesenheitspflicht im Unternehmen vereinbart, z.B. nimmt der Mitarbeiter immer dienstags am Jour fix der Arbeitsgruppe teil und verbringt den Arbeitstag im Unternehmen. Eine solche Kombination wird als alternierende Telearbeit bezeichnet. Der dafür benötigte Arbeitsplatz kann als Desk-Sharing-Platz zur Verfügung gestellt werden. Auch die regelmäßige Teilnahme an Weiterbildungsmaßnahmen ist oft vertraglich geregelt. Das Unternehmen spart bei Home Based Telework Miet-, Heizungs-, Reinigungs-, Sachmittel-, Instandhaltungs- und Stromkosten, da es dem Mitarbeiter vor Ort keinen oder nur zeitweise einen Arbeitsplatz zur Verfügung stellen muss. Außerdem kann es qualifizierte Mitarbeiter halten, die es eventuell verlieren würde, würde es ihnen nicht die räumliche und zeitliche Flexibilität bieten, die sie sich wünschen. Vorgesetzte wenden gegen Home Based Telework oft ein, dass sie keine Kontrolle über die Arbeit ihres Mitarbeiters haben. Dies ist jedoch nur insofern richtig, als hinsichtlich der Arbeitszeit Informationen fehlen. Ein traditionelles Führungsverständnis, das auf direkten Anweisungen und häufigen Kontrollen basiert, ist hier nicht mehr angebracht. Der Vorgesetzte muss seine Art zu Führen ändern. Personalisierte, direkte Führung muss zugunsten des Einsatzes von klaren Zielvereinbarungen und Management by Objectives verringert werden. 490 Mit diesen Maßnahmen kann der Vorgesetzte die Ergebnisse der Arbeit und die Zielerreichung kontrollieren und nicht das „Sitzen am Schreibtisch“. Aus ökologischer Sicht wird die Umwelt entlastet, da keine bzw. weniger Fahrten zum Unternehmen notwendig sind. Für den Staat verringert sich die Summe der Pendlerpauschale. 488 Vgl. Winker (2001), S. 52 ff. 489 Vgl. Nicolai (2012), S. 159. 490 Vgl. Pesch (2005), S. 57; Köppel/ Sattler (2009), S. 26 ff. 270 · 6 Personaleinsatz und Personalerhaltung Vorteile der Home Based Telework sind: Ersparnis von Büros bzw. Arbeitsplätzen im Unternehmen Verwendung als Anreizinstrument für das Personalmarketing Vermeidung von Fluktuation qualifizierter Mitarbeiter Verringerung von Miet-, Heizungs-, Reinigungs-, Sachmittel-, Instandhaltungs- und Stromkosten im Unternehmen Verringerung der Personalnebenkosten, z.B. Fahrgeldzuschuss, Zuschuss zum Kantinenessen geringere Fehlzeiten leichtere Vereinbarkeit von Beruf und Familie Motivationssteigerung durch Einklang von beruflichen und privaten Interessen höhere Kreativität durch ruhigere Arbeitsatmosphäre Anpassung der mengenmäßigen und zeitlichen Aufgabenerfüllung an den persönlichen Leistungsrhythmus flexiblere Freizeitgestaltung höhere Arbeitszufriedenheit weniger Unterbrechung bei der Aufgabenerfüllung Zeit- und Kostenersparnis für den Mitarbeiter durch Wegfall der Fahrten zum Unternehmen und wieder nach Hause Entwicklungschancen in ländlichen, strukturschwachen Gebieten erleichterte Eingliederung benachteiligter Arbeitnehmergruppen ins Erwerbsleben Schonung der Umwelt durch weniger Pendelverkehr Entlastung der Verkehrswege Als Nachteile haben sich erwiesen: zusätzliche Kosten für Infrastruktur in der häuslichen Umgebung des Mitarbeiters mögliche Probleme mit Datenschutz und Datensicherheit zusätzlicher Platzbedarf in der häuslichen Umgebung des Mitarbeiters geringerer Kontakt zu Kollegen und Geschäftspartnern aufgrund der räumlichen Ferne geringere Kontrollmöglichkeiten seitens des Vorgesetzten bzgl. der tatsächlichen Arbeitszeiten Gefahr mangelnder Identifikation mit dem Unternehmen und seinen Zielen Probleme bei der Trennung zwischen Berufs- und Privatleben Störfaktoren in der häuslichen Umgebung Gefahr sozialer Isolation Gefahr, dass Teleworker bei Beförderungen und Personalentwicklungsmaßnahmen übergangen (vergessen) werden 6.2 Anreizsysteme · 271 BMW stellte in einem zweijährigen Pilotprojekt fest, dass die Fehlzeiten ihrer Telearbeitnehmer deutlich niedriger sind als bei Mitarbeitern, die ihren regelmäßigen Arbeitsplatz im Unternehmen haben. Teleworker legen Behörden- und Arztbesuche seltener in die Arbeitszeit und fangen nach Krankheiten früher an zu arbeiten, da sie das Haus nicht verlassen müssen. 491 54,5 Prozent der Top-1000-Unternehmen in Deutschland bieten aktuell Home Office an bzw. wollen ihre Angebote sogar ausweiten. 492 Durch die modernen Kommunikationsmöglichkeiten (I-Phones, I-Pads, Laptops, Flat Rates etc.) verwischen sich die Grenzen zwischen klassischen Arbeitsformen und Telearbeit jedoch immer mehr. Man bearbeitet mobil seine E-Mails zu Hause, greift auf interne Programme des Unternehmens zu, bearbeitet und speichert Dateien, ohne sich darüber Gedanken zu machen, dass man „seine Arbeit mit nach Hause nimmt“. Viele Unternehmen betonen ausdrücklich die höhere Produktivität und Kreativität als Vorteile. In jüngster Zeit jedoch steht die Telework in der Kritik. So hat beispielsweise das Unternehmen Yahoo bereits 2013 die Telearbeit sehr stark eingeschränkt. Man hält sie dort für relativ unproduktiv und wenig kreativ. 493 So verfährt man mittlerweile auch bei IBM, Reddit und Best Buy. 494 (b) Center Based Telework Bei der Center Based Telework unterscheidet man zwischen Satellitenbüros und Nachbarschaftsbüros. Satellitenbüros stellen eine Art ausgelagerter Betriebsstätte dar. Dazu fasst man mehrere Telearbeitsplätze zusammen und stellt von Unternehmensseite Arbeitsräume zur Verfügung. Diese befinden sich normalerweise nicht in Innenstadtlagen, sondern am Stadtrand und oft in der Nähe der Wohnorte der Mitarbeiter. Meistens werden sie zur Kostenreduktion bewusst an der Peripherie von Ballungszentren eingerichtet. Für viele Mitarbeiter verkürzen sich damit die Anfahrtswege bzw. -zeiten zu ihrer Arbeitsstelle. Die Vor- und Nachteile der Home Based Telework gelten in geringerem Umgang auch für die Center Based Telework. Dem Unternehmen entstehen geringere Mietkosten als in der Zentrale, da das Mietniveau für Büroräume niedriger als in den Innenstädten ist. Datenschutz und Datensicherheit können im Vergleich zur Home Based Telework besser gewährleistet werden. Die Ausstattung mit Hard- und Software ist weniger aufwändig, denn nicht jeder Mitarbeiter muss jeweils über alle Komponenten verfügen. Beispielsweise benötigt man nur einen gemeinsamen Kopierer und ein Fax. Außerdem wird die soziale Isolation reduziert. Durch geregelte Anwesenheitspflichten und Zeiterfassungssysteme können auch die Kontrollmöglichkeiten für die Vorgesetzten verbessert werden. 491 Vgl. Sauermann (2005), S. 38. 492 Vgl. Weitzel et al. (2015 a), S. 22. 493 Vgl. o.V. (2013 c), S. C 2. 494 Vgl. o.V. (2017 c). 272 · 6 Personaleinsatz und Personalerhaltung Eine Sonderform der Center Based Telework stellen die Nachbarschaftsbüros dar. Ähnlich wie die Satellitenbüros befinden sie sich außerhalb der Ballungszentren in räumlicher Nähe der Wohnorte der Mitarbeiter. Sie werden jedoch nicht nur von den Arbeitnehmern eines einzelnen Unternehmens genutzt. Vielmehr teilen sich mehrere Unternehmen die Räumlichkeiten und eventuell auch bestimmte Serviceeinrichtungen, wie Sekretariat, Telefondienst, Empfang und Hausmeisterdienste. (c) Onsite Telework und mobile Telework Telearbeit, die am Standort eines Kunden oder Geschäftspartners stattfindet, bezeichnet man als Onsite Telework oder mobile Telework. Der Mitarbeiter hat für einen längeren Zeitraum, meist bis ein umfangreicher Auftrag abgeschlossen ist, keinen Arbeitsplatz in seinem Unternehmen, sondern arbeitet unmittelbar beim Kunden bzw. Geschäftspartner vor Ort. Durch den Einsatz moderner Informations- und Kommunikationsmittel ist er mit seinem Unternehmen verbunden. Ist sein Auftrag beendet, arbeitet er entweder bei einem anderen Kunden oder kehrt an einen Arbeitsplatz in seinem Unternehmen zurück. Bei der weitestgehenden Form von Arbeitsplatzdezentralisierung, der mobilen Telework, ist für den Mitarbeiter überhaupt kein Arbeitsplatz im Unternehmen mehr vorgesehen. Den Kontakt zum Unternehmen hält er nur noch mithilfe von Informations- und Kommunikationstechnik aufrecht. Typische Beispiele für solche Stellen sind Außendienstjobs. 66.2.3.3.4 Virtuelle Tea m s Im Unterschied zu klassischen Teams handelt es sich bei virtuellen Teams um eine Gruppe, deren Mitglieder ohne unmittelbaren persönlichen Kontakt zusammen eine Aufgabe erfüllen. Es gelten ansonsten die gleichen Merkmale (vgl. Kapitel 6.2.3.1.3). Die vorhandenen Kommunikationsmedien und IT-Hilfsmittel ermöglichen es, gemeinsam an einer Aufgabe zu arbeiten, ohne von Angesicht zu Angesicht miteinander in Kontakt zu treten. Eine lokale Synthese ist nicht mehr notwendig. Häufig werden virtuelle Teams gebildet, wenn es um die kreative Lösung komplexer Projekte, bzw. Teilprojekte geht und über „die ganze Welt verstreut“ Experten daran mitarbeiten sollen. Für die Bearbeitung von Routineaufgaben werden sie nicht eingesetzt. Ein Projekt zeichnet sich durch diese Merkmale aus: 495 „Zielorientierung: Die Aufgabenstellung ist genau definiert. Komplexität: Es geht um die Lösung eines umfangreichen Problems, das mehrere Bereiche betrifft. Neuartigkeit: Projekte befassen sich mit neuen Aufgabenstellungen und Herausforderungen, nicht mit Kleinigkeiten oder Routineaufgaben. Interdisziplinäres Handeln: Ressortbzw. abteilungsbezogenes Denken und Handeln soll bewusst vermieden werden. Einsatz von Spezialisten: Die Projektmitarbeiter werden anhand ihrer fachlichen Eignung ausgesucht. 495 Nicolai (2018), S. 154. 6.2 Anreizsysteme · 273 Zeitliche Befristung: Das Projekt hat einen genau definierten Anfang und einen festgelegten Endtermin. Begrenzte sachliche und personelle Ressourcen: Bestimmte sachliche Hilfsmittel und eine festgelegte Mitarbeiterkapazität werden zur Verfügung gestellt. Finanzielle Begrenzung: Für das Projekt wird ein Budget festgelegt. i.d.R. Teamarbeit: Projekte werden in den meisten Fällen von Teams durchgeführt.“ Die Mitglieder dieser Teams werden nach ihrer Expertise und nicht nach der räumlichen Nähe zum Problem ausgesucht. Unternehmen versprechen sich davon bessere, passendere und schnellere Ergebnisse. Die Vor- und Nachteile des Homeoffice treten bei virtuellen Teams noch deutlicher zutage als in der klassischen Version. Interkulturelle Schwierigkeiten können hinzukommen. Diese Art von Flexibilisierung wird oft von jungen Menschen bevorzugt, die nicht orts- oder familiengebunden sein und in einem internationalen Umfeld arbeiten möchten, sie gilt als „hip und cool“. 6.2.3.4 Soziale Kommunikation und Gruppenmitgliedschaft Mit sozialer Kommunikation ist der Informationsaustausch zwischen „menschlichen Sendern“ und „menschlichen Empfängern“ gemeint. Hier geht es vor allem um denjenigen Teil der Kommunikation, der unabhängig von bzw. neben der fachlichen Ebene stattfindet. Es handelt sich also nicht um den Informationsaustausch entlang formeller Wege im Unternehmen, sondern vornehmlich um eine informelle Kommunikation, die sich durch freiwillige Kontakte der Mitarbeiter ergibt. Ihr Zweck kann mit der Arbeit und dem Unternehmen zu tun haben oder rein privater Natur sein. 496 Die soziale Kommunikation dient verschiedenen Bedürfnissen. Sie kann das Sicherheitsbedürfnis des Mitarbeiters befriedigen, der erfahren möchte, ob sein Verhalten akzeptiert wird bzw. wie er es an veränderte Situationen anpassen muss. Sie erfüllt darüber hinaus das Bedürfnis nach Kontakt und hilft Anerkennungs- und Selbstverwirklichungswünsche zu verwirklichen, denn der Mitarbeiter erhält Informationen über seinen individuellen Stellenwert und den seiner Arbeit im Unternehmen. Die Teilhabe an der Kommunikation und der Grad der Informiertheit sind außerdem Statussymbole. 497 Höflicher Umgang miteinander, Freundlichkeit und wertschätzende Kommunikation zeugen von Respekt und sind für eine gute Zusammenarbeit unverzichtbar. Unhöflichkeit wirkt enttäuschend, frustrierend und bremst die Einsatzfreude. Sie vermittelt den Eindruck, der andere sei an einer Zusammenarbeit nicht interessiert, dies umso mehr, wenn es sich um eine Führungskraft handelt. 498 Die Anreizwirkung der Gruppenmitgliedschaft resultiert aus dem Bedürfnis des Menschen nach sozialer Interaktion. Menschen leben normalerweise nicht als isolierte Individuen, son- 496 Vgl. Nicolai (2009 a), S. 276 ff. 497 Vgl. Hentze/ Graf (2005), S. 258. 498 Vgl. Kals (2013), S. C 1. 274 · 6 Personaleinsatz und Personalerhaltung dern denken und handeln die meiste Zeit als Mitglieder von Gruppen, die sich gegenseitig beeinflussen. Die Mitarbeiter gehören formellen Arbeitsgruppen an, die sich aus der Organisationsstruktur ergeben. Daneben sind sie gleichzeitig Mitglieder informeller Gruppen. Deren Mitgliedschaft gründet auf gemeinsamen Interessen oder Sympathie. Die Ziele dieser Gruppen müssen sich nicht mit denen des Unternehmens decken. Als Beispiel sei eine Fahrgemeinschaft zum Arbeitsplatz genannt. Gleiches gilt für eine Skat-Runde, die sich aufgrund privater Interessen aus Unternehmensmitgliedern gebildet hat und außerhalb des Unternehmens ihrem Hobby nachgeht. Gruppenmitgliedschaften befriedigen das Bedürfnis nach Kontakt, Geborgenheit und Zugehörigkeit. Oft empfinden Mitarbeiter die Gruppenzugehörigkeit an sich bereits als Auszeichnung, etwa wenn sie dem besonders geförderten High-Potential-Kreis eines Unternehmens angehören. Wenn ein Mitarbeiter innerhalb einer formellen oder informellen Gruppe eine besondere (geachtete) Position einnimmt, können dadurch auch Status- und Selbstverwirklichungsbedürfnisse befriedigt werden. 6.2.3.5 Personalführung 66.2.3.5.1 Beg riffliche Klä rung und Einordnung der Persona lführung Der Begriff Führung wird sehr unterschiedlich verwendet. In der Betriebswirtschaftslehre unterscheidet man in der Regel zwischen zwei Bereichen. Abb. 6-25 gibt einen Überblick. Unternehmensführung institutional funktional Führungskräfte personenbezogen sachbezogen Unternehmensführung im engeren Sinn (Management) prozessbezogen strukturbezogen Zielsetzung, Planung, Steuerung, Kontrolle Organisation Personalführung Abb. 6-25: Personalführung als Teil der Unternehmensführung 6.2 Anreizsysteme · 275 Unternehmensführung im engeren Sinn wird oft auch als Management bezeichnet. Sie umfasst die systematische zielorientierte Planung, Steuerung und Kontrolle von Unternehmensbereichen und Gesamtunternehmen. Neben diesem prozessbezogenen hat sie einen strukturbezogenen Aufgabenbereich, die Organisation. Bisweilen werden die Begriffe Unternehmensführung und Management auch im institutionalen Sinn verwendet, in diesem Fall ist die Gruppe der Führungskräfte damit gemeint. Personalführung ist derjenige Teilbereich der Unternehmensführung, bei dem es um die zielgerichtete Verhaltensbeeinflussung der Mitarbeiter geht, die immer dann erforderlich ist, wenn das Verhalten mehrerer Personen koordiniert werden muss. Sie ist der Betrachtungsgegenstand dieses Kapitels. Die Bedeutung der Personalführung hat in den letzten Jahren stetig zugenommen. Der Erfolg eines Unternehmens hängt oft weniger vom optimalen Einsatz des Materials und Kapitals als vielmehr vom optimalen Einsatz der Ressource Personal ab, der über die Personalführung gesteuert wird. Personalführung ist ein kommunikativer Prozess, mit dem das Verhalten von Mitarbeitern zielorientiert beeinflusst wird. Personalführung weist diese Merkmale auf: Es sind mindestens zwei Personen (Führender und Geführter) beteiligt. Zwischen ihnen findet eine soziale Interaktion statt, die nicht notwendigerweise mittels Sprache geschehen muss. Die Einflussnahme geschieht zielorientiert, d.h. im Hinblick auf bestimmte, erwünschte (Unternehmens-)Ergebnisse. Durch die Einflussnahme soll das Verhalten ausgelöst bzw. gesteuert werden. Üblicherweise handelt es sich bei Personalführung um die Einflussnahme des Vorgesetzten auf seine Mitarbeiter. Sie kann allerdings auch umgekehrt bzw. durch ein Gruppenmitglied auf andere Gruppenmitglieder erfolgen. Da es also bei Personalführung nicht zwangsläufig um die Beziehung zwischen Führungskraft und Mitarbeiter gehen muss, werden im Folgenden auch die Begriffe Führender und Geführter verwendet. Personalführung umfasst zwei Funktionen: 499 Bei der Lokomotionsfunktion (Zielerreichungsfunktion) geht es um die Erfüllung der Sach- und Leistungsziele. Die Mitarbeiter sollen dazu veranlasst werden, durch ihr Handeln ein gemeinsames Ziel zu erreichen. Hier steht der Aufgabenbezug im Mittelpunkt der Personalführung. Die Kohäsionsfunktion (Gruppenerhaltungsfunktion) soll den inneren Zusammenhalt und den Bestand der Gruppe fördern und sichern. Dazu müssen z.B. motivierende Arbeitsbedingungen geschaffen werden. Der Vorgesetzte muss beiden Funktionen gleichermaßen gerecht werden. 499 Vgl. Jung (2017), S. 410 f. 276 · 6 Personaleinsatz und Personalerhaltung Personalführung kann entweder durch den direkten Kontakt zwischen Vorgesetztem und Mitarbeitern erfolgen oder durch eine indirekte Verhaltensbeeinflussung über feste Normen und Strukturen. Im ersten Fall spricht man von direkter, interaktiver Führung, im zweiten Fall von indirekter, organisatorischer Führung. Die direkte, interaktive Führung setzt eine persönliche Wechselbeziehung zwischen Vorgesetztem und Mitarbeiter über Gespräche, Diskussionen, Sitzungen, Vorträge etc. voraus. Es handelt sich um den individuellen Aspekt der Führung. Die indirekte, organisatorische Führung steuert das Verhalten über verbindliche Regeln. Hierzu zählen z.B. Stellenbeschreibungen, hierarchische Einordnungen, Management-by- Konzepte, definierte Entscheidungsbefugnisse und -strukturen, Ablaufpläne etc. Beide Formen der Führung ergänzen sich. Die organisatorische Führung legt einen Rahmen für das Mitarbeiterverhalten fest und sorgt für gleiche Handlungsbedingungen. Die direkte Führung berücksichtigt die Gegebenheiten des jeweiligen Einzelfalls. Oft unterscheidet man in letzter Zeit in diesem Zusammenhang auch zwischen Management und Leadership. Dann wird Management in der Regel als derjenige Teil der Mitarbeiterführung angesehen, bei dem es um den prozess- und strukturbezogenen Aspekt der Führung geht, d.h. um Zielsetzung, Planung, Steuerung, Organisation und Kontrolle. Die Inhalte überschneiden sich mit der indirekten Führung. Leadership betrifft die Verhaltensbeeinflussung über die persönliche Beziehung zwischen Führendem und Geführtem und entspricht in etwa der direkten, interaktiven Führung. 66.2.3.5.2 M a cht und Autoritä t a ls Grundla g en der Führung Führende nehmen auf das betriebliche Geschehen und auf andere Personen Einfluss. Die Grundlagen hierfür sind Macht und Autorität. Macht ist die Fähigkeit eines Menschen, seinen Willen und seine Interessen gegenüber anderen Personen - auch gegen deren Willen - durchzusetzen. In einem Unternehmen beruht Macht auf diesen Grundlagen 500 : Legitimationsmacht: Über diese Machtbasis verfügt ein Vorgesetzter wegen seiner hierarchischen Position, die er im Unternehmen innehat. Aufgrund dieser übergeordneten Stellung hat er das Recht, Macht über unterstellte Personen auszuüben. Voraussetzung ist, dass die der Hierarchie zugrunde liegenden Normen und Werte von den Mitarbeitern akzeptiert werden. Belohnungs- und Sanktionsmacht: Aufgrund seiner Position hat der Vorgesetzte die Möglichkeit, positives Verhalten zu belohnen, z.B. mit Gehaltserhöhungen, Prämien, interessanten Aufgaben oder Fördermaßnahmen. Bei nicht angemessenem Verhalten kann er Sanktionen veranlassen. Als solche kommen beispielsweise die Zuweisung unange- 500 Vgl. Hentze/ Graf (2005), S. 264 f.; Jung (2017), S. 412; Hentze/ Graf/ Kammel/ Lindert (2005), S. 352 ff.; Lindert (2007), S. 153 ff.; Lohaus/ Habermann (2012), S. 18 ff. 6.2 Anreizsysteme · 277 nehmer oder uninteressanter Aufgaben, Versetzung, Kürzung von Sonderzahlungen, Abmahnung und im Extremfall Entlassung in Betracht. Expertenmacht: Die fachliche Kompetenz des Führenden ist hier auschlaggebend. Die Geführten billigen ihm einen Qualifikationsvorsprung zu und akzeptieren seinen Willen, weil sie der Überzeugung sind, dass er aufgrund seines größeren Wissens und Könnens die richtigen Entscheidungen trifft. Expertenmacht muss nicht an Legitimationsmacht gebunden sein. Identifikationsmacht: Die Mitarbeiter identifizieren sich mit dem Führenden, indem sie dessen Werte, Verhaltensweisen und Überzeugungen übernehmen und ihrem eigenen Arbeitsverhalten zugrunde legen. Informationsmacht: Hier stehen die Information und ihre Bedeutung im Vordergrund. Der Vorgesetzte hat aufgrund seiner hierarchischen Stellung oft einen Informationsvorsprung, da er wichtige Nachrichten in größerem Umfang und schneller erhält als seine Mitarbeiter. Er kann bestimmen, welche und wie viele dieser Informationen er nach unten weitergibt. Überzeugungs- und Manipulationsmacht: Will der Vorgesetzte seine Mitarbeiter überzeugen, dann legt er seine Ziele offen und erklärt, warum sie erreicht werden sollen. Bei Manipulation bleiben seine Ziele den Mitarbeitern verborgen, indem er sie zum Teil bewusst verschleiert. Ökologische Macht: Darunter versteht man die Möglichkeit, die Arbeitsumgebung im Unternehmen so zu gestalten, sodass bestimmte Verhaltensweisen von vornherein ausgeschlossen sind. Vorgesetzte verfügen normalerweise über mehrere, unterschiedlich stark ausgeprägte Machtgrundlagen, die es ihnen ermöglichen, auf das Verhalten der Mitarbeiter Einfluss zu nehmen und Kontrolle auszuüben. Die Auswahl hängt von der jeweiligen Situation und auch von den Werten und Einstellungen des Vorgesetzten ab. Ein autoritärer Vorgesetzter wird sich zum Beispiel stärker auf seine Legitimations- und Sanktionsmacht berufen als sein kooperativ führender Kollege. Die zweite Grundlage der Führung ist Autorität. Sie beruht auf der Bereitschaft der Mitarbeiter, sich dem Führenden unterzuordnen und sich in die Hierarchie einzufügen. Sie ist eine grundlegende Voraussetzung der Leistungserstellung im Unternehmen. Die Mitarbeiter räumen ihren Vorgesetzten das Recht ein, ihnen Weisungen zu erteilen. Autorität entsteht also nicht dadurch, dass ein Vorgesetzter vom Unternehmen mit Machtbefugnissen ausgestattet worden ist, sondern sie beruht darauf, dass Mitarbeiter die hierarchische Struktur des Unternehmens freiwillig anerkennen und sie für selbstverständlich erachten. Es gibt verschiedene Formen von Autorität: 501 Personale oder charismatische Autorität: Sie basiert auf der Persönlichkeit des Führenden. Die Mitarbeiter erkennen ihn aufgrund verschiedener Eigenschaften wie Integrität, Vertrauenswürdigkeit, Zuverlässigkeit oder seiner sozialen Kompetenz an. Fachliche Qualitäten sind von nachgelagerter Bedeutung. 501 Vgl. Jung (2017), S. 413. 278 · 6 Personaleinsatz und Personalerhaltung Fachautorität: Sie beruht auf der fachlichen Qualifikation und Erfahrung des Führenden. Die Mitarbeiter sind der Überzeugung, dass er Situationen richtig beurteilen kann und sachgerecht entscheidet, handelt und anweist. Amtsautorität: Sie gründet sich auf der Anerkennung der hierarchischen Struktur des Unternehmens. Die Mitarbeiter akzeptieren die Zweckmäßigkeit und Rechtmäßigkeit der betrieblichen Unterstellungsverhältnisse. Legitimationsmacht und Amtsautorität verlieren in der heutigen Zeit an Bedeutung. Vorgesetzte, die qualifizierte und selbstbewusste Mitarbeiter erfolgreich motivieren wollen, müssen verstärkt auf die anderen Grundlagen der Führung zurückgreifen. Die Art des Führens steht zudem im Zusammenhang mit dem zugrunde liegenden Menschenbild, welches das Führungsverhalten des Vorgesetzten prägt und in der Unternehmensphilosophie zum Ausdruck kommt. Hier sei auf Kapitel 6.1.1 verwiesen. 66.2.3.5.3 Führung sstile Unter einem Führungsstil versteht man ein situationsunabhängiges, regelmäßig wiederkehrendes Verhaltensmuster eines Vorgesetzten gegenüber seinen Mitarbeitern. Es orientiert sich an einer einheitlichen, methodischen Grundeinstellung. Demgegenüber geht es beim Führungsverhalten um das aktuelle Verhalten eines Vorgesetzten gegenüber seinen Mitarbeitern in einer konkreten Situation. 502 Es handelt sich also um die spezifische, einzelfallbezogene Interpretation des methodischen Verhaltensmusters durch einen einzelnen Vorgesetzten. Sowohl in der Praxis als auch in der Theorie werden die beiden Begriffe nicht klar voneinander abgegrenzt und oft synonym verwendet. Die Wissenschaft teilt die Führungsstile in verschiedene Gruppen ein. Im Folgenden soll nach der Zahl der vorrangig betrachteten Unterscheidungskriterien zwischen ein-, zwei- und mehrdimensionalen Führungsstilen unterschieden werden. Den Abschluss bilden Ausführungen zu übergreifenden Führungsstilen. (a) Eindimensionale (klassische) Führungsstile Hier steht der Entscheidungsspielraum der Beteiligten im Mittelpunkt. Autoritärer und kooperativer Führungsstil bilden die beiden Extreme. Diese Begriffe gehen auf Tannenbaum und Schmidt zurück. 503 Sie stellen, wie Abb. 6-26 zeigt, neben den beiden Extremen fünf Mischformen auf. Auf ihrer Skala nimmt der Entscheidungsspielraum der Mitarbeiter von links nach rechts zu, der des Vorgesetzten entsprechend ab. 502 Vgl. Bröckermann (2012), S. 274. 503 Vgl. Tannenbaum/ Schmidt (1958), S. 96. 6.2 Anreizsysteme · 279 1. Vorgesetzter entscheidet und teilt seine Entscheidung mit 2. Vorgesetzter leistet Überzeugungsarbeit, bevor er anordnet 3. Vorgesetzter gestattet Fragen, um Akzeptanz zu erreichen, danach entscheidet er allein 4. Vorgesetzter präsentiert eine vorläufige Entscheidung, Mitarbeiter können ihre Meinung äußern, dann entscheidet er allein 5. Vorgesetzter zeigt Problem auf, erhält dann von den Mitarbeitern Lösungsvorschläge und entscheidet sich für den seiner Meinung nach besten Vorschlag 6. Vorgesetzter definiert den Entscheidungsspielraum seiner Mitarbeiter und fordert sie auf, die Entscheidung selbst zu treffen 7. Vorgesetzter gestattet den Mitarbeitern in den systembedingten Grenzen frei zu entscheiden und zu handeln autoritärer Führungsstil kooperativer Führungsstil Entscheidungsspielraum des Vorgesetzten Entscheidungsspielraum des Mitarbeiters Abb. 6-26: Eindimensionale Führungsstile 504 Beim autoritären Führungsstil liegen die Entscheidungen allein beim Vorgesetzten, die Mitarbeiter sind nur ausführende Weisungsempfänger. Beim kooperativen Führungsstil hat der Vorgesetze einen Handlungsrahmen gesetzt und hält sich nun weitestgehend zurück. Die Mitarbeiter entscheiden innerhalb dieser Grenzen selbständig. Nach Tannenbaum und Schmidt ist keiner der sieben dargestellten Führungsstile grundsätzlich zu bevorzugen, vielmehr hängt der beste Führungsstil von drei Charakteristika ab und je nach der Konstellation dieser drei Merkmale kann ein Führungsstil erfolgreich sein oder auch nicht: Charakteristika des Vorgesetzten: Hierzu zählen sein Wertesystem, sein Vertrauen in die Mitarbeiter, sein Sicherheitsempfinden, seine fachlichen Kompetenzen und seine Führungsqualitäten. Charakteristika der Mitarbeiter: Darunter fallen insbesondere Erfahrungen, Fach- und Entscheidungskompetenz, Engagement, Eigeninitiative und Ansprüche hinsichtlich der individuellen Entwicklungsmöglichkeiten. 504 Vgl. Jung (2017), S. 424. 280 · 6 Personaleinsatz und Personalerhaltung Charakteristika der Situation: Sie umfassen die Art der Unternehmensstruktur, die Eigenschaften der Arbeitsgruppe, die Besonderheiten der Aufgabenbzw. Problemstellung und den zeitlichen Abstand bis zur Handlung bzw. bis zum benötigten Ergebnis. Der Entscheidungsspielraum des Vorgesetzten bzw. Mitarbeiters ist bei eindimensionalen Führungsstilen zwar das wichtigste Kriterium, aber es gibt weitere Merkmale, welche die eindimensionalen Führungsstile kennzeichnen. Zum autoritären Führungsstil gehören diese Merkmale: 505 Entscheidung, Ausführung und Kontrolle sind getrennt. Die Zielbildung erfolgt ausschließlich durch den Vorgesetzten. Der Vorgesetzte hat das alleinige Entscheidungs- und Weisungsrecht. Er setzt vor allem auf Legitimationsmacht und Amtsautorität. Die Mitarbeiter haben die Weisungen weitgehend widerspruchslos auszuführen. Die Arbeitsabläufe sind streng geregelt. Es findet eine sachliche Detailkontrolle in Form der Fremdkontrolle durch den Vorgesetzten statt. Kontrollrechte der Mitarbeiter gegenüber ihrem Vorgesetzten bestehen nicht. Da die Mitarbeiter sich als Befehlsempfänger sehen und von ihrem Vorgesetzten auch so behandelt werden, bleiben Kreativität, Eigeninitiative und die Möglichkeit, sich weiterzuentwickeln, auf der Strecke. Das geistige Potenzial der Mitarbeiter wird kaum genutzt. Es herrscht ein eher angespanntes Betriebsklima ohne besondere Loyalität dem Vorgesetzen und dem Unternehmen gegenüber. Immaterielle Anreize werden vom Vorgesetzten als unwichtig angesehen, er setzt auf materielle Anreize wie z.B. Prämien. Aufgrund seiner quantitativen und qualitativen Überlastung besteht die Gefahr von Fehlentscheidungen. Andererseits werden die hohe Entscheidungsgeschwindigkeit und die großen Entwicklungsmöglichkeiten für den Vorgesetzten als Vorteile genannt. Beim kooperativen Führungsstil sind die Mitarbeiter in einem großen Umfang an der Entscheidungsfindung beteiligt, der Vorgesetzte hält sich zurück. Von Bedeutung sind diese Merkmale: 506 Die Trennung von Entscheidung, Ausführung und Kontrolle wird bewusst aufgehoben. Entscheidungen werden auf diejenige betriebliche Ebene verlagert, auf der sich die größte Kompetenz befindet. Die Selbstkontrolle durch den Mitarbeiter dominiert. Der Vorgesetzte beschränkt sich auf eine ergebnisbezogene Endkontrolle. Die Mitarbeiter haben gegenüber ihrem Vorgesetzten Kontrollrechte. Der Vorgesetzte setzt vor allem auf seine Expertenmacht. 505 Vgl. Olfert (2012), S. 319 f.; Hohlbaum/ Olesch (2004), S. 104 f. 506 Vgl. Hohlbaum/ Olesch (2004), S. 104 f.; Korndörfer (1999), S. 230 ff. 6.2 Anreizsysteme · 281 Der Vorgesetzte fungiert hier vornehmlich als Initiator und Koordinator. Die Mitarbeiter entscheiden weitgehend selbst und übernehmen Verantwortung für ihr Handeln. Es herrscht eine eher entspannte Atmosphäre der Offenheit und des Vertrauens. Höhere Bedürfnisse nach Anerkennung und Selbstverwirklichung werden verstärkt angesprochen. Ein kooperativer Führungsstil erfordert Mitarbeiter mit hoher Qualifikation, die zur Übernahme von Verantwortung bereit und fähig sind, andernfalls ist die Delegation von Entscheidungen nicht möglich bzw. nicht sinnvoll. Außerdem müssen immaterielle Anreize für die Mitarbeiter einen hohen Stellenwert haben. Geringere Entscheidungsgeschwindigkeit und verstärkte Kommunikationsnotwendigkeit werden oft als Nachteile angesehen. Von kooperativen Führungsstilen verspricht man sich generell eine höhere Arbeitsleistung sowie qualitativ bessere Entscheidungen. Feldstudien konnten jedoch nicht bestätigen, dass diese Führungsstile grundsätzlich in allen Situationen erfolgreicher sind. Allerdings sind kooperative, mitarbeiterorientierte Vorgesetzte erheblich öfter in hochproduktiven Gruppen zu finden. Autoritäre Führungsstilformen sind nicht grundsätzlich abzulehnen, sie erweisen sich tendenziell als erfolgreicher bei Routineaufgaben und in Grenzsituationen, bei denen eine einzige, schnelle Entscheidung notwendig ist, ohne längeres Forschen nach einer besseren Handlungsalternative. Neben den von Tannenbaum und Schmidt klassifizierten Führungsstilen werden weitere traditionelle Führungsstile unterschieden 507 . Sie gelten heute weitgehend als überholt, denn sie enthalten philosophische, soziologische oder politische Einstellungen, die als nicht mehr zeitgemäß angesehen werden. Da sie zumindest ansatzweise in der Praxis immer noch vorkommen, soll nicht auf eine kurze Darstellung verzichtet werden. Beim patriarchalischen Führungsstil handelt es sich um eine Sonderform des autoritären Führungsstils mit allen seinen Nachteilen. Der patriarchalische Vorgesetzte legitimiert seinen Herrschaftsanspruch jedoch nicht nur durch seine hierarchische Stellung, sondern zusätzlich durch den Alters- und insbesondere den (vermeintlichen) Reifeunterschied zu seinen unterstellten Mitarbeitern. Von ihnen erwartet er Treue und Ergebenheit. Er fühlt sich ihnen väterlich verbunden und übernimmt soziale Verantwortung für sie. Daraus leitet er allerdings das Recht ab, Wohlverhalten zu belohnen und Handeln, das er als falsch empfindet, zu sanktionieren. Die Informationen fließen von oben nach unten, der Vorgesetzte bestimmt, welcher Mitarbeiter welche Informationen in welchem Umfang erhält. Aufsicht und Kontrolle erfolgen ebenso wie die Förderung von Mitarbeitern nach Gefühl. Der patriarchalische Führungsstil ist insbesondere im romanischen Kulturkreis noch aktuell. 508 Der charismatische Führungsstil wird durch die besondere Persönlichkeit, die seine Umgebung begeistert, und ebenso durch die Ichbezogenheit des Führenden geprägt. Die Geführten folgen ihm, weil sie von seiner Besonderheit fasziniert sind. Über die Richtigkeit seiner Ideen und Ideale denken sie erst in zweiter Linie nach. 507 Vgl. Jung (2017), S. 422. 508 Vgl. Gmür/ Thommen (2011), S. 65. 282 · 6 Personaleinsatz und Personalerhaltung Aus seiner Einmaligkeit leitet der Charismatiker seinen Herrschaftsanspruch ab. 509 Er ist überzeugt, dass seine Vorgehensweise die einzig richtige ist und dass ihm keine Fehler unterlaufen, er lässt dementsprechend keine Kritik über sein Handeln zu bzw. ignoriert sie. Von seinen Mitarbeitern fordert er Gehorsam und Loyalität. Er selbst fühlt sich in erster Linie seinen Ideen - und nicht seinen Mitarbeitern - verpflichtet. Eine sog. „charismatische Aura“ erleichtert es Führungskräften auch heute noch in der Regel, ihre Mitarbeiter zu zielorientiertem Verhalten zu beeinflussen 510 , weil die Überzeugungsarbeit, die sie leisten müssen, geringer ist und die Mitarbeiter mit größerer Begeisterung bei der Sache sind. Beim bürokratischen Führungsstil werden die Mitarbeiter von ihrem Vorgesetzten als anonyme Einheit gesehen. Die Kommunikation und der Informationsfluss erfolgen überwiegend schriftlich entlang der vorgegebenen Dienstwege. Im Mittelpunkt steht die korrekte Anwendung und Durchführung von Anweisungen und Vorschriften. Formalistisches Vorgehen wird als korrekt angesehen. Kreativität und Unkonventionalität sind unerwünscht und werden sanktioniert. Die Kontrolle wird vor allem mittels schriftlicher Überprüfungen durchgeführt. Beim Laissez-faire-Führungsstil sollen Motivation und Leistung der Mitarbeiter durch Freiheit erreicht werden. Streng genommen handelt es sich dabei um ein „Nicht-Führen“. 511 Die Informationen fließen zufällig bzw. erst auf ausdrückliche Nachfrage durch die Mitarbeiter. Diese organisieren sich selbst oder improvisieren, um zu Entscheidungen zu gelangen und Ziele zu erreichen. Für die betriebliche Praxis wird dieser Stil als nicht umsetzbar und nicht angemessen angesehen, da der Vorgesetzte seinen Pflichten als Führungskraft nicht nachkommt. (b) Zweidimensionale Führungsstile Die sog. Ohio-Studien - sie wurden in den 1950er- und 1960er-Jahren an der Ohio State University durchgeführt - ergaben, dass Aufgaben- und Mitarbeiterorientierung nicht Gegenpole einer einzigen Dimension sind, sondern unabhängig voneinander gesehen werden müssen. Ein Vorgesetzter kann also sowohl aufgabenals auch mitarbeiterorientiert führen und nicht nur entweder auf die eine oder die andere Weise. 512 Unter Mitarbeiterorientierung (Consideration) versteht man ein Verhalten, das auf Vertrauen, Achtung und Wertschätzung beruht. Zugänglichkeit und Rücksichtnahme sind wesentliche Bestandteile. Die Partizipation an Entscheidungen und die Betonung zweiseitiger Kommunikation prägen die Arbeitsbeziehungen. Entscheidungs- und Weisungsbefugnisse des Vorgesetzten sind jedoch ebenso wenig aufgehoben wie seine Kontrollmacht. Die Aufgabenorientierung (Initiation Structure) umfasst diejenigen Verhaltensweisen, mit denen der Vorgesetzte unmittelbar den Prozess der Leistungserstellung gestaltet. Hierbei kann er durchaus ebenfalls wertschätzend und achtungsvoll vorgehen. Er legt fest, was er 509 Vgl. Jung (2017), S. 423. 510 Vgl. Kals (2016), S. C 1. 511 Vgl. Albert (2009), S. 167. 512 Vgl. Wunderer (2009), S. 206. 6.2 Anreizsysteme · 283 von seinen Mitarbeitern genau erwartet, welche Rolle sie einzunehmen haben, welche Aufgaben erfüllt werden müssen, welche Wege zu beschreiten sind und welche Ziele von ihnen erreicht werden sollen. 513 Aufbauend auf den Ergebnissen der Ohio-Studien entwickelten und verfeinerten Blake und Mouton das Managerial Grid (Führungsverhaltensgitter). Sie gehen davon aus, dass jeder Führungsstil beide Dimensionen, wenn auch in unterschiedlichem Ausmaß, enthält. Zur Veranschaulichung verwenden sie ein Koordinatensystem, das auf der Horizontalen neun Grade der Aufgabenorientierung und auf der Vertikalen die gleiche Zahl an Graden für die Mitarbeiterorientierung aufweist. Die 1 bezeichnet jeweils die niedrigste, die 9 die höchste Ausprägung einer Dimension (s. Abb. 6-27). 1.9 Führungsstil Glacéhandschuh- Management 9.9 Führungsstil Team- Management 1.1 Führungsstil Überlebens- Management 9.1 Führungsstil Befehls- Management 5.5 Führungsstil Organisations- Management hoch niedrig niedrig hoch 9 8 7 6 5 4 3 2 1 1 2 3 4 5 6 7 8 9 Mitarbeiterorientierung Aufgabenorientierung Abb. 6-27: Managerial Grid nach Blake und Mouton Aus der Kombination von Aufgaben- und Mitarbeiterorientierung ergeben sich theoretisch einundachtzig mögliche Führungsstile. Blake und Mouton gehen aber nur auf fünf Stile näher ein: Der 1.9-Führungsstil ist durch niedrige Aufgabenorientierung und hohe Mitarbeiterorientierung gekennzeichnet. Zwischenmenschliche Beziehungen und die Bedürfnisse der 513 Vgl. Berthel/ Becker (2010), S. 166; Jung (2017), 425. 