Häuser, Namen, Identitäten
Beiträge zur spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Stadtgeschichte
0701
2009
978-3-8649-6176-2
978-3-8676-4165-4
UVK Verlag
Karin Czaja
Gabriela Signori
Häuser, die wie Menschen Namen tragen, prägen das Erscheinungsbild vieler süddeutscher Städte. Sie scheinen von längst vergangenen Zeiten zu künden und jedem geschichtlichen Wandel zu trotzen. Ihre Geschichte aber ist bewegter als ihre steinerne Hülle. Bewegung in ihre Geschichte bringen ihre Bewohner, die in Mittelalter und Früher Neuzeit so häufig umgezogen sind wie wir heute. Häuser, in denen über Jahrzehnte hinweg dieselben Personen wohnten, waren selten.
Der vorliegende Sammelband ist der erste der neuen Reihe »Spätmittelalterstudien«, die Gabriela Signori zusammen mit Kolleginnen und Kollegen aus der Schweiz, Israel und den Vereinigten Staaten herausgibt.
<?page no="1"?> Spätmittelalterstudien herausgegeben von Gadi Algazi (Tel Aviv) · David Collins (Washington) Christian Hesse (Bern) · Nikolas Jaspert (Bochum) Hermann Kamp (Paderborn)· Martin Kintzinger (Münster) Eva Schlotheuber (Münster)· Hans-Joachim Schmid (Fribourg) Sigrid Schmitt (Trier)· Gabriela Signori (Konstanz)· Birgit Studt (Freiburg i. Br.)· Simon Teuscher· (Zürich) Band 1 <?page no="2"?> Karin Czaja, Gabriela Signori (Hg.) Häuser, Namen, Identitäten Beiträge zur spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Stadtgeschichte UVK Verlagsgesellschaft mbH <?page no="3"?> Gedruckt mit Fördermitteln des Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: / / dnb.d-nb.de abrufbar. ISSN 1868-7490 ISBN 978-3-86496-176-2 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. © UVK Verlagsgesellschaft mbH, Konstanz 2009 Einbandgestaltung: Susanne Fuellhaas, Konstanz Einbandmotiv: Hohes Haus, Konstanz, © Dieter Heise, Konstanz Satz und Layout: Amelie Rösinger, Konstanz Druck: Bookstation GmbH, Sipplingen UVK Verlagsgesellschaft mbH Schützenstr. 24 · D-78462 Konstanz Tel. 07531-9053-0 · Fax 07531-9053-98 www.uvk.de <?page no="4"?> Inhalt Editorial 7 H ANS -J ÖRG G ILOMEN Demographie und Mobilität. Fragen nach den Grenzen der Bindung von Familienidentität an den Wohnsitz in der spätmittelalterlichen Stadt 11 Haus und Identität K ATHRIN S TUTZ Die Hausmarke. Zur Genese eines Rechtsbegriffs 31 W OLFGANG S CHMID Ein Bürger und seine Zeichen. Hausmarken und Wappen in den Tagebüchern des Kölner Chronisten Hermann Weinsberg 43 C HRISTOF R OLKER Haus- und Familiennamen im spätmittelalterlichen Konstanz. Inklusion und Exklusion über Namen 65 Das Haus als Gedächtnisträger G ABRIELA S IGNORI Haus, Name und memoria. Bürgerhäuser als Seelen- und Armenhäuser im ausgehenden Mittelalter 81 <?page no="5"?> O LIVIER R ICHARD Haus und agnatisches Familienbewußtsein im spätmittelalterlichen Regensburg 93 K ARIN C ZAJA Häuser, Truhen und Bücher. Familienarchive in der spätmittelalterlichen Stadt 109 Haus und Herrschaft K ARSTEN I GEL Obrigkeitliche Reglementierung und bürgerlicher Repräsentationswille. Die Hansestädte Lübeck, Greifswald und Stralsund im Vergleich 123 H ELMUT M AURER Verzwickte Geschichten um ein altes Haus. Das »Hohe Haus« in Konstanz 143 P ATRICK O ELZE Dörfliche Identitäten im Umland von Schwäbisch Hall (16. - 18. Jh.). Die Bezeichnung und Markierung von Gebäuden in frühneuzeitlichen Herrschaftsgebieten 153 Orts- und Personenregister 169 Autorenverzeichnis 173 6 <?page no="6"?> Editorial Häuser, Namen, Identitäten … Das Namensrecht ist eine Einrichtung, die in der Geschichte Europas erst sehr spät in Erscheinung tritt. Verbunden wird diese Geschichte gemeinhin mit dem Napoleonischen Code civile, was dem Namensrecht gleichsam eine Wirkung garantierte, die weit über Frankreich hinausging. 1 Zielgruppe der namensrechtlichen Neuerungen waren in erster Linie die Juden. 2 Im gleichen Zuge wollte man der lästigen Mehrnamigkeit - ein Charakteristikum der vormodernen Welt - ein für alle Mal Ende setzen. 3 Jeder Staatsbürger sollte, wollte er seine Rechte in Anspruch nehmen, fortan nur einen einzigen und unveränderlichen Namen tragen. Es mag an dieser Engführung auf die Juden liegen, daß andere, ältere namensrechtliche Regelungen bislang übersehen worden sind. Sie beziehen sich nicht auf Menschen, sondern auf Objekte. 1437 erließ der Kölner Rat das Verbot, den Namen der »eingeschreinten«, das heißt in den Schreinsbüchern registrierten Häuser zu ändern. 4 1 Zu den Entwicklungen in Frankreich seit der Revolution vgl. A NNE L EFEBVRE -T EILLARD , Le nom. Droit et histoire, Paris 1990, und N ICOLE L APIERRE , Changer de nom, Paris 1995. Für Deutschland im 20. Jahrhundert vgl. S EBASTIAN -J OHANNES VON S POLENA -M ET - TERNICH , Namenserwerb, Namensführung und Namensänderung unter Berücksichtigung von Namensbestandteilen, Frankfurt 1997, und aus rechtshistorischer Sicht R ICHARD B REXEL , Die Entwicklung des Namensgebrauchs zu einem Persönlichkeitsrecht, Diss. iur., Berlin, 1963. 2 Zu den Änderungen im Rahmen des preußischen Judenedikts von 1812 vgl. beispielsweise S TEFI J ERSCH -W ENZEL , Rechtslage und Emanzipation, in: Deutsch-Jüdische Geschichte in der Neuzeit, Bd. 2: Emanzipation und Akkulturation 1780-1871 hrsg. v. M ICHAEL B RENNER , S TEFI J ERSCH -W ENZEL und M ICHAEL A. M EYER , München 1996, S. 32- 5. Hervorzuheben sind die Monographien von D IETZ B ERING , Der Name als Stigma. Antisemitismus im deutschen Alltag (1812-1933), Stuttgart 1987, und DERS ., Kampf um Namen. Bernhard Weiß gegen Joseph Goebbels, Stuttgart 1991. Der Diskurs des 19. Jahrhunderts wird greifbar bei Z UNZ , L EOPOLD , Namen der Juden. Eine geschichtliche Untersuchung, Hildesheim 1971 (ND Leipzig 1837). 3 J AMES C. S COTT , J OHN T EHRANIAN u. J EREMY M ATHIAS , The production of legal identities proper to state. The case of the permanent family surname, in: Comparative Studies in Society and History 44 (2002), S. 4-44. 4 H ERMANN K EUSSEN , Verzeichnis der Schreinskarten und Schreinsbücher, in: Mitteilungen aus dem Stadtarchiv von Köln 32 (1904), S. 1-148, hier 16f. Die Schreinsbücher 7 <?page no="7"?> Die ältesten namensrechtlichen Bestimmungen betrafen demnach nicht Menschen, sondern Liegenschaften, Liegenschaften, die in Städten wie Köln, Basel, Konstanz oder Straßburg primär aus verwaltungstechnischen Gründen einen eigenen Namen trugen. In der von Mobilität geprägten Städte des Spätmittelalters waren die Häusernamen das beständigere, verläßlichere Ordnungsmodell als die stark fluktuierenden Hausbewohner. 5 Die Häusernamen vereinfachten das Geschäft mit den Renten bzw. Zinsen, das im 13. und 14. Jahrhundert (und darüber hinaus) noch überwiegend auf den Liegenschaften basierte. 6 Und diese Zinsen waren eben an das Haus gebunden und nicht an den zinspflichtigen Hausbesitzer oder Hausbewohner, der, wie es scheint, desto häufiger wechselte, je stärker das Haus mit Abgaben belastet war. So betrachtet erscheint das städtische Haus als Äquivalent zum bäuerlichen Hof, der vielerorts als grundherrschaftliche Ordnungseinheit fungierte. 7 Den Eindruck bestärken Güterverzeichnisse wie der 1496 von Baumeister Johannes David erstellte Liber fabricae des Basler sind ein selbst im europäischen Vergleich einzigartiges Schriftdokument. So bleibt zu hoffen, daß das eine oder andere Buch die Katastrophe überlebt hat. Seit dem 12. Jahrhundert führte in Köln jede Pfarrei Buch über sämtliche Handänderungen, die den parochialen Liegenschaftsmarkt betreffen. Sortiert sind die im Schreinsbuch vermerkten Einträge offenbar nach Häusernamen. 5 Zur Migration in die spätmittelalterliche Stadt vgl. Migration in die Städte. Ausschluß - Assimilierung - Integration - Multikulturalität (Schweizerische Gesellschaft für Wirtschafts- und Sozialgeschichte 16), hrsg. v. in H ANS -J ÖRG G ILOMEN , A NNE -L ISE H EAD -K ÖNIG und A NNE R ADEFF , Zürich 2000; Neubürger im späten Mittelalter. Migration und Austausch in der Städtelandschaft des alten Reiches (1250-1550) (Zeitschrift für historische Forschung Beiheft 30), hrsg. v. R AINER C HRISTOPH S CHWINGES , Berlin 2002; B RUNO K OCH , Neubürger in Zürich. Migration und Integration im Spätmittelalter (Forschungen zur mittelalterlichen Geschichte 40), Köln u. a. 2002. Zum Umzugsverhalten in der Stadt vgl. P ASCALE S UTTER , Von Nachbarschaften als Beziehungsform im spätmittelalterlichen Zürich, Zürich 2002, S. 57-80. 6 Grundlegend zum städtischen Rentenmarkt A HASVER VON B RANDT , Der Lübecker Rentenmarkt 1320-1350, Düsseldorf 1934. In den siebziger Jahren entstanden bei Rolf Sprandel eine Reihe von Dissertationen zu den Rentenmärkten hansischer Städte, ein Schwerpunkt lag dabei auf Hamburg: H ANS -P ETER B AUM , Hochkonjunktur und Wirtschaftskrise im spätmittelalterlichen Hamburg. Hamburger Rentengeschäfte 1371- 1410 (Beiträge zur Geschichte Hamburgs 11), Hamburg 1976; P ETER G ABRIELSSON , Struktur und Funktion der Hamburger Rentengeschäfte in der Zeit von 1471 bis 1490. Ein Beitrag zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte der nordwestdeutschen Stadt (Beiträge zur Geschichte der Stadt Hamburg 7), Hamburg 1971; K LAUS R ICHTER , Untersuchungen zur Hamburger Wirtschafts- und Sozialgeschichte um 1300. Unter beson- 8 <?page no="8"?> Münsters. Die Anlage, die beiden Stadtteile Groß- und Kleinbasel betreffend, ist nach folgendem Muster gestaltet: De domo dicta Wůrms sita in albo vico inter domum zem Paradis et zem Oileboim. Datur census 2 ½ flor. festo annuntiacionis Marie. Dat Adam Pictor. De domo Biedertan sita ad Lapides inter domos zem Riesen et zem schwarzen Rude. Datur census 3 flor. et duorum pullorum festo penthecostis. Dat modo Wetzel Suter, textor. 8 Die Verbindung von Haus und Zins scheint auf Anhieb skeptisch zu stimmen, ob sich dieselben Häuser eigneten, eine auf Identifikation basierende Beziehung zu ihren Bewohner zu begründen. Für die Familiensitze der politischen und wirtschaftlichen Führungsschichten ist das Phänomen bekannt, auch weil diese in Stein gehauene Geschichte schon Generationen von Lokalhistoriker in ihren Bann gezogen hat. 9 Aber gilt, was für die Oberderer Berücksichtigung der städtischen Rentengeschäfte 1291-1330 (Beiträge zur Geschichte Hamburgs 6), Hamburg 1971 und H ANS -J OACHIM W ENNER , Handelskonjunkturen und Rentenmarkt am Beispiel der Stadt Hamburg um die Mitte des 14. Jahrhunderts (Beiträge zur Geschichte Hamburgs 9), Hamburg 1972. Zusammenfassend R OLF S PRANDEL , der städtische Rentenmarkt in Nordwestdeutschland im Spätmittelalter, in: Öffentliche Finanzen und privates Kapital im Spätmittelalter hrsg. v. H ERMANN K ELLENBENZ , Stuttgart 1971, S. 14-23. Ebenfalls in Norddeutschland angesiedelt ist die weiterhin vorbildliche Studie von J ÜRGEN E LLERMEYER , Stade 1300-1399. Liegenschaften und Renten in Stadt und Land. Untersuchungen zur Wirtschafts- und Sozialstruktur einer hansischen Landstadt im Spätmittelalter, Stade 1975, sowie neuerdings M ONIKA F EHSE , Dortmund um 1400. Hausbesitz, Wohnverhältnisse und Arbeitsstätten in der spätmittelalterlichen Stadt, Bielefeld 2005, S. 92-157. 7 Zu einem ähnlichen Ergebnis ist Anton Tanner in Bezug auf die Hausnummern (Mitte 18. Jahrhundert) gelangt. A NTON T ANNER , Ordnung der Häuser, Beschreibung der Seelen. Hausnummerierung und Seelenkonskription in der Habsburgermonarchie (Wiener Schriften zur Geschichte der Neuzeit 4), Insbruck-Wien-Bozen 2007, S. 98, einzig die Hausnummer sei » ein effizientes Mittel, der mal wechselnden, mal homonymen Namen Herr zu werden «. 8 Generallandesarchiv Karlsruhe, 66, Ausland: Johannes David’s Fabrikbuch des Münsters zu Basel, 1496, fol. xix r . 9 Zu den Familiensitzen vgl. die Reihe » Das deutsche Bürgerhaus « (erschienen 1959- 1995), deren Schwerpunkt auf der archiktektonischen Erfassung mittelalterlicher Wohnhäuser lag, beispielsweise R ICHARD S TROBEL , Das Bürgerhaus in Regensburg. 9 <?page no="9"?> schichten schon vielfach beobachtet worden ist, uneingeschränkt auch für alle anderen Hausbesitzer? Die Mehrzahl der in diesem Sammelband zusammengetragenen Beiträge tendiert dazu, die Frage zu verneinen. Wir möchten sie aber lieber offenlassen. Zu ungleich scheint uns die Überlieferung verteilt. Zufallsfunde in den Akten der freiwilligen Gerichtsbarkeit der Stadt Basel legen nahe, daß auch weniger begüterte Stadtbewohner Beziehungen zu den Häusern knüpften, die sie bewohnten und die ihnen gehörten. Die einen gaben dem neu erworbenen Haus den Namen ihrer Ursprungsgemeinde; die anderen übernahmen den Namen des frisch erworbenen Hauses und trugen ihn fortan als Familiennamen vor sich her. 10 Beide Varianten zählten in der Stadt des späten Mittelalters zu den »kulturellen Grundlagen der Integration«. Dem gleichnamigen Konstanzer Excellenzcluster sei an dieser Stelle für die großzügige Finanzierung der Arbeitsgespräche und des vorliegenden Sammelbandes gedankt. Danken möchten wir schließlich auch den Autoren, die sich bereit erklärt haben, ihre Diskussionsbeiträge für diesen Sammelband auszuarbeiten. April 2009 Karin Czaja und Gabriela Signori Mittelalter (Das deutsche Bürgerhaus 23), Tübingen 1976 oder F RANK K RETZSCHMAR , U LRIKE W IRTLER , Das Bürgerhaus in Konstanz, Meersburg und Überlingen (Das deutsche Bürgerhaus 25), Tübingen 1977. Zur Erforschung der Häusernamen: C HARLES S CHMIDT , Straßburger Gassen- und Häuser-Namen im Mittelalter, Straßburg 1871; K ARL S CHMID , Die Hausnamen und Hauszeichen im mittelalterlichen Freiburg (Gießener Beiträge zur deutschen Philologie 26), Gießen 1930; E RNST M ÜLLER , Die Häusernamen von Alt-Leipzig vom 15. - 20. Jahrhundert mit Quellenbelegen und geschichtlichen Erläuterungen (Schriften des Vereins für die Geschichte Leipzigs 15), Leipzig 1931; E UGEN A NTON M EIER (Hrsg.), Verträumtes Basel. 5000 Häusernamen, ein unbekanntes Kapitel Basler Stadtgeschichte, Basel 1974; M AX A MBÜHL , Die Häusernamen der Altstadt Stein am Rhein (Heimatblätter von Stein am Rhein 3), Stein am Rhein 1979 und L UDWIG S CHNURRER , Hausnamen im mittelalterlichen Rothenburg, in: Die Linde 83 (2001), S. 26-32. 10 A DOLF B ACH , Deutsche Namenkunde, 3 in 5 Bde., Heidelberg 1952-1956, speziell zu Hausals Familiennamen in Bd. 1,1: Die deutschen Personennamen, S. 263-71 und E RNST G ROHNE , Die Hausnamen und Hauszeichen, ihre Geschichte, Entwicklung und Einwirkung auf die Bildung von Familien- und Gassennamen, Göttingen 1912. Amelie Rösinger sei an dieser Stelle herzlich dafür gedankt, daß sie die Texte in die druckfertige Form gebracht hat. 10 <?page no="10"?> H ANS J ÖRG G ILOMEN Demographie und Mobilität. Fragen nach den Grenzen der Bindung von Familienidentität an den Wohnsitz in der spätmittelalterlichen Stadt Mein Beitrag zum Thema ist ein bescheidener und vielleicht, wie ich fürchte, auch leider ein eher skeptischer. Ich möchte auf drei Elemente hinweisen, die mir für die Frage der Möglichkeit der Anbindung von Familienidentität an ein städtisches Haus von Bedeutung erscheinen: die Demographie, die innerstädtische Mobilität und die Eigentumsverhältnisse. 1. Zur Demographie Alle neueren demographischen Untersuchungen zu den spätmittelalterlichen Städten stimmen darin überein, daß der Bevölkerungsstand nur gehalten werden konnte dank dem ständigen Zuzug von auswärts. 1 Dies hängt nicht nur mit den Seuchenverlusten insbesondere durch die wiederholten Pestzüge seit 1348 zusammen, welche die Städte wahrscheinlich stärker betroffen haben als das Land, sondern auch - und wohl entscheidender - mit einem unterschiedlichen generativen Verhalten, das sich statistisch in einer geringeren Zahl überlebender Kinder je bestehender Ehe in den Städten gegenüber dem Land zeigt. In Freiburg im Uechtland zum Beispiel, für das eine sorgfältige Auswertung der hervorragenden Quellen durch Ferdinand Buomberger schon zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts vorgelegt worden ist, kamen in den 1440er Jahren in der Stadt auf eine bestehende 1 Allgemein zu dieser Thematik s. Migration in die Städte. Ausschluß - Assimilierung - Integration - Multikulturalität (Schweizerische Gesellschaft für Wirtschafts- und Sozialgeschichte 16), hrsg. v. H ANS -J ÖRG G ILOMEN , A NNE -L ISE H EAD -K ÖNIG , A NNE R A - DEFF , Zürich 2000; darin insbesondere H ANS -J ÖRG G ILOMEN , Einleitung. Neue Forschungen zur Migration im Spätmittelalter und in der Frühen Neuzeit, S. 11-6, sowie R AINER C. S CHWINGES , Bürgermigration im Alten Reich im 14. bis 16. Jahrhundert, S. 17-37; Neubürger im späten Mittelalter. Migration und Austausch in der Städtelandschaft des alten Reiches (1250-1550) (Zeitschrift für Historische Forschung. Beiheft 30), hrsg. v. R AINER C. S CHWINGES , Berlin 2002. 11 <?page no="11"?> Hans Jörg Gilomen Ehe nur durchschnittlich 1,74 Kinder, während gleichzeitig diese Zahl auf der Freiburger Landschaft 2,56 Kinder betrug. 2 Diese recht niedrigen Zahlen erstaunen heute kaum mehr. Der im 19. Jahrhundert erfundene Mythos von der Großfamilie ist für das Mittelalter längst wissenschaftlich widerlegt. 3 Überall in Europa herrschte auch im Mittelalter die Kleinfamilie vor, die das Aussterben von Familienzweigen und ganzen Geschlechtern begünstigte. 4 Die Haushaltsgröße betrug - wiederum beim Beispiel Freiburgs - in der Stadt 4 Personen, auf dem Land 4,75 Personen, einschließlich Dienstboten, Gesellen, Lehrlingen, Knechten. Die ländlichen Familien waren demnach deutlich größer, ländliche Ehen deutlich fruchtbarer als die städtischen. 5 Eine für die Fragestellung wesentliche demographische Tatsache ist meines Erachtens gegeben in der daraus folgenden geringen Kontinuität der städtischen Bevölkerung. Man kann mit guten Gründen behaupten, daß statistisch gesehen die gesamte Bürgerschaft Basels im Spätmittelalter in etwa 100 Jahren vollständig ausgewechselt wurde. Damit ist natürlich nicht gemeint, daß die vorhandenen Bürger starben und durch ihre Kinder und Kindeskinder abgelöst wurden, was selbstverständlich zutrifft, sondern es 2 F ERDINAND B UOMBERGER , Bevölkerungs- und Vermögensstatistik in der Stadt und Landschaft Freiburg (im Uechtland) um die Mitte des 15. Jahrhunderts, in: Freiburger Geschichtsblätter 6/ 7 (1900) S. 1-258, hier S. 106. 3 Der Mythos geht zurück auf P IERRE G UILLAUME F RÉDÉRIC L E P LAY , L’organisation de la famille selon le vrai modèle signalé par l’histoire de toutes les races et tous les temps, Paris 1871; s. J OHN M ACFARLANE M OGEY , The Contribution of Frederic Le Play to Family Research, in: Marriage and Family Living 17 (1955), S. 310-5. 4 Bahnbrechend waren P ETER L ASLETT , R ICHARD W ALL , Houshold and Family in the Past Time. Comparative Studies in the Size and Structure of the Domestic Group over the Last Three Centuries, Cambridge 1972. Inzwischen gibt es eine umfangreiche Literatur zum Thema; s. jetzt die verschiedenen Beiträge in Histoire de la famille, hrsg. v. A NDRÉ B URGUIÈRE et al., Bd. 1, Paris 1986. Für methodisch besonders wichtig halte ich die Studie von R ICHARD R INGS , Early Medieval Peasant Houshold in Central Italy, in: Journal of Familiy History 4 (1979), S. 2-25. 5 Ähnliche Verhältnisse sind auch anderswo beobachtet worden. In Prato bewegte sich die durchschnittliche Personenzahl je Herdstelle in den Jahren 1298 bis 1470 zwischen höchstens 4,3 und mindestens 3,4, s. C HRISTIANE K LAPISCH -Z UBER , Déclin démographique et structure du ménage. L’exemple de Prato, fin XIV e fin XV e siècle, in: Famille et parenté dans l’Occident médiéval, Collection de l’Ecole française de Rome 30, Rome 1977, S. 255-73, hier S. 262. In der Stadt Florenz betrug diese Zahl nach dem berühmten Catasto von 1427 nur 3,76, s. D AVID H ERLIHY , Vieillir à Florence au Quattrocento, in: Annales ESC 24, (1969), S. 1338-52. 12 <?page no="12"?> Demographie und Mobilität geht um die Diskontinuität der Bürgerfamilien durch deren Aussterben und Abwandern und um ihren Ersatz durch Neubürgeraufnahmen. Von 1358 bis 1500 sind in Basel annähernd 8000 Bürgeraufnahmen überliefert (genau 7724). 6 Dies in einer Stadt, die in diesem Zeitraum nur ausnahmsweise zur Zeit des Konzils die Zahl von 10.000 Einwohnern vielleicht knapp erreicht hat, wobei während des 15. Jahrhunderts mit einem Anteil von vielleicht einem Viertel von Nichtbürgern an der Gesamtbevölkerung zu rechnen ist. 7 Bei 70 % dieser Bürgeraufnahmen ist die auswärtige Herkunft verzeichnet, bei 30 % fehlt eine Herkunftsangabe. 8 Wie viele davon zusätzlich zu den 70% auch zu den erst kürzlich in die Stadt Zugewanderten zu rechnen sind, ist nicht sicher. Die Forschung geht bisher allerdings von der Annahme aus, daß nur neu erworbene Bürgerrechte, nicht ererbte in Basel überhaupt aufgezeichnet wurden, daß es sich also bei allen Verzeichneten um erst kürzlich Zugezogene handele. Ein formelles Bürgerbuch fehlt hier ohnehin. 9 Basel war keine Ausnahme. Das Bürgerbuch der Stadt Freiburg im Uechtland verzeichnet von 1341-1416 in 75 Jahren 2200 Einbürgerungen, welche rund 4000 Personen betreffen; die Gesamtbevölkerung um 1348 wird auf rund 4000 Einwohner geschätzt. 10 Hektor Ammann rechnete für Schaffhausen bei einer Gesamtzahl von 2000-2500 Bürgern und über 7000 belegten Neubürgern zwischen 1356 und 1450 sogar mit einer mehr als 6 R OLF E. P ORTMANN , Basler Einbürgerungspolitik 1358-1798 (Basler Statistik 3), Basel 1979 weist 7724 Bürgeraufnahmen nach. 7 H EKTOR A MMANN , Die Bevölkerung von Stadt und Landschaft Basel am Ausgang des Mittelalters, in: Basler Zeitschrift für Geschichte und Altertumskunde 49 (1950), S. 25- 52. 8 P ORTMANN , Einbürgerungspolitik (wie Anm. 6), S. 20. 9 R AINER C HRISTOPH S CHWINGES , Neubürger und Bürgerbücher im Reich des späten Mittelalters. Eine Einführung über die Quellen, in: Neubürger im späten Mittelalter. Migration und Austausch in der Städtelandschaft des Alten Reiches (1250-1550) (Zeitschrift für Historische Forschung , Beiheft 30), hrsg. v. R AINER S CHWINGES , Berlin 2002, S. 17-50. 10 U RS P ORTMANN , Die Datenbank » Freiburger Bürgerbuch 1341-1416 « als Forschungsinstrument: Herkunft der Bewohner Freiburgs im 14. Jahrhundert, in: Freiburg. Die Stadt und ihr Territorium - Fribourg. ville et territoire. Aspects politiques, sociaux et culturels de la relation ville-campagne depuis le Bas Moyen Age. Actes du Colloque universitaire pour le 500e anniversaire de l’entrée de Fribourg dans la Confédération, hrsg. v. G ASTON G AUDARD , C ARL P FAFF , R OLAND R UFFIEUX , Fribourg 1981, S. 105-23, insbesondere S. 105 und S. 111. 13 <?page no="13"?> Hans Jörg Gilomen zweimaligen Erneuerung der gesamten Bevölkerung innerhalb eines Jahrhunderts. 11 Im Udelbuch der Stadt Bern, deren Bevölkerung im 15. Jahrhundert auf knapp 5000 Personen beziffert wird, 12 sind zwischen 1389 und 1500 insgesamt 5000 Neubürgeraufnahmen verzeichnet. 13 Ganz ähnlich waren die Verhältnisse auch in Kleinstädten. Das Städtchen Brugg zählte am Ende des 15. Jahrhunderts 120 bis höchstens 170 Haushaltungen. Die Zahl der Neubürgeraufnahmen betrug hier zwischen 1446 und 1550 rund 350, woraus Hektor Amman schließt, daß sich die Bevölkerung in diesem Jahrhundert mindestens zweimal völlig erneuert habe. 14 Die Schweizer Verhältnisse sind nicht etwa spezifisch. In Lübeck, das damals etwa 15000 Einwohner zählte, 15 sind von 1319-1348 in rund 30 Jahren 5182 Neubürgeraufnahmen zu verzeichnen; in dem wesentlich kleineren Stralsund waren es im gleichen Zeitraum 3656. 16 Diese Zahlen der Neubürgeraufnahmen setzen - ganz abgesehen von den Fluktuationen nichtbürgerlicher Schichten - eine starke Zuwanderung voraus. Obwohl es natürlich auch eine Anzahl von Geschlechtern gab, welche längere Zeiten überdauerten, ist die Möglichkeit, daß viele Familien eine Geschlechteridentität aufgrund eines über Generationen im Familienbesitz stehenden Hauses in der Stadt hätten ausbilden können, wohl doch eher beschränkt. Für Zürich, auf das ich im Folgenden etwas näher eingehe, liegt mit der Arbeit von Bruno Koch eine moderne Analyse der Bürgeraufnahmen vor. 17 Hier beschloß der Rat am 24. Juni 1351, alle in der Stadt damals wohnhaften Hintersassen für Bürger zu halten, außer sie würden ausdrücklich auf das 11 H EKTOR A MMANN , Schaffhauser Wirtschaft im Mittelalter, Thayngen 1948, S. 235. 12 R OLAND G ERBER , Rückgang und Stagnation. Die Bevölkerungsentwicklung im 15. Jahrhundert, in: Berns grosse Zeit. Das 15. Jahrhundert neu entdeckt, hrsg. v. E LLEN J. B EER u.a., Bern 1999, S. 97-102, hier S. 97. 13 B RUNO K OCH , Neubürger in Zürich. Migration und Integration im Spätmittelalter (Forschungen zur mittelalterlichen Geschichte 40), Weimar 2002, S. 18. 14 H EKTOR A MMANN , Wirtschaft und Lebensraum einer aargauischen Kleinstadt im Mittelalter, in: Festschrift Reinhold Bosch, Aarau 1947, S. 194. 15 E RICH H OFFMANN , Lübeck im Hoch- und Spätmittelalter. Die große Zeit Lübecks, in: Lübeckische Geschichte, hrsg. v. A NTJEKATHRIN G RASSMANN , 2. Aufl. Lübeck 1989, S. 79-339, hier S. 306. 16 K ONRAD F RITZE , Bürger und Bauern zur Hansezeit: Studien zur Stadt-Land-Beziehung an der südwestlichen Ostseeküste 13./ 16. Jahrhundert (Abhandlungen zur Handels- und Sozialgeschichte 16), Weimar 1976, S. 18. 17 K OCH , Neubürger (wie Anm. 13). 14 <?page no="14"?> Demographie und Mobilität Bürgerrecht verzichten. 18 Verzeichnet wurden indessen nur 62 Neubürger, die aufgrund dieses Ratsbeschlusses aufgenommen wurden. Die Anlage eines Bürgerbuches zu diesem Zeitpunkt wird von Koch mit der Verpflichtung Zürichs im Brandenburger Frieden von 1352 in Verbindung gebracht, künftig keine österreichischen Untertanen mehr ins Bürgerrecht aufzunehmen. Um die Rechtmäßigkeit der Bürgerrechtsverleihungen zu dokumentieren, wurde deshalb großer Wert auf die Angabe der Herkunft der Neubürger gelegt, was auch in der folgenden Zeit beibehalten wurde und was auch für die Vollständigkeit der Aufzeichnungen bürgt. 19 Zürichs Bevölkerung sank im 15. Jahrhundert deutlich unter 4500 Einwohner. 20 Von den insgesamt verzeichneten 5399 Neubürgern in 195 Jahren ist bei 86 % die auswärtige Herkunft angegeben. Daraus läßt sich das Einzugsgebiet der Zürcher Zuwanderung rekonstruieren. 21 Allerdings befinden sich unter den Neubürgern auch 1700 bis 2000 Ausbürger. 22 Wenn das Bürgerbuch - wie Koch annimmt - tatsächlich die Neubürger vollständig verzeichnet, so ist die Fluktuation in Zürich mit bloß etwa 3500 Neubürgern in 195 Jahren bei einer Gesamtbevölkerung von etwa 4000 bis 4500 Personen bedeutend geringer als in den anderen erwähnten Städten, erreicht aber immer noch ein beachtliches und für die Fragestellung relevantes Ausmaß. 2. Die innerstädtische Mobilität Das zweite Element, auf das ich hinweisen möchte, ist die innerstädtische Mobilität: auch die kontinuierlich in einer Stadt Ansässigen haben nämlich erstaunlich oft ihren Wohnsitz verändert. Diesen Aspekt haben mehrere meiner Schüler für unterschiedliche Städte und in unterschiedlichen Zeitstellungen untersucht. Josef Gisler hat als erster in seiner Lizentiatsarbeit 18 Ebd., S. 71f. 19 Ebd., S. 19f. 20 H ANS -J ÖRG G ILOMEN , Innere Verhältnisse der Stadt Zürich 1300-1500, in: Geschichte des Kantons Zürich, Bd. 1: Frühzeit bis Spätmittelalter, Zürich 1995, S. 336-89, hier Grafik S. 337; W ERNER S CHNYDER , Die Bevölkerung von Stadt und Landschaft Zürich vom 14. bis 17. Jahrhundert, Diss. Zürich 1925. 21 Karte bei K OCH , Neubürger (wie Anm. 13), S. 302. 22 Ebd., S. 20f. 15 <?page no="15"?> Hans Jörg Gilomen von 1992, deren wichtigste Ergebnisse auch publiziert sind, die innerstädtische Mobilität in Zürich für den Beginn des 15. Jahrhunderts analysiert. 23 Grundlage dafür bildeten die edierten Zürcher Steuerlisten. 24 Diese erfassen die Steuerpflichtigen nach den Wohnorten und bieten damit eine Quellengrundlage zur sozialtopographischen Beschreibung der Stadt. Der Bezug zum Raum läßt sich anhand des sogenannten Corrodi-Sulzer-Planes herstellen; die Steuerpflichtigen können den Wohnhäusern auf dem Stadtplan zugeordnet werden. 25 Dabei ist - wie unsere verschiedenen Untersuchungen ergeben haben - kaum mit Fehlern zu rechnen. Die Ergiebigkeit des Ansatzes wurde von Gisler in einem Querschnitt für die Zeit von 1401-1425 getestet (Abb.1). Sichtbar wird dadurch der sozialtopographisch unterschiedliche Charakter verschiedener Stadtteile: Erkennbar werden auf der Karte der Reichtum um das Großmünster rechts der Limmat im Osten mit einer hohen Zahl von Hausbediensteten, das mittelständische, vom Gewerbe dominierte Niederdorf rechts der Limmat im Westen mit wenig Hausgesinde, aber hoher Dichte von Gesellen, die relative Armut des Kratzquartiers links der Limmat im Osten mit ungemein dichter Belegung der Häuser bis hin zu eigentlichen »Mietskasernen«. Die hohe Zahl der Dienstboten und Gesellen in der Stadt zeigt sich darin, daß fast ein Sechstel aller Steuereinträge sie betrifft. Darauf ist zurückzuführen, daß auch in sehr günstigen Wohnlagen Angehörige der Unterschicht als Steuerzahler recht häufig sind. Für die Wachten Linden, Neumarkt und Münsterhof konnten erstmals die Wanderungsbewegungen exakt ermittelt und kartographisch dargestellt werden. Dies ist für die Frage der Anbindung von Familienidentität an Häuser von eminenter Bedeutung. Es wird nämlich eine ganz erstaunliche Mobilität vor allem der Mittel- und Unterschichten faßbar. 26 23 J OSEF G ISLER , Sozialtopographische Untersuchungen zu den Steuerbüchern der Stadt Zürich 1401-1425. Vermögensverteilung, Berufs- und Gewerbetopographie, städtische Binnenwanderung, Lizentiat Zürich 1992 (masch.); publizierte Kurzfassung: J OSEF G IS - LER , Vermögensverteilung, Gewerbetopographie und städtische Binnenwanderung im spätmittelalterlichen Zürich. 1401-1425, in: Zürcher Taschenbuch auf das Jahr 1994, Zürich 1993, S. 29-59. 24 Die Steuerbücher von Stadt und Landschaft Zürich des XIV. und XV. Jahrhunderts, bearb. von H ANS N ABHOLZ , F RIEDRICH H EGI , E DWIN H AUSER , W ERNER S CHNYDER , 8 Bde., Zürich 1918-1958. 25 Der Plan ist den Steuerbüchern (wie Anm. 24), Bd. 2, 2. Teil, Zürich 1939, beigelegt. 26 Tabelle nach G ISLER , Vermögensverteilung (wie Anm. 23), S. 54. 16 <?page no="16"?> Demographie und Mobilität Tabelle 1: Mobile und seßhafte Steuerzahler 1412 (bzw. 1417) Zunächst ist festzuhalten, daß für eine ganze Reihe von Steuerpflichtigen keine gesicherten Aussagen möglich sind, weil aufgrund der Namen keine klare Identifizierung möglich ist. Das betrifft immerhin einen Anteil von zwischen 35 % in der Wacht Linden und 51,6 % in der Wacht Münsterhof. Die dadurch mögliche Verzerrung dürfte indessen eher in einer Unterschätzung der Mobilität bestehen, da eine hohe Zahl steuerpflichtiger Dienstboten, die oft nur mit Vornamen verzeichnet sind, in diese Kategorie der Unbestimmbaren fallen. 27 Der Anteil der seßhaften Wohnbevölkerung unter den bestimmbaren Einwohnern betrug über die drei Jahre von der Steuerliste von 1410 bis zu derjenigen von 1412 unter 50 %. Die Hälfte der Bevölkerung hat in dieser kurzen Zeit den Wohnsitz gewechselt, einige sind sicher auch verstorben. Seßhaftigkeit im selben Haus ist im Spätmittelalter nur für die Reichen charakteristisch. Gislers Ergebnisse wurden in einer zweiten Lizentiatsarbeit durch Aracely Uzeda für die Zeit von 1450 bis 1470 überprüft. 28 Von den in dieser Zeit verzeichneten Steuerzahlern sind über 40 % neu zugezogen, nahezu drei 27 In einer besonderen Untersuchung haben wir durch Teilnehmer eines Seminars die- Verweildauer des Gesindes abklären lassen: diese ist sehr kurz, beträgt meist nur ein bis zwei Jahre. 28 A RACELY U ZEDA , Räumliche Mobilität in der Stadt Zürich mit ihren Wachten Linden, Neumünster, Auf Dorf, Niederdorf, Rennweg und Münsterhof. Sozialtopographische Untersuchung zu den Steuerbüchern der Stadt Zürich von 1450 bis 1470 mittels der Datenbank Kleio. Lizentiatsarbeit Universität Zürich 2002 (masch.). 17 Wachten Steuerpflichtige 1412 (Münsterhof 1417) Umzüger absolut % Zuzüger absolut % Sesshafte absolut % Linden 576 65 / 11,3 35 / 6,1 274 / 47,6 Neumarkt 524 58 / 11,1 27 / 5,2 221 / 42,2 Münsterhof 647 100 / 15,5 35 / 5,4 178 / 27,5 <?page no="17"?> Hans Jörg Gilomen Fünftel sind innerhalb dieser zwanzig Jahre aus Zürich verschwunden. Die Fluktuation der Stadtbevölkerung infolge von Sterblichkeit und Ausbzw. Einwanderung war demnach enorm hoch. Die Neuzuzüger sind nicht auf alle Wachten gleichmäßig verteilt: während sie in der vermögensstarken Wacht Linden fast fehlen, sind sie vor allem in der kleingewerblichen Wacht Niederdorf besonders zahlreich. Auch die Wegzüge sind ungleich verteilt: sie sind besonders stark in der Wacht Auf Dorf und besonders gering in der Wacht Neumarkt. Rund drei Viertel der erfaßten Personen sind in dem Sinne ortsfest, daß sie über mindestens zwei Steuererhebungen hinweg verzeichnet werden, aber weniger als die Hälfte der Zürcher Steuerzahler wohnte über die Zeitspanne von drei Jahren im selben Haus. Das entspricht völlig dem Befund von Gisler. Durchschnittlich wechselten die Zürcher ihre Wohnung in der Stadt alle fünf Jahre, was übrigens der modernen Verweildauer von etwa sechs Jahren in Zürich zwischen 1990 und 2000 fast genau entspricht. Geringe Verweildauer weisen vor allem die Angehörigen der untersten Steuerklasse auf. Frauen wechselten seltener den Wohnsitz als Männer. Erstaunlicherweise sind in der Wacht Münsterhof, in der sich das Randgruppenquartier »Kratz« befindet, aber am meisten seßhafte Personen zu verzeichnen, während in der vermögensstärksten Wacht Linden am wenigsten Einwohner im selben Haus wohnten. Fast 71 % der umziehenden Personen zählten zu den Armen oder zur vermögensschwachen Bevölkerung. 64 % der mobilen Personen zogen bloß innerhalb derselben Wacht um, mehr als die Hälfte davon in der unmittelbaren oder mittelbaren Nachbarschaft, was auf eine starke Verwurzelung im eigenen Viertel hindeutet, also auf eine soziale Bindung an die Menschen, an die Nachbarn, nicht an ein Haus. In der vermögensstarken Wacht Linden waren Wegzüge am häufigsten. Diese Wacht weist wegen der überwiegenden Wegzüge eine stark negative Wanderungsbilanz auf. Die positivste Bilanz ergibt sich in der Wacht Münsterhof. Die wachtübergreifende Wanderung zeigt auch, daß die Limmat eine Umzugsbarriere zwischen der Minderen und der Mehreren Stadt bildete. Die Zuwanderer von außerhalb Zürichs zogen vorwiegend in die Wacht Auf Dorf, während in der vermögenden und zentral gelegenen Wacht Linden am wenigsten solche Zuwanderer zu verzeichnen sind. Der Zuzug von außerhalb erfolgte also zunächst in eine eher mindere Wohnlage und von da dann nach einiger Zeit an einen besseren Standort. 18 <?page no="18"?> Demographie und Mobilität Meine Schülerin Pascale Sutter hat in Ihrer 2002 publizierten Dissertation die Bedeutung der Nachbarschaftsverhältnisse für die alltäglichen sozialen Beziehungen untersucht. 29 Die Stabilität der Nachbarschaft und damit auch der Wohnsitze ist von erheblicher Bedeutung für den Zusammenhalt nachbarschaftlicher Beziehungsnetze. Sutter hat diese Stabilität anhand der Steuerakten für 1467 bis 1470 überprüft. Von den rund 3000 steuerpflichtigen Zürchern wohnten nicht einmal die Hälfte während dieses doch sehr kurzen Zeitraums im gleichen Haus: 30 Tabelle 2: Mobile und seßhafte Steuerzahler 1467-70 29 P ASCALE S UTTER , Von guten und bösen Nachbarn. Nachbarschaft als Beziehungsform im spätmittelalterlichen Zürich, Zürich 2002. 30 Die Tabelle beruht auf den Angaben bei S UTTER , Nachbarn (wie Anm. 29), S. 62. Im Sinne unserer Fragestellung werden Personen, die bloß in zwei Steuerlisten im gleichen Haus wohnten und somit nur während eines Jahres seßhaft waren, aber als Mobile gezählt, was sie ja auch über die gesamte Untersuchungsperiode gesehen, waren. 19 Wacht Seßhafte in % Mobile in % Unbestimmte Auf Dorf 44,9 39 16,1 Linden 52,3 33,4 14,3 Neumarkt 49,8 31,5 18,7 Niederdorf 45,0 34,1 20,9 Münsterhof 40,3 38,8 20,9 Rennweg 51,4 30,2 18,4 Insgesamt 47,3 34,5 18,2 <?page no="19"?> Hans Jörg Gilomen Auffällig ist, daß der Anteil der Unbestimmten wesentlich geringer ausfällt als in der Untersuchung von Gisler, was mit der besseren Quellenlage zusammenhängt. 31 Die bloß vier Jahre umfassenden Resultate von Sutter weichen von denjenigen Uzedas über 20 Jahre hinweg beim Vergleich der Wachten etwas ab. In der Wacht Linden war der Anteil der Seßhaften mit 52 % über den Zeitraum von vier Jahren am größten. In dieser Wacht befanden sich auch während des ganzen 15. Jahrhunderts die vermögensstärksten Haushalte. Wegen der Lage im Stadtzentrum, der wichtigen Märkte, dem Rathaus, der Zunft- und Gesellschaftsstuben und dem Großmünster stellte sie die prestigeträchtigste Wohngegend dar. Den geringsten Anteil Seßhafter wies die Wacht Münsterhof auf. Hier befand sich das Zürcher Randgruppenquartier, der »Kratz«. Nach dem liber vagatorum lebten im Kratz auch Bettler, Henker, Totengräber, Blinde. 32 Die Steuerbücher und Gerichtsprotokolle zeigen, daß dieser Wachtteil den höchsten Anteil an »Mietskasernen« hatte. Im Kratz, aber auch im Neustadt-Quartier in der Wacht Auf Dorf, hausten die ärmsten Bevölkerungsteile in beengenden Wohnverhältnissen. In Sutters Befunden korreliert also die relative Seßhaftigkeit noch stärker mit der Sozialtopographie, als dies in den Daten von Uzeda erkennbar ist. Die in ihrem Ausmaß erstaunliche Mobilität läßt sich auch in anderen Städten beobachten. Mein Schüler Willi Schoch hat für St. Gallen zu Beginn des 15. Jahrhunderts festgestellt, daß in vier Jahren ein Drittel der Steuerzah- 31 Insbesondere erweiterte die Auswertung der Gerichtsakten die Möglichkeiten zur Identifizierung erheblich. 32 Zum Kratz s. Das Buch der Vaganten, hrsg. v. H EINER B OEHNCKE und R OLF J OHANNS - MEIER , Köln 1987, S. 95; E BERHARD B RECHT , Von der Prostitution im frühen Zürich, in: Zürcher Taschenbuch 1969, S. 66; A RNOLD E SCH , Räuber, Diebe, Wegelagerer. Reviere, Beute, Schicksale in Berner Verhörprotokollen des frühen 16. Jahrhunderts, in: A R - NOLD E SCH , Alltag der Entscheidung. Beiträge zur Geschichte der Schweiz an der Wende vom Mittelalter zur Neuzeit, Bern u. a. 1998, S. 137-59, hier S. 150; G ILOMEN , Innere Verhältnisse (wie Anm. 20), S. 344; O LIVER L ANDOLT , Delinquenz und Mobilität im Spätmittelalter. Beispiele aus Schaffhauser und Zürcher Justizakten , in: Migration in die Städte. Ausschluß - Assimilierung - Integration - Multikulturalität (Schweizerische Gesellschaft für Wirtschafts- und Sozialgeschichte 16), hrsg. v. H ANS -J ÖRG G I - LOMEN , A NNE -L ISE H EAD -K ÖNIG , A NNE R ADEFF , Zürich 2000, S. 77-92, hier S. 85; P ETER S CHUSTER , Das Frauenhaus. Städtische Bordelle in Deutschland (1350-1600), Paderborn 1992, S. 43-5. 20 <?page no="20"?> Demographie und Mobilität ler aus der Stadt weggezogen oder verstorben ist, nach zehn Jahren war weniger als die Hälfte der Personen noch immer in der Stadt wohnhaft, lediglich ein Viertel war es nach 20 Jahren. 33 Alle diese Befunde stimmen in der sehr hohen Mobilität überein, welche die Bindung der Familienidentität an ein Wohnhaus stark einschränkt und relativiert. Am ehesten ist eine solche Identifizierung bei der am wenigsten mobilen Gruppe der Reichen und sehr Reichen möglich. 3. Eigentumsverhältnisse Mein dritter Punkt bezieht sich auf die Eigentumsverhältnisse. Im 15. Jahrhundert sind wir in Zürich und in vielen anderen Städten weit entfernt vom Erfordernis des Hausbesitzes als Voraussetzung und Grundlage des Bürgerrechts. Gerade im Süden des Reichs hatte sich dieses Erfordernis zwar eher länger gehalten als anderswo. Auch in St. Gallen zum Beispiel galt noch bis nach der Mitte des 14. Jahrhunderts der Erwerb einer Immobilie innerhalb der Kreuze als Bedingung für die Verleihung des Bürgerrechts. 34 Von 314 Bürgeraufnahmen zwischen 1372 und 1401, die nicht Geistliche, Adlige oder Juden betrafen, ist immerhin bei 167 (53 %) der Grundstückserwerb auch in dieser Zeit noch explizit vermerkt. 35 In Schaffhausen wurde die 1361 erlassene Bestimmung, daß auch Ausburger Anteil an Grundbesitz in der Stadt erwerben müßten, damit begründet, »… das dü statt dar uff vinde ir stüran und dienst und ander ding …« 36 In Freiburg im Uechtland lautet die Formulierung bei Neuaufnahmen geradezu, jemand werde Bür- 33 W ILLI S CHOCH , Die Bevölkerung der Stadt St. Gallen im Jahre 1411. Eine sozialgeschichtliche und sozialtopographische Untersuchung (St. Galler Kultur und Geschichte 28), St. Gallen 1997, S. 244f. 34 St. Gallische Rathssatzungen aus dem 14. und 15. Jahrhundert, hrsg. v. W. E. VON G ON - ZENBACH , in: Mitteilungen des Vereins für vaterländische Geschichte 4 (1865), S. 22- 148, hier S. 37 Nr. 54. 35 Im ältesten Stadtbuch, Staatsarchiv St. Gallen Nr. 538, sind von 1372 bis 1401 insgesamt 348 Bürgeraufnahmen verzeichnet. Auf Adlige, Geistliche und Juden entfallen 34 Einträge. Bei den restlichen 314 Einträgen ist bei 167 die Pflicht zum Erwerb von Grundbesitz vermerkt (in sieben Fällen wurde dann doch bloß der Geldbetrag bezahlt), bei 72 die Zahlung des Geldbetrags, in sechs Fällen bleibt dies offen, bei 69 Einträgen ist gar keine Verpflichtung erwähnt. 36 Sammlung Schweizerischer Rechtsquellen, XII. Abt. Die Rechtsquellen des Kantons Schaffhausen, 1. Teil: Stadtrechte, 2. Bd. Das Stadtrecht von Schaffhausen II. Das Stadtbuch von 1385, bearb. von K ARL S CHIB , Aarau 1967, S. 51f. Nr. 84, 4. Feb. 1361. 21 <?page no="21"?> Hans Jörg Gilomen ger auf einem Haus bzw. einem Hausteil. 37 Eine Art Reliktform sind im Gebiet der Schweiz die sogenannten Udel, eine an ein Haus gebundene Garantiesumme gegenüber der städtischen Obrigkeit, die aber eben auch auf Häusern in fremdem Besitz sichergestellt werden konnte. 38 In Zürich wurde bei Neubürgeraufnahmen noch bis in die Mitte des 14. Jahrhunderts das Versprechen eines Hauskaufs in der Stadt verlangt. 39 Der Rat nahm das Vermögen eines Neubürgers bis zu dessen Erwerb eines Hauses zum Pfand. Später verlangte man aber nur noch die Hinterlegung einer Garantiesumme für den Fall späteren Auszugs. Gerade diese Entwicklung zeigt doch wohl die zunehmende Bedeutung von Mietverhältnissen. In einem Seminar im Jahr 1997 haben wir unter anderem versucht, anhand einer Stichprobe die Wohn- und Eigentumsverhältnisse in den Häusern der Stadt Zürich aufgrund der Steuerliste von 1467 statistisch für die Wachten Linden und Rennweg zu erfassen (Tab. 3). 40 37 z. B. Sammlung schweizerischer Rechtsquellen, IX. Abt. Die Rechtsquellen des Kantons Freiburg, 1. Teil: Stadtrechte, 1. Bd. Das Stadtrecht von Murten, bearb. von F RIED - RICH E MIL W ELTI , Aarau 1925, S. 77 Nr. 56: «… efectus est burgensis Henslinus, filius quondam Vellini de Buoch, supra partem suam proindiuiso cuiusdam domus …» 38 B EAT F REY , Ausburger und Udel namentlich im Gebiete des alten Bern (Abhandlungen zum Schweizerischen Recht, Neue Folge 281), Bern 1950. 39 S. z.B. die Bürgeraufnahmen in Die Zürcher Stadtbücher des XIV. und XV. Jahrhunderts, Bd. 1, Leipzig 1899, S. 67 Nr. 167, 1314; ebda. S. 163 Nr. 339, 1343. 40 Die Steuerbücher von Stadt und Landschaft Zürich des XIV. und XV. Jahrhunderts, 4. Bd: Steuerrödel von 1467, bearb. von E DWIN H AUSER und W ERNER S CHNYDER , Zürich 1942. Zu den Haushaltstrukturen in Zürich s. R ANDOLPH C. H EAD , Haushalt und Familie in Landschaft und Stadt Zürich, nach Steuerbüchern des 15. Jahrhunderts, in: Zeitschrift für Agrargeschichte und Agrarsoziologie 40 (1992), S. 113-32. 22 <?page no="22"?> Demographie und Mobilität Tabelle 3: Belegung der Häuser mit Haushalten in den Wachten Linden und Rennweg 1467 In diesen beiden Wachten sind insgesamt 388 Häuser verzeichnet, 168 in der Wacht Linden und 220 in der Wacht Rennweg. Davon standen indessen bei der Steuererhebung 28 Häuser leer, also immerhin 7 %. In den verbleibenden 360 Häusern (156 Wacht Linden und 204 Wacht Rennweg), können 580 Haushalte gezählt werden. In rund 60 % der Häuser ist nur ein Haushalt festzustellen, immerhin 40 % der Häuser beherbergen mehrere Haushalte. Es wohnten also erhebliche Teile der Familien nicht allein in einem Haus, viele von ihnen in Häusern, welche im Eigentum anderer standen. 23 Hauhalte je Haus Anzahl Häuser Haushalte gesamt absolut % absolut % absolut % 1 91 58,33 127 62,25 218 37,6 2 41 26,28 55 26,96 192 33,1 3 16 10,26 12 5,88 84 14,5 4 3 1,92 6 2,94 36 6,2 5 4 2,56 2 0,98 30 5,2 6 0 0 1 0,49 6 1 7 1 0,64 1 0,49 14 2,4 gesamt 156 100 204 100 580 100 Linden Rennweg <?page no="23"?> Hans Jörg Gilomen Schwierig gestaltet sich die Untersuchung der Frage des Eigentums an den Häusern. Um Ermessensentscheide möglichst auszuschalten, haben die Bearbeiter dieser Frage nur jene Hausbewohner auch als Besitzer gezählt, deren Haus denselben Namen trägt. Das ergab die folgende Tabelle: Tabelle 4: Hauseigentümer und Mieter in den Wachten Linden und Rennweg 1467 Von den 580 für diese Frage erfaßbaren Haushalten würden so nur 129 oder etwas über 22 % (11,62 in der Wacht Linden, 30,63 in der Wacht Rennweg) ein eigenes Haus bewohnen, sicher zur Untermiete lebten 25 Haushalte (rund 4,5 %) und zur Miete würden 426 Haushalte (73,5 %) wohnen. Eine gewisse Kontrolle der Plausibilität dieses Ergebnisses trotz der genannten methodischen Vorentscheidung erlaubt die Korrelation mit der Vermögensverteilung aufgrund der Steuerbeträge. 24 Anzahl Haushalte Wohnverhältnis Linden Rennweg absolut % absolut % Hausbesitzer 31 11.92 98 30.63 Mieter 215 82.69 211 65.94 Untermieter 14 5.38 11 3.45 gesamt 260 100 320 100 <?page no="24"?> Demographie und Mobilität Tabelle 5: Vermögensverteilung der Haushalte a) Wacht Linden b) Wacht Rennweg 25 Vermögens schicht Anzahl Haushalte Besitzer Mieter Untermieter absolut % absolut % absolut % Unterschicht 6 19,35 103 47,91 14 100 Mittelschicht 18 58,06 92 42,79 0 0 Oberschicht 4 12,9 15 6,98 0 0 Spitzengruppe 3 9,68 5 2,33 0 0 gesamt 31 100 215 100 14 100 Vermögens schicht Anzahl Haushalte Besitzer Mieter Untermieter absolut % absolut % absolut % Unterschicht 38 38,78 132 62,56 11 100 Mittelschicht 53 54,08 69 32,7 0 0 Oberschicht 6 6,12 9 4,27 0 0 Spitzengruppe 1 1,02 1 0,47 0 0 gesamt 98 100 211 100 11 100 <?page no="25"?