eBooks

Richten und Schlichten

Formen, Normen und Werte der altägyptischen Rechtskultur

0716
2014
978-3-8649-6072-7
978-3-8676-4458-7
UVK Verlag 
Shoufu Jin

Shoufu Jin hat in diesem Buch reiches, aber verstreutes Material zusammengetragen und daraus einen Zentralbereich der ägyptischen Standesethik des hohen Beamtentums erschließen können, den er »die Tugenden des Richters« nennt. Er formuliert dazu zwei klare Thesen: 1. Die Rechtspflege wurde als »Tugend« verstanden, in der es keinen ausdifferenzierten Normenkatalog gab, sondern Rechtsnormen integrierte Bestandteile sowohl der Moral als auch der Verwaltung waren. 2. Nach diesem Rechtsverständnis geht es nicht nur um ein logisch richtiges Urteil, sondern es dominieren die Ziele der Versöhnung der Streitenden und der sozialen Harmonie, sofern nicht zwischen Täter und Opfer unterschieden und dem Opfer durch Bestrafung des Täters zu seinem Recht verholfen werden muss.

<?page no="2"?> Shoufu Jin Richten und Schlichten Formen, Normen und Werte der altägyptischen Rechtskultur UVK Verlagsgesellschaft · Konstanz und München <?page no="3"?> Gedruckt mit freundlicher Förderung der School of History, Capital Normal University, Beijing, China. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: / / dnb.d-nb.de abrufbar. ISSN 0936-8663 ISBN 978-3-86496-072-7 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. © UVK Verlagsgesellschaft mbH, Konstanz und München 2014 Einbandgestaltung: Susanne Fuellhaas, Konstanz Printed in Germany UVK Verlagsgesellschaft mbH Schützenstr. 24 · D-78462 Konstanz Tel. 07531-9053-0 · Fax 07531-9053-98 www.uvk.de <?page no="4"?> 5 Vorwort des Herausgebers Es ist eine glückliche Fügung, dass das halbe Hundert der Xenia-Reihe mit einem Werk über das pharaonische Ägypten abgeschlossen wird. Die Ägyptologie, die zwar in frühen Gründungsplänen der Universität Konstanz vorgesehen, später aber nicht mehr vertreten war, zeigt damit nach den Jahren, in denen der Ägyptologe Wilfried Seipel hier tätig war, eine eindrucksvolle Präsenz; das ist auch deshalb so, weil der Gegenstand dieses Buches von unverminderter Aktualität ist. Der Verfasser ist Professor der Ägyptologie an der School of History der Capital Normal University in Beijing, nachdem er in derselben Funktion an der Fudan-Universität in Schanghai tätig gewesen war. Er hatte von 1991 bis 2000 in Heidelberg studiert und dort mit einer früheren Fassung des vorliegenden Werkes bei Jan Assmann promoviert. Dass das Buch hier veröffentlicht werden kann, wurde auch durch die Förderung der School of History der Capital Normal University, Beijing, China, ermöglicht, der an dieser Stelle besonders gedankt sei. In der Reihe Xenia erscheinen Abhandlungen aus dem Umkreis der Arbeit des althistorischen Lehrstuhls der Universität Konstanz, und es ist eine abermalige glückliche Fügung, dass damit der Bogen zu dem Studium der Ägyptologie geschlagen wird, das der Herausgeber bei Wolfgang Helck und Gerhard Fecht absolviert hatte. Zudem ist die Gründung der Reihe in entscheidendem Maße durch das Mäzenatentum Heinz E. Breuningers möglich gemacht worden, eines Mannes, der sich intensiv der Kunstgeschichte des alten Ägypten zugewandt hatte. Der Titel der Reihe, der „Gastgeschenke“ bedeutet, dankt nicht nur den einzelnen Autoren für ihre Texte, sondern auch Heinz Breuninger und nach seinem zu frühen Tod der Breuninger Stiftung für die gesamte Hilfe. Wolfgang Schuller <?page no="6"?> 7 Inhaltsverzeichnis Vorwort des Herausgebers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 Inhaltsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 Vorwort von Jan Assmann . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 Kapitel I Der Richter als Beauftragter des Königs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 1. Der Richter im alten Ägypten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 a. jmj-r# Hw.t wr.t . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 b. s#b r# nXn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 c. jmj-r# Snt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 d. sr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 2. Der König als Auftraggeber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 3. Der Beamte als Richter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 a. Der Verwalter und Richter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 b. Der Lohn des Richters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 Kapitel II Der Richter und das Gericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 1. Gerichtsverhandlungen als Methode der Konfliktlösungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 2. Der Ort der Gerichtsverhandlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 a. Hw.t wr.t . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 b. qnb.t . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 c. D#D#.t . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 3. Die symbolischen Bedeutungen des Gerichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 4. Der Richter als Herr der Öffentlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 5. Die Rolle der Zeugen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 Kapitel III Der Richter und die Gesetze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 1. Die Bezeichnungen für Gesetze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 a. hp / hp.w . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 b. tp-rd . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 2. Die Entstehung der gesetzlichen Bestimmungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 a. Die königlichen Briefe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 b. Die Dekrete . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 c. Die Worte des Königs. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 d. Die Lehren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 3. Der Richter als Vollstrecker der königlichen Bestimmungen . . . . . . . . . . . . . . . . 107 <?page no="7"?> Inhaltsverzeichnis 8 4. Die Mitwirkung der Beamten bei der Gesetzgebung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 5. Die Tradition und die Gesetze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 6. Die Urkunden und die Gesetze. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 Kapitel IV Die Gerechtigkeit des Richters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 1. Gerechtigkeit als Ideal . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 a. Gerecht wie die Götter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 b. Genau wie die Waage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 c. Beständig wie das Zünglein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 d. Zielstrebig wie das Steuerruder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 2. Gerecht richten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 a. Unparteilichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 nmo . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 gs# . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 rdj Hr gs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 b. Unbestechlichkeit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 c. Gerechtigkeit gegenüber dem Bekannten und dem Unbekannten . . . . . . . . . . 146 d. Gerechtigkeit gegenüber dem Reichen und dem Armen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 3. Der Reichtum des Richters und seine Gerechtigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 Kapitel V Der Richter als Hörer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 1. Das Hören als die Aufgabe des Richters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 2. Das Hören des Richters in den Autobiographien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 3. Das Hören auf den König: Anweisungen und Staatsgeheimnisse . . . . . . . . . . . . 170 4. Das Hören und das Vertrauen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 5. Das Hören auf die sozial Benachteiligten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 6. Das aufmerksame Hören . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 Kapitel VI Der Richter als Schlichter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 1. Der historische Hintergrund der Idee des Ausgleichs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 2. Die Bezeichnung der Schlichtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 3. Die Voraussetzungen für die Schlichtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 a. Lehren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 b. Autobiographien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 4. Die richterliche Schlichtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 5. Theorie und Praxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 Kapitel VII Der Richter als Retter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 1. Die ideologische Grundlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 2. Das Retten des Schwachen vor dem Mächtigen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233 3. Das Retten der Witwen und der Waisen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243 4. Das Retten des Schiffbrüchigen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250 5. Das Retten des Furchtsamen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254 <?page no="8"?> 9 Inhaltsverzeichnis Kapitel VIII Der Richter als Ordnungshüter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261 1. Wissen, Erkennen, Durchschauen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261 2. Zufriedenstellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 268 3. Sittenrichter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272 4. Garant der Erbfolge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 276 5. Der Richter und die Strafe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 281 a. Die Auffassung der Strafe in den Lehren und verwandten Texten . . . . . . . . . . . 281 b. Die Schilderungen der Strafe in den Autobiographien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 287 6. Die Strafe als Abschreckung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 298 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 305 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 313 <?page no="10"?> 11 Vorwort Shoufu Jins Buch wurde im Jahre 2000 unter dem Titel „Die Tugenden des Richters im Alten Ägypten“ von der philosophischen Fakultät der Universität Heidelberg als Dissertation angenommen. Sie wird hier in kaum veränderter Fassung publiziert, da sich dem Verfasser nach seiner Rückkehr nach China auf Grund der dortigen Bibliotheksverhältnisse keine Gelegenheit zu einer Überarbeitung und Aktualisierung bot. Trotzdem rechtfertigen die reichen Ergebnisse und der besondere, von seiner chinesischen Herkunft und Bildung bestimmte, Ansatz Shoufu Jins diese Veröffentlichung. Im Folgenden gebe ich einen einleitenden Überblick über den Aufbau des Werkes und den Gang der Argumentation, wobei ich gelegentlich auf neuere Literatur, Möglichkeiten eines Vergleichs mit religiösen Vorstellungen der Alten Ägypter sowie alternative Interpretationen verweise. Das erste Kapitel behandelt den Status des Richters. Allerdings hat es „Richter“ im Sinne eines eigenen Berufsstandes - das ist eines der grundlegenden Ergebnisse dieses Buches - im Alten Ägypten, zumindest während der klassischen Epochen der ägyptischen Geschichte, nicht gegeben. Es gab im Alten Ägypten zwar eine reich entwickelte Rechtskultur, aber weder ein hauptberufliches Richtertum, noch ein ausdifferenziertes Recht, „das von Juristen geschaffen, rational interpretiert und angewendet wird“ (M.Weber 1 ). Diesen Befund arbeitet Shoufu Jin in den ersten drei Kapiteln sehr deutlich heraus. Dieser erste Teil hat einleitenden Charakter. Er behandelt Aspekte der ägyptischen Rechtskultur im Sinne der allgemeinen kulturellen Rahmenbedingungen, in denen sich die richterlichen Normen, Werte und Tugenden entfalten konnten. Im ersten Kapitel stellt Shoufu Jin klar, daß verschiedenste Beamte in richterlicher Funktion tätig werden konnten (im Alten Reich zumeist in unmittelbarer königlicher Beauftragung), daß es aber keine berufsmäßigen Richter gab, die ausschließlich richterliche Funktionen wahrnahmen. Das Richtertum war im Alten Ägypten nicht professionalisiert und das Recht war, mit Niklas Luhmann zu reden, nicht ausdifferenziert. Für die meisten Beamtentitel, die man früher gern als Bezeichnung richterlicher Funktionen gedeutet hat, kann der Autor zeigen, daß sie ein breiteres Aufgabenspektrum umfassen. Das gilt besonders für den Titel sr, der weder das Richteramt, noch sonst ein bestimmtes Amt bezeichnet, sondern die Klasse der hohen Beamten und Würdenträger in höchsten Entscheidungsfunktionen (Notabeln, Honoratioren, „Mandarine“). Entscheidend ist das Element der Distinktion. Die Nichtprofessionalisierung der Richter und die Nichtausdifferenziertheit des Rechts hat in der Religion eine Parallele. Mit Ausnahme des „Vorlesepriesters“ war auch das Priestertum im Ägypten des Alten und Mittleren Reichs nicht professionalisiert. Priesterliche Aufgaben wurden turnusmäßig von verschiedenen Beamten wahrgenommen. Allerdings zeigt diese Parallele, daß man zwischen Professionalisierung und Institutionalisierung un- 1 Vom Vf. auf S. 85 Anm. 7 zitiert. <?page no="11"?> Vorwort 12 terscheiden muß. Denn wenn es auch keine (haupt)beruflichen Priester gab, so gab es doch Institutionen, die nur priesterlichen Zwecken dienten: die Tempel. Deshalb darf man das Kind nicht mit dem Bade ausschütten, und auch den Rechtsinstitutionen ihren spezifischen Charakter absprechen. Die qnb.t war zweifellos ein Gerichtskollegium, das über Rechtsfälle entschied, auch wenn ihre Mitglieder keine hauptberuflichen Richter waren, und kein unspezifischer „Beamtenrat“. In diesem Punkt kann man auch anderer Meinung sein. Shoufu Jin hat Recht, wenn er Begriffe wie D#D#.t und qnb.t mit „Beamtenschaft“ und nicht „Richterkollegium“ wiedergibt: gewiß, das bezieht sich auf die Beamtenschaft, die Notablen eines Ortes, aber nicht als solche, sondern als Gruppe der zur Wahrnehmung der Rechtspflege befugten und verpflichteten Personen. Diese treten als D#D#.t bzw. qnb.t zusammen, um Recht zu sprechen. Besonderen Wert legt Shoufu Jin auf die zentrale Rolle, die dem König im ägyptischen Rechtswesen zufällt. Die Beamten nehmen ihre richterlichen Funktionen meist als Beauftragte des Königs wahr. Auch das hat im Priestertum seine Parallele. Der König ist der Einzige, der zum Umgang mit den Göttern befähigt ist. Er genießt, wie man sagen könnte, absolute „Kultsouveränität“. Um die Fülle der damit verbundenen Aufgaben wahrnehmen zu können, muß er aber den größten Teil davon an Priesterschaften delegieren, die in seinem Auftrag (und neben ihren sonstigen Aufgaben in der Verwaltung) im Tempel Dienst tun. So muß man sich auch die „Rechtssouveränität“ des Königs denken. Auch darin scheint ein Grund dafür zu liegen, daß das Recht in Ägypten nicht ausdifferenziert und das Richtertum nicht professionalisiert wurde. Ein hauptberufliches Richtertum hätte den König in seiner Rechtssouveränität eingeschränkt. Die fehlende Professionalisierung der Richter wirkt sich in der Welt der Diskurse, die Shoufu Jin auswertet, dahingehend aus, daß Recht und Moral ungeschieden ineinander übergehen. Daher kann er von den „Tugenden“ des Richters sprechen. Es handelt sich um den Bereich einer allgemeinen, alle Beamten betreffenden Standesethik, die speziell in der Wahrnehmung richterlicher Aufgaben zum Tragen kommt. Das ist eine sehr wichtige und zutreffende Erkenntnis, die Shoufu Jin zu Recht an den Anfang seiner Untersuchung stellt, denn sie begründet die zentrale Rolle, die die „richterlichen Tugenden“ sowohl in den Lebenslehren der Weisheitsliteratur, als auch in den biographischen Inschriften verschiedenster Beamter spielen. Das zweite Kapitel widmet sich den Institutionen und Orten der Rechtssprechung. Einleitend verweist Shoufu Jin auf einen sehr charakteristischen Grundzug der altäyptischen Kultur und Gesellschaft: die Perhorreszierung von Rache, Gewalt und Selbsthilfe in der Durchsetzung der eigenen Sache und das tiefe Vertrauen der Ägypter in das Funktionieren der Rechtskultur. Selbst der Streit zwischen Horus und Seth, der zentrale Kampfmythos im alten Ägypten, ist ein Rechtsstreit und wird vor Gericht ausgetragen und der Sonnengott besiegt den kosmischen Feind, indem er ihn rechtskräftig verurteilt und bestraft. Das Gericht und seine Wirksamkeit ist im altägyptischen Denken allgegenwärtig. Wo andere Kulturen das Wirken eines „Tun-Ergehen-Zusammenhangs“ erblicken, <?page no="12"?> 13 Vorwort den sie auf den Willen Gottes zurückführen, da sieht der Ägypter die Gerechtigkeit am Werk, für deren Aufrechterhaltung und Durchsetzung er selbst verantwortlich ist. Diese Überzeugung ist für die Vorstellung der richterlichen Tugenden grundlegend. Was den Ort der Rechtsprechung angeht, stellt Shoufu Jin eine große Variationsbreite fest. Eine zentrale Rolle spielt die Rechtsprechung am Tor. Hier könnte man vergleichende Seitenblicke auf die Verhältnisse im alten Mesopotamien und im biblischen Israel werfen. Das Tor (Stadt-, Palast-, Tempeltor) ist der öffentliche Ort schlechthin in der urbanen Kultur Ägyptens und des Alten Orients. Auf die Öffentlichkeit der Rechtssprechung legt Jin sehr zu Recht großen Wert. In diesem Zusammenhang kann man auch auf die Form verweisen, die das Prinzip „Öffentlichkeit“ in der Ausgestaltung der Totengerichtsidee annimmt. Die 42 Richter, die dessen Gerichtskollegium bilden, sind die Götter der 42 Gauhauptstädte Ägyptens. Sie repräsentieren also „das ganze Land“, vor dem die Gerichtssitzung und die Rechtfertigung des Toten stattfindet. Nur durch diese Öffentlichkeit erhält der Freispruch des Toten Rechtsgültigkeit. Im dritten Kapitel setzt sich Shoufu Jin mit der dornigen Frage nach der Existenz schriftlich kodifizierter Gesetze im Alten Ägypten auseinander. Auch hier vertritt er denselben Standpunkt wie in den beiden vorangegangenen Kapiteln. Wie es keine „Richter“ gibt, sondern nur mit der Rechtspflege beauftragte Beamte, wie es keine „Gerichte“ gibt, sondern nur Verwaltungsinstitutionen und Beamtenkollegien, so soll der ägyptische Ausdruck hp , den wir herkömmlich mit „Gesetz“ übersetzen, keine juristischen Gesetze bezeichnen, sondern allgemeine soziale Normen und ethische Maximen, also, hebräisch, mitswôt und nicht mischpatîm. Das ist richtig, schließt aber die Bedeutung „Gesetz“ keineswegs aus. hp heißt wohl einfach „sanktionierte Norm“ und bezeichnet sowohl juristische Gesetze als auch soziale Normen. Entscheidend ist die Implikation der Sanktion. Auch wo wie in der Lehre des Ptahhotep von den hp.w der Ma‘at, also sozialen Normen im weitesten Sinne, die Rede ist, geht es um die Strafen, die den Übertreter treffen. Wie die Lehren der Ma‘at als „Gesetze“ bezeichnet werden können, kann sich umgekehrt ein Akt königlicher Rechtsprechung und Gesetzgebung wie das Dekret des Haremhab als eine Weisheitslehre darstellen. Dieses Dekret bezeichnet sich als „Weg des Lebens“ und zitiert damit die klassische Selbstbezeichnung weisheitlicher Unterweisung. Wie andere archaische Rechtskulturen auch haben die Ägypter zwischen Recht und Sitte nicht scharf unterschieden. Gesetze regeln nur die Fälle, für die es keine eingespielte gewohnheitsrechtliche Regelung gibt. Darauf verweist Shoufu Jin mit sehr aussagekräftigen Beispielen sowie aufschlußreichen Seitenblicken auf die Verhältnisse im klassischen China. Weil die Ausübung richterlicher Tätigkeiten nicht Sache eines professionalisierten Richtertums war, sondern ehrenamtlich von einer vom König dazu berufenen Beamtenschaft wahrgenommen wurde, galt das Rechtsprechen als solches bereits als ehren- und verdienstvolles Handeln und damit als eine Tugend. Das ist die entscheidende Einsicht, die sich aus diesem Überblick über die ägyptische Rechtskultur mit ihrer Ungeschiedenheit von Recht und Moral ergibt. <?page no="13"?> Vorwort 14 Als erste und wichtigste richterliche Tugend behandelt Shoufu Jin im vierten Kapitel die „Gerechtigkeit“. Der erste Abschnitt widmet sich der „Gerechtigkeit als Ideal“. In seiner Gerechtigkeit vergleicht sich der Richtende zuweilen mit den Göttern, vor allem mit Thot. Hierhin gehört auch die in ägyptischen Biographien mehrfach zitierte Formel „Aufmerksamen Herzens beim Hören der Angelegenheiten, ein dem Gotte Gleicher in seiner Stunde“. In diesem Zusammenhang kann man ergänzend auf die Vorstellungen vom Richtertum Gottes verweisen. Der Vergleich zwischen Richtern und Göttern wird ja auch umgekehrt verwendet: das göttliche Wirken wird mit dem eines Richters verglichen. Auch hier stoßen wir wieder auf das Problem der Ausdifferenzierung und Professionalisierung des Rechts. Thot ist der gleichsam professionelle Richter unter den Göttern. Viele Aussagen über das göttliche Richtertum beziehen sich aber auf den Gott Amun, dessen allumfassende Wirksamkeit natürlich weit über das richterliche Ressort hinausgeht. Vor allem aber geht es bei der Vorstellung des göttlichen Richtertums um die Idee des Totengerichts, vor dem sich nach ägyptischer Auffassung jeder Mensch nach seinem Tode zu verantworten hat. Der zweite Abschnitt behandelt Aspekte „gerechten Richtens“: Unparteilichkeit, Unbestechlichkeit, Nichtansehen der Person (Bekannt/ Unbekannt, Arm/ Reich) und Wohlhabenheit. Hier ist man Shoufu Jin besonders dankbar, so viele einschlägige Stellen für diese wichtigen Prinzipien zusammengetragen und die zentrale Geltung des Prinzips der „Gleichheit vor dem Gesetz“ für das Alte Ägypten klar erwiesen zu haben. Das Motiv der Wohlhabenheit stellt allerdings keine selbständige Tugend des Richters dar, sondern nur eine Grundvoraussetzung für seine Unbestechlichkeit. Hierfür kann man auf die Verse des Nilhymnus verweisen: „Der die Gerechtigkeit befestigt in den Herzen der Menschen: denn sie sprechen Lüge, wenn sie einmal arm geworden sind“ 2 Hier wird der Nil gepriesen, der für Gerechtigkeit sorgt, indem er alle mit Nahrung versorgt. Das „Hören“ des Richters, seine wichtigste Tugend, wird im fünften Kapitel behandelt. Wichtig ist der Gesichtspunkt, daß im Zusammenhang der richterlichen Tätigkeit das aufmerksame und verstehende Hören nicht nur eine Tugend, sondern eine Verpflichtung darstellt. Dr. Jin unterscheidet dabei zwischen dem „Hören nach unten“ und „Hören nach oben“. Der Richter muß „nach oben“ auf die Weisungen des Königs und „nach unten“ auf die Darlegungen des Bittstellers hören. Außerdem muß er natürlich auch „verhören“. Jede Form dieses Hörens erfordert ihre eigenen Tugenden. Das sechste Kapitel über den „Richter als Schlichter“ bildet das Kernstück des Buches. Die Unterscheidung zwischen „Richten“ (wo ein Urteil gefällt) und „Schlichten“, wo ein Vergleich erzielt wird, ist ungemein erschließend. Jin verbindet sie mit den beiden ägyptischen Lexemen wDo (eigentlich „trennen“) und wpj (eigentlich „öffnen“). Das Verb wDo 2 ÄHG (Assmann 1975), Nr. 242 Verse 77f. Der Text gehörte in Ägypten zu den großen Klassikern, die jeder Schreiberschüler auswendig kannte. <?page no="14"?> 15 Vorwort bezeichnet einen Prozeß, der zur einer Verurteilung führt, das Verb wpj dagegen einen Vergleich, mit dessen Abschluß beide Parteien zufrieden sind. Vor allem verweist Jin auf den Mythos von Horus und Seth, den Ursprungsmythos des ägyptischen Staates, den er mit Recht als einen Akt der Schlichtung versteht. Dieser „Schlichtungsmythos“ habe, so Jin, die ägyptische Rechtsauffassung entscheidend geprägt und das „Schlichten“, die Form des gütlichen Vergleichs, zum Ideal der Rechtsfindung erhoben. Mit dem Ideal der Schlichtung verbindet Shoufu Jin nicht nur den Vergleich, sondern präventive Formen der Streitvermeidung und die generelle Mißachtung der Streitsüchtigen. Ein Fragezeichen möchte ich allerdings an Jins Feststellung anbringen, daß der Schlichter „die ökonomische und administrative, und nicht selten auch religiöse und militärische Macht in seiner Hand hat.“ Die ägyptische Bürokratie war vielmehr in hohem Grade arbeitsteilig organisiert. Eine derartige Machtballung war allenfalls bei den Regionalfürsten der dritten Zwischenzeit denkbar, stellte aber nicht den Normaltyp des ägyptischen Beamten dar. Dem Richter als Schlichter stellt das siebte Kapitel den „Richter als Retter“ gegenüber. Schon in Inschriften des Alten Reichs kommen beide Aspekte der richterlichen Tätigkeit in ein und demselben Text nebeneinander vor: „Ich habe die zwei ‚Brüder‘ (Konfliktparteien) zu ihrer Zufriedenheit gerichtet; ich habe den Schwachen aus der Hand des Stärkeren gerettet, soweit ich es vermochte“. Dazu bringt Shoufu Jin eine sehr einleuchtende Erklärung bei. Im Falle gleichgestellter Konfliktparteien ist Schlichtung, im Falle der Unterdrückung des Schwachen durch den Starken Rettung das Ideal. Der 3. Abschnitt dieses Kapitels widmet sich dem großen Thema der Witwen und Waisen, das auch in der mesopotamischen und biblischen Rechtskultur und Sozialethik eine zentrale Rolle spielt. 3 Die letzten beiden Abschnitte dieses Kapitels widmen sich dem „Schiffbrüchigen“ und dem „Furchtsamen“ als Objekten richterlichen Rettens. Dabei hat Jin gewiß Recht, wenn er den Begriff des Schiffbruchs metaphorisch auffaßt, im Gegensatz zu dem der Schifflosigkeit, der sich auf reale Verhältnisse bezieht. Man muss ihm dankbar sein für die Fülle wichtiger Belege, die er für das Motiv richterlichen Rettens beigebracht hat. Gerade dieser Aspekt der altorientalischen Gerechtigkeitsidee ist in den letzten Jahren Gegenstand einer lebhaften Diskussion gewesen. 4 Im achten und letzten Kapitel behandelt Shoufu Jin die Fähigkeit bzw. „Tugend“ vorausschauender Konfliktvermeidung und Verbrechensprävention. Wie der chinesische und japanische Arzt seine eigentliche Aufgabe nicht darin sieht, Kranke zu behandeln, sondern die Gesundheit seiner Klienten zu erhalten und sie gar nicht erst zu Patienten werden zu lassen, so erblickt der mit richterlichen Aufgaben betraute ägyptische Beamte seine Hauptaufgabe darin, durch vorausschauende Erkenntnis und versöhnendes Reden Streit 3 F.Ch. Fensham, “Widow, Orphan, and the Poor in Ancient Near Eastern Legal and Wisdom Literature”, in: Journal of Near Eastern Studies 21, 1962, 129-139; H.K.Havice, The Concern for the Widow and the Fatherless in the Ancient Near East. A Case Study in O.T. Ethics (Ph.D.thesis, Yale University 1978). 4 Assmann/ Janowski/ Welker [Hg.], Gerechtigkeit, München 1999; B. Janowski, Die rettende Gerechtigkeit, Neukirchen-Vluyn 1999. <?page no="15"?> Vorwort 16 und Verbrechen gar nicht erst aufkommen zu lassen. Daher gehört auch das Motiv der richterlichen Allwissenheit in diesen Zusammenhang. Auch hier lassen sich die Linien zur Religion ausziehen: gerade dieses Motiv spielt in Hymnen und Gebeten eine große Rolle, wo es um die Allwissenheit Gottes geht. Der Religionswissenschaftler Raffaele Pettazzoni wollte hier zwei Typen göttlicher Allwissenheit unterscheiden: die „magische“ Allwissenheit des Schöpfergottes und die richterliche Allwissenheit des Richtergottes. 5 In Ägypten spielt die letztere eine besondere Rolle, was gewiß mit der großen Bedeutung der Totengerichtsidee zusammenhängt. Auch die Frage der Strafen behandelt Shoufu Jin in diesem Zusammenhang, da er ihren hauptsächlichen Zweck darin sieht, durch Abschreckung Verbrechen zu vermeiden. Dabei vermutet er, daß es in Ägypten wie im alten China kein (kodifiziertes) Strafrecht gab, sondern die Strafe immer individuell und kontextuell, unter Berücksichtigung der je spezifischen historischen und persönlichen Umstände bemessen wurde. 6 Wichtig ist das Motiv der Pflicht zur Bestrafung: der Richter darf gegenüber dem Unrecht keine Milde walten lassen. In seiner Zusammenfassung stellt der Verfasser noch einmal sehr klar und deutlich heraus, daß das Recht in Ägypten nicht zu einer eigenständigen beruflichen Sphäre ausdifferenziert war, sondern einen Aspekt der Verwaltung darstellte, den alle für die Verwaltung zuständigen Beamten im Bedarfsfall wahrzunehmen hatten. Dabei muß er dann die entsprechenden „Tugenden“ zur Geltung bringen, die von jedem Beamten erwartet werden. Außerdem hat er schon im Bereich seiner normalen Verwaltungstätigkeit darauf zu achten, Konflikte und Unrechtsfälle gar nicht erst entstehen zu lassen, die eine richterliche Behandlung nötig machen würden. Shoufu Jin hat in diesem Buch ein reiches und verstreutes Material zusammengetragen und daraus einen Zentralbereich der ägyptischen Standesethik des hohen Beamtentums erschließen können, den er „die Tugenden des Richters“ nennt. Sein Werk bietet aber nicht nur eine hervorragende Materialsammlung, sondern auch zwei klare Thesen: die These einer als „Tugend“ (und nicht als Beruf ) verstandenen Rechtspflege, wie sie sich mit ihrem zugehörigen Werte- und Normenkanon in einer Gesellschaft entwickelt, in der das Recht nicht ausdifferenziert, sondern integraler Teil sowohl der Moral als auch der Verwaltung war, und die These eines nicht vom Ideal des gerechten Urteils, sondern der sozialen Harmonie und der Versöhnung der Streitenden dominierten Rechtsverständnisses, soweit nicht zwischen Täter und Opfer unterschieden werden und dem Opfer durch Bestrafung des Täters zu seinem Recht verholfen werden muss. Heidelberg, im Oktober 2011 Jan Assmann 5 G. Pettazzoni, L’essere supremo nelle religioni primitivi. L’omniscienza di Dio, Turin 1957, dt. Der Allwissende Gott, Frankfurt 1960. 6 Vgl. hierzu Renate Müller-Wollermann, Vergehen und Strafen. Zur Sanktionierung abweichenden Verhaltens im Alten Ägypten, Probleme der Ägyptologie 21, Leiden 2003. <?page no="16"?> 17 Einleitung Untersuchungsgegenstand der vorliegenden Arbeit sind die Tugenden des Richters im alten Ägypten. Es werden aus den Lebenslehren und vor allem aus den autobiographischen Grabinschriften die Aussagen gesammelt, eingeordnet und analysiert, die auf die richterlichen Tätigkeiten eingehen. Diese Aussagen bilden einen wichtigen Teil der sogenannten Idealbiographie, sind aber dennoch bisher nicht gesondert behandelt worden. Es scheint besonders erforderlich, diese zahlreich belegten formelhaften Beschreibungen von richterlichen Tätigkeiten vor dem Hintergrund der unterschiedlichen Epochen des alten Ägypten zu betrachten, wenn man bedenkt, daß wir bisher wenig über die Rechtsprechung im alten Ägypten wissen und sehr wahrscheinlich vergebens nach einem „kodifizierten Gesetzbuch“ suchen. Es scheint mir deshalb nicht berechtigt, sich einerseits bei den Untersuchungen der Verwaltung im alten Ägypten so stark auf die Angaben in den autobiographischen Inschriften zu stützen und andererseits den Aussagen der Ägypter in den Autobiographien über ihre richterlichen Handlungen als Idealbiographie so wenig Aufmerksamkeit beizumessen. Die Annahme, daß das Amt der Finanzverwaltung am Ende des Alten Reiches dem Vorsteher von Oberägypten ( jmj-r# Smo.w ) übertragen wurde 7 , basiert hauptsächlich auf zwei Belegstellen: der Autobiographie des Wnj , in der dieser angibt, daß er die Abgaben und Dienstleistungen zweimal zählte 8 , und einer Szene im Grab des Ppj-onXw Hrj-jb aus Meir, der in der Funktion des „Vorstehers von Oberägypten in den mittleren Gauen“ die Abgaben eines der genannten Gaue überwacht 9 . Aus den Autobiographien kann man ebenfalls Rückschlüsse auf die Rechtsprechung im alten Ägypten ziehen. Wenn derselbe Wnj sagt, daß er sich bei der Leitung einer Expedition bemüht hat, „dass keiner seinem Kameraden Unrecht tat, dass niemand ein Stück Brot oder ein Paar Sandalen vom Reisenden raubte, dass niemand aus einer Stadt Leinenstoff stahl und dass niemand von irgendwelchen Leuten eine Ziege wegnahm“ 10 , kann man daraus schließen, daß der Leiter der Expedition auch in der Funktion eines Richters für Frieden und Ordnung bei der Expedition unter den Teilnehmern und gegenüber den Bürgern zuständig war. Wenn derselbe Ppj-onXw Hrj-jb in seiner Autobiographie erklärt: „Ich habe die zwei Parteien zu ihrer Zufriedenheit gerichtet, da ich wußte, daß der Gott so etwas wünschte“ 11 , wird ersichtlich, daß der ägyptische Richter nicht nur anhand der Gesetzessatzungen amtierte, sondern von verschiedenen Elementen, dem König, den Mitmenschen und den Göttern, beeinflußt wurde. Daher scheint es mir angebracht und plausibel, die Belege über die richterlichen 7 Fischer, Dendera, 95; Martin-Pardey, Gauverwaltung, 154; Kanawati, Governmental Reforms, 35. 8 Urk. I, 106, 7f. 9 Meir, IV, Tf. 16. 10 Urk. I, 102, 12-16; Roccati, Littérature, 194. 11 Urk. I, 222, 12. <?page no="17"?> Einleitung 18 Tätigkeiten aus den Lehren und den autobiographischen Inschriften, wo immer es möglich ist, „realitätsbezogen“ und nicht nur als realitätsfremde Idealisierungen zu betrachten. Da ich grundsätzlich davon ausgehe, daß die Belehrungen in den Lebenslehren bezüglich der richterlichen Tugenden zur spezifisch richterlichen Ausbildung gehören, da es die Verwaltungsbeamten waren, die die richterlichen Aufgaben übernahmen, und die Aussagen in den Autobiographien über richterlichen Handlungen nicht leere Formeln sind, 12 sondern die Verhältnisse der Rechtsprechung im alten Ägypten widerspiegeln, habe ich mich entschieden, nicht nur einen Katalog der Tugenden aufzustellen. Meine Arbeit besteht aus zwei voneinander abhängigen und aufeinander bezogenen Teilen. In der ersten Hälfte (Kapitel I-III) wird den Fragen nachgegangen, wer der Richter war, wo er richtete und worauf er seine Entscheidungen stützt. Diese drei Elemente bilden die Rahmenbedingungen, in denen sich der Diskurs über die richterlichen Tugenden überhaupt entfalten kann. Auf dieser realen Grundlage entstehen die teils idealisierten Aufforderungen des Königs, die Erwartungen der Menschen an den Richtenden und die Beteuerungen des Richtenden selbst, deren Darstellung den zweiten Teil der Arbeit bildet. Die Aussagen sind extrem uneinheitlich belegt. Das hängt zwar mit der Überlieferungslage zusammen, vor allem aber mit der Auffassung der verschiedenen Epochen und Personen vom jenseitigen Leben, da die autobiographischen Inschriften aus der Bemühung um die Sicherung des Nachlebens entstanden sind. Diese Autobiographien sind nicht im Sinne von modernen Autobiographien zu verstehen. Sie wurden nicht verfaßt, um das gelebte Leben zu verstehen 13 , sondern um es in erster Linie der Nachwelt zu präsentieren. Die auffallendste Tatsache bei den ägyptischen Autobiographien ist, daß ihr Standort die Gräber sind. „Der ägyptische Beamte legt sich sein Grab selbst an und läßt sich seine eigene Biographie darin aufzeichnen, und zwar nicht im Sinne von ‚Memoiren‘, sondern im Sinne eines vorweggenommenen Nekrologs.“ 14 Dabei spielte der Jenseitsglaube die entscheidende Rolle. Der Grabherr versuchte daher, die beschränkte Oberfläche seines Grabes möglichst ideal auszunutzen 15 . Daher wählte er die Themen aus, die mit seiner Fortdauer am engsten verbunden waren 16 . Die Rolle der Mitmenschen in der Vorstellung der Verstorbenen über das Jenseits hat dementsprechend einen erheblichen Einfluß darauf, ob und wie die Beschreibungen über die richterlichen Handlungen in die Inschriften 12 Gewisse Idealisierungen und Übertreibungen in den Aussagen sind nicht zu leugnen. Darüber hinaus ist es grundsätzlich nicht auszuschließen, daß viele Verstorbene zu Lebzeiten genau das Gegenteil getan haben, was mit den Worten von Ernst (Erdachte Gespräche, 71) in überspitzter Form zum Ausdruck kommen würde: „ Die Narren reden am liebsten von der Weisheit und die Schurken von der Tugend.“ 13 Vgl. Misch, in: Niggl (Hg.) Autobiographie, 41-42. 14 Assmann (1992a), 33-34. 15 Vgl. dazu Assmann (1983b), 66. 16 Im alten China war die Autobiographie eine viel spätere Gattung als die Biographie. Außerdem erscheint der „Autor“ der Autobiographie nicht in der ersten Person. Das ist ein merkwürdiges Kennzeichen, das bei den Ägypten undenkbar gewesen wäre. Vgl. dazu Pei-Yi Wu, The Confucian’s Progress, 6. <?page no="18"?> 19 Einleitung aufgenommen werden. Daher findet man eine starke Präsenz der Belege aus der Ersten Zwischenzeit und eine unproportional kleine Zahl aus der Ramessidenzeit, in der die Idee der Unsterblichkeit von der sozialen Einbindung abgekoppelt und auf die Götterwelt verlagert wird 17 . Diese Situation ändert sich in der Spätzeit, in der die Ägypter aus Angst vor dem Tod und aus der Unsicherheit über die Unsterblichkeit die Mitmenschen wieder stärker ins Blickfeld ziehen 18 . Auf der anderen Seite läßt sich sogar innerhalb eines bestimmten Zeitraumes keine Regel feststellen, von welchen Personen die Erwähnung richterlicher Tätigkeiten zu erwarten ist. Im Grab des RX-mj-Ro wurden die „Einsetzung des Wesirs“, in der die Vorgehensweisen des Wesirs gegen die Bittsteller erörtert wird, und die „Dienstordnung des Wesirs“, in der einige Festlegungen zur richterlichen Tätigkeit des Wesirs zu finden sind, angebracht. Darüber hinaus besteht seine Autobiographie zum großen Teil aus Aussagen über seine richterlichen Tätigkeiten. Das lässt vermuten, daß die Thematisierung der richterlichen Tugenden in engem Zusammenhang mit dem regierenden König stehen mag, wie uns die Geschichte des Bauern, die im Dienst des neuen Königshauses des Mittleren Reiches geschrieben wurde, zeigen wird. Während man jedoch in den Texten eines Baumeisters oder Schatzmeisters Aussagen über richterliche Tätigkeiten findet, verlieren manche Wesire kein Wort darüber. Daraus wird man folgern dürfen, daß einerseits eine große Personengruppe zur richterlichen Tätigkeit berechtigt war und andererseits die Aufnahme der diesbezüglichen Thematik von den persönlichen Überlegungen in der Zusammensetzung der Autobiographie bestimmt wurde, was wir leider nicht mehr genau ermitteln können. Es ist aus den genannten Gründen unmöglich, die Belege nach bestimmten Personengruppen oder Beamtengruppen einzuordnen. Auf der anderen Seite geht es bei dem Diskurs über die richterlichen Tätigkeiten nicht um die Hervorhebung von unverwechselbaren Leistungen, sondern um die Anpassung und Einfügung in die herrschenden Normen der Gesellschaft 19 . Deshalb werden die Belege nach Themen sortiert und innerhalb eines Themenbereiches chronologisch behandelt, damit man, wenn auch nicht immer, die ständigen Entwicklungen und Veränderungen sehen kann. Wenn es möglich war, habe ich die Belege innerhalb eines bestimmten Themas wiederum in zwei Kategorien verteilt, nämlich die Lebenslehren und andere damit verwandte Texte einerseits und die Autobiographien andererseits. Die Beziehung zwischen den Lebenslehren und den Autobiographien ist offenkundig. Es gab eine Wechselwirkung zwischen den beiden Genres, wobei aber die Lebenslehren mehr richtungsweisende Wirkung ausgeübt zu haben scheinen. Mit diesen abschließenden Worten freue ich mich sehr, daß ich endlich die Gelegenheit habe, meine Danksagungen auszudrücken. Ich bin in besonderer Weise meinem verehrten Lehrer Prof. Dr. J. Assmann für die Festlegung des Themas meiner Arbeit und die darauf- 17 Vgl. Assmann (1984b), 699. 18 Otto, Biogr. Inschr., 94. 19 Vgl. Assmann (1990a), 101 und im breiten Zusammenhang, Guksch, Königsdienst, 2. <?page no="19"?> Einleitung 20 folgende Geduld, Ermutigung, Einsicht und Hilfe verpflichtet, mit denen meine Arbeit einen endlichen Abschluß finden konnte. Einige Kapitel hat er mehrere Male durchgelesen und sehr wertvolle Kritik und Vorschläge gemacht, worauf ich in meinen Anmerkungen nicht genügend hinweisen konnte. Sehr dankbar bin ich ihm für die abschließende sprachliche Überarbeitung meines Manuskripts und das Vorwort, das er zu dem Buch beigesteuert hat. Besonderen Dank schulde ich Prof. Dr. E. Feucht, die ein ständiges Interesse für meine Arbeit gezeigt und mich immer wieder angespornt und ermutigt hat. Mein aufrichtiger Dank gilt Prof. Dr. S. Seidlmayer, der während seines Aufenthalts im Rahmen der Vertretung in Heidelberg mit Nachsicht und Ermutigung meine Arbeit betreut und mich insbesondere auf die Texte aus Deir el-Medina aufmerksam gemacht hat. In gleicher Weise habe ich profitiert von dem Aufenthalt Prof. Dr. Fischer-Elferts in Heidelberg. Von der Gliederung der Arbeit bis zu den deutschen Formulierungen konnte ich wertvolle Hilfe erhalten, wofür ich ihm aufrichtig danken möchte. Für die Korrektur der deutschen Fassung sage ich Dr. E. Dziobek von ganzem Herzen Dank. Darüber hinaus hat er für die Gliederung und Gestaltung meiner Arbeit zahlreiche Vorschläge gemacht. W. Runge hat mir bei der deutschen Formulierungen viel geholfen, wofür ich ihm sehr dankbar bin. M. Bommas habe ich zu danken für die zahlreichen Diskussionen und Anregungen. Allen Lehrenden und Studierenden des Instituts, die mir in den Seminaren und im Doktorandenkolloqium mit Rat, Mut und Tat geholfen haben, insbesondere Dr. Guksch, sei an dieser Stelle von Herzen gedankt. Mein besonderer Dank gilt der Konrad-Adenauer-Stiftung, die mir fünf Jahre lang ein Promotionsstipendium gewährt hat. Der Baden-Württembergischen China-Gesellschaft und dem Präsidenten der Gesellschaft, Herrn Prof. H. Sund, danke ich herzlich dafür, mit einer großzügigen finanziellen Hilfe die Anschaffung der mir notwendigen Bücher ermöglicht zu haben. Mein aufrichtiger Dank gilt Herrn Prof. H.J. Schneider aus Potsdam, der während seines Aufenthalts in China als Gastprofessor sehr wertvolle Gespräche mit dem Verfasser geführt hat. Ebenfalls für die finanzielle Unterstützung und auch in vielerlei anderer Hinsicht sage ich meiner Frau Luan Qi von ganzem Herzen Dank. Der Capital Normal University, Beijing, an der ich lehre, bin ich zu besonderem Dank für die großzügige Gewährung des Druckkostenzuschusses verpflichtet. Mein weiterer herzlicher Dank gilt Frau Uta Preimesser für das Redigieren der deutschen Fassung meiner Arbeit sowie deren Betreuung bis zur Drucklegung. Herrn Prof. Dr. Wolfgang Schuller danke ich für die deutsche Endredaktion und für die Aufnahme der Arbeit in seine Schriftenreihe Xenia. <?page no="20"?> 21 Kapitel I Der Richter als Beauftragter des Königs 1. Der Richter im alten Ägypten Es ist notwendig klarzustellen, wer die Richter im alten Ägypten waren, um die Tugenden der ägyptischen Richter aufzustellen und sie ihrem Sinn gemäß zu verstehen. Dabei fällt die Diskrepanz ins Auge, daß es sich einerseits nicht eindeutig feststellen läßt, wer eigentlich die Richter im alten Ägypten waren, und daß andererseits Aussagen über richterliche Tätigkeiten in den Autobiographien reichlich vorhanden sind. Man fühlt sich gezwungen zu fragen, ob die altägyptischen Überlieferungen gerade im Gebiet des Rechtswesens eine so schwerwiegende Lücke haben, daß wir das ägyptische Rechtswesen aus den überlieferten Dokumenten nicht rekonstruieren können. Wenn man die Autobiographien der ägyptischen Beamten betrachtet, ist es auffallend, daß die richterlichen Tätigkeiten einen wichtigen Bestandteil der Aufgaben der mit der Verwaltung Betrauten bildet. Man darf annehmen, daß der Grabherr, sein Sohn oder irgendein anderer Hinterbliebener beim Verfassen einer Autobiographie oder Biographie diejenigen Aspekte auswählten, die die Leistungen des Gestorbenen am besten hervorheben und bei den Mitmenschen und den Göttern im Jenseits die beste Resonanz hervorzubringen vermögen 20 . Bei den meisten Bezeichnungen der richterlichen Tätigkeiten handelt es sich nicht um die einzelne gerichtliche Verhandlung, sondern allgemein um tugendhafte Handlungsweisen der als Richter fungierenden Beamten. Wenn diese Praxis sich mit wenig Unterbrechung vom Alten Reich bis in die Spätzeit fortsetzte, kann man die Aussagen nicht als leere Beteuerungen abtun 21 . Man muß die Aussagen der Autobiographien über die richterlichen Handlungen als die Widerspiegelung der ägyptischen Rechtsauffassung betrachten, wie sie in der ägyptischen Umwelt und Gesellschaft entstanden war. Auf der anderen Seite scheint es nicht angebracht, in den verschiedenen Titeln und Epitheta, die einen gewissen juristischen Bezug zu haben scheinen, Berufs-Richter im 20 Die Frage, welche Topoi und Themen in den autobiographischen Inschriften aufgenommen werden sollten, war sicher nicht leicht gewesen, denn es kamen so viele Elemente in Betracht, die für die Sicherung des jenseitigen Lebens des Grabherrn von Bedeutung sind. Auf der anderen Seite stellt die Fläche auf einer Stele, Statue oder Grabwand nur begrenzten Platz für die Autobiographie zur Verfügung, da die Autobiographie nur ein Teil der Vorbereitungen für das Jenseits ist. 21 Die meisten Inschriften in Gräbern werden hauptsächlich für das jenseitige Leben bestimmt und deshalb je nach der herrschenden Jenseitsvorstellung zusammengestellt. Aber die autobiographischen Inschriften werden an erster Stelle mit dem Blick auf die Mit- und Nachlebenden verfaßt. Das Überstreichen der Darstellung im Grab Nr. 3 in Siut, die über den vermeintlichen Sieg über die Thebaner berichten soll, scheint ein Beweis dafür zu sein, daß die Grabbesucher durchaus sehr kritisch sein konnten. <?page no="21"?> 22 Kapitel I - Der Richter als Beauftragter des Königs 22 alten Ägypten sehen zu wollen. Wenn man die relativ kleine Bevölkerungszahl in der pharaonischen Zeit berücksichtigt, kann man sich nicht vorstellen, daß es damals eine verfeinerte Justizbehörde gab, die über fest angestellte Beamten verfügte. Die meisten Beamten wurden je nach Bedarf oft und kurzfristig „versetzt“ und mußten daher in ihrer Karriere Aufgaben in verschiedenen Bereichen übernehmen. Die Titelreihe, die viele Beamte für sich beanspruchten, kann man weder als Aufzählung inhaltsloser Titel noch als Zusammenstellung der von dem jeweiligen Beamten langfristig ausgeübten Ämter verstehen. Sogar für das spätere Mittlere Reich kann Quirke weder ein permanentes Gericht noch institutionalisierte Verwaltungsinstanz feststellen 22 . Unten werden einige Begriffe untersucht, die als die Bezeichnungen für die Richter verstanden werden. a. jmj-r# Hw.t wr.t Es wird allgemein angenommen, daß es sich bei dem Titel jmj-r# Hw.t wr.t um eine Bezeichnung für den Richter handelt, da der Terminus Hw.t wr.t 6 auf den Gerichtshof deutet. Aber wir haben keinen eindeutigen Beleg, der zeigt, daß Hw.t wr.t 6 eigens dafür gedient hat 23 . Strudwick konnte in seiner Untersuchung der Administration im Alten Reich feststellen, daß Hw.t wr.t als eine Verwaltungsinstitution neben Schatzhaus, Scheune und Aktenbüros existierte 24 . Aber es kann leider nicht bewiesen werden, daß in dem mit Hw.t wr.t bezeichneten Ort ausschließlich Rechtsprechung stattgefunden hätte. Helck nimmt an, daß es 6 Gerichtshöfe gegeben habe, deren Leiter der Wesir war, der den Titel jmj r# Hw.t wr.t 6 trug. Folglich ist ein jmjr# Hw.t wr.t der Leiter eines der 6 Gerichtshöfe 25 . Es ist allerdings schwer vorzustellen, daß es im Alten Reich schon 6 getrennte Gerichtshöfe gab. Der Titel des Wr-Xww, „Vorsteher der Schreiber der beiden Häuser der rechten Seite des Palastes“ 26 , den Helck als Beleg für die Unterteilung der 6 Gerichtshöfe zitiert, scheint gerade das Gegenteil zu beweisen. Denn von dem zitierten Beleg erfahren wir, daß das erwähnte Gebäude sich innerhalb des Palastes befindet, woraus wir zwei Punkte konstatieren können. Erstens ist es sehr wahrscheinlich, daß das von Wr-Xww genannte Hw.t wr.t in der Tat nur ein Verwaltungsbüro im Palast darstellt. Zweitens, wenn die Hw.t wr.t eines von den 6 Gerichtshöfen ist, liegen die sogenannten 6 Gerichtshöfe innerhalb des Palastes. Es ist eher unwahrscheinlich, daß der Wesir im Palast ausschließlich für den Zweck der Rechtsprechung in 6 Gerichtshöfen fungiert 27 . Es scheint plausibler anzunehmen, daß die 22 Quirke, Administration, 54. 23 Die Annahme, in Hw.t wr.t 6 die Gerichtshöfe zu sehen, wurde kürzlich von Martin-Pardey angezweifelt, s. Martin-Pardey, in: Fs Goedicke, 158. 24 Strudwick, Administration, 176-198. 25 Helck, Beamtentitel, 73. 26 LD II, 43, 4; Helck, Beamtentitel, 73 mit Anm. 46. 27 Otto (Ägypten, 83.) wies am Beispiel des Wnj auf die Besonderheit des Staatsaufbaus im Alten Reich hin, in dem die „sachlichen Ressorts“ wenig getrennt waren. <?page no="22"?> 1. Der Richter im alten Ägypten 23 23 6 Großen Häuser den Verwaltungskomplex darstellen, in dem der Wesir als der höchste Beamte alle Verwaltungsgeschäfte, darunter auch das juristische, leitet. Der Wesir K#-gmnj behauptet, daß der König Teti alle Dinge befahl, die er in den 6 Großen Häusern erledigen soll: sk wD.n Hm=f X.t nb mrr.t Hm=f jr.t m Hw.t wr.t 6 „Seine Majestät befahl (mir) alle Geschäfte an, deren Erledigung in den 6 Großen Häusern Seine Majestät wünschte.“ 28 Die sogenannten „alle Geschäfte“ ( X.wt nb.t ) enthalten richterliche Aufgaben, aber gehen weit darüber hinaus, da er als höchster Beamter im Land für die Aufsicht aller Bereiche zuständig war 29 . Es ist allerdings unklar, was hier die Zahl 6 wirklich bedeutet. Genau dasselbe ist der Fall bei der Bezeichnung wr 5 pr EHwtj 30 . Otto vermutet, daß es sich bei der Zahl 5 möglicherweise um die wichtigsten Delegierten des königlichen Rechts handelt, wobei der König in der Eigenschaft des Gottes Thot handelt 31 . Helck schlägt dagegen vor, daß die Zahl 5 auf die fünf Büros hindeuten könnte, die in einem Dekret aus Koptos erwähnt werden 32 . Es erhebt sich wiederum der Zweifel, ob es spezifisch für Gerichtsverhandlungen festgelegte Gebäude gab. Wenn es keine ausschließlich zur Rechtsprechung bestimmten Gebäude gegeben hat 33 , dann ist es fast unmöglich, daß es Beamte mit ausschließlich juristischen Aufgaben gegeben hat. Es wird angenommen, daß wr mD Smow „Großer der 10 von Oberägypten“ einen juristischen Titel darstellt. Helck kam aufgrund der Belege in der Dienstordnung des Wesirs und in den Kahunpapyri zu dem Schluß, daß die Gruppe ein Kollegium juristischer Berater des Wesirs ist 34 . In der Dienstordnung des Wesirs werden die vielfältigen Aufgaben des Wesirs ausführlich aufgeführt und eine besondere Beziehung der 10 Großen von Oberägypten zur Rechtsprechung ist nicht zu erkennen 35 . Im Alten Reich tragen die Schreiber des Wesirbüros und die Vorsteher der Scheunen- oder Schatzverwaltung den Titel der 28 Edel, in: MIO 1, Tf. II, A. Z. 4-6. Edel (a.a.O., 219) vermutet in den mit X.t nb(.t) „Geschäften“ die Handlungen gegen die Widersacher des neuen Königs, dessen Thronbesteigung „wir in völligem Dunkel tasten“. 29 Die Inschrift des Wesirs Jmn-m-H#.t aus der 11. Dynastie (Couyat-Montet, Hammamat, S. 79-80) ist für unsere Betrachtung sehr aufschlußreich. Als Wesir war er für die Verwaltung und Rechtsprechung zuständig. Auffallend ist die Tatsache, daß er qnb.t und [pr.w] wr.w 6 nebeneinander stellte. Wie unten noch argumentiert wird, ist qnb.t eine Beamtenversammlung, die keinesfalls nur mit gerichtlichen Angelegenheiten beschäftigt war. Möglicherweise kann man in [pr.w] wr.w 6 den Vorgänger von qnb.t sehen. Hier handelt es sich wahrscheinlich um Spuren des Übergangs. 30 Die Zahl neun bei den Neun Götterheiten und bei den Neun Völker können wir auch nicht zufriedenstellend erklären. 31 Otto, in: MDAIK 14, 156. 32 Helck, Beamtentitel, 57-58. 33 Ihr Zweifel darüber, es bei der Hwt wrt um einen Gerichtshof geht, begründet Martin-Pardey damit, daß bei Nb-k#w-Hr die Institution Hwt wrt neben anderen unterschiedslos genannt wurde, was allgemein auf den Verwaltungscharakter des Hwt wrt hindeutet, s. Martin-Pardey, in: BiOr 46, 540-543. 34 Helck, Beamtentitel, 19. 35 In Kahunpapyri, pl. IX, 13/ 3 und IX, 22/ 4 war einer der Großen 10 von Oberägypten an der Niederschrift einer Haushaltsliste im Büro der Feldverwaltung beteiligt. <?page no="23"?> 24 Kapitel I - Der Richter als Beauftragter des Königs 24 Großen 10 von Oberägypten 36 . Außerdem finden wir Belege, in denen der Träger dieses Titels sich mit der Aufstellung von Arbeitskräften befaßt 37 . b. s#b r# nXn Die Annahme, daß es im alten Ägypten keine hauptberuflichen Richter gibt, bedeutet nicht, daß die alten Ägypter kein Rechtsleben gepflegt hätten. Die Aufgaben der Rechtsprechung werden von verschiedenen Beamten mehr oder weniger wechselhaft wahrgenommen. Diese Tatsache hat ihren historischen Grund. Franke hat aus PT Spruch 437 und dessen Varianten, Spruch 458, 483 und 610, den Aspekt der Rechtsprechung durch den König rekonstruiert 38 . Darüber hinaus konstatiert er den Zusammenhang zwischen „Auszug-Wachen-Tor“ und Rechtfertigung 39 . Es scheint plausibel, sich vorzustellen, daß in der frühen Phase der ägyptischen Geschichte der König noch aktiver in der Rechtsprechung beteiligt war als später, und dass daher der Ort, der sich in der Nähe der Wohnund/ oder Arbeitsstätte des Königs befand, nicht nur symbolishe Bedeutung besaß, sondern real mit der Rechtsprechung zu tun hatte 40 . Nur dann ist es zu verstehen, daß in der ganzen pharaonischen Zeit das Tor als Stätte der Rechtsprechung eine wichtige Rolle gespielt hat. Diese Deutung paßt gut zu den drei Bestandteilen der Bezeichnung für den Wesir. Die aus drei Komponenten geformte Bezeichnung t#jtj s#b T#tj muß ihren Entstehungsgrund haben. Der erste Teil t#jtj bezeichnet wohl eine Person, die mit dem Torweg zu tun hat 41 . Diese Person soll nämlich als der Vermittler zwischen dem König und der Außenwelt fungieren. c#b deutet auf die juristische Gewalt der betreffenden Person hin, die er von dem König delegiert bekommen hat. Der letzte Teil T#tj kann man als die Bezeichnung für den Stellvertreter des Königs erklären, wenn man die Figur auf der Narmerpalette hinter dem König als den Sprecher des Königs interpretieren könnte 42 . Die Bedeutung der Rechtsprechung in den Titeln des Wesirs ist ohne Zweifel auffallend. Der Wesir ist es, der dem König am nächsten steht und als der erste das Vertrauen des Königs genießt 43 . Diese 36 Helck, Beamtentitel, 19. 37 Fischer, in: JNES 18, 256ff. 38 Franke, in: SAK 11, 211ff. 39 Franke, a.a.O., 212. 40 Franke, a.a.O., 212-213. Die entscheidene Rolle des Königs in Sachen der Rechtsprechung kann man auch in der folgenden Aussage vermuten: [jnk nb] qd mrr.w m pr nb=f H#m rmn m Hrj-jb Sw.t=f n sDw(=j) s n Hq# n Dd(=j) mdw nb r rw.tj „[Ich war einer, der einen festen] Charakter hatte, ein Geliebter im Hause seines Herrn, ein Bescheidener inmitten seiner Nachbarn. Niemals habe ich einen Mann beim Herrscher schlecht gemacht und niemals habe ich ein Wort (Geheimnis) nach außen verraten.“ TPPI §17, Z. 3. Der Sprecher möchte wahrscheinlich zum Ausdruck bringen, daß er bei der Rechtsprechung, an der der König beteiligt war, einen Mann nicht absichtlich benachteiligt habe und auch nicht die Entscheidung, die geheim gehalten werden mußte, nach außen bekannt gemacht habe. 41 Vgl. Allam, in: LÄ V, 255; Fischer, a.a.O., 265; Spiegelberg, Materialien, 61f. 42 Zur Deutung der drei Begriffe vgl. Helck, a.a.O., 56. 43 Für den Übergang von der „patrimonialen“ Herrschaftsform zu einer bürokratischen s. Assmann (1996a), 60-61. <?page no="24"?> 1. Der Richter im alten Ägypten 25 25 aufgrund der Nähe zum König resultierende juristische Aufgabe kann man auch in den anderen Bezeichnungen der Richtenden feststellen 44 . Natürlich beruht die Nähe zum König auf der Fähigkeit und Loyalität der Beamten. Die Titel s#w NXn und r# NXn könnten beide ihre Entstehung darin haben, daß die betreffenden Beamten in der Nähe des Königs im Palast tätig waren. Dies gibt ihnen die Gelegenheit, an der Rechtsprechung teilzunehmen 45 . Zwei Belege aus der Autobiographie des Wnj können dies am deutlichsten veranschaulichen. In dem ersten Beleg sagt Wnj , daß „der König ihn zum s#b r# NXn ernannt hatte, weil er das Vertrauen des Königs gewonnen hat mehr als alle anderen Diener des Königs“ 46 . Vor diesem Hintergrund erhält er das Recht, „allein mit dem Wesir über die Angelegenheiten, über alle geheimen Sachen, zu richten“ 47 . Mit der Ernennung zum s#b r# NXn scheint Wnj vom König eine Art Sondergenehmigung erhalten zu haben, denn im Folgenden sagt er weiter, daß er im Namen des Königs für den Harem und die 6 Großen Häuser gehandelt hatte 48 . Aber das Vertrauen des Königs zu ihm ist der einzige Grund, warum er vom König ausgewählt wird 49 . Aus der Autobiographie des Wnj kann man folgern, daß alle drei Personengruppen sr, soH und b#k die Chance gehabt hätten, zum s#b r# NXn ernannt zu werden 50 . In dem zweiten Beleg sieht man noch deutlicher, wie ein s#b r# NXn als der Sondergesandte des Königs auftritt. Bei der Untersuchung einer angeblichen Haremsverschwörung richtet Wnj ganz allein, sogar ohne die Anwesenheit des Wesirs 51 . Nur bei der schriftlichen Verfassung der Angelegenheit hat ihm ein anderer Beamter mit dem Titel s#b r# NXn geholfen 52 . Die Aufgaben des Titelträgers des s#b r# NXn sind aber nicht auf den juristischen Bereich beschränkt. Als der König eine militärische Expedition vorbereitete, war Wnj auch dabei 53 . Anfangs wird er mit der Rekrutierung der Soldaten und deren Ausrüstung beauf- 44 Vgl. unten in diesem Kapitel den Abschnitt über die Benennung der Richter durch den König und weiter Kapitel V, in dem untersucht wird, wie das Hören auf die königlichen Bestimmung und die Berufung zur richterlichen Tätigkeit von den Beamten als ein Privileg empfunden wurden. 45 Franke, in: SAK 11, 213. Lichtheim, Autobiographie, 10 übersetzt den Titel mit „the senior keeper of Nekhen“ ( s#b jrj NXn ). 46 Urk. I, 99, 3-4. 47 Urk. I, 99, 5. 48 Urk. I, 99, 6. Es scheint nicht berechtigt, aus dieser Stelle die Folgerung zu ziehen, daß es bei s#b r# NXn um einen „Assistenten des Wesirs (Helck, Verwaltung, 57)“ handelt. 49 Die so entstandene Beamtenschicht, die Assmann (1996a, 60-61) mit „Residenz-Elite“ bezeichnet, sorgt für die Jurisdiktion in der Residenz und später in den Gauen je nach Zeit und Umstand. Dazu vgl. auch Ward, Index, 20; Müller-Wollermann, Krisenfaktoren, 81. 50 Urk. I, 99, 7-8. 51 Es ist unwahrscheinlich, daß die Ernennung zum smr wotj und Xntj-S dazu beigetragen hätte, daß Wnj bei der Gerichtsverhandlung sogar den Wesir verdrängte. Mit smr wotj und Xntj-S war Wnj für den Schutz des Königs zuständig. Außerdem hatte er vorher vier Personen ersetzt, die den gleichen Titel getragen hatten. Daher ist es verständlich, daß der König bei der extrem wichtigen Angelegenheit sogar den Wesir außer Betracht läßt. 52 Urk. I, 100, 13-101, 2. 53 Urk. I, 101, 9ff. <?page no="25"?> 26 Kapitel I - Der Richter als Beauftragter des Königs 26 tragt. Danach wird er als Leiter der Armee auf der Expedition geschickt 54 . Die Personen, die mit s#b r# NXn bezeichnet werden, pflegen noch im späten Mittleren Reich eine besonders enge Verbindung zum König weiter 55 . Sie agieren wie Sondergesandte zwischen dem Königshof und der Außenwelt, insbesondere bei Expeditionen und in den Garnisonen. Derartige Tätigkeiten beanspruchen gute Schriftkenntnisse, was durch die Belege bestätigt wird 56 . c. jmj-r# Snt Der Titel jmj-r# Snt , der ab dem Ende des Alten Reiches vorkommt 57 , deutet möglicherweise auf eine lokale Maßnahme gegen die immer häufiger auftretenden Konflikte innerhalb eines Gaues oder zwischen den verschiedenen Machtbereichen unter den Gauen. Wörtlich kann man den Titel mit „Vorsteher der Streitenden“ übersetzen. Die Aufgabe dieses Titelträgers liegt demnach hauptsächlich darin, die Ordnung in einem Ort zu gewährleisten 58 . Seine Aktivität in der Wüste wird auch belegt 59 . Daher kann man vermuten, daß er ebenfalls für die Sicherung der Grenzen zuständig ist, was angesichts der häufigen Auseinandersetzungen innerhalb und außerhalb der Ortschaft erforderlich scheint. Außerdem befaßt sich der Inhaber dieses Titels mit der Jagd und der Landwirtschaft 60 . Es ist deutlich, daß der Titelträger die richterlichen Funktionen nur nebenbei ausübt. Daß Clère den Titel mit verschiedenen Bezeichnungen z.B. „un enquêteur de police judiciaire, un juge de paix et un juge d’instruction“ wiedergibt 61 , weist auf die fließende Grenze der Amtsbereiche hin. Eine der wichtigsten Quellen zur altägyptischen Rechtskultur ist ein Literaturwerk des Mittleren Reichs, das unter dem Titel „Die Klagen des Bauern“ bekannt ist. Da ich im Folgenden immer wieder auf diesen wichtigen Text zurückkommen werde, möchte ich J. Assmanns Zusammenfassung der Handlung voranstellen: „Ein Oasenmann, Repräsentant also nicht nur der sozialen Unterschicht, sondern auch noch der geographischen und kulturellen Peripherie des ägyptischen Reiches, ist seiner bescheidenen Habe beraubt worden und wendet sich an den zuständigen Magnaten und Großgrundbesitzer dieser Gegend, 54 Urk. I, 102, 2ff. Zu den Tätigkeiten des ( s#b ) r# NXn im Mittleren Reich kommt Franke zu dem Schluß, daß der Amtsinhaber mit dem „Zusammenstellen der Mannschaft und den Expeditionen“ zu tun hat. Gleichzeitig stellt er fest, daß sich ein Träger dieses Titels sich meistens in der Residenz aufhält und „allenfalls in die Garnisonen“ geschickt wird. Vgl. dazu Franke, in: SAK 11, 216. 55 Franke redet von einer „verwandtschaftlichen Verbindung“, a.a.O., 216; vgl. Vernus, in: RdE 26, 113. 56 Vgl. Helck, Beamtentitel, 73; Franke, a.a.O., 214 mit Belegen in Anm. 21. 57 CG 1615; Andreu, Enquête sur la police dans l’Egypte pharaonique, 332f; für die Belege s. Helck, Verwaltung, 73, Anm. 5. 58 Helck, Verwaltung, 73 übersetzt den Titel mit „Polizei-Inspektor“. 59 Helck, a.a.O., 75. 60 Andreu, in: Mélange Clère, 18. 61 Clère, in: RdE 7, 31. <?page no="26"?> 1. Der Richter im alten Ägypten 27 27 den Oberhofmeister Rensi, dem auch die Rechtspflege in diesem Gebiet obliegt. (Zum Verständnis des Falles ist es nicht ganz unerheblich zu wissen, daß der Raub als ein Akt von Selbstjustiz inszeniert wurde. Der Täter breitet über den Weg, den der Oasenmann mit seinem Esel geht, ein Tuch und zwingt ihn dadurch, in das angrenzende Kornfeld auszuweichen. Das wird zum Anlaß genommen, den Esel samt Ladung zu konfiszieren. Die Tat besteht also nicht in nackter Gewalt, sondern in der Beugung des Rechts. An Gewalt fehlt es freilich nicht. Das protestierende Opfer dieses selbstherrlichen Rechtsakts wird dann von seinem brutalen Kontrahenten noch verprügelt.) Der Oasenmann bringt nun seine Klage höheren Orts in so gewählten Worten vor, daß der Hofmeister den König von diesem ungewöhnlichen Auftritt unterrichtet. Der gibt die Anweisung, den beredten Oasenmann möglichst lange hinzuhalten, um ihm auf diese Weise noch weitere Reden von so wunderbarer Schönheit zu entlocken. Während der König unauffällig die Versorgung des Oasenmanns und seiner Familie sicherstellt, wird dieser weisungsgemäß von Rensi hingehalten. Der Kläger muß naturgemäß die Nichtbehandlung seines Falles falsch auslegen. Das gibt Anlaß zu äußerst elaborierten Reflexionen über Handeln und Unterlassen, Gut und Böse, hinter denen man die Umrisse einer ziemlich komplexen Handlungstheorie ahnt. Die Bedeutung des Begriffs Ma‘at als eines Horizonts letztinstanzlicher Normenbegründung wird aber jedenfalls deutlich genug. Der Oberhofmeister Rensi spielt hier nämlich, unschuldig, wie der Leser weiß, die Rolle eines Gegenbilds der Ma‘at. Was ihm der nicht nur beredte, sondern auch atemberaubend beherzte Oasenmann unterstellt, sind Gesinnungen, Motive, Handlungen und Unterlassungen, die das Gegenteil ma‘atgemäßen Verhaltens darstellen. Da der Beamte zum Schweigen verpflichtet ist, drehen sich alle Vorwürfe um den Tatbestand schuldhafter Nichtintervention. Wer an verantwortlicher Stelle gegen das Unrecht nicht einschreitet, wird an ihm mitschuldig. In diesem Punkt deckt sich der Vorwurf des Bauern an den Obergütervorsteher Rensi mit dem berühmten Vorwurf, den Ipuwer an den Schöpfergott selbst erhebt: Auch Gott macht sich schuldig, wenn er gegen das Unrecht auf Erden nicht einschreitet. Damit wird offenbar die zentralistische Rechtspflege des Mittleren Reichs begründet.“ 62 In der Bauerngeschichte wirft der Oasenmann dem Oberdomänenvorsteher Rnsi vor, daß dieser in der Funktion eines Snt Diebstahl begeht 63 . Sehr aufschlußreich ist das Nebeneinanderstellen dieses Titels mit Hq# Hwt und jmj-r# w 64 , die sich deutlich auf das Verwaltungsamt beziehen. Der „Gutsvorsteher“ ( Hq# Hw.t ) und der „Bezirksvorsteher“ ( jmj-r# w ), sind diejenigen, die als Oberhaupt einer Ortschaft für dortige Ordnung und Verwaltung zuständig sind 65 . Man neigt zu der Vermutung, daß die mit jmj r# Snt be- 62 Assmann 1990a, 59f. 63 Bauer B1, 223. 64 Bauer B1, 223-224. 65 Rnsj , der seine Aufgabe eines Ordnungshüters nicht aufgeführt haben sollte, wird als „eine Stadt ohne Bürgermeister, eine Mannschaft ohne Leiter, ein Schiff ohne Kapitän und eine Truppe ohne Führer“ bezeichnet, Bauer B1, 220-223. <?page no="27"?> 28 Kapitel I - Der Richter als Beauftragter des Königs 28 zeichnete Person ebenfalls für die Verwaltung eines Ortes verantwortlich ist 66 , obwohl in dem spezifischen Raubfall in der Geschichte des Bauern die Betonung auf die Rolle des Ordnungshüters gelegt wird. Aus anderen Quellen läßt sich beweisen, daß die Personen mit dem Titel jmj-r# Snt mit vielen anderen Aufgaben in Berührung kommen konnten. So wird ein jmj-r# Snt namens Jntf angeblich mit der Lieferung von Baumaterial beauftragt 67 . In dem dritten sogenannten „Semnah Dispatch“ berichtet ein jmj-r# Snt über die Wanderung der Nubier in der Nähe der ägyptischen Festung Yeken 68 . Die Nubier werden durchaus friedlich dargestellt, da sie zu der Festung kommen, um Beschäftigung zu suchen und sogar um über die Dürre zu klagen 69 . Der zuständige Beamte, der sich in der Festung befindet, sichert hauptsächlich den Handel zwischen Ägypten und Nubien 70 . Die Funktion eines Zöllners ist unter dem Titel gut vorstellbar 71 . Daher ist es eher plausibel anzunehmen, daß die Aufgaben der Beamten mit dem Titel jmj-r# Snt polizeiliche Überwachung umfassen, aber gleichzeitig weit darüber hinaus gehen. Quirke bezweifelt ebenfalls einen inneren Zusammenhang zwischen dem Titel jmj-r# Snt und der Befragung von Personen 72 . Der Schatzmeister EHwtj unter der Regierungszeit der Königin Hatschepsut erwähnt in seiner Autobiographie seine Berufung zum Snt 73 . Bemerkenswert ist die Tatsache, daß er anschließend ausschließlich darüber berichtet, wie er die Abgaben und Tribute von den Fremdländern inklusive der Beduinen angenommen hat. Eine willkommene Bestätigung finden wir in der Amtseinsetzung des Wesirs. Dort sagt der König dem Wesir, daß dieser zum Zweck einer Inspektion den Feldvorsteher, den jmj-r# Snt und den Herold schicken soll 74 . Dies alles zeigt, daß die Beamten mit dem Titel jmj-r# Snt mit verschiedenen Verwaltungsaufgaben beauftragt sind, wobei die juristischen Aufgaben nur einen Teil der Tätigkeiten ausmachen 75 . 66 In Deir el-Medina war der „Polizeichef“ ( Hrj moD#jw ) für die Ordnung des Dorfes zuständig und er nahm selbstverständlich an den Gerichtsverhandlungen teil. McDowell stellte allerdings fest, daß er dies nicht als seine polizeiliche Aufgabe in der Funktion eines Polizeichefs, sondern wegen seiner Stellung tut. Vgl. McDowell, Jurisdiction, 54. 67 Stela MFA 13.3967/ 20.1222 Boston, Leprohon, in: JSSEA 12, 75-76 mit pl. VI. 68 Smither, in: JEA 31, 7-8, pl. III. 69 Vgl. Spanel, in: LÄ V, 845. 70 Spanel, in: LÄ V, 845. 71 Vgl. Smither, JEA 31, 7, pl. 3a, Z. 7 und Kahun 10, 3. 72 „The duty of questioning may have fallen to the highest official who happened to be in the fortress at the time“ Quirke, Administration, 192. 73 Urk. IV, 436, 3. Für diese Interpretation s. Helck, Verwaltung, 75. 74 Davies, Rekh-mi-Rec, pl. XXVII, 25; Faulkner, in: JEA 41, 21, 2; van den Boorn, Duties, 250. Vgl. auch Dziobek, User-Amun, 63. 75 Die Tätigkeiten des EHwtj im fiskalischen Bereich in der Funktion eines jmj-r# Snt sind außerdem ein guter Grund, daß er später als Schatzmeister ernannt wurde. <?page no="28"?> 1. Der Richter im alten Ägypten 29 29 d. sr Der Begriff sr bezeichnet den Status einer Person, Beamter zu sein, d.h. in die Gruppe der Verwalter des Landes aufgenommen worden zu sein 76 . Dabei ist eine Distinktion der betreffenden Personen gegenüber der Masse deutlich erkennbar. Daher ist anzunehmen, daß die Bezeichnung einer Person mit sr oft mit der Betonung verbunden ist, daß die betreffende Person den Status erreicht hat, während die Positionen der Personen, die mit sr.w bezeichnet werden, sehr unterschiedlich sein können. Bei der Ernennung des Jdj zum Vorsteher Oberägyptens erklärt der König: jw wD.n Hm=j srr=f „Meine Majestät hat befohlen, daß er wie ein sr handelt.“ 77 Der König fügt hinzu, daß Jdj danach als ein sr seine Pflicht im Oberägypten erfüllen soll: jrr=f qd m sp#. wt ptn Xft wD=k „Er soll die Aufgaben in jenen Gauen gemäß deinem Befehl erfüllen“. Hieraus scheinen zwei Punkte eindeutig zu sein. Erstens bekleidet ein sr ein bestimmtes Amt, in dem vorliegenden Beleg das des Vorstehers von Oberägypten. Zweitens erhält ein sr bei der Übernahme eines bestimmten Amts die damit verbundene Gewalt und Pflicht ( qd ). Die richterlichen Aufgaben können nur einen Teil darstellen 78 . Der König bestimmt außerdem, daß Jdj als der Vertreter seines Vaters handeln darf 79 . In den königlichen Dekreten wird die Beamtenschaft, die für das Ausführen der königlichen Bestimmungen zuständig ist, mit sr.w kollektiv bezeichnet, wenn auch ihre Ämter 76 Vgl. die Übersetzung „Vornehmer“, „Fürst“ in Wb IV, 188 und auch Goedicke, Königl. Dokumente, 32, (26). 77 Urk. I, 301, 3. Edel, Altäg. Gramm, § 497, übersetzt: “Meine Majestät hat befohlen, daß er ein sr sein soll”. Goedicke, a.a.O., 185, (6), ist gegen eine derartige Übersetzung. Aber seine Übersetzung „Die Majestät befahl, daß er ernennen soll“ ist nicht stichhaltig. Das Recht, einen Beamten zu berufen, liegt beim König und dieser hat Jdj gerade zum Vorsteher von Oberägypten ernannt. Der folgende Satz aus dem Sargtext (CT I 324b) jnk srr wj# opr.w=f „ich bin es, der die Barke und deren Mannschaft leitet“, der ebenfalls von Goedicke erwähnt wurde, stützt eindeutig die Übersetzung des Wortes im Sinne einer Ausübung gewisser Macht. Das Wort wird hier transitiv verwendet und beschreibt die Befehlsgewalt des Verstorbenen über die Barke und deren Mannschaft. Der von Goedicke zur Unterstützung seines Arguments zitierte Beleg aus der Autobiographie des Wnj beweist genau das Gegenteil. Der Satz: jrj sr.t jrj qd faßt die Tätigkeit des Wnj kurz aber zutreffend. Er hat wie ein sr gehandelt und die damit verbundenen Aufgaben durchgeführt. 78 Goedickes Behauptung (a.a.O., 186), daß es sich bei sr um „weitgehend selbständige Beamte mit vorwiegend richterlichen Funktionen“ handelt, kann man nicht bestätigen. Wie Goedicke selbst zugibt (a.a.O., 186, (7)), erscheint qd parallel zu wn.wt und hat eine umfangreichere Bedeutung als wn.wt . Er stellt darüber hinaus fest, daß wn.wt primär steuerrechtlich zu verstehen sei. Allerdings bezeichnet der Wesir Ppj-onX Hrj-jb seine Aufgaben mit wn.wt . Es ist fraglich, ob die wichtigste Aufgabe des Wesirs in der Eintreibung von Steuern besteht. Im Mittleren Reich wird qd dazu benutzt, um die pflichterfüllenden Beamten darzustellen. Polotsky übersetzt die mit qd gebildete Phrase: „Ich bin einer, der seinen Charakter ‚macht‘, den die Menschen lieben (var. den sein Herr lobte) alltäglich“, s. Polotsky, Zu den Inschriften der 11. Dynastie, § 48. Den von Polotsky ebenfalls geführten Satz auf Stele CG 20007: jnk nb qd mrr.w rmT.w m xrt hrw ro nb , kann man vielleicht in gleicher Richtung interpretieren. Der pflichtbewußte Beamte, d.h. Herr der Pflicht, hat Erfolg im Leben. 79 Urk. I, 301, 5. <?page no="29"?> 30 Kapitel I - Der Richter als Beauftragter des Königs 30 und Aufgaben verschieden sein müssen 80 . Wenn Wnj sagt, daß bei der Untersuchung der Haremsverschwörung kein Wesir und keine sr.w dabei sind, heißt es nicht, daß es sich bei den sr.w um Beamte mit festen juristischen Aufgaben handelt. Mit dem Begriff sr.w hat er alle Beamten im Augen. Die Nennung der sr.w kann hier auf keinen Fall als die Bezeichnung für die Richter angedeutet werden 81 . Genau wie Wnj , könnte jeder an dem Prozeß teilgenommen haben, solange er so viel Vertrauen des Königs genossen hätte 82 . Wnj trägt die Bezeichnung sr nicht ausschließlich deswegen, weil er bei der Gerichtsverhandlung anwesend ist 83 . Es wurde oben gesagt, daß der Begriff sr auf einen Punkt in der Karriere des Beamten hindeutet. Daher kann sr.w zur Bezeichnung der Gruppe von Personen gebraucht werden, die das Privileg eines sr erhalten haben. In dieser Hinsicht erheben sich die sr.w über diejenigen, die nicht sr.w sind. Der Gaufürst ! nqw beteuert in seiner Autobiographie, daß er denjenigen, die vorher mr.w gewesen waren, den Status eines sr verschafft habe 84 . Aus einer anderen Behauptung des ! nqw in seiner Inschrift, daß die von ihm angeredeten Personen in der Halle der Beamten sitzen können 85 und ihre Kinder nicht mehr die Zugleine am Kanal ziehen müssten, können wir ebenfalls die Gegenüberstellung der mit sr.w bezeichneten Personen und der Masse erkennen. Obwohl dieser Beleg aus der Ersten Zwischenzeit stammt, gibt er uns einen Hinweis auf das Sinnfeld dieses Begriffs im Alten Reich 86 . 80 Der sr befaßt sich sowohl mit der zivilrechtlichen Angelegenheit (Urk. I 13, 14-16) als auch mit der strafrechtlichen Aufgabe, vgl. dazu Goedicke, Die privaten Rechtsinschriften, 58-60. 81 Martin-Pardey (in: Fs Goedicke, 159.) will aus dieser Stelle den Schluß ziehen, daß sr der Richtertitel war. 82 Wie unten näher erläutert wird, liegt der Unterschied darin, daß es bei einer wichtigen Angelegenheit die Berufung des Königs erfordert, während jeder Beamter in seinem Aufgabenbereich juristische Angelegenheiten nebenbei behandelt. 83 Auf der anderen Seite gehen die Aufgaben, die Wnj in seiner Autobiographie erwähnt, weiter über den juristischen Bereich hinaus. In Urk. I, 220, 8 werden die Personen, die bei der Gunsterweisung des Königs an den Baumeister anwesend sind, mit sr.w bezeichnet. Es scheint auch nicht wahr, wie Martin-Pardey behauptet (in: Fs Goedicke, 163), daß sr.w nur die Beamten aus der Zentralverwaltung bezeichnet. Im Dekret Koptos R wurden die in Koptos ansässigen und die aus der Residenz kommenden Beamten unterschiedslos als sr.w bezeichnet, Urk. I, 306, 2 und 4; Goedicke, Königl. Dokumente, 214ff. Außerdem werden in den königlichen Dekreten die Hrj.w-tp n w (die Oberhäupter des Distrikts) ausdrücklich als die für die Durchsetzung der königlichen Bestimmungen zuständigen Personen genannt und oft zusammen mit anderen Beamten durch sr.w bezeichnet, vgl. Dekret Koptos B, Urk. I, 280, 14ff., Goedicke, a.a.O., 87ff. 84 wn.w jw=sn n mr.w jm=sn jrj(.w) j#w.wt=sn m sr.w „Diejenigen von euch, die (früher) Hörige waren, üben (nun) ihre Ämter als Beamte aus.“ Urk. I, 78, 6-7. Es wird hier mit aller Deutlichkeit gesagt, daß eine Person mit der Übernahme einer Stelle ( j#w.t ) ein Beamter geworden ist ( m sr.w ). Die Behauptung des ! nqw wird von Martin-Pardey ( in: Fs Goedicke, 160, Anm. 31) in ihrer Untersuchung als Selbstlob außer acht gelassen. 85 mk j#wj=Tn m [sH] n sr.w „Seht, ihr verbringt die Zeit in der [Halle] der Beamten.“ Urk. I, 77, 3. Helck (LÄ I, 227-228) sieht darin die Übernahme des königlichen „Vorrechts“, Beamte einsetzen zu dürfen. 86 Der Wesir Ppj-onX Hnj-km wurde von den Handwerkern als sr bezeichnet (Blackman, Meir, part V, pl. 16). Als Wesir hat Ppj-onX Hnj-km viele Funktionen und Ämter inne. Aber das interessiert die <?page no="30"?> 1. Der Richter im alten Ägypten 31 31 Der Wesir Ppj-onX Hrj-jb 87 faßt sein Leben wie folgt zusammen: jnk jm#Xw Xr njsw.t jnk jm#Xw Xr nTr o# jnk jm#Xw Xr rmT jnk mrjj n jt(=f) Hsjj n mw.t=f jnk mrjj n sn.w=f jr.n(=j) oHow nb jr.n(=j) m wnw.t sr sk w(j) Hr jr.t bw nfr Hr Dd mrr.t n mrwt sb.t qd Xr nTr n mrwt j#w... jw wpj.n(=j) sn.wj r Htp=sn n rX(=j) mrr.t nTr js nn sp sDr(=j) Spt.kwj [Hno rmT] Hr qd=sn jj Hr(=j) rd.n(=j) Hm jr.t(w) jS.wt(=j) nt sr m jmn.t m wor.t nb.t m#o.t Ich war ein Ehrwürdiger beim König, Ich war ein Ehrwürdiger beim Großen Gott, Ich war ein Ehrwürdiger bei den Menschen, Ich war ein Geliebter (seines) Vaters und ein Gelobter seiner Mutter, Ich war ein Geliebter seiner Geschwister. Ich habe alle Zeit, die ich erlebt habe, in der Funktion eines Beamten verbracht, indem ich tat, was gut war und sagte, was gewünscht wurde, damit ich einen guten Ruf beim Gott hatte, damit ich alt wurde... Ich richtete zwei Parteien zu ihrer Zufriedenheit, da (ich) wußte, daß der Gott dies wünschte. Ich verbrachte niemals die Nacht verärgert [mit Leuten] wegen dessen, was sie gegen mich getan hatten. Ich habe (meinen) Besitz eines Beamten dafür gegeben, daß sie im Westen in dem Distrikt der Herrin der Maat investiert wurden... 88 . Ppj-onX Hrj-jb beschreibt in großem Umfang seine Beliebtheit bei den Familienangehörigen, bei den Mitmenschen, beim König und beim Gott. Diese tadelsfreie Lebensführung Handwerker nicht und außerdem ist es schwer für sie, den passenden Titel auszusuchen. Wichtig ist, daß er mit den vielen verschiedenen Funktionen gegenüber den Handwerkern ein sr ist. 87 Martin-Pardey (in: Fs Goedicke, 160, Anm. 28) vermutet, daß es sich bei Ppj-onX Hrj-jb und PpjonX Hnj-km um Titularwesire handelt. Darüber hinaus zieht sie die Schlußfolgerung, daß sr/ sr.w die direkt dem Wesir unterstehende Beamtenhierarchie bezeichnet, während der Wesir selbst jedoch kein sr ist. Im Neuen Reich können sowohl der Wesir als auch andere Beamten als sr.w bezeichnet werden. In der Dienstordnung des Wesirs wird der Wesir sogar ausdrücklich als p# sr T#tj genannt (Urk. IV, 1103, 16). 88 Urk. I, 222, 3-14. <?page no="31"?> 32 Kapitel I - Der Richter als Beauftragter des Königs 32 wurde dadurch erzielt, indem er lebenslang ein sr war. Aus der Aussage, daß er sein ganzes Leben damit verbracht hat, indem er die Aufgaben eines Beamten ausführte, ergibt sich die Tatsache, daß sr sowohl den Wesir als auch andere Beamten bezeichnen kann 89 . Unter den verschiedenen Aufgaben eines sr befindet sich die Schlichtung zwischen den zwei „Brüdern“ 90 , die die Leistungen eines Beamten am besten hervorheben kann. Über die Herkunft seiner Mittel zum Bau seines Grabes gibt er an, daß er die Kosten für das Grab mit dem bestritten hat, was er als ein sr verdient hatte 91 . In der Inschrift auf der linken Seite seines Grabes macht Ppj-onX Hrj-jb die folgende Angabe: jr.n(=j) oHow nb jr.n(=j) Hr sr.t m j#w.t Dbo r pHjj nn sp [s]Dr(=j) Dbo Hrj r-Dr r[d].t(w)(=j) m sr nn sp s#w.t(w=j) nn sp [X]nr.t(w=j) [j]r X[.t] nb dd.t r(=j) m-b#H sr.w pr.n(=j) Hr=s m Htp Ich habe mein ganzes Leben bis zum Ende in der Verwaltung im Amt des Sieglers verbracht. Niemals verbrachte ich seit meiner Einsetzung zum Beamten die Nacht, indem das Siegel von mir entfernt würde. Niemals wurde ich überwacht; Niemals wurde ich eingesperrt. Betreffend das, was vor den Beamten gegen (mich) gesagt wurde, Bin ich zufrieden aus dem (Vorwurf ) herausgekommen 92 . Hier sieht man ein konkretes Amt des Ppj-onX Hrj-jb . Die Bezeichnung sr.t zeigt deutlich, daß Ppj-onX Hrj-jb ein Mitglied der Verwaltung war. Die Termini sr.t und j#w.t werden hier wahrscheinlich darum nebeneinander gestellt, um seine Zugehörigkeit und Zustän- 89 Im Dekret Koptos B richtet der König seinen Befehl an den Wesir, den Vorsteher von Oberägypten, den Vorsteher der Priester, den Untervorsteher der Priester und die Oberhäupter des Distriktes von Koptos. Der Wesir, der Vorsteher von Oberägypten und die Oberhäupter des Distriktes sind diejenigen, die den Befehl des Königs schützen oder durchführen sollen, während der Vorsteher und der Untervorsteher der Priester die Repräsentanten der Nutzgenießer des Befehls darstellen. Bei den konkreten Bestimmungen des Dekrets werden noch mehr Beamte für die Sicherung des Dekrets genannt. Zum Schluß werden alle zuständigen Beamten, die mit sr nb und jmj s.t-o nb als Sammelbezeichnungen benannt werden, bei Verletzung der Bestimmungen mit harter Strafe bedroht (Urk. I, 280, 14ff.). 90 Urk. I, 222, 12. 91 Eine derartige Erklärung kann der Verstorbene sowohl an den frommen Nachlebenden als auch an den potentiellen Grabschänder richten. Daher ist eine solche Anrede viel wirkungsvoller als die bloße Drohformel der vorhergehenden Zeit. 92 Urk. I, 223, 8-13. <?page no="32"?> 1. Der Richter im alten Ägypten 33 33 digkeit zu unterscheiden. Die verschiedenen sr.w bilden daher eine Verwaltungseinheit, die mit sr.t bezeichnet werden kann. Als ein Siegler kann Ppj-onX Hrj-jb mit dem Terminus sr genannt werden. Darüber hinaus können die Beamten, die den Rechtsstreit behandeln, genauso bezeichnet werden. Die Bezeichnung sr deutet nur auf den Status der damit genannten Person, aber es ist unzulässig, daraus den Aufgabenbereich der Person zu versuchen zu rekonstruieren. Daher ist es logisch, daß die sr.w sich mit allen möglichen Aufgaben befaßen: nw sr.w jpn m wp.t #H.t xr-H#.t D#D#.t , „diejenigen Beamten, die sich innerhalb der D#D#.t mit der (Verwaltung der) Felder befassen“ 93 . Das Demonstrativpronomen jpn deutet darauf hin, daß es weitere Personen in der D#D#.t gibt, die mit sr.w bezeichnet werden. Andererseits können die mit sr bezeichneten Personen verschiedene Aufgaben übernehmen 94 . Die Anwendung des Wortes sr.w zur Bezeichnung aller Beamten unter dem König ist auch aus der Ersten Zwischenzeit belegt. Der Gaufürst $tj beschreibt seine Beziehung zu seinem König wie folgt: jnk mrjj n njsw.t rX(.w) n sr.w=f , „Ich war ein Geliebter des Königs, ein Bekannter seiner Beamten“ 95 . Im Laufe der Zeit treffen wir immer mehr Belege, die darauf hinweisen, daß sr.w eine Bezeichnung für die Beamtenschicht geworden ist. Für das Mittlere Reich können wir dies sowohl mit Belegen aus den königlichen Inschriften 96 als auch aus den Lehren 97 beweisen. Bei seiner Schilderung des chaotischen Zustands im Lande setzt Neferti die Beamten ( sr.w ) mit denjenigen gleich, die für die Verwaltung, Versorgung und Ordnung des Landes zuständig sind 98 . Nach seiner Meinung war die Welt verkehrt, da keine sr.w mehr existieren, die sich um die Angelegenheiten des Landes kümmern 99 . Wenn es in der Lehre für Merikare eindeutig um die Rechtsprechung geht, ist es wiederum von den wr.w 93 Fischer, Dendera, 121. 94 Auf einem ebenfalls von Fischer einbezogenen Fragment wurde die Demonstrativpronomen jpn durch nn n ersetzt, a.a.O., 122. 95 Siut V, 20. 96 Auf einer königlichen Stele werden die Beamten mit der Bezeichnung sr.w neben den Handwerkern und Priestern erwähnt, s. Randall-Maciver, El Amrah and Abydos, pl. 29; vgl. dazu auch Lorton, in: JESHO 20, 18. 97 In der Geschichte des Bauern (B1, 74) bittet der Oasenmann den Oberdomänenvorsteher, daß ein Beamter geschickt wird, der seine Klage hören soll. Dieser Beamte, der eindeutig die Funktion eines Richters übernimmt, wird unterschiedslos zusammen mit allen anderen Beamten, die unter der Leitung des Rnsj stehen, mit sr.w ntj r gs=f „die Beamten, die an seiner Seite waren“ bezeichnet. 98 mk rf wn sr m ptX jm t# „Siehe, der Beamte wurde im Land zu Boden gestreckt.“ Helck, Neferti, IIIi. Für die Übersetzung vgl. Kammerzell, in: TUAT, Bd. II, 105; Lichtheim, AEL I, 140. Dieser Beleg widerlegt die Meinung Martin-Pardeys (in: Fs Goedicke, 160), die sagt, daß „ sr/ srw nicht den Beamten schlechthin bezeichnet, sondern vielmehr Beamte, die eine gewisse hohe Position innerhalb der Beamtenhierarchie einnehmen. Ganz offensichtlich sind sie weisungsgebunden direkt dem Wesir unterstellt, der selbst kein sr ist“. In Ptahhotep P 415-416 wird der Beauftragter zur Beruhingung der Menge mit wpw.ty genannt, auf Hss. L1 und L2 wird stattdessen das Wort sr benutzt. Vgl. dazu Fischer-Elfert, Lehre eines Mannes, 219. 99 Helck, a.a.O. IV b; Helcks (auf Seite 20) Übersetzung lautet: „Siehe, es gibt nicht mehr Beamte in den Angelegenheiten des Landes“, während Kammerzell (a.a.O.) übersetzt: „Wird es doch <keine> Beamten mehr geben vom alten Schlag des Landes“. <?page no="33"?> 34 Kapitel I - Der Richter als Beauftragter des Königs 34 die Rede 100 . Die sr.w kommen immer, wie es in der gerade erwähnten Prophezeiung des Neferti der Fall ist, im Zusammenhang mit der Verwaltung des Landes vor 101 . Aus den biographischen Inschriften des Mittleren Reiches läßt sich auch bestätigen, daß das Wort sr.w eine Bezeichnung für die Beamtenschicht ist und keine spezifische Beziehung auf die Rechtsprechung hat 102 . Ein Mann namens $tjj gibt auf einer seinen Stelen nur den Titel jmj-r# S an, den Gardiner zögernd mit „sea-captain“ übersetzte. Zu seinem Aufgabenbereich gehören die Versorgung des Harems, die Aufbewahrung der Garderobe seines Herrschers, die Kontrolle über die Nekropole und die Zählung der Herde. Er bezeichnet sich dabei als ein Mitglied des „Beamtenrates“ ( sH n sr.w ) 103 . Auf der anderen Stele, worauf über seine Besorgung der Edelsteine und anderer Schätze berichtet wird, gibt er dagegen seine Titel im Bereich des Schatzhauses an 104 . Die Bezeichnung sr deutet weiter auf den Status der betreffenden Person in der Gefolgschaft des Königs hin 105 . Mit der Bezeichnung wird weiterhin die Stellung der damit bezeichneten Person, in der administrativen Funktion, in der richterlichen Tätigkeit oder in anderen Handlungen gegenüber der Menge betont 106 . Außerdem scheint eine mit sr 100 so# wr.w=k jr=sn hp.w=k n nmo.n Xwd „Mache deine Großen [= hohe Beamte] reich, damit sie deine Gesetze ausführen. Ein reich Versorgter ist nicht parteiisch.“ E 42-43. 101 [tr]j sr.w swD# rmT=k srwd t#S.w=k ... „Achte die Beamten, lasse es deinen Leute wohl ergehen und festige deine Grenze sicher....“ E 38-39; Dd=k m#o.t m pr=k snD n=k sr.w ntj Hr t# „Mögest du in deinem Haus die Maat sagen, damit die Beamten, die im Land sind, vor dir Ehrfurcht haben.“ E-45-46. 102 Ein Vorsteher der Ruderer namens cbk-o# möchte wohl sich von den „namenlosen“ Massen abheben und in die Reihe der Eliten eindringen. Daher sagt er, daß er nicht „die Aufgaben eines kleinen Mannes“ ( X.t n Srr nb ) sondern die eines H#tj-o durchgeführt hat, was ihm Feld, Kleid, Öl und Honig zuteil werden ließ. Anschließend betont er noch einmal, daß er „in der Funktion eines sr das getan hat, was die Menschen liebten, um einen guten Charakter zu verschaffen.“ ( jr.n(=j) Hm mr.t rmT m oD sr.w m wnw.t jr.t qd ) Der Gegensatz zwischen Srr und H#tj-o und der Unterschied zwischen rmT und sr.w sind eindeutig. Die Inschrift ist auf BM 1372 und von Gardiner, Admonitions, 81 zitiert. 103 Gardiner, in: JEA 4, 34. Was den Charakter des Sinuhe (B 183-184) anbelangt, sagt Sesostris I. folgendes: „Du hast nicht gelästert, so daß man deine Rede tadeln konnte, du hast nicht geredet im Rat der Beamten, so daß man deine Äußerungen zurückweisen konnte ( n wo#=k Xsf=tw mdw<. w>=k n mdw=k m sH n srw.w jtn=tw T#sw.w=k ). 104 Gardiner, in: JEA 4, 35. Für die Datierung der Stelen in die 11. Dynastie s. Gardiner, a.a.O., 37- 38. Auf seiner Stele sagt der Kammerherr cmtjj über die Herrschaft des Amenemhet II., daß der König die Beamten in ihren richtigen Positionen eingesetzt habe: dj(.w) srw.w r oHow=sn „Die Beamten waren gestellt an ihren Platz.“ Vgl. Lichtheim, Autobiographies, 41. Für die Interpretation des Terminus oHow vgl. Van den Boorn, Duties, 17 n. 23. 105 dj(.w) sr.w r oHow=sn nD n=j j#w.t m-b#H=sn „die Beamten wurden an ihre Stellung gesetzt, als mir das Amt verliehen wurde,“ BM 574, Sethe, Lesestücke, 75, 7. Schon in Siut V, 20-21 treffen wir die Wendung sr.w=f . 106 Dd md.t m joj n jb sr m shrr.t oS#.t „einer, der redet, indem er das Herz erfreut, ein Beamter, der die Menge in Zufriedenheit stellt“, El Bersheh II, p. 26, links; jr X.t nb.t dd.t sr nb nDs nb r Hw.t nTr m tp n Smw=f... „was die Opfergabe eines jeden Beamten oder eines jeden Kleinen betrifft, die er dem Tempel als seine Erstlinge der Ernte bringt...“ Siut I, 280; jnk mdw r r#-o sr.w Swjj m Dd p#.w „Ich war einer, der in der Art von Beamten redete, frei von ‚unnützlicher Sprache(? ).‘“ Sethe, a.a.O., 79, 17-18; HD Hbs.w Spss Ho.w nTr m## rX tp-Hsb n jr.t noo jb dmj n sr.w „mit weißen Kleidern, <?page no="34"?> 1. Der Richter im alten Ägypten 35 35 bezeichnete Person mit der Aufnahme in die Beamtenhierarchie materiell gut versorgt zu sein, da ein materiell gut ausgestatteter Mensch mit einem Beamten ( sr ) verglichen wird 107 und auf der anderen Seite muß er kompetent sein, wenn es Schwierigkeiten in seinem Amtsbereich, darunter auch Rechtsprechung, gibt 108 . Ein gewisser cbk-dd nennt auf seiner Stele den Titel xrj-Hb und gibt die Bezeichnung ntj m sr.wt (ein Mitglied der Beamtenschaft) an 109 . Der Stelenbesitzer übt seine Funktion als Vorlesepriester am Totentempel des Sesostris II. aus. Die Bezeichnung ntj m sr.wt deutet auf die Zugehörigkeit einer Person zu einer bestimmten Beamtengruppe 110 . Das Wort sr.wt bezieht sich auf eine Einheit von Beamten in einer Ortschaft, die für die örtlichen administrativen und auch juristischen Angelegenheiten zuständig ist, sofern die Angelegenheiten in ihrem Kompetenzbereich liegen und keine Intervention einer höheren Instanz verlangen 111 . Die Sammelbezeichnung kann sich sowohl auf die Beamten von niedrigem Status als auch auf Beamte mit hohen Ämtern beziehen. Der königliche Herold Jmnjj betont in einer Inschrift aus Hammamat, daß er und vorher auch sein Vater vom König als ein Mitglied der sr.wt eingesetzt wurden 112 . Eine zusätzliche Bestätigung dafür, daß sr.wt mehrere Beamten zusammenfaßt, ergibt sich aus der engen Beziehung zum Begriff qnb.t . Der Gaufürst c#-rnp.wt aus der Zeit der 12. Dynastie beschreibt mit den folgenden Sätzen seine Beliebtheit bei seinem Herrscher und dessen Gefolgschaft: on n njsw.t mrjj qnb.t=f , „(ich war ein) Erfreulicher für den mit vornehmen Gliedern, göttlich anzuschauen, der die Vorschrift der Handlung kennt, mit ausgeglichenem Herzen, der sich den Beamten anschließt,“ CG 20543, a, 4: rX nn n H#tj.w-o sbT sr.w m##=sn sw „ein Bekannter dieser Grafen, an dem sich die Beamten freuten, wenn sie ihn sahen,“ Hatnub Gr. 27, 3. 107 Vgl. Siut I, 271: mk smnX n=Tw m #H.t m rmT m mnmn.t m S m X.t nb mj sr n c#w.t n mrw.t jrj=k n=j X.t „Siehe, es wird für dich mit Feld, mit Leuten, mit Herden, mit Teich und mit allen Dingen ausgestattet, wie ein Beamter in Siut, damit du mir Opfergabe bringst.“ 108 sr wHo Ts.wt „ein Beamter, der Knoten (heikle Fragen) löst,“ Louvre 170, 5; sr wHo Tss.t „ein Beamter, der Knoten (eine heikle Frage) löst“, CG 20538 I, c, 7; CG 20539 I, b, 9, II, b, 5-6; Louvre C-168, 1; Leiden V4, 10. nb sXr m sH n sr.w hrw md.t qsn.t „Besitzer von Rat am Tage der schwierigen Angelegenheit (heiklen Gerichtsverhandlung ? )“, El Bersheh II, pl. XIII, 23-24. 109 Petrie, Tombs of the Courtiers, pl. XII. 110 Vgl. Quirke, Administration, 56. 111 Ein Feldvorsteher nimmt in der Funktion eines ntj m sr.wt an einer Verkaufsverhandlung teil, pKahun, pl. 13. Darüber hinaus wird der Verkauf durch den Eid vor dem Bürgermeister abgeschlossen. Dies soll dem Verkaufsabkommen die letzte und wichtigste Gültigkeit verleihen. Helcks Vermutung (Verwaltung, 72), daß „die ntj m sr.w.t ranghöher als die Bürgermeister“ gewesen seien, scheint sehr unwahrscheinlich und widerspricht außerdem seiner oben zitierten Annahme, daß es sich bei ntj m srw.t um eine „gewöhnliche Stelle“ handelt. Auf einer Darstellung in den Gaufürstengräbern, wo die Beamtenaufzüge vor dem verstorbenen Gaufürsten dargestellt werden, wird jede Person zur Identifizierung jeweils durch einen Titel gekennzeichnet. Man kann wohl annehmen, daß die betreffenden Personen den höchsten Titel ausgewählt haben. Wenn eine Person in einem solchen Fall die Bezeichnung ntj m srw.t wählt, wird er keinen höheren Titel gehabt haben. Vgl. Beni Hasan, I, pl. 13 u. 30; El Bersheh, I, pl. 27; Helck, Verwaltung, 71, Anm. 4. 112 Gasse, in: BIFAO 88, fig. 1, 13-19. <?page no="35"?> 36 Kapitel I - Der Richter als Beauftragter des Königs 36 König, ein Beliebter seines Beamtenrats“ 113 . Hier bezieht sich das Wort qnb.t , wie das oben genannte sr.wt , auf eine Einheit von Beamten aus einer Abteilung, einer Ortschaft oder auf die gesamte Beamtenschaft unter dem König. Da es die Form sr n qnb.t gibt 114 , erscheint es plausibel, anzunehmen, daß sr.wt und qnb.t dieselbe Bedeutung haben. Die Ableitung qnb.tj bezieht sich daher auf ein Mitglied der qnb.t 115 . Ein Mitglied der qnb.t übernimmt, da er ein sr ist, sowohl juristische als auch andere administrative Aufgaben 116 . Darüber hinaus ist eindeutig, daß die Bezeichnung qnb.t , genau wie sr.w , sowohl die Beamtenschaft in der Residenz 117 als auch die in den Gauen bedeuten kann 118 . Aus dem Neuen Reich haben wir zahlreiche Belege, die darauf hindeuten, daß die mit sr.w bezeichneten Personen in der qnb.t sowohl administrative als auch richterliche Aufgaben durchführen. Wir sehen außerdem eine konsequente Verbindung der beiden Begriffe, indem das Wort sr.w eher hinsichtlich von Personen gebraucht wird, während bei qnb.t der Schwerpunkt auf die räumliche Zuordnung der sr.w gelegt wird 119 . Mit den Belegen aus der Dienstordnung des Wesirs können wir diese Annahme nachprüfen. Der Wesir in der Dienstordnung wird als das Oberhaupt aller Verwaltungsbereiche betrachtet. Ganz am 113 Urk. VII, 6, 12. Franke (Heqaib, 205) übersetzt mit „Angenehm-Anzusehender des Königs, den sein (des Königs) Beamtenrat liebt“. 114 Berlin 4721, ÄIB II, 306. Die Bezeichnung sr n qnb.t wird auf Louvre 278 mehrfach als einziger Titel angegeben. In der Lehre des Ptahhotep (415) wird ein Mitglied des Beamtentums mit s n qnb.t bezeichnet. 115 Der Vorsteher der Schiffe NTr.w-Htp sagt in seiner Autobiographie, daß die qnb.tjw des Königshauses jauchzten, als er nach der Ausführung der königlichen Aufträge von Elephantine und vom Delta zurückkam. Hatnub Gr. 14, 5-8. In der Prophezeiung des Neferti wird das Wort sr.w , wie oben schon erwähnt, mehrfach benutzt, um auf die Beamten hinzuweisen. Am Anfang des Textes, wo es um die Versammlung der Beamten geht, lesen wir die folgende Angabe: wo m nn hr.w Xpr oq pw jr.n qnb.tjw nt xnw r pr-o# [onX wD#] snb r nD Xrt „An einem dieser Tage betraten die Beamten der Residenz den Palast L.H.G. um (den König) zu begrüßen.“ Helck, Neferti, 6. 116 NTr.w-Htp sagt in seiner Inschrift, daß er die streitenden Parteien mit dem Urteil der qnb.tjw zufriedengestellt hat, Hatnub Gr. 14, 11-12. Auf der Stele U.C. London 14430, 12-13 sagt $tj über den Ehebruch: „Was einen Mann anbelangt, der es tut, es ist sein Vater, der ihn vor der qnb.t führen soll”, s. Stewart, Egyptian Stelea, II, pl. 21. 117 Vgl. dazu Anthes, Hatnub, 89; s. auch Urk. VII, 20, 20-21, 1. Die Gesamtheit der Beamten wird auch mit anderen Worten zum Ausdruck gebracht. Auf der Stele New York 12.184 werden sie mit „ Snjj.t njswt “ bezeichnet. Auf der zeitlich etwas späteren sogenannten Überschwemmungsstele des Sobekhotep VII. wird die Gefolgschaft des Königs auf der einen Seite mit „ s[mr.w] “ und auf der anderen Seite mit „ qnb.t “ bezeichnet, s. Helck, Historisch-Biographische Texte, Nr. 63. 118 Beckerath (2. Zwischenzeit, 94) vermutet, daß die qnb.tjw n w mit juristischen Angelegenheiten befaßt sind. Hayes (A Papyrus, 68-69) vertrat dagegen die Meinung, daß sie mit der Jurisdiktion nichts zu tun hatten. Man muß bedenken, daß die juristische Tätigkeit ein Teil der Aufgaben der Verwaltungsbeamten ist. 119 Das Wort qnb.t deutet wie schon gesagt auf eine bestimmte Beamtenversammlung hin. Daher kann das Wort durch andere Elemente modifiziert werden, z.B. eine große qnb.t in Theben, eine qnb.t in der Stadt usw. In Urk IV 1158, 15 wird qnb.t in der Pluralform angegeben: „Es kommen die sr.w nw qnb.wt jmj.w-r# / / / / um zu speisen bei dem Vorsteher der Stadt, dem Wesir RX-mj- Ro .“ Hier wird wiederum die Anwesenheit vieler Beamten betont. Sie gehören zu verschiedenen Abteilungen und sind für unterschiedliche Aufgaben zuständig. Deshalb scheint es mir abwegig, das Wort qnb.t im Neuen Reich als die Bezeichnung für das Gericht anzunehmen. <?page no="36"?> 1. Der Richter im alten Ägypten 37 37 Anfang des Textes wird der Wesir selbst als sr genannt 120 . Das Nebeneinanderstellen von sr und T#tj deutet darauf hin, daß sr eine allgemeine Bezeichnung ist, während T#tj das Amt und den Rang des Wesirs in der Beamtenhierarchie angibt. Der Wesir ist also auch ein Mitglied der Beamtenschaft, die mit sr.w bezeichnet wird 121 . Nicht nur die Beamten der Residenz werden mit sr.w bezeichnet. Die Beamten unter seiner Aufsicht werden fast ausschließlich mit sr.w bezeichnet. Irgendein Beamter im Land, zu dem der Wesir einen Boten schickt, wird ebenfalls mit sr bezeichnet 122 . Der Ausdruck „vom höchsten Beamten bis zum niedrigsten Beamten“ zeigt deutlich, daß der Begriff sr bei allen Beamten anwendbar ist 123 . An einer Stelle, wo von einem Beamten die Rede ist, der den Boten des Wesirs unrechtmäßig behandelt haben soll, wird der betreffende Beamte mit sr mn „Beamter X“ beschrieben 124 . Bei der Erwähnung des Rechtes des Wesirs, Beamte in allen Landesteilen zu ernennen, wird gesagt, daß der Wesir die sr.wt in Oberägypten, Unterägypten, im Thinitischen Gau und im äußersten Süden des Landes einsetzt 125 . Dagegen werden die 120 jr jr.t nb.t p# sr T#tj Hr sDm m X# n T#tj „betreffend alles, was der Beamte - der Wesir - tut, indem er in der Halle des Wesirs hört“, Urk. IV, 1103, 16. 121 Bei der Klausel, daß kein leitender Beamter außer dem Wesir über das Recht verfügt, einen straffälligen Beamten in seinem Büro zu bestrafen, werden sowohl der leitende Beamte eines Büros als auch der beschuldigte untergebene Beamte mit sr bezeichnet (Urk. IV, 1107, 3-7). 122 ( jr wpw.tj nb h[#]b.w T#tj m wpw.t n sr) m S#o-m sr tp(j) nfrj.t-r sr n nfrj.t „(Was jeden Gesandten anbelangt, den der Wesir mit einem Auftrag zu einem Beamten schickt,) von dem höchsten Beamten bis zum niedrigsten Beamten-…“ Urk. IV, 1107, 11-12. Die Verwalter der Felder werden ebenfalls mit sr.w bezeichnet: jr spr.tj nb n[t]j r Dd mnmn t#S.w=n Xr m#.t(w) ntj st Hr Xtm n sr.w „Wenn irgendein Bittsteller sagt: ‚Unsere Grenzen sind verschoben.‘ Dann soll man prüfen, ob sie unter dem Siegel der zuständigen Beamten stehen.“ Davies, Rekh-mi-Rec, pl. XXVII, 20; Van den Boorn, Duties, 185. 123 Die Stellung der mit sr bezeichneten Person gegenüber anderen Menschen in der Gesellschaft zeigen die folgenden Worte des Königs, der auf den Vorschlag seines Beamten reagiert, einen bestimmten Mann zum Beamten zu befördern: ptr p# b#k n nmHjj jnj.n=k r dj.t=f r sr jw bn sr pw n p#jj=k smj.t=f n Hm=f „Siehe diesen Diener eines Kleinen, den du gebracht hast, um ihn zum Beamten zu machen. Aber der, den du Seiner Majestät gemeldet hast, ist doch kein Beamter (etwa, er ist überhaupt nicht dafür qualifiziert? ).“ Urk. IV, 1344,13-14. 124 Urk. IV, 1108, 7. Der Beamte, der für die Festlegung und danach die Sicherung der Grenzen der Felder zuständig ist, wird auch einfach mit sr jrj (der zuständige Beamte) bezeichnet. Wichtig vor allem, daß diese Angelegenheit unter der Kontrolle irgend eines Beamten stehen soll. Vgl. Urk. IV, 1111, 9-11; Davies, a.a.O., pl. XXVII, 20, vgl. hierzu auch van den Boorn, a.a.O., 185. 125 ntf jrr ntj m sr.wt [nw] Smow t#-mHw tp-rsj t#w-wr „Es ist derjenige, der die Mitglieder der Beamtenschaft [von] Ober- und Unterägypten, des Kopfes von Oberägypten und des Gaus von This-Abydos.“ Urk. IV, 1112, 9. Die Gesamtheit der Beamten in einem Ort oder Bereich kann außerdem mit qnb.tjw ausgedrückt werden: ntf grt jnn qnb.tjw nw w(.w) ntf h#b sn smj=sn n=f Xrt w.w=sn „Er ist außerdem derjenige, der die Beamten der Bezirke einberuft und ausschickt. Sie berichten ihm über den Zustand ihrer Bezirke.“ Urk. IV, 1111, 3-5; smj.t n=f jn qnb.t nb.t nt H#.t oHo.w pH oHo.w „Ihm wird Bericht erstattet durch jeden Beamtenstab der Vorhut und Nachhut der Flotte.“ Urk. IV, 1116, 12.. <?page no="37"?> 38 Kapitel I - Der Richter als Beauftragter des Königs 38 Beamten, die wegen der Anweisung des Wesirs zur Residenz kommen sollen, jeweils mit H#tj.w-o und Hq#.w-Hw.wt „Bürgermeister und Gutvorsteher“ bezeichnet 126 . Wir sehen also in der Dienstordnung keine sr.w als Beamtengruppe, die sich ausschließlich mit juristischen Angelegenheiten befaßt hätte und keine qnb.t , die als Gerichtshof gedient hätte. In der Amtseinsetzung des Wesirs finden wir ebenfalls keine Indizien, die etwas über die Existenz von gesonderten Richtern und Gerichtshöfen aussagen. Da es sich bei der Amtseinsetzung des Wesirs hauptsächlich um die Tätigkeiten des Wesirs im juristischen Bereich handelt, muß man diesem Text noch größere Bedeutung beimessen. Das Wort sr.w wird weiterhin als die allgemeine Bezeichnung der Beamten benutzt. Am Anfang des Textes bei der Beschreibung der Bedeutung und Schwierigkeiten des Wesiramtes warnt der König, daß jener nicht zugunsten der Beamten ( sr.w D#D#.tjw ) handeln soll 127 . Hier bezieht sich der König mit sr.w und D#D#.tjw auf alle Beamten, die einen Gegensatz zu rmT („Menschen“) in dem folgenden Satz darstellen 128 . Kurz darauf schildert der König, wie die Bittsteller aus dem ganzen Land zum Wesirbüro kommen und sagt weiter, daß das Wasser und der Wind darüber berichten, was ein Beamter darin macht 129 . An einer Stelle wird die Bezeichnung sr durch das Wort s („Mann“) ersetzt, damit die alle einschließende Gültigkeit der Anweisungen des Königs betont wird 130 . In dem Haremhebdekret wird die Bemühung des Haremheb geschildert, die kritische Lage, die als Folge der Amarnazeit aufgetreten war, wieder unter Kontrolle zu bringen. Dabei geht es vor allem um die Beseitigung der rechtswidrigen Handlungen der Machthaber. Daher spielen die Maßnahmen auf dem Gebiet des Rechts eine wichtige Rolle 131 . Nach den Belegen aus der Dienstordnung und Amtseinsetzung des Wesirs ist die Bezeichnung qnb.t nichts anderes als ein Beamtenrat, der in der Residenz und im Lande für bestimmte Aufgaben von unbestimmten Beamten zusammengestellt wird 132 . In seinem 126 Urk. IV, 1108, 4. Hier ist wieder der Unterschied zwischen sr als der allgemeinen Bezeichnung für die Beamten und den konkreten Amtsbezeichnungen offenkundig. 127 Urk. IV, 1087, 11; Faulkner, in: JEA 41, 19, 3. Ich betrachte sr.w und D#D#.tjw beide in der Bedeutung von „Beamten“. Nach meiner Meinung bezeichnet das Wort D#D#.tjw die Angehörigen einer D#D#.t , die wie qnb.t eine Gruppe von Beamten darstellt. Das Wort wird in der Dienstordnung des Wesirs mehrfach benutzt, vgl. Urk. IV, 1111, 13; 1112, 15; 1114, 14; 1115, 6. 128 tm jrj n=f [mr.w] m rmT nb „Er macht keine [Hörige] aus irgendwelchen Menschen.“ Faulkner, a.a.O., 19, 13. 129 mk jr sr sDm(.w) (m) wn Hr smj mw T#w n jr.t=f nb.t „Siehe, wenn ein Beamter in der Öffentlichkeit richtet, berichten Wasser und Wind über alles, was er (da) tut.“ Faulkner, a.a.O., 19, 11-12. Man muß beachten, daß der König bei der Erteilung der „Lehre“ sowohl den Wesir als auch andere Beamten im Auge hat. Dazu vgl. z.B. jr sr jrr mjtt n# Hr rwd=f o# m t# s.t „ein Beamter, der dementsprechend handelt, wird hier auf diesem Platz bleiben“, Faulkner, a.a.O., 6; sr pw sr snD.w n=f „ein Beamter, vor dem man Furcht hat, ist ein (richtiger) Beamter“, Faulkner, a.a.O., 10; mk Sfj.t nt [sr] jr=f m#o.t „Siehe, das Ansehen eines [Beamten] besteht darin, daß er die Maat tut.“ 130 Faulkner, a.a.O., 11-12. 131 Gnirs, in: SAK 16, 83-110. 132 In diesem Dekret finden wir einige Stellen, in denen die qnb.t eindeutig als die Bezeichnung für das Gericht gebraucht wurde, z. B. Urk. IV, 2156, 17-20; 2157, 1-4; 2157, 10-13; 2157, 17-19. Trotzdem halte ich es für vertretbar, daß zwischen der hier genannten qnb.t und der qnb.t , die anderswo <?page no="38"?> 1. Der Richter im alten Ägypten 39 39 Dekret sagt Haremheb: „Siehe, die qnb.t ist im ganzen Land in jeder Stadt festgesetzt, um in den Städten nach dem trefflichen Plan [meiner Majestät] Gericht zu halten.“ 133 Wer sind diejenigen, die in der qnb.t als Richter handeln? „Es sind die Propheten der Tempel, die Bürgermeister in diesem Lande und die Wab-Priester der Götter, die jede qnb.t so bilden, wie sie wünschen, um die Bürger in jeder Stadt zu richten.“ 134 Zur Auswahl von kompetenten Beamten für die Aufgaben der Rechtsprechung sagt Haremheb: [HHj.n=j sr.w] tm(.w) m r# nfr bjt rX.w wDo jmj x.t sDmjw md.t pr njswt hp.w nw orojj.t „[Ich suchte Beamte], die einen vollkommenen Mund und vorzüglichen Charakter haben, die zu richten imstande sind, was im Körper ist, die auf die Worte des Königshauses und die Gesetze der Wache hören.“ 135 Angenommen, daß die Ergänzung des Wortes richtig ist, dann darf man konstatieren, daß es die wichtigste Qualifikation für einen Richter das sei, ein sr ist. Erst nach dieser Qualifikation kommen die Redegewandtheit und der gute Charakter als die erforderlichen Eigenschaften und die Befolgung der königlichen Anweisungen als die Voraussetzung für die richtige Handlung. Hier sehen wir nur eine Bestätigung und eindeutige Festlegung der herkömmlichen Praxis, nämlich, daß die sr.w , die in der qnb.t für die Landes- und Tempelverwaltung zuständig sind, auch die juristischen Angelegenheiten entscheiden sollen. Das Wort sr.w stellt sich als ein Sammelbegriff dar, womit verschiedene Bedienstete des Königs bezeichnet werden. Aber gegebenenfalls werden diese Beamten mit mehreren Termini bezeichnet. Im Text der Berufung des Wesirs Wsr werden die Beamten, die zur Beratung mit dem König bestellt worden sind, wie folgt bezeichnet: sr.w [smr.w nw stps#] soH.w s.t woow jmj.w Xnt wr[.w nw t# r-Dr] Snj.t Or m oH=f. 136 Nach Dziobeks Übersetzung bezieht sich das auf folgende Personengruppen: die Beamten, [die Gefolgsleute des Palastes], die Edlen des Privataudienzraumes, die Kammerherren, die Groß[en des ganzen Landes], das Gefolge des Horus in seinem Palast 137 . erscheint, kein Unterschied besteht. In beiden Fällen bezieht sich die Bezeichnung auf einige versammelte Beamte. Nur wird im Haremhebdekret der Schwerpunkt auf die Rechtsprechung gelegt. 133 mk smn qnb.t Xt t# r-Dr=f m [njw.t] nb.t r jr.t qnb.t mj sXr mnX n [Hm=j] , Urk. IV, 2157, 17-19. 134 jn Hm.w nTr nw r#.w-nTr H#tj.w-o nw xnw n t# pn Hno wob.w nw nTr.w jrr qnb.t nb n #b(b)=sn r wDo onX.w nw njw.t nb , a.a.O., 10-13. In oGardiner 181 (Allam, Hieratische Ostraka und Papyri aus der Ramessidenzeit, Tafelband 47) werden der Kläger und einer der Richtenden als Wab-Priester bezeichnet, während ein anderer Richtender den Titel Hm-nTr trägt. Die drei waren die Arbeiter aus Deir el-Medina. Es scheint verlockend zu vermuten, ob hier die Auswirkung der Bestimmung des Haremheb zu spüren ist, obwohl man dies nicht beweisen kann. Die Stellung der Wab-Priester und der Propheten soll ziemlich hoch gewesen. Dies sieht man möglicherweise in der Erklärung des Tutanchamun: bs.n=f wob.w Hm.w-nTr m ms.w sr.w nw njw.t=sn m s# s rX(.w) rn=f „Er führte die Wab-Priester und die Propheten von den Kindern der Beamten ihrer Stadt ein, als Sohn eines Mannes, dessen Name bekannt war.“ Urk. IV, 2029, 9-10. 135 Urk. IV, 2155, 16-18. 136 Dziobek, User-Amun, 3. 137 a.a.O. In der Thronerhebung der Hatschepsut werden die versammelten Beamten mit Spsw.w njswt soH.w und smr.w angegeben, Urk. IV, 258, 8-10. Bei der Verkündung der Hatschepsut als Königin werden Sps.w njswt soH.w und H#.wt rXjj.t erwähnt, Urk. IV, 259, 1-2. Aber in der Inschrift der Expedition nach Punt werden die an der Thronsitzung beteiligten Beamten mit sr.w und <?page no="39"?> 40 Kapitel I - Der Richter als Beauftragter des Königs 40 Wir wissen nicht, wie sich diese Begriffe voneinander unterscheiden. Sehr wahrscheinlich überschneiden sie sich. Bei der Aufzählung der verschiedenen Bezeichnungen ist sicher beabsichtigt, die Anwesenheit aller Beamten zu betonen. Das Nauridekret des Seti I. wird an die folgenden Personengruppen gerichtet: T#tj sr.w smr.w qnb.tjw sDm.jw s# njswt n K#S „Der Wesir, die Beamten, Freunde, Mitglieder der qnb.t, Richter und der Vizekönig von Kusch“ 138 . Bemerkenswert ist hier die Nebeneinanderstellung von sr.w und sDm.jw , wenn man annimmt, daß das Wort sr.w die Bezeichnung für die Richter wäre. Außer den zwei spezifischen Amtsbezeichnungen T#tj und s# njsw.t n K#S scheinen die anderen alle ein ähnliches Sinnfeld zu haben 139 . Wir wissen zwar nicht genau, wie die Amtsbefugnisse und Arbeitsbereiche dieser Personengruppen abgegrenzt wurden. Sicher ist aber, daß hier die Einbeziehung aller Beamten betont wird 140 . Daß die Personen, die mit sr.w bezeichnet werden, gerade die Stellung unter dem König und über der Menge einnehmen, sehen wir auch in einer Formulierung desselben Königs, der sich mit njsw.t sr.w rXjj.t „König, Beamte und Untertanen“ auf alle nachkommenden Ägypter bezieht 141 . Der Terminus sr wird in der Lehre des Ani aus dem Neuen Reich sowohl für den Richtenden im Gericht 142 als auch für den mächtigen Prozessierenden gebraucht 143 . Dies zeigt wiederum, daß sr auch im Neuen Reich eine Standesbezeichnung geblieben ist. Auch die Lehre des Amenemope bestätigt, daß die mit sr.w bezeichneten Personen sowohl richterliche als auch administrative Aufgaben übernehmen konnten. Der Schüler wird gewarnt, smr.w nw stp-s# dargestellt, s. Urk. IV, 349, 13. In der Berliner Lederhandschrift aus dem Mittleren Reich werden die Höflinge, die bei der Beratung des Königs beteiligt waren, ebenfalls mit smr.w und sr.w bezeichnet, De Buck, in: AnOr 17, 49, 2-3. 138 KRI I, 50, 13. 139 Kitchen übersetzt die verschiedenen Bezeichnungen mit „the vizier, high officials, courtiers, courts of judges, the viceroy of Nubia...“ KRI, Translations I, p. 44. 140 In pHarris I. verkündet der Königs Ramses III. seine Leistungen an die folgenden Personen: sr.w H#tj.w nw t# mSo nt Htrj C#r#d#n#.w pD.wt oS#.wt onX.w nb(.w) nw t# n v#-mrj „den Beamten, den Ersten des Landes, den Soldaten und Wagenkämpfern, den Schirdana und den vielen Bogenschützen und allen Bewohnern des Landes Ägypten.“ Erichsen, Papyrus Harris I, 91, 3-5; vgl. 92, 13-16. 141 KRI I, 67, 7. Der König Ramses II. sagt über seine Förderung seiner Beamten, daß er die nmH.w zu sr.w gemacht hat (KRI II, 57, 6-10). Die Formulierung jrj sr bezeichnet keine konkrete Amtsausübung, sondern die Errungenschaft des Status der Eliten. 142 m jrj snj m sw# nb wD#=k r p#jj=sn wb < n > tm.w T#jj=k r t# qnb.t m-b#H sr.w , „Nähere dich keiner Nachbarschaft, damit du von ihrer Schlägerei verschont bleibst und damit du nicht vor Gericht zu den Beamten geschleppt wirst, nachdem eine Zeugenaussage gemacht worden ist.“ B 21, 17-18. 143 jm=k snsn Hm kjj jw rn=f XnS (n) bj.t bjn jw=f m sr o# bw rX.tw soHo=f (r) on n=f wSb.t jT# Hm=f Ssp m Dr.t=f „Befreunde dich nicht mit dem Diener eines anderen, dessen Name aufgrund des schlechten Charakters anrüchtig ist, der aber ein hoher Beamter ist. Man kann ihn (den Diener) nicht anzeigen, (um) zur Rechenschaft zu ziehen, denn sein Herr ( Hm=f ) leistet ihm Hilfe (? ).“ B-18, 15-16. Quack (Die Lehren des Ani, 101) übersetzt „Befreunde dich nicht mit der Person eines anderen-…“ und nimmt dabei an, daß das zwei Mal vorkommende Hm sich auf die gleiche und einzige Person bezieht. Aber das Wort Hm zeigt jedes Mal ein unterschiedliches Determinativ auf. Das erste Hm fasse ich deshalb als den „Diener“ und das zweite als „den Herrn“. Meiner Meinung nach wird der Schüler hier ermahnt, sich vor den Dienern eines böswilligen Herrn in acht zu nehmen. <?page no="40"?> 1. Der Richter im alten Ägypten 41 41 keine falsche Aussage vor dem sr zu machen 144 . Hier handelt die mit sr genannte Person eindeutig in einer richterlichen Funktion 145 . An einer anderen Stelle mahnt Amenemope seinen Schüler, nicht vor dem sr zu essen und nicht vor ihm zu reden 146 . Hier repräsentiert der sr deutlich eine mächtige und reiche Persönlichkeit, vor dem sich ein Karriereanfänger in Acht nehmen soll 147 . Das Reichtum eines sr wird kurz darauf von Amenemope konkret hervorgehoben: „Der sr in seinem Amt ist eine Persönlichkeit, die viele Ziehbrunnen hat ( jr mj o# sr m j#w.t=f sw mj oS# xnm.t jdH ).“ 148 Der Begriff sr zur Bezeichnung eines Mitglieds der Oberschicht sieht man bei einer anderen Mahnung des Amenemope, das Gehörte im Hause eines sr nicht nach außen weiter zu erzählen 149 . Es ist deutlich, daß die mit sr bezeichneten Personen keine besondere Beziehung zur Rechtsprechung haben. 144 m jr oq r qnb.t m-b#H sr mtw=k soD# md.t=k „Wenn du in das Gericht vor dem Beamten eintrittst, dann verfälsche nicht deine Rede.“ Kapitel 19: 20, 8-9. 145 Es wird dabei auch die „Aufstellung des Zeugen“ erwähnt ( jw n#jj=k mtr.w soHo , 20, 11). Der Vorschlag von Grumach (Untersuchungen zur Lebenslehre des Amenope, 131ff.), in dem genannten sr den Gott Thot zu sehen, ist möglich, aber nicht wahrscheinlich. Wie soll man denn die Mahnung des Amenemope in Kapitel 20: 20, 21-21, 4 interpretieren: m jr sh# rmT m t# qnb.t mtw=k rmn p# m#o.tj m djt Hr=k n sDw wbX.t mtw=k bo# sw Ht#j m jr Ssp fq#.w nXt mtw=k gw# n=f s#w-o „Mindere nicht einen Menschen im Gericht und dränge den Gerechten nicht beiseite. Wende dich nicht dem Gutgekleideten zu und schone nicht den, der in Lumpen ist. Nimm keine Geschenke des Starken und bedränge nicht seinetwegen den Schwachen.“ Bei dem Richtenden hier kann sicherlich nicht der Gott Thot gemeint sein. Es ist evident, daß Amenemope seine Lehre an mehrere und verschiedenen Personengruppen richtet. In dem ersten Fall stellt er sich vor, daß einer seiner Schüler als Beklagter vor dem Richter erscheinen muß. In dem zweiten tritt einer seiner Schüler dagegen als ein Richter auf. Je nach den verschiedenen Situationen und den späteren Berufen der Schüler wird die entsprechende Handlungsregel angeboten. 146 m jr wnm oq.w m-b#H sr mtw=k w#H r#=k r-H#.t=f „Iß nicht vor einem Beamten und schwätze nicht vor ihm.“ Kapitel 23: 23, 13-14. Vgl. die etwas anders lautende Übersetzung von Brunner (Weisheitsbücher, 253) „Fang mit dem Essen nicht früher an als ein Beamter und putz deinen Mund nicht vor ihm ab“. 147 Den Unterschied im Status zwischen dem sr und dem Karriereanfänger, der zuerst möglicherweise als ein Schreiber den Vorgesetzten dienen mußte, kann man an einer Stelle aus der Lehre des pChester Beatty IV vermuten. Der Lehrer sagt zuerst seinem Schüler, daß es der Schreiber ist, „der die sr.w vor dem Herrscher führt ( ntf sSm sr.w m-b#H njswt )“, Gardiner, Hieratic Papyri in the British Museum, 3. Series, Vol. II, vs. 4, 2. Dann sagt der Lehrer weiter, daß ein Gebildeter immer nach oben befördert wird, „bis er wegen seiner vorzüglichen Eigenschaft selbst ein sr wird ( r pH.t=f sr m Hs.w m s# bj#.t=f nfr.t )“, a.a.O., 4, 5-6. 148 Kapitel 23: 23, 19-20. Grumach (a.a.O., 151-152) behauptet, daß bei dem sr hier wieder der Gott Thot gemeint wird. Meiner Meinung nach ist hier wieder der Beamte gemeint, und zwar wird die Beziehung des Amtes mit der daraus erfolgenden reichlichen Versorgung hervorgehoben. Vgl. dazu eine ähnliche Formulierung aus der Lehre des Ani: tm Xpr nmH m j#w.t bw wsr , B 15, 5-6. Die Bedeutung eines Amtes ist auch in der Feststellung des Ani (B 19, 13-15), eine Frau nach ihrem Ehemann zu fragen und einen Mann nach seinem Amt zu fragen, sehr anschaulich. 149 m jrj sDm wSb n sr m pr(=f) mtw=k wHm sw n k(jj) m bnr „Höre nicht die Antwort eines Beamten in seinem Hause und wiederhole sie nicht einem anderen außerhalb seines Hauses.“ Kapitel 24: 23, 22-24, 1. Ähnliche Warnungen findet man auch in der Lehre des Ani: B 15, 10-11, jmn j.Dd[=f] m pr[=f] j.jrj sw m sxj bw sDm „Verbirg, was er (ein sr ) in seinem Hause sagt. Führe das (was er gesagt hat) so aus, als ob du ein Tauber wärst, der nicht hört“; B 16, 11-12, m jrj sDd=f kjj m bnr „Erzähl es (was du in dem Hause gesehen hast) nicht einem anderen draußen“. In dem zweiten Beispiel ist es allerdings vom Hause eines anderen ( kjj ) und nicht eines Beamten die Rede. <?page no="41"?> 42 Kapitel I - Der Richter als Beauftragter des Königs 42 Daß die Dorfbewohner in Deir el-Medina, die an einer Gerichtsverhandlung als Richter auftreten, mit sr.w bezeichnet werden konnten, ist auch kein überzeugender Beweis dafür, daß sr eine spezifische Bezeichnung für die Richter sei 150 . Meiner Meinung nach erhalten sie diese Bezeichnung, weil sie in der Funktion der Beamten handeln. Wie sich im Haremhebdekret erkennen läßt, wird die Jurisdiktion staatlich monopolisiert, indem der Bürgermeister, die Propheten und die Wab-Priester eine qnb.t bilden und die Rechtsprechung ihrer Ortschaft übernehmen. In Deir el-Medina sind es die Vorarbeiter, die Schreiber und auch die Arbeiter, die Aufgaben der sr.w erfüllen. Als er von der höheren Behörde beauftragt wird, von den Arbeitern außerhalb Thebens Steuern einzutreiben, bezeichnet Thutmose sich sehr stolz als sr 151 . Dies hat mit Rechtsprechung nichts zu tun. Aus den Belegen der autobiographischen Inschriften des Neuen Reiches sehen wir wiederum, daß mit dem Terminus sr der Status der Personen betont wird, die damit bezeichnet werden können. Diese Personen wurden von der Menge abgehoben 152 . Diese Besonderheit besteht vor allem darin, daß eine so bezeichnete Person ein Mitglied der königlichen Gefolgschaft darstellt 153 . Daß mit der Bezeichnung irgendein Beamter in beliebiger Funktion genannt werden kann, zeigt uns die folgende Formulierung eines Parteigängers der Königin Hatschepsut: sr m H#.t Spss.w njsw.t „ein Beamter an der Spitze der Edlen des Königs“ 154 . Die mit Spss.w genannten Personen können hier nach meiner Auffassung sicher mit sr.w bezeichnet werden, da die zwei Termini gleichermaßen die besondere Beziehung der betreffenden Personen zum König betonen. Erst am Schluß der Inschrift gibt 150 Die Schreiber des Wesirs, die in der Arbeitersiedlung erwähnt werden, kommen ausschließlich wegen administrativen Angelegenheiten. Aber die Bewohner konnten diese Gelegenheiten ergreifen, um ihnen Streitigkeiten zur Lösung vorzulegen. Die Schreiber des Wesirs wurden nicht sr.w genannt, weil sie an der Gerichtsverhandlung teilnahmen, vgl. hierzu McDowell, Jurisdiction, 150-151. 151 pBibliothèque Nationale 198, II., Černý, LRL, 68, 4. 152 wr m [j#w.wt=f] o# m soH=f sr m H#.t rXjj.t „bedeutend in [seinen Ämtern] groß in seiner Würde, ein Beamter an der Spitze der Untertanen“, Urk. IV, 957, 17-958, 1; Urk. IV, 1017, 5; Urk. IV, 1017, 12; Urk. IV, 1039, 15; Urk. IV, 1118, 11. mH jb n njsw.t Xntj t#.wj sr m H#.t rXjj.t „Vertrauter des Königs, Vorderer der beiden Länder, Beamter an der Spitze des Volkes“, Urk. IV, 1118, 10-11. In den königlichen Texten aus der 19. Dynastie ist bei der Bezeichnung die erhabene Stellung der damit genannten Personen gegenüber der Menge ebenfalls eindeutig. Der König Ramses II. hat die nmH.jw (normale Bürger) zu sr.w (Beamte) befördert (KRI II, 57, 6-10). Der König ist es außerdem, „der veranlaßt, daß die Beamten ihre Habe festhalten und die Bürger (in) ihren Städten bleiben ( dj=f X#m sr.w H.wt=w dj=f qrj nmH.w n#j=sn njw.wt )“, KRI IV, 16, 14f. Dieser Unterschied zwischen den sr.w und der Masse kann man in der Beschreibung der Schöpfung in den literarischen Texten finden, z. B. jrj.w sr.w qd.w nmH.w , vgl. Assmann (1980), 5-6. In der Lehre des Ani B 20, 6-7 wird die gegenseitige und voneinander abhängige Beziehung zwischen sr.w und nmH.w mit Hilfe des Begriffes „Amt“ ( j#w.t ) veranschaulicht: j#w.t nn wn (m)-dj=s Srj p#j=s{n} nmH Xr.t=f p#j=s{n} srj mkj.t=f . Quack ( Ani, 107) übersetzt den Satz wie folgt: „Das Amt - es hat kein Kind. Sein (untergebener) freier Mann ist seine Versorgung, sein Fürst ist sein Schutz.“ Man kann schon sagen: „Der eine ( sr ) regiert, während der andere ( nmH ) schuftet.“ 153 jrj-po.t H#tj-o sD#w.tj bjtj smr wo wr m j#w.wt=f o# m soH=f sr o# m pr njsw.t „Fürst, Graf, königlicher Siegelbewahrer, einziger Freund, bedeutend in seinen Ämtern und groß in seiner Würde, hoher Beamter im Haus des Königs,“ Urk. IV, 961, 10-12. 154 Urk. IV, 459, 6. <?page no="42"?> 1. Der Richter im alten Ägypten 43 43 der eben erwähnte Beamte an, daß er als der Vorsteher der Arbeiten ( jmj-r# k#.t ) an den zwei Obelisken und als Domänenvorsteher unter seiner Herrscherin fungiert 155 . Er war nämlich ein jmj-r# k#.t und daher selbstverständlich ein sr . Beim Bericht seiner Berufung zum Wesir erwähnt RX-mj-Ro in seiner Autobiographie, daß der König ihm über seine Aufgaben folgende Worte gesprochen habe: wp.wt oS#.w nn Dr-o=sn wDo-mdw n h#.n=f r-t# , „die Aufträge sind zahlreich und es gibt dabei kein Ende; die Rechtsprechung hört nie auf“ 156 . Die Worte wp.wt und wDo-mdw bezeichnen die Aufgaben des Wesirs als höchster Verwalter und Richter. In bezug auf die Beamten, die ihm bei seiner Nominierung zum Wesir zugeteilt werden, sagt RX-mj-Ro: dj.n=f n=j qnb. tjw r Xt=j , „Er hat mir Beamte zur Verfügung gestellt.“ 157 Wie gerade erwähnt, bestehen die Aufgaben des Wesirs aus zwei Teilen: Verwaltung und Jurisdiktion. Aber die Beamten unter dem Wesir werden ohne Unterschied mit qnb.tjw genannt, da die zwei Bereiche nicht getrennt werden und keine Beamten exklusiv für Rechtsprechung zuständig sind. Aufschlußreich scheint auch der Anruf des RX-mj-Ro an die Toten, die vor ihm das Totenreich erreicht hatten. Sie werden wie folgt angeredet: jX rX=tn D#D#.t [wDo.t s#r] qnb. tjw o# Spss jmj-H#.t „Möget ihr wissen, ihr Mitglieder des Rates, ihr große Beamten der vergangenen Zeit.“ 158 Angenommen, daß die Ergänzung von Gardiner richtig ist, sind es diejenigen, die sich in der D#D#.t befinden, die darin richterliche Handlungen durchführen 159 . Aber diese Personen können ferner mit qnb.tjw bezeichnet werden. Es ist höchst verlockend zu vermuten, daß hier eine Form von D#D#.tjw anzunehmen ist. Das Wort sr als eine Standesbezeichnung treffen wir weiterhin. In der Autobiographie des Jnj-Hrt-ms , eines Hohenpriesters des Gottes Schu aus This lesen wir: jnk sS n swhj n=f sr n obo jm=f , „Ich war ein Schreiber, dessen man sich rühmen, und ein Beamter, mit dem man prahlen kann“ 160 . Mit diesem Satz werden wahrscheinlich einerseits seine Kenntnisse im Lesen und Schreiben und andererseits seine Mitgliedschaft in der Beamtenhierarchie betont. Die Nebeneinanderstellung von sS und sr zeigt wie in der oben erwähnten Lehre des pChester Beatty IV, daß der Werdegang eines Beamten mit der Ausbildung der Schreiber anfängt 161 . Es scheint nicht der Fall gewesen zu sein, daß die richterlichen Funktio- 155 Urk. IV, 459, 7-8. 156 Gardiner, in: ZÄS 60, 66, e. Die administrativen und richterlichen Aufgaben werden untrennbar den Beamten aufgetragen. Dies ist für den Wesir der Fall und gilt auch für andere Beamten. 157 a.a.O., 67,-f. 158 a.a.O., 71,-m. 159 Hier könnte auch das Göttergericht im Totenreich gemeint sein, besonders wenn man die Ähnlichkeit dieser Stelle zu der aus der Lehre für Merikare (E 53) berücksichtigt, wo das Göttergericht mit D#D#.t wDo s#r „das Kollegium, das den Elenden richtet“ beschrieben wird. Das Wort D#D#.t in der Lehre für Merikare wird allerdings durch einen Falken auf der Standarte (für „Göttlichkeit“) determiniert. 160 Ockinga, Two Ramesside Tombs, vol. I, pl. 27, 41-42. Der Zusammenhang zwischen der Fähigkeit des Schreibens und der erst dadurch möglichen Aufnahme in die Beamtenschicht wird in den Schultexten deutlich. Vgl. dazu Caminos, LEM, 83-84. 161 Vgl. die schon einmal zitierte Stelle in der Lehre des Ani (B 20, 6-7): j#w.t nn wn (m)-dj=s Srj p#j=s{n} nmH Xr.t=f p#j=s{n} srj mkj.t=f „Das Amt - es hat kein Kind. Sein (untergebener) freier <?page no="43"?> 44 Kapitel I - Der Richter als Beauftragter des Königs 44 nen im alten Ägypten von bestimmten Beamten langfristig und ausschließlich ausgeübt wurden. Es sieht eher so aus, daß die richterlichen Tätigkeiten von den Beamten aus allen Verwaltungsbereichen nebenbei durchgeführt wurden, je nachdem, wie die Umstände es erforderten und die Zeit es erlaubte 162 . Viele Beamten mögen die richterlichen Funktionen für aktuelle Angelegenheiten kurzfristig übernommen haben. 2. Der König als Auftraggeber Aus den oben durchgeführten Erörterungen geht die herausragende Stellung des Königs eindeutig hervor. Die Richtigkeit einer Entscheidung oder die Bedeutung eines Rechtsfalls kann nur vom Standpunkt des Königs aus bemessen werden 163 . Daher ist der passende Richter eines Rechtsfalls nur durch den König auszuwählen und der Richtende ist direkt dem König gegenüber verantwortlich 164 . Der König hat außerdem immer das Recht, das Urteil aufzuheben, das von seinen Beamten gefällt wird 165 . Nun betrachten wir die Rolle des Königs und seine Wirkung auf die Richtenden außerhalb und innerhalb der autobiographischen Inschriften. In den Pyramidentexten wird die erfolgreiche Durchführung der richterlichen Funktionen durch den König als Voraussetzung dafür beschrieben, daß Frieden im Himmel und auf der Erde herrscht 166 . Nach der ägyptischen Weltanschauung wurde das Königtum vom Gott auf Erden hergestellt, um die Gerechtigkeit in der Menschenwelt walten zu lassen 167 . Der König ist der Gesetzgeber und gleichzeitig der höchste Richter des ganzen Landes 168 . Später überträgt der König diese Geschäfte allmählich immer mehr auf den Wesir und andere Beamten 169 . Aber er bleibt nicht nur in schweren Fällen die letzte Instanz, sondern auch in normalen Fällen für die Prozessierenden zugänglich 170 . Der König beruft und ent- Mann ist seine Versorgung, sein Fürst ist sein Schutz.“ Das heißt, daß der von Ani angeredete Lehrling oder junge Schreiber sich viel Mühe geben muß, um ein sr zu werden. 162 Für die Ausübung der administrativen und richterlichen Funktionen von denselben Beamten im alten China vgl. Vogel, Die historischen Grundlage des chinesischen Strafrechts, 52. 163 Vgl. hierfür, Bedell, Criminal Law, 17ff. 164 Vgl. Otto, Wesen und Wandel, 40. 165 Erman, in: ZÄS 42, 105; Černý-Gardiner, Hier. Ostraca, pl. 88, rt. 13-14. 166 p.t Htp.w t# m #w.t-jb sDm.n=sn dd Nfr-k#-Ro m#o.t m s.t jsf.t „Der Himmel ist in Zufriedenheit und die Erde ist in Frohmut, nachdem sie gehört haben, daß Nfr-k#-Ro die Maat an die Stelle der Isfet gesetzt hat.“ PT 1775, ähnlich auch PT 265. Vgl. in diesem Zusammenhang Assmann (1994d), 98. 167 Vgl. Assmann (1990a), 207, 216 und 225. In der Lehre für Merikare wird gesagt, daß die Herrscher vom Gott zur Unterstützung der Schwachen geschaffen werden (E 135-136). 168 Für die Rolle des Königs als Gesetzgeber vgl. Kapitel III. 169 In der ältesten Zeit sprach der König selbst im Rahmen des Horusgeleites Recht, indem er im Abstand von zwei Jahren durch das Land fuhr. Vgl. dazu Beckerath, in: LÄ III, 51; Lurje, Studien, 22; Otto, in: MDAIK 14, 156. Für die Vorteile dieser Übertragung in rechtshistorischer Sicht vgl. Alliot, in: Entstehung und Wandel, 198. 170 In oDeM 595 droht ein Mann seinem Streitpartner, diesen vor dem Gesandten des Königs zu verklagen. In pBM 10383 sehen wir wirklich, daß sich ein Händler mit seinem Anliegen tatsächlich <?page no="44"?> 2. Der König als Auftraggeber 45 45 läßt die Richter nach seinem Willen, ausschließlich nach der Regel, ob der Richtende im Dienst des Königs richtig gehandelt hat 171 . Dies sehen wir in den zahlreichen königlichen Dekreten aus dem Alten Reich, in denen es um Schutzmaßnahmen für königliche Interessen geht 172 . Das Dekret des Pepi II. für den Tempel des Min in Koptos wird z. B. an den Ackerschreiber des Distriktes gerichtet 173 . Gemäß den Bestimmungen im Dekret sollen alle Personen, die im Tempel Dienst leisten, von den Arbeiten und Steuern außerhalb des Tempels befreit werden. Gegen jeden potentiellen Übeltäter, darunter auch den Vorsteher von Oberägypten, soll der Adressat des königlichen Dekrets unverzüglich handeln 174 . Hier sehen wir eine Art von Bevollmächtigung. Aus der 17. Dynastie erfahren wir aus einem königlichen Erlaß, wie der König Nb-Xpr.w-Ro die Richtenden einsetzt. Auffallend dabei ist außerdem, daß die Priester im Tempel des Min in Koptos den König mündlich oder schriftlich über einen „Frevel“ im Tempel informiert haben. Daraufhin erläßt der König eine Anordnung. Er sendet zwei Beamte zum Zweck einer Inspektion und bestimmt wie die Verantwortlichen in Koptos die Angelegenheit erledigen sollen 175 . In der Amtseinsetzung des Wesirs sieht man ebenfalls, wie der König die Aufgaben in der Rechtsprechung dem Wesir und anderen Beamten überträgt und gleichzeitig auf die überwachende Rolle nicht verzichtet 176 . Im Haremhebdekret sieht man die tiefgreifenden Maßnahmen des Königs nach der Krise 177 . Diese Krise wurde durch Echnatons revolutionäre Änderungen in dem Staatsapparat verursacht. Das Rechtswesen ist ohne königliche Aufsicht aus den Fugen geraten. Die erste und dringendste Aufgabe des Königs besteht darin, gerechte und kompetente Richter zu berufen. Über seine Maßnahmen im Bereich der Rechtsprechung sagt Haremheb: dhn.n=j st r wDo t#.wj r shr.t jmj oH , „Ich habe sie eingesetzt, um die beiden Länder zu richten und um den Bewohner des Palastes (i.e. den an den König wendet, der dann den Schatzmeister mit der Behandlung der Angelegenheit beauftragt. Die Arbeitertruppe in Deir el-Medina kann auch dem König ihre Klage über die fehlende Versorgung einreichen. Vgl. dazu oChicago 16991: pDeM 28: oBerlin 10633 und ferner RAD, 54. 171 Vgl. dazu Griffith, in: JEA 13, 205; De Buck, in: JEA 23, 156ff.; Erman, in: ZÄS 13, 105f. 172 Vgl. Urk. I, 63, 2; 282, 15; 286, 7. 173 Urk. I, 284-288; Goedicke, a..a.O., 117-127. Vgl. dazu auch Urk. I, 295, 17. 174 Urk. I, 287, 14-16. 175 Petrie, Koptos, 10; Sethe, Lesestücke, 1927, 166. Für die Interpretation vgl. Lorton, in: JESHO, 20, 19ff. 176 Faulkner, in: JEA 41, 20, 1. In diesem Zusammenhang ist auch eine Aussage des Bürgermeisters von Theben cn-nfr zu vergleichen. Er behauptet: mnX=j rX.n st njsw.t rX.n=f jr=j #X.wt m j#w.t rdj. n=f Hr=j Dor.n=f Hr w#.t nb.t n gm=f sp xsj m-o=j „Der König kannte meine Tüchtigkeit. Er wußte, daß ich in dem Amt, das er mir aufgetragen hatte, das Nützliche tat. Er suchte in jeder Hinsicht, aber er konnte keinen Fehler an mir finden.“ Urk. IV, 1425, 12-15. 177 Offenbar waren solche tiefgreifende Reformen häufiger als sie angenommen worden sind. Am Anfang einer neuen Dynastie mag eine Reorganisation erforderlich gewesen sein und das Rechtswesen ist oft ein wichtiger Gebiet der Reform. Van den Boorn vertritt die Meinung, daß der König Ahmose derartigen Reformen durchgeführt hat. Außerdem soll die Verfassung der Dienstordnung unter der Regierungszeit dieses Königs stattgefunden haben, Duties, Chapter, IV. <?page no="45"?> 46 Kapitel I - Der Richter als Beauftragter des Königs 46 König) zufriedenzustellen.“ 178 Sie sollen vor allem ständig unter der Aufsicht des Königs bleiben. Er bezeichnet die Bestimmungen in dem Dekret als eine Lehre und bedroht mit Todesstrafe diejenigen, die gesetzwidrig handeln 179 . Die hervorragende Stellung des Königs in Sachen der Rechtsprechung sieht man auch in den Lehren. In der Bauerngeschichte sehen wir, wie der König Handlungsanweisungen erteilt. Nachdem er über den Vorfall informiert worden ist, sagt der König: „Richte du selbst, Sohn des Meru.