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Finanzmärkte

Grundlagen, Instrumente, Zusammenhänge

0513
2019
978-3-8385-8759-2
978-3-8252-8759-7
UTB 
Prof. Dr. Klaus Spremann
Prof. Dr. Pascal Gantenbein

Finanzmärkte sind inzwischen zu einem bedeutenden Phänomen der modernen Gesellschaft geworden. Märkte für Kapital, also für Finanzkontrakte, stehen im Herzen der Finanzwirtschaft eines jeden Landes. Finanzmärkte stehen allen Anlegern offen. Und nur durch diese Offenheit gegenüber der Allgemeinheit können die Mittel zusammenkommen, die von den Unternehmen und vom Staat für Investitionen benötigt werden. Die Autoren bieten in diesem Lehrbuch eine sehr verständliche Einführung und behandeln grundlegende Fragen, um das Verständnis für die komplexen Zusammenhänge zu ermöglichen: Warum gibt es überhaupt Finanzmärkte? Wer sind die wichtigen Teilnehmer an diesen Märkten? Nach welchen Gesichtspunkten bilden sie ihre Portfolios? Welches sind die wichtigen Märkte für Zinsinstrumente und für Aktien? Welche wichtigen Eigenschaften haben Derivate wie Swaps, Futures und Optionen?

<?page no="1"?> Eine Arbeitsgemeinschaft der Verlage Böhlau Verlag · Wien · Köln · Weimar Verlag Barbara Budrich · Opladen · Toronto facultas · Wien Wilhelm Fink · Paderborn Narr Francke Attempto Verlag · Tübingen Haupt Verlag · Bern Verlag Julius Klinkhardt · Bad Heilbrunn Mohr Siebeck · Tübingen Ernst Reinhardt Verlag · München Ferdinand Schöningh · Paderborn Eugen Ulmer Verlag · Stuttgart UVK Verlag · München Vandenhoeck & Ruprecht · Göttingen Waxmann · Münster · New York wbv Publikation · Bielefeld utb 8516 <?page no="3"?> Klaus Spremann / Pascal Gantenbein Finanzmärkte Grundlagen und Zusammenhänge 5., überarbeitete Auflage UVK Verlag · München <?page no="4"?> Anschriften der Verfasser: Professor Dr. Dr.h.c. Klaus Spremann und Professor Dr. Pascal Gantenbein, MRICS. Klaus Spremann ist Professor Emeritus der Universität St. Gallen und dort dem Schweizerischen Institut für Banken und Finanzen verbunden, Unterer Graben 21, CH-9000 St. Gallen, Schweiz. Pascal Gantenbein ist Professor für Finanzmanagement an der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Universität Basel und Inhaber der Henri-B.-Meier-Stiftungsprofessur, Peter-Merian-Weg 6, CH-4002 Basel. E-Mail: klaus.spremann@unisg.ch und pascal.gantenbein@unibas.ch Online-Angebote oder elektronische Ausgaben sind erhältlich unter www.utb-shop.de. Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über <http: / / dnb.ddb.de> abrufbar. Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. © UVK Verlagsgesellschaft mbH, Konstanz und München 2019 - ein Unternehmen der Narr Francke Attempto Verlag GmbH & Co. KG Einbandgestaltung: Atelier Reichert, Stuttgart Coverbild: © womue - Fotolia.com Druck und Bindung: Pustet, Regensburg UVK Verlag Nymphenburger Straße 48 · 80335 München Tel. 089/ 452174-65 www.uvk.de Narr Francke Attempto Verlag GmbH & Co. KG Dischingerweg 5 · 72070 Tübingen Tel. 07071/ 9797-0 www.narr.de UTB-Nr. 8516 ISBN : 978-3-8252-8759-7 <?page no="5"?> Zu diesem Buch Gegenstand Finanzmärkte Märkte haben fundamentale Bedeutung im Wirtschaftsleben. Neben den Märkten der Realwirtschaft, wie den Märkten für Güter und für Arbeit, werden auch viele der in der Finanzwirtschaft betrachteten Objekte wie Wertpapiere, Kredite, Beteiligungen und Rechte an Investitionen über Märkte oder auf marktähnliche Weise als Verträge abgeschlossen und weitergegeben. Zu den konkreten Organisationen, die das Marktgeschehen für Wertpapiere abwickeln, gehören die Börsen. Doch auch Intermediäre, besonders Banken, Versicherungen, Fonds und Kapitalanlagegesellschaften tragen das Geschehen an den Finanzmärkten. Die Finanzmärkte, Börsen, Banken, Intermediäre sind über die Zeiten hinweg beständig gewachsen, teils sogar schneller als die Realwirtschaft mit der Produktion und der Distribution von Gütern. Entsprechend hat sich die Finanzwirtschaft (Finance) neben BWL und VWL zu einem großen Gebiet der Wirtschaftswissenschaften entwickelt. Im Zentrum der Finanzwirtschaft stehen die Finanzmärkte und die Parteien und Akteure, die das Geschehen an den Finanzmärkten tragen und beeinflussen: Finanzinvestoren, Unternehmen, Banken sowie der Staat mit der Aufnahme von Finanzmitteln. Finanzmärkte bewerkstelligen mehrere Grundfunktionen: Erstens die Allokation von Kapital. Sie bringen Sparer und Anleger einerseits und die sich finanzierenden Unternehmungen und den sich verschuldenden Staat andererseits zusammen. Der Kapitalallokation dienen vorrangig Anleihen und Aktien. Zweitens die Diversifikation und die Weitergabe von Risiken. Das geschieht durch die Bildung von Portfolios sowie durch den Einsatz von Derivaten, also von Finanzkontrakten wie Futures und Optionen. Drittens die Erzeugung von Informationen für wirtschaftliche Entscheidungen. Durch die Preisbildung an den Finanzmärkten wird offengelegt, wie die am Marktgeschehen teilnehmenden Akteure in ihrer Mehrheit die wirtschaftliche Zukunft einschätzen und bewerten. Diese Information ist dann für viele Entscheidungen nützlich, und zwar nicht nur für die Anlage oder die Aufnahme von Kapital. Die finanziellen Informationen beeinflussen die Entscheidungen, die in der Realwirtschaft getroffen werden. Die Informationserzeugung ist in den einzelnen Segmenten der Finanzmärkte unterschiedlich schnell und genau. Besonders effizient ist die Informationserzeugung in den Märkten für Derivate, wogegen sie in einigen Vermögensmärkten wie etwa dem für Immobilien langsamer und ungenauer ist. Die Grundfunktionen der Kapitalallokation, des Risikotransfers und der Informationserzeugung stehen im Mittelpunkt einer jeden Befassung mit Finanzmärkten. <?page no="6"?> 6 Zu diesem Buch Real- und Finanzwirtschaft Die Lehr- und Wissensgebiete der Finanzwirtschaft und der Finanzmärkte haben enorme praktische Bedeutung in Wirtschaft und Gesellschaft. Das Verständnis für Finanzkontrakte und dafür, welche Finanzmärkte es gibt und wie sie funktionieren, ist grundlegend für die Arbeit in Banken, Versicherungen und den anderen Einrichtungen im Finanzsektor der Wirtschaft. Der Finanzsektor trägt erheblich zur Wertschöpfung eines Landes bei. Zudem stehen Finanzmärkte im Zentrum der Entscheidungen von Unternehmen über das Budget, über die Investitionsprojekte und die für sie nötigen Finanzierungen. Damit strahlen die Finanzmärkte auf Produktion, Distribution sowie auf Innovation und Wachstum aus und somit wiederum auf die Arbeitsplätze. Für Unternehmen werden auch große Veränderungen durch Akquisitionen, Verschmelzungen und die Reorganisation durch die Finanzmärkte beeinflusst. Letztlich üben die Finanzmärkte eine Steuerung der gesamten Wirtschaft aus. Selbstverständlich gibt es nicht nur eine Wirkung der Finanzwirtschaft auf die Realwirtschaft, sondern ebenso eine Wirkung der Realwirtschaft auf die Finanzwirtschaft. Doch die Frage bei einer wechselseitigen Beziehung ist immer, welcher der verbundenen Teile eines Ganzen der Größere und Kräftigere ist. Vor Jahrzehnten war die Realwirtschaft dominant und die Finanzwirtschaft war damals klein und gleichsam ein folgsamer Diener. Heute ist die Finanzwirtschaft groß und daher ziemlich bestimmend. Dabei achten die Finanzakteure nicht allein auf die Beeinflussung des realen Wirtschaftsgeschehens. Die Finanzakteure entfalten ein an ihren finanziellen Interessen ausgerichtetes Eigenleben. Die Transaktionen haben nicht immer das Ziel, der Realwirtschaft einen Dienst zu erweisen. Nicht alle Gruppen der Gesellschaft nehmen das kritiklos hin. Auch aufgrund dieses heutigen Verhältnisses zwischen Realwirtschaft und Finanzwirtschaft ist es lohnend und wichtig, sich mit Finanzmärkten zu befassen. Lehre Dieses Buch führt in die Finanzmärkte und damit in den Kern der Finanzwirtschaft ein. Das Lehrbuch ist für Studierende in den Anfangssemestern geschrieben und hat sich für diesen Leserkreis bewährt. Die Orientierung an Lernzielen folgt dem üblichen Aufbau der Lehrveranstaltungen auf der Bachelor-Stufe unserer Hochschulen. Außerdem ist das Buch für die Executive Education gedacht und bietet die Möglichkeit, einzelne Kapitel auszuwählen. Fragen mit Antworten bereiten auf Prüfungen vor. Das Glossar am Buchende zeigt die Begriffe, die das Buch vermittelt, und es unterstützt die Anfertigung von Lernkarten. Die Autoren freuen sich über die positive Aufnahme der bisherigen Auflagen. Für die vorliegende 5. Auflage haben wir den Text verbessert und die Abbildungen ebenso wie die Tabellen aktualisiert. Das Glossar der Grundbegriffe und die Liste der Fragen wurden erweitert. Wo die Antwort sich nicht bereits aus dem Text ergibt, sind die Lösungen angegeben. Die Fragen unterstützen die Kontrolle der Lernziele. Das nachstehende Inhaltsverzeichnis zeigt die behandelten Themen im Einzelnen. Sie entsprechen dem üblichen Standard: Sie reichen von einer einführenden Darstellung der Finanzmärkte über Banken und Börsen zu Themen wie Rendite, Portfolio und Kapital- <?page no="7"?> Zu diesem Buch 7 struktur. Es folgen sodann Kapitel über Zinsinstrumente (Anleihen, Geldmarktpapiere), über Aktien und über Derivate (wie Swaps, Futures und Optionen). Das letzte Kapitel behandelt Finanzkrisen. Jedes Kapitel eignet sich für eine Doppelstunde im Plenum. Eine Konklusion rekapituliert die wichtigsten Aussagen, enthält die Verzeichnisse sowie das als Lernkasten gedachte Glossar. St. Gallen und Basel, April 2019 K. Spremann und P. Gantenbein <?page no="9"?> Inhalt 1. Kapitel: Finanzwirtschaft ................................................................................................. 17 1.1 Realkapital und Finanzkapital ............................................................................. 18 1.1.1 Realwirtschaft, Märkte und Geld ........................................................................ 18 1.1.2 Geld als gemeinsamer Nenner ............................................................................ 20 1.1.3 Arbitragefreiheit .................................................................................................... 23 1.1.4 Eigen- und Fremdkapital ..................................................................................... 25 1.2 Finanzierung .......................................................................................................... 26 1.2.1 Außen- und Innenfinanzierung........................................................................... 26 1.2.2 Einfluss der Gesamtsituation .............................................................................. 28 1.3 Kapitalallokation ................................................................................................... 29 1.3.1 Finanzierungsbedarf ............................................................................................. 29 1.3.2 Anlagewunsch ....................................................................................................... 30 1.3.3 Wertpapiere............................................................................................................ 31 1.4 Vom Geld hin zu Finanzmärkten ...................................................................... 32 1.4.1 Geld und Staatsaufgaben ..................................................................................... 32 1.4.2 Geldfunktionen ..................................................................................................... 33 1.4.3 Marktfähigkeit ....................................................................................................... 34 1.5 Fazit des Kapitels Finanzwirtschaft ....................................................................... 35 1.5.1 Zusammenfassung ................................................................................................ 35 1.5.2 Lernpunkte............................................................................................................. 35 1.5.3 Erwähnte Personen .............................................................................................. 36 1.5.4 Schlüsselbegriffe.................................................................................................... 36 1.5.5 Fragen zur Lernstandskontrolle .......................................................................... 36 2. Kapitel: Liquidität und Effizienz........................................................................... 37 2.1 Liquidität ................................................................................................................ 38 2.1.1 Liquidität und Kapitalismus ................................................................................ 38 2.1.2 Ein Gedankenexperiment.................................................................................... 40 2.2 Informationserzeugung........................................................................................ 42 2.2.1 Primärmarkt und Sekundärmarkt ....................................................................... 42 2.2.2 Underwriting.......................................................................................................... 44 2.2.3 Basis für Entscheidungen .................................................................................... 46 2.3 Ideale Finanzmärkte ............................................................................................. 48 2.3.1 Nochmals Arbitragefreiheit ................................................................................. 48 <?page no="10"?> 10 Inhalt 2.3.2 Vollständigkeit und „Thickness“ ........................................................................ 50 2.3.3 Wert ........................................................................................................................ 52 2.3.4 Informationseffizienz ........................................................................................... 53 2.4 Liquidität, Kapitalismus und Krisenanfälligkeit ............................................... 55 2.4.1 Liquidität erzeugt Substitutionsmöglichkeiten.................................................. 55 2.4.2 Gleichgerichtete Transaktionen .......................................................................... 56 2.5 Fazit zum Kapitel Liquidität und Effizienz .......................................................... 57 2.5.1 Zusammenfassung ................................................................................................ 57 2.5.2 Lernpunkte............................................................................................................. 58 2.5.3 Schlüsselbegriffe.................................................................................................... 59 2.5.4 Fragen zur Lernstandskontrolle .......................................................................... 59 3. Kapitel: Banken und Börsen ................................................................................... 61 3.1 Intermediäre........................................................................................................... 61 3.1.1 Transaktionskosten............................................................................................... 61 3.1.2 Finanzintermediäre ............................................................................................... 63 3.1.3 Börsen..................................................................................................................... 65 3.1.4 Makler und Market-Maker ................................................................................... 67 3.1.5 Laufzeiten und Euromarkt .................................................................................. 70 3.1.6 Private versus Public ............................................................................................ 72 3.2 Wichtige Handelsplätze........................................................................................ 74 3.2.1 Großbritannien...................................................................................................... 74 3.2.2 USA ........................................................................................................................ 74 3.2.3 Deutschland........................................................................................................... 76 3.2.4 Schweiz................................................................................................................... 76 3.2.5 Weltweite Entwicklung 1970............................................................................... 77 3.2.6 Clearing und Settlement ....................................................................................... 79 3.2.7 Größenvorteile ...................................................................................................... 80 3.3 Fazit des Kapitels Banken und Börsen .................................................................. 81 3.3.1 Zusammenfassung ................................................................................................ 81 3.3.2 Lernpunkte............................................................................................................. 82 3.3.3 Erwähnte Personen .............................................................................................. 82 3.3.4 Schlüsselbegriffe.................................................................................................... 82 3.3.5 Fragen zur Lernstandskontrolle .......................................................................... 82 4. Kapitel: Dominanz der Finanzwirtschaft? .......................................................... 85 4.1 Drei Phasen............................................................................................................ 88 4.1.1 Finanzwirtschaft dient der Realwirtschaft ......................................................... 88 4.1.2 Finanzen und Wirtschaft als Partner .................................................................. 89 4.1.3 Dominanz der Finanzwirtschaft ......................................................................... 91 <?page no="11"?> 11 4.2 Wirtschaftswachstum anregen? .......................................................................... 92 4.2.1 Wer übernimmt? ................................................................................................... 92 4.2.2 Wohlfahrt durch Selektion................................................................................... 93 4.3 Fazit zum Kapitel Dominanz der Finanzwirtschaft? .............................................. 94 4.3.1 Zusammenfassung ................................................................................................ 94 4.3.2 Lernpunkte............................................................................................................. 94 4.3.3 Erwähnte Personen .............................................................................................. 95 4.3.4 Schlüsselbegriffe.................................................................................................... 95 4.3.5 Fragen zur Lernstandskontrolle .......................................................................... 95 5. Kapitel: Die Rendite .................................................................................................. 97 5.1 Zufall....................................................................................................................... 98 5.1.1 Zinsniveau und Rendite ....................................................................................... 98 5.1.2 Vor- oder Nachsteuerrendite? ........................................................................... 101 5.1.3 Historische Renditen .......................................................................................... 102 5.2 Renditeerwartung und Risiko............................................................................ 105 5.2.1 Verteilungsparameter.......................................................................................... 105 5.2.2 Risiko .................................................................................................................... 107 5.2.3 Risikoprämie ........................................................................................................ 108 5.3 Langfristige und kurzfristige Erwartungen ..................................................... 112 5.3.1 Finanzanalyse....................................................................................................... 112 5.3.2 Eine Paradoxie .................................................................................................... 113 5.4 Fazit des Kapitels Die Rendite ............................................................................ 115 5.4.1 Zusammenfassung .............................................................................................. 115 5.4.2 Lernpunkte........................................................................................................... 115 5.4.3 Erwähnte Personen ............................................................................................ 115 5.4.4 Schlüsselbegriffe.................................................................................................. 116 5.4.5 Fragen zur Lernstandskontrolle ........................................................................ 116 6. Kapitel: Portfolio-Selektion ....................................................................................117 6.1 Markowitz ............................................................................................................ 118 6.1.1 Portfolio und Kapitalstruktur............................................................................ 118 6.1.2 Portfolio-Selektion.............................................................................................. 119 6.1.3 Risk-Return-Diagramm...................................................................................... 120 6.2 Tobin..................................................................................................................... 124 6.2.1 Kapitalmarktlinie................................................................................................. 124 6.2.2 Marktportfolio..................................................................................................... 126 6.2.3 Anlageberatung, Portfoliomanagement und Investmentfonds..................... 127 6.2.4 Portfolios mit Währungsrisiken ........................................................................ 128 6.3 Portfoliotheorie, Risk-Ruler und Robo-Advice ............................................. 130 <?page no="12"?> 12 Inhalt 6.3.1 Rekapitulation...................................................................................................... 130 6.3.2 Folgen für die Vermögensverwaltung .............................................................. 132 6.3.3 Robo-Advice........................................................................................................ 133 6.4 Fazit des Kapitels Portfolio-Selektion................................................................... 135 6.4.1 Zusammenfassung .............................................................................................. 135 6.4.2 Lernpunkte........................................................................................................... 136 6.4.3 Erwähnte Namen................................................................................................ 136 6.4.4 Schlüsselbegriffe.................................................................................................. 136 6.4.5 Fragen zur Lernstandskontrolle ........................................................................ 136 7. Kapitel: Die Kapitalstruktur .................................................................................. 139 7.1 Unternehmensfinanzierung ............................................................................... 140 7.1.1 Sollten Kapitalverwender diversifizieren? ........................................................ 140 7.1.2 Irrelevanz der Kapitalstruktur: Modigliani und Miller ................................... 142 7.1.3 Leverage-Effekt................................................................................................... 143 7.1.4 Voraussetzungen ................................................................................................. 146 7.2 Tradeoff, Agency und Hackordnung............................................................... 147 7.2.1 Tradeoff-Ansatz .................................................................................................. 147 7.2.2 Agency-Theorie: Jensen und Meckling ............................................................ 150 7.2.3 Hackordnung: Myers und Majluf...................................................................... 152 7.3 Anstreben einer Ziel-Kapitalstruktur............................................................... 154 7.4 Fazit zum Kapitel Die Kapitalstruktur ............................................................... 155 7.4.1 Zusammenfassung .............................................................................................. 155 7.4.2 Lernpunkte........................................................................................................... 156 7.4.3 Erwähnte Namen................................................................................................ 156 7.4.4 Schlüsselbegriffe.................................................................................................. 156 7.4.5 Fragen zur Lernstandskontrolle ........................................................................ 157 8. Kapitel: Anleihen ...................................................................................................... 159 8.1 Zinsstruktur und ihre Determinanten ............................................................. 160 8.1.1 Determinanten der Zinsstruktur und Zinsstrukturtypen .............................. 160 8.1.2 Bewertung von Zinsinstrumenten .................................................................... 163 8.1.3 Determinanten der Zinsstruktur....................................................................... 164 8.2 Geldpolitik, Inflation und Deflation................................................................ 166 8.2.1 Geldpolitik ........................................................................................................... 166 8.2.2 Inflation................................................................................................................ 170 8.2.3 Deflation .............................................................................................................. 172 8.3 Unkonventionelle Geldpolitik .......................................................................... 173 8.3.1 Lehren aus der Krise .......................................................................................... 173 8.3.2 Konventionelle und unkonventionelle Geldpolitik........................................ 176 <?page no="13"?> 13 8.4 Diversität von Zinsinstrumenten ..................................................................... 179 8.4.1 Schuldner und Klauseln im Kreditvertrag ....................................................... 179 8.4.2 Zerobonds und Perpetuals ................................................................................ 180 8.4.3 Floating Rate Notes (FRN) ............................................................................... 182 8.4.4 Eurobonds ........................................................................................................... 183 8.4.5 Wandelanleihen (Convertibles) ......................................................................... 184 8.4.6 Inflation-Linked-Bonds...................................................................................... 186 8.5 Fazit des Kapitels Zinsinstrumente ...................................................................... 189 8.5.1 Zusammenfassung .............................................................................................. 189 8.5.2 Lernpunkte........................................................................................................... 190 8.5.3 Erwähnte Personen ............................................................................................ 190 8.5.4 Schlüsselbegriffe.................................................................................................. 191 8.5.5 Fragen zur Lernstandskontrolle ........................................................................ 191 9. Kapitel: Das Zinsrisiko ........................................................................................... 193 9.1 Duration ............................................................................................................... 194 9.1.1 Kursrisiko.............................................................................................................194 9.1.2 Die Duration ....................................................................................................... 196 9.1.3 Zinsswaps............................................................................................................. 198 9.1.4 Tom-Next-Index-Swaps .................................................................................... 199 9.1.5 Zinsterminkontrakte ........................................................................................... 200 9.2 Zinsen und Wechselkurse.................................................................................. 201 9.2.1 Paritätstheoreme ................................................................................................. 201 9.2.2 Aufwertungen und Abwertungen ..................................................................... 203 9.2.3 Währungsreform in China ................................................................................. 204 9.3 Kreditrisiken ........................................................................................................ 207 9.3.1 Default.................................................................................................................. 207 9.3.2 Basel II und III.................................................................................................... 209 9.3.3 Kreditderivate...................................................................................................... 212 9.4 Trilemmata ........................................................................................................... 213 9.4.1 Das Mundell-Fleming-Trilemma ...................................................................... 213 9.4.2 Das Trilemma der Globalisierung und das des Arbeitsmarktes ................... 215 9.5 Fazit zum Kapitel Das Zinsrisiko ....................................................................... 217 9.5.1 Zusammenfassung .............................................................................................. 217 9.5.2 Lernpunkte........................................................................................................... 218 9.5.3 Erwähnte Personen ............................................................................................ 218 9.5.4 Schlüsselbegriffe..................................................................................................219 9.5.5 Fragen zur Lernstandskontrolle ........................................................................ 219 <?page no="14"?> 14 Inhalt 10. Kapitel: Aktien ......................................................................................................... 221 10.1 Rechtsformen und Aktien ................................................................................ 222 10.1.1 Eigner und Fremde .......................................................................................... 222 10.1.2 Rechtsformen und Arten von Aktien ............................................................ 223 10.2 Risikofaktoren .................................................................................................... 225 10.2.1 Benjamin Graham............................................................................................. 225 10.2.2 Value oder Growth? ......................................................................................... 227 10.2.3 Nochmals Markowitz und Tobin ................................................................... 230 10.2.4 Kaufen und Halten ........................................................................................... 231 10.2.5 Mehrere Risikofaktoren ................................................................................... 232 10.2.6 Bilanzrisiken ...................................................................................................... 234 10.3 Fazit des Kapitels Aktien .................................................................................. 236 10.3.1 Zusammenfassung ............................................................................................ 236 10.3.2 Lernpunkte ........................................................................................................ 237 10.3.3 Erwähnte Personen .......................................................................................... 237 10.3.4 Schlüsselbegriffe ............................................................................................... 237 10.3.5 Fragen zur Lernstandskontrolle...................................................................... 238 11. Kapitel: Faktormodelle.......................................................................................... 239 11.1 Grundlagen ......................................................................................................... 240 11.1.1 Wozu Faktormodelle? ...................................................................................... 240 11.1.2 Indizes ................................................................................................................ 240 11.1.3 Einfaktor-Modell .............................................................................................. 242 11.2 Das CAPM.......................................................................................................... 243 11.2.1 Zum Capital Asset Pricing Model (CAPM) .................................................. 243 11.2.2 CAPM und SML ............................................................................................... 245 11.2.3 Zur empirischen Validität................................................................................ 247 11.3 Aktien- und Bondmärkte zusammen.............................................................. 250 11.3.1 Veränderungen der Relation zwischen Aktien und Bonds ......................... 250 11.3.2 Decoupling zwischen Aktien und Bonds ...................................................... 252 11.4 Fazit zum Kapitel Faktormodelle ....................................................................... 254 11.4.1 Zusammenfassung ............................................................................................ 254 11.4.2 Lernpunkte ........................................................................................................ 255 11.4.3 Erwähnte Personen .......................................................................................... 255 11.4.4 Schlüsselbegriffe ............................................................................................... 255 11.4.5 Fragen zur Lernstandskontrolle...................................................................... 255 12. Kapitel: Swaps, Futures, Optionen ................................................................... 257 12.1 Hedging ............................................................................................................... 257 12.1.1 Die Kapitalanlage ausklammern ..................................................................... 257 <?page no="15"?> 15 12.1.2 Swaps, Futures, Optionen ............................................................................... 259 12.2 Swaps und Terminkontrakte ............................................................................ 261 12.2.1 Zinsswaps .......................................................................................................... 261 12.2.2 Währungsswaps ................................................................................................ 262 12.2.3 Terminkontrakte ............................................................................................... 263 12.2.4 Devisenterminkontrakt im Zahlenbeispiel .................................................... 266 12.3 Optionen ............................................................................................................. 268 12.3.1 Das Wahlrecht................................................................................................... 268 12.3.2 Black-Scholes-Formel ...................................................................................... 268 12.4 Fazit des Kapitels Swaps, Futures, Optionen...................................................... 272 12.4.1 Lernpunkte ........................................................................................................ 273 12.4.2 Erwähnte Personen .......................................................................................... 274 12.4.3 Schlüsselbegriffe ............................................................................................... 274 12.4.4 Fragen zur Lernstandskontrolle...................................................................... 274 13. Kapitel: Financial Engineering .......................................................................... 275 13.1 Strukturierte Produkte ...................................................................................... 276 13.1.1 Stile und Themen als Strukturiertes Produkt ................................................ 276 13.1.2 Zertifikate, Kapitalschutz und Maximalrendite ............................................ 277 13.2 Hedge-Funds ...................................................................................................... 278 13.3 Zur Preisbildung ................................................................................................ 280 13.4 Fazit zum Kapitel Financial Engineering............................................................ 281 13.4.1 Zusammenfassung ............................................................................................ 281 13.4.2 Lernpunkte ........................................................................................................ 282 13.4.3 Erwähnte Personen .......................................................................................... 282 13.4.4 Schlüsselbegriffe ............................................................................................... 282 13.4.5 Fragen zur Lernstandskontrolle...................................................................... 282 14. Kapitel: Finanzkrisen ............................................................................................ 283 14.1 Krisen .................................................................................................................. 284 14.1.1 Eine Begriffsfindung ........................................................................................ 284 14.1.2 Von Störung zu Katastrophe .......................................................................... 284 14.1.3 Vier Beispiele für Finanzkrisen der Stärke 1 ................................................. 286 14.2 Globale und tiefere Krisen ............................................................................... 290 14.2.1 Krisen der Stärke 2 ........................................................................................... 290 14.2.2 Eine Krise der Stärke 3 .................................................................................... 294 14.3 Ursachenforschung............................................................................................ 295 14.3.1 „Boom and Bust“ ............................................................................................. 295 14.3.2 Marx, Keynes und Minsky............................................................................... 297 14.4 Fazit zum Kapitel Finanzkrisen......................................................................... 299 <?page no="16"?> 16 Inhalt 14.4.1 Zusammenfassung ............................................................................................ 299 14.4.2 Lernpunkte ........................................................................................................ 300 14.4.3 Erwähnte Namen.............................................................................................. 300 14.4.4 Schlüsselbegriffe ............................................................................................... 300 14.4.5 Fragen zur Lernstandskontrolle...................................................................... 300 15. Konklusion zum Thema Finanzmärkte........................................................... 303 15.1 Fünf Hauptbotschaften .................................................................................... 304 15.2 Literatur ............................................................................................................... 307 15.3 Glossar als Lernkasten ...................................................................................... 307 Register ....................................................................................................................................... 325 <?page no="17"?> 1. Kapitel: Finanzwirtschaft Vor zehntausend Jahren hat sich die menschliche Gesellschaft sprunghaft weiterentwickelt (neolithische Revolution). Die Menschen hörten auf, in Sippen als Jäger und Sammler herumzuziehen. Sie wurden sesshaft, rodeten die Wälder, bauten Hütten für kleinere Familien. Ackerbau, Tierhaltung, die Vorratswirtschaft und damit verbunden planerische Überlegungen begannen. Eigentum (umfassendste Verfügungsrechte) wurde vom Besitz (Verwendungsrechte) unterschieden. Geschenke und Gegengeschenke waren üblich. Vorstellungen von deren Wert haben sich entwickelt, und die Gleichwertigkeit von Geschenken und Gegengeschenken wurde zum Gebot. Später entwickelten sich Tausch und Handel, sodass Arbeitsteilung und Spezialisierung beginnen konnten. Der Tausch wird durch Geld erleichtert, und die Produktion wird durch Investitionen gefördert. Um etwas einzusetzen, so wie das bei Investitionen geschieht, müssen vielfach die Ressourcen erst besorgt werden. Dazu dienen Kredite und die Beteiligung weiterer Personen. Sie dienen der Finanzierung. So finden sich das Geld, Finanzierungen und Investitionen, letztlich das Kapital, bereits seit früher Menschheitsgeschichte. Geld und Kapital, Finanzierungen und Investitionen stehen im Zentrum der Finanzwirtschaft. Im Kern geht es um Einrichtungen und Verträge, die Zahlungen in der Zukunft bewerkstelligen oder vorsehen. Ein wichtiges Beispiel ist der Kredit. Die eine Seite, der Schuldner, verpflichtet sich, die Zahlungen zu leisten, während sie die andere Vertragspartei, der Gläubiger, erhalten sollte. Dafür gibt der Gläubiger dem Schuldner zu Beginn der Laufzeit des Vertrags den Kreditbetrag. Ein ganz ähnlicher Finanzvertrag ist die Beteiligung. Hier tätigt die eine Vertragsseite eine Einlage und sie erhält dafür in der Zukunft Rückflüsse, deren Höhe indes vom Verlauf der Geschäfte abhängen. Um sie zu beeinflussen, erhält der Beteiligte gewisse Entscheidungsrechte. Solche Finanzpositionen kauft, wer die späteren Rückzahlungen erhalten möchte. Viele dieser Finanzverträge sind so gestaltet, dass die Zahlungsansprüche und eventuell die Entscheidungsrechte weiterverkauft werden können. Bei solchen Transaktionen helfen Banken und Versicherungen, oder sie finden über Finanzmärkte statt. Finanzmärkte leisten vier Grundfunktionen: Erstens die Kapitalallokation: Finanzmärkte bringen Anleger und Finanzinvestoren einerseits und die sich finanzierenden Unternehmungen und den Staat andererseits zusammen. Dieser Kapitalallokation dienen Kredite und Beteiligungen oder die ihnen entsprechenden Wertpapiere, also Anleihen und Aktien. Zweitens die Risikobewältigung: Finanzmärkte ermöglichen den Transfer von Risiken und sie erlauben die Diversifikation durch Bildung von Portfolios, in denen Risiken teilweise zum Ausgleich kommen. Für den Transfer, die Weitergabe von Risiken sind spezielle Finanzkontrakte geschaffen worden, sogenannte Derivate, wie vor allem Futures und Optionen. Drittens die Selektion: Finanzanleger und die an Finanzmärkten tätigen Intermediäre wählen bessere Investitionen aus und vermeiden schlechtere. Davon geht eine starke Disziplinierung der Kapitalverwender aus. Die Kapitalverwender müssen sich den Wünschen <?page no="18"?> 18 1. Kapitel: Finanzwirtschaft und den (marktüblichen) Ansprüchen der Kapitalanleger stellen. Und ähnlich zur Selektion in der Natur führt die Selektion an den Finanzmärkten zu evolutionärer Verbesserung. Viertens die Informationserzeugung: Die Preisbildung an den Finanzmärkten zeigt in zusammengefasster, aggregierter Form, wie die Allgemeinheit der am Marktgeschehen teilnehmenden Personen und Finanzinstitutionen die wirtschaftliche Zukunft aktuell einschätzt und bewertet. Grundfunktionen der Finanzmärkte Wie bewerkstelligt? Kapitalallokation Anleger / Finanzinvestoren werden mit Kapitalverwendern (Unternehmungen, Staat) zusammengebracht, wobei die Zentralbank Einfluss nimmt. Risikotransfer Erstens durch Diversifikation in Portfolios und zweitens durch besondere Instrumente wie Termingeschäfte, Futures und Optionen. Selektion Finanzanleger und Banken versuchen, die besten Investitionsmöglichkeiten auszuwählen. Informationserzeugung Die im Handel entstehenden Preise informieren öffentlich darüber, wie stark eine Investition von der Allgemeinheit gesucht wird. 1.1 Realkapital und Finanzkapital 1.1.1 Realwirtschaft, Märkte und Geld Das Schlaraffenland gibt es nur im Märchen. In der Realität haben die Menschen zu arbeiten. Sie müssen Güter und Dienstleistungen erst herstellen (produzieren), bevor diese dann genutzt und verbraucht (konsumiert) werden können. Dazu setzen die Menschen Zeit und Arbeitskraft, Rohstoffe und andere Produktionsfaktoren ein. Vielfach wird dabei die Ökologie belastet. Also werden auch Wasser, Luft und die Natürlichkeit der Umwelt bei der Produktion eingesetzt, verbraucht oder belastet. Auch der Konsum ist vielfach von Umweltbelastungen begleitet. Das Ziel dieser produktiven Aktivitäten ist zunächst die Befriedigung der elementaren Bedürfnisse der Menschen: Nahrung, Wohnen, Schutz. Hinzu tritt die Gewährleistung der Grundversorgung in der Gesellschaft: Äußere und innere Sicherheit, Infrastruktur, Gesundheitswesen. Sodann geht es um die Herstellung von Gütern, die über das Notwendige und Elementare hinausgehend als nützlich und wünschenswert erlebt werden: Güter, die uns Freude bereiten, die den sozialen Status zeigen oder die Selbstentwicklung und Entfaltung der eigenen Persönlichkeit fördern. Die angesprochenen Stufen der Bedürfnispyramide gehen auf den Psychologen A BRAHAM M ASLOW (1908-1970) zurück. Zur realwirtschaftlichen Produktion und Distribution von Gütern treten finanzwirtschaftliche Begleitumstände. Erstens kommt Geld ins Spiel, zweitens sind Investitionen <?page no="19"?> 1.1 Realkapital und Finanzkapital 19 verlangt, und dazu wiederum Finanzierungen. So wird die realwirtschaftliche Seite unseres Wirtschaftslebens (die Produktion und Distribution von Gütern) durch eine finanzwirtschaftliche Seite (Geld, Investitionen, Finanzierungen) ergänzt. Wer eine gewisse Funktion übernimmt, entdeckt schnell das Lernen im eigenen Bereich, den Vorteil der Konzentration auf wenige Arbeitsschritte sowie den Vorzug der Produktion im großen Stil. Das setzt Spezialisierung voraus. Die Fokussierung auf eine oder einige wenige Funktionen - Beschränkung auf Kernkompetenzen - bringt verschiedene Vorteile mit sich. Spezialisierungsvorteile stellen sich beim einzelnen Menschen ein, etwa beim Handwerk oder bei Dienstleistungen. Ebenso wirken sie bei größeren wirtschaftlichen Einheiten wie einer Unternehmung oder einer vielgliedrigen Organisation. Nicht zuletzt zeigen sich Spezialisierungsvorteile beim Lernen, bei der Schaffung und Pflege von Wissen. Spezialisierung und Arbeitsteilung setzen voraus, dass Arbeitsergebnisse getauscht werden können. Spezialisierungsvorteile verlangen gemeinschaftliches Wirtschaften. Unser Wirtschaftsleben beruht seit Jahrtausenden auf Austauschbeziehungen. Vermutlich standen Geschenke am Anfang, später wurde gehandelt, und hier und da wurde zugewiesen. Wären wir wirtschaftlich isoliert und könnten Güter nicht mit anderen Menschen tauschen, dann müssten wir sämtliche Funktionen ausführen und alle Güter selbst produzieren. Der Begründer der ökonomischen Klassik, A DAM S MITH (1723-1790), hat die Spezialisierung, die Arbeitsteilung und den Gütertausch in den Mittelpunkt der Wirtschaftswissenschaften gerückt. S MITH erkannte in Arbeitsteilung und Gütertausch die wichtigste Quelle des Wohlstands der Völker. Er kritisierte damit die Sicht des Merkantilismus, eine Nation könne sich nur dadurch und insoweit bereichern, als sie einer anderen entsprechendes wegnimmt. Der freie Tausch und die damit verbundene Marktentwicklung helfen, den Wohlstand aller zu mehren. Tausch und Handel gelingen am besten über einen Markt. Schon weniger gut funktioniert die Allokation oder Verteilung über eine zentrale Bürokratie, die Zuweisungen vornimmt oder die Regeln und Gesetzen folgt. Auch die Empathie als Grundlage für die Güterverteilung funktioniert nicht überall. Sie dominiert zwar innerhalb einer Familie. Doch auf der Ebene einer ganzen Volkswirtschaft kann die Arbeitszuweisung und die Güterverteilung nicht primär an Sympathien ausgerichtet werden. Ein großer Vertreter der Idee, möglichst viele wirtschaftliche Aufgaben durch Märkte zu bewerkstelligen, ist F RIEDRICH A. VON H AYEK (1899-1989). V ON H AYEK betont erstens die Leichtigkeit, mit der Transaktionen über Märkte abgewickelt werden können. Dies etwa im Vergleich mit der Bürokratie. Zweitens, so VON H AYEK , schaffe der Markt Weiterentwickeltes, Besseres, und sogar gänzlich Neues. Der Wettbewerb führt auf neue Produkte, die in Wirtschaft und Gesellschaft zuvor unbekannt waren und die folglich nicht von einer Behörde hätten angesteuert werden können. Der Markt ist ein Verfahren für die Allokation, das auf dem Vergleich beruht. Zahllose ähnliche Tauschwünsche und Tauschhandlungen können allgemein beobachtet werden, sodass sich am Ende einheitliche Tauschrelationen, Preise, bilden. Die Preise bilden sich so, dass bei ihnen Angebot und Nachfrage übereinstimmen (Markträumung) und einige weitere, erwünschte Eigenschaften zustande kommen. Die Preise kommen durch die Mitwirkung aller am Marktgeschehen Teilnehmenden zustande. Sie drücken also das von <?page no="20"?> 20 1. Kapitel: Finanzwirtschaft der Allgemeinheit Erwünschte aus. Deshalb drücken die Preise Werte aus, die in der Gesellschaft allgemein den gehandelten Objekten zukommen (Tauschwertbegriff). Wertvoll ist, so erklärt das Lexikon, was im Prozess der Läuterung der gesellschaftlichen Entwicklung mehrheitlich von den Menschen gewünscht wird. Das sind die auf einem freien und allen offenstehenden Markt zustande kommenden Preise. Der Markt ist offen. Jede Person kann hinzutreten oder den Markt auch wieder verlassen. Und die Marktteilnehmenden sind frei in ihren Entscheidungen. Daher werden sie selektieren. 1.1.2 Geld als gemeinsamer Nenner Das Marktgeschehen wird durch Geld erleichtert. An die Stelle des Naturaltauschs tritt das Kaufen und Verkaufen von Gütern. Auch bei Finanzmärkten sprechen wir nicht mehr „vom Tausch“, sondern vom Kauf beziehungsweise Verkauf von Finanzpositionen, von Rechten und Ansprüchen auf zukünftige Zahlungen. Die Zahlungen, die ein Finanzkontrakt zusagt, können fest versprochen sein wie bei einem Kredit. Doch die Zahlungen können noch von Bedingungen abhängen, bei denen unklar ist, ob sie eintreten oder nicht. Bei solchen Finanzkontrakten geht es um unsichere Zahlungen in der Zukunft. Ein Beispiel für solche Kontrakte ist die Beteiligung an einem Geschäft. Kredite können unterschiedlichste Laufzeiten haben und Beteiligungen können stark auf die einzelne Situation zugeschnitten sein. Dennoch haben alle Finanzkontrakte eine Gemeinsamkeit. Der gemeinsame Nenner besteht darin, dass es im Kern immer um zukünftige Zahlungen geht, um Geld. Dadurch sind alle Finanzpositionen irgendwie ähnlich. Sie sind also Substitute. Jeder, der eine Anleihe kaufen möchte und eine Restlaufzeit von 5 Jahren bevorzugt, wird eine Anleihe mit einer Restlaufzeit von vier Jahren als ziemlich ähnlich betrachten. Und wer eine Aktie eines Unternehmens der Nahrungsmittelindustrie im Auge hat, etwa Nestlé, dürfte die britische Unilever oder Want Want China hinsichtlich der Risiken als durchaus ähnlich ansehen. Bei Aktien drückt sich die Ähnlichkeit darin aus, dass Peergroups gebildet werden. Da Geld ein gemeinsamer Nenner bei allen Finanzkontrakten ist, gibt es in einem jeden Segment des Finanzmarktes zahlreiche Substitute für eine Finanzposition, die vielleicht in einem benachbarten Segment gehandelt werden. Beispielsweise könnte jemand, der eigentlich eine Anleihe der Bundesrepublik Deutschland kaufen möchte, angesichts der ähnlichen Sicherheit auf einen Pfandbrief ausweichen. Wer die Aktie eines Chemieunternehmens kaufen möchte, könnte am Ende die eines Rohstoffunternehmens erwerben. Oder wer eine Position in einer Fremdwährung aufbauen möchte, zum Beispiel in einer der asiatischen Währungen, der könnte sich am Ende für US-Dollars entscheiden. Denn die meisten asiatischen Währungen bewegen sich gegenüber dem Euro ähnlich wie der US-Dollar. Die Ähnlichkeit bewirkt, dass auch die Preisbildung nicht losgelöst voneinander ist. So hängen beispielsweise die Kursbildung bei Aktien von Unternehmen der Chemie von der Kursbildung bei Rohstoffwerten zusammen. Damit hat die Kursbildung bei Aktien im Sektor Chemie eine viel breitere Basis. Anders ausgedrückt, die Preisbildung für eine einzelne Finanzposition ist breiter verankert und abgestützt, weil sie auch von den Preisbildungen bei den (zahlreichen) Substituten abhängt. Der Zusammenhang führt zu einer breit abgestützten, zuverlässigen Preisbildung. <?page no="21"?> 1.1 Realkapital und Finanzkapital 21 Der Zusammenhang wird gut bei der Frist oder Laufzeit deutlich: Wer Geld auf 3 Jahre anlegen möchte, könnte es durchaus auch auf 2 Jahre anlegen und dann das Anlageergebnis für das dritte Jahr einfach liegen lassen. In der Realwirtschaft sind hingegen die Teilsegmente der Güter und Dienstleistungen nicht derart eng miteinander verknüpft, und die jeweilige Preisbildung ist weitgehend isoliert vom Geschehen in anderen Märkten. Die Lohnhöhe von Sportlern ist ziemlich losgelöst von den Löhnen, die Musiker oder Schauspieler erhalten. Wer in München eine Wohnung kaufen möchte, der betrachtet eine Kombination aus einer Wohnung in Rosenheim und Bahnfahrten eben nicht als enge Substitute, weshalb die Preisbildung bei Wohnungen schon viel deutlicher mit der Lage variiert. Und wer für ein Kochereignis Fleisch kaufen möchte, betrachtet Fisch schon gar nicht als Alternative. Die Segmente der Finanzmärkte hängen viel enger zusammen, und eine gewünschte Finanzposition kann sehr gut auf verschiedene Weise erreicht werden. Wie gesagt ist der Grund, dass sie alle Geld als gemeinsamen Nenner haben. Mit dem Geld ist die Grundlage für die finanzielle Seite des Wirtschaftslebens geschaffen. Folglich ist Geld das Symbol der Finanzwelt schlechthin. Was ist Geld? Geld soll vier Funktionen bieten: 1. Es legt eine Recheneinheit fest. 2. Mit Geld können Zahlungen vorgenommen werden, wie sie als Begleiterscheinung von Käufen und Verkäufen auftreten. 3. Geld kann dazu dienen, Werte aufzubewahren. 4. Geld definiert zudem einen über die Zeit hinweg gültigen Standard. Der Schriftsteller R ALPH N ORMAN A NGELL (1874-1967) reimte: Money is a matter of functioning four, a medium, a measure, a standard, a store. Bei der realwirtschaftlichen Tätigkeit von Produktion und Distribution sind Investitionen sowie Finanzierungen der Ressourcenbeschaffung notwendig. Denn für die Transformationen (Produktion, Distribution) in der Realwirtschaft lohnt es sich, Vorbereitungen zu treffen. Einrichtungen und Wissen müssen geschaffen sein und bereitstehen. Diese Vorbereitungen erfordern Investitionen. Investieren heißt, jetzt Geld oder Ressourcen einzusetzen, wobei die beabsichtigten Vorteile erst im folgenden Zeitraum oder in der weiteren Zukunft zu verzeichnen sein werden. Um Geld oder Ressourcen heute einzusetzen, müssen die Mittel beschafft werden. Die Finanzierung ist die Beschaffung der Mittel. Investieren heißt, heute auf Ressourcen zu verzichten - damit vor allem den heutigen Konsum zu reduzieren - um dafür zu späteren Zeitpunkten wirtschaftliche Vorteile erwarten zu können. Finanzieren heißt, heute Mittel entgegenzunehmen und dafür Versprechungen hinsichtlich der späteren Rückgabe der Mittel zu geben. Ohne Investitionen ist Wirtschaften unvorstellbar. Schon die legendäre Figur Robinson Crusoe im Roman von D ANIEL D EFOE (1660-1731) überlegte, wie viel der Zeit für direkten Konsum (Ernte von Bananen und Freizeit) und wie viel Zeit und Mühe für Arbeitsvorbereitungen (Saat) und die Schaffung von Produktionseinrichtungen (Werkzeugen) verwendet werden sollte. Auch im Handwerk und bei Dienstleistungen unserer Zeit müssen Betriebsstätten und Büros, Fahrzeuge, Computer und andere Werkzeuge bereitgestellt sein, bevor Aufträge für Kunden ausgeführt werden können. Größere Projekte verlangen „Arbeitsvorbereitungen“, die Millionen oder sogar Milliarden Euro kosten. <?page no="22"?> 22 1. Kapitel: Finanzwirtschaft Die für die Produktion im Vorfeld bereitgestellten Ressourcen werden als Realkapital bezeichnet. Das Realkapital umfasst also erstens Einrichtungen, Vorräte, und damit greifbare Gegenstände, die der Produktion über eine gewisse Zeit hinweg nützlich sind. Dieses greifbare Realkapital wird als Sachkapital bezeichnet. Zweitens gehören zum Realkapital abstrakte Einrichtungen wie eine Produktentwicklung, eine hilfreiche Organisation, die Vorbereitung von Absatzmärkten, Know-how, Reputation, Bekanntheit und der Markenname. Beim abstrakten Realkapital handelt es sich meistens um Wissen. In vielen Bereichen ist heute das Wissenskapital wichtiger und wertvoller als das Sachkapital. Innovationen, der technische Fortschritt, die Industrialisierung und die Tatsache, dass die Arbeitsteilung heute nicht nur regional, sondern global stattfindet, haben zu sehr großen Unternehmen geführt. Im Regelfall werden die von diesen Unternehmen investierten Mittel von einem größeren Kreis von Kreditgebern oder von Finanzinvestoren aufgebracht. Auch ein kleinerer Betrieb verlangt vielfach Investitionen, die nicht mehr von einer einzigen Person aufgebracht werden. Dann muss diejenige Person, die einen Geschäftsplan aufstellt, umsetzt und dazu realwirtschaftlich investieren möchte - kurz als Unternehmer oder Manager angesprochen - andere Personen finden, die bereit sind, die geplanten Investitionen mit ihren Mitteln zu ermöglichen. Diese anderen Personen werden vielleicht nicht das benötigte Sach- oder Wissenskapital haben. In der arbeitsteiligen Geldwirtschaft werden sie dem Unternehmer oder Manager aber Geld zur Verfügung stellen. Dieser wird das Geld investieren, also damit das benötigte konkrete und abstrakte Realkapital beschaffen: Entwicklungsarbeiten bezahlen, eine Organisation aufbauen, den Markt bearbeiten. Im Gegenzug zu dieser Überlassung von Geld erhalten die Personen später einmal Geldbeträge zurück, aber eben erst in der Zukunft. Damit werden sie zu Geldanlegern, zu Finanzinvestoren, oder zu Gebern von Kapital. Die Zukunft ist unsicher. Somit sind auch die späteren Zahlungsrückflüsse unsicher, die Finanzinvestoren erwarten. Deshalb erhalten sie gewisse Rechte, um ihre Ansprüche und Forderungen auf die späteren Rückflüsse in der Unternehmung durchsetzen, kontrollieren und beeinflussen zu können. Der Unternehmer oder Manager unterschreibt, er firmiert diese Ansprüche und Forderungen im Namen der Unternehmung. Es werden also Vereinbarungen getroffen, Verträge geschlossen: Finanzierungsverträge oder Finanzkontrakte geschrieben: Der Unternehmer oder Manager erhält Geld und räumt Ansprüche ein. So können anschießend Realinvestitionen getätigt werden. Die Finanzinvestoren, Anleger oder Geldgeber erhalten die Rechte, Ansprüche und Forderungen. Anders ausgedrückt: Der Manager hat Rechte verkauft. Der Verkauf von Rechten ist der Vorgang der Finanzierung. Die Rechte oder die finanzielle Position, die Finanzkontrakte vertraglich regeln, werden als Kapital angesprochen. Bei Kapital, das später auf Kapitalmärkten getauscht wird, handelt es sich also um Verträge, die zukünftige Zahlungen vorsehen. Jeder dieser Verträge hat zwei Seiten, den Anleger oder Geber des Kapitals einerseits und den Kapitalnehmer oder Kapitalverwender (der ein unternehmerisches Vorhaben finanziert) andererseits. Um dieses Kapital vom Realkapital zu unterscheiden, wird es als Finanzkapital bezeichnet. Finanz- <?page no="23"?> 1.1 Realkapital und Finanzkapital 23 kapital kann ebenso wie Realkapital als Ergebnis einer Investition betrachtet werden. Beim Finanzkapital sind es die Anleger oder Geber des Kapitals, die heute auf Geld (und damit auf Konsum) verzichten und dafür Rechte, Ansprüche und Forderungen erhalten. Aufgrund derer werden sie spätere Rückflüsse von Zahlungsmitteln erhalten. 1. Finanzkontrakte werden über zukünftige Zahlungen geschlossen. Alle Finanzkontrakte haben daher mit dem Geld einen gemeinsamen Nenner. Deshalb bieten verschiedene Finanzkontrakte oder Kontrakte, die in unterschiedlichen Segmenten der Finanzmärkte gehandelt werden, gewisse Ähnlichkeiten. Dadurch hängt die Preisbildung in einem Segment der Finanzmärkte viel stärker von der Preisbildung in anderen Segmenten ab, als dies in der Realwirtschaft der Fall ist. 2. Ohne Finanzkapital hätte der Betrieb, die Unternehmung oder die Institution nicht die sinnvollerweise geplanten wirtschaftlichen Entwicklungen. 3. Niemand kann die wirtschaftlichen Vorteile des Realkapitals akzeptieren und gleichzeitig den früheren Konsumverzicht der Kapitalgeber leugnen. Niemand darf sich das Kapital aus der Wirtschaft einfach wegdenken. Folglich gibt es immer offene Forderungen und Ansprüche seitens der Geber des Kapitals, die noch nicht erfüllt sind. Es gibt immer Finanzierungsverträge, die noch nicht vollständig abgewickelt sind. Ein Teil der Vorteile, die mit dem Einsatz von Realkapital verbunden sind, muss mithin an die (früheren) Geber des Finanzkapitals gehen: Die Unternehmung zahlt Zinsen an Gläubiger, und Aktionäre erhalten Dividenden und sind auf andere Weise beteiligt. 4. Um welchen Teil der Wertschöpfung eines Unternehmens es sich genau handelt, und welche rechtlichen Möglichkeiten Beteiligte haben, ihre Forderungen und Ansprüche durchzusetzen, hängt von der (rechtlichen) Ausgestaltung des Finanzvertrags ab. 1.1.3 Arbitragefreiheit Da alle Segmente der Finanzmärkte Zahlungen, eben das Geld, als gemeinsamen Nenner haben, bestehen große Ähnlichkeiten und zahlreiche Substitutionsmöglichkeiten. Diese bewirken, dass jede Finanzposition sich auf unterschiedliche Weise erzeugen lässt. Und die Kursbildung in den Teilsegmenten der Finanzmärkte hängt so zusammen, dass keiner der Wege (mit gleichem Ergebnis) günstiger ist als ein anderer. Die Kursbildung in einem jeden Teilmarkt hängt in der Folge mit den Kursbildungen in benachbarten Segmenten zusammen. Der Zusammenhang ist so, dass durch Kombinationen verschiedener Kontrakte kein Vorteil entsteht. Dieses Ergebnis der gemeinsamen Kursbildung in verschiedenen Segmenten heißt Arbitragefreiheit. Nicht nur sind die einzelnen Segmente stets geräumt (und somit im Gleichgewicht), sondern die dort sich einstellenden Preise sind frei von Arbitrage. Auch durch die Verwendung von Substituten aus anderen Marktsegmenten kann der Preis in einem Segment nicht unterboten werden. Wertpapiere oder Finanzpositionen können nicht so kombiniert werden, dass dadurch ein sicherer (risikofreier) Gewinn entsteht. <?page no="24"?> 24 1. Kapitel: Finanzwirtschaft Anschaulich gesagt erlauben es die Preise, die sich in den einzelnen Segmenten eingestellt haben nicht, Positionen billig zu kaufen, geeignet zu kombinieren und das Resultat teuer zu verkaufen. Der bei Arbitrage mögliche sichere Gewinn wird im Jargon der Finanzleute als Free Lunch bezeichnet. Arbitragefreiheit heißt also, dass ein Free Lunch zu erzeugen unmöglich ist. Wenn keine Arbitrage mehr möglich ist, dann befinden sich die Preise verschiedener Marktsegmente untereinander in einem Gleichgewicht. Markträumung bedeutet hingegen nur, dass jedes Marktsegment für sich ein Gleichgewicht in dem Sinn erreicht hat, dass Angebot und Nachfrage im Segment übereinstimmen. Der Finanzmarkt ist kein Nebeneinander verschiedener Marktsegmente. Denn wie erwähnt, hängen die Segmente der Finanzmärkte zusammen, weil die in den verschiedenen Segmenten gehandelten Positionen sich in gewissem Sinn ähneln. Denn alle versprechen Geld. In einem Finanzmarkt gibt es daher praktisch immer mehrere Wege und Umwege, eine bestimmte finanzielle Position zu erreichen, die Ansprüche oder Forderungen hinsichtlich zukünftiger Zahlungen beinhaltet. Alle diese Wege (Kombinationen von Finanzpositionen aus verschiedenen Teilsegmenten) müssen bei Arbitragefreiheit des Marktes Kosten in derselben Höhe haben. Ein Beispiel zum Devisenmarkt: Die Segmente sind durch Währungspaare gegeben. Wer Franken in Euro wechseln möchte, kann dies direkt tun, eben im Segment, in dem Franken gegen Euro gewechselt werden. Oder die Franken werden zuerst in Dollar getauscht (im Segment, in dem Franken gegen Dollar gehandelt werden) und dann werden die Dollar in Euro getauscht (im Segment, in dem Dollar und Euro gewechselt werden). Bei Arbitragefreiheit des Marktes stehen die Kursbildungen in den drei Teilsegmenten in einer Beziehung, die bewirkt, dass die beiden Wege auf dasselbe Ergebnis führen. Anschaulich: Mehrere Wege führen nach Rom, und wenn keine Arbitrage mehr möglich ist, dann verlangen alle diese Wege die gleiche Mühe (Zeit, Kosten). Denn andernfalls würden alle Akteure den günstigsten Weg wählen, und die Bedingungen dafür würden sich verschlechtern. Diese Kraft wirkt solange, bis alle Wege die gleiche Mühe abverlangen. Durch die Arbitragefreiheit ist die Preisbildung gut verankert, breit abgestützt, eben durch mehrere gleichwertige Wege. Ein Zahlenbeispiel zur Arbitrage: Eine Optionsanleihe ist eine Anleihe, die neben dem Forderungsrecht (Zins- und Rückzahlungsanspruch gegenüber dem Schuldner) auch ein Bezugsrecht auf Aktien verbrieft. Die Optionsanleihe kombiniert also eine Anleihe mit einer Kaufoption (hinsichtlich einer bestimmten Aktie). Nun werden im Finanzmarkt neben Anleihen auch Optionen separat gehandelt. Die Optionsanleihe habe im entsprechenden Marktsegment einen augenblicklichen Kurs von 115, die entsprechende Anleihe habe einen Kurs von 97 in ihrem Segment und die Option werde zu 16 gehandelt. Eine Investmentbank könnte sich als Arbitrageur betätigen: Sie könnte die Optionsanleihen für 115 leer verkaufen (also zum Verkauf anbieten, ohne sie selbst zu haben) und zur Deckung die entsprechende Zahl von Anleihen für jeweils 97 und die entsprechende Anzahl von Optionen für 16 kaufen. Dann bliebe ein Arbitragegewinn, ein Free Lunch von 2 Geldeinheiten je verkaufter Optionsanleihe. <?page no="25"?> 1.1 Realkapital und Finanzkapital 25 1.1.4 Eigen- und Fremdkapital Unsere Wirtschaftsordnung folgt dem Prinzip der Vertragsfreiheit. Finanzkontrakte können daher verschiedenste Ausgestaltungen haben. Bei aller Vertragsfreiheit haben sich im Wirtschaftsleben indes gewisse Grundtypen bewährt. Die Mühe und Zeit mit der vertraglichen Aushandlung wird deutlich geringer, wenn sich beide Vertragsseiten an solche Grundtypen halten. Zu diesen Grundtypen von Finanzverträgen gehören erstens der Kredit (Fremdkapital oder angelsächsisch Debt) und zweitens die Beteiligung am Geschäft oder der Unternehmung (Eigenkapital oder Equity). Abb. 1: Realkapital und Finanzkontrakte: Die Unternehmung hat ihr Realkapital (Sach- und Wissenskapital) finanziert und dazu Finanzkontrakte (Eigen- und Fremdkapital) abgeschlossen. Eigenkapital (Equity) ist eine Form des Finanzkapitals, bei der Finanzinvestoren gewisse Beteiligungs- oder sogar Eigentumsrechte am Kapitalverwender (Unternehmung) zukommen. Die Unternehmung zahlt das eingelegte Eigenkapital nicht zurück (auch wenn gewisse Herabsetzungen des Eigenkapitals möglich sind). Der Finanzkontrakt hat eine unbeschränkte Laufzeit. Eigenkapitalgeber haben keinen der Höhe nach festgelegten Anspruch auf periodische Zahlungen (wie etwa bei Zinszahlungen), doch sie dürfen entscheiden, welcher Teil der Gewinne an sie ausgeschüttet werden soll. Damit wird das Eigenkapital zum vorrangigen Träger unternehmerischer Risiken. Fremdkapital (Debt) begründet gegenüber dem Kapitalnehmer eine Forderung hinsichtlich der Rückzahlung des überlassenen Geldbetrags sowie in Bezug auf periodische Zinszahlungen. Der Schuldner (zum Beispiel eine Unternehmung) muss die Forderungen der Fremdkapitalgeber erfüllen, bevor Zahlungen an die Eigenkapitalgeber oder Entnahmen oder Ausschüttungen an sie erfolgen dürfen. Da bei Fremdkapital sowohl die Zahlungszeitpunkte als auch die Zahlungsbeträge im Voraus fest vereinbart werden, bietet es für Anleger mehr Sicherheit als Eigenkapital. Rechtliche Rahmenbedingungen wie Rechtsformen für Unternehmen helfen, die weiteren Bedingungen dieser Finanzkontrakte Eigen- und Fremdkapital detaillierter zu regeln. Hier treten weitere Parteien hinzu: Banken sind auf die Vergabe von Krediten spezialisiert, sie <?page no="26"?> 26 1. Kapitel: Finanzwirtschaft geben Fremdkapital. Banken nehmen Spargelder von Kunden für eine sichere Verwahrung entgegen und stellen sodann dem Staat, den Unternehmen und den privaten Haushalten Kredite zur Verfügung. Verschiedene andere Finanzintermediäre stellen Eigenkapital zur Verfügung oder vermitteln es. Dazu gehören Beteiligungsgesellschaften, die Gründungs- und Risikokapital vermitteln. In großem Umfang sind sowohl Fremdals auch Eigenkapital als Wertpapiere verbrieft, die an Börsen gehandelt werden. Fremdkapital wird dann als Anleihe gehandelt, Eigenkapital als Aktie. Finanzanleger und Finanzinvestoren können dann ohne Hilfe seitens der genannten Intermediäre direkt über die Börse Anleihen oder Aktien kaufen und verkaufen. Merkpunkte 1. Die realwirtschaftliche Seite der Wirtschaftswissenschaften zeichnet die Welt der Arbeit, der Produktion und Distribution von Gütern, sowie der Schaffung von Realkapital (Sachkapital, Wissenskapital) durch Investitionen. Realkapital sind entweder konkrete Ressourcen (Sachkapital) oder abstrakte Ressourcen (Wissenskapital). 2. Neben der realwirtschaftlichen gibt es eine finanzwirtschaftliche Seite des Wirtschaftens. Zu ihr gehören das Geld (Recheneinheit, Zahlungsmittel, Wertaufbewahrung, Standard) sowie die rechtliche Möglichkeit, Verträge, Finanzkontrakte abschließen zu können. 3. Der Begriff des Finanzkapitals bezieht sich auf Finanzkontrakte. Diese Verträge sehen Zahlungen zugunsten der einen Vertragspartei vor, Zahlungen, die von der anderen Vertragsseite in zukünftigen Zeitpunkten zu leisten sind. Die erstgenannte Partei, welche die zukünftigen Zahlungen erhalten soll und erwarten oder sogar fordern kann, wird bei Vertragsabschluss folglich gewisse Informations- oder Entscheidungsrechte verlangen, um sicherstellen zu können, dass die andere Partei die Zahlungen wie vereinbart erbringen kann und wird. 4. Zwar besteht Vertragsfreiheit, doch wer sich an Grundformen hält, kann das Aushandeln von Verträgen vereinfachen und abkürzen. Die beiden wichtigsten Grundformen von Finanzverträgen sind Kredite (Fremdkapital) und Beteiligungen (Eigenkapital). 5. Intermediäre vermitteln und helfen beim Abschluss von Finanzverträgen. Beim Fremdkapital sind das die Banken, bei den Beteiligungen verschiedenste Einrichtungen, die Gründungs- und Risikokapital vermitteln. Doch viele Finanzkontrakte sind verbrieft und werden an Börsen gehandelt. Daher können Anleger und Investoren die Wertpapiere direkt über die entsprechende Börse kaufen oder verkaufen. Kredite werden als Anleihen gehandelt, Beteiligungen als Aktien. 1.2 Finanzierung 1.2.1 Außen- und Innenfinanzierung Die Schaffung und Bereithaltung von Realkapital (Kauf von Maschinen, Akquisition einer ganzen Unternehmung, Produktentwicklung, Aufbau von Bekanntheit und Markenname durch Werbung) verlangen eine Finanzierung. Ein Unternehmer oder Manager, der investieren möchte, muss dazu Kapitalgeber ansprechen und mit ihnen Finanzkontrakte ab- <?page no="27"?> 1.2 Finanzierung 27 schließen. Mit dem Abschluss solcher Finanzkontrakte fließt dem Kapitalverwender (Unternehmer, Manager) Geld zu, entweder als Kreditbetrag (Fremdkapital) oder als Einlage bei einer Beteiligung (Eigenkapital). Außenfinanzierung ist der Abschluss neuer Finanzkontrakte, das Entgegennehmen von Kreditbeträgen oder von Einlagen unter Abgabe von Rechten an die neuen Kapitalgeber. Zur Außenfinanzierung gehören ein neuer Kredit, die Erhöhung des Eigenkapitals gegen Einlage, die Aufnahme weiterer Gesellschafter. Ebenso fallen unter Außenfinanzierung die Ausgabe von Anleihen oder die Ausgabe von Aktien über eine Emission. Zwar bieten die beiden Vertragstypen von Kredit (Fremdkapital) und von Beteiligung (Eigenkapital) als Grundtypen Vorteile, weil wichtige Vertragspunkte bereits durch Tradition und Gesetz festgelegt sind und nicht immer von Neuem ausgehandelt werden müssen. Doch aufgrund der Vertragsfreiheit sind Zwischenformen zwischen Kredit und Beteiligung möglich. Es wird dann von hybridem Kapital oder Mezzanine gesprochen. Außerdem gibt es sowohl innerhalb der Kategorie des Kredits als auch innerhalb der Kategorie der Beteiligung selbstverständlich noch Vertragsvarianten. Auch das Hybridkapital bezeichnet eine weite Gruppe verschiedener Zwischenformen. Erweiterungen des Realkapitals (etwa einer Unternehmung) verlangen im Regelfall eine Außenfinanzierung, also eine Finanzierung durch den Abschluss neuer Finanzkontrakte. Der Abschluss neuer Finanzkontrakte ist typisch für den Gründungsvorgang einer Unternehmung sowie für größere Erweiterungen. Die Frage entsteht, ob die Außenfinanzierung der einzige Weg ist, auf dem ein Unternehmen Realinvestitionen ermöglichen kann. Anders ausgedrückt: Kann ein Unternehmen Investitionen tätigen, ohne dass neue Finanzierungsverträge abgeschlossen werden müssen? Das ist möglich, wenn das Unternehmen aus dem Absatzprozess hohe Umsatzerlöse erzielen kann, die nicht sämtlich für den Kauf von Produktionsfaktoren, für Löhne und für die Bedienung der laufenden Finanzierungsverträge ausbezahlt werden müssen. Das Unternehmen kann die Investitionen aus eigenen Mitteln, gleichsam „aus eigener Finanzkraft“ bezahlen. Man spricht von Innenfinanzierung. Die „Finanzkraft“ wird aus verschiedenen Quellen genährt. Eine Quelle sind nicht gänzlich ausgeschüttete Gewinne. Die Gewinne einer Unternehmung werden in der Regel zu einem Teil einbehalten (thesauriert). Abb. 2: Finanzierungsarten <?page no="28"?> 28 1. Kapitel: Finanzwirtschaft Die Innenfinanzierung wird möglich, weil die Eigenkapitalgeber nicht die gesamten Zahlungsmittel entnehmen (dürfen), die im Verlauf des Jahres durch den Absatz „hereinkommen und die Kasse füllen“. Manager bevorzugen die Innenfinanzierung. Denn sie müssen keine neuen Kapitalgeber ansprechen und deren Zustimmung einholen. Gleichsam ohne weitere Kontrolle können Manager die durch Innenfinanzierung im Unternehmen bereitstehenden Zahlungsmittel ausgeben, so wie sie es für richtig halten. Ein Manager meinte einmal: „wir haben unser Kapital schon und brauchen die Kapitalgeber nicht mehr“. Der Vergleich von Außen- und Innenfinanzierung gibt daher Anlass für die Frage, wie wirksam die Kontrolle des Managements der Unternehmen (Corporate Governance) ist. In wie weit Außenfinanzierung wichtig ist (und daher externe und neue Kapitalgeber gut angesprochen und behandelt werden sollten, etwa durch eine attraktive Ausgestaltung der Investor Relations) oder in welchem Umfang die vom Management erwünschten Investitionen bereits allein durch Innenfinanzierung möglich werden, hängt von mehreren Faktoren ab. Der wichtigste und erste Faktor ist die Phase, in der sich eine Unternehmung befindet. Unternehmen in der Gründungsphase oder in Phasen der Geschäftserschließung und in Zeiten starker Geschäftsausweitung benötigen stets neue und zusätzliche Finanzierungen von außen. Sind Unternehmen in ihren Produktmärkten hingegen bereits etabliert und der Absatz bringt ausreichende Umsatzerlöse, dann genügt oft die Innenfinanzierung, um Ersatzinvestitionen und vielleicht sogar Erweiterungsinvestitionen zu finanzieren. 1.2.2 Einfluss der Gesamtsituation Ein zweiter Faktor, der die Gewichtung von Außen- und Innenfinanzierung bestimmt, liegt in den Konditionen, zu denen Finanzierungen möglich sind. Sie hängen nicht zuletzt von der steuerlichen Behandlung ab, weshalb auch der Staat Einfluss darauf nehmen kann, ob und in welchem Umfang die Unternehmen die eine oder andere Finanzierungsart vorziehen. Beispielsweise kann der Staat die Innenfinanzierung durch Ausweitung der Abschreibungsmöglichkeiten fördern. Bei der Außenfinanzierung kann der Kreis der Kapitalgeber weiter gezogen werden: So könnte durch gesamtwirtschaftlich wirkende Maßnahmen die Außenfinanzierung für ausländische Finanzinvestoren attraktiver gestaltet werden. Schließlich könnte vom Management das Investitionsbudget verkleinert und damit der Finanzierungsbedarf reduziert werden. Für diese drei Wege gibt es Beispiele: 1. Steuerliche Förderung der Innenfinanzierung: Die Innenfinanzierung der deutschen Unternehmen in den Jahren des Wirtschaftswunders 1950 bis 1960 wurde durch gesetzliche Maßnahmen gefördert, weil das im Wirtschaftsaufschwung benötigte hohe Kapital nicht über Außenfinanzierung hätte aufgebracht werden können. Denn die Menschen in Deutschland hatten kein Geld gehabt, um Unternehmen zu finanzieren, und ausländische Investoren mieden Deutschland in den frühen Nachkriegsjahren. 2. Außenfinanzierung , aber mit Finanzinvestoren aus dem Ausland: Die Republik Österreich wollte um 1970 Infrastruktur für das Land aufbauen: Autobahnen, Universitäten, Forschungszentren sollten errichtet werden. Österreich wollte hierfür Staatsanleihen ausgeben, doch die Bevölkerung Österreichs hatte kein Geld. Denn die Einkommen der österreichischen Be- <?page no="29"?> 1.3 Kapitalallokation 29 völkerung waren gering, die Steuern hoch, und die Familien mussten selbst für Wohnraum sorgen. So war der österreichische Staat gezwungen, das Kapital im Ausland aufzunehmen. Österreich gab auf US-Dollar lautende Bonds aus. Sie wurden von Finanzinvestoren aus den USA, Japan und der Schweiz gezeichnet. 3. Reduktion des Finanzierungsbedarfs: In den Jahren um 1980 dachten Manager in den USA, sie könnten Eigenkapitalgeber und Banken vernachlässigen, weil die Innenfinanzierung völlig ausreichte, Ersatzinvestitionen zu tätigen. Immer wieder kam es damals vor, dass die Manager das Potenzial an Innenfinanzierung für nicht rentable Investitionen verwendeten. Das löste Kritik bei den Aktionären aus und der Shareholder-Value-Gedanke kam auf. Die Aktionäre erinnerten auf den Hauptversammlungen daran, dass die Entscheidung über die Gewinnausschüttung (und damit das Potenzial für die Innenfinanzierung) ihnen zukommt. Sie betonten, dass Unternehmen die Gewinne ausschütten sollten, falls sie in ihren angestammten Geschäftsfeldern keine rentablen Investitionsprojekte sehen. Die Aktionäre würden das Geld nehmen und woanders anlegen, um die marktübliche Rendite zu erzielen. Dieses Begehren wurde von M ICHAEL J ENSEN als These des Freien Cashflows bezeichnet: Unternehmungen sollten liquide Mittel ausschütten, sofern die Aktionäre diese rentabler anlegen können als die Unternehmung selbst. Das war zum Beispiel in der Tabakindustrie der Fall. Sie konnte in ihren angestammten Geschäftsfeldern nicht mehr die marktüblichen Renditen erreichen. 1.3 Kapitalallokation 1.3.1 Finanzierungsbedarf Ist die Wirtschaft als Ganzes überhaupt in der Lage, so viel Finanzkapital aufzubringen, dass die realwirtschaftliche Seite - Unternehmen und Staat - das benötigte Realkapital finanzieren kann? Letztlich ist dazu verlangt, dass entweder die Menschen im Land hinreichend viel sparen, also auf momentanen Konsum verzichten, oder dass ausländische Investoren Kapital überlassen. Einige wohlhabende Personen genügen aber nicht, um das in einer Volkswirtschaft gewünschte realwirtschaftliche Wachstum zu finanzieren. Alle Spargelder, auch die Beträge der Kleinsparer, müssen irgendwie eingesammelt und den Unternehmen und dem Staat zugeleitet werden. Hierzu eine Rechnung: Die Sparquote der Deutschen liegt bei rund 10% des verfügbaren Einkommens. Das Geldvermögen der privaten Haushalte in Deutschland ist 2018 auf 6 Billionen Euro gestiegen. Nun gibt es in der ganzen Welt 1810 Dollar- Milliardäre mit einem Finanzvermögen von zusammen 6 Billionen Dollar. Dem Bruttoinlandsprodukt (BIP) nach hat Deutschland einen Anteil von rund 4% in der Welt. Würden die Dollar-Milliardäre überall in der Welt investieren, und zwar proportional zum jeweiligen BIP, dann entfielen auf Deutschland lediglich 240 Milliarden Dollar oder 215 Milliarden Euro. Die Superreichsten, die Milliardäre, würden also nur 4% dessen aufbringen, was die Deutschen in ihrer Gesamtheit anlegen können. <?page no="30"?> 30 1. Kapitel: Finanzwirtschaft Aufgrund dieser Relationen wird deutlich: Der hohe Bedarf an Realkapital der Wirtschaft macht es erforderlich, auch die Spargelder der kleinen Leute der Wirtschaft zuzuführen. Dazu sind ein leistungsfähiges Bankensystem und Finanzmärkte erforderlich. Wenn Inländer wenig sparen - vielleicht weil sie aufgrund geringer Einkommen wenig sparen können oder weil aufgrund der Bevölkerungsstruktur nur eine geringe Sparneigung besteht und alle konsumieren wollen - dann müssen ausländische Kapitalgeber umworben werden, Kredite zu geben und Beteiligungen zu erwerben. Wäre das in einer sich dem Ausland gegenüber verschließenden Welt nicht möglich, könnte die Realwirtschaft nur in geringerem Umfang das benötigte Realkapital beschaffen. Weniger Erfindungen könnten umgesetzt werden, weniger Arbeitsplätze würden geschaffen. Die Infrastruktur könnte nicht erneuert werden. Das Wachstum der volkswirtschaftlichen Leistung wäre geringer - zum Nachteil aller Einwohner. Die Öffnung für Kapital ist letztlich notwendig, um Arbeitsplätze zu schaffen und zu sichern. 1.3.2 Anlagewunsch Der Finanzierungsbedarf der modernen Wirtschaft ist eine Seite. Die andere Seite ist der Anlagewunsch der Menschen. Die Menschen sparen vor allem, um für ihr Alter privat vorzusorgen. Früher standen ihnen nur wenige Wege für die Anlage von Spargeldern offen: Sie konnten ein Haus bauen, die Ausbildung der Kinder bezahlen, haltbare Gegenstände (Möbel, Kunst, Schmuck) sammeln und Goldmünzen horten. Diese traditionellen Anlageformen haben Nachteile geringer Liquidität und sich ändernder Wertschätzung. Viele Menschen konnten im Alter oft weder das vermeintlich wertvolle Mobiliar noch die angesammelten Kunstgegenstände verkaufen. Gelegentlich kümmern sich auch die Jüngeren später wenig um ihre Eltern, auch wenn sie durch eine teure Ausbildung höhere Einkommen erzielen. Traditionelle Formen langfristiger Geldanlage sind in der heutigen Welt nicht mehr ausreichend. Um die Altersvorsorge zu erleichtern und wirksamer zu gestalten, wurden in fast allen Ländern staatliche Rentensysteme eingerichtet. Doch die staatlichen Systeme können nur einen Teil der Altersversorgung leisten. Gründe sind die demografische Entwicklung (wenig neue Beitragszahler, hoher Alterslastquotient), die längere Lebensdauer der Versicherten, sowie gestiegene Ansprüche hinsichtlich frühzeitiger Pensionierung. Staatliche Altersversorgungssysteme müssen daher durch private Vorsorge ergänzt werden. Bei der privaten Altersvorsorge sind Anlagen bei Banken und Versicherungen sowie der Kauf von Wertpapieren besser als der Kauf von Mobiliar und von Kunst, da Finanzkontrakte eine hohe Liquidität aufweisen und somit jederzeit und leicht bei Geldbedarf verkauft werden können. Mobiliar und Kunstgegenstände können nicht immer hinreichend schnell und zu frühzeitig planbaren Preisen verkauft werden. Deshalb besteht (parallel zum Finanzierungsbedarf der Wirtschaft) ein hoher Anlagebedarf seitens der Bevölkerung. Merkpunkt: Eine erste Grundfunktion, die von der Finanzwirtschaft erfüllt werden soll, ist die Allokation von Kapital. Die für die Finanzierung des Realkapitals (Unternehmen, <?page no="31"?> 1.3 Kapitalallokation 31 Staat) benötigten Gelder müssen aufgebracht werden. Gleichzeitig muss der Wunsch privater Sparer, Geld anlegen zu können, verwirklicht werden. 1.3.3 Wertpapiere Die Kapitalallokation hat in der modernen Wirtschaft inzwischen eine enorme Dimension erreicht und stellt daher eine gigantische volkswirtschaftliche Aufgabe dar. Dabei soll die Kapitalallokation nach wirtschaftlichen Überlegungen und Kriterien gelöst werden. Dazu sollte sie mit einer gewissen Leichtigkeit erfolgen können, es sollte Transparenz herrschen, Offenheit gegenüber allen transaktionswilligen Parteien, Fairness, und so fort. Diese Eigenschaften stellen sich nicht von allein ein. Einrichtungen sind verlangt, Organisationen müssen geschaffen werden, die bei der Kapitalallokation helfen und dazu beitragen, ihr die gewünschten Eigenschaften wie Leichtigkeit, Fairness, Transparenz zu verleihen. Zu den Einrichtungen, die die Kapitalallokation vornehmen, wurden bereits Banken erwähnt. Sie nehmen Einlagen entgegen und geben Kredite. Hinzu treten Versicherungen und Pensionskassen. Sie nehmen Prämien und Beiträge ihrer Kunden entgegen, legen sie als Finanzkapital an und zahlen später Leistungen aus. Banken und Versicherungen wirken wie Mittelsmänner (Intermediäre), die zwischen dem Finanzierungswunsch der Unternehmen und des Staats sowie dem Anlagewunsch der Menschen und der institutionellen Anleger stehen. Banken und Versicherungen beschränken sich meistens auf Fremdkapital. Sie sagen ihrer Anlagekundschaft Leistungen in festgeschriebener Höhe zu. Die Zahlungszeitpunkte sind klar festgeschrieben. Banken und Versicherungen vermitteln im Allgemeinen kein Eigenkapital. Da die Institutionen der Finanzwirtschaft sicher sein sollen, dürfen Banken und Versicherungen nicht alle eingesammelten Gelder nur einer einzigen Unternehmung oder einem einzigen kommunalen Haushalt zur Verfügung stellen. Sie würden dann ein Klumpenrisiko eingehen. Banken und Versicherungen müssen deshalb das Finanzkapital, das sie geben, streuen. Zugleich müssen sie wählerisch sein und die Schuldner, denen sie Kredite geben, selektieren. Andernfalls würden diejenigen leiden, die Einlagen tätigen. Das bedeutet, dass Banken einer einzelnen Unternehmung und einem staatlichen Haushalt nur einen vergleichsweise geringen Teil des Geldes zur Verfügung stellen. Der Finanzierungsbedarf einer großen Unternehmung oder der des ganzen Staates sprengt die Möglichkeiten einer einzigen Bank und selbst die einer Gruppe von Banken. Von daher darf man sich die Finanzwirtschaft nicht so vorstellen, dass auf der einen Seite Millionen von inländischen und ausländischen Anlegern stehen, auf der anderen Seite Tausende von Unternehmen sowie der Staat mit ihren jeweiligen Finanzierungswünschen, während zwischen beiden Seiten allein Banken und Versicherungen als Intermediäre stünden. Eine solche Struktur der Finanzwirtschaft wäre starr und aus gesamtwirtschaftlicher Sicht teuer. In allen Ländern ergänzen deshalb Märkte die von Banken und Versicherungen geleistete Intermediation. An diesen Finanzmärkten werden Wertpapiere und andere Finanzkontrakte gehandelt. An die Stelle der Aufnahme eines Bankkredits <?page no="32"?> 32 1. Kapitel: Finanzwirtschaft tritt die Ausgabe von Anleihen, und anstatt eine Einlage bei einer Bank vorzunehmen, kauft ein Sparer, Anleger oder Finanzinvestor Anleihen. Aufgrund der Liquidität ist die über Märkte bewirkte Kapitalallokation deutlich beweglicher. Die erste Grundaufgabe der Kapitalallokation - sowohl den Finanzierungswunsch der Unternehmen und des Staats als auch den Anlagewunsch der Menschen zu erfüllen - kann nicht von Intermediären (Banken und Versicherungen) allein bewältigt werden. Ergänzend dazu tritt der Markt. Finanzmärkte ermöglichen einen deutlichen Schritt hin zu einer leichten und effizienten intertemporalen Allokation der Ressourcen bei geringen Transaktionskosten. 1.4 Vom Geld hin zu Finanzmärkten 1.4.1 Geld und Staatsaufgaben Die Ursprünge der Staatsgewalt liegen wohl in der zentralisiert organisierten Verteidigung des Gebietes und der Organisation des Schutzes der dort lebenden Menschen (sowohl nach außen als auch innerhalb des Staatsgebiets). Diese Grundaufgabe des Staates wird durch die Bürokratie, die Gesetze und die Rechtsprechung sowie schließlich durch das Militär und die Polizei erfüllt. Dazu übt die zentrale Instanz Staatsgewalt aus und erhebt Steuern. Steuern in Naturalien zu entrichten, ist in einem größeren Land nicht möglich. Auch schon deshalb haben vor Jahrhunderten die Landesherrscher Geld eingeführt. Praktisch überall hat der Staat gesetzlich das Monopol zur Geldausgabe und zur Überwachung des Geldwesens eingerichtet, auch wenn dieses an eine Zentralbank delegiert ist. Während die Sicherung der Staatsgrenzen und die Ordnung im Innern anfangs im Vordergrund standen, begann der Staat bald damit, Schulen und Ausbildung zu organisieren. Später sind wirtschaftliche Interessen und Aktivitäten hinzugekommen. Dies besonders in der Zeit des Merkantilismus, in der vom Staat Infrastruktur und Manufakturen errichtet und betrieben wurden. Im 19. und 20. Jahrhundert wird die Wirtschaftstätigkeit des Staates stark auf technische Großinvestitionen gelenkt. Bahn, Telekommunikation, und andere technische Prozesse, so die Herstellung von Stahl, werden als Staatsbetriebe organisiert. Im letzten Jahrhundert haben sich die staatlichen Ausgaben stark in den Sozialbereich verschoben. Transfers zwischen Privathaushalten, zwischen Landesteilen sowie innerhalb von Bündnissen spielen heute die größte Rolle. Diese Transfers bewirken die soziale Sicherung. In Deutschland (Zahlen 2014) sind 42,2% dafür budgetiert. Weitere Posten der öffentlichen Haushalte: 2,5% Verteidigung, 14,5% öffentliche Verwaltung, 9,6% Bildungswesen, 15,4% Gesundheitswesen. Die restlichen Ausgaben teilen sich weitere staatliche Aktivitäten (darunter 1,3% für Umweltschutz, 1,8% für Sport und Kultur). Damit Geld die ihm zugedachten Funktionen (Recheneinheit, Zahlungsmittel, Wertaufbewahrung, Standard) erfüllen kann, darf es nicht zu viele Arten von Geld nebeneinander geben. Selbstverständlich können die Wirtschaftssubjekte neben der vom Staat eingerichte- <?page no="33"?> 1.4 Vom Geld hin zu Finanzmärkten 33 ten legalen Währung weitere Währungen akzeptieren. Doch der Staat verlangt die Zahlung von Steuern und leistet seine Ausgaben in der einen gesetzlichen Währung. Bei einer Währungsreform wird die gesetzliche Währung anders festgelegt. Dabei wird bestimmt, wie die alte Währungseinheit in die neue umzurechnen ist. Die Umrechnung kann für Bargeld und Bankguthaben anders festgelegt werden als für Staatsanleihen und andere Nominalforderungen. Sonstige Vermögenswerte, wie etwa Immobilien oder Unternehmensbeteiligungen, finden nach einer Währungsreform in den entsprechenden Märkten ihren neuen Preis. So wurde vor der Einführung des Euro die Tauschrelation zur Deutschen Mark fixiert: 1 Euro = 1.95583 Deutsche Mark. Schließlich wird bei einer Währungsreform auch festgelegt, ob und welchen Betrag die Personen von der neuen Währung direkt erhalten. Bei der Einführung der Deutschen Mark erhielt jeder Haushaltsvorstand zunächst 40 DM als „Kopfgeld“ und jede natürliche Person erhielt einen Monat später noch 20 DM. Später wurden für 10 Reichsmark 1 DM ausgegeben, und bei der Umwandlung wurden die ausbezahlten 60 DM angerechnet. Auch die Währungsreform in Deutschland von 1923 zur Beendigung der Hyperinflation ist vielen im Gedächtnis. In Österreich hat es ebenso mehrere Währungsreformen und Währungsumstellungen gegeben. In der Schweiz war der Franken seit 1850 ohne Unterbrechung die gesetzliche Währung. Erwähnenswert sind lediglich gewisse temporäre Festlegungen der Wechselkurse und die zeitweise Akzeptanz ausländischer Währungen. Beispielsweise war die Schweiz von 1865 bis 1927 Mitglied der Lateinischen Münzunion. Gold- und Silbermünzen aus Frankreich, Belgien, Italien und Griechenland zirkulierten damals als offizielles Zahlungsmittel in der Schweiz. Und von 2011 bis 2015 hatte die Schweizerische Nationalbank gegenüber dem Euro einen Mindestkurs für den Franken gesetzt und verteidigt. 1.4.2 Geldfunktionen Damit das gesetzliche Geld nachhaltig akzeptiert wird, soll das Geld vier Funktionen möglichst gut erfüllen (siehe 1.1.2). Recheneinheit: Das Geld soll eine Messeinheit für Werte bieten, es soll als „Measure“ dienen. Wie wertvoll eine Sache ist, kann in der Geldeinheit ausgedrückt werden. Zahlungsmittel: Die zweitgenannte Geldfunktion ist die, Zahlungen leisten zu können. Geld ist ein Medium, welches erlaubt, Werte interpersonell zu übertragen. Wertaufbewahrung: Das Geld soll es gestatten, Werte über die Zeit hinweg aufbewahren zu können. Dazu sollen sich die Güter, die man mit dem Geld kaufen kann, nicht laufend zu stark verteuern. Die Inflation soll stark begrenzt sein. Wertstabilität bedeutet auch, dass Geld nicht laufend wertvoller werden darf, weil die in der Geldeinheit ausgedrückten Preise allgemein sinken (Deflation). Ob und wie stark die Inflation oder die Deflation ist, wird durch den Gesamtbetrag gemessen, der für einen vorher bestimmten Warenkorb verlangt wird. Standard: Die vierte Funktion des Geldes ist die, auch über die Zeiten hinweg einen Standard der Werte zu vermitteln. Ohne diese Funktion wären intertemporale Verglei- <?page no="34"?> 34 1. Kapitel: Finanzwirtschaft che kaum möglich. Über die Zeiten hinweg laufende Verträge, wie Kredite, wären unmöglich. Die Funktion, einen Standard zu bieten, wird durch eine Währungsreform unterbrochen. Gut funktionierendes Geld verschafft in einem Wirtschafts- und Währungsgebiet nachhaltige, stabile Akzeptanz und Universalität: Geld zu haben ist sogar besser als Güter zu besitzen, denn sofern Märkte bestehen, kann mit Geld fast alles gekauft werden. 1.4.3 Marktfähigkeit Die hohe Universalität des Geldes bewirkt, dass mit ihm auch Finanzkontrakte in das Zentrum der wirtschaftlichen Überlegungen rücken. Finanzkontrakte, die zukünftige Zahlungen (und sie betreffende Rechte) vereinbaren, werden durch die Universalität des Geldes selbst universell. So sind praktisch alle Menschen bereit, in Finanzgeschäfte zu treten. Dabei entwickeln die Menschen einen neuen Geist. Beim Naturaltausch kommt es stark darauf an, dass sich die Präferenzen der beiden Parteien genau treffen. Und selbst in einer Geldwirtschaft kommt es beim Kauf oder Verkauf eines Gutes in einem Markt auf die persönliche Präferenz des Käufers oder des Verkäufers an. Zudem werden Käufe oder Verkäufe nur in jenem Umfang getätigt, in dem sie der persönlichen Präferenz des Individuums entsprechen. Zum Beispiel kauft frischen Fisch nur, wer Fisch mag. Und niemand würde für zuhause gleich einhundert Fische kaufen, nur weil sie vielleicht billig sind. Wenn es hingegen um Finanzgeschäfte geht, haben wir erstens übereinstimmende Präferenzen: wir wollen gewinnen und möglichst nichts verlieren. Zweitens werden wir schnell unersättlich: Ein rentables Finanzgeschäft wollen wir am mit großen Beträgen abschließen. Vielleicht leihen wir uns sogar noch Geld, um das rentabel erscheinende Finanzgeschäft in mehrfacher Höhe dessen abzuschließen, was wir vielleicht ursprünglich vorhatten. Wenn Finanzverträge so gestaltet werden, dass sie marktfähig werden, dann dürften sich die entsprechenden Finanzmärkte folglich zu enormer Größe entwickeln. Hinsichtlich der Größenordnung sind alle bereit, sehr tief in die Finanzgeschäfte einzutauchen. Finanzmärkte entstehen und entfalten sich folglich recht schnell. 1. Die Marktfähigkeit von Finanzgeschäften wird bereits dadurch begünstigt, dass sie sich alle auf Geld beziehen. 2. Eine Konzentration auf wenige Standardtypen, wie beispielsweise Kredite und Beteiligungen, begünstigt weiter die Marktfähigkeit. 3. Des Weiteren wird die Marktfähigkeit gefördert, wenn die Finanzkontrakte in die Form übertragbarer Wertpapiere gebracht werden. 4. Schließlich muss nur noch der Handel organisiert werden, wozu Börsen eingerichtet werden. <?page no="35"?> 1.5 Fazit des Kapitels Finanzwirtschaft 35 1.5 Fazit des Kapitels Finanzwirtschaft 1.5.1 Zusammenfassung Dieses Kapitel betrachtet Geld und Kapital. Geld erfüllt vier Funktionen (Recheneinheit, Zahlungsmittel, Wertaufbewahrung, Standard). Kapital gibt es in der Form von Realkapital, das wiederum konkret und greifbar (tangibel) wie eine Maschine ist oder abstrakt und nichtgreifbar (intangibel) wie Wissen oder der Markenname. Kapital besteht auch in Form von Finanzkapital. Darunter fallen Ansprüche auf zukünftige Zahlungen, deren Grundlage ein Vertrag, ein Finanzkontrakt ist. Die wichtigsten Vertragstypen sind der Kredit (Fremdkapital) und die Beteiligung (Eigenkapital). Seit geraumer Zeit werden Finanzkontrakte so gestaltet, dass die Rechte, Forderungen und Ansprüche übertragen werden können (während selbstverständlich die Pflichten stets von derselben Person erfüllt werden müssen). Diese Entwicklung führt zum Wertpapier und zur Entstehung von Börsen. Der enorme Kapitalbedarf, ausgelöst durch das in der industriellen Gesellschaft benötigte Realkapital, kann letztlich nur durch Finanzmärkte aufgebracht werden. Banken sind nicht in der Lage, so viel Kapital aufzubringen und sie haben sich auch auf Fremdkapital konzentriert. Eine Triebkraft der Entwicklung von Börsen ist der Wunsch der Finanzinvestoren nach Liquidität. Finanzmärkte erfüllen drei Funktionen: sie bewerkstelligen die Kapitalallokation, unterstützen den Risikotransfer und verbessern damit die Risikoallokation, und sie erzeugen Informationen, die für wirtschaftliche Entscheidungen nützlich sind. 1.5.2 Lernpunkte 1. Die Realwirtschaft bezieht sich auf den wirtschaftlichen Einsatz konkreter Ressourcen wie Zeit, Rohstoffe, Material zur Produktion und Distribution von Gütern und Dienstleistungen. Zur Produktion und Distribution wird Realkapital benötigt - also Sachkapital (Maschinen, Einrichtungen) und Wissenskapital (Know-how, Bekanntheit, Organisation) - das finanziert werden muss. 2. Finanzierung ist der Verkauf von Rechten: Der Kapitalgeber überlässt dem Kapitalverwender Geld und erhält Ansprüche auf spätere Rückflüsse. Die Finanzwirtschaft beruht auf Verträgen, auf Finanzkontrakten, in denen Ansprüche auf zukünftige Ergebnisse vereinbart werden. 3. Zwei Grundformen für das Finanzkapital - Verträge zwischen einem Kapitalgeber und einem Kapitalnehmer - sind das Eigenkapital (Beteiligungskapital) und das Fremdkapital (Forderungskapital). 4. Wünschenswert, zunächst für die Kapitalgeber, ist die jederzeitige Möglichkeit, die Ansprüche weitergeben zu können, verkaufen zu können. Dazu wird der Finanzkontrakt übertragbar gestaltet, also in die Form eines Wertpapiers gebracht (Verbriefung). Der Wertpapierhandel wird durch Börsen abgewickelt. Die so erzeugte Liquidität bewirkt, dass sich der Kapitalgeber mit einer etwas geringeren Rendite zufrieden gibt. Dadurch sinken die Kosten, die dem Kapitalverwender für die Fi- <?page no="36"?> 36 1. Kapitel: Finanzwirtschaft nanzierung entstehen (Kapitalkosten). Aufgrund der durch Liquidität geringeren Kapitalkosten im Finanzbereich erhöht sich die gesamte Wohlfahrt. 5. Alle Finanzkontrakte haben einen gemeinsamen Nenner: Im Kern geht es um zukünftige Zahlungen. Finanzpositionen sind daher ähnlich und oftmals recht nahe Substitute. Die Ähnlichkeit bewirkt, dass die Preisbildung (im Finanzmarkt) für eine einzelne Finanzposition von den Preisbildungen bei den (zahlreichen) Substituten abhängt. Finanzmärkte führen zu einer breit abgestützten Preisbildung. 1.5.3 Erwähnte Personen N ORMAN A NGEL , D ANIEL D EFOE , F RIEDRICH A. VON H AYEK , M ICHAEL J ENSEN , A BRA- HAM M ASLOW , A DAM S MITH . 1.5.4 Schlüsselbegriffe Aktie, Allokation der Ressourcen, Anlagewunsch, Anleihe, Außenfinanzierung, Eigenkapital, Finanzkapital, Finanzierungsbedarf, Fremdkapital, Fungibilität, Geld, Innenfinanzierung, Kapital, Kredit, Liquidität, Realkapital, Realwirtschaft, These des Freien Cashflows, Wertpapier, Wissenskapital. 1.5.5 Fragen zur Lernstandskontrolle 1. Geben Sie eine stichwortartige Charakterisierung der realwirtschaftlichen Seite der Wirtschaftswissenschaften und stellen Sie ihr die finanzwirtschaftliche Seite gegenüber, wozu sie „Geld“ und „Kapital“ definieren! [Antwort: Abschnitt 1.1.3] 2. Charakterisieren Sie Eigen- und Fremdkapital! [Antwort: Abschnitt 1.1.3] 3. Unterscheiden Sie Außen- und Innenfinanzierung einer Unternehmung. Gehen Sie auf drei Beispiele näher ein, die unterschiedliche Gewichtungen von Außen- und Innenfinanzierung illustriert haben: 1. Die Kapitalknappheit in Deutschland um 1960, die Finanzierung von Infrastruktur in Österreich um 1970, der verringerte Kapitalbedarf amerikanischer Unternehmungen um 1980! [Antwort: Abschnitt 1.2.2] 4. Wann und warum kam der Shareholder-Value-Gedanke auf ? Was besagt die These des Freien Cashflows und wer hat sie aufgestellt? [Antwort: Abschnitt 1.2.2] 5. Banken und Versicherungen sind Mittelsmänner (Intermediäre), die zwischen dem Finanzierungsbedarf (Unternehmungen, Staat) und den Anlagewünschen der Menschen stehen. Wie können bei dieser Allokationsaufgabe Transaktionskosten gesenkt werden? [Antwort: Abschnitt 1.3.3] <?page no="37"?> 2. Kapitel: Liquidität und Effizienz Werden finanzielle Positionen als Wertpapiere verbrieft, dann können sie leichter an Dritte übertragen werden. Gelegentliche Käufe oder Verkäufe können sich zu einem lebendigen Handel für Wertpapiere ausweiten. Mit Unterstützung effizienter Handelsplattformen, wie sie von modernen Börsenorganisationen eingerichtet sind, können diese Transaktionen schnell und mit geringen Transaktionskosten erfolgen. Grundfunktionen der Finanzmärkte Leistungen der Finanzmärkte Kapitalallokation Geringe Transaktionskosten und hohe Liquidität Risikotransfer Arbitragefreiheit sowie dicke, breite Abstützung der Preisbildung Informationserzeugung Informationseffizienz Finanzmärkte erzeugen Liquidität der gehandelten Wertpapiere (Abschnitt 2.1): Käufe oder Verkäufe finanzieller Positionen können praktisch ohne zeitliche Verzögerung und ohne nennenswerte Aufschläge oder Abschläge beim Preis realisiert werden. Dadurch bewirkt die Kursbildung, dass Teilmärkte schnell geräumt sind: Nachfrage und Angebot zu dem Kurs sind gleich hoch. Letztlich hängen die Preise für Finanzpositionen, also für Rechte, in Zukunft Zahlungen zu erhalten, davon ab, wie die wirtschaftliche Zukunft eingeschätzt wird (Abschnitt 2.2). Die Preise in Finanzmärkten fassen zusammen, wie diejenigen, die an den Finanzmärkten aktiv teilnehmen, diese wirtschaftliche Zukunft in ihrer Mehrheit einschätzen. Man kann an den Preisen ablesen, wie die Allgemeinheit eine Sache einschätzt. Die einzelnen Informationen werden bei der Preisbildung im Markt durch das Marktgeschehen also zusammengetragen und zusammengefasst. Bei dieser Informationserzeugung sind die Finanzmärkte für die meisten Positionen ausgesprochen leistungsfähig. Die Finanzmärkte sind bei der Erzeugung von Informationen über die allgemeine Einschätzung der wirtschaftlichen Zukunft also effizient. Auch die Informationseffizienz ist eine erwünschte Leistung, die in den meisten Finanzmärkten erreicht wird. Ein großer Verfechter der Idee, möglichst viele Aufgaben der Allokation durch Märkte zu bewerkstelligen, war F RIEDRICH A UGUST VON H AYEK (1899-1992). V ON H AYEK argumentierte, dass Märkte vor allem zwei Aufgaben bewerkstelligen: Erstens: Märkte bringen auf leichte Art und Weise die nur verstreuten persönlichen Informationen und Einschätzungen der am Marktgeschehen Teilnehmenden zusammen. Zweitens: Märkte erzeugen auch ganz Neues und sind daher bürokratischen Allokationsverfahren weit überlegen, wenn es um Innovation und um Weiterentwicklung geht. In gewissen Marktsituationen etwa könnte man eine relativ hoch rentable Geldanlage mit einem relativ geringe Zinskosten verursa- <?page no="38"?> 38 2 Kapitel: Liquidität und Effizienz chenden Kredit kombinieren. So würde ein sicherer Arbitragegewinn entstehen. Gelegentlich sind solche Zinsunterschiede möglich, wenn für den Hinweg (Geldanlage) und den Rückweg (Kreditaufnahme) unterschiedliche Währungen gewählt werden. 2.1 Liquidität 2.1.1 Liquidität und Kapitalismus Eine hoch erwünschte Eigenschaft der Finanzkontrakte oder der sie verbriefenden Wertpapiere ist ihre Liquidität: Es sollten kaum Wartezeiten für Personen entstehen, die finanzielle Ansprüche, Forderungen, oder Beteiligungsrechte verkaufen oder erwerben wollen. Außerdem soll durch den Kauf oder Verkauf einer Position die typischerweise durch die Transaktion bewirkte Preisveränderung gering bleiben. Kaufbedingte Aufschläge gegenüber dem derzeitigen Preis und verkaufsbedingte Preisabschläge sollten klein sein. Beim börsentäglichen Handel von Anleihen und von Aktien entstehen in der Tat kaum Wartezeiten. Wenn es sich um Wertpapiere handelt, die sich in großen Volumina in Umlauf befinden, dann sind auch die handelsbedingten Kursänderungen vernachlässigbar, zumindest bei den üblichen Mengen. Lediglich größere Transaktionen verlangen eine eigene Aushandlung der Preise. Unter Liquidität wird die Leichtigkeit verstanden, mit der ein Wertpapier (wie eine Anleihe oder eine Aktie) oder allgemeiner eine Vermögensposition (ein Asset) verkauft und gekauft werden kann. Die Leichtigkeit zeigt sich erstens in einer geringen Wartedauer bis zur Ausführung eines Transaktionswunsches und zweitens in einer vergleichsweise geringen Preisänderung (Abschlag bei Verkauf, Aufschlag bei Kauf), zu der ein Transaktionswunsch dann tatsächlich ausgeführt werden kann. Die Liquidität ist ein Vorteil, den zunächst die Anleger schätzen. Wenn die sonstigen Konditionen wie Rendite und Risiko gleich sind, dann ziehen Anleger eine liquide Geldanlage einer Kapitalanlage vor, von der sie sich vor der geplanten Beendigung nicht oder nur nach einer Wartezeit beziehungsweise mit einem Kursabschlag trennen können. Um den Vorteil der Liquidität zu veranschaulichen, wird einem Gedankenexperiment gefolgt. Zur Vorbereitung wird ein Blick auf die Finanzwirtschaft in Kuba geworfen. Der Entwicklungsstand einer Finanzwirtschaft ohne ausgebaute Finanzmärkte, ohne Wertpapiere und ohne Märkte für Anleihen und Aktien, ist in solchen Ländern anzutreffen, die sich als nicht-kapitalistisch ansehen. Dazu gehört (immer noch) Kuba. Auch in diesem Land der Karibik gibt es eine Finanzwirtschaft mit Geld, Krediten und Banken. Doch in Kuba gibt es keine ausgebaute Börse. Selbstverständlich hat sich in Kuba eine arbeitsteilige Realwirtschaft (mit den Schwerpunkten Landwirtschaft und Tourismus) entfalten können. Es gibt Märkte für Güter und selbstverständlich gibt es Geld. Die Währung ist der Pesos. Ausländer müssen mit dem Peso Convertible bezahlen, den zu erhalten staatlichen Kontrollen unterliegt. Sodann gibt es in Kuba Realkapital: Dazu gehören Land, Hotelgebäude und Wissen. <?page no="39"?> 2.1 Liquidität 39 Für die kubanischen Betriebe sind zudem gewisse rechtliche Rahmenbedingungen geschaffen worden, die sie mit den Unternehmen in Deutschland, den USA und Japan durchaus vergleichbar macht. Diese Rahmenbedingungen erkennen den Investitionsvorgang und damit das Finanzkapital an. Es gibt also Privateigentum an Kapital. Kubanische Banken geben Kredite, und es gibt Personen, die aufgrund ihres Einsatzes im Unternehmen rechtlich ähnlich gestellt sind wie die Eigentümer oder Gesellschafter einer Unternehmung in Deutschland oder in den USA. Richtig ist, dass viele Banken und Unternehmen in Kuba den Staat als Eigentümer haben, doch gibt es auch in anderen Ländern Einrichtungen mit wirtschaftlicher Leistungsabgabe, bei denen der Staat als alleiniger oder teilweiser Kapitalgeber fungiert. Die kubanischen Unternehmen werden (mit Akzenten) nach denselben wirtschaftlichen Grundsätzen geführt wie anderswo. In Kuba sprechen Regierungsvertreter immer wieder ausländische potentielle Kapitalgeber an und laden sie dazu ein, sich mit einer Direktinvestition an einer Unternehmung zu beteiligen. Der Finanzkontrakt wird in Havanna notariell beurkundet. Die Eigenkapitalgeber haben dieselbe Rolle wie der Gesellschafter einer GmbH. Wenn der ausländische Finanzinvestor neben Geld abstraktes Realkapital mitbringt und technologisches Wissen zur Verfügung stellt, dann ist er als Kapitalgeber in Kuba erst recht willkommen und kommt in den Genuss von Vorteilen. Doch eine Möglichkeit gibt es in Kuba nicht: Der Kapitalgeber kann zwar seine Beteiligung grundsätzlich einer anderen Person verkaufen, ähnlich wie GmbH-Anteile übertragen werden können. Die Regierung sieht das aber ungern und behindert einen Verkauf von Beteiligungsrechten, besonders wenn er als „kapitalistische Spekulation“ verstanden werden könnte. Deshalb sind die Übertragung und der Verkauf einer Unternehmensbeteiligung praktisch erst nach vielen Jahren möglich. Entsprechend ist der Finanzvertrag in Kuba nicht verbrieft. Er hat nicht die Form eines Wertpapiers, das der Inhaber ohne weitere Gründe angeben zu müssen börsentäglich verkaufen könnte. Im Unterschied dazu ist es in Ländern wie Deutschland oder den USA weit verbreitet, Finanzkapital in die Form von Wertpapieren zu bringen, um die leichte Übertragbarkeit (Fungibilität) zu begünstigen. In diesen Ländern sind die Börsen entwickelt. In Kuba gibt es weder Wertpapiere noch Börsen. Die kapitalistische Wirtschaftsordnung ist also weder dadurch gekennzeichnet, dass es Märkte (für Produkte) gibt, noch dass es Geld gibt, noch dadurch, dass es Finanzkontrakte wie Kredite und Beteiligungen gibt. Denn Märkte, Geld, Finanzkontrakte und Banken gibt es überall. Die kapitalistische Wirtschaftsordnung ist nicht dadurch gekennzeichnet, dass private Kapitalgeber, die an einem Geschäft beteiligt sind, in dieses Geschäft mit Entscheidungen eingreifen können. Unternehmerisches Denken gibt es auch in Kuba. Das vorrangige Merkmal des Kapitalismus ist, dass die als „Kapital“ bezeichneten Finanzverträge in überwiegendem Umfang die Form eines Wertpapiers haben, verbrieft sind und an Börsen gehandelt werden. Die Finanzmärkte sind im Kapitalismus frei: Der Staat verzichtet auf Einflussnahme in jenen Bereichen der Wirtschaftstätigkeit, die ebenso gut oder vielleicht sogar noch besser von privater Seite frei gestaltet werden können. Kurz: Der Kapitalismus als Wirtschaftsordnung ist durch Wertpapiere und freien Handel an Börsen gekennzeichnet, also durch die leichte Übertragbarkeit finanzieller Positionen. In der Folge orientieren sich Finanzinvestoren und Finanziers an den allgemein <?page no="40"?