> Hans Jörg Gilomen In beiden erfaßten Wachten gehörten alle Untermieter der steuermäßigen Unterschicht an. In der Wacht Linden zählte auch fast die Hälfte (48 %) aller Mieter zur Unterschicht. Weitere 43 % der Mieter stellte hier die Mittelschicht, nur rund 9 % die Oberschicht und die Gruppe mit Spitzenvermögen. Bei den Eigentümern fallen auf die Unterschicht etwas weniger als 20%, auf die Mittelschicht bis zu den Reichsten über 80 %. In der Wacht Rennweg fällt davon abweichend auf, daß die Unterschicht unter den Eigentümern mit fast 40 % vertreten ist, während Angehörige der Mittelschicht bis hin zu den Reichsten nur etwa 60 % davon stellen. Eine weitere Verfeinerung der Vermögensverteilung zeigt übrigens, daß die Untermieter auch innerhalb der Unterschicht die ärmste Schicht bildeten, und daß die Eigentümer innerhalb ihrer Vermögensschicht jeweils reicher waren als jene, die zu Miete lebten. Ich halte das Ergebnis trotz dieser eigentlich sehr überzeugenden Korrelation von Eigentum und Steuervermögen dennoch nicht für völlig zutreffend. Die Anzahl der Mieter ist gegenüber derjenigen der Eigentümer meines Erachtens mit Sicherheit zu hoch, da einige derjenigen, die in Häusern mit fremden Namen wohnten, diese dennoch zu Eigentum besessen haben dürften. Es bleibt jedoch in unserem Zusammenhang festzuhalten, daß in den Städten mit einer unterschiedlich großen, aber sicher sehr bedeutenden Anzahl von Mietern zu rechnen ist und daß eine Identifizierung mit dem Mietshaus wohl kaum für das Geschlecht identitätsstiftend sein konnte. 41 Zum Schluß ein paar Fragen: Ist die Identifizierung mit einem Familiensitz in den spätmittelalterlichen Städten demnach ein Phänomen, das sich nur auf eine kleine Zahl von in der Regel reichen und sehr reichen Familien beschränkt? Wie dauerhaft sind solche Verbindungen von Familien und Häusern auch innerhalb dieser Gruppe angesichts der bekannten Kurzlebigkeit von Häuptergeschlechtern und stadtadliger wie bürgerlicher Elite in dieser Zeit? 42 Was bedeuten Häuser für die Familienidentität wirklich, wenn 41 Schon E RICH M ASCHKE hat seinerzeit auf die hohe Zahl von Mietern hingewiesen in seinem Aufsatz: Die Unterschichten der mittelalterlichen Städte Deutschlands, in: Gesellschaftliche Unterschichten in den südwestdeutschen Städten (Veröffentlichungen der Kommission für geschichtliche Landeskunde in Baden-Württemberg, Reihe B 41), hrsg. v. E RICH M ASCHKE und J ÜRGEN S YDOW , Stuttgart 1967, S. 1-74, hier S. 21: In Görlitz betrug der Anteil der Haushalte, die bloß zur Miete wohnten in der Innenstadt 38,9%, in der Vorstadt 15,8 %. 42 Bis ins 16. Jahrhundert konnten sich nur wenige Familien lange in der Oberschicht halten, s. H ANS C ONRAD P EYER , Die Anfänge der schweizerischen Aristokratien, in: K URT M ESSMER und P ETER H OPPE , Luzerner Patriziat. Sozial- und wirtschaftsgeschicht- 26 <?page no="26"?> Demographie und Mobilität Familien Hausnamen führen, obwohl sie das betreffende Haus längst nicht mehr bewohnen, wie etwa die Rothschilds nach ihrem Wohnhaus in Frankfurt, oder wenn Häuser Namen von Familien tragen, die längst ausgestorben sind, wie etwa der Offenburger Hof in Basel? Der hieß übrigens noch lange Pfaffenhof, nach der alten adligen Besitzerfamilie Pfaff, als längst Henmann Offenburg darin wohnte. 43 Was bedeutet es, wenn Angehörige der Bozener Aufsteigerfamilie Vintler für eine kurze Zeit eine Art Hauszeichen im Siegel führten, aber gerade nur so lange, bis sie ein echtes Wappen erwerben konnten? 44 Und dann dazu auch noch eine standesgemäße Burg: Runkelstein? Ist die Annahme der Identitätsstiftung des Stadtsitzes für die Familie bloß eine historiographische Übertragung von der namen- und identitätsstiftenden Adelsburg, auch vom Adelsturm in der Stadt, in Zürich etwa dem Turm der Bilgeri, auf bürgerliche Häuser oder ist es eine Übertragung schon der spätmittelalterlichen Zeitgenossen im Sinne gesunkenen Kulturguts? My house is my castle? 45 liche Studien zur Entstehung und Entwicklung im 16. und 17. Jahrhundert (Luzerner Historische Veröffentlichungen 5), Luzern 1976, S. 161-238, zum Begriff Häuptergeschlechter s. ebd. S. 200; auch in H ANS C ONRAD P EYER , Könige, Stadt und Kapital. Aufsätze zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte des Mittelalters, hrsg. v. L UDWIG S CHMUGGE , R OGER S ABLONIER und K ONRAD W ANNER , Zürich 1982, S. 195-218 und S. 302-8, hier S. 196. 43 S. dazu E LSANNE G ILOMEN -S CHENKEL , Henmann Offenburg (1379-1459), ein Basler Diplomat im Dienste der Stadt, des Konzils und des Reichs (Quellen und Forschungen zur Basler Geschichte 6), Basel 1975. 44 R ENÉ W ETZEL , Quis dicet originis annos? Die Runkelsteiner Vintler - Konstruktion einer adligen Identität, in: Schloß Runkelstein. Die Bilderburg, Bozen 2000, S. 291-310, hier S. 293f. 45 Das Rechtssprichwort » My house (home) is my castle « stammt aus dem 17. Jahrhundert und beinhaltet das englische Grundrecht, daß Beamte nicht ohne richterliche Erlaubnis in eine Privatwohnung eindringen dürfen. 27 <?page no="27"?> 28 Abbildung 1 Bearbeitung des Corrodi-Sulzer-Plans durch Josef Gisler (s. Anm. 23) <?page no="28"?> Haus und Identität <?page no="30"?> Die Hausmarke. Zur Genese eines Rechtsbegriffs »Bereits Ende des 18. Jahrhunderts«, so Bernd Schlüter in seiner Monographie zur Staatsrechtslehre und Wissenschaftspolitik im deutschen Kaiserreich, »begann sich die deutsche Geisteskultur von der Idee der natürlichen […] Individualrechte und damit vom ganzen System der abstrakt rationalen Welterklärung abzuwenden«. In der Folge erfuhr die »realistische Idee der Fruchtbarkeit der geschichtlichen Betrachtung für gegenwärtige Phänomene« einen entscheidenden Aufschwung und prägte die Geschichtsschreibung eines ganzen Jahrhunderts. 1 Dies schlägt sich auch in der Genese des für das 19. Jahrhundert typischen Rechtsbegriffs der Hausmarke nieder, der im Mittelpunkt dieses Beitrages stehen soll. Mit Rückgriff auf Phänomene des Mittelalters versuchten die Rechtsgelehrten aktuellen Rechtsverhältnisse eine historische Dimension zu verleihen, die sie in der imaginierten Form faktisch nicht besaßen. Der Begriff der Hausmarke ist wesentlich von Carl Gustav Homeyers (1795-1874) gleichnamiger Abhandlung über Die Haus- und Hofmarken geprägt, die noch heute die Grundlage für fast alle Arbeiten bildet, die sich mit dem Thema beschäftigen. 2 Als Hausbzw. Hofmarken bezeichnete Homeyer jene abstrakten Strichzeichen, die sich unter anderem an Immobilien fanden (Abb. 1). Für ihn waren diese Zeichen fest mit dem Hof bzw. dem Haus verbunden; auch ging er davon aus, daß sie bei einem Besitzerwechsel (»Handänderung«) automatisch auf die neuen Bewohner übertragen worden seien. Diese hätten die Marken dann als Beglaubigungszeichen und zur Kennzeichnung ihres übrigen Besitzes genutzt. Auf die Hofmarken seien sowohl die in den frühmittelalterlichen Leges erwähnten » signa« als auch das im Sachsenspiegel aufgeführte »hantgemal« zu beziehen, woraus Homeyer wiederum schloß, daß auch die Hausmarken als Beglaubigungszeichen dienten. Die Praxis stamme im ländlichen Bereich aus »ältesten Zeiten« und hätte sich im spä- 31 1 B ERND S CHLÜTER , Reichswissenschaft. Staatsrechtslehre, Staatstheorie und Wissenschaftspolitik im Deutschen Kaiserreich am Beispiel der Reichsuniversität Straßburg (Studien zur Europäischen Rechtsgeschichte, 168), Frankfurt am Main 2004, S. 22. Zum Begriff »Haus« besonders K ARL K ROESCHELL , Haus und Herrschaft im frühen Deutschen Recht (Göttinger Rechtswissenschaftliche Studien, 70), Göttingen 1968, S. 11. 2 C ARL G USTAV H OMEYER , Die Haus und Hofmarken, Nachdruck der 2. Ausgabe, Berlin 1890, Aalen 1967. K ATHRIN S TUTZ <?page no="31"?> teren Mittelalter dann in den Städten verbreitet. Demnach ging Homeyer von einer kontinuierlichen Praxis aus, die von den frühmittelalterlichen Volksrechten bis in die eigene Gegenwart hinein Bestand hatte. 3 Interessiert man sich für den Platz der Zeichen in der spätmittelalterlichen Stadt, scheint die von Homeyer entworfene Trias Zeichen, Haus und Hausbesitzer eine auf den ersten Blick reizvolle Herausforderung darzustellen. Doch hält Homeyers These, die Marke gehöre unweigerlich zum Haus, einer kritischen Überprüfung nicht stand, wie ich im Folgenden in drei Schritten zeigen möchte. Zuerst wende ich mich Homeyers prekärer Quellenbasis zu, dann seiner Wirkungsgeschichte, die ihren Anfang in zirkulären Zitiergepflogenheiten nimmt, um abschließend nach brauchbaren Alternativen zu fragen. I Wurde der Begriff »Hausmarke« durch Homeyer zum Terminus technicus der deutschen Rechtsgeschichte 4 , so war der sechs Jahre jüngere Germanist Andreas Ludwig Jacob Michelsen (1801-1881) der erste, der eine Verbindung zwischen den abstrakten Strichzeichen an Häusern des 19. Jahrhunderts und den Marken des Mittelalters zog und diese dann ihrem Träger entsprechend als »Hausmarken« bezeichnete. Zwischen 1824 und 1829 forschte Michelsen im Geheimen Archiv in Kopenhagen über das Skandinavische Recht. 5 Hier, in Kopenhagen, trat er in Kontakt mit dem isländischen Philologen und Runenforscher Finn Magnusen. 6 Alsbald entstand eine enge Zusammenarbeit, bei der Michelsen Magnusen half, mittelalterliche Schriftquellen nach runenähnlichen Zeichen zu durchstöbern. Die beiden stießen auf abstrakt-graphische Strichzeichen, die sie, dem nordeuropäischen Sprachgebrauch folgend, in dem Zeichen an Häusern bomaerke genannt wurden (bo = Haus), als Hausmarken begriffen. 7 3 Ebd., S. 136f. Homeyer faßt die Definition der »Hausmarke « auch enger auf den Bereich der Stadt, während »Hofmarke « für das gleiche Phänomen auf dem Land steht. 4 A NDREAS E RLER , Art. »Hausmarke « , in: Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte, Bd. 1, Berlin 1971, Sp. 2034. 5 M ARIA M ICHELSEN , Art. » Michelsen « , in: Allgemeine Deutsche Biographie, Bd. 21, Leipzig 1885, S. 695. 6 A NDREAS L. J. M ICHELSEN , Die Hausmarke, eine germanistische Abhandlung, Jena 1853, S. 3. 7 Ebd., S. 4. 32 Kathrin Stutz <?page no="32"?> Im festen Glauben an die Kontinuität einer »germanischen« Kultur nahm Michelsen an, »daß die skandinavischen Hausmarken, wie wir sie an den mittelalterlichen Diplomen fanden, den norddeutschen völlig homogen« seien. 8 Michelsen war das Phänomen der Hausmarke nämlich aus seiner Gegenwart vertraut. Fest an einen Hof oder ein Haus gebunden fungierten die Marken im 19. Jahrhundert in ländlichen Gegenden gelegentlich als »Handzeichen« einer Familie, die in der Erbfolge vom Vater auf den Sohn weitergegeben wurden. Michelsen sah in den Hausmarken und ihrer Anwendung den Ausdruck archaischer Rechtszustände, die zu verschwinden drohten. Um dem Verfall entgegen zu wirken, begann er in der Umgebung seines damaligen Wohnortes Kiel die Dörfer nach Marken an Gebäuden abzusuchen. Später ließ er sich von Kollegen und Freunden, die sich auf Reisen befanden, von überall her Markenfunde mitbringen. In seiner Monographie von 1853 lesen sich diese Fundberichte dann wie folgt: Ebenso fand er [der Zeichenlehrer Bräunlich] neulich bei längerem Aufenthalte in Gera, welche Stadt in den Jahren 1763 und 1781 von großen Feuersbrünsten heimgesucht worden und daher meist neu ist, eine Hausmarke aus älterer Zeit, jedoch nur die einzige, über dem Portal eines größeren Wohnhauses, gegenwärtig dem Kaufmann Schwenker gehörig, in einem Wappenschilde; welche, wie bei Nr. 42 unserer dritten Tafel, ein Relief dargestellt und wie diese sehr gut gearbeitet ist, auch mit ihr in der Figur große Ähnlichkeit hat. 9 Auf der Basis phänomenologischer Ähnlichkeit versuchte Michelsen die Kontinuität des Zeichengebrauchs von einer unbestimmten Frühzeit bis in die eigene Gegenwart zu beweisen. Seine historische Methode läßt sich dabei nicht von seinen politischen Überzeugungen trennen. Der Dahlmann- Schüler Michelsen gehörte zu den Germanisten des Vormärz; Anfang der 1830er Jahre engagierte er sich für die »Göttinger Sieben« und 1839/ 1840 im Schleswig-Holsteinischen Verfassungsstreit. 10 Michelsens Ziel als Historiker war es, die Kontinuität der deutschen Nation seit germanischen Zeiten mit Material zu beweisen. Die Grundlagen hierfür stellte die vermeintliche Ein- 8 Ebd., S. 3. 9 Ebd., S. 10. 10 M ICHELSEN , Art. Michelsen (wie Anm. 5), S. 695f. Einen Überblick bietet H ANS -U LRICH W EHLER , Deutsche Gesellschaftsgeschichte. Von der Reformära bis zur industriellen und politischen » Deutschen Doppelrevolution « 1815-1845/ 49, Bd. 2, München 1987, besonders S. 394-402. 33 Die Hausmarke <?page no="33"?> heit von Volk, Sprache und Kultur dar, konstruiert als räumlich wie zeitlich übergreifende Größen, denen in der eigenen Gegenwart allerdings eine entsprechende politische Gestalt noch fehlte. 11 Das Konzept der Hausmarke war also zunächst für den skandinavischen Raum entwickelt und von Michelsen dann auf den norddeutschen Raum übertragen worden. Eingebunden in die politische Bewegung seiner Zeit war er bestrebt, eine Kontinuität der Rechtsbräuche zu belegen. Diese Kontinuität sah er auch für die Hausmarken bewiesen. Hatte schon Michelsen die Ursprünge der neuzeitlichen Hausmarke im Mittelalter angesiedelt, so war es, Carl Gustav Homeyer vorbehalten, auf dieser Grundlage die Hausmarke zu einem eigenständigen, im gesamten Mittelalter verbreiteten Rechtsinstitut zu erheben. 12 Homeyers Ausgangslage aber war eine andere gewesen. Bei seinen Vorarbeiten zur Edition des Sachsenspiegels 13 war er erstmals auf das »handgemahl« gestoßen, dem er 1852 dann die juristische Abhandlung Über die Heimath nach altdeutschem Recht, insbesondere das Hantgemal widmete. 14 Das Wort habe, so das Ergebnis seiner Recherchen, zwei Bedeutungen. Mit dem »hantgemal« werde im Sachsenspiegel zum einen das Haupt- und Stammgut eines vollfreien Mannes bezeichnet, das vom Vater auf den Sohn überginge. Zum anderen sei damit ein runenartiges Handzeichen gemeint, eben die Hausmarke, die zum jeweiligen Hof der »schöffenbaren Freien« gehöre: 11 M ICHELSEN , Die Hausmarke (wie Anm. 6), S. 75. Unter Michelsen Werken zählen neben der Untersuchung Über die Genesis der Jury (1847), die primär in der germanistischen Tradition steht, eben auch seine Arbeit über Die Hausmarke (1853). Zu den politischen Vorstellungen der Zeit vgl. S CHLÜTER , Reichswissenschaft (wie Anm. 1), S. 11-33; F RIEDRICH E BEL , Rechts- und Verfassungsgeschichte in Berlin im 19. und 20. Jahrhundert, in: Geschichtswissenschaften in Berlin im 19. und 20. Jahrhundert. Persönlichkeiten und Institutionen, hrsg. v. R EIMER H ANSEN u. W OLFGANG R IBBE (Veröffentlichungen der Historischen Kommission zu Berlin, 82), Berlin u. a. 1992, S. 449-86. 12 Zu Homeyers Leben: F RIEDRICH F RENSDORF , Art. Homeyer, in: Allgemeine Deutsche Biographie, Bd. 13, Leipzig 1881, S. 44 u. 52. 13 Ebd., S. 44 ff. Homeyer edierte bis zu seinem Tode 1874 einen Großteil der sächsischen Rechtsbücher, vor allem den Sachsenspiegel in kritischer Edition, von dem er bis 1861 drei, jeweils überarbeitete Versionen herausgab. Damit ist er als der Begründer der germanistischen Rechtsquellenkritik anzusehen. Siehe dazu auch: A DALBERT E RLER , Art. Homeyer, in: Handwörterbuch zur Deutschen Rechtsgeschichte, Bd. 2, Berlin 1978, Sp. 229f. 14 C ARL G USTAV H OMEYER , Über die Heimath nach altdeutschem Recht, insbesondere über das Hantgemal, Berlin 1852. 34 Kathrin Stutz <?page no="34"?> Svelk scepenbare vri man enen sinen genot to kampe an sprikt, die bedarf to wetene sine vier anen unde sin hantgemal, unde die to benomene, oder jene weigere time kampes mit rechte. 15 In dieser Funktion sei das »hantgemal« an der Fahrhabe und dem Vieh sowie dem Hofgebäude angebracht worden und habe somit dem Einzelnen und seinem Geschlecht als »Wahrzeichen« gedient. 16 Homeyers Annahmen hinsichtlich der ersten Wortbedeutung basieren auf drei Textstellen des Sachsenspiegels in der Berliner Handschrift von 1396, in denen das Wort »hantgemal« vorkommt. 17 Im Codex Falkensteinensis und bei Herman ter Damen fand er weitere Belegstellen, die er im Konsens mit der zeitgenössischen Forschung als Stammgut deutete und daraus folgerte, das »hantgemal« könne auch als Monogramm bzw. Chirograph verstanden werden. 18 Über diese Argumentationslinie kam Homeyer schließlich darauf, Monogramm mit Marke gleichzusetzen und konstruierte so den Beweis, mit dem er die von Michelsen postulierte Kontinuität des Markengebrauchs vom frühen Mittelalter bis in die eigene Gegenwart nachgewiesen sah. Die Beweisführung beruht jedoch vollständig auf der von Homeyer (über Michelsen hinausgehend) behaupteten doppelten Bedeutung des Begriffs »hantgemal«, der zufolge die Marken vom jeweiligen Besitzer der Immobilien, an denen sie angebracht waren, als Handzeichen geführt wurden. Auch Homeyer war - wie Michelsen - eine analoge Praxis aus der eigenen Gegenwart bekannt. Als Richter am höchsten Preußischen Gerichtshof verhandelte er 1851 über einen Rechtsstreit, in welchem die Kirchstuhlgerechtigkeit eines Hofes bei Danzig anhand einer Marke bewiesen werden sollte. 19 Die gleiche Marke fand sich sowohl am Hof, als auch am Kirchstuhl angebracht und diente als Beweismittel für die Besitzansprüche des Hofbesitzers. 20 15 Zitiert nach: Des Sachsenspiegels erster Theil, oder das Sächsische Landrecht, nach der Berliner Handschrift vom Jahre 1369, hrsg. v. C ARL G USTAV H OMEYER , Berlin 1835, S. 76f., I. 51 §4. 16 H OMEYER , Haus und Hofmarken (wie Anm. 2), S. V. Dazu auch W. W EBER , Art. » Handgemal « , in: Handwörterbuch zur Deutschen Rechtsgeschichte, Bd. 1, Berlin 1971, Sp. 1960-5. 17 Zu I. 51 §2 kommen noch die Stellen III. 26 §2 u. 29 §1. Siehe H OMEYER , Sachsenspiegel (wie Anm. 15), S. 199 u. 201f. 18 H OMEYER , Hantgemal (wie Anm. 14), S. 69ff. 19 F RENSDORF , Art. Homeyer (wie Anm. 12), S. 48. 20 Ebd., S. 51. 35 Die Hausmarke <?page no="35"?> II Wie Michelsen stützte sich Homeyer in seiner Argumentation also auf die Annahme, solche Zusammenhänge problemlos auf das Mittelalter übertragen zu können. Die Grundzüge seines Modells hatte Homeyer unabhängig von Michelsens nur wenig älteren Arbeiten entwickelt; in den frühen 1850er Jahren jedoch nutzten beide die Ergebnisse des anderen als Beleg der eigenen Thesen und etablierten auf diese Art gemeinsam die Hausmarke als festen Begriff in den historischen Wissenschaften. In Michelsens Studie von 1837 fand Homeyer so auch das fehlende Bindeglied und gleichzeitig den zeitgenössisch-wissenschaftlichen Nachweis für seine eigenen Thesen. 21 Wie eng sich in den folgenden Jahren die Erschließung des Rechtsinstituts Hausmarke mit den beiden Namen Michelsen und Homeyer verbunden war, wird daran deutlich, daß ersterer für seine 1853 erschienene Schrift Die Hausmarke wiederum auf Homeyer und seine Abhandlung über das »hantgemal« von 1851 als Beleg für den kontinuierlichen Gebrauch der Signete seit dem Mittelalter zurückgriff und diese als »höchst bedeutsames germanisches Rechtsinstitut« begriff. Homeyer wiederum begründet die ausführliche Beschäftigung mit der Hausmarke in seiner Monographie von 1870 mit Michelsens Studie über die Hausmarke von 1853 sowie dessen in Falks Handbuch des Schleswig-Holsteinischen Privatrechts, der ebenfalls auf Michelsen zurückging. 22 Homeyers Interpretation des Worts »hantgemal« blieb lange unwidersprochen, galt als »in form wie methode classische academische abhandlung« 23 , und fand schnell Eingang in die einschlägigen Lexika der Zeit. 21 H OMEYER , Die Haus- und Hofmarken (wie Anm. 2), S. V. 22 M ICHELSEN , Die Hausmarke (wie Anm. 6), S. 3f.: » Auf meinen Wunsch nahm etwas später Falck in Kiel die Bemerkungen über die althergebrachte Hausmarke und deren rechtliche Bedeutung in sein Handbuch des schleswig-holsteinischen Privatrechts auf, welche die erste Erwähnung dieses Instituts in einem rechtsdogmatischen Werke Deutschlands enthalten. « 23 Mittelhochdeutsches Wörterbuch. Mit Benutzung des Nachlasses von G EORG F RIED - RICH B ENECKE ausgearbeitet von W ILHELM M ÜLLER u. F RIEDRICH Z ARNCKE . Nachdruck der Ausgabe Leipzig 1854-1866, Stuttgart 1990, Bd. 2, S. 25. Nach der Onlineressource der Universität Trier: http: / / germazope.uni-trier.de/ Projects/ WBB/ woerterbuecher/ lexer/ WBB/ bmz/ wbgui? lemmode=lemmasearch&mode=linking&textsize=600&onlist=&word=hantgemal&lemid=BM00226&query_start=1&totalhits=0&t extword=&locpattern=&textpattern=&lemmapattern=&verspattern (im Folgenden als Benecke, Müller, Zarnke zitiert). 36 Kathrin Stutz <?page no="36"?> Erst ab den 1890er Jahren beschäftigte sich die Rechtswissenschaft erneut mit dem Thema. Unter den rechtshistorischen und etymologischen Diskussionen des ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts, die um den Begriff hantgemal kreisen, sind die meisten für unseren Zusammenhang nicht einschlägig, da sie die zentralen Punkte der Homeyerschen Konstruktion nicht berühren. Zusammenfassend kann jedoch gesagt werden, daß sich die beteiligten Historiker und Juristen darüber einig waren, daß mit dem Wort »hantgemal« das Stammgut einer ritterfreien Familie gemeint sei; über die von Homeyer weiter implizierte Wortbedeutung als ein mit dem Stammgut verbundenes Zeichen, herrschte jedoch Uneinigkeit bis Ablehnung. 24 So fragte sich einer von Homeyers Kritikern, der Jurist Herbert Meyer, nicht zu Unrecht, »wie nun aber [...] der Übergang dieser ursprünglichen Bedeutung Handzeichen, Marke (»signum«, »nota«) auf ein Grundstück möglich gewesen sein« solle? 25 Die Antwort hatte Homeyer allerdings längst selbst gegeben, indem er sein hauptsächliches Interesse an dem Wort »hantgemal« mit dem Markengebrauch des 19. Jahrhunderts, durch den Gerichtsfall von 1851, verknüpft hatte. 26 Es läßt sich also festhalten, daß die rechtshistorische Forschung das Problem der Diskrepanz zwischen der Wortbedeutung in den Texten des 10. bis 13. Jahrhunderts und Homeyers Interpretation der entsprechenden Stellen erkannt hatte. Dennoch beeinflußte er Generationen von Historikern und Rechtshistorikern, die sich mit den Marken beschäftigten. 27 Daß Homeyers 24 So vor allem H ERBERT M EYER , Das Handgemal als Gerichtswahrzeichen des freien Geschlechts bei den Germanen, Untersuchung über Ahnengrab, Erbhof, Adel und Urkunde, Weimar 1934, und D ERS .: Neue Forschungen zu den deutschen Rechtssinnbildern, in: Deutsche Literatur Zeitung 58 (1937), Sp. 387-97, P HILIP H ECK , Das Handgemal des Codex Falkensteinensis und andere Fundstellen, Mitteilungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung 28 (1907), S. 1; F RIEDRICH K AUFF - MANN , Aus dem Wortschatz der deutschen Rechtssprache, in: Zeitschrift für Deutsche Philologie 47.2 (1916), S. 153-82. 25 M EYER , Handgemal (wie Anm. 24), S. 17. 26 H OMEYER , Hantgemal (wie Anm. 14), S. 74, F RENSDORF , Homeyer (wie Anm. 12), S. 48. 27 Dazu Weber, Handgemal (wie Anm. 16), Sp. 1961. Vgl. beispielsweise H ERBERT S PRUTH , Die Hausmarke - Wesen und Bibliographie (Aktuelle Themen zur Genealogie 4/ 5, Herausgegeben von der Deutschen Arbeitsgemeinschaft genealogischer Verbände), Neustadt an der Aisch 1960; M AX G MÜR , Schweizerische Bauernmarken und Holzurkunden (Abhandlungen zum schweizerischen Recht 77), Bern 1917; E RNST F RIEDLANDER , Westfälische Hausmarken und verwandte Zeichen, in: Zeitschrift für Vaterländische Geschichte und Altertumskunde 10/ 30 (1872), S. 238-62.; G EORG J AKOB 37 Die Hausmarke <?page no="37"?> Arbeit - trotz des längeren Disputs den Status als Grundlagenwerk erreichte und keiner fundierten Kritik unterzogen wurde, ist wohl seiner Reputation als Rechtshistoriker zuzuschreiben, dessen Edition des Sachsenspiegels noch heute als maßgeblich gilt. 28 Die Kritiklosigkeit gegenüber seinen Erkenntnissen in Bezug auf die Hausmarke wird dabei durch die Aufnahme in Lexika unterstützt. So ist entscheidend, daß ein Artikel zur Hausmarke nicht nur in Falks Handbuch des Schleswig-Holsteinischen Privatrechts aufgenommen wurde, 29 sondern der Begriff auch in das Mittelhochdeutsche Wörterbuch von Georg Friedrich Benecke, Wilhelm Müller und Friedrich Zarncke sowie Matthias Lexers Mittelhochdeutsches Handwörterbuch Eingang fand. 30 Die kombinierte Autorität Michelsens und Homeyers reichte aus, ihre Thesen weit über die eigene Gegenwart hinaus als gesicherte Tatsachen festzuschreiben. Homeyers Definition der Hausmarke findet sich noch in neueren Lexika, wie dem Handwörterbuch zur Deutschen Rechtsgeschichte oder dem Lexikon des Mittelalters. 31 So bleibt seine Arbeit ein Pflichteintrag in jeder noch so knappen Bibliographie. M EYER , Hausmarken und Hausmarkenbrauchtum im Trier-Koblenzer Raum, in: Rheinisches Jahrbuch für Volkskunde 9 (1958), S. 7-27; M ICHAEL V . O STMAN , Die Vererblichkeit der Hausmarke, in: Mitteilungen der Rheinischen Vereinigung für Volkskunde, 10 (1950); A NDRIS C AUNE , Hausmarken des 13. und 14. Jahrhunderts in der Hansestadt Riga, in: Zwischen Lübeck und Novgorod. Wirtschaft, Politik und Kultur im Ostseeraum vom frühen Mittelalter bis ins 20. Jahrhundert (Norbert Angermann zum 60. Geburtstag), hrsg. v. O RTWIN P ELC u. G ERTRUD P ICKHAN , Lüneburg 1996, S. 109-20; O TTO H ELD , Marke und Zeichen im hansischen Verkehr bis zum Ende des 15. Jahrhunderts, in: Hansische Geschichtsblätter 17 (1911), S. 481-511. 28 Glossen zum Sachsenspiegel-Lehnrecht. Die kürzeren Glossen (MGH Font. Iur. Germ. n. s. VIII.), hrsg. v. F RANK M ICHAEL K AUFMANN , Teil 1, Hannover 2006, S. XVI. 29 Ein Umstand, der durchaus berechtigt war, da das Rechtsinstitut » Hausmarke « dort im 19. Jahrhundert im Sinne Homeyers anzutreffen war. 30 B ENECKE , M ÜLLER , Z ARNKE (wie Anm. 24), S. 25-8 und M ATTHIAS L EXER , Mittelhochdeutsches Handwörterbuch, Nachdruck der Ausg. Leipzig 1872-1878, Bd. 1, Stuttgart 1992, Sp. 1173. 31 E RLER , Art. Hausmarke (wie Anm. 4), Sp. 2034 u. R UTH S CHMIDT -W IEGAND , Art. Hausmarke, in: Lexikon des Mittelalters, Bd. 4, München 1999, Sp. 1973f. 38 Kathrin Stutz <?page no="38"?> III Die optische Ähnlichkeit der mittelalterlichen Zeichen zu den neuzeitlichen Hausmarken begünstigten Homeyers Analogieschluß sicher erheblich. In den von mir untersuchten Städten Stralsund, Köln und Regensburg ist eine Makierungspraxis der Häuser im Sinne Homeyers jedoch nicht nachzuweisen. Der große Verlust mittelalterlicher Bausubstanz durch Stadtbrände, nachmittelalterliche Stadtplanung und Kriege erschweren im Falle von Köln und Stralsund eine stringente Beweisführung erheblich. In Regensburg hingegen hat sich eine vergleichsweise hohe Zahl mittelalterlicher Wohnhäuser erhalten. An den knapp 250 bei Strobel aufgeführten Häusern, Häuserkomplexen und Wohntürmen, lassen sich insgesamt nur drei Marken finden, deren Anbringung sich in das späte Mittelalter zurückführen läßt. 32 Am Beispiel des sogenannten Lyskirchenerhauses in Regensburg möchte ich aufzeigen, warum die Nutzung der Marken als Hausmarken (verstanden als Marke am Haus) zwar nicht auszuschließen ist, das homeyersche Theorem von der Hausmarke jedoch fehlgreift. Im Mittelpunkt meiner Aufmerksamkeit stehen speziell die Wappenschlußsteine in der Einfahrtshalle des Lyskirchenerhauses. Die Halle wurde Mitte des 15. Jahrhunderts erbaut, das Haus wechselte danach mehrfach den Besitzer. Richard Strobel hat für das 15. Jahrhundert anhand der steinernen Wappensteine zwei Besitzer identifizieren können: die von Eyb, deren Wappen zwei hokkende Hunde und drei Muscheln zeigt, und die Familie Pfollenkofen, die eine Marke führte (Abb. 2). Drei weitere Wappen sind im Haus angebracht, darunter zwei Wappensteine mit der eingemeißelten Datierung »1590« und »1618«. 33 Die Zeichenführung der Pfollenkofen übertrug sich aber nicht auf die nachkommenden Hausbesitzer, der Gebrauch der Marke folgte in diesem Falle also nicht den von Homeyer beschriebenen Gesetzmäßigkeiten. Vielmehr versah jede Familie das Haus, wenn sie es in Besitz nahm, mit ihrem eigenen Zeichen, sei es eine Marke oder ein Wappen. 32 R ICHARD S TROBEL , Mittelalterliche Bauplastik am Bürgerhaus in Regensburg (Das deutsche Bürgerhaus 30), S. 199, 221, 230. Zur Anzahl der untersuchten Häuser: D ERS . Das Bürgerhaus in Regensburg: Mittelalter (Das deutsche Bürgerhaus 23), Tübingen 1976, S. 329-32. 33 S TROBEL , Bürgerhaus (wie Anm. 32), S. 50f. 39 Die Hausmarke <?page no="39"?> Das Lyskirchenerhaus steht exemplarisch für einen Sachverhalt, der sich bei der Auswertung weiterer mittelalterlicher Realien bestätigt: die Marken finden sich ähnlich benutzt wie die bekannteren Wappenbilder, vor allem dort, wo Zeichen eine repräsentative Funktion übernehmen, bzw. in symbolischer Form auf den Besitzer verweisen. Marken wurden an Schriftstücke in Form von Siegeln und Signa angebracht, sie zierten Kirchenfenster, Kleidung, Grabsteine, Chorgestühl, Schlußsteine, Altarbilder, Handels- und Handwerksgut. Und ihre große Ähnlichkeit unter anderem zu Warenzeichen läßt vermuten, daß sie ihren Ursprung nirgendwo anders als in Handels- und Handwerkskreisen der spätmittelalterlichen Stadt genommen haben. Die abstrakten Strichkombinationen waren - ähnlich wie das Zeichensystem der Wappen - in der Lage, familiare Verbindungen durch das Hinzufügen oder Weglassen von Beistrichen anzuzeigen. Dabei bildete das Zeichensystem der Marken eine hohe Varianz aus. Verschiedene Mitglieder einer Familie konnten, mußten aber nicht das gleiche Zeichen führen. 34 Ähnlich wie bei den Wappen ist hier die Individualisierung eines kollektiven Zeichens zu beobachten. In der Summe sagt dies vor allem eins aus: die Zeichen waren an die Person, die Familie gebunden, nicht an das Haus. Analog zu Wappen wurden sie pragmatisch - zur Beglaubigung und zur Markierung von Besitz - genutzt und können zugleich als ein Medium partizipativer Identität begriffen werden. Aus diesen, in aller Kürze angesprochenen Argumenten ergibt sich die dringende Notwendigkeit einer Neubewertung des Markensystems. Anders als von Homeyer angenommen, ergab sich die Bedeutung der Marken im 13., 14. und 15. Jahrhundert offenbar nicht aus der Bindung an das Haus; vielmehr war die Marke ein Persönlichkeitszeichen, dessen Gebrauch dem der Wappen entsprach. Das Stadthaus spielte insofern eine Rolle, als ohne Hausbesitz eine Zugehörigkeit zum städtischen Bürgertum faktisch kaum möglich war. Für die Markenführung war die Bindung an die Immobilie jedoch völlig bedeutungslos. 34 Exemplarisch ist der Fall des Kölner Bürgers Peter Rinck, der zunächst die Marten seines Vaters führte um später auf ein selbstentworfenes Wappenbild zu wechseln. Diese Neudefinition von Repräsentation ist anhand der Kunststiftungen, die er und sein Vater tätigten, gut zu rekonstruieren. Vgl. W OLFGANG S CHMID , Stifter und Auftraggeber im spätmittelalterlichen Köln (Veröffentlichungen des Kölnischen Stadtmuseums, 11), Köln 1994, S. 63-157. 40 Kathrin Stutz <?page no="40"?> Abbildung 1 Detailaufnahme der Chorschranke der Gewandschneiderkompagnie in der St. Nikolaikirche, Südseite, in Stralsund. (Kathrin Stutz) 41 <?page no="41"?> Abbildung 2 Das Siegel Hinrik Leverinks aus einer Urkunde des Stadtarchivs Stralsund (StU StAS 0794, 25. Juni 1427, S. Nr. 3). 42 <?page no="42"?> Ein Bürger und seine Zeichen. Hausmarken und Wappen in den Tagebüchern des Kölner Chronisten Hermann Weinsberg Der Kölner Chronist Hermann Weinsberg (1518-1597) hinterließ eine umfangreiche Familienchronik, in der sich nahezu alle Facetten der Kölner Politik, Gesellschaft, Kunst und Kultur seiner Zeit widerspiegeln. Sein Großvater Gottschalk entstammte einer kleinbäuerlichen Familie aus der Gegend von Schwelm und war nach Köln zugewandert. 1491 konnte er das Haus Weinsberg erwerben. Er verkörpert den Typ des erfolgreichen Neubürgers, dem durch Getreidehandel, Färberei und Brauerei, nicht zuletzt auch durch Heirat der Aufstieg zum angesehenen Hausbesitzer, Ratsherrn und Kirchmeister von St. Jakob gelungen war. Sein Sohn Christian trat 1505 in das väterliche Geschäft ein, betrieb Wein- und Getreidehandel, Bierbrauerei sowie Tuchfärberei und Farbhandel. Auch er war Mitglied der Gaffel Schwarzhaus, die ihn von 1517 bis 1541 mehrmals in den Rat wählte. Hermann Weinsberg wurde 1518 geboren und besuchte ab 1531 die Schule der Fraterherren in Emmerich. 1534 immatrikulierte er sich an der Kölner Universität, an der er 1543 das juristische Lizentiat erwarb. Im gleichen Jahr wählte ihn die Gaffel Schwarzhaus erstmals in den Rat. Weinsberg lebte von Renteneinkünften und Weinhandelsgeschäften, von der Bekleidung städtischer Ämter und von kleineren Prozessen. Seine erste Ehe ging er 1548 mit der Tuchhändlerwitwe Weisgin Ripgin ein; sie starb 1557. Danach heiratete er Drutgin Bars, ebenfalls eine Geschäftsfrau. Die für ihn wenig erfreuliche zweite Ehe dauerte bis 1573. Bis zu seinem Tod 1597 lebte er mit einer verwitweten Schwester, einem Bruder und einem Neffen zusammen. 1 1 S TEPHAN P ASTENACI , Erzählform und Persönlichkeitsdarstellung in deutschsprachigen Autobiographien des 16. Jahrhunderts. Ein Beitrag zur historischen Psychologie (Li teratur - Imagination - Realität 6), Trier 1993; B IRGIT S TUDT , Der Hausvater. Haus und Gedächtnis bei Hermann von Weinsberg, in: Rheinische Vierteljahrsblätter 61 (1997), S. 135-160; Haus und Familienbücher in der städtischen Gesellschaft des Spätmittel alters und der frühen Neuzeit, hrsg. v. DERS . (Städteforschung A 69), Köln u. a. 2007; G ERHARD F OUQUET , Ein privates Milieu im 16. Jahrhundert. Familie und Haushalt des Kölners Hermann Weinsberg (1518-1597), in: »Vom rechten Maß der Dinge«. Beiträge zur Wirtschafts und Sozialgeschichte. Festschrift Harald Witthöft (Sachüberlieferung 43 W OLFGANG S CHMID <?page no="43"?> Wolfgang Schmid Die Weinsberg-Tagebücher bilden ein Kaleidoskop sämtlicher Bereiche der Kulturgeschichte des ausgehenden 16. Jahrhunderts. Phänomene des sozialen Aufstiegs und Niedergangs werden ebenso thematisiert wie Fragen der Stadtverfassung, der europäischen Politik und das Verhältnis von Bürgern, Klerikern und Adeligen. Sein Haus und seine Familie, für die er eine Herkunfts- und Abstammungslegende entwickelte, waren Weinsberg außerordentlich wichtig. Porträts, Stifterbilder und Wappen halten die Erinnerung an die Familie fest. Weder der Stammhaus-Gedanke noch seine genealogischen Fiktionen waren sonderlich originell - sie verweisen auf Vorbilder in der höfischen Kultur seiner Zeit. 2 Deshalb wird man auch Weinsbergs Aufzeichnungen über sein Wappen und die Hausmarke seiner Familie durchaus verallgemeinern können. Der Begriff der Hausmarke wird epochen- und länderübergreifend zur Bezeichnung unterschiedlicher Phänomene benutzt. 3 In den Städten des 14.- 16. Jahrhunderts lassen sich zahlreiche » Hausmarken « nachweisen, doch besaßen diese recht unterschiedliche Funktionen: Sie konnten einerseits eine Haus- oder Hofmarke darstellen, mit der mobiler und immobiler Besitz sowie dessen Grenzen gekennzeichnet wurde, aber auch als erbliches und und Geschichte 27), Siegen 1996, S. 347-79; G REGOR R OHMANN , Der Lügner durchschaut die Wahrheit; Verwandtschaft, Status und historisches Wissen bei Hermann von Weinsberg, in: Jahrbuch des Kölnischen Geschichtsvereins 71 (2000), S. 43-76; G ERD S CHWERHOFF , Verklärung und Untergang des Hauses Weinsberg - eine gescheiterte Geltungsgeschichte, oder: Vom glücklichen Überlieferungs-Zufall eines Ego-Dokuments aus dem 16. Jahrhundert, in: Kloster - Stadt - Region. Festschrift für Heinrich Rüthing (Historischer Verein für die Grafschaft Ravensberg, Sonderh. 10), Bielefeld 2002, S. 65-86; Hermann Weinsberg (1518-1597). Kölner Bürger und Ratsherr. Studien zu Leben und Werk, hrsg. v. M ANFRED G ROTEN (Geschichte in Köln, Beih. 1), Köln 2005; Die autobiographischen Aufzeichnungen Hermann Weinsbergs. Homepage des Projekts (http: / / www.weinsberg.uni-bonn.de) mit unvollständiger Bibliographie. 2 G ERT M ELVILLE , Vorfahren und Vorgänger. Spätmittelalterliche Genealogien als dynastische Legitimation zur Herrschaft, in: Die Familie als sozialer und historischer Verband. Untersuchungen zum Spätmittelalter und zur frühen Neuzeit, hrsg. v. P ETER -J OHANNES S CHULER , Sigmaringen 1987, S. 203-309; K ILIAN H ECK , Genealogie als Monument und Argument. Der Beitrag dynastischer Wappen zur politischen Raumbildung der Neuzeit (Kunstwissenschaftliche Studien 98), München 2002. 3 Zu den Kölner Hausmarken und denen anderer Städte bereitet der Verfasser eine größere Studie vor, so daß hier wenige Nachweise genügen. Immer noch grundlegend: K ARL G USTAV H OMEYER , Die Haus- und Hofmarken, 2. Ausg. Berlin 1890, Ndr. Aalen 44 <?page no="44"?> Ein Bürger und seine Zeichen mobiles Familienzeichen benutzt werden. Eine häufig verwendete Form stellten die Handelsmarken dar, mit denen Handelsware, aber auch Gegenstände aus dem Besitz einer Familie gekennzeichnet wurden. Von ihrer Form her sind Haus- und Handelsmarken wesentlich einfacher als Wappen gestaltet, sie sind monochrom und setzen sich aus geraden bzw. gewinkelten Strichen zusammen. Sie können Buchstaben zeigen, aber keine Bilder. Im 16./ 17. Jahrhundert wurden sie zunehmend komplizierter und vermehrt mit Initialen kombiniert. Die Forschung hat bei der Beschreibung der unterschiedlichen Funktionen von » Hausmarken « vielfach wenig differenziert, denn Steinmetzzeichen, die Beschauzeichen der Goldschmiede oder Notariatszeichen sind von ihren Aufgaben her gesehen nur bedingt miteinander vergleichbar. Der Terminus » Hausmarke « ist somit ein recht unscharfer Oberbegriff für eine ganze Reihe unterschiedlicher Phänomene. Deshalb konzentrieren sich die folgenden Überlegungen auf eine Kölner Quelle des 16. Jahrhunderts und versuchen, die verschiedenen Zeichen in ihren praktischen Funktionszusammenhängen, ihren räumlichen Kontexten und vor ihrem sozial- und frömmigkeitsgeschichtlichen Hintergrund zu analysieren. An Vorarbeiten kann man für Köln auf verschiedene Sammlungen verweisen, die eine Vielzahl von Haus- und Handelsmarken zusammengetragen haben. Dadurch sind Identifizierungen überhaupt erst möglich, eine Deutung wird aber erschwert, weil die Marken aus ihren Funktionszusammenhängen gelöst wurden. 4 1967; H ERBERT S PRUTH , Die Hausmarke. Wesen und Bibliographie (Aktuelle Themen zur Genealogie 4/ 5), Neustadt 1960; LexMA, Bd. 4, Sp. 1973-74; HRG, Bd. 1, Sp. 2034- 35 und Sp. 1960-64 (Handgemal). K ARIN C ZAJA , Hausmarken. Praxis und Genese, in: Das Siegel. Gebrauch und Bedeutung, hrsg. v. G ABRIELA S IGNORI , Darmstadt 2007, S. 175-9; vgl. auch den Beitrag von Kathrin Stutz in diesem Band. 4 B RUNO K USKE (Hrsg.), Quellen zur Geschichte des Kölner Handels und Verkehrs im Mittelalter (Publikationen der Gesellschaft für Rheinische Geschichtskunde 33), 4 Bde., Bonn 1917-1934, Ndr. Düsseldorf 1978, Bd. 3, S. 366-86; G ERTRUD S USANNE G RAMULLA , Handelsbeziehungen Kölner Kaufleute zwischen 1500 und 1650 (Forschungen zur internationalen Sozial und Wirtschaftsgeschichte 4), Köln 1972, S. 503-11; C LAUDIA S CHNURMANN , Kommerz und Klüngel. Der Englandhandel Kölner Kaufleute im 16. Jahrhundert (Veröffentlichungen des Deutschen Historischen Instituts London 27), Göttingen 1991, S. 268-81. 45 <?page no="45"?> Wolfgang Schmid 1. Von der Hausmarke zum Wappen 1541 raffte die Pest sechs Schöffen des erzbischöflichen Hochgericht in Köln dahin; sechs Personen wurden zu ihren Nachfolgern gewählt. Einer von ihnen, Johann Bruck, war ein Schwager Weinsbergs. Dieweil auch jeder scheffen ein zirlich wapen und siegel moist haben und Johan van Dutz nit dan ein sclecht mirk hatte, hab ich im ein hubsch wapen geben: stande balken, sint oben bla, unden weis, etliche unden bla, oben weis, wie er das noch heutichtags mit sinem helmzeichen furt; und stunde wol, wart von menichlich gelobt, und ich war heirin sin keiser, dan das gelt sparte er in dissem fall, das er kein schilt am keiser dorft erwerben. 5 Mit der Standeserhöhung zum Hochgerichtsschöffen genügte dem Salpetermacher, Kleinhändler und Mitglied der Brauerzunft die einfache Haumarke (sclecht mirk) nicht mehr, es war ein Wappen erforderlich, das gleich auch in ein Siegel gestochen wurde. Einen Wappenbrief konnte man beim Kaiser erwerben - eine ganze Reihe sind im Kölner Haupturkundenarchiv erhalten - oder einfach von einem Bekannten, der die Regeln der Heraldik beherrschte, entwerfen lassen; dazu gehörte auch die Zeichnung des Helmkleinods. Mit der größten Selbstverständlichkeit wurde so eine Hausmarke durch ein Wappen ersetzt. Der Vorgang hat in Porträts seine Parallelen, die ebenfalls bei Statusveränderungen (Heirat, akademischer Abschluss, Bürgermeisterwahl) dazu genutzt wurden, die neu erworbene Position zu dokumentieren. 6 Allerdings ist auch der offizielle Weg nachzuweisen: Besonders stolz war Weinsberg auf einen Verwandten, den aus einer Kölner Familie stammenden Augsburger Goldschmied Bartholomäus Keppel, dessen 5 K ONSTANTIN H ÖHLBAUM / F RIEDRICH L AU / J OSEF S TEIN (Bearb.), Das Buch Weinsberg. Kölner Denkwürdigkeiten aus dem 16. Jahrhundert (Publikationen der Gesellschaft für Rheinische Geschichtskunde 3, 4, 16), 5 Bde., Leipzig 1886-1926 [im folgenden BW Bd. 1], S. 157-58, zur Person Bd. 5, S. 205-6; W ILHELM E WALD , Rheinische Heraldik (Rheinischer Verein für Denkmalpflege und Heimatschutz 27,2), Düsseldorf 1934, S. 29-36. 6 W OLFGANG S CHMID , Kölner Renaissancekultur im Spiegel der Aufzeichnungen des Hermann Weinsberg (1518-1597) (Veröffentlichungen des Kölnischen Stadtmuseums 8), Köln 1991, S. 27-8. 46 <?page no="46"?> Ein Bürger und seine Zeichen Familiengeschichte er ausführlich erzählt. Dieser hatte tatsächlich vur sich und sine broder ein wapen vom keiser erworben, das der Chronist stolz beschreibt. 7 2. Formen bürgerlicher Repräsentation im kirchlichen Bereich Weinsbergs Beziehungen zu geistlichen Institutionen konzentrierten sich auf seine Pfarrkirche St. Jakob - unser motterkirch und des haus Weinsbergs bedehuis 8 -, das Kölner Karmeliterkloster und eine Reihe von Konventen, in die vor allem weibliche Familienmitglieder eingetreten waren. Weinsbergs Stiftungen waren alle mit seinem Wappen bzw. dem seiner Frauen gekennzeichnet. Erhalten ist die Mitteltafel eines Altarretabels, die eine Kreuzigung mit Stifterbildern zeigt; Weinsbergund seine Frau knien hinter einfachen Wappenschilden ohne Helmdecke und Kleinod. Aus seinen Aufzeichnungen erfahren wir, daß es sich bei den dargestellten Personen um versteckte Porträts handelt und daß die Kreuzigung im Sinne einer individuellen Frömmigkeit gedeutet wurde. 9 Weinsbergs Vater starb 1549, seine Mutter 1575. Im Auftrag der Miterben ließ Hermann 1577 ein neues Fenster für die Kirche in Dormagen herstellen; es wurde 1579 geliefert. Fatter selich knehet mit sinen 4 sonen, motter selige mit iren 7 dochtern mit iren schilten vor sich. 33 ½ Fuß buntes und weißes Glas kosteten 16 Gulden. Der Anlass für die Stiftung wird nicht genannt, möglicherweise spielte eine Rolle, daß Weinsberg und seine Geschwister in den 1570er Jahren - kurz vor bzw. nach dem Tod der Mutter - auch Fenster für St. Jakob zum Andenken an ihre Eltern gestiftet haben. 10 7 BW, Bd. 1, S. 226-27. Vgl. auch Bd. 5, S. 452-53. Zur Person vgl. S CHMID , Renaissancekultur (wie Anm. 6), S. 172-75. 8 BW, Bd. 5, S. 260. 9 S CHMID , Renaissancekultur (wie Anm. 6), S. 17-68, zum Altar S. 25-34. 10 BW, Bd. 5, S. 144. In Dormagen wird 1592 ein Fenster erneuert, wegen des Krieges nur ganz einfach: Diss war sclecht ohn gebrant gelass gemacht mit zwien ronden, da in einem ein quateirt wapen fatters und motters stunde mit dem sparkle und drei sternen im balken … In der ander ronden stunde das Weinsbergs wapen mit dem helmzeichen, BW, Bd. 5, S. 363. Ob mit dem quateirt wapen ein gevierter Schild gemeint ist? 47 <?page no="47"?> Wolfgang Schmid 1573 den 10 aug. hab ich meister Henrich Brun glassworter van den 3 finster uff s. Hupert-leufen in dem capelgin zu s. Jacob 11 ½ gl. curr. geben; die ein finster hab ich altfrens laissen zurusten van der alter finster der hilliger 3 konink, die unden in der kirchen plach zu stain, und in mins fatters und motter namen laissn machen; die finster mit der geburt und das klein finster uff das cloister zu sehen hab ich in minem namen geben. 11 Die Fenster waren für die Hubertuskapelle auf der Empore der Kirche bestimmt, eines ließ Weinsberg altfrens (gotisch) machen, damit es besser zu dem alten Dreikönigsfenster passte. Mit dem Hinweis, er habe das Fenster im Namen seiner Eltern gestiftet, meinte er, daß Wappen oder Inschriften das Fenster als Stiftung seiner Eltern auswiesen. Die anderen beiden Fenster ließ er mit seinem Namen bzw. Wappen kennzeichnen. 1574 wurden die Scheiben für St. Jakob geliefert: In der eirster stunt ich mit minen beiden hausfrauen in einem park oder halfschit und min swager seliger Peter Ordenbach umblauf in der ander halfschit mit miner suster Marien und iren kindern. Auf dem zweiten Fenster waren Stifterbilder von seinem Schwager Johann Brück van Deutz mit Frau und Kindern angebracht, auf der anderen Seite die seines verstorbenen Bruders Christian mit Frau und Kindern. Das dritte Fenster teilten sich sein Bruder Gottschalk und sein Schwager Konrad Eck, das vierte zwei andere Kirchmeister mit ihren Frauen. 12 Die Geschwister hatten sich und ihren Familien ein gemeinsames Gedenkzeichen gesetzt und damit auch an den 1564 verstorbenen Bruder Christian erinnert; auch seine beiden 1557 und 1573 gestorbenen Frauen wurden dargestellt. Einige Geschwister fehlen auf den Fenstern, sie waren schon als Kinder gestorben. Ebenso fehlt jeder Hinweis auf die Ikonographie, aus der Beschreibung kann lediglich auf zwölf Stifterbilder geschlossen werden. Weinsberg war mit der Arbeit zufrieden: waren gar schoin gemacht, unse drei finstern stunden bei 50 gl. currentz geltz. 13 1582 berichtet der Chronist von einer weiteren Fensterstiftung für St. Jakob: Zu Ehren ihrer Verstorbenen haben Mitglieder der Familie Hersbach: 11 BW, Bd. 2, S. 261. 12 BW, Bd. 5, S. 97. 13 BW, Bd. 5, S. 97, Bd. 2, S. 275. 48 <?page no="48"?> Ein Bürger und seine Zeichen iren eltern und brudern und sustern so verstorben zu gedechtnis und eren in stat eines epitaphii und gedechtmals eine hubsche glasfinster zu s. Jacob uffen s. Catharinen altar gegeben ... darin der eltern biltnissen mit iren wapen und iren kindern, geistlichen und weltlichen, eirstes graidz abgemailt sint, wie dasselbst zu sehen ist. 14 Ein Glasfenster kann also an die Stelle eines Grabdenkmals treten, wobei die Begriffe Epitaph bzw. Gedächtnismal weiter gefaßt sind, da sie auch ein in Worten ausformuliertes schriftliches Gedächtnis enthalten können. 