“ 180 Hier behält der König zwar das Recht zur Aufsicht, aber dem Rnsj wird genug Handlungsraum überlassen. In diesem Freiraum muß sich der jeweilige Richtende gegenüber dem Prozessierenden verantworten, der beansprucht, gegebenenfalls an die kontrollierende Instanz des Königs zu appellieren 181 . In der Lehre für Merikare rät der alte König seinem Sohn wie folgt, vorbildlich zu handeln: Dd m#o.t m pr=k snD n=k sr.w ntj.w Hr t# mtj n nb oq#-jb jn Xntj dd snD n s# , „Mögest du in deinem Haus die Maat sagen, damit die Beamten, die im Land (für die Verwaltung zuständig) sind, vor dir Ehrfurcht haben. Die Aufrichtigkeit eines Herrschers ist die Rechtschaffenheit. Derjenige, der sich in der Vorhalle befindet, ist es, der Respekt nach außen verbreiten soll.“ 182 Die gleiche Idee wird in der Geschichte des Bauern in einem anderen Aspekt aufgegriffen: „Der König ist in der Vorhalle und das Steuerruder ist (in) deiner Hand. (Aber) Unheil wird in deiner Umgebung verursacht.“ 183 In diesem Fall wird die Vorhalle genau wie in der Lehre für Merikare mit Xntj bezeichnet. Die Beamten, die der König für die Verwaltung und Jurisdiktion im Land eingesetzt hat, sollen dem König gegenüber verantwortlich sein, während dieser im Palast ist. Hier wird daher der ungerecht handelnde Beamte auf eine eventuelle Bestrafung durch den König hingewiesen. Ein sehr außergewöhnliches Beispiel von Intervention von Seiten des Königs findet man in dem Fall des P#-nb , eines Vorarbeiters aus Deir el-Medina 184 . In dem betreffenden Fall bestraft der Wesir Jmn-msw den skrupellosen P#-nb , aber dieser wendet sich an den König Msw 185 , der den Wesir, der höchst wahrscheinlich richtig gehandelt hat, absetzt. 178 Urk. IV, 2156, 1-2. Aus den Gerichtsprotokollen und Verwaltungstexten ist belegt, daß es möglich war, den Gesandten des Königs, wenn nicht direkt dem König, rechtliche Angelegenheiten vorzutragen. Vgl. hierzu etwa oDeM 592; oCairo 25237, 5; RAD 57, 6-58, 6; vgl. McDowell, Jurisdiction, 237. 179 Urk. IV, 2156, 8-2157, 5. 180 Bauer B2, 132-142. 181 In B1 268-269 mahnt der Oasenmann den Oberdomänenvorsteher: rdj.n.tw=k r dnj n m#jr „Du bist als ein Damm für den Elenden eingesetzt.“ Vgl. in diesem Zusammenhang auch Hermann, Untersuchungen, 89. 182 Merikare E 45-46. 183 jw njsw.t m Xntj jw Hmw (m)-o=k rdj.tw jj.t m h#.w=k , B1, 158-159. In B1 265-266 spricht der Oasenmann es noch deutlicher aus: „Du bist eingesetzt um die Angelegenheit zu hören, um die zwei Parteien zu richten und um den Räuber zu bestrafen.“ 184 pSalt 124, Černý, in: JEA 15, 243-258; KRI IV, 408-414. Zur Interpretation vgl. Vernus, Affaires et scandales sous Ramsès, Kap. III, (für diesen Hinweis bin ich Prof. Assmann verpflichtet). 185 In diesem König sah Černý (a.a.O.) den Usurpator Jmn-msw . Vgl. dazu auch Helck, Verwaltung, 326-327. <?page no="46"?> 2. Der König als Auftraggeber 47 47 Die Beziehung zwischen dem König und den Beamten in der Form von Auftraggeber und Beauftragte ist in den autobiographischen Texten ebenfalls evident. K#g m . n =j sagt in seiner Autobiographie, daß er über die zwei Parteien gerecht entschieden und die Elenden und die Bedrängten unterstützt hat, um die Gunst seines Königs zu gewinnen 186 . Auch der Wesir %n t jk # beteuert in seiner Autobiographie, daß er für seine Majestät das Recht gepflegt und seine Macht nie gegen irgend jemanden mißbraucht hat 187 . Für die Beamten ist es ein Zeichen von Vertrauen und ein Privileg, von ihren Herrschern als Richter eingesetzt zu werden 188 . Wenn auch Wn j bei dem Haremsprozeß sogar den Wesir beiseite schiebt und ganz allein den Prozeß durchführt, „so bleibt dies ebenso im Rahmen der Rechtmäßigkeit“ 189 . Der Wandel der Regierungsgeschäfte von „familiären Angelegenheiten“ zu einer bürokratischen Prozedur ist sicherlich von der „Expansion“ der Bürokratie verursacht. Aber auf der anderen Seite bereitet diese Expansion dem König die besten Gelegenheiten, seine Beamten durch Ernennung und Absetzung unter Kontrolle zu halten 190 . „Nicht ‚kraft Amtes‘, so soll man schließen, sondern aufgrund eines ungewöhnlichen persönlichen Vertrauens von seiten des Königs ist ihm diese Aufgabe übertragen worden“ 191 . Der Schatzmeister VTj macht auf seiner Stele deutlich, daß der König ihm befahl, die Angelegenheiten der Bittsteller zu behandeln und die Armen anzuhören 192 . Nsw-MnTw beschreibt seine Tätigkeit im juristischen Bereich aus einem anderen Aspekt: „(Mir) wurden die Gesetze dieses Landes berichtet, weil (ich) in der Meinung (meines) Herrn so hervorragend war.“ 193 Wenn ein Gefängnisvorsteher voller Stolz sagt, daß er „dem König unter 186 Edel, in: MIO 1, Tf. II, B, Z. 5-7. 187 James, The Mastaba of Khentika, pl. V und VI, für die Übersetzung vgl. Roccati, Littérature, 167. 188 Eyre (in: Fs Shore, 110) vermutet, daß die Titel/ Amtsträger von smr wotj als Königsgesandte tätig und keiner Abteilung der Verwaltung untergeordnet waren. 189 Helck, in: Entstehung und Wandel, 313. 190 Eyre (Fs Shore, 108) behauptet: „An expansion of bureaucracy should imply greater impersonality in the regime, and a tendancy to remove the detail of administration from the royal audience chamber.“ Aber dies ist sicherlich ein langer Prozeß. Erst die Schwächung des Königtums gibt den Beamten und vor allem den Gaufürsten die Chancen, ihre Machtbasis zu vergrößern. Aber es ist fraglich, ob das Streben der Beamten nach Titel und Rang der direkte und wichtigste Grund für den Zusammenbruch des Alten Reiches ist. Es ist schwer nachvollziehbar, wenn Helck schreibt: “Die 6. Dynastie ist dadurch gekennzeichnet, daß das Streben nach persönlicher Freiheit die Verwaltung des Landes untergräbt. Man strebt nach den Titeln der Vorgesetzten, um damit ihrer Befehlsgewalt entrückt zu sein.“ Verwaltung, 18. 191 Assmann (1983b), 75-76. Ein in diesem Zusammenhang nicht direkt relevantes, aber dennoch aufschlußreiches Beispiel sieht man in der Prophezeiung des Neferti. Dort gibt der König ausgerechnet einem Beamten, der den Titel sD#w.tj bekleidet, den Befehl, die Beamtenschaft zur Ratsversammlung zu rufen: Dd.jn Hm=f o.w.s. n sD#wtj ntj r gs=f „Da sagte seine Majestät L.H.G. zu dem Siegelbewahrer, der an seiner Seite war.“ Helck, Neferti, If. 192 BM 614, 8-9, Blackman, in: JEA 17, pl. VIII. 193 smj.t(w) n(=j) hp.w n t# pn n mds(=j) m jb nb(=j) , Sethe, Lesestücke, 81, 21-22. Vgl. #X n nb=f m xrt hrw dbH , Couyat-Montet, Hammamat, pl. 31, Z. 6. <?page no="47"?> 48 Kapitel I - Der Richter als Beauftragter des Königs 48 vier Augen Bericht erstattete“ 194 , möchte man in ihm den Status eines Sondergesandten vermuten, der dem König direkt verantwortlich ist 195 . Wir können aus den oben zitierten Belegen keinen „logischen“ Zusammenhang zwischen den Beamten, die richterliche Aufgaben durchführen, und ihren dabei angegebenen Titeln erkennen. Aus der 18. Dynastie betont der Oberschatzmeister EHwtj in der Regierungszeit der Königin Hatschepsut, daß seine Ernennung zum Richter von Seiner Majestät angeordnet wird 196 . In der Autobiographie des cn-n-Mw.t sehen wir am deutlichsten, wie die Geschäfte des Landes in der Art eines „Familienbetriebs“ des Königs (oder der Königin) betrieben werden und wie die Rechtsprechung einzig nach dem Willen des Königs läuft: „Sie (Hatschepsut) hat mich vor den beiden Ländern groß gemacht und hat mich zum höchsten Verwalter ihres Hauses eingesetzt, richtend in letzter Instanz im ganzen Lande.“ 197 Hier werden „das Königshaus ( pr=f )“ und „das ganze Land ( t# mj qd=f )“ gleichgesetzt. Nb-Jmn , der Polizeichef unter Thutmosis IV., ließ den Text der königlichen Anordnung für seine Ernennung zum Oberhaupt der Polizei auf der Wand in seinem Grab anbringen. In dem Text der Berufung begründet der König die Ernennung damit, daß er bei dem zu Berufenden „keinen Fehler“ gefunden hat 198 . Aus der 19. und 20. Dynastie haben wir zu wenig autobiographische Inschriften, um festzustellen, ob die Beamten von den Königen mit richterlichen Aufgaben beauftragt wurden und sich daher den Königen verantwortlich fühlten. Aber wir haben dagegen aus den Gerichtsprotokollen viele Belege, wie der König die Beamten in Theben einschließlich des Wesirs einsetzte, um die Richtigkeit der bei ihm erhobenen Klagen zu überprüfen 199 . 194 smj n njswt m wo.w , New York 57.95/ 7. 195 Auf der Stele CG 20105 trägt ein Mann die Epitheta smr wotj jrj(.w) X.t njsw.t „einziger Freund, der die Angelegenheit des Königs behandelt“. Hier scheint es sich wieder um einen Sonderbeauftragten zu handeln. Der Mann hat außerdem einen anderen Titel jmj-r# hp „Vorsteher des Gesetzes“, der wahrscheinlich darauf hindeutet, daß der Titelträger mit der Durchsetzung der königlichen Bestimmungen beauftragt war. Vgl. in diesem Zusammenhang die Aussage des Wesirs R#-msw , der alle Aufträge des Herrschers mit dem folgenden Satz zum Ausdruck bringt: n HD=j wD.t.n=f „Ich habe nicht mißachtet, was er angeordnet hat.“ Urk. IV 1776, 12. 196 wD Hm=f rdj.t(w)=j r Sn.t „Seine Majestät befahl, daß ich als ‚Polizeichef‘ eingesetzt wurde.“ Urk. IV, 436, 3. Ich bin mir dieser Interpretation der Stelle nicht sicher. Aldred, in: CAH II, part. 2, 76 macht darauf aufmerksam, daß ab der Regierungszeit der Hatschepsut die Macht im juristischen Bereich oft aus der Hand des Wesirs in die Hände der königlichen Günstlinge fiel. 197 so#.n=f wj Xnt t#.wj rdj.n=f wj r r# Hrj n pr=f wDo rjjt m t# mj qd=f , Urk. IV, 405, 2- 4. 198 Der König erklärt gegenüber den anderen Beamten: n srX=f n gm=j wn jw srX=tw n=f jrj oD# oHo.n wD.n Hm=j o.w.s. rdj.n=f (rdj.w=f) m Hrj moD#jj m jmnt.t njw.t „Er wird nicht angezeigt. Ich finde (bei ihm) keinen Fehler, indem jemand gegen ihn Anklage erheben würde, daß er Unrecht getan hätte. Deswegen befiehlt Meine Majestät L.H.G., daß er zum Obersten der Polizei im Westen der Stadt eingesetzt wird.“ Urk. IV, 1618, 14-18. Jmn-Htp Sohn des Opw berichtet im ähnlichen Wortlaut, wie sein Vertrauen beim König ermöglicht hat, daß er sehr ungewöhnliche richterliche Tätigkeiten ausüben konnte: sDm md.wt n k#p sSt# sr wb#jj n=f jb hr jwn m#o nD.t-r# jrj hp.w n jmj-oH „einer, der die Angelegenheiten des geheimen Frauengemachs hörte, ein Beamter, dem das Herz (des Königs) anvertraut wurde, mit erfreulicher Eigenschaft und rechtem Ratschlag, der die Gesetze für den Bewohner des Palastes machte,“ Urk. IV, 1815, 5-8. 199 pBM 10383, 1, 2-3; Peet, GTR, pl. XXII, 1-3. <?page no="48"?> 2. Der König als Auftraggeber 49 49 Wir kennen einen Fall, in dem Ramses II. seinen zukünftigen Thronfolger einsetzte, um einen Rechtsfall schnell und rechtmäßig zu behandeln 200 . In einem anderen Fall wurde der Vorsteher der Standartenträger zur Lösung eines Rechtsstreits abgesandt 201 . Bei anderer Gelegenheit wurden die Verdächtigten solange festgehalten, bis der König das Urteil traf 202 . In einigen Fällen wurde der König über die Straftaten informiert und um Bestätigung des getroffenen Urteils gebeten 203 . Interessant sind auch die Belege, in denen die eine Partei dem Gegner damit drohte, ihn vor dem König zu verklagen 204 . Schon die Möglichkeit, eine Streitigkeit vor den König bringen zu dürfen, übte nicht nur auf die Streitparteien, sondern auch auf die richtenden Beamten starken Druck aus. Nach dem Neuen Reich ist das Königtum im Grunde geschwächt. Aber in den biographischen Inschriften bleibt der König weiter der Auftraggeber im Bereich der Jurisdiktion. onX-rnpj-nfr , der in der Zeit des Osorkon II. gelebt haben soll, sagt auf seiner Statue, daß er als Vertreter der Beamten die Anweisungen des Königs im Bereich der Jurisdiktion erhielt, so daß er dadurch die Streitigkeit beseitigen konnte 205 . Für die 26. Dynastie können wir die Aussage des Armeekommandanten Ed-PtH-jw=f-onX als ein Beispiel nehmen. Er sagt: „Ich war einer, auf dessen Worte sich der König verläßt am Tage der großen Ratsversammlung, einer, den der König wegen seiner trefflichen Pläne ausgezeichnet hat, ein Redegewandter in der Halle der Beamten, der die beiden ‚Brüder‘ (Streitparteien) an der Seite (in Anwesenheit) des Königs richtete, indem sie mit seinem Ausspruch zufrieden waren.“ 206 Es ist aus dieser Aussage zu entnehmen, daß die richterlichen Handlungen des Beamten im Auftrag des Königs erfolgen. Der Beamte erfüllt die richterlichen Aufgaben vor allem deswegen, um befördert zu werden und um den Ka des Königs in zufriedenzustellen 207 . 200 Für die Interpretation und Ergänzung vgl. Kitchen, Pharaoh Triumphant, 135. 201 pBM 10383, 3, 5-6. Diese ungewöhnliche Maßnahme wurde möglicherweise von den ungewöhnlichen Konfliktparteien bedingt. Bei dem Streit beschwert sich ein Händler über den Bürgermeister. Bei den großen Grabräuberprozessen beteiligen sich neben dem Wesir, dem Hohenpriester des Amun, dem Bürgermeister von Theben-Ost auch die Truchsessen, die offensichtlich wegen ihres Vertrauens beim König als Sondergesandte des Königs dazu berechtigt waren, vgl. Helck, Verwaltung 62. 202 Carpart-Gardiner, in: JEA 22, pl. XVI, 4, 11. In einigen Fällen erfahren wir, daß der König sich persönlich um die Streitigkeiten kümmert, s. Černý-Peet, in: JEA 13, 37. Vgl. auch pLiverpool 11162, 12, 26; pMayer A VII, p. 12 und pDeM 28, 4-6. 203 pBM 10383, 1, 2; pLeopold, 3, 19. 4, 11. 204 Černý-Gardiner, Hier. Ostraca. 74/ 75. Allam, Hieratische Ostraka und Papyri der Ramessidenzeit, 20ff.; vgl. auch pBM 10383; pBM 10221, 5, 18 und pTurin 1880, rt. 1, 5. 205 Jansen-Winkeln, Ägyptische Biographie, I, S. 269. Vgl. auch CG 42226, wo der Statueninhaber sagt: rdj wj nb=j r snhj t#.wj r rdj.t t# Hr oq(#)=f „Mein Herr hat veranlaßt, daß ich die beiden Länder inspizierte, um das Land in Ordnung zu bringen.“ Jansen-Winkeln, a.a.O., Text A 11, k. 206 oHo njsw.t Hr Dd(.t)=f hrw sH o# Tnj njsw.t Hr sXr.w=f jqr(.w) spd ns m sH n sr.w wpj sn.w(j) r gs n njsw.t Htp=sn Hr s.t-r#=f , Kairo JE 36949, vgl. Meulenaere, in: BIFAO 63, 25 ( j ). 207 Vgl. Statue CG 888, Borchardt, Statuen und Statuetten, III, p. 139-140. <?page no="49"?> 50 Kapitel I - Der Richter als Beauftragter des Königs 50 3. Der Beamte als Richter a. Der Verwalter und Richter Der König hat in der oben gezeigten Form der Rechtsprechung eine absolut freie Hand, die Jurisdiktion nach seinen Interessen zu gestalten. Für die Beamten handelt es sich bei den richterlichen Aufgaben um Vertrauen und Privileg. Auf der anderen Seite tritt der König erst in den Fällen auf, in denen die königlichen Interessen direkt gefährdet werden. Die persönliche Benennung einer spezifischen Person zu einer richterlichen Handlung kann daher nur angesichts wichtiger Angelegenheiten erforderlich gewesen sein. Es ist eine Selbstverständlichkeit, daß alle Beamten, was ihre spezifische Verwaltungsfunktion auch sein würde, für Recht und Ordnung sorgen 208 . Die zuständigen Beamten einer Abteilung oder einer Ortschaft sind am besten in der Lage, die Rechtsfälle ihres Aufgabenbereiches angemessen zu lösen. Auf der anderen Seite ist nur ein mit der Verwaltungsgewalt versehener Beamte imstande, einen Rechtsfall nicht nur zu richten, sondern seine Entscheidung auch durch seine Macht und mit dem Rückhalt der öffentlichen Meinung durchzusetzen. Die Rechtsprechung wird nämlich voll in die Verwaltung integriert. In ihrer Funktion als Richter sind die Beamten auf dieser Ebene ebenso ihren Mitmenschen verantwortlich 209 . Diese Verantwortung geht nicht nur aus ihrer Pflicht als Verwalter des Königs im Land hervor, sondern sie ist im Interesse der Handelnden 210 , sowohl im Diesseits als auch im Jenseits 211 . In der Lehre des Ptahhotep wird es für selbstverständlich angenommen, daß ein Beamter an der Rechtsprechung teilnimmt 212 . Der Beamte, der als Richter handeln soll, wird mit dem Wort sSm.w bezeichnet 213 . Obwohl Ptahhotep in der Anleitung erwähnt, daß er die Lehre für seinen Sohn verfaßt hat, um diesen zum zukünftigen Wesir auszubilden, 208 Vgl. in dieser Hinsicht die Behauptung der ägyptischen Beamten, nn nDs m#r(.w) m h#w=j „es gab keinen Kleinen, der in meiner Zeit elend war“, Stele U.C. London 14330, 10; nn wn m#r n h#w=j „es gab keinen Elenden in meiner Zeit“, Beni Hasan, I 8, 19. 209 Natürlich ist die Möglichkeit der Kontrolle einer höheren Behörde oder sogar von seiten des Königs immer vorhanden. 210 Schon in den Pyramidentexten (PT 1093, 1127, 1168) finden wir zahlreiche Stellen, wo der Verstorbene wie ein Gott richtet. In CT IV 227 b-c durfte der Tote jubelnd ins Reich der Götter kommen, da er den Feind der Isis gerichtet und die beiden Genossen zufriedengestellt hat. 211 Möglicherweise ist es gerade im Sinne des Ratschlags in der Lehre für Merikare zu verstehen: „Mache dein Haus im Westen herrlich und statte deinen Platz in der Nekropole prächtig aus durch Rechtschaffensein und durch Ausüben der Maat“ (E127-128). Der Oasenmann in der Bauerngeschichte mahnt den als Richter handelnden Rnsj „Die Maat bleibt ewig. Sie steigt mit demjenigen, der sie tut, ins Totenreich hinab“ (B1 307-308). 212 jr wnn=k m sSm.w hrw sDm=k mdw sprw ... „wenn du ein Leitender bist, dann höre geduldig auf die Worte des Bittstellers...“, Ptahhotep 264-265. 213 In der Geschichte des Bauern wird der als Richter auftretende Oberdomänenvorsteher zweimal mit sSm.w bezeichnet: sSm.w n jwtt ntt „ein Leitender der Habenden und der Nichtshabenden“, B1, 85; sSm.w Sw m own-jb „ein Leitender, der frei von Habgier ist“, B1, 96-97. <?page no="50"?> 3. Der Beamte als Richter 51 51 können wir dennoch aus dem Tenor der folgenden Texte behaupten, daß die Lehre an einen viel weiteren Kreis von jungen Menschen gerichtet wurde, die gerade Beamte geworden waren oder Beamte werden wollten 214 . Die leitende Person ( sSm.w ) ist daher einer, der eine Position in der Verwaltung innehat. Das Oberhaupt einer Ortschaft ist daher der natürliche Oberrichter des Ortes. Dies wird auch in der Geschichte des Bauern widergespiegelt. Als der Oasenmann von Nmtj-nXt beraubt wurde, versuchte er sofort festzustellen, in wessen Machtbereich sich der Ort befindet, in dem er beraubt wurde 215 . Die direkt folgende Frage des Oasenmannes „Soll ich denn in seinem Gebiet beraubt werden? “ 216 deutet auf die feste Überzeugung des Oasenmannes, daß Rnsj als der Verwalter der Gegend auch gegen die Verbrecher vorgehen wird. Man kann die Wut und Verzweiflung des Oasenmannes leicht verstehen, da er eigentlich von Rnsj nur Pflichterfüllung verlangte und dennoch enttäuscht sein müsste 217 . Als Rnsj kein Urteil fällt, gebraucht der Oasenmann einige aufeinander folgende Vergleiche, um die Pflichtvergessenheit des Rnsj zu beschreiben. Nach der Meinung des Oasenmannes ist Rnsj wie „eine Stadt ohne ihren Herrscher, eine Körperschaft ohne ihr Oberhaupt, ein Schiff ohne Kapitän, eine Truppe ohne Anführer“ 218 . Hier sehen wir wieder sehr deutlich, 214 Weiter unten sagt Ptahhotep, daß auch der Sohn eines Beamten verpflichtet ist, die Menge zufrieden zu stellen (jr jr=k s# s n qnb.t wpw.tj n hrr.t oS#.t ... wenn du ein Sohn dessen bist, der ein Mitglied der Beamtenversammlung ist, ein Beauftragter, der die Menge zufrieden stellen soll-…). Ptahhotep 415-417. Das Wort hrw wird nur in den intransitiven oder adjektiven Anwendungen (zufrieden sein, ruhig sein, geduldig, erfreulich usw.) belegt. Vgl. Wb II, 496f. In dem vorliegenden Zusammenhang halte ich es zu dem Kontext besser passend, das Wort transitiv aufzufassen. 215 Als Ermutigung zu sich selbst und gleichzeitig Warnung an Nmtj-nXt sagt er: jw=j grt rX.kwj nb n sp.t tn nj s(j) jmj-r# pr wr ntf grt Xsf ow# nb m t# pn r Dr=f „Ich kenne den Herrn dieses Bezirks. Dieser Bezirk steht unter der der Aufsicht des Oberdomänenvorstehers. Er ist nämlich derjenige, der jeden Räuber im ganzen Lande bestraft.“ B1 46-49. Die Meinung Vogelsangs (Kommentar zu den Klagen des Bauern, 62), daß der Oasenmann „sich statt an Nmtj-nXt , seinen zuständigen Herrn, an einen fremden Herrn gewandt habe“ und daher die Repressalien des Nmtj-nXt verursacht, ist nicht vertretbar. 216 B1, 49. In den Berichten des Wenamun treffen wir die gleiche Forderung von Wenamun, die nach der ägyptischen Gewohnheit sehr angemessen scheint. Nachdem er im Hafen von Dor von einem seinen eigenen Seeleute beraubt wird, geht Wenamun direkt zu Beder mit der Forderung, den Dieb zu fassen, denn Beder ist der Fürst von Dor. Aber Beder betrachtet die Sache unter einem völlig anderen Aspekt. Wenamun ist nämlich von einem seiner eigenen Leute beraubt worden. Daher sagt er kurz und deutlich: „Gehört der Dieb zu meinem Lande, der zu deinem Schiff gekommen wäre und dein Silber gestohlen hätte, dann würde ich es dir aus meinem eigenem Schatz ersetzen, bis man deinen Dieb namentlich gefunden hat“ pMoskau 120, 1, 17ff. 217 Der erste Treffpunkt des Oasenmannes mit Rensi ist auch auffallend. „Er traf ihn an, als er aus der Tür seines Hauses herausging“ (B1, 65-66). Für den Oasenmann sind die Amtszeit und Ort der Amtsübung des Rnsj nicht relevant. Dieser soll ständig bereit sein, Probleme aus seinem Machtbereich zu lösen. 218 B1, 220-223. Direkt anschließend (B1, 223-224) nennt der Oasenmann noch einige Beispiele, in denen die mit der Rechtsprechung Beauftragten gerade das Gegenteil dessen tun, was von den- Normen gefordert wird: „Du bist ein Polizist, der stiehlt, ein Gutsvorsteher, der bestechlich ist, ein Bezirksvorsteher, der die Räuberei abwehren sollte aber ein Anführer der Räuber ist“. Hier ist es wieder eindeutig, daß sich jeder Leitende eines Ortes oder eines Bereiches der Verwaltung mit der <?page no="51"?> 52 Kapitel I - Der Richter als Beauftragter des Königs 52 daß Herrschaft und Rechtsprechung eng verbunden sind. Empört fragt der Oasenmann den richtenden Rnsj , ob dieser wüßte, wozu er in sein Amt eingesetzt wurde 219 . Rnsj wird von dem Oasenmann beschuldigt, als Ortsoberhaupt seine richterliche Funktion nicht dem Sinn gemäß auszuüben. In den Admonitions wird dagegen das Fehlen eines „Mannes von Gestern“ ( s n sf ) beklagt. Da der „Mann von Gestern“ nicht mehr da ist, wird der Bogen zum Schießen bereitgestellt und ist das Unrecht überall 220 . Diese zwei Textstellen behandeln die gleiche Problematik: die für die Verwaltung des Landes eingesetzten Beamten müssen die richterlichen Tätigkeiten als integralen Bestandteil ihrer Aufgaben übernehmen. Quirke kommt bei seiner Untersuchung der Verwaltung anhand nicht-literarischer Texte zu dem Schluß, daß der pharaonische Staat nur im Bereich der Rekrutierung der Arbeiterkraft stark mitwirkt 221 . Man wird sich vielleicht vorzustellen haben, daß die Jurisdiktion weitgehend den Behörden in der lokalen Ebene zur Selbstregulierung überlassen wird und der König nur dann interveniert, wenn sein eigenes Interesse direkt betroffen ist. In ökonomischer Hinsicht haben die Städte bei der Landwirtschaft, Arbeitsorganisation, Steuereintreibung und Versorgung eine bedeutende Rolle gespielt 222 . Damit werden auch die Angelegenheiten der Rechtsprechung lokal geregelt 223 . Aus den Kahunpapyri kann man ein ähnliches Verhältnis für die 18. Dynastie konstatieren. Den vier von Gardiner publizierten Papyri kann man entnehmen 224 , daß das mit pr-Wsjr bezeichnete Gebäude, sehr wahrscheinlich ein Tempel, zur Regelung des rechtlichen Geschäfts dient 225 . Darin wird vor den mit qbn.tjw sDmjw bezeichneten Personen ein Vertrag abgeschlossen und anschließend ein Eid abgelegt 226 . Darüber hinaus werden Rechtsprechung beschäftigen soll. Vgl. dazu die zeitlich zwar viel spätere, aber sehr interessante Formulierung aus der Lehre des Anchscheschonqi 8, 17: „Der Reichtum einer Stadt ist der Herr, der Recht spricht.“ Lichtheim, Late Egyptian Wisdom Literature, 73. 219 rdj.n.tw=k r sDm md.t r wDo sn.wj r Xsf ow#-jrr=f „Du wurdest eingesetzt, um die Angelegenheit zu hören, um die zwei Parteien zu richten und um den Räuber zu bestrafen.“ Bauer B1, 265-266. Wie Assmann (1996c, 63-64) feststellt, handelt es sich bei der Nichthandlung des Rnsj um „eine Krise obrigkeitlicher Rechtspflege“. In den Admonitions wird der Gott für die Krise im Land verantwortlich gemacht, denn seine Nichthandlung hat die Krise zur Folge. „Es muß daher in letzter Konsequenz als von ihm selbst verursacht und befohlen gelten. Die Passivität Gottes war zur Aktivität im Bösen und damit zur Schuld Gottes geworden.“ Barta, in: SAK 1, 23-24. 220 Admonitions, 2, 2. 221 Quirke, Administration, 173. Quirke weist dabei besonders auf die Strecke zwischen der zentralen Regierung und den verschiedenen Orten und das Verkehrsmittel hin. 222 Vgl. auch Eyre, in: Fs Shore, 109f. Sogar im Neuen Reich bleibt die Organisation der Bewässerungsarbeit die Angelegenheit der lokalen Behörden, Endesfelder, in: ZÄS 106, 37-51. 223 Über die Machtexpansion der Gaubeamten am Ende des Alten Reiches, die oft als die Ursache des Zusammenbruchs des Alten Reiches betrachtet wird, schreibt Eyre (a.a.O., 109-110): „The apparent growth of wealth and importance of provincial office in the later 5th and 6th Dynasties does not seem to be simply a growing independence of formerly suppressed provincial power-structures, but a growing penetration of the state, and political expansion through the development of the bureaucracy itself.“ 224 Gardiner, in: ZÄS 43, 27-47. 225 Die meisten Personen, die als Richter handeln, tragen den Titel Hm-nTr oder wob . 226 pBerlin 9784, Gardiner, a.a.O., 30; pGurob II, 1, Gardiner, a.a.O., 35; pGurob II, 2, Gardiner, a.a.O., 37. <?page no="52"?> 3. Der Beamte als Richter 53 53 im pr-Wsjr auch ernsthafte Rechtsfälle behandelt, wobei die Richtenden das Urteil wie folgt treffen: Dd[t.n qnb.tjw] sDm.jw m#o Msj oD# O#.t „[das, was das Beamtenkollegium], das zur Anhörung zusammengetroffen ist, gesagt hat: Im Recht ist Msj und im Unrecht ist O#.t .“ 227 Wir sehen, wie die angesehenen Persönlichkeiten des Dorfes, hier die Propheten und die Wab-Priester neben ihren Tätigkeiten im Tempel auch die richterlichen Aufgaben übernehmen 228 . Diese Praxis erinnert uns stark an das Verhältnis in Deir el-Medina, aus dem viele Protokolle der Gerichtsverhandlungen der 19. und 20. Dynastie stammen 229 . Im pDeM 126 werden dem Vorarbeiter und einem Arbeiter vorgeworfen, daß sie sich gegenüber einem Todesfall gleichgültig gezeigt und ihn nicht rechtzeitig untersucht haben. Wir können daraus entnehmen, daß ein Beamter für die rechtlichen Angelegenheiten einer Ortschaft zuständig ist, auch wenn keine Anklage vorliegt. Seine richterliche Funktion liegt nicht spezifisch in der Rechtspflege. Er soll aktiv vorgehen, um Frieden und Sicherheit in seiner Umgebung zu schaffen. Wir haben Belege, daß es strafbar ist, wenn ein Beamter auf eine Anklage nicht schnell reagiert 230 . Dann können wir auch annehmen, daß es strafbar oder mindestens verwerflich ist, wenn ein zuständiger Beamter bei einem justiziablen Ereignis indifferent bleibt. Darum ist es nicht erstaunlich, daß ein einfacher Arbeiter eine Straftat direkt dem Wesir berichtet 231 . Daß ein zuständiger Beamter in einem Ort oder einem Bereich selbstverständlich auch die richterlichen Aufgaben übernommen hat, kommt in den autobiographischen Inschriften häufig und deutlich zum Ausdruck. Wnj erzählt in seiner Autobiographie, daß er vom König mit der Leitung einer Expedition beauftragt wurde. Die Soldaten wurden aus allen Landesteilen rekrutiert. Für den Zeitraum der Expedition ist nun Wnj zuständig, die Rechtsfälle unter den Soldaten und die zwischen den Soldaten und den Bewohnen zu behandeln. Die richterlichen Handlungen werden typischerweise mit den folgenden Worten beschrieben: „…-damit keiner seinem Kameraden Unrecht antat, damit niemand ein Stück Brot oder ein Paar Sandalen vom Reisenden raubte, damit niemand aus einer Stadt Leinenstoff stahl und damit niemand von irgendwelchen Leuten eine Ziege wegnahm” 232 . c#bnj erwähnt in seiner Autobiographie, daß er auf einer militärischen Expedition seinen Soldaten verboten hat, von irgendeinem Menschen Sandalen oder Brot zu rauben 233 . In der Ersten Zwischenzeit betrachtete sich der jeweilige herrschende Gaufürst als rechtmäßiger Oberrichter seines Machtbereiches. Das bekannteste Beispiel ist onX.tj.fj , 227 pBerlin 9785, Gardiner, a.a.O., 39-40. 228 Die Praxis, daß die meisten Rechtsstreitigkeiten an der Stelle von den zuständigen Personen entschieden werden, kann man auch in pBerlin 3047 (Erman, in: ZÄS, 17, 1879, 71, pl. I) erkennen. In der Gerichtsverhandlung über eine Angelegenheit, in der es um Interessen des Tempels der Göttin Mut in Karnak zu gehen scheint, treten der Hoheprieter des Amun und andere Priester als der Vorsitzende und die Mitglieder auf. 229 Vgl. Allam, Hieratische Ostraka und Papyri aus der Ramessidenzeit. 230 Green, in: Orientalia, 45, 395; McDowell, Jurisdiction, 226. 231 Černý, in: JEA 15, Tf. XLVI; Helck, Verwaltung, 327-329. 232 Urk. I, 102, 12-16; Roccati, Littérature, 194. 233 Habachi, The Obelisks of Egypt, 40, fig. 16 und in: Sixteen Studies on Lower Nubia, Chapter II, fig. 5, pl. I. <?page no="53"?> 54 Kapitel I - Der Richter als Beauftragter des Königs 54 der angeblich nicht nur in seinem eigenen Gau, sondern auch in einem Nachbargau die Ordnung wieder hergestellt hat. Er konnte aufgrund seiner richterlichen Autorität, die durch seine administrative und militärische Macht massiv verstärkt wurde, nicht nur die Streitsüchtigen vertreiben, sondern auch Täter und Opfer zur Aussöhnung bewegen 234 . Im Mittleren Reich wird die Macht des Königshauses wieder hergestellt. Die lokalen Machthaber bleiben dennoch Herr der Rechtsprechung in ihrem Verwaltungsbereich. Dies gilt besonders in den zivilen Prozessen, in denen Interessen des Königshauses nicht unmittelbar betroffen sind. Aus den Inschriften aus El Bersha erfahren wir, daß die Rechtsprechung unter der Leitung des Bürgermeisters durchgeführt wurde 235 . Der Bürgermeister steht auf der lokalen Ebene an der Spitze der Jurisdiktion 236 . Die Personen, die in ihren autobiographischen Inschriften über ihre Tätigkeiten in dem Bereich der Rechtsprechung berichten, sind genau die Leute, die mit sr.w bezeichnet werden. Sie bewältigen neben ihren Verwaltungsaufgaben die juristischen Angelegenheiten. Der Gaufürst Ef#j-Oopj sagt, daß er in der Halle der Beamten ( sH n sr.w ) die heiklen Probleme effizient löst, sobald sie aufkommen 237 . Dies zeigt einerseits, daß sich die sr.w vor allem mit alltäglichen Problemen befassen, und andererseits, daß die Rechtsprechung ebenfalls in der Halle der Beamten stattfindet und von den gleichen Beamten durchgeführt wird 238 . Bei der Beschreibung seiner richterlichen Tätigkeiten bezeichnet sich Ef#j-Oopj deshalb als den „Herrn der Halle oder Herrn der Beamtenversammlung“ 239 . Aus der Autobiographie des Gaufürsten Jmnjj wird diese Zusammengehörigkeit der Verwaltung und der Rechtsprechung ebenfalls deutlich. Die Aussage rX sXr m sH n sr.w gmj Ts m g#w=f „einer, der die Handlungsweisen im Beamtenrat kennt und die richtige Entscheidung findet, wenn sie nottut“ 240 bezieht sich eindeutig sowohl auf den administrativen als auch juristischen Bereich. Die enge Beziehung von Verwaltung und Rechtsprechung wird auch von cn-n-Mw.t in seinen autobiographischen Inschriften deutlich gemacht, indem er seine bedeutenden Positionen und trefflichen Handlungen in beiden Bereichen zusammenfügt 241 . In seiner Autobiographie geht RX-mj-Ro sehr detailliert auf seine Berufung zum Wesir ein. Der König stellt die Aufgaben des Wesirs in zwei Teilen fest: Verwaltungstätigkeiten ( wp.wt ) und 234 Vandier, Mo c alla, Inscription Nr. 2. 235 Newberry, El Bersheh, I, pl. 14, 10-11. Der oD-mr ist auch an der Rechtsprechung beteiligt. Nach Helck (Verwaltung, 80) war er ursprünglich der Leiter des Stapelplatzes für die Steuerabgaben. 236 Vgl. Quirke, Administration, 167. 237 spd r# m sH n sr.w gmj Ts=f m g#w=f wHo sp qsn Xpr=f „(Ich war) redegewandt in der Halle der Beamten, der seinen Ausspruch (die Lösung, die Entscheidung) findet, wenn er notut.“ Urk. VII, 59, 11-13. 238 Direkt nach der Beschreibung seiner Verwaltungsaktivitäten folgt der Bericht über seine richterliche Handlung, der sehr auffallend ebenfalls mit spd r# anfängt. 239 nb sH , Urk. VII, 59, 18. 240 Urk. VII, 19, 19. 241 a.a.O., 410, 11-411, 4. <?page no="54"?> 3. Der Beamte als Richter 55 55 Rechtsprechung ( wDo mdw ) 242 . Man muß außerdem bedenken, wie die die richterliche Handlungen beschreibenden Ausdrücke wie wpj t#.wj 243 und wDo t#.wj 244 auf eine reine administrative Handlung schließen lassen 245 . Der hohe Offizier B#k-n-%nsw aus der 19. Dynastie bezeichnet sich als den Vater seiner Untergebenen. Dabei hebt er seine richterlichen Tätigkeiten hervor, z.B. zwischen dem Schwachen und dem Starken, zwischen dem Armen und dem Reichen zu richten, den Habgieren zu vertreiben, den Besitz des Vaters dessen Sohn zu geben und den Säugling einer Witwe zu schützen 246 . b. Der Lohn des Richters Zum Schluß müssen wir noch die Tatsache berücksichtigen, wie die Beamten aus ihrem eigenen Interesse die richterlichen Aufgaben übernehmen. Der Grund, daß die Beamten die richterliche Handlung als ihre Pflicht betrachten, liegt in ihrer Überzeugung, daß so etwas von den Mitmenschen gewünscht und die Erfüllung dieser Pflicht belohnt würde 247 . In der Lehre für Merikare (P41) wird die Erinnerung der unterstützten Person als Lohn für die handelnde Person betrachtet 248 : w#D pw sX#.w jwj jm=f „Glücklich ist, an den sich der Schifflose erinnert.“ Was die Autobiographien anbelangt, verbindet schon der Wesir K#-gmnj in dem Alten Reich die Ausübung der richterlichen Funktion mit Gunst beim König und Ehrung bei den Menschen 249 . Der Gaufürst Ef#j-Oopj unter Sesostris I. begründet seine Wahrnehmung der Aufgaben auf juristischem Gebiet ausdrücklich damit, daß er mit dem Lob von seiten der Götter und der Mitmenschen gerechnet habe 250 . Der Beamte kann seine Beliebtheit bei seinen Mitmenschen dadurch erzielen, daß er die Bittsteller nicht übergeht 251 , die Schwachen unterstützt und die zwei Parteien möglichst dergestalt richtet, daß beide zufriedengestellt 242 Gardiner, in: ZÄS 60, 66, e. 243 Urk. IV, 1412, 4. 244 a.a.O., 2156, 1. 245 Hier sollen wir die Vorstellung der Ägypter über das Jenseits heranziehen. „In den Schilderungen der Unterwelt wird die Leben ermöglichende Einwirkung göttlicher Herschergewalt gerne aufgeteilt in die Aspekte ‚Gericht’ und ‚Speisenversorgung’. ... es wäre schwer zu verstehen, wenn es nicht in der Lebenswirklichkeit Ägyptens, in der Konzeption des Königsamtes seine Entsprechung hätte. Die unmittelbar, so unmittelbar wie Nahrung, lebenspendende Funktion der Rechtsprechung wird daraus sehr deutlich.“ Assmann, Liturgische Lieder, 145-146. 246 Vgl. Frood, Biographical Texts from Ramessid Egypt, 45. 247 Im negativen Sinne darf man die Stelle in der Lehre des Ptahhotep (P 415-421) einbeziehen, in der der Vater den Sohn mahnt, nicht parteiisch zu handeln, denn der ungerecht behandelte Prozeßgegner könnte das Urteil anfechten, indem der Prozeß sich gegen den Richtenden selbst wenden würde. 248 Wie im Kapitel VIII argumentiert wird, hat die Unterstützung des Schifflosen meistens eine juristische Konnotation. 249 Edel, in: MIO I, Tf. II, B, 5-7. Vgl. Urk. I, 198, 13ff; Hatnub, Gr. 12. 250 jr.n(=j) mrr.t rmT Hss.t nTr.w jw wpj.n=j sn.wj r Htp=sn „Ich habe getan, was die Menschen liebten und was die Götter lobten. Ich habe die zwei Parteien zur ihrer Zufriedenheit gerichtet.“ Siut I, 266. 251 Hatnub Gr. 12, 6-9. <?page no="55"?> 56 Kapitel I - Der Richter als Beauftragter des Königs 56 werden 252 . Ein Mann von Würde soll für das Wohlergehen seiner Heimat sorgen. Seine Handlungen in seiner Stadt, nämlich Streitigkeiten zur Zufriedenheit aller Seiten zu lösen, wurden von den Mitmenschen mit Liebe und Respekt belohnt 253 . Der Wesir Wsr aus der 18. Dynastie ließ seinen Untergebenen Jmn-m-H#.t auf dessen Grabwand berichten, daß er zu Lebzeiten das getan habe, was die jrj-po.t und rXjj.t lieben, indem er den Schwachen schützt und die Witwe unterstützt 254 . Jmn-Htp Sohn des Opw richtet seine Forderung direkt an die Nachlebenden: „Tut mir, was euch getan wurde, denn ich war ein Erbe, der seine Stadt gründete und ihr Übel vertrieb an jeder Stelle.“ 255 Wir sehen, daß die richterliche Funktion keinesfalls eine lästige Pflicht ist 256 . Die Ausübung dieser Funktion erfolgt aus dem festen Glauben an die Wechselbeziehung zwischen beiden Seiten. Dies erklärt zum Teil, warum die ägyptischen Beamten in ihren Autobiographien selten Wert auf eine einzelne Gerichtsverhandlung legen, da die Teilnahme an der Rechtsprechung eine Selbstverständlichkeit ist 257 . Dies erklärt auch, warum wir keine spezifisch richterlichen Titel finden. Vielmehr treffen wir umschreibende Bezeichnungen wie wDo mdw „eine Angelegenheit entscheiden“; sDm m mob#jj.t „im Kollegium der Dreißig hören“ 258 , Hrj-tp n wDo mdw „das Oberhaupt der Rechtsprechung“ 259 oder Epitheta wie wDo rjt m t# mj qd=f „im ganzen Lande in letzter Instanz richten“ 260 , sHD qnb.t H#.t hw.t wrt 6 wDo jrj-po.t rXjj.t „Aufseher der Beamtenversammlung, Leiter der 6 Großen Häuser, der die Menschen und die Untertanen richtet“ 261 , wDo rjjt m t# mHw „einer, der in Unterägypten in letzter Instanz richtet“ 262 . Es scheint ratsam, daß wir uns bei der Behandlung der Frage, wer im alten Ägypten die Richter waren, nicht zu sehr auf die Titel beschränken 263 . 252 Hatnub Gr. 14, 9-11. 253 jnk nb qd nfr m njw.t=f w#H md.wt nb mr.t , „Ich hatte einen trefflichen Charakter in seiner Stadt. (Ich war einer), der die Angelegenheiten behandelte, ein Herr der Geliebtheit.“ Stele im Museum of Natural History Nr. 31664; Allen, Egyptian Stelae in Field Museum of Natural History, 18. 254 Urk. IV, 1045, 9ff. 255 Urk. IV, 1824, 10-12. 256 Wie weit diese Behauptungen der Realität entsprachen, ist schwer zu sagen und würde außerdem den Rahmen meiner Arbeit sprengen. 257 Dies kann man am Beispiel des Titels sS n tm# deutlich machen. Der Träger dieses Titels ist im Mittleren Reich für die Kataster zuständig und nimmt im Neuen Reich darüber hinaus an der Güterverteilung und den Gerichtsverhandllungen teil. Vgl. Helck, Verwaltung, 64. 258 Vgl. unter anderen, BM 572, HT II, pl. 22 (links) 10-11. 259 Urk. IV, 48, 15. 260 Urk. IV, 1465, 4. 261 Couyat-Montet, Hammamat, 80, 5. 262 Urk. IV, 1027, 12. In der Geschichte des Bauern (B1, 98-103) wird Rnsj , der als Richter fungieren sollte, mit sr , sDm.w , psS.w , rdj.w T#w , Xsf.w, dr.w s#jr bezeichnet, die wörtlich mit „Beamter, Hörender, Verteiler, der Atem Gebende, Strafender, das Unheil Vertreibender“ übersetzt werden können. In der griechisch-römischen Zeit wird der Richter mit nb m#o.t bezeichnet. Vgl. Otto, Gott und Mensch, 27. Für die Bezeichnung des Richters mit wpw s. Otto, a.a.O., 76. 263 Vgl. dazu auch Quirke, Administration, 69 mit Anm. 23. Eyre scheint auch gegen den Versuch zu sein, aus dem Titel ein einheitliches System auszulesen, in: Fs Shore, 109. <?page no="56"?> 57 Kapitel II Der Richter und das Gericht 1. Gerichtsverhandlungen als Methode der Konfliktlösungen Eines der wichtigsten Merkmale des alten ägyptischen Rechtslebens ist die Tatsache, daß die Ägypter alle möglichen Streitigkeiten durch eine gerichtliche Verhandlung zu lösen versuchten. Diese Idee, im Fall eines Konflikts sich nicht auf Selbsthilfe, sondern auf die als Richter fungierenden Personen zu stützen, war im alten Ägypten sowohl eine Tradition als auch eine lebendige Aktualität. Der Sonnengott überwindet seinen Feind bezeichenderweise durch eine Gerichtsverhandlung 264 . Der mythische Streit zwischen Horus und Seth um das Erbe des Osiris wird ebenfalls im Gericht behandelt 265 . In der Geschichte des Lebensmüden geht es um einen Streit zwischen einem am Leben verzweifelten Mann und seinem Ba. Während jener den Selbstmord vor dem unerträglichen Leben bevorzugt, plädiert dieser für das Leben im Diesseits. Dieser Streit von einer ungewöhnlichen Dimension wird als vor dem Göttergericht vorgetragen dargestellt 266 , in dem die zwei Protagonisten ihre Argumente präsentieren 267 . Darüber hinaus wird sogar eine Zwietracht zwischen einem Lebenden und einem Verstorbenen so vorgestellt, daß sie durch das Jenseitsgericht entschieden werden soll, das sowohl über Diesseits als auch Jenseits Macht ausübt 268 . Die Tradition, Recht mittels des Gerichts zu bekommen, hat sicher dazu beigetragen, daß sich die Ägypter nicht gescheut haben, zum Gericht zu gehen. Im Gegenteil haben sie alles daran gesetzt, ihr Interesse im Gericht zu verteidigen und das ihnen gebührende Recht zu erhalten 269 . In der Bauerngeschichte sehen wir den Prototyp des Ägypters, der um jeden Preis und sogar auf Kosten seines Lebens für sein Recht zu kämpfen bereit ist 270 . 264 Assmann (1990a), 181. 265 Gardiner, LES, 40, 13. Vgl. dazu auch Assmann, a.a.O., 81und Brunner, in: Saeculum 34, 227. 266 Die am meisten mit Rechtsprechung verbundenen Götter Thot, Khons und Re werden von dem Lebensmüden angefleht, dessen schreckenserregender Not Rechnung zu tragen, indem sie seine Lasten beseitigen. 267 Barta, Das Gespräch eines Mannes mit seinem Ba, MÄS 18. Goedicke, The Report about the Dispute of a Man with his Ba. Neuste Übersetzung bei Parkinson, The Tale of Sinuhe, 151-165. 268 In pLeiden 371 handelt es sich um ein Schreiben eines Witwers an seine verstorbene Frau. Dieses Schreiben ist gleichzeitig eine Anklageschrift des Mannes, der sich von der Frau verfolgt fühlt, an das Göttergericht, damit es zwischen ihm und ihr richtet. Möller, Hier. Lesestücke III, Nr. 9, Tf. 13; vgl. Spiegelberg, in: ZÄS 55, 94-95. In dem Brief auf dem Gefäß im Louvre bittet eine Mutter ihren Sohn, für sie im Jenseitsgericht gegen einen anderen einzutreten. Piankoff, in: JEA 20, 157. 269 Diese Idee wird in den Lehren der Spätzeit besonders deutlich ausgedrückt. Vgl. Lichtheim, Egyptian Wisdom Literature, 80. 270 mk wj Hr spr n=k n sDm.n=k s.t jw=j s Sm.t spr Hr=k n Jnpw „Siehe, ich flehe dich an, aber du kannst nicht hören. Ich gehe nun zu Anubis und flehe ihn deinetwegen an.“ B2, 113-115. Diese Anspielung auf Selbstmord ist zwar an erster Stelle als eine Drohung gedacht, macht aber klar, daß <?page no="57"?> 58 Kapitel II - Der Richter und das Gericht 58 Der Oasenmann betrachtet es als eine Selbstverständlichkeit, daß er sich bei dem Raubüberfall an Rnsj wendet und glaubt, daß er seine geraubten Sachen zurückbekommen wird, sobald Rnsj Gericht hält. Die neun Klagen beruhen auf seiner festen Überzeugung, daß ein Beraubter einen Ort haben muß, wo er sein Recht verlangen kann 271 . Die Tatsache, daß Rnsj den Oasenmann so lange hinhält, rechtfertigt diesen, Rnsj anzuklagen 272 . Der Oasenmann wandelt die Amtshalle des Rnsj in einen Gerichtssaal um, in dem er als Kläger gegenüber Rnsj als dem Beklagten steht. Es ist sehr auffallend, daß der Oasenmann stets versucht, mit Hilfe des Rnsj und durch Gerichtsverhandlungen zu seinem Recht zu gelangen. Bis zum Schluß kommt er nicht auf die Idee, sich (wie etwa Kleists Michael Kohlhaas) mit einer Gewaltaktion an Nmtj-nXt oder Rnsj zu rächen. Das erinnert uns an die schon erwähnte und noch mehrfach zu erwähnende Aussage des onX.tj=fj , daß er einen Betroffenen dazu veranlaßt hat, den Mörder seines Vaters oder seines Bruders zu umarmen 273 . Die Wechselwirkung dieser zwei Motive, vor Gericht zu ziehen, um Recht zu suchen und Selbstjustiz zu verbieten, sieht man in den Lehren des Neuen Reiches. Der Schüler wird in der Lehre des Ani aufgefordert, in die Erbteilung gegen seinen Bruder einzutreten, damit sein Anteil nicht gefährdet wird 274 . Aber der Sohn bzw. der Schüler wird gleichzeitig davor gewarnt, sich im Fall eines Konflikts auf seine eigene Kraft zu stützen. In den Ermahnungen, den Angreifer nicht zu attackieren, ist ein Verbot der Selbstjustiz zu erkennen 275 , obwohl die strafende Gewalt dem Zeitgeist entsprechend auf die Götter verlagert wird 276 . Die in den Lehren und literarischen Texten vertretene Idee bzw. Aufforderung, Konflikte mittels gerichtlicher Verfahren zu lösen, läßt sich in den alltagsweltlichen Texten es für den ungerecht Behandelten noch das letzte Mittel vorhanden ist. 271 Der Oasenmann wirft Nmtj-nXt (B1, 59-60) vor: Hwj=k wj ow#=k Hnw=j nHm=k rf nXw.t m r#=j „Du schlägst mich und raubst meine Habe und nun nimmst du mir noch die Klage aus meinem Mund weg.“ Der Standpunkt des Oasenmannes ist sehr deutlich: Nmtj-nXt kann aufgrund seiner Macht und Kraft andere berauben, aber die Beraubten haben das Recht, ihn anzuklagen. Daher droht der Oasenmann schon an dieser Stelle mit Anspielung auf den Gott: nb sgr dj=k n=j Xw.t=j jX tm=j sbH n nrw=k „Herr des Schweigens, mögest du meine Sachen wiedergeben, damit ich nicht deine Schrecklichkeit aufrufe.“ B1, 60-61. 272 nn gr rdj.n=k mdw=f nn sDr rdj.n=k rs=f nn Xb#-Hr sspd.n=k nn tm r# wn.n=k nn Xm rdj.n=k rX=f nn wX# sb#.n=k „Der wird nicht schweigen, den du zum Reden veranlaßt hast. Der wird nicht schlafen, den du aufgeweckt hast. Der läßt sich nicht niederdrücken, den du geschärft hast. Der Mund wird nicht verschlossen bleiben, den du geöffnet hast. Der wird nicht unerfahren sein, den du wissend gemacht hast. Der wird nicht töricht sein, den du gelehrt hast.“ B1 316-318. 273 Vandier, Mo c alla, 163, I,b,1. 274 „Mögest du in eine Teilung gegen deinen Bruder eintreten, damit dein Anteil heil bleibt.“ Ani B 19, 7-8. 275 „Eile nicht, um den anzugreifen, der dich angegriffen hat.“ Ani B 21, 14; „Schrei nicht gegen den, der dich verletzt und ziehe ihn nicht zur Rechenschaft auf eigene Hand.“ Amenemope Kapitel 2: 4, 10-11. Nach Volten (in: Misc. Gregoriana, 379) wird die Selbstjustiz in den demotischen Lehren als die größte Sünde betrachtet. 276 Ani B 21, 14: „Überlaß ihn dem Gott. Melde ihn täglich dem Gott, morgen wie heute.“; Amenemope Kapitel 3: 5, 16-17: „Ziehe dich vor ihm zurück und laß ihn unbeachtet. Der Gott wird ihm zu antworten wissen.“ <?page no="58"?> 2. Der Ort der Gerichtsverhandlungen 59 59 aus dem Neuen Reich bestätigen 277 . In den Briefen aus der 18. Dynastie, die von JoH-ms geschrieben bzw. zu ihm geschickt werden, sieht man deutlich, wie die Personen, die in den Streit um eine Dienerin verwickelt sind oder sonstige Interessen damit verbinden, versuchen, die Angelegenheit vor Gericht zu erledigen 278 . Man scheut sich nicht, wenn wir dem Inhalt des Briefes Glauben schenken dürfen, gegen den Wesir um sein Recht zu kämpfen 279 . Die Bewohner in Deir el-Medina betrachten es als eine Selbstverständlichkeit, im Fall eines Konflikts vor die zuständigen Vorarbeiter oder die Schreiber zu gehen. Sie versuchen nie, so weit der Text uns informiert, auf eigene Faust ihr Recht durchzusetzen 280 . Außer den typischen Streitigkeiten, die aus dem Tauschbzw. Kauf- und Mietgeschäft entstanden sind, sind einige Fälle überliefert, in denen familiäre Konflikte durch Gerichtsverfahren gelöst werden. Man könnte von einer Bekanntmachung der privaten Angelegenheiten reden 281 . Der Ehemann, der seine Frau geschlagen hat, wird im Gericht angeklagt und anschließend verurteilt 282 . Eine Frau, die ihren Verwandten bei dessen Krankheit in Stich gelassen hat, wird ebenfalls angeklagt und wahrscheinlich durch materielle Benachteiligung bestraft 283 . Für eine Scheidung braucht der Ehemann nur mit seiner Frau zu den zuständigen Beamten eines Ortes zu gehen und der Ehe abzuschwören ( orq ). Dann darf er legal zu einer anderen Frau ziehen 284 . 2. Der Ort der Gerichtsverhandlungen Nach den obigen Ausführungen stellt sich die Frage, wo das Gericht war oder wo die Gerichtsverhandlungen stattgefunden haben. Bemerkenswert ist, daß es im alten Ägypten keinen definitiven Namen für das Gericht gab, während zahlreiche Bezeichnungen auf den Ort der Gerichtsverhandlungen hindeuten können. Es wird angenommen, daß das Ge- 277 Dies ist sicher nicht ausschließlich ein Phänomen des Neuen Reiches, wenn wir es für die frühere Zeit auch mangels Überlieferungen nicht beweisen können. Die leichte Gerichtsbarkeit vieler Angelegenheiten kann man in den Aussagen der Autobiographie des Alten Reiches sehen, in denen die Verstorbenen beteuern, daß sie den Arbeiter anständig bezahlt haben und niemand deswegen verärgert war (vgl. Urk. I, 23, 6-7) oder daß sie bei allen beliebt waren und nie im Leben von den Beamten bestraft worden wären (vgl. Urk. I, 75, 13-14). 278 pBM 10107 rt. und pLouvre 3230, Spiegelberg, in: ZÄS 55, 84-86; Peet, in: JEA 12, 70-74; Glanville, in: JEA 14, 294-312. 279 pAnastasi VI, 84-86. 280 Vgl. daz Allam, Verfahrensrecht, 23. 281 Dies wäre in der sogenannten Schamkultur schwer vorzustellen gewesen zu sein. Die Beteuerungen in den Autobiographien, daß die Verstorbenen zu Lebzeiten ihre Eltern nicht schlecht behandelt hatten (vgl. Urk. IV, 490, 11-12), haben daher nicht nur eine moralische, sondern auch eine rechtliche Implikation. 282 oNash 5, Černý/ Gardiner, Hier. Ostraca, pl. 53, 2. McDowell, Jurisdiction, 225. 283 oPetrie 18, Černý/ Gardiner, a.a.O., pl. 70, 1. Die angeklagte Frau wird auch als die Ehefrau des kranken Mannes interpretiert. Vgl. Allam, Hieratische Ostraka und Papyri aus der Ramessidenzeit, 235. 284 pBM 10416, vs. 8-11, Janssen, in: Fs Edwards, 134-137. <?page no="59"?> 60 Kapitel II - Der Richter und das Gericht 60 richt im Alten Reich mit Hw.t wr.t 6, im Mittleren Reich mit D#D#.t und im Neuen Reich und danach mit qnb.t bezeichnet wird 285 . Wenn wir diese Bezeichnungen genau betrachten, kommen wir zu dem Schluß, daß keiner der Termini ausschließlich zur Bezeichnung des Gerichts benutzt wird. Dies erklärt sich teils aus der Tatsache, daß es im alten Ägypten keine beruflichen Richter gibt. Wie im vorigen Kapitel erörtert wurde, übernehmen die Verwaltungsbeamten auch die richterlichen Aufgaben in ihrem Amts- oder Machtbereich. Daraus folgt die Tatsache, daß der Ort, in dem die Beamten ihre Verwaltungsaufgaben bewältigen, zur Gerichtssitzung dient. Anders ausgerückt, die Gerichtsverhandlungen finden da statt, wo die Öffentlichkeit eine Rolle spielen kann 286 . a. Hw.t wr.t Für das Alte Reich haben wir bislang angenommen, daß sich die Bezeichnung „6 große Häuser“ auf die Gerichtshöfe unter der Leitung des Wesirs bezieht. Aber diese Bezeichnung kennen wir nur aus den Titeln. Über die genaueren Umstände dieser Bezeichnung sowie die Beziehungen unter den 6 Gerichtshöfen sind wir kaum informiert 287 . Diese Bezeichnung kommt erstmals in der 5. Dynastie vor 288 . Die Gebäude, die dadurch bezeichnet werden, scheinen innerhalb des Palastes gewesen zu sein. Es ist deshalb wahrscheinlicher, daß sich dieser Terminus auf die Verwaltungsapparate bezieht, die unter der Aufsicht des Wesirs stehen 289 . 285 Vgl. Kees, Ägypten, 189; Helck, Beamtentitel, 73. Wie in meiner Arbeit ständig gezeigt wird, überschneiden sich viele Titel nicht nur inhaltlich sondern auch zeitlich. Eine klare Linie ist daher selten zu ziehen. Die von Seidl (Einführung, 33) bezüglich des ägyptischen Rechts gezogene geradlinige Folgerung: „Im Alten Reich ein Prozeßrecht, das von einer strengen Beweistheorie auszugehen scheint; im Neuen Reich ein Prozeßrecht, das Prinzip der Wahrheitserforschung in den Vordergrund stellt; in der Zeit der 19. und der folgenden Dynastie neben den eben aufgeführten weltlichen Prozeßrecht das Gottesurteilverfahren“ scheint daher genauso wenig überzeugend. Wie unten gezeigt wird, waren Beweismittel und Zeugenaussagen im Neuen Reich ebenso wichtig wie im Alten Reich. Auf der anderen Seite war das Orakel in allen Zeiten üblich. Vgl. dazu Baines, in: Shafer (Hg.), Religion in Ancient Egypt,149ff. 286 Allam, „Publizität und Schutz im Rechtsverkehr“, 32. 287 Otto schrieb (in: MDAIK 14, 157): „Die ‚6 großen Häuser‘ werden gemeinhin als eine Art zentraler Gerichtshöfe angesehen, an deren Realität während des Alten Reiches wohl nicht gezweifelt werden kann, da damals auf sie bezügliche Titel nachgewiesen werden können. Leider gibt es keinen einzigen Text, der etwas über ihre Funktion aussagte.“ Quirke (Administration, 69-70, n. 24) argumentiert: „The Hw.t wr.t 6 may denote the administrative aspect of the Residence, ... Note that even in the early OK Hw.t need not be confined to a single building or enclosere, but may embrace its estate or domain.“ 288 Vgl. Sethe, in: ZÄS 28, 48. 289 Damit kann man vielleicht die Belege erklären, in denen ein Beamter, der kein Wesir ist, den Titel jmj-r# Hw.t wr.t trägt. Zum Beispiel in Urk. I, 201, 16. Berechtigt scheint auch die Annahme, daß die „6 großen Häuser“ eine ältere Bezeichnung der späteren „Halle des Wesirs“ sein könnte. Vgl. Strudwick, Administration, 194; Martin-Pardey, in: Bi Or 46, 542. Die Frage ist, ob das Wesirbüro schon im Alten Reich auf 6 verschiedene Häuser geteilt waren. Aus den späteren Überlieferungen haben wir auch keinen eindeutigen Hinweis, daß das Wesirbüro aus 6 Häuser besteht. <?page no="60"?> 2. Der Ort der Gerichtsverhandlungen 61 61 Darin konnten der Wesir und andere Beamten sowohl administrative als auch juristische Aufgaben wahrgenommen haben 290 . Die zwei Belege für die “6 großen Häuser” außerhalb der Titulaturen 291 scheinen beide diese These zu bestätigen. In seiner Autobiographie berichtet Wnj , daß er im Namen des Königs für den Harem und die 6 großen Häuser gehandelt hat, nachdem er mit dem Titel eines s#b r# nXn ausgezeichnet wurde 292 . Aber dies beweist überhaupt nicht, daß die „6 großen Häuser“ eine rein juristische Institution waren 293 . Hier betont Wnj , daß er in der Kompetenz eines s#b r# nXn wie ein Sondergesandter zwischen dem König und dem Harem bzw. den Verwaltungsbehörden handelt. An einer Stelle in seiner Autobiographie sagt K#-gm.n=j , der als Wesir den Königen der 5. und 6. Dynastie gedient hat, daß ihm der König Teti in den 6 Großen Häusern alles das befohlen hat, was der König wünschte 294 . Die von K#-gm.n=j mit „alle Angelegenheiten“ ( X.wt nb.t ) bezeichneten Aufgaben enthalten richterliche Tätigkeiten, aber gehen weiter darüber hinaus, da K#-gm.n=j als der höchste Beamte im Land für die Aufsicht aller Bereiche zuständig war 295 . Von den ausschließlich richterlichen Aufgaben kann hier nicht die Rede sein, und die Interpretation der 6 Großen Häuser als 6 Gerichtshöfe ist dementsprechend ausgeschlossen. Wenn wir akzeptieren, daß die Hw.t wr.t 6 Verwaltungskomplexe darstellen, deren Oberhaupt der Wesir ist, dann ist es erklärlich, daß die einzelne Hw.t eine Verwaltungseinheit in der Residenz oder in den Provinzen bedeuten kann. In den königlichen Dekreten wird oft angeordnet, daß der Frevel gegen die königlichen Bestimmungen zu einer Hw.t wr.t gebracht werden soll 296 . Daher kann man Hw.t wr.t nur als den Ort interpretieren, in dem die Beamten alle möglichen ihrer Aufgaben durchführen. Goedicke hat in seiner Behandlung der königlichen Dekrete versucht, zu zeigen, daß die Bezeichnung Hw.t wr.t 297 dem sXw-Or 298 ent- 290 Strudwick (Administration, 182) konstatiert, daß der Titel eines Schreibers oft mit einer juristischer Funktion verbunden sei. Dies beweist indirekt, daß die Schreiber, die hauptsächlich mit administrativen Aufgaben beschäftigt waren, sich auch nebenbei mit rechtlichen Angelegenheiten befassen mussten. 291 Martin-Pardey, a.a.O., 542f. 292 Urk. I, 99, 3-6. 293 Quirke (Administration, 70 mit Anm. 24) vermutet ebenfalls, daß Hw.t wr.t 6 auf den administrativen Aspekt der Residenz deutet. 294 Edel, in: MIO 1, 212-213, Tf. 2, Z. 4-6. 295 Die Inschrift des Wesirs Jmn-m-H#.t aus der 11. Dynastie. (Couyat-Montet, Inscr. du Ouâdi Hammâmât, S. 79-80) ist für unsere Betrachtung sehr aufschlußreich. Als Wesir war Jmn-m-H#.t für die Verwaltung und Rechtsprechung zuständig. Auffallend ist die Tatsache, daß er qnb.t und [pr.w] wrw 6 nebeneinander stellt. Wie unten noch argumentiert wird, ist qnb.t eine Beamtenversammlung, die sich keinesfalls nur mit gerichtlichen Angelegenheiten beschäftigte. Möglicherweise kann man in [pr.w] wrw 6 den Vorgänger von qnb.t sehen. Hier handelt es sich noch um Spuren von des Übergangs, während die Bezeichnung in der folgenden Zeiten zum reinen Epitheton wurde. 296 Urk. I, 171, 15; 172, 4; 172, 7; zur Lesung s. Fischer, in: MDAIK 16, 135, Anm. 2. 297 Urk. I, 171, 15; 172, 4 und 7. 298 Urk. I, 283, 13; 287, 16; 292, 5. <?page no="61"?> 62 Kapitel II - Der Richter und das Gericht 62 spricht 299 . Er versteht unter beiden Begriffen die Bezeichnung für den Gerichtshof. In dem Dekret des Neferirkare, in dem Hw.t wr.t mehrmals erwähnt wird, und in dem Dekret des Pepi II., in dem sXw-Or vorkommt, geht es um den Schutz der Interessen der Tempel. Im ersten werden die Schutzmaßnahmen für den Tempel in Abydos getroffen, während im zweiten ähnliche Maßnahmen für den Tempel in Koptos festgelegt werden. Der Empfänger des ersten Dekrets ist der Vorsteher der Priester in Abydos, während in dem zweiten als Empfänger mehrere Personen genannt werden. Die Empfänger der Dekrete in Abydos und Koptos sind demnach die zuständigen Beamten an dem jeweiligen Ort, die für die Durchführung der Verordnungen des Königs sorgen sollen. Im Fall, daß irgendein Beamter die Regel verletzen würde, sollen sie die Übeltäter, im ersten Dekret in Hw.t wr.t und im zweiten in sXw-Or , entsprechend bestrafen. Es ist daher evident, daß sowohl Hw.t wr.t als auch sXw-Or sich auf den Ort beziehen, in dem die Empfänger der Dekrete ihre alltäglichen Geschäfte führen 300 . Aus diesem Grund muß man Fischer zustimmen, der in der Bezeichnung sXw Or oder in der einfachen Form sXw die Verwaltungsbehörde sieht, die für Corvée und Steuer zuständig war 301 . Ein anderer Punkt, der einige zusätzliche Worte nötig macht, ist die Tatsache, daß das Wort sXw-Or auf den Bereich des Tempels hindeutet 302 . Dies entspricht dem Inhalt des königlichen Dekrets und der Funktion der Empfänger 303 . Der Tempelhof oder der Tempeleingang bieten, worauf unten noch näher eingegangen wird, eine ideale Stelle für eine Gerichtsverhandlung. Die am Eingang aufgestellte Stele mit dem königlichen Dekret stellt sich wie ein Strafgesetzbuch dar, das jeder lesen oder mindestens sehen kann. Von den Belegen aus dem Mittleren Reich kann man noch die Spuren sehen, wie die „6 großen Häuser“ auf die Verwaltungsinstitutionen hindeuten. Dabei wird wohl oft die umfassende Amtsgewalt des Sprechers betont. cbk-Dd.w zählt auf seiner Stele die wichtigsten Amts- und Rangtitel auf. Auf der linken Seite nannte er unter anderen Xrp rX njsw.t jmj-r# Snw.t , „der Aufseher, der Bekannte des Königs, der Vorsteher der Scheune“. Auf der rechten Seite gibt er die Titel jmj-r# Hw.t wr(.t) 6 m JTj-t#.wj jmj-r# Snw.t , „der 299 Goedicke, Königl. Dokumente, 32, (25). 300 Wb IV, 229, 5 erklärt sXw Or als eine „Stätte, in die ein königlicher Befehl aufgenommen wird“. 301 Fischer, in: Orientalia 30,175. Daher ist das Gegenargument Goedickes (Königl. Dokumente, 110) zu widerlegen. In seiner Zusammenfassung des Dekrets schreibt Goedicke (S. 111): „Die Adresse des Ediktes nennt die Namen von nur zwei Beamten, nämlich des Veziers und des Vorstehers von Oberägypten. Diese Auswahl unterstreicht die Schlüsselstellung der beiden Ämter im Rahmen der Verwaltung.“ 302 Im Abydosdekret des Neferirkare wird Hw.t wr.t als Gerichtsort (Urk. I, 172, 7; Goedicke, Königl. Dokumente, 24) und in den Koptosdekreten des Pepi II. wird sXw Or (Urk. I, 283, 13; 287, 16; 292, 5) als Gerichtsort angegeben. 303 Vgl. pBerlin 8869, 10, Z. 10, wsX.t nt Or . Aus dem Dekret des Königs Apries kann man dasselbe nachweisen, wenn man auch zugeben muß, daß das Dekret starke archaisierende Tendenz zeigt. Der Dekret wurde an den Inspekteur der Priester ( sHD Hm.w-nTr ) gerichtet, der den Übeltäter im Hw.t wr.t [bestrafen] soll. Vgl. Gunn, in: ASAE 27, 211-237. Die Behauptung von Gunn auf Seite 229 mit Hinweis auf Erman-Ranke, Ägypten, 155-156, daß das Wort Hw.t wr.t Gerichtshof bedeutet, ist nicht stichhaftig. <?page no="62"?> 2. Der Ort der Gerichtsverhandlungen 63 63 Vorsteher der 6 Großen Häuser in der Residenz, der Vorsteher der Scheune“ an 304 . Wie oben schon erwähnt, werden die „6 großen Häuser“ als Gerichtshöfe nur für das Alte Reich angenommen 305 . Die Frage, ob diese Beschreibung der Realität entspricht, lassen wir daher vorerst außer Betracht. Wichtig für unsere Betrachtung hier ist die Tatsache, daß man aus diesem Beleg den Kontext des Terminus „6 große Häuser“ im Alten Reich ablesen kann. Erstens, die „6 großen Häuser“ befinden sich in der Hauptstadt. Zweitens, der Sprecher hat mit dieser Bezeichnung die verschiedenen Behörden im Palast im Auge. Es ist sehr unwahrscheinlich, daß mit den „6 großen Häuser“ die Gerichtshöfe gemeint werden. Die Nebeneinanderstellung von „Vorsteher der 6 großen Häuser“ mit „Aufseher der königlichen Bekannten“ und „Vorsteher der Höflinge“ unterstützt diese Vermutung. Die Entwertung des Titels „Vorsteher der 6 großen Häuser“ ist deutlich, denn cbk-Dd.w trägt hier keinen Wesirtitel, während im Alten Reich die Wesire diesen Titel in Anspruch nahmen. Aber die Behauptung Ottos, daß die Bezeichnung „6 große Häuser“ „nur noch in richterlichen Ehrentiteln“ gebraucht wurde 306 , lässt sich nicht bestätigen. Diese Annahme widerspricht auch den Belegen, in denen ein Wesir die Bezeichnung „6 große Häuser“ benutzt, um seinen umfangreichen Amtsbereich als der oberste Verwalter im Land zum Ausdruck zu bringen 307 . Im Grabe des RX-mj-Ro findet sich eine Szene, die eine Gerichtsverhandlung beim Wesir darstellt. Vor RX-mj-Ro stehen 40 Beamte in vier Gruppen, während zwei niedrige Offiziere zwei Streitende mit der rechten Hand anschleppen und in der linken Hand einen Stock halten 308 . Hier wird das Gericht in einer Art Zeremonie dargestellt. Die Bezeichnung des Ortes für die Gerichtsverhandlung soll man in den relevanten Texten der Zeit suchen. In der Einsetzung des Wesirs stellt der König ganz am Anfang fest, daß alles, was der Wesir „im Büro des Wesirs ( X# n T#tj )“ tut, für das Land entscheidende Bedeutung hat 309 . Als spezielle Aufgabe des Wesirs als der höchste Richter im Lande betont der König 304 HT IV, pl. 36. 305 Otto, in: MDAIK 14, 157f. 306 a.a.O. 307 Der Wesir Jmn-m-H#.t zählt auf einem Graffito u.a. die folgenden Epitheta und Titel auf: wr m j#.t=f o# m soH=f [Xnt s.t m] pr nb=f sHD qnb.t H#.t [pr.w] wr.w 6 wDo po.t rXjj.t sDm mdw Hnmmt „bedeutend in seinem Amt, groß in seiner Würde, der am vorderen Platz ist im Hause seines Herrn, Aufseher der qnb.t , Leiter der 6 Großen Häuser, der die Oberschicht und die Untertanen richtet und die Angelegenheiten des Sonnenvolks hört“. Couyat-Montet, Inscr. du Ouâdi Hammâmât, Tf. XXIX Z. 4-5. Der Wesir bezeichnet sich als denjenigen, der über alle Beamten und Verwaltungszweige die Aufsicht hat. Die folgenden Angaben über die rechlichen Handlungen soll man nicht als Beweis für die Annahme interpretieren, daß die „6 großen Häuser“ oder die qnb.t Gerichtshof bedeutet. Wie im vorigen Kapitel bei der Betrachtung der Richter erwähnt, übernehmen die in die Administration einbezogenen Beamten die richterlichen Funktionen. Dies entspricht der altägyptischen Vorstellung, daß Verwaltung, Versorgung und Jurisdiktion untrennbar waren. Wir sollen hier auch die Personen beachten, die der Richter behandeln soll. Sie sind hier die po.t- Menschen, die rXjj.t- Menschen und die Hnmm.t- Menschen, die zusammen auf die Inklusivität aller Menschen hindeuten. 308 Davies, Rekh-mi-Rē c , pl. 25. 309 [m##] n=k r p# X# n T#tj rs tp Hr jr.[wt nbt] [j]m=f mk smn pw n t# r-Dr=f „Blicke zu dieser Halle des Wesirs. Sei wachsam über alles, das darin getan wird. Siehe, das in Ordnunghalten des ganzen <?page no="63"?> 64 Kapitel II - Der Richter und das Gericht 64 ausdrücklich, daß der Wesir in demselben Büro, d.h. in dem Gebäude ( wsX.t ), in dem der Wesir seine verschiedenen Tätigkeiten durchführt, richterliche Entscheidungen treffen soll 310 . Die „Dienstordnung des Wesirs“ wird einfach mit tp-rd n Hms.t n jmj-r# njw.t T#tj n njw.t rsj n xnw m X# n T#tj „Dienstordnung des Vorstehers der Stadt und Wesirs der Südstadt und der Residenz in der Halle des Wesirs“ bezeichnet 311 . Der darauf folgende Satz ist ebenfalls aufschlußreich: jr jr.t nb.t p# sr T#tj Hr sDm m X# n T#tj „Was alles anbelangt, das der Beamte - der Wesir - tut, indem er in der Halle des Wesirs hört“ 312 . Der Wesir bewältigt demnach alle seinen Aufgaben in dem gleichen Büro 313 . Die folgende Beschreibung der Amtssitzung des Wesirs, in der die Großen von Oberägypten, die Kabinettsvorsteher und die Schreiber des Wesirs zugegen sind, scheint erstaunlich ähnlich wie die oben erwähnte Szene einer Gerichtsverhandlung auf der Grabwand des RX-mj-Ro: Ssm 40 sS.w m-b#H=f wr.w Smo.w m jtr.tj m-b#H=f jmj-r# oxnwtj Hr jmn.t=f jrj-Xt oq Hr j#b.t=f sS.w n T#tj r-o=f „Die 40 Rollen sind vor ihm ausgebreitet; die Großen von Oberägypten sind vor ihm in zwei Reihen aufgeteilt; der Kabinettsvorsteher steht zu seiner rechten und der Administrator des Registers zu seiner linken Seite; die Schreiber des Wesirs befinden sich direkt bei ihm.“ 314 Tatsächlich wird in diesem Text ebenfalls deutlich gesagt, daß der Wesir seine richterlichen Handlungen in seinem Büro ( m X#=f ) durchführt 315 . In seinen autobiographischen Inschriften berichtet RX-mj-Ro selbst, daß er die Bittgesuche im Wesirbüro aufnahm: Hms.t r sDm sprw m X# n T#tj „Amtssitzung, um die Bitten in der Halle des Wesirs zu hören“ 316 . An einer anderen Stelle sagt er, daß er ebenfalls in seinem Büro die Abgaben der Verwalter aus dem ganzen Lande kontrollierte: m## jp.w jp.w n X# n T#tj n njw.t rsj... „das Kontrollieren der Abgabe, die Abgaben(liste) der Halle des Wesirs der Südstadt...“ 317 . Es wird daraus klar, daß der mit X# bezeichnete Ort die gleiche Funktion hat, wie die Hw.t in dem Alten Reich. Im Alten Reich war der Wesir das Oberhaupt der 6 Großen Häuser, während er im Neuen Reich der Leiter der verschiedenen Büros war 318 . Landes ist es.“ Urk. IV, 1087, 4-6. Mit jr.wt nb.t werden eindeutig die verschiedenen Aufgaben des Wesirs gemeint. 310 jr jst X# sDm=k jm=f jw wsX.t jm=f „Was die Halle anbelangt, in der du die richterlichen Handlungen durchführst, gibt es darin einen weiten Raum.“ Urk. IV, 1092, 6-7. In seiner Autobiographie berichtet Nfr-pr.t (Urk. IV, 1021, 1ff.) daß ihm der König Thutmosis III. sieben Rinder als übertragbare Güter gegeben hat. Dabei wird die königliche Anweisung zitiert, daß kein Beamter „in irgendeinem Büro des Königs“ ( m X# nb n njsw.t ) demjenigen Gehör schenken darf, der die königliche Schenkung an Nfr-pr.t-Ro anfechten soll. 311 Urk. IV, 1103, 14-15. 312 Urk. IV, 1103, 16; ähnlich auch in Urk. IV, 1117, 4. 313 Dieser Satz zeigt uns außerdem, daß das Wort sr auf den Status des Wesirs als eines Mitglieds der Beamtenschicht hindeutet, während T#tj der Amtstitel des Wesirs ist. Die Übersetzung Helcks (Verwaltung, 30, Anm. a) mit „Großer“ macht keinen Sinn. 314 Urk. IV, 1104, 7-11. 315 Urk. IV, 1108, 13 und 15. 316 Urk. IV, 1117, 17. 317 Urk. IV, 1119, 17. 318 In seiner Autobiographie bezeichnet sich RX-mj-Ro als jmj-r# jmj-r#.w , vgl. dazu Gardiner, in: ZÄS 60, 63. <?page no="64"?> 2. Der Ort der Gerichtsverhandlungen 65 65 b. qnb.t Im Kapitel I habe ich die Belege angeführt, die darauf zu deuten scheinen, daß im Laufe der Ersten Zwischenzeit und des Mittleren Reiches sich die Termini sr.w und qnb.t immer enger verbinden. Beide Begriffe beziehen sich auf ein Kollegium von Beamten. Der erste Begriff legt die Betonung auf die Mitgliedschaft der Beamten in der Oberschicht der Gesellschaft, während der zweite auf die Gruppe bestimmter Beamter als Einheit in einem Ort oder in einem Verwaltungsbereich hinweist 319 . Diesen Punkt sieht man am deutlichsten an einer Stelle aus der Lehre des Ptahhotep. Der Sohn bzw. der Schüler, der zu einem Beamten ausgebildet werden soll, wird mit s# s n qnb.t „der Sohn eines Mannes der Beamtenschaft“ bezeichnet 320 . Der Vater, der schon ein Beamter geworden ist, stellt sich demnach als ein Mitglied der qnb.t dar 321 . In den Admonitions wird bei der Beschreibung der verkehrten Welt erwähnt, daß die qnb.t im ganzen Land vertrieben wurde 322 . Das Wort qnb.t wird durch einen sitzenden Mann und drei Pluralstriche determiniert 323 . Der Ausdruck qnb.t n.t t# bezeichnet an dieser Stelle die Beamtengruppen, die für die Verwaltung des Landes zuständig waren. Die Beamten, die sich in der Residenz befinden, können mit dem gleichen Wort als eine Gruppe bezeichnet werden 324 . Die Anwendung des Wortes qnb.t im Sinne einer Gruppe Beamter ist auch in den biographischen Inschriften zahlreich belegt. Der Gaufürst onX.tj=fj behauptet in seinem Grab aus Mo c alla, daß er die qnb.t des Vorstehers Oberägyptens, der im Thinitischen Gau residiert, kommen ließ 325 . Hier bezieht sich das Wort qnb.t auf die Beamtenschaft unter der Leitung des Vorstehers von Oberägypten, die für verschiedene Angelegenheiten Oberägyptens zuständig war. In einem Text aus Siut wird die Beamtenschaft unter dem Gaufürst ebenfalls mit qnb.t bezeichnet, die wiederum durch einen sitzenden Mann und drei Pluralstriche determiniert wird 326 . Wenn der Vorsteher von Oberägypten eine Beamtenschaft unter sich hat, verfügt der König über eine noch größere Beamtenschaft, die möglicherweise auch die lokalen Beam- 319 Dies erkennt man in dem pluralen Determinativ. 320 Ptahhotep 415. 321 Als Sammelbegriff kann das Wort oft die Anwesenheit der Beamten ausdrücken. 322 mtn qnb.t nt t# dr.tj Xt t# „Seht, die (Beamten der) qnb.t werden im ganzen Lande daraus vertrieben.“ Admonitions 7, 9. 323 In den oben erwähnten Stelle aus der Lehre des Ptahhotep (Prisse 13, 1), s n qnb.t , wird das Wort qnb.t genauso determiniert. 324 Vgl. wo m nn hrw.w Xpr oq pw jr.n qnb.t nt xnw r pr-o# o.w.s. r nD-Xr.t „An einem dieser Tage betrat die Beamtenschaft der Residenz den Palast, um (den König) zu begrüßen.“ Neferti, Ic-Id. Das Wort qnb.t wird in diesem Beleg ebenfalls durch einen sitzenden Mann und drei Pluralstriche determiniert. 325 jw [dj].n(=j) jw qnb.t nt jmj-r# Smow „[Ich] [veranlaßte], daß der (Beamten)rat des Vorstehers von Ägypten (zu mir) kam.“ Vandier, Mo c alla, Inscr. 5, S. 186. Das Wort qnb.t wird wiederum durch einen sitzenden Mann und drei Striche determiniert. 326 s#=j m s.t qnb.t m w#b.w=f „Mein Sohn war in einem Amt der Beamtenversammlung, als er noch in seinen Windeln war.“ Siut III, 13; vgl. auch Siut IV, 13. <?page no="65"?> 66 Kapitel II - Der Richter und das Gericht 66 ten beinhaltet. So treffen wir Ausdrücke wie qnb.t nt xnw 327 , qnb.t oH 328 oder rX njsw.t Hno qnb.t=f 329 . In allen drei Ausdrücken ist qnb.t eine kollektive Bezeichnung der Beamten. Wenn NTr.w-Htp dann sagt, daß er „die zwei Prozeßgegner mit dem Urteil der qnb.t zufrieden herausgehen ließ“ 330 , handelt es sich hier bei qnb.t um die gleiche Beamtengruppe, die auch für andere Angelegenheiten zusammentritt 331 . Die Tendenz, mit qnb.t die Gesamtheit der Beamten in einem Ort oder in einem Bereich zu bezeichnen, führt sehr wahrscheinlich dazu, daß das Wort auf die räumliche Zuordnung der genannten Beamten hindeuten kann 332 . Diese Räumlichkeit kann jedoch mit anderen Formen ausgedrückt werden. Ebenfalls im Kontext der Rechtsprechung sagt der Gaufürst Jmnj folgende Worte: Dd m#o.t wpj=f s 2 Sw m Dd grg rX sXr m sH n sr.w gmj Ts m g#w=f , „Einer, der die Wahrheit spricht, wenn er die zwei Parteien richtet, der frei von Lügen ist, der die Handlungsweise im Beamtenrat kennt und die richtige Entscheidung findet, wenn sie nottut.“ 333 Die Beamten, die mit dem Terminus sH n sr.w beschrieben werden, sind sicherlich die gleichen, die auch durch qnb.t bezeichnet werden können 334 . Die Interpretation, daß die Bezeichnung des Gerichts mit qnb.t aus der Bedeutung „Ecke“ abgeleitet wurde mit Hinweis auf die Richter als Eckpfeiler der Gesellschaft 335 oder die Gerichtssitzungen in der Ecke eines Gebäudes oder eines Tempelhofes 336 , sind daher nicht überzeugend. 327 Urk. VII, 21, 1. 328 Beni Hasan I, pl. 25-26, Z. 105. 329 Hatnub Gr. 24, 2 u. 26, 4; ähnlich auch in Urk. VII, 6, 12. In allen oben genannten Belegen wird qnb.t durch einen sitzenden Mann und drei Pluralstriche determiniert, was auf die Körperschaft der Beamten hinweist, obwohl das Wort in der femininen Form wie ein Singular benutzt wird. 330 rdj pr sn.wj Htp(.w) m wp.t [nt qnb.t] „die zwei Parteien zu veranlassen herauszugehen, zufrieden mit der Entscheidung [der Beamtenversammlung]“, Hatnub Gr. 14, 11-12; gleiche Formulierung in Hatnub Gr. 20, 17-18. 331 jn(.w)=f r sH Hno qnb.t „Er wurde zur Beratung geholt zusammen mit der Beamtenschaft.“ Hatnub Gr. 24, 3. 332 Auf Stele UC 14430 (Stewart, Egyptian Stelae, II, pl. 21) wird das Wort qnb.t mit drei Pluralstrichen determiniert, wenn sich das Wort auf die im Rat fungierenden Beamten bezieht (Z. 9). In Zeile 13, wo das Wort eindeutig auf die Räumlichkeit hinweist, wurden die Pluralstriche weggelassen. 333 Urk. VII, 19, 18-19; vgl. das parallele Beispiel aus der Spätzeit: spd ns m sH n sr.w wpj sn.wj r gs njsw.t Htp=sn Hr st-r#=f „(Ich war einer), der eine treffliche Zunge in der Halle der Beamten hatte, der die zwei Parteien an der Seite des Königs richtete, indem sie mit seinem Ausspruch zufrieden waren.“ JE 36949, Meulenaere, in: BIFAO 63, 23. Zu der Phrase sH n sr.w vgl. auch Otto, in: MDAIK 15, 206, ders., Gott und Mensch, 34. In den Jenseitsführern und Hymnen werden die zwei Teile der göttlichen Herrschaft jeweils mit wDo mdw und jrj sXr.w bezeichnet. Vgl. dazu Assmann (1969), 144ff. 334 In Urk. VII, 20, 20-21, 1 sagt Jmnj , daß er am Tage des Richtens Herr der Ausstrahlung und von den qnb.tjw der Residenz beliebt war. Hier bezeichnet das Wort qnb.tjw sicherlich alle Beamten der Residenz und bedeutet nicht, daß sich die damit genannten Beamten ebenfalls in der richterlichen Stellung befinden. 335 Gabra, Les conseils, 3ff.; Allam, Verfahrensrecht, 26, Anm. 5. 336 Helck, in: LÄ III, 386. <?page no="66"?> 2. Der Ort der Gerichtsverhandlungen 67 67 Wir sehen deutlich, daß die Bezeichnung qnb.t schon ab dem Mittleren Reich auf das Gericht deuten kann, wenn die betreffenden Beamten an der Rechtsprechung beteiligt waren. Das gleiche gilt weiterhin für das Neue Reich, und die Behauptung Helcks muß korrigiert werden: „Wenn ein ‚Kollegium‘ ( qnb.t ) erwähnt wird, bezeichnet dieser Ausdruck jetzt einen Gerichtshof, zu dem die Honoratioren gehören; zur Bezeichnung eines Verwaltungsorgans wird der Ausdruck nicht mehr gebraucht.” 337 Die Einsetzung des Wesirs ist eine Lehre des Königs für seinen höchsten Beamten insbesondere bezüglich der Rechtsprechung. Es ist daher leicht verständlich, daß alle anderen Beamten diese Lehre auch mit anhören sollen, da sie bei ihren administrativen oder richterlichen Handlungen unter der Leitung des Wesirs stehen. Diese Beamten von verschiedenen Verwaltungsbereichen werden in der „Einsetzung des Wesirs“ mit qnb.t bezeichnet: sT# qnb.t r w#Xj [n] [pr-o#][o.w.s.] „Die Gefolgschaft wurde zum Audienzsaal [des Pharaos] [er lebe, sei heil und gesund] zusammengerufen.“ 338 Das gleiche gilt ebenfalls in der Dienstordnung des Wesirs 339 . In diesem Text bezieht sich qnb.t auf verschiedene Beamtengruppen, die mit unterschiedlichen Aufgaben beschäftigt sind. Auf der anderen Seite sehen wir die Versuche des Schreibers, einen Unterschied zwischen qnb.t und qnb. tjw zu machen. Der Terminus qnb.t betont weiterhin eine Gruppe von bestimmten Beamten und damit auch den Ort, in dem sie sich befinden 340 . Mit dem Wort qnb.tjw wird offensichtlich die Mitgliedschaft der Beamten betont. Die Phrase qnb.tjw nw w(.w) weist eindeutig auf die einzelnen Beamten der lokalen Ebene, die für die Administration der Distrikte zuständig sind 341 . In dem Dekret des Haremheb entdecken wir weitere Entwicklungen des Terminus qnb.t . In dieser Regierungserklärung bemüht sich der neue König um einen Wiederaufbau des Verwaltungsapparats, der angeblich in der Amarnazeit weitgehend außer Betrieb geraten war. Die meisten Mißstände, die in dem Dekret als Unrecht genannt werden, sind von den Beamten, Armeeoffizieren und Bediensteten des Königshauses begangen worden. Nach der ausführlichen Auflistung der Mißstände und der Festlegung entsprechender Strafmaßnahmen, sagt Haremheb: „[Ich suchte Beamte], die einen vollkommenen Mund und vorzüglichen Charakter haben, die zu richten imstande sind, was im Körper 337 Helck, Verwaltung, 240. Auf Seite 63 desselben Buches schrieb Helck: „Unter Ramses III. bildete Medinet Habu eine eigene Stadt und besaß somit auch einen eigenen Gerichtshof.“ Aber diese qnb.t kann nur eine Verwaltungsstelle gewesen sein, in der auch juristische Angelegenheiten behandelt wurden. 338 Urk. IV, 1086, 12; Faulkner, in: JEA 41, 19, 2. In seiner Autobiographie berichtet RX-mj-Ro , daß ihm der König eine Gruppe Beamten ( qnb.t ) zur Verfügung gestellt hat. Hier bezieht sich die qnb.t spezifisch auf die Beamten, die im Wesirbüro beschäftigt waren. 339 Für die Datierung des Textes ins Neue Reich, vgl. van den Boorn, Duties. 340 smj.t n=f jn qnb.t nb.t nt H#.t oHo.w pH oHo.w „Ihm wird Bericht erstattet durch jede Beamtengruppe, die sich an der Vorhut und der Nachhut befindet.“ Urk. IV, 1116, 12. 341 ntf grt jnn qnb.tjw nw w(.w) ntf h#b sn smj=sn n=f Xrt w.w=sn „Er (der Wesir) soll die Beamten des Landbezirks einberufen und sie wieder entsenden. Sie sollen ihm über den Zustand ihres Landbezirks berichten.“ Urk. IV, 1111, 3-5. Vgl. auch Urk. IV, 1113, 4. <?page no="67"?> 68 Kapitel II - Der Richter und das Gericht 68 ist (=was <die Leute> im Schilde führen), die auf die Worte des Königshauses und die Gesetze der Wache hören.“ 342 Diese Beamten wurden eingesetzt, „um die beiden Länder zu richten und um den Bewohner des [Palastes] in Zufriedenheit zu setzen ( r wDo t#.wj r shr.t jmj-[oH] ).“ 343 In diesen Maßnahmen des Haremheb sollte man möglicherweise eine tiefgreifende Reform sehen, in der neue, ihm loyale Beamte eingesetzt wurden. Es scheint zu kurz gefaßt, wenn man in diesen Personen die Richter im engen Sinne sieht. Die Phrase „die zwei Länder richten“ ( wDo t#.wj ) bedeutet nicht nur „richten“, sondern auch „verwalten“ 344 . „In den Schilderungen der Unterwelt wird die Leben ermöglichende Einwirkung göttlicher Herrschergewalt gerne aufgeteilt in die Aspekte ‚Gericht‘ und ‚Speisenversorgung‘. Dasselbe Paar findet man auch außerhalb dieser Topik immer wieder, und es wäre schwer zu verstehen, wenn es nicht in der Lebenswirklichkeit Ägyptens, in der Konzeption des Königsamtes seine Entsprechung hätte.“ 345 Natürlich erhält die richtende Funktion der Beamten eine erhebliche Bedeutung in einer „Krisenzeit“. Genau aus diesem Grund wurde die qnb.t in jeder Stadt des ganzen Landes neu oder teilweise wieder hergestellt 346 . Die Beamten, die auf die verschiedenen qnb.wt verteilt sind, sollen sowohl die administrativen als auch richterlichen Aufgaben erfüllen 347 . Diese zweifache Bedeutung von qnb.t kann auch in anderen Textgattungen nachgewiesen werden. In der Lehre des Amenemope wird der Schüler davor gewarnt, vor den sr.w seine Rede zu verfälschen, wenn er in die qnb.t eintritt 348 . An diesem Ratschlag des Amenemope sieht man eindeutig, daß die sr.w in der qnb.t in der Funktion von Richtern auftreten 349 . In oNicholson Mus. R. 97 wenden sich die Arbeiter des Dorfes Deir el-Medina wegen der ausbleibenden Lieferung der Lebensmittel an die Beamten aus der Zentralregierung. Dieses Vorgehen wird mit nDnD r n sr.w t# qnb.t beschrieben 350 . Hier ist ebenfalls eindeutig, daß qnb.t nicht auf ein Gericht 342 [HHj.n=j sr.w] tm(.w) m r# nfr bjt rX.w wDo jmj x.t sDm.jw md.t pr njswt hp.w nw orojj.t , Urk. IV, 2155, 16-18. 343 Urk. IV, 2156, 1-2. 344 Dies erklärt umgekehrt auch, warum viele Beamten, was ihr Hauptaufgabenbereich auch sein mochte, Aussagen über richterliche Handlungen in ihren biographischen Inschriften anbrachten. Das war sicher auch im alten Israel der Fall gewesen. Die mit „Richter“ bezeichneten Personen hatten umfangreichere Funktionen als richterliche Tätigkeiten. 345 Assmann (1969), 145-146. 346 mk smn qnb.t Xt t# r Dr=f m [njw.t] nb r jr.t qnb.t m njw.t mj sXr.w mnX n [Hm=j] „Die Beamtenschaft ist im ganzen Lande in jeder Stadt festgesetzt, um in den jeweiligen Städten Gericht zu halten, gemäß den trefflichen Plänen [meiner Majestät].“ Urk. IV, 2157, 17-19. 347 Viele Ägyptologen glauben, daß die lokalen qnb.t sich nicht nur mit Rechtsstreitigkeiten, sondern auch mit lokalen Verwaltungsangelegenheiten zu befassen haben. Vgl. dazu Bedell, Criminal Law, 6; Edgerton, in: JNES 6, 155f. Lurje, Studien, 61; Seidl, Einführung 32. Mcdowell, Jurisdiction, 143 kommt jedoch zu dem Schluß, daß die qnb.t in Deir el-Medina exklusiv mit rechtlichen Angelegenheiten beschäftigt war. 348 Kapitel 19: 20, 8-9. 349 Vgl. Kapitel 20: 20, 21-21, 3. 350 Eyre, in: Fs Fairman, 80-91. In pTurin 2071/ 224+1960 kommt ein Diener der t# qnb.t o#.t n njw.t mit einem Brief des Wesirs nach Deir el-Medina. Offenkundig weist die Bezeichnung auf das Be- <?page no="68"?> 2. Der Ort der Gerichtsverhandlungen 69 69 und sr.w nicht auf die Richter im eigentlichen Sinne hindeuten 351 . Aber wenn die Bewohner mit einer rechtlichen Angelegenheit zu den Beamten gingen, konnten diese sr.w selbstverständlich als Richter gehandelt haben und das Wort qnb.t erhielt die Bedeutung von Gericht 352 . Das oft zugefügte Wort sDm.jw hinter qnb.t deutet daher auf die Absicht des Schreibers hin, deutlich zu machen, worauf er sich mit diesem Terminus bezieht 353 . Da sich die Beteiligten über die Funktion der qnb.t im klaren waren, ist es jedoch verständlich, daß die protokollierenden Schreiber diese zusätzliche Erläuterung nicht konsequent verfolgen 354 . c. D#D#.t Der Terminus D#D#.t wird auch nicht ausschließlich im juristischen Kontext benutzt. Unter diesem Wort soll man ebenfalls eine Gruppe von Beamten verstehen, die unter anderem auch Gerichtsverhandlungen durchführten. Im Alten Reich wurde das Wort gebraucht, um die Behörde zu bezeichnen, die für die Abrechnung der Lieferungen zuständig war 355 . Nebenbei kann diese Behörde auch juristische Angelegenheiten behandeln 356 . amtenkollegium in Theben oder sogar auf das Wesirbüro hin. Allam, Hieratische Ostraka und Papyri aus der Ramessidenzeit, Tafelteil, 123, 10. Ein ähnlicher Fall läßt sich auch in pTurin 2072/ 142 finden. Allam, a.a.O., 128, 5. In beiden Fällen betrifft es eindeutig eine administrative Angelegenheit. 351 In den Rechnungen aus der Zeit Sethos I wird ein Großer der qnb.t erwähnt. Spiegelberg, Rechnungen, pl. 14a, 8. Vgl. auch pGurob II, 1, 10; II, 2, 20; pBerlin 9785, 18. 352 Für sr.w und qnb.t im Kontext von Rechtsprechung s. pBM 10107: t# qnb.t nt sr.w , Glanville, in: JEA 14, pl. 33 und 35. Vgl. weiter Gaballa, The Memphite Tomb-Chapel of Mose, pl. 58, N 3; pl. 59, N 8; pLouvre 32228, Malinine, in: RdE 6, pl. I Z. 5 und 10; pAbbott 7, 2 und 7, 8; pl. 15 = pLeopold II 4, 3. 353 Spiegelberg, in: ZÄS 63, 106, Kolumne II, 2 und 5. pCairo 65739, 2, 15. oNash I recto 2; oNash 1 verso 4; oNash 2 verso 16; oNash 5; oCairo 25556, 1 und 5; oCairo 25227 recto 1; oCairo J 72465, 2; oGardiner 150 recto 1; pBerlin 3047, 16; pBerlin 10496, verso 7 und 13; pDeM 26 A recto 12; Wb 5, 53, 18; pSallier IV verso 6, 1-6, 3. Mcdowell, Jurisdiction, 143, Anm. 3 und 4. Allam, Verfahrensrecht, 26; Lourje, in: JEA 17, 64; Seidl, Einführung, 32. Gabra (Les conseils, 32) glaubete, daß die qnb.t sDm.jw ein lokaler Gerichtshof sei, daher müßten seine Befugnisse niedriger als die der qnb.t nt njw.t gewesen sein. Vg. pErmitage 5597, Allam, in: Fs Brunner-Traut, 33-41; oNash I recto 2; oNash 1 verso 4; oNash 2 verso 16; oNash 5; oCairo 25556, 1 und 5; oCairo 25227 recto 1; oCairo J 72465, 2; oGardiner 150 recto 1; pBerlin 3047, 16; pBerlin 10496, verso 7 und 13; pDeM 26 A, recto 12; Wb 5, 53, 18; Gardiner, LEM, pSallier IV verso 6, 1-6, 3; Mcdowell, Jurisdiction, 143, Anm. 3 und 4; Allam, Verfahrensrecht, 26; Lourje, JEA 17, 62; Seidl, Einführung, 32. 354 Die Behauptung Bedells (Criminal Law, 9), daß es sich bei qnb.t sDm.jw um eine Gerichtsinstanz auf der lokalen Ebene und bei qnb.t o#.t um den obersten Gerichtshof handelt, scheint nicht überzeugend. Eine ähnliche Meinung vertrat Gabra, Les conseils, 32. Im pMünchen 809 wird sogar gesagt: jrj.w m ... m wsX.t n pr-o# o.w.s. m njw.t rsj m-b#H qnb.t sDm.jw jmj rn=f jrj „gemacht als ... in der Großen Halle des Palasts in der Südstadt vor den hörenden Beamten, die Namensliste...“ Spiegelberg, in: ZÄS 63, 106-107. 355 Junker, Giza III, 92. 356 Vgl. Goedicke, Private Rechtsinschriften, 160. Diese Doppelfunktion der D#D#.t sieht man auch in den Pyramidentexten. In PT 309d deutet D#D#.t nTr offensichtlich auf eine gerichtliche Verhand- <?page no="69"?> 70 Kapitel II - Der Richter und das Gericht 70 Ein gutes Beispiel finden wir in der Autobiographie des Wr-Xww , der sagt, daß er für die Schriften der Bittsteller in der D#D#.t wr.t zuständig war 357 . Es scheint mir unmöglich, daß es sich bei der D#D#.t wr.t um den großen Gerichtshof handelt. Eine vernünftige Erklärung für diese Aussage ist, daß Wr-Xww als ein Mitglied der Beamtenschaft mit dem Protokollieren der Angelegenheiten der Bittsteller beauftragt war. Diese Erklärung scheint sinnvoller, wenn man die anderen Titel des Wr-Xww zusammen betrachtet. Er ist vor allem der königliche Urkundenschreiber und Vorsteher der Schreiber und dazu trägt er noch einige Titel, die mit den Tätigkeiten eines Schreibers zusammenhängen 358 . Offenbar hat seine schriftliche Fähigkeit dazu geführt, daß er mehrere damit zusammenhängenden Funktionen gleichzeitig ausübte 359 . Neben seiner Mitwirkung in der D#D#.t wr.t war Wr-Xww ebenfalls in der Hw.t wr.t tätig 360 . Dabei ist es bemerkenswert, daß er in Hw.t wr.t ein sHD sS(.w) „Untervorsteher der Schreiber“ war, während er in D#D#.t wr.t als Xrp sS(.w) „Vorsteher der Schreiber“ auftrat. Daraus kann man vermuten, daß D#D#.t eine Verwaltungseinheit unter der Leitung der Hw.t wr.t darstellt, wie eine D#D#.t in der Nekropole 361 . Daher kann man aus der D#D#.t wr.t überhaupt keine „zentrale Institution“ ableiten, wie Otto annahm 362 . Bemerkenswert ist übrigens, daß K#-m-nfrt neben Hw.t wrt und D#D#.t noch die Bezeichnung wsX.t verwendet 363 . Eine Halle namens wsX.t wird auch in der Einsetzung des Wesirs erwähnt. Diese Halle befindet sich innerhalb des Wesirbüros 364 . Es besteht grundsätzlich die Möglichkeit, daß mit verschiedenen Bezeichnungen ein und derselbe Ort gemeint ist. Wichtig ist die Tatsache, daß die Bezeichnungen jeweils verschiedene Aspekte lung. Aber in PT 1319a bezeichnet die Phrase D#D#.t wr.t m Jwnw keinesfalls das Göttergericht, sondern bezieht sich auf die Götterversammlung. In diesem Spruch drückt der tote König seinen Wunsch aus und stellt gleichzeitig den Anspruch, ein Mitglied der Versammlung zu werden. In Merikare, E 53 treffen wir einen Satz, der am deutlichsten zeigt, wie D#D#.t die Betonung auf die Mitglieder der Gruppe legt: D#D#.t wDo s#rj.w rX.n=k tm=sn sfn(.w) „Das Kollegium, das die Elenden richtet, du weißt, daß sie nicht milde sind.“ 357 Urk. I, 47, 15. 358 Urk. I, 47, 6-13. 359 Für alle als Schreiber tätigen Ägypter muß die Fertigung von Gerichtsprotokollen ein kleiner Bestandteil ihrer Aufgaben gewesen sein. 360 Wenn man der üblichen Annahme folgt, daß die Hw.t wr.t auch ein Gerichtshof war, existierten zwei große Gerichtshöfe nebeneinander, was sehr unwahrscheinlich ist. Darüber hinaus treffen wir die Wendung Xrp sS sprw wDo-mdw m wsX.t „Aufseher der Schrift des Bittstellers, der in der Großen Halle richtet“ (LD II, 43/ 44), die sich mit der oben erwähnten Formulierung des Wr-Xww , Xrp sS sprw m D#D#.t wr.t „Aufseher der Schrift des Bittstellers im Großen Kollegium“. Man kann doch nicht die wsX.t als eine Art Gerichtshof betrachten, das neben D#D#.t und Hw.t wr.t existiert hätte. K#-m-nfrt führt seine Funktionen in wsX.t , D#D#.t und Hw.t wr.t aus, als ob die drei Bezeichnungen je auf einen eigenen Ort deuten, vgl. Borchardt, Statuen und Statuetten, I, Nr. 61, 66, 181 und 377. 361 jnk sS jqr Dd m#o.t m D#D#.t nt m xrt-nTr „Ich war ein vortrefflicher Schreiber, der im Kollegium der Nekropole die Wahrheit sagte.“ ASAE 37, 117, Z. 6. 362 Otto, in: MDAIK 14, 157. 363 Borchardt, Statuen und Statuetten, I, Nr. 66, auf S. 57, vgl. Statue Nr. 181. 364 Urk. IV, 1092, 6-7. <?page no="70"?> 2. Der Ort der Gerichtsverhandlungen 71 71 betonen. Bei wsX.t wird wohl auf die mit der Räumlichkeit verbundene Öffentlichkeit hingewiesen 365 . Im Mittleren Reich ist D#D#.t weiterhin eine Bezeichnung für eine bestimmte Gruppe von Beamten, die für die Verwaltungsaufgaben in einem Bereich zuständig waren 366 . Aus den Sinai-Inschriften sind zwei Belege überliefert, in denen D#D#.t durch den Genitiv weiter modifiziert wird: sx n D#D#.t n pr-HD 367 . Die D#D#.t hier deutet auf keinen Fall auf eine Institution, da diese D#D#.t sich innerhalb des pr-HD befindet 368 . Die Übersetzung kann daher nur lauten: „der Schreiber des Beamtenkollegiums im Schatzhaus“ und man kann unter den Beamten einen „Mitarbeiterstab“ verstehen 369 . In einem Hammamat-Graffito ist die Phrase jmj-r# pr n D#D#.t o#.t belegt, die wahrscheinlich auf eine besonders große Zahl von für die Expedition berufenen Beamten hinweist 370 . In pBerlin 10470, wo es um einen Streit über eine Sklavin geht, werden die Teilnehmer des Prozesses wie folgt angegeben: jmj-rn=f D#D#.t sDm.jw wHm.w [n] #bw... 371 . Die Modifizierung des Wortes D#D#.t durch sDm.jw , wie die Verbindung qnb.t sDm.jw , zeigt eindeutig, daß es bei D#D#.t nicht immer um gerichtliche Verhandlungen geht. Diese D#D#.t steht unter der Leitung des Herolds in Elephantine. Das Wort sDm.jw wurde demnach hinzugefügt, um die Handlung der Beamten genauer zu definieren 372 . Ein anderer Herold namens Jmnjj berichtet in seiner Inschrift, daß die D#D#.t mit dem Schiffbau beschäftigt war: sk wHm.w MnTw-Htp s# Jmnjj Hr jdb n w#D-wr Hr mDH nn n How.w Hno D#D#.t o# nt 365 Die Halle der zwei Wahrheitsgöttinnen wird auch mit wsX.t bezeichnet: xnm=k wsX.t nt m#o.tj wSd tw nTr jmj=s „Mögest du dich mit der Halle der beiden Wahrheiten vereinigen (in die Halle treten) und möge der Gott dich in ihr begrüßen.“ Urk. IV, 498, 12-13. In der Geschichte des Konflikts zwischen Horus und Seth (3, 5-6) wird die Halle, in der das Götterkollegium tagte, mit wsX.t Or Xntj ob.w beschrieben. 366 Hayes, A Papyrus, 45-46 betont die juristischen Aufgaben dieser Institution. In pAmherst X werden die Beamten, die für die Verwaltung der Güter zuständig waren, mit jmj-rn=f D#d#.t Sd.t nn bezeichnet. Newberry, Amherst Pap. 48. 367 Ward, Index no. 1455. Quirke (Administration 54) vertritt die Ansicht, daß D#D#.t sich auf eine Gruppe von Funktionären bezieht, die für eine gemeinsame Aufgabe zusammen sind, während qnb.t eine Gruppe von Funktionären bezeichnet, die verschiedene Angelegenheiten behandeln. 368 Über das Vorkommen der D#D#.t im Kontext von Tempeln und in der lokalten Ebene, vgl. Hayes, A Papyrus, 46. 369 Diese Verteilung der Amtsgewalt kann man auch in der Bezeichnung D#D#.t tpj nw sehen, die Wb V, 277, 5 mit „Götterschaft, die über die Flut gebietet“ übersetzt. 370 Vgl. Goyon, Hammamat, Nr. 61; Ward, Index, Nr. 190 (Nr. 1454: sx n D#D#.t o#.t) ; vgl. hiermit auch Ward, Index, No. 189 und Seyfried, 218-219. Eine andere Möglichkeit besteht darin, daß man in dieser Bezeichnung den Versuch des Inschriftinhabers sieht, die Gesamtheit der Beamten zu betonen, vgl. eine andere Form in Urk. I, 47, 15 D#D#.t wr.t . Die Umtauschbarkeit zwischen wr.t und o#.t ist auch ein Indiz dafür, daß es sich bei D#D#.t nicht um eine feste Institution handelt. Otto (in: MDAIK 14, 157) verwies auf die Tatsache, daß „wir nirgends etwas über das Verhältnis zwischen dem Wesir und der D#D#.t wr.t “ erfahren. 371 Smither, in: JEA 34, pl. VIII, 3. 372 Aus dem späten Mittleren Reich kennen wir D#D#.t von Tempeln und Distrikten, die nur nebenbei mit juristischen Angelegenheiten beschäftigt waren. Man vergleiche ähnliche Vorkommen bei qnb.t und qnb.t sDm.jw aus dem Neuen Reich. Vgl. pBrooklyn 35.1446, 1. 55, Quirke, Administration, 134. <?page no="71"?> 72 Kapitel II - Der Richter und das Gericht 72 vpj-rsj v#-wr wnt Hno=f „Der Herold Jmnjj , der Sohn des MnTw-Htp , befand sich am Meer, indem er diese Schiffe zimmerte, zusammen mit der großen Beamtenschaft aus dem ‚Kopf von Oberägypten‘ und dem Gau von This-Abydos, die mit ihm da war.“ 373 Weiter gibt Jmnjj an, daß sich innerhalb der D#D#.t ein Hofmeister ( jmj-r# pr D#D#.t ) und fünf Schreiber ( sS n D#D#.t ) befinden. Die Grundbedeutung der D#D#.t im Sinne von einer Gruppe von Beamten, die für einen Verwaltungsbereich zuständig waren, ist in den Texten aus dem Neuen Reich weiterhin belegt. In der Amtseinsetzung des Wesirs mahnt der König den Wesir, daß sich dieser im Palast dem König gegenüber verantworten soll. Als nähere Erläuterung sagt der König, daß der Wesir sein Gesicht nicht den sr.w D#D#.t zuwenden und nicht aus den rmT Parteigänger machen soll 374 . Die Verbindung sr.w und D#D#.t scheint wiederum darauf zu deuten, daß die Beamten in verschiedene Aufgabenbereiche verteilt wurden. Die Anwendung des Wortes D#D#.t im Sinne von „Abteilung“ oder „Stab“ trifft man in der Dienstordnung des Wesirs noch öfter. Über die Bittgesuche wegen Streitigkeiten um Land wird gesagt, daß der Wesir sie persönlich behandeln soll. Er soll sich in solchem Fall nicht nur bei dem „Vorsteher der Felder ( jmj-r# oH.wt )“, sondern auch bei dem „Stab der Matte ( D#D#.t n.t tm# )“ erkundigen 375 . Die D#D#.t hier bezieht sich sicherlich auf den Schreiberstab, der für das Registrieren der Daten über Felder zuständig war. Bei einer Beschwerde, daß die Feldgrenze verschoben worden sei, ist daher wieder von der D#D#.t die Rede 376 . Es ist auffallend, daß bei der Erwähnung von D#D#.t immer die schreibkundigen Beamten gemeint sind. Bei der Festlegung, daß die Beamtengruppen in Ober- und Unterägypten, aus dem „Kopf Oberägyptens“ und aus dem Gau von This-Abydos dem Wesir am ersten Tag eines jeden vierten Monats Bericht erstatten sollen, macht der König ebenfalls deutlich, daß diese Beamten die betreffenden Schriftstücke und die dafür zuständige D#D#.t mitbringen müssen: jnn=sn (n)=f sS.w jrj m-o=sn Hno D#D#.t=sn „Sie bringen ihm (dem Wesir) die relevanten Dokumente in ihren Händen und den (Schreiber)Stab.“ 377 Direkt anschließend wird gesagt, daß der Wesir der D#D#.t der Armee ( D#D#.t n.t mSo ) über die Regeln der Armee ( tp-rd n mSo ) unterrichtet 378 . Es kommt in dem Text übrigens die Bezeichnung D#D#.t wr.t vor. Diese ist ebenfalls mit dem Registrieren von Steuern und Lieferungen beschäftigt: smj n=f D#D#.t wr.t Htr=s 379 oder ... jmj-r# pr Hno D#D#.t wr.t 380 . 373 Sayed, in: RdE 29, 171, pl. 16b, 6-13. 374 Urk. IV, 1087, 11-1088, 1. 375 Urk. IV, 1110, 13. 376 jr spr.tj nb ntj r Dd mnmn(.w) t#S=n Xr m##=t(w) ntt st Hr Xtm n sr jrj Xr=f Sd=f Sd.w n t# D#D#.t smnmn.t s.t „Betreffend einem Bittsteller, der sagt ‚Unsere Grenze ist verschoben‘, soll man prüfen, ob sie (Grenzstelen? ) mit dem Siegel des zuständigen Beamten versiegelt waren; (wenn nicht) soll er die Sd.w -Felder von dem zuständigen Beamtenstab wegnehmen, der die Grenze verschoben hatte.“ Urk. IV, 1111, 9-13. 377 Urk. IV, 1112, 9-11. 378 Urk. IV, 1112, 15-16. 379 Urk. IV, 1114, 14. 380 Urk. IV, 1115, 6. <?page no="72"?> 2. Der Ort der Gerichtsverhandlungen 73 73 Wir sehen, daß die drei Bezeichnungen vielfache Zusammenhänge untereinander aufweisen. Es ist schwer, unter ihnen eine klare Linie zu ziehen. Deutlich ist jedoch, daß sich alle drei Bezeichnungen auf die Zusammensetzung der Beamten, die für die Verwaltung des Landes eingesetzt sind, beziehen 381 . Bei Hw.t wrt wird eher der Raum betont, während bei qnb.t und D#D#.t der Akzent auf die Gruppenzugehörigkeit der betreffenden Personen gelegt wird 382 . Ein besonderer Zusammenhang der drei Termini mit der Rechtsprechung ist nicht nachweisbar. Diese Schlußfolgerung entspricht meiner Beobachtung im Kapitel-1, daß es im alten Ägypten keine beruflichen Richter gab und die richterlichen Aufgaben von den je zuständigen Beamten in einer Ortschaft oder in einem Verwaltungsbereich übernommen wurden. Diese beiden Tatsachen passen ihrerseits zu den oben ausgeführten Belegen, daß die Ägypter verschiedene Streitigkeiten möglichst in der Art einer Gerichtsverhandlung zu lösen versuchten. Der Ort, an dem die richterliche Handlung stattfindet, kann sich ständig ändern. Dies läßt sich übrigens durch die Drohformel des Alten Reiches bestätigen, daß die Grabherren mit den Grabschändern in dem Ort Gericht halten würden, wo der Gott das Gericht abhielt: wnn(=j) wDo mdw Hno=f m bw nt wDo mdw jm 383 . In der Geschichte des Bauern diente der Ort, in dem Rnsj und seine Gefolgsleute das Tagesgeschäft führen, zur Gerichtssitzung 384 . Darüber hinaus sieht man an der Geschichte, daß die Gerichtsverhandlungen nicht unbedingt immer mit einem festen Ort verbunden sind. Sehr aufschlußreich ist, daß der Oasenmann direkt zum Wohnhaus des Rnsj ging und diesen am Ausgang des Hauses traf: Sm.t pw jrj.n sX.tj pn r nn-njsw.t r spr n jmj-r# wr s# Mrw Rnsj „Da zog der Oasenmann nach Herakleopolis, um den Oberdomänenvorsteher Rnsj , den Sohn des Mrw , anzuflehen.“ 385 Der Oasenmann sprach an der Stelle über sein Anliegen 386 . Die meisten seiner neun Klagen hielt der Oasenmann in dem 381 Das Wort mob#jj.t , das oft mit „Gerichtshof“ übertragen wird, weist ebenfalls auf eine Gruppe von Beamten hin, die nicht ausschließlich mit juristischen Angelegenheiten befaßt waren. Vgl. dazu Quirke, Administration, 55. Für weitere Belege s. Gardiner, Admonitions, 50; Ockinga, Two Ramesside Tombs, vol. I, pl. 25, Z. 32; Jansen-Winkeln, Ägyptsiche Biographien, Text A 8, b 1-2; Meulenaere, in: CdE 57, 223-224. 382 Die Zugehörigkeit kann gleichzeitig auf den Ort hinweisen, wo sie sich treffen. 383 Vgl. Urk. I, 35, 3; 49, 3; 58, 10; 173, 14. Die umschreibende Bezeichnung des Gerichts, z. B. sDm mdw m HD n Gbb Hrj sSt# n oD.t-h.t „einer, der in der Halle des Geb richtet, der Geheimrat in der oD.t-h.t (? )“ (HT II, pl. 22, links, 13-14) kann genauso erklärt werden. Auch die Tatsache, daß eine Stelle in der Nähe der Cheopspyramide zur Gerichtsverhandlung gebraucht wurde, sollte man entsprechend interpretieren. Vgl. Goedicke, Königl. Dokumente, 159-160. 384 wn.jn jmj-r# pr wr s# Mrw Rnsj Hr srX.t Nmtj-nXt pn n sr.w ntj r gs=f „Dann erhob der Oberdomänenvorsteher Rnsj , der Sohn des Mrw , Anklage gegen diesen Nmtj-nXt bei den Beamten, die an seiner Seite waren.“ Bauer B 1 73-74. 385 B1, 63-65. 386 B1, 67-68. Aus den Illahun-Papyri kann Quirke (Administration, 166-167) nachweisen, daß es damals an öffentlichen Gebäuden fehlte. In B1, 315 wird darauf wieder hingedeutet, daß ein Bittsteller an der Tür des Richters stehen würde, wenn er den Beistand des Richters braucht: jn jw wsf.w sprw r oHo r r# n pr=f „Gibt es denn einen Trägen, an dessen Haustür ein Bittsteller steht? “ Die Übersetzung von Parkinson (The Tale of Sinuhe, 71) „Or will the negligent man, now a pleader, stand waiting at the door of his house? “ ergibt keinen vernünftigen Sinn. <?page no="73"?> 74 Kapitel II - Der Richter und das Gericht 74 als orrj.t bezeichneten Ort 387 . Aber der Oasenmann folgt dem Oberdomänenvorsteher dorthin, wohin dieser geht oder wo sich dieser befindet, um ihn anzusprechen und sein Recht zu verlangen 388 . Daß der Ort, in dem das Oberhaupt einer Ortschaft zusammen mit seinen Untergebenen Verwaltungsangelegenheiten behandelt, zur Gerichtsverhandlung dient und die Beamtenschaft das Richterkollegium bildet, sehen wir ebenfalls in den Aussagen aus den Autobiographien 389 . Der Gaufürst Jmnj berichtet über seine richterliche Handlung wie folgt: „Ich war einer, der die Wahrheit sagte, wenn er die zwei Parteien richtete, der frei von Lügen war, der die Handlungsweise im Beamtenrat ( sH n sr.w ) kannte, der die Lösung fand, wenn es nottat.“ 390 Aus diesem Beleg muß man feststellen, daß die betreffende Gerichtsverhandlung nur innerhalb des sH stattfinden konnte. Das Wort sH bezeichnet den Ort, wo der Gaufürst und sein Stab verschiedene Angelegenheiten behandeln 391 . Selbstverständlich werden darin auch gerichtliche Verhandlungen durchgeführt 392 , da die hier genannten sr.w eigentlich dieselben Beamten sind, die bei der Bezeichnungen D#D#.t und qnb.t gemeint werden. 3. Die symbolischen Bedeutungen des Gerichts Die Schwierigkeit, den Ort der Gerichtsverhandlungen aus den überlieferten Texten festzulegen, ergibt sich nicht unwesentlich aus dem Grund, daß viele Bezeichnungen für das Gericht eine symbolische Bedeutung haben. Dies läßt vermuten, daß die Gerichtsverhandlungen im alten Ägypten an dem Ort abgehalten wurden, der eine möglichst große Wirkung auf die Beteiligten ausüben können sollte. Aus der Geschichte des Bauern kann man mancherlei Hinweise sammeln, obwohl die Geschichte ein literarisches Werk ist. Über die erste Begegnung des Oasenmannes mit Rnsj wird in der Geschichte des Bauern 387 Zum Beispiel B1, 216-217. 388 Am Anfang der vierten Rede (B1, 225-226) wird es gesagt, daß der Oasenmann am Ausgang des Tempels auf Rnsj wartete: gm.n(=f) sw Hr pr.t m sb# n Hw.t-nTr nt Orj-S=f „Er (der Oasenmann) traf ihn ( Rnsj ), als dieser aus der Tür des Tempels des Orj-S=f herauskam.“ 389 Die Behauptungen der ägyptischen Beamten in ihren Autobiographien, daß sie zu Lebzeiten die Bittsteller freundlich aufgenommen oder zu den Unterdrückten geeilt sind, zeigen indirekt, daß der Ort der richterlichen Handlung je nach der Zeit und dem Umstand variabel sein kann. 390 Urk. VII, 19, 18-19. Nach der Meinung von Fischer-Elfert (Lehre eines Mannes, 37) kann sich das Wort sH statt auf das Ratskollegium auch konkret auf das Gebäude beziehen, in dem dieses tagt. 391 jnk oq# Sw m snk.t skm ns m sH n sr.w jr wp.t m oq#t „Ich war rechtschaffen und frei von Unrecht (? ), mit vollkommener Zunge in dem Beamtenrat, indem ich das Geschäft vortrefflich führte.“ Gardiner, in: JEA 4, pl. VIII, 6-8. 392 Die Beteuerung des Gaufürsten ! nqw , daß die Bürger in seinem Gau in [sH] n sr.w als Beamte tätig waren, während ihre Kinder von der Zugleine befreit waren, betont nur seine Leistung, den Status seiner Bürger verbessert bzw. erhöht zu haben. Urk. I, 77, 3-4. Vgl. dafür BM 1628, 12; BM 566, 7-8. <?page no="74"?> 3. Die symbolischen Bedeutungen des Gerichts 75 75 gesagt, daß dieser gerade von seiner Haustür heraus nach q#q#w=f n orrj.t ging 393 . In B1, 216-217 wird außerdem mit aller Deutlichkeit beschrieben, daß die Gerichtsverhandlung tatsächlich in der orrj.t stattfand. In B1, 225-226 erfahren wir weiter, daß der Oasenmann den Rnsj dort traf, als dieser aus der Tür des Tempels herauskam. Der Sitzungsort in der Geschichte, der mit orrj.t bezeichnet wird, könnte nicht weit entfernt sein von dem Tempel des Gottes Orj-S=f . Am Anfang der vierten Rede wird erwähnt, daß der Oasenmann mit seiner vierten Rede gleich begann, sobald Rnsj aus dem Tempel kam. Es scheint vielleicht nicht allzu gewagt zu sein, zu fragen, ob sich die orrj.t und der Tempel nicht in einem und demselben Gebäudekomplex befanden 394 . Dies erinnert uns stark an die oben schon erwähnten königlichen Dekrete aus dem Alten Reich. In den Texten werden mehrere Orte genannt, in denen die Übertreter der königlichen Bestimmungen bestraft werden sollen. Es wird einmal sXw-Or genannt 395 . Im Dekret des Nfr-jr-k#-Ro werden die zuständigen Beamten angewiesen, diejenigen, die ungesetzlich handeln, der Hw.t wr.t zu überstellen 396 . Daß das Verwaltungsgebäude mit dem Tempel verbunden sein könnte, wäre ökonomisch gesehen sehr sinnvoll gewesen. Außerdem war der Tempel das Zentrum einer Stadt, nicht nur im religiösen sondern auch im alltäglichen Leben. Dadurch, daß die Gerichtshandlungen in der Nähe vom Tempel abgehalten werden, bekommen die verschiedenen Götter ihre Rollen 397 bei den Klagen. In diesem Zusammenhang sind die Anspielungen des Oasenmannes, die oben schon erwähnt wurden, besser verständlich. Ein anderer bemerkenswerter Punkt bei der oben zitierten Stelle aus der Geschichte des Bauern ist die Erwähnung des Wortes orrj.t . In B1, 216-217 wird gesagt, daß der Oasenmann seine Rede am Eingang der orrj.t gehalten hat, in der sich Rnsj und seine Gefolgsleute befanden. Das Schiff, das Rnsj für seine Inspektionsreisen verwendete, wurde als q#q#w=f n orrj.t bezeichnet 398 . Dieses Schiff hat demnach die Funktion eines Büros, während Rnsj unterwegs war 399 . Daraus ist wohl zu konstatieren, daß die Bezeichnung orrj.t nicht mit einem festen Ort verbunden ist und darauf hindeutet, daß in dem damit bezeichneten Ort bestimmt öffentliches Geschäft betrieben wurde. Der aus Dendera stammende Mrj-PtH führt neben sD#w.tj bjtj den Titel jmj-r# orr.t 400 , in dem Schenkel den 393 B1, 66-67. Über das Wort orrj.t hat van den Boorn (in: JNES 44, 1-25) in Zusammenhang mit wDo-ryt eine eingehende Untersuchung vorgelegt. 394 Van den Boorn, Duties, 81 Anm. 9 kam zu dem Schluß, daß orrjj.t ein Übergangsbereich zwischen der äußeren und inneren „Welt“ im Tempel oder Palast darstellt. 395 Goedicke, Königl. Dokumente, fig. 8; Urk. I, 283, 13; Urk. I, 287, 16; Urk. I, 292, 5. 396 a.a.O., fig. 2; Urk. I, 171, 12-172, 5; Urk. I, 47, 8. Vgl. Gardiner, Admonitions, 51. 397 Man denke an die Drohung des Oasenmanns, daß dieser im Bereich des Gottes des Schweigens sei und seine weitere Drohung, sich über Rnsj bei dem Gott Anunbis zu beklagen: jw=j r Sm.t spr Hr=k n Jnpw „Ich werde gehen und den Gott Anubis um deinetwegen anflehen.“ B2, 114. 398 B1, 66-67. 399 Die Tatsache, daß Rnsj richterliche Funktionen ausübt, während er unterwegs ist, erinnert uns an die Könige der früheren Zeit, die mit Gefolgschaft das Land inspektierten, vgl. dazu Goedicke, Königliche Dokumente, 48-52. 400 Petrie, Dendereh, pl. X A. <?page no="75"?> 76 Kapitel II - Der Richter und das Gericht 76 Zuständigen der Garnison sieht 401 . In den Inschriften aus Hatnub wird der Titel Ss n orrj.t belegt 402 . Es ist möglich, daß die hier gemeinte orrj.t auf das Büro des Gaufürsten deutet, aber beweisen kann man das leider nicht 403 . Das Wort zeigt jedoch keinen besonderen Zusammenhang mit Rechtsprechung 404 . Aus den Belegen aus dem Neuen Reich kann man für orrj.t zwei Merkmale erkennen: Erstens scheint es der Ort gewesen zu sein, wo Schriftstücke besiegelt oder aufbewahrt werden 405 . Es wird darin auch Gericht abgehalten. Der Bürgermeister von Thinis Jntf , der seine Funktion als Vorsteher der orrj.t hervorhebt 406 , beschreibt in großem Umfang seine richterlichen Tätigkeiten 407 . In der Dienstordnung des Wesirs stellt sich die orrj.t als Eingangsbereich zum Palast dar 408 . An einer anderen Stelle wird gesagt, daß der Beauftragte des Wesirs die Bürgermeister und die Distriktsvorsteher zur orrj.t beruft und ihnen Anweisungen gibt 409 . Diese orrj.t scheint daher eine enge Beziehung zum Wesir gehabt zu haben 410 . Aus dem Text ist außerdem zu entnehmen, daß der Wesir die für schuldig befundenen Beamten genau dort bestraft 411 . Die Multifunktionalität der orrj.t zeigt eine Stelle aus der Autobiographie des RX-mj-Ro , in der dessen Berufung zum Wesir beschrieben wird. Es wird darin erwähnt, daß RX-mj-Ro zur Tür der orrj.t gelangte, um die Audienz des Königs zu hören 412 . Dabei erinnert man sich an die oben eingehend behandelte Anweisung des Königs an den Wesir bei dessen Einsetzung, daß dieser seine administrativen und richterlichen Aufgaben in X# n T#tj ausführen soll. Es besteht Zweifel, ob sich X# n T#tj und orrj.t auf zwei verschiedene Orte beziehen. Daß in der orrj.t Schriftstücke besiegelt und aufbewahrt wurden, paßt ebenfalls zu der Äußerung des Königs in der Einsetzung des Wesirs, daß es im Wesirbüro eine Große Halle gibt, in der rechtliche Dokumente aufbewahrt sind 413 . Aus der Dienstordnung des Wesirs erfahren wir wieder, daß in der Halle des Wesirs noch Dokumente aus dem Gau über die Felder zur Nachprüfung gelagert werden 414 . Der Raum, in dem sich der Wesir befindet, hat mehrere Funktionen, da der Wesir für Aufgaben in verschiedenen Bereichen zuständig ist. Es ist daher möglich, daß die orrj.t ein Teil des Wesirbüros darstellt. Derselbe Ort kann mit verschiedenen Namen bezeichnet 401 Vgl. Schenkel, MHT, 135. 402 Hatnub Gr. 15, 8; 21, 1; 25, 19. 403 Es wird außerdem die Titel Smsw n orrjj.t , wHmw n orrjj.t und jrj o# n orrjj.t belegt, vgl. Helck, Verwaltung, 66-67. 404 Quirke, Administration, 54-55 spricht gegen eine Übersetzung des Wortes mit „Gericht“, wie es Helck (Verwaltung, 65-66) tat. 405 Urk. IV, 1021, 1; Gardiner, The Inscrift of Mes, 6. 406 Urk. IV, 965, 5; 969, 11; 972, 15. 407 Urk. IV, 968f. 408 Van den Boorn, Duties, 83-84. 409 Urk. IV, 1108, 4-5. 410 Der Wesir war es, der den Vorsteher der orrjj.t einsetzte. Vgl. Urk. IV, 1114, 5. 411 Urk. IV, 1107, 4-6. 412 pH.n=j sb# n orojt , Urk. IV, 1073, 3; Gardiner, in: ZÄS 66, 64. 413 Faulkner, in: JEA 41, 20. Aus pAbbott 7, 16 erfahren wir, daß der Wesir noch über ein X# n sS.w verfügt. 414 Urk. IV, 1113, 15. <?page no="76"?> 3. Die symbolischen Bedeutungen des Gerichts 77 77 werden, je nach seiner augenblicklichen Funktion und je nach seiner Bedeutung für den Sprecher 415 . Die Gerichtssitzung in der orrj.t ist damit leicht verständlich, da sich einerseits der Wesir hier befindet und andererseits der Palast des Königs nebenan ist 416 . Wenn im pMünchen 809 die Rede davon ist, daß die vorliegende Gerichtsverhandlung in der „Großen Halle des Palasts ( m wsX.t n pr-o# o.w.s. ) stattfand 417 , müssen wir damit rechnen, daß damit derselbe Ort wie bei orrj.t gemeint sein könnte. Die räumliche Nähe des Gerichts zur Person des Königs erklärt die Aussagen in den Autobiographien, daß die Richtenden „an der Seite des Königs die zwei Parteien zufrieden gestellt haben 418 . Or-jr-o# , der Erzieher des Psammetik II., trägt in seiner Autobiographie den Titel jmj-r# orrj.t. Darin erkennt man wiederum die besondere Beziehung zwischen der orrj.t und dem Königspalast. Er berichtet überdies über seine richterlichen Handlungen. Wie Jansen-Winkeln in Anlehnung an Gardiner vermutet, hat Or-jr-o# die Aufsicht über das Vorraum des Palastes 419 . Diese mächtige Position hat er wohl aufgrund seiner Funktion als Erzieher des Königssohnes erhalten, und dadurch ist er die Person, die als Vermittler zwischen dem König und der Außenwelt auftritt. Es ist sehr wahrscheinlich, daß bei der Gerichtssitzung in der Nähe des Tempels oder in der Nähe des Königspalastes die Wirkung des Gottes bzw. des Königs im vorauus einkalkuliert wird. Aber es ist schwer festzustellen, wo genau die Sitzungen abgehalten werden 420 . Der Ausdruck wDo mdw m s.wt Spss n pr-o# , „Gerichtsverhandlung in den erhabe- 415 Die Verstorbenen, die in dem Totengericht freigesprochenen wurden, bilden das Jenseitskollegium des Osiris. In diesem mit D#D#.t bezeichneten Kollegium fungieren sie als sSmw „Führer“ und sind für die Überwachung der sb#w „Tore“, orrj.wt „Torhallen“ und sbX.wt „Pforten“ zuständig. Vgl. dazu Assmann (1969), 32. In dieser Tatsache dürfte man vielleicht eine Widerspiegelung der diesseitigen Verhältnisse sehen. 416 Über den König Ahmose wird gesagt (Urk. IV, 18, 3-4): jw X#s.tjw m hjms wo oHo.w r orrjj.t=f „Die Ausländer sind in einem Bittgang, indem sie an seinem Tor stehen.“ c#-B#st.t , ein Barbier des Königs unter Amenophis II. sagt über seinen Diener Jmn-jj.w (Urk. IV, 1369, 10-11): n{n} Hwj.tw=f n{n} S[no.tw=f] Hr sb# nb n njsw.t „Er wurde niemals geschlagen und niemals an den Toren des Königs abgewiesen.“ In drei Briefen (Nr. 21, 34 und 35, Černý, LRL, 36, 8; 54, 1; 54, 12), die der General Pianch an seine Untergebenen in Theben geschickt hat, wird die Behandlung der zwei MD#j erwähnt. In zwei der Briefe (Nr. 34 und 35) wird ausdrücklich angewiesen, daß die Beschuldigten zum Hause des Generals geholt werden und die Untersuchung ausgeführt werden soll. Das hier genannte Haus war wahrscheinlich der Büroraum des Generals, der notfalls für eine Gerichtsverhandlung verwendet wurde. Es ist daher gut vorstellbar, daß die Gerichtsverhandlungen je nach Bedarf im Palast, an den Toren des Palasts, an den Toren der Tempel oder im Wesirbüro abgehalten wurden. 417 Vgl. Spiegelberg, in: ZÄS 63, 106f. Jin, „Bemerkungen zum pMünchen 809 - Zum Verständnis des Begriffs hp “, in: DE 48, 89-94. 418 wpj sn.wj r-gs njswt Htp=sn Hr st-r#=f , de Meulenaere, in: BIFAO 63, 23 und 25 (j). Auf pBerlin 11310 ist ein Beamter mit sr bezeichnet und seine Aufgabe liegt darin, für das große Tor zuständig zu sein. Vgl. dazu Boorn, in: JNES 44, 8. 419 Jansen-Winkeln, in: MDAIK 52, 198. 420 Über orrjj.t schreibt van den Boorn (in: JNES 44, 13 ) zusammenfaßend: „Therefore, oryt has all the ideological characteristic of a gateway but cannot be identified as a specific architectural component; oryt is a general term referring to the area in front of a ‚building of authority‘ (including the gate), whereas, rwt , sb# , and h#yt are termini technici denoting specific parts of buildings.“ <?page no="77"?> 78 Kapitel II - Der Richter und das Gericht 78 nen Orten des Palasts“ zeigt deutlich, daß der Ort nicht auf einer Stelle zu beschränken ist 421 . Es scheint abwegig, aus derartigen ungenauen Aussagen die genaue architektonische Struktur zu rekonstruieren 422 . Bei den Bezeichnungen der Gerichtsverhandlungen wird stets Wert darauf gelegt, daß der Ort erhaben und verborgen war. Ein Schatzbeamter aus dem Anfang der 11. Dynastie sagt: n sDw(=j) s n Hq# n Dd(=j) mdw nb r rw.tj , „(Ich) habe niemanden beim Herrscher schlecht gemacht und kein Wort nach draußen preisgegeben.“ 423 Das Wort rw.tj , das wörtlich zwei Torflügel bedeutet, weist auf die Abgeschiedenheit des Wohnorts des Königs 424 . Es ist daher der Schnittpunkt zwischen dem Innern und dem Außen. In BM 5645 (Klagen des Chacheperreseneb) wird die Unruhe wie folgt beschrieben: rdj.tw m#o.t <r> rw.tj jsf.t m-xnw sH „Maat hat man nach draußen geworfen, Isfet herrscht in der Ratshalle.“ 425 Die Parallele zwischen rw.tj und sH bzw. zwischen m#o.t und jsf.t ist bemerkenswert. Das Wort rw.tj betont wieder die Verbindungsstelle mit dem Ort der Gerichtsverhandlung und der Außenseite. Wenn die Maat, in der alle gesetzlichen Regeln enthalten sind, aus dem Ort sH , in dem die Rechtsprechung stattfindet, entfernt wird, dann herrscht im Gericht und damit im ganzen Lande Unrecht. Die Verbindung zwischen rw.tj und Rechtsprechung scheint auch an der folgenden Stelle aus der Prophezeiung des Neferti in einem positiven Sinn gemeint zu sein: jw m#o.t r jj.t r s.t=s jsf.t dj.tj r rw.tj „Maat wird an ihre Stelle zurückkehren, indem Isfet nach draußen geworfen ist.“ 426 Hier sehen wir genau das Gegenbild von der oben zitieren Darstellung des %o-Xpr-Ro-snb . Da die Maat an den ihr gebührenden Platz zurückgekehrt ist, kann das Unrecht aus dem Ort der Rechtsprechung vertrieben werden. Den chaotischen Zustand des Landes während des Fehlens eines tüchtigen Königs wird von Ramses III. folgendermaßen beschrieben: wn p# t# n Km.t X#o(.w) m rw.tj s nb m oq#=f „Das Land Ägypten wurde aus den Torflügeln (der Rechtsprechung) herausgeworfen und jeder Mensch (handelt) nach eigenem Gutdünken.“ 427 Hier an dieser Stelle steht der mit rw.tj bezeichnete Ort sowohl mit dem Thron des Königs als auch mit der Rechtsprechung in einem engen Zusammenhang. 421 Junker, Giza 6, fig. 83. Auf CG 20025 wird gesagt, daß die Feinde des Verstorbenen gefallen sind und unter die Sohlen des Verstorbenen gelegt werden. Diese Stätte der Strafe befindet sich in der Festhalle ( Hbj.t ), die in der Mitte von Abydos ist (Z. 16). Diese Aussage wird zwar im Kontext des Totenkultes gemacht, zielt aber auf dieselbe Außenwirkung ab. 422 Der Gaufürst onX.tj=fj sagt, daß das Haus des %ww wie Marschland überschwemmt wurde. Vandier (Mo c alla, 166) interpretierte das Wort pr als die Bezeichnung für den Gau Edfu. Diese Annahme wurde von Fischer (Dendera, 149 mit Anm. 652) mit weiteren Belegen bekräfigt. Demnach wird der Begriff „Haus“ dazu verwendet, um die Idee eines gesicherten und geordneten Ortes zum Ausdruck zu bringen. 423 TPPI § 17 Z. 3. 424 Vgl. Jansen-Winkeln, in: MDAIK 52, 198f. 425 Gardiner, Admonitions, pl. 17, 11. 426 Helck, Neferti, XVe. 427 pHarris I, 75, 2-3; vgl. die Behauptung des Ramses IV, in KRI VI, 13, 8-9: msj m#o.t sHtm jsf.t dj wn grg r-rw.tj dj t#.wj m Htp.w „Die Maat ist geboren und die Isfet wird vernichtet. Die Lüge wird vertrieben und die beiden Länder werden in Zufriedenheit gestellt.“ <?page no="78"?> 4. Der Richter als Herr der Öffentlichkeit 79 79 Interessant ist, daß wir aus den Gerichtsprotokollen mehrfach erfahren, daß die gemeinten Gerichtsverhandlungen am Tor des Tempels abgehalten wurden 428 . In pAbbott 7, 1 heißt es, daß die Gerichtssitzung am sb# stattfand 429 . In pBerlin 3047, 3 war es trj# , wo die gerichtliche Verhandlung durchgeführt wurde 430 . An der Rückseite des Monthu- Tempels in Karnak schloß sich der Tempel der Maat an. Hier wurde in der 20. Dynastie oft Gericht gehalten 431 . Wenn wir in diesem Zusammenhang die Anweisung in den königlichen Dekreten der früheren Zeit heranziehen, die festlegte, daß die Stelen mit den Dekreten am Eingang ( r orrw.t ) des betreffenden Tempels aufgestellt werden sollen 432 , erkennen wir sofort das andere Merkmal in der Bezeichnung des Gerichts im alten Ägypten, nämlich neben der oben erörterten Verborgenheit die Öffentlichkeit 433 . Die Stele mit dem Dekret am Tempeltor wirkt als eine Warnung an die potentiellen Übeltäter, und wenn eine Übeltat vorkommt, kann man über ihn genau an dem Ort Gericht halten. Möglicherweise hängt das Orakel des Gottes bei dessen Prozession auch damit zusammen 434 . 4. Der Richter als Herr der Öffentlichkeit Oben war von der Auswahl des Ortes für die Gerichtsverhandlung die Rede, bei der der Akzent auf die symbolische Bedeutung und damit die Wirkung des Königs und der Götter gelegt wurde. Dadurch haben die Richter bessere Möglichkeiten, den Beschuldigten zum Geständnis zu bringen oder zwischen den Parteien einen Kompromiß zu erzielen. Eine ebenfalls maßgebende Rolle spielt auch die Öffentlichkeit in den Gerichtsverhandlungen. Daher muß man sich vorstellen, daß das Gericht generell an dem Ort abgehalten wurde, wo es für viele leicht zugänglich war. Der oben erwähnte Gaufürst Jmnj berichtet, daß die anderen Beamten am Tag des Richtens auf ihn warten mußten und er voller Ausstrahlung im Gericht erschien 435 . Die hier gegebene Beschreibung ist sicher übertrieben. Aber die 428 Daumas, BIFAO 50, 150 A 4; Sauneron, in: BIFAO 54, 119; Lourie, Studien, 81f.; Seidl, Einführung, 33. 429 In den Sargtexten wird das Tor ( sbX.t ) als der Ort der Gerichtsverhandlung genannt, CT VII 262e (Spruch 1031). In der Sonnenlitanei spricht der Gott Re den Göttern Recht an seinen Toren: wDo. n=f nTr.w m sb#.w=f , vgl. dazu Assmann (1969), 92. 430 Vgl. Sauneron, in: BIFAO 54, 120-121; Helck, in: JARCE 2, 65ff. Theodorides, in: RIDA 27, 12ff. Gabra, Conseils, 24; Habachi, in: ASAE 52, 503; Otto, Gott und Mensch, 22-23. 431 Vgl. Helck, Verwaltung, 68; Otto, Osiris und Amun, 83; Edfou VIII 162-163, s. Sauneron, in: BIFAO 54, 119. Vgl. auch die Nennung des Gottes als den Leiter des Tores, Assmann, ÄHG, 195. 432 Hayes, in: JEA 32, 6f. 433 In diesem Zusammenhang können wir den Grund der Bekanntmachung der Gesetze auf einer Stele durch Hammurabi einbeziehen, vgl. Westbrook, „Mesopotamia. Old Babylonian Period“, in: Westbrook (ed.), A History of Ancient Near Eastern Law, 394. 434 Dazu vgl. Assmann (1969), 95. 435 Urk. VII, 20, 18-20. <?page no="79"?> 80 Kapitel II - Der Richter und das Gericht 80 Formulierungen wie hrw n wDo Hm.t 436 , hrw n wp.t 437 und hrw wDo mdw 438 weisen alle darauf hin, daß die Gerichtsverhandlung ein Ereignis bedeutet. Dieses Phänomen entspricht auf der anderen Seite den Aussagen in den Autobiographien, daß die Verstorbenen bei den Gerichtsverhandlungen zu Lebzeiten stets an dem Prinzip der Gerechtigkeit festgehalten haben, da sie wollten, daß die Mitmenschen ihre einwandfreie Handlung zur Kenntnis nehmen und entsprechend belohnen würden. Die Zusammensetzung des Gerichts mit zahlreichen Personen kann man schon an den königlichen Dekreten erahnen. Die Dekrete wurden oft an mehrere Personenbzw. Berufsgruppen gerichtet, die alle verpflichtet waren, dem Befehl des Königs zu folgen und gegen eine mögliche Übertretung vorzugehen 439 . Die breite Beteiligung der Bürger an den Gerichtsverhandlungen läßt sich auch in den Lehren belegen. In der Lehre des Ptahhotep mahnt der Vater seinen Sohn, einen Bittsteller nicht einfach abzuweisen. Sonst würden die Menschen fragen, warum der Bittsteller überhaupt abgewiesen wurde 440 . Diese Warnung wird in der Geschichte des Bauern mit den Worten des Oasenmannes ausgedrückt. Bei seinem Vorwurf, daß Rnsj beim Richten Unrecht tut, während der König im Palast ist, fügt der Oasenmann noch hinzu, daß die Öffentlichkeit „bewundern würde“ ( k#=tw ), was da alles los ist? “ 441 Über den Richter, der den Gefesselten befreit und den Elenden schützt, würde das Publikum „sagen“ ( Dd=tw ), daß es ein Glücksfall sei 442 . Ein Richter, der eine Waise aus der Hand ihren Verfolgers rettet, wird die „Lobpreisung der Leuten gewinnen“ ( rmT Hr Hs.t ) 443 . In der Einsetzung des Wesirs wird noch deutlicher gesagt, daß ein Beamter „in der Öffentlichkeit“ richtet ( m wn-Hr ). „Das Wasser und die Luft berichten alles, was er dort tut.“ Es gibt daher nichts, was nicht bekannt würde 444 . Von einem Beamten, der beim Richten die Furcht vor sich millionenfach übertreibt, haben die Menschen keine gute Meinung. Sie würden nicht sagen, daß der Beamte ein richtiger Mensch sei 445 . Auf der anderen Seite übt die Tatsache, daß die Mitmenschen an der möglichen Gerichtsverhandlung teilnehmen oder sogar als Richter fungieren würden, wesentlichen Druck auf die Prozessierenden aus. In der Lehre des Ptahhotep werden drei mögliche Situationen vorgestellt, in denen der Sohn/ Schüler mit drei verschiedenen Gegnern in 436 Urk. I, 266, 16. 437 Urk. VII, 20, 18. 438 a.a.O. 20. 439 Das Dekret des Königs Nebkheperre Antef wurde z. B. außer der zuständigen Persönlichkeiten in Koptos auch an die Soldaten in Koptos und Priester im Mintempel gerichtet. Sethe, Lesestücke, 98, 3-5. 440 Ptahhotep 273-274. 441 jSst pw ntj jm k#=tw , „‚Was hat er vor? ‘ wird man fragen.“ B1, 160. 442 pChester Beatty IV, vs. 2, 1-2, Gardiner, Hieratic Papyri in the British Museum, Vol. II, pl. 18. 443 a.a.O., 2, 2-4. 444 Urk. IV, 1088, 8-10. Bei den Ausführungen in seiner Autobiographie über seine schlichtende, rettende und strafende Handlungen berichtet RX-mj-Ro auch über die Reaktion der Öffentlichkeit. Als stellvertretend werden die lobenden Worte der alten Leute wiedergegeben. Urk. IV, 1078, 13. 445 Urk. IV, 1091, 8-10. Über die mögliche Wirkung der Rechtsuchenden auf den Richtenden sagt der König, daß es die Schutzwehr eines Beamten sei, so zu handeln, wie der Bittsteller es wünscht. Urk. IV, 1089, 3-4. <?page no="80"?> 4. Der Richter als Herr der Öffentlichkeit 81 81 Streit geraten würde 446 . In allen drei Fällen wird die Meinungsbildung bei den Hörenden hervorgehoben, während der Sohn zum Schweigen ermahnt wird 447 , denn die zuschauende und zuhörende Menge wird darüber entscheiden, wer im Recht ist 448 . Bei der Bezeichnung des Asiaten als ehrlosen Menschen sagt der Vater des Merikare, daß er ein Räuber sei, den die Gemeinschaft ausschließen soll 449 . Aus diesem Rat des Königs erfahren wir, dass ein streitsüchtiger Mensch nicht geeignet ist, in einer Gemeinschaft zu leben, daher ist es die Aufgabe des richtenden Beamten, gegen solchen Mann die öffentliche Meinung zu mobilisieren. Wenn wir die Rechtsinschriften aus dem Neuen Reich heranziehen, können wir die Auswirkung der Öffentlichkeit auf die Gerichtssitzung, die in den Lehren belegt war, noch deutlicher sehen. Noch wichtiger ist, daß wir die Parallele zwischen den Aussagen in den Autobiographien über das Gericht und dessen Praxis nachweisen können. Es war in den Gerichtsverhandlungen des Neuen Reiches, besonders in Deir el-Medina, die Regel, daß mehrere Personen gleichzeitig als Richter auftreten. Meistens wird nicht angegeben, wer der Gerichtsverhandlung vorsitzt 450 . Wahrscheinlich war dies nicht so wichtig. Stattdessen werden die Mitglieder des Gerichts am Schluß eines Protokolls auf einer Liste aufgeschrieben 451 . Das Urteil wurde von dem Gericht gemeinsam getroffen. Fast möchte man von der „Anonymität“ und „Einstimmigkeit“ der Beteiligten sprechen 452 . Sicherlich wurde damit die einheitliche Wirkung des gesamten Kollegiums beabsichtigt. In oBM 5625 waren 446 Ptahhotep, 60ff. In der Lehre ist von einer Gerichtsverhandlung nicht die Rede. Aber die Konstellation ähnelt einer Gerichtssitzung, in der die Hörenden ( sDm.jjw ) über die zwei Kontrahenten entscheiden. 447 „Wenn du auf einen Disputierer triffst in seiner Stunde, geistesmächig und dir überlegen, dann beuge deine Arme und neige deinen Rücken, …-wenn er Schlechtes sagt, wird man sagen: ‚Er ist ein Ungebildeter.’ Wenn du auf einen Disputierer triffst in seiner Stunde, einen dir ebenbürtig und gleichen Ranges, dann sollst du durch Schweigen erreichen, daß du ihm überlegen bist, während er Übles spricht, dann wird die Zustimmung bei den Zuhörern groß sein. Wenn du auf einen Disputierer triffst in seiner Stunde, einen Armseligen, der dir nicht gleichrangig ist, dann sei nicht agressiv wegen seiner Erbärmlichkeit-… Man wird in deinem Sinne handeln, du triffst ihn durch die Abweisung seitens der Großen.“ Ptahhotep 60-83. 448 Als die beste Verhaltensweise rät der Vater in der Lehre des Ani, gemäß den Regeln zu handeln, die in der Meinung anderer Menschen richtig sind: j.Sm <r> nt-o ro nb ntj [jp] m kjwj „Verhalte dich nach der Sitte, die die anderen [für richtig halten.]“ B 15, 16-17; vgl. Quack, Die Lehren des Ani, 89 mit Anm. 12. Vgl. in dem Zusammenhang auch Ani B 17, 5-6; Lehre des Anchscheschonqi 22, 10-11 (Lichtheim, Late Egyptian Wisdom Texts, 87); pInsinger, 4, 10-11(Lichtheim, a.a.O., 200). 449 mj T#j Sno.n sm#jj.t „wie ein Räuber, den die Gemeinde abgewiesen hat“, Merikare E 94. 450 Die 42 Richter im Totengericht kommen aus verschiedenen Orten Ägyptens und jeder von ihnen ist zuständig für die Prüfung von bestimmten Verfehlungen. Neben ihnen wird kein oberster Richtergott genannt. Darin sieht Yoyotte die möglichen Spuren älteren Volksglaubens, vgl. hierzu Yoyotte, in: Sources Orientales 4, 1961, 58-61; vgl. dazu Fecht, Vorwurf, 124. Im Göttergericht bei der Behandlung des Konflikts zwischen Horus und Seth kann man auch das Zusammenwirken mehrerer Richtender erkennen, wenn auch der Sonnengott als Vorsitzender auftritt. Diese Spuren müssen auch in der realen Welt erhalten geblieben sein. 451 Dies erklärt indirekt die Frage, warum die Aussage über die richterlichen Handlungen so oft aber so unkonkret in den autobiographischen Inschriften vorkommen. 452 Vgl. hierzu Anthes, in: MDAIK 9, 93. <?page no="81"?> 82 Kapitel II - Der Richter und das Gericht 82 es die zwei Vorarbeiter, der Schreiber, die Trägerschaft der Götterstatuen und die ganze Arbeitstruppe, die nicht nur bei der Gottesentscheidung mitwirken, sondern auch die Erfüllung der göttlichen Entscheidung sichern sollen 453 . Die Einwirkung der Öffentlichkeit auf die Prozessierenden sehen wir jedoch am besten in den Protokollen der Gerichtsverhandlungen. Dies ist schon in der Formulierung des Urteils eindeutig. Das oft vorkommende Urteil lautet „A ist im Recht, B ist im Unrecht.“ Dies richtet sich nicht nur an die zwei Streitparteien, sondern es werden auch die Zuhörer angesprochen, die bei der Gerichtsverhandlung zugegen waren. Nun soll die Gemeinde nicht nur beobachten, ob die den Prozeß verlierende Partei ihrer Pflicht nachkommt, sie soll darüber hinaus Druck ausüben 454 . Die Wirkung solchen Drucks kann man sich für Ägypten, wo die Dörfer als politische, religiöse und ökonomische Einheit eine sehr wichtige Rolle gespielt haben, leicht vorstellen 455 . Es ist daher ebenfalls falsch, anzunehmen, daß das obengenannte Urteil mit Absicht vage formuliert wurde, weil „die Stellung des Laienrichters im Prozeß nicht immer autoritativ stark genug sein konnte“ 456 . Gerade daraus erfahren wir, daß Urteile der Vorarbeiter und Schreiber, obwohl sie keine Beamte im eigentlichen Sinne waren, weit über das Gericht hinaus Konsequenzen haben konnten 457 . Der häufig dem Urteil folgende Eid der unterlegenen Partei, der ihre Unterwerfung oder ihren Verzicht auf einen Anspruch bekundet, ist ebenfalls in gewissem Maße an die Öffentlichkeit gerichtet 458 . In pGurob II wird ausdrücklich betont, daß der Eid vor dem richtenden Kollegium und den zuhörenden Bewohnern der Stadt ( n# n rmT n dmj pn sDm md.t ) geleistet wurde 459 . Da die Nichterfüllung der mit dem Eid versprochenen Leistung kaum Strafe mit sich bringt, soll man den Eid dahingehend erklären, daß er der Öffentlichkeit das Argument liefert, worauf sie sich für weiteren Druck stützen kann 460 . 453 Blackman, in: JEA 12, pl. 41; Allam, Hieratische Papyri und Ostraka der Ramessidenzeit, 46. Vgl. dazu Hatnub Gr. 14, 11-12, wo NTr.w-Htp sagt, daß er die zwei Parteien mit dem Urteil der qnb.t zufriedengestellt habe. 454 Da es sich in den meisten Streifällen, die mit obengenanntem Urteil entschieden werden, um die Zahlung der überfälligen Schulden oder die Rückgabe oder Ersetzung der ausgeliehenen Tiere handelt, ist der Tatbestand nach der Verhandlung eindeutig, z. B. pMünchen 809, Spiegelberg, in: ZÄS 63, 106; pBerlin 9785, 17-18; pBerlin 3047, 14. Der Einwand von Seidl (Einführung, 37; Handbuch, 15-16), daß der Gerichtsvollzieher ein solches Urteil nicht vollstrecken kann, scheint grundlos zu sein. Es gab in den meisten Fällen überhaupt keine Gerichtsvollzieher. Vgl. hierzu Polacek, in: JJP 13, 1961, 266. 455 Vgl. Theodorides, in: RIDA 20, 60ff. Der Schreiber des oNash 1 bezeichnet den Diebstahl einer Frau namens Orj# als den Abscheu des ganzen Dorfes. 456 Allam, Verfahrensrecht, 49-50. 457 Janssen, in: BiOr 32, 294-295. 458 Seidl, Einführung, 38 nimmt die Unterwerfungserklärung erst für die Ptolemäerzeit an. 459 Gardiner, in: ZÄS 43, 35-37. 460 Dazu McDowell, Jurisdiction, 183. Es ist in Deir el-Medina nicht selten, daß die für schuldig gefundene Partei den Forderungen der anderen Partei nicht sofort nachkommt. Aber es ist nicht belegt, daß ein Beklagter versucht, dem Gericht zu entkommen. S. dazu Allam, Verfahrensrecht, 46; McDowell, Jurisdiction, 154-155. <?page no="82"?