> 40 2 Kapitel: Liquidität und Effizienz im Finanzmarkt geteilten Zielen wie Kapitalerhalt, Rendite und Vermehrung des Kapitals. Wenn zwar eine Finanzwirtschaft mit Banken, mit Krediten und mit Unternehmensbeteiligungen gegeben ist, nicht aber ein freier Handel mit Wertpapieren an Börsen, dann liegt keine als „kapitalistisch“ zu bezeichnende Wirtschaftsordnung vor. 2.1.2 Ein Gedankenexperiment Warum gibt es in Ländern wie Deutschland und den USA Wertpapiere und Börsen? Hierzu nun das Gedankenexperiment: Stellen Sie sich, liebe Leserin und lieber Leser, einmal vor, Sie hätten 50 Tausend Euro anzulegen, zunächst für eine unbestimmte Zeitdauer. Sie haben sich überlegt, eine Beteiligung an einer Ziegelei zu erwerben. Über das Internet erfahren Sie von zwei Ziegeleien, die ihr Eigenkapital aufstocken wollen, um Erweiterungsinvestitionen zu finanzieren. Eine ist in Frankreich, die andere befindet sich in Kuba. Die weitere Informationsbeschaffung zeigt, dass sich die Ziegeleibetriebe wie eineiige Zwillinge gleichen. Nicht nur sind die Brennöfen identisch. Beide Ziegeleien haben dieselbe Anzahl von Arbeitsplätzen und praktisch identische Geschäftspläne. Beide verschiffen die Ziegel weltweit und verkaufen sie zu den auf den Weltmärkten geltenden Preisen für Baumaterialien. Beide Ziegeleien suchen neues Eigenkapital. Beide lassen aufgrund ihrer Geschäftspläne eine Rendite von 10% erwarten. Weiter nehmen wir in unserem Gedankenexperiment an, dass Länderrisiken nicht in die Entscheidung hineinspielen, sie sollen durch entsprechende staatliche Garantien ausgeschlossen sein. Der einzige Unterschied, der zwischen der Beteiligung in Frankreich und der in Kuba bleibt, soll die Leichtigkeit beziehungsweise Unmöglichkeit sein, die Finanzbeteiligung morgen oder nächsten Monat oder in einem Jahr weiterzugeben. Wo würden Sie Ihr Geld anlegen? Bei der französischen Ziegelei hat die Beteiligung die Form einer Aktie. Aktien können jederzeit an der Börse verkauft werden, wo sich immer Kaufinteressenten finden. Transaktionskosten sind gering. Die in die Form der Aktie gekleidete Beteiligung ist in hohem Maß liquide. Die Beteiligung an der kubanischen Ziegelei wird als lang laufender, notariell beurkundeter Vertrag behandelt. Als Finanzinvestor müssten Sie, wenn Sie sich von der Beteiligung irgendwann trennen wollten, selbst einen Käufer suchen, dann müssten Sie die andere Vertragsseite - die kubanischen Manager, die die Ziegelei vertreten - überzeugen, der Weitergabe der Beteiligung zuzustimmen. Wenn das gelingt, kommen als Nachteile hinzu, dass die Übertragung und notarielle Beurkundung Zeit kosten und mit Gebühren verbunden sind. Die Transaktionskosten sind hoch. Deshalb ist die kubanische Beteiligung wenig liquide. Aufgrund des Unterschieds hinsichtlich der Liquidität - wie besprochen soll das der einzige Unterschied sein - dürften Sie sich wohl für die Beteiligung an der französischen Ziegelei entscheiden. <?page no="41"?> 2.1 Liquidität 41 Die kubanische Ziegelei erkennt, dass sie keine Chance hat, Kapital aufzunehmen. Die kubanischen Manager kontaktieren Sie und fragen, wie hoch die zu erwartende Rendite für Sie sein müsse, damit Sie sich doch noch dazu bewegen lassen, Ihr Geld der kubanischen Firma zur Verfügung zu stellen. Vielleicht denken Sie, dass der Nachteil der geringen Liquidität mit einer Zusatzrendite von 3% abgegolten werden müsse und antworten: „Angesichts der 10% Renditeerwartung für die liquide Anlage in die französischen Aktien müssten es schon 13% sein, die ich für die wenig liquide Anlage in die kubanische Firma erwarten können müsste, um sie zu berücksichtigen. Bei 14% oder 15% Renditeerwartung würde ich klar zugunsten der Anlage in Kuba entscheiden.“ Nun sind Sie nicht allein auf der Welt, und andere Finanzinvestoren denken genau wie Sie. Wo es möglich ist, 10% für eine liquide Anlage zu erhalten, müssen bei nicht-liquiden Anlagen, sofern alle anderen Kriterien in gleicher Weise erfüllt sind, vielleicht 13% oder mehr geboten werden, damit sie nicht von vornherein abgelehnt werden. So geht der Manager der kubanischen Ziegelei zu seinen Direktoren und Abteilungsleitern und erklärt: „Um weiter bestehen zu können, müssen wir in Realkapital investieren. Wir benötigen das Kapital für die Finanzierung. Wir könnten Kapital bekommen, sofern wir wenigstens 13% bieten.“ Alle stimmen zu, und der kubanische Manager fährt fort: „Die Kapitalgeber geben sich natürlich mit einem bloßen Versprechen, dass sie 13% erhalten werden, nicht zufrieden. Sie wollen diese Renditeerwartung im Geschäftsplan begründet sehen. Intern müssen wir in unseren Kalkulationen so rechnen, dass uns das Kapital 13% kostet, wir also mit der höheren Rendite kalkulieren. Wir haben eben höhere Kapitalkosten als Unternehmen in Ländern mit liquiden Finanzkontrakten.“ Daher wird überlegt, wie der Geschäftsplan geändert werden kann, dass die Eigenkapitalgeber anstatt von 10% die aufgrund der Illiquidität erforderlichen 13% Rendite erwarten können. Die Preise für die Erzeugnisse können nicht erhöht werden, da sie durch den Absatzmarkt gegeben sind. Am Ende wird nur eine Möglichkeit gefunden: Die Arbeiter der kubanischen Ziegelei müssen sich mit weniger Lohn zufrieden geben. Anders ausgedrückt: Die fehlende Liquidität der Finanzkontrakte in Kuba verursacht einen Wohlfahrtsverlust für das Land. Wäre es möglich, den Finanzkontrakten die Form von Wertpapieren zu verleihen und gut funktionierende Börsen zu etablieren, würde mit der so geschaffenen Liquidität ein Wohlfahrtsgewinn einher gehen. Die Kapitalkosten würden sinken. Welches sind die Vorteile geringerer Kapitalkosten? Von den mit dem finanzierten Realkapital erwirtschafteten Ergebnissen muss weniger an die Kapitalgeber abgezweigt werden, da sie sich mit weniger zufrieden geben. Das wirkt wie ein Paradoxon: Wer sozial eingestellt und am Schutz der Umwelt interessiert ist, vielleicht der kapitalistischen Wirtschaftsordnung kritisch gegenübersteht, der sollte eigentlich für die Verbriefung und die Einrichtung von Börsen als Grundlage für die Schaffung von Liquidität votieren. Denn durch die Liquidität wird es leichter und günstiger, Finanzierungen für die Realwirtschaft zu erhalten. Ein größerer Teil der in der Realwirtschaft erzielten Ergebnisse kann folglich an die Mitarbeiterschaft als Löhne weitergegeben werden, und ein höherer Teil kann für den Schutz der Umwelt verwendet werden. Der Prozess, Finanzverträge leicht übertragbar zu gestalten, besteht darin, sie als Wertpapier zu verbriefen und gut funktionierende Börsen in Gang zu bringen. Dieser Vorgang <?page no="42"?> 42 2 Kapitel: Liquidität und Effizienz wird als Verbriefung oder auch als Securitization angesprochen - im Angelsächsischen wird das Wertpapier als Security bezeichnet. Die Verbriefung stellt den Königsweg zu höherer Liquidität dar. Nach der vorangegangenen Charakterisierung des Kapitalismus als Wirtschaftsordnung, in der Wertpapiere und Börsen geschaffen werden, kommt der Kapitalismus einer Wirtschaftsordnung gleich, in der durch Instrumente und Handelsorganisationen versucht wird, Liquidität zu schaffen. Die Verbriefung, die dadurch und durch Börsen erreichbare Liquidität - die kapitalistische Wirtschaftsordnung - verhilft demnach zu höherem allgemeinen Wohlstand. Unternehmen können leichter Kapital erhalten, mehr investieren, mehr Arbeitsplätze schaffen, und letztlich ist die von den Finanzinvestoren geforderte Rendite geringer. Dadurch bleiben den Unternehmen mehr Mittel, um gute Löhne zu bezahlen. Aus dem genannten Grund - höhere Liquidität der Finanzierungskontrakte geht einher mit sinkenden Kapitalkosten und einem Wohlfahrtsgewinn für das Land - haben sich in vielen Ländern Märkte für übertragbar gestaltetes Finanzkapital entfaltet, eben Finanzmärkte. Merkpunkte 1. Damit Finanzkontrakte überhaupt weitergegeben werden können, müssen sie übertragbar (fungibel) sein. Insbesondere muss der Kapitalverwender damit einverstanden sein, dass der Inhaber der Rechte und Ansprüche, die er zu erfüllen hat, wechselt. 2. Die Fungibilität wird durch eine Verbriefung als Wertpapier erleichtert. Die wichtigsten Wertpapiere verbriefen entweder Kreditverträge (Fremdkapital) und werden dann als Anleihen, Renten oder Obligationen (angelsächsisch Bonds) bezeichnet. Oder sie verbriefen Beteiligungen (Eigenkapital, Share) in der Form der Aktie (Stock). 3. Wenn die Verbriefung als Wertpapier gelungen ist, dann muss noch das Marktgeschehen geeignet gestaltet werden. Ein Markt kann entstehen, wenn sehr viele Finanzverträge desselben Typs angeboten und nachgefragt werden. Diese Situation ist bei Anleihen und bei Aktien der Fall, besonders wenn es um Anleihen mit großem Volumen und um Aktien großer Gesellschaften geht. Der Handel für solche Wertpapiere kann dann sehr stark organisiert sein und konkret in einer Börse ablaufen. 2.2 Informationserzeugung 2.2.1 Primärmarkt und Sekundärmarkt Für haltbare Güter ist uns geläufig, dass ein Markt für neue Erzeugnisse von einem Gebrauchtmarkt zu unterschieden ist, auch wenn die Preisbildung in beiden zusammenhängt. Im Markt für neue Erzeugnisse treffen Hersteller und Endverbraucher aufeinander, im Markt für bereits gebrauchte Erzeugnisse treffen verkaufende Endverbraucher auf kaufende Endverbraucher. Alle in beiden Märkten tätigen Personen stellen Vergleiche an, und diese Vergleiche führen zu Angebot und Nachfrage. Eventuell wirken in beiden Märkten Intermediäre mit, Handelsplattformen und andere Einrichtungen, die das Marktgeschehen (Vergleiche, Preisfindung, Ausgleich von Angebot und Nachfrage) unterstützen. <?page no="43"?> 2.2 Informationserzeugung 43 Genauso ist es bei Wertpapieren. Bei Ausgabe und Markteinführung neuer Wertpapiere treffen die das Kapital aufnehmenden Einrichtungen (Unternehmen, Staat) auf Kapitalanleger und Finanzinvestoren (Privatpersonen, Lebensversicherungsgesellschaften). Und bereits ausgegebene Wertpapiere können von jenen, die die Forderungen oder Beteiligungsrechte haben, an andere Kapitalanleger oder Finanzinvestoren weitergegeben werden. Die Finanzakteure stellen Vergleiche an, und diese Vergleiche führen wieder zu Angebot und Nachfrage. In Finanzmärkten sind Vergleiche sogar besonders leicht, weil es durch den gemeinsamen Nenner Geld aller Finanzpositionen zahlreiche Ähnlichkeiten und damit Vergleichsmöglichkeiten gibt. Sowohl die Erstausgabe neuer Wertpapiere als auch die Weitergabe der sich bereits im Handel befindlichen Wertpapiere findet in marktähnlichen Umgebungen oder in organisierten Märkten statt, und wieder können am Geschehen Intermediäre wie Banken mitwirken und das Geschehen unterstützen. Der erstgenannte Markt für die Neuausgabe von Wertpapieren heißt Primärmarkt, der zweitgenannte Markt für die Weitergabe von Wertpapieren ist der Sekundärmarkt. Am Primärmarkt werden Unternehmen, Kommunen, der Staat und supranationale Organisationen tätig. Sie geben neue Wertpapiere aus und bieten sie dem Anlagepublikum zur Zeichnung (Versprechen der Annahme bei der Emission) an. Dabei wenden sie sich vorrangig an institutionelle Investoren sowie an größere Privatanleger. Auch der Börsengang eines Unternehmens, das Initial Public Offering (IPO), ist ein Vorgang am Primärmarkt. Ist eine Emission erfolgt und sind alle Wertpapiere beim Anlegerpublikum untergebracht, dann bleibt den Emittenten die Aufgabe, die mit dem Wertpapier versprochenen Zahlungen zu leisten. Selbstverständlich müssen nach Emission die eingeräumten Forderungen sowie die gegebenen Rechte honoriert werden. Das Anlegerpublikum kann die bei Emission übernommenen Wertpapiere behalten oder am Sekundärmarkt anderen Finanzinvestoren übertragen. Abb. 3: Zeitablauf vor einem IPO und kurz danach Dieser sich an die Börseneinführung anschließende Handel vollzieht sich an jedem Börsentag über die gesamte Laufzeit des Wertpapiers. Dieser Handel wird üblicherweise als Börsengeschehen angesehen. Auch beim täglichen Börsengeschehen werden natürlich von den kau- Genaue Evaluation und Entwicklung / Consulting Vorbereitung auf den Börsengang Marketing Roadshow 6 Monate bis 2 Jahre 3 Monate 1 Monat 1 Monat Unterstützung an der Börse Screening möglicher Unternehmen und Unterzeichnung eines Letter of Intent (LOI) <?page no="44"?> 44 2 Kapitel: Liquidität und Effizienz fenden und verkaufenden Finanzinvestoren Vergleiche angestellt, und die Börse unterstützt diese Vergleiche durch Transparenz hinsichtlich der Situation von Angebot (bisheriger Anleger) und Nachfrage (neuer Anleger). Der Primärmarkt bringt also Emittenten (Staat, Unternehmen) und Kapitalanleger zusammen, während der Sekundärmarkt innerhalb der Gruppe der Kapitalanleger abläuft. Die Kursbildung am Sekundärmarkt und am Primärmarkt hängen zusammen. Dies, weil Finanzinvestoren wählen können, ob sie für anzulegendes Kapital neue Wertpapiere am Primärmarkt zeichnen oder sich bereits in Umlauf befindliche Wertpapiere am Sekundärmarkt kaufen. Beispiele für diese gegenseitige Rückwirkung: Kündigt ein Unternehmen die Erhöhung ihres Eigenkapitals durch Ausgabe neuer Aktien an, dann kann dies zu einer negativen Kursreaktion an der Börse führen. Und wenn es an der Börse zu großer Nachfrage nach Unternehmensanleihen kommt, dann könnten die Unternehmen verstärkt planen, neues Kapital am Primärmarkt aufzunehmen und bereits geplante Investitionsprojekte zu realisieren. Die Tatsache, dass durch den Sekundärmarkt die eigentlichen Kapitalverwender kein neues Geld erhalten, hat oft für Unverständnis gesorgt. Es heißt, die Börse sei ein Spielkasino, das weder den das Kapital benötigenden Unternehmen noch dem Staat etwas nütze. Diese Behauptung ist falsch. Zwar ist etwa ein Unternehmen kurzfristig am Börsenhandel ihrer Aktien unbeteiligt und hat von Kurssteigerungen ganz kurzfristig gesehen keinen Vorteil. Doch durch die Abhängigkeit des Primärmarktes vom Sekundärmarktgeschehen bestimmen Kurssteigerungen, ob und zu welchen Bedingungen das Unternehmen neues Kapital durch Ausgabe neuer Aktien aufnehmen kann, Kapital, das dann für Realinvestitionen im Unternehmen zur Verfügung steht und solche Vorhaben ermöglicht. Jene, die das Kapital aufnehmen und verwenden, sind sich der Zusammenhänge zwischen Primär- und Sekundärmarkt bewusst. Über die Pflicht, die Zahlungen für ausgegebene Wertpapiere zu leisten und Forderungen und Rechte zu honorieren hinaus zeigen sie daher ein Wohlwollen gegenüber den Finanzinvestoren. Beispielsweise werden hin und wieder Unternehmen an der Börse tätig und kaufen eigene (und früher einmal ausgegebene) Aktien zurück. Der Rückkauf eigener Aktien ist besonders in den USA üblich und wird als Zeichen interpretiert, dass die augenblicklichen Kurse am Sekundärmarkt vom Management als zu gering angesehen werden. Die meisten Unternehmen pflegen die Beziehungen zu den bestehenden Finanzinvestoren durch eigens dafür ausgerichtete Bemühungen, die als Investor Relations bezeichnet werden. So kann eine positive Rückwirkung des Sekundärmarktes auf den Primärmarkt verstärkt werden. Und der Primärmarkt ist die Instanz, durch die Kapitalverwender neues Kapital erhalten können. 2.2.2 Underwriting Eine ausgesprochen negative Rückwirkung übt der Primärmarkt aus, falls eine neue Emission nicht ganz untergebracht wird. Emittenten bedienen sich daher der Unterstützung einer Investmentbank, um eine beabsichtigte Erstausgabe voll unterzubringen. Meistens gibt die Investmentbank dem Emittenten die Garantie (sie unterschreibt dieses Versprechen, <?page no="45"?> 2.2 Informationserzeugung 45 weshalb es als Underwriting bezeichnet wird), dass mit ihrer Hilfe das gesamte Volumen neuer Wertpapiere bei Finanzinvestoren untergebracht werden kann. Notfalls, wenn zu wenige Finanzinvestoren zeichnen, würden die Anleihen oder die Aktien von der Investmentbank selbst für einige Zeit „in die eigenen Bücher“ genommen und als Eigenbestand gehalten. Erst Jahre nach der Emission baut die Investmentbank dann den Vorrat durch zahlreiche kleinere Verkäufe am Sekundärmarkt ab. Das Underwriting ist eine wichtige Dienstleistung, für die Emittenten entsprechend bezahlen müssen. Eine Garantie zu erhalten ist nie gratis. Einige Emittenten verzichten deshalb auf die Dienste von Investmentbanken. Sie versuchen eine Kapitalaufnahme („Funding“) durch Privat-Platzierungen, etwa durch Ansprache des Publikums im Internet. Inzwischen sind einige Formen der so genannten „Schwarmfinanzierung“ (Crowd Finance, Crowd Funding) wohl etabliert. Immobilienunternehmen, etwa die Firmen Bergfürst, Exporo oder Grundag in Deutschland oder die Firma Crowdhouse in der Schweiz, bieten Beteiligungen an Bauobjekten über das Internet an. Verschiedene Unternehmen haben Kapitalerhöhungen (durch Ausgabe neuer Aktien gegen Einlagen) erfolgreich direkt und ohne Investmentbank durchgeführt. Weitere Gesellschaften verkaufen Anteile direkt an Abnehmer ihrer Leistungen, die im Gegenzug eine Kapitaleinlage bieten. Dazu gehören Gesellschaften, die Ferienwohnungen errichten und Anteile mit Nutzungsrechten direkt an Interessenten vertreiben. Auch der Staat vermeidet die Kosten für Investmentbanken, wo es nur möglich ist. Bei einigen Staatspapieren sowie bei kurzfristigen Geldmarkt-Buchforderungen übernimmt das Schatzamt des Staates selbst die Platzierung und wendet sich direkt an die interessierte Öffentlichkeit von Anlegern, etwa durch Anzeigen in den Medien, ohne den teuren Weg der Intermediation einer Investmentbank einzuschlagen. Ähnliches gilt für die Ausgabe von Pfandbriefen. Angesichts dieser Entwicklung ist zu vermuten, dass elektronische Plattformen die traditionelle Intermediation verdrängen. Merkpunkte 1. Der Emissionsvorgang oder die Börseneinführung neuer Wertpapiere läuft in einer marktähnlichen Weise ab: Es gibt zahlreiche Vergleiche mit anderen Emissionen. So kann hier von einem Markt gesprochen werden. Der Markt für die Neueinführung von Wertpapieren ist der Primärmarkt. Von einem Sekundärmarkt oder Sekundärhandel spricht man, wenn bereits im Markt vorhandene Papiere getauscht werden. 2. Während sich auf dem Primärmarkt bei der Börseneinführung die Personen mit Anlagewunsch und die Personen mit Finanzierungsbedarf (Emittenten) gegenüberstehen, ist das nach der Emission beim sich anschließenden Handel mit den bereits eingeführten Wertpapieren anders. Auf diesem Sekundärmarkt spielt sich der Handel innerhalb der Gruppe der Anleger oder Finanzinvestoren ab. Die Kapitalverwender, die Emittenten der Wertpapiere, bleiben beim Handel im Sekundärmarkt weitgehend unbeteiligt. 3. Das Geschehen an Primärmarkt und Sekundärmarkt hängt stark zusammen. Zumindest die größeren Finanzinvestoren können entscheiden, ob sie Wertpapiere im Primärmarkt zeichnen oder am Sekundärmarkt kaufen. Das Geschehen in jedem der beiden Märkte strahlt zudem auch durch Informationen auf den jeweils anderen Markt aus. Als <?page no="46"?> 46 2 Kapitel: Liquidität und Effizienz besonders negativ wird im Sekundärmarkt gesehen, wenn eine Emission im Primärmarkt nicht vollständig gezeichnet wird. Der Handel im Sekundärmarkt ist durch starken Wettbewerb, Hektik und die schnelle Reaktion auf neue Informationen geprägt: Preise werden augenblicklich bekannt gegeben, und jedermann kann Wertpapiere bieten und nachfragen. Das aktuelle Orderbuch listet die gerade eingegebenen und noch nicht verwirklichten Transaktionswünsche auf. Das Orderbuch ist eingetragenen und an der Börse zugelassenen Personen zugänglich. Ist der Sekundärmarkt überhaupt erforderlich? Um eine Antwort anhand eines ganz anderen Marktes zu finden: Sollte ein Autohersteller nicht darauf bestehen, dass die Käufer von Neuwagen diese persönlich bis an das Ende der Lebenszeit des Fahrzeugs behalten und selbst nutzen? Allgemein bekannt ist, dass Fahrzeughersteller sich um einen gut funktionierenden Gebrauchthandel bemühen und diesen unterstützen. Die bereits besprochene Liquidität wird durch den Handel im Sekundärmarkt erzeugt. Falls Finanzkontrakte Liquidität aufweisen, begnügen sich die Kapitalgeber mit einer geringeren Rendite (wie unser Gedankenexperiment in 2.1.2 illustrierte). Aufgrund der geringeren Rendite hat der Kapitalverwender (Unternehmung, Staat) einen Vorteil durch geringere Kapitalkosten. Mit der Liquidität hängt eine weitere positive Eigenschaft zusammen, die Finanzmärkte bieten. Liquidität bedeutet, dass die Transaktionskosten gering sind. Bei geringen Transaktionskosten kann jedermann ein Portfolio aus verschiedensten Wertpapieren zusammenstellen. Es ist für Anleger daher leichter möglich, den Gesamtbetrag auf unterschiedlichste Wertpapiere zu streuen. Das heißt, es kann leichter auf Diversifikation geachtet werden. Bei der Portfolio-Selektion steht die Diversifikation von Risiken im Vordergrund, weshalb Finanzmärkte auf diese Weise eine bessere Allokation der Risiken erlauben. Sind hingegen (in einer Welt ohne fungible Finanzkontrakte) die Transaktionskosten hoch, dann wird jeder Anleger sich auf eine einzige oder einige wenige Anlagen konzentrieren, um Transaktionskosten zu reduzieren. Die Bildung eines gut diversifizierten Portfolios wäre bei hohen Transaktionskosten zu teuer. Als zweite, günstige Eigenschaft ist demnach die Allokation der Risiken hervorzuheben. 2.2.3 Basis für Entscheidungen Über die Erzeugung von Liquidität und die gute Allokation von Kapital und Risiken hinaus bieten Finanzmärkte Information. Selbstverständlich eignen sich Finanzmärkte hervorragend für Wetten über den weiteren wirtschaftlichen Verlauf. Jeder darf mit wetten, doch muss eigenes Geld setzen, um Information einzubringen. Das ist doch anders, als wenn ein Professor oder eine Beratungsfirma ein Gutachten verfasst aber letztlich nicht für die Richtigkeit der Aussagen haften muss. Im Finanzmarkt kann jemand viel Geld gewinnen, wenn er oder sie auf Informationen setzt, die sich später als richtig herausstellen. Gleichermaßen kann im Finanzmarkt jede Person verlieren, wenn sie auf Althergebrachtes setzt und sich wenig darum kümmert, ob die Welt inzwischen weitergegangen ist. Wer eigenständig Informationen beschafft und <?page no="47"?> 2.2 Informationserzeugung 47 verarbeitet, ist einem hohen Leistungsdruck ausgesetzt: Diejenigen, die bei der Informationsbeschaffung und der Informationsverarbeitung gut sind, ringen mit denjenigen, die das noch besser und schneller machen. Auf diese Weise drückt das Handelsgeschehen über die Preise schnellstens und ziemlich korrekt all die Information aus, die eine Zusammenfassung, ein Aggregat wiederum jener Informationen darstellt, aufgrund derer diejenigen tatsächlich entschieden haben, die Transaktionen vorgenommen haben. Durch den eben angesprochenen Leistungsdruck dürften die Informationen der einzelnen Investoren und Financiers korrekt sein und schnell in Handel umgesetzt werden. Entsprechend vermitteln die Preise ein Aggregat, das korrekt und praktisch ohne zeitliche Verzögerung alle diese Informationen zusammenfasst. Es wird also nicht passieren, dass die Beurteilung und Bewertung einer Unternehmung vielleicht schon längst passé ist und sich der Aktienkurs dennoch nicht bewegt. Ebenso wird es an den Finanzmärkten nicht passieren, dass die Zinsen steigen, dass also höher verzinste Anlagemöglichkeiten in Kürze möglich sind, und die laufenden Anleihen mit ihrem für die gesamte Laufzeit festgeschriebenen Kupon immer noch zum alten Kurs gehandelt werden. Die Finanzmärkte bieten aggregierte Informationen über die allgemeine Einschätzung der wirtschaftlichen Zukunft in korrekter und stets aktueller Weise. Diese Informationen drücken sich in den Kursen oder Preisen der Wertpapiere aus (Informationseffizienz). Nun wird eine einzelne Person eine persönliche Sicht der Dinge haben. Oft werden Querdenker sogar gelobt. Doch wer Entscheidungen über große Ressourcen trifft oder über die Gelder von Kunden und dann Rechenschaft abgeben sollte, der wird sich an den allgemeinen Informationsstand halten und es meiden, irgendeiner Anekdote oder einem Tipp höheres Gewicht beizumessen. Die Manager von Unternehmen und der Staat sind daher gut beraten, wenn sie die Informationsquelle, die Finanzmärkte bieten, bei Entscheidungen nutzen und diesen Informationen letztlich Folge leisten. So kommt es, dass bei den Investitionsentscheidungen der Unternehmen „die Sicht der Finanzmärkte“ hineinspielt. Weil die Finanzmärkte aktuell und gut über die allgemein geteilten Einschätzungen der wirtschaftlichen Zukunft informieren, nimmt die Entscheidungsqualität der Unternehmungen und des Staates zu. Merkpunkte 1. Erinnern wir uns an die genannten Quellen für die gesamtwirtschaftliche Wohlfahrt (Spezialisierung und Arbeitsteilung sowie der Einsatz von Realkapital). Mit den zusätzlichen Vorteilen, die Finanzmärkte bieten, sind insgesamt drei Quellen für den „Wohlstand der Nationen“ ausfindig gemacht. Hier sind sie nochmals zusammengestellt: 2. Die Spezialisierung und Arbeitsteilung mit anschließendem Tausch, die Gestaltung dieses Tauschs durch Märkte und die Erleichterung des Marktgeschehens durch die Einführung von Geld. <?page no="48"?> 48 2 Kapitel: Liquidität und Effizienz 3. Der Einsatz von Realkapital, die Einführung von Finanzverträgen zur Finanzierung des Realkapitals und das Bankensystem zur Unterstützung der Abschlüsse von Finanzverträgen. 4. Die Verbriefung von Finanzverträgen als Wertpapiere und die Schaffung von Märkten, eben Finanzmärkten, für den Handel mit diesen Wertpapieren: Die Liquidität reduziert die Kapitalkosten, diversifizierte Portfolios verbessern die Risikoallokation, und die an den Finanzmärkten erzeugten aktuellen Informationen verhelfen zu besseren Entscheidungen in der Realwirtschaft. 2.3 Ideale Finanzmärkte 2.3.1 Nochmals Arbitragefreiheit Es bestehen immer gewisse Unterschiede zwischen dem idealen Markt, so wie er in der Volkswirtschaftslehre als Modell gezeichnet wird, und den konkreten Finanzmärkten des Wirtschaftslebens. Um nicht über sie hinwegzugehen, wird von marktähnlichen Abläufen gesprochen. Selbst wenn die einem Markt zugedachten Funktionen in der Wirklichkeit recht gut ausgeführt werden, bleiben gewisse Unterschiede zum Ideal. Welche Eigenschaften sollte dann ein Finanzmarkt aufweisen? Viele Experten würden zunächst fordern, der Markt solle für einen Ausgleich von Angebot und Nachfrage sorgen (Markträumung). Geschieht das, sei er im Gleichgewicht. Doch allein die Markträumung ist etwas wenig. Es könnte bei diesem Gleichgewichtsbegriff durchaus sein, dass zwar alle Anbieter und Nachfrager, deren Transaktionswünsche ausgeführt werden, zufrieden sind, ruhig werden und keine weiteren Transaktionswünsche mehr äußern. Aber trotzdem könnten noch Arbitrageure auftreten, um mit einer Sequenz von Transaktionen Verbesserungen für sich zu erreichen. Dann wäre der Finanzmarkt zwar „geräumt“, aber nicht frei von Arbitragemöglichkeiten. Ein Arbitrageur versucht, durch Sequenzen oder Kombinationen von Transaktionen, etwa durch Zusammenlegen einiger Kontrakte oder durch Auftrennung eines Kontraktes in Komponenten, noch einen Gewinn zu erzielen, und zwar ohne Kapital einzusetzen und ohne Risiken einzugehen. Wenn keine Arbitrage mehr möglich ist, dann befinden sich die Preise verschiedener Marktsegmente untereinander in einem Gleichgewicht. Markträumung bedeutet hingegen nur, dass jedes Marktsegment für sich ein Gleichgewicht in dem Sinn erreicht hat, dass Angebot und Nachfrage im Segment übereinstimmen. Der Finanzmarkt ist wie bereits ausgeführt kein Nebeneinander verschiedener Marktsegmente. Denn wie erwähnt hängen die Segmente der Finanzmärkte zusammen, weil die in den verschiedenen Segmenten gehandelten Positionen sich in gewissem Sinn ähneln. Denn alle versprechen Geld. In einem Finanzmarkt gibt es daher praktisch immer mehrere Wege und Umwege, eine bestimmte finanzielle Position zu erreichen, die Ansprüche oder Forde- <?page no="49"?> 2.3 Ideale Finanzmärkte 49 rungen hinsichtlich zukünftiger Zahlungen beinhaltet. Alle diese Wege (Kombinationen von Finanzpositionen aus verschiedenen Teilsegmenten) müssen bei Arbitragefreiheit des Marktes Kosten in derselben Höhe haben. Erinnern Sie sich, liebe Leserin, lieber Leser, an das Beispiel zum Devisenmarkt aus Kapitel 1: Die Segmente sind durch Währungspaare gegeben. Wer Franken in Euro wechseln möchte, kann dies direkt tun, eben im Segment, in dem Franken gegen Euro gewechselt werden. Oder die Franken werden zuerst in Dollar getauscht (im Segment, in dem Franken gegen Dollar gehandelt werden) und dann werden die Dollar in Euro getauscht (im Segment, in dem Dollar und Euro gewechselt werden). Bei Arbitragefreiheit des Marktes stehen die Kursbildungen in den drei Teilsegmenten in einer Beziehung, die bewirkt, dass die beiden Wege auf dasselbe Ergebnis führen. Anschaulich: Mehrere Wege führen nach Rom, und wenn keine Arbitrage mehr möglich ist, dann verlangen alle diese Wege die gleiche Mühe (Zeit, Kosten). Denn andernfalls würden alle Akteure den günstigsten Weg wählen, und die Bedingungen dafür würden sich verschlechtern. Diese Kraft wirkt solange, bis alle Wege die gleiche Mühe abverlangen. Durch die Arbitragefreiheit ist die Preisbildung gut verankert, breit abgestützt. Zur Arbitrage noch ein weiteres Zahlenbeispiel. Am Devisenmarkt werden Dollar, Euro und Yen gehandelt. Die Marktteilnehmer äußern ihre Wünsche, es kommt zu Transaktionen. Der Markt wird schließlich geräumt, alle Marktteilnehmer scheinen zufrieden zu sein. Es haben sich beispielsweise diese Preise eingestellt: 1 Euro ist gleichwertig mit 1,30 Dollar, 1 Euro ist gleichwertig mit 120 Yen und ein 1 Dollar ist gleichwertig mit 90 Yen. Für die drei Währungen, nun bezeichnet mit ihren ISO-Kürzeln EUR, USD, JPY, werden die genannten Währungsrelationen so notiert: EURUSD = 1,30, EURJPY = 120 und USDJPY = 90. Der Markt ist angesichts der Präferenzen geräumt. Beispielsweise gab es Personen, die Dollar gegen Euro kaufen oder verkaufen wollen. Diese Personen kennen ihre persönliche Situation und beobachten den Marktpreis: 1 Euro zu 1,30 Dollar. Niemand von ihnen möchte nun noch kaufen oder verkaufen. Die Preise der anderen Währungen (darunter Yen) beobachten sie nicht. Der EUR-USD-Markt ist geräumt. Ganz ähnlich mit den anderen Währungspaaren. So gab es Personen, die stets Yen kauften und mit Euro bezahlten. Nun kosten 120 Yen 1 Euro, das heißt, 100 Yen kosten 83,33 Eurocent, womit diese Personen keine weitere Nachfrage nach Yen äußern. Der Markt ist geräumt. Arbitrageure beobachten nun nicht nur zwei, sondern gleichzeitig drei (und mehr) Währungen und überprüfen mehrere Währungsparitäten parallel. Dann rechnen sie nach, ob durch eine Kombination mehrerer Transaktionen in mehreren Währungen oder durch eine Sequenz von Transaktionen ein „Ungleichgewicht“ bei den Währungsparitäten ausgenutzt werden kann. Bei den gegebenen Zahlen erkennt ein Arbitrageur diese Möglichkeit, Gewinn zu erzielen: Der Arbitrageur sieht, dass zwar 1 Euro gegen 1,30 Dollar getauscht werden kann, doch aufgrund der anderen beiden Paritäten könnten 1 Euro gegen 120 Yen und 1,30 Dollar gegen 1,30 · 90 = 117 Yen getauscht werden. Das ist ein Ungleichgewicht. Der Arbitrageur kauft 13 Dollar und verspricht, sogleich mit 1170 Yen zu bezahlen. Er besorgt sich die 1170 Yen, indem er mit 1170/ 120 = 9,75 Euro zu zahlen verspricht. Die 9,75 Euro besorgt <?page no="50"?> 50 2 Kapitel: Liquidität und Effizienz sich der Arbitrageur schnell, indem er die gerade gekauften 13 Dollar nimmt und in Euro tauscht. Dafür erhält er 10 Euro. Also hat er 25 Eurocent gewonnen. Er musste keine eigenen Mittel einsetzen, um den Gewinn (Free Lunch) zu erhalten. Es gab für ihn keine Risiken. Arbitrage ist gleichsam ein Esel, der Golddukaten scheißt. Wohl alle Forscher würden darin übereinstimmen: Ein Finanzmarkt ist erst dann im Gleichgewicht, wenn er nicht nur geräumt, sondern darüber hinausgehend auch arbitragefrei ist. Das bedeutet: Es ist durch Kombinieren diverser Finanzkontrakte, eventuell unter Einschluss von Leerverkäufen, nicht möglich, ganz ohne Einsatz und ohne Risiko etwas zu verdienen. Die Gleichgewichtsbedingung der Arbitragefreiheit verlangt dies: Wenn Kontrakt A im Markt den Preis 5 hat, Kontrakt B den Preis 4 hat, und wenn die Kombination aus A und B identisch ist mit Kontrakt C, dann muss Kontrakt C den Preis 9 haben. Gleichermaßen ist es im Gleichgewicht (Arbitragefreiheit) nicht möglich, Finanzkontrakte zu zerlegen und dabei ohne Einsatz und ohne Risiko Geld zu erhalten. Wenn sich Kontrakt D in Kontrakte E und F zerlegen lässt, dann muss im arbitragefreien Finanzmarkt der Kontrakt D einen Preis haben, der exakt der Summe der Preise der Kontrakte E und F entspricht. Finanzmärkte sind in der Realität arbitragefrei. Sie bieten allenfalls sehr kurzfristig gewisse Möglichkeiten zu Arbitrage. Das Konzept der Arbitragefreiheit wird jedoch weniger bei Gütermärkten diskutiert, weil bei Transaktionen auf Gütermärkten immer gewisse Transaktionskosten anfallen. Auch wenn die Preise eine Arbitrage zuließen, kann sie in der Praxis wegen der meist hohen Transaktionskosten nicht ausgenützt werden. Weil in Finanzmärkten die Transaktionskosten sehr gering sind, lassen sich leicht auch Sequenzen von Transaktionen verwirklichen. J AMES T OBIN (1918-2002) hatte eine „Transaktionssteuer“ vorgeschlagen, die dazu dienen sollte, die Spekulation zu verringern. T OBIN dachte an Devisenmärkte. Hier und da findet sich eine solche Transaktionssteuer als so genannte Stempelsteuer realisiert, und zwar in Märkten für Wertpapiere. Praktisch in allen Ländern besteuert der Staat den Eigentumstransfer bei Immobilien (Grunderwerbsteuer). Ist eine solche Steuer eingeführt, dann können sich Preise herausbilden und halten, die nicht arbitragefrei sind. Jedoch unterbleibt die Arbitrage aufgrund der Transaktionssteuer. Die von den Preisen ausgehenden Informationssignale spiegeln dann nicht (genau) die Verhältnisse wider, sondern sind (etwas) verzerrt. 2.3.2 Vollständigkeit und „Thickness“ Nach Arbitragefreiheit und Informationseffizienz ist eine weitere Eigenschaft, die von Finanzmärkten gewünscht wird, deren Vollständigkeit. Sie ist gegeben, wenn es für alle kommenden Zeitpunkte und alle denkbaren Entwicklungen einen passenden Finanzkontrakt gibt, der dann Zahlungen verspricht. Wenn jemand sich gern gegen einen Preisverfall bei Rohöl absichern möchte, soll es dazu einen passenden Vertrag geben. Wenn jemand auf den Ausgang politischer Wahlen spekuliert, soll es einen Finanzkontrakt geben, der dies bewerkstelligt. Das alles wäre bei Vollständigkeit möglich. <?page no="51"?> 2.3 Ideale Finanzmärkte 51 Ein vollständiger Markt zeichnet sich dadurch aus, dass es für alle denkbaren Zustände, in denen sich morgen die Welt befinden könnte, Verträge gibt, die einen Euro bieten, falls dieser Zustand eintritt, und dass alle diese Verträge Preise haben. Die Realität und die empirische Forschung zeigen, dass Finanzmärkte ziemlich vollständig sind. Zudem bewirkt die Innovation der Finanzintermediäre, dass immer neue Kontrakte angeboten werden, wodurch „Lücken“ geschlossen werden. So sind in den Finanzmärkten Wetten möglich, die über den Ausgang von Wahlen geschlossen werden. Katastrophen- Bonds (Cat Bonds) werden ausgegeben, die den Partnern des Finanzkontrakts bei bestimmten Naturereignissen eine Zahlung bieten beziehungsweise eine Zahlung erlassen. Credit Default Swaps leisten dies im Fall von Kreditausfällen (Defaults). Die Vollständigkeit wird durch die Innovationstätigkeit der Investmentbanken begünstigt. Kaum wird ein neues Ereignis in den Medien angesprochen, etwa die Nahrungsmittelversorgung in Entwicklungsländern oder die Versorgung der Industrie mit Seltenen Erden, entwerfen Investmentbanken passende Strukturierte Produkte und bieten sie den Finanzinvestoren an. Die Investmentbanken gestalten sodann einen Handel in den von ihnen geschaffenen und ausgegebenen Strukturierten Produkten. Das heisst, die Investmentbanken sind erstens erfinderisch in der Umsetzung und Förderung medialer Aufmerksamkeit, und sie machen dann den Primärmarkt und den Sekundärmarkt auf. Sie werden zu Market- Makern. Da kann es nicht ausbleiben, dass es irgendwann verschiedenste Kontrakte gibt, die in Kombination auf dieselbe Position führen. Beispiel 1: Eine Person möchte Geld auf drei Jahre in einer Anleihe anlegen. Stattdessen könnte die Person Geld nur auf zwei Jahre anlegen und zugleich ein Termingeschäft abschließen (Preisbildung und Abschluss heute), bei dem der in zwei Jahren frei werdende Geldbetrag für das dritte Jahr angelegt wird. Beispiel 2: Eine Person möchte einen Dollarbetrag in Euro tauschen. Sie könnte direkt Euro gegen Dollar kaufen. Stattdessen könnte sie mit ihren Dollar zuerst Yen kaufen und diese dann in Euro tauschen. An den Finanzmärkten führen also meistens mehrere Wege nach Rom. Die Wirkungen der meisten Finanzkontrakte können durch Kombinationen anderer Finanzkontrakte ersetzt werden. Dann müssen jedoch diese verschiedenen Wege für Finanzinvestoren alle denselben Geldeinsatz verlangen, also denselben Preis haben. Denn andernfalls würden die Finanzinvestoren alle denselben Weg wählen, und die Teilmärkte für die Instrumente der anderen Kombinationen, die zur selben Finanzposition führen, würden austrocknen. Einige würden sehen, dass Arbitrage möglich ist: Sie würden die betrachtete Finanzposition auf einem (dem günstigeren Weg) erwerben und auf dem Weg mit dem höheren Preis verkaufen. Mithin gibt es an den Finanzmärkten im Allgemeinen mehrere Wege, die zu einer gewissen Finanzposition führen, also zu gewissen Zahlungen in der Zukunft, die hinsichtlich aller relevanten Merkmale wie Zeitpunkte und Höhen der Zahlungen und Risiken völlig <?page no="52"?> 52 2 Kapitel: Liquidität und Effizienz übereinstimmen. Arbitragefreiheit vorausgesetzt, haben alle diese Wege denselben Preis, keiner ist günstiger oder teurer als ein anderer. Merkpunkt: Wenn es mehrere Wege, Transaktionen, oder Sequenzen von Transaktionen gibt, die alle auf identische Finanzpositionen führen, dann müssen sie, weil der Markt als arbitragefrei anzunehmen ist, alle denselben Preis haben. 2.3.3 Wert Durch die Arbitragefreiheit sind die Preise für Transaktionen, Wertpapiere, Finanzpositionen aneinandergebunden. Dies wird auch so ausgedrückt: Die Preise für einen Kontrakt sind in den Preisen anderer Kontrakte verankert. Dadurch hängt die Preisbildung in einem Teilmarkt (etwa dem Handel von EUR und USD) auch von der Preisbildung in anderen Teilmärkten ab (wie etwa dem Handel von Yen und Dollar sowie dem Handel von Euro und Yen). Aufgrund der gegenseitigen Verankerung wird die Preisbildung zuverlässig. Beispielsweise hängt die im Teilmarkt EURUSD gefundene Währungsparität nicht nur vom Angebot und der Nachfrage seitens jener Akteure ab, die EUR verkaufen beziehungsweise kaufen und in USD abrechnen wollen. Die Währungsparität EURUSD hängt ebenso von Angebot und Nachfrage in den anderen Teilmärkten für Währungen ab. Dadurch ist die Preisfindung breit abgestützt. Weist ein Finanzmarkt viele solche Substitutionsmöglichkeiten auf, dann ist er nicht dünn, sondern wird als dick („thick“) angesehen. Finanzmärkte sind für die meisten Finanzpositionen breit und zusammenhängend. Wir werden noch besprechen, dass die finanziellen Positionen, die einem Inhaber durch Optionen verschafft werden, ebenso durch Portfolios aus anderen Kontrakten nachgebildet oder repliziert werden können. Infolgedessen kann der Preis für die Option aus den Preisen dieser Replikationsportfolios abgeleitet werden. Die Finanzposition der Option kann abgeleitet werden, sie ist ein Derivat. Selbstverständlich gibt es gewisse, recht spezielle Vermögenspositionen, die nicht oder nicht so einfach durch Kombinationen anderer Positionen substituiert werden können. Ein Beispiel dafür ist Gold. Der Preis für Gold ist praktisch nirgendwo verankert. Man kann nicht einmal sagen, er solle mit dem Preis für Silber zusammenhängen. Im Sinn der eben eingeführten Sprechweise ist der Markt für Gold dünn (auch wenn die Handelsvolumina hoch sein mögen) oder nicht in der Breite abgestützt. Daher hat Gold den Preis oder den Wert, der sich aus der augenblicklichen Nachfrage und dem augenblicklichen Angebot nach Gold ergibt. Die Preise für andere Vermögenspositionen spielen da nicht hinein. Allerdings wird seit jeher nach Substituten für Gold gesucht, die es zumindest in industriellen Anwendungen (korrosionsfreie Elektrokontakte) ersetzen könnte, und womöglich ist die Suche einmal erfolgreich. An dieser Stelle kann eine Aussage über den Preis getroffen werden, zu dem Finanzinvestoren bereit sind, ein Wertpapier zu kaufen. Denn für zahlreiche Anleihen oder sogar auch Aktien gibt es perfekte Substitute oder zumindest nahe Alternativen. <?page no="53"?> 2.3 Ideale Finanzmärkte 53 Wer Interesse am Kauf einer Anleihe oder einer Aktie hat, wird sich daher fragen, welche Zahlungen das Wertpapier seinem Inhaber ab jetzt bringen dürfte. Es kommt bei der Bewertung also zuvorderst auf die Zahlungen an, die das Wertpapier in Zukunft abwirft. Diese Zahlungen wird der Kaufinteressent mit den Preisen anderer Kapitalanlagen und den von diesen erzeugten Zahlungen vergleichen. An zweiter Stelle kommt es bei der Bewertung einer Anleihe oder Aktie mithin auf die Alternativen an, die es im Markt gibt. Jeder Kaufinteressent bewertet eine Anleihe oder Aktie relativ zu diesen Alternativen. Bei diesem Vergleich wird der Kaufinteressent sich an gewisse Merkmale halten, um die Finanzposition besser in ihren Eigenschaften zu charakterisieren. Dazu gehören die erwartete Rendite und das Ausmaß von Unsicherheit. Selbstverständlich werden Kaufinteressenten erwartete Renditen von Kapitalanlagen nur dann vergleichen, wenn sie ein ähnliches Risiko aufweisen. Der Wert einer Finanzposition wird erstens durch die in der Zukunft erzeugten Zahlungen begründet, also die Höhen der Zahlungen, die Zahlungszeitpunkte und die Risiken sowie zweitens durch die Preise für perfekte Substitute oder ähnliche Alternativen. 2.3.4 Informationseffizienz Finanzmärkte stellen mit den erzeugten Preisen oder Kursen nützliche Informationen zur Verfügung. Diese Informationen sind aus der Zusammenfassung aller Transaktionen entstanden. Die von den Finanzmärkten bewerkstelligte Informationsverarbeitung soll möglichst korrekt, schnell und leicht vonstatten gehen. Eine Eigenschaft, die Finanzmärkte haben sollten, ist also die Effizienz bei der Informationsverarbeitung oder kurz die Informationseffizienz des Marktes. In einem informationseffizienten Markt kann aus den Preisen viel darüber abgelesen werden, was die Allgemeinheit der Transakteure erwartet, wie sie Positionen einschätzen, welche zukünftigen Entwicklungen sie prognostizieren und so fort. Die Preise in einem informationseffizienten Markt zeigen die allgemeinen Erwartungen aller Marktteilnehmer aktuell und unverzerrt, wenngleich zusammengefasst. Wie gesagt, kann eine einzelne Person immer anders denken als die Allgemeinheit. Doch wenn es um viel Geld geht, vielleicht sogar um das Geld von Kunden, denen Rechenschaft gegeben werden muss, dann sollten Finanzentscheidungen getroffen werden, die mit dem Informationsstand der Allgemeinheit harmonieren. Für Entscheidungen und Bewertungen hat folglich größere Bedeutung, was die an den Finanzmärkten Teilnehmenden in ihrer Gesamtheit denken, als was ein einzelner Investor für sich denkt. Die großen Investoren sind Finanzinstitutionen (Banken, Versicherungen, Pensionsfonds), die das Geld der Kundschaft anlegen und der Kundschaft Rechenschaft geben müssen. Da ist verlangt, dass sie Best-Practices, anerkannten Methoden und allgemeinen Einschätzungen gefolgt sind, und nicht einem spontanen, persönlichen Einfall. Informationseffiziente Märkte bieten von daher genau die Informationen, die jemand benötigt, um in Harmonie mit der allgemeinen Einschätzung zu handeln. Das ist wohl eine <?page no="54"?> 54 2 Kapitel: Liquidität und Effizienz kluge und erfolgversprechende Strategie - auch wenn immer wieder Anekdoten berichten, dass ein Querdenker durch Glück zu Erfolg gekommen sei. Informationseffiziente Märkte bieten in diesem Sinn die Grundlagen für „richtige“ Entscheidungen, das heißt, für Entscheidungen, die einer Entscheidungsfindung folgen, die unter Experten als gut fundiert beurteilt wird. Die Entscheidungsfindung sollte dazu wissenschaftliche Erkenntnisse verwenden, Best-Practices folgen, und vor allem sollte sie korrekte und möglichst umfassende Informationen zur Sache berücksichtigen. In finanziellen Dingen können gute Entscheidungen getroffen werden, indem den von Finanzmärkten erzeugten Preissignalen gefolgt wird. Ein Investor oder ein Finanzier kann, auf hinreichend informationseffiziente Märkte blickend, gute Entscheidungen finden, und zwar ohne noch andere Informationsquellen zu aktivieren oder andere Einzelpersonen zu befragen. Dabei haben in informationseffizienten Märkten alle Teilnehmenden denselben Informationsstand. Denn da die Preise öffentlich sind, haben in einem informationseffizienten Markt alle einen gleich guten Informationsstand. Zudem kann bei Informationseffizienz niemand eine andere Person übervorteilen, nur weil sie vielleicht anderes Wissen hat (mit Ausnahme von Insidern, die zuverlässige Kenntnisse haben, die noch nicht in den Markt getragen worden sind). Auch in einem informationseffizienten Markt kann jemand andere Erwartungen haben, doch meistens sind diese persönlichen Einschätzungen nicht so breit und objektiv verankert wie die Zusammenfassung des Wissens aller Transakteure, die von den Preisen vermittelt wird. In der Folge kann jeder Investor oder Finanzier kaufen und verkaufen, auch ohne persönlich noch weiter nachzurechnen oder selbst zu recherchieren. Der informationseffiziente Markt schützt daher jene, die sich nicht mehr eigenständig informieren. Auch jene Personen, die sich weniger gut auskennen und die sich nicht ausführlich mithilfe anderer Informationsquellen unterrichten, können infolgedessen kaufen und verkaufen ohne Angst zu haben, von anderen „über den Tisch gezogen zu werden“. Sie können stets darauf vertrauen, dass sie aufgrund ihres mutmaßlich geringen persönlichen Wissens keine Nachteile im Markt haben. Abb. 4: Markteffizienz: Wenn die Markt-Effizienz-Hypothese (MEH) gültig ist, dann können Informierte, Halbinformierte und Uninformierte alle dasselbe Anlageergebnis erwarten. Uninformierte: kein Aufwand und quasi zufällige Anlage Güte der Informationsbeschaffung, Ausgereiftheit der Anlagestrategie Ergebnis Halbinformierte Informierte <?page no="55"?> 2.4 Liquidität, Kapitalismus und Krisenanfälligkeit 55 Besonders wenn der Finanzmarkt für das Publikum geöffnet werden soll, ist Informationseffizienz wichtig. Denn dem Publikum muss die Angst genommen werden, von Personen übervorteilt werden zu können, die mehr wissen könnten. Die Forschung zeigt, dass viele Finanzmärkte informationseffizient sind oder dem Ideal der Informationseffizienz recht nahe kommen. Informationseffizienz bedeutet, dass neue Nachrichten über die wirtschaftliche Zukunft sich praktisch sofort und korrekt in den Kursen niederschlagen. Gelegentlich stehen die Termine fest, zu denen neue Nachrichten eintreffen werden, doch der Inhalt der Meldungen ist vorher nicht bekannt. Das ist zum Beispiel so bei Sitzungen der Gouverneure einer Zentralbank oder bei den regelmäßigen Publikationen von Wirtschaftsdaten wie Arbeitslosigkeit durch die statistischen Ämter. Vielfach ist nicht einmal der Termin bekannt, zu dem Nachrichten eintreffen und daher völlig überraschen. Wirklich neue Nachrichten sind in ihrem Inhalt und dem Zeitpunkt wie den Umständen ihres Eintreffens überraschend. Die Empirie zeigt, dass sich in der Wirkung die Kurse nicht in völliger Ungewissheit verändern, sondern eher durch Zufallsprozesse beschrieben werden können. Gleichsam folgen dem Zufallsprozess der Meldungen dann auch die Preise an einem informationseffizienten Markt einem Zufallsprozess. Welche Parameter die Wahrscheinlichkeitsverteilung bestimmen, kann durch empirische Beobachtungen geschätzt werden. 2.4 Liquidität, Kapitalismus und Krisenanfälligkeit 2.4.1 Liquidität erzeugt Substitutionsmöglichkeiten Zu Beginn (in 2.1.1) stand diese Feststellung: Wer als Finanzinvestor Forderungen oder Ansprüche auf zukünftige Zahlungen hat, schätzt die Liquidität. Denn so kann der Investor durch Verkauf der Forderungen oder Ansprüche jederzeit Geld erhalten und damit die Wartezeit bis zur Fälligkeit der zukünftigen Zahlungen abkürzen. Jene, die sich finanzieren, und dazu Verträge über Fremd- oder Eigenkapital abschließen, unterstützen diesen Wunsch nach Liquidität. Alle Finanzakteure honorieren es, wenn die Kontrakte liquide sind. Dazu bot 2.1.2 ein Beispiel. Folglich streben sowohl die Finanzinvestoren als auch jene, die sich finanzieren (Kapital aufnehmen), liquide Formen von Finanzgeschäften an. Wenn immer möglich wählen sie Finanzgeschäfte, die über Börsen laufen. Die Liquidität von Finanzkontrakten hat indes noch weitere Konsequenzen. Weil ein Finanzinvestor bei liquiden Finanzgeschäften jederzeit sein Engagement beenden kann, müssen zu Beginn die genauen Zeitpräferenzen nicht so genau beachtet werden. Die betrachtete Person, die Ersparnisse auf fünf Jahre anlegen möchte, könnte angesichts der Liquidität auch eine Anleihe kaufen, die erst in acht Jahren fällig wird und sie könnte praktisch ebenso gut eine Anleihe kaufen, die in zehn Jahren fällig wird. Denn jede dieser Anleihen kann zum Zeitpunkt des geplanten Geldbedarfs in fünf Jahren verkauft werden. Und wenn der Finanz-investor zunächst eine Anleihe kauft, die in zwei Jahren zurückgezahlt wird, könnte mit den dann in zwei Jahren frei werdenden Mitteln eine weitere Anleihe für die restlichen drei Jahre gekauft werden. <?page no="56"?> 56 2 Kapitel: Liquidität und Effizienz Falls Liquidität gegeben ist, muss ein Finanzinvestor infolgedessen zum Zeitpunkt der Investition gar nicht so genau über die eigene Zeitpräferenz nachdenken. Das bedeutet, dass der Kreis jener, die ein konkretes Wertpapier anbieten oder nachfragen, groß im Vergleich zu jener deutlich engeren Gruppe von Akteuren ist, die aufgrund ihrer ursprünglichen Zeitpräferenz an dem betrachteten Wertpapier Interesse haben. Beispielsweise interessieren sich als Käufer einer Anleihe, die in vier Jahren fällig wird, nicht nur jene Anleger, die gerade Geld auf vier Jahre anlegen wollen. Vielmehr haben auch Personen Interesse an dieser Vierjahresanleihe, die ihr Geld nur für ein, zwei oder drei Jahre anlegen möchten. Und ebenso interessieren sich für die Vierjahresanleihe auch Finanzinvestoren, die eigentlich einen längeren Horizont haben und deshalb - sollte nichts dazwischenkommen - bei Fälligkeit der Vierjahresanleihe noch eine weitere Anlage tätigen werden. Ganz ähnlich ist es auf der Seite derjenigen, die sich durch Ausgabe der Anleihen finanzieren. Dieser Sachverhalt hat zwei Folgen: Erstens ziehen liquide Finanzgeschäfte - an Börsen gehandelte Wertpapiere - auch solche Akteure an, die ursprünglich ein anderes Wertpapier mit etwas anderen Eigenschaften im Auge hatten. Jedes Wertpapier und jedes liquide Finanzgeschäft erschließen einen potenziell sehr großen Kreis von Interessenten. Damit wird der ohnehin schon liquide Markt in diesem Wertpapier noch liquider. Liquidität nährt Liquidität. Zweitens werden durch die Liquidität die verschiedenen Wertpapiere und Finanzgeschäfte immer deutlichere Substitute. In liquiden Märkten kann jemand, der eigentlich eine Vierjahresanleihe wünscht, eine Fünfjahresanleihe als Substitut betrachten. So werden die Finanzmärkte für die einzelnen Wertpapiere immer dicker. Der Zusammenhang zwischen verschiedenen Segmenten nimmt zu. Die in einem Segment zustande kommenden Preise werden auch von jenen mitgetragen, die ihre Transaktionen eigentlich in einem anderen Segment vornehmen wollten. Beispielsweise sind die Zinssätze für die verschiedenen Zinsbindungsfristen bei Anleihen zusammenhängend (auch wenn leichte Unterschiede bestehen können). Ähnlich ist der Handel mit den verschiedenen Aktien stark zusammenhängend. 2.4.2 Gleichgerichtete Transaktionen Für Finanzmärkte ist folglich erstens charakteristisch, dass die Kursbildungen in verschiedenen Segmenten zusammenhängen. Kurssteigerungen in einem Teilsegment lösen Kurssteigerung in benachbarten Segmenten aus, und ebenso breiten sich Kurseinbrüche wie ein Lauffeuer aus. Dieser Sachverhalt ist letztlich die Folge davon, dass alle Finanzkontrakte Geld als gemeinsamen Nenner haben. Ein zweites Charakteristikum ist die Liquidität der Sekundärmärkte. Sie verführt dazu, übergroße Engagements einzugehen. Hinzu kommt ein dritter Punkt. Hinsichtlich des Geldes stimmen die Präferenzen aller Finanzakteure überein. Für jeden ist mehr Geld besser als weniger, und jeder zieht sichere Zahlungen solchen vor, die risikobehaftet sind. Schließlich zeigen Finanzmärkte neben dem Zusammenhang und der Übereinstimmung der Präferenzen eine vierte Besonderheit: Neue Informationen, <?page no="57"?> 2.5 Fazit zum Kapitel Liquidität und Effizienz 57 die Kurse bewegen könnten, breiten sich in blitzschnell aus und bleiben letztlich nicht verborgen. Die Schnelligkeit ist angebracht, weil nur die Ersten noch gewinnen können, während die Nachfolgenden von den Kursänderungen betroffen sind. Dass Finanznachrichten publik werden, liegt an der Offenheit und Transparenz des Marktgeschehens. In der Folge zeigen die Kurse in den Finanzmärkten ziemlich schnell (wenngleich nicht unmittelbar), wenn irgendwo irgendjemand etwas Neues erfahren hat, und alle können dies gleichermaßen an den Kursen ablesen. Finanzmärkte haben vier Charakteristika. 1. Die Kursbildung in unterschiedlichen Segmenten geht tendenziell in dieselbe Richtung, weil die Segmente aufgrund des gemeinsamen Nenners Geld zusammenhängen. 2. Die Liquidität verführt zu übergroßen Engagements. 3. Unsere Präferenzen hinsichtlich Geld und Rendite stimmen weitgehend überein. 4. Wir alle haben (ziemlich schnell) denselben Informationsstand. In der Folge wollen wir alle Finanzpositionen entweder kaufen oder wir wollen sie alle verkaufen, und in allen Segmenten der Finanzmärkte kommt es zu Kursgewinnen oder zu Kursverlusten. Größere Einbrüche und Finanzkrisen sind durchaus möglich, und das Bankensystem kann in Mitleidenschaft gezogen werden. Es bleibt meistens nicht bei finanziellen Einbußen betroffener Finanzakteure. Krisen können auf die Realwirtschaft ausstrahlen, zu Rezession führen oder gar in eine Depression münden. Der Wohlstand aller ist dadurch gefährdet. Die Liquidität von Finanzkontrakten war zu Anfang unserer Gedankenführung eine durchaus wünschenswerte Eigenschaft, die es einem Finanzinvestor ermöglicht, bei einer unvorhersehbaren Änderung der persönlichen Situation vorzeitig „zu seinem Geld zu kommen“. Doch die Liquidität begünstigt „übertriebene“ Engagements, und die Übereinstimmung der Präferenzen und der Informationen bewirkt enorme Kursausschläge in allen Segmenten der Finanzmärkte zugleich. Dem Kapitalismus wohnt eine inhärente Neigung zu Übersteigerungen und damit auch zu Krisen inne. So nähren die Finanzmärkte den Wohlstand und zugleich gefährden sie den Wohlstand durch die Instabilität des kapitalistischen Wirtschaftssystems. 2.5 Fazit zum Kapitel Liquidität und Effizienz 2.5.1 Zusammenfassung Besteht Liquidität in einem Marktsegment, dann können die dort gehandelten Wertpapiere jederzeit ohne größere Wartezeit und ohne wesentliche, durch den Transaktionswunsch bewirkte Preisänderung, gekauft oder verkauft werden. Die (durch Börsen begünstigte) Liquidität ist das wesentliche Merkmal kapitalistischer Wirtschaftsordnung. Auch in nichtkapitalistischen Systemen gibt es Realkapital, und Privateigentum an Produktivvermögen ist oftmals anerkannt. Zudem bestehen Verträge, die dies alles regeln. Doch das Kapital ist kaum übertragbar und wird nicht in die Form von Wertpapieren gebracht, um es leichter an <?page no="58"?> 58 2 Kapitel: Liquidität und Effizienz einer Börse handeln zu können. Symbole des Kapitalismus sind also weniger die Unternehmung an sich oder das Unternehmertum, sondern vielmehr die Börse und die Liquidität des Handels mit Wertpapieren. Ein Gedankenexperiment (Ziegeleien in Kuba und in Frankreich) verdeutlicht, dass durch die Liquidität die Kapitalkosten sinken und so auch der Gesellschaft insgesamt Vorteile entstehen. Primärmarkt und Sekundärmarkt müssen auch bei Wertpapieren unterschieden werden. Wer von Finanzmärkten spricht, denkt oftmals nur an den liquiden Handel am Sekundärmarkt, während der Primärmarkt in der allgemeinen Aufmerksamkeit zurücktritt. Am Sekundärmarkt zeigen sich die wünschenswerten Leistungen der Finanzmärkte besonders deutlich. Die einzelnen Marktsegmente sind nach freiem Handel und freier Kursbildung geräumt. Doch bei den Finanzmärkten hängen die verschiedenen Marktsegmente zusammen. In einem Kursvergleich, der mehrere Marktsegmente umfasst, zeigt sich die Arbitragefreiheit. Die Arbitragefreiheit hat große Bedeutung für die Bewertung. Viele Wertpapiere können durch Kombinationen oder durch Portfolios anderer Wertpapiere nachgebildet werden. Dadurch sind die Preise der Wertpapiere aneinandergekoppelt. Vor allem stärkt die Liquidität die Schnelligkeit und Korrektheit, mit der ein Markt Informationen verarbeitet. Finanzmärkte sind ziemlich informationseffizient. Sie erzeugen Informationen darüber, wie die Investoren allgemein die wirtschaftliche Zukunft einschätzen auf effiziente Weise. Die Information darüber, wie die Allgemeinheit denkt, ist dabei wichtig für den einzelnen Investor. Denn aus guten Gründen wird auch der Einzelne bei seinen Entscheidungen die Einschätzungen der Allgemeinheit als Informationsbasis nehmen. 2.5.2 Lernpunkte 1. Wie Liquidität definiert ist: Orderwünsche werden schnell ausgeführt, bei Verkauf entstehen kaum Preisabschläge, bei Kauf keine nennenswerten Preiszuschläge. 2. Wie ein Gedankenexperiment (Kuba, Frankreich) den Wert von Liquidität zeigt. 3. Was Arbitragefreiheit bedeutet: Zwar können Finanzpositionen durchaus auf verschiedenen Wegen (durch Sequenzen von Transaktionen und Portfolios aus Finanzkontrakten) erzeugt werden, doch alle Wege haben exakt übereinstimmende Preise. 4. a) Warum Finanzmärkte darüber informieren, wie die am Marktgeschehen aktiv Teilnehmenden zusammen genommen die im Hinblick auf die gehandelten Finanzpositionen relevante Zukunft einschätzen. b) Warum Investoren gut beraten sind, wenn sie ihre eigenen Entscheidungen in Harmonie mit diesen allgemein geteilten Einschätzungen treffen. c) Dass in informationseffizienten Märkten diese benötigte Entscheidungsbasis schnell und korrekt über die Preise zur Verfügung steht. d) Dass deshalb in informationseffizienten Märkten zu allen Zeitpunkten alle Teilnehmenden eine gleich gute Informationsbasis haben. 5. In liquiden Finanzmärkten stellt sich gleichgerichtetes Verhalten ein. Die Präferenzen der Akteure zeugen von der allgemeinen Gier nach Gewinn und Rendite. In Gütermärkten sind die Präferenzen hingegen unterschiedlich. <?page no="59"?> 2.5 Fazit zum Kapitel Liquidität und Effizienz 59 2.5.3 Schlüsselbegriffe Breit abgestützte Preise, Derivat, Dicke der Finanzmärkte, Free Lunch, Fungibilität, Liquidität, Kapitalismus, Kapitalkosten, Informationsverarbeitung, Informationseffizienz, Initial Public Offering (IPO), Marktfähigkeit, Minsky-Kollaps, Orderbuch, Primärmarkt, Replikation, Replikationsportfolio, Securitization, Sekundärmarkt, Underwriting, Verbriefung, Vollständigkeit. 2.5.4 Fragen zur Lernstandskontrolle 1. Erläutern Sie, wie bei einer Verbriefung die Fungibilität verbessert und die Transaktionskosten gesenkt werden. Definieren Sie die Liquidität! In wiefern kann das Streben nach Fungibilität und Liquidität finanzieller Positionen als Merkmal des Kapitalismus verstanden werden? [Antwort: Abschnitt 2] 2. Erläutern Sie mit dem vorgeführten Gedankenexperiment, dass durch eine Senkung der Kapitalkosten Vorteile für alle gesellschaftlichen Gruppen, Arbeitnehmer eingeschlossen, möglich sind. [Antwort: Abschnitt 2] 3. Finanzmärkte sind oft „vollständig“ und „dick“ („thick“), und nur vereinzelte spezielle Segmente sind „dünn“. Was verbirgt sich hinter diesen Begriffen? In einem „dicken“ bzw. breit zusammenhängenden Markt, „führen viele Wege nach Rom.“ Preise seien dann „gut verankert“ und „breit abgestützt.“ Was ist damit gemeint? [Antwort: Abschnitt 2] 4. Unterscheiden Sie Vorgänge am Primärmarkt von Transaktionen am Sekundärmarkt. Was passiert bei einer Börseneinführung, was passiert bei einem IPO? Was wird mit „Underwriting“ bezeichnet? [Antwort: Abschnitt 1.3.3] 5. Was wird unter Informationseffizienz verstanden? Warum ist diese Eigenschaft erwünscht? [Antwort: Abschnitt 1.3.3] <?page no="61"?> 3. Kapitel: Banken und Börsen Eine Grundfrage ist die nach der besten Organisationsform für den Abschluss von Finanzgeschäften und die Weitergabe finanzieller Forderungen und Rechte. Die Organisationsform soll geringe „Transaktionskosten“ zeitigen und gleichzeitig gewünschte Eigenschaften zeigen. Obwohl grundsätzlich auch Regeln, Hierarchien und Familien hinzutreten, kommt die größte Bedeutung den Finanzmärkten zu. Deshalb wird hier ein Blick auf die Entfaltung der Finanzmärkte geworfen. Höhepunkte der historischen Entwicklung der Finanzmärkte in England, in den USA, in Deutschland und in der Schweiz zeigen, wie die heutigen Institutionen entstanden sind. Organisationsform Entscheidungsfindung Markt Hierarchie Bürokratie Familie Vergleiche Autorität der Hierarchiespitze Befolgung von Regeln und Gesetzen Empathie 3.1 Intermediäre 3.1.1 Transaktionskosten Wirtschaftliche Kooperation, insbesondere die Kooperation zwischen einem Kapitalgeber und einem Kapitalverwender, kann unterschiedlich organisiert werden. Die am meisten verwendeten Organisationsformen sind der Markt, die Hierarchie und Bürokratie sowie die Familie. Der Markt beruht auf dem offenen Zutritt, auf leicht anstellbaren Vergleichen, sowie auf dem Prinzip der freien Entscheidung. Hierarchie und Bürokratie gründen auf einer Pyramide von Stellen, die Arbeitsschritte ausführen, die dabei Anweisungen übergeordneter Stellen befolgen und nach Regeln und Gesetzen vorgehen. Und die Familie als Organisationsform folgt der Empathie im Kreis der Familienmitglieder. Welche der (genannten vier) Organisationsformen sich für die Weitergabe finanzieller Positionen eignet, hängt von den „Kosten“ ab, zu denen Transaktionen bewerkstelligt werden. Gemeint sind die Kosten für die Suche möglicher Partner, für das Aushandeln von Verträgen, für die Umsetzung und Überwachung der Vertragsausführung. Für Finanzkontrakte eignen sich alle genannten Organisationsformen. Das Börsengeschehen folgt zwar Regeln, doch die marktwirtschaftliche Gestaltung des Handelsgeschehens ist dominant. Viele Finanzmittel, etwa staatliche Rentenleistungen, werden durch die Gesetze geregelt. In Familienunternehmen werden die Rechte, die sich aus den Finanzpositionen ergeben, mit Empathie ausgeübt. Und selbstverständlich kommt es immer wieder zu Fi- <?page no="62"?> 62 3. Kapitel: Banken und Börsen nanzgeschäften zwischen Familienmitgliedern und im Freundeskreis, besonders bei Neugründungen. H EINRICH H EINE (1797-1856) sprach von einer „famillionären Atmosphäre“ bei den Rothschilds. Auch wenn in der Finanzwirtschaft alle Organisationsformen auftauchen, so haben doch die Finanzmärkte inzwischen die größte Bedeutung für den Abschluss und die Ausführung von Finanzgeschäften sowie für die Übertragung finanzieller Ansprüche. Damit die von Finanzmärkten erwünschten Eigenschaften (wie Arbitragefreiheit und Informationseffizienz) eintreten und trotz des gleichgerichteten Verhaltens der Finanzakteure aufrecht erhalten bleiben, müssen die Finanzmärkte und die in ihrem Umfeld tätigen Intermediäre, vor allem die Banken, Regeln befolgen und einer Aufsicht unterstellt werden. Die Regulierung und Aufsicht im Finanzbereich ist eine wichtige Aufgabe der Ordnungspolitik. Ohne geeignete Regulierung und Aufsicht der Instanzen in der Finanzwirtschaft könnte es viel leichter zu schweren Krisen kommen. Doch selbst wenn es nicht zur Krise an den Märkten oder zum Zusammenbruch des Bankensystems käme, könnte ungenügende Regulierung und Beaufsichtigung Marktunvollkommenheiten verstärken. Etwa durch ausbleibende Transparenz und durch fehlende Informationseffizienz könnten besser Informierte die schlechter Informierten benachteiligen. Marktmacht zugunsten einzelner Gruppen von Finanzakteuren würde die Aufgabe der Finanzwirtschaft behindern. Die „Kosten“ innerhalb der Finanzwirtschaft wären durch Marktunvollkommenheiten bei den Finanzmärkten so hoch, dass die Realwirtschaft dadurch behindert wäre. R ONALD C OASE hatte 1937 erkannt, dass Tauschhandlungen nicht reibungslos ablaufen. C OASE hatte von den Kosten der Marktbenutzung gesprochen, doch heute ist der Begriff der Transaktionskosten üblicher. Ein Ziel von Regulierung und Aufsicht ist daher, die Stabilität zu erhalten. Ein weiteres Ziel besteht darin, die Transaktionskosten gering zu halten. Transaktionskosten entstehen bei verschiedenen Schritten. Zunächst müssen sich die Akteure über Handelsmöglichkeiten orientieren. Es entstehen Such- und Informationskosten für das Finden geeigneter Gegenparteien. Parallel dazu müssen übliche und faire Tauschrelationen bestimmt und Bewertungen vorgenommen werden. Dann beginnt die Vertragsarbeit, die heute ohne Begleitung durch Rechtsanwälte zu riskant wäre. Es entstehen also Verhandlungskosten (für das Aushandeln der Vertragsbedingungen). Anschließend entstehen Kontrollkosten für die Überwachung der Einhaltung der Vertragsbestimmungen sowie allenfalls Kosten für Reorganisationen oder die Vollstreckung. Der Markt ist nicht immer die beste Organisationsform hinsichtlich aller Arten von Transaktionskosten. Beispielsweise hat, wer Geschäfte nur im Clan schließt, geringe Suchkosten, weil er seine Freunde schon kennt. Andererseits sind freie Verhandlungen im Clan kaum möglich, und die Einschränkung der Möglichkeiten bedeuten neue Nachteile oder Kosten. Am Ende erweist sich keine Organisationsform hinsichtlich aller Arten von Transaktionskosten als den anderen Organisationsformen überlegen. Deshalb bilden sich Mischformen von Organisationen heraus und es treten Intermediäre auf. <?page no="63"?> 3.1 Intermediäre 63 Abb. 5: Finanzmärkte: Der Devisenmarkt, der Markt für Swaps und die Finanzmärkte für Anleihen, Aktien und für Derivate hängen zusammen. Eigene Berechnungen auf Basis folgender Quellen: BIS Quarterly Review, March 2016, Statistical Annex; McKinsey Global Institute: Global Capital Markets 2013 sowie Updates. 3.1.2 Finanzintermediäre Finanzintermediäre übernehmen die vier Aufgaben: 1. Ansprache kontraktwilliger Interessenten: Suche und Selektion von kapitalnachfragenden Unternehmen und kapitalanbietenden Sparern. 2. Gestaltung der Vertragsinhalte, Bestimmung der Preise und die Abgabe von Garantien. 3. Unterstützung der Vertragsausführung und Vertragsüberwachung, insbesondere bei längerfristigen Vertragsbeziehungen wie Kredit- oder Versicherungsverträgen. 4. Intermediäre führen gewisse Transformationen aus, also kleinere Produktionsschritte. Der Vorteil der Intermediation gegenüber einem freien Markt ohne Intermediäre zeigt sich in verschiedenen Situationen, in denen die geringe Anzahl kontraktwilliger Interessenten für einen Markt nicht ausreicht - was zum Beispiel auf einem regionalen Immobilienmarkt der Fall ist, oder in denen angesichts von Verschiedenheiten der Umstände der Vertragsparteien die Kosten der Commoditisierung - eine Voraussetzung für das Marktgeschehen - zu hoch sind, und wo durch zu ausgeprägte Informationsasymmetrien ein Markt zusammenbrechen würde, oder in denen ein Markt zu Preisen mit insgesamt zu geringem Informationsgehalt führen würde (weil Qualitätsinformationen wichtig sind), Zinsderivate Währungsderivate Commodityderivate Aktienderivate Credit Default Swaps Internationale Geldströme aufgrund Export und Import von Gütern und Diensten Geldströme für internationalen Kauf und Verkauf von Aktien Geldströme für internationalen Kauf und Verkauf von Bonds und Geldmarktpapieren Aktien und Immobilienwertpapiere Geld- und Kapitalmarkt Optionen, Futures, Rohstoffe Devisenmarkt- Internationale Kapitalströme Euro 5 Billionen p.a. Kapitalmarkt: Euro 140 Billionen Aktienmarkt: Euro 60 Billionen Nominalvolumen Euro 540 Billionen, davon Bruttomarktvolumen (= effektiv geleistete Zahlungen): Euro 16 Billionen <?page no="64"?> 64 3. Kapitel: Banken und Börsen in Fällen, wo eine schnelle Allokation (wie sie eine Börse bieten würde) nicht verlangt wird - so etwa beim Verkauf einer Familienunternehmung, wo der verkaufende Gründer vielleicht mehr Bedeutung auf die Weiterführung seines Lebenswerks als auf den erzielten Verkaufspreis und eine schnell ausgeführte Transaktion legt. Abb. 6: Nicht alle Wertpapiere werden von privaten Personen im Rahmen der Vermögensverwaltung gehalten. Der große Teil aller Wertpapiere wird als Finanzvermögen von Unternehmen gehalten. Eigene Berechnungen auf Basis folgender Quellen: Boston Consulting Group: Global Asset Management 2016 Report sowie BCG Global Wealth Report 2016 und 2018. Wichtige Finanzintermediäre sind Banken. Banken ermöglichen Kunden den Zugang auf Finanzmärkte, sie wirken dann als Broker. In gewissen Bereichen wirken sie als Makler und bringen transaktionsbereite Parteien zusammen. Außerdem wirken Banken bei gewissen Finanzkontrakten als Market-Maker, und zwar bei langfristigen und wenig liquiden Kontrakten; so etwa im Kreditgeschäft. Im Kredit- oder Kommerzgeschäft nehmen Banken zudem gewisse Veränderungen an den Kontrakten vor. Die wichtigsten Transformationen einer Bank sind: 1. Größentransformation: Durch die Entgegennahme von Spargeldern in kleinen Beträgen und deren Ausleihe in größeren Kreditbeträgen vollzieht die Bank eine Transformation der Losgrößen der einbezahlten und ausgeliehenen Beträge. 2. Laufzeitentransformation: Hinsichtlich der Laufzeit stimmen die Wünsche von Anlegern und Kreditnehmern selten direkt überein. Häufig haben Sparer eine Präferenz für eine kurze Anlagedauer - weil Privatpersonen in ihrem Leben immer mit Überraschungen konfrontiert werden, in denen sich unvorhergesehener Geldbedarf ergeben kann. Dagegen ziehen die Kreditnehmer längere Laufzeiten vor, da so ihre Planung erleichtert wird. Die Banken nehmen daher typischerweise kurz laufende Gelder entgegen und transformieren sie in Kredite längerer Vertragslaufzeit. Man spricht von einer Fristentransformation. 3. Transformation der Sicherheit: Die Banken geben unsichere Kredite und können doch Einlagen sicher verwahren. Durch Garantien, die sie der Einlagekundschaft bieten, verän- <?page no="65"?> 3.1 Intermediäre 65 dern (transformieren) Banken die Bonität der Kreditnehmer. Die Garantien können Banken aufgrund dreier Maßnahmen bieten. Erstens bilden Banken Portfolios aus zahlreichen Krediten, und es sollte nicht zugleich bei allen zu Ausfällen kommen. Zweitens halten Banken hinreichend viel Eigenkapital als Risikopuffer. Drittens selektieren Banken die Kreditnehmer und überwachen die Einhaltung der Vertragsbestimmungen (Monitoring). 3.1.3 Börsen Die Finanzmärkte eines Wirtschaftsraumes umfassen alle organisierten Einrichtungen für die Weitergabe von Finanzkontrakten, von Kapital, in einer dem Markt ähnlichen Weise: Der Zugang ist offen, Vergleiche werden durch Transparenz begünstigt, und markträumende Preise werden bestimmt. Diese Definition der Finanzmärkte ist weit gefasst. Hierunter fallen die Märkte für Anleihen und Aktien, für Derivate (Optionen und Futures) sowie die Devisenmärkte. Neben dem Handel an Börsen bestehen außerbörsliche Formen für die Weitergabe von Finanzkontrakten, besonders für die (großer) Pakete von Wertpapieren. Ebenso werden ganze Unternehmen in einem marktähnlichen Umfeld gehandelt, im sogenannten „Markt für Unternehmenskontrolle“, und auch dieser Markt gehört zu den Finanzmärkten. Zudem bestehen Marktsegmente, in denen Finanzpositionen enormer Größe getauscht werden. Das sind die Swapmärkte. Aufgrund der Größe werden viele Kursbewegungen von den Transaktionen an Swapmärkten ausgelöst. Einige sagen, die Informationen kämen durch die Swapmärkte in die restlichen Marktsegmente hinein. Finanzkontrakte werden privat (zwischen jeweils zwei Parteien, die sich eigens gefunden haben) ausgehandelt, die dazu ein marktähnliches Umfeld aufsuchen. Oder sie werden an Börsen gehandelt, wobei das Publikum zugelassen ist, am Handelsgeschehen teilzunehmen, sei es direkt oder indirekt über Broker. Im ersten Fall wird das Kapital als privat, im zweiten Fall als öffentlich bezeichnet. Eine zweite Unterscheidung bezieht sich auf die Frage, ob der Finanzinvestor am Ende Forderungstitel oder Beteiligungstitel hält. Im ersten Fall wird von Fremdkapital gesprochen, im zweiten von Eigenkapital. Offensichtlich klammert diese Unterscheidung besondere Kontrakte wie Devisen, Derivate und Swaps aus. Der Prozess der Vertragsabschließung, der Einrichtung oder Übertragung finanzieller Ansprüche kann durch Mittelsmänner begleitet werden, die etwa die Dienste eines Maklers erbringen. Makler handeln zwar für ihre Auftraggeber, doch sie sind Standesregeln unterworfen, beachten beste Praktiken und folgen der Berufsethik. Gelegentlich nimmt sich jede Seite einen Makler des eigenen Vertrauens, und die beiden Makler handeln dann ein Geschäft untereinander aus. Schließlich können Käufe und Verkäufe finanzieller Positionen nach klaren Prozeduren in Börsen ablaufen. Börsen haben einen sehr hohen Organisationsgrad. Der Handel in Börsen folgt klaren Regeln, wenngleich er ansonsten frei ist, so wie es die Idee des Markts erfordert. Außerdem sind Börsen beaufsichtigt. Die drei bekanntesten Börsen sind die für die Aktien großer Unternehmen (Bluechip- Aktien), die für Staatsanleihen (Sovereign Debt) sowie die für von Unternehmen ausgegebene Anleihen (Corporate Debt). <?page no="66"?> 66 3. Kapitel: Banken und Börsen Eine Grundidee der Börse liegt darin, die Schnelligkeit von Transaktionen zu ermöglichen. So wird die Erzeugung aktueller Informationen begünstigt. Um Schnelligkeit zu erreichen, wird der Handel so gestaltet, dass langwierige Erklärungen und Rückfragen nicht erforderlich sind. Die an Börsen gehandelten Positionen müssen standardisiert sein. Zudem werden gelegentlich nur Vielfache gewisser Losgrößen (Tick) gehandelt. Deshalb kennt jeder Anbieter und Nachfrager die Eigenschaften der zum Handel zugelassenen Wertpapiere. Weitere Informationen über die jeweiligen Merkmale der Wertpapiere zu geben ist nicht erforderlich. Deshalb müssen sich die Börsianer kennen. Dennoch sollte die Börse dem gesamten Publikum offenstehen. Daraus ergibt sich eine Problematik. Um sie zu lösen, werden an einer Börse zum direkten Handel (oder zur Eingabe in elektronische Handelssysteme) nur professionelle Händler zugelassen. Das Publikum muss Transaktionswünsche über die zugelassenen Händler eingeben. Das Publikum wirkt indirekt am Börsengeschehen mit. Der Handel an den Börsen findet räumlich konzentriert - Präsenz ist verlangt - oder in einem Netz verbundener Computer statt. Wichtig an Börsen sind die Bekanntgabe der augenblicklichen Kurse an alle Börsenhändler sowie der augenblicklichen Volumina von Angebot und Nachfrage. Läuft der Handel in einem Raum ab, sieht jeder Händler die Gebote der anderen Händler. Mit dem Computer wird ein Orderbuch geführt, das zugelassene Händler einsehen können. Eine Börsenorganisation erbringt verschiedene Dienstleistungen: 1. Informationsbereitstellung: Zunächst muss sie die möglichen Marktteilnehmer über das Angebot und die Nachfrage sowie über das aktuelle Kursniveau informieren, und sie muss Dritten die aktuellen Informationen zur Verfügung stellen. 2. Allokationsfindung: Dann soll durch eine geeignete Zuordnung von Angebot und Nachfrage nach Wertpapieren ein Kurs gefunden werden, bei dem der Markt zum Ausgleich kommt, also geräumt wird. Die entsprechenden Tauschhandlungen müssen „fixiert“ und notiert werden: Clearing. 3. Abwicklung: Schließlich muss die Börse alle vereinbarten Tauschgeschäfte ausführen und abwickeln: Settlement. Für die Ablauforganisation bestehen gewisse Muster. Eines ist das der Auktion: Transaktionswünsche werden durch Quantität und Preislimit beschrieben und von einer zentralen Stelle innerhalb einer Eingabefrist gesammelt. Bei Schluss der Annahme von Geboten für Angebot und Nachfrage ermittelt ein Auktionator denjenigen Preis, zu dem sich Angebot und Nachfrage ausgleichen (Markträumung). Mit diesem Preis ist zugleich bestimmt, welche der gemeldeten Transaktionswünsche zur Ausführung kommen und welche nicht. Die Auktion hat den Vorteil, dass wie im idealen Markt ein einziger Preis zustande kommt, zu dem dann die Transaktionen ausgeführt werden. Um nach diesem Modell der Auktion vorzugehen, sollten die hereinkommenden Transaktionswünsche für einige Zeit gesammelt werden. Nach Preisfindung und Abwicklung der Transaktionen, die zum Zuge kommen, beginnt eine neue Zeitspanne für die Eingabe. Die Länge der Zeitspanne für Eingaben wird so bemessen, dass an ihrem Ende eine als hinreichend groß angesehene Anzahl von Geboten vorliegt. Dadurch ist die Preisfindung hinreichend gut abgestützt, auch wenn eine <?page no="67"?> 3.1 Intermediäre 67 längere Wartezeit bis zur Auktion vergeht. Bei sehr kurzer Eingabefrist führen die Auktionen zu starken Schwankungen der Preise, aber der einzelne Transaktionswillige muss nicht lange warten. Der Nachteil einer langen Zeit bis zur Preisbestimmung bei Auktionsende besteht darin, dass ein Transaktionswunsch nicht sofort nach Eingabe ausgeführt werden kann, sondern eben erst am Ende der Frist. Das ist abträglich hinsichtlich des Wunsches nach jederzeitiger Ausführbarkeit von Käufen und Verkäufen (Liquidität). Außerdem fördert es wenig die Grundfunktion eines Markts, aktuelle Informationen zu erzeugen. Wird die Frist aber kurz gewählt, um die Wartezeit bis zur Ausführung von Transaktionswünschen zu verringern, dann gibt es in jedem Zeitfenster nur einige wenige Transaktionswünsche, einmal vielleicht sogar nur Nachfrager, ein andermal nur Anbieter von Wertpapieren. Damit wären die Preise einer großen Zufälligkeit ausgesetzt. Die Informationserzeugung der Börse würde leiden. Außerdem kämen unter Umständen unfaire Preise in dem Sinn zustande, dass die Kauf- und Verkaufsgebote zu ungleich sind. Die Verfahren, die zur Allokation von Transaktionswünschen verwendet werden, müssen diese Aspekte abwägen. In einem als Market Microstructure bezeichneten Forschungsgebiet werden verschiedene Organisationsformen für den Handel untersucht. 3.1.4 Makler und Market-Maker Die Börse eignet sich weniger gut für einzelne, heterogene Finanzkontrakte. Wenn es zu viele verschiedene Kontraktarten gibt oder die Handelsvolumina gering sind, müssen andere Formen für den marktähnlichen Handel gefunden werden. Abb. 7: Intermediationstypen Vielfach bietet sich ein Handel „über den Tisch“ (Over The Counter, OTC) an. Um einen Tisch stehen verschiedene, am jeweiligen Finanzkontrakt interessierte Personen und sprechen miteinander. Händler können hinzutreten oder weggehen. Sie sind vor allem Market- Maker. Bei ungewöhnlichen Preisen würden sie selbst in das Geschäft einsteigen. Und wenn sonst niemand anbietet, würde ein Market-Maker aus eigenen Beständen zu liefern geringes Transaktionsvolumen hohes Transaktionsvolumen grosse Heterogenität und irreversible Kontrakte grosse Homogenität (Commodities) und reversible Kontrakte bilaterale Partnersuche Makler Markt Market Maker Consultants interne Koordination <?page no="68"?> 68 3. Kapitel: Banken und Börsen bereit sein. Heute ist diese Kommunikation elektronisch umgesetzt, so dass beim OTC- Handel eine Präsenz an einem physischen Tisch nicht verlangt ist. Für die Dienstleistung, jederzeit transferbereit zu sein, lassen sich Market-Maker durch eine Spanne zwischen Ankaufspreis (Geldkurs, Bid) und Verkaufspreis (Briefkurs, Ask) vergüten. Dabei wird es so eingerichtet, dass stets mehrere Market-Maker vorhanden sind, die unabhängig voneinander ihre Geschäfte tätigen. Würde einer der Market-Maker eine sehr große Spanne festsetzen, würde sogleich ein anderer Market-Maker mit einem etwas höherem Geldkurs und einem etwas geringeren Briefkurs Angebot und Nachfrage auf sich lenken. Damit sich Käufer und Verkäufer überhaupt finden und zu einer Tauschvereinbarung gelangen, treten Makler oder Market-Maker unterstützend hinzu. Während Makler die Tauschparteien lediglich zusammenführen aber selbst keine der gehandelten Positionen übernehmen, ähnlich wie ein Heiratsmakler oder ein Immobilienmakler, führen Market- Maker ein eigenes Lager, ähnlich wie ein Kunsthändler. Market-Maker sind bereit, angebotene Finanzpositionen in den eigenen Bestand zu übernehmen und bei Nachfrage aus eigenem Bestand abzugeben. Der Handel in Nebenwerten (Aktien kleinerer Gesellschaften) wird von darauf als Market- Maker spezialisierten Banken gestaltet. Gleiches gilt für den Handel mit Unternehmensanleihen (Corporate Bonds). Vor allem ist der Handel mit Devisen weltweit durch (einige wenige) Market-Maker gemacht. Gleiches gilt für Optionsscheine und vor allem für aus Derivaten zusammengesetzte Finanzkontrakte, sogenannte Strukturierte Produkte. Ein weiteres Unterscheidungskriterium, die Laufzeit, greift bei Anleihen. Fremdkapital-Kontrakte mit einer Laufzeit von weniger als einem Jahr werden am Geldmarkt gehandelt. Hier werden Wertpapiere und Noten (Bills) gehandelt, in denen der Schuldner (Staat, Bank, Unternehmung) dem Gläubiger (Bank, Unternehmung) Rückzahlung und Zins verspricht. Beispielsweise kann die BASF Schuldscheine ausgeben, die noch über 60 Tage laufen. Der Geldmarkt läuft zwischen den größeren Banken ab, auch die Zentralbank nimmt gelegentlich teil. Kleinere Banken, Unternehmen, Fondsgesellschaften und Versicherungen können über eine Bank Order aufgeben. Private Investoren haben aber weder direkte Zugangsmöglichkeit zum Geldmarkt noch können sie dort Order eingeben. Doch Banken bieten der privaten Anlegerschaft Fonds, die Geldmarktpapiere beinhalten. Der Geldmarkt unterstützt den kurzfristigen Liquiditätsausgleich von Banken und großen Unternehmen. Der Kapitalmarkt ist der Handel mit Anleihen, deren vertragliche Laufzeiten länger als ein Jahr sind. Der Kapitalmarkt ist überall wichtig, weil der Staat zur Finanzierung der Investitionen in Infrastruktur Staatsanleihen ausgibt. Die Gebietskörperschaften geben Pfandbriefe aus, die ebenso am Kapitalmarkt gehandelt werden. In den USA geben die Counties Municipal Bonds (kurz als Munis bezeichnet) aus, um den Bau von Schwimmbädern oder von Straßen zu finanzieren. In den europäischen Ländern haben Staatsanleihen bei Ausgabe meistens eine Laufzeit von zehn oder fünfzehn Jahren, in Einzelfällen werden auch Staatsanleihen mit Laufzeiten bis zu 50 Jahren ausgegeben. In den USA gibt der Staat vielfach Bonds mit einer Laufzeit von 30 Jahren aus. Damit ist die Verzinsung für sehr lange Zeit festgeschrieben. Dennoch kaufen die privaten und die <?page no="69"?> 3.1 Intermediäre 69 institutionellen Investoren Bonds mit einer solch langen Laufzeit. Das ist ein Ausdruck des Vertrauens in die Fähigkeit der Zentralbank, die Inflation unter Kontrolle halten zu können. Ein gut funktionierender Kapitalmarkt zeigt mithin das Vertrauen der Finanzinvestoren in die Stabilität des Geldwerts. Läuft einmal der Handel mit Staatsanleihen, dann können am Kapitalmarkt auch Anleihen von Unternehmen sowie von anderen Einrichtungen ausgegeben werden. Abb. 8: Geldmarkt und Kapitalmarkt Mit dem Begriff Finanzmarkt wird ausgedrückt, 1. dass viele Finanzkontrakte heute in einem marktähnlichen Umfeld übertragbar sind und 2. dass sich durch Vergleiche Angebot und Nachfrage bilden, und 3. dass sich in einem mehr oder minder intensiven Handel Preise bilden. Dieser Begriff betrifft Wertpapiere, Börsen, den Transfer von Beteiligungen außerhalb von Börsen, vielleicht unter Vermittlung von Maklern. Dieser große Finanzmarkt besteht aus zahlreichen Teilmärkten und Segmenten, die zusammen als Finanzmärkte bezeichnet werden. Unter dem Kapitalmarkt wird nur der börsenähnlich organisierte Handel mit Anleihen einer Laufzeit von mehr als einem Jahr verstanden. Im Kapitalmarkt sind Banken, Versicherungen und das weitere Publikum aktiv. Der Kapitalmarkt ist also einer der Teilmärkte der Gruppe der Finanzmärkte. <?page no="70"?> 70 3. Kapitel: Banken und Börsen 3.1.5 Laufzeiten und Euromarkt Die im Kapitalmarkt tätigen Finanzakteure interessieren sich nicht für alle Laufzeiten in gleicher Weise: Im Segment kurzer Laufzeiten (ein bis drei Jahre) bieten Geldanlagen dem Anleger eine hohe Kursstabilität, doch die Verzinsung ist vielfach etwas geringer und der Kauf verursacht Kosten. Da für die Kapitalaufnahme einem Schuldner für die Ausgabe von Anleihen über eine Investmentbank durchaus 5% des Volumens an Kosten entstehen, meiden auch Schuldner dieses Segment für eine Emission. Das Segment mittlerer Laufzeit (etwa 5 Jahre) wird sowohl von Kapitalanlegern als auch von Emittenten gern gesucht. Kapitalanleger denken, dass eine Frist von 5 Jahren gut überschaubar ist. Die Geldentwertung sollte sich nicht allzu stark bemerkbar machen, und die Bonität der Schuldner sollte sich nicht verschlechtern. Deshalb sind den Unternehmen Kapitalaufnahmen für diese Frist gut möglich. Als Käufer treten im mittleren Laufzeitsegment Privatanleger und Investmentfonds auf. Im Segment sehr langer Laufzeit (10 Jahre und mehr) tritt der Staat als Emittent auf. Ihm nimmt man als Gläubiger ab, dass er über 10 oder 15 Jahre seine Bonität nicht wesentlich ändert. Ähnliches gilt für Unternehmen höchster Bonität und für Banken. Sie alle können sehr lang laufende Anleihen emittieren. Käufer der Langläufer sind Pensionskassen und Versicherungsgesellschaften, deren Kunden das Geld langfristig zur Verfügung stellen. Im Kapitalmarkt wird des Weiteren nach den Emittenten unterschieden: Eine inländische Anleihe liegt vor, wenn der Emittent seinen Sitz in jenem Rechtsgebiet oder der Wirtschaftsunion hat, in dem die Anleihe emittiert wird. Die Emission unterliegt der heimischen Regulierung und Finanzmarktaufsicht. Selbstverständlich nutzen auch kapitalaufnehmende Einrichtungen, die ihren rechtlichen Sitz im Ausland haben, einen fremden Kapitalmarkt als Primärmarkt, wenn sie von den dortigen Anlegern Zuspruch erhalten. Sie müssen dann für die Emission ebenso die dortige Regulierung erfüllen und vielfach sogar eine ministerielle Genehmigung einholen. Der weltweit geöffnete offene Kapitalmarkt bringt es natürlich mit sich, dass Portfolioinvestoren auch die eine oder andere ausländische Anleihe (Foreign Bond) einbeziehen. Diese lautet, sofern es sich nicht um dasselbe Währungsgebiet handelt, auf die entsprechende Fremdwährung. Oftmals können diese Anleihen auch an einer Börse gekauft werden, die ihren Sitz im Land des Portfolioinvestors hat. Wenn beispielsweise Siemens eine Anleihe in den USA (nach den dortigen Gesetzen) ausgegeben hat, dann handelt es sich also dort, für amerikanische Portfolioinvestoren, um einen Foreign Bond. Selbstverständlich prüft das jeweilige Wirtschaftsministerium die Bonität und andere Merkmale des inländischen und des ausländischen Emittenten. Keine Nation möchte es im hauseigenen Kapitalmarkt mit schwarzen Schafen zu tun bekommen, durch die unter Umständen das Vertrauen in die Staatsanleihen leiden könnte. Denn für den Staat kommen Steuern aus einem ersten Brunnen, und der Kapitalmarkt öffnet einen zweiten. Keine Regierung lässt zu, dass die zweite Geldquelle vergiftet wird. <?page no="71"?> 3.1 Intermediäre 71 Stimmt die Währung von Anleihen mit der des Hoheitsgebietes überein, in dessen Rechtsraum sie gehandelt werden, wird von einem Inlandsmarkt gesprochen. Es ist dabei unerheblich, welche Nationalität der Emittent hat. Wenn eine in Frankfurt gehandelte Anleihe von Sony auf Euro lautet, dann gehört sie in Frankfurt dem Inlandsmarkt an. Wird eine zweite Anleihe von Sony, die auf Yen lautet, in Frankfurt gehandelt, dann gehört sie nicht dem Inlandsmarkt, sondern dem Segment „Ausland“ an. Abb. 9: Klassifikation der Finanzmärkte Um 1970 entstand die Praxis, für Finanzgeschäfte unregulierte und unbeaufsichtigte Bereiche zu suchen. Die Erdölförderstaaten wollten Finanzgeschäfte zwar in US-Dollar abwickeln, aber sie wünschten, der Regulierung und Gesetzgebung der USA dabei zu entgehen. Sie sind dazu nach England und auf die Kanalinseln Guernsey und Jersey gegangen, die sich im Kronbesitz befinden und einen politischen Sonderstatus genießen. Die dortigen Banken waren bereit, Dollaranlagen entgegen zu nehmen, und zwar in größeren Beträgen. Überraschen mag dies: Die USA haben nicht versucht, Finanzgeschäfte in Dollar außerhalb ihres Hoheitsgebiets zu unterbinden. Dies wohl deshalb, weil Briten und Amerikaner viele gemeinsame Wurzeln haben und dieselbe Sprache sprechen. Außerdem haben die Banken auf den Kanalinseln die entgegengenommen Dollar sogleich in die USA gebracht und dort bei den amerikanischen Banken angelegt. Sie fungierten eigentlich nur als Intermediäre. Dennoch gab es einen wesentlichen Unterschied. Wenn ein erdölfördernder Staat seine Dollareinnahmen direkt in den USA angelegt hatte, dann unterstand er der Rechtsprechung der USA und den dort möglichen Eingriffen der Senatoren. Wenn das arabische Förderland stattdessen ein Guthaben bei einer britischen Bank hatte, und diese dann das Geld in den USA anlegte, dann war der in den USA berechtigte Finanzinvestor eine britische Bank. Die Geschäfte in Guernsey und Jersey haben sich bald zu regelrechten Märkten ausgeweitet. Da die auf Dollar lautenden Geschäfte in Europa (also nicht in Amerika) abgewickelt wurden, sprach man von den Euromärkten. <?page no="72"?> 72 3. Kapitel: Banken und Börsen Heute wird mit Euromarkt jeder Geld- und Kapitalmarkt bezeichnet, der außerhalb des Landes der Währung und außerhalb der Regulierung und Aufsicht dieses Landes stattfindet. Wenn eine deutsche Unternehmung bei einem Broker in Guernsey Schweizerfranken anlegt, dann fällt dieses Geschäft ebenso unter den Begriff Euromarkt, wie wenn sie Euro in Singapur anlegt oder Dollar in Hongkong. Euromärkte gibt es aber nicht überall in der genannten Größenordnung. In Paris werden kaum Finanzgeschäfte in Yen abgeschlossen, doch wenn das geschehen würde, hätten wir dort einen Euromarkt. Zwar kann man in Zürich durchaus große Geschäfte in Dollar abschließen, doch ist dieser Euromarkt kleiner als die Euromärkte in England und in Asien. Eine Tabelle mit Eurobond-Emissionen bietet Abschnitt 8.1.4. 3.1.6 Private versus Public Warum werden nicht alle Verträge im Leben übertragbar gestaltet? Wir wissen: Die beiden Grundtypen von Finanzkontrakten Eigenkapital und Fremdkapital können als Aktie beziehungsweise Anleihe verbrieft und als Wertpapier öffentlich gehandelt werden. Sie sind dann einer breiten Anlegerschaft zugänglich, die diese Instrumente für die Geldanlage wählen kann und dazu Portfolios zusammenstellt. Dem öffentlichen Zugang zu den Kapitalmärkten entsprechend wird das Attribut „public“ verwendet, und die am Markt Teilnehmenden werden als Publikum angesprochen. Beide Typen von Finanzkontrakten können ebenso als kaum übertragbare, bilaterale Verträge abgeschlossen werden. In diesem Fall wird das Attribut „private“ vergeben. So wäre eine Beteiligung an einer GmbH ebenso Private Equity wie die Anteile an einer Personengesellschaft. Private Debt bezeichnet entsprechend einen bilateralen Kreditvertrag, etwa einen Bankkredit. Zuvor wurde ein klares Plädoyer für die Verbriefung von Kapital als Wertpapier und die Organisation des Handels in Börsen für Wertpapiere ausgesprochen: Aufgrund der von den Finanzinvestoren geschätzten Liquidität geht mit diesem Prozess eine Reduktion der Kapitalkosten einher. Breite Diversifikation ist möglich, die Teilnehmer an den Finanzmärkten können Portfolios bilden. Die Allokation der Risiken wird besser. Außerdem wurde die Informationserzeugung der Finanzmärkte als positiv für die Wohlfahrt dargestellt. Von daher erscheinen Private Equity wie frühe, überkommene Formen der Beteiligung. Der Bankkredit (Private Debt) sieht wie eine überkommene Form des Forderungskapitals aus. Aber sind beide wirklich nur Relikte aus der Zeit, als es in der Finanzwirtschaft nur Banken aber keine Finanzmärkte gab? Dass die privaten Finanzkontrakte nicht unzeitgemäß sind, sollen zwei Punkte beleuchten. Erstens setzt die Verbriefung von Finanzverträgen und die Einführung in den Börsenhandel eine gewisse Größe voraus. Ein Volumen von 100 Millionen Euro ist die Mindestgröße für eine Emission. Kleinere Beteiligungen und kleinere Kredite können nicht in die Form der Aktie oder Anleihe gebracht und an einer Börse gehandelt werden. Familienunternehmen und Ventures (Neugründungen) haben daher keine Möglichkeit, über die Finanzmärk- <?page no="73"?> 3.1 Intermediäre 73 te Kapital aufzunehmen. Sie sind auf private Kapitalanleger angewiesen, die bereit sind, in wenig liquide Finanzkontrakte einzutreten. Oder sie müssen sich an Banken wenden. Abb. 10: Finanzkontrakte werden einerseits nach dem Typus (Eigen- oder Fremdkapital) eingeteilt, andererseits nach der Leichtigkeit der Übertragung der Rechte auf Dritte. Der zweite Grund betrifft die Frage, ob es sinnvoll ist, die vertragliche Beziehung zwischen Kapitalverwender und Kapitalanleger nicht ganz so lose zu gestalten. In vielen Situationen ist eine für längere Zeit vorgesehene Bindung zwischen einem Kapitalgeber und dem Kapitalnehmer ökonomisch sinnvoll. Bei wenig liquiden und daher lange laufenden Verträgen sind beide Seiten bereit, in die Beziehung zu investieren. Der Kapitalverwender (Unternehmung) wird sich in gewissen Situationen wünschen, dass die Kapitalgeber nicht nur ihr Geld überlassen, sondern dass sie auch Wissen einbringen. Die Kapitalgeber könnten Expertise bei der Führung einbringen, Kenntnisse zur besseren Vermarktung von Produkten, und oft können sie Geschäftskontakte anbahnen. Für solche Situationen sind die privaten Formen von Finanzkapital angebracht, weil dann der Vorteil der Langfristigkeit der Beziehung den Nachteil geringer Liquidität kompensiert. Das ist heute vielfach der Fall. Deshalb finden sich beim Private Equity Ausprägungen wie etwa Venture Capital oder Restructuring Capital. Der Geber von Venture Capital soll nicht nur Geld geben und (besonders hohe) Risiken tragen, was die Rückflüsse betrifft. Er soll dem jungen Unternehmen mit Rat zur Seite stehen und die neue Firma begleiten. Ähnlich ist es mit dem Restructuring Capital. In Krisen und bei Neuanfängen helfen Kapitalgeber wenig, die jeden Tag überlegen, ob sie sich nicht schnell durch einen Verkauf verabschieden sollen. Gefragt sind dann festere Beziehungen zwischen Kapitalgeber und Kapitalverwender. Schließlich gibt es Zwischenformen des Kapitals, die als Hybride oder Mezzanine bezeichnet werden. Hierunter fallen besondere Vertragskonstruktionen, die sich in Sondersituationen anbieten. Dazu gehören Kredite, die Eigentümer der Unternehmung geben. Oftmals geschieht dies, damit die Gewinnsteuern der Unternehmung geringer ausfallen. Eine andere Sondersituation verlangt die Ausgabe von Wandelanleihen, die als Anleihen emittiert werden und die von den Anlegern in Aktien umgewandelt werden können. Wertpapiere, öffentlicher Handel, Märkte Forderungen (Debt) Privates Kapital, bilaterale Verträge, keine Fungibilität Beteiligungen (Equity) Aktien Anleihen Private Equity Bankkredit Darlehen Hybride, Mezzanine <?page no="74"?> 74 3. Kapitel: Banken und Börsen 3.2 Wichtige Handelsplätze Im Folgenden wird die historische Entwicklung an den Finanzplätzen London, New York, Frankfurt und Zürich nachgezeichnet. 3.2.1 Großbritannien Den ersten Hinweis auf organisierten Handel mit Finanzkontrakten in London bietet eine Kursliste von Aktien und Rohwaren aus dem Jahre 1698, die von J OHN C ASTAING geführt wurde. Diese Liste und die regelmäßigen Treffen einer Gruppe von Brokern markieren den Ursprung der London Stock Exchange (LSE). Der Handel an der LSE begann 1801. Allerdings entsprachen die Kurse der gehandelten Kontrakte damals nicht immer ihren wahren, inneren Werten. Die Grundlagen der Bewertung von Unternehmen wurden erst später gelegt. Zu Anfang der Börsen dürfte es immer wieder zu Preisentwicklungen gekommen sein, die nicht durch fundamentale Sachverhalte gerechtfertigt gewesen sind. Im Jahr 1720 platzte in London die erste spekulative Preisblase (Bubble) mit dem Zusammenbruch der South Sea Company (Mississippi-Bubble), und 1845 kam es zum Zusammenbruch einer zweiten Preisblase bei den Beteiligungen an der Eisenbahninfrastruktur. Im Jahr 1978 startet die LSE den Handel mit Kontrakten, die eine spätere Lieferung von Metallen zusagen. Als weiterer Schritt in der Börsengeschichte in London ist die Deregulierung 1986 zu erwähnen, bezeichnet als Big Bang. Sie brachte eine erleichterte Zulassung und bessere Transparenz, eine neue Gebührenstruktur und den Handel am Computer. Der Handel mit Terminkontrakten, Futures, und anderen Derivaten hat seinen Ursprung in London genommen. Die Ursprünge reichen weit zurück: Um 1570 wurde mit der Royal Exchange die erste Warenterminbörse der Welt gegründet, und ab 1982 kam es mit der Gründung der London International Financial Futures and Options Exchange (LIFFE) zum organisierten Handel von Finanzderivaten. 3.2.2 USA In den USA kam es zur ersten öffentlichen Emission einer Anleihe 1790. Die amerikanische Regierung legte 80 Millionen Dollar auf, um den Unabhängigkeitskrieg (1775-1783) zu finanzieren. Diese Emission stellt den Beginn amerikanischer Kapitalmärkte dar. Der Grundstein für die New York Stock Exchange (NYSE) wurde 1792 mit einem Agreement gelegt: 24 Aktienhändler kamen an der Wall Street in New York überein, fortan eine gemeinsame Kommissionierungsbasis für Aktiengeschäfte anzuwenden. Die erste unter dem neuen Gebührenregime gehandelte und an der heutigen NYSE gelistete Aktie war übrigens jene der Bank of New York. Eine förmliche Organisation für den Handel wurde 1817 mit dem New York Stock & Exchange Board (NYS&EB) gegründet. Weitere Bedeutung als Finanzplatz erlangte New York durch die Emission von Bonds zur Finanzierung des Eriekanals (Verbindung der Großen Seen neben dem Sankt-Lorenz-Strom mit dem Atlantik 1825). Der erste große Börsencrash mit einem Kursverlust von 45% infolge des Zusammenbruchs der Ohio Life Insurance & <?page no="75"?> 3.2 Wichtige Handelsplätze 75 Trust Company ereignete sich in New York 1857, und 1907 folgte ein weiterer großer Einbruch der Aktienkurse. Im Jahr 1863 änderte die NYS&EB ihren Namen in New York Stock Exchange (NYSE) und verlegte 1903 ihren Sitz an den heutigen Standort in der Wall Street. Der Erste Weltkrieg (1914-1918) brachte eine Wende bei den Geldströmen zwischen Europa und den USA. Während sich die USA vor 1914 in Europa verschulden mussten und dazu Anleihen an der Börse in London ausgaben, konnten ab 1918 inländische und ausländische Bonds in den USA ausgegeben werden, weil die Bevölkerung dafür Spargelder hatte. Zudem kam es ab 1918 in den USA zu einem enormen Anstieg des Handels mit Aktien. New York löste um diese Zeit London als bis dahin wichtigsten Finanzplatz ab. Der Aufstieg der Vereinigten Staaten von Amerika begann mit dem Ersten Weltkrieg, der weite Teile Europas zerstörte. Einen großen Einschnitt in der Börsengeschichte der USA stellt der Crash vom 29. Oktober 1929 dar (Black Tuesday), mit dem die Weltwirtschaftskrise begann. Wenige Tage zuvor, am 24. Oktober 1929, kam es bereits zu einem Zusammenbruch der Kurse (Black Thursday). Eine der Ursachen für den Beginn der Weltwirtschaftskrise, so weiß man heute, lag in der geringen Versorgung der Wirtschaft mit Geld aufgrund des damaligen Goldstandards: Die Zentralbank durfte Dollar nur ausgeben oder für Aufkäufe von Wertpapieren verwenden, wenn die auch die neuen Dollar zu wenigstens 60% durch Gold gedeckt werden konnten. Die Geldversorgung der Wirtschaft konnte daher nicht mit der Wirtschaftsentwicklung Schritt halten. Die Zentralbank konnte nicht mit einer Politik lockerer Geldversorgung aus der Krise helfen. Die Wirtschaftskrise kam erst zu einem Ende, als der Goldstandard 1933 fallen gelassen wurde. Weniger folgenreich als die Weltwirtschaftskrise war der Crash vom 19. Oktober 1987, als der Dow Jones Industrial Average mit einem Minus von 22,61% den (bisher) größten Verlust an einem einzigen Tag erlitt. Die Zentralbank (Fed) stellte 1987 sofort Liquidität bereit. Sie bot also den Banken an, leicht Geld zu erhalten, um es an Unternehmen und Private weitergeben zu können. So wurden Notverkäufe vermieden. Der Dow Jones Industrial Average (DJIA) wurde 1896 von C HARLES D OW und seinem Arbeitskollegen E DWARD J ONES eingeführt und wurde damals aus den Kursen von 12 Aktien berechnet. Ab 1885 wurde über Kurse und über den Index im „Customer’s Afternoon Letter“ berichtet, dem Vorläufer des The Wall Street Journal. Heute errechnet sich der Dow-Jones-Index aus 30 Aktien und ist immer noch ein Kursindex. Dividenden bleiben unberücksichtigt. Dadurch wird die tatsächliche Performance eines Aktienportfolios unterschätzt. Neben dem Dow-Jones-Index (DJIA) wird auch der Dow Jones Industrial Average Total Return Index (DJITR) laufend berechnet. Der DJITR ist ein Performanceindex. Die ersten organisierten Börsen waren aber nicht die für Aktien, sondern die für Warentermingeschäfte. Im Jahr 1848 wurde das Chicago Board of Trade (CBOT) gegründet, an dem Terminkontrakte auf Getreide gehandelt werden konnten. In den Jahren ab 1870 kamen neue Börsen für Terminkontrakte auf Agrarrohwaren hinzu, in New York 1870, in Kansas 1876 sowie in Winnipeg 1887. Das Spektrum an Basiswerten wurde mit dem 1936 eingeführten Terminhandel auf Soja an der CBOT sowie 1964 mit Terminkontrakten auf Lebendvieh erweitert. <?page no="76"?> 76 3. Kapitel: Banken und Börsen 3.2.3 Deutschland In Deutschland stand die Entwicklung von Handelsplätzen in Verbindung mit der kaiserlichen Erlaubnis, Messen veranstalten zu können. Ab 1330 erhielt die Stadt Frankfurt am Main das Recht, eine Herbst- und eine Frühjahrsmesse durchführen zu können. Die Messen führten zum Handel mit Waren, und dieser zog den Geldverkehr nach sich. Weil das Europa jener Zeit in zahlreiche Fürstentümer und verschiedene Währungsgebiete zergliedert war, wurde auf den Messen mit unterschiedlichsten Münzsorten bezahlt. Immer wieder kam es zu Betrügereien, die sich abträglich auf den Warenhandel auswirkten. Im Jahr 1585 schlossen sich die Messekaufleute zusammen und legten Standards für die Währungen und einheitliche Wechselkurse fest. Diese Übereinkunft war der Ursprung der Frankfurter Wertpapierbörse. Hieran ist die Bedeutung der Ordnung und Regulierung für die Entwicklung von Finanzmärkten zu erkennen. Der erste amtliche Kurszettel in Frankfurt am Main erschien 1625 und erfasste die Durchschnittskurse von zwölf Geldsorten. Die Geschäfte konzentrierten sich zunächst auf Wechselgeschäfte mit Münzen sowie Wechselbriefen. Im späten 17. Jahrhundert kam der Handel mit Anleihen und Schuldscheinen hinzu, gegen Ende des 18. Jahrhunderts jener mit Staatspapieren. Bei der Platzierung einer Millionenanleihe für den deutschen Kaiser in Wien im Jahre 1779 wurden erstmals so genannte Partialobligationen ausgegeben: Um das damals hohe Volumen überhaupt unterbringen zu können, musste durch kleine Stückelung der Kreis möglicher Anleger weit gefasst werden. Auch in Deutschland leitete die industrielle Revolution den Beginn der Finanzierung von Unternehmen über die Ausgabe von Aktien und mithin den Aktienhandel ein. In Frankfurt am Main wurde die erste Aktie 1820 gehandelt, doch der Schwerpunkt der Geschäftstätigkeit blieb für Jahre der Handel mit Anleihen. Dazu gehörten internationale Staatspapiere und sogar amerikanische Bonds. Erst in den Gründerjahren um 1870 nahm der Aktienhandel in Deutschland zu. Maßgeblich dafür war die Kapitalnachfrage der neuen Unternehmen. Das Börsengesetz von 1896 führte zu einer einheitlichen Organisation der damals 29 deutschen Börsen. Im Ersten Weltkrieg verlor die Frankfurter Wertpapierbörse ihre frühere Bedeutung als internationaler Finanzplatz. Die Inflation von 1922/ 23, die Weltwirtschaftskrise sowie die Kriegswirtschaft der Nationalsozialisten (Zweiter Weltkrieg 1939-1945) schwächten die Bedeutung des Finanzplatzes von Frankfurt am Main zusätzlich. Erst mit der Währungsreform der Bundesrepublik Deutschland 1948 und der Zulassung ausländischer Wertpapiere nach 1956 gewann die Frankfurter Wertpapierbörse wieder an Bedeutung. Im Jahr 1988 wurde der Deutsche Aktienindex (DAX) eingeführt. Die Börse wurde 1993 als Deutsche Börse AG in die Rechtsform eines Unternehmens gebracht. Im Jahr 1997 wurde der elektronische Handelsplatz Xetra eingerichtet und der Parketthandel abgelöst. 3.2.4 Schweiz In der Schweiz gab es bereits im 17. Jahrhundert börsenähnliche Einrichtungen, wie die Sensalenordnung 1663 in Zürich belegt. Die Sensale war eine Vereinigung von Geschäftsvermittlern. Es gab aber keinen Börsenzwang; der freie (und außerbörsliche) Handel war nach wie vor möglich. <?page no="77"?> 3.2 Wichtige Handelsplätze 77 Die Etablierung organisierter Börsen in der Schweiz ist eine Folge der industriellen Revolution in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Die Industrialisierung, der Ausbau des Eisenbahnnetzes sowie der Bau von Staudämmen für die Elektrizitätserzeugung haben den Kapitalbedarf im 19. Jahrhundert stark anwachsen lassen. Dieser Kapitalbedarf ließ sich über die herkömmliche Familiengesellschaft, die zumeist direkt von Banken Kredite erhielt, nicht mehr decken. Mit der Zunahme des Handels wuchs das Bedürfnis nach Liquidität der Beteiligungen und damit der Wunsch nach Börsen, die in Genf (1850), Zürich (1873) und Basel (1876) entstanden. In Zürich wurde 1855 der Börsenverein gegründet und eine Freitagsbörse für den Handel von Obligationen (Anleihen) und Aktien eingerichtet. Diese Börse war Treffpunkt der Kaufleute aus der Textilindustrie und dem Seidenhandel. Ab 1869 erschien ein „Officielles Cursblatt“. Als Gründungsjahr der Zürcher Börse mit dem Ringhandel gilt 1873. Die Jahre nach 1880 waren durch Emissionen von Bank- und Bahnaktien geprägt. Der Handel war anfangs frei und unreguliert, bis 1884 ein Gesetz über die „Gewerbe der Effektensensale und Börsenagenten“ in Kraft trat und die Börsentätigkeit unter staatliche Aufsicht gestellt wurde. Mit dem Wertpapiergesetz von 1912 wurde die staatliche Kontrolle verstärkt. Der Börsencrash im Oktober 1929 in den USA hatte in der Schweiz keine starken Auswirkungen. Im Jahr 1996 wurde der Parketthandel abgeschafft und durch einen vollelektronischen Handel an der SIX Swiss Exchange ersetzt. Heute liegt der Tagesumsatz bei 4,6 Mrd. CHF. 3.2.5 Weltweite Entwicklung 1970 In der Zeit nach 1970 kamen zahlreiche neue Finanzprodukte auf. Parallel dazu sind neue Handelsplätze entstanden, die als Börsen organisiert wurden. So kam es 1971 nach dem Aufbrechen des (1944 vereinbarten) Systems fixer Wechselkurse von Bretton Woods zu einem plötzlichen Anstieg der Währungsrisiken und der Zinsänderungsrisiken. Die Folge war, dass bereits 1972/ 73 an der Chicago Mercantile Exchange (CME) der Handel mit sieben Währungsfutures ins Leben gerufen wurde. Im Jahr 1975 begann der Handel mit Zinsterminkontrakten - seit 1977 auf den Treasury-Bond lautend - am Chicago Board of Trade (CBOT). Die Jahre um 1980 waren durch eine Konsolidierung der Börsenlandschaft geprägt. Viele regionale Wertschriftenbörsen wurden zusammengelegt, um Börsen wenigstens nationaler Bedeutung zu schaffen. Erstmals ab 1980 wurden die Aktien aller Unternehmen eines Landes an einem einheitlichen Ort gehandelt. Einige der heute gebräuchlichen Aktienindizes gehen auf diese Zeit zurück. Die bekanntesten Aktienindizes in Europa sind der Deutsche Aktienindex (DAX) von 1988, der Swiss Performance Index (SPI) von 1987, der Swiss Market Index (SMI) von 1988, der Compagnie des Agents de Change 40 Index (CAC40) in Paris von 1987 sowie der Austrian Traded Index (ATX) von 1991. Ebenso wurden zahlreiche Derivate (Terminkontrakte, Futures, Optionen) auf die genannten Indizes geschaffen und gehandelt. Der erste Aktienindex-Future wurde 1981 auf den Value Line <?page no="78"?> 78 3. Kapitel: Banken und Börsen Index am Kansas City Board of Trade (KCBT) gehandelt. Seit 1982 gibt es Futures auf den S&P 500 und seit 1990 auf den SMI. Ab 1990 wurden weitere Kontrakte geschaffen, die sich auf andere Basiswerte und Basisgrößen beziehen. Die Themen und Ereignisse, die so finanziell abgebildet wurden, sind Energie, Ausfallrisiken und Katastrophen. Der erste Handel mit den entsprechenden Kontrakten hatte bereits 1978 an der New York Mercantile Exchange (Nymex) gewisse Vorläufer. Seit 1996 sind an der Nymex Elektrizitätsderivate gelistet. Im Jahr 1997 wurde der Bankruptcy Index Future an der Chicago Mercantile Exchange (CME) als Basis für die Messung von Kreditausfällen etabliert. Zur Absicherung von Ausweitungen der Kredit- Spreads (Differenz der Rendite auf Anleihen geringerer Bonität zur Rendite von Anleihen höchster Bonität) gibt es seit 2000 Futures und Optionen auf Agency Notes der Hypothekaragentur Fannie Mae (FNMA, Federal National Mortgage Association). Abb. 11: Größte Börsen weltweit nach Marktkapitalisierung der gelisteten Unternehmen (Quelle: World Federation of Exchanges, Informationen der jeweiligen Börsenorganisationen). Der massive Kursrückgang zwischen 2000 bis 2003 und der damit zusammenhängende Anstieg der Unsicherheit haben an den Aktienmärkten einen großen Einfluss auf die Handelsvolumina gehabt. Im Gegensatz dazu konnten die Börsen für Derivate (Futures und Optionen) in dieser Zeit wachsende Umsatzzahlen vorweisen. Einen wesentlichen Grund hierfür stellt das Bedürfnis der privaten und institutionellen Anleger dar, ihre Portfolios gegen Kursverluste abzusichern (Portfolio Insurance). Stark entwickelt haben sich die Chicago Mercantile Exchange (CME) und das Chicago Board of Trade (CBOT). Auch die asiatischen Märkte konnten hohe Zuwachsraten verzeichnen. So verdrängte im Jahr 2001 die Korean Stock Exchange (KSE) die Eurex vom ersten auf den zweiten Platz. Die Eurex ist ein gemeinschaftliches Unternehmen der Schweizer und der Deutschen Börse, geschaffen für den Handel mit Derivaten. Die Eurex hat ein umfangreiches Angebot an Aktien-, Aktienindex-, Zins- und Volatilitätsderivaten. Außerdem bietet die Eurex einen Handel in mehr als 200 Eurex Aktienoptionen für Gesellschaften verschiedener Länder. USD Mrd. USD Mrd. USD Mrd. USD Mrd. Börse 2011 2013 2015 2018 NYSE Euronext (US) 11 796 17 950 19 223 23 140 NASDAQ OMX (US) 3 845 6 085 6 831 10 380 London Stock Exchange Group 3 266 4 429 6 187 4 600 Japan Exchange Group 4 543 4 485 6 290 Shanghai SE 2 357 2 497 3 986 5 020 Hong Kong Exchanges 2 258 3 101 3 325 4 440 NYSE Euronext (Europe) 2 447 3 584 3 321 4 650 Shenzen Stock Exchange 2 285 3 550 TMX Group 1 912 2 114 1 939 2 100 Bombay Stock Exchange 2 300 SIX Swiss Exchange 1 570 1 910 2 030 1 910 Deutsche Börse 1 185 1 936 1 762 2 340 Marktkapitalisierung <?page no="79"?> 3.2 Wichtige Handelsplätze 79 Insgesamt zeigt sich, dass der elektronische Handel an verschiedenen Finanzplätzen zu einer Aufnahme ausländischer Marktteilnehmer geführt hat. Außerdem bestehen Börsenkooperationen, die einen Handel rund um die Uhr ermöglichen. Das Börsengeschehen „produziert“ Leistungen (wie die Zusammenführung von Anbietern und Nachfragern) und hat bei dieser Produktion enorme Skalenerträge. Effekte wie in Netzwerken oder auf Plattformen bewirken, dass mehrere kleinere Börsen insgesamt höhere Kosten haben als eine oder einige wenige größere Börsen. Deshalb dürfte der Weg zur Zusammenlegung von Börsen noch nicht beendet sein. Abb. 12: Größte Börsen weltweit nach Handelsvolumen (Quelle: World Federation of Exchanges, Informationen der jeweiligen Börsenorganisationen) 3.2.6 Clearing und Settlement Börsen als organisierte Marktplätze für Finanzkontrakte benötigen neben Einrichtungen zur Lösung der Informations- und Allokationsaufgabe geregelte Prozeduren für die Abwicklung der Transaktionen. Die nach Kauf und Verkauf einsetzenden Abwicklungen werden als Clearing und Settlement bezeichnet. Bis 1960 war es notwendig, dass Wertpapiere physisch als Brief vom Verkäufer zum Käufer transportiert wurden. Parallel dazu wurde das Geld übergeben. Mit der Ausweitung der Handelsvolumina wurde diese Form der Abwicklung umständlich, teuer und gefährlich. An der NYSE wurden um 1960 täglich zwischen 10 und 12 Millionen Aktien gehandelt, und jeden Tag transportierten Hunderte von Boten die entsprechenden Wertpapiere von einem Händlerhaus zum anderen durch die Wall Street. Es kam zu Verzögerungen in der Abwicklung, so dass die Börse jeden Mittwoch schließen musste und die Handelszeiten gekürzt wurden. Zur Lösung dieses Problems wurden verschiedene institutionelle Veränderungen eingeführt: Zunächst wurden zentrale Wertschriften-Sammelstellen gegründet, um die physischen Wertschriftentransporte auf ein Minimum zu reduzieren. Zwecks Ausgleich der Kauf- und Verkaufspositionen wurden Clearingsysteme eingerichtet: 1968 startete Euroclear mit Sitz in Brüssel, 1970 Cedel in Luxemburg, die SEGA (Schweizerische Effekten-Giro AG) in Zü- USD Mrd. USD Mrd. USD Mrd. USD Mrd. Börse 2011 2013 2015 2018 NYSE Euronext US 18 027 13 700 18 240 17 400 Shanghai Stock Exchange 3 658 3 785 15 336 6 400 NASDAQ OMX US 12 724 9 585 14 196 15 100 Shenzhen Stock Exchange 2 838 3 911 9 600 9 100 Japan Exchange Group 6 516 4 824 5 800 NYSE Euronext Europe 2 134 1 722 2 208 2 100 London Stock Exchange Group 2 837 2 315 1 980 2 600 Deutsche Börse 1 758 1 383 1 704 1 700 Korea Exchange 2 029 1 334 1 632 3 300 Bombay Stock Exchange 2 500 SIX Swiss Exchange 1 200 1 050 1 380 1 360 TMX Group 1 542 1 333 1 440 1 200 Handelsvolumen <?page no="80"?