15 Die Glasfenster zeigen Stifterbilder der Eltern und ihrer Kinder, identifiziert durch eine standesspezifische geistliche oder weltliche Tracht und durch Wappen. Ob auf dem Fenster noch ein Heiliger dargestellt war, wird nicht erwähnt. Es interessierte Weinsberg nicht. Worauf es ihm ankam, war die memoriale Funktion der Stiftung, das Gedächtnis seiner Familie. Der Entwurf des Fensters ging wohl auf Weinsberg zurück, denn er schreibt weiter: Dissen ansclag hab ich dem obersigler (Ludger Hersbach) vor anderthalbem jar geben und im einen patroin uff papir ingeschickt, auch meister Henrich Bruin den glasworter ingerust, der es gern befordert, also ist es zulest ins wirk gestallt, dieweil disse van der cognation secundariae waren und die motter das wapen Weinsberch fuirt und mit iren sonen und enkeln zum teil daselbst begraben lach, war in diss umb ein kleine kost, dweil sei rich waren, gut zu machen. 16 Daß die Entwürfe für das Fenster und das Siegel auf den Auftraggeber zurückgehen, ist methodisch ebenso von Interesse wie die Tatsache, daß mehrfach Kunstwerke mit Stifterbildern und Wappen von den Erben bestellt wurden, wohingegen die kunsthistorische Forschung gerne nach den Lebensjahren der Stifter datiert. 14 BW, Bd. 5, S. 195-96. 15 F IDEL R ÄDLE , Epitaphium - Zur Geschichte des Begriffs, in: Epigraphik 1988. Fachtagung für mittelalterliche und neuzeitliche Epigraphik Graz, hrsg. v. W ALTER K OCH (Österreichische Akademie der Wissenschaften, phil. hist. Kl., Denkschriften 213), Wien 1990, S. 306-10. 16 BW, Bd. 5, S. 196. 49 <?page no="49"?> Wolfgang Schmid Oftmals wurden Grabsteine in Auftrag gegeben, z. B. 1547 für die Tante Margarete Kuckelmans 17 , 1551 wurde der Grabstein des Großvaters erneuert 18 , 1556 der Grabstein für den Vater angefertigt, dessen Inschrift Weinsberg ebenso notiert wie den Preis 19 , ebenso 1568, als er für seine Schwester einen Grabstein in Auftrag gab. 20 1573 ließ er für seine Ehefrau einen Grabstein anfertigen, der ihr Familiengrab in der Laurentiuskirche bedeckte. 21 Es läßt sich also festhalten, daß in der Kirche mit Inschriften, Stifterbildern und Wappen an die Verstorbenen erinnert wurde, nicht aber mit Hausmarken, die in diesem Kontext als eine Beglaubigung zweiter Klasse erscheinen. Zu den Funktionen der Bilder gehörte in jedem Fall auch ihre Rezeption, ihre Betrachtung durch die Nachwelt mit dem Ziel eines geistlichen wie weltlichen Totengedenkens - zu gedechtnis und eren, wie Weinsberg schrieb. Um nur ein Beispiel herauszugreifen: Anlässlich eines Besuchs in der Abtei St. Pantaleon erwähnt Weinsberg 1581 das gemeils an der want van groissen bildern, wie sie vormails gewesn in irer kleidong, den abt Luninck mitten sitzen und zu beiden seiten bei zwelf man van lehen, scheir alle von den alten gesclechten, in der cronincken stainde, oben den heupten jedes wappen, die alle lange verstorben gewesen. 22 Dargestellt waren zwölf Männer van lehen. Der Hinweis auf die früher getragene Kleidung deutet wohl auf weltliche Personen. Weinsberg meint, sie seien von alten gesclechten, die seit langem ausgestorben seien. Er kennt ihre Wappen aus einer Chronik. Sollten damit die Wappendarstellungen in der Koelhoff’schen Chronik von 1499 gemeint sein, von der Weinsberg ein Exemplar besaß? 23 In diesem Falle würde es sich bei den alten gesclechten um Familien des 1396 gestürzten Patriziats handeln. 17 BW, Bd. 1, S. 261: ir wapen und namen darauf laissen hauwen. 18 BW, Bd. 1, S. 352-53, vgl. S. 143-44 u. Bd. 2, S. 37: mit wapen und umbschrift. 19 BW, Bd. 5, S. 17: laissen hauwen das wapen und schrift. 20 BW, Bd. 5, S. 66, 178-59, Bd. 2, S. 168: mit wapen und umbschrift. 21 BW, Bd. 5, S. 92: hab ich den stein […] zirlich laissen mit wapen hauwen. Ir fatter, motter, man, kinder. liegen alle darinnen, der wapen und min wapen stein mit druff. 22 BW, Bd. 3, S. 90-1. 23 Die Cronica van der hilliger Stat van Coellen, Faksimileausgabe Köln 1972, vor fol. LIX; BW, Bd. 5, S. XVIII. 50 <?page no="50"?> Ein Bürger und seine Zeichen Weinsberg war wie sein Vater Mitglied der Färbergaffel Schwarzhaus. 1543 erwähnt er, im Zunfthaus seien van alten zeiten noch Wappen bedeutender Besucher aufgehängt gewesen, z. B. der Grafen von Virneburg, Sayn und Neuenahr, mehrerer ritterbürtiger Geschlechter und alle die Wasserfassen, davon 4 burgermeister gewesen. 24 Nicht nur in Gasthäusern 25 , sondern auch in Kirchen, Rathäusern und Zunfthäusern wurden die Wappen der Mitglieder aufgehängt. 1543 besitzt die Gaffel Schwarzhaus u. a. eine schilttaiffel mit alten schilden und ein Buch, in das die Namen ihrer Mitglieder geschrieben sind. 26 1572 benötigte der Bruder Christian ein Zeugnis über die eheliche und ehrliche Geburt seiner Kinder; es wurde von der Gaffel Schwarzhaus besiegelt, in der schon seine Vorfahren Mitglieder waren: dan da haben ire schilder gehangen. 27 1575 mietete die Gesellschaft das neue Schwarzhaus auf 24 Jahre, für den Saal wurden von den Mitgliedern neue (Wappen-)Fenster gestiftet, darunter eines von Hermann Weinsberg und eines von seinem Bruder Gottschalk. 28 1593 zog die Gaffel in ein anderes Haus. Die Fenster mit Wappen wurden dem neuen Besitzer verkauft bzw. geschenkt, sie sollten zu Ehren der Gesellschaft im Haus bleiben. 29 3. Bürgerliche Repräsentation im Wohnhaus Im Mittelpunkt von Weinsbergs Interesse stand jedoch sein Wohnhaus. Über seine Stammhauspläne, über die Verbindungen des Hauses zu seiner Familie, über die Nachbarn, das Leben im Jahreslauf im Hause Weinsberg, über dessen Ausstattung, über die Ein- und Ausgaben sind wir bestens informiert. 30 Hier stellen seine Aufzeichnungen ein wichtiges Korrektiv zu 24 BW, Bd. 1, S. 194-95; M ANFRED G ROTEN , Gerhard vom Wasservas (um 1450-1520), in: Jahrbuch des Kölnischen Geschichtsvereins 52 (1981), S. 93-130. 25 E RNST G ROHNE , Die Hausname und Hauszeichen. Ihre Geschichte, Verbreitung und Einwirkung auf die Bildung der Familien- und Gassennamen, Göttingen 1912, S. 84- 5. 26 BW, Bd. 5, S. 274. 27 BW, Bd. 5, S. 86. 28 BW, Bd. 2, S. 314. 29 BW, Bd. 5, S. 379. 30 W OLFGANG H ERBORN , Fast, Fest und Feiertage im Köln des 16. Jahrhunderts, in: Rheinisches Jahrbuch für Volkskunde 25 (1983-1984), S. 27-61; D ERS ., »Straßen wie diese«. Zum Alltagsleben einer Kölner Straße im 16. Jahrhundert, in: Geschichte in Köln 15 (1984), S. 6-36; S CHMID , Renaissancekultur (wie Anm. 6), S. 69-131. 51 <?page no="51"?> Wolfgang Schmid dem Bild dar, das sich für die Kölner Familien des 15. Jahrhunderts vor allem aus urkundlichen Quellen gewinnen läßt. Diese konkurrierten nicht nur bei Privatbzw. Firmenkapellen miteinander, sondern auch mit prachtvollen Wohnhäusern mit hohen Treppentürmen; freilich wissen wir über das Aussehen und die Ausstattung dieser Stadthöfe kaum etwas. In Weinsbergs Aufzeichnungen findet man dagegen den gesamten Hausrat. Besonders gerne verweist er auf Wappen, die auf Wandmalereien ebenso angebracht waren wie auf Porträts, Textilien und dem Tafelsilber. Selbst Siegburger Steinzeug trug Wappen: 1576 verschenkte Weinsberg 12 kleiner und 4 groisser Sibergsche weinpott mit minem wapen gebacken. 31 Die Trinkgefäße konnte mit Wappen versehen gekauft werden, und sie wurden mit diesem Wappen - das eigentlich bei Hausrat wie ein Monogramm auf Bestecken oder der Tischwäsche Eigentumsverhältnisse deutlich macht - verschenkt. 1581 erwähnt Weinsberg kussen mit dem Weinsbergs wapen 32 und 1583 die groissen kussen mitten mit dem swartzen sparkle im weissen gezeirt. 33 Sein Wappen hatte er - so berichtet er - von seinem Vater geerbt. Es zeigte in einem sneweissen schilde ein swarzer spar mit dreien swarzen kleblatteren, uff dem helm ein guldin croin, darin ein zersnitten heubtmans rechter arm, in der faust einen bonten kluppel haltende. 34 Über die Deutung seines Wappens und dessen Verbindungen zum Hause Weinsberg äußert er sich an vielen Stellen, er stellt Verbindungen zur Geschichte - Sage der Weiber von Weinsberg - wie auch zur Bibel - Gleichnis vom Weinstock (Joh 15, 1-16) - her, welche seine nicht eben bedeutende Familie in große historische und heilsgeschichtliche Zusammenhänge einordnen (Abb. 1). Im Folgenden seien einige Nachrichten über Fenster, genauer, über Wappenscheiben, herausgegriffen. 1529 nahm Weinsbergs Vater einen Umbau des Hauses Weinsberg vor. Unter anderem ließ er die glasfinster mit den wapen und mirker unden in die kamer, oben uff den sail und sclaifkamer boven der stoffen und unden in die stoffen machen. 35 Christian Weinsberg verwendete hier also parallel das Wappen und die Hausmarke der Familie. 1538 hat sein Onkel Peter Hersbach sein Haus zum Hollender ... affgeworpen und hat es schoin und neu widder uffgebaut uff groisse kosten. Weinsbergs Vater hatte ihm 31 BW, Bd. 5, S. 103. 32 BW, Bd. 5, S. 190. 33 BW, Bd. 5, S. 222. 34 BW, Bd. 1, S. 18. 35 BW, Bd. 1, S. 60. 52 <?page no="52"?> Ein Bürger und seine Zeichen zwar geraten, stattdessen ein anderes Haus zu erwerben, aber der Onkel hatte lust zu bauwen. 36 Zu einem aufwendigen Bau gehörten entsprechende Fenster: Es worden schone finster ins haus gemacht mit den wapen; mines ohem wapen war ein hirz in einer bach; min moen fort mines fatters wapen, den spar mit den 3 klebletteren. 37 1567 mußte Weinsberg 6 ½ Mark an den Glasmacher Heinrich zahlen. Ohne ihn zu fragen (on min wissen) hatte sein Bruder Gottschalk für das Sommerhaus seiner Schwester ein Fenster mit Weinsbergs Wappen bestellt (mit minem wapen). 38 Wappen dienten also nicht nur dazu, das Eigentumsrecht an Fernstern deutlich zu machen, sondern auch die Urheberschaft an einem Geschenk zu dokumentieren. Ein Nachweis des Besitzes war eigentlich auch nicht erforderlich, denn der Familie gehörte ja das ganze Haus - die Wappen mussten also auch noch andere Aufgaben erfüllen. Ohne hier mit den viel beschworenen Kategorien Öffentlichkeit und Privatheit argumentieren zu wollen, erscheint bemerkenswert, daß ein Wappen an einem Kunstwerk in einer Kirche eine andere Funktion besaß als ein Wappen an einem Haushaltsgegenstand. Ersteres repräsentierte die Person des Stifters, hielt seinen Namen für die Nachwelt fest und forderte die Besucher der Kirche auf, für sein Seelenheil zu beten. Letzteres konnte Besitzverhältnisse sichtbar, aber auch den Urheber eines Geschenks namhaft machen oder auch nur Familienstolz und Standesbewußtsein zum Ausdruck bringen. Auch an den Porträts wurden Wappen angebracht, die sich ebenso an die Nachwelt richteten wie das Bild (image), das sie von dem Porträtierten überliefern sollten. 39 Ähnliches gilt für die im 16. Jahrhundert populären Bildnismedaillen. 40 36 BW, Bd. 1, S. 123-4. 37 BW, Bd. 1, S. 122-3. 38 BW, Bd. 5, S. 64. 39 Mit dem Begriff »Image« kann eine zu positivistische Sicht von Stadtansichten, Grabdenkmäler und Porträts korrigiert werden, A NDREAS K ÖSTLER , Das Portrait; Individuum und Image, in: Bildnis und Image. Das Portrait zwischen Intention und Rezeption, hrsg. v. DEMS . und E RNST S EIDL , Köln u. a. 1998, S. 9-14; B ERND R OECK , Stadtdarstellungen der frühen Neuzeit: Realität und Abbildung, in: Stadtbilder der Neuzeit, hrsg. v. DEMS . (Stadt in der Geschichte 32), Ostfildern 2006, S. 19-39. 40 H ERMANN M AUÉ , Die Anfänge der deutschen Renaissancemedaille, in: Nürnberg 1300- 1550. Kunst der Gotik und der Renaissance, Kat. Nürnberg 1986, S. 105-108; Die Renaissance-Medaille in Italien und Deutschland, hrsg. v. G EORG S ATZINGER , Münster 2004. 53 <?page no="53"?> Wolfgang Schmid Nach dem Tode seiner zweiten Frau nahm Weinsberg eine umfassende Renovierung des Hauses Kronenberg vor. 1573/ 74 wurden neue Fenster geliefert. Er zahlte dem Glasmacher Heinrich 10 Gulden 6 Albus für Fenster, wiewol mir min broder ein geschenkt. 41 1574 erwarb Weinsberg ein schoin finster für das Haus, mit minen und beider minen hausfrauwen wapen darin. 42 Obwohl Weinsbergs zweite Ehe nicht sonderlich glücklich war und sich die Auseinandersetzungen mit den Erben hinzogen, setzte er sich und seinen beiden verstorbenen Frauen hier ein Denkmal - man kann es dem Stifterbild gegenüberstellen, welches die erste und die zweite Ehefrau neben den verstorbenen und den noch lebenden Kindern zeigen. Weinsbergs Hinweis belegt darüber hinaus, daß diese Art der Verwendung von Wappen nicht nur im kirchlichen, sondern auch im häuslichen Bereich vorkam. Gemeinsam mit der Kleidung, welche neben Reichtum und Geschmack 43 auch die Zugehörigkeit zu einem bestimmten sozialen Stand zum Ausdruck brachte, ist das Familienbewußtsein und der Stolz auf die Nachkommen ein kaum zu unterschätzender Faktor - gleich zweimal hat sich Weinsberg als Stifter mit seinen beiden Ehefrauen darstellen lassen. Die Schenkung von Wappenscheiben war - wie auch die zahlreichen erhaltenen Fenster belegen - eine weit verbreitete Praxis, die nochmals die Frage nach der Funktion der Wappen aufwirft. 44 1543 richtete sich Weinsberg in seinem Elternhaus ein Studierzimmer ein. Sein Schwager Johann Deutz und sein Neffe Christian Hersbach schenkten ihm jeder ein glasfinster uff den sall. 45 1570 verehrte Weinsberg seinem Neffen Ludger Hersbach eine Wappenscheibe: 41 BW, Bd. 5, S. 93. 42 BW, Bd. 2, S. 274. 43 B ODO B RINKMANN / W OLFGANG S CHMID , Bildung, Reichtum, Luxus und Geschmack. Parameter für die Kunst der Holbeinzeit. Eine Einführung, in: Hans Holbein und der Wandel in der Kunst des frühen 16. Jahrhunderts, hrsg. v. DENS ., Turnhout 2005, S. 1- 23. 44 H ERMANN M EYER , Die schweizerische Sitte der Fenster und Wappenschenkung vom XV. bis XVII. Jahrhundert. Nebst Verzeichnis der Züricher Glasmaler von 1540 an und Nachweis noch vorhandener Arbeiten derselben. Eine kulturgeschichtliche Studie, Frauenfeld 1884; H EINRICH O IDTMANN , Acht Scheiben Kölner Kleinmalerei des XVI. Jahrhunderts, in: Zeitschrift für christliche Kunst 23 (1910), Sp. 363-72; S CHMID , Renaissancekultur (wie Anm. 6), S. 112-6. 45 BW, Bd. 1, S. 191. 54 <?page no="54"?> Ein Bürger und seine Zeichen hab ich mester Henrich glasworter uff der Hoeportzen bezalt 3 gl. vur die finster, wilche ich minem neifen, her Lutgero Heresbachio LL. licentiato, scholastico s. Severini, in sin behausung oben an der Bosgassen, darin er wonte, geschenkt hab mit minem wapen. 46 Zum Jahre 1582 enthalten Weinsbergs Aufzeichnungen einen aufschlußreichen Bericht über eine Wappenscheibenschenkung von Köln nach Worms. Weinsberg berichtet davon im Zusammenhang mit einer Reise seiner Neffen Gottschalk und Peter Ordenbach. Gottschalk wollte zur Frankfurter Messe, Petrus nach Worms, wo der dritte Bruder, Christian, als Kanoniker lebte. 47 Disse beide gebroder haben sex ronden mit wapen hinuffgenomen, die in her Christians Ordenbachs neuwer stobenfinstern sulten stain. Dan wie min neif im verlitten mei bei dem dechen zu Worms gewesen, hat er in vertroist, ich min Herman von Weinsberch der jong, sin ohem der lic. Weinsberch und sin moen Sibilla Weinsberch wurden im mallich (jeder) ein ronde schenken, und als er uns das angesagt, haben mir zwa ronden laissen machen, darin stunt min und miner frawen Weisgin Ripgins wapen, hat mit dem korfgin 40 alb. gekost. Item suster Sibilla, darin stunde irs fatters und motters Sophien Korten wapen, hat 6 mr. gekost. Nuhe in der eil hat min suster Marie ein mit 2 wapen, item her Christian und her Tilman under in beiden ein mit 2 wapen, item Gotschalk und Peter derglichen ein ronde, item Herman und Gotschalk van Weinsberch ein mit 2 wapen, alle sex mit helmen; haben ingepacht und mit hinauf getragen, ist gescheit uis guter fruntschaft und gedechtnis, off emans van den frunden dahin queim, das im sulches ein anzeig were. Also hat Wormbs die stat auch die wapen Weinsberg, da man sie in der decheneien zu unser l. frawen het zu finden, mogen noch vil jar da stain bliben mit unsen sparkle swartz im weissen. 48 Weinsbergs Eintrag läßt auf ein älteres Versprechen, die Scheiben zu schenken, schließen. Im Juli 1582 erfahren wir aus einem Brief an seinen Neffen, daß der Plan Gestalt angenommen hatte: hab auch im angezeigt, das min suster Sibilla und ich jeder ein ronden mit unsen wapen machen leissen, die wulten mir 46 BW, Bd. 5, S. 81, vgl. Bd. 2, S. 210. 47 BW, Bd. 5, S. 126-7, 510. 48 BW, Bd. 5, S. 213. 55 <?page no="55"?> Wolfgang Schmid im in sin neu stoif schenken. 49 Im August 1582 schickte er die Scheiben dann nach Worms. Als Motive für die Schenkung nennt er fruntschaft und gedechtnis. An anderer Stelle hieß es: zu gedechtnis und eren. Die Familie möchte freundschaftliche und verwandtschaftliche Beziehungen pflegen und darüber hinaus die Möglichkeit nutzen, ihr » Gedächtnis « zu sichern. Dieses Motiv führte Weinsberg dann noch näher aus: Es freute ihn, daß sein Wappen und die seiner Familie - jetzt sogar mit Helmen und Kleinodien geschmückt - auch in der Stadt Worms vertreten waren, und er wünschte sich, daß sie lange Bestand haben mögen. Die angestrebten Adressaten waren hier - neben dem Beschenkten - die frunde, Bekannte und Verwandte, die irgendwann nach Worms kommen und sich freuen, wenn sie die Wappen ihrer Familie sehen. Weinsbergs Bericht über die Wappenschenkung von Köln nach Worms ist für verschiedene Fragestellungen aufschlußreich: Empfänger war ein Mitglied der Familie, das Kanoniker in Worms geworden war. Darüber hinaus hatte die Familie auch über die Frankfurter Messen und über einen weiteren Verwandten, den Diener eines Wormser Kaufmanns, Verbindungen zum Mittelrhein. Von Interesse ist auch ein Vergleich zwischen Weinsbergs Fensterstiftungen für St. Jakob und den privaten Fensterschenkungen: In beiden Fällen sollten die Fenster in erster Linie das Andenken an ihre Auftraggeber bewahren. Erwähnenswert ist für Weinsberg dann noch der Preis, nicht aber, was auf den Fenstern dargestellt war. Sieht man davon ab, daß Kirchenfenster in der Regel größer und somit teurer waren als Fenster für Wohnhäuser, dann erwecken Weinsbergs Aufzeichnungen auch hier den Eindruck, als habe es zwischen kirchlichen und weltlichen Glasmalereien von der Funktion her gesehen zahlreiche Gemeinsamkeiten gegeben. 4. Die Hausmarke der Familie Weinsberg Am Neujahrstag 1582 berichtet Weinsberg von einer großen Familienfeier. Uff den newjarstag pleicht nach seir altem brauch ein frunt dem andern ein fruntschaft zu schenken und damit ein zukunftlich gluckselich newjar zu wunschen. Er betont seine Armut und beklagt die Kosten für den Wein. Dann erinnert er daran, dass auch die Pfarrer zum neuen Jahr nur eine Botschaft aus der Heiligen Schrift verkünden und beschloß: Ich aber will in ir eigen mirk - zum newn 49 BW, Bd. 5, S. 201. 56 <?page no="56"?> Ein Bürger und seine Zeichen jar geben. 50 Es folgt eine genaue Beschreibung: Eine durch zwei Kreuze zerlegte waagerechte Linie, in deren Mitte senkrecht ein Kreuz steht. Die Hausmarke ist ein Erbstück von Seiten des Großvaters: Disses mirk hat Gotschalk van Weinsberch min ancher uff sinen wein- und beirrfassen gereitzt und gebraucht neben sinem wapen - so erfahren wir beiläufig, daß nicht nur der Vater, sondern bereits der Großvater ein Wappen führte und daß dieses über drei Generationen hinweg parallel zur Hausmarke benutzt wurde. Der Vater Christian habe die Hausmarke an Waidballen, Weinfässern und andern Waren angebracht. Zur Unterscheidung hatte Gottschalk eine Eichel, sein Vater Christian ein » R « angebracht, während Hermann zusätzlich ein » H « verwendete. Sein Bruder Christian nahm ein » C « , der andere Bruder Gottschalk ein » G « (Abb. 2). Der Bruder Hieronymus habe es selten verwendet, die Schwestern gar nicht, denn ihre Männer hätten neben ihrer eigenen Hausmarke das Wappen (! ) Weinsberg angebracht. Die Hausmarke hätte der künftige Hausvater auf verschiedene Art und Weise zu gebrauchen, doch nit zu nachteil und verkleinerung des wapens mit dem swartzen sparkle; hier zeigt sich eine eindeutige Hierarchie der Zeichen! Man könne die Hausmarke auf einem Wimpel über dem Haus anbringen, in Fässer ritzen oder auf Ballen zeichnen, man könne aber auch Christus daran malen oder schnitzen und ihn mit Weinreben, Trauben und Blättern verzieren. Dieses Bild könnte man auch auf einen Pfennig gießen und um den Hals hängen. Weinsbergs Gedenkbuch enthält sowohl eine Zeichnung des Wimpels auf dem Dach des Hauses als auch Entwürfe für kleine Medaillons. Über den Christus am Kreuz und die Weinreben unterstreicht Weinsberg die christologische Deutung seiner Hausmarke, die in ähnlichen Darstellungen des Hauses Weinsberg im Zusammenhang mit dem Gleichnis vom Weinstock ihre Parallelen findet. Die Hausmarke selbst wird auch in diesem Sinne ausgelegt, sie verweist auf Christi Opfertod, durch welchen den Gläubigen der Himmel erworben wird, was ein passendes Neujahrsgeschenk darstellt. Es sind außerdem drei Kreuze, von denen das aufrecht stehende die Herkunft Christi vom Himmel sowie das linke und das rechte die glückliche bzw. die widerwärtige Seite des Lebens symbolisieren. Die Familie Weinsberg führte also über drei Generationen hinweg ein Wappen und eine Hausmarke, wobei das Wappen als das höherwertige Repräsentationszeichen angesehen wurde und die Hausmarke primär dazu 50 BW, Bd. 5, S. 193-5; A[ LOYS ] M EISTER , Eine Kölner Hausmarke, in: Annalen des Historischen Vereins für den Niederrhein 69 (1900), S. 156-61; E WALD , Heraldik (wie Anm. 5), S. 159. 57 <?page no="57"?> Wolfgang Schmid diente, Kaufmannsware zu kennzeichnen. Dies schließt jedoch eine christologische Deutung nicht aus, die sich auf Wappen und Stammhaus-Idee beziehen lässt. Betrachten wir noch einige Passagen, in denen Hausmarken und Wappen zugleich vorkommen: Zum Jahre 1529 erwähnt Weinsberg im Haus seines Vaters glasfinster mit den wapen und mirker unden in die kamer, oben uff den sail und sclaifkamer boven der stoffen und unden in die stoffen. 51 Vater Weinsberg verwendete also nicht nur in der Kirche, sondern auch im Wohnhaus noch Hausmarke und Wappen parallel. 1556 ließ Weinsberg das Fenster, das seine Eltern für den Chor ihrer Pfarrkirche St. Jakob gestiftet hatten, verbessern, er ließ miner moder wapen den blauwen balken und drei sternen drin setzen [...] Eirst sunt ir mirk, der peil, crutzlin und kleplat darin. 52 Die » Nachbesserung « des Fensters, die ihn einen Gulden kostete, bestand darin, daß Weinsberg die Hausmarke seiner Mutter gegen ihr Wappen austauschen ließ; die Hausmarke erschien also nicht mehr adäquat, wurde gegenüber dem Wappen als minderwertig angesehen. Eine Zeichnung im Gedenkbuch zeigt den knienden Weinsberg vor einem Kreuz, das von Weinreben umgeben ist (Abb.3). Darüber ist zu lesen: Ego vitis vera vos palmites (Joh 15,5). Ein Spruchband verweist auf Galater 6,14: Mihi autem absit gloriari, nisi in cruce Domini Iesu Christi. Als Demutsformel verwendet, kommt das Bibelzitat im Zusammenhang mit mittelalterlichen Künstler- und Auftraggeberdarstellungen häufig vor; bescheiden unter bzw. im Kreuz dargestellt konnte die eigene Person in ein Kunstwerk eingebracht werden. 53 Auf der linken Seite ist Weinsbergs Wappen und am Fuße des Kreuzes seine Hausmarke angebracht. Die Darstellung Christi an einem Weinstock ist keine Erfindung Weinsbergs, sie steht im Rheinland in einer langen Tradition. 54 Neu an seiner Bildkonzeption ist aber die etymologische Verbindung mit seinem Familien- und Hausnamen, wodurch er Christus zu seinem Hauspatron machte, wozu sicherlich auch die christologische Deutbarkeit der zudem am Kreuzesfuß angebrachten Hausmarke beiträgt. 1579 ließ Weinsberg ein großes Haus- und Familiensiegel anfertigen: 51 BW, Bd. 1, S. 60. 52 BW, Bd. 5, S. 16-7. 53 A NTON L EGNER , Illustres manus, in: Ornamenta Ecclesiae. Kunst und Künstler der Romanik, Kat. Köln 1985, Bd. 1, S. 187-230, S. 206. 54 Über die Verbindungen des Weinstocks mit den 12 Aposteln, der Kreuzsymbolik, der Wurzel Jesse und die eucharistische Interpretation der Trauben vgl. LCI, Bd. 4, Sp. 491-4. Möglicherweise kannte Weinsberg ähnliche Darstellungen von der Mosel, wo 58 <?page no="58"?> Ein Bürger und seine Zeichen ist das haussiegel zu Weinsberch fertich worden, das ich es in min gewalt bekomen. Ich hat ... einen unkundigen meister, gnant Gerhart Keiser, goltsmit ... etlich silber bracht, davon er mir voreirst die principal plat machte und noch ein kleines platlin. Weinsberg nahm die fertige Arbeit in Empfang und brachte sie am gleichen Tag von dem Goldschmied zu einem Siegelstecher: Dem verdingt ich, uff die groisse plat schilt und helm als das sparkle mit dem arm und kluppel oben uff zu graben und zu stechen mit der umschrift » S. patris familias et domus Weinsberch «, uff das klein pletlin, so hinden darwidder getrukt sol werden, das mirk mit den dri crut[z]lin und W dubbel daran und ein trublin; samen dri gulden current und dri alb.; und als er diss mines beduncken wol gemacht, hab ich es nach acht tagen wider zum Keiser unwissent, das er also heisch, pragt samt eim silbern ketgin und knouf; der hat do die scharneirger dran gemacht und mit dem ketgin fertig gemacht, do ers lange bis uff dissen tag bei sich gehat, hoff nit, das ers nachgetruckt hab, und hab im vur sin arbeit nit mehe dan 6 mark geben. Es weich mit dem ketgin auch nit mehe in als dan funftehalb loit, des solt im stechen ein halb loit abgangen sin; so kan man nuhe und dan sagen, es sie das siegel vom keiser komen; es hat mich in all silber und machloin 10 gl. cur. 3 alb. Gekost. 55 10 Gulden 3 Albus entsprechen in etwa dem Preis eines Kirchenfensters, dem Preis von vier bis acht Wappenscheiben oder einem zeitgenössischen Handwerkermonatslohn. 56 Hervorzuheben ist zunächst der Auftrag, die Herstellung von zwei Typaren. Sie sollten wohl als Haupt- und Geschäftssiegel dienen, denn ein eigenes Siegel hatte Weinsberg bereits. Auf der großen Platte sollte das sparkle angebracht werden, ein Wort, das er aus spar und kleblatt, den beiden Bestandteilen seines Wappens, gebildet hatte. 57 Auf dem Wappen sollten arm und kluppel dargestellt werden, das Helmkleinod. Die Umschrift S[igillum] er gelegentlich Wein kaufte, vgl. dazu A LOIS T HOMAS , Die Darstellung Christi in der Kelter. Eine theologische und kulturhistorische Studie, zugleich ein Beitrag zur Geschichte und Volkskunde des Weinbaus (Quellen und Abhandlungen zur mittelrheinischen Kirchengeschichte 37), 1936, Ndr. Mainz 1981. 55 BW, Bd. 5, S. 155-6. 56 S CHMID , Renaissancekultur (wie Anm. 6), S. 136-42. 57 BW, Bd. 1, S. 18, Bd. 5, S. 193-95 mit Anm. 2. 59 <?page no="59"?> Wolfgang Schmid patris familias et domus Weinsberch wies das Siegel als das des Oberhauptes von Haus und Familie aus. Auf dem Gegensiegel sollte seine Hausmarke dargestellt werden (das mirk) und wohl zweimal der Buchstabe W für Weinsberg; außerdem noch eine Traube, deren Symbolgehalt bereits erwähnt wurde. Die Untersuchungen zu den Weinsberg-Tagebüchern haben gezeigt, dass sich im 16. Jahrhundert im bürgerlichen Milieu Kölns das Wappen - in der Regel ohne Helmzier - als Mittel der Kennzeichnung etabliert hatte, das an nahezu allen Gegenständen in Kirche und Wohnhaus angebracht wurde. Deutlich geworden ist an mehreren Stellen auch der höhere Stellenwert der Wappen gegenüber der Hausmarke, die man eher als Handelsmarke bezeichnet sollte, weil mit ihr vorrangig Kaufmannsgut bezeichnet wurde. Allerdings mahnen zwei Befunde zur Vorsicht: Wir finden Überlegungen zur einer ikonographischen Deutung, die man bei den bildlosen graphischen Zeichen gar nicht gesucht hätte. Und man trifft die Hausmarken an Stellen, an denen man sie nicht vermutet, nämlich in der religiösen Buchmalerei und auf dem Siegel - beides war mit außerordentlicher Wertschätzung verbunden und gehörte eher zum » privaten « als zum » öffentlichen « Bereich. Auch wenn die Hausmarke als geringerwertiges Zeichen angesehen wurde, behielt man sie allein schon aus Gründen der Tradition bei. Auf der anderen Seite ergaben sich bei der Frage nach der Funktion von Stifterbildern, Hausmarken und Wappen an Kunstwerken neue Aspekte. Bei einem Altarbild oder einem Kirchenfenster dokumentieren sie die Stiftung, halten den Namen des Urhebers fest und verbinden seine Person mit einem memorialen Kontext. Im Wohnhaus kann ein Wappen bzw. eine Hausmarke aussagen, wem ein Gegenstand gehört oder genau das Gegenteil, er kann ihn als Schenkung einer anderen Person bezeichnen. Sowohl Siegburger Steinzeug als auch Fensterscheiben wurden mit dem eigenen Wappen versehen, bevor man sie verschenkte. Es ergibt sich hier ein weiterer memorialer Kontext, der im weltlichen Bereich nicht mehr religiös geprägt ist, sondern profanes Erinnern im Auge hat: Porträts werden in Auftrag gegeben, weil man das eigene Aussehen für sich und für die Nachwelt festhalten möchte. Zu diesem Image gehörten neben der Kleidung und den Attributen sowie einer Inschrift auch die Wappen. Kissen und Tafelsilber werden mit Wappen gekennzeichnet. Der Besitzer ist stolz auf sie und möchte, daß jedermann und eben auch spätere Generationen 60 <?page no="60"?> Ein Bürger und seine Zeichen sich über die Wappen freuen. Aus diesem Grund wurde ein ganzer Fensterzyklus von Köln nach Worms geschenkt. Entscheidend aber ist stets der Kontext: Wappen bzw. Hausmarken und Stifterbilder bzw. Porträts bringen neben der Identifizierung einer Person, der Zugehörigkeit zu einer Familie und der Zuordnung zu einem Stand auch deren Bildung (Bücher, Briefe), Frömmigkeit (Gebetbuch, Rosenkranz) und Reichtum (Schmuck, Textilien) zum Ausdruck. Insofern sind die Wappen bzw. Hausmarken ein Element bürgerlicher Selbstdarstellung, in der schließlich auch Familienbewußtsein und Porträtähnlichkeit nicht fehlen durften. 61 <?page no="61"?> Abbildung 1 Aus dem » Haus Weinsberg « wächst eine Weinstock mit dem gekreuzigten Christus. Reproduktion aus Wolfgang Schmid: Kölner Renaissancekultur im Spiegel der Aufzeichnungen des Hermann Weinsberg (1518-1597), Köln 1991, Abb. 8. 62 <?page no="62"?> Abbildung 2 Christian Weinsberg mit dem Elternwappen, links oben befindet sich seine Hausmarke. (Historisches Archiv der Stadt Köln, Chroniken und Darstellungen 52, fol. 204). 63 <?page no="63"?> Abbildung 3 Abbildung 3: Hermann Weinsberg kniet vor dem Kreuz. Neben ihm befindet sich sein Wappen, am Kreuzfuß ist seine Hausmarke angebracht. Wolfgang Schmid: Kölner Renaissancekultur im Spiegel der Aufzeichnungen des Hermann Weinsberg (1518-1597), Köln 1991, Abb. 7. 64 <?page no="64"?> C HRISTOF R OLKER 65 Haus- und Familiennamen im spätmittelalterlichen Konstanz. Inklusion und Exklusion über Namen Der Begriff des Hauses ist im Deutschen (und anderen Sprachen) bekanntlich von einer nicht zufälligen Doppeldeutigkeit, indem es ein Bauwerk ebenso wie einen Familienverband bezeichnen kann. Häuser wie auch wie ihre Bewohner tragen in der mittelalterlichen Stadt Namen, und nicht selten wird der Name des einen auf die anderen übertragen oder umgekehrt. 1 Solche Namen drücken Zugehörigkeiten aus, wie sich vor allem an Namensänderungen erkennen läßt; der Bürger, dessen Name zum Hausnamen wird, schreibt sich in den öffentlichen Raum ein, und die Übernahme des Namens eines Hauses betont die Zugehörigkeit des Bewohners nicht nur zum eigenen Haus, sondern auch zur Stadtgemeinde. Auffällig werden solche Zusammenhänge vor allem dort, wo die Namensänderungen die Integration Außenstehender und/ oder sozialem Aufstieg begleiten. Wie sehr in der mittelalterlichen Stadt das Haus als konstitutiv für die Zugehörigkeit zur Stadt und die Rolle innerhalb derselben wahrgenommen wurde, ist bekannt 2 ; weniger gut untersucht ist die Frage, welche Rolle das Haus bei der Abgekürzt zitiert werden die beiden Konstanzer Gemächtebücher (Stadtarchiv Konstanz, A IX 1 und 2) sowie die Steuerbücher, die in folgender Edition benutzt wurden: Die Steuerbücher der Stadt Konstanz, hrsg. v. P ETER R ÜSTER (Konstanzer Geschichts- und Rechtsquellen, 9, 13 und 16), 3 Bde., Konstanz 1958-66; die Gemächtebücher werden nach Band und Seite, die Steuerbücher nach Jahrgang und Nummer zitiert. 1 Die klassische Arbeit für den deutschen Sprachraum ist immer noch E RNST G ROHNE , Die Hausnamen und Hauszeichen. Ihre Geschichte, Verbreitung und Einwirkung auf die Bildung der Familien- und Gassennamen, Göttingen 1912, S. 38-69. Für die neuere Literatur siehe die Verweise bei E RIKA W EBER , Hausnamen, in: Namenarten und ihre Erforschung. Ein Lehrbuch für das Studium der Onomastik, hrsg. v. A NDREA B RENDLER u. S ILVIO B RENDLER (Lehr- und Handbücher zur Onomastik 1), Hamburg 2004, S. 469- 90. 2 Siehe z.B. E BERHARD I SENMANN , Bürgerrecht und Bürgeraufnahme in der spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Stadt, in: Neubürger im späten Mittelalter. Migration und Austausch in der Städtelandschaft des alten Reiches (1250-1550), hrsg. v. R AINER C HRISTOPH S CHWINGES (Zeitschrift für historische Forschung. Beihefte 30), Berlin 2002, S. 203-49. <?page no="65"?> Christof Rolker 66 Konstruktion individueller und familiarer Identitäten innerhalb der Stadtgesellschaft spielte. Einer der Wege, über die mit dem eigenen Haus operiert werden konnte, war das bereits erwähnte Spiel mit Hausnamen und Familiennamen. Da die Namensführung in der Vormoderne rechtlich so gut wie gar nicht eingeschränkt war 3 , erscheint es angesichts der hohen symbolischen Bedeutung von Namen plausibel, daß Haus- und Familiennamen bewußt als Formen der Repräsentation von Zugehörigkeit genutzt wurden. Solche Zugehörigkeiten mußten in der mittelalterlichen Stadt vor allem angesichts sozialer und räumlicher Mobilität immer wieder neu verhandelt werden; Namen beziehungsweise Namensänderungen können als Teil dieser Verhandlungen verstanden werden. Die relative Instabilität der Namen von Familien wie von Häusern, die von Historikern meist als praktisches Problem wahrgenommen wird 4 , kann unter diesen Prämissen auch als Chance beschrieben werden, insofern die Praktiken der Namensführung einen noch wenig genutzten Zugang zur Vorstellungswelt der vormodernen Stadt eröffnen. 5 Familiennamen Diese Annahmen sollen im Folgenden die Analyse der Familiennamen aus dem spätmittelalterlichen Konstanz leiten. Da Namen ein Zeichensystem bilden, dessen Spielregeln in hohem Maße kulturspezifisch sind, können alle Überlegungen zur symbolischen Bedeutung von Namen nur innerhalb der Grenzen eines bestimmten Namenssystems Gültigkeit beanspruchen. 3 Die beste aktuelle Übersicht bei N ICOLE L APIERRE , Changer de nom, Paris 1995. 4 Siehe etwa H EINRICH R ÜTHING , Der Wechsel von Personennamen in einer spätmittelalterlichen Stadt. Zum Problem der Identifizierung von Personen und zum sozialen Status von Stadtbewohnern mit wechselnden und/ oder unvollständigen Namen, in: Medieval lives and the historian. Studies in medieval prosopography, hrsg. v. N EIT - HARD B ULST u. J EAN -P HILIPPE G ENE t, Kalamazoo, Mich. 1986, S. 215-26 (mit zahlreichen Beispielen). 5 Die bisherige Forschung konzentriert sich v.a. auf Florenz; siehe C HRISTIANE K LAPISCH - Z UBER , Ruptures de parenté et changements d’identité chez les magnats florentins du XIV e siècle, in: Annales 43 (1988), 1205-40 und DIES ., Les faux-semblants de l’identité. Noms de lignée, noms cachés, noms-refuges à Florence au XIV e siècle, in: Mélanges de l’École française de Rome 110 (1998), S. 159-72. <?page no="66"?> Haus- und Familiennamen 67 Daher sind an dieser Stelle zunächst einige Anmerkungen zu den Konstanzer Namen allgemein notwendig. Die mittelgroße Handelsstadt Konstanz gehört zu jenen deutschen Städten, in denen sich für nordalpine Verhältnisse relativ früh das bekannte System der Zweinamigkeit von Ruf- und Beinamen ausgebreitet hatte. 6 Die seit dem 12. Jahrhundert sich verbreitenden Beinamen versteinerten (mit erheblichen schichtspezifischen Verzögerungen) im Laufe des Spätmittelalters allmählich zu Familiennamen, die in der Regel vom Vater an seine Kinder und in der Ehe vom Mann an die Frau weitergegeben wurde. Wie andernorts auch ist eine genaue Datierung dieses Vorgangs schwierig, wenn nicht unmöglich. Zwar läßt sich eine allmähliche Zunahme der Zweinamigkeit klar belegen, und in den Quellen tauchen im Laufe des Spätmittelalters immer mehr Namen auf, die ganz offensichtlich von Generation zu Generation als Familiennamen weitergegeben wurden. Dennoch bleibt unklar, inwieweit dieser Effekt nicht zumindest teilweise der Überlieferungslage geschuldet ist. Zweitens müßte für eine Feststellung, ob es sich bei den Beinamen tatsächlich um Familiennamen im modernen Sinne handelt, geprüft werden, welche Namen die jeweiligen Personen führten und ob bzw. wie sie miteinander verwandt waren. Strenggenommen müßten beide Fragen unabhängig voneinander geklärt werden - und genau das ist in aller Regel kaum möglich, ist doch der gemeinsame Name in den meisten Fällen der beste und oft genug auch der einzige Hinweis auf die Zugehörigkeit zur gleichen Familie. Als Indiz für die direkte Verwandtschaft dient mithin genau derjenige Name, dessen Qualität als Familienname zu überprüfen wäre. Schließlich bleibt noch anzumerken, daß auch die Erblichkeit bestimmter Namen nicht bedeutet, daß diese die einzigen Beinamen waren. Zum erblichen konnten individuelle Beinamen treten, oder mehrere Beinamen konnten erblich sein. Ob ein bzw. welcher von mehreren Beinamen genutzt wurde, wechselte oft 6 Für Konstanz siehe etwa die Belege bei K ONRAD B EYERLE , Konstanzer Ratslisten des Mittelalters, Heidelberg 1898, S. 37-71: Anfang des 13. Jahrhundert sind Beinamen selten, teilweise aber wohl schon erblich, insofern Vater und Sohn bzw. Geschwister mit den gleichen Beinamen bezeichnet werden (etwa S. 41: „Hermannus Tuckiwaso, Cunradus Tuckiwaso frater suus, Ulricus Tuckiwaso, filius Cunradi“); in den Zeugenlisten von Urkunden ist Zweinamigkeit ab der Mitte des 13. Jahrhunderts die Regel. - Für den europäischen Kontext siehe statt vieler Verweise P ATRICE B ECK , M O - NIQUE B OURIN und P ASCAL C HAREILLE , Nommer au Moyen Âge. Du surnom au patronyme, in: Le patronyme. Histoire, anthropologie, société, hrsg. v. G UY B RUNET , P IERRE D ARLU und G IANNA Z EI , Paris 2001, S. 13-38 mit einer Auflistung der zahlreichen Publikationen des Großprojektes Genèse médiévale de l’anthroponymie moderne. <?page no="67"?> Christof Rolker 68 situativ. Im für den modernen Historiker günstigsten Fall werden mehrere Beinamen in der gleichen Quelle genannt, etwa in der Form Else Gräffin vel Pürin, Hainrich von Tettikoven den man nempt Bündrich oder Hans Bader alias Lanz. 7 Fehlen solche direkten Hinweise, ist die abwechselnde Führung bestimmter Beinamen in verschiedenen Kontexten oft nicht als solche zu erkennen; daß die Else Gräfin in einer Steuerliste mit der Else Pürin in einer anderen identisch ist, wäre ohne die Überlieferung der doppelten Namensform kaum zu ermitteln. Mit diesen Einschränkungen läßt sich sagen, daß sich feste, in der männlichen Linie erbliche Familiennamen in Konstanz zwischen dem 12. und dem 15. Jahrhundert allmählich verbreiteten. Zumindest männliche Vollbürger begegnen in den Quellen des 15. Jahrhundert in aller Regel mit Ruf- und Familiennamen, und in einigen Fällen lassen sich Familiennamen über zahlreiche Generationen zurückverfolgen. 8 Die häufige Zweinamigkeit und die vereinzelt nachweisbare Stabilität der Namen über lange Zeiträume sollte allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, daß die Namensführung durchaus flexibel war. Auch seit langer Zeit erbliche Familiennamen konnten durch weitere Beinamen nicht nur ergänzt, sondern ersetzt werden. Ein Zweig der Familie In der Bündt etwa führte den Beinamen » Rüll « über mindesten fünf Generationen hinweg teils neben dem » eigentlichen « Familiennamen, teils statt dieses Namens. 9 Auch andere Familien differenzierten ihre einzelne Zweige nach Beinamen, die dauerhaft neben dem gemeinsamen Namen geführt wurden, so die Familie Tettikoven, die sich seit dem späten 14. Jahrhundert in die Zweige Zapf und Bündrich teilte. 10 Eine zweite Auffälligkeit ist, daß die Führung eines Familiennamens keineswegs exklusiv geschah. So nahmen verheiratete Frauen zwar meist den Namen der Familie ihres Mannes an, ohne deshalb allerdings immer den ihrer Herkunfts- 7 Steuerbuch 1470, Nr. 1507; Gemächtebuch I, S. 108; Stuttgart WLB HB VI 128, fol. 65 v . 8 Seit dem frühen 13. Jahrhundert sicher belegt sind etwa die Underschopf, Jöcheler (Johiler, Johelarius) und Im Hof (In Curia),vgl. B EYERLE , Ratslisten (wie Anm. 6), S. 38-49. 9 Vgl. zu dieser Familie E LFRIEDE K LESS , Das Konstanzer Patriziergeschlecht In der Bünd, in: Schriften des Vereins für Geschichte des Bodensees und seiner Umgebung 108 (1990), S. 13-67. Der Beiname »Rüll« war auch im letzten Drittel des 16. Jahrhunderts noch im Gebrauch, wie der Eintrag »in der Bünd genannt Rüll« in der Liste der Konstanzer Geschlechter bei Christoph Schulthaiß nahelegt: B EYERLE , Ratslisten (wie Anm. 6), S. 242. 10 Zur Genealogie siehe H ANS -U LRICH F REIHERR VON R UEPPRECHT , Die Herren von Dettighofen (Tettikoven). Zugleich ein Beitrag zur Ahnentafel Decker-Hauff, in: Zeitschrift für württembergische Landesgeschichte 40 (1981), S. 282-96. <?page no="68"?> Haus- und Familiennamen 69 familie abzulegen; vielmehr führten sie in verschiedenen Situationen mal den einen, mal den anderen Namen. 11 Der umgekehrte Fall, daß also verheiratete Männer den Namen ihrer Frau annahmen und neben oder statt dem ihrer Herkunftsfamilie führten, war seltener, tritt aber ebenfalls auf. 12 Auf die Erblichkeit der Familiennamen in männlicher Linie scheinen diese Praktiken allerdings nur einen geringen Einfluß gehabt zu haben; in der Regel tragen alle ehelichen Kinder den Familiennamen des jeweiligen Vaters, auch wenn dieser selbst neben dem ererbten Namen auch den seiner Frau führte. Hausnamen Wenn ich mich im Kontext der vorliegenden Arbeit auf solche Namen, die sich direkt auf Wohnstätten oder jedenfalls auf bestimmte Immobilien beziehen, beschränke, muß zuvor die Verbreitung von Hausnamen kurz erläutern werden. 13 Individuelle Hausnamen sowie Hauszeichen waren in manchen mittelalterlichen Stadtgesellschaften weit verbreitet, in anderen fehlen sie fast vollständig oder waren auf wenige Gebäude - Wirtshäuser etwa oder Apotheken - beschränkt. 14 Innerhalb der Konstanzer Mauern trugen wie in den meisten oberdeutschen Städten fast alle größeren Häuser einen eigenen Namen. Ähnlich wie bei den Familiennamen sollte von der weiten Verbreitung aber nicht auf allzu große Stabilität geschlossen werden; viele Häuser trugen nacheinander verschiedene Namen, und manche Namen bezeichneten im Laufe der Zeit (teilweise auch gleichzeitig) ganz unterschiedliche Häuser: » Zum Engel « etwa waren mindestens drei Häuser benannt. 15 Nicht anders als bei 11 Siehe C HRISTOF R OLKER , Ich, Anna Hartzerin, genannt von Maegelsperg ...: Namensführung und weibliche Identität in der spätmittelalterlichen Stadt, in: L’Homme. Europäische Zeitschrift für feministische Geschichtswissenschaft 20/ 1 (2009) [im Druck]. 12 Matthäus Gutrecht, der Sohn des Heinrich Gutrecht, wird nach seiner Heirat mit Ursula Sünderin, der Tochter des Malers Balthasar Sünder, in den Steuerlisten als Matheus Gutrecht vel Sünder aufgeführt, siehe H ANS R OTT , Quellen und Forschungen zur südwestdeutschen und schweizerischen Kunstgeschichte im XV. und XVI. Jahrhundert, Bd. 1: Der Bodenseeraum, Stuttgart 1933, S. 26-7. 13 Zum folgenden siehe das (nie vollendete) Konstanzer Häuserbuch: F RITZ H IRSCH u. K ONRAD B EYERLE , Konstanzer Häuserbuch. Festschrift zur Jahrhundertfeier der Vereinigung der Stadt Konstanz mit dem Hause Baden, 2 Bde., Heidelberg 1906/ 08. 14 G ROHNE , Hausnamen und Hauszeichen (wie Anm. 1), S. 98-102. 15 Siehe H IRSCH / B EYERLE , Konstanzer Häuserbuch (wie Anm. 13), s.v. Kreuzlingerstr. 59, Neugasse 11 und Rosgartenstr. 11. <?page no="69"?> Christof Rolker 70 den Familiennamen scheinen sich vor allem solche Namen verfestigt zu haben, die ein gewisses Prestige trugen. Das aus augenfälligen Gründen so genannte Hohe Haus beispielsweise behielt seinen Namen über sieben Jahrhunderte unverändert bei. Mit seinen fünf Geschossen und dem gewaltigen Giebel gehörte das Hohe Haus zu den Orientierungsmarken des mittelalterlichen Konstanz, die auch auf frühneuzeitlichen und modernen Stadtansichten problemlos zu identifizieren sind. Das Haus, dessen Wert Ende des 15. Jahrhunderts auf 1000 lb. den. geschätzt wurde, diente nacheinander einer ganzen Reihe von wohlhabenden Konstanzer Familien als Wohnung; seinen Namen behielt es hingegen ungeachtet aller Besitzwechsel und Umbauten. 16 Haus- und Familiennamen Welche Beziehung bestanden nun zwischen diesen beiden Bereichen? Ein Blick auf die Konstanzer Familiennamen im Spätmittelalter macht zunächst einmal deutlich, daß von der Wohnstätte abgeleitete Familiennamen durchaus verbreitet waren. Diese blieben dabei oft recht abstrakt: Im Turm, Unter den Säulen, Zum Burgtor, Vom Hof und Im Steinhaus sind solche Familiennamen, die sich auf die Lage oder Bauart der jeweiligen Wohnstätte beziehen. Der Familienname ist in diesen Fällen zwar offensichtlich auf ein bestimmtes Haus bezogen, das aber keinen individuellen Hausnamen hatte; die Bezeichnung als der Turm, das eine Steinhaus usw. scheint bei diesen herausragenden Bauten die übliche Bezeichnung gewesen zu sein. Solche Familiennamen sind dabei eher in den oberen Schichten nachweisbar, die sich nach ihren offenbar repräsentativen - jedenfalls aus Stein errichteten, mehrgeschossigen - Wohnhäusern nennen. Weniger schichtspezifisch sind hingegen Namen, die sich auf einen Stadtteil oder eine Wohngegend beziehen: In der Bündt, Hinter St. Johann, Am Griess, Vom Marktstad, Steinstraß, Hinter der Metzig, Am Rhein und Am Bühel sind Konstanzer Namen, die sich in ähnlicher Form als Beinamen oder auch als feste Familiennamen in allen sozialen Schichten finden. So gab es eine bekannte patrizische Familie Am Grieß, aber genauso konnte die Besitzerin der Badstuben am Grieß als Elsbeth am Grieß bezeichnet werden, ohne daß hier Verwandtschaftsbeziehungen anzunehmen wären. 17 16 Siehe zu diesem Haus den Beitrag von H ELMUT M AURER im vorliegenden Band. 17 Zu Elsbeth am Grieß siehe z. B. Gemächtebuch II, S. 127. <?page no="70"?