> 4. Der Richter als Herr der Öffentlichkeit 83 83 Wir sind mehrfach davon unterrichtet, wie die Bewohner des Dorfes Deir el-Medina zur Veranstaltung einer Gerichtssitzung und zur Beilegung des Konflikts beitragen. Ob die für die Ordnung eines Ortes zuständigen Personen ihre Aufgaben erfüllen, wird von den Bewohnern beobachtet. So wurde einem Vormann der Arbeitstruppe, der gleichzeitig das Oberhaupt der Ortschaft war, von einem Schreiber und einem Arbeiter vorgeworfen, sich nicht in einem leider ungenau geschilderten Mordfall eingeschaltet zu haben 461 . Diese Kontrolle gilt nicht nur für diejenigen, die für das Rechtsleben der Gemeinde zuständig waren. Die Ägypter sind wahrscheinlich davon ausgegangen, daß jeder für die Rechtspflege der Gemeinde verantwortlich ist 462 . Eine Frau wurde von einem Schreiber vor der höheren Behörde angeklagt, weil sie unerlaubt die staatlichen Vorratshäuser öffnete, die früher in der Zuständigkeit ihres Ehemannes gewesen waren 463 . Ein Vater sprach gegen seinen Sohn, der unrechtmäßig um das Verfügungsrecht über ein Vorrathaus mit einem anderen streitet 464 . Ein Schurke im Dorf schlief mit einer verlobten Frau und hörte nicht mit seinen Umtrieben auf, als deren Verlobter ihn bei den Machthabern im Dorf anklagte. Jener ging einen Schritt weiter und schwängerte die Frau. Es war nun sein Vater, der seinen Sohn den Zuständigen des Dorfes überstellte, damit sein Sohn unter Androhung einer strengen Strafe erneut einen Eid ableistete, sich von der Frau fernzuhalten 465 . Hier wird wenig über die Handlungsweise der Richtenden gesprochen und man bekommt den Eindruck, daß sie eine eher passive Rolle gespielt haben. Aber es ist durchaus möglich, daß die Richtenden um den Konsens mit dem Vater bemüht waren, so daß dieser gegen seinen Sohn auf der Seite der Richtenden auftrat 466 . Es wurde sogar bei dem Orakel des Gottes die Karte des öffentlichen Drucks ausgespielt. Nachdem seine zwei Kleidungsstücke gestohlen wurden, wendete sich Q#H# an den vergöttlichten Amenophis I. um Hilfe 467 . Bemerkenswert ist, daß er extra den „Magier“ 461 Černý, Ostraca Hiératiques non Littéraires de Deir el Médineh, II, pl. 7. In einem viel früheren Text aus Koptos erfahren wir, wie die Priester des dortigen Tempels direkt den König über eine Übeltat informieren, so daß dieser zwei Beamte beauftragt, die Angelegenheit am Ort zu untersuchen und zu erledigen. Petrie, Koptos, 10; Lorton, in: JESHO 20, 19. 462 In Deir el-Medina muß ein Mann namens Nb-nfr wegen seiner „spitze Nase“ sehr bekannt gewesen sein. Es ist textlich mehrfach überliefert, daß er vor den zuständigen Machthaber des Dorfes angebliche Diebe anklagte. oNash 1, Černý/ Gardiner, Hier. Ostr. pl. 46, 2; oNash 2, Černý/ Gardiner, a.a.O. pl. 47, 1; oCairo 72465, Allam, Hieratische Ostraka und Papyri aus der Ramessidenzeit, Tafelteil, 33. 463 oAshmolean Museum 1945.37, Černý/ Gardiner, Hieratic Ostraca, pl. 74, 13-16. 464 oGenf 12550, Allam, Hieratische Ostraka und Papyri aus der Ramessidenzeit, Tafelteil, 54. Zur Interpretation s. Janssen, in: BiOr 32, 293; McDowell, Jurisdiction, 128-129. 465 pDeM 27, Allam, a.a.O., 99. 466 Vgl. dazu die auffallende Forderung auf der Stele U.C. 14430, daß ein Vater seinem unrechten Sohn im Gericht keine Beihilfe leisten soll: n #b(=j) mr.t nDs jr s# s jr.w st jt=f bT=f sw m qnb.t , „Ich begehrte nicht die Geliebte eines kleinen Mannes. Betreffend den Sohn eines (wichtigen) Mannes, der dies tut, ist es sein Vater, der ihn (den Sohn) in der qnb.t im Stich lassen soll.“ Stwart, Egyptian Stelae, II, pl. 21, 12-13. 467 oGardiner 4, Černý/ Gardiner, Hieratic Ostraca, pl. 27, 3. <?page no="83"?> 84 Kapitel II - Der Richter und das Gericht 84 ( Xrp-crq.t ) 468 , von dem wahrscheinlich geglaubt wurde, er besitze außergewöhnliche Kräfte, zur Befragung des Orakels holte, damit dieser den Namen der Dorfbewohner nannte. Hier kann man schwer über eine reine Gottesgerichtsbarkeit reden, da dabei mehrere Elemente mitspielten. Der Gott, der Magier, die Trägerschaft der Gottesbarke und die Zeugen üben alle Druck auf die Diebin 469 aus. Es ist deswegen offenkundig, daß alle Beteiligten der Befragung eine übereinstimmende Vermutung hatten, wer die Kleider gestohlen haben könnte. Daraus kann man sich ein Bild machen, wie durch das Zusammenspiel verschiedener Elemente eine Atmosphäre erzeugt wurde, die auf einen Verdächtigten oder Verurteilten einwirkte. Ein solches Bild sieht man in der Tat im Grab TT 19. Auf diesem Bild trägt eine Mannschaft von acht Personen die Statue des vergöttlichten Amenophis I., außerdem sind noch Priester und Standartenträger zugegen, während ein Schreiber dem Gott die Fragen stellt. Hinter dem Schreiber stehen die beiden Prozessierenden, die wieder von singenden und musizierenden Männern und Frauen begleitet werden 470 . Die Gerichtsverhandlung wird somit wie ein Fest gefeiert 471 : Eigentlich wird die obsiegende Partei gefeiert. Die unterlegene Partei wird möglicherweise als Spielverderber geächtet 472 . 5. Die Rolle der Zeugen Die bedeutende Rolle, die die Zeugen bei den Gerichtsverhandlungen gespielt haben, ist eine der wichtigen Voraussetzungen dafür, daß die Öffentlichkeit dem Rechtsverkehr große Aufmerksamkeit schenkte. In der Lehre eines Mannes an seinen Sohn wird es als Mahnung hervorgehoben, daß die Zeugen eine große Rolle zu spielen imstande sind: m Dd grg.w r-s# qd md.t qsn pw mtr.w Hr sXwn „Lüge nicht nach dem Konstruieren einer Affäre (? ), (denn) peinlich ist es, wenn es Zeugen gibt beim Streit.“ 473 Auf diese Rolle wird auch in der Lehre des Ani mehrfach eingegangen. Die Notwendigkeit der Zeugenaussage wird sehr anschaulich mit Einbeziehung einer Frau betont, die fern von ihrem Ehemann 468 Zur Funktion des „Magiers“ s. Gardiner, in: PSBA 39, 43. Junke, in: ZÄS 63, 1928, 65. 469 Als der Magier den Schreiber Jmn-nXt nannte, „rückte“ der Gott nach vorne und „sagte“, daß die Kleider bei der Tochter des Jmn-nXt seien. 470 Vgl. dazu McDowell, Jurisdiction, 112. 471 Die Orakelentscheidungen stimmen außerdem mit den Festdaten überein. Vgl. dazu Assmann (1984a), 43. Diese Wahl eines ungewöhnlichen Datums gilt auch für die Herstellung eines Dokuments. Im Adoptionspapyrus wurde die schriftliche Festlegung der Adoption vor vielen Zeugen während des Fests für die Thronbesteigung des Ramses XI. gemacht. Sicherlich wurde dabei möglichst breite Publizität beabsichtigt. Vgl. Eyre, in: JEA 78, 209; Černý, in: JEA 31, 42; Menu, in: JEA 74, 166ff. 472 Auf der Stele BM 589 erzählt der Mann, wie der Gott Ptah ihn bestraft hat. Der Gott hat bewirkt, daß er wie die Hunde der Straße lebt und die Menschen und Götter ihn als den betrachten, der seinem Herrn Abscheuliches angetan hat. Vgl. Erman, in: Sitzungsberichte der Königlich-Preußischen Akademie der Wissenschaften, 1100-1102. 473 Die Übersetzung und Interpretation nach Fischer-Elfert, Lehre eines Mannes, 117-119. <?page no="84"?> 5. Die Rolle der Zeugen 85 85 an einem fremden Ort weilte. Die Annäherung an eine solche Frau in Abwesenheit eines Zeugen würde tödliche Konsequenz haben 474 , da sie einen Mann in dem Fall beliebig zu ihren Gunsten beschuldigen könnte. Daß die Zeugenaussagen sehr üblich waren 475 , sieht man an einer anderen Mahnung des Ani an seinen Sohn, einer Schlägerei fernzubleiben, denn das folgende Zeugenverhör würde für den nicht angenehm, der nur zugeschaut hatte 476 . Die bedeutende Rolle der Zeugen sieht man auch in der Lehre des Amenemope, auch wenn sie in negativem Sinne geschildert wird. Der Schüler wird davor gewarnt, vor den Richtern falsche Aussagen zu machen oder unüberlegt zu antworten, während die Zeugen aufgestellt sind 477 . Zwischen den Zeilen kann man die starke Abhängigkeit der Richtenden von den Zeugen erkennen. Die Vorsichtsmaßnahme ist in erster Linie nicht wegen der Richtenden ( sr.w ) sondern wegen der Zeugen zu ergreifen, denn die nachfolgende Handlung wird von den Aussagen der Zeugen bestimmt. In der Lehre des Amenemope (20,8-11) wird der Schüler ausdrücklich ermahnt, angesichts der Zeugen nicht zu versuchen, sich durch unterschiedliche Behauptungen der Strafe zu entziehen: m jr oq r qnb.t m-b#H srw mtw=k soD# md.t=k m jr Ts h# tw xr wSb.t=k jw n#j=k mtr.w soHo „Gehe nicht ins Gericht vor den (richtenden) Beamten und verfälsche (nicht dann) deine Aussage. Schwanke nicht bei deiner Antwort, wenn deine Zeugen aufgestellt sind.“ In oKairo 25572 versichert ein Arbeiter namens %o-m-sb# , daß sich in den Gegenständen, die er zum Kauf einer Dienerin ausgegeben hatte, keine Sachen von O#jj befanden. Er schwört sogar, daß er 100 Hieben unterliegen würde, wenn sich ein Zeuge gegen ihn ausspricht. Es ist aus dem Ostrakon zu entnehmen, daß es %o-m-sb# war, der im Gericht geschlagen wurde. Sehr wahrscheinlich hat sich tatsächlich ein Zeuge gemeldet und gegen %o-m-sb# ausgesprochen 478 . In oNash 2 beschuldigte der Arbeiter Nb-nfr einen seinen Kollegen namens O#jj des Diebstahls von drei staatlichen Meißeln 479 , da er die drei Meißel in der Kammer des O#jj gesehen hatte 480 . Daraufhin fragte der als Richter fungierende Schreiber, ob Nb-nfr für seine Anschuldigung gegen O#jj Zeugen habe. Nb-nfr konnte die Namen zweier Arbeiter nennen. Die zwei genannten Arbeiter konnten jedoch nur bestätigen, daß sie die Meißel bei O#jj gesehen hatten, wußten aber nicht, ob die Meißel dem Staat oder O#jj gehörten. Der Protokoll endet mit der Namensliste der Beteiligten 474 Ani B 16, 14-15. 475 Dem Sohn wird sogar geraten, beim Opfern für den Gott (B 16, 4-5) und für die Eltern (B 17, 5-6) Zeugen zugegen zu haben. In diesem Zusammenhang sind möglicherweise die Aussagen in den Autobiographien einzubeziehen, daß die Stelenbzw. Statueninhaber zu ihren Lebzeiten ihre Familienangehörigen sowie die Mitmenschen freundlich behandelt haben. Wenn gegen die Mißhandlung der Familienangehörigen öffentlich-rechtlich vorgegangen werden konnte, gilt dies um so mehr bei einem derartigen Akt außerhalb der Familie. 476 B 21, 17-18. 477 Kap. 19: 20, 8-10. 478 oCairo 25572, Černý, Ostraca Hieratiques, pl. 35-36. Vgl. Janssen, in: BiOr 32, 293. 479 Černý/ Gardiner, Hier. Ostr. pl. 47, 1. 480 Dieser Nb-nfr trat außerdem auch in oNash 1 und oCairo 72465 als Kläger gegen Diebstahl auf. <?page no="85"?> 86 Kapitel II - Der Richter und das Gericht 86 der Gerichtsverhandlung. Da Nb-nfr keine Belastungszeugen beizubringen imstande war, konnte sich O#jj wahrscheinlich mit einem Schwur von der Anschuldigung reinigen. Sogar in den Gerichtsverhandlungen über die Grabräuber ist man stark auf Zeugen angewiesen. Als ein Angeklagter seine Tat bestritt, konnte der als Richter fungierende Wesir dem Angeklagten nur drohen, daß dieser mit einer schlimmen Konsequenz rechnen muß, wenn ein Zeuge gegen ihn sprechen würde 481 . In pMayer fordert der Angeklagte die Richtenden auf, irgendeinen Zeugen zu bringen, der ihn belasten könnte. Wir erfahren, daß er später freigelassen wurde. Offensichtlich hat sich keiner gemeldet 482 . Da die Ägypter geneigt waren, beim Geschäft mit anderen den Vertrag vor mehreren Zeugen abzuschließen 483 , wurde die Rolle der Zeugen schon vor einer möglichen Gerichtsverhandlung festgelegt 484 . Wenn die Zeugen im alten Ägypten auch eine sehr wichtige Rolle gespielt haben, scheint es nicht der Fall gewesen zu sein, daß die Zeugenfähigkeit von einem bestimmten sozialen Status abhängig war 485 . Theoretisch konnte jeder als Zeuge auftreten. Die Zeugen bestätigen einerseits die Rechtmäßigkeit der Urkunde und garantieren andererseits bei einem eventuellen Streit die Authentizität der Urkunde. In dem Testament der Naunakhte erblicken wir die noch bemerkenswertere Tatsache, daß einige Personen, die im ersten Teil des Textes als Richter fungiert haben, in dem zweiten Teil des Textes als Zeugen auftreten 486 . Dies verstärkt ohne Zweifel die Wirkung der Zeugen, zeigt aber gleichzeitig, daß die Definition der Richter und daher auch ihrer Funktionen, mindestens für das Dorf Deir el-Medina, sehr schwer ist, wenn es überhaupt möglich ist. 481 jr jw kjj jjt mtw=f soHo=k jrj=j , pBM 10052, 8, 21-22. 482 Peet, The Mayer Pap. III, 4, 12-14. 483 Z.B. rdj(.w) r-gs mtr.w oS# jrj(.w) m sS r-gs=f Ds=f „Gemacht in der Anwesenheit vieler Zeugen; schriftlich angefertigt in seiner Gegenwart.“ Goedicke, Die Privaten Rechtsinschriften, Tf. IV; vgl. auch Goedicke, a.a.O., 195 und Tf. XVI. m-b#H mtr.w , KRI I, 409, 10. Für den Terminus von „Zeugenschreiber“ ( mtr-sS ), s. Janssen, in: JEA 54, pl. XXV, 16; Malinine, Choix de textes juridiques, 41, n. 19. Für die Institution des ägyptischen Prozeßrechts, die mit Sor bezeichnet wird, vgl. Seidl, in: ZÄS 94, 133-134. Die im Kapitel III. erörterten schriftlich befaßten Verträge mögen nur einen kleinen Teil dargestellt haben, da viel mehr Vereinbarungen in Anwesenheit einiger Zeugen mündlich abgemacht werden konnten. 484 Natürlich liegt der Zweck der Fertigung eines Vertrags in Anwesenheit der Zeugen vor allem darin, mögliche Streitigkeiten zu verhindern. Dies erklärt die ungewöhnliche Tatsache, daß ein Kaufgeschäft zwischen dem Vater und seinem Sohn schriftlich, mit Angabe von Strafen im Fall der Verletzung der Vereinbarung, beurkundet wurde. Ebenfalls bemerkenswert ist, daß zwei andere Söhne als Zeugen dabei waren. Vgl. hierzu pAshmolean Musuem 1945.95, Allam, Hieratische Ostraka und Papyri aus der Ramessidenzeit, 256, Nr. 260. 485 Goedicke, Die privaten Rechtsinschriften, 39, (17). In den demotischen Texten wird sogar festgelegt, daß die Kinder der Zeugen herangezogen werden sollen, wenn diese Zeugen gestorben sind. Die Kinder sollen unter Eid beschwören, daß die Unschrift echt sei. Zauzich, Weitere Fragmente eines juristischen Handbuches in demotischer Schrift, in: Egitto e vicino oriente 17, 328. 486 Černý, in: JEA 31, 29ff. <?page no="86"?> 5. Die Rolle der Zeugen 87 87 Wenn es beim Streit um die Echtheit einer Urkunde geht, muß die Partei, die sich darauf stützt, Zeugen bringen 487 , die die Echtheit der Urkunde bestätigen 488 . Die Zeugen müssen einen Eid schwören. Sie haben eine strenge Strafe zu gewärtigen für den Fall eines Meineids 489 . In der Inschrift des Mes spielt anfangs die Urkunde eine wichtige Rolle. Aber als der Gegner Dokumente zu seinen Gunsten vorlegte, konnte sich Mes nur an die Dorfbewohner wenden, die als Zeugen unter Eid bestätigten, daß die Vorfahren von Mes das umstrittene Landstück tatsächlich von Generation zu Generation bestellt hatten. Es waren schließlich die Zeugen, die den Streit entschieden 490 . 487 Für das Alte Reich vergleiche man pBerlin 9010. 488 Daraus zieht Seidl (Einführung, 34) den Schluß: „Damit wird die Rolle der Richter im Prozeß kleiner, als sie bei uns heute ist, die des Zeugen aber größer.“ 489 Gardiner, in: JEA 21, 145, Anm. 23. 490 Vgl. Kees, Kulturgeschichte, 222. <?page no="88"?> 89 Kapitel III Der Richter und die Gesetze Es geht bei meiner Betrachtung der Gesetze im alten Ägypten nicht darum, eine Definition für das altägyptische Gesetz zu geben. Mein Anliegen besteht viel mehr darin, herauszufinden, wonach die Richter die Rechtsfälle entschieden haben und was für eine Rolle die Gesetze bei den Richtenden gespielt haben. Daher ist es notwendig, zuerst die Termini zu betrachten, die als Bezeichnung für Gesetz angenommen werden. 1. Die Bezeichnungen für Gesetze a. hp / hp.w Über die Frage, ob es im alten Ägypten ein kodifiziertes Gesetzbuch gab, gehen die Meinungen weit auseinander 491 . Es wird allgemein angenommen, daß das Wort hp die äquivalente Bedeutung von „Gesetz“ hat 492 . Es sind Bezeichnungen wie hp.w Smow, hp.w orojj.t und hp.w Xnr.t bekannt 493 , obwohl wir nicht genau wissen, welche konkreten Gesetzesregeln mit den Bezeichnungen gemeint sind 494 . Kruchten vermutet, daß hp sogar die Bedeutung von „Rolle“ hat und auf die schriftliche Form des Gesetzes hinweist 495 . Lorton macht einen Unterschied zwischen hp und hp.w , indem er in dem ersten eine einzelne Gesetzesregel und in dem zweiten ein Gesetzbuch sieht 496 . Zur Begründung der Annahme, daß hp auf ein konkretes und spezielles Gesetz hinweist, wird die Tatsache angeführt, 491 Bei der Einbeziehung des Kodex des Hammurabi muß man berücksichtigen, daß dieser in erster Linie die Erleichterung des Handels unter den Städten im Auge hatte, der durch ein eigenständiges Recht in einzelnen Städten erschwert worden war. Dazu vgl. Alliot, in: Fikentscher et alii (Hgg.), Entstehung und Wandel, 162. 492 Über die genaue Herkunft des Wortes wissen wir wenig. Das Wort shp , ein Kausativum von hp , bedeutet „verwalten“. Die Form mit dem n -Suffix hat nach Sethe (Pyr., Übers., Bd. I, 85) die Bedeutung von „richten“. Nach Allen (The Inflection of the Verb, 558) hat das Wort die Bedeutung „to escape“ (Hinweis von W. Runge). 493 Hayes, A Papyrus, 47-52; Lorton, in: JESHO 20, 61 mit Anm. 250. 494 Otto, in: MDAIK 14, 152 begründet seine These, daß hp „die Bezeichnung für allgemein gültige zumeist vom König (oder einem Gott) erlassene, konkrete einzelne Tatbestände betreffende Regel“ sei, damit, daß es die Ausdrucksform mj ntt r hp gibt. Helck (in: Fikentscher et alii (Hgg.), Entstehung und Wandel, 309) vermutet den Stamm des Wortes hp in der Bedeutung „befreien“ und geht davon aus, daß der Befehl des Königs ( wD njsw.t ) als „Befreiungsdekret“ verstanden werden kann. Vgl. dazu Wb II 489, 3 mit Pt 36a, 39a. 495 Vgl. Kruchten, Haremheb, 214ff. 496 a.a.O., 59f. Vgl. dazu auch Theodorides, in: RIDA 14, 127-134. <?page no="89"?> 90 Kapitel III - Der Richter und die Gesetze 90 daß es neben hp noch das Wort wD existiert, das sich auf einen Befehl bzw. ein Dekret des Königs in der Form einer Stele bezieht 497 . Daneben gibt es aber auch Textstellen, in denen hp oder hp.w eine weitergehende Bedeutung besitzt als die des Gesetzes im engeren Sinne. Aus den Titulaturen und Epitheta der Könige wird ersichtlich, wie das Wort als Oberbegriff für Recht und Ordnung gebraucht werden kann 498 . Es handelt sich hier bei dem Wort hp nicht um einzelne gesetzliche Regeln, sondern vielmehr um einen die Herrschaft Ägyptens bezeichnenden Oberbegriff. In der Berufung des Wesirs, des höchsten Beamten im Lande, wird der König von seinen Untertanen mit folgenden Worten gepriesen: smn=k hp.w n HH.w n HH.w r hrr.t rmT „Du festigst die Gesetze dauerhaft und ewiglich, um die Menschen zufriedenzustellen.“ 499 Entsprechendes findet sich auch in der Behauptung des Amenophis III., daß er alle Gesetze festsetzt, die der Gott bestimmt hat, um Ägypten in den Zustand der Urzeit zu bringen 500 . Das Wort hp.w umfaßt in diesem Aspekt alle Begriffe, auf die der Staat gegründet wird 501 . Der Ursprung dieser staatstragenden Gesetze könnte auf die Götter zurückgeführt werden 502 . Anläßlich seiner Ernennung zum Regenten durch den König erklärt Or-m-Hb , daß er eingesetzt wurde, um die hp.w der beiden Länder zu lenken ( mnj ) 503 , und seine eigene Gesetzgebung begründet er damit, daß er die Maat im Land herstellen wollte 504 . Es sind wiederum die hp.w , die Ägypten gegen die Fremden schützen sollen 505 . Diese sind sogar im Ausland gültig. Bei der Schilderung der Streitfälle unter den Fürsten in Syrien wird gesagt, daß sie auf die Gesetze des Pharaos ( hp.w n oH ) nicht achteten 506 . 497 Vgl. Theodorides, a.a.O., 127ff.; s. auch Lurje, Studien, 129f. 498 In der Geschichte des Bauern möchte der Oasenmann die leitende, schützende und strafende Rollen eines idealen Herrschers zum Ausdruck bringen. Daher sagt er zu Rnsj : jmj jrjj=j rn=k m t# pn r hp nb nfr , B1, 95-96. Hier bedeutet das Wort „Gewohnheit“ oder „Vorschrift“. 499 Helck, in: Fs Grapow, 109, Abb. 2, 20 und Urk. IV, 1382, 1. 500 dr=f grg m t# nb sHm jsf.t Xt jdb.wj smn hp.w nb jr(.w) nTr r srwD t# mrj mj sp tpj „Er vertreibt die Lüge aus dem ganzen Lande; der das Unrecht in beiden Ländern vernichtet, der alle Gesetze, die der Gott gemacht hat, festigt, um das Land Ägypten wie in der Urzeit zu befestigen.“ Urk. IV, 1683, 12-15. Vgl. auch KRI I, 76, 1-2, wo der König Seti I. als „Herr der Gesetze“ ( nb hp.w ) die Grenze Ägyptens sichert. Das regelmäßige Kommen der Nilflut wird auch mit hp bezeichnet. Vgl. van der Plas, L’Nilhymnus, VI, 5. 501 In Bezug auf seine Restauration sagt der König Tutanchamun, daß er wie Thot Gesetze bestimmt hat (Urk. IV, 2032, 8). Dieser König hat außerdem seinen Namen der beiden Herrinnen mit der Formulierung nfr hp.w sgrH t#.wj gebildet (Urk. IV, 2051, 10). Auf einer anderen Stele sagt Tutanchamun, daß er Theben neu gründete, effektive Gesetze erließ und Maat festsetzte: grg w#s.t jrj hp.w nfr.w smn m#o.t , Urk. IV, 2061, 4. Vgl. den ähnlichen Beleg von dem Hohenpriester des Amun Jwrt aus der Dritten Zwischenzeit Ts hp.w nfr m t# Smow , Stele London BM 1224, Jansen- Winkeln, Ägyptische Biographien, Text B 7. 502 In pLeiden 346 ist zweimal von den hp.w psD.t o#.t „Gesetzen der Großen Neunheit“ die Rede. Diese Gesetze stellen sich als der Gegenbegriff von xnn.w „Störung“ dar. Die „Störung“ herrscht, bis die „Gesetze“ ausgeführt werden. Vgl. dazu Bommas, Die Mythisierung der Zeit, 16-17 mit der Anmerkung auf S. 95-96. 503 Urk. IV, 2114, 16. 504 S#[.n=f hp.w] Hr jr.t m#o.t Xt jdb.wj , Urk. IV, 2142, 13. 505 m hp.w=f Xwj t#.wj , KRI II, 327, 2; vgl. KRI VII, 403, 15: jrj hp.w=f mjt.t Ro . 506 KRI I, 9, 5. <?page no="90"?> 1. Die Bezeichnungen für Gesetze 91 91 Es wird deutlich, daß das Wort hp.w alle Regeln enthalten kann, die der pharaonischen Vorstellung von Ordnung entsprechen. Diese Ordnung besteht aus dem gesamten Seinsollen und Seinmüssen in allen Gesellschaftsbereichen 507 . In den oben erwähnten Belegen erkennt man überhaupt nicht, welche konkrete gesetzliche Regel gemeint sein soll 508 . Daher scheint es nicht angebracht, das Wort hp als die Bezeichnung für einzelne Gesetz und hp.w als die Bezeichnung für die Sammlung der Gesetze zu interpretieren. Am anschaulichsten wird das umfassende Sinnfeld des Wortes hp.w durch die Bezeichnung hp.w m#o.t bestätigt 509 . Das Wort hp.w steht unter dem Oberbegriff m#o.t , und seine Verwendung beschränkt sich daher nicht ausschließlich auf das Rechtsgebiet. An einer Stelle der Lehre des Ptahhotep, an der Ptahhotep das Verhalten seines „Sohnes“ in der Funktion eines Leitenden behandelt ( jr wnn=k m sSm.w ) 510 , sagt er: wr m#o.t w#H spd. t=s n xnn.tw=s Dr rk Wsjr jw Xsf.tw sw# Hr hp.w=s „Groß ist die Maat, beständig ihre Wirksamkeit, sie blieb ungestört seit der Zeit des Osiris. Bestraft wird, wer ihre Gesetze mißachtet.“ 511 Es ist eindeutig, daß der Begriff hp.w hier nicht auf die strafrechtlichen Bestimmungen, sondern auf das Gelingen oder Scheitern angesichts der überwachenden Götter im Diesseits und Jenseits hinweist 512 . Die Beziehung zwischen hp und m#o.t wird auch in der Geschichte des Bauern erörtert. Nachdem er den Rnsj zur Nachsicht aufgefordert hat, spricht der Oasenmann die folgenden Worte: Xb#(.w) hp HD(.w) tp-Hsb nn m#r onX Hod#.w=f n wSd n sw m#o.t „Ist das Gesetz gebrochen und die Norm verletzt, dann gibt es keinen Armen, der leben könnte; (denn) wenn er beraubt würde, reagiert die Maat nicht auf ihn.“ 513 Die Begriffe hp und tp-Hsb kommen beide unter dem Oberbegriff von Maat und können hier sowohl die gesetzlichen Bestimmungen, nach denen der richtende Rnsj den Räuber strafen und dem Beraubten helfen soll, als auch die sozialen Rahmenbedingungen des Zusammenlebens bezeichnen. Wenn diese Beziehungen verletzt oder zerstört werden, gibt es in der ägyptischen Welt keine Maat mehr, denn hp und tp-Hsb sind da, um die Maat zu verwirklichen 514 . 507 Zur Vorstellung der übergeordneten Stellung von Recht und Gesetz im alten China vgl. Vogel, Die historischen Grundlage des chinesischen Strafrechts, 67f. 508 Zur altchinesischen Rechtsvorstellung in diesem Aspekt vgl. Bünger, in: Fikentscher et alii (Hgg.), Entstehung und Wandel, 465. 509 Für die enge Beziehung zwischen hp.w und m#o.t sprechen auch die oben angeführten Aussagen der Könige, daß sie Gesetze erlassen haben, um Maat im Land herzustellen. 510 Ptahhotep 84; Žaba, Les Maximes, 23. 511 Ptahhotep 88-90; Žaba, a.a.O.; die Übersetzung nach Burkard, in: Kaiser (Hg.), TUAT, Band III, 200. 512 Ptahhotep 92-93 und 97-98; Burkard, a.a.O. Die Regeln, nach denen die Götter im Totengericht die Toten beurteilen, werden mit hp.w wsX.t m#o.tj bezeichnet. Demnach ist eine Lebensführung, die im Einklang mit den Normen der Gesellschaft stattgefunden hat, im Sinne der Befolgung der Gesetze ( snj r hp.w ). Vgl. Varille, in: BIFAO 54, 129-135. 513 B1, 305-306. 514 Parkinson (The Tale of Sinuhe, 71) übersetzt den Satz wie folgt: „The law-hacker, the standarddestroyer—there is no wretch whom he has plundered still living. Has Truth not addressed him? “ <?page no="91"?> 92 Kapitel III - Der Richter und die Gesetze 92 Ein weiteres aufschlußreiches Beispiel des Gebrauchs von hp.w in Verbindung mit der Maat findet sich in den Worten des Königs Amenophis II., der bei der Ernennung des Qn-Jmn zum Domänenvorsteher sagt: [n]Dr=k hp.w nw m#o.t „Mögst du die Gesetze der Maat befolgen.“ 515 Ohne Zweifel bezieht sich das Wort hp.w auf die Vorschriften bezüglich des Amtes. Da der König diesen Satz im Kontext der Amtseinsetzung des Qn-Jmn zum Domänenvorsteher äußert, scheint es logisch, anzunehmen, daß es bei den Amtstätigkeiten des Qn-Jmn vor allem um die Domänenverwaltung geht. Aber es gibt innerhalb dieses Amtsbereichs juristische Angelegenheiten, die natürlich ebenfalls gemäß hp.w m#o.t behandelt werden müssen 516 . „Der ägyptische Begriff Maat stellt Moral und Recht, soziale Normen und juristische Gesetze in einen viel engeren Zusammenhang, als der ägyptologische Begriff ‚Weisheitsliteratur‘ das erkennen läßt.“ 517 Dieser Zusammenhang läßt sich an einem Beleg aus einem Gerichtsprotokoll aus Deir el-Medina bestätigen. Nach der Angabe des Datums lesen wir: jmj jrjj t# qnb.t m p# Xr m-s# hp.w n m#o.t „Möge das Gericht der Nekropole nach den Gesetzen der Maat handeln-…“ 518 Obwohl wir dem Ostrakon keinen genauen Inhalt des Rechtsfalls entnehmen können, scheint es uns dennoch berechtigt, zwei Folgerungen daraus zu ziehen. Erstens, nur die richtige, dem Tatbestand entsprechende Entscheidung, steht mit den Aufforderungen der Maat im Einklang. Daher wird der oben zitierte Satz im Imperativ gefaßt und dieser Imperativ steht, wie eine Warnung, vor der Namensliste der Richtenden. Zweitens, die mit hp bezeichnete Handlungsweise, die hier nur bedeuten kann, daß die Richtenden die Angelegenheit dem Tatbestand entsprechend, beide Seiten zufriedenstellend entscheiden sollen, wird dem Begriff m#o.t untergeordnet. „Diese Welt wird durch dieselbe Gerechtigkeit zusammengehalten, die auch der Richter praktiziert, und deshalb genügt dem Ägypter ein einziges Wort für Recht, Wahrheit, Weltordnung und Sinn.“ 519 Das Wort hp kann natürlich eine konkrete, spezielle Gesetzesregel bezeichnen. Auf einer königlichen Stele deutet das Wort auf die Vorschrift, was in der Nekropole von Abydos erlaubt ist und was nicht 520 . Wenn auf pBrooklyn 35.1446 davon die Rede ist, daß es gegen einen, der absichtlich sechs Monate von der Arbeit abwesend war, „das Gesetz gegen ihn angewendet werden soll ( r jr.t hp r=f )“, bedeutet das, daß die Person gemäß dem entsprechenden Gesetz bestraft werden muß 521 . Das mit hp bezeichnete „Gesetz“ kann auf schriftlich festgelegte königliche Bestimmungen hindeuten, wie die Ausdrücke hp.w 515 Urk. IV, 1387, 13; Davies, The Tomb of Ken-Amun, pl. 82. 516 Dieser Beleg bestätigt in einem anderen Aspekt die im Kapitel I gemachte Feststellung, daß die an der Verwaltung beteiligten Beamten auch für die Rechtspflege zuständig sind. 517 Assmann (1994a), 71. 518 oMchaelides Nr. 47, Goedicke-Wente, Ostraca Michaelides, Tf. L. 519 Assmann (1994a), 72-73. 520 Vgl. dazu, Lorton, in: JESHO 20, 18. 521 Hayes, A Papyrus, 51-52. Quirke, Administration, 134. Vgl. die Aussage des Ed-Or auf seiner Statue CG 689: nX n ntj jwtt smn hp.w n(n) rdjt Hr gs . Hier wird nicht genau gesagt, was für Gesetze gemeint sind. Aber man kann sich vorstellen, daß es sich dabei um Bestimmungen zum Schutz der Armen und Maßnahmen zur Beschränkung der Einflußnahme durch die Reichen gehandelt hat. <?page no="92"?> 1. Die Bezeichnungen für Gesetze 93 93 Xntjw-S „die Gesetze, die Pächter betreffen“ 522 , Xft hp pn ntj m o=f „gemäß dem Gesetz, das in seiner Hand ist“ 523 , mj ntt r hp „in Übereinstimmung mit dem Gesetz“ 524 , hp.w nw orjj.t „die Gesetze der Wache“ 525 und (dj=j) hp.w m hrwj.t[=sn] „Ich gab Gesetze in [ihr] Buch (? )“ 526 dies zu zeigen scheinen. Auf der anderen Seite kann sich die Bezeichnung hp aber auch auf Dokumente beziehen wie zum Beispiel die Protokolle von verschiedenen Gerichtsverhandlungen 527 . Darüber hinaus kann das Wort hp.w die ungeschriebenen Normen oder Regeln bezeichnen, die sich als Teile der Tradition herauskristallisiert haben oder die im Laufe der Zeit von den Menschen als richtig und anerkennenswert akzeptiert werden. Deshalb wird die Pflicht der Nachlebenden, für die „ehrwürdigen“ Toten Opferformel zu sprechen, als hp.w betrachtet ( mj ntt r hp.w ) 528 . Es mag auf den ersten Blick sehr ungewöhnlich erscheinen, daß sogar die richtigen Formen in der Lobpreisung des Königs mit hp.w bezeichnet werden: mn(.w) hp.w m sq# Hrj srX=f „einer, der die Regeln (oder Gewohnheiten) befolgt beim Preisen dessen, der auf seinem Thron ist.“ 529 Es scheint daher zwingend, das Wort hp.w nicht als ein Äquivalent für „Gesetze“ im engeren Sinne zu interpretieren 530 . Auf der Stele des Jntf , eines Kabinettvorstehers aus dem Mittleren Reich, steht der folgende Satz: rX(.w) nmt.wt hp.w nw jr.t sb#.w m wDo s 2 , in der Übersetzung von Miriam Lichtheim: „Who knows the legal course of action, and is wise in judging between two men“ 531 . Obwohl im zweiten Teil des Satzes von dem Richten zwischen zwei Männern die Rede ist, scheint es mir unmöglich, das Wort hp.w mit „Gesetze“ zu übersetzen. Da in dem ersten Teil das Wort nmt.wt vor hp.w steht, ist die Übersetzung „the legal course of action“ zwar dem Sinn des Satzes entsprechend, aber nicht zutreffend. Mir scheint es plausibler, die Worte nmt.wt und hp.w dahingehend zu erklären, daß sie zwei parallele Begriffe bezeichnen, nämlich die „Vorgehensweisen“ und die „Handlungsregeln“, die in der Rechtsprechung gültig sind. Diese fließende Grenze zwischen hp / hp.w und zahlreichen 522 Möller, Paläographie I, S. 6, Anm. 1. 523 Urk. IV, 1111, 2. 524 Urk. IV, 1088, 5; Faulkner, in: JEA 41, 22. 525 Urk. IV, 2155, 18. Ich schließe mich hier notdrungen an die Übersetzung „Wache“ an. Für die Funktionen des mit diesem Wort bezeichneten Orts vgl. Kapitel II. 526 Urk. IV, 2156, 6. 527 Admonitions, 6, 5-6; 6, 9-10. Auf dem Papyrus München 809 wurde die Entscheidung einer früheren Gerichtssitzung als p# hp bezeichnet: m rdj mdw=tw jm=sn mj p# hp m#o[.t jmj-r#] sD#wt cbk-Htp oD# wow Mrjj , Spiegelberg, in: ZÄS 63, 106, Kol. II, 3-4. 528 Urk. IV, 121, 14. Hier spielt die Ethik eine entscheidende Rolle. Die Pietät gegenüber den Verstorbenen hat mit dem Gesetz im engeren Sinne nichts zu tun. Vgl. die in Anm. 34 zitierte exakt gleiche Formulierung aus der „Einsetzung des Wesirs“. 529 Urk. IV, 1881, 11; für den Sprecher Nfr-sXr.w , den Palastvorsteher, scheint die Beibehaltung der Prozedur besonders wichtig gewesen zu sein. 530 Meiner Meinung nach ist es falsch, in hp das Einzelgesetz und in hp.w eine Bezeichnung für Gesetzessammlung zu sehen. Vgl. noch Jin, „Bemerkungen zum pMünchen 809 - Zum Verständnis des Begriffs hp “, in: DE 48, 89-94. 531 BM 572, 9, s. Lichtheim, Ancient Egyptian Autobiographies, 107. <?page no="93"?> 94 Kapitel III - Der Richter und die Gesetze 94 anderen Termini zeigt sich auch in der folgenden Aussage des Jmn-Htp auf einer seiner Statuen: jrj wD.w mj wDD.wt nn rdj.t pr.w Xft hp.w „der die Befehle genau so ausführt wie befohlen, indem er gemäß den Gesetzen nichts hinzufügt.“ 532 Es ist offensichtlich, daß hier eine Unterscheidung zwischen wD.w und hp.w schwer zu treffen ist 533 . b. tp-rd Wie oben schon angedeutet wurde, kann das Wort tp-rd , ähnlich wie hp , eine Norm, eine Vorschrift oder eine Regel bezeichnen. Ein anschauliches Beispiel dieser Vieldeutigkeit findet man auf der Stele Durham N 1935: rX hp.w Ss# m jr.t mDd w#.t smnX sw tm thj(.w) tp-rd n oH tp.t-r# nt stp-s# „der die Gesetze kennt, der erfahren ist in der Handlung, der sich auf dem Weg dessen festhält, der ihn tüchtig gemacht hat, der die Vorschrift des Königshauses und die Anweisung des Palasts nicht übertritt.“ 534 Es scheint fast unmöglich, zu entscheiden, was der Sprecher unter hp.w , tp-rd und tp.t-r# jeweils verstanden hat. Es ist höchst wahrscheinlich, daß diese verschiedenen Bezeichnungen sich doch mehr oder weniger auf dasselbe beziehen, genau wie die Termini oH und stp-s# . Die Übersetzung mit jeweils „Königshaus“ und „Palast“ ist nur ein Notbehelf. Auffallend ist außerdem, daß der Sprecher ausdrücklich angibt, daß tp-rd und tp.t-r# aus dem Königshaus gekommen sind, während das Wort hp.w keine restriktiven Worte hinter sich hat. Aber dies kann man nur damit erklären, daß der Sprecher in seiner Beschreibung zu variieren versucht. Seine Schenkungen an den Amuntempel und die damit verbundenen Bestimmungen bezeichnet der König Thutmosis III. mit mnw nb hp nb tp-rd nb 535 . Es läßt sich schwer vorstellen, was für ein Unterschied zwischen hp und tp-rd besteht. Darüber hinaus haben diese beiden Worte in dem vorliegenden Kontext eine ähnliche Bedeutung wie das wD , das oft mit „Befehl“ oder „Erlaß“ übersetzt wird 536 . Die Wortgruppe tp-rd kann sich auf gesetzliche Bestimmungen beziehen, die allerdings eher konkreter als hp erscheinen 537 . Dies sehen wir im folgenden Satz, in dem die beiden Termini nebeneinander auftreten: rdj jr xnn-jb tp-rd hp.w mtj m msDd jb=f „der veranlaßt, daß der Streitsüchtige den Bestimmungen der rechtmäßigen Gesetze folgt, obwohl sein Herz dies nicht wollte.“ 538 Es scheint plausibel, anzunehmen, daß das Wort hp hier einen Oberbegriff bezeichnet, der sich durch tp-rd verwirklichen läßt 539 . Ein Beleg aus der 532 Urk. IV, 1815, 16-17. 533 Vgl. nb hp.w smnX wD.w , KRI I, 76, 1 und die unten folgende Behandlung des Terminus tp-rd . 534 Nibbi, in: JEA 62, pl. X, 4-6. 535 Urk. IV, 749, 14. 536 Vgl. Wb I, 396. 537 Das Wort tp-rd kann sich natürlich auch auf die Handlungsvorschriften in verschiedenen Bereichen beziehen, z. B. Vorschriften zur Herrschaftsausübung: mj r=T dj.n(=j) m xnw o.wj=j m##=T tp-rd m oH , Urk. IV, 255, 12-13; Anweisungen des Königs über Bauarbeiten: njswt Ds=f dd tp-rd sSm.t k#.wt mnw=f , s. Sethe, Leipziger und Berliner Akademieschriften, 74. 538 Urk. IV, 969, 2-3. 539 Daß sich tp-rd eine vom König festgelegte Regel darstellen kann, sehen wir in den Aussagen wie <?page no="94"?> 1. Die Bezeichnungen für Gesetze 95 95 Autobiographie des Wesirs RX-mj-Ro bestätigt ebenfalls diese Vermutung, indem er sagt: smnX hp.w=f m tp-rd r [...] „ Der seine Gesetze festsetzt als Vorschrift für….“ 540 Interessant in dieser Hinsicht ist auch, daß die Dienstordnung des Wesirs mit tp-rd bezeichnet wird 541 . Dem Wesir, der als Oberrichter fungieren soll, sagt der König, daß es die Schutzwehr eines Beamten sei, gemäß dem tp-rd zu handeln 542 . Das Wort tp-rd bezieht sich hier offenkundig auf die Vorschriften, die der König angeordnet hat 543 . Der Versuch Kruchtens, aus dem Satz in dem Haremhebdekret dj.n=j tp-rd m Hr=sn hp.w m hrwjj.t=[sn] 544 „Ich trug ihnen Vorschriften auf und Gesetze als [ihre] Tagesordnung“ herauszulesen, daß das Wort tp-rd auf die mündlichen Anordnungen hinweist und hp.w die schriftlichen Gesetze bezeichnet, scheint wenig überzeugend 545 , wenn man gleichzeitig das oben zitierte Beispiel berücksichtigt, in dem tp-rd und tp.t-r# nebeneinander stehen. Nach den oben durchgeführten Erörterungen können wir die Schlußfolgerung ziehen, daß der Terminus hp.w einen umfangreichen Bedeutungsbereich hat und außerdem mit den Termini tp-rd und wD 546 in einer engen Beziehung steht, was dazu führt, daß eine klare Abgrenzung zwischen ihnen unmöglich scheint. Es ist besonders bemerkenswert, daß hp / hp.w oft in Verbindung mit m#o.t verwendet wird. Diese Tatsache zwingt uns, den Begriff hp / hp.w in einem möglichst breiten Umfeld zu betrachten, indem wir berücksichtigen, was für eine Rolle der König, die Lehren und die in der Gesellschaft etablierten Normen bei der Entstehung der ägyptischen Gesetze gespielt haben könnten. n t h =j t p r d w D. n = f , vgl. Seyfried, in: GM 103, 63; n HD=j t p r d w D. t . n = f , Urk. IV, 1777, 6; jrj hp.w=f smnX tp-rd=f , Urk. IV, 1818, 13. 540 Gardiner, in: ZÄS 60, 67. 541 tp-rd n Hms.t n jmj-r# njw.t T#tj n njwt rsj.t n xnw m X# n T#tj „die Vorschrift für das Amt des Vorstehers der Stadt und Wesirs der Südstadt und der Residenz in der Halle des Wesirs“, Urk. IV, 1103, 14-15. 542 mk jbw pw n sr jr.t X.wt Xft tp-rd m jr.t Dd.wt sprw „Siehe, die Schutzwehr des Beamten ist es, die Angelegenheiten gemäß der Vorschrift zu behandeln und zu tun, was der Bittsteller sagt“, Faulkner, in: JEA 41, 22. 543 Vgl. hierfür Urk. IV, 1777, 5-6: jr.n=j Hss.t njsw.t n rk=j n HD=j tp-rd wD.t.n=f „Ich habe getan, was der König meiner Zeit lobt und die Vorschrift nicht übertreten, die er befohlen hat“. Es läßt sich nicht mit Sicherheit sagen, daß der Befehl des Königs in solchen Fällen nur mündlich nach außen getragen wurde. Hier sieht man übrigens die enge Beziehung zwischen tp-rd und wD . Die Grenze zwischen ihnen scheint ebenso fließend wie die zwischen tp-rd und hp . In einem Abschnitt aus einer Lebenslehre wird der Schüler davor gewarnt, sich nicht mit Sachen zu brüsten, die nicht ihm gehören. Dies wird zum Diebstahl und damit zur „Übertretung der Anordnungen ( thj wD.wt )“ führen. Vgl. oPetrie Nr. 11; Černý-Gardiner, Hier. Ostraca, pl. 1-1a, vs. 2. In diesem Fall hat das Wort wD.wt die gleiche Bedeutung wie hp.w . Der Befehl des Königs wird selbstverständlich im Laufe der Zeit ein Bestandteil der allgemeingültigen Gesetze. Damit scheint die Behauptung (Helck, in: LÄ II, Sp. 570), daß hp.w die „allgemeingültigen Gesetze und wD njswt die „Sonderverordnungen“ darstellen, nicht stichhaltig zu sein. 544 Urk. IV, 2156, 6. 545 Kruchten, Le Decret d’Horemheb, 154-155. 546 Für das Wort wD vgl. noch unten. <?page no="95"?> 96 Kapitel III - Der Richter und die Gesetze 96 2. Die Entstehung der gesetzlichen Bestimmungen a. Die königlichen Briefe Da der König Gesetze nur nach Bedarf und Umständen zu eigenen Interessen erlassen und dabei keine Einheitlichkeit angestrebt haben mag, sind viele gesetzliche Bestimmungen ort- und zeitbezogen. Das bedeutet, daß ein Gesetz nur an einem bestimmten Ort und für eine bestimmte Dauer gültig ist 547 . Auf der anderen Seite sind die Bestimmungen sehr eng mit Personen verbunden, die der König speziell zur Durchführung der Gesetze beauftragt hat 548 . Dementsprechend stellen die königlichen Briefe eine sehr frühe Form von Gesetzgebung dar. Theoretisch kann man ihre Existenz vom Alten Reich bis zu der Spätzeit annehmen. Allerdings sind nur die Briefe überliefert, die auf das Schreibmaterial Stein übertragen worden waren. Die Königsbriefe werden vom König selbst „Befehl des Königs“ ( wD njswt ) genannt 549 . Über die Rechtskraft der königlichen Briefe im Alten Reich besteht kein Zweifel, da die Worte des Königs eine göttliche Macht und Wirkung gehabt haben. Der König Isosi bezeichnet seinen Brief an den Wesir Ro-Spss , in dem er seine Zufriedenheit über den „erfreulichen“ Brief äußert, den Ro-Spss vorher Seiner Majestät geschrieben hatte, ebenfalls als einen „Befehl“ ( wD ) 550 . In seinen Briefen an den Wesir cnDm-jb spricht Isosi über die Bauarbeiten 551 . Darin gibt der König keine konkreten Anweisungen. Der König spricht seinem Beamten sein volles Vertrauen aus, daß dieser seine Aufgaben so ausführen würde, wie er es wünscht 552 . Die rechtsverbindliche Macht des königlichen Willens zeigt sich in der folgenden Formu- 547 Diese örtliche und zeitliche Beschränkung mancher königlicher Bestimmungen wird in gewissem Maße durch die „gesetzlichen“ Normen ergänzt, die in den Lehren hervorgehoben werden. Es scheint mir nötig, die von Johnson vertretene Meinung, wonach es im alten Ägypten Gesetze nur im Sinne der königlichen Bestimmungen gab, zu relativieren. Vgl. Johnson, „The Legal Status of Women in ancient Egypt”, 175-186. 548 Es kann auch möglich sein, daß der König eine gesetzliche Bestimmung infolge einer Beschwerde oder einer Bitte erlassen hat. Dies ist oft der Fall im Erlaß von Dekreten. Vgl. dazu Urk. I, 63, 2; 282, 15; 286, 7. 549 Urk. I, 60, 14; 62, 14; 179, 12. Den Brief seines Wesirs bezeichnet der König Isosi mit sS (Urk. I, 179, 13). Dies zeigt, daß wir ein Schreiben des Königs nicht als einen normalen Brief betrachten dürfen, auch dann nicht, wenn es in einem persönlichen Ton an eine einzige Person gerichtet ist. 550 Urk. I, 179, 12. In einem Brief des Pepi II. wird die Anweisung des Königs, daß Or-Xw=f einen Zwerg heil zur Residenz bringen soll, sowie die Entscheidung des Königs, daß die Machthaber entlang des Reiseweges des Or-Xw=f sich um dessen Versorgung kümmern sollen (Urk. I, 131, 4f.), jedes Mal mit wD bezeichnet. 551 Urk. I, 60, 14f. und Urk. I, 62, 14f. 552 Die erfolgreiche Ausführung der königlichen Bestimmungen ist mit Belohnung und Beförderung verbunden, wie es die Briefe des Isosi und am deutlichsten der Brief Pepis II. an Or-Xw=f (Urk. I, 131, 1-2) zeigen. Ein Mißerfolg bedeutet natürlich eine schlimme Konsequenz, die der Kapitän in der Geschichte des Schiffbrüchigen befürchtet.Vgl. dazu auch den Brief Sesostris’ III. an seinen Schatzmeister Jj-xr-nfr.t , Sethe, Lesestücke, 70-71. <?page no="96"?> 2. Die Entstehung der gesetzlichen Bestimmungen 97 97 lierung aus dem Brief Pepis II. an den oben erwähnten Expeditionsleiter Or-Xw=f , in der der Wunsch und der Befehl des Königs gleichgesetzt werden: mrr.t Hss.t wD.t nb=k „alles, was deine Majestät liebt, lobt und befiehlt.“ 553 In seinem Schutzdekret für den Gott Min von Koptos stellt Pepi II. fest, daß die Verletzung seiner Bestimmungen „ein Akt von Empörung sei“ ( w# m mdw sbjt pw ) 554 . In einem anderen Dekret zugunsten desselben Gottes sagt derselbe König, daß die Verletzung seiner Bestimmungen das sei, „was dem König wahrlich, wahrlich verhaßt ist“ ( msdd.t njswt m#o m#o ) 555 . Die Auffassung der Gesetze ist mit der Vorstellung von Liebe und Haß des Königs eng verbunden 556 . Daß den königlichen Briefen Rechtskraft beigemessen werden muß, ist auch in einem Brief von Thutmosis I. an seinen Vizekönig von Kusch ersichtlich, in dem es heißt: wD njsw.t n s# njswt ... mk jn.n.tw n=k [wD] pn n njsw.t... „Der König befiehlt dem Königssohn von-… Siehe, dieser königliche Befehl wird dir gebracht-…“ 557 Das zweimal verwendete Wort wD zeigt ziemlich eindeutig, daß das Wort sowohl die befehlende Aktion des Königs als auch den Befehl des Königs in der Briefform bezeichnen könnte 558 . Es handelt sich bei dem Befehl des Königs um verschiedene Angelegenheiten: 1. die Benachrichtigung von der Thronbesteigung des Königs und die Titulatur des neuen Königs; 2. die Anweisung, den Göttern Opfer darzubringen; 3. die Bestimmung, von nun an den Eid im Namen des neuen Königs zu leisten; 4. die Mitteilung, daß das Königshaus wohlauf ist 559 . Es ist nicht zu übersehen, was für eine entscheidende Stellung der König in der Gesetzgebung einnimmt. Alles, was der König wünscht und tut, ist gesetzmäßig und rechtskräftig. Die Rechtskraft der königlichen Bestimmungen läßt sich auch deutlich in der Tatsache erblicken, daß die Königsmutter einen Brief in der Form eines Erlasses schreiben konnte 560 . In diesem Zusammenhang können auch die Briefe des Generals Pianch an verschiedene Personen in Theben herangezogen werden 561 . Diese Briefe wurden geschrieben, als der General noch den König mindestens dem Namen nach als seinen Herrscher anerkennen mußte. Er betont mehrmals in seinen Briefen, daß die angeredeten Personen nach 553 Urk. I, 129, 7; ähnlich auch in 129,14. Die Aussage der Gaubeamten in ihren Autobiographien, daß ihnen viele geheime Worte gebracht wurden, sind vielleicht auch Indizien, daß Gesetze in der Form von Briefen erlassen wurden. Vgl. Fischer, Dendera, 98f.; vgl. dazu die Wendung rs-tp Hr wDd.t n=f , Janssen, Autobiografie I, 27. 554 Urk. I, 281, 10. 555 Urk. I, 284, 17. 556 Noch im Neuen Reich beschreibt der Beamte die Festsetzung der Gesetze in bezug auf den König mit smn hp.w=f (Urk. IV, 969, 9). 557 Urk. IV, 80, 7-8. 558 Vgl. dazu das unten zu behandelnde Dekret des Nebkheperre Antef aus Koptos, in dem ebenfalls das Wort wD zwei mal unterschiedlich angewendet wird. 559 Urk. IV, 80, 9-81, 3. 560 Betreffend die Einrichtung eines Totenkultes für ihren Domänenvorsteher schreibt die Königsmutter JoH-Htp : wD.t mw.t njsw.t n jrj-pot H#tj-o... „der Befehl der Königsmutter an den jrj-pot H#tj-o … “, Urk. IV, 45, 13 und jw wD.n mw.t njsw.t … “die Königsmutter hat befohlen...“, Urk. IV, 45, 16. 561 Diese sind die Nrs. 18, 19, 20, 21, 22, 30, 32, 34, 35 und 40 in Černý, LRL. <?page no="97"?> 98 Kapitel III - Der Richter und die Gesetze 98 seiner Anweisung handeln sollen, sobald sie die Briefe bekommen 562 . In den Briefen Nrn. 30 und 32 wird ausdrücklich erwähnt, daß sein Brief als Zeugnis dienen soll. In Nrn. 21, 34 und 35 wird das Gerichtsverfahren um zwei MD#j erwähnt und sogar die Todesstrafe angeordnet, falls die beiden für schuldig befunden werden sollen. b. Die Dekrete Die zweite Form der Gesetzgebung sind die Dekrete. Solche Dekrete werden mit dem Wort wD bezeichnet. Schon aus dem Alten Reich kennen wir diese Form von Gesetzgebung. Die Grenze zwischen einem Erlaß in der Form eines Briefs und in der Form eines Dekrets ist fließend, da das Dekret eigentlich einen auf dem Medium des Steins übertragenen Brief darstellt 563 . Der Erlaß in der Form eines Dekrets behandelt Rechtsfragen an einem spezifischen Ort 564 , aber seine Form zielt jedoch auf mehr Publizität und Dauer ab 565 , damit den betreffenden Personen ständig das Vorhandensein der gesetzlichen Verordnungen bewußt wird 566 . Dies sehen wir im Erlaß des Königs Neferirkare zum Schutz der Priester im Tempel von Abydos 567 . Dieser Erlaß ist zwar an den Vorsteher der Priester „Om-wr gerichtet, aber die Handlungen, die im Dekret verboten werden, beziehen sich ausschließlich auf Personen außerhalb des Tempels. Auch der Grund der Übertragung des Befehls auf eine Stele wird angegeben, nämlich „damit die Funktionsträger dieses Distrikts sehen, daß sie diese Priester nicht zu irgendwelcher Arbeit des Königshauses heranziehen dürfen“ 568 . 562 In Nr. 18 erteilt Pianch seinem Unterstellten weitere Aufgaben und mahnt gleichzeitig, daß dieser sich Mühe geben soll, damit keine „Sünde“ bei ihm gefunden wird ( m dj gm=j n=k bt# ). 563 Die Rechtswirksamkeit einer königlichen Bestimmung entsteht aus der Tatsache, daß es der König ist, der die Bestimmung erläßt. Die Form, in der sie bekanntgemacht wird, spielt eine untergeordnete Rolle. In der privaten Sphäre wird die Verfügung ähnlich mit wD.t-mdw bezeichnet, aber die Rechtswirksamkeit dieser Verfügungen wird weitgehend mit Hilfe der einbezogenen Behörde oder der beteiligten Zeugen gewonnen. Vgl. Goedicke, Die Privaten Rechtsinschriften, pl. III, IV und XV; Urk. I, 24, 15; 162, 16-17. 564 Dazu vgl. Assmann (1994a), 68. 565 Es wurde eindeutig gesagt, daß die Stele mit dem Dekret am Eingang ( r orrw.t ) des betreffenden Tempels aufgestellt werden soll und es besteht kein Grund, die Verwirklichung dieser Anweisung zu bezweifeln. Dazu vgl. Hayes, in: JEA 32, 6. Auf CG 20512 berichtet der König Wachanch Antef über seine Leistungen gegenüber den Göttern und seine Wohltaten für die Menschen. Diesen Berricht und den darauf folgenden Aufruf an die Lebenden bezeichnet er als einen Befehl, den er auf dieser Stele anbringen ließ. Seine guten Taten auf Erden sollen die Menschen dazu veranlassen, ihm gegenüber Entgeltung vorzubringen. Aber der Anruf hat wahrscheinlich Rechtskraft gehabt, da er der König war. 566 Das Dekret des Königs Nebkheperre (Stele Kairo 30770; Sethe, Lesestücke, 98) wurde an den Bürgermeister von Koptos sowie an die Beamten, Priester und Soldaten in Koptos gerichtet. Aber der Kernpunkt des Dekrets ist die Strafmaßnahme gegen die Verbrecher und gegen die zukünftigen Könige und Beamten, die Verbrecher begnadigen würden. Es wurde demnach als notwendig angesehen, diese Maßnahmen öffentlich bekanntzugeben. 567 Urk. I, 170, 172; Goedicke, Königl. Dokumente, 22ff. 568 Urk. I, 282, 12, ähnlich Urk. I, 286, 4. <?page no="98"?> 2. Die Entstehung der gesetzlichen Bestimmungen 99 99 Der Adressat des Dekrets soll nicht nur die Einhaltung der königlichen Bestimmungen gewährleisten, seine Aufgabe besteht zudem noch darin, das in Briefform erhaltene Dekret auf einer Stele anbringen zu lassen 569 . Der enge Zusammenhang der Dekrete mit den Briefen ist außerdem daraus ersichtlich, daß das Erlassen eines königlichen Dekrets oft auf eine Beschwerde eines oder mehrerer Beamten beim König zurückgehen kann, wie z. B. im Falle des Dekrets des Königs Teti für den Tempel des %ntj-jmntjw in Abydos 570 . Die einleitende Formel jr nn Dd.n=k „bezüglich dessen, was du gesagt hast“ deutet ausdrücklich darauf hin, daß das vorliegende königliche Dekret als eine Antwort auf einen vorhergehenden Brief eines Beamten zu verstehen ist. Das könnte man möglicherweise auch bei der Erlaubnis des Königs Sesostris I. vermuten, daß Sinuhe aus dem Exil nach Ägypten zurückkehren darf- 571 . Die Entscheidung der Begnadigung wird Sinuhe in Briefform mitgeteilt. Aber dieser Brief stellte sich als eine Kopie des Erlasses heraus, der an die zuständigen Beamten an der Grenze Ägyptens geschickt wurde 572 . Aus der Eigenschaft des Dekrets, eine möglichst große Verbreitung und Beachtung zu erreichen, resultiert eine der Eigenheiten der ägyptischen Rechtsprechung. Viele Beamte aus verschiedenen Hierarchien und Aufgabenbereichen werden gleichermaßen angeredet. Manche von ihnen werden als potentielle Übertreter der Vorschriften des Dekrets gesehen und manche als zukünftige Richter gegen potentielle Widersacher aufgefordert, im Fall der Verletzung der Vorschriften sofort zu handeln. Daher sind sie theoretisch alle berechtigt, als Richter zu fungieren oder wenigstens die Übeltäter den höheren Behörden zu melden. Das Dekret des Haremheb ist an alle Beamten im Land gerichtet 573 , da die Mißstände, die im Dekret genannt werden, kein Einzelfall und nicht auf einen Ort beschränkt sind 574 . Das Dekret des Seti I. in Abydos wird gleichzeitig an T#tj sr.w smr.w qnb.tjw sDm. 569 Für Beispiele s. Goedicke, Königl. Dokumente, 53. Goedicke konnte in seiner Bearbeitung der königlichen Dokumente wahrscheinlich machen, daß das Dekret von Pepi I. für die Kapelle der Königsmutter Jpw.t nicht eine Kopie, sondern der Auszug aus einem Dekret gewesen ist. 570 Dazu und für weitere Beispiele vgl. Goedicke, a.a.O., 40f.; vgl. außerdem pBrooklyn 35.1446, Entries B, Hayes, A Papyrus, 99ff. 571 Eine vorausgegangene Bitte Sinuhes an den König scheint sehr wahrscheinlich, obwohl Sinuhe darüber schweigt. 572 Den ihm gebrachten königlichen Brief bezeichnet Sinuhe mit: mjt n wD jnjj n b#k jm Hr jn.t=f r Km.t „Eine Kopie des Erlasses, das diesem Diener gebracht wurde, damit er nach Ägypten zurückgeholt wird“. Sinuhe, B 178. 573 Die Restaurationsschrift des Tutanchamun soll auch als ein Dekret angesehen werden. Allerdings beginnt die Inschrift mit der Beschreibung der Taten des Königs für die Götter, da die Inschrift möglicherweise vor allem auf die Wiedergewinnung der Gunst des Gottes Amun und dessen Priesterschaft abzielte. Am Schluß der Inschrift wird wie rekapitulierend gesagt, daß der König wie Thot sei: S# hp.w mnX wD jqr pr n r# , Urk. IV, 2032, 7-10. 574 Vgl. Urk. IV, 2040ff. Daß die Stele am Eingang zum Amuntempel in Karnak aufgestellt wurde, mag zwei Gründe gehabt haben. Einerseits war es seit dem Alten Reich üblich, Stelen, die die Interessen der Götter behandeln, am Tempeltor aufzustellen. Andereiseits wurden die Restaurationsaktivitäten des Haremheb auf die Wiedergutmachung mit dem Gott Amun und dessen Priesterschaft konzentriert. <?page no="99"?> 100 Kapitel III - Der Richter und die Gesetze 100 jw s# njswt K#S „den Wesir, die Beamten, Freunde, Mitglieder der qnb.t , Richter und den Vizekönig von Kusch“ gerichtet 575 . c. Die Worte des Königs Die Gesetzgebung in den beiden oben untersuchten Formen erfolgt in schriftlicher Form. Es muß berücksichtigt werden, daß viele königliche Bestimmungen mündlich den jeweils für die Angelegenheit geeigneten oder zuständigen Beamten erteilt werden 576 . Daß königliche Worte Rechtskraft besitzen, zeigt uns eine Formulierung aus einem königlichen Dekret aus dem Alten Reich. Darin sagt der König über die Frevler gegen die Totenstiftung des Wesirs Jdj , daß sie als diejenigen bestraft werden, „die unter den Worten des Königs, des Osiris und ihres Stadtgottes stehen ( m xrj mdw n njsw.t Wsjr nw nTr=sn njw.tj )“ 577 . Diese Leute, die unter den Worten des Königs bzw. des Gottes sind, stellen diejenigen dar, die gesetzliche Bestimmungen des Königs verletzt haben und daher straffällig sind. Die königlichen Bestimmungen werden hier nicht als hp.w bezeichnet, aber mit dem Wort mdw können die schriftlichen Regelungen des Königs bezeichnet werden. Nicht übersehen werden darf die maßgebende Wirkung der Aktion des Sprechens seitens des Königs 578 . Die einleitende Form jw wD 579 und jw wD.n 580 in den Königsdekreten deutet auf die Sprechaktion des Königs. Wnj beschreibt seine Ausführung der königlichen Aufträge mit 575 KRI I, 50, 13. 576 Vgl. dazu Kapitel V. 577 Urk. I, 305, 18-306, 1. In diesem Zusammenhang kann man den in der Autobiographie des MTn mehrfach vorkommenden Ausdruck xr mdw (Urk. I, 2, 5; 3, 8; 6, 9-10) heranziehen. Die Bezeichnung mdw , die hier kein Determinativ hat, kann man entweder als „Wort“ oder als „Stock“ übersetzen. Die Übersetzung mit „Stock“ erscheint hier plausibler, denn die Wendung deutet hier darauf hin, daß die betreffenden Orte in der Inschrift des MTn unter seiner Kontrolle waren. Sein Recht ( mdw ) wurde durch die königliche Anweisung ( mdw ) übertragen. Falls diese Annahme richtig ist, bekommen wir einen indirekten Beweis dafür, daß die 40 Ssm.w , die in der Dienstordnung des Wesirs erwähnt werden, als Autorität symbolisierende Stöcke verstanden werden sollen. Posener (in: GM 25, 63-66) zitierte einige Beispiele, in denen Ssm.w zum Bestrafen von Leuten gebraucht werden. Vgl. auch Davies, Rekh-mi-Rēc, 30; van den Boorn, Duties, 31-32. Andere Meinung von Helck, in: Fikentscher et alii (Hgg.), Entstehung und Wandel, 308-309. 578 Hierfür vgl. Seidl, Einführung, 16f. Goedicke (in: MDAIK 47, 135) hält die Annahme, daß die Worte des Königs die Gesetze gewesen waren, für „overly simplistic“ und „does not do justice to the ancient Egyptian“. Aber in diesem Zusammenhang sollte man eine Stelle aus der Lehre eines Mannes einbeziehen, die deutlich zeigt, welche Bedeutung und Wirkung die Worte des Königes haben konnten: jmj b#w=f How m wD.t=f m SnT X.t m mr(r.t)=f „Verbreite die Beweise seiner (des Königs) Macht, jauchze über das, was er befiehlt, stelle nicht in Frage, das was er wünscht.“ Übersetzung nach Fischer-Elfert, Die Lehre eines Mannes, 88. 579 Urk. I, 278, 8. 580 Urk. I, 279, 2; 279, 8; 282, 1; 282, 9; 283, 4; 283, 16. Diese verbal aufzufassenden Formen stehen gegenüber den nominal zu fassenden Wendungen wie wD njsw.t oder noch deutlicher m wD njsw.t bitj (Urk. I, 171, 1, 5, 10). Dies verrät wiederum, daß die Bestimmung des Königs mit gleichem Inhalt in zwei Formen vorliegen kann. Die Behauptung Goedickes (Königl. Dokumente, 28, 11 und 99, 20), daß man wD hinter der Präposition m wegen des fehlenden Determinativs als Infinitiv verstehen solle, scheint nicht überzeugend. <?page no="100"?> 2. Die Entstehung der gesetzlichen Bestimmungen 101 101 mj wD.t.n nb Hm=f jm „(alles, was der König ihm anbefohlen hat, wird ausgeführt) wie seine Majestät befohlen hat“ 581 , Xft Hw wD.n Hm n nb „gemäß dem Befehl, den (mein) Herr erteilt hat“ 582 oder Xft Hw wD k#=f „gemäß dem Befehl, den sein Ka erteilt hat“ 583 . Die schriftlich abgefaßten Worte des Königs stellen nur einen kleinen Teil dessen dar, was der König gesprochen hat 584 . In dem Dekret des Nebkheperre Antef aus Koptos sieht man das Zusammenspiel mehrerer Elemente 585 . Der Anlaß des Dekrets ist eine Beschwerde der Priester des Min-Tempels in Koptos. Daraufhin erläßt der König ein Dekret, damit der in der Beschwerde berichtete Fall richtig behandelt wird. Der König beginnt seine Anordnung mit wD.n njsw.t 586 . Direkt darauf folgen die Personen, an die der König seinen Befehl richtet. Der Sprechakt des Königs wird hier schriftlich abgefaßt, da die angeredeten Personen nicht bei dem König sind. Die zwei Beauftragten des Königs c#-Jmn und Jmnwsr kommen mit dem Befehl ( wD ) nach Koptos: „Seht, dieser Befehl wird euch gebracht, um euch darüber zu imformieren, daß Meine Majestät veranlaßt hat, daß c#-Jmn und Jmn-wsr kommen und die Untersuchung im Tempel des Min durchführen-…“ 587 Aber die Anweisungen, wie die zwei Beauftragten in Koptos handeln sollen, stehen nicht in dem königlichen Brief. Sie werden möglicherweise den zwei Gesandten mündlich aufgetragen. Der mitgebrachte, mit wD bezeichnete Befehl hat für die Personen in Koptos, die dem König mit einem Brief Beschwerde eingereicht haben, den Charakter eines Briefes. Aber da der Befehl an alle Beamten, Priester und sogar die Armee in Koptos gerichtet ist 588 und die darin festgelegten Strafmaßnahmen gegen die Übertreter der königlichen Bestimmungen in der Öffentlichkeit bekannt gemacht werden sollen 589 , kommt er unter der Kategorie der Dekrete 590 . In der Amtseinsetzung des Wesirs finden wir einige Stellen, die zeigen, daß die Worte des Königs in der Rechtsprechung eine maßgebende Rolle spielen. Die richtige Handlung des Wesirs, der sich als Oberrichter dem König gegenüber verantworten muß, wird 581 Urk. I, 107, 13. 582 a.a.O., 108, 10. 583 a.a.O., 109, 11. 584 Im Haremhebdekret ist eine Stelle (Urk. IV, 2143, 8-11), in der ersichtlich ist, wie die königlichen Worte schriftlich aufgefaßt wurden. [jw=sn Hr jn.t sS n] Hm=f oHo.n Ssp.n=f gstj Hno sXr.t wn.jn=f Hr jr.t m sS.w mj Dd.wt nb Hm=f njsw.t Ds=f Dd=f m wD[.t] „[Sie brachten den Schreiber] seiner Majestät. Da nahm er Binse und Papyrus und setzte alles schriftlich auf, wie es seine Majestät gesagt hatte. Seine Majestät selbst war es, der es als ein Dekret sagte.“ 585 Sethe, Lesestücke, 98. 586 a.a.O., 98, 3. 587 a.a.O., 98, 5-8. 588 a.a.O., 3-5. 589 a.a.O., 9ff. 590 Seine Berufung zum Domänenvorsteher beschreibt Qn-Jmn wie folgt (Urk. IV, 1386, 19-20): [Dd. jn Hm=f n] wr.w oH dmD Spss.w njsw.t wnn.w m-Xt=f r-ntt wD.n(=j) [dj.tw Qn-Jmn r jmj-r# pr] m pr nfr „[da sagte seine Majestät zu] allen Großen des Palastes und den Edlen des Königs, die bei ihm waren, Folgendes: ‚Ich habe befohlen, [daß man Kn-Jmn zum Verwalter] in Pr-nfr [einsetze]‘.“ Es ist schwer zu entscheiden, ob die Berufung nur mündlich erfolgte oder es dabei noch eine Ernennungsurkunde gab. <?page no="101"?> 102 Kapitel III - Der Richter und die Gesetze 102 mit jrj=f Xft Dd.wt n=f „er soll so handeln, wie man es ihm gesagt hat.“ 591 Der König mahnt seinen höchsten Beamten mit folgenden Worten: „Siehe, die Schutzwehr eines Beamten besteht darin, indem er die Angelegenheiten gemäß der Vorschrift behandelt und tut, was (ihm) gesagt wird.“ 592 Hier beziehen sich die Worte des Königs vor allem auf die Vorschriften in dem Text. Aber es ist nicht völlig auszuschließen, daß dabei die alltäglichen mündlichen Anweisungen des Königs gleichermaßen gemeint sind. Dies gibt möglicherweise auch einen Hinweis darauf, warum im Dekret des Haremheb die „Worte des Königshauses ( md.t pr njsw.t )“ und die „Gesetze der Wache ( hp.w nw orojj.t )“ gleichgestellt werden 593 . Bezüglich seiner restaurativen Aktivitäten gegen die Mißstände infolge der Amarnazeit vergleicht sich der König Tutanchamun mit dem Gott Thot, der „die Gesetze bestimmt, trefflich im Befehlen ist […] und effizient im Reden ist ( S# hp.w mnX wD … jqr pr n r# ).“ 594 Die Nebeneinanderstellung von hp.w, wD und pr n r# zeigt sehr wahrscheinlich, daß sich die drei Begriffe alle auf die königlichen Bestimmungen, die in verschiedenen Formen nach außen bekannt gegeben werden, beziehen. Es kann kaum einen Unterschied bei der Rechtmäßigkeit und der Wirkung unter den drei Formen gegeben haben 595 . Der Wesir RX-mj-Ro schildert sehr genau, wie die königliche Anordnung ihm erteilt wurde: wpj.t Hm=f r#=f Dd=f mdw=f swt Xft Hr=j „Seine Majestät öffnete seinen Mund und sprach seine Worte mir gegenüber.“ 596 Daß die mündlich geäußerten Worte des Königs in einem spezifischen Fall von allgemeiner Bedeutung sein können, darf man vielleicht aus dem Gerichtsprotokoll des Jmn-Xow vermuten. Jmn-Xow begründet seine Entscheidung über das Verfügungsrecht mit der Angabe, daß „der König (darüber) geäußert hat“ ( Xr pr-o# o.w.s. Dd ) 597 . Es ist zu bezweifeln, daß der regierende König persönlich zu Jmn-Xow 591 Urk. IV, 1092, 11; Die wahrhafte Gerechtigkeit wurde übrigens mit einem Spruch ( Ts ), den der Herr (der König) gesagt hat ( m Dd nb ), definiert (a.a.O., 1089, 7-8). 592 mk jbw pw n sr jr.t X.wt Xft tp-rd m jr.t Dd.wt , Faulkner, in: JEA 41, 22. 593 Urk. IV, 2155, 16-18. Im selben Text wird deutlich angegeben, daß die königlichen Worte als Befehl bzw. Dekret aufgeschrieben wurden: oHo.n Ssp.n=f gstj Hno sXr.t wn.jn=f Hr jr.t m sS mj Dd.wt nb Hm=f njswt Ds=f Dd=f m wd[.t] , Urk. IV, 2143, 9-11. Dies zeigt indirekt, daß die Worte des Königs ebenfalls gesetzliche Kraft besitzen. „Befehl“ und „Dekret“ konnten denselben Inhalt enthalten haben, nur waren sie verschiedene Träger der Königsworte. 594 Urk. IV, 2032, 8-10. 595 Eine willkommene Bestätigung bekommen wir aus der Inschrift des Jmn-m-H#.t (Urk. IV 1409, 4-6), der bezüglich des Befehls seines Königs Folgendes sagt: „Ich ging aus und ein nach seinem Befehl ( wD ), nicht überging ich die Äußerung seines Mundes ( pr.w n r#=f ), nicht mißachtete ich seine mich betreffende Anordnung ( S#.t.n=f ).“ Die Termini wD , pr.w n r#=f und S#.t.n=f beziehen sich alle auf die Worte des Königs, die gesetzliche Wirkung haben. 596 Urk. IV, 1074, 10; die erteilte Anordnung hier kann man zwar als die Amtseinsetzung des Wesirs verstehen, die schriftlich aufgefaßt wurde, es besteht jedoch die Möglichkeit, in der Beschreibung des RX-mj-Ro den üblichen Akt des Königs zu sehen, seinem Beamten eine gesetzliche Bestimmung mündlich bekanntzugeben. 597 pTurin 2021, s. Černý-Peet, in: JEA 13, pl. XIV, Z. 4. Über eine königliche Bestimmung in bezug auf das Erbrecht der Kinder im Zusammenhang mit ihrer Übernahme des Begräbnisses ihrer Eltern s. pCairo 58092, Allam, Hieratische Ostraka und Papyri aus der Ramessidenzeit, Nr. 268. Vgl. auch <?page no="102"?> 2. Die Entstehung der gesetzlichen Bestimmungen 103 103 oder genau über den Fall des Jmn-Xow derartiges gesagt hätte. Aber sicher ist, daß irgendein König bezüglich des Verfügungsrechts über die Mitgift der Frauen eine Regelung angeordnet hat. Es ist für Jmn-Xow jedoch nicht relevant, welcher König in welcher Zeit dies getan hat. Wichtig für ihn ist die Tatsache, daß eine königliche Bestimmung in diesem Bereich vorliegt 598 . Auf der Stele des Nfr-pr.t-Ro sehen wir an einem konkreten Fall, wie der König eine gesetzliche Bestimmung für das Verfügungsrecht eines Privatmannes erteilt 599 . Nfr-pr.t-Ro hat bei der Eroberungsexpedition des Königs Thutmosis III. einige Rinder aus Asien gebracht. Wahrscheinlich hat er Sorgen über das Besitzrecht, insbesondere nach seinem Tod. Darüber wird vom Vorsteher der Wache dem König berichtet. Daraufhin erteilt der König seine Entscheidung, daß die Rinder für immer Nfr-pr.t-Ro gehören sollen und niemand, einschließlich des Rindervorstehers, diese Entscheidung verletzen darf. Diese Entscheidung des Königs wird von dem königlichen Schreiber dem Betroffenen überbracht 600 . Man kann sich gut vorstellen, daß das Urteil des Königs in diesem speziellen Fall später eine richtungsweisende Wirkung haben könnte, sofern ähnliche Streitfälle vorkommen. Der Vorsteher der Wache und der königliche Schreiber können aufgrund ihrer Mitwirkung bei der Behandlung der Angelegenheit in späteren ähnlichen Fällen große Befugnisse und Kompetenz aufweisen. d. Die Lehren In den oben untersuchten drei Formen von Gesetzgebung handelt es sich um die königlichen Bestimmungen, die anläßlich einer Angelegenheit oder eines Ereignisses erlassen werden. Diese unsystematische und sporadische Gesetzgebung und das Fehlen eines kodifizierten Gesetzbuchs werden in vielerlei Hinsicht durch die Lehren ergänzt 601 . Černý, LRL Nr. 37. Dies zeigt deutlich, daß Erbrecht und damit verbundene Vermögensverfügungen unter der rechtlichen Reglung des Königs stehen. Goedickes (in: MDAIK 47, 136) Annahme, daß die Berührung der „royal jurisdiction“ mit den „questions concerning material possessions“ nur wegen der Eide im Namen der Könige stattgefunden hatte, ist schlicht nicht stichhaltig. 598 In pGenf D 191 berichtet eine Frau ihrem Adressaten über mehrere Angelegenheiten. Darin wurde ein Streit erwähnt, in dem der Vater des Adressaten des Briefes verwickelt war. Die Frau erzählt, daß die Angelegenheit vor dem König vorgetragen wurde. Der König gab dem Vater des Adressaten Recht und seine Anweisung an die beauftragten Beamten wurde wörtlich zitiert. Man kann annehmen, daß diese Äußerung des Königs für spätere ähnliche Streitfälle einen richtungweisenden Charakter hatte. Černý, LRL, 57-60, besonders 59, 4-7. 599 Urk. IV, 1020, 7ff. 600 Urk. IV, 1021, 3ff. 601 In erster Linie beschränkt sich die Gesetzgebung des Königs weitgehend auf die Bereiche, in denen königliche Interessen direkt berührt werden. Im zivilrechtlichen Bereich leisten die wenigen Entscheidungen von den Königen, die als Präzedenzfälle ein Teil der Tradition werden sollen, Orientierungshilfe. Dazu kommt noch die Tatsache, daß viele Zivilrechtsfälle durch Schlichtung gelöst werden. Die Schlichtung ist stark einzelfallbezogen und läßt sich schwer mit ausdifferenzierten Gesetzen regulieren. <?page no="103"?> 104 Kapitel III - Der Richter und die Gesetze 104 Am Schluß seiner Lehre sagt der Vater des Merikare: jm=k jr.(w) mn.t nb <r> r#=j dd shp.w nb Hr nsw „Tue nichts Böses gegen meinen Ausspruch, der alle Regeln über einen König festlegt.“ 602 Zwei Punkte sind hier besonders interessant. Die Bestimmungen des alten Königs, wie der zukünftige König regieren soll, werden mit r# gekennzeichnet. Dies bestätigt wiederum die oben erwähnte enge Verbindung zwischen dem mündlichen und schriftlichen Aspekt der Gesetzgebung. Zweitens, die in der Lehre erteilten „Ratschläge“ enthalten die Regeln der Herrschaft, die mit dem Wort shp.w ausgedrückt wird, das seinerseits auf der Basis von hp gebildet wird. Das zeigt, daß die Lehren im alten Ägypten nicht nur formative Wirkung im alltäglichen Leben unter den Mitmenschen, sondern auch Rechtskraft besitzen 603 . Dabei muß man die Tatsache beachten, daß die Lebenslehren im alten Ägypten, besonders für das Mittlere Reich, vom Königshause initiiert oder gefördert werden. In der Einsetzung des Wesirs stellt der König ausdrücklich fest, daß die Richtlinien, die er hinsichtlich der Behandlung der Bittsteller festgelegt hat, als eine Lehre betrachtet werden sollen: jw n# m sb#jj.t , „Dies ist eine Lehre.“ 604 Die Worte des Königs stellen sich als eine Lehre dar und umfassen gleichzeitig alle gesetzlichen Regeln. Alles, was die richtenden Beamten tun sollen, besteht darin, die Worte des Königs zu hören, dann werden im Lande Gesetz und Ordnung herrschen. In der Autobiographie des RX-mj-Ro sagt der König seinem Wesir anläßlich von dessen Berufung zu diesem Amt über die Rechtsprechung folgende Worte: Hw jrjj=k Xft Dd=j k# Htp m#o.t r s.t=s , „Mögest du handeln gemäß dem, was ich sage, dann wird die Maat an ihrem Platz ruhen.“ 605 Das Haremhebdekret, gemäß dem „die Fälle von Unrecht im Lande ( sp.w n own m p# t# )“ 606 beseitigt werden sollen und in dem sich zahlreiche gesetzliche Regeln ( tp-rd und hp.w ) befinden, wird vom König mit sb#jj.t=j n=sn m Dd „meine Lehre an sie war es, indem (ich) sagte“ bezeichnet 607 . Die Grenze zwischen Ratschlag und Gesetz ist hier schwer zu ziehen 608 . Aus der Amarnazeit kennen wir keine vom König für die Beamten verfaßte Lehre im engeren Sinne. Aber die Worte des Königs, sogar die Hymnen und Gebete des Königs an 602 E 138-139. Eine ähnliche Periode des Aufbaus und der Restauration des Mittleren Reiches gab es auch im alten China in der Dynastie des Ersten Kaisers. Die Qin-Dynastie ging als Sieger aus den Machtkämpfen rivalisierender lokaler Mächte hervor. Aber der Erste Kaiser hat die legistische Lehre als staatstragende Ideologie angenommen und strenge „traditionsfeindliche Gesetze“ erlassen, was zur Folge hatte, daß das Reich schon in der Hand seines Sohnes zu Ende ging. Derartige Gesetzgebung läßt sich nicht aus dem Mittleren Reich im alten Ägypten beobachten. Stattdessen sieht man für diese Zeit eine Blütezeit der Lehren, die vom Königshaus gefördert wurde. 603 Für die Verschriftung sozialer Normen als ein Bestandteil der „politischen Restauration“ im Mittleren Reich, vgl. Assmann (1994a), 79. 604 Urk. IV, 1090, 3. 605 Urk. IV, 1074, 14-15. 606 Urk. IV, 2143, 14. 607 Urk. IV, 2156, 10. 608 Dabei kann man die oben untersuchten königlichen Dekrete aus dem Alten Reich einbeziehen. Der König Pepi II. fügt nach seiner Festlegung der gesetzlichen Bestimmungen zu: „Das, was Neferkare wünscht, ist das Handeln gemäß dem Wortlaut dieses Befehls.“ Urk. I, 283, 11. <?page no="104"?> 2. Die Entstehung der gesetzlichen Bestimmungen 105 105 den Aton werden als seine Lehre ( sb#jj.t=f ) betrachtet und sie sind zugleich die Gesetze des Königs ( hp.w=f ), wonach die Beamten handeln sollen 609 . Daraus ist klar, daß die Lehren nicht eine reine Sammlung von Ratschlägen sind und es deswegen im alten Ägypten eine Sammlung von Gesetzen in unserem Sinne nicht hat gegeben können. Viele Regeln in den Lehren sind rechtskräftig und die Verletzung dieser Regeln bedeutet Mißerfolg und Bestrafung nicht nur in dieser Welt, sondern auch im Jenseits. Dabei stellt sich die Frage, ob die Lehren, die die hohen Beamten im Auftrag der Könige für die zukünftigen Beamten verfaßt haben, ebenfalls gesetzliche Wirkungen gehabt haben 610 . In der Lehre des Ptahhotep sieht es so aus, als ob der alte Wesir seinem Sohn und zukünftigen Nachfolger Ratschläge gibt. Aber man muß noch einen Schritt weiter gehen und fragen, wie diese Ratschläge zustande gekommen waren. Diese Ratschläge haben Ptahhotep und seine Vorgänger bei ihrem Königsdienst gesammelt, indem sie auf die Könige hörten 611 . Wenn der „Sohn“ des Ptahhotep tut, wie es ihm gesagt wird, wird es unter den Menschen keine Streitigkeiten geben und in den beiden Länder Frieden herrschen 612 . Die Lehren des alten Ägypten, insbesondere die aus dem Mittleren Reich, die auch „kulturelle Bildungstexte“ genannt werden können 613 , werden vor allem im Dienst des Königshauses verfaßt. In der Geschichte des Bauern ist es merkwürdigerweise ein Bewohner aus dem Randgebiet Ägyptens, der dem hohen Beamten und den diesem unterstellten Beamten neun Lektionen über Recht und Gerechtigkeit erteilt 614 . Aber in der Tat wird dieser Vorgang als Dienst für den König, ja sogar als königlicher Auftrag, aufgefaßt. Daher wagt der Oasenmann, seine Rede als die des Gottes zu bezeichnen 615 . 609 Urk. IV, 1997, 14-16. Assmann (1994e, 41) versteht die Hymnen des Echnaton als edukative Texte. 610 Natürlich soll man sie dabei jeweils gemäß der verschiedenen Verfasser- und Zielgruppen der Lehren unterschiedlich betrachten. Aber in den meisten der Lehren, die im Mittleren Reich als Teil von königlichen Aktionen zur Erziehung der Beamten entstanden waren, sind rechtsverbindliche Bestimmungen nicht zu verkennen. 611 Bei seiner Bitte an seinen König, seinen Sohn als Nachfolger auszubilden sagt Ptahhotep (30-31): jX Dd=j n=f mdw sDm.jw sXr.w jmj.w-H#.t p#w sDm n nTr.w ... „damit ich ihm die Worte der Hörenden weitergebe, die Pläne der Vorfahren, die ihrerseits auf die Götter hörten.“ Hier bezieht sich das Wort sDm.jw auf die Beamten, die nach den Anweisungen des Königs gehandelt haben und daher wissen, wie man sich richtig verhalten soll. Auf die Götter zu hören, ist nichts anderes als auf den König zu hören, denn der König selbst ist ein Gott ( Dd.jn Hm n nTr pn „da sprach die Majestät dieses Gottes,“ Ptahhotep 36). 612 Ptahhotep 33-35. 613 Assmann (1994a), 84. In den altchinesischen Verhältnissen wird dies als „Ethisierung des Rechts“ bezeichnet. Die konfuzianische Lehre hat die Gesetze im Rechtsgebiet nicht ersetzt, aber sie ergänzt und effizienter gemacht. Hierzu vgl. Alliot, in: Fikentscher et alii (Hgg.), Entstehung und Wandel, 199-200. 614 In dieser Hinsicht soll man besonders den ähnlichen Wortlaut in den Stellen aus der königlichen Lehren und aus der Geschichte des Bauern beachten, z. B. Urk. IV, 1090, 5 und Bauer B2, 105. 615 B1, 349-350. In dem Vorwurf des Bauern, daß Rnsj Unrecht in seiner Umgebung zuläßt, während der König im Palast ist (B1, 158-159), kann man auch die Ermahnung des Königs an die Beamten erkennen. <?page no="105"?> 106 Kapitel III - Der Richter und die Gesetze 106 Die Ausbildung von Beamten beginnt damit, Lesen und Schreiben zu lernen, und dieser Lernprozeß steht mit den Lehren in einer engen Verbindung. Das juristische Training und damit die Ausbildung von Richtern wird daher in die Ausbildung der Beamten integriert. „Schreiben lernen heißt von jetzt an mehr als Berechnen, Organisieren und Verwalten lernen, es heißt in einem sehr umfassenden Sinne Leben lernen. Das vorher mündlich überlieferte Verhaltenswisssen wird schriftlich kodifizert, und das vorher implizite Wissen wird explizit und diskursiv entfaltet.“ 616 Das Fehlen eines kodifizierten Gesetzbuchs ist sehr wahrscheinlich nicht auf den Zufall der Überlieferung zurückzuführen. Während die Lehren aus dem Mittleren Reich die Richtenden über Rechtsnormen belehren, begnügen sich die „privaten“ Verfasser der Lehren aus dem Neuen Reich und der Spätzeit damit, ihren Schülern Verhaltensregeln, darunter auch solche aus dem Bereich des Rechts zu erörtern, damit die Schüler strafrechtliche Sanktionen vermeiden 617 . Jeder kann auf seine Weise aus den zahlreichen Lehren „Einzelanweisungen in bestimmten Situationen“ ablesen 618 . Hier zeigt sich die formative Wirkung der Lehren auf die Personen, die später von den Richtern gerichtet werden können. Daher kann man aus den Lehren dieser Zeit mindestens einen indirekten Einfluß auf die Richter annehmen. „Der Glaube an das Totengericht erzieht den Ägypter zu einem Sozialwesen, zum Mitmenschen. Die Schwäche der sozialen Normen, der Verhaltensregeln der Mitmenschlichkeit, besteht darin, daß sie nicht einklagbar sind. Es handelt sich nicht um Gesetze, auf die sich ein Kläger jederzeit und unbedingt vor einem unabhängigen Gericht berufen könnte und deren Übertretung mit schweren Sanktionen belegt wären. Es handelt sich lediglich um Gnadenakte und Verpflichtungen zur Wohltätigkeit, deren Unterlassung um so weniger unter Strafe gestellt werden kann, als sie per definitionen immer nur von oben kommen.“ 619 Aber wenn die überwiegend moralischen Regeln in den Lehren mit der Idee des Totengerichts in Berührung kommen, bekommen sie eine völlig andere Dimension 620 . Bezüglich der Regeln des Totengerichts gibt es keine Richtenden auf Erden, denn alle Menschen müssen einmal vor diesem Gericht Rechenschaft ablegen. Die dem Totengericht zugrundegelegten Regeln zur Lebensführung sind daher sowohl für die Richtenden als auch für die potentiellen Gesetzesbrecher gleichermaßen wirksam 621 . 616 Assmann (1996a), 142. 617 Vgl. Quack, Die Lehren des Ani, 74. 618 Vgl. hierzu Otto, in: LÄ I, 19-20. Für ein vergleichbares Beispiel aus dem alten China, wo die Li-Schriften als edukative Texte sowohl für die Beamten als auch für andere Gebildeten gelehrt wurden, s. Bünger, in: Fikentscher et alii (Hgg.), Entstehung und Wandel, 450. 619 Assmann (1996a), 193. 620 Vgl. dazu Assmann (1990), 151, ders. (1994a), 83-84. 621 Vgl. die autobiographische Inschrift auf der Stele Turin 156, auf der der Verstorbene beteuert, daß er sein Leben gemäß der „Gesetze der Halle der beiden Maat“ geführt hat. Varille, in: BIFAO 54, 129-135. <?page no="106"?> 3. Der Richter als Vollstrecker der königlichen Bestimmungen 107 107 3. Der Richter als Vollstrecker der königlichen Bestimmungen Nach den obigen Untersuchungen, in denen wir vier mögliche Formen von Gesetzgebung konstatiert haben, ist die absolute Rolle des Königs eindeutig 622 . Er erläßt Dekrete oder Bestimmungen, sofern es erforderlich ist. Er hat das Recht, die vorhandenen Gesetze aufrechtzuerhalten 623 oder abzuschaffen 624 . Er kann mittels eines neuen Erlasses die Bestimmungen seiner Vorgänger bestätigen, aber sie in seinem eigenen Namen bekannt geben 625 . Er kann durch eine Entscheidung in einem spezifischen Fall für spätere ähnliche Fälle die Richtlinie festlegen und den herrschenden sozialen Normen Rechtsgültigkeit verleihen. Er kann noch mittels der Lehren, die Assmann als „Ma’at-Literatur“ 626 bezeichnet hat, Kontinuität und Regelmäßigkeit im Rechtsleben schaffen. Die Besonderheiten der altägyptischen Gesetzgebung haben zwei Auswirkungen auf die Beamten. Erstens, da die Gesetze mit dem Begriff m#o.t eng verbunden sind und es keine unabhängige Jurisdiktion gibt, ist theoretisch jeder Beamte berechtigt, als Richter zu handeln. Zweitens, aufgrund der Tatsache, daß der regierende König jederzeit ein altes Gesetz abschaffen und ein neues erlassen kann, ist für die Beziehung eines Beamten zum König ausschlaggebend, ob er bei der „Gesetzgebung“ mitwirkt. Die Gesetze dienen dazu, daß die Ordnung aufrechterhalten bleibt und jeder in der ungleichen Gesellschaft eine Lebenschance bekommt. In der Geschichte des Bauern wird es dadurch veranschaulicht, daß der Arme nicht überleben kann, wenn die Gesetze außer Kraft gesetzt werden, denn in diesem Fall reagiert die Maat nicht mehr, auch wenn der Arme beraubt wird 627 . Hier wird wieder auf die enge Beziehung zwischen dem Gesetz und der Maat zurückgegriffen. Das Gesetz ( hp ) und die Norm ( tp-Hsb ) sind Bestandteile der gesamten Ordnung ( m#o.t ) 628 . Die Aufgabe des Richters liegt daher darin, die Geltung der Gesetze aufrecht zu erhalten und die außer Kraft geratenen oder gesetzten Gesetze wieder 622 Nachdem er dem Wesir bei dessen Amtseinsetzung gesagt hat, daß „es die Schutzwehr eines Beamten“ sei, gemäß den Regeln zu handeln, fügt der König den bedeutungsvollen Satz hinzu: „Die Majestät ist milde, (wenn) der Wesir gesetztreu ist“, Faulkner, in: JEA 41, 20, 1; Lichtheim (in: Fs Wilson, 64) übersetzt: „Gracious king, lawful Vizier”. 623 In dem Schutzdekret des Pepi II. für den Tempel des Min in Koptos sagt der König, daß die früheren königlichen Bestimmungen über die Exemption weiterhin ausgeführt werden sollen (Urk. I, 283, 6-7). 624 Haremheb sagt in seinem Dekret, daß er die Bezahlung in Silber, Gold und [Kupfer] abgeschafft hatte, damit die Mitglieder des Gerichts keine Bezahlung mehr annehmen würden (Urk. IV, 2156, 17-20). Es kann nicht gesagt werden, daß es ein „Gesetz“ über das Entgelt der Richter gab. Aber es ist durchaus möglich, daß es eine nicht festgelegte Regel gab, wonach die Richtenden angemessen entlohnt werden. Diese Praxis geriet unter einer schwachen Zentralregierung außer Kontrolle, die Haremheb bei der Restauration unerträglich fand. Dazu vgl. Assmann (1994a), 61-85. 625 Vgl. Hayes, in: JEA 32, 7. 626 Assmann (1994a), 71. 627 Xb#(.w) hp HD(.w) tp-Hsb nn m#jr onX(.w) HoD#.w=f n Sd sw m#o.t , „Wenn das Gesetz unwirksam ist und die Norm gebrochen wird, kann kein Armer überleben; denn wenn er beraubt wird, die Maat reagiert nicht auf ihn.“ B1, 305-306. 628 Vgl. die neue Übersetzung bei Parkinson, The Tale of Sinuhe, 71. <?page no="107"?> 108 Kapitel III - Der Richter und die Gesetze 108 in Kraft zu setzen. Der Gaubeamte K#j verbindet das Tun der Maat mit seiner Behandlung der sozial Benachteiligten 629 . Hier wird das Gesetz nicht direkt erwähnt, aber das Retten und das Schützen bedeuten die Erfüllung der gesetzlichen Regeln und fallen unter die Kategorie des Maattuns. Bei den Erwähnungen der Termini tp-rd , hp oder tp-Hsb , die unter dem Oberbegriff Gesetz stehen, steht der König im Zentrum. Die entscheidende Rolle des Königs gegenüber den richtenden Beamten bezüglich der Gesetze sieht man daran, daß die Gesetze in den autobiographischen Inschriften oft mit einem possessiven Pronomen auf den König verweisen. Der Gaufürst Ef#j-Oopj aus Siut beendet den Abschnitt in seiner Autobiographie, in dem er über seine Gerechtigkeit beim Richten mit folgenden Angaben berichtet: tm xnn(.w) wD.t-mdw=f smn hp.w=f Xt sp#.t=f „Es wird nicht seinem Befehl zuwidergehandelt und seine Gesetze werden im ganzen Gau festgesetzt.“ 630 Hier wird durch das Possessivpronomen deutlich gemacht, daß wD.t-mdw und hp.w von der Person des Königs ausgegangen waren. Die Begriffe wD.t-mdw und hp.w bezeichnen wohl beide die königlichen Bestimmungen, nach denen Ef#j-Oopj seinen Gau verwaltet hat. Die vorhergehenden Handlungen des Ef#j-Oopj , nicht Partei ergriffen, zwei Brüder zu ihrer Zufriedenheit gerichtet, die Dienerin nicht gegenüber ihrer Herrin vorgezogen zu haben, werden demnach im Einklang mit der wD.t-mdw bzw. den hp.w des Königs durchgeführt. Die unbeschränkte Stellung des Königs sieht man auch in einer Aussage des Nsw-MnTw , der behauptet: smj.t(w) n(=j) hp.w n t# pn n mds(=j) m jb n nb(=j) „Mir wurden die Gesetze des Landes berichtet, da (ich) in der Meinung des Königs so hervorragend war.“ 631 Diese mit einem Possessivpronomen bezeichnete enge Beziehung zwischen dem König und den Gesetzen erkennen wir auch in den Belegen aus dem Neuen Reich, die verschiedene Ausdrucksformen aufweisen 632 . Die Stellung des Königs in der Gesetzgebung erkennt man auf der anderen Seite in den Aussagen der Beamten, in denen zwar kein Possessivpronomen vorkommt, aber die Wirkung des Königs anders umschrieben wird. Der Vorsteher der Heeresschreiber V#nnj hebt seine Beziehung zum König wie folgt hervor: so#.n njsw.t Hr smnX sXr.w=f jrj hp.w mr.t.n Hm=f , „einer, den der König deswegen groß gemacht hat, weil er dessen Pläne ausgeführt und die Gesetze, die seine Majestät liebt, 629 jw jr.n=j m#o.t spd r wSm jw nHm.n=j m#jr m-o wsr jw snf.n=j x#r.t jwtt hj=s jw Sd.n=j nmH jwtj jt=f „Ich habe die Maat so trefflich getan wie die Spitze der Granne; ich habe den Schwachen aus der Hand des Starken gerettet; ich habe die Witwe, die keinen Ehemann hatte, atmen lassen; ich habe das Waisenkind erzogen, das keinen Vater hatte.“ Hatnub Gr. 24, 5. Vgl. Hatnub Gr. 14, 10-11. 630 Urk. VII, 63, 19-20. In Siut IV, 56 wird die gleiche Idee mit jr.n=j js m hp.w S#.t=f n=f „Ich handelte für ihn nach den Gesetzen, die er bestimmt hatte“. Hier werden die Gesetze des Königs durch S#.t=f gekennzeichnet. In Merikare E 42-43 wird die Zugehörigkeit der Gesetze zum König ebenfalls mit den possessiven Pronomen ( hp.w=k ) deutlich gemacht. 631 Louvre C 1, 8, Sethe, Lesestücke, 81, 21-22. Hier bedeutet das Wort hp.w ähnlich wie sXr.w , das die Lage der beiden Länder im Auge hat. 632 smn hp.w=f , Urk. IV, 969, 9; mH m hp[.w]=f tm HD(.w) sXr.w=f , Urk. IV, 1413, 1-2; jrj hp.w=f smnX tp-rd=f , Urk. IV, 1818, 13; jnk smn hp.w n njsw.t , Urk. IV, 2089, 15-16. Vgl. auch die folgenden Aussagen: n HD=j tp-rd wD.t.n=f, Urk. IV, 1777, 6; jrj hp.w n jmj-oH , Urk. IV, 1815, 8. <?page no="108"?> 4. Die Mitwirkung der Beamten bei der Gesetzgebung 109 109 festgesetzt hat.“ 633 Die Pflicht der Beamten und ihre Chance, die Gunst des Königs zu gewinnen und dann von ihm befördert zu werden, besteht dementsprechend darin, die Gesetze des Königs wie vom König erwünscht auszuführen 634 . Sogar aus der Dritten Zwischenzeit, in der die Stellung des Königs wesentlich geschwächt war, haben wir Aussagen von den Beamten, die weiterhin den König als den Gesetzgeber betrachten. Orw , ein Amunprophet und königlicher Schreiber 635 beschreibt seine Leistungen auf dem Rechtsgebiet folgendmaßen: smnX Km.t m hp.w=f r-mn pdswt nt Sj „einer, der das Land Ägypten mit seinen Gesetzen bis zur Deltaküste (? ) in Ordnung bringt.“ 636 An einer anderen Stelle derselben Statue bezeichnet Orw sich als einen, „der kundig in den Gesetzen des Königshauses und den Vorschriften der Vorfahren war.“ 637 4. Die Mitwirkung der Beamten bei der Gesetzgebung Nun werfen wir einen Blick darauf, wie das Vertrauen des Königs auf die Beamten bei der Gesetzgebung eine wichtige Rolle gespielt hat, da viele gesetzliche Bestimmungen wie oben schon erwähnt ursprünglich anläßlich eines spezifischen Falles mittels der Vertrauten des Königs erlassen wurden und den Richtenden bei den Verhandlungen wesentlicher Spielraum überlassen wurde. Schon Wnj , ein Beamter in der 6. Dynastie, sagt über seine richterlichen Tätigkeiten, daß er „im Namen des Königs“ ( m rn n njsw.t ) gehandelt hat 638 . Das heißt, er trat als der Bevollmächtigte des Königs auf. Daraus könnte man ferner vermuten, daß der König nur wichtige Richtlinien festgelegt aber das konkrete Vorgehen Wnj überlassen hat. Der Frage, daß der König einem seiner Beamten eine Anweisung gibt und daraus unter der Mitwirkung jenes Beamten eine Gesetzregel hervorgehen könnte, kann man anhand der Aussage des Jntf , Sohnes des Vfj nachgehen, der in der Anfangsphase des Mittleren Reiches lebte 639 . Über seine richterliche Aktivität und seine ungewöhnliche Beziehung zum König sagt er: nb Sfjj.t hrw sT# tw# smj n njsw.t m woow tkn s.t hrw n soS# wb# n=f njsw.t mdw=f r jr.t orrj.t Hr=f „Herr der Autorität am Tage, in dem der Geringe überführt 633 Urk. IV, 1017, 6-7. 634 Der Rekrutenschreiber Jmn-Htp betont in seiner Autobiographie: jrj wD.wt mj wDd.wt nn rdj.t pr.w Hft hp.w „(Ich war einer), der die Befehle wie befohlen ausführte und nichts hinzufügte, gemäß den Gesetzen.“ Urk. IV, 1815, 16-17. Vgl. dazu auch n th=j tp-rd wD.n=f „Ich habe die Norm, die er besimmt hat, nicht verletzt“. Grab des $rjw=f (TT 192), Seyfried, in: GM 103, 63. 635 Die Angabe des Orw , daß er der Oberste Mund des Landes und der königliche Hero6ld war (Jansen-Winkeln, Ägyptische Biographien, I, Text A 11, h 4 ), hat möglicherweise einen inneren Zusammenhang damit, daß er die Gesetze des Königs nach außen verkündet. 636 Jansen-Winkeln, a.a.O., h 1. Für die Ortsbezeichnung pdswt nt Sj vgl. Jansen-Winkeln, a.a.O., S.-144, Anm. 23. Kurz darauf erklärt er weiter, daß er mit den Gesetzen des Königshauses vertraut war: sS# m hp.w nt pr njswt , Jansen-Winkeln, a.a.O., h, 5. 637 sS# m hp.w nt pr njswt tp-rd n jmj.w-H#.t , Jansen-Winkeln, a.a.O., Text A 11, h, 5. 638 Urk. I, 99, 6. 639 Fischer, in: JNES 19, 258-268. <?page no="109"?> 110 Kapitel III - Der Richter und die Gesetze 110 wurde; der dem König unter vier Augen Bericht erstattete, der (dem König) nahe steht am Tag der Beamtenversammlung, dem der König seine Worte anvertraut, um damit das Gericht abzuhalten.“ 640 Jntf beschreibt zuerst seine Ausstrahlung beim Erscheinen im Gericht 641 . Auf den „Angeklagten“, der mit tw# bezeichnet wird, hat diese Ausstrahlung wohl vor allem abschreckende Wirkung 642 , denn Jntf hat durch seine Berichterstattung beim König vermutlich nicht nur das Vertrauen des Königs, sondern ihm wurde auch die königliche Machtbefugnis übertragen. In der Beamtenversammlung sprach der König sein Vertrauen aus und legte die richtungweisende Vorgehensweise fest, damit Jntf in dem Fall der mit tw# bezeichneten Person und in ähnlichen Fällen Entscheidungen treffen kann ( r jr.t orrj.t Hr=f ) 643 . Ein gutes Beispiel dafür, wie eine gesetzliche Bestimmung des Königs durch einen Beamten in die Öffentlichkeit gelangt, finden wir in der Autobiographie des Gaufürsten NHrj aus dem Mittleren Reich. Darin finden wir eine sehr auffallende Aussage: wDb r# n mdw Hno=f Dd.n njsw.t wD=f rf jw hrw n nD.t-r# oHo.n t# pn r-Dr=f xr sXr.w nb Dd.jj=f „der den Ausspruch dessen weiterleitet, der mit ihm spricht, über den der König sagt, daß er am Tage der Beratung Befehl erteilen soll, dann befindet das ganze Lande unter den Plänen, die er ausspricht.“ 644 Der Grund, weshalb NHrj bei der Ratsversammlung Befehl erteilen und das ganze Land nach seinen Plänen verwalten soll, besteht darin, daß NHrj den Willen und die Wünsche des Königs gut verstehen und dafür vortreffliche Pläne festlegen kann 645 . Daß das Wort sXr.w in der Phrase t# pn r-Dr=f xr sXr.w nb Dd.jj=f eine gewichtige Bedeutung hat, zeigt uns ein Beleg aus dem Neuen Reich, in dem die sXr.w und die hp.w des Königs miteinander gleichgesetzt werden 646 . 640 a.a.O., fig. 1, Z. 7. 641 Für die Belege nb Sfjj.t , vgl. Janssen, Autobiografie, I, 142, 45-47; Fischer, a.a.O., 267. 642 Das Wort tw3 kann möglicherweise auf denjenigen hindeuten, der sich als ein falscher Parteigänger erwiesen hatte, d.h. der einen anderen „Patron“ als das aufsteigende thebanische Königshaus gewählt hatte. 643 Für orrj.t als den Ort der Gerichtsverhandlung vgl. Kapitel II. Die betreffende Wendung übersetzt Fischer mit „to act as a gateway for it“ und Schenkel (MHT, 237) mit „um sie an die Öffentlichkeit zu bringen“. 644 Hatnub Gr. 20, 4-6. 645 Ich verstehe den König als das Subjekt des mdw . Anthes (Hatnub, 43) übersetzte dagegen: „Der den Ausspruch umwendet des, der mit ihm rechtet. Zu welchem (? ) der König sagte-…“ Im Neuen Reich hat der Ausdruck mdw Hno die Bedeutung „rechten mit“. Vgl. Allam, Hieratische Ostraka und Papyri aus der Ramessidenzeit, 305, Anm. 23 mit weiterer Literatur. Aber diese Bedeutung kommt nur im übertragenem Sinne vor, denn die grundsätzliche Bedeutung von mdw Hno heißt „mit jemandem sprechen“. Die Präposition Hno kann außerdem durch jrm ersetzt werden. In dem von Allam als Beispiel herangezogenen Ostrakon DeM 225 heißt es nicht „streiten mit“ wie Allam übersetzt (a.a.O., 106). Auf dem Ostrakon steht: Dd.t.n rmT js.t Jmn-m-jn.t Hno onX nw njw.t Jjj , Z. 3-4. Aus dem Text erfahren wir, daß die eigentliche Angelegenheit Jjj und den Schreiber Jmn-nXt betrifft. Für die Bedeutung „streiten mit“ gibt es z. B. die Wendung: oH# m-dj in pD’Orbiney 10, 9. 646 Urk. IV, 1017, 6-7. <?page no="110"?> 4. Die Mitwirkung der Beamten bei der Gesetzgebung 111 111 Eine sehr ähnliche Stelle finden wir in der Autobiographie des Jmn-Htp , eines Rekrutenschreibers des Königs Amenophis III. Er erklärt stolz, daß der König ihm wegen seines guten Charakters und seiner treffenden Vorschläge vertraute. Dann sagt er: jrj hp.w n jmj oH 647 . Hierunter soll man wohl die Anordnung einer gesetzlichen Regel von seiten eines Beamten verstehen 648 . Ein Beamter wird demnach nicht nur bei der Durchführung eines Gesetzes von dem König ausgewählt. Er kann darüber hinaus bei der Festlegung eines Gesetzes stark mitwirken. Diese mitwirkende Rolle bestimmter Beamten bei der Festlegung der gesetzlichen Regeln läßt sich auch in der Ramessidenzeit vermuten 649 . Die Idee, daß eine gesetzliche Bestimmung des Königs durch die Vermittlung bestimmter Beamten im Land in Kraft tritt, blieb in der Dritten Zwischenzeit noch erhalten, wenn sich auch die politischen Gegebenheiten sicher stark verändert haben müssen 650 . Ein Beamter namens onX-xrd-nfr unter Osorkon II. beschreibt die Entstehung einer solchen Regelung wie folgt: twt=j n nb=j Hr sb#.t=j oq(=j) Hr=f tp Sn[w.t] mob#jj.t spr=j Xrw Orw n Dd.t pr=j xr wD=f Hr dr m#r sgrH (s)mjw n SnT.t „Ich war aufgrund meiner (guten) Erziehung trefflich für meinen Herrn. [Ich] war bei ihm an der Spitze der Hofleute und des Dreißigerrates. Ich erbat die Stimme des Horus zu dem Gesagten. Ich kam heraus mit seinem Befehl, indem ich die Not vertrieb und die Streiterei beruhigte.“ 651 Aus diesem Beleg ist ersichtlich, daß ein Beamter die Vorarbeit für eine Gesetzgebung leistet. Er berichtet dem König über einen spezifischen Fall oder über ein allgemein existierendes Problem und legt seine Vorstellung zur Lösung des Problems vor, worauf der König seine Entscheidung gründet und anschließend eine Gesetzesregel erteilt 652 . Der Armeevorsteher und Prophet Ed-Hr konkretisiert in gewisser Weise die oben zitierten Aussagen aus der Dritten Zwischenzeit, indem er die Festsetzung der Gesetze mit dem Schutz des Armen und der Unparteilichkeit beim Richten verbindet 653 . Diese Aussage erinnert uns an die Feststellung des Oasenmannes in der Geschichte des Bauern, daß der 647 Urk. IV, 1815, 6-8. 648 Kurz danach auf derselben Statue behauptet Jmn-Htp , daß er seinen Kollegen Aufträge mit den Worten des Königs gegeben hat: dd m-Hr n smr.w njswt m mdwt pr.t m xnw oH , Urk. IV, 1815, 13. Der Wesir P#-sr aus der 19. Dynastie benutzt dieselbe Wendung, jedoch nicht im Kontext der Beziehung vom König und Beamten, sondern in seiner Funktion als Kapitän des Volkes: r# shrr m t# r-Dr=f s n m#o.t Xntj t#.wj mtr m#o mj EHwtj dd hp.w sXn.t j#.wt jmj jr.tj rXjj.t , KRI III, 17, 3-4. 649 Der Beamte Nb-Jmn unter Seti I. bezeichnet sich als wpw njsw.t n T#w nDm „königlichen Gesandten mit angenehmem Spruch“ und sagt in seiner Autobiographie: nw n=f t#.wj r sDm tpj n r#=f „Die beiden Länder sammelten sich um ihn, um den Ausspruch seines Mundes zu hören.“ KRI I, 284, 2-3. 650 Ein Indiz dafür könnte man vielleicht in dem Beleg sehen, in dem der Ägypter dieser Zeit behauptet, daß er mittels der Gesetze seine Heimat in Ordnung gebracht hat ( grg W#s.t m hp.w mnX.w , Jansen-Winkeln, Ägyptische Biographie, Text A 12, c, 6). Die ausgefallene Bezugnahme auf den König bei der Erwähnung der Gesetze könnte nur ein Zufall sein, aber es besteht die Möglichkeit, in dieser Aussage eine selbständige Tendenz der lokalen Machthaber zu sehen. 651 Jansen-Winkeln, Ägyptische Biographien, I, Text B 13, Übersetzung auf S. 269. 652 Vgl. dazu Jansen-Winkeln, a.a.O., 270, Anm. 7. 653 Statue Kairo 689, Borchardt, Statuen und Stauetten, III, 33. <?page no="111"?> 112 Kapitel III - Der Richter und die Gesetze 112 Arme ohne die wirkungsvollen Gesetze zum Überleben nicht imstande war und vergebens nach Gerechtigkeit rief, als er beraubt wurde. Die Gesetze sind da, um den Schwachen zu schützen und den Habgierigen zurückzuweisen 654 . 5. Die Tradition und die Gesetze Neben der oben festgestellten Tatsache, daß der König seinen Beamten bei der Gesetzgebung eine mitwirkende Rolle eingeräumt hat, sollten wir auch die Normen und Regeln nennen, die sich aus der Tradition bewahrt haben und die rechtswirksam sind. Dies muß im alten Ägypten besonders wichtig gewesen sein, da die Gesetze, wie oben schon dargestellt, mit der Maat zusammenhängen und in gewissem Maße durch die Lehren zum Ausdruck gebracht werden. Bei der Erklärung der gesetzlichen Bestimmungen in der Amtseinsetzung des Wesirs wird die unbestimmte Person =tw mehrfach verwendet: Dd=tw „man sagt“ 655 . Dieses unspezifische =tw deutet auf die in der Gesellschaft weit verbreiteten Meinungen hin. Dies gilt besonders bei der Aufforderung zum geduldigen Hören auf die Bittsteller, wobei sich eine direkte Ableitung der Formulierung in der Einsetzung des Wesirs aus der Lehre des Ptahhotep vermuten läßt 656 . In pBerlin 9010, wo es sich um einen Streit über die Erbschaft handelt, wird erwähnt, daß der verstorbene Vater festgelegt habe, daß der Ältere und der Jüngere den ihnen jeweils entsprechenden Anteil bekommen sollen 657 . Dieses Prinzip der Erbverteilung muß sowohl den betreffenden Parteien als auch den richtenden Beamten bekannt sein, und seine Gültigkeit ist nicht auf den hier erwähnten Rechtsfall beschränkt. Mit diesem Prinzip eng verbunden sind wohl die Gegenleistungen der Kinder zu Lebzeiten der Eltern und die verschiedenen Pflichten des einzelnen Kindes bei und nach dem Tod der Eltern 658 . Es wird mit dem Prinzip nicht geregelt, wie viel und was ein Kind von dem Erbe der Eltern erhalten soll und was passiert, falls ein Kind seine Pflicht nicht erfüllen würde 659 . Wie ein 654 nHm m#r m-o wsr Sd j#d m-o nXt-o dr jsf.tj Hm Hn.tj=f rdj m Hr r jr(.t) hp.w , CG 888, Borchardt, a.a.O., 140. 655 Faulkner, in: JEA 41, 20, Z. 12-14. Daß sogar ein König dem Gesetz seines Vorgängers folgen soll, sieht man am deutlichsten in pWestcar (8, 17). Darin begründet der Zauberer Edj seine Ablehnung, seine Fähigkeit des Zusammensetzens eines abgeschnittenen Kopfes an einem Gefangenen zu testen, mit dem Hinweis, daß es nicht erlaubt ist ( n wD.tw ), so etwas zu tun. 656 Dazu vgl. Kapitel V. 657 Sethe, in: ZÄS 61, 71. Die These von Seidl „Urteile werden daher im Alten Reich so genau abgefaßt, daß sie eine Kontrolle durch eine höhere Stelle ermöglichen.“ scheint mir nicht überzeugend. Vgl. Seidl, Einführung, 17. 658 Vgl. dazu Sethe, a.a.O., S. 69. Die Sittlichkeit hat auch im alten China eine wichtige Rolle gespielt. „Schlimmer als Räuber und Verräter sind solche, die unkindlich und unbrüderlich handeln“. Die „Nichtausübung“ der Sittlichkeit war schon dem Verbrechen gleich. Vogel, Die historischen Grundlage des chinesischen Strafrechts, S. 58. 659 Dies ist sicher auch im Neuen Reich der Fall. Kein Wunder, daß Allam (Verfahrensrecht, 37) bei sei- <?page no="112"?> 5. Die Tradition und die Gesetze 113 113 Streitfall in der Tat konkret entschieden werden soll, wird den Kindern - den potentiellen Streitenden - und den Richtenden überlassen 660 . Aus dem Dorf Deir el-Medina ist uns ein Gerichtsprotokoll überliefert, das in mehreren Hinsichten sehr aufschlußreich erscheint 661 . Darin handelt es sich um einen Streit einiger miteinander verwandter Personen über die Erbschaft ihrer Vorfahren. O#jj , die Hauptperson im Streit, beansprucht das Erbe ihrer Großmutter unter Ausschluß anderer Verwandten 662 . Er begründet sein Recht damit, daß sein Vater die Kosten für die Bestattung von dessen Mutter allein getragen habe. Dabei zitiert er eine gesetzliche Bestimmung des Königs: „Möge die Habe dem gegeben werden, der die Bestattung übernimmt.“ 663 Als wenn dies nicht genügt hätte, nennt O#jj noch einen Präzedenzfall, in dem das Besitztum der v#-nHsj durch ein Gottesurteil dem c#-w#Djj.t gegeben wurde, da c#-w#Djj.t die Kosten der Beisetzung der v#-nHsj getragen hatte 664 . Sehr interessant im vorliegenden Gerichtsprotokoll ist das Zusammenwirken verschiedener Elemente bei der Gerichtsverhandlung. Von außen gesehen drängt O#jj die Richtenden, gemäß dem Gesetz des Königs und dem Urteil des Gottes in dem Präzedenzfall zu entscheiden. Aber wenn man bedenkt, daß das sogenannte Gesetz des Königs, wonach der Orakelgott Amenophis I. vorher einen Streit entschieden hat und nun einen anderen richten soll, nur eine Bestätigung einer Regel ist, die schon im Alten Reich im Volksmund verbreitet gewesen ist 665 , werden die komplizierten Wechselbeziehungen unter den verschiedenen Elementen deutlich 666 . Die Rolle der Gewohnheit im Rechtsverkehr ist nicht zu übersehen 667 . Hier können wir möglicherweise mit den Worten Fichtes vom Zusammenwirken zwischen „Sittenner Behandlung der juristischen Dokumente aus dem Neuen Reich feststellen muß: „Kein einziges Protokoll verrät uns aber, welche Gesichtspunkte, ebensowenig, welche gesetzlichen Bestimmungen dem Gericht beim Urteilsfällen maßgebend waren.“ 660 Hier scheint die Bemerkung von Nisbet (Twilight of Authority, 240) sehr treffend: „Law is vital - formal, statute law - but when every relationship in society becomes a potentially legal relationship, expressed in adversary fashion, the very juices of the social bond dry up, the social impulse atrophies.“ Hayek (Legislation and Liberty, Bd. I, 72) betrachtet die Erfindung der Gesetzgebung folgenschwerer als die des Feuers. 661 pBoulaq X = pCairo 58092. Bearbeitung von Janssen-Pestman, in: JESHO 11, 137-152. 662 Nach Janssen-Pestman, a.a.O., 140 und 146 sind die Verwandten die Onkel und Tanten des O#jj . Allam, Hieratische Ostraka und Papyri aus der Ramessidenzeit, 289-293 sieht völlig andere verwandtschaftliche Beziehungen unter den Betreffenden. 663 Jassen-Pestman, a.a.O.,144, Z. 10-11. 664 a.a.O., Z. 13. Der zitierte Präzedenzfall findet sich auf oPetrie 16 = Černý-Gardiner, Hier. Ostraca, pl. XXI, 2. 665 Vgl. Sethe, in: ZÄS 61, 69. 666 Hartland, Primitive Law, 78 macht keine Unterscheidung zwischen „primitiven“ und „modernen“ Gesetzen. Er sieht in den früheren Gesetzen nur die überwältigende Wirkung der Gewohnheit. 667 In der Lehre des Ani wird das rechtzeitige Pflügen des Felds (Ani 15, 15-16, Quack, Die Lehren des Ani, 284) und die Verhaltensregel in der Beamtenhierarchie (Ani 19, 13, Quack, a.a.O., 303) gleichfalls mit nt-o bezeichnet. <?page no="113"?> 114 Kapitel III - Der Richter und die Gesetze 114 gesetz“ und „Rechtgesetz“ reden 668 . In den meisten Streitfällen, die keinen strafrechtlichen Charakter haben und nicht direkt das Interesse des Königtums betreffen, wird den Richtenden großer Spielraum eingeräumt, die Angelegenheiten dem Tatbestand entsprechend flexibel zu entscheiden 669 . Diese Eigenschaft der Rechtsprechung, eine Kombination zwischen dem grandiosen Ideal, das mit Maat gekennzeichnet wird, und der Einbeziehung der Norm und Gewohnheit entstammt und entspricht der „ethischen Kultur, der sozialen Struktur und der politischen Administration“ 670 im alten Ägypten 671 . Das Heranziehen der Präzedenzfälle hat zwei scheinbar paradoxe Wirkungen. Einerseits, wie das Beispiel oben zeigt, scheint eine Entscheidung, die mit einem Präzedenzfall begründet wird, leichter akzeptabel, da es sich bei dem Urteil um ein herkömmliches Prinzip handelt. Andererseits ist eine derartige Entscheidung wirkungsvoller, da die zitierten Fälle meistens von einer höheren Instanz gerichtet worden sind 672 . Es ist daher nicht verwunderlich, daß die Richtenden ihre Entscheidung oft nicht mit einem konkreten Gesetz, sondern viel mehr mit einem früheren Urteil begründen 673 . In den autobiographischen Inschriften finden wir Belege, in denen die Beamten beteuern, daß sie die alten, möglicherweise außer Kraft geratenen Gesetze wieder in Kraft gesetzt haben 674 . Die hier mit hp.w bezeichneten Gesetze deuten mit größter Wahrscheinlichkeit auf die gesetzlichen Bestimmungen des Königs, aber es ist jedoch nicht auszuschließen, daß sie sich auf die sozialen Normen beziehen, die während der sogenannten Wirrenzeit ihre Wirkung verloren hatten 675 . 668 Vgl. dazu Schrader, in: Philosophisches Jahrbuch 80, 50ff. In dieser Hinsicht scheint es aufschlußreich, die ähnliche Situation im alten China mit einzubeziehen. „Die Gebiete der täglichen Geschäfte mit ihren Verträgen über Kauf, Miete, Pacht, Darlehen, Pfand, Personenvereinigungen, Geldgeschäfte usw. blieben weitgehend gesetzlich ungeregelt. Sie waren der Gesellschaft zur Selbstreglung überlassen.“ Bünger, in: Fikentscher et alii (Hgg.), Entstehung und Wandel, 458. Bei der Untersuchung des Strafrechts im alten China kommt Vogel (Die historischen Grundlagen des chinesischen Strafrechts, 48) zu der Feststellung, daß „unter der Herrschaft der Riten die Bildung eines Privatrechts nur schwer in Fluß kam.“ 669 Diesen Aspekt sollen wir bei der im alten Ägypten stark vertretene Schlichtung innerhalb des Rechtswesens berücksichtigen, vgl. dazu Kapitel VI. 670 Die Begriffe zitiere ich aus Nelson, in: Fikentscher et alii (Hgg.), Entstehung und Wandel, 154. 671 Ein „rationales Recht, das von Juristen geschaffen, rational interpretiert und angewendet wird“ im Sinne von Weber (Wirtschaftsgeschichte, Hellmann et alii. Hgg., 270) war wahrscheinlich noch nicht notwendig gewesen. 672 Vgl. hierzu der Turiner Streikpapyrus, in dem die lokalen Richter an die Entscheidung des Wesirs Orj im Fall des P#-nb vor etwa 30 Jahren erinnert werden; Gardiner, RAD, 57, 16-58, 2. Anthes (in: JNES 16, 180) interprepiert die Bedeutung der richterlichen Handlungen des jeweiligen Wesirs dahingehend, daß jede Entscheidung eines Wesirs die Jurisdiktion bereichert. 673 Vgl. oNash 1 = Černý-Gardiner, Hier. Ostraca, pl. XLVI, vs. Z. 7-12. Es ist schon auffallend, daß die Richtenden aus Deir el-Medina in ihrem Brief an den Wesir das Urteil des früheren Wesirs als einen Anhaltspunkt erwähnen. Noch interessanter ist die ausdrückliche Betonung der Richtenden im Dorf, daß es ein Abscheu des Dorfes sei, Kupfer zu stehlen, und daß eine angemessene Strafe die Regel im Dorf sei. Vgl. dazu Černý, in: JEA 15, 256. 674 jw [smn].n(=j) hp.w nw jswt , Urk. VII, 2, 12. 675 Die königlichen Gesetze und die Vorschriften der Vorfahren könnten beide Rechtskraft gehabt <?page no="114"?> 6. Die Urkunden und die Gesetze 115 115 NXt=f-Mw.t , ein Priester und Wesir in der Zeit des Osorkon III., schreibt in seiner Autobiographie: wdj hp.w m snw r jsw(.t) s.t-r#.j n T#w n onh „Ich setzte die Gesetze gemäß den alten Schriften fest. Mein Ausspruch ist Odem des Lebens.“ 676 Die Gesetze, die wieder in Kraft gesetzt werden, werden hier mit dem belebenden Lebenshauch verglichen 677 . Der Grund, daß solche Gesetze sehr effizient sind, liegt einerseits in der Tatsache, daß sie von den scheinbar unsichtbaren Normen unterstützt werden, und andererseits darin, daß sie von den Vorfahren erprobt wurden: rdj=j tp.w-rd r jmj.w Xntj m hp.w mj ntj r jsw jnj.n=j sSjj r Xft-Hr sX#.n=j wn sXm „Ich gab die Vorschriften im Einklang mit (denen) der Vorfahren, als Gesetze, die den alten Schriften entsprachen, indem ich dazu beitrug, daß die alten (sozialen Normen? ) die Oberhand gewannen, indem ich das in Erinnerung brachte, was vergessen war.“ 678 6. Die Urkunden und die Gesetze Die Tatsache, daß es juristische Dokumente sowohl auf Papyri als auch auf Ostraka überliefert sind, ist bei der Betrachtung der Gesetze im alten Ägypten von großer Bedeutung, da ein so krasser Kontrast vor uns liegt: einerseits finden wir kein kodifiziertes Gesetzbuch und andererseits werden die Verträge, die Ausleihe von Gegenständen, die Vorgänge der Gerichtsverhandlungen im Konfliktsfall und sogar die „alltägliche“ Abgabe und Annahme von Geschenken sehr ausführlich dokumentiert 679 . Das Fehlen eines kodifizierten Gesetzbuchs hat demnach wohl einen inneren Zusammenhang mit den zahlreichen schriftlich festgelegten Dokumenten im Rechtsgebiet 680 . Die schon für das Alte Reich belegbare Existenz der Urkunden, die mit jmj.t-pr bezeichnet werden, und der formgerechten Urkunden über Hauskauf 681 deuten darauf hin, daß die schriftlichen Dokumente schon im Rechtsleben des Alten Reiches eine wesenthaben, aber in verschiedener Auswirkung und Intensität. Vgl. sS# m hp.w nt pr njswt tp-rd n jmj.w- H#.t , Jansen-Winkeln, Ägyptische Biographien, Text A 11, h, 5. 676 Jansen-Winkeln, a.a.O., Text A 18, c, 10-11; vgl. auch Otto, Biogr. Inschr. Nr. 19, VI, 19. 677 Die Idee der Gesetze und Normen als Lebensodem sieht man auch in der Geschichte des Bauern (B1, 305-306); vgl. oben Anm. 23. 678 Jansen-Winkeln, a.a.O., Text B 10, links, Z. 12. 679 Vgl. Gödecken, in: LÄ III, 141-145. Hier können wir von einer internen anstatt einer externen Kontrolle sprechen. 680 In der Autobiographie des Gaufürsten Ehwtj-Htp wird gesagt (Urk. VII, 27, 13-16), daß der König die Grenzen zwischen den Städten gefestigt und die Kanäle bekannt gemacht hat, wie sie in den Schriften seit älteren Zeiten standen. In der Dienstordnung des Wesirs wird eindeutig als Regel festgelegt, daß die Klagen schriftlich abgefaßt werden soll (Urk. IV, 1111, 15). Allerdings ist es nicht klar, wie weit man dies im echten Sinne annehmen darf. 681 Urk. I, 157-158. <?page no="115"?> 116 Kapitel III - Der Richter und die Gesetze 116 liche Rolle gespielt haben 682 . Diese Tradition hält an 683 . In den Dokumenten wird ausdrücklich betont, daß ein Beschluß schriftlich abgefaßt wurde 684 . Darüber hinaus werden die Testamente oft vor den Behörden erstellt 685 . Der Zweck eines Testaments besteht nicht nur darin, daß das Eigentum nach dem Willen des Erblassers geteilt wird, sondern auch darin, daß ein eventueller Streit über den Erbanspruch durch die Mitbestimmung der Behörde verhindert wird. Diese vorherige Beteiligung der Behörde am Rechtsverkehr hat sicherlich die spätere Urteilsfindung erleichtert. Bei der Betrachtung der altägyptischen Urkunden ist es sehr auffallend, daß sie auch Anweisungen für die eventuell als Richter handelnden Personen enthalten. In einem Testament werden z. B. die Richter angewiesen, denjenigen, die gegen den Willen des Testators das Testament anfechten würden, kein Gehör zu schenken 686 . Daraus kann man die Schlußfolgerung ziehen, daß die Urkunden nicht nur für die betreffenden Parteien aufgestellt werden. Sie sind darüber hinaus für die Handlungsweise der Richtenden maßgebend. Damit sind die Urkunden schon seit dem Alten Reich wichtige Stützen für die Richter bei ihren richterlichen Handlungen. Sogar der Grabherr aus dem Alten Reich erklärt in seiner Inschrift, daß er aufgrund der Urkunde ( n xr-(o) ) der rechtmäßige Besitzer des Grabes sei 687 . Für seinen Totenkult schließt der Grabherr einen Vertrag ab, in dem die Bezahlung der Priester festgelegt wird 688 . Die Übertragung der Diener des Vaters an den Sohn wird ebenfalls schriftlich festgelegt: dd.n=j s.t n s#=j m jmj.t-pr „Ich habe sie ihm durch ein Testament gegeben.“ 689 Eine schriftliche Festlegung oder Vereinbarung ist besonders da notwendig, wo ein eventueller Streit befürchtet wird 690 . 682 Urk. I, 300, 5; 306, 5; Goedicke, Die Privaten Rechtsinschriften, Tf. IV. Daß das Wort ojj die Bedeutung „ein Rechtsdokument besitzen“ hat, konnte Goedicke (a.a.O., 38, Kommentar 14) dadurch plausibel machen, daß die dargestellte Person eine Papyrusrolle in der Hand hat, was den Rechtsanspruch sybolisiert. Helck vermutet, daß schon im Alten Reich Hausbesitz und Grabbesitz im königlichen Aktenbüro registriert und Änderungen genehmigt werden müssen (in: MDAIK 14, 68). Darüber hinaus werden schon im Alten Reich zwischen den Handwerkern und dem Auftraggeber Verträge abgeschlossen. 683 Der König Seti I. behauptet (KRI I, 69, 15 ), daß er seine Schenkungen an die Götter als jmj.t-pr beurkundet habe. 684 Vgl. die Verfügung des Wp-m-nfr.t: jrj m sS r gs=f Ds=f „Es wurde bei seiner persönlichen Anwesenheit schriftlich angefertigt.“ Goedicke, Die Privaten Rechtsinschriften, pl. IV. Auch bei der Gerichtverhandlung über die Haremsverschwörung wird erwähnt, daß der Prozeß „schriftlich dokumentiert wurde“ ( jrj m sS ), Urk. I, 101, 2. Vgl. weiter Helck, in: MDAIK 14, 68. 685 Černý, in: JEA 31, 29ff; vgl. pTurin 2021, 2, 1-2; oBrüssel E 6311, 12-13. 686 jr jw s#=j nb s#.t=j nbt ... r m[d].t [Hr t]# jmj.t-pr ... m rdj(.w) sDm.tw n=sn „Falls irgendein Sohn von mir oder irgendeine Tochter von mir... dieses Testament anfechten würde, soll ihnen kein Gehör geschenkt werden.“ Urk. IV, 1070, 1-4. Für die Interpretation dieser Stelle vgl. Théodoridès, in: RIDA 17, 148-161. 687 Urk. I, 116, 14; Urk. I, 147, 3. Vgl. Edel, in: ZÄS 83, 16f. 688 Vgl. dazu Sethe, Lesestücke, 68, 4-5; 96, 8. 689 Florence 1774, 7, Varille, in: Mèlanges Maspero I, 553-566. 690 Vgl. die Schenkungsurkunde des cnnj an seiner Frau (Urk. I, 115-117). Vgl. dazu auch Eyre, in JEA 78, 209. <?page no="116"?> 6. Die Urkunden und die Gesetze 117 117 Die Briefe spielen auch eine wichtige Rolle bei einem eventuellen Streit. Bei der Betrachtung der Gesetzgebung des Königs wurde schon darauf hingewiesen, daß die königlichen Briefe die Funktion von Gesetzen gehabt haben. Die Briefe der privaten Leute besitzen natürlich keine derartige Rechtskraft, aber es ist auffallend, daß die Briefsender in ihren Briefen Wert darauf legen, daß die Adressaten die Briefe als Beweise benutzen sollen 691 . Die aus dem Neuen Reich zahlreich überlieferten beschrifteten Ostraka haben die gleiche Funktion 692 . Die These, daß Ostraka nur zum Entwurf der Rechtsurkunden benutzt wurden, wie Seidl behauptete, scheint nicht vertretbar 693 , da sich auf den Ostraka sorgfältig ausgearbeitete zusammenhängende Dokumente befinden 694 . Wenn ein alter Mann aus der Arbeitersiedlung Deir el-Medina die verschiedenen Mengen von Essen und Getränke aufschrieb, die er anläßlich der Geburt seines Enkelkindes bekommen hat und ein junger Mann das Nahrungsmittel, das er seinem Vater (oder Schwiegervater) gegeben hatte, notierte 695 , bedeutet das, daß die beiden Personen zu entsprechenden Gegenleistungen verpflichtet waren. Wenn solches bei dem Umgang unter Verwandten und Freunden der Fall war, dann läßt sich leicht vorstellen, wie es bei den mit Streitigkeiten verbundenen geschäflichen Tätigkeiten und Erbschaftregelungen gewesen sein könnte 696 . Man muß bei der Betrachtung der Rechtsurkunden sowohl aus Deir el-Medina als auch aus anderen Orten berücksichtigen, daß viele der Urkunden zur Vermeidung von eventuellen Konflikten als Vorkehrungsmaßnahme verfasst wurden 697 . Für die Parteien, die den Prozeß gewonnen haben, ist eine schriftliche Beurkundung wesentlich wichtiger als für die verlierenden Parteien, damit sie das ihnen zugesprochene Recht wirklich bekommen 698 . oKairo 25553 und oDeM 225 sind Protokolle von Gerichtsverhandlungen, die zur Beurkundung und Bekräftigung der Pflicht der betreffenden 691 Černý, LRL, 51, 2-3; pAnastasi V, 14, 4-6 = Gardiner, LEM, 63, 10-15; pMallet, IV, 6-7 = Bakir, Epistolography, pl. 21; oOriental Institute 12074, vs. 15, Guglielmi, in: WdO 14, 149. 692 Hier ist es auch interessant, die Praxis im alten China heranzuziehen. „Der Vertragsinhalt wurde auf Bambustafeln schriftlich fixiert, die Tafeln sodann geteilt und jedem Kontrahenten eine Hälfte in der Art übergeben, daß das Zusammenlegen der beiden Teile wieder den vollen Vertragsinhalt ergab. Außerdem scheint regelmäßig noch ein zweites Exemplar angefertigt und einem öffentlichen Archiv übergeben worden zu sein.“ Vogel, Die historischen Grundlage des chinesischen Strafrechts, 75. 693 Seidl, Handbuch, 6, ders., Einführung, 22 und 29. 694 Allam, in: JEA 54, 121ff. 695 Janssen, in: JEA 68, 256-257. 696 In oOriental Institute 12703 sagt Mnn# , daß er 18 Jahre vorher, im Jahr 17, im ersten Monat der Smw- Jahreszeit eine bestimmte Menge Fett verkauft hatte. Offenkundig führte er ein Familienarchiv, das er ab und zu konsultieren konnte. 697 Die monumentale Dokumentation des Mose über die langwierigen Gerichtsverhandlungen wurde sicher zugunsten des Mose im Jenseits konzipiert, da er den Prozeß gewonnen hatte. Aber sie hatte wahrscheinlich auch die Funktion, den Nachlebenden zu zeigen, daß die Nachkommen des Mose die rechtmäßigen Erben des einmal umstrittenen Landstückes seien. Vgl. dazu Kitchen, Pharaoh Triumphant, 129. Vgl. in diesem Zusammenhang die Betrachtung der Stele Juridique von Menu, in: RdE 23, 155f. 698 McDowell, Jurisdiction, 188; dazu noch Pestman, in: Demarée, Janssen (Hgg.), Gleanings, 155f. <?page no="117"?> 118 Kapitel III - Der Richter und die Gesetze 118 Personen durchgeführt werden 699 . Die heutige Idee, daß „das Geschriebene bleibt“, galt demnach schon im alten Ägypten 700 . Einerseits wird geraten, ein Schriftstück als Beweis anzufertigen 701 und das zu seinen Gunsten gut aufzubewahren 702 . Andererseits wird es davor gewarnt, das Schriftstück zu mißachten, welches schwere Folgen verursachen könnte 703 . Vor diesem Hintergrund fragt ein Richtender bei einem zivilrechtlichem Fall nicht, nach welchem Gesetz der Fall behandelt werden soll, sondern danach, ob der umstrittene Punkt vorher schriftlich festgelegt wurde. Die Aufgabe des Richters in solchem Fall besteht darin, das Schriftstück zu überprüfen, Zeugen zu vernehmen und dann eine entsprechende Entscheidung zu treffen 704 . Die herausragende Rolle der Urkunden erleichtert die Aufgabe der Richter bei den Gerichtsverhandlungen und trägt ebenfalls wesentlich dazu bei, daß die Angelegenheit der Wahrheit gemäß entschieden wird 705 , obwohl sie gleichzeitig die Entstehung einheitlicher Gesetze erschwert 706 . Auf der anderen Seite waren meistens genau die als Richter auftretenden Personen schon an der Fertigung des Schriftstücks beteiligt 707 . Unter diesem Aspekt vereinen sich die Funktionen des Richters und des Notars in einer Person. Ebenfalls aus dieser Tatsache läßt sich der Grund erklären, warum der Schreiber ein unentbehrliches Mitglied einer Gerichtssitzung im alten Ägypten war 708 . Manche Richtenden waren vorher als Zeugen bei der Aufstellung eines Schriftstücks und kennen daher die beiden Parteien und den Hintergrund des Streitfalls. In diesem Zusammenhang scheint die Frage interessant, ob 699 Hierzu vgl. Seidl, Einführung, 28-29; Menu, Recherches, 224-226. 700 cnj-ms , der Erzieher des Prinzen unter Thutmosis III. sagt in seiner Lehre an seine Kinder: [s#] w jr.tw sS.w r bt#.w=tn „Seid davor auf der Hut, daß Dokumente zu euren Ungunsten errichtet werden.“ Urk. IV, 1068, 16. Der König Ramses I. versichert seinen Sohn Seti I., daß diesem die Herrschaft über Ägypten von den Göttern mittels eines Testaments übergeben wurde: dj=w n=k t# pn m jmj.t-pr „Das Land wurde dir aufgrund eines Testaments gegeben.“ KRI I, 110, 6-7. Die Bemerkung von Cruz-Uribe (in: Bi Or 42, 1985, 586), daß „the practice of written contracts thus may not be of Egyptian origin“, kann man schwer verstehen. 701 Anchscheschonqi 16, 21; 17, 6. 702 pLouvre 2414; vgl. Lichtheim, Late Egyptian Wisdom Literature, 222. 703 Anchscheschonqi, 9, 5. Dabei wird auch die begrenzte Gültigkeit des schriflichen Dokuments bildlich zum Ausdruck gebracht, wenn der Autor (Anchscheschonqi 18, 6; Lichtheim, a.a.O., 41) sagt, daß sowohl ein Starker als auch ein Schwacher die Urkunde in den Fluß werfen darf. 704 Im alten China wurden Verträge auf Bambustafeln niedergeschrieben und jede der beiden Parteien behielt die Hälfte der Tafel. In dem öffentlichen Archiv befindet sich das zweite Exemplar. Ein Konflikt in solchen Fällen wurde daher ausschließlich durch die Überprüfung des Dokuments behandelt. Vgl. Vogel, Die historischen Grundlage des chinesischen Strafrechts, 75. 705 Es ist auch eine der Voraussetzungen, daß eine Schlichtung erfolgreich durchgeführt wird. 706 Für einen aufschlußreichen Parallel im alten China vgl. Bünger, in: Fikentscher et alii (Hgg.), Entstehung und Wandel, 458-459. 707 Dies erklärt möglicherweise die Bemerkung von Allam (in: SAK 11, 181), daß das Wort qnb.t in der Spätzeit auf eine „gerichtliche Urkunde“ deutet. In einem altägyptischen Beamten kann man einen Staatsanwalt, einen Polizisten, einen Notar und einen Richter finden. 708 Vgl. dazu oDeM 73; oTurin 57461; pBerlin 10496, vs.; Helck, Verwaltung, 64; McDowell, in: Demarée, Egberts (Hgg.), Village Voices, 106. <?page no="118"?> 6. Die Urkunden und die Gesetze 119 119 man den Ausdruck rdj mdw drf aus den autobiographischen Inschriften heranziehen kann 709 . Obwohl der Kontext, in dem diese Phrase vorkommt, nicht auf eine Gerichtsverhandlung verweist, scheint die Beteuerung, die Schrift sprechen gelassen zu haben, sehr bemerkenswert. Wie Morenz zitiert, trägt der Richtergott Thot dies Epitheton. Daher scheint es möglich, daß die Schrift hier auf eine Urkunde bei einem Streit deuten kann. Den Propheten und den Wab-Priestern, die der Statue des Toten kein Wasser spenden würden, wird damit gedroht, daß gegen sie „mit einer Schrift gekämpft“ wird ( oH#=f m drf ) 710 . Wahrscheinlich hat der Tote schon zu Lebzeiten einen Vertrag mit den betreffenden Propheten und Priestern für seinen Totenkult abgeschlossen. Im Fall einer Verletzung der Regelung soll man gegen die Propheten und Priester anhand der Klausel im Vertrag rechtlich vorgehen. 709 Urk. VII, 18, 19; 62, 17. Morenz (Ägyptische Religion, 23) sieht in dem Ausdruck einen Topos besonderer intellektueller Kompetenz. 710 Urk. IV, 1884, 18. <?page no="120"?> 121 Kapitel IV Die Gerechtigkeit des Richters 1. Gerechtigkeit als Ideal a. Gerecht wie die Götter Daß die Götter beim Richten zwischen Recht und Unrecht stets an dem Prinzip der Gerechtigkeit festhalten und nicht auf die Stellung der betreffenden Personen achten, wird schon in der Lehre für Merikare deutlich ausgedrückt. Merikare wird gemahnt, an das Gericht im Jenseits zu denken, denn die Götter, die dort richten, seien nicht milde 711 . Diese Unparteilichkeit der Götter verwendet der Ba in der Geschichte des Lebensmüden als ein Druckmittel, damit sein Herr nicht unüberlegt vor die Götter geht, um ins Jenseits zu gelangen. Die richtenden Götter werden jeden Kandidaten einer strengen Prüfung unterziehen, unabhängig davon, was sein Grund zum eiligen Übergang ins Jenseits sein mag 712 . Dieselbe Idee verbirgt sich in der wütenden Frage des Oasenmannes an Rnsj : „Ist denn Thot milde, so daß du Unrecht tust? “ 713 Hier ist die Tatenlosigkeit des Rnsj gegenüber dem Nmtj-nXt gemeint. Die Milde eines Richters stellt sich als eine Tugend dar, aber entscheidend dabei ist, an wen die Milde gerichtet wird. Ein gerechter Richter soll keine Milde zeigen, sofern die betroffene Person im Unrecht ist, wenn ihre Stellung auch mächtig sein mag. Die Milde gegenüber einem Verbrecher bedeutet einen Akt von Unrecht gegen den Geschädigten 714 . Nachdem er sechs Mal vergeblich versucht hatte, Rnsj zu veranlassen, eine gerechte Entscheidung zu treffen, macht der Oasenmann den siebten Anlauf, indem er den Oberdomänenvorsteher mit dem Richtergott Thot vergleicht: ntk sn.nw n EHwtj wDo nn rdj.t Hr gs „Du bist der Kollege des Thot, der richtet, ohne parteiisch zu sein.“ 715 Or-m-Hb beschreibt Thot als das rechte Zünglein an der Waage, das die Sünde 711 D#D#.t wDo s#r.w rX.n=k tm=sn sfn(.w) „Das Gericht, das den Bedrängten richtet, du weißt, daß sie nicht milde sind.“ Merikare, E 53. Es soll hervorgehoben werden, daß das Wort s#r nicht den „Bedrängten“ oder „Bedrückten“ bezeichnet, der gegenüber einem Gewalttätigen der Hilfe von außen bedarf. In dem Kontext hier halte ich es für sinnvoller, anzunehmen, daß das Wort s#r.w auf alle Toten hindeutet, die zu Lebzeiten Sünden begangen haben und nun vor dem Göttergericht darauf hoffen, daß die richtenden Götter sie ihnen vergeben würden. 712 Die Geschichte des Lebensmüden 2-3; vgl. Barta, Das Gespräch eines Mannes mit seinem Ba (Papyrus Berlin 3024). 713 jn jw rf EHwtj sfn=f jX jr=k jj.t „Wenn Thot milde ist, kannst du Unrecht tun.“ Bauer B1, 180-181. In B1, 152-153 fordert der Oasenmann Rnsj auf, gegen den Armen milde vorzugehen. 714 Die Unmöglichkeit, für den Richter die beiden Parteien zu berücksichtigen, wird auch in der Lehre des Amenemope mehrfach hervorgehoben; dazu s. unten. 715 Bauer B1 299-300. An einer anderen Stelle (B1, 336) wird Rnsj mit dem Pinsel, dem Papyrus und der Schreibpalette des Thot verglichen. In den Sargtexten (CT IV, 20d) ist auch von Thot die Rede, daß er richtet, ohne dabei parteiisch zu sein. <?page no="121"?> 122 Kapitel IV - Die Gerechtigkeit des Richters 122 vertreibt und nur den entgegennimmt, der kein Unrecht tut 716 . Gerechtigkeit heißt vor allem, daß der Richtende nicht parteiisch ist. Von dem Gott Thot wird daher gesagt, daß er nur ein Gesicht hat 717 . Als geschickter Schreiber der Neunheit hält er an der Wahrheit fest und schwankt nicht zwischen den zwei Prozeßgegnern 718 . Außerdem verbirgt er nichts vor den Göttern und den Menschen. Da er alle Entscheidungen der Wahrheit gemäß trifft, hat er keine Angst vor der Öffentlichkeit. Der vergöttlichte König Amenophis I. wird als Wesir gepriesen, der die Wahrheit aufdeckt, indem er in die Herzen blickt und die Lüge verabscheut 719 . In einem literarischen Gebet der Ramessidenzeit wird der Gott Amun-Re als der Richter bezeichnet, der die Gerechten dem Westen überweist, die Sünder aber dem Osten 720 . Der Schreibergott Thot wird von den irdischen Richtern bei ihren Beschreibungen ihrer gerechten richterlichen Handlungen am meisten genannt 721 . Der ideale Richter ist der Gott Thot, der in der Götterwelt als Richter auftritt 722 , denn dieser Gott entscheidet die Angelegenheiten gerecht 723 . Man spricht über seine Gerechtigkeit: „Ich war genau wie die Waage und wahrhaft gerecht wie Thot.“ 724 Der Gaufürst Jn-jt=f konnte von sich behaupten, daß er seine Zunge vollkommen machte wie die des Gottes selbst und einen Rechtsfall dem Tatbestand gemäß richtete 725 . Der Wesir MnTw-Htp begründet seine gerechte Entscheidung im Gericht damit, daß die Palette des Thot auf seiner Zunge war. Darum ist er genauer als das Zünglein und wirkt wie die Waage 726 . Der Gaufürst aus Elephantine 716 tX oq# Hr-jb mX#.t wnj jsf.t Ssp ntj tm rmn r jr.t sp „das rechte Zünglein an der Waage, das die Sünde vertreibt und den entgegennimmt, der sich nicht auf das Tun von Unrecht stützt“, Urk. IV, 2093, 8-10. 717 nb Hr wo „ein Gott, der nur ein Gesicht hat“, Wb II, 229, 7; es wird bei der Beschreibung anderer Eigenschaft gesagt, daß der Gott über mehrere Gesichter verfügt, z.B. nb Hr.w , vgl. Assmann (1969), 205. 718 EHwtj nb md.wt nTr sS Ss# n psD.t tm jT-jn m sp=f T#tj wpp m#o.t n jrr m Xmt=f m nTr.w rmT „Thot, der Herr der Gottesworte (Hieroglyphen), geschickter Schreiber der Neunheit, der nicht wankt in seiner Handlung, der Wesir, der die Wahrheit entdeckt, der alles weißt, was unter den Göttern und Menschen getan wird.“ KRI I, 387, 10-11. 719 p# T#tj wpj m#o.t gmH=f r H#tj bwt=f grg „der Wesir, der die Wahrheit aufdeckt, der das Herz durchschaut, sein Abscheu ist Lüge“, KRI III, 187, 7-8; vgl. Wente, in: JNES 22, 31. 720 pBeatty IV, rt. II, 5-6=ÄHG Nr. 195, 226; vgl. auch ÄHG Nr. 101, 28-31, ÄHG Nr. 174, 9-10; Posener, in: Fs Ricke, 70-71. 721 Dies könnte möglicherweise als ein Indiz verstanden werden, daß die schreibkundigen Beamten neben ihrer Verwaltungsaufgaben an der Rechtsprechung beteiligt waren. 722 EHwtj m wDo X.t „der Gott Thot beim Richten“, El Bersheh II, pl. XIII, 19. 723 Ehwtj m wDo m#o „der Gott Thot bei der Entscheidung über die Maat“, BM 159, 4. 724 jnk oq# mjtj jwsw mtr m#o mj Ehwtj , BM 581, Sethe, Lesestücke, 81, 6-7; gleich in BM 562, 17; vgl. auch Alnwick Castle 2, 7, Janssen, Autobiografie, IAc,12. 725 s[k]m ns mj nTr Ds=f wDo md.t r ntt m... „mit trefflicher Zunge wie der Gott selbst, der richtet, wie es sich gehört...“ TPPI § 32, 9-10. 726 sS n Ehwtj Hr ns.t=f oq# r tX mjtj mX#.t „auf dessen Zunge die Palette des Thot liegt, genauer als das Zünglein, ein Gleicher der Waage“, CG 20539, 5. Auf der Statue des Haremheb in New York wird der Gott Thot mit dem rechten Zünglein an der Waage verglichen, das die Sünde abweist und den Gerechten entgegennimmt: tX oq# Hr-jb mX#.t wnj jsf.t Ssp ntj tm rmn r jrt sp „das rechte Zünglein an der Waage, das die Sünde abweist, der entgegennimmt den, der sich nicht auf das Unrechttun <?page no="122"?> 1. Gerechtigkeit als Ideal 123 123 c#-rnp.wt vergleicht sich mit dem Winkelmaß des Thot 727 . Der Gaufürst NHrj bezeichnet sich als den wirklichen Sohn des Thot, den Nachkommen der Neunheit des Re und den Samen des Stiers der Maat 728 . Außer den Vergleichen mit den Eigenschaften oder mit den Meßgeräten des Thot vergleichen sich die richtenden Beamten mit dem Gott selbst. Der Gott Thot in seinem Richteramt stellt den Inbegriff von Gerechtigkeit dar 729 . Der Hohepriester des Schu in Thinis Jnj-Hrt-ms bezeichnet sich als die Waage des Herrn von Busiris und sagt weiter, daß er hofft, das Ebenbild von Thot zu werden 730 . Das Bild, das der Gott Thot in den Augen der richtenden ägyptischen Beamten dargestellt hat, sehen wir in der folgenden Aussage aus der Dritten Zwischenzeit: sd=kwj xr m#o.t wn=kwj m jmj-r# njw.t mj Ehwtj m Snjj.t Ro „Ich war mit der Maat geschmückt, da ich der Vorsteher der Stadt (Theben) war, wie Thot im Hofstaat des Re.“ 731 Der Gott Thot hält die Ordnung im Hofstaat des Re aufrecht, indem er den Rechtsfall zwischen Horus und Seth richtig und gerecht entscheidet. Ein tüchtiger Beamter kann durch die Ausübung der Gerechtigkeit des Thot den Machtbereich seines Herrschers gut verwalten. b. Genau wie die Waage Die Darstellungen der Waage sind schon seit der 6. Dynastie überliefert 732 . Bei der Beschreibung der Gerechtigkeit im Bild der Waage wird der Akzent vor allem auf die Genauigkeit gelegt 733 , die nicht durch äußere Einwirkungen beeinträchtigt wird. Es wird gesagt, daß die Waage die Maat des Thot bezeugt 734 . Gerechtigkeit und Ausgewogenheit sind in den Gerichtsverhandlungen oft voneinander abhängig 735 . In der Bauerngeschichte gibt es mehrere Anspielungen auf die Waage, die das Symbol der Gerechtigkeit darstellt. Schon bei seiner zweiten Rede fragt der Oasenmann den Oberdomänenvorsteher: „Ist es nicht eine Sünde, daß die Handwaage sich nach einer stützt“, Urk. IV, 2093, 8-10. Es gibt auch Beispiele, in denen der Gott Osiris mit dem richtenden Lot an der Waage verglichen wird: tX pw wDo m#o.tj , KRI III, 175, 13. 727 mjt[j] PtH sb#w Ehwtj „ein Gleicher des Ptah, das Winkelmaß des Thot“, Urk. VII, 6, 6; Edel, Beiträge zu den Inschriften des Mittleren Reiches, 23. 728 s# EHwtj n wn m#o ms n psD.tj Ro mtwt k# M#o.t „der wirkliche Sohn des Thot, geboren von den beiden Neunheiten des Re, Same des Stiers der Maat“, Hatnub Gr. 20, 6-7. 729 Ehwtj m wDo m#o „der Gott Thot beim Richten“, BM 159, 4 ; vgl. El Bersheh II pl. XIII, 19. 730 Ockinga, Two Ramesside Tombs, vol. I, pl. 27, Z. 47. Vgl. CG 42213, Jansen-Winkeln, Ägyptische Biographie, 102 mit Anm. 18; vgl. dazu auch Kees, in: ZÄS 73, 82 mit Anm. 3. 731 Jansen-Winkeln, a.a.O., Text A 19, i, 3-4. 732 Schott, Hieroglyphen, 121. 733 Grapow, Die bildlichen Ausdrücke, 169. 734 Urk. IV, 337, 13; Wb, Belegst. II, 14, 17. Feucht, Das Grab des Nefersecheru, 13 schlägt vor, die Phrase mtr m#o in den autobiographischen Inschriften mit „Maat bezeugen“ und im Kontext des Totengerichts mit „richtig in Bezug auf die Maat“ zu übersetzen. 735 Kees, in: ZÄS 87, 143. <?page no="123"?> 124 Kapitel IV - Die Gerechtigkeit des Richters 124 Seite neigt? “ 736 Es wird als eine Selbstverständlichkeit angenommen, daß der richtende Rnsj den Rechtsfall wie die Waage einzig der Wahrheit entsprechend entscheiden soll. Daher fragt der Oasenmann in seiner dritten Rede wieder, ob die Handwaage in die Irre gehen oder die Standwaage auf die Seite geben sollen 737 . Der gerechte Wiegmeister soll nur darauf achten, wie schwer die Sachen auf den Schalen wiegen, unabhängig davon, was die gewogenen Sachen sind 738 . Ein gerechter Richter soll nur auf den Tatbestand achten und nicht seiner inneren Neigung folgen 739 . Um die Beziehung zwischen dem Richter und der Waage noch einmal klarzustellen, ruft der Oasenmann aus: „Sprich keine Lüge - du bist die Waage.“ 740 Direkt folgend erläutert der Oasenmann seine Aussage, indem er sagt: „Du bist ein Oberhaupt mit der Waage - wenn sie zu einer Seite neigt, kannst auch du zu einer Seite neigen.“ 741 Höchst interessant ist hier der enge Zusammenhang zwischen Richten und Wägen und zwischen der Gerechtigkeit des Richters und der Präzision des Wiegemeisters. Es wird ausdrücklich betont, daß ein Richter mit Hilfe einer Waage die rechtlichen Angelegenheiten entscheidet. Aber die Waage hat hier zwei Funktionen. Einerseits kann der Richter mittels der Waage eine Angelegenheit wägen, nämlich prüfen. Andererseits kann die Waage kontrollieren, ob der Richter das Ergebnis wahrheitsgetreu verkündet. Auf einer Szene im Grabe des Wesirs P#-sr aus der 19. Dynastie, auf der das Wägen der Gefäße dargestellt wird, mahnt der Wesir den Wiegemeister, die Gefäße aus Elektrum und Gold genau zu wiegen: jrj m#o.t m rdj(.w) Hr gs bwt nTr grg m mX#.t „Tue die Maat und neige dich nicht zu einer Seite. Gottes Abscheu ist es, mit der Waage zu lügen.