> 80 3. Kapitel: Banken und Börsen rich sowie 1973 die The Depository Trust Company (DTC) in New York. Das Netz umfasste weitere Clearingstellen wie die Kassenvereine in Deutschland und Sicovam in Frankreich. Diese Gemeinschaftswerke konnten ihren Zweck natürlich nur erfüllen, wenn sich die konkurrierenden Banken beteiligten und ihre Transaktionen über sie abwickelten. Die Hauptfunktionen solcher Clearingorganisationen sind: 1. die Abwicklung der Transaktionen (Settlement). 2. die Aufbewahrung von Wertschriften (Custody). 3. die Ausleihe von Wertpapieren (Securities Lending), 4. der Zahlungsverkehr. Die nächste institutionelle Veränderung betraf die Abwicklung der Zahlungen. Kernstück war die Einführung der multilateralen Verrechnung der einzelnen Positionen (Multilateral Netting). Es war danach nicht mehr nötig, jede Transaktion einzeln abzuwickeln. Der Vorgang konnte sich fortan auf den Ausgleich der Saldi beschränken. Für eine lückenlose Abwicklung werden heute verschiedene Institutionen als Intermediäre eingeschaltet, so etwa die NSCC (National Securities Clearing Corporation) in New York, die seit 1999 mit der DTC unter dem Dach der DTCC (The Depository Trust & Clearing Corporation) zusammengefasst ist. Die NSCC funktioniert nach dem Prinzip eines Net Money Settlement Systems, saldiert also die Einzelzahlungen. Um die Transaktionsparteien gegen den gegenseitigen Ausfall zu schützen, tritt die NSCC bei allen Transaktionen als Gegenpartei ein. In den 1980er Jahren wurden die meisten Clearingorganisationen mit modernen Systemen zur Abwicklung internationaler Wertpapiertransaktionen ausgestattet. Die Leistungen umfassen die Abwicklung und Verwahrung nationaler und internationaler Wertpapiere. Im Gegensatz zum Net Settlement der NSCC betreibt die SIX in der Schweiz ein Online- Realtime-Abwicklungssystem. Die Transaktionen werden nicht saldiert, sondern ohne Zeitverzug abgewickelt. Entsprechend reduziert sich nicht nur die Abwicklungszeit, sondern auch das Gegenparteirisiko. 3.2.7 Größenvorteile Wo einmal ein liquidier Markt besteht, wird er schnell zum Magneten für neue Geschäfte. Anstatt Käufe oder Verkäufe in einem weniger liquiden Markt zu tätigen, würden beide Seiten es vorziehen, ihre Transaktionen in einem möglichst liquiden Markt zu tätigen. Folglich zieht ein liquiderer Markt auch Neuemissionen an. Dort werden sich Investmentbanken ansiedeln, die bei Neuemissionen helfen. Und wo einmal dermaßen gut funktionierende Sekundär- und Primärmärkte bestehen, ziehen sie weitere Geschäfte an. Im Schatten der Finanzmärkte lassen sich Rechtsanwälte nieder, Hochschulen werden ausgebaut, und so finden auch Unternehmen es attraktiv, dort ihren Hauptsitz zu haben. <?page no="81"?> 3.3 Fazit des Kapitels Banken und Börsen 81 Die Märkte werden dadurch nur noch größer, damit noch liquider, und folglich noch attraktiver. Finanzmärkte entfalten also Größenvorteile: Sobald sie bestehen, ist es anderen Finanzakteuren kaum möglich, neben ihnen einen weiteren Markt zum Funktionieren zu bringen. Diese positive Rückkopplung - Finanzgeschäfte ziehen weitere Geschäfte an - führt zur Ausprägung unserer heutigen Finanzplätze. Ihrem Transaktionsvolumen nach sind die die größten Finanzplätze heute 1. New York, 2. London, 3. Hongkong, 4. Singapore, 5. San Francisco, 6. Tokio, 7. Zürich, 8. Seoul, 9. Frankfurt am Main. Einige der Finanzplätze haben sich spezialisiert, etwa auf Aktien oder auf Anleihen, auf Devisen oder auf Optionen. Nur wenn einmal eine neue Kategorie von Finanzgeschäften Bedeutung erlangen sollte, könnte ein neuer Ort dafür die Initiative ergreifen und entsprechende Geschäfte abwickeln. Eine solche Innovation führte auf die Euromärkte, für die sich anfangs England (mit den Kanalinseln) anbot. Heute ist in Großbritannien immer noch der mit Abstand größte Euromarkt. 3.3 Fazit des Kapitels Banken und Börsen 3.3.1 Zusammenfassung Seit geraumer Zeit werden Finanzkontrakte rechtlich so gestaltet, dass sie leicht übertragen werden können (Fungibilität). Diese Entwicklung führt zum Wertpapier und zur Entstehung von Börsen. Eine Triebkraft dieser Entwicklung ist der Wunsch der Finanzinvestoren nach Liquidität. Zudem kann der enorme Kapitalbedarf, ausgelöst durch das in der modernen industriellen Gesellschaft benötigte Realkapital, letztlich nur durch Finanzmärkte aufgebracht werden. Finanzmärkte leisten drei Grundfunktionen: Sie erzeugen Liquidität, gestatten aufgrund der geringen Transaktionskosten die Portfoliobildung und damit eine bessere Allokation der Risiken, und sie erzeugen Informationen. Alles das bewirkt eine Steigerung der Wohlfahrt. Die Finanzwirtschaft hat im letzten Jahrhundert eine enorme Ausweitung erfahren (Erhöhung der Finanztiefe von weit unter 100% auf nunmehr über 400%). Dadurch hat sich das Machtverhältnis verändert. In einer ersten Entwicklungsphase war die Finanzwirtschaft klein und ein bloßes Anhängsel der Realwirtschaft, die alles dominierte. Die Finanzleute mussten ausführen, was Ingenieure, Unternehmer und der Staat vorgaben. In einer zweiten Entwicklungsphase der Finanzwirtschaft haben sich Realwirtschaft und Finanzwirtschaft wie gleichgewichtige Partner zusammen auf einem gemeinsamen Weg bewegt. In der dritten und heutigen Phase ist die Finanzwirtschaft übermächtig groß. Das Geschehen in der Finanzwirtschaft hat sich vielfach verselbstständigt und findet zum Teil ohne realwirtschaftliche Notwendigkeit statt. Die Finanzwirtschaft ist in den Mittelpunkt des Wirtschaftens gerückt. In der Realwirtschaft werden die Signale befolgt, die von den Finanzmärkten ausgehen. In der Finanzwirtschaft, an den Finanzmärkten und in den Banken sowie bei großen Finanzinvestoren werden Entscheidungen getroffen, die auf die Realwirtschaft ausstrahlen und diese lenken. <?page no="82"?> 82 3. Kapitel: Banken und Börsen 3.3.2 Lernpunkte 1. Die Lehre von den Institutionen zeigt, dass wirtschaftliche Kooperation und wirtschaftliche Austauschbeziehungen durch mehrere Organisationsformen bewerkstelligt werden können: Markt (Vergleiche), Hierarchie (Autorität), Bürokratie (Regeln), Familien (Empathie). 2. C OASE hat als Argument für die Wahl der Organisationsform Transaktionskosten angeführt, Kosten für die Information, die Vertragsverhandlungen und die Überwachung. 3. Eine Börsenorganisation erbringt verschiedene Dienstleistungen: 1. Informationsbereitstellung: 2. Allokationsfindung und Clearing. 3. Abwicklung und Settlement. 4. Börsen haben enorme Skalenerträge. Es ist kaum möglich, neben einer bestehenden Börse eine weitere zu etablieren. Es sei denn, die neue Börse spezialisiert sich auf eine Innovation. Das ist beispielsweise die Einrichtung der Euromärkte gewesen. 3.3.3 Erwähnte Personen R ONALD C OASE , C HARLES D OW , E DWARD J ONES , J OSEPH S CHUMPETER 3.3.4 Schlüsselbegriffe Bluechip-Aktie, Börsen, Clearing, Custody, Gegenparteirisiko, Geldmarkt, Handelsplätze, Euromarkt, Finanzintermediäre, Kapitalmarkt, Langläufer, Laufzeiten, Makler, Market Maker, Securities Lending, Settlement, Sovereign Debt, Corporate Debt, Over The Counter (OTC), OTC-Handel, Transaktionskosten, Zahlungsverkehr. 3.3.5 Fragen zur Lernstandskontrolle 1. Bei der Nutzung des Marktes entstehen Transaktionskosten. Gehen Sie auf die drei Schritte der Information, der Verhandlung, der Kontrolle näher ein [Antwort: Abschnitt 3.1.1] und konkretisieren Sie diese Kosten für ein Beispiel, bei dem eine Person einer Unternehmung Fremdkapital überlässt. 2. Was wird unter „Clearing“ und was unter „Settlement“ verstanden und welche Transaktionskosten entstehen bei diesen Funktionen? [Antwort: Abschnitte 3.1.3 und 3.2.6] 3. a) Können die Kosten für Transaktionen, die über den Markt oder eine marktähnliche Organisationsform laufen, höher sein als die für interne Transaktionen innerhalb einer Unternehmung? [Antwort: Abschnitt 3.1.1]. b) Welcher Wissenschaftler hat argumentiert, dass sehr hohe Kosten der Marktnutzung einen Existenzgrund für die Bildung von Unternehmungen sein können? [Antwort: Abschnitt 3.1.1] 4. a) Worin unterscheiden sich Makler und Market-Maker? b) Wirken Banken, wenn sie Kredite geben, als Makler oder als Market-Maker? [Antwort: Abschnitte 3.1.2 und <?page no="83"?> 3.3 Fazit des Kapitels Banken und Börsen 83 3.1.4]. c) Auf welche Partei bezieht sich das Gegenparteirisiko, wenn der Finanzintermediär ein Makler beziehungsweise ein Market-Maker ist? 5. a) Unterscheiden Sie begrifflich Finanzmarkt, Kapitalmarkt, Geldmarkt, Inlandsmarkt, Euromarkt, Primärmarkt, Sekundärmarkt. [Antwort: Abschnitte 3.1.4 und 3.1.5]. b) Welches sind, dem Handelsvolumen nach, die größten Börsen? <?page no="85"?> 4. Kapitel: Dominanz der Finanzwirtschaft? Die Finanzwirtschaft ist mit der Realwirtschaft mehr oder weniger verbunden, vielleicht sogar gekoppelt oder verzahnt. Beim Bild der Verzahnung stellt sich die Frage, welches Zahnrad das andere treibt. Ob eine Seite die andere dominiert, hängt vor allem von ihrer relativen Größe ab. Die Frage, ob die Realwirtschaft oder eher die Finanzwirtschaft die treibende Kraft ist, hat daher heute eine andere Antwort als früher. Einige Ökonomen weisen darauf hin, dass die Finanzwirtschaft stärker als die Realwirtschaft gewachsen ist. Denn die Finanzwirtschaft war zwar anfangs klein, ist aber über die Zeit hinweg relativ gesehen viel stärker gewachsen als die Realwirtschaft. Wir wollen drei Phasen der Entwicklung der Finanzwirtschaft unterschieden. Drei Phasen der Entwicklung Wie bewerkstelligt? Finanzen dienen der Realwirtschaft Finanzielle Vorgänge werden ebenso wie solche des Rechnungswesens als der Realwirtschaft dienende, untergeordnete Funktionen betrachtet. Finanzwirtschaft und Realwirtschaft stehen in wechselseitiger Beziehung lose miteinander verbunden (Schumpeter: Herr und Hund). Durch die Größe der Finanzwirtschaft in Relation zur Realwirtschaft haben beide die gleiche Einflusskraft. Die Finanzwirtschaft dominiert die Realwirtschaft. Die Finanztiefe beträgt einige hundert Prozent. Um die Größe der Finanzwirtschaft zu schätzen, soll der Gesamtbetrag laufender Anleihen und der Gesamtwert von Aktien herangezogen werden. Diese Größe betrug weltweit nach einer Untersuchung des McKinsey Global Institute (2014) rund 230 Billionen Dollar. Diese auf die Welt bezogene Größe soll einmal zur Illustration mit der Jahreswirtschaftsleistung in Deutschland verglichen werden. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) Deutschlands betrug damals 3 Billionen Euro. Die weltweite Finanzwirtschaft ist somit etwa 70 mal so groß wie die Wirtschaftsleistung in Deutschland. Anschaulich gesprochen: Die Deutschen müssten über 70 Jahre hinweg ihre gesamte Wirtschaftsleistung hergeben, um die weltweit bestehenden finanziellen Ansprüche und Forderungen zu erfüllen. T HOMAS S TRAUBHAAR analysiert die dreissig Jahre von 1988 bis 2018 und die Schweiz. Der Wert aller an der Schweizer Börse gehandelten Aktien hat sich in diesem Zeitraum versechsfacht. Im Vergleich dazu: Das schweizerische Bruttoinlandprodukt (BIP) ist von 306 auf 686 Mrd. Franken gestiegen. In den drei Jahrzehnten ist also der Wert der börsengehandelten Aktien um den Faktor 5,9 gestiegen, die Leistungskraft der Realwirtschaft um den Faktor 2,2. Ähnliche Unterschiede im Wachstum von Finanzwirtschaft und Realwirtschaft sind in den USA, in Deutschland und in anderen Ländern zu verzeichnen gewesen. Anscheinend haben sich Börsenkurse und die Wirtschaft weitgehend unabhängig vonei- <?page no="86"?> 86 4. Kapitel: Dominanz der Finanzwirtschaft? nander entwickelt (Finanz und Wirtschaft, 11.01.2019). Einige Ökonomen, darunter R O- BERT J. S HILLER , sprechen denn auch von einem „irrationalen Überschwang“. Um die Größe der Finanzmärkte als Zahl auszudrücken, wird nicht nur der Gesamtwert der Aktien betrachtet. Üblicherweise werden auch die Anleihen und andere zinstragende Papiere mit einbezogen. Die Gesamtgröße der Finanzmärkte wird als Gesamtbetrag definiert, also als Gesamtwert der laufenden und noch nicht abgewickelten Ansprüche auf Zahlungen. Diese absolute Größe wird meistens in Relation zur Jahresleistung der Realwirtschaft gesetzt. Das Größenverhältnis zwischen Finanzmarkt und Realwirtschaft wird als Finanztiefe bezeichnet. Die Finanztiefe ist also die Summe der Schulden und der Werte der Aktien von Unternehmen eines Landes oder eines Wirtschaftsraumes, geteilt durch die Wirtschaftsleistung, ausgedrückt durch das BIP. Weltweit, über alle Länder gesehen, betrug die Finanztiefe 2018 über 400%. Die globalen Finanzmärkte sind demnach mehr als viermal so groß wie die durch ihre Jahresleistung ausgedrückte weltweite Realwirtschaft. Bei der Finanztiefe wird zwar eine Stichtagsgröße (Wert offener Zahlungsverpflichtungen) mit einer Periodengröße (Jahresleistung der Wirtschaft) verglichen. Dennoch zeigt die Finanztiefe gut, wie abhängig die Wirtschaft vom Kapital ist, und welchen Einfluss folglich die Finanzinvestoren haben. Natürlich sind Machtverhältnisse in einer kooperativen Partnerschaft wechselseitig, und zweifellos strahlt ebenso die Realwirtschaft auf die Finanzwirtschaft aus. Wie immer bei einer beidseitigen Einflussnahme stellt sich die Frage, ob eine Seite die andere dominiert. Anfangs hatte die Finanzwirtschaft wohl die Rolle eines Dieners der Realwirtschaft, doch inzwischen sie mächtiger. Der Volksmund sagt: das Geld regiert die Welt (Abschnitt 4.1). Die Finanzmärkte haben sich in den letzten Jahrzehnten besonders stark entwickelt und entfaltet (Abschnitt 4.1). Anfangs war das realwirtschaftliche Wachstum die treibende Kraft, doch später ist innerhalb der Finanzwirtschaft ein Eigenleben aufgekommen. Die im Finanzbereich tätigen Personen und Einrichtungen versuchen, Erfolg zu haben, und oft nehmen sie keine Rücksicht auf die Folgen für die Realwirtschaft (Abschnitt 4.2). Finanzkontrakte sind mit der allgemeinen wirtschaftlichen Entwicklung absolut gesehen und in Relation zur Realwirtschaft immer wichtiger geworden. Zunächst ist einzusehen, dass mit der Bedeutung des Realkapitals (Anlagen, Infrastruktur) auch die des Finanzkapitals gestiegen ist. Gründe für die Zunahme der Bedeutung von Real- und von Finanzkapital sind die demografische Entwicklung, der technische Fortschritt, der Größenvorteil weltweit tätiger Unternehmen und die Bedeutung des Wissens. Um die damit verbundenen Vorteile umzusetzen, sind aufwendigere Einrichtungen (Realkapital) für die Produktion erforderlich geworden. Daraus hat sich ein immer höherer Finanzierungsbedarf ergeben. Gleichzeitig hat die Verschuldung in der Welt zugenommen. <?page no="87"?> 87 Abb. 13: Aktien, Bonds und Preisindex 1900 bis 2018. Wer zu Beginn des Jahres 1900 in der Schweiz 100 Franken in Aktien anlegte (und auch die Dividenden reinvestierte), hatte am Jahresende 2018, also 118 Jahre später, 214.303 Franken. Wer Obligationen für die Anlage wählte, kam bei Wiederanlage der ihm zugeflossenen Kuponzahlungen von 100 auf 22.251. Allerdings hat auch die Kaufkraft des Frankens etwas abgenommen. Der Preis des Warenkorbs stieg von 100 auf 1.240. Eigene Berechnungen aufgrund von Daten der Bank Pictet (2019) sowie von E LROY D IMSON und M IKE S TAUNTON (2005). Die große heutige Bedeutung der Finanzmärkte geht auf drei Faktoren zurück: 1. Die Zunahme des Finanzierungsbedarfs: Durch das hohe Realkapital der modernen industriellen Welt sind Finanzkontrakte (Finanzkapital) immer wichtiger geworden. 2. Personen, die Geld anlegen, letztlich also Kapitalgeber, wünschen sich Liquidität, und sie wollen Portfolios bilden, um zu diversifizieren. Sie ziehen mehrere Anleihen einem einzigen privaten, unkündbaren Kreditvertrag vor und mehrere Aktien einer einzigen, wenig übertragbaren Beteiligung. 3. Die Arbeitsteilung zwischen Kapitalgeber und Manager bedeutet, dass Kapitalgeber in den meisten Fällen eben nur Geld überlassen und sonst kaum Dienstleistungen (wie etwa Wissen) einbringen, sodass die Beziehung zwischen Kapitalgeber und Unternehmung recht lose gestaltet sein kann. Wer sich näher mit Geschichte befasst, wird von der Literatur auf die Bevölkerungsentwicklung stoßen. R OBERT F OGEL (1926-2013) argumentiert, dass die Weltbevölkerung erst in jüngster Zeit stark zugenommen hat, während sie zuvor nur langsam zunahm. Den Knick in der Bevölkerungsentwicklung gab es durch eine Reihe zeitlich und logisch zusammenhängender Revolutionen in Agrarwirtschaft und Industrie. F OGEL identifiziert den Knick in der Bevölkerungsentwicklung zeitlich mit der zweiten Agrarrevolution, zu der es im 19. Jahrhundert kam. Sie ist durch die Mechanisierung der Landwirtschaft, den Einsatz von <?page no="88"?> 88 4. Kapitel: Dominanz der Finanzwirtschaft? Kunstdünger und die sinnvolle Kombination und Integration von Ackerbau und Tierwirtschaft gekennzeichnet. Zusammen mit der zeitgleich beginnenden Industriellen Revolution gab es auf einmal Arbeit und Nahrung für viele Menschen. Die Folge war ein enormer Wachstumsbedarf. Finanzkapital und Realkapital erhielten ungleich größere Bedeutung. In der zeitlichen Folge von Agrarrevolution und von Industrieller Revolution hat die Weltbevölkerung mit einer deutlich höheren Wachstumsrate zugenommen. Parallel dazu hat die Bedeutung des Finanzkapitals eine sich selbst beschleunigende Entwicklung erfahren. 4.1 Drei Phasen 4.1.1 Finanzwirtschaft dient der Realwirtschaft Anfangs war es so, dass die Finanzwirtschaft, ihre Institutionen und ihre Instrumente von den Menschen eingerichtet wurden, um die Realwirtschaft zu unterstützen. Geld wäre demnach ein Schmiermittel, um Reibungen beim Gütertausch zu verringern. Banken wären als Kreditgeber dort tätig, wo Kredite für die Beschaffung von Realkapital benötigt werden. Eigenkapital gäbe es, wo unternehmerische Risiken zu tragen sind. Dies ist das Bild eines frühen Stadiums der Entwicklung der Finanzwirtschaft. Was in der Finanzwirtschaft geschieht, ist in dieser ersten Phase ein Abbild des realwirtschaftlichen Geschehens. Die Finanztiefe liegt unter 100% und ist damit gering. Dominant im Wirtschaftsleben bleiben in dieser ersten Phase die Ingenieure, die Unternehmer und der Staat. Sie gestalten die Realwirtschaft nach eigenen Visionen. Dass es in dieser Welt Banken und Kredite, Gesellschafter und Aktionäre gibt, ist akzeptiert, weil die Finanzwirtschaft der Realwirtschaft dient und ihren friktionslosen Ablauf erleichtert. Akzeptiert ist von den Planern, Unternehmern und Politikern auch, dass der Einsatz von Kapital eine Entschädigung verlangt (Kapitalkosten). Kapitalgeber verlangen Rückflüsse für das überlassene Geld und sie erwarten eine Prämie für Risiken. Diese Tatsachen muss der Manager in die Kalkulation seiner Geschäfte einfließen lassen. Insgesamt spielt die Finanzwirtschaft in diesem Entwicklungsstadium jedoch eine der Realwirtschaft klar untergeordnete Rolle. Diese erste Entwicklungsphase der Finanzwirtschaft war in Deutschland bis noch vor 50 Jahren zutreffend. Ebenso trifft das gezeichnete Bild der ersten Phase den heutigen Entwicklungsstand des Finanzsystems in Ländern wie Polen, der Türkei, Russland, Mexiko oder Indonesien. Das Finanzwesen wird von Unternehmern, von einer Partei und vom Staat dominiert, und die staatliche Politik und ebenso die vom Staat gegebenen Informationen haben einen großen Einfluss auf das Geschehen an den heimischen Finanzmärkten. Der Staat nimmt Einfluss, dass die Ziele der Realwirtschaft gefördert werden. Kapitalgeber sollen zwar eine faire Rendite erhalten, doch es wird vermieden, dass die Finanzmärkte so groß und so frei werden, dass (internationale) Finanzinvestoren eines Tages von sich aus über den heimischen Finanzmarkt Bedingungen stellen könnten, mit denen die Realwirtschaft eine (und politisch vielleicht nicht erwünschte) Richtung einschlagen müsste. <?page no="89"?> 4.1 Drei Phasen 89 Wann hat die erste Phase begonnen? In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts schufen Skalenerträge in Industrie (Maschinenbau, Chemie) und Infrastruktur (Eisenbahnen) Nachfrage nach neuen Formen der Aufbringung von Eigenkapital. Es mussten in bis dahin unbekannter Größenordnung finanzielle Ressourcen zusammengelegt werden. Dies war der Ursprung der Aktiengesellschaft. Ein Beispiel ist der ab 1825 zunächst noch privat finanzierte Bau von Eisenbahnstrecken. Mit der Schaffung von Bundesstaaten, der Harmonisierung von Rahmenbedingungen innerhalb der Nationalstaaten (Abbau von Zöllen), mit neuen Technologien und mit Größenvorteilen entstand das Bedürfnis, bestimmte Leistungen auf der Ebene des Gesamtstaates zu organisieren. Um 1870 herum traten viele Nationalstaaten selbst als Gründer großer Unternehmen auf. Die Staaten nahmen Fremdkapital auf. Da Banken Kredite in der benötigten Größenordnung nicht mehr geben konnten, wurden die Mittel über die Ausgabe von Staatsanleihen beschafft. 4.1.2 Finanzen und Wirtschaft als Partner Die Finanzwirtschaft hat sich in vielen Ländern deutlich weiter entwickelt und ist dort in eine zweite Phase getreten. Der technische Fortschritt und die Globalisierung der Wirtschaft verlangen mehr Realkapital, sowohl als Sachwie auch als Wissenskapital. Der Kapitalbedarf der Wirtschaft steigt. Neue Risiken kommen hinzu: unternehmerische Risiken, Unsicherheiten hinsichtlich der Zinsentwicklung und der Veränderung der Währungsparitäten. Neue Instrumente sind verlangt, der Handel mit Terminkontrakten und Optionen nimmt zu. Immer mehr Finanzkontrakte werden als Anleihen und als Aktien verbrieft, der Börsenhandel nimmt in allen Segmenten zu. Mit der Entwicklung der Finanzmärkte werden wissenschaftliche Untersuchungen angeregt. Die im Finanzbereich tätigen Personen beginnen mit eigenen wirtschaftlichen Überlegungen. Sie handeln nicht mehr allein als Diener der Realwirtschaft, sondern sehen Chancen in der Weiterentwicklung des Finanzbereichs aus eigenem Antrieb. Sie ändern Portfolios ohne Rücksicht auf die Realwirtschaft, allein aus Überlegungen hinsichtlich Rendite, Risiko und Liquidität. Im Finanzbereich vertieft sich die Arbeitsteilung, auch dort entstehen Spezialisierungsvorteile. Zudem gibt es Innovation im Finanzbereich. Neues kommt auf, so zum Beispiel Strukturierte Produkte, und es gibt neue Stile, Portfolios zu führen. Zum Neuen gehören Hedgefonds und der Computerhandel. In dieser zweiten Entwicklungsphase der Finanzwirtschaft entsteht dort immer mehr Eigenleben. Transaktionen setzen ein, die nur noch indirekt mit der Realwirtschaft zu tun haben oder durch Informationen aus der Realwirtschaft ausgelöst werden. Die Finanztransaktionen beziehen sich vermehrt auf andere finanzielle Positionen, Informationen und Erwartungen. Als Beispiele seien Derivate (Optionen, Futures) genannt, die als Basiswert ein anderes Wertpapier haben. Baskets werden geschaffen, die mehrere andere Wertpapiere enthalten. Auf Indizes werden Kontrakte bezogen. In dieser zweiten Phase gibt es geschäftliche Möglichkeiten nicht nur für Anleger und für jene, die ein Unternehmen finanzieren. Trader, Arbitrageure und Spekulanten nehmen finanzielle Positionen ein, ohne dass sie mit ihren Transaktionen im Sinn haben, die Realwirtschaft zu erleichtern und deren Realkapital zu finanzieren. Sie wollen im Finanzbereich <?page no="90"?> 90 4. Kapitel: Dominanz der Finanzwirtschaft? Geld verdienen. Gleichfalls beginnen Banken und Versicherungen, sich als Intermediäre zwischen rein finanziell orientierten Kunden und Partnern zu betätigen, ohne dass die Geschäfte einen direkten realwirtschaftlichen Grund haben. Zudem sind in dieser zweiten Phase in der Realwirtschaft Menschen auf der Führungsebene mit anderer Expertise, Fähigkeit und Einstellung tätig als in der Finanzwirtschaft. In der Realwirtschaft handeln Manager und Unternehmer auf der Führungsebene, und sie haben stets eine konstant vorsichtig optimistische Sicht der Zukunft - andernfalls würden sie die Produktion einstellen. Sie schätzen die weitgehende Konstanz der Wirtschaftsentwicklung schon deshalb, weil ihre Investitionen, eben das Realkapital, nicht über Nacht geändert oder verkauft werden kann. Es muss sich über einen Zeitraum mehrerer Jahre und Jahrzehnte auszahlen. In der Finanzwirtschaft entscheiden hingegen Finanzinvestoren und Spekulanten, die einmal vor Optimismus überschäumen, ein andermal pessimistisch sind. Sie möchten Geld verdienen. Und was lockt, ist das schnelle Geld. So kommt es dazu, dass die Finanzwirtschaft und die Realwirtschaft nur noch lose zusammenhängen, nicht aber starr verbunden sind. Auf den Ökonomen J OSEPH S CHUM- PETER (1883-1950) geht das Gleichnis vom Herrn und dem Hund zurück, die miteinander spazieren gehen. Die Metapher beschreibt gut die zweite Entwicklungsphase. Der Herr (= Realwirtschaft) geht gleichmäßigen Schrittes seinen Weg und lässt sich nicht von dem ablenken, was es am Tag des Spaziergangs links und rechts zu sehen gibt. Der Hund (= Finanzwirtschaft) reagiert sensibel auf Einflüsse der Umwelt und bleibt mal hinter seinem Herrn zurück, mal springt er voran. Die Idee von S CHUMPETER ist, dass letztlich beide gemeinsam an das Ziel gelangen. Genauso müsste es in der Beziehung zwischen der Finanz- und der Realwirtschaft sein: Der Unternehmer hat Vertrauen in seine Pläne und Ideen, fühlt sich der Realwirtschaft verpflichtet - die Geschäftsidee, der Betrieb, die Produkte, die Kundschaft zählen - und nimmt sich Zeit. Gibt es etwas zu verbessern, werden die entsprechenden Schritte eingeleitet. Der Finanzinvestor ist demgegenüber scheu und schnell. An den Börsen stimmt er „mit den Füßen“ ab. Wird ein Nachteil absehbar, werden die vermutlich betroffenen Wertpapiere sofort verkauft. Schnelligkeit ist verlangt, weil sich die Kurse schnell ändern. Auf diese Weise eilen die Börsen mal dem Wachstum der Realwirtschaft voran, mal bleiben sie zurück. Die Metapher von S CHUMPETER hat ihre Gültigkeit bei diesem Entwicklungsstand der Finanzwirtschaft (Phase II). Bei der wissenschaftlichen Untersuchung des Zusammenhangs zwischen Realwirtschaft und Finanzwirtschaft spielt der Zeithorizont eine wichtige Rolle. Da die Finanzwirtschaft eine höhere Reaktionsgeschwindigkeit als die Preise an den Güter- und Arbeitsmärkten hat, können die Finanzmärkte neue Informationen schneller umsetzen als die Realwirtschaft. So eilen sie der Realwirtschaft voran. Ab und zu gibt es Kurssprünge, oder es kommt sogar zu einem Überschießen (Overshooting) der Kurse. R UDIGER D ORNBUSCH (1942-2002) zeigte, dass gerade wegen der Langsamkeit der Realwirtschaft die Finanzmärkte durch übertriebene Kursreaktionen auf neue Informationen einen Ausgleich schaffen müssen. Das Überschießen dauert so lange, bis sich in der langsamen Realwirtschaft das neue Gleichgewicht eingestellt hat. <?page no="91"?> 4.1 Drei Phasen 91 Kurzfristig kann es also zu Inkongruenzen zwischen Realwirtschaft und Finanzwirtschaft kommen, während sich die Effekte langfristig ausgleichen dürften. Weil die Kurse sehr schnell auf neue Informationen reagieren, kann der Zusammenhang zwischen Realwirtschaft und Finanzwirtschaft nicht starr sein. Vielmehr handelt es sich um eine längerfristig gültige Identität. 4.1.3 Dominanz der Finanzwirtschaft In einer dritten Phase ist die Finanzwirtschaft sehr hoch entwickelt. Die Finanztiefe beträgt weit über 100%. In Japan, den USA, UK, Korea und in der Schweiz ist die Finanztiefe heute über 400%. Im Vergleich dazu wirkt die Realwirtschaft wie zurückgedrängt. Junge Berufsanfänger möchten im Finanzbereich tätig sein, am besten im Investmentbanking. Arbeitsplätze in der Industrie erscheinen ihnen nicht mehr so attraktiv. Man kann nicht mehr von einer Partnerschaft zwischen Realwirtschaft und Finanzwirtschaft und von einem gemeinsamen Weg sprechen, den Herr und Hund noch im Gleichnis von S CHUMPETER gehen würden. Wichtige wirtschaftliche Festlegungen kommen aus der Finanzwirtschaft. Die wirtschaftlichen Entscheidungen, auch die Entscheidungen, welche die Realwirtschaft betreffen, werden von Banken, Versicherungen und den Finanzinvestoren getroffen. Die Realwirtschaft orientiert sich in dieser Phase in allen bedeutenden Dingen an Signalen, die von den Finanzmärkten ausgehen. Die Realwirtschaft ist mittlerweile zum Ausführenden von Entscheidungen geworden, die allein aufgrund von finanziellen Überlegungen in der Finanzwirtschaft getroffen werden. Jüngst beispielsweise wurden die Produktionspalette und die Absatzstrategie der Unternehmung Apple Inc., Cupertino, California, USA diskutiert. Kritik und Vorschläge kamen von Analysten und von Finanzfirmen. In dieser dritten Phase kommt es zu einer gewissen Rücksichtslosigkeit von in der Finanzwirtschaft aktiven Personen gegenüber der Realwirtschaft. Der Politiker F RANZ M ÜNTE- FERING verglich Hedgefonds mit „Heuschrecken“, die ausschwärmen und Unternehmen überfallen könnten. Auch ganze Institutionen gehen immer größere Risikopositionen ein, nur um Chancen zu haben. Sie handeln nach dem Grundsatz, dass Gewinne privat bleiben und Verluste sozialisiert werden. Der Staat entdeckt zunehmend Einengungen seiner Entscheidungsfreiheit. Banken sind so groß, dass Zahlungsschwierigkeiten eine Krise auslösen könnten, sodass sie davon ausgehen können, gerettet zu werden („too big to fail“). Gleichzeitig werden Finanzinformationen immer schonungsloser, Ländervergleiche gewinnen an Schärfe: Staaten werden als Schuldner einem Rating unterzogen, das die frühere Gnade und Großzügigkeit verloren hat zugunsten kritischer Schärfe, auch wenn das Rating verletzt und teuer zu stehen kommt. <?page no="92"?> 92 4. Kapitel: Dominanz der Finanzwirtschaft? 4.2 Wirtschaftswachstum anregen? 4.2.1 Wer übernimmt? Wo inzwischen so viel Macht über die Realwirtschaft in den Finanzmärkten konzentriert ist, sollte man damit rechnen, dass andere Instanzen diese Macht an sich ziehen möchten. Der Verdacht geht in zwei Richtungen. Zum einen könnte der Staat verdächtigt werden, einen Teil der Macht an sich ziehen zu wollen, die bei Finanzakteuren konzentriert ist. Dies mit dem Ziel, die bislang von Finanzmärkten kontrollierten Ressourcen verstärkt zur Bewältigung staatlicher Aufgaben einzusetzen. Auf diese Weise könnten Regierungen vermeiden, weitere Steuern erheben zu müssen, unpopuläre Gesetze zu beschließen oder die bereits erreichte Staatsverschuldung ganz transparent zu machen. Die Aufgaben des modernen Staates zu bewältigen, Sozialleistungen zu bieten, bei internationalen Aufgaben mitzuwirken, die Rentenversicherung zu stabilisieren, verlangen immer mehr Geld. Gleichsam war der erste Schritt der Regierungen die Aufnahme von Staatsschulden (in einem ansonsten freien Kapitalmarkt), der zweite Schritt könnte darin bestehen, Macht in eben in diesem Finanzmarkt zu übernehmen. Wie könnte das geschehen? Günstig, um ein Beispiel zu nennen, sind Nullzinsen. Private Kapitalanleger müssen Verzicht leisten und die Belastung der staatlichen Budgets wird reduziert. Also wäre es gut, Einfluss auf die Zentralbanken zu nehmen. Ebenso könnte ein Staatsfonds eingerichtet werden, der im Handel an den Finanzmärkten verdient, beispielsweise, indem er sich als ein gigantischer Market-Maker verhält, der in der Krise kauft und im Boom verkauft. Beispiel: In Singapur hält der Staatsfonds Temasek neben ausländischen Wertpapieren 15% der Wertpapiere des lokalen Finanzmarktes, vor allem Bluechip-Aktien und Real Estate Investment Trusts. Beobachter meinen, die Regierung stabilisiere die Marktentwicklung so, dass langfristig 6,5% Rendite, wenngleich unter gewissen Schwankungen, entstehen. Die Regierung empfiehlt der Bevölkerung, ein persönliches Depot aufzubauen, um so eine kapitalgedeckte Altersversorgung zu haben. Doch ohne Stabilisierung des lokalen Aktienmarktes würde niemand für das Alter Aktien kaufen, das würde, ähnlich wie in Deutschland, als viel zu riskant angesehen werden. Die Regierung müsste dann eigens eine Rentenversicherung als Institution einrichten und vermutlich durch Zuzahlungen aufbauen. Ein Staat hat also durchaus ein großes Interesse, einen Teil der Macht der Finanzakteure an sich zu ziehen, um so die Staatsaufgaben besser erfüllen zu können. Ein zweiter Verdacht wird in den Medien diskutiert: Die in den Finanzmärkten konzentrierte Macht könnte verstärkt von Computerprogrammen und von künstlicher Intelligenz (KI, bzw. Artificial Intelligence, AI) übernommen werden. Das heißt, einflussreiche Kreise der Finanzakteure übertragen ihre Macht an Vasallen, und niemand weiß genau, wie diese vorgehen und was sie bewegt. Das ist keine angenehme Vorstellung. Man lebt auf einmal in einer Welt, in der über die traditionelle und in Wahlen wahrgenommene Demokratie immer weniger Festlegungen hinsichtlich der Realwirtschaft getroffen werden. Und nicht einmal die großen Finanzinvestoren können in die Verantwortung genommen wer- <?page no="93"?> 4.2 Wirtschaftswachstum anregen? 93 den, weil viele ihrer Kompetenzen immer mehr von IT und KI übernommen werden. Immer mehr läuft die Realwirtschaft in einem System ab, das letztlich von IT und von KI gesteuert wird. 4.2.2 Wohlfahrt durch Selektion Was könnte getan werden? Die Antwort wird in der gesellschaftlichen und politischen Auseinandersetzung gesucht. Eine Transaktionssteuer könnte die Finanzmärkte durchaus bremsen, doch sie findet international keine Zustimmung und hätte auch ökonomische Nachteile. Wer die Finanzmärkte bremst, reduziert die Wohlfahrt und das weitere Wachstum. Wer die Finanzmärkte in einem einzigen Land bremst, fällt mit diesem Land alsbald gegenüber der restlichen Welt zurück mit allen damit verbundenen Nachteilen. Die große Leistung der Finanzmärkte besteht eben nicht allein in der Einsammlung von Spargeldern und der Versorgung der Industrie mit Kapital. Eine der vorteilhaftesten Leistungen der Finanzwirtschaft besteht in Selektionsentscheidungen. Es ist also gerade die Entscheidungsmacht von Geld, Banken und Akteuren, die Wohlstand schafft. J OSEPH A. S CHUMPETER hatte die positive Wirkung der Selektion aufgezeigt und untersucht. Auf ihn gehen Erkenntnisse über das Unternehmertum und die Wirkungsweise der kapitalistischen Wirtschaftsordnung zurück. In diesem Buch wurde S CHUMPETER mit seinem Gleichnis vom Spaziergang zitiert, den der Herr mit seinem Hund unternimmt, und der noch glauben macht, Herr und Hund würden einen gemeinsamen Spaziergang machen. S CHUMPETER argumentierte, das Wachstum der Realwirtschaft eines Landes würde gehemmt, wenn es dort keinen ausreichenden Ausbau von Geldwesen und Finanzwirtschaft (Banken, Finanzmärkte) gibt. Mehr noch: die Weiterentwicklung der Finanzwirtschaft fördere die Weiterentwicklung und das Wachstum der Realwirtschaft. Denn die Banken und die Finanzinvestoren vergleichen Unternehmen und die von ihnen geplanten Realinvestitionen, und durch die selektive Zuweisung von Kapital werden die besten gefördert. Von daher sind Wirtschaftspolitiker gut beraten, wenn sie den Finanzsektor ausbauen, damit dieser Ausbau das erwünschte Wachstum der Realwirtschaft nach sich ziehe. In der Tat zeigen gewisse Korrelationen zwischen der Finanztiefe und dem BIP pro Kopf, dass über die Länder hinweg gesehen die stärker ausgebauten Finanzbereiche assoziiert sind mit hoher durch das BIP ausgedrückter Leistungskraft. Ein gut ausgebautes Finanzsystem ist wohl die Voraussetzung für eine weitere Entwicklung der Realwirtschaft. Ein gut ausgebautes Finanzsystem fördert die Realwirtschaft, die Leistungskraft und den Wohlstand der Bevölkerung. Länder, die ihr Geld- und Finanzwesen nicht voranbringen, werden angesichts dieser korrelativen Zusammenhänge wirtschaftliche Nachteile haben. Untersuchungen sind der Frage nachgegangen, ob es sich eher anbietet, den Bereich der Banken auszubauen oder den der Finanzmärkte. Einige der Ergebnisse deuten darauf hin, dass in der Wirtschaftsentwicklung von Ländern sich anfangs eher ein Ausbau und eine Verbesserung des Bankensystems anbieten. Später, wenn bereits ein gewisser Entwicklungsstand des Bankensystems erreicht ist, mündet dies in einen Aufbau und den Ausbau der Finanzmärkte. <?page no="94"?> 94 4. Kapitel: Dominanz der Finanzwirtschaft? 4.3 Fazit zum Kapitel Dominanz der Finanzwirtschaft? 4.3.1 Zusammenfassung Warum sind die Finanzmärkte so groß, bedeutend und gegenüber der Realwirtschaft mächtig geworden? Drei Gründe stehen im Vordergrund: erstens die Zunahme des Finanzierungsbedarfs seitens der Realwirtschaft, zweitens der Wunsch der Anleger und Finanzinvestoren nach Liquidität und drittens die Arbeitsteilung zwischen Kapitalgeber und Manager. Die Größe der Finanzmärkte kann absolut als Gesamtbetrag der offenen Positionen ausgedrückt werden und relativ durch die Finanztiefe. Die Finanztiefe setzt den Gesamtbetrag in Relation zum BIP. Hinsichtlich der Relation zwischen Finanzwirtschaft und Realwirtschaft wurden zwei Phänomene besprochen, das Overshooting (R UDIGER D ORNBUSCH ) sowie der lockere Zusammenhang, ausgedrückt durch das Gleichnis vom Spaziergang des Herrn mit seinem Hund (J OSEPH S CHUMPETER ). Dabei können drei Entwicklungsstufen der Finanzmärkte unterschieden werden. In der ersten dienen die Finanzen der Realwirtschaft und sind ihr untergeordnet. Finanzielle Vorgänge werden ebenso wie solche des Rechnungswesens als der Realwirtschaft dienende, untergeordnete Funktionen betrachtet. In der zweiten Stufe sind Finanzwirtschaft und Realwirtschaft der Bedeutung nach gleichrangig. Durch die Größe der Finanzwirtschaft in Relation zur Realwirtschaft haben beide die gleiche Einflusskraft. Sie sind dabei in wechselseitiger Beziehung lose miteinander verbunden (Schumpeter: Herr und Hund). In der dritten Entwicklungsstufe dominiert die Finanzwirtschaft die Realwirtschaft durch die beträchtlichen Größenunterschiede. 4.3.2 Lernpunkte 1. Gründe für das Wachstum der Finanzmärkte liegen erstens im Wachstum der Realwirtschaft und zweitens in Vorteilen, die entstehen, wenn finanzielle Positionen über Märkte alloziert werden. Auch diese Vorteile haben das Wachstum und die Entfaltung der Finanzmärkte in Tiefe und Breite begünstigt. 2. Was das Gleichnis vom Herrn und vom Hund besagt. 3. Wie hoch heute der Gesamtbetrag der offenen Finanzpositionen ist (über 200 Billionen USD), wie groß die Finanztiefe ist (400 Prozent) und welchen Geschwindigkeitsunterschied es in der Weiterentwicklung zwischen Finanzmärkten und Realwirtschaft gibt (um 1,5% wachsen die Finanzmärkte schneller). 4. Die Merkmale der drei, bei der Entwicklung der Finanzmärkte unterschiedenen Phasen. <?page no="95"?> 4.3 Fazit zum Kapitel Dominanz der Finanzwirtschaft? 95 4.3.3 Erwähnte Personen R UDIGER D ORNBUSCH , R OBERT F OGEL , F RANZ M ÜNTEFERING , J OSEPH S CHUMPETER , R OBERT J. S HILLER , T HOMAS S TRAUBHAAR . 4.3.4 Schlüsselbegriffe Finanztiefe, Gleichnis von Herr und Hund, Overshooting, Machtkonzentration. 4.3.5 Fragen zur Lernstandskontrolle 1. Um die Größe von Finanzmärkten zu messen, werden der offene Gesamtbetrag und die Finanztiefe betrachtet. Wie ist die Finanztiefe definiert und wie groß ist sie? [Antwort: Abschnitt 4.1.2] 2. a) Inwiefern sind die Finanzmärkte insgesamt gesehen „breit“ oder „thick“? b) Welche Segmente der Finanzmärkte sind hingegen eher „isoliert“ und in diesem Sinn auch „dünn“? [Antworten: Abschnitt 4.2.2] 3. Richtig oder falsch? a) Wer von 1900 bis 1960 in der Schweiz Geld in Renten oder in Aktien angelegt hat, musste hinnehmen, dass über diese sechs Jahrzehnte hinweg sich die Renten besser entwickelt hatten als eine Anlage in Aktien. b) Ebenso waren von 1970 bis 1987 sowie von 1999 bis 2013 Aktien kaum besser als Renten. [Antworten: Abschnitt 4.1.2] 4. a) Was wird unter „Überschießen“ (R. Dornbusch) verstanden? b) Was besagt die in Kapitel 4 besprochene Metapher (J. Schumpeter) vom Spaziergang? c) Hat dieses Gleichnis in allen Phasen der Entfaltung von Finanzmärkten Gültigkeit? [Antworten: Abschnitt 4.1.2] 5. Im Kapitel 4 wurden drei Entwicklungsphasen der Finanzwirtschaft (in Relation zur Realwirtschaft) betrachtet. Geben Sie kurze Charakterisierungen der drei Phasen. [Antwort: Abschnitt 4.1] <?page no="97"?> 5. Kapitel: Die Rendite Die Rendite zeigt dem Kapitalanleger, wie hoch der Vorteil war, auf die sofortige Verfügbarkeit des Geldes zu verzichten und es für eine gewisse Zeit einem Kapitalverwender zu überlassen. Für den Kapitalverwender zeigt die Rendite, wieviel es kostet, sogleich Geld zu erhalten und erst später zurückzuzahlen. So wie die Rendite vom Kapitalanleger erwünscht wird, so muss der Kapitalverwender die Rendite erarbeiten. Rendite und Kapitalkosten sind zwei Blickrichtungen auf dieselbe Sache. Was eine zukünftige Periode betrifft, so sind erwartete oder für später versprochene Zahlungen, die an Kapitalanleger gehen sollen, natürlich immer mit gewissen Unsicherheiten verbunden. Bei Aktien hängt die Rendite vor allem vom weiteren wirtschaftlichen Erfolg der Unternehmung ab, also vom unternehmerischen Risiko. Daneben spielen politische Unsicherheiten, die Fiskalpolitik, die Geldpolitik und der Zinssatz hinein. Bei Anleihen kann es zu einem Ausfall kommen, zu einem Kreditereignis, zu einem Default. Kreditereignisse können unterschiedliche Schwere haben. Es kann sich um eine bloße Zahlungsstockung beim Schuldner handeln (die sich wieder gibt), um eine dauerhafte Verschlechterung der Lage des Schuldners (die eine sogenannte Umstrukturierung des Kapitals verlangt oder sogar eine Reorganisation seiner Geschäftstätigkeit), oder um einen vollständigen Ausfall der Zahlungsfähigkeit des Kreditnehmers (die eventuell zu einem Konkurs führt). Und selbst Staatsschulden sind nicht absolut sicher. Eine geringere Bonität staatlicher Schuldner ergibt sich, wenn es bereits zu sehr hoher Schuldenaufnahme gekommen ist, wenn die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Verhältnisse keine geordnete Budgetierung bei den Staatsausgaben erlauben, und wenn die Schulden auf eine (fremde) Währung lauten, die der Staat bei Schwierigkeiten nicht so einfach beschaffen kann. Verteilungsparameter der Finanzanlage Formen Rendite Periodische Rendite und Kursänderungen eines Finanzinstruments Risiko Schwankungsrisiko der Rendite und Shortfall-Risiko Risikoprämie Zusatzrendite über den risikofreien Zinssatz hinaus als Kompensation für nicht diversifizierbare Risiken Alle diese Risiken und Unwägbarkeiten (Abschnitt 5.1) haben zur Folge, dass zukünftige Renditen unsicher sind. Gleichwohl lassen sich oft Wahrscheinlichkeiten angeben. Meistens werden sie aufgrund einer empirischen Untersuchung der bekannten Renditen vergangener Perioden geschätzt. Von daher werden Renditen vielfach als Zufallsgrößen aufgefasst und durch Wahrscheinlichkeitsverteilungen beschrieben. In bestimmten Situationen darf sogar <?page no="98"?> 98 5. Kapitel: Die Rendite angenommen werden, dass die zufälligen Renditen normalverteilt sind. Denn wie der Zentrale Grenzwertsatz zeigt, stellt sich die Normalverteilung ein, wenn mehrere, voneinander unabhängige Einflüsse zusammenkommen und sich addieren. Wenn eine Normalverteilung angenommen werden darf, dann ist die Wahrscheinlichkeitsverteilung der Rendite bereits durch zwei Parameter, den Erwartungswert und die Standardabweichung (Wurzel aus der Varianz), beschrieben. Werden mehrere normalverteilte Renditen zugleich betrachtet, dann kommen noch die Koeffizienten der Korrelation hinzu. Allerdings ist die Normalverteilung nicht immer eine hinreichend realistische Beschreibung dessen, was die Unsicherheit bringen kann. Gelegentlich wurde festgestellt, dass extreme Realisationen der Rendite, besonders extreme negative Realisationen, eine höhere Eintrittswahrscheinlichkeit haben als es einer Normalverteilung entsprechen würde. Dann können durchaus extrem abträgliche Ereignisse eintreten, die alle überraschen und die niemand für möglich gehalten hatte. N ASSIM N ICHOLAS T ALEB hat sie in seinem Buch als Schwarzer Schwan bezeichnet, dessen Existenz alle Europäer überraschte, als ihn vor 500 Jahren Seefahrer erstmals aus Australien zurückbrachten. Genauso könnten stark negative Renditen nicht nur möglich sein, sondern durchaus mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit eintreten. Kommt es dann zu derart abträglichen Ergebnissen, wären alle überrascht, wo sie die Wahrscheinlichkeit nach der Normalverteilung als extrem gering eingeschätzt haben. Ungeachtet der Frage, ob die Normalverteilung die Realität hinreichend gut beschreibt oder eben doch nicht (vielleicht weil Extrema eine höhere Wahrscheinlichkeit haben, als der Normalverteilung entspricht), besteht wie bei jeder empirischen Arbeit auch im Finanzbereich die Frage der Kontinuität des Systems. Bei einem Systembruch würde es fehlleiten, von historischen Realisationen einer zufälligen Größe ohne weitere Korrektur auf Wahrscheinlichkeiten für zukünftige „Ziehungen“ der Zufallsgröße zu schließen. Man müsste Korrekturen anbringen, die den Strukturbruch berücksichtigen. Jede empirische Arbeit mit Finanzdaten verlangt daher, dass klar ist, welches Modell die Struktur und das System beschreibt. Insbesondere muss vermieden werden, einen Fehler bei der Wahl des Modells zu begehen, bevor empirisch erhobene Finanzdaten statistisch aufbereitet werden. Die Modelldiskussion wiederum setzt eine gewisse Theoriebildung voraus. Deshalb wäre es gefährlich im Hinblick auf Schlussfolgerungen, würde man Finanzdaten statistisch aufbereiten ohne überhaupt die hinter ihnen stehenden Zusammenhänge und „Mechanismen“ theoretisch reflektiert zu haben. 5.1 Zufall 5.1.1 Zinsniveau und Rendite Angebot und Nachfrage von Finanzkontrakten hängen von mehreren Einflussfaktoren ab: Vor allem kommt es darauf an, wie die wirtschaftliche Zukunft eingeschätzt wird. Jede Beurteilung der wirtschaftlichen Zukunft beginnt mit einer kritischen Analyse des Ist- Zustandes und der Kräfte, die wohl wirken werden und die sich aus dem Vergangenen erklären. Bei der wirtschaftlichen Zukunft spielt hinein, wie sich die Demografie und das Bevölkerungseinkommen entwickeln dürfte, welche Innovationen anstehen, wie das Wirt- <?page no="99"?> 5.1 Zufall 99 schaftswachstum eingeschätzt wird, und welche Sondersituation einwirken dürften. Vor allem müssen Veränderungen abgeschätzt werden. Zum Beispiel war früher die menschliche Arbeitskraft der wichtigste Produktionsfaktor, und alle haben über die Lohnhöhe gesprochen. Doch mehr und mehr werden IT-Plattformen zu dem Faktor, der die meiste Wertschöpfung beanspruchen kann. Die Einschätzungen der Zukunft beeinflussen die Renditen. Die Formel lautet: Gute Wirtschaftsperspektiven = steigende Zinsen und hohe Renditeerwartungen. Schlechte Wirtschaftsperspektiven = fallende Zinsen und geringe Renditeerwartungen. Abb. 14: Zinssätze in Deutschland 1980 bis 2019 (Datenquelle: Thomson Reuters Datastream) Zur formalen Definition: Die Rendite ist eine Kennzahl, die den Anlageerfolg einer Periode, meistens eines Jahres, als eine Zahl ausdrückt. Die sogenannte einfache oder diskrete (weil auf zwei Zeitpunkte bezogene) Rendite r errechnet sich aus jenen Geldbeträgen, die dem Investor während des Jahres zufließen - sie seien mit D bezeichnet, sowie der Differenz zwischen dem Kurs am Jahresende und dem Kurs am Jahresanfang, 1 t + t K K . Die Summe von Zahlung und Kursänderung wird durch den Anfangskurs dividiert: t +1 t t D + K K r = K . Der Inhaber einer Anleihe etwa erhält die Kuponzahlung(en) und dazu kann es eine Kursänderung geben. Um ein Zahlenbeispiel anzuführen: Wer für 98 Euro eine Anleihe kauft - ein Jahr <?page no="100"?> 100 5. Kapitel: Die Rendite später stehe ihr Kurs bei 99,50 Euro und zudem soll es zweimal im Jahr 1,50 Euro an Kuponzahlungen gegeben haben - der ermittelt im abgelaufenen Jahr eine Rendite von 4,59%. Bei Anleihen haben die Kursänderungen vor allem drei Gründe: 1. Das allgemeine Zinsniveau kann sich ändern. Bei steigendem Zinsniveau ist die sich bereits im Sekundärmarkt befindende Anleihe mit dem zuvor festgeschriebenen Kupon weniger attraktiv. Ihr aktueller Kurs sinkt also. 2. Die Bonität des Schuldners kann sich ändern. Sie kann sich verschlechtern oder verbessern. Eine sich verschlechternde Bonität ist bei unternehmerischen Schuldnern zu befürchten, wenn sich die Verhältnisse des Unternehmens oder wenn sich die allgemeinen Wirtschaftsaussichten verdunkeln. Bei Verschlechterung der Bonität sinken Wert und Kurs der Unternehmensanleihe. 3. Sodann gibt es automatische Kursänderungen. Wenn der Tag der Rückzahlung der Anleihe näher rückt, geht der Kurs gegen ihren Nominalwert, der den Betrag der Rückzahlung beschreibt. Der Aktionär sieht die Rendite als Summe der Dividendenrendite und der relativen Kursveränderungen. Beispiel: Zu Jahresbeginn lag der Kurs einer Aktie bei 80 Euro, zu Jahresende bei 85 Euro. Während des Jahres, und zwar am 07. Februar und am 16. April, zahlte die Unternehmung, verteilt auf die zwei Zeitpunkte, 3 Euro an Dividenden. Die Renditeformel liefert eine auf das Jahr bezogene Rendite von 8 / 80 = 10%. In einer ersten Variante dieses Beispiels soll angenommen werden, die Dividende sei in lediglich einem Zeitpunkt, am 18. Dezember, gezahlt worden. Wieder beträgt die einfache Jahresrendite 10%. Bei Aktien wird oftmals für eine Renditeberechnung allein die Dividendenzahlung berücksichtigt, nicht aber eventuelle Kursänderungen. Es wird dann von der Dividendenrendite oder der direkten Rendite gesprochen. Die meisten Aktien bieten eine Dividendenrendite zwischen 0% und 4%. Vielfach wird dann auch betrachtet, welcher Anteil des Gewinns dazu verwendet werden muss, um die Dividende auszubezahlen. Der restliche, einbehaltene Teil des Gewinns dient dann der Finanzierung weiteren Wachstums und ist somit ein Indiz für jenen Teil der Rendite, der sich einmal in Kurssteigerungen niederschlagen dürfte. Ab und zu wird vorgeschlagen, die Renditeformel solle so modifiziert werden, dass sie das im zeitlichen Mittel gebundene Kapital berücksichtige, und nicht nur das Kapital zu Anfang der Periode. Eine solche Modifikation ist jedoch unüblich, weil gewisse Eigenschaften nicht mehr gelten würden, welche die nach der allgemeinen Formel berechnete Rendite hat und die erwünscht sind. Jedoch sind Ergänzungen vorgenommen worden, bei denen das Jahr in 12 Monate oder sogar in 52 Wochen unterteilt wird. Sodann werden 12 beziehungsweise 52 Einzelrenditen für die kürzeren Perioden ermittelt, und anschließend wird aus diesen Einzelrenditen eine Gesamtrendite berechnet. Bei der Zusammenfassung der 12 bzw. 52 Einzelrenditen kann unterschiedlich vorgegangen werden. Zwei Konzepte werden in der Praxis verwendet: TWR und MWR. TWR steht für Zeitgewichtung (time weighted return), MWR steht für Geldgewichtung (money weighted return). Diese Konzepte TWR und MWR dienen der feineren Berücksichtigung der Zeitpunkte, zu denen zwischenzeitlicher Kapitalerträge verfügbar sind. <?page no="101"?> 5.1 Zufall 101 5.1.2 Vor- oder Nachsteuerrendite? Wichtig ist die Frage, ob die dem Finanzinvestor zufließenden Kapitalerträge vor oder nach Steuern betrachtet werden. Zwar sind einige Finanzinvestoren davon befreit, Kuponzahlungen oder Dividenden zu versteuern, so etwa Stiftungen und Pensionskassen. Doch die privaten Finanzinvestoren unterliegen selbstverständlich einer Steuerpflicht hinsichtlich ihrer Kapitalerträge. Sie ergeben sich vor allem aus den Steuergesetzen des Landes, in dem sie ihren Hauptwohnsitz (Steuerdomizil) haben. Dies ungeachtet des Landes, in dem die Wertpapiere gehalten werden. In manchen Ländern werden die Steuern bereits von der Depotbank, welche die Wertpapiere verwaltet, mit einem Pauschalsatz abgezogen und dem Fiskus zugeleitet. Die Besteuerung von Kapitalerträgen ist überdies in diesen Ländern oftmals final. Das heißt, die bezahlten Steuern auf Kapitalerträge werden in der Steuererklärung nicht mehr (oder nur noch auf Antrag) mit anderen Einkommensarten verrechnet. In anderen Ländern werden die Kapitalerträge grundsätzlich zum übrigen Einkommen addiert und die Summe unterliegt der Besteuerung. Wie sich die steuerpflichtigen Kapitalerträge zusammensetzen, ist unterschiedlich geregelt. In zahlreichen (wenngleich nicht allen) Ländern unterliegen die Kuponzahlungen und Dividenden der Besteuerung. In manchen Ländern sind auch Kapitalgewinne zu versteuern. In einigen wenigen Ländern, so in der Schweiz, wird auch eine Vermögenssteuer erhoben. In Deutschland ist ein entsprechendes Gesetz nach wie vor in Kraft, doch die Vermögenssteuer wurde seit 1997 nicht mehr erhoben. Was die Kuponzahlungen betrifft, so gibt es einige Länder, in denen staatliche Einrichtungen Anleihen ausgeben, bei denen der Kupon von Personen mit inländischem Steuersitz nicht besteuert werden muss. Diese Anleihen werden dann kaum von Personen mit ausländischem Steuerdomizil gekauft, die dann die Einnahmen doch noch in ihrem Domizil versteuern müssten. Für den Schuldner hat diese Praxis einen Vorteil: In kritischen Situationen kommen keine Forderungen aus dem Ausland, und im Inland sind in der Not viele Gesetze denkbar, mit denen der Staat die Steuerschuld für sich mildern kann. Dazu gehören beispielsweise die Botti in Italien oder die Munis in den USA. Viele Staaten erheben Quellensteuern auf Kapitalerträge. Im Inland können diese leicht bei der Steuererklärung berücksichtigt werden. Bei Finanzinvestoren mit ausländischem Steuerdomizil entsteht die Frage, ob sie die bereits abgezogene Quellensteuer zurückfordern können. Die verschiedenen Länder können dann unterschieden werden, je nachdem ob sie keine Quellensteuern erheben (Großbritannien), oder ob sie Quellensteuern erheben und diese vollständig zurückerstatten (Schweiz, Deutschland) oder nur teilweise zurückerstatten (Frankreich) oder deren Erstattung zwar vorsehen, diese durch unüberwindliche bürokratische Schwierigkeiten indes nicht stattfindet (Italien). So kann es hinsichtlich der Dividenden zu einer Doppelbesteuerung kommen. Zu erwähnen ist, dass die Besteuerung nominale Kapitalerträge betrachtet, keine realen Erträge, die um die Geldentwertung korrigiert wären. Daher sollten sich Kapitalanleger die steuerlichen Konsequenzen vergegenwärtigen, bevor sie in Ländern investieren, in denen die nominalen Renditen vielleicht nur deshalb hoch sind, weil die Inflationsrate hoch ist, <?page no="102"?> 102 5. Kapitel: Die Rendite während die realen Renditen bei Finanzanlagen in jenen Ländern vielleicht nicht höher sind. So wird verständlich, dass zahlreiche Finanzinvestoren Anleihen vorziehen, die auf Franken lauten und deren nominale Renditen gering sind. Doch der Schweizerfranken ist eine Währung, die durch geringe Inflation gekennzeichnet ist, weshalb es auch immer zu Aufwertungen kommt. Die realen Renditen sind höher als anderswo, doch aufgrund der Besteuerung nominaler Renditen ist die Steuerlast geringer. Aus ähnlichen Gründen wird bei Anleihen der Japanische Yen geschätzt. Die Thematik der Steuern verkompliziert die Berechnung einer Nachsteuerrendite. Noch dazu müssen private Geldanleger angesichts von Kapitalerträgen prüfen, welche Auswirkungen die Steuerprogression auf ihren Steueransatz hat. Deshalb ist es üblich, die Renditen vor Steuer zu betrachten. In der Vermögensverwaltung und im Private Banking wird Kunden damit eine höhere Rendite präsentiert. Die Steuerthematik ist selbstverständlich auch auf der Seite der sich finanzierenden Unternehmung von großer Bedeutung, wenn Kapitalkosten berechnet werden, und wenn diese wiederum verwendet werden, um den Wert eines Unternehmens zu bestimmen. Nachgetragen sei, dass viele Doppelbesteuerungsabkommen für Direktinvestitionen in Immobilien vereinbaren, dass diese im Land der Lage zu versteuern sind, nicht im Land des Domizils des Eigentümers. 5.1.3 Historische Renditen Zinsniveau und die Renditen können sich im Zeitablauf verändern, weil sich die Einschätzungen der Zukunft im Lauf der Zeit mit dem Aufkommen neuer Nachrichten verändern. Die Empirie zeigt, dass sich die Renditen wie in einem Zufallsprozess verändern. Eine zufällige Rendite kann Realisationen haben, die über oder unter der erwarteten Rendite liegen. Mit umso größeren Abweichungen der später eingetretenen und dann bekannten tatsächlichen Rendite von der Renditeerwartung muss gerechnet werden, je größer die Standardabweichung ist. In Anlehnung an H ARRY M ARKOWITZ , dem Schöpfer der Modernen Portfoliotheorie, wird der Erwartungswert der zufälligen Rendite kurz als Return angesprochen und die Standardabweichung als Risk. Wird das Risiko durch die Standardabweichung ausgedrückt, dann umfasst der Begriff Chancen ebenso wie die Verlustgefahr. Der Risikobegriff wird in der Finanzwirtschaft etwas anders gebraucht als in der Versicherungswirtschaft, wo unter Risiko die Wahrscheinlichkeit für einen Schaden verstanden wird. Bild 15 zeigt die einfachen Jahresrenditen für Anleihen und für Aktien für den Zeitraum 1926-2015 und die Schweiz. Gezeigt sind nominale Renditen: es wird nicht gefragt, wie sich die Kaufkraft des Anlageergebnisses verändert hat. Es fällt auf, dass die Jahresrenditen für Aktien - es handelt sich um ein diversifiziertes Portfolio schweizerischer Aktien - deutlich stärker streuen als die für Anleihen: Immer wieder gab es deutliche Einbrüche mit Jahresrenditen von weniger als -20%. Zudem gab es bei Aktien auch kraftvolle Entwicklungen mit mehr als +40% Rendite. Die Streuung oder Standardabweichung der Jahresrenditen ist als recht groß zu bezeichnen. Auch die Jahresrenditen der Anleihen - wiederum ein Portfolio aus schweizerischen Obligationen - schwanken, wenngleich deutlich geringer als die von Aktien. Es gab so- <?page no="103"?> 5.1 Zufall 103 gar einzelne Jahre mit negativen Renditen für Obligationen. In jenen Jahren kam es zu Kursverlusten, die dem Betrage nach größer waren als die Kuponzahlungen. Für andere Länder sieht die historische Kursentwicklung ganz ähnlich aus. Abb. 15: Nominale und reale Vermögensentwicklung von Schweizer Aktien und Bonds (oben) sowie deren nominale Renditen (unten) im Zeitraum 1926-2018 (Datenquelle: Pictet 2019) Die Renditen schwanken bei Anleihen und deutlicher bei Aktien. Wir hatten bereits einige Faktoren erwähnt, die das fundamentale wirtschaftliche Umfeld beschreiben. Offensichtlich haben diese Faktoren bei Aktien einen größeren Einfluss als bei Anleihen. <?page no="104"?> 104 5. Kapitel: Die Rendite Abb. 16: Histogramm der Jahresrenditen Aktien Schweiz 1900 bis 2018 Abb. 17: Die Anzahl der Jahre zwischen 1900 und 2018, in denen die Jahresrendite Anleihen (gepunktet) und die Jahresrendite Aktien (grau) in die verschiedenen Bereiche zu liegen kamen. 0 10 20 30 40 50 60 bis -20% -20% bis - 15% -15% bis - 10% -10% bis - 5% -5% bis 0% 0% bis 5% 5% bis 10% 10% bis 15% 15% bis 20% 20% bis 25% 25% bis 30% über 30% Anzahl Jahre Bereiche <?page no="105"?> 5.2 Renditeerwartung und Risiko 105 5.2 Renditeerwartung und Risiko 5.2.1 Verteilungsparameter Aktien sind riskanter als Anleihen: Die zukünftige Rendite lässt sich damit weniger genau prognostizieren. Ein Histogramm oder eine deskriptive Statistik lässt den Verteilungstyp erkennen und liefert Schätzwerte für die Renditeerwartung (Return) und das durch die Standardabweichung gemessene und als Risk bezeichnete Risiko. Der Erwartungswert einer Stichprobe wird üblicherweise durch das arithmetische Mittel der Stichprobenrealisationen geschätzt - hier sind das die einfachen Jahresrenditen der letzten Jahre. Dazu wird die Summe der Jahresrenditen durch n, die Anzahl der Jahre, geteilt. Die Standardabweichung wird vielfach durch die Wurzel aus der Varianz der Zahlenwerte geschätzt, und diese ist der Mittelwert der quadratischen Abweichungen vom Erwartungswert. Die Statistik legt nahe, diesen Mittelwert als Summe der quadratischen Abweichungen von der Schätzung des Mittelwerts zu bestimmen, wobei die Summe durch n-1 geteilt wird. Auf diese Weise ist der Schätzer für die Varianz erwartungstreu. Abb. 18: Die aufgrund der realen Jahresrenditen 1900-2016 geschätzten Verteilungsparameter von Aktien und Bonds für verschiedene Länder - Deutschland ohne die Jahre 1922-23 der Hyperinflation. Die Renditen beziehen sich auf den Zeitraum 1900-2016, die Standardabweichungen auf den Zeitraum 1900-2011 (Datenquelle: Credit Suisse Global Investment Returns Yearbook 2012 und 2017). Die Tabelle (Bild 18) zeigt für einige Länder die resultierenden Verteilungsparameter für Return und Risk. Die zugrunde gelegten Jahresrenditen für Aktien und für Anleihen wurden vor der Parameterschätzung inflationsbereinigt: Es sind mithin reale Jahresrenditen zugrunde gelegt, die um den Verlust von Kaufkraft korrigiert wurden. Jemand, der Kapitalerträge benötigt, um Lebensausgaben zu tätigen, sollte sich keiner Illusion hingeben, dass ihre nominale Höhe über die Jahre hinweg ansteigen dürfte. Die Verwendung realer anstatt nominaler Renditen ist zudem bei internationalen Vergleichen üblich. Wird von Zinssätzen die jeweilige Rate der Geldentwertung (Inflationsrate) abgezogen, so entstehen die Real- <?page no="106"?> 106 5. Kapitel: Die Rendite zinssätze. Nach einer Vorstellung von I RVING F ISHER (1867-1947) sollten die Realzinssätze der verschiedenen Länder und Währungsgebiete in etwa übereinstimmen. Eine Alternative zur Betrachtung realer Renditen in einem Ländervergleich wäre, die nominalen Renditen in eine einheitliche Referenzwährung umzurechnen. Die in Bild 18 angegebenen Verteilungsparameter der realen Renditen auf Aktien und auf Bonds sind in Bild 19 grafisch präsentiert. Üblicherweise wird ein Diagramm gewählt, bei dem die Abszisse (x-Achse) die Standardabweichung der zufälligen Rendite darstellt (das Risk also), die Ordinate (y- Achse) den Erwartungswert der zufälligen Rendite, kurz die Renditeerwartung oder den Return. Dieses Diagramm wird uns bei der Behandlung der Portfolio-Selektion wieder begegnen (Folgekapitel 6). Es heißt Risk-Return-Diagramm. Abb. 19: Die Positionen der Parameter Standardabweichung (Abszisse) und Renditeerwartung (Ordinate) für Bonds (links unten) und Aktien (rechts oben) und die in der letzten Tabelle gezeigten Daten 1900-2016 (Datenquelle: Credit Suisse Global Investment Returns Yearbook 2017). Die Punkte der Wolke links unten in Bild 19 entsprechen Bonds. In der Punktwolke rechts oben sind Aktien positioniert. Für ein paar Länder (D, USA, CH, J) sind die Positionen von Bonds und Aktien durch eine Linie verbunden, und alle diese Linien führen von links unten nach rechts oben: In jedem Land sind bei Aktien im Vergleich mit Anleihen sowohl die mittlere Rendite als auch die Standardabweichung größer: Aktien haben im Mittel über viele Jahre hinweg eine höhere Rendite und dabei ein höheres Risiko als Anleihen. Die Punktwolke für die Bonds der verschiedenen Länder und die Punktwolke für Aktien verschmelzen nicht zu jeweils einem einzigen Punkt. Das lässt vermuten, dass es noch weitere Faktoren gibt, die nationale Unterschiede erklären. Neben der Inflation spielen das 0% 2% 4% 6% 8% 10% 12% 0% 5% 10% 15% 20% 25% 30% 35% Rendite Standardabweichung D Aktien D Bonds US Aktien US Bonds CH Bonds CH Aktien J Aktien J Bonds <?page no="107"?> 5.2 Renditeerwartung und Risiko 107 Rechtssystem und die Stabilität des Landes hinein, die allgemeine politische Situation, die Anerkennung der Währung, die Wirtschaftskraft und der Ausbau und die Liquidität der Finanzmärkte. Beispielsweise bieten größere und reifere Realwirtschaften (USA ab 1918, Großbritannien) höhere Aktienrenditen bei geringerem Risiko. Wenn das Modell der Zufallsziehung durch solche Einflussfaktoren verfeinert wird, bleibt immer noch eine erhebliche Unsicherheit bestehen. In verfeinerten Modellen wird postuliert, dass die Rendite im Jahr t nach wie vor zufällig ist, dass jedoch die Renditen der Jahre 1,2 ... , , t nicht alle aus demselben Zufallsexperiment gezogen werden. Vielmehr hängt in diesen Modellierungen die Wahrscheinlichkeitsverteilung der Rendite im Jahr t von weiteren Einflüssen und Faktoren ab, und diese waren im Jahr 1 t anders. Wir erwähnten als solche Faktoren die Entwicklung und Stabilität eines Finanzplatzes sowie die Größe der Realwirtschaft des entsprechenden Landes. Kennt man diese beiden sowie weitere Faktoren, dann kann die Wahrscheinlichkeitsverteilung der zufälligen Rendite etwas genauer bestimmt werden. Kennt man sie für das kommende Jahr 1 t + , so ist die Rendite zwar immer noch zufällig, doch können mithilfe der Faktoren die Parameter der Wahrscheinlichkeitsverteilung bestimmt werden, und sie sind wohl anders als im Jahr t . Bei verfeinerten Modellen bleibt die Tatsache bestehen, dass die Rendite zufällig ist. Nur weiß man über ihre Wahrscheinlichkeitsverteilung etwas mehr und man kennt ihre Parameter genauer, sobald die Einflussfaktoren bekannt sind. 5.2.2 Risiko Der Zufall ist für die Finanzinvestoren das Risiko, Chance und Verlustgefahr. Nun sind die Investoren risikoavers und erleben das Risiko als Nachteil. Wenn jemand die Wahl zwischen einer unsicheren, zufälligen Zahlung, einer Lotterie sowie einer sicheren Zahlung in Höhe des Erwartungswerts der Lotterie hat, zieht er den sicheren Geldbetrag der Lotterie vor. Eine Person ist also risikoavers, wenn sie den Nutzenvorteil einer Chance als geringer ansieht also die Nutzenverringerung, die mit der Gefahr eines gleichgroßen und gleichwahrscheinlichen Verlustes verbunden ist. Denken Sie, liebe Leserin oder lieber Leser einmal, Sie hätten 2000 Euro für eine Reise zur Verfügung und schon alles geplant. Sie kommen mit dem Betrag gut über die Runden. Dann kommt eine Fee und sagt ihnen: „Spiele vor der Abfahrt in die Ferien noch eine Lotterie. Mit Wahrscheinlichkeit ½ erhöht Glück den Betrag auf 2800 Euro, mit Wahrscheinlichkeit ½ reduziert Pech ihn auf 1200 Euro.“ Falls Sie alle Lotterien, bei denen die Gewinnchancen genauso hoch und wahrscheinlich sind wie mögliche Verluste, ablehnen, dann sind Sie risikoavers. Würde eine Person hinsichtlich ihres Nutzens indifferent zwischen einem sicheren Geldbetrag und einer (risikobehafteten) Lotterie, deren Erwartungswert gleich hoch ist wie der sichere Geldbetrag, dann ist ihr Entscheidungsverhalten risikoneutral. Und würde sie die Lotterie dem sicheren Geldbetrag sogar vorziehen, dann wäre sie risikofreudig. Risikofreude kann allenfalls beim Spiel beobachtet werden, nicht jedoch bei Entscheidungen wirtschaftlicher Relevanz. Risikoneutralität ist nur bei sehr kleinen Geldbeträgen beobacht- <?page no="108"?> 108 5. Kapitel: Die Rendite bar. Folglich ist Risikoaversion das vorherrschende Entscheidungsverhalten im Finanzmarkt. Selbstverständlich ist die Risikoaversion unterschiedlich stark ausgeprägt. Sie variiert innerhalb eines jeden Landes und unterscheidet sich auch zwischen verschiedenen Kulturräumen. Diese Grundlagen der Entscheidungstheorie wurden von D ANIEL B ERNOULLI (1700-1782) gelegt, und in jüngerer Zeit von J OHN VON N EUMANN (1903-1957) zusammen mit O SKAR M ORGENSTERN (1902-1977) sowie von J ACOB M ARSCHAK (1898-1977) vertieft dargestellt. Eine umfassende Studie von Armin Falk und anderen zu Unterschieden hinsichtlich der Risikoeinstellungen und sonstiger Merkmale der Präferenzen ist 2018 im Quarterly Journal of Economics (Vol. 133, 4) erschienen. Wenn alle Finanzinvestoren risikobehaftete Engagements eher meiden, dann fällt der Einstiegspreis für risikobehaftete Investitionen. Dadurch lassen risikobehaftete Investitionen eine höhere Rendite erwarten. Man sagt auch, dass durch die Preisbildung im Finanzmarkt eine Risikoprämie zustande kommt. Die Risikoprämie ist bei einer Finanzinvestition die Differenz zwischen der erwarteten Rendite und dem Zinssatz, zu dem eine völlig sichere Geldanlage für die entsprechende Periode getätigt werden kann. Bei Anleihen entsteht eine gewisse Kursreduktion, also eine Risikoprämie, erstens durch die Ausfallgefahr. Zweitens haben Änderungen des Zinsniveaus Einfluss auf den Wert einer Anleihe. Bei Staatsanleihen beträgt die Risikoprämie, um eine Größenordnung anzugeben, vielleicht einhundert Basispunkte (ein Prozentpunkt). Bei Unternehmensanleihen kann die Risikoprämie durchaus zwei oder drei Prozentpunkte betragen. Bei Aktien entsteht die Risikoprämie aufgrund der unternehmerischen und der allgemeinen wirtschaftlichen Risiken. Sie beträgt in etwa 4% oder 5% (auf das Jahr bezogen). Selbstverständlich gibt es Unternehmen, deren Aktien weniger riskant sind als die anderer Unternehmen. Aktien aus dem Sektor der Versorgungsgüter (Energie, Telekommunikation, Nahrungsmittel) gelten als weniger riskant. Als besonders riskant gelten hingegen Aktien aus dem Technologiesektor. Eine Zusammenstellung einiger Risikobegriffe: Im Leben: Die Möglichkeit eines abträglichen Ausgangs wirtschaftlicher Aktivitäten. In der Versicherungswirtschaft: Die Wahrscheinlichkeit für einen Schaden. In der Finanzwirtschaft: Abweichungen der zufälligen Rendite von ihrem Erwartungswert, gemessen durch die Standardabweichung - Chance und Verlustgefahr umfassend. Im Rechnungswesen: Möglichkeit, dass unerwartet Abschreibungen nötig werden, die den Bilanzlesern begründet werden müssen. 5.2.3 Risikoprämie Die erwartete Zusatzrendite von Aktien gegenüber einer sicheren Geldanlage wird als Risikoprämie bezeichnet. Diese Renditedifferenz (im Angelsächsischen als Equity Premium <?page no="109"?> 5.2 Renditeerwartung und Risiko 109 bezeichnet) wird als Differenz zwischen der erwarteten Aktienrendite und dem Zinssatz präzisiert, gelegentlich auch als Differenz zwischen der erwarteten Aktienrendite und der Rendite von Anleihen mittlerer Laufzeit staatlicher Emittenten. Die Erwartungswerte werden anhand des Durchschnitts historischer Renditen über einen längeren Zeitraum hinweg gebildet. Der Rückblick zeigt: Der historische Renditeunterschied zwischen Aktien und Anleihen beträgt etwa 3% bis 4%. Viele Personen schließen von dieser Risikoprämie, die in der Vergangenheit anzutreffen war, auf die Zukunft und gehen ebenso für die kommenden Jahre von einer Risikoprämie in dieser Höhe aus. Das wäre korrekt, wenn sich die Art der zufälligen Renditeerzeugung in unserer Wirtschaftswelt nicht ändert. Doch es könnte durchaus der Fall eintreten, dass sich die Situation grundlegend ändert. Oder es könnten Fakten bekannt werden, die zeigen, dass beim Modell der Zufallsziehung von Renditen etwas übersehen wurde (so wie bis 1500 in Europa niemand für möglich hielt, dass es Schwäne mit schwarzem Federkleid gibt). Die Korrektheit des Zufallsmodells, das die Renditen erzeugt, wird in der Forschung untersucht. Einige Ergebnisse: Erstens bleibt bei der Modellbildung unberücksichtigt, dass ganze Finanzmärkte untergehen können. Durch fehlende Berücksichtigung dieser Möglichkeit kommt es zu einer Verzerrung, die als Survival Bias bezeichnet wird. Das ist die Verzerrung, dass man in der Rückblende nur jene Finanzplätze untersucht, die es heutzutage immer noch gibt. Das sind gerade jene, die - aus welchen Gründen auch immer - bessere Renditen geboten haben. Wem nützt der Vergleich mit den Renditen in den USA, wenn man um 1910 gedacht hat, Südamerika sei die Zukunft und alles Geld in Argentinien investierte? Niemand wusste um 1910, dass einmal die US-Märkte als leuchtendes Vorbild für Finanzmärkte schlechthin angesehen und Argentinien ganz zurückfallen würde? Folglich dürfen bei einer Renditeschätzung nicht nur jene Finanzmärkte berücksichtigt werden, die es heute noch gibt. Auch die (mageren) Renditen der Finanzmärkte, die untergegangen sind, müssen in die Schätzung der Renditeerwartung eingehen. Der Survival Bias könnte durchaus bedeuten, dass die Anlagerenditen um 1% oder sogar 2% zu hoch eingeschätzt werden. Ein zweiter Zweifel an der Korrektheit der bisherigen Modellbildung thematisiert die Frage, ob alle Finanzinvestoren aufgrund der Risikoaversion tatsächlich so hohe Risikoprämien wie 4% oder 5% bei Aktien oder 1% bei Anleihen verlangen. Denn einige große Finanzinvestoren, darunter Pensionskassen und Lebensversicherungsgesellschaften, haben einen sehr langen Anlagehorizont und können über die Jahrzehnte hinweg die jährlichen Schwankungen der Anlageergebnisse (mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit) ausgleichen. In diesem Licht ist die aufgrund der historischen Renditen von Aktien bestimmte Risikoprämie in Höhe von 4% bis 5% nicht gut erklärbar. Hier wird von einem Rätsel, einem Risikoprämien-Puzzle gesprochen. Dieses Rätsel wurde 1985 von R AJNISH M EHRA und E DWARD C. P RESCOTT aufgezeigt. Um das Risikoprämien-Puzzle zu lösen, wurden Ansätze entwickelt, nach denen die Erwartung hinsichtlich der zukünftigen Renditen nicht einzig an den historischen Renditen der Finanzmärkte festgemacht wird, wie es die sogenannte finanzwirtschaftliche Schätzung tut. Stattdessen wird die Entwicklung der Realwirtschaft mit in die Schätzung einbezogen. Zur Verdeutlichung: Wer an einer GmbH beteiligt ist, bezieht letztlich Ausschüttungen und hat <?page no="110"?> 110 5. Kapitel: Die Rendite Teil an der Wertsteigerung, welche die GmbH im Verlauf der Jahre erfährt. Die Wertsteigerung ist jedoch auf lange Sicht durch das Wachstum der Realwirtschaft gegeben. Die Finanztiefe kann sich nicht immer weiter erhöhen. Irgendwann hören die allein durch das weitere Anwachsen der Finanzmärkte bewirkten Kurssteigerungen auf, und weitere Kurssteigerungen sind nur noch in der durch das Wachstum der Realwirtschaft möglichen Geschwindigkeit möglich. Die Renditeerwartung einer Beteiligung oder einer Aktienanlage sollte demnach aus den üblichen Ausschüttungen und Dividenden sowie aus der Rate des allgemeinen Wirtschaftswachstums berechnet werden. Bei solchen realwirtschaftlichen Schätzungen der Renditeerwartung hat es den Anschein, als wären die Jahre von 1950 bis 2000 für den Aktienanleger besonders interessant gewesen. Doch diese Zeitperiode ist für Anleger untypisch gut gewesen. Wird ein längerer Horizont herangezogen, erscheinen Aktienanlagen nicht so rentabel. Wird die empirische Schätzung der Renditeerwartung bei Aktien auf die historischen Renditen der letzten Jahrzehnte gestützt, dann pickt man mit den fünfzig Jahren 1950 bis 2000 einen untypischen und daher nicht repräsentativen Zeitraum heraus, auch wenn der Zeitraum von fünf Dekaden als „lang“ angesehen wird. Das Argument dieser realwirtschaftlichen Schätzmethode: Die Kurssteigerungen aufgrund der kraftvollen Entfaltung der Finanzmärkte (Ansteigen der Finanztiefe) bleiben irgendwann aus. Die Renditen der Finanzinstrumente sollten in Zukunft allein von den in der Realwirtschaft erwirtschafteten Ergebnissen abhängen. Nach der realwirtschaftlichen Schätzmethode ergibt sich die Aktienrendite aus der Dividendenrendite und der Wachstumsrate der Unternehmung. Das realwirtschaftliche Wachstum einer Unternehmung lässt sich allerdings nicht leicht messen. Daher weicht man bei der realwirtschaftlichen Schätzmethode häufig auf eine andere realwirtschaftliche Wachstumsgröße aus, etwa auf die gesamtwirtschaftliche Wachstumsrate. Entsprechende realwirtschaftliche Schätzungen zur Risikoprämie wurden 2001 von E UGENE F AMA und K ENNETH F RENCH vorgestellt. Sie gelangten zu überraschenden Ergebnissen: Ausgehend alleine von den historischen Renditen am US- Aktienmarkt ergibt sich für den Zeitraum von 1872 bis 2000 eine Überrendite von Aktien gegenüber Bonds (Risikoprämie) von 5,57%. Wird die Risikoprämie dagegen aufgrund der Realwirtschaft geschätzt, beträgt sie nur 3,54%. Der Unterschied zwischen der finanzwirtschaftlichen und der realwirtschaftlichen Schätzmethode beträgt folglich ziemlich genau 2%. Nach F AMA und F RENCH haben Finanzmärkte in den letzten Dekaden eine höhere Rendite abgeworfen als realwirtschaftlich begründet ist. Weiter zeigt sich, dass dieser Unterschied nur auf die letzten fünfzig Jahre zurückzuführen ist. Während von 1872 bis 1950 die Realwirtschaft (mit einer Risikoprämie von 4,17%) und die Finanzwirtschaft (mit einer Risikoprämie von 4,40%) nahezu im Gleichschritt verlaufen sind, klafft ihre Entwicklung nach 1950 auseinander. In der Zeit von 1951 bis 2000 waren die Renditen am Aktienmarkt deutlich höher als aufgrund des Wachstums der Realwirtschaft hätte erwartet werden können. <?page no="111"?> 5.2 Renditeerwartung und Risiko 111 Dies deutet darauf hin, dass sich die Finanzmärkte in den letzten Dekaden von der realen Wirklichkeit gelöst haben. Das, was die Unternehmen den Aktionären real geboten haben, ist geringer, als was sich die Aktionäre mit ihrem Aktienhandel an der Börse und ihrem Optimismus selbst geboten haben. Es wäre daher falsch, die hohen Aktienrenditen (insbesondere der Jahre 1951 bis 2000) ohne Korrektur für die Erwartungsbildung hinsichtlich zukünftiger Renditen zu übertragen. Weil die realwirtschaftliche Rendite tiefer ist, schließen F AMA und F RENCH , dass die Aktionäre ihre Renditeerwartung gegenüber dem Mittelwert der historischen Aktienrenditen um rund zwei Prozent nach unten korrigieren sollten. Angewandt auf die Verhältnisse im Schweizer Aktienmarkt läge dann die Renditeerwartung für Aktien bei 6% bis 7% und nicht bei 8% bis 9% wie zum Teil immer noch behauptet wird. Eine Rechnung: Die realwirtschaftliche Rendite ergibt sich aus der Dividendenrendite und dem Unternehmenswachstum oder dem Wirtschaftswachstum. Eine Dividendenrendite von 2% bis 3% und ein reales Wachstum der Unternehmen und der Realwirtschaft von rund 1,5% sind realistisch für die nahe Zukunft. Bei einer Inflationsrate von 1,5% resultiert eine nominale Wachstumsrate von 3%. Wird die Dividendenrendite berücksichtigt, dann resultiert eine (realwirtschaftliche) Rendite von 5% bis 6% für Aktien. Die historischen Risikoprämien unterlagen über die Zeit hinweg gewissen Veränderungen. P ETER L. B ERNSTEIN (2003) gelangt zu dem Ergebnis: Die hundert Jahre ab 1900 bis heute waren für Bonds genauso gut wie die zweihundert Jahre ab 1802. Die hundert Jahre ab 1900 waren aber für Aktien deutlich besser als die zweihundert Jahre ab 1802. Kurz: Die Börsen für Aktien haben sich etwa ab 1900 beflügelt. Diese „Höhenflüge“ stehen nicht mit der Realwirtschaft in Einklang. Das Gleichnis oder die Metapher von S CHUMPETER ist seit einiger Zeit nicht mehr gültig: Etwa um 1900, spätestens um 1950 hat sich der Hund von der ohnehin flexiblen Leine gelöst und ist davon gelaufen. Was sind die Gründe? Vielleicht sind es technologische Schübe (Wirtschaftswunder der Nachkriegszeit um 1960, IT etwa ab 1980), die Aktienkurse nach oben getrieben haben. Studien zeigen, dass die Risikoprämie von der Inflationsrate abhängt. So haben in den kriegs- und inflationsgeschüttelten Ländern Deutschland, Frankreich, Italien, Japan und Belgien die Renditen der Anleihen gelitten. Auch sonst lässt sich zeigen, dass Inflation nicht nur zu höheren nominalen Renditen führt, sondern häufig mit einer Reduktion der realen Renditen sowie mit einem Anstieg der Unsicherheit (Standardabweichung) einher geht. Länder mit geringer Inflation sind wohl eher stabile Länder, und die Stabilität begünstigt das wirtschaftliche Klima, in dem Investitionen gedeihen. Neuere Forschungen zeigen, dass sich ein Rätsel nicht nur hinsichtlich der Renditen von Aktien, sondern auch hinsichtlich der Anlagen in Immobilien zeigt. Insgesamt ist die Risikoprämie, mit der in Zukunft bei Aktien gerechnet werden darf, geringer als die aus der finanzwirtschaftlichen Schätzung stammenden 4% oder 5%. Aufgrund der realwirtschaftlichen Schätzung muss die Risikoprämie mit lediglich 2% bis 3% beziffert werden. <?page no="112"?> 112 5. Kapitel: Die Rendite 5.3 Langfristige und kurzfristige Erwartungen 5.3.1 Finanzanalyse An den Finanzmärkten werden Erwartungen für die längere und für die kürzere Frist unterschieden. Bei Aktien beispielsweise führen die finanzwirtschaftliche und die realwirtschaftliche Schätzmethode auf langfristige Durchschnittsrenditen, und diese geben eigentlich eher einen Hinweis auf die Gesamtrendite einer längeren Anlageperiode als auf das kommende Jahr. Etwa bei Aktien können die anhand von historischen Renditen geschätzten Mittelwerte durchaus als Erwartung für das kommende Jahr genommen werden, doch wird sich am Ende des kommenden Jahres zeigen, dass der Prognosefehler sehr groß war. Denn die Standardabweichung der Aktienrendite ist ziemlich groß. Deshalb werden bei Aktien und Renditeprognosen für die kurze Frist weitere Anhaltspunkte gesucht, um die allein aufgrund der historischen Renditen geschätzte mittlere Rendite anhand der zusätzlichen Argumente zu adjustieren. Die Suche nach Anhaltspunkten und Fakten, die doch einen Einfluss auf die Höhe der Rendite in der kurzen Frist haben könnten und daher zu genaueren kurzfristigen Prognosen verhelfen könnten, stehen im Zentrum der Finanzanalyse. Die Basis und Grundannahme der Finanzanalysen soll im Unterschied zum Urnenmodell so präzisiert werden: Urnenmodell: Wer dem allgemeinen Informationsstand und dem Urnenmodell folgt, nach dem Renditen zufällige Ziehungen aus stets derselben Grundgesamtheit sind, der hat für die Ziehung der Aktienrendite im kommenden Jahr keine bessere Prognose als den Erwartungswert der Wahrscheinlichkeitsverteilung. Dieser ist zwar nicht genau bekannt, doch die Statistik zeigt, wie der Erwartungswert geschätzt werden kann. Ein Schätzer mit statistisch wünschenswerten Eigenschaften ist der Durchschnitt der historischen Realisationen. Der Durchschnitt historischer Renditen ist folglich die beste Prognose für das kommende Jahr, und sie lässt sich nicht verbessern. Finanzanalyse: Die Annahme, dass alle Finanzinvestoren aufgrund von Informationseffizienz des Finanzmarktes denselben Informationsstand haben, verhilft zu einer einfachen und klaren Beschreibung des Geschehens an den Finanzmärkten und ist daher von hohem didaktischen Wert. Doch die Wirklichkeit ist, dass die Finanzinvestoren unterschiedlich informiert sind. Zugegeben, die Unterschiede im Informationsstand sind teilweise klein, ab und zu jedoch größer. Empirische Tests der Hypothese der Informationseffizienz, wie sie von Forschern vorgenommen werden, übersehen diese Informationsunterschiede, weil sie sich in unterschiedlicher Richtung manifestieren und Aktienrenditen ziemlich stark schwanken, was die genaue Erfassung von Informationsunterschieden verunmöglicht. Die Finanzanalyse tritt deutlich näher an die einzelnen Aktiengesellschaften, besucht das Management und führt Vergleiche in einer Peergroup durch. So kann die Finanzanalyse Informationen aufzeigen, die noch nicht in der Kursbildung verarbeitet sind. Eine zweite Basis der Arbeit von Finanzanalysten betrifft das Urnenmodell. Die Annahme, die Wahrscheinlichkeitsverteilung der zufälligen Renditen sei über die Zeit hinweg konstant, erfüllt den didaktischen Zweck, die Verhältnisse einfach zu beschreiben. Zwar gibt es <?page no="113"?> 5.3 Langfristige und kurzfristige Erwartungen 113 wirklich unbekannte und daher als zufällig beschriebene Einflüsse auf die Rendite, doch es handelt sich dabei um verschiedene Einflussfaktoren, und sie wirken nicht in allen Jahren gleich. Von daher dürften sich auch die Erwartungswerte der Aktienrendite von Jahr zu Jahr ändern. Welche der Einflussfaktoren gerade besonders kräftig einwirken, soll durch die Arbeit der Finanzanalyse immer wieder geklärt werden. Insgesamt behauptet also die Finanzanalyse, die Annahmen von Informationseffizienz und stets gleichbleibender Wahrscheinlichkeitsverteilung seien zwar eine didaktisch zu begrüßende und einigermaßen gute Beschreibung der Wirklichkeit. Eine bessere Prognose der Aktienrendite (eines bestimmten zukünftigen Jahres) liefern jedoch vertiefte und nähere Erkundungen bei den Unternehmungen verbunden mit einer umfassenderen Aufarbeitung der gesamtwirtschaftlichen Einflussfaktoren wie Politik und Konjunktur. In der kurzen Frist (eines Jahres) unterscheiden sich demnach der Standardansatz der Finanzwirtschaft (Informationseffizienz, Urnenmodell) und die Finanzanalyse in ihren Prognosen. Was einen längeren Anlagehorizont betrifft, so gelangt die Finanzanalyse zu denselben Prognosen für die mehrjährige Gesamtrendite wie der Standardansatz. 5.3.2 Eine Paradoxie Grundlage für die Finanzanalyse ist die Annahme, dass Finanzmärkte, insbesondere Aktienmärkte zwar einigermaßen gut aber eben nicht ganz genau durch die Standardannahme von Informationseffizienz und Urnenmodell beschrieben werden. Es besteht die Möglichkeit, die Renditeprognose zu verbessern, indem genauere und weitere Einflüsse untersucht werden. Wie diese genauere und weitergehende Untersuchung vor sich gehen soll, um wirklich zu einer besseren Prognose zu führen, ist damit noch nicht gesagt. Hier tritt wieder die wissenschaftliche Arbeit hinzu. Die Forschung liefert Raum für Verfeinerungen des Standardmodells von Informationseffizienz und Urnenmodell. Die Forschung testet Mehrfaktormodelle und den Einfluss makroökonomischer Variabler, wodurch beispielsweise die konjunkturelle Lage zur genaueren Erklärung der kurzfristigen Aktienrendite herangezogen wird. Heute sind die Erforschung verfeinerter Modelle und ihre Tests noch nicht abgeschlossen. Die Forschung geht in verschiedene Richtungen. So ist die Finanzanalyse eine berufliche Tätigkeit, in der praktische Aspekte und Vorgehensweisen eine bedeutende Rolle spielen. Bei Unsicherheit hinsichtlich der anzuwendenden Vorgehensweise kommt es dazu, dass einzelne Berufstätige anderen folgen. Junge Finanzanalysten werden Vorteile wahrnehmen, wenn sie erfahrenen und anerkannten Finanzanalysten folgen. Dieses in der Praxis zu beobachtende Verhalten führt dazu, dass Finanzanalysten oftmals übereinstimmende Beurteilungen aussprechen. Wer sich der Meinung anderer Finanzanalysten anschließt, ist bei Fehleinschätzungen durch die Mehrheitsmeinung geschützt. So bilden sich in der Gruppe der Analysten Meinungsführer heraus. Weil die meisten anderen so eine Einzelmeinung übernehmen, nur weil sie von einem als führend angesehenen Finanzhaus kommt, besteht eine gewisse Tendenz zu Übertreibungen. Da die Übertreibun- <?page no="114"?> 114 5. Kapitel: Die Rendite gen von Zeit zu Zeit wechseln, wird die Anlegerschaft motiviert, mit Transaktionen zu folgen. Das ist im Interesse der Brokerhäuser, der Börsen und der Trader, die an Portfolioumschichtungen verdienen. Angesichts der immer wieder, nur in von Zeit zu Zeit anderer Richtung übertriebenen Urteile der Finanzanalyse stellt sich die Frage, ob die gegebenen Prognosen eine Rückwirkung auf die Rendite haben. Hängen die Renditen oder hängen die Wahrscheinlichkeitsverteilungen der Renditen von den Prognosen ab? Selbstverständlich besteht in vielen Bereichen von Gesellschaft und Wirtschaft keinerlei (nennenswerte) Rückwirkung der Prognose auf die folgende Realisation der Ereignisse. Insbesondere lassen sich negative Ereignisse, auch wenn sie jemand vorhersieht, nicht (mehr) abwenden. Doch es bestehen auch Bereiche, in denen die Prognosen eine Rückwirkung auf die Ereignisse haben. In den Sozialwissenschaften bekannt ist die sich selbsterfüllende Prophezeiung. Der Begriff wurde 1911 von O TTO N EURATH geprägt. Die Prognose, wie sie auch immer ausfällt, tritt ein. Jedoch gibt es ebenso Bereiche, in denen Zufallseinflüsse wirken, und in denen die Prognose eine gegenteilige Wirkung ausübt. Es tritt ein, was aufgrund der Prognose gerade nicht erwartet wurde. Bei guter Prognose ist das Ereignis schlecht, bei ungünstiger Prognose tritt ein auffällig gutes Ergebnis ein. Ein solcher Effekt, eine „sich gerade anders erfüllende Prophezeiung“ wirkt bei der Aktienrendite. Welcher Zusammenhang ist dabei gemeint? Angenommen, der Gewinn und der wirtschaftliche Erfolg eines Unternehmens im kommenden Jahr ist das Resultat der Zufallsziehung (wie aus einer Urne): Die Wahrscheinlichkeitsverteilung wird von der Prognose, die Finanzanalysten abgeben, nicht beeinflusst. Zu Jahresbeginn finden die Finanzanalysten und ihr Meinungsführer zu einer einheitlichen Prognose von Gewinn und Erfolg. Wie gesagt fallen dies Prognosen ziemlich klar und pointiert aus. Angenommen, die Prognose sieht einen geringen Gewinn und einen schwachen Erfolg voraus. Dann ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass der später bekannte Gewinn und Erfolg des Unternehmens die Prognose übertreffen werden. Daraufhin steigen die Kurse und mit ihnen realisiert sich eine hohe Rendite. Doch angenommen, die Prognose sieht einen hohen Gewinn und einen sehr guten wirtschaftlichen Erfolg voraus. Dann ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass der später bekannte Gewinn und Erfolg des Unternehmens die Prognose nicht erreichen. Daraufhin fallen die Kurse und mit ihnen realisiert sich eine geringe Rendite. Bezogen auf die kurze Frist wirken an den Aktienmärkten also Effekte der sich anders erfüllenden Prophezeiung: Werden geringe Renditen erwartet und prognostiziert, dann kommt es tatsächlich zu hohen Renditen. Werden hohe Renditen prognostiziert, dann treten geringe Renditen ein. Manche sehen darin eine Paradoxie. Die Auflösung des scheinbaren Widerspruchs besteht darin, zwischen Gewinn/ Erfolg als Zufallsziehung und der Rendite zu unterscheiden. Die Rendite ist eine Funktion des zufälligen Gewinns und Erfolgs des Unternehmens sowie der zuvor erstellten Prognose. Unterschiede zwischen Gewinn/ Erfolg einerseits und Prognose treiben die Rendite. <?page no="115"?> 5.4 Fazit des Kapitels Die Rendite 115 5.4 Fazit des Kapitels Die Rendite 5.4.1 Zusammenfassung Die Rendite fasst das Ergebnis einer Anlage in einer Zahl zusammen. Die Renditen für zukünftige Anlageperioden sind zufällig. Es ist nicht so, dass Experten die Kursentwicklung kennen würden und der Laie nicht. Die Renditen sind zufällig für jedermann. Die Verteilungsparameter der zufälligen Renditen können geschätzt werden. Dazu ist ein Modell verlangt, das die Erzeugung der unsicheren Renditen erklärend beschreibt. Ein einfacher Ansatz, das Modell der Zufallsziehung, geht davon aus, dass in jedem Jahr eine Rendite aus ein und derselben Wahrscheinlichkeitsverteilung gezogen wird. Dieses einfache Modell wurde verschiedentlich verbessert, indem weitere Faktoren, vor allem solche aus der Realwirtschaft, zur Schätzung der Renditeerwartung herangezogen werden. Üblicherweise werden für grafische Illustrationen die beiden wichtigsten Parameter der Renditeverteilung, der Erwartungswert und die Standardabweichung, in einem Diagramm positioniert. Die Standardabweichung kann dazu dienen, das Risiko zu messen. Aktien haben eine höhere Renditeerwartung und ein höheres Risiko als Bonds. Die Differenz zwischen der erwarteten Aktienrendite und dem Geldmarktsatz (oder der erwarteten Bondrendite) wird als Risikoprämie von Aktien bezeichnet. Diese Risikoprämie liegt im Bereich um 4% bis 5% nach der finanzwirtschaftlichen Schätzmethode und zwischen 2% und 3% nach der realwirtschaftlichen Schätzmethode. Die realwirtschaftliche Schätzmethode der Renditen von Beteiligungen oder von Aktien basiert auf der typischen Rendite der Ausschüttungen oder Dividenden und addiert die (nominale Wachstumsrate). Die nominale Wachstumsrate ergibt sich als Summe der realen Wachstumsrate und der erwarteten Inflationsrate. 5.4.2 Lernpunkte 1. Renditen sind zufällig. 2. Risikoaversion ist das vorherrschende Entscheidungsverhalten am Finanzmarkt. 3. Wie die Risikoprämie definiert ist und wie sie gemessen werden kann. 4. Die finanzwirtschaftliche Schätzmethode und die realwirtschaftliche Schätzmethode. 5. Survival Bias und Risikoprämien-Puzzle. 5.4.3 Erwähnte Personen P ETER L. B ERNSTEIN , E UGENE F AMA , K ENNETH F RENCH , R AJNISH M EHRA , H ARRY M ARKOWITZ , J ACOB M ARSCHAK , O SKAR M ORGENSTERN , J OHN VON N EUMANN , O TTO N EURATH , E DWARD C. P RESCOTT . <?page no="116"?> 116 5. Kapitel: Die Rendite 5.4.4 Schlüsselbegriffe Default, Empirie, finanzwirtschaftliche Schätzung der Renditeparameter, Inflation, Kreditereignis, Markteffizienz, realwirtschaftliche Schätzung der Renditeparameter, Rendite, Renditeerwartung (Return), Risk-Return-Diagramm, Risiko (Risk), Risikofaktoren, Risikoprämie, Risikoprämien-Puzzle, Staatsbankrott, Survival Bias, Zinsniveau, Zufallsgröße. 5.4.5 Fragen zur Lernstandskontrolle 1. Jemand kauft im Wert von 100 Euro Anlagefonds, muss indes noch einen Verkaufsaufschlag von 5% zahlen. Nach 12 Monaten werden 2 Euro ausgeschüttet, und die Fondsanteile haben dann einen durch Verkauf realisierbaren Wert von 113 Euro. War die Rendite kleiner, größer oder gleich 10%? [Antwort: Die Formel in 5.1.1 liefert die Rendite 9,52%] 2. Nennen Sie drei Gründe für Kursänderungen bei Anleihen! [Zur Antwort siehe Abschnitt 5.1.1] 3. Was wird in der Versicherungswirtschaft, was bei den Finanzmärkten mit dem Risikobegriff verbunden? [Antwort: Abschnitt 5.1.2] 4. a) Erläutern Sie, was im Risk-Return-Diagramm dargestellt wird. b) Gehen Sie auf empirisch gefundene Größen der historischen Mittel von Renditen und der Standardabweichungen ein! [Antworten: Abschnitt 5.2] 5. a) Wie groß sind typische Risikoprämien? b) Was ist mit dem Risikoprämien-Puzzle gemeint? c) Was bewirkt der Survival-Bias? d) Welche beiden Schätzmethoden für Risikoprämien wurden unterschieden? [Antworten: Abschnitt 5.3.2] <?page no="117"?> 6. Kapitel: Portfolio-Selektion Die Idee, Risiken durch Streuung zu diversifizieren, ist über 2000 Jahre alt. Zwar kann nicht jeder Investor sein Engagement teilen und statt einer großen Sache mehrere unterschiedliche Projekte verfolgen, von denen jedes nur ein kleineres Engagement verlangt. Die Transaktionskosten könnten bei einer solchen Streuung stark ansteigen, während sie sich mit Konzentration bewältigen ließen. Doch die an Finanzmärkten ausgesprochen geringen Transaktionskosten fördern die Bildung diversifizierter Portfolios von Forderungen, Anrechten und Beteiligungen. Daneben, oft nicht so beachtet, bilden auch die Kapitalverwender Portfolios. Kapitalverwender wie etwa Unternehmen bilden Portfolios aus mehreren Finanzierungen, um Risiken zu diversifizieren. Dabei geht es um andere Risiken als diejenigen, mit denen sich ein Kapitalanleger konfrontiert sieht. Die mit Finanzierungen für den Kapitalverwender einhergehenden Risiken ergeben sich aus den Rechten, die ein Kapitalgeber mit dem Finanzkontrakt erhält. Das „Finanzierungsportfolio“ einer Unternehmung wird als Kapitalstruktur bezeichnet und im Folgekapitel betrachtet. In diesem Kapitel wird gezeigt, wie ein Investor die beste Gewichtung von Einzelanlagen bestimmen kann, damit sie ein optimal diversifiziertes Portfolio ergeben. Das ist die Aufgabe der Portfolioselektion. Eine rechnerische Lösung dieser Aufgabe hat H ARRY M AR- KOWITZ mit seinem als Moderne Portfoliotheorie (MPT) bezeichnetem Ansatz entwickelt (Abschnitt 6.1). Die MPT verwendet Begriffe wie Risk-Return-Diagramm, Effizienzgrenze, Optimizer. J AMES T OBIN hat die Markowitzsche Portfolio-Selektion ergänzt (Abschnitt 6.2). T OBIN zeigt, dass zwei Aufgabenschritte bei der Zusammenstellung von Möglichkeiten zur Geldanlage getrennt (separiert) werden können. Dieses Separationstheorem hat enorme praktische Bedeutung. Auf die Leistungen von T OBIN weisen Stichworte wie Separationstheorem, Kapitalmarktlinie, Marktportfolio. Portfolio aus einzelnen Kapitalanlagen Portfolio aus Finanzierungen (Kapitel 7) Portfolio-Selektion, Risk-Return- Diagramm, Effizienzgrenze, Optimizer (Markowitz) Separationstheorem, Kapitalmarktlinie (Tobin) Irrelevanzthese (Modigliani und Miller) Leverage-Effekt Tradeoff-Ansatz Agency-Theorie (Jensen und Meckling) Hackordnung (Myers und Majluf) Die optimale Kapitalstruktur hingegen kann nicht mit einem Rechenverfahren oder einer mathematischen Optimierungsaufgabe ermittelt werden. Vielmehr wurden dafür eigene Konzepte entwickelt, die gleichwohl auf einen guten Mix verschiedener Finanzkontrakte hinauslaufen. Für das Portfolio der Kapitalstruktur besprechen wir im Folgekapitel 7 diese <?page no="118"?> 118 6. Kapitel: Portfolio-Selektion Ansätze: Irrelevanzthese (M ODIGLIANI und M ILLER ), Leverage-Effekt, Tradeoff-Ansatz, Agency- Theorie (J ENSEN und M ECKLING ), Hackordnung (M YERS und M AJLUF ). 6.1 Markowitz 6.1.1 Portfolio und Kapitalstruktur Finanzmärkte schaffen Liquidität. Liquidität ist von allen Marktteilnehmern erwünscht. Anleger schätzen Wertpapiere mit hoher Liquidität, weshalb deren Preise steigen und die Renditen folglich sinken. Für jene, die Kapital aufnehmen, bedeuten die geringeren Renditen geringere Kapitalkosten. Auch sie schätzen die vom Markt erzeugte Liquidität. Finanzinvestitionen geringer Liquidität müssen demgegenüber eine Liquiditätsprämie bieten, eine höhere erwartete Rendite als Kompensation für die hohen Transaktionskosten, die mit Kauf oder Verkauf verbunden sind. Eine weitere Wirkung der Finanzmärkte ist die Reduktion von Transaktionskosten. Geringe Transaktionskosten erlauben es einem Anleger, parallel mehrere Transaktionen vorzunehmen. Die Person kann also ihr finanzielles Engagement aufteilen und parallel verschiedene Wertpapiere kaufen und verkaufen. So ist die Bildung von Portfolios gut möglich. Die Portfolios können so gewählt werden, dass gewisse Risiken der Einzelanlagen sich durch Diversifikation gegenseitig aufheben. Die Diversifikation wiederum verbessert die Allokation von Risiken. Denn für diversifizierbare Risiken verlangen die Kapitalanleger keine Risikoprämie mehr. Für die Seite der Kapitalnehmer werden dadurch die Kapitalkosten reduziert. Die verbesserte Risikoallokation in den Portfolios strahlt damit auf die Kapitalallokation in der Wirtschaft insgesamt aus. Dadurch werden Kapitalverwender gezwungen, nicht allein auf die erzeugbaren Renditen, sondern ebenso auf die Risiken zu achten. Das ist ein enormer Wohlfahrtsgewinn, der alle begünstigt. Das Portfolio ist eine gedankliche Zusammenführung der Finanzkontrakte einer Person mit der Absicht, alle gehaltenen Wertpapiere unter einheitlicher Perspektive auszuwählen, zu gewichten und zu beurteilen. Im Gegensatz zur Portfolio-Sicht steht die Vorgehensweise, über mögliche Anlagen und Wertpapiere separat zu entscheiden. In der Praxis werden die damit verbundenen Dienstleistungen von Banken, von Vermögensverwaltungen und von FinTechs angeboten. Im Private Banking werden die Beratung sowie die Bildung und Führung von Portfolios der vermögenden Privatkundschaft mit weiteren Dienstleistungen kombiniert. Institutionelle Finanzinvestoren wie Pensionskassen und Lebensversicherungsgesellschaften wünschen ein Vorgehen nach wissenschaftlichen Prinzipien. Denn wenn Prinzipien eines „rationalen“ Portfoliomanagements befolgt werden, dann sollten sich erstens zumindest in der längeren Frist bessere Erfolge einstellen als bei einem rein subjektiven Vorgehen. Zweitens kann die Befolgung allgemein anerkannter Prinzipien der eigenen Kundschaft besser erklärt werden (als Entscheidungen, die einer persönlichen Stimmung des Portfoliomanagers folgen). Das auf Grundsätzen bester Prak- <?page no="119"?> 6.1 Markowitz 119 tiken und auf wissenschaftlichen Erkenntnissen basierende Portfoliomanagement der institutionellen Finanzinvestoren wird als Asset-Allocation bezeichnet. Immer mehr machen sich auch Privatanleger die Grundsätze der Asset-Allocation zu eigen. Eine einfache Modellierung sieht so aus: Der Finanzinvestor teilt den anzulegenden Betrag in zwei Teile auf. Erstens sind das Anlagen, die auf kurze Sicht als „sicher“ gelten (Bargeld, Kontoeinlagen, Geldmarktpapiere) und zweitens sind das Investitionen, die risikobehaftet sind. Das sind vor allem Aktien, doch auch Anleihen sind nicht ganz risikofrei. Die Grundfrage bei der Bildung eines Portfolios lautet, wie der zur Verfügung stehende Betrag auf sichere und auf risikobehaftete Wertpapiere aufgeteilt wird, also auf Bargeld und Geldmarktpapiere einerseits und auf Aktien und Anleihen andererseits. Da Aktien als Repräsentant der risikobehafteten Anlagen dienen können, ist dies die Frage nach der Aktienquote. Die Antwort hängt stark von der persönlichen Risikoaversion derjenigen Person ab, die berechtigt ist, das Anlageergebnis später entnehmen zu dürfen. Eine ganz ähnliche Frage muss sich eine Unternehmung stellen, die einerseits Eigenkapital und andererseits Fremdkapital aufnimmt. Bei der Entscheidung über die Kapitalstruktur geht es daher vor allem um die Frage, in welchem Umfang eine Finanzierung durch Eigenkapital angestrebt werden sollte, und in welchem Umfang Fremdkapital einzusetzen ist. Das ist die Frage nach dem Verschuldungsgrad. Sie steht im Kern der Bestimmung der Kapitalstruktur. Die Kapitalstruktur legt die Nachfrage nach Kapital fest, unterschieden nach Equity und Debt. 6.1.2 Portfolio-Selektion M ARKOWITZ hat nur risikobehaftete Einzelanlagen betrachtet und die Frage geklärt, wie sie gewichtet werden sollten. Diese Aufgabe hat er als Portfolio-Selektion bezeichnet. M AR- KOWITZ hat gezeigt, wie die Gewichte der zur Verfügung stehenden risikobehafteten Anlageinstrumente (kurz Aktien) optimalerweise berechnet werden können, so dass die Risiken bestens diversifiziert werden. Auch vor diesen Untersuchungen wurden diversifizierte Portfolios gebildet. Die Idee, bei Geldanlagen zu streuen, war lange zuvor bekannt. Im Talmud wurde vor 2000 Jahren empfohlen, eine Person solle ihr Vermögen in drei gleich große Teile zerlegen. Ein Teil wird liquide angelegt - wir würden heute sagen, in Geldmarktpapiere und in Staatsanleihen. Der zweite Teil sollte in Immobilien und der dritte in Geschäfte angelegt werden - wir würden heute sagen, in Aktien. Wer nach dieser Regel vorgeht, gewichtet die drei Klassen Anleihen, Immobilien und Aktien mit je 1/ 3 ohne weitere wissenschaftliche Untersuchung, also auf eine „naive“ Weise. Deshalb wird von naiver Diversifikation gesprochen. M ARKOWITZ hat drei Annahmen getroffen: 1. Dem Investor steht ein Universum von n risikobehafteten Anlagemöglichkeiten (kurz: Aktien) zur Auswahl. 2. Diese Einzelanlagen haben zufällige Renditen. Zu deren Wahrscheinlichkeitsverteilun- <?page no="120"?> 120 6. Kapitel: Portfolio-Selektion gen sind bekannt: Erstens die jeweiligen Erwartungswerte der Renditen, bezeichnet als Return. Zweitens die jeweiligen Standardabweichungen der Renditen, bezeichnet als Risk. Drittens für je zwei Einzelanlagen die paarweisen Koeffizienten der Korrelation der beiden Renditen. 3. Hinsichtlich des Verteilungstyps wurden die Renditen als gemeinsam normalverteilt angenommen. Auch wenn Markowitz diese Prämisse nicht so explizit ausgedrückt hat, wird die Normalverteilung bei den weiteren Berechnungen letztlich benötigt. Um die Verteilungsparameter - Return und Risk der Einzelanlagen sowie für die 1 / 2 n (n ) Paare die jeweiligen Korrelationskoeffizienten - zu bestimmen, wird der Investor weitere Merkmale der betrachteten Einzelanlagen erkunden, vor allem die wirtschaftlichen Perspektiven der betreffenden Unternehmen und der Allgemeinwirtschaft. Dazu wird der Investor auch die vergangenen Entwicklungen betrachten. Bei Unternehmen liefern die Bilanzen und beim Staat die gesamtwirtschaftliche Finanzstatistik Hinweise. Solche Informationen helfen, die Parameter der Renditen genauer zu schätzen. Wie das geschehen sollte, ist jedoch nicht das Thema von M ARKOWITZ . Sein Ansatz setzt die Renditeparameter als gegeben voraus. 6.1.3 Risk-Return-Diagramm Als Beispiel sollen zwei Einzelanlagen möglich sein: die Anlage in einen Aktienindex, kurz als „Aktien“ bezeichnet, und die Geldanlage in einen Bondindex. 1. Die Renditeerwartung von Aktien liegt vielleicht bei 7% und die Standardabweichung bei 20%. Aufgrund der unterstellten Normalverteilung bedeutet dies, dass die Rendite auf den Aktienindex mit 68% Wahrscheinlichkeit zwischen 7% - 20% = -13% und 7% + 20% = 27% liegen wird. 2. Für Anleihen könnte die Renditeerwartung bei 5% liegen bei einer Standardabweichung der Bondrendite von 10% (oder sogar noch etwas weniger). Wieder die Normalverteilung unterstellt, wird die Bondrendite im kommenden Jahr mit 68% Wahrscheinlichkeit eine Realisation zwischen 5% - 10% = -5% und 5% + 10% = 15% annehmen. 3. Außerdem muss der Koeffizient der Korrelation zwischen der Rendite auf den Aktienindex und der auf den Bondindex bekannt sein. Er könnte etwa bei 0,3 liegen: Oft, und der Tendenz nach, wenngleich nicht in jedem Einzelfall, bewegen sich Renditen auf Aktien und auf Anleihen gleichgerichtet. Sind für die möglichen Einzelanlagen die genannten Parameter Renditeerwartung und Risiko (Standardabweichung) bekannt, dann können die Einzelanlagen anhand dieser beiden wichtigsten Verteilungsparameter ihrer Rendite in einem zweidimensionalen Diagramm positioniert werden, dem Risk-Return-Diagramm. <?page no="121"?> 6.1 Markowitz 121 Abb. 20: Risk-Return-Diagramm M ARKOWITZ hat im Risk-Return-Diagramm das Risk (Standardabweichung der Rendite) auf der Abszisse abgetragen und den Return (Renditeerwartung) auf der Ordinate. Die Korrelationskoeffizienten werden im Risk-Return-Diagramm nicht gezeigt, doch sind sie später für die rechnerische Ermittlung der optimalen Diversifikation verlangt. Auch werden im Risk-Return-Diagramm Einzelanlagen und Portfolios lediglich anhand ihrer Renditeparameter positioniert, während die Geldbeträge (Wert des Portfolios) nicht erscheinen. Wir skizzieren den Ansatz für 2 n = Einzelanlagen. Die beiden Einzelanlagen sollen nicht als einzelne Aktien sondern als Indizes verstanden werden. Die erste Einzelanlage sei ein Aktienindex und mit A bezeichnet. Das könnte beispielsweise der DAX sein. Die zweite Einzelanlage sei ein Bondindex und dieser sei mit B bezeichnet. Die Positionierung (Bild 21) von A und B im Risk-Return-Diagramm reflektiert den Sachverhalt, dass bei Aktien sowohl das Risiko (Abszisse) als auch die Renditeerwartung (Ordinate) größer sind als bei Bonds. Aktien sind stark risikobehaftet, lassen aber eine höhere Rendite erwarten als Anleihen. Bonds unterliegen zwar ebenfalls Risiken, vor allem weil sich die Zinsen und die Schuldnerbonität ändern können. Diese Änderungen führen zu Kursschwankungen und damit zu Renditeschwankungen. Somit ist die mit Bondanlagen erzielbare Rendite unsicher. Betrachtet man nun Portfolios aus einer Kombination dieser beiden Einzelanlagen, so hat jedes dieser aus A und B zusammengesetzten Portfolios eine gewisse Rendite, und diese Rendite lässt sich anhand ihrer Verteilungsparameter im Risk-Return-Diagramm positionieren. Die Renditen aller aus A und B erzeugbaren Portfolios liegen auf einer Verbindungslinie zwischen A und B. Ist das Gewicht von A sehr hoch, ist man nahe bei A. Ist das Gewicht von B im Portfolio sehr hoch, liegt die Portfoliorendite nahe bei B. Renditeerwartung der Einzelanlage A Standardabweichung der Rendite der Einzelanlage A Standardabweichung der Renditen Erwartungswert der Renditen A <?page no="122"?> 122 6. Kapitel: Portfolio-Selektion Abb. 21: Die Renditen der aus A und B erzeugbaren Portfolios liegen im Risk-Return-Diagramm auf einer Hyperbel. Abb. 22: Illustration der Renditen der Portfolios, die aus den n Einzelanlagen erzeugt werden können. Interessant ist nun, dass die Verbindungslinie - die Position aller durch Kombination mit verschiedenen Gewichten von A und B erzeugbarer Portfoliorenditen - keine Gerade ist. Vielmehr handelt es sich um einen gewölbten Kurvenabschnitt. Er erweist sich mit etwas Mathematik als Teilstück einer Hyperbel. Die genaue Form der Hyperbel ist (neben den genannten und mit der Positionierung ausgedrückten Parametern von A und B) durch den Standardabweichung der Renditen Erwartungswert der Renditen A B Standardabweichung der Renditen Erwartungswert der Renditen <?page no="123"?> 6.1 Markowitz 123 Koeffizienten der Korrelation der Renditen von A und B bestimmt. Je geringer die Korrelation ist, desto „bauchiger“ und ausgeprägter nach links gewölbt ist die Hyperbel. Diese Wölbung und die ganz links positionieren Portfolios sind höchst willkommen: Es handelt sich um Portfolios aus A und B, die ein recht geringes Risiko aufweisen. So gibt es sogar Kombinationen von A und B, die ein geringeres Risiko als B aufweisen - der ohnehin weniger riskanten der beiden Einzelanlagen. Das am weitesten links positionierte Portfolio ist das mit dem geringsten Risiko. Es wird als Minimum-Varianz-Portfolio bezeichnet. In obiger Skizze ist das Minimum Varianz-Portfolio entweder der Bondindex B, oder aber eine Kombination, die neben dem Bondindex auch dem Aktienindex ein gewisses Gewicht gibt. Einige Beratungsfirmen, zum Beispiel OLZ in Bern, empfehlen institutionellen Investoren, die Gelder zum Minimum-Varianz-Portfolio anzulegen. Empirische Studien belegen, dass dieses Portfolio minimalen Risikos über Jahre hinweg durchaus gute Ergebnisse brachte. Die eben skizzierte Konstruktion ist analog für Portfolios möglich, die aus mehr als zwei Einzelanlagen gebildet werden. Die aus drei Einzelanlagen erzeugbaren Portfolios - wieder im Risk-Return-Diagramm anhand der Standardabweichung und des Erwartungswerts der jeweiligen Rendite positioniert - liegen nicht mehr auf einer gekrümmten Linie, sondern innerhalb und auf dem Rand einer Fläche (die wiederum von Hyperbelabschnitten begrenzt ist). Da die Investoren eine möglichst hohe Renditeerwartung schätzen und das Risiko meiden, kommt jedoch für die Portfolio-Selektion stets nur der obere Rand solcher Flächen in Frage. Bei mehr als drei Einzelanlagen ist das die obere Einhüllende aller Flächen. Dies ist die obere Hälfte der Hyperbel oder der Hyperbelstücke, die alle aus den Einzelanlagen erzeugbaren Portfoliorenditen umhüllt. Der obere Rand der Fläche, auf der die Renditen aller aus den Einzelanlagen erzeugbaren Portfolios positioniert sind, ist die Markowitzsche Effizienzgrenze (Efficient Frontier). Jede auf der Effizienzgrenze positionierte Portfoliorendite ist effizient: Ein Portfolio E heißt effizient, wenn es kein anderes Portfolio gibt, das eine höhere Renditeerwartung als E bei demselben oder geringerem Risiko hätte und wenn es kein anderes Portfolio gibt, das ein geringeres Risiko als E bei derselben oder einer höheren Renditeerwartung aufweisen würde. Die Effizienzgrenze (Bild 23) erweist sich als der obere Ast, die obere Hälfte einer nach rechts geöffneten Hyperbel. In besonderen Situationen ist die Effizienzgrenze aus Stücken von Hyperbeln zusammengesetzt. Jedenfalls wählt kein Anleger ein nicht-effizientes Portfolio, eines, das unter der Effizienzgrenze liegen würde. Welches der auf der Effizienzgrenze positionierten Portfolios ein Anleger dann schließlich wählt, hängt von der individuellen Risikoneigung ab. Ein stark risikoaverser Investor würde eine Portfoliorendite wählen, die im linken Bereich der Effizienzgrenze liegt, ein weniger risikoaverser Anleger eine weiter rechts oben positionierte Portfoliorendite. <?page no="124"?> 124 6. Kapitel: Portfolio-Selektion Abb. 23: Die Effizienzgrenze ist der obere Teil der gezeigten, hyperbolischen Kurve, die die Renditen der aus den n Einzelanlagen erzeugbaren Portfolio einhüllt. M ARKOWITZ hat Algorithmen entwickelt, um die Effizienzgrenze mit Computern zu berechnen. Die Algorithmen verwenden die Parameter der Renditen der n Einzelanlagen, also die n Renditeerwartungen, die n Standardabweichungen und die 1 / 2 n (n ) Korrelationskoeffizienten als Eingangsgrößen. Solche Algorithmen werden als Optimizer bezeichnet. Viele der in der Praxis eingesetzten Optimizer laden die Renditeparameter, die benötigten Eingangsgrößen, automatisch von Datenprovidern herunter, die sie wiederum aus historischen Kursen schätzen. Optimizer bieten eine grafische Präsentation der Ergebnisse und zusätzliche Analysemöglichkeiten. So kann mit einem Optimizer analysiert werden, wie sich die Effizienzgrenze oder die Portfoliozusammensetzung verschieben, wenn eine der Einzelanlagen nicht gewählt werden darf oder wenn die Anzahl der in die Portfolios einbezogenen Titel beschränkt wird. Einige Optimizer werden im Internet gratis angeboten, andere sind an den Bezug der Daten gebunden, für den bezahlt werden muss. Für persönliche Zwecke kann die Effizienzgrenze auch mit Excel (Solver im Menü Tools) berechnet werden. 6.2 Tobin 6.2.1 Kapitalmarktlinie M ARKOWITZ untersuchte die Portfoliobildung für Situationen, in denen alle Einzelanlagen risikobehaftet sind. Sein Ansatz wurde 1958 durch J AMES T OBIN (1918-2002) erweitert. T OBIN hat den bis dahin betrachteten n risikobehafteten Einzelanlagen eine risikolose Anlage hinzugefügt. Sie soll den Zinssatz i (wie interest) bieten. Hinweis: Oft wird dieser Standardabweichung der Renditen Erwartungswert der Renditen <?page no="125"?