284 · 6 Personaleinsatz und Personalerhaltung Mitarbeiter stehen im Mittelpunkt. Der Vorgesetzte sieht seine Hauptaufgabe darin, Konflikte zu vermeiden bzw. auszugleichen. Er zeigt wenig Eigeninitiative, unterstützt lieber seine Mitarbeiter und übernimmt ihre Ideen, statt eigene Vorstellungen zu entwickeln und durchzusetzen. Es wird in gemächlichem Tempo gearbeitet, das Betriebsklima ist freundlich. Beim 1.1-Führungsstil handelt es sich um niedrige Aufgabenorientierung in Kombination mit niedriger Mitarbeiterorientierung. Der Vorgesetzte arbeitet gerade so viel, wie unbedingt nötig ist, um weiter im Unternehmen bleiben zu können und seine Position nicht zu riskieren. Er nimmt die Meinungen anderer hin, ergreift keine Partei und vermeidet es, eigene Ideen und Einstellungen zu offenbaren. Gegenüber den Mitarbeitern ist er gleichgültig und hält sich aus Konflikten heraus. Die Arbeitssituation ist oft durch Apathie und Resignation geprägt. Zum 9.1-Führungsstil gehört eine besonders hohe Aufgabenorientierung in Verbindung mit einer sehr niedrigen Mitarbeiterorientierung. Auf die Befindlichkeiten der Mitarbeiter nimmt der Vorgesetzte keine Rücksicht. Die Arbeitssituation ist durch Befehl und Gehorsam geprägt. Der Vorgesetzte dringt auf hohe Leistung und setzt dazu insbesondere seine Legitimationsmacht ein. Wie beim autoritären Führungsstil überwiegt die Fremdkontrolle. Eigeninitiative und Kreativität der Mitarbeiter sind eher unerwünscht. Der 5.5-Führungsstil ist eine Kompromisslösung. Der Vorgesetzte ist sowohl aufgabenals auch mitarbeiterorientiert und möchte zwischen beidem ein Gleichgewicht herzustellen. Das Ergebnis sind gute Arbeitsbedingungen, ein akzeptables Betriebsklima und insgesamt durchschnittliche Leistungen. Der Vorgesetzte versucht Konflikte zu vermeiden und Kompromisse herbeizuführen. Der 9.9-Führungsstil verbindet eine hohe Aufgabenmit einer hohen Mitarbeiterorientierung. Voraussetzung ist, dass die Ziele des Unternehmens und die Ziele der Mitarbeiter miteinander zu vereinbaren sind. Es herrscht ein Klima von gegenseitiger Wertschätzung und Vertrauen. Die Mitarbeiter sind engagiert und erbringen hohe Leistungen. Der Vorgesetzte ist zielorientiert und fördert gleichzeitig die Eigenverantwortung und Kreativität seiner Mitarbeiter. Lösungsalternativen werden von den Mitarbeitern und dem Vorgesetzten gleichermaßen eingebracht und gleichwertig behandelt. Im Konfliktfall versucht der Vorgesetzte, die Ursachen festzustellen und zu beseitigen. Der Vorgesetzte setzt vornehmlich auf Identifikations- und Expertenmacht. Blake und Mouton sehen den 9.9-Führungsstil in jeder Situation als optimal an. Welchen Stil ein Vorgesetzter hat, ist von seiner inneren Einstellung abhängig, die sich oft schon in seiner Kindheit herausbildet und durch die private und berufliche Sozialisation geprägt wird. Blake und Mouton gehen jedoch davon aus, dass jede Führungskraft in der Lage ist, sich in die 9.9-Richtung zu entwickeln. Zum Teil wird in der Literatur die Auffassung vertreten, dass erfolgreiche Personalführung nicht ausschließlich durch den 9.9-Führungsstil gekennzeichnet ist. Erfolgversprechend seien vielmehr alle Führungsstile, die oberhalb einer Diagonale zwischen dem 1.9- und dem 9.1- Führungsstil liegen. 514 514 Vgl. Stopp (2006), S. 154; Jung (2017), S. 429; Kolb (2010), S. 429. 6.2 Anreizsysteme · 285 Das Managerial Grid ist die Grundlage zahlreicher Führungsseminare, da es viele Anregungen enthält, um Führungsprobleme zu verdeutlichen und wesentliche Aspekte, die das Führungsverhalten prägen, identifiziert. 515 Die Bücher von Blake und Mouton zu diesem Thema wurden millionenfach verkauft. Zwar kann man mit Hilfe des Verhaltensgitters komplexe Führungszusammenhänge relativ einfach und verständlich darstellen, aber noch immer ist nicht abschließend geklärt, ob Auf-gaben- und Mitarbeiterorientierung tatsächlich voneinander unabhängige Variablen sind und ob eine Führungskraft fähig ist, beides gleichzeitig zu vertreten. Auch die Behauptung, der 9.9-Führungsstil sei in allen Situationen immer der beste, ist empirisch nicht nachgewiesen. Situationsvariablen wie etwa hohe Arbeitsbelastung und Zeitdruck bei der Aufgabenerfüllung werden ebenso außer Acht gelassen wie Erwartungen, Kompetenzen oder Kreativität der Mitarbeiter sowie die hierarchische Stellung des Vorgesetzten und seiner Mitarbeiter. 516 Trotz aller Kritik bietet dieser Ansatz vielfältige Anregungen, um Führungskräfte bzgl. des Umgangs mit ihren Mitarbeitern zu sensibilisieren. Neuere Modifizierungen des Verhaltensgitters bringen eine dritte Dimension ein, die Motivation. Mit ihrer Hilfe sollen die Gründe für gezeigte Verhaltensweisen interpretiert werden. 517 Außerdem werden zwei weitere Führungsstile hinzugefügt: 518 9.1+1.9-Führungsstil (Paternalismus): Er fasst den 9.1- und den 1.9-Führungsstil zusammen. Das Ergebnis ist eine Art wohlwollender Patriarch, der Loyalität seiner Mitarbeiter im Austausch für Anerkennungen und Belohnungen erwartet. Die Fremdkontrolle ist bei diesem Führungsstil stark ausgeprägt. Versprechungen und Erzeugen von Schuldgefühlen dem Patriarchen gegenüber sollen Ungehorsam vermeiden und die Arbeitsleistung steigern. Mischform aus allen Stilen (opportunistische Orientierung): Je nach Mitarbeiter und dessen Leistung wird bewusst ein anderer Führungsstil angewandt. Das Führungsverhalten wird dem Wesen des jeweiligen Mitarbeiters angepasst. (c) Drei- und mehrdimensionale Führungsstile Durch Berücksichtigung weiterer Dimensionen werden die Führungsansätze zwar präziser und realistischer, aber gleichzeitig auch unübersichtlicher. Ein gut verständliches Beispiel ist das 3-D-Modell von Reddin. 519 Es baut auf dem Führungsverhaltensgitter von Blake/ Mouton auf. Die beiden Dimensionen Aufgabenorientierung (Task Orientation) und Beziehungsorientierung (Relationship Orientation) werden ähnlich wie bei Blake und Mouton in einem Koordinatensystem abge- 515 Vgl. Jung (2017), S. 429; Stippler et al. (2011), S. 23. 516 Vgl. Berthel/ Becker (2017), S. 207 f.; Hentze/ Graf/ Kammel/ Lindert (2005), S. 235. 517 Vgl. Berthel/ Becker (2017), S. 208. 518 Vgl. Hentze/ Graf/ Kammel/ Lindert (2005), S. 231. 519 Vgl. die ausführlichen Erläuterungen bei Reddin (1981). 286 · 6 Personaleinsatz und Personalerhaltung tragen. Sie haben jedoch nur zwei Ausprägungen - hoch und niedrig -, sodass es insgesamt vier Grundtypen von Führungsstilen gibt 520 . Diese vier Stile entsprechen in etwa dem 1.1-, 1.9-, 9.1- und 9.9-Führungsstil des Verhaltensgitters (s. Abb. 6-28). Beziehungsorientierung Aufgabenorientierung Beziehungsstil (Relation) Integrationsstil (Integration) Verfahrensstil (Separation) Aufgabenstil (Dedication) Abb. 6-28: Grundstile nach dem 3-D-Modell von Reddin Um effektiv zu führen, müsste der Vorgesetzte in der Lage sein, alle vier Führungsstile abwechselnd situationsgerecht einzusetzen. Bedeutsame Situationsvariablen sind: 521 Organisation Arbeitsweise Vorgesetzter Kollegen Mitarbeiter Der Vorgesetzte muss sich situationsabhängig für einen der vier Führungsstile entscheiden. Aus der Kombination der Situationsvariablen leitet er das effektivste Führungsverhalten ab und wählt danach den Grundstil aus, den er in der vorliegenden Situation für den besten hält. Je größer die Übereinstimmung zwischen dem situativ erforderlichen und dem tatsächlich angewandten Führungsstil ist, desto erfolgreicher ist der Vorgesetzte. Zur Darstellung dieses Zusammenhangs führt Reddin als dritte Dimension die Effektivität ein. Wie die Abb. 6-29 zeigt, hat jeder Grundstil sowohl eine effektive als auch eine ineffektive Variante. 520 Vgl. Bröckermann (2012), S. 276. 521 Vgl. Jung (2017), S. 430. 6.2 Anreizsysteme · 287 Förderer Integrierer Bürokrat Macher Beziehungsstil Integrationsstil Verfahrensstil Aufgabenstil Gefälligkeitsapostel Kompromissler Kneifer Autokrat effektiver Einsatz der GS Grundstile (GS) ineffektiver Einsatz der GS Beziehungsorientierung Aufgabenorientierung Effektivität Abb. 6-29: Grundstile, effektive und ineffektive Führungsstile nach Reddin Der Beziehungsstil betont zwischenmenschliche Beziehungen und berücksichtigt Mitarbeiterbedürfnisse. In effektiven Situationen, wird der Vorgesetzte zum Förderer, der die Stärken seiner Mitarbeiter entwickelt und ihre Schwächen mindert. Mitarbeiterförderung ist für ihn kein Selbstzweck, sie dient langfristig der besseren Aufgabenerfüllung. In ineffektiven Situationen führt die starke Beziehungsorientierung zur Vernachlässigung der Aufgabenerfüllung. Der Vorgesetzte wird zum Gefälligkeitsapostel, der vergeblich auf mehr Leistung durch mehr Zufriedenheit hofft. 288 · 6 Personaleinsatz und Personalerhaltung Der Verfahrensstil ist durch eine besonders starke Beachtung von Vorschriften und formalen Strukturen geprägt. In sehr dynamischen Situationen sollte er deshalb nicht angewandt werden, da hier Flexibilität und Kreativität angebracht sind. Der verfahrensstilorientierte Vorgesetzte wird in einer solchen Situation zum Kneifer. Bei Routineprozessen und statischen Umweltbedingungen ist hingegen die strikte Einhaltung von Regeln effektiv. Jetzt ist es positiv, als Bürokrat zu agieren. Die Regeln, die der Vorgesetzte anwendet und vorgibt, schafft er oft selbst. Beim Aufgabenstil legt der Vorgesetzte großen Wert auf die Aufgabenerfüllung. Er denkt und handelt zielorientiert. Als Macher betont er sein Expertenwissen und gibt seinen Mitarbeitern Ziele vor. Diese sind hoch gesteckt, aber erreichbar. Seine Mitarbeiter folgen seinem Beispiel, da sie überzeugt sind, dass er weiß, was zu tun ist. Als Autokrat beharrt er auf seiner Legitimationsmacht, neigt dazu, seine Mitarbeiter zu überfordern, und muss zur Zielerreichung ständig Druck ausüben. Negative Begleiterscheinungen sind Fluktuation sowie Absentismus und innere Kündigung. Der Integrationsstil betrachtet Mensch und Aufgabe als gleich wichtig. Wenn der Vorgesetzte zielorientiert entscheidet, kooperativ führt, seine Mitarbeiter motiviert, fördert und gleichzeitig Maßstäbe setzt, ist er in effektiven Situationen ein Integrierer. Wenn er Konflikte scheut und zu viele Mittelwege sucht, wird die Aufgabe nicht mehr optimal erfüllt. Er wird zum Kompromissler. Mit dem Einbezug der Situation als weitere Variable kommt Reddin der unternehmerischen Realität etwas näher als Blake und Mouton. Die praktische Anwendbarkeit seines 3-D- Modells muss aber stark bezweifelt werden. Von den Vorgesetzten werden in erheblichem Maße Schlüsselqualifikationen wie Sensibilität für Situationsfaktoren, Führungsstilflexibilität und Gestaltungsfähigkeit verlangt. Sie müssen ständig Umwelt und Mitarbeiter analysieren und erkennen, welcher Führungsstil im Augenblick der beste ist. Außerdem müssen sie in der Lage sein, diesen Führungsstil adäquat umzusetzen. Als Alternative schlägt Reddin vor, die jeweilige Situation so umzugestalten, dass der Führungsstil, den die Führungskraft am besten beherrscht, der effektivste ist. In der Realität dürfte dies die meisten Führungskräfte überfordern. Zudem kann es sich dabei um eine Situation handeln, die für das Unternehmen negative Auswirkungen hat, sodass eine Umgestaltung in diese Richtung nicht sinnvoll ist. Ein weiteres mehrdimensionales Führungsstil-Modell ist das Reifegrad-Modell von Hersey und Blanchard 522 , das auf dem 3-D-Modell aufbaut. Hier existieren ebenfalls vier mögliche Führungsstile, welche sich durch unterschiedlich starke Ausprägungen der Aufgaben- und Beziehungsorientierung des Vorgesetzten auszeichnen (s. Abb. 6-30). 522 Vgl. die ausführlichen Erläuterungen bei Hersey/ Blanchard/ Dewey (1996). 6.2 Anreizsysteme · 289 Stil 3 Stil 2 Stil 4 Stil 1 hoch niedrig Beziehungsorientierung niedrig hoch Aufgabenorientierung Führungsstil des Vorgesetzten hoch mittel niedrig M 4 M 3 M 2 M 1 aufgabenrelevanter Reifegrad des Mitarbeiters (Participating) partizipativer Führungsstil (Selling) integrierender Führungsstil (Delegating) Delegationsstil (Telling) autoritärer Führungsstil Abb. 6-30: Reifegrad-Modell von Hersey und Blanchard Es gibt in diesem Ansatz situationsabhängige optimale Führungsstile. Die Situation wird durch den Reifegrad des Mitarbeiters determiniert. Dieser variiert im Laufe des Arbeitslebens bzw. bei wechselnden Aufgabenstellungen und kann vier Ausprägungen (M 1 bis M 4) annehmen. Er setzt sich aus den beiden Komponenten Arbeitsreife und psychologische Reife zusammen. 523 Wenn dem Mitarbeiter beide Komponenten fehlen, wird ihm der Reifegrad M 1 zugewiesen. Es handelt sich i.d.R. um Berufsanfänger oder Mitarbeiter, die sich in ganz neue Aufgabenbereiche einarbeiten müssen. Bei M 2 ist zwar die psychologische Reife vorhanden, es mangelt aber an der zugehörigen Arbeitsreife. Der Mitarbeiter ist bereit, seine Aufgabe zu übernehmen, es sind aber noch nicht alle Kompetenzen voll ausgeprägt. Der umgekehrte Fall liegt bei M 3 vor. Bei M 4 sind beide Komponenten optimal ausgeprägt. Jedem Reifegrad ist nach Hersey und Blanchard ein optimaler Führungsstil zuzuordnen. Der Vorgesetzte ermittelt den Reifegrad seiner Mitarbeiter anhand tätigkeitsbezogener und psychologischer Merkmale, z.B. Erfahrung, Leistungsorientierung, fachliche und soziale Kompetenz, Selbstvertrauen und Motivation. Bei unreifen Mitarbeitern mit dem Reifegrad M 1 ist der optimale Führungsstil der Stil 1 (Telling), der hohe Aufgabenorientierung und geringe Mitarbeiterorientierung beinhaltet. 523 Vgl. Oechsler/ Paul (2015), S. 300; Pippke (2015), S. 234 ff. 290 · 6 Personaleinsatz und Personalerhaltung Genaue Vorgaben hinsichtlich Inhalt, Umfang und Zeitraum der Aufgabenerfüllung stehen im Vordergrund. Fremdkontrolle durch den Vorgesetzten kommt vor Selbstkontrolle. Mit zunehmender Reife M 2 sinkt die Notwendigkeit, sehr aufgabenorientiert zu führen, gleichzeitig steigt die Bedeutung der Mitarbeiterorientierung an. Stil 2 (Selling) verspricht jetzt den größten Erfolg. Der Vorgesetzte versucht, seinen Mitarbeiter von der Richtigkeit seiner Entscheidungen zu überzeugen und seine Konzepte als sinnvollste Vorgehensweise zu verkaufen. Mit weiter ansteigendem Reifegrad M 3 nimmt der Mitarbeiter eine immer aktivere Rolle ein. Die Aufgabenorientierung des Vorgesetzten sinkt, die Mitarbeiterorientierung bleibt hoch. Der Mitarbeiter setzt nicht nur Vorgaben seines Vorgesetzten um, sondern ist an der Entscheidungsfindung beteiligt. Jetzt ist Stil 3 (Participating) angebracht. Bei Mitarbeitern mit dem Reifegrad M 4 kommt Stil 4 (Delegating), der Selbständigkeit und Eigenverantwortlichkeit in den Mittelpunkt stellt, in Betracht. Hohe Aufgaben- oder Beziehungsorientierung des Vorgesetzten erübrigt sich bei solchen Mitarbeitern. Sie haben sich zu „Selbstläufern“ entwickelt. Hersey und Blanchard sprechen sich für die sukzessive Weiterentwicklung der Mitarbeiter in Richtung M 4 mittels Trainingsprogrammen aus. Der Idealfall ist aus ihrer Sicht der Stil 4, wenn der Vorgesetzte fast nicht mehr eingreifen muss und der Mitarbeiter weitestgehend selbständig seine Aufgaben erfüllt. 524 Anders als bei Blake/ Mouton gibt es keinen in jeder Situation optimalen Führungsstil und anders als bei Reddin muss ein Vorgesetzter beim Reifegrad-Modell alle vier Führungsstile gleichzeitig und gleich gut beherrschen. Er kann die Situation auch nicht so beeinflussen, dass der Führungsstil, der ihm am besten liegt, der optimale ist. 525 Die hohen Anforderungen an die Führungsstilflexibilität sind ein wesentliches Problem dieses Ansatzes. Die Führungskraft muss ihre Art zu führen ständig dem Reifegrad des jeweiligen Mitarbeiters anpassen, der sich zudem laufend mit den Aufgaben verändert. Ein Mitarbeiter, der in der einen Arbeitssituation einen hohen Reifegrad beweist, zeigt bei einer anderen Aufgabe möglicherweise eine geringere Reife, weil er über geringere fachliche Kenntnisse verfügt oder in geringerem Maße an der Aufgabe interessiert ist. In beiden Fällen ist dann ein jeweils anderer Führungsstil angebracht. Das Erkennen der wechselnden individuellen Reifegrade bei jedem seiner Mitarbeiter ist für den Vorgesetzten ein kaum zu meisterndes Problem. Außerdem wird die jeweilige Situation unvollständig gewürdigt. Auch mangelt es dem Reifegrad-Modell an empirischer Fundierung. 526 Positiv hervorzuheben ist, dass die Mitarbeiter beim Reifegrad-Modell besonders ins Blickfeld rücken. Bei vielen anderen Ansätzen werden ihre Qualifikation und ihre Einstellungen überhaupt nicht oder kaum berücksichtigt. 524 Vgl. Scholz (2000), S. 944; Oechsler/ Paul (2015), S. 311. 525 Vgl. Jung (2017), S. 434. 526 Vgl. Oechsler/ Paul (2015), S. 300 f. 6.2 Anreizsysteme · 291 (d) Übergreifende Führungsansätze In den letzten Jahren wird viel über Führung diskutiert. Insbesondere geht es stärker darum, die direkte Beziehung zwischen Mitarbeitern und Führungskraft zu gestalten. Dabei wird dem Charisma des Führenden wieder größere Bedeutung beigemessen. Die bekanntesten Ansätze sind transaktionale Führung und transformationale Führung. Sie sind nicht isoliert zu betrachten, sondern wirken aufeinander aufbauend. Beide Führungsansätze zusammen werden oft als „Full Range of Leadership“ bezeichnet, da darin alle bedeutsamen Elemente einer Führungsbeziehung enthalten seien. 527 Die transaktionale Führung stellt die Ausgangsbasis, die Ebene 1, dar. Hier werden strukturelle Rahmenbedingungen gesetzt, die eine Orientierung für die Erfüllung von Routineaufgaben bieten. Darauf aufbauend wird bei der transformationalen Führung, auf der Ebene 2, ein ideeller Orientierungsrahmen für herausfordernde Aufgaben mit Visionen und Werten gebildet. Bei der transaktionalen Führung geht man zunächst davon aus, dass sowohl der Vorgesetzte als auch die Mitarbeiter in der Arbeitssituation ihre Ziele erreichen können. Dazu gibt es einen strukturellen Ordnungsrahmen. Er besteht aus: 528 bedingter Verstärkung grundlegender Aufgabenverteilung Die bedingte Verstärkung umfasst im Wesentlichen die materiellen Anreizsysteme des Unternehmens. Der Mitarbeiter soll erkennen, dass er aufgrund seiner Leistungen eine Belohnung erhält und dadurch in der Lage ist seine Ziele zu erreichen und seine Bedürfnisse zu befriedigen. Die grundlegende Aufgabenverteilung legt fest, welche Aufgaben der Mitarbeiter zu erfüllen hat. Sie beinhaltet Elemente wie Stellenbeschreibung, Arbeitsablaufpläne, Pflichtenhefte etc. Der Vorgesetzte setzt diese Rahmenbedingungen und greift dann nur noch im Ausnahmefall ein. Es handelt sich also um eine Vorgehensweise ähnlich dem Management by Exception (s. auch Kapitel 6.2.3.5.4). Der Vorgesetzte fungiert als eine Art Instrukteur, der mit der Gewährung bzw. dem Entzug von weitgehend extrinsischen Anreizen belohnt oder bestraft. Der Zielhorizont ist eher kurzfristig. Im Mittelpunkt stehen Routineaufgaben. 529 527 Vgl. Oechsler/ Paul (2015), S. 311. 528 Vgl. Stock-Homburg (2013), S. 463; Oechsler/ Paul (2015), S. 310 f. 529 Vgl. Stock-Homburg (2013), S. 463 f. 292 · 6 Personaleinsatz und Personalerhaltung Für bedeutsame, herausfordernde Aufgaben reicht eine solche Führungsbeziehung nicht aus, vielmehr ist es notwendig, Begeisterung, Leistungsorientierung, freiwilliges Engagement, d.h. intrinsische Motivation zu erreichen. 530 Hier greift nun die transformationale Führung. Sie ist gekennzeichnet durch charismatisches Verhalten des Vorgesetzten, inspirierendes Verhalten, intellektuelle Anregung und Wertschätzung. Das charismatische Verhalten des Vorgesetzten soll dazu führen, dass er für seine Mitarbeiter ein Vorbild ist. Sie sollen ihn als moralisch, respektvoll, vertrauenswürdig und integer empfinden. 531 Die Führungskräfte sollen außerdem die Vision des Unternehmens überzeugend und engagiert vertreten. Die Mitarbeiter sollen durch das inspirierende Verhalten ihres Vorgesetzten dazu ermutigt werden, sein Vorgehen nachzuahmen. 532 Intellektuelle Anregung bedeutet, dass Vorgesetzte ihre Mitarbeiter dazu anregen sollen, „über den Tellerrand hinaus zu denken“ und neue Wege einzuschlagen und bisherige Vorgehensweisen kritisch zu reflektieren. Die Wertschätzung gegenüber dem Mitarbeiter drückt sich insbesondere darin aus, dass der Vorgesetzte sich Zeit für den Einzelnen und seine Bedürfnisse nimmt und ihn individuell fördert. 533 Der Vorgesetzte wird zum Coach, der Begeisterung schafft und ein Klima des Vertrauens und der Zusammengehörigkeit entwickelt. Kreativität und Eigeninitiative sind ihm bei seinen Mitarbeitern wichtig. Die Ziele sind eher mittelbis langfristig ausgelegt und intrinsische Motivation überwiegt. 534 Studien zeigen, dass die transformationale Führung Unsicherheit und Stress abbaut sowie Loyalität und Teamgeist fördert und die individuelle Leistung steigert. Sie belegen zudem, dass die transformationale Führung einen positiven Einfluss auf die Maßgrößen des Unternehmenserfolgs hat. 535 Kritisch wird an den beiden Teil-Ansätzen vor allem die starke Emotionalisierung der Führungssituation gesehen. 536 Transformationale Vorgesetzte weisen viele Merkmale charis- 530 Vgl. Oechsler/ Paul (2015), S. 310. 531 Vgl. Weibler (2012), S. 379. 532 Vgl. Oechsler/ Paul (2015), S. 310. 533 Vgl. ebd., S. 311. 534 Vgl. Stock-Homburg (2013), S. 464. 535 Vgl. Boerner (2009), S. 1144; Stock-Homburg (2013), S. 465 ff. 536 Vgl. Boerner (2009), S. 1144. 6.2 Anreizsysteme · 293 matischer Führungskräfte auf. Die diesbezüglichen positiven wie problematischen Aspekte wurden bereits oben dargelegt. Zudem wird kritisch gesehen, dass situationsspezifische Besonderheiten außer Acht gelassen werden und damit unterstellt wird, dass die beiden zusammenwirkenden Ansätze situationsunabhängig erfolgreich sind. 537 Man sollte auch darüber nachdenken, ob ein derart massiver Eingriff in die Wertestruktur der Mitarbeiter sich noch im Rahmen einer akzeptablen Beeinflussung durch den Vorgesetzten bewegt. 538 66.2.3.5.4 M a na g em ent-by-Konzepte In Theorie und Praxis herrscht ein erheblicher Begriffswirrwarr, was Führungstechniken, Management-Techniken, -Modelle, -Prinzipien, -Grundsätze, -Mittel, -Konzepte usw. anbelangt. Gemeinsam ist ihnen, dass sie ein mehr oder weniger umfassendes System von Handlungsempfehlungen für Führungskräfte umschreiben. All diese Konzepte enthalten modellhafte Soll-Vorstellungen zur methodischen Steuerung und Gestaltung des menschlichen Arbeitsverhaltens im Unternehmen. Ihr Schwerpunkt liegt in der Beeinflussung des Verhaltens über verbindliche Regeln und feste Strukturen. Sie sind unabhängig von der Persönlichkeit des Vorgesetzten einsetzbar und sollen ihm eine konkrete Empfehlung zur Gestaltung des Führungsprozesses in der Praxis geben. Einige dieser Vorgehensweisen haben als Management-by-Konzepte erhebliche praktische Bedeutung erlangt. Ihr wesentliches Ziel ist es, die Leistungen der Mitarbeiter zu steigern und die Effizienz der Führungsarbeit zu vergrößern, indem sie Führungskräfte in erster Linie von Routineaufgaben entlasten. Jedem Management-by-Konzept liegt eine zur allgemeinen Maxime erhobene Idee zugrunde, deren Anwendung effektives Führen ermöglichen soll. Aufgrund zahlreicher Berührungspunkte und Überschneidungen ist eine exakte inhaltliche Abgrenzung der Konzepte nicht immer möglich. Die bekanntesten Management-by-Konzepte sind: Management by Exception (MbE) Management by Delegation (MbD) Management by Objectives (MbO) Management by Systems (MbS) 537 Vgl. Oechsler/ Paul (2015), S. 311. 538 Vgl. Weibler (2012), S. 382. 294 · 6 Personaleinsatz und Personalerhaltung (a) Management by Exception (MbE) Beim MbE geht es um Führung nach dem Ausnahmeprinzip. 539 Eingegriffen wird nur bei Abweichungen. Solange kein Ausnahmefall eintritt, handelt der Mitarbeiter innerhalb eines zuvor definierten Aufgabenbereichs vollkommen selbständig. Was ein Ausnahmefall ist, bestimmt der Mitarbeiter zunächst selbst. Nur dann informiert er seinen Vorgesetzten, der ihm weiterhilft. Der Vorgesetzte hat aber das Recht einzugreifen, wenn er - auch ohne Mitteilung seines Mitarbeiters - Probleme erkennt und eine solche Ausnahme vermutet. Er legt zudem Richtlinien fest, damit der Mitarbeiter einschätzen kann, ob es sich um einen Normalfall oder eine Ausnahmesituation handelt. Ziel des MbE ist in erster Linie die Entlastung des Vorgesetzten von Routinearbeiten. Er kann sich dann stärker seinen eigentlichen Führungsaufgaben widmen. Gleichzeitig werden Zuständigkeiten und Informationsfluss so geregelt, dass Störungen rasch behoben werden können. Als wichtigste Voraussetzung werden zunächst Messgrößen bestimmt, anhand derer der Normalfall und die Ausnahmen definiert werden. Der zweite Schritt ist die Festlegung des Bewertungsmaßstabs. Er gibt an, was man unter einer Ausnahme versteht. Als Nächstes wird eine Sollgröße definiert, die der Mitarbeiter realistischer Weise erreichen kann. Der Mitarbeiter führt nun die Aufgaben selbständig und eigenverantwortlich ohne Eingriffe des Vorgesetzten aus. Hierzu muss es einen eindeutig bestimmten Entscheidungs- und Handlungsspielraum geben. Das Ergebnis seiner Aufgabenerfüllung wird von ihm selbst im Rahmen eines Soll-Ist- Vergleichs ermittelt und mit der Sollgröße verglichen. Bei Abweichungen im „normalen Rahmen“ passt der Mitarbeiter seine Aufgabenerfüllung nach eigenem Ermessen an. Bei großen Abweichungen muss er den Vorgesetzten informieren, der dann nach Sachlage entscheidet, ob er eingreift oder nicht. Die Vorteile des Management by Exception liegen in klaren Zuständigkeiten und entsprechend schneller Entscheidungsfindung. Darüber hinaus wird der Vorgesetzte von Routinearbeiten entlastet. Außerdem erleichtern die vorgegebenen Bewertungsmaßstäbe die Mitarbeiterbeurteilung. Dem steht der Nachteil gegenüber, dass die Mitarbeiter auf Dauer eher unmotiviert sind, da die interessanten Aufgaben überwiegend zum Gebiet des Vorgesetzten gehören. Negativ wirkt sich auch die Tatsache aus, dass die Mitarbeiter vor allem bei unerfreulichen Ereignissen Kontakt zum Vorgesetzten haben. Schierenbeck spricht in diesem Zusammenhang von Management by Surprise. 540 Bei positiven Leistungen findet hingegen normalerweise keine Kommunikation statt. Das MbE existiert sowohl als eigenständiges Management-by-Konzept als auch als Bestandteil anderer Konzepte, insbesondere des Management by Objectives (MbO). 539 Vgl. Bea (2005), S. 9. 540 Vgl. Schierenbeck (2000), S. 149. 6.2 Anreizsysteme · 295 (b) Management by Delegation (MbD) Der Grundgedanke des MbD besteht in der weitgehenden Übertragung von Aufgaben, Entscheidungen und Verantwortung auf untere Hierarchieebenen. Es findet eine vertikale Verlagerung von oben nach unten statt. Jeder Mitarbeiter erhält eindeutig abgegrenzte dauerhafte Aufgaben mit Entscheidungsbefugnissen einschließl. der daraus resultierenden Handlungs- und Ergebnisverantwortung. Eine Rückdelegation nach oben ist nicht vorgesehen. Die Vorteile sind in der positiven Wirkung auf Eigeninitiative, Leistungsbereitschaft und der Übernahme von Verantwortung zu sehen. Die Vorgesetzten werden entlastet, das Kongruenzprinzip der Organisation 541 wird strikt eingehalten. Die Arbeitsprozesse werden beschleunigt und die Kreativität der Mitarbeiter wird genutzt. Allerdings ist das MbD bei sich rasch ändernden Umweltbedingungen oft zu wenig dynamisch. Wegen der starren Aufgabenzuweisung führt es zu einer Verfestigung der Hierarchie, gemeinsame Aufgabenbereiche und Entscheidungen von Vorgesetzten und Mitarbeitern existieren nicht. Außerdem werden die horizontalen Beziehungen zwischen Stellen und Abteilungen vernachlässigt. Eine Variante des MbD ist das Harzburger Modell. Es will das gesamte Führungssystem umfassen und nicht nur einzelne Aspekte behandeln. Früher war es im deutschsprachigen Raum sehr weit verbreitet. Heute wird es als viel zu statisch und aufgrund seines starken Formalismus auch als zu bürokratisch angesehen. Zudem wirft man ihm wegen der sehr umfangreichen Kontrollmechanismen, die es enthält, eine autoritäre Haltung und eine Vernachlässigung der Mitarbeiterorientierung vor. Es gilt deshalb in der Literatur und auch in den Unternehmen als nicht mehr zeitgemäß. 542 Gleichwohl hat es sich früher in der Praxis durchaus bewährt, insbesondere in solchen Situationen, in denen es darum geht, mit gleichbleibenden und wiederkehrenden Aufgaben sinnvoll umzugehen. Die im Harzburger Modell enthaltene strukturierte, nachvollziehbare und kontrollierte Delegation von Aufgaben ist in angepasster Form in viele moderne Führungsmodelle einbezogen worden. 543 Im Jahr 2004 wurde mit der Harzburger Führungslehre (HFL) ein stark modifiziertes Modell von der AFW Wirtschaftsakademie Bad Harzburg vorgestellt. Dieses erschien zwar deutlich weniger formalistisch als das alte Modell und basierte auf dem Gedanken der lernenden Organisation, es hat sich jedoch in der Praxis nicht durchgesetzt und wird heute nicht mehr aktiv beworben. (c) Management by Objectives (MbO) Von den Unternehmen wird aktuell das Management by Objectives (MbO) favorisiert. Der Begriff wird auf verschiedene Weise übersetzt. Während man früher darunter zumeist eine Führung durch Zielvorgabe durch den Vorgesetzten verstand, wird es heute in der Regel als Führung durch Zielvereinbarung zwischen Vorgesetztem und Mitarbeiter interpretiert. 541 Vgl. zum Kongruenzprinzip Nicolai (2018), S. 52 ff. 542 Vgl. Freise (2006), S. 20; Berthel/ Becker (2010), S. 195; Dillerup/ Stoi (2006), S. 557. 543 Vgl. Jung (2017), S. 506. 296 · 6 Personaleinsatz und Personalerhaltung Durch die gemeinsame Zielformulierung soll sichergestellt werden, dass sich die Mitarbeiter mit ihren Zielen identifizieren und sie nicht als Zwang betrachten. 544 Eine Umfrage unter deutschen Unternehmen ergab, dass 90 Prozent aller Großunternehmen Zielvereinbarungen verwenden. Bei kleinen Unternehmen mit 50 bis 99 Mitarbeitern sind es immer hin noch 57 Prozent. Nahezu alle Zielvereinbarungen werden schriftlich fixiert. 545 Die Untersuchung ergab auch, dass Mitarbeiter mit Zielvereinbarungen ein klareres Verständnis von den Plänen und Zielen ihres Betriebs haben. 546 Statt auf Aufgaben konzentriert sich das Management by Objectives auf Ziele. An die Stelle der Aufgabenorientierung tritt somit die Zielorientierung der Führung. 547 Gute Zielformulierungen beachten die SMART-Kriterien: 548 S = spezifisch: Ziele müssen möglichst präzise formuliert sein. Es muss festgelegt werden, was wann und wie zu erfüllen ist. Die schriftliche Zielformulierung ist sinnvoll. M = messbar: Ziele müssen in Quantität und/ oder Qualität eindeutig ausgedrückt werden sowie nachvollziehbar und überprüfbar sein. A = anspruchsvoll: Ziele sollen eine Herausforderung darstellen. Sie müssen jedoch mit einer vom Mitarbeiter und vom Vorgesetzten akzeptierten Anstrengung erreichbar sein. R = realistisch: Die Ziele müssen mit den vorgegebenen Ressourcen erreichbar sein. T = terminiert: Ziele müssen sich auf einen festgelegten Zeitraum mit Anfangs- und Endtermin beziehen. Der Schwerpunkt der Personalführung liegt beim MbO auf der (gemeinsamen) Zielformulierung und der Kontrolle der Zielerreichung. Die Methoden und Techniken zur Zielerreichung wählen die Mitarbeiter eigenständig. Das Management by Objectives ist nicht als ein einmaliger Vorgang, sondern vielmehr als institutionalisierter, sich ständig wiederholender Prozess zu verstehen. (s. Abb. 6-31). Der Kreislauf des MbO beginnt mit der Entwicklung der Unternehmensziele und der Leistungsmaßstäbe (1). Das MbO erfordert eine Organisationsstruktur, in der unter anderem Mitarbeitergespräche, Stellenbeschreibungen und eindeutige Zuordnungen von Unterzielen implementiert sind (2). Aus den Oberzielen werden Bereichs-, Abteilungs- und Mitarbeiterziele abgeleitet (3 a). Dann gleichen Vorgesetzter und Mitarbeiter ihre Zielvorstellungen miteinander ab (3 b). Die vereinbarten und i.d.R. schriftlich fixierten Ziele werden anschließend mit den Unternehmenszielen in Übereinstimmung gebracht und ggf. noch einmal modifiziert (4). 544 Vgl. Knebel (2005), S. 98. 545 Vgl. Straub (2016), S. 14 546 Vgl. ebd. 547 Vgl. Bröckermann (2012), S. 261. 548 Vgl. Becker (2010), S. 169; Breisig (2005), S. 219. 6.2 Anreizsysteme · 297 3 a Zielvorstellungen des Vorgesetzten 3 b Zielvorstellungen des Mitarbeiters 2 Anpassung der Organisationsstruktur 1 Allgemeine Unternehmensziele und Leistungsmaßstäbe 4 Gemeinsam vereinbarte Mitarbeiterziele 7 Anpassung des Arbeitsvollzugs 6 Periodischer Vergleich der einzelnen Ergebnisse mit den gesetzten Zielen 5 Rückkopplung durch Zwischenergebnisse 5 b Aussonderung unangemessener Ziele 5 a Neue Impulse Rückkopplung und Abstimmung (Neuer Start) Abb. 6-31: Kreislaufschema des Management by Objectives Nach der Zielvereinbarung arbeitet der Mitarbeiter selbständig auf die Zielerreichung hin. In regelmäßigen Abständen werden Zwischenergebnisse und Ziele verglichen (5). Neue Impulse aus dem Unternehmen oder der Unternehmensumwelt können zu Veränderungen der Ziele führen (5 a). Falls Ziele als unangemessen identifiziert wurden, werden sie ausgesondert (5 b). Grundvoraussetzung des MbO ist ein funktionierendes Kontrollsystem, das Informationen zur Eigen- und Fremdkontrolle sowie zur Zielerreichung und Leistungsbeurteilung liefert (6). 298 · 6 Personaleinsatz und Personalerhaltung Der Mitarbeiter entscheidet selbständig, ob und wann eine Anpassung des Arbeitsvollzugs erforderlich ist (7). Wenn der Abweichungsgrad eine vordefinierte Grenze überschreitet, ist er jedoch verpflichtet, seinen Vorgesetzten zu benachrichtigen. Dieser gewährleistet die Zielerreichung anschließend durch Unterstützung und regelmäßige Gespräche über den Arbeitsfortschritt. Mit dem Einsatz des MbO werden diese Ziele verfolgt: Förderung der Eigeninitiative und Selbständigkeit Verpflichtung auf gemeinsame Ziele Motivation durch die Sicht auf die Ziele Motivation durch Selbstkontrolle Ergebniskontrolle statt Verlaufskontrolle Transparenz der Erwartungen Das Management by Objectives stärkt die Motivation der Mitarbeiter, da sie an der Zielfindung partizipieren und das Bedürfnis nach mehr Eigeninitiative und Selbständigkeit befriedigt wird. Selbst wenn Ziele nicht gemeinsam vereinbart, sondern vorgegeben werden, findet ein Meinungsaustausch zwischen Vorgesetztem und Mitarbeiter statt, in dem über die Ziele und deren Ausprägung gesprochen wird. Bereits allein durch diese Partizipation am Zielfindungs- und Zielformulierungsprozess fühlt sich der Mitarbeiter stärker den vorgegebenen bzw. gemeinsam vereinbarten Zielen verpflichtet. Anders als bei der bloßen Aufgabenerfüllung arbeitet er deshalb nicht „vor sich hin“, sondern hat ein konkretes Ziel vor Augen. Die Auswahl der Methoden und Techniken zur Zielerreichung und die Verfahrens- und Verlaufskontrolle bleiben dem Mitarbeiter überlassen. Eingriffe des Vorgesetzten sind auf ein Minimum reduziert, sodass er spürbar entlastet wird. Die Endkontrolle bzgl. der Zielerreichung führt er weiterhin durch. Üblicherweise ist das Erreichen der vereinbarten Ziele mit finanziellen Anreizen verbunden. Das MbO fördert damit die Motivation extrinsisch motivierter Mitarbeiter, die sich von der Zielerreichung die Befriedigung ihrer monetären Bedürfnisse versprechen, ebenso aber auch die Motivation intrinsisch motivierter Personen, die das Erreichen ihrer Ziele an sich motiviert. 549 Allerdings stehen beim MbO kurzfristige operationale Ziele im Mittelpunkt. Langfristige und strategisch ausgerichtete Ziele sind nicht Gegenstand des MbO. Um das MbO anwenden zu können, sind der Aufbau eines Zielsystems, die Anpassung der Organisationsstruktur und die Implementierung eines passenden Kontrollsystems sowie die Einführung eines Personalbeurteilungssystems erforderlich. Das MbO ist jedoch nicht generell einsetzbar. In Ländern mit hoher Machtdistanz wie etwa USA oder Deutschland funktioniert es sehr gut. In Frankreich und Spanien ist die Machtdistanz gering und damit die Anwendung des MbO problematisch, weil dort die Auffassung von Autorität eine andere ist. Vorgesetzte sind weniger bereit zu delegieren und greifen re- 549 Zu den Chancen und Risiken s. ausführlich Graumann/ Semrau/ Skrabek (2013), S. 117 ff. 6.2 Anreizsysteme · 299 gelmäßig direkt in die operative Aufgabenerfüllung ein. Die Mitarbeiter erwarten ihrerseits ein solches Vorgehen und interpretieren es nicht negativ, sondern als selbstverständliches Gebaren. Entsprechend skeptisch stehen in diesen Ländern Vorgesetzte und Mitarbeiter dem MbO gegenüber. 550 (d) Management by Systems (MbS) Der Begriff Management by Systems hat zwei Bedeutungen: Zum einen wird darunter ein umfassendes und computergestütztes Informations-, Planungs- und Steuerungssystem verstanden. Zum anderen bezeichnet es den Einsatz eines solchen Systems zwecks weitgehender Selbststeuerung der Unternehmensteile. 