“ 742 Die Lüge, vor der der Wiegemeister vom Wesir gewarnt wird, bezieht sich auf die unrechte Handlung des Wiegemeisters, das richtige Ergebnis des Wiegevorgangs zu verfälschen. Unter diesem Aspekt ist leicht zu verstehen, warum der Oasenmann Rnsj auffordert, keine Lüge zu sprechen. Der Betrug mit der Waage wird zwar nicht mit dem Abscheu des Gottes in Zusammenhang gebracht, aber die Funktion der Waage als Meßstab der Gerechtigkeit ist evident 743 . Natürlich benutzt Rnsj keine Waage beim Richten und die Angelegenheit kann auch nicht durch eine Waage gewogen werden. Aber die Idee der Gerechtigkeit beim Richten und beim Wiegen kommt aus demselben Bildkreis. Der König kann gemäß dem 736 n jw js pw jwsw gs# , B1, 126-127. 737 jn jw jwsw tnm=f jn jw mX#.t Hr rdjt Hr gs „Geht die Sitzwaage in die Irre? Stellt sich die Standwaage auf eine Seite? “ a.a.O., 179-180. 738 Der Oasenmann nennt den Oberdomänenvorsteher „einen Prüfer der Angelegenheit, der sich jedoch an die Seite gibt“ ( tp Hsb n md.t Hr rdj.t Hr gs ), Bauer B1 129. 739 Diese persönliche Zuneigung wird mit jb bezeichnet: m nmo(.w) m sDm(.w) jb „Sei nicht parteiisch. Höre nicht auf das Herz.“ B2, 104-105. 740 m Dd grg ntk jwsw , B1, 191. 741 mk tw m tp wo Hno jwsw jr gs#=f Xr=k gs#=k , a.a.O., 192-194. 742 Assmann (1992c), 51; KRI I, 294, 8. Vgl. Urk. IV, 338, 4-6, wo Horus als Wiegemeister die Verkündung des richtigen Ergebnises damit beschreibt, daß er die Maat zu ihrem Herrn aufsteigen läßt. 743 Wie Assmann a.a.O., 52 feststellte, berührt die Szene der Goldwägung die Idee des Totengerichts. <?page no="124"?> 1. Gerechtigkeit als Ideal 125 125 Prinzip der Gerechtigkeit prüfen, ob Rnsj sich bei seinen richterlichen Handlungen gerecht verhalten hat, genau wie der Wesir P#-sr mit Hilfe der Waage nachprüfen kann, ob der Wiegemeister betrogen hat. Daher kann man vermuten, daß die Waage in juristischer Hinsicht auf die gesetzlichen Bestimmungen des Königs hinweist. Am Ende der achten Rede in der Geschichte des Bauern wird ausdrücklich betont, daß die das Gewicht tragende Schale daran schuld war, wenn sich die Waage überhaupt nach einer Seite neigte 744 . So kann man sich wohl des Eindrucks nicht erwehren, daß hier angedeutet wird, daß die Regeln und die Gesetze vorhanden und auch den Richtenden bekannt sind. Es ist der richtende Beamte, der für den Räuber Partei ergreift. Gleichzeitig mit der Geschichte des Bauern beobachten wir in den Autobiographien der Beamten die Beschreibungen, in denen ihre Gerechtigkeit beim Richten mit Hilfe der Waage zum Ausdruck gebracht wird. Ein möglicher Zusammenhang zwischen der Geschichte des Bauern und bestimmten Aussagen in den Autobiographien ist zu vermuten. Auf einer Stele des Wesirs MnTw-Htp lesen wir einen sehr bemerkenswerten Satz. Er behauptet, daß er beim Richten der zwei Parteien genauer als das Zünglein gewesen war und wie die Waage gehandelt hatte 745 . Der zweifache Vergleich betont gleichfalls die gerechte Handlung des Richtenden auf juristischem Gebiet. Der Gaufürst Ef#j-Oopj aus Siut sagt, daß sein Abscheu die Lüge war und er die Sünde vertrieb 746 . Er bezeichnet sich als die Setzwaage, die das Unrecht beseitigt 747 . Er war rechtschaffenen Herzens und daher hatte er keinen Günstling ( gs# ) 748 . Hier macht er möglicherweise ein Wortspiel. Die Worte für „parteiisch“ und „Günstling“ haben beide die Form gs# . Ein Richter, der wie die Waage gerecht richtet und ein reines Herz hat, ist nicht parteiisch und braucht daher auch keinen Günstling. In der 18. Dynastie sehen wir eine zunehmende Tendenz, daß die Beamten ihre Funktion der Gerechtigkeitsausübung als Meßgeräte zunehmend unter die Aufsicht des Königs stellen. ew#-nHH , ein Scheunenvorsteher unter Hatschepsut, bezeichnet sich als das Zünglein und die Waage des Königs 749 . Hier benutzt ew#-nHH das Zünglein und die Waage ohne Unterschied, um seine gerechte Handlung darzustellen. Der Wesir RX-mj-Ro erklärt in seiner Autobiographie, daß er vom König als Waage des ganzen Landes eingesetzt wer- 744 jn gs# jwsw Hnkw=f pw f#j X.wt „Wenn die Waage zu einer Seite neigt, ist es die Schale, die Sachen tragen.“ B1, 353-355. In B1, 158-159 wurde Rnsj vorgeworfen, daß in seiner Umgebung Unrecht eingerichtet wurde, während sich der König in der Vorhalle befindet. Dies ist wiederum ein Hinweis, daß dieser Text im Dienst des Königshauses aufgefaßt wurde. 745 oq# r tX mjtj mX#.t “genauer als das Zünglein, ein Gleicher der Waage”, CG 20539, I b, 5, gleich in CG 20538, I c, 5-6; BM 581, 16. 746 Urk. VII, 63, 5. Vgl. die oben zitierte Warnung des Wesirs P#-sr an den Wiegemeister. In der Geschichte des Bauern warnt der Oasenmann den „parteiischen“ Rnsj , keine Lüge zu sprechen: m Dd grg , B1, 163. Vgl. die weitergehend ähnliche Aussage von Jmn-Htp aus der 18. Dynastie in Urk. IV, 1825, 16ff. 747 sb# dr nw „das Winelmaß, das das Unrecht vertreibt“, Urk. VII, 63, 6. 748 oq# jb jwtj gs#.w=f „rechtschaffenen Herzens, ohne seine Günstlinge“, Urk. VII, 63, 7. 749 tX n njsw.t mX#.t n nb t#.wj „das Zünglein des Königs, die Waage des Herrn der beiden Länder,“ Urk. IV, 453, 17-454, 1. <?page no="125"?> 126 Kapitel IV - Die Gerechtigkeit des Richters 126 de und die Menschen gemäß der Meßschnur geprüft habe 750 . An einer anderen Stelle bezeichnet er sich als das Zünglein dessen, der die zwei Genossen trennt 751 . Bei dieser Aussage erinnert man sich an die Konstellation in der Götterwelt, wo Thot als Schreibergott unter dem Vorsitz des Re eine Gerichtsverhandlung ausführt 752 . Jmn-Htp , der Ratgeber des Königs Amenophis III., sagt, daß er die Setzwaage war und das Unrecht vertrieb. Anschließend fügt er hinzu, daß er einer mit rechtschaffenen Händen war 753 . Auf der Basis der Bedeutung von Unparteilichkeit erhält der tadellose Umgang mit der Waage ein weiteres Sinnfeld vom Aufrechthalten der Ordnung 754 . Der Hohepriester des Schu in Thinis Jni-Hrt-ms sagt in bezug auf seine richterlichen Tätigkeiten zu Lebzeiten: „(Ich war) die Waage des Herrn von Busiris. Ich wollte das Ebenbild des Gottes sein.“ 755 Es ist vielleicht zu vermuten, daß die gerechte gottähnliche richterliche Handlung eine Voraussetzung war, selbst die Prüfung vor dem Gott zu bestehen. Erst so ist verständlich, daß gerade diejenigen, die als Richter fungiert haben oder haben sollen, vor den Göttern ihre Unparteilichkeit beteuern 756 . c. Beständig wie das Zünglein Der Oasenmann erläutert die Gerechtigkeit des Richters außerdem dadurch, dass er das Zünglein der Waage mit der Zunge des Richters assoziiert. Der Oasenmann macht diese Beziehung durch ein Bild anschaulich. „Deine Zunge ist das Zünglein, dein Herz ist der 750 jwsw n t# tm.w Hr smtr.t jb.w=sn Xft X#j „die Waage des ganzen Landes, die ihre Herzen gemäß der Meßschnur prüft“, Urk. IV, 1076, 6-8 = Gardiner, in: ZÄS 60, 68, h. Der Bürgermeister von This Jntf erklärt, daß er das Zünglein an der Waage des Königs war, Urk. IV, 967, 15. Vnwn# bezeichnet sich als das Zünglein des Königs unter den Höflingen und die Waage der Menschen, Urk. IV, 1580, 7-8. 751 jnk soH sn.nw n njsw.t [tX] n wpj rH.wj „Ich war ein Würdenträger des Königs, [das Zünglein], das die zwei Genossen richtet.“ Urk. IV, 1072, 11-12; Gardiner, a.a.O., 60, 64. 752 Vgl. die Formulierung des MnTw-Htp (CG 20539 I b, 5) aus dem Mittleren Reich: „Die Palette des Thot ist auf (meiner) Zunge“. Die Ergänzung Gardiners (a.a.O.) „fourth only to“ ist daher nicht überzeugend. 753 Urk. IV, 1825, 18-19. 754 Der König Amenhotep III. hat in den Inschriften aus dem Luxortempel die Epitheta: smn hp.w sgrH t#.wj r on.t n mX#.t „der die Gesetze festsetzt und die beiden Länder beruhigt, mehr als die Kralle der Waage“, Urk. IV, 1683, 8-9. Der Handwerker Nb-Jmn nennt sich den Wächter der Waage im geheimen Ort: s#w mX#.t m s.t Dsr.t „der Wächter der Waage in abgeschiedenem Ort“, Urk. IV, 1854, 8; vgl. s#w mX#.t n nb t#.wj „der Wächter der Waage des Herrn der beiden Länder“, Urk. IV, 1854, 10. 755 jwsw n nb Edw #bwt=j tjt mHjj , Ockinga, Two Ramesside Tombs, I, pl. 26/ 27, Z. 47. Für den Gott MHjj s. Jansen-Winkeln, Ägyptische Biographien, 102 mit Anm. 18. 756 Or-mnw ließ den Gott Thot bekanntgeben, daß kein Unrecht von ihm auf der Waage registriert wurde: jb=f pr m#o-Xrw m-b#H nb nHH mX#.t t#.wj Swtj m sp=f „sein Herz wird vor dem Herrn der Ewigkeit, der Waage der beiden Länder, gerechtfertigt, frei von Unrecht.“ KRI I, 313, 1. Der Sohn des Or-s#-#s.t , eines Amunpropheten in der Zeit des Takeloth II., sagt in der von ihm für seinen Vater gestifteten Statue: jb=k oq# n mX#.t m#o.t , „Dein Herz ist an der Waage der Maat.“ Jansen-Winkeln, a.a.O., Text A 5, e, 4. <?page no="126"?> 1. Gerechtigkeit als Ideal 127 127 Gewichtsstein und deine Lippen sind ihre (der Waage) beiden Arme.“ 757 Als das Sprechorgan soll die Zunge verkünden, was ihr Besitzer sieht und fühlt, wie das Zünglein das zeigt, was der Gewichtsstein wiegt. Aber dies ist leider nicht der Fall bei Rnsj . Daher wird er von dem Oasenmann davor gewarnt, der Zunge den freien Lauf zu erlauben, damit sie nicht ihren Herrn in die Irre führt: ok# ns=k jm=k tnm.w t#mw pw n s o.t jm=f „Möge deine Zunge rechtschaffen sein, damit du nicht in die Irre gehst. Dieses Glied eines Mannes ist eine Schlange in ihm.“ 758 In seiner neunten Rede geht der Oasenmann wieder auf die Stellung der Zunge ein, indem er der Zunge der Menschen die prüfende und verkündende Rolle zuschreibt. Er fordert Rnsj auf, den Tatbestand einer Angelegenheit genau zu untersuchen, die Wahrheit auszusprechen und den Unrechten zu bestrafen, denn „die Zunge der Menschen ist ihre Waage; diese Waage soll den Mangel entdecken und den bestrafen, der bestraft werden muß.“ 759 Ein Mann kann leicht daran erkannt werden, was und wie seine Zunge spricht. In der Lehre eines Mannes an seinen Sohn treffen wir die Feststellung, daß man Erfolg erzielt, indem man seine Zunge richtig leitet 760 . In der Lehre des Aamethu sagt der lehrende Vater bezüglich des rechten Redens: s.t ns=k Xw.t n m#o.t Hmsj nTr Hr sp.tj=kj „Der Ort deiner Zunge ist ein Tempel für die Maat. Der Gott ruht auf deinen Lippen.“ 761 Der Sohn wird damit aufgefordert, seine Zunge ständig unter Kontrolle zu halten, als ob der Gott bei ihm Wache hält. Der Hohepriester des Ptah Mrj-PtH aus dem Neuen Reich liefert uns in diesem Zusammenhang eine sehr einleuchtende Aussage. Er sagt, daß er „das genaue Zünglein des Kollegiums der Dreißig war und alle seine Worte gemäß der Setzwaage ausgesprochen hat ( tX oq# n mob#jj(.t) md.wt=f nb m XX ).“ 762 Wahrscheinlich wollte Mrj-PtH zum Ausdruck bringen, daß er wahrheitsgemäß verkündet hat, was das Kollegium als Urteil getroffen hat. Äußerst interessant ist, daß der König Ramses II. sich mit dem Gott Thot vergleicht, indem er sagt, daß er „das richtige Zünglein für die Menschen ist und es gibt keinen, der ihn aus seiner Richtigkeit herausträgt.“ 763 757 tX pw ns=k dbn pw jb=k rmn.wj=f pw sp.tj=kj , Bauer B1, 196-198. In den Inschriften der Königin Hatschepsut über die Puntexpedition gibt es eine Szene, wo Horus als Wiegemeister fungiert. Horus beschreibt den richtigen Wiegevorgang damit, daß er die Maat zu ihrem Herrn aufsteigen läßt, indem er das verkündet, was auf der Waageschale liegt (Urk. IV, 338, 4-6). Die Verbindung zwischen der Zunge und dem Zünglein bzw. zwischen der Zunge und dem Herz ist sehr eindeutig. 758 Bauer B1, 162-163. 759 mX#.t pw nt rmT ns=sn jn jwsw Dor D#.t jrr Xsf.t r Xsf n=f , B2, 92-94. 760 Xpr mnX.t m oq# ns „die Trefflichkeit geht von der Rechtschaffenheit der Zunge heraus.“ Helck, Lehre eines Mannes, 59. 761 Dziobek, User-Amun, 35. 762 Louvre A 60, Gamer-Wallert, in: WdO 14, 119, Abb. 9. Der Domänenvorsteher der Gottesgemahlin Jbj (Kuhlmann-Schenkel, Das Grab des Ibi, Text 99) erzählt in seiner Autobiographie, daß er die Verleumder und die Verbrecher zunichte machte. Der König nannte ihn daraufhin den Waagezeiger des Königs. Hier sehen wir noch eine untergeordnete Rolle des Züngleins gegenüber der Waage. 763 tX pw mtr n rXjj.t nn wn rmn sw Hr oq#=f , KRI II, 515, 8. <?page no="127"?> 128 Kapitel IV - Die Gerechtigkeit des Richters 128 Jbj , der Domänenvorsteher der Gottesgemahlin aus der 26. Dynastie, beteuert seine unnachgiebige Haltung gegenüber den Verleumdern und Intriganten in einer noch raffinierten Weise. Er läßt den König erklären, daß er das Zünglein der Waage war 764 . Es ist nicht möglich, festzustellen, was für eine genaue Beziehung zwischen Jbj und dem hier gemeinten König bestanden hätte. Die Idee dieser Aussage ist jedoch eindeutig. Der richtende Beamte soll so handeln, wie der König befohlen hat, indem er wie das Zünglein zeigt, was die Waage abwiegt 765 . Obwohl das Zünglein ein Bestandteil der Waage ist, spielt es eine entscheidende Rolle, ob das richtige Ergebnis beim Wiegen herauskommt. d. Zielstrebig wie das Steuerruder Die These, daß der gerecht richtende Beamte wie das Steuerruder einen geraden Kurs einschlagen soll, wird wiederum in der Geschichte des Bauern mehrfach aufgegriffen. Rnsj wird als das „Steuerruder des Himmels“ bezeichnet 766 . Er wird jedoch gemahnt, nach dem Befehl des Königs zu steuern 767 , obwohl ihm an einer anderen Stelle sogar die Rolle des Königs zugeschrieben wird, der das ganze Land in die richtige Richtung führen soll 768 . Als er überhaupt keine Entscheidung von Rnsj erhält, stellt der Oasenmann fest, daß jener zwar den Posten besetzt, auf den ihn der König eingesetzt hat, aber die damit verbundene Pflicht nicht erfüllt. Er führt sein Schiff nicht zu dem Ort, in dem sich seine Gefolgschaft sicher fühlen kann. Statt dessen sieht er zu, daß Unrecht in seinem Machtbereich einreißt 769 , was nicht anders ist als absichtlich auf Grund zu laufen. Die Vorwürfe, die der Oasenmann an Rnsj richtet, sind genau die, die der Wesir RX-mj-Ro im Laufe seines Königsdienstes mit großer Mühe zu vermeiden versucht haben will. Als der höchste Beamte im Land handelt er wie das Herz, die Ohren und die Augen des Königs 770 . Anschließend sagt er, daß er wie der pflichtbewußte Schiffer ( nfw ) des Kö- 764 Dd njsw.t r=f m Hr-jb mSo.w=f tX pw n mX#.t „Der König sagt zu seiner Truppe: ‚Er ist das Zünglein der Waage.‘“ Kuhlmann-Schenkel, Das Grab des Ibi, Tf. 24, Z. 14-15. 765 Hier drückt das Zünglein nicht nur den Begriff von Gerechtigkeit, sondern auch den Begriff von Ergebenheit und Loyalität aus. 766 Hmw n p.t , Bauer B1, 121. 767 jw njsw.t m Xntj jw Xmw m o=k „Der König ist in der Vorhalle, während das Steuerruder in deiner Hand ist.“ a.a.O., 158. An einer späteren Stelle wird Rnsj noch einmal ermahnt, sein Schiff nicht in die falsche Richtung zu steuern: Hmjj m sbn(.w) dp.t=k „Steuermann, steuere dein Schiff nicht in die falsche Richtung.“ a.a.O., 252. 768 ntk Hmw n t# r Dr=f sqdd t# Xft wD=k sn.nw EHwtj wDo nn rdj.t Hr gs „Du bist der Steuermann des ganzen Landes und das Land fährt nach deinem Befehl. (Du bist) der Genosse des Thot, der richtet, ohne sich auf eine Seite zu begeben.“ a.a.O., 298-300. Der König Amosis, der einen Teil Ägyptens aus der Unterdrückung der Hyksos befreite und das Land wieder vereinigte, wurde „der Balken des Himmels und das Steuerruder der Erde“ genannt ( s#w n p.t Hmw n t# ) Urk. IV, 16, 5-6. 769 Bauer B1, 159f. Vgl. die Forderung des Oasenmannes an Rnsj , „nach der (Richtung) des Segel(tuches) zu rudern ( jrr=k Hmw r ndbjj.t ), a.a.O., 187. 770 Gardiner, in: ZÄS 60, 69; Urk. IV, 1076, 14-16. <?page no="128"?> 2. Gerecht richten 129 129 nigs bei Tag und Nacht keinen Schlaf gekannt habe 771 , denn als Kapitän des Königs paßt er auf das Bug- und Hecktau auf, die Lotstange ständig in Händen aus Angst, daß das Schiff stranden könnte 772 . Die Symbole von Steuerruder, Lotstange oder Bug- und Hecktau sind mit dem gesamten Bild der Wohlfahrt des ganzen Landes verbunden. Möglicherweise ist dies gerade der Grund, warum wir in den autobiographischen Inschriften ausgesprochen selten finden, daß die gerechte richterliche Handlung spezifisch mit dem Steuern des Schiffes verglichen wurde. Ein anderes Beispiel findet man in der Inschrift des Ed-vmw-jw=f-onX , der in der Saitenzeit lebte. Er bezeichnet sich als einen erfahrenen Ruderer, der nicht vom Kurs abweicht und die Leute sicher ans Land bringt 773 . Da Ed-vmw-jw=f-onX vom Leiten der Leute auf dem Weg des Lebens redet, bekommt man den Eindruck, als ob es sich bei dem Abschnitt um einen religiösen Kontext handele. Aber direkt anschließend bezeichnet er sich als den Erdhügel inmitten des Wassers, zu dem die Menschen flüchten. Außerdem tritt er als der Bestrafende der Übeltaten auf 774 . Das erinnert uns an die Vorwürfe des Oasenmannes an Rnsj , daß dieser die hilfsbedürftigen Leute angesichts der Wassergefahr in Stich läßt, indem er zusieht, wie sein Hafen von Krokodilen verseucht wird. 2. Gerecht richten Bei der Gerechtigkeit des Richters kommt es ausschließlich darauf an, ob der Richter die Angelegenheiten der Wahrheit gemäß entscheidet. Die Gerechtigkeit des Richters wird oft mit zwei Gegenbildern veranschaulicht. Der Richter soll „die Lüge zugrunde richten und die Wahrheit fördern“ 775 . Wenn der Richter die Lüge vertreibt, fördert er die Wahrheit; wenn er die Wahrheit fördert, mindert er die Lüge, genau wie das Essen den Hunger beseitigt, das Kleid die Kälte vertreibt, die Sonne die Zitternden aufwärmt, das Feuer das Wasser kocht und das Wasser den Durst löscht 776 . 771 Gardiner, a.a.O.; Urk. IV, 1076, 17-1077, 1. 772 oHo=j Hmsj=j H#.tj=j xr H#t.t pHw.t n Sw.n oH#-mw Hr [o.wj]=j tp=j rs [Hr] sp n mrjj „Ich verbrachte mein Leben (wörtlich: ich saß und stand), indem mein Herz beim Bug- und Hecktau war, mit dem Senkblei in meinen [Händen], wachsam [über] einen (möglichen) Fall von Strandung.“ Gardiner, a.a.O.; Urk. IV, 1077, 2-4. 773 jnk nb jm#X o# mr.wt Hmj nfr jwtj sbn sSm rmT r w#.t nt onX „Ich war ein Ehrwürdiger, groß an Liebe, ein geschickter Steuermann, ohne irrezufahren, einer, der die Menschen auf den Weg des Lebens führt.“ Corteggiani, in: Fs Saueron I, 127, IV, 6-7. 774 Xo.t Hrj-jb nw rhn.t(w) Hr(=s) soH Xsf … „ein Hügel inmitten der Flut, auf den man sich stützen kann, ein Ehrwürdiger, der bestraft- …“ a.a.O., 8-9. Über den Hügel als Symbol des rettenden Richters, vgl. Kapitel VII. Der Prinz Osorkon wird als das gute Steuerruder in der Hand des Königs bezeichnet ( Hmw nfr H#t.t m o jmj jr.tj qnj „ein gutes Steuerruder, ein Bugtau in der Hand des starken Kapitäns“), Jansen-Winkeln, Ägyptische Biographien, Text B 22, c), allerdings nicht in bezug auf Rechtsprechung. 775 sHtm grg sXpr m#o.t , Bauer B1, 98. 776 a.a.O., 272-278. <?page no="129"?> 130 Kapitel IV - Die Gerechtigkeit des Richters 130 Auf der Grundlage der klaren Linie zwischen dem Recht und Unrecht soll der Richter darauf achten, daß er das richtige Maß beherrscht. Er soll sich weder zu schwer noch zu leicht verhalten und soll weder zu schnell noch zu langsam reagieren 777 . Gerechtigkeit kann weder unter Mangel noch unter Überschuß leiden 778 . Derjenige, der zu schnell das Urteil fällt, begeht unausweichlich Fehler 779 . Der Richter, der zu leichtsinnig mit den Prozessierenden umgeht, kann nicht wohlüberlegt handeln 780 . Ein tugendhafter Richter, der Gerechtigkeit übt, soll jeden Menschen so behandeln, wie es ihm gebührt 781 . In der Amtseinsetzung des Wesirs bezeichnet der König den Wesir als die Schutzmauer um den König. Der König mahnt den Wesir, nicht für die Beamten im Rat Partei zu ergreifen und aus irgendwelchen Leuten keine Hörigen zu machen 782 . Der König faßt die Gerechtigkeit des Richters in bezug auf das Gesetz und die Prozessierenden folgendermaßen: „Du sollst für dich darauf sehen, daß jede Sache gemäß dem Gesetz und der Wahrheit entsprechend behandelt wird, indem [einem Mann] zu seinem Recht [verholfen wird].“ 783 Die Gerechtigkeit des Richters heißt, daß jeder das ihm gebührende Recht bekommt. Um diesen Punkt noch deutlicher zu machen, bezieht der König den Protest eines ungerecht behandelten Prozessierenden als Mahnung an den Wesir ein: wpjj [nn Dd=f] n [rdj.n.tw=j] r wn=j m#o „Ein Gerichteter [soll nicht sagen], ‚Das mir gebührende Recht [wurde mir nicht gegeben]‘.“ 784 Es ist daher ebenfalls unrecht, wenn ein Richter seine Verwandten absichtlich benachteiligt 785 . Der König stellt die Aufgaben des Wesirs, des Oberrichters im Lande, kurz und bündig fest, indem er sagt: jr jr.t(j)f(j) m#o.t xr Hr rmT nbt T#tj pw „Der Wesir ist es, der vor allen Menschen die Maat tut.“ 786 Die Durchführung 777 Bauer B2, 103-104. 778 mH nfr n hqs n wbn m#o.t „Fülle gut, denn die Maat weder mangelt noch überläuft.“ a.a.O., B1, 282-283. 779 nn X#X-r# Sw m wor „Keiner, der schnell redet, ist frei von Übereilung.“ a.a.O., B1, 239-240; vgl. UC 14430, Stewart, Egyptian Stelae, II, pl. 21, 9 und 22. 780 nn jsj jb dns sXr „Ein leichtes Herz hat keinen schweren Gedanken.“ Bauer B1, 240. Vgl. dazu jm=k js(.w) bj#=k trj.tw=k m s „Sei nicht wankelmütig, damit man dich als Mann achte.“ pChester Beatty IV, vs. 1, 6, Übersetzung nach Brunner, Weisheitsbücher, 222. 781 njs s r sp=f n wn m#o „Ruf einen Mann auf zu seinem wahrhaften Recht.“ Bauer B2, 108-109. Vgl. dazu die Feststellung des Ptahhotep: w#H s oq#=f m#o.t , „(Nur) der Mann wird Bestand haben, der die Maat bewahrt.“ Devaud 312-313; Übersetzung nach Burkard, in: TAUT III, 208. 782 mk tm w#H Hr=f pw Hr sr.w D#D#.t tm jr n=f mr.w m rmT nb mk [jr wnn] s m xnw pr nb=f jr=f n=f nfr „Siehe, er wendet sein Gesicht nicht zu den Beamten des Rates, und er macht sich keine Hörigen aus irgendwelchen Menschen. Siehe, wenn ein Mann im Hause seines Herrn ist, soll er ihm Gutes tun.“ Urk. IV, 1087, 11-1088, 1 = Faulkner, in: JEA 41, 19, fig. 1. 783 jr.t X.wt nb.t r mtr jrw m [rdj.t s r] wn=f [m#]o , Urk. IV, 1088, 6-7; Faulkner, in: JEA 41, 19, 5. 784 Urk. IV, 1089, 5-6; Faulkner, in: JEA 41, 19, 8. 785 Urk. IV, 1090, 2-8. Um seiner Belehrung Gewicht zu verleihen, sagt der König, daß das Parteiergreifen ein Abscheu des Gottes sei. 786 Urk. IV, 1092, 8. <?page no="130"?> 2. Gerecht richten 131 131 dieser Gerechtigkeit wurde von den Mitmenschen überwacht 787 und von den Bittstellern selbst überprüft 788 . Im Kontext der autobiographischen Inschriften beschreibt schon der Vorsteher der Schreiber K#-m-nfr.t aus dem Alten Reich seine rechtmäßige Handlung beim Richten in Anspielung auf die Maat als den Oberbegriff der Rechtsprechung wie folgt: jrr Htp n m#o.t m wDo mdw m#o ro nb D.t „der das tat, was die Maat befriedigte, indem er die Angelegenheiten Tag für Tag immerzu gerecht entschied“ 789 . Die Vorgehensweise des Richters, jedem Prozessierenden zu seinem Recht zu verhelfen, stellt sich als eine Handlung dar, die die Maat zufrieden stellt. Die tägliche „gerechte“ ( m#o ) und daher einwandfreie Handlung bringt das gewünschte Resultat, daß „Recht und Ordnung“ ( m#o.t ) dauern ( Htp ). Eine genaue Angabe, worauf es bei den behandelten Rechtsfällen geht, ist aus Platzgründen nicht möglich gewesen und für das Ziel der Inschrift nicht besonders relevant, da die spezifische Handlungsweise bei verschiedenen Angelegenheiten immer anders gewesen sein muß 790 . Aber sicher ist, daß die Rechtsfälle der Wahrheit gemäß entschieden werden müssen 791 . Die scheinbar inhaltlose Phrase wpj m#o.t deutet demnach in dieselbe Richtung. Diese kurze Formulierung besagt, daß der Richtende das Richtige vom Falschen getrennt hat, um die Wahrheit zu finden und die Sache richtig verstehen zu können. Daher stellt sich die Wendung als eine Bezeichnung für alle richtigen und gerechten Handlungen dar, unter ihnen auch die Tätigkeiten auf juristischem Gebiet 792 . Der Schatzbeamte Jn-jt=f sagt in seiner Autobiographie, daß er „von vollkommener Zunge war wie der Gott selbst und eine Angelegenheit so richtete, wie es sich gehörte“ 793 . Hier wird kein behandelter Fall konkret angegeben. Aber es wird klargestellt, daß jede Angelegenheit dem Tatbestand entsprechend entschieden wurde. Mit skm ns werden offenkundig die Fähigkeiten des Richters bezeichnet, die Bittsteller zu befriedigen, die Prozessierenden zu überzeugen und das zutreffende Urteil zu finden. Die Phrase wDo md.t r ntt 787 mk jr sr sDm (m) wn-Hr smj mw T#w n jrr.wt=f nb.t mk Xr n Xm jrjj.t=f „Siehe, wenn ein Beamter in der Öffentlichkeit richtet, berichten Wasser und Wind über alles, was er tut. Siehe, es gibt keinen, der nicht weiß, was er (der richtende Wesir) gemacht hat.“ Urk. IV, 1088, 8-10. 788 sprw wpj(.w) [nn Dd=f] n [rdj.tw=j] r wn=j m#o „Ein Bittsteller, über den entschieden ist, soll nicht sagen können: [Mir wurde nicht] zu meinem Recht [verholfen].“ Urk. IV, 1089, 4-6. 789 CG 66, Borchardt, Statuen und Statuetten, Bd. 1, 57. 790 Hrj sSt# wDo mdw m#o , „Geheimrat, der gerecht richtet“, BM 718, HT VI, pl. 7. 791 jw wp.n(=j) md.t r m#o.t=s rdj.n(=j) pr sn.wj jb=sn Htp(.w) , „Ich habe eine Angelegenheit nach ihrer Richtigkeit entschieden. Ich habe veranlaßt, daß die zwei Parteien zufriedenen Herzens herauskamen.“ Hatnub Gr. 12, 14-15. 792 Der König Neferhotep aus der Zweiten Zwischenzeit hat den Zweiherinnennamen wpj m#o.t „die Wahrheit aufdecken“. Helck, Historisch-Biographische Texte, Nr. 33. Die Wesire tragen öfters den Titel wpj m#o.t , der auf die Aufgaben des Wesirs als dem höchsten Beamten im Land hinweist, s. Urk. IV, 1169, 16; 1170, 1; Davies, Ramose, pl. 18; KRI III, 7, 12. Vgl. dazu auch Anthes,in: JNES 16, 185ff. 793 S[k]m ns mj nTr Ds=f wDo md.t r ntt , Ny-Carlsberg 1241=TPPI § 32, Z. 9-10. Danach sagt er, daß er „nicht parteiisch war“ ( [nn] [rdj.t] Hr gs ). Die Idee von Gerechtigkeit ist mit der unparteiischen Handlung eng verbunden. <?page no="131"?> 132 Kapitel IV - Die Gerechtigkeit des Richters 132 stellt die Vorgehensweise des Sprechenden dar, die seine vorher beschriebenen Fähigkeiten ermöglicht haben 794 . Der Vorsteher der Priester in Hermonthis, MnTw-Htp , drückt seine Handlung, die sich je nach der zu richtenden Person bestimmt, wie folgt aus: sDm mdw=f dr m#r=f rdj s r wn=f m#o „der seine (des Bittstellers) Worte anhörte und seine Not vertrieb, der einem Mann zu seinem Recht verhalf.“ 795 Mit der Wendung rdj s r wn=f m#o werden alle richterlichen Handlungen zusammengefaßt, da sie besagt, daß jedem Prozessierenden, wenn die Rechtsfälle auch sehr unterschiedlich gewesen sein mögen, zu seinem Recht verholfen wurde. Mit diesem Satz faßt er die Handlungsweisen zusammen, die vom König befohlen und von den Prozessierenden erwartet wurden 796 . Der gleichnamige Wesir der 12. Dynastie bringt diesen Punkt noch schärfer zum Ausdruck, indem er sagt, daß er „erkannte, was in jedem Körper war (=- die Sinnesart durchschaute) und jedem Mann zu seinem Recht verhalf“ ( rX jmj x.t nb.t dd s r wn=f m#o ) 797 . Ein guter Richter muß die Anliegen und die Vorhaben der Prozessierenden erkennen, damit er sie so richtet, wie es sich gehört. Aber diese Fähigkeit, das Innere zu erkennen ( rX jmj x.t nbt ) stellt sich nur als die Voraussetzung für die richtige Entscheidung dar. Dabei ist vielmehr die Rechtschaffenheit des Richters entscheidend, die Wahrheit anstatt der Lüge zu sprechen: Dd m#o.t wpj=f s 2 Sw m Dd grg „der die Wahrheit sagt, wenn er zwei Parteien richtet, der davon frei ist, Lüge zu sagen“ 798 . Bisher ist nur von der gerechten Handlung des Richters die Rede. Aber die Richtenden und die zu Richtenden üben gegenseitig Einfluß aus. Jntf , der Bürgermeister von This und Vorsteher der Wache unter Thutmosis III. ermöglicht uns einen genauen Einblick, wie der Richter auf die verschiedenen Prozessierenden unterschiedlich reagiert hat: „Der sein Gehör dem schenkt, der die Wahrheit spricht, und den übergeht, der die Lüge sagt“ ( tns Hr=f r Dd(.w) m#o.t mkH# Dd.w grg ) 799 . Die Haltung des Jntf wird hier einzig danach ausgerichtet, ob der Prozessierende die Wahrheit sagt. Er strebt danach, zuerst durch ein gutes Zuhören eine Basis für die richtige Entscheidung zu schaffen, indem er „gegenüber dem Schwätzer nicht milde war und sich bemüht, das Richtige zu tun“ ( tm sfn(.w) n Sm-r# Hsj 794 Die Begriffe wDo r ntt und rdj Hr gs stehen einander als zwei Gegenbegriffe gegenüber. 795 Stele UC 14333, Stewart, Egyptian Stelae, II, pl. 18, 12. 796 Vgl. die oben schon zitierte Aufforderung und Ermahnung des Königs an den Wesir, Urk. IV, 1088, 5-6 und Urk. IV, 1089, 5-6. Der Oasenmann beklagt vor dem richtenden Rnsj , daß der Schwache und Hilfsbedürftige allein gelassen wurde, um sein Recht zu bekommen, B1, 232-234. 797 CG 20539 I, b, 7-8. 798 Urk. VII, 19, 18-19. Der Wesir RX-mj-Ro (Urk. IV, 1170, 4-6) bezeichnet seine gerechte Handlung mit folgenden drei Sätzen: wpj m#o.t tm rdj Hr gs rdj pr s 2 Htp „der gerecht richtet, ohne parteiisch zu sein, der die zwei Parteien in Zufriedenheit stellt“. Die Ausübung der Gerechtigkeit enthält einerseits die Unparteilichkeit beim Richten und andererseits das Zufriedenstellen der beiden Parteien. Erst der Richter, der die Wahrheit sagt und nicht parteiisch ist, ist imstande, die streitenden Parteien zufriedenzustellen.Vgl. die Aussage des Prinzen %#-rw.tj aus der Dritten Zwischenzeit: n nk=j Hm.t T#j n wDo=j md.t m grg n sXt=j #pd.w nTr.w „Ich habe nicht Ehebruch getrieben. Ich habe nicht eine Angelegenheit ungerecht entschieden. Ich habe nicht die Vögel der Götter gefangen.“ Reisner, in: ZÄS 70, 40, A, 6-7. 799 Urk. IV, 971, 4-5. <?page no="132"?> 2. Gerecht richten 133 133 sw m jr.t bw m#o ) 800 . Er versucht, alle Prozessierenden zufriedenzustellen. Daher macht er keinen Unterschied zwischen den verschiedenen Prozessierenden, sondern richtet sich ausschließlich nach dem Tatbestand: Htp-jb Hr shr.t tm Tnj Xm n=f r rX n=f pxr m-s# m#o.t „zufrieden, wenn er zufriedenstellt, der keinen Unterschied macht zwischen dem Unbekannten und dem Bekannten, der sich um die Wahrheit kümmert“ 801 . Die Bemühung des Richters, das Prinzip der Gerechtigkeit nicht zu verletzen, sehen wir ebenfalls auf der Statue des Nb-nTr.w , eines königlichen Briefschreibers aus der Dritten Zwischenzeit. Er sagt wörtlich, daß er jedermann nach seiner Art gerichtet und sich das Ziel gesetzt habe, den Wunsch von jedermann zu erfüllen 802 . Die Phrase „jedermann nach seiner Art zu richten“ bezeichnet die Handlung des Richters, den Prozessierenden zu durchschauen und zu entscheiden, ob dessen Anspruch berechtigt ist. Das Zufriedenstellen hängt demnach von dem Ergebnis der Untersuchung ab. Der Wunsch des Richters ist es, jeden Anspruch zu erfüllen. Aber dafür wird die Rechtmäßigkeit des Anspruchs vorausgesetzt. Die gleiche Idee bringt Ed-EHwtj-jw=f-onX zum Ausdruck, indem er sagt, daß seine Worte und sein Herz übereinstimmten. Er habe niemandem mit schönen Worten einen falschen Eindruck gegeben, während er es im Inneren seines Herzens anders meinte 803 . a. Unparteilichkeit Bei der ägyptischen Rechtsprechung wurden die Termini „ wpj “ und „ wDo “ am häufigsten gebraucht. Beide Begriffe bringen die Handlung des Richtens zum Ausdruck. Sie haben beide die Grundbedeutung von „Trennen“ 804 . Diese bildliche Ausdrucksform unterstreicht die altägyptische Auffassung, daß bei der Rechtsprechung das Verhalten des Richters gegenüber den beiden Parteien im Vordergrund steht. Er soll vor allem versuchen, die Streitenden zu einem Kompromiß zu bringen. Es wird in der Lehre des Ptahhotep als eine Selbstverständlichkeit angenommen, daß sich ein leitender Beamter auch mit der Rechtsprechung befassen muß 805 . Aber er wird nicht für das Interesse einer bestimmten Gruppe eingesetzt, sondern vom König beauf- 800 a.a.O., 7-8. 801 a.a.O., 9-11; vgl. die Aussage des Hohenpriesters des Schu der 19. Dynastie Jnj-Hr.t-ms : [jn]k s pf jwtj wn=f n(n) sdXj m mob#j.t „Ich war einer ohne Fehler, ohne Frevel im Kollegium der Dreißiger.“ Ockinga, a.a.O., pl. 24/ 25, Z. 32. Zu sdXj vgl. KRI I, 113, 9; II, 338, 1; IV, 16, 6. 802 Dwj=j rmT m X.wt jb=sn wp=j Hr nb m jwn=f rdj=j jb=j Hr #bb=f „Ich rief die Menschen mit den Sachen, die ihnen am Herzen lagen. Ich richtete jedermann nach seiner Art. Ich achtete darauf, was er wünschte.“ CG 42225, Legrain, Statues et Statuettes, III, pl. 32, Jansen-Winkeln, Ägyptische Biographien, Text A 10, e, 3-4. 803 n mdw.n=j m stwt Hr jw mr.tj m jb(=j) „Ich habe nicht mit affektiertem Gesicht gesprochen, indem zwei (widerstreitende) Lieben (=Bevorzugungen) in (meinem) Herzen waren.“ Stele Berlin 22461, Jansen-Winkeln, in: SAK 22, 180, Abb. 6, 13. 804 Für eine genaue Behandlung der beiden Begriffe, s. Kapitel VI. 805 jr jrj=k s# s qnb.t wptj n hr.t oS#.t „Wenn du der Sohn eines Mannes des Beamtenrates bist, ein Beauftragter, der die Menge zufriedenstellt“, Ptahhotep 415-416. <?page no="133"?> 134 Kapitel IV - Die Gerechtigkeit des Richters 134 tragt, um die Menge ( oS#.t ) zufriedenzustellen 806 . Ptahhotep rät daher seinem „Sohn“, der zukünftig ein Beamter sein wird, bei den gerichtlichen Verhandlungen nicht parteiisch zu sein. Die benachteiligte Partei könnte in diesem Fall dagegen protestieren und es wird dem parteiischen Richter zum Verhängnis 807 . Der Schüler wird auch in der Lehre eines Mannes an seinen Sohn vor der Parteilichkeit mehrfach gewarnt. Dem Sohn wird geraten, gegenüber den streitenden Parteien nicht parteiisch zu handeln 808 . Als Grund nennt der Vater die einfache Tatsache, daß die Menschen gleich erkennen werden, wenn sich ein zwischen zwei Parteien stehender Richter nach einer Seite neigt. Daher fordert der Vater seinen Sohn, den zukünftigen Beamten, auf, die Prozessierenden trotz ihrer unterschiedlichen Stellungen gleich zu behandeln, indem er mit einem Ausspruch antwortet 809 . Hier scheint mir die Wendung Xn wo „ein einziger Ausspruch“ nicht auf die Kürze der Rede zu deuten, sondern darauf hinzuweisen, daß der Richter die verschiedenen Rechtsfälle nur nach den Gegebenheiten, nicht aber nach den Prozessierenden richten soll. Eine Parallele sehen wir in der Wendung Hr wo „ein einziges Gesicht“, die die Gerechtigkeit des Gottes Thot oder die des wahrhaftigen Menschen bezeichnet 810 . In der Variante L2 der Lehre des Ptahhotep, die aus der späten 18. Dynastie stammt, wird hinter der Aufforderung, beim Richten nicht parteiisch zu sein, ein sehr bemerkenswerter Satz hinzugefügt: „Gottes Abscheu ist das, sich [auf eine Seite] zu geben“ ( bw.t nTr rdj.t [Hr gs] ) 811 . Hier wird die parteiische Handlung im Gericht mit der Abneigung des Gottes verbunden. In der Amtseinsetzung des Wesirs wird im gleichen Wortlaut gesagt, daß „Parteilichkeit der Abscheu Gottes ist“ ( [bw.t] nTr rdj.t Hr gs ) 812 . Sehr bemerkenswert 806 Das Wort oS#.t bezeichnet die Menschen aus verschiedenen Hintergründen, unabhängig davon, ob irgendewelche Leute dem Richtenden nah oder fern stehen. Daher erwähnt der König in der Amtseinsetzung des Wesirs das Beispiel eines Wesirs, der aus Furcht vor dem Vorwurf der Parteilichkeit mit Absicht seine Angehörigen benachteiligte. Übereifrige Gerechtigkeit würde zur Parteilichkeit führen. Vgl. Faulkner, in: JEA 41, fig. 2, Zeile 2-3. 807 mdw=k m rdj(.w) Hr gs s#w Dd=f sXr=f sr.w rdj=f md.t Hr gs jrj wdb sp=k r wDo.t „Wenn du sprichst, dann stelle dich nicht auf eine Seite. Hüte dich, daß er seinen Gedanken ausspricht. Ihr Beamten, er richtet die Angelegenheit parteiisch. So wird dein Fall zur Verhandlung gewendet.“ Ptahhotep 418-421; vgl. auch Ptahhotep 438, wo die Parteilichkeit mit nmo bezeichnet wird, ähnlich auch Merikare E 8, Quack, Studien zur Lehre für Merikare, S. 164. 808 wDo=k s 2 Hr sXwn [m] nmo [sH] Sm-r#... „Wenn du zwei Männer bei einem Streit richtest, (sei nicht? ) parteiisch...“ Fischer-Elfert, in: OA 27, 208; jw Tnj.tw s Hr sp „Ein Mann wird an einem erbärmlichen Fall (beim Richten eines schlimmen Falls? ).“ Helck, Lehre eines Mannes, IX 3-4. 809 wSb=k m nfr.t jw Xn wo #bb oS#.t , Brunner, Weisheitsbücher, S. 191 übersetzt: „Antworte (also) mit Bedacht. Ein einziges (klares) Wort ist es, was die Menge wünscht.“ 810 Nach seiner Behauptung, daß er beim Richten den Elenden nicht vernachlässigt habe, sagt der Amunprophet Orw-#Xbj.t : „Ich habe getan, was der Gott liebte. Ich habe den Menschen nicht zwei Gesichter gezeigt ( jw jr.n=j mrr nb nTr jwtj Hr.wj m rmT ).“ Jansen-Winkeln, Ägyptische Biographien, Bd. II, 545, 9; vgl. Grapow, Bildliche Ausdrücke, 107 und 113. 811 Caminos, Literary Fragments, pl. 29 and 29A, Z. 3, Fischer-Elfert, in: OA 27, 183-184 verbindet diese Stelle mit E 44 in der Lehre für Merikare. 812 Urk. IV, 1090, 2. <?page no="134"?> 2. Gerecht richten 135 135 ist außerdem, daß der König diese Feststellung als eine Lehre bezeichnet: jw n# m sb#jj.t , „Dies ist die Lehre“ 813 . In seinem Dekret, das zum Zweck der Beseitigung der Mißstände nach der Amarnazeit erlassen wurde, geht der König Haremheb besonders hart gegen die Parteilichkeit der Beamten vor. Haremheb warnt die Beamten bezüglich der richterlichen Tätigkeiten folgendermaßen: „[Irgendeiner] von euch, der sich mit einem anderen gesellt, der ist für euch einer, der Sünde gegen die Maat begeht.“ 814 Er bezeichnet seine Lehre an die Beamten, Gerechtigkeit auszuüben und Parteilichkeit zu vermeiden, als den „Weg des Lebens“ ( mtn n onX ) 815 . Die Aufforderungen zur Ausübung der Unparteilichkeit wurden in der Spätzeit als Reinheitsgebot für die Priester am seitlichen Tempeleingang angebracht 816 . Demnach wird Unparteilichkeit eine wichtige Voraussetzung zum Eintritt in die Nähe Gottes. Entsprechend spielt sie im Diesseits weiterhin eine Rolle. In der Lehre des Anchscheschonqi finden wir das volkstümliche Sprichwort: „Der Reichtum einer Stadt ist das Oberhaupt, das richtet.“ 817 Weiter unten in der Lehre wird dieses Thema noch einmal aufgegriffen: „Der Reichtum einer Stadt ist Unparteilichkeit.“ 818 Die Bedeutung der Unparteilichkeit in der Rechtsprechung kommt sehr deutlich zum Ausdruck. In den Autobiographien wird die Benachteiligung einer der Parteien als eine zu mißbilligende Handlung erwartungsgemäß immer negiert. Die unparteiische Handlung des Richters kann damit bezeichnet werden, daß der Richtende keinen Parteigänger im Gericht gemacht hat. Ein Vizekönig am Anfang der 18. Dynastie beteuert, daß er von seinem König mit Gunst ausgezeichnet wurde, weil er „keine Hörigen im Beamtenrat gemacht habe und wahrhaft gerecht sei“ 819 . Orw-#Xbjt beschreibt in seiner Autobiographie in sehr eigenartiger Weise seine gerechte richterliche Handlung: „Ich habe alles getan, was der Gott liebt, ohne unter den Menschen zwei Gesichter zu zeigen.“ 820 Beim Konflikt zwischen dem Reichen und dem Armen gibt es für den Richter keine Kompromißlösung. Der Richter kann nicht sein Gesicht sowohl dem Schwachen als auch dem Starken zuwen- 813 Urk. IV, 1090, 3. 814 ptr sw [wo] n mj qd=tn r Sbj ktXt jw grt n=tn jrr oD# r m#o.t „Siehe, [irgendeiner] von euch, der sich mit anderen einlassen wird, der ist für euch einer, der Unrecht gegen die Maat tut.“ Urk. IV, 2156, 14-15. 815 Urk. IV, 2156, 8. 816 Vgl. Assmann (1990a), 149. 817 Anchscheschonki 8, 17, Lichtheim, Late Egyptian Wisdom Literature, 73. 818 a.a.O., 9, 3-4; Lichtheim, a.a.O., 74. Eine Verbindung zwischen dieser Stelle und dem Vergleich in der Bauerngeschichte kann man vermuten. In B1, 220-221 beschreibt der Oasenmann Rnsj , der sich anscheinend dem Nmtj-nXt zuwendet, mit folgenden Worten: mk tw m njs.t nn Hq#-Hw.t=s „Siehe, du bist wie eine Stadt ohne ihren Bürgermeister.“ 819 tm jr mrw.t m D#D#.t mtr m#o... , Urk. IV, 41, 5-6. Vgl. die an den Wesir gerichtete Mahnung des Königs in der Amtseinsetzung des Wesirs, Urk. IV, 1087, 11-12. Hier kann man ein schönes Beipiel dafür sehen, wie eng die autobiographischen Aussagen mit den Lehren, darunter auch die Lehren des Königs an die Beamten, verbunden waren. 820 jw jr.n=j mrr nb nTr jwtj Hr.wj m rmT , Jansen-Winkeln, Ägyptische Biographien, Text A 17, d, 9. <?page no="135"?> 136 Kapitel IV - Die Gerechtigkeit des Richters 136 den 821 . Hier soll man sich an den oben erwähnten Ratschlag in der Lehre eines Mannes an seinen Sohn erinnern, in dem der Sohn aufgefordert wurde, dem Schwachen oder dem Starken mit dem gleichen Ausspruch zu antworten. nmo Es gibt drei feste Wendungen zur Beschreibung der Parteilichkeit, die über Dynastien hinweg in Gebrauch waren. Der Begriff nmo ist einer davon. Über das Wort schreibt Fischer- Elfert: „Eine eigenständige Wurzel nmo mit der Bedeutung ‚parteiisch sein‘ existiert m.E. überhaupt nicht. Vielmehr handelt es sich um eine von der Grundbedeutung ‚liegen; schlafen‘ abgeleitete, weshalb dieses juristisch verwendete Lexem denn auch durch rdj Hr gs paraphrasiert werden kann, was ja nichts anderes meint als ‚auf die Seite legen‘“ 822 . Das Wort nmo drückt daher sehr bildhaft die Bedeutung, daß die richtenden Beamten „sich nach einer Seite zu wenden“ 823 . Es betont die ungerechte Handlung der Beamten, einer Partei ihr Gesicht und der anderen Partei ihren Rücken zu zeigen. Das Determinativ von einem Mann mit seiner Hand in dem Mund erklärt weiter, daß der Richtende bei seinem Urteil Partei ergreift 824 . Der Beamte aus der Zeit des Königs Pepi II., Mrjj , sagt in seiner Autobiographie: „[Ich war nicht] parteiisch bei der Angelegenheit zweier Parteien.“ 825 Bei dieser Aussage kann man die zwei Prozeßparteien entweder als zwei Brüder oder zwei Parteien mit gleichem sozialen Status oder als zwei Konfliktparteien mit ungleichen sozialen Stellungen interpretieren 826 . Was hier wichtig ist, daß Mrjj nicht eine der Parteien unrechtmäßig bevorzugt habe. Der Gaufürst Ef#j-Oopj betont seine Unparteilichkeit damit, daß er „alle Menschen so richtete, wie es sich gehörte, ohne parteiisch zu sein“ ( [wpj rmT nb r bw m#o] nn nmo ) 827 . Jntf benutzt sowohl rdj Hr gs als auch nmo , um seine gerechte Handlung zu betonen: jwtj nmo=f n grgjj Sw m rdj.t Hr gs „einer, der nicht für den Lügner Partei ergriff, frei davon, sich auf eine Seite zu stellen“ 828 . Die zwei Sätze haben eigentlich die gleiche Bedeutung. Aber durch die Form der Nebeneinanderstellung der zwei Sätze, die jeweils mit jwtj (ohne) und Sw m (frei von) anfangen, wird die Betonung auf die Unparteilichkeit verstärkt. 821 Im CT 1130 erklärt der Schöpfergott ausdrücklich, daß er alle Menschen gleich geschaffen hat. Es waren ihre Herzen, die sich dem Gotteswillen widersetzten. Die Schuld liegt nicht bei den Schwachen, sondern bei denjenigen, die die Gleichheit zerstört haben. Die Legimität der Stärke des Richters besteht darin, daß er den Hilferuf der Schwachen anhört und ihm hilft. Vgl. dazu Assmann (1996a), 221f. 822 Fischer-Elfert, Lehre eines Mannes, 166. 823 Kees, in: ZÄS 63, 77, Anm. 1. Er sah außerdem in dem späteren Wort „schlafen“ eine Ableitung. In der Dritten Zwischenzeit bezeichnet das Wort den „Toten“, vgl. hierzu Jansen-Winkeln, Ägyptische Biographien, Text A 4, c, 16 und Wb II, 266, 9. 824 Vgl. Wb II, 267. Zu nmo als eine ethisch zu mißbilligende Handlung vgl. Fecht, in: MDAIK 24, 125. 825 / / / [nm]o m mdw sn.wj , Urk. I, 267, 1; Petrie, Athribis, pl. VI. 826 Vor dieser Aussage behauptet Mrjj , daß er zugunsten der Witwe am Tage des [Richtens] gehandelt habe. 827 Urk. VII, 59, 15; die Ergänzung nach Edel, Grabfronten, 117. 828 Urk. IV, 971, 14-15. <?page no="136"?> 2. Gerecht richten 137 137 In der griechisch-römischen Zeit beteuern die Götter ausdrücklich, wie sie bei ihren richterlichen Handlungen von Parteilichkeit ferngeblieben waren. Sie gebrauchen einerseits die alten Formulierungen 829 , die die Beamten in ihren Autobiographien benutzt haben und andererseits erfinden sie neue Wendungen 830 . gs# Ein anderes Wort zur Beschreibung der Parteilichkeit ist gs# . Dieses Wort bezeichnet die Zerstörung des Zustands von Gleichgewicht. Daher wird es oft in seinem Sinnfeld mit Waage und Balken in Zusammenhang gebracht. Im übertragenen juristischen Sinne beschreibt das Wort die unrechtmäßige Bevorzugung einer Partei, eine Handlung, die die Beamten in ihren Autobiographien stets verneinen. Der Gaufürst Ef#j-Oopj bezeichnet sich als das Winkelmaß in Sachen der Rechtsprechung. Daher verabscheute er nicht nur die Lüge, sondern war imstande, die Sünde abzuwehren. Er habe mit einem geraden Herzen die Konfliktparteien behandelt und keine Günstlinge unter ihnen aufgenommen 831 . In der Autobiographie des Nfr-sXr.w , eines Oberdomänenvorstehers des Königs in der frühen 19. Dynastie, finden wir Belege, in denen das Wort gs# in ungewöhnlicher Bedeutung auftritt. Bei der Beschreibung seiner richterlichen Handlungen sagt er: b(w) gs(#) (=j) m#jr jwtj n=f n wr r=f „Ich wies den Elenden nicht ab, der nichts hatte, zugunsten dessen, der reicher als er war.“ 832 Hier bedeutet das Wort gs# nicht „sich nach einer Seite neigen, i.e. eine der Parteien bevorzugen“, sondern genau umgekehrt „jemanden benachteiligen“, wörtlich „zur Seite schieben“. Aus dem Kontext erfahren wir, daß es sich hier um einen Rechtsfall zwischen einem „Elenden ( m#jr )“ und einem „Reichen oder Mächtigen ( wr )“ handelt. Mit dem Bedeutungswandel des Wortes werden die Objekte von gs# ausgetauscht 833 . rdj Hr gs Die Parteilichkeit wird meistens mit der Wendung rdj Hr gs ausgedrückt 834 . Das Wort gs bedeutet wörtlich die „Seite“ und bezeichnet den Akt der Unterstützung oder des Partei- 829 Sw m nmo , vgl. Otto, Gott und Mensch, 26. 830 bw.t=f nmo , Urk. VIII, 85; 69; vgl. Otto, a.a.O. 831 [jnk m#o] bwt grg dr jsf.t [ts xnn.t] [jnk] sb# dr nw oq# jb jwtj gs#.w=f „[Ich war gerecht] und mein Abscheu war Lüge. (Ich) habe die Sünde vertrieben und [die Störung beseitigt]. [Ich war] das Winkelmaß, das das Unrecht vertrieb, rechtschaffenen Herzens, ohne seine Günstlinge.“ Siut I 264-265=Urk. VII 63, 4-7. Ergänzungen und Übersetzung nach Edel, Beiträge zu den Inschriften des Mittleren Reiches, 22. 832 Osing, Das Grab des Nefersecheru, Tf. 35, Z. 14-15. 833 Man kann den Satz auch dahingehend interpretieren, daß der Verstorbene nicht für den Armen Partei ergriffen hat. Das heißt, er hat den Armen und den Reichen gleichermaßen behandelt. Aber diese Interpretation klingt etwas zu weit hergeholt. 834 Die Form rdj-Hr-gs wurde in der griechisch-römischen Zeit als ein Kompositum betrachtet. Vgl. Otto, Gott und Mensch, 26 mit Anm. 110. <?page no="137"?> 138 Kapitel IV - Die Gerechtigkeit des Richters 138 ergreifens. Aus der Dritten Zwischenzeit ist die Phrase gs.w überliefert, die „Kollegen“ bezeichnet 835 . Wir treffen Wendungen, in denen Hr gs wie ein Wort zum Ausdruck der Parteilichkeit gebraucht wird 836 . Die Verbindung Hr gs kann daher als Objekt auftreten 837 . Die Wendung rdj Hr gs schildert die Hinwendung des Gesichts zu einer Seite und hat damit die übertragene Bedeutung von „Partei ergreifen“ oder „parteiisch sein“ 838 . Es kommt auch oft vor, daß das Verb rdj die Infinitivform hat und zusammen mit Hr gs als nominales Objekt zum nn fungiert 839 . Die Kernbedeutung bleibt dennoch unverändert. Das heißt, der Richtende, der beide Parteien gleichermaßen berücksichtigen und nur nach dem Tatbestand entscheiden soll, wendet sich keiner der Parteien zu 840 . Der Domänenvorsteher Onw aus dem Mittleren Reich bezeichnet sich als einen, der das Geschäft des Königs so ausführt, daß er nur das Nützliche tut. Der Königsdienst umfasst auch Rechtsprechung, die er einfach mit dem Wort wDo bezeichnet. Das gerechte Richten aller Streitsachen wird durch Verneinung von rdj Hr gs ausgedrückt: jrj #X.t wo wD sSm Xpr n njsw.t wDo nn rdj.t Hr gs „der nur Nützliches tut, der den Auftrag erteilt, der für den König ausgeführt wird, der richtet, ohne parteiisch zu sein“ 841 . Die gewichtige Stellung der Unparteilichkeit in der Rechtsprechung und den bedeutenden Anteil der Rechtsprechung in der Laufbahn der Beamten erkennt man bei einer Aussage des P#dj-#s.t , eines Gesandten nach Kanaan und Palästina. Er bezeichnet sich als einen einzig 835 CG 42207, s. Jansen-Winkeln, Ägyptische Biographien, Text A 3, f 2-3. Man muß außerdem beachten, daß sich bei einem „reflexiven“ Gebrauch eine andere Bedeutung ergibt. Auf der Stele CG 42208 z. B. werden die Toten mit „ dd(.w) nb Hr gs=sn “ bezeichnet, wörtlich „all die, die auf ihrer Seite liegen“, s. Jansen-Winkeln, a.a.O., Text A 4, c 4. 836 sp n Hr gs „ein Fall vom Parteiergreifen“, s. Wb V 193, 2. 837 Der 4. Prophet des Amun Ed-%nsw-jw=f-onX ruft seinen Gott mit folgenden Worten an: jwtj Hr-gs m-b#H nb=j „(Ich bin) ohne Parteilichkeit vor meinem Herrn.“ Jansen-Winkeln, Ägyptische Biographien, Text A 2, d 8. Vgl. außerdem nn jrj=j Hr gs=f , Wb V 193, 3, Stele aus Karnak, ZÄS 35, 14-16, Z. 4, Dynastie 22. 838 Daher ist die Wendung rdj Hr gs im Sinne von „Partei ergreifen“ immer im Aktiv. In diesem Zusammenhang scheint ein Satz aus Urk. VI. 43, 15-16 interessant: Xr Hr Hr=k ctS xsj sm#jj.w=k m rdjt Hr gs=k „Falle auf dein Gesicht, elender Seth. Deine Anhänger sind dir zur Seite gelegt.“ Die Wendung wdj Hr gs scheint nur die wörtliche Bedeutung von „sich auf die andere Seite wenden“ gehabt zu haben; vgl. dazu Wb I, 385, 16. Die Zusammenbindung des Wortes gs mit der Präposition r bezeichnet ohne übertragene Bedeutung hauptsächlich das räumliche Befinden einer Person, vgl. die Wendung mk wj r gs=k „Siehe, ich bin an deiner Seite.“ in der Geschichte des Schiffbrüchigen, Erman, in: ZÄS 43, 13. Auf der Stele Kairo JE 48845 wird von dem Gott Ptah gesagt, daß „sein Gesicht bei Memphis war“ ( PtH Hr=f r gs Mn-nfr ), Moursi, in: MDAIK 37, 322. 839 Die infinitive Wendung kann selbstverständlich als Prädikat fungieren, s. Urk. IV, 1090, 2: [bwt] nTr rdj.t Hr gs , „Der [Abscheu] Gottes ist es, Partei zu ergreifen.“ 840 Die hinter der Wendung versteckte Bedeutung erkennt man am besten am Beispiel des Wiegevorgangs. Der Wesir P#-sr aus der 19. Dynastie gibt dem Wiegemeister folgende Anweisung: jrj m#o.t m rdj Hr gs bwt nTr grg m mX#.t „Tue die Maat. Sei nicht parteiisch. Gottes Abscheu ist es, an der Waage zu lügen.“ Vgl. dazu Assmann (1992c), 51. 841 Hammamat 114, 9; gleicher Wortlaut auch in 117, 7. Die infinitivische Wendung kann auch durch jwtj negiert werden. Vgl. Urk. IV, 461, 6: jwtj rdjt Hr gs . Eine etwas ungewöhnliche Form sehen wir in Urk. IV, 1826, 15: jnk Hm #Xt n jb jwtj dj=f sw Hr gs „Ich war ein nützlicher Diener, frei davon, sich auf die eine Seite zu stellen.“ <?page no="138"?> 2. Gerecht richten 139 139 trefflichen und gerechten Menschen. Zur Begründung lesen wir nur: n(n) rdj(.t) Hr gs , „Es gab (an mir) keine Parteilichkeit“ 842 . Durch die unparteiische Ausübung der richterlichen Aufgaben wird der Richter nicht nur bei seinen Mitmenschen beliebt. cn-n-Mw.t , der Günstling der Königin Hatschepsut, betrachtet die unparteiische Handlungsweise auf juristischem Gebiet als einen der wichtigsten Gründe, warum ihm die Königin besondere Gunst erwiesen habe 843 . Dieser Punkt ist noch deutlicher bei einem Domänenvorsteher unter derselben Königin. Er bezeichnet sich als den redenden Mund seiner Königin. Neben dieser Redegewandtheit verfügt er über die Eigenschaft, die Wahrheit zu lieben und die Lüge zu hassen. Erst diese Eigenschaft macht es möglich, daß er nicht parteiisch ist. Durch seine unparteiische Tätigkeit gewinnt er nicht nur die Gunst seiner Königin, sondern auch das Vertrauen seiner Mitmenschen. Der Name dieses Domänenvorstehers wurde in seinem Grab getilgt 844 . Bei einer Darstellung seiner Amtssitzung, in der er die Bittgesuche entgegennimmt, beschreibt RX-mj-Ro , wie die Idee der Unparteilichkeit wie ein Leitfaden die Behandlung verschiedener Konflikte durchzieht: wpj m#o.t tm rdj Hr gs dd pr s 2 Htp wpj m#r Hno wsr nn Hr rmj n spr n=f „der gerecht richtet, ohne sich auf eine Seite zu stellen; der veranlaßt, daß die zwei Parteien zufrieden herausgehen; der zwischen dem Armen und dem Reichen richtet, indem keiner weint, der sich an ihn wendet“ 845 . Wie oben schon angedeutet wurde, stellt die Phrase wpj m#o.t „gerecht richten“ 846 den Oberbegriff für die Gerechtigkeit dar. Erst unter der Voraussetzung, daß die Wahrheit von der Lüge unterschieden worden ist, kann der Richter die passende Handlungsweise auswählen. Solange die Wahrheit der Angelegenheiten deutlich vorliegt, muß der Richter an dem Prinzip der Unparteilichkeit festhalten. Daher kann er manche Angelegenheiten durch Schlichtung ( dd pr s 2 Htp „der bewirkt, dass beide Parteien zufrieden sind“), manche durch Verurteilung ( wpj m#r Hno wsr „der zwischen dem Elenden und dem Mächtigen entscheidet“) und manche durch Gnade ( nn Hr rmj n spr n=f „keiner weint, der sich an ihn wendet“) behandeln. Nur so kann er sich auf die Gunst des Königs verlassen 847 . 842 Steindorff, in: JEA 25, 30. Nach Steindorff war die Statue ursprünglich aus dem Mittleren Reich, aber wurde in der 3. Zwischenzeit usurpiert. Offenkundig wurde die Parteilichkeit des Richters schon in der Ersten Zwischenzeit eine zentrale Thematik der Gesellschaft, denn wir lesen in den Sargtexten (CT IV, 277) die Beteuerung des Toten, zu Lebzeiten nicht parteiisch gerichtet zu haben. 843 jnk [wpj] m#o.t tm rdj Hr gs hrr nb t#.wj Hr tpt-r#=f „Ich war einer, der gerecht [richtete], ohne parteiisch zu sein, einer, mit dessen Aussprüchen der Herr der beiden Länder zufrieden war.“ Urk. IV, 410, 17-411, 4. 844 r# mdw n nb.t t#.wj mH-jb n njsw.t ... [mrj] m#o.t msdd grg jwtj rdjt Hr gs ... oHo.w Hr pr.w n r#=f n o#.t n mnX=f Hr [jb] „der redende Mund der Herrin der beiden Länder, der Vertraute des Königs... der die Wahrheit [liebt] und die Lüge haßte, der sich nicht auf eine Seite stellt-... auf dessen Aussprüche man sich verläßt, weil er in der [Meinung] vortrefflich war.“ Urk. IV, 461, 2-8. 845 a.a.O., 1118, 5-9. 846 Der Ausdruck heißt wörtlich „die Maat trennen“. Gemeint wird möglicherweise, die Wahrheit von der Lüge und das Recht vom Unrecht zu unterscheiden. Vgl. hierzu Anthes, in: JNES 13, 21ff. 847 Urk. IV, 1118, 10. <?page no="139"?> 140 Kapitel IV - Die Gerechtigkeit des Richters 140 Neben dem König und den Mitmenschen stellen die Götter das Element dar, das die Richter bei ihrer Ausübung der Unparteilichkeit in Betracht ziehen. Dies sehen wir schon in der Regierungszeit des Amenophis III. eindeutig. Bei seinem Gebet an den Gott Thot begründet der königliche Schreiber %o-m-H#.t seine Forderung, daß der Gott ihn im Totenreich aufnehmen soll, damit, daß er nicht parteiisch war 848 . Jmn-Htp Sohn des Opw ließ eine sehr ähnliche Aussage auf seiner Statue aus Karnak anbringen 849 . Die Unparteilichkeit wird hier als ein wichtiger Bestandteil der Prüfung vor den Göttern betrachtet 850 . Aus der Ramessidenzeit sind relativ wenige Belege über richterliches Verhalten überliefert. Eine Aussage über die Unparteilichkeit des Richters finden wir in der autobiographischen Inschrift des Jmn-m-jp.t , des Oberhofmeisters unter Haremheb und Ramses I. Er beschreibt seine gerechte richterliche Handlung wie folgt: mtr m#o Sw m jsf(.t) w#H jb tm rdj.t Hr gs „wahrhaft gerecht, frei von Isfet, geduldigen Herzens, ohne sich nach einer Seite zu neigen“ 851 . In dem oben zitierten Beleg des namentlich unbekannten Domänenvorstehers unter Hatschepsut wurde die Parteilichkeit mit Lüge ( grg ) verbunden. Hier wird die Parteilichkeit als eine Sünde bezeichnet. Der Schatzmeister im Ramesseum Vj# listet seine tugendhaften Eigenschaften in einem Gebet zum Gott Amun auf: jnk wo jqr nfr bj.t w#H jb r jr.t m#o.t mtr m#o tm rdj.t Hr gs „Ich war einzig trefflich, mit einem guten Charakter, geduldigen Herzens, um die Maat zu tun, wahrhaft gerecht, ohne mich auf eine Seite zu stellen.“ 852 Die Eigenschaften nfr bj.t und w#H jb stellen zwei Voraussetzungen dar, die erst ermöglichen, daß ein richtender Beamter überhaupt gerecht handeln kann 853 . Die Unparteilichkeit wird immer stärker im Hinblick auf die Götterwelt thematisiert. Der Wab-Priester P#-n-%mnw aus der 20. Dynastie beteuert seine Unparteilichkeit in einem Hymnus an Osiris: gr m#o n W#s.t oq# jb n jp.t-s.wt qb srf n pr-Jmn tm r# n njw.t mtr m#o Sw m oS#-Xrw jwtj rdj.t r gs „ein wahrhaft Schweigender in Theben, ein Rechtschaffener in Karnak, ein Ruhiger im Amun-Tempel, vollkommenen Mundes, wahrhaft gerecht, frei von Lärm und ohne parteiisch zu sein“ 854 . Es ist bemerkenswert, daß sich die Angabe über die unparteiische Handlung des Richters in dem Kontext befindet, in dem der Grabherr über sein Schweigen zu Lebzeiten redet. Das Schweigen ist eines der repräsentativsten Merkmale persönlicher Frömmigkeit. P#-n-%mnw betont seinen vorsichtigen und rich- 848 Ts[.w]=k [soH n sS njsw.t] jmj-r# Snw.tj %o-m-H#.t pn nn rdj=f Hr gs=f „Mögest du [diesen ehrwürdigen königlichen Schreiber], Scheunenvorsteher %o-m-H#.t erheben. Er war nie parteiisch gewesen.“ a.a.O., 1848, 2-3. 849 jnk m#o bwt grg dr jsf.t...ts xnn.t jnk sb# dr nwd.wt oq#(-jb) [jwtj gs#.w=f] „Ich war ein Gerechter, dessen Abscheu die Lüge war. Ich vertrieb die Sünde-..., beseitigte die Störung. Ich war das Winkelmaß, das das Unrecht vertrieb. Ich war rechtschaffen, ohne parteiisch zu sein.“ a.a.O., 1825, 15-19. 850 Vgl. Urk. IV, 1827, 14-15, wo Jmn-Htp in dem Lobpreis an Amun sagt: jnk m#o n rdj.n=j Hr gs . Bei seinem Anruf an die Lebenden sagt er: jnk Hm #Xt n jb jwtj dj=f sw Hr gs , a.a.O., 1826, 15. Bemerkenswert ist, daß die Unbestechlichkeit nicht als ein „Prüfungsthema“ im Totenbuch Kapitel 125 erwähnt wird. Vgl. Hornung, Das Totenbuch der Ägypter, 233ff. 851 Assmann (1991c), Tf. IXa. 852 KRI III, 366, 16. 853 Für die Wendung w#H jb vgl. Kapitel V. 854 Seyfried, Das Grab des Paenkhemenu (TT 68), 62, Z. 15-18. <?page no="140"?> 2. Gerecht richten 141 141 tigen Umgang mit dem Reden, indem er die drei derartige Eigenschaften bezeichnenden Worte gr m#o , oq# jb und qb srf mit den drei Ortsnamen verbindet. Diese drei Ortsteile können entweder zusammen den ganzen räumlichen Bereich Thebens bilden oder auf die verschiedenen Orte der beruflichen Tätigkeiten des Verstorbenen hindeuten. Außerdem betonen die drei Ortsangaben W#s.t, Jp.t-s.wt und pr-Jmn jeweils die politische, administrative und religiöse Bedeutung der Stadt Theben 855 . Da er sich in den drei Bereichen einwandfrei verhalten hat, ist er ein Mann mit „vollkommenem Mund“ 856 in der Stadt, die W#s.t , Jp.t-s.wt und pr-Jmn umfaßt. Das Erlangen des vollkommenen Mundes setzt die drei vorher erwähnten Verhaltensweisen gr m#o , oq# jb und qb srf voraus und versteht sich als die Voraussetzung für die folgenden Resultate. „Schweigen“ heißt nicht auf Sprechen zu verzichten, sondern das Erforderliche und Richtige zu sagen 857 . Die immer engere Verbindung zwischen dem Herzen und der Unparteilichkeit deutet sicherlich auf die verstärkte Rolle der Götter bei der Auffassung der Beamten, in der Rechtsprechung unparteiisch vorzugehen. Wenn oben bei P#-n-%mnw von oq# jb die Rede war, treffen wir nun den Ausdruck m#o jb 858 . Die Unparteilichkeit ist eine Leistung, die den Verstorbenen zum Zutritt in den Kreis der Belohnten und Ehrwürdigen berechtigt 859 . Ed-%nsw-jw=f-onX , ein 4. Prophet des Amun in der 22. Dynastie, fordert in seiner Inschrift seinen Gott auf, ihm gegenüber nicht nachlässig zu handeln, weil er gerecht war, indem er unparteiisch handelte 860 . Der Verstorbene bekennt, daß es sein Abscheu gewesen sei, Partei zu ergreifen 861 . Die unparteiische Handlung im Diesseits führt zu dem „schönen Weg des Gottes“ 862 . Durch die ständige Ausübung der Unparteilichkeit wird dann das Jenseits mit Sicherheit 855 Die Vermutung von Seyfried (a.a.O., 130, Anm. 514), daß es sich bei der Angabe der Unparteilichkeit um eine Anspielung auf das „Oppositionspaar Stadt und Tempel“ handeln könnte, ist, wie er selbst zugibt, eine „Überinterpretation“. 856 Vgl. ähnliche Formulierung in Urk. IV, 2155, 16. Wie der Ausdruck qb srf zeigt, handelt es hier nicht um bedingungsloses Schweigen, sondern ums Vermeiden unnötiger Reden. Die Wendung gr m#o bedeutet nicht, daß ein Mann absolut schweigen soll, sondern verlangt, daß man nur dann spricht, wenn es der richtige Moment ist und es wirklich notwendig ist. 857 Das Wort gr heißt im Ägyptischen nicht nur „schweigen“ oder „nicht sprechen“, sondern auch „Ruhe bewahren“ oder „friedlich sein“. In Merikare E 110 wird gesagt, daß der „Friedliche“ ( gr.w ) als Folge der Beschädigung der Altäre zum „Gewalttätigen“ ( sXm-jb ) geworden sei. 858 jnk m#o.tj jb n(n) rdj.t Hr gs , „Ich war ein Rechtschaffener, frei von Parteilichkeit.“ CG 42229, Jansen-Winkeln, Ägyptische Biographien, Text A 18, c, 8-9. 859 a.a.O., 7-8. 860 wr jb=j Hr m#o=j n k#=k jwtj Hr-gs m-b#H nb=j m om(.w) jb Hr=j „Ich bin stolz auf meine Gerechtigkeit vor deinem Ka. Ich war nicht parteiisch vor meinem Herrn. Sei nicht nachlässig mir gegenüber.“ Jansen-Winkeln, a.a.O., Text A 2, d, 8. Die mit jb gebildete Parallelität ist sehr auffallend. Der Verstorbene ist vor dem Gott selbstbewußt ( wr jb ) und der Gott soll ihm Beachtung schenken ( n om-jb ). Die Aufforderung des Verstorbenen zur Gegenleistung von seiten des Gottes beruht einzig darauf, daß er nicht parteiisch war. 861 bwt=j pw rdjt r gs , CG 1212; Jansen-Winkeln, Ägyptische Biographien, Text B 27; vgl. die Ermahnung des Königs an den Wesir in der Amtseinsetzung des Wesirs: bwt nTr rdj.t Hr gs , Urk. IV, 1090, 2. 862 In der griechisch-römischen Zeit wurde mehrfach von den Göttern gesagt, daß es ihr Abscheu war, parteiisch zu sein ( rdj Hr gs ). Vgl. dazu, Otto, Gott und Mensch, 26. <?page no="141"?> 142 Kapitel IV - Die Gerechtigkeit des Richters 142 erreicht 863 . Die Betonung der Verantwortung vor den Göttern bedeutet jedoch nicht, daß die anderen Pole, d.h. der König und die Mitmenschen, völlig aus dem Blickpunkt verdrängt werden 864 . Ganz im Gegenteil, die Lebensführung auf dem Weg des Gottes, das heißt unter anderen Unparteilichkeit in der Rechtsprechung, soll den Verstorbenen vor den Mitmenschen zu einem Ehrwürdigen machen 865 . Der Oberbaumeister der 26. Dynastie PsmTk-s#-N.t richtet die Beteuerung seiner unparteiischen Handlung beim Richten sowohl an die Götter als auch an die Mitmenschen: n wn Dw=j Xnb (für Xr ) =tn „Es gibt kein Vergehen von mir bei euch.“ 866 Nun werden der König, die Götter und die Mitmenschen gleichwohl in die Betrachtung der Beamten 867 einbezogen. Mit dem Suffixpronomen tn bezieht er außerdem die Priester und die Verwalter ein, gegenüber denen er seine tugendhafte richterliche Handlung berichtet: „Ich wies keinen Elenden bei der Gerichtsverhandlung ab, weil es mein Abscheu war, parteiisch zu sein.“ 868 Aus diesem Grund sollen nicht nur die „Priester“ ( Hm.w nTr ) der Göttin Neith, sondern auch die Beamten ( s#b oD-mr ) des Königs seines Namens gedenken und ihm Opfergebete rezitieren und Opfergaben darbringen 869 . Die Mitmenschen werden dem ehrwürdigen Toten „Weihrauch zur Stadt der Ewigkeit und Wasser zur Nekropole im Westen“ darbringen 870 . Wnn-nfr war fest überzeugt, daß die Nachlebenden angesichts derartiger Leistungen des Verstorbenen tun würden, was der Tote als Entgelt verlangte 871 . 863 Vgl. die Aussage des aus der Spätzeit stammenden W#H-jb-Ro : Sm.n(=j) Hr w#.t=k nfr.t n dj{t}(=j) Hr gs n grt jrj{t}(=j) X.t Dw r rmT „Ich war auf deinem schönen Weg. Nicht war ich parteiisch. Nicht habe ich Böses gegen die Menschen getan.“ Statue CG 672, Borchardt, Statuen und Statuetten, III, S.-19. 864 Der Gouverneur Ed-Hr aus Tanis betont seine Unparteilichkeit im Hinblick auf die Armen. Daher bringt er seine unparteiische Handlung mit dem Festsetzen der Gesetze im Zusammenhang: nX n ntj jwtt smn hp.w n<n> rdj{t} Hr gs mr m#o(.t) msd jst(.t) , CG 689, Borchardt, a.a.O., S. 33; vgl. die Aussage des Gm-n=f-Or-b#k : wpj sn.wj r Htp=sn nn rdjt Hr gs rdjt s# r s.t jt=f „(Ich war einer,) der die zwei Parteien zu ihrer Zufriedenheit richtete, der nicht auf die Seite gab, der den Sohn auf den Sitz des Vaters setzte.“ Sarkophage Turin 2201, Sayed, Documents, pl. 18. 865 Vgl. die Beteuerung des Priesters des Neith P#-dj-cbk : wn=j nmHw nn gm wn=f Dd tp jwtj gs#=f „Ich war ein Bürger, dessen Fehler nicht gefunden wurde, der sprach, ohne parteiisch zu sein.“ Kairo JE 44065, Lichtheim, Maat in Egyptian Autobiographies, 193, 13. 866 Ranke, in: MDAIK 12, 113, 6. 867 Nach der obigen Aussage über seine richterlichen Aufgaben erwähnt PsmTk-s#-N.t , daß der König ihn ausgewählt hat, um Bauarbeiten zu leiten. 868 n sf=j tr Xft wDo mdw bw.t=j pw rdj Hr gs , a.a.O. 869 a.a.O., 5-6. 870 Otto, Biogr.Inschr., 194. 871 Dieser Beleg paßt zu der allgemeinen Entwicklung, die man bei der Beziehung zwischen den Verstorbenen und den Göttern ab der Ramessidenzeit beobachten kann. Während in der Ramessidenzeit die direkten Kontakte zwischen den Verstorbenen und den Göttern im Vordergrund stehen, kommen die Mit- und Nachlebenden als der dritte Pol in der Nach-Ramessidenzeit immer deutlicher zur Erscheinung. Viele Jenseitswünsche lassen die Götter nun erst mittels dieses Pols für die Verstorbenen erfüllen. <?page no="142"?> 2. Gerecht richten 143 143 b. Unbestechlichkeit In der Geschichte des Bauern wird nicht direkt gesagt, daß Nmtj-nXt den Oberdomänenvorsteher Rnsj bestochen hat. Aber für den Oasenmann bestehen kaum Zweifel, daß Rnsj aus materiellen Interessen Nmtj-nXt nicht zur Rechenschaft zieht 872 . Rnsj macht sich in dieser Weise zum Komplizen des Räubers, wobei einer von ihnen raubt und der andere, in Gestalt eines Richtenden, den Raub rechtfertigt und dadurch seinen Anteil verdient 873 . Die besondere Gefahr eines korrupten Richters wird in der Geschichte des Bauern auch durch das Bild des Krokodils zum Ausdruck gebracht 874 . Wenn der Richter wie ein Krokodil gierig ist, zerfällt die Schutzwehr, die der Richter für die Schwachen und Armen aufrechterhalten soll. Die offensichtlich aus dem Kontext gerissenen Sätze in der Lehre des Ptahhotep verdeutlichen das Bild, das der Oasenmann über Rnsj gemalt hat. Ptahhotep sagt: „Ein Mann von Charakter ist ein Vermögender. Wenn er (dennoch) raubt, ist er wie ein Krokodil im Gericht.“ 875 Mit anderen Worten, Reichtum verpflichtet zu gutem Charakter. Ein reicher Mann mit schlechtem Charakter stellt deswegen eine noch größere Gefahr dar 876 . Aus dem gleichen Grund macht der Oasenmann einen klaren Unterschied zwischen dem Diebstahl „eines Besitzlosen“ ( jwtj X.wt ) und „eines Besitzenden“ ( jwtj Sw ) 877 . In der Lehre eines Mannes an seinen Sohn finden wir auch eine Stelle, wo der Charakter bei der Bestechlichkeit eines Richters eine entscheidende Rolle spielt. „Ein übler Charakter macht seinen Herrn gefügig. Er läßt ihn sich dem Besitzer von Bestechung nähern“ ( jw qd bjn smDd=f nb=f stkn=f sw r nb Db#.w ) 878 . Der Oasenmann bezweifelt demnach den Charakter des Rnsj . Der Vater von Merikare lehrte seinen Sohn, daß die Beamten nicht der Bezahlung zuneigen würden, wenn sie reich sind, d.h. daß Reichtum eine Voraussetzung für die Gerechtigkeit der Beamten sei 879 . 872 Bauer B1, 130. 873 a.a.O., 223; vgl. a.a.O., 202-203: mk tw m mxn.tj D#j nb hm.t „Siehe, du bist ein Fährmann, der nur den aufnimmt, der Fährlohn bezahlt.“ Der „Fährlohn“ hat hier möglicherweise den übertragenen Sinn von „Bestechungsgeld“. 874 a.a.O., 209-210. 875 jr nb qd m nb X.wt jTt=f m mrH m qnb.t , Pthhotep 167-168. Lichtheim nimmt an, daß nur der Vers 168 außer dem Kontext steht (AEL I, 77, n. 17), während Burkard die Verse 167 und 168 in seiner Übersetzung ausläßt (TUAT II, 202). Vgl. die wenig überzeugende Fassung von Brunner (Altäg. Weisheit, 1988, 115) „ und ein Mann von Charakter, der zugleich reich ist, setzt sich in der Verwaltung durch wie ein Krokodil“ und die neue Übersetzung von Fischer-Elfert (Lehre eines Mannes, 230): „Ein Besitzer von Charakter ist Besitzer von Gütern. Wie ein Krokodil in der Versammlung raubt er.“ 876 Von diesem Punkt wird unten bei der Betrachtung der Beziehung der Gerechtigkeit des Richters mit seinem Reichtum noch die Rede sein. 877 Bauer B1, 153-154. 878 Lehre eines Mannes, IV X+13-14, Fischer-Elfert, in: OA 27, 195 und 203. 879 Merikare E 42-43. Für die Wendung „Herr der Bestechung“ vgl. Kees, in: ZÄS 63, 76f. <?page no="143"?> 144 Kapitel IV - Die Gerechtigkeit des Richters 144 Der Vater in der Lehre des Aamethu sagt zu seinem zum Wesir berufenen Sohn: „Sei nicht milde gegen einen, der Bestechungen gibt.“ 880 Hier wird die Hauptschuld auf den Anbieter und nicht auf den Empfänger der Bestechung gelegt. Es sind die „Unehrlichen“, die mit Bestechungen die Richtenden verlocken. Haremheb erklärt in seinem Dekret, daß er die Bezahlung in Gold, Silber und Bronze untersagt habe, damit die Richtenden keine Bezahlung annehmen können 881 . Das Entgelt für die Richtenden scheint daher eine übliche Praxis gewesen zu sein. Es wird in der Lehre des Ani offen suggeriert, mit Hilfe von Bezahlung im Gericht Vorteile zu erzielen 882 . Dieser Gedanke wird in der Spätzeit immer deutlicher 883 , aber die Praxis könnte in allen Zeiten existiert haben. Die Verlierer dieser Praxis sind ohne Zweifel die Armen, die sich solche Entgelte nicht leisten können. Vielleicht aus diesem Grund wird es als eine Selbstverständlichkeit angenommen, daß die Bestechungsgeld bietende Person ein Reicher ist und er Bestechung anbietet, weil er im Unrecht ist. Wenn der Richtende die Bestechung des Reichen annimmt, muß er zwangsläufig zu dessen Gunsten den Armen, der Recht hat, benachteiligen 884 . Wenn wir den Vorwürfen des Oasenmannes, der Warnung in der Lehre des Ptahhotep und dem Ratschlag für König Merikare Glauben schenken, entsteht die Vermutung, daß das Richten mit materiellen Vorteilen verbunden sein könnte 885 . 880 m sfn(.w) n nb Db#.w , Dziobek, User-Amun, S. 26. 881 Urk. IV, 2156-2157. 882 Xnms n wHm.w n jw.t=k m dj(.w) jrj=f [sX.t]=k jmj n=f Sb jw wn m pr=k m jrj wnjt=f (m) n#j=f dbH.w „Befreunde dich mit dem Büttel deines Stadtviertels, verhindere, daß er Macht über dich ausübt! Gib ihm Speise, wenn Vermögen in deinem Haus ist. Übergehe ihn nicht in seinen Bitten! “ Ani 22, 10-11, Quack, Die Lehren des Ani, Übersetzung auf S. 119, Text auf S. 328-329; X#o=f tw m-s# p#j=k nfr oq=k r dmj (r)-H#.t htht prj=k jw=k wD#.tj m Drt(=f) „Er wird dich infolge deiner Wohltat freilassen. Du wirst vor der Razzia in die Stadt eintreten können, und herausgehen, indem du vor ihm sicher bist.“ Ani 22, 12-13, Quack, a.a.O., Übersetzung, S. 119, Text S. 329-330. 883 Vgl. pInsinger, 10, 8: „Wer Speise gibt, wenn er unter Anklage steht, ist im Recht, ohne daß man ihn verhören wird.“ Lichtheim, Late Egyptian Wisdom Literature, 206. Im TT 32 wird ein Dekret des Osiris aufgeschrieben, wonach die Götter den Toten ohne Prüfung ins Jenseits passieren lassen sollen. S. Kakosy, in: Orientalia Loveniensia Periodica 23, 312ff. Die Grenze der Wirkung des materiellen Reichtums gegenüber einem starken Prozeßgegner wird ebenfalls deutlich gemacht. Vgl. dazu Ani B 18, 15-19, 1. 884 Vgl. Amenemope Kapitel 20: 21, 3-4. Das Verhalten des Richters gegenüber dem Reichen und dem Schwachen ist immer ohne Alternative. Der Richter kann nur einen der beiden berücksichtigen. Daher müssen die vorhergehenden zwei Sätze (a.a.O., 1-2) bedeuten: „Wende dich nicht dem schön Bekleideten zu und weise nicht den zurück, der schäbig gekleidet ist.“ Die Übersetzung von Grumach (Untersuchungen zur Lebenslehre des Amenope, 134) „Wende dich nicht dem leuchtenden Gewande zu und schone nicht den, der schäbig gekleidet ist“ und die von Brunner (Weisheitsbücher, 251) „Begünstige nicht einen Gutgekleideten, bevorzuge aber auch nicht den, der in Lumpen geht“, verundeutlichen die Eindeutigkeit der Handlung des Richtenden. Die Bedeutung „zurückweisen“ hat das Wort bo# auch in Kapitel 14: 16, 19. 885 Ein Arbeiter in der Siedlung hat wahrscheinlich extra verdient, indem er im Dorf als Medizinmann gehandelt hat. Vgl. dazu Janssen, in: Demarée, Janssen (Hgg.) Gleanings, 40f. In pAshmolean Museum 1945.95 handelt es sich um die Zusicherung eines Sohnes an seinen Vater, die Gegenleistung für die gekaufte Schüssel zu erbringen. Interessant ist die Tatsache, daß dieser Sohn seinen zwei Brüdern, die nicht nur als Zeugen bei der Übergabe der Schüssel zugegen, sondern auch für die <?page no="144"?> 2. Gerecht richten 145 145 Nun sehen wir, was die Beamten, die zu Lebzeiten am Richten teilgenommen haben sollen, zu der Sache der Bestechung sagen. Der Gaufürst Jt-jb=j aus Siut in der Ersten Zwischenzeit bringt eine sehr aufschlußreiche Formulierung vor: n sxm=f ( für j) r nDs Hr jwtt Xpr=f r(=j) m spr.tj jnj jnw m ntt nt jb „Ich ging nicht schroff gegen einen Kleinen vor, weil er nicht zu (mir) kam als ein Bittsteller, der aus ganzem Herzen Geschenke brachte.“ 886 Wenn er nur einfach gesagt hätte, daß er nicht schroff gegen einen Geringen vorging, der keine Geschenke brachte, kann man den Satz leicht verstehen. Aber was heißt, daß jemand die Geschenke aus vollem Herzen bringen soll? Wahrscheinlich war es doch üblich, daß ein Bittsteller vor einem Machthaber, der als Richter tätig war, nicht nur mit einem Bittgesuch, sondern auch mit einem entsprechenden Geschenk erscheinen soll. Den Standard der „Entsprechung“ konnte man möglicherweise nur erreichen, indem man sich „aus vollem Herzen“, d.h. freiwillig bemüht. Es gibt Bittsteller, die diese Bedingung nicht erfüllten, aus welchem Grund auch immer. Aber Jt-jb=j habe diese Nichterfüllung nicht ernst genommen, um Siut neu aufzubauen 887 . Der Distriktsbeamte MnTw-Htp aus dem Mittleren Reich sagt auf einer Stele: „Ich nahm keine Sachen eines Sünders an, ich nahm den Bittsteller entgegen, der sich an mich wandte.“ 888 Hier werden die zwei Parteien dadurch charakterisiert, daß eine Partei, die im Unrecht war, Bezahlung anbot, während die andere nur ihr Anliegen vorbrachte. Aus einer Aussage in der Autobiographie des Domänenvorstehers MnTw-wsr ist auch zu vermuten, daß die Person, die Bestechungsgeld anbot, im Unrecht war 889 . Aber MnTw-wsr behauptet, daß er auf die Wahrheit gehört und sich nicht dem Herrn der Bezahlung zugewandt habe, wenn dieser nicht die Wahrheit sagte. Der Wesir RX-mj-Ro aus der 18. Dynastie sagt in seiner Autobiographie: jw wpj.n=j sprw n rdj=j Hr gs n X#o=j m#o.wj=j n Db#.w „Ich richtete den Bittsteller, indem ich nicht parteiisch war und nicht der Bezahlung Aufmerksamkeit schenkte.“ 890 In dieser Aussage wird zwar nicht angedeutet, daß die die Bezahlung aufbringende Person im Unrecht sei. Sie wird einfach mit „Bittsteller“ bezeichnet. Trotzdem ist es verlockend anzunehmen, daß es für den Bittsteller gang und gäbe war, mit „Bezahlung“ zu den Richtenden zu kommen. 891 Vielleicht soll man vor diesem Hintergrund die oben erwähnten Belege aus dem Herstellung der Urkunde zuständig waren, eine Sachleistung zu erbringen hat. 886 Siut III, 11. 887 a.a.O., 12. 888 n Ssp(=j) X.wt nt jwjt Ssp(=j) jr n(=j) spr.t , UC 14430, Stewart, Egyptian Stealae, II, pl. 21, 13-14. 889 jnk sDm r wn-m#o tm nmo n nb Db#w „Ich habe die Angelegenheit wahrheitsgemäß entschieden, ohne für den Herrn der Bezahlung parteiisch zu sein.“ Sethe, Lesestücke, 79, 18-19. 890 Urk. IV, 1082, 12-14; vgl. andere ähnlichen Aussagen von ihm: n gs#...[n=j m#o.t] n Db#w „[Ich habe nicht den Gerechten] wegen der Bezahlung (des Ungerechten) abgewiesen.“ Gardiner, ZÄS 60, 70, l. Für das Wort gs# im Sinne von „abweisen“, vgl. Osing, Das Grab des Nefersecheru, Tf. 35, Z. 14; Xr Hm n Ssp=j Xs#j n wo „Ich haben außerdem von niemandem Bestechungsgeld genommen.“ Gardiner a.a.O. 891 P#-Hrj , ein Fürst aus El-Kab behauptet, daß er die Zahlungen genau gebucht hatte: n sxj=j Hr=j n Db#w n Ssp=j Xs#j m pr.w „Ich war nicht blind gegen die Bezahlung. Ich habe von dem Überschuß kein Bakschisch genommen.“ Urk. IV, 118, 16-17. <?page no="145"?> 146 Kapitel IV - Die Gerechtigkeit des Richters 146 Mittleren Reich interpretieren, in denen die Bezahlung mit der unrechtmäßigen Partei verbunden wird. In der Autobiographie des vwtw , der in der Amarnazeit lebte, wird die bestechende Person mit dem Lügner in Zusammenhang gebracht 892 . Es war der Lügner, der dem Richter Bezahlung versprach und der Richter, der die Belohnung annahm, mußte wegen der Entlohnung zwangsläufig den Gerechten zugunsten des Übeltäters unterdrücken. Wenn es akzeptiert werden muß, daß es üblich gewesen sei, den Richter entsprechend zu entlohnen, dann folgt die Feststellung, daß nicht alle in der gleichen finanziellen Lage waren, um entsprechend zu handeln. Die Armen waren wieder in einer ungünstigen Situation. Der Domänenvorsteher Nfr-sXr.w beteuert daher, daß er nicht den Armen, der nichts hatte, zugunsten eines Reichen zur Seite geschoben habe 893 . Man kann nicht definitiv sagen, ob Nfr-sXr.w die Bezahlung angenommen hätte. Den nachfolgenden Satz drückt er ebenfalls sehr geschickt aus, daß wir wiederum in beiden Richtungen interpretieren können. „Sein Abscheu war es, Belohnung entgegenzunehmen, um [sich] auf eine Seite zu stellen.“ Darf man das so verstehen, daß die Annahme von Geschenken rechtmäßig war, solange der Richter damit nicht parteiisch sein würde? Die gleiche Folgerung möchte man aus einem Satz aus der Autobiographie des %#-rwjw.t ziehen, eines Gouverneurs aus Gebel Barkal in der Spätzeit, der sagt, daß er „keine Bestechung angenommen hat, um Unrecht zu tun“ 894 . c. Gerechtigkeit gegenüber dem Bekannten und dem Unbekannten Einer der Anlässe für die parteiische Handlung des Richters besteht darin, daß eine der Parteien ein Verwandter oder Bekannter des Richters ist. Angesichts des Nichthandelns des Rnsj kommt der Oasenmann sofort zu der Schlußfolgerung, daß der Oberdomänenvorsteher Rücksicht auf Nmtj-nXt nimmt. Dieser ist zwar im Unrecht aber ein Untergebener des Rnsj . Daher sagt der Oasenmann: m nmo(.w) m sDm(.w) n jb m Hbs(.w) Hr=k r rX n=k „Sei nicht parteiisch! Hör nicht auf das Herz! Verhülle nicht dein Gesicht (d.h. sei nicht nachsichtig) gegenüber dem, den du kennst.“ 895 Bei dieser Mahnung wird der innere Konflikt des Rnsj bezüglich Gefühl und Pflicht berührt. Von der persönlichen Beziehung 892 bw Ssp=j fq# n grg r dr m#o.tj n oD# „Ich habe kein Geschenk des Lügners genommen, um unrechtmäßig den Gerechten abzuweisen.“ Sandman, Texts from Akhenaten, 77, 1-2. 893 b(w) gs(#) (=j) m#jr jwtj n=f n wr r=f bwt=j Ssp sHw.w [r] dj(.t) Hr gs „Ich habe den Armen, der nichts hatte, nicht für den abgewiesen, der reicher war als er. Abscheu war es für mich, Bestechungen anzunehmen, um auf die Seite zu geben.“ Osing, Das Grab des Nefersecheru, Tf. 35, Z. 14-15, für sHw vgl. Otto, Gott und Mensch, 25f. 894 n Ssp=j fq#.w Hr jr(.t) jsf(.t) , Reisner, in: ZÄS 70, S. 40, A. 5-6. Bei der Untersuchung der Jurisdiktion in Deir el-Medina, der Arbeitersiedlung, kommt McDowell zu dem Schluß, daß es mindestens in Deir el-Medina ausgeschlossen gewesen sei, daß ein Armer wegen der Korruption der Richter das Gericht vermieden hätte. McDowell, Jurisdicion, 117. 895 Bauer B2, 104-105. <?page no="146"?> 2. Gerecht richten 147 147 her würde sich Rnsj für Nmtj-nXt einsetzen. Aber von dem Sachverhalt her hat der Oasenmann Recht, was der richtende Rnsj auch weiß. In der Amtseinsetzung des Wesirs mahnt der König seinen höchsten Beamten, den Bekannten und den Unbekannten gleich zu behandeln: bwt nTr rdj.t Hr gs jw n# m sb#jj.t k#=k jr=k mjtt m##=k rX n=k mj Xm n=k tkn jm=k mj w#j r=[k] jr sr jrr mjtt n# Xr rwd=f o# m t# s.t Der Abscheu des Gottes ist Parteilichkeit. Dies ist die Lehre. Du sollst entsprechend handeln, indem du den Bekannten wie den Unbekannten, den Nahestehenden wie den Fernstehenden betrachtest. Ein Beamter, der so handelt, wird hier auf diesem Platz dauern 896 . Um die Begriffe von den Bekannten und Unbekannten deutlicher zu machen, fügt der König noch einen erklärenden Satz hinzu: der Richter soll diejenigen, die ihm nahestehen und diejenigen, die ihm fern stehen gleich betrachten. Diese räumliche Nähe bzw. Entfernung kann sowohl auf die verwandtschaftliche als auch berufliche Beziehung des Richters mit anderen hindeuten 897 . Die Ergänzung von Sethe tkn [How=k] w#j [r pr=k] legt mehr Betonung auf die verwandtschaftliche Beziehung 898 . Die Parallele, die einmal durch das Begriffspaar tkn „nahestehen“ und w#j „fern sein“ und das andere Mal durch Ho „Körper“ und pr „Haus“ erzielt wird, macht das Prinzip der Chancengleichheit unter allen Menschen sehr anschaulich. Wenn Mrjj , ein Beamter aus der Zeit des Königs Pepi II. sagt, daß er bei der Angelegenheit der zwei Brüder nicht parteiisch war 899 , hat dies nichts Ungewöhnliches an sich, denn hier wird sein eigenes Interesse nicht direkt betroffen. $tj , ein Gaufürst in Siut aus 896 Urk. IV, 1090, 2-8. 897 Faulkner, in: JEA 41, Fig. 2, 5-6. Kurz vorher mahnt der König seine Beamten jedoch, am Beispiel des Wesirs $tj , dieses Prinzip der Gleichheit nicht einseitig zu übertreiben. Aus der Arbeitersiedlung ist bekannt, daß die Personen, die mit der zu behandelnden Angelegenheit zu tun haben, von der Ausübung der richterlichen Funktion fernbleiben mussten, Allam, Verfahrensrecht, 45-46. Bei der Entscheidung des Atum in der Gerichtsverhandlung über den Konflikt zwischen Horus und Seth, den von ferne kommenden Gott (Banebdjede) heranzuziehen (pChester Beatty I, rt. 2, 2-3, Gardiner, LES, 38, 11-12), kann man auch dadurch erklären, daß Atum die Befangenheit der Götterrichter vermeiden möchte. 898 tkn m [Ho.w=k] mj w#j [r pr=k], Urk. IV, 1090, 6. 899 / / / [nm]o m mdw sn.wj , Urk. I, 267, 1; Petrie, Athribis, pl. VI. <?page no="147"?> 148 Kapitel IV - Die Gerechtigkeit des Richters 148 der Ersten Zwischenzeit, erklärt in seiner Inschrift, daß er sich im Jenseits für diejenigen Machthaber aus dem Gau einsetzen würde, die im Diesseits bei der Rechtsprechung nicht für ihre Verwandten Partei ergreifen: sXm[ m sp#.t tn] [wpj rmT nb r bw m#o] [n] nmo=f jm n jt.w=f n mw.wt=f n Hm.wt=f n xr.w=f n Sms.w=f n[rmT nb] jw.w m-Xt=f jw=f r j#w n njw.t=f [jm#]Xw n sp#.t=f jw=j r sbt Hr=f m [xr.t]-nTr m H#(=f) Wer die Macht ausübt [in diesem Gau], [indem er alle Leute der Gerechtigkeit entsprechend richtet], [ohne daß] er parteiisch ist zugunsten seiner Väter, seiner Mütter, seiner Frauen, seiner Kinder, seiner Gefolgsleute (oder) [irgendwelcher Leute] die in seinem Gefolge sind, der soll für seine Stadt ein Greis, für seinen Gau ein Ehrwürdiger werden, und für den werde ich im Totenreich eintreten als [sein] Beistand 900 . Wir können aus dieser Aufforderung des $tj an seine Nachfolger im Gau möglicherweise die veränderte soziale Lage der Ersten Zwischenzeit erkennen. Erstens, der Machthaber eines Gaues ist automatisch der höchste Richter. 901 Zweitens, als Folge der ungewöhnlichen Machtkonzentration und der fehlenden Kontrolle ist es unvermeidlich, daß die Verwandten oder die Parteigänger der lokalen Machthaber von der Parteilichkeit der Richtenden profitieren könnten 902 . Es scheint berechtigt zu sein, anzunehmen, daß die Anstrengungen des Mittleren Reiches, um die Beamten zur Loyalität zum König und zum Staat zu erziehen, ihren Niederschlag in den autobiographischen Inschriften gefunden haben 903 . Auf der Stele UC 14430 beteuert ein Provinzbeamter namens $tjj aus der frühen 12. Dynastie sein einwandfreies Verhalten gegenüber seinen Mitmenschen, indem er behauptet, daß er „keine verheiratete Frau begehrte und keine Geliebte eines Bürgers liebte“ 904 . Sehr aufschlußreich ist der di- 900 Siut IV 76-77, Griffith, Siut, pl. 14; Edel, Grabfronten, S. 99, Übersetzung auf S. 131. 901 Wir können die Mahnung des Vaters an seinen Sohn (§ 16, 1): „Richte nicht den Mann, der einflußreicher als du! ( m wpj.w s wsr r=k )“ und die Behauptung von Oq#-jb (BM 1671, 5): „Nicht klagte (ich) die Großen an. ( n srX(=j) o#.w )“ als Belege dafür zitieren. 902 Seidlmayer, in: Shaw, (ed.), The Oxford History of Ancient Egypt, 43-46. 903 Onw , ein Domänenvorsteher aus der späten 11. Dynastie liefert uns auf seiner Stele eine hochinteressante Formulierung, indem er sagt, daß er „den Gefangenen gemäß der Richtigkeit (des Tatbestandes) richtete, indem es dabei kein Parteiergreifen gab“ ( wpj Xnr (r) mtr=f nn wnt nmo jm=f , Hammamat, 114, 4). 904 n skn(=j) r Hm.t T#jj n #b(=j) mr.t nDs , Stewart, Egyptian Stelea, II, pl. 21, Z. 12. <?page no="148"?> 2. Gerecht richten 149 149 rekt folgende Satz, der wie eine gesetzliche Bestimmung klingt. $tjj erklärt: „Betreffend einen Sohn, der so etwas tut, soll sein Vater ihn im Gericht im Stich lassen“ ( jr s# s jr s.t jw jt=f bT=f sw m qnb.t ) 905 . Jntf , der schon mehrfach erwähnte Bürgermeister von This und Vorsteher der Wache aus der 18. Dynastie erklärt in seiner Autobiographie, daß er „zufriedenen Herzens (die Parteien) zufriedengestellt und keinen Unterschied zwischen Unbekannten und Bekannten gemacht hat.“ 906 d. Gerechtigkeit gegenüber dem Reichen und dem Armen Es ist ein sehr wichtiger Bestandteil der Gerechtigkeit, den Schwachen in der Rechtsprechung vor dem Starken zu schützen und ihn nicht zugunsten der Reichen zu übergehen. Die Benachteiligung der Armen oder Schwachen ist daher eng mit der Bestechlichkeit des Richters verbunden. In den Admonitions wurde dem Gott vorgeworfen, keinen Unterschied zwischen dem Furchtsamen und dem Gewalttätigen zu machen 907 , denn der Arme ist nicht in der Lage, sich selbst aus der Hand des Reichen zu retten 908 . Aber es muß bei der Betrachtung dieses Vorwurfes unbedingt klargestellt werden, daß keine Abschaffung des Unterschieds gefordert wird. Da die Menschen in der Welt nicht gleich sind und dieser Unterschied nicht endgültig beseitigt werden kann, besteht die Gerechtigkeit darin, diesen Unterschied möglichst zu mildern. In der Wirklichkeit waren sich die Ägypter im klaren, daß die Menschen nicht gleich waren und es war aus ihrer Sicht auch normal, daß sie unterschiedlich waren. Die Armen und die Reichen ergänzen sich und formen eine Einheit wie das Land Ägypten aus Ober- und Unterägypten oder aus Fruchtland und Wüste besteht 909 . Daß genau entsprechend der unterschiedlichen Stellungen auch die Erwartungen und Ansprüche der Armen und der Reichen nicht gleich sein könnten, lesen wir in einem Lobpreis an den König 905 a.a.O., Z. 13. Für die Interpretation vgl. Fischer-Elfert, in: GM 112, 24. Aus pDeM 27 erfahren wir, daß es der Vater war, der seinen Sohn, der eine Frau geschwängert hatte, vor Gericht brachte. 906 Htp jb Hr shrr.t tm Tnj Xm n=f r rX n=f , Urk. IV, 971, 9-10. 907 Admonitions, 11, 12-13, Gardiner, 78; vgl. die Erklärung des Richtergottes Thot im Totenbuch Spruch 183, daß er den Verletzten zum Recht bringt und dem Elenden beisteht. Vgl. Fecht, Vorwurf, 128ff. 908 nn ph.tj n m#jr nHm=f <sw> m-o wsr r=f „Der Schwache hat keine Kraft, <sich> aus der Hand dessen zu retten, der stärker als er war.“ BM 5645, vs. 4. 909 Im Tempel des Seti I. in Abydos wird von Ramses II. gesagt, daß dieser die Großen schafft und die Kleinen formt, die trotz ihrer ungleichen Stellungen an der materiellen Versorgung, wenn auch ungleichermaßen, Anteil haben sollen: jrj wr.w qd nmH.w sXpr.n mdwt=f Df#.w , KRI II, 326, 15. Im Grab des P#-sr wird der Gott Osiris mit folgenden Worten gepriesen: wsjr Hq# D.t nTr o# Xntj [jmn.t] nb nHH jr xrjw Hrjw r D.t , KRI I 317, 16. Die unausweichliche Ungleichheit in der Welt kann man auch in den Sprichworten nachlesen: „Wenn es Arbeit gibt, wird der Esel geholt; aber wenn es Essen gibt, wird der Ochs geholt.“ oDeM 303, 3f.; vgl. aber die völlig anders lautende Meinung in Anchscheschonqi 23, 21: „Die Rinder sind es, die Gerste und Emmer produzieren, die Esel sind es, die es fressen.“ <?page no="149"?> 150 Kapitel IV - Die Gerechtigkeit des Richters 150 Merenptah: „Er hat veranlaßt, daß die Beamten ihren Besitz haben und die Kleinen in ihren Städten bleiben.“ 910 Eine sehr aufschlußreiche Aussage in diesem Zusammenhang befindet sich wieder in den Admonitions: jw-ms wSr n Hr nb n tnj.n.tw s# s r jwtj n=f sw „Ist es nicht so: Das Haar fällt bei jedem aus. Der Sohn eines Mannes (=-aus gutem Hause) wird nicht von dem unterschieden, der nichts hat.“ 911 Wie wir unten sehen werden, ist diese angeblich fehlende Unterscheidung zwischen dem Elenden und dem Edlen, die der Weise Jpw-wr beklagt, gerade dieselbe, die der Richter bei seinen richterlichen Tätigkeiten vermeiden soll. Hier gewinnt man einen Einblick in die Diskrepanz zwischen den sogenannten Klagen und den autobiographischen Beteuerungen. Die Texte der Klagen setzen sich im Dienst des neuen Königshauses für klar definierte soziale Distinktionen ein. Wie könnte die Wirklichkeit aussehen, wenn die etablierte Konstellation der Beziehungen in der Gesellschaft zerstört wird? Die Antwort finden wir wiederum in den Admonitions: der Schwache raubt die Sachen des Starken 912 . Die Bilder der verkehrten Welt werden von den Autoren der Klagen in die Erste Zwischenzeit versetzt. Letztendlich wird für das ideale Bild des Mittleren Reiches auch eine ungleiche Konstellation vorgestellt, in der die Reichen den Armen gegenüber stehen. Diese Ungleichheit wurde in den Autobiographien als eine Voraussetzung betrachtet, die die Richtenden relativieren sollen. Eine absolute Gleichheit ist nirgends zu finden 913 . In einem Hymnus an den Nil wird die Folge einer Naturkatastrophe wie folgt dargestellt: Sw#.w m bw#.w wr.w m nDs.w pH nmH wsr „Arme sind Hochangesehene geworden und Große sind Geringe geworden; der Schwache greift den Mächtigen an.“ 914 Hier ist es wohl möglich, daß mit dem Bild des „Rollenwechsels“ die Macht des Nils und die schlimme Folge der Naturkatastrophe betont wird 915 . Aber die Tatsache bleibt, daß die vorhandene Hierarchie bestehen bleiben muß, sonst wird alles Regelhafte aus den Fugen 910 dj=f X#m sr.w H.wt=w dj=f qrj nmHw n#j=sn njw.wt , KRI IV 16, 14-17, 2. 911 Admonitions 4, 1; Gardiner, Admonitions, 35. Bei der Interpretation des Wortes wSr in der Bedeutung von „Haarausfallen“ folge ich Gardiner (a.a.O.), der überdies vermutete, daß das vorliegende Wort auf die Seitenlocke der Kinder aus reichen Familien anspielen könnte. Eine andere mögliche Interpretation ergibt sich, indem man das Wort mit „fehlen, mangeln“ (Wb I, 374, 14f.) übersetzt. Gemeint wäre dann, daß jeder Mensch leiden müßte, da die Kinder aus der Oberschicht nicht gegenüber denen der Armen bevorzugt würden. 912 Admonitions 7, 7. 913 Der Unterschied zwischen den Armen und Reichen wird erst vor dem Gott beim Totengericht aufgehoben: jmnt.t dmj n jwtj wn=f dw# nTr n s pH sw nn spr s nb r=s wpw jb=f oq# m jr(.t) m#o.t n Tnj Sw#.w r bw#.w „Der Westen ist die Stadt dessen, der ohne Fehler ist. Man lobt Gott für einen Mann, der den Westen erreicht hat. Keiner erreicht ihn, wenn sein Herz nicht rechtschaffen war, durch das Tun der Maat. Es wird dort nicht zwischen dem Geringen und Großen unterschieden.“ Lefebvre, Le Tombeau de Petosiris, II, S. 54. Der gleiche Gedanke wird auch in den sogenannten Harfnerliedern zum Ausdruck gebracht. Vgl. dazu Lichtheim, in: JNES 4, pl. I. 914 Fischer-Elfert, Lierarische Ostraka der Ramessidenzeit in Übersetzung, S. 53; 78-80. 915 Vgl. die Feststellung im Nilhymnus (van der Plas, L’Nilhymnus a la Crue du Nil, 16-119): „Der einen Mann reich und den anderen arm macht, ohne daß man mit ihm rechten könnte, der macht, was er will, ohne gezähmt werden zu können, dem keine Grenze gesetzt werden kann.“ <?page no="150"?> 2. Gerecht richten 151 151 geraten, was am anschaulichsten mit „der Schwache greift den Mächtigen an“ zum Ausdruck kommt 916 . Der Unterschied zwischen dem Armen und dem Reichen war schon vorher vorhanden. Es ist gegen das Prinzip der Gerechtigkeit, daß der Arme von dem Reichen unterdrückt wird. Aber ebenfalls schlimm ist, daß die Stellungen der Armen und Reichen vertauscht würden 917 . Im Sinne der alten Ägypter ist dies ebenfalls gegen die Gerechtigkeit 918 . Die Aufgabe des Richters ist es, die Lage der Armen erträglich zu machen. Der Oasenmann in der Geschichte des Bauern mahnt Rnsj , seine „Wahl“ ( stp.t ), das heißt, die Entscheidung zwischen dem Reichen und dem Armen, unter Kontrolle zu halten 919 . Der Schwache wird immer der Gefahr ausgesetzt sein, bei einem Streit benachteiligt zu werden. In diesem Zusammenhang ist die Stelle in der Lehre des Amenemope zu verstehen, die den Eindruck erweckt, daß der Arme immer Recht hat und trotzdem sehr oft im Gericht benachteiligt wird 920 . Der Unterschied zwischen den Armen und den Reichen ist eine längst vorhandene Tatsache in der Gesellschaft. Aufgrund ihrer niedrigen sozialen Stellung ist der Nachteil der Armen gegenüber den Reichen unvermeidlich 921 . Aber wenigstens vor Gericht sollen die Armen, die schon von den Reichen ungerecht behandelt worden sind, nicht wegen ihrer schäbigen Bekleidung von den Richtenden benachteiligt werden 922 . Die richtenden Beamten, die selbst zu der reichen und mächtigen Schicht der Gesellschaft gehören, sollen nicht diejenigen sein, die die Armen und Schwachen benachteiligen 923 . Der Wesir wird von dem König aufgefordert, die Angelegenheiten dergestalt zu entscheiden, daß er jeden Bittsteller sein Recht erhalten läßt 924 . „Maat oder Gerechtigkeit ist die Ordnung, die gegen die natürlicherweise auf Erden herrschende Unordnung durch- 916 Man denke an die stilisierten Darstellungen verschiedener sozialer Gruppen. Vgl. dazu Assmann (1993b), 35-36. 917 In Neferti 54 wird dieser Umsturz als eine Krankheit bezeichnet, s. Helck, Neferti, S. 46. In Anchscheschonki (5, 9-10) wird der Rollenwechsel als die Strafe des Gottes Re bezeichnet. S. Lichtheim, Late Egyptian Wisdom Literature, 70. 918 In Amenemope Kapitel 27: 25, 17-19 wird es als ein besonders schlimmes Ereignis betrachtet, daß ein Kleiner einen Großen verflucht hat. In einem solchen Fall kann der Große den Kleinen vor dem Sonnengott verklagen. 919 B1, 241. 920 Kapitel 20: 20, 21-21, 3. 921 Die Unmöglichkeit eines Prozessierenden, sich gegenüber einem mächtigen Prozeßgegner ( sr o# ) durchzusetzen, wird in der Lehre des Ani mit aller Deutlichkeit hervorgehoben. Ani B 18, 16-19, 1. 922 Vgl. Amenemope Kapitel 20: 21, 1-2, wo der Schüler ermahnt wird, sich nicht dem Reichen zuzuwenden und nicht den Armen zurückzuweisen. Hierzu vgl. auch „Gott liebt den, der den Geringen achtet, mehr als den, der den Vornehmen achtet“, a.a.O., Kapitel 28: 26, 13. In der griechischrömischen Zeit wird in Tempelinschriften über die Götter gesagt, daß es ihr Abscheu ist, „die Großen von den Kleinen zu unterscheiden“; über den König wird gesagt, daß in seinem Gericht kein Unterschied gemacht wird zwischen den Großen und den Kleinen. Vgl. dazu Otto, Gott und Mensch, 38. 923 [m] wsf sp Xn(w) Hwrw „Vernachlässige [nicht] den Fall der Klage des Armen.“ Helck, Lehre eines Mannes, IX 9; Fischer-Elfert, in: OA 27, 179. 924 jr.tw X.wt nb.t r mtr jrw m [rdj.t s r] wn=f [m#]o „…-daß jede Angelegenheit so behandelt wird, wie es sich gehört, indem [jedem] zu seinem Recht [verholfen wird]“, Urk. IV, 1088, 6-7. <?page no="151"?> 152 Kapitel IV - Die Gerechtigkeit des Richters 152 gesetzt werden muß. Und da diese Unordnung sich als Ungleichheit manifestiert, stellt Maat eine Form von Gleichheit her.“ 925 Das Verhalten des Richters gegenüber den Reichen und Armen stellt eine wichtige Thematik in den autobiographischen Inschriften dar. Die gerechte Handlung des Richters in dieser Situation wird mit der Wendung r bw m#o „wahrheitsgemäß“ zum Ausdruck gebracht 926 . Der Gaufürst Jt-jb=j aus Siut beteuert in seiner Inschrift, daß er beim Richten zwischen dem Armen und dem Reichen „nicht parteiisch war“ ( nn rdj.t Hr gs ) 927 . Die Ausdrücke r bw m#o und nn rdj.t Hr gs bezeichnen jeweils in positiver und negativer Form die Handlung des Richters, beim Richten nicht eine Partei bevorzugt zu haben. Hier wird nicht direkt gesagt, daß der Richtende dem Armen gegenüber Zuneigung gezeigt hätte. Die Betonung wird darauf gelegt, daß der Richter an der Gerechtigkeit festgehalten und die soziale Position und finanzielle Lage der Prozessierenden nicht in Betracht gezogen habe 928 . Die Gerechtigkeit besteht darin, daß eine Prozeßpartei nicht wegen ihrer Armut oder ihrer Schwäche benachteiligt wird. Aber auf der anderen Seite muß der Richtende danach streben, die etablierte Ordnung aufrechtzuerhalten. Diesen Punkt sehen wir am deutlichsten bei einer Erklärung des Gaufürsten Ef#j-Oopj , der in der 12. Dynastie in Siut lebte. Was die verschiedenen Prozessierenden anbelangt sagt er: „Ich habe die zwei Prozeßparteien zufrieden gestellt. Ich habe [/ / / ] beruhigt. [Ich habe] die Dienerin [nicht] gegenüber ihrer Herrin bevorzugt, um die Gerechtigkeit auszuüben ( jw wpj.n=j sn.wj r Htp=sn shr=j ...[n rdj=j] Sps Hm.t r Hnw.t=s n mrw.t jr.t m#o.t ).“ 929 Die Dienerin ihrer 925 Assmann (1994b), 51. 926 [wpj ? ] nXt Xft m#r r bw m#o... mrr.t nTr=f m jr.t m#o.t m wDo-mdw „der zwischen dem Starken und dem Schwachen wahrheitsgemäß richtete-…-sein Gott wünscht, daß (er) beim Richten die Maat tat.“ Hassan, Giza, II, S. 125. 927 [wpj=j] m#jr Hno wsr nn rdj.t jm Hr gs „[Ich richtete] zwischen dem Armen und dem Reichen, ohne dabei parteiisch zu sein.“ Siut III, 41, Griffith, Siut, pl. 12. Die Parallele von nXt und m#jr bzw. wsr und m#jr in oben genannten Belegen ist auffallend. Über seine Wohltätigkeit für die Armen und die Reichen sagt der König Seti I.: rdj.w X.wt n jwtj n=f Xnms oS# X.wt r wsr Hr nb m sXr.w=f , Habachi, in: BIFAO 73, 119. 928 wDo.n=j mdw.w [m#r X]ft nXt r bw m#o „Ich habe die Angelegenheiten [des Armen] gegenüber dem Starken wahrheitsgemäß behandelt.“ Badawi, Iteti, Fig. 19; Edel, Grabfronten, 117. Für das Mittlere Reich vgl. noch die Behauptung des Ehwtj-nXt , „Ich habe niemanden gehaßt und weder den Schwachen noch den Starken schlecht behandelt (? ).“ ( n msD.n=j rmT nb{t} n Thm=j m#(r) wsr ), Hatnub Gr. 11, 10. Für das Neue Reich vgl. den Lobpreis des Jmn-m-H#.t für seinen Vorgesetzten, den Wesir Wsr aus der 18. Dynastie: „Der Vorsteher der Stadt, Wesir Wsr hat getan, was die Menschen liebten, indem er den Schwachen und den Starken schützte und die Witwe, die keine Familie hatte, behütete.“ ( jw jrj.n jmj-r# njw.t T#tj Wsr mrr.t po.t rXjj.t nD m#r Hno wsr nX X#r.t jwtt hnw ), Urk. IV, 1045, 9-11. 929 Urk. VII. 63, 11-14. Über seine Tätigkeiten bei der Versorgung sagt der Gaufürst Jmnjj : rdj.n=j n x#r.t mj nb.t hjj n sTn=j wr r Srj m rd.t.n=j nbt „Bei allen Arten von Versorgung habe ich der Witwe wie der Frau, deren Ehemann noch lebte, gleichermaßen gegeben. Ich habe keinen Unterschied gemacht zwischen dem Großen und dem Niedrigen.“ Urk. VII, 16, 12-13. Aus der Spätzeit sagt Gm.n=f-Or-b#k , daß „er weder den Herrn vor seinem Diener bevorzugt noch die Dienerin vor ihrer Herrin bevorzugt habe ( n{n} tnj.n=f nb r Hm=f b#k.t r Hnw.t=s ).“ Sarkophage Turin 2201, Sayed, Documente, pl. XVIII. <?page no="152"?> 2. Gerecht richten 153 153 Herrin zu bevorzugen ist keine Gerechtigkeit, wie das Beispiel des Wesirs $tj bei seiner Amtseinsetzung belegt, der seine Angehörigen absichtlich benachteiligte. Der Prophetenvorsteher RwD-oH#.w bezeichnet sich als den Gott Thot in Sachen des Richtens, denn er hat „die vornehmen Bürger von den normalen Leuten unterschieden ( sTn po.t r rXjj.t ).“ 930 An dieser Idee der Erhaltung der etablierten gesellschaftlichen Beziehungen wird auch im Neuen Reich nichts geändert. Jmn-Htp Sohn des Opw aus der 18. Dynastie stellt auf seiner Statue fest, daß er nicht den Besitzlosen über den Reichen erhoben hat. Er stellt derartige Handlungen unter die Kategorie von jrj m#o.t „Die Maat tun“, wie es der Gaufürst Ef#j-Oopj aus dem Mittleren Reich tut. Er fügt hinzu, daß er dabei an den Tag der Verantwortung vor dem Gott dachte 931 . Es widerspricht daher anscheinend nicht der Regel der Gerechtigkeit der Götter, daß einer arm und anderer reich ist und daß ein Armer und ein Reicher in einen Streit geraten sind. 932 Was nicht erlaubt werden darf, ist allerdings, erklärt der Wesir RX-mj-Ro , daß der Reiche mittels seines Reichtums den Armen in eine ungünstige Lage versetzt 933 . Daher sagt er, daß er den Armen und den Reichen gerichtet hat, indem keiner der Bittsteller weinte 934 . Nfr-sXr.w , ein Oberdomänenvorsteher am Ende der 18. und zu Anfang der 19. Dynastie bezeichnet seine Gerechtigkeit beim Richten mit folgenden Worten: „Ich überging nicht einen, der Recht hatte, weil er arm war; ich schob nicht einen Mann niederen Standes zur Seite.“ 935 Nfr-sXr.w bringt deutlich zum Ausdruck, daß der Arme die gleiche Chance wie der Reiche haben sollte, solange er bei einem Streit im Recht war. 930 BM 159, Faulkner, in: JEA 37, 47-52, pl. VII; vgl. die oben zitierte Stelle aus der Autobiographie des Gaufürsten Jmnjj , der sagt, daß er bei der Versorgung seines Gaues sowohl der Witwe als auch der verheirateten Frau Sachen gab und zwischen dem Großen und dem Niedrigen keinen Unterschied machte, Urk. VII, 16, 12-13. Vgl. die noch eindeutigere Aussage in BM 1372, 1; HT I, pl. 54: n jrj(=j) X.t n Srr nb jrj.n(=j) Xt n H#tj-o „Ich habe keine Dinge für den Niedrigen getan. Ich habe für den Fürsten den Auftrag ausgeführt.“ 931 Urk. IV, 1826, 1-3. 932 In CT Spruch 397 (CT V, S. 103-104) lesen wir, daß der Unterschied zwischen Arm und Reich auch im Jenseits nicht aufgehoben wird. Als der Tote gefragt wird, was er nach der Landung im Himmel tun würde, sagt er, daß er den „Reichen“ ( ntj n=f ) kennenlernen und dem „Armen“ ( jwtj n=f ) Sachen geben wolle; vgl. hierzu Totenbuch Spruch 126, Hornung, Das Totenbuch der Ägypter, 245. 933 jw wp.n=j m#[jr H]no wsr [jw] nHm.n=j s#-o [m]-o nXt-o „Ich habe zwischen dem Armen und dem Reichen gerichtet. Ich habe den Schwachen [aus] der Hand des Starken gerettet.“ Urk. IV, 1077, 17-1078, 1. B#k-n-%nsw , der zeitlich etwas später lebte, sagt im ähnlichen Wortlaut: wDo.n=j m#r Hno wsr qn mj s#-o „Ich habe zwischen dem Armen und dem Reichen und zwischen dem Schwachen und dem Starken gerichtet.“ Kairo CG 42155 c, 4. 934 wpj m#jr Hno wsr nn Hr rmj n spr n=f „der zwischen dem Armen und dem Reichen richtete, indem es keinen Weinenden gab, der sich an ihn wendete“ Urk. IV, 1118, 8-9; wpj m#r Hno wsr pr m Htp „der zwischen dem Armen und dem Reichen richtete, so daß (sie) in Zufriedenheit hinausgingen“, Urk. IV, 1161, 12. Bei der Beschreibung des Empfangens der Bittsteller wird gesagt, daß RX-mj-Ro allen Bittstellern aus Ober- und Unterägypten ein geduldiges Gehör geschenkt hat, indem er weder den Kleinen noch den Großen abwies und den Elenden erleichterte (Urk. 1139, 15-17). 935 n mkH#=j m#o Hr Sw#=f bw gs#=j nmH , Osing, Das Grab des Nefersecheru, Tf. 43; vgl. dazu eine andere Aussage von ihm: b(w) gs(#)(=j) m#jr jwtj n=f n wr r=f „Ich schob nicht den Armen, der nichts hatte, für den zur Seite, der reicher war als er.“ Osing, a.a.O., Tf. 35, Z. 14-15. <?page no="153"?> 154 Kapitel IV - Die Gerechtigkeit des Richters 154 Die Idee, daß alle Menschen, so unterschiedlich ihre materielle Positionen auch sein mögen, vor der Gerechtigkeit gleich sein sollen, wird weiterhin in den Inschriften der 3. Zwischenzeit behauptet. Der Amunprophet Orw-#Xbj.t schreibt auf seinem Würfelhocker: „Ich liebte jeden Gerechten, der sich davon abhält, vom (rechten) Wege abzuweichen. Ich war ein Vater für den Schwachen, einer, der keinen Elenden überging, wenn er Recht hatte. Ich tat alles, was der Gott liebte, ohne gegenüber den Leuten zwei Gesichter zu zeigen.“ 936 Wer Recht hat, soll auch seinen Anspruch in einer Sache durchsetzen können 937 . Orw-#Xbj.t hat die Angelegenheiten nämlich einzig gemäß dem Prinzip entschieden, wer im Recht war. Daher hatte er es nicht nötig gehabt, gegenüber verschiedenen Personen unterschiedliche Gesichtszüge zu zeigen. Jbj , ein Oberdomänenvorsteher der Gottesgemahlin in der Zeit der 26. Dynastie, stellt seine Unparteilichkeit zwischen dem Reichen und dem Armen mit einer anderen Formulierung, aber in gleicher Bedeutung dar: jw wDo.n(=j) mdw m#r Xft nXt n bw-m#o n{n} rdj.n(=j) jTj n=f Spss X.t nt Sw# r=f „Ich entschied die Angelegenheit des Armen gegenüber dem Reichen gerecht. Ich ließ nicht zu, daß sich ein Vornehmer den Besitz dessen nahm, der ärmer war als er.“ 938 Die Angelegenheit eines Armen gegenüber einem Reichen gerecht zu entscheiden heißt, daß der Richtende den Starken und Reichen verbietet, mittels ihrer Macht ungerechtfertigt den Besitz des Armen wegzunehmen 939 . Daher konnte er sowohl vor seinen Mitmenschen als auch vor seinem Gott behaupten, daß er keinen Fehler begangen habe 940 . Dabei hebt er besonders hervor, daß er den Armen nicht „zu Grunde gerichtet habe“( skj ) 941 . 936 mr.n=j m m#otj nb rdj s# r th w#.t jnk jt n ntj m g#H tm wnj r m#r Hr m#o.t=f jw jr.n=j mrr nb nTr jwtj Hr.wj m rmT , Kairo CG 42231, Jansen-Winkeln, Ägyptische Biographien, Text A 17, Bd. I, 193ff. und Bd. II, 545, 7-9. Bemerkenswerterweise kommt diese Aussage neben der Erklärung, daß der Inschrifteninhaber die Feste nicht versäumt und die Muße nicht verkürzt hatte. Soll man annehmen, daß der richtige richterliche Umgang mit anderen Menschen schon zu dem allgemeinen Menschenbild gehörte wie die vernünftige Beschäftigung der Freizeit? 937 Wie Lichtheim in ihrem Buch, Maat in Egyptian Autobiographies, S. 86 überzeugend feststellte, ist die Übersetzung von Jansen-Winkeln „einer, der nicht wegen seiner (eigenen) Gerechtigkeit an einem Elenden vorüberging“ (Bd. I, S. 196) nicht vertretbar. Vgl. die Aussage des Ed-EHwtj-jw=fonX auf der Stele Berlin 22461: n mdw.n=j m stwt Hr jw mr.tj m jb(=j) „Ich redete nicht mit einem affektierten Gesicht, indem zwei Lieben in (meinem) Herzen waren.“ Jansen-Winkeln, in: SAK 22, 180, Abb. 6, 13; vgl. hierzu auch die Mahnung in der Lehre des Anchscheschonqi (13, 14-15) „nicht zwei Stimmen zu haben“; Lichtheim, Late Egyptian Wisdom Literature, 78. 938 Kuhlmann-Schenkel, Das Grab des Ibi, Tf. 24, Z. 3-4; vgl. eine ähnliche Stelle, an der Jbj sagt: jnk sbtj Hr Hno bw nb Sw m ksms „Ich war einer mit lächelndem Gesicht gegenüber allen Menschen, frei von Undank (? ).“ a.a.O., Tf. 24, Z. 8. 939 Wie im Kapitel VII behandelt wird, setzt die Rettungsaktion des Richtenden voraus, daß der Reiche in ungerechter Weise die erbärmliche Habe des Armen geraubt hatte. Die schützende Funktion des Richters besteht dagegen darin, die Raubgier des Starken schon im Vorfeld zu unterbinden. 940 n sDm sp=j n Xpr skj(=j) nb n srX=j n gm.tw wn=j „Nicht wurde ein Unrecht von mir gehört. Nicht gab es ein Vergehen von mir. Ich wurde nicht beschuldigt. Nicht wurde ein Fehler von mir gefunden.“ Kuhlmann-Schenkel, Das Grab des Ibi, Tf. 24, Z. 7-8. 941 Vgl. Wb IV, 313, 2. <?page no="154"?> 3. Der Reichtum des Richters und seine Gerechtigkeit 155 155 Aus einer Aussage des Or-jr-o# , des Erziehers des Psammetik II., können wir ein Bild rekonstruieren, das uns die Wechselbeziehungen im Gericht zeigt. Der Reiche und der Arme versuchen beide, die Zuneigung des Richters zu gewinnen. Der Arme hat dem Richter jedoch nichts bieten, während der Reiche mit einer Gegenleistung den Richter in Versuchung bringen kann. Entweder er hört auf die Bitte des Armen oder er beugt sich seiner eigenen Gier 942 . Die Antwort des Or-jr-o# lautet: tm sx Hr r jwtj n=f n jb n Xwd , „(Ich war einer,) der sich gegenüber dem Nichtshabenden nicht taub stellte zugunsten des Reichen“ 943 . 3. Der Reichtum des Richters und seine Gerechtigkeit Daß die gerechte Handlung des Richters von seiner materiellen Versorgung abhängig sein könnte, sieht man in der Lehre für Merikare: so# wr.w=k jrj=sn hp.w=k n nmo.n Xwd m pr=f nb X.wt pw tm g#.w n Dd.n Sw#.w m m#o.t=f n oq#.n Dd H# n=j nmo=f n nb Db#.w=f Mache deine Großen reich, damit sie deine Gesetze ausführen. Wer reich in seinem Haushalt ist, ist nicht parteiisch. Ein Besitzender ist es, der keine Not leidet. Ein Armer spricht nicht gemäß seiner Maat. Wer „hätte ich“ sagt, ist nicht rechtschaffen. Er greift Partei für den, der ihm Bestechung gibt 944 . Ein Richter, der materiell Not leidet, wird leicht durch eigenes Interesse in die Irre geführt 945 . In einem Nilhymnus wird die Zauberkraft des Gottes Hapi beschrieben, die Na- 942 Jin, „Der Furchtsame und der Unschuldige: Über zwei sozio-juristische Begriffe aus dem alten Ägypten“, in: JNES 62, 267-273. 943 Kairo CG 38236, Jansen-Winkeln, in: MDAIK 52, 194, b 6-7. 944 E 42-44, Quack, Studien zur Lehre für Merikare, S. 31 und 171. Assmann merkt an, daß das Wort Hw die Doppel-Bedeutung von „Befehlswort und Nahrung“ hat, vgl. Liturgische Lieder, 146, Fußnote Nr. 31. 945 In dem Nilhymnus wird gesagt, daß eine hohe Nilüberschwemmung bewirkt, daß sich die Richter anständig verhalten: jr.t nb sDm.w Hr gmH , Fischer-Elfert, Literarische Ostraka, S. 42, 46-48. Hier wird <?page no="155"?> 156 Kapitel IV - Die Gerechtigkeit des Richters 156 tur wieder zu beleben und die Menschen mit Dingen auszustatten. Die durch Reichtum bewirkte Ordnung wird dadurch charakterisiert, daß „das Auge des Hörenden sieht ( jr.t nb sDm.w Hr gmH )“ 946 . Gemeint sein könnte mit diesem Satz, daß der Richtende ohne ausreichende materiellen Versorgung blind gegen die Wahrheit ist und nur nach persönlichen Vorteilen strebt. Auf der anderen Seite hat ein Richter keine Chance, denjenigen zur Rechenschaft zu ziehen, der reicher und mächtiger als er ist. Reichtum ist nämlich eng mit Macht verbunden. Daher warnt der Vater in der Lehre eines Mannes an seinen Sohn: „Richte keinen [Mann], der reicher ist als du.“ 947 Diese negative Formulierung wird in der Lehre im pChester Beatty IV im genau umgekehrten Aspekt posiv aufgefaßt: jr wsr=k Xpr n=k pH.tj jw qd tw nTr=k m jr Xm Hr rmT rX=k Sdj ntj nb wHo kjj jw gm=k sw snH.w jr nXw n j#d Wenn du reich bist und dir (dadurch) Macht entsteht, da dein Gott dich aufgebaut hat, dann spiele nicht den Unbekannten gegenüber Menschen, die du kennst. Rette jedermann, und befreie einen, wenn du ihn gefesselt siehst. Sei ein Beschützer für den Elenden 948 . Hier wird eindeutig festgestellt, daß Macht und Reichtum voneinander abhängig sind. Ein Richter, der einen wohlhabenden Haushalt führt, achtet nicht auf die materiellen Vorteile. Er ist außerdem dadurch imstande, seine Entscheidung gegen einen Reichen durchzusetzen. Darüber hinaus entsteht der Eindruck, daß die Ursache der oben genannten Verelendung in der Armut liegt, unter der die betroffenen Personen leiden. Dann ist sehr wahrscheinlich angedeutet, daß die Richtenden in einer umgekehrten Situation, d.h. nach der Verschlechterung der Versorgung, nach persönlichem Gewinn handeln würden; vgl. Dd=sn grg.w r-s# Sw#=sn ; van der Plas, L’Hymne à la crue du Nil, I, 45; II, 97. 946 Fischer-Elfert, Literarische Ostraka, 42; 46-48. Fischer-Elfert übersetzt diesen Satz mit „Jedes Auge der Verhörenden sieht.“ 947 Lehre eines Mannes, IX xy+35, Fischer-Elfert, in: OA 27, 208. Es ist leicht verständlich, daß es im alten Ägypten die Verwaltungsbeamten waren, die auch die richterlichen Aufgaben übernahmen. Sie waren politisch mächtig und materiell gut versorgt. Der Oberdomänenvorsteher ist z. B. mächtig und reich nXt wsr (B1, 147). In der späteren demotischen Lehre (pLouvre 2414) wird sogar gesagt, daß ein Vermögender der Herr einer Stadt sein soll. S. Lichtheim, Late Egyptian Wisdom Literature, S. 94; vgl. außerdem Anchscheschonqi 8, 11: Führe keinen Prozeß mit einem, der größer ist als du, wenn du keine Protektion hast. Thissen, Die Lehre des Anchscheschonqi, 22. 948 Gardiner, Hieratic Papyri in the British Museum, pl. 18, vs. 1, 13-2, 2. <?page no="156"?> 3. Der Reichtum des Richters und seine Gerechtigkeit 157 157 es noch leichter verständlich, daß der Richter eine vermögende Person sein muß. Die enge Beziehung zwischen richterlichen Handlungen und dem Reichtum dessen, der als Richter fungiert, sieht man auch in der Jenseitsvorstellung der Ägypter. „Gericht halten ( wDo mdw ) bedeutet in Jenseitsführern und Hymnen immer einen Akt herrscherlicher Fürsorge, ein ordnendes, Gestalt und Sinn gebendes ( jr.t sXr.w ) Eingreifen durch das autoritäre (d.h. sich auf Grund herrscherlicher Macht, nicht ‚bloßer Wortmagie‘ verwirklichende) Befehlswort, dem nicht nur die Jenseitsbücher belebende (lebensspendende und -erhaltende) Kraft zuschreiben. Richtspruch und fürsorgende Planung - ein Begriffspaar, hinter dem man unschwer die beiden Kräfte des Königs und des Schöpfergottes, Sia (Erkenntnis) und Hu (schöpferisches Befehlswort) erkennt - ermöglichen erst Leben: wo sie nicht hingelangen, ist Zerfall und Vernichtung, wo sie nur teilweise wirksam werden eine Art reduziertes, geschwächtes Sein.“ 949 Der ägyptische Beamte, der materiell gut versorgt ist und gleichzeitig als Richter fungiert, soll daher die Angelegenheiten der Wahrheit gemäß entscheiden, indem er das eigene Interesse außer Acht läßt. Der Oasenmann in der Geschichte des Bauern stellt fest, daß ein Herr des Reichtums nicht nach der armseligen Habe des Armen gierig, sondern gegenüber dem Armen milde sein soll 950 : sfn nb jt nXt n Xnr twt T#j.t n jwtj X.wt=f Xnp X.wt jn Xnr sp bjn jwtj Sw nn rf Ts=tw jm=f HHj n=f pw Ein Herr von Besitz (Brot) soll milde sein, während Gewalttat dem Räuber gehört. Der Nichtshabende stiehlt und der Räuber reißt die Sachen (von anderen) weg. Dies ist (schon) ein schlimmer Fall. Aber ein Mann, der an keinem Mangel leidet, (und trotzdem stiehlt und raubt), Ist es nicht etwas, das man tadeln soll? Er hat dies gewollt 951 . 949 Assmann, Liturgische Lieder, 145. 950 Es ist dabei möglicherweise gemeint, daß ein Besitzloser aufgrund seiner Armut Verbrechen verüben könnte. 951 B1, 152-153. Ich bin bei der Übersetzung nicht ganz sicher. Aber die früheren Übersetzungen sind auch nicht befriedigend. Ich zitiere hier zwei davon. Lichtheim, AEL I, 174: „The wealthy should be merciful; violence is for the criminal; robbing suits him who has nothing. The stealing done by the robber is the misdeed of one who is poor. One can’t reproach him; he merely seeks for <?page no="157"?> 158 Kapitel IV - Die Gerechtigkeit des Richters 158 Der Oasenmann erinnert Rnsj noch an einigen anderen Stellen daran, daß dieser Besitz im Überfluß habe 952 . Sein Bauch ist voll, sein Haus wird überfüllt 953 . Ein Beamter, der reichlich versorgt und trotzdem gierig nach Dingen strebt, verdient nur Strafe 954 . Diese Idee, daß den Richtenden kein Anlaß zur Bestechung gegeben werden soll, zieht sich auch durch das Haremhebdekret. Während denjenigen, die seine Anweisungen nicht befolgen, mit Todesstrafe gedroht wird 955 , schildert Haremheb die reichliche Versorgung der Soldaten und der Beamten 956 . Die Soldaten sind diejenigen, gegen die Vorschriften in der ersten Hälfte des Dekrets erlassen werden. Die Beamten sind diejenigen, die in jeder Stadt als Richter fungieren. Mit gesicherter Versorgung vom Staat sollen die Soldaten sich nicht durch Raub bereichern. Die Beamten sollen keinen Grund haben, habgierig zu sein oder im Gericht unrechtmäßig zu handeln. Sie haben keinen Anlaß, „Hätte ich doch! “ 957 zu sagen, denn sie sind (wohlversorgte) Beamte 958 . Es wird in den Lehren eindeutig erkannt, daß die gerechte richterliche Handlung wesentlich von der finanziellen Lage der diese Funktion ausübenden Beamten abhängig ist. In den autobiographischen Inschriften finden wir logischerweise die Aussagen der Beamten, daß sie aufgrund ihres Wohlstandes gemäß der Wahrheit gehandelt haben und nicht von materiellen Interessen beeinflußt wurden. Jt-jb=j , ein Gaufürst aus Siut vor der Gründung des Mittleren Reiches, bezeichnet sich als den Nil und sagt stolz, daß er deswegen dem Gierigen Einhalt bieten und jeden mit einem freundlichen Gesicht behandeln konnte 959 . himself.“; Parkinson, The Tale of Sinuhe, 34: „A lord of bread should be merciful, whereas might belongs to the deprived; theft suits one without belongings, when the belongings are snatched by the deprived; but the bad act without want - should it not be blamed? It is self-seeking.“ 952 B1, 124. 953 a.a.O., 325-326 und 331-332. 954 a.a.O., 154-155; vgl. Ptahhotep 167-168: jr nb qd m nb X.wt jTj=f mj mrH m qnb.t „Ein Mann von Charakter ist ein Vermögender. Wenn er (dennoch) raubt, ist er wie ein Krokodil im Gericht.“ In der Geschichte des Schiffbrüchigen wird in einer literarischen Form beschrieben, wie belanglos ein Zahlungsangebot für einen Wohlhabenden klingen kann. Als der gerettete Schiffbrüchige dem Schlangengott versprach, nach der Heimkehr Opfer zu bringen, lachte der Gott nur, denn er war der Herr des Landes der Schätze. Was der Gott von dem Schiffbrüchigen verlangt, ist „ein guter Name in deiner Stadt“. 955 Urk. IV, 2156-2157. 956 Urk. IV, 2158. 957 Urk. IV, 2159, 17. 958 [Dd=sn] jnk p# sr „[Sie sagen]: ‚Ich bin der Beamte‘“. Urk. IV, 2159, 19-20. Diese gute Versorgtheit des Beamten kann man auch in den literarischen Texten nachlesen, wenn dort auch etwas übertrieben wird, vgl. Lehre des Ani 15, 5-6: tm Xpr nmH m j#w.t bw wsr „Es entsteht keine Armut in einem Amt, dem Ort des Reichtums“ und pAnastasi V 9, 2-10, 2. In der Arbeitersiedlung von Deir el-Medina erschienen die Vorarbeiter ganz selten als Angeklagte, da sie besser als die anderen versorgt waren und keine überfälligen Schulden haben (McDowell, Jurisdiction, 152). Dies ist auf der anderen Seite eine gute Voraussetzung dafür, daß sie das lokale Gericht mit gewisser Überzeugung leiten konnten. Zu dieser Frage s. auch Assmann (1990a), 102; 214-215. 959 Siut III, 5, Griffith, Siut, pl. 11; Brunner, Siut, 17. Diese Behauptung stimmt zeitlich gut mit der Lehre für Merikare überein, wenn wir die Lehre, wie es scheint, in die Herakleopotanische Dynastie <?page no="158"?> 3. Der Reichtum des Richters und seine Gerechtigkeit 159 159 Während Jt-jb=j wegen seines Reichtums den Ungerechten abzuweisen wagt, kann der Distriktsvorsteher Jntf sagen, daß er „aufgrund seines Wohlstandes großzügig“ war 960 und es nicht nötig hatte, sein Gesicht zu verhüllen 961 . Die Wendung „das Gesicht verhüllen“ bezeichnet die Verweigerung der Hilfe für einen Menschen, der in Not geraten war. Da die Hilfesuchenden im Kontext der Autobiographien ausschließlich diejenigen waren, die arm und schwach waren, kann man die Beteuerung des Jntf als eine Erklärung von Unparteilichkeit verstehen. Als ein begüterter Mann konnte Jntf sich mit der Realität konfrontieren, indem er sich dem Recht habenden Armen zuneigt und den Unrechten, auch wenn er reich und stark sei, abweisen kann. Der Gaufürst Ef#j-Oopj aus Siut in der Regierungszeit des Sesostris I. beschreibt seine richterliche Tätigkeit im Rat der Beamten. Er war aufgrund seiner Redegewandtheit imstande, den treffenden Spruch zu finden, wenn dieser fehlte. Er konnte schwierige Rechtsfälle lösen, sobald sie vorkamen. Für unsere Betrachtung hier viel wichtiger ist jedoch der nachfolgende Satz: Er behauptet, daß er spitzer als die Granne gewesen sein und die zwei Prozeßparteien gerichtet habe, ohne dabei parteiisch zu sein 962 . Der Satz bringt bildlich die Geradheit und Effizienz des Richters zum Ausdruck, der wie ein spitzes Messer die Wahrheit von der Lüge trennt, indem der Schnitt nicht zu einer Seite hin abweicht. Auf den ersten Blick scheint die Betonung ausschließlich auf die Fähigkeit des Ef#j-Oopj gelegt zu sein, einen Rechtsfall richtig einzuschätzen und entsprechend entscheiden zu können. Der nun von Edel vorgebrachte Ergänzungsvorschlag für die erste Hälfte der Zeile 15, die Sethe mit wpj sn.wj ergänzt hatte, scheint vom Sinn her besser zu passen. Aus Raumgründen ergänzte Edel diese Lücke mit wpj rmT nb r bw m#o „alle Menschen gerecht richten“ 963 . Ef#j-Oopj legte demnach die Betonung auf die verschiedenen Personen, die er zu richten hatte. Darunter waren reiche und arme Leute und auch Leute, die mit ihm besondere Beziehungen gepflegt haben mögen. Die folgenden Sätze geben den Grund an, wie er beim Richten eine gerade Linie ziehen konnte. Er war nämlich reich. Daher war er imstande, Gerechtigkeit auszuüben und hatte es deshalb nicht nötig, um Gunst zu werben und dadurch materiellen Gewinn zu erzielen 964 . Eine Partei konnte aufgrund ihres Reichtums dafür bezahlen, dass der Richter ihre Belange berücksichtigen würde. Es wird deutlich, daß richterliche Kenntnisse allein nicht reichten, um eine Angelegenheit richtig datieren. Für eine neueste Datierung in die 12. Dynastie vgl. Quack, Studien zur Lehre für Merikare, S.114ff. 960 wsX-jb Sw m Hns-jb , Leiden V 6, 14-15; Boeser, Beschreibung, Tf. III. 961 nb Df#w Sw m Hbs Hr , „Herr der Nahrung, frei von Gesichtsverhüllen“, a.a.O., 15. 962 Urk. VII, 59, 11-15. 963 Edel, Grabfronten, 117. 964 jnk Xwd bwt=j grg oq# jb jwtj gs#=f „Ich war reich. Mein Abscheu war die Lüge. (Ich war) rechtschaffen und ohne seinen Günstling.“ Urk. VII, 59, 15-17. Es soll besonders beachtet werden, daß Ef#j-Oopj das Wohlergehen seiner Stadt als die Veranlassung für seine unparteiischen richterlichen Handlungen betrachtet. Vgl. Urk. VII, 59, 19. <?page no="159"?> 160 Kapitel IV - Die Gerechtigkeit des Richters 160 zu entscheiden. Der Richtende mußte sich noch zusätzlich der Verlockung der Bestechung erwehren 965 . Der Wesir RX-mj-Ro aus der 18. Dynastie drückt denselben Gedanken in einer sehr eigentümlichen Form aus. Er stellt seine Tätigkeiten auf dem Gebiet der Wirtschaft und seine richterlichen Handlungen nebeneinander 966 . Hier können wir zwei Dimensionen der Beziehung zwischen dem materiellen Reichtum und der Gerechtigkeit erkennen. Einerseits, wie oben gesagt, kann der Richtende wegen seines Reichtums potentielle materielle Zuwendungen, die eine der Parteien in Aussicht stellt, außer Betracht lassen. Auf der anderen Seite kann er aufgrund seiner Zuständigkeit für die Administration Rücksicht auf die Armen nehmen, damit es unter den Bittstellern keine Weinenden gibt 967 . Diese Folgerung scheint überzogen. Aber man kann sonst nicht richtig verstehen, wie der Richter sowohl den Armen als auch den Reichen dazu veranlassen konnte, in Zufriedenheit herauszugehen. Der aus der 19. Dynastie stammende hohe Beamte bezeichnet sich als den Vater seiner Untergebenen und betont gleichzeigig die Tatsache, daß er sowohl reich als auch freizügig gewesen sei. Deswegen kommen die Bittsteller zu ihm und er konnte jedem je nach dem Umstand helfen 968 . 965 Der Domänenvorsteher MnTw-wsr macht klar, daß er materiellen Überschuß hatte und daher in gerechter Weise richtete und nicht für den Herrn der Bezahlung Partei ergriff: jnk sDm.w r wnm#o tm onmo ( für nmo) n nb Db#.w jnk XwD „Ich war einer, der wahrheitsgemäß richtete, ohne für den Herrn der Bezahlung Partei zu ergreifen, denn ich war reich.“ Metropolitan Museum 12.184, Sethe, Lesestücke, 79, 18-20. 966 Urk. IV, 1161, 9-12. 967 In diesem Sinne hat der ägyptische Beamte die Doppelfunktionen von Richter und Versorger. Diesen Punkt werden wir noch gesondert behandeln. 968 Vgl. dafür Frood, Biographical Texts from Ramessid Egypt, 45. <?page no="160"?> 161 Kapitel V Der Richter als Hörer 1. Das Hören als Aufgabe des Richters Das Zuhören ist im alten Ägypten vor allem eine Voraussetzung dafür, daß ein Mensch in der Gesellschaft Erfolg haben und sich gleichzeitig zugunsten der anderen Menschen in der Gesellschaft entwickeln kann 969 . Schon in der Lehre des Kagmeni (pPrisse 2,5) wird klargestellt, daß der Erfolg des Sohnes davon abhängig ist, auf die Worte des Vaters zu hören: sDm s.t mj Dd=j s.t „Höre es an, wie ich es sage! “ Dabei ist zuerst die Erziehung ausschlaggebend 970 . Das Verstehen der Natur und der Gesellschaft basiert überwiegend auf dem Hören auf die „Weisen“. Der Nicht-Hörende bleibt ein „Tor“, denn „er sieht Bildung als Unbildung und Nutzen als Schaden an“ 971 . „Der Nicht-Hörende gehört in die Kategorie der nicht erziehbaren Tiere wie Gazelle und Nilgans: Sie sind so verachtet, daß man ihr Fleisch nicht einmal als Opferspeise gebraucht.“ 972 Der Schüler, der im Leben überhaupt Erfolg haben will, wird vom Lehrer mit den folgenden Worten zum Hören aufgefordert: „Du bist ein Mann, der jetzt Worte hören soll, um zwischen dem Guten und dem Bösen unterscheiden zu können. Sei aufmerksam und höre auf meine Worte, nimm nicht gleichgültig hin, was ich dir sagen werde.“ 973 In der Lehre des Ptahhotep wird der Wille, auf andere Leute zu hören, mit der Gunst des Gottes in Zusammenhang gebracht 974 . Außerdem wird das Herz eines Menschen dafür verantwortlich gemacht, ob ein Mensch hören kann oder nicht 975 . Der Nicht-Hörende, den sein Vater oder die Gesellschaft insgesamt nicht zu einem nützlichen Menschen erziehen kann, wird mit religiösen und biologischen Begründungen als unheilbar erklärt. Er ist nicht von seinen Mitmenschen geliebt und wird daher auch nicht in die Gesellschaft aufgenommen, zu der er gehören möchte. Nur diejenigen, die bescheiden sind und auf andere Leute, vor allem auf die älteren Menschen hören, können im Leben Erfolg haben 976 . Das Hören ist demnach für die einzelnen Ägypter und die Gesellschaft insgesamt 969 pChester Beatty V, rt. 5, 10, 1; Gardiner, Hieratic Papyrus in the British Museum, 3. Series, vol. 2, pl. 24. 970 In pLansing 3, 4 sagt der Lehrer: „Du bist zu mir geschleppt um zu hören.“ ( jdH=k m-dj=j r sDm ), Gardiner, LEM, 102, 4-5. 971 Ptahhotep 577-578, andere Übersetzung bei Burkard, in: Kaiser (Hg.), TUAT Bd. III, 219. 972 Brunner, Erziehung, 132. Vgl. ferner Fecht, Literarische Zeugnisse, 126-131. 973 Brunner, Weisheitsbücher, 232. In L’Enseignement Loyaliste ( § 8,7) werden tatsächlich alle Fehler als Folge Nicht-Hörens gedeutet: jw s# sDm.w r jwtj Dw.t=f , „Der hörende Sohn wird zu einem ohne Fehler.“ 974 Ptahhotep 545-546. 975 Ptahhotep 550-551. 976 Der Wesir RX-mj-Ro aus der 18. Dynastie sagt: rX X.wt pw nb sDm.tj=fj Dd.t.n tpj.w-o „Jeder, der <?page no="161"?> 162 Kapitel V - Der Richter als Hörer 162 wichtig und wird innerhalb der Familie und der Gesellschaft gefördert 977 . Der Junge, der auf seinen Vater oder seinen Lehrer hört, erweist sich als nützlich für die Gesellschaft und tritt in seines Vaters Amt ein. Er ist von nun an ein Mitglied der Oberschicht 978 . Aber das Zuhören hört nicht auf. Das Hören auf den König, auf die ältere Generation und auf die Vorgesetzten bleibt eine wichtige Garantie dafür, daß ein Beamter in seiner Karriere bestehen kann. Zu einem jungen Ägypter, der gerade seine Laufbahn beginnt, sagt der Lehrer: „Wenn du ernannt worden bist, halte dich vielmehr auf der Seite und stell dich nicht taub, bis du einen Weg für deine Füße gefunden hast.“ 979 Dabei wird der Vorteil des gewissenhaften Hörens hervorgehoben: „Setze deine Ohren daran, höre was gesagt wird, […] Es ist nützlich, es in dein Herz zu geben.“ 980 Dazu kommt ein neuer Aspekt des Zuhörens, der mit der Amtsausübung eines Beamten verbunden ist. Der nun als Beamter fungierende Ägypter soll dem Bittsteller Gehör schenken und die Beschwerden der Menge geduldig anhören. Die richterliche Handlung des Zuhörens gehört nämlich zu den selbstverständlichen Aufgaben eines Beamten. Auf der anderen Seite muß man auch die Besonderheit des altägyptischen Rechtswesens berücksichtigen, daß die Bittsteller nicht nur diejenigen sind, die in einen Streit oder Konflikt verwickelt sind. Die sozial Benachteiligten - die Witwen, die Waisen und die Alten - werden konsequent als die Personengruppe thematisiert, die bei den Richtern Hilfe und Unterstützung sucht, da sie in Folge der Ungleichheit unter den Menschen und der Unterdrückung der Schwachen durch die Starken benachteiligt ist. Deswegen liegen die Aufgaben des Richters auch in den Bereichen der Verwaltung und Versorgung. Das Rechtswesen ist in der gesamten Bürokratie verankert. In der Lehre des Ptahhotep wird dem zukünftigen Beamten gesagt: jr wnn=k m sSm.w hr sDm=k mdw sprw m gnf(.w) sw r sk.t=f x.t=f m k#.t.n=f Dd.n=f s.t mr xr jw joj jb=f r jr.t jj.t.n=f Hr=s hören wird, was die Vorfahren gesagt haben, wird ein Weiser sein.“ Gardiner, in: ZÄS 60, 75, t. Auf einem Denkstein des Königs Seti I. wird gesagt, daß wer die Aussprüche ( Tsw ) der Vorfahren hört, auf seinem Platz dauern wird. Zitiert in Assmann (1969), 60. 977 In Deir el-Medina betrachteten die Arbeiter wahrscheinlich die Bezeichnung sDm-oS m s.t m#o.t viel würdiger als der andere rmT n js.t . Vgl. Assmann, in: LÄ VI, 672, Anm. 11. 978 Das Hören ist auch im königlichen Bereich obligatorisch. Der junge Prinz muß auf seinen Vater hören, um in der Zukunft die Welt klug und erfolgreich beherrschen zu können. Die Lehre für Merikare und die Lehre des Amenemhet I. sind angeblich königliche Anweisungen für zukünftige Könige, vgl. Helck, Der Text der Lehre Amenemhets I. für seinen Sohn, Id; Quack, Studien zur Lehre für Merikare, 82-83. 979 Brunner, Weisheitsbücher, 227. 980 Amenemope 3,12. <?page no="162"?> 1. Das Hören als Aufgabe des Richters 163 163 jr jrr gn(f) sprw jw Dd=tw jw tr r-m thj=f s.t nn spr.t.n=f nb.t Hr=s m Xpr.t(j)=sn snoo jb pw sDm nfr Wenn du ein Mann in leitender Position bist, dann höre geduldig auf die Worte des Bittstellers. Weise ihn nicht ab, bis er seinen Leib ganz ‚ausgekehrt‘ hat, von dem, was er dir zu sagen beabsichtigte. Ein Kummervoller wünscht mehr, sein Herz auszuschütten, als daß geschieht, weswegen er kam. Wenn aber Bittsteller abgewiesen werden, dann sagt man: ‚Warum in aller Welt lehnt er das ab? ‘ Auch wenn sich all das, worum er bat, nicht erfüllt, eine ‚Herzensglättung‘ ist das gute Zuhören 981 . Der leitende Beamte, was immer sein Zuständigkeitsbereich auch sein mag, ist zum Anhören der Bittsteller verpflichtet 982 . Das geduldige und aufmerksame Zuhören ist die erste und wichtigste Handlung des Richters. Erst durch das Zuhören ist er imstande, die Angelegenheit überhaupt zu verstehen und die Situation richtig einzuschätzen. Die Frage, ob der Richter der Forderung des Bittstellers nachkommen könnte, wird zuerst außer Betracht gelassen, denn „wer Kummer hat, wünscht mehr, sein Herz auszuschütten, als daß erfüllt wird, weswegen er kam“ 983 . Der Richter hat das Recht, den Anspruch eines Bittstellers zurückzuweisen. Aber der Bittsteller hat seinerseits auch das Recht, von dem Richter angehört zu werden. Der Richter darf daher einen Bittsteller erst abweisen, nachdem er das Anliegen des Bittstellers angehört hat 984 . Ob ein Richter seine Pflicht erfüllt, kann jeder Mitmensch beobachten 981 Ptahhotep 264-276; ich übernehme die Übersetzung von Burkard, in: TUAT III, 206. In der Lehre eines Mannes für seinen Sohn wird der Sohn, der ein Beamter werden soll, von seinem Vater mit folgenden Worten ermahnt: [m] wsf(.w) sp Xnw Hwrw orq md.wt „Vernachlässige [nicht] den Fall einer Klage eines Armen, (sondern) beachte (seine) Worte.“ Fischer-Elfert, in: OA 27, 202; vgl. Helck, Lehre eines Mannes, 60. 982 Wie ich im Kapitel I nachzuweisen versucht habe, gibt es im alten Ägypten keine Beamten, die ausschließlich mit juristischen Angelegenheiten befaßt waren. Es scheint daher berechtigt, anzunehmen, daß ein Bittsteller mit seinem Anliegen zu dem Beamten kommt, der für die Ordnung der jeweiligen Ortschaft zuständig ist. Vgl. die Amtseinsetzung des Wesirs, in der der König ausschließlich die Behandlung der Bittsteller durch den Wesir erläutert, Urk. IV, 1086ff; Faulkner, in: JEA 41, 18-29. 983 mr xr jw jo.t jb=f r jr.t jj.t.n=f Hr=s , Ptahhotep 268-269. 