> 6.2 Tobin 125 Zinssatz mit f r bezeichnet, was für rate free of risk steht. Wir bleiben in diesem Buch aber bei der Bezeichnung i für den Zinssatz. Selbstverständlich gibt es im Modell eines gut funktionierenden Finanzmarkts nicht zwei sichere Anlagen mit unterschiedlichen Zinssätzen. Denn andernfalls wäre Arbitrage möglich. Es macht Sinn, die risikobehafteten Anlagen gedanklich zu einer Gruppe zusammenzufassen. Der Anleger kann folglich sein Portfolio aus zwei Teilen zusammensetzen: Der erste Teil wird risikolos zum Zinssatz i angelegt. Der zweite Teil setzt sich aus den risikobehafteten Einzelanlagen zusammen (also zum Beispiel aus A und B sowie eventuell aus weiteren Anlagen). Dieser Teil soll als Risikoportfolio bezeichnet werden. Nun zeigt sich: Alle Portfolios, die aus diesen beiden Teilen bestehen, werden im Risk- Return-Diagramm auf einer Geraden mit dem Achsenabschnitt i positioniert. Die Steigung dieser Geraden hängt von der Zusammensetzung des Risikoportfolios ab. Wenn ein Anleger sein ganzes Geld risikolos anlegt, wird sein Portfolio im Risk-Return- Diagramm ganz links im Punkt (x = 0, y = i) liegen. Will der Finanzinvestor eine höhere Rendite als i erwarten dürfen, muss er Risiko in Kauf nehmen. Das heißt, er muss sich auf der Geraden im Risk-Return-Diagramm nach rechts bewegen. Da der Anleger risikoavers ist, wird er das Risikoportfolio so zusammenstellen, dass die Steigung der Geraden, auf der die Renditen aller Kombinationen zwischen der risikolosen Anlage und dem Risikoportfolio positioniert sind, möglichst groß ist. Die Steigung der Geraden ist dann maximal, wenn sie die Effizienzgrenze berührt, so wie in Bild 24 dargestellt. Das Risikoportfolio in diesem Tangentialpunkt trägt die Bezeichnung M. Die Tangente an die Markowitzsche Effizienzgrenze im Risk-Return-Diagramm heißt Kapitalmarktlinie (Capital Market Line, CML). Bis auf das Tangentialportfolio M selbst, das auch auf der Effizienzgrenze liegt, sind alle auf der CML positionierten Portfoliorenditen jenen auf der Markowitzschen Effizienzgrenze überlegen. Für jede Stufe von Risiko gibt es auf der CML ein Portfolio, das mit einer noch höheren Renditeerwartung verbunden ist, als das diesem Risiko entsprechende Portfolio auf der Effizienzgrenze. <?page no="126"?> 126 6. Kapitel: Portfolio-Selektion Abb. 24: Die Tangente an die Markowitzsche Effizienzgrenze ist die CML. 6.2.2 Marktportfolio Wir betrachten nun nicht nur einen Anleger, sondern alle Anleger eines Wirtschaftsraumes und treffen zwei Voraussetzungen: Erstens sollen alle in gleicher Weise zu den zuvor genannten Anlagemöglichkeiten Zugang haben. Für alle soll derselbe Zinssatz gelten. Zweitens sollen alle Investoren die Parameter Risk und Return sowie die Korrelationskoeffizienten übereinstimmend schätzen. Diese Annahme übereinstimmender Einschätzungen der Renditeparameter wird als homogene Erwartungsbildung angesprochen. Unter diesen Annahmen werden alle Anleger die Tangente, die CML, in identischer Weise bestimmen. Alle hätten dasselbe, mit M bezeichnete Portfolio als „Tangentialportfolio“ für sich bestimmt. Bei dieser Schlussfolgerung spielt weder die individuelle Risikoaversion eine Rolle noch der individuell zur Verfügung stehende Anlagebetrag. Weil alle Investoren (aufgrund der homogenen Erwartungen) auf dasselbe Tangentialportfolio kommen, ist es ein Portfolio, das den gesamten Markt prägt. Es wird als Marktportfolio bezeichnet. Weil bei homogener Erwartungsbildung alle Personen dieselbe CML als Ort effizienter Portfoliorenditen erkennen, wählt jeder von ihnen ein persönliches Portfolio, dessen Rendite auf der CML liegt. Dabei bleiben nur diese Unterschiede zwischen den Anlegern: Wer stärker risikoavers ist, wählt eher ein Portfolio mit einer Rendite links unten auf der CML. Wer weniger risikoavers ist, wählt eher ein Portfolio mit einer Rendite weiter rechts oben auf der CML. Klar ist: Wer mehr Geld anzulegen hat, der hat dann auch ein Portfolio mit höherem Wert. Doch für jeden Finanzinvestor ist die Rendite des persönlichen Portfolios auf der CML positioniert. Für jeden Anleger ist die Portfoliorendite daher eine Kombination des Zinssatzes und der Rendite des Marktportfolios M. Standardabweichung der Renditen Erwartungswert der Renditen Zinssatz <?page no="127"?> 6.2 Tobin 127 Die Gewichte bei dieser Kombination werden durch die individuelle Risikoaversion bestimmt. Mit anderen Worten: Jeder Anleger legt einen Teil seines Geldes risikofrei zum Zinssatz i und den anderen Teil in das Tangentialportfolio M an. Alle Anleger strukturieren die risikobehafteten Teile ihrer jeweiligen Portfolios identisch, nämlich so, wie das Tangentialportfolio oder eben das Marktportfolio sich aus den n Einzelanlagen zusammensetzt. Beispiel: Zwar gibt der Anleger Mayer 45.000 Euro in die verzinsliche Anlage und 5.000 Euro in Aktien, die Anlegerin Steiner hingegen 100.000 Euro in die verzinsliche Anlage und 900.000 Euro in Aktien. Doch die von Mayer in Aktien gehaltenen 5.000 Euro setzen sich mit identischer Gewichtung aus den n risikobehafteten Einzelanlagen zusammen, wie die von Steiner in Aktien gehaltenen 900.000 Euro. Die Aufgabe der Portfolio-Selektion für einen konkreten Anleger zerfällt also in zwei Teilaufgaben: 1. Die Bestimmung der Zusammensetzung des Marktportfolios M. 2. Die Bestimmung des Portfolios auf der CML, das den persönlichen Nutzen des Anlegers maximiert. Die Aufgaben können voneinander getrennt gelöst werden. Dabei ist die erste Teilaufgabe für alle Anleger identisch und muss daher nur einmal gelöst werden. Um die erste Aufgabe lösen zu können, muss man zuvor konkreten Anlegern auch nicht begegnet sein. Nur die Finanzmarktdaten und ein Optimizer werden benötigt. Die zweite Aufgabe läuft häufig innerhalb einer Kundenberatung oder der persönlichen Finanzplanung für einen konkreten Kunden ab. Aufgrund der Trennbarkeit der beiden Teilaufgaben wird die vorgetragene Argumentation als Separationstheorem von T OBIN bezeichnet. 6.2.3 Anlageberatung, Portfoliomanagement und Investmentfonds Die Trennbarkeit (Separation) der beiden Aufgaben bei der Portfolio-Selektion hat sich überall auf die Vermögensverwaltung ausgewirkt. Inzwischen ist die organisatorische Trennung der Prozesse in Anlageberatung und Finanzplanung einerseits und in das Portfoliomanagement andererseits beste Praxis: Das Portfoliomanagement widmet sich der Zusammenstellung des Risikoportfolios. Im Kern wird das Marktportfolio bestimmt und eventuell aufgrund der Empfehlungen der Finanzanalyse etwas variiert. Bei dieser Aufgabe spielt die Risikoneigung der Investoren keine Rolle. Die Anlageberatung hat die Aufgabe, kundenindividuell die finanziellen Verhältnisse und die jeweilige Risikoeinstellung zu erheben, und dann die nutzenmaximale Aufteilung des Portfolios in einen risikobehafteten und einen risikofreien Teil zu empfehlen. Das Separationstheorem von T OBIN bildet folglich die Grundlage für Investmentfonds, die beispielsweise Aktienquoten von 30% oder 60% verwirklichen. Die Separation zeigt <?page no="128"?> 128 6. Kapitel: Portfolio-Selektion sich ebenso in Indexfonds, so auch in einem Exchange Traded Funds (ETF), den viele Personen kaufen und dann in individuell unterschiedlicher Gewichtung mit sicheren Anlagen kombinieren. Das Separationstheorem unterstreicht, dass allen Anlegern die gleichen Investmentfonds und Indexfonds angeboten werden können, während die Kundenindividualität eine persönliche Kombination oder Gewichtung dieser von allen verwendeten Bausteine verlangt. Die Finanzindustrie bringt es mit sich, dass heute Tausende von Investmentfonds angeboten werden. Die Identifikation der „risikolosen“ Anlagen ist in der Praxis nicht immer so leicht möglich. Die verzinsliche Anlage ist nur risikofrei, wenn erstens die Zinsbindungsfrist mit dem Horizont übereinstimmt, der für die Portfolio-Selektion gewählt wurde, und wenn zweitens keine Ausfallgefahr besteht. Oft wird für die Dauer der Anlage stillschweigend ein Jahr unterstellt. Menschen unterliegen einem Jahresrhythmus, und viele Privatinvestoren stellen ihr Portfolio für ein Jahr zusammen. In diesem Fall ist die Rendite der risikofreien Anlage der Einjahreszinssatz. In der Praxis verfahren die meisten Vermögensverwaltungen so, dass sie eine absolut risikofreie Anlage als nicht möglich ansehen. Stattdessen fassen sie selbst Geldmarktinstrumente als (leicht) risikobehaftet auf und beziehen sie in die Menge aller risikobehafteten Einzelanlagen ein. Anschließend werden die effizienten Portfolios nach dem Verfahren von M ARKOWITZ berechnet. 6.2.4 Portfolios mit Währungsrisiken Die Selektion eines Portfolios, das international diversifizieren soll, stellt besondere Ansprüche. Erstens treten Währungsrisiken hinzu. Doch nicht alle Indexfonds sichern Währungsrisiken ab. Zweitens wird die Thematik der (korrekten) Versteuerung von Kapitalerträgen ungleich komplexer, und die individuelle Besteuerung beeinflusst die Nach-Steuer- Renditen, auf die es eigentlich ankommt. Drittens werden die Kosten für die Beobachtung ausländischer Titel und für den Handel an einer geeigneten Börse deutlich höher. Viertens können Gesetze die Selektion ausländischer Wertpapiere einschränken. Das hat besonders bei institutionellen Kapitalanlegern Bedeutung. Trotz dieser vier Punkte haben Finanzinvestoren die Möglichkeit, ihre Risiken durch eine internationale Streuung der Anlagen weiter zu verringern und dabei vielleicht sogar die Renditen zu erhöhen. Die internationale Ausrichtung von Portfolios dominiert, und ist besonders den Investoren aus wirtschaftlich kleineren Ländern zu empfehlen. Die Berechnung der Effizienzgrenze läuft auch bei internationalen Portfolios, die Währungsrisiken enthalten, auf eine Optimierung hinaus. Es wird für ein jedes Risikoniveau dasjenige Portfolio bestimmt, das die maximale Renditeerwartung aufweist. Eine solche Berechnung der Effizienzgrenze ist hier im Ergebnis gezeigt (Bild 25). Als mögliche Einzelanlagen wurden verschiedene Assetklassen gewählt wie Geldmarktinstrumente, Anleihen, Aktien. Es zeigt sich, dass die Effizienzgrenze links durch die Geldmarktanlage bestimmt ist. Bei einer Bewegung auf der Effizienzgrenze nach rechts oben (mehr Risiko, mehr Renditeerwartung) werden die Geldmarktanlagen zunächst durch Anleihen abgelöst und diese bei weiterer Bewegung nach rechts oben durch die Aktienanlagen. Erfolgt eine Optimierung (Berechnung der Effizienzgrenze) über verschiedene Assetklassen und Länder, wirken aufgrund der Währungsrisiken die ausländischen Klassen von <?page no="129"?> 6.2 Tobin 129 Wertpapieren etwas risikobehafteter als die inländischen. Häufig sind dann im jeweils unteren Bereich (links) der Effizienzgrenze die einheimischen Wertpapiergruppen und rechts oben die ausländischen Assetklassen stärker gewichtet, vergleiche Bild 25. Abb. 25: Effizienzgrenze internationaler Anlagen Dies belegt die tatsächlich berechnete Portfoliooptimierung. Die Rechnung ist zweimal vorgenommen, und zwar für die Referenzwährungen Euro und Schweizerfranken. Es sei angenommen, dass der Anleger jeweils in Anleihen und Aktien der Länder Schweiz, UK, USA, Japan und Deutschland investieren kann. Zusätzlich soll es dem Anleger möglich sein, die Währungsrisiken beim britischen Pfund, beim US-Dollar und beim japanischen Yen absichern (hedgen) zu können. Solche Absicherungen von Währungsrisiken verbessern die Relation zwischen Renditeerwartung und Risiko. Da wir die Risikoaversion des Investors nicht kennen, sind alle Portfolios auf der Effizienzgrenze zu diskutieren. Die Effizienzgrenze beginnt links mit dem Portfolio, dessen Rendite unter allen effizienten Portfolios die geringste Standardabweichung aufweist, also dem Minimum-Varianz-Portfolio (MVP). Mit einer Bewegung auf der Effizienzgrenze nach rechts oben kommen zunächst japanische sowie amerikanische und britische Bonds hinzu, bis nur noch amerikanische Bonds verbleiben und bei weiterer Bewegung auf der Effizienzgrenze ihrerseits durch Aktien verdrängt werden. Das Portfolio rechts oben besteht schließlich nur aus US-Aktien. Für jede Assetklasse wurde das minimal mögliche Gewicht auf 0% und das maximale Gewicht auf 100% beschränkt (keine Leerverkäufe). Alle professionellen Vermögensverwalter verfügen heute über diese Kenntnisse. Sie haben die Werkzeuge zur Berechnung effizienter Portfolios, sogenannte Optimizer, und sie können auf die erforderlichen Daten zugreifen. <?page no="130"?> 130 6. Kapitel: Portfolio-Selektion Abb. 26: Zusammensetzung effizienter Portfolios für verschiedene Niveaus von erwarteter Rendite 6.3 Portfoliotheorie, Risk-Ruler und Robo-Advice 6.3.1 Rekapitulation Die Moderne Portfoliotheorie (MPT) geht von einigen Annahmen aus, die der Vereinfachung dienen. Dennoch wird die Aufgabe eines Finanzinvestors, ein persönlich geeignetes Portfolio zusammenzustellen, in wichtigen Grundzügen gut erfasst: 1. Der Investor trifft seine Entscheidung zu Beginn einer gewissen Anlageperiode (die und deren Länge nicht weiter präzisiert wird). 2. Zur Wahl stehen verschiedene Anlagemöglichkeiten. Die Geldbeträge, die in jeder dieser Anlagen investiert werden, können beliebig gewählt werden. Investitionen werden als rein finanzielle Beteiligungen betrachtet. Insbesondere gibt es keine Mindestbeträge. Stimmrechte etwa spielen keine Rolle. 3. Die Präferenz des Investors konzentriert sich auf die zu erwartende Rendite und auf das Risiko. 4. Die zukünftigen Renditen sind unsicher und werden als Zufallsvariable beschrieben. Die Betonung liegt auf zwei Parametern der Wahrscheinlichkeitsverteilungen dieser Zufallsvariablen: Renditeerwartung („Return“) und Standardabweichung der Rendite („Risk“). 5. Da es nur auf diese beiden Parameter der Portfoliorendite ankommt (und weitere Aspekte unberücksichtigt bleiben), können alle zur Verfügung stehenden Einzelanlagen sowie die aus ihnen erzeugten Portfolios anhand der beiden Renditeparameter Risk und Return in einem zweidimensionalen Diagramm positioniert werden. Selbstverständlich ist ein geringeres Risk bevorzugt ebenso wie ein höherer Return. Interessant und letzt- <?page no="131"?> 6.3 Portfoliotheorie, Risk-Ruler und Robo-Advice 131 lich allein infrage kommen Portfolios, deren Renditen hinsichtlich Risk und Return nicht dominiert sind. Das sind die effizienten Portfolios. Die beiden Verteilungsparameter Erwartungswert und Standardabweichung sollen vorweg gegeben sein. Weitere Dimensionen der Unsicherheit und des Risikos bei Investitionen werden nicht betrachtet. Beispielsweise wird nicht direkt thematisiert, ob die Investition bestimmte Haftungen mit sich bringt oder nicht. Allerdings drücken sich weitere Unsicherheiten einer Investition finanziell als geringere Rendite aus. Deshalb sind auch diverse weitere Risiken in der Standardabweichung mit erfasst. Da praktisch immer mehrere Einzelanlagen in ein Portfolio aufgenommen werden, kommt es auf die zufälligen Renditen der Einzelanlagen sowie auf deren Interaktion an. Die Portfoliorendite ist ebenso unsicher wie die Rendite der Einzelanlagen und folglich als Zufallsvariable beschreibbar. Die Portfoliorendite ist gleich der gewichteten Summe der einzelnen Zufallsgrößen, welche die Renditen der Einzelanlagen beschreiben. Folglich ist der Return des Portfolios (Erwartungswert der unsicheren Portfoliorendite) gleich der gewichteten Summe der Returns der Einzelanlagen. Die Varianz der Portfoliorendite ist gleich der gewichteten Summe der Varianzen der Einzelanlagen plus der Doppelsumme über alle Kovarianzen. Deshalb müssen in der Modernen Portfoliotheorie auch die Koeffizienten der Korrelation zwischen allen Paaren von Einzelanlagen gegeben sein. M ARKOWITZ hat alle Einzelanlagen sowie die aus ihnen erzeugbaren Portfolios anhand der beiden Parameter Risk und Return in einem zweidimensionalen Diagramm positioniert. Die nicht dominierten Portfolios bilden die Effizienzgrenze. Sie ist das Stück einer Parabel (oder aus mehreren Parabelstücken zusammengesetzt). Als Erweiterung hat J AMES T OBIN neben den risikobehafteten Anlagen auch eine sichere Anlage (zum Zinssatz) als möglich betrachtet. Dann gewinnt die Kapitalmarktlinie (Capital Market Line, CML) Bedeutung: 1. Alle effizienten (nicht dominierten) Portfolios sind auf der CML positioniert. 2. Die CML verbindet als Gerade die Position der sicheren Anlage mit der Position des Marktportfolios. Das Marktportfolio ist jenes Portfolio, bei dem die CML die Tangente an die Markowitzsche Effizienzgrenze bildet. 3. Folglich kommen als Portfolios nur noch jene infrage, die Kombinationen des Marktportfolios und der sicheren Anlage sind. Solange alle Finanzinvestoren dieselben Erwartungen (hinsichtlich der Renditeparameter haben) und sofern für sie derselbe Zinssatz maßgeblich ist was in einem offenen Markt der Fall ist gelangen sie zu übereinstimmenden Berechnungen des Marktportfolios. Somit unterscheiden sich Finanzinvestoren nur hinsichtlich der persönlichen Gewichtung der sicheren Anlage. Der risikobehaftete Teil des Portfolios ist hingegen bei allen Investoren übereinstimmend zusammengesetzt. <?page no="132"?> 132 6. Kapitel: Portfolio-Selektion 6.3.2 Folgen für die Vermögensverwaltung Ein Privatinvestor hat nur zwei Aufgaben zu lösen, um das persönliche Portfolio festzulegen: Erstens müsste der Investor wählen, welcher Teil des Finanzvermögens „sicher“ zum Zinssatz angelegt werden soll. Damit wird festgelegt, wie hoch der restliche Teil ist, der dann „risikobehaftet“ angelegt wird. Zweitens müsste die Gewichtung der risikobehafteten Anlagen bestimmt werden. T OBIN zeigte, dass die zweite Aufgabe für alle Investoren in identischer Weise gelöst wird, nämlich durch das Marktportfolio. Wenn alle Investoren den gleichen Zugang zu Informationen haben und wenn die Finanzmärkte für alle offen sind, dann gelangen alle Investoren zum selben Marktportfolio. Die erste Aufgabe zu lösen verlangt es, die persönliche Risikoaversion oder ihren Kehrwert, die Risikotoleranz zu bestimmen. Hinsichtlich der persönlichen Risikoaversion unterscheiden sich die Privatinvestoren auf ganz natürliche Weise, ähnlich wie sie hinsichtlich anderer Güter unterschiedliche Präferenzen haben. Die jeweilige Risikoaversion wird zweifellos auch durch die persönliche finanzielle Situation, die Erfahrung mit Unsicherheit, und vielleicht auch durch das Alter bestimmt. Eine bekannte Faustformel empfiehlt einem Privatableger, den Prozentsatz der risikobehafteten Anlagen (Aktien) gleich 100 minus Alter zu wählen. Die Risikoaversion wird in der Beratung durch Befragung identifiziert. Früher wurde die Risikoeinstellung einer Kundin oder eines Kunden in der Vermögensverwaltung von der Beratung anhand gewisser Indizien herausgefunden, die sich leichter beobachten oder erfragen lassen. Beispielsweise wurden die Anlegerinnen und Anleger im Erstgespräch gefragt, ob sie es psychisch aushalten würden, wenn ihr Kapitaleinsatz in einem Jahr um 10% zurückginge. Oder sie wurden gefragt, ob sie sich wohlfühlen könnten, wenn ihr Portfolio zur Hälfte in Aktien investiert wäre. Ein weiterer Aspekt tritt hinzu: Die Risikoaversion wird nicht allein von einer psychischen Haltung gegenüber Risiken bestimmt, sondern ebenso von der finanziellen Situation. Wer alsbald Ausgaben tätigen muss und kaum über „freie“ Mittel verfügt, muss Vorsicht walten lassen, wenn sich risikobehaftete Anlagen bieten. Vor wenigen Jahrzehnten verliefen die Gespräche zur Bestimmung der persönlichen Risikoaversion sehr informell, doch inzwischen sind die Befragungen standardisiert. Die Fragenkataloge werden periodisch mit empirischen Methoden validiert. Heute stehen verschiedene Listen von Fragen zur Verfügung, sogenannte Risk-Ruler, die zuverlässig und hinreichend genau die persönliche Risikoaversion eines Neukunden herausfinden. Die Aufsicht verlangt, dass solche Risk-Ruler von einer Vermögensverwaltung im Erstgespräch eingesetzt werden, dass die Ergebnisse dokumentiert und die Konsequenzen für die Geldanlage mit der Kundin oder dem Kunden besprochen werden. Personen mit ausgeprägter Risikoaversion werden ein Portfolio für sich am besten finden, das ein hohes Gewicht auf die sicherere Anlage legt und dem Marktportfolio nur geringes Gewicht gibt. Personen mit geringer Risikoaversion werden von ihren Mitteln nur einen geringen Teil sicher anlegen und den größeren Teil für risikobehaftete Instrumente (Aktien) vorsehen (die dann wiederum dem Marktportfolio entsprechend strukturiert werden). <?page no="133"?> 6.3 Portfoliotheorie, Risk-Ruler und Robo-Advice 133 Beraterinnen und Berater in der Vermögensverwaltung übernehmen selbstverständlich weit mehr Aufgaben als die, einen Risk-Ruler einzusetzen und die so bestimmte Risikoaversion mit der Kundschaft zu besprechen. Hier sind drei Aufgabenbereiche zu nennen: 1. Die Finanzberatung bietet bei Bedarf finanznahe Zusatzleistungen. Sei es, dass Kunden professionelle und häufige Berichte wünschen, oder dass sie juristische Beratung oder Hinweise in besonderen Lebenssituationen erwarten. Ein großes Thema bei vermögenden Kunden ist die Planung des Nachlasses. 2. Die Finanzberatung begleitet die Anleger über die Zeit hinweg. Die Begleitung ist vor allem in schwierigen Marktsituationen angebracht, um Bedachtsamkeit zu behalten. Unbetreute Anleger neigen zu hektischen Änderungen ihrer Portfolios, die sich in einem Beratungsgespräch als unvernünftig herausstellen und folglich vermieden werden. 3. Die Finanzberatung kann Anlegern dabei helfen, die persönlich richtige Balance zwischen zu viel und zu wenig sparen herauszufinden immer im Hinblick auf persönliche Lebensziele. Doch das sind Punkte, die in der MPT nicht thematisiert werden. Allerdings ist eine fachkundige und hinreichend individualisierte Beratung mit Kosten verbunden. Und zudem ist nicht immer transparent, welchen Nutzen Zusatzleistungen haben, wo die Vorteile einer Kundenbegleitung liegen, und welchen Sinn es macht, wenn die Finanzberatung sanft darauf verweist, die Lebensziele nicht aus dem Auge zu verlieren. Deshalb sind andere Wege und Institutionen entstanden und geschaffen worden, die weitgehend ohne direkte menschliche Beratung und Begleitung auskommen. Dazu gehören der Discount Broker und der Robo-Advisor. 6.3.3 Robo-Advice Anfangs sind einige Risk-Ruler im Internet zugänglich gemacht worden. Alle Vermögensverwaltungen, deren Schwerpunkt der Verkauf von Anlagefonds im Online Banking ist, führen Neukunden durch die obligatorische Beantwortung der Fragen eines Risk-Rulers. Außerdem werden Risk-Ruler in Printmedien angeboten. Deshalb kann jede Privatperson auch ohne menschlichen Berater die persönliche Risikoaversion bestimmen. Da die Lösung der zweiten Aufgabe allgemein bekannt ist, eben durch die Zusammensetzung des Marktportfolios, könnte der Privatinvestor recht schnell zum persönlich besten Portfolio gelangen: Der Risk-Ruler legt fest, welcher Teil des Geldvermögens sicher (in dem Geld nahen Anlagen) gehalten werden soll, während der Rest in ein Instrument (Fonds, ETF, Indexkontrakt) investiert wird, das den Verlauf des Marktindexes nachbildet. Allerdings sind die Menschen anspruchsvoller geworden. Daher haben trotz der Risk- Ruler und der Instrumente, die dem Marktindex entsprechen, persönliche Kundenberater und Beraterinnen nach wie vor wichtige Aufgaben bei der Begleitung der Privatkundschaft. Dass eine fachkundige und individuelle Begleitung in Finanzangelegenheiten, eventuell ergänzt um weitere Dienstleistungen, Kosten verursacht, wurde bereits angedeutet. Die <?page no="134"?> 134 6. Kapitel: Portfolio-Selektion Verwaltung eines Finanzvermögens kostet daher insgesamt zwischen 1% und 2% pro Jahr, und bei Inanspruchnahme eines Family Offices sind die Kosten noch höher. Besonderer Aufwand ist mit der persönlichen Beratung verbunden. Einige Banken und Vermögensverwalter haben daher versucht, eine Zwischenstufe zwischen der stark vereinfachenden Welt der Modernen Portfoliotheorie einerseits und dem vollen Finanzservice mit persönlich zugeordneten und ständig verfügbaren Experten andererseits in stark standardisierter Form zu etablieren. Diese Zwischenform ist der Robo-Advice. Der Roboter besteht aus einem Programm, das ausgereift ist und zahlreiche Situationen differenziert beurteilen kann und welches des Weiteren aktuelle Marktinformationen einbezieht. Mehr noch: Mit KI können Muster erkannt werden, und die Portfoliozusammenstellung kann an erkannten Mustern von Kursen und von wirtschaftlichen Größen ausgerichtet werden. Der Robo-Advice ist persönlich zugeschnitten, differenziert, und beruht auf aktuellen Daten und Mustern. Robo-Advice ist in vielen Bereichen kompetent, die von der Situation an den Finanzmärkten bis hin zur Rechtsprechung reichen. Zudem bietet ein guter Robo- Advice Dialogmöglichkeiten. Sie sind deutlich näher an der aktuellen Wirklichkeit von Gesprächen als die früheren Risk-Ruler. Derzeit werden im deutschen Sprachraum um die 20 Anlage-Roboter angeboten, darunter Quirion (von der Quirin Bank) und Visualvest (von Union Investment). Einige Finanzhäuser werben zwar mit einem Robo-Advice, doch dieser bietet oftmals kaum mehr als die Fragen eines Risk-Rulers. Ein solchermaßen einfacher Roboter bezieht keine Analyse der aktuellen Marktsituation ein. Fortschrittlichere Roboter zeigen aktuelle Finanzmarktinformationen, die für die Anlegerperson relevant sind. Mit besser ausgebautem Robo-Advice rückt die durch menschliche Berater und Beraterinnen erbrachte Zusatzbetreuung weiter in den Hintergrund. Allerdings sind die derzeit entwickelten Computerprogramme in keiner Weise so verständnisvoll und als Begleitung perfektioniert und akzeptiert wie ein Mensch. 1. Besonders Anlegerinnen und Anleger, die sich vielleicht leichter durch die Situation an den Finanzmärkten emotional beeinflussen lassen, sollten besser auf eine finanzielle Begleitung setzen, die durch eine Person des Vertrauens wahrgenommen wird. 2. Ähnliches gilt für Personen, die vor finanziellen Entscheidungen stehen, die eine ausgesprochen komplexe Beratung verlangen, etwa beim Hauskauf, bei Versicherungsverträgen, bei Finanzierungen von Firmengründungen und bei der Planung des Nachlasses. Und selbstverständlich bietet ein Roboter nicht die Dienste, die von einem Family Office erbracht werden und die der Erleichterung und Verbesserung des Lebens der wohlhabenden Klientele dienen. <?page no="135"?> 6.4 Fazit des Kapitels Portfolio-Selektion 135 6.4 Fazit des Kapitels Portfolio-Selektion 6.4.1 Zusammenfassung Die Moderne Portfolio Theorie (MPT) geht auf M ARKOWITZ zurück: Das Anlageuniversum wird durch die Renditen der Einzelanlagen beschrieben, die als Zufallsgrößen aufgefasst werden. M ARKOWITZ betrachtet nur risikobehaftete Anlagemöglichkeiten. Die Verteilungsparameter der Wahrscheinlichkeitsverteilungen werden als bekannt vorausgesetzt. Insbesondere soll für jede der risikobehafteten Einzelanlagen der Erwartungswert und die als Risk bezeichnete Standardabweichung der Rendite gegeben sein. Anhand dieser beiden Parameter können die Einzelanlagen in einem Risk-Return-Diagramm positioniert werden. Zusätzlich sollen für alle Paare von Einzelanlagen die Koeffizienten der Korrelation der Renditen bekannt sein. Von ihnen hängt ab, wie deutlich die Diversifikation wirkt, wo also im Risk-Return-Diagramm die aus Einzelanlagen gebildeten Portfolios positioniert sind. M ARKOWITZ hat gezeigt, dass nicht alle erzeugbaren Portfolios hinsichtlich Risk (unerwünscht) und Return (erwünscht) effizient sind. Die Effizienzgrenze, der geometrische Ort aller effizienten Portfolios, ist ein Hyperbelabschnitt (oder setzt sich aus mehreren Hyperbelabschnitten zusammen). Optimizer können die effizienten Portfolios berechnen, ihre Positionen am Monitor darstellen und weitere Auswertungen unterstützen. Abgesehen von der grundlegenden Konzeption der MPT hat M ARKOWITZ auch zu den Algorithmen für Optimizer gearbeitet. Doch er hat sich nicht mit der Frage näher auseinandergesetzt, wie die Renditeparameter ökonometrisch aus historischen Daten geschätzt werden können. T OBIN hat diesen Ansatz erweitert, indem er die risikobehafteten Einzelanlagen durch eine risikofreie Anlagemöglichkeit (zum Zinssatz) ergänzt hat. In diesem erweiterten Anlageuniversum ist die Effizienzgrenze der Abschnitt einer Geraden, der sogenannten Kapitalmarktlinie (CML). Das allein aus risikobehafteten Anlagen zusammengestellte, effiziente Portfolio ist im Risk-Return-Diagramm dort positioniert, wo die CML die Markowitzsche Effizienzgrenze berührt. Dieses Tangentialportfolio heißt Marktportfolio. Im Risk-Return- Diagramm verbindet die CML den Zinssatz (kein Risiko) mit dem Marktportfolio. Aus dieser Erweiterung von T OBIN ergibt sich die Möglichkeit, die Portfolio-Selektion in zwei Aufgaben zu zerlegen. Eine Aufgabe besteht darin, das Marktportfolio zu ermitteln. Dazu muss nichts über die persönliche Präferenz (Risikoaversion) eines Finanzinvestors bekannt sein, denn das Marktportfolio ist (unter gewissen Zusatzannahmen) für alle Kapitalanleger dasselbe. Eine zweite Aufgabe muss in der Beratung kundenindividuell angegangen werden: Anhand der persönlichen Risikotoleranz eines Investors wird das persönlich nutzenmaximale Portfolio auf der CML bestimmt. Diese Tobin-Separation (der beiden Aufgaben) hat heute die praktische Organisation der Vermögensverwaltung geprägt. Das Portfoliomanagement und die Anlageberatung haben sich getrennt und auf jeweils eine der beiden Aufgaben spezialisiert. <?page no="136"?> 136 6. Kapitel: Portfolio-Selektion 6.4.2 Lernpunkte 1. Die Grundannahmen, die M ARKOWITZ getroffen hatte, um die Aufgabe der Portfolio-Selektion mit mathematischen Mitteln zu lösen. 2. Die Idee der Effizienzgrenze und die Berechnung effizienter Portfolios mit einem Optimizer. 3. Die Erweiterung dieses Ansatzes durch die Annahme der Möglichkeit einer risikofreien Anlage und die Charakterisierung der Kapitalmarktlinie als neue Effizienzgrenze durch T OBIN . 4. Die Tobin-Separation und ihre große praktische Bedeutung in der Vermögensverwaltung. 6.4.3 Erwähnte Namen H ARRY M ARKOWITZ , J AMES T OBIN . 6.4.4 Schlüsselbegriffe Anlageberatung, effizientes Portfolio, Effizienzgrenze, Investmentfonds, Kapitalmarktlinie (Capital Market Line, CML), Marktportfolio, Minimum Variance Portfolio (MVP), Naive Diversifikation, Kapitalstruktur, optimale Diversifikation, Optimizer, Portfolio, Portfoliomanagement, Portfolio-Selektion, Risikoportfolio, Risk-Return-Diagramm, Robo-Advice. 6.4.5 Fragen zur Lernstandskontrolle 1. Hauptgrund für die Bildung von Portfolios ist die Diversifikation. Wie lautet die Empfehlung bei „naiver“ Diversifikation? [Antwort: Abschnitt 6.1.2] 2. Richtig oder falsch? a) Im Risk-Return-Diagramm werden die als zufällig betrachteten Renditen von Einzelanlagen oder von Portfolios anhand der beiden Parameter Risk (Standardabweichung) und Return (Erwartungswert der Rendite) positioniert. b) Werden zwei Anlagen positioniert, dann ist der Koeffizient der Korrelation der beiden Renditen nicht aus dem Risk-Return-Diagramm ersichtlich. c) Der Koeffizient der Korrelation hat aber entscheidenden Einfluss auf die Positionen von Portfolios, die aus zwei Einzelanlagen gebildet werden. [Antwort: alles korrekt] 3. a) Stellen Sie die Ansätze und Ergebnisse der Arbeiten von H. Markowitz und von J. T OBIN in Grundzügen dar! b) Inwiefern haben bei T OBIN alle Investoren übereinstimmend zusammengesetzte Risikoportfolios? c) Haben die Marktteilnehmer auch dann noch identisch zusammengesetzte Risikoportfolios, wenn sie nicht alle denselben Erwartungen (Informationen und Einschätzungen der Renditeparameter) hinsichtlich der unsicheren Renditen folgen? d) Inwiefern schafft das Separationstheorem von T OBIN die Grundlage für die Trennung von Portfoliomanagement und Anlageberatung? [Antworten: Abschnitt 6.1.4] <?page no="137"?> 6.4 Fazit des Kapitels Portfolio-Selektion 137 4. a) Wie ist das Minimum Varianz Portfolio (MVP) definiert? [Antwort: Abschnitt 6.1.6]. b) Wenn als zwei Einzelanlagen der Aktienindex und der Bondindex betrachtet werden sowie aus diesen Einzelanlagen erzeugte Portfolios, hat dann das MVP ein geringeres Risiko als Bonds? c) Hat das MVP einen höheren Return im Vergleich zu Bonds? [Antwort: Abschnitt 6.1.3] 5. Auch das aus den Finanzierungen einer Unternehmung bestehende und vom Management der Unternehmung zusammengestellte Portfolio sollte in einem gewissen Sinn „gut diversifiziert“ sein. Welche Risiken sehen Sie, die einer Unternehmung aus den von ihr aufgenommenen Finanzierungen entstehen können? [Antwort: Abschnitt 6.1.1] <?page no="139"?> 7. Kapitel: Die Kapitalstruktur Auch die Verwender von Kapital, die Unternehmen, bilden Portfolios aus mehreren Finanzkontrakten, um Unsicherheiten zu diversifizieren, die aus den eingeräumten Rechten und den Forderungen der Geber von Kapital folgen. Nur sind die Portfolios aus Finanzierungen gebildet. Die Zusammenstellung des „Finanzierungsportfolios“ einer Unternehmung aus einzelnen Finanzierungsverträgen oder aus den wichtigsten Gruppen von Finanzkontrakten wird als Kapitalstruktur bezeichnet. Die Frage ist, wie die kapitalnehmende Unternehmung mehrere Finanzierungen kombiniert, damit sich die mit Finanzierungen verbundenen Risiken am besten ausgleichen und dabei die Kapitalkosten möglichst gering bleiben. Die Risiken einer Finanzierung sind vor allem durch die Rechte gegeben, die ein Kapitalgeber, etwa ein Eigenkapitalgeber oder eine Bank, erhält und ausüben kann. Die entsprechenden Unsicherheiten für die Unternehmung lassen sich jedoch nicht durch die Standardabweichung einer Rendite quantifizieren. Sie sind viel komplexer. Von daher scheidet der Markowitzsche Ansatz aus, ein Finanzierungsportfolio optimal zu strukturieren. Die optimale Kapitalstruktur verlangt andere Überlegungen. Sie kann nicht mit einem Rechenverfahren oder einer mathematischen Optimierungsaufgabe ermittelt werden. Die erwähnten Überlegungen, Theorien und Ansätze zur optimalen Kapitalstruktur sollen in diesem Kapitel besprochen werden. Portfolio aus Kapitalanlagen (Kapitel 6) Portfolio aus Finanzierungen (Kapitel 7) Portfolio-Selektion, Risk-Return- Diagramm, Effizienzgrenze, Optimizer (M ARKOWITZ ) Separationstheorem, Kapitalmarktlinie (T OBIN ) Irrelevanzthese (M ODIGLIANI und M ILLER ) Leverage-Effekt Tradeoff-Ansatz Agency-Theorie (J ENSEN und M ECKLING ) Hackordnung (M YERS und M AJLUF ) Die Überlegungen und Ansätze zur Kapitalstruktur beginnen mit theoretischen Überlegungen. Voran ist die These der Irrelevanz der Kapitalstruktur zu nennen. Diese These wurde von M ODIGLIANI und M ILLER aus Prämissen hergeleitet. Beim kombinierten Einsatz von Fremd- und Eigenkapital entsteht auch ein besonderes Risiko, das Leveragerisiko. Auch der Leverage-Effekt gehört zu den theoretischen Betrachtungen (Abschnitt 7.1). Anschließend wenden wir uns der Praxis zu. Hier stehen drei Ansätze im Vordergrund. Der Tradeoff-Ansatz, die Agency-Theorie der Kapitalstruktur (nach M ICHAEL J ENSEN und W ILLIAM M ECKLING ) sowie der Hackordnung der Finanzierung (S TEWARD C. M YERS und N ICHOLAS S. M AJLUF ). Werden die drei letztgenannten, eher praktisch orientierten Ansätze (Tradeoff, Agency, Hackordnung) untereinander verglichen, so stellt sich die Frage, welche empirische Rele- <?page no="140"?> 140 7. Kapitel: Die Kapitalstruktur vanz die Konzepte haben. Die Empirie betont die gute Erklärung von Kapitalstrukturen durch den Tradeoff-Ansatz. Der Tradeoff-Ansatz hat zur Folge, dass jede Unternehmung eine gewisse Kapitalstruktur hat, die für sie optimal ist, und die sie daher als Ziel nach dem Beginn neuer Geschäfte immer wieder anstrebt. Die Wahl zwischen Eigen- und Fremdkapital wird nach dem Tradeoff-Ansatz so getroffen, dass die vorbestimmte Zielkapitalstruktur näher erreicht wird. 7.1 Unternehmensfinanzierung 7.1.1 Sollten Kapitalverwender diversifizieren? Auf den ersten Blick sieht es aus, als ob Kapitalverwender kein Risiko haben, das sie nach Möglichkeit diversifizieren sollten. Denn das Risiko liegt beim ersten Blick auf der Seite der Kapitalanleger. Richtig ist: Die Kapitalverwender haben nicht jene Risiken, welche die Anleger treffen und welche die Anleger diversifizieren möchten. Kapitalverwender sind indes anderen Unsicherheiten ausgesetzt. Wir beginnen mit dem Eigenkapital. Hier ist das Verhalten der Eigentümer oder der Aktionäre ein bedeutender Unsicherheitsfaktor: Wie werden sie gegenüber dem Management Kontrolle und Aufsichtsrechte ausüben? Auf welcher Ausschüttungspolitik werden sie bestehen? Wie werden sie sich verhalten, wenn einmal eine Kapitalerhöhung ansteht? Können und werden sie im Fall einer Krise neue Eigenmittel einlegen? Offensichtlich gibt es hier ganz verschiedene Typen von Finanzinvestoren, so etwa den Großinvestor, der eine Mehrheit halten könnte, den Minderheitsaktionär, den Kleinaktionär und so fort. Das Management hat einen deutlichen Einfluss auf die Gestaltung des Finanzierungsportfolios, auf die Kapitalstruktur. Es kann beeinflussen, wer die Aktien der Gesellschaft kauft und hält. Ähnliche Überlegungen gelten für das Fremdkapital. Beim Fremdkapital lauten die Fragen: Möchte die Unternehmung Fremdkapital nur von einer Hausbank oder von mehreren Banken aufnehmen? Setzt sie eher darauf, Anzahlungen von Kunden zu erhalten? Strebt sie die Ausgabe von Unternehmensanleihen an? Wer sollten dann die Käufer dieser Anleihen sein, institutionelle oder private Investoren? Zudem ist die Frist des Fremdkapitals ein wichtiges Thema, weil die Zinsen, zu denen eine Anschlussfinanzierung später möglich wird, unsicher sind. Gleiches gilt für die Fremdfinanzierung in verschiedenen Währungen. Auch die Fremdfinanzierungen können so gestaltet werden, dass sich verschiedene der angesprochenen Unwägbarkeiten ausgleichen. Ein Hauptpunkt bei der Wahl der Kapitalstruktur ist, wie das unternehmerische Portfolio der Finanzierungsverträge aus Eigen- und aus Fremdkapital zusammengesetzt werden sollte. Diese Frage wird auf einer aggregierten Ebene untersucht, weil auf die genaue Zusammensetzung der Eigenkapitalgeber nicht mehr eingegangen wird und auch die Aufgabe der Zusammensetzung des Fremdkapitals als gelöst angesehen wird. Es <?page no="141"?> 7.1 Unternehmensfinanzierung 141 geht lediglich um die Strukturierung des unternehmerischen Portfolios aus Finanzierungsverträgen aus den beiden Klassen Eigen- und Fremdkapital. Alle drei Fragekreise - Strukturierung des Eigenkapitals, Strukturierung des Fremdkapitals und die Bestimmung der relativen Gewichte von Eigen- und Fremdkapital - sind ausgesprochen komplex. Dies aus zwei Gründen: Erstens stehen Unwägbarkeiten im Vordergrund, die sich auf das Verhalten der Kapitalgeber beziehen, und diese Unwägbarkeiten betreffen die unterschiedlichsten Aspekte und Dimensionen des Kapitalgeberverhaltens. Zweitens dienen die Finanzierungen eines Unternehmens dazu, die realwirtschaftliche Tätigkeit zu ermöglichen. Folglich bestehen Zusammenhänge zwischen der Wirtschaftstätigkeit des Unternehmens und seiner Investitionsprojekte sowie der Finanzierung. Das passende Finanzierungsportfolio hängt also stark vom realwirtschaftlichen Geschehen, von den Geschäften, Vorhaben und Innovationen der Unternehmung ab. Diese Zusammenhänge verstärken die Komplexität der Frage nach der optimalen Kapitalstruktur. Hier einige Beispiele: 1. Ein Waffenproduzent kann kaum anstreben, eine Publikumsaktiengesellschaft zu werden, denn dann würden auf der Hauptversammlung zahlreiche Personen Fragen stellen, die und deren Beantwortung letztlich abträglich für das Geschäft wären. 2. Eine Unternehmung, die sich in einer schwierigen Phase der strategischen Neuorientierung befindet, wünscht einen Mehrheitsaktionär vermutlich eher, als zahlreiche Kleinaktionäre, die nur gute Nachrichten hören und eine verstetigte Dividende erhalten wollen. 3. Eine Unternehmung, die stabil arbeitet, sichtbare und allgemein geschätzte Produkte anbietet, und von sich aus weiß, wie Innovationen vorangebracht werden, benötigt nicht das Know-how, das ein anderer Industriepartner einbringen könnte. Sie kann sich dem Publikum öffnen. 4. Eine Unternehmung mit einer starken Eigenkapitalbasis kann sich durchaus auf eine einzige Bank konzentrieren (Hausbank), ohne dadurch abhängig zu werden. 5. Eine Unternehmung mit großem Umlaufvermögen kann durchaus kurzfristige Fremdfinanzierungen eingehen, während eine Unternehmung mit großem Anlagevermögen dieses nicht kurzatmig mit kurzfristigem Fremdkapital finanzieren sollte. Die Liste der Beispiele ließe sich beliebig erweitern. Jedes weitere Beispiel dürfte ebenso einen interessanten Fall darstellen, der zahlreiche Facetten aufweisen dürfte. Allerdings sind die gefundenen Lösungen dann immer fallbezogen. Nicht immer bietet die fallbezogene Arbeitsweise generalisierbare Erkenntnisse. Konzentriert man sich hingegen auf wenige grundlegende Aspekte der Selektion der Kapitalstruktur, dann können einige generelle Erkenntnisse gewonnen werden. Allerdings bleiben dann jene Details außer Acht, die in einem konkreten Einzelfall im Vordergrund stehen könnten. <?page no="142"?> 142 7. Kapitel: Die Kapitalstruktur 7.1.2 Irrelevanz der Kapitalstruktur: Modigliani und Miller In ihrer stark beachteten Publikation aus dem Jahre 1958 haben (die mit MM abgekürzten) Autoren F RANCO M ODIGLIANI (1918-2003) und M ERTON H. M ILLER (1923-2000) zunächst das Kriterium für die Wahl einer optimalen Kapitalstruktur gewählt. Es ist der Unternehmenswert. Der Unternehmenswert wird als Gesamtwert verstanden, die Beteiligungen der Eigenkapitalgeber und die Forderungen der Fremdkapitalgeber im Finanzmarkt haben. MM postulieren: Das Management solle durch Wahl einer geeigneten Zusammensetzung des Kapitals aus Eigen- und Fremdkapital versuchen, den Gesamtwert aller dieser finanziellen Ansprüche zu maximieren. MM haben die realwirtschaftliche Seite als gegeben betrachtet. Insbesondere sollte die Kapitalstruktur keine Rückwirkung auf Art, Risiko und Ertrag der realwirtschaftlichen Tätigkeit haben. Beispiel: Ein Investor könne eine Firma kaufen, die seit Jahren produziert und absetzt. Sie befindet sich im Eigentum einer einzigen Person und es bestehen Bankkredite. Der bisherige Eigentümer und die Banken bieten dem Investor eine Übernahme für 10 Millionen Euro an, die Bankschulden würden bei dieser Transaktion abgelöst werden. Der Investor plant die Annahme des Angebots, wobei sich in seinem Bekanntenkreis verschiedene andere Finanzinvestoren melden, die sich entweder beteiligen wollen oder bereit wären, Fremdkapital zu geben. Selbstverständlich wünschen diese Investoren, dass die weitere Geschäftsführung die marktübliche Rendite erwarten lässt beziehungsweise den marktüblichen Zinssatz sicherstellt. Die anderen Investoren sind indes nicht auf Eigen- oder Fremdkapital festgelegt, und flexibel hinsichtlich der Kapitalbeträge. Der Investor, der bei der Transaktion die Führung übernimmt, hat demnach zu entscheiden, ob er den Kaufbetrag von 10 Millionen Euro allein mit Eigenkapital oder mit einer Kombination aus Eigen- und Fremdkapital finanzieren möchte, und wie hoch in diesem Fall das Mischungsverhältnis (die Eigenkapitalquote) sein sollte. Nun könnte man denken, dass Fremdkapital insofern „günstig“ ist, als der Zins geringer als die von Eigenkapitalgebern erwartete Rendite ist. Wenn dann so oder so die 10 Millionen Euro für die Übernahme zusammengekommen sind und somit der Finanzierungsvorgang abgeschlossen ist, werden die neuen Eigenkapitalgeber natürlich ihre Ansprüche bewerten. Auch die möglicherweise eingebundenen Fremdkapitalgeber werden sich fragen, ob ihre Forderungen wohl mit der angenommenen Sicherheit erfüllt werden. Jedenfalls treffen sich alle neuen Kapitalgeber und bewerten ihre Beteiligungsrechte und die Forderungstitel. Dazu betrachten sie die Ergebnisse, die mit der gekauften Unternehmung in Zukunft wohl erzielt werden, also den Cashflow und die EBIT der kommenden Jahre. Die zukünftigen Ergebnisse bestimmen den Wert der Unternehmung. Um diesen so festgestellten Gesamtwert geht es. Die neuen Kapitalgeber werden natürlich anregen, die Kapitalstruktur so zu bestimmen, dass der Gesamtwert des Unternehmens möglichst hoch wird. MM haben gezeigt, dass der Gesamtwert einer Unternehmung unabhängig von der Relation zwischen Fremd- und Eigenkapital ist. Insbesondere hat die Unternehmung, wenn sie Fremd- <?page no="143"?> 7.1 Unternehmensfinanzierung 143 mittel einsetzt, denselben Gesamtwert, wie wenn sie nur mit Eigenkapital finanziert würde. Da der Verschuldungsgrad ohne Bedeutung für den Gesamtwert ist, wird die Erkenntnis von MM als Irrelevanztheorem bezeichnet. Diese Aussage von MM hat bei ihrer Publikation für Verwirrung gesorgt. Denn jedermann dachte, dass Fremdkapital günstig und Eigenkapital teuer sei, weshalb eine Verschuldung für die Eigenkapitalgeber stets Vorteile bringen sollte, die sich in der Bewertung ausdrücken. Der Unterschied zwischen der Renditeerwartung bei Aktien oder bei Eigenkapital und der bei Anleihen oder Fremdkapital wurde bereits mit 3% bis 4% beziffert, um die Größenordnung zu nennen. Jedermann also dachte, Fremdkapital sei für die Unternehmung letztlich 3% bis 4% günstiger. Allgemein bestand die Vorstellung, die durchschnittlichen Kapitalkosten würden sinken, wenn die Unternehmung anstelle von „teurem“ Eigenkapital mehr „günstiges“ Fremdkapital einsetzt. Geringere Kapitalkosten sollten sich dahingehend auswirken, dass die Unternehmung wertvoller wird. 7.1.3 Leverage-Effekt Ein wichtiger Punkt wird bei dieser herkömmlichen Argumentation übersehen: Bei einem höheren Verschuldungsgrad und bei geringerem Einsatz von Eigenkapital wächst das auf den Euro Eigenkapital bezogene unternehmerische Risiko. Denn mit mehr Fremdkapital wird das gesamte unternehmerische Risiko, das sich aus der realwirtschaftlichen Tätigkeit ergibt, von immer weniger Eigenkapital getragen. Dazu wird das Beispiel fortgeführt. Angenommen, die realwirtschaftliche Tätigkeit bringt einen Verlust von einer Million Euro. Bei voller Eigenfinanzierung der 10 Millionen Euro würden die Eigenkapitalgeber pro Euro Eigenkapital 10 Cent verlieren. Wird die Unternehmung aber mit 5 Millionen Eigen- und 5 Millionen Fremdkapital finanziert, dann sehen die Eigenkapitalgeber, dass sie pro Euro Eigenkapital 20 Cent verlieren könnten. Die Eigenkapitalgeber erkennen, dass dieses Risiko mit höherem Verschuldungsgrad größer wird und verlangen dementsprechend eine höhere Rendite. Der Leverage-Effekt zeigt die Zusammenhänge. Mit zunehmender Verschuldung sinken zwar die durchschnittlichen Kapitalkosten, weil der Zins für Fremdkapital geringer ist als die erwartete Eigenkapitalrendite der unverschuldeten Unternehmung. Doch die erwartete Eigenkapitalrendite steigt. Beide Effekte gleichen sich aus. Das gesamte unternehmerische Risiko wird annahmegemäß durch die Finanzierung nicht verändert. Doch es wird anders an die Kapitalgeber weitergegeben. Bei einer reinen Eigenfinanzierung wird es zur Gänze von den 10 Millionen Euro Eigenkapital getragen. Bei einer Mischfinanzierung mit 5 Millionen Euro Eigen- und 5 Millionen Euro Fremdkapital wird das unternehmerische Risiko ganz von den 5 Millionen Eigenkapital getragen. Pro Euro Eigenkapital entfallen doppelt so viele Risiken, weshalb die Risikoprämie doppelt so hoch ist. Bei zunehmender Fremdfinanzierung steigen die Eigenkapitalkosten an. Die durchschnittlichen Kapitalkosten, so haben M ODIGLIANI und M ILLER gezeigt, bleiben dabei konstant. <?page no="144"?> 144 7. Kapitel: Die Kapitalstruktur Ein weiteres Beispiel soll diesen Sachverhalt der mit Verschuldung (Leverage) zunehmenden Eigenkapitalrendite illustrieren: Eine Unternehmung mit einem Realkapital von einer Million Schweizerfranken erziele einen Jahresüberschuss von 100.000 Franken. Von einer Besteuerung der Unternehmung sei abgesehen. Die auf das gesamte Kapital erwirtschaftete Rendite betrage 10%. Ist diese Unternehmung vollständig mit Eigenkapital finanziert, beträgt die Eigenkapitalrendite 10%. Falls nun aber die Finanzierung nicht aus einer Million Schweizerfranken Eigenkapital besteht, sondern zum Beispiel aus 700.000 Franken Fremdkapital und 300.000 Franken Eigenkapital, dann müssen aus dem Jahresüberschuss zunächst die Fremdkapitalzinsen bezahlt werden. Bei einem hier unterstellten Schuldzinssatz von 5% entfielen 35.000 Franken auf die Zahlung an die Fremdkapitalgeber. Die übrigen 65.000, die den Eigenkapitalgebern zustehen, liegen zwar unter den 100.000 Franken von vorher, doch das investierte Eigenkapital beträgt nicht mehr eine Million, sondern 300.000 Schweizerfranken. Die Eigenkapitalrendite beläuft sich auf 21.7% (65.000 / 300.000). Es zeigt sich, dass bei sonst gleichen Verhältnissen die erwartete Eigenkapitalrendite durch die Substitution von Eigendurch Fremdkapital erhöht werden konnte - sofern die Gesamtkapitalrendite so hoch ist, dass nach Befriedigung der Forderungen der Fremdkapitalgeber noch ein positiver Betrag übrig ist, um eine Zahlung an die Eigenkapitalgeber zu leisten. Angenommen, der Jahresüberschuss falle auf 20.000, dann liegt die Eigenkapitalrendite der unverschuldeten Unternehmung mit 2% noch im positiven Bereich. Im Falle der verschuldeten Unternehmung dagegen müssen die 35.000 Franken an Fremdkapitalzinsen unabhängig vom Geschäftsgang entrichtet werden. Es entsteht ein Verlust von 15.000 Franken, womit die Eigenkapitalrendite auf -5%, nämlich -15.000 / 300.000, fällt. Abb. 27: Unverschuldete (oben) und verschuldete Unternehmung (unten) Durch Verschuldung kann die Eigenkapitalrendite wie mit einem Hebel verändert werden, woraus sich die Bezeichnung Leverage-Effekt ableitet. Der Hebel wirkt jedoch nicht nur nach oben, sondern ebenso nach unten. Voraussetzung für eine positive Wirkung ist eine Gesamtkapitalrendite, die höher ist als die Fremdkapitalzinsen. Liegt die Gesamtkapitalrendite unter den Fremdkapitalkosten, so wirkt der Hebel nach unten. In <?page no="145"?> 7.1 Unternehmensfinanzierung 145 jedem Fall erhöht sich jedoch die Schwankungsbreite der Eigenkapitalrendite mit zunehmendem Verschuldungsgrad. Formal lässt sich dies wie folgt darstellen: Wir beginnen mit der Gesamtkapitalrendite, die sich aus den Zahlungen oder Ergebnissen ergibt, die allen Kapitalgebern zu Gute kommen. Diese Zahlungen oder Ergebnisse werden bei der Rendite in Relation zum Gesamtkapital + gesetzt, der Summe aus Eigenkapital und Fremdkapital . Die Gesamtkapitalrendite ist letztlich allein durch die realwirtschaftliche Tätigkeit bestimmt, durch die (realwirtschaftlichen) Vermögenspositionen, die Assets also. Deshalb bezeichnen wir sie mit . Die Zahlungen und Ergebnisse, die den Kapitalgebern zukommen, bestehen aus dem Gewinn G und den Fremdkapitalzinsen Z : = + + Diese Beziehung kann umgeformt werden, so dass sie den Gewinn ausdrückt: = ( + ) . Selbstverständlich gilt für die Zinsen = , wobei (wie „interest“) den Zinssatz beschreibt. Mit diesen Vorbereitungen können wir die Eigenkapitalrendite berechnen: = = ( + ) Mit der Bezeichnung = / für den Verschuldungsgrad folgt: = + ( ) . Aus dieser Leverage-Formel ist ersichtlich, dass ein Renditevorteil an die Bedingung geknüpft ist, dass die Gesamtkapitalrendite höher ist als der Zinssatz. Übertragen auf unser obiges Beispiel mit einer Gesamtkapitalrendite von 10%, einem Verschuldungsgrad von 2,33 (700.000 / 300.000) sowie Fremdkapitalzinsen von 5% ergibt sich: = + ( ) = 10% + 2,33 (10% 5%) = 21,7% M ODIGLIANI und M ILLER haben so argumentiert: Gibt es einen Kapitalmarkt, der für alle einheitliche Konditionen bietet, dann können die Manager den Gesamtwert der Unternehmung nicht dadurch ändern, dass sie die Kapitalstruktur verändern. Wir veranschaulichen ihr Argument durch ein Beispiel. Eine Unternehmung sei vollständig eigenfinanziert. Der Manager kündigt an, einen Kredit über 1.000.000 Euro zu 5% aufzunehmen. Gleichzeitig erfolgt eine Kapitalreduktion, und die Eigner erhalten eben diesen Betrag von einer Million Euro. „Was sollen wir damit tun“ fragen sie. Der Manager schlägt vor, die Million Euro zu 5% auf dem Kapitalmarkt anzulegen. Die Eigner erkennen, dass sie genau so gestellt sind wie zuvor. Sie tragen nach wie vor das unternehmerische Risiko, das sich nicht verändert hat. Ähnlich lautet die Argumentation, wenn der Manager eine Kapitalerhöhung einleitet, um Schulden zurück zu zahlen. Maßnahmen des Manage- , <?page no="146"?> 146 7. Kapitel: Die Kapitalstruktur ments, die zu den gleichen Konditionen - und der Kapitalmarkt bewirkt, dass alle Marktteilnehmer gleiche Konditionen haben - die Eigenkapitalgeber auch selbst herbeiführen können oder die sie gleichsam rückgängig machen können, haben keine Wertänderung zur Folge. Wertsteigerungen sind nur dann möglich, wenn das Management Maßnahmen zu günstigeren Konditionen ergreifen kann als die Eigenkapitalgeber. Angenommen, die Aktionäre wollen eher Geld zurückerhalten als weitere Mittel einlegen. Man könnte sagen, dass sie einen Kredit aufnehmen sollten, um Konsumausgaben zu bezahlen. Doch wir nehmen weiter an, dass die Aktionäre als Privatpersonen 8% für einen Kredit zahlen müssen, während die Unternehmung zu 5% Zins einen Kredit erhalten kann. In einer solchen Situation wird der Gesamtwert der Unternehmung erhöht, wenn das Management einen Kredit nimmt, und großzügige Ausschüttungen und Kapitalrückzahlungen tätigt. Bislang wurde unterstellt, dass die realwirtschaftlichen Geschäfte nicht von der Kapitalstruktur abhängen. Insbesondere sollte die steuerliche Belastung des Unternehmens nicht durch die Kapitalstruktur verändert werden. Doch in allen Ländern zählen Fremdkapitalzinsen, die das Unternehmen zahlt, als Aufwand. Sie mindern den Gewinn der Unternehmung und reduzieren damit die Gewinnsteuern. Außerdem wurden Steuern auf der Seite der Kapitalgeber ausgeklammert. Diese könnten von der Finanzierungsart abhängen. Das ist der Fall, wenn der Anleger Zinseinkünfte anders besteuern muss als Dividenden und Wertsteigerungen. 7.1.4 Voraussetzungen Der Wert der Unternehmung ist unabhängig von ihrem Verschuldungsgrad. Die durchschnittlichen Kapitalkosten werden allein von der realwirtschaftlichen Seite determiniert, nicht aber von der Finanzierung. Die Gültigkeit der MM-Irrelevanzthese ist an verschiedene Voraussetzungen gebunden: 1. Der Finanzmarkt soll „perfekt“ funktionieren: Eigenkapitalgeber und Unternehmen sollen alle Transaktionen zu identischen Konditionen vornehmen können. Die Anlagebeträge sollen beliebig teilbar sein, und es soll keine Transaktionskosten geben. Alle Parteien sollen den gleichen Informationsstand haben und dieselben Erwartungen hinsichtlich der Zukunft bilden. Es gibt also keinerlei Unterschied zwischen einer seitens der Unternehmung und einer seitens der einzelnen Aktionäre vorgenommenen Verschuldung. 2. Es soll eine finanzierungsneutrale Steuergesetzgebung geben. Es besteht kein steuerlicher Unterschied, ob sich die Unternehmung oder deren Eigentümer verschulden. Dies setzt voraus, dass sowohl die Steuersätze als auch die Ausgestaltung der steuerlichen Progression bei Unternehmen und bei Privaten identisch sind. In einer Folgearbeit von 1961 haben M ODIGLIANI und M ILLER diese Annahme durch die realitätsnahe ersetzt, dass die Unternehmung Gewinne versteuern muss, nicht aber jene Wirtschaftsergebnisse, die als Zinsen an Fremdkapitalgeber dargestellt werden. 3. Es gibt keine Konkursgefahr. Eine Unterdeckung des Fremdkapitals durch die Aktiva kann bei den Eigentümern eingefordert werden, und die Haftungsbeschränkung der Eigenkapi- <?page no="147"?> 7.2 Tradeoff, Agency und Hackordnung 147 talgeber ist daher wertlos. Das bedeutet, dass der Fremdkapitalzinssatz bei ansteigender Verschuldung nicht ansteigen muss, sondern auf konstantem Niveau bleiben kann. Die Erkenntnisse von M ODIGLIANI und M ILLER werden verkannt, wenn die Ergebnisse der Irrelevanz aufgrund der Prämissen ideal funktionierender Märkte als wenig realistisch abgetan werden. Vielmehr muss es so gesehen werden: MM haben mit ihren Arbeiten gezeigt, aufgrund welcher Umstände die Optimierung der Kapitalstruktur in der Praxis versprechend ist. Denn aus den von MM getroffenen Voraussetzungen ergeben sich zugleich Argumente, in welchen Situationen der Unternehmenswert in der Realität eben doch von der Kapitalstruktur abhängt. 1. Die Kapitalmärkte der Realität zeigen gewisse Unvollkommenheiten. Es bestehen Transaktionskosten, Größenvorteile, Zugangsbeschränkungen, Marktmacht einzelner Akteure und die Teilbarkeit der Finanzkontrakte ist eingeschränkt. Zudem kommt es immer wieder zu Ungleichgewichten auf den Kapitalmärkten, auch wenn sie sich nur kurzzeitig halten. 2. Hinsichtlich der Besteuerung wird in den meisten Ländern Eigenkapital gegenüber Fremdkapital benachteiligt. Zudem bestehen Unterschiede zwischen der Besteuerung von Personen und von Unternehmen. In den meisten Steuersystemen ist eine steuerliche Abzugsfähigkeit von Schuldzinsen (als Aufwand) möglich, während wirtschaftlicher Erfolg, der aus unternehmerischer Sicht den Eigenkapitalgebern zukommt, einer Gewinnbesteuerung unterliegt. Das bedeutet: Wenn eine Unternehmung Fremdkapital einsetzt, muss sie weniger Steuern zahlen als wenn sie vollständig eigenfinanziert ist. Daher ist der Wert - bestimmt durch das, was die Eigen- und Fremdkapitalgeber erhalten, nachdem die Unternehmung alle Steuern entrichtet hat - doch von der Kapitalstruktur abhängig. 3. Schließlich hängen sowohl die Fremdkapitalkosten als auch der Unternehmenswert von der Konkurswahrscheinlichkeit ab, und diese hängt wiederum von der Kapitalstruktur ab. Eine knappe Eigenkapitalausstattung bewirkt einen Anstieg des Leveragerisikos. Bei zu geringem Eigenkapital und zu hohen Schulden könnte durch abträgliche wirtschaftliche Ergebnisse eine Überschuldung (Insolvenz) eintreten. 4. Weiter hängen die Informationskosten sowohl der Fremdkapitalgeber als auch die der Eigenkapitalgeber von der Kapitalstruktur ab. Und da beide Gruppen für höhere Informationskosten kompensiert werden wollen, steigen die Kapitalkosten und der Unternehmenswert sinkt. Jedenfalls hängt der Unternehmenswert von der Transparenz ab. 7.2 Tradeoff, Agency und Hackordnung 7.2.1 Tradeoff-Ansatz Der Tradeoff-Ansatz knüpft an den von Modigliani und Miller getroffenen Voraussetzungen für die Irrelevanz der Kapitalstruktur an. Der Tradeoff-Ansatz trifft zwei Annahmen, die von denen der MM-Welt abweichen. Die erste Annahme betrifft die steuerliche Situation, durch die der Einsatz von Fremdkapital begünstigt wird. Dadurch ist der Unterneh- <?page no="148"?> 148 7. Kapitel: Die Kapitalstruktur menswert umso höher, je mehr Fremdkapital eingesetzt wird. Die zweite Annahme betrifft Gründe, die bei einem hohen Einsatz von Fremdkapital dieses überproportional teuer machen. Die beiden Effekte sollen durch eine optimale Verschuldung zum Ausgleich gebracht werden, und so erklärt sich die Bezeichnung Tradeoff-Ansatz. Nicht nur die erste, sondern ebenso die zweite Annahme ist realitätsnah. Mit geringerer Eigenkapitalausstattung steigt für Gläubiger die Gefahr, dass die Unternehmung in eine Lage finanzieller Anspannung (Financial Distress) gerät, oder dass sie sogar ganz zahlungsunfähig wird und Überschuldung eintritt. Damit ist nichts zu den Gründen oder Auslösern für einen Distress oder eine Insolvenz gesagt. Immer wieder haben Unternehmen Ausfälle bei ihren eigenen Forderungen, von ihnen getätigte Investitionen stellen sich als unrentabel heraus, Absatzmöglichkeiten brechen ein, wichtige Mitarbeitende kündigen. Neugeschäfte bleiben aus, Umsatzerträge gehen zurück, und in der Bilanz müssen Abschreibungen auf das Vermögen vorgenommen werden. Solche Ereignisse treffen sowohl die Eigenwie die Fremdkapitalgeber, doch die Fremdkapitalgeber erkennen, dass ihre Zinszahlungen und die Rückzahlungen gefährdet sind. Die Wahrscheinlichkeit für Ausfälle beim Fremdkapital nimmt dabei mit zunehmender Verschuldung zu. Denn das Eigenkapital, das Risiken auffangen könnte, ist bei hohem Fremdkapitaleinsatz geringer. Je stärker die Unternehmung verschuldet ist, desto größer wird die Gefahr oder Wahrscheinlichkeit, dass es zu einem Ausfall von Forderungen kommt. Die Fremdkapitalgeber verlangen mit dem Kreditzins eine Risikoprämie. Sie ist umso größer, je höher die Verschuldung ist, weil mit zunehmendem Verschuldungsgrad die Ausfallwahrscheinlichkeit zunimmt. Dadurch wird das Fremdkapital bei zunehmender Verschuldung immer teurer. Der Effekt ist überproportional. Selbstverständlich haben auch die Eigenkapitalgeber Nachteile, weil es zu Distress oder Insolvenz kommen kann. Denn am Ende könnte es zu einem Konkursverfahren kommen, das ihnen Kontrolle und Einfluss nimmt. Die Nachteile für die Fremdkapitalgeber und die Eigenkapitalgeber sind private Nachteile im Unterschied zu sozialen Nachteilen, die den Staat als Ganzes treffen. Denn ein Konkurs verursacht typischerweise auch Kosten für die Allgemeinheit, so für die Arbeitnehmer, die Kunden der Unternehmung und das Gemeinwesen. Werden diese möglichen sozialen Nachteile in einer Kalkulation berücksichtigt, dann sind die Konkurskosten noch höher. Doch bereits vor einem Konkurs bewirkt eine höhere Wahrscheinlichkeit von Distress oder Insolvenz Nachteile, welche die Unternehmung ebenso treffen wie weitere Risiken, die zusätzliche Versicherungen notwendig machen und somit zusätzliche Prämien abverlangen, die eingespart werden könnten, wenn es die Risiken nicht gäbe. Die somit höheren Kapitalkosten verringern den Wert des Unternehmens. Die Verschuldung hat zwei Effekte: 1. Die Abzugsfähigkeit von Schuldzinsen bedeutet steuerliche Vorteile. Der Barwert aller zukünftigen Einsparungen von Steuern bei Fremdfinanzierung ist der sogenannte Tax- Shield. Der Tax-Shield ist umso größer, je mehr Fremdkapital eingesetzt wird. Der Gesamtwert der Unternehmung ist daher nicht (wie in der ursprünglichen Arbeit von MM angegeben) konstant, sondern nimmt mit dem Verschuldungsgrad zu. <?page no="149"?> 7.2 Tradeoff, Agency und Hackordnung 149 Abb. 28: Tradeoff zwischen Tax-Shield und Financial Distress 2. Mit Verschuldung erhöht sich das Risiko eines Financial Distress oder einer Zahlungsunfähigkeit mit Insolvenz. Die zusätzlichen Kosten reduzieren den Gesamtwert der Unternehmung. Die Kosten hängen von der Kapitalstruktur ab. Bei geringem Verschuldungsgrad sind sie tief. Wird der Verschuldungsgrad jedoch höher, nehmen die zusätzlichen Kapitalkosten überproportional zu, weil dann Distress, Zahlungsunfähigkeit, Insolvenz und Konkurs als ausgesprochen „teure“ Ereignisse wahrscheinlicher werden. Entsprechend muss der aufgrund des Tax-Shields nach oben gehende Verlauf des Gesamtwerts der Unternehmung nach unten korrigiert werden, indem die Konkurskosten, auf-gefasst als negative Korrektur des Werts, abgezogen werden. Da die Konkurskosten überproportional zunehmen, gibt es einen Verschuldungsgrad, bei dem der Gesamtwert maximal ist. Das ist der optimale Verschuldungsgrad nach dem Tradeoff-Ansatz. Das Maximum liegt an jener Stelle, wo der Grenzvorteil aus dem Tax-Shield bei einer weiteren Verschuldung gleich hoch ist wie der Grenznachteil der Konkurskosten. Hinsichtlich der Distress- oder Konkurskosten sollte noch unterschieden werden, wem sie entstehen. Ein Teil betrifft die Eigen- und Fremdkapitalgeber (private Kosten). Hinzu treten aber weitere Konkurskosten, die der sozialen Umgebung und dem Staat aufgebürdet werden. Dazu gehören die sozialen Kosten für den Verlust von Arbeitsplätzen. Eine weitere Art sozialer Kosten erwächst aus dem Dominoeffekt. Denn oftmals ziehen im Konkursfall die auslösenden Unternehmen weitere Unternehmen in die Krise (soziale Kosten). Werden nur die (privaten) Konkurskosten der Unternehmung betrachtet, führt die Maximierung des Gesamtwerts auf ein privates Optimum der Kapitalstruktur. Werden die Konkurskosten der Unternehmung sowie zusätzlich die weiteren sozialen Konkurskosten betrachtet, führt die Maximierung auf ein soziales Optimum der Kapitalstruktur. Typischerweise ist die optimale Verschuldung im sozialen Optimum geringer als die optimale Verschuldung im privaten Optimum. Der Staat ist daher gut beraten, die Bildung von Eigenkapital zu fördern. Wert der Unternehmung „Soziales“ Optimum „Privates“ Optimum Wert Eigenkapital + Tax Shield Distress-Kosten Wert des Eigenkapitals Wert des Fremdkapitals <?page no="150"?> 150 7. Kapitel: Die Kapitalstruktur 7.2.2 Agency-Theorie: J ENSEN und M ECKLING Neben Irrelevanz (M ODIGLIANI und M ILLER ) und Tradeoff-Ansatz wurde ein drittes Konzept zur optimalen Kapitalstruktur entwickelt, das Agency-Kosten in den Mittelpunkt stellt. Die Kapitalstruktur übt einen Einfluss auf Interessenskonflikte zwischen Eigenkapitalgebern und Management aus und hat somit Bedeutung für den Unternehmenswert. Der theoretische Rahmen ist die Beziehung zwischen einem Prinzipal und einem Agenten. Die Eigentümer des Unternehmens werden als Prinzipal betrachtet, die ausführenden, also das Management, bilden den Agenten. In der Prinzipal-Agenten-Theorie wird von einem deutlichen Informationsunterschied zwischen Prinzipal und Agenten ausgegangen. Weil die Eigenkapitalgeber nicht alles beobachten und kontrollieren können, haben die Manager einen gewissen Freiraum für eigenständige Handlungen. Jedoch unterscheiden sich die Ziele der Eigenkapitalgeber und die der Manager. Dabei ist weniger an den Komfort der Manager (Büros, Reisen) und ihre persönliche Macht und Anerkennung (Spenden an den Kunstverein) gedacht, als vielmehr an die Überinvestition im Unternehmen. Sie zeigt sich besonders deutlich in der Akquisition anderer Unternehmen. Während die Eigenkapitalgeber erkennen, dass viele Unternehmensübernahmen letztlich scheitern, präferiert das Management oftmals die Vergrößerung und den Ausbau des Unternehmens. Sie ist für das Management vorteilhaft, weil Macht, Einfluss, Gehalt und weitere Aufstiegsmöglichkeiten steigen (Empire Building). Den Informationsunterschied nutzend, wird das Management die Möglichkeit einer Akquisition als erfolgversprechender darstellen als sie ihrem eigenen Wissen nach ist. Später zutage tretende Misserfolge werden dann mit unvorhersehbaren, störenden Faktoren erklärt, deren Eintreten für „unwahrscheinlich“ gehalten worden war. Die Manager haben also aufgrund der Informationsunterschiede einen gewissen, diskretionären Handlungsspielraum, den sie für eigene Ziele verwenden dürften. Der Handlungsspielraum gibt den Managern die Möglichkeit, ihren Motivationen zur Überinvestition zu folgen. Die Eigenkapitalgeber werden versuchen, mehr Informationen zu beschaffen und die Manager besser zu überwachen. Oder sie werden die Manager beteiligen, so dass sie die Ziele der Kapitalgeber stärker zu ihren eigenen machen und aus Eigennutz verfolgen. Sowohl die Kontrolle wie die Motivation verursacht Agency-Kosten. Mit Corporate Governance werden jene Umstände bezeichnet, die die Beziehung zwischen Eigenkapitalgebern und Managern prägen und daher beeinflussen, wie groß der Informationsunterschied und folglich der Handlungsspielraum der Manager ist, und wie allenfalls Verzerrungen durch eigene Motive bei den Entscheidungen des Managements einzuschätzen sind. Der Agency-Ansatz der Kapitalstruktur läuft darauf hinaus, die Agency-Kosten durch eine geeignete Wahl der Kapitalstruktur zu minimieren. Zwei Empfehlungen werden gegeben: Die Zinszahlungen, die bei Fremdfinanzierung zu leisten sind, disziplinieren das Management. Denn Kreditgeber und Banken verlangen Bilanzen, Geschäftspläne und pe- <?page no="151"?> 7.2 Tradeoff, Agency und Hackordnung 151 riodische Berichte. Wenn sich die Unternehmung (etwas) verschuldet, dann können die Eigenkapitalgeber infolgedessen stärker darauf vertrauen, dass bereits die Banken den diskretionären Spielraum der Manager etwas einschränken - zum Vorteil auch der Eigenkapitalgeber. Vielfach kann das Management weitgehend allein über Investitionsprojekte entscheiden, sofern diese mit „eigener Kraft“ des Unternehmens finanziert werden. Sie ist durch das Potenzial an Innenfinanzierung gegeben. Die Eigenkapitalgeber haben über die Verwendung des Innenfinanzierungspotenzials keine volle Kontrolle. Das Management könnte daher mit Innenfinanzierung auch unrentable Maßnahmen ergreifen. Das erhöht die Agency-Kosten. Hat die Unternehmung hingegen so viele rentable Investitionsmöglichkeiten, dass diese bereits das Potenzial an Innenfinanzierung ausschöpfen, dann können die Eigenkapitalgeber auf zusätzliche Informationsbeschaffungen und auf Kontrollen verzichten und auch die disziplinierende Funktion des Fremdkapitals ist nicht mehr nötig, um das Management von unrentablen Investitionen abzubringen. Diese zweite Empfehlung des Agency-Ansatzes der Kapitalstruktur also lautet: Bei guten Investitionsopportunitäten benötigt die Unternehmung weniger Fremdkapital zur Reduktion der Agency- Kosten. Diese Situation ist bei Wachstumsunternehmen gegeben. Firmen im Wachstum haben zahlreiche und versprechende Projektideen. Sie können vergleichsweise tiefe Verschuldungsgrade aufweisen, und die disziplinierende Wirkung des Fremdkapitals wird nicht benötigt. Falls sie überhaupt Fremdkapital aufnehmen, dann handelt es sich um kurzfristiges Kapital für die Kassenhaltung. Beide Empfehlungen der Agency-Theorie zusammengefasst: In allen Unternehmen bestehen gewisse Informationsunterschiede zwischen Management und Eigenkapitalgebern, die dem Management einen gewissen diskretionären Freiraum geben. Diesen Freiraum kann das Management mit dem Potenzial an Innenfinanzierung zu Überinvestitionen verwenden. Die Frage lautet, wie abträglich die wenig kontrollierten Entscheidungen des Managements für die Eigenkapitalgeber tatsächlich sein dürften. Ist die mögliche abträgliche Wirkung hoch, weil die meisten Möglichkeiten weiterer Investitionen letztlich unrentabel sind, dann sollte wenigstens etwas Fremdkapital eingesetzt werden, um die von Fremdkapitalgebern und Banken ausgehende Disziplin walten zu lassen. Sind hingegen die weiteren Investitionsmöglichkeiten alle rentabel, dann kann eher auf eine Verringerung des Informationsunterschieds zwischen Eigenkapitalgebern und Management verzichtet werden, und auch der Einbezug von Fremdkapitalgebern wird überflüssig. Mit Agency-Theorie oder Prinzipal-Agenten-Beziehung werden mikroökonomische Modelle bezeichnet, die im Wesentlichen eine Delegation beschreiben. Eine Person oder Partei, der Prinzipal, betraut die andere Person oder Partei, den Agenten, mit einer Aufgabe. Dabei kann der Prinzipal den Agenten nur unvollständig kontrollieren. Gesucht ist eine Entgeltstruktur, eine Form der Ergebnisbeteiligung, damit sich der Agent aus eigenem Interesse in einer Weise verhält, die den Zielen und Wünschen des Prinzipals möglichst weit entgegenkommt. Zusätzlich können der Überwachungsaufwand des Prinzi- <?page no="152"?> 152 7. Kapitel: Die Kapitalstruktur pals oder der Aufwand des Agenten für das Signalisieren (eigener Leistung) als Entscheidungsvariable einbezogen werden. Früher wurde in Modellen der Delegation unterstellt, dass der Auftraggeber vollständige Information über alle Handlungen des Auftragnehmers hat oder sich diese leicht beschaffen kann, etwa durch Kontrollen oder die Entgegennahme von Berichten. Dann konnten Niveau sowie Art von Anstrengung und Einsatz des Agenten zum Gegenstand eines Vertrags gemacht werden. Agent und Prinzipal konnten Leistung und Gegenleistung vereinbaren. In der Realität ist die Annahme vollständiger Information selten erfüllt. Deshalb werden Modelle untersucht, bei denen die eine Partei (Auftraggeber, Prinzipal) weder alle Handlungen, noch die Anstrengung oder Qualifikation der anderen Partei (Auftragnehmer, Agent) kostenlos beobachten kann. Der Agent verfügt infolgedessen über einen Handlungsspielraum, den der Prinzipal nicht überblicken kann. Weil selbst im Nachhinein das Verhalten und der Einsatz des Agenten nicht zweifelsfrei festgestellt werden kann, ist es unmöglich, es zum Vertragsinhalt zu machen. Die Besonderheit bei der Agency-Theorie ist also die asymmetrische Information. Der Prinzipal kann selbst im Nachhinein nicht genau feststellen, wie stark sich der Agent bei der Aufgabenerfüllung wirklich eingesetzt oder angestrengt hat. 7.2.3 Hackordnung: M YERS und M AJLUF Die Agency-Theorie betont den Informationsunterschied zwischen Managern und Eigenkapitalgebern, der den Managern erlaubt, eigene Motive in die Entscheidungen und Maßnahmen einfließen zu lassen. Auch die Hackordnung der Finanzierung (Pecking-Order) geht vom Informationsunterschied zwischen Managern und Eigenkapitalgebern aus. Nur konzentriert sie sich auf die Möglichkeiten für die Neufinanzierung und bringt sie in eine Reihenfolge, die der Präferenz des Managements entspricht. Die Reihenfolge bekräftigt, dass Manager zunächst das Potenzial an Innenfinanzierung ausschöpfen. Erst anschließend erhöhen sie das Fremdkapital. Und erst dann, wenn das Fremdkapital aufgrund der höheren Verschuldung ausgesprochen teuer wird (wie von der Tradeoff-Theorie erklärt), wendet sich das Management an die Eigenkapitalgeber und ersucht um eine Kapitalerhöhung durch Ausgabe neuer Beteiligungstitel. Warum kommt in dieser Reihenfolge die Aufnahme neuen Eigenkapitals erst als Drittes? Die zukünftige Eigenkapitalrendite ist natürlich unsicher. Hinsichtlich der zu erwartenden Rendite müssen der (detaillierte) Informationsstand des Managements und die (weniger genauen) Informationen, die im Finanzmarkt kursieren, unterschieden werden. Externe Beobachter unterstellen den Managern, dass sie zugunsten des Unternehmens nur dann neue Aktien „verkaufen“ wollen, wenn diese eine geringere Rendite haben dürften als die (weniger gut informierten) Finanzinvestoren allgemein denken. Jeder weiß, wie das beim Verkauf gebrauchter Autos ist. Wenn jemand sein Auto anbietet, ist es wohl schlechter als es aussieht. Denn hätte die Sache keinen Haken, würde der jetzige Besitzer sein Fahrzeug wohl lieber noch ein paar Jahre behalten. Die Situation asymmetrischer Information drückt sich in einer Preisreduktion aus, ohne die ein Handel nicht zustande käme. Folglich zeichnen extern angesprochene Finanzinvestoren nur dann neue Aktien, wenn diese vom Management äußerst günstig angeboten werden. Doch das macht die Eigenfinanzierung über die <?page no="153"?> 7.2 Tradeoff, Agency und Hackordnung 153 Ausgabe neuer Aktien für das Unternehmen teuer. Die Eigenfinanzierung über eine Kapitalerhöhung ist daher für das Management nur der letzte Ausweg, um Investitionen zu finanzieren. Abb. 29: Pecking-Order der Finanzierung Die Hackordnung der Finanzierung besagt, dass aufgrund der Informationsasymmetrien von Fremd- und Eigenkapitalgebern eine Rangfolge besteht, in der das Management Finanzierungsmöglichkeiten wählt. Diese Pecking-Order geht auf S TEWARD C. M YERS und N ICHOLAS S. M AJLUF (1984) zurück. 1. Zunächst wird das Management Vorhaben mit Innenfinanzierung ermöglichen. Dabei muss das Management die Mittelverwendung kaum rechtfertigen und sich nicht um neue Finanzkontrakte bemühen. 2. Auf der zweiten Stufe steht die Finanzierung mit Fremdkapital. 3. Erst wenn beide Wege nicht ausreichen, wird versucht, das Eigenkapital zu erhöhen. Weshalb wird die Neuaufnahme von Eigenkapital als die am wenigsten attraktive Finanzierung angesehen? Mit der Ausgabe neuer Aktien muss die Unternehmung den neuen Aktionären Mitspracherechte gewähren und vielleicht auch für Dividenden sorgen. Zudem hat die Erhöhung des Aktienkapitals eine negative Signalwirkung. Im Finanzmarkt wird gedacht, die anderen beiden Möglichkeiten der Finanzierung seien nun ausgeschöpft. Auch die bisherigen Eigenkapitalgeber sind von geringen Ausgabepreisen betroffen und möglicherweise benachteiligt, weshalb sie Bezugsrechte erhalten. Wird trotz dieser Argumente vom Management eine Kapitalerhöhung vorbereitet, dann rechnet das Management offenbar damit, einen höheren Ausgabepreis erzielen zu können, eben höher als dem Informationsstand des Managements über die zukünftigen Perspektiven entspricht. Wenn eine Kapitalerhöhung stattfindet, muss diesen Überlegungen nach ein zu hoch bemessener Ausgabepreis unterstellt werden. Aktionäre dürften die Kursbildung als zu hoch ansehen und würden mit Verkäufen beginnen. Tatsächlich sind negative Kurseffekte bei Aktienemissionen empirisch belegt. Das Umgekehrte gilt bei Aktienrückkäufen: Sie werden als positives Signal für den wahren Wert einer Aktie gewertet, weshalb die Kurse steigen. Innenfinanzierung (Selbst generierte Mittel) Kapitalerhöhung Fremdfinanzierung <?page no="154"?> 154 7. Kapitel: Die Kapitalstruktur Die Argumentationen der Hackordnung haben eine gewisse Gültigkeit: Empirisch zeigt sich, dass profitablere Unternehmen tiefere Verschuldungsgrade aufweisen. Auch wenn diese vom Tax-Shield profitieren könnten, sind Unternehmen mit einer guten Ertragskraft von der Fremdfinanzierung unabhängiger und verschulden sich weniger stark. Unternehmen mit geringerer Ertragskraft und weniger Möglichkeiten zur Innenfinanzierung sind stärker auf Fremdkapital angewiesen und zeigen in der empirischen Forschung höhere Verschuldungsgrade. 7.3 Anstreben einer Ziel-Kapitalstruktur Zur Kapitalstruktur der Unternehmung - also zur Frage, wie Unternehmen am besten ihr Finanzierungsportfolio aus Eigen- und aus Fremdkapital zusammensetzen sollten - wurden vier Argumentationsketten entwickelt: 1. M ODIGLIANI und M ILLER zeigten, dass die Kapitalstruktur keinen Einfluss auf den Wert der Unternehmung habe und daher irrelevant sei. Sie gingen von Annahmen wie einem „perfekten Markt“ aus, die offensichtlich nicht immer erfüllt sind. M ODIGLIANI und M ILLER zeigten deshalb auf, in welchen Situationen und warum dann die Kapitalstruktur für ein Unternehmen durchaus Bedeutung hat. 2. Mit dem Tradeoff-Ansatz wird der Steuervorteil thematisiert - die Gesetze begünstigen die Fremdfinanzierung - wobei allerdings bei hoher Verschuldung Nachteile entstehen, weil die Unternehmung leicht in einen Finanzengpass (Distress) geraten könnte. Folglich wäre eine leichte, aber nicht zu hohe Verschuldung „optimal“. 3. Die Agency-Theorie thematisiert, dass sowohl das Eigenals auch das Fremdkapital Abhängigkeiten schafft, und dass Kapitalgeber Kontrollkosten haben, mit denen letztlich die Unternehmung belastet wird. Je nach Situation sollte daher eine Unternehmung bei einer Neufinanzierung stärker danach trachten, das Eigenkapital zu erhöhen beziehungsweise eben sich zusätzlich zu verschulden. 4. Die Hackordnung nach M YERS und M AJLUF postuliert dies: Das Management hat eine hierarchische Präferenz bei der Finanzierung neuer Investitionsprojekte. Zuerst wird versucht, ganz mit Innenfinanzierung (wie der Verwendung von Umsatzerlösen, die der Abschreibung auf bestehende Anlagen entspricht) auszukommen. Genügen diese Mittel nicht, wird zusätzlich neues Fremdkapital aufgenommen. Erst wenn auch das nicht reicht, um ein Projekt zu finanzieren, werden die Eigenkapitalgeber um zusätzliche Einlagen ersucht. Angesichts dieser unterschiedlichen theoretischen Ansätze stellt sich die Frage, welcher die Wirklichkeit am besten erklären kann. Empirische Untersuchungen für die großen Wirtschaftsregionen der Welt - USA, Europa, Asien - zeigen, dass die meisten Unternehmen eine Ziel-Kapitalstruktur haben. Diese Ziel-Kapitalstruktur ist unternehmensindividuell verschieden, wenngleich es branchentypische Ziel-Kapitalstrukturen gibt. <?page no="155"?> 7.4 Fazit zum Kapitel Die Kapitalstruktur 155 Nach besonderen Finanzierungsvorgängen, durch die im Augenblick von der Ziel- Kapitalstruktur abgewichen wird, sind die Unternehmungen bestrebt, diese im Verlauf der nächsten Jahre wieder zu erreichen. Die Konvergenzgeschwindigkeit ist recht hoch: Etwa 50% bestehender Abweichungen von der Ziel-Kapitalstruktur werden pro Jahr wieder korrigiert. Dieser empirische Befund ist gut mit dem Tradeoff-Ansatz vereinbar. Einzelne der empirischen Studien machen indes auf Besonderheiten aufmerksam, die wiederum mit der Hackordnung der Finanzierung zu erklären sind. Zu diesen Besonderheiten gehört eine leicht negative Korrelation zwischen der Profitabilität der Unternehmungen und dem Verschuldungsgrad. Anscheinend geraten Unternehmungen also doch hin und wieder in einen Bereich, wo sie (aufgrund der Hackordnung) so viel Fremdkapital aufgenommen haben, dass die Eigenkapitalrendite beeinträchtigt wird. In der Folgezeit sind sie dann bemüht, Gewinne einzubehalten oder eine Kapitalerhöhung durchzuführen, um den Eigenkapitalanteil zu stärken. 7.4 Fazit zum Kapitel Die Kapitalstruktur 7.4.1 Zusammenfassung Für den Kapitalanleger stellt die klassische Portfoliotheorie ein modernes Denkgerüst bereit. Gemäß der Definition von M ARKOWITZ sind Portfolios effizient, wenn es keine weitere Kombination der Einzelanlagen gibt, die hinsichtlich Renditeerwartung und Risiko dem betrachteten Portfolio überlegen wären. Wie sich bei einem Kapitalverwender das Portfolio aus verschiedenen Finanzierungen zusammensetzt, ist wesentlich komplexer und von Besonderheiten im Einzelfall abhängig. Generelle Untersuchungen hinsichtlich des Portfolios aus Finanzierungen klären die Frage, wie sich das Finanzierungsportfolio aus Eigen- und Fremdkapital zusammensetzen sollte. Das ist die Frage nach der Kapitalstruktur. Die Untersuchungen zur Kapitalstruktur münden in mehrere Konzepte: 1. Der Leverage-Effekt: Durch den Einsatz von Fremdkapital lässt sich die Eigenkapitalrendite verändern. Mit Verschuldung nimmt nicht nur die erwartete Eigenkapitalrendite zu, sondern auch deren Risiko. 2. Das auf M ODIGLIANI und M ILLER zurückgehende Irrelevanztheorem besagt, dass die Kapitalstruktur der Unternehmung unter bestimmten Voraussetzungen irrelevant ist. Wer in der Praxis durch Kapitalstrukturentscheidungen eine Wertsteigerung erreichen möchte, muss sich daher auf Situationen konzentrieren, in denen eine oder mehrere der getroffenen Voraussetzungen nicht erfüllt sind. 3. Wird von der Annahme der Steuerneutralität der Finanzierung abgesehen und werden Konkurskosten berücksichtigt, dann ergeben sich zwei Effekte: Zum einen profitiert die Unternehmung aufgrund der steuerlichen Abzugsfähigkeit von Schuldzinsen vom Tax- <?page no="156"?> 156 7. Kapitel: Die Kapitalstruktur Shield. Dagegen steigen mit zunehmendem Verschuldungsgrad die Kosten eines Financial Distress, und zwar sogar überproportional. Durch Ausgleich beider Effekte wird ein optimaler Verschuldungsgrad festgelegt. Dieses Konzept wird als Tradeoff-Ansatz bezeichnet. 4. Die Agency-Theorie von J ENSEN und M ECKLING geht von asymmetrisch verteilter Information zwischen Aktionären und Management aus. Ob der diskretionäre Handlungsspielraum in abträglicher Weise genutzt wird, hängt wesentlich davon ab, ob die Projektideen überwiegend hohe Rentabilität versprechen oder nicht. 5. Im Zentrum der Hackordnung (Pecking-Order) von M YERS und M AJLUF steht die Überlegung, dass die Ausgabe neuer Beteiligungstitel (Eigenkapital) die teuerste Finanzierungsvariante darstellt. Der Grund dafür liegt im Signaleffekt einer Kapitalerhöhung, der sich wiederum aus der Informationsasymmetrie erklärt. 7.4.2 Lernpunkte 1. Das besprochene Irrelevanztheorem von M ODIGLIANI und M ILLER besagt, dass bei einem perfekten Kapitalmarkt eine Veränderung der Kapitalstruktur keinen wertschaffenden Effekt hat. Die Kapitalstruktur ist für den Wert einer Unternehmung irrelevant. Voraussetzung ist ein perfekter Kapitalmarkt, eine finanzierungsneutrale Steuergesetzgebung und das Fehlen der Konkursgefahr. 2. Der Tradeoff-Ansatz postuliert, dass die Steuervorteile einer höheren Verschuldung und die dadurch bedingten höheren Konkurskosten ausgeglichen werden müssen. Der Ausgleich legt die optimale Kapitalstruktur fest. 3. Der Agency-Ansatz von J ENSEN und M ECKLING besteht darin, dass die Agency- Kosten des Managements durch die Wahl der Kapitalstruktur minimiert werden sollen. 4. Die Hackordnung (Pecking-Order) von M YERS und M AJLUF postuliert die optimale Finanzierungshierarchie. Dabei ist Eigenkapital die teuerste und Fremdkapital die zweitteuerste Finanzierung. Am günstigsten sind die selbst erwirtschafteten Ressourcen (Innenfinanzierung). 7.4.3 Erwähnte Namen M ICHAEL J ENSEN , W ILLIAM M ECKLING , M ERTON H. M ILLER , N ICHOLAS S. M AJLUF , F RANCO M ODIGLIANI , S TEWARD C. M YERS . 7.4.4 Schlüsselbegriffe Agency-Kosten, Agency-Theorie, Corporate Governance, Distresskosten, Hackordnung der Finanzierung, Illiquidität, Irrelevanz der Kapitalstruktur, Irrelevanztheorem, Kapitalstruktur, Leverage-Effekt, Prinzipal, Prinzipal-Agenten-Theorie, Tax-Shield, Tradeoff- Ansatz, Verschuldungsgrad, Ziel-Kapitalstruktur. <?page no="157"?> 7.4 Fazit zum Kapitel Die Kapitalstruktur 157 7.4.5 Fragen zur Lernstandskontrolle 1. a) Kann ein Unternehmen der Rüstungsindustrie gut eine Publikumsgesellschaft sein? b) Warum könnte sich das Management einer Unternehmung, die sich in einer Restrukturierungsphase befindet, eher einen Großaktionär als viele Kleinaktionäre wünschen? c) Welche Unternehmungen könnten sich gut dem Aktionärspublikum gegenüber öffnen? d) Welche Voraussetzungen sollten erfüllt sein, damit sich eine Unternehmung gut mit kurzfristigem Fremdkapital finanzieren kann? [Antworten: Abschnitt 7.1.1] 2. a) F. Modigliani und M. Miller postulierten, die Unternehmung solle bei Entscheidungen wie denen über die Kapitalstruktur die Auswirkungen auf den Unternehmenswert als Kriterium heranziehen. Welche Auswirkungen hat nach ihnen die Zusammensetzung des Kapitals aus Eigen- und aus Fremdkapital auf den Wert? b) Welche Voraussetzungen haben Modigliani und Miller getroffen? [Antwort: Abschnitt 7.1.4] 3. Unterscheiden Sie Insolvenz und Illiquidität, Distress und Konkurs! [Antwort: Abschnitte 7.1.4 und 7.2.1] 4. a) Wodurch ist der optimale Verschuldungsgrad nach dem Tradeoff-Ansatz bestimmt? [Antwort: Abbildung 28 in Abschnitt 7.2.1], b) wodurch nach der Agency- Theorie [Antwort: Abschnitt 7.2.2] und wodurch nach der Hackordnung der Finanzierung? [Antwort: Abschnitt 7.2.3] 5. Ein Sprichwort sagt, „was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß“. Warum wird dann in der Agency-Theorie die asymmetrische Informationsverteilung für Prinzipale als nachteilig angesehen? [Antwort: Abschnitte 7.2.2 und 7.2.3] <?page no="159"?> 8. Kapitel: Anleihen Anleihen (oder Renten, Obligationen und Bonds) unterstehen den Gesetzen für Wertpapiere und werden an Börsen gehandelt. Sie sehen eine von Anfang an bestimmte Rückzahlung vor, womit meistens der Nominalbetrag gemeint ist. Des Weiteren bieten sie dem Inhaber oder einem namentlich genannten Gläubiger Forderungen auf periodische Kuponzahlungen, die ebenso wie die Rückzahlung von Anfang an feststehen und deren Höhe als Prozentsatz des Nominalbetrags festgeschrieben ist. Anleihen sind damit börsengehandelte Schuldtitel. Schreiben Finanzverträge ähnlich strukturierte Forderungen fest, die aber nicht dem Wertpapiergesetz unterliegen und nicht in den Handel an Börsen einbezogen sind, so wird allgemein von Zinsinstrumenten gesprochen. Ein Beispiel sind kurzfristige Kredite, die Kommunen aufnehmen und als Kassenkredite bezeichnet werden. Ein anderes Beispiel für Zinsinstrumente sind Geldmarktpapiere, die kaum handelbar sind und die einen Kredit näher beschreiben, den ein Unternehmen für einige Monate von einer Bank erhält. Der Begriff der Zinsinstrumente wird allgemein und weit umfassend verstanden. Auch Anleihen sind Zinsinstrumente. Die weite Begriffsfassung ist zweckmäßig. Viele Eigenschaften dieser Finanzkontrakte, so etwa die durch Zinsänderungen bewirkten Wertänderungen, gelten für Anleihen ebenso wie für alle anderen Zinsinstrumente. Werden diese und andere finanzmathematischen Eigenschaften untersucht, so wird daher gleich von Zinsinstrumenten (und nicht nur von Anleihen) gesprochen. Das entsprechende Teilgebiet der Finance, in dem diese Eigenschaften wissenschaftlich aufgezeigt werden, wird im Jargon als Fixed-Income angesprochen. Zinsinstrumente oder Fixed-Income-Instruments sind also Finanzkontrakte mit einer bei Abschluss oder Emission festgeschriebenen Laufzeit und mit festgeschriebenen periodischen Zahlungen, die der Kapitalverwender dem Kapitalgeber zu leisten verspricht. Zinsinstrumente beschreiben einen Kredit: Der Kapitalverwender ist ein Schuldner, der Kapitalgeber oder Finanzinvestor ist ein Gläubiger. Zwei der Finanzmärkte Instrumente Kapitalmarkt Anleihen mit anfänglichen Laufzeiten von mehr als einem Jahr Geldmarkt Geldmarktpapiere mit Laufzeiten unter einem Jahr, Geldhandel „over night“ Wir wenden uns zunächst den am meisten verbreiteten Arten von Zinsinstrumenten zu, den Anleihen. Im Segment der Zinsinstrumente längerer Laufzeit zeichnen sich einige Finanzkontrakte durch spezifische und besondere Eigenschaften aus. Dazu gehören Zerobonds, ewig laufende Anleihen (Perpetuals oder Consol Bonds), variabel verzinsliche Anleihen (Floater), des weiteren Eurobonds, kündbare Anleihen (Callable Bonds), Wandelanleihen <?page no="160"?> 160 8. Kapitel: Anleihen (Convertible Bonds) und MCS (Mandatory Convertible Securities, Pflichtwandelanleihen), inflationsgeschützte Anleihen sowie auf den Namen (nicht den Inhaber) lautende Papiere. Diese Instrumente werden in Abschnitt 8.4 näher beschrieben. Zunächst werden aber die Zinsstruktur und ihre Determinanten betrachtet (Abschnitt 8.1), anschließend die Geldpolitik der Zentralbank, Inflation und Deflation (Abschnitt 8.2) sowie die unkonventionelle Geldpolitik (Abschnitt 8.3). 8.1 Zinsstruktur und ihre Determinanten 8.1.1 Determinanten der Zinsstruktur und Zinsstrukturtypen Der Finanzmarkt führt generell zur Kursbildung für die gehandelten Wertpapiere und Finanzpositionen. Im Kapitalmarkt ist damit die Kursbildung bei Anleihen gemeint. Im Kapitalmarkt stellt sich der Kurs einer jeden gehandelten Anleihe in Höhe des Barwertes aller zukünftigen Zahlungen ein, die mit der Anleihe verbunden sind. Denn man kann die von einer Anleihe bewirkten Zahlungen nachbilden (replizieren), indem einzelne Geldanlagen getätigt werden, die im Ergebnis die Kuponzahlungen und die Rückzahlung erzeugen. Für diese Nachbildung sind die Zinssätze der entsprechenden Fristen maßgeblich. Sowohl die Anleihe als auch die Nachbildungen zusammengenommen erzeugen dieselben zukünftigen Zahlungen. Deshalb hat die Anleihe denselben Wert wie die sie nachbildenden Anlagen. Andernfalls wäre der Markt nicht frei von Arbitrage. Die Rechnung zeigt, dass der Wert der Anleihe gleich der Summe der von ihr mit den Zinssätzen diskontierten Zahlungen ist (siehe 8.1.2). Durchaus kann der Zinssatz, mit dem eine zukünftige Zahlung diskontiert wird, von dem Zeitpunkt abhängen, zu dem sie fällig ist. Deshalb wird von einer ganzen Zinsstruktur gesprochen, oder in Bezug auf ihre grafische Darstellung, von einer Zinskurve. Sind die Zinssätze bekannt, dann kann eine beliebige Anleihe bewertet werden, und ihr Wert wird sich im gut funktionierenden Markt als Kurs herausbilden, zu dem sie dann auch gehandelt wird. Der Wert und damit der Kurs einer Anleihe ist gleich der Summe der Barwerte der noch ausstehenden Kuponzahlungen und der Rückzahlung. Dieser generelle Zusammenhang wirft die Frage auf, wie und wodurch die Zinssätze festgelegt werden. In der Wirklichkeit ist es so, dass die Händler im Kapitalmarkt die Kurse machen, und die Kurse legen wiederum, gleichsam implizit, die Zinssätze so fest, dass die durch Handel zustande kommenden Kurse genau den Barwerten der Zinssätze entsprechen. Es ist also so, dass die Kurse im Handel zustande kommen, und die Zinssätze dadurch implizit festgelegt werden (und geeignet aus den Kursen errechnet werden können). Eine erste Determinante für die Höhe der Zinssätze stellt die Laufzeit eines Zinsinstruments dar, genauer gesagt (weil es Floater gibt), die Zeitspanne, für die der Zins in fester Höhe vereinbart wird, die Zinsbindungsfrist. Die grafische Darstellung der sich über <?page no="161"?> 8.1 Zinsstruktur und ihre Determinanten 161 die verschiedenen Zinsbindungsfristen zu einem bestimmten Zeitpunkt (meist: heute) ergebenden Zinssätze wird als Zinsstruktur, Zinskurve, Fristenstruktur der Zinssätze oder Term Structure of Interest Rates bezeichnet. In Bild 30 sind die Zinssätze unterschiedlicher Fristen über den Zeitraum von 1980 bis 2019 für die USA abgetragen. Die dicke, durchgezogene Linie kennzeichnet die Renditen für 10-jährige Laufzeiten der jeweiligen Benchmarkanleihe. Die übrigen, stärker schwankenden Linien beziehen sich auf Sätze kürzerer Frist. Deutlich erkennbar ist, dass sich die Nominalzinssätze in den 1980er Jahren als Folge der Inflationsbekämpfung merklich zurückgebildet haben. In Europa, vor allem in Deutschland und in der Schweiz, kam es 1989 zu einem starken Anstieg des gesamten Zinsniveaus, insbesondere bei den kurzfristigen Zinssätzen. Denn auf den Börsencrash 1987 reagierten die Zentralbanken zunächst mit einer expansiven Geldpolitik - es sollte eine Ausweitung des Börsencrashs in eine Krise wie 1929 verhindert werden. Die Finanzmärkte konnten sich daraufhin rasch erholen, und die Zentralbanken kehrten 1989 zu einer restriktiveren Geldpolitik zurück, um nicht einem starken inflationären Auftrieb Vorschub zu leisten. Abb. 30: Zinssätze USA 1980 bis 2019 (Datenquelle: Thomson Reuters Datastream) Politische Entwicklungen kamen hinzu: Die in Deutschland 1990 eingeleitete Wiedervereinigung und die Politik, Ostmark 1: 1 in DM zu tauschen, erzeugte das Potenzial einer starken Inflation. Die Zinsniveaus wurden angehoben, um Ostdeutsche davon abzuhalten, das Geld sofort auszugeben. Die hohen Zinsen in Deutschland strahlten auf ausländische Kapitalmärkte aus. Die hohen Zinsen von 1989 bis 1993 lösten in Deutschland und in der Schweiz zunächst eine Immobilienkrise aus. Sie war der Beginn einer rezessiven Wirtschaftsentwicklung, die einige Jahre anhielt. <?page no="162"?> 162 8. Kapitel: Anleihen Was das Verhältnis von kurzen zu langfristigen Zinssätzen betrifft, also den Unterschied für Zinsbindungsfristen von einem beziehungsweise zehn Jahren, so liegen meistens die Zinssätze am langen Ende über denen am kurzen Ende. Man spricht in diesem Fall von einer ansteigenden oder normalen Fristenstruktur der Zinssätze. Auch wenn eine ansteigende Zinskurve der Regelfall ist, so gibt es Ausnahmen. In den Jahren 1981/ 82 sowie von 1990 bis 1993 lagen die kurzfristigen über den langfristigen Zinssätzen. Diese Situation einer fallenden oder inversen Fristenstruktur der Zinssätze deutet darauf hin, dass die Zentralbank eine restriktive Geldpolitik anwendet (um Inflation zu bekämpfen) und dass die Versicherungen und Pensionskassen, die Bonds mit langer Restlaufzeit kaufen, bereits vom Erfolg der Stabilitätspolitik überzeugt sind und mit den sogar geringeren Zins-sätzen am langen Ende zufrieden sind. Im Übergang von einer normalen zu einer inversen Struktur oder umgekehrt beobachtet man immer wieder flache Zinskurven. Abb. 31: Zinskurven USA 1980 bis 2019 (Datenquelle: Thomson Reuters Datastream) Für die USA sind die Zinskurven der Jahre 1980 bis 2019 in Bild 31 dargestellt. Es handelt sich um jene Zinssätze, welche die Kursbildung amerikanischer Staatsanleihen (US- Treasuries) mit Laufzeiten von ein, zwei, drei, fünf, sieben und zehn Jahren beschreiben. Besonders hervorgehoben sind die Jahre 1980 (inverse Struktur der Zinskurve), 1982 (höchstes Zinsniveau und flache Struktur), 1990 (flache Struktur), 1994 (normale Fristenstruktur) sowie 2012 bis 2016 mit der tiefsten Fristenstruktur der vergangenen 30 Jahre. Die Zinssätze variieren mit der Frist. Die Zinskurve ist fast immer leicht konkav gewölbt. Die Theorie lehrt, dass die Stärke der konkaven Krümmung der Zinskurve die Unsicherheit hinsichtlich zukünftiger Zinsen ausdrückt. <?page no="163"?> 8.1 Zinsstruktur und ihre Determinanten 163 8.1.2 Bewertung von Zinsinstrumenten Der Anleger, der eine Anleihe kauft, erwirbt einen zukünftigen Zahlungsstrom, der seiner Höhe nach fixiert ist. Er besteht aus periodisch wiederkehrenden Kuponzahlungen sowie aus einer Rückzahlung am Ende der Laufzeit. Nun sind die Menschen ungeduldig und verschieben nur dann Konsum, wenn jeder heutige Konsumverzicht und damit jeder angelegte Geldbetrag eine positive Rendite erwarten lässt. Dies bedeutet, dass in der Zukunft fällige Zahlungen auf den heutigen Zeitpunkt bezogen einen geringeren Wert haben. Die Ermittlung der Werte von Zahlungen, die erst in der Zukunft fällig sind, wird als Diskontierung bezeichnet. Der Wert einer Anleihe, bezeichnet mit W , ergibt sich aus der Summe aller diskontierten Zahlungen, die dem Inhaber zufließen werden: 2 3 1 100 ... 1 1 1 1 1 T t 1 2 3 T 1 T C C C C C + W = + + + + + + i ( + i ) ( + i ) ( + i ) ( + i ) Die Kupons, die erstmalig in einem Jahr, dann in zwei Jahren und zuletzt in T Jahren, zum Ende der Laufzeit, gezahlt werden, sollen alle dieselbe Höhe C haben. Der Nominalbetrag der Anleihe sei 100 . Die Diskontsätze bestimmen sich allgemein nach dem Risiko der später fälligen Zahlung sowie nach der Dauer zwischen dem heutigen Bewertungszeitpunkt und dem Zahlungszeitpunkt. Es wird der Satz gewählt, der für äquivalente Finanzinstrumente sonst im Finanzmarkt als Rendite erwartet werden kann. Hier sind das die Zinssätze. Sie sind mit 1 ... 2 T i , i , , i bezeichnet. Beispiel: Wir betrachten eine Anleihe mit einer Laufzeit von drei Jahren, 3 T = , einem Kupon 50 C = Euro und einer Rückzahlung von 1.000 Euro. Die Zinsstruktur sei steigend, und entsprechend der Bonität der betrachteten Anleihe sollen die in einem, zwei und drei Jahren fälligen Zahlungen mit 1 2 3 4%, 5%, 6 i = i = i = diskontiert werden. Es folgt: 2 3 50 50 1.050 48 08 45 35 935 56 1028 99 1,04 1,05 1,06 W = + + = , + , + , = , für den in Euro ausgedrückten Wert. Bei praktischen Bewertungsproblemen wird häufig die Zinsstruktur als gegeben betrachtet. Allerdings ist es in Wirklichkeit natürlich so, dass die Zinsstruktur am Markt nicht direkt beobachtet werden kann. Beobachtbar sind die für Anleihen mit verschiedenen Eigenschaften bezahlten Kurse. Aus den Kursen lassen sich dann die Zinssätze errechnen, die infolgedessen implizit durch die Kursbildung festgelegt werden. Selbstverständlich kommen die Kurse der Anleihen aufgrund von Angebot und Nachfrage zustande, und in diese fließen die Erwartungen und Vergleiche der Marktteilnehmer ein. <?page no="164"?> 164 8. Kapitel: Anleihen Für die Berechnung der Rendite einer einzelnen Anleihe ist dieses Verfahren jedoch nicht praktikabel, da zumeist nur der Zahlungsstrom aus dem einzelnen Instrument sowie der bezahlte Kurs bekannt sind. In Unkenntnis der konkreten Zinsstruktur geht man daher vereinfachend von der Annahme aus, dass der zu suchende Diskontsatz über alle Laufzeiten identisch ist, dass also eine flache Fristenstruktur der Zinssätze vorliegt. Gesucht ist damit der Satz y (wie „yield“), der die Zahlungsreihe zum Ausgleich bringt: 2 3 1 100 ... 1 1 1 1 1 T T C C C C C + W = + + + + + + y ( + y) ( + y) ( + y) ( + y) Dieser Satz y heißt Rendite bis Verfall, Yield to Maturity (YTM) oder kurz Yield. Er entspricht dem internen Zinssatz der Zahlungsreihe. Beispiel: Wir betrachten eine Anleihe mit einer Laufzeit von drei Jahren, 3 T = , einem Kupon 50 C = Euro und einer Rückzahlung von 1.000 Euro. Ihr Kurs soll genau dem zuvor errechnetem Wert in Höhe von 1028 99 , entsprechen. Aus 2 3 50 50 1.050 1028 99 1 1 1 W = + + = , + y ( + y) ( + y) ergibt sich, etwa mit dem Solver im Menü Tools bei Excel, 3,96 y = (Prozent). Das ist die Rendite bis Verfall. In der Praxis wird die Rendite einer Anleihe als wichtige Kennzahl betrachtet. In den Kursblättern werden für alle Anleihen die Renditen bis Verfall genannt, während die Zinsstruktur lediglich ab und zu als Grafik dargestellt wird. 8.1.3 Determinanten der Zinsstruktur Die Diskussion der Zinsentwicklung über die letzten 25 Jahre hat gezeigt, dass die Zinskurve von verschiedenen Einflussfaktoren abhängt: Am kurzen Ende unterliegt sie dem Einfluss der Geldmengenpolitik der Zentralbanken. Durch die Fixierung des Leitzinses legen diese die Konditionen fest, zu denen sich die Geschäftsbanken eines Landes bei der Zentralbank refinanzieren können. Die Refinanzierung geschieht entweder über einen Diskontkredit oder einen Lombardkredit. Der Diskontkredit basiert auf der Diskontierung von Wechseln, während beim Lombardkredit der Zentralbank Wertpapiere in Pension gegeben werden. Die direkte Steuerungsmöglichkeit der Zentralbanken ist bei der konventionellen Geldpolitik auf dieses kurze Segment beschränkt. Neben der Refinanzierungspolitik umfasst das geldpolitische Instrumentarium einer Zentralbank die Offenmarktpolitik sowie die Mindestreservepolitik. Als Offenmarktpo- <?page no="165"?> 8.1 Zinsstruktur und ihre Determinanten 165 litik oder als Offenmarktgeschäfte bezeichnet man den Kauf oder Verkauf von Wertpapieren durch die Zentralbank. Häufig wird ein Wertpapier nicht gekauft, sondern nur vorübergehend gegen Geld entgegengenommen. Man spricht dann von Pensionsgeschäften. Bei einem Repogeschäft ist ein Verkauf mit einer späteren Rückkaufsverpflichtung gekoppelt. In der jüngsten Zeit haben Zentralbanken auf unkonventionelle Weise den Kapitalmarkt durch Kauf von Anleihen beeinflusst. Die Mindestreservepolitik stellt auf die Höhe der Mindestreserven ab, die Geschäftsbanken bei der Zentralbank halten müssen. Die Konditionen am langen Ende werden durch die Kapitalnachfrage der Unternehmen und vor allem des Staates sowie durch die Inflationserwartungen beeinflusst. Wird ein Wirtschaftsaufschwung erwartet, dann steigt die Nachfrage der Unternehmen nach „langem Kapital”, weil Unternehmen ihre Realinvestitionen verstärken. Damit steigen die langfristigen Zinssätze. Ein weiterer Faktor ist die Kapitalnachfrage des öffentlichen Sektors. So führten die Haushaltsüberschüsse in den USA bis etwa 2001 zu einem Absinken der Zinssätze im 30-jährigen Laufzeitenbereich. Denn der Staat verzichtete nicht nur auf die Erneuerung von auslaufenden Staatsanleihen, sondern zahlte in Einzelfällen ausstehende Bonds zurück. Dies drückte auf die Renditen. Das Wissen um die Determinanten der Zinsstruktur liefert Grundlagen für die Interpretation der Zinskurven. Die kurzen Sätze sind ein Spiegel der Geldpolitik der Zentralbank. Die langen Zinssätze sind ein Indikator für die Kapitalnachfrage und die langfristigen Inflationserwartungen. Ein steiler Anstieg der Fristenstruktur gilt als Signal für einen bevorstehenden Wirtschaftsaufschwung. Die Marktteilnehmer gehen von einer starken Kapitalnachfrage oder einem Inflationsanstieg aus. Beide Faktoren führen zu einem Anstieg der nominalen langfristigen Zinsen. Die Steilheit der Zinsstruktur wird durch den Term-Spread gemessen. Der Term- Spread ist die Differenz zwischen dem Zinssatz am langen und jenen am kurzen Ende. Die Stärke der Krümmung der Zinskurve weist auf die Volatilität der Zinssätze hin. Ist die Zinskurve fast eine Gerade und kaum gekrümmt, rechnet niemand bei den Zinssätzen mit Überraschungen. Ist die Zinskurve hingegen stark gewölbt, können die Zinssätze durchaus unerwartete Veränderungen haben. Eine inverse Kurve (negativer Term-Spread) heißt zwar zunächst, dass die kurzfristigen Sätze höher als die langfristigen sind, doch in der weiteren Zukunft rechnen die Marktteilnehmer wieder mit einem tieferen Zinsniveau. Der Grund: Hohe Zinsen für kurzfristige Anlagen sind der Ausdruck einer restriktiven Geldpolitik. In der Folge wird allgemein erwartet, dass sich die Inflation zurückbildet. Deshalb sind Finanzanleger mit einer geringeren nominalen Höhe der Zinsen zufrieden. Die Situation in den Jahren 2003 und 2004 zeichnete sich durch zwei Besonderheiten aus: Erstens war das Zinsniveau in den Industriestaaten auf einem historischen Tiefstand angelangt: Die nominale Rendite für 10-jährige US-Treasuries fiel im Juni 2003 auf das damalige <?page no="166"?> 166 8. Kapitel: Anleihen Minimum von 3,2%. Zweitens war die Zinskurve steil ansteigend: Der Term-Spread war seit Ende 2001 überdurchschnittlich hoch. Gemessen an einer Inflationsrate von 3,3% für 2000 und rund 2% ab 2001 heißt dies, dass die Realzinsen in den USA seit 2001 negativ waren. Negative Realzinsen gelten als ein Zeichen, dass eine besondere Situation und Politik vorliegen: Die Zentralbank möchte eine wirtschaftliche Erholung herbeizwingen. Jedoch wurde dieser Zweck der Geldpolitik nicht so schnell Realität, und es gab kaum Kapitalnachfrage im mittleren Laufzeitsegment. 8.2 Geldpolitik, Inflation und Deflation 8.2.1 Geldpolitik Für jedes Währungsgebiet wurde oder wird eine Zentralbank eingerichtet. Die Europäische Zentralbank für das Eurosystem wurde 1998 in Frankfurt am Main gegründet. Nach wie vor bestehen die Zentralbanken der Mitgliedsländer der Eurozone. Die Deutsche Bundesbank wurde 1957 für das Währungsgebiet der Deutschen Mark gegründet, und zuvor wurden die Funktionen von der 1876 gegründeten Reichsbank in Berlin wahrgenommen. Die Banque de France wurde 1800 von Napoléon Bonaparte gegründet, die Banca d’Italia 1893. Die Österreichischen Nationalbank nahm 1816 ihre Tätigkeit in Wien auf. Außerhalb des Eurosystems sollen diese Zentralbanken genannt werden: Die 1694 gegründete Bank of England (Bank von England) als Zentralbank des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland hat den Sitz in London. Die 1905 für den Franken gegründete Schweizerische Nationalbank hat ihren Sitz in Zürich. Das 1913 gegründete Federal Reserve System (kurz Fed) für den Dollar hat den Sitz in Washington. Die 1948 gegründete People's Bank of China für den Renminbi (die Währung der Volksrepublik China) hat den Sitz in Peking. Die Zentralbank der Republik Türkei (Türkiye Cumhuriyet Merkez Bankasi) hat seit . Die Bank hat ihren Sitz in Ankara. Die Aufgaben dieser Zentralbanken sind ähnlich. Sie haben das alleinige Recht, die Währung auszugeben, sie sollen für einen effizienten Zahlungsverkehr und ein stabiles Geldwesen (Zahlungsverkehr) sorgen und die Geschäftsbanken und die Finanzmärkte dahingehend beaufsichtigen, dass die Stabilität des Geldwesens gesichert bleibt. Des Weiteren sind den Zentralbanken gewisse Ziele übertragen, die sie mit der Art und Weise verfolgen sollen, in der sie den Banken und den Finanzmärkten Geld geben oder nehmen. Voran sollen die Zentralbanken die Kaufkraft des Geldes erhalten. Sie wird an den Veränderungen eines Preisindizes festgemacht, der sich auf einen Korb von Konsumgütern bezieht (Consumer Price Index, CPI), typischerweise aber die Preise für Vermögensobjekte nicht berücksichtigt. Das Preisniveau für Häuser ist nur insoweit indirekt eingeschlossen, als der Warenkorb die Ausgaben eines Personenhaushaltes für die Miete einschließt. Inflation bezeichnet den Anstieg der Preise von Gütern und Dienstleistungen im Verlauf der Zeit und damit den Verlust der Kaufkraft des Geldes. Sie bezieht sich auf eine <?page no="167"?> 8.2 Geldpolitik, Inflation und Deflation 167 Periode (meist ein Jahr) und die Veränderung des Preises eines bestimmten „Warenkorbes“, einer Liste von Gütern und Dienstleistungen (die nach einer Erhebung etwa von einer vierköpfigen Familie gekauft werden). Typischerweise sind Preisänderungen bei Wertpapieren nicht in Inflationsraten enthalten, wohl aber Änderungen bei der Miete und beim Energieverbrauch. Neben der Geldwertstabilität verlangen die gesetzlichen Aufträge an die Zentralbanken, wenngleich unterschiedlich nachdrücklich formuliert, die Förderung der Wirtschaft. In den USA wird vom Fed explizit verlangt, Vollbeschäftigung anzustreben. In kleineren Ländern wird die Zentralbank vielfach auch versuchen, den Außenwert der Währung zu stabilisieren. Gelegentlich intervenieren Zentralbanken an den Devisenmärkten, indem sie andere Währungen verkaufen (und dafür eigenes Geld erhalten), um den Außenwert der heimischen Währung zu stärken (Stützungskäufe). Das geht aber nur, bis der Vorrat an Devisen erschöpft ist. Anders ist das, wenn eine Zentralbank die eigene Währung durch Verkäufe schwächen möchte. Dazu schafft (schöpft) sie Geld und kauft Fremdwährung. Im Prinzip könnte sie das unbeschränkt tun. Allerdings verlängert sich die Bilanz der Zentralbank in als untragbar angesehener Weise. Dabei sollte die Geldpolitik transparent und nachhaltig sein. Zur Transparenz gehört, dass die Zentralbank verdeutlicht, an welchen volkswirtschaftlichen Größen sie ihre Entscheidungen orientiert. Beispielsweise nennen Zentralbanken einen Zielkorridor für das weitere Wachstum der Geldmenge. Allerdings ist die Zentralbank mit der mehrfachen Zielsetzung einem Zielkonflikt ausgesetzt und muss im Rahmen ihres Freiraums einen eigenständigen Weg finden. Einige Zentralbanken haben einen großen Freiraum und können unabhängig von der Regierung handeln, andere sind ihr unterstellt. Dies entweder ganz offen, weil sie Weisungen des Finanzministeriums umsetzen müssen, oder durch die Praktiken des Landes in einer verdeckten Weise. Die Art und Weise, in der eine Zentralbank den Geschäftsbanken sowie den Finanzmärkten Geld gibt oder von ihnen nimmt, wird als Geldpolitik bezeichnet. Der Begriff wird oft zusammen mit dem der Fiskalpolitik verwendet. Unter Fiskalpolitik wird die Wirtschaftspolitik des Staates verstanden, die durch Steuern, Subventionen, Auftragsvergabe direkt eine Steuerung der Wirtschaft beabsichtigt, meist mit dem Ziel der Erreichung von Vollbeschäftigung. Die Geldpolitik umfasst eine Reihe von Instrumenten, und Zentralbanken haben einen großen Spielraum in der Art, wie sie die genannten Ziele angehen. Im Wesentlichen zielen die Instrumente auf das Zinsniveau und die Geldmenge ab. Zum Zinsniveau: Banken betreiben untereinander Handel in Geldmarktpapieren und leihen sich gegenseitig Geld von einem Tag zum anderen (über Nacht) aus. Auf diese Weise können Banken Zahlungsaufträge ausführen, Devisen kaufen und so fort. Die Zentralbank greift in den Geldmarkt ein, indem sie Zinssätze festsetzt, zu denen sich die Banken bei ihr Geld über Nacht oder für kurze Frist leihen können. Auf diese Weise steuert die Zentralbank die Zinsen am kurzen Ende. <?page no="168"?> 168 8. Kapitel: Anleihen Zur Geldmenge: Die Zentralbank legt die Konditionen fest, zu denen sich die Banken dadurch Geld besorgen können, dass sie andere Vermögenspositionen (wie Anleihen oder Devisen) bei der Zentralbank als Pfand hinterlegen oder an sie verkaufen. Typischerweise können die Banken der Zentralbank Wertpapiere bieten, und die Zentralbank kauft diese und bezahlt mit ihrem Geld. Die Wertpapiere werden auf diese Weise „monetarisiert“, die Geldmenge hat sich erhöht. Zur Geldpolitik einer Zentralbank gehört auch die Steuerung der Geldmenge. Erfahrungen und volkswirtschaftliche Theorien zeigen, dass eine großzügige Versorgung der Wirtschaft mit Geld irgendwann zu Inflation führt (Ansteigen des Preisniveaus), wogegen eine restriktive Geldpolitik die Wirtschaft hemmt. Infolge einer zu restriktiven Geldpolitik kann auch eine Deflation eintreten, die Preise bilden sich zurück. Die Inflation tritt meistens in einer Phase auf, in der sich die Realwirtschaft „überhitzt“, also in der über die eigentliche Kapazitätsgrenze hinaus produziert wird. Deflation tritt meistens dann auf, wenn sich die Wirtschaft „abkühlt“, das heißt, wenn die Nachfrage nach Gütern so gering wird, dass Produktionskapazitäten brach liegen. Um die Geldwertstabilität (weder Inflation noch Deflation) zu fördern, muss die Geldpolitik versuchen, Zinssätze und Geldmenge so einzustellen, dass die Realwirtschaft ein gutes Auslastungsniveau der Produktionskapazität erreicht und einhält. Beispiel: Die Schweizerische Nationalbank (SNB) hat ein Zielband für den Dreimonats- LIBOR festgelegt. Es beträgt 100 Basispunkte. Innerhalb dieser Spanne wird ein Zielwert festgelegt. In vielen Ländern erlauben die Zentralbanken eine gewisse Inflation, oft sind das 2%, und sehen diese als Zielgröße an (Inflation Targeting). Kein Inflationsziel nennen hingegen die USA. Die Gouverneure des Fed haben sich immer wieder für die Beibehaltung eines flexiblen Handlungsspielraums in der Geldpolitik ausgesprochen. Die Zentralbankgeldmenge umfasst das Bargeld, das sich bei den privaten Haushalten, den Unternehmen und beim Staat in Umlauf befindet, sowie die Guthaben, die Geschäftsbanken bei der Zentralbank haben (als Geldmenge M1 bezeichnet). Die Geldmenge M1 der EZB betrug 2016 rund 7 Billionen Euro, also grob gerechnet zwei Drittel der auf ein Jahr bezogenen gesamten Wirtschaftsleistung der Eurozone oder die Hälfte des BIP der EU. In Krisenzeiten beachten die Zentralbanken auch das Preisniveau an den Finanzmärkten genauer: In Krisenzeiten fallen oftmals die Preise für Wertpapiere an den Börsen dramatisch, und die Menschen geraten in Panik hinsichtlich der wirtschaftlichen Zukunft. Dann könnte die Zentralbank das Preisniveau an den Märkten durch Stützungskäufe stabilisieren. So ist das durch die Monetary Authority in Hongkong während der Asienkrise geschehen und jüngst durch die EZB während der Eurokrise. Verschiedene Gesetze schränken den Freiraum der Zentralbanken allerdings etwas ein. So darf eine Regierung nicht einfach neue Staatsanleihen ausgeben, wenn überhaupt kein privater oder institutioneller Investor zum Kauf bereit ist, und dann einfach die Zentralbank zwingen, die Staatsanleihen zu kaufen - ein Vorgang, der so umschrieben wird: „Die Regierung lässt sich Geld drucken.“ <?page no="169"?