551 Jedes Unternehmen kann als System betrachtet werden, dessen Elemente miteinander verbunden sind. Die IT ist das Element, das mit allen anderen Elementen, z.B. Mitarbeitern oder Aufgaben, in Verbindung steht. Ziel des Management by Systems ist die Delegation und weitgehende Selbststeuerung aufgrund exakter Systemrichtlinien. Mithilfe moderner Computertechnik sollen Routineprozesse quasi-automatisch gesteuert werden. Abteilungsübergreifende Entscheidungsfolgen sollen schneller erkannt, ihre Wechselbeziehungen erfasst und ein harmonisches Zusammenspiel des ganzen Systems erreicht werden. So wird bei allen Beteiligten das ganzheitliche Denken gefördert, da Probleme in ihrer Vielschichtigkeit erfasst werden. Das MbS setzt voraus, dass die Notwendigkeit von Anpassungsvorgängen und Lernprozessen im Unternehmen akzeptiert wird. 552 Noch ist es nicht über den Status einer „realen Utopie“ hinausgekommen. 553 66.2.3.5.5 Kritische Würdig ung Die kritische Auseinandersetzung mit den verschiedenen Führungsstilen und den Management-by-Konzepten ist für die Praxis nicht sehr ermutigend. Einerseits wird der Führungsforschung vorgeworfen, dass sie sich zu stark an den Erfordernissen der Praxis orientiere und versuche, vereinfachende aber umsetzbare Lösungen zu erarbeiten. Andererseits bilden diese Modelle die komplexe Unternehmensrealität nur unzureichend ab. Wirklich brauchbare Handlungsanleitungen ergeben sich daraus ebenso wenig wie zuverlässige theoretische Erklärungskonstrukte. Es zeigt sich, dass es weder den einen optimalen Führungsstil noch die bestmögliche Führungstechnik gibt. Dennoch benötigen Vorgesetzte praktische Hilfe bei ihren Führungsaufgaben. Führungsstile als Beispiele für direkte, interaktive Führung und Management-by-Konzepte als Beispiele für indirekte, organisatorische Führung stellen immerhin - wenn auch rudimentäre - Lösungsansätze dar. 550 Vgl. Perlitz (2004), S. 423 f. 551 Vgl. Schierenbeck/ Wöhle (2012), S. 182 f. 552 Vgl. Jung (2017), S. 502 f. 553 Vgl. Schierenbeck/ Wöhle (2012), S. 184. 300 · 6 Personaleinsatz und Personalerhaltung Dem Vorgesetzten ermöglichen Management-by-Konzepte, sein Führungsverhalten einzuordnen und darüber zu reflektieren. Der gewünschte Führungsstil und das präferierte Management-by-Konzept legitimieren sein Führungsverhalten gegenüber den Mitarbeitern und gegenüber sich selbst. Wenn Führungsstile und -konzepte in Einklang mit den Werthaltungen der Entscheidungsträger und mit der Unternehmensphilosophie stehen, dienen sie der Stabilisierung. Die Mitarbeiter können die Verhaltensweisen ihrer Vorgesetzten besser abschätzen, nachvollziehen und sich darauf einstellen. 554 6.2.3.6 Gesundheitsmanagement (Health Care Management) 66.2.3.6.1 Beg riff und Bedeutung Health Care Management gehört zu den (freiwilligen) Sozialleistungen. Es nimmt in der heutigen Zeit eine immer größere Bedeutung als immaterieller Anreiz für die Mitarbeiter ein. Aber auch unter dem Aspekt der Personalkostenreduzierung wird es immer wichtiger. Deshalb ist ihm hier ein eigener Gliederungspunkt gewidmet. Die Bezeichnungen Gesundheitsmanagement und Health Care Management werden in der personalwirtschaftlichen Literatur normalerweise nicht unterschieden und auch in der Praxis weitgehend synonym verwendet. Man fasst darunter alle systematisch geplanten und gezielt eingesetzten Maßnahmen, die zur langfristigen physischen und psychischen Gesundheit der Mitarbeiter beitragen, zusammen. 555 Es geht vor allem darum, gesundheitsrelevante Bedingungen im Unternehmen zu schaffen und gesundheitsbewusstes Verhalten der Mitarbeiter positiv zu beeinflussen. 556 Früher hatte der physische Gesundheitsschutz Vorrang. Im Mittelpunkt stand die Vermeidung von Berufskrankheiten und Unfällen. Heute will man mit Health Care Management vor allem den physischen und psychischen Auswirkungen, die mit einem steigenden Leistungsdruck verbunden sind, entgegenwirken. 557 Deshalb ist es mittlerweile zu einem unverzichtbaren Bestandteil eines modernen Personalmanagements geworden. Überlegungen zum „Für und Wieder“ der Implementierung eines Health Care Managements sind für Unternehmen vor allem Kosten-Nutzen-Betrachtungen. Dazu müssen die Kosten, die aufgrund von Arbeitsausfällen, Leistungsrückgang und Fehlentscheidungen entstehen, betrachtet werden. Genaue Zahlen sind jedoch in den meisten Unternehmen nur für die Situation der Arbeitsausfälle und Krankheitstage vorhanden. Im Jahr 2017 lag die Krankheitsquote bei den gesetzlich versicherten Arbeitnehmern bei 4,1 Prozent, d.h. statistisch gesehen sind in einem Unternehmen mit 1000 Mitarbeitern ständig 554 Vgl. Drumm (2005), S. 564. 555 Vgl. Stock-Homburg (2010), S. 820. 556 Vgl. Kolb (2008), S. 147. 557 Vgl. Ueberle (2010), S. 308. 6.2 Anreizsysteme · 301 41 Personen wegen Krankheit nicht anwesend. Die durchschnittliche Krankheitsdauer betrug 15,2 Tage, wobei ältere Arbeitnehmer deutlich länger krank waren als jüngere Die häufigsten Erkrankungen waren Erkrankungen des Muskel-Skelett-Systems, des Atmungssystems sowie bereits an dritter Stelle psychische Erkrankungen. Es fielen insgesamt 587,4 Millionen Arbeitstage aus. Bei einem durchschnittlichen Entgelt ergeben sich damit Krankheitskosten in Höhe von 64 Milliarden € für ausgefallene Produktion. 558 Neben den Kosten für die Entgeltfortzahlung kommen weitere hinzu, die durch Mehrbelastung anderer Mitarbeiter, organisatorische Umstrukturierungen sowie Produktivitätseinbußen entstehen. Der Gesamtbetrag der finanziellen Belastung ist noch weitaus höher, da es durch gesundheitliche Beeinträchtigungen zu Leistungsrückgängen und Fehlentscheidungen kommen kann, deren Kosten noch dazugerechnet werden müssten. Auch die verringerte Wertschöpfung, die den Unternehmen durch den Arbeitsausfall entsteht, ist hierbei nicht berücksichtigt. Kolb berichtet von verschiedenen Studien, die zeigen, dass ein in das Gesundheitsmanagement investierter Euro eine Rentabilität von 2,30 € bis 5,90 € bringt. 559 Eine Investition von 1.000 € bringt also einen finanziellen Nutzen von 2.300 € bis 5.900 € durch die Verringerung krankheitsbedingter Kosten. Weitere Vorteile für das Unternehmen sind zudem: 560 Reduzierung des Ausfallzeiten Steigerung der Produktivität Erhöhung der personellen Verfügbarkeit Steigerung der Motivation positive Auswirkungen auf den Gemeinschaftssinn Verbesserung des Betriebsklimas positive Auswirkungen auf das Unternehmensimage Für die Mitarbeiter ergeben sich diese Vorteile: 561 Verringerung bzw. Vermeidung von physischen Belastungen Verbesserung des körperlichen Wohlbefindens Reduzierung bzw. Vermeidung von psychischen Belastungen besserer Umgang mit den Arbeitsanforderungen Steigerung des Arbeitsengagements Verbesserung der physischen und psychischen Leistungsfähigkeit insgesamt positive Auswirkungen auf den Gesundheitszustand 558 Vgl. Institut der deutschen Wirtschaft (2017 b). 559 Vgl. Kolb (2008), S. 148. 560 Vgl. ebd. 561 Vgl. ebd.; Stock-Homburg (2010), S. 824. 302 · 6 Personaleinsatz und Personalerhaltung Förderung emotionaler Ausgeglichenheit Erhöhung der Arbeitszufriedenheit Steigerung der Lebenszufriedenheit Um diese Nutzen des Gesundheitsmanagements zu erreichen, ist eine ständige Weiterentwicklung sowohl am Bedarf des Unternehmens und als auch an den Bedürfnissen der Mitarbeiter notwendig. Auch ist eine sorgfältige Qualitätssicherung für die langfristige Zielerreichung erforderlich. 66.2.3.6.2 Vora rbeiten und Pha sen des H ea lth Ca re M a na g em ents Bevor ein Health Care Management im Unternehmen sinnvoll funktioniert, sind umfangreiche Vorarbeiten notwendig. Man muss Zuständigkeiten absprechen: Health Care Management funktioniert in der Praxis nur, wenn die Unternehmensleitung und die Führungskräfte dahinterstehen und die Bedeutung den Mitarbeitern gegenüber verdeutlichen. Zudem ist genau zu klären, wer für welche Bereiche zuständig ist. 562 die Situation analysieren und eine Defizitanalyse erstellen: Dazu sind Mitarbeiterbefragungen und Analysen von Stellenbeschreibungen, Stellen und Arbeitsplätzen notwendig. Auswertungen des Krankenstands und der Gesundheitsberichte der Krankenkassen sind ebenfalls sinnvoll. festlegen, was verändert werden soll und genaue Ziele setzen: Die inhaltlichen Bereiche müssen spezifiziert werden. Planlos aneinandergereihte Maßnahmen, die nicht auf die unternehmensspezifische Situation abgestimmt sind, sind eher kontraproduktiv. Hier und ebenso bei der Maßnahmenauswahl bieten sich sog. Gesundheitszirkel an. Es handelt sich um Kleingruppen von Mitarbeitern, die sich Gedanken um gesundheitsbeeinträchtigende Aspekte in ihrer eigenen Arbeitssituation machen und Veränderungsvorschläge einbringen. Die Vorgehensweise ist analog zu derjenigen von Qualitätszirkeln. (s. Kapitel 6.2.3.1.4) auswählen, mit welchen Maßnahmen die angestrebten Veränderungen erreicht werden sollen: Es gibt eine schier unendliche Anzahl an Wegen, die Gesundheit der Mitarbeiter zu unterstützen. Je nach Betriebsgröße, Branche, Arbeitsanforderungen, Arbeitsinhalten, Qualifikationen und auch der Substituierbarkeit der Mitarbeiter sind unterschiedliche Maßnahmen sinnvoll. bestimmen, welcher Veränderungsumfang angestrebt werden soll: Dazu muss geklärt werden, welches Ergebnis mit dem Health Care Management erreicht werden soll. Wirtschaftlichkeitsgesichtspunkte sind einzubeziehen. Maßnahmen implementieren und deren Durchführung im Auge behalten: Hierzu ist die sorgfältige Ausarbeitung und Beschreibung der notwendigen Prozesse erforderlich. Zum Beispiel geht es darum, ob Stellenbeschreibungen verändert werden müssen, Ar- 562 Vgl. Berger (2013), S. 4. 6.2 Anreizsysteme · 303 beitszeitregelungen angepasst werden sollen oder eine Flexibilisierung des Arbeitsortes sinnvoll ist. die Evaluierung vorbereiten und durchführen: Es geht um Informationen zur Umsetzung und Wirksamkeit der Maßnahmen. Aber auch deren grundsätzliche Sinnhaftigkeit sollte überprüft werden. Neue theoretische Erkenntnisse über den Nutzen von Maßnahmen müssen einbezogen werden. Daraufhin sind ggf. Modifikationen des Maßnahmenkatalogs vorzunehmen. Ist Health Care Management sinnvoll implementiert, beinhaltet es drei Phasen: 563 Präventionsphase: Sie beginnt, bevor psychische oder physische Probleme auftreten, und versucht diesen vorzubeugen. Durch frühzeitige Maßnahmen im Vorfeld sollen erst gar keine Probleme entstehen. Interventionsphase: Physische und/ oder psychische Probleme sind bereits aufgetreten. Es kommt nun darauf an, diese zu verringern bzw. zu beseitigen. Rehabilitationsphase: Hier geht es darum, die Arbeitsfähigkeit bzw. die Leistungsfähigkeit der betroffenen Mitarbeiter wieder herzustellen, während bzw. nachdem die Probleme beseitigt oder mindestens verringert wurden. 66.2.3.6.3 M a ßna hm en des H ea lth Ca re M a na g em ents Die möglichen Maßnahmen sind so vielfältig wie die Probleme, denen sie entgegenwirken sollen. In der Praxis findet man häufig diese: Rückenschule und weitere physiotherapeutische Betreuung Umstellung des Kantinenessens Gesundheits-Check-ups Sportprogramme Seminare zur Stressbewältigung Ruheräume Ernährungsberatung Schuldnerberatung psychotherapeutische Betreuung Kranken-Rückkehrgespräche Unterstützung bei Suchtproblemen Arbeitshygiene Betriebsarzt Sozialstation Unfallschutz und Unfallsicherheit zusätzliche Freizeit und Erholung 563 Vgl. Stock-Homburg (2013), S. 801 ff. 304 · 6 Personaleinsatz und Personalerhaltung Veränderungen von Arbeitszeit Variation der Arbeitsinhalte Flexibilisierung des Arbeitsortes Änderung der sozialen Interaktionsmöglichkeiten Anpassung des Führungsstils Die Maßnahmen müssen auf die Situation und die Ziele, die erreicht werden sollen, abgestimmt sein. Auch Wirtschaftlichkeitsgesichtspunkte sind zu berücksichtigen. Es gilt außerdem zu beachten, dass nicht alle Maßnahmen für die Präventions-, Interventions- und Rehabilitationsphasen gleichermaßen geeignet sind. 6.2.4 Ideenmanagement und Cafeteria-Systeme Ideenmanagement (Betriebliches Vorschlagswesen) und Cafeteria-Systeme sind sowohl auf die Gewährung von materiellen als auch immateriellen Anreizkomponenten ausgerichtet und werden hier als Mischformen betrachtet. Zunächst wird das Ideenmanagement als Weiterentwicklung des betrieblichen Vorschlagswesens betrachtet und anschließend folgen Überlegungen zu den Cafeteria-Systemen. 6.2.4.1 Ideenmanagement (betriebliches Vorschlagswesen) Beim betrieblichen Vorschlagswesen (BVW) werden von einzelnen Mitarbeitern oder einer Gruppe von Mitarbeitern freiwillige Verbesserungsvorschläge eingebracht, die geprüft und ggf. umgesetzt werden. Damit soll die Kreativität und Innovationsfähigkeit der Arbeitnehmer genutzt werden. Sie werden angeregt, über Verbesserungsmöglichkeiten in ihrem Umfeld nachzudenken und Lösungen zu finden. Die Mitarbeiter profitieren vom Nutzen für das Unternehmen, da sie für die Vorschläge, sollten sich diese als brauchbar erweisen, mit einer Prämie belohnt werden. Das Ideenmanagement löst in letzter Zeit zunehmend das betriebliche Vorschlagswesen nicht nur begrifflich ab. Es handelt sich dabei nicht mehr um die mehr oder weniger willkürliche Beachtung von Mitarbeitervorschlägen, vielmehr erfolgt das Ideenmanagement systematisch und geplant nach vorgegebenen Strukturen und vereint dabei „verschiedene Instrumente der Ideenfindung, -erfassung, -bearbeitung und -umsetzung zu einem ganzheitlichen Konzept“ 564 . Man verbindet mit der neuen Bezeichnung auch eine moderne, weniger bürokratische und flexiblere Vorgehensweise. Das Ideenmanagement richtet sich an alle Mitarbeiter. Die Vorschläge können sich auf Arbeitsumgebung, Arbeitsprozesse, Produkte, Dienstleistungen, Arbeitssicherheit oder Kosten beziehen. Sowohl Einzelals auch Gruppenvorschläge sind denkbar. Sie müssen aber über die übliche Initiative bei der Aufgabenerfüllung hinausgehen. Die Frage, ob ein Vorschlag zum normalen Aufgaben- und Verantwortungsbereich eines Arbeitnehmers gehört, ist im Einzelfall schwierig zu beantworten. Bei Führungskräften und überdurchschnittlich qualifizierten Mitarbeitern werden in der Regel strengere Maßstäbe angelegt. Bisweilen wird ihnen 564 Thom/ Piening (2008), S. 30. 6.2 Anreizsysteme · 305 die Prämie gekürzt, da das Unternehmen von diesem Personenkreis grundsätzlich Eigeninitiative und besonderes Engagement erwartet. Während in der Industrie ein systematisches Ideenmanagement weit verbreitet ist, dominiert im Dienstleistungssektor bisher noch das (zufällige) betriebliche Vorschlagswesen. In der Fachliteratur wird vorgeschlagen, auch Ideen von Kunden, Lieferanten und sogar der Konkurrenz einzubeziehen. 565 Diese Vorgehensweise ist in der Praxis jedoch noch kaum üblich. In der Regel bleibt das Ideenmanagement auf interne Ideengeber beschränkt. Das Ideenmanagement kann nur erfolgreich umgesetzt werden, wenn die Unternehmensleitung ihre positive Haltung gegenüber diesem Instrument deutlich macht. Ihre Einstellung überträgt sich auf die unteren Führungsebenen. Den Vorgesetzten muss bewusst sein, dass Verbesserungsvorschläge nicht als Kritik zu verstehen sind. Vielmehr ist es eine wesentliche Führungsaufgabe, ein Klima der Aufgeschlossenheit und Kreativität zu schaffen, die Mitarbeiter zu Selbständigkeit und Eigeninitiative zu ermuntern und die effiziente Produktion und Verwertung von Ideen zu fördern. Das Vertrauen der Mitarbeiter in die objektive Handhabung des Ideenmanagements ist eine weitere Voraussetzung für dessen Erfolg. Deshalb sollte zunächst eine als neutral angesehene Stelle die Vorschläge aufnehmen und die Mitarbeiter über das anschließende Verfahren informieren und ggf. beraten. Diese Stelle sollte, um die Bedeutung des Ideenmanagements zu unterstreichen, in der Hierarchie möglichst hoch angesiedelt sein, womit sich eine Instanz oder eine Stabsstelle in der Personal- oder Organisationsabteilung anbietet. Als Nächstes muss gewährleistet sein, dass die Vorgehensweisen bei der Bearbeitung, Prüfung und Prämienvergabe sowie die Beschwerde- und Einspruchsmöglichkeiten für die Mitarbeiter transparent sind. Dann sollte anhand schriftlicher Bewertungsrichtlinien möglichst zügig entschieden werden, da sich ein schneller Verfahrensablauf positiv auf die Motivation auswirkt. In manchen Unternehmen erfolgt nur einmal jährlich eine Begutachtung der eingereichten Vorschläge. Ein im Januar eingereichter Verbesserungsvorschlag, der erst im Dezember prämiert wird, wirkt jedoch i.d.R. wenig motivierend. Darüber hinaus ist eine Betriebsvereinbarung zum Ideenmanagement als vertrauensbildende Maßnahme hilfreich. Regelmäßige unternehmensinterne Hinweise erhöhen den Bekanntheitsgrad dieses Instruments. Nach außen kann es ein positives Unternehmensimage fördern, was beispielsweise der Personalbeschaffung zugutekommt. Führen die Verbesserungsvorschläge zu Kostenersparnissen im Unternehmen, z.B. durch schnellere Aufgabenerfüllung, geringeren Energieverbrauch oder weniger Ausschussware, erhält der Mitarbeiter in der Regel eine Prämie, deren Höhe sich nach der Ersparnis richtet. Üblich sind zwischen 10 und 30 Prozent der Ersparnis des ersten Jahres. 566 Alternativ oder zusätzlich zu Geldprämien gewähren Unternehmen oft Sachprämien. Sie sind auch bei solchen Anregungen gebräuchlich, bei denen die Mindestprämie nicht erreicht wurde, weil die Kostensenkung nicht groß genug war oder nicht direkt gemessen werden 565 Vgl. Thom/ Piening (2008), S. 30. 566 Vgl. o.V. (2005 b), S. 26. 306 · 6 Personaleinsatz und Personalerhaltung konnte. Gleichzeitig war die Idee aber gut und brachte z.B. eine Imageverbesserung in der Öffentlichkeit oder größere Mitarbeiterzufriedenheit. Bei Verbesserungsvorschlägen, die nicht zu einer direkten Ersparnis für das Unternehmen führen, z.B. bei Eingaben zu Arbeitssicherheit, Lärmschutz oder Arbeitsplatzgestaltung, ist es schwierig, einen als gerecht empfundenen Bewertungsmaßstab zu finden. Diese Vorschläge sind jedoch ebenso Ausdruck unternehmerischen Denkens und dürfen deshalb nicht etwa ignoriert oder gering geschätzt werden. Ihre Prämierung motiviert zu weiterem Nachdenken, das dann möglicherweise direkt zu einer Ersparnis für das Unternehmen führt. In letzter Zeit werden häufig unternehmensinterne Blogs eingesetzt, um die Kreativität zu fördern. Sie geben die Gelegenheit, neue Ideen anderen Mitarbeitern vorzustellen und mit ihnen zu diskutieren. Mit dem Ideenmanagement verbinden Unternehmen viele Vorteile: 567 Jeder einzelne Mitarbeiter wird zu unternehmerischem Denken angeregt. Das Potenzial der Mitarbeiter wird entdeckt und gefördert. Die Mitarbeiter sind Neuerungen gegenüber aufgeschlossener, da sie diese teilweise selbst initiiert haben. Die Möglichkeit, eigene Ideen umzusetzen, fördert die Verbundenheit der Mitarbeiter mit dem Unternehmen. Die Kenntnisse der Mitarbeiter über betriebliche Zusammenhänge und Vorgänge verbessern sich. Vorschläge zur Unfallverhütung erhöhen die Sensibilität für mögliche Gefahren und vergrößern die Arbeitssicherheit. Auch den Mitarbeitern bringt das Ideenmanagement zahlreiche Vorteile: Sie können ihre eigenen Ideen einbringen, was das Selbstbewusstsein fördert. Sie erhalten für ihr Engagement eine Geld- oder Sachprämie. Sie fühlen sich geachtet und anerkannt. Die Motivation wird gestärkt, indem Bedürfnisse wie Anerkennung und Selbstverwirklichung befriedigt werden. Die Umsetzung ihrer Ideen führt häufig zu Arbeitserleichterungen. Eine Ergänzung des Ideenmanagements ist Kaizen, bei dem nicht auf Verbesserungsvorschläge „gewartet“, sondern ein ständiges Mitdenken der Mitarbeiter gefordert wird. Es ist ein institutionalisiertes System, mit dem Verschwendung vermieden wird und das der ständigen Verbesserung der Arbeitsprozesse und der Produktqualität im Rahmen eines umfassenden Qualitätsmanagements dient. Der Begriff kommt aus dem Japanischen und umfasst kontinuierliche Verbesserungsaktivitäten auf allen Hierarchieebenen und in allen Unternehmensbereichen. Die Potenziale aller 567 Vgl. Jung (2017), 620 ff. 6.2 Anreizsysteme · 307 Mitarbeiter sollen genutzt werden. Dabei geht es nicht um dramatische Veränderungen, sondern um viele kleine Verbesserungsnotwendigkeiten, die jeder Mitarbeiter in seinem Aufgabenbereich feststellen kann. Alle Mitarbeiter sollen sich verantwortlich fühlen und sich für die Optimierung ihrer Arbeit einsetzen. Kaizen ist somit eher eine generelle Einstellung, die zu einer Bewusstseinsänderung im Unternehmen führen soll, als eine bloße Methode zur Qualitätsverbesserung. 568 Durch die stetigen Veränderungsprozesse, der von allen Beschäftigten getragen werden, erweitern die Mitarbeiter ständig ihre Kenntnisse. Sie lernen, sich für ihren Aufgabenbereich verantwortlich zu fühlen und können „über den Tellerrand hinausblicken“, womit sie gleichzeitig ihr Sozialverhalten verbessern. Insofern kann Kaizen auch als eine Maßnahme der Personalentwicklung angesehen werden. Ein modernes Ideenmanagement integriert diese Gedanken. Anders als das betriebliche Vorschlagswesen setzt Kaizen stärker auf die Wirkung von immateriellen Anreizen. Die Mitarbeiter sollen durch die Möglichkeit der aktiven Mitgestaltung und der größeren Verantwortung für ihr Aufgabengebiet mehr Arbeitszufriedenheit entwickeln, was sich wiederum in einer höheren Leistung bemerkbar macht. Kaizen wird durch Gruppenarbeit und Qualitätszirkel unterstützt. 569 In Deutschland hat sich im Produktionsbereich der Begriff kontinuierlicher Verbesserungsprozess (KVP) für die Verwirklichung des Kaizen-Gedankens durchgesetzt. Vor allem in der Automobilindustrie ist es ein fester und unverzichtbarer Bestandteil der betrieblichen Organisation geworden. 6.2.4.2 Cafeteria-Systeme Sozialleistungen werden in Deutschland oft nach dem sogenannten Gießkannen- oder Schrotflintenprinzip gewährt. Jedem Mitarbeiter, der die geforderten Kriterien erfüllt, wird die gleiche Leistung zuteil. Seine individuellen Ziele und Bedürfnisse finden dabei keinerlei Berücksichtigung. Einen ganz anderen Weg gehen die Cafeteria-Systeme. Sie bieten die Möglichkeit, aus einem Gesamtpaket von Leistungen nach individuellen Wünschen auszuwählen. Der Mitarbeiter wird als Kunde gesehen und stellt sich wie in einer Cafeteria aus dem vorhandenen Angebot seine persönliche Auswahl zusammen, die er jedes Jahr entsprechend seiner Bedürfnisse und seiner Lebenssituation verändern kann. 570 Beim Aufbau eines Cafeteria-Systems sind insbesondere diese vier Gestaltungsaspekte zu berücksichtigen: 571 Cafeteria-Budget des einzelnen Mitarbeiters: Das Budget kann sich am bisherigen Umfang der freiwilligen Sozialleistungen orientieren. Dieses wird i.d.R. je nach Hierarchieebene unterschiedlich hoch sein. Oft erhalten die Mitarbeiter zusätzlich noch die 568 Vgl. Nicolai (2009 a), S. 213¸ Stevens et al. (2005), S. 472. 569 Vgl. Hentze/ Graf (2005), S. 250. 570 Zur Vorgehensweise bei der Implementierung von Cafeteria-Systemen vgl. ausführlich Hilb (2009), S. 109 ff.; Albert (2009), S. 212. 571 Vgl. Stock-Homburg (2013), S. 414 f.; Kolb (2010), S. 366 f. 308 · 6 Personaleinsatz und Personalerhaltung Möglichkeit, weitere monetäre Entgeltbestandteile, z.B. Prämien, in Cafeteria-Budget umzutauschen. Ausgestaltung des Wahlangebots: Hier geht es um die Flexibilität bei der Auswahl von Leistungen. Man unterscheidet zwischen Kernplan, alternativem Menüplan und Bufettplan. Ein Kernplan legt fest, welche Bestandteile jeder Mitarbeiter beziehen muss. Hier besteht keine Wahlfreiheit, oft handelt es sich dabei um die betriebliche Altersvorsorge. Lediglich bei Zusatzangeboten gibt es Wahlmöglichkeiten. Beim alternativen Menüplan werden den Mitarbeitern vorher festgelegte Kombinationen von Sozialleistungen angeboten. Sie haben dann die Möglichkeit, zwischen alternativen Komplettpaketen zu wählen. Der Buffetplan bietet freie Wahlmöglichkeiten aus den vorhandenen Leistungen und die Möglichkeit, sich beliebige Kombinationen selbst zusammenzustellen. Die Zuordnung von Tauschrelationen für die verschiedenen Wahlmöglichkeiten ist dabei ein schwieriges Problem. Wahlturnus: Er legt die Abstände fest, in denen Mitarbeiter aus dem Cafeteria-System auswählen dürfen. Am häufigsten findet man jährliche, seltener halbjährliche Abstände. Art der Zusatzleistungen: Es handelt sich um das Angebot an materiellen und immateriellen Leistungen, die das Unternehmen einbringt. Diese Bestandteile von Cafeteria- Systemen sind häufig zu finden: - Lohn- und Gehaltszulagen mitarbeiterspezifische Arbeitszeitregelungen individuelle Urlaubsregelungen - Vergabe von Werkswohnungen vergünstigte Kredite - Firmenwagen betriebliche Altersversorgung - Vermögensbeteiligungen - Programme zur Freizeitgestaltung - Sprachprogramme Viele weitere Komponenten sind denkbar. In den letzten Jahren beziehen manche Großunternehmen auch das sog. Social Freezing in ihren Menükatalog mit ein und übernehmen - wie z.B. Facebook und Apple - hierfür die Kosten. Frauen erhalten die Möglichkeit, ihre Eizellen einfrieren zu lassen und den Kinderwunsch auf einen späteren (evtl. weniger fruchtbaren) Zeitpunkt zu verschieben. Insbesondere jüngere Deutsche sehen diese Entwicklung eher positiv, bei Menschen über 60 Jahre stößt der Gedanke zum größten Teil auf Ablehnung. 572 In Deutschland sind Cafeteria-Systeme aufgrund der teilweise schwierigen steuer- und sozialversicherungsrechtlichen Voraussetzungen wenig verbreitet. 573 Deshalb sind sie häufig einer kleinen Gruppe von Mitarbeitern, d.h. in diesem Fall den Führungskräften und außertarif- 572 Vgl. o.V. (2015). 573 Vgl. Grawert (2012), S. 118. 6.3 Kritische Würdigung und Ausblick · 309 lichen Angestellten vorbehalten. Bei den anderen Mitarbeitergruppen schränken zudem tarifliche Festlegungen in der Regel die Summe, die für eine Wahl aus dem Cafeteria-System zur Verfügung stehen würde, sehr stark ein. Durch ein Cafeteria-System wird der Nutzen von freiwilligen Sozialleistungen für den einzelnen Mitarbeiter optimiert. Dies kann weitgehend kostenneutral geschehen, das Budget für die freiwilligen Sozialleistungen wird nur auf andere Art und Weise als vorher eingesetzt. Allerdings erhöht sich der Verwaltungsaufwand. Die sich mit der individuellen Lebenssituation ändernden Interessen der Mitarbeiter werden jeweils berücksichtigt. Das Unternehmen gewährt den Mitarbeitern mehr Eigenverantwortung und Handlungsspielraum bei der Gestaltung ihres Entgelts und sorgt so für eine bedürfnisgerechte Entgeltgestaltung. Die Ziele, die ein Unternehmen mit freiwilligen Sozialleistungen verfolgt, kann es mit Cafeteria-Systemen besser erreichen als mit einem starren Leistungsangebot. In den letzten Jahren nutzen Unternehmen den Einsatz von Cafeteria-Modelle zunehmend dazu, sich im Rahmen des Employer Branding positiv bei Bewerbern und Mitarbeitern zu platzieren. 574 Studien aus den USA bestätigen diesen Effekt. 575 Nachteilig für die Mitarbeiter wirkt sich aus, dass sie zwar in regelmäßigen Abständen eine neue Auswahl treffen können, sich damit jedoch in manchen Fällen, z.B. bei Lebensversicherungen, für mehrere Jahre binden. Die Zuordnung von Tauschrelationen für die verschiedenen Wahlmöglichkeiten ist ebenfalls ein Problem. Als weiterer Nachteil sind die mit jeder Individualisierung einhergehenden Wahlprobleme und eventuellen Fehlentscheidungen zu werten. Viele Mitarbeiter haben große Schwierigkeiten, wenn sie selbständig eine Auswahl treffen sollen. Studien belegen, dass sich bei optionalen Cafeteria-Systemen nur eine geringe Anzahl von Mitarbeitern beteiligt, die anderen verzichten auf ihre Wahlfreiheiten. 576 Gewerkschaften stehen Cafeteria-Systemen deshalb oft negativ gegenüber. Sie fürchten zudem den Kontrollverlust über die Entgeltpolitik. 6.3 Kritische Würdigung und Ausblick Wer Menschen zur Arbeitsleistung motivieren will, muss sich Gedanken über Inhalt und Prozess der Motivation und die Determinanten der menschlichen Arbeitsleistung machen. Dabei ist zu beachten, dass die Art der Anreize, die Unternehmen zur Verfügung stellen, immer auch von den Menschenbildern ihrer Entscheidungsträger abhängt. In den letzten Jahren ist ein deutlicher Trend zur Individualisierung der Anreizgestaltung zu beobachten. 574 Vgl. Korb (2008), S. 57. 575 Vgl. Grawert (2012), S. 113. 576 Vgl. Stock-Homburg (2013), S. 416. 310 · 6 Personaleinsatz und Personalerhaltung Bei den materiellen Anreizen kann man auf allen Hierarchieebenen eine zunehmende Leistungs- und Ergebnisorientierung feststellen. Variable Entgeltbestandteile gewinnen an Bedeutung. Sie sind immer öfter nicht nur an individuellen, sondern auch an bereichs- und unternehmensbezogenen Erfolgsfaktoren ausgerichtet. Kurzfristige Erfolgsorientierung bei der Vergütung wird zugunsten mittel- und langfristiger Zielerreichung und strategischer Überlegungen verringert. Unternehmerisches Denken wird auf diesem Wege gefördert. Die Bundesregierung hat auf Vorschlag der Mindestlohnkommission den aktuellen gesetzlichen Mindestlohns auf 9,19 € festgelegt und gleichzeitig zum 01. Januar 2010 eine Erhöhung auf 9,35 € beschlossen. Branchenspezifische Übergangsregelungen, die niedrigere Löhne vorsahen, sind mittlerweile ausgelaufen. Gleichwohl gibt es Ausnahmen, in denen der gesetzliche Mindestlohn unterschritten werden darf. So gilt er z.B. nicht für Jugendliche unter 18 Jahren, für Auszubildende und für Praktikanten, die ein Pflichtpraktikum im Rahmen ihres Studiums absolvieren. Auch für Langzeitarbeitslose gelten zeitlich befristete besondere Bedingungen, damit soll der Arbeitgeber einen Anreiz zur Anstellung bekommen. Neben dem gesetzlichen Mindestlohn gibt es zum Teil deutlich höhere Branchen- Mindestlöhne. Sie werden i.d.R. zwischen den Tarifpartnern ausgehandelt und dann vom zuständigen Wirtschaftsministerium für allgemeinverbindlich erklärt. Damit gelten sie für alle Betriebe der Branche - auch für diejenigen, die nicht tarifgebunden sind. Erste Erkenntnisse zeigen, dass der gesetzliche Mindestlohn keine wesentlichen negativen Auswirkungen auf die Beschäftigungslage hat. Wie die Situation bei schlechter wirtschaftlicher Lage aussehen wird, bleibt noch abzuwarten Im Rahmen der Internationalisierung steigt die Bedeutung des Umgangs mit Mitarbeitern aus verschiedenen Kulturkreisen. Auch die zu früheren Generationen unterschiedlichen Lebens- und Arbeitserwartungen der Generationen Y und Z treten stärker zu Tage. Die Unternehmen müssen bei ihrer Anreizgestaltung die Bedürfnisunterschiede der Generationen verstärkt berücksichtigen. In 2019 wurde mit der Brückenteilzeit eine gesetzliche Möglichkeit für die Arbeitnehmer geschaffen, relativ frei von Restriktionen selbst über einen Wechsel zwischen Teilzeit und Vollzeit zu entscheiden. Inwieweit sich diese Regelungen negativ auf den betrieblichen Ablauf, strategische Entscheidungen und die Konkurrenzsituation im internationalen Wettbewerb auswirken, bleibt abzuwarten. Ob sich in Europa ein nachhaltiges Interesse für das Social Freezing entwickeln wird, bleibt ebenfalls abzuwarten, bisher scheint es zumindest in Deutschland sehr gering zu sein. Immaterielle Anreize wie Flexibilisierung der Arbeitszeitgestaltung und des Arbeitsortes sowie Teamarbeit finden nach wie vor großes Interesse. Die Aufgeschlossenheit seitens der Führungskräfte nimmt hier in den letzten Jahren deutlich zu. Passende theoretische Führungsstile wären mehr denn je nötig, aber sie bilden noch immer die Komplexität des Führungsphänomens nur unzureichend ab und liefern oft wenig brauchbare Handlungsalternativen für Vorgesetzte. Beziehungsorientierung und Charismati- Wiederholungsfragen · 311 ker als Führungskräfte scheinen auf dem Vormarsch zu sein und scheinen junge Leute stärker anzusprechen als das bei früheren Generationen er Fall war. Auch Management-by-Konzepte bieten nur ansatzweise Hilfe für Führungskräfte. Gleichwohl hat sich das Management by Objektives auf mittleren Hierarchieebenen als Führungsinstrument durchgesetzt. Health Care Management ist ein fester Bestandteil eines modernen Personalmanagements geworden. Auf welche Anreize Unternehmen in Zukunft verstärkt setzen müssen, hängt auch davon ab, ob und wie sich die Generationen Y und Z mit ihren Wünschen und Motiven im Berufsleben verändern werden. Regelmäßige Mitarbeiterbefragungen bzw. Auswertungen von Studien sind insofern von Nöten. Gleichzeitig darf man aber auch nicht vergessen, dass die Gruppe der älteren Mitarbeiter immer größer wird und es in Zukunft schon allein aufgrund des demographischen Wandels nicht nur darum gehen kann, wie man junge Mitarbeiter bindet. Unternehmen werden es sich nicht mehr leisten können, ältere Mitarbeiter früh in Rente zu schicken und auf deren Expertise zu verzichten, wenn sie wettbewerbsfähig bleiben wollen. Passende Anreize für diese Mitarbeitergruppe werden also ein deutlich größeres Thema werden. Wiederholungsfragen 1. Welche Menschenbilder werden in den Theorien X und Y von McGregor beschrieben? 2. Welche Systematisierung der Menschenbilder nimmt Schein vor? 3. Welcher Zusammenhang besteht zwischen Menschenbildern und Anreizen? 4. Erklären Sie die Unterschiede zwischen extrinsischen und intrinsischen Motiven sowie zwischen primären und sekundären Motiven. 5. Nehmen Sie eine kritische Würdigung der Maslowschen Bedürfnishierarchie vor. 6. Weshalb hat die Maslowsche Theorie trotz erheblicher Kritik in der Praxis so große Bedeutung erlangt? 7. Wo liegen die wesentlichen Unterschiede zwischen der ERG-Theorie von Alderfer und der Maslowschen Theorie? 8. Erläutern Sie die Unterschiede zwischen Hygienefaktoren und Motivatoren in der Zwei- Faktoren-Theorie von Herzberg. 9. Welche betriebswirtschaftlichen Konsequenzen ergeben sich aus der Zwei-Faktoren- Theorie von Herzberg? 10. Nehmen Sie eine kritische Würdigung der Zwei-Faktoren-Theorie vor. 11. Welche Alternativen hat ein Arbeitnehmer, wenn nach seinem eigenen Empfinden sein Input-Output-Verhältnis von demjenigen seiner Kollegen abweicht? 312 · 6 Personaleinsatz und Personalerhaltung 12. Welche Determinanten bestimmen die menschliche Arbeitsleistung? 13. Welche Konsequenzen ergeben sich aus der im Tagesablauf variierenden Leistungsdisposition für die Arbeitssituation? 14. Geben Sie einen Überblick über die wichtigsten materiellen und immateriellen Anreize. 15. In welchen Situationen würden Sie den Akkordlohn als Entgeltform auswählen, bzw. wann ist er nicht geeignet? 16. Wann verwenden Sie den reinen Zeitlohn als geeignete Entgeltform? 17. Worin unterscheiden sich Prämien und Leistungszulagen? 18. Erläutern Sie, was man unter Prämienlohn versteht. 19. Welche Arten von Prämien kennen Sie? 20. Was ist ein Potenziallohn? 21. Erläutern Sie die Formen der Arbeitsbewertung als Basis für eine anforderungsgerechte Entgeltfindung. 22. Worin liegen die Unterschiede zwischen Arbeits- und Leistungsbewertung? 23. Was versteht man unter einem Ecklohn? 24. Wie unterscheiden sich Zeitakkord und Geldakkord? 25. Wie berechnet man den Geldakkord? 26. Welche Ziele verbinden Unternehmen mit Mitarbeiterbeteiligungen? 27. Worin unterscheiden sich Erfolgs- und Kapitalbeteiligungen? 28. Welche Formen der Erfolgsbeteiligung kennen Sie? 29. Geben Sie einen Überblick über die Formen der Kapitalbeteiligung. 30. Was versteht man unter Deferred Compensation? 31. Was versteht man unter Job Enlargement, Job Enrichment, Job Rotation und teilautonomen Arbeitsgruppen? 32. Nehmen Sie eine kritische Würdigung des Konzepts der teilautonomen Arbeitsgruppen vor. 33. Geben Sie einen systematischen Überblick über die wichtigsten Formen der Arbeitszeitflexibilisierung. 34. Welche Formen der Telearbeit kennen Sie? 35. Ordnen Sie die Personalführung in den Zusammenhang der Unternehmensführung ein. 36. Welche Unterschiede bestehen zwischen Macht und Autorität? 37. Beschreiben Sie die Machtbasen. 38. Worin unterscheiden sich die beiden Extremformen eindimensionaler Führungsstile? Wiederholungsfragen · 313 39. Welche Führungsstile gibt es nach dem Managerial Grid? 40. Beschreiben Sie die Grundstile nach dem 3-D-Modell von Reddin. 41. Welche Auswirkungen hat der Einbezug der Situation auf die Grundstile des 3-D- Modells? 42. Welche Anforderungen stellt das Reifegradmodell von Hersey und Blanchard an Mitarbeiter und Vorgesetzte? 43. Was versteht man unter transaktionaler und transformationaler Führung? 44. Was versteht man unter Management-by-Konzepten? 45. Erläutern Sie das Kreislaufschema des MbO. 46. Was versteht man unter Health Care Management? 47. Welche Vorteile bietet das Health Care Management für Unternehmen und Mitarbeiter? 48. Was versteht man unter Ideenmanagement? 49. Welche Ausgestaltungsmöglichkeiten gibt es beim Cafeteria-System? 50. Welche Vorteile bietet ein Cafeteria-System für Unternehmen und Mitarbeiter? 7 Personalbeurteilung 7.1 Grundlagen Personalbeurteilung ist der Oberbegriff für alle institutionalisierten Systeme und Verfahren, die dazu dienen, das Leistungsergebnis, das Arbeits-, Führungs- und Sozialverhalten sowie das Potenzial des Mitarbeiters zu beurteilen (s. Abb. 7-1). Personalbeurteilung Leistungs- und Verhaltensbeurteilung Potenzialbeurteilung Mischsysteme Abb. 7-1: Gliederung der Personalbeurteilung In der Literatur und in Praxis finden sich weitere Bezeichnungen wie Mitarbeiterbeurteilung, Mitarbeitergespräch, Leistungsbeurteilung, Qualifikationsbeurteilung, persönliche Beurteilung und Dienstbeurteilung. Bei einigen handelt es sich um Synonyme, andere decken nur einen Teil der Inhalte der Personalbeurteilung ab. Während sich Leistungs- und Verhaltensbeurteilungen auf vergangene Zeiträume beziehen, ist die Potenzialbeurteilung zukunftsorientiert. In der Praxis existieren meistens Mischsysteme, die mehrere Aspekte im Rahmen einer Beurteilung berücksichtigen. Die Leistungsbeurteilung betrachtet den Output des Mitarbeiters in einem zuvor festgelegten Zeitraum. Die Leistungen und das Leistungsergebnis in der Vergangenheit stehen dabei im Mittelpunkt. Leistungsbeurteilungen sind ein fester Bestandteil des Management by Objectives und des Führens mit Zielvereinbarungen. Sie können aber auch unabhängig davon durchgeführt werden. Das primäre Ziel der Leistungsbeurteilung ist eine gerechte und differenzierte Entgeltfindung. 