> Haus- und Familiennamen 71 Häuser und Wohnquartiere waren als Identitätsmarker offenbar wichtig genug, um sich in den Familiennamen niederzuschlagen. Wie aber gestaltete sich die so postulierte Beziehung zwischen Haus, Name und Identität im Einzelnen? Während wir für das 12. und 13. Jahrhundert weitgehend auf Plausibilitätsargumente verwiesen sind, lassen sich im 14. und 15. Jahrhundert einige Beispiele finden, in denen die Veränderung von Hauswie Familiennamen im Detail studieren und mit anderen Prozessen in Verbindung setzten läßt. Auch (oder gerade? ) nachdem die Familiennamen sich weitgehend verfestigt haben, kommt es in Konstanz zu Nachbenennungen nach und Umbenennungen von Häusern. Insbesondere in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts lassen sich in verschiedenen patrizischen Familien vermehrt Benennungen nach der Wohnstätte nachweisen: Hans Blarer zem pflug, Elsbeth Maygrin zem sylten, Jacob Muntprat im kemlin, Konrad Ehinger zu der laittern, Heinrich von Ulm zum gulden schwert, Barbara Muntprätin im stainbock etwa nannten sich alle nach ihren in aller Regel repräsentativen Häusern. 18 Ohne hier nach Gesetzmäßigkeiten zu suchen, lassen sich zwei Mechanismen der Konstruktion von Zugehörigkeit beobachten: In einem Fall diente die Benennung nach prestigereichen Bauten als Demonstration des eigenen sozialen Status; im anderen Fall läßt sich erkennen, daß aus Hausnamen abgeleitete Beinamen dazu genutzt werden konnten, die Trennung mehrerer Familienzweige zu betonen. Nachbenennung nach Häusern zur Betonung von Zugehörigkeit Die Benennung nach prestigereichen Bauten scheint für Aufsteiger eine besondere Rolle gespielt zu haben. Der Konstanzer Stadtammann Hans Lanz von Liebenfels ist ein solcher Aufsteiger, der sich einen neuen Namen zulegt. 19 In den Quellen begegnet er als Hans oder Johannes Bader, Hans Lanz, Lanz von Liebenfels oder eben als Hans Lanz von Liebenfels. Ob er wirklich 18 Belege für die Beinamen bei B EYERLE , Ratslisten (wie Anm. 6) und in den Gemächtebüchern. Ein hoher Wert der jeweiligen Häuser wird durch die in den Steuerbüchern nachgewiesene Veranschlagung jeweils beträchtlicher Summen an zu versteuernden Liegenschaften nahegelegt. 19 Siehe U LRICH D IKENMAN , Hans Lanz von Liebenfels, ein mittelalterlicher Emporkömmling, in: Thurgauische Beiträge zur vaterländischen Geschichte 51 (1911), S. 34-48; P ETER F. K RAMML , Kaiser Friedrich III. und die Reichsstadt Konstanz (1440-1493). Die Bodenseemetropole am Ausgang des Mittelalters (Konstanzer Geschichts- und Rechts <?page no="71"?> Christof Rolker 72 als Badersknecht in Meersburg tätig war, wie es in zwei zeitgenössischen Spottliedern heißt, läßt sich nicht mehr sicher rekonstruieren. 20 Auf jeden Fall trägt er zunächst den Namen dieses wenig angesehenen Berufs. 21 Am Hof des Bischofs vom Konstanz stieg Hans Lanz seit den 1440er Jahren dann rasch in verantwortliche Positionen auf. Vor 1460 heiratete er zudem Anna Bündrichin, die Tochter des Stadtammanns Brun von Tettikoven genannt Bündrich, um schließlich 1471 selbst bischöflicher Ammann zu werden. 22 Von seinem Schwiegervater erwarb er den Bündrichshof sowie die Burg Liebenfels. Bezeichnenderweise hatte sich die Familie seiner Frau, obwohl schon 1395 mit der Herrschaft Liebenfels belehnt, niemals nach dieser benannt. Für einen Aufsteiger wie Hans hingegen, dem einige Ablehnung entgegenschlug - der Bischof wollte ihn zunächst zum Ammann ernennen, ohne daß Hans das Konstanzer Bürgerrecht innehatte 23 - war diese Namensänderung ein Mittel ostentativer Statusbekräftigung. Zumindest auf der symbolischen Ebene kann der Aufsteiger hier mit Männern wie Ludwig Blarer zur Kepburg, Ulrich Blarer zu der Leyburg (Liebburg) oder Jacob Muntprat zu Salenstain gleichziehen. Diese sind zwar innerhalb der Konstanzer Stadtgesellschaft keine Aufsteiger, sondern gehören alteingesessenen patrizischen Familien an, aber auch ihre Namensführung ist Ausdruck einer verstärkten quellen 29), Sigmaringen 1985, hier S. 337-9 und zuletzt R ALPH B OSSHARD , Militärunternehmer aus dem Thurgau gegen Ende des 15. Jahrhunderts, in: Thurgauische Beiträge zur Geschichte 134 (1997), S. 9-116, hier 75-81. 20 Ein Lied bei D IKENMAN , Hans Lanz von Liebenfels (wie Anm. 19), S. 47-8, das andere in einem Anhang zur Schwabenkriegschronik, siehe F RIEDER S CHANZE , Beschreibung der Handschrift und Edition der Schwabenkriegschronik, Ramsen 2006, S. 329-30. B OSSHARD , Militärunternehmer (wie Anm. 19), S. 76 hält dies für eine bewußte Verunglimpfung. 21 Eindeutig ohne polemische Absicht wird er etwa 1460 durch seinen Schwiegervater in dessen ersten Gemächte Hans Bader genannt; drei Jahre später hingegen, in einem zweiten Gemächte, nennt er ihn Hans Lantz: Gemächtebuch II, S. 47 und 70. Auch in einem Rechtsgutachten Jacob Grimms wird er als Johannes Bader alias Lantz bezeichnet: Stuttgart WLB HB VI 128, fol. 65 v . Zu Jacob Grimm, dem Konstanzer Offizial, siehe H ELMUT M AURER , Konstanz im Mittelalter (Geschichte der Stadt Konstanz 1/ 2), 2 Bde., Konstanz 1989/ 96, Bd. 1, S. 156. 22 Gemächtebuch II, S. 136-7 zum Konflikt zwischen Rat und Bischof sowie der abschließenden Einigung, derzufolge Hans Lanz vor seinem Amtsantritt das Bürgerrecht auf fünf Jahre annehmen sollte. 23 Siehe die letzte Anmerkung. <?page no="72"?> Haus- und Familiennamen 73 Annäherung an Repräsentationsformen des landsässigen Adels, wie sie in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhundert in vielen Bereichen zu beobachten ist. Aber nicht jeder, der eine Burg besaß, nannte sich auch nach dieser: Außer den schon erwähntem Tettikover/ Bündrich wäre hier auch die außerordentlich reiche Familie der Ehinger zu nennen, die gleich mehrere Burgen und Lehen ihr eigen nannte, sich aber nach Ausweis der durchaus zahlreich fließenden Quellen niemals nach diesen Besitztümern nannte. 24 In beiden Familien findet sich stattdessen die Nachbenennung nach städtischen Immobilien: Brun von Tettikoven nennt sich, wie schon sein Vater und sein Großvater, » Bündrich « nach seinem weitläufigen Stadthof, dem Bündrichshof, und Konrad Ehinger begegnet in verschiedenen Quellen als Cunrad Ehinger zur Laitter nach seinem am Obermarkt gelegenen Stadthaus. 25 Brun ebenso wie Konrad stammten aus außerordentlich wohlhabenden Familien, die beide im 15. Jahrhundert unter anderem mehrere Bürgermeister und Ammänner gestellt hatten. Wenn Vertreter beider Familie zwar wiederholt ihre jeweiligen Stadthäuser, durchgängig aber nicht ihre Burgen zur Nachbenennung nutzten, ist dahinter eine bewußte Entscheidung zu vermuten. Im Falle der Ehinger scheint der Verzicht der Berufung auf ihre Burgen eine Form des zünftischen understatement zu sein, vielleicht auch Teil ihrer auffälligen politischen Zurückhaltung in der Mitte des 15. Jahrhunderts. 26 Die Namensführung der zünftischen Ehinger könnte mithin Teil einer bewußten Nicht-Angleichung an die Blarer und Muntprat gewesen sein, die für die alten geschlechter im Rat saßen. 24 Zu den Ehinger siehe immer noch J OHANNES M ÜLLER , Die Ehinger von Konstanz, in: Zeitschrift für Geschichte des Oberrheins 20 (1905), S. 19-40; die frühneuzeitlichen Quellen zu den Konstanzer Ehingern, auf die Müller sich stützt, sind allerdings nur mit großer Vorsicht zu genießen. Siehe K RAMML , Kaiser Friedrich III. (wie Anm. 19), S. 312-20; dort auch die Belege zu den Besitzungen der Ehinger. 25 Zu Konrad Ehinger zur Leiter siehe Steuerbuch 1433, Nr. 1137a, Steuerbuch 1440, Nr. 1045 und Konrads Testament von 1475 (Gemächtebuch II, S. 116). Siehe auch H IRSCH / B EYERLE , Konstanzer Häuserbuch (wie Anm. 13), Bd. 1, S. 63, die auf das Baumeisterbuch 1473 verweisen. 26 Die Ehinger blieben bis ins späte 15. Jahrhundert Mitglieder der Handwerkerzünfte, obwohl ihr Reichtum den vieler »patrizischen« Familien deutlich übertraf. Nach den Unruhen von 1430, die mit der Absetzung und zwischenzeitlichen Vertreibung des Bürgermeisters Heinrich von Ehinger geendet hatten, sind die Mitglieder der Familie über mehrere Jahrzehnte in den städtischen Führungspositionen auffällig abwesend. Siehe M ÜLLER , Die Ehinger von Konstanz (wie Anm. 24). <?page no="73"?> Christof Rolker 74 Nachbenennung nach Häusern zur Betonung von Differenz Damit ist bereits die zweite Funktion sichtbar, die Namen und hier speziell die Übernahme von Häusernamen haben konnten: Ebenso wie der Bezug auf Häuser eine Forderung nach oder Bekräftigung von Zugehörigkeit sein konnte, konnten ganz ähnliche Praktiken der Namensführung auch der Differenzierung bzw. der Betonung der Nichtzugehörigkeit dienen. Angesichts der relativ frühen Verstetigung der Familiennamen gibt es in Konstanz des 14. und 15. Jahrhundert Familienverbände, die sich zwar auf gemeinsame Vorfahren zurückführen lassen und eben auch die gleichen Namen tragen, aber sonst wenig gemein hatten. Die Unterscheidung nach dem Wohnsitz ist hier zunächst als rein pragmatische Bezeichnungsform zu sehen. Häufig begegnen entsprechende Beinamen etwa in den Ratsprotokollen und Ämterlisten. Als im frühen 16. Jahrhundert (ab 1523) dauerhaft zwei gleichnamige Vertreter verschiedener Zweige einer Familie, nämlich zwei Heinrich von Ulm, Ratsherren waren, bediente sich der Stadtschreiber einer ganzen Reihe von Benennungsformen, um beide auseinanderzuhalten. Mal sind sie als der ältere und der jüngere bezeichnet, einige Male erwähnt der Schreiber ihre Vatersnamens (Hainrich von Ulm, Hainrichs sun und Hainrich von Ulm, Hansens sun), mehrfach greift er aber auch auf die unterschiedlichen Wohnstätten zurück und nennt die beiden Hainrich von Ulm im guldin swert bzw. Hainrich von Ulm an sant Pauls gassen. 27 Dafür, daß diese Namensformen nicht nur eine pragmatische Dimension haben, spricht hingegen die Tatsache, daß viele Konstanzer, die uns regelmäßig mit Beinamen, die sich auf ihre Wohnstätte beziehen, begegnen, die einzigen dieses Namens sind, die sich in den Quellen nachweisen lassen. So ist seit 1481 ein (anderer) Hainrich von Ulm im guldin swert im Rat nachweisbar 28 , der als einziger Vertreter dieses Namens nicht nach seinem Haus hätte bezeichnet werden müssen, wäre dies nicht in irgendeiner Form Teil einer üblichen Identifikationsweise gewesen. Diese wurde auch in der Selbstbezeichnung, wie sie sich etwa in den Konstanzer Bürgertestamenten studieren läßt, aufgegriffen. Auch hier benennen sich viele Erblasser nach ihren Häusern oder bezeichnen die Empfänger einzelner Legate bzw. die Testamentsvollstrecker in dieser Weise; auch Heinrich von Ulm taucht 1489 wieder als Heinrich von Ulm zum gulden schwert auf. 29 27 Siehe B EYERLE , Ratslisten (wie Anm. 6), S. 214-20. 28 Ebd., S. 177. 29 Gemächtebuch II, S. 243. <?page no="74"?> Haus- und Familiennamen 75 Prestigegründe werden auch hier eine Rolle gespielt haben - das Haus zum Goldenen Schwert war ein durchaus großzügiger Bau in zentraler Lage - und es ist sicher kein Zufall, daß diese Namensformen vermehrt in einer Zeit auftraten, in denen diese Familien sich in neuen » adeligen « Repräsentationsformen übten, sich als Adel neu erfanden. Dennoch fällt auf, daß Hausnamen darüber hinaus eine Differenzierungsfunktion hatten, die weit über das Problem, homonyme Vertreter einer Familie zu unterscheiden, hinausging. Beinamen, die von Wohnstätten abgeleitet waren (oder auch Beinamen anderer Art) konnten auch markieren, mit wem man nicht verwandt sein wollte. Die von Ulm jedenfalls wurden am Ende dieses Prozesses, der sich in der Beilegung unterschiedlicher Beinamen widerspiegelt, von den Zeitgenossen eindeutig nicht mehr als ein Familienverband wahrgenommen; im 16. Jahrhundert führt Christoph Schulthaiß in seinen Collectaneen die von Ulm an sant Pauls gassen und die von Ulm im gulden schwert als zwei unterschiedliche Geschlechter auf. 30 Die Bezeichnung nach dem Haus konnte demnach betonen, mit wem man eine Familie bildete, umgekehrt aber auch markieren, wo dies eben nicht der Fall war bzw. sein sollte. Die flexible Namensführung erlaubte es, familiare Zugehörigkeiten zu bestärken oder zu negieren, in dem man sich bestimmte Namen zulegte oder einen alten Namen ablegte. Angesichts dieser Wahlmöglichkeit kann auch die weitaus häufigere Praxis, einen ererbten Namen zu behalten und weiterzugeben, als unspektakuläre, aber signifikante symbolische Praxis beschrieben werden: Auch die konventionelle Namensführung ist die Wahl einer unter mehreren Optionen. Nur teilweise dienen Hausnamen zur Unterscheidung gleichnamiger Personen; überhaupt scheint die eindeutige Bezeichnung von Individuen kaum die Hauptfunktion der Namen, wie sie im spätmittelalterlichen Konstanz begegnen, gewesen zu sein. Väter und Söhne, Mütter und Töchter, selbst Geschwister tragen häufig nicht nur den gleichen Familiensondern jeweils auch den gleichen Rufnamen, und lassen sich auch nicht über unterschiedliche Wohnstätten unterscheiden. Unter den Konstanzer Bürgern finden sich ausweislich der Steuerlisten von 1480 allein in der Schuhmacherzunft elf Männer mit dem (Familien-)Namen Clarer, darunter Hans und Hans Clarer, Haintzen Clarers sün sowie Heinrich und Hainrich die Clarer; die 30 Stadtarchiv Konstanz A I 8, Bd. 6, fol. 150 v , transkribiert bei B EYERLE , Ratslisten (wie Anm. 6), S. 242. Zur Chronik siehe E UGEN H ILLENBRAND , Die Chronik der Konstanzer Patrizierfamilie Schulthaiß, in: Landesgeschichte und Geistesgeschichte. Festschrift für Otto Herding zum 65. Geburtstag (Veröffentlichungen der Kommission für Geschichtliche Landeskunde in Baden-Württemberg. Reihe B 92), Stuttgart 1977, S. 341- 60. <?page no="75"?> 76 Christof Rolker gleichnamigen Brüder lebten dabei ebenso wie die beiden Heinriche (Vater und Sohn? ) jeweils in einem Haushalt und wurden gemeinsam zur Steuer herangezogen. 31 Rufname, Familienname, Zunftzugehörigkeit, Wohnstätte, vielleicht sogar der ausgeübte Beruf waren also identisch und konnten nicht als unterscheidende Merkmale herangezogen werden. Für die Zeitgenossen war diese Gleichnamigkeit jedoch weit weniger problematisch, als gemeinhin angenommen wird. Während moderne Betrachter in vielen Fällen tatsächlich allein auf die Namen angewiesen sind, um verschiedene Individuen zu unterscheiden, war für das jeweilige soziale Umfeld der Name immer nur ein Informationsträger unter vielen. Je nach Kommunikationssituation mußten sicherlich manchmal zusätzliche Informationen ausgetauscht werden, um sicherzugehen, daß alle Beteiligten vom gleichen Hans oder der gleichen Elsbeth redeten, aber ein eindeutiger und fester Name war dafür kaum notwendig. Die Ausbildung fester Familiennamen kann gerade angesichts der starken Neigung, innerhalb einer Familie immer wieder die gleichen Rufnamen zu vergeben, kaum durch eine abstrakte Notwendigkeit der möglichst eindeutigen Identifizierung erklärt werden. Auch Benennungen nach einem Haus oder einer Burg mußten nicht unbedingt eine eindeutige individualisierende Funktion erfüllen; gerade wer solche Immobilien besaß, war in aller Regel bekannt genug, um nicht mit einem eventuellen Namensvetter verwechselt zu werden. Wenn nicht eine abstrakte Notwendigkeit der genauen Identifizierung die Namensführung bestimmte, welche Erklärung läßt sich dann finden? Eine wichtige Rolle spielte ohne Zweifel das Sozialprestige, das bestimmte Namen vermitteln konnten. Bei den Nachbenennungen nach Burgen und Lehen, aber auch den repräsentativen Stadthöfen und -häusern scheint diese Erklärung augenfällig. Dennoch zeigen die oben zitierten Beispiele deutlich, daß auch in dieser Hinsicht keine Gesetzmäßigkeit vorherrschte: Auch nach prestigeträchtigen Immobilien konnte man sich benennen, aber man mußte es nicht. Daß die Tettikover/ Bündrich sich nicht nach ihren Burgen benannten, ist ebenso eine Entscheidung wie Hans Lanzens Versuche, sich im wahrsten Sinn des Wortes » einen Namen zu machen « . Bestimmte Namen mögen besonders wertvoll gewesen sein, aber eine klare Logik des Sozialprestiges läßt sich nicht ausmachen. 32 Die These, daß Namen in der mittelalterlichen Stadt generell als Medien der Identität die- 31 Steuerbuch 1480, Nr. 1704 und 1800. 32 Dies gilt auch für die weibliche Namensführung, vgl. dazu meinen L’Homme-Aufsatz (wie Anm. 11). <?page no="76"?> Haus- und Familiennamen nen konnten, ist dadurch nicht geschwächt, sondern vielmehr gestärkt: Die Namensführung war weder von Recht noch Gewohnheit determiniert und folgte offenbar auch nicht einer nutzenökonomischen Maximierung des Sozialprestiges. Eine der schwierigsten Fragen bei der Auswertung von Namen als Repräsentationsformen muß dabei in vielen Einzelfällen offenbleiben: Wer entschied letztlich über die Namensführung? Eine rechtliche Normierung der Namensführung ist im Mittelalter bekanntlich so gut wie nirgends nachweisbar, und weder kirchliche noch weltliche Autoritäten haben in Konstanz erkennbar auf eine bestimmte Namensführung hingewirkt. Gerade im städtischen Verwaltungsschriftgut läßt sich erkennen, daß die Konstanzer Bürgerinnen und Bürger hier mit ebenso vielfältigen und gegebenenfalls wechselnden Namen auftauchen, wie dies offenbar auch der alltäglichen Praxis entsprochen zu haben scheint. Ganz anders als moderne Bürokratien verfügte die städtische Selbstverwaltung offenbar über genügend lokales Wissen, um in ihrem Handeln nicht auf eindeutige, fixe Namen angewiesen zu sein 33 : Wer nun wer war, ließ sich in einer überschaubaren Stadt wie Konstanz auch so feststellen. Die für die Bedeutung von Namen relevanten Sprecherkreise waren vielmehr die Namensträger selbst und ihr unmittelbares soziales Umfeld; es war also weitgehend Sache der Familien, wer welchen Familiennamen trug. Da die Führung des einen oder anderen Namens nur selten quellenproduzierende Konflikte verursachte, fehlen direkte Belege weitgehend 34 ; dennoch zeigen die zitierten Beispiele deutlich, daß über Namen insbesondere die Zugehörigkeit zu einzelnen Familien oder zu bestimmten sozialen Gruppen verhandelt wurde. 33 Zu modernen Praktiken der Namensfixierung als Ausdruck fehlenden local knowledge siehe eindrücklich J AMES C. S COTT , J OHN T EHRANIAN und J EREMY M ATHIAS , The production of legal identities proper to state. The case of the permanent family surname, in: Comparative Studies in Society and History 44 (2002), S. 4-44. 34 Vgl. hingegen die Diskussion über Wappengleichheit bei Juristen wie Bartolo di Sassoferrato († 1357), demzufolge die Führung des gleichen Wappens, nicht aber die des gleichen Namens, eine Schädigung einer der Parteien darstellen könne: Bartolo di Sassoferrato, De insigniis et armis, in: A grammar of signs. Bartolo da Sassoferrato’s Tract on insignia and coats of arms hrsg. v. O SVALDO C AVALLAR , S USANNE D EGENRING u. J ULIUS K IRSHNER (Studies in comparative legal history), Berkeley 1994, S. 93-144, hier S.110. In verschiedenen Varianten kursierte im Mittelalter die Erzählung von zwei Adeligen, die sich in der Fremde trafen und feststellten, daß sie die gleichen Wappen führten; eine analoge Wanderfabel über gleiche Familiennamen gibt es nicht. 77 <?page no="77"?> Christof Rolker 78 Im 15. Jahrhundert ersetzen die Häuser-Beinamen die schon bestehenden Familiennamen nur noch in Ausnahmefällen. Diese betreffen nicht zufällig Aufsteiger wie Hans Lanz, der seinen neu erworbenen Status in einem neuen Namen festhält und diesen dann auch an seine Nachfahren vererbt. Zumeist aber sind die bestehenden Familiennamen bereits so fest etabliert, daß sie im Konstanz des 15. Jahrhunderts nicht mehr ohne weiteres ersetzt werden können, wie dies im 14. Jahrhundert noch eher der Fall gewesen zu sein scheint. Stattdessen kommt es zu einer dauerhaften Doppelnamigkeit wie im Falle der Tettikoven/ Bündrich und den Zweigfamilien der von Ulm im guldin swert bzw. an sant Pauls gassen. Das Namenssystem wurde im ausgehenden Mittelalter mithin starrer, blieb aber flexibel genug, um als Medium der Selbstzurechnung (oder Differenzbetonung) dienen zu können. <?page no="78"?> Das Haus als Gedächtnisträger <?page no="80"?> G ABRIELA S IGNORI Haus, Name und memoria. Bürgerhäuser als Seelen- und Armenhäuser im ausgehenden Mittelalter Es gibt verschiedene Möglichkeiten, zu Lebzeiten dafür zu sorgen, daß einen die Nachwelt in Erinnerung behält. Eine dieser noch heute geläufigen Möglichkeiten besteht darin, zu einem bestimmten Zweck ein Gebäude oder einen Gebäudekomplex zu stiften, das/ der fortan den Namen des Stifters tragen wird. Monumentale Stiftungen dieser Art stehen häufig in Zusammenhang mit Kinderlosigkeit, dem Fehlen von Leibeserben, an die man seinen Besitz und mithin seinen Namen auf »natürliche« Weise hätte weiterreichen können. Bekannt ist die zwischen 1514 und 1523 erbaute Fuggerei, eine Armensiedlung aus insgesamt 52 Häusern, die der kinderlose Augsburger Kaufmann Jakob Fugger der Reiche (1459-1525) gestiftet und mit 10.000 Gulden reich dotiert hatte. 1 Die Stiftung selbst war als »Familienunternehmen« konzipiert: Die Verwaltung nämlich übertrug Fugger den Söhnen seiner Brüder. Ebenso häufig griffen die mittelalterlichen Stifter aber auch auf ihre eigenen Häuser zurück, um sie armen Menschen als Herberge oder als dauerhafte Bleibe in Gestalt von Armenhäusern zu vermachen. Und auch diese Häuser trugen später gemeinhin den Namen des Stifters bzw. des früheren Besitzers. Zum Einsatz gelangten zum Teil auch bloß bestimmte Hausteile oder Holzbuden. Die ältere Forschung spricht unterschiedslos von »Wohnungsstiftungen«, »Freiwohnungen« oder »Sozialsiedlungen«. 2 Die Begriffe sind nicht nur zu modern, sie treffen den Sachverhalt auch nicht richtig. Denn es scheint mir eine Sache zu sein, eine Holzbude, einen Keller oder eine Wohnung zu stiften, eine andere, das Haus, in dem ich längere Zeit gelebt und darin vielleicht sogar aufgewachsen bin, bedürftigen Menschen zu vermachen. Mit diesen Hausstiftungen möchte ich mich im Folgenden etwas eingehender befassen, weil sie, wie ich glaube, wie keine 1 Vgl. jüngst B ENJAMIN S CHELLER , Memoria an der Zeitenwende. Die Stiftungen Jakob Fuggers des Reichen vor und während der Reformation (ca. 1505-1555) (Studien zur Fuggergeschichte 37. Stiftungsgeschichten 3), Berlin 2004. 2 O TTO N ÜBEL , Mittelalterliche Beginen- und Sozialsiedlungen in den Niederlanden. Ein Beitrag zur Vorgeschichte der Fuggerei, Tübingen 1970, S. 204-29; P ETER H ANS R O - PERTZ , Die Wohnungsstiftungen des 15. bis 18. Jahrhunderts. Eine besondere Form »anstaltsmäßigen Wohnens«, in: Zeitschrift für Stadtgeschichte, Stadtsoziologie und Denkmalpflege 4 (1977), S. 183-214. 81 <?page no="81"?> 82 Gabriela Signori andere spätmittelalterliche Einrichtung sichtbar machen, wie eng, über den Tod des Besitzers hinaus, in Spätmittelalter und Früher Neuzeit die Verbindungslinien zwischen Haus, Name und Person gestaltet sein konnten. Mehr noch, die drei Ebenen Haus, Name und Person bilden in dieser Stiftungsform eine nahezu unauflösbare Einheit. Ich beginne mit dem äußeren Rand des Mittelalters, dem beginnenden 16. Jahrhundert, und arbeite mich von da aus ins 13. und 14. Jahrhundert vor. I Unter der Überschrift Kilchmann findet sich im Jahrzeitenbuch der Kleinbasler Gemeindekirche St. Theodor folgende Stiftung verzeichnet: Zů lob vnnd ere dem allmechtigen, der junkfrow Maria, allen himelschen burgern, haben der fromm, vest juncker Ludwig Kilchman vnnd der streng her Hans Kilchman, ritter, sin sun, bede der reten der stat Basel, ouch ir bede aller ir vordern vnnd allen cristgloubigen selen zue trost alle ir hab vnd gůt, ligends vnd varends, zinß, gúlt, barschafft, silberin geschier vnnd annders gar vnd gǽntzlich nützit hindangesetzt nach ir beder abgang zů stifftung einer Ellendenherberg in irem seßhof in der mindren stat Basel vor sant Niclaus Cappellen vber gelegen, dannathin ewiglich zehalten geordnet, gestifftet, geacht vnd vbergeben alles nach sag, vßwisung vnd lutteren beschend, wie das mit den armen bilgerin, geistlichen vnd weltlichen frowen vnd mannen, jungen vnd alten, so in die selb herberg komen vnnd herberg vnnd des heiligen allmusens begeren, dem meister vnnd anndern gehalten werden sol, eins gemecht vnnd ordnung brieff an dem stat gericht zů mindren Basel mit vrteil verfertiget vnnd vff gericht, weliche ordnung vnnd andern articklen vßdruckt, / das/ ein yeder lütpriester der pfarkilchen zů sant Theodoren, ein schultheis vnnd die meister der dryen geselschafften zů der Herren, zům Griffen vnnd zum Rebhuß zů mindren Basel ye zů zitten vnnd der selben nachkomen nach obgemeltem der stiffter abgang der gedachten herberg pflegere sin vnd by jren wirden vnnd pflichten jr getrůw vffsechen haben sollen zů der obgenanten herberg nach jnhalt berürter stifftung, damit die jn ewig zyt in erlichem wesen gehalten wird vnnd deßhalb der herberg nütz zefurdren vnnd schaden ze wendenn vnd solle das dem schultheisen vnnd den geselschafft meistren jarlich jn jngang vnnd besatzung jr empter jn ir eyd gebunden vnnd diß schrifft also jerlichs verlesen werden. Jtem vnnd das ein <?page no="82"?> Haus, Name und memoria yeder meister jn der selben herberg, den ein ratt zesetzen vnnd entsetzen haben sol, den obgemelten lütpriester, schultheisen vnnd meister alle jar jerlich vff mitGasten vngeuarlich zwen tag vor oder nach vnnd nit mer jm jar vmb alles sin innemmen vnnd vßgeben rechnung geben vnnd sy die also von jm empfachen by verlierung sines amptes, vnnd wann die rechnung beschicht, alß denn sol der meister dem lutpriester, dem schultheisen vnd den meistern yegklichen, so by selichen rechnung sin wirtt, x ß geben, vnd yegklicher obgemelten geselschafften zer Herren, zům Griffen vnnd Rebhus, ein pfund stebler nuwer, vnnd vber das sol ein meister nit pflichtig sin, weder dem lüttpriester, schultheisen, der geselschafften noch meistren nützit pflichtig sin, noch jnen kein mol geben, welcher ouch nit by s=licher rechnung were, dem sol nützit werden, sonder siner x ß deß jars beroubt sin. Sy sollen ouch jn sonder vffsechen haben vff den meister, das er redlich huß halt vnnd ob der herberg dheinest ettwas gFlten abgel=st würd, das houptgůt wider zum getruwlichisten vnnd fürderlichisten anzelegen, vnnd wann die rechnung beschicht vnnd sy beduncken wolt, das der meister nit sorg oder wol huß gehept hett, das an rucks an einen rat zebringen, die dan dar jn handlen mügen nach jrem gůtten duncken vnnd der herberg notturfft. Es sollen ouch die obgemelten pflegere jn die obgemelt herberg keinen pfründer vff nehmen noch keinich pfrůnd haruß verkouffen jn kein wysse. Die selben pflegere sollen ouch vff anndern stifftungen des psalters jn der kar wuchen zelesen, ouch jr jarziten zů sant Theodoren vnd zů Clingental nach lutt vergender brieffen erkoufft jr getruw vff sechen haben, das die gehalten werden. Es sollen ouch die pflegere alle brieff der herberg zů geherende oder ob einicht houptgůt abgel=stwurd deß an gelegung hinder jn verwaren wurd, die sollen jm zů gebruch des rechten vnd der herberg notturfft gelühen werden vnd sust, wann das ist, das sölich stifftung jr krefft entpfacht vnd jn wessen kompt in allen punckten der stifftung der copien alß denn yegklich gesellschafft hinder sich nemmen mag, die getruwlich vnnd ersamlich gehalten wird als die stifftere da in ir aller conscientzen beladen haben welt. 3 Ludwig und Hans Kilchmann, Vater und Sohn, waren am 18. Juli 1502 vor dem Kleinbasler Schöffengericht gemeinsam übereingekommen, ihr Hab und Gut zusammen mit ihrem »Seßhaus«, ihrem Stammsitz an der Kleinbasler Rheingasse, in die Stiftung einer Stadtteil eigenen Elendenherberge zu überführen. 4 3 Staatsarchiv Basel-Stadt, Klosterarchiv, St. Theodor C, Jahrzeitenbuch, fol. 123 r . 4 Staatsarchiv Basel-Stadt, Klosterarchiv, Elendenherberge, Urkunde Nr. 100 a . 83 <?page no="83"?> Gabriela Signori Elenden-, das heißt Pilgerherbergen, Xenodochien, sind seit dem frühen Mittelalter belegt. 5 Im späten Mittelalter stieg ihre Zahl jedoch dergestalt an, daß fast jede größere Stadt im Reich eine entsprechende Einrichtung vorzuweisen hatte. 6 Arme Pilger waren gewöhnlich ihre Zielgruppe. Mancherorts präzisieren die Stiftungsbriefe, daß diese fremden, »elenden« Pilger nicht länger als eine Nacht in der Herberge verweilen durften. Und viele dieser Häuser waren, wie die Kleinbasler Elendenherberge, zu Gasthäusern umfunktionierte ehemalige Bürgerhäuser. 7 Insgesamt fünf Pfleger sollten die Kilchmannsche Stiftung verwalten: Zu dem »Leutpriester« der Gemeindekirche St. Theodor kamen der Schultheiß der kleinen Stadt sowie die drei Meister der ebenfalls in der kleinen Stadt ansässigen Gesellschaften zum Herren (Hären), zum Griffen und zum Rebstock hinzu. 8 Rund fünfzig Jahre zuvor hatte Konrad zum Haupt († zwischen 1451 und 1454) auf der anderen, auf der Großbasler Rheinseite, eine 5 E GON B OSHOF , Armenfürsorge im Frühmittelalter: Xenodochium, matricula, hospitale pauperum, in: Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte 71 (1984), S. 153-74. 6 Systematisch erschlossen sind die Elendenherbergen aber nicht, lediglich die Elendenbruderschaften: E RNST VON M OELLER , Die Elendenbruderschaften. Ein Beitrag zur Geschichte der Fremdenfürsorge im Mittelalter, Leipzig 1906; J OSEF H EINSBERG , Die Elendenbruderschaften des Mittelalters als soziologisches Phänomen, Diss. Bonn 1932, Düsseldorf 1933. 7 U LRICH K NEFELKAMP , Das Gesundheits- und Fürsorgewesen der Stadt Freiburg im Breisgau im Mittelalter (Veröffentlichungen aus dem Archiv der Stadt Freiburg im Breisgau 17), Freiburg 1981, S. 147-9; S ABINE P RESUHN , Seelenheil und Armensorge. Stiftungen Bremer Familien im 14. Jahrhundert, in: Bremisches Jahrbuch 72 (1993), S. 34-50. Vgl. auch M AX B ISLE , Die öffentliche Armenpflege der Reichsstadt Augsburg mit Berücksichtigung der einschlägigen Verhältnisse in anderen Reichsstädten Süddeutschlands. Ein Beitrag zur christlichen Kulturgeschichte, Paderborn 1904, 107-8; W ILHELM S TEINHILBER , Das Gesundheitswesen im alten Heilbronn 1281-1871 (Veröffentlichungen des Archivs der Stadt Heilbronn 4), Heilbronn 1956, S. 335-8; W ERNER M ORITZ , Die bürgerlichen Fürsorgeanstalten der Reichsstadt Frankfurt am Main im späten Mittelalter (Studien zur Frankfurter Geschichte 14), Frankfurt/ M. 1981, S. 84- 93; C LAIRE G ATTI , L’Hospice des Pauvres Passants de Strasbourg à la fin du Moyen Age, in: Chantiers historiques en Alsace 8 (2005), S. 25-36. 8 Ludwig Kilchmann war ab 1476 längere Zeit Meister der Gesellschaft zum Griffen gewesen, zu den Kleinbasler Gesellschaften vgl. R UDOLF W ACKERNAGEL , Geschichte der Stadt Basel, 3 Bde., Basel 1907-1924, Bd. 2/ 1, Basel 1911, S. 265f. 84 <?page no="84"?> Haus, Name und memoria Elendenherberge gestiftet. 9 Auch er hatte dafür sein Haus geopfert, die »Verwaltung« aber seinem Schwiegersohn Friedrich Rot und seiner Gemeindekirche St. Peter anvertraut. 10 Nach dem frühzeitigen Tod seines Schwiegersohns überantwortete er das Amt seinem Stiefsohn Henmann Offenburg († 1459). 11 Das Haus allerdings war nicht das Stammhaus derer zum Haupt, sondern der ehemalige Münchhof, der, wie aus dem Stiftungsbrief ersichtlich, auch über eine eigene Kapelle verfügte. 12 Wie das Geschlecht derer zum Haupt sollten auch die Kilchmanns in der Person von Hans 1522 erlöschen. Beide Familien hatten fulminante Karrieren gemacht: 1424 erst hatte Vater bzw. Großvater Konrad Kilchmann († 1454), ein Bäcker aus dem aargauischen Mellingen auf dem Zug nach Mühlberg das Basler Bürgerrecht erlangt. 1429 finden wir ihn mit einem steuerbaren Vermögen von 200 bis 300 Gulden unter den wohlhabenderen Vertretern seiner Zunft. Ab 1440 saß er als Zunftmeister im Rat. Zum gesellschaftlichen Durchbruch aber verhalf ihm eine nicht weiter präzisierte Erbschaft in der Höhe von 10.000 Gulden. Diese 10.000 Gulden erlaubten es ihm 1442, von Kaiser Friedrich III. einen Wappenbrief zu erwirken. Ab 1446 saß Konrad Kilchmann dann als Ratsherr und nicht mehr als Zunftmeister im Rat. 13 9 Genau genommen war Konrad zum Haupt der zweite Gründer der Basler Elendenherberge, die erste Stiftung geht auf den Kaufmann Hans Wiler zurück (Staatsarchiv Basel-Stadt, Klosterarchiv, Spital, Urkunde Nr. 322), vgl. R UDOLF W ACKERNAGEL , Geschichte der Stadt Basel, 3 Bde., Basel 1907-1924, Bd. 2/ 2, Basel 1916, S. 778f. 10 Staatsarchiv Basel-Stadt, Klosterarchiv, Elendenherberge, Urkunde Nr. 31 u. Nr. 61. 11 E LSANNE G ILOMEN -S CHENKEL , Henmann Offenburg (1379-1459): Ein Basler Diplomat im Dienste der Stadt, des Königs und des Reiches (Quellen und Forschungen zur Basler Geschichte 6), Basel 1975. 12 G UY P. M ARCHAL , Die Statuten des weltlichen Kollegiatstifts St. Peter in Basel. Beiträge zur Geschichte der Kollegiatstifte im Spätmittelalter mit kritischer Edition des Statutenbuchs und der verfassungsgeschichtlichen Quellen, 1219-1529 (Quellen und Forschungen zur Basler Geschichte 4), Basel 1972, Nr. 169, 172, 175. 13 Einleitung, in: Die Chronik in Ludwig Kilchmanns Schuldbuch, bearbeitet v. A UGUST B ERNOULLI (Basler Chroniken 6), Leipzig 1902, S. 425-42, vgl. auch R UDOLF W ACKER - NAGEL , Beiträge zur geschichtlichen Topographie von Klein-Basel, in: Historisches Festbuch zur Basler Vereinigungsfeier 1892, Basel 1892, S. 258-62; C. B URCKHARDT -S A - RASIN , Aus der Geschichte von Basels Handel, in: Basler Staatskalender 1959, S. 20-2 u. ebd. 1963, S. 7-22; H ANS F ÜGLISTER , Handwerksregiment. Untersuchungen und Materialien zur sozialen und politischen Struktur der Stadt Basel in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts (Basler Beiträge zur Geschichte 143) Basel 1981, S. 300. 85 <?page no="85"?> 86 Gabriela Signori Insgesamt acht Kinder waren diesem Konrad beschieden, vier Söhne und vier Töchter. Hans war der älteste der vier Söhne, es folgten Hans Konrad († um 1475), Friedrich († 1492) und Ludwig († 1518), der Autor eines Schuldbuches, das uns über die Geschicke der Familie informiert. 14 Seinen Namen trug der jüngste Sohn, weil er am Tag Ludwigs des Heiligen geboren war. 1468 vermählte sich dieser Ludwig mit der damals 19jährigen Elisabeth Zscheckabürlin († 1499). Schon die Heiratsverbindungen seines Bruders Friedrich und seiner Schwester Ursula mit namhaften Geschlechtern der Stadt, den Schlierbachs und den Offenburgs, demonstrierten den sozialen Aufstieg der Kilchmanns dank Erbschaft und Wappenbrief. Aber erst Ludwig gelang es, indem er seinen Sohn Hans mit Anastasia Sürlin vermählte, in den exklusiven Kreis der Basler Achtburger emporzusteigen. Anders als in Nürnberg oder Ulm besserten demnach in Basel die Frauen nicht nur ihre Männer, sondern sogar deren Väter, also ihre Schwiegerväter. 15 Seit 1490 lösten sich Vater und Sohn im Rat in der Gruppe der exklusiven Achtburger ab. Ja, 1500/ 1501 wurde Ludwig, der als Sohn eines reichen Bäckermeisters geboren worden war, sogar zum Bürgermeister gewählt. Zugleich engagierte er sich als Pfleger des Großen Almosens, der städtischen Armenkasse, und wenig später (1501-1508) als Spitalpfleger und Urteilssprecher am Gericht (1502-1514). Seinem Schuldbuch entnehmen wir ferner, daß er 1512 der St. Sebastiansbruderschaft bei den Augustinern beigetreten war, aber auch der Bruderschaft der Karrerknechte und der Müllerknechte in der Kleinbasler Klosterkirche Klingental. 16 Anders als sein Sohn Hans blieb Ludwig in religiösen Dingen seiner zünftigen Herkunft 14 Jahrzeitenbuch (wie Anm. 3), fol. 70 v : Jtem das jorzyt sol zw sant Theodor fur die genanten Ludwigen Kilichman, fr ? w Eilßbeten Zschekenbúrlin, die elichen gemecht, Hansen Kilichman, jr beder sun, Friderichen Kilchman, sin bruder, vnd seliger ged(chtnuß Conraten Kilchman, sinem vatter, fr ? w Agnes Kilchmanin, sin můter, jungfrow Margreten, ir tochter, Hannsen Kilchman vnd Hanns Cůnrat Kilichman gebrúder, fr ? w Katherinen von Nuwhusen, Friderichen Kilchman elichen gemachel, vnd aller irer vordern vnd nachkomen vff diß gemelt gult vnd zinns gehalten worden. 15 Bruder Felix Fabris Abhandlung von der Stadt Ulm nach der Ausgabe des litterarischen Vereins in Stuttgart, verdeutscht von K. D. H ASSLER . Ulm 1909, S. 63. 16 Die Chronik in Ludwig Kilchmanns Schuldbuch (wie Anm. 13), 452f., vgl. R UDOLF W ACKERNAGEL , Bruderschaften und Zünfte zu Basel im Mittelalter, in: Basler Jahrbuch 1883, S. 220-49, hier 227. <?page no="86"?> Haus, Name und memoria durchaus treu, das zeigte sich auch in seinem Engagement für seine Gemeindekirche. 17 Sein Sohn Hans (1470-1522) hingegen gebärdete sich wie ein Adeliger: 1496 war im Heiligen Jahr zum Ritter geschlagen worden. Wenig später pilgerte er nach Santiago de Compostela (1499), Rom (1500) sowie nach Aachen (1501). 18 Noch später zog er für Basel in den Krieg und vertrat die Stadt in diplomatischen Diensten. In den vielen Reisen mag auch begründet liegen, weshalb Vater und Sohn sich als Stiftungszweck für eine Pilgerherberge entschieden. Ihre Wahl beeinflußt haben könnte aber auch ihre Verwandtschaft mit den Offenburgs, die Verwalter der Großbasler Elendenherberge. Das eine Argument schließt das andere nicht aus. II Hausstiftungen decken ein breites Spektrum unterschiedlicher Stiftungszwecke ab: Sie reichen von Armenhäusern über Herbergen für konvertierte Juden bis zu Pfründen für betagtes Hauspersonal oder Handwerker. Anders als im 15. und noch zu Beginn des 16. Jahrhunderts wurden im 13. und 14. Jahrhundert auf diese Weise jedoch vorzugsweise so genannte Almosen-, Gottes- oder Seelhäuser gegründet und dies in erstaunlich hoher Zahl 19 : Jeweils über zwanzig Seelhäuser waren es in Augsburg, Frankfurt, Köln, Nürnberg und in Straßburg. 20 17 G ABRIELA S IGNORI , Vorsorgen - Vererben - Erinnern. Kinder- und familienlose Erblasser in der städtischen Gesellschaft des Spätmittelalters (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte 160), Göttingen 2001, S. 316-20. 18 Die Chronik in Ludwig Kilchmanns Schuldbuch (wie Anm. 13), S. 443. 19 Almosenhäuser heißen die Einrichtungen im spätmittelalterlichen London vgl. F RANK R EXROTH , Armenhäuser und selektive »Caritas« in England, in: Sozialgeschichte mittelalterlicher Hospitäler (Vorträge und Forschungen 65), hrsg. v. N EITHARD B ULST und K ARL -H EINZ S PIEß , Ostfildern 2007, S. 11-36. 20 Vgl. Anm. 2 sowie H ERBERGER , Die Seelhäuser und die Seelgeräthe in Augsburg, in: Zeitschrift des Historischen Vereins für Schwaben und Neuburg 3 (1876), S. 283-96; E RNST M UMMENHOFF , Die öffentliche Gesundheits- und Krankenpflege im alten Nürnberg, in: Festschrift zur Eröffnung des neuen Krankenhauses der Stadt Nürnberg, Nürnberg 1898, S. 1-122, hier 66-73; E RICH Z ECHLIN , Lüneburgs Hospitäler im Mittelalter, Hannover-Leipzig 1907, S. 12-7; R OLF K IESSLING , Bürgerliche Gesellschaft und Kirche in Augsburg im Spätmittelalter. Ein Beitrag zur Strukturanalyse der oberdeut- 87 <?page no="87"?> 88 Gabriela Signori Gotteshäuser sind Einrichtungen für arme Schwestern oder arme Brüder (meist waren es apostolische sechs bzw. zwölf arme Schwestern oder Brüder), während der im schwäbischen Raum verbreitete Begriff Seelhaus darauf abhebt, daß die Bewohner dieser Häuser vor allen anderen Dingen zur Aufgabe hatten, für die Seele des Stifters zu beten. Anfänglich weisen diese Einrichtungen zahlreiche, auch funktionale Überschneidungen mit den Beginensammlungen auf. 21 Ja, in einzelnen Dokumenten wie dem Testament des Straßburger cives Konrad von Rufach oder der Kunigunde Wagner werden Beginen und arme Frauen quasi als Synonyme verwendet. 22 Demnach taten sich schon die Zeitgenossen ausgesprochen schwer, zwischen Beginen- und Armenhäusern zu unterscheiden. Sicher ist es wichtig, die beiden Sachverhalte, hier semi-religiöse Gemeinschaften, da Armenhäuser im Dienste der Stiftermemoria, idealtypisch so gut es geht auseinander zu halten. Die Stiftungsrealität aber verwischt die Unterschiede. Auch erschwert es das Verständnis der beiden Einrichtungen erheblich, daß vor allem die jüngere Forschung so selten eine Brücke zwischen Frömmigkeit, Geschlechter- und Sozialgeschichte schlägt. schen Reichsstadt (Abhandlungen zur Geschichte der Stadt Augsburg 19), Augsburg 1971, S. 219-35; G ERHARD F OUQUET , Zwölf-Brüder-Häuser und die Vorstellung vom verdienten Ruhestand im Spätmittelalter, in: Sozialgeschichte mittelalterlicher Hospitäler (Vorträge und Forschungen 65), hrsg. v. N EITHARD B ULST und K ARL -H EINZ S PIESS , Ostfildern 2007, S. 37-76. 21 J OHANNES A SEN , Die Beginen in Köln, in: Annalen des historischen Vereins für den Niederrhein 111 (1926), S. 81-180; 112 (1927), S. 71-148; 113 (1928), S. 13-96; C HARLES S CHMIDT , Die Straßburger Beginenhäuser im Mittelalter, in: Alsatia 7 (1858-1861), S. 149-248; D AYTON P HILLIPS , Beguines in Medieval Strasbourg. A Study of the Social Aspect of Beguine Life, Stanford University, California 1941, S. 145-80; Die Beginen und Begarden in der Schweiz, hrsg. v. B RIGITTE D EGLER -S PENGEL (Helvetia Sacra IX/ 2), Basel-Frankfurt/ M. 1995; M ARTINA S PIES , Beginengemeinschaften in Frankfurt am Main. Zur Frage der genossenschaftlichen Selbstorganisation von Frauen im Mittelalter, Dortmund 1998, S. 210-3; B ARBARA B AUMEISTER , Geistliche Schwestern und fromme Bürger - die Nördlinger Seelhäuser im Spätmittelalter, in: Rieser Kulturtage 14 (2003), S. 193-204. 22 Urkundenbuch der Stadt Straßburg, Bd. 3: Privatrechtliche Urkunden und Amtslisten von 1266 bis 1332, ed. A LOYS S CHULTE , Straßburg 1884, Nr. 876 u. 1068. <?page no="88"?> Haus, Name und memoria III Gottes- oder Seelhäuser sind in hoher Zahl vor allem aus größeren Städten überliefert. Das Phänomen aber ist keineswegs auf sie beschränkt. Belege finden sich auch für kleinere Orte, ja vereinzelt sogar auf dem Land. Am 21. August 1349 vergabten Elisabeth, Katharina und Verena, die Töchter eines Johannes Spiser, ihr »Seßhaus«, den Spiserhof in Rheinfelden, zwölf Schwestern des Franziskanerordens. 23 Sechs Schwestern (wiederum aus dem Franziskanerorden) waren es, denen der Berner Peter von Krattingen am 16. Mai 1356 sein Haus vermachte, das den Namen Krattinger Hof trug. Täglich hatte dafür »jede der sechs Schwestern sieben Pater noster und sieben Ave Maria zu beten zum Trost und zum Lob unserer Seele und der aller christgläubigen Menschen und am Tag seiner Jahrzeit jede von ihnen fünfzig Pater noster und fünfzig Ave Maria«. 24 Des morgens und des abends sollten die Schwestern an diesem Tag auch sein Grab visitieren. Kommentarlos wurde in diesen Fällen der Name der Stifter im Stiftungsgut, also im Haus, weitergeführt. Meist lebte der Name des Stifters im Haus weiter, ohne daß die Frage in den Quellen zur Sprache gekommen wäre. Nur vereinzelt wird die Namensfrage erörtert, so beim Ritter Konrad von Beugen und seiner Mutter, die 1330 in Basel ein Haus im Wert von 60 Gulden kauften und im Stiftungsbrief ausdrücklich verlangten, das Haus solle zu ihrem Gedenken conventus sororum de Bughein heißen. 25 Manchmal erweist sich der Hausname beständiger als der Hausbesitzer, wie wir beim Basler Münchhof oder beim Basler Vitzumhof beobachten können. 26 Beide Hofnamen verweisen auf namhafte Basler Adelsgeschlechter, Geschlechter aber, die zum Zeitpunkt der Umwandlung vom Adelshof zum Gotteshaus (1290 u. 1413) längst erloschen waren. In diesen Fällen überstrahlte das Ansehen der früheren Hausbesitzer dasjenige des späteren Käufers, war der Name symbolisches Kapital, das man im Hauskauf sozusagen gleich dazu erwarb. Gelegentlich tragen die 23 Die Urkunden des Stadtarchivs Rheinfelden, ed. F RIEDRICH E MIL W ELTI (Aargauer Urkunden 3), Aarau 1933, Nr. 62. 24 Fontes rerum Bernensium. Berns Geschichtsquellen, Bd. 8: 1353-1366, Bern 1903, Nr. 349. 25 Urkundenbuch der Stadt Basel, Bd. 5, ed. R UDOLF W ACKERNAGEL , Basel 1900, Nr. 113. 26 Urkundenbuch der Stadt Basel, Bd. 2, ed. R UDOLF W ACKERNAGEL u. R UDOLF T HOMMEN , Basel 1893, Nr. 704: curiam Vicedomini de Basilea militis. Vgl. Die Beginen und Begarden in der Schweiz (wie Anm. 21), S. 222f. 89 <?page no="89"?> 90 Gabriela Signori Häuser genauso wie die Hausbesitzer aber auch mehrere Namen. 1388 richtete Greda, die Witwe des Leinenwebers Konrad Vögelin, in ihren beiden Häusern für 12 arme Schwestern ein Gotteshaus ein, von denen das eine in den Quellen bald als Dechans, bald als Vögelins Haus bezeichnet wird. 27 Und schließlich läßt sich zuweilen gar kein Bezug zwischen Besitzer und Hausname erkennen. So schenkte der Konstanzer Domscholaster Burkhard von Zofingen am 31. Juli 1266 sein Haus zum Tümpel den Schwestern an der Mauer, »damit sie dort gemeinsam Gott dienten und für ihn und seine Eltern sowie für alle christgläubigen Menschen mit aufrichtigen Gefühlen die Barmherzigkeit Gottes anriefen.« 28 Hier zählte allein die Pflege der Stiftermemoria und weniger der Name des Stifters. Hier wird das Haus selbst zum Subjekt, dem sich der Besitzer unterordnet. Die in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts einsetzende Beginenverfolgung im Süden des Reichs brachte die Hausstiftungen nicht zum Versiegen, allein den Begriff Begine ersetzte man, wie das Straßburger Urkundenmaterial zeigt, ab 1318 konsequent durch arme Schwestern. 29 Und fortan gehörten die Begünstigten meist einem Orden, größtenteils dem Franziskanerorden an. Weitaus drastischer wirkten sich - längerfristig betrachtet - die städtischen Amortisationsgesetze auf die Stiftung von »Armenhäusern« aus. 30 Die Städte erklärten wohl in Reaktion auf die vielen Immobilien, die in die tote Hand gelangt waren, Liegenschaften zu »verfangenem Gut«, das ohne Erbenurlaub nicht veräußert werden durfte. 31 Die Zusammenhänge zwischen den » Amortisationsgesetzen « und der Rechtsfigur des » Erbenurlaubs « bleiben aber noch zu klären. Fortan gingen Hausstiftungen auf jeden Fall immer häufiger von Personen aus, die keine Leibeserben (mehr) hatten, 27 Die Beginen und Begarden in der Schweiz (wie Anm. 21), S. 241. 28 Grundeigentumsverhältnisse und Bürgerrecht im mittelalterlichen Konstanz. Eine rechts- und verfassungsgeschichtliche Studie mit einem Urkundenbuche und einer topographischen Karte. Bd. 2: Die Konstanzer Grundeigentumsurkunden der Jahre 1152-1371, ed. K ONRAD B EYERLE , Heidelberg 1902, Nr. 48. 29 Zu den Straßburger Beginen vgl. P HILLIPS , Beguines in Medieval Strasbourg (wie Anm. 21) sowie A LEXANDER P ATSCHOVSKY , Die Straßburger Beginenverfolgung im 14. Jahrhundert, in: Deutsches Archiv 30 (1974), S. 56-198. 30 W ILHELM K AHL , Die deutschen Amortisationsgesetze, Tübingen 1879; Winfried Trusen, Spätmittelalterliche Jurisprudenz und Wirtschaftsethik dargestellt an Wiener Gutachten des 14. Jahrhunderts, Wiesbaden 1961, S. 164-70. 31 E DWIN M AYER -H OMBERG , Zur Entstehung des fränkischen Verfangenschaftsrechtes (Studien zur Geschichte des Verfangenschaftsrechtes 1), Trier 1913. <?page no="90"?