> 8.2 Geldpolitik, Inflation und Deflation 169 Allerdings haben sich die Steuerungsmöglichkeiten von Zinshöhe und von Geldmenge über die Zeiten hinweg gewandelt und sie werden heute anders beurteilt. Die kraftvolle Möglichkeit, die Zinssätze zu setzen und zu verändern, wird nach wie vor der Zentralbank zugesprochen. Was die Geldmenge betrifft, so ist nach wie vor unbestritten, dass die Geschäftsbanken mit der Schaffung von Buch- oder Giralgeld deutlich an der Bereitstellung von Giralgeld für private Haushalte und für Unternehmen beteiligt sind (und hier eine wichtige Aufgabe der Geldversorgung übernehmen). Die Frage jedoch ist, ob die Geschäftsbanken bei der Schöpfung des Giralgeldes von der Zentralbank abhängig sind oder ob sie frei sind. Hier wird eine klassische Sicht von einer modernen Sicht der Geldtheorie unterschieden. Die frühere, heute als klassisch bezeichnete Sicht hat den Banken eine rein ausführende Umsetzung der Vorgaben der Zentralbank zugeschrieben. Zur Steuerung der Geldmenge bedient sich der klassischen Sicht zufolge die Zentralbank des Systems der Geschäftsbanken. Diese Banken werden als Intermediäre gleichsam von der Zentralbank geführt. Beispielsweise müssen die Geschäftsbanken Mindestreserven bei der Zentralbank halten und werden dadurch hinsichtlich ihrer Kreditvergabe durch Festsetzungen der Zentralbank gelenkt. Folglich geht die klassische Geldtheorie davon aus, dass die Zentralbank über umfassende Steuerungsmöglichkeiten für (den Zins und) die Geldmenge verfügt. Die Banken helfen als Intermediäre, die Zentralbankpolitik umzusetzen. Doch sie sind praktisch an die Vorgaben der Zentralbank gebunden und haben keinen nennenswerten Freiraum. Mit der heute weitgehend von Ökonomen geteilten, modernen Sicht wird hingegen anerkannt, dass die Geschäftsbanken de facto große Freiräume bei der Entscheidung haben, wie viele Kredite sie den Privathaushalten und den Unternehmen geben und wie groß dadurch die Geldmenge wird. Beispielsweise können die Geschäftsbanken angesichts der Bonität ihrer Kundschaft Kredite sprechen oder auch nicht, und selbst bei hohen Mindestreserven bleibt der Freiraum groß. Dadurch entgleitet der Zentralbank die Möglichkeit der Steuerung der Geldmenge (während sie die Zinssätze steuern kann). Diese Sicht wird heute als Moderne Geldtheorie oder als Modern Monetary Theory (MMT) bezeichnet. Die MMT ist eine geldtheoretische und makroökonomische Denkschule, die aufgrund von Beobachtungen diese drei Sachverhalte betont: 1. Die im Kreditgeschäft tätigen Banken können weitgehend eigenständig (und von der Zentralbank ungelenkt) Geld schöpfen. Banken schaffen Geld, indem sie Kredite allein aufgrund von Sicherheiten und der Bonität des Schuldners vergeben, und sozusagen aus dem Nichts Giralgeld schöpfen. Die Geldmenge wird wesentlich durch diese Kreditentscheidungen der Banken bestimmt. 2. Der Wert des Geldes und die Antwort auf die Frage, ob das Geld sicher sei, folgen weniger aus der Bilanz der Zentralbank (oder aus dem Edelmetallgehalt ausgegebener Münzen), sondern eher aus der allgemeinen Sicherheit des Bankensystems und aus der sozialen Akzeptanz. Diese als chartalistisch bezeichnete Geldtheorie geht auf G EORG F RIEDRICH K NAPP (1842-1926) zurück. 3. Die MMT greift auch eine Sicht des Postkeynesianismus auf. Die MMT beobachtet, dass sich ein Staat faktisch, direkt oder indirekt, immer Geld von der Zentralbank besorgen kann. Der Staat wird es ausgeben, wodurch es den privaten Haushalten und den Unter- <?page no="170"?> 170 8. Kapitel: Anleihen nehmen zugute kommt. Öffentliche Schulden zeigen sich daher als Vermögen in privater Hand. Hier spannt die MMT einen weiten Bogen, der die Ausgaben des Staates und die Einnahmen der Privaten übergreift. Diese Sicht spricht dann für eine keynesianische Politik in der Krise. Würde die Idee, dass Staatsschulden sich als Vermögen der Privaten wiederfinden, von der Politik nur vorsichtig und kurzfristig genutzt, ließe sie sich durchaus nachvollziehen. Doch in den jüngsten Lockerungen der Geldpolitik sind viele Gelder nicht an das breite Volk und kleine Unternehmen geflossen, sondern an Hedge Funds und an Einrichtungen, die Preise für Immobilien nach oben getrieben haben. Die MMT wird dadurch umgemünzt zur Entschuldigung, staatlicherseits unbegrenzt das Geld hinauszufeuern, ohne dabei Wirkung und Effizienz der Geldausgaben zu beachten. Insbesondere wird die längerfristige Staatsverschuldung und die Unglaubwürdigkeit, die aus unordentlichem Haushalten entsteht, durch die MMT völlig verharmlost. Die Moderne Geldtheorie (Modern Monetary Theory, MMT) ist zwar deskriptiv, doch es können durchaus Empfehlungen abgeleitet werden. Die MMT sagt: Schulden auf der Seite des Staates sind Einnahmen auf der anderen Seite, bei den Privaten. Das rechtfertigt nach der MMT ein antizyklisches Eingreifen des Staates in der Krise. Wenn sich der Staat in einer Krise nicht weiter verschulden würde, sondern eine Austeritäts-Politik verfolgt, dann sinken auch die privaten Vermögen und mit ihnen die Neigung der Privaten, Geld auszugeben. 8.2.2 Inflation Inflation hat nicht nur die abträgliche Wirkung, dass die Preise steigen und die Suchkosten im Gütermarkt ansteigen, der Gütermarkt dadurch also ineffizienter wird. Inflation behindert langfristig das Wirtschaftswachstum, weil der Preismechanismus seine Allokationsaufgabe nicht gut erfüllen kann. Durch immer wieder zu beobachtende Preiserhöhungen können die Preise nicht die wirtschaftlich korrekten Knappheitsverhältnisse an den Gütermärkten zeigen. Selbstverständlich trägt Inflation zu einer Abwertung von Schuldpositionen bei und hat dadurch eine Verteilungswirkung zwischen Gläubigern und Schuldnern, besonders wenn die Inflation unerwartet gekommen ist. Indes ist immer wieder zu hören, dass Schuldner (Staat, Versorgungseinrichtungen) mit Inflation liebäugeln, weil die von ihnen in nominaler Höhe gegebenen Leistungsversprechen durch Inflation entwertet werden. Zudem führt Inflation angesichts der Steuerprogression zu einer Erhöhung der nominalen Steuereinkünfte des Staates. Die Rate der Inflation wird üblicherweise auf ein Jahr bezogen. Die Inflationsraten erreichten in den Industrieländern während der Erdölkrisen von 1973/ 74 und von 1979 bis 1981 Höchststände. Seither ging die Inflation laufend zurück. Beispiel: US-Dollar. Historisch lagen die nominalen Zinsen beim Dollar zwischen 100 und 250 Basispunkten über den Sätzen im Schweizerfranken. Da die realen Zinssätze aber nicht so stark auseinanderklaffen, kann der höhere nominale Zinssatz beim USD gegenüber dem CHF als Kompensation für die zu erwartende Abwertung des Dollars gegenüber dem Franken interpretiert werden. Und tatsächlich: Wenn man von einzelnen Zeitabschnitten absieht, hat sich über die vergangenen 80 Jahre der USD gegenüber dem CHF kontinuier- <?page no="171"?> 8.2 Geldpolitik, Inflation und Deflation 171 lich abgewertet. Die aus diesem Sachverhalt abgeleitete Zinsparität besagt, dass die Anlage in einer Fremdwährung kaum Vorteile bringt, da eben hohe Zinssätze nur eine Kompensation für anderweitige Risiken (etwa Inflationsrisiken) darstellen. Dennoch kann sich eine solche Investition lohnen, wenn sich eine Währung temporär entgegen dem langfristigen Trend aufwertet (wie der USD gegenüber dem CHF in den Jahren 1996 bis 2000), wenn die Realzinsen verschiedener Wirtschaftsräume unterschiedlich hoch sind oder wenn die Konjunkturzyklen nicht parallel verlaufen. Eine perfekte Anpassung des Zinsniveaus an die Inflationsrate ist selten zu beobachten. So fielen etwa die realen Renditen von Anleihen im Zeitraum von 1950 bis 1980 aufgrund der unerwartet hohen Inflationsraten vergleichsweise tief aus, und nicht selten verloren Anleihen real an Wert. Wird ein Zeitraum mehrerer Jahrhunderte betrachtet, so erweist sich die Inflation als ein Phänomen des zwanzigsten Jahrhunderts und besonders als eine Erscheinung der Nachkriegsjahre. Abb. 32: Reale Bondrenditen. *Für Japan, UK, USA und die Schweiz (CH): Daten bis und mt 2018. Andere Länder: Daten bis 2016 (Quelle: Dimson/ Marsh/ Staunton: Triumph of the Optimists - 101 Years of Global Investment Returns (2002); Credit Suisse Global Investment Returns Yearbooks 2014, 2017, 2019). Große Inflationsschübe gab es bereits in den Jahren zwischen den beiden Weltkriegen: Zum einen erlebte Deutschland 1922 und 1923 eine Hyperinflation (= mehr als 50% Inflation im Monat). Zum anderen führten im Nachgang an die Weltwirtschaftskrise in den dreißiger Jahren viele Industriestaaten sogenannte kompetitive Abwertungen durch, um den Außenwert ihrer Währungen zu reduzieren und dadurch die heimischen Exporte auf den internationalen Gütermärkten zu verbilligen. Da sich viele Industriestaaten gleich verhielten, führte dies zu einer inflationären Spirale. Die Ursachen der Inflation nach 1945 liegen vor allem in einem Anstieg der Nachfrage nach <?page no="172"?> 172 8. Kapitel: Anleihen Gütern sowie in der Tatsache, dass die Zentralbanken bis um 1980 der Inflationsbekämpfung geringe Priorität einräumten. Sodann gab es Preisschocks an den Rohwarenmärkten. Erst die Preissteigerungen in den Erdölkrisen von 1973 und 1979 führten zu einem Umdenken bezüglich der Bedeutung der Preisstabilität. Weitere Ursachen einer inflationären Entwicklung liegen im Gebrauch der Notenpresse zur Finanzierung der Staatsverschuldung, wie es bis in die 1990er Jahre in Brasilien und anderen lateinamerikanischen Staaten praktiziert wurde. Zum anderen werden administrierte Preise, gewerkschaftliche Lohnrunden, Kapazitätsengpässe und Steuern als Faktoren angeführt. Parallel zu den Preissteigerungen gab es preisdämpfende Faktoren: Aufgrund des Produktivitätsfortschritts sind Einkommen stärker gestiegen als Güterpreise. Ebenso hat die Liberalisierung vieler Märkte zu einem besser funktionierenden Preismechanismus mit tieferen Preisen geführt. Drittens wurden in den letzten fünfzehn Jahren in vielen Ländern Kartellgesetze etabliert und die Arbeitsmärkte flexibilisiert. Dort, wo die Preise nicht staatlich administriert sind, können Produktivitätssteigerungen als Preissenkungen an die Konsumenten weitergegeben werden. In Relation zu den Einkommen sind viele Güter des täglichen Bedarfs wie Nahrungsmittel, Haushaltsgeräte, Elektronik, Telekommunikation, Verkehr und Reisen immer billiger geworden. Dem gegenüber gibt es auch Bereiche, die überdurchschnittliche Preissteigerungen erfahren haben. So etwa Dienstleistungen, weil die Löhne im Mittel stärker gestiegen sind als die Konsumentenpreise. Dies zeigt sich unter anderem darin, dass die Kosten für Gesundheit und Pflege einen immer größeren Anteil des Einkommens beanspruchen. Die zu beobachtende Inflation kann als Resultat eines starken Anstiegs der Einkommen und Vermögenswerte einerseits und der sich dämpfend auswirkenden Produktionsfortschritte und der Liberalisierung andererseits angesehen werden. Eine Inflationsrate von 2% wird daher als nicht schädlich empfunden. Sie wird durch den Anstieg der Einkommen in der Regel mehr als kompensiert. Problematisch sind höhere Inflationsraten sowie die Schwankungen der Inflationsrate. 8.2.3 Deflation Deflation, ein Rückgang des Preisniveaus, wird vielfach als desaströs angesehen. Die Güter und vor allem die Vermögenspositionen werden mit der Zeit nominal billiger (Kursverfall an Börsen, Rückgang der Preise für Immobilien, Wertzerfall bei Unternehmungen). Deflation kann einerseits auf düstere allgemein geteilte Einschätzungen der wirtschaftlichen Zukunft zurückgehen. Andererseits kam es immer wieder aufgrund einer Geldknappheit zu Deflation. Niemand konnte sich etwas kaufen und alle wollen ihre haltbaren Güter und Vermögensgegenstände schnell „versilbern“, nur um an Geld zu kommen. Diese Situation begünstigt Arbeitslosigkeit. Einkommensausfälle sind die Folge. Es entsteht Pessimismus, der wiederum zu sinkender Neigung führt, Geld auszugeben. Ein Preisverfall nährt dann diese negativen Stimmungen. Durch Selbstverstärkung kann es zu einer deflationären Abwärtsspirale kommen So kann sich eine Deflation zu einer Depression ausweiten. <?page no="173"?> 8.3 Unkonventionelle Geldpolitik 173 Wird eine Deflation erwartet, dann werden die Menschen nichts mehr kaufen, weil alles ohnehin billiger werden wird. Unternehmen haben in einem deflationären Umfeld keinen Anreiz zu investieren. Diese Situation führt dazu, dass die Angst vor einer Deflation mit tiefen nominalen und mit tiefen realen Zinssätzen verbunden ist. Eine expansive Geldmengenpolitik ist in einem solchen Umfeld wenig wirksam. Dies war gut am Beispiel von Japan zu sehen, wo sich in den 1990er Jahren die Zinsen praktisch auf Null zurückgebildet haben. Japan ist übrigens das einzige Industrieland, in dem sich seit 1945 eine Deflation entwickeln und über längere Zeit halten konnte. Für die Preisreduktionen in einer Deflation sind zum Teil auch angebotsseitige Faktoren von Bedeutung, weshalb sich einige Deflationen der Vergangenheit aus heutiger Sicht als „gutartig“ beurteilen lassen. Ein klassisches Beispiel für eine „bösartige“ Deflation hingegen ist die Weltwirtschaftskrise von 1929 bis 1934. Verstärkt wurde der negative Effekt in den 1930er Jahren durch die restriktive Geldpolitik vieler Zentralbanken. In Deutschland ist die Erinnerung an die Hyperinflation der Jahre 1920 bis 1923 immer noch wach. Doch von den meisten Zentralbanken wird die Gefahr einer Deflation als viel abträglicher als die einer Inflation eingeschätzt, von der gehofft wird, sie lasse sich dann doch besser noch unter Kontrolle bringen. Bei drohenden Krisen (wie etwa beim Börsencrash 1987 oder bei den Terroranschlägen vom 11. September 2001 geschehen) reagieren die Zentralbanken deshalb mit einer sofortigen Senkung der Zinssätze und erhöhen das Geldangebot, gerade um einer drohenden Deflation entgegenzuwirken. Die Bekämpfung von Deflation ist generell schwierig, denn es gibt in Zeiten, in denen sie auftritt, meist keinen geldpolitischen Spielraum für Zinssenkungen mehr. Zudem sind staatliche Programme zur Konjunkturbelebung fiskalpolitisch problematisch, weil die Staatsfinanzen in einer solchen Lage typischerweise ohnehin in schlechtem Zustand sind. 8.3 Unkonventionelle Geldpolitik 8.3.1 Lehren aus der Krise Im Jahr 1929 kam es in den USA zu einer großen Finanz- und Wirtschaftskrise, die auf andere Länder ausstrahlte und bald die ganze Welt erfasste. Niemand hatte Geld, niemand konnte etwas kaufen, und folglich sind auch Verkaufsmöglichkeiten zusammengebrochen. Großer Pessimismus machte sich überall breit, die wirtschaftlichen Kapazitäten bleiben ungenutzt, hohe Arbeitslosigkeit entstand, und die Preise für Güter verfielen (Depression). Später entstanden zahlreiche Untersuchungen über die Weltwirtschaftskrise. Sicherlich kam es im Vorfeld zu abträglichen Entwicklungen, die heute als Auslöser gewertet werden. Eine dieser Entwicklungen im Vorfeld war, dass in den Jahrzehnten vor der Krise ein ungeahnter Wirtschaftsboom aufkam, vor allem getrieben von neuen Produkten: Radio, Kühlschrank, Auto, Düngemittel. Bei den Investitionen wurden Überkapazitäten geschaffen, die dann zutage getreten sind und den Aufschwung in eine Depression kehrten. <?page no="174"?> 174 8. Kapitel: Anleihen Eine viel wichtigere Frage indes war die, wie eine solche Phase beendet werden könne. J OHN M. K EYNES argumentierte, der Staat müsse in die Lücke springen, wenn die Nachfrage der privaten Haushalte ungenügend sei, um die Wirtschaft wieder zum Laufen zu bringen. So ist der „New Deal“ unter dem amerikanischen Präsidenten R OOSEVELT als ungeahnt groß und breit angelegtes staatliches Wirtschaftsprogramm in den USA aufgekommen. K EYNES hat seine Argumentation dann 1936 in seinem Hauptwerk „The General Theory of Employment, Interest and Money“ ausgeführt, und so ein Lehrgebäude errichtet, das heute als Keynesianismus bezeichnet wird. Nach der Lehre von K EYNES sollte bei einem wirtschaftlichen Einbruch zu geringe Nachfrage seitens der Privathaushalte, ungenügende Auslastung der geschaffenen Produktionskapazitäten der Staat von sich aus („autonom“) als Nachfrager auftreten und beispielsweise Bauten in Auftrag geben, Bildungsstätten errichten, Personal einstellen, die Sozialausgaben erhöhen. Das sind Maßnahmen der Fiskalpolitik, die als Ersatz für die ansonsten mangelnde Nachfrage fungieren oder die private Nachfrage fördern (etwa durch neu eingestelltes Personal und eine Erhöhung der Sozialleistungen). Wenn im Staatsbudget dafür keine Mittel frei sind, sollte der Staat indes keinesfalls die Steuern erhöhen die am besten gesenkt werden, um die Nachfrage seitens der Privaten zu stärken. Die fiskalpolitischen Maßnahmen sollten vielmehr über eine zusätzliche Verschuldung des Staates finanziert werden. Natürlich setzt dies voraus, dass hinreichend viele Finanzinvestoren die neu ausgegebenen Staatsanleihen zeichnen, also erstens Geld verfügbar haben und es zweitens in Staatsanleihen anlegen wollen. Das ist der Punkt, an dem die Zentralbank als Förderer der staatlichen Fiskalpolitik in die Pflicht genommen werden soll. Hierzu sind geldpolitische Maßnahmen geeignet. Eine erste geldpolitische Stützung der autonomen Staatsausgaben liegt in einer Politik geringer Zinssätze. Es liegt auf der Hand, dass die weitere Staatsverschuldung weniger bedrohlich erscheint, wenn das Zinsniveau gering ist, als wenn es hoch ist. Also wünscht der Staat Zinssenkungen. Außerdem wäre es eine für den Staat willkommene geldpolitische Situation, wenn die Zentralbank direkt oder indirekt (indem sie andere Institutionen dazu veranlasst, dies zu tun) die neuen Staatsanleihen kauft. Die Zentralbank könnte Staatsanleihen entweder im Sekundärmarkt kaufen, und sie könnte Neuemissionen direkt im Primärmarkt übernehmen, sofern sie für solche Maßnahmen den gesetzlichen Freiraum hat. Der Kauf von Staatsanleihen wirkt dahingehend, dass deren Kurs steigt, also das Zinsniveau reduziert wird. Wenn die Zentralbank diese Maßnahmen durch Kommunikation begleitet, also im Vorfeld ankündigt, veranlasst sie andere Investoren, zum Beispiel Banken, dasselbe zu tun. Wer Staatsanleihen hält, genießt Kursgewinne, die mit weiteren und angekündigten Käufen verbunden sind. Diese Geldpolitik hat also gleichzeitig eine beachtliche Verteilungswirkung, indem alle Institutionen vorhersehbare Gewinne erzielen können, sofern sie nur den Ankündigungen entsprechend selbst Anleihen kaufen. Wie gesagt sind das vorwiegend Banken. Die geldpolitische Vorgehensweise stärkte also zugleich das Bankensystem. <?page no="175"?> 8.3 Unkonventionelle Geldpolitik 175 Nicht in allen Ländern hat die Zentralbank die gesetzliche Freiheit, Staatsanleihen zu kaufen. Entsprechende Verbote gehen auf eine Finanzierung zurück, die in Deutschland während des Ersten Weltkriegs praktiziert wurde. In einer Währungsreform hatte Deutschland 1914 die bis dahin gültige Goldmark (1 Mark war durch 1/ 2790 kg Gold gedeckt) durch die „Papiermark“ (inoffizielle Bezeichnung für die auf Mark lautenden Banknoten ohne Golddeckung) abgelöst. Die Regierung hat sodann Schatzanweisungen (Treasuries) ausgegeben und von der Zentralbank verlangt, dass sie diese Schatzanweisungen übernimmt. Es war geplant, dass die Zentralbank später nach Kriegsende alle diese Schatzanweisungen in „Kriegsanleihen“ umtauschen würde, die dann der Öffentlichkeit zur Anlage angedient werden sollten. Doch die Mark hatte bis 1918, als der Erste Weltkrieg zu Ende war, bereits den halben Wert eingebüßt. Niemand hatte den Willen oder die Möglichkeit, Geld in Anleihen anzulegen. Die Inflation schlug 1923 in eine Hyperinflation um. Eine weitere Währungsreform war verlangt: Eine Billion Mark entsprach im Außenwert etwa einem Dollar und wurde in 4,2 Rentenmark getauscht. Abgesehen von dem unermesslichen Leid, das die kriegerischen Handlungen brachten, geriet Deutschland in wirtschaftliche Not. Leid und Not waren durch die unbeschränkte Verschuldungsmöglichkeit der Regierung begünstigt. Denn die Notenbank hatte die Schuldtitel direkt der Regierung abgenommen und der Regierung so das gewünschte Geld gegeben. Die historisch leidvollen Erfahrungen mit einer falschen Geldpolitik liegen für die Amerikaner also eher in der Möglichkeit einer Depression (bei zu geringer Geldversorgung der Wirtschaft) und für die Deutschen eher in der Inflationsgefahr (bei zu leichter Geldversorgung und zu leichter Mittelaufnahme seitens der Regierung). Amerikaner wünschen sich auch heute, dass Geld und Geldpolitik die Wirtschaft am Laufen halten (Arbeitsplätze, Konsum), was gelegentlich eine leichtere Geldversorgung zu verlangen scheint. Deutsche, ähnlich wie Schweizer, Holländer und andere Europäer wünschen sich eher, dass die Inflationsgefahr im Auge bleibt. Dazu darf nicht zu viel Geld geschaffen und in Umlauf gebracht werden. Vor allem darf ein Wunsch der Regierung nach höheren Ausgaben nicht dadurch erfüllt werden, dass sich der Staat weiter verschuldet und die neuen Anleihen direkt von der Zentralbank übernommen werden. Entsprechend gerieten auch die Empfehlungen der Keynesianer in die Kritik. Die Monetaristen, prominent von M ILTON F RIEDMAN geführt, lehnen es ab, dass der Staat immer wieder steuernd oder gegensteuernd in die Wirtschaft eingreift. Vielmehr sollte der Staat die Rahmenbedingungen stabil halten, so dass sie für alle berechenbar werden. Zudem sollten die Rahmenbedingungen effizient sein. Dazu sind überschaubare und transparente Gesetzeswerke und eine leichte Bürokratie verlangt. In einer Krise sollte von der Regierung eher gespart werden und eventuell bieten sich strukturelle Reformen an. Der monetaristischen Idee folgend haben die Zentralbanken über Jahrzehnte hinweg ein Geldmengenziel formuliert und transparent gemacht. Danach wird die ausgegebene und sich in Umlauf befindende Geldmenge in einer festen Relation zum BIP gehalten. Die Geldmenge wächst dann genauso wie die Wirtschaft, aber eben nicht schneller. Keynesianer üben bei einer monetaristisch ausgerichteten Geld- und Fiskalpolitik diese Kritik: Gerade dann, wenn die Privathaushalte nichts ausgeben können (etwa wenn es zu Arbeitslosigkeit und folglich zu Einkommenseinbußen gekommen ist) spart auch der Staat. <?page no="176"?> 176 8. Kapitel: Anleihen Das erscheint den Keynesianern völlig verfehlt. Denn die autonome Staatsnachfrage sollte die fehlende Privatnachfrage kompensieren, und eine Politik des leichten Geldes sollte die Privathaushalte anregen, Kredite zu nehmen, um Güter zu kaufen. Allerdings hat K EYNES selbst auf Sondersituationen aufmerksam gemacht, in denen die Privaten nicht deshalb weniger ausgeben, weil sie etwa aufgrund von Arbeitslosigkeit ein geringeres Einkommen haben, sondern weil sie hinsichtlich der wirtschaftlichen Zukunft besorgt sind und deshalb ihre Ausgaben zurückhalten. Wenn den Privaten etwa die Staatsverschuldung als zu hoch erscheint und wenn sie befürchten, dass die staatliche Altersversorgung zusammenbrechen könnte, dann reduzieren sie ihren Konsum und suchen nach Möglichkeiten, um Werte zu horten. In solchen Situationen würden kreditfinanzierte Zusatzausgaben des Staates die Ängste nur noch schüren und die als düster angesehene wirtschaftliche Zukunft weiter verdunkeln. Dann kann auch Geldpolitik wenig bewirken, die darauf abzielt, dass die Privaten leichter zu Krediten kommen. K EYNES hat diese Ausnahmesituationen als „Fallen“ (für die Geldpolitik) bezeichnet. Er unterschied eine Liquiditätsfalle sowie eine Investitionsfalle. Bei einer Liquiditätsfalle geben Private zusätzliches Geld (etwa aufgrund von Steuersenkungen) nicht aus, sondern horten es. Zusätzlich geschaffene Liquidität verschwindet (wie in einer Falle). Grund sind die negativen Erwartungen hinsichtlich der Nachhaltigkeit von Geldwesen und von Staatsausgaben. Eine Investitionsfalle liegt vor, wenn die Privaten einen weiteren Preisrückgang (Deflation) erwarten und daher keine realwirtschaftlichen Investitionen tätigen, die beispielsweise Arbeitsplätze schaffen würden. Denn wie erwartet reduziert sich der Preis von Betriebsstätten und Produktionsanlagen im Verlauf der Zeit. In solchen „Fallen“ also meint selbst K EYNES , dass mit der Fiskalpolitik weiterer Staatsausgaben und der Geldpolitik leichter Verschuldungsmöglichkeiten die Situation nicht verbessert werden kann. Andere Maßnahmen sind verlangt, um das mangelnde Vertrauen wieder herzustellen und die Erwartung zu nähren, dass keine deflationäre Abwärtsspirale einsetzen wird. 8.3.2 Konventionelle und unkonventionelle Geldpolitik Wird eine wirtschaftliche Schwächephase als tiefer begründet und vermutlich zeitlich länger andauernd erkannt, stellt sich daher die Frage, mit welcher Geldpolitik und mit welcher Fiskalpolitik die staatlichen Organe reagieren sollten. Strukturelle Verbesserungen legen wohl die Basis für eine nachhaltige Verbesserung, doch sie werden in Demokratien oft von der Bevölkerung verunmöglicht. Es wird dann der Ruf nach weiteren Ausgaben des Staates laut, auch wenn die Verschuldung bereits hoch ist und eine großzügige Fiskalpolitik kaum nachhaltig sein kann. In diesem Fall wünscht sich die Regierung, dass die Geldpolitik so großzügig ausgelegt wird, dass erstens die Zinslast trotz noch weiter zunehmender Staatsverschuldung eher geringer wird und dass es zweitens möglich ist, neu ausgegebene Staatsanleihen unterzubringen, ohne dass dabei privaten Finanzinvestoren und Banken zu viel an Geld entzogen <?page no="177"?> 8.3 Unkonventionelle Geldpolitik 177 wird: Die privaten Finanzinvestoren und die Banken sollen ja Geld behalten oder ausgeben, oder als Kredite anderen zur Verfügung stellen. Diese doppelte Zielsetzung, so die Hoffnung von Staat und Zentralbank, leistet die unkonventionelle Geldpolitik. Sie beruht auf drei Säulen: 1. Die Zentralbank kauft direkt oder über Zwischeninstanzen Staatsanleihen auf. Dadurch steigen deren Kurse, die Renditen langfristiger Anleihen und somit die langfristig gültigen Zinsen, zu denen der Staat und andere Schuldner Mittel aufnehmen können, sinken. 2. Die Zentralbank führt eine umfangreiche Kommunikation über die Ziele ihrer Politik und sie kündigt die nächsten Maßnahmen (weitere Aufkäufe von Anleihen) an. Die Entwicklung der langfristigen Zinsen wird dadurch prognostizierbar. Banken und andere institutionelle Investoren können dies ausschöpfen und Kursgewinne erzielen. Von der Ankündigung der Aufkäufe von Anleihen geht somit einerseits eine Verteilungswirkung aus. Andererseits wird durch die Kursgewinne das Bankensystem gestärkt. Dies mit der Folge, dass der Bankenbereich sicherer wird und das allgemeine Vertrauen in das Finanzsystem nicht noch weiter beeinträchtigt wird. 3. Hinsichtlich der kurzfristigen Zinsen bilden institutionelle Investoren (etwa: Versicherungsgesellschaften) und Unternehmen gewisse Erwartungen. Die Zentralbank tätigt Zinsschritte, mit denen sie diese Erwartungen erfüllt. konventionelle Geldpolitik unkonventionelle Geldpolitik kurzfristiger Zinssatz Hauptziel der Maßnahmen der Zentralbank sind der kurzfristige Zinssatz und die Geldmenge. Ist nur ein Nebenziel die Zentralbank trifft die Beschlüsse hierzu so, wie sie von den Marktteilnehmern erwartet werden, sodass sie auch nicht überrascht werden. langfristiger Zinssatz Zentralbank greift kaum am Markt für langfristige Anleihen ein. Es sind die privaten und institutionellen Investoren, die Unternehmen, die Banken und andere Wirtschaftsteilnehmer, die eigenständige Erwartungen hinsichtlich der weiteren wirtschaftlichen Entwicklung tätigen. Sie treten entsprechend am Kapitalmarkt als Anleger oder als Schuldner auf, wodurch der langfristige Zinssatz im Marktgeschehen entsteht. Hauptziel der Intervention der Zentralbank, die gleichsam wie ein Monopolist durch direkte Käufe (oder Verkäufe) langlaufender Anleihen den langfristigen Zinssatz bestimmt. Kommunikation Die Zentralbank beschränkt sich darauf, ihre Beschlüsse hinsichtlich des kurzfristigen Satzes und der Geldmenge mitzuteilen. Die Zentralbank erstellt und kommuniziert ausführliche Analysen der wirtschaftlichen Zukunft und kündigt an, was sie noch tun kann und tun wird. Verteilungswirkung Kaum, da Intervention nur beim kurzfristigen Satz und weil viele Zinsbeschlüsse den Markt überraschen. Deutliche Verteilungswirkung zugunsten von Banken und anderen institutionellen Investoren, da die Intervention langfristige Wertpapiere betrifft und im Vorfeld angekündigt wird. <?page no="178"?> 178 8. Kapitel: Anleihen Bei der konventionellen Geldpolitik beschränkt sich die Zentralbank hingegen bei der Zinssteuerung darauf, die Zinsen für die kurze Frist zu beeinflussen. Aus ihren gelegentlichen Anpassungen der Höhe der Zinsen und der Bedingungen, mit denen Geschäftsbanken Liquidität erhalten können, bilden die am Kapitalmarkt teilnehmenden Parteien - Versicherungen, Banken, Unternehmen - Erwartungen über die langfristig sich wohl einstellende Inflation und somit über den langfristigen Zinssatz. Entsprechend werden die genannten Parteien am Kapitalmarkt aktiv, sei es als Finanzinvestoren wie Versicherungsgesellschaften, sei es als Emittenten von Schuldtiteln wie die Unternehmungen. So entsteht der Langfristzins als Ergebnis eines Marktprozesses. Dies ohne Einflussnahme eines marktbeherrschenden Teilnehmers, wie er die Zentralbank wäre. Bei der unkonventionellen Geldpolitik wird gerade dieser Marktprozess durch die Eingriffe der Zentralbank ersetzt. Die Kommunikation der Zentralbank beschränkt sich auf die sofortige Bekanntgabe getroffener Zinsbeschlüsse. Da im Vorfeld unsicher ist, wie diese ausfallen, und da sie nur die kurzfristigen Zinssätze betreffen, gibt es keine Verteilungswirkungen.Der unkonventionellen Geldpolitik werden drei Vorwürfe gemacht: 1. Sie ersetze den Aushandlungsprozess im Kapitalmarkt, den alle Marktteilnehmenden (Fondsgesellschaften, Pensionskassen, Versicherungen, Banken, Unternehmen, Staat) durch ihr jeweiliges Angebot und die Nachfrage gestalten, durch einen einzigen Willen, den der Zentralbank. Davon geht eine große Kraft der Wirtschaftslenkung aus. 2. Die unkonventionelle Geldpolitik habe negative Begleiterscheinungen, besonders wenn sie in eine Politik des Nullzinses mündet. Zu ihnen gehört, dass die Grundlage der Geschäftsmodelle einiger Institutionen, besonders der Pensionskassen und der Versicherungsgesellschaften, verloren geht und durch „künstlich“ gering gesetzte Zinsen neue Instabilitäten im Finanzbereich entstehen. 3. Die Regierungen hätten bei geringen Zinssätzen keine Motivation mehr, Reformen (gegen den Widerwillen zahlreicher Wählerinnen und Wähler) einzuleiten. Denn bei geringen Zinssätzen können die Regierungen trotz hoher Ausgaben das Budgetgebaren noch einige Zeit unverändert lassen. Besonders die zweite und dritte Kritik zeigt, dass die Zentralbank bei unkonventioneller Geldpolitik nicht die Hand eines „wohlwollenden Diktators“ hat, weil die Nachhaltigkeit abträglich gefährdet wird. Mit der konventionellen und der unkonventionellen Geldpolitik sind die beiden wichtigsten Perspektiven gezeichnet, nach denen eine Zentralbank die Zinshöhe steuert. Stark verkürzt steuert die konventionelle Geldpolitik den kurzfristigen Zinssatz, während die unkonventionelle Geldpolitik sich auf den langfristigen Zinssatz konzentriert. Hinsichtlich der Geldmenge wurde zuvor die klassische Geldtheorie (Zentralbank steuert die Geldmenge mit Hilfe der praktisch weisungsgebundenen Banken) unterschieden von der Modernen Geldtheorie MMT (Geldmenge ist überwiegend das Ergebnis der Kreditvergabe freier Banken). Eine Gegenüberstellung der konventionellen und der unkonventionellen Geldpolitik mit der klassischen und der modernen Geldtheorie würde auf vier Kombinationen hinsichtlich Zinssteuerung und Geldmengensteuerung führen. Doch es sind aufgrund der historischen Entwicklung nur drei von Bedeutung. Der Weg führte vor rund 50 Jahren von der klassischen zur modernen Geldtheorie und vor rund 25 Jahren von der konventionellen zur unkonventionellen Geldpolitik. Es scheint, als stünde <?page no="179"?> 8.4 Diversität von Zinsinstrumenten 179 heute allein die Kombination von moderner Geldtheorie mit unkonventioneller Geldpolitik im Mittelpunkt von Theorie und Praxis. 8.4 Diversität von Zinsinstrumenten 8.4.1 Schuldner und Klauseln im Kreditvertrag Anleihen sind Wertpapiere, die Fremdkapital verbriefen. Als Gegenleistung zur Überlassung von Geld über die Zeit hinweg gibt der Emittent einer Anleihe das Versprechen auf zukünftige Zahlungen. Sie werden in Form eines im Voraus fixierten periodischen Kupons sowie des Rückzahlungsbetrags vereinbart. In diesen Zahlungen ist eine Verzinsung eingerechnet, die eine Entschädigung für den Zeitwert des Geldes, die Inflationsrate und das Kreditrisiko darstellt. Eine klassische Anleihe (Festzinsanleihe, Straight Bond) besitzt vier Eigenschaften: 1. Sie lautet auf den Inhaber und ist leicht handelbar. 2. Der Zinsertrag in Form von Kuponzahlungen steht über die gesamte Laufzeit fest, wobei die Zahlungen in jährlichen oder halbjährlichen Intervallen erfolgen. 3. Die Laufzeit ist beschränkt und beträgt bei Ausgabe meistens zwischen 5 und 15 Jahren, gelegentlich auch einige Jahrzehnte. 4. Ist das Ende der Laufzeit erreicht, so wird die Anleihe zur Rückzahlung fällig. Ihr Nominalbetrag wird zurückbezahlt. Fremdkapital ist nicht nur für die Finanzierung der Realinvestitionen des Staates wichtig (Staatsanleihen), sondern ebenso für Unternehmen (Corporate Bonds). Das Spektrum an Schuldnern lässt sich in fünf Gruppen unterteilen: Öffentlicher Sektor: Staat (Bund, Länder) und Gemeinden (Kommunen) sowie Städte: Man spricht von öffentlichen Anleihen, Staatsanleihen oder Kommunalanleihen. Pfandbrief-Institute: Diese geben hypothekarisch gesicherte Anleihen aus, so genannte Pfandbriefe. Zumeist treten als Emittenten Hypothekenbanken auf, etwa in Deutschland oder in Dänemark. Banken: Sie emittieren einerseits Bankanleihen, also klassische Bonds, die mit größeren Volumina zu klar festgelegten Zeitpunkten platziert werden. Daneben finanzieren sich die Banken andererseits mittels auf laufender Basis ausgegebener Schuldverschreibungen, die (in der Schweiz) als Kassenobligationen bezeichnet werden. Unternehmen: Generell werden die Instrumente als Unternehmensanleihen oder Industrieanleihen (Corporate Bonds) bezeichnet. Privatpersonen: Diese emittieren normal keine Anleihen, sondern nehmen Kredite auf, etwa Privatkredite, Hypothekarkredite oder Unternehmenskredite. <?page no="180"?> 180 8. Kapitel: Anleihen Dem Schutz der Gläubiger dienen verschiedene Vertragsbestimmungen oder Klauseln im Kreditvertrag. Bei einer Anleihe werden die Klauseln im Prospekt genannt, der für die Emission erstellt wird. Die Klauseln werden vielfach an die Situation des Schuldners angepasst. So sind bei Staatsanleihen andere Klauseln üblich als bei Unternehmensanleihen. Die meisten und einschneidendsten Klauseln finden sich im Kreditvertrag oder im Prospekt, wenn der Schuldner eine Unternehmung ist. Besondere, zusätzliche Klauseln sind dazu gedacht, das Verhalten des Managements der Unternehmung einzuschränken. Solche zusätzlichen Klauseln werden als Credit Covenants oder als Kreditkonvenanten bezeichnet (nach lateinisch convenire = dazu kommen). Sie heißen so, weil sie zu den sonst üblichen Vereinbarungen noch dazu kommen. Kreditkonvenanten geben den Gläubigern beziehungsweise der Bank besondere Möglichkeiten, in die Geschäftsführung des Schuldners einzugreifen, falls Bedingungen eintreten, die der Erfüllung der Zahlungsverpflichtungen seitens des schuldnerischen Unternehmens abträglich sind. Typische Bestimmungen solcher Kreditkonvenanten sind: Die Pari-Passu-Klausel soll garantieren, dass beim Konkurs des Schuldners kein Gläubiger bevorzugt behandelt wird. Das ist insbesondere dort wichtig, wo die Rechtsordnung dies nicht gewährt. So wird beim Ausfall einer Anleihe erreicht, dass die Gläubiger den Liquidationserlös anteilmäßig (pro rata) aufteilen. Alle Gläubiger werden entsprechend dem gezeichneten Anteil mit dem Liquidationserlös befriedigt. Die Negative-Pledge-Klausel ist eine vertragliche Einschränkung, die es dem Schuldner untersagt, Aktiva zu verpfänden, falls dadurch die Sicherheit der Bondinvestoren verringert wird. Es soll ausgeschlossen werden, dass einzelnen Kreditgebern unternehmerische Vermögenswerte als Deckung für einen möglichen Ausfall zugesprochen werden - zulasten der übrigen Kreditgeber. Die Cross-Default-Klausel definiert das Ausfallereignis, den Default. Danach ist eine Unternehmung bereits dann in diesem als „Default“ bezeichneten Zustand geraten, sobald sie nicht mehr in der Lage ist, irgendeine Verpflichtung zu erfüllen. Der Schuldner kann sich dann nicht gegenüber einer Gruppe von Gläubigern herausreden, er sei nicht im Default, weil er diese Schuldnergruppe noch korrekt mit fälligen Zahlungen bediene. Auf diese Weise soll ein Vermögenstransfer von der einen zur anderen Schuldnerklasse vermieden werden. 8.4.2 Zerobonds und Perpetuals Im Unterschied zu einer klassischen Anleihe, die einen periodischen Kupon abwirft, werden bei der Nullkupon-Anleihe (Zerobond) vom Schuldner keine Zahlungen während der Laufzeit geleistet. Es gibt nur eine Zahlung seitens des Schuldners, nämlich die Rückzahlung der Anleihe am Ende der Laufzeit. Der Zins als Kompensation des Kapitalgebers für die zeitliche Überlassung seines Kapitals sowie für das Bonitätsrisiko des Schuldners drücken sich darin aus, dass der Ausgabekurs deutlich unter dem Rückzahlungskurs liegt. Zwei <?page no="181"?> 8.4 Diversität von Zinsinstrumenten 181 Varianten sind hierbei zu unterscheiden, je nachdem ob der Nennwert oder Nominalwert der Anleihe gleich dem Geldbetrag bei Rückzahlung oder bei Ausgabe ist: Bei der üblichen Nullkupon-Anleihe erfolgt die Rückzahlung in Höhe des Nominalwerts, also zum Kurs von 100%. Eine Nullkupon-Anleihe in dieser üblichen Form wird als Diskontanleihe (Discount Bond) bezeichnet. Ihr Wert zu einem jeden Zeitpunkt während der Laufzeit ist gleich dem Barwert des Nominalwerts, also dem diskontierten Wert des Nominalwerts. Dagegen ist bei einer Aufzinsungsanleihe der Nennwert jener Geldbetrag, der bei Ausgabe vom Gläubiger bezahlt und vom Schuldner aufgenommen wird. Der Gesamtzins wird erst am Ende der Laufzeit als einmaliger Zuschlag zum Nennwert ausbezahlt. Beispiel: Diskontobligation und Aufzinsungsanleihe: 1. Eine Anleihe mit Nominalwert von 10 Millionen Euro und einer Laufzeit von 8 Jahren wird zum Kurs von 6,77 Millionen Euro platziert. Dies entspricht einem Zinssatz von 5% per annum. Es handelt sich um eine Diskontanleihe. 2. Eine Anleihe mit Nominalwert von 10 Millionen Euro und einer Laufzeit von 8 Jahren wird zum Nominalwert von 10 Millionen Euro platziert. Bei einer Verzinsung von 5% pro Jahr beträgt der Rückzahlungsbetrag 14,77 Millionen Euro. Es handelt sich um eine Aufzinsungsanleihe. Als Schuldner von Zerobonds treten Unternehmen sowie der öffentliche Sektor auf. Der Großteil des weltweit ausstehenden Volumens an Zerobonds ist in US-Dollar denominiert, gleichwohl gibt es daneben Emissionen in Euro, Schweizerfranken und Australischen Dollars. Von institutionellen Investoren werden Zerobonds gerne gehalten, weil sich aus der Differenz zwischen Rückzahlungskurs und Ausgabekurs eine „automatische Wertsteigerung” ergibt, die in der Bilanz erscheint. Die Aufwertung ist zwar nur eine Wertveränderung, weil die zeitliche Überlassung des Geldes in der Zeit kompensiert wird. Dennoch wird sie im Jahresabschluss als Kapitalgewinn ausgewiesen und erweckt bei Bilanzlesern den Eindruck, der Manager habe „gute Wertpapiere“ gefunden und ausgewählt. Bei privaten Investoren sind Anleihen ohne Kupon beliebt. Zwar müssen Kuponzahlungen dem laufenden Einkommen (beziehungsweise dem Gewinn) zugerechnet werden und sind zu versteuern. Doch nicht in allen Steuersystemen müssen Wertgewinne versteuert werden. Daher können Privatanleger hier und da die Steuerpflicht in die späteren Lebensjahre verschieben, in denen sie ein geringeres sonstiges Einkommen haben werden und die Progression weniger kraftvoll wirkt. Allerdings haben die Steuerbehörden auf diese Praxis reagiert und regeln inzwischen situationsabhängig, ob der Investor die bei Zerobonds die Jahr für Jahr zu verzeichnenden Kurssteigerungen nicht sogleich versteuern muss. Aufgrund der steuerlichen Behandlung ist für Privatpersonen ein weiter Bereich an Mischformen solcher Instrumente entstanden, die sowohl eine Aufwertungskomponente aufweisen als auch gewisse periodische Kupons ausschütten. Wenn die Zinskomponente die Aufwertungskomponente übersteigt, dann ist häufig nur die Zinskomponente zu versteuern. <?page no="182"?> 182 8. Kapitel: Anleihen Neben Zerobonds besteht eine weitere Art von Anleihen, die nicht alle der ansonsten üblichen Merkmale aufweisen: Perpetuals, Consol Bonds oder ewig laufende Anleihen zahlen einen periodischen Kupon, gelangen indes nie zur Rückzahlung. Zwar wurden früher verschiedentlich ewig laufende Anleihen vom Staat ausgegeben (und es gibt sie daher noch heute), doch ist die aktuelle Bedeutung eher gering. Voraussetzung dafür, dass Investoren mit einer begrenzten zeitlichen Anlageperspektive überhaupt Perpetuals kaufen, ist deren Veräußerlichkeit auf dem Sekundärmarkt und eine hohe Liquidität. Zwei weitere Besonderheiten seien erwähnt: 1. Seit 1984 gibt es Perpetuals mit variabler Verzinsung (so genannte Perpetual Floating Rate Notes). 2. Zero-Perpetuals stellen eine Kombination einer Nullkupon-Anleihe mit einem Perpetual dar. Der Anleger verschenkt gleichsam sein Geld. Dies wird bei Spendenaktionen genutzt. 8.4.3 Floating Rate Notes (FRN) Im Gegensatz zu Bonds mit fixer Verzinsung wird der Kupon bei variabel verzinslichen Anleihen periodisch an die jeweiligen Marktkonditionen angepasst. Diese Zinsinstrumente werden als Floating Rate Notes (FRN) oder kurz als Floater bezeichnet. Mit dem Zinsinstrument wird vereinbart, dass der Kupon gleich ist dem jeweils im Geldmarkt festgestellten Zinssatz, wobei ein Zuschlag (oder Abschlag) einiger Basispunkte (100 Basispunkte sind gleich einem Prozentpunkt) hinzugerechnet wird. Die Zu- oder Abschläge ergeben sich vor allem aus den Bonitäten der Schuldner. Natürlich hat bei diesen Zinsinstrumenten die Institution, die feststellt, wie hoch der Geldmarktzins denn sei, eine enorme Bedeutung sowohl für die Schuldner wie die Gläubiger. Keiner einzelnen Bank würde man zutrauen, diese Aufgabe fair und frei von Eigeninteressen zu erfüllen. Deshalb wird der Kupon bei variabel verzinslichen Anleihen an einem Referenzzinssatz festgemacht, der gleich von einer größeren Gruppe von Banken genannt und festgelegt wird, wobei von extremen Nennungen, die verzerren könnten, abgesehen wird. Als Referenz-Zinssatz wird vielfach der LIBOR (London Interbank Offered Rate) gewählt. Der LIBOR stellt einen Durchschnitt des Zinssatzes dar, zu dem sich verschiedene Banken auf dem Finanzplatz London am Interbankenmarkt gegenseitig Geld ausleihen. Der LIBOR wird für Ausleihungen von drei und für sechs Monate sowie für alle wichtigen Währungen ermittelt und publiziert. Bei der Durchschnittsbildung werden die extremsten Nennungen ausgeklammert. Gleichwohl kam es gelegentlich zu Manipulationen durch falsche Eingaben seitens einiger Banken. Seit einigen Jahren beziehen sich immer mehr europäische Banken nicht mehr auf den LIBOR, sondern auf den European Interbank Offered Rate (EURIBOR). Dies ist der europäische Referenz-Zinssatz. Die Verfahrensweise seiner Festlegung ist von jener des LIBOR abgeleitet. LIBOR und EURIBOR beziehen sich auf unterschiedliche Finanzplätze und verschiedene Gruppen von Banken, die in die Ermittlung des Durchschnittszinssatzes einbezogen werden. Die Konditionen für einen konkreten Schuldner eines solchen Instruments basieren auf zwei Komponenten: Erstens dient als Basis der Geldmarkt-Referenzsatz der entsprechenden Frist und Währung. Zweitens richten sich die Konditionen, vor allem die Kuponhöhe, nach der Bonität des Schuldners. Dazu wird zum LIBOR oder zum EURIBOR eine Risikoprämie hinzugerechnet, die das Ausfallrisiko berücksichtigt. Ein guter Schuldner muss <?page no="183"?> 8.4 Diversität von Zinsinstrumenten 183 eine relativ geringe Risikoprämie bezahlen, wogegen einem schlechten Schuldner nur dann Geld ausgeliehen wird, wenn dieser eine höhere Kompensation leistet. Die Laufzeiten dieser Zinsinstrumente liegen zwischen zwei und zehn Jahren, und vielfach hat der Schuldner das Recht, die variabel verzinste Anleihe vor Fälligkeit zurückzuzahlen. Die Ursprünge des Markts für variabel verzinsliche Anleihen liegen einige Jahrzehnte zurück, als die Geschäftsbanken ihre internationale Kreditvergabe ausweiteten. Die Banken benötigten neue und zusätzliche Mittel, um das internationale Geschäft zu ermöglichen. Dazu gaben sie FRN aus, die Zuspruch bei internationalen Anlegern fanden, weil viele von ihnen einen Anstieg des Zinsniveaus vermuteten. Die erste Ausgabe von FRN gelang dem italienischen Energiekonzern Enel und wurde durch die Investmentbank Warburg und Bankers Trust begleitet. Alsbald ersetzten FRN variabel verzinste Industriekredite. In den USA wurden Erstmals 1984 Perpetual Floating Rate Notes aufgelegt. Die Emittenten für diese variabel verzinsten Instrumente sind heute neben Banken und Industrieunternehmen Staaten sowie supranationale Organisationen. Die Anleger finden Floater natürlich interessant, wenn sie steigende Zinsniveaus erwarten. Denn Zinssteigerungen führen zu höheren Kuponzahlungen. Dabei ist zu bedenken, dass im Falle einer steigenden Fristenstruktur der Zinssätze ein langfristiges Engagement bei einer festverzinslichen Anleihe einen höheren Kupon abwirft als ein gleich langes Halten eines Floaters. Denn im Prinzip werden bei einem Floater kurze Laufzeiten aneinandergereiht, die selbst aber mit tieferen Geldmarktzinsen kompensiert werden. Das Zinsniveau muss also ziemlich stark ansteigen, damit der FRN- Investor angesichts der anfänglich tiefen kurzfristigen Zinsen doch noch besser fährt als mit einer längerfristigen festverzinslichen Anleihe. Genauer gesagt: Das Zinsniveau muss stärker ansteigen, als im Finanzmarkt allgemein erwartet wird. Entsprechend interessant ist das Instrument für jene Schuldner, die erwarten, das Zinsniveau werde vielleicht steigen, jedoch nicht so stark wie allgemein im Finanzmarkt gedacht wird. Beispiel: FRN im Schweizer Kapitalmarkt. In der Schweiz ist der Markt für Floater im Vergleich zu den festverzinslichen Instrumenten relativ klein und der Sekundärmarkt eher illiquid. Im Jahr 2003 hat sich das Emissionsvolumen signifikant erhöht, weil die Investoren von einem steigenden Zinsumfeld ausgegangen sind und sich damals niemand mehr bereit zeigte, die üblichen Zinssätze für viele Jahre festzuschreiben. Zwischen Mai und August 2003 kamen Floater im Gesamtvolumen von über 3 Milliarden CHF auf den Markt. Die Laufzeiten sind kurz und betragen zwei bis drei Jahre. 8.4.4 Eurobonds Als Eurobonds werden an Börsen zugelassene und gehandelte (kotierte) Anleihen bezeichnet, bei denen die Währung, in der sie denominiert sind, von der des Emissionslandes abweicht. Weil der Markt für solche Finanzkontrakte seinen Ursprung in Europa hat, wird er wie gesagt als Euromarkt bezeichnet. <?page no="184"?> 184 8. Kapitel: Anleihen Abb. 33: Eurobond-Emissionen am Schweizer Kapitalmarkt im März 2019 Als Zentrum des Euromarkts hat sich London etabliert. Die bedeutendsten Börsen für den Handel von Eurobonds sind die London Stock Exchange und daneben die Luxemburg Stock Exchange. Regelmäßige Emittenten am Eurobond-Markt sind General Electric, Ford Motor, Toyota Motor, die Deutsche Pfandbriefbank (DePfa) mit ihren Jumbo-Pfandbriefen, der Staat Argentinien sowie die amerikanische Hypothekenagentur Freddie Mac (Federal Home Loan Mortgage Corporation, FHLMC). In den Anfangsjahren standen Privatinvestoren als treibende Kraft hinter der Entwicklung der Euromärkte. Im Verlauf der Jahre haben die institutionellen Anleger an Bedeutung gewonnen. Entsprechend sind die meisten Emissionen heute mit tiefem Kupon bei einem Ausgabekurs unter pari ausgestaltet, weil institutionelle Investoren diese präferieren. Denn die institutionellen Investoren können auf diese Weise einen Teil der steuerpflichtigen Kuponzahlungen durch (zumeist) steuerfreie Kapitalgewinne ersetzen. 8.4.5 Wandelanleihen (Convertibles) Wandelanleihen (Convertible Bonds) oder kurz Convertibles werden von Unternehmen ausgegeben. Sie kombinieren eine Anleihe mit einem Optionsrecht, für den die Aktien der Unternehmung den Basiswert darstellen. Wandelanleihen bieten dem Inhaber das Recht, die Forderung auf Kuponzahlungen und Rückzahlung zu oder bis zu einem bestimmten Termin in einem im Voraus festgelegten Verhältnis in Aktien der Unternehmung zu tauschen. Sie vereinigt damit den Charakter einer Anleihe mit der Partizipation an der Kursentwicklung der Aktie. Wird die Wandlung ausgeführt, dann ist mit der Übergabe der Aktien die entsprechende Schuld des Unternehmens getilgt. Im Unterschied zu einer Wandelanleihe besteht eine Optionsanleihe aus zwei trennbaren Wertpapieren, einer Anleihe und einem Optionsschein (Warrant), die ein eigenständiges Leben haben. Zur Ausübung der Option muss der Inhaber zwar einen gewissen Betrag bezahlen, doch die Anleihe, die ursprünglich mit dem Optionsschein verbunden war, bleibt weiter bestehen. Emissionen im März 2019 Währung Schuldner Federführer Ratings Betrag in Mio. Verfall Zins in % Liberierung Ausgabepreis % EUR Nokia Joint Leads Ba1/ BB+/ na 750 2026 2 11.3. na EUR Crédit Mutuel Arkéa Joint Leads Baa1/ na/ BBB+ 750 2031 3,375 11.3. na EUR Telefonica Emisiones Joint Leads na/ na/ na 1000 2029 1,788 12.3. na EUR Heathrow Funding Joint Leads na/ na/ A- 650 2034 1,875 14.3. na EUR JPMorgan Chase JPM A2/ A-/ AA- 2000 2027 variabel 11.3. na GBP HSBC Group HSBC na/ na/ AA- 1000 2028 variabel 12.3. na USD Bombardier Joint Leads Caa1/ B-/ B- 2000 2027 7,875 7.3. 99,25 USD Texas Instruments Joint Leads na/ na/ na 750 2039 3,875 11.3. 99,01 USD CNX Resources MUFG B3/ na/ na 500 2027 7,25 14.3. 100,00 USD Pfizer Joint Leads A1/ AA/ na 750 2024 2,95 11.3. 99,95 USD Pfizer Joint Leads A1/ AA/ na 1750 2029 3,45 11.3. 99,77 USD Pfizer Joint Leads A1/ AA/ na 1250 2049 4 11.3 98,37 USD Glencore Funding Joint Leads na/ na/ na 1000 2024 4,125 12.3. 99,53 USD Toyota Industries Joint Leads A1/ AA/ na 600 2022 3,11 12.3. na Quelle: Finanz und Wirtschaft, 6.3.2019, 9.3.2019 <?page no="185"?> 8.4 Diversität von Zinsinstrumenten 185 Abb. 34: Wertverlauf einer Wandelanleihe Mit dem Wandelrecht ist für den Inhaber keine Pflicht verbunden. Das Wandelrecht stellt für den Finanzinvestor daher in jedem Fall einen Vorteil dar. Selbstverständlich könnte es sein, dass ein Wandelrecht seinen Wert verloren hat (weil vielleicht der Aktienkurs stark gefallen ist). Doch auch dann ist es für den Finanzinvestor nicht von Nachteil, das Wandelrecht zu haben. Aufgrund des Vorteils für den Finanzinvestor kann die Unternehmung die Anleihe mit einem tieferen Kupon ausstatten, und trotzdem kann die Emission gelingen. Wandelanleihen werden meistens in Phasen hoher Zinssätze ausgegeben. In einer Hochzinsphase sind Ausgaben neuer Aktien kaum möglich. Doch wenn dann einmal die Zinsniveaus zurückgehen, werden Aktien von Finanzinvestoren wieder als attraktiv angesehen. Die Wahlrechte werden ausgeübt. Die Ausgabe von Wandelanleihen stellt somit eine verschobene Kapitalerhöhung dar, die von den Anlegern akzeptiert wird. Ebenso ist die Ausgabe von Wandelanleihen für Unternehmen in der Umstrukturierung interessant, weil durch den tiefen Kupon die Cashflow-Belastung geringer ist. Bei einer Restrukturierung ist vielen Aktionären unklar, ob sie gelingen wird. Sie warten daher mit dem Kauf neuer Aktien ab. Doch mit dem Wandelrecht oder mit dem Warrant könnten sie bei guter weiterer Entwicklung Aktien erwerben und sind dennoch gegen einen möglichen schlechten Verlauf der Restrukturierung geschützt. Der Wert der Wandelanleihe hängt in nicht-linearer Weise vom Kurs der Aktie ab. Bei der Frage, wie sensitiv der Kurs des Convertibles auf Änderungen des Aktienkurses reagiert, kommt es darauf an, ob sich die Wandlung wohl lohnt. Dies ist grundsätzlich der Fall, wenn der Aktienkurs den Nominalwert der Wandelanleihe, den so genannten Bondfloor, übersteigt. Das Kursverhalten einer Wandelanleihe wird üblicherweise in vier Abschnitte eingeteilt: Liegt der Aktienkurs deutlich über dem Bondfloor, dann wird die Wandeloption recht sicher ausgeübt werden. Diese Option ist im Geld (in the money) und die Wandelanleihe verhält sich wie eine Aktie. Liegt der Aktienkurs weit unter dem Bondfloor, macht die Ausübung keinen Sinn. Die Option ist aus dem Geld (out of money). Der Convertible ist kaum sensitiv auf die Aktienkurse, sondern verhält sich wie eine Anleihe. Wert der Wandelanleihe Unternehmenswert: Fremdkapital + Aktienkapital Bondfloor = Wandelanleihe = Aktie = Bond „in the money“ „out of the money“ „at the money“ <?page no="186"?> 186 8. Kapitel: Anleihen Im Zwischenbereich, dort wo die Unsicherheit über Ausübung oder Nichtausübung am größten ist, wird der eigentliche Optionscharakter erkennbar. Die Option ist am Geld (at the money). Schließlich gibt es im Diagramm noch den Bereich ganz links, wo der Kurs des Convertible unter den Bondfloor fällt. Die Abszisse zeigt, dass hier das Aktienkapital aufgebraucht und die Unternehmung überschuldet ist. Das ist der Bereich einer sehr hohen Defaultwahrscheinlichkeit für die Anleihe. Das Universum an Wandelanleihen umfasst derzeit rund 1.500 Titel mit einem Gesamtvolumen von 600 Milliarden USD. Die USA machen rund 48% des Markts aus, 31% entfallen auf Europa und 21% auf Japan. Während in Europa die Emittenten aus den Sektoren Telekom und Elektronik stammen, sind in den USA in erster Linie Banken und Industrieunternehmen als Emittenten von Convertibles aufgetreten. Die Käufer von Convertibles sind Hedge-Funds, Aktienfonds und Privatanleger. Einen Spezialfall von Wandelanleihen stellen Mandatory Convertible Securities (MCS) dar. Im Unterschied zu Convertibles ist für sie der Konversionszwang kennzeichnend. Bei gewissen Ereignissen beziehungsweise am Ende der Laufzeit werden die Anleihen zwingend in Aktien umgewandelt. Aufgrund des Zwangs zur Wandlung betrachten die Rating-Agenturen das aus MCS- Emissionen den Unternehmen zufließende Kapital wirtschaftlich zu 100% als Eigenkapital, auch wenn es de jure (anfangs) Fremdkapital darstellt. Wie beim Eigenkapital müssen die aufgenommenen Mittel nicht zurückbezahlt werden. Im Vergleich zu einer Ausgabe von Aktien gestatten MCS eine Platzierung in einem instabilen oder negativen Marktumfeld und signalisieren die Zuversicht des Managements über die Gewinnaussichten. Vor der automatischen Wandlung ist der Kupon marktunüblich hoch. Das Management unterstreicht mit der Ausgabe von MCS, dass die kritische Zeit bis zur automatischen Wandlung bald beendet sein wird und gibt mit dem hohen Kupon zugleich eine Kompensation für die faktische Übernahme des Aktienrisikos. Ist der Emittent ein Staat, dann werden die Instrumente nicht in Aktien getauscht, sondern in andere Anleihen, die dann marktüblich verzinst werden. 8.4.6 Inflation-Linked-Bonds Obwohl die Inflation in den letzten zwanzig Jahren weltweit gesunken ist, finden Anleihen mit Inflationsschutz wachsendes Interesse. Diese Instrumente werden als Inflation- Linked-Bonds oder kurz IL-Bonds bezeichnet. Während traditionelle Anleihen eine Forderung über die nominale Verzinsung beinhalten, versprechen IL-Bonds dem Anleger einen über die Zeit hinweg konstant gehaltenen Realertrag. Der Inflationsschutz wird dadurch erreicht, dass entweder der Kupon oder der Rückzahlungsbetrag an die Veränderung der Konsumentenpreise angepasst wird. Im Gegensatz zu einer traditionellen Anleihe, bei der eine höhere Inflation zu einer tieferen realen Rendite führt, erleidet der Käufer von Inflation-Linked-Bonds keine Einbuße an realer Kaufkraft. Die Ausgabekonditionen und die Kursbildung solcher IL-Bonds spiegeln natürlich die allgemeinen Erwartungen wider, wie sie sich im Finanzmarkt bilden und allgemein bekannt werden. Indessen gibt es eine Reihe von Investoren, die ausgeprägte persönliche Nachteile haben, wenn die Inflation dann doch <?page no="187"?> 8.4 Diversität von Zinsinstrumenten 187 höher ist. Dazu gehören Personen, die mit den Kapitalerträgen persönliche Lebensausgaben finanzieren müssen. Sie sollten dann IL-Bonds in ihre Portfolios aufnehmen. IL-Bonds eignen sich aber nicht so gut für Spekulationen über die kommende Inflation. Nur wenn jemand Inflation erwartet, sollte er oder sie noch nicht IL-Bonds kaufen. Nur wenn die Person eine stärkere Inflation erwartet als allgemein im Finanzmarkt gedacht wird, und wenn sie darauf setzen möchte, dass ihre persönliche Erwartung der allgemein im Finanzmarkt geteilten Sicht überlegen ist, dann sollte sie zur Spekulationszwecken IL-Bonds kaufen (oder prüfen, ob sie sich selbst überschätzt). Beispiel: Irakkrieg 2003. Vor und während des Irakkriegs im Frühjahr 2003 entwickelte sich die Performance von nominalen Anleihen anders als die inflationsgeschützter Bonds. Denn es kamen Befürchtungen auf, dass höhere Rohstoffpreise einen generellen Preisschub in Gang bringen würden. Dies führte zu einer starken Nachfrage nach IL- Bonds und folglich zu sinkenden Renditen. Etwas später (um 2008) überwogen die Ängste vor einer Deflation, was die Kurse der Inflation-Linked-Bonds nach unten und deren Rendite nach oben drückte. Abb. 35: Renditen von US Staatsanleihen und TIPS von 2002 bis 2019 (Datenquelle: Thomson Reuters Datastream) Ein Umfeld, in dem sich nur wenige Marktteilnehmer vor Inflation fürchten und die die Kurse bestimmende Mehrheit der Marktteilnehmenden eine Deflation erwartet, wird daher als guter Einstiegszeitpunkt für IL-Bonds angesehen. Bei solchen Empfehlungen wird unterstellt, dass der Finanzmarkt Informationen über die Inflation nicht ganz effizient verarbeitet. Inflationsgeschützte Anleihen gibt es bereits seit 1780. Damals hatte der US-Staat Massachusetts einen an einen Rohstoffpreis gekoppelten Bond emittiert. Der heutige Markt für <?page no="188"?> 188 8. Kapitel: Anleihen Inflation-Linked-Bonds existiert seit 1980, als das britische Schatzamt begann, Index-Linked- Gilts, inflationsgeschützte Schatzpapiere, zu begeben. Das weltweite Volumen inflationsgeschützter Anleihen beträgt etwa eine halbe Billion Euro, rund 500 Milliarden also. Davon ein Drittel sind britische Gilts (Anleihen des Königreichs), und die Hälfte sind die vom amerikanischen Finanzministerium ausgegebenen Treasury-Inflation-Protected-Securities (TIPS). Nach den USA und England ist als dritter Emittent von IL-Bonds Frankreich bedeutsam, das 1998 die inflationsgebundene Staatsanleihe (OATi = OAT indexée sur l‘inflation) lanciert und damit den Markt für IL-Bonds in der Eurozone ins Leben gerufen hat. Auf die erste OATi mit zehnjähriger Laufzeit folgte 1999 eine mit dreißigjähriger Laufzeit. Inzwischen emittiert das französische Schatzamt (Agence France Trésor) ein Zehntel seiner Staatsanleihen als inflationsgeschützte OATi und OAT€i und berücksichtigt alle Laufzeiten. Die OATi bieten einen fixierten Realzinssatz: Neben dem Kupon ist auch die Rückzahlung inflationsgeschützt. Als Index dient der durch das INSEE (Institut National de la Statistique et des Etudes Economiques) monatlich publizierte französische Konsumentenpreisindex. Die 2001 auf den Markt gebrachten OAT€i basieren auf dem harmonisierten Konsumentenpreisindex der Eurozone. Emittenten für inflationsgeschützte Anleihen sind bislang staatliche und internationale Organisationen. In Deutschland begannen 2002 einzelne Bundesländer mit der Emission von IL-Bonds. Gleichwohl gibt es vereinzelt bereits private Anbieter, so Banken und Industrieunternehmen. Man spricht dann von Inflation-Indexed-Corporate-Bonds. In der Schweiz hatten 1990 die Berner und die Luzerner Kantonalbank zehnjährige, inflationsgeschützte Obligationen aufgelegt. Was kann zur Kursbildung von IL-Bonds gesagt werden? Zweifelsohne sind IL-Bonds attraktiv und würden gegenüber klassischen, nicht-inflationsgeschützten Anleihen eine Prämie beinhalten. Diese Prämie kann sich bei Emission von IL-Bonds in einem höheren Ausgabekurs ausdrücken, und sie kann sich bei der börsentäglichen Kursbildung in höheren Kursen zeigen. Dabei muss die erwartete von der unerwarteten Inflation unterschieden werden. Abweichungen von der erwarteten Inflation sind immer unerwartet, sie überraschen, und sie sind zufällig. Bei Ausgabe neuer IL-Bonds im Primärmarkt und bei der Kursbildung im Sekundärmarkt hängt die Kursbildung allein von der erwarteten Inflation ab. Wird unerwartete Inflation bekannt, dann kommt es zu Kursänderungen bei den IL- Bonds. Empirische Untersuchungen zeigen für die amerikanischen TIPS in den 1980er und 1990er Jahren eine schlechte Performance. In der Tat profitierten in jenen Jahrzehnten traditionelle Anleihen von der stabilitätsorientierten Geldpolitik, die nicht allgemein erwartet worden war. IL-Bonds sind gegenüber herkömmlichen Anleihen vorteilhaft, falls die Inflation höher als erwartet ausfällt. Ist die Geldpolitik unerwartet restriktiv, und geht die Inflation über Erwarten zurück, dann sind IL-Bonds den traditionellen Bonds unterlegen. <?page no="189"?> 8.5 Fazit des Kapitels Zinsinstrumente 189 8.5 Fazit des Kapitels Zinsinstrumente 8.5.1 Zusammenfassung Zinsinstrumente zur temporären oder dauerhaften Überlassung von Fremdkapital existieren sowohl in Form bilateraler Kontrakte wie als verbriefte Wertpapiere. Im ersten Fall spricht man von Krediten oder Darlehen, während verbriefte Zinsinstrumente als Anleihen bezeichnet werden. Je nach Emittent unterscheidet man Anleihen des Staates (Staatsanleihen, Kommunalanleihen), Anleihen von Pfandbriefinstituten (Pfandbriefe), solche von Banken (Bankanleihen) sowie von Unternehmen (Unternehmensanleihen, Corporate Bonds). Kredite können darüber hinaus auch von Privatpersonen aufgenommen werden. An den Finanzmärkten existiert ein breites Spektrum an Zinsinstrumenten. Deren typische Gestaltungselemente sind die Höhe und Periodizität der Verzinsung, die Gesamtlaufzeit und die Staffelung von Amortisationszahlungen, die Währung und die allfällige Indexierung von Nominalbetrag und Kupons sowie die Integration von Optionen entweder für den Emittenten oder die Anleger. Aus Kombinationen dieser Ausgestaltungsmöglichkeiten haben sich verschiedene Typen von Zinsinstrumenten herausgebildet. Zu den heute wichtigsten Instrumenten zählen die klassische Festzins-Anleihe, Nullkuponanleihen (Zerobonds), Perpetuals (unendlich lange laufende Anleihen), variabel verzinsliche Anleihen (Floating Rate Notes, FRN), Eurobonds, Wandelanleihen (Convertibles) und Zwangswandelanleihen (Mandatory Convertible Securities) sowie inflationsgeschützte Anleihen (Inflation Linked Bonds, IL-Bonds). Für die Bewertung von Zinsinstrumenten ist die an den Märkten jeweils vorherrschende Zinsstruktur (Fristenstruktur der Zinssätze) in ihrer Höhe, Form und Volatilität zentral. Die Zinsstruktur wird am kurzen Ende vor allem durch Aktivitäten der Zentralbanken zur Umsetzung ihrer Geldpolitik bestimmt. Am langen Ende der Fristenstruktur der Zinssätze dominieren dagegen die Fiskalpolitik des Staates sowie die Inflationserwartungen der Marktteilnehmer als bestimmende Faktoren. Gleichwohl können die Zentralbanken über den Kauf und Verkauf von Wertschriften unterschiedlicher Laufzeit, über das Setzen von Inflationserwartungen sowie über die Wechselkurspolitik auch entlang des gesamten Fristenspektrums der Zinskurve ihren Einfluss ausüben. Die meisten Zentralbanken sind darum bemüht, im Interesse der wirtschaftlichen Prosperität die Preisstabilität zu wahren, mithin die Inflation (Kaufkraftverlust des Geldes) auf einem tiefen Niveau zu halten und zugleich eine Deflation (Preisverlust von Gütern und Dienstleistungen mit der Gefahr des Abrutschens in eine Depression) zu vermeiden. In jüngster Zeit haben die Zentralbanken der USA, die der Eurozone und die Japans unkonventionelle Massnahmen der Geldpolitik ergriffen (siehe die Tabelle in 8.3.2), um die Wirtschaft zu beleben. <?page no="190"?> 190 8. Kapitel: Anleihen 8.5.2 Lernpunkte 1. Schuldnerkategorien: Staat, Pfandbriefinstitute, Banken, Unternehmen, Privatpersonen 2. Typische Credit Covenants zum Schutze des Gläubigers umfassen die Pari-Passu- Klausel, die Negative-Pledge-Klausel und die Cross-Default-Klausel. 3. Im Gegensatz zu klassischen Festzins-Anleihen beinhalten Zerobonds keine periodischen Zinszahlungen an den Inhaber der Anleihe, sondern sehen lediglich eine Einmalzahlung am Ende der Laufzeit vor. 4. Häufige Benchmarks für variabel verzinsliche Instrumente sind der LIBOR (London Interbank Offered Rate) sowie der EURIBOR (European Interbank Offered Rate). 5. Eurobonds sind Anleihen, bei denen die Währung, in der sie denominiert sind, von jener des Emissionslandes abweicht. 6. Wandelanleihen beinhalten für den Inhaber die Option, die Anleihe binnen eines vordefinierten Zeitraums zu einem vorab fixierten Verhältnis in Aktien der Unternehmung zu tauschen, welche die Wandelanleihe emittiert hat. 7. Liegen die Zinsen am kurzen Ende der Fristenstruktur der Zinssätze unterhalb der Zinsen am langen Ende, liegt eine „normale“ Fristenstruktur vor. Im umgekehrten Fall spricht man von einer „inversen“ Fristenstruktur der Zinssätze. In Ausnahmefällen kann auch eine „flache“ Fristenstruktur vorliegen. 8. Der Yield to Maturity (YTM) entspricht dem internen Zinssatz der Zahlungsreihe, welche der Anleihe-Investor durch den Kauf des Instruments erhält. 9. Das Instrumentarium der Zentralbank zur Beeinflussung der Zinssätze am kurzen Ende der Zinsstruktur umfasst mitunter das Diskontgeschäft sowie Offenmarktgeschäfte und Repogeschäfte. 10. Die Zentralbankpolitik orientiert sich in den meisten Fällen an den Größen Zinsniveau und Geldmenge sowie an den Preisen auf den Kapitalmärkten. 11. Als Inflation Targeting wird eine Zentralbankpolitik bezeichnet, welche auf die Erreichung einer bestimmten (tiefen) Zielgröße der Inflation ausgerichtet ist. 12. Sowohl eine hohe Inflation als auch eine starke Deflation sollen vermieden werden. Erstere führt zur Entwertung von Vermögenspositionen, zu mehr Preisvolatilität und damit zu Planungsunsicherheit und einer ineffizienten Ressourcenallokation in einer Volkswirtschaft. 13. Eine Deflation dagegen stellt einen Rückgang des Preisniveaus dar, der mit einem Rückgang der Nachfrage verbunden ist und deshalb über einen negativen Wirkungsmechanismus in eine Depression münden kann. 8.5.3 Erwähnte Personen A DAM S MITH , M ICHAEL J ENSEN , J OHN M AYNARD K EYNES . <?page no="191"?> 8.5 Fazit des Kapitels Zinsinstrumente 191 8.5.4 Schlüsselbegriffe Anleihen (Renten, Obligationen), Bewertung von Zinsinstrumenten, Aufzinsungsanleihe, Consumer Price Index (CPI), Cross-Default-Klausel, Darlehen, Deflation, Determinanten der Zinsstruktur, Diskontanleihe, EURIBOR (European Interbank Offered Rate), Eurobond, Euromarkt, Federal Reserve System (Fed), Fiskalpolitik, Floating Rate Note (Floater, FRN), Fristenstruktur der Zinssätze (Term Structure of Interest Rates), Geldmarkt, Geldpolitik, Inflation, Inflation-Linked-Bond (IL-Bond), Inflation Targeting, interne Rendite der Zahlungsreihe, inverse Fristenstruktur, Kapitalmarkt, Kaufkraft des Geldes, Keynesianismus, Kredite, Kreditkonvenante (Credit Covenant), Kuponzahlungen, LIBOR (London Interbank Offered Rate) Mandatory Convertible Securities (MCS), Negative-Pledge- Klausel, Nominalbetrag, normale Fristenstruktur, OATi (OAT indexée sur l‘inflation), Offenmarktpolitik, Papiermark, Pari-Passu-Klausel, Perpetual, Rendite bis Verfall (Yield to Matrurity, Yield, YTM), Renminbi, Repogeschäfte, Rückzahlungskurs, Staatsanleihe, TIPS (Treasury-Inflation-Protected-Securities), unkonventionelle Geldpolitik, Unternehmensanleihe (Corporate Bond), Wandelanleihe (Convertible Bond, Convertible), Wandelrecht, Zerobond, Zinsbindungsfrist, Zinskurve, Zinssätze am kurzen Ende, Zinssätze am langen Ende, Zinsstruktur, Zinsstrukturtypen. 8.5.5 Fragen zur Lernstandskontrolle 1. a) Die Bonität welcher Partei steht im Mittelpunkt bei Staatsanleihen, Pfandbriefen und bei Unternehmensanleihen? [Antwort: Abschnitt 8.4.1] b) Wozu dienen Klauseln im Kreditvertrag? c) Nennen Sie drei konkrete Beispiele für Corporate Covenants! [Antwort: Pari-Passu-Klausel, Negative-Pledge-Klausel, Cross-Default-Klausel]. d) Was fordern diese Klauseln? [Antwort: Abschnitt 8.4.1] 2. a) Was verbirgt sich hinter den Abkürzungen FRN und LIBOR? [Antwort: Abschnitt 8.4.3]. b) Wie wurde 2012 der Libor von verschiedenen Banken manipuliert? [Antwort: Eingabe falscher Zinssätze] 3. Richtig oder falsch? a) Am Euromarkt werden Renten gehandelt, die auf Euro lauten. b) Der Eurobond-Markt nahm seinen Anfang mit Anleihen, die 1963 von der italienischen Autobahngesellschaft ausgegeben worden sind und auf Lire lauteten. [Antworten: Abschnitt 8.4.4]. c) Als Zentrum des Euromarktes hat sich Frankfurt am Main etabliert. d) Die inzwischen zahlreichen institutionellen Investoren am Eurobond-Markt schätzen Anleihen mit hohem Kupon, die über pari ausgegeben werden. [Alle vier Aussagen sind inkorrekt]. 4. Der Wert von Wandelanleihen hängt vom Basiswert ab, und die Art der Abhängigkeit wird in drei Zonen eingeteilt. Erläutern Sie dies näher [Zur Antwort siehe Bild 31 in 8.4.5]. 5. a) Welche Determinanten hat die Zinsstruktur? b) Wie ist der Term-Spread der Fristenstruktur definiert? [Antwort: Abschnitt 8.2.1] <?page no="193"?> 9. Kapitel: Das Zinsrisiko Wer ein international gebildetes Portfolio aus Anleihen hält, ist mit drei Arten von Kursrisiken konfrontiert: Erstens drücken sich Zinsänderungen (kurz „Zinsrisiken“) in Kursbewegungen aus. Zweitens kommen mögliche Veränderungen der Währungsparitäten hinzu. Drittens wirken Kreditrisiken und Änderungen bei der Bonität der Schuldner. Wer sich auf Staatsanleihen in heimischer Währung konzentriert, ist bei hoher Bonität des Staates immer noch den Zinsrisken ausgesetzt. Von daher ist es wichtig abschätzen zu können, wie stark sich Änderungen der Zinssätze in Kursänderungen übersetzen. Eine wichtige Größe zur Einschätzung des Einflusses eines sich ändernden Zinsniveaus auf die Kursänderungen bei Anleihen ist die Duration (Abschnitt 9.1). Wer Zinsänderungen und Änderungen der Wechselkurse betrachtet, wird gewisse gegenseitige Abhängigkeiten dieser beiden Risiken erkennen. Solche Abhängigkeiten bestehen zwischen den Zinsniveaus in zwei Ländern oder Währungsgebieten, den jeweiligen Inflationsraten, sowie den Wechselkursen und ihrer erwarteten Veränderung (Abschnitt 9.2). Diese Abhängigkeiten sind teils lockerer Natur, teils stellen sie feste Zusammenhänge dar, mithin regelrechte Paritäten. Sie werden dann als Paritätstheoreme bezeichnet. Drei Risiken für Rentenportfolios Fachbegriffe beim Risikomanagement Zinsrisiko Währungsrisiko Kreditrisiko Duration Paritäten Bonität und Rating Einige der Paritäten sind weithin bekannt, so zum Beispiel die Kaufkraftparität. In ihrer starken Form postuliert die Kaufkraftparität, dass (transportable) Güter in allen Ländern nach Umrechnung mit den geltenden Währungsparitäten übereinstimmende Preise haben sollten. In einer schwachen Form der Kaufkraftparität wird zugegeben, dass zwar Unterschiede in den Preisniveaus zwischen verschiedenen Ländern bestehen können, doch die These lautet, dass sich die Preisniveaus entsprechend der Unterschiede in den Inflationsraten verändern. Neben dem Zinsrisiko und dem Währungsrisiko wurde als drittes Risiko das Kreditrisiko genannt, die Unsicherheit hinsichtlich der Zahlungsfähigkeit des Schuldners (Abschnitt 9.3). Kreditrisiken treffen nicht nur Anleger wie Privatpersonen, Versicherungen und Pensionskassen. Kreditrisiken belasten überdies Banken. Sollte aufgrund des Ausfalls von Schuldnern eine Bank in Konkurs geraten, dann wäre die Stabilität des Geldwesens und des Finanzsystems gefährdet. Daher verlangen Gesetze von den Banken, vorbeugende Maßnahmen zu befolgen (Bankenregulierung). Vor allem wird eine hohe Ausstattung mit Eigenkapital verlangt. <?page no="194"?> 194 9. Kapitel: Das Zinsrisiko 9.1 Duration 9.1.1 Kursrisiko Die Bewertung von Zinsinstrumenten zeigt, wie die Werte (und damit im gut funktionierenden Kapitalmarkt die Kurse) von den aktuellen Zinssätzen abhängen. Denn diese stellen Konditionen für alternative Zahlungsströme mit vergleichbaren Risiken dar, nach denen sich die Werte von Finanzkontrakten richten müssen. Steigen die Zinssätze an den Finanzmärkten an, wird ein Marktteilnehmer nur bereit sein einen Bond auf dem Sekundärmarkt zu kaufen, wenn dieser im Gleichschritt mit den Marktzinsen ebenfalls eine höhere Rendite abwirft. Da aber die Zahlungen in Form von Kupons und Rückzahlungsbetrag sowohl in ihrer Höhe als auch in ihren Zeitpunkten vertraglich fixiert sind, lässt sich eine höhere Rendite nur dadurch erreichen, dass der Kaufpreis des Wertpapiers sinkt. Folglich unterliegen Anleihen Kursrisiken. Dies besonders dann, wenn die Zahlungen bis weit in die Zukunft fixiert sind, wie dies bei einer langen Restlaufzeit einer Anleihe der Fall ist. Die Sensitivität des Wertes oder Kurses einer Anleihe in Bezug auf Änderungen der Zinshöhe hängt aber nicht allein von der Restlaufzeit ab, an deren Ende die Rückzahlung erfolgt, die bei der Bewertung mit den herrschenden Zinssätzen diskontiert wird. Es kommt auch auf die Kupons an, denn auch sie werden bei der Bewertung mit den herrschenden Zinssätzen diskontiert. Hierzu ein Beispiel: Gegeben seien zwei verschiedene Laufzeiten (5 Jahre und 20 Jahre) sowie zwei verschiedene Kupons (1% und 6% bezogen auf den Nominalwert). Daraus ergeben sich vier Kombinationen. Abb. 36: Barwertkurven In Bild 36 sind die Barwerte dieser vier Zinsinstrumente (Ordinate) in Abhängigkeit von verschiedenen Zinsniveaus (Abszisse) dargestellt. Unterstellt werden jeweils eine Rückzahlung von € 100 am Ende der Laufzeit sowie eine flache Zinsstruktur. Das heißt, das auf der 0 50 100 150 200 250 0% 1% 2% 3% 4% 5% 6% 7% 8% 9% 10% Kurs Zinssatz Kupon = 1, Laufzeit = 5 Kupon = 6, Laufzeit = 5 Kupon = 1, Laufzeit = 20 Kupon = 6, Laufzeit = 20 <?page no="195"?> 9.1 Duration 195 Abszisse abgetragene Zinsniveau gilt für alle Laufzeiten. Die sich ergebenden Wertkurven werden als Barwertkurven bezeichnet. Zunächst ist zu erkennen, dass die beiden Anleihen mit einem Kupon von 1 Euro bei einem Zinssatz von 1% und jene mit Kupon von 6 Euro bei einem Zinssatz von 6% zum Pariwert von 100 Euro notieren. Es wird deutlich, dass bei beiden Kupons die Anleihen mit der langen Laufzeit von 20 Jahren bedeutend stärker auf Zinsänderungen reagieren als jene mit der kurzen Laufzeit von 5 Jahren. Bei der Kuponerhöhung ist der Effekt weniger augenfällig. Trotzdem ist bei der 20-jährigen Anleihe die Barwertkurve im Falle eines Kupons von 6 Euro wesentlich steiler als bei einem Kupon von 1 Euro. Zinsänderungen lösen also Kursänderungen aus. Solche Kursänderungen sind für Institutionen bedeutsam, die festverzinsliche Positionen in Form von Anleihen oder Krediten halten: Versicherungsunternehmen, Pensionskassen, Anlagefonds sowie Banken. Diese Institutionen haben ein Interesse daran, die Kursrisiken zu messen und sie müssen sie eventuell absichern. Denn sie haben Verpflichtungen der eigenen Kundschaft gegenüber, die mit den Anlageergebnissen bedient werden müssen. Eine Bank nimmt (kurzfristige) Gelder entgegen und transformiert diese in (langfristige) Kredite. Die Passivseite einer Bankbilanz enthält deshalb Depositen mit Laufzeiten von unter einem Jahr. Auf der Aktivseite werden Kredite über vielleicht fünf bis zehn Jahre gegeben. Wie in unserem Beispiel oben besteht eine Divergenz der Laufzeiten und damit eine unterschiedliche Zinsreagibilität zwischen Aktiva und Passiva. Aufgrund ihrer langen Laufzeit reagieren die finanzmathematischen Barwerte von Krediten viel sensibler auf Zinsänderungen als die Werte der kurzfristigen Verpflichtungen der Bank gegenüber der Einlagekundschaft. Insgesamt ergeben sich für eine Bank aus einer Zinsänderung vier Effekte: Aufgrund der Zinsreagibilität der Werte oder Kurse resultiert der eben genannte Werteffekt. Bei einer Zinserhöhung nehmen die Barwerte der typischerweise länger gebundenen Aktiva stärker ab als jene der Verbindlichkeiten. Damit reduziert sich der Wert des Eigenkapitals, da dieses die Differenz zwischen Aktiva und Verbindlichkeiten darstellt. Der Einkommenseffekt bezeichnet die Schwankung des Zinssaldos infolge von Zinsänderungen am Kapitalmarkt. Erhöhen sich die Zinsen für die Einlagegelder, ist aufgrund deren kurzer Frist die Bank gezwungen, die Konditionen unverzüglich nach oben anzupassen. Da aber auf der Einnahmeseite wegen der langen Zinsbindung der Kredite die Kreditzinsen gewöhnlich unverändert bleiben, reduziert sich der für die Bank übrigbleibende Saldo im Zinsdifferenzgeschäft. Bonitätseffekt: Ein Anstieg des Zinsniveaus erhöht die Zahlungslast für die Kreditnehmer, womit sich deren Bonität verschlechtert. Eine Verschiebung der Konditionen führt zu einer Veränderung der Entscheidungen der Bankkunden. Der Struktureffekt besteht in einem Zu- oder Abfluss von Kundengeldern in bestimmte Anlagekategorien infolge einer Zinsänderung. <?page no="196"?> 196 9. Kapitel: Das Zinsrisiko 9.1.2 Die Duration Der erste Schritt zum Management von Zinsänderungsrisiken verlangt die Messung der Reagibilität oder Sensitivität des Werts bei Zinsänderungen. Das wichtigste Konzept dazu ist die Duration eines Zinsinstruments. Die Duration geht auf Arbeiten von F REDERICK M ACAULAY 1938 und von J OHN R. H ICKS 1939 zurück. Die Duration gibt eine virtuelle Laufzeit des Zinsinstruments an, den Zeitpunkt, zu dem der Inhaber „im Mittel sein Geld zurückerhält“. Die Nützlichkeit dieser Definition zeigt sich in der Duration-Formel: Sie besagt, dass die durch eine Zinsänderung bewirkte prozentuale Wertänderung eines Zinsinstruments proportional zur Duration ist. Für eine flache Zinsstruktur - deren Höhe hier mit x bezeichnet sei - kann die Sensitivität als Ableitung des Werts eines Zinsinstruments nach x berechnet werden. Das Zinsinstrument soll dem Inhaber in den Jahren 1,2 ... , , T bis Fälligkeit T die Zahlungen 1 ... 2 T C ,C , ,C bieten sowie zusätzlich zum Verfallszeitpunkt die Rückzahlung T R . Der Wert des Zinsinstruments, W , ist daher gleich der Summe der Barwerte aller dieser Zahlungen: 3 1 2 1 2 3 1 ... 1 1 1 1 1 T T T T T C C C C C + R W = + + + + + + x ( + x) ( + x) ( + x) ( + x) In der Tat: wenn sich das Zinsniveau von x auf x x ändert, dann verändert sich der Wert von W = W(x) auf W(x + x) . Mit Hilfe einer Taylorschen Reihenentwicklung, die nach dem ersten Glied abgebrochen wird, folgt nun oder W(x + x) W +W'(x) x W(x + x) W(x) W'(x) x und die erste Ableitung des Werts eines Zinsinstruments nach dem Zinsniveau erweist sich somit als für die Ermittlung der Wertänderung W(x + x) W(x) wichtig. Oft interessiert man sich für die relative Wertänderung: W(x + x) W(x) W'(x) x W(x) W(x) Wir berechnen deshalb die Ableitung: 3 1 2 2 3 4 1 1 2 3 ... 1 1 1 1 T T T + C C C C + R dW W' = = T dx ( + x) ( + x) ( + x) ( + x) Zunächst ziehen wir 1/ 1 ( + x) heraus und dividieren dann durch W . So ergibt sich als Ableitung in Relation zum Wert: 3 1 2 2 3 2 3 ... 1 1 1 1 1 1 T T T C C C C + R + + + + T + x ( + x) ( + x) ( + x) W' = W + x W <?page no="197"?> 9.1 Duration 197 Der Ausdruck in der geschweiften Klammer wird mit D abgekürzt, und dabei handelt es sich um die Duration: 2 1 2 / 1 / 1 / 1 1 2 ... T T T C ( + x) C ( + x) (C + R ) ( + x) D = + + + T W W W Die Duration ist eine gewichtete Summe derjenigen Zeitpunkte 1,2 ... , , T , zu denen die Zahlungen erfolgen. Sie ist daher eine virtuelle Restlaufzeit. Die Gewichte sind die relativen Barwerte der entsprechenden Zahlungen. Je höher die Duration ist, desto später „erhält der Anleger sein Geld zurück”. Die Duration ist im Regelfall nicht identisch mit der vertraglichen Laufzeit oder der Restlaufzeit T , sondern kürzer, weil schon zu den früheren Zeitpunkten Zahlungen erfolgen und der Inhaber sein Geld teilweise schon vor T zurückerhält. Die Duration beschreibt die Sensitivität des Zinsinstruments auf Zinsänderungen, denn 1 1 W' = D W + x Das bedeutet: 1 1 W(x + x) W(x) D x W(x) + x Beispiel: Eine Anleihe mit Restlaufzeit 5 Jahre hat eine Duration von 4 Jahren. Das Zinsniveau liegt bei 5%. Erhöhen sich die Zinsen auf 6%, dann verliert die Anleihe ziemlich genau 1/ 1,05 4 1 3,81 ( ) = Prozent ihres Werts. Im Fall der die Fristen transformierenden Bank hieße dies, dass die Kredite aufgrund ihrer langen Zinsbindungsfrist eine größere Duration haben als die Einlagen. Die Finanzinstitutionen haben daher ein Interesse, die Zinssensitivität ihres Eigenkapitals zu reduzieren oder zu steuern. Dazu gibt es vor allem zwei Möglichkeiten: Die Finanzinstitution kann die Zusammensetzung ihrer Aktiva und Passiva so verändern, dass es diesen Duration-Gap nicht mehr gibt. Eine Bank müsste ihre Bilanz fristenkongruent gestalten, indem nur noch kurze Kredite vergeben werden oder indem sie das Portfolio langlaufender Kreditpositionen langfristig am Kapitalmarkt refinanziert. Solche Umstrukturierungen der Aktiva und Passiva haben aber Nachteile. Zum einen sind sie mit großen Anpassungskosten verbunden, da eine Veränderung des Kreditportfolios nicht auf einen Schlag möglich ist und mitunter viel Kundenkapital verloren geht. Zum anderen ist es gerade das Geschäft einer Bank im Kommerzgeschäft, als Intermediär, kurze in lange Gelder zu transformieren. Als Möglichkeit bleibt der Einsatz derivativer Kontrakte. Diese haben den Vorteil, dass das reale Portfolio weitgehend unverändert bleiben kann und sich trotzdem die Zinssensitivität <?page no="198"?> 198 9. Kapitel: Das Zinsrisiko im gewünschten Sinn steuern lässt. Zwei Formen von derivativen Zinskontrakten sind bedeutsam, nämlich Zinsswaps und TOIS sowie Zinsterminkontrakte. 9.1.3 Zinsswaps Ein Zinsswap ist ein Tauschgeschäft, bei dem für mehrere Jahre fixe Zinszahlungen gegen variable Zinszahlungen getauscht werden. Die einem solchen Geschäft zugrunde liegenden Nominalbeträge werden dabei nicht ausgetauscht. Wie gezeigt, entsteht ein Zinsrisiko aus der Fixierung der Zahlungen über die Laufzeit. Je längere Zeit der Zins festgeschrieben ist (Zinsbindungsfrist), desto höher ist das Zinsrisiko. Variabel verzinsliche Anleihen haben hingegen ein ausgesprochen geringes Zinsrisiko, weil jedes halbe Jahr oder jedes Jahr der Kupon an den Marktzinssatz angepasst wird. Durch den Einsatz eines Zinsswaps hat ein Akteur an den Finanzmärkten die Möglichkeit, seine fixen Einkünfte in variable Einkünfte zu tauschen (und umgekehrt). Auf diese Weise kann das Zinsrisiko beziehungsweise die Duration gesteuert werden. Zwei Positionen sind möglich: Eine Bank mit positiver Fristentransformation - Kredite mit langer Zinsbindung werden gleichsam variabel finanziert mit Einlagen - hat mit den fixen Zinssätzen der Kredite feste Einkünfte und variable Ausgaben für die Verzinsung der Einlagen. Die Duration der Aktiva ist größer als die der Passiva. Daraus erwächst ihr ein Zinsrisiko. Sie will deshalb den Unterschied der Duration der Aktiva und der Passiva verringern. Dazu wird sie einen Swap eingehen, um damit fixe Zinsen zu zahlen und im Gegenzug variable Zinsen zu beziehen. Die Bank tritt in diesem Swap als Payer auf. Die Gegenpartei ist vielleicht einer komplementären Problematik ausgesetzt. Hier kommen Versicherungs- oder Vorsorgeinstitutionen in Frage. Diese Institutionen haben sehr lang laufende Verpflichtungen (Passiva) und kurz laufende Anlagen (Aktiva). Bei den Passiva handelt es sich um Ansprüche auf zukünftige Leistungen (Anwartschaften), die erst in 30 Jahren zur Auszahlung gelangen, während auf der Seite der Aktiva Anleihen stehen, deren Duration geringer als 10 Jahre ist. Diese Institutionen wollen, um das Zinsrisiko auszugleichen, variable Zinszahlungen leisten und feste Zinszahlungen beziehen. Sie treten in einem Swap als Receiver auf. Der Swapmarkt ist ein hoch liquider Markt, an dem ausschließlich Akteure hoher Bonität teilnehmen, vor allem eben Banken. Daher sind die Konditionen, zu denen die Marktteilnehmer ihre Transaktionen vornehmen, transparent. Die bei Swaps vereinbarten Zinssätze werden als Swapsätze bezeichnet. Da von den Marktteilnehmern Zinsen unterschiedlicher Frist getauscht werden, gibt es am Swapmarkt eine Fristenstruktur der Swapsätze. Im Unterschied zu den frühen Jahren der Swapmärkte weichen die Swapsätze heute häufig von den Renditen der Staatsanleihen ab. Der Unterschied wird als Swap-Spread bezeichnet. Der Swap-Spread ist eine Risikoprämie, die die Finanzmärkte für die Ausleihe an zwar erstklassige doch letztlich nicht- <?page no="199"?> 9.1 Duration 199 staatliche Schuldner verlangen. Denn die Akteure im Swapmarkt sind Banken und nicht der Staat. Der Verlauf des Swap-Spread ist mit den allgemeinen Kreditrisikoaufschlägen für Unternehmensanleihen korreliert. An den Märkten für Zinsinstrumente lassen sich aufgrund der Bedeutung gesamtwirtschaftlicher Daten sehr gut die Stimmungen der Marktteilnehmer ablesen. Die sich über die Zeit ändernden Erwartungen sind besonders deutlich an der Entwicklung der aufgrund von Swaps bestimmten Zinskurven abzulesen, weshalb diese immer mehr zu Benchmarks geworden sind. 9.1.4 Tom-Next-Index-Swaps Während Zinsswaps üblicherweise über Laufzeiten von zwei bis zehn Jahren geschlossen werden, existieren mit den Tom-Next-Index-Swaps (TOIS) Instrumente für den kurzfristigen Bereich. TOIS haben Laufzeiten zwischen einer Woche und einem Jahr. Analog zu den Zinsswaps wird ein fixierter gegen einen variablen Zinssatz getauscht. Als fixierter Zinssatz gilt der TOIS-Satz. Dies ist der angebotene Geldmarktzinssatz für Anlagen vom jeweils nächsten auf den übernächsten Geschäftstag (englisch: tomorrow next). Dagegen ist der Tom-Next-Satz die Basis für die variable Zahlung (floating leg). Letzterer errechnet sich aus dem arithmetischen Mittel der Nennungen von 20 bis 30 international tätigen Banken für den Zins für Tagesgeld vom jeweils nächsten Geschäftstag auf den übernächsten. Wie bei den konventionellen Zinsswaps wird kein Kapital ausgetauscht, das Kreditrisiko beschränkt sich auf die Zinsdifferenz. Aufgrund der in diesem kurzen Zeitraum geringen Zinsdifferenz beträgt die Differenz zwischen Geld- und Briefkurs lediglich rund zwei bis drei Basispunkte, wodurch die Kosten einer solchen Absicherung tief sind. Die Abrechnung erfolgt üblicherweise als Ausgleich der Zinsdifferenz am Ende der Laufzeit. Der TOIS-Markt existiert seit 1997. Beispiel: Einsatz von TOIS bei steiler Zinskurve: Frank ist Treasurer bei einer deutschen Bank. Im Falle einer steilen Geldmarktkurve besteht für ihn ein Anreiz, die über die nächsten Monate erwarteten Mittel von durchschnittlich 50 Millionen Euro nicht im Tagesgeld, sondern beispielsweise zum 3-Monats-Zins anzulegen. Zwar erzielt er dadurch einen höheren Ertrag, indes beraubt er sich gleichzeitig seiner finanziellen Flexibilität. Alternativ könnte er die Mittel wie bisher zum Tagesgeldsatz anlegen, parallel dazu aber noch einen TOIS- Kontrakt über die 50 Mio. Euro eingehen. Mit dem letzteren verpflichtet er sich, den Tagesgeldsatz an seine Gegenpartei zu zahlen und im Gegenzug von dieser den 3-Monats- Zinssatz zu empfangen. De facto erhält er den attraktiveren 3-Monats-Satz, behält dabei jedoch seine gewünschte finanzielle Flexibilität. Freilich muss er für diesen Vorteil etwas bezahlen, und zwar zwei bis drei Basispunkte. Das Risiko sieht er nun in erster Linie darin, dass die Tagesgeldsätze stark ansteigen und dass er das Volumen der erwarteten und anzulegenden Mittel aus heutiger Sicht überschätzt. <?page no="200"?> 200 9. Kapitel: Das Zinsrisiko Beispiel: Kurzfristige Ausleihe: Maria arbeitet als Finanzchefin einer großen Unternehmung in Österreich und vergibt einer Division Gelder auf Basis der Tageszinsen. Gleichzeitig hat sie Commercial Papers emittiert. Diese Verbindlichkeiten wirken sich zwar positiv auf die Liquidität und das Refinanzierungsrisiko aus, jedoch negativ auf die Rentabilität. Mit einem TOIS-Kontrakt kann sie nun die variablen gegen fixe Zinsen tauschen und auf diese Weise die fixe Verbindlichkeit aus den Commercial Papers in eine variable transformieren. Problematisch wird das Geschäft nur dann, wenn sie weniger Mittel intern anlegen kann als dem TOIS-Kontrakt zugrunde gelegt. Dann würde sie, sobald die variablen Zinsen zusammen mit den Kontraktkosten von zwei bis drei Basispunkten höher sind als der fixe Zinssatz, mehr bezahlen als sie durch die Ausleihungen einnimmt. 9.1.5 Zinsterminkontrakte Zinsterminkontrakte beinhalten den Kauf oder Verkauf eines Zinsinstruments auf Termin. Das heißt, die Transaktion findet zu einem zukünftigen Zeitpunkt zu einem heute vereinbarten Preis statt. In der Regel bezieht sich der Terminkontrakt auf ein langfristiges Zinsinstrument. Üblich sind Zinsfutures, also standardisierte Terminkontrakte. Zwei Positionen sind möglich: Die Long-Position basiert auf einem Kauf einer Anleihe auf Termin. Zwar befindet sich das Instrument faktisch noch beim Verkäufer, der Käufer partizipiert jedoch bereits positiv an Wertveränderungen der Anleihe. Der Verkäufer einer Anleihe auf Termin geht dagegen eine Short-Position ein. Er ist damit zur Lieferung der Anleihe zum vereinbarten zukünftigen Zeitpunkt sowie zum vereinbarten Preis verpflichtet. Er partizipiert negativ am Wert der Anleihe. Wenn nach dem Abschluss eines Zinsterminkontrakts die Zinsen an den Märkten fallen, dann steigen die Kurse der Anleihen. Der Käufer auf Termin erhält zum Lieferzeitpunkt einen höheren Kurs als er beim Vertragsabschluss mit dem Verkäufer vereinbart hat. Er partizipiert positiv - nach dem gleichen Prinzip wie ein Investor, der eine Anleihe am Kassamarkt gekauft hat. Das heißt, er nimmt eine festverzinsliche Position in das Portfolio auf (Long-Position) und erhöht dadurch dessen Zinssensitivität oder Duration. Im Unterschied zum Kassamarkt kann ein Akteur eine Short-Position eingehen und dadurch seine Duration reduzieren. Dies ist vor allem für Investoren nützlich, die sich nur vorübergehend gegen eine Zinserhöhung (beziehungsweise eine Kursreduktion an den Anleihemärkten) absichern wollen. Gerade für Manager eines Rentenfonds oder den Treasurer einer Bank ist es weder praktikabel noch sinnvoll, das Portfolio wegen einer kurzfristigen Zinserhöhung umzuschichten. Stattdessen bietet sich an, einen Zinsterminkontrakt einzusetzen. Solche Kontrakte werden an Börsen für Futures und Optionen wie EUREX (Frankfurt / Zürich), LIFFE (London), CBOT (Chicago), MATIF (Paris) und Tokyo Stock Exchange gehandelt. Sie beziehen sich auf eine synthetische Anleihe mit klar definierten Eigenschaften. Je nach Liquidität eines Markts gibt es Kontrakte für Instrumente verschiedener Laufzeiten. In Deutschland werden folgende Kontrakte unterschieden: <?page no="201"?> 9.2 Zinsen und Wechselkurse 201 Euro BUXL Future: Underlying ist eine deutsche Bundesanleihe mit Kupon von 6% und einer Restlaufzeit von 20 bis 30,5 Jahren. Euro BUND Future: Underyling ist eine deutsche Bundesanleihe mit Kupon von 6% und einer Restlaufzeit von 8,5 bis 10 Jahren. Euro BOBL Future: Underyling ist eine deutsche Bundesanleihe oder Anleihe der Treuhandanstalt mit Kupon von 6% und einer Restlaufzeit von 3,5 bis 5 Jahren. Euro SCHATZ Future: Underyling ist eine deutsche Bundesanleihe oder Anleihe der Treuhandanstalt mit Kupon von 6% und einer Restlaufzeit von 1,75 bis 2,25 Jahren. All diese Kontrakte haben einen Nominalwert von 100.000 Euro und werden nur auf fixierte Termine notiert. Üblich sind die Liefermonate März, Juni, September und Dezember. Der Handel mit Zinsfutures begann 1975, als die CBOT einen ersten Kontrakt auf einen Bond der amerikanischen Hypothekenagentur Ginnie Mae (GNMA = Government National Mortgage Association) auflegte. Im Jahr 1977 folgte dann der T-Bond-Future, ebenfalls an der CBOT. In Europa wurden als Terminbörsen gegründet: 1982 in London die London International Financial Futures and Options Exchange (LIFFE), 1986 in Paris der Marché à Terme International de France (MATIF). In den Jahren 1988 startete in Zürich die Swiss Options and Financial Futures Exchange (SOFFEX) und 1990 in Frankfurt die Deutsche Terminbörse (DTB). Diese beiden Börsen bilden heute die EUREX. 9.2 Zinsen und Wechselkurse 9.2.1 Paritätstheoreme Zwischen Zinsen und Wechselkursen gibt es eine enge Beziehung. Wichtig ist dabei der Unterschied zwischen realen Zinsen und nominalen Zinsen. Nominale Zinssätze beziehen sich auf Geldbeträge, reale Zinssätze berücksichtigen die Kaufkraft. Reale Zinssätze sind gleich den nominalen Zinssätzen abzüglich der Inflationsrate. Wenn etwa die Zentralbank die Geldmenge verknappt und dazu die Leitzinsen erhöht, so handelt es sich zunächst um einen nominalen Zinsanstieg. Doch da offensichtlich die Inflation eingedämmt wird, geht es auch um einen realen Zinsanstieg. Genauso ist es ein realer Zinsanstieg, wenn am langen Ende die Kapitalnachfrage und die Renditen steigen. Wenn aber die Geldmenge im Vergleich zur Wirtschaft zu stark wächst, droht die Gefahr, dass eine Geldeinheit über die Zeit an Wert verliert. In den Zinsen drückt sich diese Inflation in einem nominalen Anstieg aus. Entsprechend dieser Unterteilung sind die Konsequenzen auf den Wechselkurs unterschiedlich: Ein Realzinsanstieg in einer Währung macht Anlagen in dieser Währung attraktiv, weil sie einen höheren Ertrag abwerfen. Die Nachfrage nach der Währung nimmt zu, und deren Außenwert steigt. <?page no="202"?> 202 9. Kapitel: Das Zinsrisiko Bei Erhöhungen der Nominalzinsen dagegen kommt es auf die Ursachen an. Steht dahinter ein Realzinsanstieg, so führt dies zu einer Aufwertung der entsprechenden Währung. Ist der Zinsanstieg jedoch durch eine höhere Inflationsrate bedingt, stellen die höheren Zinsen eine Kompensation für die erwartete Währungsabwertung dar. Bei einem Inflationsanstieg ist eine Abschwächung der Währung zu erwarten. Die Beziehungen zwischen Inflationsraten, Zinssätzen, Wechselkursen und Devisenterminkursen sind in den Paritätsbeziehungen (Abb. 37) festgehalten. Abb. 37: Paritätsbeziehungen Beispiel: Gegeben seien zwei Länder, Land A und Land B, die sich durch eine äquivalente Wirtschaftsstruktur auszeichnen und ein identisches Realzinsniveau aufweisen. Nun kommt es plötzlich zu einem Anstieg der Inflation in Land A - aus welchen Gründen auch immer. Die Währung des Landes A wertet sich in der Folge im Vergleich zu den übrigen Währungen ab. Fisher-Effekt: Damit die Finanzanlagen von Land A für internationale Investoren immer noch attraktiv sind, müssen die Zinsen in Land A ansteigen, um die erwartete Abwertung der Währung zu kompensieren. Diese Überlegung steht hinter dem Fisher-Effekt. Er besagt: Bei gleicher Realzinsbasis in verschiedenen Ländern sind unterschiedliche Nominalzinsen lediglich Ausdruck der jeweiligen Inflationsrate. Zinsparität: Inflation heißt, dass die Kaufkraft einer Geldeinheit über die Zeit hinweg abnimmt. Bei Währungen, für die es einen Terminmarkt gibt, wird sich diese implizite Abwertung im Terminkurs ausdrücken. Die sich aus der Abwertung ergebende Differenz zwischen dem Devisenterminkurs und dem heutigen Wechselkurs (Spotkurs oder Kassakurs) entspricht der Differenz der nominalen Zinssätze. Denn, um auf den Anlagemärkten die Allokation unverändert zu lassen, müssen die Renditen real gleich bleiben. Dies ist bei einer erwarteten Abwertung einer Währung nur möglich, wenn die Zinserträge diese Abwertung kompensieren. Eine nominale Zinsdifferenz ist damit ein Indiz für eine implizite Währungsabwertung. Deshalb sind Anlagen in Fremdwährungen trotz nominal hoher Renditen real gesehen weniger vorteilhaft als angenommen. In unserem Beispiel wäre der Terminkurs für Währung A tiefer als deren heutiger Spotkurs. Die Beziehung zwischen nominalen Zinsunterschieden und der erwarteten Wechselkursentwicklung wird als Zinsparität bezeichnet. <?page no="203"?> 9.2 Zinsen und Wechselkurse 203 Erwartungsthese der Währungen: Für die Prognose des zukünftigen Spotkurses kommt das selbe Argument wie oben zum tragen. Die Märkte müssen aufgrund der Abwertung davon ausgehen, dass der Erwartungswert des zukünftigen Spotkurses unter dem heutigen Kassakurs liegt. Gleichwohl unterliegt die Wechselkursentwicklung zufälligen Einflüssen, weshalb der tatsächlich zu einem zukünftigen Zeitpunkt sich einstellende Spotkurs aus heutiger Sicht eine unsichere Größe darstellt. Die Erwartungsthese beschreibt nun die Beziehung zwischen diesem unsicheren zukünftigen Spotkurs und dem heutigen Devisenterminkurs. Im Kern sagt sie, dass auf effizienten Devisenterminmärkten sämtliche Informationen über die zu erwartende Wechselkursentwicklung in den Terminkursen eingepreist sind. Die heutigen Devisenterminkurse stellen die beste Prognose für die unsicheren zukünftigen Devisenspotkurse dar. Kaufkraftparität: Bestehen zwischen Land A mit hoher Inflation und Land B mit tiefer Inflation keinerlei Handelshemmnisse, wird sich der reale Preis ihrer Güter durch die Inflationsunterschiede nicht verändern. Denn die Abwertung in der Währung von Land A wird vollständig durch nominale Preisanpassungen der Güter und Dienstleistungen in Land A kompensiert. Dieser strenge Zusammenhang wird als starke Form der Kaufkraftparität (Purchase Power Parity, PPP) bezeichnet. Folglich müssten alle Leistungen in allen Ländern real gleich teuer sein, wenn die nominalen Preise mit den jeweils herrschenden Wechselkursen umgerechnet werden. Indes ist die bei der starken Form der PPP unterstellte friktionslose Übertragbarkeit von Gütern und Dienstleistungen in Realität selten erfüllt. Vielmehr gibt es persistente Unterschiede in den Preisniveaus verschiedener Länder. Diese sind umso ausgeprägter, je schwerer handelbar oder transportierbar bestimmte Leistungen sind. Die schwache Form der Kaufkraftparität besagt nun, dass sich trotz dieser Unterschiede in den Preisniveaus die relative Veränderung der Wechselkurse durch die Differenzen in den Inflationsraten erklären lassen. Internationaler Fisher-Effekt: Der Internationale Fisher-Effekt ergibt sich aus der Transitivität der anderen Paritätsbeziehungen. Er besagt, dass Veränderungen in den Wechselkursen am Kassamarkt mit Veränderungen in den nominalen Zinssätzen einhergehen. Von diesen fünf Paritätsbeziehungen gilt die Zinsparität als diejenige mit der größten empirischen Grundlage. Häufig werden daher die Nominalrenditen als Indikator für die Wechselkursentwicklung herangezogen. 9.2.2 Aufwertungen und Abwertungen Beispiel für die Ursachen und Folgen realer Abwertung: Wie in den USA und Europa wurde im Jahr 2002 in mehreren asiatischen Staaten die Geldpolitik gelockert. Im Gegensatz zu Europa führte der damit verbundene Rückgang des Zinsniveaus insbesondere in China, Indien und Korea zu einem starken Kreditwachstum von 17% bis 25%. Diese geldpolitischen Impulse bewirkten zusammen mit der massiven Inflation in einzelnen Ländern eine reale Abwertung, so etwa auf den Philippinen sowie in Singapur, Taiwan und Thailand. Der Grund war die massive Ausweitung der Geldmenge in Relation zum Wirtschafts- <?page no="204"?> 204 9. Kapitel: Das Zinsrisiko wachstum. Während in diesen Ländern die Wechselkurse seit der Asienkrise frei schwanken, war die Abwertung der Wechselkurse in China, Hongkong und Malaysia durch die Abwertung des US-Dollars bedingt, an welchen sie de facto gekoppelt sind. Für Asien hat die Währungsschwäche insgesamt zur Erholung der Exporte beigetragen. Anders sieht die Lage dagegen in Lateinamerika aus. Zwar haben Abwertungen eine stimulierende Wirkung auf die Wirtschaft - wie das Beispiel von Argentinien zeigt - jedoch greift sie erst mittelfristig. In der kurzen Frist erhöht sich aufgrund der hohen Verschuldung die Schuldenlast für jene ansässigen Personen, die Kredite in Fremdwährungen aufgenommen haben. Dies wiederum drückt auf die Kaufkraft im Inland und auf die Kapazitätsauslastung der Wirtschaft. Dadurch kann es kurzfristig zu unbeabsichtigten Effekten kommen. 9.2.3 Währungsreform in China Yuán bedeutet Währung, Zahlungsmittel oder Währungseinheit, ohne dass der Begriff auf ein konkretes Land eingeschränkt wäre. Preisschilder in China tragen das Zeichen für Yuan, ¥, wobei dort niemand Zweifel hat, um die Währung welchen Landes es sich handelt (und das Symbol ist übrigens dasselbe wie für den japanischen Yen). Die konkrete Währungseinheit der Volksrepublik China wird, wenn Unterschiede zu anderen Währungen betont werden müssen, Renminbi Yuan genannt, was übersetzt Volks-Währung heißt. Woanders wird vom chinesischen Yuan gesprochen, und die in China verwendete Währung wird mit CNY abgekürzt. Zur Erinnerung: Bekanntlich bestehen die Abkürzungen für Währungen (nach ISO 4717) aus jeweils drei Buchstaben. Die ersten beiden sind die Landeskennung (nach ISO 3166-1 ALPHA-2), so wie beispielsweise CN, CH, US, JP, EU, RU, TR. Der dritte Buchstabe in der Währungsabkürzung ist meistens der Anfangsbuchstabe der Währungsbezeichnung. So steht CNY für den chinesischen Yuan, CHF für den Schweizerfranken, USD für den Dollar der USA, JPY für den Yen. Ausnahmsweise ist als dritter Buchstabe ein nachfolgender Buchstabe der Währungsbezeichnung oder ein Sonderzeichen gewählt. So wird in Europa der Euro mit EUR (und nicht mit EUE) abgekürzt, der russische Rubel mit RUB (und nicht mit RUR) und die türkische Lira mit TRY. Der CNY wurde bis 2003 von der chinesischen Zentralbank mit einem Kurs von 100 CNY = 12 USD bei enger Bandbreite am Dollar festgemacht. Dies hat China durch Kapitalverkehrskontrollen bewerkstelligt. Ein Vorbild war der Peg, mit dem ab 1972 der Hongkong- Dollar streng an den US-Dollar in der Relation 100 HKD = 12,82 USD gekoppelt war, und zwar im Einverständnis mit den USA. Während die Relation 100 CNY = 12 USD aufrechterhalten wurde, kam es zu einer Abwertung des USD gegenüber anderen Währungen wie EUR, JPY, GBP. Die Dollarschwäche setzte bereits um 2002 ein und veränderte wichtige Wechselkurse um 15% bis 30%. Ein Grund für die Abwertung des Dollars war das außenwirtschaftliche Ungleichgewicht der USA: Das Ertragsbilanzdefizit hatte 2003 mit 5% des BIP einen historischen Höchststand erreicht. Die Erfahrung zeigt, dass der Außenwert einer Währung stark fällt, sobald das Defizit des Landes 5% erreicht. <?page no="205"?> 9.2 Zinsen und Wechselkurse 205 Das Defizit der USA ging sicherlich zu einem Teil auf den Handel mit China zurück, weswegen durchaus eine Abwertung des USD auch gegenüber dem CNY angebracht gewesen wäre. Doch China erreichte durch Kapitalverkehrskontrollen, dass die Relation zwischen CNY und USD weiterhin bei 100 CNY = 12 USD blieb. Der Yuan wurde zusammen mit dem Dollar gegenüber den Währungen EUR, JPY, GBP der Drittstaaten schwächer. Die Regierung der USA organisierte daraufhin eine Kampagne, in die Europa, Japan und weitere Länder eingebunden wurden. Der Gouverneur der Federal Reserve Bank (Fed) A LAN G REENSPAN sowie der amerikanische Außenminister (zusammen mit Politikern der anderen, in die Kampagne eingebundenen Länder) warfen der Volksrepublik China vor, den Außenwert des chinesischen Yuan künstlich tief zu halten, um sich „unfaire Wettbewerbsvorteile“ zu verschaffen. China solle im Interesse der Stabilität in der Welt zu einem freien Floating seiner Währung übergehen. Mit gleicher Zielsetzung hat der amerikanische Industrieverband (National Association of Manufacturers, NAM) eine Klage nach Kapitel 301 der amerikanischen Handelsgesetzgebung gegen China erhoben. Die Chinesen haben auf diese Kampagne zunächst ausweichend reagiert. Dafür gab es wohl drei Gründe. Erstens wollte China politisch nicht zugeben, einfach den Forderungen Dritter zu entsprechen. Zweitens hätte eine sofortige Aufgabe der Kapitalverkehrskontrollen und Freigabe des Devisenmarktes (wie gefordert wurde) eine sprungartige und starke Aufwertung des CNY bewirkt. Dies hätte wiederum in der Realwirtschaft schockartige Veränderungen ausgelöst. Drittens wären die inländischen Finanzmärkte Chinas und das Währungssystem bei Freigabe noch größeren Einflüssen von Spekulationen ausgesetzt, weil das chinesische Finanz- und Bankensystem damals noch nicht reif und wettbewerbsfähig war. Zwei Jahre später, 2005, hat China dann eine Währungsreform angekündigt. In den nachfolgenden 10 Jahren (2005-2015) wurde eine schrittweise Aufwertung des CNY vorgenommen, und zwar in zahlreichen, kleinen Schritten von rund 2% pro Jahr. Gleichzeitig wurde das Bankensystem gestärkt und schrittweise reformiert. Im Jahr 2015 hatte die Relation zwischen CNY und USD jenes Niveau erreicht, das sich wohl in einem freien Devisenmarkt auch eingestellt hätte: 100 CNY entsprachen dann 15 USD. Die gemanagte Aufwertung des Yuan betrug mithin 25% für die Periode 2005-2015. Sodann haben die Chinesen den Devisenhandel (wie ursprünglich gefordert) schrittweise immer weiter geöffnet. Dadurch ist eine gewisse Volatilität der Wechselkurse aufgekommen. Der CNY schwankt seither gegenüber dem USD um den 2015 eingestellten Wechselkurs von 100 CNY = 15 USD. China beobachtet auch weiterhin das Niveau der Wechselkurse und die Volatilität genauestens, und das Finanzsystem wurde zwar geöffnet, ist aber noch nicht ganz frei. Die Chinesen haben sich also dem Verlangen der USA, Europas, Japans und anderer Länder 2003 nicht verschlossen, doch sie sind ihm nicht unmittelbar nachgekommen. Vielmehr haben sie die Situation schrittweise und über 15 Jahre hinweg angepasst. Dadurch konnte 2003 ein wirtschaftlicher Schock vermieden werden. Man muss sehen, dass die Aufwertung des Yuan zur Verlagerung von Arbeitsplätzen in andere südostasiatische Staaten geführt hat, während China immer noch dabei war, den armen Westen des großen Landes wirtschaftlich zu entwickeln und dort Arbeitsplätze einzurichten. Außerdem erzeugt eine Aufwertung deflationären Druck: Lieber hält man das wertvoller werdende Geld als reale Ob- <?page no="206"?> 206 9. Kapitel: Das Zinsrisiko jekte. Der deflationäre Druck hatte negative Effekte bei ausländischen Direktinvestitionen sowie bei den Exporten Chinas. Und ausländische Direktinvestitionen wie Exporte sind wichtige Pfeiler der chinesischen Wirtschaft. Eine Deflation wirkt sich zudem negativ auf die erst im Entstehen begriffenen Konsumkredit- und Hypothekarmärkte aus. Des Weiteren hat die Verteuerung des Yuan für die chinesischen Unternehmen die Produktionskosten erhöht und damit die Last an faulen Krediten vergrößert. Das musste alles bewältigt werden, und sicherlich auch deswegen hatte sich die Regierung Chinas 15 Jahre Zeit gegeben, um das Ansinnen der USA zu erfüllen. Abb. 38: Bestände der offiziellen Währungsreserven in Milliarden US-Dollar (Quelle: Jahresberichte 1999, 2003, 2006, 2008, 2012, 2014, 2016 der BIZ) Hinsichtlich der amerikanischen Bestrebungen im Jahr 2003, die Relation zwischen Yuan und Dollar durch einen freien Markt bestimmen zu lassen, muss auch bezweifelt werden, ob eine schnelle Aufwertung der chinesischen Währung tatsächlich Arbeitsplätze in den USA und in Europa gerettet hätte. Denn die chinesischen Exporte betreffen Güter, deren Produktion schon lange aus den USA und Europa heraus verlagert wurde. 1998 2002 2005 2007 2011 2013 2015 Industrieländer 690.4 887.8 1292.2 1501.2 2037 2287 2364 USA 33.8 37.8 45.8 52 48 39 Euro-Raum 215.8 167.3 203.5 208 221 246 Japan 451.5 828.8 948.4 1221 1203 1180 Schweiz 271 489 561 Asien 562.9 943.8 1821.6 2912.6 5112 5880 5461 China 286.4 818.9 1528.3 3181 3821 3330 Hongkong 111.9 124.3 152.6 285 311 359 Indien 67 131 266.6 263 268 328 Indonesien 30.3 32 54.7 104 93 101 Korea 120.8 210 261.8 298 336 359 Malaysia 33.3 69.7 100.6 129 130 91 Philippinen 13 15.8 30.1 66 74 72 Singapur 81.4 115.3 162.5 235 270 246 Taiwan 161.7 253.3 270.3 386 417 426 Thailand 38 50.5 85.1 165 159 149 Lateinamerika 132.7 140.1 217.2 397.2 642 688 686 Argentinien 10.4 22.7 44.2 40 25 21 Brasilien 37.4 53.5 179.4 343 349 349 Chile 14.8 16.7 16.7 40 39 37 Mexiko 49.9 73 86.3 137 169 168 Venezuela 23.5 23.7 6 2 6 Mittel-/ Osteuropa 73.3 146.1 335.1 223.6 260 294 261 Naher Osten 79.5 135.6 661 893 662 Russland 175.9 464 441 456 309 Insgesamt 1636.1 2392.3 4170.8 6392.8 10204 11686 10921 Angaben in Mrd. USD. Quelle: Jahresberichte der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich 176.8 274.5 <?page no="207"?> 9.3 Kreditrisiken 207 9.3 Kreditrisiken 9.3.1 Default Ein Gläubiger muss mit der Möglichkeit rechnen, dass der Schuldner seine Zahlungsverpflichtungen nicht oder nur noch zu einem Teil erfüllen kann. Das Risiko eines Ausfalls oder Teilausfalls wird als Kreditrisiko, Gegenparteirisiko oder Delkredererisiko bezeichnet. Für dieses Risiko muss der Schuldner den Gläubiger kompensieren, ähnlich wie ein Versicherter für die Möglichkeit eines Schadens der Versicherungsgesellschaft periodisch wiederkehrend eine Prämie entrichten muss. Der Schuldner muss daher mit dem Kreditzins eine Prämie zahlen, deren Höhe dem Kreditrisiko entspricht. Je wahrscheinlicher ein Kreditausfall ist und je höher dann der Ausfall sein dürfte, desto höher ist der vom Schuldner zu leistende Kreditzins. Der Gläubiger hat mit einer Kreditrisikoprämie aber keinen Vorteil, denn es dürfte immer wieder zum Ausfall von Forderungen kommen. Die erwartete Rendite wird durch die Risikoprämie nicht verändert. Dieser Ansatz, Kreditrisiken in den Konditionen eines Kreditvertrags zu berücksichtigen, wird als Risk-Adjusted-Pricing (RAP) bezeichnet. Alle Banken ebenso wie Finanzinvestoren gehen danach vor. Denn wenn Kreditnehmer mit einer schlechten Bonität bei einer Bank keine Risikoprämie bezahlen müssten, dann käme es zu einer Quersubventionierung der schlechten durch gute Qualitäten. Die guten Kreditgeber würden folglich die Bank verlassen. Bei Bonds äußert sich das RAP in der Kursbildung. Anleihen von Schuldnern geringerer Bonität versprechen eine höhere Rendite, allerdings tritt sie nur ein, sofern es nicht zu einem Ausfall kommt. Bei sehr geringer Bonität ist die Risikoprämie hoch. Falls es doch nicht zu einem Ausfall kommt, ist die Rendite der Gläubiger entsprechend hoch. Dieses Segment wird als High Yields bezeichnet. Wieder gilt: Der Käufer und Halter von Anleihen hat bei High Yields im Durchschnitt keinen Vorteil, weil dann und wann der Schuldner in Not gerät. Große Kursverluste sind die Folge. Die erwartete Rendite ist daher nicht höher. Höher ist die tatsächliche Rendite der Anleihe im guten Fall. Bedeutend geringer ist sie im schlechten Fall. In Bild 39 sind die Renditen für zehnjährige US-Staatsanleihen (US-Treasuries) sowie die Renditen für Unternehmensanleihen gezeigt, die von der Rating-Agentur Moody’s mit den höchsten Bonitäten AAA und BAA versehen wurden. AAA ist die allerbeste Ratingstufe. Die Renditedifferenzen zwischen Anleihen unterschiedlicher Bonität werden als Kreditrisikoprämie oder Credit-Spread bezeichnet. Auffällig sind drei Beobachtungen: Staatsanleihen haben stets eine tiefere rechnerische Rendite als Unternehmensanleihen. Auch zwischen hervorragenden Corporate Schuldnern mit einem AAA-Rating und dem Staat als Schuldner gibt es eine geringe Kreditrisikoprämie. Die Credit-Spreads sind nicht stabil über die Zeit hinweg: Zum einen hatte sich der Renditeaufschlag von BAA gegenüber AAA bis zur Finanzkrise von 2008 eher zurückgebildet. <?page no="208"?> 208 9. Kapitel: Das Zinsrisiko Zum anderen ist der Credit-Spread zwischen verschiedenen Bonitäten in rezessiven Phasen wie zum Beispiel 1981/ 82 und 1990/ 91 größer als sonst. Der Credit-Spread zwischen Staatsanleihen und AAA-Anleihen hat sich stark ausgeweitet, insbesondere in den Jahren 1999 und 2000. Die Ursache liegt - wie bereits früher angesprochen - in den in diesem Zeitraum erzielten Überschüssen des amerikanischen Staatshaushalts. In der Folge ging die staatliche Nachfrage nach Kapital zurück, und die Renditen für Staatspapiere sind stark gesunken. Hierin liegt übrigens der Grund für die wachsende Bedeutung der Swapsätze als Benchmarks, da diese die Verhältnisse im AAA- und AA-Segment besser spiegeln als die Konditionen der Staatsanleihen. Beispiel: Der europäische High-Yield-Market: Während sich US-Unternehmen hinsichtlich des Fremdkapitals seit jeher stärker über den Bondmarkt finanzieren, dominiert bei europäischen Unternehmen traditionell die Finanzierung über Bankkredite. Doch seit Ende der 1990er Jahre haben sich die europäischen Anleihemärkte belebt. Dies gilt auch für den Markt der hochverzinslichen Anleihen, die als High Yield Bonds bezeichnet werden. Die hohen Renditen gehen mit einer geringen Bonitätseinstufung einher. Typischerweise fallen in den High-Yield-Bereich Anleihen mit einem Rating von schlechter als Ba1 (nach Moody’s) beziehungsweise BB+ (nach Standard & Poor’s). Wegen ihrer geringen Bonität wurden diese Instrumente früher im Jargon Junkbonds (Schrottanleihen) genannt. Der amerikanische High-Yield-Markt ist mit einem Volumen von knapp 100 Milliarden US- Dollar fast zehnmal so groß wie der europäische. Indes kam im Juni 2003 mit einem Anleihepaket von knapp 1 Milliarde USD und 500 Millionen EUR die bislang größte europäische Junkbond-Emission auf den Markt. Außerdem legte die Firma Heidelberg Cement den größten Junkbond in einer einzelnen Tranche über 700 Millionen Euro auf. Abb. 39: Credit Spreads US-Treasuries - Corporate AAA - Corporate BBB 1980 bis 2019 (Datenquelle: Thomson Reuters Datastream) <?page no="209"?