577 Für die Verhaltensbeurteilung sind das Arbeits- und das Sozialverhalten gegenüber Vorgesetzten und Kollegen relevant. Damit wird zusätzlich zum Ergebnis des Leistungsprozesses 577 Vgl. Scholz (2011), S. 738. 316 · 7 Personalbeurteilung gewürdigt, ob und inwieweit der Mitarbeiter den Verhaltenserwartungen entsprochen hat. Es gilt, sein Verhalten gegenüber externen und internen Partnern, d.h. Vorgesetzten, Kollegen, Kunden und Lieferanten, zu würdigen. Bei Führungskräften berücksichtigt man ferner das Führungsverhalten gegenüber unterstellten Mitarbeitern. Die Verhaltensbeurteilung stellt fest, ob die Verhaltenserwartungen erfüllt wurden, sie soll die nicht-fachlichen Ursachen für das Leistungsergebnis erkunden und ist Basis für Personalentwicklungsmaßnahmen. Im Gegensatz zu vergangenheitsorientierten Leistungs- und Verhaltensbeurteilungen ist die Potenzialbeurteilung auf die Zukunft gerichtet. Sie dient der Feststellung der Fähigkeiten, Verhaltensweisen und Entwicklungsmöglichkeiten des Mitarbeiters hinsichtlich anderen, in der Regel anspruchsvolleren Aufgaben. Mithilfe eines Potenzialprofils können gezielte Personalentwicklungs- und Bildungsmaßnahmen eingeleitet werden. 578 Seltener wird eine Persönlichkeitsbeurteilung vorgenommen. Sie legt den Schwerpunkt auf charakterliche Eigenschaften des Mitarbeiters, aus denen auf das Arbeitsverhalten und die Arbeitsleistung in der Zukunft geschlossen wird. In der Praxis ist sie wenig verbreitet. Personalbeurteilungen sollten immer systematisch durchgeführt werden. Unter einer systematischen Personalbeurteilung versteht man eine Vorgehensweise, bei der die Personalbeurteilung zielorientiert in geregelter und kontrollierter Form vonstattengeht. 579 Folgendes ist zu beachten: Zunächst müssen Ziele, Anlässe und Perioden der Beurteilung festgelegt werden. Die Verwendung von Beurteilungsbögen, die bestimmte methodische Gütekriterien erfüllen müssen, ist obligatorisch. Alle relevanten Beurteilungsinhalte müssen enthalten und eindeutig formuliert sein. Die Beurteiler sind geschult und auf ihre Aufgabe vorbereitet. Das Verfahren schließt mit einem Feedback in Form eines Mitarbeitergesprächs. Unternehmen können grundsätzlich frei darüber entscheiden, ob sie eine Personalbeurteilung und Beurteilungsgrundsätze einführen oder nicht. Über das „wie“ können sie jedoch nicht frei bestimmen. Nach § 94 BetrVG hat der Betriebsrat Mitbestimmungsrechte, die insbesondere die Ziele des Beurteilungssystems, die Verfahren, die angewandt werden sollen, die Beurteilungskriterien, die Gestaltung des Beurteilungsgesprächs, die Auswertung der Beurteilung und die Prämienregelung auf Basis der Beurteilung betreffen. Deshalb sind frühzeitige und umfangreiche Bekanntmachungen und Absprachen notwendig, was auch der Akzeptanz seitens der Mitarbeiter zugutekommt. Es empfiehlt sich, über die Einführung und Durchführung eines Personalbeurteilungssystems eine Betriebsvereinbarung abzuschließen. Sofern das Unternehmen tarifgebunden ist, sind zudem die Regelungen des jeweiligen Tarifvertrags zu beachten. 578 Vgl. Kiefer/ Knebel (2004), S. 2 f.; Bröckermann (2012), S. 168 f. 579 Vgl. Nicolai (2008), S. 552. 7.2 Ziele der Personalbeurteilung · 317 Beurteilungen sollten in regelmäßigen Abständen erfolgen. Üblich sind jährliche und seltener halbjährliche Zeiträume. Daneben werden sie zu besonderen Anlässen durchgeführt: Ablauf der Probezeit umfangreiche Änderung der Aufgabenstellungen Versetzung bzw. Beförderung Wechsel des unmittelbaren Vorgesetzten Beendigung eines Projektes Personalentwicklungsmaßnahmen Beendigung des Arbeitsverhältnisses Auch die im Kapitel „Personalauswahl“ besprochenen Arbeitszeugnisse (vgl. Kapitel 4.2.7) sind Personalbeurteilungen, die bei einer Veränderung oder der Beendigung des Arbeitsverhältnisses erstellt werden. 7.2 Ziele der Personalbeurteilung Mit der Personalbeurteilung werden zahlreiche Ziele verfolgt 580 : Objektivierung der Personalarbeit: Die Ergebnisse der Beurteilungen sind für Mitarbeiter und Führungskräfte vergleichbar. Der Mitarbeiter kann seine aktuelle Beurteilung den vorherigen gegenüberstellen und Rückschlüsse auf seine Entwicklung ziehen. Der Vorgesetzte kann zudem Vergleiche zwischen seinen Mitarbeitern anstellen. Anders als in den USA ist es in Deutschland nicht üblich, solche Vergleiche (z.B. in Form eines Rankings) unternehmensweit zu veröffentlichen. In der Regel ist die Vertraulichkeit gewahrt. Verbesserung der Führungsqualität: Durch Personalbeurteilungen sind Vorgesetzte gezwungen, sich regelmäßig mit den Mitarbeitern, deren Leistung, ihrer Zielerreichung, ihrem Verhalten und ihrem Potenzial auseinanderzusetzen. Das abschließende Beurteilungsgespräch bietet dem Vorgesetzten und dem Mitarbeiter die Möglichkeit (und die Verpflichtung), sich über die Gründe für das Beurteilungsergebnis und die weitere Vorgehensweise auszutauschen. Vereinheitlichung des Führungsverhaltens: Alle Vorgesetzten verwenden ein einheitliches Beurteilungssystems mit darin fixierten Vorgehensweisen und Folgen. So gleichen sie ihr Führungsverhalten an einander an. Wirksames Führungsinstrument: Personalbeurteilungen zeigen dem Mitarbeiter, wo er steht, wie groß die ihm entgegengebrachte Wertschätzung ist und welche Entwicklungsmöglichkeiten sich ergeben können. Sie steuern Leistung, Verhalten und Zufriedenheit des Mitarbeiters. Steigerung der Mitarbeiterleistung durch Verhaltenssteuerung: Personalbeurteilungen dienen als Ansporn zu dauerhaft höheren Leistungen. Der Mitarbeiter kann 580 Vgl. Hohlbaum/ Olesch (2004), S. 137 f.; Olfert (2012), S. 297 f.; Breisig (2005), S. 234 ff.; Jung (2011), S. 742; Stock-Homburg (2013), S. 360 ff.; Hilb (2009), S. 77 f. 318 · 7 Personalbeurteilung durch regelmäßige Beurteilungen sein Verhalten und seine Leistungen besser einschätzen. Zielvorgaben oder -vereinbarungen und ein anschließender Soll-Ist-Vergleich sollen seine Motivation positiv beeinflussen. Potenzialnutzung: Neben Verhaltens- und Qualifikationsdefiziten will man mit Personalbeurteilungen vor allem das bislang ungenutzte Potenzial des Mitarbeiters aufdecken. Anschließend werden die dazu passenden Personalentwicklungsmaßnahmen durchgeführt, so wird das Potenzial des Mitarbeiters gezielt gefördert und genutzt. Förderung der individuellen Entwicklung: Oft steigt die Bildungsbereitschaft der Mitarbeiter, wenn in der Personalbeurteilung Potenziale und Defizite aufgezeigt und mögliche Maßnahmen eingehend besprochen werden. Nach der erfolgreichen Durchführung der Weiterbildung verändern sich die Leistungen des Mitarbeiters oft positiv, was einen höheren Status und ein höheres Entgelt nach sich ziehen kann. Personalbeurteilungen sind darüber hinaus eine Bildungsmaßnahme an sich für die Beurteiler und Beurteilten, denn sie fördern die Beobachtungs- und Bewertungsfähigkeit, da Vorgesetzter und Mitarbeiter lernen, Wesentliches von Unwesentlichem zu trennen. Durch das abschließende Mitarbeitergespräch wird überdies die Kommunikationsfähigkeit der Beteiligten geschult. Entgeltdifferenzierung: Personalbeurteilungen dienen als Basis für ein Entgeltsystem, in das sowohl aufgabenals auch leistungsbezogene Aspekte eingehen. Während sich das Grundgehalt an einer personenunabhängigen Bewertung der Stellenanforderungen ausrichtet, dient die Personalbeurteilung dazu, die individuelle Leistung und das Verhalten des einzelnen Mitarbeiters zu bewerten. Dies ermöglicht spezifische Zulagen, die zusätzlich zum anforderungsorientierten Grundgehalt gezahlt werden. Hilfe bei Personalentscheidungen: Personalbeurteilungen sind sowohl für operative Entscheidungen wie Beförderungen, Versetzungen und Freisetzungen als auch für strategische Maßnahmen wie Nachwuchs-, Nachfolge- und Karriereplanungen hilfreich. Aufgrund der Ermittlung von Leistung, Verhalten und Potenzial der Mitarbeiter können zudem fundierte Entscheidungen hinsichtlich interner oder externer Personalbeschaffung getroffen werden. Förderung der Motivation: Oft stellen die regelmäßigen Beurteilungen für sich genommen bereits einen Ansporn dar. Intrinsisch motivierte Mitarbeiter können feststellen, ob sie ihre Ziele erreicht haben. Die Möglichkeit, dass sich das Beurteilungsergebnis auf die Entgelthöhe auswirkt, fördert diesen Effekt. Auch die Tatsache, dass Unterstützungs- und Fördermaßnahmen abgeleitet werden, wirkt sich oft positiv auf die Motivation aus. Förderung der Kommunikation: Durch Personalgespräche werden die Informationsbedürfnisse des Mitarbeiters befriedigt. Er kann damit zielgerichteter über die Gestaltung seiner Karriere in diesem oder einem anderen Unternehmen entscheiden. Das persönliche Gespräch mit dem Vorgesetzten dient aber nicht nur der Beurteilung, es können auch Sachverhalte besprochen werden, die nicht in unmittelbarem Zusammenhang damit stehen. So kann sich ein Vertrauensverhältnis entwickeln, das sich positiv auf die Kommunikation und Zusammenarbeit im beruflichen Alltag auswirkt. Kontrolle personeller Maßnahmen: Mit Personalbeurteilungen kann man die Richtigkeit personeller Entscheidungen, z.B. Versetzungen, Beförderungen, Aufnahme in ein High Potential Programm, überprüfen und ggf. zeitnahe Korrekturen einleiten. 7.3 Vor- und Nachteile der Personalbeurteilung · 319 Grundlage für die Erstellung von Arbeitszeugnissen: Wenn Vorgesetzter oder Personalabteilung die Leistungen und Verhaltensweisen eines Arbeitnehmers in einem Arbeitszeugnis bewerten sollen, kommt es ohne entsprechende schriftliche Unterlagen oft zu Ungenauigkeiten und Beweisproblemen. Dies kann durch das Heranziehen der letzten Personalbeurteilungen vermieden werden. Sowohl der Mitarbeiter als auch der Vorgesetzte können sich darauf berufen. Schutzfunktion: Schließlich kommt der Personalbeurteilung auch eine Schutzfunktion vor willkürlichen disziplinarischen Maßnahmen des Vorgesetzten oder gar vor ungerechtfertigter Entlassung zu, da der betroffene Mitarbeiter auf seine Beurteilungsergebnisse verweisen kann. 7.3 Vor- und Nachteile der Personalbeurteilung Unternehmen versprechen sich von einer systematischen Personalbeurteilung viele Vorteile, sie sollten sich jedoch auch der Probleme bewusst sein, die sich daraus für die Arbeitssituation ergeben können. Einen Überblick über die wichtigsten Vor- und Nachteile der Personalbeurteilung gibt Abb. 7-2. Personalbeurteilung Vorteile der Personalbeurteilung Nachteile der Personalbeurteilung leistungsabhängiges Entgeltsystem Personalbeurteilung als wichtiges Führungsinstrument Druck auf die Vorgesetzten, sich regelmäßig mit ihren Mitarbeitern zu befassen Förderung zielorientierten Handelns Anregung zur Leistungssteigerung Über- und Unterforderung werden sichtbar Potenzial der Human Resources wird ermittelt gezielter Mitarbeitereinsatz möglich gezielte Personalentwicklung möglich höhere Produktivität durch Mehrleistung Beurteilungen können im Zeitablauf verglichen werden Steigerung der Arbeitszufriedenheit und der Motivation Steigerung der Identifikation zwischen Führungskräften und Mitarbeitern hoher Zeitaufwand für Vorgesetzte zusätzlicher Personalaufwand Schulungskosten für die Beurteiler Schäden durch fehlerhafte Beurteilungen verstärktes Spannungsverhältnis zwischen Vorgesetztem und Mitarbeiter Teamarbeit kann unter dem Konkurrenzdruck leiden Abb. 7-2: Mögliche Vor- und Nachteile der Personalbeurteilung 581 581 Vgl. Jung (2017), S. 782; Stock-Homburg (2010), S. 375. 320 · 7 Personalbeurteilung 7.4 Verfahren der Personalbeurteilung In der einschlägigen Literatur ist - bei gleichen Inhalten - abwechselnd von Methoden oder Verfahren der Personalbeurteilung die Rede. Hier werden die beiden Bezeichnungen synonym verwendet. Man nimmt folgende Differenzierungen vor: 582 summarische und analytische Verfahren: Grundsätzlich können die Personalbeurteilungen - ebenso wie die in Kapitel 6.2.2.3 dargestellten Arbeitsbewertungen - mittels summarischer oder analytischer Verfahren vorgenommen werden. Summarische oder ganzheitliche Verfahren verzichten auf eine Differenzierung nach bestimmten Beurteilungskriterien. Üblich sind in den meisten Unternehmen analytische Verfahren, die zunächst eine Beurteilung nach einzelnen Kriterien vornehmen und diese anschließend zu einer Gesamtbeurteilung zusammenfassen. quantitative und qualitative Verfahren: Quantitative Verfahren arbeiten mit einem Punktesystem. In der Regel wird die Punktzahl zur Berechnung des leistungsabhängigen Entgeltteils herangezogen. Bei qualitativen Verfahren handelt es sich um verbale Beurteilungen. Mischformen sind möglich. freie und gebundene Verfahren: Im ersten Fall wählt jeder Beurteiler die Kriterien, die er heranzieht, und ihren Bedeutungsgrad selbst aus. Manchmal sind die Merkmale auch bereits vorgegeben, aber deren Bedeutung kann der Beurteiler individuell festsetzen. Der Beurteiler hat damit mehr Möglichkeiten, der konkreten Situation gerecht zu werden. Beides beeinträchtigt jedoch die Vergleichbarkeit der Ergebnisse. Gebundene Verfahren schreiben dem Beurteiler diejenigen Kriterien und Gewichtungen vor, die er verwenden muss. Auch hier sind Mischformen möglich. Je nach Zweck der Beurteilung kann es durchaus sinnvoll sein, unterschiedliche Kombinationen zu wählen. So ist beispielsweise eine Personalbeurteilung denkbar, bei der die Leistungsbeurteilung analytisch, quantitativ und gebunden vorgenommen wird, die zugehörige Verhaltensbeurteilung analytisch, qualitativ und gebunden stattfindet und die Potenzialbeurteilung summarisch, qualitativ und frei erfolgt. Eine Personalbeurteilung ist nicht zwingend an die Verwendung formaler, systematischer Beurteilungsverfahren gebunden. Wenn personalwirtschaftliche Entscheidungen wie Versetzung, Beförderung, Entgeltfindung oder Personalentwicklungsmaßnahmen allerdings leistungs-, verhaltens- und potenzialorientiert getroffen werden sollen, kann aus Gründen der Vergleichbarkeit und Beweisbarkeit nicht auf ein standardisiertes Verfahren - meist mittels Beurteilungsbögen - verzichtet werden. Die größere Transparenz fördert auch die Akzeptanz seitens der Mitarbeiter. 582 Vgl. Grieger (2009), S. 156 ff. 7.5 Fehlerquellen · 321 7.5 Fehlerquellen 7.5.1 Vorbemerkung Fehler bei Personalbeurteilungen haben sowohl für den betroffenen Mitarbeiter als auch für das Unternehmen weitreichende Konsequenzen. Daher ist es besonders wichtig, die möglichen Quellen und Folgen einer Fehlbeurteilung frühzeitig zu erkennen. Fehlurteile können zu einer falschen Stellenbesetzung führen, wenn die Fähigkeiten des Mitarbeiters nicht richtig eingeschätzt wurden. Eine Überforderung ist mit unzulänglicher Leistung verbunden und beeinträchtigt eventuell den wirtschaftlichen Erfolg des Unternehmens bzw. führt zu Spannungen mit den anderen Teammitgliedern. Unterforderte Mitarbeiter erbringen aufgrund mangelnder Motivation möglicherweise ebenfalls niedrigere Leistungen als prognostiziert. Die Folgen sind größere Fluktuation und höhere Abwesenheitsraten. Fehlurteile bzgl. der Anpassungsfähigkeit oder Einordnungsbereitschaft des Mitarbeiters führen zu Spannungen in der Arbeitsgruppe. Wenn die Eignung zur Mitarbeiterführung falsch eingeschätzt wurde, kann es zu Fehlbesetzungen bei den Instanzen kommen. Unzureichende Leistungen der gesamten Abteilung, negative Auswirkungen auf das Arbeitsklima und Probleme bei der Zusammenarbeit sind die möglichen Folgen. Fehlerhafte Beurteilungen haben außerdem Auswirkungen auf die Motivation der Mitarbeiter. Zu schlechte Beurteilungen führen zu Enttäuschung und Verringerung der Leistungsbereitschaft. Zu gute Ergebnisse können den Anreiz verringern, sich weiter anzustrengen und die Leistung zu steigern. 583 Die positiven Auswirkungen von Personalbeurteilungen auf die Leistungsbereitschaft und Zufriedenheit der Mitarbeiter sind an zwei Voraussetzungen gebunden: ein glaubwürdiges, nachvollziehbares Verfahren eine glaubwürdige Handhabung Für eine möglichst fehlerfreie Beurteilung ist neben einem strukturierten Beurteilungssystem mit Beurteilungsbögen und Mitarbeitergesprächen von großer Bedeutung, dass die Beurteiler die potenziellen Fehlerquellen kennen. Nur wer die Ursachen von Fehlern kennt, kann sie auch vermeiden. Fehlerquellen können demnach im Beurteilungsverfahren und in der Person des Beurteilenden liegen. Entsprechend wird im Folgenden zwischen Verfahrensfehlern und Beurteilerfehlern unterschieden. 583 Vgl. Nicolai (2008), S. 556. 322 · 7 Personalbeurteilung 7.5.2 Verfahrensfehler Verfahrensfehler entstehen, wenn: die methodischen Gütekriterien, die grundsätzlich für jedes Beurteilungsverfahren gelten, nicht eingehalten werden die Beurteilungskriterien unvollständig, falsch oder nicht dem Beurteilungszweck entsprechend gewählt werden die Beurteilungskriterien nicht verständlich und eindeutig formuliert sind die Gewichtung dieser Kriterien nicht der Bedeutung entspricht, die sie in der jeweiligen Arbeitssituation haben die Beurteilungsmaßstäbe nicht eindeutig und nachvollziehbar definiert sind Zu den methodischen Gütekriterien sei auf die Ausführungen in Kapitel 4.1 verwiesen. Die Beurteiler bewerten ihre Beobachtungen anhand der Beurteilungskriterien. Dabei werden in der Regel die aktuellen und/ oder künftigen Stellenbeschreibungen und Anforderungsprofile herangezogen. Zur optimalen Kriterienanzahl lässt sich keine allgemeine Aussage machen. Es dürfen jedoch nur diejenigen Kriterien herangezogen werden, die von den Mitarbeitern selbst beeinflusst werden können und für die Zielerreichung von Bedeutung sind. Sie müssen überschneidungsfrei und exakt formuliert sein. Hier gilt aus Gründen der Handhabbarkeit und Nachvollziehbarkeit die Überlegung „weniger ist mehr“. Genaue Übereinstimmungen der Beurteilungsbögen mit den Anforderungen einzelner Stellen kommen in der Praxis selten vor. Meist werden Kriterienkataloge für Mitarbeiter- oder Berufsgruppen festgelegt, die dann individuell vom Beurteiler ergänzt werden können. Oft wird zwischen kaufmännischen und gewerblichen Mitarbeitern und Führungskräften differenziert. Wenn Zielvereinbarungen getroffen wurden, werden die Zielerreichungsgrade ebenfalls berücksichtigt. Für die Leistungsbeurteilung werden häufig diese Kriterien herangezogen: 584 Eigeninitiative Selbstständigkeit Verantwortungsbewusstsein zuverlässiges Arbeiten Organisationsfähigkeit Belastbarkeit Lernbereitschaft Leistungsmotivation Urteilsfähigkeit 584 Vgl. Mentzel (2012), S. 64; Müller/ Brenner (2006), S. 75. 7.5 Fehlerquellen · 323 Serviceorientierung Quantität der Ergebnisse Qualität der Ergebnisse Führungsfähigkeit unternehmerisches Denken und Handeln Beurteilungskriterien für das Verhalten sind z.B.: Teamfähigkeit Kommunikationsfähigkeit Konfliktfähigkeit Kooperationsfähigkeit Koordinationsfähigkeit Toleranz Begeisterungsfähigkeit Zur Potenzialermittlung können die gleichen Kriterien herangezogen werden; die Beurteilung wird dann jedoch nicht auf einen vergangenen Zeitraum ausgerichtet, sondern auf die Zukunft projiziert. Nach der Auswahl der Beurteilungskriterien werden die Kriterien gewichtet. Damit kommt die unterschiedliche Bedeutung der Merkmale für die Leistungserbringung und die Zielerreichung zum Ausdruck. Wie bei der Festlegung der Kriterien differenziert man auch bei der Kriteriengewichtung nach Mitarbeiter- und Berufsgruppen. So haben manche Kriterien bei Facharbeitern eine andere Bedeutung als bei angelernten Arbeitskräften oder bei Verwaltungsmitarbeitern oder Führungskräften. Durch die Gewichtung können die Mitarbeiter von Anfang an ihr Leistungsverhalten an höher gewichteten Kriterien ausrichten, ihr Verhalten wird dadurch steuerbar. Entsprechend können bei der Entgeltfindung diejenigen Mitarbeiter bevorzugt werden, die in größerem Maße zum Unternehmenserfolg beigetragen haben, weil sie die hochgewichteten Kriterien besonders gut erfüllt haben. Die Gewichtung der Kriterien kann jedoch zu Konflikten führen, wenn Vorgesetzter und Mitarbeiter unterschiedliche Vorstellungen haben. 585 Neben der Gewichtung der einzelnen Kriterien berücksichtigt man in der Praxis regelmäßig zusätzlich die Ziele bzw. deren Zielerreichungsgrad in Prozent. Damit wird deren Bedeutung für die Aufgabenerfüllung ebenso bedacht wie die individuelle Ausprägung, die der Mitarbeiter diesbezüglich erreicht. Die Beurteilungsskala ist ein weiterer Aspekt, der die Qualität eines Beurteilungssystems bestimmt. Um die Ergebnisse vergleichbar zu machen, wird ein einheitlicher Beurteilungsmaßstab verwendet, der in einer Legende erläutert werden muss. Es muss klar ersichtlich sein, ob z.B. eins die beste oder die schlechteste Bewertung ist, wie hoch der Unterschied zwischen den einzelnen Stufen ist und wann Erwartungen zu 100 Prozent erfüllt sind. 585 Vgl. Olfert (2012), S. 304 f.; Jung (2017), S. 749. 324 · 7 Personalbeurteilung Üblich ist die Verwendung numerischer Skalen. Zu viele Stufen wirken sich ebenso negativ auf die Qualität der Beurteilung aus wie zu wenige, meist wird deshalb eine Skala mit fünf bis sieben Stufen gewählt. Jede Skalenstufe muss exakt beschrieben sein, damit verschiedene Beurteiler nicht Unterschiedliches darunter verstehen. Sehr umstritten ist, ob die Zahl der Stufen gerade oder ungerade sein sollte. Bei ungerader Anzahl ist oft eine Tendenz zur Mitte festzustellen. Eine gerade Anzahl kann hingegen zu Verunsicherung darüber führen, was eine durchschnittliche Leistung ist und bei welcher Stufe die Erwartungen zu 100 Prozent erfüllt sind. Neben numerischen Skalen werden seltener auch alphabetische, grafische Skalen oder Nominalskalen verwendet. Bei Ersterer werden den Abstufungen statt der Zahlenwerte Buchstaben zugeordnet. Damit soll die Assoziation mit Schulnoten vermieden werden. Üblich sind Skalen von A bis E oder F. Grafische Skalen geben dem Beurteiler die Möglichkeit, die Ausprägung auf einem Skalenstrahl anzukreuzen. Nominalskalen beschreiben die Abstufungen verbal mit Begriffen anstatt Zahlen. Diese Formen sind für Personalbeurteilungen, bei denen die leistungsorientierte Entgeltfindung und -differenzierung im Mittelpunkt steht, wenig geeignet. Sie werden eher bei Verhaltens- und Potenzialbeurteilungen, die Basis für Personalentwicklungsmaßnahmen sind, herangezogen. Oft müssen Vorgesetzte eine Verteilungsvorgabe (Quotierung) einhalten. Damit soll - ausgehend davon, dass sich bei einer großen Zahl von Beurteilungen eine Normalverteilung ergibt - eine zu geringe Streuung der Beurteilungsergebnisse vermieden werden. 586 Ein Beispiel zeigt Abb. 7-3. Verteilungsvorgabe Beurteilungsergebnis Prozentanteil Mitarbeiteranteil bei einer Mitarbeiteranzahl von 5 10 15 20 sehr gut 7,5 % 0 1 1 2 gut 25 % 1 2 4 6 befriedigend 35 % 3 4 5 9 ausreichend 25 % 1 2 4 6 unzureichend 7,5 % 0 1 1 2 Abb. 7-3: Beispiel einer Quotierung bei der Beurteilung von Mitarbeitern 587 586 Vgl. Steinmann/ Schreyögg (2005), S. 801 f. 587 Olfert (2012), S. 309. 7.5 Fehlerquellen · 325 Eine Befragung deutscher Unternehmen ergab, dass die Verwendung von Verteilungsvorgaben in den letzten Jahren zugenommen hat. 32 Prozent der Unternehmen mit mehr als 500 Mitarbeitern verwenden sie im Rahmen der Leistungsbeurteilung. Selbst Kleinere Unternehmen mit bis zu 99 Mitarbeitern geben zu 9 Prozent an, sich an Verteilungsvorgaben zu halten. 588 Die Quotierung dient insb. der Entgeltdifferenzierung, die anhand dieser Vorgaben vorgenommen wird. So kann ein begrenztes Budget für Leistungszulagen eingehalten werden. Als vorteilhaft erweist sich eine Verteilungsvorgabe auch bei konfliktscheuen Vorgesetzten, die dazu neigen, ausschließlich gute Beurteilungen zu verteilen. Andererseits muss ein Vorgesetzter, der viele gute Mitarbeiter hat, diese herunterstufen, da er sich an die Quoten halten muss. In Abteilungen mit niedrigem Leistungsniveau tritt der gegenteilige Effekt ein: Mitarbeiter mit eher schwachen Leistungen werden besser beurteilt. Unter den Gesichtspunkten Gerechtigkeit der Beurteilung und Vergleichbarkeit der Leistungen ist eine Verteilungsvorgabe deshalb negativ zu bewerten. Das Feedback-Gespräch und die Stellungnahme des Mitarbeiters runden die Personalbeurteilung ab. 7.5.3 Beurteilerfehler Zu falschen Beurteilungen kann es aufgrund des Beurteilungsverfahrens kommen oder weil die Beurteilenden trotz eines einwandfreien Verfahrens Fehler machen. Beurteilerschulungen helfen solche Fehler zu vermeiden und fördern zudem die Akzeptanz der Beurteilung beim Betroffenen. 589 Die häufigsten Beurteilerfehler zeigt Abb. 7-4. Unter Wahrnehmungsfehlern versteht man unbewusste Urteilsverzerrungen. Bestimmte Aspekte der Beurteilungssituation werden nicht richtig wahrgenommen und deshalb überbzw. unterbewertet oder auch gar nicht berücksichtigt. Um derartige Verzerrungen vermeiden zu können, muss der Beurteiler auf diese Fehler aufmerksam gemacht werden. Die bekanntesten Wahrnehmungsfehler sind: Beim Halo-Effekt überstrahlt eine bestimmte Besonderheit des Mitarbeiters alle anderen Merkmale. Der Beurteiler überbewertet diese und schließt von ihr auf andere Merkmale, z.B. vermutet er bei einem ungepflegten Äußeren eine unordentliche Arbeitsweise. Der Beurteiler konstruiert ein hypothetisches Gesamtbild, das auf einem einzelnen hervorstechenden positiven oder negativen Beurteilungskriterium beruht und die anderen Merkmale vernachlässigt. Der Halo-Effekt wurde häufig bei physischer Attraktivität untersucht. Attraktive Menschen gelten als intelligenter, besser integrierbar und gesünder. 590 588 Vgl. Straub (2016), S. 15. 589 Vgl. Bröckermann (2012), S. 171. 590 Vgl. Weuster (2012 b), S. 74 ff. 326 · 7 Personalbeurteilung Beurteilerfehler Wahrnehmungsfehler Konstanzfehler bewusste Verfälschung kognitive Probleme Halo-Effekt Primacy-Effekt Einseitigkeitseffekt Andorra-Effekt Kontakt-Effekt Nikolaus-Effekt Kleber-Effekt Hierarchie-Effekt Sympathie-/ Antipathie-Effekt Bezugspersonen- Effekt Stereotypen-Effekt Stimmungseffekt Benjamin-Effekt Kontrast-Effekt Tendenz zur Mitte Tendenz zur Milde Tendenz zur Strenge Tendenz zu Extremwerten Beurteilung als Mittel zum Zweck Verarbeitungsprobleme Wahrnehmungsprobleme Speicherungsprobleme Erinnerungsprobleme Beobachtungsprobleme Abb. 7-4: Überblick über die wichtigsten Beurteilerfehler Der Primacy-Effekt führt dazu, dass der Beurteiler die ersten Informationen über den zu Beurteilenden überbewertet. Der erste Eindruck, gleichgültig ob er positiv oder negativ ausfällt, prägt sein gesamtes Urteil. Häufig wird auch die Bezeichnung Effekt-desersten-Eindrucks verwendet. Dieser Fehler tritt oft bei Beurteilungen im Zusammenhang mit Bewerbungsgesprächen auf. Beim Einseitigkeitseffekt wird ein bestimmtes positives oder negatives Ereignis zur Grundlage für die gesamte Beurteilung herangezogen und damit völlig überbewertet. Ein einzelner großer Fehler führt beispielsweise zu einer deutlich schlechteren Beurteilung, als dies eigentlich gerechtfertigt wäre. In seiner positiven Ausprägung nennt man den Einseitigkeitseffekt auch Lorbeer-Effekt. Die Bezeichnung Andorra-Effekt geht auf ein Theaterstück von Max Frisch zurück. Der zu Beurteilende passt sich dabei im Laufe der Zeit unbewusst der Rolle an, die der Beurteiler von ihm erwartet. Das Fremdbild wird damit zu seinem Selbstbild. Eine schlechte Meinung des Vorgesetzten und entsprechende Äußerungen führen beispielsweise auf Dauer zu einem Motivationsverlust und zu verringertem Vertrauen in die eigene Leistungsfähigkeit, wodurch sich die Leistung des Mitarbeiters verschlechtert. Der Vorgesetzte erkennt nicht, dass er dieses Problem selbst herbeigeführt hat, und fühlt sich 7.5 Fehlerquellen · 327 in seiner Meinung bestätigt. Es kommt zu einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung. Auch der umgekehrte, positive Effekt ist möglich. Oft fällt das Urteil über einen anderen Menschen umso besser aus, je öfter Beurteiler und zu Beurteilender in Kontakt treten. Der Kontakt-Effekt lässt sich darauf zurückführen, dass Personen, die häufig miteinander kommunizieren, in der Regel besser aufeinander eingehen können und eher wissen, was sie voneinander zu halten haben. Ein geringer Kontakt führt dagegen dazu, dass der Vorgesetzte wenige Informationen über die Arbeitssituation seines Mitarbeiters erhält. Meistens fällt ihm dieser Mitarbeiter weder positiv noch negativ auf. Er neigt deshalb zu der Schlussfolgerung, dessen Leistungen seien durchschnittlich, was dann auch zu einer durchschnittlichen Bewertung führt. Der Nikolaus-Effekt besagt, dass der Beurteiler Ereignisse, die erst kürzlich stattgefunden haben, stärker bei der Urteilsfindung berücksichtigt als solche, die am Anfang des Beurteilungszeitraums lagen. Tatsächlich muss jedoch die gesamte Beurteilungsperiode gleichermaßen Berücksichtigung finden. Die Situation ist ähnlich wie beim Nikolaus, der die Kinder meist nur an Verfehlungen oder positiven Ereignisse der letzten Zeit erinnert und weiter zurückliegende Gegebenheiten i.d.R. nicht erwähnt. Der Nikolaus-Effekt führt im Umkehrschluss dazu, dass der zu Beurteilende sich an dieses Phänomen anpasst und seine Leistungen kurz vor dem Beurteilungszeitpunkt steigert, um eine positive Gesamtbeurteilung zu erhalten. Der Nikolaus-Effekt wird auch als Recency-Effekt bezeichnet. 591 Beim Kleber-Effekt werden Mitarbeiter, die schon längere Zeit nicht befördert wurden, unbewusst unterschätzt und deshalb schlechter bewertet. Dabei übersieht der Vorgesetzte, dass es nicht darum geht, die Karriereorientierung seines Mitarbeiters zu beurteilen, sondern vornehmlich das Verhalten und die Leistungen im Beurteilungszeitraum in der aktuellen Arbeitssituation. Wenn beide überdurchschnittlich gut sind, verdient der Mitarbeiter eine überdurchschnittliche Beurteilung, unabhängig davon, wann er zum letzten Mal befördert wurde und wie lange er seine Stelle schon innehat oder ob er überhaupt Interesse an einer Beförderung hat. Mitarbeiter, die in der Hierarchie bereits aufgestiegen sind, müssen gute Leistungen erbringen, sonst wäre der Aufstieg erst gar nicht möglich gewesen. Diese Überlegung liegt dem Hierarchie-Effekt zugrunde. Ein höherrangiger Mitarbeiter wird deshalb tendenziell besser bewertet. Das gilt umso mehr, je schneller er in der Hierarchie aufgestiegen ist. Dabei wird übersehen, dass gute Leistungen in vergangenen Perioden und in anderen Aufgabengebieten nicht automatisch zu guten Leistungen bei neuen, höherwertigen und anspruchsvolleren Aufgaben führen müssen. 592 Beim Sympathie-/ Antipathie-Effekt nimmt der Beurteiler aufgrund seiner positiven oder negativen Einstellung zu einem Mitarbeiter dessen Leistungen nicht realistisch wahr. Personen, die ihm sympathisch sind, bewertet er besser als es gerechtfertigt ist, während Mitarbeiter, die ihm unsympathisch erscheinen, eine schlechtere Beurteilung er- 591 Vgl. Dulisch (2015), S. 265. 592 Vgl. Kiefer/ Knebel (2004), S. 86. 328 · 7 Personalbeurteilung halten. 593 Ähnlichkeiten führen eher zu Sympathie als Merkmale, in denen sich der Beurteiler vom Beurteilten unterscheidet. 594 Wenn der Beurteiler das Verhalten von Bezugspersonen als Maßstab heranzieht, spricht man vom Bezugspersonen-Effekt. Diese Person kann der Beurteiler selbst, ein von ihm besonders geschätzter Mitarbeiter oder eine andere Persönlichkeit sein. Bei der Beurteilung der Arbeitssituation werden diejenigen Aspekte und Vorgehensweisen berücksichtigt, die die Bezugsperson als wesentlich ansieht. Dies müssen nicht die tatsächlich stellen- und zielrelevanten Kriterien sein. Es kommt bei einer Beurteilung nicht darauf an, ob der Mitarbeiter die Aufgabe in der gleichen Art und Weise erfüllt, wie es die Bezugsperson getan hätte, sondern ob er seine Zielvorgaben erreicht hat. Beim Stereotypen-Fehler ordnet der Beurteiler den zu Beurteilenden einer spezifischen Gruppe zu, mit der er bestimmte Verhaltenserwartungen verbindet. Seine Beurteilung richtet sich also nicht vornehmlich an den tatsächlichen Verhaltensweisen und Leistungen des Betroffenen aus, sondern an den auf diese Gruppe bezogenen typischen Erwartungen. So werden beispielsweise Teilzeitbeschäftigte oft schlechter beurteilt als Mitarbeiter in Vollzeit, weil der Beurteiler ihnen grundsätzlich ein geringeres Engagement und Interesse an der Arbeit unterstellt. 595 Stimmungseffekte machen die Beurteilung von der momentanen emotionalen Befindlichkeit des Beurteilenden abhängig. Eine positive Stimmung führt zu einer guten Beurteilung, bei schlechter Stimmung fällt die Beurteilung entsprechend schlechter aus. Wenn der Beurteiler junge oder neue Mitarbeiter anders als seine anderen Mitarbeiter beurteilt, unterliegt er dem Benjamin-Effekt. Dabei kann es passieren, dass er diese Mitarbeiter positiver beurteilt, weil er glaubt, sie schonen zu müssen. Es kann aber auch sein, dass er eine schlechtere Beurteilung abgibt, da er kritischer urteilt und dem Senioritätsgedanken entsprechend die langjährigeren Mitarbeiter besser bewertet. Der Kontrast-Effekt führt zu einer verzerrten Wahrnehmung der tatsächlichen Leistung. Der Beurteiler setzt die zu beurteilende Person unbewusst in einen Vergleich zu den anderen Mitarbeitern seiner Arbeitsumgebung. Wenn ein Leistungsschwacher in einem Umfeld mit sehr schwachen Mitarbeitern beurteilt wird, fällt das Ergebnis i.d.R. positiver aus als bei einer Beurteilung in einer leistungsstarken Umgebung. Konstanzfehler beruhen auf unbewussten Maßstabsabweichungen des Beurteilers, die auf seine Persönlichkeitsstruktur zurückzuführen sind. Die jeweilige Tendenz lässt sich optisch als Verschiebung im Vergleich zur Normalverteilung (Abb. 7-5) darstellen. 593 Vgl. Kiefer/ Knebel (2004), S. 89. 594 Vgl. Hardenberg (2015), S. 32. 595 Vgl. Dulisch (2015), S. 265. 7.5 Fehlerquellen · 329 - - 0 ++ Abb. 7-5: Normalverteilung Ein Beurteiler mit der Tendenz zur Mitte (Abb. 7-6) versucht sowohl extrem positive als auch extrem negative Urteile weitgehend zu vermeiden. So will er Unstimmigkeiten mit seinen Mitarbeitern aus dem Wege gehen. Das Beurteilungsergebnis kann seiner Meinung nach bei dieser Vorgehensweise nie völlig falsch sein, da die Mitarbeiter nur ein wenig zu gut bzw. geringfügig zu schlecht und niemals vollkommen ungerecht bewertet wurden. Die Kurve wird bei dieser Vorgehensweise gegenüber der Normalverteilung auf beiden Seiten zusammengedrückt. - - 0 ++ Abb. 7-6: Tendenz zur Mitte Die Tendenz zur Milde (Abb. 7-7) ist durch die Großzügigkeit des Beurteilenden gekennzeichnet. Er bringt es kaum über sich, seine Mitarbeiter schlecht zu beurteilen, und ist fest davon überzeugt, dass diese dann enttäuscht und demotiviert wären. Deshalb hebt er seine Beurteilungen nach oben an. Es gibt bei ihm wenige Mitarbeiter, die durchschnittlich oder unterdurchschnittlich bewertet werden. Der größte Teil erhält eine gute oder eine sehr gute Beurteilung. Seine Bewertungskurve verschiebt sich gegenüber der Normalverteilung nach rechts. Die Form verändert sich nicht, wie Abb. 7-7 zeigt. Diese Vorgehensweise findet man 330 · 7 Personalbeurteilung häufig, wenn die Beurteilung als Basis für die Entgeltfindung dient. 596 Der Vorgesetzte möchte dafür sorgen, dass alle seine Mitarbeiter eine Zulage bekommen und auch mit deren Höhe zufrieden sind. - - 0 ++ Abb. 7-7: Tendenz zur Milde Bei der Tendenz zur Strenge verschiebt sich die Kurve in die entgegengesetzte Richtung und liegt zum größten Teil im unterdurchschnittlichen Bereich (Abb. 7-8). Ihre Form entspricht wiederum derjenigen der Normalverteilung. Der strenge Beurteiler betrachtet gute Leistungen grundsätzlich als selbstverständlich und bewertet deshalb gute Mitarbeiter nur durchschnittlich. Sehr gute Mitarbeiterbewertungen gibt es bei ihm kaum, dafür aber besonders viele schlechte. - - 0 ++ Abb. 7-8: Tendenz zur Strenge Bei der Tendenz zu Extremwerten sieht der Beurteiler seine Mitarbeiter entweder extrem positiv oder extrem negativ (Abb. 7-9). Durchschnittliche Bewertungen kommen bei ihm selten vor. Er neigt zur „Schwarz-Weiß-Malerei“. Die Verteilungskurve hat zwei Gipfel und in der Mitte eine Delle. 596 Vgl. Jungmann, U. (2016), S. C 1. 