> Haus, Name und memoria deren Erlaubnis sie hätten einholen müssen. Ausnahmen wie das Basler Haus zum Angen bestätigen die Regel. 32 Wie dem auch sei, die Hausstiftungen wurden immer seltener und immer häufiger erweist sich die Kinderlosigkeit des Stifters als conditio sine qua non. Der kleinste gemeinsame Nenner, der die Hausstiftungen unter einander verbindet, ist nicht der Stiftungszweck, sondern der Entschluß des Stifters, das Haus, gegebenenfalls das Stammhaus, in dem er aufgewachsen und die meiste Zeit seines Lebens verbracht hatte, häufig auch zusammen mit all dem, was sich darin an Mobilien befand, karitativen Zwecken zu zuführen. So eng wie der Bezug zwischen Besitzer und Haus war dann auch der Bezug zwischen dem Stifter und den neuen Hausbewohnern, die oftmals täglich die Erinnerung, die memoria des Stifters am Leben zu pflegen hatten. Diese »privaten« Formen mittelalterlicher Armenfürsorge traten in der Forschung längere Zeit hinter die öffentlichen, kommunalen, vermeintlich modernen Fürsorgeeinrichtungen zurück. Die Hausstiftungen galten als typisch mittelalterlich bzw. vormodern, weil sie zu denjenigen Stiftungstypen zählen, in denen der Stifter im Mittelpunkt steht und weniger die durch die Stiftung begünstigte Gruppe der Armen. Beide Einrichtungen mögen in der Geschichte unterschiedliche Konjunkturen erlebt haben, sie gegen einander auszuspielen ist jedoch der falsche Weg. Beide sind Teil ein und derselben Kultur, in der die Armen noch einen zentralen Platz einnahmen, nicht am Rand der Gesellschaft, wie häufig behauptet, sondern noch mitten drin, eben in ehemaligen Bürgerhäusern! 32 Anna, die Witwe des Konrad zum Angen, richtete in ihrem Haus zum Angen eine Gemeinschaft mit 12 Beginen ein. Es wird schriftlich festgehalten, daß ihre Kinder der Stiftung zugestimmt hatten. Vgl. Die Beginen und Begarden in der Schweiz (wie Anm. 21), S. 237 sowie G EORG B ONER , Das Predigerkloster in Basel, in: Basler Zeitschrift für Geschichte und Altertumskunde 33 (1934), S. 135. 91 <?page no="92"?> O LIVIER R ICHARD Haus und agnatisches Familienbewußtsein im spätmittelalterlichen Regensburg Auf der genealogischen Tafel, der die Forschung den Namen Stemma von Cujas (9. Jahrhundert) verliehen hat, bilden Treppen, Pfeiler und Architrave das architektonische Grundgerüst, auf dem sich der Verwandtschaftsverband einschrieb. 1 Die im Bild verdinglichte Metapher, die Familie und Haus auf eine Ebene setzt, ist sehr alt. Über die Jahrhunderte hinweg hat sie sich auch in manch einem Idiom zum Sprachbild verfestigt: So bezeichnet die Florentinische casa des ausgehenden Mittelalters nicht nur das Gebäude, sondern auch die Familie, die darin ihren Wohnsitz hat. 2 In anderen Sprachgemeinschaften scheint sich die Verbindung zwischen Haus und Familie auf den Adel bzw. den Hochadel zu beschränken, was Wendungen wie » das Haus Bayern « oder » das Haus Anjou « nahelegen. 3 Beiden Varianten, die Florentinische casa und « das Haus Anjou « , zeugen von der enorm hohen Wertschätzung, die dem Haus als realem und symbolischem Ort zukommt, in dem lebende und tote Familienmitglieder, deren Präsenz in Ahnenbildern festgehalten ist, zusammenfinden. Im Haus schließlich gelangt auch zum Ausdruck, was in der spätmittelalterlichen Stadt an sich schwierig zu 1 C HRISTIANE K LAPISCH -Z UBER , L’arbre des familles, Paris 2003, S. 32 u. 46 ; D IES ., L’ombre des ancêtres, Paris, 2000, S. 22. Die hier verwendeten Abkürzungen sind wie folgt aufzulösen: KU = Kloster Urkunden, Bayerisches Hauptstaatsarchiv München ; RT = Regensburger Testamente, ebd.; RRUrk = Reichsstadt Regensburg Urkunden, ebd.; AHVOR = Archiv des Historischen Vereins für Oberpfalz und Regensburg ; BZAR = Bischöfliches Zentralarchiv Regensburg , SpAR = Spitalarchiv Regensburg ; StAR = Stadtarchiv Regensburg. 2 C HRISTIANE K LAPISCH -Z UBER , La maison et le nom. Stratégies et rituels dans l’Italie de la Renaissance (Civilisations et sociétés, 81), Paris 1990, S. 6. 3 Vgl. die Einträge ‚Haus’ im Deutschen Rechtswörterbuch, Heidelberger Akademie der Wissenschaften, online-Ausgabe: http: / / drw-www.adw.uni-heidelberg.de/ drw/ [22.08.2008] und ‚hûs’ im Mittelhochdeutschen Handwörterbuch von Matthias Lexer, Online-Ausgabe, http: / / germazope.uni-trier.de/ Projects/ WBB/ woerterbuecher/ bmz/ lexer [22.08.2008]. Seit längerem beschäftigt sich die Forschung mit dem Thema Haus und Hof als sozialer Verband und Zentrum adliger Herrschaftsbildung vgl. C ORDULA N OLTE , Familie, Hof und Herrschaft: das verwandtschaftliche Beziehungs- und Kommunikationsnetz der Reichsfürsten am Beispiel der Markgrafen von Brandenburg-Ansbach (1440-1530) (Mittelalter-Forschungen 11), Ostfildern 2005, S. 38f. 93 <?page no="93"?> 94 Olivier Richard bewahren war: die Kontinuität der Familie über die Generationen hinweg. 4 Ein Haus von einer Generation an die nächste weiterreichen, das heißt in diesem Kontext immer auch das Gedächtnis, die Memoria einer Familie lebendig halten. 5 Das Gedächtnis macht aus dem Haus ein ganz besonderes Sachgut, das nicht wie jedes andere » Ding « in einen Topf geworfen und unter den Erben verteilt werden kann. Seine Weitergabe will bedacht sein. Davon sollen die nachfolgenden Seiten handeln. Gegenstand meiner Erörterungen ist die Stadt Regensburg. Hausbücher, die, wie die norditalienischen Beispiele zeigen, auf unvergleichbare Art und Weise Haus und Familie in Gegenwart und Vergangenheit zusammenführen, sind in Regensburg keine überliefert. 6 So nähern wir uns dem zweifachen Gegenstand Haus und Familie mit Hilfe der rund zweihundert Regensburger Bürgertestamente, die aus dem 14. und 15. Jahrhundert auf uns gekommen sind. Viele dieser Testamente wurden zusammen mit Quittungen oder Gerichtsakten, in denen Erbschaftsstreitigkeiten festgehalten wurden, aufbewahrt. 7 Auf diese Weise finden sich zumindest in Ansätzen die Unzulänglichkeiten der Gattung (Testament) korrigiert, die stets eine für den Historiker unbequeme Auswahl trifft und Wissen voraussetzt, das sich nicht aus den Texten selbst erschließt. 8 4 K LAPISCH -Z UBER , La maison et le nom (wie Anm. 2), S. 27 ; D IES ., L’ombre des ancêtres (wie Anm. 1), S. 22. 5 Zu den Schwierigkeiten im Mittelalter den Begriff »Familie« zu benutzen vgl. A NITA G UERREAU -J ALABERT , Art. »Parenté«, in: Dictionnaire raisonné de l’Occident médiéval, hrsg. von J ACQUES L E G OFF u. J EAN -C LAUDE S CHMITT , Paris 1999, S. 861-76, hier 861. 6 Siehe neuerdings Haus- und Familienbücher in der städtischen Gesellschaft des Spätmittelalters und der frühen Neuzeit (Städteforschung A 69), hrsg. v. B IRGIT S TUDT , Köln u. a. 2007. 7 Vgl. T HOMAS P ARINGER u. O LIVIER R ICHARD , Die Testamente der Reichsstadt Regensburg aus Spätmittelalter und Früher Neuzeit. Entstehung - Überlieferung - Quellenwert, in: Archivalische Zeitschrift 87 (2005), S. 197-234; O LIVIER R ICHARD , Mémoires bourgeoises. Memoria et identité urbaine à Ratisbonne à la fin du Moyen Âge, Rennes 2009 (im Druck). 8 Vgl. C LIVE B URGESS , Late Medieval Wills and Pious Convention. Testamentary Evidence Reconsidered, in: Profit, piety and the professions in later medieval England, hrsg. von M ICHAEL H ICKS , Gloucester 1990, S. 14-33, und J ACQUES C HIFFOLEAU , Les testaments provençaux et comtadins à la fin du Moyen Âge: Richesse documentaire et problèmes d’exploitation in: Sources of Social History. Private Acts of the Late Middle Ages, hrsg. v. P AOLO B REZZI u. E GMONT L EE (Papers in Medieval Studies 5), Toronto/ Rom 1984, S. 131-52. <?page no="94"?> Haus und agnatisches Familienbewußtsein Im Folgenden werde ich mich zunächst den Partikularitäten des Regensburger Erbrechts zuwenden, dann der Frage nachgehen, ob sich in dem Haus, über das testamentarisch verfügt wird, Familienbewußtsein verfestigen mochte. Im Blickpunkt der Aufmerksamkeit steht also die Frage nach der Kontinuität, nach der Sicherung der Memoria. Das Haus vermachen Wie andernorts war auch in Regensburg die Freiheit des Testators, letztwillig über seinen Besitz zu verfügen, streng reglementiert. 9 Über das Regensburger Erbrecht informieren Ratserlasse und Gerichtsordnungen, besonders das gegen Ende des 14. Jahrhunderts verfaßte Gelbe Stadtbuch. 10 Berücksichtigung finden müssen aber auch die Regelungen, die das » Ehegüterrecht « betreffen. Denn Erbrecht und Ehegüterrecht sind - und dies gewiß nicht nur in Regensburg - im Mittelalter stets auf engste miteinander verworben. Für erbrechtliche Belange interessierte sich der Regensburger Rat zum einen aus fiskalischen Gründen und zum andern aus Gründen der Friedenswahrung. So finden wir die städtischen Steuerherren bei Erbschaftsstreitigkeiten bemerkenswert häufig mit der Funktion als Schiedsrichter betraut und ihren Urteile in chronologischer Reihenfolge ins Gelbe Stadtbuch übertragen. 11 Beide Praktiken zeugen davon, daß der Rat in Erbschaftsfragen eine ebenso kohärente wie konsequente Linie verfolgte. 1385 versuchte er, die Intestaterbfolge zu regeln: Sollte ein Regensburger Bürger sterben, ohne zuvor ein Testament aufgesetzt zu haben, mußten Frau und Kinder aus dem 9 P ETER L ANDAU , Die Testierfreiheit in der Geschichte des Deutschen Rechts im späten Mittelalter, in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Germanistische Abteilung 114 (1997), S. 56-72. 10 Es handelt sich um die Statuten von 1385, 1393 u. 1410, ediert von T HOMAS E NGELKE , Eyn grosz alts statpuech. Das »gelbe Stadtbuch« der Stadt Regensburg. Forschungen und Edition (Regensburger Studien und Quellen zur Kulturgeschichte 2), Regensburg 1995, Nr. 644, 645 u. 650, zur Ordonnanz von 1385 vgl. auch L UDWIG L INDNER , Das bürgerliche Recht der Reichsstadt Regensburg, Regensburg, Neuhaus 1908, S. 69. Zum Regensburger Erbrecht vgl. H EINRICH G OTTFRIED G ENGLER , Die Quellen des Stadtrechts von Regensburg aus dem 13., 14. und 15. Jahrhundert, Erlangen, Leipzig 1892, S. 44- 6. 11 Vgl. die Ordonnanz von 1410 (wie Anm. 10), in der verlangt wird, daß die Steuerherren bei Erbschaftsstreitigkeiten zwei Ratsmitglieder als Schlichtungsinstanz designieren sollten. 95 <?page no="95"?> 96 Olivier Richard ersten, zweiten oder dritten Bett unter sich den Besitz aufteilen, es sei denn die Kinder seien bei der Wiederverheiratung des Vaters nicht schon » abgeschichtet « worden. Frau und Kinder werden rechtlich gleichgesetzt und die Kinder, wie in den Städten üblich, nicht nach Geschlechtszugehörigkeit unterschieden. 12 Bei unbeerbter Ehe mußte gemäß Ratserlaß aus dem Jahr 1393 die Witwe mit den Brüdern und Schwestern ihres Mannes sowie mit deren Kindern teilen. Waren keine Geschwister vorhanden, war es die Aufgabe des Rates darüber zu entscheiden, wer » die nächsten gesippten Freunde « des Verstorbenen waren. 13 Ein Ratsmandat aus dem 1410 sah vor, die Güter in verschiedene Sachgruppen zu unterteilen, das heißt zwischen Erbschaft, Errungenschaftsgut, Lehen, Geld und Zinsen zu unterscheiden. Von diesen beweglichen Gütern sollten zwei Drittel an die Witwe gehen und ein Drittel an die Verwandten bzw. in Gestalt eines Seelgeräts für das Seelenheil des Verstorbenen verwandt werden. 14 Ein Testament mußte respektiert werden, in diesem Punkt sind die Mandate und Ordnungen eindeutig. Über die individuellen Gestaltungsmöglichkeiten des letzten Willens aber lassen dieselben Texte nichts verlauten. So bleibt letztlich unklar, ob der Testator Frau und Kind übergehen bzw. enterben durfte. Mit Blick auf die Intestaterbfolge scheint der Gestaltungsspielraum des Einzelnen insgesamt aber eher limitiert gewesen zu sein. Faktisch ist zu beobachten, daß die Testatoren, die in ihrem letzten Willen über die Gesamtheit ihrer Güter verfügten, meist verlangten, daß diese in ebenso viele Teile geteilt werden sollten wie sie Kinder (egal ob Mädchen oder Knaben) hatten. Auf diese Weise begünstigten die Testatoren gelegentlich auch ihre Ehefrauen. Es scheint demnach ganz so, als habe sich, was das Erbrecht der Kinder anbelangt, niemand willkürlich über Gewohn- 12 In diesem Punkt unterscheidet sich das Regensburger Erbrecht vom Kölner gleichermaßen wie vom Basler, vgl. B RIGITTE K LOSTERBERG , Zur Ehre Gottes und zum Wohl der Familie. Kölner Testamente von Laien und Klerikern im Spätmittelalter (Kölner Schriften zu Geschichte und Kultur 22), Köln 1995, S. 205, sowie G ABRIELA S IGNORI , Vorsorgen - Vererben - Erinnern. Kinder- und familienlose Erblasser in der städtischen Gesellschaft des Spätmittelalters (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte 160), Göttingen 2001, S. 64. 13 E NGELKE , Gelbes Stadtbuch (wie Anm. 10), Nr. 645. 14 Ebd., Nr. 650: »dez sol der frawn di zway tail beleiben vnd der sel vnd den nachsten frewnten nach ainer sipp zenemen daz drittail. Vnd von dem selben drittail der selben hab sol der drittail der sel volgen vnd an gelegt werden«. <?page no="96"?> Haus und agnatisches Familienbewußtsein heiten hinweggesetzt, die fest in der städtischen Rechtskultur verankert waren. 15 86 der Regensburger Testatoren - 64 Männer und 21 Frauen - mit Kindern oder Enkelkindern vermachten diesen oder anderen Legatsempfängern ein Haus (vgl. Schaubild 1) oder mehrere Liegenschaften, die es unter den Erben zu verteilen galt. Frauen, die ein Drittel aller Regensburger Testatoren stellen, sind in diesem Zusammenhang leicht unterrepräsentiert. Mit 77 von 151 Empfängern sind die Söhne die Hauptnutznießer der Regensburger Hauslegate. Auch bei den Testatoren mit Kindern oder Kindeskindern verschiedenen Geschlechts stehen die Söhne an erster Stelle der Legatsempfänger. Für sie entschieden sich 51 von 66 Testatoren. Von den 15 Testatoren, die eine andere Wahl trafen, obwohl sie einen oder mehrere Söhne bzw. Enkelsöhne in männlicher Abstammung hatten, 16 stammte nur einer aus dem 15. Jahrhundert. 17 Im 14. und noch deutlicher im 15. Jahrhundert vermachte man sein Haus also ausschließlich seinen Söhnen. Nur ausnahmsweise gelangten andere Verwandte, namentlich die Seitenverwandten, in den Besitz eines Hauses (insgesamt neun). In 27 Testamenten wird präzisiert, das es sich um dasjenige Haus handelt, in dem » ich selb ynn pin « oder » da ich wonhaft pin « . In 20 von diesen 27 Fällen wiederum sollte genau dieses Haus an einen Sohn übergehen. Der Ratsherr Heinrich Ingolsteter zum Beispiel vermachte 1349 seinem Sohn Hans und dessen Söhnchen Hänslein testamentarisch » Haus und Hofstatt « , deren Lage nicht näher beschrieben wird. Sollten Hans und seine männlichen Erben vor dem Testator sterben, dann sollte die Liegenschaft an die Söhne seines Bruders Konrad gehen und nicht an Hansens Töchter: 15 Vgl. RRUrk. 3603, RT 300, 1697, 2430, 3091, 3161. Dasselbe Phänomen beobachtet K LO - STERBERG , Zur Ehre Gottes (wie Anm. 12), S. 205, in Köln. 16 Die Ausnahmen lassen sich gewöhnlich leicht erklären: Friedrich Lauterbeck präzisiert, daß sein Sohn Erhard seinen Erbteil schon anläßlich seiner Hochzeit erhalten habe: S USANNE K ROPAČ (Hrsg.), Das Schwarze Stadtbuch der Reichsstadt Regensburg. Quellenkritische Studien und Edition, Diss. masch., Universität Graz 2000, Nr. 254; Konrad Salsner wiederum hatte zwei Söhne, die beide nicht in Regensburg lebten. Und bei beiden war ungewiß, ob sie je nach Regensburg zurückkehren würden, weswegen er sein Haus seiner Frau vermachte (RRUrk. 1617 [1368 02 019]). Konrad Stegners Sohn war Mönch in Prüfening, weswegen in diesem Fall die Töchter in den Besitz seiner Liegenschaften gelangten (RRUrk. 2135 [1377 04 27]). 17 RT 559, 1419 07 06. Wahrscheinlich war sein Sohn unehelich: RT 559 (1419 07 06). 97 <?page no="97"?> 98 Olivier Richard Ich schaff darnach Hansen, meinem svn, vnd meim enynchlein Haenslein, seinem svn, mein aygen haus vnd hofstat, da ich inne bin, vnd ob mein vorgenanter svn Hans, der Ingoltsteter, mer sven gewuenne, den schaff ich ez mit sampt in. Waer aber, daz mein vorgenanter svn Hans, der Ingoltsteter, vnd mein vorgenantes enynchel Hænsel niht enwaern, dez got lang niht welle, vnd niht mer sven liezzen, so schaff ich vnd wil, daz daz vorgenant haus vnd hofstat erib vnd an gevalle meins brůder Chůnr[at], des Ingoltsteter sven, Steffann vnd Petern. 18 Gottfried Preumaister († wohl 1406), ein anderer Regensburger Patrizier, ging 1406 noch einen Schritt weiter. Ausdrücklich schloß er in seinem Testament aus, daß » Haus und Hofstatt « an der Haid - ein Platz, an dem besonders viele Ratsherren wohnten 19 - je an andere Kinder als an Söhne der Familie Preumaister fallen durften. Das Haus sollte an seinen Sohn Jakob und dessen Söhne übergehen. Sollte Jakob indes sterben, ohne einen männlichen Erben zu hinterlassen, dann sollte die Liegenschaft an den Sohn seines Bruders, seinen Neffen Erhard fallen, aber wiederum nur unter der Voraussetzung, daß dieser selbst männliche Erben habe. Sollte dieser Erhard nur Mädchen zeugen, dann, aber nur in diesem Falle, dürfe das Haus in weibliche Hände fallen: so sol mein egenantz haws vnd hofstat mit aller seiner czu gehorung erben vnd gefallen auf Jacob, den Prewmaister, meinen sun, vnd auf seine kind, das sün sind. Wär aber, das mein egenanter sun Jacob vor meiner egenanten hausfrawen oder nach ir von todes wegen abging vnd nicht elich leiplich chind hiet vnd lies, das sün wärn, so sol mein egenantz haws vnd hofstat halbs erben vnd gevallen auf meinen vettern Erhart, den Prewmaister, meins bruder sun, vnd auf seine chind, daz sün sind. Lies aber mein egenanter sun Jacob chind hinder im, daz sün warn, vnd die auch von todes wegen abgingen, e si czu irn iarn chomen vnd beheirat würden, von den selben chinden sol es aber halbs erben vnd geu- 18 RRUrk. 885 (1349 10 09), ed. in F. B ASTIAN , Regensburger Urkundenbuch, Bd. 1: Urkunden der Stadt bis 1350, München 1912, Nr. 1251. 19 Siehe M ARTIN H OERNES , Die Hauskapellen des Regensburger Patriziats (Regensburger Studien und Quellen zur Kulturgeschichte, 8), Regensburg 2000, Karte S. 336, sowie C HRISTIAN F ORNECK , Die Regensburger Einwohnerschaft im 15. Jahrhundert, Regensburg 2000, S. 119-35. <?page no="98"?> Haus und agnatisches Familienbewußtsein allen auf den egenanten Erhart Prewmaister, meinen vettern, vnd auf seine chind, daz sün sind. Wär aber, das mein egen anter vetter Erhart Prewmaister auch von todes wegen abging vnd nicht elich leiplich chind hiet vnd ließ, das sün wärn, so sol der egenant hallfentail des hawß vnd der hofstat an der Haid mit seiner czu gehorung erben vnd geuallen auf mein czwo töchter Anna, die Hofmeisterynn, vnd auf Barbara vnd auf alle meine enikchlein meins suns vnd meiner töchter Anna vnd Barbara chind in geleichen tail. Vnd ob mein egenant vetter Erhart Prewmaister su e n hinder im lies, darauf daz egenant mein halbs haws geirbet hiet, vnd die dann auch von todes wegen abgingen vnbeheirat vnd e si czu irn jarn chömen, von den selben sol es aber her wider erben vnd geuallen auf mein czwo to e chter vnd auf alle meine enikchl in geleichen tail geleicher weis, als ob es von irm vater auf si geirbet solt haben. 20 Wie aber agierten die 73 Testatoren (39 Männer und 34 Frauen), die keine Kinder (mehr) hatten? Was geschah mit deren Häuser? Von den 26 Testatoren mit Haus, darunter vier Frauen, bevorzugten die Männer abermals eindeutig ihre Brüder und » Vetter « oder andere männliche Agnaten. Der Ratsherr Lukas Ingolsteter († 1444) hinterließ fast alle seine Güter seiner Frau Ursula zum Nießbrauch. Sein repräsentatives Haus mit Hauskapelle aber, Ingolstetterhaus genannt, an der heutigen Gesandtenstrasse gelegen, sowie seine anderen Immobilien vermachte er seinem » Vetter « Lienhart Ingolsteter, dem letzten männlichen Vertreter des Geschlechts. Sollte Lienhart ohne Leibserben sterben, sollten die Immobilie an die nechst gesipt freünd von Lukas übergehen. 21 Dieselbe Wahl traf der Ratsherr Albrecht Coppenwalder († 1463/ 1464). 22 20 RT 517 (1406 11 23). 21 BZAR ADK 1444 11 20. 22 RT 752 (1463 12 09). Die Frauen von Testatoren ohne Kindern profitierten gewöhnlich nicht eher von Hauslegaten als die mit Kindern. 6 von 13 verheirateten Testatoren vermachen ihnen ein Haus (also 46, 15 %), gegenüber 22 von 48 verheirateten Testatoren mit Kindern (45, 83 %). Testatoren mir Erben hingegen vermachen ihren Frauen fast nie das Haus, in dem sie leben. Dies geschieht lediglich bei Erbenlosigkeit, wie bei Ludwig Sitauer (RT 2968 [1417 03 12], Michel Schröfl (RRUrk. 1442 06 02) und Wolfgang Schreiner (RT 2862 [1456 03 30]). Letzteres verlangte von seiner Frau aber, daß, wenn sie das Haus verkaufen sollte, sie es zuerst seinem Bruder Hans zum Kauf anbieten sollte und zwar zu einem Preis von 16 Regensburger Pfund. 99 <?page no="99"?> 100 Olivier Richard Obwohl das Regensburger Erbrecht Söhne und Töchter prinzipiell gleichstellte, erbten die Söhne faktisch viel häufiger Immobilien als die Töchter, besonders wenn es um das Wohnhaus, das Stammhaus des Erblassers ging. 23 Auch bei Erbenlosigkeit zogen die Testatoren die agnatische Verwandtschaft vor, also die Verwandtschaft, die den Namen des Geschlechts weiterzutragen vermochte. Der Befund gilt für alle Testatoren, für die Mitglieder der städtischen Führungsschicht gleichermaßen wie für einfache Handwerker ohne Vermögen und ohne politischen Einfluß. Aber reicht das Zahlenmaterial aus, um daraus den Schluß zu ziehen, um 1400 habe sich im Regensburger Bürgertum ein agnatisches Geschlechterbewußtsein zu entwickeln begonnen? Dazu muß sichergestellt werden, daß dem Bürgerhaus wirklich dieser hohe Symbolwert zukommt, den die Zahlen suggerieren. Markiert das Haus wirklich familiale Zugehörigkeit, familiale Identität über die Generationen hinweg? Haus und Herkommen Martin Hoernes zufolge bildeten die Patrizierhäuser mit Hauskapelle und Wehrturm das Herz, das identifikatorische Zentrum der Regensburger Geschlechter. 24 Das in Regensburg gebräuchliche Verwandtschaftsvokabular scheint ihm Recht zu geben. Selbst wenn Worte nicht zwangsläufig Realitäten schaffen, so scheint das Auftreten von Verwandtschaftsbegriffen, die auf das Herkommen zielen, doch eine wichtige Zäsur darzustellen, die mit der Praxis der Hauslegate korrespondiert. Geschlecht und stamm bezeichnen innerhalb der freundschaft bzw. Verwandtschaft ausschließlich die agnatische Linie. Stamm tritt in unserem Corpus zum ersten Mal 1407 in Erscheinung 25 ; bis 1511 sollten es insgesamt acht Belege sein. Vier Mal erscheint 23 Vgl. die Synthese von A NITA G UERREAU -J ALABERT , R ÉGINE L E J AN , J OSEPH M ORSEL , De l'histoire de la famille à l'anthropologie de la parenté, in: Les tendances actuelles de l’histoire du Moyen Âge en France et en Allemagne, hrsg. v. O TTO G ERHARD O EXLE u. J EAN -C LAUDE S CHMITT , Paris 2002, S. 433-46, hier 438. 24 H OERNES , Die Hauskapellen des Regensburger Patriziats (wie Anm. 19), S. 74. 25 RT 2480 (Testament des Erhard Reich 1429 06 09): »auf ander mein nachst freunt, di meines stames vnd namen waren«; BZAR 1454 07 24: »als dem eltisten Ingelstetter von nam vnd stam«; AHVOR Urk. Nr. 445 (Testament des Hans Teyssinger 1503 09 02): »absteygennder linien noch seittenlinien meins namens vnd stamens«; KU Regensburg-Augustiner 84, 1511 09 20: »alldieweile des namen vnd stamen verhannden.« <?page no="100"?> Haus und agnatisches Familienbewußtsein der Begriff stamm in Verbindung mit namen 26 , einmal mit dem konkreten Namen des entsprechenden Geschlechts, einmal mit geschlecht kombiniert. 27 Dem Begriff geschlecht begegnen wird das erste Mal 1380 28 , also um einiges später als im ländlichen Franken, mit dem sich Joseph Morsel in seiner Dissertation befaßt hat. 29 Er wird meist » kommemorativ « gebraucht, um der Idee Ausdruck zu verleihen, daß der Gesamtheit aller einem Geschlecht zugehörigen Toten gedacht werden soll. » Alle, die aus dem geschlecht verschieden sind « 30 , lautet die Formulierung in den Regensburger Testamenten. Nie wird geschlecht mit dem Begriff Namen verknüpft, obwohl er eigentlich alle diejenigen mit einschließt, die ein und denselben Namen tragen. 31 Der Begriff name wiederum erscheint im Regensburger Corpus 1362 zum ersten Mal in seiner Bedeutung als Familienbzw. Geschlechtername 32 , also etwa zur gleichen Zeit als stamm und geschlecht erstmals in Erscheinung treten. Allgemeingültigere Begriffe wie freunde oder freundschaft werden weiterhin benutzt und sind letztlich auch viel häufiger anzutreffen als stamm, name und geschlecht. Aber die Trias stamm, name und geschlecht tritt immer da auf, wo von Erbschaft oder memoria die Rede. In dem Sinne kommt ihnen offenkundig eine andere Bedeutung zu als dem im Hinblick auf die Familienstrukturen neutralen Begriff Freundschaft. Und diese Bedeutung korreliert in Regensburg mit der sich im 15. Jahrhundert abzeichnenden Praxis, seinen Wohnsitz nicht den Töchtern, sondern den Söhnen zu vermachen. Die Begriffe name und stamm, die beide die männliche Verwandtschaftslinie bezeichnen, werden eben häufig gerade da verwendet, wo von Häusern die Rede ist. Das betrifft vor allem den Begriff name. 26 RT 562 (Testament des Konrad Prunnhofer, 1407 01 24): »dem stam der Prunnhofer.« 27 RRUrk 1473 05 12. 28 RRUrk. 2297: Testament des Konrad Rausmar (1380 09 01). 29 J OSEPH M ORSEL , La noblesse contre le prince: l’espace social des Thüngen à la fin du Moyen Âge (Beihefte der Francia 49), Stuttgart 2000, S. 60. 30 Oder verwandte Wendungen, erstmals belegt in RRUrk. 1410 09 30, dann 23 weitere Male, besonders gegen Ende des 15. Jahrhunderts, als die Formulierung bei Anniversarstiftungen gebräuchlich wird, vgl. Kloster Literalien Regensburg-St. Emmeram 7 fol. 123 r (1483 11 17), SpAR Urk. 1701 (1483 12 22), BZAR AK 1433 fol. 31 v (1484), StAR Urk. 218 (1484 02 23), etc. 31 RRUrk. 1420 08 14: »das geslächt der Probst«; RT 2985 (Testament des Heinrich Sintzenhofer, 1418 02 26 ou 02 24): »meins geslächtz der Sintzenhofer.« 32 BDK 1362 01 07: »ye der eltist Aw(r vnder in vnd auch ir erben die manncz nam habent«; RRUrk. 1413 02 11: »dem nam der Sitawer.« 101 <?page no="101"?> 102 Olivier Richard Name und Haus scheinen enger mit einander verwoben als alle anderen Verwandtschaftsbegriffe. 33 Gottfried Preumaister benutzt in seinem Testament weder den Begriff stamm noch den des geschlecht oder des name, aber er insistiert auf dem Namen Preumaister, beschwört ihn sozusagen, in dem er ihn x-fach wiederholt. Er zog seinen Neffen, weil er der Sohn seines Bruders war und damit Träger des Familiennamens, seinen Töchtern vor, immer vorausgesetzt der Neffe vermochte die ersehnte Kontinuität der Familie garantieren. Bei anderen Testatoren wird der Wille bzw. Wunsch, Haus und Name zusammenzuführen, explizit formuliert, zuerst beim Adel, später auch bei einzelnen Regensburger Bürgergeschlechtern. 1362 vermachte der Dompropst Dietrich Auer [† 1362], ein Adliger ministerialer Herkunft, dessen Familie die Stadt um 1334 verlassen hatte, sein Haus mit folgenden Auflagen: Wir [im Gegensatz zu den Bürgern benutzt Dietrich Auer den Pluralis majestatis] schaffen ze dem ersten vnser hauz vor Purch an der Wer vnd daz gwelb vnd der chappelln zue der chappellen auf dem gwelb den heiligen zwelfpoten, daz haus auf dem Purgtor vnd swaz dar zue anders gehort vnd der chirchen lehen, do selben schaff wir vnser lieben vettern hern Wernten, hern Jorgen, hern Dietreichen, Erharten vnd Peter, den Awer, daz si daz lösen sullen von dem Tuemdorfer vnd sullen die chappellen leyhen ye der eltist Awär vnd in vnd auch ir erben die mannez nam habent. 34 Zu Beginn des 15. Jahrhunderts häufen sich die Beispiele, in denen sich » Namensbewußtsein « und Hauslegat vereinen. 1418 vermachte Heinrich Sintzenhofer [† 1433/ 1434] mangels Leibserben sein Haus, das den Namen Sintzenhof trägt, seinem vetter Hans Sintzenhofer: Ich schaff meinem vettern Hannsen, dem Sintzenhofer, vnd Hannsen, seinem sun, mein haws vnd pawmgartten mit allem zugehoren, genant in dem Sintzenhof, da ich yetzu selb ynn bin, vnd ob dye manleich eleich erben gewünen, darauf sol das egenant haws vnd pawmgarten mit allem seinem zugehorn erben, alz lang vntz meins geslächtz der Sintzenhofer 33 BDK 1362 01 07, RRUrk. 1413 02 11, RT 752, RT 1001, KU Regensburg- Augustinereremiten 84. 34 BDK 1362 01 07. <?page no="102"?> Haus und agnatisches Familienbewußtsein von manlichen eleichen erben nicht mer sind, vnd es sol auch ye der eltyst Sintzenhofer, der dann lebtt, daz selb haws vnd pawmgartten ynn haben vnd nützen. 35 Sintzenhofer entstammte einem oberpfälzischen Adelsgeschlecht, das mag seinen Schritt in Teilen erklären. 36 Die Praxis selbst aber kann nicht als adliger Habitus gedeutet werden. Denn auch bürgerliche Geschlechter zogen in Regensburg enge Verbindungslinien zwischen Haus und Familie. 1413 stritten sich zwei Brüder aus dem Patriziergeschlecht der Sitauer um ihren Stammsitz. Das Haus sollte, so lautet das Urteil der Schiedsherren, in zwei Teile geteilt werden: » Es sol auch das selb haus pei dem nam der Sitawer vnd bei iren chinden vnd erben beleiben vnd sullen auch si paid vnd ir erben dhainen gewalt haben das selb haus weder zu verchumern, zu verchauffen noch zu versetzen. « 37 Die Beispiele häufen sich in den nachfolgenden Jahrzehnten. So bestimmte Albrecht Coppenwalder († 1463), der erste der Familie Coppenwalder, der in den Rat gewählt worden war, 1463 testamentarisch: » Item es sol ye der eltist meyns namen vnder in, der dann tüglich darczü ist, meyn behawsüng vnd hawsrat darinne mit irer zugehorüng nach mir besiczzen. « 38 Auch Erasmus Trainer († 1481), langjähriger Stadtkämmerer, vermachte 1481 seine » Behausung, worin er jetzt « lebe - es lag an der Ecke zum Rathausplatz und war mit einer Hauskapelle versehen 39 - seinem Sohn Veit mit folgenden Einschränkungen: Item mer schaff ich vnd ist mein maynung vnd will, das mein behawßung, darinn ich yetzo bin, mein sune Veit selb personlich besitzen sol vnd vnuerkaufft, auch vnuersetzt, bey dem mändlichen namen beleibe vnd nach seinem abgeen, da got lang vor sey, das allwegen der eltist seiner süne einer sollich behawßung besitze. 40 Gegen Ende des 15. und zu Beginn des 16. Jahrhundert wurde es offenbar selbstverständlich, seinen Stammsitz einem Sohn bzw. dem ältesten Sohn zu übertragen, wodurch Name und Haus unauflösbar miteinander verwoben zu sein schienen, glaubt man folgenden Fall: 35 RRUrk. 1413 02 11. 36 RT 2985 (1418 02 26). 37 RRUrk. 1413 02 11. Vgl. das Testament des Ulrich auf Tunau, RT 971 (1413 11 29). 38 RT 752 (1463 12 09). 39 H OERNES , Die Hauskapellen des Regensburger Patriziats (wie Anm. 19), S. 113. 40 RT 1001 (1481 07 14). 103 <?page no="103"?> 104 Olivier Richard 1511 ordnete Achatz Grafenreuter († 1542), der letzte männliche Vertreter seines Geschlechts, zu seinem Haus » in der Grub « , unweit des exklusiven Haidplatzes, so dann an: nw ytzt meiner behausung jn der grube, die da ein vmbgeende behaussung ist, der gestallt, das die albeg auf den elltissten Grafenreuter alldieweile des namen vnd stamen verhannden vnd wann mänlichs stamens nit mer verhannden noch in leben allsdann auf weibspillde von dem namen geboren erben vnd gefallen solle... 41 Zufälligerweise ist das Testament eines seiner Urahnen, eines Konrad Grafenreuter erhalten, der schon 1381 präzisiert hatte: » Vnd also schulen die häuser erben von ainem Gräuenrewter auf den andern, di weil ynndert ein Gräuenrewter lebt. « 42 Konrad allerdings spricht noch sehr allgemein von Erben und nicht vom » ältesten Grafenreuter « noch vom » männlichen Stamm des Namens Grafenreuter « , wie später sein Urenkel Achatz. Den Namen behalten hieß bei letzterem die Memoria derjenigen Männer und Frauen sichern, die diesen Namen trugen. Name und memoria Im Kern geht es also um die Memoria wenn in den Regensburger Bürgertestamenten von Haus und vom Namen die Rede ist. In diesem Punkt sind die Texte unmißverständlich. Gerade bei Achatz Grafenreuter ist der Wille, die Erinnerung an die Familie lebendig zu halten, besonders ausgeprägt. Um dieses Gedächtnis wachzuhalten, kaufte er sich als letzter Vertreter seines Geschlechts schließlich auch eine Ewigrente, die er in sein Totengedächtnis einfließen ließ. 43 Auch in anderen Regensburger Bürgertestamenten spielte die liturgische Memoria eine zentrale Rolle. 44 41 KU Regensburg-Augustineremiten 84 (1511 09 20). 42 RRUrk. 2341, 1381 05 18, vgl. H OERNES , Die Hauskapellen (wie Anm. 19), S. 251. 43 KU Regensburg-Augustineremiten 84 (1511 09 20). 44 Etwa bei Dietrich Auer dem Dompropst, vgl. oben Anm. 34. Die Kämpfe um die Kontrolle über die Kapellen waren zum Teil heftig. Nach dem Tod von Lukas Ingolsteter im Dezember 1444, stritt sein vetter und Erbe Lienhart Ingolsteter vor Gericht mit seinem Schwager Georg Frickinger, der die Patronatsrechte an sich gerissen hatte. Er profitierte davon, daß Ursula, die Witwe von Lukas Ingolsteter und Schwester von Georg Frickinger, das Haus ihres Mannes zum Nießbrauch erhalten hatte, vgl. H OER - NES , Die Hauskapellen (wie Anm. 19), S. 216f. <?page no="104"?> Haus und agnatisches Familienbewußtsein Denn mit manch einem Haus, das an die nächste männliche Generation übergehen sollte, waren Patronatsrechte verbunden, die wiederum an die Privatkapelle gekoppelt waren, mit denen einige Regensburger Bürgerhäuser ausgestattet waren. 45 Aber war die Erinnerung an den Namen wirklich garantiert, wenn die Erblasser ihre Häuser testamentarisch in männlicher Linie von einer Generation an die nächste weiterzureichen wünschten? Die Fortsetzung der Geschichte stimmt einen skeptisch. Nicht immer hielt sich die nachfolgende Generation an die Wünsche ihrer Vorväter. Die Grafenreuter versuchten, wie wir gesehen haben, alles was in ihrer Macht stand, um ihre Memoria zu sichern. Bei anderen Familien sieht das Produkt ihrer Anstrengungen etwas anders aus. Gottfried Preumaisters Haus beispielsweise gelangte schon 1427, kurz nach dem Tod seiner Witwe, in fremde Hände. Es waren seine beiden Enkelkinder, Klemenz und Anna, die das Haus für neunhundert Gulden verkauften. Klemenz’ Hälfte sollte an seinen Vetter Erhard fallen, wenn er (also Klemenz) ohne männliche Nachfolger sterbe. Zumindest in diesem Punkt folgten die beiden dem Testament ihres Großvaters, dessen Klauseln in den Kaufvertrag übertragen wurden. Den Wunsch aber, das Haus möge im Schoße der Familie Preumaister bleiben, respektierten sie nicht. 46 Auch der Sintzenhof wurde 1457, rund zwanzig Jahre nach Heinrichs Tod (der um 1433 oder 1434 gestorben sein muß) veräußert. 47 Und so geriet auch der Name des Hauses in der Folgezeit in Vergessenheit. Im Beherbergungsverzeichnis für den Reichstag von 1471 wird er auf jeden Fall nicht mehr erwähnt. 48 Auch das Haus von Ulrich auf Tunau Probst, der 1413 verschied, wurde rund zwanzig Jahre später verkauft. 49 All dies besagt schließlich nichts anderes, als daß es für die Memoria besser war, sie nicht den Kindern oder Kindeskindern anzuvertrauen. Wie in der Stadt Basel, mit der sich Gabriela Signori in diesem Sammelband befaßt, war auch in Regensburg den erbenlosen Bürger mehr Erfolg 45 Rund 20 von 1300 bis zur Reformation. 46 RRUrk. 1427 08 23. 47 W ALBURGA K NORR u. G ERHARD Z IPP (Hrsg.), Die Inschriften der Stadt Regensburg. Teil 1: Minoritenkirche (Die deutschen Inschriften 40), Wiesbaden 1995, Nr. 150. 48 Herausgegeben von H ELMUT W OLFF , Regensburgs Häuserbestand im späten Mittelalter, in: Studien und Quellen zur Geschichte Regensburgs, Bd. 3, Regensburg 1985, S. 91-198. 49 C HRISTIAN F ORNECK , Die Regensburger Einwohnerschaft im 15. Jahrhundert. Studien zur Bevölkerungsstruktur und Sozialtopographie einer deutschen Großstadt des Spätmittelalters (Regensburger Studien 3), Regensburg 2000, S. 130. 105 <?page no="105"?> 106 Olivier Richard beschieden, die ihre Häuser in karitative Einrichtungen umwandelten. So erweiterte 1419 Stefan Notangst († 1426) sein Haus am Haidplatz, das mit einer Kapelle versehen war, um den benachbarten Gebäudekomplex und baute letzteren zu einem Bruderhaus für betagte Handwerker um. Im Stiftungsbrief präzisiert er: Es ist czu wissen, daz der ersam man Stephan, der Notangst, burger czu Regensburg, dy czeit gesessen an der Hayd, ein haws kaufft von den fürsichtigen vnd weysen dem rat der stat czu Regensburg in dem iar, do man czalt von Kristy gepürtt vierczehen hundert iar vnd in dem newenczehendem iar, vnd pawt daz anders mit seynem aygen gelt, vnd das selb haws ist genant dy Swaig und leit auch an der Hayd czu nachst an seynem haws vnd seiner cappellen czu Sand Lorenczen, vnd das selb egenannt haws ward gantz vnd gar volbracht, do man czalt von Kristy gepürtt vierczehen hundert jar vnd in dem czwanczigistem jar an Sand Tomans tag dez heiligen czweliffpoten, also daz hin fur darynn ewiklich wonen vnd bleiben sullen czweliff brüder erberger alter hantwörcher vnd dy dez hantwerchs nicht mer gewürchen mügen. 50 In der Hauskapelle sollten jeweils zwölf Brüder für das Seelenheil des Stifters beten: » Item sy sullen all tag mess hörn in der cappellen zu Sand Lorenczen an der Hayd vnd sullen do piten für iren stiffter Steffan den Notangst. « 51 Schluß Der Bezug zwischen dem Wunsch, sein Wohnhaus an die nächste Generation weiterzugeben, und der Entwicklung eines agnatischen Familienbewußtseins scheint evident, vor allem auf der Ebene der Sprache. Was für den Adel und die reichen Florentiner Kaufleute seit längerem bekannt ist, gilt durchaus auch für die Bürger von Regensburg. Hier wie da geht das Familienbewußtsein einher mit der Durchsetzung der Primogenitur, die in den politischen und wirtschaftlichen Führungsschichten der Stadt die ältere 50 H EIDRUN B OSHOF (Hrsg.), Das Stiftungsbuch des Bruderhauses (ca. 1450) (Fontes Civitatis Ratisponensis, http: / / bhgw20.kfunigraz.ac.at/ ab1488.htm [25.11.2007]), hier fol. 1 v . 51 Ebd., fol. 2 r . <?page no="106"?> Haus und agnatisches Familienbewußtsein stadtrechtliche Realerbteilung sukzessive verdrängte. Den Häuserlegaten scheint in diesem Punkt so etwas wie Vorreiterfunktion zugekommen zu sein. Das Haus sollte an den jeweils ältesten Sohn des Geschlechts und an niemanden anderen fallen. Die Patriziatsforschung hat diesem Aspekt bislang allerdings wenig, zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt. 52 Seine zentrale Bedeutung erlangte das Haus primär als Träger der Erinnerung. Und es gewann an Bedeutung, als sich das Geschlecht zu derjenigen Verwandtschaftsstruktur entwickelte, deren Funktion darin bestand, ebendiese Erinnerung lebendig zu halten. Im städtischen Kontext war das Haus aber nicht unbedingt die effizienteste Art, diese Erinnerung am Leben zu halten. Wie Stefan Notangst stiftete 1437 auch Hans Kastenmayr († 1437) ein Bruderhaus, welches das erste ergänzen sollte, später aber mit diesem verschmolz. Er aber wählte für seine Stiftung nicht das Haus, in dem er lebte, sondern kaufte eines in der Nähe des Klosters Sankt Emmeram, wo er bestattet werden wollte. Die letzte Ruhestätte war ihm wichtiger als der Ort, wo er die letzten Jahre seines Lebens verbracht hatte. 53 Die Brüder sollten über seinem Grab für ihn bzw. sein Seelenheil beten. Dem Rat oblag die Verwaltung der Einrichtung - das sollte garantieren, daß die Erinnerung an den Stifter nicht erlosch. 54 Die Regensburger Bürger aber, die ihre Memoria dem Rat anvertrauten, in dem sie unter anderem Brüderhäuser stifteten, wählten einen spezifisch städtischen Weg, die Erinnerung an ihren Namen am Leben zu halten, eine spezifisch städtische Form der Memoria, die weit davon entfernt war, adlige Praktiken zu imitieren, von denen wir in diesem Beitrag ausgegangen sind. Übersetzt von Gabriela Signori 52 Das hat auch M ARTIAL S TAUB , Les paroisses et la cité, Paris 2003, S. 245, Anm. 126 beobachtet. Für den Hochadel vgl. K ARL -H EINZ S PIESS , Familie und Verwandtschaft im deutschen Hochadel des Spätmittelalters. 13. bis Anfang des 16. Jahrhunderts (Vierteljahresschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte. Beihefte 111), Stuttgart 1993, S. 454-62, besonders die Tabelle auf S. 457-8. Noch im 17. und 18. Jahrhundert hatte sich in der Reichsritterschaft die Primogenitur längst nicht durchgesetzt, vgl. C HRISTOPHE D UHAMELLE , L'héritage collectif. La noblesse d'Eglise rhénane, 17 e et 18 e siècles, Paris 1998, S. 195-215. 53 Er hatte sich erst 1431 in Regensburg niedergelassen. 54 B OSHOF : Das Stiftungsbuch des Bruderhauses (wie Anm. 50), fol. 132 v sowie F RANZ F UCHS , Ulrich und Hans Kastenmayr. Straubinger Bürger im Dienst des Herzogtums Straubing-Holland , in: 650 Jahre Herzogtum Niederbayern-Straubing-Holland, hrsg. von J OHANNES P RAMMER u. A LFONS H UBER , Straubing 2005, S. 127-72. 107 <?page no="107"?> Olivier Richard Schaubild 1: Hausvermächtnisse in Regensburger Bürgertestamenten (1308-1486) 55 Das Schaubild ist wie folgt zu lesen: 19 Testatoren aus dem 14. Jahrhundert vermachen ein Haus (bzw. einen Teil eines Hauses bzw. mehrere Häuser) 36 Söhnen, 7 an 11 Töchter, 12 ihrer Ehefrau, usw.). Da ein Testator mehrere Hausvermächtnisse vornehmen kann, ist die Gesamtzahl weit über 86 (bei 86 TestatorInnen, die mindestens ein Haus vermachen). Wenn die Zahl der Kinder in der Quelle nicht genannt wurde, steht hier »? «. 56 Ohne das Geschlecht anzugeben. 108 Adressaten 55 Testatoren 14. Jh. Testatorinnen 14. Jh. Testatoren 15. Jh. Testatorinnen 15. Jh. Gesamt Söhne 19 (36) 4 (5) 22 (29) 6 (7) 51 (77) Töchter 7 (11) 7 (11) 5 (5) 3 (4) 22 (31) Kinder 56 1 (1? ) 0 0 0 1 (1) Ungeborene Kinder 4 (4) 0 0 0 4 (4) Enkelsöhne 2 (2) 0 2 (5) 2 (3) 6 (10) Enkeltöchter 1 (1) 0 1 (1? ) 0 2 (2? ) Ehepartner 12 (12) 0 10 (10) 0 22 (22) Brüder 1 (1) 0 1 (1) 0 2 (2) Vetter 0 0 1 (1) 1 (1) 2 (2) Oheim 1 (1) 1 (1) 0 0 2 (2) Oheim des Ehemannes 0 1 (2) 0 0 1 (2) Andere 1 (1) 1 (1) 0 0 2 (2) <?page no="108"?> Häuser, Truhen und Bücher. Familienarchive in der spätmittelalterlichen Stadt In den letzten Jahren rückte die Quellengruppe der » Haus- und Familienbücher « verstärkt in den Blickpunkt der Forschung. 1 Gregor Rohmann, der sich mit dem Augsburger Familienbuchschreiber Clemens Jäger (1500-1561) beschäftigte, sieht in den Büchern » in der Tat ein Hausbuch: aufbewahrt im Innenraum des Hauses, geführt als schriftlich fixierte Definition seiner Ränder. Die Wände des Hauses und die Seiten des Buches sind gleichermaßen Substrate der Begründung von Verwandtschaft « . 2 Die Suggestionskraft der Verbindung von Ort und Schrift ist hoch, allerdings ist bisher noch nicht systematisch untersucht worden, welche Rolle die Entstehung und Weitergabe familiarer Dokumente in den nordalpinen Städten spielte und welche Relevanz in diesem Zusammenhang der Aufbewahrungsart zukam. I. Familienbuch und Archiv Nicht nur aus Köln und Augsburg sind Familienbücher überliefert, auch aus dem spätmittelalterlichen Nürnberg liegen zahlreiche Exemplare vor. Erhalten geblieben sind sie nicht, weil die städtische oder kirchliche Verwaltung sie aufbewahrt hätte, vielmehr finden sich die Dokumente unter dem Schlagwort » Familienarchiv « in Archivbeständen eingeordnet, die bis in die jüngere Vergangenheit in der jeweiligen Herkunftsfamilie überliefert worden sind. Es existierten demnach » private Archive « , deren Anlage in das 14. Jahrhundert zurückreicht. Mit dem Begriff des » Archivs « werden allerdings verschiedene Vorstellungen verbunden. Es kann damit der Ort, an dem Dokumente gesammelt werden, oder auch die Sammlung selbst gemeint sein. 3 109 K ARIN C ZAJA 1 Grundlegend dazu der Band Haus- und Familienbücher in der städtischen Gesellschaft des Spätmittelalters und der Frühen Neuzeit hrsg. v. B IRGIT S TUDT (Städteforschung A 69), Köln u. a. 2007. 2 G REGOR R OHMANN , Eines Erbaren Raths gehorsamer amptman. Clemens Jäger und die Geschichtsschreibung des 16. Jahrhunderts (Studien zur Geschichte des bayerischen Schwaben 28), Augsburg 2001, S. 157. 3 Zu den verschiedenen Bedeutungen des Begriffs vgl. S VEN S PIEKER , Einleitung: Die Ver-Ortung des Archivs, in: Bürokratische Leidenschaften. Kultur- und Mediengeschichte im Archiv hrsg. v. DEMS ., Berlin 2004, S. 8-9. <?page no="109"?> 110 Karin Czaja Dies gilt sowohl für heute als auch für das späte Mittelalter, als vorwiegend Kaufleute damit begonnen haben, Papiere zu sammeln, die ihre Familie betrafen. Welche Bedeutung in der Anlage eines mittelalterlichen Familiengedächtnisses das Haus einnimmt, muss noch geklärt werden. Spielte nicht vielleicht das Buch selbst, im Anbetracht der hohen Mobilität der Bevölkerung spätmittelalterlicher Städte, eine größere Rolle als Ort der Erinnerung? 4 » Haus- und Familienbuch « ist dabei Sammelbegriff der Forschung für eine heterogene Gruppe von Dokumenten, in deren Zentrum Familienangelegenheiten stehen: Chroniken im engeren Wortsinn, kommentierte Verzeichnisse, Notizen in anderen Textzusammenhängen sowie Kopialbücher. 5 Ihr Inhalt konnte mehr als ein Jahrhundert familiarer Geschichte umfassen oder kaum hinter den zeitlichen Horizont des Schreibers zurückreichen. Die Aufzeichnungen fanden auf den letzten Seiten eines Geschäftsbuches ebenso ihren Platz wie in einem eigens angelegten Kodex. Manche Familienbücher schrieb nur eine einzige Person, andere führten die Nachkommen über mehrere Generationen weiter. Je nach Art der Aufzeichnungen vermischen sich die rein familiaren Nachrichten mit solchen, die wir heute dem Bereich der Politik oder der Wirtschaft zurechnen würden. 6 4 Zur Mobilität der Stadtbewohner vgl. den Beitrag von H ANS -J ÖRG G ILOMEN im diesem Band. 5 In den nordalpinen Städten finden sie sich vom 14. Jahrhundert an, während in Italien, vor allem in der Toskana, ähnliche Aufzeichnungen bereits im 13. Jahrhundert entstanden. Die Forschung bezeichnet die italienischen Bücher entweder insgesamt als libri di famiglia, oder benennt sie, wenn es sich um Exemplare aus Florenz handelt, mit dem zeitgenössischen Begriff der ricordanze (Erinnerungen). Vgl. U RS M ARTIN Z AHND , Die autobiographischen Aufzeichnungen Ludwig von Diesbachs. Studien zur spätmittelalterlichen Selbstdarstellung im oberdeutschen und schweizerischen Raum, Bern 1986, S. 279-285. Zu den florentinischen ricordanze, deren große Anzahl u. a. auf die Notwendigkeit die politische Partizipation der Familie in einer Stadt mit relativ mobiler Oberschicht zu beweisen, zurückgeführt wird, G IOVANNI C IAPPELLI , Family Memory: Functions, Evolution, Recurrences, in: Art, Memory, and Family in Renaissance Florence hrsg. v. DEMS . und P ATRICIA L EE R UBIN , Cambridge 2000, S. 26- 38. Eine Übersicht zu den bekannten Büchern in ganz Italien gibt R AUL M ORDENTI , I libri di famgilia in Italia, Bd. 2: Geografia e storia (La memoria familiare 4), Rom 2001. 