> 9.3 Kreditrisiken 209 Während in den vergangenen Jahren Junkbonds vor allem von Telekom-Unternehmen sowie von Unternehmen im Zuge eines Leveraged-Buyouts platziert wurden, treten zunehmend Unternehmen als Emittenten auf, die ihre Abhängigkeit von Bankkrediten reduzieren wollen. Das tiefe Zinsniveau, die zunehmende Offenheit der Marktteilnehmer gegenüber dieser Finanzierungsform sowie die neuen Risikoeinschätzungen durch die Banken im Rahmen von Basel II dürften sich nach Ansicht von Marktbeobachtern positiv auf die Entwicklung des europäischen Junkbond-Markts auswirken. Beispiel: Höher verzinsliche Anleihen: Vor der Einführung des Euro kauften viele private Käufer von Festverzinslichen in Deutschland einheimische Papiere und ergänzten ihre Portfolios mit einigen italienischen Staatsanleihen. Zwar wurde ein Teil des Ertrags, ausgedrückt in Kaufkraft, durch die höhere Inflation in Italien gemindert, jedoch konnte die Übernahme italienischer Papiere zu einer Renditeaufbesserung beitragen. Mit der Harmonisierung in Europa verlagerte sich das Interesse der Anleger auf Papiere aus Schwellenländern sowie auf Unternehmensanleihen. Sowohl die Krisen in den Emerging Markets (Asien 1997, Russland 1998, Brasilien 1999, Argentinien 2001/ 02) als auch die Schwierigkeiten diverser Unternehmen in den Jahren 2001 bis 2003 (Enron, WorldCom, Swissair) haben gezeigt, dass Investoren mit einem beschränkten Diversifikationspotential nur ausnahmsweise Anleihen aus dem Subinvestment-Grade unter AA kaufen sollten. Prozesse der Schuldenrestrukturierung sind langwierig und für private Anleger mühsam. Im Falle einer Kreditvergabe werden im Zusammenhang mit dem Gegenparteirisiko drei Phasen unterschieden: Zu Beginn einer Kreditbeziehung steht immer die Beurteilung des Gegenparteirisikos (Risk-Rating). Hat sich ein Investor entschieden, Risiken zu übernehmen, müssen diese kontrolliert und gesteuert werden (Risk-Management). Wenn doch der unerwünschte Fall eintritt und ein Schuldner ausfällt, dann muss die Situ-ation bereinigt werden, wobei der Gläubiger das Ziel hat, die Einbringlichkeitsquote zu maximieren (Risk-Workout). 9.3.2 Basel II und III Das Regelwerk des Basler Ausschusses für Bankenaufsicht wird in Österreich und der Schweiz sowie in zahlreichen anderen Ländern als Basel II und Basel III bezeichnet, während sich in Deutschland daneben auch das Kürzel MaK (für: Mindestanforderungen im Kreditwesen) etabliert hat. Das regulatorische Projekt Basel IV ist auf internationaler Ebene ins Stocken geraten. Der Basler Ausschuss für Bankenaufsicht (Basel Committee) wurde 1974 ins Leben gerufen und hat heute dreizehn Mitgliedsländer. Diese Länder werden im Ausschuss durch ihre Zentralbanken und durch Aufsichtsbehörden vertreten. Um weltweit wirken zu können, hat das Basel Committe in den letzten Jahren die Zusammenarbeit mit den Aufsichtsbehörden auch der anderen Länder verstärkt, die nicht direkt vertreten sind. <?page no="210"?> 210 9. Kapitel: Das Zinsrisiko Der Ausschuss hat keine Kompetenz zur Gesetzgebung oder zur Überwachung in den einzelnen Ländern. Seine Aufgabe besteht darin, Überwachungsstandards und Richtlinien zu erarbeiten und jene zu empfehlen, die dem Stand der Wissenschaft und den Best- Practices der modernen Bankenaufsicht entsprechen. Die Übertragung dieser Empfehlungen und die Umsetzung in nationales Recht sind den jeweiligen Ländern und ihren Bankaufsichtsbehörden überlassen. Dieses Vorgehen führt zu einer gewissen Konvergenz zwischen den aufsichtsrechtlichen Bestimmungen in den einzelnen Mitgliedsländern und begünstigt die Pflege internationaler Standards. Im Bestreben, Lücken in der nationalen Bankenaufsicht zu schließen, sind für den Ausschuss zwei Zielsetzungen zentral: Erstens soll es für keine Bank in der Welt möglich sein, außerhalb der nationalen Aufsicht tätig zu sein, und zweitens soll die Aufsicht verhältnismäßig sein. Das erste Regelwerk war der Basler Akkord zur Eigenkapitalunterlegung (Eigenkapitalvereinbarung, Basel Capital Accord) von 1988. Das Hauptanliegen bestand in der Umsetzung eines Systems für die Messung des Kreditrisikos einer Bank sowie das Bereithalten von Eigenkapital in entsprechender Höhe (Unterlegung). Dieses Mindestkapital wurde auf 8% festgesetzt. Diese Vorschläge wurden bis 1992 in nationales Recht übernommen, und zwar praktisch von allen Ländern mit international tätigen Banken. Zwischenzeitlich gab es eine Ergänzung, um die Marktrisiken zu berücksichtigen, die den Banken erwachsen, wenn sie Aktien, Edelmetalle und andere Positionen halten, deren Kursbildung Marktrisiken ausgesetzt ist. Im Jahr 1999 begannen die Arbeiten an dem Neuen Basler Akkord (Basel II), der die bisherigen Regeln ergänzt. Das Regelwerk Basel II besteht aus drei Säulen, welche in Basel III noch verfeinert wurden: 1. Säule: Mindesteigenkapitalanforderungen mit verfeinerten Regeln für die Messung der Kreditrisiken. 2. Säule: Aufsicht über die Überprüfungsverfahren. 3. Säule: Erweiterte Offenlegungspflichten zur Stärkung der Marktdisziplin. Hinsichtlich der Mindesteigenkapitalanforderungen für Kreditinstitute (1. Säule) wird stärker als bis an hin eine an den konkreten Kreditrisiken orientierte Unterlegung angestrebt. Kernstück bilden daher die verfeinerten Regeln für Kreditrisiken. Neu sind Regeln für operationelle Risiken. Nicht verändert wurden die geltende Eigenkapitaldefinition sowie die Mindestquote für Eigenkapital von 8%. Im Rahmen der Umsetzung von Basel III gibt es diesbezüglich indessen stärkere Vorschriften für einzelne Banken, etwa für als systemrelevant klassifizierte Institute. Wesentlich verschärft wurde jedoch die Anrechenbarkeit von Finanzierungspositionen an die Eigenmittel sowie das Ausmaß, in welchem die Banken so genanntes „hartes“ Eigenkapital vorhalten müssen. Außerdem umfasst Basel III Vorschriften hinsichtlich der Liquiditätshaltung. Zur Ermittlung der Kreditrisiken und zur Ermittlung von Marktrisiken haben die Kreditinstitute die Wahl zwischen Standardmethoden und verfeinerten, internen Verfahren. Ähnlich sind auch bei den operationellen Risiken gröbere und feinere Verfahren zugelassen. <?page no="211"?> 9.3 Kreditrisiken 211 Der Tendenz nach sind die anspruchsvolleren Methoden zwar aufwendiger für die Bank, sie sparen aber Eigenkapital. Dadurch kann eine Bank, die über ein gewisses Eigenkapital verfügt, bei Wahl einer anspruchsvolleren Methode mehr Geschäfte eingehen, bei denen sie erwarten kann, mehr zu verdienen, wenngleich damit auch mehr Risiken verbunden sind. Große Banken ermitteln ihre Kreditrisiken vorwiegend mit internen Ratings, während kleineren Instituten die finanziellen und personellen Ressourcen zur Schaffung interner Rating- Systeme fehlen. Darlehen an Kreditnehmer mit hoher Bonität müssen mit weniger Eigenkapital unterlegt werden, solche an Kreditnehmer mit geringer Bonität benötigen dagegen mehr Eigenkapital. Entsprechend gibt es stärker abgestufte Konditionen für Kreditkunden. Die Auswirkungen hängen davon ab, in wie weit die Banken schon bisher ein Risk-Adjusted-Pricing der Kredite praktizieren. So werden im Kreditgeschäft in der Schweiz geringe Effekte von Basel III erwartet, da die meisten Banken nach der Immobilienkrise in den frühen 1990er Jahren differenzierte Konditionen eingeführt haben. Im Firmenkundengeschäft dürfte es mithin in der Schweiz nicht zu großen Veränderungen kommen. Die Umsetzung von Basel III verursacht selbst für Banken, die bereits über ein Risk-Adjusted-Pricing der Kredite verfügen, Kosten. Ein Teil dieser Kosten wird den Kunden verrechnet werden müssen oder die Banken zur Aufgabe einzelner Geschäftsfelder zwingen. Sodann besteht die Gefahr, dass die Regeln von Basel II und III prozyklisch wirken, und das ist unerwünscht. Typischerweise steigen in rezessiven Zeiten die Kreditrisiken, was die Banken zu stärkerer Unterlegung und daher zur Erhöhung ihrer Konditionen zwingt. Das bedeutet, dass die Banken in Zeiten, die für die Unternehmen schwieriger werden, ihre Bereitschaft zur Kreditvergabe zurücknehmen. Der Spruch, dass die Banken bei schönem Wetter Regenschirme ausgeben und beim ersten Regentropfen wieder einsammeln, wird durch die Regulierung zur erzwungenen Wahrheit. Auf der anderen Seite muss man sehen, dass deren Auswirkungen auf die Volkswirtschaft grundsätzlich positiv sind, weil durch risikogerechte Konditionen die Allokationseffizienz von Kapital erhöht wird. Außerdem ist es die primäre Aufgabe einer Bank, Einlagen sicher zu verwahren und nicht zur „Wirtschaftsförderung“ Kredite zu geben, die später in den Medien als „faul“ bezeichnet werden. Gleichwohl resultieren volkswirtschaftliche Kosten, wenn sich durch strenge Auflagen bei der Kreditvergabe die Dauer einer Wirtschaftskrise verlängert. Grundsätzlich zu begrüßen ist das Bemühen operationelle Risiken zu erfassen. Doch die Definition operationeller Risiken ist vage und unvollständig. Fragwürdig ist zudem der Ansatzpunkt, technische Betriebsstörungen und Fehler bei internen Kontrollmechanismen mit Kapital unterlegen zu wollen. Denn im Gegensatz zu Markt- und Kreditrisiken ist bei operationellen Risiken Prävention angezeigt und möglich. Hier sind Versicherungslösungen besser geeignet. Zudem gibt es bezüglich der Risikobemessung ein weiteres Problem: Die Kapitalunterlegung wird in Relation zum Bruttoertrag festgelegt. Gerade profitable Banken werden damit bestraft. <?page no="212"?> 212 9. Kapitel: Das Zinsrisiko 9.3.3 Kreditderivate Ein zweiter aktueller Aspekt betrifft die Entwicklung im Markt für Kreditderivate. Diese Instrumente haben in den vergangenen zehn Jahren für das Kreditrisikomanagement von Banken eine große Bedeutung erlangt. Sie bieten die Möglichkeit, ein definiertes Gegenparteirisiko an eine andere Partei abzutreten, ohne aber das zugrunde liegende Kreditportfolio zu verändern. Hauptmerkmal eines jeden Kreditderivats ist die Trennung des Bonitätsrisikos (Ausfall- oder Ratingrisiko) vom Halten des festverzinslichen Instruments. Damit lässt sich das Gegenparteirisiko auf andere Marktteilnehmer abwälzen. Käufer von Kreditderivaten sind Investoren, die ihr Kreditrisiko aus einem Kredit- oder Bond-Engagement absichern möchten. Der Käufer entschädigt den Verkäufer einer Kreditabsicherung mit einer Prämie, während der Versicherungsgeber, der Verkäufer der Kreditabsicherung, im Fall eines Kreditvorfalls für den Verlust aufkommt. Der Verkäufer erhält für die Übernahme der Kreditrisiken vom Käufer eine Prämie. Die Akteure haben ein Interesse, jene Kreditrisiken abzutreten, die nicht in ihr Portfolio passen und im Gegenzug solche Kreditrisiken zu übernehmen, mit denen sie ihr aktuelles Portfolio gut diversifizieren können. Man unterscheidet verschiedene Formen von Kreditderivaten: Credit-Default-Swap (CDS): Dies ist die am weitesten verbreitete Form eines Kreditderivats. Der Sicherungskäufer (zum Beispiel eine Bank) ist mit ihrem Kreditportfolio einem Default-Risiko ausgesetzt. Um sich bei einem Sicherungsverkäufer dagegen abzusichern, zahlt sie diesem eine Absicherungsprämie. Im Gegenzug erhält sie von diesem eine Ausgleichszahlung, wenn der Kredit teilweise oder ganz ausfällt. Credit-Linked-Notes sind Schuldpapiere, die von einer Institution mit Absicherungsbedarf (etwa einer Bank) am Kapitalmarkt platziert werden. Der Schutzmechanismus basiert darauf, dass die Verpflichtung der Bank gegenüber den Investoren in dem Ausmaß gekürzt werden kann, wie sie selbst einer Einbuße aus ihrem Kreditgeschäft unterliegt. Ein Total-Return-Swap ist eine Vereinbarung zwischen zwei Kontraktparteien zum Austausch sämtlicher Zahlungen aus einem Engagement. Alle Cashflows aus einem Kredit (Zinszahlungen und Betragsveränderungen) werden von der empfangenden Bank an den Sicherungsverkäufer weitergeleitet. Von diesem erhält die Bank im Gegenzug einen sicheren Cashflow, üblicherweise LIBOR plus Marge. Der wesentliche Vorteil solcher Instrumente besteht in der Trennung der Investitionsvon der Risikoseite. Gerade kleine Banken geraten oft in die Gefahr, dass sich in ihren Büchern Klumpenrisiken gegenüber wichtigen Kunden oder gegenüber einer spezifischen Region bilden. Während dies für die Risikoposition negativ ist, gibt es bei dieser Konzentration positiv zu wertende Spezialisierungsvorteile. Man spricht vom Credit Paradoxon. Indem nun die Bank die Kreditrisiken an einen Sicherungsverkäufer abtritt, kann sie die Risiken reduzieren und weiterhin die Spezialisierungsvorteile ausnutzen. Im Gegensatz zu <?page no="213"?> 9.4 Trilemmata 213 den übrigen Techniken des Kreditrisikomanagements wie der Diversifikation des Kreditportfolios oder der Einforderung von Pfändern gestattet der Einsatz von Kreditderivaten außerdem eine vollständige Eliminierung der Gegenparteirisiken, sofern dies gewünscht ist. Eine schwierige Frage ist jedoch stets jene nach der Definition eines Kreditvorfalls (Credit Event). Häufig führt diese zu unterschiedlichen Interpretationen durch den Käufer und den Verkäufer sowie zu rechtlichen Auseinandersetzungen. Der Markt für Kreditderivate hat sich hauptsächlich seit 1995 entwickelt. Lag das Volumen im Jahre 1996 noch unter 100 Milliarden US-Dollar, ist daraus im Jahr 2015 ein Markt von rund 15 Billionen US-Dollar entstanden. Gleichwohl wird diese Entwicklung oft als problematisch angesehen. Denn zum einen ist es fraglich, ob im Ernstfall die Kreditderivate tatsächlich das erhoffte Maß an Absicherung bieten können. Die Absicherung aus einem Kontrakt ist nämlich nur so gut wie die Qualität des Sicherungsverkäufers. Der Sicherungskäufer erzielt keine vollständige Elimination seines Gegenparteirisikos. Vielmehr substituiert er das Kreditrisiko der einen Partei mit demjenigen einer anderen Partei. Zum anderen ist heute ein Großteil des Kreditrisikos in den Büchern einiger weniger Investmentbanken konzentriert. Heute gehören JP Morgan Chase, Citigroup sowie die Bank of America zu den führenden Teilnehmern im Markt für Kreditderivate. Daneben handeln viele Versicherungen mit diesen Kontrakten. Trotz dieser Befürchtungen sowie der Schwierigkeiten bei Enron und WorldCom hat sich der Markt für Kreditderivate insgesamt als sehr stabil erwiesen. 9.4 Trilemmata 9.4.1 Das Mundell-Fleming-Trilemma Die Zinsen ändern sich mit den Maßnahmen der Zentralbank des eigenen Währungsgebiets. Wie die Paritätstheoreme zeigen, sind in einer offenen Volkswirtschaft die makroökonomischen Größen wie Zins, Inflation, Wechselkurs mit den Größen anderer Volkswirtschaften und Währungsgebiete verbunden. Vorhersehbare und unvorhersehbare Änderungen im Ausland bleiben daher nicht ohne Einfluss auf die inländischen Größen. Und natürlich hat die Geld- und Fiskalpolitik des eigenen Landes einen gewissen Einfluss auf die Größen im Ausland. Wenn Wirtschaftsräume derart verbunden sind, dürfte der größere mit seiner Entwicklung und seiner Politik die makroökonomischen Größen im kleineren Land stärker beeinflussen als umgekehrt. Typischerweise übt ein großes Land mehr Einfluss auf kleine Nachbarn und Handelspartner aus als umgekehrt. Der Einfluss der ausländischen auf die inländischen makroökonomischen Größen ist umso kraftvoller, je offener die heimische Wirtschaft ist und je größer die ausländische Wirtschaft ist. Die in einem kleineren Land hinzunehmende Einflussnahme von außen hat die natürliche Folge, dass gewisse wirtschaftliche Freiheiten im Heimatland schwinden. Man kann sich dann nicht mehr gegen den Einfluss wehren, auch wenn er unerwünscht ist. In kleineren Ländern hat dann beispielsweise die eigene Zentralbank weniger Freiraum, die Geldpolitik <?page no="214"?> 214 9. Kapitel: Das Zinsrisiko an die aktuelle Wirtschaftssituation anzupassen, die im Inland gerade besteht. Um den Einfluss von außen zu reduzieren oder ganz zu verhindern, müsste sich das Inland abschotten. Dazu müsste es den freien Handel einschränken, den freien Kapitalverkehr beenden oder Kapitalverkehrskontrollen einrichten. Solche Maßnahmen wären jedoch der weiteren Entwicklung des Landes abträglich. Arbeitsteilung und Spezialisierung würde behindert und die für das Wachstum erwünschten Investitionen aus dem Ausland blieben aus. Eine Spezialisierung der heimischen Produktion verlangt langfristige technologische Festlegungen. Denn die Spezialisierung drückt sich nicht nur in Realinvestitionen aus, in Anlagen und Produktionseinrichtungen, sondern wenigstens ebenso in Wissen und im Lernen. Um Spezialisierungsvorteile im Wissen zu erlangen, sind Vorlaufzeiten von wenigstens einem halben Jahrhundert verlangt. Ohne sehr langfristige Spezialisierung bei den Einrichtungen, beim Wissen und der Innovationstätigkeit kann ein Land heute keine attraktive Position in der Weltwirtschaft erreichen und aufrechterhalten. Mundell-Fleming-Trilemma Offenheit (freier Kapitalverkehr) ... um ausländische Investoren anzuziehen, wodurch Kapitalisierung und damit die Produktivität und schließlich die Löhne steigen. Eigenständigkeit ‚(in der Geldpolitik) ... um der nationalen wirtschaftlichen Situation (Konjunktur, Arbeitslosigkeit) entsprechend die Zinsen selbst festsetzen zu können. Stabilisierte Wechselkurse ... um die Spezialisierung (Produktion, Wissen, Innovation) zu unterstützen und entsprechend die Vorteile der internationalen Arbeitsteilung zu fördern. Ein Land, ein Wirtschafts- oder Währungsgebiet („Inland“) hat im Hinblick auf das „Ausland“ und die Wirtschaft insgesamt drei Wünsche. Erstens möchte es offen sein, um vom Ausland zu lernen und um einen (für beide Seiten) vorteilhaften Handel zu betreiben. Der Wunsch der Offenheit schließt den Kapitalverkehr mit ein. Denn ein freier Kapitalverkehr ist die Voraussetzung für ausländische Investoren. Mit ausländischem Kapital wird die inländische Wirtschaft leistungsfähiger, die Produktivität steigt, die Einkommen der Beschäftigten nehmen deshalb zu. Ausländisches Kapital ist daher willkommen. Zweitens möchte die inländische Wirtschaft den Freiraum zu einer eigenständigen Geldpolitik behalten. Dies, um auf die wirtschaftspolitische Situation im Inland angemessen reagieren zu können. Beispielsweise soll bei einem Einbruch der Konjunktur der Zins gesenkt werden können. Oder, wenn die Wirtschaft sich überhitzt (Vollauslastung der Kapazitäten) und Preissteigerungen drohen, soll mit eigenständiger Geldpolitik das Zinsniveau angehoben werden können. Drittens setzen eine nachhaltige Spezialisierung und das Finden von Schwerpunkten in Forschung, Lehre und Innovation voraus, dass die Profitabilität in den selektierten Be- <?page no="215"?> 9.4 Trilemmata 215 reichen geschützt wird. Dazu ist eine Stabilisierung der Wechselkurse verlangt. Denn zu große Schwankungen bei den Wechselkursen verursachen nur ein Durchwirbeln der Bereiche, in denen das Inland mit weltweitem Handel erfolgreich sein kann. Angesichts einer Marge von vielleicht 5% bis 10% sollten die jährlichen Variationen bei den Wechselkursen höchstens 2% bis 4% betragen. Die drei Wünsche sind mithin die (1) Offenheit, der (2) Erhalt eigenständiger Geldpolitik und die (3) Stabilisierung der Wechselkurse. Doch leider sind sie nicht alle zugleich erfüllbar.M ARCUS F LEMING und R OBERT M UNDELL haben gezeigt, dass die drei wünschenswerten Ziele auf ein Trilemma führen: Zwei aus den drei Zielen können ausgewählt und gut erfüllt werden, doch das dritte Ziel wird (weitgehend) verfehlt. So könnte das Inland den Wechselkurs zum „Ausland“ stabilisieren und sich auch für den Kapitalverkehr öffnen. Doch dann übertragen sich die Zinssätze auf die eigene Währung. Eine eigenständige Geldpolitik ist unmöglich. Diesen Weg hat beispielsweise Hongkong eingeschlagen. Der HKD wurde 1972 an den USD gekoppelt, und erst 2005 wurde dies etwas gelockert. Ebenso haben die Länder der Eurozone durch die Gemeinschaftswährung automatisch stabile Wechselkurse, sie haben außerdem einen freien Kapitalverkehr, doch kein Land der Eurozone kann von der gemeinsamen Geld- und Zinspolitik der EZB abweichen. Ein zweites Beispiel dafür, wie angesichts des Trilemmas entschieden wurde, ist die Beziehung zwischen der Eurozone und den USA. Freie Kapitalbewegungen sind möglich, und jedes der beiden Währungsgebiete hat die geldpolitische Autonomie behalten. Dafür sind die Wechselkurse nicht stabilisiert, sondern flexibel — wodurch eine weiter gehende Spezialisierung eher verhindert wird. Für ein drittes Beispiel sei ein Blick auf die USA beziehungsweise auf die EU sowie auf China geworfen. China wünscht weitgehend stabile Wechselkurse (um die Struktur des Handels nachhaltig zu erhalten). Dabei möchte China die Eigenständigkeit in der Geldpolitik behalten. Folglich kann China nicht ganz offen sein, und insbesondere der Kapitalverkehr muss durch gewisse Kontrollen eingeschränkt bleiben. Die mangelhafte Öffnung schreckt natürlich Investoren ab, die chinesische Industrie ist daher nicht optimal kapitalisiert. Die Folge ist ein Zurückbleiben von Produktivität und von Wachstum. Ihrer Natur nach sind die drei wünschenswerten Zielsetzungen nicht ganz unabhängig voneinander. Das erste Ziel betrifft die Offenheit des eigenen Landes für ausländische Investoren, das dritte Ziel die Offenheit des Auslands für Exporte aus dem Inland. Werden das erste und das dritte Ziel gedanklich zusammengefasst, tritt das Dilemma zutage: Wie kann ein Land offen sein (für Kapitalverkehr und für Handel) und sich dennoch ausländischen Einflüssen (auf die Geldpolitik) verschließen? 9.4.2 Das Trilemma der Globalisierung und das des Arbeitsmarktes P AUL D E G RAUWE hat bereits vor Jahren darauf aufmerksam gemacht, dass die Öffnung eines Landes dazu führt, dass gewisse ausländische Konstellationen auf das Inland ausstrahlen und die Dinge im Inland ändern. Das ist, so D E G RAUWE , nicht immer von der <?page no="216"?> 216 9. Kapitel: Das Zinsrisiko lokalen Bevölkerung erwünscht und folglich mit einer Demokratie unvereinbar. Denn die meisten Wählerinnen und Wähler möchten nicht, dass internationale Forderungen nach mehr Effizienz schrankenlos im Inland alles verändern. Das belegt zum Beispiel Frankreich. Das Land ist offen in Handel und Kapitalverkehr, und der weltweite Fortschritt in Produktivität und Leistung übt deshalb auch in Frankreich seine disziplinierende Kraft aus und drängt zu mehr Effizienz. Damit entstehen Randgruppen in der Gesellschaft, die sich den globalen Marktkräften zu mehr Produktivität und mehr Leistung schutzlos ausgesetzt fühlen. Die Unzufriedenheit zeigt sich auf der Straße. Die globale Öffnung ist (oftmals) nicht mit Demokratie vereinbar. Entweder öffnet sich ein Land (und schränkt die Demokratie etwas ein) oder es verschließt sich (etwas) angesichts der Kräfte der Globalisierung und kann dafür dem Volkswillen (und somit der Demokratie) stärkere Achtung geben. Mit dieser Beobachtung D E G RAUWES kann das M UN- DELL -F LEMING -Trilemma so umformuliert werden: Die drei wünschenswerten Zielsetzungen (1) Demokratie, (2) Eigenständigkeit in der Geld- und Fiskalpolitik, sowie (3) Stabilisierung der Wechselkurse und Teilnahme am Handel sind nicht zugleich erfüllbar. Zwei Ziele können ausgewählt und dann erfüllt werden, das dritte wird nur unzureichend erreicht. Als Beispiel sei Großbritannien betrachtet: Das Vereinigte Königreich möchte zwar den freien Zugang zu den Märkten der EU und anderer Länder haben. Doch Großbritannien ist eine Demokratie im Selbstverständnis und möchte nicht anderen Ländern Zusagen im Hinblick etwa auf die eigene Steuerpolitik machen. Stattdessen möchte Großbritannien mit Steuererleichterungen neue Unternehmungen anziehen. Außerdem möchte Großbritannien die Kontrolle über die Migration behalten. Doch alles kann man nicht haben. Die Schwierigkeit, nicht dem demokratischen Wunsch des sich Verschließens folgen und gleichzeitig auf weltoffene Handelsmöglichkeiten bestehen zu können, hat in Soziologie und Gesellschaft weitere Folgen. D ANIEL R ODRIK identifiziert das zweite Ziel (im M UN- DELL -F LEMING -Trilemma) als „nationale Selbstbestimmung“ und das dritte Ziel als „Globalisierung“. Werden nun das M UNDELL -F LEMING -Trilemma, die Beobachtung von D E G RAUWE , und die Interpretation von R ODRIK kombiniert, so entsteht ein weiteres Trilemma: Die drei wünschenswerten Zielsetzungen der (1) Demokratie, (2) der nationalen Selbstbestimmung, und (3) der Globalisierung sind nicht zugleich erfüllbar. Wieder können zwei Ziele ausgewählt und erfüllt werden. Rodrik-Dilemma Demokratie ... könnte dazu führen, dass sich Wählerinnen und Wähler gewisse Schranken wünschen, um nicht gänzlich ausländischen Einflüssen ausgesetzt zu sein. Nationale Selbstbestimmung ... wenn sie nicht gegeben ist, kann der innere Zusammenhalt der Nation verloren gehen. Globalisierung ... wenn an ihr nicht teilgenommen wird, sind Einbußen im Wohlstand hinzunehmen. <?page no="217"?> 9.5 Fazit zum Kapitel Das Zinsrisiko 217 Einige Beispiele dafür, wie die Auswahl der zwei möglichen Ziele getroffen wird, liegen nahe: In Südostasien wird oft gesagt, die Länder seien zwar offen für die globalisierte Wirtschaft und gleichwohl würden sie die nationalen Besonderheiten schützen und erhalten. Doch die Tiefe der demokratischen Willensbildung wird oft hinterfragt. Erstes Beispiel: Griechenland versteht sich als traditionsreiche Demokratie und ist ein Land, das stolz seine nationalen Besonderheiten schützt. Doch die Globalisierung der Wirtschaft, so scheint es, wirkt allenfalls punktuell. Zweites Beispiel: Die Niederlande sind ohne Zweifel demokratisch, Wirtschaft und Handel sind ohne Einschränkung offen für die globale Wirtschaft. Das R ODRIK -Trilemma besagt, dass deshalb doch einige nationale Besonderheiten verloren gehen. 9.5 Fazit zum Kapitel Das Zinsrisiko 9.5.1 Zusammenfassung Festverzinsliche Instrumente sind Finanzkontrakte, die eine Kreditbeziehung verbriefen. Im Voraus vereinbart werden Höhe und Zeitpunkte der nominalen Verzinsung in Form von Kupons sowie der Rückzahlung am Ende der Laufzeit. Verschiedene Zinsinstrumente weichen jedoch von dieser allgemeinen Definition ab. Besprochen wurden Zerobonds, Perpetuals, Floating Rate Notes, Eurobonds, Convertibles, MCS sowie inflationsgeschützte Anleihen. Aus den zu beobachtenden Kursen und der Struktur des Zahlungsstroms lassen sich die impliziten Zinsen ermitteln, die in ihrer Gesamtheit die Fristenstruktur der Zinssätze bilden. Ist nur ein Instrument bekannt, erfolgt die Selektion über den Yield to Maturity. Aufgrund der Fixierung der Zahlungen aus einem Zinsinstrument führen Zinsänderungen an den Märkten zu Preisänderungen der Anleihen. Solche Preisänderungen können mit dem Konzept der Duration gemessen werden. Die Duration stellt die mit den relativen Barwerten der einzelnen Zahlungen gewichtete Summe der Zeitpunkte dar, an welchen die Zahlungen eines festverzinslichen Instruments erfolgen. Voraussetzung für die Messung der Preisrisiken mit der Duration sind relativ kleine Zinsänderungen sowie die Annahme einer flachen Fristenstruktur der Zinssätze. Zur Absicherung existieren als derivative Kontrakte Zinsswaps, TOIS oder Zinsfutures. Währungsrisiken sind eng mit den Zinsrisiken verbunden. Reale Zinsanstiege führen in der Regel zu einer Aufwertung der Währung, während ein inflationsbedingtes Ansteigen der Nominalzinsen mit einer Abwertung der Währung einhergeht. Für den Zusammenhang zwischen Zinsen und Währungen wurden die internationalen Paritätstheoreme formuliert. Hohe empirische Bestätigung hat die Zinsparität gefunden: Eine in den Devisenterminkursen eingepreiste Abwertung einer Währung wird durch eine Inflationsprämie in den nominalen Zinsen kompensiert. Bei gleichem Realzinsniveau zwischen dem Inland und dem Ausland hat die Fremdwährungsanlage den gleich hohen Erwartungswert wie die Anlage in der Heimwährung. Gleichwohl können sich Anlagen im Ausland lohnen, sofern es Realzinsunterschiede gibt oder eine Diversifikation über ungleich laufende Konjunkturzyklen mög- <?page no="218"?> 218 9. Kapitel: Das Zinsrisiko lich ist. Der dritte Block betraf schließlich die Kredit- oder Gegenparteirisiken. Hier wurde speziell auf das Rahmenwerk von Basel II und III hingewiesen. 9.5.2 Lernpunkte 1. Anleihen sind Wertpapiere, die Fremdkapital verbriefen. Es handelt sich um ein Schuldverhältnis. Als Gegenleistung erhält der Käufer einer Anleihe ein Versprechen auf zukünftige Zahlungen in Form eines im Voraus vereinbarten festen periodischen Kupons und des Rückzahlungsbetrags. Eine klassische Anleihe (Festzinsanleihe, Straight Bond) weist folgende Eigenschaften auf: Sie lautet auf den Inhaber und ist leicht handelbar. Der Zinsertrag in Form von Kuponzahlungen steht über die gesamte Laufzeit fest, wobei die Zahlungen zumeist in jährlichen oder halbjährlichen Intervallen erfolgen. Die Laufzeit ist beschränkt, und am Ende wird der Nominalbetrag zurückbezahlt. 2. Die Darstellung der zu einem Zeitpunkt für verschiedene Zinsbindungsfristen sich ergebenden Zinssätze heißt Zinsstruktur oder Zinskurve. Determinanten der Zinskurve sind am kurzen Ende die Geldmengenpolitik der Zentralbanken, am langen Ende die Kapitalnachfrage und die Inflationserwartungen. Ein steiler Anstieg der Fristenstruktur (hoher Term-Spread) gilt als Signal für einen Wirtschaftsaufschwung. Die Geldpolitik oder Geldmengenpolitik ist die Steuerung der Geldmenge sowie der Zinssätze durch die Zentralbank. Bei Inflation geht Kaufkraft des Geldes durch Preissteigerungen verloren, bei Deflation gehen die Preise für Güter und meist auch die für Vermögensobjekte zurück. Die Größe des Zinsrisikos einer Anleihe oder eines Portfolios aus Anleihen kann durch die Duration gemessen werden. 3. Die beiden wichtigsten Paritätsbeziehungen sind die Zinsparität und der internationale Fisher-Effekt. Die Zinsparität besagt, dass die sich aus der relativen Abwertung einer Währung ergebende Differenz zwischen dem Devisenterminkurs und dem heutigen Wechselkurs (Spotkurs oder Kassakurs) genau der Differenz der nominalen Zinssätze entspricht. Die Gefahr eines Ausfalls des Schuldners wird als Kreditrisiko, Gegenparteirisiko oder Delkredererisiko bezeichnet. Die Renditedifferenzen zwischen Instrumenten unterschiedlicher Bonität werden als Kreditrisikoprämie, Bonitätsprämie, Bonitäts-Spread oder Credit-Spread bezeichnet. 4. Das Regelwerk von Basel II und III umfasst drei Säulen: 1. Mindesteigenkapitalanforderungen mit verfeinerten Regeln für die Messung der Kreditrisiken, 2. Aufsicht über die Überprüfungsverfahren und Überwachung der Unterlegung, 3. erweiterte Offenlegungspflichten zur Stärkung der Marktdisziplin. 9.5.3 Erwähnte Personen I RVING F ISHER , F REDERICK M ACAULAY , J OHN R. H ICKS , G EORG E RBER , P AUL D E G RAUWE , M ARCUS F LEMING , R OBERT M UNDELL , D ANIEL R ODRIK . <?page no="219"?> 9.5 Fazit zum Kapitel Das Zinsrisiko 219 9.5.4 Schlüsselbegriffe AAA-Rating, Aufwertungen, Abwertungen, Basel II, Bonität, Bonitätseffekt, Credit- Default-Swap (CDS), Credit-Linked-Notes, Default, Delkredererisiko, Duration, Duration- Gap, Einkommenseffekt, Erwartungsthese der Währung, Fisher-Effekt, Fristenkongruenz, Gegenparteirisiko, High-Yield-Market, Internationaler Fisher-Effekt, Kaufkraftparität, Kreditderivate, Kreditrisiko, Kursrisiko, Long-Position, Mindesteigenkapitalanforderungen (Basel II), Paritätsbeziehung, Paritätstheoreme, Payer, Rating, Receiver, Short-Position, Struktureffekt, Swapsätze, Tom-Next-Index-Swaps (TOIS), Total-Return-Swap, Trilemma, Währungsrisiko, Werteffekt, Zinsparität, Zinsrisiko, Zinsswap. 9.5.5 Fragen zur Lernstandskontrolle 1. Halter von Anleihen, die auf eine Währung lauten, die von der Referenzwährung des Halters verschieden ist, sind einem Währungsrisiko ausgesetzt. Hinzu kommen ein Zinsrisiko und ein Ausfallrisiko. a) Definieren Sie diese drei Risiken näher und geben konkrete Beispiele! b) In welchem Zusammenhang dazu stehen der Werteffekt, der Einkommenseffekt, der Bonitätseffekt und der Struktureffekt? [Antwort: Sie beziehen sich auf das Zinsrisiko, siehe Abschnitt 9.1.1] 2. a) Warum kann die Duration als virtuelle Restlaufzeit bezeichnet werden? b) Wie lautet die Formel, die das Zinsrisiko durch die Duration ausdrückt? [Antwort: Abschnitt 9.1.2] 3. a) Ein Zinsswap wird zwischen zwei Parteien abgeschlossen, die damit die Rolle des Payers beziehungsweise des Receivers einnehmen. Trifft diese Aussage zu? [Antwort: Abschnitt 9.1.3]. b) Sollte, wenn eine Bank ein Duration-Gap mit hoher Duration der Aktivseite aufweist, sie zur Absicherung des Zinsrisikos bei Swaps die Seite des Payers oder des Receivers übernehmen? [Antwort: Die Bank sollte feste Zahlungen leisten, also die Rolle des Payers übernehmen]. c) Wenn die Bank anstelle von Swaps Zinsterminkontrakte zeichnet, sollte sie dann zur Absicherung ihres Zinsrisikos eine Long- Position oder eine Short-Position eingehen? [Antwort: Sie sollte definitiv short gehen]. 4. Erläutern Sie diese Paritätsbeziehungen: Fisher-Effekt, Kaufkraftparität, Zinsparität, Erwartungsthese, Internationaler Fisher-Effekt! [Antwort: Abschnitt 9.2.1] 5. a) Was ist ein Credit-Default-Swap oder CDS? [Antwort: Abschnitt 9.3.3]. b) Der Markt für Kreditderivate wird von großen Banken gestaltet, und die durchschnittliche Transaktion hat die Größe von etwa einer Milliarde. Wie groß ist der Markt für Kreditderivate in Relation zum Gesamtwert der offenen Anleihen? [Antwort: rund 27 Billionen im Vergleich zu rund 160 Billionen US-Dollar] <?page no="221"?> 10. Kapitel: Aktien Zum Thema der Geldanlage in Aktien werden wir mit Informationen überflutet. Hier hat sich am Rande der Finanzmärkte und im Vorhof der Börsen eine Heerschar von Finanzanalysten, Vermögensverwaltern, Brokern und von Ratgebern angesiedelt. Offenbar bestehen bei diesen intermediären Tätigkeiten gute Verdienstmöglichkeiten, und angesichts der Unsicherheiten schätzen und bezahlen viele Aktienanleger für die angebotenen Dienste. Zunächst besprechen wir einige Grundlagen (Abschnitt 10.1) und folgen sodann den Erkenntnissen dreier Wissenschaftler: G RAHAM , M ARKOWITZ und T OBIN (Abschnitt 10.2). Wissenschaftler Aussage Benjamin Graham Fokus auf Selektion, Vorsicht und Value Stocks. Sicht, wonach Finanzmärkte nicht informationseffizient sind. Harry Markowitz Renditen sind zufällig, ihre Verteilungsparameter Risk und Return sind gegeben, optimal diversifizierte Portfolios berechenbar. James Tobin Die Betonung des Marktportfolios hat zu zahllosen Versuchen geführt, den „Markt zu schlagen“. Die jüngere empirische Forschung hat die Bedeutung von Faktormodellen hervorgehoben. Diese Modelle identifizieren Einflussfaktoren, die Aktienrenditen erklären. Übliche Einflussfaktoren sind der Term-Spread (Differenz zwischen den langfristigen und den kurzfristigen Zinssätzen), die Inflationsrate und ihre Änderungen, sowie der Credit-Spread. Doch diese Liste nennt nur drei der möglichen Erklärungen des Werts. Faktormodelle bilden den Gegenstand des Folgekapitels. Institutionelle Investoren müssen bei der Portfoliobildung zudem die Verpflichtungen beachten, die sich aus den Leistungszusagen ergeben, die sie gegenüber der Kundschaft gemacht haben. Die Aktivseite (Geldanlage) und die Passivseite (Leistungszusagen) sollten daher in gleicher Richtung von den erkennbaren externen Einflussfaktoren bewegt werden. Für institutionelle Investoren spielt auch die Bilanz deutlicher hinein als bei privaten Geldanlegern. Privatanleger thematisieren bei der Finanzanlage oftmals zu wenig, welche Lebenshaltung sie mit den Ergebnissen sichern müssen. <?page no="222"?> 222 10 Kapitel: Aktien 10.1 Rechtsformen und Aktien 10.1.1 Eigner und Fremde Die Aktie drückt als Wertpapier die Beteiligung an einer Unternehmung (Eigenkapital) aus. Die betreffende Unternehmung besitzt eine besondere Rechtsform, und insbesondere ist eine Haftungsbeschränkung für die Eigenkapitalgeber eingerichtet. Dadurch können Aktien als Inhaberpapiere gestaltet werden. Die am meisten beachteten Aktiengesellschaften haben Aktien ausgegeben, die sich zu einem großen Teil in Streubesitz befinden und an Börsen gehandelt werden. Die Börsen organisieren sich in verschiedene Segmente, um Besonderheiten des Aktienhandels besser zu bewältigen. Im Vordergrund steht die Größe der Aktiengesellschaft, ausgedrückt als Marktkapitalisierung (Gesamtwert aller ausgegeben Aktien). Die Segmente sind durch unterschiedliche Formen des Handels gekennzeichnet. Beispielsweise ist der Auktionshandel anders organisiert als der durch Market-Maker gestaltete Handel. Die Handelsorganisation hat wiederum Einfluss auf die Liquidität, insbesondere auf die handelsbedingten Preisausschläge. Bei kleinen Aktiengesellschaften wird der Handel durch Market-Maker gestaltet, die unterschiedliche Preise für Ankauf oder Verkauf stellen. Zudem können bei kleineren Aktiengesellschaften Angebot und Nachfrage temporär deutlicher auseinanderklaffen, sodass größere Kursausschläge hinzunehmen sind. Schon deshalb sind die börsengehandelten Aktien kleiner Gesellschaften riskanter. Einige Aktiengesellschaften verzichten auf einen Börsengang (Going Public) oder haben sich aus dem Handel zurückgezogen (Going Private). Die Aktien dieser Gesellschaften werden allenfalls in außerbörslichen Transaktionen weitergegeben. Mit den Ideen der leichten Handelbarkeit, der Diversifikation und der Zugangsmöglichkeit des breiten Publikums wurde eine Entwicklung eingeleitet, bei der eine hohe Stückelung der Aktie verlangt wird. Eine Folge ist, dass viele Aktiengesellschaften zahlreiche Aktionäre haben, von denen die meisten nur kleine Engagements halten. Oft sind Kleinaktionäre passiv, so dass sich eine Trennung von Eigentum und Verfügung herausbildet. Die Aktionäre haben zwar dem Aktienrecht nach die vollen Eigentumsrechte, doch die Verfügungen werden weitgehend von angestellten Geschäftsführern und Direktoren, dem Management, getroffen. In der Praxis ist die Ausübung der Aktionärsrechte häufig verkümmert. Oft sind die Aktionäre auf Vorschläge des Managements angewiesen. Die faktische Entscheidungsmacht wird vom Management ergriffen. Bei diesen Aktien stehen die Aktionäre vielfach nicht wie „Eigner“, sondern wie „Fremde“ der Unternehmung gegenüber. Daraus ergibt sich ein Bedarf, die Aktionäre zu schützen, besonders die Kleinaktionäre. Denn Fremdkapitalgeber, meist Banken, stehen der Unternehmung vielfach nicht so „fremd“ gegenüber: Banker gehen in der Unternehmung ein und aus und sprechen öfters mit dem Management. Gelegentlich „verbünden“ sich Manager und Banken sogar gegen die Aktionäre. Dem Bankier H ERMANN A BS (1901- 1994) wurde nachgesagt, er habe den Aktionär einmal als „dumm und frech“ bezeichnet. Der Aktionär sei dumm, weil er der Unternehmung sein Geld gebe, und er sei frech, weil er eine Dividende verlange. <?page no="223"?> 10.1 Rechtsformen und Aktien 223 Der Shareholder-Value-Gedanke betont die Pflicht des Managements, das Wohl der Aktionäre bei allen Entscheidungen zu berücksichtigen. Selbstverständlich muss dabei das Management die Gesetze wahren (etwa hinsichtlich des Schutzes der Umwelt) und die Vereinbarungen einhalten (Fremdkapital, Lohnzahlungen). Doch wo es Freiraum gibt, so der Shareholder-Value-Gedanke, soll das Management den Interessen der Aktionäre folgen. Allerdings werden heute die negativen Seiten des Shareholder-Value-Ansatzes deutlicher gesehen. Unternehmen, die sich allein nach den Interessen der Aktionäre orientieren, vernachlässigen vielfach die berechtigten Wünsche anderer gesellschaftlicher Gruppen. Oftmals nehmen Manager die Interessen der Aktionäre zwar zur Kenntnis, entscheiden aber doch anders. Einige Manager verstecken sich mit Worten wie „der Betrieb verlangt das“ hinter der Technik. Andere verfolgen eine rein an Wachstum und Umsatz orientierte Strategie, und achten zu wenig auf Ertrag und Wertsteigerung. Gegen dieses Verhalten von Managern sind etwa ab 1980 Interessengruppen aufgetreten. In der Schweiz sei Actares als ein Beispiel genannt. Die Gruppe tritt für nachhaltiges Wirtschaften ein und weht sich gegen exzessive Boni, um zwei ihrer Ziele zu nennen. Dass „Eigner“ (Aktionäre) eher fern, und „Fremde“ (Banken) der Unternehmung nah stehen, zeigt sich deutlich in der Krise. In Krisen ruft das Management - und rufen auch die Menschen unserer Zeit - laut nach den Banken. Sie, die Fremdkapitalgeber, mögen doch bitte retten und neue Kredite geben. Die Aktionäre sind in Krisenzeiten oftmals still und warten ab. Jedenfalls drängen sie sich nicht an den Banken vorbei, um „ihrer“ Unternehmung mit einer Kapitalerhöhung auf die Sprünge zu helfen. All das gibt der Aktie etwas Zwiespältiges in der gesellschaftlichen Diskussion. Einerseits ist der Aktionär Kapitalgeber und Risikoträger. Damit leistet er einen wichtigen Beitrag für die Wirtschaft und den Wohlstand. Andererseits nutzt der Aktionär die Liquidität der Finanzmärkte, um sich bei der ersten Eintrübung der geschäftlichen Perspektiven davon zu stehlen. Jedoch wäre es keine Lösung, die Aktionäre zu binden und zu verpflichten: Die Unternehmung erhielte dann zu wenig Kapital und die wirtschaftliche Entwicklung würde zurückbleiben. Die Kapitalkosten wären höher. So ist aus Sicht der Unternehmung, sprich des Managements, der Aktionär gleichzeitig erwünscht und unbeliebt. Und es macht Sinn, die Aktionäre und die Unternehmung als verschieden anzusehen und davon auszugehen, dass doch ab und zu die Unternehmung unter Leitung des Managements und unter einer gewissen Beeinflussung seitens der Banken etwas anderes anstrebt als ihre Aktionäre. 10.1.2 Rechtsformen und Arten von Aktien Das Gesellschaftsrecht sieht neben der Rechtsform der Aktiengesellschaft (AG) einige weitere Rechtsformen für Unternehmen vor. In Deutschland ist die AG zwar die typische Rechtsform der sehr großen Unternehmen, doch viele große und mittelgroße Unternehmen haben die Rechtsform der Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH) oder eine andere Rechtsform. In der Schweiz sowie im angelsächsischen Raum werden hingegen <?page no="224"?> 224 10 Kapitel: Aktien selbst mittelgroße und kleinere Unternehmen als Aktiengesellschaft errichtet. Daher herrscht in der angelsächsischen Literatur, auch in der wissenschaftlichen Literatur, die Untersuchung der Aktie als typische Form der Beteiligung vor. Häufig werden dort die Begriffe Equity (= Eigenkapital) und Stocks (= Aktien) gleichgesetzt. Die in Deutschland, Österreich und der Schweiz sowie in anderen Ländern möglichen Rechtsformen lassen sich wie folgt einteilen: Kapitalgesellschaften: Das sind die Aktiengesellschaft (AG), die Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH) und die Kommanditgesellschaft auf Aktien (KGaA). Personengesellschaften: In Deutschland und Österreich sind das die Offene Handelsgesellschaft (OHG), die Kommanditgesellschaft (KG), die GmbH & Co. KG, die Stille Gesellschaft sowie die Gesellschaft bürgerlichen Rechts. In der Schweiz sind die Personengesellschaften die Kollektivgesellschaft, die Kommanditgesellschaft (KG) und die Kommanditaktiengesellschaft. Einzelgesellschaft oder einfache Gesellschaft. Gesellschaften besonderer Art: Genossenschaft, Verein, Stiftung. Bei Personengesellschaften inklusive der Einzelfirma besitzt die Unternehmung keine eigene Rechtspersönlichkeit, und die Gesellschafter haften persönlich. Im Gegensatz zur Personengesellschaft zeichnet sich die Kapitalgesellschaft durch eine eigene Rechtspersönlichkeit aus. Dazu gehört, dass die Kapitalgesellschaft, so jede Aktiengesellschaft, über ein eigenes Kapital verfügen muss, das ihr bei Gründung überlassen wird. In Deutschland beträgt dieses Grundkapital im Minimum € 50.000 Euro, in Österreich € 70.000 Euro und in der Schweiz 100.000 Franken. Die AG haftet für ihre Verbindlichkeiten mit ihrem eigenen Vermögen; Aktionäre müssen nicht für die Verbindlichkeiten der AG eintreten. In den kontinentaleuropäischen Ländern weist die Aktiengesellschaft drei Organe auf, durch die letztlich die Handlungen der AG bestimmt werden. Dies sind der Vorstand (Verwaltungsrat), der Aufsichtsrat (Revisionsstelle) und die Hauptversammlung (Generalversammlung). Als wichtigstes und oberstes Organ wird oft die Hauptversammlung angesehen, auf der Aktionäre Beschlüsse fassen und die Zusammensetzung der weiteren Organe bestimmen. Der Vorstand besorgt die Geschäftsführung und wird hierbei durch den Aufsichtsrat kontrolliert. Außerdem gibt es eine externe Prüfung, die durch Wirtschaftsprüfer vorgenommen wird. Der Aktionär hat als Eigenkapitalgeber zwar kein Recht auf periodische Ausschüttungen in bestimmter Höhe oder eine Rückzahlung. Doch er hat Vermögensrechte und Mitgliedschaftsrechte (in Form von Stimm- und Wahlrechten an der Hauptversammlung). Die Grundform einer Aktie mit diesen Ausstattungsmerkmalen wird als Stammaktie bezeichnet. Sie verbrieft die gesetzlichen sowie die statutarischen (in der Satzung aufgeführten) Aktionärsrechte. Hinsichtlich der Eintragung wird wie folgt unterschieden: Namensaktien (registered shares) sind im Aktienbuch der Gesellschaft eingetragen. Die Gesellschaft ist auf diese Weise über ihre Eigentümer informiert, und zudem wird <?page no="225"?> 10.2 Risikofaktoren 225 der Handel erschwert. Namensaktien sind in Großbritannien und in den USA die übliche Form. Inhaberaktien (bearer shares) sind Aktien, die im Gegensatz zu Namensaktien nicht im Aktienregister aufgeführt sind und auf den Inhaber lauten. Inhaberaktien sind die in Deutschland gängigste Form. Nicht alle Aktien müssen dasselbe Stimmrecht haben. Stimmrechtsaktien (voting right shares) räumen den Aktionären ein Stimmrecht ein, das proportional zu den gehaltenen Aktien (gelegentlich mit Obergrenze) gewichtet wird. Im Angelsächsischen wird „Eine Aktie, eine Stimme (one share one vote) als Prinzip angesehen. Vorzugsaktien (preferred stocks, priority shares, preferred shares) sind stimmrechtslose Aktien, die zur Kompensation die Aktionäre bei den Dividenden bevorzugt behandeln. Gegenüber den Stammaktien sind Vorzugsaktien mit durch die Satzung gegebenen Vorrechten ausgestattet: 1. So begründen die Vorzugsaktien oft einen Anspruch auf eine Vorzugsdividende. Diese wird prioritär zu den übrigen Aktionären ausgeschüttet, und zudem ist sie meistens höher als die Dividende von Stammaktien. Aktien mit dieser Eigenschaft werden als Dividendenvorzugsaktien bezeichnet. 2. Oder die Vorzugsaktionäre werden im Falle einer Liquidation der Gesellschaft vor den Stimmrechtsaktionären befriedigt. Sie haben ein vorrangiges Recht auf den Rückzahlungsbetrag beziehungsweise ein Vorrecht auf den Liquidationsanteil. 3. Oder die Vorrechte betreffen die Bezugsrechte bei der Emission neuer Aktien. 10.2 Risikofaktoren 10.2.1 Benjamin Graham Nun soll die Aktie als Instrument der Geldanlage betrachtet werden (und nicht als Instrument der Geldaufnahme seitens der Unternehmung). Den privaten und institutionellen Anlegern bieten sich Legionen von Finanzanalysten und Beratern an. Sie präsentieren eigene Ansätze, berichten über bisherige Erfolge, bauen Popularität auf und suchen Präsenz in den Medien. Parallel zu diesen zahlreichen praktischen Ansätzen sind wissenschaftliche Untersuchungen entstanden, die wiederum in die Praxis einfließen. Um die wissenschaftlichen Untersuchungen zu gruppieren, sollen drei Zeitabschnitte betrachtet werden, in denen jeweils eine Perspektive im Vordergrund stand. Der erste Zeitabschnitt beschreibt das Denken von 1930 bis 1960. Die damalige Sicht wurde von B ENJA- MIN G RAHAM (1894-1976) geprägt, dem Begründer der wissenschaftlichen Finanzanalyse. Der zweite Zeitabschnitt beschreibt das Denken zwischen 1960 bis 1990. Es ist von den Arbeiten zur Modernen Portfoliotheorie (M ARKOWITZ , T OBIN ) geprägt. Der dritte Zeitabschnitt hat 1990 begonnen, als sich zunehmend empirische Forschungen und der Einsatz von Faktormodellen durchgesetzt haben. <?page no="226"?> 226 10 Kapitel: Aktien Zunächst zum ersten Abschnitt 1930-1960. Nach den Kurseinbrüchen der Weltwirtschaftskrise haben die Anleger nach 1930 langsam ihr Vertrauen in Aktien als Anlageinstrument wieder zurückgewonnen. B ENJAMIN G RAHAM hat verschiedene Bücher verfasst die erklären, wie ein Finanzinvestor Aktien auswählen (selektieren) sollte. Darunter ist die (zusammen mit D AVID D ODD verfasste) „Security Analysis“, die vielen Anlegern noch heute als Referenz dient. G RAHAM betrachtet den „inneren“ oder „fundamentalen“ Wert einer Aktiengesellschaft und erklärt, dass sich dieser aus den zukünftigen Erträgen der Unternehmung ableitet. Um diese zu prognostizieren, dienen am besten die heutigen Verhältnisse, wie sie sich in den Bilanzen zeigen. Für das Weitere wird festgestellt, dass die Finanzinvestoren diese Fundamentalwerte zwar erkennen und entsprechend Käufe und Verkäufe an der Börse tätigen, doch sie sind dabei recht langsam. Es dauere ungefähr drei Jahre, bis sich die Fundamentalwerte als Kurse niederschlagen. Deshalb, so die Autoren der Security Analysis, sollten Finanzinvestoren mit einer Finanzanalyse aller Aktien beginnen und jene selektieren, bei denen der Fundamentalwert (noch) nicht von der Börse als Kurs umgesetzt ist. Die Finanzanalyse soll sich hauptsächlich auf die Bilanz abstützen. G RAHAM folgt also nicht der später um 1960 als Informationseffizienz bezeichneten Sicht, nach der die Kursbildung an liquiden Finanzmärkten die Werte stets korrekt wiedergibt, und dass durch neue Information bedingte Wertänderungen sofort zu entsprechenden Kursänderungen führen. Doch die Sicht von G RAHAM findet sich noch heute bei Finanzanalysten, die Kursziele ermitteln und publizieren. Die Kursziele werden als Fundamentalwerte bestimmt. Auch die heutigen Finanzanalysten unterstellen, mit dem Börsengeschehen würden diese Werte im Verlaufe der Zeit immer mehr als korrekt erkannt, und die Börse würde daher mit der Zeit die Kursziele erreichen. Graham sprach von drei Jahren. Wie kann der wahre oder innere Wert definiert und ermittelt werden? Der innere Wert einer Aktie ist die Summe aller diskontierten zukünftigen Rückflüsse, die der Aktionär erwarten kann. Für jemanden, der die Aktie für immer zu halten beabsichtigt - der also nicht mit einem baldigen Verkaufserlös rechnet und über dessen Höhe spekuliert - sind das die zukünftigen Dividenden, wobei deren Wachstum berücksichtigt werden muss. Folglich interessiert sich ein Aktionär vor allem für die Gewinne, denn Gewinne können ausgeschüttet werden. Außerdem interessiert er sich für das Gewinnwachstum, mithin für das Wachstum der Unternehmung. Um das Wachstum zu bestimmen, wird gefragt, welcher Teil der Gewinne typischerweise bei einem Unternehmen einbehalten (und reinvestiert) wird. Anders herum: Welcher Teil der Gewinne ist erforderlich, um die Dividende zu ermöglichen? Die Risiken des Unternehmens geben Hinweise auf die Höhe der anzuwendenden Diskontrate, mit der die zukünftigen Dividendenzahlungen diskontiert werden. Eine gute Basis für die Einschätzung dieser zukünftigen Entwicklung ist nach G RAHAM der derzeitige Zustand der Unternehmung, dargestellt vor allem durch die Bilanz, sowie durch die Organisation, die Produkte, die Ressourcen. Diese Verhältnisse werden durch Fundamentaldaten erfasst. Die Fundamentaldaten beschreiben die bestehende Ausgangslage. Um die den Wert bestimmende zukünftige Entwicklung zu schätzen, sollen die Fundamentaldaten in vorsichtiger Weise, so die Empfehlung von G RAHAM , fortgeschrieben werden. <?page no="227"?> 10.2 Risikofaktoren 227 Unter den Fundamentaldaten spielt der Jahresabschluss eine besondere Rolle. Aus ihm können auch Kennzahlen errechnet werden, wie das Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) und das Verhältnis zwischen dem Kurs und dem Buchwert B des Eigenkapitals des Unternehmens. Letzteres wird der Bilanz entnommen. Das KGV und das Kurs-Buchwert-Verhältnis KBV erlauben, Aktiengesellschaften zu identifizieren, bei denen die Kurse unter den jeweiligen Werten liegen. Praktisch gesprochen sollte das KGV unter dem langfristigen Mittel liegen und des KBV sollte nur wenig größer als 1 sein. Für das KGV hat G RAHAM eine Faustformel entwickelt: Das KGV solle (höchstens) gleich 8,5 plus zweimal die Wachstumsrate betragen. Eine Unternehmung mit einem jährlichen und dauerhaften Wachstum von 3% sollte demnach ein KGV von 14,5 aufweisen dürfen. Ist das KGV geringer, dann wäre die Aktie eine Kaufempfehlung. Nach Dieser Faustformel wäre ein KGV von 20,5 und mehr nur gerechtfertigt, wenn die Unternehmung ein nachhaltiges Wachstum von wenigstens 6% hat. Bei einer solchermaßen hohen Wachstumsrate für ein einzelnes Unternehmen muss gefragt werden, ob es mit dem tatsächlichen Wachstum der Gesamtwirtschaft harmoniert. Angesichts der tatsächlichen Wachstumsraten unserer Volkswirtschaft (ungefähr 3%) sah es G RAHAM als leichtsinnig an, Aktien mit einem KGV von 20 oder mehr zu kaufen. Im Kern empfiehlt G RAHAM , Aktien mit „solider“ Bilanz, mit stabilen Gewinnen und gesichertem Gewinnwachstum auszuwählen, die an der Börse (noch nicht) hoch bewertet sind. Der Finanzinvestor sollte selektieren (und nicht besonders ausgeklügelt diversifizieren). Dieses Stock Picking ist heute immer noch als Anlagestil beliebt. 10.2.2 Value oder Growth? Mit der Leitidee, Fundamentaldaten vorsichtig fortzuschreiben, werden „solide“ Aktien bevorzugt. So werden Value Stocks (Substanzperlen) und Growth Stocks (Wachstumsaktien) unterschieden. Growth Stocks haben an der Börse offensichtlich deshalb hohe Kurse, weil ihnen enorme Wachstumschancen zugebilligt werden, die aufgrund der vorsichtigen Fortschreibung von Fundamentaldaten in den Bewertungsrechnungen von G RAHAM ausgeklammert sind. Insbesondere hat B ENJAMIN G RAHAM nicht-bilanziertes Wissen, den Markennamen und die Wachstumsmöglichkeiten der globalen Welt ausgeklammert. So hatte er etwa den inneren Wert von Coca-Cola unterschätzt, anders als sein Schüler W ARREN B UFFET . Value Stocks lassen sich anhand verschiedener Kriterien identifizieren. 1. Substanzperlen haben ein geringes KGV, etwa KGV < 15. 2. Ein hoher Teil des Gewinns wird ausgeschüttet (Ausschüttungsquote 50%), doch das durchschnittliche Wachstum liegt typischerweise unter 3%. Das zweite Merkmal führt dazu, dass Value Stocks eine gewisse Ähnlichkeit mit Anleihen aufweisen. Einige Anlageberater sprechen von Papieren für „Witwen und Waisen“. Viele Value Stocks finden sich in den Bereichen der Grundversorgung, der Infrastruktur, der Energie, bei Nahrungsmitteln und im Automobilbau. <?page no="228"?> 228 10 Kapitel: Aktien 3. Value Stocks weisen eine hohe Relation zwischen dem Jahresabsatz ihrer Produkte (Sales S) und der Marktkapitalisierung M auf, etwa S/ M 1. 4. Die Marktkapitalisierung M ist nicht wesentlich größer als der Buchwert der Eigenmittel B. Value Stocks weisen eine Relation KBV < 1,5 auf. G RAHAM lehnte es ab, abstraktes Realkapital (etwa den Markennamen) in die Bewertung einfließen zu lassen. In der Zeit nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs öffnete sich die Welt wirtschaftlich. Große Unternehmen mit einem guten Markennamen konnten stark wachsen: Bald wurde Coca-Cola überall auf der Welt getrunken. So begann ab 1950 eine Zeit, in der Growth Stocks höhere Renditen boten als Value Stocks. Einige Forscher, so R OBERT N. S OBEL (1931-1999) und M YRON G ORDON lenkten bei der Unternehmensbewertung den Blick auf Indikatoren für das Wachstum und stellten damit das Prinzip der vorsichtigen Fortschreibung von Fundamentaldaten infrage. Zu den Indikatoren für Wachstum gehören die Innovation, der Markenname und die weltweite Absatzorganisation. Wachstumsaktien weisen daher ein höheres KBV auf, weil ihr Kurs deutlich über dem Buchwert liegt. Denn in der Bilanz erscheinen Intangibles nicht oder nur zum Teil. Um 1975 wurden Untersuchungen publiziert, die vorschlugen, Value Stocks im Portfolio durch Growth Stocks zu ersetzen. Natürlich beruhten diese Empfehlungen auf historischen Renditen der zurückliegenden Jahrzehnte. Das war die Zeit 1950-1975 des großen Wachstums in der Welt. Value Stocks hatten hingegen um 1975 geringe Kurse, weil sie damals altmodisch wirkten. Nach 1975 setze aber wieder ein Umdenken ein: Ertrag statt Wachstum, hieß die neue Devise. Seitdem sind Value Stocks wieder attraktiver und zeigen höhere Renditen als Wachstumstitel. So ist einsichtig, dass heute, eine lange Zeit rückblickend, Value Stocks insgesamt besser rentiert haben als Growth Stocks. Wir sind heute geneigt, G RAHAM Recht zu geben, zumindest was seine Präferenz für Value Stocks betrifft. Die gezeichnete Denkweise - Fundamentalanalyse, Kennzahlen, Vergleich innerer Werte mit Kursen, Selektion - findet sich in jedem Report wieder. Analysten drücken ihre Bewertungen als Kursziele aus und geben entsprechend Empfehlungen für die Titelselektion. Anlageberater teilen das Universum von Aktien nach den damals eingeführten Kategorien ein, so in Substanzwerte (Value) und in Wachstumstitel (Growth). Oft wird noch eine dritte Kategorie genannt, die der zyklischen Aktien. Sie sollen besonders in der Phase eines Konjunkturaufschwungs attraktive Renditen versprechen. Hierzu werden Chemie und Maschinenbau gerechnet und Aktien von Unternehmen der Investitionsgüterindustrie. Weitere Kriterien helfen, das Aktienuniversum feiner zu unterteilen. Erwähnenswert ist die Unterscheidung zwischen Aktien kleiner Gesellschaften (Small Caps) mit einer Marktkapitalisierung von deutlich unter einer Milliarde Euro und Aktien großer Gesellschaften mit einer Marktkapitalisierung von deutlich über 10 Milliarden Euro. Dazwischen liegen Mid Caps. <?page no="229"?> 10.2 Risikofaktoren 229 Abb. 40: Größte Aktiengesellschaften gemäß Fortune Global 500. Wiedergegeben sind Umsatz, Gewinn, Marktkapitalisierung M (jeweils in Milliarden USD). Es folgen die Market-to-Book Kennzahl M/ B sowie das Kurs-Gewinn-Verhältnis KGV. Daten vom März 2019. Rang Name Land Umsatz EBITDA M M/ B KGV 1 Wal-Mart Stores US 514.410 32.640 286.110 3.93 43.58 2 State Grid CN 348.903 na na na na 3 Sinopec Group CN 326.953 na na na na 4 China National Petroleum CN 326.008 na na na na 5 Royal Dutch Shell NL 388.380 53.770 270.510 1.26 10.93 6 Toyota Motor JP 265.172 na 169.130 0.96 7.28 7 Volkswagen DE 235.850 27.430 74.530 0.64 6.21 8 BP UK 297.220 32.380 141.420 1.43 15.11 9 Exxon Mobil US 279.330 39.580 337.850 1.76 16.35 10 Berkshire Hathaway US 247.540 19.800 498.140 na 123.98 11 Apple US 261.610 79.520 843.560 7.18 14.76 12 Samsung Electronics KR 243.770 84.950 289.410 na na 13 McKesson US 213.520 4.100 44.150 2.37 na 14 Glencore International CH 219.750 14.000 41.550 91.37 12.59 15 United Health Group US 349.940 na 167.260 na na 16 Daimler DE 167.360 14.170 54.290 0.84 7.49 17 CVS Health US 193.920 12.430 69.720 1.20 na 18 Amazon.com US 232.890 27.760 820.610 18.84 82.95 19 EXOR Group IT 142.910 13.770 12.860 1.13 10.68 20 AT&T US 170.760 56.960 220.140 1.20 10.61 21 General Motors US 147.050 11.910 54.430 1.39 6.98 22 Ford Motor US 160.340 12.730 34.260 0.95 9.36 24 Hon Hai Precision Industry (Foxconn) CN 154.699 na na 0.97 8.31 26 Ind. & Comm. Bank of China CN 153.021 na 261.310 0.78 6.05 27 AXA FR 123.010 8.010 52.850 0.80 9.60 28 Total FR 184.110 31.440 149.390 1.28 13.43 29 Ping An CN 144.197 na 205.550 2.39 12.07 31 China Construction Bank CN 138.594 na 260.730 na 5.73 33 Chevron US 158.900 33.640 234.890 1.52 15.97 38 Allianz DE 134.590 7.880 57.250 2.24 11.16 41 General Electric US 121.610 16.310 86.180 2.78 na 50 Gazprom RU 111.983 na 52.030 0.12 1.36 51 BMW DE 97.810 12.490 47.610 0.85 5.97 64 Boeing US 101.130 14.060 226.000 670.03 22.41 66 Siemens DE 91.585 na 87.020 1.65 13.18 67 Phillips 66 US 111.640 6.510 43.980 1.79 8.19 69 Nestlé CH 91.222 na 276.130 4.97 34.46 89 ENI IT 80.006 na 61.670 1.05 9.17 121 Société Générale FR 69.948 na 23.930 0.34 7.10 142 Zurich Insurance Group CH 63.974 na 49.130 na 16.44 214 RWE DE 42.400 1.850 13.340 1.20 na 232 Tata Motors IN 45.842 na 8.240 0.64 6.76 254 E.ON DE 34.860 5.000 21.270 3.65 6.80 Angaben zu Umsatz, Gewinn, Marktwert (M) in Mrd USD. Rangfolge links gemäss Fortune Global 500 Companies 2018. Legende: M/ B = Marktwert-Buchwert-Verhältnis, KGV = Kurs-Gewinn-Verhältnis Eigene Berechnungen aufgrund von folgenden Daten: Umsatz und Gewinn (und weitere Daten falls verfügbar) von Fortune Global 500 Companies 2018; übrige Daten von Yahoo! Finance (12.3.2019) <?page no="230"?> 230 10 Kapitel: Aktien 10.2.3 Nochmals Markowitz und Tobin Um 1960 hat die Moderne Portfoliotheorie (M ARKOWITZ , T OBIN und andere) das von G RAHAM begründete Paradigma abgelöst. M ARKOWITZ hat nicht versucht, „innere Werte“ oder „Renditen“ zu schätzen, sei es nun anhand von Bilanzen oder auf andere Weise. Er beschrieb zukünftige Renditen durch Zufallsgrößen und nahm an, die Parameter der Wahrscheinlichkeiten (Return, Risk, Korrelationen) seien gegeben. Gegeben sind natürlich auch die Kurse der Aktien, die bei einem Engagement zu zahlen sind. M ARKOWITZ wollte auch nicht herausfinden, ob von zwei Aktien A und B nun A oder B zu selektieren sei, wie es noch das Ziel von G RAHAM war. M ARKOWITZ wollte herausfinden, in welcher Gewichtung A und B in das Portfolio aufgenommen werden sollten, um bestmöglich zu diversifizieren. Was unter bestmöglicher Diversifikation zu verstehen ist, hat M ARKOWITZ durch die Effizienzgrenze formal beschrieben. Sodann hat er gezeigt, wie die Zusammensetzungen der auf der Effizienzgrenze positionierten Portfolios berechnet werden können. M ARKOWITZ entdeckte bei seiner Untersuchung, dass auch Aktien mit einer ungünstigen Relation zwischen Risk und Return durchaus in effizienten Portfolios erscheinen und so für eine Anlage in Frage kommen. Der Punkt ist, dass eine Aktie, die als Einzelanlage isoliert für sich betrachtet ungünstig ist, aufgrund guter Diversifikationsmöglichkeiten vielleicht doch eine attraktive Komponente im Portfolio darstellt. Auf diesen Punkt ist G RAHAM überhaupt nicht eingegangen, weil für ihn die Selektion im Vordergrund stand und nicht die Diversifikation. Weil nun auch Aktien gewählt werden können, die bei isolierter Betrachtung ungünstig wirken, macht es auch wenig Sinn, Value und Growth oder andere Gruppen von Aktien zu unterscheiden. Im Ansatz von M ARKOWITZ haben die Aktien des Universums einfach eine der Nummern von 1 bis n , und hinter jeder Nummer verbirgt sich eine zufällige Rendite, beschrieben durch ihren Erwartungswert, die Standardabweichung und die Koeffizienten der Korrelation mit allen anderen Renditen. Abb. 41: Das Marktportfolio verschiebt sich auf der Markowitzschen Effizienzgrenze, wenn sich der Zinssatz ändert. Standardabweichung der Renditen Erwartungswert der Renditen Zinssatz 1 Zinssatz 2 <?page no="231"?> 10.2 Risikofaktoren 231 T OBIN hat diesen Ansatz weitergeführt, indem er die risikofreie Anlage zum Zinssatz als weitere Anlagemöglichkeit betrachtet hat. Im Ergebnis liegen die Renditen aller effizienten Portfolios auf der Kapitalmarktlinie (Capital Market Line, CML). Die Kapitalmarktlinie ist die Tangente an die Markowitzsche Effizienzgrenze, und der Tangentialpunkt weist auf das Marktportfolio. Dass (zumindest bei homogenen Erwartungen) alle Anleger das Marktportfolio kaufen lässt schon erkennen, dass mit einer anderen Annahme von G RAHAM gebrochen wurde. Nach G RAHAM kauft der durch eigene Finanzanalyse gut informierte Investor eine Aktie, und die anderen, weniger gut informierten Anleger benötigen noch bis zu drei Jahren, bis auch sie alle entdeckt haben, dass der betreffende Titel attraktiv ist. Wenn alle dasselbe Marktportfolio kaufen, können Kursbewegungen nicht dadurch entstehen, dass sich ein über drei Jahre laufender, gradueller Kaufprozess abwickelt. Mit solchen Überlegungen war der Schritt zur Entwicklung der Markteffizienz-These nicht mehr weit, die ab 1960 bekannt und weithin akzeptiert wurde. 10.2.4 Kaufen und Halten M ARKOWITZ und T OBIN kommen folglich auf die Empfehlung des Buy-and-Hold. Denn wer das Marktportfolio hält, der hält auch nach (wie auch immer bedingten) Kursänderungen immer noch das Marktportfolio. Die Empfehlung von Buy-and-Hold und der Rat, dabei zur besseren Diversifikation alle Titel einzubinden, sind eine Revolution der Grahamschen Idee, Titel zu selektieren und für drei Jahre zu halten. Allerdings darf das Buy-and-Hold, das sich aus der klassischen Portfoliotheorie ergibt, nicht zu wörtlich genommen werden. Selbstverständlich könnten sich die als gegeben betrachteten Parameter (wie Risk und Return oder die Korrelationen) ändern, und dann ist auch das Marktportfolio anders zusammengesetzt. Zum Beispiel unterstreicht die Analyse von T OBIN , wie das Marktportfolio M sich ändert, sollte sich der Zinssatz ändern. Steigen die Zinsen (und bleiben die Verteilungsparameter der n risikobehafteten Einzelanlagen unverändert), dann verschiebt sich der Tangentialpunkt auf der Markowitzschen Effizienzgrenze nach rechts oben. Sinken die Zinsen, verschiebt sich das Marktportfolio auf der Effizienzgrenze nach links unten. So hängt die Gewichtung der Einzelaktien im Marktportfolio von der Höhe des Zinssatzes ab und selbstverständlich auch von den anderen Parametern. Liegt das Marktportfolio rechts oben auf der Effizienzgrenze, dann sind Aktien höher gewichtet, die eine hohe Renditeerwartung bei hohem Risiko haben. Das sind Wachstumsaktien wie zum Beispiel Technologiewerte. Denn Wachstum ist stets vielversprechend und zugleich auch riskant. Liegt das Marktportfolio links unten auf der Effizienzgrenze, dann sind jene Aktien stärker gewichtet, die eine geringe Renditeerwartung bei geringem Risiko haben. Das sind typischerweise Substanzperlen, die Papiere für Witwen und Waisen wie zum Beispiel Versorgungswerte. Folglich besteht in Phasen geringer Zinsen das Marktportfolio überwiegend aus Value Stocks, während es sich in Phasen hoher Zinsen hauptsächlich aus Growth Stocks zusammensetzt. Deshalb kommt es im Zinszyklus zu Umschichtungen, weil sich die Zusammensetzung des Marktportfolios verändert. Gehen die Zinsen zurück, werden Value Stocks neu entdeckt und Growth Stocks verkauft. Diese Umschichtung bewirkt, dass die (frühen) Käufer von Value Stocks sich bestätigt finden, denn deren Kurse steigen. Gleichzeitig finden sie sich als (frühe) Verkäu- <?page no="232"?> 232 10 Kapitel: Aktien fer von Growth Stocks bestätigt, denn deren Kurse fallen. Am Ende der Zinssenkung sind Substanzperlen gesucht, nicht aber Wachstumstitel. Steigen die Zinsen, werden Growth Stocks neu entdeckt und Value Stocks verkauft. Diese Umschichtung bewirkt, dass die (frühen) Käufer von Growth Stocks sich bestätigt finden, denn deren Kurse steigen. Gleichzeitig finden sie sich als (frühe) Verkäufer von Value Stocks bestätigt, denn deren Kurse fallen. Am Ende des Zinsanstiegs sind Growth Stocks in und Value Stocks out - wenn nicht überhaupt alle Aktien out sind, weil Bonds eine hohe Verzinsung bei geringem Risiko bieten. Mit diesen Überlegungen wird die These der Informationseffizienz nicht außer Kraft gesetzt, weil die Prognose des Zinsniveaus von großen Zufälligkeiten überlagert wird. Jeder Investor weiß schon, was er richtigerweise tun sollte, wenn die Zinsen steigen, doch niemand weiß genau, ob und wann sie steigen. Ebenso weiß jeder Anleger, auf welche Titel er setzen sollte, wenn die Zinsen fallen. Doch niemand weiß, ob und wann genau die Zinsen fallen. 10.2.5 Mehrere Risikofaktoren Mit der Verbreitung von Datenanbietern, von Computern und Programmpaketen für statistische Berechnungen setzte eine intensive empirische Forschung ein. Ihren Ausgangspunkt nahmen diese Forschungen in Versuchen, trotz der überall an Hochschulen gelehrten These der Markteffizienz, den Markt zu schlagen. Natürlich haben alle Finanzfirmen und alle Quants im Privaten versucht, mit Faktoren zu besseren Prognosen zu gelangen, denn sie wollten die erstrebten Vorteile einer Outperformance privat und möglichst lange Zeit genießen können. Dennoch sind im Nachhinein Listen von Faktoren bekannt geworden, die es wenigstens für einige Zeit gestattet haben, Aktienrenditen etwas genauer prognostizieren zu können. Ein erstes Beispiel für einen solchen Faktor ist der Term-Spread, also die Differenz zwischen den langfristigen und den kurzfristigen Zinssätzen. Der Term-Spread drückt die Steilheit der Zinskurve aus. Ein positiver Term-Spread war stets in Phasen eines bevorstehenden Wirtschaftsaufschwungs zu beobachten. Von daher ist zu vermuten, dass er (frühzeitig) hohe Aktienrenditen in den folgenden Quartalen ankündigt. Ein zweiter Faktor ist die Inflation. Besonders bei unerwarteter Inflation ist davon auszugehen, dass der Staat mit seiner Wirtschaftspolitik und die Zentralbanken reagieren werden. Solche Reaktionen und die Änderungen des Umfelds wirken einerseits auf die Unternehmen, deren Wirtschaftstätigkeit und deren Erfolg, andererseits auf Finanzinvestoren, die ihre Portfolios anpassen. Beides beeinflusst die Renditen, die mit Aktien verbunden sind. Von daher wird die Inflation kritisch verfolgt, und entwickelt sie sich in unerwarteter Weise, erkennen viele darin Signale für die Aktienrenditen. Ein dritter Faktor ist der Credit-Spread, also der Renditeunterschied zwischen Anleihen mittlerer und solchen hoher Bonität. Auch der Credit-Spread ändert sich im Zeitverlauf. Wird er geringer, dann wird von den Käufern von Corporate Bonds offenbar auch den Unternehmen mittlerer Bonität zugebilligt, dass sie ihre Verpflichtungen schon erfüllen werden. Ein geringer werdender Credit-Spread ist daher ein Signal, das <?page no="233"?> 10.2 Risikofaktoren 233 auf eine sich verbessernde Wirtschaftslage hinweist. Daraus lassen sich höhere Aktienrenditen ablesen. Ein Vertreter der Markteffizienz-These würde einwenden, dass solche Signale, sobald sie beobachtet werden, schnellstens zu entsprechenden Kursbewegungen führen, so dass die Signale schon nach Minuten oder noch schneller eingepreist sind und ab dann keine Kraft für die Prognose der Renditen haben. Die Frage ist daher, ob Faktormodelle und der frühe Zugriff auf neue Wirtschaftsdaten letztlich nur von Finanzanalysten und Finanzfirmen ausgenützt werden können. Ohne Zweifel sind Faktormodelle zu einem leistungsfähigen, quantitativen Instrument der professionellen Finanzinvestoren geworden. Sie helfen, Simulationsrechnungen für mögliche Wirtschaftsmeldungen bereits vor der Ankündigung der konkreten Information vorzunehmen, so dass mit Computerprogrammen schnell gehandelt werden kann. Abb. 42: Risikoanalyse der DAX-Titel Welt (MSCI World) Europa (Euro STOXX 50) Deutschland (DAX 30) Branche und Unternehmung Adidas 35.32% 0.51% 0.20% 63.96% Allianz 49.36% 4.19% 0.24% 46.21% BASF 56.56% 2.08% 0.64% 40.72% Bayer 35.56% 4.80% 0.69% 58.94% Beiersdorf 12.31% 1.13% 0.05% 86.51% BMW 39.49% 1.96% 0.88% 57.66% Commerzbank 43.80% 2.12% 0.17% 53.91% Continental 35.19% 0.88% 0.31% 63.62% Daimler 47.57% 2.89% 0.87% 48.68% Deutsche Bank 50.19% 2.07% 0.00% 47.74% Deutsche Börse 39.14% 1.07% 0.01% 59.78% Deutsche Lufthansa 32.61% 2.39% 0.58% 64.42% Deutsche Post 49.77% 1.50% 0.03% 48.70% Deutsche Telekom 16.47% 3.82% 0.34% 79.37% E.On 29.66% 1.97% 0.01% 68.36% Fresenius 18.00% 1.48% 0.38% 80.14% Fresenius Medical Care 11.33% 1.40% 0.30% 86.97% HeidelbergCement 34.94% 1.68% 0.15% 63.23% Henkel 27.09% 1.59% 0.27% 71.05% Infineon Technologies 36.06% 1.41% 0.36% 62.17% K+S 23.57% 0.01% 0.17% 76.26% Lanxess 45.38% 0.70% 0.21% 49.46% Linde na na na na Merck 18.89% 2.28% 0.08% 78.75% Münchener Rück 21.07% 5.94% 0.53% 72.47% RWE 21.75% 2.01% 0.05% 76.19% SAP 30.10% 2.74% 0.60% 66.56% Siemens 47.61% 4.45% 0.49% 47.44% ThyssenKrupp 50.66% 0.85% 0.58% 47.91% Volkswagen 35.84% 0.56% 0.27% 63.33% Varianz-Komponenten Eigene Berechnungen auf Basis des Zeitraums 1.4.2001 bis 1.1.2019 Datenquelle: Thomson Reuters Datastream <?page no="234"?> 234 10 Kapitel: Aktien Außerdem helfen Faktormodelle bei einer Analyse der Risiken. So kann mit einer Varianzdekomposition untersucht werden, wie sich das Risiko einer Aktie etwa aus einem Länderrisiko und einem Branchenrisiko zusammensetzt sowie natürlich einem titelspezifischen Risiko. Beispielsweise wird bei der Siemens-Aktie geklärt: Entsprechen die Kursschwankungen eher dem, was an der deutschen Börse passiert (Bild 42 zeigt, dass nur 0,49% der Variationen der Siemens-Aktie durch Variationen des DAX erklärt werden können) oder entsprechen sie eher dem, was weltweit im Bereich Elektrotechnik passiert, oder haben sie weder mit dem Land noch mit der Branche etwas zu tun und sind einfach Zufälligkeiten, die nur mit dieser einen Firma zusammenhängen? Vielleicht ist Siemens einfach eine weltweit tätige Unternehmung und ihre Aktie hängt mit dem zusammen, was der weltweite Aktienindex macht. Immerhin können 47,61% der Variationen der Siemens-Aktie durch Variationen des Weltindexes erklärt werden, und 4,45 % an zusätzlicher Erklärung liefert die Berücksichtigung des europäischen Aktienmarktes. Nicht nur Siemens, praktisch alle deutschen Aktien verhalten sich zu einem guten Teil wie ein Aktien-Weltportfolio. Der darüber hinaus gehende Erklärungsbeitrag des europäischen sowie des deutschen Aktienmarktes ist jeweils vergleichsweise gering, was damit zu tun hat, dass diese beiden Märkte ihrerseits stark mit dem weltweiten Aktienmarkt integriert sind. Bayer, BMW und SAP zeigen den deutschen Einfluss noch am deutlichsten. Beiersdorf, Fresenius Medical Care und Merck sind dagegen Titel, die stark in ihrer jeweiligen Branche verankert sind. Varianzdekompositionen führen zu Empfehlungen, ob bei der Diversifikation eher eine Streuung über Länder oder eine Streuung über Branchen anzustreben ist. Durch die Globalisierung sind die Koeffizienten der Korrelationen der Renditen der Länderindizes in den letzten fünfundzwanzig Jahren stark gewachsen und gegen 1 konvergiert. Insofern bringt Länderdiversifikation inzwischen nicht mehr so viel an Risikoreduktion, wie noch vor dreißig Jahren. Anders ist das bei den Branchen. Die Renditen der Aktien von Unternehmen derselben Branche haben ähnliche Korrelationen zu denen anderer Branchen, selbst wenn es dabei um unterschiedliche Länder geht. Von daher ist es für die Diversifikation heute vor allem wichtig, verschiedene Branchen einzubeziehen. 10.2.6 Bilanzrisiken Viele der in der Portfoliotheorie entwickelten Erkenntnisse sind auf den Privatanleger gemünzt, der seine Mittel für eine gewisse Zeit gut und rentabel anlegen möchte und dabei vor allem das Endergebnis im Auge hat. Wir haben drei Sichtweisen besprochen: G RAHAM empfahl diesem Investor, jene Wertpapiere zu selektieren, deren Werte (und damit Kursziele) höher als die augenblicklichen Kurse sind. Eine interessante Geldanlage k ist also dadurch beschrieben, dass ihr Kurs oder ihr Preis an der Börse k P geringer ist als ihr Wert k W . Die moderne Portfoliotheorie führt in Verbindung mit der Markteffizienz-These auf die Empfehlung, optimal zu diversifizieren. Dabei werden alle Titel einbezogen, auch solche, die für sich betrachtet ungünstig wirken. Die Lösung wird mit einem Optimizer berechnet und grafisch als Tangentialportfolio gekennzeichnet. Hier hängt das Gewicht, mit dem eine Einzelanlage k in das Portfolio aufgenommen werden sollte, von <?page no="235"?> 10.2 Risikofaktoren 235 den als gegeben betrachteten Parametern ab: vom Erwartungswert ihrer Rendite k E r , von der Standardabweichung oder Varianz k Var r dieser Rendite, von den Korrelationen oder Kovarianzen k j Cov r , r mit den Renditen der anderen Titel, sowie von deren Risk und Return. Mit dem Einsatz von Faktormodellen sind gegenüber der modernen Portfoliotheorie quantitative Verfeinerungen möglich. Insbesondere können die Parameter als von Einflussfaktoren abhängig bestimmt werden. Für institutionelle Anleger, Pensionskassen und Versicherungen sind alle drei Paradigmen wichtig. Dabei betrachten Institutionelle auch die Passivseite ihres Geschäfts. Denn institutionelle Investoren müssen aus dem Anlageergebnis Forderungen bedienen, die ihnen aus dem Kundengeschäft erwachsen. Versicherten steht oft ein gesetzlicher Mindestzins zu. Kunden wurden mit Beispielrechnungen gewonnen, die gewisse über den Mindestzins noch hinausgehende Renditen in Aussicht stellen. Sollte der institutionelle Investor später die versprochenen oder gesetzlich vorgesehenen Leistungen nicht aus dem Anlageergebnis erfüllen können, entstehen große Probleme. Damit es bei Fälligkeit der Leistungen einer Pensionskasse oder Versicherung nicht zu einem Ausfall zugesagter Leistungen kommt, werden bereits vorher Prüfungen durchgeführt. Zu diesen Prüfungen gehört die zwischenzeitliche Berichterstattung anhand der Bilanz des institutionellen Investors. Auf der Aktivseite dieser Bilanz werden die Finanzanlagen angeführt, also vor allem Aktien, Bonds, Immobilien und der Kassenbestand. Auf der Passivseite werden die Verpflichtungen und die Leistungsansprüche der Kunden angeführt. Bei den Anlagen ist daher wichtig, mit welchem Wertansatz sie bilanziert werden. Weder G RAHAM noch M ARKOWITZ haben das beachtet. Weder bei G RAHAM noch in der modernen Portfoliotheorie oder bei den Faktormodellen kam es auf die Bilanzierung an. So wird ein institutioneller Investor in der Regel von der Anlagestrategie abweichen, die bei den genannten drei Ansätzen als die beste erscheint, sofern dabei das Bilanzbild nicht gut aussieht. Ein wichtiger Punkt ist dabei, welche Faktoren zu Änderungen des bilanziellen Wertansatzes bei einer Aktie oder einem Wertpapier führen. Solche Einflussfaktoren und ihre Wirkungen werden unter dem Begriff der bilanziellen Risiken zusammengefasst. So entsteht die Situation, dass ein institutioneller Investor Marktrisiken und Bilanzrisiken unterscheiden muss. Die Marktrisiken entstehen durch die Unsicherheiten hinsichtlich der Kurse und der Ausschüttungen. Die Bilanzrisiken entstehen durch die (überraschende) Notwendigkeit, Abschreibungen vornehmen zu müssen. Der private Investor betrachtet Renditeerwartungen und Marktrisiken, der institutionelle Investor betrachtet Renditeerwartungen und Bilanzrisiken. Ein weiterer Punkt kommt hinzu. Bei einer Geldanlage stellt der Privatinvestor die Frage, welche Ergebnisse wohl zum Ende der Anlagedauer vorliegen werden, wenn er das Geld benötigt. Auf dem Weg dorthin wird der Privatinvestor sich gelegentlich freuen und ab und zu auch nervös sein und nicht gut schlafen. Der Börsenguru A NDRÉ B. K OSTOLANY (1906- 1999) gab denn auch den Rat, der Privatanleger solle Schlaftabletten nehmen, die drei Jahre wirken. Die Geldanlage erfolgt bei Privatinvestoren daher im Hinblick auf das spätere Ziel. <?page no="236"?> 236 10 Kapitel: Aktien Was auf dem Weg dorthin passiert, hat eigentlich für Privatinvestoren keine oder allenfalls nachrangige Bedeutung. Bei institutionellen Investoren ist das ganz anders. Aufsichtsorgane nehmen in regelmäßigen Abständen anhand von Bilanzbild, Deckungsgrad und anderer Kennzahlen Prüfungen vor. Deshalb kommt es bei einem institutionellen Investor darauf an, wie der Weg zum späteren Anlageergebnis genau aussieht. Der institutionelle Investor muss bei der Wahl der Anlagestrategie daher nicht allein das spätere Ergebnis als Ziel im Auge behalten, sondern klären, wie der Weg zu diesem Ziel wohl hinsichtlich der geprüften Indikatoren aussehen wird. Durch die wiederkehrende Prüfung der Aufsichtsorgane hat der Institutionelle eine Reihe von Zwischenzielen. Es wird gesagt, es komme auf den Pfad an, und die Beurteilung der Finanzinvestition erfolge pfadabhängig. Leider sind weder die Sichtweise von G RAHAM , die moderne Portfoliotheorie noch die Faktormodelle ergiebig, wenn Bilanzrisiken und Pfadabhängigkeit kontrolliert werden müssen. Deshalb sind für institutionelle Investoren neue Ansätze entwickelt worden. Dazu gehören Ansätze, die ein Ausfallrisiko (Shortfall-Risk) modellieren sowie die Simulation. Außerdem haben institutionelle Investoren eine gut ausgebaute Performancemessung und können die erreichten Anlageergebnisse aufschlüsseln. Beispielsweise können sie zeigen, dass eine Rendite von 8,5% vielleicht zu 7% auf die Strategie und zu 1,5% auf die Taktik zurückzuführen ist. Insofern werden die Methoden von G RAHAM , der Portfoliotheorie und ebenso Faktormodelle immer noch eingesetzt, jedoch in Variationen. Die genannten Methoden bieten daher nützliche Werkzeuge, auch wenn die Situation der institutionellen Investoren einen Einsatz dieser Werkzeuge verlangt, an den ihre Schöpfer nicht gedacht hatten. 10.3 Fazit des Kapitels Aktien 10.3.1 Zusammenfassung Aktien verbriefen die Beteiligung an einer Unternehmung. Die Aktiengesellschaft als Typ von Rechtsformen gehört zur Gruppe der Kapitalgesellschaften. Sie besitzt eine eigene Rechtspersönlichkeit. Verschiedene Formen von Aktien unterscheiden sich hinsichtlich der Ausgestaltung der Rechte. Die wohl gebräuchlichste Form ist die Stammaktie, daneben gibt es Stimmrechtsaktien und Vorzugsaktien. Aktien lauten entweder auf den Inhaber oder es sind (registrierte) Namensaktien. Zu Beginn des Kapitels über die Aktie sind wir auf die Trennung von Eigentum und Verfügung eingegangen. Dabei wurde gefragt, ob die Aktionäre (als Eigner ihrer Unternehmung) nicht oft weiter entfernt und entfremdeter sind als die Geber von Fremdkapital. Sodann haben wir Ansätze betrachtet, die bei der Zusammenstellung eines Aktienportfolios leiten. G RAHAM empfahl die Selektion von Aktien, deren Kursbildung noch nicht dem inneren Wert entspricht. Dabei hat er Value Stocks gegenüber Growth Stocks bevorzugt. Kennzahlen wie etwa das KGV spielen bei diesem Ansatz eine große Rolle. <?page no="237"?> 10.3 Fazit des Kapitels Aktien 237 Die moderne Portfoliotheorie von M ARKOWITZ und T OBIN rekapitulierend revidierten wir etwas das Festhalten an der Strategie des Buy-and-Hold. Denn das Marktportfolio hängt vom Zinssatz ab. Im Ergebnis zeigt sich, dass sich im Zinszyklus die Attraktivität von Value Stocks und von Growth Stocks verändert. Durch die institutionelle Vermögensverwaltung kommt das Bilanzrisiko hinein. Dadurch müssen Anlagestrategien pfadabhängig konzipiert werden, das heißt, die Vergangenheit berücksichtigen und nicht nur den augenblicklichen Zustand und die Erwartungen hinsichtlich der Zukunft. 10.3.2 Lernpunkte 1. Die Trennung von Verfügungs- und Eigentumsrechten ist in der modernen Wirtschaft erforderlich. 2. G RAHAM und D ODD haben in ihrem Buch, der Security Analysis, die Grundlagen für die Finanzanalyse als Wissenschaft gelegt. Sie nahmen an, die Aktienmärkte seien nicht informationseffizient. Immer wieder lassen sich Titel identifizieren, deren Kurse vom inneren Wert abweichen. Entsprechend ist wichtig, mit welchen Kennzahlen Value Stocks identifiziert werden können. 3. Die Zusammensetzung des Marktportfolios hängt vom Zinssatz ab. Entsprechend verändert es sich im Zinszyklus, und es kommt immer wieder zu Umschichtungen der Portfolios. 4. Warum institutionelle Investoren ein Shortfall-Problem haben und was Pfadabhängigkeit bedeutet. 10.3.3 Erwähnte Personen H ERMANN A BS , D AVID D ODD , B ENJAMIN G RAHAM , H ARRY M ARKOWITZ , J AMES T OBIN . 10.3.4 Schlüsselbegriffe Aktie, Aktiengesellschaft (AG), Aufsichtsrat (Revisionsstelle), Bezugsrechte, Bilanzrisiken, Eigner, Fremde, Fundamentaldaten, Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH), Gewinn, Going Private, Going Public, Growth Stock, Hauptversammlung (Generalversammlung), Inhaberaktien, Institutionelle Vermögensverwaltung, Namensaktien, Outperformance, Rechtsformen, Risikofaktoren, Security Analysis, Shareholder-Value-Gedanke, Stimmrechtsaktien, Stock Picking, Trennung von Eigentum und Verfügung, Value Stock, Vorstand, Vorzugsaktien, Vorzugsdividende, Wachstum. <?page no="238"?> 238 10 Kapitel: Aktien 10.3.5 Fragen zur Lernstandskontrolle 1. Welche Phänomene und Probleme werden als „Trennung von Eigentum und Verfügung“ angesprochen? [Antwort: Abschnitt 10.1.1] 2. a) Welche Ansätze für den Kauf oder Verkauf von Aktien gehen auf G RAHAM , M ARKOWITZ und T OBIN zurück? [Antwort: Abschnitt 10.2]. b) G RAHAM hat eine Faustformel entwickelt, nach der das KGV eine Zahl x plus das y-fache der Wachstumsrate betragen sollte. Wie groß sind x und y nach Graham? [Antwort: Abschnitt 10.2.1]. c) Charakterisieren Sie Value Stocks und Growth Stocks [Antwort: Kasten in 10.2.1]. 3. Wie verschiebt sich das Marktportfolio, wenn sich der Zinssatz (aber sonst keine andere Größe) ändert? [Antwort: Bei steigendem Zinssatz wandert das Marktportfolio auf der Effizienzkurve nach rechts oben, siehe Abbildung 41 in 10.2.2]. 4. Bei Mehrfaktor-Modellen werden der Term-Spread, die Rate der Inflation, der Credit-Spread und andere Größen als Faktoren verwendet. Angenommen, die Wirtschaft belebt sich. Wie verändern sich typischerweise die drei genannten Größen? [Antwort: Der Term-Spread bildet sich zurück, weil die Zentralbank die kurzfristigen Zinsen anhebt, die Inflation könnte zunehmen, der Credit-Spread dürfte eher abnehmen] 5. Was sind Bilanzrisiken und warum betrachten institutionelle Anleger neben Marktrisiken Bilanzrisiken? [Antwort: Abschnitt 10.2.4] <?page no="239"?> 11. Kapitel: Faktormodelle Zwei Phänomene A und B, die beide als zufällig beschrieben werden, können durchaus zusammenhängen. Vielleicht stehen sie nicht in einer festen und logisch erklärbaren Beziehung von Ursache und Wirkung. Doch sie können in einer losen, korrelativen Weise zusammenhängen (wobei möglicherweise theoretische Erklärungen später gegeben werden). Kann dann die Realisation einer der beiden zufälligen Phänomene, etwa die von A, vor der des anderen Phänomens (B) beobachtet werden, dann liefert diese Realisation von A eine gewisse Vorinformation über die Realisation der anderen Variablen B, die demnächst zu beobachten sein wird. In diesem Fall wird A als ein erklärender Faktor für B betrachtet. Selbstverständlich wurden für die Renditen von Aktien (B) alle möglichen Ereignisse oder Konstellationen (A) untersucht, die man eventuell zeitlich früh beobachten kann und die somit eine gewisse Information für die Aktienrenditen liefern. Drei solche Faktoren, die eben nicht konstant sind und weitgehend als zufällig betrachtet werden, wurden bereits genannt: Der Term-Spread, die Inflationsrate und der Credit-Spread. Parallel zur empirischen Suche nach Faktoren werden theoretische Erklärungen geliefert: Ein hoher Term-Spread, also eine steigende Zinsstruktur, zeigt eine lockere Geldpolitik und dürfte die Wirtschaft beleben und anregen, weshalb Kursgewinne bei Aktien eintreten sollten. Eine überraschend hohe Inflation ermöglicht es den Unternehmen, die Erzeugnispreise anzuheben, während die Löhne vielfach erst später ansteigen. Das wirkt sich temporär günstig auf die Gewinne aus, wenngleich bei Inflation in der langen Frist keine höheren Renditen mehr eintreten dürften. Ein hoher Credit-Spread deutet darauf hin, dass Gläubiger die Ausfallgefahr höher einstufen. Das ist typischerweise bei einer Abschwächung der Wirtschaft der Fall, und diese dürfte mit geringeren Aktienrenditen einhergehen. Funktionen von Faktormodellen Charakteristika Faktormodelle Wichtige Größen: Beta, Kapitalkosten am Gesamtmarkt, Wahl verschiedener Indizes Einfaktor-Modell Das Capital Asset Pricing Model (CAPM) setzt die erwartete Rendite einer Anlage in Beziehung zu ihrem Beta. Aktien- und Bondmärkte Ähnlich gerichtete Zinssensitivität von Aktien und Bonds, jedoch Decoupling in speziellen Marktsituationen Ein wichtiges Faktormodell zur Erklärung der Rendite einer Einzelanlage wurde noch nicht genannt. Es ist das Einfaktormodell, bei dem der Marktindex als Faktor dient, um die Rendite einzelner Aktien zu erklären. In der Anwendung würde man die (Realisation der zufälligen) Marktrendite beobachten und hätte damit durch das Faktormodell bereits eine gute Vorinformation über die demnächst zu beobachtende Realisation einer bestimmten einzel- <?page no="240"?> 240 11 Kapitel: Faktormodelle nen Aktie. Dieses Einfaktormodell führt dann auf das Beta als Risikomaß und auf das Capital Asset Pricing Model (CAPM). 11.1 Grundlagen 11.1.1 Wozu Faktormodelle? Faktormodelle in der Finanzwirtschaft modellieren die (zufällige) Rendite eines Einzeltitels als abhängig von gewissen, zufälligen Einflussfaktoren. Dabei wird meistens ein linearer Zusammenhang zwischen der Rendite der Einzelanlage und den gewählten Faktoren unterstellt. Dadurch werden die Faktormodelle mit vertrauter Mathematik formuliert, und die Modelle können mit Linearer Regression kalibriert werden: Aus historischen Renditen sowie historischen Zahlenwerten für die Faktoren werden die Parameter des Modells geschätzt. Dazu dient die Methode kleinster Quadrate oder eine andere Schätzmethode. Außerdem können statistische Tests eingesetzt werden, um die Güte des Modells zu beurteilen. Die Wahl des Börsenindexes eines Landes als Faktor spielte in der Entwicklung von Faktormodellen eine große Rolle. Das älteste Faktormodell in der Finance wurde um 1960 formuliert. Die Rendite einer einzelnen Aktie wurde durch die Rendite des gesamten Marktes erklärt. Dieses erste Faktormodell hat nicht nur eine historische Bedeutung für die Entwicklung der Wissenschaft: Zum einen ist es auch heute noch ein die Wirklichkeit recht gut beschreibendes empirisches Modell. Zum anderen bietet es die Grundlage für das Capital Asset Pricing Model (CAPM). Das CAPM postuliert einen für alle Aktien gültigen Zusammenhang zwischen ihrer Renditeerwartung und der Renditeerwartung des Marktportfolios. Der Proportionalitätsfaktor ist das so genannte Beta. Das Beta einer einzelnen Aktie drückt folglich aus, welches (nicht mehr diversifizierbare) Risiko diese Aktie in ein Portfolio hineinbringt. Damit beschreibt das CAPM den Zusammenhang zwischen diesem Risikobeitrag und der Renditeerwartung. Die Renditeerwartung von Aktien ist eine zentrale, von Finanzinvestoren benötigte Größe. Zudem ist sie für die das Kapital verwendenden Unternehmen wichtig, die ihre Kapitalkosten bestimmen müssen. Denn das Unternehmen muss in Planungen begründen können, dass die marktübliche Rendite erwirtschaftet werden wird. Die marktübliche Renditeerwartung wird in Projektkalkulationen als Kapitalkosten berücksichtigt. Die Rendite hat ein doppeltes Gesicht: Aus Sicht der Aktionäre beschreibt sie das erwartete Anlageergebnis, aus Sicht der Unternehmung die Kapitalkosten. Das CAPM ist das bekannteste Modell zur Bestimmung der Kapitalkosten in der Praxis. 11.1.2 Indizes Unter einem Index versteht man ein Aggregat von Einzelpositionen, das die Gesamtentwicklung widerspiegelt. Wertpapierindizes stellen Aggregate der Rendite oder der Kursentwicklung von Einzelpositionen dar: <?page no="241"?> 11.1 Grundlagen 241 Preisindizes stellen die Kursentwicklung eines Portfolios von Einzeltiteln dar. Preisindizes berücksichtigen nicht jenen Teil der Rendite, der auf Ausschüttungen zurückgeht. Beispiele für Preisindizes sind der Dow Jones Industrial Average (DJIA), der Standard & Poor‘s 500 (S&P 500) sowie der Swiss Market Index (SMI). Total Return Indizes beinhalten neben der Kursentwicklung die Ausschüttungen. Total Return Indizes werden auch als Performanceindizes bezeichnet, da sie beide Renditekomponenten - Kursentwicklung und Ausschüttungen - erfassen. Zur Berechnung: Bei einem Aktienindex werden die ausgeschütteten Dividenden (ohne Berücksichtigung von Quellensteuern) rechnerisch gleich wieder investiert, bei Bondindizes die Kupons. Beispiele für Total Return Indizes sind der Deutsche Aktienindex (DAX), die STOXX Indizes sowie der Swiss Performance Index (SPI). Die bekannten Indizes fassen mehrere Titel zusammen. Hinsichtlich der Anzahl der einbezogenen Titel und ihrer Gewichtung bestehen Unterschiede: Ungewichtete Indizes. Die Einzelkurse werden ohne Beachtung der Marktkapitalisierung der Gesellschaften addiert, oder es wird ein ungewichtetes arithmetisches Mittel der Renditen ermittelt. Heute sind nur mehr zwei der bedeutenden Aktienindizes ungewichtet. Das sind der Dow Jones Industrial Average (DJIA), der sich (ungewichtet) aus 30 Einzelkursen errechnet, sowie der Nikkei 225. Bei diesen Indizes bleibt als Nachteil, dass die Aktien nicht mit denjenigen Gewichten einbezogen werden, die sie wohl in einem diversifizierten Marktportfolio haben. Die Indexentwicklung erlaubt nur beschränkte Aussagen über die Entwicklung des Marktportfolios. Gewichtete Indizes. Die zusammengefassten Einzeltitel werden im Index mit individuellen Gewichten berücksichtigt. Sie werden anhand der Marktkapitalisierung festgelegt: Jede Aktie wird gemäß ihrem Anteil an der gesamten Börsenkapitalisierung des Markts berücksichtigt. Die Börsenkapitalisierung stellt das gesamte zu Marktpreisen bewertete Eigenkapital dar. Auch wenn diese Indizes so wie das Marktportfolio zusammengesetzt sind, bleibt ein Nachteil: Wenn ein einzelnes Unternehmen über längere Zeit ungewöhnlich hoch rentiert, beispielsweise aufgrund einer neuen Technologie oder einer weltweit gesuchten Produktinnovation, dann steigt mit der höheren Marktkapitalisierung das Gewicht im Index immer weiter und alsbald spiegelt der Index nur noch diese eine Unternehmung wieder. Eine Modifikation der Gewichtung nach Marktkapitalisierung stellen die MSCI-Indizes sowie die Stoxx-Indizes dar. Sie gewichten entweder nach dem „Free-Float-adjustierten” Marktwert der Aktien. Dabei bezieht sich „Free Float” auf jenen Teilbetrag der Marktkapitalisierung, der nicht bereits gebunden ist, sei es durch das Unternehmensmanagement oder von Regierungsstellen, und daher nicht an der Börse gehandelt wird. Oder sie reduzieren die Gewichtung weiter und berücksichtigen nur den Streubesitz von Aktien. <?page no="242"?> 242 11 Kapitel: Faktormodelle Abb. 43: Indextypen mit Beispielen Ein Beispiel: Eine hoch rentable Unternehmung, die einen Großteil ihrer periodischen Erträge an die Aktionäre ausschüttet, wird wenn überhaupt über die Zeit nur geringe Kurssteigerungen haben. Zudem werden die Kurse der Aktien vor dem Dividendenzahltermin kontinuierlich ansteigen, um dann nach der Ausschüttung sogleich nach unten korrigiert zu werden. Dagegen ist beim Total Return Index das Ausmaß der Ausschüttung unerheblich, da ohnehin alles wieder investiert wird. Folglich bleiben die beim Preisindex beobachteten Sprünge am Dividendenstichtag aus. Aufgrund der in vielen Ländern üblichen Besteuerung von Vermögenserträgen gibt der Total Return Index eventuell eine Rendite an, die der Anleger in seinem Portfolio nach Steuern nicht erreichen kann. Das ist bei einem Total Return Index besonders dann der Fall, wenn die zugrunde liegenden Aktien eine hohe Ausschüttungsquote haben. Wird ein Index als Indikator für die Entwicklung des Gesamtmarkts herangezogen, dann ist weiter die Breite der Zusammensetzung wichtig. So wird für eine Beurteilung des amerikanischen Aktienmarkts dem DJIA mit seinen nur 30 Titeln meist der S&P 500 vorgezogen, der das Marktgeschehen viel breiter abbildet. 11.1.3 Einfaktor-Modell Mit einem Faktormodell wird die Rendite k r einer Einzelanlage k erklärt. In seiner einfachsten Form wird ein linearer Zusammenhang zwischen der Rendite der Anlage k und einem Faktor F angenommen. Bei einer Betrachtung vergangener Zeitreihen von Renditen und Faktoren erscheinen diese als zufällig schwankende Größen, weshalb die Rendite mit k r und der Faktor mit F bezeichnet werden sollen - die Tilde (Schlange) über dem Symbol drückt aus, dass es sich um Zufallsvariablen handelt. Die Grundgleichung für ein Modell mit einem Faktor lautet: k k k k r = Alpha k bezeichnet den Achsenabschnitt, Beta k die Sensitivität der Rendite der Anlage k auf Schwankungen des Faktors F . Der Fehlerterm k e beschreibt jenen Teil der - DAX, MDAX, SDAX - SPI - Euro Stoxx Indices - ... Total Return Indices - SMI - S&P 500 - HSI - CAC 40 Preisindices Gewichtet Ungewichtet - Gewisse Immobilienindices - DJIA - Nikkei 225 - FTSE 100 - KLSE Composite - Topix 100 - ... <?page no="243"?> 11.2 Das CAPM 243 Schwankungen der Rendite k r , der nicht durch den Faktor F und das Modell erklärt werden kann. Diese Gleichung ist eine Modellannahme. Oft wird sie dann für alle Aktien eines gewissen Bereiches als gültig unterstellt, was durch einen Zusatz wie 1,2 ... k = , , n zum Ausdruck gebracht werden kann. Sowohl der jeweilige Achsenabschnitt als auch die Sensitivität und der Fehlerterm sind für jeden betrachteten Titel spezifisch. Hingegen ist der Faktor F für alle betrachteten Einzeltitel 1,2 ... k = , , n derselbe. Empirisch lässt sich meist nur ein Teil der Rendite k r auf den einen Faktor F und die unterstellte lineare Abhängigkeit zurückführen. Es gibt in der Wirklichkeit stets Schwankungen, die vielleicht von weiteren, in diesem Modell nicht berücksichtigten Faktoren abhängen oder die einfach zufällig sind. Sie werden durch k e erfasst. Aufgrund der Konstruktion sind aber der Faktor F und der Fehlerterm k e unkorreliert, das heißt 0 k Cov F, e = . Die Varianz der Rendite k r lässt sich unter Beachtung dieser Unkorreliertheit so umschreiben: k k k k k k Var r = Var 2 . Die Varianz der Rendite der Einzelanlage setzt sich aus zwei Größen zusammen, nämlich k 2 und k Var e . Die erste Größe, k 2 , ist jener Teil der Varianz der Rendite k r , der sich durch den Faktor F erklären lässt. Die zweite Größe, k Var e , ist die Varianz des Fehlerterms. Von daher wird gesagt: k 2 ist die durch das Modell erklärte Variation, während k Var e die durch das Modell nicht erklärte Variation, also die unerklärte Variation ist. In vielen Anwendungen hat der Faktor F die Bedeutung eines „Risikos”. Das ist typischerweise der Fall, wenn F einen Börsenindex beschreibt oder einen Wechselkurs zum Dollar oder eine andere, als wirtschaftliches Risiko gesehene Größe. Entsprechend wird k 2 als Faktorrisiko bezeichnet, während k Var e spezifisches Risiko genannt wird, weil es für die betrachtete Einzelanlage k spezifisch ist. 11.2 Das CAPM 11.2.1 Zum Capital Asset Pricing Model (CAPM) Die Idee, Faktormodelle für die Erklärung von Einzelrenditen heranzuziehen, geht wesentlich auf W ILLIAM S HARPE und seine Arbeiten 1964 zurück. Die Portfoliotheorie geht von n Einzelanlagen aus, deren zufällige Renditen 1 2 ... n r , r , , r durch die Verteilungsparameter (Erwartungswert, Standardabweichung, Korrelationen) beschrieben sein sollen. Außerdem soll eine Anlage zum Zinssatz i möglich sein. Wir wissen, dass in dieser von M ARKOWITZ und von T OBIN entwickelten Denkwelt die Investoren Risikoportfolios wählen, die alle identisch zusammengesetzt sind, und zwar so wie das Marktportfolio M . Das Marktport- <?page no="244"?> 244 11 Kapitel: Faktormodelle folio ist im Risk-Return-Diagramm als Tangentialportfolio an die Effizienzgrenze positioniert. Nun kann ein Faktormodell für diese Denkwelt formuliert werden. Als Faktor wird die Überrendite auf das Marktportfolio M betrachtet. Die zufällige Rendite auf das Marktportfolio sei mit M r bezeichnet. Der Faktor soll also M F = r i sein. Die Achsenabschnitte k sollen für sämtliche Titel mit der Rendite für die risikofreie Anlage übereinstimmen, k für 1,2 ... k = , , n . Das entsprechende Modell lautet: k k M k r = i + für 1,2 ... k = , , n . Das jeweilige Beta drückt die Sensitivität der Rendite des Einzeltitels in Bezug auf „den Markt“ aus. Denn die Überrendite eines jeden Einzeltitels k , also k r i , entspricht nach dem Faktormodell k M plus dem spezifischen Term k e . Wenn also die Überrendite des Marktportfolios in einer gewissen Zeitperiode beispielsweise +1% beträgt, dann ist die Überrendite ziemlich genau gleich k , wobei „ziemlich” darauf hinweist, dass noch das spezifische Risiko k e hinzukommt. Abb. 44: Die Überrenditen von vier Titeln (ZFS, Swisscom, Novartis, UBS) in Relation zur Überrendite des Marktes (SPI) in den Monaten Januar 1990 bis Januar 2016 (Datenquelle: Thomson Reuters Datastream) <?page no="245"?> 11.2 Das CAPM 245 Wenn hingegen die Überrendite des Marktportfolios in einer Periode gewisser Länge -1% beträgt, dann ist die Überrendite der Einzelaktie ziemlich genau gleich k . Betas größer als 1 drücken aus, dass der Einzeltitel stärker mit dem Markt schwankt, also eine „aggressive” Aktie ist. Betas kleiner als 1 zeigen, dass der entsprechende Titel, wieder vom spezifischen Risiko abgesehen, sich schwächer als der Markt mit diesem bewegt, also eine „defensive Aktie“ ist. Empirisch lassen sich die Betas mit Regressionen berechnen, indem für eine Reihe von Tagen, Wochen oder Monaten die historischen Überrenditen des Einzeltitels in Relation zu den Überrenditen des Marktportfolios gebracht werden. So ergibt sich eine Punktwolke. Die Punkte liegen nicht exakt auf einer Geraden, weil das spezifische Risiko hinzukommt. 11.2.2 CAPM und SML Wird nun auf beiden Seiten dieses Faktormodells der Erwartungswert genommen und berücksichtigt, dass bei der Regression die erwarteten Fehler alle gleich Null sind, dann entstehen daraus die Gleichungen: k k M E r = i + für 1,2 ... k = , , n . Diese Gleichungen sind die Aussage, die das CAPM trifft: Die Renditeerwartung einer jeden Einzelanlage ist gleich dem Zinssatz plus das jeweilige Beta multipliziert mit der Risikoprämie (des Marktportfolios). Das CAPM besteht somit aus n Gleichungen. Übrigens zeigt die Mathematik der Regressionsrechnung, dass k k, M k M = gilt, wobei diese Bezeichnungen gelten: k Standardabweichung der Rendite der Einzelanlage k , M Standardabweichung der Rendite des Marktportfolios, k, M Koeffizient der Korrelation zwischen der Rendite k r und der Marktrendite M r . Im Zähler der Bestimmungsgleichung für Beta steht das systematische Risiko der Einzelanlage k , im Nenner das Risiko des Marktes. Also ist Beta ein Maß für das relative systematische Risiko der Einzelanlage. Das Marktportfolio selbst hätte ein Beta 1/ 1 M M M . Einzelanlagen mit einem Beta größer als 1 haben demnach ein systematisches Risiko, das größer ist als das des Marktportfolios. Einzelanlagen mit einem Beta kleiner als 1 weisen ein systematisches Risiko auf, das geringer ist als das des Marktportfolios. Nach dem CAPM ist der Zinssatz die Basis der Entschädigung für die zeitliche Überlassung finanzieller Ressourcen. Ist eine Kapitalanlage mit einem systematischen Risiko verbunden, dann darf der Investor zusätzlich eine Prämie erwarten, die proportional zum systematischen Risiko ist, proportional zum Beta der jeweiligen Kapitalanlage. Die Proportionalitätskonstante ist gleich der Über- <?page no="246"?> 246 11 Kapitel: Faktormodelle rendite des Marktportfolios, also der Risikoprämie - die wir mehrfach und mit Fragezeichen versehen mit 4% bis 5% beziffert haben. Zahlenbeispiele: Eine Einzelanlage A habe ein Beta von 1,2, der Zinssatz sei 5% und ebenso sei die Risikoprämie 5%. Gemäß dem CAPM kann bei der Einzelanlage A eine Rendite von 11% erwartet werden. Eine Einzelanlage B habe ein Beta von 0,8, der Zinssatz sei wieder 5% und ebenso sei die Risikoprämie 5%. Gemäß dem CAPM kann bei der Einzelanlage B eine Rendite von 9% erwartet werden. Eine Einzelanlage C habe ein Beta von -0,6 (was möglich ist, wenn der Korrelationskoeffizient negativ ist und was bei Gold tatsächlich der Fall ist). Mit den genannten Daten für den Zinssatz und die Risikoprämie liefert das CAPM für die Einzelanlage C eine Rendite von 2%. Offensichtlich genügt das den Investoren, weil die Anlage C eine so gute Diversifikation bietet. Abb. 45: Betas für große Unternehmen in Deutschland, jeweils geschätzt aufgrund der Monatsrenditen Januar 1990 bis August 2016. Die Renditen des DAX dienten als Proxy für das Marktportfolio. <?page no="247"?> 11.2 Das CAPM 247 Aktien von Banken und Versicherungsgesellschaften weisen hohe Betas auf. Dies bedeutet, dass diese Aktien überdurchschnittlich stark mit dem Gesamtmarkt schwanken. Sie haben ein hohes systematisches Risiko. Wie begründet sich der mit dem CAPM als Formel ausgedrückte Sachverhalt, dass an den Finanzmärkten nur systematische Risiken bewertungsrelevant sind? Hierzu diese Überlegung: Ein Anleger geht mit jedem Einzeltitel in seinem Portfolio sowohl systematische als auch unsystematische Risiken ein. Hat er genügend Mittel, kann er sein Portfolio so gut diversifizieren, dass er schließlich praktisch das Marktportfolio hält. Dieses weist nur das systematische Risiko auf. Folglich lassen sich mit Diversifikation die unsystematischen Risiken ausgleichen und müssen im Finanzmarkt nicht mit einer Risikoprämie entschädigt werden. Die Gleichungen im CAPM werden oft grafisch dargestellt. Es zeigt sich, dass alle Einzelanlagen oder Wertpapiere (Securities) auf einer Geraden positioniert werden, der so genannten Wertpapierlinie (Securities Market Line, SML). Die Wertpapierlinie (SML) darf nicht mit der Kapitalmarktlinie (CML) verwechselt werden. Die CML ist eine Gerade im Risk-Return-Diagramm, wobei als Risk für die Positionierung die Standardabweichung der Einzelanlagen dient. Die Einzelanlagen sind unterhalb der CML positioniert. Die SML dagegen ist eine Gerade im Diagramm, in dem als Abszisse Beta dient, also das systematische Risiko. Wir sprechen vom Beta-Return-Diagramm. Die SML gibt für jedes Niveau von Beta die nach dem CAPM zu erwartende Rendite wieder. Alle Einzelanlagen liegen auf der SML. Abb. 46: Nach dem Capital Asset Pricing Model werden alle Einzeltitel (Securities) im Beta-Return- Diagramm auf einer Geraden, der Security Market Line, positioniert. 11.2.3 Zur empirischen Validität Wie gut beschreibt das CAPM die Realität? Das CAPM hat eine doppelte Natur. Erstens kann das CAPM als ein willkürlich formuliertes Faktormodell aufgefasst werden. Ein Faktormodell ist zunächst ein Postulat, dessen Bewährungsprobe mit empiri- <?page no="248"?> 248 11 Kapitel: Faktormodelle schen Daten noch anzutreten ist. Dazu werden dann die im CAPM auftauchenden Parameter wie die Renditeerwartungen und Betas aus historischen Renditen geschätzt. Sicher gibt es gewisse Schätzfehler, und vielleicht trifft der zugrunde gelegte Index das Marktportfolio nicht genau, sondern ist nur eine Näherung (Proxy). Zweitens zeigen mathematische Umformungen derjenigen Optimalitätsbedingungen, die das Marktportfolio in seiner Optimalität als Tangentialportfolio auf der Markowitzschen Effizienzgrenze charakterisieren, dass das CAPM exakt gilt. Allerdings gelten die CAPM-Gleichungen für die wahren Verteilungsparameter der Renditen, für die wahren Betas und für das wahre Marktportfolio. Diese Größen kennt man zwar, wenn man sie sich in einer Beispielrechnung einfach vorgibt, nicht jedoch, wenn man in der Realität mit wirklichen Finanzmarktdaten arbeitet. Denn dann sind die Parameter nur Schätzungen und mit einem Schätzfehler behaftet. Das CAPM trifft eine (exakt gültige) Aussage für die wahren Betas, die wahren Renditeerwartungen und das wahre Marktportfolio. Um diesen Sachverhalt zu unterstreichen, wird auch von einer Ex-Ante-Betrachtung gesprochen. In der Praxis werden jedoch historische Renditen zur Schätzung der im Modell benötigten Parameter herangezogen. Bei Anwendungen wird das CAPM also stets in einer Weise verwendet, die mit dem Attribut ex post beschrieben wird. Aufgrund der Schätzfehler kann der Fall eintreten, dass die mittleren Renditen der Einzelanlagen nicht mehr (exakt) auf einer Geraden liegen. Zudem ist das wahre Marktportfolio nicht (genau) bekannt. In der Praxis zieht man sich darauf zurück, es durch einen Börsenindex zu ersetzen. R ICHARD R OLL (1977) bemerkte: Weil das (wahre) Marktportfolio unbekannt ist, kann das CAPM eigentlich nicht empirisch getestet werden. Denn es können zwei Situationen eintreten: Das CAPM ist eigentlich wahr, doch seine Eignung zur Beschreibung der Realität wird verworfen, weil die anhand ihrer mittleren historischen Renditen positionierten Titel nicht genau auf einer Geraden liegen. Das CAPM ist eigentlich falsch, doch seine Eignung zur Beschreibung der Realität wird als hoch beurteilt. Das positive Urteil ist aber vielleicht nur deshalb zustande gekommen, weil die verwendete Proxy zufällig zu einer Punktwolke führt, die einer Geraden gleicht, während hinsichtlich des wirklichen Marktportfolios die Titel nicht auf einer Geraden (SML) liegen würden. Bei den empirischen Arbeiten wurde auch entdeckt, dass die (anhand historischer Daten) geschätzten historischen Betas stark von der Länge des beobachteten Zeitfensters abhängen. Folgende Beobachtungen wurden gemacht: Die historischen Betas sind nicht zeitstabil. Zu unterschiedlichen Zeitpunkten durchgeführte Berechnungen von Betas führen in der Regel zu unterschiedlichen Werten. Die Betas schwanken mit dem Zeitfenster. Aufgrund von Daten hoher Frequenz (Intraday-Daten sowie Tagesdaten) ermittelte Betas sind wegen der Zufälligkeit der kurzfristigen Schwankungen eher kleiner als Betas tieferer Periodizität (Wochen-, Monats-, Quartals-, Jahresdaten). Die historischen Betas dürfen daher nicht vorbehaltlos als Schätzer für die wahren Betas genommen werden. Diverse Adjustierungen wurden vorgeschlagen. <?page no="249"?> 11.2 Das CAPM 249 In den vierzig Jahren seit der Entdeckung des CAPM wurden ungezählte empirische Tests durchgeführt. Alle Tests gehen von Schätzungen der Parameter aus sowie von einer Proxy für das Marktportfolio. Denn weder sind die wahren Parameter noch ist das wahre Marktportfolio bekannt, auf das sich das CAPM bezieht. Ein Urteil über die empirische Gültigkeit des CAPM ist daher letztlich nicht möglich, wie die erwähnte Kritik von R OLL unterstreicht. Gleichwohl haben sich verschiedene Beiträge mit der Gültigkeit des CAPM und der Stabilität der Betas sowie der Eignung des CAPM für Renditeprognosen auseinandergesetzt. Die empirische Evidenz fällt gemischt aus. Zwar wurde bestätigt, dass Beta ein wichtiger erklärender Faktor ist, und dass Beta vielfach als einziger Faktor gute Dienste leistet. Dennoch zeigen die Forschungen, dass andere Faktoren oder Kombinationen anderer Faktoren die Renditen von Aktien in gewissen Zeitabschnitten besser erklären können. Bekannt sind Beiträge von F AMA und F RENCH (1992, 1995). Sie haben empirisch belegt, dass die Unternehmensgröße in Kombination mit dem Marktwert-Buchwert-Verhältnis als Faktoren in einem Dreifaktor-Modell zusammen mit dem Marktfaktor dem CAPM (mit dem einen Faktor „Überrendite des Marktportfolios”) überlegen sind. Abb. 47: Wie genau liegen die Renditen der Aktien auf einer Geraden, auf der SML? Durchschnittliche Renditen und historische Betas der im DJIA erfassten 30 Einzeltitel (Betas in Bezug auf den S&P 500, Zeitraum 1990-2019). F AMA und F RENCH haben eine besondere empirische Vorgehensweise eingesetzt, um die Relevanz von Faktoren deutlicher herauszuarbeiten. Sie haben Long-Short-Portfolios betrachtet und deren Renditen ermittelt. Der Faktor Unternehmensgröße beispielsweise wurde dadurch quantifiziert, dass von der Rendite der Gruppe kleiner Unternehmen die Rendite der Gruppe großer Unternehmen abgezogen wurde. Dieser Faktor wird als Small minus Big (SMB) bezeichnet. Ähnlich wurde der Faktor Marktwert-Buchwert-Verhältnis dadurch quantifiziert, dass von der Rendite der Gruppe von Unternehmen mit einer hohen Relation von Buchwert zu Marktwert (geringes Kurs-Buchwert-Verhältnis KBV) die Rendite der <?page no="250"?> 250 11 Kapitel: Faktormodelle Gruppe von Unternehmen mit einer geringen Relation von Buchwert zu Marktwert (hohes Kurs-Buchwert-Verhältnis KBV) abgezogen wurde. Der so quantifizierte Faktor heißt High minus Low (HML). 11.3 Aktien- und Bondmärkte zusammen 11.3.1 Veränderungen der Relation zwischen Aktien und Bonds Der Wert von Aktien ist genau wie der von Anleihen gleich den diskontierten Zahlungen, die zu erwarten sind. Allerdings hängt der jeweilige Diskontsatz davon ab, wie allgemein im Markt die Risiken der zukünftigen Zahlungen eingeschätzt werden. Der für die Bewertung von Aktien oder von Unternehmen anzuwendende Diskontsatz ergibt sich aus derjenigen Rendite, die im Finanzmarkt bei einer entsprechenden Aktienanlage erwartet wird. Diese Rendite kann mit dem CAPM näher bestimmt werden. Die erwartete Überrendite errechnet sich als das Beta multipliziert mit der Überrendite des Marktportfolios oder des Indexes. Die Rendite selbst verlangt, den Zinssatz zu addieren. Der Zinssatz wirkt demnach sowohl bei Aktien als auch bei Anleihen als eine wesentliche, die Werte bestimmende Größe. Ändert sich das Zinsniveau, dann sollten sich die Werte von Aktien und von Anleihen folglich in der gleichen Richtung ändern: Bilden sich die Zinssätze zurück, nehmen die Werte von Aktien und die von Anleihen zu, und es sollte infolgedessen bei beiden Kategorien von Wertpapieren zu gleich gerichteten Kursänderungen kommen. Ganz ähnlich sollten Erhöhungen des Zinsniveaus bei beiden Kategorien zu Kursrückgängen führen. Eine Börsenregel drückt dies in den Worten aus: „Hohe Zinsen sind Gift für die Aktienmärkte“ und ebenso gibt bei Zinssteigerungen der Rentenmarkt nach. Zwar sind hohe nominale Zinssätze am langen Ende häufig im Aufschwung und im Höhepunkt der Konjunktur zu beobachten, weil die Unternehmen dann viel Kapital nachfragen. Einer Überhitzung der Wirtschaft und dem durch den Zinsanstieg eventuell begünstigten Inflationsanstieg begegnen die Zentralbanken mit einer restriktiven Geldpolitik. Obschon diese primär am kurzen Ende der Zinskurve wirkt, führt sie letztlich zu einem Anstieg der gesamten Zinskurve und damit zu einer Verteuerung der Kreditkonditionen insgesamt. Die Folge davon ist ein Rückgang des von den Geschäftsbanken an die Unternehmen vergebenen Kreditvolumens. Jedenfalls reagieren sowohl Renten als auch Aktien zinssensitiv und zwar auf ähnliche Weise. Aufgrund ihrer begrenzten Laufzeiten reagieren die Renten im Durchschnitt eher auf mittelfristige Zinsen, die Aktien dagegen auf Änderungen der Zinssätze am langen Ende. Die Tendenz zur Gleichrichtung der Bewegung zeigt sich in der über längere Beobachtungszeiträume positiven Korrelation zwischen Aktien- und Bondrenditen. Eine positive Korrelation zwischen den Aktien- und den Anleihekursen stellt den historischen Normalfall dar. <?page no="251"?