7.5 Fehlerquellen · 331 - - 0 ++ Abb. 7-9: Tendenz zu Extremwerten Eine bewusste Verfälschung der Beurteilung liegt vor, wenn der Beurteiler die tatsächlichen Leistungen und Verhaltensweisen sowie das Potenzial des Mitarbeiters nur nachrangig berücksichtigt und absichtlich nicht korrekt bewertet. Wenn Egoismus im Spiel ist, begünstigt oder schädigt der Beurteiler den zu Beurteilenden absichtlich. Die Gründe reichen von der Protektion eines befreundeten Mitarbeiters und dem Wegloben unbequemer Beschäftigter über persönliche Feindschaft bis zum Vertuschen eigener Schwächen. Manchmal wird ein hochwertiger Mitarbeiter, der eventuell für die persönliche Aufgabe ebenfalls geeignet wäre, schlechter beurteilt, um den eigenen Vorgesetzten nicht auf diesen hinzuweisen. Ein weiterer Grund ist die Furcht, eine geschätzte und dringend benötigte Fachkraft zu verlieren. Mit einer etwas zu schlechten Beurteilung wird verhindert, dass andere auf diesen Mitarbeiter aufmerksam werden oder er selbst über einen Stellenwechsel nachdenkt. Die Beurteilung wird zum Mittel, mit dem eigene Ziele erreicht werden sollen. Auch die weitverbreitete Vorgehensweise, dass neue Mitarbeiter grundsätzlich erst einmal eine schlechtere Beurteilung bekommen, gehört zur bewussten Verfälschung. Der Vorgesetzte beurteilt seinen neuen Mitarbeiter schlechter als es eigentlich gerechtfertigt wäre mit der Begründung, ansonsten seien keine Steigerungsmöglichkeiten mehr vorhanden. Wenn der Mitarbeiter in diesem Zeitraum jedoch sehr gute Leistungen gezeigt hat, hat er auch eine entsprechende Beurteilung verdient und nicht etwa eine durchschnittliche oder eine gute. Der Vorgesetzte möchte seinen Mitarbeiter auf diese Weise motivieren, weiterhin sehr gut zu leisten. Unter Motivationsgesichtspunkten bewirkt diese Vorgehensweise aber eher Frustration und ist abzulehnen. Dies gilt umso mehr, wenn an die Beurteilung Leistungszulagen geknüpft sind, die geringer ausfallen als es der tatsächlichen Leistung entspricht. Kognitive Probleme führen zu Verzerrungen bei der Erfassung, Speicherung, Verarbeitung, Interpretation und Erinnerung von Informationen, die für die Beurteilungssituation relevant sind. Anders als die zuvor beschriebenen Beurteilerfehler sind sie meist nicht beeinflussbar und können somit auch nicht vom Beurteiler vermieden werden. Diese Verzerrungen beruhen auf den kognitiven Strukturen eines Menschen, insbesondere auf seinem Beobachtungs- und Erinnerungsvermögen. Sie sind charakteristisch dafür, wie der Einzelne mit 332 · 7 Personalbeurteilung Informationen umgeht. In diesem Zusammenhang spielt die Sozialisation des Beurteilers eine wichtige Rolle. Deshalb nimmt er bestimmte Ereignisse, Verhaltensweisen oder Situationen als etwas Besonderes oder nicht bzw. stärker oder weniger stark wahr als andere Menschen, da sie in seiner Jugend besonders wichtig bzw. unwichtig waren. Zum Teil werden sie auch unbewusst verdrängt. Der Vorgesetzte unter- oder überschätzt z.B. Informationen, er sieht seine Vorurteile bestätigt oder er wertet Merkmale, die in seine Beurteilung einfließen, als zu bedeutend oder zu unwichtig. 597 Es ist kaum möglich, alle Einflussfaktoren zu erfassen, die sich auf eine Beurteilung auswirken können. Entsprechend schwierig erweist sich für den Vorgesetzten eine gerechte Beurteilung seiner Mitarbeiter. Hilfreich sind Schulungen der Beurteiler und die Sensibilisierung dafür, welche Fehler auftreten können. Nur wer Fehlerquellen kennt, kann Fehler vermeiden. 7.6 Perspektiven der Personalbeurteilung (Mehrfachbeurteilung) 7.6.1 Vorbemerkung Bei den bisherigen Überlegungen wurde der klassische Fall unterstellt, dass der direkte Vorgesetzte seine Mitarbeiter beurteilt, d.h. es wurde von einer Abwärtsbeurteilung ausgegangen. Die Aussagen sind weitgehend auf die anderen Formen der Personalbeurteilung übertragbar. In den letzten Jahren werden zunehmend Konzepte für eine Mehrfachbeurteilung angewandt, bei denen ein Mitarbeiter von über-, unter- oder gleichgestellten Personen bzw. Personengruppen beurteilt wird und sich auch selbst beurteilt. Außerdem werden teilweise Außenstehende wie Kunden oder Lieferanten in die Beurteilungssituation einbezogen. Während in Großbritannien und Amerika Beurteilungen durch zusätzliche Informationsgeber seit langem üblich sind, finden sie in Deutschland nicht regelmäßig statt. 598 Werden alle genannten Beurteilergruppen in das Verfahren einbezogen, spricht man von einer 360°-Beurteilung (360°-Feedback). Abb. 7-10 zeigt die möglichen Perspektiven der Personalbeurteilung. 597 Vgl. Berthel/ Becker (2010), S. 273 ff.; Nicolai (2008), S. 564. 598 Vgl. Oberwittler (2009), S. C 1. 7.6 Perspektiven der Personalbeurteilung (Mehrfachbeurteilung) · 333 Selbstbeurteilung Beurteilung durch den direkten Vorgesetzten Beurteilung durch den nächsthöheren Vorgesetzten Beurteilung durch die unterstellten Mitarbeiter Beurteilung durch Außenstehende Beurteilung durch Kollegen Abb. 7-10: Perspektiven der Personalbeurteilung Je nachdem, welche Person oder Personengruppe die Personalbeurteilung vornimmt, müssen unterschiedliche, für diesen Einzelfall relevante Beurteilungskriterien und Beurteilungsbögen herangezogen werden. 7.6.2 Kritische Erfolgsfaktoren der Mehrfachbeurteilung Unabhängig von den Beurteilergruppen trägt die sorgfältige Gestaltung der Personalbeurteilung wesentlich zum Erfolg dieses personalwirtschaftlichen Instruments bei. Wenn Mehrfachbeurteilungen durchgeführt werden, sind grundsätzlich folgende Punkte zu beachten: Beschlussfassung und Unterstützung durch die Unternehmensleitung: Die Frage, ob und mit welcher Zielsetzung Personalbeurteilungen eingesetzt werden sollen, muss vom Top Management entschieden werden. Es handelt sich um eine Grundsatzentscheidung mit der gleichzeitig Aussagen über die wichtigsten Zuständigkeiten und das finanzielle Volumen (auch für anschließende Personalentwicklungsmaßnahmen) verbunden sein müssen. Die deutlich gezeigte Identifikation der Unternehmensleitung - z.B. durch die Teilnahme an einer Vorgesetztenbeurteilung - trägt wesentlich zur Anerkennung bei. Einer offenen Kommunikation der Ziele und der Konsequenzen für die Beurteilten kommt insbesondere unter Akzeptanzgesichtspunkten eine wesentliche Bedeutung zu. Festlegung des Kreises der Feedback-Nehmer und der Beurteiler: Wenn es sich nicht um eine klassische Abwärtsbeurteilung handelt, kommen als Feedback-Nehmer vor allem Mitarbeiter in Frage, die häufig und eng mit anderen Personen bzw. Institutionen zusammenarbeiten. Nur dann ist es sinnvoll, deren Arbeitsverhalten und -situation aus unterschiedlichen Blickwinkeln zu betrachten. Die Beurteiler können sowohl aus dem Unternehmen kommen als auch Externe sein. 334 · 7 Personalbeurteilung Des Weiteren sind Mehrfachbeurteilungen ein sinnvolles Instrument für diejenigen Mitarbeiter, die in ihrem Arbeitsalltag kaum Rückmeldungen über ihr Leistungs- und Sozialverhalten bekommen. Gemeint sind in erster Linie Führungskräfte im mittleren und unteren Management sowie hochqualifizierte Fachkräfte. Auch Top-Manager eignen sich als Feedback-Nehmer. Empirische Untersuchungen zeigen, dass gerade bei dieser Personengruppe Fremd- und Selbstbild oft auseinanderklaffen und hier Fremdbeurteilungen zur Selbstreflexion besonders hilfreich wären. 599 In klassischen Beurteilungssituationen erfolgt die Beurteilung durch den Vorgesetzten. Welche weiteren Gruppen und insbesondere welche Personen aus diesen Gruppen hinzugezogen werden, ist für die Akzeptanz und die Umsetzbarkeit des Verfahrens von zentraler Bedeutung. Entsprechend müssen die weiteren Beurteiler zum einen eingehende Kenntnisse über die Aufgaben bzw. den von ihnen zu beurteilenden Teil des Verhaltens des Feedback- Nehmers haben. Zum anderen müssen sie mit ihm bereits über einen längeren Zeitraum zusammenarbeiten und während dieser Zeit Gelegenheit zur Leistungsbeobachtung gehabt haben. Sie müssen (gegebenenfalls durch Schulungen) kompetent für die Beobachtung und Beurteilung sein und vom Feedback-Nehmer akzeptiert werden. Außerdem müssen sie ihrerseits mit den Zielen und der Logik des Beurteilungsverfahrens vertraut sein und diese akzeptieren. Ob Mitarbeiter ein Mitspracherecht bei der Auswahl der Beurteiler haben sollen, wird in der Literatur kontrovers diskutiert und in der Praxis unterschiedlich gehandhabt. Meistens können Feedback-Nehmer mindestens einen Teil der Beurteiler selbst bestimmen oder mit dem Vorgesetzten bzw. der Personalabteilung gemeinsam festlegen. 600 Maßgeschneiderte Gestaltung: Mehrfachbeurteilungen können sich auf das Arbeitsergebnis, das -verhalten und die Persönlichkeit des Mitarbeiters beziehen. Es dürfen nur beobachtbare und tatsächlich durch den Mitarbeiter veränderbare Elemente einbezogen werden. Bei der Auswahl der Kriterien und der Erstellung der Beurteilungsbögen sind die grundsätzlichen Gütekriterien, wie Reliabilität, Validität, Objektivität etc., die an alle Beurteilungsverfahren zu stellen sind, einzuhalten. Dies gilt auch für die Skalierung. Zusicherung von Anonymität und Vertraulichkeit: Anonymität gilt für alle Beurteilungen, bei denen mehrere Beurteiler einbezogen sind, also z.B. die Beurteilung durch Kollegen oder unterstellte Mitarbeiter. Grundsätzlich ist auch Vertraulichkeit zu wahren. Um die Anonymität zu gewährleisten, wird eine Anzahl von vier bis fünf Personen pro Feedback-Gebergruppe vorgeschlagen. Die Aussagen einzelner Beteiligter werden nicht bekannt gegeben. So sollen die Bedenken der Beurteiler vor möglichen Vergeltungsmaßnahmen verringert werden. Außerdem sollen geschönte Verhaltensbeschreibungen, Gefälligkeitsbeurteilungen oder Verweigerung der Teilnahme vermieden werden. Eine Ausnahme bilden lediglich der Vorgesetzte bzw. der Vor-Vorgesetzte als Einzelpersonen, deren Beurteilungsergebnisse namentlich bekannt sind. 599 Vgl. Gerpott (2000), S. 357. 600 Vgl. ebd., Edwards/ Ewen (2000), S. 122 ff. 7.6 Perspektiven der Personalbeurteilung (Mehrfachbeurteilung) · 335 Die Ergebnisse der Gruppenbeurteilungen werden in der Regel durch meist unternehmensexterne Experten verdichtet und in einem Feedback-Report festgehalten und mit dem Mitarbeiter besprochen. Auch hier gilt der Grundsatz der Vertraulichkeit. Die Vertraulichkeit der Ergebnisse gibt zwar dem Beurteilten Sicherheit, mindert aber manchmal die Akzeptanz der Beurteiler, da für sie keine Folgen aus ihrer Feedback- Abgabe ableitbar sind. So kann nicht sichergestellt werden, dass Schwachstellen in der Zusammenarbeit tatsächlich wirksam beseitigt werden. Auswertung und Feedback-Gespräch: Der Feedback-Report sollte Informationen zur Selbsteinschätzung des Verhaltens, die getrennten Beurteilungen der Feedback- Gebergruppen sowie ihre Verteilungen und Durchschnittswerte enthalten. Des Weiteren sollten auch frei formulierte Kommentare der Beurteiler aufgenommen werden. Der Feedback-Report allein reicht noch nicht aus, um Verhaltensänderungen anzustoßen und sicherzustellen. Zunächst muss eine Ergebnisreflexion mit anderen Personen stattfinden. Das können externe Coachs oder auch die Feedback-Gebergruppen sein, wodurch dann allerdings die Anonymität und Vertraulichkeit nicht mehr vollständig aufrecht erhalten bleiben kann. Festlegung der weiteren Maßnahmen: Allen Beteiligten muss von Anfang an klar sein, welchem Zweck die Mehrfachbeurteilung dienen soll. In der Regel geht es darum, anschließend gezielte Qualitätsverbesserungen und Personalentwicklungsmaßnahmen durchzuführen. Die Entgeltdifferenzierung spielt beim 360°-Feedback selten eine Rolle. 7.6.3 Mögliche Feedback-Geber 7.6.3.1 Selbstbeurteilung In vielen Unternehmen gehört die eigene Beurteilung - die Selbstbeurteilung oder das Selbstbild - mit zum Personalbeurteilungsverfahren. Man geht davon aus, dass der Mitarbeiter selbst seine Leistungen, sein Verhalten und sein Potenzial am realistischsten einzuschätzen vermag. 601 Der Vorgesetzte und der Mitarbeiter sprechen über unterschiedliche Ansichten und überprüfen das Fremdbzw. Selbstbild auf Übereinstimmungen und Abweichungen hin. Die Selbstbeurteilung dient außerdem als Informations- und Vergleichsgrundlage, wenn weitere Beurteiler hinzugezogen werden. Von der Selbstbeurteilung verspricht man sich ein besseres Verständnis der eigenen Leistungserbringung und des eigenen Arbeits- und Sozialverhaltes, da der Mitarbeiter sich gründlich damit auseinandergesetzt hat. Auch eine höhere Akzeptanz der Gesamtbeurteilung wird erwartet. 7.6.3.2 Beurteilung durch die Mitarbeiter (Aufwärtsbeurteilung) Neben der Abwärtsbeurteilung gewinnt die Beurteilung des Vorgesetzten durch seine Mitarbeiter, die Aufwärtsbeurteilung oder Vorgesetztenbeurteilung, in den letzten Jahren an Bedeutung. Dabei müssen andere Kriterien als bei der Abwärtsbeurteilung herangezogen 601 Vgl. Hilb (2009), S. 79 f. 336 · 7 Personalbeurteilung werden, da für die Mitarbeiter andere Sachverhalte relevant sind. Es geht im Wesentlichen darum, dass die Mitarbeiter das Führungsverhalten ihres direkten Vorgesetzten betrachten. Die Aufwärtsbeurteilung ähnelt zwar der Struktur der Mitarbeiterbefragung, hat jedoch einen anderen Zweck, da sie gezielt die Mitarbeiter-Vorgesetzten-Situation analysiert. 602 Von besonderer Bedeutung sind diese Fähigkeiten des Vorgesetzten: Ziele und Aufgaben klar darstellen und erläutern Kompetenzen und Entscheidungsspielräume festlegen und einhalten konstruktive Rückmeldungen geben delegieren und fördern motivieren Mitarbeitern die notwendige Orientierung geben die verschiedenen Aufgabenbereiche koordinieren Konflikte lösen bzw. ihre Lösung forcieren das Arbeitsklima beeinflussen die Unternehmensziele vertreten das Team nach außen vertreten Vorgesetztenbeurteilungen sollen diese Funktionen erfüllen: 603 Diagnosefunktion: Der Vorgesetzte erhält Informationen über sich selbst und seine Wirkung auf die Mitarbeiter. Entwicklungsfunktion: Die Aufwärtsbeurteilung wird als zeitgemäßes Führungsinstrument angesehen, welches den Vorgesetzten unterstützen und ihm Anhaltspunkte für die Weiterentwicklung seiner Führungsfähigkeit und seines Führungsverhaltens geben soll. Partizipationsfunktion: Sie bezieht sich auf die stärkere Beteiligung der Mitarbeiter an der Gestaltung der Führungsbeziehungen. Kontrollfunktion: Aufgrund einer regelmäßigen Aufwärtsbeurteilung kann festgestellt werden, ob der Vorgesetzte sein Verhalten zum Positiven verändert hat und ob dies von den Mitarbeitern auch wahrgenommen wurde. Motivationsfunktion: Man erhofft sich von der Vorgesetztenbeurteilung positive Auswirkungen auf die Arbeitszufriedenheit und die Motivation der Mitarbeiter, da sie eher als Partner denn als Unterstellte behandelt werden. Daneben sollen das Betriebsklima und die Beziehungen zwischen dem Vorgesetztem und seinen Mitarbeitern verbessert werden. Im Mittelpunkt stehen die Selbstreflexion des Vorgesetzten und die Rückmeldung über seine persönliche Entwicklung. Direkte positive oder negative Auswirkungen für den Vor- 602 Vgl. Scholz (2014), S. 502, Bock/ Werther/ Woschée (2016), S. 24. 603 Vgl. Steinmann/ Schreyögg (2005), S. 815; Scholz (2000), S. 440; Kiefer/ Knebel (2004), S. 86. 7.6 Perspektiven der Personalbeurteilung (Mehrfachbeurteilung) · 337 gesetzten - etwa in Bezug auf seine Gehalts- oder Zulagenhöhe - sind in der Praxis eher selten anzutreffen. Aufwärtsbeurteilungen werden vielfach als unnötig betrachtet, da die Mitarbeitergespräche dem Vorgesetzten bereits genügend Rückmeldung geben würden. In der Praxis zeigt sich jedoch, dass viele Mitarbeiter ihren Vorgesetzten im persönlichen Gespräch sehr zurückhaltend beurteilen, wenn sie einzeln ihre Meinung kundtun sollen. Eine standardisierte Vorgesetztenbeurteilung gewährleistet demgegenüber größere Anonymität bzw. verringert die Möglichkeit, Rückschlüsse auf einzelne Mitarbeiter zu ziehen, da alle unmittelbaren Mitarbeiter des Vorgesetzten befragt und die Ergebnisse zusammengefasst werden. Die Angst vor negativen Konsequenzen verringert sich. Durch Bildung eines Mittelwerts werden außerdem Extremmeinungen nivelliert. Die Beurteilung erfolgt in drei Schritten: Die Mitarbeiter erhalten einen Fragebogen zur Stellungnahme über das Verhalten ihres Vorgesetzten. Der Vorgesetzte bekommt einen analogen Fragebogen zur Stellungnahme über sein eigenes Führungsverhalten. Im Anschluss werden Fremd- und Selbstbild abgeglichen. Der dritte Schritt ist das Kernelement der Vorgesetztenbeurteilung. Die Führungskraft erhält Hinweise auf notwendige oder wünschenswerte Verhaltensänderungen und kann diese mit der eigenen Einschätzung vergleichen. Eine Variante der Aufwärtsbeurteilung ermittelt zusätzlich das durchschnittliche Selbstbild aller Vorgesetzten im Unternehmen und das durchschnittliche Fremdbild der Mitarbeiter von allen Führungskräften. Jeder Vorgesetzte kann sich so an einem durchschnittlichen Profil messen. Auch ein Sollprofil kann einbezogen werden. In der Regel bleiben Aufwärtsbeurteilungen ohne Folgen für den Vorgesetzten. Die Ergebnisse werden meist nur ihm selbst und in einigen Unternehmen den unmittelbaren Mitarbeitern bekannt gegeben. Anders als bei der Abwärtsbeurteilung bleibt es dem Vorgesetzten selbst überlassen, ob und welche Konsequenzen er daraus zieht. Die erhoffte Motivationssteigerung bei den teilnehmenden Mitarbeitern tritt allerdings nur ein, wenn über die Ergebnisse gemeinsam gesprochen wird, der Vorgesetzte mögliche geplante Veränderungen erläutert und anschließend auch entsprechend handelt. Ansonsten besteht die Gefahr, dass die Mitarbeiter eine Aufwärtsbeurteilung als Farce und Scheinpartizipation betrachten. In den meisten Unternehmen werden Vorgesetztenbeurteilungen nur auf freiwilliger Basis durchgeführt. Jede Führungskraft entscheidet selbst, ob sie daran teilnimmt oder nicht. Es beteiligen sich in der Praxis vor allem diejenigen Vorgesetzten, die ihren Mitarbeitern gegenüber aufgeschlossen und offen für konstruktive Kritik sind. Sie sind bestrebt, ihr Führungsverhalten zu verbessern. Während sich Führungskräfte, bei denen eine Verhaltensänderung dringend nötig wäre, der Beurteilung durch ihre Mitarbeiter oft nicht freiwillig stellen und dieses Instrument ablehnen. 338 · 7 Personalbeurteilung Für die Entgeltfindung werden Vorgesetztenbeurteilungen nur in Ausnahmefällen herangezogen. Ein Trend, diese Beurteilungen zu berücksichtigen, zeichnet sich allerdings bei großen international tätigen Anwaltskanzleien ab. Wenn die Beurteilung durch die Mitarbeiter nicht positiv ausgefallen ist, darf der Vorgesetzte in dieser Situation nicht allein gelassen werden. Um Frustration und einer Verdrängung der Ergebnisse vorzubeugen, sollten sie grundsätzlich gemeinsam mit einem internen oder besser noch einem externen Coach aufgearbeitet werden. 7.6.3.3 Beurteilung durch den nächsthöheren Vorgesetzten Der Einbezug des nächsthöheren Vorgesetzten soll für größere Objektivität und Akzeptanz sorgen. Man erwartet, dass der direkte Vorgesetzte sorgfältiger an seine Aufgabe herangeht, wenn sein eigener Vorgesetzter in den Prozess involviert ist. Auf diese Weise werden bewusste Verfälschungen verhindert oder verringert. Vorgesetzte, die tendenziell von der Normalverteilung abweichen, überdenken ihre Beurteilung möglicherweise noch einmal und kommen zu einem gerechteren Ergebnis. Diejenigen Mitarbeiter, die Benachteiligungen befürchten, wenn sie ihre Meinung offen darlegen, äußern sich ihrem Vorgesetzten gegenüber oft freier, wenn sie wissen, dass dessen Vorgesetzter später ebenfalls in den Beurteilungsprozess einbezogen wird. Wenn der nächsthöhere Vorgesetzte selbst auch eine Beurteilung abgibt, fällt diese aufgrund der geringeren Nähe zum Mitarbeiter seines Mitarbeiters zwangsläufig weniger detailliert aus. Die verwendeten Beurteilungskriterien beziehen sich also kaum auf die konkrete Arbeitssituation, in die der „Vor-Vorgesetzte“ nur geringen Einblick hat. Sie orientieren sich am Eindruck, den der Mitarbeiter mit seinen Verhaltensweisen und seiner Leistung nach außen vermittelt. 7.6.3.4 Beurteilung durch Kollegen Mitarbeiter erfahren täglich, wie ihre Kollegen in der Arbeitssituation handeln. Sie sind deshalb oft am besten in der Lage, die Leistung und das Verhalten eines Kollegen zu beurteilen. Außerdem haben sie im Gegensatz zum Vorgesetzten und anderen Beurteilern viele Beobachtungsmöglichkeiten. Bei Gruppenarbeit und Projekten, bei denen eine enge Zusammenarbeit notwendig ist, fällt dies noch stärker ins Gewicht. Neben dem Begriff Kollegenbeurteilung wird auch die Bezeichnung Gleichgestelltenbeurteilung verwendet. Die Kriterien, die zu dieser Beurteilung herangezogen werden können, unterscheiden sich von denen der Abwärts- und der Vorgesetztenbeurteilung. Im Mittelpunkt steht jetzt das Teamverhalten. Mögliche Kriterien sind: Beteiligung an Team- und Abteilungsbesprechungen Eigeninitiative bei Besprechungsbedarf Kommunikations- und Partizipationsfähigkeiten 7.6 Perspektiven der Personalbeurteilung (Mehrfachbeurteilung) · 339 Bereitschaft zur Verantwortungsübernahme bei der Aufgabenerfüllung soziales Verhalten gegenüber den Kollegen offener Informationsaustausch Hilfsbereitschaft in schwierigen Situationen Wenn Kollegen ein Urteil über die Arbeitsleistung eines Teammitglieds abgeben sollen, müssen sie fachlich kompetent sein und die Aufgaben und Arbeitsziele ihres Kollegen kennen. Sie benötigen Informationen über sein Leistungsergebnis und müssen ausreichend Gelegenheit haben, ihren Kollegen in der Arbeitssituation zu beobachten. Beurteilungen durch Gleichgestellte können zu Störungen der informalen Beziehungen und des Betriebsklimas führen, wenn sich die Mitarbeiter ständig von ihren Kollegen beobachtet fühlen. Konkurrenzdenken und fehlende Aufklärung über Beurteilerfehler können außerdem die Objektivität und die Aussagekraft der Ergebnisse verringern. 604 Eine Beurteilung durch Gleichgestellte sollte deshalb nur durchgeführt werden, wenn alle Beteiligten sorgfältig vorbereitet wurden und jeder Kollege die Beurteilung als konstruktiven Beitrag zur gemeinsamen Zielerreichung ansieht. Die Beurteilung darf nicht dazu benutzt werden, Freunde zu loben oder sich an unbeliebten Kollegen zu rächen. Die Beurteilten müssen ihrerseits bereit sein, das Feedback der Kollegen zu akzeptieren, ihr eigenes Verhalten zu reflektieren und ggf. zu ändern. 7.6.3.5 Beurteilung durch Außenstehende Neben den Kollegen sind die Kunden des Mitarbeiters, für die er seine Leistung erbringt, sowie die Lieferanten, die ihm ihre (Vor-)Leistungen anbieten, von seiner Arbeitsweise unmittelbar betroffen. Die Analyse ihrer Aussagen soll zu besserer Zusammenarbeit führen und allgemein Qualitätsverbesserungsprozesse im Unternehmen einleiten und begleiten. Zur Beurteilung können sowohl interne als auch externe Außenstehende herangezogen werden. 605 Ein interner Kunde eines Mitarbeiters in der Personalabteilung ist beispielsweise ein Vorgesetzter oder ein Mitarbeiter einer anderen Abteilung, der sich mit seinen Fragen und Problemen an ihn wendet. Ein externer Kunde der Personalabteilung wäre z.B. ein Bewerber, der Fragen zu einer in einer Jobbörse ausgeschriebenen Stelle hat. Für jede Gruppe von Außenstehenden sind - wie bei allen Beurteilern - gruppenspezifische Kriterien relevant. Bei Kunden sind dies z.B.: Berücksichtigung der Kundenwünsche Aufzeigen von Alternativen fachliche Kompetenz aktives Anbieten von Leistungen Bereitschaft, Fachbegriffe und Zusammenhänge verständlich zu machen 604 Vgl. Scholz (2014), S. 507. 605 Vgl. Hilb (2009), S. 83 f. 340 · 7 Personalbeurteilung Ernstnehmen von Beschwerden und Problemen empfundene Beratungsqualität Fähigkeit, zuzuhören Bereitschaft, sich in den Kunden hineinzuversetzen Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft Bereitschaft, Fehler einzugestehen Um qualifizierte Aussagen machen zu können, sollten die außenstehenden Beurteiler längere Zeit mit dem zu Beurteilenden zusammengearbeitet und ausreichend Gelegenheit zur Beobachtung gehabt haben. Sie müssen - wie die anderen Beurteiler - Beurteilungskompetenz haben und am besten Kenntnisse vom Anforderungsprofil und den Zielvorgaben des betroffenen Mitarbeiters haben, was bei externen Beurteilern natürlich schwierig wäre und sich deshalb i.d.R. erübrigt. 7.6.3.6 360°-Feedback 77.6.3.6.1 Grundidee Beim 360°-Feedback werden alle vorgenannten Beurteiler einbezogen. Neben dem Vorgesetzten und dem „Vor-Vorgesetzten“ geben Mitarbeiter, Kollegen und Außenstehende ihre Beurteilungen ab. Jede Feedback-Gebergruppe konzentriert sich dabei auf diejenigen Aspekte, die für ihre eigene Zusammenarbeit bedeutsam sind. Während früher der Begriff 360°-Beurteilung verwendet wurde, spricht man heute vom 360°-Feedback. Mitarbeiter werden als Feedback-Nehmer bezeichnet, Beurteiler nennt man Feedback-Geber. Damit soll ausgedrückt werden, dass das Gespräch über die Ergebnisse und die Weiterentwicklung des Mitarbeiters im Mittelpunkt steht und Vorrang vor einer Beurteilung mit dem Ziel der Entgeltfestsetzung hat. Auch die Bezeichnungen Rundumbeurteilung, Full Circle Appraisal oder Multiperspective Rating findet man in der Praxis. Bis auf die Beurteilungen durch den Vorgesetzten und durch dessen Vorgesetzten werden die Feedbacks immer von mehreren Personen aus jeder Gruppe gegeben. In der Literatur werden fünf bis sechs Feedback-Geber pro Gruppe empfohlen. Um Vergeltungsmaßnahmen oder geschönte Beurteilungen zu vermeiden, werden die Aussagen der einzelnen Beteiligten anonymisiert und zu einem Gruppenurteil zusammengefasst. 606 Die verdichteten Fremdbilder werden anschließend dem Selbstbild des Feedback-Nehmers gegenübergestellt. Diese Aufgabe übernehmen in der Regel externe Experten, die die Ergebnisse auch mit dem Feedback-Nehmer durchsprechen. 606 Vgl. Gerpott (2000), S. 357 ff. 7.6 Perspektiven der Personalbeurteilung (Mehrfachbeurteilung) · 341 Charakteristische Merkmale des 360°-Feedbacks sind: 607 Initiierung durch die Unternehmensleitung systematische, formalisierte und standardisierte Vorgehensweise es wird bewusst darauf verzichtet, nur eine Perspektive der Beurteilung zu betrachten Differenzierbarkeit der Beurteilergruppen Verwendung gruppenspezifischer Beurteilungskriterien Integration der Selbsteinschätzung des Feedback-Nehmers sowie seiner Einschätzung, wie die Feedback-Gebergruppen ihn beurteilen Zusammenfassung der Ergebnisse in einem Feedback-Report ausführliche Besprechung des Feedback-Reports und möglicher daraus abzuleitender Maßnahmen mit dem Feedback-Nehmer 77.6.3.6.2 Anwendung sg ebiete, Funktionen und Ziele 360°-Feedbacks haben zwei sehr unterschiedliche Anwendungsbereiche: 608 Personalentwicklung, d.h. Weiterbildungsmaßnahmen zielgerichtet durchführen zu können. Die Analyseergebnisse zeigen Entwicklungs- und Verbesserungspotenziale auf. Entgeltfindung, d.h. Informationen über die bisherigen Leistungen und Verhaltensweisen von Mitarbeitern zu gewinnen. Diese bilden die Grundlage für die Entgeltfindung bzw. für Boni und Prämien sowie für personalpolitische Planungen wie Versetzungen, Beförderungen, Entlassungen. 360°-Feedbacks sollten nicht gleichzeitig für die Entgeltfindung und die Personalentwicklung herangezogen werden. Den Feedback-Gebern würde ansonsten sowohl die Rolle des Beurteilers als auch des Beraters und Coachs aufgenötigt. Vorrangig werden 360°-Feedbacks in der Literatur für Personalentwicklungs- und Qualitätsverbesserungsprozesse empfohlen und in der Praxis auch entsprechend angewandt. Etliche Feedback-Geber befürchten ansonsten, ihre Aussagen könnten zu negativen Auswirkungen auf die Karriere des Beurteilten führen. Bei solchen Interessenkonflikten werden evtl. Gefälligkeitsaussagen gemacht und Beurteilungen geschönt. 360°-Feedbacks sollen stattdessen Verbesserungsnotwendigkeiten und Entwicklungsmöglichkeiten aufzeigen und nicht zu Sanktionen und Kürzungen von Leistungszulagen führen. 609 Im Rahmen der Personalentwicklung erfüllen 360°-Feedbacks zwei Funktionen: Diagnosefunktion: Der Mitarbeiter wird informiert, wo die Feedback-Geber seine Stärken und Schwächen sehen. Von besonderer Bedeutung ist es, dass sich die Kriterien auf unterschiedliche für die Gruppen besonders bedeutsame Leistungs- und Verhaltensmerkmale beziehen müssen. Zudem soll ein Vergleich zwischen den Selbst- und den Fremdwahrnehmungen die Selbstreflexion des eigenen Arbeitsverhaltens ermöglichen. 607 Vgl Gerpott (2000), S. 354; Gestmann (2004), S. 70. 608 Vgl. Nicolai (2005), S. 508; Edwards/ Ewen (2000), S. 68 f.; Gerpott (2000), S. 355. 609 Vgl. Müller-Vorbrüggen/ Brisach (2005), S. 7; Edwards/ Ewen (2000), S. 68 f.; Nicolai (2005), S. 508. 342 · 7 Personalbeurteilung Verhaltensmodifikationen: Aufbauend auf der Diagnose sollen Verhaltensänderungen beim Feedback-Nehmer ausgelöst werden. Entwicklungspotenziale und -barrieren sollen erkannt und selbstaktive Entwicklungsprozesse gefördert werden. So will man Veränderungen der Verhaltensweisen und Verbesserungen der damit verbundenen Arbeitsergebnisse erreichen. Ob diese tatsächlich eintreffen, hängt von den Feedback-Inhalten, der wahrgenommenen Glaubwürdigkeit der Beurteiler, der Persönlichkeit des Beurteilten und seiner Erfahrung sowie von der Formulierung von passenden Leistungszielen ab. 610 Daraus werden diese Ziele des 360°-Feedbacks abgeleitet: 611 Anstoß zur Reflexion des eigenen Verhaltens Persönlichkeitsentwicklung zielgerichtete Möglichkeit zu Gesprächen zwischen allen Beteiligten über notwendige Qualitätsverbesserungen Verbesserung der internen Kommunikation Entwicklung einer transparenten und offenen Unternehmenskultur Hilfestellung bei der Verwirklichung von Führungsleitlinien Sensibilisierung von Mitarbeitern und Führungskräften Ermittlung des Personalentwicklungsbedarfs Erfolgskontrolle von Personalentwicklungsmaßnahmen Die Erfolgsfaktoren der Mehrfachbeurteilung, die bereits im Kapitel 7.6.2 dargestellt wurden, sind beim 360°-Feedback in besonderem Maße von Bedeutung. 77.6.3.6.3 Kritische Würdig ung des 360°-Feedba cks Zusammenfassend lassen sich folgende Vorteile aufzeigen: 612 Die Verwendung mehrerer Informationsquellen neben den Aussagen des direkten Vorgesetzten führt zu einem umfassenderen Überblick über die Facetten der Leistung und des Verhaltens des Feedback-Nehmers. Durch eine große Anzahl an Rückmeldungen verspricht man sich eine höhere Verlässlichkeit der Aussagen. Durch die Befragung mehrerer Feedback-Geber in einer Gruppe vermeidet man falsche Konsequenzen aufgrund subjektiver Einzelaussagen oder aufgrund unbewusster Beobachterfehler. Die vielfältigen Informationen aus verschiedenen Perspektiven verbessern die Basis für das Mitarbeitergespräch. 610 Vgl. Gerpott (2000), S. 356; Betz/ Wienecke (2001), S. 132 f. 611 Vgl. Scholz (2000), S. 445; Betz/ Wienecke (2001), S. 132 f. 612 Vgl. Scholz (2014), S. 507; Gerstmann (2004), S. 72; Scherm (2003), S. 28; Blum/ Zaugg (2007), S. 78 ff. 7.7 Mitarbeitergespräch · 343 Die Mitarbeiter und Führungskräfte nehmen durch die vielseitige Kommunikation den Führungsstil intensiver wahr. Ergebnisse lassen Rückschlüsse auf Art und Zustand der Unternehmenskultur zu. Durch die Einbeziehung der externen und internen Kundenmeinungen lässt sich die Kundenorientierung gezielt verbessern. Die umfangreiche Datenbasis ermöglicht gezielt qualitätssteigernde Verbesserungsprozesse. Das Einholen von Beurteilungen durch Kunden und Lieferanten verdeutlich die Wertschätzung, die ihnen seitens des Unternehmens entgegengebracht wird. Ob und in welchem Umfang diese Vorteile tatsächlich auftreten, hängt im Wesentlichem von der sorgfältigen Erstellung und Durchführung des Verfahrens entsprechend der genannten Erfolgsfaktoren ab. Kritiker des 360°-Feedbacks weisen vor allem auf diese Nachteile bzw. Probleme hin: 613 Die Summe vieler subjektiver Eindrücke macht ein Beurteilungsverfahren nicht objektiv. Anonyme Beurteilungen müssen nicht grundsätzlich gleichzeitig objektiv sein. Gäbe es ein Klima der Offenheit und des Vertrauens im Unternehmen, bräuchte man ein solches Instrument gar nicht, sondern könnte auf dem direkten Wege kommunizieren und Probleme ansprechen. Die Feedback-Nehmer sind in ihrem Verhalten von einem Gefühl ständiger Beobachtung geprägt. Sie handeln nur noch so, wie sie glauben, dass es auf ihre Feedback-Geber positiv wirken müsste und nicht so, wie es für den Unternehmenserfolg notwendig wäre. Es wird eigentlich nicht der Mitarbeiter beurteilt, sondern nur seine Beziehung zu den Feedback-Gebern. Führungskräfte werden im Extremfall zu unmündigen, dressierten und kontrollierten Befehlsempfängern gemacht. Inwieweit die Vorteile des 360°-Feedbacks realisiert und seine Nachteile und Probleme vermieden werden können, hängt unter anderem davon ab, wie sorgfältig es geplant und durchgeführt wird. 7.7 Mitarbeitergespräch 7.7.1 Anlässe für Mitarbeitergespräche Den Abschluss der Personalbeurteilung bildet das Mitarbeitergespräch. Es handelt sich normalerweise um ein Vier-Augen-Gespräch zwischen Mitarbeiter und Vorgesetztem, bei dem auf Mitarbeiterwunsch ein Betriebsbzw. Personalratsmitglied hinzugezogen werden kann. Etwa 70 Prozent der deutschen Unternehmen nutzen Mitarbeitergespräche. Bei großen Un- 613 Vgl. Neuberger (1998), S. 313; ders. (2005), S. 310 ff. 344 · 7 Personalbeurteilung ternehmen sind es über 80 Prozent, 614 wobei die Gespräche mit Führungskräften deutlich länger dauern als mit Mitarbeitern ohne Führungsaufgaben. 615 Mitarbeitergespräche gehören zu den wichtigsten Aufgaben einer Führungskraft. Im weitesten Sinne geht es dabei um die Förderung, Aufrechterhaltung bzw. Wiederherstellung der Leistungsbereitschaft und der Zufriedenheit des Mitarbeiters. Das Gespräch spiegelt die Offenheit und Transparenz der Beurteilung wider. 616 Wenn es gelingt, die Wirksamkeit dieses Führungsmittels zu steigern, verbessert sich auch die Gesamteffizienz der Führung. Mehr noch als andere Bereiche der Personalführung bedarf das Mitarbeitergespräch einer gründlichen Schulung des Gesprächsführenden. Die Personalbeurteilung ist nur einer der Beweggründe für ein Mitarbeitergespräch. Weitere Anlässe sind: 617 Einführung neuer Mitarbeiter Kritik bei Fehlverhalten regelmäßige Informationen, z.B. über aktuelle Entwicklungen und bevorstehende Veränderungen Zielvereinbarungen Aussprache über weitere berufliche Entwicklungen Beförderungen und andere Versetzungen Entgeltverhandlungen Rückkehr in das Unternehmen nach Krankheit oder sonstiger längerer Abwesenheit Informationen zur Sicherheit am Arbeitsplatz persönliche Probleme eines Mitarbeiters Entlassung Je mehr Klarheit hinsichtlich des Gesprächszwecks herrscht, desto besser kann die Gesprächsführung daran ausgerichtet werden und desto leichter ist überprüfbar, ob die Ziele des Gesprächs tatsächlich erreicht wurden. Der Schwerpunkt der folgenden Ausführungen liegt auf dem Feedback-Gespräch im Rahmen der Personalbeurteilung durch den Vorgesetzten. Voraussetzung für ein erfolgreiches Personalbeurteilungsgespräch ist die sorgfältige Beobachtung des Mitarbeiters über die gesamte Periode hinweg und nicht erst am Ende des Zeitraums. Anhand dieser Beobachtungen gelangt der Vorgesetzte zur Beurteilung, die er mit konkreten Beispielen begründen kann. Wenn er sich regelmäßig mit seinem Mitarbeiter über 614 Vgl. Bundesministerium für Arbeit und Soziales (2016), S. 4. 615 Vgl. ebd., S. 7. 616 Vgl. Jung (2017), S. 480; Bröckermann (2012), S. 177. 617 Vgl. Mentzel/ Grotzfeld/ Haub (2012), S. 18. 7.7 Mitarbeitergespräch · 345 dessen Leistungen austauscht, kann dieser bereits im Vorfeld notwendige Anpassungen vornehmen. Die jährliche, routinemäßige Beurteilung besteht dann im Wesentlichen aus der systematischen Zusammenfassung der bisherigen Gespräche über Leistung, Verhalten und Zielerreichung, die ggf. um eine Potenzialbeurteilung ergänzt wird. Ein solches Mitarbeitergespräch enthält für keine Seite unerwartete Ergebnisse. 7.7.2 Nutzen und Fehler Mitarbeitergespräche bringen sowohl für den Vorgesetzten als auch für den Mitarbeiter eine Reihe von Vorteilen mit sich: 618 Im Gespräch werden Missverständnisse geklärt und Vorurteile beseitigt, was der allgemeinen Arbeitsatmosphäre zugutekommt. Der regelmäßige Informationsaustausch führt zu mehr gegenseitigem Verständnis und Vertrauen. Problemlösungsalternativen mit ihren Vor- und Nachteilen können gemeinsam diskutiert werden. Durch rechtzeitige Informationen und Erklärungen des Vorgesetzten nimmt das Verständnis für personalpolitische Maßnahmen zu. Da Gerüchte unterbunden werden, können sich ein Vertrauensverhältnis und ein „Wir- Gefühl“ entwickeln. Hierarchieunterschiede werden abgemildert, da sich die Gesprächsteilnehmer in der Arbeitssituation eher als Partner sehen. Die von Mitarbeitern geäußerte Kritik bezieht sich laut Mentzel vor allem darauf, dass sich der Vorgesetzte zu wenig Zeit nimmt und dass sie zu selten durchgeführt werden. 619 Weitere häufige Fehler, die von Mentzel genannt werden, sind: 620 Der Gesprächsinhalt wird nicht oder nur ungenau bekanntgegeben. Die Gesprächstermine werden zu kurzfristig angesetzt, sodass den Mitarbeitern nicht genügend Vorbereitungszeit bleibt. Es fehlt an Ruhe und an Ungestörtheit, weil das Gespräch an einem falschen Ort stattfindet. Das Gespräch wird in einer Umgebung geführt, die dem Mitarbeiter nicht vertraut ist, wodurch er sich unsicher fühlt. Der Vorgesetzte steht sichtbar unter Zeitdruck. Der Vorgesetzte ist desinteressiert und erfüllt offenbar nur seine Pflicht. Das Gespräch führt zu keinem konkreten Ergebnis. 618 Vgl. Mentzel (1996), S. 123; Mentzel/ Grotzfeld/ Haub (2012), S. 20. 619 Vgl. Mentzel (1996), S. 123. 620 Vgl. ebd., S. 123 f. 346 · 7 Personalbeurteilung Verbesserungsmaßnahmen werden nicht besprochen. Der Vorgesetzte betont seine übergeordnete Stellung. Das Gespräch besitzt nur eine Alibifunktion, wesentliche Entscheidungen wurden bereits getroffen. Wenn der Vorgesetzte die Bereitschaft zu einem offenen Dialog mitbringt, lassen sich viele Fehler durch eine sorgfältige Vorbereitung und Durchführung des Gesprächs vermeiden. 