6 Das Nebeneinander bereitete Wissenschaftlern lange Zeit Unbehagen und fand seinen Ausdruck unter anderem in den in frühen Editionstechniken. Als eines der ersten Familienbücher wurde das Püchlein des Nürnbergers Ulman Stromer im ersten Band der Chroniken der deutschen Städte abgedruckt. Der Herausgeber trennte dazu die <?page no="110"?> Seit der Edition der ersten Texte im 19. Jahrhundert hat es sich die Forschung zunächst und vornehmlich zum Ziel gesetzt, in diesen Büchern den Anfängen der Autobiographik nachzuspüren. Den Quellenwert maß sie infolgedessen daran, wie stark sich ein » Ich « in den Text einschrieb. 7 Die mittelalterlichen Familienbücher wurden zumeist als einfache Vorstufen auf dem Weg zur » Blütezeit « der Autobiographik in der Frühen Neuzeit wahrgenommen. In den letzten Jahren verlagert sich der Analyseschwerpunkt auf die soziale Praxis der Buchführung und damit auf die Bedeutung der Schriften für die Konstitution von Verwandtschaft. 8 II. Haus und Person Diese Praxis der Organisation von Wissen über die Familie läßt sich am Familienbuch des Nürnberger Ratsherrn und Baumeisters Michel Beheim (*1459) nachvollziehen. Beheim legte es relativ jung, noch bevor er das dreißigste Lebensjahr erreichte, an. Seine Aufzeichnungen umfassen ein Quartheft von nur 53 Seiten und erstrecken sich über sieben Generationen, bis zu einem 1250 geborenen Vorfahren, Albrecht Beheim. Seine Informationen habe er, erklärt er einleitend, » ausz meiner eltern der Beheim pucher und prieffen sunderlich dasz merertaill diesser geschrifft ausz meins uranheren familiaren und politischen Notizen, so dass in der Edition der Eindruck entsteht, die Handschrift habe aus zwei Teilen bestanden. Vgl. Ulman Stromer's »Püchel von meimgeslechet und von abentewr«, hrsg. v. C ARL H EGEL , in: Die Chroniken der fränkischen Städte Bd. 1: Nürnberg (Die Chroniken der deutschen Städte Bd. 1), Leipzig 1862, S. 1-312 und R OLF S PRANDEL , Zur Geschichte der Edition der spätmittelalterlichen Chroniken: Editionsgeschichte am Beispiel Matthias Lexer, in: Chronisten als Zeitzeugen hrsg. v. DEMS . (Kollektive Einstellungen und sozialer Wandel im Mittelalter 3), Köln u.a. 1994, S. 33-42. Vgl. G REGOR R OHMANN , Clemens Jäger (wie Anm. 2), S. 140-2. 7 Vgl. B IRGIT S TUDT , Einleitung, in: Haus- und Familienbücher in der städtischen Gesellschaft des Spätmittelalters und der Frühen Neuzeit hrsg. v. DERS . (Städteforschung A 69), Köln u. a. 2007, S. IX-X. Diese Fragestellung zieht sich z. T. durch bis in neuere Publikationen, vgl. B ARBARA S CHMID , Schreiben für Status und Herrschaft. Deutsche Autobiographik in Spätmittelalter und früher Neuzeit, Zürich 2006. 8 B IRGIT S TUDT , Einleitung (wie Anm. 7), S. IX-X; S IMON T EUSCHER , Familienerinnerungen. Beziehungsmanagment und politische Sprache in spätmittelalterlichen Städten, in: Traverse 9 (2002), S. 53-64. Häuser, Truhen und Bücher 111 <?page no="111"?> 112 Karin Czaja Michel Beheimsz gesessen am weinmarck salpuchlein « . 9 Demnach ist das Salbuch, das Güterverzeichnis seines Urgroßvaters, Hauptquelle neben anderen Büchern und Urkunden. Ähnliches läßt sich in der Stirps Rohrbach 10 , den genealogischen Aufzeichnungen des Frankfurter Kaufmanns und Ratsherren Bernhard Rohrbach (1446-1482) beobachten, die zwischen 1478 und 1482 entstanden: » Diß hernachgeschreben sint die wort und schrifte Johan Rorbachs izgenant, min Bernharts anherren, also ich Bernhart die uß sinen buochern und eigen hantgeschriften geschreben han « . 11 Bernhard stützte sich auf die handschriftlichen Notizen seines Großvaters Johann. Die Schreiber nennen also Bücher, Urkunden und andere Schriftstücke als Informationsquellen, deren Überlieferung sie mit bestimmten Personen in Verbindung setzen, und nicht mit Orten! Bei Michel Beheim war diese Person der Urgroßvater, bei Bernhard Rohrbach der Großvater, bei Erasmus Schürstab der Vater. 12 Das Haus als Ganzes spielt keine Rolle, allenfalls bestimmte Räumlichkeiten. Hermann Weinsberg (1518-1597), der Kölner Ratsherr und Verfasser umfangreicher familiengeschichtlicher Texte, legte in seinen Aufzeichnungen fest, wie seine Schriften zu lagern seien. Im Kystenboichlin wies er an, die wichtigsten Schriftstücke in einem Gewölbe oder Gemach zu verwahren. Sein Anliegen war es dabei, die Dokumente zu konservieren, sie sollten vor allem trocken und sicher untergebracht werden. Aus den Aufzeichnungen läßt sich nicht entnehmen, daß eine solche Funktion an die Schreibkammer oder einen anderen zur Produktion der Schriften bestimmten Raum gebun- 9 StadtAN E 11/ II (1), Nr. 507, S. [I]. Das beschriebene Salbuch seines Großvaters befindet sich heute ebenfalls im Stadtarchiv Nürnberg. StadtAN E 11/ II, Nr. 1318. 10 Die Benennung geht auf den Schreiber selbst zurück. Das Manuskript hat zwar Folioformat, besteht allerdings aus nur 28 Blättern. Zur Beschreibung vgl. P IERRE M ONNET , Les Rohrbach de Francfort. Pouvoirs, affaires et parenté à l'aube de la Renaissance allemande (Travaux d'Humanisme et Renaissance 317), Genf 1997, S. 376. 11 Bernhard Rorbach, Stirps Rorbach, in: Frankfurter Chroniken und annalistische Aufzeichnungen des Mittelalters hrsg. v. R ICHARD F RONING , Frankfurt a. M. 1884, S. 164. Zur Familie Rohrbach M ONNET , Les Rohrbach (wie Anm. 10), S. 21-6. 12 Erasmus Schürstabs Geschlechtsbuch. Ein Beitrag zur Geschichte der Stadt Nürnberg im 14. und 15. Jahrhundert hrsg. v. F RIEDRICH VON W EECH , in: Jahresbericht des historischen Vereins in Mittelfranken 31 (1863), S. 45: »Item ich Erasem Schürstab pin bericht worden von meinem vettern, dem alten Erasem Schürstab seligen, der es auch von seinen eltern gehört und gelauplich bericht ist.« <?page no="112"?> den sein mußte. 13 Und selbst die konservierungstechnischen Argumente verbindet er mit einem Appell an die Nachfolger: » Derwegen wil hie die hoich noitturft erforderen, das durch uch und alle hausfetter diss gedenkboich und alles ander geschriben wirk uff einem sonderlichen gewissen orde verwart und wol besclossen worde « . 14 Nicht nur für die Quellen, auch für die Verwahrung der Schriften durch zukünftige Generationen galt, daß der Bezug zu bestimmten Personen wichtiger war als die Lokalisierung in einem Gebäude. Der Begriff des » Hausbuchs « scheint damit, zumindest für das beschriebene urbane Milieu des späten Mittelalters, den Kern der Sache nicht zu treffen. III. Aufbewahrungspraxis Einblicke in die Praxis der Verwahrung von Schriftstücken lassen sich mit Hilfe von Inventaren gewinnen. Seit Anfang des 15. Jahrhunderts haben sich beispielsweise die Beschreibbüchlein des Basler Schultheißengerichts erhalten, die zahlreiche Besitzverzeichnisse umfassen. Angelegt wurden die Inventare aus unterschiedlichen Gründen, sei es um den Nachlaß einer verstorbenen Person zu erfassen oder den Besitz eines Schuldners aufzulisten. Die inventarisierten Gegenstände sind in vielen Fällen den verschiedenen Räumen des Hauses zugeordnet, es ist ihnen im Idealfall also nicht nur zu entnehmen, ob eine Person Schriftstücke verwahrte, sondern auch an wel- 13 B IRGIT S TUDT , Der Hausvater. Haus und Gedächtnis bei Hermann von Weinsberg, in: Rheinische Vierteljahrsblätter 61 (1997), S. 135-60, hier S. 144-5. Eine besondere Rolle für die sichere Verwahrung und die Beschränkung des Zugangs zu den familiaren Schriftstücken spielte die Schreibstube hingegen im Traktat Della famiglia des Genuesers Leon Battista Alberti (1404-1472). Vgl dazu Leon Battista Alberti, Vom Hauswesen, München 1986, S. 284 und B IRGIT S TUDT , Erinnerung und Identität. Die Repräsentation städtischer Eliten in spätmittelalterlichen Haus- und Familienbüchern, in: Haus- und Familienbücher in der städtischen Gesellschaft des Spätmittelalters und der Frühen Neuzeit (Städteforschung A 69), hrsg. v. DERS . , Köln u. a. 2007, S. 1-2. Zur Bedeutung des Schreibzimmers vornehmlich in Florenz C HRISTIANE K LAPISCH -Z UBER , La maison et le nom. Stratégies et rituels dans l'Italie de la Renaissance, Paris 1990, S. 29. 14 Das Buch Weinsberg. Kölner Denkwürdigkeiten aus dem 16. Jahrhundert, in: Publikation der Gesellschaft für Rheinische Geschichtskunde 3, Bd. 1, hrsg. v. K ON - STANTIN H ÖHLBAUM , Leipzig 1886, S. 13. Häuser, Truhen und Bücher 113 <?page no="113"?> 114 Karin Czaja chem Ort. 15 So besaß der Geschützmeister Henman Pflegler, von dessen Hab und Gut 1429 ein Verzeichnis angelegt wurde, zwei Kisten, die er in seinem Gaden, der Schlafkammer, verwahrte. Eine der Kisten enthielt neben Leintüchern viele Briefe. Weitere Briefe befanden sich im Rechnungsbuch im Schreibtisch der Stube, möglicherweise handelte es sich dabei um geschäftliche Urkunden wie Schuldverschreibungen. Im Haus der verstorbenen Elsi Örlin fanden sich 1512 in einer Kammer eine Schleierlade, die mehrere kleinere Kisten enthielt, unter anderem eine bemalte Lade mit Urkunden wie dem Kaufbrief des Hauses, zwei Schuldregister und nicht genauer bestimmte Bücher. 16 Zur Aufbewahrung von Dokumenten dienten demnach häufig Laden und Kisten, Gebrauchsgegenstände, der sich bis heute in vielen Exemplaren in den Beständen von Stadt- und Heimatmuseen finden lassen. Eine verschließbare Lüneburger Lade des 15. Jahrhunderts ist mit zwei Wappen geschmückt, welche sich der städtischen Oberschicht zuweisen lassen, genauer den Familien von Grönhagen und von Sanckenstedt. Die Vermutung liegt nahe, daß sie anläßlich der Heirat des Sülfmeisters Heinrich von Grönhagen mit Margareta von Sanckenstedt 1488 hergestellt wurde, sie wird daher auch als Hochzeitslade bezeichnet. 17 Eine solche Hochzeitslade könnte zunächst den Heiratsbrief enthalten haben und sich dann im Laufe der Zeit, mit immer mehr Urkunden und Schriftstücken gefüllt, zu einem kleinen Archiv des Ehepaares entwickelt haben. 18 Andere Wertgegenstände wurden ebenfalls in den Kisten untergebracht, so war es auch durchaus üblich, Geld und Schriftstücke in einer gemeinsamen Lade zu verwahren. 19 Truhen und Kisten entsprachen als Möbelstücke besser dem mobilen Lebensstil ihrer Besitzer, in ihnen lagerten die Dokumente und Wertsachen dauerhaft, während sie in den Häusern nur zeitweise untergebracht waren. 15 Vgl. K ATHARINA S IMON -M USCHEID , Die Dinge im Schnittpunkt sozialer Beziehungsnetze. Reden und Objekte im Alltag (Oberrhein 14. bis 16. Jahrhundert) (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte 193), Göttingen 2004, S. 21-6. 16 Vgl. ebd., S. 418, 426. 17 H ORST A PPUHN , Briefladen aus Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen. Sonderausstellung vom 20. September bis 1. November 1971 zum 47. Deutschen Archivtag und Tag der Landesgeschichte, Dortmund 1971, Nr. 19. 18 Vgl. H ORST A PPUHN , Briefladen, in: Wallraf-Richartz-Jahrbuch 34 (1972), S. 31-3. 19 Ein Beispiel hierfür liefert das Testament der Lüneburgerin Tibbeke Godenstedt von 1469, die angab, daß die Testamentsvollstrecker »deshalven 200 Rynsche gulden mit myner handschrift darby vindende weren in ener sundergen lade in myner votkisten«. <?page no="114"?> Nach dem Tod Margarete Grönhagens 1544 wurde auch von ihrem Haus ein Inventar erstellt. Verteilt in den Räumen fanden sich verschiedene Kisten und Truhen, von denen eine Kiste in der Hinterkammer laut Verzeichnis » mit Sanckensteden und Gronenhagens wapende « gekennzeichnet war. 20 Neben einer Brieflade im Schlafraum befanden sich zudem zahlreiche, mit Briefen, Büchern und anderen Schriften gefüllte Schachteln, Kisten und Laden in der schryffkamer des Hauses. 21 Zwei Arten von Räumen kamen demnach für die Unterbringung der Dokumente besonders in Frage: die Schreibkammer und die Schlafräume. Trotz ihrer unterschiedlichen Funktionen haben beide Räume etwas gemeinsam: der Zugang zu ihnen dürfte sich auf wenige Personen beschränkt haben. Dokumentenladen waren den Mitgliedern der städtischen Führungsgruppe auch aus der städtischen Verwaltung und dem Rat vertraut. Die Schriftstücke des Rates waren nicht nur in Laden untergebracht, sondern sie wurden in Städten wie Köln oder Stralsund zumindest im 14. Jahrhundert auch in den Wohnhäusern der amtierenden Ratsherren verwahrt. In Stralsund fand bis mindestens 1411 eine Verteilung der städtischen Briefladen statt. Anfangs erhielt dabei ein Ratsherr eine der Laden, ein anderer Ihr beträchtliches Barvermögen von 200 rheinischen Gulden verwahrte sie gemeinsam mit eigenhändig verfassten Dokumenten in einer Truhe, die ihren Platz wahrscheinlich am Fußende ihres Bettes hatte. Lüneburger Testamente des Mittelalters hrsg. v. U TA R EINHARDT (Quellen und Untersuchungen zur Geschichte Niedersachsens im Mittelalter 37), Hannover 1996, Nr. 235. Zur Deutung der Truhenart vgl. T HORSTEN A LBRECHT , Truhen-Kisten-Laden vom Mittelalter bis zur Gegenwart am Beispiel der Lüneburger Heide, Petersberg 1997, S. 152. Auch in der Dokumententruhe Hermann Weinsbergs sollten neben den Büchern und Urkunden Geld und sein Siegel gelagert werden. Vgl. S TUDT , Der Hausvater (wie Anm. 13), S. 144-5. 20 A LBRECHT , Truhen-Kisten-Laden (wie Anm. 19), S. 174. Margaretas Ehemann Heinrich war bereits 1540 verstorben. Vgl. I RENE S TAHL , Lüneburger Ratslinien 1290-1605, in: Niedersächsisches Jahrbuch für Landesgeschichte 59 (1987), S. 174, Nr. 237. Bei der im Inventar beschriebenen Truhe kann es sich nicht um die erhaltene »Hochzeitslade« gehandelt haben, da sie Banklaken und Polster enthielt, für die die »Hochzeitslade« eindeutig zu klein ist. Vgl. A PPUHN , Briefladen aus Niedersachsen und Nordrhein- Westfalen (wie Anm. 17), Nr. 19. 21 Vgl. K AROLINE T ERLAU , Lüneburger Patrizierarchitektur des 14. bis 16. Jahrhunderts. Ein Beitrag zur Bautradition einer städtischen Oberschicht, Münster 1984, S. 164-5. Häuser, Truhen und Bücher 115 <?page no="115"?> 116 Karin Czaja den dazugehörigen Schlüssel, später waren beide in der Hand desselben Ratsmitgliedes. 22 In den Wohnhäusern sind die städtischen Laden wahrscheinlich wie die privaten verwahrt worden. Erst mit dem Bau von Rathäusern veränderte sich diese Praxis langsam. In Köln wurde 1414 im neuen Rathausturm ein eigener Raum für die städtischen Dokumente geschaffen. Die Stralsunder Ratsherren hielten allerdings auch noch nach dem Bau ihres Rathauses, der bereits in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts stattgefunden haben soll, an der Aufteilung der latule fest. 23 Einen dritten Ort der städtischer Archivierung konnten, wie im Fall der Lübecker Trese, Kirchen darstellen. 24 Auch für familiare Überlieferung boten sich Gotteshäuser als Aufbewahrungsorte an, wie der Fall der Kölner Familie Overstolz zeigt: Im Einband des 1442 von Werner Overstolz angelegten Familienbuchs ist ein Kästchen eingelassen. Es diente zur Verwahrung des Schlüssels einer Truhe, in der Urkunden der Familie lagerten. Die Truhe hatte die Familie aber nicht in ihrem Wohnhaus, sondern in der Sakristei der Deutschordenskirche St. Katharina deponiert. Die Wahl des Standortes erscheint logisch, da die Urkunden mit der dortigen Altarstiftung der Familie in Zusammenhang standen und zudem Kirchen als Archivräume ein hohes Maß an Sicherheit gewährten. 25 22 Verzeichnet sind die Inhaber der Laden im Memorialbuch, gestrichene und neu hinzugefügte Namen in den Einträgen lassen auf Wechsel der beauftragten Ratsherren schließen. Ein jährlicher Austausch ist aber auf Grund der geringen Anzahl verschiedener Namen auszuschließen. Vgl. P ETER P OOTH , Die Dokumentenladen des Stralsunder Rats im 14. Jahrhundert, in: Hansische Geschichtsblätter 62 (1937), S. 89- 115. Ähnlich für Köln K LAUS M ILITZER , Entstehung und Bildung von Archiven in Köln während des Mittelalters, in: Archivprozesse: Die Kommunikation der Aufbewahrung, hrsg. v. H EDWIG P OMPE und L EANDER S CHOLZ (Mediologie 5), Köln 2002, S. 27-37. 23 P OOTH , Die Dokumentenladen (wie Anm. 22), S. 93f. 24 A NTJEKATHRIN G RASSMANN , Von der Trese, der Schatzkammer des lübeckischen Rates, in: Zeitschrift des Vereins für lübeckische Geschichte und Altertumskunde 54 (1974), S. 87-93. 25 M ARC VON DER H ÖH , Zwischen religiöser Memoria und Familiengeschichte. Das Familienbuch des Werner Overstolz, in: Haus- und Familienbücher in der städtischen Gesellschaft des Spätmittelalters und der Frühen Neuzeit hrsg. v. B IRGIT S TUDT (Städteforschung A 69), Köln u. a. 2007, S. 42. <?page no="116"?> Die Overstolzen verwahrten Familienbuch und Urkunden nicht an einem Ort, sondern jeweils dort, wo sie ihr Gebrauchspotential am besten entfalten konnten. 26 Die Übergänge zwischen privater und öffentlicher Überlieferungspraxis waren demnach fließend. Der Ort des Archivs scheint im städtischen Umfeld ebenso wenig entscheidend gewesen zu sein wie in den Familien. Die Praktiken der Aufbewahrung hingegen waren die gleichen, es ging vor allem um eine sichere Verwahrung des Schriftguts. Eine strikte Trennung beider Sphären hier das Private, dort das Öffentliche - existierte somit nicht. IV. Familienbücher als Archiv Neben der Unterbringung einzelner Urkunden in Briefladen lassen sich wichtige Schriftstücke auch durch Abschriften in Kopialbüchern bewahren. Familienbücher, die in ihrem Kern auf ein solches Urkundenkopial zurückgehen, gehören somit ebenfalls zu den Familienarchiven. Sie bilden mobile Archive zwischen zwei Buchdeckeln. 27 Dabei rückt eine wichtige Funktion 26 Dabei hatte die Familie durchaus einmal eine Dokumentenlade in ihrem Haus verwahrt. Für 1332 ist bezeugt, dass ein anderer Werner Overstolz in seiner Funktion als Schöffe eine der städtischen Laden in seinem Haus verwahrte. Vgl. M ILITZER , Entstehung und Bildung von Archiven (wie Anm. 22), S. 31. 27 In der Vergangenheit dienten (niederadlige und klösterliche) Kopialbücher Historikern vornehmlich als Ersatz für verlorene Originalurkunden, in den letzten Jahren kam es aber gerade für den Niederadel zu einer neuen Wertschätzung der Kodizes als eigener Quellengattung, vornehmlich im Hinblick auf Fragen der Herrschafts- und Verwaltungsausübung, aber auch bezüglich des familiaren Selbstbewußtseins. Siehe dazu J OSEPH M ORSEL , Geschlecht und Repräsentation. Beobachtungen zur Verwandschaftskonstruktion im fränkischen Adel des späten Mittelalters, in: Die Repräsentation der Gruppen. Texte - Bilder - Objekte hrsg. v. O TTO G ERHARD O EXLE und A NDREA H ÜLSEN -E SCH , Göttingen 1998, S., S. 290-1, der diese Entwicklung für den fränkischen Niederadel nachzeichnete. Ebenso S TEFFEN K RIEB , Vergangenheitskonstruktion zwischen Überlieferungsmangel und mündlicher Tradition: Die Familienchroniken der Landschaden von Steinach, in: Gelungene Anpassung? Adelige Antworten auf gesellschaftliche Wandlungsvorgänge vom 14. bis zum 16. Jahrhundert hrsg. v. H ORST C ARL und S ÖNKE L ORENZ (Schriften zur Südwestdeutschen Landeskunde 53), Sigmaringen 2005, S. 85; und K URT A NDERMANN , Häuser, Truhen und Bücher 117 <?page no="117"?> 118 Karin Czaja von Archiven, die meist hinter der des Sammelns und Bewahrens zurücktritt, in den Fokus: das Auswählen. 28 Ein solches Kopialbuch ist von der Nürnberger Familie Rieter aus der Mitte des 15. Jahrhunderts überliefert. 29 In ihm fanden neben familiengeschichtlichen Notizen Besitzurkunden, Testamente und Heiratsbriefe Eingang. Die Schreiber übernahmen aber nicht alle vorhandenen Schriftstücke dieser Quellengruppen: die ausgewählten Testamente stammen nur aus dem Kreis der männlichen Familienangehörigen, obwohl auch die Frauen testierten. 30 Die Organisation des familiaren Wissens wird hier gerade in der Selektion deutlich. Der Nürnberger Genannte und Pfleger der Sebaldskirche, Sebald Schreyer (1446-1520), legte nicht nur ein einzelnes Familienbuch, sondern sieben Bände an. 31 Der erste Band enthält Urkundenkopien zu unterschiedlichen Themen, es finden sich Heiratsbriefe, Testamente, Beichtbriefe, Kaufverträge, sowie ein Bakkalaureus-Zeugnis. Dabei verband Schreyer die einzelnen Dokumente durch narrative Passagen. Breiten Raum nimmt die ausführliche Dokumentation vor Gericht ausgetragener Streitigkeiten ein. Die erste Hälfte wird von der Auseinandersetzung zwischen der Schwägerin Helena und Sebalds Vater Hans um die Schulden von Helenas Ehemann Das Kopialbuch des Jakob von Lachen. Zur Rezeption pragmatischer Schriftlichkeit im Ritteradel Südwestdeutschlands während des späten Mittelalters, in: Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins 155 (2007), S. 227-64. 28 Vgl. S PIEKER , Einleitung (wie Anm. 3), S. 20-2. Der hier genutzte Archivbegriff bezieht sich weniger auf ein organisch aus Registraturgut erwachsenes Archiv, wie er den meisten, zumal deutschsprachigen Archivdefinitionen zugrundeliegt. Vielmehr soll es das Augenmerk gerade auf dem konstruierten Anteil liegen, von archivwissenschaftlicher Seite auch als Auslesearchiv bezeichnet. Vgl. B ODO U HL , Die Bedeutung des Provenienzprinzips für Archivwissenschaft und Geschichtsforschung, in: Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte 61 (1998), S. 97-121. 29 Das Sal- und Kopialbuch wurde von Peter Rieter 1444/ 45 angelegt. Stadt A N D14, B5. 30 Erhaltene Originale von Frauen belegen dies, wie das Testament Margarethe Rieters von 1459, das sich im Familienarchiv der Holzschuher findet. StadtAN E 49/ I, Nr. 280. 31 Von ursprünglich sechs Bänden sind drei erhalten. StAN, Reichsstadt Nürnberg, Handschriften, E 301-303. Zur Person Schreyers vgl. E LISABETH C AESAR , Sebald Schreyer. Ein Lebensbild aus dem vorreformatorischen Nürnberg, in: Mitteilungen des Vereins für die Geschichte der Stadt Nürnberg 56 (1969), S. 1-213. <?page no="118"?> Stefan dominiert. Die Abschriften der einzelnen Dokumente sind ausführlich kommentiert und widerlegen die Ansprüche der Gegenseite. Helena beschuldigte unter anderem Stefans Stiefmutter ihren Heiratsbrief abgeändert zu haben, so daß Helenas Heiratsgut zur Tilgung der Schulden ihres Mannes den Schwiegereltern zufiel. Die Abschrift des Heiratsbriefes im gleichen Band wie auch die Abschrift einer notariellen Beglaubigung einer Quittung Stefans über den Empfang des Heiratsgeldes widersprechen Helenas Vorwürfen. 32 Sollte die von Helena beschriebene Version des Heiratsbriefes existiert haben, wäre sie wohl kaum als Abschrift in Sebalds Aufzeichnungen gelangt. Die Brisanz des Dokuments wäre aber selbst als einfache Abschrift, ohne Kommentar, unkenntlich geblieben. Erst im Zusammenspiel von ausgewählten Schriftstücken und Kommentaren entfaltet sich die argumentative Strategie. Um die Bedeutung eines Kopialbuchs für die Familie einschätzen zu können, ist die Frage nach der Nutzung entscheidend. Hinweise dazu liefern zunächst die Kodizes selbst. Das Kopialbuch der Rieter verfügt über ein Verzeichnis der enthaltenen Dokumente, ein Mittel, das den Zugriff erleichterte. Bei Schreyer hingegen scheint der Aspekt des schnellen Wiederauffindens einzelner Urkunden keine so große Rolle gespielt zu haben, der Gebrauch könnte dem einer Chronik ähnlicher gewesen sein. 33 Eine konkrete Verwendungsmöglichkeit könnte sich in Auseinandersetzungen in der Familie selbst oder mit nicht-verwandten Gruppen der städtischen Gesellschaft ergeben haben. Teuscher weist auf die Bedeutung der familiaren Verdienste für das Ansehen des Einzelnen in der Stadt hin. 34 Gegen eine intendierte breitere Öffentlichkeit spricht aber eine Aufbewahrung in Räumen, die möglichst wenigen Personen zugänglich waren. Auch die Bitte des Berners Ludwig Diesbach (1452-1527) an seine Nachfahren » daß ouch von grůnd mynss herczen myn ernschlych bytt unn beger an sy ist, daß [sie] dyss geschryfftt bettrachtten unn angessechen wellen unn die ckeyner perso[n] tzů handen lassen ckůmen, sy sy den von dem rechtten stamen von Diesbach har geborn « 35 deutet auf einen begrenzten Zugang hin. Niemand, der nicht vom Stamm der Diesbach war, sollte seine Aufzeichnungen in die Hände bekommen. Auf der anderen Seite legte Hermann Weinsberg 32 StAN, Reichsstadt Nürnberg, Handschriften E 301 f. 48v/ 49r und f. 66v/ 67r. 33 Zur Austragung familiärer Konflikte über das Medium Familienbuch vgl. T EUSCHER , Familienerinnerungen (wie Anm. 8), S. 53-64. 34 Er zieht dazu Beispiele aus Bern, Basel und Nürnberg heran. Vgl. ebd., S. 57-60. 35 Z AHND , Die autobiographischen Aufzeichnungen Ludwig von Diesbachs (wie Anm. 5), S. 26. Häuser, Truhen und Bücher 119 <?page no="119"?> Karin Czaja seinen Nachkommen nahe, Kopien seiner Schriften anzufertigen und sie so zu verbreiten. 36 Der intendierte Umgang mit den Aufzeichnungen scheint demnach verschieden gewesen zu sein und läßt sich letztlich nur durch eine Kontextualisierung des jeweiligen Dokuments angemessen erfassen. V. Fazit Die Verknüpfung zwischen Haus und dem Familienarchiv als Ort war in der städtischen Oberschicht des späten Mittelalters weniger eng als zunächst vermutet. Zwar wurden Dokumente oft im Wohnhaus verwahrt, eine Verbindung zwischen Gebäude und Schriftstücken im Hinblick auf die familiare Identität läßt sich daraus allerdings nicht ableiten. Die Beziehungen sind eher auf personaler Ebene zu fassen. Dennoch erscheint es mir sinnvoll, weiterhin mit dem Begriff des Familienarchivs zu arbeiten, allerdings in seiner Bedeutung als Sammlung von Dokumenten, nicht als topographisch festgelegter Ort. Eine räumliche Zuordnung geschah nur mittels Möbeln wie Truhen und Kisten oder den Büchern selbst. Wo genau die Familienbücher verwahrt wurden, ist in den meisten Fällen nicht mehr nachzuvollziehen. Für ihre Funktion als Archiv ist dieser Aspekt allerdings sekundär, denn gerade seine Mobilität zeichnet das Familienbuch-Archiv aus. 36 Vgl. S TUDT , Der Hausvater (wie Anm. 13), S. 149. 120 <?page no="120"?> Haus und Herrschaft <?page no="122"?> K ARSTEN I GEL 123 Obrigkeitliche Reglementierung und bürgerlicher Repräsentationswille. Die Hansestädte Lübeck, Greifswald und Stralsund im Vergleich Einführung - das Haus in der lübischen Stadt Große backsteinerne Bürgerhäuser prägen neben den hochaufragenden Kirchen und den prachtvollen Schaufassaden der Rathäuser das Bild der Ostseestädte. Besonders in Lübeck und Stralsund, um den Blick auf den südwestlichen Bereich zu lenken, begleiten noch heute geschlossene Zeilen giebelständiger Häuser die Straßen und verleihen den Städten ihren typischen, sehr gleichmäßigen Charakter. Kaum eine andere Städtelandschaft ist in ihrer Wahrnehmung so mit einem einheitlichen Stadtbild verknüpft, wie der sich entlang der Ostsee erstreckende Raum lübischen Stadtrechts. 1 Karl Gruber spitzte diese Strukturen in seinen Vogelschauansichten von Lübeck und Stralsund zu einem Idealbild zu. 2 Das Bild beider Städte wird beherrscht von dicht aneinandergereihten Giebelhäusern, die zwar in gewissem Maße in Größe und Giebelgestalt variieren, aber doch einen fast gleichförmigen, ja gleichrangigen Charakter zu erkennen geben, der mit den geschlossenen geradlinigen Straßenfronten das Stadtbild prägt. Selbst die Rathäuser von Lübeck und Stralsund - zwar größer als die sie umgebenden Bürgerhäuser - fügen sich in diese Raumstruktur ein, allein die Kirchen erheben sich deutlich über das dichte Häusermeer. Dahinter steht das Ide- 1 Zu dieser Städtelandschaft siehe beispielsweise W INFRIED S CHICH , Der Ostseeraum aus der Sicht der mittelalterlichen Siedlungsgeschichte - mit besonderer Berücksichtigung der »Seestädte« an der südwestlichen Ostseeküste, in: Siedlungsforschung. Archäologie - Geschichte - Geographie 15 (1997), S. 53-79; K LAUS F RIEDLAND , Lübeck, Typ der Ostseestadt: Fragen und Feststellungen zur prägenden Kraft neuer Gemeinschaftsformen, in: Politik, Wirtschaft und Kunst des staufischen Lübecks, hrsg. v. DEMS ., Lübeck 1976, S. 39-50; kritisch zur Vorbildfunktion Lübecks Rolf H AMMEL -K IE - SOW , Lübeck als Vorbild zahlreicher Städtegründungen im Ostseeraum? Überlegungen zum Verhältnis zwischen geschichtlichen Vorgängen und historiographischer Erklärung, in: Die Stadt im westlichen Ostseeraum. Vorträge zur Stadtgründung und Stadterweiterung im Hohen Mittelalter. Teil 1 (Kieler Werkstücke A 14), hrsg. v. E RICH H OFFMANN und F RANK L UBOWITZ , Frankfurt am Main 1995, S. 263-305. 2 K ARL G RUBER , Die Gestalt der deutschen Stadt. Ihr Wandel aus der geistigen Ordnung der Zeiten, München ³1973, S. 69-83. <?page no="123"?> 124 Karsten Igel albild einer von Fernhandelskaufleuten geprägten Gesellschaft lübischer Städte, in der nichtbürgerliche Gruppen nur eine Randposition einnehmen. 3 Die auffällige Einheitlichkeit der Häuser und damit der Straßenzüge entwickelte sich aus einem Bündel von Ursachen: Bestimmend war das seit der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts ausgebildete lübische Baurecht 4 , das zum verbesserten Brandschutz unter anderem den Bau von gemeinschaftlichen Brandmauern zwischen benachbarten Häusern vorschrieb. Aus dem Bau der Kommunbrandmauern folgte schon fast zwangsläufig die Giebelständigkeit zur Straße hin, da die Errichtung gemeinschaftlicher Traufmauern bautechnisch einfacher und finanziell günstiger war 5 , ebenso die geschlossenen Straßenfronten. Damit einher ging die Entwicklung des Dielenhauses zum dominanten Bautyp Niederdeutschlands, der die Möglichkeit einer universellen Nutzbarkeit des Hauses für die meisten Handwerker und kaufmännischen Tätigkeiten bot. 6 Dank der variablen Nutzungsmöglichkeit waren sie leichter auf dem städtischen Grundstücksmarkt zu verkaufen oder zu vermieten und boten sich so als ideale Anlageobjekte oder als Grundlage für eine Kreditaufnahme auf dem Rentenmarkt an. Für die in erster Linie auf dem kapitalintensiven Fernhandel beruhende Wirtschaft der Seestädte legte Grundeigentum das Fundament, auf dem die notwen- 3 Ebd., S. 69. 4 Zur Übersicht siehe J ENS -C HRISTIAN H OLST , Lübisches Baurecht im Mittelalter, in: Historischer Hausbau zwischen Elbe und Oder. Jahrbuch für Hausforschung 49 (2002), S. 115-82. Allgemein zum lübischen Recht W ILHELM E BEL , Lübisches Recht. Bd. 1, Lübeck 1971; D ERS . Lübisches Recht im Ostseeraum, in: Die Stadt des Mittelalters. 2. Bd.: Recht und Verfassung (Wege der Forschung 244), hrsg. v. C ARL H AASE , Darmstadt 1976, S. 255-80. 5 Ebd., S. 146f.; zu den Kosten K ARSTEN I GEL , Zwischen Bürgerhaus und Frauenhaus. Stadtgestalt, Grundbesitz und Sozialstruktur im spätmittelalterlichen Greifswald (Städteforschungen A 71), Köln u. a. 2009, Kapitel 2.4.3. 6 Siehe dazu F RED K ASPAR , Vom Typenhaus zum Haustyp. Phasen bürgerlichen Lebens in Nord-Westdeutschland zwischen Mittelalter und Neuzeit im Spiegel des Hausbaus, in: Westfalen 72 (1994), S. 260-87; DERS ., Bau- und Raumstrukturen städtischer Bauten als sozialgeschichtliche Quelle. Dargestellt an bürgerlichen Bauten des 14. bis 18. Jahrhunderts aus Nordwestdeutschland, in: Die Familie als sozialer und historischer Verband. Untersuchungen zum Spätmittelalter und zur frühen Neuzeit, hrsg. v. P ETER -J OHANNES S CHULER , Sigmaringen 1987, S. 165-86; G ERHARD F OUQUET , Große Städte - Kleine Häuser, in: Geschichte des Wohnens Bd. 2. 500-1800: Hausen - Wohnen - Residieren, hrsg. v. U LF D IRLMEYER , Stuttgart 1998, S. 347-501, hier S. 430-6 ; R OLF H AMMEL -K IESOW , Plurale Stadträume im Mittelalter - Ein Lübecker Mikrokosmos, in: <?page no="124"?> Obrigkeitliche Reglementierung digen Finanzmittel bereitgestellt werden konnten. 7 Wohlhabende Familien verfügten über ein zum Teil sehr umfangreiches Grundeigentum, das als Kapitalanlage diente, während andererseits über die Hälfte der Einwohnerschaft zur Miete wohnte, zum Teil in Buden oder kleinen Traufenhäusern 8 , aber ebenso in giebelständigen Dielenhäusern, die möglicherweise gleich zu mehreren nebeneinander von einem Bauherrn allein zur Vermietung errichtet worden waren. 9 Die baurechtlichen Regulierungen und der Kreditbedarf führten in ihrem Zusammenspiel also zu einer starken Typisierung des Hausbaus, der wiederum prägend für das Bild der lübischrechtlichen Städte wurde. Auch der Baustoff selbst, der in großen Ziegelhöfen produzierte Backstein, war als Massenprodukt genormt und verstärkte den Eindruck einer baulichen Einheitlichkeit zusätzlich. 10 Ähnliches gilt für die mitunter glasierten Form- Die Lübecker Woche der Engel - Raum und Ritual, hrsg. v. der Projektgemeinschaft Lübecker Innenstadtkirchen, Lübeck 2000, S. 35-40; D ERS ., Die Entstehung des sozialräumlichen Gefüges der mittelalterlichen Großstadt Lübeck. Grund und Boden, Baubestand und gesellschaftliche Struktur, in: Die Sozialstruktur und Sozialtopographievorindustrieller Städte. Beiträge eines interdisziplinären Workshops am Institut für Geschichte der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg am 27. und 28. Januar 2000 (Hallische Beiträge zur Geschichte des Mittelalters und der Frühen Neuzeit 1), hrsg. v. A NDREAS R ANF t und M ATHIAS M EINHARDT , Berlin 2005, S. 139-203, hier S. 158-60. 7 Vgl. H AMMEL -K IESOW , Entstehung (wie Anm. 6), S. 164f. Zu den Auswirkungen auf den Immobilienmarkt siehe R OLF H AMMEL , Häusermarkt und wirtschaftliche Wechsellagen in Lübeck von 1284 bis 1700, in: Hansische Geschichtsblätter 106 (1988), S. 41-107; H AMMEL -K IESOW , Entstehung (wie Anm. 6), S. 162f. 8 Zu diesen Bauformen siehe M ARGRET C HRISTENSEN , Kleinhäuser in Lübeck. Zur Bau- und Sozialstruktur der Hansestadt - Die Stadt der Handwerker und Gewerbetreibenden (Häuser und Höfe in Lübeck 5), Neumünster 2006, sowie M ICHAEL S CHEFTEL , Gänge, Buden und Wohnkeller in Lübeck (Häuser und Höfe in Lübeck 2), Neumünster 1988. 9 Darauf könnten jedenfalls die zum Teil sehr gleichmäßigen Baustrukturen, zumal in Verbindung mit Grundstücksteilungen, deuten. 10 Siehe dazu K AROLINE T ERLAU -F RIEMANN , Lüneburger Patrizierarchitektur des 14. bis 16. Jahrhunderts. Ein Beitrag zur Bautradition einer städtischen Oberschicht, Lüneburg 1994, S. 27-43; J ENS -C HRISTIAN H OLST , Dar umme is se noch so ordeliken buwet - Früher Backsteinbau in Lübeck, in: Festschrift für Günther Kokkelink (Schriften des Instituts für Bau- und Kunstgeschichte der Universität Hannover 12), hrsg. v. S TEFAN A MT , Hannover 1998, S. 41-50. 125 <?page no="125"?> 126 Karsten Igel steine, welche die Fassade verzierten. 11 Die obrigkeitliche Reglementierung des Hausbaus begrenzte schließlich auch die architektonischen Möglichkeiten, das Haus nach eigenen sozialen und politischen Ansprüchen zu gestalten. Der repräsentative Charakter drückte sich so nur in der stadträumlichen Lage, der Fassadengestalt und - in Grenzen - in der Hausgröße aus. 12 Für Lübeck kann zudem im Vergleich zu anderen niederdeutschen Städten eine erkennbare Zurückhaltung in den Schmuckformen der Giebelgestaltung konstatiert werden. 13 Denkbar, daß die Führungsgruppe bewußt maßhielt und auch baulich den korporativen Charakter der Bürgergemeinde betonte. 14 Vor dem am Lübecker Beispiel skizzierten Hintergrund soll der Blick auf die pommerschen Städte Greifswald und Stralsund gelenkt werden. Beide Städte beruhten in ihrer wirtschaftlichen Entwicklung ebenso wie Lübeck auf dem Fernhandel, auch wenn für das kleinere Greifswald bereits am Ende des 14. Jahrhunderts ein wirtschaftlicher Niedergang einsetzte. 15 11 Gleichzeitig bieten sie einen Anhalt zur Datierung, vgl. M ICHAEL L ISSOK , Von Maßwerk und Bogenfries. Baugebundene Schmuckformen in der mittelalterlichen Backsteinarchitektur Norddeutschlands, in: Rostock: Die Sprache der Steine (Wege zur Backsteingotik 3), Bonn 2002, S. 42-91; T ERLAU -F RIEMANN , Patrizierarchitektur (wie Anm. 10), S. 29-32. 12 Vgl. H AMMEL -K IESOW , Entstehung (wie Anm. 6), S. 167. 13 Ebd., S. 167f.; T ERLAU -F RIEMANN , Patrizierarchitektur (wie Anm. 10), S. 99f. 14 H AMMEL -K IESOW , Entstehung (wie Anm. 6), S. 168. 15 Zu Lübeck: E RICH H OFFMANN , Lübeck im Hoch- und Spätmittelalter: Die große Zeit Lübecks, in: Lübeckische Geschichte, hrsg. v. A NTJEKATHRIN G RAßMANN , Lübeck 1988, S. 79-340; zu Greifswald: D ETLEF K ATTINGER , Die Stadtentwicklung vom Ende des 13. Jahrhunderts bis 1500, in: Greifswald. Geschichte der Stadt, hrsg. v. H ORST W ERNICKE , Schwerin 2000, S. 33-59, hier besonders S. 34-7; U WE K IEL , Das Kloster, die Hanse und die Stadt am Ryck. Zur mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Geschichte der Hanse- und Universitätsstadt Greifswald, in: Greifswald: Dialog des Geistes (Wege zur Backsteingotik 5), Bonn 2002, S. 12-31; K ARSTEN I GE l und U WE K IEL , Aus dem Schatten des Klosters. Die Entwicklung Greifswalds im 13. und zu Beginn des 14. Jahrhunderts, in: Greifswalder Beiträge zur Denkmalpflege und Stadtsanierung, Sonderheft 2004, S. 4-12; zu Stralsund: K ONRAD F RITZE , Entstehung, Aufstieg und Blüte der Hansestadt Stralsund, in: Geschichte der Stadt Stralsund (Veröffentlichungen des Stadtarchivs Stralsund 10), hrsg. v. H ERBERT E WE , Weimar 1984, S. 9-102, vor allem S. 21-33; M AN - FRED S CHNEIDER , Die Hansestadt Stralsund. Eine Seehandelsstadt im Mittelalter, in: Stralsund: Maritime Macht (Wege zur Backsteingotik 4), Bonn 2002, S. 12-45. <?page no="126"?> Obrigkeitliche Reglementierung Beide Städte agierten zwar weitgehend autonom, waren aber - anders als die Reichsstadt Lübeck - dennoch Glieder fürstlicher Landesherrschaften, zuerst Vororte des Herzogtum Pommerns beziehungsweise des Fürstentums Rügen, dann beide von Pommern-Wolgast, in deren Zusammenhang sie auch politisch wirkten. 16 Von diesen Unterschieden ausgehend stellt sich die Frage, wie weit sich die baulichen Strukturen trotz des dort ebenso geltenden lübischen Rechtes von jenen der Travestadt unterschieden und - wenn ja - inwieweit sie Ausdruck unterschiedlicher gesellschaftlicher und politischer Ordnungsmodelle waren. Dort, in Greifswald und Stralsund, hoben sich einzelne Häuser baulich markant im Stadtraum hervor. 17 Zwischen Dielenhaus und Bude - die Umsetzung des Baurechts Den wirtschaftlichen Vorgaben entsprechend vollzog sich die Umsetzung des lübischen Baurechts, zumal in den bevölkerungsärmeren und wirtschaftlich schwächeren Städten, weder in gleicher Geschwindigkeit, noch in gleichem Umfang. So blieben in den kleineren Landstädten lübischen Rechts, wie Mölln oder Anklam, Steinbauten häufig die Ausnahme und auf den Kern um den Markt beschränkt, das Stadtbild bestimmten weiterhin Fachwerkhäuser. 18 Für die größeren Städte des südwestlichen Ostseeraums kann dagegen für weite Teile eine zügige Durchsetzung der vorgeschriebenen Steinbauweise archäologisch und bauhistorisch belegt werden. 19 Aber auch innerhalb dieser Städte ist zu differenzieren: Der pommersche Vierbund aus Stralsund, Greifswald, Anklam und Demmin legte im 14. Jahrhundert ein Maß von 60 Fuß Länge und 18 Fuß Höhe für die Kommunbrandmauern fest. Damit wichen sie gegenüber der lübischen Norm um 2 Fuß Höhe nach unten ab und nahmen so wohl auf die wirtschaftlichen Gegebenheiten Rücksicht. 20 16 Zur Übersicht K LAUS C ONRAD , Herzogliche Schwäche und städtische Macht in der zweiten Hälfte des 14. und im 15. Jahrhundert, in: Pommern, hrsg. v. W ERNER B UCH - HOLZ , Berlin 1999, S. 127-202. 17 So jedenfalls H OLST , Baurecht (wie Anm. 4), S. 116. 18 Vgl. ebd., S. 138 und S. 148. 19 Siehe ebd., S. 140-5. 20 Ebd., S. 146. Die tatsächlichen Maße lagen in Greifswald im Durchschnitt bei 15 Meter Länge und 5 Meter Höhe, vgl. I GEL , Bürgerhaus (wie Anm. 5), Kapitel 2.3.8. Zum Bund der Städte vgl. H ORST W ERNICKE , Zwischen Herzögen und Hanse - der Vierstädtebund 127 <?page no="127"?> 128 Karsten Igel Für Greifswald kann aus dem Zusammenspiel der archäologischen, bauhistorischen wie schriftlichen Befunde und Quellen ein sehr eindrückliches Bild für die bauliche Strukturierung des Stadtraums im 14. und 15. Jahrhundert gezeichnet werden (Abb. 1). 21 Im Kernbereich der Ryckstadt zwischen Markt und Hafen ist eine frühzeitige Umsetzung des Brandmauergebots zu konstatieren, bei der es aber grundsätzlich nicht zu einer Ausbildung von vollständig aus Stein errichteten straßenseitigen Giebeln kam. Diese wurden erst im Laufe der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts und in Vorpommern, in: Land am Meer. Pommern im Spiegel seiner Geschichte. Roderich Schmidt zum 70. Geburtstag (Forschungen zur pommerschen Geschichte 29), hrsg. v. G ÜNTER M ANGELSDORF u. W ERNER B UCHHOLZ , Köln u. a. 1995, S. 197-214. 21 K ARSTEN I GEL , Der Raum als soziale Kategorie. Methoden sozialräumlicher Forschung am Beispiel des spätmittelalterlichen Greifswald, in: Städtesystem und Urbanisierung im Ostseeraum in der Frühen Neuzeit. Urbane Lebensräume und Historische Infomationssysteme, hrsg. v. S TEFAN K ROLL und K ERSTEN K RÜGER , Berlin 2006, S. 265-300; D ERS ., Bürgerhaus (wie Anm. 5); D ERS ., Zur Sozialtopographie Greifswalds um 1400. Der Greifswalder liber hereditatum (1351-1452), in: Die Sozialstruktur und Sozialtopographie vorindustrieller Städte. Beiträge eines interdisziplinären Workshops am Institut für Geschichte der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg am 27. und 28. Januar 2000 (Hallische Beiträge zur Geschichte des Mittelalters und der Frühen Neuzeit 1), hrsg. v. A NDREAS R ANFT und M ATHIAS M EINHARDT , Berlin 2005, S. 227-45; J ENS - C HRISTIAN H OLST , Hausforschung in Greifswald, in: Historischer Hausbau zwischen Elbe und Oder. Jahrbuch für Hausforschung 49 (2002), S. 287-322; D IRK B RANDT und A NDRÉ L UTZE , Anfänge und frühe Entwicklung profaner Backsteinarchitektur des 13. Jahrhunderts in Greifswald (1265-1290). Ein Beitrag zur mittelalterlichen Baugeschichte einer lübischrechtlichen Hansestadt, in: Greifswalder Beiträge zur Denkmalpflege und Stadtsanierung, Sonderheft 2004, S. 13-47; weiterhin: DIES ., Arbeitsmethoden und Ergebnisse bauhistorischer Untersuchungen zum Altstadtgebiet Greifswalds seit 1990 - Ein erster Überblick, in: Greifswalder Beiträge zur Denkmalpflege und Stadtsanierung 1 (2004) Heft 1, S. 13-6; aus archäologischer Sicht: H EIKO S CHÄFER , Früher Holz- und Steinbau in der Hansestadt Greifswald, in: Der Hausbau (Lübecker Kolloquium zur Stadtarchäologie im Hanseraum 3), hrsg. v. M ANFRED G LÄ - SER , Lübeck 2001, S. 421-31; D ERS ., Bauen für die Ewigkeit - Bürgerlicher Steinbau, in: Archäologie unter dem Straßenpflaster. 15 Jahre Stadtkernarchäologie in Mecklenburg-Vorpommern (Beiträge zur Ur- und Frühgeschichte Mecklenburg-Vorpommerns 39), hrsg. v. H AUKE J ÖNS , F RIEDRICH L ÜTH und H EIKO S CHÄFER , Schwerin 2005, S. 207-10. <?page no="128"?> Obrigkeitliche Reglementierung auch nur in den zentralen Teilen der Stadt prägend für das Straßenbild. 22 Dagegen waren der Westrand der Altstadt und die sich anschließende Neustadt stärker mit kleinräumigeren Häusern, vor allem Buden, bebaut. Buden fanden sich in größerer Zahl ebenso entlang der Hafenmauer und im Quartier südlich des Marktes. 23 Die Grabungen im Gerberviertel zwischen Rot- und Weißgerberstraße belegen noch für das 14. Jahrhundert Holzhäuser, die durch einen Traufengang voneinander getrennt waren 24 , sich also in Material und Bauform deutlich vom Ideal des steinernen Dielenhauses unterschieden. Mit der Errichtung von Buden und Holzhäusern wichen die Bauherren bis hin zu einem Verzicht auf die Brandmauern gegenüber dem Recht nach unten ab 25 , entsprachen damit aber wohl dem Bedarf an günstigem Wohn- und Arbeitsraum. Den Rand der Stadt im Westen, Süden und Osten prägten schließlich großräumige Hofanlagen mit von der Straße abgerücktem Hauptgebäude, verschiedenen Wirtschaftsbauten und vermieteten Buden. Diese Höfe gehörten Mitgliedern des Greifswalder Klerus, aber ebenso Bürgerfamilien, die sie zusätzlich zu ihrem Wohnhaus als Wirtschaftshof nutzten oder auch bewohnten. 26 Mit Greifswald vergleichbare Strukturen bestanden in Stralsund: Einerseits sind auch dort die typischen Reihen der Giebelhäuser rund um den Alten Markt und entlang der Hauptstraßen zu finden, andererseits aber Bereiche, die von kleinräumigen Häusern und Buden geprägt sind, beispielsweise im Umfeld von St. Marien in der Stralsunder Neustadt. 27 Anders waren die Verhältnisse in Lübeck. Dort blieben die zahlreichen Buden in 22 Dies gibt die Auswertung der Greifswalder Stadtbücher deutlich zu erkennen, vgl. I GEL , Raum (wie Anm. 21), S. 286-9. 23 Siehe ebd., S. 284-286; I GEL , Bürgerhaus (wie Anm. 5), Kapitel 3.4.4. 24 Vgl. P ETER E NZENBERGER , Die Ausgrabungen im Greifswalder Handwerkerviertel, in: Handwerk - Stadt - Hanse. Ergebnisse der Archäologie zum mittelalterlichen Handwerk im südlichen Ostseeraum (Greifswalder Mitteilungen 4), hrsg. v. U LRICH M ÜL - LER , Frankfurt am Main 2000, S. 99-113. 25 Die Budenreihen entstanden zum Teil wohl auch als mehrere Wohneinheiten zwischen zwei Brandmauern, ebenso werden auch steinerne Buden erwähnt, vgl. S CHEF - TEL , Gänge (wie Anm. 8), S. 14-41; I GEL , Bürgerhaus (wie Anm. 5), Kapitel 3.4.4. 26 Siehe dazu I GEL , Bürgerhaus (wie Anm. 5), Kapitel 3.4.5, sowie das unten angeführte Beispiel der Familie Letzenitze. 27 Vgl. H OLST , Baurecht (wie Anm. 4), S. 146-9; K ARSTEN I GEL , »... und schal by der Lowen namen blyven« Identität und Selbstdarstellung städtischer Führungsgruppen im spätmittelalterlichen Hanseraum im Spiegel ihrer Häuser und Höfe, in: Der Blick auf sich und die anderen. Selbst- und Fremdbild von Frauen und Männern in Mittelalter und 129 <?page no="129"?> 130 Karsten Igel den Gängen hinter den Giebelhäusern verborgen. 28 Dennoch entstanden auch in Lübeck in einzelnen, eher am Rand gelegenen Bereichen Blöcke mit einer den wirtschaftlichen Verhältnissen der Bewohner entsprechenden kleinräumigeren Bebauung. 29 Die aus dem Baurecht, unterstützt von wirtschaftlichen Erfordernissen folgende Vereinheitlichung der Baustrukturen setzte sich also nicht in allen Städten in gleichem Maße durch - sogar in den größeren Städten war sie nicht flächendeckend. Dennoch vollzog sich auch dort ein baulicher Wandel, der das Bild der Städte dauerhaft prägen sollte. Zuvor hoben sich, wie für Greifswald und Lübeck nachgewiesen, einzelne auffällig herausragende Bauten aus dem Stadtraum hervor, der noch von kleineren, überwiegend hölzernen Gebäuden geprägt war. 30 Die unterschiedlichen Dimensionen der Gebäude verweisen auf wirtschaftliche und soziale Gegensätze innerhalb der städtischen Gesellschaft bzw. auf deren stärkeren Niederschlag im Stadtbild. 