> 11.3 Aktien- und Bondmärkte zusammen 251 Allerdings können die beschriebenen Zusammenhänge durch extreme Gewinnerwartungen oder durch abnormale Risikoaversionen überkompensiert werden: So müssen bei sinkenden Zinsen die Aktienkurse nicht notwendigerweise ansteigen, wenn die Gewinnerwartungen tief und die Unsicherheiten der Anleger hoch sind. Als Beispiel diene die Entwicklung im Zeitraum zwischen den Jahren 2000 und 2004. Dasselbe gilt für eine Geldpolitik mit hoher Signalwirkung, wenn diese in ihrem Resultat schwierig abzuschätzen ist: So kann eine expansive Geldpolitik zu einer positiven Marktstimmung und zu hohen Aktienkursen führen, selbst wenn dadurch die Inflationsgefahr längerfristig ansteigt und es keine veränderten Gewinnerwartungen gibt. Der Effekt beruht im Wesentlichen auf einer Verbilligung der Finanzierungskosten. Dies galt etwa für die USA im ersten Halbjahr 2003 sowie nach der Finanzkrise von 2008. Indes kann eine expansive Geldpolitik für die Märkte ein Signal dafür sein, dass selbst die Zentralbanker schwierige Zeiten erwarten. In einem solchen Szenario wird der geldpolitische Impuls wirkungslos verpuffen. Beispiele sind Japan in den 1990er Jahren sowie Europa im Jahr 2002. Die Folge davon ist eine Entwicklung, in der sich die Richtung der Relation zwischen den Aktienrenditen und Bondrenditen verändert. Abb. 48: Renditedifferenzen zwischen Aktien und Bonds 1980-2019 Beispiel: Aktien- und Bondrenditen: Von März bis August 2003 erlebten die meisten europäischen Aktienmärkte nach einer langen Baisse einen Aufschwung. Parallel dazu sind infolge der historisch sehr tiefen Zinsen die Bondkurse angestiegen. Dies, obschon von vielen Marktbeobachtern vor einem Platzen der Preisblase in Anleihen gewarnt wurde. Diese Entwicklung entspricht dem Normalfall. Dagegen waren die Jahre von 2000 bis 2002 größtenteils durch eine negative Korrelation zwischen Aktien- und Anleihekursen gekennzeichnet. Warum? Im Zuge der als New Economy bezeichneten Situation gab es stark <?page no="252"?> 252 11 Kapitel: Faktormodelle positive Gewinnerwartungen, die nach dem Platzen der Preisblase sich in tiefe Gewinnerwartungen kehrten. Die ab März 2003 zu beobachtende Erholung an den Aktienmärkten lässt sich nicht alleine den allenfalls wieder positiveren Gewinnerwartungen zuschreiben, da die Renditen am langen Ende als Indikator für einen Aufschwung immer noch zu tief waren. Vielmehr dokumentierte die beispiellose Serie an Zinssenkungen durch die USamerikanische Zentralbank (Federal Reserve Bank) und andere Zentralbanken nach Januar 2001 den Willen, die Zinsen tief zu halten und dadurch die labile Konjunktur zu stützen. Während dies, wie gezeigt, zu hohen Bondkursen geführt hat, erscheinen für die Aktienkursentwicklung eher spekulative Gründe ausschlaggebend. Denn eine expansive Geldpolitik kann längerfristig zu mehr Inflation und dadurch nicht nur zu höheren Nominalzinsen, sondern ebenso zu einem schwächeren Dollar führen. Dies wiederum dämpft den Zufluss ausländischer Portfolioinvestitionen und damit den Aufschwung an den Aktienmärkten. Beispiel: Der Einfluss makroökonomischer Daten auf Aktien und Bonds: Der Einfluss von neuen Informationen auf die Finanzmärkte hängt von den Erwartungen der Marktteilnehmer und vom Zustand ab, in dem sich die Märkte befinden. Typischerweise reagieren die Aktienkurse in einer frühen Phase des Konjunkturzyklus positiv auf gute makroökonomische Daten. Positive Nachrichten in einer späten Phase des Konjunkturzyklus können jedoch zu Verkaufsorder führen, weil viele Aktionäre „Kasse machen“ nach der Empfehlung „sell on good news“. Beispiel: Aktienkurse und Credit-Spreads: In den Jahren 2000 bis 2003 verzeichneten die Indizes an den meisten Aktienmärkten Verluste zwischen 30% und 50%. In diesem Zeitraum wurden die Konjunkturaussichten jedoch häufig als gar nicht so schlecht bezeichnet, zumindest deuteten die steilen Zinskurven sowie die vergleichsweise tiefen Kurs-Gewinn- Verhältnisse lange auf einen beginnenden Aufschwung hin. Trotzdem aber blieb die Erholung aus. Ein Grund kann darin gesehen werden, dass die Kurse an den Aktienmärkten nicht nur von den Zinsen, sondern ebenso von den Risikoprämien abhängen. Diese lassen sich an den Aktienmärkten zwar nicht direkt beobachten, dafür jedoch an den Anleihemärkten ablesen. In der Tat zeigt sich, dass die Kreditaufschläge an den Bondmärkten in den Jahren 2002 und 2003 weit über den langjährigen Durchschnittswerten lagen. Sie sind mit den Einbrüchen an den Aktienmärkten stark positiv korreliert. In der Beurteilung zu erwartender Aktienrenditen spielen nicht nur die konjunkturellen Aussichten, sondern ebenso die Risikoeinschätzungen der Marktteilnehmer eine entscheidende Rolle. 11.3.2 Decoupling zwischen Aktien und Bonds Aufgrund dieser Einflüsse - Zinsentwicklung, Gewinnerwartungen, Risikoaversion - kann es geschehen, dass die im Normalfall positive Korrelation zwischen Aktien und Bonds über die Zeit nicht stabil ist, ja zuweilen sogar negativ wird. Als Beispiel werden auf Basis von 36- Monats-Fenstern die Korrelationen zwischen Aktien- und Bondrenditen für die Märkte Schweiz, Deutschland, Großbritannien und USA berechnet und in Bild 49 gezeigt. In der Tat zeigt sich dabei, dass die Korrelationen über lange Zeiträume auf hohen Niveaus sind, was die Gleichrichtung der Aktien- und Bondrenditen bestätigt. Des Weiteren sind in Bild 49 zwei Besonderheiten erkennbar: <?page no="253"?> 11.3 Aktien- und Bondmärkte zusammen 253 Abb. 49: Korrelationen zwischen Aktien und Bonds 1982-2019 Niveau der Korrelationen: Die Korrelationen in UK und den USA sind im Vergleich zu Deutschland und insbesondere zur Schweiz wesentlich höher. In ersteren liegt sie über längere Zeiträume bei 0,8, in der Schweiz bei 0,4. Der Zusammenhang zwischen Aktien- und Anleihemärkten ist in verschiedenen Ländern unterschiedlich stark ausgeprägt. Die tiefe Korrelation in der Schweiz lässt sich insbesondere darauf zurückführen, dass auf der einen Seite der Aktienmarkt sehr international ausgerichtet ist und daher ein international vergleichbares Niveau realer Renditen aufweist, während der Anleihemarkt unter dem Einfluss des vergleichsweise tiefen Zinsniveaus steht und daher eher einen nationalen Markt darstellt. Veränderungen der Korrelationen über die Zeit: Ferner gibt es offensichtlich stabile und instabile Phasen. Auffällig ist insbesondere der starke Einbruch der Korrelationen nach dem Crash 1987 sowie der Rückgang nach 1998. Die Zeit nach der Asienkrise 1997 und der Russlandkrise 1998 war ab 2000 durch eine negative Marktentwicklung an den Aktienmärkten gekennzeichnet. In fallenden Märkten ist die Korrelation zwischen Aktien- und Bondrenditen tief, was für den Investor eine willkommene Eigenschaft darstellt. Rahmenbedingungen: Das Beispiel Deutschland zeigt, dass sich die Korrelationen zwischen Aktien- und Bondrenditen nicht in allen Ländern gleichgerichtet entwickeln müssen. Ursachen dafür liegen in Differenzen im Branchenmix und beim Wirtschaftswachstum. Als Normalfall darf eine positive und durchaus hohe Korrelation zwischen Aktienrenditen und Bondrenditen angesehen werden. Doch dieser Zusammenhang wird durch Gewinnerwartungen, Risikoaversionen und die Geldpolitik gelegentlich verändert (Decoupling). <?page no="254"?> 254 11 Kapitel: Faktormodelle Die seit 1997 stark gesunkenen Korrelationen liefern Evidenz für eine solche Situation. Parallel dazu zeigt sich, dass dieser Rückgang gerade in Phasen fallender Aktienmärkte für die Investoren mit einem gemischten Portfolio einen gewissen Schutz bietet. Hinzu kommt, dass langfristig die Teuerung durch die Gesamtrenditen auf Aktien und Obligationen zwar kompensiert wird. Kurzfristig kann jedoch ein Anstieg der Inflation zu einem Absinken der Realrenditen führen. Interessant ist, dass dieser Effekt nicht nur auf den Anleihemärkten zu beobachten ist, sondern ebenso auf den Aktienmärkten. Offenbar bedeutet eine Veränderung der Inflation eine höhere Prognoseunsicherheit. Diese führt zu größeren Risikoprämien. 11.4 Fazit zum Kapitel Faktormodelle 11.4.1 Zusammenfassung Faktormodelle dienen dazu, zufällige Aktienrenditen in einen Bezug zu gewissen Einflussfaktoren zu bringen, die sie dann „erklären“. Das Einfaktor-Modell modelliert den Zusammenhang zwischen den Renditen der einzelnen Aktien und der Rendite des gesamten Marktes. Dieses Einfaktor-Modell führt auf das Capital Asset Pricing Model (CAPM). Das CAPM erlaubt, aus der Risikoprämie die erwartete Überrendite einer Einzelaktie zu berechnen. Es kommt dabei auf das Beta der Einzelaktie als Proportionalitätsfaktor an. Das Beta drückt das systematische Risiko des Einzeltitels in Relation zum Marktportfolio aus. Typische Betas von Aktiengesellschaften liegen zwischen 0,5 und 1,5, doch für gewisse Zeitfenster können die empirischen Daten auf kleinere und größere Betas führen. Man weiß um diese Probleme und nimmt bei der Schätzung der Betas Adjustierungen vor. In einem Portfolio, das aus Aktien und Anleihen zusammengestellt ist, sind die Korrelationen zwischen den Aktienrenditen und den Bondrenditen wichtig für die Diversifikation. Üblicherweise wird gedacht, dass Aktienrenditen und Bondrenditen positiv miteinander korreliert sind und bei Zinsänderungen gleichgerichtet variieren. Interessant ist deshalb die Beobachtung der Entkopplung (Decoupling): In besonderen Situationen bewegen sich die Kurse von Aktien und von Anleihen in unterschiedliche Richtung, so dass dann zwischen Aktien und Anleihen gut diversifiziert werden kann. Für diese Entkopplung gibt es makroökonomische Gründe. Dazu gehören extreme Gewinnerwartungen, eine abnormale Risikoaversion sowie eine Geldpolitik mit hoher Signalwirkung. Die Entkopplung bietet Anlegern Schutz, wenn sie Aktien und Anleihen kombinieren. Anders ausgedrückt: Selbst wer das Geld nur in Anleihen anlegen möchte, sollte ein paar Aktien zur Diversifikation des Zinsrisikos der Anleihen kaufen. Und wer am liebsten eine Aktienquote von 100% hätte, sollte dennoch vielleicht nur 90% in Aktien investieren und 10% in Anleihen, weil so ein Teil des Aktienrisikos, nämlich die durch Zinsänderungen bewirkten Kursänderungen, durch entgegengesetzte Kursänderungen bei den Anleihen ausgeglichen wird. <?page no="255"?> 11.4 Fazit zum Kapitel Faktormodelle 255 11.4.2 Lernpunkte 1. Wie ein Faktormodell durch eine Formel ausgedrückt wird, und welche Faktoren gewählt werden, wenn damit Aktienrenditen erklärt werden sollen. 2. Das Capital Asset Pricing Model (CAPM) bringt die Renditeerwartungen von Einzelanlagen in Relation zur Risikoprämie (des Marktportfolios). Die Betas drücken die relativen systematischen Risiken aus. 3. Ein Zinsanstieg wirkt tendenziell sowohl auf die Aktienals auch auf die Bondkurse negativ. Der Grund liegt in den Finanzierungskosten, den Diskontraten und den Nachfrageimpulsen. Die Korrelation zwischen Aktien und Bonds ist im Regelfall positiv. Dieser Zusammenhang wird jedoch durch Gewinnerwartungen, Risikoaversionen und die Geldpolitik verändert. Empirische Tests zeigen, dass Aktienrenditen kaum seriell autokorreliert sind. 11.4.3 Erwähnte Personen B ENJAMIN G RAHAM , D AVID D ODD , W ILLIAM S HARPE , H ARRY M ARKOWITZ , J AMES T OBIN 11.4.4 Schlüsselbegriffe Capital Asset Pricing Model (CAPM), Decoupling (zwischen Aktien und Bonds), Einfaktor-Modell, Faktormodelle, Indizes, Wertpapierlinie (Security Market Line, SML). 11.4.5 Fragen zur Lernstandskontrolle 1. Wie hängen Renditeerwartung und Kapitalkosten zusammen? [Antwort: Abschnitt 11.1.1] 2. Vergleichen Sie die Definitionen von „Dow Jones“ DJIA und Deutscher Aktienindex Dax! a) Handelt es sich um Preisindizes, die das Kursniveau anzeigen, oder um Indizes, die den „Total Return“, also die Gesamtrendite erkennen lassen? b) Sind sie gewichtet oder nicht? c) Gibt es auch ungewichtete Total Return Indizes? [Antwort: Abbildung 43 in 11.1.2] 3. a) Wie hängen das Einfaktor-Modell (mit der Überrendite auf das Marktportfolio als Faktor) und das CAPM zusammen? [Antwort: Abschnitte 11.1.1 und 11.2.1]. b) Wie sind die Kapitalmarktlinie CML und die Wertschriftenlinie SML definiert? [Antwort: Abschnitt 11.2.2]. c) Sind alle Einzelanlagen auf der CML positioniert? [Antwort: Abschnitt 11.2.2]. d) Sind sie alle auf der SML positioniert? [Antwort: Abschnitt 11.2.2]. e) Kann das Beta des Marktportfolios als Steigung der CML oder als die der SML angesehen werden? [Antwort: Nein, das Beta des Marktportfolios ist 1, die Steigung der SML ist gleich der erwarteten Überrendite des Marktportfolios (etwa 4-5%), und die Steigung der CML ist der Erwartungswert der Überrendite des Marktportfolios in Relation zum Risk des Marktportfolios, also etwa gleich 1/ 5]. <?page no="256"?> 256 11 Kapitel: Faktormodelle 4. Welche Portfolios werden mit SMB und mit HML abgekürzt, und wofür stehen diese Abkürzungen? [Antwort: Abschnitt 11.2.3]. 5. a) Was wird unter „Decoupling zwischen Aktien und Bonds“ verstanden? b) Ist die Korrelation zwischen Aktien- und Bondrenditen eher in steigenden oder in fallenden Märkten gering oder sogar negativ? [Zur Lösung siehe Abschnitt 11.3] <?page no="257"?> 12. Kapitel: Swaps, Futures, Optionen Swaps sind Verträge, mit denen finanzielle Positionen getauscht werden. Futures sind standardisierte Terminkontrakte, die an einer besonderen Börse gehandelt werden. Optionen kombinieren ein Termingeschäft mit einem Wahlrecht, das der Optionsinhaber ausüben kann. Funktionen und Typen derivativer Kontrakte Instrumente und Charakteristika Hedging Derivative Kontrakte wie Swaps, Terminkontrakte und Optionen beziehen sich auf einen Basiswert (Underlying). Swaps und Terminkontrakte Mittels Payer-Swaps und Receiver-Swaps sowie mittels Forwards und Futures lassen sich Risiken zwischen zwei Parteien transferieren. Optionen Optionen wie z.B. Call-Optionen oder Put- Optionen bieten dem Inhaber ein Wahlrecht. 12.1 Hedging 12.1.1 Die Kapitalanlage ausklammern Anleihen und Aktien können eine Basis bieten, auf der weitere Finanzverträge formuliert, als Wertpapier gestaltet und gehandelt werden können. Die Kursentwicklung der neu definierten Wertpapiere hängt dann von der Kursentwicklung der ihnen zugrunde liegenden Anleihen und Aktien ab. Sie leitet sich daraus ab, ist mithin derivativ - im Lateinischen bedeutet „derivare” so viel wie „ableiten”. Die derart auf der Basis von Anleihen und Aktien definierten Finanzkontrakte heißen daher Derivate. Die den Derivaten zugrunde liegenden Finanzinstrumente, auf deren Kursentwicklung es ankommt, werden Underlying oder Basiswert genannt. Bei den Basiswerten handelt es sich neben Anleihen und Aktien um Währungen sowie um aus ihnen gebildete Portfolios, die als Basket bezeichnet werden. Oft werden die Basiswerte zu Indizes zusammengefasst, und die Derivate beziehen sich dann auf solche Indizes als Underlying. Des Weiteren gibt es Derivate, die sich auf die Lieferung von Rohstoffen und von Energie als Basiswerte beziehen. Beispiel: Jemand kauft eine Anleihe, die aufgrund von Zinsänderungen ein Jahr später einen Kurs von entweder 101 oder 99 Euro haben dürfte, jeweils mit Wahrscheinlichkeit <?page no="258"?> 258 12 Kapitel: Swaps, Futures, Optionen 1/ 2. Vielleicht möchte sich der Anleger absichern. Man könnte dazu ein Zinsderivat betrachten, einen Vertrag, bei dem der Inhaber des Derivats (die eine Vertragsseite) als heutigen Einsatz 2 Euro zahlt und dafür in einem Jahr als Betrag 2 Euro plus die Differenz zwischen 100 Euro und dem Kurs der Anleihe (von der anderen Vertragsseite) erhält. Steht dann der Anleihekurs bei 99 Euro, so erhält der Inhaber des Zinsderivats 3 Euro. Steht der Anleihekurs bei 101 Euro, erhält der Inhaber des Zinsderivats 1 Euro. Insgesamt hat das aus Anleihe und Derivat bestehende Portfolio den konstanten Wert von 100 Euro. Wer im Beispiel die eine Vertragsseite einnimmt, liegt auf der Hand. Wir alle wollten uns gern absichern, weil wir risikoavers sind. Die Frage entsteht, wer dagegen bereit ist, die andere Vertragsseite einzunehmen. Nun, vielleicht ist dazu eine Investmentbank bereit. Immerhin kann sie 2 Euro anlegen und erhält dafür den Zins. Außerdem könnte der anfängliche Einsatz für das Derivat nicht 2 Euro, sondern 2,05 Euro betragen. Dann könnte ein Anleger nicht 100 Euro sicher erhalten, wohl aber 99,95 Euro. Womöglich fänden das viele Anleger immer noch vorteilhaft. Und die Investmentbank könnte diese Derivate über viele Jahre hinweg verkaufen, hätte einen Zinsgewinn, jeweils weitere 0,05 Euro und die Unsicherheiten würden sich in der langen Frist weitgehend ausgleichen. Vielleicht gibt es auch Personen, die hinsichtlich des Derivats die Position der Investmentbank einnehmen wollen. Um dies zu veranschaulichen wird das eben gegebene Beispiel fortgeführt. Jemand denkt aufgrund eigener Informationen, dass eine Kurssteigerung der Anleihe auf 101 Euro wahrscheinlicher sei als eine Kursreduktion auf 99 Euro. Die Person möchte ihre „vom Markt“ abweichende Information umsetzen. Natürlich könnte sie die Anleihe kaufen und sich freuen, wenn angesichts der vermeintlich höheren Wahrscheinlichkeit der Kurs tatsächlich auf 101 Euro steigen sollte. Doch die Person möchte ihre persönliche Information noch stärker einbringen und bietet daher an, bei dem Derivat die Gegenseite zu übernehmen. Das heißt, sie nimmt 2 Euro sofort entgegen und 1 Euro später, sollte der Kurs auf 101 Euro gestiegen sein. Nur im Fall, dass (entgegen der eigenen Erwartung) dieser 99 Euro beträgt, zahlt die Person 3 Euro aus. Die Person ist von ihrer Einschätzung der Wahrscheinlichkeiten so überzeugt, dass sie gleich 50 solche Derivate eingeht, wozu sie 100 Euro auszahlt. Steigt die Anleihe im Kurs auf 101 Euro, dann hätte die Person aus ihrer Derivatposition ein Gesamtergebnis von 150 Euro. Fällt der Kurs des Basisinstruments auf 99 Euro, würde das Gesamtergebnis nur 50 Euro betragen. Doch sie denkt eben, der erste Fall sei wahrscheinlicher. In dieser Situation könnte die Investmentbank sich als Market-Maker betätigen und die Zinswetten jeder Richtung zusammenführen. Der Handel von Derivaten ist natürlich unterschiedlich organisiert. Derivate haben besonderen Erfolg, wenn sie als Wertpapier verbrieft werden und ein liquider Handel erfolgt. Derivate betonen Kursänderungen beim Basisinstrument, während die für Basisinstrumente typische Überlassung von Kapital in der Zeit ausgeklammert bleibt. Deshalb eignen sich Derivate gut für Finanzinvestoren und Finanzakteure, die sich gegen Kursänderungen absichern (hedgen) wollen oder die auf Kursänderungen spekulieren. Hedger und Spekulanten sind die beiden Vertragsparteien von Derivaten, die aufgrund unterschiedlicher Ausgangslagen, Rahmenbedingungen, Präferenzen oder einer individuellen Einschätzung der Kursentwicklungen zusammenfinden. <?page no="259"?> 12.1 Hedging 259 12.1.2 Swaps, Futures, Optionen Die wichtigsten Typen von Derivaten sind Swaps, Terminkontrakte (Forwards) und Futures sowie Optionen. Bei einem Swap werden Zinszahlungen getauscht, nicht aber die nominalen Geldbeträge, auf die sich die Zinszahlungen beziehen (bei Währungsswaps werden auch der Nominalbetrag in unterschiedlicher Währung getauscht). Terminkontrakte sind uns bereits begegnet: Sie vereinbaren einen Kauf beziehungsweise Verkauf des Underlyings, wobei die Transaktion (Zahlung und Lieferung) zu einem festgelegten Zeitpunkt in der Zukunft abgewickelt wird. Ein Future ist ein standardisierter Terminkontrakt (Forward), bei dem die eine Vertragsseite eine Börse ist, die Wertänderungen des Kontrakts börsentäglich abrechnet. Optionen sind Terminkontrakte oder Futures, bei denen eine Vertragsseite bis zum Fälligkeitstermin oder innerhalb einer gewissen Frist noch wählen kann, ob die Transaktion (Zahlung und Lieferung) ausgeführt werden soll oder nicht. Zinsswaps werden bilateral zwischen Banken sowie zwischen großen Banken und Kunden (Versicherungen, Unternehmen, kleinere Banken) abgeschlossen. Ein Kunde, der Payer oder Receiver eines Swaps mit einer großen Bank ist, kann seine vertragliche Position zwar nicht einfach wie ein Wertpapier auf einem Sekundärmarkt einem Dritten übergeben, doch der Kunde kann den Vertrag schließen, wozu die große Bank den Swap bewertet und die entsprechenden Ausgleichszahlungen verlangt oder vornimmt. Wäre der Kunde mit dieser Bewertung nicht einverstanden, hätte er immerhin die Möglichkeit, die weiteren im Swap vereinbarten Zahlungen durch einen neuen Swap zu kompensieren. All das findet also in einer marktüblichen, von zahlreichen Vergleichen und Transaktionsmöglichkeiten geprägten Umgebung statt, den Möglichkeiten eines breit abgestützten Marktes also. Wir können folglich vom Swapmarkt sprechen, auch wenn es sich bei Swaps nicht um herkömmliche Wertpapiere handelt. Ein Termingeschäft ist als bilaterales Geschäft zunächst nicht liquide. Beispielsweise kann eine in Euro rechnende Unternehmung aufgrund ihrer Absatztätigkeit erwarten, in drei Monaten eine Million Dollar einzunehmen. Sie kann zur Hausbank gehen und den Dollarbetrag per Termin verkaufen. Der Kurs wird festgelegt, das ist der sogenannte Terminkurs. Bei Fälligkeit zahlt die Unternehmung den Dollarbetrag und erhält von der Bank den zuvor vereinbarten Eurobetrag. Ähnlich wie Swaps sind Terminkontrakte rein bilaterale Verträge und nicht übertragbar. Da die Gegenseite meist eine Bank ist, wird sie aber mit einem Schließen einverstanden sein, und notfalls können wieder weitere Terminkontrakte für eine Kompensation geschlossen werden. All das findet wiederum in einer marktähnlichen Umgebung statt. Allerdings spielt bei Terminkontrakten die Bonität bei den Konditionen eine deutliche Rolle. Die Hausbank muss überlegen, ob sich der Dollar zu ihren Gunsten verändern könnte und vielleicht der unternehmerische Kunde bei Fälligkeit des Terminkontrakts nicht in der Lage ist, die vereinbarte Transaktion vorzunehmen. Dann hat die Bank einen Ausfall, und diesen möglichen Ausfall wird sie in die Kalkulation der einem unternehmerischen Kunden gestellten Terminkurse einfließen lassen. <?page no="260"?> 260 12 Kapitel: Swaps, Futures, Optionen Futures sind standardisierte Terminkontrakte, bei der eine Vertragsseite stets die Börsenorganisation ist. Hier gibt es also einen Handel und eine laufende Preisfindung. Zum aktuellen Kurs kann ein Future jederzeit an die Börsenorganisation zurückgegeben werden. Selbstverständlich kann ein Future als Vertrag zum aktuellen Kurs eingegangen werden. Dabei kann ein Akteur die Seite desjenigen einnehmen, der verspricht, später das Underlying entgegenzunehmen. Man sagt, er habe eine Long-Position. Genauso kann ein Akteur die Vertragsseite einnehmen, die verspricht, das Underlying zu liefern. Man sagt, sie habe eine Short-Position. Die Börsenorganisation sieht alle Wünsche von Akteuren, die long beziehungsweise short gehen wollen. Sie findet einen Preis, bei dem sich diese Wünsche ausgleichen. Die Börsenorganisation ist dann „aus dem Schneider“, obwohl sie formal bei allen Futures eine Vertragsseite ist. Optionen gibt es in vielfältigen Formen. Jeder von uns hat in seiner Lebensumgebung gewisse Wahlrechte. Mit solchen Optionen ist nicht gemeint, dass sich eine Person morgen nach ihren Wünschen Güter kaufen kann und den Preis bezahlt, der morgen auf dem Gütermarkt gilt. Mit einer Option im Leben ist gemeint, dass die Konditionen bekannt sind, feststehen und für eine gewisse Zeit unverändert bleiben, und dass es sich die Person noch eine Weile überlegen kann. Militärs haben stets auf den Wert solcher Optionen hingewiesen, Unternehmen sprechen von Flexibilität und von Realoptionen. Viele Optionen, über die wir im Leben verfügen, haben wir gratis erhalten, auch wenn sie für uns einen positiven Wert haben. Nicht alles im täglichen Leben wird gewogen und gezählt. Das ist in der Finanzwirtschaft anders, wo die Gegenseite des Inhabers des Wahlrechts, die sich transaktionsbereit hält und daher Stillhalter genannt wird, sich für die vertragliche Einräumung des Wahlrechts vergüten lässt. Läuft dann eine Option, gibt es diese Möglichkeiten der Vertragsauflösung: Der Inhaber der Option hat ein Wahlrecht, aber keine Pflicht. Der Inhaber könnte jederzeit auf sein Recht verzichten und dies dem Stillhalter mitteilen. Der Stillhalter kommt aber nicht so leicht von den verkauften Wahlrechten los. Er müsste sich mit dem Optionsinhaber darauf einigen, den Vertrag zu beenden. In der Finanzwirtschaft muss der Stillhalter dazu dem Inhaber den Wert, den das Wahlrecht dann hat, vergüten. Beispielsweise kann ein Finanzinvestor mit seiner Bank Optionen abschließen. Es ist durchaus denkbar, dass dabei der Finanzinvestor die Seite des Stillhalters einnimmt. Das geht jedoch nur, wenn er bei seiner Bank eine hohe Bonität genießt und seine Transaktionsfähigkeit etwa dadurch belegt, dass er einen Geldbetrag auf dem Konto und einen Depotbestand als Deckung verpfändet. Optionen eignen sich sehr gut für eine Verbriefung als Wertpapier, bei der dem Inhaber das Wahlrecht zukommt. Die Seite, die Optionen als Wertpapier ausgibt, ist regelmäßig die des Stillhalters. Optionen werden beispielsweise von Unternehmen im Zusammenhang mit Optionsanleihen ausgegeben. Optionsanleihen bestehen aus einer Anleihe und einem Optionsschein (Warrant). Die beiden Wertpapiere können getrennt gehandelt werden. Solche Optionsscheine haben eine Laufzeit von einem oder ein paar Jahren und geben dem Inhaber das Wahlrecht, die Aktie der Gesellschaft zu kaufen. Es sind Call-Optionen. Ebenso werden Optionsscheine als Wertpapier von Investmentbanken ausgegeben (die dann als Stillhalter fungieren). Die Investmentbank betätigt sich dann auch als Market- <?page no="261"?> 12.2 Swaps und Terminkontrakte 261 Maker. Die Optionsscheine können jederzeit wieder verkauft werden. Der Handel findet außerbörslich (OTC) statt. Solche Optionsscheine lauten oft auf einen Index, auf einen Basket von Aktien, oder auf Währungspositionen. Ihre Laufzeit liegt bei Emission zwischen einem und zwei Jahren. Schließlich gibt es Optionen, die auf Bonds, auf Bluechip-Aktien und auf Indizes lauten und bei denen, ähnlich wie bei Futures, die eine Gegenseite eine Börsenorganisation ist. Diese Optionen haben bei ihrer ersten Auflegung eine Laufzeit von typischerweise 3, 6, 9 oder 12 Monaten. Aufgelegt werden Call-Optionen sowie Put-Optionen, bei denen der Inhaber des Wahlrechts entscheiden kann, ob er das Underlying an den Stillhalter verkauft oder nicht. Sowohl für die Call-Optionen als auch die Put-Optionen bietet die Börsenorganisation eine ganze Palette von Ausübungspreisen (Strikes) an. Die Börsenorganisation ist ähnlich wie bei einem Future bereit, die Seite des Stillhalters und die Seite des Optionsinhabers zu übernehmen. Wenn ein Akteur die Seite des Inhabers einnimmt, dann geht er long, ungeachtet der Frage, ob es sich um eine Call-Option oder um eine Put-Option handelt. Wenn ein Akteur hingegen die Seite des Stillhalters einnimmt, dann geht er short, wieder ungeachtet der Frage, ob es sich um eine Call-Option oder um eine Put-Option handelt. Die wichtigsten Börsenorganisationen für den börslichen Derivatehandel sind in den USA die Chicago Board of Trade (CBOT), die Chicago Mercantile Exchange (CME) und die Chicago Board of Options Exchange (CBOE). In Europa sind die EUREX sowie die britische LIFFE zu nennen. Die Basiswerte sind vor allem Aktienindizes und Bonds. Als Kontrakte sind Indexfutures und Indexoptionen üblich sowie so genannte Traded Options, die Bluechip-Aktien als Underlying haben. Ebenso gibt es standardisierte Zinsterminkontrakte (zum Beispiel die Euro BOBL und Euro BUND Futures sowie den Schweizer CONF Future). Des Weiteren sind Futures auf standardisierte Rohwaren im Handel an diesen Derivatebörsen. Nach einer Schätzung der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) belaufen sich die weltweit offenen Positionen in Kontrakten auf 25 Milliarden USD. Diese Zahl wirkt nicht hoch, weil bereits eine Bluechip-Aktie eine Marktkapitalisierung dieser Größenordnung haben kann. Jedoch muss man sich daran erinnern, dass Futures und Optionen hinsichtlich des Kapitaleinsatzes „leicht” konstruiert sind, so dass über diese Börsen ein erheblicher Teil aller Marktrisiken gehandelt wird. 12.2 Swaps und Terminkontrakte 12.2.1 Zinsswaps Ein Swap ist ein Tauschgeschäft zwischen zwei Parteien. Meistens bestehen die Leistungen aus zeitlich gestaffelten Zahlungen, die in der einen Richtung der Höhe nach fixiert sind, in der anderen Richtung von bestimmten Einflüssen abhängig gemacht werden. Man spricht daher vom „fixen Bein” und vom „variablen Bein” eines Swapgeschäfts. Formen von Swaps sind neben den bereits behandelten Zinsswaps vor allem Devisenswaps (Währungsswaps). Bei den Zinsswaps besteht das „fixe Bein” aus der periodischen Leistung von Zahlungen, die bei Abschluss des Vertrags exakt der Höhe nach bestimmt sind. Das „variable Bein” <?page no="262"?> 262 12 Kapitel: Swaps, Futures, Optionen eines Swaps sind die bei Abschluss unsicheren Zahlungen des variablen Zinssatzes. Sie werden bei einem Zinsswap über einen Referenz-Zinssatz definiert. Die Seite, die den festen Zinssatz zahlt, sieht den Swap als Payer-Swap an. Die Seite, die den festen Zinssatz bezieht, sieht von ihrer Seite den Swap als Receiver-Swap an. Die Basisbeträge werden nicht getauscht, da sie bei beiden Parteien in der gleichen Währung denominiert sind und ein Tausch daher keinen Sinn machen würde. Ein Zinsswap im Volumen von 50 Millionen Euro führt lediglich zum Tausch der Zinszahlungen auf diesen Betrag. Zinsswaps erlauben die Steuerung von Zinsänderungsrisiken. Nicht immer kann hier der Absicherungswunsch von einem Spekulationsmotiv klar unterschieden werden. Beispielsweise kann eine Finanzinstitution, die bereits eine Zinsposition hält, deren Absicherung aus spekulativen Gründen in etwas geringerem Umfang oder höherem Umfang wählen. Dennoch wird sie von einer Hedge sprechen und nicht von einer spekulativen Position. Wer eine vorhandene, risikobehaftete Position im zum Ausgleich benötigten oder in einem etwas geringeren Umfang absichert, betreibt eine sogenannte Normal-Hedge. Wer eine benötigte Position stärker absichert als für einen vollen Ausgleich erforderlich wäre und dadurch ein umgekehrtes Risiko eingeht, betreibt eine Reversed-Hedge. Wer das Risiko einer risikobehafteten Position durch Derivate mit gleich gerichtetem Risiko noch verstärkt, betreibt eine Texas-Hedge. 12.2.2 Währungsswaps Im Unterschied zu Zinsswaps vereinbaren Währungsswaps den Tausch von Zahlungen in zwei unterschiedlichen Währungen. Im Kern geht es wiederum um einen Zinsswap, doch wird er mit einem Austausch der Basisbeträge am Ende der Vertragslaufzeit in unterschiedlichen Währungen kombiniert. Man darf einen Währungsswap also als ein Währungstermingeschäft betrachten, bei dem es im Vorfeld schon zu gewissen Zinszahlungen kommt. Beispiel: Die Unternehmung XYZ aus dem Euroraum möchte einen größeren Eurobetrag fremdfinanzieren. Sie platziert einen Schweizerfranken-Eurobond (einen auf CHF lautenden Bond im Euromarkt) im Volumen von 250 Millionen CHF in der Schweiz mit 5 Jahren Laufzeit und tauscht den Betrag sofort am Devisenmarkt in Euro. Der Vorteil besteht darin, dass sie so zu günstigeren Konditionen kommt (geringere Kapitalkosten) als bei einer Emission im Euroraum, die der Regulierung des betreffenden EU-Staats unterliegt. Jetzt hat die XYZ ein erhebliches Währungsrisiko, da die periodischen Umsatzeinnahmen von XYZ in Euro erfolgen. Deshalb geht die Unternehmung einen Währungsswap auf 5 Jahre ein. Sie leistet der Gegenpartei periodische Zahlungen in Euro und bezahlt am Ende der Laufzeit des Währungsswaps einen größeren Eurobetrag. Die Gegenseite leistet periodische Zinsen in Franken und zahlt am Ende der 5 Jahre 250 Millionen Schweizerfranken. Wie das Beispiel zeigt, werden Währungsswaps meistens zusammen mit der Emission eines Bonds auf einem Euromarkt abgeschlossen. Sie verschaffen den Parteien die Möglichkeit, komparative Vorteile hinsichtlich günstiger Konditionen an den Kapitalmärkten auszunutzen. Aufgrund des Austauschs der Basisbeträge am Ende der Laufzeit ist das Gegenparteirisiko bei einem Währungsswap wesentlich größer als im Falle eines bloßen Zinsswaps. Sollte <?page no="263"?> 12.2 Swaps und Terminkontrakte 263 über die Laufzeit von fünf Jahren der Euro gegenüber dem Schweizerfranken steigen, bedeutete dies für die XYZ, dass sie für die 250 Millionen Franken „viel“ zahlen müsste. Denn der Tauschbetrag zwischen Euro und Franken wird beim Währungsswap wie bei einem Termingeschäft zum Zeitpunkt des Abschlusses des Vertrags vereinbart. Daher gilt wie bei Termingeschäften: Je größer die Fluktuationen der Währungsparitäten sind, desto größer ist das einem Währungsswap inhärente Gegenparteirisiko. Zwar könnte die Gegenpartei auch bei einem Zinsswap ausfallen, doch beläuft sich der mögliche Verlust dort lediglich auf den Barwert der Differenz der ausstehenden Zinszahlungen. 12.2.3 Terminkontrakte Ein Terminkontrakt ist eine vertragliche Vereinbarung zweier Parteien, ein bestimmtes reales Wertobjekt oder einen Finanzwert zu einem zukünftigen Zeitpunkt und zu einem bereits heute festgelegten Preis zu übertragen. Die Bezahlung des Preises wird ebenso wie die Übernahme von Objekt oder Finanzwert im zukünftigen Zeitpunkt vorgenommen, der mit Abschluss des Terminkontrakts vereinbart wird. Ein Vorteil für den Käufer auf Termin im Vergleich zu einem Kassageschäft besteht oft darin, dass er das Geld für den Kauf erst zum in der Zukunft liegenden Transaktionszeitpunkt zahlen muss und dass er in der Zeit bis dahin die Kosten für ein physisches Halten des betreffenden Aktivums einspart. Kosten entstehen dem Käufer für die Vorfinanzierung des Kaufpreises und, bei realen Objekten, für die Lagerhaltung. Beispiel: Ein Nahrungsmittelhersteller benötigt Weizen, jedoch eigentlich erst später, für die Produktion. Die Firma schließt in Chicago einen Kontrakt auf die Lieferung von Weizen in drei Monaten ab. Die Firma erspart sich die Vorfinanzierung erst später benötigter Inputs sowie die Versicherung und die laufenden Kosten für eine (erhöhte) eigene Lagerhaltung. Von daher ist die Firma sogar bereit, für die Lieferung per Termin etwas mehr zu bezahlen als der Weizen augenblicklich auf dem Spotmarkt kostet. Ein Nachteil besteht für den Käufer auf Termin im Vergleich zu einem Kassageschäft oftmals darin, dass erst später über das Aktivum verfügt werden kann. Wer beispielsweise ein Lager von Kupfer oder anderen Rohstoffen hält, ist sofort lieferbereit. Er kann, wenn etwa die Nachfrage überraschend steigt, für die sofortige Lieferung einen Preiszuschlag verlangen. Und wer Aktien im Depot hält, kann die Dividende einnehmen. Auf diesen Überlegungen basiert die Bewertung von Terminkontrakten. Wir unterscheiden zwei Preise: Der Kassakurs oder Spot-Price bezeichnet den heute für einen sofortigen Kauf beziehungsweise Verkauf gültigen Preis. Dies ist der Preis am Kassamarkt oder Spotmarkt. Der Terminkurs ist jener Preis, der heute für eine in der Zukunft liegende Ausführung der Transaktion gilt. Dieser Preis wird erst bei der Lieferung und Entgegennahme des Underlyings zum Erfüllungszeitpunkt bezahlt. Dies ist der Preis am Terminmarkt. Zwischen dem Preis auf dem Kassamarkt und dem Terminkurs besteht eine enge Beziehung. Sie ergibt sich daraus, dass viele der an Termingeschäften interessierten Parteien die <?page no="264"?> 264 12 Kapitel: Swaps, Futures, Optionen Wahl haben, ob sie eher am Kassamarkt oder am Terminmarkt kaufen oder verkaufen. Ist die angesprochene Beziehung zwischen dem Preis am Kassamarkt und dem Terminkurs nicht erfüllt, würde Arbitrage einsetzen. Je weiter in der Zukunft der Erfüllungszeitpunkt liegt, desto eher werden diese beiden Preise allerdings divergieren. Denn Arbitrage ist stets ein „schnelles Geschäft“, und Preisunterschiede, die sich erst in der langen Frist einstellen, werden durch Arbitrageure ungern ausgeglichen. Abb. 50: Funktionsweise von Terminkontrakten Es finden also sowohl auf dem Kassaals auch auf dem Terminmarkt Transaktionen statt, die bewirken, dass die Kassa- und die Terminkurse in einem wirtschaftlich sinnvollen Verhältnis zueinander stehen. Dieses „wirtschaftlich sinnvolle“ Verhältnis wird durch die Vor- und Nachteile des Terminkaufs gegenüber dem Kassakauf bestimmt, die die Marktteilnehmer haben. Der Wert eines Terminkontrakts errechnet sich demnach erstens aus dem heutigen Wert des Underlyings. Es treten zweitens die bei einem Terminkauf eingesparten Finanzierungskosten und Lagerhaltungskosten als Argument hinzu sowie die zusätzlichen Erträge durch die sofortige Verfügbarkeit bei einem Kauf am Kassamarkt. Wir bezeichnen den Kassakurs oder Spot-Price mit S , und den Terminkurs mit einem F , das an Future erinnern möge. Weiter seien c die Lagerkosten (pro Werteinheit des Underlyings und Jahr). Sie sollen die Finanzierungskosten mit einschließen. Die Lagerkosten werden auch als Cost of Carry bezeichnet. Angenommen, eine Person möchte das Underlying in einem Jahr haben. Sie könnte es auf Termin kaufen, indem sie in einem Jahr den Geldbetrag F zahlt. Stattdessen könnte sie das Underlying bereits jetzt für S kaufen, muss aber dann mit den Kosten für Lagerhaltung und Finanzierung rechnen, was dazu äquivalent ist, dass sie in einem Jahr 1 S ( + c) zahlt. Insofern müsste 1 F = S ( + c) gelten. In der Tat: Je höher die Kosten für Lagerhaltung und Finanzierung sind, desto unattraktiver ist ein Kauf auf dem Spotmarkt. Entsprechend ist F größer als S . <?page no="265"?> 12.2 Swaps und Terminkontrakte 265 Nun haben die meisten Underlyings gewisse Vorteile für denjenigen, der sie physisch hält. Dazu gehören Dividenden bei einer Aktie als Underlying, Kuponzahlungen bei einer Anleihe und gute Absatzmöglichkeiten bei Rohstoffen im Konjunkturaufschwung. Sie werden durch den Convenience Yield erfasst, der üblicherweise mit y bezeichnet wird. Der Convenience Yield bezieht sich auf eine Werteinheit des Underlyings und ein Jahr. Man spricht auch von der Verfügbarkeitsrendite. Die Verfügbarkeitsrendite reduziert die auf heute in einem Jahr bezogenen Kosten einer physischen Beschaffung. Diese betragen daher nicht 1 S ( + c) , sondern nur 1 / 1 S ( + c) ( + y) . Beträgt die Zeitdauer bis zur Erfüllung nicht ein Jahr, sondern allgemein t , dann gilt folglich: 1 1 t t ( + c) F = S ( + y) Beispiel: Eine bestimmte Quantität an Kupfer kostet auf dem Spotmarkt 50 S = Euro. Das Kupfer zu lagern und einen Kupfervorrat zu finanzieren kosten 6 c = im Jahr, doch die Verfügbarkeitsrendite wird im Wirtschaftsaufschwung mit 10 y = veranschlagt. Ein Future für die Lieferung in einem halben Jahr ( 1/ 2 t = ) hat den Wert 49 F = Euro. Die Formel für die Beziehung zwischen dem Sportkurs und dem Terminkurs ist komplizierter, wenn die Cost of Carry oder der Convenience Yield unsichere Größen darstellen. Eine weitere Unsicherheit kommt bei einem Future durch die börsentägliche Abrechnung hinzu. Denn dann hängt es von der zufälligen Veränderung der Preise ab, ob der Inhaber des Kontrakts Gelder erhält oder weitere Marginzahlungen leisten muss. Bei Futures gilt zudem dies: Standardisierung heißt, dass das Underlying exakt in seiner Qualität und Größe definiert ist. Zwischen diesem Standard und einer konkreten Position, die eine Person hält und deren Preisrisiko sie absichern möchte, gibt es meist kleinere Unterschiede. Beispielsweise kann ein Agrarwirt aus dem Allgäu mit einem Terminkontrakt für Schweinebäuche in Chicago nur die allgemeinen Preisänderungsrisiken auf dem Weltmarkt absichern. Das lokale Preisrisiko für Schweine im Allgäu kann er jedoch nicht exakt absichern. Je stärker die lokale Qualität vom weltweiten Standard abweicht, desto größer ist das so genannte Basisrisiko. Das Preisänderungsrisiko einer konkreten Position - beispielsweise des Schweinebestandes - lässt sich in zwei Komponenten zergliedern: Das allgemeine Preisrisiko ist jene Komponente, die dem weltweiten Standard entspricht und die sich über einen Future absichern lässt. Das Basisrisiko dagegen bezieht sich auf die Abweichungen zwischen dem Standard und den lokalen und individuellen Eigenschaften einer Position. Das Basisrisiko betrifft Abweichungen zwischen der Norm und dem konkreten Underlying in Art, Qualität, Lieferort und Lieferzeitpunkt. Eine perfekte Absicherung von Preisrisiken ist daher nicht möglich. Eine zweite Besonderheit bei Futures betrifft die Abwicklung der Geschäfte: Im Gegensatz zu bilateralen Termingeschäften ist bei einem Future die Börsenorganisation, das Clearinghaus, die Gegenpartei. Das Clearinghaus muss damit rechnen, dass eine Kontraktpartei nicht mehr zahlen kann. Deshalb verlangt die Börsenorganisation von allen ihren Parteien eine Sicherheit in Form der Initial Margin. Auf dieser Margin werden auf täglicher Basis Gewinne und Verluste verrechnet. Erfährt eine Partei laufend Verluste, wird diese Initial <?page no="266"?> 266 12 Kapitel: Swaps, Futures, Optionen Margin über die Zeit aufgezehrt. Sobald eine Untergrenze erreicht ist, richtet die Börse einen Margin Call an den Inhaber der Position. Dieser ist damit verpflichtet, die Sicherheitseinlage wieder zu erneuern, ansonsten wird der Kontrakt durch die Börse geschlossen. Diese tägliche Abrechnung bietet den Akteuren die Möglichkeit, am Fälligkeitstag das Underlying nicht mehr physisch zu liefern, sondern die Position in bar abzurechnen. Man spricht dann von einem Cash Settlement. 12.2.4 Devisenterminkontrakt im Zahlenbeispiel Die Formel im letzten Abschnitt setzt den Marktpreis des Terminkontrakts (Forwardkurs, Terminkurs) F in Beziehung zum Preis S, den das Underlying (oder der Basiswert) am Spotmarkt / Kassamarkt hat. Hinsichtlich des Bruches, mit dem der Kassapreis S multipliziert ist, gilt dies: Ist die Convenience Yield (Verfügbarkeitsrendite) y hoch, dann ist es nur gut, wenn man das Underlying physisch gelagert hat oder am Spotmarkt kauft und lagern kann. In diesem Fall ist es weniger interessant, das Underlying erst in der Zukunft zu erhalten, wie es bei einem Terminkauf geschieht. Folglich ist im Fall einer hohen Verfügbarkeitsrendite der Terminkurs F geringer als der Spotkurs S. In der Tat steht die Verfügbarkeitsrendite y in der Formel rechts im Nenner, so dass der Bruch kleiner als 1 ist. Selbstverständlich kommt es bei dieser Betrachtung auch auf den Zähler an, wo die Kosten der Lagerhaltung stehen. Sind die Lagerkosten so groß, dass der Bruch (trotz der im Nenner stehenden Verfügbarkeitsrendite) größer als 1 ist, ist somit F größer als S. Dann ist es interessanter, das Underlying erst später zu erhalten als sofort. Und das erklärt die mit hohen Lagerkosten sich einstellende Relation F > S. Wie kommen eventuell anfallende Finanzierungskosten hinein? Bei Kauf des Underlyings auf dem Kassamarkt muss sofort bezahlt werden, während bei Terminkauf erst zum Termin bezahlt wird. Angenommen, die Zinsen sind sehr hoch. Dann würden alle, die das Underlying ohnehin irgendwann erwerben müssen, vielleicht weil sie es in der Produktion als Input benötigen, es lieber später kaufen, also per Termin. Umgekehrt würden alle, die das Underlying im Lager haben und ohnehin irgendwann verkaufen wollen, es lieber sofort verkaufen als per Termin. Denn so erhalten sie den Verkaufserlös sofort und können diesen zum angenommen hohen Zins gut anlegen. Ein hoher Zinssatz wirkt also wie höhere Lagerhaltungskosten: Das Underlying im Lager zu halten verlangt erstens das physische Lagern sowie zweitens die Finanzierung des Lagerbestandes. Der Zinssatz ist also im Lagerkostensatz c inkludiert. Dies wird besonders bei einem Devisentermingeschäft deutlich. Angenommen, eine Person mit Referenzwährung Euro benötige in einem Jahr US-Dollar. Sie könnte auf dem Spotmarkt USD kaufen und diese auf ein Jahr in einem US-Konto anlegen. Oder sie zeichnet heute, um ein Kursänderungsrisiko zu vermeiden, einen Devisenterminkontrakt. Beide Wege müssen auf denselben Dollarbetrag in einem Jahr führen. Im Vergleich zum Devisenterminkontrakt muss der Kauf von Dollar auf dem Spotmarkt vorfinanziert werden (es fallen Zinsen für einen in Euro genommenen Kredit an). Zusätzlich kann der auf dem Spotmarkt gekaufte Dollarbetrag auf einem Dollarkonto zinsbringend angelegt werden). Also werden die Kosten für Lagerhaltung und Vorfinanzierung durch den Zins für den Eurokredit ausgedrückt. Mit anderen Worten: Der Zinssatz in der Referenzwährung (hier: Euro) steht im Zähler des Bruches. <?page no="267"?> 12.2 Swaps und Terminkontrakte 267 Die Verfügbarkeitsrendite (Vorteil, die Dollar bereits zu haben) im Nenner ist durch den Zinssatz in der Fremdwährung gegeben (hier: Dollar). Dabei geben sowohl F als auch S an, wie viel in der Referenz- oder Heimatwährung (hier: EUR) eine Einheit der Fremdwährung (hier 1 USD) wert ist. F und S werden also in „USD in EUR“ oder kurz „USDEUR“ geschrieben. Für eine Person mit Referenzwährung EUR ist das die direkte Notation der Fremdwährung USD. Bezogen auf einen Termin von einem Jahr nimmt dann die Formel diese Gestalt an: F [ Einheit: USD in EUR ausgedrückt ] = S 1+i EUR 1+i USD Selbstverständlich wird der Kassapreis S ebenso als Dollar in Euro ausgedrückt; auch für ihn ist die Einheit USDEUR. Die eben gezeigte Formel setzte zwei Währungsparitäten zwischen einer Referenzwährung (hier durch den Euro veranschaulicht) und einer ausländischen Währung (Dollar) in Beziehung, Währungsparitäten, die am Kassamarkt beziehungsweise am Terminmarkt sich einstellen. Die beiden Paritäten sind miteinander verbunden, und die Verbindung wird durch die beiden Zinssätze in Referenzwährung und in der Fremdwährung vermittelt. Die Formel drückt also eine Paritätsbeziehung aus (vergleiche Abschnitt 9.2.1), und zwar die Zinsparität. Die Zinsparität ist eine streng gültige Beziehung. Wäre sie nicht erfüllt, würde sofort Arbitrage einsetzen. Wenn zum Beispiel F am Terminmarkt größer ist als durch die Formel vorgegeben, dann würden Akteure Dollar auf Termin „teuer“ verkaufen. Sie würden sich Dollar am Kassamarkt besorgen, dazu einen Eurokredit nehmen und die Dollar bis zur Fälligkeit des Devisentermingeschäfts anlegen. Die Akteure hätten bei dieser Arbitrage kein Risiko und dennoch einen gewissen Gewinn. Ebenso wird Arbitrage möglich, wenn der Terminkurs, der sich am Terminmarkt einstellt, kleiner ist als durch die Formel beschrieben. Nur würde dann ein Arbitrageur Dollar auf Termin kaufen. Der Arbitrageur würde einen Dollarkredit nehmen, den Kreditbetrag am Kassamarkt in Euro tauschen, und die Euro in ein Eurokonto anlegen. Zahlenbeispiel: Im Sommer 2018 waren die Eurozinsen gleich 0, die in Dollar 2%. Man hat, wenn auf dem Kassamarkt ein (kreditfinanzierter) Euro in Dollar gewechselt wurde, 1,11 Dollar erhalten. Um diese Größe in direkte Notation für eine Person mit Referenzwährung Euro umzurechnen, S = 0,9009. Also waren 100 Dollar so viel wert wie 90 Euro und 9 Eurocent. Als Forwardkurs würde sich nach obiger Formel F = 0,9009 · 1,00/ 1,02 = 0,8832 ergeben: Per Termin eines Jahres (Sommer 2019) hatte im Sommer 2018 der Dollar einen Kurs von 88,32 Euro für 100 Dollar. Weil der Zinssatz für Dollar höher war als der Zinssatz für Euro, war der Terminkurs geringer als der Kassakurs. Der Terminkurs notierte mit einem Discount, wie gesagt wird. Oft werden von den Devisenhändlern Spotkurs und Terminkurs nicht eigens notiert, sondern nur der Spotkurs und die Differenz zwischen Forwardkurs und Spotkurs. Diese Differenz ist nur von den beiden Zinssätzen bestimmt und unterliegt nicht den Schwankungen, denen der Kassakurs ausgesetzt ist. <?page no="268"?> 268 12 Kapitel: Swaps, Futures, Optionen 12.3 Optionen 12.3.1 Das Wahlrecht Optionen sind mit Terminkontrakten verwandt, da sie den Kauf oder Verkauf eines Underlyings vorsehen und dafür bereits heute einen Preis vereinbaren, der als Ausübungspreis oder Strike bezeichnet wird. Im Unterschied zu den Terminkontrakten hat bei einer Option die eine Vertragsseite, der Inhaber, noch ein Wahlrecht. Der Optionsinhaber kann entscheiden, ob der vorgesehene Kauf beziehungsweise Verkauf stattfinden soll oder nicht. Eine Option ist ein Kontrakt, der dem Inhaber der Option das Recht einräumt, einen definierten Basiswert zu einem heute bestimmten Preis zu einem (oder bis zu einem) zukünftigen Zeitpunkt an einem definierten Ort zu kaufen (Call-Option) oder zu verkaufen (Put- Option). Was den Zeitpunkt für den Transfer betrifft, werden zwei Grundformen von Optionen unterschieden: Europäische Optionen bezeichnen Optionen mit einem Ausübungsrecht, das an einem spezifischen Tag ausgeübt werden kann, dem Tag des Endes der Laufzeit oder Verfallstag der Option. Amerikanische Optionen sind Optionen, die jederzeit innerhalb einer gewissen Zeitspanne ausgeübt werden können. Da sie bereits vor Verfall ausgeübt werden können, sind amerikanische Optionen eher wertvoller als ihnen ansonsten entsprechende europäische Optionen. Optionen haben für den Inhaber einen gewissen Wert (der nicht negativ ist). In der Finanzwirtschaft muss eine Person daher etwas bezahlen, um solche Wahlrechte zu erhalten. Andererseits kann sie etwas vereinnahmen, wenn sie sich als Stillhalter zur Verfügung stellt und Optionen schreibt, wie man sagt. Gibt es einen gut funktionierenden Markt für Optionen, dann entspricht dieses Entgelt oder der Preis der Option, die sogenannte Optionsprämie, dem theoretischen Wert. Optionen zu bewerten, verlangt in die Tiefe gehende Überlegungen. Etwa vor 40 Jahren wurden mit verschiedenen Beiträgen amerikanischer Forscher die Grundlagen der Optionspreistheorie gelegt. Für Finanzoptionen haben F ISCHER B LACK und M YRON S. S CHO- LES (1973) ein Bewertungsmodell entwickelt, das den Wert einer europäischen Call-Option in einer geschlossenen Formel ausdrückt. Als Underlying haben B LACK und S CHOLES eine Aktie betrachtet, die keine Dividende ausschüttet. Das Ergebnis ihres Bewertungsmodells wird seitdem als Black-Scholes-Formel bezeichnet. B LACK und S CHOLES haben gezeigt, dass sich der Payoff der Option ebenso erzeugen lässt, wenn ein diesen Payoff replizierendes Portfolio gebildet und dynamisch adjustiert wird. Aus den Kosten des Portfolios konnten sie auf den Wert der Option schließen. 12.3.2 Black-Scholes-Formel Die Black-Scholes-Formel gibt den (auf den heutigen Zeitpunkt bezogenen) Wert 0 C einer Call-Option europäischer Art (Ausübung nur zum Verfallszeitpunkt), wobei das Underlying eine Aktie oder ein Aktienportfolio ist, das keine Dividende abwirft: <?page no="269"?> 12.3 Optionen 269 0 2 0 exp ln 2 0 C = S N(d) ( i T) K N d T S s + i + T K d = T Hier bezeichnen: 0 S den heutigen Kurs des Underlyings, T den Fälligkeitszeitpunkt, womit 0 T = T zugleich die bis Verfall noch verbleibende Zeitdauer (Restlaufzeit) beschreibt, K den Ausübungspreis (Strike), . N( ) die kumulierte Verteilungsfunktion der Standard-Normalverteilung, das heißt, N(d) ist die Wahrscheinlichkeit für Realisationen, die kleiner als d sind, i den stetigen Zinssatz; er wird aus dem einfachen Zinssatz i durch ln 1 i ( + i) berechnet. Der Ausdruck exp( i T) ist daher der Diskontfaktor, der für die Restlaufzeit T anzuwenden ist. die Volatilität des Underlyings (Standardabweichung der stetigen Rendite). Die Black-Scholes-Formel zeigt, dass es verschiedene Größen gibt, die den Wert einer solchen Call-Option bestimmen. Das ist voran die Volatilität des Underlyings, also die Standardabweichung der (stetigen) Rendite der Aktie. Je höher die Volatilität ist, desto wertvoller ist das Recht, im günstigen Fall auf dem Kauf zum Ausübungspreis bestehen zu können und im ungünstigen Fall den Kauf zu verwerfen. Die zweite, den Wert der Option bestimmende Größe ist der Strike, die dritte der Kurs des Underlyings. Je geringer der Strike im Verhältnis zum Kurs des Underlyings ist, desto interessanter ist die Call-Option für den Inhaber. Viertens ist die Zeit bis Verfall bei der Bewertung wichtig. Je länger die Option noch läuft, desto mehr kann bis Verfall „passieren“ und desto interessanter ist es, dann wählen zu können. Fünftens ist der Zinssatz wichtig, weil der Ausübungspreis (im Fall der Ausübung) erst bei Verfall gezahlt wird. Die Black- Scholes-Formel wurde verschiedentlich verallgemeinert. Eine der Verallgemeinerungen erlaubt es, dass die Aktie eine Dividende abwirft. Der Wert der Option ist umso geringer, je größer die Dividende ausfällt. Die mit einem Einsatz von Optionen erzielbaren Ergebnisse können in einem Auszahlungsdiagramm (Payoff-Diagramm) grafisch dargestellt werden. Im Gegensatz zum Histogramm oder einer Wahrscheinlichkeitsverteilung trifft das Payoff-Diagramm keine Aussage über die Wahrscheinlichkeit bestimmter Realisationen. Es zeigt die Werte der Option für die verschiedenen, denkbaren Kurse des Underlyings. Das Bild 51 zeigt auf der Ordinate den (heutigen) Wert einer Call-Option (gepunktete Linie) in Abhängigkeit des Kurses des Underlyings (Abszisse) als durchgezogene, konvex gekrümmte Kurve. Der heutige Aktienkurs liegt bei 100 Euro, und auch der Ausübungskurs (Strike) betrage 100 Euro. Bei einer Laufzeit von einem Jahr, einem risikofreien stetigen Zinssatz von 4% und einer Volatilität der Aktienrendite von 25% pro Jahr ergibt sich im Modell von B LACK und S CHOLES ein Optionswert von 11,84 Euro. <?page no="270"?> 270 12 Kapitel: Swaps, Futures, Optionen Abb. 51: Payoff und Preis einer Call-Option Das Bild 51 enthält außerdem eine geknickte und gestrichelt dargestellte Kurve. Sie zeigt das auf den Verfallstermin bezogene finanzielle Ergebnis der Strategie, die Option für 11,84 Euro zu kaufen, ein Jahr zu warten, und dann je nach Situation auszuüben oder nicht. Zwei Möglichkeiten sollen betrachtet werden: Ein Investor kauft heute die Aktie zum Preis von 100 Euro. Dann liegt sein Netto- Ergebnis auf der in Bild 51 gezeigten Geraden mit Schnittpunkt 100 Euro, je nachdem, welchen Kurs das Underlying zum Verfallstermin hat. Steigt die Aktie etwa auf 120 Euro, dann hat er einen Gewinn von 20 Euro erzielt. Bei einem Kurs von 70 hat der Investor 30 Euro verloren. Alternativ kann er die Call-Option zum Preis von 11,84 Euro erwerben. Sein Netto-Ergebnis bewegt sich dann auf der gepunkteten Linie, wenn sich der Kurs des Underlying verändert. Man sieht, dass der mögliche Verlust nach unten auf den Einsatz der Optionsprämie begrenzt ist, die natürlich verloren gehen kann. Hinsichtlich der Relation zwischen Strike und Kurs des Underlyings gibt es eine Sprechweise: Im Geld (in the money) ist die Option, wenn sie bei sofortiger Fälligkeit ausgeübt würde. Aus dem Geld (out of the money) ist die Option, wenn sie bei sofortiger Fälligkeit nicht ausgeübt würde. Am Geld (at the money) ist die Option, wenn sich der Kurs in der Nähe des Strike bewegt und es daher unklar ist, ob man die Option ausüben würde oder nicht, wenn sie heute oder in allernächster Zeit ausgeübt werden könnte. <?page no="271"?> 12.3 Optionen 271 Bei der hier betrachteten Call-Option ist die Option bei einem Aktienkurs im Bereich von 100 Euro at the money. Bei einem Aktienkurs von über 100 Euro ist sie in the money und bei einem Kurs unter 100 ist sie out of the money. Die Position der Option in diesem Spektrum wird als Moneyness bezeichnet. Optionen sind Instrumente zur Gestaltung nicht-linearer Payoffs und asymmetrischer Ergebnisverteilungen. Anlagen in Derivate mit einem nicht-linearen Payoff werden in der Modernen Portfoliotheorie nicht betrachtet. Ihre Renditen lassen sich daher nicht aus dem CAPM ableiten. Meistens werden Optionen mit anderen Instrumenten im Portfolio kombiniert. Verschiedene solcher Optionsstrategien tauchen in der Praxis immer wieder auf. Dazu gehören das Protective-Put-Buying und das Covered-Call-Writing: Abb. 52: Payoff-Diagramme von Call-Optionen und Put-Optionen Abb. 53: Protective-Put-Buying und Covered-Call-Writing -100 -50 0 50 100 150 0 50 100 150 200 Payoff Aktienkurs (Underlying) Protective Put Buying (PPB) Long Put Payoff Aktie Payoff PPB -100 -50 0 50 100 150 0 50 100 150 200 Payoff Aktienkurs (Underlying) Covered Call Writing (CCW) Short Call Payoff Aktie Payoff CCW -100 -80 -60 -40 -20 0 20 40 60 80 100 0 50 100 150 200 Payoff Aktienkurs (Underlying) Payoff-Diagramm einer Call Option Long Call Short Call -100 -80 -60 -40 -20 0 20 40 60 80 100 0 50 100 150 200 Payoff Aktienkurs (Underlying) Payoff-Diagramm einer Put Option Long Put Short Put <?page no="272"?> 272 12 Kapitel: Swaps, Futures, Optionen Protective-Put-Buying (PPB) dient der (kurzfristigen) Absicherung bei Erhalt der Gewinnchancen. Ein Investor mit einem Aktienportfolio kauft Put-Optionen, um das Verlustrisiko nach unten zu begrenzen. Er kombiniert also Long Stock mit Long Put, und der aus diesen zwei Instrumenten resultierende Payoff hat eine Steigung im positiven Renditebereich und bietet Schutz im tiefen Renditebereich. Es wird aber deutlich, dass der Schutz teuer ist und insgesamt auf die Rendite drückt. Covered-Call-Writing (CCW) basiert auf der Idee, Call-Optionen auf einen Aktienbestand zu schreiben. So fließt dem Anleger die Optionsprämie zu. Doch gibt der Investor hohe Kursgewinne an den Käufer der Call-Option ab. Es liegt auf der Hand, dass die Wahl der einen oder anderen dieser Strategien von der jeweiligen Ausgangslage des Investors abhängt. PPB bietet sich an, wenn der Anleger das Gewinnpotenzial von Aktien behalten möchte, sich aber gegen Verluste zu schützen wünscht. CCW dagegen ist eine bei Pensionskassen verbreitete Strategie. Diese unterliegen meist regulatorischen Rahmenbedingungen, die in erster Linie die Sicherheit der Anlagen kombiniert mit einer Mindestrendite anstreben. Das Ziel ist folglich nicht die Aufrechterhaltung eines uneingeschränkten Gewinnpotenzials, sondern die Verstetigung des Einkommensstroms, aus dem die Renten und Pensionsansprüche bedient werden können. CCW ist daher interessant, weil sich durch die Einnahme der Optionsprämie die Rendite etwas verbessern lässt (Return Enhancement). 12.4 Fazit des Kapitels Swaps, Futures, Optionen Derivate sind Kontrakte, die in ihrer Ausgestaltung und in ihrem Preisverhalten von anderen Finanzkontrakten, Wertpapieren oder Indizes abhängen. Das einem Derivat zugrunde liegende Instrument heißt Underlying oder Basiswert. Motive für den Einsatz von Derivaten sind die Absicherung (Hedging) und die Spekulation. Drei klassische Formen von derivativen Kontrakten sind Swaps, Terminkontrakte und Optionen. Swaps sind Tauschgeschäfte, die bilateral zwischen Banken abgeschlossen werden. Die wichtigsten Formen sind Zinsswaps und Währungsswaps. Während bei den Zinsswaps lediglich die periodischen Zinszahlungen getauscht werden (fix gegen variabel), kommt es bei den Währungsswaps zusätzlich zu einem Tausch der Basisbeträge am Ende der Vertragslaufzeit. Zudem sind diese Beträge, genauso wie die zwischenzeitlichen Zinszahlungen, in verschiedener Währung denominiert. Terminkontrakte stellen eine Verabredung zum Tausch eines Gutes zu einem zukünftigen Zeitpunkt zu einem bereits heute festgelegten Preis dar. Dieser Preis (Terminkurs) hängt üblicherweise vom Kassakurs, von den Cost of Carry und der Verfügbarkeitsrendite (Convenience Yield) sowie von der Zeit bis zur Erfüllung ab. Es gibt zwei Formen von Terminkontrakten: Forwards sind bilateral ausgehandelte Terminkontrakte. Dagegen handelt es sich bei Futures hinsichtlich Kontraktgröße, Qualität, Handelsort und Handelstermin um standardisierte Terminkontrakte. Sie werden an einer Börse gehandelt, die zugleich Gegenpartei ist. Optionen sind Kontrakte, die dem Käufer das Recht einräumen, einen definierten Basiswert zu einem heute bestimmten Preis zu einem (oder bis zu einem) zukünftigen Zeitpunkt an <?page no="273"?> 12.4 Fazit des Kapitels Swaps, Futures, Optionen 273 einem definierten Ort zu kaufen (Call-Option) oder zu verkaufen (Put-Option). Europäische Optionen können an und amerikanische Optionen bis zu einem spezifischen Tag ausgeübt werden. Sechs Komponenten sind für den Optionspreis wertbestimmend: die Volatilität und der Kurs des Underlyings, der Ausübungspreis (Strike), der risikolose Zinssatz, die Laufzeit der Option sowie Dividenden aus dem Underlying. Die für Optionen verbreitete Darstellungsform ist das Payoff-Diagramm. Zwei bedeutende Strategien, die auf Optionen zurückgreifen, sind das Protective-Put-Buying und das Covered- Call-Writing. Strukturierte Produkte bestehen aus einem Paket verschiedener Basisprodukte, die als Schuldverschreibung einer Bank dem Investor angeboten werden. Neben den Zertifikaten, die lediglich eine positive Partizipation an einem breit diversifizierten Underlying ermöglichen, existieren vor allem zwei Gruppen strukturierter Produkte: Kapitalgeschützte Produkte bieten einen Schutz vor Verlusten, während Produkte mit Maximalrendite das Renditepotenzial gegen eine sichere Prämie verkaufen. 12.4.1 Lernpunkte 1. Währungsswaps verschaffen den Parteien die Möglichkeit, komparative Vorteile hinsichtlich günstiger Konditionen an den internationalen Kapitalmärkten auszunutzen. 2. Zinsswaps ermöglichen dagegen das Ausnutzen komparativer Vorteile in verschiedenen Segmenten der Zinskurve. 3. Forwards gestatten eine maßgeschneiderte Absicherung gegen Marktrisiken, beinhalten jedoch hohe Gegenparteirisiken. 4. Futures haben dagegen geringe Gegenparteirisiken, weil stets das Clearinghaus der Börse die Gegenpartei stellt. Allerdings gibt es Liquiditätsrisiken (zum Beispiel bei Margin Calls) sowie Basisrisiken. 5. Das Basisrisiko bezeichnet die Schwankung der Preisdifferenz zwischen dem Futurekurs und dem Spotkurs einer konkreten Position. Es hat seinen Ursprung in Abweichungen zwischen der Norm des Futures und dem konkreten Basiswert in Art, Qualität, Lieferort und Lieferzeitpunkt. 6. Die Cost of Carry beinhalten alle Komponenten, durch die das Halten des Basiswerts gegenüber einem Terminkauf „unattraktiv“ wird: Finanzierungskosten. Lagerhaltungskosten, Versicherungskosten. 7. Der Convenience Yield dagegen bezeichnet den Vorteil aus der heutigen physischen Verfügbarkeit des Basiswerts. Man spricht daher von der Verfügbarkeitsrendite. 8. Die Optionsprämie ist beim Abschluss eines Optionsgeschäftes zur Zahlung fällig, während der Ausübungspreis nur im Falle der Ausübung, also später, geleistet wird. 9. Die sechs für den Optionspreis wertbestimmenden Faktoren sind: Volatilität und Kurs des Underlyings, Ausübungspreis (Strike), risikoloser Zinssatz, Laufzeit der Option sowie Dividenden aus dem Underlying. <?page no="274"?> 274 12 Kapitel: Swaps, Futures, Optionen 10. Wichtige optionsbasierte Anlagestrategien sind das Protective-Put-Buying (PPB) und das Covered-Call-Writing (CCW). 11. Die drei Formen von strukturierten Produkten sind Zertifikate, kapitalgeschützte Produkte und Maximalrenditeprodukte. 12.4.2 Erwähnte Personen F ISCHER B LACK , M YRON S. S CHOLES , R OBERT C. M ERTON 12.4.3 Schlüsselbegriffe Black-Scholes-Formel, Convenience Yield, Forwardkurs, Futures, Hedging, Kassakurs, Optionen, Spotkurs, Swaps, Terminkontrakte, Underlying, Wahlrecht, Währungsswaps, Zinsswaps. 12.4.4 Fragen zur Lernstandskontrolle 1. a) Geben Sie Definitionen und erläutern Sie Gemeinsamkeiten und Unterschiede: Terminkontrakt, Future, Option. [Antwort: Abschnitt 12.1.2]. b) Was wird unter dem Basisrisiko verstanden? [Antwort: Siehe den entsprechenden Lernpunkt oben]. 2. Wodurch sind sie charakterisiert: Normal-Hedge, Reversed-Hedge, Texas-Hedge? [Antwort: Textkasten in Abschnitt 12.2.1] 3. Welcher Zusammenhang besteht zwischen dem Kurs eines Futures und dem Preis am Kassamarkt, wenn der Basiswert gelagert werden kann? [Antwort: Formel in Abschnitt 12.2.3] 4. Liefert die Black-Scholes-Formel den Wert, den Payoff oder die Prämie einer Option? [Antwort: Abschnitt 12.3.2] 5. PPB und CCW sind Abkürzungen, die für Strategien stehen, Optionen einzusetzen. a) Wofür stehen diese Abkürzungen? b) Was bezwecken PPB und CCW als Anlagestrategien? c) Sowohl PPB als auch CCW bewirken nicht-lineare Payoffs. Welche der beiden Strategien hat einen konkaven, welche einen konvexen Payoff ? [Antwort: Siehe Bild 53: PPB hat einen konkaven, CCW einen konvexen Payoff]. d) Welche der beiden Strategien dient dem Return Enhancement? [Antwort: Abschnitt 12.3.2] <?page no="275"?> 13. Kapitel: Financial Engineering Breite und Dicke von Finanzmärkten erlauben es, „auf verschiedenen Wegen nach Rom“ gelangen zu können. Dabei müssen die alternativen Wege alle denselben Aufwand oder denselben Kapitaleinsatz verlangen. Denn bei Preisunterschieden würden sich schnell Arbitrageure finden, deren Transaktionen Preisgleichheit herbeiführen. Wir hatten die Dicke („thickness“) des Marktes oder eines Teilmarktes als Argument angeführt, dass die Preise in dem Teilmarkt gut verankert oder breit abgestützt sind. Die Dicke bedeutet aber eben auch, dass eine gewünschte finanzielle Position, beschrieben vor allem durch den Payoff, über verschiedene Kombinationen und Sequenzen von Finanztransaktionen „konstruiert“ werden kann. Die Idee, dass finanzielle Positionen konstruiert werden, und zwar durch Kombinationen und Sequenzen von Kontrakten und Transaktionen, verlangt Überlegungen und Abwägungen des Konstrukteurs, weil in dicken Märkten erst der zu beschreitende Weg gewählt werden muss. Die Überlegungen und Abwägungen über die Wahl aus den gleichwertigen Wegen werden als Financial Engineering bezeichnet. Konstrukteur und Anbieter der Ergebnisse ist meist eine Investmentbank. Grundlegende Typen Strukturierter Produkte Was sie bieten Zertifikate Teilhabe am Auf- und Ab eines Baskets oder eines Indizes (Partizipation) Produkte mit Minimalrendite Kapitalschutz mit Teilhabe an Aufwärtsbewegungen, dafür geringere Rendite zu erwarten (PPB) Produkte mit Maximalrendite Kein Schutz bei Abwärtsbewegungen, dafür höhere Rendite zu erwarten (CCW) Die enorme Kraft der Sicht, dass es mehrere Wege gibt, zeigt sich in Theorie und Praxis. In der Theorie ist die Wahl der Wege als Nachbildung oder als Replikation bezeichnet - ein Weg bildet hinsichtlich der erreichten Finanzpositionen einen anderen nach. Die Bedeutung der Replikation ist beim Finden und beim Beweis der Black-Scholes-Formel für den Wert einer europäischen Option 1972 zutage getreten. Die enorme praktische Kraft der Sicht, dass sich Finanzpositionen durch unterschiedliche Konstruktionen gewinnen lassen, zeigt sich in den Strukturierten Produkten. Hier konstruiert das Financial Engineering zum Teil Produkte, die gewissen Stilen und Themen entsprechen, und durch die leichte Verfügbarkeit der Produkte erhielten die Stile und Themen praktische Bedeutung und Akzeptanz (Abschnitt 13.1). Die praktische Kraft des Financial Engineering zeigt sich auch in Stilen, die deutlich mit Leerverkäufen in Verbindung stehen oder in der Nachbarschaft zu ihnen zu sehen sind. Das <?page no="276"?> 276 13 Kapitel: Financial Engineering sind Hedge-Funds. Sie verwenden die Konstruktionsmöglichkeiten, die Finanztransaktionen und Finanzkontrakte bieten, wie ein Chirurg das Seziermesser. Sie schneiden ganz genau jene Elemente aus einer allgemeinen Finanzposition heraus, auf die der Fokus von Investoren gerichtet ist oder auf die er gelenkt werden sollte. Hedge-Funds haben damit den Grad an Differenzierung in den Finanzmärkten erhöht und auch die Schärfe (Abschnitt 13.2). Nur am Rande: Nicht immer ist die Schärfe der Hedge-Funds für den Kapitalverwender angenehm. 13.1 Strukturierte Produkte 13.1.1 Stile und Themen als Strukturiertes Produkt Heute werden Futures und Optionen kombiniert und eventuell die Basiswerte dazugenommen. Die Portfolios werden aktiv nach einem Plan verändert. So entstehen Kapitalanlagen mit neuartigen Eigenschaften, die sich deutlich von einem Portfolio unterscheiden, in dem Anleihen und Aktien gehalten werden. Das Covered-Call-Writing (CCW) und das Protective-Put-Buying (PPB) sind zwei solcher Anlagestrategien. Futures auf Nahrungsmittel oder Rohstoffe erlauben Anlagethemen, die mit Aktien nur schwerlich verwirklicht werden können. Das alles gibt Raum für Schöpfungen, die eine an Innovation interessierte Kundschaft gern aufnimmt. Investmentbanken erzeugen die entsprechenden Baskets und Stile und verkaufen sie als Strukturierte Produkte an private und institutionelle Anleger. Vielfach werden von den Investmentbanken für institutionelle Anleger andere Strukturierte Produkte geschaffen als für Privatanleger, ähnlich wie bei Gütern in der Realwirtschaft der Groß- und Einzelhandel anders bedient wird als der Endverbraucher. Für die Produkte werden auch exotische Optionen eingesetzt, Barrieren definiert und Umkehreffekte eingebaut. Meist werden Strukturierte Produkte mit Akronymen bezeichnet, die sich aus einer mehrwortigen Beschreibung ihrer Eigenschaften ableiten. So steht BLOC beispielsweise für „buy low or cash“. Hinter diesen Worten steht das Konzept des CCW, also Produkte mit nach oben begrenzter Rendite. Doch nicht immer sind alle Käufer von Strukturierten Produkten später zufrieden, zum Teil, weil deren Eigenschaften nicht ganz verstanden werden. Beispiel: Über Jahre hinweg waren als „Absolute Return“ bezeichnete Strukturierte Produkte bei Privatanlegern beliebt. Diese Produkte haben PPB verwirklicht. Doch Absicherung ist teuer, und die Renditen sind ausgesprochen gering, wenngleich leicht positiv. So gab es Jahre später Berichte in den Medien, die „Absolute Return“ mit „absolut keine Rendite“ gleichsetzten. Der laufende Prozess der Konstruktion und Vermarktung neuer Strukturierter Produkte erlaubt es jedenfalls, aktuell geschätzte Anlagestile fertig als Produkt zu bieten. Der Kauf von Strukturierten Produkten vermittelt ein „aktiveres“ Portfoliomanagement im Vergleich zum Kaufen und Halten eines aus Anleihen und Aktien zusammengesetzten Marktportfolios. <?page no="277"?> 13.1 Strukturierte Produkte 277 13.1.2 Zertifikate, Kapitalschutz und Maximalrendite Zertifikate sind spezielle Strukturierte Produkte. Sie bestehen aus nur einem Instrument und verschaffen dem Anleger eine Partizipation an diesem Underlying. Sie sind typischerweise so ausgelegt, dass sie ein breites Spektrum eines Markts abdecken. Verbreitet sind Indexzertifikate, mit denen sich die Finanzinvestoren bereits mit kleinen Anlagebeträgen an der Entwicklung eines Aktienindexes beteiligen können, was mit Direktanlagen nur mit einem sehr großen Portfolio möglich wäre. Erwähnenswert sind Zertifikate auf Baskets (Portfolios) an Aktien einer bestimmten Branche, einer bestimmten Region oder bestimmter Eigenschaften, wie zum Beispiel „Value“ oder „Small“. In den meisten Fällen verändert sich die Zusammensetzung des Underlyings nicht. Man spricht dann von statischen Zertifikaten. Ab und zu werden dynamische Zertifikate angeboten, bei denen das Basket oder das Basisportfolio in regelmäßigen Abständen oder aufgrund von Ereignissen neu zusammengesetzt wird. Wichtig ist dabei, dass die Selektionskriterien objektiv nachvollziehbar sind. Beispiele sind Baskets, die nur Aktien mit einem bestimmten Kurs-Gewinn-Verhältnis oder mit einem bestimmten Marktwert-Buchwert- Verhältnis umfassen. Da sich bei den einzelnen Titeln diese Relationen laufend ändern, muss die Zusammensetzung des so definierten Baskets laufend überprüft werden. Der Payoff des Zertifikats ist linear, beinhaltet also keine Option. Häufig ist jedoch ein Preisanstieg vorprogrammiert, da die erwarteten Dividenden als Diskont in den Preis einfließen. Die Laufzeit von Zertifikaten ist in der Regel auf ein bis fünf Jahre begrenzt. Kapitalgeschützte Produkte weisen einen nach unten begrenzten Payoff auf. Diese Produkte eignen sich daher besonders für Anleger, die eine Partizipation am Underlying bei gleichzeitigem Schutz vor negativen Kursentwicklungen wünschen. Selbstverständlich muss der Anleger für den Schutz etwas bezahlen, weshalb der Payoff unterhalb des Payoffs der reinen Aktienposition liegt. Diese Produkte entsprechen in ihrer Zielsetzung der Strategie des Protective-Put-Buying. Wir erwähnten bereits „Absolute Return“ als Verkaufsargument. Produkte mit Maximalrendite sind gewissermaßen das Gegenstück zu den kapitalgeschützten Produkten. Sie bieten eine Partizipation am Underlying im unteren Kursbereich, verkaufen jedoch die Chance zur Partizipation an hohen Kursen. Auf den ersten Blick erscheint dies zwar nicht besonders attraktiv. Allerdings wird der Investor eines solchen Produkts für den Nachteil, dass er das Kurssteigerungspotential verkauft, mit einer Prämie entschädigt. Die Produkte mit Maximalrendite entsprechen in ihrer Zielsetzung der Strategie des Covered-Call-Writing. Der Investor kann eine äquivalente Struktur nämlich dadurch erzielen, dass er ein Aktienportfolio hält und darauf eine Call-Option verkauft. Durch den Verkauf der Call-Option erhält er die Optionsprämie, die ihm die Rendite aufbessert. Eine solche Strategie bietet sich insbesondere an, wenn man auf geringe Kurssteigerungen setzt, die Volatilität aber hoch ist. Bei den strukturierten Produkten manifestiert sich dieser Vorteil etwa in einem geringeren Einstandspreis (Discount-Zertifikate). Innerhalb dieser Produktgruppe sind vier Formen zu unterscheiden: <?page no="278"?> 278 13 Kapitel: Financial Engineering Discount-Zertifikate: Sie bestehen aus einem Basiswert, auf den eine Call-Option geschrieben wird. Die hierdurch erhaltene Optionsprämie reduziert den Einstandspreis des Basiswerts. Der Anleger kauft diese Position quasi mit einem Kursabschlag, mit einem Discount. Reverse Convertibles weisen exakt denselben Payoff auf wie die Discount-Zertifikate, sind jedoch anders konstruiert. Ihnen liegen eine Obligation sowie ein Short Put zugrunde. Durch den Verkauf der Put-Option wird wiederum der Einstandspreis des Basiswerts reduziert, wodurch sich die relativen periodischen Erträge der Obligation erhöhen. Outperformance-Produkte haben einen doppelten Knick im Payoff. Bei positiver Entwicklung verstärken sie zunächst die Partizipation, um sie dann weiter oben vollständig zu verkaufen. Step-Zertifikate zeichnen sich durch einen dreifachen Knick aus. Grundsätzlich sieht die Gesamtposition wie ein Short Put aus, es gibt jedoch einen kleinen konvexen Knick im mittleren Kursbereich, in dem der Anleger geschützt ist. Grundsätzlich lässt sich mit diesen Basisinstrumenten ein fast beliebig breites Spektrum an Auszahlungsprofilen konstruieren. Entsprechend groß ist die Vielfalt der am Markt angebotenen Strukturierten Produkte. 13.2 Hedge-Funds Optionsartige Payoffs sind für die Anleger von besonderem Interesse, da der Knick sehr attraktiv erscheint: Entweder verschafft er einen Schutz, oder er führt zu einer Veränderung des Einkommensstroms. Insbesondere ist der Wunsch verständlich, an positiven Marktentwicklungen partizipieren zu wollen und in schlechten eine risikofreie Anlage zu halten. Verschiedene Institutionen versuchen daher, solche optionsartigen Payoff-Strukturen zu erzielen, indem sie neben dem Einsatz von Optionen eine aktive Anlagestrategie verfolgen. Zu diesen Institutionen gehören insbesondere die Hedge-Funds (Hedgefonds). Deren Bedeutung hat seit Mitte der 1990er Jahre stark zugenommen. Es gibt keine einheitliche Definition des Begriffs der Hedge Funds. Allgemein handelt es sich aber um Anlagefonds, die üblicherweise nur geringen Anlagerestriktionen unterliegen. Hedge-Funds suchen nach Marktineffizienzen und versuchen, diese durch aktive Anlagetätigkeit oder Einsatz derivativer Instrumente auszunutzen. Im breiten Spektrum von Anlagestilen lassen sich Kategorien unterscheiden (Bild 54). Der am meisten verbreitete Stil ist Long-Short-Equity. Dabei wird vom Hedgefonds- Manager versucht, unterbewertete Aktien zu kaufen (für die also eine Long-Position entsteht) und parallel dazu überbewertete Aktien zu verkaufen (für die somit eine Short- Position eingegangen wird). Vor einem Investment in Hedge-Funds gilt es folgende Besonderheiten zu beachten: Gerade weil Hedge-Fund ihr Portfolio aktiv managen, hängt der Erfolg im Wesentlichen von der Qualität und Fähigkeit des Fondsmanagers ab. Der Anleger investiert deshalb faktisch nicht in die Basisanlagen des Fonds, sondern in dessen Manager. Daher empfiehlt sich eine <?page no="279"?> 13.2 Hedge-Funds 279 ausreichende Diversifikation über verschiedene Hedge-Funds beziehungsweise über verschiedene Fondsmanager mit unterschiedlichen Anlagestilen. Aufgrund dieses Diversifikationsbedürfnisses der Anleger werden heute Multi-Strategie- Produkte beziehungsweise Multi-Manager-Funds oder Funds of Hedge-Funds (FoHF) angeboten. Ferner weisen Hedge-Funds in der Regel eine bedeutend tiefere Liquidität auf als herkömmliche Wertpapierfonds. Deshalb sollte ein Investment nur für einen längeren Zeitraum geplant werden. Die meisten Hedge-Funds nehmen in den Vertrag eine Lock- In-Periode auf, während der Anleger die Kapitalüberlassung nicht beenden können. Abb. 54: Anlagestile von Hedge-Funds Bei einigen ihrer Strategien beobachten Hedge-Funds den Börsenplatz in Echtzeit und prüfen, ob in einzelnen der gehandelten Titel ungewöhnlich viele Kauf- oder Verkaufsorder eingehen. Sie versuchen dann, daraus Prognosen abzuleiten und gehen ihrer Prognose entsprechend mit kurzzeitiger Taktik Long-Positionen oder Short-Positionen ein. Ansätze, die Orderbücher und ihre Veränderung sowie die Ausführung einzelner Order im Zeitablauf verfolgen, verlangen selbstverständlich (1) Algorithmen, (2) einen direkten IT-Anschluss an die Handelsplattform der Börse, sowie (3) leistungsfähige Computer. Mit dieser Ausrüstung für den automatisierten Handel kann der Akteur weitere Strategien für den Hochgeschwindigkeitshandel oder Hochfrequenzhandel (HFH) umsetzen. Da mittlerweile Hochfrequenzhändler an den Börsen beachtliche Umsätze generieren, sind sie eine von Börsenorganisationen geschätzte Kundschaft. Bei Hochfrequenzhändlern steht dieses Vorgehen im Mittelpunkt: Wenn ein Finanzinvestor einen größeren Auftrag erteilt und der Broker diesen Auftrag in das Handelssystem einer Bank eingibt, dann wird der Auftrag meistens nicht nur einem einzigen Börsenplatz zur Ausführung zugeleitet. Denn ein großer Auftrag könnte je Füllung des Orderbuches doch zu merklich anderen Kursen führen, zu denen er dann ausgeführt wird. Große Aufträge werden daher üblicherweise gestückelt und (meistens ziemlich zeitgleich) bei mehreren Börsenplätzen eingegeben, an denen das betreffende Finanzinstrument gehandelt wird. Bei der Aufteilung berücksichtigt der Broker, wie die Orderbücher an den relevanten Plätzen gefüllt sind. Ein Hochfrequenzhändler kann nun, sobald eine Order irgendwo eingegeben wird, vermuten, dass es sich um die erste Teileingabe einer größeren Order handelt. Der Hochfrequenzhändler wird sodann versuchen, den kurz darauf an anderen Plätzen vermutlich Equity Hedge Relative Value Event Driven Opportunistic Long-Short- Equity Convertible Arbitrage Special Situations Global Macro and Currency Equity Market Neutral Fixed-Income Arbitrage Distressed Securities Emerging Markets Fundamental Growth Volatility Arbitrage Merger Arbitrage Equity Market Timing <?page no="280"?> 280 13 Kapitel: Financial Engineering eintreffenden Teilaufträgen zuvor zu kommen. Der Hochfrequenzhändler folgt also der durch die Erfahrung bestätigten Vermutung, dass oft kurz nach Eintreffen einer Order am Platz A eine ähnliche Order an den Plätzen B, C und D eintrifft. Diese Strategie des Vorauseilens kann noch profitabler gestaltet werden, indem Liquidität vorgetäuscht wird. Der Hochfrequenzhändler gibt von sich aus beachtliche Order in die Bücher und wartet ab. Sobald an einem Börsenplatz A eine Wertpapierorder eintrifft und daher vermutlich innerhalb weniger Mikrosekunden auch bei B, C und D solche Order eintreffen dürften, nimmt der Hochfrequenzhändler schnell seine Eingaben zurück und profitiert von der dann für den Broker unerwarteten Kursbewegung. 13.3 Zur Preisbildung Mit Financial Engineering werden Zusammenführungen von Finanzinstrumenten (wie Aktien, Futures, Optionen) unter Betonung von Derivaten bezeichnet. Die Zusammenführungen werden in der Regel von Investmentbanken vorgenommen. Sie lassen Portfolios entstehen, die vorgegebene und erwünschte Zahlungseigenschaften aufweisen oder nachbilden. Die Portfolios werden sodann in Finanzkontrakte übersetzt, die als Strukturierte Produkte bezeichnet werden. Die Strukturierten Produkte werden von den Investmentbanken, die sie erzeugen, der Bankkundschaft und Anlegerschaft angedient, wobei die Investmentbank auch als Market-Maker für den sich der Erstausgabe anschließenden Handel der Strukturierten Produkte sorgt. Nun sind Finanzmärkte vollständig: Finanzmärkte bieten in reichhaltiger Weise alle möglichen Kontrakte, die für alle wichtigen Zustände, die eintreten könnten, genau dann dem Berechtigten einen Geldbetrag bieten, falls der Zustand eintritt. Das bedeutet, dass mit Financial Engineering Strukturierte Produkte mit allen erdenklichen Zahlungseigenschaften erzeugt werden können. Es gibt Strukturierte Produkte, die an Wert gewinnen, wenn ein Rohstoff teurer wird, es gibt solche Produkte, die an Wert gewinnen, wenn der Rohstoff teurer wird und zugleich der Marktindex für Aktien fällt, und es gibt Strukturierte Produkte, die beim Zahlungsausfall eines Industriekonzerns greifen, und so fort. Was motiviert die Investmentbanken, immer neue Strukturierte Produkte zu erfinden, mit Financial Engineering zu erzeugen, anzubieten und den Handel damit zu gestalten? Die meisten Strukturierten Produkte sind die passende Antwort der privaten und institutionellen Anleger auf Themen, die aufkommen und für wichtig gehalten werden. Selbstverständlich könnten insbesondere die Institutionellen die zu den Themen passenden Änderungen ihrer Portfolios selbst herbeiführen, wozu aber eben Kombinationen von Derivaten eingesetzt werden müssen. Das Strukturierte Produkt kürzt das ab und bietet eine Vereinfachung. Für Aufsichtsgremien bietet das Strukturierte Produkt im Portfolio die leichte Lesbarkeit, welche Themen und wie stark sie mit dem Portfolio berücksichtigt werden. Bei eigener Nachbildung wäre der Zweck nicht leicht erkennbar. Investmentbanken haben durch Strukturierte Produkte einen dreifachen Vorteil. Erstens zeigen sie ihrer Kundschaft, dass sie innovativ sind und neue Themen aufgreifen. Arbeitet die Investmentbank mit einer Vermögensverwaltung zusammen, so kann diese bei der Anlegerschaft mit neuen Instrumenten Interesse wecken. Zweitens wird das Strukturierte <?page no="281"?> 13.4 Fazit zum Kapitel Financial Engineering 281 Produkt um einen kleinen Betrag teurer angeboten als die Erzeugung kostet. Drittens erlaubt das Market-Making, die Spanne zwischen diesen beiden Kursen, oft als Geldkurs (Bid) und Briefkurs (Ask) zu nutzen. Das Strukturierte Produkt in das Portfolio einzubeziehen, ist für Finanzinvestoren ein bequemer Weg, die gebotenen Zahlungseigenschaften in das eigene Portfolio zu integrieren. Dies gilt besonders dann, wenn die Märkte für die Komponenten nicht so leicht zugänglich sind. Wenn eine Investmentbank beispielsweise einen Index erzeugt und anbietet, der die Kursbildung gewisser Unternehmen aus Afrika nachbildet oder die Anbieter spezieller Technologien zusammenfasst, dann ist den meisten Investoren ein Eigenbau unmöglich. Hinzu kommt eine gewisse Intransparenz. Da nur wenige Investoren den Eigenbau der Strukturierten Produkte für sich selbst vornehmen und kaum darüber berichten, sind Kosten und Marktwert der Strukturierten Produkte bei Ausgabe nicht immer transparent. Auch das ermöglicht der Investmentbank einen kleinen Preisvorteil. Strukturierte Produkte setzen aber nicht die allgemeingültigen Grundlagen in den Finanzmärkten außer Kraft: Eine positive Rendite kann begründet nur erwarten, wer 1. sein Geld in der Zeit anlegt, 2. Marktrisiken (die nicht weiter diversifizierbar sind) übernimmt, 3. auf Liquidität verzichtet, 4. sich mit Fortüne und Fleiß bei der Informationsbeschaffung in Bereiche wagt, in denen der Grad allgemeiner Informiertheit gering ist. Eine kritische Anmerkung: In Finanzmärkten, die hinreichend liquide sind und hinreichend viel an Information bieten, bleiben nur die ersten beiden Faktoren, um eine positive Rendite zu erklären: Das Geld in der Zeit und die Übernahme nicht mehr diversifizierbarer Risiken. Wenn beim Verkauf eines Strukturierten Produkts suggeriert wird, es sei frei von Risiken und die Zeit bis zur Realisation des Ergebnisses sei nicht zu lang, dann sollten sich Käufer der Produkte nicht wundern. Sie werden am Ende nur eine magere Rendite haben. Das war so bei Produkten der Fall, die einen Absoluten Return versprochen und am Ende kaum mehr als den Einsatz gebracht haben. 13.4 Fazit zum Kapitel Financial Engineering 13.4.1 Zusammenfassung Strukturierte Produkte bestehen aus einem Paket verschiedener Basisprodukte, die als Schuldverschreibung einer Bank dem Investor angeboten werden. Neben den Zertifikaten, die lediglich eine positive Partizipation an einem breit diversifizierten Underlying ermöglichen, existieren vor allem zwei Gruppen Strukturierter Produkte: Kapitalgeschützte Produkte bieten einen Schutz vor Verlusten, während Produkte mit Maximalrendite das Renditepotential gegen eine sichere Prämie verkaufen. <?page no="282"?> 282 13 Kapitel: Financial Engineering 13.4.2 Lernpunkte 1. Zertifikate sind spezielle Strukturierte Produkte. Sie bestehen aus nur einem Instrument und verschaffen dem Anleger eine Partizipation an diesem Underlying. Es gibt statische und dynamische Zertifikate. 2. Bei den Strukturierten Produkten sind die kapitalgeschützten Produkte von den Produkten mit Maximalrendite zu unterscheiden. 3. Hedge-Funds haben ein Managerrisiko. Daher sollte diversifiziert werden, etwa über Multistrategie-Produkte oder über Funds of Hedge-Funds. 13.4.3 Erwähnte Personen - 13.4.4 Schlüsselbegriffe Basket, Covered-Call-Writing (CCW), Discount-Zertifikat, Hedge-Funds, Indexzertifikat, Kapitalschutz, Maximalrendite, Minimalrendite, Multi-Strategie-Produkte, Outperformance-Produkt, Partizipation, Protected-Put-Buying (PPB), Reverse Convertible, statisches Zertifikat, Step-Zertifikat, Stil, Strukturiertes Produkt. 13.4.5 Fragen zur Lernstandskontrolle 1. a) Was ist ein „Strukturiertes Produkt“? b) Unter den Strukturierten Produkten sind sowohl solche mit Kapitalschutz als auch solche mit einer Maximalrendite bei Anlegern beliebt. Erklären Sie, wie diese Produkte, etwa analog zu PPB und CCW mit Optionen konstruiert werden können! c) Eine Bank bietet die Kategorie BLOC (buy low or cash) an. Handelt es sich dabei eher um PPB oder um CCW? [Antworten: Abschnitt 13.1.1] 2. a) Wie wird der Payoff gestaltet, um Investoren eine „Outperformance“ anzubieten? Und wie, um ihnen einen „Absolute Return“ zu verschaffen? b) Wie können die Produkte aus dem Basiswert und aus Optionen erzeugt werden? [Antworten: Outperformance: Mehrfaches CCW; Absolute Return: PPB, siehe 13.1.1. und 13.1.2]. 3. Ein häufiger Stil von Hedge-Funds besteht darin, long und zugleich short in Aktien und Aktienindizes zu gehen. Gehen Sie zurück auf die Portfolios SMB und HML aus Abschnitt 11.2.3! In welchen Positionen sind SMB beziehungsweise HML long? In welchen sind sie short? [Antworten: Abschnitt 13.2] 4. Was wird unter dem Managementrisiko bei einem Hedge-Fund verstanden und weshalb bieten sich Fund of Funds an? [Antworten: Abschnitt 13.2] 5. Wird durch die Lock-In-Periode die Liquidität oder die Rendite des Hedge-Funds beeinflusst? [Antwort: Liquidität während der Lock-In-Periode ist nicht mehr gegeben, doch die Rendite insgesamt wird erhöht, weil weniger Barmittel für jene Finanzinvestoren gehalten werden müssen, die andernfalls ihre Anteile zurückgeben wollten]. <?page no="283"?> 14. Kapitel: Finanzkrisen Viele Ökonomen billigen dem Marktgeschehen zu, von sich aus ein Gleichgewicht herbeiführen zu können. Auf dem Weg dorthin, so eine oft geteilte Sicht, würden die Marktkräfte Markträumung herbeiführen und Arbitragefreiheit erzeugen. Des Weiteren sind viele Ökonomen davon überzeugt, dass bei hoher Liquidität ein Finanzmarkt gut und ziemlich schnell Informationen verarbeitet und sie allen aggregiert zur Verfügung stellt. Natürlich sind nicht alle Ökonomen davon überzeugt, dass die Finanzmärkte in einem starken Sinn informationseffizient sind. Allerdings hat es in der Geschichte immer wieder unvorhergesehene Störungen, Finanzkrisen und Wirtschaftskrisen gegeben, und viele Ökonomen räumen ein, dass es Krisen auch in Zukunft geben werde. Dabei werden die Krisen nicht einfach als Rückschläge auf einem ansonsten stabilen Pfad gesehen, die der Markt mit eigenen Kräften ausmerzen würde. Stattdessen wird nach dem Staat gerufen, oder nach einer Staatengemeinschaft, von der Hilfe kommen sollte — weil der Markt versage. Dieses Kapitel beschreibt einige Finanzkrisen. Natürlich haben sie unterschiedliche Stärke, weshalb drei Stufen unterschieden werden sollen. Drei Stufen der Stärke einer Krise Beispiele Ein (enges) Finanzsegment verliert Stabilität, Rettungsmaßnahmen (Bail-Outs) oder eine lockere Geldpolitik sollen helfen. Tulpenmanie 1637, Silbermarkt 1980, Hongkong 1987, LTCM 1998. Ein breiteres Finanzsegment wird instabil, das Bankensystem ist gefährdet, die Realwirtschaft rutscht in eine Rezession, internationale Hilfsmaßnahmen sind erforderlich. Mississippi Bubble 1719, Asienkrise 1997, Subprime-Crisis 2007, Euro-Krise 2012. Die globalen Finanzmärkte sind betroffen, es kommt zu Einbrüchen beim BIP von über 15%, die Ordnungspolitik diskutiert Änderungen der Eigentumsrechte, die Politik verkündet eine neue politische Richtung. Weltwirtschaftskrise 1929-1932. Anschließend lassen wir Denkrichtungen zu Wort kommen, in denen die Frage beantwortet wird, warum es immer wieder zu solchen Krisen kommen kann. Wir enden das 14. Kapitel mit der Empfehlung an die Einzelperson, sich von den Finanzmärkten nicht verführen zu lassen, Positionen einzugehen, die nicht nachhaltig bewältigt werden können. <?page no="284"?> 284 14. Kapitel: Finanzkrisen 14.1 Krisen 14.1.1 Eine Begriffsfindung Eine Krise (in der Finanzwirtschaft oder in der Wirtschaft generell) ist eine Situation und Phase einer deutlich erkennbar negativen Entwicklung wirtschaftlicher Größen auf gesamtwirtschaftlichem Niveau, bei der die Stabilität verloren geht. Krisen entsprechen daher einem Bruch des Systems, oder ein Fehler im System tritt massiv zu Tage. Eine Krise kann einen kleinen Bereich, ein Teilsegment der Finanzmärkte, die Finanzwirtschaft eines Wirtschaftsraumes, eine ganze Volkswirtschaft oder die Weltwirtschaft betreffen. Eine Krise ist schwerwiegender als allein negative Kursbewegungen, die, selbst wenn sie sehr hoch ausfallen, sich aus den üblichen Einflussfaktoren ergeben können. Finanzkrisen verändern jedoch nicht allein das Kursniveau, dem bisherigen Funktionsmuster der Märkte folgend, sondern sie unterbrechen die Liquidität des Handels, lassen des Vertrauen schwinden und bewirken weiter abträgliche Entwicklungen. Insbesondere strahlen sie negativ auf die Realwirtschaft aus. Auch ist für Krisen charakteristisch, dass immer die Gefahr besteht, dass sie auf benachbarte wirtschaftliche und gesellschaftliche Bereiche übergreifen und die dortige Stabilität ebenso zerstören. Krisen heilen sich selten von allein. Weitere Hilfen müssen gegeben werden, etwa indem der Staat helfen soll. Bei einer Krise wird offenkundig, dass bislang wenig beachtete Einflussfaktoren hinzugetreten sein müssen, die dann gravierende Wirkungen haben. Diese Einflussfaktoren werden beim Eintreten der Krise vielleicht noch nicht gesehen, doch später werden sie und ihre Funktion genauer erkannt. Krisen und krisenhafte Entwicklungen könnten oftmals frühzeitig erkannt werden, doch Schwarzseher und Hiobsbotschaften sind in der Gesellschaft nicht beliebt. Sie werden zwar gehört, doch die Allgemeinheit ändert nicht das Verhalten. Geraten wir in eine Krise, apostrophieren wir sie daher als „unvorhersehbar“ und „überraschend“. So weisen wir die Schuld ab, eine negative Entwicklung nicht rechtzeitig erkannt und ihr Einhalt geboten zu haben. Diese allgemeine Haltung von uns Menschen bewirkt, dass wir Krisen nachträglich immer auf mehrere Ursachen zurückführen. Es heißt dann, dass jede für sich gesehen worden sei. Doch keine für sich alleine betrachtet sei bedrohlich gewesen. Doch unglücklicherweise hätten sich plötzlich mehrere solcher Entwicklungen verkettet und so sei es zur Krise gekommen. Entsprechend ist es leider so, dass wir aus Krisen nichts lernen wollen. Zugegebenermaßen hat jede Ursachenforschung stets den Nachteil der „groben Vereinfachung“. Wenn dieses Buch im Folgenden Ursachen für Finanzkrisen nennt, dann soll nicht verkannt werden, dass es bei allen Krisen weitere Ursachen gegeben haben dürfte. 14.1.2 Von Störung zu Katastrophe Finanzkrisen können unterschiedlich schwer ausfallen. Eine leichte Finanzkrise liegt vor, wenn sie auf ein Teilsegment des Finanzmarktes eines Landes beschränkt bleibt und kaum auf die Realwirtschaft ausstrahlt. Eine mittlere Finanzkrise liegt vor, wenn sie den ganzen Finanzmarkt eines Währungsgebiets erfasst und negativ auf die Realwirtschaft ausstrahlt, <?page no="285"?> 14.1 Krisen 285 beispielsweise durch einen Rückgang des BIP in einem Konjunktureinbruch. Eine schwere Finanzkrise liegt vor, wenn die globalen Finanzmärkte einbezogen sind und dadurch in großen Wirtschaftsräumen eine Depression ausgelöst wird. Entsprechend sollen drei Stärken einer Krise unterschieden werden. Verbunden mit der Stärke sind die Größenordnungen des Schadens, ebenso wie die Zeitdauern, die vergehen, bis die Krise halbwegs bewältigt ist. Schwere Krisen benötigen typischerweise längere Zeit, bis ihre Wirkungen und ihre Ursachen beseitigt sind. Und leichte Krisen sind häufiger als schwere Krisen. Leichte Krisen (Stärke 1) ereignen sich in speziellen Segmenten der Finanzmärkte und bleiben auf die entsprechenden Orte oder Arten von Finanzinstrumenten beschränkt. Die Stabilität der Finanzmärkte ist verloren, gleichwohl indes nur punktuell. Trotzdem wird befürchtet, die negative Stimmung könnte sich ausbreiten, weshalb vielfach Banken, die Zentralbank oder der Staat Rettungsmaßnahmen (Bail-Outs) leisten und geschädigte Personen, Anleger und Investoren für Verluste kompensieren. Die Realwirtschaft ist dann nicht weiter betroffen und die Kosten für die Bail-Outs verteilen sich auf viele Schultern. Mittlere Krisen (Stärke 2) treffen mehrere Teile der Finanzwirtschaft eines Währungsgebiets zugleich. Die Stabilität ist im breiten Segment verloren. Die Finanzkrise wirkt sich deutlich auf die Realwirtschaft des Landes oder der Ländergruppe aus. Zwar entsteht in der Realwirtschaft keine Krise, doch es kommt zu einem Wirtschaftsrückgang, zu einer Rezession. Um weitere negative Entwicklungen zu vermeiden, müssen größere Rettungsaktionen organisiert und koordiniert werden. Das gelingt nur noch auf multilateraler Ebene. Der IMF (International Monetary Fund) oder der Europäische Rettungsschirm (EFSM und ESM) wird hinzugerufen. Der betroffene Staat muss den Krisenzustand bestätigen und die etwa EU förmlich um Unterstützung bitten. Schwere Krisen (Stärke 3) betreffen die globalen Finanzmärkte insgesamt, und wirtschaftlich bedeutendere Staaten und Währungsräume oder die ganze Welt müssen starke und depressive Einbrüche in der Realwirtschaft hinnehmen. Das BIP bricht um 15% oder mehr ein. Dadurch kommen weite Teile der Bevölkerung in Not. Rettung sehen die einen in einer Währungsreform, die anderen in einer Änderung der Eigentumsrechte. Alle Menschen suchen einen ordnungspolitischen Neubeginn. Bevor wir zu diesen drei Stärken noch mehr sagen und Beispiele anführen, gehen wir kurz auf bloße technische Störungen in den Abwicklungssystemen ein. Technische Störungen bei der Abwicklung von Transaktionen haben immer wieder zu Unannehmlichkeiten an den Finanzmärkten geführt. Ein Beispiel ist der verzögerte Handelsbeginn an der Deutschen Börse auf der elektronischen Handelsplattform Xetra im Mai 2012 aufgrund eines Hardware-Fehlers. Den letzten Ausfall davor auf Xetra hatte es im November 2007 gegeben. Wohl noch nie haben Störungen der angesprochenen Art sich zu einer Krise ausgeweitet. Eine solche technische Störung hat nur die „Stufe 0“ und ist spätestens nach Stunden oder ein paar Tagen beseitigt. <?page no="286"?> 286 14. Kapitel: Finanzkrisen Bei der Gestaltung technischer Systeme muss immer eine Abwägung zwischen den Kosten für Errichtung und Betrieb sowie der Zuverlässigkeit getroffen werden. Effizienz ist verlangt, doch sie verlangt, dass die Schäden aufgrund gelegentlicher Störungen durch die Nutzer oder die Bevölkerung bewertet werden. Werden Kunden von Banken und Börsen anspruchsvoller, was mit der allgemeinen Entwicklung eines Landes zusammenhängt, dann müssen diese Organisationen (Banken, Börsen) die technischen Standards verbessern und werden damit teurer. Ebenso wenig wird eine Finanzkrise ausgelöst, wenn Sparer durch Betrug ihre Einlagen verlieren. Immer wieder treten Personen auf, die es C HARLES P ONZI gleichtun und Sparer mit hohen, nicht einlösbaren Renditeversprechungen locken. Neue Einlagen werden dazu verwendet, dass die ersten Einleger tatsächlich gut bedient werden (Schneeball-System). Damit niemand entdecken kann, dass gar kein entsprechendes Vermögen als Deckung der Zusagen aufgebaut wird, errichtet der Betrüger eine wenig transparente, internationale und verschachtelte Gruppe von Finanzfirmen, von denen eine, wenngleich mit Sitz in einem dubiosen Land („aus steuerlichen Gründen“), Vermögen bilanziert. Ein solches Ponzi- Schema fliegt dann irgendwann auf, und die letzten haben das Nachsehen. Damit diese Schemata nicht zu einer allgemeinen Praxis in einem Land werden können, müssen die im Kundengeschäft stehenden Finanzfirmen wie Versicherungen und Pensionskassen sich periodischen Prüfungen ihrer Bilanzen unterziehen. So wird vermieden, dass über Jahre zu hohe Leistungen ausgeschüttet werden und das Weiterbestehen der Einrichtungen es verlangt, dass ein entsprechendes Neugeschäft stattfindet. Die Kapitaldeckung verlangt, dass alle bereits gegebenen Zusagen aus vorhandenem Vermögen erfüllt werden könnten. Das Fehlverhalten von Einzelpersonen, oder die Gier von Gruppen von Personen, kann durchaus eine Finanzkrise auslösen. Aufgrund der schon beachtlichen abträglichen Wirkungen und wegen der Gefahr eines Ausstrahlens auf andere Segmente der Finanzmärkte oder auf die Stabilität des Bankensystems ist der Staat zu Hilfe bereit. Erst wird das Fehlverhalten vertuscht, dann werden schnell Gelder bereitgestellt, um den betreffenden Finanzmarkt wieder zu normaler Funktion zu bringen. Durch solche Rettungsaktionen kann wieder Stabilität herbeigeführt werden. Das gelingt innerhalb einiger Monate. Kommt es hingegen zu keinem Bail-Out, dann kann der liquide Handel in dem betroffenen Teilsegment der Finanzmärkte auf Jahrzehnte hinaus leiden. Beispiel: Das Bankhaus Lehman Brothers wurde 2008 nicht gerettet. Die Subprime-Krise weitete sich daraufhin aus und es entstanden weitere Krisen, so die des Euro. Heute denkt die Forschung, es sei ein Fehler gewesen, die Bank nicht zu retten. 14.1.3 Vier Beispiele für Finanzkrisen der Stärke 1 Vier Finanzkrisen der Stärke 1 werden nun näher betrachtet. Dabei folgen wir der historischen Reihenfolge. Den Beginn macht die Tulpenmanie in Holland 1637. Das zweite Beispiel ist die Manipulation des Marktes für Silber durch die Gebrüder H UNT 1973-1980. Im dritten Beispiel geht es um die Futurespositionen von R OBERT N G in Hong Kong 1987. Im vierten Beispiel einer Finanzkrise der Stärke 1 um den Niedergang des Hedge-Funds LTCM 1998. <?page no="287"?> 14.1 Krisen 287 Das historisch älteste Beispiel einer Krise der Stärke 1 ist die Tulpenmanie. Es handelt sich dabei um einen Preiseinbruch in einem engen und speziellen Teilsegment, der nicht weiter auf andere Finanzmärkte oder die Realwirtschaft ausgestrahlt hat. Tulpen wurden um 1580 in Europa eingeführt. Der Botaniker C AROLUS C LUSIUS brachte sie von der Türkei nach Holland. Ende des 16. und Anfang des 17. Jahrhunderts wurden Tulpen und Hyazinthen zu Liebhaberobjekten der oberen Schichten. Die Zwiebeln wurden alsbald auf einem Sekundärmarkt gehandelt. Das Preisniveau stieg über Jahre an. Bald traten Spekulanten an den Sekundärmärkten auf, nur um auf weitere Preissteigerungen zu setzen. Im Jahr 1637 konnte eine Zwiebel bei Versteigerungen bis zu 10.000 Gulden kosten (auf heutige Verhältnisse umgerechnet etwa 100.000 Euro). Zunehmend wurde man sich der enormen Höhe der Preise bewusst. Zweifel wurden geäußert. Einige Händler begannen, nicht mehr mitzubieten. Darauf fielen die Preise, und die Tulpenmanie endete auf einen Schlag. Vom Preiszusammenbruch waren nur die letzten Spekulanten betroffen. Die Allgemeinbevölkerung und die Wirtschaft insgesamt erlitten keinen Schaden. Die Tulpenmanie bleibt zwar in aller Erinnerung aufgrund unseres bildlichen Gedächtnisses, doch sie löste weder eine breitere Finanzkrise noch eine Wirtschaftskrise aus. Interessant ist die Beobachtung, dass der Markt für Tulpen als dünn angesehen wurde. Die Tulpen hatten in der allgemeinen Vorstellung keine Substitute und ihr Preis war weder breit abgestützt noch in den Preisen anderer Güter verankert. Das Positive an der Dünne des Marktes: Durch die Unabhängigkeit der Preise für Tulpen von den Preisen anderer Güter und Positionen konnten die Preise fallen, ohne dass das Preisgefüge in den anderen Märkten mit heruntergezogen wurde. Das zweite Beispiel für eine Finanzkrise der Stärke 1 ereignete sich ebenso in einem dünnen - also wenig mit anderen Positionen verbundenen - Marktsegment. Wie bei der Tulpenmanie fand kein Bail-Out statt, und der betroffene Teilmarkt hat noch über 25 nach der Krise Jahre gelitten. N ELSON B UNKER H UNT (geboren 1926) und W ILLIAM H ERBERT H UNT haben versucht, den Silbermarkt zu manipulieren. Sie kauften zwischen 1973 und 1980 Silber in großem Stil und bezahlten teils mit eigenem Geld, teils mit dem arabischer Geschäftsleute, teils mit Krediten. Durch die Käufe stieg der Preis für ein Kilogramm Silber von unter 70 Dollar (1973) bis auf fast 2000 Dollar (1980). Zuletzt hatten die Gebrüder H UNT 5000 Tonnen Silber in Barrenform, das sie in Europa lagerten. Außerdem hatten sie über 7000 Tonnen Silber in Kontrakten zu erhalten, die sie an der Warenterminbörse COMEX in New York hielten und erneuerten. Ihre Gesamtposition hatte also einen Wert von über 20 Milliarden Dollar. Natürlich hat über die 7 Jahre ihrer Ankäufe eine allgemeine Spekulation eingesetzt, und die Finanzmarktaufsicht musste irgendwann handeln. Über Nacht wurden die Regeln an der COMEX geändert: Es durften keine neuen Long-Positionen mehr in Silber eingegangen werden. Bestehende Long-Positionen durften nur noch gegen bestehende Short-Positionen ausgeglichen werden. Damit konnte der Silberpreis nicht weiter steigen, und die Spekulanten haben verkauft. Die Gebrüder H UNT erlitten Verluste an der Futuresbörse, die sie sofort hätten ausgleichen <?page no="288"?> 288 14. Kapitel: Finanzkrisen müssen - es wird börsentäglich abgerechnet. Die erforderlichen Zahlungen konnten sie nicht mehr leisten, denn innerhalb weniger Wochen hätten sie mehrere Milliarden Dollar bezahlen sollen. Sie hatten ihr gesamtes Vermögen verloren und waren bankrott. Der Silbermarkt hat sich nach diesen Ereignissen im Januar 1980 über Jahrzehnte nicht erholt. Die Preise fielen immer weiter. Heute, über dreißig Jahre nach der Spekulation, liegt der Preis bei 17 Dollar pro Feinunze. Das sind 546 Dollar pro Kilogramm (denn 1 Feinunze sind 31,1034768 Gramm). Als drittes Beispiel einer Finanzkrise der Stärke 1 gehen wir auf die Spekulationen von R OBERT N G in Hongkong in den Jahren vor 1987 ein. R OBERT N G C HEE S IONG , 1952 geboren und ältester Sohn des Milliardärs N G T ENG F ONG (1928-2010), hatte die gute Aufwärtsentwicklung des amerikanischen Aktienmarktes beobachtet: Der Dow Jones Industrial Average (DJIA) lag bis 1981 unter 1000 Punkten und stieg bis zum Januar 1987 auf über 2000 Punkte an. R OBERT N G hat an der Futuresbörse in Hongkong Long-Positionen auf amerikanische Aktien erworben. Er tat dies aber nicht als Privatperson, sondern über zwei in Panama eingetragene Finanzfirmen. Plötzlich und für viele überraschend kam es zum Crash an den Aktienmärkten. Am 19. Oktober 1987 fiel der DJIA um 508 Punkte (22,6%). Dadurch sind über 500 Milliarden Dollar an Marktkapitalisierung vernichtet worden. Ebenso wurde Geld mit Long- Positionen an den Futures-Märkten überall auf der Welt verloren. R OBERT N G sollte in Hongkong für seine Kontrakte an der Futures Exchange eine Milliarde Hongkong-Dollar nachlegen (rund 112 Millionen Euro), weil seine Marginzahlungen diese enormen Verluste nicht gedeckt hatten. Er weigerte sich anfangs, die Verluste mit persönlichen Mitteln auszugleichen. Er verwies auf die beschränkte Haftung der Firmen in Panama. Daraufhin ist die Futures Exchange in Hongkong kollabiert, denn die von N G zuvor immer abverlangten Marginzahlungen hatten die Haftungsbeschränkung der Firmen in Panama nicht berücksichtigt. Diese wurde plötzlich allen deutlich. Nach dem Zusammenbruch der Futuresbörse musste auch der Handel an der Hong Kong Stock Exchange ausgesetzt werden, und zwar für vier Tage. Zwischenzeitlich fand eine Untersuchung des Commercial Crime Büros der Royal Hong Kong Police heraus, dass N G höhere Margin-Calls dadurch vermieden hatte, dass er mit einem seiner Broker eine geheime Absprache traf. Das war selbstverständlich illegal. Die Regierung von Hongkong unterband jedoch eine Klage, weil sie befürchtete, dass dadurch die Stabilität der Finanzmärkte der Kronkolonie nur noch mehr in Mitleidenschaft gezogen würde. Es wurde ein Vergleich geschlossen: R OBERT N G hat aus seinem Privatvermögen 500 Millionen Hongkong Dollar bezahlt, und die restliche Summe wurde im Rahmen einer Rettungsaktion seitens des Staates mit Steuermitteln aufgebracht. R OBERT N G hat über dem bezahlten Betrag hinaus weitere 250 Millionen HKD verloren, weil seine anderen Investments - darunter die Aktiengesellschaft Sino Land - infolge des Finanzskandals massiv an Wert verloren. Das vierte Beispiel einer Finanzkrise der Stärke 1 ereignete sich 1998 in den USA. Der Hedge-Fund Long Term Capital Management (LTCM) wurde 1994 in Greenwich, Connecticut, USA gegründet und stand unter der Leitung von J OHN W. M ERIWETHER sowie der Professoren und Nobelpreisträger M YRON S. S CHOLES und R OBERT C. M ERTON . Überwiegend war LTCM Long-Positionen in Russischen Staatsanleihen eingegangen und hatte (zur Finanzie- <?page no="289"?> 14.1 Krisen 289 rung) Short-Positionen in Staatsanleihen der USA getätigt. Das Gesamtvolumen lag bei über 10 Milliarden USD. Da die Russischen Staatsanleihen eine leicht höhere Rendite abwarfen, wurde durch die Finanzierung über Short-Positionen bezogen auf das geringe Eigenkapital eine hohe Rendite erwirtschaftet. In den ersten Jahren erzeugte der Hedge-Fund jährlich 40% Rendite. Auch heute noch ist dieser Anlagestil beliebt. Er wird als Carry Trade bezeichnet: Der Investor verschuldet sich in einer Währung mit geringem Zinsniveau und investiert in Zinsinstrumente einer Währung mit einem höheren Zinsniveau. Das Währungsrisiko wird mit Terminkontrakten gehedgt. Doch eine Gans, die goldene Eier legt? Vielleicht sind die Finanzmärkte schlauer als derjenige, der sich in Carry Trades engagiert. Die höhere Verzinsung könnte darauf zurückzuführen sein, dass die Bonität schlechter ist. Doch solange sich die schlechtere Bonität der Zinsinstrumente der Währung mit dem höheren Zinssatz nicht in einem Default konkretisiert, bleibt alles gut. Eine Gratwanderung in den Alpen birgt hohe Risiken mit sich. Doch wer nicht abstürzt, hat eine einmalig schöne Bergwanderung gemacht. Jedenfalls waren die Kunden der LTCM, überwiegend Banken, von den Erfolgen in den Jahren 1994 bis 1997 begeistert. Dann setzte die Russlandkrise ein. Dort engagierte Investoren wurden aufgrund der Asienkrise 1997 nervös und zogen Kapital aus Russland ab. Sie befürchteten, die Asienkrise würde auf Russland übergreifen. Die von LTCM gehaltenen russischen Staatsanleihen verloren an Wert und der Hedge-Fund verlor über 4 Milliarden USD. Unter Führung des Fed haben sich 14 Banken als größte Kunden von LTCM bereit erklärt, den Verlust zu übernehmen. LTCM musste dadurch zwar keinen Konkurs anmelden, doch wurde der Hedge-Fund anschließend „im Stillen“ liquidiert. Die Sache war damit, wie gesagt wird, vergessen. Diese vier Beispiele für Krisen der Stärke 1 zeigen einige Übereinstimmungen: 1. Der Investor oder einige Investoren setzen auf das Bestehen und weitere Anwachsen des Preisniveaus in einem Teilmarkt (Tulpen, Silber, Futures an der Terminbörse in Hongkong, Anleihen in Russland). 2. Sie wählen Instrumente, die eine beträchtliche Hebelwirkung haben: Die Gebrüder Hunt nahmen Kredite auf und hielten Termingeschäfte, Robert Ng wählte ebenso Futures, LTCM verschuldete sich in US-Staatsanleihen. 3. Dadurch werden Engagements beträchtlicher Größenordnung möglich. 4. Plötzlich kommen durch exogene Ereignisse weitere Preisavancen zum Stillstand (Zweifel im Tulpenmarkt in Holland, Handelsbeschränkungen für Silberkontrakte an der COMEX, Einbruch beim DJIA, mögliche Russlandkrise aufgrund der Asienkrise). 5. Aufgrund der Hebelwirkung können die Investoren die Verluste nicht selbst ausgleichen. Ein Bail-Out ist aufgrund der enormen Größenordnung und der möglichen Ausstrahlung auf andere Segmente der Finanzmärkte angezeigt. <?page no="290"?> 290 14. Kapitel: Finanzkrisen 6. Kommt es zu keinem Bail-Out, schwindet das allgemeine Vertrauen und das Marktsegment leidet über Jahrzehnte. Mit Bail-Out ist die Sache nach einiger Zeit ausgestanden und vergessen. 14.2 Globale und tiefere Krisen 14.2.1 Krisen der Stärke 2 Wie eingangs erklärt, betreffen Krisen der Stärke 2 breitere Teile der Finanzmärkte. Das strahlt sofort auf die anderen Segmente aus, so dass der Finanzmarkt eines Währungs- oder Wirtschaftsgebiets insgesamt betroffen ist. Dabei wirkt sich die Finanzkrise erkennbar auf die Realwirtschaft des Landes aus. Zwar entsteht dort keine Krise im Sinne einer Depression, doch immerhin eine Rezession. Wir betrachten drei Beispiele für Krisen der Stärke 2. Das erste ist die Mississippi Bubble 1719, das zweite die Asienkrise 1997-98. Das dritte Beispiel ist die Subprime-Crisis 2007. Mississippi-Bubble 1719: Nach verschiedenen, von L UDWIG XIV (1638-1715) geführten Kriegen lag Frankreichs Wirtschaft aufgrund der zu hohen Staatsausgaben danieder. Der Sonnenkönig vertrat eine expansive und kriegerische Außenpolitik. Frankreich hat über seine Verhältnisse gelebt. Es gewann damals zwar eine politisch dominierende Stellung in Europa, doch die zu hoch gewordenen Staatsschulden verlangten einen wirtschaftlichen Neuanfang. Wie andere Ökonomen seiner Zeit sah der schottische Nationalökonom und Bankier J OHN L AW (1671-1729) klar voraus, dass die Wirtschaft Frankreichs weiter zum Erliegen kommen würde. L AW sah die Möglichkeit einer Deflation, sofern das Land nicht ausreichend mit Geld versorgt würde. L AW hatte in Amsterdam gesehen, dass Geld nicht notwendig eine Deckung durch Edelmetall aufweisen müsse. Seine Idee war, eine Wirtschaftsbelebung durch „ungedecktes“ Papiergeld zustande zu bringen. L AW flüchtete vor einem Duell 1694 von Schottland und bewarb sich am Königshof in Versailles. Er ließ Kompetenz für Reformen erkennen und stellte seinen Plan vor, die Wirtschaft Frankreichs durch Papiergeld und leichte Kreditvergabe zu stimulieren. So wurde ihm die Stelle als Controller Frankreichs übertragen. Sodann bot L AW zur Verringerung der Staatsschulden den Gläubigern an, die Forderungen in Aktien zu tauschen, wobei die Gesellschaften Wert durch Handel und Wirtschaft in Louisiana haben sollten. Zwar konnten die fundamentalen Werte dieser Unternehmungen von Frankreich aus nicht beurteilt werden. Aber die Gläubiger akzeptierten den Tausch ihrer Forderungen in Aktien, weil anfänglich gute Nachrichten aus den Kolonien kamen. Zudem trat beim Angebot der Aktien gelegentlich Verknappung auf. Die Kurse stiegen, gefördert durch die leichte Kreditvergabe in der von L AW gestalteten Geldpolitik. Der ökonomische Wert der Aktivitäten in Übersee wurde im Verlauf der Zeit immer mehr überschätzt. Die Mississippi Bubble baute sich auf. <?page no="291"?