7.7.3 Gesprächsvorbereitung Die Bedeutung der Gesprächsvorbereitung wird häufig unterschätzt. Oft wird zwischen anderen Terminen kurzfristig improvisiert und ein Mitarbeitergespräch eingeschoben. Weder der Vorgesetzte noch der Mitarbeiter haben dann genügend Vorlauf, um sich über das Gespräch Gedanken zu machen. Werden die organisatorischen und inhaltlichen Aspekte nicht sorgfältig bedacht, ist es nicht gewährleistet, dass sich die Gesprächsdauer in einem akzeptablen zeitlichen Rahmen bewegt, die emotionale Seite in dem Gespräch nicht überhandnimmt, die Gesprächsziele erreicht werden und das Gespräch mit einem von beiden Seiten akzeptierten Ergebnis endet. Zu den organisatorischen Rahmenbedingungen eines Mitarbeitergesprächs gehören die Festlegung des Raums, der Sitzordnung, des Termins und der Dauer. Dazu sollte der Mitarbeiter eine Einladung mit den notwendigen Informationen erhalten, die ihm genügend Zeit lässt, sich vorzubereiten. Außerdem sollte sichergestellt sein, dass keine Störungen erfolgen. Hilfsmittel und Unterlagen müssen bereit liegen. Erfrischungsgetränke stellen eine angenehme Atmosphäre her und erleichtern den Gesprächseinstieg. 621 Bei der inhaltlichen Vorbereitung ist es erforderlich, dass der Vorgesetzte sich das Gesprächsthema und den Anlass verdeutlicht, sich über die Ziele des Gesprächs im Klaren ist, sicherstellt, dass er über alle notwendigen Informationen verfügt, mögliche Kritik des Mitarbeiters bereits im Vorfeld bedenkt, das Gespräch sinnvoll gliedert, sich über den Mitarbeiter, seine Motive und Einstellungen Gedanken gemacht hat, überlegt, wie der Mitarbeiter sich im Gespräch verhalten wird und seine eigene Vorgehensweise festlegt. 621 Vgl. Mentzel/ Grotzfeld/ Haub (2012), S. 27. 7.7 Mitarbeitergespräch · 347 Viele Unternehmen erstellen zur Gesprächsvorbereitung und -durchführung einen Leitfaden für Vorgesetzte, an dem sich diese orientieren können. Bei einem fairen Mitarbeitergespräch erhält der Mitarbeiter im Vorfeld genügend Vorbereitungszeit, um sich über sein Selbstbild, das vermutliche Fremdbild und seine weiteren persönlichen Ziele im Unternehmen Gedanken zu machen. Auch für ihn kann ein Leitfaden hilfreich sein. Als zusätzliche Vorbereitungshilfen kommen frühere Beurteilungen und ein unausgefüllter Beurteilungsbogen in Betracht, mit dem man sich über die relevanten Gesprächspunkte informieren kann. 7.7.4 Gesprächsdurchführung 7.7.4.1 Vorgehensweise bei Mitarbeitergesprächen Empfehlungen, wie ein gutes Mitarbeitergespräch geführt werden soll, sind in Theorie und Praxis sehr vielfältig, umfangreich und häufig widersprüchlich. Die konkrete Vorgehensweise hängt von der jeweiligen Situation, den Einstellungen des Vorgesetzen und des Mitarbeiters sowie vom Verhältnis zwischen beiden ab. 622 Untersuchungen zeigen, dass Mitarbeiter, mit denen solche Gespräche geführt werden, zufriedener und engagierter sind als andere. Außerdem ist ihre Verweildauer im Unternehmen höher. 623 In der Regel läuft das Gespräch in drei Schritten ab: Zunächst werden die Leistungen, das Verhalten, die Zielerreichung und das Potenzial des Mitarbeiters beurteilt. Die Ergebnisse werden dem Mitarbeiter anschließend bekannt gegeben, diskutiert und eventuell modifiziert. Danach werden die Ergebnisse für künftige Perioden und ggf. für die Entgeltfindung verwertet. Bewährt haben sich teilstrukturierte Gespräche, bei denen ein Gesprächsrahmen vorgegeben ist, der sicherstellt, dass keine wichtigen Aspekte vergessen werden. Diese Punkte werden ebenfalls immer wieder genannt: 624 positive Atmosphäre schaffen Grobgliederung und Ziele des Gesprächs beachten konstruktive Kritik üben und Lösungsmöglichkeiten aufzeigen eigene Fehler (des Vorgesetzten) eingestehen 622 Vgl. Jung (2017), S. 480. 623 Vgl. Straub (2016), S. 12. 624 Vgl. Mentzel (1996), S. 128 f.; Jung (2017), S. 478; Hohlbaum/ Olesch (2004), S. 144. 348 · 7 Personalbeurteilung wirkliches Interesse zeigen und den Mitarbeiter ausreden lassen die eigene Meinung zunächst zurückhalten und Geduld zeigen einen freundlichen Ton anschlagen Vertraulichkeit wahren keine falschen Versprechungen machen Zwischenergebnisse zusammenfassen die wesentlichen Absprachen am Gesprächsende zusammenfassen Missverständnisse bis zum Ende des Gesprächs ausräumen Die Dauer des Gesprächs hängt in den meisten Unternehmen stark von der Position des Mitarbeiters ab. Während es bei Führungskräften häufig über eine Stunde dauert, haben die Gespräche bei den Mitarbeitern ohne Führungsverantwortung oft einen zeitlichen Rahmen von weniger als dreißig Minuten. 625 Nach Steinmann/ Schreyögg sind bei Personalbeurteilungsgesprächen insbesondere diese Aspekte zu beachten: 626 Dialog: Der Mitarbeiter muss Gelegenheit haben, sich aktiv in das Gespräch einzubringen. Er muss das Gefühl haben, ernst genommen zu werden und über seine Probleme, Vorstellungen und Ziele offen und ausführlich sprechen zu können. Wertschätzung: Kritik seitens des Vorgesetzten darf nicht verletzend sein, sondern muss auf der Grundlage gegenseitiger Wertschätzung erfolgen. Dosierte Kritik: Zu viel Kritik führt zur Abwehrhaltung. Sie wird dann nicht mehr angenommen und das gesamte Feedback erweist sich möglicherweise als nutzlos. Arbeitsverhalten und Arbeitsergebnis: Die Gespräche müssen an der konkreten Arbeitssituation des Mitarbeiters ansetzen. Es soll dabei nicht um allgemeine, eventuell mögliche Sachverhalte gehen, sondern stets um positive oder negative tatsächliche Vorkommnisse. Entwicklungsziele: Vorgesetzter und Mitarbeiter sollten gemeinsam Pläne entwickeln, wie und welche Verbesserungen bzw. Veränderungen erreicht werden können. Zukunftsorientierte Problemlösungen sind wichtiger als rückwärts gerichtete Vorwürfe und Diskussionen. Offenheit: Taktische Gesprächsmuster, bei denen sich positive und negative Aussagen abwechseln oder nach einer positiven Einleitung umfangreiche Kritik folgt und zum Abschluss wieder eine positive Aussage (Sandwich-Methode), werden von Mitarbeitern meist durchschaut und wenig geschätzt. 625 Vgl. Straub (2016), S. 13. 626 Vgl. Steinmann/ Schreyögg (2005), S. 809 ff. 7.7 Mitarbeitergespräch · 349 7.7.4.2 Gesprächsarten Bei Mitarbeitergesprächen kann es sich um ein Beurteilungsgespräch (Feedback-Gespräch), Zielvereinbarungsgespräch oder Beratungs- und Fördergespräch handeln. Sie können kombiniert an einem Termin oder zu verschiedenen Zeitpunkten stattfinden. Eine Verknüpfung hat den Vorteil, dass die Inhalte übergreifend besprochen und Zielvereinbarungen einbezogen werden können. Bei Leistungsdefiziten können gleich Entwicklungsmaßnahmen vereinbart und mit künftigen Aufgaben und Zielen abgestimmt werden. Der Zeitaufwand ist bei einer Kombination zwar größer als bei einzelnen Gesprächen, jedoch geringer als die Summe mehrerer Gespräche, insbesondere weil es zu weniger Redundanzen kommt. Das Beurteilungsgespräch oder Feedback-Gespräch ist ein notwendiger Bestandteil jeder Mitarbeiterbeurteilung. Es geht insbesondere darum, die Ergebnisse zu besprechen und zu klären, was im Beurteilungszeitraum an Positivem geschehen ist, welche Aufgaben nicht zufriedenstellend erfüllt wurden und wo die Gründe dafür liegen. Dabei werden die im Beurteilungsbogen festgelegten Kriterien und die Zielvereinbarungen der letzten Periode herangezogen. Der Vorgesetzte und der Mitarbeiter legen ihre jeweilige Sichtweise dar und bemühen sich um einen Konsens. Zielvereinbarungsgespräche sind unter anderem Bestandteil des Management by Objectives (vgl. Kapitel 6.2.3.5.4). Der Vorgesetzte und der Mitarbeiter vereinbaren neue Ziele für die nächste Periode, die sich auf quantifizierbare Leistungen und/ oder das Arbeits- und Sozialverhalten des Mitarbeiters beziehen. Wichtig ist in jedem Fall, dass die Ziele so formuliert werden, dass sie sich umsetzen lassen, der Zeitpunkt der vorgegebenen Zielerreichung festgelegt und die Art der Kontrolle dokumentiert wird. Nach Ablauf der Periode werden Abweichungen überprüft und ihre Ursachen diskutiert. Ein neues Zielvereinbarungsgespräch schließt sich an. Auch beim Beratungs- und Fördergespräch liegt die Zuständigkeit erst einmal beim Vorgesetzten. Die Bezeichnungen Personalentwicklungsgespräch, Aufstiegsgespräch und Karriere- oder Laufbahngespräch sind ebenfalls gebräuchlich. Es ist ein unverzichtbares Element der Personalentwicklung. Zunächst besprechen Vorgesetzter und Mitarbeiter mögliche Leistungs- und Verhaltensdefizite im Zusammenhang mit den derzeitigen Aufgaben und Arbeitsprozessen. Anschließend werden die notwendigen Personalentwicklungsmaßnahmen diskutiert. Oft wird auch ein zeitlicher Rahmen für diese Maßnahmen festgelegt. Die Personalabteilung erarbeitet darauf aufbauend den passenden, individuellen Entwicklungsplan mit den notwendigen Bildungsmaßnahmen für den Mitarbeiter, der sicherstellen soll, dass dieser die Aufgaben und Ziele seiner Stelle künftig (noch) besser erfüllen kann. Im nächsten Schritt werden die künftigen betrieblichen Möglichkeiten und Erfordernisse mit den Zielen, Interessengebieten und Bedürfnissen des Mitarbeiters und seinem Potenzial verglichen. Vorgesetzter und Mitarbeiter besprechen die beruflichen Entwicklungs- 350 · 7 Personalbeurteilung möglichkeiten innerhalb des Unternehmens und die dazu notwendigen Förder- und Bildungsmaßnahmen, die wiederum von der Personalabteilung in den individuellen Entwicklungsplan des Mitarbeiters aufgenommen werden. Das Beratungs- und Fördergespräch bietet also die Möglichkeit, die Interessen des Unternehmens und des Mitarbeiters abzugleichen und zu koordinieren. 7.8 Kritische Würdigung und Ausblick Die zunehmende Dynamik der betrieblichen Umwelt erhöht die Anforderungen an die Mitarbeiter und erfordert vermehrte Flexibilität. Umso wichtiger ist es für Unternehmen, rechtzeitig und regelmäßig Leistungs- und Verhaltensmerkmale, Leistungs- und Verhaltensdefizite sowie das Potenzial ihrer Mitarbeiter zu ermitteln. Entsprechend wird die Bedeutung einer regelmäßigen und systematischen Personalbeurteilung auch weiterhin zunehmen. Leistungszulagen als Instrument der Anreizgestaltung sind aus den Unternehmen nicht mehr wegzudenken. Eine objektivierte Grundlage hierfür bietet die Personalbeurteilung. Dies gilt allerdings nur, wenn sie sorgfältig geplant ist und Verfahrensfehler vermieden werden. Besonders die Schulung der Beurteiler ist zur Vermeidung von unbewussten Beurteilerfehlern wichtig. In der Praxis zeichnet sich seit einigen Jahren ein Trend zu Mehrfachbeurteilungen ab. Neben Vorgesetzen werden verstärkt Mitarbeiter und Kollegen in das Beurteilungssystem einbezogen. Zur Qualitätsverbesserung und stärkeren Kundenorientierung setzen größere Unternehmen auch das 360°-Feedback ein. Es wird in Theorie und Praxis nicht nur positiv gesehen. Das Schlagwort vom „gläsernen Mitarbeiter“ macht die Runde. Ob sich 360°-Feedbacks als dauerhaftes Element der Personalbeurteilung etablieren werden, bleibt abzuwarten und erscheint derzeit allenfalls als Basis für Personalentwicklungsmaßnahmen und Qualitätsverbesserungen wahrscheinlich. Der sorgfältigen Vorbereitung und Durchführung von Mitarbeitergesprächen kommt im Rahmen der Personalbeurteilung eine immer größere Bedeutung zu. Neben Beurteilungs- und Zielvereinbarungsgesprächen werden Beratungs- und Fördergespräche immer wichtiger. Sie sind die Basis für gezielte Personalentwicklung. Wiederholungsfragen · 351 Wiederholungsfragen 1. Was versteht man unter einer systematischen Personalbeurteilung? 2. Worauf ist die Verhaltensbeurteilung ausgerichtet? 3. Was versteht man unter einer Potenzialbeurteilung? 4. Ordnen Sie Zielvereinbarungen in die Personalbeurteilung ein. 5. Welche Bedeutung hat die Personalbeurteilung als personalpolitisches Instrument? 6. Welche Ziele verbinden Unternehmen und Mitarbeiter mit der Personalbeurteilung? 7. Welche Anlässe für Personalbeurteilungen kennen Sie? 8. Welche Verfahren der Personalbeurteilung gibt es? 9. Welche Bedeutung hat die Kriteriengewichtung? 10. Wie erfolgt die Kriterienauswahl bei der Personalbeurteilung? 11. Was versteht man unter einer Quotierung und weshalb wird sie verwendet? 12. Geben Sie einen systematischen Überblick über die Fehlerquellen bei Beurteilungen. 13. Was versteht man unter Wahrnehmungsfehlern? 14. Was versteht man unter den Gütekriterien der Personalbeurteilung? 15. Was besagt die prognostische Validität? 16. Beschreiben Sie mögliche Konstanzfehler. 17. Weshalb werden Personalbeurteilungen bewusst verfälscht? 18. Welches sind die Träger der Personalbeurteilung? 19. Welche Funktion hat die Unternehmensleitung bei der Personalentwicklung? 20. Welche Funktionen soll eine Aufwärtsbeurteilung erfüllen? 21. Weshalb wird teilweise der Vor-Vorgesetzte in die Beurteilung einbezogen? 22. Anhand welcher Kriterien erfolgt eine Vorgesetztenbeurteilung? 23. Welche Probleme entstehen bei der Abwärtsbeurteilung? 24. Weshalb wird eine Gleichgestelltenbeurteilung durchgeführt? 25. Weshalb gewinnt die Beurteilung durch Außenstehende an Bedeutung? 26. Welche Kriterien sind für die Beurteilung durch Außenstehende relevant? 27. Was versteht man unter einem 360°-Feedback? 28. Welche charakteristischen Merkmale weist das 360°-Feedback auf ? 29. Welche Ziele werden mit einem 360°-Feedback verfolgt? 352 · 7 Personalbeurteilung 30. Erläutern Sie Vorteile und Schwachstellen des 360°-Feedbacks. 31. Zu welchen Anlässen werden Mitarbeitergespräche geführt? 32. Welche Fehler und Problemfelder nennen Mitarbeiter im Zusammenhang mit Mitarbeitergesprächen? 33. Beschreiben Sie, welche organisatorischen Voraussetzungen und inhaltlichen Vorbereitungen für ein Mitarbeitergespräch erforderlich sind. 34. Welche Elemente enthält ein Personalbeurteilungsgespräch? 35. Erläutern Sie den Zusammenhang zwischen Beurteilungs-, Förder- und Zielvereinbarungsgespräch. 8 Personalentwicklung Die Personalentwicklung ist ein wesentlicher Aspekt der Zukunftssicherung jedes Unternehmens. Gleichzeitig stellt sie auch einen bedeutenden immateriellen Anreiz für viele Mitarbeiter dar. 8.1 Vorbemerkung Die einmal erworbene Qualifikation reicht heutzutage nicht mehr für das ganze Berufsleben aus. Die Halbwertzeit des Wissens verkürzt sich stetig und macht lebenslanges Lernen unverzichtbar. Wie Abb. 8-1 zeigt, veralten berufliches Fachwissen, technologisches und IT-Fachwissen besonders schnell. Um den Anforderungen der jeweiligen Aufgabenstellungen gerecht zu werden, muss die Qualifikation kontinuierlich angepasst werden. Wert des Wissens 100 % 50% 0 2 4 6 8 10 12 14 16 18 20 Jahre seit dem Wissenserwerb Halbwertzeiten: Schulwissen: ca. 20 Jahre Hochschulwissen: ca. 10 Jahre berufliches Fachwissen: ca. 5 Jahre Technologiewissen: ca. 3 Jahre EDV-Fachwissen: ca. 1 Jahr EDV- Fachwissen Technologiewissen berufliches Fachwissen Hochschulwissen Schulwissen Abb. 8-1: Halbwertzeit des Wissens 627 627 Vgl. Hungenberg/ Wulf (2006), S. 301. 354 · 8 Personalentwicklung Unternehmen können sich heutzutage nicht mehr darauf verlassen, dass sie ihren künftigen qualitativen Personalbedarf am externen Arbeitsmarkt decken können. Deshalb müssen sie das Potenzial ihrer Mitarbeiter entsprechend der derzeitigen und künftigen Anforderungen ausschöpfen, um langfristig wettbewerbsfähig zu bleiben. Dies ist die wesentliche Aufgabe der Personalentwicklung. 8.2 Grundlagen 8.2.1 Begriffliche Abgrenzungen und Bereiche der Personalentwicklung 8.2.1.1 Begriffsbestimmung Unter Personalentwicklung (PE) versteht man ein systematisches, zukunftsorientiertes Konzept zur Qualifikation von Mitarbeitern aller Hierarchieebenen, um gegenwärtige und künftige Anforderungen zu bewältigen. Ungeplante und zufällige Lernvorgänge gehören nicht dazu. Die Personalentwicklung ist eine immaterielle Investition in Humankapital. Aufwendungen für die Personalentwicklung dienen der Erzielung künftiger Erträge und/ oder der Vermeidung künftiger Aufwendungen. Der Schwerpunkt für die Unternehmen liegt dabei auf der Sicherung der Qualifikationen für die Schlüsselpositionen. Die Personalentwicklung verbessert das Leistungspotenzial der Mitarbeiter im Hinblick auf die derzeitige und künftige Zielerreichung 628 und berücksichtigt auch persönliche Interessen und Bedürfnisse. Dabei greift sie auf Informationen aus anderen personalwirtschaftlichen Funktionsbereichen zurück. Personalentwicklung erstreckt sich auf die Erweiterung, Vertiefung und Veränderung bestehender Qualifikationen und/ oder die Vermittlung neuer Qualifikationen für derzeitige und künftige Aufgabenstellungen konzentriert sich besonders (aber nicht ausschließlich) auf die Schlüsselpositionen im Unternehmen ermittelt, bei welchen Mitarbeitern in welchen Bereichen Förderbedarf besteht stellt fest, welche Mitarbeiter in welchen Bereichen förderungswürdig und förderungsfähig sind bezieht die individuellen Interessen und Bedürfnisse der Mitarbeiter mit ein legt die notwendigen Qualifizierungsmaßnahmen fest ist für die systematische Planung, Durchführung und Kontrolle aller Bildungsmaßnahmen zuständig 628 Vgl. Gmür/ Thommen (2011), S. 191. 8.2 Grundlagen · 355 8.2.1.2 Bereiche der Personalentwicklung Es werden drei Bereiche unterschieden: 629 berufsvorbereitende Personalentwicklung berufsbegleitende Personalentwicklung berufsverändernde Personalentwicklung 88.2.1.2.1 Berufsvorbereitende Persona lentwicklung Die berufsvorbereitende Personalentwicklung umfasst zunächst die Berufsausbildung mit der Grund- und der Fachausbildung. Sie unterliegt den Vorschriften des Berufsbildungsgesetzes (BBiG). In Deutschland erfolgt die Berufsausbildung normalerweise im dualen System, das eine Teilung zwischen staatlicher und unternehmensinterner Berufsqualifizierung vorsieht. Die staatliche Ausbildungsinstitution Berufsschule vermittelt grundlegende theoretische Inhalte. Der praktische Teil der Ausbildung erfolgt im Unternehmen. Er wird oft durch theoretische, betriebsinterne Schulungen unterstützt. Art, Umfang, Dauer und Mindestanforderungen der theoretischen und praktischen Berufsausbildung sind ebenso gesetzlich geregelt wie die Durchführung der Abschlussprüfung. Sie muss vor einem Prüfungsausschuss der zuständigen Kammer erfolgen. Die bekanntesten sind die Industrie- und Handelskammern sowie die Handwerksbzw. die Landwirtschaftskammern. Daneben gibt es für freie Berufe weitere Kammern, wie z.B. die Apotheker-, Anwalts-, Steuerberater- und Ärztekammern. Für die Abschlussprüfungen bei Ausbildungsberufen in der Seeschifffahrt, der Hauswirtschaft und im öffentlichen Dienst sind ebenfalls eigene Ausschüsse zuständig. Der starke Bedarf an akademisch ausgebildeten Mitarbeitern nicht nur im Führungskräftebereich - verbunden mit der Forderung nach einer praxisorientierten Qualifikation - führte zur Konzeption dualer Studiengänge. Dabei wird die Idee der dualen Ausbildung auf das Studium übertragen, indem man den Erwerb von theoretischen Kenntnissen an der Hochschule mit Ausbildungsphasen im Betrieb verknüpft. Hochschule und beteiligte Unternehmen stimmen gemeinsam Inhalte, Abläufe und Betreuung der Studierenden ab und entwickeln speziell auf die Bedürfnisse der Branche oder sogar eines Unternehmens zugeschnittene Studiengänge. Beispiele sind die Bachelor-Studiengänge Luftverkehrsmanagement und Public Administration an der Frankfurt University of Applied Sciences. Ersterer wird in Zusammenarbeit zwischen dem Fachbereich Wirtschaft und Recht und kooperierenden Unternehmen der Luftverkehrswirtschaft durchgeführt. Er umfasst eine an den Bedürfnissen von Flughäfen, Fluglinien und der Deutschen Flugsicherung (DFS) orientierte Qualifikation. Die Theoriephasen an der Hochschule wechseln sich mit betriebspraktischen Studienabschnitten ab. Bei dem Studiengang Public Administration handelt es sich um ein Projekt, welches der Fachbereich Wirtschaft und Recht zusammen mit mehreren hessischen Städten, insbesondere Frankfurt 629 Vgl. Mentzel (2012), S. 6 ff. 356 · 8 Personalentwicklung am Main, Hanau und Wetzlar, durchführt. Es enthält in jedem Semester sowohl theoretische Abschnitte an der Hochschule als auch praktische Studienabschnitte, die in den Ämtern und Betrieben der Städte absolviert werden. Die Studierenden werden auf berufliche Tätigkeiten in den Behörden und Eigenbetrieben der kooperierenden Städte und Kommunen vorbereitet. Sie erwerben neben den allgemeinen ökonomischen, rechtlichen und sozialpolitischen Kenntnissen gezielt zusätzliches in der Verwaltung benötigtes institutionelles und rechtswissenschaftliches Wissen. Neben Berufsausbildung und dualem Studium zählt die Einarbeitung von Anzulernenden zur berufsvorbereitenden Personalentwicklung. Zu ihr gehören alle Maßnahmen, die dazu führen, dass ein Mitarbeiter innerhalb kurzer Zeit die für seine Stelle notwendige Qualifikation erhält. Dabei handelt es sich meist um eher anspruchslose Aufgaben. Auch die Einführung von Praktikanten und Volontären ist Teil der berufsvorbereitenden Personalentwicklung. Sie dient der Vermittlung erster Praxiskenntnisse und der Vorbereitung auf einen späteren beruflichen Einstieg. Eine weitere Form der berufsvorbereitenden Personalentwicklung ist die Einführung von Hochschulabsolventen. Ihr wird in vielen Unternehmen große Bedeutung beigemessen. Spezielle Programme wie Job Rotation oder Trainee-Programme erstrecken sich zum Teil über mehrere Jahre. Sie werden sorgfältig geplant und intensiv begleitet, da die Teilnehmer später häufig Führungsaufgaben übernehmen. Trainee-Programme sollen den Studienabsolventen den Übergang ins Berufsleben erleichtern, indem sie die Struktur und Kultur des Unternehmens ausführlich kennenlernen und zudem ihre theoretischen Kenntnisse aus dem Studium um unternehmensspezifisches Wissen erweitern. Die Dauer liegt meist zwischen sechs Monaten und zwei Jahren. Je nach inhaltlicher Breite und dem Grad der Standardisierung der Maßnahmen unterscheidet man diese Arten von Trainee-Programmen: 630 Klassische ressortübergreifende Trainee-Programme: Hier durchläuft der Hochschulabsolvent alle wichtigen Bereiche des Unternehmens. Die Verweildauer in jedem Ressort ist etwa gleich lang. Der Informations- und Orientierungsgedanke steht im Mittelpunkt. Erst anschließend wird über seinen späteren Einsatzort und die passenden Aufgaben entschieden. Ressortübergreifende Trainee-Programme mit Fachausbildungsphasen: Sie beginnen mit einer allgemeinen Informations- und Orientierungsphase, an die sich eine Fachausbildungsphase anschließt. Sie bildet den Schwerpunkt und dient der Einführung in den späteren Aufgabenbereich und der Vermittlung aufgabenspezifischer Kenntnisse. Der Trainee wird somit stufenweise an die Inhalte seiner späteren Stelle herangeführt. Der Bereich, in dem er im Anschluss arbeiten wird, steht bereits zu Beginn des Trainee- Programms fest. Ressortbegrenzte Trainee-Programme: Sie sind auf einen bestimmten Unternehmensbereich begrenzt. Der Trainee erhält für dieses Fachgebiet eine intensive Spezialistenausbildung. Die spätere Stelle ist auch hier bereits zu Programmbeginn definiert. 630 Vgl. Stock-Homburg (2013), S. 222. 8.2 Grundlagen · 357 Projektorientierte Trainee-Programme: Sie können entweder bereichsübergreifend oder ressortspezifisch ausgerichtet werden. Ziel ist vor allem die Integration und Orientierung des Trainees sowie seine tätigkeitsbezogene Einarbeitung. Der spätere Aufgabenbereich liegt in der Regel im Projektmanagement. 88.2.1.2.2 Berufsbeg leitende Persona lentwicklung Die berufsbegleitende Personalentwicklung wird in die Bereiche Anpassungs- und Aufstiegsqualifizierung unterteilt. Ebenfalls gebräuchlich sind die Begriffe Anpassungs- und Aufstiegsfortbildung oder -weiterbildung. Statt Fortbildung verwendet man zunehmend Weiterbildung als umfassenderen Begriff. Sie beinhaltet neben den unternehmensinternen und -externen Fortbildungsmaßnahmen auch die Qualifizierungsangebote der Träger der Erwachsenenbildung. Dazu gehören z.B. Veranstaltungen der IHK, der Handwerkskammern, der Bildungsträger der Wirtschaft und der Gewerkschaften sowie von Akademien, Schulen und Hochschulen. Eine scharfe Trennung ist nicht möglich, weshalb die beiden Begriffe i.d.R. synonym verwendet werden. Eine Anpassungsqualifizierung liegt vor, wenn die Bildungsmaßnahmen auf das derzeitige Berufsbzw. Aufgabenfeld des Mitarbeiters ausgerichtet sind. Dazu zählen auch die Einführung und Einarbeitung neuer Mitarbeiter und die Reaktivierung von Mitarbeitern, die zeitweise aus dem Erwerbsleben ausgeschieden waren und nun wieder zurückkehren. Im Mittelpunkt steht jeweils die Aktualisierung, Angleichung und Erweiterung bereits früher erworbener Qualifikationen für derzeitige und/ oder zukünftige Aufgaben. Bei der Aufstiegsqualifizierung geht es um die Befähigung zur Übernahme anspruchsvollerer Aufgaben. Sie muss nicht zwangsläufig mit einer hierarchisch höheren Stellung verbunden sein, sondern kann z.B. mit einem Wechsel zwischen Fach- und Führungslaufbahn kombiniert werden. Das Potenzial der Mitarbeiter soll entsprechend entwickelt werden. Zu diesem Bereich gehören die Maßnahmen der Nachwuchsförderung und Führungskräfteentwicklung sowie die entsprechende Arbeitsstrukturierung. 8.2.1.2.3 Berufsverä ndernde Persona lentwicklung Die berufsverändernde Personalentwicklung (Umschulung) soll Mitarbeiter befähigen, Aufgaben in einem neuen Beruf zu übernehmen bzw. eine anders qualifizierte Tätigkeit auszuüben. Der Mitarbeiter erwirbt eine berufliche Qualifikation, die sich im Gegensatz zur berufsbegleitenden Personalentwicklung auf ein neues Tätigkeitsfeld bezieht und allenfalls am Rande mit seiner jetzigen bzw. früheren Aufgabenstellung zu tun hat. Solche Umschulungen können aus persönlichen oder technisch-wirtschaftlichen Gründen notwendig werden. Berufsstrukturelle Änderungen, altersbedingte Umorientierungen, krankheits- oder unfallbedingte Veränderungen oder fehlender Bedarf im bisher ausgeübten Beruf sind häufige Ursachen. Oft wechseln diese Mitarbeiter in verwandte Berufe, womit einige Kenntnisse und Fertigkeiten übernommen werden können. 358 · 8 Personalentwicklung 8.2.2 Inhaltliche Komponenten Generell geht es bei der Personalentwicklung um die Vermittlung und den Erwerb von Qualifikation. Dieser Begriff ist nicht einheitlich definiert. Er wird hier sehr weit gefasst und umfasst alle Komponenten, die einen Mitarbeiter befähigen, bestimmte Aufgaben zu erfüllen. Dazu gehören Wissen, Können und Verhalten. In der betrieblichen Praxis wird in der Regel nicht zwischen Kompetenz und Qualifikation differenziert. Das gilt auch für Eignung und Fähigkeit. In der personalwirtschaftlichen Literatur werden die Begriffe meist ebenfalls synonym verwendet. So wird auch im Folgenden verfahren. Einen Überblick gibt Abb. 8-2. Qualifikation Wissen Können Verhalten tätigkeitsspezifisches Wissen tätigkeitsungebundenes Wissen manuelles Können geistiges Können Sozialverhalten Arbeitsverhalten allgemeines Sozialverhalten Führungsverhalten Abb. 8-2: Ansatzpunkte für Personalentwicklung Unter Wissen versteht man alle theoretischen und praktischen Kenntnisse, die notwendig sind, um eine derzeitige oder künftige Tätigkeit ausüben zu können. 631 Es umfasst tätigkeitsspezifisches und tätigkeitsungebundenes Wissen. Ersteres befähigt den Mitarbeiter, die spezifischen Anforderungen seiner Stelle zu meistern, so muss etwa ein Controller mit dem Begriff ROI (Return on Investment) vertraut sein. Es wird durch das tätigkeitsungebundene Wissen ergänzt, das zusätzlich zur Aufgabenerfüllung benötigt wird. Beim Controller sind das z.B. Grundkenntnisse der doppelten Buchführung. Auch Kenntnisse zum Unternehmen, seinem Aufbau und seinem Umfeld gehören dazu, z.B. die Einordnung der eigenen Abteilung in die hierarchischen Strukturen, Sicherheitsvorschriften und Kenntnisse über Großkunden. Zur erfolgreichen Aufgabenerfüllung reicht Wissen allein nicht aus. Es muss zu anwendbarem Können weiterentwickelt werden. Unter Können versteht man die Fähigkeit, das erworbene Wissen in die Praxis umzusetzen und anzuwenden. Es entsteht durch Übung und Erfahrung. Manuelles Können bedeutet, mit allen notwendigen technischen Hilfsmitteln 631 Vgl. Mentzel (2012), S. 172. 8.2 Grundlagen · 359 sachgerecht umgehen zu können. Geistiges Können heißt, dass der Mitarbeiter sein Wissen bei geistigen Tätigkeiten sinnvoll einzusetzen weiß. Das Verhalten eines Mitarbeiters gegenüber Personen und Sachen wird durch seine Motive und die Umweltsituation geprägt. Personalentwicklung kann Fehlverhalten ausgleichen bzw. verhindern sowie korrekte Verhaltensweisen vermitteln. Neben dem Arbeitsverhalten ist das Verhalten gegenüber Personen, das Sozialverhalten, von großer Bedeutung. Dieses gliedert sich in das allgemeine Sozialverhalten und das Führungsverhalten, also das Verhalten gegenüber unterstellten Mitarbeitern. Personalentwicklungsmaßnahmen können z.B. die Kooperationsbereitschaft, das Verantwortungsbewusstsein, die Informationsbereitschaft und zeitgemäße Führungsstile fördern. In diesem Zusammenhang gewinnen interkulturelle Verhaltensaspekte zunehmend an Bedeutung. Eine Veränderung des Arbeitsverhaltens könnte z.B. auf die schonendere Behandlung der technischen Hilfsmittel, die Steigerung der Innovationsbereitschaft oder die Verbesserung des Zeitmanagements abzielen. 632 In der Praxis sind die Komponenten der Qualifikation eng verknüpft. Viele Personalentwicklungsmaßnahmen wirken sich gleichzeitig auf Wissen, Können und Verhalten aus. Ein Beispiel sind Maßnahmen zur Förderung der Schlüsselqualifikationen. Dabei handelt es sich um berufs-, fach- und funktionsübergreifende Qualifikationen, die langfristig gültig sind und kaum durch veränderte Arbeitsbedingungen entwertet werden. 633 Angesichts des raschen technologischen und wirtschaftlichen Wandels sind sie unverzichtbar. Beispiele sind: Lernbereitschaft und -fähigkeit Kommunikationsvermögen Teamfähigkeit Kooperationsfähigkeit Organisationsfähigkeit Entscheidungsfähigkeit Konfliktlösungsfähigkeit Problemlösungsfähigkeit Flexibilität Umsetzungsfähigkeit Vor allem der Umsetzungsfähigkeit kommt in der heutigen schnelllebigen Zeit immer größere Bedeutung zu. Eine weitere Gliederungsmöglichkeit der Inhalte die Unterscheidung in fachliche Kompetenz soziale Kompetenz Methodenkompetenz 632 Vgl. Mentzel (2012), S. 174 f. 633 Vgl. Mudra (2004), S. 33. 360 · 8 Personalentwicklung rechtliche Kompetenz Selbstkompetenz Unter fachlicher Kompetenz wird das Wissen und Können eines Mitarbeiters verstanden, welches er zur Bewältigung seiner beruflichen Aufgaben benötigt. Soziale Kompetenz befähigt einen Menschen, sich in Gruppen mit unterschiedlicher sozialer Struktur zu integrieren und zum Erkennen und Lösen von sach- und personenbezogenen Konflikten beizutragen. Wesentliche Bestandteile sind Kommunikationsfähigkeit und Kooperationsbereitschaft. Methodenkompetenz bezieht sich auf die Fähigkeit eines Mitarbeiters, sein Potenzial auszuschöpfen und sich selbst zu organisieren. Er ist in der Lage, zu analysieren, Konzepte zu entwickeln, Entscheidungen über sinnvolle Vorgehensweisen und benötigte Hilfsmittel zu treffen und dabei strukturiert vorzugehen. Rechtliche Kompetenz bekommt der Mitarbeiter von seinem Unternehmen zugewiesen. Er erhält die Befugnis, alle Handlungen, die notwendig sind, um seine Aufgabe zu erfüllen, vornehmen zu können. Es werden ihm diejenigen spezifischen Rechte zugeteilt, die mit seiner Aufgabe im Zusammenhang stehen, z.B. Informations-, Entscheidungs-, Weisungs- und Kontrollbefugnis. 634 Selbstkompetenz ist die Bereitschaft und Fähigkeit, die eigenen Entwicklungsmöglichkeiten zu erkennen, zu beurteilen und weiterzuentwickeln. Dazu gehören z.B. Selbstständigkeit, Kritikfähigkeit, Zuverlässigkeit, Verantwortungs- und Pflichtbewusstsein. 8.2.3 Ziele, Adressaten und Bedeutung der Personalentwicklung 8.2.3.1 Ziele der verschiedenen Interessengruppen Unternehmen und Mitarbeiter verbinden mit der Personalentwicklung unterschiedliche Ziele. Auch die Gesellschaft als solche hat eigene Erwartungen. Es gelingt nicht immer, die Ziele des Unternehmens mit den persönlichen Interessen der Mitarbeiter zu verknüpfen, obwohl im Personalentwicklungsgespräch vordergründig oft ein Konsens hergestellt wird. Dabei kann es nämlich vorkommen, dass der Vorgesetzte als Vertreter des Unternehmens und der betroffene Mitarbeiter die gleichen Maßnahmen befürworten, damit jedoch widersprüchliche Ziele verfolgen. So kann dem Vorgesetzten an einer besseren Erfüllung der derzeitigen Aufgabe gelegen sein, während sich der Mitarbeiter durch die Personalentwicklung größere Chancen auf dem externen Arbeitsmarkt verspricht. Unternehmen erachten die Mitarbeiterinteressen nicht als gleichwertig, es dominieren die betrieblichen Ziele. Mitarbeiterziele werden vor allem insoweit berücksichtigt, als sie den Unternehmenszielen nicht entgegenstehen. Sie werden überwiegend als (bedeutende) Nebenbedingung für Personalentwicklungsentscheidungen gesehen, nicht jedoch als gleichgewichtige Entscheidungsgrundlage. 635 634 Vgl. Nicolai (2018), S. 55 f. 635 Vgl. Mudra (2004), S. 134 f.; Berthel/ Becker (2010), S. 339. 8.2 Grundlagen · 361 Die unternehmensbezogenen Ziele der Personalentwicklung leiten sich aus dem strategischen Zielsystem des Unternehmens ab. Die Personalentwicklung soll dazu beitragen, dass diese Ziele langfristig verwirklicht werden. Zu den allgemeinen Personalentwicklungszielen zählen: 636 Erhöhung der Wettbewerbsfähigkeit Steigerung der Flexibilität Erhöhung der Motivation und Integration Umgang mit dem Fachkräftemangel Umgang mit dem demographischen Wandel Umgang mit kultureller Diversität Sicherung und Anpassung der fachlichen Qualifikation Erhöhung der Fähigkeit, Änderungen zu verstehen und selbst herbeizuführen Verbesserung des Arbeits- und Sozialverhaltens größere Unabhängigkeit vom externen Arbeitsmarkt Imageverbesserung auf dem externen und internen Arbeitsmarkt Förderung des internen Weiterkommens von Mitarbeitern durch die Erschließung von Aufstiegsmöglichkeiten Berücksichtigung der individuellen Fähigkeiten und Erwartungen der Mitarbeiter Aus diesen allgemeinen Personalentwicklungszielen werden für Mitarbeitergruppen und einzelne Mitarbeiter Gruppenbzw. Individualziele abgeleitet. Gruppenziele können beispielsweise die Steigerung der interkulturellen Kompetenz der mittleren Führungskräfte oder die Förderung der Englischkenntnisse der Sekretariatsmitarbeiter sein. Je nach individuellem Bedarf leiten sich daraus konkrete Bildungsmaßnahmen für den einzelnen Mitarbeiter ab. Seitens der Mitarbeiter dient die Personalentwicklung dazu, die Erwartungen hinsichtlich der persönlichen Entfaltung und des Weiterkommens im Beruf zu befriedigen. 637 Aus diesem Globalziel leitet jeder Mitarbeiter seine persönlichen Einzelziele ab. Beispiele sind: Anpassung der persönlichen Qualifikation an die Stellenanforderungen Aufstiegsmöglichkeiten im Unternehmen größere Mobilität am externen Arbeitsmarkt Sicherung der beruflichen und gesellschaftlichen Stellung abwechslungsreichere und interessantere Aufgaben 636 Vgl. Mentzel (2012), S. 10 f.; Mudra (2004), S. 132 f.; Jung (2017), S. 252 f. 637 Vgl. Mentzel (2012), S. 11 f.; Lohaus/ Habermann (2011), S. 11 f. 362 · 8 Personalentwicklung Verbesserung des Einkommens größere Arbeitsplatzsicherheit Erschließung bisher nicht genutzter Fähigkeiten Befriedigung individueller Bildungsbedürfnisse Aus gesellschaftlicher Sicht ist es wünschenswert, dass Unternehmen die Lebensbedingungen der Menschen verbessern. Es werden daher mit der Personalentwicklung auch diese Ziele angestrebt: Erhaltung und Förderung des gesellschaftlichen Humankapitals Verringerung der Arbeitslosigkeit freie Persönlichkeitsentfaltung Humanisierung des Arbeitslebens Senkung der Sozialkosten Standortsicherung Verhinderung von sozialen Unruhen Ausgleich früherer Chancenungleichheit 8.2.3.2 Adressaten der Personalentwicklung Adressaten der Personalentwicklung sind grundsätzlich alle Mitarbeiter. Die Forderung, alle Mitarbeiter in die Personalentwicklung einzubeziehen, bedeutet nicht, dass Häufigkeit, Umfang und Intensität nicht je nach Gruppe variieren müssten. So kommt der Förderung der Führungs- und Führungsnachwuchskräfte und wichtiger Experten eine zentrale Bedeutung zu. Sie besetzen Schlüsselpositionen, die für den Unternehmenserfolg von erheblicher Bedeutung sind. Deshalb findet man in allen großen Unternehmen spezielle Trainingsprogramme, Talent-Management-Programme und Management- Development-Programme. Untersuchungen belegen, dass zu externen Weiterbildungsmaßnahmen vornehmlich solche Mitarbeiter entsandt werden, deren Aufgaben geistige Beweglichkeit erfordern, während diejenigen, die bei ihrer Arbeit geistig nicht so stark gefordert werden, kaum (extern) gefördert werden. Je größer die formale berufliche Qualifikation des Mitarbeiters und je höher seine Stellung in der Unternehmenshierarchie ist, desto häufiger und aufwändiger sind die Personalentwicklungsmaßnahmen. 638 Arbeiter und angelernte Arbeitnehmer weisen den geringsten Anteil an Personalentwicklungsmaßnahmen auf. 639 Die niedrige Beteiligung Angelernter wird auf ihre geringere Weiterbildungsbereitschaft und die geringere Bedeutung ihrer Arbeit für das Unternehmen zurückgeführt. Da es jedoch ständig zu technischen Weiterentwicklungen und anderen Ände- 638 Vgl. Mentzel (2012), S. 5 f.; Bundesministerium für Arbeit und Soziales (2016), S. 12. 639 Vgl. Mudra (2004), S. 236. 