984 Vgl. die Ermahnung des Vaters an seinen Sohn, den Mund zu halten, während die Prozessierenden sprechen: jr wpj=k s 2 m qnb.t Hmsj=k Dr.t=k r r#=k , Fischer-Elfert, in: OA 27, 208-209. Vgl. Brunner, Lehre des Cheti, 128f. <?page no="163"?> 164 Kapitel V - Der Richter als Hörer 164 und beurteilen. Wer einen Bittsteller ohne Grund abweist, geht das Risiko ein, seine Mitmenschen zu verärgern, denn „gut Zuhören tut dem Herzen wohl“ 985 . Auf der anderen Seite ist das Hören die Voraussetzung, einen Fall richtig zu entscheiden. Vorurteile und Voreiligkeit müssen unbedingt vermieden werden. Dies wird in der Lehre eines Mannes an seinen Sohn folgendermaßen zum Ausdruck gebracht: „Höre keine verleumderische Rede an, verlaß dich nicht auf das, was man kolportiert.“ 986 Der schlimmste Fall eines Richters liegt dann vor, wenn er sich gegenüber einem Bittsteller taub stellt. Dies wird in der Geschichte des Bauern sehr ausführlich und weit über die Rahmengeschichte hinausgehend thematisiert. Das Nicht-Hören des Rnsj wird mit allen möglichen Sünden gleichgestellt, denn die Weigerung eines Richters zu hören, „ist für den Ägypter der Gipfel der Perversion“ 987 . Der Autor der Geschichte des Bauern hat sicher mit Absicht den Oasenmann als seine Hauptfigur gewählt 988 . Der Oasenmann kommt aus dem Randgebiet und wird als selbständig bezeichnet. Das heißt, daß er aus eigener Kraft nur ein dürftiges Leben führt. Er ist daher völlig auf die Gerechtigkeit des Richters angewiesen, wenn er in einem Streit verwickelt wird. Er ist auf der anderen Seite fest überzeugt, daß er die Aufmerksamkeit des Rnsj erwecken wird, denn es liegt ein unbestreitbarer Raubfall vor und er hat das Recht auf seiner Seite 989 . Er hat sich auf keinen Fall vorgestellt, daß er nach dem Verlust seines Besitzes bei Rnsj auf taube Ohren stoßen würde 990 . Daher fordert er Rnsj eindringlich auf: „Wenn ich rede, sollst du hören“ 991 . 985 Assmann (1990a), 73. 986 m sDm(.w) md.t m wTs.t m h[nn](.w) n Dd.wt , Helck, Lehre eines Mannes, 64; ich übernehme hier die Übersetzung Brunners, Brunner, Weisheitsbücher, 191; für wTs.t vgl. Wb I, 384, 3. Die gleiche Bedeutung des Hörens wird auch im späten demotischen Text pLouvre 2377, vs. 2 hervorgehoben: sDm Xrw [s] nb gm=k p# ntj n# nfr r Dd= s „Hör auf die Stimme (Worte) aller Menschen, damit du erkennen wirst, was gut zu sagen ist.“ Williams, in: Fs Hughes, 264. Diese Regel gilt sowohl für den „Schüler“ der Lebenslehren als auch für die Richter. 987 Assmann (1990a), 73. 988 Im Haremheb-Dekret (Urk. IV, 2140ff.) wird es als gesetzwidrig streng verboten, daß die Beamten den Bauern und Gärtnern ihre Gemüseernten wegnehmen. Solches Vorgehen der Machthaber häuft sich, wenn die zentrale Regierung schwach oder zusammengebrochen ist. Wir können uns für die Erste Zwischenzeit eine ähnliche Situation vorstellen, wenn die Beschreibungen in den Klagen auch nicht völlig glaubwürdig sind. Mindestens sind die dicht aufgestellten Kontrollposten vorstellbar, welche die Bewegungsmöglichkeit der Bürger beschränkten. 989 B1, 300-301. 990 Als Nmtj-nXt ihn schlägt, fragt der Oasenmann empört: Hwj=k wj ow#=k Hnw=j nHm=k rf nXw.t m r#=j „Du schlägst mich. Du raubst meinen Besitz. Nun willst du die Klage aus meinem Mund wegnehmen? “ B1 59-60. Die Beziehung des Weinens zu Klagen ist bemerkenswert. Nmtj-nXt will ihm verbieten, zu weinen, aber der Oasenmann fragt, ob jener seine Klage wegnehmen will. Das Weinen ist nämlich das allerletzte Mittel des armen und schwachen Oasenmannes, um nun Rnsj zur Handlung zu bewegen; vgl. die Stelle in der Lehre für Merikare: „Er baute hinter ihnen eine Kapelle. Wenn sie weinen, hörte er. Er schuf ihnen Herrscher im Ei, die Machthaber, die den Rükken der Schwachen stützen (sollen).“ Quack, Studien zur Lehre für Merikare, 78. Das Weinen als verzweifelte Bittsuche der Armen werden wir unten noch mehrfach treffen. 991 Dd=j sDm=k , B1 99. Um das Hören des Rnsj als die Voraussetzung des Redens von seiten des <?page no="164"?> 1. Das Hören als Aufgabe des Richters 165 165 Als Grund für seine Forderung erinnert der Oasenmann den Oberdomänenvorsteher, wozu er eingesetzt wurde: „Daß du eingesetzt bist, ist doch, um die Rede zu hören.“ 992 Darüber hinaus begründet der Oasenmann die Pflicht des Rnsj , seine Klage zu hören, damit, daß es Rnsj selbst war, der den Oasenmann zum Klagen veranlaßt hatte. Er hat durch seine Nicht-Handlung den sonst ruhigen Oasenmann empört 993 . Durch die ungerechte Handlung des Rnsj wird der Oasenmann nicht nur wie ein schlafender Mann aufgeweckt. Er ist auch erfahrener und klüger geworden und am wichtigsten: sein Mund wird geöffnet 994 . Die verzweifelten Ausrufe des Lebensmüden: „Zu wem kann ich heute reden? “ erinnern uns sofort an den Oasenmann, der vor Verzweiflung entschied, Selbstmord zu begehen: mk wj Hr spr n=k n sDm.n=k s.t jw=j r Sm.t spr=j Hr=k n Jnpw „Siehe, ich flehe dich an, aber du kannst nicht hören, was ich sage. Ich gehe und flehe deinetwegen zu Anubis“ 995 . Das Ausbleiben eines entsprechenden Zuhörers macht das Leben trostlos. Die Frage der Existenz des Individuums wird hier höchst aufschlußreich mit dem Vorhandensein oder Fehlen des Zuhörers geknüpft, der einen verzweifelten Menschen anhört und versteht. Die Zwecklosigkeit des guten Redens in der Zeit der Wirren wird in der Prophezeiung des Neferti bildhaft dargestellt: „Man reagiert auf Worte, indem sich der Arm mit einem Stock ausstreckt / / / wie einer, der ihn töten will“ 996 . Hier läßt sich eine breit angelegte Kampagne des Mittleren Reiches mutmaßen 997 , das Zuhören als eine der wichtigsten Aufgaben der Beamten festzulegen. Das Fehlen der Hörenden und die Funktion der Beamten als Hörer werden in den Klagen und in den Lehren in zweierlei Hinsicht negativ und positiv vorgegangen. Der hörende Beamte wird „Vater des Waisenkindes, Ehemann der Witwe, Bruder der Geschiedenen und Schurz des Mutterlosen“ 998 genannt. Der Oasenmann wollte sogar für Rnsj eine Titulatur ausformulieren: „Laß zu, daß ich deinen Oasenmannes hervorzuheben, kann man den Satz übersetzen: „Daß ich rede ist, damit du hörst“. Wenn Rnsj sich taub stellt, ist das Reden des Oasenmannes gegenstandslos. 992 rdj.n.tw=k r sDm md.t , B1 265. Sein Erstaunen auf das Nichthören des Rnsj beschreibt der Oasenmann mit dreimal nacheinander folgenden sDm gebildeten Satz: sDm.w n # sDm.n=k tm=k tr sDm(.w) m-o , B1, 211. 993 B1, 329-330. 994 B1, 316-318. 995 Bauer B2, 113-114. Das Sinnfeld des Wortes spr von „flehen“ zu „klagen“ ist auch bemerkenswert. 996 Neferti E 48-49, Helck, Neferti, Xi. In der Geschichte des Schiffbrüchigen wird der Kapitän mit den Worten ermutigt: „Der Mund eines Mannes ist es, der ihn erretten kann und seine Rede kann bewirken, daß man nachsichtig gegen ihn ist“ . Trotzdem war der Kapitän tief verzweifelt, da er wußte, daß die Frage, ob der Mund und die Rede die gewünschte Wirkung hervorrufen könne, von der Person des Hörenden abhängig ist. Für Zueinander-Reden und Aufeinander-Hören vgl. Assmann (1990a), 85. In der Bauerngeschichte wird ebenfalls nicht die „schöne Rede“ hervorgehoben, sondern die notwendige Rahmenbedingung, in der die Rede gehört wird. 997 Assmann (1991a, 58) schreibt: „Wenn es einen Text gibt, der den Titel ‚Abhandlung über die Ma’at‘ tragen könnte, dann ist es ein Werk des Mittleren Reichs, das unter dem Namen ‚Die Klagen des Bauern‘ bekannt ist und zur Gattung der ‚Klagen‘ gehört.“ 998 B1, 93-95. <?page no="165"?> 166 Kapitel V - Der Richter als Hörer 166 Namen in diesem Land gemäß jedem trefflichen Gesetz zusammenstelle.“ 999 Die folgende Namenreihe lautet nach königlichem Vorbild „Führer frei von Habgier, Großer frei von Gemeinheit, Vernichter der Lüge, Erzeuger der Wahrheit und Helfer des Rufenden“ 1000 . Die fünfteilige königliche Titulatur stellt sich oft als die „Regierungserklärung“ des neu inthronierten Königs dar. Es scheint mir hier daher sehr wahrscheinlich, daß der als Oasenmann verkleidete Autor die Aufgaben und die Handlungsweisen der Beamten im Bereich der Rechtsprechung im Namen oder im Auftrag des Königs festlegen wollte 1001 . Die Amtseinsetzung des Wesirs und die Dienstordnung des Wesirs legen in zwei Aspekten die Aufgaben und die Verhaltensweisen des höchsten Beamten des Landes fest 1002 . In der Amtseinsetzung des Wesirs, in der man eigentlich die Behandlung aller Pflichten und Befugnisse des Wesirs erwartet 1003 , wird exklusiv das Hören des Wesirs auf die Bittsteller erörtert. Die Tatsache, daß auf das Hören, nämlich die Behandlung der Bittsteller, vom König gesondert eingegangen wird, zeigt die Bedeutung des Hörens 1004 . Der König erinnert den Wesir ganz im Interesse der Bittsteller, daß jedem Bittsteller zu seinem Recht verholfen werden soll 1005 . Der Richter soll keinen Bittsteller übergehen, bevor er die Aussage angehört hat. Wenn der Richter nach dem Hören den Bittsteller zurückweist, muß er den Grund nennen 1006 . 999 B1, 95-96. 1000 B1, 96-99. 1001 Das Selbstbewußtsein der Ägypter am Ende der Ersten Zwischenzeit und im Mittleren Reich ist evident. Aber es ist im Mittleren Reich nur innerhalb des Spielraums, der von den Königen erlaubt und gefördert wurde. Daß eine Art „freie“ Literaten am Ende der Ersten Zwischenzeit und im Mittleren Reich zustande kam, wofür Morenz (Beiträge zur Schriftlichkeitskultur) in seiner Arbeit plädiert, ist fraglich. Dazu vgl. Assmann (1983b), 85; Franke, in: GM 167, 33-48. 1002 Darin wird sogar die Reihenfolge betont, an der der Wesir beim Rufen der Bericht erstattenden Beamten festhalten soll: nn rd.t sDm(.w) xrj pH r H#.t Hrj „Der untergeordnete Beamte darf nicht vor dem gehört werden, der eine höhere Position hat.“ In diesem Zusammenhang kann man die Klagen in den Lehren, daß die herkömmliche soziale Ordnung zerstört wurde, und auch den Lobpreis auf den König, daß dieser den hintersten Mann an die erste Stelle gesezt habe: „Wer an letzter Stelle war, ist jetzt an der ersten Stelle (Lehre eines Mannes, § 4,4)“, besser verstehen. 1003 Am Anfang des Textes sagt der König: rs tp Hr jrr.wt nbt jm=f mk smn pw n t# r-Dr=f „Sei wachsam auf alles, was darin (im Wesirbüro) getan wird. Siehe, es ist die Befestigung des ganzen Landes.“ Urk. IV, 1087, 5-6. 1004 Die Bittsteller kommen von Ober- und Unterägypten zum Wesirbüro (Urk. IV, 1088, 3-4). In der Dienstordnung des Wesirs wird auch festgelegt, daß der Wesir allen Bittstellern angemessen Gehör schenken soll: sDm.t(j)f(j) spr.tj nb Xft hp pn ntj m-o=f „Er soll jeden Bittsteller gemäß dem Gesetz hören, das in seiner Hand ist.“ Urk. IV, 1111, 2; vgl. ntf sDm onon nb / / / / m Sm s r mdw.t Hno sn.nw=f „Er ist es, der jede Klage hört-… wenn ein Mann mit seinem Kollegen rechtet.“ Urk. IV, 1114, 3-4. Da der Wesir in seiner Funktion des obersten Beamten als der Oberrichter im ganzen Land handelt, dürfen wir uns vorstellen, daß derartige richterlichen Aufgaben auch für die anderen Beamten galten, wenn auch nicht im gleichen Umfang und mit gleicher Autorität. 1005 sprw wpjj [nn Dd=f] n [rdj.tw=j] r wn=j m#o „Ein Verurteilter [soll nicht sagen (können)]: ‚Mir wurde nicht zu meinem Recht [verholfen].“ Faulkner in: JEA 41, 19, 16-17; Dziobek, User-Amun, 58. Vgl. die Aufforderung des Oasenmanns an Rnsj : nb=j w#H=k njs.tw s r sp=f n wn m#o „Mein Herr, sei geduldig, damit ein Mann gemäß seiner Gerechtigkeit aufgerufen wird.“ B1, 300-301. 1006 Vgl. Urk. IV, 1090, 9-1091, 1 ; Faulkner, a.a.O., 20, 7; Dziobek, a.a.O., 59. <?page no="166"?> 2. Das Hören des Richters in den Autobiographien 167 167 Der König zitiert sogar eine volkstümliche Weisheit, die in der Lehre für die Schüler ebenfalls vermittelt wird 1007 , um seine Forderung an die richtenden Beamten zu bekräftigen und überzeugend zu machen. Schließlich muß man noch erwähnen, daß „Taubheit gegenüber Worten der Wahrheit“ eine der Sünden darstellt, von denen sich der Verstorbene vor den Göttern im Totengericht distanzieren soll 1008 . 2. Das Hören des Richters in den Autobiographien Ab der Ersten Zwischenzeit finden wir in den autobiographischen Inschriften Aussagen, in denen die Grab- und Steleninhaber beteuern, wie sie die Bittsteller beachtet haben. Der Gaufürst Jtj-jb bezeichnet die freundliche Aufnahme der Bittsteller als eine treffliche Strategie zum Wiederaufbau seiner Stadt 1009 . Auf der Stele CG 20512 betont Jntf-w#H-onX , daß es niemanden gab, dessen Angelegenheit er nicht angehört habe 1010 . Es ist sehr auffallend, daß die Angabe zum Anhören der Bittsteller auf der Stele einer solch hohen Persönlichkeit wie Jntf-w#H-onX einen Platz findet. Es läßt sich vermuten, daß dieser König der aufsteigenden Dynastie teils aus realen Gründen und teils als Propaganda das Hören auf die Bittsteller thematisiert hat. Zwischen den Beteuerungen in den autobiographischen Inschriften der Ersten Zwischenzeit und den negativen Darstellungen dieser sogenannten Wirrenzeit im Mittleren Reich besteht offenbar ein Zusammenhang. Der Schatzmeister VTj faßt sein Leben dahingehend zusammen, daß er nur das getan habe, was die Leute nicht haßten und was Seine Majestät wünschte. Um das zu veranschaulichen sagt er: „Jedes Geschäft, das er (der König) mir befahl, in der Beachtung der Sache eines Bittstellers, oder beim Anhören eines Armen, (ich) führte es trefflich aus.“ 1011 Der Schatzmeister macht klar, daß es der König war, der ihn beauftragte, den Bittsteller und den Armen mit entsprechender Anhörung zufrieden zu stellen. Die Beachtung der Bittsteller ist deshalb ein wesentlicher Bestandteil der Aufgaben eines Beamten, was immer sein Hauptamtsbereich auch sonst sein mag 1012 . 1007 Diese von anderen stark abweichende Fassung in der Lehre des Ptahhotep, die der Formulierung in der Einsetzung des Wesirs ähnelt, befindet sich auf pBM 10409, der aus der 18. Dynastie stammt. Für die fließende Grenze zwischen den gesetzmäßigen Anweisungen und den Ratschlägen in den Lehren vgl. Kapitel III. 1008 Vgl. dazu Assmann (1990a), 122ff. 1009 jnk jqr sXr #X n njw.t=f T#m Hr n spr(.tj) , „Ich war einer, der mit trefflichem Plan nützlich für seine Stadt, nachsichtig gegenüber dem Bittsteller war.“ Siut III, 4. 1010 CG 20512, 5; vgl. Stock, 1. Zwischenzeit, 71f. 1011 jr grt Sm.t nb.t wD.t.n=f n(=j) oHo Hr=s m m#o Xt n sprw m oHo Hr mdw s#r jr(=j) st r wn m#o , BM 614, 8-9, Blackman, in: JEA 17, pl. VIII. 1012 EHwtj-nXt-onX , ein Beamter unter dem Gaufürst oH#-nXt , beteuert in seiner Autobiographie: „(Ich) überging nicht die Bedürfnisse der Bittenden (? ).“ ( n sw#(=j) Hr d#r n h#bw ), Hatnub Gr. 12, 9. In Anmerkung Nr. 9 auf Seite 30 erläutert Anthes diesen Satz folgendermaßen: „Ich vernachlässigte nicht die Bitte selbst von einem Manne, der nur durch einen Boten - oder brieflich - sein Anliegen vorbrachte.“ Vgl. hierzu auch Lichtheim, Maat in Egyptian Autobiographies, 28. <?page no="167"?> 168 Kapitel V - Der Richter als Hörer 168 Der Gaufürst c#-rnp.wt aus Elephantine behauptet, daß er seine Mitmenschen so behandelte, als wären sie seine Kinder. Als ein Beispiel sagt er, daß er das Bedürfnis des Elenden erfüllt habe, indem er den Bittsteller nicht zurückwies 1013 . Der Aufgabenbereich des Gaufürsten geht natürlich weit über die Rechtsprechung hinaus. Aber der repräsentativste Aspekt seiner Beamtenlaufbahn scheint die freundliche Aufnahme der Bittsteller. Erst vor diesem Hintergrund ist es verständlich, daß die lange Beamtenkarriere des MnTw-Htp , der das höchste Amt im Lande bekleidet hatte, von seinem Sohn wie folgt zusammengefaßt wird: jw jr.n=f rnp.t 54 Hr sDm s 2 Hr shr.t t# „Er hat 54 Jahre damit verbracht, indem er die zwei Parteien hörte und das Land zufriedenstellte.“ 1014 Die Wendung sDm s 2 ist hier stellvertretend für alle Handlungen, die MnTw-Htp im Königsdienst durchgeführt hat. Die 54 Jahre sollen demnach die lange Beamtenkarriere des MnTw-Htp bezeichnen, der sicherlich viele verschiedene Ämter bekleidet und verschiedene Funktionen ausgeübt haben muß. Aber für den Sohn Jmnjj bezeichnen die richterlichen Tätigkeiten seines Vaters, und vor allem die hörende Handlung, am besten das erfolgreiche Leben. Der Wesir RX-mj-Ro aus der 18. Dynastie beschreibt den Anfang seiner Tagesroutine als Wesir wie folgt: „Erscheinen am Morgen, um täglich das Gelobte zu tun, um die Angelegenheiten des Volkes anzuhören.“ 1015 Diese Routine des RX-mj-Ro konkretisiert einerseits den sehr komprimiert beschriebenen Lebenslauf des oben schon erwähnten Wesirs MnTw-Htp und stimmt andererseits mit der Feststellung des Königs in der Einsetzung des Wesirs überein: „Siehe, die Bittsteller kommen aus Ober- und Unterägypten, dem ganzen Lande, um (in) der Halle [des Wesirs] gehört zu werden.“ 1016 Oben wurde schon beschrieben, daß das Zuhören auf die Bittsteller ab der Ersten Zwischenzeit ein Topos in den Autobiographien war. Die Aussagen darüber sind allerdings sehr ungleichmäßig überliefert. Dies hängt sicher mit der Zahl der damit befaßten Autobiographien und den vorherrschenden Thematiken in den Autobiographien zusammen. Aus der Amarnazeit wurden zahlreiche Autobiographien überliefert. Aber die „Autoren“ oder die „Inhaber“ der Autobiographien reden fast ausschließlich über ihre Beziehungen zum König, so daß die Mitmenschen völlig außer Acht gelassen wurden. Im Grab des Polizeichefs MHw aus der Amarnazeit befindet sich eine Szene, aus der wir vermuten können, daß das geduldige und gewissenhafte Hören auf die Bittsteller auch in dieser Zeit normativ war. Auf der Szene werden einige Wüstenbewohner dem Wesir und anderen hohen Beamten vorgeführt. MHw spricht zu den Beamten: „Der Polizeichef von Amarna ( #X.t-Jtn ) MHw sagt: ‚Mögen die Beamten und Leute den Ausspruch der Wüstenbewohner 1013 jr.n(=j) s#r n jnd n gnf=j spr n(=j) „(Ich) befriedigte das Bedürfnis des Notleidenden. Ich wies den nicht zurück, der sich an (mich) wendete.“ Urk. VII, 5, 2-3; vgl. Franke, Heqaib, 192ff. 1014 Gasse, in: BIFAO 88, pl. 6; Fischer, in: GM 122, 27; Farout, in: BIFAO 94, fig. 4, 10-11. 1015 pr.t tp t# dw#jj.t r jr.t Hss.t m xrt hrw r sDm mdw rXjj.t , Urk. IV, 1139, 11-13, vgl. Urk. IV, 1158, 6ff. 1016 mk jw sprw n Smow mHw-t# r-Dr=f opr(.w) [r] sDm (m) X# [n T#tj] , Urk. IV, 1088, 3-4. Vgl. auch Urk. IV, 1827, 17-19, wo Jmn-Htp sagt, daß er nie vernachlässigt habe, zu hören, was seine Untergebenen sagten. <?page no="168"?> 2. Das Hören des Richters in den Autobiographien 169 169 hören.‘“ 1017 Wegen der gefesselten Hände der Wüstenbewohner wird diese Stelle bisher allgemein so interpretiert, daß es sich bei den Wüstenbewohnern um Verbrecher handelt 1018 . Auf der oben erwähnten Stele BM 614 wird das Wort „Bittsteller ( sprw )“ durch einen gefallenen Mann determiniert 1019 . Die „gefesselten“ Männer sind daher sehr wahrscheinlich die Wüstenbewohner, die vor dem Wesir und anderen Beamten als erbärmliche Bittsteller erscheinen. Auf der Gerichtsszene im Grab des RX-mj-Ro schleppen zwei Beamten zwei Streitende mit der rechten Hand herbei, in ihrer linken Hand einen Stock 1020 . Aus der Ramessidenzeit finden wir ebenfalls wenige Aussagen über das Hören auf die Bittsteller. Aber solange die Autobiographien in der traditionellen Form vorhanden sind, findet man herkömmliche Phrasen, die sich auf die Tätigkeiten der Beamten als Hörer beziehen. 1021 Wir müssen in Betracht ziehen, daß einerseits die Autobiographien abnahmen und andererseits die Beamten, die sonst als Richter auf die Bitten der Mitmenschen hörten, selbst als Bittsteller vor den Göttern erschienen. Daß das Hören auf die normalen Bittsteller auch in der realen Welt nicht mehr existierte, ist sehr unwahrscheinlich. In der Autobiographie des Jnj-Hrt-ms , eines Hohenpriesters des Gottes Onuris in Thinis lesen wir: „Ich war einer, der dem Armen Gehör schenkte und tat, was er sagte.“ 1022 Ab der 22. Dynastie sehen wir eine Wiederbelebung der Aussagen über das Hören auf die Bittsteller in den Autobiographien. Das hängt wahrscheinlich damit zusammen, daß nach einer langen Periode von tiefster Zuwendung zu den Göttern die Mitmenschen allmählich an Gewicht gewinnen. Wahrscheinlich sahen die Ägypter wieder Anlaß, autobiographische Inschriften zu verfassen und ihre denkwürdigen Handlungen zu Lebzeiten, darunter das Hören auf die Bittsteller, gegenüber den Nachlebenden zu betonen 1023 . Der Prinz Osorkon begründet seine hohe Stellung und Leistung einzig mit dem Hören auf die Bittsteller. Er behauptet nicht ohne Übertreibung, daß sich Ober- und Unterägypten mit Bitten an ihn wandten und er umgehend Entscheidungen getroffen hat 1024 . Wir erkennen eine eindeutige Anspielung auf die Empfehlung des Königs bei der Amtseinsetzung des Wesirs. Der Schatzmeister Pf-nf-dj-N.t aus der 26. Dynastie erwähnt sein Hören auf die Bittsteller in dem Kontext, in dem er seine Beziehung zum König beschreibt: „Ich war ein 1017 Hrj mD#w n #X.t-Jtn MHw Dd=f sDm n#w sr.w rmT Ts n# n X#st(.jw) , Urk. IV, 2005, 17-18, oder wörtlich: „Mögen die Beamten der Menschen den Ausspruch der Wüstenbewohner zuhören? “ 1018 Vgl. Helck, Urkunden der 18. Dynastie, Übersetzungen zu den Heften 17-22, 355; Davies, Amarna, IV, 17. 1019 Blackman, in: JEA 17, pl. VIII. 1020 Dazu s. Davies, Rekh-mi-Rē c , 25. 1021 Vgl. hierzu Frood, Biographical Texts from Ramessid Egypt, 96 und 131f. 1022 [j]nk dd m#o n Sw#w jrr prw n r#=f , Ockinga, Two Ramesside Tombs, vol. I, pl. 26/ 27, 40. Vgl. die Belehrung des Königs an den Wesir als den höchsten Richter: „Siehe, die Schutzwehr des Richters ist es, gemäß den Bestimmungen zu handeln und zu tun, was die Bittsteller sagen“ ( mk jbw pw n sr jr.t Xwt tp-rd m jr.t Dd.t sprw ), Urk. IV, 1089, 3-4. 1023 Die Kontaktaufnahme mit den Mitmenschen und den Nachlebenden war eigentlich einer der wichtigsten Anlässe, daß die Gattung autobiographischer Inschriften erfunden wurde. 1024 smj n=f t[#-Smow] spr n=f t#-mHw „einer, bei dem [Oberägypten] Bericht erstattet, an den sich Unterägypten wendet“, Jansen-Winkeln, Ägyptische Biographien, 290. <?page no="169"?> 170 Kapitel V - Der Richter als Hörer 170 Liebling seiner Majestät, der die schriftlichen Bestimmungen befolgte und die Bitte aller Menschen anhörte.“ 1025 Nfr-jb-Ro-nfr , der Erzieher Psametiks II. und Vorsteher der Vorhalle, schreibt in seiner Autobiographie, daß er die Bittsteller, die zum König kamen, nicht nur angehört, sondern auch zufriedengestellt habe 1026 . Mit dem Etablieren des Königshauses treten der König und die Mitmenschen, die früher das Hören des Richter bestimmt haben, gleichzeitig in Erscheinung. 3. Das Hören auf den König: Anweisungen und Staatsgeheimnisse Das Hören des Richters im alten Ägypten besteht aus zwei Teilen: das Hören auf den König und das Hören auf die Bittsteller. Dieses zweifache Hören ist wichtiger Bestandteil der altägyptischen Rechtsprechung. Durch das ‚Hören nach oben‘ erhält der jeweilige Beamte seine richterlichen Aufgaben, Handlungsanweisungen und gesetzlichen Bestimmungen. Das ‚Hören nach unten‘ soll sicherstellen, daß im Land Recht und Ordnung herrschen. Dies erklärt die unglaublich erscheinende Tatsache, daß die Jurisdiktion im alten Ägypten nicht durch ein kodifizierte Gesetzbuch, sondern durch die Bestimmungen des regierenden Königs und die zur Tradition verfestigten Normen geleitet wird 1027 . Daher steht das Hören auf den König oft damit in Zusammenhang, daß eine richterliche Aufgabe übertragen oder eine gesetzliche Bestimmung erlassen wird. So nimmt es nicht Wunder, daß das Hören einen wichtigen Bestandteil sowohl des allgemeinen Menschenbildes als auch der Tätigkeiten der Beamten in ihrer Laufbahn darstellt. In der Amtseinsetzung des Wesirs belehrt der König seinen höchsten Beamten eindringlich, bei der Rechtsprechung das vom König Gesagte im Herzen zu verinnerlichen, denn das ist der einzige sichere Weg, im Amt Erfolg zu haben 1028 . Wer gemäß den Worten des Königs handelt, ist fehlerfrei, da die Äußerungen des Königs Gesetze sind 1029 . In der Dienstordnung des Wesirs wird das 1025 jnk mr n nb=f Hr nDr drf (für nDr Hr drf) , Piehl, in: ZÄS 31, 88, D 1. Vgl. die Aussage des Jbj : n T#j(=j) Hr(=j) n spr.tj „(Ich) habe nicht (mein) Gesicht von dem Bittsteller umgedreht.“ Kuhlmann- Schenkel, Das Grab des Ibi, Text 99, Z. 5-6. 1026 jr.n=j dbH.w s n=f m spr.w Xr nb t#.wj „Ich befriedigte die Bedürfnisse eines Mannes, als er als Bittsteller beim Herrn der beiden Länder war.“ CG 807, Jansen-Winkeln, in: MDAIK 52, 190, d, 2-3. Man soll auch die Aussage wie den folgenden Satz in der gleicher Richtung interpretieren: jw sor.n(=j) md.t #bDw r xnw oH r sDm Hm=f „(Ich) habe die Angelegenheit aus Abydos zum Palast aufsteigen lassen, damit Seine Majestät (sie) hörte.“ Vgl. dazu Jelinkova-Reymond, in: ASAE 54, 276. 1027 Vgl. dazu Kapitel III. 1028 mk wnn s m j#w.t=f jrj=f jX.wt Xft Hr dd(.w) n=f „Siehe, wenn man in seinem Amt ist, soll er die Aufgaben wie ihm aufgetragen ausführen.“ Faulkner, in: JEA 41, 20, 16; Dziobek, User-Amun, 61-62. 1029 mk b#q n s jrj=f Xft Dd.wt n=f m jr #b.t=k m jX.wt ntt rX.tj hp jrw „Siehe, man ist fehlerfrei, wenn er handelt, wie ihm anbefohlen wird. Handle in den Angelegenheiten nicht nach deinem Willen, wo das entsprechende Gesetz bekannt ist.“ Faulkner, a.a.O., 16-17; Dziobek, a.a.O., 62. Vgl. noch Faulkner, a.a.O., 20, 17-21, 1: jX jrj=k Xft p# Hr dd n=k . Für das Wort b#q , vgl. Faulkner, a.a.O., 28, (56). <?page no="170"?> 3. Das Hören auf den König: Anweisungen und Staatsgeheimnisse 171 171 Hören des Wesirs in zwei Richtungen wie folgt kurz gefaßt: jw n=f Snw nb m pr njsw.t ntf sDm wD.t nb , „Zu ihm kommt jeder, der verhört werden soll im Palast. Er ist es, der jedes Dekret hört.“ 1030 Im Haremhebdekret ist ein Abschnitt, in dem festgelegt wird, daß die Beamten, die zur Rechtsprechung herangezogen sind, auf die Anweisungen des Königs hören sollen 1031 . Das Dekret, das viele gesetzliche Bestimmungen enthät, nennt Haremheb eine Lehre, die die Beamten beherzigen sollen 1032 . Die Fähigkeit zum Reden und der gute Charakter sind die Qualifikationen, die einen Beamten zum Richten berechtigen und befähigen. Aber das Hören auf den König bietet sich als eine Garantie, daß ein richtender Beamter gemäß dem Willen des Königs und zur Zufriedenheit des Königs und der Menschen handeln kann. Da die wichtigen richterlichen Aufgaben und die königlichen Anweisungen, die in den Kapitel I und III untersucht wurden, vom König den ausgewählten Beamten anvertraut wurden, symbolisiert das Hören auf den König das Vertrauen des Königs gegenüber seinen Beamten. Das Gefühl des Privilegs von seiten der Beamten drückt sich daher in zweierlei Hinsicht aus. Auf der einen Seite ist es der König, der einen vertrauten Beamten einsetzt, um eine Angelegenheit zu hören. Auf der anderen Seite ist es eine seltene Gelegenheit, vom König über das richtige Vorgehen unterrichtet zu werden. Die Zeremonie, die im Dekret des Haremheb zur Bekanntmachung der königlichen Bestimmungen veranstaltet wurde, war bestimmt eine Ausnahme. Die meisten königlichen Bestimmungen wurden möglicherweise vom König nur in beschränktem Umfang den Vertrauten bekanntgegeben 1033 . Es ist bemerkenswert, daß der Prinz K#-m-Tn-nnt aus der 5. Dynastie in seiner Inschrift erwähnt, daß der König ihn mit geheimen Angelegenheiten betraut habe 1034 . Die Tatsache, daß der Königssohn bei der Rechtsprechung mitwirkt, zeigt deutlich die Bedeutung der richterlichen Funktion. Es ist verständlich, daß der König wichtige juristische Aufgaben möglichst an seine Vertrauten überträgt. Die Mischung aus geheimem Ort der Gerichtsverhandlung und der Auswahl der Richtenden durch den König erweckt bei den ausgewählten Personen das Gefühl von Prestige und hat auf die Personen, die gerichtet werden, eine abschreckende Wirkung 1035 . In seinem Grab bei der Pyramide des Königs Pepi II. nennt Ppj-nnj zwei mit richterlichen Aufgaben im Zusammenhang stehende Titel 1030 Urk. IV, 1114, 6-7. 1031 a.a.O., 2155, 15-18. In dem Dekret wird beschrieben, wie der König in der feierlichen Atmosphäre in Anwesenheit aller wichtigen Beamten das Dekret bekannt gab. 1032 Urk. IV, 2156, 10. Die Worte des Echnaton wurden in der Amarnazeit als Lehre betrachtet. Vgl. in diesem Zusammenhang Assmann, in: Saeculum 23, 109ff. 1033 Vgl. Dd.w n=f md.t H#p.t „einer, dem die geheime Angelegenheit erzählt wird“, CG 20538 I c, 10; CG 20539 II b, 10. 1034 …Hr mdw sSt# m Hw.t wr.t „über die geheimen Worte in dem Großen Haus,“ Urk. I, 183, 10. 1035 Oft wird eine Gerichtsverhandlung an einem Ort durchgeführt, an dem sich der König befindet (z. B. sDm wo.w rw.tj , BM 100=HT V, pl. 4, rechts 4. Jntf aus dem Mittleren Reich bezeichnet das geheimnisvolle Hören folgenderweise: sDm mdw m Hw.t-HD n Gb Hrj sSt# n oD.t-h.t , „ BM 572=HT II, pl. 22, links, Z. 13-14. <?page no="171"?> 172 Kapitel V - Der Richter als Hörer 172 „Mund von Nechen“ und „Priester der Maat“. Anschließend beschreibt er, wie er unter dem Befehl des Königs zu dessen Zufriedenheit die richterlichen Aufgaben ausgeführt habe. Dabei betont er insbesondere das Hören und den geheimen Charakter des Hörens 1036 . Die Ausschließung der anderen Beamten und damit das einzigartige Vertrauen des Königs zu einem Beamten sieht man am deutlichsten in dem Bericht des Wnj , den wir schon des Öfteren erwähnt haben. Zuerst beschreibt er in seiner Autobiographie, daß er vom König zum Richter und Mund von Nechen eingesetzt worden sei. Dann sagt er weiter, daß „er allein mit dem Wesir gehört habe, betreffend alle Geheimnisse“ 1037 . Als die Haremsverschwörung ans Tageslicht gebracht wurde, bekam Wnj die Ermächtigung, als Sonderbeauftragter ganz allein zu ermitteln. „Seine Majestät veranlaßte, daß (ich) hineinging und allein (ver)hörte, ohne den Wesir, ohne irgendeinen Beamten dabei, nur ich allein.“ 1038 Aus der Ersten Zwischenzeit finden wir keine Aussagen darüber, daß ein Beamter den Befehl zum Richten vom König erhalten oder im Auftrag des Königs einen Rechtsfall gerichtet hätte. Wir beobachten in der Ersten Zwischenzeit eine Akzentverschiebung in bezug auf das Hören. Im Alten Reich ist der König der Bezugspunkt der richterlichen Tätigkeiten. Das Hören im Alten Reich richtet sich dementsprechend überwiegend nach oben. Dagegen wird es in der Ersten Zwischenzeit fast ausschließlich nach unten gerichtet. In dieser Zeit übernehmen die Gaufürsten und anderen lokalen Machthaber eigene Verantwortung, indem sie sich den Anliegen der Armen und der Schwachen zuwenden 1039 . Sobald sich die zentrale Regierung im ganzen Lande etabliert, wird der König derjenige, der die Macht ergreift, um Gesetze zu erlassen und richterliche Aufgaben zu erteilen 1040 . Onj , ein Schatzbeamter unter Antef II., sagt in seiner Autobiographie, daß er ein Diener gewesen sei, der zum Herzen des Herrschers Zutritt in der geheimen Halle gehabt habe. Er wurde dort mit seiner Majestät allein gelassen, damit er dem König Bericht erstattete 1041 . 1036 mH jb n njsw.t m nD rn=f sm#o wDo-mdw Hrj sSt# n sDm.t wow m Hw.t wr.t 6 „der Vertraute des Königs, indem sein Name gerufen wird, der das Richten richtig ausführt, Geheimrat dessen, das in den 6 Großen Häusern allein gehört werden darf.“ Urk. I, 260, 8-9. Der Wesir %ntj-k# hat den Titel Hrj sSt# n wD.t mdw , James, The Mastaba of Khentika called Ikhekhi, pl. V, VI und XXIX. Or-Hw=f trägt den gleichen Titel, Urk. I, 127, 16. Der Priester Wr-Xww sagt in seiner Autobiographie aus seinem Grab: sDm mdw sSt# nb , Urk. I, 48, 2, vgl. dazu Edel, in: MIO 7, 304; Helck, Beamtentitel, 74; Spiegelberg, in: RecTrav 16, 28-29. 1037 sDm(=j) X.t wok.wj Hno t#jtj s#b T#tj m sSt# nb , Urk. I, 99, 5. 1038 rdj Hm=f h#j(=j) r sDm wo.kwj n wnt t#jtj s#b T#tj nb sr nb jm wpw-r wo.kwj , Urk. I, 100, 14-16. Zur Begründung des besonderen Gunstbeweises sagt Wnj : „denn ich war trefflich und ich war ein Vertrauter seiner Majestät; denn seine Majestät hatte Vertrauen zu mir“. Urk. I, 100, 17-101, 1. 1039 Dieser Punkt wird unten bei der Betrachtung der Beziehung der Richter zu den Mitmenschen behandelt. 1040 Es war wohl vor diesem Hintergrund, daß die Beamten sich aus der Rolle des „Werkzeuges“ des Alten Reiches befreien und als „herzgeleitete Menschen“ eigene Initiativen ergreifen, vgl. dazu Assmann (1996a), 154-155. 1041 TPPI § 17, 6-7. <?page no="172"?> 3. Das Hören auf den König: Anweisungen und Staatsgeheimnisse 173 173 Die Beamten betonen nun vermehrt, wie ihnen der König mit geheimen Worten vertraut habe 1042 . Es wird sogar betont, daß der König gegenüber seinem Untergebenen das Herz geöffnet habe 1043 . Es ist zu vermuten, daß dabei juristische Anweisungen und richterliche Aufgaben erteilt wurden. Der Polizeichef cbk-dd berichtet sehr stolz darüber, daß sich sein Platz im Palast am Tage des Hörens einer Angelegenheit vorn befand und er bei der Beratung allein vor dem Herrn der beiden Länder war 1044 . Der Herold MnTw-o# beschreibt in seiner Autobiographie, wie er in bezug auf das Hören auf den König als Vermittler zwischen dem König und der Menge fungiert habe: „(Ich war) der Geheimrat des Königs bei der Begrüßung (? ), mit dessen Ausspruch die beiden Länder zufrieden waren.“ 1045 Hier kann man vielleicht einen Blick auf den Aufgabenbereich des Herolds werfen, der die vom König getroffenen Bestimmungen nach außen und nach unten zu verbreiten hat. An einer anderen Stelle auf der gleichen Stele nennt MnTw-o# das Epitheton Hrj sSt# n sDm.t wo.w rw.tj „Hüter des Geheimnisses, das nur an den Türflügeln gehört wird“, das sich eindeutig ebenfalls auf das Privileg bezieht, königliche Geheimnisse zu hören. Der König bleibt auch im Neuen Reich die maßgebende Instanz bezüglich der richterlichen Handlungen der Beamten. cn-n-Mw.t konnte behaupten, daß ihm seine Herrscherin ihr Herz offenbart und das Geheimnis anvertraut habe 1046 . An einer anderen Stelle seiner Autobiographie beschreibt cn-n-Mw.t seine verschiedenen Titel mit den Angaben über sein Hören auf seine Königin und die darauf folgende Rechtsprechung wie folgt: jnk wr wr.w m t# r-Dr=f sDm sDm.t wo m wo.w jmj-r# pr n [Jmn]cn-n-Mw.t m#o-Xrw jnk mH jb n njsw.t n wn m#o jr Hs.tj nb=f m xr.t hrw jmj-r# jw#.w n Jmn cn-n-Mw.t jnk [wpj] m#o.t tm rdj Hr gs 1042 Vgl. CG 20538 I c, 10. 1043 s n wow wb# n=f jb „der einzige Mann, dem das Herz geöffnet wird“, CG 20539 I b, 7. 1044 Xntj s.t m stp-s# hrw sDm md.t wo Hr Xw m-b#H nb t#.wj Xft Tj# sH „einer, dessen Platz am Tage des Hörens vorn im Palast war, der Einzigartige vor dem Herrn der beiden Länder bei der Beratung“. BM 566=HT IV pl. 37; vgl. Hrj sSt# n njsw.t m nD-Hr=f hrr.w t#.wj Hr s.t-r#=f „der Geheimrat des Königs bei der Begrüßung (? ), mit dessen Ausspruch die beiden Länder zufrieden sind“, BM 100=HT V pl. 4. Für die Bezeichnung der Nähe zum König vgl. auch: mH-jb n njsw.t Xntj t#.wj mrjj=f m-m smr.w sXm-jrj=f m-m sr.w Xntj s.t r sm# s.t-Or „der Vertraute des Königs vor den beiden Ländern, sein Geliebter unter den Freunden, sein Machthaber unter den Beamten, dessen Platz dem Thron des Horus nahesteht“, CG 20539 I b, 6-7. 1045 Hrj sSt# n njsw.t m nD-Hr=f hrr.w t#.wj Hr s.t-r#=f , BM 100=HT V, pl. 4. 1046 Dd.w n=j ntt m jb sHD.w n=j [jmn.t] „Mir wird das gesagt, was am Herzen liegt. Mir wird [das Verborgene] enthüllt.“ Urk. IV, 400, 11-12. <?page no="173"?> 174 Kapitel V - Der Richter als Hörer 174 hrr nb t#.wj Hr tp.t-r#=f r# nXn Hm nTr m#o.t cn-n-Mw.t Ich war der Größte der Großen im ganzen Lande, einer, der allein in der Abgeschiedenheit hört, was man hören darf, Domänenvorsteher des [Amun] cn-n-Mw.t , der Gerechtfertigte. Ich war ein wahrhafter Vertrauter des Königs, einer, der täglich tat, was Seine Majestät lobte, Domänenvorsteher der Rinder des Amun, cn-n-Mw.t . Ich war einer, der gerecht [richtete], ohne parteiisch zu sein, einer, mit dessen Ausspruch der Herr der beiden Länder zufrieden war, Mund von Nechen, Priester der Maat, cn-n-Mw.t 1047 . Man sieht deutlich, wie der Verfasser mit größter Sorgfalt die Inschriften angeordnet hat, was für eine wichtige Stellung das Hören auf die Herrscherin darin einnimmt und wie sich die Tätigkeiten in der Rechtsprechung mit anderen Aufgaben überschneiden. In den drei je mit jnk beginnenden Abschnitten hat cn-n-Mw.t drei Aspekte der Rechtsprechung im alten Ägypten herausgestellt. Im ersten Abschnitt erwähnt er zuerst seine bedeutende Stellung im Lande. Diese Stellung hat ihn berechtigt, allein auf Seine Majestät zu hören 1048 . Der zweite Abschnitt verbindet den ersten und den dritten Abschnitt. Da er von seiner Königin die Anordnungen zur Handlung erhalten habe, muß er nun die königlichen Bestimmungen im Lande durchsetzen, das heißt das tun, was die Königin lobt. Im dritten Abschnitt nennt er eine konkrete Handlung beim Richten, indem er beteuert, daß er beim Richten nicht parteiisch gewesen sei und damit zur Zufriedenheit Seiner Majestät gehandelt habe. Die gerechte Handlung kommt erst nach dem aufmerksamen Hören auf die Herrscherin. Daher war sie auch zufrieden mit seinem Urteilsspruch. Der Wesir RX-mj-Ro schildert ganz konkret, wie ihm der König eine Anordnung anvertraute: wpj.t Hm=f r#=f Dd=f mdw=f swt Xft Hr=j „Seine Majestät öffnete seinen Mund und sprach die Worte gegenüber mir.“ 1049 Jmn-Htp ermöglicht uns darüber hinaus einen Blick darauf, wie einem Beamten aufgrund seines guten Charakters und gerechtem Ratschlags der innere Gedanke des Königs offenbart wird: sDm mdw.t n k#p sSt# sr wb#jj n=f jb , „einer, der die Angelegenheiten des geheimen Frauengemachs hörte, ein Beamter dem 1047 Urk. IV, 410, 11-411, 4. 1048 Damit hängt wahrscheinlich auch seine Ernennung zum obersten Mund des Palastes von der Königin Hatschepsut zusammen. Mit der Nominierung konnte er im ganzen Lande in letzter Instanz richten. Vgl. dazu Urk. IV, 405, 2-4. 1049 Urk. IV, 1074, 10. <?page no="174"?> 4. Das Hören und das Vertrauen 175 175 das Herz (des Königs) anvertraut wurde“ 1050 . Erst durch diese Offenbarung ist es einem Beamten möglich, Gesetze für seinen Herrn auszuarbeiten: hr jwn m#o nDt-r# jrj hp.w n jmj oH „einer mit erfreulichem Charakter und rechtem Ratschlag, der die Gesetze für den Bewohner des Palastes festlegt“ 1051 . Natürlich stellen die Eigenschaften hr jwn m#o nD.t-r# Voraussetzungen dafür dar 1052 . Aus den spärlichen Angaben des Wesirs P#-sr aus der 19. Dynastie über seine Laufbahn läßt sich vermuten, daß die Beziehung zwischen dem König und seinen Beamten bezüglich des Hörens im Bereich der Rechtsprechung in der Ramessidenzeit gleich blieb. Erst das vorausgehende Reden des Königs führt dazu, daß der Beamte anschließend gerechte und daher zufriedenstellende Worte sprechen kann: „(Ich war einer,) dem der Herzensgedanke ausgesprochen wurde, dem nichts versteckt wurde, der die Ohren des Horus mit Maat füllte, mit dessen Aussprüchen man zufrieden war.“ 1053 P#-sr hebt das Hören auf den König als die Voraussetzung hervor, daß er richtig sprechen konnte. Aus diesem Grund öffnet ihm der König sein Herz ohne Vorbehalt. Auf der anderen Seite setzt die Offenbarung des Königs voraus, daß P#-sr für den König die Maat tut, indem er mit angemessenem Urteil die Prozessierenden zufrieden stellt. Für die 26. Dynastie können wir feststellen, daß der König mit Befestigung des Königtums wieder ins Zentrum des Handlungsspektums der Beamten rückt. Der Vorsteher der Schatzhäuser P#j=f-T#.w-m-o.wj-N.t betont ausdrücklich, daß er von seinem Herrscher geliebt wurde, da er die Vorschriften befolgt und die Bitten aller Leute angehört habe 1054 . Hier sehen wir wieder die Dreiecksbeziehungen zwischen dem König, den richtenden Beamten und den Prozessierenden. 4. Das Hören und das Vertrauen Wie wir oben erörtert haben, wird das Hören auf den König als Privileg betrachtet, das nur erlesenen Beamten zuteil wurde. Das ist aber nur der eine Pol des Hörens der Richtenden. Aus dem Mittleren Reich sind Belege überliefert, in denen die Beamten beteuern, daß sie es als Ehre empfunden haben, als Zuhörer das Vertrauen der Mitmenschen gewonnen zu habenen. 1050 Urk. IV, 1815, 5-6. 1051 Urk. IV, 1815, 7-8; über die Problematik des Zustandekommens eines Gesetzes vgl. Kapitel III. 1052 Die Fähigkeit der Beamten, das Gehörte geheim zu halten, hat dabei sicher eine Rolle gespielt; vgl. die folgende nicht spezifisch auf das Rechtsgebiet beschränkte Aussage: Dd.tw n=f ntt m jb H#p x.t mj sdX mw „einer, dem gesagt wird, was im Herzen ist, der den Leib verschließt, wie ein verstecktes Wasserloch“, Urk. IV, 1578, 10-11. 1053 Dd.tw n=f ntj m jb nn wn jmn.tw n=f mH onX.wj Or m m#o.t hr=tw Hr pr.w n r#=f , KRI I 297, 3-4. Es muß innerhalb der Ramessidenzeit Entwicklung und Veränderung gegeben haben. Aber sie können wegen der fehlenden Belege nicht ermittelt werden. 1054 BM 83, C, 1, Bakry, in: OrAnt 9, 329. Vgl. Auch die Autobiographie des onX-Or , Bietak, Das Grab des Anch-Hor, I, Text II, 134. <?page no="175"?> 176 Kapitel V - Der Richter als Hörer 176 Vom Gesichtspunkt des Bittstellers aus gesehen ist es ein Akt der Erleichterung, das auszuschütten, was sie auf dem Herzen haben. Vom Gesichtspunkt des Richtenden gesehen stellt das Zuhören einen Prozeß dar, wodurch er das Vertrauen des Bittstellers gewinnen kann. Diese wechselseitigen Beziehungen zwischen den Bittstellern und den Richtern sieht man am deutlichsten in den Ausdrücken, die mit Hilfe des Wortes jb gebildet sind. Der erste Akt, das heißt das Auschütten des Kummers von seiten des Bittstellers, wird mit wb# jb „das Herz öffnen” bezeichnet 1055 . Der zweite Akt, nämlich die freundliche Aufnahme und die gegebenenfalls zufriedenstellende Entscheidung auf der Seite des Richters wird mit hnn jb „geneigten Herzens“, sXmX jb „das Herz erheitern” und weiteren anderen mit jb gebildeten Phrasen wie vor allem w#H jb „aufmerksamen Herzens“ zum Ausdruck gebracht 1056 . Es ist daher eine Kommunikation zwischen beiden Herzen, die durch das „Öffnen” und die „Befriedigung” in Gang gesetzt wird 1057 . Dieser innerliche Kontakt zwischen den Richtern und den Bittstellern ist sicherlich ein Teil des Prozesses der „Erfindung des inneren Menschen“ 1058 , der im Mittleren Reich stattgefunden hat 1059 . „Der Außenstabilisierung des Individuums durch seine Einbindung in das Gesellschaftsgefüge mit dem König als Zentrum steht nun eine Innenstabilisierung durch das Herz gegenüber, das als Sitz von Wollen, Denken und Fühlen die Führung übernimmt und den Menschen anleitet zum Tun des Guten und zum Dienst in der Beamtenlaufbahn.“ 1060 Die „herzliche“ Aufnahme der Bittsteller durch die Richtenden wird in der Lehre empfohlen. Der Vater in der Lehre eines Mannes an seinen Sohn formuliert dafür den folgenden kurzen Satz: oq.w md.wt wb# n=f m sDm.t 1061 . Hier wird schon eine Kommunikation zwischen dem Redenden und dem Hörenden angedeutet. An einer anderen Stelle der Lehre (§19,7-8) wird eindeutig die konstruktive Wirkung des Hörens in der Kommunikation betont: nn X#X r# Swj [m (? )] XnS j.wn n=f x.t „Es gibt keinen hastigen Mund, 1055 Die Wendung wb# jb kann auch wie oben gezeigt für den König in bezug auf die Konstellation von König und den Beamten benutzt werden, aber mit völlig anderer Konnotation. 1056 Der Gott Amun wird von dem verstorbenen Bittsteller mit den folgenden Worten gebeten: ntk nX nfr n mH-jb jrr wSb r Xrw n ntj nmo , Legrain, Statues et Statuettes, III, p. 22. „Das Herz erfüllen“ kann über das Hören hinaus auf das materielle Zufriedenstellen des Verlangens des Bittstellers hindeuten. In der Lehre des Ptahhotep wird der Schüler geraten, durch „Großzügigkeit ( kf#-jb )“ „Hörige mrt “ anzuwerben. Prisse 8, 6=Devaud 233. 1057 In der Lehre eines Mannes für seinen Sohn wird die Beziehung zwischen dem richtigen Hören und dem Gewinn des Vertrauens unterstrichen: oq.w md.wt wb# n=f m sDmt , Helck, Lehre eines Mannes, 33. 1058 Titel des 6. Band der Serie Studien zum Verstehen fremder Religionen, (Hrg.) J. Assmann u. T. Sundermeier. 1059 Vgl. den Beitrag Assmanns in dem oben genannten Band, „Zur Geschichte des Herzens im Alten Ägypten“, 81-113. 1060 Assmann (1990a), 119. 1061 Helck, Lehre eines Mannes, II3. Herr Prof. Fischer-Elfert machte mir freundlicherweise den folgenden Übersetzungsvorschlag: „Wer Zugang zur Rede hat, ist einer, der das Gehörte offenbart.“ <?page no="176"?> 4. Das Hören und das Vertrauen 177 177 der frei wäre von Gestank, dem Intimes offenbart würde.“ 1062 Wer nicht imstande ist, sich in einen anderen Menschen einzufühlen, kann auch nicht verstehen, was dieser wirklich meint. Der Oasenmann betont bei seiner Ausführung über das Hören ausdrücklich die Beziehung zwischen dem Gesicht und dem Herzen: Xpr #w Hr m Hwo jb „Wer ein langes Gesicht zeigt, wird ein kurzes Herz bekommen.“ 1063 Wer ein langes Gesicht zeigt, hat ein verkürztes Herz und wer ein verkürztes Herz hat, kann die Bittsteller nicht der Wahrheit gemäß behandeln 1064 . Hier ist eindeutig auf den Zusammenhang zwischen dem Herzen als dem befehlenden Organ und dem Gesicht als dem Gefühlsanzeiger gemeint 1065 . „Nur das umgeformte, sozusagen maatisierte Herz, das seine spontanen Gefühle und Triebe zu unterdrücken und sein individuelles Selbst mit dem Allgemeinen und sozialen (wie Vernunft, Gemeinsinn, Moral und Manieren) zu vermitteln gelernt hat, ist zum Führertum befähigt.“ 1066 Daher mahnt der Oasenmann den richtenden Rnsj direkt: m Snt jb=k nn (n)=k s.t „Sei nicht ärgerlich. Das steht dir nicht an.“ 1067 Rnsj soll demnach nicht durch unfreundliches Verhalten sein Herz beschädigen 1068 , denn ein langes Gesicht gefährdet die Freundschaft 1069 . 1062 Umschrift und Übersetzung nach Fischer-Elfert, Lehre eines Mannes, 189 und 202. Die alten Ä gypter verglichen tatsächlich gute Rede mit Myrrhe ( jqr mdw Xnmw=s jrj m ontw ), vgl. Jansen- Winkeln, Ägyptische Biographien, I, 160. 1063 B1, 302. Die Beziehung zwischen richterlichen Handlungen und gesellschaftlicher Ordnung wird mit Hilfe des Gegensatzes von „lang“ und „kurz“ ausgedrückt, vgl. B1, 139-140: Hwo Xsf #wj jj.t „Wenn die Strafe kurz ist, wird das Unheil lang.“ Für eine andere Beschreibung der Änderung des Gesichtsgefühls vgl. jnk nfr nn sjn Hr , Sethe, Lesestücke, 81, 6. Vgl. dazu noch die Wendung Hbs Hr , in B1, 198, B2, 105. Die gerechten und unbestechlichen Richter im Totengericht werden mit jwtj T#m.t nt Hr.w=sn bezeichnet, die unparteiisch die Lebensführung der Toten prüfen und entsprechende Strafe aussprechen. Tb (Budge) II, 149, 17-18. Der Oasenmann fordert offensichtlich den Oberdomänenvorsteher auf, nicht dem gerechten Bittsteller ein ungerechtes langes Gesicht zu zeigen. 1064 Für die Übersetzung der Wendung Hwo jb mit „verkürztem Herzen“ s. Jansen-Winkeln, in: ZÄS 121, 56; s. dazu noch Otto, Biogr. Inschr. 76 mit Anm. 7, wo zahlreiche Belege angegeben werden. Die Übersetzung Parkinsons, The Tale of Sinuhe, 71, „The confident man becomes miserable“ paßt in dem Kontext nicht. Neben dem „verkürztem Herzen“ ist ein gieriges Herz ebenfalls nicht imstande, den Bittstellern gegenüber zu stehen, die ihr Herz ausschütten. Vgl. dazu B2, 109-111. Über die Unmöglichkeit der Kommunikation wegen der Habgier des Herzens wird in der Geschichte des Lebensmüden zweimal geklagt, 105-106: own jb s nb Hr jT.t X.wt sn.nw=f „Das Herz ist habgierig. Jederman nimmt die Sachen seines Bruders weg.“ 120-121: jb own nn wn jb n s rhn=tw Hr=f „Das Herz ist habgierig. Es gibt kein Herz, auf das man sich stützen kann.“ In den Admonitions (2, 5-6) wird auch vom gierigen und gewalttätigen Herzen gesagt: jw-ms [jb] sXm j#d.t Xt t# snf m s.t nb „[Das Herz] ist gewalttätig. Not ist überall im Land und Blut ist an jeder Stelle.“ 1065 Über das Herz als das maßgebende Organ vgl. z. B.: jn jb qm# bj.t , OIC 25382, rt. 4, Fischer- Elfert, in: OA 27, 203; [jn] jb soS# qdw sb# qn r ms.t bj.t „Es ist das Herz, das einen Charakter vielfältig macht, ein starker Lehrmeister, der gutes Wesen schafft.“ pRamesseum II, Übersetzung nach Brunner, Weisheitsbücher, 194; vgl. dazu auch Yoyotte, in: RdE 13, 118. 1066 Assmann (1993a), 100. 1067 B1, 301. 1068 Der Satz m Snt jb=k heißt wörtlich „Streit nicht mit deinem Herzen.“ 1069 In der Lehre des Amenemope (Kapitel 10) wird der Schüler davor gewarnt, einen verhaßten Mann mit einer falschen Begrüßung anzusprechen. Dies wird das Herz des Sprechers schädigen. Der <?page no="177"?> 178 Kapitel V - Der Richter als Hörer 178 In der Inschrift aus Wadi el Hudi behauptet %wjj , daß er „ein Mann der qnb.t war, dem sich das Herz öffnete“ 1070 . Diese Aussage steht gerade dem Vorwurf des Oasenmannes an Rnsj gegenüber, daß dieser sich gegenüber einem Hilfsuchenden taub gestellt habe. Als ein Mitglied der qnb.t , das sich in diesem Kontext mit der Rechtsprechung befaßt, zeigt %wjj seine Bereitschaft, das Anliegen seiner Leute zu hören. Die Öffnung des Herzens auf der Seite der Bittsteller ist daher eine logische Reaktion 1071 . Der Zusammenhang zwischen der Bereitschaft des Richters, ein zufriedenstellendes Hören anzubieten und der Bereitschaft des Bittstellers, das Beabsichtigte auszusprechen, ist auch in der autobiographischen Inschrift des Rdjw-$nmw , eines Domänenvorstehers aus dem frühen Mittleren Reich ersichtlich. Nach der Angabe, daß er, wie der obengenannte %wjj , zu der Beamtenschicht gehört, beschreibt er sein Verhalten gegenüber den Bittstellern wie folgt: pg# jb HD jmj.wt x.t sbT Hr n spr.tj r Dd(.t)=f ntt m jb=f ein Offenherziger, der (eigene) Gedanken nicht verbirgt, freundlichen Gesichts gegenüber dem Bittsteller, bis er ausspricht, was an seinem Herzen liegt 1072 . Die Wendung pg# jb bezeichnet den Zustand des Richters beim Ankommen des Bittstellers. Diese Offenheit wird mit der folgenden Phrase HD jmj.wt x.t noch verstärkt. Die zwei Phrasen bedeuten gleichmaßen die Aufrichtigkeit des als Richter fungierenden Beamten. Aber die Parallelen, einmal zwischen pg# „offen“ und HD „hell“ sein und das andere Mal zwischen jb „Herz“ und x.t „Körper“ bringen die Eigenschaften Offenheit und Ehrlichkeit sehr anschaulich zum Ausdruck. Da er bei seiner richterlichen Handlung nicht nach persönlichen Interessen strebt, kann er den Bittsteller mit einem einladenden Gesichtsausdruck aufnehmen 1073 . Hier sieht man wieder die Wechselbeziehung zwischen dem Herzen und dem Gesicht, die wir oben an einem Beleg aus der Geschichte des Bauern erwähnt haben. Bei diesem Beleg wird außerdem die Geduld des Richters betont. Nur ein Richter, der ein offenes Herz besitzt, kann den Bittsteller freundlich behandeln, bis dieser seinen Schüler wird ausdrücklich aufgefordert, das Herz nicht von der Zunge zu trennen. 1070 Fakry, Wadi el Hudi, 21 (Zeichnung), pl. 7a; für die Übersetzung vgl. auch Schenkel, MHT, 261. 1071 Jt-jb=j aus Siut sagt, daß er „gegenüber den Bittstellern nachsichtig war“ ( T#m Hr n sprw[.w] , Siut III, 4). 1072 CG 20543 a, 4-5. 1073 In seiner 8. Rede wirft der Oasenmann Rnsj vor, daß dieser aufgrund seiner Habgier das Herz des Bittstellers nicht verstehen kann: n sj#.n=k jb=j , „Du kannst mein Herz nicht erkennen“. B1, 329. <?page no="178"?> 4. Das Hören und das Vertrauen 179 179 Kummer und seine Anliegen aus seinem Herzen herausläßt 1074 . Man sieht noch einmal deutlich das Kommunizieren zwischen den zwei Herzen. Die Offenheit und Milde eines Richters spielt demnach eine wichtige Rolle für die Frage, ob die Bittsteller zu ihm Vertrauen haben 1075 . Keine Bittsteller würden einem ungerecht strengen Richter vertrauen. MnTw-Htp sagt auf seiner Stele, daß er wußte, daß „ein Hochmütiger nie beliebt ist“ 1076 . Daher war er dem Bittsteller leicht zugänglich und ihm gegenüber geduldig: hnn jb r Dd.t=f m#r=f „zugewandten Herzens, bis er (der Bittsteller) seine Not ausspricht“ 1077 . Die Beispiele nehmen an Zahl zu. Sie zeigen, wie die Beamten danach gestrebt haben, den Bittstellern ein aufmerksames Ohr zu schenken und dadurch das Vertrauen der Bittsteller zu gewinnen. Der stellvertretende Vorsteher der Siegelträger cHtp-jb-Ro erklärt, daß er das Vertrauen der Mitmenschen deswegen genossen habe, weil er ihre Herzen erheitern konnte: sXmX jb s#w jw.t=f n Snjjt Dd.n n=f x.wt Xrt=sn , „einer, der das Herz erheitern kann, auf dessen Kommen die Hofleute warten, einer, dem die Körper erzählen, was in ihren ist (=die Gedanken)“ 1078 . Die recht bildlich aufgefaßte Schilderung veranschaulicht, was für ein gesuchter Zuhörer cHtp-jb-Ro gewesen war. Die Hofleute waren nicht imstande, die Bittsteller befriedigend anzuhören 1079 . Erst mit der Ankunft des cHtp-jb-Ro geben die Bittsteller ihr wahres Vorhaben bekannt. Mit anderen Worten ausgedrückt suchten die Bittsteller cHtp-jb-Ro auf , um ihr Verlangen zu äußern. Das Hören ist demnach eine Kunst, die nicht jeder beherrscht. Auf derselben Stele beschreibt cHtp-jb-Ro noch eingehender diese Kunst des Hörens: „geduldigen Herzens, ohne seinesgleichen, der gut im Hören und trefflich im Reden ist, ein Beamter, der die Knoten löst“ 1080 . Mit diesen scheinbar leeren Phrasen wird sehr wahrscheinlich eine Gerichtsverhandlung zusammengefaßt, in der der richtende Beamte geduldig auf das Anliegen der Bittsteller hört und dann entsprechende Entscheidungen trifft. Der Gaufürst Ef#j-Oopj beschreibt seine Beliebtheit bei den Bittstellern ebenfalls mit Ausdrücken, die mit Hilfe des Wortes jb gebildet werden: wo Hr Xw m [wb#] n=f jb mnX jb 1074 Die folgende Aussage des cbk-dd halte ich für wahrscheinlich, auch in dieser Richtung zu interpretieren: sj# s r tpt-r#=f sH#.n n=f H#.t jmj=s dd bS H#tj om.t.n=f , BM 566=HT IV pl. 37. Die Vertrauenswürdigkeit des cbk-dd hat sogar demjenigen zum Reden gebracht, der sich zum Schweigen entschieden hatte. Dieser Beleg ist bisher in dem Sinne interpretiert worden, daß der Richter den Kriminellen zwang, die Wahrheit auszusprechen, vgl. Clère, in: JEA, 35, 41, n. 5; dazu noch Assmann, Liturgische Lieder, 199. 1075 sr [wb#] n=f jb tm wj[n] [Dd.t] n=f „ein Beamter, dem das [Herz] öffnete, einer, der das nicht zurückwies, was ihm [gesagt wurde]“, Kairo 1013, Ergänzungen nach Urk. IV, 546, 13; vgl. jnk sfn.w sDm=j rn=j n Dd n=j wnnt m jb , BM 581, Sethe, Lesestücke, 80, 18-19. 1076 nn Hrjj k#hs mrjj , Stele UC 14333, 11ff.; Steward, Egyptian Stelae, II, pl. 18. 1077 a.a.O., Z. 11-12. 1078 CG 20538 I c, 2-3. 1079 Diese einzigartige Fähigkeit wird natürlich von vielen beansprucht. Der Gaufürst oH#-nXt sagt in seiner Autobiographie, daß er ein trefflicher Mann war, dem sich das Herz öffnete: s jqr n wb# n=f jb , El Bersheh, II pl. 21, 4. 1080 w#H jb jwtj sn.nw=f nfr sDm jqr Dd sr sHo Tss.t , CG 20538 I c, 7. <?page no="179"?> 180 Kapitel V - Der Richter als Hörer 180 jqr Ts.w „der Einzigartige, dem sich das Herz öffnete, der mit vortrefflichem Herzen und wirkungsvollen Aussprüchen“ 1081 . Hier steht die gute Eigenschaft des Richters mnX jb der Handlung des Bittstellers ( wb# jb ) gegenüber. Die Wendung mnX jb bezeichnet die Kunst des Zuhörens des Richters, sein Herz mit dem des Bittstellers in Einklang zu bringen. Mit dieser Kunstfertigkeit hat Ef#j-Oopj dann keine Schwierigkeit, den trefflichen Spruch zu finden 1082 . Diese im Mittleren Reich mehrfach belegten Beteuerungen der richtenden Beamten, daß sie durch ein gutes Hören auf die Bittsteller deren Vertrauen gewonnen haben, findet man in den folgenden Perioden nur selten 1083 . Dies liegt möglicherweise an den Lücken der Überlieferung oder in dem veränderten sozialen Kontext für der Autobiographien. Aber auf der anderen Seite gibt es in den Autobiographien des Neuen Reiches immer mehr die Aussagen, in denen die Verstorbenen behaupten, daß sie die Funktion eines Vermittlers zwischen den Göttern und den Hinterbliebenen gespielt haben 1084 . Schon Jmn-Htp aus der 18. Dynastie ruft die Nachlebenden mit den folgenden Worten an: mj n=j smj=j sprw.t=Tn jnk wHmw n nTr pn , „Kommt und berichtet mir eure Angelegenheiten. Ich bin ja doch der Berichterstatter dieses Gottes.“ 1085 Durch diese Rolle eines Vermittlers wollen die Verstorbenen ihre besondere Beziehung zum jeweiligen Gott oder zu der jeweiligen Göttin befestigen und gleichzeitig die Dankbarkeit der Lebenden erwerben 1086 . Ob die Beschreibungen des Hörens in den autobiographischen Inschriften des Mittleren Reiches im Neuen Reich durch die Idee der Vermittlerfunktion ersetzt wurde, ist möglich, läßt sich aber nicht mit Sicherheit beweisen 1087 . Mit der 26. Dynastie lassen sich wieder Behauptungen finden, die über die hörende Tätigkeit der Richtenden Auskunft geben 1088 . Auf der Statue des Or , eines Beamten in der Zeit des Petubastis I. findet man die Wendung sr n wb# n=f jb „ein Beamter, dem sich das Herz öffnet“, die auch in den autobiographischen Inschriften des Mittleren Reiches 1081 Urk. VII, 57, 20-21, Ergänzung nach Janssen, Autobiografie, 1, I, 9. 1082 Vgl. eine andere ähnliche Aussage: [#X jb? ] m wDo mdw mnX jb jqr ts.w , „[nützlichen Sinnes? ] beim Richten, loyal und redegewandt“ BM 100=HT V, pl. 4, rechts 4-5. 1083 Der Wesir RX-mj-Ro trägt das Epitheton Htp jb m wDo rjj.t , Urk. IV, 1071, 17. Ein Beamter aus der Zeit des Ramses II. behauptet in seiner Autobiographie, daß er die Bittsteller gut behandelt habe. Dabei betont er ausdrücklich, daß er Geduld ausgeübt habe, um gerecht richten zu können. Vgl. dafür Frood, Biographical Texts from Ramessid Egypt, 164. 1084 Baines (in: JEA 73, 90) stellt fest, daß die Statue des Wesirs der 12. Dynastie MnTw-Htp schon die Funktion des Vermittlers hatte. 1085 Urk. IV, 1835, 4-6. 1086 Urk. IV, 1856, 9-11. vgl. Urk. IV 1833 u. 1835. Vgl. auch. Clère, in: RdE 24, 53. 1087 Sogar der König Ramses II übernimmt die Vermittlerfunktion im Luxortempel, wo er die Bitten seiner Untertanen dem Gott Amun übermittelt, dazu s. Bell, in: JNES 44, 270. Die Praxis hat bestimmt auch dazu beigetragen, daß die Götter die Rolle des Anhörenden übernehmen, was in der Ramessidenzeit seinen Höhepunkt erreichte. Aus der griechisch-römischen Zeit werden mehrere Bezeichnungen überliefert, die das Hören der Götter beschreiben. Vgl. dazu Otto, Gott und Mensch, 29-30. 1088 Jansen-Winkeln, Ägyptische Biographien, Text A 11, e, 6. <?page no="180"?> 5. Das Hören auf die sozial Benachteiligten 181 181 vorkommt. Ob sich diese Phrase auf seine richterliche Aufgabe bezieht, ist wegen des fehlenden Kontextes nicht genau festzustellen. Von der Struktur des Satzes her gesehen ist es sehr wahrscheinlich. Jbj , der Domänenvorsteher der Gottesgemahlin, thematisiert seine Beachtung der Bittsteller in seiner Autobiographie. Im Anschluß an die autobiographischen Inschriften der Ersten Zwischenzeit betrachtet er die Bittsteller als diejenigen, die wie Waisen, Witwen und Furchtsame, der Hilfe der Richtenden bedürfen 1089 . 5. Das Hören auf die sozial Benachteiligten Diejenigen, die auf das Zuhören des Richters angewiesen sind, sind ausnahmslos sozial Benachteiligte. Sehr oft sind sie Witwen, die arm und schwach und schutzlos der Unterdrückung und Ausbeutung ausgesetzt sind. Schon in der Lehre für Merikare wird der Gott als derjenige bezeichnet, der jeden Weinenden erhört: jrr=f Ssp n-jb=sn sqdd=f r m## st Ts.n=f n=f k#r H#=sn rmm=sn jw=f Hr sDm jr.n=f n=sn Hq#.w m sTj (swH.t) Tsw.w r Ts.t m psD s#-o.w Er (der Gott) schafft das Licht für sie (die Menschen) und fährt (am Himmel), um sie zu sehen. Hinter ihnen hat er sich eine Kapelle erbaut, und wenn sie weinen, hört er. Er hat für sie Herrscher im Ei geschaffen, und Machthaber, um den Rücken des Schwachen zu stützen 1090 . Der Gott, der mittels seiner Statue im Schrein die Funktion eines Richters ausübt, schenkt den Unterdrückten eine besondere Aufmerksamkeit. Die Existenz der Machthaber findet ihre Legitimität darin, daß diese den Schwachen schützen sollen. Die Weinenden und die Schwachen beziehen sich sehr wahrscheinlich auf dieselbe Personengruppe, das heißt die Waisen und die Witwen. Bemerkenswert ist außerdem, daß die mit jb „Herz“ gebildete präpositionale Wendung n-jb=sn „um ihretwillen“ die Handlung des Gottes zugunsten der Menschen, insbesondere der Benachteiligten, bezeichnet. 1089 S. Kuhlmann/ Schenkel, Das Grab des Ibi, Text 99, 5-7; vgl. dazu Siut III, 3-5. 1090 Merikare E 135-136; Quack, Studien zur Lehre für Merikare, 78 und 197. In pAnastasi V 7, 3 (Gardiner, LEM, 58, 13) wird der Gott dafür gepriesen, daß er sein Gehör der weinenden Witwe schenkt ( X#o=k msDr ). <?page no="181"?> 182 Kapitel V - Der Richter als Hörer 182 Die Unterdrückten können selbst nichts gegen die Unterdrückung unternehmen. Sie können nur Klagegeschrei als Hilferuf oder Protest zum Ausdruck bringen. In den Liedern auf Sesostris III. wird der König dafür gepriesen, daß er Ägypten belebt und Streit aus dem Lande beseitigt habe. Interessant ist die darauf folgende Feststellung, daß der König die po.t -Leute belebte und die Kehle der rXjj.t- Leute atmen ließ 1091 . Hier ist natürlich die Funktion des Königs als der Herrscher des Landes und Ernährer des Volkes betont 1092 , aber es ist bemerkenswert, daß gerade die Leute der niedrigen sozialen Schichten an Atemnot leiden. In diesem Zusammenhang können wir die Behauptung des Oasenmannes verstehen, der seine Habe metaphorisch als die Luft für ihn bezeichnet 1093 . Ohne diese Lebensgrundlage kann er nicht überleben. Daraus können wir die Vermutung ableiten, daß die Wehklagen und die Atemnot eng verbunden sind und sich die Atemnot auf Nahrungsmangel bezieht. Aus der Ersten Zwischenzeit findet man Ausdrücke, in denen die Grabinhaber beteuern, daß sie denjenigen Beachtung geschenkt haben, die unter Atemnot litten. Der Gaufürst Jdw erklärt in seinem Grab in Bersheh, daß er die Worte dessen gehört habe, dem die Kehle eng war 1094 . Der Ausdruck „enge Kehle“ beschreibt den verzweifelten Zustand einer Person, die trotz der vielen Klagen keinen Zuhörer finden kann 1095 . Die Notwendigkeit, daß der Richter die Bittsteller aufnehmen sollen, erkennt man in der Autobiographie des onX.tj=fj , der ausdrücklich betont, daß er die Angelegenheit der Witwe tatsächlich, und nicht als ein „Amt der Nekropole“, d.h. eine nur zum Zwecke einer eindrucksvollen Grabinschrift angemaßte Tätigkeit angehört habe 1096 . $tj behauptet in seiner Autobiographie aus seinem Grab in Siut: „(Ich) gab Brot dem Hungrigen, Kleider dem Nackten. (Ich) hörte die Bitte der Witwe. (Ich) gab ein Zuhause dem Waisenkind.“ 1097 Der Hungrige, der Nackte, die Witwe und das Waisenkind gehören alle zu den Benachteiligten der Gesellschaft, die auf die Unterstützung der hörenden 1091 jj.n=f n=n sonX=f Km.t Xsr.n=f Snw=s jj.n=f n=n sonX.n=f po.t srq.n=f Htj.t rXjj.t „Er ist gekommen und hat Ägypten belebt, seinen Streit beseitigt. Er ist gekommen und hat die Vornehmen belebt, das Volk atmen lassen.“ Sethe, Lesestücke, 67, 16-18, Übersetzung nach Assmann, ÄHG, 479. 1092 Vgl. die Bezeichnung des Königs als den Luftgeber: onX.tw m T#w n dd=k „Man lebt von der Atemluft, die du gibst.“ Sinuhe B 236; s. auch Assmann, ÄHG Nr. 193, 17-22. 1093 T#w pw n m#jr X.wt=f „Die Habe des Armen ist seine Atemluft.“ B1, 263-264. In der Lehre des Amenemope wird dem Schüler die Folge beschrieben, die das Berauben des Armen von seinem spärlichen Besitztum verursachen könnte. Die Kehle des Räubers wird verstopft und darüber hinaus muß er noch das ausspucken, was er mühsam verschluckt hat; Kapitel 11: 14, 5-8. Hier wird die schicksalhafte Bestrafung aus ethischer Sicht geschildert. Der Gedanke, daß eine derartige Tat vom Vorgesetzten bestraft würde, wie Lange vermutete (Das Weisheitsbuch des Amenemope, 73-74), scheint mir hier, wenn überhaupt, nur eine unbedeutende Rolle zu spielen. 1094 jw sDm.n(=j) mdw [n] g#w Htj.t „(Ich) habe die Worte dessen angehört, der eine enge Kehle hatte.“ Urk. I, 271, 7 und 269, 5. 1095 Der Gaufürst c#-rnp.wt beschreibt im positiven Sinne, wie man eine enge Kehle bekommt. Er habe nämlich seinen König gepriesen, bis die Kehle eng wurde, s. Gardiner, in: ZÄS 45, Tf. VII, 13. 1096 Vandier, Mo c alla, Inscription N o 13, V,g,2-3. 1097 jw rdj.n(=j) t n Hqr Hbs.w n H#jj sDm.n(=j) spr.t nt X#r.t dj.n(=j) pr n nmHw , Siut IV, 62-64. <?page no="182"?> 5. Das Hören auf die sozial Benachteiligten 183 183 Richter angewiesen sind 1098 . Ein anderer Gaufürst onX.tj=fj erwähnt gerade bei der Schilderung der Hungersnot, daß er den Schwachen gerettet und das Anliegen der Witwe gehört habe 1099 . Jt-jb=j stellt daher die Beachtung der vorher benachteiligten Bittsteller mit der Wiederherstellung der Ordnung in seiner Stadt gleich 1100 . Das nachsichtige Entgegenkommen gegenüber den unter Armut und Gewalt leidenden Bittstellern, das mit der Wendung T#m Hr „das Gesicht verhüllen“ beschrieben wird 1101 , bezeichnet er als eine gute Planung für den Wiederaufbau seiner Stadt. Der Wesir RX-mj-Ro in der Regierungszeit des Thutmosis III. sagt nicht direkt, daß er auf die Weinenden gehört habe. Er drückt seine fürsorgliche Behandlung des Hilfsbedürftigen wie folgt aus: „Ich wischte die Tränen ab, indem ich meine Antwort bereitete.“ 1102 Hier wird vor allem die Handlung betont, die der richtende Beamte nach dem Anhören unternommen hat, nämlich eine zufriedenstellende Antwort und die Erfüllung der Wünsche des Bittstellers. An einer anderen Stelle seiner Autobiographie beschreibt RX-mj-Ro das Ergebnis eines guten Zuhörens und der damit verbundenen Reaktion folgendermaßen: ntj nb #tp.w m m#r=f hr[.w] „Jeder, der mit Not beladen wurde, war zufrieden.“ 1103 Der Bittsteller wurde von RX-mj-Ro freundlich aufgenommen, sein Leiden vertrieben und sein Vorhaben erfüllt. Das Hören des Richters verwandelte Trauer in Freude. Die Weinenden repräsentieren diejenigen, die in Tränen hilflos ihre trostlose Lage zum Ausdruck bringen. Deshalb betont RX-mj-Ro ausdrücklich seine gerechte Handlung gegenüber dem Nichtshabenden: „Ich habe mich gegenüber dem Nichtshabenden niemals taub gestellt. 1098 Vgl. Berlin 8163, 7-8, dr jhj n{t} jwtt n=f Swt n T# mnf n X#r.t nD j#wt n Hr nwd. O#-r#-w# sagt hier nicht, daß er auf die Armen gehört habe. Er sagt dagegen, daß er den Klageruf des Nichtshabenden beseitigt habe. Das Hören und die darauf folgende Handlung zur Erleichterung des Unterdrückten werden in einem Ausdruck kombiniert. 1099 [j]w nHm.n(=j) m#r m-o wsr s[D]m.n(=j) md[.t] X#r.t „(Ich) habe den Schwachen aus der Hand des Starken gerettet. (Ich) habe die Worte der Witwe gehört.“ Vandier, Mo c alla, Insch. 13, S. 242. Md.t bedeutet hier „Anspruch“ oder „Bitte“. Schenkel, MHT, 53 interpretiert die Wendung md.t X#r.t mit „die Lage der Witwe“. Zum Realitätsbezug der Berichte über Hungersnot und Naturkatastrophen und zur Problematik der Interpretation vgl. Assmann (1996a), 125ff. 1100 jnk jqr sXr.w #X n njw.t=f T#m Hr n spr.tj , Griffith, Siut, pl. II. Die Wendung T#m Hr kann sowohl negative als auch positive Bedeutung haben. Vgl. dazu Franke, Haqaib, 187ff. Freundlicher Hinweis von Fischer-Elfert. 1101 Im Gegensatz zu der gleichfalls als „das Gesicht verhüllen“ übersetzten Wendung Hbs Hr, die „sich gegen jmd. verschließen“ bedeutet. 1102 jH.n=j rmj.t m [Db#] wSb=j , Urk. IV, 1078, 5. Es scheint sehr aufschlußreich, in diesem Zusammenhang den Ausdruck on wSb einzubeziehen. „Eine Antwort zu geben“ umschreibt die Handlung des Richters nach dem Hören der Klage. Vgl. pOrbiney 8, 5-86 (Gardiner, LES, 18, 2-3), on(=j) wSb n p# th tw . Um für den klagenden Menschen einzutreten, ist die Bereitschaft des Richtenden erforderlich, jederzeit die Klagen anzuhören, z.B. dj=j r#=j wSb j#d n sDr jb(=j) , Guide to the Egyptian Galleries (sculpture),167-168, no. 645. Vgl. dazu auch Lefebvre, in: RdE 4, 23, 20. 1103 Urk. IV, 1076, 10; Gardiner, in: ZÄS 60, 68, h. Vgl. eine andere Aussage in Urk. IV, 1139, 17- 1140, 1: kf.t m#jr sjs #tp(.w) . <?page no="183"?> 184 Kapitel V - Der Richter als Hörer 184 Ich habe kein Bestechungsgeld von irgend jemandem angenommen“ 1104 . Das Ergebnis dieser gerechten Handlung ist, daß „es keinen Weinenden unter den Bittstellern gibt“ 1105 . In der Autobiographie des Jnj-Hrt-ms , des Hohenpriesters des Gottes Schu in Thinis, finden wir viele Aussagen über richterliche Handlungen, die in den Inschriften der Ramessidenzeit eine Ausnahme darstellen 1106 , da selbst die Autobiographien in den Gräbern oder auf den Stelen selten vorkommen. Um so interessanter ist die Tatsache, daß die Beschreibung eine emotionale Färbung hat, was typisch für diese Epoche ist 1107 : jnk rwj jw [dr] jjnd nh[p] [Hr] Xrw Snt#jj.t jnk Sdj ntj hrp dd k# [n ntj] g#w jnk nX n s#r-o wSb Hr X#rj m#r.tj Hr H.wt=s Ich vertrieb Unrecht und Sorge, ich schenkte Aufmerksamkeit der Stimme der Witwe. Ich rettete die Untergehenden und gab Lebensunterhalt den Notleidenden. Ich war ein Schutz des Schwachen, der eintrat für die Witwe, wenn sie ihrer Habe beraubt war 1108 . Die Witwe wird in diesem Satz mit demjenigen gleichgesetzt, der einen „schwachen Arm“ hat. Die Wendung „auf die Witwe antworten“ klingt ähnlich wie die oben erwähnte Fassung von RX-mj-Ro „mit der Antwort die Tränen abwischen“. Die beiden Aussagen beschreiben nicht direkt, wie der Richter dem Bittgesuch der Witwe Beachtung schenkt, sondern betonen die nachfolgenden Handlungen. Die Bereitschaft des Richters, auf die Stimme der Witwe zu hören, wird dadurch noch deutlicher. Außerdem erfahren wir aus der Aussage des Jnj-Hrt-ms den Grund, warum die Witwe weinte. Von der späten Ramessidenzeit bis zur 21. Dynastie sind keinerlei Belege über die hörende Tätigkeit des Richters überliefert. Einerseits verschwinden die Autobiographien rasch aus den Gräbern und andererseits übernehmen die Götter die richterlichen Funktionen. Das Hören auf die „Armen“ und „Schwachen“ ist völlig in die Zuständigkeit der 1104 n sx=j Hr=j r-sj r Sw-o Xr Xm n Ssp=j Xsj n wo , Gardiner, a.a.O., 70; vgl. Urk. IV, 1079, 5-6, wo Sethe Sw-o als s#-o („mit schwächlichem Arm, der Bedürftige“ ergänzt. 1105 nn Hr rmj n spr n=f , Urk. IV, 1161, 11. 1106 Der hier zitierte Abschnitt wurde in Assmann (1990a) 104-106 in breiterem Umfang übersetzt und kommentiert. Ich übernehme die Übersetzung Assmanns auf S. 104. 1107 Vgl. jnk nfw n] mrt=f jp-jb #ms n mdw=sn „Ich war der Kapitän seiner Hörigen, der fürsorglich war, sich um ihre Angelegenheiten zu kümmern.“ Ockinga, Two Ramesside Tombs, Vol. I, pl. 27, 38-39. Man denke an die zahlreichen Hymnen und Gebete, in denen auf einer Seite die persönlichen Beziehungen zu den Göttern hervorgehoben werden und auf der anderen Seite das Gefährdungsgefühl und dementsprechend das Schutzbedürfnis betont wird. 1108 Ockinga, a.a.O., 36-37. <?page no="184"?> 5. Das Hören auf die sozial Benachteiligten 185 185 Götter übergegangen. Selbst die Beamten, die früher als Richter die Bitten der Mitmenschen hörten, sind gegenüber den Göttern „arm“ und „schwach“ geworden und erbitten von den Göttern Zuwendung und Schutz 1109 . Nach einer langen Unterbrechung tauchen die sogenannten Idealbiographien ab der 22. und 23. Dynastie wieder auf und damit auch die Aussagen über das Hören auf die Bittsteller. Bemerkenswert ist die Tatsache, daß viele der Erwähnungen der hörenden Tätigkeiten aus den Inschriften der Amunpriester überliefert sind 1110 . Sie konzentrieren ihre Blickrichtung selbstverständlich auf ihre Götter 1111 . Aber die Mitmenschen spielen bei ihrer Auffassung des Lebens sowohl im Diesseits als auch im Jenseits eine wichtige Rolle 1112 . Der Amunprophet und Armeevorsteher Ed-EHwtj-jw=f-onX sagt auf seiner Statue: „Ich bin zu der Witwe auf deren Stimme gekommen. Ich habe für ihren Fall gekämpft, [wenn sie] beraubt wurde... [Ich versetzte] den Kummervollen in Zufriedenheit. Ich setzte den Sohn an die Stelle seines Vaters. Ich wischte die Träne dessen ab, der mit zerrissenem Herzen war.“ 1113 Das aufmerksame Hören und die darauf folgende Handlung beschreibt er bildlich als Abwischen der Tränen 1114 . Damit konnte die mit Kummer beladene Frau 1109 Das häufige Auftreten des Bittstellers als „Armer“ und „Schwacher“ und die Bezeichnung der Götter als gerechte Richter in den Gebeten dürfen nicht als Beweise dafür betrachtet werden, daß die überall herrschende Bestechung und Korruption in der Ramessidenzeit die Menschen veranlaßt hätten, bei den Göttern ihr Recht zu suchen. Die Hymnen und Gebete sind eigentlich die „Luxusgüter“ der Oberschicht. Gerade diese Personen aus der Oberschicht, die früher den anderen Gehör und Schutz gewährleisteten, sind nun dessen bedürftig. Davon, wie die normalen Menschen in der Ramessidenzeit den sozialen Zustand empfanden, wissen wir fast nichts. 1110 Der Hohepriester und Kronprinz Osorkon vergleicht seine hörende Tätigkeit mit der Fürsorge der Mutter für ihre Kinder, die alle Bedürfnisse ihres Kindes rechtzeitig und vorbehaltlos befriedigt: mw.t j#mt-jb Hr rdj.t t n Hqr Db# H#j jj Hr bq#.w n m#r nDtj Snt#jj.t „wie eine mildherzige Mutter. Er gibt dem Hungrigen Brot, bekleidet den Nackten, eilt auf den Ruf des Elenden herbei und beschützt die Witwe“, Jansen-Winkeln, Ägyptische Biographien, Text B 22, Z. 5-6. Vgl. Siut III, 5 oHo Hr pg# n X#r.t r dr=f D#rw=s . 1111 Die Schutzbedürfnisse, die die Amunpropheten gegenüber ihrem Gott empfunden haben, sehen wir deutlich in ihren Gebeten an Amun, die uns an den dringenden Hilferuf der Ramessidenzeit erinnern: ntk nXw nfr n mH jb jrr wSb r Xrw n ntj nmo „Du bist ein guter Bechützer des Vertrauenden, einer, der auf die Stimme des Verstorbenen antwortet.“ Jansen-Winkeln, a.a.O., Text A 4, c, 16; ntk on wSb n j#d wfon=f nXt-o „Du bist es, der auf den Leidenden antwortet, der den Gewalttätigen bändigt.“ a.a.O., d, 2-3; ntk nbnb mtj tm om jb Hr spr.tj „Du bist ein richtiger Beschützer, der den Bittsteller nicht vernachlässigt.“ a.a.O., Text A 4, c, 18-19. 1112 Ed-Ehwtj-jw=f-onX teilt seine Inschrift auf der Stele (Stele Berlin 22461, Jansen-Winkeln, in: SAK 22, S. 180 Abb. 6) in vier Abschnitte. Zuerst kommt ein Lobpreis auf den Gott Osiris. Dann folgen die Beschreibungen seiner Trefflichkeit in den Tätigkeiten und seine Gunst beim König. Im dritten Abschnitt wird sein Verhalten gegenüber den Mitmenschen zusammengefaßt. Im letzten Abschnitt befinden sich eine Anrede an die Götter und der Anruf an die Lebenden. Bei der Raumverteilung wurden alle Elemente - Götter, König und Mitmenschen - berücksichtigt. 1113 jw=j n Sn.t Hr Xrw=s oH#.n=j Hr sp=s ow# / / / xr jw m nDm jb rdj.n=j s# Hr s.t jt=f sk jH fdq jb , Jansen-Winkeln, a.a.O., Z. 11-13. Bei der Ergänzung und Übersetzung folge ich Jansen-Winkeln auf S.- 181. Für den Ausdruck fdq jb vgl. die Wendung sD.w jb.w , die den elenden Zustand der Feinde beschreibt, Sethe, Lesestücke, 84, 8. 1114 Vgl. die oben erwähnte ähnliche Aussage des RX-mj-Ro . Vgl. auch Siut III, 5: oHo Hr pg# n X#r.t r dr=f D#r.w=s „einer, der auf dem Kampfplatz der Witwe steht, bis er ihre Not vertrieben hat.“ <?page no="185"?> 186 Kapitel V - Der Richter als Hörer 186 zufrieden gestellt werden. Das Wort sp hier und in der oben zitierten Stelle aus der Autobiographie des Jnj-Hrt-ms bezeichnet einen Unglücksfall, den ein ungenannter Verbrecher verursacht hat. Die Witwe stieß einen Hilferuf aus, womit natürlich die Klage der Witwe gemeint wird 1115 . Interessant ist außerdem, daß Ed-EHwtj-jw=f-onX nicht sagt, daß die Witwe zu ihm gekommen sei. Er war es, der der Witwe zur Hilfe eilte 1116 . Hier wird neben dem Hören des Richters besonders seine schnelle Handlung betont, denn in dem Fall einer beraubten Witwe ist ein Zuhören zwar notwendig, aber keineswegs das Endziel der richterlichen Handlung 1117 . Der Domänenvorsteher der Gottesgemahlin in der 25. Dynastie, „Or-r-w# , schildert seine Hilfsbereitschaft gegenüber der Witwe wie folgt: Xw.n(=j) j#wj mk.n(=j) x#r.t rdj(=j) o=j n ntt m jhm „Ich habe den Alten gehütet. Ich habe die Witwe beschützt. Ich habe meinen Arm dem gegeben, der in Trauer war.“ 1118 Der Alte und die Witwe repräsentieren die physisch Schwachen. Aber die hier gemeinte Schwäche ist nicht die Folge des natürlichen hohen Alters oder des weiblichen Geschlechts. Sie wurde durch Gewalt von außen verursacht. Die sozial Benachteiligten können sich nicht wehren und versinken in tiefe Trauer. Es ist wahrscheinlich, daß „Or-r-w# sich mit der Wendung „in Trauer“ auf die „Alten“ und die „Witwen“ bezieht. Daher tritt der Richter entschieden auf, indem er den mit Kummer beladenen Schwachen seine starke und schützende Hand hinstreckte. Die enge Verbindung zwischen Hören und Schützen/ Retten ist auch in der Autobiographie des Jbj deutlich: „Ich wandte mein Gesicht dem Furchtsamen zu, wenn sein Fall vorkam und sein Zeuge mit redendem Mund (im Gericht) auftrat.“ 1119 Angesichts der zu Unrecht Beschuldigten wendete er sein Gesicht. Diese als der Furchtsame bezeichnete Person wagte nicht, sich gegenüber seinem Gegner auszusprechen. Das Wort sp bezeichnet wie in den Inschriften des Jnj-Hrt-ms und des Ed-EHwtj-jw=f-onX eine Anklage vor Gericht. Es ist eine 1115 Der Amunpriester und Wesir NXt=f-Mw.t aus der Dritten Zwischenzeit setzt in seiner Autobiographie das Gesetz mit der Luft gleich, vgl. Jansen-Winkeln, Ägyptische Biographien, Text A 18, S.-205f. Vgl. dazu noch die Feststellung des Oasenmannes, daß sein Besitz die Luft für ihn ist. 1116 Der Oasenmann preist den gerechten Richter als denjenigen, „der auf den (Hilfe)Ruf kommt (jj Hr Xrw dd r# , Bauer B1, 98-99)“. 1117 Möglicherweise kann man die Vorwürfe des Oasenmannes an Rnsj , daß er nicht hört, in dieser Richtung interpretieren. Eigentlich hört Rnsj sogar ziemlich geduldig zu, während der Oasenmann redet. Aber das Hören ohne die folgende Handlung hilft dem beraubten Mann nichts. Der Oasenmann mahnt: „Ob ich komme, ob ein anderer kommt, du sollst reden. Antworte nicht mit der Antwort eines Schweigenden (mk wj r jw.t mk kjj r jw.t wSd=k m wSb.w m wSd gr.w , Bauer B1, 345-346).“ Schließlich ist indifferentes Zuhören nicht viel anders als Taubheit. 1118 BM 55306, Gunn-Engelbach, in: BIFAO 30, 812 B, 8-9. Das Wort jhm (Wb I, 118, 20ff.) ist nur geraten. Gunn und Engelbach schlugen mit Fragezeichen das Wort jmw vor (S. 812, Anm. (6). Bei der hieroglyphischen Inschrift sind sowohl das Zeichen für den Hügel als auch das Zeichen für den „schlechten Vogel“ zu sehen, die das Wort jmw jedoch nicht als Determinativ hat (Wb I, 77, 14). 1119 jw rdj{tt}.n(=j) Hr(=j) n snD sp=f Xpr(.w) mtr=f oHo(.w) m r# mdw(.w) , Kuhlman-Schenkel, Das Grab des Ibi, Text 99, pl. 24, 7-8; Manuelian, Living in the Past, 201. Vgl. noch Jin, „Der Furchtsame und der Unschuldige: Über zwei sozio-juristische Begriffe aus dem alten Ägypten“, in: JNES 62, 267-273. <?page no="186"?> 6. Das aufmerksame Hören 187 187 bekannte Tatsache, daß der Schwache und Arme von dem Starken unterdrückt wird 1120 . Aber was wirklich schlimm ist und daher nicht erlaubt werden darf, ist der Versuch des Starken, das Unrecht auch im Gericht durchzusetzen. Er verängstigte den Schwachen, so daß dieser aus Furcht sein Recht nicht zu behaupten wagte. In dem erwähnten Fall geht die Reaktion des Richters, wie bei dem oben zitierten Fall der beraubten Witwe, über die normale Handlung einen Schritt hinaus. Der Furchtsame wagt nicht, gegen den Gewalttätigen auszusagen und der Richter muß daher ihn zum Reden ermutigen. Die beraubte Witwe kann nur einen Hilferuf ausstoßen und der Richter muß zu ihr eilen. In beiden Fällen ist die aktive Handlung des Richters zugunsten der Schwachen erforderlich. Or-jr-o# , der Erzieher des Psammetik II. bezeichnet sich als einen, „der nicht taub war gegenüber dem Nichtshabenden zugunsten des Reichen“ 1121 . Die Haltung des Richters kann hier keine Ambiguität zulassen. Wenn der Nichtshabende beim Richter Gehör findet, ist dem (unrechten) Interesse des Reichen zwangsläufig eine Absage zu erteilen. Es wird nicht direkt gesagt, daß der Arme mit Gerechtigkeit und der Reiche mit Ungerechtigkeit verbunden seien, aber so eine Interpretation scheint sehr plausibel 1122 . Der Schwache oder der Arme hat deshalb Recht, weil die Ursache von Armut und Schwäche ausschließlich bei den Reichen und Starken liegt 1123 . Daher ist es notwendig, daß die richtenden Beamten den Schwachen und Armen eine besondere Aufmerksamkeit schenken. 6. Das aufmerksame Hören Im Mittleren Reich wird der Mangel an aufmerksamem Hören in Anspielung auf die Erste Zwischenzeit als die typische und unvermeidliche Erscheinung beim Zusammenbruch der königlichen Macht thematisiert. Den Zustand, in dem dieser Mangel herrscht, bezeichnet Assmann als „Kommunikationsverlust und Gewalt“ 1124 . Einerseits wird in den Texten, insbesondere in den Klagen, in schwarz-weiß-gemalten Bildern gezeigt, welche Folgen das Verschwinden des Hörens verursachen kann: 1120 O#-r-w# sagt daher, daß er die Lachenden angesichts der Bittsteller zum Schweigen gebracht hat. Vgl. Gunn-Engelbach, in: BIFAO 30, 813, C. 9-10. 1121 tm sx Hr r jwtj n=f n jb n Xwd , Jansen-Winkeln, in: MDAIK 52, 194 b, 6-7. Für n jb n im Sinne „nicht berücksichtigen“ vgl. Wb I 60, 4. 1122 Vgl. jnk jt n ntj m g#H tm wnj r m#r Hr m#o.t=f „Ich war der Vater des Schwachen, der den Armen wegen seiner Gerechtigkeit nicht überging.“ CG 42231, Jansen-Winkeln, Ägyptische Biographien, Text A, d, 8-9; für die Interpretation vgl. auch Lichtheim, Maat in Egyptian Autobiographies, 86. 1123 Einen Beweis für diese Annahme finden wir schon in der aus dem Neuen Reich stammenden Autobiographie des Nfr-sXr.w , eines Vermögensvorstehers am Königshof. Betreffend seines Verhaltens gegenüber Benachteiligten sagt er: „Ich vernachlässigte nicht einen, der Recht hatte, weil er arm war. Ich schob nicht einen Elenden zur Seite ( n mkH#=j m#o Hr Sw#=f bw gs#=j nm ).“ Osing, Das Grab des Nefersecheru, Tf. 43. 1124 Assmann (1990a), 82. <?page no="187"?> 188 Kapitel V - Der Richter als Hörer 188 tw r rd.t X.wt m msdd r sgr r mdw.w wSb=tw Ts o pr.w xr Xt mdw=tw m sm# sw Xn n md.t Hr jb mj Xt n{n} wXd.n=tw pr.w n r# Man gibt nur mit Haß, um den Mund, der spricht, zum Schweigen zu bringen. Um ein Wort zu beantworten, fährt der Arm mit dem Stock heraus, man spricht durch Totschlag. Rede wirkt auf das Herz wie Feuerbrand, man kann das Wort eines Mundes nicht ertragen 1125 . Das Nichtbereitsein oder die Unfähigkeit der Beamten, die auch als Richter fungieren, bedeutet eine Katastrophe für das Land, wenn das Gesagte, das die Richtenden hören sollen, die Wahrheit darstellt. In anderen Worten ausgedrückt können die Richter die Wahrheit nicht dulden. Es wird daher gesagt, daß „das Herz nicht imstande war, die Wahrheit aufzunehmen“ ( n sSp.n jb m#o.t ) 1126 . In der Geschichte des Bauern wird das Thema des geduldigen Hörens am Beispiel eines sich taub stellenden Beamten eingehend behandelt 1127 . Der richtende Rnsj wird gewarnt, ein Urteil zu treffen, ohne den Bittsteller zu Ende anzuhören. Wer mit seinem Mund eilig ist, kann nicht wohl überlegt sprechen 1128 , denn nur derjenige, der geduldig hört, kann die Wahrheit erfahren: w#H jb=k rX=k m#o.t „Möge dein Herz aufmerken, damit du die Wahrheit kennen lernst.“ 1129 Hier kann sich das Wort m#o.t entweder auf den Tatbestand einer Angelegenheit, der erst durch die Erzählungen der Parteien klar wird 1130 , oder auf die gerechte Handlungsweise der Beamten beziehen, die jeder Beamte zu Lebzeiten durch Hören (der Lehren) erlernen soll. In beiden Fällen ist die Aufmerksamkeit wichtige Voraussetzung 1131 . Neben den Klagen über die fehlende Aufmerksamkeit seitens der Beamten wird in den Lehren die Notwendigkeit der Ausübung der Geduld empfohlen. In der Lehre eines 1125 Helck, Neferti, Xh-XIa; die Übersetzung nach Assmann (1990a) 84; für die Interpretation vgl. auch Assmann (1994b), 54. 1126 BM 5645, Gardiner, Admonitions, pl. 18, vs. 5. 1127 Was der Oasenmann eigentlich verlangen sollte, ist nicht das geduldige Hören, sondern eine sofortige Handlung von seiten des Rnsj . Diesen scheinbaren Widerspruch können wir vielleicht dahingehend erklären, daß der Autor oder die Autoren der Geschichte, am Beispiel der Angelegenheit des Oasenmannes, verschiedene Aspekte der richterlichen Handlungen zu erörtern versuchten. 1128 nn X#X-r# Sw m wor „Keiner, der schnell redet, ist frei von Übereiligkeit.“ B1, 239-240. Diese Idee wird anschließend noch mit dem Gegensatz vom leichten Sinn und gewichtigen Gedanken veranschaulicht. 1129 B1, 241-242. 1130 Vgl. B1, 300-301: nb=j w#H=k njs.tw s r sp=f n wn-m#o . 1131 Anschließend wird die Bedeutung der Geduld noch mit sxm.w und X#X jb erläutert, B1, 242-243. In B1, 300 ruft der Oasenmann: nb=j w#H=k . Hier wird Rnsj ebenfalls aufgefordert, Geduld auszuüben, damit der Oasenmann sein Anliegen aussprechen kann. <?page no="188"?> 6. Das aufmerksame Hören 189 189 Mannes wird die Wichtigkeit des Hörens und damit die Qualifikation eines Beamten mit Anspielung auf den Garbenträger thematisiert: pnq md.wt xr H#.t XpS nn qnj.w sor<.w> r sH „Auschöpfen der Worte geht vor Gewaltanwendung, (denn) einen Garbenträger gibt es nicht, der zur Ratsverammlung zugelassen würde.“ 1132 An einer anderen Stelle wird die Fähigkeit des Beamten, eine richtige Entscheidung zu treffen, in bezug auf das Herz erötert: jn jb qm# bj#.t Xpr wpw.t m qb srf „Es ist das Herz, das das (rechte) Verhalten bewirkt, eine Entscheidung entsteht durch Besonnenheit in bezug auf das Temperament.“ 1133 So nimmt es nicht Wunder, daß der König seinen Beamten eindringliche Ermahnungen erteilt, die Rede eines Bittstellers nicht einfach als etwas schon Gesagtes zurückzuweisen, sondern ihn ausreden zu lassen: jr wnn wn sprw ntj r spr r=k m [nj(.w)] n# Dd=f m Dd.t hd=k sw rdj.n=k sDm=f n# hd=k sw Hr=s mk tw Dd=tw mr sprw hnn Tsw=f r sDm jj.t[.n=f] Hr=s Wenn es einen Bittsteller gibt, der dich anzuflehen beabsichtigt, weise das, was er sagt, nicht als Gesagtes zurück. Du sollst ihn erst zurückweisen, nachdem du ihn hast hören lassen, weswegen du ihn zurückweist. Siehe, man sagt: „Ein Bittsteller wünscht mehr, daß sein Ausspruch beachtet wird, als daß geschieht, weshalb er gekommen ist.“ 1134 Diese Handlungsweise gegenüber dem Bittsteller stammt aus der Fassung der Lehre des Ptahhotep in pBM 10409, die von der Fassung in pPrisse abweicht 1135 . In der Lehre des Aamethu wird die sentenzhafte Redewendung, die in der Lehre des Ptahhotep und in der Amtseinsetzung des Wesirs vorkommt, mit etwas Veränderung neu formuliert: mrj sprw sk.t x.t=f [r qn.t jj.t.n=f Hr=s] „Ein Bittsteller wünscht mehr, seinen Leib auszuschütten, [als das zu erreichen, weswegen er gekommen ist.]“ 1136 Hier sieht man die Entwicklung innerhalb der Gattung der Lehren und den inneren Zusammenhang zwischen den kö- 1132 Übersetzung nach Fischer-Elfert, Lehre eines Mannes, 28. 1133 Übersetzung nach Fischer-Elfert, Lehre eines Mannes, 143. 1134 Amtseinsetzung des Wesirs, vgl. Faulkner, in: JEA 41, 20, 7-8. 1135 Vgl. dazu Assmann (1990a), 73-74, Anm. 59. 1136 S. Dziobek, User-Amun, 29. In pRamesseum II wird der Hörende ermahnt: „Unterbrich nicht einen, der sein Herz ausschüttet“, Barns, Five Ramesseum Papyri, pl. 8. <?page no="189"?> 190 Kapitel V - Der Richter als Hörer 190 niglichen Texten und den Lehren, die die hohen Beamten für die zukünftigen Beamten geschrieben haben 1137 . Diese Ausübung der Geduld wird nicht nur zum Nutzen der Mitmenschen, sondern viel mehr zugunsten der Ausübenden betrachtet, denn „Das Monument eines Mannes ist die Geduld“ 1138 . Der Ausdruck „Monument“ bezieht sich hier auf die Erinnerung der Mitmenschen an denjenigen, der sich zu Lebzeiten um seine Gemeinde verdient gemacht hat. So ein Monument kann ein ägyptischer Beamter am besten durch einwandfreie Behandlung der Bittsteller errichten. In den autobiographischen Inschriften tauchen die Aussagen über das aufmerksamgeduldige Hören des Richtenden, parallel zu den oben genannten Belegen in den Lehren und Klagen, ebenfalls ab dem Mittleren Reich auf. Der Gaufürst oH#-nXt erklärt in seiner Autobiographie, daß er „von aufmerksamem Herzen war und das Ende der Rede suchte“ 1139 . „Das Ende einer Rede suchen (=-abwarten)“ bezeichnet sehr bildlich, wie der Richter aufmerksam zuhört, bis der Bittsteller zu Ende gesprochen hat, damit eine richtige Entscheidung getroffen werden kann 1140 . Um seine Geduld zu betonen, die er bei der Berücksichtigung des Anspruchs der Mutter eines noch nicht geborenen Kindes auf den Besitz ihres Ehemannes gezeigt habe, sagt NHrj : rdj s Hr jS.wt jt=f wXd bk#.t r msj. t=s „der einen Mann auf den Besitz dessen Vater setzte, der eine Witwe respektierte, bis sie gebar“ 1141 . Hier ist zu vermuten, daß es sich um den Anspruch einer Witwe handelte, deren Ehemann vor der Geburt seines männlichen Nachfolgers gestorben war. NHrj hat nämlich die Bitte der Witwe bis zum Tage der Erfüllung ihres Anspruchs gültig lassen 1142 . Hervorzuheben in diesem Zusammenhang ist außerdem, daß wXd genau das Wort ist, das Neferti in seinen Beschreibungen des Kommunikationsverlusts gebraucht hat. Ein Domänenvorsteher namens Jntf Sohn des cnt beschreibt seine Geduld gegenüber dem Bittsteller mit der Wendung nn sjn Hr (ohne Voreiligkeit): „Ich war wohlgesinnt, ohne Voreiligkeit, der keinen Menschen wegen dessen Ausspruch packt.“ 1143 Die Phrase sjn Hr bezeichnet wahrscheinlich die Veränderung des Gesichtsausdrucks 1144 . Durch die Negation dieser schlechten Eigenschaft betont er seine beherrschte Haltung gegenüber 1137 Über den Rechtscharakter der Lehren vgl. Kapitel III. 1138 mnw pw n s w#H-jb , Posener, L‘Enseignement, 131 §13, 3. 1139 w#H-jb Dor pHw / / / mdw , El Bersheh II, pl. XIII, 13-14; für die Bedeutung von w#H-jb s. unten und vgl. Gunn, in: ASAE 27, 216, n. 2. 1140 Vgl. w#H jb Dor n m-Xt n wnt s mj qD=f m t# , CG 20765, 3. 1141 Hatnub Gr. 20, 17. In diesem Zusammenhang sollen wir die oben schon zitierte Stelle aus der Lehre des Neferti (Helck, Neferti, Xh-Xia) einbeziehen, in der das Verfallen der zwischenmenschlichen Beziehung mit folgenden Sätzen beschrieben wird: „Man gibt nur mit Haß, um den Mund, der spircht, zum Schweigen zu bringen. Um ein Wort zu zu beantworten, fährt der Arm mit dem Stock heraus, man spricht durch Totschlag. Rede wird auf das Herz wie Feuerbrand, man kann das Wort eines Mundes nicht ertragen ( n{n} wXd.n=tw pr.w n r# ).“ 1142 Hier kann man wiederum eine Anspielung auf den Erbanspruch des Horus vermuten. 1143 jnk nfr nn sjn Hr tm nDr.w s Hr tpt-r# , Sethe, Lesestücke, 81, 6. 1144 Wb IV 39, 5. <?page no="190"?> 6. Das aufmerksame Hören 191 191 dem Bittsteller, als dieser spricht. Jntf will zum Ausdruck bringen, daß er nicht einen Mann wegen seines (wenn auch nicht angenehmen oder ungerechten) Ausspruches mitten in der Rede unterbrochen oder sogar bestraft habe. Im Gegenteil habe er von Anfang bis zum Schluß der Rede des Bittstellers Ruhe bewahrt, wie der Gaufürst oH#-nXt . Der Gaufürst Jmnjj beschreibt in seiner Autobiographie seinen ungewöhnlichen Auftritt im Gericht, indem er den Vorgang in drei Phasen teilt: wr Hs.wt m pr njsw.t hr jb hrw n wp.t s#w jw.t=f n mjtj.w=f nb Sfj.t hrw wDo mdw mrr.w qbn.tjw nt xnw w#H jb wSd(.w)=f r md.t A. Groß in Gunst im Haus des Königs, zufriedenen Herzens am Tage des Richtens; B. auf dessen Kommen seine Kollegen warten, Herr der Ausstrahlung am Tage der Gerichtsverhandlung; C. Beliebter der Beamten der Residenz, aufmerksamen Herzens, wenn er aufgefordert wird, zu sprechen 1145 . Die drei Abschnitte werden jeweils mit verschiedenen Epitheta des Jmnjj ausgestaltet und alle drei werden durch seinen wichtigsten Titel jrj-po.t H#tj-o eingeleitet. Im ersten Abschnitt erklärt er, daß er am Tage des Richtens „zufriedenen Herzens“ gewesen sei 1146 . Das heißt, daß er bereit gewesen sei, mit einem ausgeglichenen Herzen auf den Bittsteller zu hören. Diese Eigenschaft habe ihn als einen kompetenten Richter erwiesen, so daß seine Kollegen im Fall einer heiklen rechtlichen Angelegenheit auf ihn warten mußten. Darauf folgt die im zweiten Abschnitt geschilderte majestätische Erscheinung des Jmnjj im Gericht. Sein Auftritt im Gericht wurde nicht nur von seinen Kollegen erwartet, sondern auch von seiten der Bittsteller gewünscht, da er ihre Anliegen gerecht behandeln konnte. Im dritten Abschnitt betont er seine umsichtige Aufmerksamkeit in der Bildung seines Urteils. Er kommt nicht voreilig zu einem Vorurteil. In drei Abschnitten werden jeweils sein wohlgesinntes Temperament außerhalb des Gerichts, sein würdevolles Auftreten im Gerichtssaal und seine Umsicht bei der Entscheidung hervorgehoben. Durch geduldige 1145 Urk. VII, 20, 18-21, 3. Hier sieht man außerdem eindeutig, wie der Gaufürst als das Oberhaupt seines Gaues den Vorsitz der Rechtsprechung übernimmt. Näheres dazu s. Kapitel I. 1146 Vgl. einen anderen ebenfalls sehr anschaulichen Ausdruck: sbT Hr n spr.tj r Dd=f ntt m jb=f , „lachenden Gesichts gegenüber dem Bittsteller, damit er seinen Herzensgedanken ausspricht“, CG 20543, 5. <?page no="191"?> 192 Kapitel V - Der Richter als Hörer 192 Aufmerksamkeit beim Hören kann ein Beamter so wohl innerhalb als auch außerhalb der Beamtenschaft Respekt gewinnen. Der stellvertretende Vorsteher der Siegelträger cHtp-jb-Ro betont seine Aufmerksamkeit beim Hören, indem er behauptet, daß er darin keinen Konkurrenten gehabt habe: w#H jb jwtj sn.nw=f nfr sDm jqr Dd sr wHo Tss.t „geduldigen Herzens, ohne seines gleichen, der gut hört und trefflich redet, ein Beamter, der Schwierigkeit löst“ 1147 . Mit einem aufmerksamen Herzen kann er gut hören und daher die Angelegenheit richtig verstehen. Folglich ist er imstande, ein entsprechendes Urteil zu treffen. Der Wesir MnTw-Htp vergleicht seine außerordentliche Aufmerksamkeit mit der eines Gottes: w#H jb r sDm.t md.wt mjtj nTr m wnw.t=f mnX jb Hmw m Dbo.w=f Aufmerksamen Herzens, um die Angelegenheiten zu hören, wie der Gott in seiner Stunde (d.h. im Totengericht), trefflichen Herzens, geschickt beim Richten 1148 . MnTw-Htp macht noch klarer, daß er sich mit dem Gott als seinem Vorbild bemüht hat, aufmerksam zu sein 1149 . Das Ziel seiner Aufmerksamkeit ist es, eine Angelegenheit zu hören. Erst durch diese ständige Ausübung der Aufmerksamkeit kann ein menschlicher Richter die Eigenschaft des göttlichen Richters erreichen. Dies gilt sowohl in Bezug auf das Herz, als das befehlende Organ, als auch auf die Finger, als die den Befehl ausführenden Körperteile. Jntf Sohn des c#-Jmn beschreibt seine Aufmerksamkeit mit folgenden Worten: sDm.w hnw S#w jrw w#H jb jqr Tsw d#r srf Sw m Hnw m#otj jwtj wo# wn jb r wXd sfn.w 1147 CG 20538 I c, 7. 1148 CG 20539 I b, 5-6; gleiche Aussage auch im Grab des Scheschonk, Roccati, in: OA 12, 32; Stele des K#rs , Urk. IV, 49, 5-6; Stele des Jntf , Urk. IV, 970. 1149 Vgl. die oben zitierte Stelle aus der Lehre für Merikare, in der der lehrende Vater sagt, daß der Gott in seinem Schrein auf die Weinenden hört. <?page no="192"?> 6. Das aufmerksame Hören 193 193 Ein Hörender seiner Leute 1150 , ein Effizienter in der Handlung, aufmerksam und redegewandt, beherrscht, frei von Wut 1151 , gerechtfertigt, frei von Schmähung, offenen Herzens, um den Leidenden zu dulden 1152 . Mit den Ausdrücken w#H jb , d#r srf , Sw m Hnw und jwtj wo# beschreibt Jntf seine Geduld bei der Behandlung der leidenden Bittsteller. Die Angabe, daß er auf seine Anhänger gehört habe, ist auch sehr bemerkenswert, sofern diese Interpretation richtig wäre. Der Vorsteher der Priester MnTw-Htp formuliert mit den Worten hnn und jb eine Wendung, die die Bedeutung „geneigten Herzens“ hat, um den wohlgesinnten Zustand seines Herzens zu betonen 1153 . Er hat nämlich sein Herz dem Bittsteller zugeneigt, bis dieser alles ausspricht, was er vorher beabsichtigt hat 1154 . Um seine Geduld hervorzuheben, benutzt MnTw-Htp eine andere mit jb gebildete Wendung: m-H#w gr(=j) hrp.t(w) jb „Darüber hinaus schwieg (ich), als man das Herz untertauchte“ 1155 . Die Redewendung hrp jb „das Herz untertauchen“ bedeutet eigentlich „einen Gedanken zu unterdrücken“ 1156 . Hier hat das Wort jb wohl eine negative Konnotation, die üblicherweise mit x.t ausgedrückt wird 1157 . Eine ähnliche Wendung finden wir in der Geschichte des Bauern, wo der Oasenmann Rnsj ermahnt, nicht auf sein (eigenes) Herz zu hören 1158 . 1150 Meiner Meinung nach hat das Wort hnw die Bedeutung „die Anhänger jmds.“ Vgl. hierzu Wb II, 494, 1. Lichtheim (a.a.O., 34) übersetzt „Considerate hearer, able doer“. Dies halte ich für wenig wahrscheinlich. Für diese Übersetzung müßte der ägyptischer Text lauten: hnw sDmw S#w jrw , falls man annimmt, daß das Wort hnw „considerate“ bedeutet. 1151 Für das Wort Hnw gibt Wb III, 104, 10 nur die Bedeutung „eine schlechte Eigenschaft“ an. Ich folge Lichtheim (a.a.O.) bei der Übersetzung. 1152 Louvre c 167, Moss, in: Fs Griffith, pl. 47, 8-9; vgl. auch Lichtheim, Maat in Egyptian Autobiographies, 33-34. 1153 hnn jb r Dd.t=f m#r=f r sk.t=f Xrt nt x.t=f „freundlich, bis (der Bittsteller) sein Leiden ausgesprochen hat, bis er sein Anliegen ausgeschüttet hat“, Stele UC 14333, Z. 11-12, Stewart, Egyptian Stelae, II, pl. 18. Vgl. Griffith, in: PSBA 18, 159f; Goedicke, in: JEA 48, 25-35; Schenkel, in: JEA 50, 6-12. Zur Interpretation vgl. Assmann (1990a), 74. Das Wort hnn wird im Mittleren Reich hauptsächlich zum Ausdruck der Aufmerksamkeit gebraucht. Erst im Neuen Reich hat das Wort die Bedeutungen „neigen“, „beugen“ und „biegen“, vgl. hierzu van den Boorn, in: Or 51, 370-371. 1154 Vgl. dazu Ptahhotep 266-267. Auf der Stele CG 20539 I b, 7-8 lesen wir: rX jmj x.t nb.t dd s r wn m#o . Offensichtlich gibt es keine gerechte richterliche Entscheidung, ohne eine vorausgegangene sorgfältige Anhörung. 1155 Stele UC 14333, Z. 12. 1156 Wb II 501, 3-4. 1157 In der Lehre des Ptahhotep (Dévaud 233) wird dem Sohn geraten, mit Großzügigkeit ( kf#-jb ) Anhänger anzuwerben. Ein großzügiger Mensch soll nicht hören, was sein Körper verlangt ( jwtj sDm=f n Dd x.t=f , Dévaud 235) hören. Den durch Herz und Körper gebildete Gegensatz sehen wir auch in Hatnub Gr. 10, 3-4: jnk sS n Xrt jb qb x.t dr srf . Um den Wunsch anderer Menschen zu erfüllen, muß man sein eigenes Interesse, mindestens vorläufig, außer Betracht lassen. 1158 m sDm(.w) n jb(=k) , Bauer B2, 104-105. <?page no="193"?> 194 Kapitel V - Der Richter als Hörer 194 Dieser Grundsatz für das Verhalten des Richters bezüglich der Geduld gegenüber den Bittstellern besteht weiterhin im Neuen Reich. K#rs , der Vermögensverwalter der Königsmutter JoH-Htp , benutzt eine Form der Aussage, die gleich lautet wie die des Wesirs MnTw-Htp aus dem Mittleren Reich, um seine gottähnliche Geduld auszudrücken 1159 . Nur diejenigen, die ein ruhiges und ausgeglichenes Herz besitzen, können den Bittstellern zuhören, ohne sie zu unterbrechen oder sie zurückzuweisen 1160 . Der Bürgermeister von Thinis Jntf formuliert seine Aufmerksamkeit dadurch, daß er drei Ausdrücke benutzt, die alle das Wort jb als Kernelement haben: T# jb orq jb wr w#H jb r sDm , „einer, der tüchtig und sehr klug ist, aufmerksamen Herzens um zu hören“ 1161 . Mit T# jb und orq jb bezeichnet Jntf seine Eigenschaft, die Angelegenheiten zu verstehen 1162 . Allerdings reicht diese Fähigkeit für einen Richter nicht aus, ein qualifizierter Hörer zu sein, da die Aufmerksamkeit dabei eine genau so wichtige Rolle spielt. Aber auf der anderen Seite ist die Bereitschaft des Richters, die Bittsteller anzuhören, nicht bedingungslos. So kann er an einer anderen Stelle behaupten, daß er „den Gedanken des Bittstellers verstanden hat, bevor das Wort aus dessen Mund herauskam“ 1163 . Dies scheint gegen das Prinzip der Geduldausübung zu sprechen, aber im Kern will der Sprecher damit zum Ausdruck bringen, daß er bereit oder sogar ungeduldig gewesen sei, dem Bittsteller zu helfen: „(Ich war einer,) der den Freundlichen mit Achtung behandelte und dessen Bitte anhörte, der gegenüber dem Selbstbeherrschten milde war.“ 1164 RX-mj-Ro macht einen klaren Unterschied zwischen den Leuten, die zum Gericht kommen, um gehört zu werden. Was den ungerechten Kläger anbelangt, sagt er: „Ich habe dem Ansturm des Zornigen [Einhalt geboten? ]“ 1165 . Aber gegenüber dem Bittsteller hat er sich völlig anders verhalten: n qnd=j [m sprw] n gfn=j sw wXd.n=j sw m #.t=f nt pr.t-jb 1159 Urk. IV, 49, 5-6. Die einwandfreie Lebensführung vor dem Gott wird mit jnk js w#H jb Xr nTr beschrieben, indem man mit heilem Herzen, heilem Mund und heiler Hand ist. Urk. IV, 1589, 19-20. 1160 Daß die Wendung w#H jb einen solchen idealen Zustand des Herzens bezeichnet, zeigt eine Aussage des Haremheb auf einer seiner Statuen: jnk js w#H jb Xr nTr orq jb hr jb sDm=f m#o.t „Ich war ein Aufmerksamer vor Gott, der mit gebundenem (Konzentration ? ) und zufriedenem Herzen auf die Maat hört.“ Urk. IV, 2091, 2-3. Da er zufriedenen Herzens die Wahrheit gehört habe, ist Haremheb nun angesichts der Prüfung bei den Göttern überzeugt, daß er in die Barke der Götter aufgenommen würde. 1161 Urk. IV, 970, 4-6. 1162 Vgl. Faulkner, CD, 302. 1163 rX jmjw x.t n prt Hr sptj mdw r Dd Xft jb=f, Urk. IV, 971, 2. 1164 Kurz vorher sagt Jntf : trj on sDm spr.t=f sfn n qb srf , Urk. IV, 970, 13-15, und kurz nachher: tm sfn(.w) n Sm-r# , Urk. IV, 971, 7. 1165 jw / / / [n=j #].t nt D[nd jb] , Gardiner, in: ZÄS 60, 72. <?page no="194"?> 6. Das aufmerksame Hören 195 195 Ich war nicht wütend gegenüber einem, der [als Bittsteller] (kam? ). Ich habe ihn nicht abgewiesen, sondern ihn geduldet in seinem Moment der Herzensausschüttung 1166 . Es ist bezeichnend, daß ein Unterschied gemacht wird, zwischen einem, der in Wut geraten war, und einem, der mit sprw gekennzeichnet wurde. Das Wort sprw bezeichnet demnach denjenigen, der eine rechtmäßige Angelegenheit vorzutragen hat 1167 . Zu beachten ist außerdem, daß das Wort wXd auf die Qualifikation des Richters hindeutet. Diese Eigenschaft wird sowohl in der Prophezeiung des Neferti als auch in der Autobiographie des NHrj erörtert. Aus der Ramessidenzeit haben wir wieder wenige Belege, die sich auf das geduldige und aufmerksame Hören der Richter beziehen. Dennoch sind einige Belege überliefert, die zeigen, daß die Aufmerksamkeit beim Hören eine Tugend der Richter blieb. Jmn-mjp.t , der Oberhofmeister unter Haremheb und Ramses I., beschreibt seine richterliche Handlung wie folgt: „wirklich gerecht, frei von Sünde, aufmerksamen Herzens, ohne sich auf die Seite zu geben“ 1168 . Es ist neu, daß die Aufmerksamkeit beim Hören mit Unparteilichkeit in Zusammenhang steht. Ein Richter, der sein eigenes Interesse bei einer Angelegenheit in sich verbirgt, ist offenkundig nicht imstande, die Streitenden ruhig anzuhören. Auf der anderen Seite ist ein Richter, der nicht mit Geduld auf die beiden Parteien hört, der Gefahr ausgesetzt, voreilig zu einer falschen Entscheidung zu kommen und damit (auch ohne Absicht) Partei zu ergreifen. Jnj-Hrt-ms , der Hohepriester des Schu in Thinis, geht in seiner langen Autobiographie auf die Frage des geduldigen Hörens ein: „Ich war ein Trefflicher, ohne seine (des Bittstellers ? ) Stimme zu schmälern. Es war (mir) ein Abscheu, den Ausspruch abzuweisen.“ 1169 Jnj-Hrt-ms sagt kurz später in seiner Autobiographie: „Ich war der Kapitän seiner Hörigen, der verständig war und der sich um ihre Angelegenheiten kümmerte.“ 1170 Das Bild des Kapitäns erinnert uns sowohl an die persönliche Frömmigkeit als auch an die Bezeichnung des Rnsj als den Ruderer in der Geschichte des Bauern, der den Hilfsbedürftigen nur ein taubes Ohr geboten hat. 1166 Urk. IV, 1082, 15-16; Gardiner, in: ZÄS 60, 74. Für pr.t jb gibt Wb I 524, 17 nur die Bedeutung „ungeduldig (mit Fragezeichen)“ an. In dem hier zitierten Satz ergibt diese Übersetzung wenig Sinn. 1167 Aus der griechisch-römischen Zeit ist die Formulierung sprw Swt überliefert, die eine ungerecht klagende Person bezeichnet. Vgl. dazu Otto, Gott und Mensch, 23. 1168 mtr m#o Sw m jsf(.t) w#H jb tm rdj.t Hr gs , Assmann (1991c), Tf. IXa. 1169 jnk jqr Sw m [Xbj] Xrw=f bwt pw khbw md.t , Ockinga, Two Ramesside Tombs, Vol. I, pl. 25, Z. 33. Die Übersetzung Ockingas auf Seite 37 „I was an excellent one, free of … his voice - shouting something is an abomination“ ergibt keinen sinnvollen Inhalt. Jnj-Hrt-ms erwähnt auf Zeile 32 den Gerichtshof der Dreißig. 1170 jnk nfw n mrt=f jp jb #ms n mdw.w=sn , Ockinga, a.a.O., pl. 27, Z. 38-39. <?page no="196"?> 197 Kapitel VI Der Richter als Schlichter 1. Der historische Hintergrund der Idee des Ausgleichs Als eine der frühesten Aussagen über die richterlichen Handlungen des ägyptischen Richters lesen wir in den Autobiographien des Alten Reiches: „Ich habe zwei Prozeßgegner so gerichtet, daß sie beide zufrieden waren.“ Diese Formulierung erscheint ab dem Ende des Alten Reiches und bewahrt sich bis zum Ausgang der altägyptischen Kultur. Man könnte diese Aussage als leere Floskel betrachten. Da die alten Ägypter in einem umfangreichen Zeitraum diese Handlung mit vielen Variationen, aber wenigen Unterbrechungen in ihren Autobiographien beschrieben haben, ist es eher wahrscheinlich, daß sie auf ein wesentliches Element der altägyptischen Rechtsauffassung hindeutet. Sie symbolisiert einen zentralen Wert in der ägyptischen Gesellschaft. 1171 Für die Idee der Koexistenz von zwei verschiedenen Interessengruppen findet man möglicherweise in der Auffassung der Entstehung des ägyptischen Staates das beste Beispiel. Obwohl wir über die genauen Umstände der Reichseinigung nicht unterrichtet sind 1172 , sehen wir eindeutig den Versuch, die Zwietracht der Vorzeit durch den Konflikt zwischen Horus und Seth zu symbolisieren und durch die Betonung auf die gegenseitige Abhängigkeit der beiden Landesteile zu thematisieren. Hier kann man von einer kulturellen Streitideologie sprechen, die wesentlich auf Ausgleich orientiert ist 1173 . Die alte Hauptstadt Memphis wurde bezeichnenderweise „Waage der beiden Länder“ genannt, ein Ort, in dem das oberägyptische und das unterägyptische Land gewogen worden waren und ein Ausgleich gefunden werden konnte, daher wurde dieser Ort auch als „Leben der beiden Länder“ bezeichnet 1174 . Was auch immer der Hintergrund gewesen sein mag, die Auffassung einer untrennbaren Einheit wird intensiv gefördert, die auf der Basis der Koexistenz von zwei oder mehrere Bestandteile aufgebaut wird. 1171 Jin, „Schlichten und Richten. Über die altägyptischen Termini wpj und wDo “, in: SAK 31, 225- 233. 1172 Die Theorie der gewaltsamen Einnahme des Nordens durch den Süden wird allmählich relativiert. Aber die Staatsidee bzw. die Königsideologie, die bewußt die Unentbehrlichkeit der Einheit aus zwei Teilen betont, hat sicher eine bedeutende Rolle gespielt. 1173 Nader, in: Nader (ed.), Law in Culture, 69f. 1174 Vgl. dazu Zivie, in: LÄ IV 26ff. Diese Bezeichnungen wurden nicht direkt aus der Reichseinigungszeit überliefert, aber sie deuten auf die Bedeutung von Memphis, die der Stadt seit der historischen Zeit zugeschrieben wurde. Die Zeremonie der Vereinigung der beiden Länder und des Umzugs um die Mauern sind schon für die 1. Dynastie belegt. Vgl. Sethe, Beiträge zur ältesten Geschichte Ägyptens,134ff. Volten vermutet in der Namensgebung der neuen Hauptstadt des Mittleren Reiches auch eine Anspielung auf die Bezeichnung der alten Hauptstadt Memphis, s. Volten, Studien zum Weisheitsbuch des Anii, 82-83. <?page no="197"?> 198 Kapitel VI - Der Richter als Schlichter 198 Der Gedanke scheint deshalb bemerkenswert und gleichzeitig dazu passend, daß der Konflikt zwischen Horus und Seth, der in der ägyptischen Geschichte eine so bedeutende Rolle spielte, gerade im memphitischen Ptahtempel in einer einvernehmlichen Weise gelöst wurde 1175 . “Der Rechtsstreit zwischen Horus und Seth endet mit einem Vertrag, wie es dem ägyptischen Rechtsideal entspricht, demzufolge dasjenige Urteil das beste ist, mit dem beide Parteien zufrieden sind.” 1176 Der Gott Thot war als Richtergott das Vorbild der irdischen Richter. Sein Verdienst und seine richterliche Kunstfertigkeit liegen vor allem darin, daß er beide Parteien zur Aussöhnung bringen konnte 1177 . Die Vorbildhaftigkeit des mythischen Konflikts zwischen Horus und Seth für die ägyptische Rechtsauffassung sieht man in den Pyramidentexten. In PT 1040 und 1463 wird der Konflikt zwischen Horus und Seth als Anfang aller Streitigkeiten betrachtet. In PT 1463a-d wird die Zeit vor dem Streit zwischen Horus und Seth dadurch charakterisiert, daß es damals noch keinen „Zorn“ ( Dnd ), keinen „Lärm“ ( Xrw ), keinen „Zank“ ( SnT ) und keinen „Tumult“ ( xnnw ) gab 1178 . Diese Worte, die sich alle auf die zerstörerischen Eigenschaften des Menschen beziehen, beschreiben die gewaltsamen Auseinandersetzungen des Götterpaares Horus und Seth, die zum Ausreißen des Auges des Horus und Abschnüren der Hoden des Seth führten (PT 1463e). Aber dieser den vorherrschenden Frieden störende Konflikt des Götterpaares wird dergestalt gelöst, daß die beiden getrennt werden 1179 , das heißt beide zufrieden gestellt werden, da nur dadurch der Frieden erzielt werden kann 1180 . 1175 Vgl. Kees, Das alte Ägypten, 81. 1176 Assmann (1996a), 59. Der Übergang von der gewaltsamen Auseinandersetzung zur friedlichen Verhandlung im Rechtsgebiet, der mit dem Anfang der dynastischen Zeiten geschah, kann man auch im alten China nachweisen. Vor der Gerichtsverhandlung mußten die Parteien ein Bündel Pfeile vorlegen. Diese Geste symbolisiert höchstwahrscheinlich den Wille der Parteien, auf Gewaltanwendung zu verzichten und auf eine friedliche Weise den Konflikt zu lösen. Vgl. Vogel, Die historischen Grundlage des chinesischen Strafrechts, 77. 1177 Im Totenbuch Spruch 123 sagt der Verstorbene: „Ich bin Thot, der die beiden Leute getrennt hat, ich habe ihren Streit beendet und ihre Trauer beseitigt.“ Hornung, Das Totenbuch der Ägypter, 230. Im Totenbuch Spruch 175 sagt der Gott Atum zu Thot „O Thot, was ist es, das mit den Kindern der Nut geschehen soll? Sie haben Streit angefangen und Aufruhr erregt, sie haben Unrecht begangen und Empörung geschaffen, sie haben Gewalttat verübt und Gefangenschaft verursacht, dazu haben sie Großes zu Kleinem gemacht in allem, was ich geschaffen habe.“ Hornung, a.a.O., 365. Das Heiligtum, das dem Gott Thot geweiht wurde, trug daher die Bezeichnung: pr EHwtj wpj rH.wj „ Tempel des Thot, der die Streitenden getrennt hat“, s. Eggebrecht, in: LÄ I, 606. Vgl. dazu auch die Statue des „Orw , wo der Gott Thot ebenso als Ehwtj-wpj-rH.wj , bezeichnet wurde. Kestner Museum, Inv. Nr. 1980.84, Munro, in: Fs Fecht, 307-336. 1178 In PT 289c trennt der König persönlich die zwei streitenden Gegner, vgl. Sethe, Pyr., Übers., Bd. I, 337. Diese Idee kann man möglicherweise auch in den Königsnamen erkennen. Peribsen setzt das Fabeltier Seth über seinen Namen und legte eine Grabanlage in Abydos, Arnold und Hornung, in: LÄ III 498. Mit dem König Chasechenui am Ende der Dynastie erhalten sowohl der Horusfalke als auch das Sethtier einen Platz über dem Königsnamen. Der König herrschte über Ober- und Unterägypten vereint, indem er diese beiden miteinander streitenden Mächte in seiner Person vereinigte. 1179 S. PT 712c. 1180 Vgl. dazu PT Spruch 34. Das sieht man auch in der zeitlich späteren Version der Topik, die die Versöhnung und Vereinigung in dramatischer Form thematisiert. Sethe, Dramatische Texte, 35. In der Tagewählerei spielt die Idee des Konflikts und der darauf folgenden Versöhnung eine wichtige Rolle. <?page no="198"?> 2. Die Bezeichnung der Schlichtung 199 199 Diese tief in der Königsideologie verwurzelte Idee von der Vereinigung zweier Teile als das beste Symbol für Frieden und Ordnung kann man auch in anderen Textgattungen lesen. In der Prophezeiung des Neferti wird die Heilswende, die der neue König des 12. Dynastie Amenemhet I. nach der langen „Wirrenzeit“ bringen soll, wie folgt charakterisiert: jw=f r sm# sXm.tj jw=f r sHtp rH.wj m mrt=sn „Er wird die beiden Mächtigen vereinigen und die beiden Herren mit dem aussöhnen, was sie wünschen.“ 1181 2. Die Bezeichnung der Schlichtung Die Worte wDo und wpj haben beide die Grundbedeutung von „Trennen“ 1182 . Aber beim Gebrauch gibt es einen sehr bedeutenden Unterschied zwischen den zwei Worten. Das Wort wpj wird besonders dazu benutzt, eine Schlichtung zu verdeutlichen 1183 . Dies sieht man deutlich in PT 712c, wo von den richtenden Handlungen des Königs gesagt wird, daß er „die Angelegenheit entscheidet“ ( wDo mdw ) und „die zwei Brüder trennt“ ( wpj sn.wj ). Die Phrase wDo mdw deutet auf die richtende Funktion des Königs hin, während die Phrase wpj sn.wj die Betonung auf die Handlung des Königs als Schlichter der zwei Parteien legt 1184 . Das Endziel der trennenden Handlung besteht darin, die getrennten zwei Parteien wieder zu vereinen: wpj=f (P) pn jr sn=f ontj dmD=f sw Hno sn={j}<f> oftj , „Er trennt diesen Pepi von seinem Bruder ontj ; er vereinigt ihn mit <seinem> Bruder oftj 1185 . Der schlichtende Charakter des Wortes wpj wird in den autobiographischen Inschriften dadurch deutlicher gemacht, daß dem Wort noch modifizierende Wendungen beigefügt werden. In den meisten Belegen wird die Phrase r Htp=sn „so dass sie zufrieden sind“ zugefügt 1186 . Das Wort Htp kann man sowohl mit „zufrieden“ als auch mit „gnädig sein“ übersetzen. Diese doppelte Bedeutung kann man in der Geschichte des Sinuhe deutlich Vgl. pKairo 86637 XV, 9-10; Leitz, Tagewählerei, Textband 142f. Der Zerfall der Vereinigung des Horus mit Seth bedeutet daher symbolisch Kampf und Unheil des ganzen Landes. Das Heilmittel gegen diese Katastrophe besteht allein darin, dem mörderischen Gemetzel ein Ende zu bereiten, wpj So.t t#.wj (Wb IV 416, 17). 1181 Helck, Neferti, IX f. 1182 Wb I, 298f. und 404f. 1183 Goedicke (in: MIO 8, 336) stellt fest, daß dieses Wort erst ab der 6. Dynastie auftaucht. Den schlichtenden Charakter des Wortes sieht man darin, daß das Wort dazu verwendet wurde, um die Festlegung der Grenzen zwischen Ortseinheiten zu bezeichnet (zur Belege s. CG 20539, I b, 2; Sayed, in: BIFAO 80, 220; Habachi, in: MDAIK 31, 36; CG 630, KRI III, 12, 13). Der Zweck der Grenzmarkierung ( wpj ) liegt darin, eine Ko-Existenz unter verschiedenen Interessengruppen zu ermöglichen. Auch in diesem Sinne ist die Phrase wpj t#.wj zu verstehen, die wohl etwa „die beiden Länder in Zufriedenheit zu stellen“ bedeutet. Vgl. die Inschrift des Jmnjj , Gasse, in: BIFAO 88, fig. 1, 6. 1184 In PT 1963b lesen wir: wpj sn.wj pSn oH#.wj . Die beiden Verben wpj und pSn bedeuten hier „trennen“. Aber es ist durchaus möglich, im jeweiligen Kontext eine Bedeutungsnuance zwischen den wörtern anzunehmen. 1185 PT 1023b; vgl. CT II 224b. 1186 Vgl. Urk. I, 144, 2; 195, 13; 199, 1: 200, 16; 222, 12; 255, 7; 269, 4; 271, 5. <?page no="199"?> 200 Kapitel VI - Der Richter als Schlichter 200 sehen. Nach seinem Sieg gegen einen asiatischen Helden, den er mit Hilfe seines Gottes besiegt zu haben glaubt, sagt Sinuhe: Xr jr nTr r Htp n Ts.n=f jm=f „Nun hat der Gott gehandelt, um mit dem gnädig zu sein, mit dem er verärgert war.“ 1187 Kurz darauf fleht Sinuhe seinen König an: Htp n=j njsw.t n Km.t onX=j m Htp.w=f „Sei gnädig, König Ägyptens, damit ich mit deiner Güte lebe.“ 1188 Da es sich hier um die Beziehung eines Beamten zum Gott und zum Herrscher handelt, ist die Bedeutung von „Begnadigen“ dominierend. Aber die Bedeutung von „Aussöhnen“ ist trotzdem vorhanden. Im zivilrechtlichen Bereich spielt die Geste der „Vergebung“ ebenfalls eine wesentliche Rolle. Wenn sich die beiden Parteien gegenseitig „begnadigen“, können sie beide „zufrieden“ sein und eine Aussöhnung kann leicht erreicht werden. Einen Zustand von auftretendem Frieden wird auch für die Götterwelt mit Hilfe des Wortes Htp beschrieben: Ro pw Htp.w m Wsjr Wsjr pw Htp.w m Ro „Das bedeutet: Re ruht in Osiris, Osiris ruht in Re.“ 1189 Aufschlußreich ist der Kommentar Assmanns zu dieser Stelle: „Der Kontext, in dem diese Formel hier erscheint, läßt keinen Zweifel daran, daß sie eine Heilstatsache von höchster Bedeutung verkündet. Sie löst in Ober- und Unterwelt einen Jubel aus, der dem mythischen Triumph des Horus und dem Festjubel über die in Horus wiedergewonnene Herrschaft des Osiris gleichgesetzt wird.“ 1190 In Dendera begegnet die einmalige Formulierung: [j]w wpj.n(=j) sn.wj r twt jb(.w)=sn „(Ich) habe die zwei Parteien gerichtet, bis sich ihre Herzen vereinigten.“ 1191 Bei dieser knappen Formulierung, genau wie bei der Wendung r Htp , wird die Betonung in erster Stelle auf das Ergebnis der Schlichtung gelegt. Aber hinter der einvernehmlichen Lösung eines Konflikts verbergen sich viele Bemühungen des Richters, z. B. die Überzeugungsarbeit des Schlichtenden, das Vorlegen beweiskräftiger Urkunden, das Vorführen von Zeugen und das Leisten von Eiden. Die Bezeichnung sn.wj „die beiden Brüder“ hat sicher ihren Ursprung in der Konfliktlösung innerhalb der Familie durch den Vater. Aber man darf nicht in allen Belegen generell von Streit im Rahmen der Familie ausgehen, wie Goedicke plädiert 1192 . Es ist ebenfalls unwahrscheinlich, daß es sich in den betreffenden Konflikten unbedingt um Erbschaftsfragen handelt 1193 . Das Wort wDo hat zwar die Bedeutung von „trennen“, aber noch wesentlicher ist die Bedeutung „beurteilen“ oder „entscheiden“ 1194 . Bei der richterlichen Handlung, die mit wDo sn.wj bezeichnet wird, hat das Wort wDo zwar die Grundbedeutung von „Trennen“, aber die Betonung wird auf die Bedeutung von „richten“ und nicht auf „schlichten“ ge- 1187 Sinuhe B 147-148. 1188 Sinuhe B 165. 1189 Assmann (1969), 93. 1190 a.a.O., 101. 1191 Petrie, Dendereh, pl. XIA. 1192 In MIO 8, 338. 1193 Goedicke, a.a.O., 339. 1194 Bei der Behauptung jnk mdw.w Hr X#r.t hrw n wDo Hm.t (Urk. I, 266, 16) ist sehr wahrscheinlich das Verstoßen der Frau aus dem Haus gemeint. Die ungleichen Stellungen der Eheleute sind deutlich. <?page no="200"?> 2. Die Bezeichnung der Schlichtung 201 201 legt. Oq#-jb verdeutlicht diesen Punkt, indem er das Wort wDo in dem folgenden Kontext benutzt: n sp wDo(.=j) sn.wj m sp sSwjj s# m xr.t jt=f „(Ich) richtete die zwei Parteien nicht dergestalt, daß der Sohn vom Besitz seines Vaters enterbt wurde.“ 1195 Hier wird das Wort wpj deshalb nicht benutzt, weil es die Bedeutung von „schlichten“ hat. Beim vorliegenden Fall kommt das Schlichten nicht in Frage. Das gleiche gilt für die Aufforderung des Oasenmannes an den als Richter handelnden Rnsj: rdj.n.tw=k r sDm md.t r wDo sn.wj r Xsf ow# jrr=f „Du wurdest eingesetzt, um die Angelegenheit zu hören, um die Konfliktparteien zu richten und um den Räuber zu bestrafen.“ 1196 Der Oasenmann meint mit der Bezeichnung sn.wj sich selbst und Nmtj-nXt . Die erforderliche Handlungsweise ist daher evident. Zuerst soll der richtende Rnsj den Rechtsfall „hören“ ( sDm ) und dann die „Entscheidung treffen“ ( wDo ), indem der „Räuber bestraft“ wird ( Xsf ). Die Beziehung zwischen den beiden Parteien ist eigentlich offenkundig: während die eine das Opfer des Raubes war, stellte die andere den Räuber dar. Das Ausbleiben einer sorfortigen Handlung zugunsten einer der Parteien bedeutet Parteiergreifen für die andere Seite. NTr.w-Htp aus dem Mittleren Reich erklärt in seiner Autobiographie, daß er die verschiedenen Typen von Rechtsfällen unterschieden und jeweils eine entsprechende Verhandlungsmethode angewendet hat: jnk wHm.w jqr n mr.t rX wDo.t wDo sn.wj smj x#r.t jwt.t hj=s snf Hwrw n njw.t rdj pr sn.wj Htp m wp.(t) [nt qnb.t] „Ich war ein beliebter trefflicher Herold, der das Richten versteht, der die zwei Parteien entschied, der die Witwe, die keinen Ehemann mehr hatte, meldete, der den Armen der Stadt atmen ließ, der die zwei ‚Brüder‘ herausgehen ließ, zufrieden mit dem Urteil [der Beamtenversammlung].“ 1197 Die Ableitung wDo.t aus dem Wort wDo , das sich oft auf das Rechtswesen bezieht, zeigt auch, daß wDo ein umfangreicheres Sinnfeld hat als das Wort wpj . Diesen Punkt kann man auch in der Autobiographie des Jntf , eines Kabinettsvorstehers aus dem Mittleren Reich nachlesen, der seine Kenntnis in der Jurisdiktion und seine Kompetenz in der Rechtsprechung ebenfalls mit Hilfe des Wortes wDo beschreibt: rX nmtt hp.w nw jrj.t sb#.w m wDo s 2 „der die Vorgehensweisen und die Handlungsregeln kennt, erfahren in der Entscheidung zwischen zwei Parteien“ 1198 . Neben der Form wDo.t können wir das umfassende Bedeutungsfeld des wDo noch in der Wendung wDo mdw sehen 1199 . In einem Brief, der auf einem Gefäß geschrieben wurde, 1195 Urk. I, 133, 4-5. 1196 Bauer B1, 265-268. 1197 Hatnub Gr. 14, 9-11. Diese passende Vorgehensweise des Richters ist genau das, was der Oasenmann von Rnsj verlangt. 1198 BM 572, 9=HT II, pl. 22. 1199 Das Wort mdw bezieht sich hier auf die zu verhandelnde Angelegenheit. Dies gilt mit großer Wahrscheinlichkeit auch für das Alte Reich. Daher scheint es nicht wahrscheinlich, daß hinter dem Wort ein Posessivpronomen gestanden hatte, wie Goedicke vorschlägt (in: MIO 8, 344). Vgl. dazu den folgenden aus der Dritten Zwischenzeit stammenden Beleg: H#tj-o m wDo mdw.w oq.w m onX. wj=fj „der Erste beim Richten der Angelegenheiten, die ihm zu Ohren kommen“, Jansen-Winkeln, Ägyptische Biographien, Text B 22. Solche durch ein Verb mit dem Objekt gebildete feste Wendung sieht man auch in Hwj sDb , die „strafen“ oder „verdammen“ bedeutet, die auch flexibel als Hwj=f <?page no="201"?> 202 Kapitel VI - Der Richter als Schlichter 202 fordert ein Sohn seine verstorbenen Eltern auf, gegen seinen Bruder cbk-Htp , der ebenfalls gestorben war, gerichtlich vorzugehen, denn dieser tut ihm Böses an. Zu seinem Vater sagt er: jr n=k jr.t wDo-mdw Hno=f „Leite eine Gerichtsverhandlung gegen ihn ein“ und zu seiner Mutter: H# wpj=T wj Hno cbk-Htp „Mögest du mich von cbk-Htp trennen.“ 1200 Während das Wort wpj hier auf die Handlung „voneinander trennen“ hinweist 1201 , deutet die Phrase wDo-mdw auf die Prozeßführung im Gericht hin 1202 . Die Phrase wDo mdw (wörlich eine Angelegenheit entscheiden) scheint ein Sammelbegriff zu sein, der verschiedene Gerichtsverhandlungen umfaßt 1203 . Der Ausdruck sS.w wDo mdw bezeichnet zum Beispiel die Gerichtsprotokolle 1204 . Daß es sich bei dem Wort wDo und den mit wDo gebildeten Ausdrücken nicht um eine Schlichtung handeln kann, zeigen uns die folgenden an die potentiellen Grabschänder gerichteten Drohungen: jw=j r wDo Hno=f jn nTr o# „Ich werde (mich) mit ihm durch den großen Gott richten lassen“ 1205 ; jw=j r wDo Hno=sn jn nTr o# nb jmnt.t „Ich werde (mich) mit ihnen durch den großen Gott, den Herrn des Westens richten lassen“ 1206 ; jw=j wDo Hno=sn jn nTr o# m xrt-nTr „Ich werde (mich) mit ihnen durch den großen Gott in der Nekropole richten lassen“ 1207 ; wnn=j wDo=kwj Hno=f m bw ntj wDo.w mdw jm „Ich werde mit ihm an dem Ort rechten, an dem gerichtet wird.“ 1208 In den oben genannten Formeln ist keine Schlichtung durch den Gott zu erkennen. Vielmehr bedrohen die Sprecher die n=f sDb r Xft.jw=f (Tb Spruch 130, Z. 17) oder jw wD.n=j Hwj sDb r=f formuliert werden kann, s. Kees, in: ZÄS 64, 137 und Gunn, in: ASAE 27, 227. 1200 Gardiner-Sethe, Letters to the Dead, pl. 11. 1201 Interessant ist auch, daß wir bei den unterschiedlichen Aufforderungen des Sohnes an seinen Vater und seine Mutter die Psychologie der alten Ägypter erkennen, die anscheinend nicht viel anders ist, als die heutige. Während der Vater konsequent gegen den ungerechten Sohn handeln soll, wird von der Mutter nur verlangt, zwischen den Brüdern gütlich zu schlichten. Die überwiegende Bedeutung von „trennen“ für das Wort wpj ist andererseits möglicherweise verantwortlich für die Wendung wpj m#o.t (die Wahrheit von der Lüge trennen). Als gutes Beispiel vgl. z. B. sDmjw wDow md.t Hrjw tm#.w=sn wpjw m#o.t , Edfu I, 507 und 521, zitiert von Anthes, in: JNES 16, 185. Für weitere Beispiele von wpj m#o.t vgl. Urk. IV, 1779, 19 und Griffith, in: ZÄS 34, 38. Die trennende Bedeutung des Wortes wpj sieht man auch darin, daß das Wort bei der Markierung der Grenze zwischen den Distrikten benutzt wird, vgl. smn jswt t#sw wpp w r sn.nw=f , CG 20539, I b, 2; KRI III, 12, 13. Vgl. Sayed, BIFAO 80, 220; Habachi, in: MDAIK 31, 36. 1202 Als Begründung für seine Forderung an den Vater fügt der Sohn noch hinzu, daß der Schreiber des Vaters ebenfalls im Jenseits sei. Dies deutet ebenfalls auf die Vorbereitung für eine Anklage vor Gericht hin. Übrigens wird die Entscheidung des Orakelgottes bei rechtlichen Befragungen auf Papyrusrollen mit wDo bezeichnet, vgl. Černý, LRL, 37, 6. 1203 Vgl. für das Alte Reich CG 66, Borchardt, Statuen und Statuetten, S. 57; BM 718, HT VI, pl. 7, dazu Edel, Phraseologie, S. 9-10; Strudwick, Administration, 181. Für das Mittlere Reich vgl. jrj-po.t m wp.t nb.wj Hrj-tp n wDo md.t , CG 20539 I, b, 3; für das Neue Reich vgl. Hrj-tp n wDo mdw , Urk. IV, 48, 15; wDo mdw n h#.n=f r t# , Urk. IV, 1074, 13. 1204 jr jst X# sDm=k jm=f jw wsX.t jm=f xr [sS.w] wDo mdw nb „Was das Büro angeht, im dem du hörst, ist dort eine breite Halle, mit [Dokumenten] aller Gerichtsverhandlungen.“ Urk. IV, 1092, 6-7. 1205 Urk. I, 116, 6: 117, 6: 198, 7: 218, 13: 219, 5: 260, 14. 1206 Urk. I, 256, 3-4. 1207 Urk. I, 261, 7; 263, 10. 1208 CG 20458 b, 4. <?page no="202"?> 2. Die Bezeichnung der Schlichtung 203 203 möglichen Übeltäter, daß er den Gott dazu veranlassen würde, den Grabschänder aufzuspüren und ihn entsprechend zu bestrafen 1209 . Weitere Bestätigungen kommen aus den Sargtexten und aus den Dokumenten aus Deir el-Medina. Der gerichtliche Prozeß, den sich die Toten vorstellen, findet deshalb statt, weil eine ungerechte Anklage von seiten ihrer Feinde vorliegt. In diesem Fall ist eine Schlichtung undenkbar. Der richtende Gott soll die bösen Anschuldigungen zurückweisen und den Toten das Recht zusprechen. Deshalb werden in den Sargtexten nur die Termini wDo oder wDo mdw verwendet und der Terminus wpj kommt überhaupt nicht vor 1210 . Genau das Gegenteil beobachten wir in den Gerichtsprotokollen aus Deir el Medina. Wie wir unten gesondert zur Sprache bringen werden, sind die in dem lokalen Gericht behandelten Fälle fast ausschließlich Streitigkeiten, die im Laufe des Kauf-, Tausch- und Leihgeschäfts unter den Dorfbewohnern entstanden sind und durch eine Schlichtung gelöst werden können. Wohl aus diesem Grund wird die Wendung wDo mdw nie in den Texten aus Der el-Medina benutzt 1211 . Es ist daher leicht zu verstehen, daß die zwei Parteien, die im Rahmen einer Schlichtung behandelt werden, mit sn.wj bezeichnet werden 1212 . Dabei wird wahrscheinlich angedeutet, daß es bei dem Streit nicht um Schuld und Strafe geht. Es ist außerdem zu vermuten, das hinter dem als Schlichter handelnden Beamten ursprünglich der Familienvater stand, der den Konflikt zwischen den Brüdern friedlich zu lösen versuchte 1213 . Die Aufgaben des Familienvaters bestehen nicht nur darin, die Familie zu versorgen, sondern auch darin, unter den Kindern harmonische Beziehungen zu sichern 1214 . Und nur durch eine ausgewogene solidarische „Politik“ in der Familie kann der Vater eine erfolgreiche Grundlage aufbauen und am Ende Entgelt von seiten der Kinder erwarten 1215 . In der Autobiographie des B#k-n-%nsw , der in der Regierungszeit Ramses’ II. tätig war, können wir vermutlich eine Bestätigung dafür finden. B#k-n-%nsw bezeichnet sich zuerst als den Vater seiner Untergebenen und beschreibt dann, wie er zwischen dem Schwachen und dem Starken, zwischen dem Armen und Reichen gerichtet habe. Er betont dabei ausdrücklich, daß er Unrecht verboten habe, da Habgier ein Abscheu der Götter sei 1216 . 1209 Der Tote stellt sich als den Initiator der gerichtlichen Verhandlung dar. Diese Gerichtsverhandlungen haben noch nichts zu tun mit dem Totengericht. 1210 Grieshammer, Jenseitsgericht, 31. 1211 McDowell, Jurisdiction, 23. 1212 Die Übersetzung des Wortes als „Brüder“, die Sethe (Pyr., Übers., Bd. I, 317a) gegeben hat, ist daher durchaus richtig. 1213 Der Horus-Seth Konflikt in der Götterwelt in der Form eines familiären Streits ist sicher kein Zufall. Das oben erwähnte Gefäß aus Qaw enthält die Briefe eines Sohnes an seinen Vater (Innenseite des Gefässes) und an seine Mutter (Außenseite) wegen des Bösen, das sein verstorbener Bruder ihm antut. 1214 Assmann (1991b), 101. 1215 Vgl. die Mahnung an den Vater im Louvre demotischen P. 2414 „Liebe (=-bevorzuge) einen Sohn von dir nicht, sonst streitet (ein) anderer Sohn mit ihm.“ Lichtheim, Late Egyptian Wisdom Literature, 95. 1216 Vgl. dafür Frood, Biographical Texts from Ramessid Egypt, 45. <?page no="203"?> 204 Kapitel VI - Der Richter als Schlichter 204 Die Generalisierung des Begriffs „ sn.wj “ auf alle Prozeßgegner muß zeitlich später sein 1217 und stellt sich als eine logische und positive Folge der historischen Entwicklung dar. Die Gemeinschaft ist nur eine Ausdehnung oder Erweiterung der Familie. Der richtende Beamte soll, solange es möglich ist, wie der Familienvater für das friedliche Leben unter den Brüdern innerhalb der Familie sorgen und sich um einvernehmliche Lösungen für die Streitereien unter den Mitmenschen bemühen. Der Frieden zwischen „zwei Brüdern“ kann daher sowohl die Harmonie in der Familie als auch den geordneten Zustand in der Gesellschaft symbolisieren. 3. Die Voraussetzungen für die Schlichtung a. Lehren Die Bedeutung des friedlichen Zusammenlebens unter den Mitmenschen wird in den Lehren seit dem Mittleren Reich betont. In der Lehre des Ptahhotep wird der Schüler vor allem davor gewarnt, unrechtmäßig gegen die Mitmenschen vorzugehen, denn das wird unausweichlich zu einer Anklage führen: m T#j.w pr s#H.w m d#jr(.w) X.wt tkn jm=k jm=f sjw r sDm.t=k jmw pw n jb bqbq jr rX=f s.t jw=f r Snjj qsn pw n jtnw m s.t tkn Nimm nichts aus dem Haus der Nachbarn, und bemächtige dich nicht des Besitzes dessen, der dir nahesteht, damit er dich nicht anzeigt, bevor du es erfährst. Unangenehm ist das Prozessieren. Wenn er weiß, (wie) er rechtet, Übel ist es anstelle des Vertrauens 1218 . Während hier der Schüler vor der Aggression gewarnt wird, die mit einer Anklage gegen ihn im Gericht enden könnte, wird der Schüler in der Lehre eines Mannes an seinen Sohn aufgefordert, sich im Fall eines Konflikts statt gewalttätiger Auseinandersetzung mög- 1217 Sethe nimmt an (Pyr., Übers., Bd. I, 317a), daß sich manche Stellen in Urk. I, wo Brüder erwähnt werden, wirklich auf die brüderliche Beziehung beziehen. Edel (Phraseologie, §37) dagegen betrachtet den Begriff als eine allgemeine Bezeichnung für Prozeßgegner. 1218 Ptahhotep 450-456. <?page no="204"?> 3. Die Voraussetzungen für die Schlichtung 205 205 lichst sprachlich zu verständigen, da sich ein Gewalttätiger im Gericht nicht durchsetzen kann 1219 . In der Lehre des Cheti wird der Schüler aufgefordert, sich von einer streitenden Menge fernzuhalten, um nicht unabsichtlich verwickelt zu werden: Dd=j n=k ktX.w md.wt r sb#=k rX=k mj oHo=k r bw oH# m tkn n ntj.w m sXwn „Ich sage dir andere Worte, um dich zu belehren auf daß du wissest, wie du hinzutreten hast auf den Kampfplatz. Nähere dich nicht denjenigen, die gerade streiten.