31 Im Vergleich zu den älteren Strukturen führte die Umsetzung der lübischen Bauordnungen also zu einer bemerkenswerten Vereinheitlichung und Egalisierung des Stadtbildes - freilich auf einem höheren Niveau. 32 Das Haus als Ort familiärer Repräsentation Wie weit aber konnten angesichts der städtebaulichen » Nivellierung « einzelne Häuser der familiären Repräsentation dienen? Welche Möglichkeiten dazu boten sich innerhalb der Grenzen der baurechtlichen Reglementierungen? Wie weit und auf welche Weise ließen sich diese durchbrechen? Und wie weit kam dem Haus, das zugleich wichtiger Teil des Wirtschaftsprozesses war, überhaupt eine repräsentative Rolle beziehungsweise eine identitätsstiftende Funktion für die Familie zu? Einen Hinweis zur Beantfrüher Neuzeit. Festschrift für Klaus Arnold (Nova Mediaevalia. Quellen und Studien zum europäischen Mittelalter 2), hrsg. v. S ÜNJE P RÜHLEN , L UCIE K UHSE und J ÜRGEN S ARNOWSKY , Göttingen 2007, S. 315-48, hier S. 321f sowie 328-30. 28 Vgl. S CHEFTEL , Gänge (wie Anm. 8), S. 8-13. 29 Siehe C HRISTENSEN , Kleinhäuser (wie Anm. 8), S. 141-6. 30 Hammel-Kiesow, Entstehung (wie Anm. 6), S. 156-8. 31 Ebd., S. 141; I GEL , Lowen (wie Anm. 27), S. 325. 32 H AMMEL -K IESOW , Entstehung (wie Anm. 6), S. 160. <?page no="130"?> Obrigkeitliche Reglementierung wortung der Fragen liefert ein Vertrag, den die Brüder Conrad und Johann Lowe im Jahr 1419 über ihr Elternhaus schlossen und in das Greifswalder Stadterbebuch eintragen ließen. 33 Darin bestimmten die Brüder, daß das Haus in der männlichen Linie ihrer Familie bleiben sollte - » und schal by der Lowen namen blyven « , wie es in der Niederschrift der Vereinbarung heißt. In diesem singulären Eintrag drückt sich zweifellos eine besondere Bedeutung des Hauses als Zentrum und Identifikationsort der Greifswalder Ratsfamilie aus. Sicherlich ein rares Quellenzeugnis, aber bereits der über mehrere Generationen andauernde Besitz einer nachweislich als Wohnsitz genutzten Hausstätte bietet einen Hinweis auf deren herausgehobene Bedeutung. 34 Umso mehr, da der Großteil der innerstädtischen Immobilien vergleichsweise häufig den Eigentümer wechselte. Für Greifswald lassen sich 22 Hausstätten bestimmen, die zwischen 1350 und 1450 länger als 50 Jahre im Eigentum einer der Ratsfamilien verblieben und sich räumlich vor allem auf den Markt und die zum Hafen führende Knopfstraße konzentrierten. 35 Gleichfalls in seiner Bedeutung betont wurde dieser Bereich der Stadt durch Umzüge von Ratsherren in die Knopfstraße oder an den Markt vor oder kurz nach ihrer Wahl in den Rat, falls sie nicht ohnehin schon dort wohnten. In einigen Fällen scheinen bewußt Häuser gewählt worden zu sein, deren Voreigentümer hohes Prestige genossen. 36 Während der mittelalterliche Hausbestand der Knopfstraße bis auf wenige Reste verloren ist, stehen am Greifswalder Markt noch drei solcher Häuser, die sich trotz neu- 33 Dazu I GEL , Lowen (wie Anm. 27), S. 315f. 34 Angesichts des zum Teil umfangreichen Grundeigentums ist der Nachweis des Wohnhauses allerdings nicht immer eindeutig möglich, siehe dazu auch R OLF H AM - MEL , Hauseigentum im spätmittelalterlichen Lübeck. Methoden zur sozial- und wirtschaftsgeschichtlichen Auswertung der Lübecker Oberstadtbuchregesten, in: Archäologische und schriftliche Quellen zur spätmittelalterlich-neuzeitlichen Geschichte der Hansestadt Lübeck. Materialien und Methoden einer archäologisch-historischen Auswertung (Lübecker Schriften zur Archäologie und Kulturgeschichte 10), Bonn 1987, S. 85-300, hier S. 150-4. 35 I GEL , Bürgerhaus (wie Anm. 5), Kapitel 4.2.1. Dies scheint in Lübeck weniger ausgeprägt zu sein, darauf verweist jedenfalls eine Durchsicht der Ratslisten bei M ICHAEL L UTTERBECK , Der Rat der Stadt Lübeck im 13. und 14. Jahrhundert. Politische, personale und wirtschaftliche Zusammenhänge in einer städtischen Führungsgruppe (Veröffentlichungen zur Geschichte der Hansestadt Lübeck B 35), Lübeck 2002, S. 181-445. 36 Vgl. dazu K ARSTEN I GEL , Wohin in der Stadt? Sozialräumliche Strukturen und innerstädtische Mobilität im spätmittelalterlichen Greifswald, in: Repräsentationen der mittelalterlichen Stadt (Forum Mittelalter - Studien 4), hrsg. v. J ÖRG O BERSTE und E DITH 131 <?page no="131"?> 132 Karsten Igel zeitlicher Überformung als wichtige Quelle für die ratsherrliche Repräsentation anbieten. 37 Schon dank seiner Ausmaße sticht das größte noch in Greifswald stehende Giebelhaus, Markt 25, hervor. Das in den 1340er Jahren von dem Bürgermeister Hinrich von Lübeck, aus der jüngeren, bedeutenderen Linie dieser Ratsherrenfamilie 38 errichtete Haus, dominiert die südwestliche Ecke des Marktplatzes in unmittelbarer Nähe zum Rathaus. Das Lübecksche Haus steht zudem nicht nur räumlich, sondern auch zeitlich in engem Bezug zum ebenfalls in den 1340er Jahren erbauten Rathaus. 39 Die Fassade entspricht in ihrer Größe nicht nur weitgehend jener des Rathauses, auch in ihrer Gestaltung scheint sie sich unverkennbar an diese angelehnt zu haben. 40 Die Verwendung gleicher Formsteine und damit einer ähnlichen Formensprache in der Fassadengestaltung wird durch die zeitlich parallele Errichtung nahe gelegt. Die Verbindung aus gleicher Größe und zumindest ähnlicher Gestalt der Fassaden evoziert aber ebenso eine symbolische, kommunikative Verknüpfung zwischen beiden Gebäuden, mit der sich der Bürgermeister Hinrich von Lübeck und seine Familie, der das Haus noch 1450 gehörte 41 , als führend in der Stadt präsentierten. Zusätzlich erhielt das Lü- F EISTNER , Regensburg 2008, S. 179-92, hier S. 191f.; zum Phänomen der innerstädtischen Mobilität vgl. mit weiterer Literatur K ARSTEN L ABAHN , Räumliche Mobilität in der vorindustriellen Stadt. Wohnungswechsel in Stralsund um 1700 (Kleine Stadtgeschichte 1), Berlin 2006. 37 Siehe zu diesen Bauten B RANDT / L UTZE , Backsteinarchitektur (wie Anm. 21), S. 32-5; D IRK B RANDT , A NDRÉ L UTZE und F ELIX S CHÖNROCK , Fischstraße 18 - Ein Traufenhaus im Wandel der Zeit, in: Greifswalder Beiträge zur Denkmalpflege und Stadtsanierung 1 (2004) Heft 2, S. 4-21, hier S. 12-6; H OLST , Hausforschung (wie Anm. 21), S. 310f. sowie I GEL , Lowen (wie Anm. 27), S. 328f. 38 Siehe L UTZE / B RANDT , Arbeitsmethoden (wie Anm. 21), S. 15; H OLST , Hausforschung (wie Anm. 21), S. 311f.; I GEL , Lowen (wie Anm. 27), S. 329. Zu dieser Familie siehe auch T HEODOR P YL , Genealogien der Familien Wakenitz, Lübeck und Smiterlow (Pommersche Genealogien 2), Greifswald 1873. 39 Vgl. H EIKO S CHÄFER , Öffentliche Bautätigkeiten und Einrichtungen in Greifswald unter besonderer Berücksichtigung der archäologischen Quellen des 13. bis 15. Jahrhunderts, in: Die Infrastruktur (Lübecker Kolloquium zur Stadtarchäologie im Hanseraum 4), hrsg. v. M ANFRED G LÄSER , Lübeck 2004, S. 263-74, hier S. 272. 40 L UTZE / B RANDT , Arbeitsmethoden (wie Anm. 21), S. 15; H OLST , Hausforschung (wie Anm. 21), S. 311f. 41 I GEL , Bürgerhaus (wie Anm. 5), Kapitel 4.2.1. <?page no="132"?> Obrigkeitliche Reglementierung becksche Haus eine repräsentative Betonung durch den über der hohen Diele im Obergeschoss gelegenen Saal, der auch in der Fassadenstruktur ablesbar gewesen sein dürfte. 42 Mit seiner auffälligen Größe stand es aber keineswegs allein in Greifswald, einige weitere heute nicht mehr existierende Häuser gleichen Ausmaßes sind durch Photographien des ausgehenden 19. Jahrhunderts an der Nord- und der Südseite des Marktes belegt, für ihre Fassadengestaltung liegen aber keinerlei Hinweise vor. 43 Die beiden anderen noch bestehenden Ratsfamilienhäuser prägen die Ostseite des Greifswalder Marktes (Abb. 2). Das Giebelhaus Markt 11, Geburtshaus des Bürgermeisters und Universitätsgründers Hinrich Rubenow, zählt mit seiner kurz vor oder um 1420 errichteten Fassade zu den herausragenden Beispielen profaner Backsteinbauten im Ostseeraum. 44 Bereits um 1290 wurde das Haus Markt 13 errichtet, das über einen hohen Schildgiebel verfügte, der auf der Zeichnung mit Zinnen als Abschluss rekonstruiert ist. 45 Schon um die Mitte des 14. Jahrhunderts befand sich das Haus im Eigentum der älteren Linie der Ratsherrenfamilie von Lübeck, in dem es bis zum Tod des Ratsherren Jakob von Lübeck im Jahr 1434 verblieb. 46 Bemerkenswert an diesem Bau ist ein Element: Die Fensterreihe oberhalb des hohen Dielengeschosses läßt einen einen dahinter befindlichen Saal erahnen; sie deutet ihn aber nur an, denn nach den bauhistorischen Befunden kann sich, anders als bei dem ein halbes Jahrhundert jüngeren Haus Markt 25, aufgrund der geringen Raumhöhe hinter den Fenstern nur ein Speichergeschoss befunden haben. 47 Die Fassade präsentierte dem Betrachter nach außen hin eine besonders repräsentative räumliche Ausstattung, die hinter der Mauer aber nicht eingelöst wurde! Eine vergleichbare bauliche Überhöhung gibt das heute stark überformte Nachbarhaus Markt 12 zu erkennen, das durch sei- 42 Ebd., S. 291. 43 Ebd., S. 312. 44 Vgl. K ARL H AUKE , Das Bürgerhaus in Mecklenburg und Pommern (Das deutsche Bürgerhaus 22), Tübingen 1975, S. 66; S USANNE L ANGHEIN , Der Schaugiebel des Bürgerhauses Markt 11 in Greifswald. Ergebnisse der Bauforschung und der Versuch einer stilistischen Einordnung. Unveröffentlichte Magisterarbeit, Greifswald 1999; H OLST , Hausforschung (wie Anm. 21), S. 293-5 sowie S. 312f. 45 Zu den Häusern dieser Häuserzeile siehe B RANDT / L UTZE , Backsteinarchitektur (wie Anm. 21), S. 32-5; B RANDT / L UTZE / S CHÖNROCK , Fischstraße 18 (wie Anm. 37), S. 12-6. 46 I GEL , Bürgerhaus (wie Anm. 5), Kapitel 5.2.1. 47 Vgl. F ELIX S CHÖNROCK , Die Bürgerhausfassade in Greifswald um 1300. Ergebnisse der Bauuntersuchungen am Haus Markt 13. Unveröffentlichte Magisterarbeit, Greifswald 1996; H OLST , Hausforschung (wie Anm. 21), S. 310f. 133 <?page no="133"?> 134 Karsten Igel nen breiten, ebenfalls zinnenbekrönten Schildgiebel auffällt. Täuscht der Schildgiebel ohnehin schon ein größeres Haus vor, so befanden sich hinter diesem aber zwei baulich eigenständige Dielenhäuser, die zwar ursprünglich von einem Bauherrn errichtet worden, ab 1358 aber auch eigentumsrechtlich getrennt waren. 48 Möglicherweise als Doppelhaus für zwei Generationen oder Zweige einer Familie oder auch zur teilweisen Vermietung gedacht, bot sich dennoch der Anblick eines großen, weit über die übliche Breite hinausreichenden Baues. 49 Der Schildgiebel des Hauses war wohl tatsächlich von Zinnen bekrönt. 50 Auch dies ist durchaus bemerkenswert: denn anders als in Greifswald können Zinnen als architektursymbolische Anleihe aus dem Befestigungs- und Burgenbau für Lübecker Bürgerhäuser - trotz des reichen Materials - nicht belegt werden. 51 Hier deutet sich ein Unterschied zwischen der Ryck- und der Travestadt an, ein weiterer zeigt sich in den genannten groß dimensionierten Bauten Greifswalds - Dielenhäuser einer vergleichbaren Größenordnung fehlen in Lübeck. 52 Nicht nur angesichts der gemeinsamen Brandmauerordnung, sondern auch im Blick auf einzelne herausragende Bauten ist Stralsund durchaus eng mit Greifswald verbunden, wie denn auch ein enges personelles Geflecht zwischen den Führungsgruppen beider Städte bestand. 53 Das um 1350 erbaute Wulflamhaus, am Alten Markt dem Stralsunder Rathaus gegenüber stehend, ist etwa gleichzeitig oder nur wenige Jahre später als das Lübecksche Haus am Greifswalder Markt errichtet worden. Zwar war es kleiner, verfügte aber ebenso über einen Saal im Obergeschoss. Diesem war zudem 48 B RANDT / L UTZE , Backsteinarchitektur (wie Anm. 21), S. 34f.; B RANDT / L UTZE / S CHÖN - ROCK , Fischstraße 18 (wie Anm. 37), S. 12-6; I GEL , Bürgerhaus (wie Anm. 5), Kapitel 5.2.1. 49 Siehe dazu auch I GEL , Lowen (wie Anm. 27), S. 328, der Besitz mehrerer Häuser und deren wechselnde Nutzung für die verschiedenen Generationen einer Familie läßt sich in Greifswald häufiger beobachten, in diesem Falle wäre aber die unmittelbare bauliche Verbindung zu einem »Doppelhaus« herausragend gewesen. 50 Freundlicher Hinweis von Herrn Andre Lutze, Greifswald. 51 Siehe H OLST , Baurecht (wie Anm. 4), S. 118. 52 So H OLST , Hausforschung (wie Anm. 21), S. 312. 53 Zu den verwandtschaftlichen Bindungen zwischen Greifswalder und Stralsunder Ratsfamilien vgl. T HEODOR P YL , Genealogien der Greifswalder Ratsmitglieder von 1250-1382 (Pommersche Genealogien 4), Greifswald 1895; D ERS ., Genealogien der Greifswalder Ratsmitglieder von 1382-1647 (Pommersche Genealogien 5), Greifswald 1896. <?page no="134"?> Obrigkeitliche Reglementierung ein offener oder vielleicht sogar verglaster Laubengang vorgelagert, 54 der in den öffentlichen Straßenraum hineinragte und sich damit über das Baufluchtgebot des lübischen Baurechtes hinwegsetzte. 55 Entsprechendes kann in Lübeck nur für den Kranenkonvent und den Reinefelder Klosterhof, mithin zwei Bauten geistlicher Eigentümer, die dem städtischen Recht nur beschränkt unterlagen, beobachtet werden. 56 Für Lübeck finden sich auf dem Stadtprospekt von Elias Diebel aus der Mitte des 16. Jahrhunderts zudem chorartige Erker, die sich als Hauskapellen nach oberdeutschem Vorbild deuten lassen. In diesem Fall könnte die sakrale Nutzung die Überschreitung des Baufluchtgebotes begründet haben. 57 Zwar scheint Lübeck mit solchen bürgerlichen Hauskapellen im südwestlichen Ostseeraum singulär zu sein, kleinere oder größere Erker an der Vorderfassade lassen sich aber in verschiedenen lübischen Städten belegen. Beispiele dafür zeigt die Darstellung Rostocks auf der Vicke Schorler-Rolle aus dem ausgehenden 16. Jahrhundert. 58 Natürlich ist für die Erker wie für die Hauskapellen, die erst durch Ansichten des 16. Jahrhunderts belegt sind, unsicher, wie weit ihre Entstehung in das Spätmittelalter zurückreicht. Auf andere Weise, indem sie hinter der Bauflucht zurück blieb, entzog sich die Greifswalder Familie Letzenitze den Vorgaben des lübischen Baurechts. Die Ratsherren und Bürgermeister aus diesem Geschlecht bewohnten kein in der geschlossenen Straßenfront stehendes Giebelhaus, sondern einen geräumigen Hof am südlichen Rand der Stadt, dessen rückwärtig gelegenes Wohnhaus durch eine Budenzeile und wohl auch Mauer und Tor von der Straße und somit dem öffentlichen städtischen Raum geschieden war. 59 Eine Lebensform, die für Lübecker Ratsfamilien keinesfalls üblich war und für die übrigen lübischen Städte des südwestlichen Ostseeraumes 54 Vgl. Jens-Christian H OLST , Stand und Aufgaben der Hausforschung des Mittelalters in der Hansestadt Stralsund. Beobachtungen eines Lübeckers, in: Archäologie des Mittelalters und Bauforschung im Hanseraum. Eine Festschrift für Günter P. Fehring (Schriften des Kulturhistorischen Museums in Rostock 1), hrsg. v. M ANFRED G LÄSER , Rostock 1993, S. 397-408, hier S. 401f.; ders., Baurecht (wie Anm. 4), S. 131; I GEL , Lowen (wie Anm. 27), S. 329. 55 H OLST , Baurecht (wie Anm. 4), S. 119-135. 56 So ebd., S. 131. 57 In der Einrichtung solcher Hauskapellen ließe sich auch ein Hinweis auf eine dauerhafte familiäre Bindung zum Haus erkennen. 58 H ORST W ITT , Die wahrhaftige »Abcontrafactur« der See- und Hansestadt Rostock des Krämers Vicke Schorler, Rostock 1989. 59 Vgl. I GEL , Bürgerhaus (wie Anm. 5), Kapitel 2.3.5. 135 <?page no="135"?> 136 Karsten Igel bislang nur für geistliche Kurien sowie die Stadthöfe des Adels und auswärtiger Klöster zu belegen ist. 60 Eine Parallele scheint sich vielleicht für die Kolberger Ratsfamilie von Brunswiek anzudeuten, für die ähnliches überliefert ist. 61 Das bewußte Überschreiten beziehungsweise Umgehen der Bauordnungen, das sich mit Vorbauten wie der Laube des Wulflamhauses in Stralsund oder der Hofanlage der Familie Letzenitze in Greifswald andeutet, läßt sich als ein Akt der Repräsentation im Sinne einer Hervorhebung aus dem baulichen Umfeld ansprechen. Und das wirkte im städtischen Raum sicherlich noch stärker als der Bau eines » nur « größeren Hauses mit entsprechend höheren Brandmauern. Übertraf ein Neubau die Maße seines Vorgängerbaus, konnte das Widerspruchsrecht gegen das » unwontlike buwete « , ebenfalls Teil des lübischen Baurechts, Grenzen setzen. 62 Es ist aus den Quellen leider nicht zu beantworten, ob ein solcher Widerspruch gegen Baumaßnahmen etablierter Mitglieder der Führungsgruppe nicht weniger wahrscheinlich war als gegenüber sozialen Aufsteigern, die noch nicht über einen vergleichbaren Status verfügten. Denkbar erscheint es jedenfalls. Unterschiede im Stadtbild - Unterschiede in der Repräsentation? Hervorgetreten ist in den vorangegangenen Ausführungen ein bemerkenswerter Unterschied zwischen Greifswald und Stralsund auf der einen und Lübeck auf der anderen Seite. An der Trave zeigte sich entlang der Hauptstraßen ein einheitlicheres Bild, der baurechtlicher Rahmen wurde anscheinend kaum überschritten. Die - trotz des in noch größerem Maße als in Stralsund oder Greifswald verfügbaren Kapitals - erkennbare Zurückhaltung besonders in der Größe der Gebäude könnte auf andere hier herr- 60 Vgl. H OLST , Baurecht (wie Anm. 4), S. 133-5; H AMMEL -K IESOW , Entstehung (wie Anm. 6), S. 168; zu den Klösterhöfen siehe auch D ORIS B ULACH , Zisterzienser und Stadt: Die städtischen Beziehungen der vorpommerschen Klöster Eldena, Neuenkamp und Hiddensee, in: Zisterziensische Klosterwirtschaft zwischen Ostsee und Erzgebirge. Studien zu Klöstern in Vorpommern, zu Himmelpfort in Brandenburg und Grünhain in Sachsen (Studien zur Geschichte, Kunst und Kultur der Zisterzienser 19), hrsg. v. W IN - FRIED S CHICH , Berlin 2004, S. 15-178. 61 Vgl. H ERMANN R IEMANN , Geschichte der Stadt Kolberg, Kolberg 1924, S. 48, nach den Angaben Riemanns war der Hof durch zwei Buden von der Straße getrennt, zwischen denen eine Einfahrt zum zurückgelegenen Haus und Wirtschaftshaus mit Stallungen und Speichern führte. 62 Dazu H OLST , Baurecht (wie Anm. 4), S. 151f. <?page no="136"?> Obrigkeitliche Reglementierung schende gesellschaftliche » Spielregeln « deuten. Rolf Hammel-Kiesow von historischer und Jens-Christian Holst von bauhistorischer Seite haben darauf hingewiesen, daß diese Maßhaltung einerseits die Rechtsgleichheit der Bürger abbilden, andererseits aber auch den sozialen Frieden wahren sollte. 63 So ließe sich für den Fall der Travestadt das lübische Baurecht auch als eine » Kleiderordnung « für den Hausbau betrachten 64 , die allerdings nicht eine soziale Staffelung abbilden, sondern die Egalität der stadtbürgerlichen Gesellschaft unterstreichen sollte und es nicht erlaubte, sich auffällig über die anderen Mitglieder der Bürgergemeinde zu erheben. Eine vergleichbare Zurückhaltung konnte Stefanie Rüther anhand der Legate in den Testamenten für das Stiftungsverhalten der Lübecker Ratsfamilien beobachten eine bedenkenswerte Parallele zum Hausbau, da die Stiftungen ebenfalls in der städtischen Öffentlichkeit standen. 65 Dagegen hoben sich in Greifswald und Stralsund einzelne Häuser und damit auch deren Eigentümer deutlich im Stadtbild hervor, übertrafen in ihren Dimensionen vergleichbare Bauten in Lübeck. Der vorgestellte Befund drängt die Frage nach den dahinterstehenden gesellschaftlichen und herrschaftlichen Strukturen in den drei betrachteten Städten auf. Die Struktur der städtischen Verfassung mit einem Rat an der Spitze, dessen Mitglieder auf Lebenszeit kooptiert wurden, ist dabei für alle Städte lübischen Rechts gleich, wie auch die Führungsgruppen der größeren Seestädte mit einer dominanten Stellung der Fernhändler ähnlich strukturiert waren. 66 Ein nicht zu unterschätzender Unterschied lag jedoch in der Stellung zum Reich und zum unmittelbaren Umland: Betrieb die Reichs- 63 H AMMEL -K IESOW , Entstehung (wie Anm. 6), S. 167-9; H OLST , Baurecht (wie Anm. 4), S. 134f. sowie S. 154. 64 Der Begriff mag in diesem Zusammenhang überspitzt wirken, will man im Lübecker Beispiel aber eine durchaus bewußte Beschränkung von Baumassen und -gestaltung erkennen, so dürfte er dies aber durchaus treffen charakterisieren. Zum Begriff vgl. E BERHARD I SENMANN , Die deutsche Stadt im Spätmittelalter, Stuttgart 1988, S. 157f. und S. 259f., mit weiterer Literatur. 65 Vgl. S TEFANIE R ÜTHER , Prestige und Herrschaft. Zur Repräsentation der Lübecker Ratsherren in Mittelalter und Früher Neuzeit (Norm und Struktur 16), Köln u. a. 2003, S. 62-75. 66 Siehe H OFFMANN , Lübeck (wie Anm. 15), S. 219-25; D IETRICH W. P OECK , Rituale der Ratswahl. Zeichen und Zeremoniell der Ratssetzung in Europa (Städteforschung A 60), Köln u. a. 2003, S. 176-237; R OLF H AMMEL -K IESOW , Die Hanse, München 2000, S. 53f. 137 <?page no="137"?> 138 Karsten Igel stadt Lübeck eine eigene Territorialpolitik 67 , so waren Stralsund und Greifswald zwar autonom in ihrer Stadtherrschaft, aber zugleich auch Vororte der sie umgebenden Territorien, des Fürstentums Rügen bzw. des Herzogtums Pommern. Besonders Greifswald agierte in den 1320er Jahren sehr intensiv im pommerschen Erbfolgekrieg, beide gehörten ab 1325 wie Demmin und Anklam zum Herzogtum Pommern-Wolgast. 68 Diese Verbindungen hatten Auswirkungen sowohl auf das städtische Selbstverständnis als auch auf das der führenden Familien. So wie sich am Beispiel der Familie Letzenitze eine Annäherung an adlig erscheinende Lebensformen zeigt, bestanden - anders als in der Reichsstadt Lübeck - zum Teil enge Verbindungen zum Landesherrn. Der Greifswalder Bürgermeister Hinrich Rubenow 69 mußte seine Nähe zum Herzog mit der zeitweiligen Verbannung aus der Stadt büßen, konnte sie aber auch zur Gründung der Universität nutzen und fiel schließlich einem Mordanschlag zum Opfer, der aus Entzweiungen innerhalb des Greifswalder Rates herrührte. 70 Anders als in Lübeck dominierten in den beiden pommerschen Städten einzelne Familien über mehrere Generationen die Stadt, während in der Lübecker Führungsschicht eine stärkere Fluktuation zu beobachten ist. 71 Bertram Wulflam hatte 1391, als sich der Konflikt mit der Ratsopposition um Karsten Sarnow bedrohlich zuspitzte, zusammen mit seinen Söhnen und Albert Gildehusen Stralsund verlassen müssen. Vorgeworfen wurde ihm unter anderem eine autokratische Herrschaft, ebenso die Verwahrung der 67 Vgl. dazu beispielsweise H OFFMANN , Lübeck (wie Anm. 15), S. 269-71. 68 Vgl. C ONRAD , Herzogliche Schwäche (wie Anm. 16); H EIDELORE B ÖCKER , Die »guten Beziehungen« zum Landesherrn. Handelsgeschichte zwischen Ostsee und Peene vom 13. bis 16. Jahrhundert, in: Recht und Alltag im Hanseraum. Festschrift für Gerhard Theuerkauf, hrsg. v. S ILKE U RBANSKI , C HRISTIAN L AMSCHUS und J ÜRGEN E LLERMEYER , Lüneburg 1993, S. 41-70; D IES ., Verfassungswirklichkeit - ein gelungener Balanceakt der Landesherren. Städtische Entwicklung unter dem Einfluß landesherrlicher Territorialpolitik und kaufmännischen Konkurrenzdenkens in Vorpommern und Rügen vom 13. bis 16. Jahrhundert, in: Verwaltung und Politik in Städten Mitteleuropas. Beiträge zur Verfassungsnorm und Verfassungswirklichkeit in altständischer Zeit (Städteforschung A 34), hrsg. v. W ILFRIED E HBRECHT , Köln u. a. 1994, S. 159-76; K ATTINGER , Stadtentwicklung (wie Anm. 15), S. 51-3; W ERNICKE , Vierstädtebund (wie Anm. 20). 69 Siehe H ARTMUT B OOCKMANN , Spätmittelalterliche deutsche Stadt-Tyrannen, in: Blätter für deutsche Landesgeschichte 119 (1983), S. 73-91, besonders S. 74f.; I GE l, Bürgerhaus (wie Anm. 5), Kapitel 5.2.1. 70 Vgl. B OOCKMANN , Stadt-Tyrannen (wie Anm. 69), S. 73f. 71 Für das 13. und 14. Jahrhundert siehe L UTTERBECK , Rat (wie Anm. 35). <?page no="138"?> Obrigkeitliche Reglementierung Stadtkasse in seinem Haus, wobei die Grenzen zwischen familiären und städtischen Finanzen nicht mehr erkennbar gewesen sein sollen. 72 Seine Rückkehr erfolgte zwar erst nach seinem Tode, doch wurde der Leichnam » si actualiter viveret « noch einmal in das Ratsgestühl und damit in sein altes Amt eingesetzt. 73 In Greifswald beherrschten die Familien Rubenow, von Lübeck, Lowe, Lange, Hilgemann und Letzenitze über weit mehr als ein Jahrhundert den Rat. 74 Die Wohnsitze der ersten drei Familien wurden bereits erwähnt, das Langesche Haus an der südöstlichen Ecke des Marktes war kaum kleiner als jenes der jüngeren Linie von Lübeck an der südwestlichen Ecke. 75 Die Familie Hilgemann stiftete 1348 den Chorneubau an der Kirche des Franziskanerklosters, dem mit Werner Hilgemann um 1330 zudem ein Mitglied der Familie vorstand. Sie prägten auf diese Weise mit ihrer Familienstiftung das Stadtbild und richteten im Chor ihre Grablege ein. Auch sie besaßen einen Hof in der Stadt, der bezeichnenderweise unmittelbar an den von ihnen gestifteten Chor grenzte. Ob sie den Hof allerdings auch bewohnten, ist aus den Quellen nicht zu belegen. 76 72 Dazu F RITZE , Entstehung (wie Anm. 15), S. 68-76; D ERS ., Bürgervertretungen in wendischen Hansestädten vom 14. bis zum 16. Jahrhundert, in: Verwaltung und Politik in Städten Mitteleuropas. Beiträge zur Verfassungsnorm und Verfassungswirklichkeit in altständischer Zeit (Städteforschung A 34), hrsg. v. W ILFRIED E HBRECHT , Köln u. a. 1994, S. 147-57, besonders S. 150; G ERTRUD S CHULZ , Der Stralsunder Bürgermeister Bertram Wulflam, in: Hansische Geschichtsblätter 48 (1923), S. 99-140, hier besonders S. 130- 9. Letztere sieht Wulflams Handeln eher unkritisch als Taten einer starken Führerpersönlichkeit (! ) zum Wohle seiner Stadt. 73 Die Chronica novella des Hermann Korner, hrsg. v. J ACOB S CHWALM , Göttingen 1895, S. 342; siehe dazu auch P OECK , Ratswahl (wie Anm. 66), S. 225-7. 74 Vgl. I GEL , Bürgerhaus (wie Anm. 5), Kapitel 4.2.1. 75 Dieses ehemals an der südöstlichen Ecke des Marktes gelegene Haus zählte zu den auffällig großen Bauten, auf die H OLST , Hausforschung (wie Anm. 21), S. 311f., hinweist; zur Lage siehe I GEL , Bürgerhaus (wie Anm. 5), Kapitel 4.2.1. 76 Vgl. K ARSTEN I GEL , Kirchen im Greifswalder Stadt-Raum, in: Pfarrkirchen in den Städten des Hanseraums. Beiträge eines Kolloquiums vom 10. bis 13. Dezember 2003 in der Hansestadt Stralsund (Archäologie und Geschichte im Ostseeraum 1), hrsg. v. F ELIX B IERMANN , M ANFRED S CHNEIDER und T HOMAS T ERBERGER , Rahden/ Westf. 2006, S. 71-87, hier S. 71; D ERS ., Zur Geschichte des Greifswalder Franziskanerklosters, in: Greifswalder Beiträge zur Stadtgeschichte, Denkmalpflege, Stadtsanierung, Sonderheft 2008 (im Druck) Katharina Rubenow, Tochter des Bürgermeister Johann Hilgemann, besaß hier noch einen Baumgarten, den sie in ihrem Testament dem Franziskanerkloster vermachte. 139 <?page no="139"?> 140 Karsten Igel Angedeutet sind damit - entgegen dem von Gruber gezeichneten Bild - Unterschiede in der gesellschaftlichen Struktur der betrachteten Städte, die sich wenigstens zum Teil auch in deren baulicher Struktur, im einzelnen Haus wie in der Straßenzeile, widerspiegeln. Der » Maßhaltung « in Lübeck steht ein Durchbrechen des Rahmens durch einzelne Familien in Greifswald und Stralsund gegenüber, sei es durch die schlichte Größe, das Überschreiten der Baugrenze oder das Zurückbleiben dahinter. So erscheint ein eingehender Blick auf die Entwicklung baulicher Strukturen als Spiegel eines bürgerlichen Selbstverständnisses und der Vorstellungen von städtischer Gesellschaft als lohnend. In den Blickpunkt rückt dabei aber nicht das einzelne Haus allein, sondern seine Stellung innerhalb des städtebaulich-stadträumlichen und gleichzeitig des gesellschaftlichen Kontextes einer Stadt oder, wie im Falle der lübischen Städte, auch einer ganzen Städtelandschaft. <?page no="140"?> 141 Abbildung 1 <?page no="141"?> 142 Abbildung 2 Paul Suhr 1935, abgedruckt unter anderem in: Karl Hauke, Das Bürgerhaus in Mecklenburg und Pommern (Das deutsche Bürgerhaus 22), Tübingen 1975. <?page no="142"?> H ELMUT M AURER 143 Verzwickte Geschichten um ein altes Haus. Das »Hohe Haus« in Konstanz Es sind schon einige Jahre vergangen, seitdem ich gebeten worden bin, über die Geschichte eines der markantesten Häuser der Konstanzer Altstadt zu sprechen. Damals schien mir dies ein völlig ungefährliches Unternehmen zu werden. Denn die Vergangenheit des Hohen Hauses ist schon oft dargestellt worden, und Erich Hofmann hat das Verdienst, das bisher Bekannte umfassend beschrieben zu haben. 1 Ich konnte nach alldem davon ausgehen, daß es allenfalls darum zu tun sein würde, das eine oder das andere vertraute Kapitel aus der reichen Vergangenheit des Hauses in ein neues Licht zu rücken oder die eine oder die andere - wiederum längst bekannte - Episode stärker zu beleuchten, als dies bisher möglicherweise der Fall gewesen ist. Mit dieser naiven Absicht ging ich ans Werk. Was bei dieser erneuten Beschäftigung mit der vermeintlich weithin bekannten Geschichte des Hohen Hauses herauskam, hat mich selbst aufs Höchste überrascht, um nicht zu sagen: irritiert, ja schließlich wegen dieser Irritation fasziniert, und ich hoffe sehr, daß auch bei Ihnen - ähnlich wie bei mir - nicht die Irritation, sondern die Faszination angesichts des neu Erkundeten überwiegen mag. Ich würde im übrigen heute dieser kleinen Geschichte - wenn ich ihr einen Titel zu geben hätte - unter das Thema » Verzwickte Geschichten um ein altes Haus « stellen. Denn daß es sich in der Tat um höchst verzwickte Geschichten handelt, wird gewiß sogleich deutlich werden. Der hier abgedruckte Text gibt im Wesentlichen den mit Anmerkungen versehenen Wortlaut eines Vortrags wieder, der aus Anlaß der 700 Jahre früher erfolgten Ersterwöhnung des »Hohen Hauses« am 30. September 1994 vom Verfasser gehalten worden ist 1 Grundlegend E RICH H OFMANN , 700 Jahre Hohes Haus. Die Geschichte eines Konstanzer Gebäudes (1294 - 1994), Konstanz 1994. Immer noch wichtig auch J OHANN M AR - MOR , Geschichtliche Topographie der Stadt Konstanz, Konstanz 1860, S. 278-80; P AUL M OTZ , Konstanzer Bürgerhäuser des Mittelalters, in: Schriften des Vereins für Geschichte des Bodensees 69. (1949/ 50), S. 175-89, hier S. 182-4, und A DOLF B ERNT , Die Zollernstraße, in: F RANK K RETZSCHMAR u. U LRIKE W IRTLER , Das Bürgerhaus in Konstanz, Meersburg und Überlingen (Das deutsche Bürgerhaus 15), Tübingen 1977, S. 38- 69, hier S. 38-42. <?page no="143"?> Helmut Maurer Der Stadtsyndicus Dr. Johann Friedrich Speth († 1765) hatte von der Verwaltung den Auftrag erhalten, rechtzeitig auf das Jahr 1733 eine Festschrift aus Anlaß der einhundertsten Wiederkehr der wundersamen Errettung der Stadt vor den sie bedrohenden schwedischen Truppen während des Dreißigjährigen Krieges zu verfassen. Der Stadtsyndicus machte sich ans Werk und begnügte sich keineswegs mit einer Chronik dessen, was sich während der schwedischen Belagerung innerhalb der Stadt und vor den Mauern der Stadt zugetragen hatte. Er fügte seinem Werk vielmehr noch eine Gesamtgeschichte von Konstanz hinzu, in der er Jahr für Jahr Ereignisse verzeichnete, die ihm der Überlieferung wert zu sein schienen. Sein Buch ist 1733 pünktlich zum Druck gelangt unter dem wahrhaft barocken Titel: Dreytheilige Beschreibung der / nach alter Red-Arth Beständig in der That / Edlen / Vöst- und Ehrsamen Stadt Konstanz Auff das / wegen der im Jahr 1633. nebst glücklicherfochtenem Sieg / Auffgehobener Königl. Schwedischer Belagerung, Nach nun abgeflossenen hundert Jahren erneuerte Danck-Denck-Ehren und Freuden-Fest. 2 Speth wurde für dieses Buch großzügig belohnt, und der Stadtrat hat jeden Konstanzer Neubürger dazu angehalten, diese erste offizielle Geschichte der Stadt für den nicht unbedeutenden Betrag von 20 Kreuzern zu erwerben. 3 Auf Seite 211 dieser 1733 erschienenen Stadtgeschichte konnte der Leser dann auch jenen Satz finden, der seit langem überall da zitiert wird, wo vom Hohen Haus die Rede ist. Der Stadtsyndicus Speth schrieb dort nämlich folgendes: 2 J OHANN F RIEDRICH S PETH , Constantini M. triarcus triumphalis typus ter insignis acronianae metropolis Constantiae, das ist: der in der constantinisch-dreybogigen Ehren- Pforte constantzischmit dreyfachem Ruhm prangend- Glor-Sieg-und-Ehr-reiche Creutz-Schildi ; oder dreytheilige Beschreibung der ... Stadt Constantz; Auff das, wegen der im Jahr 1633. nebst glücklich-erfochtenem Sieg, auffgehobener ... Schwedischer Belagerung ... Danck- Denck- Ehren und Freuden-Fest ... , Konstanz 1733. 3 Vgl. M ARTIN B URCKHARDT , W OLFGANG D OBRAS , W OLFGANG Z IMMERMANN , Konstanz in der frühen Neuzeit. Reformation, Verlust der Reichsfreiheit, Österreichische Zeit (Geschichte der Stadt Konstanz 3), Konstanz 1991, S. 311. 144 <?page no="144"?> 145 Das »Hohe Haus« in Konstanz Anno Christi 1294 erbauten Bischoff Heinrich und der Reichs-Vogt Allbrecht, Gebrüdere von Klingenberg, zu Constantz an dem Fisch-Marckt ein Hauß, fünff Stockwerck oder Gemach hoch, zu welchem, nachdeme es außgebauen ware, auff eine unerhörte Bau-Arth hinnach erst das Fundament darunter gelegt und zugericht wurde. 4 Diese Nachricht ist in verschiedener Hinsicht höchst bemerkenswert: Einmal deswegen, weil sie einen der geistvollsten und zugleich auch in der Verwaltung seines Bistums tüchtigsten Konstanzer Bischöfe des 13. Jahrhunderts zusammen mit seinem Bruder als Bauherrn ausgibt, und zum andern, weil die nachträgliche Verlegung eines Fundaments nicht nur vor 700 Jahren, sondern auch heute noch einen äußerst ungewöhnlichen Vorgang bedeuten würde. Die Baunachricht zum Jahre 1294 ist aber noch aus einem anderen Grunde genauerer Beachtung wert. Geht man nämlich - was man bisher nicht getan hat - der Frage nach, woher der Stadtsyndicus Speth im Jahre 1733 seine Kenntnis von der Erbauung des Hohen Hauses hatte, dann findet man nur eine einzige Vorlage, aus der er sein Wissen hatte schöpfen können: Es waren die sogenannten Collectaneen, die gesammelten Denkwürdigkeiten zur Geschichte der Stadt Konstanz, die ein Vorgänger Speths, der langjährige Ratsherr und Bürgermeister Christoph Schulthaiß (1512 - 1584), 150 Jahre früher, etwa um das Jahr 1576, niedergeschrieben hatte. Die insgesamt acht Bände dieser umfassenden, ungedruckt gebliebenen Stadtchronik wurden damals noch im Vorderhaus der Stadtkanzlei, das heißt des heutigen Rathauses und zwar in der Stube des ersten Stocks, verwahrt und waren damit dem Stadtsyndicus Speth 1733 leicht zugänglich. Aus dieser Fundgrube konnte er sein Wissen schöpfen: es kam nur darauf an, wie zuverlässig er es tat. In dieser Hinsicht aber haperte es bei ihm, und damit gelange ich zur ersten Überraschung oder - wenn Sie so wollen - zu meiner ersten verzwickten Geschichte. Bei Schulthaiß steht nämlich zu lesen: Do buwt Albrecht von Klingenberg, domalen Vogt zu Costantz und Bischoff Hainrichß von Klingenberg bruder, ain huß an den Vischmarckt, ain huß, daß waß fünff gevach hoch. Do eß usgemachet waß, da legt man erst das Fundament under daß Huß, welches vor nit erhört waß. 5 4 S PETH , Constantini (wie Anm. 2), S. 211. 5 Christoph Schulthaiß, Collectaneen I, fol. 6 r (Stadtarchiv Konstanz A I 8/ I). <?page no="145"?> Helmut Maurer Keine Rede also ist hier davon, daß der Bischof gemeinsam mit seinem weltlich gebliebenen Bruder das Hohe Haus erbaut habe; Albrecht von Klingenberg, der Bruder Bischof Heinrichs, war vielmehr der alleinige Bauherr. Nun, dieser Irrtum Speths mag uns nicht allzusehr berühren. Ein anderer Lesefehler des Stadtsyndicus Speth von 1733 hat demgegenüber weitreichende Folgen. Christoph Schulthaiß, auf den sich der Syndicus Speth stützte, läßt nämlich das Hohe Haus eindeutig erst im Jahre 1295 erbaut sein. Johann Friedrich Speth hat daraus 150 Jahre später - gewiß irrtümlich und nicht aus Vorsatz - das Jahr 1294 gemacht. Damit jedoch war das Unglück geschehen: Dieses falsch gelesene Jahr 1294 ist überall als Baujahr unseres Hauses zu finden, und auch der Kunstmaler August Brandes (1872-1948) hat es 1936 mit dem Pinsel auf die Wand des Hohen Hauses aufgetragen. 6 Auch mir ist der Irrtum erst aufgefallen, als ich mich mit der Vergangenheit des Hohen Hauses zu befassen hatte. Ja, mir sind sogar Zweifel an der Richtigkeit der erstmals von Christoph Schulthaiß 1576 notierten Bau- Nachricht insgesamt gekommen. Denn für das Jahr 1301 finden wir das Hohe Haus, das ja nun also 1295, das heißt erst sechs Jahre früher, erbaut worden sein soll - nicht mehr nur chronikalisch, sondern auch urkundlich eindeutig belegt - bereits im Besitz des Propstes von Stift St. Johann, Konrad Pfefferhart († 1317) - und dies, obwohl der angebliche Erbauer von 1295, der Reichsvogt Albrecht von Klingenberg († 1308), damals noch frisch und fröhlich lebte. 7 Der Klingenberger hätte demnach das Hohe Haus bereits wenige Jahre nach der überaus mühevollen Errichtung wieder verkauft. Da sind denn doch wohl erhebliche Fragezeichen am Platze. 6 Zu Brandes und seinen Fresken vgl. H OFMANN , 700 Jahre Hohes Haus (wie Anm. 1), S. 20-2, sowie D IETHER F. D OMES und J ÜRGEN O ELLERS , Das Friedrichshafener Rathaus- Fresko von August Brandes, in: Friedrichshafener Jahrbuch für Geschichte und Kultur 1 (2007), S. 160-79, besonders S. 162-69. 7 Die Urkunde vom 11. Mai 1301 benennt ein Haus „sitam in foro piscium ex opposito domus honorabilis in Christo prepositi ecclesie sancti Johannis Constantiensis“. Dieses Haus läßt sich mit Hilfe eines Rückvermerks auf der Urkunde als „domum zu dem Schilt” identifizieren, welches dem Hohen Haus gegenüberliegt. Die Urkunde findet sich in: Die Konstanzer Grundeigentumsurkunden der Jahre 1152 - 1371, hrsg. v. K ON - RAD B EYERLE , Heidelberg 1902, Nr. 118. Zum »Haus zum Schild« vgl. M ARKUS B AUER , Der Münsterbezirk von Konstanz. Domherrenhöfe und Pfründhäuser der Münsterkapläne im Mittelalter (Konstanzer Geschichts- und Rechtsquellen 35), Sigmaringen 1995, S. 260f. 146 <?page no="146"?> 147 Das »Hohe Haus« in Konstanz Die Urkunden, deren Wahrheitsgehalt im Gegensatz zu demjenigen der Chronik, etwa derjenigen eines Christoph Schulthaiß von 1576, im allgemeinen nicht zu bezweifeln ist, zeigen uns im übrigen die bedeutende Patrizierfamilie der Pfefferhart noch bis weit ins 14. Jahrhundert hinein im Besitz des - wie es ausdrücklich heißt - aus Stein erbauten Hohen Hauses. 8 In ihm schenkte - und nun befinden wir uns endlich auf sicherem Boden - im Jahre 1325 ein Weinschenk mit dem italienisch klingenden Namen Compo Reichenauer Wein aus. 9 Die Pfefferharts sind nach alldem spätestens seit dem Jahre 1301 Besitzer des Hohen Hauses, und ich hege den Verdacht, daß sie und nicht Albrecht von Klingenberg es waren, die es errichtet haben. Wenn die Pfefferharts es 1301 besaßen, dann werden sie es spätestens im Jahre 1300, eher doch aber Ende der 90er Jahre des 13. Jahrhunderts erbaut haben, und damit wären wir gar nicht allzuweit vom eindeutig unrichtigen Jahr 1294 oder besser vom vielleicht etwas glaubwürdigeren Jahr 1295 entfernt. Aber die Frühgeschichte unseres Hauses ist noch verzwickter, sie löst sich völlig ins Nebulöse auf, wenn man - wiederum in allerdings noch älteren Konstanzer Stadtchroniken - das Folgende liest: » Anno 1344 ward das Hochhus am vischmarkt zu buwen angefangen von dem abt uß der Richenow... « 10 Vollendet worden sein soll es aber - nach dieser Überlieferung - erst im Jahre 1374. 11 Jetzt also hätten wir mit einem Male einen Abt der Reichenau, nämlich Eberhard von Brandis († 1379), als denjenigen anzusehen, der die Initiative zum Bau des Hohen Hauses ergriffen haben würde, und damit nicht genug: Der Baubeginn käme keineswegs nur um ein Jahr, sondern sogar um 50 Jahre später zu liegen, und wir hätten in im Jahr 1994 nicht das 700jährige, sondern lediglich, aber doch immerhin das 650jährige Jubiläum des Hohen Hauses zu feiern. Aber es kommt noch schlimmer, es wird noch vertrackter, wobei freilich auffällt, daß wiederum ein, ja zwei weitere Äbte der Reichenau von den Chronisten mit dem Hohen Haus in Verbindung gebracht werden: Im Jahre 1394 - so heißt es - baute Abt Werner von Rosenegg († 1402) viel an dem 8 Vgl. H ELMUT M AURER , Konstanz im Mittelalter, Bd. 1: Von den Anfängen bis zum Konzil (Geschichte der Stadt Konstanz 1), Konstanz 2. Aufl. 1996, S. 181-194. 9 Das alte Konstanz in Schrift und Stift. Die Chroniken der Stadt Konstanz, hrsg. v. P HILIPP R UPPERT , Konstanz 1891, S. 41. 10 Ebd., S. 52. 11 Ebd., S. 52. <?page no="147"?> Helmut Maurer Hohen Haus, das Abt Diethelm von Castell († 1343) zu bauen angefangen habe. - Abt Diethelm war nun aber der Vorgänger des vorhin genannten angeblich ersten reichenauischen Erbauers des Hohen Hauses, was bedeuten würde, daß das Haus gar schon vor 1344 von einem Reichenauer Abt errichtet worden ist. 12 Wir befinden uns nicht nur in einem Haus, dessen Fundamente angeblich erst nach seiner Errichtung gelegt worden sind; wir befinden uns auch in einem Haus, für das - nach Aussage der Chroniken - während beinahe 100 Jahren mehrere Bauherren den Anspruch erheben, es errichtet zu haben. Wir befinden uns dementsprechend in einem Haus, von dem man allenfalls vermuten kann, daß es irgendwann zwischen 1295 und 1344 errichtet worden ist. An einer Sache kann denn doch kein Zweifel bestehen: Das Hohe Haus war stets der allgemeinen Beachtung wert. Das zeigen nicht allein die Namen derjenigen, die als seine mutmaßlichen Erbauer angesprochen werden, ganz gleich, ob sie - wie die Klingenberg und die Pfefferhart - dem Stadtadel, dem Patriziat, angehörten, oder ob sie als Äbte auf der Reichenau residierten. Für diese allgemeine Beachtung spricht aber auch, daß immer dann, wenn in mittelalterlichen Urkunden die Lage von Häusern am oberen Fischmarkt beschrieben wurde, daß man diese dann stets als gegenüber dem Hohen Hause liegend oder als ihm benachbart zu kennzeichnen unternahm. Als beispielsweise der Arzt Guido der Jüngere 1323 ein Haus am Fischmarkt von Propst und Kapitel St. Stephan zu Erblehen erhielt, beschrieben die Vertragspartner die Lage des Hauses als » sitam iuxta forum piscium, ex opposito alte domus Cunradi dicti Pfefferharzt « . 13 Das heißt, das Hohe Haus diente immer wieder als Bezugspunkt für die Häuser der Umgebung. Und das ist kein Wunder, denn mit seinen fünf Stockwerken und seinen - das Dach - ursprünglich bekrönenden Treppengiebeln, überragte es weit sichtbar sein Umfeld. Das taten zwar andere, gleichfalls mit Treppengiebeln versehene Häuser in der weiteren Nachbarschaft auch, und deswegen sprach man etwa vom » Hohen Hirschen « oder vom » Hohen Hafen « . Aber das » Hohe Haus « war ihnen doch allen überlegen. Denn es ließ sich ohne jeden Zusatz einfach als » Hohes Haus « bezeichnen. Und ein jeder wußte, wo es zu finden war. 12 Ebenda, S. 77f. Zu den Äbten U RSULA B EGRICH , Reichenau, in: Frühe Klöster der Benediktiner und Benediktinerinnen in der Schweiz (Helvetia Sacra 3 1,2), hrsg. v. E LSANNE G ILOMEN -S CHENKEL , Bern 1986, S. 1059-100, hier S. 1084-7. 13 Die Konstanzer Grundeigentumsurkunden der Jahre 1152 - 1371, hrsg. v. K ONRAD B EYERLE , Heidelberg 1902, Nr. 174, S. 222. Ähnlich an gleicher Stelle Nr. 180, S. 232. 148 <?page no="148"?> 149 Das »Hohe Haus« in Konstanz Nun wäre es freilich völlig falsch, wollte man dem Hohen Haus nur Besonderheiten, nur herausragende, es von anderen Häusern und ihren Bewohnern unterscheidende Eigenschaften zusprechen. Es gehörte vielmehr zu jenen bedeutenden Altstadthäusern, für die der Wechsel zwischen weltlichpatrizisch-kaufmännischen und geistlichen Besitzern bzw. Bewohnern typisch war und typisch ist. Das gilt im Blick auf das Mittelalter für seinen Charakter als Stadthaus der Reichenauer Äbte und als Residenz bedeutender Familien ebenso wie als Stätte eines Wirtshauses; das gilt aber auch im Blick auf die Neuzeit, da es während mehr als drei Jahrhunderten den zahlreichen Kaplänen der Bischofskirche, des Münsters, als Gesellschaftshaus diente, und es gilt auch für das 19. Jahrhundert, als eine bedeutende Konstanzer Kaufleutefamilie erstmals aus ihm ein Geschäftshaus machte, das dann wiederum von einem Gasthaus abgelöst wurde, bis dann endlich von 1918 bis 1956 ein von Geistlichen geleitetes Lehrlingsheim ins Hohe Haus einzog. Nachdem die jungen Leute am Rande der Stadt ein neues Domizil gefunden hatten, nahm unser Haus erneut Geschäftsräume auf. Doch in der Nacht zum 22. November 1966 hat eine schreckliche Brandkatastrophe, die gar ein Menschenleben forderte, die Existenz des Hohen Hauses ernstlich gefährdet, hätte nicht wiederum eine Kaufleutefamilie den Mut und die Tatkraft aufgebracht, das Hohe Haus zu neuem Leben zu erwecken. Damit kam der seit dem Mittelalter zu beobachtende Wechsel in den für das Hohe Haus typischen Nutzungen für unsere Gegenwart zum Abschluß. - In Erich Hofmann S gedruckter Chronik können Sie diese fortlaufende Hausgeschichte bequem nachlesen. 14 Eine Episode in der Geschichte des Hauses habe ich bewußt verschwiegen, um sie an den Schluß meiner kleinen Rede stellen zu können: Ich meine die Rolle, die das Haus zur Zeit des Konstanzer Konzils gespielt hat, und die es - wie andere bedeutsame Gebäude der Stadt auch - zur Herberge eines illustren Gastes hat werden lassen, nämlich des Burggrafen Friedrich von Nürnberg (1372-1440) aus dem Hause Zollern. Von seiner Wohnung im Hohen Haus wurde der Burggraf am 18. April des Jahres 1417 feierlich zum Obermarkt geleitet, um dort von König Sigismund († 1437) mit der Mark Brandenburg belehnt zu werden; - ein, wie Sie wissen, für die deutsche Geschichte folgenreicher Akt. 15 Und das Hohe Haus diente ein Jahr später auch 14 H OFMANN , 700 Jahre Hohes Haus (wie Anm. 1). 15 Ulrich Richental, Das Konzil zu Konstanz, Bd. 2: Kommentar und Text, hrsg. v. O TTO F EGER , Starnberg/ Konstanz 1964, S. 222-4. <?page no="149"?> 150 Helmut Maurer als Stätte der festlichen Hochzeit von Friedrich von Nürnbergs Tochter Elisabeth mit dem schlesischen Markgrafen Ludwig II. von Brieg († 1436). 16 Sie alle kennen die Geschichte, zumal sie von August Brandes in den Jahren 1936 und 1937 an der Längswand des Hohen Hauses in ein Fresko umgesetzt worden ist. 17 In diese durch Ulrich Richentals Konzilchronik überlieferten Geschehnisse fügt sich nun aufs beste ein Geheimnis, das im Jahre 1907 anläßlich eines Umbaus des Hohen Hauses gelüftet wurde, seitdem aber wieder in Vergessenheit geraten und damit von neuem zum Geheimnis geworden ist. Ich will es Ihnen verraten: In einer Steinnische fand man 1907 ein mehrfach gefaltetes Papierblatt, das - der Schrift nach zu schließen - gleichfalls der Zeit des Konzils entstammen könnte. 