8.2 Grundlagen · 363 rungen kommt, werden auch hier laufend Anpassungen - meist per Training-on-the-job - vorgenommen. Es ist zu vermuten, dass viele dieser Maßnahmen nur nicht als Personalentwicklung eingestuft und auch nicht statistisch erfasst werden, weil sie direkt am Arbeitsplatz stattfinden und meistens einen kleineren zeitlichen und inhaltlichen Umfang haben. Lohaus/ Habermann stellen fest, dass nur ca. ein Viertel der bundesdeutschen Bevölkerung zwischen 19 und 64 Jahren überhaupt an Bildungsmaßnahmen teilnimmt. Betrachtet man nur die älteren Arbeitnehmer, dann liegt der Anteil noch deutlich darunter. 640 Ein Umdenkungsprozess hat in vielen Unternehmen erst begonnen. Frauen sind seltener an Bildungsmaßnahmen beteiligt als Männer 641 , da sie ihre beruflichen Pläne oft immer noch zugunsten familiärer Aufgaben zurückstellen. Es ist zu vermuten, dass Männer auch deshalb bevorzugt werden, weil den Frauen von vornherein ein solches Verhalten unterstellt wird. Ein besonderes Problem stellt die statusbetonte Zielgruppenbildung dar. Hier erfolgt die Teilnahme an Bildungsmaßnahmen als Belohnung für gute Leistungen. Dies kann sich zwar positiv auf die weitere Leistung auswirken, der Erfolg einer solchen Bildungsmaßnahme ist jedoch fraglich - sei es, weil sie gar nicht notwendig ist, sei es, weil der Mitarbeiter nicht an einer persönlichen Weiterentwicklung interessiert ist, ihm also die Lernmotivation fehlt. In diesen Fällen handelt es sich lediglich um ein teures Incentive. In der Praxis ist zudem eine Differenzierung zwischen Stamm- und Randbelegschaft zu beobachten. PE-Maßnahmen werden vor allem für diejenigen Mitarbeiter, die unbefristet beschäftigt und mit Kernfunktionen betraut sind, durchgeführt, da sie für die Existenzsicherung des Unternehmens bedeutsam sind. Zur Randbelegschaft gehören Aushilfskräfte und Mitarbeiter mit Zeitverträgen sowie häufig auch Teilzeitkräfte und Teleworker. Sie kommen kaum in den Genuss von unternehmensfinanzierten Qualifizierungsmaßnahmen. 642 8.2.3.3 Bedeutung der Personalentwicklung Hentze/ Kammel nennen zehn Gründe, weshalb die Personalentwicklung schon in früheren Jahren unverzichtbar war 643 und stetig weiter an Bedeutung zunimmt: Personalentwicklung ist eine immaterielle Investition, die dazu dient, künftige Einnahmen zu erzielen und künftige Ausgaben zu senken. Personalentwicklung dient der Sicherung und Steigerung der Konkurrenzfähigkeit. Die Veränderungen im Unternehmen und in seiner Umgebung beeinflussen die Anforderungen, die die Mitarbeiter erfüllen müssen. Sie erfordern eine permanente Überprüfung und Anpassung der Qualifikation. Die systematische Nachwuchsplanung führt zu einer günstigeren Personalbeschaffung auf dem internen Arbeitsmarkt und verringert die Notwendigkeit extern zu rekrutieren. 640 Vgl. Lohaus/ Habermann (2011), S. 22 f. 641 Vgl. ebd., S. 26. 642 Vgl. Mudra (2004), S. 236; Flüter-Hoffmann (2005), S. 6. 643 Vgl. Hentze/ Kammel (2001), S. 345 f. 364 · 8 Personalentwicklung Damit der Mitarbeiterpool die gewünschten Qualifikationen erlangt, bedarf es der systematischen Personalentwicklung. Personalentwicklung ist ein zusätzlicher Motivations- und Leistungsanreiz. Personalentwicklungssysteme haben eine positive externe und interne Imagewirkung, da viele (potenzielle) Mitarbeiter die Möglichkeit beruflicher Entwicklung schätzen. Auf diese Weise entstehen Wettbewerbsvorteile gegenüber anderen Unternehmen. Das Unternehmen kann auch Mitarbeiter einstellen, welche die notwendige Qualifikation noch nicht besitzen, jedoch über entsprechendes Entwicklungspotenzial verfügen. Die Bildungsmaßnahmen werden dann im eigenen Haus vorgenommen. Diese Mitarbeiter erhalten in der Regel ein niedrigeres Entgelt als diejenigen, die bereits bei der Einstellung die notwendige Qualifikation mitbrachten. Durch Personalentwicklung können die Mitarbeiter ihren sozialen Status erhalten bzw. erhöhen. Die externe Beschaffung von Führungskräften und Fachpersonal ist oft schwierig, zeitintensiv und teuer. Durch die Entwicklung des Nachwuchses aus dem eigenen Unternehmen lässt sich dieses Problem verringern. Unternehmen haben auch gesellschaftliche Aufgaben zu erfüllen. Mit der Personalentwicklung kommen sie ihrem Bildungsauftrag nach. Obwohl die Bedeutung der Personalentwicklung auch von kleinen und mittleren Unternehmen erkannt wird, bemühen sie sich nur zögernd um systematische Konzepte. Stattdessen findet man oft unkoordinierte, spontane Bildungsmaßnahmen, die nur am kurzfristigen Bedarf ausgerichtet sind. Zudem begehen viele Unternehmen den Fehler, Bildungsmaßnahmen in konjunkturschwachen Zeiten aus Kostengründen einzuschränken. Personalentwicklung wird dann nicht als Investition in die Zukunft, sondern in erster Linie als Ausgabe angesehen, die es zu reduzieren gilt. Damit wird die Bedeutung der Personalentwicklung für die langfristige Sicherung des Unternehmenserfolges unterschätzt. 644 Stattdessen wäre es wichtig, eine systematische Personalentwicklung als dauerhaft notwendig und selbstverständlich zu begreifen. Insbesondere wirtschaftlich erfolgreiche Unternehmen schätzen den Stellenwert der Personalentwicklung als hoch bis sehr hoch ein. Nur äußerst selten wird der Personalentwicklung dort eine niedrige Bedeutung beigemessen. 645 8.2.4 Zusammenhang zwischen Personal- und Organisationsentwicklung Organisations- und Personalentwicklung überlappen sich. Wie groß die Überschneidung ist, hängt auch davon ab, wie die Begriffe definiert werden. Organisationsentwicklung ist ein geplanter organisatorischer Wandel. Es handelt sich um einen langfristig angelegten, systematischen Problemlösungs-, Entwicklungs- und Verände- 644 Vgl. Berthel/ Becker (2010), S. 388 f. 645 Vgl. Kienbaum Consultants International GmbH (2009). 8.2 Grundlagen · 365 rungsprozess „von innen“ heraus, der zu mehr Flexibilität und zu größerer Innovationsbereitschaft führen und damit die Leistungsfähigkeit des Unternehmens erhöhen soll. 646 Diese strukturellen Veränderungen ziehen notwendigerweise Personalentwicklungsmaßnahmen nach sich, womit bei dieser Sichtweise die Personalentwicklung der Organisationsentwicklung nachgelagert wäre. Mitunter werden in der Literatur neben den strukturellen Veränderungsprozessen auch die fachlichen, sozial- und die verhaltenswissenschaftlichen Aspekte in die Organisationsentwicklung integriert. 647 Dann ist die Personalentwicklung ein Teilbereich der Organisationsentwicklung. Umgekehrt wird Personalentwicklung oft auch als erster Entwicklungsschritt gesehen. Der verbesserten Qualifikation der Mitarbeiter muss anschließend durch eine veränderte Arbeitssituation Rechnung getragen werden, etwa durch neue Aufgabenzusammensetzung, Projektmanagement oder teilautonome Arbeitsgruppen. Hier folgt die Organisationsentwicklung der Personalentwicklung nach und baut auf ihr auf. In der Praxis findet zwischen Unternehmen, Mitarbeitern und Umwelt ein ständiger Informationsaustausch statt, weshalb eine Vernetzung von Organisations- und Personalentwicklung angebracht ist. 648 Isolierte Personalentwicklungsmaßnahmen ohne Berücksichtigung der strukturellen Gegebenheiten und deren Änderungsnotwendigkeiten wären ebenso wirkungslos wie organisatorische Veränderungen, die die Betroffenen nicht einbinden und nicht auf die neue Situation vorbereiten. 649 Die Personalentwicklung muss die unternehmensinternen und -externen Entwicklungen beobachten und analysieren und sich den geänderten Rahmenbedingungen anpassen. Darauf aufbauend müssen Maßnahmen angeboten werden, die dem Unternehmen und den Mitarbeitern von Nutzen sind. Gleichzeitig muss die Organisationsentwicklung unterstützt und mitgestaltet werden. Die Ursachen für unternehmerische Veränderungen, die durch Organisations- und Personalentwicklung begleitet werden, sind vielfältig. Aus der Perspektive des Lebenszyklusmodells durchläuft ein Unternehmen verschiedene Entwicklungsphasen. Jede Phase wird durch ein anderes im Vordergrund stehendes Problem gekennzeichnet und geht sowohl mit Organisationsentwicklung als auch mit Personalentwicklung einher. Ein weit verbreitetes Konzept zum Verständnis der Veränderungsnotwendigkeiten in den Unternehmen ist das Wachstumsmodell von Greiner. 650 Es ist in Abb. 8-3 dargestellt. Greiner geht davon aus, dass alle drei bis fünf Jahre Krisensituationen - allerdings aufgrund unterschiedlicher Ursachen - wiederkehren. 646 Vgl. Wegerich (2015), S. 16 f. 647 Vgl. Oechsler/ Paul (2015), S. 474 f.; Hentze/ Kammel (2001), S. 341 ff. 648 Vgl. Hentze/ Kammel (2001), S. 343; Wegerich (2015), S. 17. 649 Vgl. Mentzel (2012), S. 4 f. 650 Vgl. Greiner (1972), S. 37 ff. 366 · 8 Personalentwicklung Krise durch Führung Krise durch Autonomie Krise durch Kontrolle Krise durch Bürokratie Krise durch ? Alter des Unternehmens Größe des Unternehmens Wachstum durch Spezialisierung Wachstum durch Koordination Wachstum durch Delegation Wachstum durch straffere Führung Wachstum durch Kreativität Abb. 8-3: Wachstumsmodell nach Greiner 651 Diese Krisen gilt es durch Organisations- und Personalentwicklung zu überwinden. Je besser es einem Unternehmen gelingt, die Krisen zu meistern, desto überlebensfähiger ist es. Ursache und Strategien zur Bewältigung der fünften Krise und ggf. weiterer Krisen lässt Greiner offen. Teilweise wird in der Literatur als Grund für die fünfte Krise die Übersättigung der Mitarbeiter, die von den vielen Veränderungen ausgelaugt sind, genannt. 652 651 Vgl. Greiner (1972), S. 41. 652 Vgl. Kirsch/ Esser/ Gabele (1979), S. 150. 8.2 Grundlagen · 367 8.2.5 Träger der Personalentwicklung und deren Aufgaben An der Personalentwicklung sind verschiedene Organisationseinheiten beteiligt. Die Träger der Personalentwicklung sind: Unternehmensleitung Personalabteilung Vorgesetzte Interessenvertretung der Arbeitnehmer Referenten/ Bildungsinstitutionen Mitarbeiter Um Überschneidungen zu vermeiden, müssen die Zuständigkeiten klar geregelt sein. Eine mögliche Aufgabenverteilung zeigt Abb. 8-4. Die Unternehmensleitung muss entscheiden, ob und welchen Mitarbeitergruppen Personalentwicklung angeboten werden soll. Diese Grundsatzentscheidung ist Teil der Unternehmenspolitik. Auch die Festlegung, welche Ziele vorrangig verfolgt werden sollen, ist Aufgabe der Unternehmensleitung. Außerdem muss sie den finanziellen Rahmen festsetzen und bestimmen, wer für welche Teilaufgaben zuständig ist. Personalentwicklung kann im Übrigen nur dann erfolgreich sein, wenn die Unternehmensleitung deutlich macht, dass sie sich klar mit deren Zielen und Maßnahmen identifiziert. Der Personalabteilung kommen im Zusammenhang mit der Personalentwicklung vielfältige Aufgaben zu. Im Wesentlichen handelt es sich um Beratungs-, Informations- und Unterstützungsfunktionen sowie diverse administrative Arbeiten. Je nach Unternehmensgröße werden die Aufgaben auf unterschiedliche Weise wahrgenommen. In kleineren Unternehmen befinden sich i.d.R. alle personalwirtschaftlichen Aufgaben einschließlich der Personalentwicklung in einer Hand oder werden von wenigen Mitarbeitern erfüllt. Größere Unternehmen beschäftigen häufig Spezialisten als Personalentwicklungsbeauftragte oder verfügen sogar über eine eigene PE-Abteilung. Je nachdem, welche Bedeutung der Personalentwicklung beigemessen wird, ist sie entweder der Personalleitung unterstellt oder rangiert als hierarchisch gleichgeordnete Abteilung. Manche Führungskraft ist der Auffassung, die Personalentwicklung obliege allein der Personalabteilung. Tatsächlich kommt dem Vorgesetzten jedoch eine Schlüsselrolle zu, da er in allen Phasen der PE beteiligt ist. Entsprechend wichtig ist seine Zusammenarbeit mit der Personalabteilung. Durch regelmäßige Mitarbeitergespräche kann der Vorgesetzte Stärken und Schwächen sowie Potenzial und Bedürfnisse seiner Mitarbeiter erkennen und feststellen, ob eine Diskrepanz zwischen der Qualifikation und den Anforderungen besteht. Die Personalabteilung kann dagegen die Förderwürdigkeit Einzelner bzw. die Fördernotwendigkeiten nicht beurteilen, da ihr der direkte Bezug zur Arbeitssituation fehlt. Der Vorgesetzte ist für die Erstellung der aktuellen und künftigen Anforderungsprofile zuständig, außerdem ist er an der Ermittlung des Personalentwicklungsbedarfs beteiligt. Das Gleiche gilt für die Wahl der Entwicklungsmaßnahmen und die Terminplanung. Zum Teil führt er die Bildungsmaßnahmen sogar selbst per Training-on-the-job durch. 368 · 8 Personalentwicklung Träger und Aufgaben der Personalentwicklung Träger Aufgaben Unternehmensleitung Grundsatzentscheidung für PE Festlegung genereller Ziele und der Zuständigkeiten Festlegung des Budgetrahmens Personalabteilung Beratung der Unternehmensleitung Beratung der Vorgesetzten und der Mitarbeiter Ermittlung und Analyse des PE-Bedarfs Betreuung der PE-Datei Entwicklung von Aufstiegskonzepten Mitwirkung bei Beratungs- und Fördergesprächen Planung und Durchführung von Bildungsmaßnahmen Auswahl und Beurteilung externer Bildungsangebote Erfolgskontrolle Budgeterstellung und Kostenkontrolle Koordination mit anderen Bereichen Vorgesetzte Zusammenarbeit mit der Personalabteilung Erkennen von Potenzialen Erkennen von Qualifikationsdefiziten Mitarbeiterbeurteilung und Zielvereinbarungen Beratungs- und Fördergespräch Empfehlung von Förder- und Bildungsmaßnahmen Training-on-the-job Erfolgskontrolle am Arbeitsplatz Interessenvertretung der Arbeitnehmer Mitwirkung gemäß gesetzlicher und vertraglicher Rechte Referenten/ Bildungsinstitutionen Durchführung konkreter Bildungsmaßnahmen Mitarbeiter Auskunft über den eigenen PE-Bedarf geben Auskunft über die eigenen PE-Wünsche geben Nutzung der angebotenen Bildungsmaßnahmen Eigeninitiative Abb. 8-4: Träger der Personalentwicklung und ihre Aufgaben 653 Die Kontrolle, ob der Mitarbeiter die neu erworbene Qualifikation nutzbringend einzusetzen vermag, obliegt ebenfalls dem Vorgesetzten. Mentzel fordert deshalb, diese Personalentwick- 653 In Anlehnung an Mentzel (2012), S. 13 ff; vgl. auch Foidl-Dreißer/ Breme/ Grobosch (2004), S. 252 ff. 8.3 Konzept der Personalentwicklung · 369 lungsaufgaben in das Anforderungsprofil jedes Vorgesetzten aufzunehmen. Bei seiner jährlichen Beurteilung sollte ein Vorgesetzter auch dahingehend eingeschätzt werden, ob er seiner Verantwortung für die Entwicklung seiner Mitarbeiter nachgekommen ist. 654 Um solchen Aufgaben gerecht zu werden, müssen die Führungskräfte allerdings ausreichend über die Strategien und Ziele des Unternehmens informiert werden. Auch der Betriebsbzw. Personalrat ist als Interessenvertretung der Arbeitnehmer an der Personalentwicklung zu beteiligen. Nach dem Betriebsverfassungsgesetz und den Personalvertretungsgesetzen von Bund und Ländern haben Betriebsrat bzw. Personalrat und Arbeitgeber die Pflicht, die berufliche Bildung zu fördern. Dazu gibt es umfangreiche Informations-, Beratungs- und Vorschlagsrechte der beiden Interessenvertretungen. Ergänzungen finden sich in tarifvertraglichen Regelungen und in Betriebsvereinbarungen. Davon unabhängig begünstigt die Beteiligung des Betriebsbzw. Personalrates bei den Mitarbeitern die Akzeptanz des Personalentwicklungssystems. Unternehmensinterne und -externe Referenten setzen die Personalentwicklungspläne um, indem sie konkrete Bildungsmaßnahmen durchführen. Sie vermitteln Wissen und bewirken Verhaltensänderungen. Der wichtigste Träger der Personalentwicklung allerdings ist der Mitarbeiter selbst. Er muss sich bewusst sein, wie bedeutsam es nicht nur für das Unternehmen, sondern auch für ihn ist, den Anforderungen derzeitiger und künftiger Aufgaben gewachsen zu sein. Seine Kooperationsbereitschaft zur Ermittlung von Qualifikationsbedarf und Entwicklungspotenzial ist deshalb unverzichtbar. Er muss mit seinem Vorgesetzen über seine individuellen Wünsche und Bedürfnisse sprechen und ggf. von sich aus die Initiative ergreifen und sich an seinen Vorgesetzten bzw. die Personalabteilung wenden. Dem Mitarbeiter kommt also nicht nur die passive Rolle des „zu Bildenden“ zu, vielmehr muss er die gebotenen Möglichkeiten aktiv nutzen und die Personalentwicklung einfordern. 655 Seine Lernbereitschaft entscheidet maßgeblich über Erfolg oder Misserfolg der Personalentwicklung. 8.3 Konzept der Personalentwicklung 8.3.1 Überblick Bei der Erfüllung ihrer Aufgaben nutzt die Personalentwicklung die Erkenntnisse anderer personalwirtschaftlicher Funktionsbereiche. Darüber hinaus müssen Informationen aus der strategischen Unternehmensplanung und Prognosen zu künftigen Innovationen sowie technische und organisatorische Änderungen berücksichtigt werden. Da viele Instrumente und Informationen also bereits vorhanden sind, lässt sich ein Personalentwicklungskonzept oft mit erstaunlich geringem zusätzlichem Aufwand umsetzen. Abb. 8-5 gibt einen Überblick über die Vorgehensweise. 654 Vgl. Mentzel (2012), S. 17. 655 Vgl. Bröckermann (2012), S. 312 f. 370 · 8 Personalentwicklung Anforderungs- Eignungs-Vergleich Personalentwicklungsbedarf des Unternehmens Eignung der Mitarbeiter Kontrolle der Personalentwicklung Fördermaßnahmen, z.B. Karriereplanung Nachfolgeplanung Coaching Arbeitsstrukturierung Auslandseinsatz Outplacement Bildungsmaßnahmen, z.B. Training-on-the-job Training-off-the-job neuere methodische Konzepte Abb. 8-5: Konzept der Personalentwicklung Ausgangspunkt für die Personalentwicklung sind der aktuelle und künftige qualitative Personalbedarf, der die Anforderungen an die Stelleninhaber bestimmt. Die Personalentwicklung greift dazu auf die Informationen der Personalbedarfsermittlung zurück (s. Kapitel 2), die auch Grundlage für weitere personalwirtschaftliche Aufgaben wie Personalbeschaffung, -auswahl und -freisetzung sind. Die Eignung der Mitarbeiter hängt von ihrer Qualifikation und ihrem Potenzial ab. Die wichtigste Informationsgrundlage hierfür ist die Mitarbeiterbeurteilung mit den Zielvereinbarungen und dem Mitarbeitergespräch. Aber auch Daten aus Auswahlverfahren, etwa einem Assessment Center, können herangezogen werden. Beim Anforderungs-Eignungs-Vergleich werden Stellenanforderungen und Eignung des Mitarbeiters gegenübergestellt. Zusätzlich berücksichtigt man die individuellen Entwicklungsbedürfnisse. Anschließend müssen Maßnahmen zur Schließung der Lücken zwischen Anforderung und Eignung festgelegt werden. Dazu unterscheidet man zwischen Förder- und Bildungsmaßnahmen. Im Beratungs- und Fördergespräch bespricht der Vorgesetzte die weiteren Förder- und Bildungsmaßnahmen mit seinem Mitarbeiter. 656 Als Fördermaßnahmen kommen alle im Unternehmen grundsätzlich vorhandenen Möglichkeiten in Betracht, die das Potenzial des Mitarbeiters entwickeln. So werden berufliche Schritte z.B. im Rahmen einer Karriereplanung über mehrere Jahre hinweg gemeinsam geplant. Für diese Karriereschritte benötigt der Mitarbeiter zusätzliches Wissen, Können und 656 Vgl. Scherm/ Süß (2016), S. 117. 8.3 Konzept der Personalentwicklung · 371 entsprechende Verhaltensweisen. Hier kommen die Qualifizierungs- oder Bildungsmaßnahmen ins Spiel. Die notwendigen individuellen Kompetenzen werden dem betroffenen Mitarbeiter durch speziell für ihn sinnvolle Bildungsmaßnahmen vermittelt, die am Arbeitsplatz oder außerhalb des Arbeitsplatzes durchgeführt werden können. Die Kontrolle der Personalentwicklung vervollständigt das PE-Konzept. Sie bezieht sich sowohl auf den Lernerfolg als auch darauf, ob und inwieweit dem Mitarbeiter die Umsetzung des Gelernten in der Arbeitssituation gelingt (Transfererfolg). Auch die pädagogische und die ökonomische Erfolgskontrolle fallen in diesen Bereich. Erstere befasst sich mit der Art und Weise der Qualifikationsvermittlung. Bei der ökonomischen Kontrolle geht es darum, festzustellen, inwieweit die neuen Erkenntnisse und Verhaltensweisen dem unternehmerischen Ergebnis zugutekommen. Die Speicherung und Verarbeitung der Informationen in einem Personalinformationssystem erleichtert nicht nur den Personalentwicklungsprozess, sondern verbessert auch den Ablauf aller anderen personalwirtschaftlichen Prozesse. 8.3.2 Personalentwicklungsbedarf und Eignungspotenzial der Mitarbeiter Die internen und externen Einflussfaktoren auf den Personalbedarf, welche bereits in Kapitel 2.5 beschrieben wurden, wirken sich auch auf den Teilbereich Personalentwicklungsbedarf aus. Die Verfahren zur Ermittlung des Personal(entwicklungs-)bedarfs wurden bereits in Kapitel 2.7 vorgestellt. Es handelt sich um Typologisierung der Berufs- und Qualifikationsgruppen, Organisations- und Stellenpläne, Stellenbeschreibungen sowie Anforderungsprofile. Sie werden sowohl zur Ermittlung des allgemeinen Personalbedarfs als auch des Personalentwicklungsbedarfs herangezogen. Daneben werden Statistiken ausgewertet. Aus Qualitätsstatistiken lassen sich z.B. Rückschlüsse auf Qualifikationsmängel verschiedener Mitarbeitergruppen ziehen. Aus Altersstrukturstatistiken wird auf den künftigen Bedarf, der durch die Pensionierung der Mitarbeiter entsteht, geschlossen. Auch die Vorgehensweise bei der Ermittlung des Eignungspotenzials der Mitarbeiter wurde bereits beschrieben. Die benötigten Informationen gewinnt man aus: Personalakten und Personaldateien Mitarbeiterbeurteilungen Zielvereinbarungen Mitarbeiterbefragungen Befragungen von Vorgesetzten und Mitarbeitern Bewerbungen auf innerbetriebliche Stellenausschreibungen Assessment Centern und anderen Testverfahren Erste Informationen zum Eignungspotenzial des Mitarbeiters kann man bereits bei dessen Einstellung bekommen. Diese werden zusammen mit den im Laufe der Betriebszugehörig- 372 · 8 Personalentwicklung keit erfassten Daten in den Personalakten festgehalten und in Personalentwicklungsdateien übertragen. Die Mitarbeiterbeurteilungen als formalisiertes und standardisiertes Element der Personalbeurteilung sind bereits in Kapitel 7 behandelt worden. Für die Personalentwicklung sind neben dem akuten Qualifizierungsbedarf die darin festgehaltenen Erkenntnisse zum Potenzial und den Entwicklungsmöglichkeiten des Mitarbeiters relevant. Auch seine persönlichen Entwicklungsbedürfnisse sind von Belang. Im Rahmen der Mitarbeiterbeurteilungen werden in der Regel Zielvereinbarungen für einen zukünftigen Zeitraum festgelegt. Im Rahmen der Personalentwicklung wird geprüft, inwieweit die Zielerreichung von PE-Maßnahmen abhängt. Seit einiger Zeit gewinnen Mitarbeiterbefragungen - wie sie für die Anreizgestaltung in vielen Unternehmen seit langem üblich sind - auch für die Personalentwicklung zunehmend an Bedeutung. Entsprechende Fragen können an Mitarbeiter oder Vorgesetzte gerichtet sein und schriftlich oder mündlich vorgenommen werden. Die Befragung kann Bestandteil oder Grundlage eines Beratungs- und Fördergesprächs sein. Neben dieser eher individuellen Variante gibt es allgemeine oder kollektive Mitarbeiterbefragungen. Sie sollen ein Bild von der Zufriedenheit aller Mitarbeiter, von Problemen und Schwachstellen sowie von mehrheitlichen Einstellungen, Erwartungen und Bedürfnissen vermitteln. Darüber hinaus geben sie Auskunft, wie die Entwicklungsperspektiven im Unternehmen wahrgenommen werden, ob Karriere- und Nachfolgeentscheidungen für die Mitarbeiter nachvollziehbar sind und ob das Personalentwicklungsangebot in der vorhandenen Form akzeptiert und für gut befunden wird. Diese Informationen fließen in die Personalentwicklungsentscheidungen ein. 657 Werden die Befragungen in regelmäßigen Abständen, d.h. alle zwei bis fünf Jahre, durchgeführt, lassen sich sehr gut Veränderungen und Trends erkennen. Einige Unternehmen führen in regelmäßigen Abständen Vorgesetztenbefragungen durch. Dabei werden Führungskräfte um Auskunft gebeten, welche Funktionen und Aufgaben ihre Mitarbeiter - unabhängig von ihrer aktuellen Arbeitssituation - künftig einnehmen bzw. ausführen könnten und welche Bildungsmaßnahmen dazu erforderlich sind. Auf diese Weise werden diejenigen Mitarbeiter identifiziert, welche von ihren Vorgesetzen für besonders leistungs- und entwicklungsfähig gehalten werden. 658 Meistens werden diese Befragungen nicht für alle Mitarbeitergruppen vorgenommen, stattdessen finden sie insb. zur Entwicklung der Führungsnachwuchs- und Führungskräfte sowie wichtiger Experten statt. Innerbetriebliche Stellenausschreibungen haben primär das Ziel, die vorhandenen Arbeitskräftereserven zu ermitteln und die interne Mobilität zu fördern. Zusätzlich erhält die Personalabteilung Informationen über Mitarbeiter, die Eigeninitiative zeigen, ihre Entwicklung „selbst in die Hand nehmen“ und Karriere machen wollen. Mitarbeitern, deren Ent- 657 Vgl. Mudra (2004), S. 194. 658 Vgl. Mentzel (2012), S. 96. 8.3 Konzept der Personalentwicklung · 373 wicklungspotenzial noch nicht bekannt ist, bietet sich die Möglichkeit, durch ihre interne Bewerbung auf sich aufmerksam. 659 Assessment Center und andere Testverfahren wurden bereits im Zusammenhang mit der Personalauswahl beschrieben. Im Rahmen der Personalentwicklung dienen sie dazu, die mögliche Entwicklungsrichtung und den Entwicklungshorizont eines Probanden festzustellen. Die Stärken und Schwächen des Mitarbeiters in Bezug auf anspruchsvollere Sachaufgaben, gewünschte Verhaltensweisen, Führungsaufgaben und sein allgemeines Sozialverhalten werden ermittelt. Um eine gezielte Nachfolge- oder Karriereplanung durchführen zu können, ist außerdem die Feststellung eines absoluten Leistungsniveaus sinnvoll. Assessment Center können außerdem eingesetzt werden, wenn festgestellt werden soll, ob und welche Personalentwicklungsmaßnahmen notwendig sind. Dabei stehen individuelle, für den einzelnen Mitarbeiter notwendige Bildungsmaßnahmen im Mittelpunkt. Auch um den Lern- und Transfererfolg bereits durchgeführter Qualifizierungsmaßnahmen zu ermitteln, können Assessment Center herangezogen werden. Die Ergebnisse ermöglichen einen Soll-Ist-Vergleich und liefern gleichzeitig Informationen zur Effizienz der Personalentwicklung. Daneben ist das Assessment Center eine eigenständige Bildungsmaßnahme, mit dessen Hilfe beispielsweise eigene Stärken und Schwächen erkannt werden können. Auch die Beurteiler entwickeln sich weiter. Sie verbessern ihr Beobachtungs- und Beurteilungsverhalten, steigern ihre Teamfähigkeit, verändern ihr Konfliktverhalten und überprüfen die eigenen Maßstäbe. Ein weiteres, vor allem in Großunternehmen verbreitetes Informationsinstrument sind Management Audits oder Management Appraisals. Dabei handelt es sich um zielgerichtete, systematische Interviews, anhand derer Personalentwicklungsbedarfe erkannt und anschließend zugehörige PE-Maßnahmen für Führungskräfte festgelegt werden. Management Audits werden z.B. eingesetzt, um bei einzelnen Vorgesetzten oder auch ganzen Teams die Fähigkeit zu testen, Probleme zu lösen und künftige Herausforderungen zu bewältigen. Sie ermitteln also das Potenzial der Leistungsträger, ihre Management-Kompetenzen und den eventuell notwendigen Entwicklungsbedarf. Sie werden i.d.R. von externen Beratern durchgeführt und gliedern sich in mehrere Phasen: Zunächst gilt es, die Unternehmensziele zu präzisieren und daraus die für die Zielerreichung kritischen Management-Fähigkeiten abzuleiten. Anschließend folgt die Planungsphase. Zunächst wird das Projektteam zusammengestellt. Dessen wesentliche Aufgaben sind die exakte Bestimmung der Bewertungskriterien und die Vorbereitung von Interviews mit den Führungskräften. In Phase drei werden die Interviews durchgeführt und ausgewertet. Dazu werden in der Regel unternehmensexterne Spezialisten herangezogen. Das Ergebnis ist eine Übersicht über die im Unternehmen vorhandenen Management-Fähigkeiten. In der vierten Phase werden diese Erkenntnisse zu individuellen Stärken-Schwächen- 659 Vgl. Mentzel (2012), S. 102. 374 · 8 Personalentwicklung Profilen verdichtet und mit den Teilnehmern besprochen. Für jede Führungskraft wird ein Leistungsblatt erstellt, aus dem hervorgeht, welche strategische Bedeutung sie für das Unternehmen hat. In einer fünften Phase wird der individuelle Entwicklungsbedarf festgestellt und mit den individuellen Entwicklungsbedürfnissen verglichen, um anschließend konkrete Maßnahmen festzulegen. Außer in der Personalentwicklung verwendet man Management Audits auch nach Unternehmenszusammenschlüssen und bei Umstrukturierungen. Dann geht es i.d.R. allerdings darum, die Zahl der Führungskräfte zu reduzieren und für anstehenden (Freisetzungs-) Maßnahmen eine nachvollziehbare Entscheidungsgrundlage zu haben. 660 In der Praxis werden vor allem Personalgespräche zur Potenzialermittlung eingesetzt. Bei vielen Unternehmen geschieht dies eher zufällig, beziehungsweise unsystematisch ohne eine definierte Vorgehensweise. Die Eignungsprofile und ihre Bedeutung für das Unternehmen werden häufig in einem Personal-Portfolio oder einem Human-Resources-Portfolio optisch aufbereitet. Dazu wird eine Vier-Felder-Matrix erstellt, in die die Mitarbeiter je nach Leistung und Potenzial eingeordnet werden. Auf der Vertikalen wird das gegenwärtige Leistungsverhalten oder die Performance, auf der Horizontalen das Eignungspotenzial (Entwicklungsfähigkeit) der Mitarbeiter abgetragen. Ein Beispiel für zwei Mitarbeiter zeigt Abb. 8-6. Work Horses (Cash Cows) Stars Dead Wood Wild Cards (Problem Employees, Fragezeichen) Leistungsverhalten Eignungspotenzial hoch B A Abb. 8-6: Personal-Portfolio 661 660 Vgl. Bühner (2005), S. 108 ff.; Klimecki/ Gmür (2005), S. 210. 661 In Anlehnung an Bröckermann (2012), S. 321 und Jung (2017), S. 972. 8.3 Konzept der Personalentwicklung · 375 Unter Dead Wood („totes Holz“) - in der Abbildung Mitarbeiter A - versteht man Arbeitnehmer mit geringem Eignungspotenzial, die zudem niedriges Leistungsverhalten aufweisen. Es handelt sich um Problemfälle, denen es an Fähigkeiten und am Willen mangelt. Man unterstellt außerdem, dass sich beides kaum noch verändern lässt. Sollte es nicht möglich sein, sich von diesen Mitarbeitern zu trennen, werden sie mit anspruchslosen Routineaufgaben betraut. Die Work Horses sind die Leistungsträger und damit das Rückgrat des Unternehmens. Sie haben zwar eine hohe Performance, weisen aber nur (noch) ein geringes Entwicklungspotenzial auf und besetzen genau die richtige Stelle. Man geht davon aus, dass sie sich nicht mehr wesentlich weiterentwickeln und dass ihre jetzige Position optimal ihren Fähigkeiten entspricht. 662 Durch Personalentwicklung werden sie in die Lage versetzt, den derzeitigen und den künftigen Aufgaben, die mit dieser Stelle verbunden sind, gerecht zu werden. Verzichtet man jedoch auf Personalentwicklung, besteht die Gefahr, dass sie ihren Aufgaben langfristig nicht mehr gewachsen sind und zu Dead Wood werden. Die Stars - in der Abbildung Mitarbeiter B - sind Mitarbeiter mit herausragenden Leistungen und einem ebenso großen Potenzial. Sie garantieren den künftigen Unternehmenserfolg und gelten als in höchstem Maße förderungswürdig. Großunternehmen richten für sie in der Regel systematische Management-Development-Programme ein. Als Wild Cards werden problematische Mitarbeiter bezeichnet. Sie weisen zwar ein hohes Potenzial auf, zeigen jedoch (noch) geringe Leistungen. Durch entsprechende Motivation und ein Eingehen auf ihre Bedürfnisse, verbunden mit den passenden Bildungsmaßnahmen, ist es möglich, dass sich aus dieser Gruppe Stars oder Work Horses entwickeln. Dabei geht es in erster Linie darum, ihre Leistungsbereitschaft zu fördern. Manchmal werden auch die Nachwuchskräfte und High Potentials in dieses Portfoliofeld eingeordnet, da bei ihnen grundsätzlich davon ausgegangen wird, dass sie über hohes Potenzial verfügen, ihre Performance aufgrund der noch unvollständigen Qualifizierung derzeit jedoch gering ist. Mithilfe geeigneter Bildungsmaßnahmen sollen sie sich zu Stars oder Work Horses entwickeln. Auch die Fragezeichen oder Problem Employees werden diesem Feld zugeordnet. Dabei handelt es sich wie bei den Dead Woods ebenfalls um Mitarbeiter mit derzeit niedrigem Leistungsverhalten, allerdings erscheint es vorstellbar, dass sich das Leistungsverhalten verbessert und sie sich zu Work Horses oder sogar zu Stars entwickeln können. Anders als beim Dead Wood versucht man die Ursachen für die mangelnde Leistung zu ermitteln und zu beseitigen, z. B. falsche Aufgaben, schlechtes Abteilungsklima, Probleme mit dem Vorgesetzten etc., da man sie nicht unbedingt im Mitarbeiter selbst sondern eher in der Unternehmenssituation vermutet. Dementsprechend werden Fragezeichen in die Personalentwicklung einbezogen. 8.3.3 Anforderungs-Eignungs-Vergleich Aus dem Vergleich von Anforderungen und Eignungen ergibt sich die weitere Vorgehensweise. Es wird eine Personalentwicklungsdatei angelegt, die den Entwicklungsbedarf der Qualifikation und dem Potenzial des Mitarbeiters gegenüberstellt. Sie enthält alle Informati- 662 Vgl. Hus (2009), S. C 1. 376 · 8 Personalentwicklung onen zum derzeitigen und künftigen Personalentwicklungsbedarf sowie zur Entwicklungsfähigkeit und Informationen zu den bislang durchgeführten und den geplanten Förder- und Bildungsmaßnahmen und deren Erfolg. Alle Daten müssen regelmäßig erfasst, ergänzt und aktualisiert werden. Die Personalentwicklungsdatei ist die Entscheidungsgrundlage für alle Förder- und Bildungsmaßnahmen und deren Kontrolle. Das Ergebnis des Anforderungs-Eignungs-Vergleichs führt zu verschiedenen Handlungsalternativen (Abb. 8-7). Handlungsalternativen Ergebnisse des Anforderungs-Eignungs-Vergleichs Aufgaben der Personalentwicklung Anforderungen und Eignung entsprechen sich weitestgehend Kein unmittelbarer Personalentwicklungsbedarf für die aktuelle Stelle, lediglich Maßnahmen der Leistungserhaltung notwendig; evtl. Bildungsmaßnahmen für neue Herausforderungen Mitarbeiter erfüllt die gegenwärtigen Anforderungen seiner Stelle nur unzureichend Vermittlung zusätzlicher Qualifikation und/ oder Maßnahmen zur Änderung des Leistungsverhaltens Derzeitige Aufgaben werden sich durch technisch-organisatorischen Wandel ändern Anpassung der Qualifikation an die neuen Anforderungen Horizontale Versetzung, d.h. Übernahme neuer Aufgaben mit geänderten Anforderungen auf der gleichen Hierarchieebene Vermittlung neuer Qualifikationen entsprechend der geänderten Anforderungen Vertikale Versetzung, d.h. Aufstieg in eine anspruchsvollere Position mit gestiegenen Anforderungen Festlegen der Aufstiegswege, die den individuellen Fähigkeiten entsprechen, sowie Vermittlung neuer, anspruchsvollerer Qualifikationen Abb. 8-7: Handlungsalternativen der Personalentwicklung 663 Konkrete Förder- und Bildungsmaßnahmen sind nur wirkungsvoll, wenn seitens des Mitarbeiters Bildungsbereitschaft vorhanden ist. Ein Teil der Mitarbeiter steht Entwicklungsangeboten gleichgültig oder gar ablehnend gegenüber. Entwicklungsunwilligkeit ist häufig dann anzutreffen, wenn bereits in jungen Jahren der Eindruck entstand, vom Arbeitsleben sei nicht viel zu erwarten. Eine solche Einstellung kann sich auf die Persönlichkeits- und damit auch auf die individuelle Bedürf- 663 In Anlehnung an Mentzel (2012), S. 24. 8.3 Konzept der Personalentwicklung · 377 nisstruktur auswirken. 664 Eine weitere Ursache für Entwicklungsunwilligkeit können Enttäuschungen während des Berufslebens sein. Sie entstehen, wenn Mitarbeiter in der Hoffnung auf Karriere- und Entwicklungsmöglichkeiten ins Unternehmen eintreten und dann feststellen müssen, dass diese (z.B. wegen eines engen Stellenkegels) sehr begrenzt sind. Häufig werden Personalentwicklungsdateien lediglich für Führungskräfte, wichtige Experten oder - dann in Form einer Nachwuchsdatei - für besonders vielversprechende High Potentials erstellt. Bei den anderen Mitarbeitern vollzieht sich die Personalentwicklung oft unsystematisch und nicht zukunftsorientiert, also eher zufällig und am kurzfristigen Bedarf der einzelnen Abteilungen ausgerichtet. Zunehmend erkennen Unternehmen jedoch die Bedeutung der Personalentwicklung und betreiben ein systematisches Talent Management. Es hat die strukturierte und geplante Beschaffung von Talenten und deren interne Förderung und langfristige Bindung an das Unternehmen zum Inhalt. Unternehmen schaffen sich beizeiten einen qualifizierten Nachwuchspool, auf den sie im Bedarfsfall zurückgreifen können. 8.3.4 Ausgewählte Instrumente der Personalförderung Aufgrund des Anforderungs-Eignungs-Vergleichs wird entschieden, welche Instrumente der Personalförderung eingesetzt werden sollen. Die bedeutsamsten sind: Karriereplanung Nachfolgeplanung Coaching Veränderung der Arbeitsstrukturierung Auslandseinsatz Da der Auslandeinsatz eine immer wichtiger werdende Fördermaßnahme ist, wird er gesondert in Kapitel 8.4 betrachtet. Auch die Trennung von Mitarbeitern, sofern damit eine ausführliche und sorgfältige Outplacement-Beratung verbunden ist, wird oft nicht nur als Instrument der Personalfreisetzung angesehen, sondern ebenso zum Bereich der Personalförderung gezählt. Zwar kommt die Maßnahme dann nicht mehr dem Unternehmen zu Gute, wirkt sich aber auf die PE- Situation der betroffenen Person positiv aus. 8.3.4.1 Karriere- und Nachfolgeplanung 88.3.4.1.1 Beg riffliche Abg renzung und Zielsetzung Karriereplanung und Nachfolgeplanung verfolgen ähnliche Ziele. Bei beiden werden die einzelnen Schritte des beruflichen Werdegangs eines Mitarbeiters festgelegt. Wesentlicher Unterschied ist der Ausgangspunkt der planerischen Überlegungen. Während die Nachfolge- 664 Vgl. Jung (2017), S. 311. 