> 14.2 Globale und tiefere Krisen 291 Im Höhepunkt wurde für eine Aktie im Nominalwert von 500 ein Kurs von 10.000 Libre bezahlt, bei Termingeschäften sogar von 15.000 Libre. Irgendwann wurden Zweifel laut und im November 1719 kam es zu einem Platzen der Preisblase bei den Aktien. Damals gab es keinen Bail-Out. Breite Schichten der Bevölkerung Frankreichs wurden arm. Die Folgen für die gesamte Wirtschaft Frankreichs waren desaströs. Die Finanzkrise hatte die Realwirtschaft auf Jahrzehnte hinaus beschädigt. Die Asienkrise ist das nächste Beispiel für eine Krise der Stärke 2: Um 1997-98 kam es in Asien zu einer Finanz-, Wirtschafts- und Währungskrise. Sie nahm ihren Ausgang in Thailand und griff auf mehrere asiatische Staaten über, wobei neben Thailand noch Indonesien und Südkorea stark betroffen waren. Noch um 1990 wurde den damals als Tigerstaaten bezeichneten vier Ländern Südkorea, Taiwan, Hongkong und Singapur zugetraut, den Sprung vom Entwicklungsland zur Industrienation in nur wenigen Jahrzehnten zu schaffen. Investitionen in Industrieanlagen und allgemein in Immobilien, Aktien und Währungen der südostasiatischen Länder versprachen eine großartige Zukunft. Finanzinvestoren aus den USA, Japan und Europa tätigten Direktinvestitionen und kauften Aktien. Hinzu kamen zahlreiche Investoren aus Asien selbst, die ihre Engagements vielfach durch Kredite finanzierten. Oft wurden diese Kredite in Dollar genommen und nicht in lokaler Währung. Denn die lokalen Banken waren in den genannten Ländern nicht besonders effizient. Ab dem Frühjahr 1997 überdachten internationale Investoren weitere Engagements. Dadurch kamen die Paritäten zwischen den lokalen Währungen und dem Dollar unter Druck. Der thailändische Baht verlor in Kürze 20 Prozent an Wert gegenüber dem Dollar. Die Investoren konnten daraufhin die aufgenommenen Dollarkredite nicht mehr bedienen und mussten Vermögenspositionen verkaufen. Ein Preiszerfall bei den Assets setze ein. Nach Jahren des Wachstums sahen sich die asiatischen Länder 1997 erstmals mit Kursverlusten, Einbrüchen ihrer Währungen und einem Fall in die Rezession mit drohender Depressionsspirale konfrontiert. Die Asienkrise hat indes nur wenig auf den Rest der Welt ausgestrahlt, weil damals die Importe der asiatischen Länder aus den USA, Europa und Japan gering gewesen sind. In Wikipedia ist zu lesen: „In Folge der Liberalisierung der Finanzsektoren asiatischer Staaten entstand in den neunziger Jahren ein Kreditboom in Asien. Das Wachstum des Kreditvolumens lag in dieser Zeit im Durchschnitt bei 8 bis 10 Prozent über den Wachstumsraten des BIP. Es entstanden nicht nur industrielle Überkapazitäten wie in Südkorea, sondern ein immer größerer Teil der Kredite wurde zum Kauf von Aktien und Immobilien eingesetzt. Die Folge war ein Anstieg der Aktienmärkte und ein starkes Ansteigen der Immobilienpreise um das bis zu Vierfache. Mit den steigenden Immobilien- und Aktienpreisen glaubten die Banken gute Sicherheiten zu haben, was sie zu weiteren und immer leichteren Kreditvergaben verführte. Dieses Kapital floss wiederum in Aktien und Immobilien. Durch die daraus resultierenden Preissteigerungen entstand in einigen Bereichen eine spekulative Blase. ... Dies machte die Banken gegenüber Preisrückgängen am Aktien- und Immobilienmarkt verwundbar.“ Das dritte Beispiel einer Krise der Stärke 2 ist die im Subprime-Segment amerikanischer Hypotheken ausgelöste Krise 2007. Die Vorgeschichte begann im Jahr 2000. Am 10. März 2000 kam es zu einem Kurssturz bei den Internetaktien: Die Dot-Com-Bubble war ge- <?page no="292"?> 292 14. Kapitel: Finanzkrisen platzt, und einzelne Titel verloren bis zu 90% ihres Börsenwerts. Um Schaden für die Wirtschaft abzuwenden, antwortete das Fed (unter ihrem damaligen Gouverneur A LAN G REENSPAN ) mit einer lockeren Geldpolitik. Die Zinsen wurden über die nächsten Jahre immer mehr gesenkt und blieben tief. Durch die großzügige Geldversorgung wurde die Wirtschaft belebt, und überdies wurden aufgrund der geringen Zinsen Investitionen in andere Vermögenspositionen immer interessanter. Die Investoren wandten sich im Vermögensmarkt realen Objekten zu, vor allem Immobilien. Am US-Immobilienmarkt setzte ein Aufschwung ein, der zur Popularität der Politik beitrug. Niemand sollte ausgeschlossen sein, daran zu partizipieren. Die US-Regierung hatte 1999 die Standards gelockert, um die Banken zur Kreditvergabe an breitere Bevölkerungskreise zu bewegen. Zugleich bekamen die Banken die Möglichkeit die so vergebenen Hypotheken anschließend an Hypothekaragenturen abzugeben. Beim Kauf der Immobilien haben die kreditgebenden Banken somit fortan immer weniger die Zahlungsfähigkeit der Käufer geprüft. Auch Kredite zweitklassiger Qualität, Kredite im sogenannten Subprime Segment, wurden gegeben. Bei diesem zwar politisch angestoßenen, letztlich aber leichtfertigen Verhalten der kreditgebenden Finanzfirmen mag eine Rolle gespielt haben, dass sie die Hypotheken zu „Paketen schnüren“ (Securitization) und international weiterverkaufen konnten. Die Käufer und Verkäufer der securitisierten Pakete von Hypothekarforderungen mittelmäßiger Bonität waren Investmentbanken. Sie haben mehrere dieser Pakete in einer weiteren Stufe der Verbriefung zu noch größeren Paketen zusammengesetzt, bezeichnet als Collateralized Debt Obligations (CDO). Sodann wurden mehrere CDOs wiederum in neue Wertpapiere verpackt und den internationalen Anlegern angedient. Durch die mehrstufige Verbriefung war für die Geldanleger und Käufer eines CDO nicht mehr herauszufinden, welche Forderungen welcher Qualität sie letztlich übernommen haben. Die Käufer haben sich mehr und mehr auf die guten Namen der Investmentbanken verlassen, die hinter der mehrstufigen Securitization standen. Rating-agenturen - wie die Marktführer Moody’s Corporation und Standard and Poor’s Corporation gaben zu optimistische Urteile für das Ausfallrisiko. In der Folge stellte sich für CDOs ein liquider Handel ein. Finanzinvestoren, besonders aus Europa und Asien, kauften die in Wertpapierform gebrachten Pakte von Paketen von Paketen von Kreditforderungen. So wurde ein ursprünglich rein US-amerikanisches Risiko internationalisiert. Im Jahr 2007 konnten einige private Immobilienkäufer, deren Berufseinkommen durch Arbeitslosigkeit verloren ging, die Hypotheken nicht mehr bedienen. Es kam zu Verlusten und auch zu Insolvenzen bei kleineren Firmen der Finanzbranche. Darauf brach das Vertrauen zwischen den größeren Banken ein. Nicht nur der Handel mit CDOs fiel in sich zusammen, auch der Geldhandel zwischen den Banken hörte plötzlich auf. Es kam zur Finanzkrise. Als deren Höhepunkt galt der Zusammenbruch der US-Großbank Lehman Brothers im September 2008. Die finanzpolitischen Instanzen haben später bereut, dass sie die Bank nicht gerettet haben. <?page no="293"?> 14.2 Globale und tiefere Krisen 293 Die Finanzkrise 2007-2008 hatte mehrere Ursachen: 1. Die Politik leichter Geldvergabe als eine Folge des Platzens der Dot-Com-Bubble. 2. Die Ausweitung der Kreditvergabe an Schuldner geringer Bonität im Licht der Möglichkeit, die Kredite „schön verpackt“ weitergeben zu können, noch dazu mit einem Gütesiegel der Ratingagenturen. 3. Der Missbrauch der guten Namen von Emittenten (Investmentbanken). 4. Die Vertrauenskrise im Interbankenmarkt, nachdem einzelne Fälle diesen Sachverhalt zutage brachten. Die Krise der Finanzwirtschaft führte sodann in der Realwirtschaft zu Nachfrageausfällen, zu Produktionssenkungen und zu Unternehmenszusammenbrüchen. Unternehmen, wie der Autohersteller General Motors, mussten Mitarbeitende entlassen und Konkurs anmelden. Die hohe Staatsverschuldung vieler Staaten stieg krisenbedingt weiter an. Denn die Länder wollten ihren Banken helfen und ihre Wirtschaft durch Deficit Spending beleben. Einige Länder der Eurozone konnten ihre Zahlungsfähigkeit nur durch internationale Hilfskredite aufrechterhalten. Andere griffen zu unkonventionellen Methoden: Island ließ seine drei großen Banken in den Bankrott gleiten - das Nachsehen hatten einem Volksentscheid entsprechend Bankkunden, die sich durch hohe Sparzinsen blenden ließen. Das Land (kein Mitglied der EU) kürzte keine wichtigen Staatsausgaben und gründete für das Kerngeschäft neue Banken. In anderen Ländern Europas ging die Subprime Crisis in Europa nahtlos in die Eurokrise über. Diese Beispiele für Krisen der Stärke 2 zeigen einige Übereinstimmungen: 1. Durch lockere Finanzierungsmöglichkeiten und eine großzügige Geldpolitik des Staates oder der Zentralbank engagieren sich immer breitere Kreise in gewissen Vermögenspositionen. 2. Immer mehr und immer schlechter: Zunehmend werden Kreditnehmer geringer Bonität angesprochen und können sich verschulden. Immer schlechtere, unsichere Vermögenspositionen (Assets) werden angeboten und angedient. 3. Die Rede von neuen Finanzierungstechniken lässt allgemein glauben, die verantwortlichen Einrichtungen und Instanzen hätten die ungewohnte Ausweitung sowohl auf der Seite der Finanzinvestoren als auch auf der Seite des Angebots von Assets voll unter Kontrolle, und es sei ein neues Zeitalter angebrochen. Niemand gibt zu, dass eine nicht nachhaltige Entwicklung in Gang ist. Auf geradezu leichtfertige Weise vertrauen alle der Lage. 4. Zweifel kommen auf: Plötzlich tritt durch ein Rating oder durch genauere Bewertungen die schlechte Qualität zutage. Anlass dafür kann eine Zinserhöhung oder eine Einengung der Geldmenge sein. 5. Der „aufgeblähte“ Finanzmarkt bricht zusammen. Davon sind indes nicht nur die Transakteure und Positionen schlechter Qualität betroffen, sondern auch die an sich guten Transaktionen und Positionen. Jegliches Vertrauen schwindet. Der Zusammenbruch des Segmentes zieht benachbarte Segmente mit nach unten. Auf der realwirtschaftlichen Seite kommt es zu einer Rezession. <?page no="294"?> 294 14. Kapitel: Finanzkrisen 14.2.2 Eine Krise der Stärke 3 Eine Finanz- und Wirtschaftskrise der Stärke 3 wurde so charakterisiert: Bereits kurz nach ihrem Ausbruch sind die globalen Finanzmärkte betroffen. Die wirtschaftlich bedeutenderen Staaten und Währungsräume oder die ganze Welt müssen depressive Einbrüche in der Realwirtschaft hinnehmen. Das BIP bricht um 15% oder mehr ein. Weite Teile der Bevölkerung geraten in Not. Rettung sehen die einen in einer Währungsreform, die anderen in einer Änderung der Eigentumsrechte. Alle suchen einen ordnungspolitischen Neubeginn. Solchermaßen tiefe Krisen hat es im zwanzigsten Jahrhundert in Deutschland mehrfach gegeben. Eine entstand in Folge des ersten Weltkriegs 1914-1918, und diese Krise mündete anschließend in die bis 1923 andauernde Hyperinflation. Ebenso befand sich Deutschland in einer tiefen wirtschaftlichen Krise in den zwei Jahren vor und nach Ende des zweiten Weltkriegs, also in den Jahren 1943-1947. Wir betrachten im Folgenden die Weltwirtschaftskrise 1929-1932 (Great Depression). Mit einem Kurssturz am 24. Oktober 1929 begann der schwerste wirtschaftliche Einbruch in allen Industrienationen. Ein Drittel aller Banken in den USA gingen bankrott, Massenarbeitslosigkeit setzte ein und bestand für ein Jahrzehnt. Niemand hatte Geld für Konsum, niemand wollte oder konnte Vermögensobjekte bezahlen. Die Deflation ließ die Wirtschaft in den USA in sich zusammenbrechen. H ERBERT C. H OOVER (amerikanischer Präsident von 1929-1933), ergriff nur zögerlich Maßnahmen und konnte die Abwärtsspirale nicht aufhalten. Die Wirtschaftskrise weitete sich global aus. Das Ende der Weltwirtschaftskrise kam erst um 1933 in Sicht, als die US-Notenbank zu einer Lockerung der Geldpolitik griff und den Dollar (in Relation zu Gold) um 40 Prozent abwertete. F RANKLIN D. R OOSEVELT (Präsident von 1933-1945) initiierte den New Deal zur Linderung der Not (wobei allerdings die spätere Forschung zur Wirkung ein zwiespältiges Resultat brachte). Die Gleichzeitigkeit der Krise in allen Industrieländern erklärt sich aus der Verzahnung durch Handel sowie aus der damals schon vorhandenen Globalität der Finanzströme. Gemeint sind nicht allein die Geldströme von Finanzanlegern. Beispielsweise hat die US-Notenbank in der Krise von Deutschland die Rückzahlung gegebener Kredite mit Gold verlangt. Dadurch hat sich die Krise auf Deutschland übertragen, weil dort die Geldversorgung litt (auch wenn die Reichsmark wie der US-Dollar nur zu 40% durch Gold gedeckt sein musste). In den „Goldenen Zwanziger Jahren“ kam es überall zu einem starken Wirtschaftsaufschwung. 1. Er war getrieben von der Neuigkeit von Konsumgütern wie Auto und Radio. 2. Die Werte von Industrieanlagen für diese Konsumgüter stiegen an. 3. Gleichzeitig stieg die Produktivität in diesen Industrien durch neue Managementformen (Taylorismus). Auch in der Landwirtschaft war die Produktivität gestiegen (Traktoren, Dünger). 4. Durch eine lockere Geldpolitik wurde der Kauf der Konsumgüter auf Kredit gefördert. Die Kredite für Konsumzwecke sind in den USA von 100 Millionen Dollar 1919 in <?page no="295"?> 14.3 Ursachenforschung 295 den zehn Jahren bis 1929 auf 7 Milliarden Dollar angestiegen - eine jährliche Steigerungsrate von über 50%. 5. Parallel zum Konsum hat die lockere Geldpolitik in Unternehmungen die Finanzierung von Investitionen erleichtert. Die Unternehmen weiteten ihre Produktionskapazitäten aus. Irgendwann zeigte sich Überkapazität, und gleichzeitig wurde die Geldversorgung restriktiver. Die verlangte Golddeckung engte die Geldschöpfung ein. Unternehmen gerieten in Konkurs, doch niemand wollte oder konnte ihr Vermögen (Maschinen, Grundstücke) übernehmen und weiterführen. Auch die Preise für andere Vermögenspositionen fielen. Arbeitslosigkeit und soziale Not folgten. Im Herbst 1932 gab es in Deutschland 23 Millionen Menschen, die von Arbeitslosengeld und Sozialhilfe lebten, das BIP war um über 40 Prozent gefallen. Der Außenhandel kam zum Erliegen. Die deflationäre und nach unten führende Spirale wurde erst Jahre später beendet. Erst die Aufgabe des Goldstandards (Großbritannien 1931, USA 1933, Frankreich 1936) erlaubte es, die Wirtschaft wieder ausreichend mit Geld zu versorgen. Die Größe im „System“, die in der Weltwirtschaftskrise über Jahre hinweg gewachsen ist, war nicht so sehr ein Preis (wie 1637 für Tulpen, 1719 für Aktien der Gesellschaft in Übersee, 1837 für Land) als vielmehr die Produktionskapazität für Konsumgüter (Auto, Radio, Nahrungsmittel). Es gab Überkapazitäten, weil das Neue an Auto und Radio faszinierte und weil Produktionskapazitäten für diese und andere Konsumgüter den Unternehmungen ein Eldorado versprachen. Zu Anfang der Goldenen Zwanziger war die Geldpolitik locker, und zwar aus mehreren Gründen. Einer der Gründe war die Notwendigkeit der Umstrukturierung der Industrie: Die Kapazitäten der alten Staatsindustrien für Schiffe und Waffen aus der Zeit des Ersten Weltkriegs wurden obsolet. Mit einer lockeren Geldpolitik konnte das Schicksal dieser obsoleten Industrien sozial verträglich gestaltet und der industrielle Strukturwandel begünstigt werden. Die lockere Geldpolitik konnte aber nicht weiter durchgehalten werden, weil die gesetzliche Golddeckung der Zentralbank es alsbald verunmöglichte, das nötige Geld zu schöpfen. Die Geldpolitik war nicht nachhaltig. Geld war unter dem Goldstandard zusehends rationiert, und die Banken konnten keine Kredite mehr geben. 14.3 Ursachenforschung 14.3.1 „Boom and Bust“ In allen Finanzkrisen spielte eine wesentliche Rolle, dass Investoren sich weit über ihre natürlichen Möglichkeiten und ihre nachhaltig anzusehende Finanzkraft hinaus in Positionen engagiert haben, die ihnen vermeintlich dauerhafte Preisavancen geben sollten. Einige Akteure bauen kreditfinanzierte große spekulative Positionen auf. Vielleicht sehen sie das Spekulative an den eingegangenen Positionen, doch auch die Liquidität verführt zur Denkweise, dass man bei Gefahren mit Flinkheit schnell aussteigen könne. <?page no="296"?> 296 14. Kapitel: Finanzkrisen Die besprochenen Krisen sind nach dem Schema von „Boom and Bust“ abgelaufen. 1. Es beginnt mit Preisavancen bei Vermögenspositionen, deren wahrer innerer Wert schwer einzuschätzen ist, weil die Position Elemente des Neuartigen in sich trägt und weil ein gewisser Informationsmangel besteht. 2. Die Vermögensposition wird auf einen sehr weiten Horizont als versprechend angesehen, und scheinbar hat sie kein Substitut. Der Preis ist daher nicht verankert. 3. Unterstützt werden die Preisavancen durch eine Politik des leichten Geldes, durch vergleichsweise geringe Zinssätze und Leichtigkeit bei der Kreditvergabe. 4. Irgendwann kommt es zu einem Umdenken bei einzelnen Investoren, wodurch der bis dahin aufwärts gerichtete Preistrend gebrochen wird. Dieses Umdenken entsteht (a) durch das Erreichen eines enormen Preisniveaus, (b) durch inzwischen anziehen-de Zinsen oder (c) durch die Einschätzung, dass die Vermögensposition doch Substitute besitzt und ihr Preis daher von anderen Preisen abhängt und in diesem Licht hoch erscheint. 5. Ist der Preistrend gebrochen, kann Panik entstehen, weil viele Finanzinvestoren Schulden gemacht haben. Der einsetzende Preisverfall bewirkt, dass sie ihre Kredite nicht mehr bedienen können und Banken in die Insolvenz geraten. Eine Finanz- und Bankenkrise kann sich so zu einer Wirtschaftskrise ausweiten. Dieses Muster hat der Wirtschaftshistoriker C HARLES P. K INDLEBERGER (1910-2003) in seinen Büchern aufgezeigt: Ein anfänglicher Kursanstieg lockt neue Käufer an. Zunächst sind es Personen, die noch ein direktes Interesse an der Position haben. Irgendwann kommen Spekulanten dazu, die nur auf weitere Kursanstiege setzen und die sich teils erheblich verschulden. Alle haben Erklärungen parat, die ihre Engagements ökonomisch vernünftig erscheinen lassen. Dazu gehört der Hinweis, die Positionen seien neuartig oder die Wirtschaft befinde sich in einem neuen Zustand (New Economy), weshalb traditionelle Bewertungsansätze versagen würden. Der Preisaufschwung erscheint demnach nicht irrational, sondern folgt allgemein anerkannten Überlegungen. Das Verhalten der Investoren ist erklärbar, nachvollziehbar, rational. Welches waren die Vermögenspositionen, deren Wert laufend höher eingeschätzt wurde? Wir gehen auf zwei unserer Beispiele näher ein: Bei der Weltwirtschaftskrise waren die Vermögenspositionen, die zunehmend als wertvoller angesehen wurden, die Produktionseinrichtungen von Autos, Radios, Kühlschränken und den anderen Konsumgütern, die damals neu waren und vermehrt von der Allgemeinheit nachgefragt wurden. Die hohen Erwartungen zukünftiger Nützlichkeit brachen in sich zusammen, als Überkapazitäten bekannt wurden. Bei der Subprimekrise wurden US-Immobilien - ähnlich wie in Deutschland das „Betongold“ - aufgrund des Platzens der Dot-Com-Bubble 2000 in ihrer weiteren Werthaltigkeit und Wertentwicklung überschätzt. Auch die Zahlungsfähigkeit der Käufer dieser Immobilien wurde überschätzt. Letztlich standen bei der Subprime-Krise als Vermögensposition <?page no="297"?> 14.3 Ursachenforschung 297 die US-Wirtschaft und ihr zukünftiges Wachstum im Zentrum. Im Klima geringer Zinsen wurden die US-Wirtschaft als zunehmend wertvoller angesehen - bis die problemlose Funktionsweise von US-Wirtschaft und kreditfinanziertem Konsum kritisch hinterfragt wurde. 14.3.2 Marx, Keynes und Minsky In der Vergangenheit haben sich an den Finanzmärkten zahlreiche Krisen ereignet: K INDLEBERGER hat 46 bedeutende Preisblasen nachgezeichnet. Da entsteht die Frage, warum Finanzmärkte immer wieder zur Instabilität neigen. Wir hatten die Liquidität mit dem Kapitalismus in Verbindung gebracht (Abschnitt 2.1). Deshalb können wir die Frage etwas plakativer formulieren: Warum kommt es im Kapitalismus immer wieder zu Krisen? Wir skizzieren die Antworten, die M ARX , K EYNES und M INSKY gegeben haben. M ARX begründete Krisen als Ergebnis der Spannungen zwischen Arm und Reich. K EYNES postulierte, Märkte seien nicht immer in einem Gleichgewicht. Besonders im Konjunkturtief ist die Nachfrage von privater Seite zu gering, und dies selbst bei tiefen Zinssätzen. Deshalb wird es für den Staat notwendig, mit autonomer Nachfrage lenkend und gegenlenkend einzugreifen. M INSKY sah die Krisen als Ergebnis eines kollektiv gleichgerichteten Verhaltens, das auf einzelwirtschaftlicher Ebene durchaus rational ist. Einer der ersten, die zum Kapitalismus eine kritische Lehre entwickelt haben, ist K ARL M ARX (1818-1883), ein vielseitiger Gelehrter, Nationalökonom, Gesellschaftstheoretiker. Mit seiner Kritik der bürgerlichen Gesellschaft des neunzehnten Jahrhunderts wird M ARX zum Protagonisten der Arbeiterbewegung. M ARX beschreibt die Krisen des Kapitalismus als Ergebnis von Spannungen, die sich aus den Unterschieden zwischen zwei verschiedenen „Klassen“ ergeben. Die These ist die eines unversöhnlichen Klassengegensatzes zwischen „Proletariat“ und „Bourgeoisie“. Die eine Klasse könne Kapital akkumulieren und ihr Reichtum ginge auf die Ausbeutung der Arbeiterschaft (des Proletariats) zurück. Das liege an der falschen Einrichtung von Güterwirtschaft, von Produktion und von Distribution. Auch der Wertbegriff müsse anders verstanden werden. Die klassische Nationalökonomie (A DAM S MITH , D AVID R ICARDO ) sei unzureichend, um Verbesserungen herbeizuführen. In seinem dreibändigen Hauptwerk „Das Kapital“ kommt M ARX daher zur Schlussfolgerung, dass der Kapitalismus als Wirtschaftsform abgeschafft werden muss. Von ganz anderer Seite argumentierte J OHN M AYNARD K EYNES . Märkte seien nicht immer in einem Gleichgewicht, und nicht jedes Angebot fände irgendwo eine Nachfrage, so dass entsprechende Transaktionen stattfinden würden - wie ein Gesetz von J EAN -B APTISTE S AY (1767-1832) postuliere. Ein Beispiel zur Begründung gibt K EYNES mit der Investitionsfalle. Unternehmer tätigen nur dann Realinvestitionen, wenn sie die zukünftigen Absatzmöglichkeiten für ihre Produkte positiv einschätzen. Schätzen sie die Zukunft pessimistisch ein, dann investieren die Unternehmer selbst dann nicht, wenn die Zinsen sehr tief sind. Ähnlich wirkt eine Situation, in der die Investoren einen Rückgang der Preise für Vermögensobjekte erwarten. Dann stoppen sie Investitionen, weil diese nur an Wert verlieren würden. <?page no="298"?> 298 14. Kapitel: Finanzkrisen Im Rahmen einer lockeren Geldpolitik würden die Privaten zusätzlich geschaffenes Geld nicht ausgeben, sondern in einer Spekulationskasse horten. Neu geschaffenes Geld regt die Wirtschaftstätigkeit dann nicht an, die Wirtschaft befindet sich in einer Liquiditätsfalle. In solchen Situationen, so K EYNES , solle der Staat als Nachfrager auftreten. Eventuell muss der Staat Kredite aufnehmen, um seine autonome Nachfrage zu ermöglichen (Deficit- Spending). Da die Marktwirtschaft immer wieder in Konjunkturzyklen aus einem Zustand der vernünftigen Auslastung der Produktionskapazität herauslaufe, komme dem Staat die Aufgabe zu, in die Wirtschaft lenkend (und später gegenlenkend) einzugreifen. In einem Konjunkturabschwung solle der Staat als Nachfrager auftreten und bei einem Konjunkturaufschwung eher die Nachfrage auch der privaten Seite dämmen. H YMAN P. M INSKY (1919-1996) hat der auf Märkten und Finanzmärkten basierenden Wirtschaftsordnung eine inhärente Neigung zur Instabilität zugesprochen. Seine Lehre steht im Gegensatz zu dem Glauben, der Markt finde stets wieder zu einem Gleichgewicht. M INSKY meint, das freie Marktgeschehen führe immer wieder zu einer Übertreibung. Krisen seien daher im Kapitalismus unvermeidbar. M INSKY beginnt mit einer Wechselwirkung zwischen Real- und Finanzwirtschaft: Liegt realwirtschaftliches Wachstum vor, dann schaffen die Gewinne der Unternehmen Vertrauen. Die allgemeine Prosperität gibt Zuversicht darüber, das Wachstum würde sich fortsetzen. Investoren und Unternehmen sind zunehmend bereit, Kredite aufzunehmen und zu investieren. Anlagen, Immobilien, Finanzpapiere werden gekauft. Der wirtschaftliche Erfolg gibt ihnen recht. Bald gehen die Wirtschaftssubjekte sogar gewagtere Positionen ein und wetten mit Kapitaleinsatz darauf, dass sich die positive realwirtschaftliche Entwicklung und das Wachstum weiterhin fortsetzen. Für jeden Einzelnen ist es richtig und rational, in wirtschaftlich guten Zeiten mehr Risiken auf sich zu nehmen. Da aber alle Personen so denken, entsteht in wirtschaftlich guten Zeiten ein gleich gerichtetes Verhalten im Kollektiv. Die bisherigen Erfolge wiegen die Marktteilnehmenden in Sicherheit. Doch irgendwann werden Zweifel am kollektiven Optimismus laut. Einzelne Aussteiger lassen andere Personen erkennen, dass ihre Positionen nur erfolgreich sind, sofern und solange alle anderen dabeibleiben. Schnell kann Panik entstehen und der Aufschwung kehrt sich in einen Crash. So folgt nach einem Aufschwung ein plötzlicher Verfall (Minsky-Kollaps). In dieser Sicht wurden auch Indizes und Kennzahlen entwickelt, wann eine anfangs positive Sicht der weiteren Entwicklung zu einer gefährlichen, kollektiv übereinstimmenden Begeisterung wird. Im Bereich der Wohnimmobilien beispielsweise wird eine Preisbildung als zu gefährlich angesehen, wenn die Preise (a) mehr als das Zwanzigfache des verfügbaren Jahreseinkommens betragen, (b) wenn Banken aufgrund höherer Preise sich mit weniger als 20% Eigenkapital zufriedengeben, (c) und wenn die Privathaushalte länger als 30 Jahre benötigen würden, den Immobilienkredit abzubezahlen. Im Licht der Wirkungsweise eines Minsky-Kollapses muss Investoren an den Finanzmärkten geraten werden, stets auf Nachhaltigkeit zu achten. Der Abschwung kommt überraschender als man denkt. Die Liquidität der Finanzmärkte ist zwar eine Eigenschaft, die Wohlstand schafft. Doch sie sollte nie dazu verführen zu glauben, man könne <?page no="299"?> 14.4 Fazit zum Kapitel Finanzkrisen 299 schnell genug aus einem Engagement herauskommen. Nie sollten finanzielle Positionen eingegangen werden, die nicht mehr bewältigt werden können, sollten sich einmal die bislang günstigen wirtschaftlichen Bedingungen abschwächen. 14.4 Fazit zum Kapitel Finanzkrisen 14.4.1 Zusammenfassung Krisen sind Störungen des Finanz- und Wirtschaftssystems und führen zu Brüchen der Funktionsweise von Märkten. Sie unterbrechen die Liquidität des Handels und vernichten das Vertrauen der beteiligten Marktteilnehmer. Sie verschieben deutlich die Werte der Finanzpositionen und die Werte realer Güter. Damit ziehen sie eine Neuordnung von Vermögens- und Schuldpositionen nach sich. Krisen können verschieden stark sein. Krisen der Stärke 1 stellen Verwerfungen des Finanzsystems dar, die einzelne Segmente betreffen und die durch Rettungsmaßnahmen (Bail-Outs) des Staates sowie der Zentralbanken begrenzt werden können. So bleiben gravierende Konsequenzen für die Realwirtschaft weitgehend aus. Krisen der Stärke 2 betreffen mehrere Segmente der Finanzmärkte und haben negative Folgen für die Realwirtschaft im betroffenen Land. Eine Rezession kann wiederum Nachteile auch für wirtschaftlich verbundene Länder bringen. Daher müssen Rettungsmaßnahmen international koordiniert werden. Krisen der Stärke 3 sind noch gravierender: Es kommt zu massiven Einbußen im BIP (von über 15%) mehrerer Länder, wovon weite Teile der Weltwirtschaft betroffen sind. Dass immer wieder Krisen auftreten, wird unterschiedlich erklärt. K ARL M ARX führt Krisen auf die Fehlallokation von Kapital durch die vermögenden Klassen sowie auf soziale Spannungen in Folge der Ausbeutung von Arbeitern zurück. J OHN M AYNARD K EYNES sieht, dass Märkte nicht immer von sich aus zu Gleichgewichten führen. Demnach kann sich eine Krise dadurch bilden und verstärken, dass die Privaten und die Unternehmer nicht genügend nachfragen. Die Empfehlung lautet, dass der der Staat mit autonomer Nachfrage auftritt und dazu, falls erforderlich, Schulden aufnimmt (Deficit-Spending). Eine weitere Erklärung für Krisen liefert H YMAN P. M INSKY : Verhaltensweisen, die im Einzelfall rational sein mögen, können durch ihre gleiche Ausrichtung im Kollektiv zu Übertreibungen und Fehlbewertungen führen. Einzelne Zweifel können in Panik umschlagen und bei den Vermögenspositionen zu großen Preiseinbrüchen führen (Minsky- Kollaps). <?page no="300"?> 300 14. Kapitel: Finanzkrisen 14.4.2 Lernpunkte 1. Krisen haben unterschiedliche Stärken. Krisen der Stärke 1 sind punktuelle Verwerfungen des Finanzsystems in einzelnen Segmenten. Krisen der Stärke 2: alle Segmente des Finanzmarktes eines Landes oder Währungsgebiets sind betroffen und werfen die Realwirtschaft zurück (Rezession). Krisen der Stärke 3: Massive Einbrüche im BIP (15% und mehr) in weiten Teilen der Weltwirtschaft. 2. Die Tulpenmanie um 1637 in Holland, die Spekulationen am Silbermarkt 1973 bis 1980, die Aktienspekulationen in Hongkong vor 1987 sowie die Carry Trades des Hedge-Funds LTCM um 1998 bewirkten Finanzkrisen der Stärke 1. 3. Die Mississippi-Bubble von 1719, die Asienkrise von 1997, die Dot-Com-Bubble um 2000 sowie die Subprime-Krise von 2007-2008 führten zu Krisen der Stärke 2. 4. Die Weltwirtschaftskrise 1929-1932 ist ein Beispiel einer Finanzkrise der Stärke 3. Damals war die wirtschaftliche Leistung der USA und einer Vielzahl weiterer Länder massiv und für Jahre andauernd eingebrochen. 5. Neben K ARL M ARX (Spannungen zwischen den Klassen entladen sich in Krisen) und J OHN M. K EYNES (Märkte oft im Ungleichgewicht) hat H YMAN P. M INSKY erklärt, warum es zu Krisen kommt. Der Minsky-Kollaps geht auf ein gleichgerichtetes Verhalten an den Finanzmärkten zurück, dessen preistreibende Dynamik plötzlich durch den Ausstieg von Einzelnen unterbrochen wird, wodurch sich Panik unter den Finanzinvestoren bildet und die Preise für Vermögenspositionen kollabieren. 14.4.3 Erwähnte Namen C AROLUS C LUSIUS , H ERBERT H OOVER , N ELSON B UNKER H UNT , W ILLIAM H ERBERT H UNT , J OHN M AYNARD K EYNES , C HARLES P. K INDLEBERGER , J OHN L AW , L UDWIG XIV, K ARL M ARX , J OHN W. M ERIWETHER , R OBERT C. M ERTON , H YMAN M INSKY , R OBERT N G , C HARLES P ONZI , F RANKIN D. R OOSEVELT , J EAN -B APTISTE S AY , M YRON S CHOLES . 14.4.4 Schlüsselbegriffe Asienkrise, Bail-Out, Boom and Bust, Carry Trade, Collateralized Debt Obligation (CDO), COMEX, Deficit-Spending, Dot-Com-Bubble, Euro-Krise, Handelsplattform Xetra, International Monetary Fund (IMF), Investitionsfalle, Liquiditätsfalle, Long Term Capital Management (LTCM), Minsky-Kollaps, Mississippi Bubble, Silbermarkt, Störung, Subprimekrise, Subprime Segment, Tulpenmanie, Ursachenforschung, Weltwirtschaftskrise. 14.4.5 Fragen zur Lernstandskontrolle 1. Technische Störungen beim Handel ausklammernd, wurden in Kapitel 14 drei Arten von Krisen nach ihrer Schwere unterschieden. Erstens wurden Krisen betrachtet, die allenfalls in einem (engen) Marktsegment Folgen haben (Krisenstärke 1). Zweitens wurden Krisen betrachtet, die in weiten Teilen der Finanzmärkte Folgen haben und <?page no="301"?> 14.4 Fazit zum Kapitel Finanzkrisen 301 sogar zu einer Rezession hier und da aber nicht in allen Ländern führen (Krisenstärke 2). Drittens wurden Krisen untersucht, die sich auf die Finanz- und Realwirtschaft weltweit auswirken und in mehreren Ländern Einbrüche des BIP von 10% und mehr zur Folge haben. Geben Sie jeweils Beispiele. [Antwort: Abschnitte 14.1 und 14.2] 2. a) Was wird unter „Carry Trade“ verstanden? b) Welche Anlagepolitik hatte LTCM verfolgt und warum hat die Politik das gesamte Vermögen des Hedge-Funds vernichtet? c) Wie hing die Russlandkrise mit der Asienkrise zusammen? d) Warum haben verschiedene Banken LTCM geholfen? [Antworten: Abschnitt 14.1.3] 3. a) Wie kam es zur „Subprimekrise“ in den USA? b) Was verbirgt sich hinter der Abkürzung CDO und welche Rolle haben diese Instrumente bei der Subprime Krise gespielt? c) Sind mit CDO ähnliche Instrumente angesprochen wie mit CDS? [Vergleiche zu CDS Abschnitt 9.3.3; Antwort: Abschnitte 14.1 und 14.2] 4. Führen Sie vier Gründe der Finanzkrise 2007-2008 an! [Antwort: Kasten in Abschnitt 14.2.1] 5. Ein allen Krisen gemeinsames Ursachenmuster hat H. Minsky aufgezeigt: Eine wichtige Rolle spielen Vermögenspositionen, die in ihrer wirtschaftlichen Bedeutung immer mehr überschätzt werden, wodurch sich Preisblasen bilden. a) Welche Vermögensposition wurde in den Jahren vor der Weltwirtschaftskrise überschätzt? [Antwort: Produktionskapazität für Konsumgüter]. b) Welche Wechselwirkung zwischen Real- und Finanzwirtschaft führt zum Minsky-Kollaps? [Zur Lösung siehe Abschnitt 14.3.2] <?page no="303"?> 15 Konklusion zum Thema Finanzmärkte Das Geschehen in der Finanzwirtschaft wird von Märkten, von Finanzmärkten geprägt. Finanzmärkte bewerkstelligen die Allokation von finanziellen Positionen, also von Ansprüchen auf Zahlungen, die in der Zukunft erfolgen und deren Grundlage ein Finanzkontrakt ist. Banken treten als Intermediäre an den Finanzmärkten auf. Finanzmärkte erfüllen mehrere, für die Wirtschaft wichtige Funktionen: Sie allozieren Kapital und Risiken, wobei sie eine Selektion vornehmen. Sie erzeugen Informationen, die aggregieren, was allgemein über die wirtschaftliche Zukunft, von der die Zahlungen der Finanzpositionen abhängen, erwartet wird. Dabei zeigen Finanzmärkte, so wie sie vor allem mit Wertpapieren und mit Börsen organisiert sind, wünschenswerte Eigenschaften: Allem voran sind die Transaktionskosten äußerst gering. Die Märkte entwickeln eine hohe Liquidität. Im Verlauf ihrer Entwicklung sind sie vollständig geworden: Das heißt, dass es Kontrakte gibt, die sich auf alle erdenklichen Ereignisse beziehen. Dazu sind sie zu Breite und Dicke gelangt: Die meisten Positionen können durch mehrere Kombinationen oder Sequenzen von Kontrakten konstruiert werden. In den Finanzmärkten führen viele Wege nach Rom. Dabei sind die Finanzmärkte nicht nur in allen ihren Segmenten geräumt, sondern über die Segmente hinweg gesehen arbitragefrei. Alle Wege nach Rom verursachen denselben Aufwand. Besonders gut organisierte Märkte - Handel in Wertpapieren, große Handelsvolumina, Beobachtung durch Analysten, zahlreiche Trader - erzeugen die zuvor genannten Informationen auf eine besonders leichte, schnelle, korrekte und umfassende Weise. Diese Märkte sind informationseffizient. Die an Finanzmärkten gehandelten Kontrakte und Positionen beziehen sich alle auf das Geld. Deshalb zeigen alle Akteure übereinstimmende Präferenzen. Mehr Geld zu erhalten und dies mit weniger Einsatz und bei geringeren Risiken ist der Wunsch aller Personen, Gier zeigt sich überall. Aufgrund übereinstimmender Informationen ist gleich gerichtetes Verhalten die Folge. So kommt es zu großen Kursausschlägen und immer wieder auch zu einer Krise. Die Informationseffizienz macht das Marktgeschehen fair, insofern besser informierte andere nicht über den Tisch ziehen können. Daher können die Märkte für einen direkten Zugang von Laieninvestoren geöffnet werden: Wer ein Wertpapier kauft, bezahlt als Preis genau den Wert, der sich aufgrund der allgemeinen Information ergeben würde, nicht mehr. Wer ein Wertpapier verkauft, erhält als Preis genau den Wert, auf den eine getrennt vorgenommene Wertrechnung führen würde, und nicht weniger. <?page no="304"?> 304 15 Konklusion zum Thema Finanzmärkte Die Allokation von Risiken wird erstens durch die Diversifikation unterstützt. Dazu werden Portfolios gebildet. Zweitens gibt es spezielle Instrumente, die der Weitergabe von Risiken dienen. Dazu gehören Futures, Optionen, Swaps und andere Derivate. Die Allokation der Risiken verlangt ein Abwägen. Jeder Investor muss sich seiner Risikoaversion und der beschränkten persönlichen Risikotragfähigkeit bewusst sein. Andererseits bietet der Markt eine Prämie für die Übernahme von Risiken (die nicht weiter diversifiziert werden können). Die Moderne Portfoliotheorie erklärt, welche Risiken selbst nach bester Diversifikation noch verbleiben. Und so wie ein Finanzinvestor ein Portfolio aus Vermögenspositionen und aus Wertpapieren bildet, werden auf der Seite der Kapitalverwendung, etwa in einer Unternehmung, diverse Finanzierungen kombiniert. Das Portfolio ist die Kapitalstruktur der Unternehmung. Das alles, so hoffen wir, haben wir „nicht rein theoretisch“ vorgetragen. Vielmehr hat das Buch an einigen Stellen uns die Wirklichkeit der Finanzmärkte vorgeführt. In Abschnitt 3.2 gehen wir auf die wichtigsten Handelsplätze ein und zeichnen die historische Entwicklung in Großbritannien, den USA, Deutschland und in der Schweiz nach. In der Frage, ob die Finanzwirtschaft die Realwirtschaft dominiere (Kapitel 4) werden drei Phasen der Entwicklung und Reife von Finanzmärkten unterschieden. Bei den Zinsinstrumenten (Kapitel 8) werden die diversen Wertpapiere, die in der Praxis verwendet werden, im Detail angesehen. Gleiches trifft bei der Behandlung des Zinsrisikos (Kapitel 9) zu, wo ebenso die praktischen Instrumente besprochen werden. Selbstverständlich setzt sich das fort, so etwa beim Financial Engineering und der Betrachtung Strukturierter Produkte (Kapitel 13). Schließlich beginnt die Untersuchung von Finanzkrisen (Kapitel 14) mit der Darstellung von neun bedeutsamen Krisen, überschrieben mit Tulpenmanie 1637, Silbermarkt 1980, Hongkong 1987, LTCM 1998, Mississippi Bubble 1719, Asienkrise 1997, Subprimekrise 2007, Euro- Krise 2012, Weltwirtschaftskrise 1929-1932. Was bleibt? Viele Menschen haben heute gegenüber den Finanzmärkten eine zwiespältige Haltung. Einerseits wird der Wohlfahrtsgewinn anerkannt, den Banken und Börsen, den Wertpapiere und der liquide Handel bieten. Andererseits finden einige Menschen die Vorstellung unheimlich, dass, was einem Betrieb und an den Arbeitsplätzen geschieht, vom Finanzmarkt „draußen“, von großen, international tätigen Investoren, von gigantischen Investmenthäusern und zunehmend auch von Computerprogrammen gesteuert wird. Man kann natürlich sagen, dass dies auch sein Gutes habe. Die Teilnahme an der gesellschaftlichen Auseinandersetzung mit diesen Fragen können wir Ihnen nicht abnehmen. Wir wollten Ihnen als Leserin oder Leser indes mit diesem Buch eine Grundlage für die differenzierte Meinungsbildung bieten. Wir, die Autoren, hatten zur vorangegangenen Auflage auch Rückmeldungen von der Leserschaft. Wir haben Hinweise und Kommentare gern aufgenommen und sind Ihnen für diese Unterstützung verpflichtet. Vielen Dank! 15.1 Fünf Hauptbotschaften Liquidität: Finanzmärkte sind entstanden, damit Finanzverträge leicht übertragbar sind. Der Wunsch nach Liquidität steht bei der Verbriefung von Finanzkontrakten und bei der Organisation des Handels durch die Schaffung einer Börse im Vordergrund. Weil alle Finanzinvestoren Liquidität schätzen, sind sie mit einer niedrigeren Verzinsung und mit ge- <?page no="305"?> 15.1 Fünf Hauptbotschaften 305 ringeren Renditen einverstanden. Für Kapitalverwender sind die Kapitalkosten geringer. Das ist gut, weil unternehmerische Investitionen günstiger finanziert werden können, in der Realwirtschaft folglich mehr investiert wird, zusätzliche Arbeitsplätze geschaffen werden, und weil von den Ergebnissen, die in der Realwirtschaft erzielt werden, mehr für die verschiedenen Anspruchsgruppen übrig bleibt. Außerdem kommen durch die Öffnung der Kapitalmärkte Anlagebeträge zusammen, ohne die sich die moderne Wirtschaft nie hätte entwickeln können. Kapitalmärkte erhöhen die allgemeine Wohlfahrt. Sie als Spielwiese allein für Reiche zu sehen, wäre einseitig. Die leichte Weitergabe von Finanzkontrakten, die Liquidität, ergibt sich aus den für Märkte typischerweise geringen Transaktionskosten. Geringe Transaktionskosten und Liquidität begünstigen die Bildung von Portfolios, und sie fördern die Informationseffizienz. Zufall: Die Preisentwicklung und somit die Renditen verändern sich im Spiegelbild des Stroms neuer Nachrichten. Da wirklich neue Nachrichten überraschend kommen und ihr Inhalt überraschend ist, sind sie unsicher. Zukünftige Renditen werden daher als Zufallsvariable beschrieben. Hinsichtlich der Einschätzung der Erwartungen für die Zukunft bieten gut funktionierende Finanzmärkte eine herausragende Funktionsweise. Sie zeigen mit der Preisbildung auf zusammengefasste Weise, wie die Allgemeinheit zukünftige Renditen einschätzt. Die Aggregation der Information ist schnell und unverzerrt, geschieht also auf „effiziente“ Weise. Somit werden diese Märkte als informationseffizient bezeichnet. Risikoprämie: Welcher Finanzinvestor ist bereit, sich angesichts unsicherer Entwicklungen zu engagieren? Die Antwort lautet, dass die Preisbildung im Finanzmarkt bei höherem Risiko auf tiefere Kurse führt, so dass die erwartete Rendite höher wird und es eine Risikoprämie gibt. Wie hoch die Risikoprämie ist, die mit dem Eingehen und Tragen von Risiken verbunden ist, wird durch die empirische Forschung näher analysiert. Für Aktien ist die Risikoprämie gleich dem Unterschied zwischen der Rendite, die auf ein gut diversifiziertes Aktienportfolio zu erwarten ist, und dem Zinssatz beziehungsweise der Rendite für Anleihen. Diese Risikoprämie würde man aufgrund der historischen Renditen, die an den Kapitalmärkten in den verschiedenen Ländern Realität wurden, mit 3% bis 4% beziffern. Sehr langfristige Studien der historischen Renditen kommen zwar nur auf Aktienrenditen etwas geringerer Höhe. Doch etwa ab 1950 waren die Aktienrenditen, die Dividenden und Kurssteigerungen in Relation zum eingesetzten Kapital ausdrücken, recht hoch. Sie waren seit 1950 höher als in den Jahrzehnten davor, für die wir Börsendaten haben. Sie waren auch höher, als sie im Vergleich zur Realwirtschaft hätten sein dürfen. Anscheinend gilt ab 1950 nicht mehr die Metapher von S CHUMPETER : Herr (Realwirtschaft) und Hund (Finanzwirtschaft) sind auf ihrem gemeinsamen Spaziergang nur durch eine lockere Leine verbunden, sodass der Hund einmal vorauseilen kann, ein andermal etwas zurückbleibt. Doch gehen sie letztlich zusammen. Im Jahr 1950, um im Bild zu bleiben, hat sich der Hund losgerissen und ist auf und davon gesprungen. Finanzmärkte sind zu einem Höhenflug gestartet und schweben weit über der Realwirtschaft. Wenn wir unsere Erwartungen aufgrund der Entwicklung der Realwirtschaft formulieren, so gelangen wir zu Risikoprämien für Aktien zwischen 2% und 3%. Disziplin: Wo sich Finanzmärkte stark entfalten, wird die Realwirtschaft immer abhängiger vom Geschehen an den Finanzmärkten. Zunehmend richten sich die Entscheidungen in der Realwirtschaft an Gewinn, Rendite, an Kapitalerhalt und an Kapitalwachstum aus. <?page no="306"?> 306 15 Konklusion zum Thema Finanzmärkte Wo früher, als die Finanzmärkte nur wenig entwickelt waren, die Realwirtschaft verschiedenste Ziele verfolgte, ist sie bei entwickelten Finanzmärkten auf das allgemein geteilte Renditeziel ausgerichtet und darauf, dieses auf möglichst effiziente Weise zu verfolgen. Präferenzen: Während die Menschen in Gütermärkten verschiedenste, persönlich geprägte Präferenzen entwickeln, haben sie in Finanzmärkten alle eine übereinstimmende Präferenz. Denn Finanzkontrakte beziehen sich auf Geld und auf Zahlungen, und da möchte ein jeder möglichst viel und möglichst risikofrei erhalten. Die Homogenität der Präferenzen der Akteure in den Finanzmärkten wird noch dadurch gefördert, dass die nach besten Methoden gewonnenen und aufbereiteten Informationen über die Kurse allgemein verfügbar sind. Damit folgen die Akteure in Finanzmärkten einem „gleichgeschalteten“ Verhalten. Entweder wollen alle ein gewisses Engagement aufbauen oder eben loswerden. Einige nutzen die Liquidität der Finanzmärkte und kaufen Positionen in Größenordnungen, die ein Vielfaches eines vielleicht noch angenommenen Eigenbedarfs sind. In dem gleichgerichteten Verhalten und in dem Aufbau sehr großer Positionen liegt die Gefahr, dass die allgemein geteilte Stimmung plötzlich kehrt und eine Krise auftritt. Um einen Schlussstrich zu ziehen: Finanzmärkte stehen im Zentrum des kapitalistischen Wirtschaftssystems. Der Kapitalismus ist durch die für alle offene Möglichkeit zum Eingehen und Handeln von Finanzverträgen geprägt, letztlich also durch Finanzmärkte. Finanzmärkte (und damit der Kapitalismus als Wirtschaftssystem) haben eine stark gewünschte Eigenschaft, weiter eine auch erwünschte Eigenschaft und schließlich eine unerwünschte Eigenschaft: ++ Stark erwünscht ist die Liquidität: Jeder kann nach eigenen Wünschen Geld anlegen und aufnehmen. Dies ist jederzeit möglich und zu fairen Konditionen. Auch Unternehmen haben diese Möglichkeit. Sie können investieren und dadurch wachsen. Arbeitsplätze entstehen, Wissen ebenfalls, und Innovationen werden verwirklicht. All das ist ein großer Wohlfahrtsgewinn. + Dabei diszipliniert der Finanzmarkt. Am Ende müssen Unternehmen sich so verhalten, dass sie den allgemein im Finanzmarkt zustande kommenden Bedingungen genügen. Produzenten können nicht einfach „irgendetwas“ machen. Wertorientiertes Handeln wird von allen am Finanzmarkt Teilnehmenden verlangt - sonst sind sie draußen. - Bei allen Finanzkontrakten geht es um Geld. Und beim Geld denken auf einmal alle Menschen gleich. Dies liegt an der Universalität des Geldes - mit Geld kann man sich alles kaufen. Jedenfalls zieht Geld alle an, und mehr Geld zu haben ist besser als mit weniger zurechtkommen zu müssen. Bei Finanzkontrakten achten folglich alle auf Kapitalerhalt, auf Rendite, auf Kapitalwachstum. Für Risiken müssen angemessene (marktübliche) Prämien vergütet werden. Da die Resultate der besten Informationsquellen sich schnell in aktuellen Kursen zeigen, haben zudem alle Akteure praktisch denselben Informationsstand. Das ist zunächst nicht schlecht. Doch es bewirkt gleichgerichtetes Verhalten. Für eine gewisse Position heißt das: Alle Akteure wollen sie entweder aufbauen, halten, oder abbauen. Entsprechend groß sind Kursausschläge, und immer wieder kommt es zu Crashs und zu Krisen. Der Kapitalismus hat eine „angeborene“ Tendenz zur Krisenanfälligkeit. Sie ist unserem Wohlstand und der allgemeinen Wohlfahrt abträglich. <?page no="307"?> 15.3 Glossar als Lernkasten 307 15.2 Literatur Wir haben uns in diesem einführenden Lehrbuch dafür entschieden, nicht jede Feststellung durch konkrete ergänzende Literaturhinweise zu untermauern. Einige Namen sind genannt worden, und sie werden bei Interesse weiterhelfen. Mit den heutigen Suchmaschinen kommen Sie, liebe Leserin und lieber Leser, schnell an aktuelle Literatur, um die aufgezeigten Themen zu vertiefen. Studierende, die den Text des Buches getestet haben, wünschten sich statt einer langen Literaturliste ein oder zwei kommentierte Hinweise. Wenn wir auf eine Insel gingen und nur drei Bücher mitnehmen dürften, das wäre unsere Wahl: 1. P ETER L. B ERNSTEIN : Capital Ideas - The Improbable Origins of Modern Wall Street (2005). Oder das neuere Buch Capital Ideas Evolving (2009) vom selben Autor. Die faszinierenden Bücher bieten eine Geschichte der Entdeckungen im Finance und erklären sie dabei. Sie sind leicht verständlich geschrieben und lesen sich wie ein Kriminalroman. 2. Immer wieder fasziniert die Psychologie der Marktteilnehmer: H ERSH S HEFRIN : Beyond Greed and Fear - Understanding Behavioral Finance and the Psychology of Investing. Harvard Business School Press, 2007. Hier werden Erscheinungen wie „Overconfidence“ oder die „Myopik“ ebenso besprochen wie Methoden zur Messung der „Stimmung“ mittels Optionen. 3. Das dritte Buch in unserer Reisetasche ist ein Klassiker über Krisen an den Finanzmärkten. Es trägt den Titel Manias, Panics, and Crashes (2015) und wurde von C HARLES K INDLEBERGER geschrieben. Das Buch ist eine historische Darstellung, die dazu verhilft zu verstehen, wieso es zu all diesen Krisen kommen konnte. 15.3 Glossar als Lernkasten AAA, gesprochen „Triple A“, ist das Rating für eine erstklassige Schuldnerbonität, in der Bezeichnungsweise der Rating-Agentur Standard & Poor’s. Die Rating-Agentur Moody’s notiert diese höchste Bonität als Aaa. In den USA sind die Schulnoten A, B und C. ABS, Abkürzung für Asset Backed Securities. Bezeichnung für Wertpapiere (Securities), die sich auf einen klar definierten Pool von Vermögenswerten (Assets) beziehen, an dem sich die Investoren beteiligen können. Eine verbreitete Form und damit Untergruppe der ABS sind mit Hypotheken (Mortgages) gesicherte Wertpapiere, so genannte Mortgage Backed Securities (MBS). Abstützung der Preisbildung: Preise für Finanzpositionen gelten als „breit abgestützt“ oder „gut verankert“, wenn sie auf verschiedenste Weise erreicht werden können und wenn sie zahlreiche Substitute haben. Der Umfang der breiten Abstützung und des Vorhandenseins von Substituten wird auch als Dicke (Thickness) bezeichnet im Gegensatz zu einem (als dünn bezeichneten) Teilsegment des Marktes, das von anderen isoliert ist und in dem die Preisbildung nicht mit der in anderen Marktsegmenten zusammenhängt. <?page no="308"?> 308 15 Konklusion zum Thema Finanzmärkte ADR, Abkürzung für American Depositary Receipt. Schuldverschreibungen von Banken, die Rechte am Eigentum an einer Aktie verbriefen. Es handelt sich im Grunde genommen um Quittungen. In den USA übliche Beteiligungsform an ausländischen Aktiengesellschaften, deren Aktien nicht in den USA gehandelt werden. ADRs werden an US-Börsen gehandelt. Adverse Selektion Moral Hazard. AG, Abkürzung für Aktiengesellschaft. Agency-Kosten, Nachteile, die in einer Vertragsbeziehung mit ausführenden Organen aufgrund von Informationsasymmetrien entstehen. Die Kosten äußern sich in geringeren Erträgen im Vergleich zu einer perfekten Vertragsbeziehung oder in Aufwendungen für die Überwachung und Motivation von Agenten. Agio, Aufgeld, Kursprämie, Premium. Die positive Differenz zwischen dem Kurs einer Aktie oder eines Anteilscheins und dem inneren Wert. Aktie, Wertpapier, das eine Beteiligung am Aktienkapital einer Unternehmung verbrieft. Die Aktie bietet gewisse Eigentumsrechte an der Unternehmung, vor allem das Verfügungsrecht, an der Hauptversammlung teilnehmen und dort stimmen zu können, sowie den Anspruch, beschlossene Dividende beziehen zu können sowie an anderen finanziellen Veränderungen partizipieren zu können. AMEX, Abkürzung für die American Stock Exchange. Anlagefonds, oder Investmentfund: Sammeleinrichtung zur gemeinsamen Vermögensanlage. Entweder haben Anlagefonds die rechtliche Form einer Gesellschaft (Deutschland und Österreich) oder eines Sondervermögens (Schweiz). Anleihe, oder Renten (D), Bonds (USA, UK) oder Obligationen (CH): Verbriefter Kreditvertrag, also Fremdkapital. In der Regel ist Fremdkapital ein befristeter Vertrag, weshalb der Schuldner mit Ende der Laufzeit zur Rückzahlung verpflichtet ist. Gelegentlich wird das Fremdkapital gestaffelt über die Laufzeit in Form von Amortisationszahlungen zurückbezahlt. Bei einer Anleihe werden üblicherweise im Voraus in Höhe und Zeitpunkt fixierte Zahlungen, so genannte Kupons, festgelegt. Ausnahmen sind: Zerobonds, variabel verzinsliche Anleihen, Perpetuals, Convertibles und inflationsgeschützte Anleihen. Arbitrage, Bezeichnung für eine wirtschaftliche Tätigkeit zum Ausnutzen von Bewertungsdivergenzen. Sie bedeutet, dass ein Akteur durch eine Umstrukturierung seines Portfolios ohne Kosten und bei gleichem Risiko einen höheren Ertrag erwirtschaften kann. Arbitragefreiheit liegt in einem Finanzmarkt vor, wenn es mehrere Möglichkeiten gibt, eine Finanzposition durch Aneinanderketten verschiedener Transaktionen zu erreichen („viele Wege führen nach Rom“) und alle diese Wege gleich teuer sind. Ask oder Briefkurs: Preis, den ein Kunde einem Market-Maker für den Kauf bezahlen muss. Das Gegenstück ist der Bid (Geldkurs), den ein Kunde für den Verkauf an einen Market-Maker von diesem erhält. Der Bid unter dem Ask. Asset-Allokation (oder auch Asset Allocation), Zusammenstellung von Vermögenswerten zu einem Portfolio. Die strategische Asset-Allokation gibt die grobe Leitlinie für das Gesamtportfolio an, während die taktische Asset-Allokation aufgrund kurzfristiger neuer Informationen eine Über- oder Untergewichtung bestimmter Vermögenswerte nahelegt. <?page no="309"?> 15.3 Glossar als Lernkasten 309 Assets, Bezeichnung für Aktiva, Vermögenswerte. At the money, Bereich der Kursentwicklung des Underlyings einer Option, bei dem es unsicher ist, ob sie ausgeübt werden soll oder nicht, wenn sie jetzt oder in allernächster Zeit ausgeübt werden könnte. ATX, Abkürzung für den Austrian Traded Index, des es seit 1991 gibt. Ausländische Anleihe, Anleihe eines ausländischen Schuldners. Bailout oder Rettungsaktion, Notverkauf, Bankenrettungspaket, ist die Schuldenregelung oder Haftungsübernahme, wenn eine Unternehmung in die Krise gerät und insolvent (überschuldet) wird. Unternehmen werden meistens gerettet, wenn sie Bedeutung für das Finanzsystem und ein Konkurs die Stabilität des Finanzsystems haben würde. Dies ist oft bei Banken der Fall. Entweder wird der Bailout vom Staat veranlasst (public bailout) oder von Banken und Versicherungen, beispielsweise durch einen Forderungsverzicht (private bailout). Basel I, Regelwerk des Basler Ausschusses für Bankenaufsicht aus dem Jahr 1988. Der Basler Akkord zur Eigenkapitalunterlegung etablierte ein System für die Messung des Kreditrisikos und verlangte eine Kapitalunterlegung von wenigstens 8%. Umsetzung ins nationale Recht erfolgte 1992. Die Empfehlungen wurden von allen Ländern mit international tätigen Banken übernommen. Basel II und III, Rahmenwerk des Basler Ausschusses für Bankenaufsicht. Basel II wurde in den Jahren 1999 bis 2004 entwickelt, verhandelt und kalibriert. Es basiert auf drei Säulen: 1. Mindesteigenkapital-Anforderungen mit verfeinerten Regeln für die Messung der Kreditrisiken. 2. Aufsicht über die Überprüfungsverfahren und Überwachung der Unterlegung. 3. Erweiterte Offenlegungspflichten zur Stärkung der Marktdisziplin. Insbesondere erhalten die Banken im Rahmen der ersten Säule die Möglichkeit, eigene Rating-Systeme anzuwenden. Da der Basler Ausschuss für Bankenaufsicht in den einzelnen Ländern keine Gesetze verabschieden kann, haben die Konzepte „nur“ empfehlenden Charakter. Basel III stellt eine Weiterentwicklung der Ansätze von Basel II dar und wurde nach der Finanzkrise von 2008 entwickelt. Basisrisiko, Preisänderungsrisiko der Differenz zwischen dem Preis der konkret abzusichernden Position und dem Kurs des Futures. Basiswert Underlying. Bearish, Bezeichnung für die Erwartung, dass die Kurse deutlich fallen werden. Gegenteil: bullish. Bestens, Bezeichnung für einen ohne Limite erteilten Börsenauftrag. Bid, Geldkurs. Preis, den ein Kunde beim Verkauf eines Wertpapiers an einen Market- Maker erhält. Das Gegenstück ist der Ask (Briefkurs). BIS, Abkürzung für die Bank for International Settlements. In deutscher Sprache ist das die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (mit Sitz in Basel), und die deutsche Abkürzung ist BIZ. <?page no="310"?> 310 15 Konklusion zum Thema Finanzmärkte BOBL, Bundesobligation. Bezeichnung für deutsche Bundesanleihen mit mittleren Laufzeiten. Bond, angelsächsische Bezeichnung für Anleihe. Bondfloor, bei Wandelanleihen die untere Wertbegrenzung, die sich durch die Verzinsung und Rückzahlungsverpflichtung bei Nichtausübung des Wandelrechts ergibt. Bonität, ordinales Maß für das mit einem spezifischen Schuldner verbundene Kreditrisiko. Sie informiert über die Fähigkeit des Schuldners, seinen zukünftigen Verpflichtungen nachzukommen. Ein potenzieller Schuldner muss sich einer Bonitätsprüfung unterziehen, damit der Kreditgeber oder eine Rating-Agentur die Kreditwürdigkeit und Kreditfähigkeit beurteilen kann. Börse, organisierter Markt zum Kauf und Verkauf von Wertpapieren und von übertragbaren Finanzkontrakten. Der Preis ist der alleinige Allokationsmechanismus, weshalb das Vorliegen einer Vielzahl homogener Kontrakte eine Grundvoraussetzung für das Funktionieren einer Börse ist. Broker, Agent für Vermögensgeschäfte, der Kunden aus dem Publikum den Zugang zu einer Börse ermöglicht, bei der der Kunde selbst keine Aufträge eingeben kann. Des Weiteren die Bezeichnung für Personen, die Börsentipps aufgrund des aktuellen Börsengeschehens geben. Bullish, Bezeichnung für die Erwartungshaltung, dass die Kurse stark steigen. Gegenteil: bearish. Call, oder Call-Option, Kaufoption. Option, die dem Inhaber das Recht einräumt, nach seiner Wahl einen definierten Basiswert zu einem heute bestimmten Preis (Ausübungspreis, Strike) zu einem (oder bis zu einem) zukünftigen Zeitpunkt kaufen zu können. Callable Bond, eine seitens des Schuldners kündbare Anleihe. Der Kapitalnehmer hat einen Anreiz, von diesem Recht Gebrauch zu machen, wenn die Zinsen an den Kapitalmärkten stark gesunken sind. Dann wird er die laufende Anleihe zurückzahlen und sich neu zu günstigeren Konditionen finanzieren. Aufgrund des Rechts, das für die Kapitalnehmer einen Vorteil darstellt, weisen kündbare Anleihen eine leicht höhere Verzinsung auf als äquivalente Instrumente ohne Kündigungsrecht. Denn für den Anleger stellt dieses Recht einen Nachteil dar, weil Schuldner nur kündigen, wenn die Marktzinsen tiefer sind als die vertraglichen Zinssätze. Im amerikanischen Hypothekarmarkt gibt es gelegentlich die Möglichkeit zu vorzeitigen Kündigungen lang laufender Hypothekarkredite. Man spricht dort von Prepayment. Für die kreditgebenden Institutionen ergibt sich daraus das Prepayment Risk. CAPM, Abkürzung für Capital Asset Pricing Model. Ein von S HARPE (1964), L INTNER (1965) und M OSSIN (1966) entwickeltes Modell, das die Renditeerwartung von Einzelanlagen durch ihr jeweiliges Beta, die Risikoprämie des Marktes und den Zinssatz erklärt. CBOT, die Chicago Board of Trade. Seit 1848 Termin- und Optionsbörse in Chicago. Ursprünglich nur auf den Handel mit Agrarrohwaren konzentriert, kamen schnell Rohwaren-Terminkontrakte hinzu. Im Jahr 1975 wurde mit dem GNMA Future der erste Fi- <?page no="311"?> 15.3 Glossar als Lernkasten 311 nanzterminkontrakt lanciert, 1977 kamen der T-Bond-Future hinzu, 1982 Optionen auf Futures. CDO, ausführlich Collateralized Debt Obligations: Aus Paketen von Forderungen aus Hypothekarkrediten werden durch Securitization immer weitere Pakete, die dann eine Größe erreichen, die für den internationalen Weiterverkauf verlangt ist. Cedel, im Jahr 1970 etabliertes Clearing-System mit Sitz in Luxembourg. Chapter 11, im amerikanischen Rechtssystem gegebene Möglichkeit, die eine Unternehmung im Financial Distress ergreifen kann, um für einige Zeit Schutz vor dem Zugriff von Gläubigern zu haben. Damit verbleibt ihr Zeit, nach einer Restrukturierung aus dem Distress heraus zu finden. Falls ihr dies nicht gelingt, wird ein Konkursverfahren eingeleitet. Clearing, Ausgleich der Kauf- und Verkaufspositionen bei Börsengeschäften. CME, die Chicago Mercantile Exchange. Sie hatte ihre Ursprünge im Rohwarenhandel, doch heute werden zu 94% Zinsderivate und Futures und Optionen mit Aktien und Aktienindizes als Underlying gehandelt. Commodities, Rohwaren, Handelswaren. Physische Güter, die an den Märkten direkt gehandelt werden oder Underlying sind für derivative Kontrakte. Convertible, Convertible Bond, Wandelanleihe. Anleihe, die dem Inhaber das Recht einräumt, die Anleihe zu einem im Voraus festgelegten Verhältnis in Aktien der selben Unternehmung zu tauschen. Die Anleihe geht mit dem Tausch unter. Da dieses Wandelrecht für die Investoren einen Vorteil darstellt, weisen Wandelanleihen eine leicht tiefere Verzinsung auf als äquivalente Finanzinstrumente ohne Wandelrecht. Daher werden Convertibles von den Unternehmen häufig in Restrukturierungen eingesetzt, um einerseits die Liquidität zu schonen und andererseits den Finanzanlegern die Möglichkeit zu bieten, am zukünftigen Kurspotenzial der Aktien teilzuhaben. Credit Spread, Renditedifferenz zwischen Anleihen oder Krediten unterschiedlicher Bonität. Als Basis für den Credit Spread dient in der Regel die Zero-Curve, die Zinsstruktur für Anleihen ohne Ausfallrisiko. Darlehen Kredit. DAX, der Deutsche Aktien Index. Debt, angelsächsische Bezeichnung für Fremdkapital. Insbesondere verpflichtet sich der Kapitalnehmer zu im Voraus in Höhe und Zeitpunkt festgelegten Zinszahlungen sowie zur Rückzahlung des Betrags am Ende der Laufzeit. Bei einem bilateralen Kontrakt spricht man von einem Kredit oder Darlehen. An öffentlichen Märkten wird Debt in Form von Anleihen gehandelt. Default, Bezeichnung für einen genau beschriebenen Anlass und Tatbestand, der zu einem Kreditausfall oder einen Konkurs führen kann. Derivative Instrumente, in ihrer Konstruktion oder Preissetzung von anderen Finanzinstrumenten abgeleitete Kontrakte. Typische Derivate sind Swaps, Terminkontrakte (Forwards), Futures und Optionen. <?page no="312"?> 312 15 Konklusion zum Thema Finanzmärkte Dicke des Finanzmarktes, Abstützung der Preisbildung. Disagio, Abgeld, Diskont, Discount. Negative Differenz zwischen dem Kurs einer Aktie oder des Anteilscheins eines Anlagefonds zum inneren Wert. Dieser berechnet sich als Netto-Inventarwert (NAV). Insbesondere bei hoher Unsicherheit gegenüber der Geschäftsstrategie notieren die Titel häufig unter ihrem inneren Wert. Diversifikation, der gegenseitige Ausgleich von Risiken im Portfolio. DTC, The Depository Trust Company, 1973 gegründet, Sitz in New York. Duration, Maß für die Zinssensitivität von Zinsinstrumenten. Die Duration errechnet sich als gewichtete Summe derjenigen Zeitpunkte, zu denen die Zahlungen erfolgen. EASDAQ, die European Association of Securities Dealers Automated Quotation. Computerbörse für Technologieaktien und Vorläuferin der NASDAQ Europe. Der Handel an der EAS- DAQ wurde im Jahre 2003 eingestellt. EBIT, Abkürzung für Earnings before Interest and Taxes. Gewinne vor Zinsaufwand und Steuerzahlung. Die EBIT drücken das operative Ergebnis einer Unternehmung aus. Effekten, Bezeichnung für Wertpapiere wie Aktien und Anleihen. EONIA, Euro Overnight Index Average. Durchschnittssatz für Tagesgelder am europäischen Interbankenmarkt. Equity, angelsächsische Bezeichnung für Eigenkapital (Beteiligungen). Es ist die Form des Finanzkapitals, bei der im Gegensatz zum Fremdkapital weder periodische Zahlungen noch eine Rückzahlung (Amortisationsleistung) vereinbart werden. Dafür erhält der Kapitalgeber bei Equity eine Beteiligung an Gewinn und Verlust, sowie an Wertsteigerungen der Gesellschaft. Effiziente Portfolios, Portfolios, die für ihr Risikoniveau die jeweils höchste Renditeerwartung haben. Effizienzgrenze, obere Hälfte einer Hyperbel, der geometrische Ort der Renditen aller effizienten Portfolios im Risk-Return-Diagramm. Effizienter Markt, ein Markt, für den die Markteffizienz-These zutrifft. Ein Markt ist effizient oder informationseffizient, wie ausführlicher gesagt wird, wenn sich neue Informationen in extrem kurzer Zeit korrekt in den Kursen niederschlagen. Während bei der schwachen Form der Informationseffizienz nur historische Informationen eingepreist sind, ist bei der mittelstarken (semi-starken) Informationseffizienz sämtliche öffentlich zugängliche Information in den Kursen enthalten. Die starke Form bezeichnet schließlich den Fall, bei dem sämtliche, auch private Informationen in den Kursen reflektiert sind. Euribor, European Interbank Offered Rate. Durchschnittssatz für Gelder mit Laufzeiten von einer Woche bis 12 Monaten am europäischen Interbankenmarkt. Er dient als Referenzsatz für Geldmarktprodukte. EUREX, deutsch-schweizerische Termin- und Optionsbörse. Sie ging 1998 aus dem Zusammenschluss von DTB (Deutsche Terminbörse) und SOFFEX (Swiss Options and Financial Futures Exchange) hervor. <?page no="313"?> 15.3 Glossar als Lernkasten 313 Eurobonds, Anleihen in Währungen, die von der Währung des Landes abweichen, in dem die Kontrakte abgeschlossen wurden. Der erste Eurobond wurde 1963 von SG Warburg für die italienische Autobahngesellschaft platziert. Euroclear, im Jahr 1968 etabliertes Clearing-System mit Sitz in Brüssel. Eurogelder, Bezeichnung für Anlagen oder Finanzierungen in Währungen, die von der Währung des Landes abweichen, in dem die Kontrakte abgeschlossen wurden. Da es ursprünglich um Dollaranlagen in Europa (vor allem UK) ging, trägt dieser Markt die Bezeichnung Euromarkt. ex ante, im Voraus. Exposure, Exponiertheit gegenüber einem Risikofaktor und damit ein Maß für die Abhängigkeit von äußeren Einflüssen. ex post, im Nachhinein. Fibor, Frankfurt Interbank Offered Rate. Financial Distress, Angespannte Finanzlage durch geringe Illiquidität oder eine drohende Insolvenz. Falls der Unternehmung Zeit und Schutz gewährt wird ( Chapter 11), findet sie nach Restrukturierungen häufig aus dem Distress heraus. Distress ist demnach nicht gleichbedeutend mit Konkurs. Financial Engineering, Konstruktion neuer Finanzinstrumente durch Kombination gewisser Grundinstrumente (wie Aktien und Anleihen) und gewisser Derivate (wie Optionen und Futures), um durch die „Strukturierung“ gewisse „Produkte“ zu erhalten, die von Finanzinvestoren erwünschte Zahlungseigenschaften aufweisen. FNMA, die Fannie Mae, die Federal National Mortgage Association. Forward, angelsächsische Bezeichnung für einen (nicht standardisierten) Terminkontrakt. FRA, Forward Rate Agreement: Terminkontrakt, in dem der Zinssatz für eine in der Zukunft liegende Periode fixiert wird. Free Float, der Teil des Aktienkapitals, der nicht in festem Besitz ist und deshalb an der Börse gehandelt wird. Fremdkapital, Vertrag zwischen einem Kapitalgeber und einem Kapitalnehmer. Der Kapitalgeber überträgt einem Kapitalnehmer für eine bestimmte Zeit und in bestimmtem Umfang finanzielle Ressourcen. Im Gegenzug erhält der Kapitalgeber ein Recht auf Rückzahlung und auf eine Rendite zur Abgeltung der zeitlichen Überlassung der Mittel. Der Kapitalnehmer finanziert sich, das heißt, er verkauft Rechte gegen finanzielle Ressourcen. Manchmal sind im Finanzkontrakt noch weitere Rechte eingeschlossen. Bei bilateralen Kontrakten spricht man von Krediten, bei öffentlich gehandelten Kontrakten von Anleihen. Fristenstruktur der Zinssätze, die grafische Darstellung in einer Kurve (Zinskurve) oder die zahlenmäßige Wiedergabe der zu einem Zeitpunkt (“heute”) geltenden Zinssätze für die verschiedenen Laufzeiten (Zinsbindungsfristen). Von einer normalen Fristenstruktur der <?page no="314"?> 314 15 Konklusion zum Thema Finanzmärkte Zinssätze spricht man, wenn die Zinskurve mit zunehmender Zinsbindungsfrist ansteigt. Eine inverse Struktur liegt vor, wenn für kurzfristig fällige Zinsinstrumente höhere Zinssätze gelten als für länger laufende Zinsinstrumente. Sind die Zinssätze für alle Laufzeiten gleich hoch, liegt eine flache Zinsstruktur vor. FRN, Abkürzung für Floating Rate Note, kurz Floater: Variabel verzinsliche Anleihe. Im Gegensatz zu einem festverzinslichen Instrument erfolgt die Kompensation des Gläubigers durch Zahlungen, die sich während der Laufzeit der Anleihe an die jeweils aktuell am Markt herrschenden Konditionen anpassen. Daher schwanken die Kurse der Floater bei Zinsänderungen kaum. Fungibilität, Übertragbarkeit eines Finanzvertrags, Möglichkeit, dass der Kapitalgeber seine Rechte aus dem Vertrag verkaufen kann. Future, Terminkontrakt (Forward), der standardisiert ist und an einer besonderen Börse gehandelt wird, die stets als Gegenseite eintritt. Je nach Underlying werden Financial Futures und Commodity Futures unterschieden. Die Standardisierung bezieht sich auf Handelsort (Börse), Handelszeitpunkte (Kontraktmonate), Kontraktgröße (Kontraktvolumen) sowie Kontraktqualität. Geldmarkt, Markt für kurzfristige Zinsinstrumente mit Laufzeiten von bis zu 12 Monaten. Teilnehmer am Geldmarkt sind die Zentralbank, die Geschäftsbanken sowie große Unternehmen sehr hoher Bonität. Genußschein, Wertpapier, das dem Inhaber ein Recht auf einen Anteil am Gewinn einer Aktiengesellschaft gibt. Im Gegensatz zur Aktie ist der Genußschein ein Schuldpapier und beinhaltet somit weder Miteigentum noch Stimmrecht. GmbH - Abkürzung für Gesellschaft mit beschränkter Haftung. GNMA, Ginnie Mae, die Government National Mortgage Association. Greenshoe, Bezeichnung für das Wahlrecht des Emittenten oder des Emissionskonsortiums, im Rahmen einer Ausgabe von Aktien oder Anleihen (bei Erfolg) noch Mehrzuteilungen „nachzuschieben“. Haircut, im Jargon gebrauchte Bezeichnung für einen Forderungsverzicht. Gläubiger bestehen nicht auf einen Konkurs, der lange Zeit in Anspruch nehmen würde und bei dem Gläubiger nicht voraussehen können, wie viel sie noch erhielten. Stattdessen willigen sie in einen Forderungsverzicht ein und hoffen, dass der Schuldner die reduzierten Forderungen regelmäßig bedienen und wie geplant bei Fälligkeit erfüllen wird. Hedge-Funds, Anlagefonds ähnliche Konstruktionen, die nur geringe gesetzliche Auflagen erfüllen müssen, praktisch keinen Anlagerestriktionen unterliegen, und bei denen der Manager einen großen Freiraum bei sehr geringer Kontrolle hat. Zudem haben Hedge- Funds oft Short-Positionen. Die Manager versuchen durch Leerverkäufe, durch eine ausgeprägt aktive Anlagepolitik oder durch den Einsatz derivativer Instrumente Marktineffizienzen auszunutzen. Hedging, Absicherung gegen finanzielle Risiken, meist bewerkstelligt durch den Kauf von Derivaten und den späteren Verkauf dieser Instrumente. „Hedge“ ist die englische Bezeichnung für eine Hecke, Einzäunung oder Mauer, und diese bietet Schutz. <?page no="315"?> 15.3 Glossar als Lernkasten 315 High Yield Bonds, Bonds mit geringerer Schuldnerbonität, die dafür hohe Renditen versprechen. Die erwartete Rendite ist jedoch geringer, weil immer wieder mit Ausfällen zu rechnen ist. Früher wurden diese Zinsinstrumente als Junk Bonds (Schrottanleihen) bezeichnet. Bonds im Subinvestment-Grade werden als High Yield Bonds bezeichnet. Dies ist die durch Ratings unter BB+ ausgedrückte Bonität. Hochfrequenzhandel (HFH), Formen des algorithmischen Handels, setzt (1) Algorithmen, (2) direkten Anschluss an die IT-Handelsplattform mehrerer Börsenplätze und (3) Hochleistungsrechner voraus. Unter anderem werden von Hochfrequenzhändlern Vermutungen darüber angestellt und ausgenutzt, wie Broker typischerweise größere Order auf mehrere Börsenplätze verteilen. Humankapital Intellektuelles Kapital. Hybride Kontrakte, Finanzkontrakte, die Eigenschaften verschiedener klassischer Kontraktformen vereinigen. Dazu gehören Derivate, Mischformen von Fremd- und Beteiligungskapital (Mezzanine Finance) sowie Wandelanleihen. Illiquidität, Unfähigkeit, den Zahlungsverpflichtungen nachzukommen. Nicht zu verwechseln mit Insolvenz. Die Insolvenz ist die Überschuldung, also eine Situation, in der die Verbindlichkeiten nicht mehr durch die Vermögenswerte (Aktiva) gedeckt sind. IMF - International Monetary Fund. Internationaler Währungsfonds (IWF) mit Sitz in Washington. Index, Aggregat der Kursentwicklung verschiedener Einzelpositionen von Wertpapieren. Informationseffizienz ist die Vorstellung, dass Finanzmärkte bei der Preisbildung Informationen in folgendem Sinn höchst „effizient“ (insbesondere schnellstens und korrekt) verarbeiten: Bei neuen Nachrichten, die Einfluss auf die Bewertung haben, ändern sich die Kurse sofort und nehmen in allerkürzester Zeit jene Höhe an, die dem Wert unter Berücksichtigung der neuen Nachrichten entspricht. Deshalb muss ein Investor neue Nachrichten nicht selbst eigens auswerten, sondern kann darauf vertrauen, dass dies bereits in korrekter Weise erfolgt ist, wenn er oder sie dann Käufe beziehungsweise Verkäufe tätigen möchte. Inländische Anleihe, Anleihe eines inländischen Schuldners. Innerer Wert, auch „theoretischer Wert” oder kurz Wert: Der Preis, den eine Kapitalanlage in einem ideal gut funktionierenden Markt hätte. Der innere Wert einer Unternehmung ergibt sich aus der Differenz zwischen dem Marktwert der Aktiva und den Verbindlichkeiten. Der innere Wert eines Anteils oder einer Aktie entspricht dem inneren Wert der Unternehmung dividiert durch die Anzahl Anteile bzw. Aktien. Eine leicht andere Definition gilt für den inneren Wert einer Option. Sie ist der Geldbetrag, den der Inhaber einer Option bei sofortiger Ausübung erhielte, wenn es vorteilhaft wäre, sie auszuüben. Insider, Person, die aufgrund ihrer beruflichen Tätigkeit an Informationen gelangt, die dem Publikum noch nicht auf formale Weise bekannt gegeben wurden. In den meisten Börsengesetzen ist es Insidern untersagt, diese Informationen für eigene Börsengeschäfte auszunutzen. Insolvenz, Überschuldung. Die Verbindlichkeiten sind nicht mehr durch die Vermögenswerte (Aktiva) gedeckt. Nicht zu verwechseln mit Illiquidität. <?page no="316"?> 316 15 Konklusion zum Thema Finanzmärkte Intellektuelles Kapital, die aus immateriellen Aktiva ableitbaren Werte. Es umfasst zum einen das Humankapital und mithin das Wissen, die Erfahrungen und die Fähigkeiten der Mitarbeiter. Zum anderen gehört das strukturelle Kapital dazu. Dieses beinhaltet die durch eine Organisation bestimmten Rahmenbedingungen zum Einsatz des Humankapitals, also das Kundenkapital sowie das Organisationskapital in Form des Innovationskapitals und des Prozesskapitals. Gemeint ist damit die Fähigkeit einer Organisation, durch die Generierung von Innovationen und die Verwendung bestimmter betrieblicher Prozesse Werte zu schaffen. Intermediär, bei Transaktionen dazwischen stehende Person, die an der Transaktion interessierte Parteien zusammenführt und gewisse Funktionen ausübt. Dazu gehören die Bewertung und Vertragsüberwachung. Beispiele für Intermediäre sind Broker, Makler, Market-Maker, Banken und Versicherungen. Interner Zinssatz Yield. INTERSETTLE, die Swiss Corporation for International Securities Settlement wurde 1988 gegründet und hat ihren Sitz in Zürich. Heute Teil der SIX Group In the money, Kursbereich des Underlyings, bei dem es sinnvoll ist, eine Option auszuüben. Investitionsfalle, nach K EYNES die Möglichkeit, dass Unternehmer selbst bei sehr tiefen Zinssätzen nicht mehr investieren, weil sie die zukünftigen Absatzmöglichkeiten für ihre Produkte, die Zukunft also, düster sehen. IOS, heute gebräuchliche Abkürzung für Investment Opportunity Set: Das Universum der Anlagen, die ein Investor bei seiner Portfolio-Selektion berücksichtigen möchte. Aufgrund einer Vorauswahl (etwa: Home-Bias) oder gewisser Auflagen stellt das IOS in der Regel nur einen Teil des weltweiten Anlageuniversums dar. Es gab früher auch einmal einen Investmentfund mit der Abkürzung IOS, der aufgrund betrügerischer Machenschaften geschlossen wurde. IPO, Initial Public Offering. Börsengang einer Unternehmung. IWF, der Internationaler Währungsfonds, deutsch IMF. Junk Bonds, High Yield Bonds. Kapital, Oberbegriff für Realkapital und Finanzkapital. Das Realkapital ist das in der Realwirtschaft eingesetzte Vermögen, also das Sachvermögen und das Wissen. Das Finanzkapital steht für Finanzverträge oder den Wert dieser Finanzverträge. Kapitalmarkt, im weiteren Sinn die Bezeichnung für alle Märkte für mehr oder weniger leicht übertragbare Finanzkontrakte und daher ein Synonym zum Sammelbegriff Finanzmarkt; im engeren Sinn die Bezeichnung für den Markt von Anleihen mit einer Laufzeit von mehr als einem Jahr. Kassakurs, Spot-Price. KCBT, die Kansas City Board of Trade. Kommerzgeschäft, Bezeichnung für das Kreditgeschäft der Banken, besonders das Kreditgeschäft mit unternehmerischen Schuldnern. <?page no="317"?> 15.3 Glossar als Lernkasten 317 Kontraktmonate, die besonderen Monate mit den Erfüllungsterminen bei Futures und Optionen: März, Juni, September und Dezember. Korrelation, Maß für die Gleichrichtung der Renditeschwankungen zweier Kapitalanlagen. Bei positiver Korrelation weichen die Renditen zu allen Zeitpunkten überwiegend in der gleichen Richtung von ihrem Erwartungswert ab. Kredit, Darlehen, Fremdkapital. KSE, die Korea Stock Exchange. Kupon, in nominaler Höhe vereinbarte Zahlung zur Verzinsung bei Anleihen. Der Kupon wird oft als Prozentsatz des Nominalbetrags festgelegt. Leverage, Hebel, mit dem sich die Eigenkapitalrendite durch Verschuldung verändern lässt. In welcher Richtung der Hebel wirkt, hängt von der Relation zwischen Assetrendite und Zinssatz ab. Liabilities, angelsächsische Bezeichnung für Schulden, Verpflichtungen. Liquidität, hat mehrere Bedeutungen. (1) Bei einer Unternehmung ist Liquidität die Fähigkeit, den Zahlungspflichten nachkommen zu können. (2) Bei einem Kapitalmarkt ist Liquidität die Möglichkeit und Leichtigkeit, Wertpapiere ohne größere handelsbedingte Kursbewegungen kaufen und verkaufen zu können. Für fehlende Liquidität verlangen die Finanzinvestoren eine Liquiditätsprämie. Diese ergibt eine höhere Verzinsung als bei einem liquiden Instrument. Liquiditätsfalle, nach K EYNES eine Situation, in der selbst bei einer Versorgung der Wirtschaft mit „leichtem Geld“ (geringer Zins, wenige Auflagen bei der Verschuldung) nicht mehr konsumiert und investiert wird. Die Wirtschaftsteilnehmenden warten auf fallende Preise und halten das Geld „liquide“, um erst dann zu kaufen, wenn sich sehr günstige Gelegenheiten bieten. Long Position, vertragliche Position einer Person, die in einem Forward oder Futures den Bezug eines Underlyings vorsieht. Bei einer Option die Position des Inhabers der Option. LSE, die London Stock Exchange. LIFFE, die London International Financial Futures and Options Exchange. Margin, Geldbetrag, der bei einer Börse für Futures als Sicherheit hinterlegt werden muss. Market-Maker, Intermediär, der eigene Positionen (also ein Depot) unterhält, und sich jederzeit für einen Kaufinteressenten oder Verkaufsinteressenten als Gegenpartei anbietet und dazu laufend einen Ask und einen Bid nennt. Marking-to-Market, tägliche Verrechnung von Gewinnen und Verlusten eines Termin- oder Optionsgeschäfts mit den bezahlten und verlangten Margins. Markt, ökonomischer Koordinationsmechanismus für den Tausch beziehungsweise in einer Geldwirtschaft für den Kauf und Verkauf, der wesentlich auf der Offenheit, den Vergleichsmöglichkeiten und der Allokation über Preise beruht. <?page no="318"?> 318 15 Konklusion zum Thema Finanzmärkte Marktportfolio, in der Portfoliotheorie durch T OBIN (1958) aufgezeigtes „Tangetialportfolio”, das zusammen mit dem Zinssatz die Capital Market Line (CML) bestimmt. Oft wird für das Marktportfolio ein Index als Proxy gewählt. MBS, Abkürzung für Mortgage Backed Securities. Mit Hypotheken (Mortgages) besicherte Wertpapiere, eine Untergruppe der ABS. MCS, Abkürzung für Mandatory Convertible Securities. Sie bilden einen Spezialfall von Wandelanleihen. Im Unterschied zu traditionellen Convertibles gibt es bei MCS einen Konversionszwang. Spätestens am Ende der Laufzeit müssen die Anleihen in Aktien umgewandelt worden sein. Damit entfällt die Bedeutung des Bondfloors als untere Begrenzung der Wertentwicklung. Minsky-Kollaps, eine Finanzkrise, die sich aufgrund einer dem Wirtschaftssystem inhärenten Entwicklung ergibt: Im Wirtschaftsaufschwung werden die Individuen risikobereiter, was individuell rational ist, doch sie werden alle zur gleichen Zeit risikobereiter, wodurch sich ein kollektives Risiko aufbaut: Alle nehmen zur selben Zeit Kredite auf und investieren, eine „Preisblase“ baut sich auf. Moral Hazard, eine Situation, in der eine besondere Art von Verhaltensunsicherheit besteht. Eine Person ist Moral Hazard ausgesetzt, wenn ein Vertragspartner auch im Nachhinein nicht feststellen kann, ob die Person Fleiß, Anstrengung, Sorgfalt hat walten lassen. MSE, die Midwest Stock Exchange. Mundell-Fleming-Trilemma, Aussage, dass drei finanziell wünschenswerte Zielsetzungen eines Staates oder Währungsgebiets nicht alle zugleich erfüllbar sind, dass hingegen zwei beliebige Ziele ausgewählt und erreicht werden können, das dritte hingegen nur unzureichend berücksichtigt werden kann. Die von Marcus Fleming und Robert Mundell genannten drei Zielsetzungen sind: Offenheit (freier Kapitalverkehr), Eigenständigkeit (in der Geldpolitik), Stabilisierte Wechselkurse. NAV, Net Asset Value, Netto-Inventarwert. Bezeichnung für den Wert des Eigenkapitals einer Gesellschaft oder eines Anlagefonds. Der NAV berechnet sich aus der Differenz zwischen dem Marktwert der Aktiva und den Verbindlichkeiten der Gesellschaft. Nymex, die New York Mercantile Exchange. NYSE, die New York Stock Exchange. Obligation, in der Schweiz übliche Bezeichnung für Anleihe. Option, eine Art von Termingeschäft, bei dem es jedoch nicht zwangsläufig zur Transaktion kommt, sondern die eine Vertragsseite, der Inhaber der Option, das Wahlrecht besitzt, ob der Kauf oder Verkauf (zu dem vorher vereinbarten Preis) nun stattfinden soll oder nicht. Die andere Vertragsseite, der Stillhalter, muss sich transferbereit halten. Optionsanleihe, Kombination aus einer Anleihe mit Kupons und einem Optionsschein, der zum Bezug einer Aktie berechtigt. Der Optionsschein (Warrant) kann unabhängig von der Anleihe (ex Anleihe) gehandelt werden. OTC, Kürzel für Over the Counter. Bezeichnung für Transaktionen mit Finanzkontrakten, die nicht über eine Börse abgewickelt werden, aber an einem „Tisch“, um den einige an solchen Transaktionen interessierte Parteien stehen. <?page no="319"?> 15.3 Glossar als Lernkasten 319 Out of the money, Bereich der Kursentwicklung des Underlyings, bei dem es nicht sinnvoll ist, eine Option auszuüben. Paritäten (oder Paritätstheoreme), Beziehungen zwischen makroökonomischen Größen (wie Zinssätze und Inflationsraten), Währungsparitäten und Devisenterminkursen. Wohl am besten erfüllt ist die Zinsparität. Sie besagt, dass im Hinblick auf zwei Währungen der Devisenterminkurs und der Kurs am Kassamarkt in einer quasi festen Beziehung stehen, die durch den Unterschied der Zinssätze festgelegt ist. Payer, jene Partei in einem Zinsswap, die den fixen Zinssatz bezahlt. Die Gegenpartei des Payers ist der Receiver. Pecking Order, Auf M YERS und M AJLUF (1984) zurückgehendes Konzept zur Erklärung der Reihenfolge, in der eine Unternehmung die verschiedenen Finanzierungsformen ergreift. Performance, risikoadjustierte Rendite. PHLX, die Philadelphia Stock Exchange. Portfolio, gedankliche Zusammenfügung von Finanzkontrakten. Primärmarkt, das einem Markt gleichende oder ähnelnde Umfeld, in dem neue Wertpapiere an die Börse und in den Handel gebracht werden. Private Equity, kaum übertragbare Finanzkontrakte der Beteiligung an Unternehmen. Häufig synonym mit Venture Capital, das zur Finanzierung junger Unternehmen verwendet wird. Put, oder Put-Option: Verkaufsoption. Option, die dem Inhaber das Recht einräumt, noch zu wählen, ob er dem Stillhalter das Underlying verkauft oder nicht. Rating, Bonitätseinstufung. Bei Anleihe-Emissionen wird das Rating von einer professionellen Rating-Agentur ausgestellt, zum Beispiel Standard & Poor’s, Moody’s oder Fitch. Receiver, jene der beiden Parteien bei einem Zinsswap, die den variablen Zinssatz bezahlt. Gegenpartei ist der Payer. Rendite, (1) Prozentualer Ertrag auf einer Anlage, bezogen auf eine bestimmte Periode. (2) Bezeichnung für den internen Zinssatz oder Yield. (3) In der Portfoliotheorie synonym mit Return verwendet. Rente, auch Rentenpapiere: In Deutschland übliche Bezeichnung für Anleihe. Replikation, Nachbildung der Zahlungen eines spezifischen Finanzkontrakts durch andere Instrumente, deren Werte bereits bekannt sind. Auf diese Weise können Unternehmen, Kapitalanlagen und Wertpapiere bewertet werden. REX, der Deutsche Rentenindex. Er erfasst sämtliche festverzinslichen Papiere der Bundesrepublik Deutschland, des Fonds deutscher Einheit sowie der Treuhandanstalt. Rho, der für die Bezeichnung der Korrelation üblicherweise verwendete griechische Buchstabe . Risiko, hat verschiedene Bedeutungen: (1) In der klassischen Portfolio Theorie ist Risiko (Risk) die Streuung der zufälligen Rendite, gemessen durch ihre Standardabweichung. Das <?page no="320"?> 320 15 Konklusion zum Thema Finanzmärkte Risiko ist demnach Gefahr und Chance zugleich. (2) Außerdem wird Risiko als die Wahrscheinlichkeit bezeichnet, eine vorgegebene Zielrendite zu verfehlen (Shortfall-Risiko). (3) Schließlich gibt es, besonders bei institutionellen Investoren, die Nachteile, wenn Wertberichtigungen bilanziell ausgewiesen werden müssen (Abschreibungen). Das ist das Bilanzrisiko. (4) In der Versicherungswirtschaft wird mit Risiko die Wahrscheinlichkeit eines Schadens bezeichnet, der sich bei einem Vertrag ereignen kann. Risk-Ruler, einfacher Katalog von Fragen, mit denen in der Vermögensverwaltung die Risikoaversion (oder ihr Kehrwert, die Risikotoleranz) für einen Privatanleger ermittelt wird. Robo-Advice, dialogfähiges Computerprogramm, das in der Vermögensverwaltung auch ohne aufwendige Beratung durch Experten dazu dienen soll, die Kundschaft zu einer „professionellen“ Geldanlage zu führen. Robo-Advice bietet eine differenziertere Erhebung der Wünsche und Bedürfnisse als ein Fragenkatalog (wie ein Risk-Ruler). Rodrik-Trilemma, Aussage, dass drei wirtschaftliche und gesellschaftliche Zielsetzungen eines Staates nicht zugleich erfüllbar sind, dass hingegen zwei beliebige Ziele ausgewählt und erreicht werden können, das dritte dann aber nur unzureichend berücksichtigt werden kann. Die von Daniel Rodrik genannten drei Zielsetzungen sind: Demokratie, nationale Selbstbestimmung, Teilhabe an der wirtschaftlichen Globalisierung. SEC, die Securities and Exchange Commission, mithin die amerikanische Wertpapier- und Börsenaufsichtsbehörde. Securitization, Verbriefung von Finanzkontrakten und von Anrechten auf Vermögenspositionen als Wertpapier. SEGA, die schweizerische Effekten-Giro AG, 1970 gegründet, Sitz in Zürich, SIS. Sekundärmarkt, Markt, auf dem die bereits im Handel sich befindenden Wertpapiere gekauft und verkauft werden, wobei sie von einem Kapitalgeber an einen anderen Kapitalgeber weitergegeben werden - während der Kapitalverwender von der Transaktion unberührt bleibt. Settlement, Abwicklung einer vereinbarten Transaktion. Bis in die 1960er Jahre wurden die Wertpapiere physisch vom Verkäufer zum Käufer transportiert. Heute gibt es ein Cash Settlement, indem die Positionen abgerechnet werden, während die Wertpapiere in zentralen Wertpapier-Sammelstellen verwahrt werden. Häufig existiert daher nur noch ein kleiner Bestand an physischen Wertpapieren. Short Position, Position eines Vertragspartners, der sich in einem Termingeschäft oder in einem Future zu einer späteren Lieferung des Underlyings verpflichtet hat. Gelegentlich auch die Bezeichnung für die Position des Stillhalters einer Option. Sigma, der für die Bezeichnung der Standardabweichung üblicherweise verwendete griechische Buchstabe . SIS, die SegaInterSettle AG, die 1999 aus der Fusion von SEGA und INTERSETTLE hervorgegangene Organisation für Clearing und Settlement in der Schweiz. <?page no="321"?> 15.3 Glossar als Lernkasten 321 SIX Group, die Swiss Infrastructure and Exchange, die Betreiberin der Finanzplatzarchitektur, welche die Schweizer Börse sowie den Wertschriftenhandel und die Abwicklung umfasst. SMI, der Swiss Market Index, ein Preisindex der wichtigsten Aktien. SPI, der Swiss Performance Index, ein Total Return Index für den breiten Aktienmarkt. Spin-Off, Herauslösung eines Unternehmensteils. Bei einem Spin-Off wird etwa eine Sparte einer Unternehmung in eine selbständige Firma ausgelagert. Dabei wird die neue Unternehmung verkauft. Darin besteht der Unterschied zum Carve-Out, bei dem die Muttergesellschaft nach Schaffung einer selbständigen rechtlichen Einheit und in der Regel einem Börsengang (IPO) immer noch eine Beteiligung hält. Spot-Price, Kassakurs, der am Markt für sofortige Ausführungen von Transaktionen gültige Preis. Squeeze Out, Vorgehen, mit dem Minderheitsaktionäre zum Verkauf ihrer Anteile an die Mehrheitsaktionäre bewegt werden sollen. Damit es in Deutschland zu einem Squeeze Out kommt, müssen mindestens 95 Prozent der Anteile in den Händen der Mehrheitsaktionäre sein. Strike, Ausübungspreis einer Option. Subprime-Segment, ist die Gruppe von Kapitalanlagen geringerer Bonität, besonders bei Hypothekarforderungen. Dieses Segment wird größer, wenn in einem Land aus politischen Überlegungen mehr Haushalten Wohneigentum eröffnet wird und die Banken den Hauskauf auch für schlechtere Schuldner finanzieren. Swap, Tauschgeschäft von Zahlungen. Übliche Formen sind der Zinsswap und der Währungsswap. Bei Zinsswaps werden Zinszahlungen getauscht, und zwar fix gegen variabel. Bei einem Währungsswap wird zusätzlich bei Vertragsende der Nominalbetrag in den beiden Währungen (in einer zu Beginn festgelegten Relation) getauscht. Swapsatz, Zinssatz, der von den Teilnehmern am Swapmarkt für eine konkrete Zinsbindungsfrist bezahlt wird. Für verschiedene Laufzeiten gibt es verschiedene Swapsätze. Die Swapsätze unterscheiden sich von den Zinssätzen für Staatsanleihen durch eine kleine Bonitätsprämie. Swap Spread, Zinsdifferenz zwischen dem Swapsatz und dem Satz für Staatspapiere. Sie ergibt sich zum einen aus dem Credit Spread, da die Teilnehmer am Swapmarkt über ein durchschnittliches Rating von (nur) AA verfügen und zum zweiten aufgrund der unterschiedlichen Angebots- und Nachfragesituation am Swapmarkt im Vergleich zum Markt für Staatsanleihen. Tax-Shield, der Barwert aller Steuereinsparungen, die aus der Abzugsfähigkeit der Schuldzinsen vom steuerbaren Bruttogewinn resultieren. Terminkurs, der Preis, der heute für eine in der Zukunft stattfindende Transaktion vereinbart wird. Er wird erst zum zukünftigen Erfüllungszeitpunkt bezahlt. Total Return, der Ertrag einer Anlage, der sich aus Kursänderungen sowie der periodischen Rendite ergibt. Bei Aktien ist der Total Return der Kursgewinn (oder -verlust) plus <?page no="322"?> 322 15 Konklusion zum Thema Finanzmärkte Dividende in einer Periode. Bei Obligationen der Kursgewinn (oder -verlust) plus Kupon in einer Periode. Underlying, der Basiswert, auf den sich ein derivativer Finanzkontrakt bezieht. So ist etwa das Underlying des T-Bond-Futures der Treasury-Bond, jenes des SMI-Futures der SMI. Gleiches gilt für Optionen. Typische Underlyings sind standardisierte Anleihen, Aktienindizes, einzelne Aktien, Rohwaren (Commodities), Devisen, Energie/ Elektrizität oder Kreditausfälle. Unkonventionelle Geldpolitik, eine Politik, die von den Zentralbanken in den USA, in Europa und Japan über Jahre hinweg eingesetzt wurde, um die Zinszahlungen der verschuldeten Staaten zu erleichtern, die befürchtete Deflation zu vermeiden und es dem Bankensystem zu ermöglichen, sich zu sanieren. Im Kern der unkonventionellen Geldpolitik stehen die direkte Intervention am Kapitalmarkt durch den Kauf von Anleihen und die Ankündigung dieser Maßnahmen. Volatilität, die Standardabweichung der stetigen Rendite. Währungsreform, Änderungen wesentlicher Merkmale und Verwendungsmöglichkeiten einer Währung, oftmals bewerkstelligt durch Festlegung eines neuen gesetzlichen Zahlungsmittels, Nennung der Umtauschmodalitäten zwischen der alten und der neuen Währung, eventuell verbunden mit einer Einmalzahlung eines Betrags der neuen Währung an alle Personen. Warrant, Optionsschein. Diese werden teilweise OTC, teilweise an Terminbörsen gehandelt. Weltwirtschaftskrise (Great Depression), 1929-1932: Mit einem Kurssturz am 24. Oktober 1929 begann der schwerste wirtschaftliche Einbruch in allen Industrienationen. Ein Drittel aller Banken in den USA gingen bankrott, Massenarbeitslosigkeit setzte ein und bestand für ein Jahrzehnt. Niemand hatte Geld für Konsum, niemand wollte oder konnte für Vermögensobjekte bezahlen, eine Abwärtsspirale der Deflation begann. Die Wirtschaftskrise weitete sich global aus. Das Ende der Great Depression kam erst um 1933 in Sicht, als die US-Notenbank zu einer Lockerung der Geldpolitik griff und den Dollar (in Relation zu Gold) um 40% abwertete. XETRA, Exchange Electronic Trading. Das elektronische Handelssystem, das 1997 von der Deutschen Börse eingeführt wurde. Yield, Bezeichnung für den internen Zinssatz einer Zahlungsreihe. Bei Bonds gibt der Yield to Maturity (YTM) Auskunft über die durchschnittliche Verzinsung des Anlagebetrags. Es wird davon ausgegangen, dass für alle Laufzeiten der gleiche Satz zur Anwendung gelangt. Zahlungsunfähigkeit, Illiquidität Zeitwert, Wertkomponente einer Option, die auf die Zeit zurückzuführen ist, die bis zum Verfall der Option noch verstreichen wird. Je weiter weg die Option von der Ausübung ist, desto höher ist der Zeitwert. Rechnerisch ergibt sich der Zeitwert aus der Differenz zwischen dem Kurs einer Option und dem inneren Wert. <?page no="323"?> 15.3 Glossar als Lernkasten 323 Zerobond, Anleihe ohne periodische Ausschüttung einer Verzinsung. Die Auszahlung der Verzinsung erfolgt gemeinsam mit der Rückzahlung am Ende der Laufzeit. Daher liegt der Ausgabekurs jeweils unter dem Rückzahlungskurs. Unterschieden werden zwei Formen: Bei der Diskontobligation ist der Rückzahlungskurs identisch mit dem Nominalwert, und daher wird dieses Instrument unter pari emittiert. Dagegen entspricht bei der Aufzinsungs-Anleihe der Ausgabekurs dem Nominalwert. Der Rückzahlungskurs liegt entsprechend über pari. Ziel-Kapitalstruktur, empirisch bestätigte Feststellung, dass Unternehmungen eine gewisse Kapitalstruktur haben, die sie immer wieder anstreben, wodurch weitgehend der Tradeoff-Ansatz bestätigt wird. Zinsparität, eines der Paritätstheoreme, drückt für zwei Währungen den Zusammenhang zwischen dem Devisenkurs und dem Kassakurs aus, der durch die Unterschiede in den Zinssätzen festgelegt wird. Zinssatz, Vergütung für die zeitweise Überlassung von Geld. Im Normalfall präferieren die Kapitalgeber kurze Laufzeiten, und dort gibt es ein großes Kapitalangebot. Die Kapitalverwender ziehen dagegen lange Laufzeiten vor, und bei den langen Zinsbindungsfristen gibt es eine große Kapitalnachfrage. Daher liegen die Zinssätze für kürzere Laufzeiten in der Regel unter jenen für längere Laufzeiten. Zinsstruktur Fristenstruktur der Zinssätze. <?page no="325"?> Register 11. September 2001 173 AAA-Rating 207 Abs, Hermann 222 Absicherungsprämie 212 Abwicklung 66 Agency Notes 78 Agency-Kosten 150 Agency-Theorie 150 Agent 150 Aktien 17, 221 Aktiengesellschaft (AG) 89, 223 Allokationsfindung 66 Altersvorsorge 30 Analysten 226 Angell, Norman 21 Anlage, risikolose 124 Anlageberatung 127 Anleihe 99 Anleihe, inländische 70 Anleihen 17, 179 Arbeitsteilung 47 Arbitragefreiheit 48 Arbitrageur 48 Argentinien 209 Asien 209 Asienkrise 289, 291 Assetklassen 128 at the money 186 Aufsicht 210 Aufsichtsrat 224 Auktion 66 Ausgabekurs 180 Ausschüttungsquote 242 Außenfinanzierung 27 Austrian Traded Index (ATX) 77 Ausübungspreis 268 Bail-Outs 285 Bank of America 213 Bank of England 166 Banken 61 Bankkredit 72 Barwert 196 Barwertkurven 195 Basel Capital Accord 210 Basel Committee 209 Basel II 209 Basel III 209 Basisrisiko 265 Basiswert 257 Basket 257 Basler Akkord zur Eigenkapitalunterlegung 210 Behavioral Finance 307 Benchmarks 199 Bernstein, Peter L. 111, 307 Besteuerung 147 Beta 240 Beta-Return-Diagramm 247 Bezugsrechte 225 Big Bang 74 Bilanzrisiken 235 Bills 68 Black Thursday 75 Black, Fischer 268 Black-Scholes-Formel 268 <?page no="326"?> 326 Register BLOC 276 Blue Chips 65, 228 Bondfloor 185 Bonds 42 Bonitätseffekt 195 Bonitätsrisiko 212 Börse 44 Börsen 61, 65, 97, 117, 139, 159, 193 Börsenverein 77 Branchenrisiko 234 Brasilien 209 Bretton Woods 77 Bundesanleihe 201 Bürokratie 19 Call-Optionen 260 Capital Asset Pricing Model (CAPM) 240 Capital Market Line (CML) 125 CAPM 240, 245 Carry Trade 289 Cash Settlement 266 Castaing. John 74 CDS 212 Cedel 79 Chicago Board of Trade (CBOT) 75 Chicago Mercantile Exchange (CME) 77 Citigroup 213 Clearing 66, 79 Clearinghaus 265 Clusius, Carolus 287 Coase, Ronald 62 Coca Cola 228 Collateralized Debt Obligations (CDO) 292 COMEX 287 Commercial Crime Büro 288 Commoditisierung 63 Compagnie des Agents de Change 40 Index (CAC40) 77 Consol Bonds 182 Consumer Price Index 166 Convenience Yield 265 Convertible Bonds 184 Convertibles 184 Corporate Bonds 68, 179 Corporate Debt 65 Corporate Governance 150 Cost of Carry 264 CPI 166 Credit Covenants 180 Credit Paradoxon 212 Credit-Default-Swap (CDS) 212 Credit-Linked-Notes 212 Credit-Spread 207 Cross-Default-Klausel 180 Custody 80 Debt 25 Decoupling 252 Default 97 Deficit Spending 293, 298 Deflation 172 Defoe, Daniel 21 Delkredererisiko 207 Demografie 98 Depression 172 Derivat 52 Deutsche Börse AG 76 Deutsche Pfandbriefbank (DePfa) 184 Deutscher Aktienindex (DAX) 76, 77 Devisenmarkt 49 Devisenspotkurs 203 Devisenswaps 261 Devisenterminkurse 203 Dienstesetzeleistungen 172 DIMSON. Elroy 87 <?page no="327"?> Register 327 Discount Bond 181 Diskontanleihe 181 Diskontierung 163 Diskontkredit 164 Diversifikation 213 Diversifikation von Risiken 46 Diversifikation. naive 119 Dividenden 225 Dividendenvorzugsaktien 225 Dodd, David 226 Dornbusch, Rüdiger 90 Dot-Com-Bubble 291 Dow Jones Industrial Average (DJIA) 75 Dow, Charles 75 DTCC (The Depository Trust & Clearing Corporation) 80 Duration 194, 196 Duration-Gap 197 Efficient Frontier 123 Effizienzgrenze 123 Eigenfinanzierung 152 Eigenkapital 25 Eigenkapitalvereinbarung 210 Einbringlichkeitsquote 209 Einfaktor-Modell 242 Einkommenseffekt 195 Einzelgesellschaft 224 Emerging Markets 209 Empathie 19 Enron 209 Equity 25, 224 Equity Premium 108 Erwartungsbildung, homogene 126 Erwartungsthese der Währungen 203 EUREX 78, 200 Euribor 182 Euro BOBL Future 201 Euro BUND Future 201 Euro BUXL Future 201 Euro SCHATZ Future 201 Eurobonds 183 Euroclear 79 Euromarkt 72, 183 Europäische Zentralbank 166 European Interbank Offered Rate 182 Excel 164 Fairness 31 Faktormodelle 240 Fama, Eugene 110 Fannie Mae (FNMA, Federal National Mortgage Association) 78 Fed 166 Federal Reserve System 166 Festzinsanleihe 179 Financial Distress 149 Financial Engineering 275 Finanzierung 22 Finanzierungsportfolio 141 Finanzintermediäre 63 Finanzkapital 22 Finanzkontrakte 22 Finanzmarkt 69 Finanzmärkte 42 Finanzwirtschaft 17, 88 Fisher, Irving 106 Fisher-Effekt 202 Fisher-Effekt, Internationaler 203 Fiskalpolitik 167 Floater 182 floating leg 199 Floating Rate Notes (FRN) 182 Foreign Bond 70 Forward 259 Freddie Mac (Federal Home Loan Mortgage Corporation, FHLMC) 184 <?page no="328"?> 328 Register Fremdkapital 25 French, Kenneth 110 fristenkongruent 197 Fristenstruktur der Swapsätze 198 Fristenstruktur der Zinssätze 161 Fristenstruktur, inverse 162 Fristenstruktur, normale 162 Fristentransformation 64, 198 Fundamentaldaten 226 Funds of Hedge-Funds (FoHF) 279 Fungibilität 35, 39 Future 259 Gegenparteirisiko 80, 207 Geld 20 Geld, am - 270 Geld, aus dem - 270 Geld, im - 270 Geldknappheit 172 Geldmarkt-Buchforderungen 45 Geldpolitik 161, 167 General Motors 293 Generalversammlung 224 Genossenschaft 224 Gesellschaft bürgerlichen Rechts. 224 Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH) 223 Gewinne 226 Gilts 188 Ginnie Mae (GNMA = Government National Mortgage Association) 201 Gläubiger 68 Gleichnis vom Herrn und dem Hund 90 Globalisierung 234 Going Private 222 Going Public 222 Gordon, Myron 228 Graham, Benjamin 225 Great Depression 294 Growth Stocks (Wachstumsaktien) 227 Hackordnung der Finanzierung 152 Hauptversammlung 224 Hedge, Normal - 262 Hedge, Reversed - 262 Hedge, Texas - 262 Hedgefonds 91 Heuschrecke 91 Hicks, John R. 196 High minus Low-Faktor (HML) 250 High Yields 207 High-Yield-Market 208 Histogramm 105 HML-Faktor 250 Hoover, Herbert C. 294 Hunt, Nelson Bunker 287 Hunt, William Herbert 287 Hybride 73 Hyperbel 122 Hyperinflation 173 Hypothekenbanken 179 IL-Bonds 186 Illiquidität 41 Indexzertifikate 277 Indizes, gewichtete 241 Indizes, Preis- 241 Indizes, STOXX- 241 Indizes, Total Return - 241 Indizes, ungewichtete 241 Industrialisierung 77 Inflation 166 Inflation Targeting 168 Inflation-Indexed-Corporate-Bonds 188 Inflation-Linked-Bonds 186 Informationseffizienz 53, 226 <?page no="329"?> Register 329 Informationserzeugung 18 Informationskosten 62 Informationsverarbeitung 46 Inhaberaktien 225 Initial Margin 265 Initial Public Offering (IPO) 43 Inlandsmarkt 71 Innenfinanzierung 28 Intermediäre 31 Intermediationstypen 67 interner Zinssatz der Zahlungsreihe 164 in the money 185 Investieren 21 Investitionen 21 Investitionsfalle 297 Investmentfonds 127 Irrelevanztheorem 143 Jahresabschluss 227 Japan 173 Jensen und Meckling 150 Jensen, Michael 29 Jones, Edward 75 JP Morgan Chase 213 Junkbonds 208 Kansas City Board of Trade (KCBT) 78 Kapital 22 Kapitalallokation 18 Kapitalgesellschaften 224 Kapitalismus 39 Kapitalkosten 41, 240 Kapitalmarkt 68 Kapitalmarktlinie 125 Kapitalschutz 277 Kartellgesetze 172 Kassakurs 202, 263 Kassamarkt 263 Katastrophe 284 Katastrophen-Bonds 51 Kaufkraft 166 Kaufkraftparität 203 Kernkompetenzen 19 Keynes, John Maynard 297 KGV 227 Kindleberger, Charles 307 Kindleberger, Charles P. 296 Klumpenrisiko 31 Kollektivgesellschaft 224 Kommanditaktiengesellschaft 224 Kommanditgesellschaft (KG) 224 Kommanditgesellschaft auf Aktien (KGaA) 224 Konkurswahrscheinlichkeit 147 Kontrollkosten 62 Konversionszwang 186 Korean Stock Exchange (KSE) 78 Korrelation 123 Korrelationskoeffizient 124 Kosten, private 149 Kosten, soziale 149 Kreditderivate 212 Kreditereignis 97 Kreditgeschäft 212 Kreditkonvenanten 180 Kreditrisiko 207 Kreditrisikomanagement 213 Kredituriesrisikoprämie 207 Kreditvorfall 212 Kriegsbligationenwirtschaft 76 Krisen 284 Krisen der Stärke 1 285 Krisen der Stärke 2 285 Krisen der Stärke 3 285 Kuba 38 Kuponzahlungen 179 Kursänderungen 195 <?page no="330"?> 330 Register Kurse 47 Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) 227 Kursrisiko 194 Kursziele 226 Länderdiversifikation 234 Länderrisiko 234 Langläufer 70 Laufzeit 160 Law, John 290 Leerverkäufe 129 Leverage-Effekt 143 Liberalisierung 172 LIBOR 182 Liquidität 38, 304 Liquiditätsfalle 298 Lock-In-Periode 279 Lombardkredit 164 London Interbank Offered Rate 182 London International Financial Futures and Options Exchange (LIFFE) 74 London Stock Exchange 74 Long Term Capital Management (LTCM) 288 Long-Position 200, 260 Losgröße 64, 66 LTCM 288 Macaulay, Frederick 196 Majluf, Nicholas S. 153 MaK (Mindestanforderungen im Kreditwesen 209 Makler 64, 67 Manager 22 Mandatory Convertible Securities (MCS) 186 Margin Call 266 Market-Maker 64, 67 Markowitz 230 Markt 19 Markt, vollständiger 51 Marktkapitalisierung 228 Marktportfolio 244 Markträumung 48 Marktrisiken 235 Marktunvollkommenheiten 62 Marktwert-Buchwert-Verhältnis 249 Marx, Karl 297 Maslow, Abraham 18 MATIF 200 Mehra, Rajnish 109 Meriwether, John W. 288 Merkantilismus 19 Merton, Robert C. 288 Mezzanine 73 Miller, Merton H. 142 Mindesteigenkapitalanforderungen 210 Mindestkapital 210 Minimum Variance Portfolio (MVP) 129 Minsky, Hyman P. 298 Minsky-Kollaps 298 Mississippi-Bubble 74, 290 Mitgliedschaftsrechte 224 Modigliani, Franco 142 Monetary Authority 168 money, at the - 186 money, in the - 185 money, out of the - 185 Moneyness 271 Moody’s Corporation 292 Moral Hazard 63 Multi-Manager-Funds 279 Multi-Strategie-Produkte 279 Müntefering, Franz 91, 95 Myers und Majluf 152 Myers, Steward C. 153 <?page no="331"?> Register 331 NAM 205 Namensaktien 224 National Association of Manufacturers (NAM) 205 Nationalstaaten 89 Negative-Pledge-Klausel 180 Net Money Settlement System 80 New Deal 294 New Economy 252 New York Mercantile Exchange (Nymex) 78 New York Stock & Exchange Board (NYS&EB) 74 New York Stock Exchange (NYSE) 74 Ng Chee Siong, Robert 288 Ng Teng Fong 288 Nominalbetrag 179 nominale Renditen 102 Nominalzinsen 202 Normal-Hedge 262 Noten (Bills) 68 NSCC (National Securities Clearing Corporation) 80 OATi 188 Offene Handelsgesellschaft (OHG) 224 Offenheit 31 Offenlegungspflichten 210 Offenmarktpolitik 165 Optimizer 124 Optionen 259 Optionen, Call- 260 Optionen, Put- 261 Orderbuch 46 OTC 67 out of the money 185 Outperformance 232 Outperformance-Produkte 278 Over the Counter 67 Overshooting 90 Pari-Passu-Klausel 180 Paritätstheoreme 201 Pariwert 179 Partialobligationen 76 Payer 198 Payer-Swap 262 Payoff-Diagramme 271 Pecking-Order 152 People's Bank of China 166 Perpetual Floating Rate Notes 182 Perpetuals 182 Personengesellschaften 224 Peso Convertible 38 pfadabhängig 236 Pfandbriefe 179 Pfandbrief-Institute 179 Ponzi, Charles 286 Portfolio 118 Portfoliomanagement 127 PPP 203 Preisindizes 241 Prescott, Edward C. 109 Primärmarkt 42 Prinzipal 150 Prinzipal-Agenten-Beziehung 151 private 72 Private Debt 72 Private Equity 72 Privat-Platzierungen 45 Produkte, strukturierte 276 Produktionsfaktoren 18 prozyklisch 211 public 72 Purchase Power Parity (PPP) 203 Put-Optionen 261 Quant 232 RAP 207 Ratingrisiko 212 <?page no="332"?> 332 Register Ratings, interene 211 reale Jahresrenditen 105 Realkapital 22 Realwirtschaft 88 Realzinsanstieg 201 Realzinssatz 106 Receiver 198 Receiver-Swap 262 Referenz-Zinssatz 262 Regressionsrechnung 245 Reihenentwicklung, Taylorsche 196 Rendite 98 Rendite bis Verfall 164 Rendite, reale Jahres- 105 Renditen, nominale 102 Renminbi 166 Replikationsportfolios 52 Repogeschäfte 165 Ressourcen 21 Restlaufzeit, virtuelle 197 Restructuring Capital 73 Return Enhancement 272 Reverse Convertibles 278 Reversed-Hedge 262 Revisionsstelle 224 Ringhandel 77 Risiken, operationelle 211 Risiko, spezifisches 244 Risiko, systematisches 245 Risikoanalyse 233 risikoavers 107 Risikofaktoren 225, 232 Risikoportfolio 125 Risikoprämie 108, 305 Risikoprämien-Puzzle 109 Risikotransfer 18, 35 Risk-Adjusted-Pricing (RAP) 207 Risk-Management 209 Risk-Rating 209 Risk-Return-Diagramm 106, 120 Risk-Workout 209 Robinson Crusoe 21 Roll, Richard 248 Roosevelt, Franklin 294 Royal Exchange 74 Rückzahlungskurs 180 Russland 209 Russlandkrise 289 Sachkapital 22 Säule, erste 210 Say, Jean-Baptiste 297 Schätzmethode, realwirtschaftliche 109 Schätzung, finanzwirtschaftliche 109 Schätzung, realwirtschaftliche 110 Scholes, Myron S. 268, 288 Schuldner 68, 180 Schumpeter, Joseph 90 Schweizerische Effekten-Giro AG 79 Schweizerische Nationalbank 168 Schwellenländer 209 Securities Lending 80 Securities Market Line 247 Securitization 42 Security 42 Security Analysis 226 SEGA (Schweizerische Effekten-Giro AG) 79 Sekundärmarkt 42 Selektion, adverse 63 Sensale 76 Sensalenordnung 76 Sensitivität 197 Sensitivität der Rendite 244 Separationstheorem 127 Settlement 66, 79 Shareholder-Value-Gedanke 29, 223 <?page no="333"?> Register 333 shares, bearer - 225 shares, preferred - 225 shares, priority - 225 shares, registered - 224 shares, voting right - 225 Sharpe, William 243 Shefrin, Hersh 307 Shortfall-Risk 236 Short-Position 200, 260 Sicherungskäufer 212 Sicherungsverkäufer 212 Simulation 236 Small Caps 228 Small minus Big-Faktor (SMB) 249 SMB-Faktor 249 Smith, Adam 19 SML 247 SNB 168 Sobel, Robert N. 228 Solver (Excel) 164 South Sea Company 74 Sovereign Debt 65 Sparquote 29 Spotkurs 202 Spotmarkt 263 Staatsanleihen 65, 179, 208 Staatsverschuldung 172 Stammaktie 224 Standard and Poor’s Corporation 292 Standardabweichung 106 STAUNTON, Mike 87 Stiftung 224 Stille Gesellschaft 224 Stimmrechtsaktien 225 Stock 42 Stock Picking 227 Stocks 224 stocks, preferred - 225 STOXX Indizes 241 Straight Bonds 179 Strike 268 Struktureffekt 195 Substanzperlen 227 Survival Bias 109 Swap 259 Swapsätze 198 Swapsätze, Fristenstruktur 198 Swap-Spread 198 Swiss Market Index (SMI) 77 Swiss Performance Index (SPI) 77 Swissair 209 Tangentialportfolio 244 Tax-Shield 148 Taylorsche Reihenentwicklung 196 T-Bond-Future 201 Term Structure of Interest Rates 161 Terminkontrakte 259 Terminkurs 263 Terminmarkt 263 Term-Spread 165 Terroranschläge 173 Texas-Hedge 262 The Depository Trust Company (DTC) 80 The Wall Street Journal 75 These des Freien Cashflows 29 Thickness 50 Tick 66 Tobin 231 Tobin, James 124 TOIS 199 Tokyo Stock Exchange 200 Tom-Next-Index-Swaps 199 Total Return Indizes 241 Total-Return-Swap 212 Tradeoff-Ansatz 147 <?page no="334"?> 334 Register Transaktionen 48 Transaktionskosten 61 Transformationen 63 Transparenz 31 Treasury-Inflation-Protected-Securities (TIPS) 188 Treuhandanstalt 201 Tulpenmanie 287 Türkiye Cumhuriyet Merkez Bankasi 166 Überschießen 90 Underlying 257 Underwriting 45 Unternehmensanleihen 68 Unternehmensgröße 249 Unternehmer 22 Unvollkommenheiten 147 US-Staatsanleihen 207 US-Treasuries 207 Value Line Index 78 Value Stocks (Substanzperlen) 227 Varianzdekomposition 234 Variation, erklärte 243 Variation, unerklärte 243 Venture Capital 73 Verbriefung 42 Verein 224 Verfügbarkeitsrendite 265 Verhandlungskosten 62 Vermögensrechte 224 Verschuldungsgrad 146 Verteilungswirkung 170 Verwaltungsrat 224 Volatilität 269 vollständiger Markt 51 Vollständigkeit 50 Vorstand 224 Vorzugsaktien 225 Vorzugsdividende 225 Wachstum 226 Währungsparitäten 49 Währungsswaps 259, 261, 262 Wandelanleihen 184 Wandelrecht 185 Weltwirtschaftskrise 75 Weltwirtschaftskrise 1929-1932 294 Werteffekt 195 Wertpapiere 31 Wertpapierlinie (Securities Market Line) 247 Wissenskapital 22 WorldCom 209 Xetra 76 Yield to Maturity (YTM) 164 Zahlungsverkehr 80 Zentralbanken 164 Zentralbankgeldmenge 168 Zerobond 180 Zero-Perpetuals 182 Zertifikate, Discount- 278 Zertifikate, dynamische 277 Zertifikate, Index- 277 Zertifikate, Step- 278 Zertifikate. statische 277 Zinsbindungsfrist 160 Zinsfutures 200 Zinskurve 161 Zinskurve, inverse 165 Zinskurve, Krümmung 165 Zinskurve, kurzes Ende 164 Zinskurve, langes Ende 165 Zinskurven, flache 162 <?page no="335"?> Register 335 Zinsniveau 98 Zinsparität 171, 202 Zinsreagibilität 195 Zinsrisiko 193 Zinssatz der Zahlungsreihe, interner 164 Zinssatz, Referenz- 262 Zinsstruktur 161 Zinsswap 198 Zinsswaps 261 Zinsterminkontrakte 200 Zufall 98, 305 Zufallsprozess 102 Zürcher Börse 77 <?page no="336"?> www.utb-shop.de Gut geplant ist halb gewonnen Serge Ragotzky, Frank Andreas Schittenhelm, Süleyman Tora ş an Business Plan Schritt für Schritt Arbeitsbuch 2018, 155 Seiten, Broschur ISBN 978-3-8252-4899-4 Konkurrenzanalysen, Verkaufsprognosen, Finanzierungsformen - Einen Business Plan zu erstellen ist gar nicht so einfach. Dieses Buch stellt Schritt für Schritt die wichtigsten Punkte für die Erstellung eines Business Plans vor: von der Planung über das Marketing bis hin zur Finanzierung. Das Buch beinhaltet zahlreiche Abbildungen, Übungsaufgaben, Literaturhinweise und ein Glossar. Die praxisnahe Umsetzung wird durch Fallstudien und Excel-Sheets unterstützt. Dieses Buch richtet sich sowohl an Studierende, die eine Hilfestellung im Rahmen einer entsprechenden Lehrveranstaltung benötigen, als auch an Praktiker, die Business Pläne selbst erstellen müssen. <?page no="337"?> Der richtige Umgang mit Menschen im Beruf und Alltag Nello Gaspardo Von harten Hunden und hyperaktiven Affen Der richtige Umgang mit Menschen im Beruf und Alltag 2017, 158 Seiten, Hardcover ISBN 978-3-86764-834-9 Jeder Mensch ist einzigartig! Das ist fraglos richtig. Dessen ungeachtet finden Sie bei Ihren Mitmenschen wiederkehrende Charaktereigenschaften, mit denen Sie im Beruf und im Alltag umgehen müssen. Denken Sie nur an den harten Hund aus der Chefetage, den cleveren Fuchs aus dem Controlling oder den zappeligen, aber vor Ideen sprühenden Affen aus der Marketingabteilung. Der Kommunikations- und Verhandlungsexperte Nello Gaspardo skizziert neun solcher Typen anhand von Tierbildern. Er zeigt deren Stärken und Schwächen auf und verrät Ihnen pointiert, was Sie im Umgang mit diesen Menschen unbedingt wissen sollten und wie Sie mit diesen Typen richtig kommunizieren. Das Buch ist ein unverzichtbarer Ratgeber für alle, die im Beruf und im Alltag gemeinsam mit anderen Menschen schnell und harmonisch Ziele erreichen möchten. www.uvk.de <?page no="338"?> Als Lester Sternberg eines Morgens in die Arbeit kommt, ist nichts mehr so, wie es einmal war. Denn er steht unter dringendem Tatverdacht seinen Chef, Professor van Slyke, ermordet zu haben. Um seine Unschuld zu beweisen sucht er auf eigene Faust nach dem wahren Täter. Hilfe erhält er von der Studentin Milena - und die kann er sehr gut gebrauchen, denn der Mörder seines Doktorvaters ist nun hinter ihm her. Ist der Grund seine wissenschaftliche Arbeit über die Kritik am Bankensystem? Aber wer würde deshalb töten? Eine rasante Verfolgungsjagd durch Europa beginnt, bei der einige Banken und ein internationales Forschungsinstitut verwickelt sind. Licht ins Dunkle könnten dabei bekannte Ökonomen bringen. Die sind längst verstorben, aber ihre Ideen sind wichtiger als je zuvor! Stell dir vor, dein Prof wurde ermordet und du bist der Hauptverdächtige. Was würdest DU tun? Johann Graf Lambsdorff, Björn Frank Geldgerinnung Ein Wirtschaftskrimi 2017, 180 Seiten, Broschur ISBN 978-3-86764-812-7 DER Krimi für alle WiWi-Studenten www.uvk.de