“ 1220 Nach den Lehren soll man zuerst vermeiden, irgendeine Streitigkeit anzufangen. Man soll anderen keinen Anlaß geben, eine Anklage zu erheben. Außerdem soll man darauf achten, möglichst von jeglichen Streitigkeiten fernzubleiben. Gleiche Forderungen werden in den Lehren aus dem Neuen Reich an die Schüler gestellt, obwohl sich die Zielgruppe und die Verfasserschaft der Lehren verändert haben 1221 . Ani fordert seinen Sohn auf, zu vermeiden, indirekt oder unabsichtlich in einen Streit anderer Leute verwickelt zu werden 1222 . Auf der anderen Seite ermahnt Ani seinen Sohn, angesichts eines Streits gegenüber seinem Gegner nichts Böses zu sagen. Seine Zurückhaltung würde der Gegner als eine Versöhnungsgeste annehmen. Die Zurückhaltung löst nicht nur den momentanen Konflikt friedlich, sondern hat eine langfristige positive Wirkung, indem die beiden Kontrahenten nach dem Streit Freundschaft schließen 1223 . Versöhnung ist demnach mit eigenem Vorteil verbunden. Deshalb fordert Ani an einer anderen Stelle seinen Sohn auf, sogar dann die Ruhe zu bewahren, wenn er durch einen anderen angegriffen wird 1224 . In mancher Hinsicht mag es schwerig gewesen sein, solche Zurückhaltung aufzubringen, aber dahinter steckt eine auf jeden Fall berechtigte Begründung, denn es ist der Abscheu des Gottes, in Wut zu geraten 1225 . Die sichtbare und unsichtbare Wirkung des Gottes wird 1219 „[Ausschöpfen (? )] der Rede geht vor (physische) Kraft. Nicht gibt es einen Aggressiven, der (Worte) aufsteigen läßt in der [Ratsversammlung], Helck, Lehre eines Mannes, 36. In § 24,1 mahnt der Vater seinem Sohn, besser auf die Idee eines gerichtlichen Vorgehen zu verzichten: m h#b(.w) jb=k r oH# „Richte deinen Sinn nicht auf eine (gerichtliche) Auseinandersetzung.“ Fischer-Elfert, Lehre eines Mannes, 248. Auf Seite 249 meint Fischer-Elfert, daß so eine Formulierung einmalig sei. 1220 Lehre des Cheti XVII a-b, Brunner, Lehre des Cheti, 125f. 1221 Zum sozialen Hintergrund des Autors Ani vgl. Fischer-Elfert, in: WdO 28, 23. 1222 wD#=k r p#j=sn wb[n] tm T#j=k r t# qnb.t m b#H sr.w m-Xt jrjt mtr.w , Ani B 21, 17-18. 1223 Ani 19, 15-20, 1. Das Wort xn bedeutet, wie Wb III, 373, 14 bezeichnet, einen Gegner, den man im „Nahkampf“ trifft. Aber Quack (Die Lehren des Ani, 105) hat dennoch wohl Recht, wenn er das Wort mit dem „Nahestehenden“ übersetzt. Die Familie und Nachbarn werden in der Lehre mehrfach Thema der Diskussion. In B 22, 5-6 wird der Sohn aufgefordert, ein friedliches Verhältnis im eigenen Hause zu schaffen, indem er nicht den Anfang des Streits sucht. Dahinter versteckt sich sicherlich die Idee, daß die Angehörigen und Nachbar nicht nur Freude sondern auch Trauer teilen können. In „A Tale of Woe“ wird deutlich gemacht, daß man sogar im Jenseits Gesellschaft braucht und Einsamkeit vermeiden soll. Vgl. Caminos, A Tale of Woe, 20-21. 1224 Ani 15, 12, zur Übersetzung s. Quack, Die Lehren des Ani, 89. 1225 Der redselige und streitsüchtige Mensch wird in der Lehre des Amenemope als derjenige bezeichnet, dessen Herz geschädigt wird. Nur ein solcher Mensch nimmt seine Worte aus dem Mund schnell und ohne jegliche Überlegung, s. Amenemope Kapitel 9: 12, 1-2. Er ist von seinen Worten besessen und kann sich nicht beherrschen, Amenemope Kapitel 9: 12, 9-10. Daher fordert Amenemope den Schüler auf, vor dem Reden zu schlafen, Amenemope Kapitel 3: 5, 12-13. Vgl. dazu auch Kapitel 22: 22, 20-23 und Kapitel 27: 25, 21-26, 5. In Anchscheschonqi 22, 21-24 wird der Schüler vor <?page no="205"?> 206 Kapitel VI - Der Richter als Schlichter 206 in den Lehren ausdrücklich betont 1226 . Daraus entwickelt sich die Idee, daß man seine Gegner durch die Hand Gottes bestrafen könnte 1227 . Die Vorschläge und Aufforderungen, einen Streit zu vermeiden, sind wie gesagt in erster Linie aus praktischen Gründen hervorgegangen. Bei einer Angelegenheit, in der das eigene berechtigte Interesse gefährdet wird, soll der Schüler jedoch mit aller Kraft „kämpfen“ 1228 . Schon Ani rät seinem Sohn, bei der Erbteilung ohne Zögern gegen seinen Bruder anzutreten, damit ihm sein Anteil nicht weggenommen wird 1229 . Hier lautet das Motto: Weiche nicht zurück, solange du Recht hast. In der Lehre des Anchscheschonki kann man die Psychologie der Eigennützlichkeit weiter verfolgen. Der Schüler wird zuerst aufgefordert, nicht in einer Angelegenheit zu streiten, in der er Unrecht hat 1230 . Dann geht Anchscheschonki einen Schritt weiter, indem er seinem Schüler sagt, was dieser in dem Fall tun soll, in dem er Recht hat. Als eine nützliche Taktik wird dem Schüler vorgeschlagen, den Gegner richtig einzuschätzen und die Auseinandersetzung weiter zu führen 1231 . Er soll niemandem den Anlaß geben, ihn anzuklagen 1232 . Dann ermutigt Anchscheschonki seinen Schüler, keine Angst zu haben bei einer Auseinandersetzung, solange er dabei das Recht auf seiner Seite hat 1233 . Aber die beherrschende Idee der Solidarität mit den Familienmitgliedern, den Freunden und den Nachbarn bleibt bestehen 1234 . Die allgemeine Vermeidung von offenen Konden unvorhersehbaren Folgen des Streits mit Einbeziehung des Gottes gewarnt. 1226 In der Lehre des Ptahhotep wird die strafende Hand des Gottes wie folgt beschrieben: „Schmiede keine bösen Pläne gegen die Menschen, denn Gott vergilt mit Gleichem.“ (99-100) „Noch nie wurden die bösen Pläne der Menschen verwirklicht, der Wille Gottes ist es, der Wirklichkeit wird.“ (115-116). 1227 Ani B1 8, 13-16. Dazu vgl. Amenemope Kapitel 2, 4, 10-12. Wie nebenbei bemerkt werden soll, scheint die Verlagerung der richterlichen Funktion auf den Gott vor allem eine Folge der persönlichen Frömmigkeit, aber nicht der Korruption der Richter gewesen zu sein. Über die Auswirkung der Idee des Totengerichts auf die Lebensführung der Ägypter im Diesseits, s. Assmann (1996a), 183. 1228 Es kann wohl sein, daß solche Überlegungen schon in den Lehren der früheren Zeit vorhanden waren, aber aufgrund der historischen Rahmenbedingungen, d. h. der unterschiedlichen Verfasserschicht und Zielgruppe, oder wegen des „Decorums“ nicht im Text zum Ausdruck kamen. 1229 h#jj=k m psS r-Hno sn=k jw p#jj=k m-dj=k wD#(.w) „Du sollst in die Verteilung mit deinem Bruder eintreten, damit dein Anteil ungemindert bleibt.“ Ani B 19, 7-8. 1230 Anchscheschonki 9, 10; Lichtheim, Late Egyptian Wisdom Literature, 77. 1231 Anchscheschonki 12, 24; Lichtheim, a.a.O. Anchscheschonki sagt in seiner Lehre: „Nimm nicht eine Frau zu dir, deren Ehemann noch lebt, damit er nicht dein Feind wird“, Anchscheschonki 8, 12; Lichtheim, a.a.O., 83. Hier scheint es nicht um Ethik oder Moral zu gehen, sondern nur um die mögliche Konsequenz, die von seiten des noch lebenden Ehemannes zu erwarten wäre. 1232 Anchscheschonki 14, 23; Lichtheim, a.a.O., 79. 1233 Anchscheschonki 15, 13; Lichtheim, a.a.O., 80. 1234 Die Nachbarn werden in der Zeit der Not wie eine Famlie Unterstützung leisten, s. pInsinger, 16, 8; Lichtheim, a.a.O., 213. Eine konsequente Entwicklung sieht man möglicherweise in der nach außen geschlossenen Gemeinschaft aus der Spätzeit, die das eigene Interesse gegen den Außenseiter verteidigt und Streitigkeiten innerhalb der Gemeinschaft löst, s. Papyrus in Prag 17-18, Erichsen, Die Satzungen, 14-15. <?page no="206"?> 3. Die Voraussetzungen für die Schlichtung 207 207 flikten, aus welchem Grund auch immer 1235 , verhindert, daß ein Streit leicht ausbricht, und trägt dazu bei, daß ein Schlichter im Fall eines Konflikts relativ leicht eine einvernehmliche Lösung findet und sie zwischen den Parteien durchsetzt. b. Autobiographien Schon in den autobiographischen Inschriften des Alten Reiches finden wir Aussagen darüber, daß sich die Grabherren zu ihren Lebzeiten bemüht haben, Streitigkeiten mit anderen zu vermeiden und, wenn ein Konflikt entstand, sich mit dem Gegner zu versöhnen. Eigentlich sind die Grabherren diejenigen, die zu Lebzeiten Beamte waren und an der Schlichtung der Konflikte anderer Menschen mitgewirkt hatten. Darüber berichten sie auch in ihren Autobiographien. Die Ausübung von Zurückhaltung und das Vermeiden von Streit sind sicher gegenüber den Grabbesuchern etwas Lobenswertes. Aber auf der anderen Seite müssen wir berücksichtigen, daß diese Haltung der Personen aus der Oberschicht gegen das Streiten und Prozessieren nicht nur Auswirkung auf ihre richterlichen Handlungen zu ihren Lebzeiten, sondern auch Einfluß auf die ganze Bevölkerung gehabt haben könnte 1236 . Daher können wir für das alte Ägypten von einer harmonistischen „Streitideologie“ sprechen, die wesentlich an Schlichtung orientiert ist 1237 . Über seine Bemühungen zur Förderung des Friedens und zur Vermeidung von Verleumdung sagt cSm-nfr aus der 5. Dynastie, daß er dem König immer das erzählt hat, was den Menschen nützlich war und nie der Majestät etwas Böses über irgendwelche Leute gesagt habe 1238 . Man hat nichts Übles über seine Mitmenschen vor dem König 1235 Bei der Prüfung im Totengericht ist es eine wichtige Topik, daß der Verstorbene den richtenden Göttern versichert, daß er zu Lebzeiten nicht geschimpft, nicht gestritten und nicht prozessiert hatte. Bei einer Lebensführung, in der der Verstorbene niemandem Schmerz oder Leid zugefügt und Tränen verursacht hat, werden Konflikte mit anderen Menschen dadurch erschwert. Obwohl dies in erster Linie Beteuerungen sind, ist die Auswirkung der Idee des Totengerichts auf die reale Lebensführung nicht völlig auszuschließen. Vgl. hierzu Assmann (1990a), 122ff., ders., (1996a), 193ff. 1236 Die Auswirkung der Idee des Totengerichts auf die Auffassung von Konflikten und Konfliktlösung soll nicht übersehen werden. „Wie könnte eine solche Vorstellung sinngebend und orientierend auf das Diesseitsleben einwirken? Der Tote muß hier auf alle möglichen Anklagen gefaßt sein, zumal der Ägypter hier nicht nur mit seinen Mitmenschen, sondern auch mit Toten und Göttern rechnet, denen gegenüber er sich vergangen haben könnte. Es ist schwer, sich auf dieses Gericht anders vorzubereiten als durch eine möglichst vor- und umsichtige Lebensführung, die Härten und Unrecht vermeidet und nach einem Leben in möglichster Harmonie strebt. Andererseits liegt es auf der Hand, daß man sich einer so komplexen Bedrohungssituation gegenüber vor allem durch Aufbau einer entsprechenden Machtposition zu schützen sucht, d.h. das magische Wissen. Magie ist die Form, mit komplexen Situationen und unvorhersehbaren Unglücksfällen fertig zu werden, auf die man sich nicht gezielt vorbereiten kann.“ Assmann (1996a), 181-182. 1237 Für die Terminologie vgl. Hartmann, Schlichten oder Richten, 18. 1238 wn(=j) Dd(=j) Xr njsw.t #X n rmT n sp Dd(=j) X.t nb Dw r rmT nb Xr Hm n nb(=j) „(Ich) sagte beim König Nützliches für die Menschen. Niemals sagte (ich) irgendwas Böses gegen irgendwelche Menschen bei der Majestät (meines) Herrn.“ Urk. I, 57, 15-16; ähnlich auch in Urk. I, 203, 2 und 233, 13; vgl. Edel, Phraseologie, § 26. <?page no="207"?> 208 Kapitel VI - Der Richter als Schlichter 208 erzählt 1239 . Man hat auch seine Mitmenschen nicht vor ihren Vorgesetzten verleumdet 1240 . Der Oberbaumeister NXb.w stellt njsw.t „König“ und sXm-jrj=f „Machthaber“ direkt nebeneinander 1241 , offensichtlich um zu bekräftigen, daß er vor niemandem eine üble Nachrede gesagt hat 1242 . Daß die friedliche Lebensführung eine umfangreiche und dauerhafte Wirkung hat, zeigt die Behauptung des Jntf , eines Domänenvorstehers unter Sesostris I. Er sagt, daß seine „Güte“ ( nfr=j ) in seiner Familie ihm Liebe im ganzen Land gewonnen habe. Da er niemanden vor der Majestät verleumdet hat, war er bei seinen Vorgesetzten ein erwünschter Mensch 1243 . Eine andere Formulierung für den Begriff „Solidarität mit den Mitmenschen“ heißt: n sp jr=j Xt nb Dw r rmT nb „Nie habe ich irgendwelchen Menschen etwas Böses getan.“ 1244 Der Ausdruck „etwas Böses“ bedeutet offensichtlich jede Handlung, die von der Gesellschaft mißbilligt wurde. Daher sagt der Ägypter, daß er niemals seit seiner Geburt jemanden die Nacht verbringen ließ, indem dieser ärgerlich gegen ihn war 1245 . Das heißt, daß er niemandem Anlaß gegeben hat, ihm irgend etwas vorzuwerfen. Man soll nicht andere unrecht behandeln und darüber hinaus keinen Anlaß geben, daß jemand unrechtmäßig bestraft würde. Wenn dieser friedensstiftende Umgang mit den Mitmenschen von jedem praktiziert würde, dann gäbe es keinen Streit. Tatsächlich behauptet WH# in seiner Autobiographie, daß er nicht geschlagen wurde und niemanden geschlagen hat und nicht gekratzt wurde und niemanden gekratzt hat, denn er war ein trefflicher Bürger, der von seinem eigenen Besitz lebte 1246 . Die Machthaber sollen sich ebenfalls an die Regel halten, wenn sie nicht als die ungerechten Starken verdächtigt werden möchten. Deswegen erklären sie: n sp jrj(=j) X.t nb [Dw] m wsr(=j) r rmT nb „Niemals 1239 Onj sagt, daß er gegen niemanden an den beiden Toren schlecht geredet hat. TPPI § 17, 3. 1240 Vgl. Urk. I, 123, 1; 132, 18; 201, 5. 1241 Urk. I, 217, 11. 1242 An einer anderen Stelle sagt er einfach, daß er über niemand übel geredet hat, Urk. I, 219, 7. Die Vorstellung des Ägypters, wie gefährlich das Reden sein kann, erblickt man in der Formulierung wie hrw md.t qsn.t (Tag der unangenehmen Worte), die eine wörtliche Auseinandersetzung darstellt. Wie die Phrase hrw qsn.t , die jedoch andere Konflikte bezeichnet, hat hrw md.t qsn.t den unverkennbaren Oberton von Unglück oder Katastrophe (für die Phrasen s. Brovarski, in: Fs Dunham, 27). 1243 BM 562, 5-6; HT II, pl. 24; Simpson, ANOC, pl. 12. Für die Übersetzung s. Lichtheim, Autobiographies, 108-109. Vgl. in diesem Zusammenhang Ani B 22, 5-6. 1244 Urk. I, 40, 4; Edel, Phraseologie, §28. Es ist erstaunlich, daß sich diese Aussage sogar im Grab der Königin, der Mutter des Königs Chephren, befindet (Urk. I, 156, 3). Möglicherweise war diese Verhaltensweise von breiten Schichten der Gesellschaft akzeptiert. Eine damit verwandte Form betont die Rücksicht auf die Gegenstände der Mitmenschen, vgl. Urk. I, 49, 4, Edel, Phraseologie, 37, § 28, B. 2. 1245 n sp (r)dj(=j) sDr s nb Sp.tj j(r=j) [Hr X.t] nb Dr msw.t(=j) „Niemals seit (meiner) Geburt ließ (ich) die Nacht zubringen, indem er [wegen] irgendeiner [Sache] ärgerlich war gegen mich.“ Urk. I, 46, 14; 262, 1. 1246 Dunham, Naga-Ed-Dêr Stelae, pl. XXXII, 4-5. Das Vermeiden von Konflikten wird auch damit begründet, daß die betreffende Person ein Wissender war und die negativen Folgen voraussehen konnte, vgl. TPPI § 23, 9-11. <?page no="208"?> 3. Die Voraussetzungen für die Schlichtung 209 209 habe ich etwas [Böses] gegen irgendwelche Leute getan, trotz meiner Amtsgewalt.“ 1247 Oder sie sagen: n sp wd(=j) D#.t m s nb Xft wsr(=j) „Niemals habe ich einem Menschen Unrecht getan, trotz (meiner) Amtsgewalt.“ 1248 Jt-jb=j sagt in seinem Grab aus Siut: „Ich habe kein Unrecht getan, weil mein Herz sich dem widersetzte (? ).“ 1249 Aus diesem Grund konnte er sagen: „Es gibt keinen, den ich geschlagen habe.“ 1250 Die ungewöhnliche Neigung zum friedlichen Zusammenleben hat den Ägypter dazu geführt, gegenüber den Mitmenschen Rücksicht walten zu lassen. Wenn er selbst von den anderen Menschen geärgert wird, verhält er sich ebenfalls zurückhaltend. So schreibt der Baumeister NXb die oben zitierte Formulierung mit wenig Änderung völlig um: n sp sDr(=j) Spt.kwj jm Hno rmT nb „Niemals habe ich die Nacht verbracht, indem ich ärgerlich war mit irgendwelchen Menschen.“ 1251 Für eine derartige friedensstiftende Haltung ist ein „zufriedenes Herz“ ( hr s.t-jb ) ausschlaggebend. Denn die Zurückhaltung ist mehr als eine bloße Unterdrückung der Wut 1252 . Nb-k#.w-Or , der ein Wesir gewesen sein soll, kann von sich folgende ungewöhnliche Leistungen behaupten: „Bezüglich irgend jemand, gegen den (ich) ärgerlich war, bezüglich irgend jemand, der tat was (mich) kränkt, was (ich) verabscheue, ich selbst war es, der ihn beruhigte.“ 1253 Die Strategie, dem schlecht Redenden nicht heimzuzahlen sondern ihn mit aussöhnenden Worten zu besänftigen, wird um des lieben Friedens und der Beliebtheit willen gewählt. Der Gaufürst $tj sagt, daß er „das Böse mit Gutem beantwortet“ habe, um auf Erden beliebt zu sein 1254 . Der Vorlesepriester Jdw gibt in seiner autobiographischen Inschrift an, daß seine Gastfreundlichkeit seine Beliebtheit bei den Mitmenschen befördert habe 1255 . Es ist höchst interessant, daß er das „Essen“ und das „Streiten“ gegenüberstellt. 1247 Urk. I, 50, 8; Übersetzung nach Edel, a.a.O. Diese Aussagen können wohl die oben ausgeführten Behauptungen, daß der ägyptische Richter zwischen dem Starken und dem Schwachen erfolgreich vermittelt hat, als wahrscheinlich bestätigen. 1248 Urk. I, 72, 6-7, vgl. Edel, Phraseologie, 37 und Polotsky, Zu den Inschriften der 11. Dynastie, 50. Vgl. auch Petrie, Abydos, III, pl. XXIX, wo der Verstorbene beteuert: „Nicht habe ich mein Begehren auf eine verheiratete Frau gerichtet. Nicht habe ich die Geliebte eines Bürgers begehrt“, Fischer-Elfert, in: GM 112, 24. Die Versuche Goedickes (in: JARCE 6, 102), in diesem Satz einen Hinweis über Homosexualität zu sehen, ist wenig überzeugend. 1249 n jr=j jw n wn sXsf Xft jb=j jrj , Siut III, 8. 1250 nn o#g.n=j , Siut III, 9. 1251 Urk. I, 217, 8; Edel, Phraseologie, 38. Vgl. auch Urk. I, 222, 13. 1252 Urk. I, 186, 16. 1253 jr s nb Spt.n(=j) r=f jrj.w Snn.t(=j) msdd.t(=j) jnk wn sHtp sw Ds(=j) , Goedicke, Die Privaten Rechtsinschriften, Tf. X, Übersetzung nach Goedicke, a.a.O., 94. Vgl. Urk. I, 217,6- 7 und Hassen, Giza, II 173. 1254 wSb.n(=j) bjn m nfr , Siut IV 65; vgl. CG 20513, 6: Dd.t n(=j) bjn Dd(=j) m nfr „dem, der (mir) Böses sagte, habe (ich) Gutes gesagt.“ Vgl. außerdem Bauer B1, 152, m wSb(.w) nfrt m bjnt . 1255 jnk mrj=f wnm msD=f D#js sm#j hrw nfr , BM 250=HT III, pl. 32, Fischer, in: Fs Dunham, 65. Die Übersetzung des Wortes D#js mit „streiten“ oder „schwätzen“ scheint bezüglich des Kontextes richtig zu sein. Vgl. dazu Fischer-Elfert, in: GM, 135, 35. Die von Morenz (Beiträge zur Schriftlichkeitskultur, 110-111, Anm. 494.) gegebene neue Interpretation des Wortes als „Brechmittel“ gibt keinen befriedigenden Sinn. Schenkel übersetzt das Wort D#js als „Beratschlagen“, gefolgt von Fischer, der die Übertragung „discussion“ angibt. Kürzlich hat Vernus, Les Parties du Discours en <?page no="209"?> 210 Kapitel VI - Der Richter als Schlichter 210 Der Streitende beim Gastmahl wird besonders gehaßt 1256 . Derjenige, der das Essen und Trinken durch das Gastmahl mit den Leuten teilt, wird dagegen von seinen Mitmenschen geliebt. Hier wird im Kern die Großzügigkeit des Jdw als Vermögender betont 1257 . Jntf , der in der 12. Dynastie lebte, sagt kurz und bündig, daß er gegenüber dem Zornigen geduldig gewesen sei, um Streit zu beseitigen 1258 . Ein Expeditionsteilnehmer empfand es als notwendig, in einer Felsinschrift in Nubien klarzustellen, daß er niemandem in der Gruppe Unrecht getan habe 1259 . Die Aussagen über Selbstbeherrschung lassen sich aus den autobiographischen Inschriften des Neuen Reiches nicht belegen, während sie in den zeitgenössischen Lehren mehrfach vorkommen. Der Grund liegt wohl in dem veränderten Konzept bei der Auffassung von den autobiographischen Texten, denn wir finden außerhalb der Lehren noch Belege dafür, daß die Ägypter dieser Zeit weiterhin geneigt waren, Streitigkeiten möglichst zu vermeiden 1260 . Der Amunpriester Ed-%nsw=f-onX aus der Dritten Zwischenzeit sagt, daß er seinen Mund rein gehalten hat davor, seinen Verleumder zu verleumden. Dadurch konnte er seine Feinde in seine Freunde umwandeln 1261 . Oben habe ich zu zeigen versucht, wie sich die Ägypter verhalten haben, um nicht in einen Streit verwickelt zu werden und wie sie sich im Fall eines Konflikts bemüht ha- Moyen Egyptien, 78 eine ähnliche Übersetzung vorgeschlagen: „Je suis un il-aime-manger-(mais)-il deteste-discuter.“ 1256 Die 7. Maxime der Lehre des Ptahhotep behandelt auch das Benehmen bei Tisch, aber unter dem Aspekt des Untergebenen gegenüber seinem Vorgesetzten. 1257 Daher gibt Jdw anschließend an, daß er in der Stadt und im Land mehr (aus)gegeben hat als sein Vater, damit die Leser der Stele den Stelenbesitzer ehren würden. Möglicherweise war der Steleninhaber zu seinen Lebzeiten ein beliebter Gastgeber gewesen. 1258 BM 581, Sethe, Lesestücke, 80, 16; HT II, pl. 23, 1. 1259 Zaba, The Rock Inscriptions of Lower Nubia, fig. 53. Die Inschrift wurde wie ein kurzer Lebenslauf aufgefaßt. Zuerst wurde das Geburtsdatum angegeben. Dann folgt die Angabe seiner „Berufstätigkeit“, die schon den Inhalt der Idealbiographie enthält, denn er sagt, daß er ein ruhiger Mann der Mannschaft war. Zum Schluß kommt die schon erwähnte Behauptung, daß er mit seinen Kollegen gute Beziehung gepflegt hat. 1260 Vgl. z. B. Černý, „A Marriage Settlement of the Twentieth Dynasty“, in: JEA 13, 1927, 30-39. 1261 Hsmn.n=j r#=j r HD(.t) HD wj sXpr.n w#H-jb=j Hrw.w=j m hn.w=j „Ich habe meinen Mund dagegen gereinigt, den zu verleumden, der mich verleumdete. Meine Güte hat meine Feinde zu meinen Anhängern verwandelt.“ CG 559; Borchardt, Statuen und Statuetten, II, Tf. 94, Z. 4; Jansen-Winkeln, Ägyptische Biographien, Text A 1, b, 4; vgl. Jansen-Winkeln, a.a.O., Text A 4, c, 20-21. Für die Interpretation von Natron in diesem Zusammenhang vgl. die Behauptung des Wesirs RX-mj-Ro aus der 18. Dynastie: Hsmn pw r#=j wob sfn m sp.tj=j „Mein reiner Mund ist Natron. Milde ist an meinen beiden Lippen.“ Gardiner, in: ZÄS 60, 68. Es scheint mir sehr einleuchtend, daß die Reiningung der Leiche mit Natron neben dem technischen Grund (Erhaltung der Leiche) auch einen religiösen Grund hat (den Toten frei zu machen vor der Prüfung der Götter). Man soll bei solchen Aussagen, besonders den aus der Spätzeit, die Wirkung der richtenden Götter berücksichtigen. Vgl. die Beteuerung des Jr.t-Or-o , vgl. auch Piehl, in: ZÄS 25, 120, a, 4-5. <?page no="210"?> 3. Die Voraussetzungen für die Schlichtung 211 211 ben, eine Eskalation zu vermeiden 1262 . Darüber hinaus finden sich Belege darüber, wie die Ägypter den Streit und den Streitsüchtigen mißbilligt haben 1263 . In den sogenannten Klagen werden die Streitigkeiten als eines der repräsentativen Phänomene bezeichnet, die die Krise im Land charakterisieren. Neferti beschreibt den Zusammenbruch aller tradierten menschlichen Beziehungen damit, daß „der Sohn zum Gegner, der Bruder zum Feind wird und ein Mann seinen Vater tötet“ 1264 . Während in der Prophezeiung des Neferti von dem Umbringen des Vaters durch den Sohn die Rede ist, schildert der Verfasser der Admonitions, wie „ein Mann seinen Sohn als seinen Feind betrachtet“ 1265 . An einer anderen Stelle sagt der Weise: dd(.w) sn=f m t# m s.t nb.t „Es ist überall, daß ein Mann seinen Bruder auf die Erde legt.“ 1266 Diese Neigung zum Streiten und sogar zur gewaltigen Auseinandersetzungen charakterisieren den Verfall der Ordnung und damit die verkehrte Welt. Es scheint gerechtfertigt, darin die Abneigung der Ägypter gegen allerlei Streitigkeiten zu sehen. Natürlich waren sich die Ägypter im klaren, daß das Leben der Menschen mit Konflikten verbunden war 1267 . 1262 Die Ägypter, denen wir hier gegenüberstehen, gehören fast ausschließlich zur Oberschicht, zur staatstragenden Elitegruppe. Solch eine grundsätzlich zurückhaltende Einstellung gegenüber Streit und Konflikt hatte bestimmt eine starke Auswirkung nicht nur auf sie selbst, sondern auch auf die Menschen in den unteren Schichten. 1263 Kees, Kulturgeschichte, 176. Der Haß auf die Streitigkeiten kommt in den Sargtexten zum Ausdruck. Der Verstorbene bezeichnet sich als den Retter der Maat und erklärt den Streit als seinen Abscheu, CT VII 387c-388b. Im Harfnerlied wird der Streit ebenfalls als der absolute Abscheu der Unterwelt betrachtet, wo es keinen Streit und keinen Feind geben soll, vgl. hierzu Lichtheim, in: JNES 4, 197. 1264 s# m Xrwjj sn m Xftj s Hr sm# jt=f , Helck, Neferti, IX f, für die Übersetzung, vgl. Kammerzell, in: Kaiser (Hrg.) TUAT, Band II, 107. Die Beschreibung der feindseligen menschlichen Beziehungen durch die mörderischen Auseinandersetzungen zwischen den Brüdern bzw. Vater und Sohn sind sehr einleuchtend für das Verständnis der Entstehung des ägyptischen Rechts. In den meisten Fällen handelt es sich nicht um Konflikte unter den wirklichen Familienangehörigen (vgl. Edel, Phraseologie, 43). Aber die zahlreichen Belege zeigen die Auffassung, mindestens in der Theorie, der Ägypter, daß die gewaltsame Auseinandersetzung niemandem Vorteil bringe. Außerdem kann man darin die Rolle des Vaters erblicken, der als der erste Schlichter vor seinen eigenen Kindern auftritt. Vgl. Sethe, Pyr. Kommentar I, 399, wo er Urk. I, 133, 4-5 und 222, 12 als Belege zitierte. 1265 m## s s#=f m Xrwjj=f sh# , Gardiner, Admonitions, 1, 5. Als eine mögliche Ergänzung erwähnt Gardiner den Vorschlag von Sethe „ sh# [s# n jt=f] “. 1266 Admonitions, 2, 13-14. Es wird allgemein angenommen, daß der Ausdruck „seinen Bruder auf die Erde legen“ „Bestattung“ bedeuten soll. Es scheint nicht völlig ausgeschlossen zu sein, anzunehmen, daß der Satz die Tötung eines Mannes durch seinen Bruder beschreiben kann. Diese Vermutung wird verstärkt, wenn wir die Stelle in 9, 3 heranziehen: mTn sm#.tw s r-gs sn=f jw=f Hr h#j jw=k sw r mk.t Ho.w=f „Sieht, ein Mann wird an der Seite seines Bruder umgebracht. Er (der Bruder) flüchtete (? ), um einen Leib zu retten.“ 1267 H# rf grH pw m rmT n(n) jrr n(n) ms.t jX gr t# m Xrw nn xnnw „Wenn es für die Menschheit ein Ende gäbe, ohne Schwangerschaft und ohne Geburt, dann wäre das Land frei von Lärm, frei von Zwietracht.“ Admonitions, 5, 14-6, 1. In diesem Satz möchte man die Figuren von Horus und Seth erkennen, denn das Wort xnnw wird durch das Sethtier determiniert, das schon im Pyramidentext belegt ist. Vgl. Wb III, 383 und Gardiner, a.a.O., 45. <?page no="211"?> 212 Kapitel VI - Der Richter als Schlichter 212 Zur Absage an den Streit wird nicht nur in den Lehren aufgefordert. In anderen Texten wird behauptet, daß die Ägypter die Forderung eingehalten haben. In seiner Stiftungsurkunde für den Totendienst legt K#-m-nfrt fest, daß ein Totenpriester, der gegen seinen Kollegen prozessieren sollte, alles verlieren würde, was ihm für den Totendienst gegeben wurde 1268 . Diese Urkunde zusammen mit der Bestimmung gegen eventuelle Streitigkeiten wird an der Grabwand angebracht, damit sie die für ihn Totendienst leistenden Priester jederzeit lesen oder mindestens sehen können. Man würde vielleicht sagen, daß K#-m-nfrt die Entscheidung nur aus der Überlegung getroffen hat, daß sein Totenkult durch die Streiterei unter den Priestern gefährdet werden könnte. Jtj-jb=j , ein Gaufürst aus Siut, begründet seine Mißbilligung der Streitigkeiten durch die Einbeziehung des Gottes: „Die Streitigkeit (? ) ist (mir) wie der Abscheu Gottes.“ 1269 Er stellt diesen Satz mit der Aussage über sein Anhören der Bittsteller zusammen und sagt anschließend, daß er dies alles für die Neuordnung von Siut getan habe. Wie die alten Ägypter den Streit verabscheuten und als ein in der Öffentlichkeit unerwünschtes Ereignis betrachteten, erfahren wir auch in dem Anruf des P#-Hrj , eines Fürsten der 18. Dynastie aus El-Kab, an die Lebenden. Bei der Bitte um die Rezitation von Opferformeln versichert P#-Hrj wiederholt, daß die Rezitation der Totenopfer keinen Streit mit anderen verursacht: „Es ist keine Schmähung und kein Streit darin, es ist kein Kampf mit einem anderen, es ist nicht die Unterdrückung eines Elenden, der augenblicklich in Not ist.“ 1270 Nach den oben genannten Argumenten scheint es deutlich, daß im alten Ägypten die Voraussetzung dafür vorhanden war, daß der richtende Beamte einen Streit durch Schlichtung lösen konnte. Für die Konfliktparteien ist eine einvernehmliche Beilegung des Konflikts vorteilhaft. Was die richtende Person anbetrifft, möchte diese einen Konflikt ebenfalls möglichst in einer friedlichen Weise behandeln, da er dadurch seinen eigenen Vorteil erzielen kann. Die Schlichtung ist ein Verdienst, das nicht nur anerkannt, sondern auch vergolten wird 1271 . Nb-k#.w-Or , der das Amt des Wesirs innegehabt haben soll, ließ in seinem Grab die Bestimmungen ( wD.t-mdw ) für seinen Totenkult auf der Wand anbringen 1272 . Darin begründet er aus seiner Sicht, warum die Totenpriester nach dem Willen des Grabinhabers handeln sollen: Er habe sich nämlich einerseits darum bemüht, Streit mit anderen zu vermeiden, andererseits habe er sich dafür eingesetzt, daß seine Mitmenschen miteinander gut auskommen 1273 . Die Handlungen des Grabherrn, die Streitenden zur Versöhnung zu 1268 Urk. I 13, 3-7; Goedicke, Die Privaten Rechtsinschriften, 44-67. 1269 Snj (? ) n(=j) mj bw.t nTr , Siut III, 11. 1270 nn sHwr nn sXwn jm=f nn oH# pw Hno kjj nn #ob.t nt Hwr m #.t=f , Urk. IV, 122, 13-15; gleich auch in Urk. IV, 510, 11-13; vgl. Fecht, in: ZÄS 92, 15-23. 1271 Otto, Wesen und Wandel, 61. 1272 Goedicke, Die privaten Rechtsinschriften, pl. IX. 1273 jrj(=j) mr=tw msD.w=f nb „(Ich) veranlaßte, daß man liebte, was er gehaßt hatte (? ).“ Vgl. Goedikke, a.a.O., pl. X. <?page no="212"?> 4. Die richterliche Schlichtung 213 213 bewegen und Frieden zu schaffen, könnten damit denjenigen ein Vorbild sein, die für den Verstorbenen Totendienst leisten 1274 . Der Wesir K#-gm.n=j erklärt eindeutig, daß er die zwei Kontrahenten zur Versöhnung brachte, da er wollte, daß es ihm beim König und bei dem großen Gott und bei den Mitmenschen gut ging 1275 . Die friedliche Lösung von Konflikten wird nicht nur von den Mitmenschen und dem König gewünscht. Derjenige, der dazu beiträgt, wird von Gott belohnt 1276 . Die Nützlichkeit der Schlichtung beschränkt sich demnach nicht aufs Diesseits sondern erstreckt sich bis ins Jenseits 1277 . 4. Die richterliche Schlichtung Die wichtigste Ausdrucksform, die seit dem Alten Reich belegt ist, lautet: jw wp.n(=j) sn.wj r Htp=sn „(Ich) habe die zwei Konfliktparteien zu beider Zufriedenheit gerichtet.“ 1278 Hier wird die Zufriedenheit der beiden Parteien betont, da sie das Endziel der richterlichen Handlung darstellt. Aber wie kann ein Richter beide Parteien zufrieden stellen? Die einzige Möglichkeit ist, daß er als Schlichter auftritt und eine Versöhnung zwischen beiden streitenden Parteien zu erzielen versucht. Es ist schwer, aus den kompakten Aussagen herauszubekommen, wie der ägyptische Beamte in den konkreten Fällen eine Schlichtung durchgeführt hat. Es ist unwahrscheinlich, daß der als Richter tätige Beamte bei einer Angelegenheit ohne jegliche Prinzipien 1274 Am Anfang der Inschrift erklärt Nb-k#.w-Or , daß er die Leute beruhigte, wenn er von ihnen gekränkt wurde. Diese Versöhnungsgeste, die der als Schlichter fungierende Beamte selbst praktiziert, ist eine wichtige Voraussetzung und solide Basis dafür, daß er in der Schlichtung Erfolg haben kann. Dieser Punkt wird unten noch näher untersucht. 1275 Edel, in: MIO I, Tf. II b Z. 5-6. Die starke Präsenz solcher Aussagen gerade am Ende des Alten Reiches erklärt sich vielleicht aus dem sich schnell entwickelnden Selbstbewußtsein, das immer mehr das Gewicht vom König auf die Mitmenschen verlagert. Die „Anrufe an die Lebenden“ kommen auch in der 6. Dynastie bereits vor, s. Edel, Phraseologie, S. 11. 1276 jw wp.n(=j) sn.wj r Htp=sn n rX(=j) mrr.t nTr js „(Ich) habe die zwei Parteien zu ihrer Zufriedenheit gerichtet, weil (ich) wußte, daß Gott dies wünschte.“ Urk. I, 222, 12. 1277 Der Gaufürst Ef#j-Oopj aus dem Mittleren Reich bezeichnet derartige Handlungen als ein Ideal, das die Menschen liebten und die Götter lobten und betrachtet dessen Erfüllung als die Berechtigung zum Eintritt ins Jenseits: jj.n(=j) m njw.t=j [h#j.n(=j)] m sp#.t=j jr.n(=j) mrr.t rmT Hss.t nTr.w jw wp.n=j sn.wj r Htp=sn „(Ich) bin aus meiner Stadt herausgegangen und aus meinem Gau [herabgestiegen]. Ich habe getan, was die Menschen lieben und die Götter loben. Ich habe die zwei Parteien zu ihrer Zufriedenheit gerichtet.“ Urk. VII, 63, 9-11. Wahrscheinlich stellt sich die schlichtende Handlung als ein guter Ausweis beim Übergang vom Diesseits zum Jenseits dar. Der Tote erklärt im Sargtext (CT IV, 94), daß er den Streit von den zwei Prozeßgegnern am Tage des Richtens vertrieben hat und die beiden Genossen damit zufrieden waren, was er als Urteil gesprochen hatte (CT IV, 277). 1278 Urk. I, 195, 13 identisch in 199, 1; Urk. I, 200, 16; Urk. I, 222, 12; Urk. I, 255, 7. In Urk. I, 200, 16 wird das Wort sn.wj (zwei Brüder) mit einem sitzenden Mann und einer sitzenden Frau determiniert. Ob der Grabherr damit auf seine Schlichtung des Streites zwischen einem Sohn und einer Tochter bzw. zwischen einem Mann und einer Frau hinweisen wollte, muß offen bleiben. <?page no="213"?> 214 Kapitel VI - Der Richter als Schlichter 214 eine Schlichtung zu erreichen versuchte. Der Kompromiß im Fall eines Konflikts ist nicht selbstverständlich. Es ist die Aufgabe des Richters, mittels der Macht in seiner Hand eine Versöhnung zu ermöglichen 1279 . Es ist bezeichnend, daß die Aussage über die Schlichtung oft durch die Behauptung begleitet wird, daß der Richter den Schwachen aus der Hand des Starken gerettet hat: wpj.n(=j) sn.wj r Htp=sn nHm.n(=j) m#r m-o wsr r=f sXm.t.n(=j) jm „(Ich) habe die zwei Konfliktparteien zur ihrer Zufriedenheit gerichtet. (Ich) habe den Schwachen aus der Hand dessen gerettet, der stärker als er war, soweit das in (meiner) Macht stand.“ 1280 Hier liegen zwei völlig verschiedene Arten von Konflikt vor. Wenn zwischen zwei Brüdern oder zwei Personen ein Streit entfacht wird, der jedoch nicht das fundamentale Interesse der Parteien berührt, kann der Richtende unter Einbeziehung der bisherigen Entwicklung und zukünftiger Aussichten einen Mittelweg finden. Aber wenn ein Schwacher bei dem betreffenden Fall durch einen Starken unterdrückt wird, gibt es für den Richter keine Möglichkeit, eine Schlichtung zu unternehmen. In diesem Fall kann der Richter nur als Retter und Schützer auftreten 1281 . Eine andere Art von Auseinandersetzungen, die nicht durch Schlichtung gelöst werden können und sollen, erwähnt Ppj-nXt in seiner Autobiographie. Darin erfahren wir, daß sich der richtende Beamte völlig anders verhält, wenn es um einen Erbstreit geht: n sp wDo(=j) sn n sn.wj m sp sSwj(=j) s# m xr.t jt=f 1282 . In einem solchen Fall hat nur eine von den zwei Parteien den gerechten Anspruch. Aber die Ausdrucksform sn n sn.wj ist höchst interessant. Warum sagt Ppj-nXt nicht einfach n sp wDo(=j) sn.wj ? Es scheint mir notwendig, zwischen den Zeilen zu lesen. Die eigentlichen Konfliktparteien waren zwei Brüder ( sn.wj ). Aber bei der Gerichtsverhandlung ist nur einer der Brüder ( sn n sn.wj ) erschienen 1283 . Die andere Partei wird durch den Sohn ( s# ) vertreten. Nun ist die Handlungsweise des Richters recht eindeutig. Er darf auf keinen Fall das Erbe des abwesenden Bruders an dessen Bruder übergeben 1284 , während der Sohn als der berechtigte Erbe vergebens wartet. 1279 Die Schlichtung ist jedoch keine absolute Gleichmacherei und bedeutet nicht, daß jede der beiden Konfliktparteien zu 50 prozentigem Kompromiß bereit sein muß. Die Gerechtigkeit muß gewahrt bleiben und auf dieser Grundlage versucht der Schlichter, die Parteien zu einer Lösung zu bringen, die das Interesse beider Seiten berücksichtigt und ihre zukünftige Beziehung gewährleistet. Vgl. das Gefühl des Geb zur ersten Lösung des Konflikts zwischen Horus und Seth: Dw Hr jb n Gb twt psS.t Or n psS.t Ctx „Es war in der Meinung des Geb schlecht, daß der Anteil des Horus gleich wie der Anteil des Seth war.“ Vgl. Sethe, Dramatische Texte, 27. 1280 Urk. I, 199, 1-2; Urk. I, 255, 6-7; Urk. I, 269, 6-7, vgl. auch Lichtheim, Autobiographies, 6. 1281 Hierzu Kapitel VII. 1282 Urk. I, 133, 4-5, ähnlich Urk. I, 123, 3-4. 1283 Meiner Meinung nach liegt hier sehr wahrscheinlich eine Anspielung auf den Konflikt zwischen Osiris und Seth vor. Bei den Gerichtsverhandlungen sind jedoch Horus und Seth die beiden Gegenspieler. Man sieht in dem Satz das Zusammenwirken der Rechtsauffassung und des Mythos. Der Vorschlag Edels (Phraseologie, 43), den Ausdruck sn n sn.wj mit „ snsn.wj die beiden, die sich (zu einem Rechtsstreit) zusammengetan haben“ wiederzugeben, scheint grammatisch schwer vertretbar und außerdem erzielt es keinen besseren Sinn. 1284 Vgl. die Behauptung des Gaufürsten NHrj , daß er geduldig auf den rechtmäßigen Erbfolger gewartet hat, bis er geboren wurde: rdj s Hr jS.t jt=f wXd bk#.t r msj.t=s nb m#o.t jwtj jsf.t=f rdj pr sn.wj Hpt(.w) Hr wp.t nt qnb.t „der einen Mann auf den Besitz seines Vaters setzte, der die Witwe duldete <?page no="214"?> 4. Die richterliche Schlichtung 215 215 Er kann auch nicht das Erbe in zwei Hälften teilen, um eine Versöhnung zu erzielen. Die Verwendung des Wortes wDo anstatt wpj ist wohl nicht zufällig. Ich lege hier versuchsweise meine Übersetzung vor: „(Ich) habe keine der Konfliktparteien dergestalt gerichtet, daß (ich) den Sohn um den Besitz seines Vaters gebracht hätte.“ Der Ausgleich ist wünschenswert. Aber er wird nicht um jeden Preis durchgeführt. Es ist außerdem nicht wahr, daß den Richtenden mangels ihrer rechtlichen Kompetenz nur die Schlichtung möglich gewesen sei 1285 . Man muß bedenken, daß eine Persönlichkeit wie K#-gm.n=j eine solche Aussage hinterließ. Sofern es möglich war, scheint die Schlichtung die beste Lösungsmöglichkeit für die Konflikte gewesen zu sein 1286 . Die friedliche „Koexistenz“ zwischen den beiden „Brüdern“ ist ein Zeichen, daß in einer Familie, einer Gemeinde und sogar im ganzen Land Frieden und Ordnung herrscht. Über seine Aufgaben als Vorsteher von Oberägypten sagt Wnj , daß er Oberägypten zur Zufriedenheit Seiner Majestät verwaltet habe 1287 . Als Beispiel nennt er seine Bemühung als Schlichter 1288 . Eine Schlichtung kann erst dann erfolgreich enden, wenn sich die beiden Parteien auf eine gemeinsame Linie verständigen können. Hier ist das Kommunizieren zwischen den beiden Seiten ausschlaggebend 1289 . Bemerkenswert ist die Tatsache, daß gerade aus der Ersten Zwischenzeit die Aussagen über die schlichtenden Handlungen der lokalen Machthaber oft vorkommen. Cn-sTj kann behaupten: [j]w wpj.n(=j) sn.wj r twt jb(.w)=sn „(Ich) habe die zwei Parteien so gerichtet, daß ihre Herzen sich vereinigten (beide Seiten sind der gleichen Meinung).“ 1290 Hier kann man die Präposition r möglicherweise mit „bis“ übersetzen, dann ist die Betonung der Geduld des Richters bei der Schlichtung noch deutlicher. Nur demjenigen, der eine Angelegenheit richtig einschätzt und einen einvernehmlichen Lösungsvorschlag vorlegen kann, wird es gelingen, daß die beiden Parteien mit zufriedenen Herzen den Verhandlungsort verlassen 1291 . bis sie gebar, ein Herr der Gerechtigkeit, ohne Unrecht, der veranlaßte, daß die zwei Parteien mit dem Urteil der Beamtenschaft zufrieden herauskamen“, Hatnub Gr. 20, 17-19. 1285 Vgl. Martin-Pardey, in: Fs Goedicke, 167; ders., Provinzverwaltung, 184ff. 1286 Schlichtung heißt aber nicht, daß jedem das gleiche Recht zugesprochen wird. In der Verfügung des Nj-k#w-ro (Urk I. 16-17) sehen wir eindeutig, daß das Erbrecht unter den Geschwistern und das der Kinder gegenüber ihrer Mutter unterschiedlich war. Bei einem Konflikt in diesem Fall ist es die Aufgabe der schlichtenden Richter, die Konfliktparteien auf der Grundlage der vorher aufgestellten Verfügung zu einer Einigung zu bringen. 1287 Urk. I, 106, 4-11. 1288 Die Tatsache, daß er sich als einen guten Schlichter und tüchtigen Steuereintreiber bezeichnet, zeigt einerseits die Bedeutung der Schlichtung und andererseits die Untrennbarkeit zwischen den administrativen und richterlichen Aufgaben.Vgl. dazu Kapitel I. 1289 Über das Kommunizieren zwischen dem Herzen des Richters und dem der Bittsteller, s. Kapitel V. 1290 Petrie, Dendereh, pl. XI A; Schenkel, MHT, 149 übersetzt: „so daß ihre Herzen eins wurden“. Vgl. dazu Lebensmüder Z. 40, twt jb=f Hno=j . Goedicke, Dispute, 116 übersetzt: „so that its (ba’s) opinion accords with me.“ 1291 jw wpj.n(=j) md.t r m#o.t=s rdj.n(=j) prj sn.wj jb=sn Htp(.w) „(Ich) entschied eine Angelegenheit nach ihrer Richtigkeit und veranlaßte, daß die zwei Parteien zufriedenen Herzens herauskamen.“ Hatnub Gr. 12, 14-15. Parant, L’Affaire, 221, behauptet, daß es einen Unterschied zwischen dem Ausdruck prj Htp.w und prj m Htp gibt, und nimmt für prj Htp.w die Bedeutung „begnadigt“ und <?page no="215"?> 216 Kapitel VI - Der Richter als Schlichter 216 Der Grund, daß der für die Verwaltung zuständige Beamte als Schlichter auftritt, liegt vor allem darin, daß die Schlichtung in seinem eigenen Interesse als Machthaber der Ortschaft steht. Auf der anderen Seite ist es so, daß nur die Personen, die mit Verwaltungsgewalt ausgestattet wurden, in der Lage waren, eine Schlichtung erfolgreich durchzuführen. Der Gaufürst $tj aus der 9/ 10. Dynastie berichtet, daß er im Jahre der Dürre das Ackerland in seinem Gau bewässern konnte. Er betont dabei ausdrücklich, daß er jedem genug Wasser gab, damit der Frieden unter den Menschen gewahrt blieb 1292 . In der Tat betont $tj in seiner Aussage seine eigentlichen Vorkehrungsmaßnahmen. In anderen Worten ausgedrückt, er habe durch seine unermüdliche Arbeit reichliche Wasserlieferung gesichert und konnte dadurch manche Konflikte verhindern. Ein dramatisch formuliertes Beispiel von Schlichtung finden wir in der autobiographischen Inschrift des onX.tj=fj , eines Gaufürsten aus der Ersten Zwischenzeit: J[w] jn.n wj Or wTs.t Or n o.w.s. r grg sj rn(=j) Xr wn Or Hr mr.t grg=s Hr jn=f wj r=s r grg=s gm.n(=j) pr %wj-wj jT.t(w)=f mj grg.t mkH# n jrj=f m s.t-o xnn.w xr sXr n Hwrw jw dj.n(=j) qnj s Hno sm# jt(=f) sm# sn=f n-mr.t grg wTs.t Or Horus führte mich in den Horusthrongau um Leben, Heil und Gesundheit willen, damit mein Ruf ihn neu ordnete; denn Horus hatte den Wunsch, ihn (den Gau) neu zu ordnen, als er mich in ihn schickte, um ihn wieder zu ordnen; und ich traf den Besitz des %wj-wj an, wie er wie eine Neusiedlung überschwemmt war, gemieden vom zuständigen Mann, in der Tätigkeit eines Streitsüchtigen und unter dem Planen eines Nichtswürdigen. Da wirkte ich dahin, daß einer den umarmte, der seinen Vater erschlagen hatte, für prj m Htp die Bedeutung „freigesprochen“ an. Ich finde, diese Annahme ist nicht haltbar. Beide Ausdrücke soll man mit „zufrieden (mit dem Ergebnis der Verhandlung)“ oder „einverstanden (mit der Schlichtung)“ wiedergeben. Beide Ausdrücke kommen meistens im Kontext der Schlichtung vor. Von einer Begnadigung kann nicht die Rede sein. 1292 Siut 5; Brunner, Siut, 11-12; 64-67. Der Zusammenhang zwischen Frieden und materieller Fülle wird auch im Nilhymnus hervorgehoben, Assmann, ÄHG, Nr. 242, S. 503-504. In einem Hymnus an den Großen Nun wird der Reichtum als Grund dafür genannt, daß die jungen Leute mit den Alten in Frieden leben konnten, vgl. Fischer-Elfert, Literarische Ostraka, 19, 8. <?page no="216"?> 4. Die richterliche Schlichtung 217 217 oder den, der seinen Bruder erschlagen hatte, um der Neuordnung des Horusthrongaus willen 1293 . onX.tj=fj will wohl zum Ausdruck bringen, wie er verhindert habe, daß der Geschädigte Selbstjustiz praktizieren und der Teufelskreis von Gewalttaten kein Ende haben würde. Goedickes neue völlig anders lautende Übersetzung „I caused that a man make up with him who would kill the murderer of his brother“ 1294 paßt schlecht zu der Absicht, die onX.tj=fj mit seiner Behauptung verbindet. onX.tj=fj gibt im Text eindeutig an, daß seine derartige Handlung eigentlich eine Reaktion auf die vorhergegangene gewalttätige Auseinandersetzung darstellt. Nun will er dem gesetzlosen Zustand ein Ende setzen. Die von Goedicke vorgeschlagene sDm.tj=fj- Form ist außerdem deshalb unmöglich, weil onX.tj=fj die ihm gelungene Neuordnung betonen will 1295 . Daher sagt onX.tj=fj in dem nachfolgenden Satz seiner Autobiographie, daß er sich für die Versöhnung eingesetzt habe, um den Gau Edfu wieder aufzubauen. Er hält die Gewalttätigen für den Mißstand in Edfu verantwortlich. Nach seiner Neuordnung des Gaues verspricht onX.tj.fj , daß „er die Hitze [des Strei]tes(? ) nie wieder zulassen wird“ 1296 . Der Richter soll nicht nur der Unterdrückung von seiten des Starken entgegentreten, sondern auch die Selbsthilfe oder Fehde des Geschädigten untersagen 1297 . onX.tj=fj hat in seiner Funktion des Gaufürsten nicht nur die politische und ökonomische, sondern auch die militärische und religiöse Macht 1298 . Mit dieser Kombination der Macht konnte er die Öffentlichkeit in die Schlichtung einbeziehen, was einen starken Druck auf die Kon- 1293 Vandier, Mo c alla. 163, Inschrift Nr. 2, I, a ,2-I,b,1; Übersetzung nach Schenkel, MHT, 45-46; vgl. Posener, in: Bibliotheque égyptologique 18, 162ff. Vgl. Goedicke, Die Privaten Rechtsinschriften, Tf. X, wo Nb-k#.w-Or behauptet : jrj=j mr.tw msDw=f nb . 1294 Goedicke, in: CdÉ 70, 42. Zur Begründung seiner neuen Übersetzung gibt er das Fehlen eines Determinatives hinter dem allgemein angenommenen Wort jt an und schlägt eine sDm.tj=fj Form vor, a.a.O., S. 43, Anm. d. Aber der Einwand scheint mir nicht stichhaltig, da das Fehlen des Determinatives nicht selten ist; vgl. Wb I, S. 141. 1295 Nach Goedicke solle jemand den Mörder, der den Bruder eines Mannes umgebracht habe, töten. Wer dieser Rächer auch immer sein könnte, er müßte dem Mann willkommen sein, dessen Bruder das Opfer des Mörders war. Wenn es diesen Rächer überhaupt gäbe warum soll das Opfer es so schwer finden, den Rächer seines ermordeten Bruders zu lieben, so daß das Eingreifen eines Richters erforderlich war? 1296 Vgl. Schenkel, MHT, 46. 1297 Hier scheint die altägyptische Auffassung der Strafe sehr human, wenn man dieser Behauptung Glauben schenken würde. Konfuzius soll gesagt haben, daß ein Sohn nicht mit dem Mörder seines Vaters unter einem Himmel leben soll. Falls er den Mörder trifft, soll er ihn auf der Stelle töten. Vgl. Vogel, Die historischen Grundlagen des chinesischen Strafrechts, 85-88. Wenn Konfuzius den zitierten Satz auch nicht gesagt hat, gibt es im alten China durch den Staat kontrollierte Blutrache, s. Vogel, a.a.O., 86-87. In den Lehren der Spätzeit im alten Ägypten stellt sich die Rachsucht als die größte Sünde dar; vgl. dazu Voten, in: Misc. Gregoriana, 379. Über die Aussagen über Strafe vgl. Kapitel VIII. 1298 Er ist der versorgende und ernährende aber gleichzeitig furchterregende Familienvater seines Gaues im engsten Sinne. <?page no="217"?> 218 Kapitel VI - Der Richter als Schlichter 218 fliktparteien ausgeübt haben muß 1299 . Gegenüber dem schlichtenden Patron ist die Versöhnung nicht nur wegen der Macht und des Ansehens des Schlichters möglich, sondern sie ist für die betreffenden Parteien zur weiteren Existenz im Machtbereich des Patrons notwendig 1300 . Nur durch Zusammenarbeit und Rücksichtnahme unter den Bewohnern der Gemeinde kann das Überleben des Einzelnen garantiert werden. Daß die Schlichtung im Mittleren Reich als eine Form der Gerichtsverhandlung institutionalisiert worden sein könnte, ist aus einer Aussage des NTr.w-Htp , des Vorstehers der Schiffe, zu vermuten: jnk wHm.w jqr n mr.t rX(.w) wDo.t wDo(.w) sn.wj smj x#r.t jwt.t hj=s snf Hwrw n njw.t rdj pr sn.wj Htp m wp.(t) [n.t qnb.t] Ich war ein beliebter und trefflicher Herold, der das Richten verstand, der die zwei Parteien richtete, der die Witwe meldete, die ihren Ehemann nicht (mehr) hatte, der den Armen der Stadt atmen ließ, der veranlaßte, daß die zwei Parteien mit dem Urteil der [Beamtenschaft] zufrieden herauskamen 1301 . NTr.w-Htp bezeichnet sich zuerst als den tüchtigen Herold. Möglicherweise war dieses Amt dafür entscheidend, daß er sowohl Bericht über die Lage der Stadt erstattete als auch an der Gerichtsverhandlung teilnahm. Daher war er ein Kenner des Rechtswesens ( rX wDo.t ). Dann zählt er die verschiedenen Arten von richterlichen Handlungen auf: die beiden Streitparteien richten; die Witwe, die keinen Ehemann (mehr) hatte, (der „Behörde“) melden; den Elenden der Stadt atmen lassen; die zwei Parteien herausgehen lassen, indem sie zufrieden waren mit der Entscheidung [des Beamtenkollegiums] 1302 . Die Schlichtung ist eine der Handlungsweisen der richtenden Beamten. Interessant ist, daß die Schlichtung hier durch das Beamtenkollegium kollektiv durchgeführt wird. Die gleiche Aussage findet man auch in der Autobiographie des NHrj , des Gaufürsten im Hasengau 1303 . Es ist daher 1299 Merry, in: Abel (Hrg.), The politics of informal justice, vol. 2, 17-45. 1300 Die Lokalverwaltung ist sogar im Neuen Reich für die Organisation der Irrigation zuständig. Vgl. Endesfelder, in: ZAS, 106, 37-51. 1301 Hatnub Gr. 14, 9-11. 1302 Er macht einen Unterschied zwischen Richten und Schlichten, indem er die Ausdrücke wDo sn.wj und rdj pr sn.wj verwendet. 1303 Hatnub Gr. 20, 18-19. <?page no="218"?> 4. Die richterliche Schlichtung 219 219 wohl möglich, daß sowohl NHrj als Gauherr als auch NTr.w-Htp als ein Beamter an den Gerichtsverhandlungen beteiligt waren. Der Wesir MnTw-Htp legt die Betonung beim Bericht seiner schlichtenden Handlung jedoch auf seine göttergleiche Fähigkeit, die Parteien einander näher zu bringen 1304 . Er vergleicht sich mit dem Gott Thot, der die beiden Länder zufrieden stellt. Er benutzt das Wort jrj-po.t , eine Bezeichnung des Geb im Götterkollegium der Neunheit. Außerdem werden die beiden Prozeßgegner mit dem Wort nb.wj beschrieben, das spezifisch mit Horus und Seth verbunden ist. Dieses schlichtende Richten nimmt einen bedeutenden Platz in der Rechtsauffassung der ägyptischen Beamten ein. Diesen Punkt sehen wir am deutlichsten an einer Stelle auf dem Graffito Wadi Hammamat Nr. 3042. Da faßt Jmnj das Leben seines Vaters sehr komprimiert in einem Satz zusammen: jr.n.f rnp.t 54 Hr sDm s 2 Hr shr.t t# „Er hat 54 Jahre verbracht, indem er die zwei Parteien hörte und das Land zufriedenstellte.“ 1305 Hier setzt Jmnj das Hören auf die Konfliktparteien mit dem Zufriedenstellen des Landes gleich. Daher scheint es plausibel anzunehmen, daß bei der richterlichen Handlung insbesondere die Schlichtung gemeint wurde. Die Schlichtung der zwei streitenden Parteien stellt die höchste Kunst der Herrschaft dar, die den Frieden im ganzen Land ermöglicht 1306 . Die Wirkung der Schlichtung reicht deshalb weit über den juristischen Bereich hinaus 1307 . Für die Zeit nach dem Ende des Mittleren Reiches und vor dem Neuen Reich haben wir keine Belege, die darüber Auskunft geben, ob Schlichtung von den Richtenden weiterhin als etwas Nennenswertes und von der Menge als etwas Wünschenswertes betrachtet wurde. Diese Frage könnte sehr wahrscheinlich mit „Ja“ beantwortet werden, obwohl keine Belege überliefert sind. Es wurde oben gezeigt, daß es gerade in der Ersten Zwischenzeit notwendig gewesen war, Konflikte mit friedlichen Mitteln zu lösen, obwohl es eben nicht leicht war. Der königliche Schatzbeamter c#-Jmn aus der zweiten Zwischenzeit sagt in seiner kurzen autobiographischen Inschrift: sx-Hr sDm=f mdw.wj 1308 „tauben Angesichts (=indifferent) wenn er zwei (einander widerstreitende) Reden hörte“. Leahy bringt diesen Satz mit dem Rat des Vaters für seinen Sohn in Zusammenhang 1309 und sieht in der Dualform mdw.wj zwei streitende Parteien und kommt zu der Folgerung, daß c#-Jmn ange- 1304 mtr m#o mj EHwtj sn.nw=f m shr.t t#.wj jrj-po.t m wp.t nb.wj Hrj-tp n wDo mdw.t „wahrhaft gerecht wie Thot, seines Gleichen beim Zufriedenstellen der beiden Länder, der Erbfürst beim Schlichten zwischen den beiden Herren, der Erste bei der Entscheidung der Angelegenheit“, CG 20539, I b, 3. In Urk. IV, 1186, 8 wird Chons als jrj-po.t der typische Beiname wpj nTr.w(j) des anderen Mondgottes Thot zugesprochen, vgl. Kaplony, in: LÄ III 178 mit Verweis auf Helck, in: Or 19, 420 und Anm. 2/ 3. Kaplony sieht in dem Epithet jrj-po.t die Rolle des Geb bzw. des Thot. 1305 Gasse, in: BIFAO 88, pl. 6; Farout, in: BIFAO 94, 172. „Zwei Männer“ bezieht sich hier auf zwei streitende Parteien, nicht auf zwei Könige., vgl. dazu Fischer, in: GM 122, S. 21. 1306 Vgl. den Wunsch in der Lehre des Ptahhotep 34-35: „Ach, möge dir gleiches widerfahren, möge der Streit unter den Menschen ein Ende haben, daß das ganze Land dir dient“. 1307 Es ist wieder ein Beweis dafür, daß es im alten Ägypten keine selbständige Abteilung der Justiz gab, ein Argument, das ich in den Kapiteln I-II darzustellen versuche. 1308 Leahy, in: GM 44, 23ff. 1309 Mit Verweis auf Posener, RdE 7 (1950), 81 und 83. <?page no="219"?> 220 Kapitel VI - Der Richter als Schlichter 220 sichts der zwei streitenden Parteien eine Politik von „non-interference“ ausgeübt habe 1310 . Die Bezeichnung mdw.wj könnte hier jedoch vielmehr „Lüge“ bedeuten und eine Person beschreiben, die je nach Umstand unterschiedliche Aussagen vorlegt. Diese Stelle spricht daher nicht gegen das Vorhandensein von der Idee der Schlichtung in jener Zeit. Es ist außerdem zu berücksichtigen, daß zwischen den idealen biographischen Inschriften und pragmatischen Ratschlägen der Lebenslehren ein wesentlicher Unterschied besteht. Es ist schwer vorzustellen, daß der Ägypter in seiner Autobiographie sagen würde, er habe den Streitenden tatenlos zugesehen. Die Schlichtung als eine Art der richterlichen Handlung läßt sich wieder in dem Neuen Reich aus den reichlich überlieferten autobiographischen Inschriften belegen 1311 . Dies kann man als eine weitere Entwicklung der Idee des Mittleren Reiches betrachten. In den Belegen aus dem Mittleren Reich wird betont, daß die Streitparteien zufriedenen Herzens die Handlung der Schlichtung angenommen haben. In der Autobiographie des RX-mj-Ro wird die Gerechtigkeit des richtenden Beamten als die Voraussetzung dafür betrachtet, daß sich die Schlichtung als erfolgreich erweisen wird: wpj m#o.t tm rdj(.w) Hr gs dd pr s 2 Htp(.w) „der gerecht richtet, ohne parteiisch zu sein, der veranlasst, daß die zwei Parteien in Zufriedenheit herausgehen“ 1312 . Ein schlichtender Richter, der parteiisch ist, kann keine der Parteien überzeugen 1313 . Daß ein Richter aufgrund seiner gerechten Vermittlung zwei Parteien zur Versöhnung bringt kann, ist verständlich. Es wird oben erwähnt, daß es zwischen den beiden Parteien im Fall einer Schlichtung nicht um Täter und Opfer geht. Aber wie kann ein Richter zwischen einem Armen und einem Reichen schlichten 1314 und die beiden Seiten zufrieden stellen? Interessant ist, daß die gelungene Schlichtung in dem Kontext vorkommt, in dem RX-mj-Ro als der Gelobte des Gottes Nprj und der Gelobte der Göttin Rnwt.t die Herden und die Feldarbeiten besichtigt: m## k#.t jtr.w Smw pr.t jn Hsjj Nprj 1310 a.a.O., 25. 1311 Eine Anspielung bei der Schlichtung auf den Konflikt zwischen Horus und Seth macht der Wesir Jmn-m-jp.t in seinem Grab: wpj rH.wj r wn m#o , Urk. IV, 1439, 8. Die Bedeutung von „verwalten“ bei dem Wort wpj sieht man in der folgenden Aussage des Jmn-m-H#.t , des Hohenpriester des Amun: Xrp ns.tj m jr.tj n njsw.t wpj t#.wj Or m oH=f „der Leiter der beiden Throne als die Augen des Königs, der die beiden Länder des Horus richtet in seinem Palast“, Urk. IV, 1412, 3-4. 1312 Urk. IV, 1118, 5-7; für die Wendung wpj m#o.t im Sinne „die Wahrheit aufdecken“ vgl. Assmann (1969), 84. 1313 Vgl. die weiteren Aussagen des RX-mj-Ro : tm rdj(.w) Hr gs rdj pr s 2 Htp(.w) „der nicht auf die Seite gibt, der die beiden Parteien zufrieden herausgehen läßt“, Urk. IV, 1170, 5-6; w#H jb r sDm sprw.w wpj s 2 [r Htp] [s]n jwtj nmo=f n grgjj Sw m rdj.t Hr gs „aufmerksamen Herzens, um die Bittsteller zu hören, der die zwei Parteien [zu ihrer Zufriedenheit] richtet, ohne Parteiergreifen für den Lügner, frei von Parteilichkeit“, Urk. IV, 971, 12-15. 1314 wpj m#jr Hno wsr nn Hr rmj n spr n=f „einer, der zwischen dem Armen und dem Reichen richtet, einer, bei dem keiner weint, der sich an ihn wendet“, Urk. IV, 1118, 8-9. <?page no="220"?> 4. Die richterliche Schlichtung 221 221 Hsjj n Rnwt.t Hsjj n Or=sn jrj-po.t H#tj-o mH wD#.w sXwd [Snw.wt] rdj X.wt [n ntj] nn n=f jwtj Hr rmj n spr n=f wpj m#r Hno wsr pr m Htp.w Die Arbeit der Jahreszeiten des Sommers und des Winters besichtigen durch den Gelobten des Nprj , den Gelobten der Rnwt.t , den Gelobten ihres Horus, den Fürsten und Grafen, den, der die Magazine füllt, der die Scheunen überfüllt, den, der dem etwas gibt, der nichts hat, den, bei dem es keinen Weinenden gibt, der ihn anfleht, den, der den Armen und den Reichen richtet, indem sie in Zufriedenheit herausgehen 1315 . Daher dürfen wir annehmen, daß der für die Administration zuständige ägyptische Beamte imstande war, sowohl den Reichen als auch den Armen zufrieden zu stellen, indem er dem Armen Güter aus dem Staatsvermögen oder aus eigenem Besitztum zur Verfügung stellte 1316 . Es ist deutlich, daß der richtende Beamte je nach den verschiedenen Rechtsfällen und den Konfliktparteien unterschiedliche Strategien angewendet hat 1317 . Dies gilt auch innerhalb der Schlichtung. Jnj-Hrt-ms , der Hohepriester des Schu in Thinis in der 19. Dynastie, bezeichnet die Konfliktparteien einmal mit s 2 und ein anderes Mal mit sn.wj : jnk wpj s 2 nSn.w r [pr]=sn m Htp.w jnk shrr sn.wj Hr Xrw dr Xww=sn m tp-r#=j Ich richtete die zwei in Wut geratenen Parteien, daß sie in Zufriedenheit [herausgingen]. 1315 Urk. IV, 1161, 6-10. Vgl. oben die Erklärung des $tj , daß er durch reichliche Lieferung von Wasser Konflikte verhindert habe. 1316 Direkt nach der Erwähnung, daß er die zwei Prozeßgegner in Zufriedenheit gestellt hat, beschreibt der Gaufürst NHrj ebenfalls seinen Reichtum (Hatnub Gr. 20, 19-20). 1317 Bei den Angelegenheiten, in denen das Interesse des Staates gefährdet wurde, kommt die Schlichtung überhaupt nicht in Frage. Niwinski konnte beweisen, daß eine Liste von den Verdächtigen wenige Tage nach der Verkündung der wHm-ms.wt -Ära zusammengestellt wurde und die Gerichtsverhandlungen sogar am Abend stattfanden. Hier trug die schnelle Bestrafung der Räuber wahrscheinlich zur Herstellung der Ordnung bei. Niwinski, in: Fs Brunner-Traut, 237-241. <?page no="221"?> 222 Kapitel VI - Der Richter als Schlichter 222 Ich stellte die zwei Brüder, die laut stritten, in Zufriedenheit, indem ich mit meinem Ausspruch böse Absicht (? ) vertrieb 1318 . Was die zwei in Wut geratenen Männer anbelangt, habe Jnj-Hrt-ms so lange vermittelt, bis sie sich beruhigten und verständigten (von nSn.w zu Htp.w ). Im Fall der zwei Brüder, die sich in einem Konflikt befinden, setzt er seine Überzeugungskraft ein, um sie zur Besonnenheit zu bringen, da die zwei laut streitenden Gegner schließlich doch Brüder waren. Die Verletzung einer Seite bedeutet am Ende die Schwächung beider Parteien, da die zwei Brüder gegenüber den anderen ein gemeinsames Interesse vertraten 1319 . Aus der Dritten Zwischenzeit werden zwar autobiographische Inschriften überliefert, aber wir finden wenige Belege, die Auskunft darüber geben, wie die Haltung dieser Zeit gegenüber einer Schlichtung war. Aber es ist zu vermuten, daß die Auffassung der Schlichtung als eine der besten Lösungsmöglichkeiten der Konflikte auch dann vorhanden war, wenn sie in den Autobiographien nicht zahlreich belegt ist. Man muß bedenken, daß die meisten biographischen Inschriften, die wir kennen, von den Amunpropheten verfaßt wurden. Ein guter Beleg zur Erläuterung der Bedeutung der Schlichtung findet sich in einer Inschrift des Ns-p#-q#j-Sw.tj , eines Wesirs unter Scheschonk III.: Ssp njsw.t xkr n Or jw=j Hno=f mj Ehwtj Hms=j Hr tm# m Hw.t wr.t 6 wpj=j s 2 r wn Htp=sn Der König nahm den Schmuck des Horus an, indem ich zusammen mit ihm war wie Thot. Ich saß auf der Matte in den 6 Großen Häusern und richtete die zwei Parteien zu ihrer Zufriedenheit 1320 . Ns-p#-q#j-Sw.tj schildert zuerst seine Funktion des höchsten Beamten im Lande damit, indem er sich mit dem Richtergott Thot, der in der Götterwelt als Wesir und Richter fungiert, vergleicht. Als Wesir ist er in seinem Büro in den 6 Großen Häusern für alle Geschäfte des Landes zuständig. Aber für seine Handlung, die seine Funktion und Leistung nach der Thronbesteigung Seiner Majestät am besten versinnbildlichen kann, wählt er die Schlichtung aus. In diesem Zusammenhang kann man den oben zitierten Satz des Jmnjj in Betracht ziehen. Darin wurde gesagt, daß MnTw-Htp , der Vater des Jmnjj , als Wesir 54 Jahre „zwei Parteien gehört hat“ ( sDm s 2). 1318 Ockinga, Two Ramesside Tombs, pl. 49. 1319 Für das Wort Xww zeigt Wb III, 247 die Äquivalente „böse Handlung, Sünde“ auf. Möglicherweise handelt es sich hier um eine Handlung, die aus moralischen und besonders aus verwandschaftlichen Gründen schwer zu akzeptieren ist. 1320 CG 42232, Jansen-Winkeln, Ägyptische Biographien, Text A 19, g, 2-3; Text auf S. 557. <?page no="222"?> 4. Die richterliche Schlichtung 223 223 Der Gedanke, die Streitparteien möglichst zur Aussöhnung zu bringen, läßt sich bis in die Spätzeit verfolgen 1321 . Der Wesir Gm.n=f-Orw-b#k stellt die Schlichtung mit der Unparteilichkeit und der Sicherung der Erbfolge nebeneinander: wpj sn.wj nn rdj Hr gs rdj s# r s.t jt=f Der die zwei Parteien richtet, ohne parteiisch zu sein, der den Sohn an die Stelle seines Vaters setzt 1322 . Hier wird nicht direkt gesagt, daß die zwei Seiten zu einer Aussöhnung gekommen seien. Im ersten Satz wird die Vorbedingung angegeben, die eine Schlichtung ermöglicht. Die Unparteilichkeit des Richters ist ausschlaggebend, ob die zwei Konfliktparteien den Schlichtungsvorschlag oder das Schlichtungsurteil annehmen. Im zweiten Satz beschreibt Gm.n=f-Orw-b#k seine Handlung in dem Fall, in dem eine Schlichtung nicht in Frage kommt. Das Erbrecht eines gerechten Erben soll auf keinen Fall in Frage gestellt werden. Es wird vereinfacht aber charakteristisch ausgedrückt, wenn die hohen Beamten sagen, daß es dem Land wohl geht, sofern die Streitigkeiten einvernehmlich gelöst werden können. Diese auf Schlichtung orientierte Haltung gegenüber Streitigkeiten übt unausweichlich Einfluß auf die Menge aus, sowohl als potentielle Prozessierende als auch als mögliche Schlichter. Einen Beweis dafür findet man in der autobiographischen Inschrift der vj-EHwtj , der Frau eines Königlichen Schreibers. Sie behauptet nicht, daß sie durch Schlichtung die beiden Länder in Zufriedenheit gestellt hätte. Sie erklärt, daß sie die Ehemänner mit ihren Ehefrauen ausgesöhnt habe: Sm.n=j Hr mrt nt Ow.t-Or Sfj.t=s pw Xt How=j wD n(=j) jb(=j) r jr(.t) mr(.t)=s gm.tw=j m Hs.wt jr sX.n=j Hm.wt r pr.w n T#j.(w)=sn mH jb=sn jm=j n nS=sn Sdj.n(=j) xrd.w qrs.n(=j) jm#Xw.w 1321 Die Annahme von Seidl, Einführung, 17-18, daß sich der Richter in der Spätzeit bemüht, „überhaupt ein Urteil zu fällen und versucht lieber, einen Vergleich zustande zu bringen. Denn, wenn ihm die Schlichtung gelungen ist, wird sich keine Partei über ihn bei der höheren Stelle beschweren. So gilt das Zustandebringen eines Ausgleiches als höchste richterliche Weisheit“, ist in macher Hinsicht berechtigt. Aber die Schlichtung war, wie gezeigt, nicht eine „Erfindung“ der Spätzeit, sondern eine Praxis mit langer Tradition. 1322 Sarkophag Turin 2201, 31; Buhl, The Late Egyptian Anthropoid Stone Sarcophagi, fig. 73; Sayed, Documents relatifs à Sais et ses divinités, p. 127. <?page no="223"?> 224 Kapitel VI - Der Richter als Schlichter 224 sDm n=j s# n Hsj sHr=j Hrs.t jnj=j mfk(#.t) nXw.n=j X#r.w(t) m #r=sn 1323 Ich ging auf dem Wege der Hathor, Ihre Ausstrahlung war an meinem ganzen Körper. Mein Herz befahl mir zu tun, was sie liebte, und ich stand (bei ihr) in Gunst. Wenn ich die Ehefrauen in die Häuser ihrer Ehemänner schickte 1324 , hatten sie Vertrauen zu mir und wurden nicht verstoßen. Ich erzog die Kinder und begrub die Alten. (Sogar) der Sohn des Angesehenen hörte auf mich. Ich vertrieb die Wut und brachte Freude. Ich behütete die Witwen in ihrer Not 1325 . Es ist höchst bemerkenswert und interessant, daß vj-EHwtj unter der Leitung der Göttin Hathor und unter Anweisung ihres Herzens die Schlichtung zwischen den Eheleuten durchgeführt habe. Um ihre Leistung glaubwürdig zu machen, gibt sie noch andere Informationen. Sie war nämlich fürsorglich für die Kinder und die Alten. Sie war möglicherweise materiell gut ausgestattet 1326 und genoß hohes Ansehen. Entscheidend ist, daß ein Mann aus einer angesehenen Familie auf sie hören mußte. Aus dem gleichen Grund wagten die Ehemänner nicht, ihre Frauen wieder vom Haus zu vertreiben. Es ist nicht der Hauptzweck der vj-Ehwtj festzulegen, wer für den Konflikt verantwortlich war. Wie in der Lehre des Ani empfohlen wurde, sollten die Ehemänner verhindern, daß ein Streit im Hause überhaupt zustande kommt 1327 . Andererseits sollten sie dafür sorgen, daß ihre Frauen sich tadellos verhalten. vj-EHwtj erwähnt hier nicht direkt, daß sie irgend welche Überzeugungsarbeit geleistet habe, aber in Zeile 6 bei ihrem Anruf an die Grabbesucher appelliert vj-EHwtj ausdrücklich an die Männer: „Leitet eure Frauen an zur Art und Wei- 1323 Stele Wien 5857, Vittmann, in: SAK 22, 286, Z. 2. 1324 Das Wort sX ergänzte Otto (Biogr. Inschr., 82-83) als sXt und übersetzte es mit „zurückbringen“. Dagegen überträgt Vittmann (a.a.O., 290) das Wort mit „(zurück)prügeln“. Er gibt jedoch zu, „der Sinn ist aber im Endeffekt derselbe, wie Otto angenommen hat“ (a.a.O., 302, Anm. 45). 1325 Natürlich sind diese Ehestreitigkeiten nicht auf einmal geschehen. vj-EHwtj weist auf ihre wiederholte Ausübung der Schlichtung hin. 1326 In Z. 1 auf der Stele gibt sie an, daß sie die Frau eines königlichen Schreibers war. 1327 Vgl. die oben zitierte Warnung des Ani an seinen Sohn, im Haus keinen Streit anzufangen. In bildlichen Darstellungen sehen wir nur Szenen von harmonischem Familienleben. Aber das soll uns nicht über die Tatsache hinwegtäuschen, daß die Frauen in der von Männern dominierten Gesellschaft oft benachteiligt wurden und sogar mißhandelt werden konnten. In der Lehre des Ptahhotep (Maxim 21) wird die Frau als ein Stück fruchtbares Feld für den Ehemann beschrieben. Der Mann soll vermeiden, mit ihr in einen Streit zu geraten. Aber auf der anderen Seite soll er verhindern, daß sie über Macht verfügt. <?page no="224"?> 5. Theorie und Praxis 225 225 se des Gehens auf dem Wege der Herrin der Götter. Besser/ nützlicher ist sie/ es als jede Initiation (? ).“ 1328 Die Frauen hatten Vertrauen gegenüber vj-EHwtj , weil die Ehemänner Ehrfurcht vor vj-EHwtj hatten 1329 . 5. Theorie und Praxis Wie oben ausgeführt, war ein Konsens über die Schlichtung als eine Lösungsweise der Streitigkeiten in der Rechtsauffassung der Ägypter vorhanden. Da die Idee der Integration in der Gesellschaft vorherrscht, ist eine einvernehmliche Schlichtung die geeignete Streitregelung. Der altägyptische Richter als Schlichter unterscheidet sich deutlich von dem Schlichter im eigentlichen Sinne. Ein normaler Schlichter versucht nur, eine Kommunikation zwischen den beiden Streitenden einzuleiten und dadurch eine Aussöhnung zu ermöglichen. Aber er kann darüber hinaus keine bindende Entscheidung treffen. Es liegt völlig in der Hand der Streitenden, ob ein Lösungsvorschlag angenommen wird. Von den obengenannten richterlichen Aussagen können wir den Status des ägyptischen Richters als Schlichter zusammenstellen. Der Richter ist zugleich für die Administration einer Ortschaft zuständig und es ist in seinem Interesse, einen geordneten Zustand in seinem Machtbereich zu gewährleisten 1330 . Er ist gut versorgt und hat deshalb keine materiellen Sorgen. Er hat ein hohes Ansehen in seiner Gemeinde und genießt Vertrauen bei seinen Mitmenschen. Er kann die öffentliche Meinung für sich gewinnen, weil er die ökonomische und administrative, und nicht selten auch religiöse und militärische Macht in seiner Hand hat. Der als Schlichter handelnde ägyptische Beamte kann notfalls sein Schlichtungsverfahren in ein Urteilsverfahren umwandeln, indem er die Parteien dazu zwingt, seinen Schlichtungsvorschlag zu akzeptieren, wie onX.tj=fj dies tat. Alle diese Bedingungen ermöglichen ihm, eine neutrale Stellung zu beziehen, was die Bereitschaft der Parteien zur Aussöhnung wesentlich erhöht. Wir können die ägyptischen Richter in dieser Hinsicht als institutionalisierte Schlichter betrachten, obwohl wir in den Texten keine eindeutigen Hinweise dafür haben, daß jemand als Schlichter im Fall eines Streites eingesetzt wurde. Für die Streitenden ist diese Streitregelung vorteilhaft, da es bei einem Konflikt des materiellen Interesses keinem der Vertragspartner zugute kommt, wenn eine Partei bestraft 1328 Übersetzung nach Vittmann, a.a.O., 292-293. Schon in der Lehre des Ani wird dem Sohn empfohlen, die Frau zu lehren, damit sie sich wie eine „Frau“ verhält ( jrj rmT ) (Ani B 16, 1-2). Ich folge der Übersetzung von Quack, Die Lehren des Ani, S. 89, die anders läuft als die anderen Übersetzungen. Zur Begründung s. seine Anm. 15 und 16 auf S. 89-90 und den Kommentar auf S. 152. 1329 Das Wort sX muß hier eine positive Bedeutung haben. Möglicherweise kann man das Wort sXw schützen“ heranziehen, das in Wb IV, 238, 4 angegeben wird, obwohl das Wort erst in der ptolemäischen Zeit belegt wurde. vj-EHwtj war in der Ortschaft sehr angesehen, da sie, wie sie anschließend auf der Stele sagt, die Kinder erzogen und die Alten begraben hat. Sie hat außerdem die Wut vertrieben und Freude an ihre Stelle gebracht. 1330 Vgl. dazu Otto, Biogr. Inschr., 69. <?page no="225"?> 226 Kapitel VI - Der Richter als Schlichter 226 wird. Wir können annehmen, daß die Schlichtung sowohl den Parteien als auch dem Schlichter entgegenkommt, denn die Schlichtung ist zukunftsorientiert. Obwohl die Angaben über die schlichtende Handlung idealisiert wurden, können wir mit den Beispielen der überlieferten Gerichtsprotokollen zeigen, daß die Aussagen aus den autobiographischen Inschriften in vieler Hinsicht und in gewissem Maß mit den realen Gerichtsverhandlungen übereinstimmen. Ein sehr aufschlußreiches Beispiel finden wir in pBerlin 10470, worin es sich um einen Streit über eine Sklavin aus der Zeit des Mittleren Reiches handelt. Der Streitfall wurde von dem Herold von Elephantine dem Wesir berichtet. Daraufhin sprach der Wesir einen Lösungsvorschlag aus, indem er ausdrücklich betonte, daß der Streit zur Zufriedenheit beider Konfliktparteien gelöst werden soll. Der Herold kehrte mit der Anweisung nach Elephantine zurück. Die Parteien „stimmten dem Vorschlag zu“ ( hnn=sn s.t ) und damit wurde der Streit beseitigt 1331 . In den Gerichtsprotokollen aus Deir el-Medina kann man manche Details der Schlichtung erkennen. Auf oGardiner 53 ist eine Gerichtsverhandlung über den Streit zwischen einem Wasserholer und einem Arbeiter dokumentiert 1332 . Der Wasserholer mußte für die Eselin und ihr Füllen, die er von dem Arbeiter ausgeliehen hatte und die dann während der Leihfrist in seiner Hand gestorben waren, zahlen 1333 . Die Summe der Zahlung muß für den Wasserholer zu hoch gewesen sein. Daher konnte der Arbeiter seine Tiere nicht erstattet bekommen, obwohl darüber schon vier Gerichtsverhandlungen abgehalten worden waren. Nun folgte eine Gerichtssitzung, in der vier „Vertreter aus dem Dorf“ ( rwDw.w n xnw ) und vier „Vertreter von draußen“ ( rwDw.w n mrjj.t ) anwesend waren 1334 . Der Wasserholer mußte noch einmal erklären, daß sein Gegner Recht hatte und er zur Bezahlung verpflichtet war. Wir lesen auf dem Verso des Ostrakons, daß der Wasserholer 10 Tage später eine jp.t Getreide gebracht hatte. Der eigentliche Wert von einer Eselin und ihrem Füllen war wesentlich höher 1335 . Aber der Streit war wahrscheinlich mit dieser Zahlung zu 1331 Vgl. Smither, in: JEA 34, pl. VII 14. Bemerkenswert ist außerdem, daß die Zustimmung der Sklavin erfragt wurde, bevor die Verhandlung endete. 1332 Černý-Gardiner, Hier. Ostraca, pl. 49, 1. 1333 Berneker, in: JJP 4, 257. 1334 Diese gemischte Gerichtssitzung dient dazu, mehr Druck auf die Parteien auszuüben. Aber das Endziel bleibt gleich, d. h. zur Zufriedenheit der beiden Seiten, da keine der beiden Parteien die Beziehung miteinander abbrechen wollte. In oOriental Institut 12073 (Černý-Gardiner, Hier. Ostraca, pl. 77) versucht der Arbeiter Mnn# eine um 18 Jahre verzögerte Zahlung, die ihm in vier Gerichtsverhandlungen zugesprochen wurde, von dem Polizeichef zu bekommen. Dies hat seine Beziehung zu seinem Prozeßgegner offenkundig nicht gestört, da er den geschäftlichen Kontakt mit seinem alten Gegner wieder aufnahm, und diesmal mußte er wieder 11 Jahre warten, bevor der Polizeichef seiner überfälligen Pflicht nachkam. S. dazu oTurin 9611 (Allam, Urkunden zum Rechtsleben, I, Tafelteil, pl. 68, 70). Vgl. hierzu, McDowell, Jursdiction, 181-182. Bei der Bemerkung des oOriental Instititut 12073 muß man noch bedenken, daß der Rechtsfall komplizierter war, als er scheint, da ein Bruder des Polizeichefs als Garant in das Geschäft verwickelt war. Vgl. Černý, Community, 283. 1335 Hierzu s. Helck, Materialien, Bd. III, 499; Janssen, Prices, 167ff. <?page no="226"?> 5. Theorie und Praxis 227 227 Ende gegangen oder mindestens vorläufig beigelegt 1336 . Die Teilzahlung stellt sich als ein „Zeichen des guten Willens“ auf der Seite des Wasserholers und damit eine feste Grundlage für die auf die Zukunft orientierte weitere Beziehung dar. Es ist sehr auffallend, daß das Ziel der Richtenden nicht darin liegt, eine endgültige Lösung zu finden oder eine der Parteien zu bestrafen 1337 . Ihr Ziel liegt vielmehr darin, die Bedingungen zu schaffen, damit die Parteien zu einem Kompromiß kommen. Deshalb stellen sie den Parteien den Sachverhalt wiederholt klar. Eine eindeutige Schuldzuweisung steht nicht im Zentrum der Verhandlungen. Die wiederholten Gerichtssitzungen sind kein Beweis dafür, das die Richter keine Autorität oder Kompetenz gehabt hatten 1338 . Sie sind dagegen ein Zeichen, daß eine gemeinsame Linie gesucht wurde 1339 . Wir müssen bedenken, daß innerhalb eines Dorfes wie Deir el Medina die Vorarbeiter und die Schreiber die wichtigsten Persönlichkeiten der Ortschaft darstellten, und sie nahmen in der Regel bei jeder Gerichtsverhandlung teil. Eine gerichtliche Entscheidung mit der Zustimmung dieser Personen muß wirkungsvoll gewesen sein 1340 . Die schlichtende Handlung des Gerichts entspricht dem Interesse der Parteien. In einem Dorf ist die Pflege der guten Beziehungen zu den anderen Bewohnern notwendig, da sie in vieler Hinsicht aufeinander angewiesen waren. Die Schädigung einer Partei nützt der anderen schließlich auch nicht 1341 . Es ist nicht belegt, daß eine Partei mit Gewalt ihr Recht durchzusetzen versuchte 1342 . Die Briefe der Dorfbewohner zeigen anschaulich, wie sie sich bemühten, mit Betonung auf die verwandtschaftliche Beziehung oder frühere Freundschaft eine unangenehme Sache schnell und friedlich beizulegen 1343 . 1336 Der Arbeiter behielt sein Recht auf eine vollständige Entschädigung. Aber der Wasserholer konnte sich aufgrund seiner finanziellen Lage die Zahlung nur in Raten leisten. 1337 Eyre, in: JEA 70, 103. 1338 Černy (a.a.O., 282-283) kam zu dem Schluß, daß „One of the most noticeable aspects of legal texts from Deir el-Medina is the apparent difficulty in getting any enforcement of ‚ decisions expressed by the local tribunal.“ Ähnlich auch Allam, Verfahrensrecht, 35-36; Seidl, Handbuch, 16. Nach der Meinung von Janssen (in: BiOr 32, 294-295), solle ein Urteil, das von den Vorarbeitern und Schreibern gefällt wurde, nicht nur gerichtliche Wirkung, sondern auch potentielle praktische Folge gehabt haben. 1339 McDowell (Jurisdiction, 178) vermutet, daß es sich bei den mehrfachen Gerichtsverhandlungen auf oBerlin 10655, oTurin 57458 und oDeM um eine neue Festlegung der Zahlungssumme handele. 1340 Černy, in: JEA 15, 257. 1341 Vgl. McDowell, a.a.O., 179. Im weiteren Aspekt, vgl. dazu Diamond, Primitive Law, 62f. 1342 Allam, Verfahrensrecht, 25. 1343 Vgl. Sweeney, in: Irene Shirun-Grumach (ed.) Jerusalem Studies in Egyptology, 355. <?page no="228"?> 229 Kapitel VII Der Richter als Retter 1. Die ideologische Grundlage Das Retten ist im alten Ägypten eine der wichtigsten Aufgaben des Richters 1344 . Bei der Behandlung zweier Konfliktparteien, die den gleichem sozialen Hintergrund und eine ähnliche gesellschaftlicher Stellunghaben, strebt der Richter eine Schlichtung an, da eine eindeutige Schuldzuweisung meistens unmöglich ist, und die beiden Parteien ihre Beziehung, trotz des momentanen Streites, möglichst fortsetzen wollen 1345 . Eine Versöhnung entspricht den Interessen der beiden Parteien für die Gegenwart und die Zukunft. In dieser Hinsicht scheint ein Ausgleich die beste Lösungsmöglichkeit, wobei der Richter als erwünschter Schlichter erscheint. Bei den Konfliktparteien, die ich in diesem Kapitel untersuchen möchte, ist die Beschaffenheit der Konflikte völlig anders. Während eine der Parteien stark und reich ist, erscheint die andere schwach und arm. Als Folge unterdrückt eine Partei die andere mittels ihrer Macht und ihres Reichtums. Die unterdrückte Partei fällt der mächtigen zum Opfer, da sie kein Mittel zur Abwehr hat. In diesem Fall tritt der Richter als Retter auf und entscheidet für die unterdrückte Partei und rettet den Hilfsbedürftigen aus der Hand des Mächtigen. Dieses rettende Eingreifen des Richters im Fall der Unterdrückung des Schwachen durch den Starken wird von der Staatsidee des alten Ägyptens bestimmt. Nach der ägyptischen Auffassung hat der Schöpfergott alle Menschen gleich gemacht. Aber das Herz der Menschen hat diese Gleichheit zerstört und seither herrscht die Ungleichheit der Macht- und Reichtumsverteilung 1346 . „Die ägyptische Anthropologie geht von einem dilemmatischen Menschenbild aus. Das Dilemma liegt in der widersprüchlichen Verbindung der folgenden beiden Sätze: 1. Der Mensch ist auf Gemeinschaft angewiesen. 2. Der Mensch ist von Natur zur Gemeinschaft unfähig. Die ägyptische Lösung dieses Problems ist der pharaonische Staat, der nichts Natürliches hat, sondern eine göttliche Institution darstellt. Der Staat ist die Bedingung dafür, daß in der Welt überhaupt Maat herrschen kann.“ 1347 Diese Unfähigkeit der Menschen, miteinander friedlich zu leben, legitimiert erst die Entstehung und Existenz des Staates und benötigt die rettende Handlung der als Richter fungierenden Beamten im Auftrag des Königs. „Die ägyptische Sinnformation der gespaltenen Welt vertröstet den Menschen nicht auf die ‚andere Welt‘. Sie verweist auf den 1344 Assmann (1994b, 48) bezeichnet „Richten“ und „Retten“ als Synonyme im Rahmen der altorientalischen Gerechtigkeitsidee. 1345 Vgl. Kapitel VI. 1346 CT 1130. 1347 Assmann (1991a), 487, ders. (1990a), 214f. <?page no="229"?> 230 Kapitel VII - Der Richter als Retter 230 pharaonischen Staat als die durchaus diesseitige Kompensation weltlicher Unvollkommenheit. Die ägyptische Welt braucht keinen Erlöser, sondern nur einen ‚guten Hirten‘, der die Schafe gegen die Wölfe in Schutz nimmt.“ 1348 Was die Lehren und die Autobiographien anbelangt, gehört der ägyptische Richter, der als ein Mitglied der Herrschaft mit Gewalt und Reichtum ausgestattet ist, nicht zu der Machtgruppe, die die Schwachen unrechtmäßig unterdrückt, sondern stellt eine Schutzwehr zwischen den Schwachen und den Starken dar 1349 . In der Lehre eines Mannes (§ 13, 9) wird der zukünftige Beamte wie folgt beschrieben: [dnj.t (? )]pw <n>spr.w n=f Ein Damm ist er (? ) <für den>, der sich bittend an ihn wendet 1350 . Eine richterliche Handlung in diesem Aspekt ist unausweichlich mit dem Retten verbunden 1351 . In den Lebenslehren begegnen wir zahlreichen Stellen, in denen die Beamten gelehrt und ermahnt wurden, als Retter der Schwachen und Armen gegen die Starken und Reichen aufzutreten. Die umfassendste Ausführung über die Funktion des Richters als Retter finden wir in der Geschichte des Bauern. Die Hauptfigur der Geschichte erscheint in der Gestalt eines armseligen Oasenmannes. In der Tat hat der Oasenmann außerordentliche Unterstützung hinter sich. Es ist in der Tat der König selbst, der veranlaßte, daß der Oasenmann immer wieder von Neuem die Gründe seines Rechtsverlangens vortrüge 1352 , um zusammen mit seinen Beamten die Nachschrift der eindrucksvollen Petitionen zu genießen 1353 . In der Geschichte erkennt man die Versuche des Königshauses, den richtenden Beamten zu verdeutlichen, wie sie unnachgiebig gegen den Gewalttätigen vorgehen und dem Schwachen beistehen sollen 1354 . Daher wird deutlich gemacht, daß hinter dem erbärmlichen Oasenmann nicht nur der König, sondern auch der Gott steht 1355 , der alle Menschen für Recht und Unrecht in letzter Instanz zur Rechenschaft ziehen würde 1356 . 1348 Assmann (1996a), 222. 1349 Vgl. Assmann (1990a), 245. 1350 Fischer-Elfert, Lahre eines Mannes, 156, Umschrift auf Seite 159. 1351 Vgl. dazu Assmann (1996a), 175f. 1352 Bauer B1, 109-111. 1353 Aus der Tatsache, daß der König Maßnahmen für die Versorgung sowohl des Oasenmannes als auch von dessen Familie anordnete, ist klar, daß der König sich des erbärmlichen Zustandes des Oasenmannes und dessen Unschuld bewußt war. Vgl. dazu Bauer B1, 111-113. 1354 Die ziemlich brutale Behandlung der Bauern durch die Beamten wurde in den Gräbern aufgezeichnet. Offensichtlich wurde derartiges Verhalten als normal empfunden. Vgl. Kurth, in: Fs Goedicke 140, und Abb. 10-11. 1355 Der Name des Oasenmann %w-n-Jnpw (R 1, 1) bedeutet „einen, den der Gott Anubis beschützt“. Vgl. Ranke, PN I, 266-267. Es war sicher die Absicht des Autors der Geschichte, der diesen Namen des Oasenmannes nur am Anfang der Geschichte angibt und dann im Laufe der Geschichte nur die andere Bezeichnung sX.tj benutzt. Dieser Kontrast wurde wohl als eine Warnung an die richtenden Beamten gerichtet, bei der richterlichen Tätigkeit keinen Bittsteller wegen dessen Aussehen oder sozialen Status zu mißachten. 1356 Der Oasenmann bezeichnet seine Rede als die des Gottes Re: n rdj.n=k n=j Db#w n md.t tn nfr.t prr.t m r# n Ro Ds=f „Du entgiltst mir nicht diese meine schöne Rede, die aus dem Mund des Re selbst hervorging.“ Bauer B1, 349-350. Als letztes Mittel droht der Oasenmann Rnsj , daß er diesen vor dem Gott Anubis anklagen würde (B2, 115). <?page no="230"?> 1. Die ideologische Grundlage 231 231 Damit ist klar, daß sich der richtende Beamte für seine Handlung gegenüber dem Hilfsbedürftigen vor dem König und dem Gott verantworten muß. Diese rettende Handlung des Richters wurde in den biographischen Inschriften meistens sentenzhaft mit „Ich habe den Schwachen vor dem Starken gerettet“ zum Ausdruck gebracht. Wir erfahren selten, wer die Schwachen und wer die Starken waren. Gerade in der Geschichte des Bauern begegnen wir einem konkreten Fall von Rauben, Richten und Retten. Der Oasenmann, Nmtj-nXt und Rnsj sind fiktive Figuren, aber sie besitzen repräsentativen Charakter. Der Oasenmann, „Repräsentant nicht nur der sozialen Unterschicht, sondern auch noch der geographischen und kulturellen Peripherie des ägyptischen Reiches“ 1357 , stellt irgendeinen Ägypter der untersten Schicht dar. Nmtj-nXt ist ein Untergebener des Oberdomänenvorstehers Rnsj 1358 . Aber er war sicherlich keine gewöhnliche Figur im Machtbereich des Rnsj , da er selbst über einen Diener verfügte 1359 . Rnsj repräsentierte als ein sehr hohes Mitglied der Beamtenschaft diejenigen, die im Auftrage des Königs Recht und Ordnung im Lande bewahren sollten. Als ein Reicher und Starker ist er zwar nicht direkt in die Unterdrückung der Schwachen verwickelt 1360 . Aber er befindet sich in dieser Erzählung in einer heiklen Situation: Nmtj-nXt ist einer seiner Untergebenen, für die er als Patron Schutz gewährleisten soll, während der Oasenmann einen bedeutungslosen Wüstenbewohner darstellt, der aber das Recht auf seiner Seite hat. Die Frage von Leben und Tod für den Oasenmann ist völlig von der Handlungsweise von Rnsj abhängig. Ohne sein Eingreifen ist der Oasenmann nicht imstande, zu überleben 1361 . Daß Rnsj in der Geschichte durchaus nicht als negative Figur konzipiert wird, kann man mit zwei Punkten aus der Geschichte beweisen. Schon bei seinem ersten Treffen mit dem Oasenmann ist Rnsj von der Schuld des Nmtj-nXt überzeugt und erwägt eine Strafmaßnahme gegen Nmtj-nXt , aber seine Beamten empfanden dies als überzogen und stellten fest, daß es ausreichend sei, zu veranlassen, daß Nmtj-nXt die Dinge, die er vom Oasenmann genommen hatte, zurückgebe 1362 . Dabei wurde Rnsj sprachlos und zögerte vor der endgültigen Entscheidung 1363 . 1357 Assmann (1990a), 59. 1358 Bauer R, 6, 6-7. 1359 a.a.O., 7, 6. 1360 Vielleicht sollte man erst vor diesem Hintergrund die Aussagen der Beamten in ihren Autobiographien über ihre rettenden Tätigkeiten interpretieren. Die Beamten beteuern, daß sie mit der Unterdrückung nichts zu tun gehabt haben. Ganz im Gegenteil sind sie gegen die Unterdrückung der Schwachen entschieden vorgegangen. 1361 Lichtheim versucht in ihrem Buch Maat in Egyptian Autobiographies (S. 47) die Behauptung Assmanns, daß es im alten Ägypten die Regel „die Großen fressen die Kleinen“ gab, zu widerlegen. Als Beweis zitiert sie Sargtext Spruch 80 „falcons live on (small) birds, jackals by roaming, pigs on hillcountry, hippos on marshes, mankind on grain, crocodiles on fish...“ Aber hier geht es um die biologische Kenntnis der Ägypter. Die kleinen wurden natürlich nicht von den Großen als Nahrung verzehrt. Bei dem Begriff „die Großen fressen die Kleinen“ geht es vielmehr um die Mißhandlung und Unterdrückung der Kleinen durch die Großen. 1362 Bauer B1, 73ff. 1363 Dies ist eigentlich ein unentbehrliches Kettenglied für die Entwicklung der Geschichte. Wenn <?page no="231"?> 232 Kapitel VII - Der Richter als Retter 232 So ist verständlich, daß der Oasenmann bei seiner ersten Rede Rnsj rät, wie dieser erfolgreich auf dem See der Gerechtigkeit navigieren könnte. Anschließend beschreibt er die Tugenden des Richters in der Art der königlichen Titulatur in fünf Bestandteilen 1364 : sSm.w Sw m own-jb wr Sw m nDjj.t sHtm grg sXpr m#o.t jj Hr Xrw dd r# „Ein Leiter frei von Habgier, ein Großer frei von Niedrigkeit, einer, der die Lüge vernichtet und Recht entstehen läßt, der auf die Stimme des Rufenden kommt.“ 1365 Man sieht deutlich, wie die Aufgaben des Richters als Retter hervorragen. Der Aufgabenbereich des Rnsj ist keinesfalls auf richterliche Tätigkeiten beschränkt, aber wegen des Rechtsfalles des Oasenmannes wird für ihn eine „Titulatur“ als Richter konzipiert. Als Leiter der Menschen muß Rnsj von Habgier frei sein, damit er die Lüge des Nmtj-nXt zurückweisen und der Wahrheit des Oasenmannes Glauben schenken und endlich den Beraubten aus der Hand des Räubers retten kann. Die leitende Funktion des Richters setzt seine bestrafende und rettende Handlung voraus. Nur dadurch, daß er die Lüge vertreibt und die Wahrheit fördert, kann die Gemeinschaft den Frieden bewahren. Während in der Geschichte des Bauern auf der Basis eines fiktiven aber gleichzeitig typischen Rechtsfalles die erforderlichen Handlungsweisen des Richters ausgeführt werden und vor dem potentiellen Mißbrauch der richterlichen Gewalt gewarnt wird, finden wir in den Texten der Klagen Darstellungen der Gesetzlosigkeit und das Ausbleibens der richterlichen Intervention. In den Admonitions wird das Fehlen des leitenden und rettenden Eingreifens der Beamten beklagt. Darin werden die Hilflosen mit den Fischen verglichen, die wie freiwillig ins Netz gehen. Angesicht der sozialen Turbulenzen wissen die Menschen nicht mehr, wo es sicher und wo es gefährlich ist und fallen den Krokodilen zum Opfer, als ob sie es freiwillig tun 1366 . Ohne die strafende und rettende Hand der Beamten ist die Erde eine große Schlachtbank geworden, aus der der Schwache keinen Ausweg findet. Diese Hilflosigkeit des Schwachen in der chaotischen Krisensituation wird auch in den Klagen des Khakheperreseneb thematisiert. In der gesetzlosen Lage betrachtet Khakheperreseneb sein Herz als seinen einzigen Vertrauten und sagt zu diesem: „Mein Leiden ist lang und schwer. Der Elende hat nicht Kraft genug, sich zu retten vor dem, der stärker ist als er.“ 1367 In den Lehren werden die Beamten deshalb aufgefordert, als Retter für die Schwachen zu agieren 1368 . Die mit Macht ausgestatteten Beamten sind eine Schöpfung des Gottes, Rnsj nach seiner anfänglichen Überzeugung Nmtj-nXt bestraft hätte, hätte die Geschichte nicht weitergehen können. 1364 Dazu s. Ranke, in: ZÄS 79, 72. 1365 Bauer B1, 96-99. Diese einleitende Rede erinnert sehr stark an die Rede des Königs in der „Amtseinsetzung des Wesirs“, wo der König das Amt des Wesirs als Schutzwehr um das Königshaus bezeichnet und schildert, wie Bittsteller aus Ober- und Unterägypten zum Wesirbüro kommen, um ihre Anliegen vorzutragen. 1366 Das Bild vom Wasser und Krokodil in den Admonitions erinnert an den Vorwurf des Oasenmannes an Rnsj , daß dieser zusieht, wie sein Machtgebiet von Krokodilen verseucht wurde. 1367 BM 5645, Gardiner, Admonitions, pl. 18, vs. 4. 1368 Nach meiner Meinung haben sowohl die Bauerngeschichte als auch die Texte der Klagen die Eigenschaften von Lehren. Nur erreichen die Geschichte des Bauern und die Texte der Klagen ihr <?page no="232"?> 2. Das Retten des Schwachen vor dem Mächtigen 233 233 damit sie sich der Unterdrückung des Schwachen durch den Starken entgegenstellen 1369 . Im Papyrus Ramesseum II und pChester Beatty IV, die jeweils aus dem Mittleren Reich und dem Neuen Reich stammen, finden wir Stellen, in denen der Adressat aufgefordert wird, sich im Falle der Unterdrückung einzuschalten, ohne dabei zu zögern. Da es in den beiden Papyri nicht um eine zusammenhängende Lehre sondern um eine Sammlung von Sprüchen handelt, kann man eine Verbreitung der Idee vom Retten annehmen. Jeder, der imstande ist, einen Hilfsbedürftigen zu retten, soll für diesen handeln 1370 . Ab dem Ende des Alten Reiches, das heißt zeitlich etwas früher als in den Lebenslehren tauchen die Aussagen über die rettenden Handlungen der Beamten in ihren biographischen Inschriften auf. Zweifellos haben die Lebenslehren und die biographischen Inschriften enge Beziehungen untereinander gehabt. Aber über ihren Einfluß aufeinander und die Ableitung von Ideen der einen aus den anderen kann man in einzelnen Punkten nichts Sicheres sagen. In den Lehren des Djedefhor und des Ptahhotep finden wir noch keine Erwähnung von der rettenden Handlungen der Beamten. Aber in den aus dieser Zeit stammenden Autobiographien erfahren wir, wie die Beamten ihre Macht ausgeübt haben. Die Macht hat sowohl negative als auch positive Konnotationen, abhängig davon, wofür und wie man sie benutzt. Die Beamten beteuern, daß sie ihre Macht dazu gebraucht haben, den Schwachen zu retten und der Gewalt der Mächtigen entgegen zu wirken. Wahrscheinlich wurde es als selbstverständlich angenommen, daß für die Schwachen und Armen ein Retter nötig war 1371 . 2. Das Retten des Schwachen vor dem Mächtigen Nfr-sSm-Ro , ein Priester an der Pyramide des Teti, sagt in seiner Autobiographie auf einer Scheintür Folgendes: wpj.n(=j) sn.wj r Htp.sn nHm.n(=j) m#r m-o wsr r.f (m) sXm.t.n(=j) jm „(Ich) habe die zwei Konfliktparteien zur ihrer Zufriedenheit gerichtet. (Ich) habe den Schwachen aus der Hand dessen gerettet, der stärker als er war, solange (meine) Macht bis dahin reichte.“ 1372 Von den zwei nebeneinander stehenden Sätzen können wir zwei völlig Erziehungsziel dadurch, daß hier umgekehrt Bilder falscher Vorhehensweisen geschildert werden, während der Sprecher in den sogenannten Lehren seinen Schülern die richtigen Handlungsweisen vorträgt. 1369 jrj.n.f n.sn Hq#.w m swHt T#sw r Tst m psD s#-o.w „Er hat für sie Herrscher im Ei geschaffen, Machthaber zum Stützen des Rücken des Schwachen.“ Merikare E 135-136. 1370 Was außergewöhnlich erscheint, ist die Tatsache, daß Ramses III. in der Liste seiner Wohltaten für Ägypten behauptet, daß er den Schwachen vor dem Starken gerettet habe. Normalerweise schützt der ägyptische König die Ägypter gegen die Feinde von außen. Innerhalb Ägyptens straft der König die Frevler und schützt die Gehorsamen. 1371 Vgl. nHm jwtj sw , CG 20539; Urk. IV, 48. Die Frage, worauf sich das Pronomen sw bezieht, kann man nur im Kontext des Satzes beantworten. In n tnj.n.tw s# s r jwtj n=f sw (Admonitions 4, 1) bezieht sich das Wort sw auf jt . In dj.n(=j) ... Tb.t n jwtj sw (CG 20537) bezieht sich sw auf Tb.t und in dj.n=j X.t n jwtj sw (Gardiner, Admonitions, 36) auf X.t . 1372 Urk. I, 199, 1-2, gleich auch Urk. I, 200, 16-17: vgl. Edel, Phraseologie, 71. <?page no="233"?> 234 Kapitel VII - Der Richter als Retter 234 andere Vorgehensweisen des Richters erkennen. Angesichts des Konflikts zwischen zwei Brüdern oder zwei Partnern entschied sich der richtende Beamte für eine Schlichtung, damit die beiden Parteien zufrieden sein können 1373 . Gegenüber dem Rechtsfall, bei dem eine Partei aufgrund der verschiedenen Machtverhältnissen die andere unrechtmäßig unterdrückt, greift der Richter nicht zum Kompromiss, sondern zur klaren Entscheidung zugunsten des Opfers. Das Wort m#r bedeutet hier sowohl „schwach“ als auch „arm“, während das Wort wsr mit „reich“ oder „stark“ übersetzt werden kann. Die Bedeutung von „schwach“ oder „stark“ bezieht sich nicht so sehr auf den körperlichen Zustand 1374 , anders als in der Tierwelt, in der die körperliche Kraft die entscheidende Rolle spielt. In der menschlichen Welt spielt der Reichtum der jeweiligen Parteien eine entscheidende Rolle 1375 . Eine Partei unterdrückt mittels ihrer Macht eine andere Partei 1376 . Die unterschiedlichen sozialen Stellungen sind durch materiellen Reichtum und/ oder Amtsgewalt bedingt 1377 . Daher ist die determinierende Wendung (m) sXm.t.n(=j) jm „soweit dies in meiner Macht stand“ gut verständlich. Der als Richter fungierende Beamte kann die rettende Intervention nur in dem Bereich durchführen, der seiner Amtsgewalt untersteht 1378 . Es ist kein Zufall, daß die Aussagen über das richterliche Retten erst ab dem Anfang der 6. Dynastie in den Autobiographien erscheinen. Zuvor haben die Grabbesitzer den Schutz ihrer Gräber dadurch zu erlangen versucht, dass sie der Nachwelt versicherten, zu Lebzeiten den Menschen kein Böses angetan zu haben 1379 . Ab dem Ende der 5. Dynastie mehren sich die Aussagen, in denen die Grabbesitzer behaupten, daß sie aus eigener Initiative den Mitmenschen Wohltaten geleistet haben. Das Endziel bleibt unverändert, nämlich die Sicherung der Gräber. Aber wir sehen deutlich, dass die Begründung, warum die Nachwelt gegenüber den Grabinhabern eine Gegenleistung erbringen und die Gräber unbeschädigt lassen soll, von der passiven Verneinung von unrechten Taten auf die positive Behauptung von Wohl- und Rechtstaten überging. Es ist vielleicht berechtigt, darin auch den Einfluß des Herrschaftsideals der Könige zu erkennen. Es ist in der gleichen Zeit, daß wir in den für die Könige verfaßten Pyramidentexten über die Herrschaftsideologie Auskunft bekommen. Neben seinen Pflichten gegenüber den Göttern tritt der König nicht nur als Verteiler der verschiedenen Ämter 1373 Vgl. dazu Kapitel VI. 1374 Der körperliche Starke wird mit dem Wort nXt bezeichnet. Vgl. Siut V, 29: r Xpr.n s#=s m nXt-o , und die Lobpreise der Beamten an Ramses II.: wsr rnp.wt o# nXt.w , KRI II, 326, 11ff. Zur Bezeichnung der Kriegshelden mit dem Wort nXt s . Posener, in: Journal des Savants, 123. 1375 Aus dem folgenden Satz aus pChester Beatty IV (vs. 1, 13-2, 1) können wir diesen Punkt deutlich ablesen: jr wsr=k Xpr n=k pH.tj „wenn du reich bist und dir (daraus) Macht entsteht“. 1376 Der Oasenmann bezeichnet sich mit m#r und seinen Gegner, den Reichen und Starken, mit ow# , Bauer B1, 174-175. 1377 In der Bauerngeschichte sagt der Oasenmann, daß der Oberdomänenvorsteher Rnsj sowohl nXt als auch wsr sei. B1, 147. 1378 Diese Stelle gibt uns einen Hinweis darauf, daß die Richtenden je nach den Umständen ihre Entscheidungen treffen sollen. 1379 Vgl. Assmann (1983b), 64ff. <?page no="234"?> 2. Das Retten des Schwachen vor dem Mächtigen 235 235 und als Versorger des Bedürftigen, sondern auch als richtender und strafender Richter auf 1380 . Wie Franke in seinem Beitrag zur altägyptischen Königsideologie festgestellt hat: „Die Stellung Pharaos als vom Vatergott Atum-Re eingesetzter Herrscher an der Spitze der sozialen Ordnung und als Angelpunkt der vertikalen Austauschbeziehungen mit den Göttern und Untertanen ist damit spätestens schon in der 6. Dynastie eindeutig bestimmt in einer Allgemeingültigkeit, die während der gesamten ägyptischen Geschichte unverändert bleibt.“ 1381 So ist es nicht verwunderlich, daß Nfr-ssm-Ro , ein Priester der Pyramide des Königs Teti, Nfr-ssm-PtH 1382 , ein Schwiegersohn des Königs Teti und der Wesir %ntj-k# mit gleichem Wortlaut ihre rettende Handlung berichten. Ab nun bleibt diese Aussage ein wichtiger Bestandteil in der Beschreibung der richterlichen Aufgaben, die die Grab- oder Steleninhaber gegenüber der Nachwelt als nennenswert empfunden haben. An manchen Stellen fehlt die einschränkende Angabe m sXmt.n(.j) jm 1383 . In der Autobiographie des Gaufürsten Ppj-mn-onX , genannt Mnj , sehen wir noch deutlicher, wie der Gaufürst seine richterlichen Handlungen mit „schlichten“, „anhören“, „strafen“ und „retten“ eingehend thematisiert: [jw wpj.n(.j) sn.wj] r Htp.sn jw sDm.n(.j) md[w n g#w Htj.t] [dr.n](=j) jw n s#r jw nHm[.n](=j) m#r m-o wsr r.f [Ich habe die zwei Parteien] zu ihrer Zufriedenheit [gerichtet]. [Ich] habe die Angelegenheit dessen gehört, [der mit enger Kehle war]. [Ich habe] die Not des Bedrängten vertrieben. [Ich habe] den Schwachen aus der Hand dessen gerettet, der stärker war als er 1384 . Daß der Richter nur durch die Bestrafung des Gewalttätigen die Errettung des Schwachen bewirken kann, geht aus den Konnotationen des Wortes nHm hervor. Das Wort kann sowohl „wegnehmen, rauben“ als auch „retten“ bedeuten 1385 . Der Starke nimmt den Besitz oder das Erbe des Schwachen weg ( nHm ), aber damit entzieht er dem Schwachen die 1380 PT §311 a-b; §1093 d-e; §2040 a-2041. 1381 Franke, in: R. Gundlach et alii (Hgg.), Selbstverständnis und Realität, 175. 1382 Urk. I, 200, 16ff.; Edel, Hieroglyphische Inschriften, S. 77. 1383 Urk. I, 255, 6. 1384 Urk. I, 269, 4-7. Mnj schließt diese Aussage direkt an die Opferformel an, offenkundig als Begründung und Berechtigung seines Verlangens. 1385 Vgl. Wb II 295ff. und Wb, Belegst. 430. Ein wichtiger Punkt, der ausdrücklich hervorgehoben werden soll, ist, dass die Bedeutung (von nHm ) nur aus dem Zusammenhang des Satzes erschlossen werden kann. <?page no="235"?> 236 Kapitel VII - Der Richter als Retter 236 Lebensgrundlage. Erst durch das „Zurückholen“ der geraubten Sachen schafft der Richter dem Schwachen eine neue Lebenschance. Daher heißt es, daß er den Schwachen aus der Hand des Starken rettet 1386 . Hier richtet sich die gerechtfertigte Gewalt des Richters ( nHm „retten“) gegen die ungerechte Gewalt des Starken ( nHm „rauben“). In der Ersten Zwischenzeit war die Notwendigkeit, den Schwachen vor dem Gewalttätigen zu retten, vermutlich als Folge der rivalisierenden lokalen Machthaber aktueller geworden; andererseits bot eine derartige Lage den Magnaten die Gelegenheit, durch rettende Handlung Gefolgsleute anzuwerben und ihre Leistungen in ihren Autobiographien zu thematisieren. „An der Historizität der Notzeit ist nicht zu zweifeln. Wenn man diese Texte als Quellen nimmt, als Indizien und damit Spuren realer Vorgänge, dann kommt man nicht darum herum, daß es im Ägypten der damaligen Zeit Hungersnöte und Versorgungskrisen gegeben haben muß. Man muß aber bedenken, daß es nicht das ist, was diese Texte in erster Linie ihren Lesern mitteilen wollen. Ihnen geht es nicht um die Schilderung von Versorgungskrisen, sondern um die persönliche Bewährung des Grabherrn. Die Notlage dient als Hintergrund dieses Themas.“ 1387 Die Schwäche der Zentralregierung und die Selbständigkeit der lokalen Machthaber standen möglicherweise in Wechselbeziehung. Die Machtkämpfe zwischen den rivalisierenden Mächtigen waren wahrscheinlich die direkte Ursache der Unterdrückung der Schwachen durch die Starken, wenn der in den Lehren und in den autobiographischen Inschriften geschilderte chaotische Zustand im gewissen Maße der Realität entsprach. Aber genau diese Machthaber treten als der gütige und rettende Patron auf, der den gehorsamen Gefolgsleuten Schutz anbot 1388 . Cdj-mw.t=f , der unter anderen den Titel des Polizeichefs trägt, behauptet auf einer Stele, daß er „den Schwachen aus der Hand des Starken gerettet habe, um die Stadt (neu) aufzubauen“ 1389 . Der Zusammenhang des Rettens des Schwachen mit dem Aufbauen der Stadt ist bemerkenswert. Die Unterdrückung des Schwachen durch den Starken hat die Stadt „zerstört“ oder mindestens für den Schwachen unwohnbar gemacht. Die lokalen Machthaber erschienen als Heilsbringer in ihrem Machtbereich. Sie bestraften die Gewalttätigen und retteten die Unterdrückten und machten damit die Städte wieder „bewohnbar“ 1390 . Es 1386 Die Lebensgefahr bedeutet nicht, daß der Gewalttätige den Schwachen töten würde. In den meisten Fällen handelt es sich vielmehr um die Zerstörung der Lebensgrundlage. Tatsächlich hat das Wort nHm die Bedeutung „töten“ nur in Kombination mit dem Wort „Tod“, das heißt der Tod nimmt jemanden weg. Übrigens es ist das einzige Beispiel, in dem das Wort nHm eine Person als Objekt hat. Vgl. Wb, Belegest. II, 431. 1387 Assmann (1996a), 118. Vgl. dazu noch Seidlmayer, in: Shaw (ed.), The Oxford History of Ancient Egypt, 118-147. 1388 Über die Probematik von Patron-Gefolgschaft vgl. Seidlmayer (Grabfelder, 403). Er kommt in seiner Untersuchung der Grabfelder zu dem Schluß, daß schon ab dem Ende des Alten Reiches Gräber auftauchten, die für die Bestattung mehrerer Personen vorgesehen waren, was er als Indiz des Sozialtyps des Patrons interpretiert. 1389 jw nHm[.n](=j) m#r m-o wsr n mrwt grg(=j) njw.t tn , Berlin 24019, 3: Clère, in: RdE 7, 19-32. 1390 Clère bezeichnet diesen Ausdruck allerdings als ein Klischee und versteht unter grg „Ordnung“, a.a.O. S. 31. <?page no="236"?> 2. Das Retten des Schwachen vor dem Mächtigen 237 237 scheint verständlich, daß wir gerade aus dieser Zeit den Titel jmj-r# SnT nb „Vorsteher aller Streitigkeiten“ mehrfach treffen, der mit dem Titel jmi-r# Sno nb in Parallele steht 1391 . Spiegelberg interpretierte den Titel jmi-r# SnT als einen richterlichen Titel 1392 . Ob man in dem Titel einen Richter oder einen Polizeichef sieht, ist durchaus eine Frage der Bezeichnung auf unserer Seite 1393 . Solche Unterscheidung war den Ägyptern wohl noch nicht bekannt. Man kann jedoch feststellen, daß die lokalen Machthaber neben den versorgenden Tätigkeiten ihre Macht oft in der Funktion eines Ordnungshüters ausüben mußten. Nach der Beschreibung der Hungersnot und seiner tatkräftigen Versorgung in und außerhalb seines Gaues sagt onX.tj=fj , daß er den Schwachen aus der Hand des Starken gerettet habe 1394 . Die durch die Kämpfe der rivalisierenden lokalen Machthaber verursachte Unruhe und die aus dem Zusammenbruch des zentralen staatlichen Wirtschaftsorganisation folgende Versorgungskrise boten den lokalen Machthabern die Gelegenheit 1395 , die früher auf die staatliche Versorgung angewiesenen Leute an sich zu ziehen 1396 . Während der „(böse) Starke“ in den autobiographischen Inschriften des Alten Reiches anonym ist, kann man ihn nun aus den autobiographischen Aussagen der Ersten Zwischenzeit leicht erkennen. Jeder Machthaber kann von den anderen als ein „böser Starker“ betrachtet werden. Jeder Machthaber muss deshalb seine Klienten vor anderen Machthabern schützen und retten, damit er sich dadurch als gerechter Patron rechtfertigen konnte. Hier geht es vor allem um den Kampf, der mit dem Schaffen der Gefolgsleute zusammenhing. Es ist höchst interessant, daß die Anwerbung der Anhänger in der Form der Gerichtsverhandlung geschildert wurde 1397 . Für das Mittlere Reich erwartet man eigentlich eine radikale Änderung in den Aussagen der autobiographischen Inschriften, wenn man annehmen will, daß die Beschreibungen der chaotischen Zustände, die die Autobiographien der Ersten Zwischenzeit und die Klagen des Mittleren Reiches erwähnen, der Realität entsprechen, denn das Mittlere Reich stellt sich in den Klagen als eine Heilswende gegenüber der Ersten Zwischenzeit dar. Aber wenn wir aus dem Mittleren Reich weiterhin die Behauptungen hören, daß die Beamten wie die Gaufürsten der „Krisenzeit“ den Schwachen aus der Hand des Starken gerettet 1391 Dunham, Naga-ed-Der, S. 35. 1392 ZÄS 36, 138. 1393 Dunham (Naga-ed-Der, 34) übersetzt „arbitrator“ „overseer of quarelling“. Wir können auf keinen Fall aus dem alten Ägypten ein Rechtssystem mit differenzierten Bereichen von Polizei, Staatsanwalt und Gericht erwarten. 1394 [j]w nHm.n(=j) m#r m-o wsr s[D]m.n(=j) md[.t] X#r.t „(Ich ) habe den Schwachen aus der Hand des Starken gerettet. (Ich) habe die Angelegenheit der Witwe gehört.“ Vandier, Mo c alla, Inschrift Nr. 13, S. 242. 1395 Hierzu vgl. Assmann (1996a), 100. 1396 Über das Verständnis der Aussagen über die versorgenden und rettenden Handlungen der lokalen Magnaten im „sozio-semantischen Paradigma des Patrons und der Rhetorik des Heilswende“ ohne jedoch den Realitätbezug völlig zu vernachlässigen, vgl. Assmann (1996a), 120ff. 1397 Auf einem beschrifteten Bruchstück sagt Otpj , daß er einen Menschen nicht [dem überlassen hat, der stärker als er war], Petrie, a.a.O. pl. XI B. Schenkel bezeichnet seine Ergänzung jedoch als unsicher, a.a.O. S. 148, Anm. f. <?page no="237"?> 238 Kapitel VII - Der Richter als Retter 238 haben 1398 , stellt sich die Frage, wie man die Aussagen interpretieren soll. Die Beamten des Mittleren Reiches übernehmen offensichtlich die Beteuerungen der Gaufürsten der vorhergehenden Zeit, wenn auch die Aussagen jetzt vermutlich weniger Realitätsbezug haben. K#j , ein Sohn des Gaufürsten NHrj , beschreibt seine rettende Handlung im Kontext der Tätigkeiten der Versorgung. Das Retten des Schwachen wird mit dem „Tun der Maat“ gleichgesetzt: jw jr.n=j m#o.t spd r wSm jw nHm.n=j m#r m-o wsr jr=f jw snf.n=j x#r.t jwtt hj=s jw Sd.n=j nmH jwtj jt=f jw Ts.n=j D#mw=s n xrd.w n mr.t oS# Xpr.w=s Ich habe die Maat getan, spitzer als eine Granne. Ich habe den Schwachen aus der Hand dessen gerettet, der stärker als er war. Ich habe die Witwe atmen lassen, die keinen Ehemann (mehr) hatte. Ich habe das Waisenkind erzogen, das keinen Vater hatte. Ich habe ihre (der Stadt) Mannschaft von jungen Menschen aufgestellt, damit ihre Mannschaft zahlreich an Mitgliedern würde 1399 . Es stellt sich die Frage, wer mit dem Wort wsr gemeint ist. Das Aufstellen einer Mannschaft bzw. Miliz scheint eine Handlung zu sein, die K#j sehr wahrscheinlich aus der vorhergegangenen Periode in seine Zeit versetzt hat 1400 , da im Mittleren Reich der Staat das Gewaltmonopol besaß und es daher nicht erlaubt war, eigene Milizen auszuheben. Diese Aussage erinnert an die Kämpfe der rivalisierenden lokalen Machthaber der Ersten Zwischenzeit. Der Starke könnte in diesem Fall einen anderen Machthaber darstellen. Der Schwache flüchtet vor diesem Starken zu seinem „Patron“, um Schutz zu suchen. Der gleiche K#j sagt an einer anderen Stelle: „Ich war einer, der den Schwachen vor dem Starken rettete. Ich habe mein Haus zu einem Tor gemacht für jeden furchtsam Kommenden am Tage des Aufruhrs. Ich war Amme und Kinderwärterin für jeden krank Kommenden, bis er geheilt war.“ 1401 Bei der Betrachtung der zwei Stellen fällt die Angabe des K#j sofort auf, daß er sein Haus zu einem Tor gemacht hat. Es geht hier sicherlich 1398 Vgl. Janssen, Autobiografie I, Bh. 1399 Hatnub Graffito Nr. 24, 5-6. Anschließend sagt er: „Ich habe die Witwe atmen lassen, die keinen Ehemann hatte. Ich habe das Waisenkind erzogen, das keinen Vater hatte“. Vgl. auch Graffito Nr. 16, 8ff. 1400 Ähnlich auch in Hatnub Graffito Nr. 20, 15. 1401 jnk grt nHm m#r m-o wsr / / / jw jr.n=j pr=j m rw.t n jj nb snD hrw n H#ojj.t wn=j m mno.t Hr #Tjj.t n jj nb jnD r ssnb.tw=f , Hatnub Graffito Nr. 16, 8-10. <?page no="238"?> 2. Das Retten des Schwachen vor dem Mächtigen 239 239 nicht um Gastfreundlichkeit, wie Otto vermutete 1402 . Wenn der hilfsuchende Furchtsame wirklich ein Dach für sich gesucht hätte, dann wäre das Haus des K#j bestens für die Unterkunft geeignet. Warum sollte K#j sein Haus zu einem Tor wandeln? Hier hat das Tor offenbar eine übertragene Bedeutung, da das Tor oft eine Stelle darstellt, in der Recht gesprochen wird 1403 . K#j tritt hier als ein Richter, das heißt der gerechte Starke, auf, um über den ungerechten Starken zu richten. Das Retten der physisch und sozial Schwachen vollzieht sich durch die gerichtliche Verurteilung des bösen Starken. Diese Formulierung entspricht eigentlich der Behauptung des onX.tj=fj , daß er seinen Machtbereich zu einer Art Rettungsboot ausgebaut habe 1404 . Es wird ersichtlich, daß bei der Thematisierung der richterlichen Tugenden in den Texten des Mittleren Reiches eine zweifache Verschiebung stattgefunden hat. Die verkehrte Welt wurde dramatisch geschildert und in die Erste Zwischenzeit versetzt, um die neue Dynastie zu legitimieren. Dies ist besonders in den Klagen üblich. Die tatkräftige, kämpferische und rettende Aktion, die eigentlich nur mit Bezug auf die Machthaber der Ersten Zwischenzeit sinnvoll war, wurde von den Beamten des Mittleren Reiches in ihre Zeit übernommen, um ihre Leistungen hervorzuheben. K#j verbindet die Funktion des richtenden Retters mit der mütterlichen Fürsorge des Patrons. Der Richter soll für den Furchtsamen gegen den Gewalttätigen kämpfen, wie eine Amme für ihr krankes Kind gegen die Krankheit, bis der Verfolgte außer Gefahr ist. Bei den mit jnD bezeichneten Personen handelt es sich wohl nicht ausschließlich um physische Krankheit. Das Wort jnD wurde auch auf Graffito Nr. 12 aus Hatnub verwendet. Der Schreiber EHwtj-nXt-onX berichtet, daß er das kranke Gesicht aufgeheitert hat 1405 . Da EHwtj-nXt-onX direkt vorher seine wohltätige Versorgung der Armen und Schwachen beschreibt, scheint es durchaus berechtigt anzunehmen, daß die Krankheit eigentlich das Fehlen an Mitteln zum Lebensunterhalt umschreibt 1406 , angeblich verursacht durch die Unterdrückung durch den Starken. Im Neuen Reich trifft man weitere ähnliche Formulierungen zum Ausdruck des richterlichen Rettens. K#rs , ein Herold und Oberhausvorsteher einer Königin aus der 18. 1402 Biogr. Inschr. S. 99, Anm. 1. Vgl. die Behauptung des aus der Ersten Zwischenzeit stammenden Oq#-jb , daß er sich zu Zeiten der Unruhe mutig verhalten hat, während die anderen das Tor verschlossen. BM 1671, 9; Polotsky, in: JEA 16, 9. In Urk. IV, 1082, 17 stellt RX-mj-Ro den Furchtsamen snD dem Gewalttätigen sXm-jb gegenüber. 1403 Vgl. hierzu Kapitel II. 1404 Vgl. Vandier, Mo c alla, 243, VI,b,1. 1405 Hatnub Graffito Nr. 12, 13. 1406 Das Fehlen des Lebensunterhalts kann nicht ausschließlich durch Versorgung gelöst werden, da das Fehlen nicht durch Mangel, sondern durch ungerechte Verteilung und Raub verursacht wurde. Diesen Punkt sieht man deutlich in der Wendung „jemanden atmen lassen“, in der die Versorgung und das Retten verbunden sind. Vgl. snf Hwrw n njw.t , „der den Armen der Stadt atmen läßt“, Hatnub Graffito Nr. 14, 10-11; jw snf.n=j X#r.t jwtt hj=s „Ich habe die Witwe, die ihren Ehemann nicht (mehr) hatte, atmen lassen.“ Hatnub Graffito Nr. 24, 5; [mk.tw m] snf rXjj.t „[Siehe, du bist einer], der dem Volk (den Niedrigen ? ) atmen läßt.“ Dziobek, User-Amun, 33. <?page no="239"?> 240 Kapitel VII - Der Richter als Retter 240 Dynastie, bezeichnet sich in seiner Autobiographie als nX m#r nHm jwtj sw 1407 „Schützer des Elenden, Retter dessen, der keinen hat“. Interessant ist in unserem Zusammenhang die Frage, wie man die Wendung jwtj sw interpretiert. Allgemein geht man davon aus, daß sie einen armen oder besitzlosen Mann bezeichnet. Ich würde vermuten, daß sich das Pronomen sw auf denjenigen bezieht, der dem Schwachen Rettungshilfe gewährt. Die Wendung jwtj sw bezeichnet demnach denjenigen, der keinen Retter hat. Der ganze Satz bringt zum Ausdruck, daß ein armer und schwacher Mensch einen Retter braucht, um in der Welt überhaupt überleben zu können. Man sieht auch hier die Auswirkung der Beziehung zwischen dem Patron und seinen Gefolgsleuten. Der Beamte, nämlich der neue „Patron“ des Mittleren Reiches und des Neuen Reiches, ist stark, um den Schwachen retten und den Armen schützen zu können. Aber es besteht ein wesentlicher Unterschied zwischen dem echten Patron der Ersten Zwischenzeit und dem „Patron“ des Mittleren Reiches und des Neuen Reiches. Der schon mehrfach erwähnte Gaufürst onX.tj=fj behauptet in seiner Autobiographie, daß demjenigen, den er schützt, nichts misslingt, derjenige aber, der bei ihm in Ungnade fällt, wie eine Planke im Wasser untergeht. Die Beamten des Mittleren Reiches und des Neuen Reiches konnten weniger selbstherrlich auftreten. Der Truchsess Min-msw drückt die dreifache Notwendigkeit seiner rettenden Handlung wie folgt aus: „Ich tat, was die Menschen lieben und die Götter loben. Ich gab Brot dem Hungernden und Kleidung dem Nackten. Ich rettete den Schwachen aus der Hand dessen, der stärker als er war. Ich tat, was mein Horus wünscht“ 1408 . Die rettende Handlung der Beamten wird von Göttern und Mitmenschen befürwortet und noch wichtiger: sie wird von dem König motiviert. Den Einfluß der Ersten Zwischenzeit sieht man auch in der Verbindung des Rettens mit der Versorgung. Die physische Kraft spielt bei den menschlichen Beziehungen schon eine wesentliche Rolle, aber keinesfalls die entscheidende. Ein reicher Mann kann aufgrund seines Reichtums andere Leute unterdrücken. Die Patrone der Ersten Zwischenzeit konnten durch die Übernahme der Aufgabe eines Versorgers behaupten, daß sie die Menschen in ihrem Machtbereich vor der Gefahr gerettet haben, von anderen Machthabern schikaniert zu werden. Wenn die Beamten des Neuen Reiches, die neben der Verwaltung auch für die Jurisdiktion zuständig waren, sagen, daß sie den Schwachen aus der Hand des Starken gerettet haben, ist es meiner Meinung nach unrecht, ihren Behauptungen generell keinen Glauben zu schenken. Es wird in der Inschrift des Wesirs RX-mj-Ro angedeutet, daß Menschen wegen physischer Schwäche und materieller Armut von anderen unterdrückt werden und daher die Hilfe des Richtenden brauchen: jw wpj.n.j m#[r] [H] no wsr jw nHm.n=j s#-o [m]-o nXt-o „Ich habe den Armen und den Reichen gerichtet. Ich habe den Schwachen aus der Hand des Starken gerettet.“ 1409 Die Wiederherstellung der 1407 Urk. IV, 48, 17, vgl. CG 20539, b, 4. 1408 Urk. IV, 1445, 1-4. 1409 Urk. IV, 1077, 17-1078, 1; Gardiner, in: ZÄS 60, 69, j. In einem Gebet an Amun klagt ein Mann gegen einen „Starken“ ( nXt ), der ihn verletzte ( th ), indem er sein Amt raubte ( jT ). Erman, in: ZÄS 38, 1900, 21. <?page no="240"?> 2. Das Retten des Schwachen vor dem Mächtigen 241 241 Ordnung nach der zwischenzeitlichen Unordnung hat die Unterdrückung nicht beseitigt, aber entschärft. Es ist weiterhin eine ungleiche Welt, „in der es nicht nur Schwache und Starke gibt, sondern in der die Starken die Schwachen unterdrücken, wenn der Staat nicht eingreift“ 1410 . Aus dem folgenden Zeitraum von einigen Jahrhunderten sind uns keine ähnlichen Belege überliefert 1411 , obwohl es aus der Dritten Zwischenzeit einige autobiographische Inschriften gibt 1412 . Erst aus der 26. Dynastie finden wir wieder Belege über die rettende Handlung des Richters. Die oben versuchsweise gezogene Folgerung, daß es sich bei den Worten m#r und wsr eher um die sozialen Stellungen handelt, lässt sich mit einem Beleg aus CG 888 nachweisen. Der königliche Urkundenschreiber Orw-zm#-t#.wj-m-H#.t stellt m#r „elend“ und wsr „mächtig“ , sowie j#d „schwach“ und nXt-o „stark“ gegenüber 1413 . Psmtk-s#-N.t , ein Oberbaumeister unter Apries und Amasis, berichtet in seiner Autobiographie, daß er den Menschen seiner Stadt Gutes getan habe, indem er den Schwachen aus der Hand des Starken rettete. Er agierte als eine Schutzwehr und die Schwachen kamen zu ihm 1414 . Die Personen, die die Hilfe des Richtenden suchten, werden mit m#r , grw „Schweigender“ und s#-o „Schwacher“ bezeichnet. Es ist möglich, daß Psmtk-s#-N.t mit diesen drei Bezeichnungen die drei verschiedenen Personengruppen oder mindestens die verschiedenen Aspekte derselben Gruppe zum Ausdruck bringen wollte, für die er sich eingesetzt hat. Die Begriffe betonten die materielle Lage und dem sozialen Status der betreffenden Personen, wie bei der Inschrift des ! rw-zm#-t#.wj-m-H#.t . Das Wort s#-o legt seine Betonung auf die physische Schwäche. Daher soll man das Wort grw auch in diese Richtung interpretieren 1415 . Hier bezieht sich das Wort nicht auf das freiwillige, gewollte Schweigen, sondern auf das erzwungene Schweigen, im Gegensatz zum Schweigen der persönlichen Frömmigkeit, das von dem Frommen aus eigenem Willen praktiziert wurde. In der Persönlichen Frömmigkeit nimmt der Gott die Schweiger wegen ihrer Frömmigkeit 1410 Assmann (1996a), 217. 1411 Die Beamten, die zu Lebzeiten als Retter der Hilfsbedürftigen fungiert haben sollen und sich monumentale Gräber leisten können, bezeichnen sich als „Schwache“ und „Arme“, die der rettenden Hand des Gottes bedürfen. Als ein gutes Beispiel kann man die Angabe des Kjkj nennen, in TT 409, ÄHG Nr. 173, 11-13, 25-28, 43-44, 63-64, 100ff; vgl. auch ÄHG Nr. 177, 5-11; Posener, Fs. Ricke, 59-63. Zur Interpretation dieser Belege, vgl. Brunner, „Die religiöse Wertung der Armut“, Anm. 62; Assmann (1983a), 274ff., ders. (1996a), 263-264. 1412 Vgl. Jansen-Winkeln, Ägyptische Biographien, 20-33. 1413 nHm m#r m-o wsr Sd j#d m-o nXt-o „Der den Elenden rettet vor dem Mächtigen und den Schwachen vor dem Starken“, CG 888, Borchardt, Statuen und Statuetten, I, 139. 1414 jrj.n.j b(w) nfr n rmT nw njw.t.j nHm.j m#r m-o wsr jnk nXw n grw jw n=j s#-o „Ich habe für die Menschen meiner Stadt Gutes getan. Ich habe den Elenden aus der Hand des Mächtigen gerettet. Ich war der Beschützer der Schweigenden und der Schwache kam zu mir.“ Stele Philadelphia, Ranke, in: MDAIK 12, 114, 7. Bemerkenswert ist außerdem das Gefühl von Zugehörigkeit zu seiner Heimat und von Verantwortung des Sprechers gegenüber seiner Stadt, die wir aus den autobiographischen Inschriften der Ersten Zwischenzeit beobachtet haben. Die Heimatliebe motiviert die Beamten, Ordnung und Frieden in ihren Ortschaften herzustellen. 1415 Vgl. unten die Behandlung der Schweigenden im Gericht. <?page no="241"?> 242 Kapitel VII - Der Richter als Retter 242 in die Götterwelt auf, damit sie dort weiter als fromme Schweiger leben. Der Richter soll den Schweigenden aus den Fesseln des Gewalttätigen befreien, ihm Schutz gewähren und ihn zum Sprechen bringen. Daher sagt Psmtk-s#-N.t , daß der Schwache ( s#-o ) zu ihm kam, als er dem Schweigenden Schutz versicherte. Sobald ein Retter und Schützer da ist, wagt der Schwache sein Schweigen zu brechen und gegen den Unterdrücker auszusagen 1416 . Der Scheunenvorsteher Jrt-Hr-o# begründet seine Handlung, den Schwachen gerettet zu haben, damit, daß er beim Gott Zustimmung erhoffte: „Ich wurde befunden als einer mit tauben Gesicht gegen den Reichen, als [ein Freundlicher] gegen den Besitzlosen, der dem Schwachen gegen den Mächtigen hilft. Denn ich wußte, daß Gott mit dem zufrieden ist, der so handelt.“ 1417 Hier wird der Arme wieder dem Reichen gegenüber gestellt und daher gibt es für den Richter keine Alternative. Das Verhalten des Richters erweckt die Vermutung, als ob die Armut der Armen direkt von den Reichen verursacht wurde. Deswegen muß er sich zugunsten der Armen gegen die Reichen einsetzen. Der aus der Spätzeit stammende Schreiber und Prophet Wnn-nfr bekennt offen, daß er ein Starker war. Da er sich selbst als einen Freigebigen bezeichnet, war er gleichzeitig ein Reicher. Der entscheidende Unterschied zwischen ihm und denen, die den Schwachen unterdrücken, ist der Zweck seiner Macht und seines Reichtums. Das heißt, er ist stark und reich geworden, um die Armen und Schwachen zu unterstützen. Er berichtet übrigens, wie er im Jahr der Not als ein rettender Richter gehandelt hatte: „Ich war ein guter Hügel für den, der in Not war. Ich half dem Schwachen vor dem Mächtigen, um eine Fähre für jeden zu sein.“ 1418 Ein anderer Aspekt in der Aussage des Wnn-nfr , der beachtet werden muß, ist ebenfalls der Zusammenhang zwischen dem Retten und der Versorgung. Wnn-nfr habe den Schwachen dadurch gerettet, daß er als ein Freigiebiger und Freundlicher für den Schwachen wirkt. Ein Armer gerät zwangsläufig unter das Joch des Reichen 1419 . Das betrifft insbesondere die Witwen und Waisen. Daher ist es verständlich, daß der Rettende ein Starker beziehungsweise ein Reicher sein muß 1420 . 1416 Otto, Biogr. Inschr. S. 167 übersetzt das Wort gr mit „Bedrückter“. Diese Deutung paßt gut zu dem Kontext, ist aber weniger prägnant. 1417 Otto a.a.O., S. 162, Nr. 22. 1418 a.a.O. S. 194. 1419 Es ist aufschlußreich, daß die Ägypter mit dem Wort nXt sowohl „stark“ als auch „reich“ beschreiben und mit dem Wort nmH „schwach“ und „arm“. In der Lehre des Ani wird die Unterwerfung vor einem finanziell Mächtigen als klug und notwendig bezeichnet: „Flehe zu deinem Vorgesetzten, wenn du arm bist, um dir Aufmerksamkeit erweisen zu lassen“, Ani 15, 15-16, Quack, Die Lehren des Ani, 88 und 284. 1420 Vgl. Stele CG 20537 b, 5-6. <?page no="242"?> 3. Das Retten der Witwen und der Waisen 243 243 3. Das Retten der Witwen und der Waisen Oben habe ich mich bei der Diskussion über das Retten des Richters auf den Kontext beschränkt, in dem diejenigen, die der Hilfe des Richters bedürften, mit m#r oder s#-o bezeichnet wurden. Diese zwei Worte beziehen sich auf alle Leute, die sowohl sozial benachteiligt als auch physisch schwach waren. Die Witwen und die Waisen gehören zu der Gruppe, die mit m#r oder s#-o bezeichnet wurde. Als diejenigen der Opfer der Ungleichheit und daraus folgenden Unterdrückung werden die Witwen und Waisen sowohl in den Lebenslehren als auch in den autobiographischen Inschriften oft eigens hervorgehoben 1421 , da in einer Gesellschaft, in der Ungleichheit herrscht und daraus resultierende Unterdrückung existiert, die Witwen und die Waisen zwangsläufig am häufigsten die Opfer dieser Ungleichheit darstellen 1422 . Aus den überlieferten Texten geht hervor, daß das Bild der Frau oft zur Darstellung oder Veranschaulichung einer hilflosen Lage benutzt wird. Schwächlinge oder Feiglinge werden gerne mit Frauen verglichen 1423 . Auf der Piystele finden sich zwei Stellen, in denen die elende Situation mit der einer Frau verglichen wurde. Wir lesen in der Inschrift, daß die besiegten Fürsten aus dem Delta eine so furchtbare Angst vor Piy hatten, daß ihre Beine wie die der Frauen waren 1424 . Kurz danach wurde der Triumph des Piy über die Fürsten damit zusammengefaßt, daß er die Stiere zu Frauen gemacht hatte 1425 . Bezeichnenderweise kommt diese Aussage aus dem Mund eines unterworfenen Fürsten. Um seine bedingungslose Unterwerfung glaubwürdig zu machen, fügt er hinzu: „Ich bin eine Frau“ 1426 . 1421 Im Totenbuch Kapitel 125 muß der Tote den richtenden Göttern versichern, daß er kein Waisenkind an seinem Besitz geschädigt hat; vgl. dazu Assmann (1990a), 126ff. ders, (1996a), 193f. Vgl. aus einem weiteren Zusammenhang Fensham, in: JNES 21, 129-139. 1422 Bei der Betrachtung der Frauen im alten Ägypten werden überwiegend ihre relativ höhere Stelle in der Gesellschaft betont, im Vergleich zu den Frauen in anderen Kulturen. Diese Behauptung ist auf jeden Fall richtig. Aber innerhalb der ägyptischen Gesellschaft ist ihre Position viel ungünstiger als die der Männer. Wenn wir darüber reden, daß die ägyptischen Frauen das Recht hatten, Eigentum zu haben und Testamente zu schreiben (vgl. u.a. Allam in LÄ II, 104-113), dann müssen wir bedenken, daß die wenigen Beispiele ohne Ausnahme aus der Mittel- oder Oberschicht kommen. Wenn man die Beleglage dahingehend interpretiert, daß die begüterten Witwen durch eigene Testamente oder durch Testamente ihrer Männer zu Lebzeiten geschützt werden müssen, ist das Leben derjenigen Frauen sicher nicht leicht, die kein eigenes Besitztum haben und deren Männer kein Eigentum hinterlassen haben. 1423 Die heimlich eine Palastverschwörung ausführenden Feinde werden in der Lehre des Amenemhet als Feiglinge ( Hm.w ) bezeichnet. Die Zusammensetzung des Wortes ist sehr aufschlußreich. Der Grundbestandteil des Wortes ist ein Zeichen, das das Wort „Frau“ gekennzeichnet. Zusammen mit dem männlichen Geschlechtsteil bedeutet das Wort „Feigling“, wörtlich schildert die Zeichensetzung jemand, der ein Mann sein soll, aber wie eine Frau schwach und furchtsam ist. Aber auf der anderen Seite wurden die Frauen sehr wahrscheinlich schwerer körperlicher Arbeit ausgesetzt. Um seine Schüler zum Lernen zu bewegen und vor der körperlichen Arbeit zu schrecken, beschreibt der Lehrer im Schülertext die Lage der Handwerker elender als die einer Frau. p Sallier II, 7, 2. 1424 Urk. III, 54. 1425 Urk. III, 56. 1426 Urk. III, 128. Auf oDeM 562 befindet sich ein Schreiben, in dem eine Frau namens %#r einen <?page no="243"?> 244 Kapitel VII - Der Richter als Retter 244 Wenn die Frauen so sehr den Männern untergeordet und auf die Kraft der Männer angewiesen sind, ist die erbärmliche Situation der Witwe leicht vorzustellen, da sie das männliche „Rückgrat“ verloren hat. Tatsächlich wird über einen in Stich gelassenen Mann gesagt, daß dieser wie eine Witwe sei 1427 . Auf der Israelstele wird das geplünderte und daher wert- und wehrlose Israel als Witwe bezeichnet 1428 . In der Geschichte des Lebensmüden wird der unerträgliche Zustand auch mit dem Bild der Frau zum Ausdruck gebracht. Der Lebensmüde sagt, daß sein Name stinkender sei als der einer Ehefrau, über die zum Ehemann eine Lüge gesagt wird (d.h. eine Frau, über die man Lügen verbreitet wegen eines anderen Mannes) 1429 . Schon eine Lüge richtet eine unschuldige Frau zugrunde, sobald die Lüge ins Ohr des Ehemannes gelangt. Dies entspricht den negativen Darstellungen der Frauen in den Lebenslehren, in denen die Schuld bei einem Ehebruch ausnahmslos den Frauen zugewiesen wird. Die Formel lautet: die Frauen sind gefährlich, weil sie verführerisch sind 1430 . Durch diese Darstellungen sollen die Schüler vor Ehebruch oder ähnlichen unsittlichen Taten zurückschrecken 1431 . Außerdem werden die Lehren fast ausschließlich für junge Männer geschrieben und die meisten Autobiographien stammen von der Beamtenschicht, die für die Frauen verschlossen war. Dies mag auch eine wesentliche Rolle dafür gespielt haben, daß die Frauen in den Lehren negativ geschildert 1432 und in den Autobiographien als die schwache Person charakterisiert werden. Aber es ist falsch, völlig abzulehnen, daß die Schilderungen in den Lehren in gewissem Maße die Realität widerspiegeln könnten, zumal die Lebenslehren eine unübersehbare formative und normative Funktion in der Gesellschaft hatten. Zu den hilfsbedürftigen Personen gehören neben den Witwen auch die Waisen. Wie der Witwe durch den Verlust ihres Ehemannes wird einem Waisenkind durch den Verlust seines Vaters der Ernährer und Beschützer geraubt. In der Lehre des pChester Beatty IV wird die Gefahr, der ein Waisenkind ausgesetzt ist, und die Notwendigkeit der richterlichen Intervention wie folgt beschrieben: Mann anredet. Der Mann hat wahrscheinlich die Sandalen der Frau an sich genommen. Die Frau hat demnach alle Rechte, die Rückgabe der weggenommenen Sandalen zu fordern. Um diese gerechte Forderung zu verwirklichen sagt die Frau: „Laß mich nicht allein! Ich bin schwach und krank-…“ Sauneron, Ostraca Hiératiques non Littéraires de Deir el Médineh, pl. 8. 1427 pAnastasi VI, 32, Gardiner, LEM, 75, 1-2. 1428 Grapow, Die bildlichen Ausdrücke, 134-135. 1429 Lebensmüde 98. 1430 Ptahhotep 333ff., wo der Blick einer Frau mit dem Gewittersturm verglichen wird. Dieser potenzielle Verführungsinstinkt der Frau wird als Begründung zum Festhalten der Frau im Hause angegeben. Dieselbe Idee wird in der Lehre des Ani noch radikaler vertreten, Ani B, 16, 13ff. Für diese negativen und gefährlichen Bilder der Frauen in den demotischen Lehren vgl. Anchscheschonqi XV, 11-12. 1431 Dazu Dieleman, in: SAK 25, 10-15. 1432 Die Figur der Mutter wird immer positiv dargestellt. Dies gilt sowohl für die früheren Lehren wie für die Lehre des Ptahhotep und die Lehre des Ani als auch für die späteren. Für die späteren demotischen Lehren vgl. Dieleman, a.a.O. <?page no="244"?> 3. Das Retten der Witwen und der Waisen 245 245 jr spr n=k nmH gbj jw kjj m-s#=f g#s=f sw p# n=f jmj n=f X.wt Db# Hr=f Sdj Wenn sich ein hilfloses Waisenkind an dich wendet, da ein anderer es verfolgt, um es beiseite zu schieben, dann fliege zu ihm. Gib ihm Sachen und gewähre ihm Schutz 1433 . Es ist die Aufgabe sowohl des Königs als auch der Beamten, die Witwe aus der Notlage zu retten. In der Lehre für Merikare werden die Schonung der Witwe und die Sicherung der Erbfolge des Sohnes als ein wichtiger Teil der Aufgaben des künftigen Königs betrachtet 1434 . In der Geschichte des Bauern beschreibt der Oasenmann die Aufgaben des Richters, die in Gefahr geratenen Personen zu retten, mit der folgenden Feststellung: „Du bist der Vater der Waise, der Gatte der Witwe, der Bruder der Geschiedenen, der Schurz dessen, der keine Mutter hat.“ 1435 Daß der Oasenmann bei der ersten Petition seinen hilfsbedürftigen Zustand dem der Waisen und Witwen vergleicht, zeigt uns eindeutig, daß diese Personen nicht nur materieller Ernährung und Versorgung, sondern vielmehr richterlicher Unterstützung bedürfen, da ihre erbärmliche Habe der Gefahr ausgesetzt wird, von dem Gewalttätigen geraubt zu werden. Im Fall der Witwe macht der Oasenmann darüber hinaus einen Unterschied zwischen X#r.t und wDo.t . Das Wort X#r.t bezeichnet sehr wahrscheinlich spezifisch die Frau, deren Mann gestorben ist 1436 , während das Wort wDo.t sich auf eine Frau bezieht, die von ihrem Mann verstoßen wurde 1437 . In beiden Fällen ist die Frau ohne Hilfe von seiten des als Richter handelnden Beamten überlebensunfähig 1438 . Der wenige Besitz eines Armen ist für diesen lebenswichtig, er bedeutet ihm weit mehr als derselbe Besitz einem Reichen bedeuten würde, wie der Oasenmann sagt: „Die Habe eines Armen ist für ihn die Atemluft, wer sie wegnimmt, verstopft ihm die Nase.“ 1439 In 1433 Gardiner, Hieratic Papyri in the British Museum, pl. 18, vs. 2, 2-3. 1434 Merikare E, 46-48. In der Lehre des Ani kann man die Abhängigkeit der Frau an ihren Mann nicht deutlicher lesen: „Frage eine Frau ‚was ist ihr Mann? ‘ Frage einen Mann nach seinem Amt“, B 19, 14-15. 1435 ntk jt n nmH hjj n X#r.t sn n wDo.t Sndjj.t nt jwtj mw.t=f , Bauer, B1 62-64. 1436 Vgl. Wb I 363, 4ff. 1437 Vgl. Wb 3, 407, 4. 1438 Für die Witwen in beiden Fällen konnte die Wiederheirat die einzige Möglichkeit gewesen sein. Für die X#r.t scheint der Schritt der Wiederheirat unvermeidbar, während derartige Schritte für die wDo.t erst spät in Betracht kommen, da ihre Aufnahme durch den Bruder im Augenblick noch dringender scheint. 1439 T#w pw n m#r X.wt=f dbb fnd=f pw nHm st , Bauer B1, 263-265. Vgl. auch Stele UC 14333, Z. 15, Stewart, Egyptian Stele, II, pl. 18. <?page no="245"?