378 · 8 Personalentwicklung planung an der Bedarfssituation des Unternehmens ansetzt, geht die Karriereplanung von den Fähigkeiten und Bedürfnissen des Mitarbeiters aus. Bei der Nachfolgeplanung geht es um die optimale Besetzung bestimmter Stellen, während bei der Karriereplanung der optimale Einsatz des betreffenden Mitarbeiters im Mittelpunkt steht. Mithilfe der Nachfolgeplanung sollen vor allem mögliche Nachfolger frühzeitig für konkrete Stellen identifiziert und insbesondere rechtzeitig qualifiziert werden, während die Karriereplanung bei den möglichen Karriereschritten und den dazu notwendigen Maßnahmen für einzelne förderungswürdige Mitarbeiter ansetzt. Mit der Nachfolgeplanung werden der oder die mögliche/ n Nachfolger des aktuellen Stelleninhabers und deren bisherige Qualifikationen und Defizite ermittelt. Darauf aufbauend werden zielgerichtete und stellenbezogene Bildungsmaßnahmen durchgeführt, um für einen Wechsel gewappnet zu sein. Die Karriereplanung legt fest, welche Stellen ein Mitarbeiter im Laufe seiner beruflichen Entwicklung einnehmen sollte und könnte. Das Unternehmen will seine Qualifikation und sein Potenzial optimal nutzen und ermittelt, welche individuellen, qualifizierenden Maßnahmen dazu erforderlich sind. Dabei werden die Fähigkeiten, das Potenzial und die Bedürfnisse des betreffenden Mitarbeiters berücksichtigt. Statt Karriereplanung wird manchmal auch der Begriff Laufbahnplanung verwendet. Diese Bezeichnung ist jedoch missverständlich, da Laufbahn oft mit dem standardisierten Werdegang der Beamten im öffentlichen Dienst gleichgesetzt wird. Bei der Karriereplanung handelt es sich hingegen um einen individuellen Plan für einen Mitarbeiter eines Unternehmens, der die möglichen, aufeinanderfolgenden Positionen innerhalb eines bestimmten Zeitraums für ihn aufzeigt. Die Karriere- und die Nachfolgeplanung sorgen zusammen dafür, dass ein Reservoir an qualifiziertem Personal entsteht, damit im Bedarfsfall Stellenbesetzungen zügig aus den eigenen Reihen vorgenommen werden können. Sie sind Bestandteile des Talent Managements, das die Beschaffung von Talenten und deren interne Förderung und langfristige Bindung an das Unternehmen zum Inhalt hat und der langfristigen Sicherstellung der Besetzung von Schlüsselpositionen dient. Sie ermöglichen außerdem einen Überblick über das vorhandene Mitarbeiterpotenzial, zudem legen sie Aufstiegswege und -hindernisse sowie die Aufstiegskriterien offen. Diese Transparenz ist ein wichtiger Faktor für die Leistungsmotivation, da die Mitarbeiter dann von vorneherein wissen, worauf sie sich einlassen und eher bereit sind, sich mit den betrieblichen Zielen zu identifizieren. Karriere- und Nachfolgeplanung sollten an der Unternehmens- und der Mitarbeitersituation ausgerichtet sein, um Enttäuschungen und Frustrationen zu vermeiden. Dennoch ergeben sich Probleme, wenn der Mitarbeiter im Laufe seines Entwicklungsprozesses ein geringeres Potenzial aufweist, als anfangs prognostiziert wurde. nach einer innerbetrieblichen Stellenausschreibung andere Mitarbeiter für die vorgesehenen Aufgaben besser geeignet erscheinen. sich die Bedürfnisse des Mitarbeiters ändern. 8.3 Konzept der Personalentwicklung · 379 organisatorische Umstrukturierungen zu inhaltlichen Änderungen oder zum Wegfall der angestrebten Position führen. konjunkturelle Veränderungen nachträglich berücksichtigt werden müssen. Deshalb sollte der Planungshorizont nur drei bis höchstens fünf Jahre und maximal zwei bis drei Versetzungsschritte umfassen. Mittels regelmäßiger Gespräche kann festgestellt werden, ob die Pläne unternehmensbzw. mitarbeiterbedingt angepasst oder konkretisiert werden müssen. 88.3.4.1.2 Karrierepla nung Meist verbindet sich mit der Karriereplanung die Hoffnung auf einen (schnellen) hierarchischen Aufstieg. Wegen des pyramidalen Unternehmensaufbaus verringert sich diese Möglichkeit nach oben hin zwangsläufig. Außerdem haben neue organisatorische Strukturen aufgrund des Lean Managements zu einer Reduzierung der Führungskräftezahl geführt, was die vertikalen Aufstiegsmöglichkeiten zusätzlich stark einschränkt. So sind in den letzten Jahren in vielen Unternehmen ganze Hierarchieebenen weggefallen, wodurch der regelmäßige, stufenweise Aufstieg weiter erschwert wird, da der Stellenkegel immer enger und die Hierarchie immer flacher wird. Deshalb muss eine Karriereplanung heute neben der vertikalen Entwicklungsrichtung auch horizontale Karrierebewegungen zwischen den verschiedenen Abteilungen der gleichen Hierarchieebene einbeziehen. Zentripetale Karriereschritte sind ebenfalls einzuplanen. Es handelt sich um Versetzungen zu einer oder weg von einer Schaltstelle, beispielsweise von einer Filiale in die Zentrale oder vom Mutterunternehmen zu einer Tochtergesellschaft und umgekehrt. Vorübergehende hierarchische Abstiege und damit die Reduzierung positionsspezifischer Rechte, Befugnisse und Verantwortung werden - bei Zunahme nützlicher Erfahrungen - gelegentlich eingeplant. 665 Für die Träger von nichtoperativen Linienaufgaben, die keine Personalverantwortung haben, sind wenige Aufstiegschancen vorhanden. Damit sind insbesondere hochqualifizierte Experten oder Forscher gemeint. Ihnen stehen in der Regel kaum Möglichkeiten offen, in der Hierarchie aufzusteigen. Sie müssten dazu in eine Linienposition mit Führungsaufgaben wechseln, die jedoch meistens weder ihren Interessen noch ihrer Spezialisierung entspricht. Mit flacheren Hierarchien steigt die Notwendigkeit der Projektarbeit. Projekte sind zeitlich befristete Arbeitsformen, die neben der Primärorganisation bestehen. Die Mitarbeiter erfüllen - zusätzlich zu ihrer Hauptaufgabe oder von dieser freigestellt - komplexe, nicht routinemäßige Aufgaben. Projektarbeit erhöht die Entwicklungsmöglichkeiten der Mitarbeiter, weil sich Fach- und Führungsaufgaben verknüpfen oder auch austauschen lassen. Da Projektaufgaben immer wichtiger werden, wird eine Art Aufstieg im Projektbereich möglich. Um Unzufriedenheit und Demotivation bei Führungsnachwuchskräften und Spezialisten zu vermeiden, gehen große Unternehmen verstärkt dazu über, alternative Laufbahnformen, die auch Parallelhierarchien genannt werden, einzuführen. Man trifft sie vor allem im Forschungs- und Entwicklungssektor, im Vertrieb und im IT-Bereich an. 665 Vgl. Schanz (2000), S. 508 f. 380 · 8 Personalentwicklung Die alternativen Laufbahnen sind: Führungslaufbahnen Fachlaufbahnen Projektlaufbahnen Funktionshierarchien Als Führungslaufbahn bezeichnet man die klassischen Karrieremöglichkeiten. 666 Diese können vertikal oder horizontal ausgelegt sein. Vertikale Versetzungen sind in der Regel mit einem hierarchischen Aufstieg verbunden. Falls ein Abstieg bei der Karriereplanung absichtlich eingeplant wird, vollzieht er sich nicht in der bisherigen Abteilung, sondern ist mit einem Ressortwechsel verbunden. Ziel ist dabei insbesondere die Verbesserung von Sozial-, Methoden- und Selbstkompetenzen. Eine horizontale Versetzung ist ein Stellenwechsel auf der gleichen Hierarchieebene, meistens in einen verwandten Aufgabenbereich, z.B. von der Leitung der Buchhaltung zur Leitung des internen Rechnungswesens. Hier steht meistens die Entwicklung zum Generalisten im Vordergrund. Fachlaufbahnen bieten die Möglichkeit, mit zunehmender fachlicher Qualifikation in einer Parallelhierarchie aufzusteigen. Die Positionen sind in der Regel mit einem bestimmten Titel, z.B. Oberingenieur oder Senior Consultant, verbunden. Die anderen Statussymbole, wie Dienstwagengröße oder Büroausstattung, ähneln denjenigen einer Führungslaufbahn. Fachlaufbahnen führen außerdem zu einem der hierarchischen Laufbahn vergleichbaren Entgeltzuwachs. Problematisch an Fachlaufbahnen ist die einseitige Spezialisierung, die einen inner- oder zwischenbetrieblichen Wechsel oft erschwert. 667 Einige Unternehmen fördern im Rahmen von systematischen Personalentwicklungskonzepten den Wechsel zwischen den Laufbahnarten bzw. planen ihn explizit in Management- Development-Programme und in die Karrieren ihrer Führungsnachwuchskräfte ein. Häufig beziehen sie auch Karriereschritte in einer Projektlaufbahn ein. Damit ermöglichen sie es ihren Nachwuchskräften auszuprobieren, wo ihre Stärken sind. Die Übernahme von Führungsverantwortung bei Projekten bietet Fachkräften die Möglichkeit, zeitlich befristet Führungsaufgaben zu übernehmen und festzustellen, ob ihnen solche Aufgaben liegen. Umgekehrt erleben Führungskräfte die Vorzüge der Spezialisierung und können, weitgehend befreit von Tageszwängen, ihr Fachwissen vertiefen. Hinzu kommt eine sehr wichtige soziale Komponente: Durch die bei Projekten vorherrschende Teamarbeit werden die Kommunikations-, Kooperations- und Konfliktlösungsfähigkeiten der Projektteilnehmer gestärkt. 668 Fach- und Projektlaufbahnen sind nur dann eine echte Karrierealternative, wenn sie in- und außerhalb des Unternehmens als gleichwertig angesehen werden. Ansonsten sind sie für die Mitarbeiter wenig attraktiv. Deshalb ist es notwendig, bei Parallelhierarchien und Füh- 666 Vgl. Mentzel (2012), S. 140. 667 Vgl. Olesch (2003), S. 72 f.; S. 55; Domsch (2003), S. 481 ff.; Olesch/ Paulus (2000), S. 82 ff. 668 Vgl. Majer/ Mayrhofer (2007), S. 36 ff.; Domsch (2003), S. 484 ff. 8.3 Konzept der Personalentwicklung · 381 rungslaufbahn die Distanz zwischen den Karriereschritten und die Schwierigkeit, die nächste Ebene zu erreichen, ähnlich zu gestalten. Vorteile von Fach- und Projektlaufbahnen sind: Anerkennung besonderer Leistungen seitens des Unternehmens durch Verleihung eines höheren formalen Status Verbesserung der Karriereaussichten trotz flacher Unternehmenspyramide Möglichkeit zu regelmäßigen Karriereschritten für karriereorientierte Mitarbeiter Erweiterung des eigenen Horizonts durch einen Wechsel zwischen den verschiedenen Laufbahnarten Die Nachteile von Fach- und Projektlaufbahnen: geringerer Machtzuwachs bei Aufstieg in der Parallelhierarchie Aufstieg in der Parallelhierarchie wird von den Mitarbeitern selbst und auch von anderen Personen oft nicht als gleichwertig betrachtet die klassische Hierarchie bietet deutlich mehr Möglichkeiten, in andere Positionen, auch außerhalb des Unternehmens, zu wechseln und sich weiterzuentwickeln längeres Verbleiben in der Parallelhierarchie wird häufig von Anderen als Misserfolg gesehen, da es dem Mitarbeiter nicht gelungen ist, in eine Führungsposition in der Linie zu wechseln Kriterien, an denen die Leistung in der Parallelhierarchie gemessen wird, lassen sich häufig nur schwer operationalisieren geringere Wertigkeit als der Aufstieg in der Linienhierarchie bei externen Unternehmen, da sie mit den Karriereschritten der Parallelhierarchien anderer Unternehmen nicht vertraut sind In großen Unternehmen werden manchmal zusätzlich Funktionsstufen in die Führungslaufbahn integriert und auf diesem Wege Funktionshierarchien innerhalb der Führungslaufbahn gebildet. Dabei wird auf die sachliche Bedeutung der Aufgaben und nicht nur auf die Hierarchieebene einer Stelle abgestellt und ein entsprechendes Gehaltsband geschaffen. Man berücksichtigt die Tatsache, dass Stellen, die hierarchisch auf der gleichen Ebene angesiedelt sind, sich in der Wertigkeit der jeweiligen Funktionen und ihrer Bedeutung für den Unternehmenserfolg trotzdem unterscheiden können. Ein Beispiel zeigt Abb. 8-8. Im unteren Management sind bei der Führungslaufbahn drei Bereiche mit drei Führungskräften dargestellt. Diese Stellen befinden sich auf der gleichen Hierarchieebene. Unter sachlichen Gesichtspunkten betrachtet, sind sie jedoch für das Unternehmen von unterschiedlicher Bedeutung, deshalb sind sie nur in der Führungshierarchie, nicht aber in der Funktionshierarchie gleichrangig. Dies wird durch die grauen Markierungen deutlich. Die mittlere Stelle hat die höchste Bedeutung, die linke Stelle hat die niedrigste Wertigkeit für das Unternehmen. 382 · 8 Personalentwicklung Führungslaufbahn Fachlaufbahn Projektlaufbahn Legende: Projektteam Leitungsposition Funktionsstufe Fachposition Projekthierarchie Führungshierarchie mit Funktionsstufen Fachhierarchie Abb. 8-8: Beispiel für Parallelhierarchien 669 Obwohl die drei Stellen mit gleichen Titeln (z.B. Abteilungsleiter) und gleichem hierarchischen Rang in der Führungslaufbahn versehen sind, sind die materiellen und immateriellen Anreize nicht gleich. Auf der unteren Managementebene liegt das Gehalt des Managers der linken Abteilung unterhalb des Gehaltsbandes der beiden anderen Stellen. Das Gehalt der mittleren Stelle ist am höchsten. Auch Statussymbole wie Dienstwagenregelungen, Büroausstattung und ähnliche Merkmale werden oft angepasst. Die Funktionshierarchie wertet eine Stelle also gegenüber hierarchisch 669 Entnommen aus: Krüger (2005), S. 167. 8.3 Konzept der Personalentwicklung · 383 gleichrangigen Stellen gehalts- und statusmäßig auf oder ab. Titel und hierarchischer Rang treten damit gegenüber der Funktion und der Wichtigkeit für das Unternehmen in den Hintergrund. Genauso wird auf der nächsten Managementebene verfahren. Hier ist die rechte Stelle bedeutsamer als die linke. In der Praxis gibt es neben diesen echten Karriereformen auch die sog. Pseudokarrieren: 670 Titelkarrieren zeichnen sich dadurch aus, dass die Stelle mit hochtrabenden Titeln aufgewertet wird, ohne dass damit tatsächlich eine Änderung der Aufgaben, Befugnisse und Verantwortungen einhergeht. Das gilt oft für die Ernennung eines Vice President zum Senior Vice President. Auch bei Stabsstellen, die der obersten Leitung zugeordnet werden, wird oft so verfahren. Sie werden regelmäßig als „Director“ bezeichnet, ohne dass ihnen damit tatsächlich die Rechte und Pflichten einer solchen Instanz übertragen würden. Letztlich geht es bei dieser Vorgehensweise darum, die Wertschätzung seitens des Unternehmens gegenüber einem verdienten Mitarbeiter zu verdeutlichen. Einkommenskarrieren findet man oft, wenn Aufstiegsmöglichkeiten zurzeit nicht vorhanden sind, der Mitarbeiter aber im Unternehmen gehalten werden soll. Die Wartezeit bis zur Versetzung auf eine höherwertige Stelle wird mit einer vorweggenommenen Einkommenssteigerung „versüßt“. Berufskarrieren spiegeln wieder, dass die Gesellschaft unterschiedlichen Berufen eine unterschiedliche Wertigkeit zuweist. Facharbeiteraufgaben werden oft (zu Unrecht) als niederwertiger angesehen als kaufmännische Tätigkeiten. Arbeiten im Mehrschichtbetrieb gilt oft weniger als die klassische Arbeit tagsüber. Der Wechsel von einem Berufsfeld in ein aus Sicht der Gesellschaft höherwertigeres wird als Berufskarriere bezeichnet. Der Arbeitnehmer hat jetzt einen „besseren Beruf“ als vorher. 88.3.4.1.3 Na chfolg epla nung Die Nachfolgeplanung sorgt dafür, dass beim Ausscheiden des derzeitigen Stelleninhabers jederzeit mindestens ein qualifizierter Nachfolger zur Verfügung steht. Sie stellt sicher, dass theoretisch jede Stelle aus den eigenen Reihen besetzt werden kann. Meistens sind jedoch nicht für jede Stelle geeignete Nachfolger vorhanden, außerdem ist die Nachfolgeplanung viel zu aufwändig, um sie auf allen Ebenen und bei allen Stellen einzusetzen. Eine das ganze Unternehmen umfassende Nachfolgeplanung würde zudem verhindern, dass neue Ideen und Impulse von außen in das Unternehmen gelangen, da Mitarbeiter von außerhalb nur am Anfang der Hierarchiekette in das Unternehmen einsteigen könnten. Deshalb bezieht sich die Nachfolgeplanung immer nur auf ausgewählte Stellen, sogenannte Schlüsselpositionen, die für das Unternehmen von besonderer Bedeutung sind. 671 Sie erfüllt diese Aufgaben: Identifizierung von Schlüsselpositionen im Unternehmen 670 Vgl. Becker (2011), S. 611 f.; Oechsler/ Paul (2015), S. 460. 671 Vgl. Mentzel (2012), S. 148. 384 · 8 Personalentwicklung Ermittlung möglicher Nachfolgekandidaten gezielte Vermittlung passender Qualifikationen an die ausgewählten Mitarbeiter rechtzeitige Einleitung externer Personalbeschaffungsmaßnahmen, falls kein geeigneter Nachfolger aus den eigenen Reihen zur Verfügung steht Die ausgewählten Nachfolger werden Schritt für Schritt für ihre künftigen Aufgaben qualifiziert. Dazu wird für jede einbezogene Stelle ein Nachfolgeplan erstellt. Er enthält stellenspezifische Informationen sowie die Namen des Stelleninhabers und seiner Nachfolgekandidaten. 672 Es ist üblich, zwei bis drei Nachfolgekandidaten zu benennen. Für jeden von ihnen werden neben dem individuellen Entwicklungsbedarf die dazu notwendigen Qualifizierungsmaßnahmen aufgeführt. Eine alternative und weniger aufwändige Vorgehensweise ist das Erstellen von Nachfolgerlisten, in denen die einbezogenen Stellen zunächst abteilungsweise aufgeführt sind. Sie enthalten die Namen des Stelleninhabers und die möglicher Nachfolgekandidaten. Daneben sind zu jedem Kandidaten seine aktuelle Position und der Zeitpunkt vermerkt, zu dem er die Stelle übernehmen könnte. In der Praxis werden auch erweiterte Organigramme verwendet. Neben dem Namen des aktuellen Stelleninhabers sind dort die Namen seiner möglichen Nachfolger eingetragen. Zusätzliche Buchstaben, die in einer Legende erläutert werden müssen, kennzeichnen z.B. deren aktuellen Qualifikationsstand, ihre Aufstiegseignung und ihre Leistungen in der derzeitigen Position. 673 Es ist auf Vertraulichkeit zu achten. Die Nachfolgeplanung sieht zwar für jede Stelle mehrere Nachfolger vor, die es zu qualifizieren gilt. Die Stelle kann jedoch nur von einem dieser Kandidaten besetzt werden. Um Motivationsverlusten vorzubeugen, ist es sinnvoll, bei allen Kandidaten eher breite Bildungsmaßnahmen durchzuführen, damit sie ggf. auch in anderen Positionen eingesetzt werden können. Damit vergrößern sich ihre Chancen auf eine höherwertige Stelle und ihre Leistungsbereitschaft bleibt erhalten. Die zeitliche Reichweite der Nachfolgeplanung umfasst zwei bis fünf Jahre und entspricht damit in etwa derjenigen der Karriereplanung. 8.3.4.2 Coaching 88.3.4.2.1 Beg riffliche Klä rung Im Sport ist ein Coach nicht nur Trainer und als solcher für die fachliche Betreuung einer Mannschaft (z.B. im Fußball) bzw. eines einzelnen Sportlers (z.B. beim Tennis) zuständig. Ihm obliegt zusätzlich deren bzw. dessen psychologische Betreuung. Auch viele Führungskräfte wünschen sich jemanden, den sie nicht nur bei fachlichen Fragen, sondern auch bei anderen beruflichen und evtl. auch privaten Dingen ansprechen können. Dabei kann es um das berufliche Weiterkommen, um Krisensituationen, mangelndes Selbst- 672 Vgl. Mentzel (2012), S. 149 f. 673 Vgl. ebd. 8.3 Konzept der Personalentwicklung · 385 vertrauen oder aktuelle Führungsprobleme gehen und manchmal auch um persönliche Angelegenheiten. Hier setzt das Coaching an. Es handelt sich um ein systematisches Beratungs- und Handlungskonzept, bei dem vorrangig im beruflichen Kontext eine Hilfe zur Selbsthilfe angeboten wird. Die meisten Unternehmen sehen Coaching aktuell und für die Zukunft als wichtig bis sehr wichtig an Es wird am häufigsten bei Führungskräften des oberen Managements und des Top-Managements eingesetzt. Allerdings wird es zunehmend auch im mittleren Management angeboten. Untere Führungsebenen, Projektleiter und Spezialisten kommen dagegen seltener in den Genuss von Coachingmaßnahmen. Man führt diese Ergebnisse darauf zurück, dass der Schwerpunkt beim Coaching in der Praxis weniger auf der fachlichen Unterstützung als auf der persönlichen Ebene liegt. 674 Dem Mitarbeiter (Coachee) wird i.d.R. ein externer oder seltener ein interner Berater (Coach) zur Seite gestellt, der ihn bei der Erfüllung seiner Führungsaufgaben sowie bei der Persönlichkeitsentwicklung, beim Abbau von Schwächen und beim Aufbau von Stärken unterstützt. Dabei geht es weniger um die Frage, ob der Coachee richtig oder falsch gehandelt hat, sondern um die Aufarbeitung, weshalb er sich so verhalten hat. Gemeinsam wird nach Erklärungen und Alternativen für die Zukunft gesucht. Der Coachee lernt, sein Verhalten zu reflektieren, zielgerichtet zu ändern und Probleme kreativ zu lösen. Die Beratung erstreckt sich in der Regel über drei bis zwölf Monate und besteht aus regelmäßigen Gesprächen. Coaching wird zunehmend nicht nur zur Lösung aktueller Probleme eingesetzt, sondern auch bei Führungs- und Persönlichkeitstrainings, die individuell auf die Führungskraft zugeschnitten sind. 675 Merkmale des Coachings sind: Beratungs- und Betreuungsaufgabe, die vom direkten Vorgesetzten, internen oder externen Beratern übernommen wird Coach ist eine anerkannte Persönlichkeit Coaching soll Impulse zur Selbsthilfe geben Ausrichtung auf Einzelpersonen oder kleine Zielgruppen Schwerpunkt ist die Vermittlung von Schlüssel- und Managementqualifikationen individuell angepasster und eher partnerschaftlicher Ablauf dient vornehmlich der Krisenbewältigung und Persönlichkeitsentwicklung 88.3.4.2.2 Abg renzung zu M entoring und Supervision Mit dem Coaching eng verwandt sind Mentoring und Supervision. Unter Mentoring versteht man die langfristige Begleitung einer Nachwuchskraft (Mentee) durch eine erfahrene, meist ältere Führungskraft, den Mentor. Grundvoraussetzung ist die 674 Vgl. Wolter (2018). 675 Vgl. Hörmann (2005), S. 68. 386 · 8 Personalentwicklung gegenseitige Achtung und Wertschätzung der beiden Beteiligten. Der Mentor ist Ansprechpartner bei der persönlichen Reflexion der aktuellen beruflichen Situation und der weiteren beruflichen Schritte. Er soll als Ratgeber, Freund und Vorbild fungieren. Auch die persönliche Entwicklung des Mentees ist in den Mentoring-Prozess in der Regel einbezogen. 676 Um seiner Aufgabe gerecht zu werden, muss ein Mentor über hohe soziale Kompetenzen verfügen, z.B. muss er bei beruflichen Problemen seines Mentees vermitteln und ihm Ratschläge und Hinweise geben, ohne ihn zu bevormunden oder gar zu kränken. Außerdem muss er seinem Mentee im richtigen Maße Lob und Anerkennung zuteilwerden lassen, um ihn zu motivieren. 677 Mentoring ist von vornherein auf einen längeren Zeitraum als das Coaching ausgerichtet und dauert zwischen zwei und fünf Jahre. Der Mentee soll schnell und sicher in neue Aufgaben hineinwachsen und die Werte und Handlungsmuster im Unternehmen verinnerlichen. Regelmäßige Kommunikation und Feedbacks zwischen Mentor und Mentee sollen den Erfolg dieser Entwicklung sicherstellen. Anfangs werden meist Treffen im Abstand von ca. vier bis sechs Wochen vereinbart. Im Laufe der Zeit vergrößern sich die Abstände, bis die Treffen schließlich weitgehend aufhören. Im Zentrum des Mentorings steht der Sozialisationsprozess des Mentees. Fachliche Betreuung oder kurzfristige Krisensituationen bilden hier nicht den Schwerpunkt. Eine besondere Form des Mentorings ist das Cross-Mentoring, bei dem Mentor und Mentee aus verschiedenen Unternehmen stammen. Dabei müssen die Unternehmenskulturen und Wertvorstellungen zusammenpassen. Bei der Supervision geht es um Orientierung und Zielerreichung im Arbeitsalltag. 678 Die eigene Art der Aufgabenbewältigung, der Umgang mit anderen Menschen und das Arbeitsverhalten werden kritisch beleuchtet und in den sozialen Zusammenhang des Unternehmens eingeordnet. So soll der Mitarbeiter ein besseres Verständnis der Probleme und Bedürfnisse von Kollegen, Mitarbeitern, Kunden und Lieferanten erlangen. Supervision dient insbesondere der Verbesserung von Kommunikations- und Arbeitsprozessen. Da Coaching in der betrieblichen Praxis größere Verbreitung als Mentoring und Supervision gefunden hat, konzentrieren sich die folgenden Ausführungen auf dieses Instrument der Personalförderung. 88.3.4.2.3 Anlä sse und Inha lte von Coa ching -Prozessen Die Gründe für den stark wachsenden Coaching-Bedarf sind sehr unterschiedlich. In einer immer komplexeren Umwelt reichen die Fähigkeiten einer Führungskraft oft nicht mehr aus, um alle Situationen erfolgreich zu bewältigen. Gleichzeitig setzt sich immer mehr die Erkenntnis durch, dass der langfristige Unternehmenserfolg nicht nur an die fachliche, sondern auch an die persönliche Entwicklung der Mitarbeiter geknüpft ist. 676 Vgl. Wegerich (2015), S. 51; Gmür/ Thommen (2011), S. 213. 677 Vgl. Hennige (2008), S. 20. 678 Vgl. Mudra (2004), S. 325. 8.3 Konzept der Personalentwicklung · 387 Diese Faktoren begünstigen die steigende Verbreitung des Coachings: 679 Die Führungsaufgaben werden immer komplexer. Die Mitarbeiter stellen heute höhere Ansprüche an ihre Vorgesetzten als früher. Das Führungspotenzial soll generell gefördert werden. Psychische und soziale Betreuung bei der Bewältigung schwieriger und komplexer Aufgaben sind heute sehr viel stärker gesellschaftlich akzeptiert als früher. Es gibt zunehmend professionelle Coaching-Angebote. Coaching Situation Beispiele Vorbereitung zur Übernahme neuer beruflicher Aufgaben Entsendung ins Ausland erstmalige Übernahme einer Führungsposition Übernahme anspruchsvollerer Aufgaben Änderungen durch interne Umstrukturierungen oder Unternehmenszusammenschlüsse Vertraut machen mit einer neuen Unternehmenskultur vermehrte Teamarbeit Änderung des Führungsstils Änderung der Personalpolitik Beseitigung individueller Defizite Verbesserung der Kommunikationsfähigkeit geringere Stressanfälligkeit erhöhte Konfliktlösungsfähigkeit erhöhte Bereitschaft zur Delegation Sicherheit bei repräsentativen Aufgaben Lebensanalyse und -gestaltung Karriereberatung Zeitmanagement Definition neuer Ziele und Werte private Krisen und/ oder Burnout Outplacement-Beratung Konflikte mit Kollegen oder Mitarbeitern Ablehnung als Teampartner Mobbing Implementierung neuer Managementkonzepte Einführung von Qualitätsmanagement Einführung von Zielvereinbarungen Einführung von Management-by-Konzepten Änderung der Organisationsstruktur Abb. 8-9: Wichtige Einsatzmöglichkeiten von Coaching 680 679 Vgl. Jung (2017), S. 552. 388 · 8 Personalentwicklung Die Anlässe für ein Coaching sind ebenso vielfältig wie die Probleme, die Vorgesetzte und Unternehmen bei der Aufgabenerfüllung und Zielerreichung haben. Abb. 8-9 gibt einen Überblick über wichtige Einsatzbereiche. In einer Studie von Kienbaum und dem Harvard Business Manager nannten die befragten Unternehmen als wichtigste Coaching-Inhalte: 681 Klärung aktueller Probleme in Führung und Management Unterstützung bei der Erarbeitung von Lösungsstrategien Verbesserung der Selbstwahrnehmung Steigerung der sozialen Kompetenzen Überraschenderweise wird Coaching in der Praxis auch häufig als Instrument zur Prozessbegleitung in schwierigen aktuellen Managementsituationen und zur Verbesserung von Entscheidungsverhalten eingesetzt. Es geht dabei also nicht um den Aufbau von langfristigen Kompetenzen, sondern eher um kurzfristig orientierte Betreuung 682 , was eigentlich nicht Ziel des Coachings ist. Es handelt sich dann eher um eine Art Supervision. Dieser Begriff ist allerdings in der Praxis kaum geläufig. Während sich der Coach langsam zu einer anerkannten Berufsgruppe entwickelt, können viele Unternehmen mit dem „Supervisor“ nichts anfangen. Sie rufen also auch, wenn sie Beistand bei nichtfachlichen, aktuellen Entwicklungsprozessen und Problemen brauchen, grundsätzlich nach Coaching und einem Coach, der sie unterstützt und dabei eigentlich die Aufgaben eines Supervisors übernimmt. 88.3.4.2.4 Form en und Pha sen des Coa ching s Die Formen des Coachings können nach vier Gesichtspunkten differenziert werden. Abb. 8-10 gibt einen Überblick. Formen des Coachings nach den Zielen nach den Zielgruppen nach der Anzahl der Coachees nach der Herkunft des Coachs Defizit-Coaching Präventiv-Coaching Potenzial-Coaching Führungskräfte-Coaching Nachwuchs-Coaching Mitarbeiter-Coaching Einzel-Coaching Gruppen-Coaching Externes Coaching Internes Coaching Hauptberufliche interne Coachs Führungskräfte als Coachs 680 Vgl. Mentzel (2012), S. 154; Olfert (2012), S. 484; Gorges (2005), S. 66 f. 681 Vgl. Kienbaum Management Consultants GmbH (2007). 682 Vgl. ebd. 8.3 Konzept der Personalentwicklung · 389 Abb. 8-10: Überblick über die Formen des Coachings Nach den Zielen des Coaching-Prozesses unterscheidet man zwischen Defizit-, Präventiv- und Potenzial-Coaching. Beim Defizit-Coaching soll eine aktuelle Problemsituation beseitigt werden, damit die Leistungsvorgaben des Unternehmens erreicht werden können. Präventiv- Coaching zielt auf die Vermittlung von Fähigkeiten, mit denen man das Auftreten von Problemen verhindern kann. Mit Potenzial-Coaching sollen die Mitarbeiter in die Lage versetzt werden, ihre bisher ungenützten Potenziale zu erkennen und einzusetzen. Wenn man die Zielgruppen des Coachings zur Differenzierung heranzieht, gelangt man zum Führungskräfte-, Nachwuchs- und Mitarbeiter-Coaching. Praktisch wird Coaching insbesondere für Führungskräfte im oberen und mittleren Management eingesetzt. Auch bei High Potentials wird es häufiger angewandt. Mitarbeiter-Coaching auf anderen Ebenen findet man selten. 683 Nach der Zahl der beteiligten Coachees wird zwischen Einzel- und Gruppen-Coaching unterschieden. Beim Gruppen-Coaching wird ein gesamtes Team gemeinsam gecoacht. Es geht dabei um die Aufarbeitung von Interaktionen und Interaktionsmustern in der Gruppe. So soll deren Selbststeuerungsfähigkeit verbessert werden. 684 Im Folgenden werden aufgrund der größeren praktischen Bedeutung die Formen und Phasen des Einzel-Coachings näher betrachtet. Außerdem differenziert man je nach der Herkunft des Coachs zwischen unternehmensexternen und internen Beratern. Coaching durch unternehmensexterne Berater wird eingesetzt, wenn interne Coachs nicht vorhanden sind oder bei Beratungen für meist höherrangige Führungskräfte, die aus verschiedenen Gründen nicht auf einen internen Coach zurückgreifen möchten. Interne Berater sind Angestellte des Unternehmens - meistens in einer Stabsfunktion -, die dieser Aufgabe hauptberuflich nachgehen. Auch Vorgesetzte, die ihre Mitarbeiter coachen, zählen dazu. Führungskräfte der oberen Hierarchieebenen erhalten intern kaum Feedback zu ihrem Verhalten. Ihre Mitarbeiter haben oft Bedenken, ihnen gegenüber Kritik zu äußern, da sie negative Reaktionen befürchten. Gleichgestellte Kollegen sprechen Probleme ebenfalls selten offen an, da sie einander oft als Konkurrenten ansehen, vor denen man sich keine Blöße geben will oder die es gar zu übertrumpfen gilt. Ein interner hauptamtlicher Coach steht in der Regel auf einer niedrigeren Hierarchieebene und wird deshalb meistens nicht akzeptiert. Der direkte Vorgesetzte scheidet ebenfalls normalerweise als Coach aus, da viele dieser Führungskräfte fürchten, er könnte Probleme, über die sie ihm berichten, als Unfähigkeit deuten. Vor allem hochrangige Führungskräfte können anstehende Veränderungen und berufliche oder private Probleme deshalb leichter mit einem externen als mit einem internen Coach besprechen. 685 Von einem unternehmensexternen Coach erwarten Führungskräfte zudem oft größere Professionalität und umfangreichere Erfahrung als von einem internen Berater, da sie anneh- 683 Vgl. Stock-Homburg (2013), S. 252. 684 Vgl. Jung (2017), S. 556. 685 Vgl. ebd., S. 553. 390 · 8 Personalentwicklung men, dass er bereits viele Branchen und Unternehmen kennengelernt und Lösungen mitgestaltet hat, die über den Horizont eines einzelnen Unternehmens hinausgehen. Häufig unterstellt man einem externen Coach auch eine höhere Bereitschaft, sich weiterzubilden und bei aktuellen Methoden und neuen Techniken auf dem Laufenden zu bleiben, da der Konkurrenzdruck bei selbständigen Coachs größer ist. Ein unternehmensinterner Coach ist meist Mitarbeiter auf einer mittleren Hierarchieebene. Oft kennen sich Coachee und Coach bereits aus gemeinsamen vorangegangenen Veranstaltungen. Der interne Coach ist mit der Arbeitssituation, der Organisation, der formalen und informalen Unternehmensstruktur und dem betrieblichen Umfeld seines Coachees vertraut, was in der Regel zu mehr Verständnis für dessen Probleme führt. Die Gründe, weshalb Coachees ein internes Coaching in Anspruch nehmen, sind dieselben wie bei der Inanspruchnahme eines externen Coachs. Gleichzeitig glauben Mitarbeiter aber häufig, dass ihre Informationen nicht vertraulich behandelt werden, da die Loyalität des internen Coachs nicht nur dem Coachee, sondern auch dem Unternehmen gilt. 686 Wird der interne Coach abseits der Personalabteilung in die Unternehmensstruktur eingeordnet, verringern sich diese Bedenken meistens. Eine Möglichkeit wäre beispielsweise, eine Stabsstelle einzurichten, die an den Vorstand oder die Geschäftsführung angehängt ist. Außerdem sollte der interne Coach den Eindruck von Professionalität und absoluter Diskretion vermitteln, um seine Akzeptanz zu erhöhen. 687 Es bleibt jedoch das Problem, dass Führungskräfte höherer Hierarchieebenen beim Coaching gleichgestellte Partner bevorzugen. Für die anderen Ebenen kann unternehmensinternes Coaching durchaus ein effizientes und kostengünstiges Instrument der Personalförderung sein. Coaching durch den Vorgesetzten umfasst alle geplanten, systematischen Maßnahmen, die ein Vorgesetzter ergreift, um seine Mitarbeiter zu fördern und zu motivieren. Es geht also nicht einfach nur um Gespräche miteinander, sondern um zielvolles, absichtliches Fördern. Voraussetzung für das Gelingen dieser Coaching-Form ist ein wirkliches Interesse der Führungskraft am Coaching und am Coachee. Sie muss sich ihrer Verantwortung für den Mitarbeiter bewusst sein und sich genügend Zeit für die Coaching-Gespräche nehmen. Dazu gehört, dass der Coach eigene Interessen zurückstellt und sich ganz auf den Coachee konzentriert. Dennoch sind viele Mitarbeiter gehemmt, wenn sie mit ihrem Vorgesetzten berufliche und möglicherweise private Probleme erörtern sollen. 688 Oft belasten auch Abhängigkeiten, Vorurteile und Konkurrenzdenken diese Coaching-Beziehung und behindern deshalb das notwendige gegenseitige Vertrauen. Coaching läuft in mehreren Phasen ab: 689 686 Vgl. Bröckermann (2012), S. 335. 687 Vgl. Gorges (2005), S. 66 f.; Jung (2017), S. 555. 688 Vgl. Jung (2017), S. 555. 689 Vgl. Klimecki/ Gmür (2005), S. 211 f.; Mentzel (2012), S. 159. 8.3 Konzept der Personalentwicklung · 391 Kontaktphase: Sie dient der Überprüfung, ob die gegenseitige Akzeptanz und das Vertrauen des Coachees in seinen Berater groß genug sind, um eine längerfristige Zusammenarbeit zu gewährleisten. Orientierungsphase: In der sich anschließenden Orientierungsphase analysieren die Beteiligten die Situation, wählen die relevanten Themen aus und definieren die zu behandelnden Probleme. Lösungssuche: Sie stellt den Kernbereich jedes Coaching-Prozesses dar. Es geht zunächst darum, welche Verhaltensweisen beibehalten, aufgegeben oder verändert werden sollen. Anschließend sucht man gemeinsam nach Lösungen, wie der Coachee weiter vorgehen soll. Nach einem zuvor festgelegten Zeitraum schließt sich ein Feedback- Gespräch an, bei dem geklärt wird, ob und wie der Coachee seine Aufgaben erfüllt hat. Auf dieser Grundlage vereinbaren die Beteiligten anschließend weitere Strategien und Verhaltensweisen. Umsetzungsphase: Hier wird das veränderte Verhalten angewandt bzw. erprobt. Bis zum Ende des Coaching-Prozesses werden die Phasen Lösungssuche und Umsetzung mehrfach durchlaufen. Evaluierungsphase: Das Coaching schließt mit einer Evaluierungsphase, in der die Beteiligten ein Resümee ziehen, welche Verhaltensweisen sich im Laufe des Coaching- Prozesses bewährt haben, und darüber entscheiden, ob das Coaching bei einem weiteren Problemfeld fortgesetzt werden soll. Da Coaching immer eine Beratung auf Zeit ist, ist es wichtig, dass sich der Coach am Ende der Beratung vom Coachee zurückzieht. Es kann sonst leicht geschehen, dass er weiterhin regelmäßig bei Problemen herangezogen wird, was verhindert, dass der Coachee selbständig entscheidet und handelt. Da es bislang keine allgemeingültige Theorie zum Coaching gibt, hängt seine Qualität entscheidend von der Qualität des Coachs ab. Seine individuellen Fähigkeiten, seine Professionalität und Diskretion sowie die von ihm eingesetzten Methoden entscheiden, ob diese PE- Maßnahme erfolgreich ist. 8.3.4.3 Exkurs: Arbeitsstrukturierung und Outplacement Auch die neueren Formen der Arbeitsstrukturierung wie Job Enlargement, Job Enrichment, Job Rotation und teilautonome Arbeitsgruppen gehören zu den Personalfördermaßnahmen. In erster Linie dienen sie zwar der besseren Unternehmenszielerreichung, man verspricht sich durch die Änderungen der Arbeitsstrukturierung vor allem Produktivitätssteigerungen, Kostensenkungen, Qualitätsverbesserungen und größere Flexibilität. Gleichzeitig sollen sie sich auf der Mitarbeiterseite positiv auf die Identifikation mit den Aufgaben und die Steigerung der Arbeitszufriedenheit auswirken. Daneben können diese Maßnahmen auch unter dem Blickwinkel der Personalentwicklung betrachtet werden. Die Umstrukturierung der Tätigkeiten und die neue Definition des Aufgabenfeldes vergrößern den Handlungsspielraum des Mitarbeiters und bieten ihm die Möglichkeit, sein Wissen und Können zu erweitern und sein Verhalten zielorientiert zu verändern und an die Neuerungen anzupassen. Seine Qualifikation und sein Potenzial werden erhöht 392 · 8 Personalentwicklung bzw. besser genutzt. Eine Darstellung der Formen der Arbeitsstrukturierung findet sich in Kapitel 6. Auch das Outplacement wird in der Literatur des Öfteren unter den Personalfördermaßnahmen aufgeführt, obwohl es sich eigentlich in erster Linie um ein Instrument der Personalfreisetzung handelt, dessen Ziel es ist, sich von einem Mitarbeiter auf eine sozialverträgliche Art und Weise zu trennen. Das Unternehmen bietet mit dem Outplacement eine Trennung an, bei der der Mitarbeiter für Bewerbungssituationen fit