18 Als man das Blatt auffaltete, konnte man mit einiger Mühe den Text eines Liebesgedichtes entziffern. Angesichts des Inhalts liegt der Gedanke nicht fern, daß eine damals im Hohen Haus lebende Dame das ihr gewidmete Blatt mit dem Minnegedicht eng zusammengefaltet in einer Mauerritze versteckt hat. Möglich ist aber auch, daß der dichtende Liebhaber es vor unbefugten Augen hat schützen wollen. Der Wortlaut des Gedichts hört sich - in das heutige Deutsch übertragen - etwa folgendermaßen an: Der Mond fiel in den Garten. Den sieht man schön aufgehn Sollt ich drin meiner Liebsten warten, Was könnt mir Freude mehr geschehn? Also tut mir die Reine, der ich gedienet han, die ich mit Treuen meine, Die will einen andern han. Ich bin in jungen Jahren worden alt, Das schafft ihr Mund so rot! Und bin auch - leider! - worden ungestalt Venus, hilf mir aus der Not! 19 16 Richental, Das Konzil zu Konstanz (wie Anm. 15), S. 256. 17 Vgl. H OFMANN , 700 Jahre Hohes Haus (wie Anm. 1), S. 20-2. 18 G USTAV A DOLF M ÜLLER , Ein Minnelied aus der Zeit des Konstanzer Konzils, in: Das Magazin 78/ 8 (1909), S. 142f. 19 Ebenda, S. 142f. <?page no="150"?> Das »Hohe Haus« in Konstanz Wir kennen die Adressatin nicht, der dieses Zeugnis schmerzhafter Liebe galt. Aber als Geburtstagsgeschenk für das irgendwann einmal vor oder nach 1300, vielleicht schon im Jahre 1295, erbaute Hohe Haus und seine heutigen Besitzer eignet sich dieses Gedicht - wie ich meine - nicht schlecht. 151 <?page no="152"?> Dörfliche Identitäten im Umland von Schwäbisch Hall (16.-18. Jh.). Die Bezeichnung und Markierung von Gebäuden in frühneuzeitlichen Herrschaftskonflikten 1. Herrschaftskonflikte und die Rolle von Gebäuden 1671 wurde Jacob Wackhler aus Honhardt - einem von Schwäbisch Hall und dem Markgrafentum Brandenburg-Ansbach gemeinsam verwalteten Ort ca. 25 km östlich der Reichsstadt - gewaltsam nach Hall geführt und dort zu einer mehrtägigen Turmstrafe verurteilt, weil er » das brandenburgische Wappen der Stadt Hall zum Trutz anmahlen lassen und sich brandenb. Herrschafft zue seyn außgeben « hatte. 1 Wackhler war ein » gemeinschaftlicher heyliger Untertan « . Das bedeutete, sein Hof gehörte zur Honhardter Pfarrei, die mit den ihr aus dem Gut zufließenden Abgaben die Kosten für den Gottesdienst und für die Erhaltung der Kirche bestreiten sollte. Schwäbisch Hall und Brandenburg-Ansbach verwalteten solche » Heiligengüter « in Honhardt gemeinsam. Lediglich die Hochgerichtsbarkeit lag bei Brandenburg-Ansbach. Diese herrschaftliche Konstellation war das immer etwas labile Ergebnis langwieriger Auseinandersetzungen und komplizierter Vergleiche zwischen Schwäbisch Hall und Brandenburg-Ansbach 2 , bei denen es letztlich um die Vorherrschaft nicht nur in Honhardt, sondern in einem großräumigen Areal mit einer ganzen Reihe von Orten ging, die Schwäbisch Hall als » Amt Honhardt « zusammenfasste. 1 Stadtarchiv Schwäbisch Hall [= StA SH] 4/ 79, S. 66. 2 1569 einigten Schwäbisch Hall und Brandenburg-Ansbach sich nach jahrelangen Verhandlungen unter anderem über die Beilegung der »nachbarliche Irrung, des Kirchweyh-Schutz, Heyligen-Rechnung und anderer derselben anhangende Stucken zue Honhardt«. StA SH 4/ 106, S. 44. Abschrift des die Einigung besiegelnden Vertrags in StA SH 4/ 106, S. 44-55. Die Stadt mußte die Heiligenrechnung jetzt mit Brandenburg- Ansbach teilen. Ebenso wurde der Heiligenpfleger gemeinsam bestimmt. Die wegen der Heiligengüter zu erlegenden Reichssteuern wurden geteilt, ebenso die Vogtei über die Güter und die Bauern dort, Gerichtsort sollte allerdings das markgräfliche Crailsheim sein, Geldstrafen sollten zur Hälfte an Schwäbisch Hall gegeben werden. Die Stadt gestand dem Markgrafentum in diesem Vertrag auch die Hochgerichtsbarkeit in Honhardt zu. P ATRICK O ELZE 153 <?page no="153"?> Patrick Oelze Als Jacob Wackhler das brandenburgische Wappen an sein Haus malte, negierte er alle Rechte der Stadt bezüglich seines Gutes. Wenn Hall nicht reagierte, konnte diese Behauptung schnell zu einer Tatsache werden. Brandenburg-Ansbach hätte sich mit Sicherheit nur zu gerne bei einer passenden Gelegenheit - nämlich einem der vielen Konflikte mit Schwäbisch Hall um die konkrete Ausgestaltung der vielerorts geteilten Herrschaftsrechte - auf das Wappen berufen. Und nicht zum ersten Mal hätte das Markgrafentum daraus Ansprüche abgeleitet, die über den strittigen Einzelfall weit hinausreichten. 3 Jacob Wackhler versuchte diese Spannungslagen für seine Zwecke zu nutzen. Sein Verhältnis zu Schwäbisch Hall war schon seit längerem schwierig. Immer wieder hatte er sich geweigert, die ihm von der Stadt auferlegten Abgaben zu bezahlen. Deshalb lag er im Dauerstreit mit dem hällischen Pfleger in Honhardt, dem dortigen städtischen Amtsverwalter. Wackhler konnte sich sicher sein, daß sein Vorstoß auf markgräflicher Seite zumindest wohlwollend zur Kenntnis genommen werden beziehungsweise man in Ansbach seine Partei ergreifen würde. Tatsächlich reagierte man dort umgehend. Der hällische Pfleger in Honhardt, der die Verhaftung Wackhlers veranlasst und selbst durchgeführt hatte, wurde durch markgräfliche Truppen gefangen gesetzt und » etlich Tag « arrestiert. 4 Was aus Jacob Wackhlers Wappen wurde, ist nicht überliefert. Da der Konflikt zwischen der Stadt und Brandenburg-Ansbach aber nicht weiter eskalierte, ist anzunehmen, daß es wieder entfernt wurde. Wackhlers Versuch, sich dem fiskalischen Zugriff der Stadt zu entziehen, war vermutlich erfolglos. Festhalten läßt sich aber, daß unter den verwickelten herrschaftlichen Bedingungen in Honhardt, die sich auf weite Teile des hällischen Umlands übertragen lassen, Gebäudezeichen aller Art - beispielsweise Hauswappen, Wirtshausschildern, Kirchturmuhren - eine wichtige (politische) Funktion zufiel. 5 3 Vgl. zur Geschichte dieser Konflikte detailliert P ATRICK O ELZE , Recht haben und Recht behalten. Konflikte um die Gerichtsbarkeit in Schwäbisch Hall und seiner Umgebung (15.-18. Jahrhundert), Diss. phil. Konstanz 2008, S. 251ff. 4 StA SH HV HS 50, S. 89. 5 Ich verstehe hier unter Gebäudezeichen ganz allgemein alle Bilder, Symbole, Gegenstände, Markierungen etc., die sichtbar an einem Haus angebracht sind, um die mit ihm verknüpften Besitz-, Rechts- oder Herrschaftsverhältnisse zu signalisieren. Allgemein zum Thema Rechtsverhältnisse und Zeichen: B ARBARA D ÖLEMEYER , Dinge als Zeichen des Rechts - Zur Rechtsikonographie und Rechtsarchäologie, in: Die Dinge als Zeichen. Kulturelles Wissen und materielle Kultur, hrsg. v. T OBIAS L. K IENLIN , Bonn 2005, S. 221-9. 154 <?page no="154"?> Die so genannte » Jurisdictionalbeschreibung « des Amtes Honhardt von 1706, in dem die Stadt mittels der Befragung ihrer Untertanen minutiös festhielt, welche Rechte ihr in den Dörfern und Gemarkungen des Amtes zustanden, vermerkt sehr genau, welcher Art die Beschilderung der beiden Wirtshäuser in Honhardt war beziehungsweise nicht war: » Der Marggräv. Leonhardt Ziegler jenseits Bachs hatt demahlen kein Schildt, wißen sich [sie, die vernommenen Dorfbewohner] auch keines jemahlen von ihm zu erinnern. [...] Der Hällische Hanß Jerg Hirschmann bei dem Pfarrhauß führt in seinem Wappen ainen Hirsch, 2 Hirschhorn, auch das hällische Wappen. « 6 Einzelne Untertanen konnten solche Gebäudezeichen nutzen, um ihre herrschaftliche Zugehörigkeit zu behaupten beziehungsweise zu demonstrieren. Und aus der Sicht der Herrschaftsträger entwickelten Gebäudezeichen, insbesondere natürlich Wappen, im Fall umstrittener Rechte eine starke Beweiskraft. Deshalb waren sie auch immer wieder das Ziel gewaltsamer Attacken. 1542 etwa fiel Graf Georg von Hohenlohe, der mit Schwäbisch Hall wegen des Patronats in Gailenkirchen, nördlich der Stadt gelegen 7 im Streit lag, in Gailenkirchen ein, riß unter anderem den Zeiger der Kirchturmuhr herab, an dem das hällische Wappen angebracht war 8 , und übergab den Schlüssel zur Kirche einem seiner Untertanen im Dorf mit dem Hinweis, daß er und nicht Schwäbisch Hall » herr uber dise kirchen « sei. 9 1622 klagte die Stadt vor dem Reichskammergericht gegen Markgraf Joachim Ernst von Brandenburg-Ansbach wegen der Beseitigung eines hällischen Wappens von der Uhrentafel der Kirche in Gründelhardt (ca. 20 km östlich der Stadt). 10 In beiden Fällen ging es um das strittige Kirchenpatronat und damit letztlich um die herrschaftliche Vorrangstellung im Dorf. Im Streit um das Schankrecht in Michelfeld, südwestlich von Schwäbisch Hall, überfielen 1749 Soldaten des Würzburger Bischofs zweimal ein hällisches Wirtshaus 6 StA SH 4/ 3759, S. 141f. 7 Zur Topographie des Herrschaftsgebietes Schwäbisch Halls vgl. die Karte unter Abb. 1. 8 Zur großen repräsentativen Bedeutung der dörflichen Kirchturm- oder Rathausuhren und der üblichen auffälligen Bemalung beziehungsweise Gestaltung der Zifferblätter in Franken vgl. K ARL S IGISMUND K RAMER , Volksleben im Fürstentum Ansbach und seinen Nachbargebieten (1500-1800), Würzburg 1961, S. 45f. 9 Geschichtsquellen der Stadt Hall, Bd.1: Johan Herolts Chronica, bearb. C HRISTIAN K OLB , Stuttgart 1894, S. 132, 266. 10 Hauptstaatsarchiv Stuttgart [= HStA St] C 3 Bü 1587. 155 Dörfliche Identitäten <?page no="155"?> Patrick Oelze und nahmen unter anderem auch das Wirtshausschild mit. 11 Auch dieser Konflikt stand im Kontext einer größeren und lang andauernden Auseinandersetzung zwischen Schwäbisch Hall und dem Ritterstift Comburg sowie dessen Landesherrn, dem Bischof von Würzburg, um die Vorherrschaft in Michelfeld und an anderen Orten. 12 Unter den hier nur angedeuteten, zersplitterten Machtverhältnissen im hällischen Umland manifestierte sich territoriale Herrschaft maßgeblich in der demonstrativen Ausübung einzelner Rechte. Deshalb hatten Gebäudezeichen über die ganze Frühe Neuzeit hinweg ähnlich wie auch Geleitsteine, Jagdsäulen oder Wegweiser eine über ihre reine Verweis- oder Hinweisfunktion weit hinausreichende Bedeutung und wurden zum bevorzugten Ziel von Gewaltakten. 13 Daraus resultierende Konflikte zogen sich nicht selten über Jahre hin. Das galt für » öffentliche « beziehungsweise mit einer spezifischen Funktion und damit verknüpften Rechten belegte Gebäude, etwa Mühlen, Keltern, Kirchen, Schulen, Hirten-, Pfarr- und Wirtshäuser, betraf aber auch oft, wie im Falle Jacob Wackhlers, einfache Wohnhäuser. Die lokalen Amtsleute und die Dorfbewohner wurden unausweichlich in solche Konflikte verwickelt, wenn sie sie nicht sogar absichtlich provozierten. Der herrschaftliche Zugang zu beziehungsweise - je nach Perspektive - der herrschaftliche Übergriff auf die Wohnhäuser einzelner Untertanen spielte dabei eine wichtige Rolle. 2. Kontrollen und Durchsuchungen von Wohnhäusern Eine Form des legitimen herrschaftlichen Zugriffs auf die Häuser der Dorfbewohner war die so genannte » Haußsuchung « . Gemeint ist damit die obrigkeitliche Durchsuchung eines Hauses oder ganzer Häuserreihen zur Aufklärung eines Verbrechens, beispielsweise auf Ersuchen eines Bestohlenen, der dort das Diebesgut vermutet. 14 Das Recht zur Durchführung sol- 11 Der Vorfall führte bis vor das Reichskammergericht. HStA St C 3 Bü 1627. 12 Vgl. dazu O ELZE , Recht haben (wie Anm. 3), S. 141ff. 13 Eine Vielzahl solcher Konflikte rekonstruiert in O ELZE , Recht haben (wie Anm. 3). 14 Vgl. Lemma Haussuchung, in: J ACOB G RIMM und W ILHELM G RIMM , Deutsches Wörterbuch Bd. 10, Sp. 691, Leipzig 1877; Lemma Haussuchung in: Deutsches Rechtswörterbuch, hrsg. in Verbindung mit der Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin und der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Bd. 5, Weimar 1960, Sp. 467f. 156 <?page no="156"?> cher Hausdurchsuchungen war eng verknüpft mit gerichtlichen Befugnissen. In einer » Interrogatoria « über die sogenannte » Hohe Obrigkeit « - ein Begriff unter dem in erster Linie die Hochgerichtsbarkeit verstanden wurde, der aber auch auf eine allgemeine Landeshoheit zielen konnte 15 - im hällischen Amt Rosengarten am beginnenden 18. Jahrhundert wurde die Haussuchung in eine Reihe gestellt mit anderen rechtlichen Instrumenten, die der Aufdeckung von Verbrechen und der Verfolgung von mutmaßlichen Straftätern dienten: » Waß das Straiffen, Nacheyl, Raisen, Einfall undt Haußsuch [...] anlangen thut « . 16 Die Streife, also das Patrouillieren in einem bestimmten Gebiet mit dem Ziel verdächtige Personen, die » öffentlichen Friedens-Störer und gantze Räuber-Banden, oder ander loses Gesindel, aufzusuchen, zu verfolgen, und auszurotten, und die öffentlichen Wege und Strassen, absonderlich wegen der Reisenden, rein und sicher zu erhalten « 17 , bildete wie die Haussuchung eine ausgezeichnete Möglichkeit, um die herrschaftliche Verfügungsgewalt über einen bestimmten Raum zum Ausdruck zu bringen. Brandenburg-Ansbach nutzte das Streifen durch gut bewaffnete Soldatentruppen in mit Schwäbisch Hall oder anderen Nachbarn strittigen Gebieten und die mit der Streife verknüpfte » Nacheile « , also die Verfolgung von Verdächtigen auch über die eigenen Herrschaftsgrenzen hinaus, gerne zur provokativen Demonstration seiner Ansprüche. 18 Ganz ähnlich eingesetzt wurde auch die Haussuchung. Als Schwäbisch Hall beispielsweise 1587 in Untermünkheim nördlich von Schwäbisch Hall wegen eines größeren Diebstahls eine Durchsuchung der Häuser anordnete, verbot die gräfliche Regierung von Hohenlohe-Waldenburg ihren Hintersassen jegliche Beteiligung oder sonstige Unterstützung kategorisch, weil sie die eigenen gerichtlichen Kompetenzen dadurch verletzt sah. 19 Die Kleinteiligkeit der Herrschaftsverhältnisse in den erwähnten Dörfern im hällischen Umland machte aus Hausmauern, Türschwellen und Gartenzäunen mehr als nur privatrechtlich relevante Eigentumsgrenzen. Sie tren- 15 In J OHANN H EINRICH Z EDLER , Grossem vollständigen Universal-Lexicon Aller Wissenschaften und Künste beispielsweise wird der Begriff der hohen Obrigkeit als Synonym zur Landeshoheit genannt. Vgl. Zedler, Lemma Lands-Hoheit, Leipzig, Halle 1737, Bd. 16 Sp. 500ff. 16 StA SH 4/ 21, S. 859. Ganz ähnlich auch in einem »Bedenkbuch« vom Ende des 18. Jahrhunderts, auch das bezogen auf das Amt Rosengarten. StA SH 4/ 182. 17 Z EDLER , Lemma Streiff-Recht, Bd. 40, Leipzig, Halle 1744, Sp. 832. 18 Zahlreiche solcher Konflikte dokumentiert in O ELZE , Recht haben (wie Anm. 3), S. 261ff. 19 StA SH 4/ 79, S. 13. 157 Dörfliche Identitäten <?page no="157"?> Patrick Oelze nten häufig Herrschafts- und Rechtsräume voneinander. Entsprechend bedeutsam und konfliktreich konnte ihre Überschreitung werden. Das macht das besondere Augenmerk verständlich, das Schwäbisch Hall auf die Haussuchung hatte, wie es überhaupt die herrschaftliche Aufmerksamkeit selbst für kleinste Bewegungen und räumliche Verschiebungen erklärt. Als sich 1662 in Ruppertshofen (etwa 18 km nordöstlich der Stadt) eine Schlägerei zwischen einer hällischen und hohenlohischen Untertanin ereignete, fiel eine bewaffnete Mannschaft des Grafen Hohenlohe-Kirchberg in das Haus der hällischen Delinquentin ein, um diese zum Verhör und zur Bestrafung nach Kirchberg abzuführen. 20 Hohenlohe-Kirchberg berief sich gegenüber dem protestierenden und schließlich vor dem Reichskammergericht deswegen klagenden Schwäbisch Hall auf seine angeblichen hochgerichtlichen Rechte in diesem Fall. Die Schlägerei habe, so Hohenlohe-Kirchberg, auf » einem Gänglein « hinter dem Haus der hohenlohischen Untertanin stattgefunden, » allwo die Helfte [...] zum hohenl. die andere aber zum hällischen Gueth gehörig « und zwar auf dem hohenlohischen Anteil. Ob die Schlägerei tatsächlich und ausschließlich auf der gräflichen Hälfte eines kleinen Durchgangs stattgefunden hat, sei dahingestellt. Das Beispiel zeigt jedenfalls deutlich, wie sehr die räumliche Ordnung der Herrschaft und die damit verbundenen Abgrenzungskonflikte nicht nur bei vergleichsweise außergewöhnlichen Situationen wie den Streifen eine Rolle spielten. Die Zugehörigkeit zu der einen oder anderen Herrschaft durchzog dauerhaft den Alltag der Untertanen. Grenzüberschreitungen und daraus resultierende Konflikte ließen sich in einem » Gänglein « kaum vermeiden. Häufig war kaum zu rekonstruieren, wo genau ein Verbrechen oder Ordnungsverstoß stattgefunden hatte. 1676 forderte beispielsweise Hohenlohe-Waldenburg die Auslieferung des hällischen Untertanen Georg Wagner, weil dieser der Unzucht mit Maria Schmid, der Tochter eines hohenlohischen Untertanen im Weiler Suhlburg (nahe Untermünkheim) verdächtigt wurde. Die Stadt machte aber die Auslieferung von dem genauen Ort des Vergehens abhängig, da man, sollte dieses außerhalb eines hohenlohischen Hauses stattgefunden haben, selbst die gerichtliche Zuständigkeit behaupten wollte. Vermutlich, so die sarkastische Antwort der gräflichen Vewaltung, wolle die Stadt auch noch auf » die minutissima [wissen], ob nemblich dieses malum im Bett oder außer selbigem oder in der Schewren [...] beschehen « . 21 20 Das Folgende nach Hohenlohe Zentralarchiv Neuenstein Kirchberg Kanzlei 18 Lit A Nr. 63. 21 StA SH 5/ 109. 158 <?page no="158"?> Der Zugriff auf die Häuser der Dorfbewohner konnte eine zentrale Ressource im Kräftemessen um die Dorfherrschaft sein. Das galt umso mehr, wenn dieser Zugriff sich als Ergebnis eines spezifischen Herrschaftsrechtes begreifen ließ. Gut zeigen lässt sich das auch an den Konflikten zwischen Schwäbisch Hall und den Herren von Falkenhausen, niederadelige Klienten der Markgrafen von Brandenburg-Ansbach, in Bibersfeld (ca. 8 km südlich Schwäbisch Halls). 1749 waren die Herren von Falkenhausen mit etwa einem Fünftel des Ortes belehnt worden. 22 Problematisch blieb ihre angemessene Beteiligung an der Ausübung der Dorfherrschaft. So beschwerte sich der von den Herren von Falkenhausen eingeschaltete Markgraf von Brandenburg-Ansbach 1776 bei der Stadt über deren Amtmann, der » keinen Scheu getragen, […] sich aller dorffsherrlichen jurium daselbst alleine anzumaßen, auch ihme, Freyherrn von Falckenhausen samt deßen […] Unterthanen auf allen Seiten zuvernachtheiligen « . 23 Zu diesen durch die Stadt angeblich angemaßten » dorffsherrlichen jurium « zählte auch die Visitation aller Feuerstellen im Ort - auf den ersten Blick eine Marginalie. 24 Der hällische Schultheiß in Bibersfeld, Jörg Schneider, berichtete an seinen Rat, die falkenhausischen Untertanen hätten von ihrer Herrschaft den Befehl erhalten, « wenn die Hällischen in ihre Häußer kommen würden zu visitieren, sie mit Schlagen, Hauen und Stechen abzutreiben, nur solten sie selbige nicht gar todschlagen « . 25 Die meisten falkenhausischen Untertanen beschränkten sich jedoch darauf, das Dorf zu verlassen und ihre Häuser abzuschließen, so daß die hällische Visitationskommission diese aufbrechen musste. Wie so oft verknüpften sich ältere persönliche Konfliktlagen innerhalb des Dorfes unentwirrbar mit aktuellen herrschaftlichen Konkurrenzen. Der falkenhausi- 22 Vgl. zum Folgenden, wenn nicht anders zitiert: A NDREAS M AISCH , Bibersfeld und seine Teilorte unter der Herrschaft der Reichsstadt Schwäbisch Hall, in: Bibersfeld. Geschichte eines Dorfes im Rosengarten und seiner Teilorte, hrsg. v. G ISELA F ÄRBER , A N - DREAS M AISCH , M ONIKA O DENWÄLDER u. D ANIEL S TIHLER , Schwäbisch Hall 2002, S. 17-66. 23 StA SH 5/ 113. 24 Feuerpoliceyliche Maßnahmen, zu denen auch die Begutachtung der Feuerstellen gerechnet werden muss, waren tatsächlich ein zentrales Element der territorialen Policeygesetzgebung im Alten Reich. André Holenstein, »Gute Policey« und lokale Gesellschaft: Erfahrung als Kategorie im Verwaltungshandeln des 18. Jahrhunderts, in: »Erfahrung« als Kategorie der Frühneuzeitgeschichte (Beiheft 31 der Historische Zeitschrift), hrsg. v. P AUL M ÜNCH , München 2001, S. 433-50, hier S. 437. 25 StA SH 5/ 113. 159 Dörfliche Identitäten <?page no="159"?> Patrick Oelze sche Untertan Melchior Ofner beispielsweise ließ sich im Bibersfelder Wirtshaus gegenüber Jörg Schneider im Streit um die Visitation der Feuerstellen vernehmen, als dieser Ofner mit Berufung auf sein Amt zur Räson zu bringen suchte, » ein Schultheiß seye gleich gemacht und wieder gleich abgesetzt, er respectire einen Schultheißen wie einen Arschwisch, den man, wann er ausgebraucht seye, wegschmeiße « . Schneider hatte Ofner zuvor auf dessen Ankündigung, die hällische Visitation seiner Feuerstelle unter Einsatz eines » Knittels « zu verhindern, vorgehalten, » Du bist ja nicht imstand, dass Du Dich auf dem edelmännischen Guth ernährest, Du stiehlst ja der Gemeinde alles weg und bist ein Dieb, hast auch Deine Strafe, welche Dir die Gemeinde Diebstahls halber auferlegt, noch nicht erlegt, ein solcher Mann will sich also gegen eine Herrschafft und Obrigkeit auflehnen und groß machen « . Zwischen Schneider und Ofner schwelte offensichtlich ein alter Konflikt um die Anerkennung des hällischen Schultheißen als obrigkeitliche Autorität durch den falkenhausischen Untertanen, der sich in seiner Renitenz der Rückendeckung durch seine Herrschaft sicher war. Der deswegen vernommene Schneider wünschte sich grundsätzlich, dass » die Edelmännischen in ihre Schranken gewiesen würden, dann bey jeder Gelegenheit von Zusammenkünfften geben sie den ersten Anlaß zu nachheriger großer Verdrießlichkeit [...]. Überhaupt, wann man alle Schimpf- und Schmähworte, welche die Edelmännische sowohl gegen hießige Obrigkeit als derselben Unterthanen schon ausgestoßen, hierhersetzen wolte, würde der Plaz viel zu eng und die Zeit zu lang « . Der dazu gebotene » Bürgermeister « Michel Steiner, also einer der Dorfmeister von Bibersfeld, gab zu Protokoll, » daß der Ofner bey einer andern Gelegenheit vorhero schon gegen ihn geäußert, daß er weniger und schlechten Respect vor einem hiesigen Herrn Städtmeister habe, indeme dieser noch lange nicht seye, was der Edelmann bedeute, und ein Städtmeister in Hall nur etwas zu sagen habe, auswärts aber gar nichts gelte « . 26 Ofner pflegte gegenüber den städtischen Würdenträgern und seinen Schwäbisch Hall zugehörigen Nachbarn im Dorf offenkundig ein Überlegenheitsgefühl, das sich aus dem ständischen Vorrang seiner Herrschaft speiste. Glaubt man den oben zitierten Klagen von Schultheiß und Dorfmeister war diese Haltung unter den falkenhausischen Untertanen im Dorf die Regel. Zumindest war sie ein zentrales Element jener agonalen Kommunikation, in der die dauernde Konkurrenz um Ehre und Besitz zum Aus- 26 StA SH 5/ 113. 160 <?page no="160"?> druck kam, welche nach Rainer Walz die dörfliche Gemeinschaft der Frühen Neuzeit prägte. 27 Die Zuordnung zu Herrschaften konnte » komplizierte, oftmals bereits seit langer Zeit im Raum stehende Auseinandersetzungen « vereinfachen, um eine Feststellung, die Ralf-Peter Fuchs bezüglich der Hexerei-Beschuldigungen getroffen hat, zu variieren. 28 In einer von Falkenhausen vorgeschlagenen Konferenz wurden die Streitigkeiten mit Schwäbisch Hall noch im selben Jahr geklärt. 29 Doch mußte der hällische Schultheiß schon 1777 und anläßlich der nächsten Feuerstellenvisitation seiner Herrschaft berichten, daß die abgeordnete Visitationskommission durch » die edelmännische Gemeindsleuth alda abermahlen nicht in ihre Häuser gelassen […]. Bey der Frau Pfarrerin hätten sie den Anfang machen wollen, die sie aber mit der Entschuldigung, dass es ihr verbotten worden wäre, Niemand einzulassen, abgewiesen hätte, worauf sie, ohne weder in Hällischen noch Edelmännischen weiter zu visitiren, wieder nacher Haus gegangen und sofort die Visitation eingestellet, zumalen sie von andern edelmänn. Gemeindsleuthen selbsten vorhero schon gehört, dass sie solchergestalten niemand ins Haus lassen dörffen « . Die falkenhausische Administration wollte lediglich den vier Dorfmeistern, die aus der Gemeinde und regelmäßig auch aus den eigenen Untertanen gewählt wurden, den Zutritt zu den falkenhausischen Häusern gestatten, aber nicht den beiden rein hällischen Schultheißen. 30 Die Herren von Falkenhausen und nicht weniger ihre Untertanen in Bibersfeld waren ängstlich um die Wahrung ihrer Rechte besorgt. Aus der Wahrnehmung dieser Rechte entspringende Konflikte und deren Bearbeitung wurden nicht als vereinzelte Störphänomene wahrgenommen, sondern mit weit über sie selbst hinausreichender Bedeutung versehen. Sie wurden zum » Präjudiz « . 31 Die Zulassung 27 R AINER W ALZ , Agonale Kommunikation im Dorf der Frühen Neuzeit, in: Westfälische Forschungen 42 (1992), 215-51. 28 R ALF -P ETER F UCHS , Lemma Beschimpfung, in: Lexikon zur Geschichte der Hexenverfolgung, hrsg. v. G UDRUN G ERSMANN , K ATRIN M OELLER und J ÜRGEN -M ICHAEL S CHMIDT , in: historicum.net, URL: http: / / www.historicum.net/ no_cache/ persistent/ artikel/ 5821 (letzter Zugriff: 1. Januar 2009). Zu Konflikten in frühneuzeitlichen Dorfgesellschaften vgl. auch Streitkulturen. Gewalt, Konflikt und Kommunikation in der ländlichen Gesellschaft der frühen Neuzeit, hrsg. v. M AGNUS E RIKSSON und B ARBARA K RUG -R ICHTER , Köln 2003. 29 M AISCH , Bibersfeld (wie Anm. 22), S. 44. 30 StA SH 5/ 113. 31 Zur Bedeutung von »Präjudiz« im Sinne eines Präzedenzfalls vgl. das gleichnamige Lemma in: Z EDLER , Bd. 29, Leipzig, Halle 1741, Sp. 59. 161 Dörfliche Identitäten <?page no="161"?> Patrick Oelze der durch Schwäbisch Hall allein bestimmten Schultheißen zu den falkenhausischen Häusern in Bibersfeld hätte als Anerkennung einer herrschaftlichen Vorrangstellung der Stadt im Dorf gelten können. Die falkenhausischen wie die hällischen Untertanen in Bibersfeld verfügten also ganz offenkundig über ein sehr ausgeprägtes Zugehörigkeitsgefühl zu ihrer Herrschaft, demgegenüber die Bedeutung der Dorfgemeinschaft stark in den Hintergrund treten konnte, insbesondere, wenn sich dieses Zugehörigkeitsgefühl an individuelle Interessen und Motive knüpfen ließ. 3. Die situative Markierung von Häusern Während in den Konflikten um die Feuerstellenvisitation in Bibersfeld die äußere Bezeichnung von Häusern keine erkennbare Rolle spielte, trat sie in einem anderen Dauerkonflikt im hällischen Umland umso spektakulärer in den Vordergrund. Dabei ging es nicht wie in den eingangs geschilderten Fällen um dauerhafte Gebäudezeichen und deren (gewaltsames) Anbringen oder Entfernen, sondern um die - in Ermangelung eines besseren Begriffs - situative Markierung eines Gebäudes. Besonders umstritten im hällischen Umland war die Hochgerichtsbarkeit, weil sich mit ihrer Ausübung eindrücklich eine grundsätzliche herrschaftliche Vorrangstellung, gar eine Landeshoheit behaupten ließ. Wenn jemand tödlich verunglückte, Selbstmord beging oder gewaltsam ums Leben kam, setzten daher oft regelrechte Wettläufe zwischen Schwäbisch Hall und seinen Nachbarn um die Leiche ein, da die Untersuchung solcher Todesfälle der Hochgerichtsbarkeit zuzurechnen war. Als sich beispielsweise 1625 im Dorf Ummenhofen südöstlich der Stadt, in dem die Hochgerichtsbarkeit zwischen den Schenken von Limpurg und Hall strittig war, ein limpurgischer Untertan erhängte, versuchte der zuständige hällische Vogt die Untersuchung des Vorfalls an sich zu reißen. Wie so häufig fand er das Haus des Selbstmörders schon von den Untertanen der Schenken besetzt, die eben ein solches Eingreifen des Vogtes verhindern wollten. Bei dem Versuch die Leiche durch ein rückwärtiges Fenster heimlich fortzuschaffen, wurde der Vogt ertappt und der Tote rasch in sicheres Hoheitsgebiet der Schenken gebracht und dem hällischen Zugriff damit entzogen. 32 Mit der Verfügung über die Leiche konnte man mit einer Wundschau - also einer amtlich angeordneten medizinischen Begutachtung der Leiche - eine 32 StA SH HV HS 50, S. 188; StA SH 4/ 79, S. 56. 162 <?page no="162"?> weitergehende Untersuchung des Falls einleiten oder auch nur das Begräbnis möglichst im eigenen und unumstrittenen Herrschaftsbereich anordnen und überwachen. Darüber hinaus begründete die Verfügung über die Leiche schon für sich alleine hochgerichtliche Rechte, denn ursprünglich zog man diese dadurch an sich, daß man ein sogenanntes » Leibzeichen « , d.h. einen Teil der Leiche, meist die Hand oder den Finger oder ein sogenanntes « Fraischpfand « , einen Gegenstand aus dem Besitz des Opfers, häufig ein Kleidungsstück, an sich brachte. Eine dritte Möglichkeit, die » Fraisch zu holen « , wie dieses Verfahren auch genannt wurde, war das Aushauen oder Ausschneiden sogenannter » Fraischspäne « aus der Haustür eines Opfers oder aus einem hölzernen Gegenstand am Ort des Unglücks oder Verbrechens. Ein solcher Span wurde häufig statt eines Leibzeichens genommen, wenn schon die Gegenseite den Leichnam an sich gebracht hatte. Das war es auch, was dem hällischen Vogt 1625 zu tun übrig blieb. Er hieb ein Holzstück aus der Türschwelle des Hauses, aus dem er zuvor die Leiche vergeblich zu entwenden versucht hatte. Im Verlauf der Frühen Neuzeit wurde diese Variante üblich. Aus dem Umland von Schwäbisch Hall sind Dutzende von Konflikten überliefert, in denen solche Fraischspäne genommen wurden. 33 Diese Konflikte liefen sehr häufig nach dem Muster des oben geschilderten Falls ab: Die Häuser der Untertanen oder andere Gebäude, in denen der oder die Tote aufgebahrt wurde, wurden belagert und bewacht, verteidigt, umschlichen oder gestürmt. Sie wurden zu Austragsorten für Herrschaftskonflikte en miniature. Inwiefern die Markierungen in einer Türschwelle, einem Holzsteg oder auch der Gemeindelinde, 34 die beim Aushauen oder Ausschneiden solcher Fraischspäne entstanden, ebenfalls und über den Augenblick hinaus als dauerhafte Zeichen herrschaftlicher Zugehörigkeit ähnlich einem Wappen verstanden wurden, ist aus den Quellen nicht eindeutig zu ersehen. Aller- 33 Vgl. dazu demnächst P ATRICK O ELZE , Fraischpfänder. Ein frühneuzeitlicher Rechtsbrauch im Südwesten des Alten Reichs, in: Zeitschrift für Württembergische Landesgeschichte 69 (2010). 34 Der hällische Untertan Jacob Hohenstätter erhängte sich 1602 in Gründelhardt an der Gemeindelinde. Sein Körper wurde zwar vom hällischen Amtsknecht abgeschnitten, doch ihm dann von brandenburg-ansbachischen Untertanen im Dorf »mitt Gewalt und gewöhrter Hand« abgenommen und ins markgräfliche Crailsheim geführt. Um die hällischen Ansprüche auf die Hochgerichtsbarkeit in Gründelhardt dennoch aufrecht zu halten, schnitt der hällische Vogt einen Fraischspan aus dem Baum. StA SH HV HS 50, S. 237; StA SH 4/ 79, S. 120. 163 Dörfliche Identitäten <?page no="163"?> Patrick Oelze dings ist das Nachleben der Konflikte, in deren Kontext diese Markierungen gesetzt wurden, im kollektiven Gedächtnis des jeweiligen Dorfes außerordentlich groß. Sie wurden auch noch Jahrzehnte später durch die Dorfbewohner in herrschaftlichen Befragungen erinnert. 35 Zu dieser tiefen Verankerung im kollektiven Gedächtnis trug sicherlich auch der zeremonielle Aufwand bei, der mit dem Ausschneiden solcher Fraischspäne verbunden wurde: 1525 wurde der flüchtige Lienhard Groß von Schwarzenbronn, im Bauernkrieg Hauptmann des so genannten » Schwarzen Haufens « , im von Rothenburg, Dinkelsbühl und Schwäbisch Hall gemeinsam verwalteten Dorf Lensiedel von einer rothenburgischen Streife niedergestochen. Um trotz dieses Vorfalls den von den drei Städten bestrittenen Anspruch Brandenburg-Ansbachs auf die Hochgerichtsbarkeit in Lensiedel aufrecht zu halten, erschien ein markgräflicher Kastner zusammen mit zwei Knechten. Nachdem die Gemeinde durch das Läuten der Glocken versammelt worden war, erklärte der Kastner, allein Brandenburg-Ansbach habe die Hochgerichtsbarkeit im Dorf inne und schnitt einen « gantzen Balcken [...] den Stetten zuwider aus dem Haus « , in dem Groß zu Tode gekommen war. 36 Diese Befunde sind zumindest Indizien dafür, daß solche situativen Markierungen das Potential hatten, einen Herrschaftsanspruch an einem Haus dauerhaft zu signalisieren. Die entstandene Beschädigung oder Lücke hatte das Potential zum echten Gebäudezeichen. 4. Haus und Identität - Zur Realität des Dorfes als kommunale Gemeinschaft Im Umland von Schwäbisch Hall kam es in den unzähligen Konflikten zwischen der Stadt und ihren adeligen Nachbarn um Herrschaftsrechte im Verlauf der Frühen Neuzeit immer wieder zu regelrechten « Häuserkämpfen « , bei denen es um die Zugehörigkeit einzelner Gebäude oder Höfe und der dort wohnenden Personen beziehungsweise den herrschaftlichen Zugriff auf diese ging. Dabei spielten dauerhaft angebrachte Gebäudezeichen wie Wappen eine wichtige Rolle, aber auch die situative Markierung von Häu- 35 Zum außergewöhnlich langen Gedächtnis von Untertanen wie städtischen Amtsträgern in diesem Kontext vgl. O ELZE , Recht behalten (wie Anm. 3), S. 337, 342ff. 36 HStA St C 3 Bü 3573 I. Vgl. auch T HEODOR S ANDEL , Kirchberg an der Jagst, hrsg. v. G. H ARRO S CHAEFF -S CHEFEN , Nürnberg 1936, S. 217f. 164 <?page no="164"?> sern durch das Aushauen oder Ausschneiden der so genannten » Fraischspäne « , in einem konkreten Konfliktfall. Viele Untertanen bildeten im Verlauf dieser Konflikte ein Zugehörigkeitsgefühl zu ihrer Herrschaft aus, das zumindest in die Nähe einer kollektiven Identität rückte und deutliche Bruchlinien innerhalb eines Dorfes hinterließ oder bestehende Konfliktlinien unterstrich und verstärkte. 37 Viele dieser Dorfgemeinschaften definierten sich ganz offenkundig nicht oder zumindest nicht in erster Linie als kommunale Zusammenhänge, sondern als schiere Zwangsverbände, deren einzelne Bestandteile sich in erster Linie loyal gegenüber ihrer jeweiligen Herrschaft verhielten. Untertanen und lokale Amtsträger eigneten sich ihre herrschaftliche Zugehörigkeit aktiv an, machten sie zum Ausgangspunkt von Selbst- und Fremdbeschreibungen und legitimierten individuelle Interessen und Handlungen mit Rückgriff auf sie. Volker Press ist also zuzustimmen, wenn er neben den Kommunalismus Peter Blickles den » Territorialismus « setzt. Dieser Territorialismus ist allerdings nicht im Sinne von Press als von oben und durch herrschaftliche Organe angestoßener Prozess zu verstehen, sondern war entscheidend durch die aktive Aneignung von Untertanen und Dorfgemeinschaften geprägt. 38 37 Vgl. dazu auch P ATRICK O ELZE , Am Rande der Stadt. Grenzkonflikte und herrschaftliche Integration im Umland von Schwäbisch Hall, in: Stadtgemeinde und Ständegesellschaft. Formen der Integration und Distinktion in der frühneuzeitlichen Stadt, hrsg. v. P ATRICK S CHMIDT und H ORST C ARL , Berlin u.a. 2007, 140-65. Demnächst auch P ATRICK O ELZE , Contested Bodies. Schwäbisch Hall and Its Neighbors in the Conflicts Regarding High Jurisdiction (1550-1800), erscheint in: The Holy Roman Empire revisited, hrsg. v. J ASON C OY , B ENJAMIN M ARSCHKE und D AVID S ABEAN (2009). 38 V OLKER P RESS , Kommunalismus oder Territorialismus? Bemerkungen zur Ausbildung des frühmodernen Staates in Mitteleuropa, in: Die Bildung des frühmodernen Staates - Stände und Konfessionen, hrsg. v. H EINER T IMMERMANN , Saarbrücken-Scheidt 1989, S. 109-35. 165 Dörfliche Identitäten <?page no="165"?> Patrick Oelze 166 <?page no="166"?> Die Karte ist mit freundlicher Genehmigung der Autorin entnommen aus: B EATE I LÄNDER , Verfassung und Verwaltung der Reichsstadt Hall vom Ende des Dreißigjähirgen Krieges bis zum Ende der Reichsstadtzeit (1648-1806), Diss. Tübingen 2000, Anhang 3. Die durchgehende bzw. gepunktete Linie gibt den tatsächlichen bzw. vermuteten Verlauf der etwa 120 km langen städtischen Landwehr wider. Die Landwehr bestand im Wesentlichen aus einem System von dichtbepflanzten Wällen und Gräben, das an durchführenden Straßen durch Schranken geschlossen und an wichtigen Stellen mit Türmen und Toren befestigt war. Innerhalb der Landwehr beanspruchte Schwäbisch Hall eine Reihe von Hoheitsrechten auch über die Untertanen anderer Herrschaften. Die Landwehr umfasste daher den größten Teil des Gebiets, das die Reichsstadt als ihr »Territorium« betrachtete und manchmal auch so benannte. Zur hällischen Landwehr vgl. H ANS M ATTERN , R EINHARD W OLF , Die Haller Landheg. Ihr Verlauf und ihre Reste, Sigmaringen 1990. Zur hällischen Landwehr und ihrer großen Bedeutung in den Herrschaftskonflikten im hällischen Umland vgl. P ATRICK O ELZE , Rechte haben (wie Anm. 6); zu Landwehren allgemein vgl. E BERHARD I SENMANN , Die deutsche Stadt im Spätmittelalter, Stuttgart 1988, S. 50. 167 <?page no="168"?> Orts- und Personenregister Aachen 87 Ammann, Hektor 13, 14 Anjou 93 Anklam 127, 138 Auer, Dietrich 102 - Erhart 102 - Jorgen 102 - Peter 102 Augsburg 46, 81, 87, 109 Bader, Johannes 71 - Hans 71 Bars, Drutgin 43 Basel 8, 9, 10, 12, 13, 27, 81-91, 105, 113 Bayern 93 Beheim , Albrecht 111 - Michel 111, 112 Benecke, Georg Friedrich 38 Bern 14, 119 Bibersfeld bei Schwäbisch Hall 159, 160, 161, 162 Bilgeri (Geschlecht) 27 Blarer (Geschlecht) 73 zem Pflug Hans 71 zu der Leyburg Ulrich 72 zur Kepburg Ludwig 72 Blickle, Peter 165 Brandenburg-Ansbach (Markgrafentum) 153-167 - Joachim Ernst (Markgraf) 155, 159 Brandes, August 146, 150 Brandis, Eberhard von 147 Brück, Johann 46, 48, 54 - Christian 48 Brugg 14 Brun, Heinrich 48, 49 v. Brunswick (Ratsfamilie) 136 Bündrich oder Hans Bader alias - Lanz 68 - Bündrichin Anna 72 Buomberger, Ferdinand 11 Clarer, Hans 75 - Heinrich 75 Comburg (Ritterstift) 156 Coppenwalder, Albrecht (Ratsherr) 99, 103 Danzig 35 David, Johannes (Baumeister) 8 Demmin 127, 138 Deutz 46, 48, 54 Diebel, Elias 135 Diesbach, Ludwig 119 Diethelm von Castell, Abt der Reichenau 148 Dinkelsbühl 164 Eck, Konrad 48 Ehinger (Geschlecht) 72 - Konrad 71, 72 Else Gräfin alias Pürín 68 Falk, Niels Nikolaus 38 Falkenhausen, Freiherren von 159, 161 Frankfurt 27, 56, 87, 112 Freiburg im Üechtland 11, 12, 13, 21 Friedrich III. (Kaiser) 85 Fugger, Jakob 81 Gailenkirchen 153 Georg von Hohenlohe (Graf) 155 169 <?page no="169"?> Gera 33 Gildehusen, Albert 138 Gisler, Josef 15, 16, 17, 18, 20 Grafenreuter Achatz 104 - Konrad 104 - Familie 104 Greifswald 123-142 v. Grönhagen (Geschlecht) 114 - Heinrich 114 Groß, Lienhard 164 Gruber, Karl 123 Guido der Jüngere (Arzt) 148 Hammel-Kiesow, Rolf 137 Heinrich, Glasmacher 53, 54 Hersbach (Geschlecht) 48 - Christian 54 - Ludger 49, 54 - Peter 52 Hilgemann (Geschlecht) 139 - Werner 139 Hirschmann, Hans Jörg 155 Hoernes, Martin 100 Hofmann, Erich 143, 149 Hohenlohe-Kirchberg (Grafen) 158 Holst, Jens-Christian 137 Homeyer, Carl Gustav 31-40 Honhardt bei Schwäbisch Hall 153-167 Ingolsteter, Hans 97 - Hänslein 97 - Heinrich 97 - Konrad 97 - Lienhart 99 - Lukas 99 Jäger, Clemens 109 Kastenmayr, Hans 107 Keppel, Bartolomäus 46 Kiel 33 Kilchmann (Geschlecht) 85 - Friedrich 86 - Hans 82, 83, 86, 87 - Hans Konrad 86 - Konrad 85, 86 - Ludwig 82, 83, 86 - Ursula 86 v. Klingenberg (Adelsgeschlecht) 148 - Albrecht (Reichs-Vogt) 145, 146, 147 - Heinrich (Bischof) 145, 146 Koch, Bruno 14, 15 Köln 7, 8, 39, 43-64, 87, 109, 112, 115, 116, 117 Kolberg 136 Konstanz 8, 65-78, 90, 143-151 Kopenhagen 32 Konrad von Beugen (Ritter) 89 Korten, Sophien 55 Krattingen, Peter von 89 Kuckelmans, Margarete 50 Lange, (Familie) 139 Lanz von Liebenfels Hans 71, 72, 76, 78 Letzenitze (Familie) 135, 136, 138, 139 Lexer, Matthias 38 Liebenfels (Burg) 71, 72 Lowe, Conrad 131 Lowe, Johann 131 Lowe, Familie 139 Ludwig II. von Brieg (Markgraf) 150 Lübeck 14, 123-142 v. Lübeck (Geschlecht) 139 - Hinrich 132 - Jakob 133 Luninck, Abt von St. Pantaleon 50 Magnusen, Finn 32 Maygrin zem Sylten, Elsbeth 71 Meersburg 72 Mellingen 85 170 <?page no="170"?> Meyer, Herbert (Jurist) 37 Michelfelden bei Schwäbisch Hall 155, 156 Michelsen, Andreas Ludwig Jacob (Germanist) 32-36 Mölln 127 Morsel, Joseph 101 Müller, Wilhelm 38 Muntprat (Geschlecht) 73 im Kemlin, Jacob 71 zu Salenstain, Jacob 72 im Stainbock, Barbara 71 Notangst, Stefan 106, 107 Nürnberg 86, 87, 109-120 Nürnberg, Elisabeth von 150 - Friedrich 149, 150 Offenburg (Geschlecht) 86, 87 - Hermann 27, 85 Ofner, Melchior 160 Ordenbach, Peter 48, 55 Örlin, Elsi 114 Overstolz (Geschlecht) 116, 117 - Werner 116 Pfaff (Geschlecht) 27 Pfefferhart (Geschlecht) 147, 148 - Konrad 146 Pflegler, Henman 114 Pfollenkofen (Geschlecht) 39 Pommern (Herzogtum) 127, 138 Press, Volker 165 Preumaister (Geschlecht) 98, 105 - Anna 105 - Anna, Hofmeisterynn 99 - Barbara 99 - Erhard 98, 99, 105 - Gottfried 98, 102, 105 - Jakob 98 - Klemenz 105 Regensburg 39, 40, 93-108 Rheinfelden 89 Richental, Ulrich 150 Rieter (Geschlecht) 118 Ripgin, Weisgin 43 Rohmann, Gregor 109 Rohrbach, Bernhard 112 - Johann 112 Rom 87 Rosenegg, Werner von 147 Rostock 135 Rot, Friedrich 85 Rothenburg 164 Rothschild (Familie) 27 Rubenow (Geschlecht) 139 - Hinrich 133, 138 Rufach, Konrad von 88 Rügen (Fürstentum) 127, 138 Rüll 68 Rüther, Stefanie 137 Ruppertshofen bei Schwäbisch Hall 158 v. Sanckenstedt (Geschlecht) 114 - Margareta 114, 115 Sankt Gallen 20, 21 Santiago de Compostela 87 Schaffhausen 13, 21 Schlierbach (Geschlecht) 86 Schlüter, Bernd 31 Schmid, Maria 158 Schneider, Jörg 159, 160 Schoch, Willi 20 Schreyer (Geschlecht) 118 - Hans 118 - Helena 118, 119 - Sebald 118 Schulthaiß, Christoph 75, 145-147 Schürstab, Erasmus 112 Schwäbisch Hall 153-167 Schwarzenbronn 164 Schwelm 43 171 <?page no="171"?> Schwenker (Kaufmann aus Gera) 33 Sigismund (König) 149 Signori, Gabriela 105 Sintzenhofer, Heinrich 102, 103, 105 Speth, Johann Friedrich (Stadtsyndicus) 144, 145-146 Spiser, Johannes 89 - Elisabeth 89 - Katharina 89 - Verena 89 Steiner, Michel 160 Stralsund 14, 39, 115, 123, 126, 127, 129, 134, 136-138, 140 Straßburg 8, 87, 88, 90 Strobel, Richard 39 Suhlburg bei Schwäbisch Hall 158 Suhr, Paul 142 Sürlin, Anastasia 86 Sutter, Pascale 19, 20 Ter Damen, Herman 35 Tettikoven (Geschlecht) 68 Tettikoven von Brun / Bündrich 72, 73, 76, 78 - Heinrich 68 Trainer, Erasmus 103 - Veit 103 Tunau auf Ulrich (Probst) 105 Ulm 75, 78, 86 v. Ulm (Geschlecht) an sant Pauls gassen, Hainrich 74 - Hainrich, Hainrichs Sohn 74 zum Gulden Schwert, Heinrich 71, 74 Ummenhofen bei Schwäbisch Hall 162 Untermückheim bei Schwäbisch Hall 157 Uzeda, Aracely 17, 20 Vintler (Geschlecht) 27 Virneburg von (Grafen) 51 Vögelin, Greda 90 - Konrad 90 Wackhler, Jacob 153, 154 Wagner, Georg 158 - Kunigunde 88 Weinsberg (Geschlecht) 57 - Haus 43 - Christian 43, 51, 55, 57, 63 - Gottschalk 43, 48, 51, 53, 55, 57 - Hermann 43-59, 62,64, 112, 119 - Hieronymus 57 - Konrad 84 - Peter 55 - Sibylla 55 - Tilman 55 Worms 55, 56, 61 Würzburg 156 Wulflam, Bertram 138 Zarncke, Friedrich 38 Ziegler, Leonhardt 155 Zofingen, Burkhard von 90 Zscheckabürlin, Elisabeth 86 Zürich 11-28 172 <?page no="172"?> Autorinnen und Autoren Karin Czaja, M. A. (geb. 1982), Studium der mittelalterlichen Geschichte an den Universitäten Münster und Complutense de Madrid, seit 2007 wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für mittelalterliche Geschichte der Universität Konstanz, Promotionsprojekt zu spätmittelalterlichen Familienbüchern aus Nürnberg. Prof. Dr. Hans Jörg Gilomen (geb. 1945), Studium der Geschichte an der Universitäten Basel und Paris (EHESS), seit 1988 Professor für allgemeine und Schweizer Geschichte des Mittelalters, sowie mittelalterliche Wirtschafts- und Sozialgeschichte an der Universität Zürich, zahlreiche Publikationen zur Geschichte von Migration und Armut in der mittelalterlichen Stadt. Dr. Karsten Igel (geb. 1970), Studium der mittelalterlichen Geschichte an der Universität Münster, 2002 Promotion zur Stadtgestalt und Sozialstruktur Greifswalds um 1400, freischaffender Historiker mit den Forschungsschwerpunkten Sozial- und Wirtschaftsgeschichte der spätmittelalterlichfrühneuzeitlichen Stadt, Stadtbaugeschichte und Archäologie des Mittelalters. Prof. Dr. Helmut Maurer (geb. 1936), Studium der Geschichte, Ur- und Frühgeschichte, Germanistik, Geographie und Politikwissenschaften in Freiburg i. Br., 1966 Ernennung zum Archivleiter des Stadtarchivs Konstanz, seit 1981 Honorarprofessur an der Universität Konstanz, zahlreiche Veröffentlichungen zur mittelalterlichen Verfassungs-, Sozial-, Kirchen- und Stadtgeschichte Südwestdeutschlands und der Schweiz. Dr. des. Patrick Oelze (geb. 1972), Studium der Geschichte an der Universität Konstanz, wissenschaftlicher Mitarbeiter im Teilprojekt »Die Stadt in der europäischen Vormoderne« des SFB 485 »Norm und Symbol« an der Universität Konstanz, 2008 Promotion zur städtischen Gerichtsbarkeit in der Frühen Neuzeit. 173 <?page no="173"?> Dr. Olivier Richard (geb. 1974), Studium an der École Normale Supérieure, Lecturer an der Brandeis University (Boston/ Mass.) und wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Université Marc Bloch in Straßburg, z. Z. wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Université de Haute-Alsace (Mulhouse). Promovierte 2005 mit einem Stipendium der Mission Historique Française en Allemagne zur Erinnerung und Identität des Regensburger Patriziats. Dr. Christof Rolker (geb. 1979), Studium der Geschichte und Philosophie an den Universitäten Konstanz und Oxford, 2006 Promotion mit einer Arbeit zu Ivo von Chartres an der Universität Cambridge, seit 2006 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für mittelalterliche Geschichte der Universität Konstanz und Teilprojektleiter »Geschlecht, Namenwahl und Eheschließung« im Rahmen des Exzellenzclusters »Kulturelle Grundlagen von Integration«, Forschungsschwerpunkte: mittelalterliches Kirchenrecht, Stadtgeschichte des späten Mittelalters. Prof. apl. Dr. Wolfgang Schmid (geb. 1957), Studium der Geschichte, Kunstgeschichte und Politikwissenschaften, Promotion über Stifter und Auftraggeber im spätmittelalterlichen Köln, Habilitation über Dürer als Unternehmer, zahlreiche Publikationen zur Stadt-, Kunst- und Kulturgeschichte Kölns und zum spätmittelalterlichen Sepulkralwesen. Prof. Dr. Gabriela Signori (geb. 1960), von 2001 bis 2006 Professorin für Geschichte des Spätmittelalters und Historische Hilfswissenschaften an der Universität Münster, seit 2006 Professorin für mittelalterliche Geschichte an der Universität Konstanz und Teilprojektleiterin »Geschlecht, Namenwahl und Eheschließung« im Rahmen des Exzellenzclusters »Kulturelle Grundlagen von Integration«, zahlreiche Veröffentlichungen zur Sozial- und Frömmigkeitsgeschichte des späten Mittelalters. Kathrin Stutz, M.A. (geb. 1978), Studium der Geschichte an der Universität Konstanz, seit 2007 Doktorandin mit einem Promotionsprojekt zum Thema »Häuser, Hausnamen und Hausmarken« im Rahmen des Teilprojekts »Geschlecht, Namenwahl und Eheschließung« des Exellenzclusters »Kulturelle Grundlagen von Integration« an der Universität Konstanz. 174