> 246 Kapitel VII - Der Richter als Retter 246 diesem Zusammenhang scheint das Wort nHm mit seinen zwei gegenseitigen Bedeutungen sehr aufschlußreich. Einmal bedeutet das Wort „rauben“. Der Gewalttätige raubt ( nHm ) die Sachen des Armen oder Schwachen, inklusive der Witwen und Waisen. Damit verfügt er über die Macht über Leben und Tod des Beraubten. Der rettende Richter sagt nicht umständlich, daß er die geraubten Sachen zurückholt, um den Beraubten zu retten. Er sagt einfach direkt, daß er den Beraubten (den Armen und Schwachen) aus der Hand des Gewalttätigen rettet ( nHm ). Hier wird das Leben und der Lebensunterhalt gleichgesetzt. Der Oasenmann bezeichnet den gerechten Richter als denjenigen, der den abgeschnittenen Kopf zusammenknüpfen konnte 1440 . Im wirtschaftlichen Bereich trifft der Verlust des Ehemannes die Witwe am härtesten, da die Frau im alten Ägypten hauptsächlich auf die Hausarbeit beschränkt war 1441 . Über die Witwen im alten Ägypten schreibt Allam: „In general the divorced woman fared better than the divorced man, but the women who had herself asked for or provoked a divorce would find herself in an undesirable financial situation.“ 1442 Diese Behauptung betrifft nur diejenigen, die bei der Heirat eine eigene Mitgift eingebracht haben oder deren Ehemänner begütert sind. Was ist mit denjenigen, die keine Mitgift gebracht haben und deren Männer beim Tod nichts hinterlassen haben? Die Witwe, deren Mann Besitztum hinterlassen hat, ist nicht weniger auf den Richter angewiesen, damit ihre Habe nicht geraubt wird 1443 . Für die geschiedene Frau war die erneute Heirat nicht ohne Schwierigkeiten, da der ehemalige Ehemann das Recht hatte, dies zu untersagen 1444 . In den biographischen Inschriften finden wir früher als in den Lebenslehren die Bezeichnung der Waisen und Witwen als diejenigen, die zum Überleben auf die Unterstützung der Richter angewiesen sind. Der Gaufürst Mrjj-o# , der am Ende der 6. Dynastie in Hagarse lebte, sagt in seiner Inschrift aus seinem Grab: jnk mdw.w Hr X#r[.t] hrw n [wDo] / / / 1445 „Ich bin einer, der zugunsten der Witwe sprach am Tage [der Gerichtsverhandlung/ der Ehescheidung]“. Diese Aussage kann man in zwei verschiedene Richtungen interpretieren, je nachdem, wie man den Satz ergänzt. Wenn man am Ende des Satzes das Wort mdw hinfügt, besagt der Satz, daß Mrjj-o# sich bei der Gerichtsverhandlung für die Witwe eingesetzt habe. Über den Gegner der Witwe und den Inhalt des Konflikts erfahren 1440 Bauer B1, 319-320, vgl. dazu pWestcar 7, 4: 8, 13. 1441 Man darf nicht anhand weniger Beispiele verallgemeinern. Allam (in: DE 5, 11) schreibt über die ägyptische Frau: „Die ägyptische Frau war erbberechtigt, konnte Grund und Boden besitzen, durfte mit eigenem Vermögen eine gewillkürte Erbfolge herbeiführen und ein öffentliches Testament errichten lassen: sie hatte die Fähigkeit, Sklaven freizulassen und zu adoptieren, wobei das Adoptivkind ein Erbrecht erwerben konnte: am aushäusigen Leben konnte sie sich aktiv beteiligen und Geschäfte rechtswirksam abschließen: vor Gericht war sie eidesfähig, konnte nicht nur als Zeugin auftreten, sondern selbständig prozessieren.“ 1442 JEA 67, 121. 1443 Goedicke, Private Rechtsinschriften, 128-129; Vandier, Mo c alla, 247. 1444 Pestman, Marriage, 71-78. In den Dokumenten aus Deir el-Medina beobachten wir die Versuche, die Frau vor einer schlimmen Folge der Scheidung schriftlich zu schützen. Vgl. Černý/ Gardiner, Hier. Ostr. 64, 2; 23, 4. 1445 Urk. I, 266, 16. Vgl. dazu auch Goedicke, Königl. Dokumente, 26, Anm. 9a. <?page no="246"?> 3. Das Retten der Witwen und der Waisen 247 247 wir nichts. Es ist daraus anzunehmen, daß, sofern eine Witwe in einem Streit verwickelt war, sie sich gegenüber dem ungenannten Prozeßgegner in einer ungünstigen Position befand, so daß der Richter auf ihrer Seite stehen mußte. Eine andere mögliche Interpretation entsteht dann, wenn man hinter wDo das Wort Hm.t ergänzt 1446 . Durch diese Ergänzung erhält der Satz die Bedeutung, daß der Gaufürst im Fall einer Scheidung die betroffene Witwe unterstützt habe 1447 . Wenn diese Ergänzung zutrifft, kann man weiter vermuten, daß die Frau schon bei der Scheidung der Gefahr von Benachteiligungen ausgesetzt wird. Allerdings kommt diese Gefahr wahrscheinlich von ihrem jetzigen Ehemann oder dessen Familie. Die schlimmste Gefahr, wie schon oben erwähnt, entsteht für die Frau erst nach der Scheidung, wenn sie ohne den Schutz ihres Ehemannes allein steht. Daher sagt der Gaufürst onX.tj=fj , daß er den Schwachen aus der Hand des Starken gerettet und die Angelegenheit der Witwe angehört habe 1448 . Der richtende lokale Machthaber erscheint hier als ein erhörender Retter, der der in Rechtsnot befindlichen Witwe hilft. Or-nXt aus Dendera sagt, daß er die Frauen den Männern gegeben habe 1449 . In diesem Satz sehe ich auch eine rettende Aktion des Beamten, der den Frauen jedoch nicht durch direkte richterliche Handlung, sondern in der Funktion eines Mittelsmannes Rahmenbedingung für ein gesichertes Leben ermöglicht 1450 . „In den Inschriften treten die sprichwörtlichen Witwen und Waisen als die exemplarischen Objekte patronaler Wohltätigkeit auf. Im Rahmen eines ‚konstellativen‘ Menschenbilds muß deren Schicksal besonders furchtbar erscheinen: sie sind vor allen anderen auf einen ‚Patron‘ angewiesen, der den Gatten und Vater vertritt, sie dadurch wieder in eine Konstellation einbindet und ihnen damit zu einer sozial anerkennungsfähigen Personalität verhilft.“ 1451 Der Gaufürst NHrj bezeichnet sich als den Samen des Stiers der Maat und den Sohn des Thot, den die beiden Neunheiten des Re gezeugt haben. Zur Begründung und Berechtigung dieser anscheinend sehr übertriebenen Bezeichnung führt er aus, daß er die Witwe gerettet und den Bedrängten unterstützt habe 1452 . Die rettende Handlung des Beamten, der ebenfalls einen Starken darstellt, wird hier als die Berechtigung für seinen materiellen Reichtum betrachtet. Er sammelte Reichtum, um die hilfsbedürftige Witwe zu retten. Er konnte die Witwe deshalb retten, weil er reich war. Wir erfahren nicht, aus 1446 Das scheint der Ergänzungsvorschlag von Sethe zu sein. 1447 Zweifel bei dieser Interpretation entsteht, wenn man bedenkt, daß X#r.t eine Frau bezeichnt, die schon geschieden oder deren Ehemann gestorben ist. Im Moment der Scheidung war die Frau noch keine X#r.t . 1448 Vandier, Mo c alla, Inschrift Nr. 13, V,Y,3. 1449 Cairo JE 46048, Abdalla, in: JEA 79, 250, Fig. 1, Z. 5. 1450 Es ist nicht mit Sicherheit zu sagen, ob sich unter den Frauen auch geschiedene oder verwitwete Frauen befanden. In pAnchscheschonqi (X, 20) wird bei den Wünschen für Gedeihen und Überschuß die Hoffnung geäußert, daß die Kuh ihren Stier annehmen wird. Ritner (in: BiOr 44, 645) interpretiert darin das Bild einer Frau und eines starken Mannes. Aber hier ist weniger erotische Anspielung als vielmehr die Abhängigkeit der Frauen von den Männern zu erkennen. 1451 Assmann (1994b), 55. 1452 Hatnub Graffito Nr. 20, 6-8. <?page no="247"?> 248 Kapitel VII - Der Richter als Retter 248 welcher konkreten Situation NHrj die Witwe gerettet habe. Aber es wurde anscheinend als Selbstverständlichkeit angesehen, daß die Witwe ohne die rettende Hilfe des richtenden Beamten nicht imstande war, in der Welt zu überleben. K#j , der Sohn des NHrj , sagt über seine rettende Handlung: „Ich habe den Schwachen aus der Hand des Starken gerettet. Ich habe die Witwe atmen lassen, die keinen Ehemann hatte. Ich habe das Waisenkind erzogen, das keinen Vater hatte.“ 1453 Man ist mit der Problematik konfrontiert, daß zwischen der materiellen Versorgung und der juristischen Intervention in den autobiographischen Inschriften keine eindeutige Linie gezogen werden kann. MnTw-wsr , ein Domänenvorsteher unter Sesostris I., beschreibt zuerst seinen Reichtum und sagt anschließend: „Ich war der Vater des Waisenkindes, der Versorger der Witwen, niemand schlief in meinem Distrikt, indem er hungrig war.“ 1454 Zwischen dieser Versorgung der Witwen und der Angabe des K#j , daß er die Witwe atmen lassen habe, besteht kein Unterschied. Die Verarmung der Witwen war in der Tat unvermeidlich, da die Existenz der Frau hauptsächlich auf den Ehemann angewiesen war. Es wurde angenommen, daß die Witwe ohne die Hilfe und den Schutz des rettenden Beamten in die Hand eines ungerechten Starken fallen würde. Daher ist die Handlung der Beamten, die Witwen zu versorgen, im Kern ein Akt der Rettung 1455 . Der Gaubeamte MnTw-Htp aus Hermonthis in der 12. Dynastie rühmt sich in seiner Autobiographie seines Reichtums, indem er sich als den Sohn des Getreidegottes Nprj und den Gatten der Göttin der Kleidung v#jj.t bezeichnet. Mit diesem Reichtum war es ihm gelungen, in der Zeit der Not alle Leute in seinem Distrikt am Leben zu erhalten 1456 . Dabei erwähnt er spezifisch, daß er die Witwen gesalbt habe 1457 . Der Begriff „eine Witwe zu salben“ hat über den Bereich der Versorgung hinaus bestimmt auch juristische Bedeutung. In der Lehre des Ptahhotep wird der Sohn aufgefordert, nach der Heirat seine Frau zu lieben, wie es sich gehört, indem er ihren Bauch füllt und ihren Rücken kleidet. Das ist allerdings noch nicht genug, denn Nahrung und Kleider sind unentbehrlich auch für unverheiratete Frauen sowie Kinder. Als Ehemann muß er seine Frau mit Salböl ver- 1453 jw nHm.n=j m#r m-o wsr jw snf.n=j x#r.t jwtt hj=s jw Sdj.n=j nmH jwtj jt=f , Hatnub Graffito Nr. 24, 5. 1454 jnk jt n nmH.w sm x#r.wt n sDr s Hqr.w r dmj=j , Stele New York 12.184, 11-12; Sethe, Lesestücke, 79, 14-16. 1455 Vgl. eine Stelle aus der Autobiographie des Montemhet. Der Gouverneur der Thebais sagt fast mit gleichem Wortlaut: jw(=j) sonX.n(=j) Hqr m sp#t=j nHm.n=j sDr Hqr(.w) „(Ich) erhielt die im Leben, die hungrig waren in meinem Gau. Ich errettete den, der hungrig schlief „(Statue Kairo 42236, 5). 1456 Worauf sich die Erwähnung der Hungersnot bezieht, läßt sich nicht genau feststellen. Es könnte sein, daß es sich hier wiederum um eine Übernahme der Formulierung der Ersten Zwischenzeit handelt. 1457 wrH.n(.j) X#r.wt , Stele UC 14333, Stewart, Egyptian Stelae, II, pl. 18, 10. Es ist merkwürdig, daß MnTw-wsr bei der Erwähnung der Kinder nicht von den „Waisen“, sondern einfach von den xrd.w spricht. Schenkel hat die Annahme Goedickes, daß es sich in der Autobiographie um eine Lehre handelt, widerlegt. Grumach (Untersuchungen zur Lebenslehre des Amenope, 101, Anm. 124) hält dagegen Goedickes Rekonstruktion als eine Lehre für richtig. <?page no="248"?> 3. Das Retten der Witwen und der Waisen 249 249 sorgen, da es ein Heilmittel für ihre Glieder sei 1458 . Der Verbrauch von Salböl bzw. der Zustand, gesalbt zu sein, hat daher möglicherweise eine symbolische oder sogar juristische Bedeutung für die verheirateten Frauen. MnTw-Htp hat demnach das Recht der Witwen aufrechterhalten 1459 . Das Retten und die Versorgung sind in zwei Aspekten eng verbunden. Erstens ermöglicht der Richter durch die Versorgung der Witwen, daß sie die Grundlage zum Überleben haben, möglichst wie die Ehefrauen. Zweitens soll der Richter garantieren, daß die Witwen nicht dem Bösen zum Opfer fallen, insbesondere dem ungerechten Starken. Der Wesir RX-mj-Ro bringt das Vertreiben des Habgierigen und Wütenden mit dem Abwischen der Tränen und dem Beschützen der Witwe in Zusammenhang 1460 . Sicherlich ist der Akt des Abwischens der Träne in übertragenem Sinne zu verstehen 1461 . Das kämpferische Eingreifen des Richters für die Witwe und das Waisenkind sehen wir in der Autobiographie des Jnj-Hrt-ms , eines Hohenpriesters des Schu in This aus der 19. Dynastie. Nach der Behauptung, daß er „die Sünde vertrieben und die Trauer beseitigt hat“, sagt er weiter, daß er „auf den (Hilfe-)Ruf der Witwe geachtet, sich für die Witwe eingesetzt hat, die von ihren Sachen beraubt war und für das vaterlose Kind wie ein Vater gehandelt hat“ 1462 . Bei der Betrachtung der Aussage der Beamten, sich gerichtlich für die Witwe oder das Waisenkind eingesetzt zu haben, sollten wir noch die andere Seite der Medaille sehen. Die Frauen werden, wenn sie die finanzielle Grundlage wegen des Todes des Ehemannes oder der Scheidung verloren haben, wahrscheinlich gezwungen, zu unerlaubten Mitteln zu greifen, um überleben zu können. Aus den Dokumenten aus der Arbeitersiedlung von Deir el-Medina sieht man, daß die Frauen sowohl als Angeklagte als auch als Kläger vor Gericht erschienen. Sie mußten sich für Diebstahl, Zahlungsunfähigkeit, Verkauf von Sachen anderer Leute vor Gericht verantworten 1463 . Es ist im einzelnen Fall nicht klar, ob alle betreffenden Frauen Witwen waren 1464 . In diesem Zusammenhang scheint die Mahnung in der Lehre des Ani an den Sohn, sich besonders von der sich als Witwe ausgebenden fremden Frau fernzuhalten, besser verständlich. 1458 pxr.t pw nt Ho.w=s mrH.t „Das Salböl ist ein Heilmittel für ihre Glieder.“ Ptahhotep 328. 1459 Auf Zeile 14-15 berichtet MnTw-Htp , daß er Steuerminderung für die Armen, Witwen und Waisen angeordnet hat, damit diese ins Elend Geratenen atmen konnten. Vgl. auch Hatnub Graffito Nr. 12, 12-13, wo EHwtj-nXt-onX sagt, daß er „die Ungesalbte gesalbt hat ( wrH xs# )“. 1460 Urk. IV, 1078, 3-6; Gardiner, in: ZÄS 60, 70. 1461 Der aus der Dritten Zwischenzeit stammende Amunprophet Ed-EHwtj-jw=f-onX sagt, daß er die Träne dessen mit zerrissenem Herzen abgewischt habe ( sk jH ). Berlin 22461, Jansen-Winkeln, in: SAK 22, 180, Abb. 6. Die Handlung des Abwischens der Tränen ( sk rmj.t ) hat in der Mundöffnungszeremonie eine wiederbelebende Wirkung. Münster, Isis, 63. 1462 jnk rwj jw [dr] jnd nhp [Hr] Xrw Snt#j.t … jnk nX n s#-o wSb Hr X#r(.t) m#r.tj Hr jX.wt=s jnk jt n jwtj , Ockinga, Two Ramesside Tombs, pl. 27, Z. 37. Auf Zeile 48 lesen wir: jnk wrH X#r(.t) wS.tj . 1463 McDowell, Jurisdiction, 152. 1464 In oNash 1=Černý-Gardiner, Hier. Ostr., pl. 46, 2 scheint die angeklagte Frau Orj# eine Witwe gewesen zu sein. <?page no="249"?> 250 Kapitel VII - Der Richter als Retter 250 In der Autobiographie des O#-r-w# , eines Domänenvorstehers der Gottesgemahlin in der 25. Dynastie, wird es als selbstverständlich angenommen, daß ein Waisenkind und eine Witwe einen Schützer und Retter brauchen, um überleben zu können, da der eine keinen Vater und die andere keinen Ehemann hat 1465 . An einer anderen Stelle listet Or-r-w# die Witwen zusammen mit den Alten auf, die der rettenden Hand des Richters bedürfen 1466 . 4. Das Retten des Schiffbrüchigen In den unten zu untersuchenden Belegen, daß die Richtenden den Schiffbrüchigen gerettet haben, werden die Unterdrücker oder Verfolger nicht genannt. Trotzdem wird die rettende Handlung des Richters eindringlich gefordert, da der Schiffbruch durch äußere Einwirkungen verursacht wurde. Der Ursprung dieser Metapher liegt eindeutig in der Vorstellung des Schiffbrüchigen oder Schifflosen als Vertreter derjenigen, die bei der Überquerung des Flusses oder in Zeiten der Überschwemmung einer Lebensgefahr ausgesetzt sind. Schon in den Sargtexten findet man zahlreiche Belege dafür, dass die Überquerung des Wassers eine Voraussetzung für die Überwindung des Todes darstellt. In CT IV, 1 wird der Tote als Sobek, „der Herr des Wassers“ ( nb S n X# ) vorgestellt. In CT I, 267f. wird die Überwindung des „Großen Grünen“ und die Beherrschung des Flusses mit der Beseitigung der Feinde gleichgesetzt. Damit wird das siegreiche Hervorgehen aus dem Gericht des Gottes und die Aufnahme in die Barke des Re gesichert 1467 . Im Neuen Reich werden das tiefe Wasser und die Unterwelt gerne als gefährliche Orte thematisiert. In der Lehre des Ani wird eine von ihrem Gatten fernbleibende Frau als „ein tiefes Wasser, das man nicht umkreisen kann ( mw mD bw rX=tw pxr=s )“ bezeichnet 1468 . In dem Brief an seinen Sohn beschreibt Mnn# die gefährliche Situation seines Sohnes, indem er von der Metapher des Wassers Gebrauch macht: „Jetzt sinkst du in die Tiefe der Unterwelt, und ich sehe keinen Weg, dich zu retten. Nun bringe ich eine ellenlange Stange auf deinen verirrten Kurs, doch es gibt keine Möglichkeit, sie aufzurichten.“ 1469 Der erste Beleg für die Rettung eines Mannes aus dem Wasser im Sinne der gerichtlichen Handlung finden wir in der Geschichte des Bauern. Darin finden wir zahlreiche Vergleiche und Anspielungen, die den Rechtsverkehr mit der Schiffahrt in Verbindung bringen. Schon die erste Begegnung des Oasenmannes mit Rnsj ist dafür ein Beispiel. Es wird gesagt, daß Rnsj gerade aus seinem Haus zu seinem Dienstschiff ( q#q#w orrjj.t ) 1465 Vgl. Sw.t T#j mwnf n x#r.t , Statue Berlin 8163, Gunn, in: BIFAO 34, 137, C, 7. 1466 Xw.n(=j) j#w mk.n(=j) x#r.t „Ich habe den Alten geschützt. Ich habe die Witwe behütet.“ BM 55306, Gunn-Engelbach, in: BIFAO, 30, 810-813, pl. VII. Es wird an einer anderen Stelle behauptet, daß er nie gegen eine Witwe sprach: tm=f Dd r Snt#j.t=f „Er sprach nie gegen seine (? ) Witwe.“ BM 55306, Gunn-Engelbach, a.a.O. 1467 Vgl. auch CT V, 9-10. 1468 Ani 16, 14-15. Quack, Die Lehren des Ani, 288. 1469 Guglielmi, in: WdO 14, 147-166. <?page no="250"?> 4. Das Retten des Schiffbrüchigen 251 251 ging 1470 . Daher schildert der Oasenmann in seiner ersten Petition die menschliche Gesellschaft als ein Meer, wo nicht nur zum Symbol des Friedens Fische schwimmen und Vögel fliegen, sondern auch als Gegenbild Krokodile lauern. Der als Richter fungierende Rnsj wird als denjenige bezeichnet, der bei seiner Inspektionsreise den Verbrecher strafen und den Schiffbrüchigen retten soll. Rnsj wird gemahnt, als das zuverlässige Steuerruder zu agieren, während der König als Kapitän im Palast sitzt; er wird deswegen angeprangert, da das Schiff ziellos wandert; er wird aufgefordert, das Schiff gemäß auf geraden Kurs zu steuern 1471 . Die aus den geographischen Besonderheiten Ägyptens entstandene Metaphorik kommt dem Oasenmann gut gelegen, um seinen schwierigen Zustand zum Ausdruck zu bringen. Er ist ausgerechnet beim Überqueren des Wassers von Nmtj-nXt beraubt und ist nun ohne Schiff auf dem Wasser 1472 . Er ist vom Ertrinken bedroht und völlig auf den Richter angewiesen, der die Angelegenheit wahrheitsgemäß entscheiden soll 1473 . Daher stellt der Oasenmann die zornige Frage: „Wenn die Fähre hineingebracht ist, womit soll man denn überfahren? “ 1474 Rnsj wird neben dem Steuermann und Fährmann auch mit einem Landstück verglichen, das dem Ertrinkenden eine Landung anbieten soll. Aber im Gegensatz zu dem echten Schiffbrüchigen in der gleichnamigen Geschichte, der nach dem Unglück auf einer Insel den gütigen Gott trifft, muß der Oasenmann erkennen, daß das Landstück des Rnsj selbst zur Flut geworden ist 1475 und der Machthaber, der den Räuber strafen und den Elenden schützen soll, ebenfalls eine Flutwelle geworden ist 1476 . Nun fragt der Oasenmann wütend, offensichtlich auf den König hinweisend, warum Rnsj wie die Überschwemmung agiert, denn er wurde vom König als Damm eingesetzt, um den Schwachen vor dem Ertrinken zu schützen 1477 . In einem Abschnitt aus der zeitlich etwas früheren Autobiographie des Gaufürsten $tj finden wir zweimal die Behauptung, daß er die unterstützt hat, die nicht imstande waren, das Wasser mit eigener Kraft zu überqueren: „Ich habe den Schiffbrüchigen ans Land gebracht. Ich habe den bestattet, der keinen Sohn hatte. Ich habe ein Schiff für den gebaut, 1470 Bauer B1, 65-67. Nach der Meinung des Oasenmannes soll Rnsj auf diesem Schiff seinen Verwaltungsbereich inspizieren, indem er die Unterdrückten rettet und die Übeltäter bestraft. 1471 Bauer B1, 122, 157, 194, 252, 298. 1472 B1, 125ff. 1473 mk wj xr mtn jwj mnj mH.w nb Sd bg#w „Siehe, ich bin ohne Schiff unterwegs. Bringe alle Ertrinkenden ans Land und rette den Schiffbrüchigen.“ Bauer B1, 167-168. 1474 Bauer B1, 229-230. In B1, 203 wirft der Oasenmann dem Oberdomänenvorsteher vor, daß dieser als Fährmann nur den übersetzt, der sich den Fährlohn leisten könne ( mxn.tj D# nb hm.t ). 1475 dmj m wDnw=f , B1, 133. 1476 Xsf ow# nD Hr m#r m Xpr(.w) m wDnw r sprw „Bestrafe den Räuber, schütze den Schwachen, werde nicht zur Überschwemmung gegen den Bittsteller.“ B1, 174-176. 1477 rdj.n.tw=k r dnj n m#r s#w mH=f „Du wurdest als ein Damm für den Schwachen eingesetzt, um ihn vor dem Ertrinken zu bewahren.“ B1 268-269. In B1, 307-308 erklärt der Oasenmann, daß er sich wehren muß, da der Damm gebrochen war. An den verschiedenen Stellen erkennt man die Mahnungen und Drohungen, die deutlich den Standpunkt des Königs erkennen lassen. <?page no="251"?> 252 Kapitel VII - Der Richter als Retter 252 der keines hatte.“ 1478 Die Sätze, den Schiffbrüchigen übergesetzt und dem Schifflosen ein Schiff bereitet zu haben, kommen zwar oft im Kontext der Wohltätigkeit vor und stellen ethische Prinzipien dar 1479 , hatten aber im realen Leben der alten Ägypter tatsächlich die Bedeutung vom Retten 1480 . Wenn man die oben ausgeführten Vergleiche in der Geschichte des Bauern mit den Aussagen in den Autobiographien in Zusammenhang bringt, besteht kein Zweifel, daß diese Sätze im juristischen Sinne die Handlung des Richters beschreiben, einen verzweifelten Unschuldigen in einem Streitfall gerettet zu haben 1481 . Die Ausdrucksformen, einen Schiffbrüchigen oder einen Ertrinkenden gerettet zu haben, tauchen nach einer langen Lücke ab der 25. Dynastie wieder auf 1482 . O#-r-w# , der Domänenvorsteher der Gottesgemahlin, sagt in seiner Autobiographie: „(Ich war) ein wahrhaftiger Freund, der die Fessel löst und einen Schiffbrüchigen rettet.“ 1483 Es scheint hier eindeutig, daß der hier gemeinte Schiffbruch nicht durch natürliche Katastrophe verursacht wurde. Der Fall des Oasenmannes zeigt deutlich, wie leicht ein armer Mensch durch die Enteignung seiner armseligen Habe in eine verzweifelte Lage getrieben werden kann. Daher scheint die Übersetzung des Wortes q#s mit „der Gefesselte“ sehr plausibel 1484 . Der „Gefesselte“ und der „Schiffbrüchige“ sind gleichsam die Opfer der Gewalttätigen, gegen die der Richter konsequent einschreiten muß 1485 . Um die Errettung des Ertrinkenden noch deutlicher zu schildern, beschreibt O#-r-w# seine rettende Handlung mit folgendem Vergleich: Db# n mH.w m#q.t n ntj <m> mD.t 1478 sm#(=j) t# m jwj qrs.n(=j) jwtj s#=f jr.n(=j) xn [n jwtj xn.t=f] , Edel, Hieroglyphische Inschrift, 77ff. 1479 Nfr-jw sagt auf der aus Qena stammenden Stele: rdj.n(.j) t n Hqr Hbsw n H#j jw D#j.n(.j) jwj m mxnt(.j) Ds(.j) jw dj.n(.j) X.t n rX n.j mj Xm n.j „(Ich) gab Brot dem, der hungrig war, Kleidung dem, der nackt war. (Ich) setzte den Schifflosen mit meinem eigenen Schiff über. (Ich) gab Sachen dem Bekannten wie dem Unbekannten.“ Hayes, Scepter, I, 140, fig. 82. 1480 Nach Müller-Wollermann werden die Boote bei der Übersetzung der Personen hauptsächlich dafür eingesetzt, in der Zeit der Überschwemmung die gefährdeten Menschen von einem Dorf in ein sicheres Dorf zu bringen, in: SAK 26, 233. Der Gaufürst onX.tj=fj sagt, daß er in der Zeit der Not wie ein Berg Schutz und Hilfe geleistet hat. Vandier, Mo c alla, I,b,4. 1481 Der Chamberlain Jn-jt.f sagt: I gave bread to the hungry, beer to the thirsty. I ferried one I found stranded. BM 562, HT II 24. 1482 Der König Ramses II. bezeichnet sich auf der Besan-Stele als den „Retter des Schiffbrüchigen ( Sd.w bg#.w )“, KRI II, 151, 5. Vom Kontext her ist es deutlich, daß die Aussage juristische Bedeutung hat. 1483 smr m#o n wHo q#s Sd.w bg#w , Kairo JE 36711, Gunn-Engelbach, in: BIFAO 30, 797, B. 5-6. Lichtheim (in: JNES 7, 177) vermutete, daß diese neuen Ausdrücke von O#-r-w# und #X-Jmn-jrw erfunden worden seien und sagte: „we may credit our two high stewards with some striving for unhackneyed expressions.“ Die Ursprünge der Ausdrücke scheinen weiter zurück zu liegen. Vgl. hierzu Kuentz, in: BIFAO 34, 140, 154, 159-160. 1484 „Who is bound“, a.a.O. S. 797. Auf der Statue Louvre A. 84 sagt O#-r-w# , daß er „die Fessel abgelöst hat, um den Angeschuldigten atmen zu lassen ( wHo q#s r snf nb sp )“, Gunn-Engelbach, a.a.O. S. 809, VI, D, 9. 1485 Vgl. die oben zitierte Stelle aus pChester Beatty IV, vs. 2, 1-2, in der der „Gefesselte“ mit snH bezeichnet wurde, den der Richter „befreien“ ( wHo ) sollte. Für die ähnlichen Aussagen aus der Dritten Zwischenzeit vgl. Jansen-Winkeln, Ägyptische Biographien, Teil 1, S. 228, Anm. 26 und Teil 2, S. 344. Jansen-Winkeln ist übrigens gegen die oben erwähnte Übersetzung von Gunn und Engelbach. <?page no="252"?> 4. Das Retten des Schiffbrüchigen 253 253 „ein Rettungsmittel für den Ertrinkenden, eine Leiter für den in der Tiefe“ 1486 . Das Wort Db# bezieht sich hier auf einen Gegenstand, der auf dem Wasser treibt ohne zu sinken 1487 . Er bezeichnet demnach im buchstäblichen Sinne die letzte Hoffnung dessen, der sich in Gefahr befindet. Wenn ein Ertrinkender nach jedem auf dem Wasser treibenden Gegenstand greift, liefert uns der Vergleich des Richters mit der Leiter ein anschauliches Bild, wie O#-r-w# den in die Tiefe des Wassers gefallenen Menschen rettet. Daß die Todesgefahr des Schiffbrüchigen und des Ertrinkenden eigentlich die Not des Schwachen und Armen umschreibt, die durch die Unterdrückung des Starken verursacht wird, zeigt uns eine Stelle in der Autobiographie des Wn-nfr , eines Propheten und Schreibers in der Ptolemäischen Zeit. Wn-nfr habe den Armen geholfen und gegen den Mächtigen gekämpft, das heißt als ein Bollwerk gewirkt. Die Gefahr, die von dem Starken verursacht wurde, wird mit der Überschwemmung verglichen, gegenüber der Wn-nfr wie ein Hügel und wie eine Fähre zur Rettung der Gefährdeten reagiert habe: jnk s#q jb m rnp.t qsn bnr ns jqr Dd jnk Xo(.t) nfr m ntj m g#w rhn=tw rs jm=s ... jnk nD m#r m-o wsr r jr mxn(.t) n bw nb Ich war einer, der sich im Jahr der Not beherrschte, einer mit süßer Zunge und trefflicher Rede. Ich war ein verläßlicher Hügel für den, der in Not war, auf den sich jedermann stützen konnte-… Ich schützte den Schwachen vor dem Starken, um eine Fähre für jedermann zu sein 1488 . Man sieht in diesem Abschnitt ebenfalls deutlich, daß die rettende Funktion des Hügels und der Fähre wenig mit der Überschwemmung, sondern eigentlich mit dem Fehlen des Lebensunterhalts zu tun hat, das durch die Gewalttaten des Starken verursacht wurde. cnnw , ein Haremsvorsteher ebenfalls aus der Ptolemäischen Zeit, drückt seine Funktion als Retter aus, indem er den Fluß als einen Ort der potentiellen Gefahr schildert: nojj.t 1486 Louvre A 84, Gunn-Engelbach, in: BIFAO 30, S. 804, VI, 9-10. Den gleichen Wortlaut finden wir auch auf der Hockerstatue des #X-Jmn-rw , Chicago, Oriental Institute Museum, Inv. Nr. 14284, Lichtheim, in: JNES 7, pl. XIII, I b. Ähnlich auch im Grab des P#-b#s# , TT 279 (unpubliziert), vgl. Heise, Erinnern und Gedenken, 35, Anm. 89. 1487 Vgl. Faulkner, CD, 321, „mat of leaves (? )“. In Urk. II, 61, 10 wird das Wort Db# tatsächlich durch das Pflanzenzeichen determiniert. 1488 Maspero, Sarcophages, Bd. 2, 46-47, 2-3; vgl. Otto, Biogr. Inschr. S. 194, Nr. 61. <?page no="253"?> 254 Kapitel VII - Der Richter als Retter 254 n oq# Db# n mH.w oD ntt nD tm T#w njs n=f m#r m sXw 1489 „Ein Haltepflock für den Kenternden, ein Rettungsmittel für den Ertrinkenden, eine Spule 1490 , die den rettet, der in Atemnot ist, einer, den der Notleidende ruft.“ 5. Das Retten des Furchtsamen Oben war von der Rettungsaktion des Richters für die Schwachen die Rede, die von den Starken zur Verzweiflung getrieben wurden. Ab dem Mittleren Reich finden wir Aussagen, in denen die Behandlung des Furchtsamen thematisiert wird 1491 . Der Furchtsame mag genau wie die Witwen und Waisen schwach gewesen sein oder die Witwen und die Waisen kommen unter die Kategorie der Furchtsamen. Daß der Furchtsame ungerecht beschuldigt wird und daher die Hilfe des Richtenden erhalten soll, ist in den Admonitions klar festgestellt. Dem Gott wird in dem Text vorgeworfen, daß er keinen Unterschied zwischen dem Furchtsamen ( snD.w ) und dem Gewalttätigen ( sXm-jb ) gemacht habe 1492 . Der Schöpfergott wird damit zweifacher Schuld bezichtigt. Erstens sollte der Gott alle Menschen gleich geschaffen haben, so daß es unter den „Schafen“ keine „Wölfe“ gäbe und damit keine Unterdrückung unter den Menschen. Zweitens muß der Herrscher als Hirte seiner Herde, solange dieser ideale Zustand nicht eingetreten ist, Maßnahmen ergreifen, damit auch der Furchtsame eine Lebenschance bekommt. Wenn sogar dies nicht garantiert werden kann, sollte er die Menschen überhaupt nicht erschaffen. Gleichzeitig mit diesen literarischen Auseinandersetzungen mit der Krise der Ersten Zwischenzeit vermehren sich in den autobiographischen Inschriften des Mittleren Reiches die Aussagen, in denen das Thema der Furchtsamen behandelt wird 1493 . Jmn-m-H#t , ein Vorsteher des Viehs aus der 12. Dynastie, sagt in seiner Autobiographie, daß er einen Mann vor schlechter (? ) Rede gerettet und sich für ihn eingesetzt habe 1494 . Bei diesem Be- 1489 Urk. II, 61, 9-12. 1490 Ich bin mir nicht sicher, ob in oD das Wort monD.t als „das Schiff der Sonne am Morgen und Tage, (Wb I, 48, 2)“ zu verstehen ist. 1491 In seiner ersten Rede schildert der Oasenmann das Gericht des Rnsj als den See der Gerechtigkeit (B1, 85ff). In dieser idealen Rahmenbedingung wird Rnsj bei seiner Schifffahrt keine Schwierigkeiten haben, denn es gibt kein Übel des Wassers ( Dw.t nt jtrw ) und auch kein Gesicht des Furchtsamen ( Hr snD ). Meiner Meinung nach verbirgt sich hier eine Anspielung auf Nmtj-nXt und den beraubten Oasenmann. Die Vorbedingung dafür, daß es keinen Furchtsamen geben würde, hängt davon ab, ob Rnsj nach dem Prinzip der Gerechtigkeit handelt. Parkinson interpretiert das „Gesicht“ als das des Krokodils. 1492 Admonitions, 11, 13.Parkinson, The Tale of Sinuhe, 185. 1493 In den Liedern an Sesostris III aus Kahun wird der König wie folgt gepriesen: „Eine Zufluchtstätte ist er, die den Furchtsamen vor seinem Feinde rettet ( nh.t pw nHm.t snD.w m-o Xrwj=f ).“ Sethe, Lesestücke, 67, 7-8. 1494 nHm(=j) s r r# Dw (? ) mdw=j Hr s m Xmt=f „(Ich) rettete einen Mann vor der schlechten Rede (? ). Ich sprach für ihn, während er es nicht wußte.“ Hannover 11, 6; Cramer, in: ZÄS 72, Taf. IV. Vgl. Wb II 296, 18 und Belegstelle S. 432-433: nHm r mdt bjnt nb. Vgl. auch die Lehre des Amenemo- <?page no="254"?> 5. Das Retten des Furchtsamen 255 255 leg ist es offenkundig, daß der betreffende Mann mit einer ungerechten Anklage belastet war. Der Furchtsame, den der Richter vor seinem Ankläger retten soll, wird durch die ungerechte Anklage geängstigt. Der Gaufürst Jmnjj , den wir schon oben erwähnt haben, beschreibt sein Verhalten gegenüber dem Furchtsamen folgendermaßen: „Einer, der fürsorglich war zu allen Leuten, der es dem Furchtsamen wohlergehen ließ ( #ms-jb n rmT nb swD# snD ).“ 1495 Obwohl hier vom Gewalttätigen nicht die Rede ist, bringt das Wort swD# zum Ausdruck, daß dem Furchtsamen erst durch die Intervention des richtenden Beamten ein sicherer Lebensraum verschafft wurde. Der Bürgermeister von This Jntf aus der 18. Dynastie bringt den Furchtsamen mit denjenigen zusammen, die entweder wegen physischer Schwäche oder finanzieller Not der Hilfe des richtenden Beamten bedürfen, da sie aus eben diesem Grund durch die Gewalttätigen unterdrückt werden: mr m#r jt nmH[.w] [sSm] tfn mw.t snD.w jbw n #d.w mktj mn nD n #r.w Hr X.wt=f jn wsr r=f hj n X#r.t nh.t n tfn [s.t Htp n rmj] Beistand des Schwachen, Vater des Armen, [Führer] des Waisenkindes, Mutter des Furchtsamen, Zuflucht des Bedrängten, Schützer des Elenden, Retter dessen, der von seinem Besitz verdrängt wurde durch einen, der stärker ist als er, Gatte der Witwe, Bollwerk des Waisenkindes, [Ruheplatz] des Weinenden 1496 . Daß der Furchtsame zusammen mit dem Bedrängten ( #d.w ), dem Elenden ( mn ), dem Verdrängten ( #r.w ), der Witwe ( X#r.t ), dem Waisenkind ( tfn ) und dem Weinenden ( rmj.w ) deutlich ein Opfer von Gewalt und Ungerechtigkeit darstellt, wird auch in der Autobiographie des Wesirs RX-mj-Ro ersichtlich, der einen Unterschied zwischen dem Bittsteller und dem Furchtsamen macht und klarstellt, daß dem Furchtsamen ein Gewalttätiger ( sXm jb ) gegenüber steht: n qnd=j [m sprw] n gfn=j sw wXd.n=j sw m #.t=f nt pr.t-jb jw nHm.n=j snDw m-o sXm [jb] pe, Prolog A I, 11, wo gesagt wird, daß die Lehre einen Menschen aus dem Mund der Leute retten kann. Hier mahnt Amenemope seinen Sohn, den Empfehlungen der Lehre nachzueifern und von der Kritik der Mitmenschen verschont zu bleiben. Die Idee, daß der redende Mund einen Menschen zerstören kann, ist auch in anderen Textgattungen bekannt. 1495 Urk. VII, 17, 19. 1496 Urk. IV, 972, 4. <?page no="255"?> 256 Kapitel VII - Der Richter als Retter 256 Ich war nicht wütend gegenüber einem, der [als Bittsteller] (kam? ). Ich habe ihn nicht abgewiesen, sondern ihn geduldet in seinem Moment der Herzensausschüttung. Ich habe den Furchtsamen aus der Hand des Gewalttätigen gerettet 1497 . Der Bittsteller verlangt vor allem, wie die in Kapitel V behandelten Stellen aus der Lehre des Ptahhotep und der Amtseinsetzung des Wesirs zeigen, ein geduldiges Anhören durch den Richter, während der Furchtsame eine viel entschiedeneres Eingreifen des Richters beansprucht. Daß im Fall des Furchtsamen seine Unfähigkeit unterstrichen wird, sich gerichtlich gegen den böswilligen Ankläger zu wehren, sieht man viel deutlicher in den Belegen aus den Perioden nach dem Neuen Reich. Über den Furchtsamen sagt O#-r-w# , der Domänenvorsteher der Gottesgemahlin Amenirdis: j#m jb n wr r ( für n ? ) nDs rdj{t} Hr=f n snD sp=f Xpr mtr.w=f oHo mdw (Ich war) freundlich zum Großen und zum(? ) Kleinen, einer der das Gesicht dem Furchtsamen zuwendete, wenn sein Fall vorkam, indem seine Zeugen auftraten und vortrugen 1498 . Or-r-w# schildert uns eine Szene der gerichtlichen Auseinandersetzung. Der Furchtsame und sein Kläger stehen sich gegenüber. Einer steht sprachlos da vor Angst, während der andere eine Klage erhebt 1499 . Der königliche Urkundenschreiber P#-dj-Jmn-m-jp.t aus der späten 25. Dynastie sagt direkt, daß er den Furchtsamen gerettet habe, als ihm die ungerechte Anschuldigung widerfuhr 1500 . Jbj , der Domänenvorsteher der Gottesgemahlin aus der 26. Dynastie verwendet eine ähnliche Formulierung wie Or-r-w# aber macht die Angabe noch detaillierter: 1497 Urk. IV, 1082, 15-17. Gardiner (a.a.O.) äußerte die Vermutung, daß der erste Satz zu n qnd=j r jw m spr.w oder n qnd=j r ntj m sprw ergänzt werden könnte. 1498 Statuen Louvre A. 84 und Berlin 8163, Gunn-Engelbach, in: BIFAO 30, S. 807, D, VI, 2 und D, VII, 2. 1499 In den von Wb II 172, 5ff. gegebenen Bedeutungen wird das Wort mtrw nur als „Zeuge“ benutzt. Es kann nicht eindeutig entschieden werden, ob der Ankläger und der Zeuge identisch sind. Wenn der Zeuge auch nicht der Ankläger des Furchtsamen ist, handelt er sicherlich gegen den Furchtsamen. Lichtheim interpretiert auch in dieser Richtung. Sie übersetzt die Stelle (AEL, III, 27): Well disposed to great and small; who gives advice to the timid in trouble, when his witness stand up to accuse. 1500 nHm snD sp=f Xpr mtr=f oHo „der den Furchtsamen rettete, als sein Unglücksfall geschah, indem sein Zeuge auftrat“, Louvre A 92, Loukianoff, in: ASAE 37, 227-228, pl. V. <?page no="256"?> 5. Das Retten des Furchtsamen 257 257 jw rdj.n(=j) Hr(=j) n snD.w sp=f Xpr mtr=f oHo m r# mdw n Xsf=j n s m nf (Ich) habe (mein) Gesicht dem Furchtsamen zugewendet, wenn sein Fall vorkam, indem sein Zeuge mit redendem Mund auftrat. Ich habe einen Menschen nicht ungerecht bestraft 1501 . Jbj beschreibt den klagenden Zeugen mit oHo m r# mdw und seine eigene Handlung mit n Xsf=j n s m nf . Ich nehme an, daß der zweite Satz sich direkt auf den vorigen bezieht. Jbj habe nämlich die Worte des redegewandten Klägers nicht geglaubt, wenn die Worte auch sehr überzeugend gewirkt habenn mögen 1502 . Er bestraft den ungerecht Beschuldigten nicht, wie dies der Kläger gehofft hatte 1503 . Die Redegewandtheit der Zeugen hat hier durchaus einen negativen Sinn 1504 . Pf-nf-dj-Nt , ein Schatzmeister aus der 26. Dynastie, bezeichnet sich als einen, „der ruhigen Herzens war, der den Mund bewegt, wenn ein Fall entstanden war“ 1505 . Hier bietet Pf-nf-dj-Nt uns einen weiteren Hinweis, wie der Furchtsame gerettet wurde. Er habe sich für den Furchtsamen ausgesprochen und die ungerechte Beschuldigung zurückgewiesen. Der Hohepriester der Göttin Neith WD#-Hr-rs-N.t berichtet in seiner Autobiographie, daß er während der persischen Eroberung die Leute seiner Stadt aus dem großen Unglück gerettet habe 1506 . Dieses große Unglück umschreibt ohne Zweifel die Eroberung durch die Perser. Für unsere Betrachtung wichtig ist die Tatsache, daß WD#-Hr-rs-N.t anschließend 1501 Schenkel-Kuhlmann, Das Grab des Ibi, Taf. 24, Z. 6-7. Vgl. auch Kuentz, in: BIFAO 34, 161. Ein Priester der Hathor namens Ed-Hr aus der Spätzeit sagt einfach, daß er den Furchtsamen rettete, als sein Fall vorkam ( nHm snD sp=f Xpr.w ), Bayonne 498, Meulenaere, in: BIFAO 61, 33. 1502 Jrt-Hr-o# , ein Scheunenvorsteher unter Psametich II., berichtet auf einer Statue über seine Wohltaten für seine Mitmenschen. Eine der nützlichen Taten, die seinen Namen im Mund der Lebenden erhalten lassen würden, sei seine Handlung, „einen Mann nicht bestraft zu haben, als sein (Unglücks)Fall vorkam“ ( tm Xsf {.n}s sp=f Xpr(.w) ), Statue Musee de Boulaq, Piehl, in: ZÄS 25, 120 b, 4. Hier scheint der Statueninhaber denselben Gedanken ausdrücken zu wollen: er hat den Beschuldigten nicht bloß nach der Anklage bestraft. Böse Verleumdung und unbegründete Anschuldigungen sind aus den zeitlich früheren Gerichtsprotokollen aus Deir el-Medina mehrfach belegt, vgl. oNash 2, Černý/ Gardiner, Hier. Ostr. pl. 47, 1; oCairo 72465, Allam, Hieratische Ostraka und Papyri aus der Ramessidenzeit, Tafelteil, 33. 1503 Direkt vor der hier zitierten Stelle redet Jbj von seiner Fürsorge für die Witwe. Der Furchtsame stellt parallel zu der Witwe denjenigen dar, der im Streitfall außer des Richters keine Hilfer mehr hat. Der sogenannte Zeuge kann keinesfalls für den Furchtsamen sprechen. 1504 In Neferti, X h, wird gesagt, daß man widerwillig etwas ausgibt, nur um den Mund eines Redenden ( r# mdw ) zum Schweigen zu bringen; Helck, Neferti, S. 41. Hier scheint die Betonung auf die Feindseligkeit unter den Menschen gelegt zu sein, die eine zwischenmenschliche Kommunikation nicht duldet. Zu dieser Stelle vgl. auch Posener, Littérature et Politique, 153. 1505 Piehl, in: ZÄS 31, 88. 1506 jnk s nfr m njw.t=f nHm=j rmT=s m nSnj o# „Ich war ein guter Mensch seiner Stadt. Ich rettete ihre Bürger vor dem großen Unheil.“ Statue Vatikan 1370, Tulli, in: Miscellanea Gregoriana, 255. <?page no="257"?> 258 Kapitel VII - Der Richter als Retter 258 sagt: nD=j m#r m-o wsr nHm.n(=j) snD sp=f Xpr „Ich schützte den Schwachen vor dem Starken. Ich rettete den Furchtsamen, wenn sein Fall vorkam.“ 1507 In diesem Fall ist zu vermuten, daß der in den Autobiographien meistens anonym bleibende Unterdrückte oder Verfolger je nach dem Kontext, d.h. in diesem Fall mit der persischen Besatzungsmacht identifiziert werden muß. Der Furchtsame ist deshalb der Rettung des Richtenden bedürftig, weil „sein Fall“ ( sp=f ) geschehen war. Das Wort sp bezeichnet eine „Angelegenheit“ oder einen „Fall“ 1508 . Das Wort kann in Verbindung mit verschiedenen anderen Worten sowohl das Gute als auch das Böse zum Ausdruck bringen 1509 . Daß man bei der Interpretation dieses Wortes stets zwischen dem „Täter“ und dem „Opfer“ unterscheiden sollte, zeigen zwei Stellen aus viel früheren Perioden. Ein Domänenvorsteher namens Opj aus der 6. Dynastie sagt, daß „(er) sich gegen einen (ungerechten) Fall aussprach, sobald er entstand ( mdw r sp Xpr.w )“ 1510 . Der Gaufürst Jmnjj unter der Regierungszeit des Sesostris I. bezeichnet sich als einen, der (gegenüber einem Menschen) „Milde zu zeigen verstand, wenn dessen Fall vorkam ( rX sfn n jj.w sp=f )“ 1511 . Es liegen hier zwei Handlungsweisen vor. Während Opj hart gegen einen Vorfall vorging, übte Jmnjj Nachsicht, da es sich bei einem Fall um den Täter und bei dem anderen Fall um das Opfer handelt. Das heißt, einer hat das Unrecht verursacht, während der andere vom dem Unrecht betroffen wurde. Dementsprechend sind die Reaktionen der richtenden Beamten unterschiedlich 1512 . Gleiches kann man bei der unten zu behandelnden phrase nb sp beobachten. Mit der Phrase nb sp (wörtlich, Herr des Falls) ist das Opfer einer falschen Anschuldigung gemeint, während der Täter nicht angegeben wird, da der ägyptische Beamte hier seine rettende Handlung betonen wollte. Auf seiner Statue Berlin 8163 macht O#-r-w# folgende Aussage: 1507 a.a.O. S. 256. 1508 Wb III, 435f. 1509 In der „Lehre eines Mannes an seinen Sohn“ treffen wir die Wendung sp Hwr „ein schlimmer Fall“, Helck, Lehre eines Mannes, IX, 3-4. In dem Haremheb-Dekret (Urk. IV, 2157, 8) prangert der König die im Land herrschenden Mißstände an und erläßt als Gegenmaßnahme neue Gesetze, „um nicht zuzulassen, daß ein weiterer [Fall von Ungerechtigkeit] ([ sp n oD# ]) geschieht.“ Jnj-Hrt-ms , der schon mehrfach erwähnte Hohepriester des Schu in This aus der 19. Dynastie, sagt: „Ich war einer, der über einen Fall von Unrecht weinte.“ jnk rmj Hr sp n D#j(.t) , Ockinga, Two Ramesside Tombs, Taf. 27 Z. 43. 1510 Borchardt, Denkmäler des Alten Reiches, Teil I, 72. Borchardt datiert das Stück in die 6. Dynastie. Aber gleichzeitig weist er darauf hin, daß das Stück Merkmale des Mittleren Reiches enthält. Die Phrase mdw r fasse ich als „sprechen gegen“. Die Bedeutung „sich einsetzen für“ wird mit mdw Hr ausgedrückt, vgl. PT 595c-596c. 1511 Urk. VII, 18, 1 und 19, 5. 1512 Vgl. hrj-jb wdj r# sp Xpr(.w) „ruhigen Sinnes, der spricht, wenn ein (Unglücks)Fall vorkommt“, Statue des P#j=f-T#.w-m-o.wj-N.t , BM 83, C, 1; Bakry, in: Or Ant 9, 329; hr jb mdw r sp Xpr jnk dr bxbx r tm=f md.t „ruhigen Sinnes, der gegen den geschehenen (Unglücks)Fall sprach, ich war einer, der den Frevel zurückwies, so daß er nicht mehr sprach“, Bietak, Das Grab (TT 414) des onX-Or, Text II. 28, Abb. 52; tm Xsf n s sp=f Xpr „der einen Mann nicht bestrafte, als sein (Unglücks)Fall geschah“ CG 38236, Jansen-Winkeln, in: MDAIK 52, 194, C, 5. <?page no="258"?> 5. Das Retten des Furchtsamen 259 259 jbw n jnd Db# n mHw m#q.t n ntj <m> mDw.t mdw{t} Hr m#r snf nb sp Ts{t} d#r m sp=f jqr Eine Zufluchtsstätte für den Betrübten, ein Rettungsmittel für den Ertrinkenden, eine Leiter für den in der Tiefe, einer, der für den Elenden spricht, einer, der dem Angeschuldigten Atem gibt, der den Bedrängen durch seine treffliche Art aufrichtet 1513 . Der Beschuldigte, „der Herr des Unglücksfalls“ ( nb sp ), ist genau wie der Furchtsame auf die Hilfe des Richters angewiesen, da er sich zu rechtfertigen nicht imstande war, obwohl er Recht hat. Der Richtende mußte ihn unterstützen, damit er atmen konnte. Interessant ist, daß O#-r-w# ebenfalls mit dem Wort sp seine Antwort bezeichnet. Hier ist die Gewalt des Richters gegen den Kläger zu erkennen. Auf einer anderen Statue sagt O#-r-w# : n mdw.n(=j) kjj r gs=sn n sk.n=j nb sp sb#.n wj jb=j r hr (Ich) habe nicht einen anderen bei ihnen (dem König und der Gottesgemahlin) verleumdet und ich habe nicht ‚den Herrn des Unglücksfalls‘ zugrunde gerichtet. Mein Herz hat mich gelehrt, Nachsicht auszuüben 1514 . Bei der Interpretation der Aussage, daß O#-r-w# den nb sp nicht zugrunde gerichtet habe, kann man sich auf die oben zitierte Stelle aus der Autobiographie des Jbj beziehen, in der dieser sagt, daß er dem Furchtsamen sein Gesicht zugewendet habe, wenn dessen Fall vorkam und einen Menschen nicht ungerecht bestraft habe. Während der Furchtsame das Opfer eines Falls darstellt, bezeichnet die Phrase nb sp eine durch eine falsche Anklage geschädigte Person. Die Übersetzung „a doer of (good) deeds“, wie Gunn und Engelbach an- 1513 Gunn-Engelbach, in: BIFAO 30, 804, B, 8-10. 1514 Kairo JE 36711, Gunn- Engelbach, in: BIFAO 30, S. 796, A, 11-12. Zu dem Wort sk(j) „den Armen zu Grunde richten“ s. Wb IV 313, 2. Jbj sagt zu seiner maathaften Lebensführung: n sDm sp=j n Xpr sk=j nb n srX=j n gm.tw wn=j „Nicht wurde ein Unrecht von mir gehört. Es gab keine Beschwerde über mich. Ich wurde nicht beschuldigt. Kein Fehler wurde bei mir gefunden.“ Kuhlmann-Schenkel, Das Grab des Ibi, Tf. 24, Z. 7-8. <?page no="259"?> 260 Kapitel VII - Der Richter als Retter 260 geben haben 1515 , oder „irgendeiner, der Unrecht tat(? )“, wie Heise zögernd vorschlägt 1516 , scheint nicht zufriedenstellend. Gegen die Übersetzung von Gunn und Engelbach spricht die Tatsache, daß O#-r-w# hier über seine rettende Handlung redet. An einer anderen Stelle sagt O#-r-w# , daß er sich eingeschaltet habe, „um die Fessel zu lösen und den Beschuldigten atmen zu lassen“ 1517 . Es wäre schwer verständlich, warum einem Mann, der Gutes tut, Atem fehlt. Gegen die Wiedergabe der Phrase nb sp mit „irgendeiner, der Unrecht tut“ finden wir einen aussagekräftigen Beleg auf einer anderen Statue des O#-r-w# , wo er die folgenden Worte über den Angeschuldigten sagt: jnk smr m#o n wHo q#s r# n g#w Hr wn-m#o=f jw sp=f Xpr(.w) „Ich war ein wahrhaftiger Freund, der Schwierigkeiten löste, ein Mund für den, der Not leidet mangels der Gerechtigkeit, wenn sein Fall vorkam.“ 1518 Dem Abschnitt ist zu entnehmen, daß O#-r-w# sich für den Elenden eingesetzt und den zu Unrecht Beschuldigten verteidigt hat 1519 . Über seine Handlungsweise gegenüber demjenigen, der Verbrechen begangen hatte, sagte O#-r-w# eindeutig n Sd(=j) bt# „(Ich) habe den Verbrecher nicht gerettet.“ 1520 Zwischen demjenigen, den der Richter strafen und demjenigen, den der Richter retten soll, wurde eine klare Linie gezogen. 1515 Gunn-Engelbach, in: BIFAO 30, S. 796. 1516 Heise, Erinnern und Gedenken, 24. Frood ist bei der neuen Bearbeitung der biographischen Texte der Ramessidenzeit (Biographical Texts from Ramessid Egypt) an der alten Fassung hängengeblieben, z.B. auf Seite 96 „who saved the fearful from his wrong“. Der Kern der Thematik, daß der Furchtsame unschuldig war, wird nicht erkannt. 1517 Gunn-Engelbach, a.a.O. S. 809, D, VI, 8-9 und VII, 9-10. 1518 Statue BM 55306, Gunn-Engelbach, a.a.O. S. 811, B, 3-4. 1519 Die Wendung heißt „ein Mund für den Notleidenden oder ein Mund des Notleidenden“ aber nicht wie Heise (a.a.O., 49) übersetzte „der die Schwierigkeiten löst eines Mundes, der Not hat“. 1520 Kairo JE 36711, Gunn-Engelbach, a.a.O. S. 796, A, 9. Eine sehr interessante Formulierung in diesem Zusammenhang findet man im dem pHarris I (78, 13-79, 1), die zwar zeitlich viel älter, aber inhaltlich aufschlußreich sein könnte. An der betreffenden Stelle sagt der König Ramses III.: Sdj=j s m bt#=f dj=j n=f T#w nHm=j sw m nXt wdn.w r=f . Mir scheint, daß es sich bei demjenigen, der aus bt# und aus der Hand des nXt gerettet wurde um dieselbe Person handelt. Wenn dies richtig ist, stellt sich die Frage, auf wen sich das Wort bt# „Sünde“ bezieht. <?page no="260"?> 261 Kapitel VIII Der Richter als Ordnungshüter 1. Wissen, Erkennen, Durchschauen 1521 Bisher haben wir das Amt eines Richters im alten Ägypten hinsichtlich der Beziehung zum König und der richterlichen Funktionen als Hörer, Schlichter und Retter erörtert. Unter diesen Gesichtspunkten ist es Aufgabe des Richters, auf den König zu hören, die Bittsteller aufmerksam anzuhören, zwischen den streitenden Brüdern oder Konfliktparteien zu schlichten und ein rettendes Urteil zugunsten der in Gefahr befindenden Hilfsbedürftigen zu fällen. Die Handlungsweisen des Richters in diesen Bereichen werden je nach den Umständen und den betreffenden Personengruppen unterschiedlich festgelegt. Zwei Elemente sind für den ägyptischen Richter besonders relevant. Erstens gab es im alten Ägypten, wie schon mehrmals erwähnt, kein kodifiziertes Gesetzbuch. Zweitens beschränkt sich, da der ägyptische Richter seine richterliche Tätigkeit neben seinen Verwaltungsaufgaben ausübt, seine Handlung nicht auf das Gericht. Es ist zudem keine deutliche Linie zwischen der Verwaltung und der Jurisdiktion zu ziehen. Aus diesen zwei Gründen ist es für den richtenden Beamten von höchstem Belang, nicht nur die verschiedenen Prozessierenden, sondern die Menschen allgemein erkennen und durchschauen zu können. Schon in seinen Verwaltungs- und Versorgungstätigkeiten und sogar in seiner Freizeit soll der Beamte, der gegebenenfalls als Richter auftreten muß, die Mitmenschen kennenlernen und sich über ihre Hintergründe informieren, so daß er verschiedene Angelegenheiten mit unterschiedlichen Vorgehensweisen lösen kann. Die Verfügung über ein umfassendes Wissen und die damit verbundene Fähigkeit, Menschen zu durchschauen wird zuerst und vor allem dem König und den Göttern zugeschrieben 1522 . In der Loyalistischen Lehre wird der König gepriesen, daß er jedes Herz und jeden Körper untersucht und erkennt: sj# pw jmj H#tj.w jw jr.tj=fj Dor=sn x.t nb.t Er erkennt das, was in den Herzen ist. Seine Augen durchschauen jeden Leib 1523 . 1521 Für die Gliederung dieses Aspekts als ein gesondertes Thema bin ich Herrn Assmann zu Dank verpflichtet. 1522 Urk. I, 39, 15; vgl. Assmann (1969), 144-145. 1523 Posener, L’Enseignement, 62-63; über der Begriff sj# vgl. die von Assmann (1969), 145, Anm. 27 gegebene Literatur. Dazu vgl. noch Urk. IV, 1691, 20: Dor x.t ; 1724,8: Dor x.t rX jmj.t jb . <?page no="261"?> 262 Kapitel VIII - Der Richter als Ordnungshüter 262 Posener bezeichnete diese Eigenschaft und Fähigkeit des Königs als „omniscience qui lui permet de sonder les cœurs“ 1524 . In den medizinischen Texten hat das Verbum Dor u.a. die Bedeutung „abtasten von Wunden und Leib“ 1525 . Nach Fischer-Elfert bezeichnet die Wendung wdj ow Hr „die Hand legen auf“ die Handlung des Arztes 1526 . Es ist daher sehr aufschlußreich, daß ein ursprünglich eine manuelle Handlung bezeichnendes Wort hier angewedet wird, um die erkennende Kraft des Herrschers zu unterstreichen. Erst aufgrund dieser Kenntnisse kann ein König seine Untertanen unterschiedlich und daher richtig behandeln. Die Notwendigkeit dieser Fähigkeit und den Wunsch nach solchem Wissen kann man in der Lehre des Amenemhet spüren. Der König Amenemhet behauptet: „Ich habe Löwen gebändigt und Krokodile gefangen. Ich habe die Leute von Wawat bezwungen und die Madjoi erbeutet. Ich habe die Asiaten den Hundegang tun lassen.“ 1527 Zu diesen Leistungen ist hauptsächlich Kraft und Tapferkeit erforderlich, da die Löwen, Krokodile, Nubier und Asiaten hier die offenen Feinde Ägyptens symbolisieren, gegen die man mit aller Härte vorgehen soll. Aber die versteckten oder verkleideten Feinde sind gefährlicher und schwer zu bekämpfen. Derselbe König mußte daher eingestehen: „Sieh, der Mord geschah, als ich ohne dich war, bevor der Hof gehört hatte, daß ich dir (die Herrschaft) übergeben wollte, bevor ich mit dir zusammen (auf dem Thron) gesessen hatte; hätte ich doch deine Angelegenheit (vorher) geregelt! Aber ich war darauf (auf den Mord) nicht vorbereitet, hatte es nicht vorbedacht, mein Geist hatte die Unzuverlässigkeit der Diener nicht vorhergesehen.“ 1528 Nach der altägyptischen Herrschaftsideologie sind die Untertanen die Herde des Königs 1529 , aber es ist nicht auszuschließen, daß sich in der Herde ein rebellisches Tier befindet, was unten im Beispiel des Wesirs RX-mj-Ro näher zur Sprache kommen wird. Daher muß man den Böswilligen so früh wie möglich erkennen, bevor es zu Aufruhr kommt. Was die erkennende Kraft des Thutmosis III. anbelangt, sagt RX-mj-Ro folgendermaßen: nn md.t tm.t.n=f orq s<j> , „Es hat keine Angelegenheit gegeben, in der er sich nicht auskannte.“ 1530 Gerade in dieser Hinsicht betont der Wesir P#-sr , daß sein König „erkennt, was in den Herzen ist, das Innere unterscheidet und weiß, was darin ist ( sj# jmj.w H#tj.w wDo x.wt rX jmj.t=s ).“ 1531 1524 Posener, L’Enseignement, 122. 1525 Wb mediz. Texte, II, 998f. Fischer-Elfert, Lehre eines Mannes 336. 1526 Fischer-Elfert, Lehre eines Mannes, 336. 1527 Helck, Der Text der Lehre Amenemhets I. für seinen Sohn, XIIa-c; Übersetzung nach Brunner, Weisheitsbücher, 176. 1528 Helck, a.a.O., VIIIa-e; Brunner, a.a.O., 175. 1529 In der eben erwähnten loyalistischen Lehre wird gesagt, daß die Gefolgsleute eines Machthaber dessen Herde sind. Vgl. Brunner, a.a.O., 184. 1530 Urk. IV, 1074, 5. 1531 KRI, I, 299, 3-4. <?page no="262"?> 1. Wissen, Erkennen, Durchschauen 263 263 Der König im Neuen Reich wird oft mit Thot 1532 , dem Gott der Weisheit, verglichen. Thutmosis III. wird von seinem Wesir wie folgt gepriesen: jst Hm=f rX Xpr.wt nn wn Xm.t.n=f r-sj EHwtj pw m X.t nb nn md.t tm.t.n=f orq=s Seine Majestät kennt das Geschehene. Es gibt überhaupt nichts, was er nicht kennt. Der Gott Thot ist er in allen Aspekten. Es gibt keine Angelegenheit, über die er nicht volle Kenntnis hat 1533 . Gerade diese umfassende Kenntnis über die Menschen verwendet der Gott Thot bei seinen richterlichen Entscheidungen: EHwtj nb md.wt nTr sS Ss# n psD.t tm jT-jn m sp=f T#tj wpp m#o.t n(n) jrr m Xmt=f m nTr.w rmT Thot, der Herr der Gottesworte (Hieroglyphen), erfahrener Schreiber der Neunheit, der nicht wankt in seiner Handlung, der Wesir, der die Wahrheit aufdeckt, der alles weiß, was unter den Göttern und Menschen getan wird 1534 . Mit diesem göttergleichen Wissen ist der König imstande, seine Untertanen genau zu überwachen und die entsprechende Maßnahmen zu unternehmen. Über den König Amenophis III. wird gesagt: Dor x.t rX jmj-jb jn.n b#(.w)<=f> Dw qd „Der den Leib durchforscht und weiß, was im Herzen ist, dessen Macht den überwältigt, der mit schlechtem Charakter ist“ 1535 . 1532 RX-mj-Ro beschreibt die Allwissenheit seines Königs dadurch, indem er sagt, daß der König „in der Art der Göttin der Schreib- und Rechenkunst ( mj sXr.w n Hm.t cS#.t )“ über Wissen verfügt. Gardiner, ZÄS 60, 66, d. 1533 Gardiner, in: ZÄS 60, 66, d; vgl. auch Urk. IV, 2091, 19-20, wo von Thot gesagt wird: rX s r tp-r#=f soHo sp r jr s „der jeden kennt gemäß seines Ausspruchs, der den Fall dessen verfolgt, der ihn verursacht“. 1534 KRI I, 387, 10-11. Das bekannteste Beispiel ist ohne Zweifel die Beschreibung des Ramses II.: „Hu ist (in) dein(em) Mund, Sia ist (in) dein(em) Herz; deine Zunge ist ein Schrein der Maat, auf deinen Lippen sitzt ein Gott.“ Assmann, ÄHG, 494. 1535 Urk. IV, 1724, 8-9. <?page no="263"?> 264 Kapitel VIII - Der Richter als Ordnungshüter 264 Genau diese göttliche und königliche Fähigkeit soll auch der richtende Beamte besitzen, um die Menschen zur Zufriedenheit des Königs, der Götter und der Menschen zu richten 1536 . Er soll unter den verschiedenen Prozessierenden genau unterscheiden. Dem falschen Bittsteller soll keine Aufmerksamkeit geschenkt werden und die Lügner und die Friedensstörer sollen rechtzeitig ohne jegliche Verzögerung abgewiesen werden. Die absichtliche oder durch Ignoranz verursachte unabsichtliche Milde gegenüber den Übeltätern bedeutet nichts anderes als die Opfer des Unrechts zu benachteiligen. Der Oasenmann mahnt Rnsj eindeutig, nicht alle Leute ohne jegliche Unterschiede zu hören ( m sDm(.w) n bw nb ) 1537 . In seiner 8. Rede wirft der Oasenmann Rnsj vor, daß dieser aufgrund seiner Habgier das Herz des Bittstellers nicht verstehen kann: n sj#.n=k jb=j „Du erkennst mein Herz nicht.“ 1538 Diesen Vorwurf des Oasenmannes gegen Rnsj kann man vielleicht in zwei Richtungen interpretieren: Entweder will Rnsj das Recht und die Forderung des Oasenmannes überhaupt nicht zur Kenntnis nehmen, da er „eigenes Interesse“ daran hat, für Nmtj-nXt Partei zu ergreifen, oder er ist nicht fähig, den Wahrheitsgehalt einer Angelegenheit zu prüfen und zu verstehen. Für diese zweite Möglichkeit spricht die gerade erwähnte Warnung des Oasenmannes an Rnsj , nicht alle Prozessierenden gleich zu betrachten. Als eine der wichtigsten Qualifikationen zur Ausübung der richterlichen Funktion sagt König Haremheb, daß ein Richtender dazu fähig sein soll, die Menschen richtig einzuschätzen: [HHj.n=j sr.w] tm(.w) m r# nfr bjt rX.w wDo jmj x.t sDmjw md.t pr njsw.t hp.w nw orojj.t „[Ich suchte Beamte], die einen vollkommenen Mund und vorzüglichen Charakter haben, die zu richten imstande sind, was im Körper ist (=-die Gedanken), die auf die Worte des Königshauses und die Gesetze der Wache hören.“ 1539 Belege für die Behauptung richterlicher Allwissenheit der Beamten gibt es ab der Ersten Zwischenzeit. Der Gaufürst $tj behauptet in seiner Autobiographie: [wD]b.[n]=j s#(=j) [n] [m]r [grg] [n wDo(=j) jwtj] sp=f r [T#]s=f Ich wandte dem, der die Lüge liebte, meinen Rücken zu, und [richtete nicht] den Schuldlosen auf dessen [Aussage] hin 1540 . 1536 Im Totenbuch behauptet der Tote vor den Richtenden, daß er wie der Gott Thot verschiedene Rechtssachen angemessen entschieden hat. Vgl. Hornung, Das Totenbuch der Ägypter, 391. 1537 B2, 108. 1538 B1, 329. Meines Erachtens ist mit n sj#.n nicht die Unfähigkeit des Rnsj gemeint, die Angelegenheit zu verstehen, sondern seine mangelnde Empathie betont, die elende Situation des Oasenmannes überhaupt zur Kenntnis zu nehmen. 1539 Urk. IV, 2155, 16-18. 1540 Siut IV, 64-65, Griffith, Siut, pl. 14; Ergänzung und Übersetzung nach Edel, Grabfronten, 99. <?page no="264"?> 1. Wissen, Erkennen, Durchschauen 265 265 Diese Fähigkeit und Eigenschaft sind genau die, die der Oasenmann von Rnsj verlangt. Dieser soll die unrechtmäßige Behauptung des Nmtj-nXt durchschauen und dem Tatbestand, den der Oasenmann beschrieben hat, Glauben schenken. Die Beamten aus dem Mittleren Reich beschreiben in variierenden Formen die Fähigkeit, die $tj für sich behauptet hat. Auf einer seiner Stelen schildert der Domänenvorsteher Jntf ausführlich, wie er sich aufgrund seines allumfassenden Wissens in verschiedenen Situationen geschickt und angemessen verhalten habe. Zuerst bezeichnet er sich als einen, „der den Ausgang kennt und das Kommende bedenkt“ ( rX pr.wt Xmt jj.t ) 1541 . Er wagt es, in einer spannungsgeladenen Situation zu intervenieren: jnk mdw.w m s.t Dnd rX Ts n qnd.t Hr=s „Ich war einer, der an der Stelle der Wut spricht, da (ich) wußte, worüber man wütend sein würde.“ 1542 Aber das heißt nicht, daß er ohne feste Richtlinien den Streitenden nachgekommen wäre. Er ist einer, der sich in allen Verwaltungsbereichen auskennt: rX Dd.t m X# nb „einer, der weiß, was in jedem Büro zu sagen ist“ 1543 . Im Bereich der Rechtsprechung ist er imstande, „sofort zu erkennen, wenn eine Lüge gesagt wird ( rX pxr m swn Dd.t )“ 1544 . Daraus kommen seine unterschiedlichen Handlungsweisen gegen den Gerechten und den Ungerechten: jnk sDm.w sDm=j m#o.t sw#w# jsst Hr jb „Ich war ein Hörender. Ich hörte die Wahrheit und überging diejenigen, die grundlose Aussagen machen (? ).“ 1545 Auf einer anderen Stele drückt Jntf die gleiche Idee wie folgt aus: „(Ich war einer,) der die Aussprüche derer beachtet, die ihren Mund kennen (=wissen, was sie zu sagen haben).“ 1546 Die Lüge, die Verleumdung und die falschen Anschuldigungen fallen alle unter die Kategorie, die der Richter nicht beachten soll 1547 . Die Personen, die solche Aussagen machen, verstehen selbst nicht, was sie geredet haben 1548 . Diejenigen, die einen rechtmäßigen Anspruch vorzubringen haben, wissen genau, was sie reden und was sie verlangen. Der Vorsteher von Oberägypten namens Jmn-wsr behauptet auf einem Stelenfragment, daß er eine Klage erst dann übermittelt, nachdem er sie genau erkannt habe ( sor md.wt orq.n=f s<j> ) 1549 . Der Wesir MnTw-Htp verbindet ebenfalls seine richtige Behandlung der Prozessierenden mit seiner Fähigkeit, die Menschen zu durchschauen: gmj md.t nb oH rX jmj x.t nb.t dd s r wn=f m#o „der die Worte des Herrn des Palastes findet, der kennt, was in jedem Körper ist (die Gedanken) und jedem Menschen zu seinem Recht verhilft“ 1550 . Bemerkenswert 1541 BM 581, Sethe, Lesestücke, 80, 17. Er konnte außerdem gegenüber einem Wütenden Ruhe bewahren ( jnk gr n Dnd , a.a.O., 80, 16). 1542 a.a.O., 80, 17-18. 1543 a.a.O., 81, 81, 3. 1544 a.a.O., 80, 21. 1545 a.a.O., 81, 3-4. 1546 hnn mdw rX.w r#.sn , BM 572=HT II, pl. 22 (links), 10. 1547 Vgl. dazu Fischer-Elfert, in: OA 27, 176. 1548 Vgl. Hammamat, 114, 8, n sDm.n=f x#kw jb „Er hört nicht auf die Krummherzigen“. Die Feindseligen, die listige Gedanken im Herzen haben, können natürlich nicht aufrichtig reden. 1549 Simpson, in: JEA 51, pl. XIV, Z. 11. 1550 CG 20539 I, b, 7-8. Zu ähnlichen Beschreibungen der Fähigkeit des Richtenden, Menschen und Vorgänge zu durchschauen, im Sargtext und in pInsinger, s. Assmann (1993a), 101. <?page no="265"?> 266 Kapitel VIII - Der Richter als Ordnungshüter 266 ist die Tatsache, daß MnTw-Htp angibt, daß seine treffliche Vorgehensweise in der Rechtsprechung von den Unterweisungen des Königs und der vom König übertragenen Macht nicht zu trennen ist. Daher ist zu vermuten, daß die Fähigkeit des richtenden Beamten, die Absicht oder den Wunsch des Königs richtig zu interpretieren und verstehen, eine wichtige Rolle in der Rechtsprechung gespielt hat 1551 . Der königliche Schreiber c#-Jmn aus der Zweiten Zwischenzeit betont, daß er den Lügner ignoriert habe. Er umschreibt den Lügner auf eigenartige Weise: sx Hr sDm=f mdw.wj „(Ich war einer,) der sich taub stellte, wenn er zwei Reden hörte.“ 1552 „Zwei Reden“ oder genauer „zwei Aussagen“ bezieht sich hier wahrscheinlich darauf, daß ein Prozessierender gegenüber verschiedenen Menschen oder in veränderten Situationen keine übereinstimmenden Aussagen liefern konnte. Im vorhergehenden Satz sagt c#-Jmn , daß er bösen Worten den Rücken zugewendet habe. Wie die Leute, die oben als diejenigen bezeichnet wurden, die „ihren Mund nicht kannten“, konnte ein Prozessierender, der zwei Reden redet, keine übereinstimmende Aussage vorlegen. Als Beweis können wir die Statue des Wsj nehmen, auf der die folgende Aussage zu finden ist: nb r# woj tm jr ns.wj „Besitzer eines einzigen Mundes, der sich nicht zwei Zungen bedient hat.“ 1553 Fischer-Elfert hat diesen Satz mit den folgenden Worten sehr überzeugend interpretiert: „Dies zielt nicht auf vermiedenes Lügen, vielmehr beteuert er, nicht das eine Mal dies, das andere Mal jenes geredet zu haben, sich folglich nicht in Widersprüche bei seinen Äußerungen verwickelt zu haben.“ 1554 Die richterliche Allwissenheit ist wichtig, um die ungerechterweise Prozessierenden rechtzeitig zurückzuweisen. Aber sie ist genauso wichtig, damit das Opfer des Unrechts sofort erkannt und ihm notwendige Hilfe geleistet wird. Aus der Autobiographie des Jntf , eines Bürgermeisters in This aus der 18. Dynastie findet man eine sehr anschauliche Darstellung: sj# jb rX jmjw x.t r prt Hr sp.tj mdw.w r Dd Xft jb=f „der das Herz durchforscht und das durchschaut, was im Körper ist, bevor es über die Lippen des Sprechenden gekommen ist, um es gemäß seinem Wunsch auszusprechen“ 1555 . Das hier geschilderte Bild, in dem das Herz als Organ der Gedanken und der Leib als das das Herz schützende Gehäuse bezeichnet wird, bringt den Scharfsinn des Jntf zum Ausdruck. Er habe nämlich das Herz erforscht und daher könnte er im Einklang mit dem Herzen des Betreffenden sprechen. Jntf erklärt direkt anschließend, daß er mit Hilfe seiner durchschauenden Augen das Recht vom Unrecht unterschieden habe 1556 . 1551 Man erinnere sich an die richterliche Handlung des Wnj bei der Verhandlung über die Haremsverschwörung. 1552 Towneley Hall Museum Egy. 100, Leahy, in: GM 44, 23. 1553 Petrie, Qurneh, pl. XXXII, linke Seite, Z. 5. 1554 Fischer-Elfert, Lehre eines Mannes, 139. Fischer-Elfert (a.a.O., 73) übersetzt den Ausdruck oS# Xrw auf pRamesseum I mit „Schreihals“. Darin ist eigentlich das Hindeuten auf verschiedene Aussagen der betreffenden Person leicht zu erkennen. Einleuchtend ist auch eine Mahnung aus der Lehre eines Mannes (§20,8). Darin sagt der Vater zu seinem Sohn: jw Xn woj #bb oS#.t „Eine einzige Aussage ist es, was die Menge wünscht.“ 1555 Urk. IV, 971, 1-2. 1556 a.a.O., 3-5. <?page no="266"?> 1. Wissen, Erkennen, Durchschauen 267 267 Der Wesir RX-mj-Ro sagt in seiner Autobiographie, in der er ausführlich seine Berufung zum Wesir beschreibt, daß der König ihn als Wesir eingesetzt habe, damit er jeden im Land gemäß der Wahrheit prüfe: dj.n=f wj m mdw n md.t r rmrm ntj Hr bDnDn ... jwsw n t# tmw Hr smtr.t jb.w=sn Xft X#j Er setzte mich ein als Stock (damit zu messen oder zu strafen? ) der Angelegenheit, um (die Übeltäter zu bestrafen ? ), ... Waage des ganzen Landes, die ihre Herzen erkundet in Übereinstimmung mit der Meßschnur 1557 . Auffallend ist der Versuch des RX-mj-Ro , seine Fähigkeit, verschiedene Menschen nach ihrem Charakter zu unterscheiden, mit der Erfahrung eines Jägers und das Verhalten der zu richtenden Menschen mit dem Verhalten der gejagten Tiere zu vergleichen. So lesen wir eine Darstellung, die äußerlich eine Jagdszene zu schildern scheint: jr.n(=j) wj m nw Ss# sj# rd... „Ich habe mich zu einem erfahrenen Jäger gemacht, der den Fuß erkennt.-…“ 1558 In dem Jäger soll man möglicherweise die Figur des guten Hirten sehen, der sich davor hütet, daß sich ein böser Wolf inmitten der Schafe versteckt. An einer anderen Stelle seiner Autobiographie scheint RX-mj-Ro diese Idee noch deutlicher zu formulieren: rn=j m DdH Hw.w wSb „Mein Name war ein Netz, das den Bullen fängt (? ).“ 1559 Der Schatzmeister cnm-joH unter Hatschepsut formuliert seine durchschauende Fähigkeit wie folgt: n sDm=j md.wt nt snktkt xnn.w m hrw n sXwn „Ich habe nicht auf die Worte der ungerechterweise Streitenden gehört am Tage des Konflikts.“ 1560 Der Amunprophet Nb-nTr.w aus der Dritten Zwischenzeit behauptet, daß er die Menschen nach ihren Arten gerichtet habe: Dwj=j rmT m X.wt jb=sn wp=j Hr nb m jwn=f rdj=j jb=j Hr #bb=f „Ich habe die Menschen mit den Sachen aufgerufen, die ihnen am Herzen lagen. Ich habe jedermann nach seiner Art gerichtet. Ich habe darauf geachtet, was er wünschte.“ 1561 Nach Assmann bezeichnet jwn wie bj#.t „die Innen-Seite der Personalität“ 1562 . Demnach scheint Nb-nTr.w hier zu betonen, daß er aufgrund seines Wis- 1557 Gardiner, in: ZÄS 60, 68, h. RX-mj-Ro bezeichnet sich außerdem als „den Kenner der Kenner in allen Bereichen“ ( jnk rX n rX.w m Hn[.t] [nb.t] , a.a.O., 73, q). 1558 a.a.O., 72, o. 1559 a.a.O., 68, g. 1560 Urk. IV, 505, 4-5. Der Streitsüchtige wird schon in der Lehre für Merikare als Friedensstörer gekennzeichnet, der entschieden abgewiesen werden soll, Quack, Studien zur Lehre für Merikare, 20. In der Autobiogarphie des onX.tj.tj (Vandier, Mo c alla, Inscription Nr. 2) wird die Vertreibung der Streitsüchtigen als die Voraussetzung dafür angegeben, daß Frieden und Ordnung wieder hergestellt werden können. 1561 Jansen-Winkeln, Ägyptische Biographien, Text A 10, e, 3-4. 1562 Assmann, in LÄ IV, 976. <?page no="267"?> 268 Kapitel VIII - Der Richter als Ordnungshüter 268 sens und seiner durchschauenden Fähigkeit imstande ist, verschiedene Menschen zu unterscheiden und ihre wahre Natur zu verstehen. Das Wissen des Richters, in erster Linie das Wissen über den Umgang mit Menschen, und die daraus gewonnene Fähigkeit, verschiedene Menschen mittels Beobachten, Hören und Befragen zu erkennen, ist in den unten zu untersuchenden Bereichen ebenfalls wichtig, da eine für verschiedenen Personen eine je spezifische richterliche Handlung erforderlich ist. 2. Zufriedenstellen Wenn ein Konflikt entsteht und ein Prozeß stattfindet, ist es die Aufgabe des Richters, zwischen den beiden Streitparteien zu vermitteln oder den Übeltäter zu strafen. Aber solche Handlungen stellen nur die zweitbeste Lösungsmöglichkeit dar. Die beste Lösung der Konflikte besteht darin, daß der Richter bei seinen administrativen Tätigkeiten versucht, die Menschen zu befriedigen und dadurch eventuellen Streitigkeiten den Boden zu entziehen. Schon in der Lehre des Ptahhotep wird es als die untrennbare Aufgabe des Beamten bezeichnet, die Menge zufriedenzustellen 1563 . Ab dem Ende des Alten Reiche erscheinen in den Autobiographien die Behauptungen der Beamten, daß sie mit einem lenkenden Mund in einer schwierigen Situation die Lösung gefunden haben 1564 . Diese Aussagen scheinen darauf hinzuweisen, daß die Beamten versucht haben, sich aktiv um die Vermeidung von Konflikten zu bemühen anstatt zu warten, bis die Prozessierenden zu ihnen kamen. Es kommt beim Reden nicht nur darauf an, daß der Redner seine Meinung ausspricht. Viel wichtiger ist die Reaktion der Hörenden. Besonders im Mittleren Reich mehren sich in den Autobiographien die Aussagen, wie die ägyptischen Beamten mit ihren zutreffenden Worten die Mitmenschen zufriedengestellt haben 1565 . Daß die Aussagen der Ägypter, die zwei Parteien, die Menge oder die beiden Länder zufrieden gestellt zu haben, eine juristische Bedeutung haben können, zeigt eine Aussage aus der Autobiographie des MnTw-Htp , der sich mit dem Gott Thot, dem Richtergott im Götterkollegium, vergleicht 1566 . Das Zufriedenstellen und das Richten gehören beide zum Bereich der Rechtsprechung. Aber das Zufriedenstellen hat den Charakter einer Vorkehrungsmaßnahme. Dabei spielt das Reden eine zentrale Rolle. Für die Ägypter hat die Redegewandtheit erst in dieser Hinsicht ihre positive Bedeutung. Aber sie ist erst dann wirkungsvoll, wenn der Mund friedensstiftende 1563 Ptahhotep 415-416. 1564 ob# r# s#q jb gmj Ts m g#w=f „beredt und beherrscht, der die Lösung findet, wo es nottut“, Janssen, Autobiografie, I, 9-10. Die Wendung wpw.t shr.t weist auf einen Auftrag hin, wobei der Beauftragte die Aufgabe hatte, die Unzufriedenen und die Streitenden zu beruhigen. Petrie, Dendereh, pl. X. A. 1565 Der zukünftige König wird auch aufgefordert, in der Rede geübt zu sein, damit viele Schwierigkeiten ohne Kampf gelöst werden können. Vgl. Merikare E 32. 1566 CG 20539, I, b, 3: vgl. Urk. IV, 2093, 11-13. Vgl. dazu auch L.D. IV, 76 c. <?page no="268"?> 2. Zufriedenstellen 269 269 Worte zu sprechen imstande ist 1567 . Treffliche Worte können Mißverständnisse beseitigen und Frieden schaffen 1568 , denn solche Worte wirken auf das Herz: Dd md.t m joj n jb sr m shrr.t oS#.t „einer, der redet, indem das Herz erfreut wird, ein Beamter, der die Menge zufriedenstellt“ 1569 . Der Grund, daß die Worte das Herz erfreuen und dessen Besitzer zur Besonnenheit bringen können, liegt in der Tatsache, daß die Worte ebenfalls aus dem Herzen stammen. Die „treffliche Zunge ( jqr ns )“ steht nämlich mit dem „rechtschaffenen Herzen ( mtr H#tj )“ in Zusammenhang 1570 . In der Autobiographie des Jntf sehen wir am klarsten, wie sich ein ägyptischer Beamter angesichts der Menge oder in einer Krisensituation benommen habe: „Ich war beherrscht, frei von Voreiligkeit. (Ich war einer,) der den Ausgang kannte und wußte, was kommen würde. Ich sprach am Ort des Zorns, denn (ich) wußte, worüber man zornig würde.“ 1571 Der als Richter handelnde Beamte kann den Zornigen zur Besonnenheit bringen, indem er im richtigen Zeitpunkt die richtigen Worte spricht. Es ist offenkundig, daß für derartige Handlung nicht nur Geduld, sondern auch die Kenntnis über den menschlichen Umgang und die daraus resultierende Erfahrung erforderlich ist. Jntf behauptet deswegen kurz vorher, daß er gegenüber dem Zornigen schwieg und gegenüber dem Unwissenden geduldig war, um der Wut Einhalt zu gebieten 1572 . Das Schweigen ist kein Zweck an sich, sondern ein Mittel, um auf den richtigen Zeitpunkt zum Reden zu warten. Aus dem Neuen Reich sind ebenfalls viele Belege überliefert, in denen die ägyptischen Beamten beteuern, daß sie mit einem redegewandten Mund das ganze Land 1573 bzw. die beiden Länder beruhigt haben ( r# shrr t#.wj ) 1574 . Es wird auch gesagt, daß der redende Beamte das Volk beruhigt 1575 oder das Land zufrieden gestellt habe 1576 . Dabei wird die Betonung weiterhin auf die friedensstiftenden Sprüche 1577 und das Wohlbefinden des Herzens des Redners gelegt 1578 . Die Fähigkeit zum Reden und die Rechtschaffenheit auf der Seite 1567 spd r# hrj Tsw , Urk. VII, 65, 15-16. 1568 hrr.w t#.wj xr st-r#=f , „mit dessen Ausspruch die beiden Länder zufrieden sind“, BM 100, HT V pl. 4, links 2-3; vgl. Hammamat 47, 10-11; Kairo 1013, rechts 5-6. 1569 Bersheh II, 26, links. 1570 BM 334; vgl. Hammamat 47, 12 u. 48, 10: jqr st nS mtr H#tj w#H jb jqr Ts.w , Louvre C 167, 8; mnX jb jqr Ts.w , Urk. VII, 57, 21; oq# H#tj mtr st nS , Siut pl. 19, 46. Über diese Kommunikation der Herzen zwischen dem Richtenden und den Mitmenschen vgl. Kapitel V. 1571 jnk qb Sw m X#X-Hr rX pr.w Xmt jj.t jnk mdw m st Dnd rX Ts n qnd=tw Hr=s , BM 581, Sethe, Lesestücke, 80, 16-18. 1572 jnk gr n Dnd Sbn n Xm n mr.wt Xsf #d „Ich war ein Schweigender gegenüber dem Wütenden und ein Ausgeglichener (? ) gegenüber dem Unwissenden, so daß die Wut vertrieben wurde.“ a.a.O., 16. 1573 r# shrr m t# r Dr=f „der Mund, der im ganzen Land zufriedenstellt“, Urk. IV, 926, 10; gleich in Urk. IV, 1171, 3; 1576, 10; 1777, 9; 1915, 9; 1928, 20; KRI I, 286, 10. 1574 Urk. IV, 482, 2; 1030, 9; 1118, 3; 1789, 14; 1794, 6; 1811, 17. KRI II, 621, 3. 1575 r# shrr n rXjj.t „der Mund, der das Volk beruhigt“, Urk. IV, 1831, 12. 1576 dj.n=f t# nb m Htp.w „Er hat jedes Land in Zufriedenheit gestellt.“ Urk. IV, 1045, 14. 1577 spd r# hr Ts.w „beredt und mit zufriedenstellenden Sprüchen“, Urk. IV, 1816, 17. 1578 Htp-jb Hr shr.t „zufriedenen Herzens (die anderen) zufriedenstellt“, Urk. IV, 971, 9; jrj-po.t H#tj-o nb hr wDo=f mdw „Fürst und Graf, Herr der Zufriedenheit beim Richten“, Urk. IV, 527, 10. <?page no="269"?> 270 Kapitel VIII - Der Richter als Ordnungshüter 270 der Beamten wurden nicht nur von den Mitmenschen mit Vertrauen entlohnt 1579 , sondern stießen auch bei dem Herrscher auf Zustimmung 1580 . Der Wesir RX-mj-Ro berichtet, wie er den Unzufriedenen, der einen potentiellen Unruhestifter darstellen konnte, zu einem friedlichen Menschen umgewandelt habe: „Den Unzufriedenen befriedigte ich mit seinem Herzenswunsch, (indem ich) das hervorbrachte, woran er sich erfreute.“ 1581 Hier scheint das Reden allein nicht genügt zu haben. Materielle Versorgung verhinderte das Entflammen von Konflikten. Der Widersacher ( btn jb ) wurde jedoch nicht immer dergestalt mit Rücksicht behandelt 1582 . Interessant ist, daß RX-mj-Ro durch Versorgung Frieden erreicht haben will. Nb-Jmn , ein Wesir aus der Regierungszeit des Seti I., betont die Kunstfertigkeit seines Redens ausdrücklich damit, dass er die Reaktion der Mitmenschen beschreibt: #bb oS#.t Xft wSb=f dd Xn woj m s.t mD „Nach dessen Antwort die Menge sich sehnt. Der einen Ausspruch setzt an die Stelle von zehn (anderen).“ 1583 Or-s#-#s.t , ein 4. Amunprophet in der Dritten Zwischenzeit, behauptet: „Ich war einer, der das Feuer der Rede mit Ruhe löschte, bis ich ihn wirklich zur Zufriedenheit brachte.“ 1584 Hier wird die Betonung nicht nur auf die Wahl des richtigen Zeitpunkts zum Reden, sondern auch auf die Geduld des Sprechers gelegt. Ein anderer Amunprophet Ed-b#st.t-jw=f-onX läßt seinen Vater auf der vom ihm gestifteten Statue über ihn sagen: „(Er war) redegewandt und brachte die Herzen ins Gleichgewicht. Seine Sprüche (wirkten) wie Milch.“ 1585 onX-rnpj-nfr , ein Beamter unter dem König Osorkon II., bezieht den König in den Prozeß des Zufriedenstellens ein. Er habe nämlich im Auftrag des Königs gehandelt. Er fragt seinen Herrscher nach Anweisungen und dann verläßt er den Palast mit 1579 hrr.w Hr pr.w n r#=f „mit dessen Worten man zufrieden ist“, Urk. IV 1465, 12; hr.tw Hr pr.w n r#=f , Urk. IV, 1790, 1. 1580 hrr nb t#.wj Hr tpt-r#=f „mit dessen Aussprüchen der Herr der beiden Länder zufrieden war“, Urk. IV 411, 2. Es wird auch ausdrücklich gesagt, daß der Beamte „die Menge für seine Majestät“ beruhigt: shr oS#(.t) n nb=s , Urk. IV, 969, 10. Vgl. auch r# mdw n nb t#.wj r shrr m t# r Dr=f , TT 73, Säve-Söderbergh, Four 18 Dyn. Tombs, pl. II; r# shr[r] [m] oH , Urk. IV, 1836, 4. 1581 btn-jb sHtp.n=j sw m Xrwt jb=f m sXpr hr.t=f xr=s , Gardiner, in: ZÄS 60, 67, f. Vgl. die Mahnung des Königs an den Wesir: mk [S]fj.t nt [sr] jr=f m#o.t mk jr dj s snD=f HH n sp jw nkt jm=f n oD# m rX n rmT „Siehe, das Ansehen [eines Beamten] ist es, daß er die Maat tut. Siehe, wenn man die Furcht vor sich übertreibt, dann ist etwas an ihm nicht in Ordnung in der Meinung der Menschen.“ Urk. IV, 7-9, Faulkner, in: JEA 41, 20. 1582 Der Gaufürst Ef#j-Oopj aus Siut sagt: jnk dr q#j s# m bTn jb , Urk. VII, 54, 19. Jntf , der Bürgermeister von This aus der 18. Dynastie, verzeichnet btn jb zusammen mit Xbn.w , rqw und #d.w , die mit „Schrecken“ und „Furcht“ behandelt werden mußten: o# Hrjj.t m Xbn.w nb snD m btn jb bHn rqw Xsf #dw wD# oH smn hp.w=f shr oS#(.t) n nb=s „groß an Schrecken unter den Verbrechern, Herr der Furcht unter den Frevlern, der Bändiger der Gegner, der dem Wütenden wehrt, Heil des Palastes, der seine Gesetze festigt, der die Menge für ihren Herrn befriedigt“, Urk. IV, 969, 4-11. 1583 Borchardt, Statuen und Statuetten, Teil 3, 1930; Text in KRI I, 284, 3-4. Übersetzung nach Fischer- Elfert, Lehre eines Mannes, 218. 1584 jnk pw oXm X.t n mdw m hrw r jnj.n=j s(w) r p# X# mtr nt nDm-jb , CG 42210, Jansen-Winkeln, Ägyptische Biographien, Text A 5, d, 6-7. Diese Aussage bezieht sich möglicherweise auf den König. 1585 Hmmw.w n mdw mX#.w jb.w s.t-r#=f m HD.t , Jansen-Winkeln, a.a.O., Text A 7, e, 4. <?page no="270"?> 2. Zufriedenstellen 271 271 dem Befehl des Königs. Er vertreibt das Elend, indem er sich den Klagenden zuwendet 1586 . Der 4. Prophet des Amun und Bürgermeister von Theben MnTw-m-H#.t formuliert die gleiche Idee unter einem anderen Aspekt, indem er sagt, daß er die Städte und Gaue beruhigt habe, um den Horus in seinem Haus zu besänftigen 1587 . Die Erwähnung des Königs an dieser Stelle, wie an der oben genannten Stelle, ist merkwürdig. Einerseits kann ein König dieser Zeit nicht mit den früheren verglichen werden. Andererseits ist es unklar, welchen König der Sprecher meint. MnTw-m-H#.t war schon während der Kuschitenherrschaft in der Thebais tätig. Dann wurde er von den Assyrern zum Machthaber in Theben eingesetzt. Als die einheimische Dynastie der Saiten die Oberhand gewann, bekannte er sich zu den neuen Herrschern 1588 . Es ist sehr wahrscheinlich, daß das Beruhigen oder Zufriedenstellen in diesen Belegen weit über den juristischen Bereich hinausgeht. Innerhalb der Regierungszeit eines Königs oder einer Dynastie geht es bei dem sogenannten „Zufriedenstellen“ darum, die Ursachen der Streitigkeiten zu beseitigen. Aber in der sich ständig verändernden politischen Landschaft geht es bei der Zufriedenheit oder Unzufriedenheit viel mehr um die Zustimmung von Gefolgschaft. Damit erhalten Aussagen, wie die Streitsüchtigen zur Ruhe zu bringen seien und so ein drohender Konflikt schon im Vorfeld entschärft werden könnte, über die rechtliche Bedeutung hinaus eine politische Dimension. Aus der Dritten Zwischenzeit und der Spätzeit haben wir weiterhin autobiographische Inschriften, die Belege über zufriedenstellende Tätigkeiten der Beamten liefern. Ed-Or aus der 30. Dynastie bezeichnet sich als einen, der mit beruhigenden Worten die Hitzköpfe zum Schweigen gebracht habe: qb Dd.w m Dd{n}=f Dd.w xr H#.t oS#<.t> „Dessen Sprechen kühlend ist, wenn er vor der Menge das sagt, was zu sagen ist.“ 1589 Die von der Terminologie her wenig veränderten Bezeichnungen „Frevel“ oder „Übeltäter“ sind möglicherweise für die Dritte Zwischenzeit ebenfalls in einem anderen Kontext zu verstehen. Früher legte der richtende Beamte die Betonung darauf, daß er für den Armen und Elenden gehandelt habe. Nun möchte er zum Ausdruck bringen, wie er für den Herrscher die potentiellenen Gegner zufriedengestellt habe. Der Baumeister PsmTk-s#-N.t sagt daher, daß er das Herz seines Herrschers besänftigt hat, indem er der Unruhe in den Gauen und Städten ein Ende bereitete 1590 . Hier kann man die Aussage dergestalt interpretieren, daß sich der Richtende zwischen den Unruhestiftern und dem König einschaltet, um für den König um Gefolgschaft zu werben und Frieden im Land zu schaffen. Dadurch konnte 1586 pr=j xr wD=f Hr dr m#r sgrH <s>mj.w n SnT „Ich trat heraus (aus dem Palast) mit seinem Befehl, um die Not zu vertreiben und die Streiterei zu beruhigen.“ Jansen-Winkeln, a.a.O., Text B 13, 2. 1587 CG 42236, 2-3, Legrain, Statues et Statuettes, III, 85. Ähnlich sagt der Domänenvorsteher der Gottesgemahlin Jbj , Kuhlmann-Schenkel, Das Grab des Ibi, Taf. 15. 1588 Vgl. Bierbrier, in: LÄ IV, 204. 1589 Jelinkova-Reimond, Djed-Hr Le Sauveur, 86. 1590 jnk sgrH xnn.w m mr.t N.t sHtp jb n jtj dr Xww m njw.t=f „Ich war einer, der die Unordnung im Gebiet des saitischen Gaues beseitigte und das Herz des Herrschers befriedigte und das Böse aus seiner Stadt vertrieb.“ Ranke, in: MDAIK 12, 114, 10-11. Vgl. die Behauptung des Gm-n=f-Or-b#k : snXn HH.w m tpj.w-r#=f „der Millionen (von Menschen) mit seinen Aussprüchen lenkt“, Sarkophage Turin 2201, Sayed, Documente, pl. XVIII. <?page no="271"?> 272 Kapitel VIII - Der Richter als Ordnungshüter 272 PsmTk-s#-N.t nicht nur Gunst beim König, sondern auch Liebe bei den Mitmenschen gewinnen 1591 . 3. Sittenrichter Die Aufgabe des Richters liegt nicht nur darin, die Streitparteien gerecht zu richten und darüber hinaus potentielle Konflikte zu verhindern. Der Richter soll außerdem eine Umwelt schaffen, in der die Bürger ungestört leben können. An erster Stelle ist es der König, der die Ordnung im Land und die Sicherheit gegen das Ausland garantiert 1592 . Der König bewältigt seine Aufgabe als Ordnungshüter dadurch, daß er Beamten dafür einsetzt und erforderliche Gesetze erläßt. Es ist die Aufgaben der Beamten, in der Funktion eines Richters und im Auftrag des Königs in ihrem Bereich der Zuständigkeit für Gesetz und Ordnung zu sorgen. Die Gefährdung der Ordnung und die Unmöglichkeit, sich auf der Straße frei zu bewegen, wird in der Geschichte des Bauern in sehr schreckenerregender Form geschildert 1593 . Schon die Anspielung des Namens Nmtj-nXt auf den Gott, der eigentlich den Reisenden Schutz gewähren soll, macht die verborgene Gefahr in der scheinbar sicheren Lage deutlich 1594 . Dieser Nmtj-nXt , der ein Untergebener des Rnsj war, stellt dem Oasenmann am hellen Tag eine Falle, indem er auf dem „öffentlichen Weg“ ( w#.t n.t nb.t ) ein Stück Leintuch ausbreitete, sodaß die Esel des Oasenmannes auf das angrenzende Kornfeld ausweichen mussten 1595 . Wirklich schlimm ist, daß der vom König eingesetzte Richter das Gegenteil von dem tut, womit der König ihn beauftragt hat 1596 . Rnsj wird anschaulich und dem oben genannten Kontext gut passend von dem Oasenmann mit einer Fähre verglichen 1597 . Er soll 1591 WD#-Hr-rs-N.t , ein Priester der Göttin Neith, behauptet, daß er die Bürger aus dem großen „Unheil“ ( nSn ) gerettet hat, das im Land noch nie geschehen war. Vgl. Posener, La Première Domination Perse en Égypte, 18-19. Hier könnte wohl angedeutet sein, daß WD#-Hr-rs-N.t für seine Landsleute gegen die Fremdherrscher handelt. Wenn Haremheb behauptet, daß er das Unheil im Königshaus vertrieben hat, möchte er sicherlich sagen, daß er für den König gegen die Unruhestifter aufgetreten ist. Vgl. dazu CG 42236, b, 2, Legrain, Statues et Statuettes, III, 85. Für ein ähnlichen Beleg aus der 30. Dynastie vgl. Jelinkova-Reymond, Djed-Hr Le Sauveur, 86. 1592 Der König als Bollwerk für das Volk und besonders für den ihm Loyalen ist ein wichtiger Topos im Mittleren Reich. Vgl. dafür vor allem Blumenthal, Untersuchungen, I, 271ff. (G 1.18-23; 27) sowie Fischer-Elfert, Die Satirische Streitschrift des Papyrus Anastasi I, 20f. 1593 Solche Behandlungen der Menschen aus den unteren Schichten waren sicher zu allen Zeiten keine Seltenheit. 1594 Für Nmtj-nXt als den Namen des Patrongottes der Reisenden s. Parkinson, The Tale of Sinuhe, 76, Anm. 4. 1595 B1, 29-31. Die wiederholte Erklärung des Oasenmannes, daß er auf dem rechten Weg sei ( nfr mtn=j , B1, 34; 36; 44), hängt dementsprechend damit zusammen, daß er auf dem öffentlichen Weg sei. Daher hatte Nmtj-nXt kein Recht, den Reisenden zu behindern oder sogar zu berauben. 1596 B1, 229-234. 1597 B1, 230. <?page no="272"?> 3. Sittenrichter 273 273 demnach den Oasenmann über den unpassierbaren Weg führen. Daß Nmtj-nXt es wagt, am hellen Tage den öffentlichen Weg zu sperren und Rnsj nichts dagegen unternimmt, ist gerade das Gegenteil davon, was die Bürger von dem Machthaber erwarten. Daher protestiert der Oasenmann, daß er doch nicht „in Sandalen“ 1598 , d.h. zu Fuß den Fluß überqueren kann 1599 . Als Folge der Pflichtvergessenheit des Rnsj wagt niemand, „bis zum hellen Tage zu schlafen ( sDr r sSp )“, „sich in der Nacht zu bewegen ( Sm.t m grH )“ oder „am Tage zu reisen ( sbj m hrw )“ 1600 . Mit den Begriffen „bis zum hellen Tage schlafen“, „sich in der Nacht bewegen“ und „am Tage reisen“ wird die elementarste Bedingung dargestellt, die unter einer funktionsfähigen Regierung kein Thema sein sollte. In den sogenannten Klagen wird gesagt, daß die Reisenden in der Nacht von im Gebüsch versteckten Räubern beraubt wurden 1601 . Diese Gesetzlosigkeit wird mit Anspielung auf die Erste Zwischenzeit als die Folge der fehlenden zentralen Regierung dargestellt 1602 . Darin wird geschildert, wie ein Mann seinen Sohn als Feind betrachtet und wie der Sohn gegenüber seinem Vater undankbar sei 1603 . Es ist keine Seltenheit, daß ein Mann seinen Bruder beraubt 1604 oder sogar niederschlägt 1605 . In den Klagen wird die Notwendigkeit hervorgehoben, daß die Beamten unter der Leitung des Königs für die Menschen einen sicheren Lebensraum schaffen sollen, damit jeder eine Überlebenschance bekommt. Die seit der Schöpfung hergestellten Beziehungen zwischen König und Untertanen, zwischen Vater und Sohn und die Beziehungen unter den Brüdern und Freunden sollen nicht zerstört werden 1606 . Wenn diese etablierten Beziehungen bedroht werden, muß der Richter, der für Recht und Ordnung zuständig ist, sofort eingreifen. Er darf auf keinen Fall über das lachen, worüber er zornig sein soll 1607 . Sonst zerfallen die grundlegenden Verhaltensregeln unter den Menschen. Während in den Klagen in Bezug auf die Erste Zwischenzeit die Folgen der Gesetzlosigkeit geschildert werden, konnten die Machthaber in dieser angeblichen Krisenzeit doch behaupten, daß sie sich bemüht haben, in ihrem Machtbereich für Recht und Ordnung zu sorgen 1608 . Der Gaufürst onX.tj=fj sagt, daß die Gewalt dessen, der zum Unrecht bereit 1598 B1, 231. 1599 In Admonitions (2, 1) wird gesagt, daß man erst mit seinen Waffen zum Pflügen zu gehen wagt. 1600 B1, 232-233. 1601 Hmsj.tw Hr b#.t r jj.t X#wj r jTj #tp.w=f nHm ntt Hr=f „Man sitzt (versteckt ? ) im Gebüsch bis der Passant der Nacht kommt, um dessen Sachen zu rauben.“ Admonitions 5, 11-12. 1602 Zur Zugehörigkeit der Texte der Klagen zum offiziellen Diskurs, s. Assmann (1993b), 41-42. Eine etwas andere Meinung vertritt Schenkel, in: WdO 15, 53. 1603 Admonitions, 1, 5-6. Die Brüder betrachten sich ebenfalls gegenseitig als Feinde, Lebensmüder, 113- 114. 1604 jw Hod#=tw s nb Hr jTt sn.nw=f „Man plündert und jeder beraubt seinen Bruder.“ a.a.O., 112-113. 1605 dd sn=f m t# m s.t nb.t „einer, der seinen Bruder niederschlägt, ist überall“, Admonitions, 2, 13-14; vgl. a.a.O., 9, 3. 1606 Hierzu vgl. Assmann (1983b), 347. 1607 sXor(.w) s m sp=f bjn ssbt=f bw nb „einer, der einen Mann wegen seiner bösen Tat wütend machen soll, läßt alle lachen“, Lebensmüder, 110-111. 1608 Dies bestätigt deutlich die oben erwähnte Feststellung von Assmann, daß es sich bei den Klagen <?page no="273"?> 274 Kapitel VIII - Der Richter als Ordnungshüter 274 war, seit seiner Machtübernahme nicht mehr zugelassen wurde 1609 . Der Gaufürst $tj sagt durch den Mund seines Vaters, daß er in Assiut die Ordnung wieder hergestellt habe: nn oH# nn stj Ssr n sX xrd r-gs mw.t=f nDs r-gs Hm.t=f nn HoD# X.t m mrr.t nn #wH r pr=f Es gibt keinen Kampf. Es gibt kein Pfeilschießen. Das Kind wird nicht neben seiner Mutter niedergeschlagen, der Bürger nicht neben seiner Frau. Es gibt keinen Diebstahl auf der Straße. Es gibt keinen, der aus seinem Haus verdrängt wird 1610 . Die Mutter braucht sich nicht mehr um ihr Kind Sorgen zu machen. Die Ehefrau hat auch keine Angst mehr, daß ein Gewalttätiger ihren Mann ins Unglück bringen würde. Draußen darf man sich frei bewegen und drinnen kann man sich wirklich zu Hause fühlen. Erst unter diesen Voraussetzungen konnte der lokale Machthaber sagen, daß jeder Bürger (ohne Angst) neben seinem Besitz schlafen durfte ( sDr rmT nb r oHow=f ) 1611 . Ein anderer Gaufürst Jt-jb=j behauptet sogar, daß die Bürger auf der Straße wie zu Hause schlafen konnten und sie ihm dafür Lobpreisungen ausgesprochen haben 1612 . Damit wird die Bemühung der lokalen Machthaber, die das politische, religiöse, militärische und juristische Oberhaupt einer Ortschaft darstellen, deutlich gemacht, in ihrem Machtbereich gegen Unrecht und Unordnung zu kämpfen. Wir erfahren nicht, wer den kritischen Zustand verursacht habe. Aber was die Gaufürsten für sich behaupten, ist genau das, was der Oasenmann von Rnsj verlangt. Gerade über das Fehlen solch sicheren Lebensraums wird ebenfalls in den Texten der Klagen geklagt. Die hervorragenden Leistungen der lokalen Machthaber der Ersten Zwischenzeit können die Beamten des Mittleren Reiches nicht mehr für sich beanspruchen. Derartige Errungenschaften sind nun das Vorrecht des Königs geworden 1613 . Aber der Gedanke, daß des Mittleren Reiches um einen offiziellen Diskurs handelt, der offenkundig im Dienst des neuen Königshauses durchgeführt wurde. Daher ist den Beschreibungen in den Klagen nur mit Vorsicht Glauben zu schenken. Auf der anderen Seite sind die Behauptungen zur Erhaltung und Wiederherstellung von Ordnung in den biographischen Inschriften nicht generell als Erfindung abzutun. 1609 nn Ssp sXm Smm.t [#dw ? ] jm=f „Es wird nicht mehr zugelassen werden, daß die Hitze des [Wütenden] darin die Oberhand gewinnen würde.“ Vandier, Mo c alla, 163, I,b,I. 1610 Siut IV 33-34. Für den wichtigen Punkt, daß der Ägypter seine Stadt als den „entscheidenden Sozialisationsrahmen“ betrachtet hat. Vgl. hierzu Assmann (1984a), 33. 1611 Siut, Grab IX, Z. 32. 1612 jw wX# sDr(.w) Hr mTn Hr rdj.t n=(j) j#w wnn=f mj s m pr=f „Wenn die Nacht kommt, preisen (mich) diejenigen, die auf der Straße schlafen, da er wie ein Mann in seinem Haus ist.“ Siut III, 10. 1613 Vom König Sesostris III. geht die Rede, daß seine Untertanen dank seines festen und starken Herzens <?page no="274"?> 3. Sittenrichter 275 275 das Oberhaupt einer Ortschaft oder eines Bereiches für die dortige Ordnung zuständig sein soll, bleibt erhalten. Der Gaufürst Ef#j-Oopj aus Assiut berichtet, daß er die Gewaltbereitschaft des Hochmütigen vertrieben und den Streitenden zum Schweigen gebracht habe. Deswegen konnte er sich als eine sehr beliebte Persönlichkeit seines Gaues bezeichnen 1614 . Die Behauptung des K#j , daß er sein Haus für die Furchtsamen zu einem Tor umgewandelt habe, bezeichnet ebenfalls symbolisch eine Handlung, mit der dem Schutzsuchenden durch Rechtsprechung ein Lebensraum angeboten wird 1615 . Aus dem Neuen Reich sind leider keine Belege überliefert, in denen die Beamten darüber Auskunft geben, wie sie bei ihren richterlichen Handlungen für die Sicherheit und Ordnung in ihrem Macht- oder Amtsbereich gesorgt haben, obwohl ihnen besonders in der zweiten Hälfte der 20. Dynastie die Unruhe und die Mißstände jeden Anlaß gegeben haben müssen, für Recht und Ordnung einzutreten. Dagegen sind wir davon unterrichtet, wie die Könige für ihre Untertanen eine sichere Soziallage geschafft haben. Dabei wird betont, wie sich die Frauen ohne Angst beliebig bewegen konnten 1616 . Es wird behauptet, daß die Beseitigung des Habgierigen die Voraussetzung dafür gewesen sei, daß eine Frau sich frei bewegen kann 1617 . Für Herihor sind die Gerichtsverhandlungen gegen die Grabräuber und die folgende schnelle Bestrafung der Täter ein realer und ein symbolischer Teil seines Programms zur Wiederherstellung der Ordnung 1618 . Es ist daher um so auffallender, daß die Beamten dieser Zeit keine solchen Aussagen hinterlassen haben 1619 . Aus der Spätzeit hören wir wieder Meldungen aus dem Munde der Beamten, die in ihren Autobiographien sagen, daß sie ihre Stadt in Ordnung gebracht haben, damit sich die Bewohner der Stadt freuten 1620 . Der Armeevorsteher Orw beschreibt in seiner Autobiographie, wie er seine Stadt Herakleopolis wiederaufgebaut und geschützt habe. Seine Schutzmaßnahme war so effektiv, daß diejenigen, die sich auf der Straße befanden, sich wie zu Hause fühlten 1621 . bis zum Morgen schlafen dürfen. Vgl. Griffith, Hieratic Papyri from Kahun and Guro, pl. I, 9-10. 1614 Bei der Beschreibung seiner Wohltätigkeit und Bestrafung der Frevler bezeicht er sich als jm#.t sp#. t=f (Urk. VII, 54, 16). Diese Bezeichnung kann man sowohl mit „die Dattelpalme seines Gaues“ als auch mit „der Gutmütige oder Wohltäter seines Gaues“ übersetzen. Daraus kann man weiter vermuten, ob die von Jmnjj ständig verwendete Wendung jm#-o (z.B. Urk. VII, 20, 20) in dieser Richtung zu interpretieren ist. Damit wird ebenfalls die Güte und die Wohltat der bezeichneten Person gemeint. Es ist zweifelhaft, ob sie wirklich ein Titel war, wie Wb I, 81, 9 vermutet. 1615 Hatnub Graffito, Nr. 16, 8-10. Worauf sich die genannte Unruhe bezieht, ist schwer zu sagen. 1616 pHarris I, 78, 8-9. 1617 KRI V, 27, 4-5. Über den friedlichen Zustand bei der Thronbesteigung des Ramses IV. wird gesagt, daß die Häuser der Witwen offen standen, da die Witwen wagten, die Wanderer hereinzulassen. Vgl. Assmann, ÄHG, Nr. 241, auf S. 498. 1618 Vgl. Niwinski, in: Fs Brunner-Traut, 240. 1619 Direkt anschließend (pHarris I, 79, 1) berichtet Ramses III., daß er den Schwachen vor dem Starken gerettet habe. 1620 dr Xww m njw.t=f mr njwt.jw sb#q s(n) m nfr „der die Unordnung aus seiner Stadt beseitigt, der Geliebte der Bewohner, der sie mit Gutem erheitert“, Ranke, in: MDAIK 12, 114, 10-11. 1621 Louvre A 88, Vercoutter, in: BIFAO 49, 87. <?page no="275"?> 276 Kapitel VIII - Der Richter als Ordnungshüter 276 4. Garant der Erbfolge Ein wichtiger Bestandteil der Ordnung, der gleichzeitig am besten die gesamte Ordnung der Gesellschaft repräsentieren kann, ist die ungestörte Fortsetzung der Erbschaft. Für die meisten Menschen bedeutet das Erbe eigentlich nur das, was der Vater zu Lebzeiten verteilen konnte und/ oder was er beim Tod hinterlassen hatte. Aber für die Oberschicht besteht die Erbschaft vom Vater zum Sohn aus zwei eng verbundenen Bereichen: der Amtsnachfolge und der Besitzübergabe. Schon in der Lehre des Ptahhotep wird es als eine Selbstverständlichkeit betrachtet, daß ein Sohn, dessen Vater ein Mitglieder der Beamtenschaft war, nach der Ausbildung in die Verwaltung des Landes aufgenommen werden soll 1622 . In der Lehre für Merikare werden die zwei unterschiedlichen Arten von Erbübergaben genau angegeben. Eine der wichtigsten Aufgaben des zukünftigen Königs besteht darin, die Übergabe des Besitzes vom Vater an den Sohn und das Amt eines Beamten an dessen Sohn zu garantieren 1623 . In den Texten der Klagen werden die schrecklichen Bilder von der angeblich verkehrten Welt beschrieben, in der die etablierten Netzwerke zerfielen. Als eine besonders schlimme Folge wird die Tatsache angegeben, daß zwischen dem Sohn eines wohlhabenden Mannes und dem eines namenlosen kein Unterschied gemacht wurde 1624 . Die klare Unterscheidung zwischen den herrschenden und den beherrschten Schichten wird als eine unverzichtbare Voraussetzung dafür betrachtet, daß die Gesellschaft funktionsfähig bleibt. Die Zerstörung dieser Ordnung wird daher mit j#w.t nb.t nn s.t r s.t=s „Kein Amt ist an seiner (richtigen) Stelle“ 1625 bezeichnet. Das Ideal der Kontinuität findet man auch in den königlichen Texten. Die Anweisung des Königs in der Berufung des Wesirs Wsr 1626 , den alten Wesir durch seinesgleichen zu ersetzen, ist unter zwei Aspekten zu verstehen. Erstens, der Nachfolger muß für das Amt qualifiziert sein, um die Aufgabe seines Vorgängers zur Zufriedenheit des Königs zu erfüllen. Zweitens, der Nachfolger muß aus dem entsprechenden sozialen Umfeld stammen 1627 . 1622 415-417. 1623 m nS(.w) s Hr X.wt jt=f m HD(.w) sr.w Hr ns.wt=sn „Verdränge einen Mann nicht vom Besitz seines Vaters. Schädige die Beamten nicht an ihren Stellungen.“ Merikare E 47-48. Die Begriffe X.wt und ns.wt sind eng verbunden und oft austauschbar. Erst ein Amtsinhaber verfügt über nennenswertes Besitztum. Das Wort s deutet hier eigentlich nicht auf jeden Mann, sondern wie s# s auf ein Mitglied der Oberschicht. Die Entziehung des Rechts, das Amt vom Vater an den Sohn weiterzugeben, stellt sich daher als die schlimmste Strafe überhaupt dar. Vgl. zum Beispiel, Sethe, Lesestücke, 98, 11-12. 1624 n tnj.n.tw s# s r jwtj n=f sw „Der Sohn eines (angesehenen) Mannes wird nicht von dem unterschieden, der nichts hat.“ Admonitions, 4, 1. 1625 a.a.O., 9, 2. 1626 [sw] sp nfr Db# m mjtj[=f] „[Es ist] eine gute Sache, das Ersetzen durch seinesgleichen.“ Dziobek, User-Amun, 9. 1627 Theoretisch hatten alle dieselbe Aufstiegschance. Aber die Praxis, daß der Vater bei seiner Berufsausübung den Sohn als Lehrling nahm, machte die Chancengleichheit unmöglich. Diesen Fakt sieht man sowohl in den Lehren als auch in den Überlieferungen aus Deir el-Medina. Im Neuen <?page no="276"?> 4. Garant der Erbfolge 277 277 Diese Kontinuität ist mit der Loyalität eng verbunden. Deshalb loben die Beamten den König, daß er durch die Übergabe des Amtes des Vaters an dessen Sohn das Land aufrecht erhält und die Menschen zufriedenstellt. Die Amtsübergabe vom Vater an den Sohn ist daher ein Bestandteil der „Gesetze“: smn=k hp.w n HH.w n HH.w r hrr.t rmT [srwd=k] m xr.w grg t#.wj j#w.wt Hr [oHo.w=sn] Du befestigst die Gesetze in alle Ewigkeit, zur Zufriedenheit der Menschen. [Du befriedigst] die Bedürfnisse. Die beiden Länder werden gegründet und die Ämter sind an [ihren Plätzen] 1628 . Die Übergabe des Amtes vom Vater an den Sohn ist sicher ein Ideal und gleichzeitig eine Realität. Es kann angenommen werden, daß die Söhne der Eliten sich leicht eine Stelle in der Oberschicht sichern können. Die Maßnahmen seiner Restauration nach der Krise der Amarnazeit beschreibt Tutanchamun damit, daß er die Kinder der Beamten als Wab-Priester und Propheten eingesetzt habe 1629 . Ramses II. stellt seine Einsetzung des Sohnes in das Besitztum von dessen Vater damit gleich, daß er das Unrecht im Lande beseitigt habe 1630 . Mit der Amtsfolge eng verbunden ist die Übergabe des Erbes an den rechtmäßigen Sohn. Der älteste Sohn genießt Vorteile gegenüber seinen Geschwistern bei der Verteilung des Erbes der Eltern. Dafür muß er die Kosten für die Bestattung seiner Eltern übernehmen 1631 . Darüber hinaus mußte er wahrscheinlich für die Ernährung derjenigen Geschwister sorgen, die noch nicht imstande waren, einen eigenen Hausstand zu gründen. Die reibungslose Übergabe des Erbes an den rechtmäßigen Erben stellt demnach einen wichtigen Mechanismus zur Sicherung des sozialen Gefüges der Gemeinde dar. Die Aufgabe der richtenden Beamten ist es dann, das Zerfallen dieses Gefüges zu verhindern. Bei Reich wird „die Ausdifferenzierung des Priestertums als sozialer Elite mit den Merkmalen der Erblichkeit, der Abstammung und der Professionalisierung“ durchgesetzt. Assmann (1990a), 264. 1628 Urk. IV, 1382, 1-3; vgl. die etwas andere Ergänzung und Interpretation bei Dziobek, User-Amun, 6 und 13. 1629 bs.n=f wob.w Hm.w-nTr m ms.w sr.w (oder wr.w) nw njw.t=sn „Er führte Wab-Priester und Propheten ein, von den Kindern der Beamten ihrer Stadt.“ Urk. IV, 2029, 9-10. Die Feststellung in der Lehre des Ani: j#w.t nn wn (m)-dj=s Srj „Das Amt, es hat kein Kind.“(Ani B, 20, 6-7) wird in dem Kontext gemacht, in dem Ani seinen Sohn zur Kunstfertigkeit im Lesen und Schreiben anmahnt. Da sowohl Ani als auch seine „Schüler“ zur Mittelschicht der Gesellschaft gehörten, spricht die Behauptung von Ani nicht gegen eine Klassifikation der Gesellschaft. Für die etwas anders lautende Meinung s. Vernus, in: BSFE 59, 31-45. 1630 dj=j s# Hr X.wt jt=f rwj=j bjn nb ntj m t# pn „Ich habe den Sohn auf den Besitz seines Vaters gesetzt. Ich habe alles Böses im Land beseitigt.“ KRI II, 57, 6-10. 1631 Urk. I, 164, 2-3; vgl. Urk. I, 8, 14-17; 15, 15-17; 267, 13. <?page no="277"?> 278 Kapitel VIII - Der Richter als Ordnungshüter 278 der Beschreibung seines Verdienstes zu Lebzeiten betont Ppj-nXt daher nicht ohne Grund, daß er eine Angelegenheit dergestalt gerichtet hat, indem der Sohn nicht von dem Besitz seines Vaters verdrängt wurde 1632 . Der Gaufürst Jt-jb=j behauptet, daß er den Besitz eines Vaters dessen Sohn zugesprochen habe, bevor dieser Sohn geboren war 1633 . An einer anderen Stelle beteuert er, daß er nie den Besitz eines Mannes weggenommen habe, solange der Besitzanspruch rechtmäßig war 1634 . Hier tritt der Gaufürst als der Verfechter für das Recht der rechtmäßigen Erben auf. Die Sicherung der Erbfolge thematisieren die Machthaber in zweierlei Hinsicht. Einerseits haben sie als Statthalter einer Ortschaft nicht zugelassen, daß ein rechtmäßiger Erbe den Besitz seines Vaters verliert. Auf der anderen Seite haben sie ihre Macht nicht mißbraucht. Das heißt, sie sind nicht diejenigen gewesen, die das Erbe des rechtmäßigen Erben an sich gerissen hatten 1635 . NHrj , ein Gaufürst aus der 12. Dynastie paraphrasiert in gewissem Maße die Behauptung des Jt-jb=j , indem er sagt, daß er einen Mann auf die Güter seines Vaters setzte und einer Frau ihr Recht gewährte, bis sie gebar 1636 . Damit ist seine Funktion als Schutzwehr für die Waisen und Witwen deutlich dargestellt. Er bezeichnet sich aus diesem Grund als den „Herrn der Maat“, der „frei von Isfet“ ist 1637 . Der Entzug des Erbanspruchs des Sohnes auf Besitz und Amt des Vaters ist das größte Übel überhaupt 1638 . Bei den Drohungen an einen potentiellen Grabschänder wird betont, daß die Götter seinen Sohn daran hindern würden, an seine Stelle zu treten 1639 . Wenn die Götter zu verhindern imstande waren, daß 1632 n sp wDo(=j) sn.wj m sp sSwjj s# m xr.t jt=f „Niemals richtete (ich) die zwei Brüder so, daß der Sohn vom Besitz seines Vaters verdrängt wurde.“ Urk. I, 133, 4-5; zur Interpretation vgl. Kapitel VI. 1633 [rdj xr.t jt n s#=f m] xrd n Xpr.t=f „[der den Besitz des Vaters seinem Sohn gibt], als dieser als Kind noch nicht geboren war“, Siut III, 5. 1634 nn jTj.n(=j) jS.wt=f [? ]=f mtj „Es gibt keinen, dessen Besitz (ich) weggenommen hätte, wenn sein Besitzanspruch (? ) rechtmäßig war (? ).“ Siut III, 9; die Übersetzung nach Schenkel, MHT, 77 mit Anm. j. 1635 Vgl. dazu: n nS.n(=j) Hr X.t jt=f n tm sDm mdw=f „(Ich) habe (niemanden) vom Besitz seines Vaters verdrängt. Es gibt keinen, dessen Angelegenheit (ich) nicht gehört habe.“ CG 20512, b 5. 1636 rdj s Hr jS.wt jt=f wXd bk#.t r ms.t=s nb m#o.t jwtj jsf.t=f „der einen Mann auf den Besitz seines Vaters setzte, der eine Witwe duldete, bis sie gebar“, Hatnub Graffito Nr. 20, 17-18. 1637 Diese richterliche Handlung bei der Entscheidung eines Erbstreites basiert auf dem Streit zwischen Horus und Seth. Die Auswirkung des Konflikts über das Erbe des Osiris auf die Rechtsauffassung der Ägypter kann man nicht ausdrücklich genug betonen. Davon ist an verschiedenen Stellen meiner Arbeit die Rede. Für unsere Betrachtung hier von Belang scheint mir die Formulierung in Urk. VI, 17, 19-20, wo von dem Sonnengott gesagt wird: msdj ow#j mrj m#o.t rdj s# Hr ns.t jt=f . Der Vorschlag von Rößler-Köhler (in: GM 1, 19), in dem Konflikt zwischen Horus und Seth ähnliche Erscheinungen wie im Avunkulat zu sehen, scheint mir fraglich, da dieser Streit meistens in dem Sinne thematisiert wird, daß Horus Recht hat, während Seth Unrecht hat. In Urk. VI, 17, 19-20 wird vom Sonnengott gesagt: msdj ow#j mrj m#o.t rdj s# Hr ns.t jt=f . Seine Übernahme des Amtes des Hohenpriesters des Widdergottes in Mendes von seinem Vater vergleicht „r-nXt mit dem Akt des Horus, der den „Räuber“ niederwirft und das Amt seines Vaters zu sich nimmt. Daressy, in: Rec. Trav, 35, 126. 1638 Vgl. Urk. VII, 3. 1639 jr grt Hd.tj=fj rn=j Hr twt=j jn nTr.w nw wnt Xsf=sn xrd.w=f m j#w.t=f m-s# mwt=f „Was denjenigen <?page no="278"?> 4. Garant der Erbfolge 279 279 irgend jemand unrechtmäßigerweise den rechtmäßigen Erben beraubt, dann können sie auch ermöglichen, daß ein beraubter Sohn das ihm zustehende Erbe zurückbekommt 1640 . Die göttliche Einwirkung spiegelt sehr wohl die Tatsache wider, daß es im pharaonischen Ägypten ein Zeichen des idealen Zustandes ist, daß der Sohn seinem Vater im Beruf folgt und der Vater seinen Besitz an seinen rechtmäßigen Sohn übergibt 1641 . Der Bürgermeister von This und Vorsteher der Wache Jntf aus der 18. Dynastie beschreibt in seiner langen Autobiographie seine Tätigkeit als Berichterstatter des ganzen Landes. Was seine Handlungen nach dem Erhalten von königlichen Anweisungen anbelangt, sagt er lediglich, daß er jeden Mann auf die Stelle seines Vaters eingesetzt habe 1642 . Das Aufrechterhalten der Erbfolge gehört demnach zu den repräsentativsten Handlungen des richtenden Beamten. Der Wesir Wsr wird von seinem Domänenvorsteher in dessen Grab gepriesen, daß er das ganze Land zufrieden gestellt habe, indem er die Kinder auf den Sitz ihrer Väter setzte 1643 . Auf den ersten Blick erwecken die Äußerungen, daß der Sohn an die Stelle seines Vaters gelangt, den Eindruck, daß es dabei um eine rein verwaltungstechnische Aufgabe des Beamten geht. Die Sicherung der Erbfolge hat jedoch auch einen klaren juristischen Aspekt. RX-mj-Ro , ein anderer Wesir aus derselben Dynastie, macht seine Aussage über die Amtsübergabe des Vaters an dessen Sohn in dem Kontext, wo er über seine Schutzmaßnahme für die Witwe berichtet: jw nX.n=j X#r.t jw[tt] hj sm[n.n]=j s# jwow Hr ns.t jt=f „Ich habe die Witwe beschützt, die keinen Gatten mehr hatte. Ich habe den Sohn, nämlich den Nachfolger, an den Sitz seines Vaters eingesetzt.“ 1644 Der Zusammenhang zwischen der Witwe und dem Waisenkind ist hier wieder deutlich. Er legt die Worte s# und jwow nebeneinander, um hervorzuheben, daß der Sohn im diesbezüglichen Streit der rechtmäßige Erbe war. Bemerkenswert ist außerdem, daß er seine Handlung, den Sohn an die Stelle des Vaters einzusetzen, nicht mit rdj sondern mit smn zum Ausdruck bringt. Es ist leicht zu erkennen, daß RX-mj-Ro damit die Dauerwirkung seiner Maßnahme betonen wollte. Eine klare Unterscheidung zwischen „Sitz“ und „Besitz“ macht Nfr-sXr.w , ein Domänenvorsteher im Königshaus, indem er sagt: [n] dr=j s# Hr s.t jt(=f) bw nS=j s Hr X.wt=f anbelangt, der meinen Namen auf meinem Bild zerstören würde, so werden die Götter des Hasengaues seine Kinder von seinem Amte nach seinem Tode fernhalten.“ Hatnub Graffito Nr. 49, 11-12 1640 Vgl. Louvre C. 14, 13; Badawy, in: CdE 36, 270. 1641 Vgl. Stele des Jntf , Sohnes der Vfj ; MMA Acc. Nr. 57.95. Fischer, in: JNES 19, 258ff. fig. 1 und 2, pl. VII, Z. 5. 1642 Urk. IV, 965, 16-967, 3. 1643 dj.n=f xrd.w Hr s.t jt.w dj.n=f t# nb m Htpw „Er setzte die Kinder auf den Sitz der Väter. Er hat das ganze Land in Zufriedenheit gestellt.“ Urk. IV, 1045, 13-14. Es war weiterhin die schlimmste je vorstellbare Folge, daß das Amt eines Mannes nach seinem Tod seinem Feinde übergeben wurde. Vgl. die Drohung des Jmn-Htp an denjenigen, der ihn an seinem Opferbrot schädigen wird: nHm. tw j#w.t=f Xft-Hr dj.w n s ntj m Xrw=f „Sein Amt wird weggenommen und dem Mann gegeben, der sein Feind ist.“ Urk. IV, 1800, 5. Bei der Unschuldsbeteuerung vor den Nachlebenden ist es ein Bestandteil, daß der Verstorbene zu Lebzeiten nicht den Erben von seinem Sitz verdrängt hat. Vgl. z. B. Urk. IV, 1199, 8. 1644 Urk. IV, 1078, 6-7. <?page no="279"?> 280 Kapitel VIII - Der Richter als Ordnungshüter 280 „Ich habe [nicht] den Sohn von dem Sitz (seines) Vaters vertrieben. Ich habe nicht einen Menschen von seiner Habe verdrängt.“ 1645 Hier ist es möglich, daß s.t und X.wt sich auf das Erbe des Vaters an seinen Nachfolger beziehen. Es läßt sich vermuten, daß Nfr-sXr.w mit dieser Aussage die Absicht hatte, seine zwei Handlungsweisen gegenüber zwei Personengruppen zu betonen. Die Nachfolger der Eliten sollen ihren Vorfahren folgen, indem sie deren Ämter übernehmen, während die „namenlosen“ Bürger ihre Habe an ihre Söhne geben sollen 1646 . Die Amunpropheten der Dritten Zwischenzeit betonen auf ihren Statuen, die im Tempelhof aufgestellt wurden, daß sie zu Lebzeiten dazu beigetragen haben, den Sohn auf den Sitz seines Vaters zu setzen 1647 . Solche Aussagen wurden möglicherweise in zweierlei Hinsicht gemacht. Einerseits ist mit Amtsnachfolge die Aufrechterhaltung der herkömmlichen Ordnung gemeint, da das Verdrängen des Sohnes vom Sitz seines Vaters die Zerstörung des sozialen Gefüges darstellt 1648 . Andererseits wird der Gesichtspunkt der Übergabe des Amtes des Vaters an seinen Sohn besonders in den Tempeldomänen betont, damit der Tempeldienst ein in sich geschlossener „Betrieb“ bestimmter Personengruppen wird 1649 . Die Belege aus der Spätzeit klingen ähnlich wie die aus der Ersten Zwischenzeit und beziehen sich eindeutig auf die richterlichen Entscheidungen zugunsten der rechtmäßigen Erben. Darüber hinaus kann man zahlreiche Neuerungen in den Ausdrücken beobachten, die sicherlich auch die Realität und den Zeitgeist der Periode widerspiegeln. Der Domänenvorsteher der Gottesgemahlin Or-r-w# verbindet die Übergabe des Amtes des Vaters an dessen Sohn mit dem Schutz der Witwe. Er sagt nicht ohne Übertreibung, daß er das Amt dem Amtsnachfolger übertragen hat, als dieser noch in den Windeln war 1650 . Ein 1645 Osing, Das Grab des Nefersecheru, Tf. 43. Aus der Ramessiden Zeit sind wenige Belege bezüglich der Handlungen der richtenden Beamten hinsichtlich der Erbfolge überliefert. Das hängt sicher damit zusammen, worauf die Grabinhaber bei der Zusammenstellung der Inschriften den Schwerpunkt legten. Solange die Verstorbenen ihr diesseitiges Leben in der Form der Idealautobiographie zu beschreiben versuchten, finden wir vereinzelte Aussagen über ihre Bemühungen zu Lebzeiten, die Erbfolge zu garantieren. Vgl. dazu Frood, Biographical Texts from Ramessid Egypt, 45, 96, 143, 194. 1646 In der Arbeitersiedlung von Deir el-Medina übernahmen 12 von insgesamt 28 Vorarbeitern das Amt von ihren Vätern. Černý, Community, 126. B#k-n-%nsw , der unter dem König Ramses II. tätig war, beschreibt ausführlich, wie er für die reibungslose Erbfolge gesorgt habe, dabei macht er klaren Unterschied zwischen dem Sohn, dessen Vater noch lebt, und demjenigen, dessen Vater schon gestorben ist. Vgl. dafür Frood, Biographical Texts from Ramessid Egypt, 45-46. 1647 dhn=j s# <r> s.t jt=f „Ich bestimmte den Sohn (an) die Stelle seines Vaters.“ CG 42214, Jansen- Winkeln, Ägyptische Biographien, Text A8, c. 1648 Stele Berlin 22461, Jansen-Winkeln, in: SAK 22, 180, Abb. 6, 12. 1649 Die Weiterführung des Priesteramtes vom Vater zum Sohn wird als die Bescherung des Gottes betrachtet. CG 42225, Jansen-Winkeln, a.a.O., Text A 10, c 4. Vgl. die zeitlich etwas spätere Aussage des WD#-Or-rs-n.t , daß er den Tempel mit den Söhnen der angesehenen Leute ausgestattet hat, indem kein Sohn eines Armseligen darunter war. Posener, La Première Domination Perse en Égypte, 22. 1650 nD j#w.t n Hr nwd.t „einer, der das Amt dem gibt, der noch in den Windeln ist“, Berlin 8163, Gunn, in: BIFAO 34, 137, rechte Seite 8. Die Übersetzung von Heise (Erinnern und Gedenken, 43) „einer, dem das Amt übertragen wurde, als er noch in den Windeln war“ ist falsch. <?page no="280"?> 5. Der Richter und die Strafe 281 281 anderer Domänenvorsteher Jbj bringt den Schutz des gerechten Erbes und den Schutz der Witwe ebenfalls in Zusammenhang, indem auf einen anonymen Übeltäter angespielt wird, der die Hilflosigkeit der Witwe auszunutzen versucht, um den Besitz des verstorbenen Mannes der Witwe für sich in Anspruch zu nehmen 1651 . Gegen diesen Übeltäter habe Jbj seine Kampfansage erklärt, während er gegenüber dem gerechten Bittsteller höchste Rücksicht zeigt. Die Sicherung der Erbfolge ist schon in der Zeit des Friedens wichtig. Aber während einer Krisenzeit oder bei einer Restauration scheint sie noch viel wichtiger. WD#-Hr-rs-N.t , der in der Perserzeit als Hohepriester der Göttin Neith tätig war, will nach seiner Rückkehr aus Persien die Lebenshäuser von Sais mit neuem Personal ausgestattet haben. Dabei unterstreicht er, daß er bei der Auswahl nicht nur auf den sozialen Status, sondern auch auf den Berufshintergrund geachtet habe 1652 : grg.n=j sn m T.t=sn nb m s# s n s# Hwrw jm rdj.n=j sn xr ow n rX nb [...] n ? k#.t=sn nb Ich richtete sie ein mit ihrem Stab, bestehend aus dem Sohn eines Mannes, ohne daß es einen Standeslosen darunter gab. Ich versetzte sie unter die Anleitung aller Gelehrten [...] ? all ihre(r) Tätigkeiten. 5. Der Richter und die Strafe a. Die Auffassung der Strafe in den Lehren und verwandten Texten Die oben ausgeführten Handlungen des Richters, die Unzufriedenen zufriedenzustellen und potentielle Widersacher zu beruhigen, waren nur Präventivmaßnahmen im Vorfeld der Konflikte oder Verbrechen. Wenn jemand ungeachtet der Bemühung der Beamten gegen andere Menschen oder gegen die Ordnung des Staats verstößt, bleibt den als Richter fungierenden Beamten nichts anderes übrig, als die Übeltäter schonungslos zu bestrafen. Es wird in der Lehre des Ptahhotep das rechte Maß der Strafe betont, aber auf der anderen Seite wird dafür plädiert, daß die Strafe ohne Rücksicht angewendet werden muß, solange die Umstände sie verlangen 1653 . Die gerechte und angemessene Strafe wird außerdem 1651 rdj xr.t jt n s#=f m xrd n Xpr(.t)=f „der den Besitz des Vaters seinem Sohn gibt, als dieser als Kind noch nicht geboren ist“, Kuhlmann-Schenkel, Das Grab des Ibi, Text 99, Tf. 24, 5-6. 1652 Posener, La Premiere Domination Perse en Egypte, 21 (= E 44). Lichtheim, AEL, III, 40, ergänzt in der Klammer „[in order to teach them] all their crafts“. 1653 Xsf Hr tp sb# Hr qd jw nDrt Xow r mnt bj# jr sp n js Hr jj.t rdj Xpr onoj pw m jtnw „Strafe, wie es sich gehört, und züchtige, wie es sich ziemt, dann wird die Eindämmung des Verbrechens beispielhaft. Strafe aber ohne (vorheriges) Verbrechen: sie läßt den Beklagten (? ) zum Widersacher werden.“ <?page no="281"?> 282 Kapitel VIII - Der Richter als Ordnungshüter 282 positive Auswirkungen auf andere Menschen haben, während eine überzogene Strafe nur zusätzlichen Unmut hervorruft. In der Lehre für Merikare werden dem zukünftigen König Richtlinien für die Strafe vorgegeben. Merikare wird ausdrücklich aufgefordert, das Mittel der Strafe zu anzuwenden, sofern eine Übeltat vorkommt 1654 . Mit angemessener Strafe soll Merikare nicht nur das Vertrauen der Menge gewinnen und Gefolgschaft an sich ziehen. Gleichzeitig muß er sich vor dem Gott für die Gewaltanwendung rechtfertigen, daher wird besondere Zurückhaltung beim Töten angemahnt 1655 . Wenn Strafe unbedingt nötig ist, solle Merikare mit Schlägen und mit Verwahrung bestrafen. Die Lehre für Merikare wurde für den Königssohn verfaßt, aber die darin festgelegten Handlungsweisen betreffen bestimmt auch die Beamten, die im Auftrag des Königs die Herrschaftsstrategie in die Tat umsetzen sollen 1656 . Aber die Personen, die Strafe verdienen, werden generell mit xnn-jb (E 25), mdw.tj (E 27), sbj (E 27 und 49) und x#k.w-jb (E 87) bezeichnet; die Strafmaßnahme ist auch fast unterschiedslos. Diese Vorstellung vom Schützen des Gerechten und der Bestrafung des Ungerechten, die gewissermaßen wie ein schwarzweißes Gemälde wirkt, wird in der Geschichte des Bauern am Fallbeispiel eines Raubes ausführlich behandelt. Vor Rnsj stehen der Oasenmann als Opfer und Kläger und Nmtj-nXt als Täter. Nach der Auffassung des Oasenmannes wurde Rnsj vom König unter anderem dafür eingesetzt, den Räuber zu bestrafen und den Elenden zu schützen 1657 . Er soll den bestrafen, der bestraft werden muß. Wenn er dies verfehlt, ist er derjenige, der selbst ein Verbrechen begeht 1658 oder den Raub befiehlt 1659 . Die Schonung des Verbrechers bedeutet die Bestrafung des ungerecht Verletzten und die Ermutigung des Gewalttäters 1660 . Diese Gefahr formuliert der Oasenmann sprichwörtlich mit Hwo Xsf #w jj.t „Ist die Strafe kurz, wird das Unheil lang“ 1661 und sw# Hr sp jw=f r Ptahhotep 495-498, Übersetzung nach Burkard, in: TUAT III, 215. 1654 m sfn Hr sp nDr ... Xsf=k , „Sei nicht milde bei einer Übeltat... du sollst strafen.“ Merikare E 2; nn Tsj dr.tw sbj m Sw#w ssbj.n jt=f jn tw# sh# „Es gibt keinen Protest (? ), wenn [man] den Rebellen fernhält, nämlich den Bettler, den sein Vater zur Rebellion brachte.“ jX Dd rmT [m]-Xmt=k Xsf=k r D#rw jjt[=f] , „Mögen die Menschen auch in deiner Abwesenheit (? ) sagen, daß du entsprechend seinem Vergehen (? ) strafst.“ Die Übersetzungen nach Quack, Studien zur Lehre für Merikare, 17 und 23, 30-31. 1655 sfn ... Xsf=k jw sS#w=k ... m Hoo.wt sm#o Xrw=k r gs nTr „Sei milde..., wenn du strafst! Du bringst die [Leute] zum Jubel. Rechtfertige dich zur Seite des Gottes! “ a.a.O., 29-30; s#w.tj Hr Xsf m nf m sqr(.w) nn st #X n=k „Hüte dich vor ungerechter Bestrafung! Richte nicht hin, wenn es nicht nützlich für dich ist! “ a.a.O., 48, Übersetzung nach Quack, a.a.O., 23 und 33. 1656 In der Lehre eines Mannes für seinen Sohn wird es als gerecht betrachtet, erforderliche Strafmaßnahmen anzuwenden: nn h# md.wt oD#<w.t> r t# „Es dürfen nicht schadenstiftende Reden mißachtet werden.“ Übersetzung nach Fischer-Elfert, Lehre eines Mannes, 117. 1657 B1, 265-266; vgl. auch B1, 224. 1658 B1, 133-134; vgl. B1, 195: m jTj(.w) jrj=k r jT#j , „Raube nicht! Du sollst gegen den Räuber handeln! “ 1659 B1, 136-137. 1660 Vgl. Assmann (1996c) 65f. 1661 B1, 139-140. <?page no="282"?> 5. Der Richter und die Strafe 283 283 sn.wj „Wenn eine Unrechtstat übergangen wird, werden daraus zwei.“ 1662 Unter diesem Gesichtspunkt wird Rnsj von dem verzweifelten Oasenmann als einer bezeichnet, der mit einem starken Arm und einem habgierigen Herzen keine Milde kennt 1663 . Die Bestrafung des Täters wird daher dem Schutz des Opfers gegenübergestellt: Xsf ow# nD Hr m#r m Xpr(.w) m wDn.w r sprw „Bestrafe den Räuber und schütze den Schwachen. Werde nicht zur Überschwemmung gegen den Bittsteller.“ 1664 Ein Richter, der den bestraft, der bestraft werden soll, macht sich fehlerfrei 1665 . Gerade in dieser Hinsicht thematisiert der Oasenmann den Begriff von „Milde“ und fragt, ob die Handwaage, die Standwaage und der Gott Thot gegenüber Unrecht milde sind. Der Richter soll demnach wie der Gott Thot handeln, der eine Angelegenheit gerecht entscheidet und dem gerechten Schwachen Recht spricht. Daher fragt der Oasenmann, wer das Verbrechen bestrafen soll, wenn Rnsj sich taub stellt 1666 . In der Lehre eines Mannes für seinen Sohn wird die strafende Handlung der richtenden Beamten mit der Reaktion der Mitmenschen in Zusammenhang gebracht 1667 . Sogar der Schöpfergott wird für den chaotischen Zustand auf Erden schuldig gemacht, da er die Gewalttätigen nicht rechtzeitig bestraft habe, genau wie Rnsj , der gegen den Räuber keine Maßnahme unternahm 1668 . Als die Schwachen in Trauer den Gott um Hilfe riefen, war der Gott frei von Zorn 1669 . Mit dem Ausbleiben der strafenden Macht werden die Gewalttätigen immer verbrecherischer 1670 . Die Klage über die fehlende Bestrafung der Übeltaten in den sogenannten Klagen sind eigentlich ein Versuch des Mittleren Reiches, die neue Zentralregierung zu rechtfertigen. Der Ruf nach der strafenden Hand stellt sich daher als ein Plädoyer für einen „starken Staat“ dar 1671 . Die verzweifelte Feststellung in den Admonitions, daß die Übeltäter überall sind, während der Mann von gestern nirgends zu finden ist, stellt sich als Legitimation einer etablierten Beamtenschicht dar, die die Gewalttätigen bestrafen und die Elenden schützen soll 1672 . Es wird in den Lehren die Notwendigkeit her- 1662 B1, 246. 1663 B1, 147-148. In seiner vierten Rede muß der Oasenmann noch einmal zur Kenntnis nehmen, daß seine Belehrung und Anflehen nichts nützen, da Sanftmut von Rnsj weit entfernt ist (B1, 234- 235). 1664 B1, 174-176. 1665 jrj Xsf.t r Xsf n=f nn snj tw r tp-Hsb=k „Strafe (denjenigen), der bestraft werden muß, dann wird dich keiner an Rechtlichkeit (wörtlich, deine Norm) übertreffen.“ B1, 178-179. 1666 B1, 198-199. 1667 nn mH jb m wsf.w (sp) Xn Hwrw „Es gibt kein Vertrauen in den, der einen Vorwurf ignoriert.“ Die Übersetzung nach Fischer-Elfert, Lehre eines Mannes, 126. 1668 Admonitions, 12, 2-3. 1669 a.a.O., 12, 5-7; vgl. Fecht, Vorwurf, 54f. In der Prophezeiung des Neferti wird ebenfalls über das Schweigen gegenüber der Übeltat geklagt. Vgl. Lichtheim, AEL I, 142-143. 1670 Die Rechtfertigung der schonungslosen Gegengewalt sieht man in pSalt 825, in dem es um die Vernichtung der Feinde geht. Die vernichtende Gestalt wird durch ein Krokodil repräsentiert. Bemerkenswert ist, daß das Tier eine Maat-Feder auf dem Kopf trägt. vgl. Derchain, Le Papyrus Salt 825 (BM 10051) rituel pour la conservation de la vie en Egypte, pl. 21. 1671 Vgl. Assmann (1990a), 248ff., ders., (1996c) 62ff. 1672 Admonitions, 2, 2. <?page no="283"?> 284 Kapitel VIII - Der Richter als Ordnungshüter 284 vorgehoben, daß die Übeltäter bestraft werden müssen. Die Begründung ist ausnahmslos der dramatisch geschilderte Zustand des Landes nach dem Zusammenbruch des Alten Reiches. Aus den oben erwähnten Lehren und Klagen lassen sich zwei wichtige Punkte erkennen. Erstens werden die Straftaten und Straftäter generell gefaßt und die Strafmaßnahmen undeutlich aber streng angegeben. Der Grund liegt vor allem darin, daß die oben genannten Texte Lehren und nicht Gesetzbücher sind. Aber die schwere Konsequenz im Fall eines Verbrechens wird dem potentiellen Übeltäter klargemacht. Zweitens sind es die Aufgaben der Richtenden, da die Strafmaßnahmen nicht konkret angegeben werden und angegeben werden können, bei ihren richterlichen Handlungen je nach Umstand die entsprechende Strafe zu anzuwenden 1673 . Der König legt in Sachen der Strafe nur die Richtung fest 1674 . Darüber hinaus müssen wir die Tatsache berücksichtigen, daß auch aus dem Mittleren Reich kein kodifiziertes Gesetzbuch überliefert ist. Einerseits ist die Schilderung der „Mißstände“ der Ersten Zwischenzeit in den Texten des Mittleren Reiches ein Teil der „Propaganda“, die vor allem zur Selbstlegitimation gedient hat. Andererseits haben die loyalistischen Lehren und die Klagen die Funktion, sowohl den Beamten als auch den normalen Bürgern den Sinn der Strafe für eine Übeltat klar zu machen. In dieser Hinsicht ist es sinnvoller, die Sätze bezüglich der Strafe allgemein und streng zu formulieren. Die Aussagen über die Strafe könnten auch die Funktion gehabt haben, die potentiellen Verbrecher zu warnen. Es war im Mittleren Reich wahrscheinlich kein kodifiziertes Gesetzbuch oder Strafgesetzbuch erforderlich und die herkömmliche Praxis in Sachen der Strafe scheint mit der verstärkten Einführung der Lehren ausreichend gewesen zu sein. Unter diesem Aspekt kann man die Qin-Dynastie im alten China zum Vergleich heranziehen. Der Erste Kaiser in China hat die streitenden Staaten erst nach langjährigen kriegerischen Auseinandersetzungen vereinigt. Um sein neu gegründetes Reich zu konso- 1673 Diese Ideen kann man in der Geschichte des Bauern in mancher Hinsicht erkennen (B2, 132-133). Nachdem ihm die niedergeschriebenen neun Reden vorgelegt worden waren, betont der König ausdrücklich, daß Rnsj über die Strafmaßnahme selbst entscheiden soll. Mit dem Mund des Oasenmannes wird über Recht und Unrecht bzw. Schutz und Strafe ausführlich gehandelt. Damit hat er die Richtlinien der Strafe beherrscht und soll die konkrete Strafmaßnahme selbst entscheiden. 1674 Diese drei Punkte kann man mit dem Beispiel der königlichen Dekrete verdeutlichen. In seinem Schutzdekret für den Mintempel in Koptos (Urk. I, 280, 14ff.) stellt der König Pepi II. fest, daß das Tempelpersonal nicht für andere Zwecke außerhalb des Tempels eingesetzt werden darf. Betreffend irgend jemand, darunter den Wesir und den Vorsteher von Oberägypten, der gegen die königliche Ordnung handelt, ist es „eine Teilnahme an einem Akt der Empörung ( w# m mdw sbj pw ).“ In einem anderen ähnlichen Dekret (Urk. I, 284ff.) heiß es: msDD njsw.t pw m#o m#o ). Der Ausdruck „ein Akt der Empörung“ wird vor allem als eine Drohformel gedacht, aber wenn eine Teilnahme tatsächlich vorkommt, folgt eine Strafe, die jedoch im einzelnen entschieden werden muß. Am Schluß des Dekrets weist der König den Wesir an, daß irgendein sr oder jmj-s.t-o der dem Befehl des Königs nicht folgt, zur „Halle des Horus“ gebracht werden soll (Urk. I, 283, 12-13). Mit diesem Befehl macht der König lediglich klar, daß die betreffenden Personen bestraft werden sollen. Aber wie sie bestraft werden sollen, liegt in der Hand des Wesirs oder des Vorstehers von Oberägypten. <?page no="284"?> 5. Der Richter und die Strafe 285 285 lidieren, strebte er danach, strenge Strafgesetze zu erlassen. Dieser Versuch schlug jedoch fehl, und das Land geriet wieder in einen Bürgerkrieg. Erst die Han-Dynastie, die aus einem langjährigen Bürgerkrieg aufstieg, erkannte, daß die Strafe allein nicht ausreicht. Vor diesem Hintergrund wurde der Konfuzianismus zur Staatsreligion erhoben, während ein Teil der Qin-Gesetze erhalten blieb 1675 . Strafe soll nicht nur der Strafe selbst wegen da sein. Strafmaßnahmen sollen dazu beitragen, die Straftäter zu belehren und dadurch die Straftaten zu vermindern 1676 . Die Strafmaßnahmen wurden immer mit Ermahnungen an die Richter begleitet, Rücksicht auf die zu Bestrafenden zu nehmen 1677 . Das Streben der Han-Dynastie, die Straftaten an Stelle von einem einheitlichen Gesetzbuch je nach den Umständen zu beurteilen und zu behandeln 1678 , könnte möglicherweise einen Hinweis auf eine ähnliche Praxis im Ägypten des Mittleren Reichs geben. Für das Neue Reich im alten Ägypten kann man ebenfalls konstatieren, daß der König nur richtungsweisende Satzungen erteilt. Dem Oberdomänenvorsteher Qn-Jmn wird bei seiner Berufung vom König folgende Anweisung betreffs der Strafmaßnahmen gegeben: wdj=k o=k Doj.n=k bt# „Erhebe deine Hand, nachdem du das Verbrechen untersucht hast.“ 1679 Bei dieser Anweisung handelt es sich zweifellos um die Bestrafung der Straftäter. Aber die Frage, was für eine Strafe einer Straftat beizumessen ist, wird dem richtenden Beamten überlassen 1680 . In der Amtseinsetzung des Wesirs wird die Behandlung der Bittsteller festgelegt. Es ist selbstverständlich, daß es hier nicht viel Raum für Strafe gibt. Aber die Rücksicht, die der König zugunsten der Bittsteller fordert, ist außergewöhnlich. Der König stellt ausdrücklich fest, daß der Richter nicht unrechtmäßig gegen einen Bittsteller in Zorn geraten soll. 1675 Der im Geschichtsbuch des Si Maqian geschilderte Staat, in dem der König in zeremoniellen Gewändern mit Lächeln regiert, während die Waffen ruhen und die Strafe nicht angewendet wird, befindet sich nur in der Zeit der legendären Urzeit. Chavannes, Les Mémoires Historiques de Se-ma- Tsien etc. III, S. 238. Die Han-Dynastie hat durch Erfahrung gelernt, daß die idealistische Idee, einen Staat ohne Strafe und nur mit Erziehung zu regieren, nicht verwirklicht werden konnte. Dazu vgl. Bünger, in: Fikentscher et alii (Hgg.) Entstehung und Wandel, 453. 1676 „Besserung der Besserungsfähigen, Unschädlichmachung der Unverbesserlichen“, ein Satz von Liszt, zitiert von Vogel, Die historischen Grundlagen des chinesischen Strafrechts, 64. In dieser Hinsicht scheint die Tatsache, daß es im alten China kein Gefängnis als Strafe gab (Vogel, a.a.O.), leicht verständlich. Für die altägyptischen Verhältnisse muß man daher Vorsicht üben, wenn es sich um den Terminus „Gefängnis“ geht. Dabei muß man besonders in Betracht ziehen, daß es im alten Ägypten eine relativ kleine Bevölkerungszahl gab, während der Bedarf an Arbeitskräften wegen großen Bauprojekte stets groß war. 1677 Vogel, Die historischen Grundlagen des chinesischen Strafrechts, 71. 1678 a.a.O., 97-98. 1679 Urk. IV, 1388, 3. 1680 Die konkreten Straftaten sind nicht vorhersehbar und die entsprechende Strafe kann nur im Umfeld des Tatorts entschieden werden. Im alten China wurde der Spielraum des Beamten bei seiner Entscheidung mit der folgenden Wendung zum Ausdruck gebracht: „Wenn ich (der König) sage: ‚Strafe‘, so sollst du nicht strafen. Wenn ich sage: ‚Begnadige‘, so sollst du nicht begnadigen.“ Zitiert von Vogel, Die historischen Grundlagen des chinesischen Strafrechts, 72. <?page no="285"?> 286 Kapitel VIII - Der Richter als Ordnungshüter 286 Er darf sich nur erzürnen über das, worüber man sich erzürnen solle 1681 . Der Richter darf sogar einen zu unrecht Prozessierenden erst dann zurückweisen, nachdem er den Grund der Zurückweisung erklärt habe 1682 . Was die Bestrafung des Unrechts anbelangt, gebraucht der König die Worte bTnw und sbj , womit viele verschiedene unter Strafe stehende Taten gemeint sein könnten 1683 . In dem Restaurationsdekret des Tutenchamun werden alle Übel, die beseitigt werden müssen und alle Übeltaten, die bestraft werden müssen, mit jsf.t „Unrecht“ und grg „Lüge“ zusammengefaßt: „Er vertrieb das Unrecht im ganzen Land, indem die Wahrheit [auf ihrem Platz] befestigt wurde. Er erklärte die Lüge zum Abscheu und das Land war im Zustand der Urzeit.“ 1684 Die Wiederherstellung der Ordnung heißt, daß an der Stelle der jsf.t die m#o.t zurückgekehrt ist. Da der König die Lüge zum Abscheu erklärt, ist das Land in den Urzustand eingetreten. Den gleichen Gedankengang verfolgt Haremheb bei der Abfassung seines Dekrets. Das beste Schutzmittel für das ganze Land sieht er darin, das Unrecht ( jsf.t ) zu vertreiben und die Lüge ( grg ) zu beseitigen 1685 . In den Lehren des Neuen Reiches und der Spätzeit wird ebenfalls die Notwendigkeit der Strafe betont. Aber mit der Veränderung der Verfasserschaft und der Zielgruppe der Lehren ist nun das eigentliche Ziel der Abschnitte, in denen die Strafe erörtert wird, anders geworden. Die Lehren des Mittleren Reiches wurden für die zukünftigen Beamten, die gleichzeitig als Richter fungieren würden, für ihren Erfolg in der Laufbahn des Königsdienstes verfaßt. Daher sind die Zielgruppe der Lehren diejenigen, die Strafmaßnahmen durchzuführen hatten 1686 . In der Spätzeit wurden die Lehren für die mittelständischen und normalen Menschen zu ihrem Wohlergehen im Leben konzipiert 1687 . Die darin vorkommenden Bemerkungen über Strafe stellen sich demnach als eine Warnung an die Leser oder Hörer dar, sich von möglicher Strafe fernzuhalten. Gesetz und Strafe sind von ein- 1681 m jrj #dw r s m nf #d=k Hr #d.t Hr=s „Sei nicht wütend gegen einen Mann ungerechterweise. Du sollst darüber wütend sein, worüber man wütend sein muß.“ Faulkner, in: JEA 41, 20, 9. 1682 hd=k sw rdj.n=k sDm=f n# hd=k sw Hr=s „Du sollst ihn abweisen, nachdem du ihn hast hören lassen, weswegen du ihn abweist.“ Urk. IV, 1090, 13-14. 1683 Vgl. die Anweisung des Königs bei der Berufung des Wesirs Wsr : Xnr=f bT[nw] Xsf[=f] sbj „Er soll den Frevler einsperren und den Rebellen abwehren.“ Dziobek, User-Amun, 10. In der Lehre des Aamethu werden die Straffälligen mit #dw-jb dargestellt: Xsf #dw-jb s nb [m] mk.t hnw=f „Weise den Wütenden zurück. Jeder Mann ist der Schutz seiner Anhänger.“ Dziobek, a.a.O., 32. Hier könnte man eine Nuance zwischen der „Staatsebene“ und der „privaten Ebene“ erkennen, da in dem ersten Beispiel der König die Aufgaben des Wesirs als höchster Staatsbeamter erläutert, während im zweiten der Vater über den Schutz der Gefolgsleute spricht. 1684 dr.n=f jsf.t Xt t#.wj m#o.t mn.tj [m s.t=s] dj=f wn grg m bwt t# mj sp=f tpj , Urk. IV, 2026, 17-19. 1685 wn.jn Hm=f Hr w#w# sH Hno jb=f [Hr] Xwt t# nb r-Dr=f ... dr jsf.t sHtm grg sXr.w Hm=f m jbw mnX Xsf #dw... „Seine Majestät suchte Rat mit seinem Herzen [über] den Schutz des ganzen Landes. ... die Sünde zu vertreiben und die Lüge zu vernichten. Die Pläne seiner Majestät sind eine treffliche Schutzwehr, die die Wut abhält-…“ Urk. IV, 2142, 15-2143, 1. 1686 Die stets begleitenden Ermahnungen bei der Bestrafung sind erst in diesem Zusammenhang zu verstehen. 1687 Diesen Prozeß erkennt man schon in den Lehren des Neuen Reiches. <?page no="286"?> 5. Der Richter und die Strafe 287 287 ander abhängig betrachtet, denn ohne Strafe ist das Gesetz wirkungslos 1688 . Jede Art von Strafe bedarf einer Rechtfertigung und umgekehrt ist jede Unrechtstat strafbar 1689 . Es wird gesagt, daß Diebstahl aus Habgier die Todesstrafe verdient 1690 . Die einzige Möglichkeit, von Strafe frei zu sein liegt darin, sich von Straftaten fernzuhalten 1691 . In den Lehren kann man zwei Richtlinien erkennen. Zu den Richtenden wird gesagt, daß sie diejenigen strafen sollen, die eine Straftat begangen haben. Gleichzeitig werden sie davor gewarnt, jemanden unrecht oder überzogen zu bestrafen. Gegenüber dem Schüler aus der mittleren Schicht, damit auch der Masse der Gesellschaft, wird ebenfalls klargestellt, daß eine Straftat eine entsprechende Strafe nach sich zieht. Das Hauptziel liegt darin, den Schüler von Straftaten abzuhalten. b. Die Schilderungen der Strafe in den Autobiographien In den autobiographischen Inschriften findet man ebenfalls nur generelle Aussagen, wie die Verstorbenen zu Lebzeiten die Übeltaten bestraft hatten. Eine konkrete Angabe, wie der richtende Beamte einen Verbrecher bestraft hat, findet man nicht. Dafür könnte es drei Gründe gegeben haben. Erstens, da die verfügbare Fläche für die autobiographische Schilderung begrenzt war, wurden die Verfasser gezwungen, die Angaben möglichst zu komprimieren und charakterisieren. Der zweite Grund hängt mit den oben behandelten Aspekten der Strafe in den Lehren zusammen. Es kommt hauptsächlich darauf an, zu betonen, daß der Richtende, im Einklang mit den Forderungen in den Lehren, diejenigen bestraft habe, die Strafe verdient haben. Die strafenden Tätigkeiten werden daher in sehr formelhaften Ausdrücken beschrieben 1692 . Drittens wurden die autobiographischen Inschriften deswegen verfaßt und an den Wänden angebracht, damit die Nachlebenden gegenüber den Leistungen des Verstorbenen aus Ehrfurcht oder aus Dankbarkeit keinen Frevel gegen das Grab oder die dortige Ausstattung verüben sollten. In diesem Zusammenhang würden sich konkrete Angaben über die Bestrafung zu Lebzeiten schlecht mit dem eigentlichen Ziel der Inschrift vereinbaren lassen. Besonders in den autobiographischen Inschriften des Alten Reiches nehmen die Aussagen eine wichtige Position ein, die den Besuchern des Grabes erklären, daß der Verstorbene nichts Böses gegen seine Mitmenschen getan habe. Er habe nämlich schön geredet 1688 pInsinger, 14, 16; vgl. auch 27, 11. Lichtheim, Late Egyptian Wisdom Literature, 211ff. 1689 Lehre des Anchscheschonqi 12, 19, Lichtheim, a.a.O., 77. 1690 a.a.O., 15, 9, Lichtheim, a.a.O., 212. 1691 Lehre des Anchscheschonqi 12, 15, Lichtheim, a.a.O., 77. 1692 Dabei könnte die Überlegung der Ägypter eine Rolle gespielt haben, irgendeine Bestrafung in den Inschriften zu präzisieren, denn der Zweck der autobiographischen Inschriften liegt darin, dem König, den Göttern und vor allem den Mitmenschen ihre ideale Lebensführung zu zeigen. Darüber hinaus muß man in Betracht ziehen, daß die sogenannte Idealbiographie gerade aus dem Bestreben der Verstorbenen entstanden war, die Gräber und die darin befindende Ausstattung zu schützen. Es ist daher gut vorstellbar, daß die Verfasser der Inschriften mit den Äußerungen über die Strafe außerordentliche Vorsicht geübt haben. <?page no="287"?> 288 Kapitel VIII - Der Richter als Ordnungshüter 288 und Gutes getan. Er habe niemanden vor den Machthabern oder der Majestät verleumdet. Er habe nicht verursacht, daß andere sich über ihn ärgern mußten. Er sei es gewesen, der sich um eine Aussöhnung bemühte, als er von anderen geärgert wurde. Er habe den Hilfsbedürftigen geholfen, und beim Richten der zwei Parteien habe er versucht, beide Seiten zufriedenzustellen, indem eine einvernehmliche Lösung gefunden wurde 1693 . Den Schwachen und Unterdrückten habe er aus der Hand des Starken gerettet. Aber die Persönlichkeit des Starken wurde nie konkretisiert 1694 . Für die Erste Zwischenzeit erwartet man eigentlich, daß die autobiographischen Inschriften über die Strafmaßnahmen der Machthaber Auskunft geben würden, wenn man die geschilderte Krisensituation in den Inschriften betrachtet; dies gilt erst recht für die dramatischen Beschreibungen in den literarischen Texten des Mittleren Reiches. In den Texten treffen wir viele Hilfesuchende, die mit „Elende“, „Schwache“, „Arme“, „Witwen“, „Waisen“ und anderen Termini bezeichnet werden. Aber über die Straftäter, die diese benachteiligten Gruppen unterdrückt haben, bekommt man weiterhin keine nähere Information. Der Gaufürst onX.ti=fj beschreibt in seiner Autobiographie, wie er durch Berufung seines Gottes nach Edfu kam, um dort die Ordnung wieder herzustellen. Den chaotischen Zustand in Edfu vergleicht er mit einer Ansiedlung, die überschwemmt worden war. Der Gau sei unter dem Zugriff eines „Streitsüchtigen“ ( xnn.w ) und unter der Leitung eines „Ehrlosen“ ( Hwr.w ) gewesen 1695 . Als weitere Ursache gibt er außerdem an, daß der „Verantwortliche“ ( jrj=f ) seine Aufgaben vernachlässigt habe 1696 . Wen und was onX tj=fj mit den beiden Bezeichnungen xnn.w und Hwr.w genau gemeint hat, läßt sich nicht exakt bestimmen 1697 . Er erwähnt nicht, welche Strafmaßnahmen er ergriffen habe. Statt dessen schildert er ausführlich seine Tätigkeiten zur Wiederherstellung der Ordnung. Er behauptet, daß er bei einem Mordfall veranlaßt habe, daß sich der Hinterbliebene des ermordeten Menschen mit dem Mörder versöhnte 1698 . Seine Anordnung, die „Hitze des Aggressiven“ ( Smm.t [#d.w] ) nicht mehr zuzulassen, begründet er damit, daß die Streitsucht eine „schlechte Eigenschaft“ ( qd Dw ) darstellt, die die Bürger des Gaues haßten 1699 . Er identifiziert sich selbst mit dem Verfechter der Interessen der Gemeinde, und die Bestraf- 1693 Vgl. hierzu Kapitel VI. 1694 Für diesen Aspekt vgl. Kapitel VII. 1695 Vandier, Mo c alla, 163, Inschrift Nr. 2, I,a,3. Ich folge der Übersetzung von Schenkel, MHT, 45-46. 1696 a.a.O. 1697 In der Lehre für Merikare (E 24-25) wird der „Streitsüchtige“ ( xnn-jb ) als der „Unruhestifter“ ( sh# ) einer Stadt bezeichnet, der Zwietracht in der Mannschaft sät und daher eine strenge Strafe bekommen soll. In den Admonitions (6, 11) wird gesagt, daß die Leute, die mit Hwrw.w bezeichnet werden, die offiziellen Dokumente auf offener Straße zerstören. In 7, 2 wird sogar gesagt, daß der König nicht vom Rauben verschont blieb ( Sd njsw.t jn Hwrw.w ). 1698 Vandier, a.a.O., 163, I,b, 1. Hier wird nicht nur die persönliche Rache untersagt, sondern die Gewaltausübung des Gaufürsten zielt darauf ab, die friedliche Koexistenz unter den Leuten zu fördern. 1699 Vandier, a.a.O., 163, I,b, 1-2. In der Autobiographie des ! nqw (Urk. I, 76-79), der über seine ungewöhnlichen Leistungen ausführlich berichtet, findet man keinen Satz über die Bestrafung eines Übeltäters. <?page no="288"?> 5. Der Richter und die Strafe 289 289 ten sind daher die Feinde der Gemeinde. Dies legitimiert seine Vorgehensweisen, den zu schützen, der ihm folgt, und den zu bestrafen, der sich ihm widersetzt. Er repräsentiert die Meßschnur für Recht und Unrecht. Der zu Bestrafende wird daher als der „Unwissende“ ( Xm ) und der „Elende“ ( Hwr.w ) 1700 bezeichnet, dessen Identität er und seine Mitmenschen kannten, die aber für uns schwer zu erkennen ist 1701 . Über seine strafende Handlung schreibt der Gaufürst Jt-jb=j aus Siut: „Ich tat auf Erden Nennenswertes. Ich spuckte auf den Raub und verabscheute eine zerstörerische Tat.“ 1702 Die zwei Reaktionen „ins Gesicht spucken“ und „verabscheuen“ sind sehr bemerkenswert. Sie bezeichnen mehr als eine mißbilligende Haltung. Das „Spucken“ hat eine übertragene Bedeutung gehabt. Genau wie onX.tj=fj , zieht Jt-jb=j das öffentliche Interesse heran. Jener sagt, daß er diejenigen bestraft habe, die schlechte Eigenschaften hatten, und dieser behauptet, daß er nach den Meinungen der Bürger gehandelt habe 1703 . Die wirklichen Strafmaßnahmen sind hinter dieser unpräzisen Angabe verborgen 1704 . Es läßt sich übrigens nicht mit Sicherheit sagen, ob sich unter dem Wort bwj nur die mißachtende Haltung des Jt-jb=j oder dahinter noch eine rechtliche Vorgehensweise verbirgt. Die Angabe ist in beiden Fällen so gemacht, daß sie eine positive Wirkung auf die Nachlebenden haben würde 1705 . Jt-jb=j begründet seine mißbilligende Haltung gegenüber den Streitsüchtigen damit, daß der Streit ein Abscheu des Gottes sei 1706 . 1700 Dieses Wort wird auch zur Bezeichnung der Person benutzt, die den Gau Edfu ins Chaos versetzt hatte. 1701 Vandier, Mo c alla, I.b, 3-4. 1702 jrj.n=j Sfj tp t# pog ( für psg ) Hr T#w.t bwj nss n X.t , Siut III, 9. 1703 Auf seiner Stele in Krakau sagt Mrr , daß er nicht in die Augen eines guten Menschen gespuckt habe. Černý, in: JEA 47, 7. 1704 Ein Punkt muß an dieser Stelle noch unterstrichen werden, nämlich, daß die ägyptische Strafe nicht ausschließlich aus einem juristischen Gesichtspunkt betrachtet werden soll. Wie in den vorigen Kapiteln behandelt wird, waren die richtenden Beamten im alten Ägypten mehr als nur Richter. Sie konnten die Verurteilten in mehrererlei Hinsicht bestrafen. Gefragt, warum er ins Ausland gekommen sei, antwortete Sinuhe, daß sein Herz ihn zum Fliehen geführt hatte. Er empfand es dennoch als notwendig, zu erklären, daß ihm zu Hause in der Heimat nichts vorgeworfen und nicht auf das Gesicht gespuckt worden war ( n wf#.tw=j n psg.tw=j r Hr=j ). Sinuhe B, 38-41, Roland, Die Erzählung des Sinuhe, 28-29. Parant, L’Affaire, 42, sieht darin hauptsächlich die Zustimmung oder Mißbilligung der Gesellschaft. Meiner Meinung nach kann der Akt auf eine viel schlimmere Konsequenz hindeuten, wie zum Beispiel Verbannung. 1705 Vgl. zum Beispiel, [jnk] dr bw nb bjn , Siut III, 6-7. In der Geschichte des Bauern sagt der Oasenmann, daß die richtenden Beamten diejenigen sein sollen, die das Schlechte beseitigen ( xsr Dw.wt ) und das Gute fördern ( nbw bw nfr , B1, 319). Unter den Begriff fallen daher wohl alle zu bestrafenden Täter und Taten. 1706 Snj mj bw.t nTr , Siut III, 11. In seiner Rede an seinen Sohn legt $tj fest, daß die Empörer niedergeschlagen werden müssen: sXr x#kw-jb.w , Siut IV, 6. Der x#kw-jb gehört unter diesem Aspekt zum absoluten Feindbild, da er den Regimegegner darstellt. In der Lehre für Merikare, die angeblich $tj für seinen Sohn verfaßt haben soll, wird die Frage der Strafe ebenfalls behandelt (E 48-50). Merikare wird jedoch zu höchster Vorsicht gemahnt. Er soll nicht töten, sondern strafen durch Schlagen und Züchtigen, aber mit Ausnahme des Rebellen ( sbj ). Diesen muß Merikare mit dem Todesurteil bestrafen. Aber dies sagt $tj nicht direkt, sondern bezeichnet den Gott als den Strafvollzieher. Der Gott kennt den „Empörer“ ( x#kw-jb ) und bestraft ihn mit „Blut“ (Todesstrafe). <?page no="289"?> 290 Kapitel VIII - Der Richter als Ordnungshüter 290 Der Gaufürst Ef#j-Oopj beschreibt seine Reaktionen, die seine Liebe und seinen Haß deutlich zum Ausdruck bringen, wie folgt: dSr jb m##=f tkr nb bnr.t n jrr mtn=f jnk dr q#j-s# m bTn-jb sjd.w m Hm.wt-r# jnk Xsf ow#j m w#.t=f [d]r own jb m Ts.t=f Der wütend ist, wenn er einen Übertreter sieht, Herr der Anmut gegenüber dem, der auf seinem (des Ef#j-Oopj ) Weg geht; ich war einer, der die Überheblichkeit des Widersachers vertrieb, der mit magischem Spruch Ruhe und Ordnung bringt, der den Räuber auf seinem Weg bestraft, der mit seiner Truppe den Habgierigen vertrieb 1707 . Wir sehen, daß der Übeltäter und der Gehorsame wie schwarz und weiß einander gegenübergestellt werden. Die Überheblichkeit des Ungehorsamen muß daher strickt ohne Zögerung zurückgewiesen werden. Den Räuber muß der Richter auf seinem Weg schon im Vorfeld des Verbrechens bestrafen. Besonders auffallend ist die Behauptung des Ef#j-Oopj , daß er mit Hilfe seiner Truppe den Habgierigen bestraft habe. Hier ist sicher kein Einzelner, sondern eine Gruppe gemeint. An einer anderen Stelle geht er auf seine Maßnahmen gegen die Übertretung der Gesetze noch einmal ein: bwt grg dr jsf.t [Ts xnn.t] sb# dr nw (Ich war einer,) dessen Abscheu die Lüge war, der das Unrecht vertrieb, der die Störung aufhebt, das Winkelmaß, das das Verbrechen beseitigt 1708 . Oben wurden die Straftäter mit tkr , bTn-jb , ow#j und own jb bezeichnet. In diesem Abschnitt werden die Straftaten mit grg , jsf.t , xnn.t und nw zusammengefaßt 1709 . Diese zwei Gruppen von Termini könnten alle Leute und Taten, die strafbar waren, bezeichnen, wenn die Äquivalente in unseren modernen Sprachen dies auch nicht vollständig zum Ausdruck zu bringen vermögen. Es bleibt die Frage offen, ob die Ägypter, die diese Aussagen lasen, verstanden haben, was die Verstorbenen damit konkret meinen wollten. 1707 Urk. VII, 54, 17-55, 1. 1708 Siut I, 265 = Urk. VII, 63, 5-6, die Ergänzung nach Edel, Beiträge zu den Inschriften des Mittleren Reiches, 22. Der Streitsüchtige wird in der Lehre für Merikare mit dem Unruhestifter gleichgesetzt: sh[#] pw n njw.t xnn-jb , „Der Streitsüchtige ist der Unruhestifter der Stadt.“ E, 24-25. 1709 In Zeile 242 seiner Autobiographie (Urk. VII, 57, 18) formuliert er seine Aussage noch kürzer: dr sp Xpr.w , „der einen (Unrechts)Fall vertrieb, wenn er eintrat.“ <?page no="290"?> 5. Der Richter und die Strafe 291 291 Die Idee, daß eine Straftat oder ein Straftäter eine entsprechende Strafe erhalten solle, drückt MnTw-Htp mit dem Prinzip aus, das Assmann sehr zutreffend mit „dem Rückkehr der Tat zum Täter“ bezeichnet 1710 : rdj grg n Dd sw m#o.t n jj xr=s Der die Lüge dem zurückgibt, der sie sagt, und die Maat dem gibt, der mit ihr kommt 1711 . Mit dieser Aussage könnte man vielleicht die schon erwähnte Behauptung des Gaufürsten onX.tj=fj verbinden, der seinen Willen, den er mit dem Interesse der Gemeinde in Zusammenhang brachte, als die einzige Meßschnur betrachtete, ob ein Mensch bei ihm Gunst erhalten oder auf Haß stoßen würde 1712 . MnTw-Htp hat die radikale patronbezogene Idee abgemildert, indem er seine Haltung davon abhängig macht, ob die betreffende Person eine „Lüge“ oder die „Wahrheit“ sagt. Die unverminderte Befugnis zur Strafe wird eigentlich dem König vorbehalten: „Bastet ist er, die die beiden Länder schützt, und wer ihn verehrt, den wird sein Arm schützen. Aber Sachmet ist er gegen den, der seine Weisung übertritt, und wen er in Ungnade hält, der wird zum Vagabunden.“ 1713 Dieses Prinzip wird im Neuen Reich in mehreren anderen Formen zum Ausdruck gebracht. J#m.w-nDH , der Vorsteher der Wache in der Regierungszeit des Thutmosis III., sagt, daß er „sich freundlich [an den wendete], der gerechten Herzens war und dem entschieden entgegentrat, der gewalttätig war“ 1714 . Jntf , der ebenfalls dem König Thutmosis-III. diente, sagt: wdj qn n wdj qn sXm jb r sXm jb Der tapfer kämpft gegen den, der tapfer kämpft, der Gewalt übte gegen den Gewalttätigen 1715 . Die exakte Bedeutung dieser Aussage, die wie ein Sprichwort als Wortspiel formuliert wurde, ist schwer wiederzugeben. Aber die Idee ist leicht zu erkennen: wer von der harten Strafe verschont bleiben will, muß sich von der strafbaren Tat fernhalten. Es findet sich in der langen Autobiographie des Jntf noch eine ähnliche Formulierung: 1710 Assmann (1990a), 64. 1711 CG 20539 I b, 8. 1712 Vandier, Mo c alla, I.b, 3-4. 1713 Loyalistische Lehre § 5; Brunner, Weisheitsbücher, 181. 1714 [wDb] [s]w n m#o jb D# sw m Hsj jsf.tj , Urk. IV, 945, 13-14. Für die Bestrafung der Sünder vgl. Jmn-Htp , Sohn des Opw : jnk m#o bwt grg dr jsf.t... Ts xnn.t , Urk. IV, 1825, 15-17. 1715 Urk. IV, 968, 15-16. <?page no="291"?> 292 Kapitel VIII - Der Richter als Ordnungshüter 292 sm#o Xrw n m#o.t(j) hd oD# Hr oD#=f Der den rechtfertigt, der gerecht ist, der den Übeltäter wegen seines Unrechts abweist 1716 . Die gleiche Idee formuliert RX-mj-Ro noch kürzer aber deutlicher, da er uns über den Kontext informiert, in dem seine angegebene Handlung stattgefunden haben könnte: pr.t tp t# tp dw#jj.t r jr.t Xss.t m xr.t hrw r sDm mdw rXjj.t / / / / / [hnn] spr.wt Smow mHw nn gfn r ktt wr kf.t m#r sjsj #tp(.w) sbj sDb r jr(.w) sw Erscheinen auf Erden am Morgen, um täglich das Gelobte zu tun, um das Volk zu hören, / / / um die Gesuche Ober- und Unterägyptens [entgegen zu nehmen], ohne den Kleinen oder den Großen abzuweisen, um den Elenden zu helfen und den Beladenen zu erleichtern, um dem das Unheil zu bringen, der es angerichtet hat 1717 . Diese Aussage macht er in dem Kontext, in dem er seine Amtssitzung beschreibt. Diese Sitzung des Wesirs beschreibt er fast im kosmischen Sinne, indem er wie die Sonne, oder besser wie der Sonnengott, täglich früh am Morgen erscheint. Gegenüber den Bittstellern und den Hilfsbedürftigen streckt er seine rettende Hand aus. Diese klare Haltung gegenüber dem Rechten und dem Unrechten ist auch für den König und die Götter belegt. Der König Seti I. legt sein Prinzip der Strafe wie folgt fest: jr th sp n kjj Xpr n=f pH.wj m jrr mjtt „Was den anbelangt, der das Interesse eines anderen schädigt, so wird ihm genau das gleiche geschehen.“ 1718 Der Gott Thot wird dafür gepriesen, daß er „jeden gemäß seinen Taten bestraft ( soHo sp r jr s) .“ 1719 Das Prinzip der Reziprozität im Bereich der Solidarität, das vor allem im Mittlren Reich seine Blüte erlebte, ist demnach auch in Bezug auf 1716 Urk. IV, 971, 16-17. 1717 Urk. IV, 1139, 11-1140, 2. 1718 KRI I, 68, 5. 1719 Urk. IV, 2091, 20. <?page no="292"?> 5. Der Richter und die Strafe 293 293 die Strafe gültig. Dieses von Assmann als Paradigma von „Schenken und Vergelten“ 1720 bezeichnete Prinzip findet in dem Denkmal Memphitischen Theologie eine ausführliche Behandlung: <sw djw m#ot> n jrrw mrrt <sw djw jzft n> jrrw msDDt sw djw onX n xrj-Htp sw djw mt n xrj-Xbt <Und so wird Ma`at gegeben dem>, der tut, was geliebt wird, <und so wird Isfet gegeben dem>, der tut, was gehaßt wird. Und so wird Leben gegeben dem Friedfertigen und Tod gegeben dem Rebellischen 1721 . Die Straftäter müssen sich für ihre Straftaten nicht nur auf Erden, sondern auch im Totengericht mit der Regel „Schenken und Vergelten“ verantworten, da der Gott im Jenseits gemäß demselben Paradigma handelt: „Er gibt Isfet dem, der sie tut, und Ma’at dem, der mit ihr kommt.“ 1722 Im Totenbuch beobachten wir ebenfalls, daß Selbsthilfe im Jenseits weitgehend untersagt wird. Darin werden die Aufgaben der Vergeltung und Bestrafung von den richtenden Göttern übernommen 1723 . Neben den generellen Behauptungen, daß die Straftäter entsprechend bestraft werden, sieht man in den Autobiographien des Jntf und RX-mj-Ro die Versuche, die Straftäter und die darauf folgenden Handlungen des Richters mit spezischen Termini zu bezeichnen. Der Bürgermeister von This Jntf berichtet über eine Reihe von Straftätern und Straftaten. Den „Widersacher“ ( btn.w ) habe er „gebändigt“ ( wof) 1724 ; denjenigen, der „Böses anrichtete“ ( wdj qn ), habe er „schonungslos zurückgewiesen“ ( wdj qn ) 1725 ; gegenüber dem „Gewalttätigen“ ( sXm jb ) sei er „entschieden aufgetreten“ ( sXm jb ) 1726 ; den Arm des „Hochmütigen“ ( q#j s# ) „ließ er niedersinken“ ( sdH ) 1727 und die „Kraft des Gewalttätigen“ ( mds 1720 Assmann, a.a.O. 1721 Sethe, Dramatische Texte, 64f, zitiert von Assmann (1990a), 64. 1722 Urk. V, 57, 7-8; Assmann (1990a), 64. Vgl. die oben zitierte Aussage des MnTw-Htp : rdj grg n Dd sw m#o.t n jj xr=s . 1723 Die Behauptung von Boochs, daß „die Verfolgung von Verletzungen privater Rechtsgüter dem Verletzten selbst oder dessen Angehörigen überlassen“ werden (in: LÄ VI, 68), ist meiner Meinung nach falsch. Nicht nur die Aussagen in den Autobiographien, sondern auch die Protokolle der Gerichtsverhandlungen aus Deir el-Medina sprechen dagegen. 1724 Urk. IV, 968, 11. Die Mißachtung der Worte des Vaters wird mit btn ausgedrückt (Ptahhotep 210). 1725 Urk. IV, 968, 15. Die mehrfachen Bedeutungen des Wortes wdj und die ähnlichen Formen der Worte „Böses, Schaden“ und „kräftig, tapfer“ werden hier in einer raffinierten Weise angewendet. Man erinnert sich an die Regel „Auge um Auge, Zahn um Zahn“. Aber diese Vergeltung, die unten noch einmal vorkommt, wurde nicht vom Opfer selbst, sondern von den richtenden Beamten im Interesse der Gemeinschaft durchgeführt. 1726 Urk. IV, 968, 16. 1727 Urk. IV, 968, 17; vgl. jnk dr q#j s# m bTn-jb , „Ich habe die Überheblichkeit des Übeltäters zurück- <?page no="293"?> 294 Kapitel VIII - Der Richter als Ordnungshüter 294 jb ) habe er „vernichtet“ ( sHtm ) 1728 ; den „Gegner“ ( rqw ) habe er „beseitigt“ ( bHn ) 1729 , und dem „Gewaltsamen“ ( #dw ) sei er „entgegengetreten“ ( Xsf ) 1730 . An einer Stelle sagt Jntf , daß er gegen den „Schwätzer“ ( S# r# ) „nicht mild“ ( tm sfn ) gewesen sei 1731 . Es ist an dieser Stelle nochmals zu betonen, daß es sehr schwer ist, mit unserer heutigen Übersetzung die ursprünglichen Bedeutungen annähernd zum Ausdruck zu bringen. Die Wendung S# r# übersetzen wir normalerweise mit „Schwätzer“, aber es scheint mir näher zu liegen, daß die Ägypter damit etwas viel Schlimmeres gemeint haben. Erst dann ist es verständlich, warum der richtende Beamte der mit S# r# bezeichneten Person mit einer derartigen unnachgiebigen Handlungsweise ( tm sfn ) entgegentritt 1732 . RX-mj-Ro , der ebenfalls während der Regierungszeit des Thutmosis III. lebte, beteuert, daß sein Name eine „einsperrende“ Wirkung gehabt habe, wodurch sogar der „Bulle“ ( wSb ) gezüchtigt werden konnte 1733 . Er gibt gleichzeitig an, daß er gemäß der öffentlichen Meinung 1734 und durch die Bevollmächtigung von seiten des Königs 1735 gehandelt habe. Die Formulierung von mdw n md.wt ist bemerkenswert. Das Wort mdw bezeichnet die strafende Gewalt des richtenden Beamten. Das Wort „Stock“ ( Xt ) wird in der Autobiographie zweimal erwähnt. An einer Stelle sagt RX-mj-Ro , daß er einen Stock geschwungen, aber die Hunde nicht losgelassen habe. Das Resultat ist, daß es keinen Rebellen mehr gäbe 1736 . An einer anderen Stelle wird gesagt, daß er sein Leben damit verbracht habe, indem er seinen Stock auf dem Rücken hielt und diejenigen Tiere aus der Herde fing, die den Zusammenhalt der Herde zerstörten 1737 . Die Bilder der Tierzüchtigung sind sicher in gewiesen.“ Urk. VII, 54, 19. 1728 Urk. IV, 969, 1. 1729 Urk. IV, 969, 6. 1730 Urk. IV, 969, 7. Vgl. dazu die Anweisung des Königs an den Wesir, Urk. IV, 1091, 2-3. 1731 Urk. IV, 971, 7. 1732 In Ptahhotep (206-219) wird den zukünftigen Beamten geraten, den geschwätzigen „Sohn“, der sich den Worten des Vaters widersetzt und üble Rede ausspricht, zu bestrafen, wie es sich gehört. Solchem untüchtigen „Samen“, der Streit verursacht (206), wurde ein Mißgeschick schon im Mutterleib bestimmt (217). 1733 Urk. 1076, 2. Ich lese: rn=j m DdH Hw.w wSb und sehe unter DdH das Wort in Wb. V, 635, 6ff. Das Wort DdH wird später in der Autobiographie des RX-mj-Ro ( mj DdH r...wSb , Urk. IV, 1080, 12) noch einmal verwendet, um die Figur des Bestrafenden hervorzuheben. Die Menschen sind wie die Herde für den König und im gewissen Maß die Beamten. Der König bzw. der Beamte soll seine Herde schützen aber auch gleichzeitig verhindern, daß ein „böses Tier“ die ganze Herde ruiniert. Diese Idee wird schon in der Loyalistischen Lehre deutlich dargestellt: „Die Herde ist zahlreich, wenn der Hirte-... Es ist der Bändiger, der einen wilden Stier schlagen kann.“ und „Kämpft unter allen Umständen für die Leute. Sie sind eine Herde, die nützlich ist für ihren Herrn.“ Brunner, Weisheitsbücher, 183-184. 1734 Hr sXt mdw jm=f Dw , „den niederzuwerfen, über den Schlechtes gesagt wird“, Urk. IV, 1076, 3. 1735 dj.n=f wj m mdw n md.wt r rmrm ntj Hr bDnDn... „Er setzt mich ein als den Stock (zum Strafen? ) der Angelegenheiten, um den zu züchtigen (? ), der rebelliert (? )...“ Urk. IV, 1076, 4-5. Zur Ergänzung s. Gardiner, in: ZÄS 60, 67. Seine Eigenschaft als der strenge Bestrafende stellte sich demnach als eine Bedingung dar, daß er vom König zum höchsten Richter berufen wurde. 1736 Urk. IV, 1075, 4-6. 1737 oHo=j Hmsj=j X.t=j Hr p[s]d Hr spH tp Xwn.w r [jr]jj.t „Ich verbrachte mein Leben mit meinem <?page no="294"?> 5. Der Richter und die Strafe 295 295 übertragenem Sinne zu verstehen. Besonders die zweite bildliche Darstellung macht sehr deutlich, daß die Strafe ein unverzichtbarer Teil der Rechtsprechung darstellt. Außerdem paßt das Bild gut zu dem vorhergehendem Vergleich, in dem RX-mj-Ro als der Bändiger der Bullen bezeichnet wird, und den nachfolgenden Beschreibungen, wie RX-mj-Ro die Übeltäter bestraft 1738 . Dadurch wird das Doppelgesicht des RX-mj-Ro hervorgehoben, der wie ein guter Hirte nicht nur auf seine Herde aufpaßt, sondern auch das „schwarze Schaf“ bestraft. Hier sehen wir eine eindeutige Anlehnung an die Königsideologie 1739 . „Die Herrschaft Pharaos ist zweigesichtig, nämlich gütig, gnädig und friedvoll gegenüber dem Friedfertigen, und unnachgiebig, tödlich und aggressiv gegenüber dem Rebellen. Das klassische Bild für dieses ‚Doppelgesicht der Macht‘ ist die Identität des Königs als Bastet, die liebliche und huldreiche, und Sachmet, die vernichtende und schreckenserregende Göttin.“ 1740 RX-mj-Ro bezeichnet sich tatsächlich als den einzigen, der einen glücklich oder elend macht: nn wn [Hr-Xw]=j m snDm sksn „Ich war der Einzigartige, der (einen) glücklich oder unglücklich macht.“ 1741 Zum höchsten Richter des Landes berufen, überprüft RX-mj-Ro die Herzen der Menschen, um die richtigen Handlungsweisen zu finden 1742 . Nach seiner Meinung kennen diejenigen, die ein schwankendes Herz haben, keine Geradheit 1743 . Daher habe er die „Wut“ ( nSn ) des „Böswilligen“ ( Dw qd ) zurückgewiesen 1744 . Den „Habgierigen“ ( own jb ) habe er „zu seiner Stunde“ ( r wnw.t=f ) vertrieben 1745 . Er habe veranlaßt, daß die „Lügner“ ( grg.w ) gefesselt wurden(? ) 1746 . Die „Verbündeten der Nacht“ ( sm#j.t nt [X#]wj ) habe er Stock auf dem Rücken, so daß das Schlechte aus der Herde gefangen wurde.“ Urk. IV, 1080, 13-15. 1738 Urk. IV, 1081, 3ff. 1739 Posener, Enseignement, 90-91, §5, 26-29; vgl. Assmann (1994d), 99. 1740 Dies ist eigentlich ein Teil der Herrschaftsideologie des Mittleren Reich. Vgl. in diesem Zusammenhang Assmann (1990b), 19. 1741 Urk. IV, 1082, 1; vgl. Gardiner, a.a.O., 73. Für snDm sksn vgl. CG 20538 I, c, 10-11. 1742 Urk. IV, 1076, 6-8. 1743 nwdw jb.w jwtj oq#=s[n] , „diejenigen, die mit abweichendem Herzen sind, haben keine Gradheit“, Urk. IV, 1076, 8-9. In der Geschichte des Bauern wird das Parteiergreifen des Rnsj für Nmtj-nXt mit jrj nwdw bezeichnet. B1, 138. 1744 Urk. IV, 1078, 2. Von König Amenophis III. wird gesagt, daß er den Leib (der Untertanen) erforscht, den Gedanke erkennt und den Böswilligen bestraft: Dor x.t rX jmj.t-jb jn.n b#(.w) Dw qd , Urk. IV, 1724, 14. Das Wort nSn wird auch verwendet, um die rebellierenden Fremdländer zu bezeichnen, vgl. KRI II, 150, 1ff. 1745 Urk. IV, 1078, 3. In der Dienstordnung des Wesirs stellt der König fest, daß über jeden wegen Raubes Gefangenen dem Wesir berichtet werden muß (Urk. IV, 1113, 11). Der Wesir soll außerdem gegen jede Plünderung einer Stadt vorgehen, indem er eine Untersuchung durchführt (Urk. IV, 1113, 12-13). Vgl. dazu die Behauptung des Jntf : Hmj n ow#jj.w „Beschützer vor Räubern“, Urk. IV, 968, 14. 1746 Urk. IV, 1078, 16; vgl. Gardiner, in: ZÄS 60, 70. In dem Restaurationsdekret des Tutenchamun (Urk. IV, 2026, 19) wird gesagt, daß die Lüge zum Abscheu gemacht wurde und das Land wie bei der Schöpfung geworden war. <?page no="295"?> 296 Kapitel VIII - Der Richter als Ordnungshüter 296 abgewehrt 1747 . Den „Übertreter“ ( thj ) [des Gesetzes] habe er gefangen 1748 . Den „Verbrecher“ ( Xbn.tj ) habe er zu Land und zu Wasser bestraft 1749 . Wie oben gezeigt, haben Jntf und RX-mj-Ro in ihren langen Autobiographien die Übertreter und Übeltäter mit verschiedenen Worten beschrieben, obwohl wir dennoch nicht wissen, welche Straftaten und Straftäter damit konkret gemeint wurden. Der Hohepriester des Schu in This Jnj-Hrt-ms , der seine schützenden und rettenden Tätigkeiten sehr ausführlich beschreibt, begnügt sich für die Angabe seiner bestrafenden Handlung mit dem folgenden Satz: jnk rwj jw 1750 . Für das Wort rwj gibt Wb die Bedeutung „Böses beseitigen“ 1751 und für jw „Böses, Sünde, Frevel, Unglück, Leid“ 1752 . Mit derartigen Aussagen wollten die Inhaber der Autobiographien offensichtlich ihr Vorgehen gegen alle Straftaten zusammenfassend zum Ausdruck bringen 1753 . In den biographischen Inschriften der Dritten Zwischenzeit wurden solche Angaben noch summarischer formuliert. Der Amunprophet Orw-#Xb.t sagt: „Ich habe jeden Gerechten geliebt, der nicht von dem rechten Weg abwich.“ 1754 Man kann vielleicht vermuten, daß einer, der den unrechten Weg eingeschlagen habe, von Orw-#Xb.t gehaßt wurde, was offenkundig Strafe bedeuten konnte. Einen Hinweis dafür findet man in der autobiographischen Inschrift des 4. Propheten des Amun Ed-%nsw-jw=f-onX , der behauptet: „Ich war nicht milde gegenüber irgendeiner bösen Tat.“ 1755 Sehr wahrscheinlich werden hier unter bw Dw alle strafbaren Handlungen subsumiert. Nb-nTr.w , ein Beamter unter Osorkon II. bezeichnet sich bezüglich seiner Handhabe gegen das Unrecht: dr x#b.t m X.t nb „der die Sünde vertreibt in allen Angelegenheiten“ 1756 . Das Wort x#b.t bedeutet eigentlich „das Krumme“ 1757 . Ein Mensch, der das Krumme tut, ist derjenige, der von dem rechten Weg abweicht, wie ihn oben Orw-#Xb.t beschreibt. Nmrt , der Sohn Scheschonks I., der ein Militäroffizier in der Regierungszeit seines Vaters war, bezeichnet sich als denjenigen, „der die Sünde vernichtete und die Maat an ihren Platz setzte“ 1758 . 1747 Sno.n=j sm#j.t nt [X#]wj (? ), „Ich habe den Anhängern der Nacht (? ) Einhalt geboten.“ Urk. IV, 1081, 3; vgl. Gardiner, a.a.O. 72. 1748 Urk. IV, 1081, 4. 1749 Urk. IV, 1081, 5, zur Ergänzung vgl. Gardiner, a.a.O., 72. 1750 Ockinga, Two Ramesside Tombs, vol. I, pl. 25, 36. 1751 Wb II, 406, 21. 1752 Wb I, 48, 5-7. 1753 Ockinga, a.a.O., 37, Anm. 156 macht darauf aufmerksam, daß dieses Wort normalerweise von Königen benutzt wurde. 1754 mr.n=j m#o.tj nb rdj s# r thj w#.t , Jansen-Winkeln, Ägyptische Biographien, Text A 17, d, 7-8. 1755 n sfn=j Hr bw Dw , CG 559, Jansen-Winkeln, a.a.O., Text A1, b, 4. Vgl. n nfr=j n jrr bw Dw , Jansen- Winkeln, a.a.O., Text A 18, c 8-9. Daß das Wort Dw verschiedene unrechtmäßige Handlungen darstellen kann, sieht man darin, daß der verbrecherische Akt des Seth damit bezeichnet werden kann, vgl. Urk. VI, 57, 12-13. Was den Schutz der Bewohner in Theben anbelangt, sagt Ed-%nswjw=f-onX , daß er den Arm der Räuber abgewehrt hat: Xwj=j X.wt n Sw#.w... Xsf(=j) o n ow#.w=s , Jansen-Winkeln, a.a.O., 9-10. 1756 CG 42225, Jansen-Winkeln, a.a.O., Text A 10, f, 2. 1757 Wb III, 362, 5. 1758 sHtm jsf.t rdj m#o.t Hr s.t=s , Jansen-Winkeln, a.a.O., Text B 3, Rückseite, 10. <?page no="296"?> 5. Der Richter und die Strafe 297 297 Or-r-w# sagt auf seiner Statue, daß er „das Leiden beseitigt und das Böse vertrieben“ ( dr mn.t sHr D#j.t ) habe 1759 . Wer mit den Verbrechern oder Übeltätern gemeint war, erfahren wir nicht. Diejenigen, die das Übel und Unheil verursachten, repräsentieren einerseits die Kategorie des Bösen, die traditionell dem Guten gegenüber steht. Auf der anderen Seite besteht eine Interpretationsmöglichkeit darin, daß mit dem ungenauen Bild vom Bösen die Fremdherrscher angedeutet sein könnten 1760 . MnTw-m-H#.t , der 4. Amunprophet und Gouverneur der Thebais behauptet, daß er wie eine Schutzwehr seine Stadt geschützt und die Frevler aus den Gauen Oberägyptens vertrieben habe 1761 . In diesem Fall übernimmt der ägyptische Richter, der normalerweise zwischen Recht und Unrecht innerhalb des Landes entscheidet, die ungewöhnliche Aufgabe, zwischen Ägyptern und Fremden Recht zu sprechen 1762 . Wenn eine Strafe vollzogen wurde, wird dabei betont, daß die Strafe rechtens war. Der Prinz %#-rwtj aus der Spätzeit beteuert, daß er gegen niemanden zu Unrecht die Todesstrafe verhängt habe 1763 . Der Domänenvorsteher der Gottesgemahlin Jbj behauptet, daß er niemand ungerecht bestraft habe 1764 . Er habe die Pläne des Verleumders zerstört und denjenigen, der Böses schmiedete, vertrieben 1765 . Mit der Etablierung der königlichen Macht in der 26. Dynastie betrachten die richtenden Beamten ihre Tätigkeiten im Rechtsgebiet wieder als vom König beauftragt. Die Angaben über die Strafmaßnahmen sind immer allgemein gehalten. ! rw-zm#-t#.wj-m-H#.t , ein königlicher Urkundenschreiber bezeichnet die Bestrafung der Sündigen als einen Bestandteil der königlichen Aufgaben 1766 . PsmTk-s#-N.t , der Oberbaumeister unter Apries/ Amasis sagt, daß er die Streitigkeiten beseitigt und das Unrecht aus der Stadt vertrieben habe 1767 , indem er den Fall dessen, bei dem ein Unrecht entstanden war, untersuchte und 1759 Gunn-Engelbach, in: BIFAO 30, 806, C, 7. 1760 An einer anderen Stelle sagt Or-r-w# auffallend, daß er den Verbrecher nicht gerettet hat: n Sd=j bt# , Gunn-Engelbach, a.a.O., 796, A. 9. 1761 m jbw mnX n njw.t=j dj.n=j btnw.w m sp#.wt Smow „(Ich) war eine treffliche Schutzwehr meiner Stadt. Ich habe die Frevler aus den Gauen Oberägyptens vertrieben.“ Heise, Erinnern und Gedenken, 86 und Abb. 78-83, Text B, 14. 1762 Vgl. Statue des P#j=f-T#.w-m-o.wj-N.t , Louvre A 93, Jelinkova-Reymond, in: ASAE 54, 275f. und die unten zitierte Anspielung des WD#-Or-rs-n.t . 1763 n sm#=j s m grg jw n Xpr bt#=f „Nicht tötete ich einen Mann unrechtmäßig, wenn er kein Verbrechen begangen hätte.“ Reisner, in: ZÄS 70, 40, A, 5. 1764 n Xsf(=j) n s m nf „(Ich) habe keinen Mann ungerechterweise bestraft.“ Kuhlmann-Schenkel, Das Grab des Ibi, Text 99, pl. 24, 7-8. In dem unpublizierten TT 34, dem Grab des MnTw-m-H#.t , findet man die gleiche Wendung, s. Manuelian, Living in the Past, 201, Anm. 346. Zum Xsf n mit der Bedeutung „bestrafen“ s. Wb III, 336, 15. 1765 dr sXr.w wTs.w Xsf w#w# m Dw „der die Pläne der Verleumder zunichte macht, der den abweist, der Böses plant“, Kuhlmann-Schenkel, a.a.O., Tf. 24, Z. 14-15. 1766 dr jsf.tj Hm Hn.tj=f rdj m Hr r jr(.t) hp.w „der den Sündigen vertreibt, der den Gierigen abweist, der die Aufträge erteilt, um die Gesetze auszuführen“, CG 888, Borchardt, Statuen und Statuetten III, 140. 1767 Ranke, in: MDAIK 12, 114, 10-11. <?page no="297"?> 298 Kapitel VIII - Der Richter als Ordnungshüter 298 jeden Menschen wegen seines Unrechts bestrafte, wie es sich gehörte 1768 . Interessant ist, daß PsmTk-s#-N.t diese Aussage auf den Thronstreit bezieht 1769 . Die wirkliche Strafmaßnahme könnte daher durch den Machtkampf bedingt sein. Die Ordnung des Landes wird nach den Angaben des PsmTk-s#-N.t dadurch geschaffen, indem xnn.w , Xw.w und wn beseitigt wurden. Der Wesir Gm.n=f-Orw-b#k behauptet seinerseits, daß er das „Rauben“ ( ow# ) in den Gauen bestraft und den Habgierigen mit seinen Aussprüchen vertrieben habe 1770 . PsmTk-s#-N.t macht klar, daß er durch sein kompromißloses Auftreten gegenüber den Übeltätern nicht nur seinen Herrscher zufriedengestellt, sondern sich bei den Bürgern beliebt gemacht habe. Die Idee, daß die Beamten im Auftrag des Königs und um seiner Gunst willen die Strafmaßnahmen unternehmen, wird auch in der Autobiographie des ! rw-zm#-t#.wj-m-H#.t deutlich, der seine schützenden, rettenden und bestrafenden Handlungen nebeneinander beschreibt 1771 . 6. Die Strafe als Abschreckung Aus den oben durchgeführten Erörterungen kann man zwei Tatsachen kurz konstatieren. Erstens wird in den Lehren dafür plädiert, die Übeltäter ihren Unrechtstaten entsprechend zu bestrafen. In den Autobiographien berichten die Verstorbenen dementsprechend darüber, daß sie zu Lebzeiten das Verbrechen bekämpft und die Verbrecher bestraft haben. Zweitens werden die Aussagen über Strafe sowohl in den Lebenslehren als auch in den Autobiographien nur summarisch formuliert. Der Grund dafür ist eigentlich evident. Die Lebenslehren sind keine Sammlungen von Gesetzen, unter denen sich auch Klauseln der Strafmaßnahmen befinden. Eher deuten sie für die zukünftigen Beamten nur allgemeine Richtlinien bezüglich der Strafe an. In den Autobiographien wollen die Verstorbenen berichten und beweisen, daß sie ihr Leben gemäß dem herrschenden Ideal der Gesellschaft geführt haben. Ein sehr bemerkenswerter Punkt liegt in der Beobachtung, daß zwei verschiedene Begriffe für die Strafe in den Lehren einerseits und in den Gerichtsprotokollen andererseits verwendet werden. Während in den Protokollen der Gerichtsverhandlungen über 1768 Snj sp n ntj wn m-o=f Xsf wn n s nb r D#r=f „der das Unrecht dessen untersuchte, bei dem ein Fehler war, der jeden wegen seines Fehlers bestrafte, wie es sich gehört“, Ranke, a.a.O., 19-20. Das Wort wn hier bezieht sich möglicherweise auf das Rebellieren gegen den Herrscher. Über ein früh verstorbenes Kind wird gesagt, daß es frei von Schuld war: jnk (n)X(n).t jwtj wn=s , Stele der #s.t-m-#Xb.t , Leiden, Rijksmuseum van Oudheden, Inv. Nr. AP 4, Jansen-Winkeln, in: BSEG 17, 44-47. 1769 An einer anderen Stelle erwähnt er seine Stimme in den 110 Tagen des Herrschers, was nach Otto auf die Thronstreitigkeiten hindeuten soll. Vgl. Otto, Biogr. Inschr. 168, Anm. 1. 1770 Xsf ow# m sp.wt dr own-jb m Ts.w=f „der den Räuber in den Gauen bestrafte, der den Habgierigen mit seinen Aussprüchen vertrieb“, Sarkophage Turin 2201, Sayed, Dokumente, pl. XVIII; vgl. dazu Urk. VII, 54, 21-55, 1. 1771 CG 888, Borchardt, Statuen und Statuetten, III, 140. <?page no="298"?> 6. Die Strafe als Abschreckung 299 299 die Grabräuber oft das Wort sb#jj.t für die angewendete Strafe vorkommt 1772 , wird das Wort in den Lehren als Selbstbezeichnung der Gattung benutzt. Wenn man dabei die oft sehr vagen, aber sehr strengen Maßnahmen gegen die Straftaten berücksichtigt, entsteht die Vermutung, daß die Formulierungen über Strafe in den Lebenslehren vor allem als Drohung zu verstehen sind. Wenn eine Übertretung der gesetzlichen Bestimmungen vorkommt, stellt sich die Strafe, für die betreffende Person und auch für die anderen, als eine Art Belehrung dar. Hier kann man möglicherweise die Psychologie hinter der ägyptischen Strafauffassung erkennen. Da die Lebenslehren für die Erziehung der zukünftigen Beamtenschicht oder der zukünftigen Generation insgesamt ausgerichtet werden, scheint es angebracht, die Kategorie des Bösen möglichst allgemein zu definieren und die eventuelle Konsequenz einer Übeltat möglichst streng zu schildern, damit die Lehren nicht nur erziehende, sondern auch abschreckende Wirkung haben 1773 . Den engen Zusammenhang zwischen den Lehren und den Autobiographien sieht man darin, daß in dem zweiten Genre ebenfalls in sehr generalisierender Weise beschrieben wird, daß die Verstorbenen zu Lebzeiten gegen die Unrechtstaten rechtlich vorgegangen sind. Die Strategie, auf die abschreckende Wirkung abzuzielen, indem die gemeinte Strafe nicht eindeutig angegeben wurde, sieht man neben den oben untersuchten Lebenslehren und Autobiographien auch in den königlichen Dekreten. Es liegt auf der Hand, warum der König ausdrücklich festlegt, daß seine Bestimmungen auf einer Stele niedergeschrieben und die Stele an einer öffentlichen Stelle aufgestellt werden soll 1774 . Als mögliche Strafe gegen die Verletzung der Bestimmungen in dem Dekret droht der König, den Besitz der Übeltäter und ihrer Vorfahren zu konfiszieren und damit, dass sie nach dem Tod nicht verklärt und zu Lebzeiten keine freien Bürger sein werden 1775 . Sogar den zukünftigen Königen wird angedroht, daß sie den Thron nicht besteigen und die Gunst der zwei Herrinnen nicht gewinnen würden, wenn sie der Bestimmung des Dekrets nicht folgen würden 1776 . Solche Strafmaßnahmen sind im Fall einer wirklichen Übertretung schwer in die Praxis umzusetzen. Die ungenaue Formulierung von Strafmaßnahmen sieht man ebenfalls in den königlichen Dekreten aus dem Neuen Reich. Für die verschiedenen Vergehen gegen das Tem- 1772 Wb IV, 85, 1ff.; pAbbott, 6, 14; BM 10052, 8, 9 u. 8, 23 u. 9, 6; pLeopold II, pl. XVI 4, 11. 1773 In der Einsetzung des Wesirs weist der König seinen Beamten offen an, Ehrfurcht zu verbreiten: jmj snD=k snD.tw n=k sr pw sr snDw n=f , „Verbreite Furcht vor dir, damit man vor dir Furcht hat. Ein Beamter, den man fürchtet, ist ein (richtiger) Beamter.“ Faulkner, in: JEA 41, 20. In der altchinesischen Auffassung der Strafe war derselbe Gedanke vorhanden: „Liebe aber bedarf der Ehrfurcht, damit sie nicht verkümmere; Tugend bedarf des Furchtgebietenden, damit sie lange bestehe. Darum, bei der Festsetzung der Riten hebt der Heilige die Ehrfurcht hervor, bei der Schöpfung der Strafen betont er den Schrecken.“ Vgl. hierzu Vogel, Die historischen Grundlagen des chinesischen Strafrechts, 100. 1774 Hayes, in: JEA 32, Tf. IIa Spalte 83-85. 1775 Urk. I, 305, 5-7, Goedicke, Köngl. Dokumente, 214ff. 1776 Das Dekret des Königs Nebkheperure Antef aus Koptos, vgl. Sethe, Lesestücke, 98, 16-18. <?page no="299"?> 300 Kapitel VIII - Der Richter als Ordnungshüter 300 pelpersonal und die Beschädigungen der Tempelgüter drohen im Dekret Sethos’ I. fast unterschiedslos 100 oder 200 Hiebe und 5 offene Wunden als Strafe 1777 . Schon Gardiner hat seiner Zeit auf die „useless repetitions“ und „important omissions“ aufmerksam gemacht und sprach sich dagegen aus, aus dem Dekret konkrete Strafmaßnahmen ablesen zu können 1778 . Noch irritierender scheint dieselbe Strafmaßnahme gegen den Vizekönig von Kush und seinen niedrigsten Untergebenen 1779 . Diese anscheinend unlogische Phänomen kann man nur dadurch erklären, daß die im Dekret genannten Bestimmungen dazu gedacht waren, potentielle Übertreter möglichst im Vorfeld abzuschrecken. Ein sehr wichtiger Grund liegt in der Tatsache, daß die Personen, die in den Dekreten angeredet werden, gleichzeitig die zuständigen Strafvollzieher und die möglichen Straftäter sind. Die differenzierten Angaben von Strafe sind daher unmöglich, da die Straftäter und das Ausmaß des Schadens sehr unterschiedlich sein können 1780 . Falls sich jemand trotz der angedeuteten schlimmen Folgen gegen das Tempelpersonal oder den Tempelbesitz vergeht, müssen die zuständigen Beamten je nach dem Tatbestand eine entsprechende Strafe bestimmen 1781 . Daher kann man in solchen Fällen überhaupt nicht, wie Boochs es tat, die Schlußfolgerung ziehen, daß die Ägypter bei ihrer Strafbemessung „weder auf die Schuld noch auf die gesellschaftliche Stellung des Täters“ abstellten 1782 . Es muß ausdrücklich betont werden, daß es sich dabei nicht um die tatsächliche Praxis der Strafe handelt. Wir sind nicht in der Lage zu sagen, wie die Übertretungen der königlichen Bestimmungen im Dekret tatsächlich bestraft wurden 1783 . In ähnlicher Weise ist die angegebene Strafe beim Eidbruch zu interpretieren. Unverändert versichert die Person, die einen Eid ablegt, daß er hundert Hiebe erhalten würde, wenn er von seinem Eid abwiche. Es ist nicht zu belegen, daß 1777 KRI I, 53-55. Noch schwerer durchzusetzen scheinen die Vorschriften Setis I. zur Bestrafung derjenigen, die Bestimmungen des Dekrets verletzten würden. Diese Übeltäter werden ohne Unterschied damit bedroht, ins Feuer geworfen zu werden (KRI I, 69, 9-11). 1778 Gardiner, in: JEA 38, 24. 1779 a.a.O., 27-28. 1780 Es wird behauptet, daß der gefaßte Dieb den gestohlenen Gegenstand zurückgeben und dazu eine Strafe in Höhe des zweibis dreifachen Wertes des gestohlenen Gegenstandes bezahlen muß. Černý, in: JEA 23, 186-189. Bei einem Diebstahl von Staatsgütern soll die Strafe das achtzig- oder hundertfache des gestohlenen Gegenstandes betragen. Lorton, in: JESHO 20, 47. 1781 In dieser Situation boten die angedeuteten Strafmaßnahmen in den Dekreten eine Orientierungshilfe für die Richtenden. Aus der Arbeitersiedlung von Deir el-Medina wissen wir, daß die Zahl der Hiebe als Strafmaßnahme je nach der zu bestrafenden Person sehr unterschiedlich sein kann. Vgl. dazu McDowell, Jurisdiction, 176-177. Die Zahl von hunderten, die bei dem Eid der Beklagten und bei den Drohungen der Richtenden häufig genannt wurde, scheint mehr oder weniger eine Formel geworden zu sein. Über das Schlagen als Strafe vgl. Janssen, in: Demarée, Janssen (Hgg.), Gleanings from Deir el-Medîna, 138ff. und Ward, in: SAK 5, 290ff. 1782 Boochs, in: LÄ VI, 68. 1783 Lorton (in: JESHO 20, 53) kommt bei der Betrachtung der Angaben zur Strafe im Nauridekret zu dem Schluß, daß die Strafe im Neuen Reich und in der Spätzeit milder als die in der früheren Periode gewesen seien. <?page no="300"?> 6. Die Strafe als Abschreckung 301 301 diese Strafe konsequent vollstreckt wurde 1784 . Sonst wären die Ägypter beim Leisten eines Eides viel vorsichtiger gewesen 1785 . Mir scheint es ebenfalls unangebracht, wie Lorton vorschlägt, aus den Eiden der Beklagten in den Gerichtsverhandlungen über die Grabräuber die Strafmaßnahmen gegen Meineid zu rekonstruieren 1786 . McDowell hat in ihrer Arbeit keinen Beleg dafür gefunden, daß ein Mann, der einen Meineid geleistet hatte, dafür jemals bestraft worden wäre 1787 . Schon vor über hundert Jahren äußerte Spiegelberg den Verdacht, daß es sich bei den Aussagen über Meineid um Übertreibungen handelte 1788 . Die ungewöhnlich strengen Strafmaßnahmen gegen den Meineid, unter denen sich sogar Todesstrafen verschiedener Art befinden, muß man in zweierlei Hinsicht betrachten. Auf der einen Seite wollten die Richtenden den Angeklagten klarmachen, daß eine schlimme und unvorhersehbare Konsequenz im Fall eines Meineids folgen würde und damit möchten sie erreichen, daß die Angeklagten ein Geständnis ablegen. Was andererseits die Angeklagten anbelangt, ist es ihre Absicht oder Strategie, durch Nennung der hohen Strafe die Glaubwürdigkeit ihrer Unschuldsbeteuerung zu verstärken 1789 . Das Ziel der Abschreckung sieht man überdies in der Formel bt# o# n mwt „großes todeswürdiges Verbrechen“, die in verschiedenen Texten zu finden ist. Schon in der Lehre des Ptahhotep wird Ehebruch so bezeichnet 1790 . In der Lehre des Ani wird der Sohn davor gewarnt, das nach außen zu erzählen, was er im Hause eines anderen gesehen hat, denn 1784 Der Behauptung von Seidl (Handbuch, 19): „Man macht von der Vertragsstrafe gern Gebrauch, weil man dann sagen kann, der Schuldner habe sich ja selber gerichtet“, kann man schwerlich zustimmen. Lorton muß jedoch zugeben, daß bei den beim Eid erwähnten Strafen Unregelmäßigkeiten herrschten, was er jedoch mit Schreibfehlern oder ungewöhnlichen Umständen (in: JESHO 20, 43) erklärt. 1785 In den überlieferten Texten wird nie belegt, daß jemand abgelehnt hätte, den Eid abzulegen. Bedell, Criminal Law, 139. 1786 Lorton, in: JESHO 20, 32f. Für ungewöhnlich hält auch Lorton (a.a.O., 34) die Praxis, daß die Verdächtigten in der Gerichtsverhandlung wegen Grabraub mit ihrem Eid versichern, daß sie zu Zwangsarbeit verurteilt werden sollen, fall sie nicht die Wahrheit sagen. Aber die Strafe gegen die Räuber war viel härter. 1787 McDowell, Jurisdiction, 224. 1788 Spiegelberg, Materialien, 71. 1789 Bei der Gerichtsverhandlung über die Grabräuber fragt ein Angeklagter rhetorisch, daß er die Strafe gegen die Diebe in der Zeit des Wesirs %o-m-w#s.t gesehen hat und warum er nun dennoch den Tod suchen würde. BM 10052, 8, 19-20, Peet, GTR 151; vgl. Černý-Gardiner, Hier. Ostraca, XLVI, 2, vs. 8-13. 1790 287-288. Ähnlich wird Ehebruch in der Lehre des Ani (B 16, 12) mit bt# o# n mwt bezeichnet. Zur Interpretation dieser Bezeichnung vgl. Caminos, LEM, 181, n. 11, 7. Eine Todesstrafe wegen eines Ehebruchs läßt sich auch in den anderen Texten nicht belegen. Vgl. dazu Pestman, Marriage, 55- 57; Eyre, in: JEA 70, 92ff.; McDowell, Jurisdiction, 208ff. Fischer-Elfert (in: WdO 28, 24) schlägt als eine vernünftige Übersetzung für die Wendung bt# o# n mwt „großes verdammenswürdiges Vergehen“ vor. In pBM 10416, wo es sich um einen Ehebruch handelt, ist die Empörung der Verwandten und Nachbarn die einzige Konsequenz. Janssen, in: Fs Edwards, 134-137. Besonders abwegig scheint mir die Behauptung von Lorton, daß der eifersüchtige Ehemann in pWestcar das Recht hatte, seine Frau und deren Liebhaber zu töten, während der Ehebrecher in pDeM 27 nicht zum Tode verurteilt wurde, weil der Fall im Gericht behandelt wurde. Lorton in: JESHO 20, 14-15 und 38-39 mit Anm. 179. <?page no="301"?> 302 Kapitel VIII - Der Richter als Ordnungshüter 302 dies sei ein bt# o# (n) mwt 1791 . Den Richtenden, die im Gericht gegen die Gerechtigkeit vorgehen würden, wurde ebenfalls ohne Differenzierung mit bt# o# n mwt gedroht 1792 . In allen genannten Fällen kann wohl nicht die Rede davon sein, dass tatsächlich die Todesstrafe drohte. Nur die in den pRollin und pLee angegebene Bezeichnung bt#.w o#.w n mwt für Grabräuberei scheint ernst gemeint zu sein 1793 . In diesem Zusammenhang sollen noch einige Worte über die Strafe aus der Hand der Götter angefügt werden, mit deren strafender Macht auch ein König rechnen mußte 1794 . Die Strafe durch die Götter kann sowohl harmlos als auch vernichtend sein, je nach persönlicher Überzeugung. Aber der unsichere Ausgang macht die Vorstellung der Gottesstrafe noch erschreckender 1795 . Die unsichtbare Wirkung dieser potentiellen Strafe ist daher nicht zu unterschätzen, die auch in den realen Gerichtsverhandlungen oft in Betracht gezogen wurde. Schon in der Lehre des Kagemni wird gesagt, daß der Gott die Übeltäter strafen würde. Aber man weiß nicht, was für eine Strafe der Gott vollziehen wird 1796 . Im Dekret des Königs Seti I. wird jeder Verstoß gegen die königlichen Bestimmungen damit bedroht, daß die Götter mit dem Übeltäter abrechnen, indem Osiris gegen ihn, Isis gegen seine Frau und Horus gegen seine Kinder vorgehen. Im Gegensatz dazu sollen die Beamten, die sich für die Einhaltung der königlichen Bestimmungen sorgen, auf Veranlassung der Götter Ehren auf Erden und ein gutes Schicksal im Jenseits genießen 1797 . Aus der Arbeitersiedlung von Deir el-Medina werden mehrere Belege überliefert, in 1791 Ani B16, 11-12. In der Lehre des Amenemope (Kapitel 20, 21, 9-10) wird die Verfälschung der Dokumente als „ein todeswürdiger Verrat ( Stm o# n mwt )“ bezeichnet. In oNash 1 = Černý- Gardiner, Hier. Ostr. pl. 46, 2 wird eine Frau names Orj# , die des Diebstahls schuldig befunden wurde, mit oD#.t o# S#j mwt bezeichnet. Aber es ist fast auszuschließen, daß die Frau tatsächlich mit dem Todesurteil bestraft wurde. 1792 Urk. IV, 2157, 1-5. Schon auf dem königlichen Dekret des Alten Reiches wird über die Übertreter gegen die königlichen Bestimmungen gesagt, daß sie gebunden und gefesselt und sich unter dem Rechtsspruch des Königs, des Osiris oder ihres Stadtgottes befinden würden. Urk. I, 305, 17-306, 1. 1793 Goedicke, in: JEA 49, pls. 10-11. 1794 In dem Dekret des Nebkheperre Antef wird offen gesagt, daß irgendein nachfolgender König oder Machthaber, der den Übeltäter nicht bestraft, nicht von den zwei Herrinnen begnadigt wird. Sethe, Lesestücke, 98, 16-18. Über die mögliche Bestrafung der Übeltäter durch „Fesseln, Verbrennung, Zerstückelung oder völlige Vernichtung“ in den Sargtexten vgl. Grieshammer, Jenseitsgericht, 67-68. 1795 Es scheint mir daher unzulässig, wie Boochs (in: Fs Derchain, 57) eine klare Linie zwischen der irdischen und der göttlichen Strafe zu ziehen. 1796 n rX.n.tw Xpr.t jr.t nTr Xsf=f „Man weiß nicht (ist nicht imstande zu erfahren), was geschehen wird, wenn der Gott straft.“ Gardiner, in: JEA 32, 74. Das Schicksal wurde ebenfalls als eine Folge der Strafe oder Belohnung der Götter betrachtet. Vgl. Grapow, Bildliche Ausdrücke, 176. 1797 KRI I, 69, 7ff. Die gleiche Strafmaßnahme gegen die potentiellen Verbrecher durch die Götter auch auf dem Dekret des Jmn-Htp , Sohnes des Opw : Ihre Söhne werden nicht an ihre Stellen gesetzt werden: ihre Frauen werden geschändet werden, während ihre Augen zuschauen. Möller, in: Sitzungsbericht der Berliner Akademie der Wissenschaften, 1910, Tf. VI, Z. 9-10. Der Schreiber des Ptahtempels Et-PtH-jw=f-onX berichtet, wie er mit dem Gott Ptah über eine Strafmaßnahme gegen die Frevler gegen seine Stiftung vereinbart hat. Er betont ausdrücklich, daß der Gott der Strafe zugestimmt hat ( hn ). Die angedeutete Strafe heißt, daß die Frevler gegen die Stiftung von Ptah getötet, ihre Frauen von Sachmet und ihre Kinder von Nefertum verfolgt werden Daressy, in: ASAE 15, 141. <?page no="302"?> 6. Die Strafe als Abschreckung 303 303 denen die Dorfbewohner berichten, daß sie die strafende Macht des Gottes ( b#.w nTr ) erfahren haben 1798 . Der Wesir, der in der Gerichtssitzung die mutmaßlichen Räuber gegen die Königsgräber verhört, erklärt, daß es der Gott war, der die Verdächtigen bei ihrem Verbrechen ertappt und in die Hand des Pharao gebracht hatte 1799 . Das Verständnis der Ägypter vom Begriff der Strafe war wesentlich komplexer als im rein juristischen Sinn, da mehrere Elemente dabei eine Rolle spielten. 1798 oNash 1, rt.; oGardiner 166, rt.; oCairo CG 25572, rt. Vgl. dazu Borghouts, in: Gleanings, 5-7 und besonders auf Seite 8: „Feelings of guilt, evil dreams, in the worst case, a sudden illness or an accident might have been at the root of the realization that the b#w of a god has come into play - all this rests on an individual’s intuition.“ Vgl. hierzu auch Allam, Verfahrensrecht, 60. 1799 pBM 10052, Peet, GTR, , pl. XXV, 6-8. <?page no="304"?> 305 Zusammenfassung Die Thematisierung der richterlichen Tugenden in altägyptischen Texten erfolgt auf zwei Ebenen. Auf der ersten, nach oben gerichteten Ebene beschreiben die Beamten, die als Richter fungiert haben, ihre besondere Beziehung zum König. Sie beteuern, wie sie die richterlichen Aufgaben so ausgeführt haben, wie der König es gewünscht hat, da der König einen Beamten zur richterlichen Handlung einsetzt, die Jurisdiktion in einem Gebiet an seinen Vertrauten überträgt und spezifische Anweisungen bezüglich der konkreten Angelegenheiten erteilt oder mittels der Lehren gesetzliche Regeln erläutert. Es herrscht keine feste Abgrenzung der Kompetenzen der einzelnen Beamten nach einer festgesetzten Regel, sondern die politische Verwaltung ist zunächst eher eine „Gelegenheitsverwaltung“ (Max Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, 597). Theoretisch besteht für jeden Beamten die Möglichkeit als Richter zu fungieren. Diese auf Abruf ausgeübten richterlichen Handlungen werden mit Gunst und Privilegien auf der Seite des Königs verbunden. Bei dem in Kapitel I behandelten Titel s#b r# nXn kann man sehen, daß die judikative Macht und die richterlichen Aufgaben eng mit der Person des Königs verbunden waren. Dieser auf den König konzentrierte Diskurs über die Tugenden des Richters wird auf der horizontalen Ebene durch die Rolle der Mitmenschen ergänzt, die immer stärker ins Blickfeld der Beamten treten und für das Weiterleben des als Richter fungierenden Beamten im Jenseits entscheidend sind. Die richterlichen Handlungen bieten eine bevorzugte Thematik, um die Tugenden und Leistungen des Beamten im Leben gegenüber den Nachgeborenen hervorzuheben. Da diese richterliche Tätigkeit mit Vertrauen und Gegenleistung auf der Seite der Mitmenschen verbunden ist, betrachten die Verwaltungsbeamten die Jurisdiktion als untrennbaren Teil ihrer Aufgaben. Die Tatsache, daß die Beamten, die hauptsächlich in der Verwaltung beschäftigt sind, für die Rechtsprechung in einem Ort oder Verwaltungsbereich zuständig sind, ergibt sich aus den Bezeichnungen jmj-r# Hw.t wr.t und sr und dem Kontext, in dem sie vorkommen. In den Lebenslehren wird wiederholt betont, daß ein in die Verwaltung des Pharaonenreiches aufgenommener Beamter sich um die Rechtsfälle seiner Leute kümmern soll. Die in den Autobiographien oft vorkommende Wendung (m) sXm.t.n=j jm „sofern es in meiner Macht stand“ zeigt, daß der Richtende nur im Rahmen und aufgrund seiner administrativen Zuständigkeit handeln konnte. Nur diejenigen, die gleichzeitig auch entsprechende Verwaltungsmacht haben, können einen Beschuldigten verurteilen und die getroffene Entscheidung durchsetzen. Ebenfalls in diese Richtung zu interpretieren sind der Vorschlag des Vaters des Merikare, daß dieser die Beamten mit Vermögen ausstatten solle, damit sie nicht für die Reichen Partei ergreifen würden, sowie die Behauptungen der richtenden Beamten, daß sie wegen ihres Reichtums keine Veranlassung gehaben hätten, parteiisch zu sein. Der in der Ersten Zwischenzeit auftretende Titel jmj-r# Snt zeigt einerseits, daß die Konfliktfälle, besonders zwischen konkurrierenden Machtbereichen, ver- <?page no="305"?> Zusammenfassung 306 mehrt aufkamen. Andererseits ist es auch ein Zeichen dafür, daß die lokalen Machthaber neben Verwaltung und Versorgung auch die Rechtsprechung in einer Hand vereinigten. Die Macht der lokalen Machthaber als Oberste Richter in ihren Gebieten mußte im Mittleren Reich an die Könige zurückgegeben werden. Der König beanspruchte nun, Herr über die Gerichtsbarkeit zu sein und auch Geber jener Wohltaten, die bis dahin die Gaufürsten ihrer Gefolgschaft zuteil werden ließen. Die Gaufürsten treten nun als Beauftragte des Königs auf. Loyalistische Lehren sind ein wichtiger Bestandteil der Lebenslehren, die auch die Beamten hinsichtlich der Rechtsprechung maßgebend beeinflussen sollen. Das immer häufigere Auftreten von Begriffen wie sH n sr.w und qnb.t weist darauf hin, daß ein Beamter, wenn er auch ein Gaufürst war, als ein Mitglied der Beamtenschaft eines bestimmten Gebiets erschien. Ein Beamter ist deshalb „trefflich“ und „einzigartig“, weil er innerhalb der Beamtenschaft handelt und von dem Herrscher anerkannt wird. In der Rechtsprechung soll der richtende Beamte zuerst dem König verantwortlich und dann gegenüber den Mitmenschen gütig sein. Aus der Amtseinsetzung des Wesirs und der Dienstordnung des Wesirs ist zu entnehmen, daß der Wesir als der Oberrichter sowohl unter strafrechtlichem als auch zivilrechtlichem Aspekt eingesetzt wurde. Besonders bei den Fällen, in denen die Beamten Unrecht begangen haben, war es der Wesir als der höchste Beamte, der ein Dokument darüber fertigte und den Beschuldigten entsprechend bestrafte. Den anderen Beamten in den verschiedenen Abteilungen wurde dieses Recht verweigert. Bei Streitigkeiten über Landbesitz muß das Wesirsbüro angerufen werden. In dem Haremhebdekret finden wir zum ersten Mal in der ägyptischen Geschichte den Beleg, dass der König definitiv sagt, welche Personen er zum Richten eingesetzt hat. Es waren die Propheten, die Wabpriester und die Bürgermeister, die alle mit sr.w bezeichnet werden. Diese Personen sollen zusammen in jeder Stadt Recht sprechen. In der Ramessidenzeit verlieren der König und die Mitmenschen, deren Gunst und Liebe die Beamten sich durch ihre richterliche Handlungen zu gewinnen bemüht haben, ihre Bedeutung bezüglich der Unsterblichkeit. Nicht nur normale Menschen wenden sich immer stärker an die Götter, sogar die Beamten, die früher als Schützer und Retter vor den Menschen auftraten, müssen als Hilfsbedürftige vor den Göttern um Schutz bitten. Aber aus den Gerichtsprotokollen und anderen relevanten rechtlichen Dokumenten derselben Zeit ist zu erkennen, daß weiterhin die mit sr bezeichneten Beamten die richterlichen Aufgaben durchführen. In der Arbeitersiedlung Deir el-Medina sind die Leitenden der Arbeitertruppe in der Funktion eines Beamten ( sr ) für die Rechtsfälle zuständig. In der Dritten Zwischenzeit beobachten wir in den Autobiographien, daß die lokalen Machthaber, wie die Gaufürsten in der Ersten Zwischenzeit, in ihrem Machtbereich für Gesetz und Ordnung sorgten. Es ist höchst interessant, daß viele der Autobiographien von den Amunpropheten stammen, die neben dem Dienst für ihre Götter die Mitmenschen ins Blickfeld zurückholen. In der Spätzeit beobachten wir wieder wie für das Mittlere <?page no="306"?> 307 Zusammenfassung Reich, daß die Beamten versichern, daß sie im Auftrag des Königs richterliche Aufgaben zur Zufriedenheit des Königs und der Mitmenschen erfüllt haben. Es ist gut erkennbar, daß es im alten Ägypten keine Berufsrichter gab. Es waren die Beamten, die für die Verwaltung im Land zuständig waren, die juristische Angelegenheiten übernahmen. Diese Praxis hatte zwei grundlegende Auswirkungen. Einerseits wendete man sich an den zuständigen Beamten einer Ortschaft oder Abteilung, sofern ein Rechtsproblem entstand. Der betreffende Beamte trat in diesem Fall als Richter auf. Andererseits dient der Ort, in dem der Beamte seine administrativen Aufgaben erledigte, gleichzeitig auch zur Durchführung der gerichtlichen Verhandlungen. Die drei Termini Hw.t wr.t, qnb.t und D#D#.t deuten keinesfalls eindeutig auf das Gericht hin. Der Terminus Hw.t wr.t bezieht sich auf ein Gebäude der Verwaltung, in dem auch Gerichtsverhandlungen stattfinden. Das Wort qnb.t bezieht sich auf eine Beamtenversammlung in der Residenz oder im Land und D#D#.t auf eine Gruppe von Beamten, die zusammen entweder in einem Verwaltungsbezirk oder einer administrativen Abteilung hauptsächlich für andere Aufgaben als zur Rechtsprechung eingesetzt wurden. Aber diese zwei Termini deuten auch auf die räumliche Zuordnung der dadurch genannten Beamten. Deshalb können Gerichtsverhandlungen in der qnb.t und D#D#.t abgehalten werden, genau wie die mit sr bezeichneten Beamten als Richter fungieren können und sollen. Neben den oben genannten drei Termini, die als Bezeichnungen für das Gericht angenommen werden können, treffen wir Umschreibungen, die darauf hindeuten, daß das Gericht in der Nähe des Tempels oder Palastes abgehalten wurde. Es gibt zwei mögliche Gründe dafür. Erstens zielt die Veranstaltung einer Gerichtsverhandlung in oder bei einem Tempel oder Palast auf den Einfluss, den die Nähe der Gottheit oder des Königs auf die Beteiligten ausübt. Durch diese Einbeziehung soll vor allem die beschuldigte Partei vor den Konsequenzen gewarnt werden, die durch den Gott oder König herbeigeführt werden können. Damit werden aber auch die Richtenden auf die ihnen drohenden Konsequenzen im Fall einer ungerechten Handlung hingewiesen. Der zweite Grund liegt darin, daß sowohl der Tempel als auch der Palast im Torbereich eine angemessene Stätte für Gerichtsverhandlungen bieten. Außer den Rechtsfällen, die vor der Öffentlichkeit geheim gehalten werden sollen, z.B. Haremsverschwörungen oder Verhandlungen über die in Ungnade geratenen Beamten, wird bei den Gerichtsverhandlungen stets danach gestrebt, sie möglichst einem größerem Publikum zugänglich zu machen. Zum Beispiel fanden die Gerichtsverhandlungen in Deir el-Medina an Festtagen statt und müssen schon deshalb öffentlich gewesen sein. Die Öffentlichkeit liegt gerade im Interesse der als Richter handelnden Beamten, die sich um die Gunst der Mitmenschen bemühen. Die richterliche Macht eines Beamten ist davon abhängig, ob und wie er die richterliche Funktion als eine Pflicht gegenüber den Mitmenschen ausübt. In den bildlich geschilderten Szenen treten sie angesichts eines heiklen Rechtsfalls souverän auf. <?page no="307"?> Zusammenfassung 308 Mit dieser Öffentlichkeit eng verbunden ist die Rolle der Zeugen. Die Ägypter legten großen Wert darauf, einen Kauf-, Miet- oder Leihvertrag schriftlich oder mündlich unter Anwesenheit mehrerer Zeugen abzuschließen. Falls es zu einem Vertragsbruch kam, spielten die Zeugen neben dem Dokument eine wichtige Rolle. Die Aufgabe der Richtenden liegt vor allem darin, eine Verhandlung abzuhalten, in der die Konfliktparteien den Tatbestand schildern, ihre Positionen darstellen und die Zeugen den jeweiligen Standpunkt der Parteien widerlegen oder bestätigen. Nun erfolgt der nächste Schritt des Richtenden, anhand des klar gewordenen Tatbestandes eine entsprechende Entscheidung zu treffen. Die Tatsache, daß die juristischen Angelegenheiten von den zuständigen Beamten jederzeit und vor Ort behandelt wurden, erschwert es und machte es zum Teil nicht mehr notwendig, daß ein detailliertes Gesetzbuch herausgegeben wurde. Darüber hinaus fungiert der richtende Beamte in vielen Rechtsfällen als Schlichter, wobei der Richter nicht spezifischen Rechtsnormen folgt, sondern ad hoc alle relevanten Werte und Folgen einbezieht. Das Wort hp , das allgemein als die Bezeichnung für „Gesetz“ gilt, hat ein Bedeutungsfeld weit über den juristischen Bereich hinaus. Vom Kosmos zur Menschenwelt und vom Ausland bis Ägypten kann sich das Wort auf alle gültigen Regeln des Seins und des Sollens beziehen. Die gesetzlichen Bestimmungen kommen daher durch verschiedene Handlungen des jeweiligen Königs zustande. Diese Art der Gesetzgebung gewährt dem regierenden König eine freie Hand. Er kann jederzeit ein neues Gesetz erlassen oder schon vorhandene Gesetze außer Kraft setzen, sofern die Umstände das erfordern, ohne an ein kodifiziertes Gesetzbuch gebunden zu sein. Bezüglich der Gesetze kann man bei den als Richter handelnden Beamten zwei wichtige Merkmale konstatieren. Einerseits stellt die Festlegung einer gesetzlichen Bestimmung eine Gelegenheit dar, bei der der regierende König gegenüber bestimmten Beamten seine Entscheidung in bezug auf eine spezifische Angelegenheit oder eine Bestimmung mit allgemeiner Gültigkeit bekannt gibt. Die königlichen Worte, die der König bestimmten Beamten anvertraute, stellen vielleicht die älteste Form der Gesetze dar. Es ist z.B. belegt, daß die geheimen Worte des Königs einem Prinz „offenbart“ wurden. Hier kann man eine königliche Bestimmung für eine spezifische Angelegenheit annehmen. Aus der Autobiographie des Wnj geht hervor, daß er für die Untersuchung der Haremsverschwörung mit konkreten königlichen Anweisungen eingesetzt wurde, über die leider keine genauen Angaben vorhanden sind. In den königlichen Briefen an seine Beamten sehen wir eine der ältesten Formen der Gesetzgebung, in der die königliche Bestimmung schriftlich niedergelegt wurde. Bei einer solchen Vorschrift handelt es sich um eine konkrete Angelegenheit. Aber diese Vorschrift hat nicht nur für den vorliegenden Fall, sondern auch für spätere ähnliche Fälle eine richtungsweisende Funktion. Darüber hinaus kommt in dieser Form der Gesetzgebung das Vertrauen des Königs zu den jeweiligen Beamten zum Ausdruck. Der Brief in der Hand des Beamten ist gleichzeitig ein Beweis für seine Bevollmächtigung und sein Privileg beim König. Solche Briefe sind nur in sehr kleiner Zahl überliefert, die auf Grabwände übertragen wurden. Aber eine größere Zahl ist zu vermuten. <?page no="308"?> 309 Zusammenfassung Das andere Merkmal der gesetzlichen Bestimmungen ist die Publizität. Die Dekrete wurden an die Öffentlichkeit gerichtet. Unter den Angesprochenen befinden sich sowohl potentielle Übertreter der Normen als auch die als Richter handelnden Personen. Ebenfalls an die Öffentlichkeit gerichtet werden die Lebenslehren, in denen gleichermaßen die möglichen Übeltäter und die zukünftigen Beamten angeredet werden. Bemerkenswert ist die Tatsache, daß der Text „Die Einsetzung des Wesirs“ vom König als eine Lehre bezeichnet wird. Die Formulierung in den königlichen Texten „man sagt“ weist darauf hin, daß die Grenze zwischen den schriftlich niedergelgten königlichen Bestimmungen und den ungeschriebenen sozialen Verhaltensregeln fließend ist. In dieser Hinsicht sind Ethik und Gesetz, Erziehung und Strafe eng verbunden. Daher kann man vielleicht annehmen, daß die Lebenslehren, die meistens Vorschläge zum richtigen Verhalten in der Gesellschaft enthalten, in mancher Hinsicht eine Art Rechtsverbindlichkeit besitzen. Dazu kommt noch die Vorstellung eines Totengerichts, das die Verletzung der sozialen Normen und der Verhaltensregeln gegenüber den Mitmenschen nach göttlichem Recht sanktioniert. Die Wirkung der tradierten Regeln und der die Mitmenschen betreffenden Normen wird durch die Praxis unterstützt, daß viele Rechtsgeschäfte schriftlich dokumentiert wurden und, genau wie bei den Gerichtsverhandlungen, den Zeugen eine wichtige Rolle eingeräumt wurde. Die seit dem Alten Reich bekannte schriftliche Beurkundung verschiedener Verträge bildet einen auffallenden Kontrast gegenüber dem Ausbleiben eines kodifizierten Gesetzbuchs. Die vielen Schriftstücke konnten entweder als Beweismittel bei einen zukünftigen Rechtsfall dienen oder waren Vorkehrungsmaßnahmen, um einen potentiellen Streitfall zu vermeiden. Daher vereinigt der richtende Beamte in seiner Person die Funktionen des Notars und des Richters. Anders ausgedrückt war immer auch ein Richter bei der Ausfertigung eines schriftlichen Vertrags zugegen. Dabei ist es seine Aufgabe, die Echtheit des Schriftstücks zu prüfen und die rechtliche Beziehung der Parteien klar festzulegen. Die Protokolle der Gerichtsverhandlungen haben ihr wichtigstes Ziel darin, weitere Streitigkeit zu verhindern. Daraus erklärt sich die Tatsache, daß in den meisten Protokollen der Tatbestand, das Urteil der Richtenden und die Namen der beteiligten Richter formelhaft notiert wurden. Die in den ersten drei Kapiteln untersuchten Aspekte Richter, Gericht und Gesetze bilden die Rahmenbedingungen, in denen der Diskurs über die Tugenden des Richters überhaupt erfolgen kann. Die drei Bezugsgrößen - König, Götter und Mitmenschen - spielen bei der Thematisierung der richterlichen Tugenden eine ebenso entscheidende Rolle, wenn auch jede im Laufe der Zeit wechselnde Bedeutungen gehabt haben mag. In bezug auf die Gerechtigkeit bilden die Götter, besonders der Gott Thot, das Vorbild für den irdischen Richter. Die Kunstfertigkeit dieses Gottes zeigt sich in der Behandlung des Konflikts zwischen Horus und Seth und hat ihre Bedeutung weit über den juristischen Bereich hinaus. Ein Richter, der wie Thot handelt, besitzt alle tugendhaften Eigenschaften und ist daher frei von Tadel vor den Göttern, vor dem König und vor den Mitmenschen. <?page no="309"?> Zusammenfassung 310 Die Gerechtigkeit des Richters wird außerdem durch das Bild der Waage, des Züngleins und des Ruders ausgedrückt. Wie die Bilder von Waage, Zünglein und Ruder deutlich zum Ausdruck bringen, handelt es sich bei der Gerechtigkeit des Richters um seine Haltung gegenüber den beiden Parteien. Die Unparteilichkeit des Richters wird fast ausschließlich mit den folgenden drei Wendungen ausgedrückt: nmo , gs# und rdj Hr gs . Die drei Wendungen werden immer negiert und bringen zum Ausdruck, daß der Richter nur auf den Tatbestand der Rechtsfälle und nicht auf die Person der Parteien geachtet hat. Die Mißachtung des Tatbestandes einer Angelegenheit wird mit der Bestechlichkeit in Zusammenhang gebracht. Sofern der Richter sich für die ungerechte Partei einsetzt, will er aus derartigen Handlungen materielles Interesse verfolgen. Um die Gerechtigkeit des Richtenden deutlich hervorzuheben, werden die zwei Parteien immer ungleich dargestellt. Einmal werden sie als die dem Richter „Bekannten“ und „Unbekannten“ gekennzeichnet. In einem anderen Fall werden die zwei Parteien dadurch charakterisiert, daß eine Partei stark und reich ist, während die andere schwach und arm ist. Die starke und reiche Partei hat in dem zu behandelnden Rechtsfall nicht Recht, aber ausreichende Mittel zur Bestechung. Der Richtende habe der schwachen und armen, sich aber im Recht befindlichen Partei, seine Aufmerksamkeit zu schenken. Um diesen Punkt glaubwürdig zu machen, gibt der richtende Beamte in seiner Autobiographie an, daß er keine Veranlassung gehabt habe, parteiisch zu sein oder sich bestechen zu lassen, da er selbst keine finanzielle Not hatte. Das Hören ist ein zentrales Thema in der Erziehung der Beamtenschicht. Der richtige Umgang in der Beamtengruppe, die mitmenschlichen Verhaltensregeln und das Wissen im Beruf ergeben sich vor allem durch das Hören auf die Lehrer und die Vorfahren. Mit der Aufnahme in die Beamtenschicht und in der Funktion eines Richters erweitert sich das Spektrum des Hörens für den Richtenden. Einerseits muß er auf den König hören, damit er die richterlichen Aufgaben und die damit verbundenen Anweisungen erhält. Das Hören unter diesem Aspekt ist eng damit verbunden, wer zur richterlichen Handlung vom König eingesetzt wird und welche gesetzlichen Bestimmungen erlassen werden. Die Beleglage über das Hören auf den König ist je nach der Stärke des Königtums unterschiedlich. Auf der anderen Seite tritt der Richter als guter Zuhörer auf, der sich in die Anliegen der Bittsteller einfühlen kann. Das Anhören des Richters und das Ausschütten des Kummers von seiten der Bittsteller wird als eine Kommunikation zwischen den Herzen konzipiert. Der Bittsteller öffnet dem Richter sein Herz und der zuhörende Richter versucht seinerseits, „mit aufmerksamem Herzen“ in das Herz des Bittstellers einzudringen, um die Not des Bittstellers zu verstehen und sie zu beseitigen. Der Vorgang der Kommunikation erfolgt als ein Prozeß des Aufbaus von Vertrauen, denn diejenigen, die am dringendsten der Aufmerksamkeit des Richters bedürfen, sind die sozial Benachteiligten, vor allem die Witwen und die Waisen. In solchen Fällen wird neben dem Anhören auch die Notwendigkeit eines unverzüglichen Tätigwerdens des Richters ausdrücklich betont. <?page no="310"?> 311 Zusammenfassung Die Schlichtung ist eine der wichtigsten Handlungen des Richters. Die Koexistenz zweier antagonistischer, sich gegenseitig ergänzenden Teile in einer umfassenden Einheit ist in der Idee der Staatsgründung verwurzelt. Der Mythos vom Konflikt zwischen Horus und Seth liefert das götterweltliche Vorbild für die Aussöhnung zweier Konfliktparteien. Die Schlichtung wird im Ägyptischen mit „trennen“ oder „zur Zufriedenheit beider Parteien entscheiden“ bezeichnet. Das Ziel der richterlichen Handlung, die beiden Parteien zu trennen, zielt nicht darauf ab, eine der Parteien zu verurteilen, sondern darauf, ein weiteres Zusammenleben zu ermöglichen. Das „Trennen ( wpj )“ von zwei voneinander abhängigen Personen kann daher weit über die eigentliche Bedeutung von „trennen“ hinaus gehen. Dies wird ersichtlich in der Entwicklung von der Trennung der Brüder ( wpj sn.wj ) in der Familie über die Trennung der zwei Parteien ( wpj s 2 ) in der Gemeinde bis zu der Trennung der beiden Länder ( wpj t#.wj ), was eigentlich „verwalten“ oder „regieren“ bedeutet. Die Voraussetzungen für die erfolgreiche Schlichtung liegen in der ägyptischen Gesellschaftsordnung. In den Lebenslehren wird stets Zurückhaltung und Nachsicht gefordert. Die normative und formative Wirkung der Lehren sieht man in den Autobiographien, in denen die Beamten, die zu Lebzeiten als Richter gehandelt haben sollen, beteuern, daß sie sich bemüht haben, Streit zu vermeiden. Sie haben Streitigkeit gehaßt und die Streitsüchtigen verachtet. Theoretisch ist die Schlichtung für den als Richter handelnden Beamten vorteilhaft, da er mit dieser Vorgehensweise bei seinen Mitmenschen Liebe und Respekt gewinnen konnte. Da die Verwaltungsbeamten, die nebenbei für die Rechtsprechung zuständig sind, auch als Schlichter auftreten, kann man von einer institutionalisierten Schlichtung reden. Die Schlichtung bietet sich als eine von allen Seiten erwünschte Möglichkeit zur Konfliktlösung, aber sie kann nicht in allen Konfliktfällen angewendet werden. Wenn es bei einer Zwietracht um Täer und Opfer geht, indem eine Partei mittels der Ungleichheit der Macht- oder Vermögensverteilung die andere Partei unterdrückt, ist die Schlichtung nicht nur für die unterdrückte Partei unannehmbar, sondern kommt für den Richtenden nicht in Frage. In diesem Fall handelt der richtende Beamte als Retter. Die Darstellung des Richters als Retter kommt am Ende des Alten Reiches auf und entwickelt sich in der Ersten Zwischenzeit. Die von den lokalen Machthabern düster geschilderten Bilder dieser Epoche bilden einen krassen Kontrast gegenüber ihrem rettenden Handeln. In den folgenden Zeiten bleiben die Aussagen über den Richter als Retter erhalten. Diejenigen, die auf die rettende Hand des Richters angewiesen sind, sind die Schwachen und Armen, vor allem die Witwen und Waisen, die durch den Verlust des Ehemannes oder des Vaters nicht nur den Ernährer, sondern auch den Beschützer verloren haben. In dieser Situation übernimmt der Richter nicht nur die Aufgabe der Versorgung, sondern auch die Funktion des Beschützers. Daher ist das Richten eng mit der Versorgung verbunden, was möglicherweise erklärt, daß ein Verwaltungsbeamter auch als Richter handeln soll. Die Rettung durch den Richter wird außerdem mit dem Bild der Überquerung eines <?page no="311"?> Zusammenfassung 312 Flusses veranschaulicht, indem die den Ägyptern gut bekannten Begriffe wie Krokodile und Überschwemmung einbezogen werden. Die Rettungsaktion des Richters wird außerdem konkret im Rahmen der Gerichtsverhandlung dargestellt. Ein Furchtsamer wird von einer redegewandten Person unrechtmäßig beschuldigt. Jener traut sich nicht, sich gegen die Anschuldigung zur Wehr zu setzen. Er wird daher auch als der „Herr des Falls ( nb sp )“ bezeichnet, da er ein Opfer der unrechtmäßigen Anklage ( sp ) ist, die von einem anderen angezettelt wurde. Es ist der Richter, der den Verängstigten ermutigt, damit dieser gegen den Übeltäter aussagt. Da der altägyptische Richter hauptsächlich an der Verwaltung beteiligt ist, wartet er nicht darauf, daß Rechtsfälle entstehen und ihm vorgetragen werden. Seine richterliche Tätigkeit beschränkt sich daher nicht auf das Gericht, sondern ist in die administrativen Aufgaben integriert. Er bemüht sich, die Menschen zufriedenzustellen, damit manchen Streitigkeiten schon im Vorfeld der Boden entzogen werden kann. Dafür braucht er seinerseits umfassendes Wissen und analytische Fähigkeiten. Dank seiner richterlichen Ausbildung ist der altägyptische Beamte imstande, die verschiedenen Prozessierenden zu durchschauen und entsprechende Maßnahmen zu treffen. Die richterliche Tätigkeit des ägyptischen Beamten außerhalb des Gerichts wird auch dadurch beschrieben, daß der Beamte seinen Machtbereich bewohnbar macht, in dem die Bürger „bis zum hellen Tag schlafen“ und sich sowohl am Tag als auch am Abend ohne Bedenken bewegen dürfen. Diese freie Mobilität symbolisiert den äußeren sicheren Zustand des Dorfes, der Stadt oder des Landes. Die Aufgabe des Richters als Ordnungshüter wird außerdem durch die Garantie der Erbfolge und des Besitzrechts der Menschen charakterisiert. Die Erbfolge und das Besitzrecht bestehen aus zwei eng miteinander verbundenen Teilen: die Übergabe des Besitzes des Vaters an den Sohn und die Nachfolge des Sohnes im Amt des Vaters. Um die Ordnung aufrechtzuerhalten, kann der Richter notfalls Strafmaßnahmen ergreifen. Diejenigen, gegen die der Richter das Mittel der Strafe anwenden mußte, werden nie konkretisiert. Dies hängt mit der Auswirkung der Lehren zusammen und ist außerdem bedingt durch den Anbringungsort der Autobiographien. Die Verstorbenen wollten nicht konkret sagen, wen und wie sie zu Lebzeiten bestraft haben. Andererseits sollte man den abschreckenden Charakter in den Angaben der Strafe in altägyptischen Texten berücksichtigen. Die erwähnten Strafmaßnahmen werden daher nie genau festgelegt und oft wird dabei übertrieben. Besonders auffallend ist, daß Ehebruch, Fälschung von Dokumenten, Verletzung der königlichen Vorschriften oder Vergehen gegen den König alle mit bt# o# n mwt bezeichnet werden. Die genaue Betrachtung dieser Angaben in den Autobiographien könnte daher etwas Licht in die eigentliche Rechtsprechung bringen. <?page no="312"?> 313 Literaturverzeichnis Allam, S., Hieratische Ostraka und Papyri aus der Ramessidenzeit, Bd. I, Tübingen 1973. Hieratische Ostraka und Papyri aus der Ramessidenzeit, Bd. I, Tafelteil, Tübingen 1973. „Zur Stellung der Frau im Altägypten“, in: Discussions in Egyptology 5, 1986, 7-15. „Egyptian law courts in pharaonic and hellenistic times“, in: JEA 77, 1991, 109- 127. „Hieratischer Papyrus Ermitage 5597 (ein Gerichtsprotokoll)“, in: Fs Brunner- Traut, 33-41. „Publizität und Schutz im Rechtsverkehr“, in: Allam S. (Hg.), Grund und Boden in Altägypten: Akten des internationalen Symposions Tübingen 18.-20. Juni 1990, Tübingen: Im Selbstverlag des Herausgebers 1994, 31-43. „Quenbete et administration autonome en Égypte pharaonique“, in: RIDA 43, 1995, 11-69. Altenmüller, H., „Ist die Waage im Gleichgewicht? “ in: GM 97, 1987, 7-14. Andrassy, P., „Zur Struktur der Verwaltung des Alten Reiches“, in: ZÄS 118, 1991, 1-10. Andreu, G., Enquête sur la police dans l’Egypte pharaonique, Paris 1978. Anthes, R., Die Felseninschriften von Hatnub, (UGAA 9) Leipzig 1928. „Eine Polizeistreife des Mittleren Reiches in die westliche Oase“, in: ZÄS 65, 1930, 108-114. „Das Bild einer Gerichtsverhandlung und das Grab des Mes aus Saqqara“, in: MDAIK 9, 1940, 93-119. Assmann, J., 1969: Liturgische Lieder an den Sonnengott, MÄS 19, 1969. 1970: Der König als Sonnenpriester, AADAIK VII, 1970. 1972: „Die ‚Häresie‘ des Echnaton: Aspekte der Amarna-Religion“, in: Saeculum 23, 1972, 109-126. 1973: Das Grab des Basa (Nr. 389) in der thebanischen Nekropole, (AV 16) Mainz 1973. 1975: ÄHG=Ägyptische Hymnen und Gebete, Zürich 1975. 1977: Das Grab der Mutirdis. Grabung im Asasif 1963-1970, Band VI, (AV 13) Mainz 1977. 1979: „Weisheit, Loyalismus und Frömmigkeit“, in: E. Hornung und O. Keel (Hgg.), Studien zu altägyptischen Lebenslehren, (OBO 28) Freiburg (Schweiz), Göttingen 1979,12-72. 1980: „Die ‚Loyalistische Lehre‘ des Echnaton“, in: SAK 8, 1980, 1-32. 1983a: Re und Amun. Die Krise des polytheistischen Weltbilds im Ägypten der 18.-20. Dynastie, (OBO 51) Freiburg (Schweiz), Göttingen, 1983. 1983b: „Schrift, Tod und Identität. Das Grab als Vorschule der Literatur im alten Ägypten“, in: J. Assmann, A. Assmann und Ch. Hardmeier (Hgg.), Schrift <?page no="313"?> Literaturverzeichnis 314 und Gedächtnis. Archäologie der literarischen Kommunikation I, München 1983, 63-93. 1983c: „Königsdogma und Heilserwartung, Politische und kultische Chaosbeschreibungen in ägyptischen Texten“, in: D. Hellholm (Hg.), Apocalypticism in the Mediterranean World and the Near East, Tübingen 1983, 345-377. 1984a: Ägypten. Theologie und Frömmigkeit einer frühen Hochkultur, Stuttgart, Berlin, Köln, Mainz 1984. 1984b: „Vergeltung und Erinnerung“, in: Fs Westendorf, Bd. 2, 687-701. 1987: „Sepulkrale Selbstthematisierung im Alten Ägypten“, in: A. Hahn und V. Kapp (Hgg.), Selbstthematisierung und Selbstzeugnis: Bekenntnis und Gedächtnis, Frankfurt/ M.1987, 208-232. 1988: „Stein und Zeit. Das ‚monumentale‘ Gedächtnis der altägyptischen Kultur“, in: J. Asssmann und T. Hölscher (Hgg.), Kultur und Gedächtnis, Frankfurt/ M. 1988, 87-114. 1989: „State and Religion in the New Kingdom“, in: W. K. Simpson (Hg.), Religion and Philosophy in Ancient Egypt, YES 3, New Haven 1989, 55-88. 1990a: Maat. Gerechtigkeit und Unsterblichkeit im alten Ägypten, München 1990. 1990b: „Kultur und Konflikt. Aspekte einer Theorie des unkommunikativen Handelns“, in: J. Assmann, D. Harth (Hgg.), Kultur und Konflikt, Frankfurt 1990, 11- 48. 1991a: „Weisheit, Schrift und Literatur im alten Ägypten“, in: A. Assmann (Hg.), Weisheit, Archäologie der literarischen Kommunikation III, München 1991, 475-500. 1991b: Stein und Zeit. Mensch und Gesellschaft im alten Ägypten, München 1991. 1991c: Das Grab des Amenemope (TT 41), Theben 3, 1991. 1992a: Das kulturelle Gedächtnis. Schrift, Erinnerung und politische Identität in frühen Hochkulturen, München 1992. 1992b: „When Justice falls: Jurisdiction and Imprecation in ancient Egypt and the Near East“, in: JEA 78, 1992, 149-162. 1992c: „Ein Gespräch im Goldhaus über Kunst und andere Geschichten“, in: Fs Brunner-Traut, 43-60. 1993a: „Zur Geschichte des Herzens im Alten Ägypten“, in: J. Assmann (Hg.), Die Erfindung des inneren Menschen. Studien zur religiösen Anthropologie. Studien zum Verstehen fremder Religionen, Bd. 6, Gütersloh 1993, 91-113. 1993b: „Literatur und Karneval im Alten Ägypten“, in: S. Döpp (Hg.), Karnevaleske Phänomene in antiken und nachantiken Kulturen und Literaturen, Trier 1993, 31-57. 1994a: „Zur Verschriftung rechtlicher und sozialer Normen im Alten Ägypten“, in: H.-J. Gehrke (Hg.), Rechtskodifizierung und soziale Norm im interkulturellen Vergleich, Tübingen 1994, 61-85. <?page no="314"?> Literaturverzeichnis 315 1994b: „Vertikaler Sozialismus, Solidarität und Gerechtigkeit im altägyptischen Staat“, in: R. Faber (Hg.), Sozialismus in Geschichte und Gegenwart, Würzburg 1994, 45-60. 1994c: „Individuum und Person. Zur Geschichte des Herzens im Alten Ägypten“, in: G. Boehm und E. Rudolph (Hgg.), Individuum. Probleme der Individualität in Kunst, Philosophie und Wissenschaft, Stuttgart 1994, 185-219. 1994d: „Maat und die gespaltene Welt oder: Ägyptertum und Pessimismus“, in: GM 140, 1994, 93-100. 1994e: „Verkünden und Verklären - Grundform hymnischer Rede im Alten Ägypten“, in: W. Birkert, F. Stolz (Hgg.), Hymnen der Alten Welt im Kulturvergleich, Freiburg 1994, 33-58. 1996a: Ägypten. Eine Sinngeschichte, München, Wien 1996. 1996b: „Der literarische Aspekt des ägyptischen Grabes und seine Funktion im Rahmen des ‚monumentalen Diskures‘“, in: A. Loprieno (Hg.), Ancient Egyptian Literature. History and Forms, (PÄ 10) Leiden, New York, Köln 1996, 97-104. 1996c: „Ägypten und die Legitimierung des Tötens: Ideologische Grundlagen politischer Gewalt im Alten Ägypten“, in: H. v. Stietenkron, J. Rüpke (Hgg.), Töten im Krieg, Freiburg 1996, 57-85. 1998: „Richten und Retten“, in: J. Assmann, B. Janowski, M. Welker (Hgg.) Gerechtigkeit, München 1998, 9-35. Assmann, J., Feucht, E., Grieshammer, R., Gs Otto = Fragen an die altägyptische Literatur. Studien zum Gedenken an Eberhard Otto, Wiesbaden 1977. Assmann, J., Burkard, G., Davies, V. (Hgg.), Problems and Priorities in Egyptian Archaeology, London, New York 1987. Assmann, J., Harth, D. (Hgg.), Kultur und Konflikt, Frankfurt 1990. Assmann, J., Dziobek, E., Guksch, H., Kampp, F. (Hgg.), Thebanische Beamtennekropolen. Neue Perspektiven archäologischer Forschung, (SAGA 12) Heidelberg 1995. Assmann, J., B. Janowski, M. Welker (Hgg.) Gerechtigkeit, München 1998 Baines, J., „The Inundation Stela of Sebekhotpe VIII“, in: Acta Orientalia XXXVI, 39-54. „The stela of Khusobek: private and royal military narrative and values“, in: Fs Fecht, 43-61. „Society, Morality, and Religious Practice“, in: B. E. Shafer (Hg.), Religion in Ancient Egypt. Gods, Myths, and Personal Practice, London 1991, 123-200. „An Old Kingdom record of an oracle? Sinai Inscription 13“, in: J. van Dijk (Hg.) Essays on Ancient Egypt in Honour of Herman Te Velde, Groningen 1997, 8-27. Visual and written culture in ancient Egypt, Oxford, New York 2007. Barns, J. W.B., Five Ramesseum Papyri, Oxford 1956. „A New Wisdom Text from a Writing-Board in Oxford“, in: JEA 54, 1968, 71-76. Barta, W., Das Gespräch eines Mannes mit seinem Ba (Papyrus Berlin 3024), MÄS 18, 1969. <?page no="315"?> Literaturverzeichnis 316 Bauer, W., Icherleben und Autobiographie im älteren China, Sonderdruck des Springer Verlag1964. Bauer = Parkinson, R. B., The Tale of the Eloquent Peasant, Oxford 1991. Beckerath, J. v., „Die ‚Stele der Verbannten‘ im Museum des Louvre“, in: RdE 20, 1968, 7-36. Bedell, E. D., Criminal Law in the Egyptian Ramesside Period, Dissertation Brandeis University 1973. Bell, L., „Luxor Temple and the Dult of the Royal Ka“, in: JNES 44, 1985, 251-297. Beni Hasan = Newberry, P. E., Beni Hasan, 4 Bde. Vol. I, (ASE 1) London 1893; Vol. II, (ASE 2) London 1893. Berlev, O. D., „Several Middle Kingdom stelae of the Moscow Fine Arts Museum“, in: AoF 3, 1975, 5-18. Bietak, M., Das Grab des Anch-Hor, Bd. I, Untersuchungen des ÖAI Kairo, Bd. IV, Wien 1978. Blackman, A. M., The Rock Tombs of Meir, Vol. I, (ASE 22) London 1914; Vol. II, (ASE 23) London 1915; Vol. VI, (ASE 29) London 1953. „The Stela of Thethi, Brit. Mus. No. 614“, in: JEA 17, 1931, 55-61. „The Stela of Nebipusenwosret: British Museum No. 101“, in: JEA 21, 1935, 1-9. „The stela of Shoshenk, Great Chief of the Meshwesh“, in: JEA 27, 1943, 83-95. Blumenthal, E., Untersuchungen zum ägyptischen Königtum des Mittleren Reiches I: Die Phraseologie, (ASAW 61/ 1) Berlin 1970. „Die Lehre für König Merikare“, in: ZÄS 107, 1980, 5-41. „Die Prophezeiung des Neferti“, in: ZÄS 109, 1982, 1-27. Blumenthal, E., I. Müller, W. Reineke (Hgg.), Urkunden der 18. Dynastie. Übersetzungen zu den Heften 5-16, Berlin 1984. Boochs, W., „Das altägyptische Strafverfahren bei Straftaten von besonderem staatlichen Interesse“, in: GM 109, 1989, 21-26. „Der ehebrecherische Sohn“, in: GM 114, 1990, 43-45. „Religiöse Strafe“, in: Fs Derchain, 57-64. Boorn, G.P.F. van den, „On the Date of ‚The Duties of the Vizier‘“, in: Or 51, 1982, 369-381. „ WDo-ryt and Justice at the Gate“, in: JNES 44, 1985, 1-25. Duties = The Duties of the Vizier. Civil Administration in the Early New Kingdom, London, New York 1988. Borchardt, L., Statuen und Statuetten von Königen und Privatleuten, Bd 1-5, Berlin 1911-36. Denkmäler des Alten Reiches, 2 Bde, Berlin, Kairo 1937-64. Borghouts, J. F., „Divine Intervention in Ancient Egypt and ist Manifestation (b#w)“, in: R. J. Demarée, J. J. Janssen (Hgg.), Gleanings from Deir el-Medîna, Leiden 1982, 1-70. Bostico, S., Le Stele egiziane dall’ antico al nuovo regno. Museo Archeologico di Firenze, Roma 1959. Le Stele egiziane del nuovo regno. Museo Archeologico di Firenze, Roma 1965. <?page no="316"?> Literaturverzeichnis 317 Brovarski, E., „Ahanakht of Bersheh and the Hare Nome in the First Intermediate Period and Middle Kingdom“, in: Fs Dunham, 14-30. Brunner, H., Lehre des Cheti = Die Lehre des Cheti, Sohnes des Duauf, (ÄF 13) Glückstadt 1944. Altägyptische Erziehung, Wiesbaden 1957. „Eine Dankstele an Upuaut“, in: MDAIK 16, 1958, 5-19. „Eine altägyptische Idealbiographie in christlichem Gewande“, in: ZÄS 99, 1973, 88-94. „Die religiöse Antwort auf die Korruption in Ägypten“, in: W. Schuller (Hg.), Korruption im Altertum, R. Oldenbourg Verlag, München, Wien 1982, 71-77. „Die Gerechtigkeit Gottes“, in: Zeitschrift für Religions- und Geisteswissenschaft 39, 1987, 211-225. Weisheitsbücher = Die Weisheitsbücher der Ägypter. Lehren für das Leben, Zürich, München 1991. „Vorbild und Gegenbild in Biographien. Lehren und Anweisungen“, in: Fs Griffiths, 164-168. Buck, A. de, „The Judicial Papyrus of Turin“, in: JEA 23, 1937, 152-164. CT = The Egyptian Coffin Texts, 7 Bde, Chicago 1935-1961. Buhl, M.-L., The Late Egyptian Anthropoid Stone Sarcophagi, Kopenhagen 1959. Burkard, G., „Die Lehre des Ptahhotep“, in: O. Kaiser (Hg.), TUAT, Bd. III, 195-250. Caminos, R. A., Literary Fragments in the Hieratic Script, Oxford 1956. The Chronicle of Prince Osorkon, (AnOr 37) Roma 1958. A Tale of Woe. From a Hieratic Papyrus in the A. S. Pushkin Museum of Fine Arts in Moscow, Oxford 1977. Černý, J., „A Marriage Settlement of the Twentieth Dynasty“, in: JEA 13, 1927, 30-39. „Papyrus Salt 124 (Brit. Mus. 10055)“, in: JEA 15, 1929, 243-258. „Restitution of, and Penalty attaching to, stolen Property in Ramesside Times“, in: JEA 23, 1937, 186-189. Ostraca Hiératiques non Littéraires de Deir el Médineh, 5 Bde, Kairo 1935-1951. LRL = Late-Ramesside Letters, BAe 9, 1939. „The Will of Naunakhte and the Related Documents“, in: JEA 31, 1945, 29-53. „The stela of Merer in Cracow“, in: JEA 47, 1961, 5-9. Community = A Community of Workmen at Thebes in the Ramesside Period, BdE 50, Kairo 1973. Černý, J./ Gardiner, A. H., Hier. Ostraca = Hieratic Ostraca, Vol. I, Oxford 1957. Clère, J. J., „Un Passage de la Stèle du General Antef“, in: BIFAO 30, 1930, 425-447. „L’Expression DNS MHWT des Autobiographies Egyptiennes“, in: JEA 35, 1949, 38-42. „La stèle d’un commissaire de police ( MR-cNV ) de la Première Période Intermédiaire“, in: RdE 7, 19-32. „Notes sur l’inscription biographique de Sarenpout Ier à Assouan“, in: RdE 22, 1970, 41-49. <?page no="317"?> Literaturverzeichnis 318 Clère, J. J., J. Vandier, TPPI = Textes de la Première Periode Intermédiaire et de la Xième Dynastie, BAe 10, 1948. Couyat, J., Montet, P., Inscr. du Ouâdi Hammâmât = Les Inscriptions hieroglyphiques et hiératiques du Ouâdi Hammâmât, (MIFAO 34) Le Caire 1912. Daressy, G., „Inscriptions historiques Mendésiennes“, in: Recueil de travaux relatifs a la philologie et a l’archéologie Égyptiennes et Assyriennes, Bd. 35, 1913, 124-129. Daumas, F., „La structure du Mammisi de Nectanébo à Dendera“, in: BIFAO 50, 1952, 133-155. Davies, N. de G., The Rock Tombs of Deir el-Gebrawi, 2 Bde, ASE 11-12, 1902. Amarna = The Rock Tombs of El Amarna, 6 Bde, ASE 13-18, 1903-1908. Five Theban Tombs, ASE 21, 1913. The Tombs of Two Officials of Thutmosis IV (Nos. 75 and 90), TTS 3, 1923. The Tombs of Ken-Amun at Thebes, 2 Bde, PMMA 5, 1930. The Tomb of the Vezier Ramose, MET I, 1941. Rekh-mi-Rc = The Tomb of Rekh-mi-Rē c at Thebes, 2 Bde, PMMA 11, 1943. Seven Private Tombs at Kurna, MET 2, 1948. Demarée, R. J., Janssen, J. J. (Hgg.), Gleanings from Deir el-Medîna, Leiden 1982. Demarée, R. J., Egberts, A. (Hgg.), Village Voices, Leiden 1992. Derchain P., Le Papyrus Salt 825 (BM 10051) rituel pour la conservation de la vie en Egypte, Brüssel 1965. Dévaud, E., Les maximes de Ptahhotep (d’après de papyrus Prisse, les papyrus 10371/ 10435 et 10509 du British Museum et la tablette Carnavon), Fribourg 1916. Dieleman, J., „Fear of women? Representations of women in demotic wisdom texts“, in: SAK 25, 1998, 7-46. Dunham, D., Naga-Ed-Dêr Stelae of the First Intermediate Period, Oxford 1937. „Four New Kingdom Monuments in the Museum of Fine Arts, Boston“, in: JEA 21, 1935, 47-151. „The biographical Inscriptions of Nekhebu in Boston and Cairo“, in: JEA 24, 1938, 1-8. Dziobek, E., User-Amun = Denkmäler des Vezirs User-Amun, (SAGA 18) Heidelberg 1998. Edel, E., Phraseologie = Untersuchungen zur Phraseologie der ägyptischen Inschriften des Alten Reiches, (MDAIK 13) Berlin 1944. „Inschriften des Alten Reichs VI“, in: ZÄS 83, 1958, 3-18. „Inschriften des Alten Reichs, II. Die Biographie des K#j-gmjnj (Kagemni)“, in: MIO 1, 1953, 210-226. „Inschriften des Alten Reichs, III. Die Stele des MHw-#Xtj (Reisner G 2375)“, in: MIO 1, 1953, 327-336. Beiträge zu den Inschriften des Mittleren Reiches in den Gräbern der Qubbet el Hawa, (MÄS 25) Berlin 1971. Grabfronten = Die Inschriften der Grabfronten der Siut-Gräber in Mittelägypten aus der Herakleopolitenzeit, Opladen 1984. <?page no="318"?> Literaturverzeichnis 319 Edgerton, W. F., „The Nauri Decree of Seti I: A Translation and Analysis of the Legal Portion“, in: JNES 6, 1947, 219-230. Eichler, E., Untersuchungen zum Expeditionswesen des ägyptischen Alten Reiches, Wiesbaden: Harrassowitz 1993. El Bersheh = El Bersheh, 2 Bde, ASE 3, 4, I: P. E. Newberry, 1895 II: F. Ll. Griffith, P. E. Newberry, 1895. Engelbach, R., Gunn, B., Harageh, BSAE 28, 1923. Endersfelder, E., „Zur Frage der Bewässerung im pharaonischen Ägypten“, in: ZÄS 106, 1979, 37-51. Erichsen, W., Papyrus Harris I, BAe V, Brüssel 1933. Erman, A., „Die Geschichte des Schiffbrüchigen“, in: ZÄS 43, 1906, 1-26. „Denksteine aus der thebanischen Gräberstadt“, in: Sitzungsberichte der Königlich- Preußischen Akademie der Wissenschaften 1911, 1086-1110. Eyre, C. J., „Fate, Crocodiles and the Judgement of the Dead, Some Mythological Allusions in Egyptien Literature“, in: SAK 4, 1976, 103-114. „The adoption papyrus in social context“, in: JEA 78, 1992, 207-221. „Weni’s Career and Old Kingdom Historiography“, in: Fs Shore, 107-124. Fakhry, A., „Stela of the Boat-Captain Inikaf“, in: ASAE 38, 1938, 34-45. Farout, D., „La carrière du wHmw Ameny et l’organisation des expéditions au ouadi Hammamat au Moyen Empire“, in: BIFAO 94, 1994, 143-172. Faulkner, R. O., „The Stela of Rudjahau“, in: JEA 37, 1951, 47-52. „The Installation of the Vizier“, in: JEA 41, 1955, 18-29. CD = A Concise Dictionary of Middle Egyptian, Oxford 1962. Fecht, G., Der Habgierige und die Maat in der Lehre des Ptahhotep (5. Und 19. Maxime), Glückstadt 1958. Vorwurf = Der Vorwurf an Gott in den Mahnworten des Ipuwer, AHAW 1972. „Ptahhotep und die Disputierer (Lehre des Ptahhotep nach Pap. Prisse, Max. 2-4, Dév. 60-83)“, in: MDAIK 37, 1981, 143-150. Fensham, F. C., „Widow, Orphan, and the Poor in Ancient Near Eastern legal and wisdom Literature“, in: JNES 21, 1962, 129-139. Feucht, Das Grab des Nefersecheru (TT 296), Theben 2, 1985. Das Kind im alten Ägypten: die Stellung des Kindes in Familie und Gesellschaft nach altägyptischen Texten und Darstellungen, Frankfurt 1995. Fikentscher, W., H. Franke, O. Köhler (Hgg.), Entstehung und Wandel = Entstehung und Wandel rechtlicher Traditionen, Freiburg 1980. Firth, C. M., B. Gunn, Teti Pyramid Cemeteries, I: Text, II: Plates, Excav. Saqq., 1926. Fischer, H. G., „A God and a General of the Oasis on a Stela of the Late Middle Kingdom“, in: JNES 16, 1957, 223-235. „A Scribe of the Army in a Saqqara Mastaba of the Early Fifth Dynasty“, in: JNES 18, 1959, 233-272. „The Inscription of In-it.f, Born of Vfj “, in: JNES 19, 1960, 258-268. „Old Kingdom Inscriptions in the Yale Gallery“, in: MIO VII, 1960, 299-311. „The Inspector of the sX of Horus, Nby“, in: Or 30, 1961, 170-175. <?page no="319"?> Literaturverzeichnis 320 Inscriptions from the Coptite Nome (Dynasties VI-XI), (AnOr 40) Roma 1964. Dendera = Dendera in the Third Millennium B.C., New York 1968. „Three Stelae from Naga ed-Deir“, in: Fs Dunham, 58-67. Egyptian Titles of the Middle Kingdom. A Supplement to W. Ward’s INDEX, New York 1985. „Marginalia“, in: GM 122, 1991, 21-30. „Marginalia II“, in: GM 128, 1992, 69-80. Fischer-Elfert, H.-W., Literarische Ostraka der Ramessidenzeit in Übersetzung, (KÄT) Wiesbaden 1986. „Der ehebrecherische Sohn (P. Deir el-Medineh 27, Stele UC 14.430 und P. Butler verso)“, in: GM 112, 1989, 23-26. „Drei Personalnotizen“, in: GM 119, 1990, 13-17. „Vermischtes“, in: GM 127, 1992, 33-47. „Vermischtes II“, in: GM 135, 1993, 31-37. „Vermischtes III“, in: GM 143, 1994, 41-49. „Zum bisherigen Textbestand der „Lehre eines Mannes an seinen Sohn“, Eine Zwischenbilanz“, in: OA 27, 1988, 173-209. „Persönliche Frömmigkeit und Bürokratie“, in: WdO 28, 1997, 18-30. Die Lehre eines Mannes=Die Lehre eines Mannes für seinen Sohn. Eine Etappe auf dem „Gottesweg“ des loyalen und solidarischen Beamten des Mittleren Reiches, 2 Bde, ÄA 60, 1999. Franke, D., „Ursprung und Bedeutung der Titelsequenz z#b R#-NXn “, in: SAK 11, 1984, 209-217. „The Career of Khnumhotep III. of Beni Hasan and the so-called ‚Decline of the Nomarchs‘“, in: S. Quirke (Hg.), Middle Kingdom Studies, New Malden 1991, 51-67. Heqaib = Das Heiligtum des Heqaib auf Elephantine. Geschichte eines Provinzheiligtums im Mittleren Reich, (SAGA 9) Heidelberg 1994. „Schöpfer, Schützer, Guter Hirte: Zum Königsbild des Mittleren Reiches“, in: R. Gundlach, Ch. Raedler (Hgg.), Selbstverständnis und Realität, ÄAT 36, 1, 1997, 175-209. „Kleiner Mann ( nDs ) - was bist Du? “, in: GM 167, 1998, 33-48. Frood, E., Biographical Texts from Ramessid Egypt, Society of Biblical Literature: Atlanta 2007. Fs Brunner = M. Görg (Hg.), Fontes atque Pontes, ÄAT 5, 1983. Fs Brunner-Traut = I. Gamer-Wallert, W. Helck (Hgg.), Gegengabe, Tübingen 1992. Fs Dunham = W. K. Simpson, W. M. Davies (Hgg.), Studies in Ancient Egypt, the Aegean and the Sudan. Essays in Honor of Dows Dunham, Boston 1981. Fs Edel = M. Görg, E. Pusch (Hgg.), Festschrift Elmar Edel, ÄAT 1, 1979. Fs Edwards = J. Baines et. al. (Hgg.), Pyramid Studies and other Essays presented to I. E. S. Edwards, London 1988. Fs Fairman = J. Ruffle, G. A. Gaballa, K. A. Kitchen (Hgg.), Glimpses of Ancient Egypt, Warminster 1979. <?page no="320"?> Literaturverzeichnis 321 Fs Fecht = J. Osing, G. Dreyer (Hgg.), Form und Maß. Beiträge zur Literatur, Sprache und Kunst des alten Ägypten. Festschrift für Gerhard Fecht zum 65. Geburtstag am 6. Februar 1987, ÄAT 1987. Fs Griffith = S. R. K. Glanville (Hg.), Studies presented to Francis Llewellyn Griffith, London 1932. Fs Hughes = J.H. Johnson, E.F. Wente (Hg.), Studies in Honor of George R. Hughes, (SAOX 39), Chicago 1976. Fs Lichtheim = S. Israelit-Groll (Hg.), Studies in Egyptology presented to Miriam Lichtheim, 2 Bde, Jerusalem 1990. Fs Mokhtar = P. Poosener-Kriéger (Hg.), Mélanges G. E. Mokhtar, 2 Bde, BdE 97, 1985. Fs Ricke = Aufsätze zum 70. Geburtstag von H. Ricke, Beiträge Bf 12, 1971. Fs Schott = W. Helck (Hg.), Festschrift für Siegfried Schott zu seinem 70. Geburtstag, Wiesbaden 1968. Fs Théodoridès = C. Cannuyer, J.-M. Kruchten (Hgg.), Individu, Société et Spiritualité dans l’Égypte Pharaonique et Copte, Brüssel 1993. Fs Westendorf = Studien zu Sprache und Religion Ägyptens. Zu Ehren von W. Westendorf überreicht von seinen Freunden und Schülern, 2 Bde, Göttingen 1984. Fulda, H. F., „Philosophische Kultur im gesellschaftlichen Konflikt“, in: J. Assmann, D. Harth (Hgg.) Kultur und Konflikt, Frankfurt 1990, 113-141. Gaballa, G. A., The Memphite Tomb-Chapel of Mose, Warminster 1977. Gabra, S., Les conseils de fonctionnaires, Le Caire 1929. Gamer-Wallert, I., „Das Grab des Hohenpriesters des Ptah, Mrj-PtH , in Saqqara“, in: WdO 14, 1983, 99-129. Gardiner, A. H., Inscr. of Mes = The Inscription of Mes. A Contribution to the Study of Egyptian Judicial Procedure, (UGAÄ 4) Leipzig 1905. „Four papyri of the 18. Dynasty from Kahun“, in: ZÄS 43, 1906, 27-47. „Inscriptions from the tomb of Si-renpowet I, prince of Elephantine“, in: ZÄS 45, 1908, 123-140. Admonitions = The Admonitions of an Egyptian Sage from a Hieratic Papyrus in Leiden (Pap. Leiden 344 Recto), Leipzig 1909. „The Tomb of a much-travelled Theban Official“, in: JEA 4, 1917, 28-37. „The Autobiography of Rekhmere“, in: ZÄS 60, 1925, 62-76. LESt = Late-Egyptian Stories, BAe 1, 1932. Hieratic Papyri in the British Museum, Third Series, Chester Beatty Gift, Vol. II, Plates, London 1935. „A Lawsuit arising from the Purchase of two Slaves“, in: JEA 21, 1935, 140-146. LEM = Late-Egyptian Miscellanies, BAe 7, 1937. „A New Moralizing Text“, in: WZKM 54, 1957, 43-45. Gardiner, A. H., Sethe, K., Egyptian Letters to the Dead mainly from the Old and Middle Kingdoms, London 1928. Gasse, A., „Amény, un porte-parole sous le règne de Sésostris I er “, in: BIFAO 88, 1988, 83-95. Glanville, S. R. K., „The Letters of AaH mōse of Peniati“, in: JEA 14, 1928, 294-312. <?page no="321"?> Literaturverzeichnis 322 Gnirs, A., „Haremhab - Ein Staatsreformator? Neue Betrachtungen zum Haremhab- Dekret“, in: SAK 16, 1989, 83-110. Goedicke, H., „Untersuchungen zur altägyptischen Rechtsprechung“, in: MIO 8, 1961- 63, 333-367. „A neglected Wisdom Text“, in: JEA 48, 1962, 25-35. Königl. Dokumente = Königliche Dokumente aus dem Alten Reich, (ÄA 14) Wiesbaden 1967. Die privaten Rechtsinschriften = Die privaten Rechtsinschriften aus dem Alten Reich, Wien 1970. Dispute = The Report about the Dispute of a Man with his Ba, Baltimore 1970. „Ankhtyfy’s Threat“, in: C. Cannuyer, J.-M. Kruchten (Hgg.), Individu, société et spiritualité dans l’Égypte pharaonique et copte, Brüssel 1993, 111-121. Goedicke, H., Wente, E. F., Ostraka Michaelides, Wiesbaden 1962. Goyon, G., Hammamat = Nouvelles Inscriptions rupestres du Wadi Hammamat, Paris 1957. Grapow, H., Bildliche Ausdrücke = Die Bildlichen Ausdrücke des Ägyptischen. Vom Denken und Dichten einer Alt-orientalischen Sprache, Leipzig 1924. „Der Liederkranz zu Ehren Königs Sesostris des Dritten aus Kahun“, Berlin 1953. Green, M., „Wenamun’s Demand for Compensation“, in: ZÄS 106, 1979, 116-120. Grieshammer, R., Jenseitsgericht = Das Jenseitsgericht in den Sargtexten, ÄA 20, 1970. „Zum Fortwirken ägyptischer und israelitisch-jüdischer Unschuldserklärungen in frühchristlichen Texten Ägyptens“, in: I. Shirun-Grumach (Hg.), Jerusalem Studies in Egyptology, ÄAT 40, 1998, 247-264. Griffith, F. Ll., Siut = The Inscriptions of Siut and Der Rifeh, London 1889. Hieratic Papyri from Kahun and Gurob, London 1898. „The Abydos Decree of Seti I at Nauri“, in: JEA 13, 1927, 193-208. Griffiths, J. G., The Conflict of Horus and Seth, Liverpool 1960. „Divine Impact on Human Affairs“, in: Fs Edwards, 92-101. „The Idea of Posthumous Judgment in Israel and Egypt“, in: Fs Brunner, 186-204. Guglielmi, W., „Lachen und Weinen in Ethik, Kult und Mythos der Ägypter“, in: CdE 55, 1980, 69-86. „Eine ‚Lehre‘ für einen reiselustigen Sohn“, in: WdO 14, 1983, 147-166. Guksch, H., Königsdienst. Zur Selbstdarstellung der Beamten in der 18. Dynastie, (SAGA 11) Heidelberg 1994. Gundlach, R., Raedler, Ch. (Hg.), Selbstverständnis und Realität. Akten des Symposiums zur ägyptischen Königsideologie in Mainz 15.-17. 6. 1995, ÄAT 36, 1, 1997. Gunn, B., „A Sixth Dynasty Letter from Saqqara“, in: ASAE 25, 1925, 242-255. „The Stela of Apries at Mîtrahîna“, in: ASAE 27, 1927, 211-237. „The statue of Harwa“, in: BIFAO 30, 1930, 791-815. „The Berlin statue of Harwa and some notes on other Harwa statues“, in: BIFAO 34, 1934, 135-142. Harari, I., „Portée de la Stèle juridique de Karnak“, in: ASAE 51, 1951, 274-297. <?page no="322"?> Literaturverzeichnis 323 „Vérification de la Coutume dans la Terminologie juridique Egyptienne“, in: DE 5, 1986, 67-72. Hartland, E. S., Primitive Paternity. The Myth of supernatural Birth in Relation to the History of the Family, London 1910. Hartmann, A., Schlichten oder Richten, München 1995. Hassan, S., Gîza = Excavations at Gîza, 10 Bde, Oxford u. Kairo 1929-60. Hayek, F. A. von, Law, legislation and liberty, Bd. I, London 1973. Hayes, W. C., „Royal Decrees from the Temple of Min at Coptus“, in: JEA 32, 1946, 3-23. A Papyrus = A Papyrus of the Late Middle Kingdom, The Brooklyn Museum 1955. The Scepter of Egypt, 2 Bde, I: New York 1953, II: Cambridge 1959. Heise, J., Erinnern und Gedenken. Aspekte der biographischen Inschriften der ägyptischen Spätzeit (OBO 226), Fribourg 2007. Helck, W., Beamtentitel = Untersuchungen zu den Beamtentiteln des äg. Alten Reiches, ÄF 18, 1954. Verwaltung = Zur Verwaltung des Mittleren und Neuen Reiches, Leiden u. Köln 1958. Urkunden der 18. Dynastie. Übersetzungen zu den Heften 17-22, Berlin 1961. Der Text der „Lehre Amenemhets I. für seinen Sohn“, KÄT 1969. „Wesen, Entstehung und Entwicklung Altägyptischen ‚Rechts‘“, in: W. Fikentscher, H. Franke, O. Köhler (Hgg.), Entstehung und Wandel rechtlicher Traditionen, Freiburg 1980, 303-324. „‚Korruption‘ im Alten Ägypten“, in: W. Schuller (Hg.), Korruption im Altertum, R. Oldenbourg Verlag 1982, 65-70. Historisch-Biographische Texte = Historisch-Biographische Texte der 2. Zwischenzeit und Neue Texte der 18. Dynastie, 2., überarbeitete Auflage, KÄT 1983. Lehre eines Mannes = Die Lehre des Djedefhor und die Lehre eines Vaters an seinen Sohn, KÄT, 1984. Neferti = Die Prophezeiung des Nfr.tj, KÄT 1992. Urkunden der 18. Dynastie, Übersetzungen zu den Heften 17-22, Hermann, A., Die Stelen der Thebanischen Felsgräber der 18. Dynastie, ÄF 11, 1940. Herrmann, S., Untersuchungen zur Überlieferungsgestalt Mittelägyptischer Literaturwerke, Berlin 1957. Herrmann, S., „Steuerruder, Waage, Herz und Zunge in ägyptischen Bildreden“, ZÄS 79, 1954, 106-115. Hodjash, S., „Several Middle Kingdom Stelae of the Moscow Fine Arts Museum“, in: AoF 3, 1975, 5-18. Hodjash, S., Berlev, O., The Egyptian Reliefs and Stelae in the Pushkin Museum of Fine Arts, Moscow, Leningrad 1982. Hornung, E., Das Totenbuch der Ägypter, Zürich, München 1990. Die Unterweltsbücher der Ägypter, Weltbild Verlag, Augsburg, 1997. Hornung, E., Keel, O. (Hg.), Studien zu altägyptischen Lebenslehren, OBO 28, 1979. HT = Hieroglyphic Texts from Egyptian Stelae Etc., 12 Bde, London 1912-1993. <?page no="323"?> Literaturverzeichnis 324 Huber, W., „Konflikt und Versöhnung“, in: J. Assmann, D. Harth (Hgg.) Kultur und Konflikt, Frankfurt 1990, 49-71. James, T. G. H., The Mastaba of Khentika called Ikhekhi, London 1953. Janowski, B., Rettungsgewißheit und Epiphanie des Heils. Das Motiv der Hilfe Gottes ‚am Morgen‘ im Alten Orient und im Alten Testament. Bd. I: Alter Orient, WMANT 59, 1989. Jansen-Winkeln, K., Ägyptische Biographien = Ägyptische Biographien der 22. und 23. Dynastie, 2 Bde, Wiesbaden 1985. „Bemerkungen zur Stele des Merer in Krakau“, in: JEA 79, 1987, 204-207. „Zu den biographischen Texten der 3. Zwischenzeit“, in: GM 117/ 118, 1990, 165-180. „Zwei Jenseitsklagen“, in: Bulletin de la société d’Égyptologie Genéve 17, 1993, 41-47. „Neue biographische Texte der 22./ 23. Dynastie“, in: SAK 22, 1995, 169-194. „Zu den Denkmälern des Erziehers Psametiks II.“, in: MDAIK 52, 1996, 187-199. „Die Hildesheimer Stele der Chereduanch“, in: MDAIK 53, 1997, 91-100. „Die Statue des Generals Petemiysis in Leiden“, in: OMRO 77, 1997, 87-92. Janssen, J. J., Prices = Commodity Prices from the Ramessid Period, Leiden 1975. „Gift-Giving in ancient Egypt as an economic Feature“, in: JEA 68, 1982, 253-258. „Two Personalities“, in: R. J. Demarée, J. J. Janssen (Hgg.), Gleanings from Deir el-Medîna, Leiden 1982, 109-131. „Literacy and Letters at Deir el-Medîna“, in: R. J. Demarée, A. Egberts (Hgg.), Village Voices, Leiden 1992, 81-94. Janssen, J. J., Pestman, P. W., „Burial and Inheritance in the Community of the Necropolis Workmen at Thebes (Pap. Bulaq X and O. Petrie 16)“, in JESHO 11, 1968, 137-170. Janssen, J. M. A., Autobiografie = De traditioneele egyptische autobiografie vóór het Nieuve Rijk, 2 Bde, Leiden 1947. Jasnow, R., „Egypt. Old Kingdom and First Intermediate Period“, in: Westbrook, R. (Hg.), A History of Ancient Near Eastern Law, vol. I, 93-140. „Egypt. Middle Kingdom and Second Intermediate Period“, in: Westbrook, R. (Hg.), A History of Ancient Near Eastern Law, vol. I, 255-288. „New Kingdom“, in: Westbrook, R. (Hg.), A History of Ancient Near Eastern Law, vol. I, 289-359. „Third Intermediate Period“, in: Westbrook, R. (Hg.), A History of Ancient Near Eastern Law, vol. II, 777-818. Jelinkova-Reymond, E., Djed-Hr Le Sauveur, Kairo 1956, 86. Jin, S., „Bemerkungen zum pMünchen 809 - Zum Verständnis des Begriffs hp“, in: DE 48, 2000, 89-94. „Drei Bezeichnungen der Beamten in der Lehre fuer Merikare”, in: GM 138, 2001, 89-95. „Ein Gottesurteil im pBoulaq X“, in: JESHO 44, 2001, 95-102. „Der Gott Thot oder der irdische Beamte? “, in: DE 55, 2003, 50-56. <?page no="324"?> Literaturverzeichnis 325 „Schlichten und Richten. Über die altägyptischen Termini wpj und wDo “, in: SAK 31, 2003, 225-233. „Der Furchtsame und der Unschuldige: Über zwei sozio-juristische Begriffe aus dem alten Ägypten“, in: JNES 62, 2003, 267-273. „Über die direkte Rede im alten Ägypten“, in: DE 59, 2004, 31-46. „Vier Formen der Gesetzgebung des Königs im alten Ägypten“, in: DE 62, 2005, 67-80. Johnson, J., „The Legal Status of Women in ancient Egypt“, in: Capel, A. (Hg.), Mistress of the House, Mistress of Heaven: Women in Ancient Egypt, New York 1996, 175-186. Kamal, A. B., Stèles ptolémaiques et romains, 2 Bde, Kairo 1904-1905. Kamal, M., „The stela of cHtp-jb-Ro in the Egyptian Museum“, in: ASAE 38, 1938, 265- 283. Kees, H., Kulturgeschichte = Kulturgeschichte des Alten Orients, I. Ägypten. In: Handbuch der Altertumswissenschaft, hg. Von W. Otto, III, I, 3, I., München 1933. „Die Laufbahn des Hohenpriesters Onhurmes von Thinis“, in: ZÄS 73, 1937, 77-90. „Die Lebensgrundsätze eines Amonpriesters der 22. Dynastie“, in: ZÄS 74, 1938, 73-87. Kitchen, K. A., KRI = Ramesside Inscriptions, 7 Bde, Oxford 1968-1989. Pharao Triumphant. The Life and Times of Ramses II, King of Egypt, Warminster 1985. Koch, R., Die Erzählung des Sinuhe, BAe XVII, Brüssel 1990. Koefoed-Petersen, O., Recueil des inscriptions hiéroglyphiques de la Glyptothèque Ny Carlsberg, BAe 6, 1936. Les stèles égyptiennes, Publications de la Glyptothèque Ny Carlsberg N o 1, Kopenhagen 1948. Kruchten, J.-M., Le Dekret d’Horemheb, Bruxelles 1981. „Une notion juridique égyptienne: celle de ‚journée de bateau‘“, in: CdE 139/ 140, 1995, 65-71. Vivre de Maăt. Travaux sur le droit égyptien ancien Aristide Théodoridès, 2 Bde, Leuven 1995. Kuhlmann, K., Schenkel, W., Das Grab des Ibi. Theben Nr. 36, Bd I, Beschreibung der unterirdischen Kult- und Bestattungsanlage, AV 15, 1983. Lacau, P., Stèles du nouvel empire, 2 Bde, Kairo 1909-1926. Stèles de la XVIII. dyn., Kairo 1957. Lange, H. O., Das Weisheitsbuch des Amenemope, Kopenhagen 1925. Lange, H. O., Schäfer, H., Grab- und Denksteine des Mittleren Reichs im Museum von Kairo, 4 Bde, Berlin 1902-1925. Leahy, A., „A Stela of the Second Intermediate Period“, in: GM 44, 1981, 23-28. „Death by Fire in Ancient Egypt“, in: JESHO 27, 1984, 199-206. Legrain, G., Statues et statuettes = Statues et statuettes de rois et de particuliers, 3 Bde u. Indexbd, Kairo 1906-25. Leitz, Ch., Tagewählerei. Das Buch und verwandte Texte, 2 Bde, ÄA 55, 1994. <?page no="325"?> Literaturverzeichnis 326 Lichtheim, M., „The High Steward Akhamenru“, in: JNES 7, 1948, 163-179. AEL = Ancient Egyptian Literature, 3 Bde, Berkeley 1973-1980. Late Egyptian Wisdom Literature = Late Egyptian Wisdom Literature in the International Context. A Study of Demotic Instructions, OBO 52, 1983. Autobiographies = Ancient Egyptian Autobiographies chiefly of the Middle Kingdom. A Study and an Anthology, OBO 84, 1988. Maat in Egyptian Autobiographies = Maat in Egyptian Autobiographies and related Studies and Related Studies, OBO 120, 1992. Moral Values in Ancient Egypt, OBO 155, 1997. Lloyd, A. B., „The great Inscription of Khnumhotpe II.“, in: Fs Griffiths, 21-36. Lorton, D., „The Treatment of Criminals in Ancient Egypt“, in: JESHO 20, 1977, 2-64. „The King and the Law“, in: VA 2, 1986, 53-62. „Legal and Social Institutions of Pharaonic Egypt“, in: Sasson et al. (Hg.), Civilizations of the Ancient Near East, New York: Charles Scribner’s Sons 1995, 345-362. Loprieno, A., „Loyalty to the King, to God, to oneself“, in: Fs Simpson, Vol. 2, 533-552. Lourie, I. M., „A Note on Egyptian Law-Courts“, in: JEA 17, 1931, 62-64. Studien = Studien zum Altägyptischen Recht des 16. bis 10. Jahrhunderts v.u.Z., Weimar 1971. Luft, U., Das Archiv von Illahun, Berlin 1992. Malinine, M., „Notes Juridiques (a propos de l’ouvrage de E. Seidl)“, in: BIFAO 46, 1948, 92-123. „Un jugement rendu a Thèbes sous la XXVe Dynastie“, in: RdE 6, 1951, 157-178. Malinowsky, B., Crime and Custom in Savage Society, London 1970. Manuelian, P. Der, Living in the Past. Studies in Archaism of the Egyptian twenty-Sixth Dynasty, London 1994. Martin-Pardey, E., Untersuchungen zur ägyptischen Provinzverwaltung bis zum Ende des Alten Reiches, HÄB 1, 1976. „Gedanken zum Titel mr-wp.t“, in: SAK 11, 1984, 231-251. „Richten im Alten Reich und die sr -Beamten“, in: Fs Goedicke, 157-167. Maspéro, G., Sarcophages des époques persane et ptolémaique, Bd. 2, Kairo 1939. McDowell, A. G., Jurisdiction = Jurisdiction in the Workmen’s Community of Deir El- Medina, Leiden 1990. Menu, B., „Quelques remarques à propos de l’étude comparée de la stèle juridique de Karnak et de la ‚stèle‘ d’Ahmes-Nefertari“, in: RdE 23, 1971, 156-163. „Le prêt en droit Égyptien. Nouvel Empire et Basse Époque“, in: CRIPEL 1, 1973, 58-141. Recherches sur l’histoire juridique, économique et sociale de l’ancienne Égypte, Brassac-Lex- Mines-: L’Imprimerie la Margeride 1982. „La condition de la femme dans l’Egypte pharaonique“, in: Rev. hist. droit. 67, 1989, 3-21. „Les juges égyptiens sous les dernières dynasties indigènes“, in: Egitto E Vicino Oriente 17, 213-224. <?page no="326"?> Literaturverzeichnis 327 Recherches sur l’histoire juridique, économique et sociale de l’ancienne Égypte, II, BdE 122, 1998. Meulenaere, H. de, „Une statuette égyptienne à Naples“, in: BIFAO 60, 1960, 117-129. „Une statue de prêtre Heliopolitain“, in: BIFAO 61, 1962, 29-42. „La statue du général Djed-Ptah-Iouf-Ankh“, in: BIFAO 63, 1965, 19-32. „La statue d’un contemporain de Sebekhotep IV“, in: BIFAO 69, 1971, 61-64. „Trois stèles inédites des Musées Royaux d’Art et d’Histiore“, in: CdE 48, 1973, 47-59. „La statuette JE 37163 du Musée du Caire“, in: SAK 6, 1978, 63-68. Möller, G., „Das Amtsabzeichen des Oberrichtes in der Spätzeit“, in: ZÄS 56, 1920, 67-68. „Das Dekret des Amenophis, des Sohnes des Hapu“, in: Sitzungsbericht der phil.hist. Classe, 1910, 932-948. Hieratische Lesestücke für den akademischen Gebrauch, 3 Bde, Leipzig 1910-1935. Morenz, L. D., Beiträge zur Schriftlichkeitskultur im Mittleren Reich und in der 2. Zwischenzeit, ÄAT 229, 1996. Morenz, S., Ägyptische Religion, Stuttgart 1960. Morschauser, S. N., Threat Formulae in Ancient Egypt. A Study of the History, Structure, and Use of Threats and Curses in Ancient Egypt, Baltimore 1991. „The End of the cDf (#)-vr(yt ) Oath“, in: JARCE 25, 1988, 93-103. Moss, R. L. B., „Two Middle-Kingdom Stelae in the Louvre“, in: Fs Griffith, 310-311. Moursi, M., „Die Stele des Vezirs Re-hotep (Kairo JdE 48845)“, in: MDAIK 37, 1981, 321-329. Müller-Wollermann, R., Krisenfaktoren = Krisenfaktoren im Ägyptischen Staat des ausgehenden Alten Reichs, Tübingen 1986. „Ich bin ein Besitzer von Booten“, in: SAK 26, 1998, 229-237. Munro, P., „Die Statuen des Orw aus Baqlîya und Tell El-Balâmûn“. Kestner-Museum 1980.84“, in: Fs Fecht, 307-336. Murnane, W.J., Texts from the Amarna Period in Egypt, Atlanta, Georgia 1995. Nader, L., Law in Culture and Society, Chicago 1972. Nader, L., Todd, H. F. (Hgg.), The Disputing Process - Law in Ten Societies, New York 1978. Nibbi, A., „Remarks on the two Stelae from the Wadi Gasus“, in: JEA 62, 1976, 45-56. Niggl, G. (Hg.), Die Autobiographie: Zu Form und Geschichte einer literarischen Gattung, Darmstadt, 1989. Nisbet, R., Twilight of Authority, New York 1975. Ockinga, B. G., Yahya al-Masri, Two Ramesside Tombs = Two Ramesside Tombs at El Mashayikh, Part I, Sidney 1988. Osing, J., Das Grab des Nefersecheru = Das Grab des Nefersecheru in Zawyet Sultan, AV 88, 1992. Otto, E., Biogr. Inschr. = Die biographischen Inschriften der ägyptischen Spätzeit. Ihre geistesgeschichtliche und literarische Bedeutung, Probleme der Ägyptologie 2, Leiden 1954. „Prolegomena zur Frage der Gesetzgebung und Rechtssprechung in Ägypten“, in: MDAIK 14, 1956, 150-159. <?page no="327"?> Literaturverzeichnis 328 Gott und Mensch = Gott und Mensch nach den ägyptischen Tempelinschriften der griechisch-römischen Zeit. Eine Untersuchung zur Phraseologie der Tempelinschriften, AHAW 1964. „Ägyptische Gedanken zur menschlichen Verantwortung“, in: WdO 3, 1964/ 66, 19-26. Parant, R., L’Affaire Sinoué. Tentative d’appproché de la justice répressive Egyptienne au début du II e millénaire av. J. C., Aurillac 1982. Parkinson, R. B., „Teachings, discourses and tales from the Middle Kingdom“, in: S. Quirke (Hg.), Middle Kingdom Studies, New Malden 1991, 91-122. Voices from Ancient Egypt. An Anthology of Middle Kingdom Writings, British Museum Press 1991. „The Date of the ‚Tale of the Eloquent Peasant‘“, in: RdE 42, 1991, 171-181. „Literary Form and the Tale of the Eloquent Peasant“, in: JEA 78, 1992, 163- 178. The Tale of Sinuhe = The Tale of Sinuhe and other Ancient Egyptian Poems, Oxford 1997. Peet, T. E., „Two Eighteenth Dynasty Letters. Papyrus Louvre 3230“, in: JEA 12, 1926, 70-79. GTR = The Great Tomb Robberies of the Twentieth Egyptian Dynasty, 2 Bde, Oxford 1930. Perdu, O., „Une ‚Autobiographie‘ d’Horiraa revisitée“, in: RdE 48, 1997, 165-184. „Un Monument d’Originalité“, in: JEA 84, 1998, 123-149. Pestman, P. W., Marriage = Marriage and Matrimonial Property in Ancient Egypt, Papyrologica Lugduno-Batava 9, Leiden 1961. Petrie, W. M. F., Tombs of the Courtiers = Tombs of the Courtiers and Oxyrhynkhos, BSAE 37, 1925. Athribis, BSAE 14, 1908. Piankoff, A., Le ‚Coeur‘ dans les textes égyptiens, Paris 1930. Piankoff, A., Clére, J. J., „A Letter to the Dead on a Bowl in the Louvre“, in: JEA 20, 157-169. Piehl, K., Inscriptions hiéroglyphiques, 3 Bde, 1868-1895. „Saitica“, in: ZÄS 28, 1890, 103-109. „Saitica II“, in: ZÄS 31, 1893, 84-91. „Saitica (Suite)“, in: ZÄS 32, 1894, 118-122. Plantikow-Münster, M., „Die Inschriften des B#k-n-Hnsw in München“, in: ZÄS 95, 1969, 117-135. Polacek, V., „Zur Frage des Altaegyptischen Rechts- und Gerechtigkeitsgedankens“, in: JJP 13, 1961, 243-268. „Quelques remarques sur les ‚Procès Secrets‘ en Ancienne Egypte“, in: CdE 37, 1962, 23-30. Polotsky, H. J., Zu den Inschriften der 11. Dynastie, UGAÄ 11, 1929. „The Stela of Heka-Yeb“, in: JEA 16, 1930, 194-199. Posener, G., La première domination perse en Égypte, BdE 11, 1936. <?page no="328"?> Literaturverzeichnis 329 „La tombe d’Ankhtifi a Moalla“, in: Journal des Savants 1952, 115-126. Littrature et Politique dans l’Égypte de la XIIe Dynastie, Paris 1956. „Amon juge du pauvre“, in: Fs Ricke, 59-63. L’Enseignement= L’Enseignement Loyaliste, Sagesse égyptienne du Moyen Empire, Genf 1976. Prichard, J. B. (Hg.), Ancient Near Eastern Texts Relating to the Old Testament, Chicago 2 1955. Quack, J. F., Studien zur Lehre für Merikare, Wiesbaden 1992. Die Lehren des Ani. Ein neuägyptischer Weisheitstext in seinem kulturellen Umfeld, OBO 141, 1994. Quirke, S., The Hieratic Documents, New Malden 1990. Middle Kingdom Studies, New Malden 1991. Ranke, H., PN=Die ägyptischen Personennamen, Bd. I, Glückstadt 1935. „Ein Sitzbild des späten Alten Reichs in der Sammlung der Heidelberger Ägyptologischen Instituts“, in: MDAIK 12, 1943, 69-72. Reisner, M. B., „Inscribed monuments from Gebel Barkal, Part 4: The Stela of Prince Khaliut“, in: ZÄS 70, 1934, 35-46. Roccati, A., Littérature = La littérature historique sous l’ancien Empire Égyptien, Paris 1982. Sandman, M., Texts from Akhenaten = Texts from the Time of Akhenaten, BAe 8, 1938. Sauneron, S., „La justice à la porte des temples (A propos du nom egyptien des propylées)“, in: BIFAO 54, 1954, 117-127. Ostraca Hiératiques non Littéraires de Deir el Médineh, Kairo 1959. Sayed, A. H., „Discovery of the site of the 12th dynasty port at Wadi Gawasis on the Red Sea shore“, in: RdE 29, 1977, 138-178. El-Sayed, R., Documents =Documents relatifs à Sais et ses divinités, Kairo 1976. Schenkel, W., „Eine neue Weisheitslehre? “, in: JEA 50, 1964, 6-12. MHT = Memphis - Herakleopolis - Theben: die epigraphischen Zeugnisse der 7. - 11. Dynastie Ägyptens, ÄA 12, 1965. „Sonst-Jetzt. Variationen eines literarischen Formelements“, in: WdO 15, 1984, 51-61. „Soziale Gleichheit und soziale Ungleichheit und die ägyptische Religion“, in: G. Kehrer (Hg.), „Vor Gott sind alle gleich“. Soziale Gleichheit, soziale Ungleichheit und die Religionen, Düsseldorf 1983, 26-41. Schmitt, H. H., Wesen und Geschichte der Weisheit. Eine Untersuchung zur altorientaliscchen und israelitischen Weisheitsliteratur, Berlin 1966. Schott, E., „Die Biographie des Ka-em-Tenenet“, in: Gs Otto, 443-461. Schott, S., Hieroglyphen. Untersuchungen zum Ursprung der Schrift, Akademie der Wissenschaften und Literatur zu Mainz. Abhandlungen der geisteswissenschaftlichen und sizialwissenschaftlichen Klasse, 1950. Schuller W. (Hg.), Korruption im Altertum, R. Oldenbourg Verlag, München, Wien 1982. Seeber, Ch., Untersuchungen zur Darstellung des Totengerichts im Alten Ägypten, MÄS 35, 1976. <?page no="329"?> Literaturverzeichnis 330 Seidl, E., Einführung = Einführung in die ägyptische Rechtsgeschichte bis zum Ende des Neuen Reiches, Glückstadt 1939. Ägyptische Rechtsgeschichte der Saiten- und Perserzeit, Glückstadt 1956. Handbuch = „Altägyptisches Recht“, in: Handbuch der Orientalistik 1. Abt., Ergänzungsband 3, Leiden, Köln 1964. „ Cor , der öffentliche Protest, im ägyptischen Recht“, in: ZÄS 94, 1967, 131-134. Seidlmayer, S. J., „Wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung im Übergang vom Alten zum Mittleren Reich. Ein Beitrag zur Archäologie der Gräberfelder der Region Qau-Matmar in der Ersten Zwischenzeit“, in: Assmann, J., Burkard, G., Davies, V., Problems and Priorities in Egyptian Archaeology, London, New York 1987, 175-217. Gräberfelder aus dem Übergang vom Alten zum Mittleren Reich. Studien zu Archäologie der Ersten Zwischenzeit, (SAGA 1) Heidelberg 1990. „The First Intermediate Period“, in: Shaw, I. (ed.), The Oxford History of Ancient Egypt, Oxford 2000. Sethe, K., „Geschichte des Amtes t#jtj, s#b, T#tj im alten Reich“, in: ZÄS 28, 1890, 43-49. Lesestücke = Lesestücke zum Gebrauch im akademischen Unterricht, 3. Aufl. Neudruck, Darmstadt 1959. Beiträge zur ältesten Geschichte Ägyptens, Leipzig 1905. Seyfried, Karl-J., „Zur Inschrift des Hor (Wadi el Hudi Nr. 1 (143) )“, in: GM 81, 1984, 55-62. Shafer, B. E., (Hg.), Religion in Ancient Egypt. Gods, Myths, and Personal Practice, London 1991. Shaw, I. (ed.), The Oxford History of Ancient Egypt, Oxford 2000. Shirun-Grumach, I., Untersuchungen zur Lebenslehre des Amenope, (MÄS 23) München, Berlin 1972. Shupak, N., „A new Source for the Study of the Judiciary and Law of Ancient Egypt. The Tale of the Eloquent Peasant‘“, in: JNES 51, 1992, 1-18. Simpson, W. K., “The stela of Amun-Wosre, governor of Upper Egypt in the reign of Ammenemes I or II”, in: JEA 51, 1965, 63-68. The Terrace of the Great God at Abydos: The Offering Chapels of Dynasties 12 and 13, New Haven and Philadelphia 1974. Religion and Philosophy in Ancient Egypt, (Yale Egyptological Studies 3) New Haven 1989. The Literature of ancient Egypt, New Haven, London 2003. Smither, P. C., „A Tax-Assessor’s Journal of the Middle Kingdom“, in: JEA 27, 1941, 74-76. „An Old Kingdom Letter Concerning the Crimes of Count Sabni, in: JEA, 28, 1942, 16-19. „The Semnah Despatches“, in: JEA 31, 1945, 3-10. Spiegel, J., Die Idee vom Totengericht in der ägyptischen Religion, LÄS 2, 1935. Spiegelberg, W. Materialien = Studien und Materialien zum Rechtswesen des Pharaonenreichs, Hannover 1892. <?page no="330"?> Literaturverzeichnis 331 Rechnungen = Rechnungen aus der Zeit Setis I. mit anderen Rechnungen des Neuen Reiches, Strassburg 1896. „Ein Brief des Schreibers Amasis aus der Zeit der Thutmosiden“, in: ZÄS 55, 1967, 84-86. Stewart, H. M., Egyptian Stelea = Egyptian Stelae, Reliefs and Paintings from the Petrie Collection, 3 Bde, London 1974. Strudwick, N., Administration = The Administration of Egypt in the Old Kingdom. The Highest Titles and their Holders, London 1985. Sweeney, D., „Offence and reconciliation in Ancient Egypt, A study in Late Ramesside Letter No. 46“, in: GM 158, 1997, 63-79. „Letters of Reconciliation from Ancient Egypt“, in: I. Shirun-Grumach (Hg.) Jerusalem Studies in Egyptology, ÄAT 40, 1998, 353-369. Théodoridès, A., „The conecpt of law in ancient Egypt“, in: Glanville (Hg.), Heritage of Egypt, 290-322. „Une charte d’immunité d’Ancien Empire (24e av. J.C.)“, in: RIDA 29, 1982, 73-118. „La formation du droit dans l’Egypte Pharaonique“, in: J.-M. Kruchten (Hg.), Vivre de Maăt, 1-20. „A propos de la loi dans l’Egypte Pharaonique“, “, in: J.-M. Kruchten (Hg.), Vivre de Maăt, 21-68. „Le testament d’Imenkhaou“, “, in: J.-M. Kruchten (Hg.), Vivre de Maăt, 509-516. „De la pretendue expression juridique“, “, in: J.-M. Kruchten (Hg.), Vivre de Maăt, 793-803. Tulli, A., „Il Naoforo Vaticano“, in: Misc. Gregoriana, 211-280. Turajeff, B., „Die naophore Statue Nr. 97 im Vatikan“, in: ZÄS 46, 1909, 74-77. „Einige unedierte Saitica in russischen Sammlungen“, in: ZÄS 48, 1910, 160- 163. Urk. = Urkunden des ägyptischen Altertums, begr. von G. Steindorff, Abt.: I, 1-4: K. Sethe, Urkunden des Alten Reiches, Leipzig 2 1933. IV, 1-16: K. Sethe, Urkunden der 18. Dynastie, Nachdr. d. 2. Aufl., Berlin u. Graz 1961. IV, 17-22: W. Helck, Urkunden der 18. Dynastie, Berlin 1955-1961. VII, K. Sethe, Historisch-biographische Urkunden des Mittleren Reiches, Leipzig 1935. Van der Plas, D., L’Nilhymnus=L’Nilhymnus à la Crue du Nil, 2 Bde, Leiden 1986. Vandier, J., La famine dans l’ancienne Égypte, Kairo 1936. „Quatre stèles inédites de la fin de l’Ancien Empire“, in: RdE 2, 1936, 43-64. Mo’alla = Mo’alla. La tombe d’Ankhtifi et la tombe de Sebekhotep, BdE 18, 1950. Varille, M. A., „Le stèle de Sa-Mentou-Ouser (No. 6365 du Musée Égyptien de Florence)“, in: Mélanges Maspéro, I, MIFAOO 66, 553-566. „La stèle du mystique Beky (N o 156 du Musée de Turin)“, in: BIFAO 54, 1954, 129-135. <?page no="331"?> Literaturverzeichnis 332 Vercoutter, J., „Les statues du General Hor, gouverneur d’Herakleopolis, de Busiris et d’Heliopolis“, in: BIFAO 49, 1950, 85-114. Vernus, P., „La formule ‚le souffle de la bouche‘ au Moyen Empire“, in: RdE 28, 1976, 139-145. „Littératture et autobiographie. Les inscriptions de c#-Mwt sunommé Kyky “, in: RdE 30, 1978, 115-146. „La retribution des actions: à propos d’une maxime“, in: GM 84, 1985, 71-79. „La date du Paysan Eloquent“, in: Fs Lichtheim II, 1033-1047. Affaires et scandales sous les Ramsès. Le crise des valeurs dans l’Égypte du Nouvel Empire, Paris 1993. „Une Formulation de l’autobiographie et les expressions avec wn et m#o“ , in: GM 170, 1999, 101-105. Vittmann, G., „Neues zu Pabasa, Obermajordomus der Nitokris“, in: SAK 5, 1977, 245-264. „Die Autobiographie der Tathotis (Stele Wien 5857)“, in: SAK 22, 301-323. „Wesir auf Demotisch“, in: Enchoria 23, 1996, 180-181. Vogel, W., Die historischen Grundlagen des chinesischen Strafrechts. Sonderabdruck aus „Zeitschrift für vergleichende Rechtswissenschaft“ XL. Bd., 1923 Vogelsang, F., „Ein seltenes Wort nebst einer Textemendation“, in: ZÄS 48, 1910, 164-167. Kommentar zu den Klagen des Bauern, UGAÄ 6, 1913. Volten, A., Zwei altägyptische politische Schriften, Kopenhagen 1945. Ward, W. A., Index = Index of Egyptian Administrative and Religious Titles of the Middle Kingdom, Beirut 1982. Wb = Wörterbuch der aegyptischen Sprache, A. Erman, H. Grapow (Hgg.), 6 Bde, Berlin 3 1971. Wb, Belegst. = Wörterbuch der ägyptischen Sprache, A. Erman, H. Grapow (Hgg.), Die Belegstellen, 5 Bde, Berlin, Leipzig 1940-1959. Weber, M., Wirtschaft und Gesellschaft, Tübingen 1976. Wengrow, D., What makes civilization? The ancient Near East and the future of the West, Oxford, New York 2010. Wente, E. F., „A letter of complaint to the vizier To“, in: JNES 20, 1961, 252-257. Late Ramesside Letters (SAOC 33), Chicago 1967. „A new look at the viceroy Setau’s autobiographical inscription“, in: Fs Mokhtar, vol. II, 347-359. Letters from Ancient Egypt, Atlanta, Georgia 1990. Westbrook, R. (ed.), A History of Ancient Near Eastern Law, Leiden, Boston, 2004. Willems, H., „Crime, cult and capital punishment(Mo’alla inscription 8)“, in: JEA 76, 1990, 27-54. Williams, R. J., „Some fragmentary Demotic Wisdom Texts“, in: Fs Hughs, 263-271. Wilson, J. A., „The Oath in Ancient Egypt“, in: JNES 7, 1948, 129-156. Žába, Z., Les maximes=Les maximes de Ptahhotep, Prag 1956. Zandee, J., Death as an Enemy, Leiden 1960.